Kritische Texte und Deutungen: Ergänzungsband 2 Briefwechsel mit Theo Schücking. Frauenleben im 19. Jahrhundert [Reprint 2018 ed.] 9783110956122, 9783484108318

This supplementary volume to the critical edition of Ebner-Eschenbach's works contains her correspondence with Theo

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German Pages 526 [528] Year 2001

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
A. Der Briefwechsel
Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking
Anhang
B. Dokumentation
I. Die Familie Schücking
II. Theo Schücking
III. Marie v. Ebner-Eschenbach: Die eine Sekunde
C. Untersuchungen
I. Theo Schücking
II. Marie v. Ebner-Eschenbach
Verzeichnisse
Stammbaum Ebner-Eschenbach
Stammbaum Schücking
Abbildungen
Diakritische Zeichen
In Abkürzung angeführte Literatur
Zitierte Ebner-Werke
Kommentiertes Namenregister
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Kritische Texte und Deutungen: Ergänzungsband 2 Briefwechsel mit Theo Schücking. Frauenleben im 19. Jahrhundert [Reprint 2018 ed.]
 9783110956122, 9783484108318

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MARIE VON EBNER-ESCHENBACH KRITISCHE TEXTE UND DEUTUNGEN Herausgegeben von Karl Konrad Polheim und Carsten Kretschmann Zweiter Ergänzungsband

MARIE VON EBNER-ESCHENBACH

KRITISCHE TEXTE UND DEUTUNGEN

Herausgegeben von Karl Konrad Polheim und Carsten Kretschmann

ZWEITER ERGÄNZUNGSBAND Briefwechsel mit Theo Schücking

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2001

MARIE VON EBNER-ESCHENBACH

BRIEFWECHSEL MIT THEO SCHÜCKING Frauenleben im 19. Jahrhundert Herausgegeben von Edda Polheim

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2001

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ebner-Eschenbach, Marie von: Kritische Texte und Deutungen / Marie von Ebner-Eschenbach. Hrsg. von Karl Konrad Polheim und Carsten Kretschmann. - Tübingen : Niemeyer Erg.-Bd. 2. Briefwechsel mit Theo Schücking : Frauenleben im 19. Jahrhundert / hrsg. von Edda Polheim. - 2001 ISBN 3-484-10831-2 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Für Dr. Mariane Winterboiler

Theo Schiicking

Inhalt

Einleitung A. Der Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking Anhang B. Dokumentation I. Die Familie Schücking 1. Familienbriefe (Levin, Theo, Adrian) 2. Das Testament Levin Schückings II. Theo Schücking 1. Meta von Salis: Theo Schücking 2. Theo Schücking: Schriften a) Das römische Tagebuch, 1881 (Auszug) b) Einleitung der Droste-Schücking-Briefe c) Meine Tante Betty d) Heimkehr e) Essays Ein neues Buch von Marie v. Ebner-Eschenbach Die eherne Notwendigkeit Erinnerungen an Friedrich Nietzsche Marie von Ebner-Eschenbach Marie von Ebner-Eschenbachs Heimat Asphodelos 3. Briefe von und an Theo Schücking a) Schriftstellerinnen Ida Boy-Ed Emmy v. Dincklage Amalie Hager Fanny Lewald Emilie Mataja Molly Miller Elisabeth Förster-Nietzsche Betty Paoli Meta v. Salis Marie Schumann Hermine Villinger

1 7 152 155 157 157 173 175 175 234 234 237 242 250 267 267 271 274 278 284 292 292 292 292 295 315 318 320 321 326 327 335 346 347

X

Inhalt

b) Verleger J. G. Cotta Heinrich Hubert Houben 4. Die Schillerstiftung 5. Theo Schückings Tod III. Marie v. Ebner-Eschenbach: Die eine Sekunde C. Untersuchungen I. Theo Schücking 1. Die Familie Schücking 2. Theophania Schücking, genannt Theo a) Meta von Salis: Theo Schücking b) Das römische Tagebuch, 1881 c) Das amerikanische Tagebuch, 1883-1886 3. Die Freundschaft mit Marie v. Ebner-Eschenbach, 1886-1903 4. Theo Schücking als Schriftstellerin a) Die Ausgabe der Droste-Schücking-Briefe . . . . b) Pseudonymität c) Die Schillerstiftung d) Neubeginn e) Erzählungen: Tante Betty - Heimkehr f) Essays 5. Theo Schücking als literarische Figur a) Levin Schücking: Die Herberge der Gerechtigkeit Constanze. Eine römische Studie b) Marie v. Ebner-Eschenbach: Die eine Sekunde II. Marie v. Ebner-Eschenbach 1. Rom a) Uber deutsch-römischen Alltag b) Das Romerleben der Ebner 2. Literarisches Leben a) Uber den Salon b) Das Verhältnis der Ebner zum Salon c) Die Ebner und die Kritik 3. Frauenbewegung a) Die Ebner und die Frauenfrage b) Weibliches und männliches Schreiben?

352 352 354 357 384 393 401 403 403 405 405 410 411 417 425 425 431 433 437 438 441 443 443 445 449 449 449 455 463 463 467 469 476 476 483

Inhalt

Verzeichnisse

XI

491

Stammbaum Ebner-Eschenbach

492

Stammbaum Schücking

493

Abbildungen

495

Diakritische Zeichen

496

In Abkürzung angeführte Literatur

497

Zitierte Ebner-Werke

502

Kommentiertes Namenregister

503

Einleitung

„Briefe von geliebten Menschen verbrennt man gleich oder nie", lautet ein Ebnerscher Aphorismus, und eben diesem letztgenannten Umstand verdanken nahezu alle Briefausgaben privateren Charakters ihr Zustandekommen. Daß aber beide Briefpartner diesem Grundsatz huldigen und auf diese Weise Briefe und Gegenbriefe der Vernichtung entgehen, ist keineswegs die Regel. Im Briefwechsel Marie v. EbnerEschenbach mit Theo Schücking ist solch eine günstige Fügung anzuzeigen. Die hier vorliegende Ausgabe wurde nur möglich durch die großzügige Erlaubnis, Materialien eines Schückingschen Familienarchives auswerten und publizieren zu können, wofür an erster Stelle nachdrücklich gedankt werden soll. Dieses zur Veröffentlichung bereitgestellte Konvolut umschließt die Briefe Marie v. Ebner-Eschenbachs an Theo Schücking, weiters Schückingsche Familienkorrespondenz und zahlreiche, oft sehr umfangreiche Briefe verschiedener Schriftstellerinnen, die dem gemeinsamen Bekanntenkreis beider Frauen zuzurechnen sind. Ein glücklicher Zufall, von dem Archivbenützer immer träumen und auf den sie so oft vergeblich hoffen, war es, daß im Rahmen der Arbeiten an der Kritischen Ebner-Eschenbach Ausgabe und den in Brünn liegenden Tagebüchern der Dichterin die Gegenbriefe Theo Schückings im Mährischen Landesarchiv Brünn zu Tage kamen, wobei den Brünner Archivaren für ihre unbürokratische und kompetente Hilfe in schwieriger Zeit sehr zu danken ist. Wenn hier von glücklichen Zufällen und Funden gesprochen wird, so sollen die Widerhaken, die diesem Glück anhaften, nicht unerwähnt bleiben: die Datierung der Briefe Theo Schückings. Mit etlichen Ausnahmen versah Theo Schücking vom Jahr 1882 an ihre Briefe mit Wohnadresse, Tag, Monat und Jahr. Ab 1895 aber fehlen nahezu ausnahmslos die Jahresangaben. Im Normalfall wäre, selbst über unterschiedliche Ortsangaben, noch immer eine chronologische Reihung möglich. Dem stehen in diesem speziellen Fall aber gravierende Schwierigkeiten entgegen: Theo Schücking wechselte - was aus ihren persönlichen Schicksalen heraus zu klären sein wird - häufig ihre Bleibe. Wenn hier von Bleibe die Rede ist, muß ergänzend hinzugefügt

2

Einleitung

werden, daß sie nur selten eine Wohnung tatsächlich ihr eigen nennen konnte. Meist war sie auf Ubergangslösungen angewiesen; so nahm sie in mehreren Jahren in der Berliner Wohnung ihrer Schwester Gerhardine Rickert (während deren Abwesenheit) Aufenthalt, kehrte dann wieder in die alte Behausung zurück, ging wieder (aus nicht ganz zu klärenden Gründen) heimatlos auf Suche, fand, oft in ein und derselben Straße, wieder eine neue Bleibemöglichkeit, wohnte zwischenzeitlich bei befreundeten Familien, kurz - sie führte das heimatlose Dasein, das sie in einer ihrer Erzählungen illusionslos schildert. Erschwerend kommt noch hinzu, daß sie die Sommermonate im Dienste Amalie Hagers in wechselnden Fremdenpensionen der damals beliebten Sommerfrischler-Orte Kufstein, Traunstein, Vahrn/Südtirol, Reichenhall, St. Gilgen u. a. verbringt, daß aber die Abläufe dieser Sommeraufenthalte über Jahre hinweg nahezu identisch sind. Nur selten gibt ein herausragendes Ereignis die Möglichkeit, sicher das Jahr festzulegen. Natürlich liegt es nahe, weitere Korrespondenzen und Tagebucheintragungen Marie v. Ebner-Eschenbachs mit Hinweisen auf ihre eigenen Erzählungen und auf Theos schriftstellerische Arbeiten als Datierungshilfen heranzuziehen. Doch auch auf dem so sicher scheinenden Terrain der Ebnerschen Tagebucheintragungen mit der peniblen Angabe der ein- und ausgehenden Briefe zeigen sich neue Schwierigkeiten. Zunächst bleibt festzuhalten, daß die Dichterin der Korrespondenz mit Theo Schücking am Beginn der Bekanntschaft begreiflicherweise weit weniger Interesse entgegenbrachte als in den späteren Jahren der Freundschaft. Aber auch noch 1893 und in den darauffolgenden Jahren registriert die Ebner keineswegs alle ihre an Theo Schücking gerichteten Briefe in der dafür vorgesehenen Rubrik des Tagebuches: dies trifft beispielsweise auf ihre Briefe vom 16. 3. 1893, vom 31. 12. des selben Jahres oder vom 9. 1. 1896 zu. Selbst die in den Briefen eingehend besprochenen Erzählungen Marie v. Ebner-Eschenbachs bringen nicht immer die erhoffte Hilfe, da die Dichterin die Titel ihrer Erzählungen des öfteren wechselte und außerdem eine im Brief erwähnte Veröffentlichung der jeweiligen Erzählung in Buchform oder erst im Zeitschriftendruck erfolgt sein konnte, woraus sich ganz erhebliche Zeitunterschiede ergeben. Wenn man darüber hinaus noch die Tatsache in Betracht zieht, daß sicherlich Briefe auf beiden Seiten verloren gegangen sind - was die Lücken in der Korrespondenz erklären mag - so ist unschwer zu erkennnen, daß kriminalistischer Spürsinn für die Datierung gefragt war.

Einleitung

3

In diesem Metier versuchte sich bereits auch dankenswerter Weise das Mährische Landesarchiv Brünn. Es diente zunächst dessen Foliierung (in der Ausgabe stets vermerkt) als Leitfaden durch das Briefgewirr, was bei dem ungeordneten Konvolut und bei nicht genauer Kenntnis des Briefinhaltes auch die einzige Orientierung bieten konnte. Doch machte die genaue Beschäftigung mit den Briefen bisweilen eine andere Zuordnung notwendig. So stimmte etwa im Brief vom 28. 11. 1892 (18/S) die Reihenfolge der Folionummern nicht: fol. 4 a b, 10 a b, 5 a b, 8 a b, 9; ebensowenig im Brief vom 9. 4. 1894 (43/S) fol. 22 a b, 26 a b, 23 a b, 24 a b, 25 a b. Neben diesen fehlerhaften Reihungen, die bei einer ganz erklecklichen Zahl von Briefen korrigiert werden mußte, gibt es aber auch noch eine viel gravierendere Fehlervariante: so muß z.B. im Brief vom 3. 11. 1893 (36/S) auf fol. 14 a b, 15 a b, fol. 162 a b, 163 a b, 164 a b folgen, oder im Fragment vom 11. 1. 1896 (59/S) auf fol. 45 a b, 112 a b. Außerdem stehen in einigen Fällen auch niedere Folionummern für Briefe der späten Jahre, etwa der Brief vom 11. 9. 1899 (83/S) mit Foliierung 54 a, 57 a b, 57 a b, 55 a b. Die vorliegende Ausgabe (in der die Ebner-Schücking-Briefe durchgezählt werden und die jeweilige Hinzufügung von /E oder /S auf die Briefschreiberin verweist) mußte - nolens volens - eine chronologische Reihung vornehmen. Sie begründet diese am Ende eines jeden Briefes mit Verweisstellen aus vorangegangenen oder nachfolgenden Briefen, aus gesicherten Daten (etwa Todesdaten, Geburtstage etc.) oder auch aus Ortsangaben. Was hiebei die weniger bekannten Personen in den verschiedenen Briefen anlangt, so versucht ein kommentiertes Register am Schluß des Bandes, auch für sie Daten und kurze Lebensläufe bereit zu stellen. Daß dieses Unterfangen in etlichen Fällen fragmentarisch bleiben mußte, ergibt sich aus dem äußerst spärlichen Informationsmaterial. Sind darüber hinaus Hinweise auf Personen zum Verständnis des jeweiligen Briefes notwendig, so erfolgen diese zusätzlich zum Register in den Anmerkungen. Standen im Briefwechsel Ebner - Schücking neben den registralen Mühen vor allem Datierungsschwierigkeiten im Vordergrund, so war es bei den weiteren Briefpartnerinnen um Theo Schücking die Qual der Auswahl, die zu schaffen machte. Diese Briefe charakterisieren eindringlich in Stil und Inhalt ihre Verfasserinnen, die im zeitgenössischen Urteil die schriftstellerischen Qualitäten Theo Schückings um einiges überragten. Herzerfrischend sind die Briefe der zu ihrer Zeit recht berühmten, heute völlig unbekannten Emmy von Dincklage, oder die der nicht minder bekannten

4

Einleitung

Schwäbin Hermine Villinger, - kühl und abwägend schreibt Fanny Lewald, mütterlich jovial Betty Paoli, und eine Sonderstellung nehmen die Briefe Meta von Salis' ein. Auch berühmte Namen wie Elisabeth Förster-Nietzsche und Marie Schumann, die nur indirekt dem literarischen Bereich zuzurechnen sind, fehlen in der Auswahl nicht. Die Mannigfaltigkeit der in diesem Band vorgelegten brieflichen Textzeugen geben manche Einblicke in Frauenleben und Leiden des 19. Jahrhunderts, aber auch, damit zusammenhängend, in den Literaturbetrieb dieser Zeit. So waren hier verschiedene Aspekte zu streifen. Die finanzielle Notlage, die vor allem in den Briefen Theo Schükkings (nach ihrer Rückkehr aus Amerika) mehr als deutlich wird, ließ die Einbeziehung der Deutschen Schillerstiftung geboten erscheinen dieser Institution also, die Verarmung nicht öffentlich machte, aber mit öffentlichen Mitteln die ärgste Not bedrängter Literaten beiderlei Geschlechts zu lindern suchte. Wie unbürokratisch und großzügig hierbei verfahren wurde, zeigt sich sowohl an der Akte Levin Schükking als auch an der Unterstützung, die seiner Tochter Theo zuteil wurde. Hier sei der Deutschen Schillerstiftung, Weimar, für Druckerlaubnis und wertvolle Hinweise gedankt. Marie von Ebner-Eschenbach stand selbst mit der Schillerstiftung, Vorort Wien, in Verbindung und konnte auf diese Weise in so manchem Fall hilfreich vermitteln (Theo Schücking, Louise von François u.a.). So lernte sie, die finanziell unabhängige Aristokratin, die Not vieler Frauen dieser Zeit hautnah kennen, und in manchem ihrer Werke spiegelt sich die Auseinandersetzung damit eindringlich wider. Der Blick auf den Literaturbetrieb der Zeit zog aber auch zwangsläufig eine rudimentäre Auseinandersetzung mit dem literarischen Salon nach sich. Trotz der Stellung, die Marie v. Ebner-Eschenbach in vorgerückteren Jahren im öffentlichen Leben einnahm, war sie doch nie Mittelpunkt eines eigenen literarischen Salons; auch hielt sie nach Möglichkeit Distanz zu den bürgerlichen Nachkommen dieser Einrichtung, wie Frauenvereine u. a. Dennoch nützte auch sie kleine literarische Zirkel, um die Wirkung ihrer Erzählungen zunächst ,voröffentlich' zu erproben. Von ihrem regen Gedankenaustausch auf poetologischem Gebiet zeugen zahlreiche Briefe und Tagebucheintragungen. So stellt sich auch für sie die Frage - die heute wie damals diskutiert wurde und wird - , in wieweit sich weibliches Schreiben von männlichem unterscheidet. Die hier vorliegende Briefausgabe versucht, den theoretischen Erwägungen, wie sie etwa Joseph v. Eichendorff oder Levin Schücking zu diesem Problem anstellten, praktische Beispiele gegenüber zu stellen. Daß dies alles nur ein bescheidener Beitrag im Hin-

Einleitung

5

blick auf dieses eigentlich nicht konkret zu fassende Problem sein kann, bedarf nicht der Frage. Das Leben der Dichterin, das sich bis in die Neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts - von gelegentlichen Reisen abgesehen - zwischen Wien und Zdislawitz abspielte, erfuhr im Jahr 1898 eine bedeutsame Erweiterung. Die nun verwitwete Marie v. Ebner-Eschenbach verbrachte die Wintermonate der folgenden Jahre in Rom. Ihre Aufzeichnungen und Korrespondenzkarten, die oft mehrmals täglich zwischen ihrer Wohnung und der Theo Schückings, die zeitweilig ebenfalls in Rom weilte, hin und her wanderten, gewähren interessante Einblicke in deutsches Literatenleben in der Ewigen Stadt. Uber dieses sie zutiefst berührende Romerlebnis sind auch neue Einsichten in das Werk der Ebner dieser Jahre zu gewinnen. So ist diese Ausgabe, die zunächst lediglich den Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking umfassen sollte, im Zuge der gebotenen Beschäftigung mit all den Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellten, zu einem Beitrag für Frauenleben und Literatur im 19. Jahrhundert gediehen.

A.

D E R BRIEFWECHSEL M A R I E VON E B N E R - E S C H E N B A C H T H E O SCHÜCKING

-

1/E

Trpist in Böhmen. 30 Juli 78.

Mein liebes theures Fräulein! Eine Stunde vor meiner Abreise von Königswart, wurde mir Ihr liebes gutes Briefchen gebracht, für das ich Ihnen, viel später als recht und verzeihlich ist, meinen allerwärmsten Dank sage. Ich wollte Ihnen sofort meine innige Freude aussprechen, über Ihre und Ihres hochverehrten Herrn Vaters freundliche Erinnerung. Die Photographie ist vortrefflich, es kann keine bessere geben, ich bin glücklich und stolz sie zu besitzen, und sobald ich nach Hause zurück kehre bekömmt sie ihren Platz in einem sehr sehr kleinen Büchlein, in meiner Gallerie der Auserwählten. Daß ich so spät für die theure Spende, wie für die liebenswürdige Vermittlung derselben danke, daran sind eine menge Dinge schuld. Ich bin hier nur Schwester und Tante, und vernachlässige meine Pflichten gegen meine Freunde auf ganz schauderhafte Art. Zu diesen Freunden gehört auch meine sehr bescheidene Muse, nach welcher Sie sich freundlichst erkundigen. „Nicht herein!" bekömmt sie zur Antwort wenn sie anpocht, und zieht gekränkt von dannen, und kommt so bald nicht wieder, sie nimmt es so übel daß sie einer Berathung über den Aufputz von Kinderhäubchen, oder den Betrachtungen über die Eigenschaften des Hauptwortes, oder ähnlichen, von ihr sehr gering geschätzten Geistesthätigkeiten weichen muß. Zu der Verlobung Ihres Herrn Bruders [Adrian], meinen allerherzlichsten Glückwünsch! Ich freue mich so innig und aufrichtig mit Ihnen wie man sich nur mit denen freut deren Sorgen man getheilt hat. Möge er recht glücklich werden! das Schicksal ist ihm eine Vergeltung schuldig für die schweren Leiden die es ihn gleich beim Eintritt in das Berufsleben erdulden ließ. 1 Von Ida [Fleischl] habe ich gute und häufige Nachrichten, sie hat nun ihre beiden Söhne Paul und Otto bei sich und erwartet demnächst auch Ernst's Ankunft. Fräulein Paoli ist in Ischl, auch recht zufrieden mit ihrem Sommeraufenthalt. Mein Mann, dem ich die freundlichen Grüße Ihres theuren Herrn Vaters schriftlich zuschickte, empfiehlt sich verehrungsvoll. Er ist in diesem Augenblicke in Helgoland, 2 mit meinem Bruder und dessen beiden älteren Kindern, das jüngste, der kleine Eugen, ist bei mir, ich kehre am lO1 August mit ihm nach meinem Heimatsorte (Zdisslawitz über Zdaunek in Mähren) zurück. Dort kommen wir alle zusammen alt und jung, im Laufe des Herbstes. Wie sieht es mit Ihren Winterplänen aus? Haben wir Hoffnung Sie bei uns zu sehen? Sie haben in Wien sehr getreue Freunde, die glücklich wären Sie wieder begrüßen zu können. Ich muß

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A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

schließen (gedrängt), durch die unerbittliche Botenfrau die hier umgeht d.h. „spükt" als Gespenst aus Goethe u. Schillers Zeiten. Leben Sie wohl! leben Sie wohl, theures, liebes Fräulein! Treuestens, herzlichst Ihre sehr ergebene Keine 1

2

Unterschrift.

Adrian Schückings Erlebnisse im russisch-türkischen Krieg, vgl. unten S. 446, Anm. 73. Moriz v. Ebner-Eschenbach, S. 63. - Der Bruder ist Adolph Graf Dubsky.

2/E

Wien. 4' Februar 1881.

Mein liebes, theures Fräulein Theo! Ihr Brief hat mich wahrhaft beglückt - haben Sie Dank! den allerbesten, allerwärmsten und innigsten Dank den es giebt. Ich wollte, ich könnte ihn aussprechen statt ihn schreiben zu müssen, ich wollte, ich hätte meinen schönen Vorsatz, diesen Winter in Rom zuzubringen ausgeführt. Aber es war unmöglich. Mein Bruder [Adolf] hat sich im Herbste verheiratet 1 und eine Hochzeitsreise nach Egypten unternommen, ich konnte nicht auch vom Haus fort und die Kinder allein zurücklassen. So verschob ich denn meine Römer Fahrt auf den Winter 82, wenn ich bis dahin überhaupt noch reisefähig bin, was mir nicht ausgemacht erscheint. Seitdem wir uns getrennt haben habe ich mich viel mit Ihnen beschäftigt, tausend Mal Ihrer gedacht, so manches schöne und vortreffliche Buch von Ihrem verehrten Vater gelesen. Mit ganz besonderer Begeisterung: Das Recht des Lebenden.2 Ich schrieb Ihnen sobald ich dieses prächtige Werk kennen und lieben gelernt hatte, aber Sie haben den Brief nicht erhalten, weil er nicht abgeschickt wurde, sondern heute noch in meiner Mappe liegt. - Vor wenigen Tagen erst kam er mir wieder in die Hand. Es kam mir anmaßend vor, Ihrem Vater ((durch Ihre gütige Vermittlung)) eine Hymne des Lobes zu schicken. 3 Er braucht das nicht; ich bitte Sie heute nur, mein liebes, liebes Fräulein Theo, ihm mit meinen allerbesten Empfehlungen und verehrungsvollen Grüßen, zugleich meine große Beängstigung darüber zu melden daß er meine Erzählungen liest! - Wie werden die bestehen vor den Augen des vollendeten Meisters? - - Ich will lieber gar nicht daran denken, sonst verdirbt es mir die Nacht.

3/S - November [1882]

11

Ach wenn uns doch die große Freude gegönnt wäre Sie Beide im Frühjahr in Wien begrüßen zu dürfen! Glauben Sie den Menschen nicht die Sie selbstsüchtiger (Weise) in Rom festhalten wollen bis in den Mai hinein, der Mai ist schön in Wien, den muß man bei uns zubringen. Ich will die Hoffnung Sie hier zu sehen festhalten und mich an ihr erquicken. Leben Sie wohl mein liebes, bestes Fräulein Theo. Gedenken Sie freundlich meiner, und wenn es sich zufällig einmal fügen sollte daß Sie ein Viertelstündchen Zeit übrig hätten, so verwenden Sie es zu meinen Gunsten, und schicken Sie (wieder) einige so liebe Zeilen wie Ihre heutigen waren, Ihrer ergebenen alten Freundin Marie Ebner. Mein Mann dankt innigst für Ihre freundliche Erinnerung und empfiehlt sich Ihnen Beiden angelegentlichst. 1

2 3

Vermählung Bruder Adolph Graf Dubsky mit Gisela Gräfin Pälffy am 16. 11. 1880 in Pressburg (2. Ehe). Levin Schücking: Das Recht des Lebenden. Roman 3 Teile. Leipzig 1880. Vgl. den Brief der Ebner an Levin Schücking, unten S. 152.

3/S

Sassenberg, 8. November. [1882]

Hochverehrte Frau Baronin! Wenn ich Sie heute ganz plötzlich, ohne jegliches vorherige warnende aviso schriftlich überfalle - so habe ich doch noch immerhin eine Entschuldigung dafür. Denn nicht wahr, Sie lassen ihn als solche gelten, meinen großen Wunsch Ihnen persönlich zu sagen wie unbeschreiblich leid es uns war im Sommer zu wissen, daß Sie an einer so schlimmen Krankheit, wie eine Augenentzündung immer ist, litten! Damals schrieb ich Ihnen nicht - Sie durften ja gewiß gar nicht lesen - nun aber weiß ich daß Ihre lieben Augen, deren Blick mir jetzt noch öfter als Sie denken, in die Seele hinein scheint, wieder ganz gesund und klar auf diesen Zeilen ruhen werden. Im vergangenen Winter wurde ich in einer Gesellschaft mit einem Frl. Mataja aus Wien bekannt, die mir sagte, sie habe den Vorzug Sie häufiger besuchen zu dürfen. Da sie mich außerdem auch intereßirte, bat ich sie zu uns zu kommen, was sie aber trotz ihres Versprechens nicht ausgeführt hat. 1 Damals war es mir sehr leid, nachher begriff ich es. Nach den Erzählungen derer, die viel mit ihr verkehrten, mußte ein Wesen wie das meine ihr langweilig sein. Aber intereßant ist sie mir darum doch bis heute geblieben. Von ihren Sachen konnte ich bis jetzt nichts erhalten - wie mögen sie nur sein? -

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

12

- Theo Schiicking

Hoffentlich haben Sie in Wien jetzt auch so schöne sonnige Tage wie wir hier - freilich, meinethalb dürfte es schon schlechteres Wetter sein, dann würde Papa eher den Entschluß zur Abreise fassen mögen. Die Herbstmonate hier sind mir immer die schlimmsten im ganzen Jahr - Sie haben gar keinen Begriff, verehrte Frau Baronin von dem Banne völliger Abgeschiedenheit von jedem menschlichen Leben und Regen außerhalb, den sie verhängen. Da hilft mir immer nur das eine tröstliche: on n'est jamais resté an milieu d'une semaine, der Sand. Verehrte liebe Frau Baronin - daß Sie nur gerade im nächsten Winter gewiß in Wien sind! Ich gehe nämlich seit einiger Zeit Papa gegenüber sehr diplomatisch vor in Bezug auf Wien. Wenn er einmal besonders gut aufgelegt ist, bringe ich die Rede auf Berlin und raisonnire tüchtig darauf - es hat nämlich wirklich sehr viele häßliche Seiten und dann sage ich jedesmal: wenn wir doch einmal wieder nach Wien gingen! Neulich nun meinte Papa schon, er wolle sehen es für nächsten Winter möglich zu machen! Mein Gott, wie würde ich mich freuen Sie wiederzusehen und die liebe, liebe Frau von Fleischl und Frl. Paoli! Und ein Jahr, dessen Hälfte in Rom verbracht wird, vergeht schnell. Leben Sie wohl, hochverehrte Frau Baronin! Papa empfiehlt sich Ihnen auf das Allerangelegentlichste, ebenso wie Ihrem Herrn Gemahl. Morgen kommt Frau von Fleischl wohl nach Wien, bitte, liebe Frau Baronin, sagen Sie ihr daß wir die Feuilletons mit bestem Dank wieder erhalten hätten. Memphis in Leipzig2 hat uns irgend wer ausgeführt es ist nicht mehr unter den Büchern zu finden. In warmer, verehrungsvoller Ergebenheit stets Ihre Theo Schücking. fol. 84 ab, 85 ab Datierung: Beziehung zu Brief von Mataja und 4/E, daher 1882. 1 2

Vgl. Brief von Mataja vom 22.2. 1882, unten S. 320f. Nicht festzustellen.

4/E

Wien 10/11 82

Mein liebes, theures Fräulein! Kommen Sie! kommen Sie doch nur bald und gewiß! Welch eine Freude wäre das für mich! - Für viele andere Leute freilich auch, aber in solchen Gelegenheiten denke ich immer zuerst an meine eigene liebe Persönlichkeit. Kommen sie bestens Fräulein, alle Herzen alle Arme

4/E - November

1882

13

stehen offen um Sie einziehen zu lassen, (und aufzunehmen.) Sie haben uns allen eine so unvergesslich theure Erinnerung hinterlassen, und in ihrem Gefolge ist eine große Sehnsucht gekommen. Wäre ich doch beredsamer, ich würde Ihren verehrten Vater gleich selbst anbetteln, im eigenen Namen und in dem einer ganzen großen Schaar von Freunden und getreuen Anhängern und ließe ihm keine Ruhe bevor er unser Flehen erhört hätte. Mein Augenleiden macht mich in diesem Winter ganz ungewöhnlich gesellig. Sonst bekam ich immer einen kleinen Wuthanfall wenn ich läuten hörte, (daß Frln Theo nicht vor der Thüre stand (und auch nicht Herr Doctor Levin Schüking), wußte ich ja) jetzt ist mir Besuch willkommen. Sogar der Frln Mataja's - unter Umständen. Vor allem unter denen großer Seltenheit. Häufig hat mich das Frln nicht besucht u. wird es auch in Zukunft nicht. Ein ganz u. gar gemachtes Wesen und zwar auf den Schein der größten Unbefangenheit, Naivetät dressirt, - nicht durch Andere! So weit bringt man es nur durch Selbstdressur. Sie hat einen erstaunlichen Roman1 geschrieben: voll Talent ohne einen Schatten von Illusion, das pure, trockene hässliche Leben in einer verkommenen Bürgerfamilie. Das Buch erschien im Feuilleton d. Wien. Allgm. Ztg. ich las es mit der intensivsten Spannung, und lebhaftem Grauen. Da habe ich viel zu lang - nach der Meinung des Arztes - schon geschrieben und eigentlich nichts gesagt. Ja, wenn einem der Kopf mit einer so wunderschönen Idee, wie die Ihres nach Wien Kommens durchgehen will, schreibt man keinen vernünftigen Brief. Ide Fl[eischl] ist gestern abends von München zurückgekehrt, ich habe sie noch nicht einmal gesehen, jetzt gehe ich zu ihr und bringe ihr Ihr liebes Schreiben. Betty [Paoli] leidet seit langer Zeit an einem unendlichen Rheumatismus. Etwas besser geht es aber, Gottlob, jetzt doch. Mein Mann empfiehlt sich Ihnen und Ihrem verehrten Herrn Vater respektvollst, (so thue auch ich.) Innigst, treuestens, mein theures Fräulein. Ihre ergebenste Marie Ebner 1

Emilie Mataja: Familie Hartenberg. Buchform erschienen.

Roman aus dem Wiener Leben. Berlin 1883 in

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

14

5/E

- Theo Schücking

Zdislavic üb. Zdaunek, Mähren 5 / 9 883

Mein theures liebes Fräulein! Ich weiß nicht ob diese Zeilen in Ihre Hand gelangen werden, aber versuchen will ich es doch Ihnen ein Zeichen der schmerzvollen Theilnahme zu geben von der mein Herz für Sie erfüllt ist. Schrecklich überraschend hat mich die Nachricht des Hinscheidens Ihres hochverehrten, lieben Vaters getroffen; 1 ich ahnte nicht daß er leidend sei, ich erquickte mich tausendmal an der Hoffnung ihn und Sie im Laufe des Winters in Wien zu begrüßen - und nun kommt die erschütternde Kunde des plötzlichen Abschlusses den ein reiches von segensvoller Thätigkeit erfülltes Leben gefunden hat. Liebes, theures Fräulein, ich kann Ihnen nur sagen daß ich von ganzer Seele mit Ihnen traure, daß alle meine Gedanken Sie umgeben, und daß ich es als eine wahre Wohlthat ansehen würde, wenn mir eine, wenn auch noch so kurzgefasste beruhigende Kunde von Ihnen zu Theil werden könnte. Wann immer es Ihnen möglich ist mir dieselbe zukommen zu lassen, mit warmer Dankbarkeit wird sie empfangen werden von Ihrer treu und innig ergebenen Marie Ebner. 1

Levin Schücking, gestorben 31.8. 1883.

6/S einige Zeit zu bleiben. Meine Schwester [Gerhardine] ist durch in Leipzig eingegangene Verpflichtungen gebunden für den Winter - zu unserm großen Leidwesen. Ueber die nächste Zeit hinaus vermag ich noch keine Pläne zu machen, auch für den Winter nicht. Ich bleibe vorläufig hier und gehe später zu einer alten Freundin bei Hamm sie hat sich Papa's Tod so zu Herzen genommen, daß ich fürchte, es verkürzt ihr Leben - sie ist so alt wie er. Verehrte, liebe Baronin, denken Sie nicht, daß ich um die Einsamkeit hier zu beklagen sei. Es ist mir am Besten, so allein mit meinem Schmerz, so von Angesicht zu Angesicht. Und ich sage mir täglich vor daß es nicht in Papa's Sinn wäre, feige zu sein und ohne Kraft. Wie vieles schwere Leid hat er klagelos durchkämpft, klagelos überwunden. Leben Sie wohl, hochverehrte Baronin, lassen Sie mich Ihnen nur noch sagen daß er Sie verehrte und hochstellte wie er wenige Frauen gethan, die ihm begegnet. In warmer Dankbarkeit ganz Ihre ergebene Theo Schücking.

15

8/S - September [1887/88?] Fragment, fol. 111 a b Datierung: Papa's Tod = 31. 8. 1883. Wahrscheinlich Antwort auf 5/E

7/E

Wien 23/11 83

Mein liebes theures Fräulein! Zwei Worte nur, da ich ausführliche Briefe durchaus nicht mehr schreiben darf. Aber auch in Kürze läßt sich sagen: Sie haben mir mit Ihren warmen, herzlichen, liebreichen Worten eine ganz schöne und reine Freude gemacht und ich danke Ihnen aus vollster Seele dafür. Kommen Sie nicht nach Wien? Ist daran gar nicht zu denken? Niemand vermag auszusprechen wie innigst Ihre Wiener Getreuen sich glücklich preisen würden, Sie hier begrüßen zu dürfen. Geben Sie mir von Zeit zu Zeit eine kleine Nachricht, eine kleine Antwort wird immer erscheinen, denn es legt unendlichen Werth darauf in, wenigstens schriftlichen Verkehr mit Ihnen zu bleiben, Ihre treue MarieE Briefkarte

8/S

Reichenhall den 26. Sept. [1887/88?]

Theure, hochverehrte Baronin! Ich mag nicht fortgehen von Reichenhall, wo ich täglich Ihres einstigen Hierseins gedachte, ohne Ihnen vorher noch einmal unsere allergetreuesten Wünsche und Grüsse zu senden. Hoffentlich geht es Ihnen g a n z so gut, wie ich es aus vollstem Herzen wünsche, innig verehrte Baronin! Wir haben hier den Sommer sehr still und einförmig verbracht. Unserer lieben Hermine [Villinger] Besuch fiel da hinein wie ein wirklicher Sonnenstrahl. Aber meiner guten Freundin ist es leidlich ergangen, trotz Langeweile und trotz des unglaublichen Wetters, das sich benahm wie ein excentrischer Mensch. Wir haben hier seit Wochen abscheuliche Kälte und Nässe, da hineien gestern Mittag eine Hitze von 33 a in der Sonne, und gestern Abend nach einem furchtbaren Sturm nur noch 6 2 ! Heute früh sind die Berge wieder frisch eingeschneit, und es regnet wieder in Strömen. -

16

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Vor drei Wochen wurde ich von dem Ehepaar Voss telegrafisch nach Berchtesgaden eingeladen, da gerade eine liebe römische Freundin, Frau Mathilde Muhr, bei ihnen zu Besuche war. Der Tag dort hätte wunderschön sein können, ohne die schwere Sorge um Richard Voss' Befinden!. Es geht ihm sehr schlecht, seine Nerven sind ganz herunter. Seit einem halben Jahr schon hat er n i c h t s mehr arbeiten können, keinen Brief nur schreiben. Jetzt ist für die letzten Septembertage eine Consultation von Krafft-Ebing, der durch Salzburg reist, beschlossen worden. Das wäre nun sehr beruhigend, wenn nicht der arme Voss sich so entsetzlich vor der blossen Vorstellung einer Anstalt fürchtete! Doch das könnte Sie auf den Gedanken bringen, er sei schon gestört - nein, das ist, Gottlob, noch nicht der Fall! Aber er ist in einem traurig gedrückten Gemüthszustand, aus dem er sich freilich auf Stunden ganz herausreissen kann - so dass ich, z. B., wenn mir die arme Melanie [Voss] vorher nicht so geklagt hätte, ihn kaum verändert gefunden haben würde. Ich habe sie sehr gebeten, mir im Oktober einmal Nachricht zu geben - die ich Ihnen dann gleich wieder mittheilen werde, verehrte Baronin! Er fragte mich natürlich gleich nach Ihrem Ergehen, und trug mir dann tausend Versicherungen seiner grenzenlosen Verehrung und Ergebenheit auf. Als ich Ihren herrlichen Roman 1 ihm in Aussicht stellte, sagte er, er freue sich wie ein Kind darauf, und er könne überhaupt keine Zeile von Ihnen lesen, ohne immer dabei zu denken: Gott sei Dank, dass wir sie haben!.. Und ich möchte Ihnen auch das von ihm ausrichten. — Am nächsten Montag gehen wir von hier fort, aber nicht gleich nach Wien zurück, sondern vorerst für einige Wochen nach München, wo Amalie [Hager] ihre Nichte besuchen will. O b sie dann noch Dr. Pachmayr's dringenden Rath, nicht vor Weihnachten in die grosse Stadt zurückzukehren, befolgen und nach Meran gehen wird - ist ungewiss. Und nun grüsse ich Sie, innigst verehrte, gütigste Baronin! Amalie trägt mir die wärmsten Empfehlungen auf, und ich lege Ihnen mein ganzes Herz zu Füssen. Immerdar Ihre ganz ergebene Theo S. fol. 195 a b, 196 a b, 197 a b, 198 a Datierung: Erkrankung Richard Voss'; er kam 1888 vorübergehend Nervenheilanstalt, daher Datierung 1887 oder 1888. - Vgl. auch nungsjahr „ Gemeindekind". 1

in eine Erschei-

Das Gemeindekind, erschienen in der Deutschen Rundschau, Bd. 50f., dann in Buchform, beides 1887.

10/E - Juni

9/S

1889

17

Lussinpiccolo d. 22. 3. 89.

Hochverehrte, theure Baronin! Nun ist es schon eine volle Woche, dass wir auf dieser seltsamen Insel landeten! Luft und Landschaft sind jedenfalls wunderschön, es giebt hier Spaziergänge, wie man sie sich nicht herrlicher träumen kann! Aber so schön es überall draussen ist, so hässlich ist es drinnen in unserer „Vindobona", und so haben wir denn gleich nach unserer Ankunft nach einer Privatwohnung gesucht, die sich gestern glücklich gefunden hat, und die wir morgen beziehen werden. Sie ist wunderhübsch, sonnig und warm, mit Orangenbäumen vor und hinter dem Hause, und dabei so sauber wie ein holländisches Schifferheim. Meiner guten Freundin [Amalie Hager] geht es, wenn auch noch leider nicht körperlich, so doch seelisch unendlich viel besser als in den letzten schlimmen Wochen in Wien, sie ist jetzt oft ganz heiter, trotzdem dass sie hier so manche gewohnte Behaglichkeit entbehrt. Theure, verehrte Baronin, es vergeht hier kein Tag für mich, an dem ich nicht zu jeder Zeit an Sie dächte! Ach, wenn es Ihnen doch nur ganz so gut ergehen möchte, wie ich es wünsche! - Die Aphorismen haben wir uns als liebste Begleitung mitgenommen. Heute will mir den ganzen Tag das „Wenn die Nachtigallen aufhören zu schlagen, fangen die Grillen an zu zirpen" 1 nicht aus dem Sinn. Das ist einfach wundervoll!. Amalie empfiehlt sich Ihnen angelegentlichst, innig verehrte Baronin, und ich bin in alter Ergebenheit immer Ihre ganz getreueste Theo. fol. lab, 1

2 a b, 3

ab

Vgl. Ebner: Aphorismen. SW I, S. 617.

10/E

Skt Gilgen, am 9 f Juni 89.

Meine liebe gute theure Theo! Gestern schon wollte ich schreiben, um Ihnen und meiner verehrten Gönnerin, Fräulein Hager, zu melden, daß Rodenberg mich durch die allerfreundlichste Annahme meiner Erzählung wahrhaft beglückt hat. 1 Liebste Theo, es wandeln in diesem Augenblicke nicht viele so durch und durch zufriedene Menschen auf der Welt herum, wie ich es bin. Freilich sind die 2 letzten Kapitel von Unsühnbar noch nicht fertig,

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

18

- Theo Schücking

ich habe sie bei mir und arbeite fleißig daran. Ich möchte sie schön haben, viel, viel schöner als ich je im Stande sein werde sie zu machen. (Das alles par parenthèse) Also: gestern schon wollte ich schreiben und nun kommen Sie mir mit Ihrem lieben gütigen Briefe zuvor. Es freut mich unendlich Sie zufrieden, und Fräulein Hager, der ich mich auf das Wärmste empfehle, wohl zu wissen in meinem alten Reichenhall, in der Nähe von St. Zeno wo ich manche schöne und unvergessliche Stunde in Gesellschaft Louise von François verlebte. Sehr weit übertroffen hat aber St. Gilgen alle meine Erwartungen, und ich glaube, daß es für mich gesünder ist als Reichenhall, wegen der bedeutend kühleren und kräftigeren Luft. Mit meiner Wohnung im „Seehötel" bin ich überaus einverstanden und kann all den Frieden, alle die Herrlichkeit (um mich her) so recht mit gutem Gewissen genießen denn Moriz ist ganz wohl (und) sehr gut aufgehoben bei unseren Lieben in Zdislavic. Ida und Herr von Fleischl sind auch schon in St. Gilgen, es geht ihnen gut, und ich habe ihre herzlichsten Empfehlung an die beiden Damen zu bestellen. Leben Sie recht recht wohl, meine theuerste Theo, haben Sie Dank für Ihre mir so werthe freundschaftliche Gesinnung und seien Sie überzeugt daß ich dieselbe von ganzer Seele erwidere Treuestens Ihre Marie. 1

Unsühnbar (KTD I). - Vgl. Brief der Ebner über Unsühnbar an Rodenberg vom 1. Juli 1889: „das sind die zwei letzten Kapitel [...] ich danke für Ihre theuren Briefe, insbesondere für den letzten vom 17' Juni. Ihre Zustimmung, Ihre Ermunterung [...]". KTD I, S. 239.

11/S

Heringsdorf d. 23. Juli. [1890?]

Gütige, hochverehrte Baronin! Von ganzer Seele danke ich Ihnen für Ihre Worte! Ach, wenn es sich nur aussprechen Hesse, was für ein Glücksgefühl das blosse Denken an Sie schon bedeutet, nur die Vorstellung, dass Sie da sind auf der Welt! Dann würden Sie gewiss nicht von Dank uns gegenüber sprechen, Baronin! Es ist so tief beschämend, das Wort von ihnen zu hören! Wie ich Hermine [Villinger] diese wunderschöne Zeit bei Ihnen gönne, weiss sie! Und auch wie meine Gedanken jetzt in St. Gilgen sind! Theure Baronin, möchte Ihnen doch der Aufenthalt wieder so wohl thun, wie im vorigen Jahr - das ist mein höchster Wunsch!

U/S - Juli [1890?]

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Darf ich Ihnen etwas von meinen Berliner Tagen und meiner Fahrt in die alte Heimath erzählen? Keiner unter all' den Menschen dort, der mich nicht nach Ihnen gefragt hätte. Ein alter Berliner Geheimrath gerieth ganz aus dem Häuschen, als er auf die Rauferei im Gemeindekind zu reden kam1 - das sei prachtvoll, so etwas habe er noch nicht gelesen. Und ein anderer alter Bekannter meines Vaters, Professor Goldschmidt, bat, es Sie durch mich wissen lassen zu dürfen, wie hoch er Sie verehre, wieviel reinsten, edelsten Genuss er Ihren Werken verdanke. Ich sagte, schon um seines Namens willen würde ich das mit Freuden übernehmen. Er ist als Jurist ein so berühmter Mann, über all' seine Gescheitheit aber stellte mein Vater sein, wie er sagte, selten feines literarisches Urtheil. Zu Rodenberg ging ich bald nach meiner Ankunft, aber leider war er mit seiner Familie nach Hamburg gereist, und auch bei unserer Abreise noch nicht wieder zurück. Gar so gern hätte ich ihm Ihre Grüsse ausgerichtet! Auch Hedwig Kiesekamp, die thörichte Jungfrau wenn es je eine gab, trug mir alles nur erdenkliche Verehrungsvolle an Sie auf. Sie hatte gar nicht übel Lust, einmal nach Wien zu kommen, um Sie zu überfallen! Aber ihr praktischer Mann meinte, es sei in Wien ein so theures Leben! Seit sieben Wochen sitzen wir nun hier auf unserer Insel Usedom fest. Ich bin seelenfroh, dass Amalie [Hager] mit Luft, Natur und Lebensweise durchaus zufrieden ist! Und in dieser Zufriedenheit tritt die ganze Anmuth und Liebenswürdigkeit ihrer Natur wieder einmal so ungetrübt und unverhüllt an's Licht, dass mir all' die dunkeln Tage, die wir schon zusammen durchlebten, wie ein schwerer Traum vorkommen. Theuerste, verehrte Baronin, nicht wahr, Sie können es sich denken, wie ich mich jeden Tag wieder von Neuem, über mein „arg liebs Uhrle" freue! Eine Uhr ist etwas so ganz Anderes, als was man sonst an sich trägt, ist wie ein lebendes Wesen, will versorgt und gepflegt sein - und das ist Alles eine solche Freude, weil man dabei immer an den Geber denken muss! Sie geht natürlich ganz vorzüglich! Und nun grüsse ich Sie tausendmal, innigst verehrte Baronin, und küsse voll Ehrfurcht Ihre liebe Hand! Von ganzem Herzen Ihre ergebenste Theo. Amal.[ie] trägt mir die angelegentlichsten Empfehlungen für Sie, und die herzlichsten Grüsse für Hermine auf, der ich ganz bald schreibe.

20

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

fol. 121 a b, 122 a b, 123 a b, 124 a b Datierung: Anwesenheit Hermine Villingers in St. Gilgen: E/Tb 21. VII1890: Mit Hermine nach Lueg, 22. VII 1890: Hermine hatte die Güte viele Briefe für mich zu schreiben. Weiterer Hinweis: „ Gemeindekind", erschienen 1887, Villinger aber erst 1890 in St. Gilgen. Das Uhr-Geschenk der Ebner an Theo ist im Tagebuch nicht vermerkt. 1

Gemeindekind, KTD III, S. 109ff.

12/E

St. Gilgen, den 26 l Juni 91

Meine theure liebe Theo! Viel viel zu spät danke ich Ihnen für Ihren guten, herzlichen Brief, der mich doch so innig erfreut hat. O fahren Sie Beide in Ihrer Bravheit fort, werden Sie wohler, man wird allmälig bescheiden, versteigt sich nicht zu dem Wunsche: Seien Sie ganz wohl, will sich schon mit einem armen: wohler zufrieden geben. Liebste Theo eine ganz einzige Kritik der Schlimmen Brüder1 hat F. Mauthner im Magazin veröffentlicht, diejenige die Sie die Güte hatten mir zu schicken, war kühl bis ans Herz heran. Wir leben hier still und vergnügt, meine theure Theo, allen Sorgen allem Bangen, sagen (wir): wartet, Ihr kommt schon wieder dran. Indessen haben Ida [Fleischl] und ihr Mann große ungetrübte Freude an ihrem prächtigen kleinen Enkel, (und) die Nachrichten die sie von Ernst [Fleischl] u. Betty [Paoli] erhalten lauten nicht allzu kläglich. Moriz - denken Sie! (es ist mir ein hocherfreuliches Zeichen daß er sich wohl fühlt) plant eine Reise nach Würtemberg zu meiner Schwester Waldburg.2 Heute hatte ich schon drei glückselige Momente. Drei Briefe, einen darunter von Prof. Erich Schmidt, habe ich erhalten, die alle die Zustimmung ihrer Verfasser aussprechen zu den Änderungen in Unsühnbar? Ein neuentstandenes Nichtschen Bettelbriefe4 ein Zwiegespräch, wanderte von hier aus nach Braunschweig zu Westermann. Ob es angenommen wird, steht noch sehr im Zweifel. Unsere liebe Hermine [Villinger] war wieder leidend an Influenza, jetzt geht es besser. Was hören Sie von Voss? Hunderttausend Grüße von allen Ihren Getreuen in St. Gilgen an Sie und das liebe verehrte Fräulein Hager. Ihre alte Marie. (alt in der üblichen Bedeutung und noch extra = Semper idem.)

13/S - August

1

2

3

4

[1891?]

21

Möglicherweise: Levin Schücking: Die seltsamen Brüder. Roman, 3 Tie Leipzig Brockhaus 1881. Stiefschwester der Ebner aus der dritten Ehe ihres Vaters Franz Graf Dubsky mit Xaverine Gräfin Kolowrat - Julie (1841-1914), verheiratet mit Eberhard II Fürst Waldburg-Zeil-Wurzach. Brief Erich Schmidts vom 23. Juni 1891, abgedruckt in: KTD I, S. 288f. Vgl. auch Untersuchungen, Anm. 130. Bettelbriefe. In: Westermanns Illustrirte Deutsche Monatshefte. Bd. 71 (1891/92), Heft 421 vom Oktober 1891, S. 1 3 0 - 1 3 9 .

13/S

Reichenhall den 4. Aug. [1891 ?]

Hochverehrte, gütige Baronin! Das war gestern ein Festtag an dem Ihr Brief an Hermine [Villinger], zusammen mit dem der lieben Frau v. Fleischl an mich, hier eintraf! Weiss der Himmel wie es kam, dass wir alle drei Sie schon längst in Zdislavic vermutheten, hochverehrte Baronin, aber die Freude Sie nun noch in der guten, kräftigenden Bergluft zu wissen, war nun nur um so grösser!. Mit Ihrem lieben gütigen Briefe haben Sie mir ein so grosses Geschenk gemacht, verehrte Baronin, dass mir dafür kein anderer Dank in den Sinn kommen konnte als ein stummer - um Ihrer kostbaren 2eit willen! Wenn ich diese heute nun doch in Anspruch nehme, so ist es, weil mir die Stelle in Ihrem Briefe an Hermine, an der Sie von Ihrem Herzklopfen sprechen, keine Ruhe lässt! Theure, verehrte Baronin, möchten Sie nicht einmal bei Dr. Breuer nur anfragen, ob Sie bei starkem Herzklopfen nicht Eisbeutel auflegen dürfen?.. Es ist das eine so w u n d e r v o l l e Erleichterung! Ich fühle mich wie neugeboren, seitdem ich täglich einige Stunden diesen Eisbeutel (schräg über die Schulterfestgebunden) auf dem Herzen trage, das Herzklopfen lässt dann sofort nach. Der Hofrath Pachmayr hat es mir hier verordnet, er sagte, es gäbe viele Menschen, die diesen Eisbeutel immerzu trügen! Liebe, gütige Baronin, nicht wahr, Sie verzeihen mir diese „Suggestion"? Und nicht wahr, Sie senden mir auch nicht einmal nur zwei Worte Antwort darauf - damit ich mir nicht noch den Vorwurf der Unbescheidenheit zu machen brauche! Gestern hat uns Hermine verlassen, um nach Vordereck zu gehen wir freuen uns sie oben zu wissen, es ist hier wieder einmal furchtbar heiss! Während sie noch dort ist, wollen wir auch einmal auf einen Tag hinauf. Im Hinblick darauf wurde uns die Trennung von ihr gestern nicht so schwer, als es sonst der Fall gewesen wäre . . .

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Theure, innig verehrte Baronin, wir grüssen Sie aus allerergebenstem Herzen mit tausend treuesten Wünschen für Ihr Ergehen! Der verehrten Frau v. Fleischt danke ich vielmals für ihren Brief, möchte der Professor Ernst [Fleischl] sich doch bald erholen! Die Nachricht von seiner Erkrankung hat uns sehr betrübt. Immer und überall Ihre ganz ergebener Theo. fol. 152 a b, 153 a b, 154 a b Datierung: die Stelle [...] an der Sie von Ihrem Herzklopfen sprechen, vgl. etwa E/Tb 5. 8. 1891: Herzklopfen, oder E/Tb 28. 8. 1891: habe eine elende Nacht gehabt, Herzklopfen bis am Morgen. - Erwähnung der Erkrankung Ernst Fleischls, dazu E/Tb 31. 7.1891 - Vgl. 14/E

14/E

/Schloss Zdislavic, Post Zdounek, Mähren/ den 3/11 91

Meine theure Theo! Innigsten Dank für Ihre gütige Sendung. Längst sehne ich mich nach einer directen Kunde von Ihnen und Fräulein Hager und schicke Ihnen jetzt diese Zeilen die eine solche erbitten, durch Ida [Fleischl], da Ihre neue Adresse mir ein Geheimniß ist. Sie können sich gut vorstellen wie nahe mir der Tod E m s t s [Fleischl] 1 und der Schmerz seiner seiner armen Eltern geht. Da ich mich sehr sehne Ida bald zu sehen werde ich wahrscheinlich früher nach Wien kommen als ich beabsichtigte. Wenn nichts dazwischen kommt dürfte ich am 15* nachmittags in der Stadt eintreffen. Wenn ich Sie Beide gut aussehend und wohlauf finde wird mir das eine große Freude sein. Schicken Sie mir mein gutes Kind noch eine kleine Kunde von Ihrem und des theuren Fräuleins [A. Hager] Befinden hierher. Moriz empfiehlt sich Ihnen angelegentlichst; es geht ihm mit seiner Gesundheit gut, mit den Augen aber leider leider - recht schlecht. Er kann kaum noch lesen mit dem operirten Auge, da ist ohne Frage eine Veränderung zum Schlechteren eingetreten. Er will am 10r Dec: in Wien sein und dann muß Mauthner bestimmen was zu geschehen hat. 2 Auf Wiedersehen theure liebe Theo! Es grüßt Sie und Ihre verehrte Freundin Ihre getreue alte (heute sehr gehetzte) Marie. 1

2

Ernst Fleischl, der älteste Sohn Ida und Karl Fleischls stirbt am 22.10. an den Folgen einer Leichenvergiftung, die er sich als Arzt zugezogen Sich stets verschlechterndes Sehvermögen und Schmerzen am Auge Weihnachten 1891 eine 4. Operation notwendig; sie wurde von Prof.

1891 in Wien hatte. machten um L. Mauthner

16/S - Juni

[1892]

23

vorgenommen und brachte vorübergehend „das lang entbehrte Vermögen zu lesen und zu schreiben" zurück. Vgl. Moriz v. Ebner-Eschenbach, S. 62.

15/E

W i e n , d e n 2 3 ' D e c : 91.

Meine theure liebe Theo! Da kommt eine kleinwinzige „Attention", die um gnädige Aufnahme bittet. Die Kalenderchen haben die Kühnheit Ihnen und dem theuren, verehrten Fräulein Hager Glück bringen zu wollen. Das (mit der) Kornblume ist für Ihre liebe Freundin bestimmt. Es grüßt Sie Beide innigst und herzlichst Ihre alte treue Marie.

16/S

Villa Fischer, Reichenhall d. 6. Juni. [1892]

Hochverehrte, theure Baronin! Seit einer Woche nun schon sind wir hier und sagen täglich: Wenn doch die Baronin auch hergekommen wäre! Liebe, verehrte Baronin, es ist hier jetzt so wunderschön; ich bin ganz entzückt von Reichenhall! Und dass Sie hier waren, dass Ihr Fuss auf denselben schattigen Wegen wandelte die wir jetzt gehen, dass Ihr Auge auf denselben schönen Berglinien weilte, die wir vor uns haben - macht mir das Hiersein noch um so lieber! Wir sind ganz nahe von St. Zeno, und zum Kirchholz haben wir nur wenige Schritte. - Die von einer Bekannten Amaliens [Hager] in Kirchberg gemiethete Wohnung war ganz unpassend für sie. So waren wir denn sehr froh, schliesslich noch diese hier zu finden, mit hellen, freundlichen Zimmern und schönster Aussicht. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass des verehrten Barons [Moriz v. Ebner-Eschenbach] Befinden andauernd ein so befriedigendes geblieben ist, dass Sie ihn ohne Sorge verlassen durften, und jetzt auch aus dem heissen Wien heraus sind, theure, verehrte Baronin! Und innig bitte ich Sie um gelegentliche zwei Worte, die uns sagen, wo unsere Gedanken Sie nun aufsuchen dürfen, ob in Ischl oder in St. Gilgen? Was Alles ich an guten Wünschen für Ihre Gesundheit an Ihren Aufenthalt knüpfe, lässt sich gar nicht so in Einem hersagen! So oft denke ich noch über Ihren herrlichen Roman nach - das ist eine so grosse Freude, sich an Alles wieder zu erinnern. Verehrte Baro-

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

nin, bitte, fügen Sie gütiger Weise den zwei Worten über das Wo Ihres Aufenthaltes auch den Titel hinzu, den Sie ihm zugedacht haben 1 das interessirt mich auch gar so sehr. Meiner guten Freundin geht es leidlich, sie fühlt sich frischer als in Wien und eine ganz leichte Kaltwasserkur, die sie hier braucht, thut ihr gut. Sie lässt sich Ihnen auf das Allerangelegentlichste empfehlen. Ich küsse Ihre liebe Hand und bin stets in innigster Verehrung und Ergebenheit Ihre Theo S. fol. 148 a b, 149 a b, 150 a b, Iii a Datierung: das befriedigende Befinden des verehrten Barons nach seiner Operation Ende 1891 = daher 1892 1

Vielleicht Glaubenslos, erschienen 1893 in: Deutsche Rundschau, Bd. 75. - Die Tagebücher von 1892 fehlen.

17VE

/Praha, Prag/ d. 16' Sept: 92

Fräulein Theo Schücking, Weimar, Hotel Chemnitius. Theure liebe Theo, ich sage Ihnen meinen warmen, tiefgefühlten Dank einstweilen mit wenig Worten. Nach meiner Ankunft zuhause bekommen Sie ihn noch einmal viel ausführlicher zu - lesen. Liebste Theo, meine sehr liebe Freundin Nat[alie] von Milde wird Sie und Fräulein Hager vielleicht aufsuchen, ich habe ihr Grüße an Sie Beide aufgetragen, ich glaube daß es Ihnen gegenseitig eine Freude sein wird, mit einander zu verkehren. Ich habe meine arme, vielgeliebte Schwester [Friedericke/Fritzi Gräfin Kinsky] in mancher Hinsicht besser in anderer viel weniger gut gefunden als ich erwartet hatte. Am 22 will ich in Zdislavic sein. Innigst, dankbarst mit den herzlichsten Grüßen an das verehrte Fräulein Hager, Ihre treue M. Postkarte mit Abb.

18/S

Leipzig, Emilienstr. 3.II, 28. Nov. 92.

Innigst, verehrte, theure Baronin! So lange Zeit liess ich verstreichen ohne Ihnen zu schreiben. Aber nicht wahr, Baronin, Sie wussten trotzdem wohl, dass Ihrer alten Theo

18/S - November

1892

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kein Tag anhub und zu Ende ging, am dem sie Ihrer nicht gedachte. Ohne Sie sehen und sprechen zu dürfen, ohne die geringste Aussicht darauf in absehbarer Zeit - erscheint mir die Welt oft recht dunkel. Aber nein, ich wollte Ihnen ja Gutes schreiben, gute Nachrichten von den Andern machen Ihnen ja Freude! Und deshalb wartete ich so lange, bis ich etwas zu melden hätte. Vor einigen Tagen erhielt ich die Nachricht, dass die Schiller-Stiftung mir (mit Zurückdatirung bis zum 1. Jan. 92) eine „jährliche Zuwendung" von 300 M. bis zum 31. Dez. 94 bewilligt habe.1 Ich verdanke das dem guten Julius Grosse, dem General-Sekretair in Weimar. Es ist mir das eine grosse Erleichterung, ich kann jetzt durch den Winter kommen ohne mein bischen Erspartes angreifen zu müssen. Die Droste-Briefe 2 haben mir eine grosse Arbeit gemacht, in der ich noch drin stecke. Bis 8ten Dez. hoffe ich damit fertig zu sein. Denken Sie sich, Baronin, dass der Prof. Eschmann, dem ich sie im Sommer noch lassen musste, der Richtigstellung der Interpunctionen wegen, sie mir damals mit Bleistift-Bemerkungen, Strichen, unnöthigstem Hin- und Hercorrigiren so zugerichtet hat, dass ich mir nun die Seele aus dem Leibe wischen und radiren muss, um sie nur einigermassen wieder lesbar zu machen - s o konnte ich sie Niemandem einschikken! Ganze Seiten habe ich lieber gleich abgeschriben. Offenbar ist die gute Professorsseele mitten in der Arbeit vom Wahn überfallen worden, ein Schülerheft vor sich zu haben, in das nun toll hineingeschrieben werden müsse - voilà! Herrn Kröner schrieb ich vor einiger Zeit, dass ich ihm die Briefe anböte. Er antwortete - sehr kühl - ich möge sie ihm alle einschicken. Es ist mir nun ein etwas unbehagliches Gefühl, diese so schwierige und kostspielige Abschrift jetzt dem Monate langen Umherliegen bei all den Stuttgarter „Lectoren", deren es nur für die Gartenlaube eine Menge giebt - auszusetzen. Ich hatte geglaubt, die Einsendung der ersten 5 - 6 Briefe würde genügen für ein Ja oder Nein der Annahme. Nun sagte mir aber hier der junge Hirzel, ich müsste sie alle einsenden, d.h. alle für die e r s t e Ausgabe bestimmten. Kröner soll ein grosses hochmüthiges Thier sein, vor dem man immer erst eine Anbetung verrichten müsste. Die Gartenlaube aber sei sein enfant chéri, der Weg zu seinem Herzen führe nur durch diese. Wo mag dieser Brief Sie finden, Baronin, noch in Zdislavice oder schon in Wien? Und wie mag es Ihnen gehen - wenn Wünsche Kraft hätten: so gut, dass Sie ganz übermüthig wären! Seit Anfang Oktober sitze ich hier in der Emilienstrasse in einem kleinen Zimmer. Zwei Häuser weiter ist eine von sehr lieben, feinen Schwestern geführte kleine Pension. Dorthin gehe ich um Eins zu

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Tisch. Die Tafelrunde, nur aus einigen älteren und jungen Mädchen bestehend, ist sehr sympathisch. Durch ein starkes Band sind wir alle verbunden, Keine unter uns, die nicht mit der Sorge um die eigene Existenz zu kämpfen hätte. - Uebrigens würden Sie es nicht glauben, Baronin, wie billig es sich in Leipzig leben lässt. Amalie [Hager] kann Ihnen einmal davon erzählen. Der Augenarzt hier ist trefflich, seine Mittel gegen den starken Blutandrang haben mir schon geholfen. Aber ich muss noch immer zu ihm hingehn. Mittelstaedts3 sind wie immer überaus gut gegen mich. Sehr häufig gehe ich auch zu Janitscheks. Ihn kannte ich schon vor 15 Jahren, er ist ein so treuer Freund. Auch sehr geistvoll ist er. Entsinnen Sie Sich noch, Baronin, der Geschichten und Legenden von Maria Janitschek? Ein merkwürdigeres Ehepaar als die Beiden sah ich nie. Er ein kleiner, ganz in seiner Gelehrsamkeit verlorener Mann, der Tagsüber oft kaum zwölf Worte mit seiner Frau spricht, sie eine üppige brünette Schönheit, die sich mit all ihrer unbefriedigten Sehnsucht nach Leben und Genuss in die Schriftstellerei flüchtet. Seit ich sie kennen gelernt, lässt mich die Sorge nicht los, sie könnte eines schönen Morgens entdecken, dass im Romane ihres Lebens die wichtigsten Kapitel erst noch zu gestalten seien. Ihr zweites Kind, das sie ebenfalls von sich gegeben hatte, ist im Spätsommer gestorben wie vor Jahren das erste. Eine furchtbare Nemesis. Ende Oktober waren Vossens hier. Ihm ging es sehr gut. Sein Stück: Unebenbürtig hatte hier einen grossen ächten Erfolg. Der Stoff: die physische und psychische Degeneration eines Königshauses war wieder einmal der ganze Voss, die Behandlung ebenso; der Stoff überhaupt nur erträglich dadurch, dass er so hoch genommen wurde sonst wäre man schon nach den ersten Scenen herausgelaufen. Sie können Sich denken, Baronin, wie mir die Trennung von Amalie [Hager] von Wien - noch immer nachgeht. Aber es gab keinen anderen Ausweg. Wenn mir in den letzten Wochen vor dem Auseinandergehen4 oft zu Muthe wurde, als k ö n n e ich das ihr und mir nicht anthun - genügte das Besinnen auf die Eine brutale Thatsache ihrer bösen Dienstmädchen um micht wieder fest zu machen. Erst jetzt habe ich meine Selbstachtung wieder, seitdem ich diesen Erniedrigungen entrückt bin. Da ich zuletzt, wenn Amalie nicht zugegen war, jede Berührung mit ihnen künstlich vermied, riefen sie sich, wenn sie mich über den Corridor gehen hörten, Dinge über mich zu, die allein genügt hätten, mich aus dem Hause zu treiben. Von dem Augenblick an aber, da sie erfuhren, dass ich nun w i r k l i c h ging, waren sie eitel Kriecherei und Honigseim.

18/S - November

1892

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In diesem Sommer sagte mir Amalie einmal so namenlos bittere Dinge darüber, dass ich sie verliesse und wie nur ihre Marie ihr treu zugethan und ergeben sei, wie i c h nur an mich denke u. s. w. Da fragte ich sie, ob sie denn meine, dass, falls ihres zunehmenden Augenübels wegen, ich heute oder morgen für sie ihren Haushalt führen müsste - ihre Mädchen sich nur einer einzigen von mir ausgehenden Anordnung fügen würden? Ohne Weiteres gab sie mir das in verneinendem Sinne zu, sagte aber das würde mit jeder Anderen, die nach mir käme, dasselbe sein, und deshalb würde durch m e i n Gehen nichts daran geändert! Und dann weinte sie s o furchtbar, wie sie das Opfer ihrer Dienstboten sei, wie sie nun mich um derentwillen hingeben müsse - dass ich tief bereute, etwas gesagt zu haben. Amalien's Gemüthsverhältniss zu diesem ordinairen, falschen und frechen Geschöpf ist so eigenthümlicher Art und so gar nicht mit e i n e m Worte zu bezeichnen, sieht so einem blinden Fatum gleich - dass man sie deshalb nur bedauern kann. Als ob sie sich dessen bewusst wäre, will sie auch durchaus nicht, dass man darum wisse. Für mich, Baronin, ist es gewiss sehr bitter, nach sechs Jahren Liebe und Treue, für Amalie weniger Affectionswerth zu haben, als ihr böses Stubenmädchen - aber in dieser Bitterkeit tief drin steckt eine starke Kräftigung, die mich ihren ausgesprochenen Schmerz über unsere Trennung doch besser tragen lässt. Als ob ich in der Rothenthurmstrasse, in Ihrem lieben, lieben Schreibzimmer Ihnen gegenüber sässe, Baronin, so habe ich mir nun wieder einmal das Herz freigesprochen, und sage Ihnen tausend Dank dafür! Unterdess bekam ich einen (dictirten) Brief von Amalie, in dem stand dass es Ihnen gut ginge und dass Sie erst in einigen Wochen nach Wien kommen würden. Also weiss ich doch wieder etwas von Ihnen, und bitte Sie jetzt nur flehentlich, mir auf diesen Dauerbrief nicht zu antworten, sonst muss ich mir ja tausend Vorwürfe darüber machen, und kann Ihnen ja nicht wieder schreiben, wenn ich etwas zu melden habe! Und Ihnen schreiben zu dürfen, Baronin, bedeutet mir so viel!! In innigster Liebe und Verehrung immerdar Ihre ergebene Theo. fol. 4 ab, 10 ab, 5 ab, 8 ab, 9 a 1 2 3 4

Schillerstiftung, vgl. unten B.II.4. und C.I.4.C. Droste-Schücking Briefe, vgl. unten B.II.2.b und C.I.4.a. Dr. Mittelstaedt, Johanna Mittelstaedt: Theos Berliner Freunde. 1892 Beendigung der Dauerstellung Theos als Gesellschaftsdame bei Amalie Hager; von da an betreut Theo sie nur mehr während der Urlaubs- und Erholungsreisen. Vgl. unten S. 420.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

19/S

22 ste Dec. [1892]

Innigst verehrte, theure Baronin, ich muss meinem an Sie denken einen Ausdruck geben, verzeihen Sie, wenn er ungeschickt herauskommt! Ich las gestern in der Zukunft einige Zeilen, die mir von Ihnen und nur von Ihnen zu reden schienen - wie glücklich sind wir, die wir Sie kennen und nicht zu suchen brauchen! Nun müssen Sie es sich schon gefallen lassen, dass ich Ihnen, dieser Zeilen wegen, die Zukunft zu schicken mir erlaube. Und nebenbei versuche, meinen armen Kalender als „Drucksache" zu Ihnen hin zu schmuggeln - es hat mir gar so leid gethan, dass er Ihnen damals die Mühe verursachte, auf die Steuer zu schicken! Die Vorstellung, dass Sie ihn, wenn er nicht zu stark blessirt bei Ihnen anlangt, in Ihr Schlafzimmer hängen könnten, macht mich so kindisch glücklich. Von ganzem Herzen hoffe ich, dass es Ihnen, Baronin, so gut geht wie es Ihnen täglich in innigster Verehrung und Liebe wünscht Ihre Theo. Am Weihnachtsabend werde ich so sehnsüchtig nach Ihnen hindenken, dass Sie es spüren, Baronin! fol. 170 a b, 171 a b Datierung: die Ebner könnte den Kalender in Ihr Schlafzimmer hängen = Antwortschreiben 20/E: Gestern abends [...] den schönen Kalender erhalten 22/E: der Kalender ist aber auch ein Prachtstück, paradirt in meinem Schlafzimmer.

20/E

Wien, den 23' Decemb: 92

Meine liebe theure Theo! Für so vieles habe ich Ihnen zu danken, mein liebes, liebes, treues Kind! Vor allem für Ihren Brief, der mir fast ein Plauderstündchen mit Ihnen zu ersetzen vermochte. Fast! das schönste ist doch immer die lebendige Gegenwart eines geliebten Menschen. Ich vermisse sie sehr, meine theure Theo, und Fräulein H[ager] kann sich in die Trennung von Ihnen gar nicht finden. Sie ist mir das größte Räthsel; warum wirft sie die gemeinen Personen, die Ihnen den Aufenthalt bei ihr zur U n , U n - Unmöglichkeit machen, nicht nur Thür hinaus?

20/E - Dezember

1892

29 den 24. 7 Uhr morgens

Gestern bin ich unterbrochen worden, mein ganzes Leben in Wien ist nur eine Reihe von Unterbrechungen. In Zdislavic war ich so schön gesammelt, hier bin ich in alle Lüfte zerstreut. Daß Ihnen an der schönen Abschrift der Droste-Briefe so viel zerstört wurde, ärgert und empört mich in die Seele hinein. Sie sollten nicht zu gewissenhaft sein. Für den Abdruck in einer Zeitschrift wäre die Original Orthographie mit all ihren Fehlern und Inconsequenzen das Interessanteste gewesen. Mir persönlich wäre es so auch in der Buchausgabe am liebsten gewesen, aber ich weiß, die Herausgeberin wäre dann gesteinigt worden, und es ist doch besser wenn man mir meine liebe Theo nicht steinigt. Aufathmen werde ich, wenn ich höre, daß Sie mit Ihrer schwierigen verantwortlichen und nervenanstrengenden Arbeit fertig sind, wenn Sie mit Keil nicht einig werden, dann machen Sie mich zu ihrer Deligirten bei meinem lieben und verehrten Freunde Rodenberg. Gestern abends habe ich noch Ihr liebes Erinnerungszeichen, den schönen Kalender erhalten, vorgestern das Berliner Tagblatt, mit dem so überaus wohlwollenden Feuilleton von F. Wolff.1 Ich danke, danke aus der Fülle des Herzens. Sehen Sie, aus dieser Beurtheilung habe ich etwas gelern. Ich möchte Ihnen die Hand dafür küssen können daß Sie sie mir geschickt (haben), und Wolff die Hand drücken für (sein) Lob und (für seinen) Tadel Das Lob kommt wirklich vom Herzen, man fühlt's, und der Tadel ist gerecht und lehrreich und ich will mir ihn zu nutze machen (mit denselben Worten will ich das heute an ihn schreiben.) bei meiner jetzigen Arbeit. Die kann gar nicht einfach genug gehalten werden. Leben Sie wohl für heute, liebes liebes theures Kind, ich muß an mein Tagewerk. Moriz, dem Sie sehr abgehen und der oft von Ihnen spricht, empfiehlt sich Ihnen auf das Wärmste. Er ist wohl, bis auf etwas Katarrh. In treuester Freundschaft meine theure Theo Ihre alte Marie. Ich möchte Ihnen gar zu gern eine Bitte vorbringen und wage es nicht. 1

Theodor Wolff: Gute Werke. Ein Geleitwort. In: Berliner Tagblatt, Nr. 644 vom 19. Dez. 1892, S. lf.: Uber die Gesammelten Schriften, Bd. 1 - 6 , erschienen bei Paetel, Berlin (vordatiert) 1893.

30

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schiicking

21/S

Leipzig, 27. Dez. [1892]

Theuerste, gütigste Baronin! Mit Ihrem Briefe haben Sie mir eine so unnennbar grosse Freude gemacht, wie nur Sie auf der Welt, Sie ganz allein, sie machen können! Innigsten Herzensdank dafür! Als ich den Nachsatz gelesen, war mein erster Impuls Ihnen sofort zu schreiben, dass es mich selig machen würde, Ihnen eine Bitte erfüllen, etwas für Sie thun zu dürfen. Dann aber, Baronin, fiel mir ein, daß Sie mir eine solche Gnade noch nicht erwiesen - dass, wenn Sie Jemanden von einer Bitte sprechen, das stets nur bedeutet, er soll sich irgend etwas, immer viel, viel zu Gutes und Schönes von Ihnen thun lassen! Und, Baronin, dass wir Sie nur da haben auf dieser Welt, das bedeutet uns Andern ja doch das Schöne und Gute an sich!! Dem Baron, dem ich vielmals danke für sein gütiges Erinnern, möchte ich angelegentlichst empfohlen werden. Und was sich nur wünschen lässt, wünscht Ihnen zum Neuen Jahr Ihre ganz ergebene Theo. fol. 194 a b Datierung: Ihnen eine Bitte erfüllen ist Antwort auf

22/E

20/E

Wien, den 20. Jän. 93.

Liebste Theo! Soeben erhalte ich eine Karte von Baronin Lassberg, (aus Meersburg,) die nach Ihrer Adresse frägt, da sie Ihnen das Bildnis A. von Drostes schicken will. Ich dictire umgehend einige Zeilen an sie. Fräulein Amalie Hager hat gestern den Nachmittag bei mir zugebracht. Ich erfuhr durch sie zu meinem großen Leidwesen dass Sie, meine liebste Theo, nicht Ursache haben, mit Ihrem Befinden zufrieden zu sein. Unbeschreiblich dankbar wären Ihnen alle Ihre Wiener Freunde, wenn Sie ihnen das Resultat Ihrer Unterhandlungen mit der Gartenlaube mittheilen wollten.1 Gewiß haben Sie sich mit Ihrer schwierigen Arbeit übermüdet. Mögen Sie sich jetzt auf dem Lande recht ausruhen können. Innigst wünsche ich Ihnen immer das Beste, ich denke gar oft an Sie. (An Ihrem Kalender habe ich große Freude, es ist aber auch ein Prachtstück, paradirt in meinem Schlafzimmer, und täglich wenn ich

23/E - Januar 1893

31

ein Blättchen abreiße, lese, bewundere gedenk ich dankbar der gütigen Spenderin.) Hermine Villinger soll morgen kommen; es wäre mir fast lieb sie verschöbe ihre Reise, die Kälte ist gar zu groß. D i e carte blanche 2 u m die ich Sie bat, mein liebes liebes Kind, habe ich nicht erhalten. N i c h t wahr Sie könnten sich dazu bringen mir einen Liebesdienst zu erweisen, mir z . B . eine C o m i s s i o n zu besorgen? Sogar in dem Fall als Ihre getreue alte Freundin Sie bäte: Gehen Sie jetzt hin und kaufen Sie mir etwas für meine T h e o ? U . A . W. G . In treuester Anhänglichkeit Ihre alte Marie M o r i z meldet seine herzlichste Verehrung, er ist wohl. 1 2

Bezieht sich auf die Droste-Schücking Briefe. „carte blanche" bezieht sich auf 20/E: „Ich möchte Ihnen gar zu gern eine Bitte vorbringen und wage es nicht".

23/E

/I. Rothenthurmstraße 27] den 23. Jänner 93

Meine theure liebe Theo! Ihr Brief ist eben gekommen, es ist schon spät, ich möchte Ihnen aber augenblicklich antworten, verzeihen Sie deshalb wenn ich mich kurz fasse. Meine E m p f i n d u n g ist, daß Ihr Bruder unrecht und H e r r D r Oelschläger recht hat. Lassen Sie mich aber ehe Sie bei Rodenberg einen Schritt thun, von mir aus anfragen. Ich werde ihm sagen, daß Sie im Besitze der herrlichen Briefe A . v. Droste's an Ihren verehrten Vater sind, und daß ich Ihnen den Rath gegeben habe, das Manuscript der Redaction der ersten Monatsschrift Deutschlands einzusenden, wohin dieses kostbare Vermächtniß der ersten deutschen Schriftstellerin gehört. A u s seiner Antwort werden wir ersehen ob eine Voreingenommenheit die Ihnen das Unterhandeln mit D r Rodenberg unmöglich machen würde, vorhanden ist. Ich glaube es nicht, ich glaube an irgend ein Mißverständniß, irgend eine Tactlosigkeit, die sich aber D r R o denberg] gewiß nicht selbst zu Schulden k o m m e n ließ. E r ist ja ein feiner und edler Mensch, er kann nur nicht für jedes Wort das in seiner Zeitung gesprochen wird verantwortlich gemacht werden. Also, ich schreibe morgen an R . mein liebes armes Kind Die verneinende Antwort H e r r n K[eil] verdrießt micht n u r weil Sie Ihnen verdrießlich ist, die Rundschau, Velhagens Monatshefte, Westermann, alle verdienen die Briefe mehr als die Gartenlaube sie verdient hätte.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schiicking

Fräul. Hager ist wohl, sorgt sich aber um Sie. Herm[ine] Vill[inger] (glücklich) angelangt, gut aussehend, liebenswürdig und angenehm wie immer. Ida [Fleischl], Betty [Paoli] befinden sich ziemlich wohl. An Frau Loeb meine innigsten und besten Empfehlungen. Ihre alte getreue Marie

24/E

Wien, den 26/1 93

Meine liebste Theo, ich danke Ihnen. Sie haben mich von einer quälenden Sorge befreit. Und auf so liebevolle Art! Ich habe wirklich viele treue Kinder. Aber: Wort halten, Kind! Hermine [Villinger] fühlt sich hier nicht wohl, kann nicht schlafen, ich fürchte immer sie entflieht uns bald. Sie hat uns wunderschöne kleine Erzählungen vorgelesen. 1 An R o d e n b e r g ] habe ich geschrieben, Ihre Grüße werde ich bestellen. Alle Menschen in Wien lieben Sie. Ihre getreue alte Marie. Empfehlungen an Frau Loeb 1

Bezieht sich entweder auf die zu diesem Zeitpunkt bereits gedruckten Schwarzwaldgeschichten (1892) oder auf die im Druck befindlichen Schulmädelgeschichten (1893).

25/E

/Marie von Ebner-Eschenbach/ Wien, den 31/1 93.

Liebste Theo! Mein verehrter Freund Rodenberg schreibt: Alles was {sich} von der Droste-Hülshoff kommt, oder sich auf sie bezieht, darf von vornherein meiner innigsten Sympathie gewiß sein; wenn Sie daher Fräulein Schücking veranlassen wollten, sich an mich zu wenden, so würde ich Ihnen sehr dankbar sein. Fräulein Schücking wird wissen, oder sich erinnern, daß ich ihrem Vater im Leben freundlich nahe gestanden habe. Was sagen Sie nun, liebste Theo? Von Baronin Lassberg habe ich einen sehr langen Brief u. diese Photographie für Sie (auch eine für mich) erhalten - In treuer Liebe Ihre alte Marie Fr. Loeb meine Verehrung Briefkarte

27/E - Februar 1893

26/E

33

Wien, den 14VII 93

Liebste Theo, es übersteigt mein Begriffsvermögen. Wenn die Briefe 20 Fortsetzungen hätten, war's nicht um so besser für die DfeutscheJ R[undschau]l Ich verstehe diesesmal meinen lieben und hochverehrten Freund R[odenberg] nicht. Nein, mein liebes Kind, wenden Sie sich nicht zuerst an Westermann, er zahlt so gar schlecht. Ich gehe nicht mehr zu ihm seitdem er mir die Bettelbriefe miserabel honorirt hat. Wenden Sie sich an Velhagen und Klasing. Die sind sehr nobel. Auch Hermine [Villinger] kann sie Ihnen bestens empfehlen. Ich bin betrübt über das Schicksal der Briefe, ich hätte alles eher erwartet als daß die D[eutsche] R[undschauJ sich die Veröffentlichung eines solchen Schatzes entgehen lassen würde. Innigste, allerwärmste u. herzlichste Grüße! Schreiben Sie jedenfalls an die Redaction, nicht an eine bestimmte Person. Ihre getreue alte Marie. Briefkarte

27/E

Wien, den 20/2 93.

Liebste Theo, auch mir schreibt D r Rodenberg voll Entzücken über die Droste-Briefe. Ich meine aber, wenn das Publikum der Deutschen] RfundschauJ nicht gut genug ist um sie würdigen zu können, welche Zeitschrift darf dann hoffen ihre Leser dafür zu interessiren? Ich schrieb gestern in dieser Angelegenheit noch einmal an D r Rodenberg. Theile Ihnen seine Antwort gleich mit. Ans Universum sollen Sie nicht einmal denken. Da käme die Deutsche Dichtung, v. (Carl Emil) Franzos redigirt, viel eher in Frage. Sie brauchen, liebste Theo, gar keine Adresse für die gr[oßen] Zeitschriften: Velhagen u. Klasing Monatshefte Berlin Westermann illustrierte] Monatshefte Braunschweig Franzos, wenn Sie sich an ihn wenden wollen, (ich glaube aber wir warten auf die Antwort Rodenbergs.) wohnt in Berlin W Kaiserin Augusta Str:71. Unendlich herzliche Grüße von Ihrer getreuen alten Marie.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebrter-Eschenbacb

- Theo Schücking

28/E

Wien, den 10. März 93.

Meine theure, liebe Theo! Ihr langes Schweigen bekümmert mich sehr. Wie geht es Ihnen, liebste Theo, was haben Velhagen beschlossen? Das Schicksal der Drostebriefe geht mir nahe, ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich werde mich nie darüber beruhigen, dass die deutsche Rundschau auf diesen Beitrag verzichtet hat. Unsere liebe Hermine [Villinger] ist vor einigen Tagen nach Karlsruhe zurückgereist, der Abschied von ihr wurde uns allen recht schwer. Ich bin noch mitten in meiner Arbeit und namenlos gehetzt. Verehrungsvolle Empfehlungen von Moriz. Sie ahnen nicht wie oft Ihr Name bei uns genannt wird, und wie leid es uns thut Sie nicht mehr in Wien zu haben. Tausend innige Grüße, meine theuerste Theo, es gedenkt Ihrer in treuer unwandelbarer Freundschaft Ihre alte Marie. Von fremder Hand. Eigene Hs.: Tausend [...] Marie.

29/E

/Marie von Ebner-Eschenbach/ Wien den 16. März 93

Meine theure liebe Theo, ich danke Ihnen, gutes Kind, für die rasche Beantwortung meiner Anfrage, möge es wieder besser, nein ganz gut gehen mit Ihrem Kopf, und mit Ihren Augen. Im Hause Fleischl hat es heute am frühen Morgen, einen argen Schrecken gegeben. Der alte Herr, der schon die ganze Zeit über recht leidend ist, hatte einen heftigen Anfall von Athemnoth u. Herzklopfen, es geht aber Gottlob, wieder viel besser.1 Es war Ida's Absicht Ihnen zu schreiben, liebste Theo, nun thu ich's für sie. Sie meint daß ein Artikel von Thaler über die Droste-Briefe, dem Buche die Wege sehr ebnen würde. Wenn Pantenius nicht für die Veröffentlichung in den Monatsheften sein sollte, könnten wir hier etwas für die Briefe thun. Ich würde mich sehr gern selbst bei Thaler verwenden Ohne Unterschrift 1

E/Tb 16. 3. 1893: „beunruhigende Nachrichten von H. v. Fleischl der heute morgens 4 U[hr] einen Anfall von Athemnot u. Herzklopfen hatte, Ida wecken ließ und noch

30/S - März 1893

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Abschied nehmen u. ihr danken wollte, so lange er seine Besinnung hatte. Es war zum Glück nicht so schlimm."

30/S

Leipzig, 19. März 93.

Wieder habe ich Ihnen zu danken, gütigste Baronin, für Ihre Worte von heute Morgen! Einliegend die Pantenius-Antwort. Nun habe ich bei Westermann angefragt. Lehnt dieser nun, wie es doch wahrscheinlich ist, auch ab, so bleibt mir wohl nichts Anderes übrig als auf das erste Erscheinen in einer Zeitschrift zu verzichten. Ich könnte ja noch bei Nord und Süd anfragen, aber Schottländer ist recht schmutzig. An Franzos möchte ich mich lieber nicht wenden. - Wenn Pantenius schreibt, die Briefe seien zu umfangreich, so ist das wohl kaum der einzige Grund der Ablehnung, der Ausweg: dann die letzten zurückzulassen, wäre ihm doch sicher eingefallen. Tausend Dank für Frau v. Fleischl's und Ihre Güte! Ganz gewiss würde ein Thaler'scher Artikel über die Briefe von grossem Werthe sein! Aber nicht wahr, so ist es doch gemeint: wenn sie erschienen sind. Oder meinten Sie eine Besprechung schon jetzt? Ganz dumm bin ich schon von all dem Ueberlegen geworden, sonst wüsste ich das doch von selbst. Auf das erste Erscheinen in einer Zeitschrift verzichte ich ungern. Einmal, weil diese lieben, schönen Briefe darin doch viel mehr gelesen würden! Und dann, weil das Buchhonorar gar so gering zu sein pflegt. Aber der Thatsache gegenüber, dass sie sich nicht anbringen lassen, muss ich mich fügen und am Ende noch froh sein, wenn es mir nur mit dem Buche glückt. Dass es dem lieben, alten Herrn v. F[leischl] so schlecht ergangen,1 betrübt mich tief! Ach, wenn er sich nur bald wieder erholen möchte! - An Amalien's [Hager] Traurigkeit darf ich gar nicht denken - aber nein, ich darf es, wenn ich mir vorstelle, dass sie an dem Verluste jener anderen ihr nahe stehenden Person noch viel schwerer zu tragen gehabt hätte. Theure, verehrte Baronin, die Rücksendung von dem Pantenius Brief hat keine Eile. Wenn Sie also mit meiner Absicht nach Westermann's „Nein" die Briefe als Buch unterzubringen, einverstanden sind, bedarf es gar keiner Antwort hierauf. Jede Zeile, die man Ihnen abzwingt, ist eine Versündigung an Ihrer Zeit. Ja, ich war krank, aber das ist jetzt abgethan. Das Auge ist auch viel besser, seitdem es 3 mal täglich touchirt wird.

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbacb - Theo Schücking

36

Und nun habe ich noch die Bitte, mich dem Baron, Frau v. Fleischl und Frl. Paoli vielmals zu empfehlen. Täglich schaut in liebender Verehrung zu Ihnen empor Ihre dankbare Theo. fol. 11 ab, 1

12 ab,

13

ab

Vgl. 29/E.

31/E

ß. Rothenthurmstraße 27] den 21 l März 93.

Meine theuerste Theo Ihr Brief stimmt mich sehr wehmüthig. Also sind Sie wirklich krank gewesen, und nun, wo ein Sonnenstrahl der Freude Ihnen so wohl thäte, kommt diese abermalige Enttäuschung! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie nah mir die Sache geht, und wie ich mich besonders über das ablehnende Verhalten der Deutschen] RfundschauJ nicht beruhigen kann. Es liest ja nicht J e d e r jedes Wort in jedem Heft. Die verschiedenen Aufsätze haben ein verschiedenes Publikum. Innigsten Dank für die Abhandlung über Chopin und Nietzsche, liebste Theo! Moriz hat sie noch nicht gelesen, ich lese so viel ich kann darin, aber das ist eben n i c h t viel. Die Sprache dieser Broschüre zu verstehen, bin ich zu unwissend, ich muß in einemfort in Heyses Fremdwörterbuch nachschlagen, und oft geschiehts umsonst. Mir ist dieser Schwulst so gräßlich, diese fürchterliche Aufgeblasenheit widert mich an. Ich denke übrigens: O Du veralteter Przybyszewski, aus dem vorigen Jahr! Steckst noch im Rausch? ich bin schon (mitten) im Katzenjammer. Briefkarte

32/E

St. Gilgen den 30. Juni 93.

Meine liebe, theure Theo! Ich habe gestern eine Stunde lang in dem schönen Buche über Ranke gelesen, und muss nun doch sagen, dass ich danach eine besondere Ermüdung der Augen nicht verspürt habe. Dieser Druck ist am Ende

32/E - Juni 1893

37

doch kein so großes Hinderniss für die Verbreitung des Buches, als ich beim ersten Anblick dachte. Trotzdem würde Herr Grunow Ihnen, der ja die große Mühe der Durchsicht der Correcturen bevorsteht, und allen Lesern des köstlichen Buches eine wahre Wohlthat erweisen, wenn er sich entschlösse, größere Typen zu wählen. Wie oft wird denn einem Verleger das Glück die Litteratur um einen solchen Schatz bereichern zu können, wie diese Briefe es sind? Sie sollten dem Publikum als eine wahre Festgabe geboten werden. Sie in Brixlegg zu wissen, meine liebe, liebe Theo, ist mir eine außerordentlich große Beruhigung. Wie wird unser theures Fräulein Hager sich freuen Sie wieder in ihrer Nähe zu haben! Schreiben Sie mir, ich bitte, wie es Ihnen Beiden geht, wie Sie wohnen, wie Sie leben. Was uns betrifft, geht es uns Allen so ziemlich gut. Die arme Ida [Fleischl] fängt an wenigstens momentan zerstreuungsfähig zu werden. Die Versunkenheit, in die sie anfangs alle Augenblicke verfiel, hat mir große Sorgen gemacht. Es gab auch kaum einen Tag ohne Kopfschmerzen. Nun fängt wenigstens der Schlaf an etwas besser zu werden. Dr. Otto hat treulich bei seiner Mutter ausgeharrt, obwohl seine Frau in Bendlikon recht leidend war, sie hatte eine heftige Halsentzündung, und sein Herz ihn gar mächtig zu ihr zog. Aber sie selbst schrieb immer: Du gehörst jetzt zu deiner Mutter bleibe bei ihr. In der zweiten Hälfte Juli's kommen die junge Frau, ihre Mutter und ihre Brüder hierher. Morgen erwarte ich meine Schwägerin und meine spanische Nichte, die acht Tage in Gilgen zubringen wollen. Von Hermine [Villinger] habe ich oft Nachricht. Ihr Bruder ist Major geworden; eine große Freude. Ihren letzten Brief schrieb sie wieder mit der rechten Hand, scheint aber noch immer nicht ganz hergestellt. Es ist mir ein Schmerz, dass die Behandlung der sie sich in Wien unterzog, eine peinliche Massage, ihr mehr geschadet als genützt hat. Unendliche Grüße, meine liebe Theo, und mein liebes Fräulein Hager. Es gedenkt Ihrer sehr oft in treuester Freundschaft und Liebe Ihre uralte Marie Ebner, die Ihnen, beste Theo, auch ihre wärmste Theilnahme ausspricht Von fremder Hand. Eigne Hs.: uralte [...] ausspricht.

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbacb

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33/E

- Theo Schücking

St G i l g e n , d e n 12' J u l i 93

Fräulein Theo Schücking Brixlegg Posthaus. Tyrol Liebste Theo, meine unmaßgebliche Meinung wäre, daß Sie gleich an Ihren Herrn Verleger schrieben, er möge sein Eigenthum vertheidigen. Sie können in der Sache bei weitem nicht so rasch zu Ihrem Rechte kommen als er, der sich im Besitz des M[anu] S[critp]'s befindet. Es handelt sich ja nur um das streitigmachen eines R e c h t e s . Wie leid thut mir das alles. Aber für die Publication selbst wird es von Nutzen sein. Ich will Ihnen nur gleich sagen liebe gute Theo, daß ich Ihre beiden Karten zugleich erhielt. Wir sind unendlich gespannt auf die Zeitung. 100/m Herzensgrüße an meine beiden lieben Damen von uns Dreien, Ida, Otto [Fleischl], und Ihrer Marie Postkarte

34/E

St. G i l g e n 1 4 / 7 [1893]

Fräulein Theo Schücking Brixlegg. Posthaus Tirol. Theure liebe Theo, wir sind entsetzt über die Ereignisse in dem armen Brixlegg. 1 Wie fürchterlich, weit über alle schlimmen Vorstellungen hinweg, fürchterlich! Bitte, geben Sie uns wenn es Ihnen möglich ist, Nachricht. Ich vermuthe {Sie} übrigens (daß Sie) abgereist sind und glaube kaum daß diese Karte Ihnen zukommen wird. Sollte ich mich irren, dann, nicht wahr? erfüllen Sie meine Bitte um eine wenn auch noch so kleine Kunde von Ihnen und von dem verehrten Fraulein Hager. Ihre treue Marie. Postkarte 1

Ereignisse in Brixlegg: E / T b 11.7. 1893: „Furchtbare Überschwemmung in Brixlegg. Mehrere Menschen, unter ihnen der Postmeister in dessem [!] Hause Theo und Frln Hager wohnen sind ertrunken Gebäude eingestürzt und verschüttet".

36/S - November

35/E

1893

39

/Schloss Zdislavic, Post Zdounek, Mähreny den 2V Okt: 93.

Theure liebste Theo! Ihre Karte mein gutes Kind, habe ich gestern erhalten, und so eben trifft Ihr schöner Band 1 ein und ich habe eine großmächtige Freude. Die Einleitung mußte ich gleich lesen, ich konnte nicht anders. Sie ist ausgezeichnet! Dieses Buch müßte wirken wie ein kräftigender, reinigender Hauch der gezogen kommt durch die ungesunde, dicke, stauberfüllte Atmosphäre in der wir jetzt zu leben verurtheilt sind, wenn es nur nicht gar so viele Menschen gäbe, denen die Schlangenspeise: Staub, besser schmeckt als Ambrosia. Aber es giebt zum Glück doch noch Viele die auch das einfache und Lautere gelten lassen, und Einige die sich sogar dafür begeistern können. Für die haben Sie sich gemüht, die werden Ihnen dankbar sein. Ich muß mich heute kurz fassen, wollte Ihnen nur gleich danken und Sie auch um Nachricht bitten von Ihrem Befinden und dem unserer theuren Freundin Amalie Hager. Mein Büchlein 2 schicke ich Ihnen und dem verehrten Fräulein noch nach Vahrn, habe so eben meinen Verleger gebeten es sogleich zu thun. Wie geht's? die Frage, nicht wahr, beantworten Sie mir bald. Moriz empfiehlt sich bestens, befindet sich vortrefflich, ich bin jetzt auch ziemlich wohl. Nochmals: Dank! Dank! Sie haben ein gutes Werk vollbracht. In treuester Anhänglichkeit Ihre alte Freundin Marie. 1

2

Droste-Schücking Briefe - E/Tb 21. 10. 1893: ,,V[on] Theo: das köstliche Buch: Briefe v. Anfette von Droste]." - E/Tb 22. 10. 1893: „Die Droste Briefe sind entzükkend". Glaubenslos? Erzählung von Marie von Ebner-Eschenbach. Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1893. - Vgl. 36/S. - E/Tb 3. 10.1893: „Heute wird Glaubenslos? an die Buchhandlungen versendet." Weitere Einträge darüber im Oktober.

36/S

Vahrn b. Brixen, Südtirol, 3. Nov. 93.

Hochverehrte gütige Baronin! Sie wissen es wirklich nicht, welche Freude Sie mir mit Ihrem Briefe gemacht haben! Ich danke Ihnen tausendmal dafür! Er ist mir der Lohn dafür, dass ich im Sommer n i c h t eines schönen Tages die Flinte ins Korn warf - nur um Ruhe zu haben vor Herrn v. Droste 1 und

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbacb - Theo Schücking

andern dunkeln Punkten in der Entstehungsgeschichte des Buches. Uebrigens muss Frl. v. Lassberg eine sehr bornirte Persönlichkeit sein - doch ich will Ihnen den Brief in der Abschrift einlegen, das Original hat Prof. Hüffer2 in Händen. Und deshalb möchte ich schönstens bitten, dass Sie, verehrte Baronin, die Gnade hätten mir diese Abschrift gelegentlich! wieder zurückzugeben. Eine junge Bekannte in Brixlegg hat sie mir angefertigt, mitsammt dem Vignettenbildchen genau nach dem Original. Ach, wenn ich Ihnen nur einmal hätte mündlich von alledem erzählen können z. B. von Herrn v. D[roste]'s Verlangen, die Stelle auf S. 80: „ich möchte Dich zu Brei zusammendrücken etc." zu s t r e i c h e n , weil „sie eine unschöne Vorstellung erweckt".! 3 Nun ist es freilich nicht zu der Ausgabe ad usum Delphini4 der Familien Droste-Lassberg gekommen - aber wieviel Hass und Feindschaft wird nun dafür auf den Namen meines Vaters geworfen werden. Theure, verehrte Baronin, wie herrlich ist Glaubenlosl Solange ich es las, konnte ich nichts Anderes denken und thun, nicht einmal eine Zeile an Sie hätte ich zu schreiben vermocht. Es ist ein wunderbares Werk, diese Höhe der sittlichen Anschauung, diese unermessliche Weite des Horizontes der Gedanken und Empfindungen und diese mit genialer Kraft dahinein gezeichneten lebendigen, irdischen Menschen! Und Sie nennen sich „alt", Baronin!! Das Alter schafft nicht mehr, es compilirt. - Lassen Sie sich tausendfach danken, für das was Sie uns Allen mit diesem Werk gegeben haben! Ich werde es sehr, sehr bald von Neuem lesen, man möchte gleich wieder von vorn anfangen. Neben dem Helden habe ich den Pfarrer am Meisten ins Herz schliessen müssen er ist eine so unendlich rührende, p o e t i s c h e Gestalt - in all seiner hülflosen Güte!... Was für ein Büchlein haben Sie uns zugedacht, ewig gütige Baronin? Ist Glaubenlos schon als B u c h erschienen? Amalie [Hager] sagte, Sie würden dafür einen andern Titel gewählt haben. Amalie ist nun schon seit über 14 Tagen fort von hier. Ich bin noch geblieben, weil ich mich in der elften Stunde, wenn möglich, etwas nachträglich erholen wollte von allen heftigen Ereignissen dieses Sommers. Zudem war ich ja auch geistreich genug gewesen, hier in Vahrn noch krank zu werden, was ich bis heute noch spüre. Aber jetzt geht es mir schon viel besser und vor Allem schlafe ich wieder ordentlich. Es ist gar schön hier - todteinsam zwar, da ich der einzige Gast bin, aber die Einsamkeit auf dem Lande ist noch lange die ärgste nicht. Und dann ist es hier so wundervoll billig, ich komme mit meinen „Revenuen" brillant aus - und das ist ein so behagliches Gefühl.

36/S - November 1893

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Meine Schwester [Gerhardine] will durchaus, ich soll den Winter nach Berlin kommen, auch meine Nichte redet sehr auf mich ein, Sie glauben nicht, Baronin, was für einen reizenden, lieben Buben sie hat! „Die ewige Anbetung" für Grossmutter und Grosstante - Da nun auch mein neuer Schwager, Rickert, mir sehr gute und herzliche Worte sagte, wie es doch das Normale und Natürliche sei, dass ich in Gerhardines Nähe käme, will ich, schon um meinen guten Willen zu zeigen, für diesen Winter also nach Berlin gehen. Aber Berlin ist mir nicht sympathisch, auch werde ich von Gerhardine wenig haben. Einentheils nimmt sie ihr Mann ungewöhnlich viel in Anspruch und dann wird sie auch mit ihm sehr gesellig leben müssen. Ein Hauptgrund aber gegen Berlin ist seine Theuerkeit, die besagten Revenuen reichen bei Weitem nicht für Berlin aus. Aber erst, wenn sie das mit erlebt hat, wird meine Schwester es mir zugeben. Wie gern käme ich im Winter nach Wien!! Ich würde es auch thun, d.h. so gegen das Frühjahr hin - wenn nicht Ebners, die mich so liebevoll einluden, so schrecklich hoch wohnten! Nun muss ich warten, bis ich mir später einmal dort für einige Wochen ein Zimmer irgendwo in der inneren Stadt nehmen kann. Wenn ich erst etwas Geld für die Droste-Briefe bekommen habe. Ja, wenn! Die einzige Chance dafür ist die, dass das Buch gut gekauft wird. Das hängt nun aber grösstentheils von der Aufnahme der Presse ab. Es ist mir bitter schwer geworden, aber ich habe an die Redacteure, die ich persönlich kannte, geschrieben und sie gebeten, das Buch besprechen zu lassen. Wissen Sie, Baronin, das sind die schweren Dinge, die Einem das wenig Geld haben auferlegt - nicht das sich in Allem einschränken müssen! Auch an Rodenberg schrieb ich, aber ungeschickt - das ist man meist, wenn man ungern bittet. Und doch wäre eine Besprechung in der Deutschen] Rundschau überaus wichtig und werthvoll, das weiss ich nur zu gut. Jetzt sollte ich Betty [Paoli] drangsaliren, und das ist mir auch schrecklich! Ich bringe es auch nicht direkt zu Stande, diese verehrte theure alte Frau noch mit etwas zu plagen - Amalie soll bei ihr anklopfen, dann ist es wenigstens für Betty so viel leichter, nein zu sagen wenn sie nicht mag. Es handelt sich um ein Feuilleton in der N[euen] Fr[eien] Presse. Direktor Bruno Bucher (vom Museum) hat bei der Redaction angefragt, ob ihr ein Artikel über die „Brie- v. Ann[ette] v. Dr[oste] etc." genehm wäre, wartet nun auf Antwort. (Natürlich ist der Neuen Freien ein Exempl. zugesandt worden.) Grunow schreibt: „Wenn ich als Verleger an die Redaction schriebe, würde ich die Antwort erhalten (die ich schon bekommen habe) man vermisse noch meinen Inseratauftrag!" Wenn nun diese schlimme Redaction nicht Bu-

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Escbenbach - Theo Schücking

eher zu Liebe sein Feuilleton nimmt, so thäte sie es doch ganz gewiss Betty zu Liebe, und irgend Jemand würde es auch Betty's wegen schreiben, wenn sie ihn darum bäte. Und ach, Baronin, Ihnen zu Gefallen - brächte gewiss Dr. Bettelheim eine Besprechung (von ihm geschrieben) in die Deutsche Zeitung, der auch von Leipzig aus ein Exempl. gesandt wurde. Und würden Sie mir rathen, Baronin, Fritz Mauthner für sein Deutschland (?) ein Exempl. einzusenden? Ich könnte ihm dazu schreiben, da er meinen Vater und mich früher kannte - freilich weiss gar keine Adresse. Das ist ein ellenlanger Brief geworden, Verzeihung dafür!! Amalie schreibt mir liebe, gute Briefe - es that ihr so wohl, wieder in ihre gewohnten Räume zurückzukehren. Adele aber schrieb mir zu meinem Leidwesen, dass die liebe Frau v. Fleischl so sehr an Kopfschmerzen litte - das thut mir schrecklich leid! So gern hätte ich auch ihr das Buch geschickt, hatte aber keins mehr. Jetzt hat mir Grunow noch einige Rezensionsexempl. geschickt, die mag ich nun aber nicht für mich brauchen. Lassen Sie mich Ihnen noch innigst danken für die Worte: „ich bin jetzt auch ziemlich wohl." Sie schreiben so schwer und so selten von sich selbst, Baronin, dass man Ihnen doppelt dankbar für ein Wort über Ihr Befinden ist! Mitte November trifft meine Schwester in Berlin ein und um eine Woche später werde ich wohl auch dahin abreisen. Darf ich bitten, mich dem Baron angelegentlich empfehlen zu wollen? In unwandelbarer Verehrung bin ich immer Ihre ergebene Theo. fol. 14 a b, 15 a b. Ab Aber jetzt geht es mir schon viel besser; fol. 162 a b , 163 a b, 164 a b Datierung: der 2. Teil eindeutige Fortsetzung. Außerdem wird freilich weiss gar keine Adresse in 37/E beantwortet, wofür sich Theo in 38/S bedankt. 1 2 3

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H e r r von Droste ist der Neffe Heinrich von Droste. Hüffen A.v.Droste-Hülshoff, 1. Aufl. 1887, 2. Aufl. 1889. Die von Herrn von Droste beanstandete Stelle lautet: „Soeben komme ich vom Museum, voll Jubel über Dein Westphalen, was in Nr. 122 (23sten Mai) steht und sich köstlich macht. Du bist doch ein Baasjunge! Meine Mütze kann ich nicht in die Luft werfen wie Freiligrath, weil ich keine trage, aber ich möchte Dich zu Brei zusammendrücken, wenn ich Dich nur hätte! Du Schlingel, warum bist Du nicht bei mir! Es ist doch sonderbar, wie das Drücken metamorphisirt;" Droste-Schücking Briefe, S. 80. - Droste: H K A I X / 1 , S. 315f. Ad usum Delphini: Ludwig X I V ließ für den Unterricht des Dauphins eine Ausgabe der antiken Klassiker „ad usum Delphini" (zum Gebrauch des Dauphin) unter Weglassung der anstößigen Stellen besorgen.

37IE - November 1893

3 7 / E

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/Schloss Zdislavic, Post Zdounek, Mähren/ den 13c Nov: 93.

Bitte schicken Sie mir gleich nach Ihrer Ankunft in Berlin, Ihre dortige Adresse. Meine theure liebe Theo! Zwei schöne gute Briefe von Ihnen habe ich zu beantworten will es selbst thun und es wird mir nichts übrig bleiben als mich kurz zu fassen. Meine Augen sind etwas müd, und der Schnee der draußen liegt blendet mich, und ich habe noch zwei undictirbare Briefe zu schreiben am heutigen Vormittage. Das Feuilleton über die Droste-Briefe in der N[euen] fr[eien] Pressehat mich sehr verstimmt. Es wird hoffentlich dem Verkaufe des Buches nicht hinderlich sein, fördern aber wird es ihn kaum. Beste Theo, es geht doch heute nicht mit dem selbst schreiben, und ich möchte diesen Brief nicht liegen lassen, es drängt mich ja so sehr, Ihnen zu sagen, daß Ihr schönes Buch an mir eine begeisterte und treue Freundin hat. Wenn es mir nur halbwegs möglich wäre, würde ich gar gern ausführlich darüber berichten in einem wirklich litterarischen Journal. Mit Necker wird nichts zu machen sein. Es ist immer dasselbe Unglück, die Herren haben meistens eine Familie zu erhalten und ihre Zeit ist ihr Geld. Um die Droste-Briefe durchzulesen, gründlich, mein ich, was man lesen nennt, würde man mehrere Tage brauchen, und abermals einige, um einen ordentlichen Essay darüber zu Stande zu bringen. In derselben Zeit hätten sie sechs andere Bücher beurtheilt und wären sechs mal dafür honoriert worden. Deshalb, glaube ich, wird es nicht sehr leicht sein, gerade diesem Buche durch die Kritik den Weg zu ebnen. Es wird ihn machen, ohne jede Frage, aber langsam, fürchte ich. Deutschland das Fritz Mauthner herausgab, existirt längst nicht mehr, es ist untergegangen in das Magazin für Litteratur herausgegeben von Otto Neumann-Hofer. Mauthner ist ständiger Mitarbeiter, und ich rathe Ihnen jedenfalls an ihn zu schreiben. Seine Adresse: Colonie Berlin-Grunewald. Betty [Paoli] wollen wir lieber in dieser Sache aus dem Spiele lassen aus Gründen die auf der Hand liegen. Sie ist zu alt, zu müde um selbst eine Recension zu schreiben und die Besprechungen die von den Herren Recensenten auf eine Bitte hin veröffentlicht werden, fallen selten gut aus. Ich kann nur wiederholen, was ich für Ihr Buch thun kann, wird geschehen, aus Liebe und aus Uberzeugung.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Mögen Sie wohl sein, meine liebe liebe Theo! mir geht es ganz erträglich. Moriz empfiehlt sich Ihnen in treuer Verehrung. Ida behauptet, daß es jetzt besser geht mit ihrem Kopfe. Ihre treue Marie. Teils vom fremder Hand. Eigene Hs.: Absatz eins und zwei und Schluß: Mögen [...] Marie. 1

Besprechung der Droste-Schücking Briefe von Ludwig Geiger in der Neuen Freien Presse - siehe auch 38/S. Hier nach 38/S abgedruckt.

38/S

Vahrn, 22. Nov. 93.

Innig verehrte Baronin! Gewiss haben Sie die einliegende Besprechung längst in Händen - ich mag aber lieber riskiren, dass Sie sie noch einmal bekommen als gar nicht. Freunde in Bozen, denen ich bei einem Besuche, begeistert von Glaubenslos? erzählte, schickten sie mir gestern als Ausschnitt aus den Münchener Neuesten Nachrichten} Zu jedem Worte in ihr möchte man „Ja" rufen - und daneben ist sie so sehr sympatisch im Ton! Ach, Baronin, zum ersten Mal hat mir ein Brief von Ihnen kein warmes Licht auf meinem Tag geworfen. Sie schreiben, dass die Augen Sie schmerzen, dass Sie am selben Vormittage noch zwei eigenhändige Briefe abzuschicken haben, zwischen den Zeilen lese ich, dass Sie sich - wahrscheinlich nach einer elenden Nacht - müde und angegriffen fühlten - und dennoch schreiben Sie mir! Es ist zum Weinen. Wenn Sie nur einmal wüssten, Baronin, wie verbrecherhaft mir zu Muthe war, Sie würden das nie wiederthun. Und Sie thun es auch nicht, nicht wahr, schon weil ich mich so undankbar dafür zeige denn die F r e u d e des Beschenkten gilt Jemandem wie Ihnen als der ächte Dank! Auch in einer anderen Sache würden Sie mich undankbar erfinden. Wie könnte ich mich über eine Besprechung der Briefe von Ihnen, Baronin, freuen - wo ich mir doch sagen muss, w e l c h ein Opfer kostbarster Zeit und Mühe Sie mir damit brächten, von dem noch grösseren Opfer Kopfanstrengenden Herausreissens aus einer Sie beschäftigenden Arbeit gar nicht zu reden!! Ich könnte Amalie [Hager] zur Zeugin nehmen, aber ich vertraue darauf, dass Sie auch meiner einfachen Aussage glauben: dass es mir nicht in den Sinn gekommen ist, Sie oder Frl. Paoli p e r s ö n l i c h in die Sache hereinzuziehen! Das wäre doch ein zu arger Egoismus!

38/S - November

1893

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Und desjenigen Sie um eine Beeinflussung Dr. Bettelh[ei]m's (noch dazu auf eine ganz dumme Prämisse hin) gebeten zu haben, schäme ich mich schon recht gründlich! Ihr Wort, Baronin: „und die Besprechung, die von den Herren Recensenten auf eine Bitte hin veröffentlicht werden, fallen selten gut aus" - hat mir ein grosses Licht aufgesteckt. Ich glaube, dass das abs o l u t zutrifft, und bin nun seelenfroh, die Sache gehen lassen zu können! Dies an Rodenberg, Pantenius etc. schreiben wurde mir furchtbar sauer und es wird gewiss nichts nutzen! Damals meinte ich noch für alle Mühe mir ein bischen Gewinn hereinbringen zu können - nun nach dem Geiger Feuilleton] habe ich resolut darauf verzichtet!2 Das, was Geiger über den Unwerth der Briefe sagt, ist wenigstens e h r l i c h - sie haben ihn von vornherein so gelangweilt, dass er sie nicht einmal ordentlich las! Aber die persönlichen Bemerkungen, von denen einige ganz und die anderen halb unwahr sind, geben der Kritik das tendenziös Uebelwollende. Meine Ahnung, dass er gebeten wurde so zu schreiben, hat sich unterdess durch einen Brief in halbe Gewissheit umgewandelt. Ist dem so, so wird noch Mehreres dergleichen und zwar gerade in den tonangebenden Zeitungen erscheinen, da derjenige, der im Hintergrunde steht, viel Einfluss hat! 3 Unterdess sind manche sehr warme und auch ausführliche Kritiken herausgekommen, bis jetzt in Zeitungen und von Namen zu denen ich keinerlei Anknüpfung hatte. Ach, Baronin, wenn ich Ihnen nur Einiges erzählen könnte! Tausend Dank für die Adresse von Mauthner - aber schreiben thue ich jetzt an Niemanden mehr und fühle mich viel wohler dabei. Grunow, der ganz verliebt in die Briefe ist, schrieb, er würde „den aufgeblasenen Hauswurst" (sein Kosename für Geiger) in den Grenzboten durchklopfen. Ich bat ihn, es n i c h t zu thun - hoffentlich nicht vergebens! Am 25 sten reise ich von hier ab, zuerst nach München für zwei Tage, und dann nach Berlin. Ach, wenn es Ihnen doch wieder besser gehen möchte, liebe, theure Baronin! Ich weiss nicht, w o Sie jetzt sind, ob noch in Zdislavic oder schon in Wien. Aber ich kann mir n i c h t s auf der Welt in jedem Augenblicke, bei Tag und bei Nacht, so nahe bringen als Ihre Stimme, wenn ich will, höre ich sie - und das ist mein Trost. Freilich, es giebt manche Stunden, wie die gegenwärtige - wo auch das nichts hilft und die sind schlimm für Ihre Ihnen von ganzer Seele er gebene Theo. fol. 16 a b, 18 a b, 17 a b [in dieser Reihenfolge!]

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schiicking In: Münchner Neueste Nachrichten vom 19. Nov. 1893 gez. „M". Geigers Feuilleton im folgenden abgedruckt. Es dürfte sich um die Familien Droste/Laßberg handeln, vielleicht um den „Herrn v. Droste", der 36/S genannt ist.

Anlage Neue Freie Presse, Wien, 11. November 1893, Morgenblatt, S. 1-2. Feuilleton

Annette v. Droste-Hülshoff und Levin Schücking. Von Ludwig Geiger. 1 Briefe der westfälischen Dichterin und ihres Landsmannes sind soeben erschienen. 2 Sie wurden von der namentlich in Norddeutschland verbreiteten Gemeinde der Ersteren seit lange erwartet. D o c h zweifle ich nicht, daß diese Erwartungen auch in diesem Falle, wie so oft, durch das Erscheinen der Briefe getäuscht worden sind. Der Grund zu solcher Enttäuschung ist leicht zu verkennen. Menschen, die in inniger Verbindung stehen, zeitweise getrennt, jedoch in der Hoffnung leben, daß ihre Trennung nur von kurzer Dauer sei, vertrauen, auf ein baldiges Zusammentreffen rechnend, nicht ihr Geheimstes den Briefen an. Aug' in Auge sagt man sich wol das Vertraulichste; aus der Ferne ohne das feste Vertrauen auf die Sicherheit der Beförderungsmittel, auf die treue Ablieferung in die Hände derer, für welche die Briefe bestimmt sind, hält man gar Manches zurück. Nicht blos die Furcht vor Entdeckung hindert das Aussprechen, sondern eben das Fehlen der lebendigen Gegenwart. Es mangelt der Antrieb zu ganz offenem Aussprechen, das erst wieder durch hingeworfene Fragen angeregt oder durch eine das Bekenntniß anstachelnde Zwischenbemerkung gefördert wird. Es sind zwei eigenthümliche Menschen, deren Bekenntnisse mitgetheilt werden. Die vorliegenden Briefe, aus den Jahren 1840 bis 1845 stammend, kann man nicht eigentlich einen Briefwechsel nennen. Vielmehr sind es im Wesentlichen Briefe der Dichterin, nur ab und zu unterbrochen durch die Briefe des Dichters. Da die Herausgabe seitens des Sohnes des Letztgenannten erfolgt, so ist das Vorwiegen jener als der empfangenen Briefe natürlich, möglicherweise haben sich aber außer den wenigen, vermuthlich nach den C o n cepten mitgetheilten Briefen Schücking's auch seine Originale erhalten, deren Veröffentlichung vielleicht auch noch geplant ist. Bei dieser Einseitigkeit der Mittheilungen kann man allerdings ein erschöpfendes Urtheil nicht fällen, doch gestatten wol die veröffentlichten Proben, sich ein ungefähres Bild des eigenartigen Verhältnisses zu gestalten. Levin Schücking, geboren am 6. September 1814, war, als er in den Münster'sehen Literatenkreis eintrat (1837), ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren, der bereits einzelne Proben eines gefälligen poetischen Talentes abgelegt und sich gute Geschichtskenntniß erworben hatte. Durch ein von ihm übernommenes und geschickt durchgeführtes Werk: „Das malerische und romantische Westfalen", kam er in literarische Verbindung mit Annette v. D r o ste-Hülshoff, mit der, einer Freundin seiner Mutter, er bereits persönliche Be-

Anlage - November 1893

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Ziehungen gepflegt hatte. Es kam zu einer jahrelangen gemeinschaftlichen Arbeit der Art, daß die Dichterin manche der von dem findigen Herausgeber veröffentlichten Unternehmungen mit ihren Beiträgen unterstützte, andererseits, daß sie, die mit literarischen Verhältnissen Unbekannte, seine praktischen Vermittlerdienste annahm, und endlich, daß sie, nicht gewohnt, ihre Sachen zu feilen, die metrischen und redactionellen Kenntnisse ihres jungen Freundes in Anspruch nahm. Des jungen Freundes - denn sie war siebzehn Jahre älter, im Jahre 1797 geboren. Sie war nicht schön. Die früher von ihr veröffentlichten Bilder, selbst eine bekannte Büste, sind nur Phantasiestücke. In der einzigen echten bildlichen Darstellung nach einem im Jahre 1845 angefertigten Daguerreotype in der Hüffer'schen Biographie (1887) erscheint sie als eine gute, kräftige, alte, bürgerlich dreinschauende Frau, deren kluge Augen freundlich blicken, die aber weit mehr wie eine tüchtige Haushälterin aussieht, als wie eine vornehme Dichterin. Als das Verhältniß zwischen Beiden sich festigte, war sie 43, er 26 Jahre. Bei einem derartigen Verhältnisse eines jüngeren, leicht erregten, durch keine anderen Bande gefesselten Mannes zu einer älteren, nicht schönen, aber nicht mißgestalteten Frau, bei gemeinsamer Beschäftigung, häufigen, nicht immer autorisirten Begegnungen, bei der dadurch bewirkten, gleichsam aufgezwungenen Heimlichkeit ergibt sich leicht eine Summe von Empfindungen und Aeußerungen, die zwischen Freundschaft und Liebe ganz eigenthümlich schwanken. Einer derjenigen Forscher, die sich am meisten und eindringlichsten mit Annette beschäftigt haben, Hermann Hüffer, sagt (1887): „Im Uebrigen wird es schwer, den Charakter dieses Verhältnisses genau zu bestimmen, da der Briefwechsel zwischen Beiden noch nicht bekannt wurde." Jetzt, da er theilweise bekannt ist, wird man etwas Anderes kaum sagen können, als die eben gemachte Bemerkung. Es herrschte zwischen Beiden, wie man aus den Briefen erkennt, das trauliche Du. Er nennt sie sein Mütterchen, sie ihn ihren Jungen. E r war in seinen Briefen voll Verehrung und Rücksicht, sie spielte gern die Lehrmeisterin, und bei aller zärtlichen Sorgfalt, die sie für sein Befinden äußerte, an seinen Productionen nahm, an den Gegenständen seines Besitzes zur Schau trug, hielt sie mit den Aeußerungen kräftigen Tadels bei seinen unüberlegten Streichen nicht zurück. Während er einmal schreibt: „Ich glaube, daß unter unseren Zeitgenossen Niemand mehr ist, der eigentlich classisch schreiben kann, Sie allein ausgenommen", so fehlen auch bei ihr nicht Worte der Anerkennung für seine Dichtungen, aber das Mahnen ist ihr gewohnter und steht ihr besser an, als das Preisen. Er sorgt für ihre Liebhabereien, Münzen und Steine, sie ist für seine Lebensstellung bemüht, und nachdem sie ihm eine zeitweilige Beschäftigung bei ihrem Schwager, dem Freiherrn v. Laßberg, verschafft und wol auch die Erzieherstelle, die er bei einem Fürsten einnimmt, ihm vermittelt haben mag, dringt sie darauf, ihn in einer bestimmten, womöglich staatlichen, gut bezahlten Stellung zu sehen. Für die Reinheit dieses edlen Verhältnisses spricht am besten der Umstand, daß die Verheiratung Schücking's zunächst kaum eine Störung und gewiß keine Aenderung des Tones hervorruft. Die Art, wie er voller Entzücken seine Verlobung mit Louise v. Gall der Freundin mittheilt und die Braut bei seiner alten Freundin lobpreisend einführt, ist sehr schön, aber nicht minder charakteristisch der Ernst, mit dem sie auf diese

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Escbenbach - Theo Schiicking

begeisterten Worte eingeht, die Würde, mit der sie ihn mahnt, „den Himmel nicht zum zweitenmale herauszufordern durch den Bau einer Häuslichkeit auf dem armseligen lockeren Triebsande literarischer Erfolge". Es ist ganz allerliebst, wie sie der jungen Frau über den Mann schreibt: „Bei ihm liegen sich der Poet und der Philister immer in den Haaren. Der Erste trägt, wie billig, den Sieg davon, läßt aber doch vom Andern noch genug übrig, um das Leben zu würzen, ohne es zu versalzen oder zu verpfeffern. Er hat mich oft miserabel en bagatelle behandelt, und doch hat der Schlingel andererseits etwas Herzliches an sich, weßhalb man schon anderthalb Augen zudrückt. Wir wollen einander unser Leid klagen, da trägt sichs leichter, und hinter seinem Rücken rathschlagen, da rathen oder schlagen wir vielleicht einige Besserungen heraus. In unsere Briefe wird er seine indiscrete Nase stecken, das kann ich mir ganz klärlich vorbilden; aber wenn wir erst mal beisammen sind, dann Gnade ihm G o t t ! " Trotzdem hat die Zeit oder vielleicht auch die Frau ihr Wort in dieses Verhältniß eingesprochen. Nach der ersten Begegnung von Louise Schücking und Annette v. Droste (1845) trat zwischen Dichter und Dichterin eine Entfremdung ein, Annette glaubte trotz der eifrigen Thätigkeit, die Schücking für ihre Gedichtsammlung entfaltet hatte, dem jüngeren Manne Undank und Vernachlässigung vorwerfen zu dürfen, und sah ihn nicht wieder. Auch die briefliche Verbindung hörte seitdem auf. Wenige Jahre darauf, am 21. Mai 1848 ist Annette gestorben. Schücking hat ihr Andenken treu und liebevoll bewahrt. Im Jahre 1860 gab er ihre hinterlassenen Schriften, 1879 ihre gesammelten Werke heraus. In der Einleitung, die er dazu schrieb, sprach er sich in herzlicher Weise über die Frau und in zurückhaltender, vornehmer Art über sein Verhältniß zu ihr aus. Dieselbe pietätvolle Gesinnung bekundete er in den Aeußerungen, die er der Freundin in seinen Lebenserinnerungen widmete. Freilich war seine Frau, die jenes Verhältniß zur Jugendfreundin, sei es mit oder ohne Schuld, gestört hatte, bereits im Jahre 1855 gestorben. Die Erben Annettens haben häufig versucht, die Briefe der Dichterin von Schücking zurückzuerhalten, Annette selbst war der Ueberzeugung, daß ihre Episteln vernichtet waren. Schücking that das Letztere nicht und weigerte sich, dem Ansinnen der Familie Folge zu leisten. Bei dieser Sachlage wird man sich fragen dürfen, war die Veröffentlichung, so wie sie jetzt geschehen, gerechtfertigt? U n d man wird, ohne die Rechtsfrage zu berühren, vom literarischen Standpunkte aus mit Nein antworten müssen. Ein kurzer Auszug aus Annettens Briefen, Bemerkungen des Sohnes mit eingestreuten Stellen würden vollauf genügt haben, um uns die Eigenart des Verhältnisses zu erklären und neue Beiträge zur Charakteristik der gepriesenen Dichterin zu geben. Sie bewährt sich auch in diesen Briefen als eine vorzügliche Frau. Der Zug zum Beispiel, wie sie einer ehemaligen Freundin, der sie sich entfremdet hat, dadurch nützen will, daß sie ihre eigenen Gedichte einem Verleger ohne H o n o rar geben will unter der Bedingung, daß der Buchhändler jener das Honorar um das erhöhen müßte, was er eigentlich ihr zu geben hätte, ist wahrhaft rührend. Aber einen solchen Zug muß man mit unzähligem Klatsche über die eben angedeutete Frau und mit nichtigen Geschichten über gleichgiltige Personen erkaufen; wo eine Aeußerung freundschaftlichen Verkehrs genügt hätte, erhalten wir ein Dutzend. Man ist gewohnt, in einem Briefwechsel

Anlage - November 1893

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zweier literarisch thätiger Personen Urtheile über Kunst- und Literaturwerke zu finden. Von solchen ist in dem vorliegenden Briefwechsel wenig die Rede. Freiligrath und Laube, Hauff und Uhland werden zwar gelegentlich genannt, von ihren Werken wird so gut wie gar nicht gesprochen. Annette war eine bedeutende Dichterin, aber trotzdem war es recht unnöthig, daß wir mit den Lesarten regalirt werden, die sie in ihren Gedichten früher gebraucht hatte und die sie entweder gegen Schücking vertheidigte oder seinem besseren U r theile opferte. N o c h weniger scheint es angebracht, daß wir gar die Druckund Schreibfehler, die sich in der durch Schücking besorgten Ausgabe fanden, in breiten Ausführungen kennen lernen müssen. In Summa, die Briefe zeigen uns die beiden Personen, die Dichterin, die, trotzdem sie bald ein halbes Jahrhundert todt ist, noch heute eine große Gemeinde besitzt, den Schriftsteller, der, obwol er kaum ein Jahrzehnt dahin gegangen ist, bereits fast zu den Vergessenen gehört, in keinem neuen Lichte. Die Neugierigen, die insbesondere bei einem Verhältnisse zwischen Mann und Frau nach pikanten Details lüstern sind, werden ihre Rechnung nicht finden. Die Psychologen bleiben enttäuscht, und auch diejenigen, die nach geschichtlichen oder literarischen Einzelheiten in einen Briefwechsel zweier Schriftsteller spähen, kommen nicht auf ihre Kosten. Verständiges Geplauder von Seite des Mannes, herzliche, etwas langathmige Ergießungen seitens der Frau, Erörterungen über uninteressante Dinge und unbekannte Menschen rechtfertigen nicht das Erscheinen eines Buches von fast 400 Seiten. Kein einziger dieser Briefe erreicht an Innigkeit und Kraft des Ausdruckes die schönen Verse aus einem Gedicht, in denen Annette das Bild ihres Freundes zu schildern und poetisch zu verklären versucht hat. O frage nicht, was mich so tief bewegt, Seh' ich dein junges Blut so freudig wallen, Warum, an deine klare Stirn gelegt, Mir schwere Tropfen aus den Wimpern fallen. Mir träumte einst, ich sei ein albern Kind, Sich emsig mühend an des Tisches Borden, Wie übermächtig die Vocabeln sind, Die wieder Hieroglyphen mir geworden! Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß, Daß mir so klar und nüchtern jetzt zu Muthe, D a ß ich so schrankenlos und überweis', So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe. So, wenn ich schaue in dein Antlitz mild, Wo tausend frische Lebenskeime walten, Da ist es mir, als ob Natur mein Bild Mir aus dem Zauberspiegel vorgehalten; Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand Und meiner Liebessonne dämmernd Scheinen, Was noch entschwinden wird und was entschwand, Das muß ich Alles dann in dir beweinen.

50 1

2

A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo

Schiicking

Diese Besprechung der Droste-Schücking Briefausgabe, eine der ausführlichsten, sei hier zur Gänze wiedergegeben. Sie ist in zweierlei Hinsicht interessant: zum ersten nimmt sie ziemlich unverhohlen die Position der Familien Droste/Laßberg ein und bemüht sich von Anfang an, etwaige Lüsternheit „nach pikanten Details" erst gar nicht in potentiellen Lesern aufkommen zu lassen. Zum andern ist die Gehässigkeit, mit der die Ausgabe detailliert besprochen wird, fern von jeder Objektivität. „Die Herausgabe seitens des Sohnes [!]" L. Schückings findet weder inhaltlich noch editorisch noch rechtlich den Beifall des Rezensenten. Originalanmerkung: Leipzig, Grunow, 1893.

/Gruß aus Wien!; den 31/12 93

39/E Fräulein Theo Schücking

p. Adr: Herrn Reichstags-Abgeordneten Rickert Berlin W. Thiergartenstr: 37. 2l St. Einen innigen Gruß am letzten Tage des Jahres, meine liebe theure Theo. Der nächste letzte Jahrestag möge Sie uns Wienern, Ihren Getreuen, wenigstens für eine Zeitlang wiederbringen oder schon als wieder eingekehrten lieben Gast begrüßen (lassen). Wie mir Frln A[malie] H[ager] sagt, fahren Sie nächstens nach Caldenhof, dahin schreibe ich sehr bald. Die Beurtheilung der Dr[oste] Brfe v. A. St[?] ist ersten Ranges. Treuestens Ihre alte Marie Postkarte

40/S

Berlin W., Gleditschstrasse 51 III, 7. Febr. 94.

Hochverehrte, theure Baronin! Es ist eine rechter Egoismus von mir, dass ich Ihnen den Leipziger Kalender ins Haus schicke! Aber Sie wissen nicht, w e l c h ein Vergnügen das ist hier immer beim Fortreissen der Blättchen denken zu dürfen, dass Sie nun wahrscheinlich am selben Tage denselben Spruch lesen! - Bis jetzt konnte ich nicht in Erfahrung bringen, w o die Berliner Niederlage dieser Kalender war, vorgestern kam ich dahinter und musste sie mir gleich holen. Ich bin seit zwei Wochen von Caldenhof zurück - es waren namenlos traurige Tage dort. Als ich abreiste, hofften die Ärzte die arme alte

40/S - Februar 1894

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Frau doch noch durchzubringen - jetzt ist wohl jede Aussicht darauf geschwunden und ich kann das Läuten des Briefträgers schon gar nicht mehr hören, weil ich immer meine: nun ist sie da, die schwarzgeränderte Botschaft. Die Schwiegertochter schrieb gestern: „Das Schlimme ist: die alte Frau zankt nicht mehr" Ach, Baronin, was sagten Sie nur dazu, dass Betty [Paoli] s e l b s t diese wunderschöne, lange Besprechung schrieb? 1 Ich bin so tief beschämt und tief gerührt, wie ich es gar nicht aussprechen kann - auch vor Betty's Freunden fühle ich mich beschämt, dass i c h die indirekte Veranlassung zu dieser anstrengenden Arbeit war - und ich werde es nie auszudrücken vermögen, wie es mich bewegt, dass für mich die alte Löwin sich noch einmal rührte. Und wie herrlich geschrieben ist diese Besprechung! Bis jetzt habe ich hier sehr still gelebt, mir war nicht ganz wohl und ich musste das Haus hüten. Ende der Woche fange ich aber an, einige Besuche zu machen. Mein kleines Quartier ist nett und freundlich und in einer halben Stunde (zu Fuss) bin ich bei meiner Nichte und in 2 0 - 2 5 Minuten bei meiner Schwester [Gerhardine]. Auch giebt es zu Beiden eine Pferdebahnverbindung. Zuweilen besucht mich ein sehr braves, früheres Mädchen die nun seit 2 Jahren bei der Familie v. Bunsen ist. Sie begleitete auch das Frl. Marie v. B. damals nach Wien. Diese Bunsens müssen wunderliche Menschen sein, nach aussen hin freisinnig und für gemeinnützige Zwecke begeistert - im Hause geizig, dass Einem graust! Nehmen Sie für heute vorlieb mit diesem dummen, dürren Brieflein! Als ich Ihnen in Vahrn den letzten langen, ausführlichen schrieb, kam mir über dem rückhaltslosen Aussprechen die Sehnsucht nach Ihnen so stark, dass ich den Schluss kaum vor Thränen schreiben konnte. In innigster Verehrung immer Ihre Theo. Dem Baron möchte ich angelegentlichst und Frau Ida [Fleischl] wärmstens empfohlen sein. fol. 19 ab, 1

20 a b, 21 a

Betty Paoli: Briefe von Annette v. Droste-Hülshoff an Levin Schücking. In: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung, Januar 1894. - Abgedruckt in: Betty Paolis Gesammelte Aufsätze. Eingeleitet und hg. von Helene Bettelheim-Gabillon. Wien 1908. S. 3 6 - 4 5 (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien, Bd. IX).

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

41/E

- Theo Schücking

Wien, den 14l Febr: 94

Meine liebe theure Theo! Ich kann nicht genug danken, mein gutes Kind, aber nicht deshalb danke ich so spät. Es wird ja nicht mehr durch's Warten. Eine große, große Freude haben Sie mir mit dem lieben schönen Kalender gemacht, und mit Ihrem Briefe mein Herz erquickt. Wie gern hätte ich Ihnen gleich, im Augenblick in dem Ihr Brief und Ihre Sendung ankamen wenigstens schriftlich - anders geht's ja leider nicht - allerinnigst beide Hände gedrückt! Ich war aber sehr beschäftigt, und zugleich sehr müde. Jetzt bin ich nur müde, darf mir einige Tage der Rast gönnen. Es liegen - denken Sie sich dieses für mich seit Jahren Unerhörte! - drei, so zu sagen, fertige Manuscripte in meiner Lade. ((2 davon freilich ganz kleinwinzig)) Dringendes giebt es jetzt nichts als die Correcturen der Dorf- und Schlossgeschichten1 die in neuer Auflage erscheinen werden. Im MärzHefte der Velhagenschen Monatsschrift kommen miserable Erinnerungen an L.v. François.2 Ich konnte nicht gut über sie schreiben ein ungeheures Material war vor mir aufgehäuft - alles wichtig, und ich mit einem so schmerzlichen Gefühl ihres Verlustes noch ganz unter dem Eindruck des mir völlig unerwarteten Scheidens für immer, immer ... Mir war die Hand die da hätte sichten und auswählen (und Bewunderung und Leid aufzeichnen) sollen, wie mit Blei eingegossen. Und wenn das Herz noch so voll ist, die bleierne Hand vermittelt seine Gefühle nicht, (vielleicht ist ein Feuilleton das ich in eine hiesige Zeitung bringen will,3 besser gerathen.) Ich habe eine große Freude an Bettys [Paoli] Aufsatz über die Droste-Briefe. Gerold versichert, das schöne Buch werde schön gekauft. Gar keine Frage daß es sich seinen Ehrenplatz erobern wird. Von Moriz, der oft Ihr Fernsein mit mir bedauert, verehrungsvolle Grüße, und noch einmal innigsten Dank von Ihrer alten getreuen Freundin Marie. Ist die traurige Catastrophe in Caldenhof eingetreten? 1 2

3

Dorf- und Schloßgeschichten, 3. Aufl. Berlin 1894. Louise von François. Erinnerungsblätter. In: Velhagen und Klasings Neue Monatshefte, Jg. 7 Heft 7 vom März 1894, S. 1 8 - 3 0 . Louise von François. In: Neue Freie Presse, Wien, Morgenblatt vom 2 3 . 2 . 1894, S. lff.

43/S - April 1894

42/E

53 Wien, den 5/4 94

Meine theure Theo! Gestern habe ich Ida [Fleischl] und Fräulein Hager den Anfang einer kleinen höchst harmlosen Erzählung 1 vorgelesen und Sie dabei bitterlich vermisst. Das muß ich Ihnen sagen. Und dann muß ich Ihnen sagen, daß die Droste-Schücking Briefe gut „gehen". So oft ich bei Gerold danach frage, erhalte ich eine Antwort die mich freut. Und noch etwas (hat mich) sehr gefreut, eine gute That meiner Theo, ein Aufsatz 2 - aber davon darf man ja nicht sprechen. So liebt und schweigt denn Ihre getreue alte Marie. 1

2

1894 erschienen die beiden Erzählungen Das Schädliche und Die Todtenwacht. Wahrscheinlich ist trotz der untertreibenden Bemerkung „harmlos" die letztere gemeint, vgl. 43/S: „ganz Dickens". Das Tagebuch von 1894 ist nicht erhalten. Ein Aufsatz Theos 1894 ist nicht bekannt. Vgl. 43/S.

43/S

Berlin W., Gleditschstr. 51. 9. April 94.

Innig verehrte, gütigste Baronin! Ihr Brieflein hat mich so glücklich gemacht, wie ich es gar nicht sagen kann! War mir doch gerade dieses Aufsatzes wegen Ihnen gegenüber so schwer zu Muth! Es fiel mir nicht ein, dass Amalie [Hager], der ja, wie sie selbst sagt, das Verschweigen stets das Natürliche ist - Ihnen davon sprechen oder gar ihn Ihnen bringen könnte. Ich hätte Ihnen den Aufsatz 1 doch gleich selbst geschickt, Baronin, wenn er mir für Sie gut genug gewesen wäre! Ich wollte v o r I h n e n nicht so arrogant erscheinen - was bedeutet denn mein Lanzenbrechen! Und dass ich Oestreich in S c h u t z n e h m e , musste Ihnen doch kindisch vorkommen. Ebenso wie dass ich über den Adel ein Urtheil abgebe, von dem ich doch so wenig p e r s ö n l i c h weiss. Das hatte ich freilich in einer Zwischenbemerkung gesagt, aber Grunow hat sie mir gestrichen. Sie, Baronin, die Alles verstehen, nicht wahr, Sie verstehen es auch dass ich Ihnen den Aufsatz nicht schicken mochte? Ach, wenn ich doch einmal etwas zu schreiben vermöchte, was mir für Sie gut genug wäre!! 11. April. Erst heute komme ich zum Weiterschreiben. Ich hatte mir am Tage, ehe ich Ihren Brief erhielt, ein rothes Auge geholt, das erst jetzt wieder gut ist - vorgestern noch musste ich hierbei aufhören, nun geht es aber wieder ganz schön! Gestern Abend erhielt ich endlich das März-Heft von Velhagen und Klasing, ich hatte es mir als Oster-

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

freude zu den Feiertagen bestellt, aber durch ein Missverständniss bekam ich es nicht. Nun freue ich mich wie auf ein Fest darauf, den Aufsatz über L[ouise] v. Frfran^ois] zu lesen! Das Feuilleton] in der Neuen Fr[eien Presse] war gar so schön, ich bat Amalie es mir zu schicken und besitze es jetzt. 2 Vorgestern bekam ich einen Brief von ihr, der mir eine Enttäuschung brachte - und nicht einmal sagen darf ich es ihr. Ich war so thöricht gewesen für diesen Sommer auf ein grosses Glück zu hoffen! Da Amalie, wie sie schrieb, gar nicht wusste, wohin sie gehen sollte, bat ich sie, Sie und Frau v. F[leischl] zu fragen, welchen Ort Sie für sich gewählt hätten, - den Frl. Paoli dann wahrscheinlich auch aufsuchen würde. Und ich dachte wirklich, sie würde auch dorthin gehen - es wäre geradezu himmlisch gewesen! Nun aber hat sie sich für Tirol entschlossen - ich habe Tirol ja schrecklich gern aber - ich kann mich unter dem Eindruck meiner Enttäuschung noch nicht recht darauf freuen. Und nicht einmal zu wissen, wohin Sie gehen werden, Baronin! Das Herz that mir weh, als mir vorgestern auch Amalie von dem herrlichen Nachmittag bei Ihnen schrieb - die Erzählung sei ganz Dickens Dass Sie bei Gerold nach dem „Gehen" der Briefe fragen, ist so überaus gütig von Ihnen, das allein ist ja für Gerold jedesmal ein Sporn etwas zu thun! Uebrigens haben sie ausser den Schwarzen [?] einen sehr schlimmen Feind, der immer Andere vorschickt, so wahrscheinlich Geiger und gewiss einen M. L. der vor 8 Tagen in der National-Ztg. unfreundliche Sachen aussprach, dabei aber nicht, wie Geiger, den Briefen selbst allen Werth aberkannte. Dieser zweite Vorstoss in der Nation[al] Ztg gab mir eine Vorahnung davon, dass wahrscheinlich von derselben Seite auch etwas in die Deutsche Rundsch[au] kommen dürfte. Wenn mir die Courage dazu nicht abhanden kommt, möchte ich nun wohl einmal zu Dr. Rodenberg hingehen um ihm kurz zu sagen, wie es sich mit meines Vaters Besitzrecht auf die Briefe mit den Einsprüchen der Droste und Lassberg verhielt, und was es mit Prof. Hüffer's Empfindeleien auf sich hat. Wenn nur ein anständiger Mensch, der hier im literarischen Leben steht, den wahren Thatbestand kennte, so wäre damit schon viel gewonnen. Da mir Rodenb[er]g damals einen den Droste-Brfn. so günstigen Brief schrieb, wäre es vielleicht nicht allzu umbescheiden, ihm zu kommen. Freilich sind Geiger und Hüffer Mitarbeiter der RundschfauJ. Es that mir nachträglich so leid, dass ich in meinem letzten Brief Ihnen von Frl. v. Bunsen sprach. Ich hielt ihren Aufsatz,3 ohne ihn zu kennen, für gut. Seitdem habe ich ihn in die Hände bekommen, und mich recht darüber geärgert. Sie will ein Urtheil über Styl abgeben!

43/S - April

1894

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Sie, die Sätze schreibt, die geradezu f e h l e r h a f t sind! Aber nicht nur darüber habe ich m i c h geärgert, auch über manches Andere. Frau E. Vely, die alle Schriftsteller hier kennt, sagte nach dem Erscheinen des Artikels hätten Viele gemeint: Wer Marie v. Ebner-Eschenbach ist, wissen wir Alle - aber wer ist Marie v. Bunsen? Der arrogante Ton hat eben überall verdrossen. Wahrscheinlich schickt man Ihnen Die Frau regelmässig zu, Frau Vely lieh mir einige Hefte. In dem vom Dezember stand ein Aufsatz von Laura Marholm: Wir Frauen und unsere Dichter. Nachdem ich ihn gelesen hatte - er ist sehr interessant und sehr anregend - versuchte ich immer wieder, mir auszudenken, was Sie dazu sagen würden. Es ist eine Qual immer in die Ferne zu fragen - bei Allem und Jedem, was ich lese, höre und erhasche, muss ich ja immer nur das Eine denken, wie Sie, Baronin, darüber urtheilen würden. Vielleicht ist Ihnen einliegende Erklärung noch nicht zu Gesicht gekommen er hat doch Recht, nicht wahr? Maria Janitschek gefiel sie freilich nicht - sie freut sich ja auch jedesmal wenn die Jüngsten über Goethe schimpfen. „Nacht muss es sein, wo Friedlands-Sterne strahlen". Bei ihr sehe ich ab und zu einen dieser Jüngsten, verschlüge Einem nicht immer wieder bei ihrer Arroganz total der Athem, so würde man sich über den Mangel jeglicher Bildung bei ihnen aufhalten. Aber sie sind stolz darauf, sie w o l l e n nichts wissen - nur „erleben", um dann schildern zu können! Im Sumpf herumwaten, heisst bei ihnen „erleben". Ein scheussliches Buch soll Mutterrecht von Hans Land sein, das Recht des verführten Mädchens das Kind zu tödten, ehe es zur Welt kommt. Von Hermine [Villinger] hatte ich vor einiger Zeit einen Brief, lieb und seelengut - aber etwas unbefriedigt in Bezug auf ihr Schaffen. Ach, wenn sie sich doch zu einer grösseren Erzählung, zu einem 1 bändigen Roman brächte - meinen Sie nicht, Baronin, dass das der „Schlager" werden würde, den sie sich wünscht? Oh Schreck, der 2te Bogen ist zu Ende, und ich möchte ad infinitum fortschreiben. Aber Ihre Zeit und Ihre Augen! Ich plage mich seit einigen Wochen mit einer kleinen Erzählung herum 4 - Gott weiss, wie gering sie wird! Sie wird es nicht sein, die mir zum Lesen für Sie gut genug sein würde - werde ich die je fertig bekommen? Sie wäre als dann m e i n „Stern der Schönheit" Und nun, innig verehrte, theure Baronin, küsst in Gedanken Ihre liebe Hand Ihre Ihnen von ganzer Seele ergebene Theo.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schiicking

Darf ich Sie bitten, mich dem Baron, Frau v. Fleischl, und Frl. Paoli angelegentlichst zu empfehlen? - Wenn Sie es nur einmal erführen, wie alle Welt Sie hier verehrt, Baronin! Wenn man mich nicht direkt f r a g t , sage ich nie, dass ich Sie zu kennen die Ehre habe - weil das etwas Renommistisches haben würde. Und das Renommiren wird Einem hier, wo Alles prahlt, gründlich fatal. Dafür dass Sie den Ranke zurücksandten, danke ich vielmals - es hat mich sehr beschämt, dass Sie sich die Mühe machten! Nun ist er mir freilich doppelt werth, da er in Ihren Händen war. fol. 22 a b, 26 a b, 23 a b, 24 a b, 25 a b [in dieser Reihenfolge] 1

2 3 4

Der Aufsatz müßte in den Grenzboten erschienen sein, da Grunow als Redakteur genannt ist. Nicht auffindbar. Vgl. 4 1 / E , Anm. 2 u. 3. Bunsen: Ebner s. Lit.verz. Welche Erzählung gemeint ist, ist nicht bekannt.

44/E

Wien, den 15/4 94

Liebste Theo! Innigen Dank für Ihren theuren, guten Brief. Sie schreiben so vortrefflich, liebste Theo, Ihre Erzählung wird mir ganz gewiß die herzlichste Freude machen. Warum, beste, und aufrichtigst lieb und werth Geschätzte, ergehen Sie sich in himmelhoch übertriebener Bescheidenheit? Ich werde alles was Sie schreiben mit Genuß lesen, dafür stehe ich Ihnen gut. Gehen Sie doch ganz gewiß zu D r Rodenberg. Ich darf Sie leider nicht bitten ihm meine Grüße zu bestellen, denn er ist im Augenblick sehr bös auf mich und wer weiß ob er wieder gut wird. Es ist eine gräßliche Carriere die litterarische. Giebt's noch eine zweite an Enttäuschungen reichere? Man glaubt: auf d e n od: die kann ich Felsen bauen - plötzlich, ohne den allergeringsten (uns) bewußten Anlass gegeben zu haben, sehen wir die vermeinte Treue zerinnen wie Schaum. Wie oft ist mir das schon vorgekommen. Mein gutes Kind, Ida [Fleischl] und ich wollen doch wieder nach Gilgen alte Leute ändern ihre Gewohnheiten nicht mehr. Freilich wär's w u n d e r s c h ö n (gewesen) wenn wir Sie im Sommer hätten ein bischen genießen können. Wie viel gäb's zu besprechen. (Und welche Freude das Wiedersehen!)

45/5 - Juli 1894

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Frln v. Bunsen hat mich von oben herunter behandelt, sie ist aber eine charmante u. hochgebildete Dame. Sie wären entzückt von ihr wenn Sie sie kennen lernen würden. Leben Sie w o h l theuerste Theo. Habsburgstr. 5. Rothenthurmstr 27 verneigen sich liebevoll! Ihre getreue alte Marie (Hofrathin Ebner grüßt lOOOmal innigst.) (Verzeihung daß ich einen so abscheulich geschmierten Brief abschicke. Verzeihung!) (Ich bin überzeugt daß H[ermine] Villinger einen guten Roman schreiben könnte. Aber Zeit müßte sie sich gönnen.)

45/S

Gasthof Waldsacker, Vahrn in Südtirol, 19. Juli 94.

Innigst verehrte, theuerste Baronin! Seit einigen Tagen bin ich hier bei Amalie [Hager] angekommen - am Abende vor meiner Abreise von Sassenberg erhielt ich durch sie die Trauernachricht, 1 die mir so namenlos nahe geht, wie ich es nur Ihnen, Baronin, sagen kann. Denn Amalie empfindet den Verlust so sehr als Allerpersönlichstes, ihr vom Schicksal angethanenes Leid, dass ich ihr von meiner Trauer gar nicht sprechen mag. Hätte ich Betty [Paoli] in diesen letzten zwei Jahren nur noch einmal sehen und sprechen und i h r d a n k e n können! - Und immerzu denke ich nach Ihnen hin, Baronin, und male es mir schmerzvoll aus, wie Sie leiden werden und was Alles nun auf Ihnen ruht. An Frau Ida [Fleischl] selbst zu schreiben, wage ich nicht, ich drücke ihr stumm die Hand. Ich darf Ihnen in einiger Zeit wohl einmal wieder schreiben, theure, so unaussprechlich geliebte und verehrte Baronin - denken Sie zuweilen daran, dass so viele Ihnen ganz und gar zueigene Herzen jetzt täglich zittern vor Furcht, dass Ihnen dies Alles zu viel werden, dass es Sie krank machen könnte. Schonen Sie sich um unsretwillen, Baronin, und lassen Sie sich beide Hände küssen von Ihrer Theo. Amalie bittet mich, Ihnen zu sagen, wie dankbar sie Ihnen für Ihre gütigen Randzeilen sei, die Sie ihr sandten und empfiehlt sich Ihnen auf das Angelegentlichste. fol. 27 ab, 28 ab 1

Tod Betty Paolis am 5. 7. 1894 in Baden bei Wien.

58 46/E

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

St. Gilgen am Abersee, Kronland Salzburg, den 26. Juli 94.

Dictirt. Meine liebe, theure Theo! Dank, allerwärmsten Dank für Ihre beiden guten Briefe, die Ida [Fleischl] und mir innigst wohlgethan haben. Dass Fräulein Hager und Sie, den Verlust Bettys [Paoli] auf das tiefste empfinden würden, wussten wir wohl im voraus. Ich kann Ihnen nicht schildern wie gerührt die geliebte Verstorbene von dem letzten Besuche Fräulein Hagers war. Sie kam mir an dem Tage mit lächelndem Gesicht entgegen: Wer war bei mir? - Amalie Hager. Und nun sprach sie von ihr mit innigster Freundschaft und mit innigstem Danke. Wenn Sie wüßten wie ich selbst über mein Feuilleton 1 denke! Es hätte gut werden k ö n n e n , aber Zeit hätte ich haben müssen, und nicht so unmittelbar nach Tagen großen Schmerzes und großer Pein hätte ich an die Arbeit gehen sollen. Sie glauben gar nicht wie viel P e i n l i c h e s zu all dem Leidvollen kam, das ich durchzumachen hatte. Vor Ida sollte der bedenkliche Zustand in dem Betty sich befand, verborgen werden. Breuer und Otto [Fleischl] hatten es mir zur Pflicht gemacht, und doch wieder schien es mir schwer ja unmöglich sie zu verhindern einen letzten Abschied von der Freundin zu nehmen, mit der sie vierzig Jahre lang so innig verbunden gewesen ist. Es wurde denn ausgemacht, dass Ida, wenn Betty Paoli nach ihr verlangen würde, in Begleitung Ottos die Fahrt unternehmen solle. Betty hat aber nicht verlangt sie zu sehen, sie hat überhaupt auf ihrem Sterbebette nur Sehnsucht nach der kleinen Fritzi Bettelheim 2 ausgesprochen. Breuer, den ich um Details bat, schrieb mir: Da ich mich anschicke Ihnen über die Vorgänge der letzten Tage zu berichten, werde ich inne dass nichts zu berichten ist. Er meint dass Betty ohne Bewußtsein den letzten Kampf gekämpft habe - er soll aber, wie ich durch Flora [Galliny] höre, schrecklich gewesen sein. Unsagbar traurig das alles! In Ihren lieben Zeilen, meine theure Theo, vermisse ich jede Kunde über Ihr Befinden. Lassen Sie uns ganz genau wissen, wie es geht, mit den Augen, mit dem Herzen, mit den Nerven. Haben Sie etwas gearbeitet und werden wir's zu sehen bekommen? Wie befindet sich das liebe, verehrte Fräulein Hager? Ida und ich bitten Sie, uns ihr auf das Wärmste zu empfehlen. An Frau von Ebner, die wir innigst lieben, schreibe ich in den allernächsten Tagen. Ihre alte, treue Marie.

47/S - September

1894

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Von fremder Hand. Eigene Hs.: Ihre alte treue Marie 1

2

Betty Paoli. In: Neue Freie Presse, 22. Juli 1894, Morgenblatt, S. 1 - 4 ; - vgl. weiters 4 8 / E und 53/S. Ü b e r die Verbindung Betty Paolis zu den Bettelheim-Kindern E / T b 4. 12. 1888: „Solange ich Betty kenne, habe ich sie noch nie so herzlich so gütig und liebevoll gesehen, wie sie es mit den Kindern Bettelheims ist. Diese Kinder disponieren über sie und es macht sie glücklich, sich von ihnen tyrannisieren zu lassen".

47/S

Vahrn in Südtirol, 11. Sept. 1894.

Hochverehrte, theure Baronin! Zum lieben 13. September 1 tausend innige und treueste Wünsche, die durchaus erfüllt werden möchten, so wenig bescheiden sie auch lauten. Denn für Sie, Baronin, ist das Schönste eben gut genug Aus Dr. Otto's [Fleischl] freundlichen Briefen, für die Amalie [Hager] und ich vielmals und schönstens danken, wissen wir, dass Sie leider in St. Gilgen eine so abscheulich kalte Zeit hatten. Wir hatten es hier auch nicht so gut wie sonst in Vahrn, aber jetzt ist es dafür strahlend schön. Und dieser wundervolle blaue Himmel leuchtet nun auch gewiss über Ihnen, Baronin, und über Ihrem Geburtstag. Frau v. Fleischl's gütige Zeilen haben uns Beide sehr glücklich gemacht. Ja, ich vertraue fest darauf, dass ich sie in absehbarer Zeit einmal wiedersehen werde! Ich denke jetzt noch mehr wie sonst nach Ihnen hin, Baronin, wie immer, wenn mir etwas Schönes begegnet. Amalie hat mir Hermann v. Gilm's Gedichte geschenkt - wenn ich Ihnen nur einmal daraus vorlesen dürfte. Aber freilich, Sie kennen sie gewiss längst. Sie wollen, dass ich Ihnen von mir erzählen soll, Baronin, Aber Adele Ebner sagte heute, dass sie Ihnen Alles und Jedes von und über uns berichtet hat. Dabei wird uns immer etwas unheimlich - sie ist so überaus gut und mir so werth wie wenig Menschen, aber ihre Fantasie ist ein Husar, und so oft fällt mir bei ihr das ein, was ich einst in einem Briefe meiner Grossmutter an ihre Mutter las: Erzählen Sie unsern Freunden Alles von mir aber - Mutterchen, nur nicht mehr als Sie selbst wissen! Das in den Winter hineingehen wird mir in diesem Herbst nicht so schwer wie im vorigen. Ich habe mich entschlossen, mir in Berlin eine ganz kleine Wohnung für mich zu suchen. Man hält dies in meublirten Zimmern leben, mit keinem andern Anker als die Koffer unter den Füssen, auf die Dauer absolut nicht aus - umsoweniger da diese Art

60

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Escbenbach - Theo Schücking

der Existenz einen bedrückenden Reichthum an Einblicken in alle dunklen Möglichkeiten von Vermietherinnenseelen mit sich führt. Zum Glück bietet mir ein braves, geschicktes Mädchen, die früher bei uns diente, ihre Hülfe bei der ersten Einrichtung und Instandsetzung dieser bescheidenen Häuslichkeit an. Das macht mich sehr froh, da ich gar nicht wusste, wie ich so ganz allein mit Allem fertig werden sollte. Sie haben heute so viel Briefe zu lesen, Baronin, - Jeder will es Ihnen heute sagen, w i e er Sie liebt und verehrt. Und doch lässt sich das nicht sagen, wie alles Beste im Leben. Innigst küsst Ihre lieben Hände Ihre Ihnen ganz ergebene Theo. Amalie trägt mir angelegentlichste und wärmste Empfehlungen und Wünsche auf. fol. 29 ab, 30 a b, 31 a 1

Geburtstag der Ebner am 13. September (1830).

48/E

Hostie üb: Zdounek, Mähren, den 28' Sept: 94.

Meine liebe theure T h e o !

Innigsten, wenn auch schrecklich verspäteten, Dank für Ihre und des verehrten Fräulein Hagers gute Wünsche zu meinem Geburtstage. Ich habe ihn zum erstenmale in Gilgen zugebracht, und es war schön, wenn auch ein bischen traurig. Eine der treuesten Gratulantinnen fehlte, die seit Jahren, die wir längst nicht mehr zählten, ihre Glückwünsche nachzusenden pflegte, und sich freute daß nun die längere Hälfte unserer Trennung vorüber sei. Die arme Ida [Fleischl] hat jetzt in Wien noch sehr viel zu thun mit dem Ordnen der Briefe und des Nachlasses Bettys [Paoli]. D r Bettelheim soll, nach deren letztwilligen Verfügungen, ihre (noch ungedruckten) Gedichte herausgeben. Cottas übernehmen den Verlag. Ich hoffe es kommt zu einer Veröffentlichung ausgewählter Schriften. Das könnte einen vortrefflichen Band geben, der vielleicht sogar gekauft würde. 1 Liebes Kind, sagen Sie mir, ob Sie zufrieden sind mit dem Absatz der Droste-Briefe. Wer sie liest, lobt, liebt und bewundert sie. Mein Verleger schrieb mir übrigens: „Das Jahr 94 war ein Trauerjahr für den Buchhandel." Möge es 95 besser werden. - Unsere liebe Hermine [Villinger] ist mit recht schwerem Herzen von Gilgen abgereist, scheint aber sehr fleißig und auch wieder vergnügt zu sein in ihrem

49/E - Februar

1895

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hübschen zuhause. Frau von Ebner ist wohl schon in Wien; ich schreibe nächstens (an sie). Tausendmal: Gott befohlen, theure liebe Theo! Innigste Grüße an das liebe Fräulein. Möge es Ihnen Beiden recht gut gehen! Ihre getreue alte Marie. ((ich werde fortwährend unterbrochen, verzeihen Sie mein Gekratze!)) 1

Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß. Cotta, Stuttgart 1895. Vorwort S. III — VI, gez. Wien, Mitte Februar 1895, Dr. Anton Bettelheim. Betty Paoli, S. I X - X X I , gez. St. Gilgen, den 14. Juli 1894. Marie v. Ebner-Eschenbach. Abdruck mit kleinen Auslassungen des Artikels in der Neuen Freien Presse, vgl. 46/E, Anm. Vgl. auch 53/S.

49/E

Wien 28 l Februar 95

Meine theure liebe Theo! Ganz besonders oft habe ich an Sie gedacht in diesen letzten Tagen, und Sie müssen drüben in Berlin etwas davon gemerkt haben und schreiben mir recht wie zur Antwort auf meine Gedanken einen liebreichen Brief. Dank! innigsten Dank! Wenn ich ihn auch nur in wenige Zeilen fassen kann, ausgesprochen muß er werden, es drückt mir sonst das Herz ab. Natürlich sollten Sie, liebste Theo zu den Ersten gehören denen ich mein Büchlein 1 zusenden wollte. Aber - aber - zwischen einem Vorsatz und seiner Ausführung liegt bei mir der atlantische Ocean. Es ist oft um an sich selbst gänzlich zu verzweifeln. Meine einzige Entschuldigung ist: Ich habe immer viel zu thun und immer wenig Zeit. Fräulein Hager hat mir von Ihren äußeren „Schicksälern" 2 nichts erzählt, meine theure Theo. Sie kennen ihre große, fast ängstliche Rücksichtnahme auf Rücksichten, die v i e l l e i c h t jemand Anderer beobachten will. Recht peinlich haben Sie's aber im Winter gehabt, wie ich aus allem sehe. Innigst wünsche ich daß dergleichen Arges (Sie nie wieder treffe.) Ich schicke Ihnen nächstens mein letztes Bändchen, (Dank für die überaus freundschaftliche und wohlwollende Beurtheilung!) verschenken Sie Ihr Exemplar, bitte. Alles Verehrungsvolle und Beste von Moriz. Ida [Fleischl] reist wahrscheinlich im April nach London zu ihren Kindern. Sie leidet recht recht oft an Kopfschmerzen u. mit ihren Augen geht es auch nicht gut. In Treuen liebe liebe Theo Ihre alte oft sehr müde Marie.

62 1 2

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schückirtg

Das Schädliche. Die Todtenwacht. Berlin 1894. Was unter „äußeren Schicksälern" zu verstehen ist, kann nur vermutet werden. Entweder kommt dafür die Ubersiedlung Theos in „eine ganz kleine Wohnung" (47/S) in Frage. Die Überforderung, die in dieser Quartieränderung für Theo liegt, kommt im selben Brief zum Ausdruck: ein „Mädchen, die früher bei uns diente" hilft, „da ich gar nicht wusste, wie ich so ganz allein mit Allem fertig werden sollte". - Eine andere Erklärung wäre der in 45/S angesprochene Aufenthalt Theos im väterlichen Sassenberg - übrigens der einzig belegte nach dem Tod Levin Schückings, der durchaus für Theo schwerwiegende familiäre Auseinandersetzungen nach sich hätte ziehen können.

50/S

4. März 95.

Sie wissen es schon, hochverehrte, theuerste Baronin, dass ich wieder einmal „Dank" zu sagen komme. Dank und tausendmal Dank, Baronin, für Ihren viel, viel zu gütigen Brief, für das herrliche Buch, Dank dafür, dass ich nach Ihnen hindenken darf, dass ich Sie auf der Welt weiss! Ja, arg ist's mir in diesem Winter ergangen, aber, Baronin, solange S i e leben, kann ich nie u n g l ü c k l i c h werden. Ich schreibe das jetzt nicht hin, um etwas Dankbares zu sagen - es ist mir damit Ernst, bis in den tiefsten Seelengrund. Ich weiss ja, wie Amalie [Hager] das Schweigen meist natürlicher ist als das Reden - aber in diesem Falle wäre es doch ein Freundschaftsdienst gewesen, Ihnen Näheres von mir zu berichten. Denn meine „Schicksäler", Baronin, waren doch die einzige Erklärung meines Schweigens Ihnen - und auch Adele Ebner - gegenüber, und ich schrieb Amalie, w i e schwer es mir sei, Sie nicht selbst darum bitten zu können, mich nicht zu vergessen. Aber Amalie leidet in diesem Winter mehr als sonst, d. h. seelisch, und das nimmt ihr die Ruhe, sich in andere Gemüther hineinzudenken. Ich muss Ihnen noch erzählen, dass, als ich im Oktober in der Münchener Ausstellung war, mir auf einmal aus der Tiefe eines Zimmers ein Bild entgegensah, bei dem ich mich fragte: Das s o l l doch nicht Baronin Ebner sein?! Richtig, im Katalog stand es so. 1 Das Bild ist k e i n gutes Portrait von Ihnen, und dennoch machte mir die PseudoAehnlichkeit darin den ganzen Raum warm und hell. Angelegentlichste Empfehlungen an den Baron und treueste Wünsche für Frau Ida [Fleischt]. Allezeit in verehrungsvoller Ergebenheit Ihre dankbare Theo. fol. 32 a b, 33 a b 1

Marie von Ebner-Eschenbach-Portrait (Ol) von Julius Schmidt (abgebildet in: Ebner Symposium, nach S. 299, Nr. 6).

52/E - Juni 1895

n/s

63

29. Mai 95.

Gütigste, innigst verehrte Baronin, lassen Sie mich dankbar Ihre beiden lieben Hände küssen - Sie sind die fantasiereichste Frau der Welt und können sich dennoch nicht vorstellen, wie ich mich gefreut habe! Innigsten Dank! Bei meinen Landsleuten1 ist so wunderschön an sich, ein kleines Juwel, - und nun erst für die, die Sie kennen, lieben, und verehren vom Reize der Intimität durchwebt, dass Einem das ganze Herz warm wird dabei. Und dass Sie daran dachten, es mir zu schikken, macht mich so glücklich. Vorgestern Abend fing ich einen Brief an Sie an, gestern war ich durch eine alte Freundin, die eine schwer erkrankte Verwandte zu pflegen hat, ganz in Anspruch genommen - muss heute wieder hin, so verschiebe ich mir den Brief auf die Pfingstfeiertage und danke Ihnen heute nur auf diesem Blättlein. Noch einmal Dank! von Ihrer ganz ergebenen Theo. fol. 34 ab, 1

35

ab

Marie von Ebner-Eschenbach: Bei meinen Landsleuten. In: Neue Freie Presse (Wien) 23. Mai 1895, Morgenblatt, S. 1 - 7 .

52/E

St. Gilgen am 10. Juni 95.

Meine liebe liebe Theo! Seien Sie doch überzeugt, daß Sie mir nie genug von sich erzählen können. Ich bin Ihre alte getreue Freundin und alles was Sie betrifft geht mir nahe, ist meine Angelegenheit. Ach, warum „plagen" Sie sich? Muß es denn sein? Sind Sie nicht zu streng gegen sich selbst? Sie schreiben so vortrefflich und mit solcher Leichtigkeit, Sie haben ein so feines und zutreffendes Urtheil, wäre nicht in erster Reihe die Kritik Ihr Fall? Wovon handelt die Skizze mit der Sie sich jetzt beschäftigen?1 Liebe liebe Theo, arbeiten soll man aber nicht sich plagen. Wo man sich plagen muß da ist man nicht auf seinem eigensten Gebiete, scheint mir. Vielleicht verstehen Sie aber unter dem Worte sich plagen, etwas anderes als ich. Das Stückchen Neumann-Hofer das Sie mir schicken, kommt mir seltsam vor. Ist das nicht eine Reihe von Widersprüchen? Erst heißt es, daß der Künstler ohne jede moralische Tendenz schafft, dann macht wieder die Absicht den Künstler.

64

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schiicking

Wissen Sie was ihn vor allem macht: die Naivität. „Helf mir Gott, ich kann nicht anders," und nicht einmal: „Helf mir Gott" kurzweg: „ich kann nicht anders". „So muß ich's sehen, so muß ich's machen," und alles nachträgliche hineinspindisiren einer Absicht oder der Unterwerfung unter irgend ein Schönheits-Wahrheits-Sittlichkeitsgesetz - Schwindel. Sagen Sie keinem Menschen, daß ich dieser Meinung bin, sonst steinigt man mich. Das heilige: ich muß, in der Seele des echten Künstlers fasst in sich das ganze Gesetz und die Propheten. Denken Sie nur daß Ida [Fleischl] gar nicht in London war. Sie fühlte sich so schwach und leidend daß sie nicht wagte die Reise zu unternehmen. Nun ist sie seit etwas mehr als vierzehn Tagen hier und hat, was ein wahres Wunder ist, einmal drei Tage nacheinander keine Kopfschmerzen gehabt. Sie sagt Ihnen alles Herzlichste. Empfehlen Sie mich, ich bitte, den verehrten Damen Wendt und Jungius auf das Wärmste. Ihre alte Freundin Marie. Kennen Sie Der Himmel auf Erden von Emil Gregorovius. Bei Grunow erschienen. Ich staune üb. das Außere und über das Innere dieses Buches. Wer ist E. Gregorovius?2 Von Fremder Hand. rovius? 1 2

Eigene Hs.: Ihre [ . . . ] Marie und Kennen Sie [ . . . ] Grego-

Die hier angesprochene Skizze ist nicht bekannt. E. Gregorovius s. Register.

53/S

Charlottenburg 10. Juni 95.

Gütigste, hochverehrte Baronin! Von ganzer Seele sage ich Ihnen innigsten, tiefgerührten Dank! Heute früh erhielt ich das herrliche Buch,1 ich habe mich den ganzen Morgen hineinversenkt. So lange schon habe ich sehnsüchtig darauf gewartet und konnte doch nicht hoffen, es so bald nach seinem Erscheinen schon in Händen zu halten. Das danke ich nun wieder einmal Ihnen, Baronin, was danke ich Ihnen nicht! Die ganze Betty [Paoli] ersteht wieder aus diesen Seiten. Und die ganze Trauer um sie wird von Neuem wach. Alles in und an dem Buche ist so schön gehalten - so ganz nach Betty's Sinn, so würde es ihr recht sein, „ihr jüngstes Ehrenmal". Wie namenlos schwer mag es gewesen sein, die Gedichte auszuwählen, Ba-

WS - Juni im

65

ronin! Da stehe ich voll Bewunderung vor Ihnen und Frau Ida [Fleischl], Und Ihr schönes Erinnerungsblatt zwischen dem trefflichen, sachlichen Vorwort und dem lorbeergleich ernsten Requiem bringt Duft und Licht und Sonne hinein. Nicht nur heute, immer sagt Ihnen Dank Ihre ergebene Theo. Der lieben, verehrten Frau Ida möchte ich viel, vielmals empfohlen sein. fol. 36 a b, 37 a b 1

Vgl. 46/E, 48/E.

H/S

14. Juni 95.

Innigsten Dank, hochverehrte Baronin, für Ihren gütigen Brief! Er giebt mir so viel zu denken, dass ich ihn gar nicht heute schon beantworten könnte. Das darf ich dann wohl ein anderes Mal. Diese Zeilen sollen die jüngste Zukunft begleiten, die ich soeben an Sie absandte. Ich meine, der Aufsatz über Prof. Gizycki interessirt Sie vielleicht. Er ist von meinem verehrten Freunde, Dr. Mittelstädt wohl der erste Reichsgerichtsrath, der Mitarbeiter der Zukunft ist. Neulich hatte ich Gelegenheit Frau v. Gizycki zu sehen, eigentümlich schaut sie aus, wie eine Religionsfanatikerin oder wie ein Medium. Ich muss so wie so Frau Grunow schon seit langer Zeit schreiben ich werde es nun nächstens thun und sie nach E. Gregorovius fragen.1 Das Buch selbst ist mir gar nicht in die Hände gekommen jetzt verschaffe ich es mir aber natürlich. Täglich geniesse ich meinen Band Paoli 2 - nie ohne Ihnen zu danken, Baronin! Es thut mir unendlich leid, dass Frau Ida [Fleischl] so leidend war. Das wusste ich gar nicht. Morgen gehe ich zum ersten Mal seitdem ich mit Hermine [Villinger] dort war, zu den Damen Wendt und Jungius. 3 Ihre Grüsse werden sie sehr glücklich machen. Morgen muss ich auch mit meinen Besuchen beim Zahnarzt beginnen - die Schinderei ist doch noch ärger als jeder Seelenschmerz so denke ich wenigstens immer, wenn er mich im Stuhl festhält und das Rad tritt, das eine wahre Teufelserfindung ist. Mit vielen wärmsten Empfehlungen an Frau v. Fleischl küsst in Dankbarkeit und Verehrung Ihre liebe Hand Ihre ergebene Theo.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

fol. 38 ab, 39 ab 1 2 3

Vgl. 52/E. Vgl. 53/S. Zuerst E / T b 1. 12. 1891 erwähnt, dann 26. 7. und 11. 8. 1896. Vgl. 65/S, Anm. 2.

55/S

Vahrn, 11. Sept. 95.

Innigst verehrte, theuerste Baronin! Allertreueste Geburtstagswünsche 1 soll Ihnen dieser Brief überbringen. Leider ist mir die schöne alte Uhr, die mein Angebinde darstellen sollte, wieder entschwunden - es war nur ein Traum, den ich diese Nacht hatte noch könnte ich die Uhr hinzeichnen, so deutlich sah ich sie! Aber so leer die Hände sind, Baronin, so übervoll sind Herz und Sinn diesem gesegneten Tage gegenüber, an dem ich mir immer wieder sage, dass das Glück, Sie kennen und lieben zu dürfen, ein ganz und gar unverdientes ist! Und das thut so gut und lässt wieder an g u t e Götter glauben - während bei den übrigen Lebenszufällen meist nur als einziger Trost der bleibt, dass man das doch nicht verdient hat. Doch wer weiss, ob das nicht ein falscher Trost ist Gestern kam Frau v. Fleischl's und Dr. Otto's lieber Brief an Amalie [Hager], über den sie sich sehr freute und für den sie vielmals danken lässt. Wir haben hier seit Wochen eine arge Hitze, die uns tüchtig zusetzt, sodass sich Amalie leider nicht mehr so wohl fühlt wie als ich kam. Adele Ebner geht es, zum Glück, wieder ganz gut, aber hier unten war sie seitdem doch noch nicht - jetzt sind oben die lieben Schaffers zum Besuch. Dass Hermine [Villinger] eine so glückselige Zeit gehabt hat, gönne ich ihr tausendfach. Finden Sie die kleine Autobiographie im Guten Kameraden nicht r e i z e n d in ihrer Frische und Natürlichkeit und dabei stimmt sie im Ton so wunderbar gut zu dem volksthümlichen Ton des Heftes selbst. Mein Schwager [Rickert] hatte also doch Recht, der meinte, Hermine habe sie nicht d i r e k t für die Veröffentlichung geschrieben, während meine Schwester und ich uns ganz dafür einsetzten. Tausend innigsten Herzensdank, Baronin, dafür dass Sie mir erlauben Sie im Winter sehen zu dürfen! Ich werde nun Alles daran setzen, dies Glück wahr werden zu lassen, und bitte nur die liebe, verehrte Frau Ida [Fleischl]: zu Amalie davon noch nicht als T h a t s a c h e reden zu w o l l e n , ich habe hierbei ihr gegenüber ein wenig langsam vorzugehen.

56/E - September 1895

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Ich muss Ihnen Eins erzählen, Baronin, dass nämlich Ihre Bozena2 immerzu von Dienstmädchen mit leidenschaftlichem Interesse gelesen wird, die Eine giebt es an die Andere weiter, und alle Leihbuchhändler wissen davon zu erzählen! Ist das nicht eine Freude für Ihr gütiges Herz Noch habe ich Ihnen nicht einmal ordentlich gedankt für Ihren viel zu guten Brief vom Anfang Juni!! Ach, wieviel hätte ich darauf zu sagen, was für diesen Brief, den Sie mit hundert anderen durchzulesen haben, rücksichtslos weitschweifig sein würde. Und da ich jetzt die Aussicht habe, Ihnen einmal wieder mündlich berichten zu dürfen, verschiebe ich Alles darauf und dies Verschieben bedeutet an sich ein Glück. - Amalie will Ihnen und Frau Ida und Dr. Otto [Fleischl] empfohlen sein und trägt mir ihre wärmsten Glückwünsche für Sie auf. Auch ich möchte bei dem Empfehlen nicht vergessen werden. In liebender Verehrung Ihre immerdar ergebene Theo. fol. 40 a by nicht gezählt a b, 41 a 1 2

Geburtstag der Ebner am 13. September (1830). Vgl. 56/E.

56/E

St. Gilgen 16l. September 95.

Meine geliebte Theo! Dank und Dank! Ich kann ihn nur in kurze Worte fassen, denn übermorgen fahre ich von hier fort nach: Hostie, über Zdounek in Mähren, und habe noch eine ganze menge zu thun. Niemand wäre glücklicher als ich, wenn Sie uns im Laufe des Winters in Wien besuchen wollten. Wie von einer abgemachten Sache werden wir mit Fräulein Hager nicht davon sprechen; zählen Sie darauf, meine liebe Theo. Aber schön war's, das denken und sagen wir Alle. Unsere liebe Hermine [Villinger] hat schon fast heiter von zuhause geschrieben. Der Abschied fällt ihr und uns immer recht schwer. Sie hat aber so viel schöne Arbeiten im Kopf, daß sie bei deren Ausführung sich sicherlich glücklich fühlen wird. Auch mir gefällt die kleine Biographie in Der gute Kamerad außerordentlich.1 Sie war durchaus nicht für die Öffentlichkeit berechnet und ist vielleicht gerade deshalb so vortrefflich ausgefallen.

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

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- Theo Schücking

Die herzerquickende Nachricht über Bozena, die Sie mir gaben, traf an dem Tage ein, an dem ich die letzte Correctur der zweiten Auflage, die das Buch nach neunzehn Jahren erlebt an Cotta sandte.2 Eine große Freude, liebe Theo, und eine so unerwartete. Von ganzer Seele wünsche ich Jedem, der ehrlich nach dem Guten ringt, eine ähnlich. Ich wünsche sie Ihnen, theuerste Theo. (Sich längst gesagt haben: die Worte waren umsonst gesprochen, und dann hören: nein, sie haben) (einen Widerhall gefunden das wünsche ich Ihnen zu erleben.) Ich schließe mit einem schüchternen aber sehr innigen: auf Wiedersehen. Alles Beste von Ida [Fleischl] und mir an Sie und Fräulein Hager. Wenn irgend möglich schreibe ich noch von hier aus an die liebe, gute Frau von Ebner. In treuester Freundschaft Ihre alte Marie. Von fremder 1

2

Hand.

Eigene

Hs.: Sich [ . . . ] erleben, und In treuester [ . . . ] Marie.

Der gute Kamerad. Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung 1886ff. - Wahrscheinlich darin aus: Hermine Villinger Kleine Lebensbilder, 1895. Bozena, 1. Aufl. 1876, 2. Aufl. 1895. Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte vgl. KTD II, S. 195ff.

57/S

Berlin-Charlottenburg, Uhlandstr. 184, 27. D e c . 95.

Hochverehrte, theure Baronin! Vor 4 - 5 Wochen etwa fragte mich mein Schwager Rickert, was ich davon hielte: wenn man Sie, Baronin, von Seiten des Vereins gegen den Antisemitismus1 um eine kleine Erzählung bäte, ob Sie diese Bitte gewähren würden? Ich antwortete, dass ich darüber nichts aussagen könnte, das würde von Ihrer Zeit und Ihrer Müsse abhängen und Ihren Plänen überhaupt - ich glaubte nur, dass wenn Sie die Bitte erfüllen k ö n n t e n , Sie es thun würden, da Ihnen, soviel ich wüsste, die Ziele des Vereins gewiss sympathisch sein würden. Mein Schwager meinte dann noch, ob ich Ihnen von der Sache schreiben wolle. Ich sagte: Wenn Du es wünschest und ich Dir damit einen Gefallen thue, gern - aber mir scheint es richtiger und sachgemässer, wenn Du selbst direkt bei der Baronin anfragen würdest. Er fand das dann auch, Hess sich von mir Ihre Adresse geben und sagte, er würde Ihnen gleich am anderen Tage schreiben. Seitdem sah ich ihn nur noch zweimal und da

58/E - Januar 1896

69

war er jedesmal so beschäftigt, dass ich gleich wieder ging und meinem Wunsche zu erfahren, wie Ihre Antwort ausgefallen sei, keinen Ausdruck gab. Nun bekomme ich heute aus Zoppot bei Danzig, wo Rickerts seit einer Woche weilen, einen Brief meines Schwagers mit dem einliegenden Schreiben an Sie, Baronin, das er mich Ihnen zu übersenden bittet. Noch möchte ich Ihnen sagen, dass, soviel ich weiss, der Verein nur wenig zahlt - das giebt bei ihnen n i c h t den Ausschlag, Baronin, das weiss ich - aber sagen musste ich es doch! Ich werde mir erlauben, Ihnen morgen 1 Exempl. des Guten Kameraden einzuschicken (Herminens [Villinger] Weiser Salomo steht darin), damit Sie sich doch über den Kalender orientiren können. Nun bitte ich tausendmal für diesen flüchtigen, trocknen Brief um Verzeihung, ich musste ihn so rasch schreiben. In innigster Verehrung küsst Ihre liebe Hand Ihre ergebne Theo. fol. 42 ab, 43 ab, 44 ab 1

1893 zogen 16 Vertreter der Antisemitischen Partei in den Reichstag. Die Widersacher sammelten sich teilweise im Verein zur Abwehr des Antisemitismus (18911933). Da Rickert selbst Reichtagsabgeordneter war, ist anzunehmen, daß es sich hier um diesen Verein handelt.

58/E

Wien 9. Jänner 96.

Meine theure liebe Theo! Innigsten herzlichsten Dank für all und alles. Verzeihen Sie mir nur daß ich ihn so spät ausspreche. Sie glauben aber nicht wie vieles in dieser letzten schweren Zeit an mich herangetreten ist, und sofort erledigt werden mußte. Ich habe auf Ihre Nachsicht gesündigt. Liebste Theo, erfüllen Sie mir eine Bitte: Seien Sie die gütige Vermittlerin meiner Entschuldigung bei Ihrem verehrten Herrn Schwager [Rickert]. Ich sollte seinen Brief selbst beantworten, ich weiß es; entschuldigen Sie mich alte, schreibmüde Frau bei ihm, daß es nicht schon längst geschehen ist. In diesem Jahr ist es mir wohl unmöglich einen Beitrag für den Kameraden zu liefern; wenn ich aber im nächsten Jahr noch lebe und imstande bin etwas Lesbares zu schreiben, werde ich mich gewiß mit einer kleinen Arbeit einfinden.

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

70

- Theo Schücking

Für Ihre mir so freundschaftlich ausgesprochene Theilnahme an meinem großen, schweren Verluste,1 danke ich Ihnen von ganzer Seele, meine theure Theo. Ja, es kam sehr unerwartet, und noch kann ich mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß ich meine liebe Schwester [Friederike] nie wieder sehen soll. Seien Sie tausend und tausendmal gegrüßt. Ich erlaube mir, Ihnen, freilich etwas spät, einen Kalender zu schicken, nehmen Sie ihn in Gnaden auf. Er ist ein Product des Hauses, das Sie nie betreten haben, ohne mit offenen Armen empfangen zu werden. Ihr liebes, mir zugedachtes Geschenk ist mir in diesem Jahre nicht zugekommen. Irgend ein Postbeamter muss es gar zu sehr nach seinem Geschmack gefunden und für sich behalten haben. Moriz empfiehlt sich Ihnen bestens, es geht ihm recht gut, mit Ida [Fleischl] bin ich aber nicht sehr zufrieden. Sie leidet an den Augen und ist sehr müde und abgespannt. Nochmals: Allerinnigste Grüße von Ihrer getreuen alten Marie. 1

Tod der einzigen echten Schwester der Dichterin - Friederike, genannt Fritzi, am 29. 12. 1895.

59/S

11. Januar 96 Abends.

Innigst verehrte, theuerste Baronin! Und wieder einmal habe ich Ihnen für eine Herzensfreude zu danken! Dank und tausendmal Dank für Ihren theuren gütigen Brief, für den r e i z e n d e n Merkkalender aus Ihrer Hand!! Vor einer Stunde erhielt ich sie, ach, Baronin, wie freue ich mich meiner beiden Schätze! In den Kalender habe ich mir für den I l t e n gleich eingemerkt, W O H e r er gekommen - nur G u t e s soll da hineingeschrieben werden, ob der liebe Kopf wohl einen Leib und Füsse erhalten wird? Frage an das Schicksal. - Aber wenn es nur Ihnen und denen, die Ihnen nahe stehen, leidlich ginge, was liegt dann an dem Andern? Und das thut es ja jetzt nicht, Sie leiden unter einem schwersten Verluste1 und sorgen sich um die liebe, verehrte Frau Ida [Fleischl]! Wenn Sie aber schreiben, Baronin, „wenn ich aber im nächsten Jahre noch lebe" - sehen Sie, das darf ich mir gar nicht realisiren, darüber muss ich fortlesen, wie wenn gar nichts da stünde - I h r e m Verluste wäre ich nicht gewachsen, Gott gebe, dass ich das nicht zu erleben brauche - die Welt wäre mir fortan dunkel und ohne Stern - Jetzt möchte ich am liebsten

60/E - April 1896

71

losweinen, Baronin, und doch wollte ich Ihnen einen heiteren Brief schreiben und Ihnen etwas Heiteres einlegen. Vielleicht aber kennen Sie das Feuill. schon - so wunderhübsch finde ich das, was Vater Dumas sagt, damit ist er und sein Leben in ein paar Strichen gezeichnet. Meinem Schwager [Rickert] werde ich Ihre Botschaft morgen mittheilen, für ihn wird sie Trauer bedeuten - aber seitdem er von Ihrem Verluste weiss, hoffte er nur wenig mehr. Jedenfalls wird er mir auftragen, Ihnen für die überaus gütige Aufnahme seiner Bitte allerwärmsten Dank zu sagen! Der „Vetternzwist im Hause Hohenzollern" ist hier noch immer Gesprächsgegenstand. Die Einen sagen, der Kaiser w o l l t e nicht, dass seine Schwägerin, Prinzess Friedrich Leopold allein d.h. ohne Cavalier Schlittschuh liefe; nachdem sie ins Wasser gerfallen war, machte er ihr und ihrem Gemahl Vorwürfe, letzterer P. S. Ich darf wohl in einiger Zeit wieder einmal schreiben Fragment, fol. 45 a b, 112 a b 1

Tod der Schwester Friederike, vgl. 58/E.

60/E

/Wien, I. Rothenthurmstr. 27] 16' April 96

Meine theure Theo! Haben Sie Dank, daß Sie das kleine Erinnerungszeichen Ihrer treuen alten Freundin so lieb und gütig aufgenommen haben. Dank auch, innigsten Dank für Ihre Mitteilung daß Brand1 in der New-Yorker Staatszeitung erscheint. Es freut mich unter allen Umständen, wenn ich auch nichts dafür bekomme. Meinen Herren Paetel habe ich die Sache aber doch angezeigt; ich habe mir die Freiheit genommen Ihren Brief an sie zu schicken, damit sie sehen, daß ich nicht flunkere Liebe, liebste Theo, grüßen Sie mir unser verehrtes hofrätliches Ehepaar [Ebner], auf das Herzlichste. Die Photographien aus Weimar habe ich erhalten und danke tausend-tausendmal dafür. Moriz empfiehlt sich Ihnen auf das Beste. Ida [Fleischl] bringe ich Ihre Grüße, meine theure Theo. Sie hat jetzt ihre Londoner Kinder hier, Paul und seine Frau und seine kleine Schwägerin und seinen prächtigen fünfjährigen Jungen.

72

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Wann werden wir einander endlich wiedersehen, liebe Theo? Es sehnt sich oft danach Ihre allezeit getreue alte Marie 1

Rittmeister Brand. Bertram Vogelweid, Zwei Erzählungen 1896. - Die Mitteilung, „daß Brand in der New-Yorker Staatszeitung erscheint", stammt aus einem Brief von Theos Tante Kathinka Sustro-Schücking, in Amerika lebend.

61 /S

Charlfottenburg], 7. Juli 96.

Innigst verehrte Baronin, nehmen Sie die Einlage gütig auf! Dass ich kein Talent zur Kritik habe, weiss ich jetzt - welch eine Kluft zwischen Wollen und Können, als ich diese Besprechung schrieb.1 Einen Passus hat mir mein Schwager [Rickert], dem die Danz[iger] Ztg. gehört, ganz gestrichen und gerade um den ist es mir leid es war doch wenigstens etwas Schwung darin aber er sagte, das sei Unsinn - Nun fehlt dort, wo ich den Strich machte, ganz der Uebergang. Ich schreibe Ihnen heute aus einer so ordinairen Eile und Hast heraus, wie man gar nicht an Sie schreiben sollte, Baronin! In den nächsten Tagen will ich abreisen, über Halle und München nach Vahrn zu Amalie [Hager], ich habe noch viel zu besorgen und die grossen Entfernungen hier machen Alles gleich so complizirt. Von Vahrn aus darf ich Ihnen wohl einmal schreiben - darauf freue ich mich. Mit schönsten Empfehlungen an Frau Ida [Fleischl] Ihre Ihnen ganz ergebene Theo. Beilage

19. Juni.

„Zu unserm grossen Leidwesen müssen wir Ihnen die uns freundlichst zur Verfügung gestellte Besprechung des neuesten Bandes der Ebner-Eschenbach zurücksenden, da wir bereits ein Referat darüber aus der Feder des Herrn Fritz Mauthner besitzen, der kontraktlich verpflichtet ist, litterarische Besprechungen dieser Art für uns zu liefern. Mit dem Ausdruck" etc. Die Redaktion des Berliner Tageblatts. (bis jetzt noch nicht im Tageblatt erschienen). fol. 46 a b, 48. Beilage 47 a b 1

Theo Schücking: Ein neues Buch von Marie v. Ebner-Eschenbach. S. 267f.

Abgedruckt unten

63/S - Juli 1896

62/E

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/St. Gilgen A - Ab er see/ 11. Juli 96.

Meine geliebte Theo! Es ist zu viel, aber es ist w u n d e r s c h ö n ! Ihr ganzes großes, liebreiches Herz spricht sich darin aus. Wie kann ein Schriftsteller genug danken für eine solche Besprechung? 1 Wie viel giebt's denen eine solche zutheil wird? Alles mit dem Künstlerauge gesehen, das sich dem Verständniß des Besten öffnet, das der Schaffende in sein Werk legen wollte. W o l l t e , nicht gelegt hat für Alle, sondern nur für die wenigen die liebreich mit ihm gehen, seine Mängel ergänzen, und, wo er sie in die Irre führen könnte, von selbst den richtigen Weg treffen und an das Ziel gelangen, an das zu kommen er wohl beabsichtigte, vielleicht aber doch nicht deutlich genug hingewiesen hat. Liebe, liebe Theo, ich kann nur sagen: Dank aus vollster Seele! Ida [Fleischl] wird heute eine Anzahl Exemplare der Zeitung Ihres Herrn Schwagers [Rickert] mit Ihrer schönen Recension bestellen. Alle Menschen, die mir wohlwollen, müssen sie lesen und sich mit mir freuen. Ida wollte an das liebe Fräulein Hager schreiben und ihr für ihren Brief herzlichst danken. Wir haben aber Besuch, und so ist sie nicht dazu gekommen, schreibt {} - wenn irgend möglich - morgen. Sie schickt einstweilen durch mich die allerinnigsten Herzensgrüße an Sie Beide. Ida ist in diesem Jahre, zu meiner unbeschreiblichen Freude, ziemlich wohl. Ich hoffe daß Sie und das theure, verehrte Fräulein, gute, angenehme Ruhetage in Vahrn verleben. Wir genossen bis jetzt ungetrübten Frieden, Wohlthat ohnegleichen. Die Sommergäste kommen und er geht. Innigst, meine liebe, liebe Theo, und mit nochmaligem Danke Ihre treue alte Marie 1

Vgl. 61/S.

63/S

Vahrn in Südtirol, 18. Juli 96.

Ich kann Ihnen wirklich nicht aussprechen, gütigste Baronin, wie tief mich Ihr Brief beschämt - das Wort „Dank" von Ihnen zu mir,1 nein, Baronin, das g i e b t es nicht - Aber ich habe Ihnen wieder einmal auf das Innigste zu danken für Ihre viel, viel zu gütigen Zeilen — Vorgestern Abend kam ich hier an und fand Amalie [Hager] zum Glück wohl und frisch. Vahrn ist schön und anheimelnd wie immer

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

und ich bin seelenfroh, die weite Fahrt überstanden zu haben. Natürlich las ich gleich gestern Ihr wunderbares Am Ende2 - tausend, tausend Dank Baronin!... Hofrath von Ebner war soeben bei uns, sie sind seit Montag auf ihrer Höhe angelangt und ich werde allernächstem heraufklettern, um auch Adele zu begrüssen. Wie von ganzem Herzen bedaure ich, dass nun der Chor der Gäste in St. Gilgen heranmarschirt und Ihren Frieden und Ihre freie Zeitbestimmung in die Flucht schlägt. In München erfuhr ich von Frau Mathilde Muhr, das Vossens auf der Mendel sind - es geht ihm nicht gut, er kann nicht arbeiten und was das Tragischste ist, er hat keinen Glauben mehr an seine schöpferische Kraft - nächstens soll von ihm ein Roman erscheinen, dessen letzter Band aber noch nicht geschrieben ist — Amalie dankt vielmals für Ihre und Frau Ida's [Fleischl] Grüsse und erwiedert sie auf das allerangelegentlichste und freut sich auf Frau Ida's Brief. Ich möchte ebenso Frau v. Fleischl vielmals empfohlen werden und küsse innigst und dankbarst, Ihre liebe Hand, Baronin! Dies ist kein Brief, den darf ich wohl einmal nachsenden - die starke Luftveränderung macht mir den Kopf ganz dumpf und betäubt und die Gedanken schwer. In wärmster, unwandelbarer Ihre Theo. fol. 49 ab, 1 2

50

ab

Bezieht sich auf die Besprechung 61/S und 6 2 / E Marie v. Ebner-Eschenbach: Am Ende. Scene in einem Aufzug. Verlag der TheaterBuchhandlung E. Bloch [1897] (= Eduard Blochs Theater-Gartenlaube Nr. 165)

64/S

Vahrn, 26. Aug. [1896]

Innigst, verehrte Baronin! Soeben erhalte ich einen Brief von Ludwig Jacobowski, dem jungen Schriftsteller, von dem ich Ihnen in meinem letzten Schreiben erzählte. Er theilt mir mit, dass ihm von einer neuen grossen Frauen-Ztg. übertragen wurde, die literarischen Essays darin zu redigiren. „Und nun komme ich mit einer Bitte zu Ihnen. Schreiben Sie mir für das Blatt eine Skizze: Marie von Ebner-Eschenbach zu Hause, etwa in der Länge wie zwei Spalten von Zur guten Stunde.ctl

64/S - August

[1896]

75

Natürlich komme ich Dr. Jaco.'s Bitte sehr gern nach - falls Sie, Baronin, damit einverstanden sind, das s ich es tue! Wenn nicht, brauche ich wohl nicht erst zu sagen, dass mich Ihr Nein ganz gewiss nicht kränken oder verletzen würde - das kann ein Wort aus I h r e m Munde überhaupt nicht! Für den Fall aber, dass Sie Ja sagten, möchte ich Sie um die Gnade bitten, mir - natürlich d i c t i r t ! - zu sagen, ob meine Erinnerung richtig ist: dass in Ihrem Salon schöne alte Familienbilder hängen, in Ihrem Arbeitszimmer ein Portrait der jungen Grfn. Kinsky? Und was für Bilder sind sonst noch in Ihrem Arbeitszimmer? Ich denke sicher nicht daran, Ihre Wohnungseinrichtung anzuführen, aber ich möchte wissen, um es e v e n t u e l l ein/7echten zu können - wessen Züge Sie von Ihren Wänden herab grüssen, Baronin. Und sehr dankbar auch würde ich Ihnen für eine Notiz über Ihre Uhrensammlung sein, wann Sie sie angefangen haben - und dann auch etwas G e n a u e s über eins oder das andre der Unica, die darin sind. Werden Sie mir auch noch verrathen, Baronin, wie lange Sie nun schon in Ihrem Hause wohnen - dass der Baron darin geboren ist, weiss ich. Verzeihen Sie dies Attentat! Das sich noch dazu so im négligé präsentirt - aber ich muss so rasch und flüchtig schreiben, um den Brief noch zur rechten Zeit fortzubekommen. Amalie [Hager] geht es wieder ganz gut - vor 3 Wochen war sie ein paar Tage recht krank an einem Darmkatarh. Nachdem sie sich erholt, bekam ich elende Ohren- und Zahnschmerzen, habe jetzt aber auch diese Misere vorläufig wieder einmal hinter mir. Heute Nachmittag wollen wir zu Adele Ebner herauf, sie war eine Zeitlang wieder recht nervös, bewegt sich aber auch jetzt in aufsteigender Linie und ist vergnügt. Die Damen Wendt und Jungius sind vor 2 Wochen abgereist. Und nun ist Hermine [Villinger] bei Ihnen!! Ich gönne ihr ihr Glück von ganzem Herzen - dass ich oft denke, ich möchte, wenn auch nur für kurze Zeit daran theilnehmen dürfen, ist gewiss kein gemeiner Neid. Seit wie lange ich schon an Hermine Briefe schreibe, die sie nie erhält - weiss kaum ich noch. 1000 Herzensdank für ihren lieben guten Sammelbrief hierher! Er machte uns Alle sehr froh! Amalie trägt mir tausend schönste Grüsse für Frau Ida [Fleischl] und ebensolche Empfehlungen für Sie, Baronin, auf. Ich möchte in Frau Ida's gütigen Sinn gebracht werden und küsse Ihre liebe Hand als Ihre dankbarst ergebene Theo.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

foL 143 a b, 144 a b, 145 a b, 146 a b, 147 a

Datierung: Und nun ist Hermine bei Ihnen! vgl. E/Tb ist angekommen. 1

22. 8. 1896: Hermine

Offensichtlich nicht zustande gekommen. - Theo Schückings Essay Marie von Ebner-Eschenbachs Heimat erschienen erst 1902.

65/S

Vahrn, 11. Sept. 96

Innigst verehrte Baronin! Wieder steht mein geliebter dreizehnter September vor der Thür 1 und wieder begegne ich ihm mit einer Fülle von Wünschen! Als ersten spreche ich den aus, dass der Tag selbst so klar und heiter und sonnbeglänzt für Sie s e i n möchte, wie er uns Allen, die wir Sie lieben, erscheint! Innigen Dank sage ich Ihnen für Ihre lieben, g ü t i g e n Zeilen! Ich hoffe so sehr, Baronin, dass das Jahr 97 mir meinen Herzenswunsch erfüllt. Sie können gar nicht wissen, was mir der Ausblick auf dies Wiedersehen mit Ihnen bedeutet! Herminens [Villinger] glücklicher Brief hat mich so froh gemacht. Und zu gleicher Zeit erhielt ich einen eben so glücklichen von den Damen Wendt und Jungius. 2 Sie dürfen sich sagen, Baronin, dass Sie diesen beiden reinen, edlen Frauen einen der glücklichsten Tage ihres Lebens geschenkt haben. Vossens sind noch immer hier, bleiben bis zum 20sten. Sein Stück ist fertig bis auf einige letzte Scenen. Wieviel möchte ich Ihnen von diesen beiden Menschen erzählen - schreiben lässt's sichs nicht - sie geben ihren Freunden immer wieder zu denken und - zu sorgen! Adele Ebner, die viel mit ihnen ist, merkt in glücklichster Harmlosigkeit n i c h t s von diesen Tiefen Ach, Baronin, wir waren neulich unglücklich, dass Adele Sie zu einem Briefe veranlasst hat - wir hatten gar nicht mit ihr über das Unwetter am Wolfgangsee nur gesprochen! Dann sagte sie uns eines Tages, sie hätte Sie, Baronin, a u c h in u n s e r m A u f t r a g um Nachricht über Ihr Ergehen gebeten! Amalie [Hager] und ich waren Beide sprachlos darüber. Es überrascht immer wieder von Neuem, wie wenig Thatsachensinn Adele hat. Uns geht es gut - am Sonntag hatte ich einen argen Schrecken weil Amalie Abends starken Frost mit nachfolgendem Fieber hatte, und dazu böse Gliederschmerzen bekam. Am Dienstag aber war schon eine entschiedene Besserung da, und der Arzt sagte, es würde in ein

66/E - September

1896

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paar Tagen wieder gut sein. Seit gestern ist Amalie wieder auf den Füssen und morgen kann sie ausgehen! Ich bin so froh! — Vossens haben uns ein Buch geliehen, das sehr interessant ist. Es ist in Deutschland verboten. Der deutsche Kaiser und die Hofkamarilla. Von Friedmann, dem Vertheidiger im Fall Kotze. Vorher las ich Amalien ein anderes merkwürdiges Buch vor: Neue Erde von Knut Hamsun. Voss, der es nach uns las, ist ganz voll davon. Noch einmal viele, viele Wünsche, Baronin, die sich alle erfüllen möchten!! Amalie schliesst sich ihnen an - und wir beide empfehlen uns Frau Ida, Dr. Otto u. seiner jungen Frau [Fleischl] allerschönstens. In wärmster Liebe und Verehrung küsst Ihre liebe Hand Ihre Ihnen immerdar ergebene Theo. fol. 51 a b, 53 a b, 52 a b (in dieser Reihenfolge) 1 2

Ebner-Geburtstag am 13. September. Wahrscheinlich der Besuch der beiden Damen bei der Ebner. E / T b 26. Juli 1896: „Hermine schreibt daß die Damen Wendt und Jungius vom 5. bis 13. in Ischl sind u. mich besuchen wollen".

66/E

[St. Gilgen A- Abersee; 16' Sept: 96

Meine geliebte Theo! Ich hab's wunderhübsch gefunden, war erfreut und gerührt und bin es heute noch, und werde es sein so oft ich das herzige und herzliche Telegramm wiederlese. Bitte innigst sagen sie das Richard Voss, und auch daß ich sehr stolz bin von ihm besungen worden zu sein. Liebe liebste Theo, mir scheint, es wäre Ihnen recht, wenn alle Leute mich so verwöhnen würden, wie Sie es thun. Du lieber Gott, wohin käme ich? Nicht mehr auszuhalten wär's mit mir. Ihr lieber Brief vom 11', theure Theo, das ist auch einer für den man nie und nie genug danken kann. Es würde mich unsagbar freuen wenn Sie im Laufe des Winters nach Wien kommen wollten, und eine Anzahl Stunden, je mehr je besser, bei Ihren alten Freunden in der Rotenturmstraße zubrächten, jede von ihnen wäre eine gute und schöne für uns. Nur nicht gar zu kurz bleiben, wie z.B. die edlen und liebenswürdigen Damen Wenth und Jungius, die mir gar lange Zähne nach ihrer Gesellschaft gemacht haben, (u.) denen ich nichts und nichts erweisen konnte! nicht einmal eine Tasse Thee haben sie angenommen.

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A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Esckenbach - Theo Schücking

Otto und Mina [Fleischl] mußten uns schon am 12c verlassen. Ihre Wohnung in Rom ist ihnen gekündigt worden, sie suchen nun über Hals u. Kopf eine neue. Die guten Kinder haben sich recht schwer von Ida getrennt, die in diesem Jahre nicht zu ihnen kommen kann, eben wegen der Wohnungs-Calamität. Wahrscheinlich bleiben wir noch bis Ende d. Ms hier, dann bezieht Ida ihr Winterquartier und ich fahre nach unserem kühlen Mährerlande und bleibe dort bis zum neuen Jahre. Moriz kehrt ungern nach der Stadt zurück, so wollen wir denn erst kommen wenn uns die Kälte in die gut verwahrte Wiener Wohnung jagt. Von Ida meine theure liebe Theo, habe ich Ihnen (und Fräulein Hager, u. Hofrats, u. dem Ehepaar Voss) (auch sie finden das Telegramm allerliebst.) alles erdenkliche Beste zu bestellen. Sie hat leider wenig kopfschmerzfreie Tage. Sie werden sie sehr gealtert finden beim Wiedersehen. Mit diesem Worte das für Ihre Getreuen in Wien eine so schöne Hoffnung einschließt nehm' ich Abschied theure Theo. Möge unser verehrtes Fräulein Hager wieder ganz wohlauf sein, möge es allen Lieben in Vahrn gut gehen. Keine

67/E

Unterschrift

/Schloss Zdislavic, Post Zdounek, Mähreii/ 12. Dec. 96.

Meine theuerste Theo! Ich wäre ja glücklich wenn ich Ihrem hochverehrten Herrn Schwager [Rickert] einen Beitrag für seinen Kalender darbringen könnte, aber ich habe und habe nichts. Mein Kopf ist oft wüst und müd' zum erbarmen. Entschuldigen Sie mich, so gut Sie können, ich bitte Sie, theure, liebste Theo. Sagen Sie dem hochverehrten und hochherzigen Anwalt der Frauen, daß ich, weiß Gott, nicht mit leeren Händen käme, wenn ich ihm etwas auch nur halbwegs würdiges für sein Unternehmen anbieten könnte. Kommen Sie nach Wien, meine liebste Theo, wann es Ihnen passt; wenn Sie nur kommen, wenn wir nur einmal wieder die große Freude haben, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Gutes Kind, wie viel wird es zu besprechen geben! wie vieles werd' ich zu fragen haben, wie vieles müssen Sie mir erzählen. Ganz genau will ich wissen, womit Sie sich beschäftigen, mit wem Sie umgehen, wie Sie leben, und ich wieder will Ihnen mein Herz ausschütten, über alles was mich freut und kränkt.

68/E - Januar

1897

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Möge es Ihnen gut gehen, meine theuerste Theo. Ich sende Ihnen jetzt schon meine wärmsten Glück- und Segenswünsche zum neuen Jahre. Ubermorgen fahre ich von hier nach Löschna (bei Krasna in Mähren) zu meinen Kindern Kinsky, und bringe Weihnachten mit ihnen zu und den Todestag meiner geliebten Schwester. (29. Dec.) Moriz und Frau Krautschneider gehen in diesem Jahre voraus nach Wien und werden mich dort erwarten. Haben Sie einen Blick in Frühlingszeit1 dem von Bar[onin] Suttner herausgegebenen Sammelwerk gethan? Ein paar hübsche Sachen und viele so schrecklich schwache. Haben wir so wenig Talente, oder geben die Talente nur ihre schwächsten Sachen in ein Sammelwerk? Das Entengedicht von Frau von Preuschen ist stupid, unter uns gesagt. Tausend tausend allerinnigste allerherzlichste Grüße von Ihrer treuen alten Marie Moriz empfiehlt sich Ihnen angelegentlichst; es geht ihm Gottlob gut. 1

Frühlingszeit. Eine Lenzes- und Lebensgabe, unseren erwachsenen Töchtern zur Unterhaltung und Belehrung gewidmet von den deutschen Dichterinnen der Gegenwart. Hg. von Bertha von Suttner. Berlin 1896.

68/E

Wien 31 Januar 1897

Meine liebe theuere Theo! Sie haben mir einen so wunderschönen Kalender geschenkt und ich undankbares Geschöpf habe Ihnen bis zur Stunde noch nicht gesagt wie innig und herzlich Ihre liebe Erinnerung mich erfreute. Verzeihen Sie es mir alten, vielfach in Anspruch genommenen Person. Es ist zwar gar nicht notwendig daß die Erinnerung an Sie mir aufgefrischt werde, aber ich hab's doch gern alle Tage am Morgen beim abreißen des „Tagblättchens" mir sagen zu können: den schönen Kalender verdanke ich meiner theueren Theo. Natürlich erfahren Sie bei Zeiten wann ich nach Gilgen abzureisen gedenke. Wenn Moriz so wohl bleibt wie er jetzt ist und nichts mich hier festhält, werde ich Ende Mai von hier absegeln. Es wäre also wunderschön wenn Sie etwa anfangs Mai hieher kämen. Sie theilen sich das natürlich ein wie es Ihnen am besten paßt. Daß ich mich innig und von ganzem Herzen freue Sie wieder zu sehen, versteht sich so

80

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

ungeheuer von selbst daß ich wirklich keine Worte darüber machen darf. Morgen wird im Schriftstellerinen Verein eine kleine Droste Feier abgehalten.1 Fräulein Bleibtreu vom Burgtheater liest einige Gedichte von A[nnette] v. D[roste] und dann drei kleine Novellen, zuerst der Beste von unserer Hermine [Villinger]. Steht auch im Suttnerischen Buche.2 Ich weiß nicht ob Hermine mit der Wahl sehr einverstanden wäre. Es ist ihr ja gar nicht eingefallen eine ihrer besten Sachen in diese Sammlung zu geben. Leben Sie wohl, meine geliebte theuere Theo, Moriz empfiehlt sich Ihnen verehrungsvoll (In treuester Freundschaft, meine liebe liebe Theo Ihre alte Marie) Von fremder Hand, Eigene Hs.: In treuester [...] Marie 1 2

Droste Feier anläßlich des 100. Geburtstages der Dichterin (10. 1. 1797). Hermine Villinger: Der Beste. In: Frühlingszeit, vgl. 6 7 / E Anm. 1.

69/E

/Wien, I. Rothenthurmstr. 27] 2C April 97.

Glauben Sie von mir was Sie wollen, nur nicht daß ich theilnahmslos bin, meine liebe, geliebte Theo! Sehen Sie, zu dictiren könnt ich mich nicht entschließen, und das Schreiben geht schwer. Liebes theures Kind, wir werden einander bald sehen, nicht wahr? Ich sehne mich danach, besonders jetzt, nachdem Sie einen so großen Schmerz erlitten haben.1 Sprechen Sie, ich bitte, Ihrer verehrten Frau Schwester mein tiefstes innigstes Mitgefühl aus. In treuer Freundschaft meine liebe theure Theo, Ihre, wenn auch schweigsame, doch unwandelbar ergebene alte Marie 1

Tod der Nichte Theos, der Tochter Gerhardinens aus erster Ehe - Levine (Schuch) im März 1897.

70/S - April [1897]

70/S

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Charlottenburg 25. April [1897]

Innigst verehrte Baronin! Tausend Herzensdank für Ihre gütigen Worte! Dass Sie sagen, Sie bedauern mein Nichtkommen ist viel, viel zu gut von Ihnen Es geht mir, glaube ich, schon viel besser als da ich Ihnen zuletzt schrieb. Wenn nur erst einmal mehr äussere Ruhe in mein Leben käme, würde auch die innere wiederkehren. Welch eine Wohlthat sollte mir es sein, könnte ich Ihnen einmal von dem Schweren dieses Winters sprechen - aber brieflich geht's nicht und hoffentlich liegt es ja auch jetzt hinter mir Das kleine arme Wurm sehe ich oft, es scheint zu gedeihen. Ich brauche nur ein paar Häuser weit zu gehen, um nach ihm zu schauen. Vorläufig soll der kleine Gerhard1 noch bei meiner Schwester [Gerhardine] bleiben. Ja, wenn man für Eins der Kinder etwas thun könnte! Wie herrlich, dass das Gemeindekind von Neuem erscheint! In f ü n f t e r Auflage! Wie glücklich Sie mich damit machen würden, Baronin, kann ich gar nicht sagen. Ich danke es Ihnen schon jetzt tausendmal, dass Sie es mir schenken wollen! Von ganzem Herzen hoffe ich, dass Frau Ida [Fleischl] sich jetzt endlich wieder erholt hat! 3 te Mai. Dieser Brief ist eine ganze Woche gelegen. Sie war sehr angsterfüllt Gott sei Dank geht es nun besser! Frl. v. Meysenbug in Rom war seit dem Februar schwer krank - ich erfuhr es erst vor acht Tagen durch ihre Pflegetochter Olga Monod. Gestern kam nun ein zweiter Brief, der meldet, dass es ihr viel besser geht, und heute erwähnt das auch Voss in einem Briefe. Ich kenne Malwida Meysenbug seit meinem 14 ten Jahre und habe ungezählte schöne Stunden römischer Tage in ihrer Nähe verlebt - so war es eine wahre Sorgenwoche, diese letzte, in der ich täglich und stündlich auf Nachricht von ihrem Ergehen wartete. Noch jetzt ist es eine zitternde Freude, denn sie ist 80 Jahre alt und herzleidend. Vossens geht es, wie er schreibt, gut - er arbeitet, reitet, radelt, träumt und schwelgt in seiner „fanatisch geliebten Villa Falsonieri" Sein Unter den Borgia2 ist aber famos - er packt diese wundervolle, grauenhafte Zeit mit einer geradezu genialen Kraft beim Schopf. Ach, soeben fällt es mir schwer auf's Herz - Amalie [Hager] schrieb mir vorgestern, ich würde es ja wohl schon erfahren haben, dass es des Baron's [Moriz] Augen weniger gut ginge - das hat mich

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

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- Theo

Schücking

sehr traurig gemacht, wenn es doch nur eine v o r ü b e r g e h e n d e Verschlimmerung wäre - ! Verzeihen Sie diesen wirren Brief, geliebte, innigst verehrte Baronin! Er ist wie mein armer Schädel, in dem es auch wirr und wüst aussieht. In unauslöschlicher Liebe und Verehrung Ihre Theo. Die Damen Wendt und Jungius hoffe ich am Samstag zu sehen, sie waren über drei Wochen in Wiesbaden zu einer Kur gegen Frl. Wendt's Rheumatismus. fol. 139 a b, 140 a b, 141 a b, 142 a b Datierung: Levinens Tod im März 1897, vgl. 69/E 28. 10. 1816 geboren, jetzt 80 Jahre alt. - „Gemeindekind", 1

2

-

M.v.Meysenbug 5. Aufl. 1897

Der kleine Gerhard ist Gerhard Berger jun., der erste Sohn Levinens. Der zweite wird nicht namentlich genannt. Siehe auch Register: Schuch. Richard Voss: Unter den Borgia. Eine Erzählung aus dem römischen Mittelalter. Berlin 1897.

71/S

[Herbst 1 8 9 7 ]

Jahre 70 nicht gesehen habe! Ihre Pflegemutter, Malwida Meysenbug, war im Frühjahr sehr krank - nun hat sie sich trotz ihrer 80 Jahre wunderbar erholt. Mit Malwida waren wir in Rom immer sehr viel zusammen - 87 habe ich sie noch einmal in Ems begrüsst - Vor R o m fürchte ich mich mehr, als dass ich mich darauf freue, der Erinnerungen an glücklichste Zeiten wegen - aber auf Malwida und Olga [Monod] und nun auch - Frau Ida [Fleischl]! freue ich mich so aus allertiefsten Herzen heraus. Und dann im Frühjahr Wien - d.h. Sie Baronin!! Mir kommt das noch Alles wie ein Traum vor - viel zu schön um sich zu realisiren Die Wohnungsfrage liegt so: ich bin bis zum 1. A p r i l an sie gebunden, kann nicht eher heraus. Durch meine Romreise komme ich jetzt um so viel später (Ende November oder Anfang December) nach Berlin zurück, muss dann erst einmal eine Zeitlang fest da sitzen bleiben. Meine arme Schwester [Gerhardine] würde mein Fortsein gerade in diesem ersten Winter nach Levinens Tod als Leere empfinden. Und ich muss auch arbeiten, um nicht zur Bummlerin zu werden Was mich bei alledem quält, ist das Gefühl, mein Wiener Besuch im F r ü h j a h r käme Ihnen dann nicht so ganz gelegen! Ich müsste

72/E - Januar 1898

83

mich mit dem Umziehen so beeilen, wie nur möglich, damit ich Ihnen nicht in Ihre letzte Zeit vor der Abreise hineinfalle, Baronin - etwa Mitte April Innige Empfehlungen an Frau Ida - beste, bitte, auch an Dr. O t t o [Fleischl] Seien Sie, theure, hochverehrte Baronin, in wärmster Dankbarkeit gegrüsst von Ihrer getreuergebenen Theo. Am 2. October begleite ich Amal[ie Hager] nach Gries b. Bozen, wo sie bis zum 10 ten bleiben will - wir haben dort einen guten alten Freund zu besuchen. Am 20 sten oder 21 sten werde ich dann wohl von dort nach Florenz abreisen Amalie trägt mir wärmste, ergebenste Grüsse an Sie, Baronin, auf. Fragment, fol. 188 a b, 189 a b, 190 b Datierung:

in diesem ersten Winter nach Levinens Tod -

Levine

im

März

1897 gestorben, vgl. 69/E - Malwida v. Meysenbug im Frühjahr krank, vgl. 70/S

72/E

Wien 15. Jänner 98.

Meine liebe theure Theo! Ihr schöner Kalender ist mir wieder zugeflogen, und nun kam auch Ihr guter guter Brief. Meine liebste Theo, eigentlich hatte ich gehofft, daß Sie Ihren Weg über Wien nehmen würden. Es sieht zwar jetzt sehr traurig bei uns aus. Moriz macht mir Sorgen, wenn auch von einer momentanen Gefahr, wie Dr. Breuer versichert, keine Rede ist. Er schläft viel bei Tag und wenig bei Nacht, nimmt fast nur flüssige Nahrung zu sich, und sieht an manchen Tagen recht elend aus. Es wäre ein Wunder wenn er sich nur so weit erholen könnte, daß er {nur} wieder zu einer ganz kleinen Lebensfreude käme. Ich überlese dieses Dictat und erschrecke über seine Miserabilität. Bitte, haben Sie Nachsicht, ich bin namenlos dumm und confus. Wenn so Wochen und Wochen vergehen, in denen man es eigentlich nicht zu einer ruhigen Stunde bringt, in denen man nicht bei einer Beschäftigung bleiben kann ohne mit seinen Gedanken weit weg von ihr zu sein, leistet man endlich Briefe wie diesen da. Arme Theo, ich kann mir denken daß Ihre Rückkehr nach Berlin etwas schreckliches gewesen sein muß. Sie haben ja des traurigen über und über genug.

84

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Für den lieben Kalender habe ich Ihnen noch gar nicht gedankt; ich thu es jetzt tausend- und tausendmal, werde nie ein Blättchen abreißen ohne Ihrer in Treuen zu gedenken. Ida [Fleischl] ist bis jetzt, Gott sei Dank, ziemlich wohl, ich werde ihr heute noch Ihre Grüße bestellen. (Liebste Theo, wann werden wir einander endlich wiedersehen? Es sehnt sich danach Ihnen einmal wieder die Hand zu drücken) (Ihre alte sehr dankbare, sehr getreue Freundin Marie E.) Von fremder Hand. Eigene Hs.: Liebste [...] drücken und Ihre [...] Marie E.

73/S

Charlottenburg 31. Jan. 98.

Innigst geliebte und verehrte Baronin! Tiefbewegt richte ich heute diese Zeilen an Sie - brauche ich es Ihnen zu sagen, Baronin, dass ich mit allen meinen Gedanken und Empfindungen bei Ihnen bin?! Wie viel, wie viel gäbe ich darum, dürfte ich jetzt nur einen Augenblick lang einen Kuss auf Ihre liebe Hand drükken Zugleich mit der Trauernachricht 1 kam eine Karte von Amalie [Hager] - sie verspricht mir darin, mir zu berichten, was sie von Frau Ida [Fleischl] erfährt - ach, ich sorge mich ja so darum, wie es Ihnen gehen mag, ob Ihre Gesundheit unter dieser unsagbar schweren letzten Zeit nicht sehr gelitten hat - Geliebte, theure Baronin, nicht wahr, jetzt schonen und pflegen Sie sich wieder und denken an sich selbst! Ich hoffe, Sie hören aus meiner Bitte das Flehen heraus! In wärmster Liebe und Verehrung Ihre Ihnen ganz und gar ergebene Theo. fol. 199 a b, 200 a b 1

Tod Moriz v. Ebner-Eschenbach am 28. 1. 1898. E/Tb an diesem Tag: „Um 3 Uhr nachmittags todt. Aufstehn! rief er plötzlich Fr. Sophie, Franz ich hoben ihn auf u. führten ihn zum Fauteuil in der Ecke, in den er sich setzte. Da begann sogleich ein furchtbares Röcheln - noch einmal versuchte er aufzustehen - die armen blinden Augen stierten grässlich: Ich drückte meine Hände darauf dann sank er zurück."

75/S - Juli [1898]

74/S

85

Berlin W., Nürnbergerstr. 7, 30. Juni 98

Innig geliebte und verehrte Baronin! Für wie stumpfsinnig müssen Sie mich gehalten haben, dass ich für Ihre gütige Karte und den noch viel gütigeren Brief bisher nicht einmal dankte - Mir war ja auch vor lauter unruhigem Leben oft ganz simpel zu Muth, es kamen allerlei Besuche von auswärts, denen ich mich widmen musste, zuweilen wusste ich nicht mehr, mit wem ich gerade sprach und das ist schon Geistesverwirrung Jetzt sind liebe Verwandte aus Philadelphia - die Stiefschwester meines Vaters 1 mit ihrem Manne - hier eingetroffen, bis vor Kurzem wusste ich nichts von ihrem Kommen. Nun muss ich mein Fortgehen bis zu ihrer Abreise verschieben, sie sind ja nur meinetwegen hergekommen, und wer weiss ob und wann wir uns wiedersehen. So wird es nun wohl bis zum 13 ten oder 14 ten Juli dauern, dass ich in St. Gilgen bin - vorher darf ich Ihnen den Tag noch einmal genau nennen, da mir scheint, dass „Überraschungen" störsam für den Landfrieden sind. Morgen ist der 1 ste - wenn ich mir vorstelle, dass ich Sie in 2 Wochen w i r k l i c h wiedersehen soll, wird mir ganz schwindlich vor Freude. Schönste Grüsse aus alter Verehrung heraus an Frau Ida [Fleischl] und aus alter Freundschaft an Dr. Otto [Fleischl]. Innig küsst Ihre liebe, geliebte Hand Ihre Theo. foL 102 a b, 103 a b 1

Tante Kathinka, das ist Maria Anna Katharina Schücking-Sutro.

75/S

Vahrn b. Brixen, Südtirol, 20. Juli [1898]

Innigst geliebte und verehrte Baronin! Die ersten Worte, die ich von hier aus - ausser der am ersten Abend in halber Dunkelheit zusammengeschriebenen Karte - auf's Papier bringe, sollen an Sie gerichtet und mit Ihrer Feder vollführt sein! Noch ist mein ganzes Sein und Denken ein einziger grosser grosser Dank an Sie! Es waren drei wunderschöne, glückliche, ganz aus dem gewöhnlichen Leben herausgehobene, unvergessliche Tage - Doch das wissen Sie, auch ohne dass ich's erst noch sage, Baronin! -

86

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Als ich in Salzburg ankam, stellte sich heraus, dass die Route, die man mir in München im Reisebureau aufschrieb, fälschlicherweise als in einem Tag abzumachen, zusammengestellt worden, ich nahm nun die andere und Dank einer Zugverspätung der Münchener, gewann ich in Rosenheim glücklich den Anschluss an die Brennerbahn, um Abends hier zu landen. Amalie [Hager] sieht wohl aus und klagt nur über die Einsamkeit der vergangenen Wochen - die erst vor einigen Tagen durch die Ankunft Dr. Jacobowski's unterbrochen worden ist - sein Temperament und seine Einfälle machen sie oft lachen, und darüber bin i c h dann wieder froh! Sie wird es nicht müde, sich von mir von St. Gilgen erzählen zu lassen und trägt mir tausend Grüsse und Empfehlungen an Sie und Frau Ida [Fleischl] auf! Adele Ebner ist auch eingetroffen, sie kam gestern Morgen herunter - in acht Tagen will sie aber wieder fort, um dem Hofrath entgegenzureisen und dann wahrscheinlich mit ihm zu Vossens zu gehen. Hier hat man seit Freitag auch endlich erklärt s c h ö n e s Wetter; heute ist's aber schon recht schwül. Ich denke so oft an Ihre Erzählung - jetzt sind Sie wohl beim Schlüsse1 - ach, sie wird gewiss wieder ganz herrlich werden. Es würde mich sehr traurig und sehr unglücklich machen, wenn ich an Ihren Entschluss, nichts Novellistisches mehr zu schreiben, glauben müsste - aber ich kann es nicht, kann mir diese Möglichkeit gar nicht ausdenken. Sie dürfen es auch nicht, Baronin, Sie d ü r f e n sich nicht zurückziehen Noch einmal lassen Sie mich Ihnen sagen, wie von ganzer Seele und wie fürs Leben ich Ihnen diese Tage in Ihrer Nähe danke! Aber es lässt sich nicht sagen - Ihre lieben Hände küsst Ihre alte Theo. die ganz stolz und hochmüthig geworden ist wegen ihrer schönen Feder - es schreibt sich ganz p r a c h t v o l l mit ihr!!! fol. 172 a b, 173 a b, 174 a b, 175 a Datierung: drei wunderschöne [...] Tage, vgl. 74/S: bis zum 13ten oder 14ten Juli dauern, dass ich in St. Gilgen bin. 76/S: die guten schönen Tage, die Sie [mir] schenkten, nach Vahrn adressiert. - Adele Ebner ist auch eingetroffen, vgl. 76/E: Grüße an Fr.v.Ebner. - Ihre Erzählung [...] wohl beim Schlüsse, vgl. 76/E: sobald ich [...] fertig bin. 1

Der Vorzugsschüler, vgl. 76/E.

77/5 - August [1898]

76/E

87

/Poststempel: St. Gilgen 24. 7. 987

Fräulein Theo Schücking Vahrn bei Brixen Südtirol. Vom Fusze des /Schafberg/es 22 1 Juli Innigste allerherzlichste Grüße. Dank für Ihre lieben Briefe, Dank für die guten schönen Tage die Sie [ ] schenkten, 1 theuer[ ] Theo. Ich muß noch fleißig [ ] sobald ich aber mit mein[ ] Arbeit 2 fertig bin schreibe ich se [ ] An Fräulein Hager, Fr. v. Ebner, wir bitten, alles erdenkliche Herzliche u. Beste. Ihre M. Postkarte mit färb. Abb., teilweise beschädigt: Textverlust 1

2

E/Tb 15. Juli 1898: „Mit Theo zu Billroth. Nachm. gegen Lueg. Wie gut der Umgang mit einem so feinen lieben hochgebildeten Wesen wie diese Theo." Der Vorzugsschüler. E/Tb 20. 7. 1897: „Sozusagen fertig mit dem Vorzugsschüler. D.H. aufgeschrieben ist er". Vgl. 79/E.

77/5

Traunstein in Bayern, d 20. Aug. [1898]

Hochverehrte, gütige Baronin! Es sieht Ihnen ganz ähnlich, mir durch die Aufforderung, Ihnen ein zweites Bildchen zu schicken, wieder eine Veranlassung zu geben, Ihnen zu schreiben. Freilich, so ganz können Sie es doch nicht wissen, Baronin, wie gern ich das thue! Innig danke ich Ihnen für Ihre Zeilen, die Alles, was mich nah berührt, enthielten - nur kein einziges Wörtchen über Ihr Befinden, über Ihr Herz und Ihren Schlaf!! Ich kann es mir so gut denken, wie schmerzlich es Ihnen war, jetzt nach Löschna zu kommen. Beim ersten Betreten seiner Wohnstätte nach seinem Tode kommt ja der ganze Gram um einen theuren Verstorbenen wieder, wie am ersten Tage über uns. - Theure Baronin, Ihr: Gut sein, ist Alles - hat mir einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Sie wissen nicht, wie ein Wort von Ihnen mir oft allein den Weg zeigt. Nicht nur im Grossen, auch im kleinen täglichen Leben wird mir der blosse Gedanke an Sie zu dem Enthusiasmus, ohne den auch das Geringste zu schwer scheint. -

88

A. Briefwechsel Marie v. Ehner-Eschenbach

- Theo Schiicking

Noch immer (unberufen) geht es Amalie [Hager] leidlichgut, was ja bei uns schon viel sagen will! Unser guter Dr. Seidler hat uns leider schon wieder verlassen. Wir lasen mit ihm ein höchst interessantes Buch: Goethe's Wilhelm Meister in seinen socialistischen Elementen entwickelt, von Gregorovius.1 Es ist merkwürdig, wie darin Alles zur Sprache kommt, was für Welt und Leben von Bedeutung ist. Und es war ein grosser Genuss es durch Dr. S. kennen zu lernen, der uns zu Allem interessanteste Erläuterungen geben konnte. Noch eines Andern Fortgehen bedauern wir sehr - des Abtes von Heiligen Kreuz. Wir lernten ihn hier kennen, er ist ein sehr feiner und hochgebildeter Mann. Charakteristisch war eine Äusserung von ihm über die Karmeliterinnen: sie haben gar keinen gemeinnützigen Zweck. Gestern bekam ich Nachricht von einem amerikanischen Vetter,2 der am 19. Juli von einer Fahrt um das Cap Horn herum in Havre landete. Von C. H. schreibt er wörtlich: „Cape Horn!! Ugh! Lord! Sometime I will make you shudder about that trip!" Der arme Erzherzog Johann! Bis halben Oktober mindestens werden wir wohl hier sitzen bleiben. Amalie will den Umzug vor unserm Kommen durch ihren alten Fellndorfer ganz besorgen lassen, am 1. Okt. aber erst kann er damit beginnen. Hoffentlich nur haben wir einen schönen Herbst. Amalien's geistlicher Freund reist leider Anfang September schon fort. Als wir gestern mit ihm im Walde waren, kamen Kinder gelaufen, um ihm zu melden, dass ganz in der Nähe ein Todter liege. Nachher erfuhren wir, dass dieser ein überaus braver und fleissiger Tagelöhner gewesen. Kürzlich hatte seine Tante in München, als deren Erben er sich immer angesehen, ihr Vermögen der Kirche vermacht, und ihm nur 100 M. hinterlassen. Darüber hat nun der arme Mensch die Harmonie des Lebens verloren und sich erhängt. Ehe er in den Wald ging, brachte er noch seiner alten Mutter, deren einziger Ernährer er war, sein bischen Geld, Uhr und Kette unter einem Vorwande nach Haus. Vor einiger Zeit hatten wir indirekte Nachrichten von der Hofräthin Harras. Sie ist sehr zufrieden damit im Lande de la langue française zu weilen, und bei guten Menschen vortrefflich geborgen. Amalie trägt mir ihre allerwärmsten, allerergebensten Empehlungen an Sie auf, gütige Baronin, und ich bin immer Ihre Sie innigst verehrende Theo.

fol. 129 a b, 130 a b, 131 a b, 132 a b Datierung: Beim ersten Betreten seiner Wohnstätte nach seinem Tode - Moriz v. Ebner-Eschenbach starb am 28. 1. 1898, vgl. 73/S 1

2

Ferdinand Gregorovius: Göthe's Wilhelm Meister in seinen socialistischen Elementen, entwickelt. Königsberg 1849. Diese Schrift „trägt einen falschen Titel. Es ist keine politische Tendenzschrift, sondern eine sehr gründliche Untersuchung der sozialen Beziehungen im Wilhelm Meister; in der die Staatsutopie der Wanderjahre im Mittelpunkt steht". Eugen Thurnher: Nachwort. In: Ferdinand Gregorovius: Idyllen vom baltischen Ufer. Idyllen v o m lateinischen Ufer. Die Insel Capri. Hg. von E . Th. Berlin 1991, S. 137 ( = Deutsche Bibliothek des Ostens). Der amerikanische Vetter könnte Paul Emil Sutro sein, Sohn Tante Kathinkas (12. 12. 1 8 6 6 - 2 5 . 1. 1947).

78/S

Traunstein, 10. Sept. [1898?]

Innigst verehrte, theure Baronin! Zu Ihrem Geburtstage wünsche ich Ihnen Alles und Jedes, was auf dieser Welt gut und schön ist! Im Wünschen für Andere darf man ja masslos sein, und Sie wissen, Baronin, dass mir Engelshände noch als ein zu harter Boden für Ihren Fuss erscheinen würden. Diese Zeilen finden Sie nun wieder in Ihrem Zdislavic, inmitten aller derer, die Ihnen nahe stehen, die Ihres „Blutes Zweig" sind. Das ist die erste Umrahmung Ihres 13. September - und die andere bilden alle die Gedanken derer, die Sie so innig lieben und verehren! Wir haben hier jetzt so wunderbar klare schöne Tage, deren Sonnenschein bis in die dunkelsten Seelenwinkel dringt. Nur bei der armen Amalie [Hager] nicht - sie hat jetzt wieder arge Stimmungen durchzumachen, und der 4 tägige Besuch ihrer Schwester hat sie auch nicht herauszureissen vermocht. Da wir bis halben oder Ende Okt. hier bleiben sollen, bleibt nur die Hoffnung auf das gute Wetter, bei dem sie den ganzen Tag in der Luft sein kann. Von Voss' hatte ich seitdem wieder gute Nachricht - in der nächsten Woche kann ich sie vielleicht auf einen Tag besuchen. Morgen oder übermorgen wird hier - Hedwig Kiesekamp aus Münster erscheinen. Sie ist mit ihrer Tochter in Berchtesgaden. Eine andere Verehrerin von Ihnen war kürzlich hier - die Bar[onin] Eichthal aus Rom. Sie trug mir tausend Verehrungsvolle Empfehlungen an Sie auf, sie sagt, vor Jahren sei sie Ihnen einmal bei Frau v. Fleischl begegnet. Und nun, Baronin, da Sie sehr viele Briefe zu lesen haben werden, ende ich besser den meinen. Amal[ie] bittet mich, Ihnen von ihr alle nur erdenklichen, besten Wünsche zu senden! In innigster, wärmster Ergebenheit Ihre Theo.

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

90

fol. 125 a b, 126 a b Datierung: Nur durch

die Ortsangabe

- Theo Schiicking

Traunstein möglich

7 9 / E

[Grass

- Vgl.

77/S

aus St. Gilgen/ 2 9 I X 98.

Fräulein Theo Schücking Vahrn b. Brixen Tirol. Liebste Theo, ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen einstweilen die Revisionsbogen des Vorzugsschüler1 zu schicken. Für Ihren unbeschreiblich lieben, warmen Brief allerinnigsten Dank. Ich schreibe gewiß bald ausführlich. Es geht Ida [Fleischl] in Gög[gingen]2 gut, das Mieder wurde schon 2mal anprobirt, Hes[sing] hat sich aber bei dieser Anprobe nicht eingefunden.3 Sehen Sie Ihr Hotel? 4 Es sagt Komm! Ich erwarte Dich im nächsten Jahr, jetzt bin ich geschlossen. Ihre Marie An Frln Hager innigste Empfehlungen. Postkarte 1 2

3

4

mit färb.

Abb.

Der Vorzugsschüler. In: Deutsche Rundschau, Bd 97 X - X I I 1898, S. 1 - 2 9 . E / T b 24. 9. 1898: „Otto [Fleischl] schreibt aus Göggingen: ,Die Anstalt ist groß [...] Der erste Eindruck war kein erfreulicher'". - E / T b 29. 9. 1898: „Zweimal schon hat man Ida das Stützmieder anprobirt." E / T b 4. 10. 1898: „Meine Lieben in Göggingen stehen schon alle unter Hessings Bann" - E / T b 1. 7. 98: Dr. Hessing ist „Bandagist"; er ist der Mann „den Wilbrandt in s. Romane, die Rothenburger als eine wahre Idealfigur geschildert hat. Seinen Briefen nach scheint er ziemlich grob zu sein". Auf der Postkarte drei Abb. des „See Hotels".

80/S

Berlin W., 7 Nürnbergerstr., 6. Jan. [ 1 8 9 9 ]

Hochverehrte, innigst geliebte Baronin! Zum Neuen Jahre Ihnen und Frau Ida [Fleischl] alles Gute der Welt! Seitdem Sie Beiden in Rom sind, ist noch kein Morgen vergangen, an dem nicht meine Gedanken und Herzenswünsche zu Ihnen gezogen wären. Und Wochen und Wochen habe ich mich mit einem abscheulich unglücklichen Gefühl herumgeschlagen - nur weil ich jetzt, wo

80/S - Januar [1899]

91

Sie da sind, nicht auch in Rom weilen darf. Freilich - es wäre wohl zu schön - Jetzt habe ich mich wieder einmal glücklich durchgebissen und bloss noch den einem grossen Wunsch, dass Sie möglichst lange da bleiben, tief bis in das dort so herrliche Frühjahr hinein! - Amalie [Hager] Hess mir Ihre Adresse zukommen - jetzt war Hermine [Villinger] so lieb, mir zu Neujahr zu schreiben: „Gelt, wie schön, dass unsere Baronin so froh und zufrieden in Rom ist. Sie hat eben Ruhe." Unterdessen hastet hier im trüben Norden das Leben athemlos voran, als gälte es weiss Gott, welch hohes Ziel - In der Literatur frisst das Theater alle andern Interessen auf - es ist das wohl eine grosse Schädigung. Neulich war ich im Fuhrmann Henschel, der mir ein Rückschritt Hauptmann's scheint1 - um dies Stück zu schreiben, dazu brauchte es keinen D i c h t e r ! Es ist verblüffend scharf beobachtet, in allem Ausserlichen. Man bedauert diesen Fuhrmann unsagbar, aber er bleibt ganz uninteressant. Und die Scene der Mutter mit dem Kind wirkt abstossend roh - beim Verlassen des Theaters hat man nur den Gedanken - das sehe ich mir nie wieder an. Neulich nahm mir Jacobowski für seine Gesellschaft eine Skizze2 mit, die ich ihm für eine Wochenschrift, mit deren Redacteur er nah befreundet ist, geben wollte. Nun liess ich mir aber von ihm versprechen, dass er sie sicherlich nur in eine ausnahmsweise saubere Nummer bringen würde. Dass schliesslich auch der Begriff sauber ein individueller sei - das bedachte ich nicht. Du lieber Himmel, wie bin ich jetzt darüber belehrt worden! Ich mag Ihnen diese saubere Nummer gar nicht zuschicken. Lassen Sie mich Ihnen noch einmal von ganzem Herzen für den Vorzugsschüller danken! Er ist so herrlich geschrieben, Baronin, tief ergreifend und erschütternd und doch nicht vernichtend, niederdrükkend trostlos - durch den wunderbaren Schluss - ja, den Vorzugsschüller, den konnten auf der Welt nur wieder Sie schreiben, Niemand Anderes! Ob Sie nun unterdessen Malwida Meysenbug3 kennen gelernt haben! Und was Sie wohl zu Ihrem Lebensabend sagen - aber damit warte ich bis St. Gilgen, um das zu erfahren - denn Briefe schreiben in Rom, das wäre Jammerschade! Nur auf einer Ansichtskarte, geliebte Baronin, lassen Sie es mich wissen dass Sie Ihrer alten Theo einen Gedanken hinübersenden - Sie machen sie sehr glücklich damit Wenn Sie Malwida sähen, würde gewiss auch ihre Pflegetochter Olga Monod-Herzen dabei sein - ich erzähle Ihnen dann im Sommer von ihr, sie ist so ganz und gar gut und für die, denen sie gehört, ein Lebenssonnenschein. -

92

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schiicking

Mir ist es zu Ende des Jahres nicht besonders ergangen - nun aber bin ich wieder im gewohnten Trott, und mit meiner Gesundheit auch in Ordnung. Meinen Römischen Plan, von dem ich Ihnen sprach, habe ich abthun müssen, wohl überhaupt - es that mir sehr leid, geht mir auch jetzt noch nach, aber eine Verminderung meines kleinen festen Einkommen, die mir droht, würde ein in Rom wohnen unmöglich machen. Vom jungen Spemann, den ich hier nicht mehr vorfand - er muss zu Haus dienen - der mir aber wie ein guter Sohn noch immer schreibt, bekam ich gestern einen Brief, der gleich so anfing: Denken Sie, vor acht Tagen erhielt mein Vater einen 4 Seiten langen, bezaubernden Brief von Baronin Ebner aus Rom! Wir hatten ihr geschrieben und Bilder der Piazza gesendet. Amalie, der es Gottlob ganz ordentlich geht - kann nur so wenig schreiben und mag nicht diktiren. Aber die glorreiche Nachricht, dass Dr. Hessing der geliebten Frau Ida g e h o l f e n , 4 ihre Schmerzen gemindert hat, sodass sie sich draussen jetzt wieder frei bewegen kann, die habe ich damals doch durch sie erhalten und war ganz glücklich darüber! Können Sie sich denken - ja, Sie können's, Baronin, was es mir bedeutet, dass ich Sie und Frau Ida im Sommer wiedersehen darf! Ich küsse Ihnen Beiden die lieben Hände! Möchten Dr. Otto [Fleischt] und Gemahlin im Jahre 99 all das Gute und Schöne erleben, das ich Ihnen von Herzen wünsche! In innigster unwandelbarer Verehrung immer Ihre Theo. fol. 183 a b, 184 a b, 185 a b, 186 a b, 187 a b Datierung: eine ausnahmsweise saubere Nummer. Dazu 81/E: Wie leid thut mir das mit der „Gesellschaft". - Dr. Hessing, dazu 79/E 1

2 3

4

Gerhart Hauptmann: Fuhrmann Henschel. Schauspiel in fünf Aufzügen, 1899. E/Tb 11. 1. 1899: „Die Charakteristik im Fuhrmann Hentschel [!] wird so sehr gerühmt. Ob mit Recht? Ich bringe nicht heraus ob Siebenhaar ein braver Mann oder ein Schuft ist [...] Die fünf Aufzüge kommen mir vor wie fünf Türen, man wird zu jeder langsam hingeführt und steht man davor, wird sie einem vor der Nase zugeschlagen." Theo Schücking: Die eherne Notwendigkeit. 1899. Vgl. hier S. 271ff. E/Tb 26. 2. 1899: „Nachmittag bei Baronin Malwida Meysenbug. Vorgestern ist ein Feuilleton von Müntz, in dem ihr neues Buch: Lebensabend einer Idealistin sehr günstig besprochen wird, in der n[euen] fr[eien] Presse erschienen." E/Tb Anhang 1899, in: KTD, Tbb V, S. 191: „Meysenbug. Der Lebensabend einer Idealistin. Ein reiches Buch das nur der sorgfältigen Redaction eines Wesens v. Fach bedürfte". Hessing, vgl. 79/E.

82/S - Juli [1899]

81/E

93

/ R o m a / Piazza di Spagna 9. 10. Jänner 99.

Fräulein Theo Schücking Berlin W. 7 Nürnbergerstraße Germania Meine geliebte Theo! So gemein ist man ja, (bin wenigstens ich) auf die unerschöpfliche Güte sündigt man. Nicht einmal unsere Adresse habe ich Ihnen mitgeteilt. Ich schäme mich desse, liebste Theo, und kann Sie nur anflehen: verzeihen sie mir, wenn ich's auch nicht verdiene. Ja, wenn Sie in Rom wären! Aber das gar zu Schöne trifft eben nicht ein. Wie leid thut mir das mit der Gesellschaft} Schlimme Vorzeichen. In Rom gab's das im Großen. Die verlotterte Litteratur war ein Symtom der vorschreitenden Fäulniß. Ida [Fleischl] sagt Ihnen alles Beste. (Otto und Mina [Fleischl] gleichfalls) Many happy returns! Ich hoffe, liebste Theo, Ihnen von hier aus, doch noch einen ordentlichen Brief schreiben zu können, und in St. Gilgen, Gott geb'es, da sprechen wir uns aus Ihre Marie Mit Idas Befinden bin ich nicht zufrieden, sie hat fast immer Kopfschmerzen. Und unsere liebe Hofratin Billroth! Postkarte 1

mit

Abb.

Gesellschaft, vgl. 80/S.

82/S

Greissl-Schlössl, Miesbach Oberbayern, 20. Juli [1899]

Innigsten Herzensdank, hochverehrte, theure Baronin, für Ihre gütigen Zeilen!! So gern hätte ich Ihnen umgehend darauf geschrieben, aber die letzte Berliner Woche war zu schlimm verhetzt, und jetzt erst komme ich hier allmählig wieder zu Verstand. - Amalie [Hager] fand ich wohl aussehend aber leider fühlt sie sich dabei nicht wohl, sie hat oft rheumatische Schmerzen und ihr Nierenleiden plagt sie auch nach wie vor. Die Luft hier oben um unser „Schlössl" herum ist herrlich und frisch aber sie hat doch viel Feuchtigkeit, und da der September sehr viel Nebel bringen soll, will Amalie Ende August von hier fort, um noch

94

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

eine Zeitlang in einer trockneren Gegend zu weilen. - Wieviel wir von Frau Ida [Fleischl] sprechen, wie das stets gegenwärtige Gefühl der Trauer um sie uns noch mehr vereint 1 - das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen, geliebte Baronin - Und auch nicht, dass ich nach Ihnen täglich hindenke und wer weiss was darum gäbe, Sie auch nur eine Stunde einmal wiedersehen zu dürfen - gerade jetzt ist es für die, die Sie lieben, furchtbar schwer Ihnen so fern zu sein. Aber wahrscheinlich ist Ihnen die Einsamkeit jetzt ein Segen und eine Wohlthat - und so sei sie denn gesegnet - Nur zur bleibenden Gefährtin machen Sie sie nicht, geliebte Baronin - thun Sie's nicht, zu hart wäre es für uns, die wir sie da haben müssen, ach, Sie ahnen's ja nicht, wie nothwendig Ihre Nähe so Vielen ist. W e n n Sie doch nur den Winter nach Rom gehen möchten! Da Dr. Otto [Fleischl] Sie nicht hinbringen kann, darf denn ich es nicht thun, Herrgott, wie stolz und glücklich würde mich das machen - Und auf Reisen bin ich wirklich sehr bedachtsam und stehe meinen Mann, glauben Sie's mir nur, Baronin! In einem Hotel oder in einer Pension dürften Sie sich freilich nicht tant bien que mal unterbringen - aber wenn Sie Ihr altes Quartier, in dem vom vorigen Frühjahr her noch alle guten Geister wohnen, bezögen, kommt es mir vor, als ob Sie sich dort gewiss nicht so traurig fühlen würden als in der Ihnen fremden Wiener Wohnung, die Sie nur wählten, um Frau Ida nahe zu sein E i n Winter in Rom genügt um die graue Trübheit des nordischen Winters vergessen zu lassen,2 denken Sie an die Trostlosigkeit der kurzen verhangenen Tage bei uns, an all den Nebel und Schnee. Und denken Sie daran Baronin, wie schwer und kummervoll Ihnen im vorigen Jahr zu Muth war und wie Rom Ihnen dann geholfen hat. Ach und sicherlich wäre es viel mehr in Frau Ida's Sinn, dass Sie sich dort zum Mindesten körperlich erholten, als dass Sie in dem Wiener Winterdunkel körperlich u n d seelisch litten - Darf ich's noch sagen, Baronin, dass in Rom mein Herz es sich zum S t u d i u m machen würde, Ihnen nie zu viel oder lästig zu werden und nur zu jeder Stunde da zu sein, wenn Sie eine treue Seele um sich haben möchten. Verzeihen Sie diesen langen eindringlichen Brief, zu eindringlich vielleicht und deshalb indiskret - Sie sind es schon gewohnt Ihrer alten Theo etwas zu gut zu halten. Amalie trägt mir tausend innigen Dank für Ihren lieben, gütigen Brief an Sie auf, und ich küsse Ihre liebe Hand in unwandelbarer liebender Verehrung. Ganz Ihre Theo.

83/S - September 1899

95

fol. 113 a b, 116 a b, 114 a b, 115 a b (in dieser Reihenfolge) Datierung: Tod Ida Fleischls 1

2

Tod Ida Fleischls am 4. Juni 1899. E / T b 4. 6. 1899: „Morgens 5 U h r Ganz plötzlich Ohne einen Lautz fast ohne einen tiefen Atemzug ist sie hinüber." Hinweis auf das römische Klima, vgl. unten S. 460f.

83/S

Bad Heiligkreuz b. Hall in Tirol, 11. Sept. 99.

Von ganzem Herzen geliebte und verehrte Baronin! Allertreueste, allerinnigste Wünsche sende ich Ihnen zu Ihrem lieben, lieben Geburtstage!! Möchte er Ihnen durch die Fülle von Liebe und Verehrung, deren Ausdruck sich Ihnen von allen Seiten an diesem Tage naht, ein wenig hell und warm werden! Seit dem 7ten sind wir hier, Amalien [Hager] wie mir thut die Luft viel besser als die sonderbar angreifende von Miesbach. Mir ist es dort den August hindurch schlecht ergangen. Amalie hat nun vor, für's Erste hier zu bleiben und vielleicht noch die letzte Septemberwoche nach Innsbruck zu gehen. Dann will sie von dort aus nach Wien zurück und ich ziehe südwärts, dem Wiedersehen mit Ihnen, Baronin, entgegen - w a s mir das bedeutet, das kann ich Niemand sagen. — Schon seit einiger Zeit verhandle ich mit Frl. Marie Schumann wegen meiner Mithülfe bei der Zusammenstellung eines Lebensbildes von Clara Schumann aus deren nachgelassenen Tagebüchern u. Briefen. 1 (Die Tageb. sind allein 45 Bände!) Diese Fülle des Materials wirkt sehr beängstigend u. ich weiss gar nicht, ob ich der Aufgabe, die sie mir stellt, gewachsen bin. Ich meine ebensowohl geistig wie körperlich, letzteres in Beziehung auf meine Augen. Wenn ich nur einmal mit Ihnen darüber r e d e n könnt, Baronin, Ihren Rath hören! Ich getraue mich nicht, die Arbeit so ohneweiters zu übernehmen u. möchte erst einmal einen wenn auch flüchtigen Einblick in die Tagebücher und Briefe selbst thun. (Ausser ihrem grossen Namen kenne ich ja so wenig von Clara Schumann, habe sie nie gesehen, geschweige denn gehört.) So habe ich denn vor den Weg nach R o m über Interlaken zu nehmen, wo Frl. Schumann bis zum Januar weilen wird. Ubernehme ich die Arbeit dann freilich muss ich leider, leider Gottes meinen römischen Winter abkürzen Zum Schluss noch einmal tausend tausend gute Wünsche und Segen über Sie, Baronin! Ihre lieben Hände küsst in dankbarer unwandelbarer Verehrung Ihre Theo.

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbacb

96

- Theo Schiicking

Amalie will vielmals empfohlen werden und trägt mir ihre allerwärmsten Wünsche auf. fol. 54 a, 57 a b, 55 a b (in dieser Reihenfolge) 1

Marie Schumann, die älteste Tochter Clara und Robert Schumanns. - Die Verbindung Marie Schumanns zu Theo Schücking dürfte über „die Damen Wendt und Jungius" zustande gekommen sein. Daß diese Theo gut kannten, beweisen u. a. E/Tb 16. 9. 1896: „die edlen und liebenswerten Damen Wendt und Jungius, die mir gar lange Zähne nach Ihrer [Theos] Gesellschaft gemacht haben". - E/Tb 11. 8. 1896: „Nachmittags die Damen Wendt und Jungius. Frl. Wendt war durch zwanzig [Jahre] eng befreundet mit Clara Schumann."

84/E

R o m 19 1 April 1900

Gute, theure, verehrte Theo, ich wünsche Ihnen noch einmal und noch eine Million Male das beste Glück zum Geburtstage. 1 Sie sind Ihren Freunden ein Segen, daran müssen Sie immer denken u. sich manchmal dafür danken lassen. Innigst, theure Theo Ihre Marie Meine armseligen Darbringungen bitten, in Gnaden aufgenommen zu werden. Briefkarte 1

Theo Schücking geboren am 19. 4. 1850 in Köln.

85/S

Albergo Parigi, Viareggio, 2. Juni [1900]

Innig theure, innig verehrte Baronin, Dass am 4. Juni a l l e meine Gedanken bei Ihnen sind, das wissen Sie und doch muss ich es Ihnen noch einmal sagen. Und auch dass diese Gedanken Sie durch jede Stunde Ihrer Fahrt hindurchbegleitet haben. Nun sind Sie längst am Ziel - wären Sie noch in der Rothenthurmstrasse, da würden sie sich auskennen - so aber heften sie sich jetzt nur an Ihre geliebte Gestalt. Möchte der Eindruck Ihrer neuen Wohnung Ihnen ein sympathischer und freundlicher gewesen sein! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie oede mir zu Muth ist, da ich Sie nun nicht mehr sehen darf. Herrgott, wie verwöhnend war das mit

86/E - Juni 1900

97

Ihnen sein zu dürfen, Baronin - so leer erscheint mir jetzt, was ich sehe und höre und nun gar erst was ich spreche. Haben Sie Dank aus tiefstem Herzen für jede unvergesslich gute Stunde, die Sie mir geschenkt haben, für alle, alle unverdiente Güte! Wieviel werden Sie jetzt zu thun haben, was wird Alles auf Sie eindrängen und Sie in Anspruch nehmen. Vielleicht ist das gut so nur lange dauern darf es nicht bis Sie sich wieder Jenen zu wenden, denen Sie das Leben gaben. Noch immer verkehre ich mit ihnen, sehe und höre sie, kann es mir nicht vorstellen dass es eine Ewigkeit währen soll bis ich lese was Sie sie noch bis zu ihrer Schicksalserfüllung leiden und sagen und handeln lassen. Am Montag Nachmittag kam ich nach Rom, ging zu Dr. Webb und dann Geldwechseln. Und darnach fuhr ich noch einmal zur Cestiuspyramide um nach dem Grabe dort zu sehen. Dienstag früh (ich hatte in meiner P. Barberiniwohnung übernachtet) fuhr ich hierher, kam um halb drei an und nahm, da die Schwestern Wolfskeel dabei sind ihr Haus für das Vermiethen über den Sommer herzurichten, Pension in dem freundlichen und ganz ordentlichen Albergo Parigi. Ich bin viel mit meinen Jugendfreundinnen zusammen und so lange als sie bleiben und es nicht zu heiss wird, bleibe ich auch. Bald darf ich Ihnen wohl wieder einmal Nachricht geben, Sie wissen es ja, geliebte Baronin, dass ich Sie mit meinem Schreiben sicherlichst und ehrlichst nicht zu einer Antwort veranlassen will, Sie werden schon übergenug geplagt! Und nun lege ich Ihnen mit meinem unaussprechlich warmen Dank mein ganzes Herz zu Füssen. Ihre Theo. fol. 74 ab, 75 a b, 96 a Datierung: Antwortbriefg 86/E an Theos hier genannte Adresse: Albergo Parigi, Viareggio. - In beiden Briefen wird Dr. Webb (Zahnarzt f) erwähnt.

86/E

/Wien/ 1900 6. VI

Italia Fraulein Theo Schücking Viareggio, Prov: Lucca Albergo Parigi Theure geliebte Theo, wirklich also nur eine Karte, so hässlich es auch ist daß ich Ihnen nicht ausführlich danke für das schöne Bild das mich so sehr, so s e h r

98

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

freut, für Ihren theuren Brief für Ihre unschätzbare Teilnahme am Ergehen meiner Kinder. Antonio hat seinen Krug in Form eines Silenkopfes wiedergefunden, verstaubt u. beschädigt.1 [ ] Jetzt probirt er so etwas abermals zu machen. Wie hat D r Webb seit [ ] wohl noch 14 Tage Haarhof N. 4. Innigst dankbarst Ihre Marie. Postkarte mit färb. Abb., beschädigt: 1

Textverlust.

„Antonio" ist der Held der Erzählung Agave. Dort heißt es am Schluß, als er arm in die Heimat zurückkommt: „Bald nach seiner Ankunft hatte er einige Schalen, mißglückte Versuche aus längst vergangenen Zeiten, von dem Borde genommen, auf dem sie stehen geblieben waren, und dabei in einer Ecke, beschädigt und verstaubt, einen alten Bekannten gefunden, den Krug, dem er die Form eines Silenenkopfes gegeben hatte. Ein häßlicher Geselle, der betrunkene Halbgott, aber ein Bild der Lebenslust" (SW VI, S. 476).

87/S

Villa Fischnaler, Kufstein in Tirol, 21. Juni. [1900]

Innigst geliebte und verehrte Baronin! Schon eher hätte ich Ihnen für Ihre viel zu gütige Karte gedankt, wenn ich nicht einige Tage vor meiner Abreise von Viareggio recht unwohl geworden wäre. Am 16 ten kam ich hier an und habe mich nun seitdem unter Amalien's [Hager] guten Händen wieder erholt. Nur innerlich noch nicht ganz, wohl ahnen Sie es nicht, wie schwer es ist sich zu „accommodiren" nach dem man einen ganzen Winter hindurch mit Ihnen sein durfte. So interesselos erscheint da Alles. Natürlich nehme ich Amalie aus, erst in ihrer guten Nähe ist mir wieder leichter geworden, bei Vossens und bei den Wolfskeels fiel mich das Heimweh nach Ihnen zuweilen wie ein Fieber an, mitten in heiterer Unterhaltung. Möchten Sie sich nur körperlich wohl und im Gemüth nicht allzu traurig fühlen, geliebte Baronin! - Den Weg, auf dem Sie Antonio wieder zu seinen früheren Arbeiten zurückkehren lassen, finde ich ausgezeichnet erdacht. Täglich denke ich nach Ihren Menschenbildern hin, Antonio sieht mich oft so unsagbar traurig an,1 aber ihm wird ja geholfen werden - Wegen Helene Tafel bin ich recht beunruhigt. Gewiss hat es sie gekränkt, dass mir Forte de' Marmi und ihr Bauplatz so gar nicht gefiel. Ich fand die Melancholie der Stätte geradezu erdrückend. (Sie selbst hatte aber auch z u e r s t diesen Eindruck.) So schien es mir freundschaftlicher ihr offen heraus zu sagen, dass sie

88/S - Juni

99

[1900]

lieber nicht bauen möchte, sondern das Grundstück später v o r t e i l haft verkaufen. Auch liegt der Ort ziemlich weit von der Station, der Weg, der zu ihr führt, ist denkbarst schlecht. Geliebte Baronin, möchten Sie mir, wenn Sie es noch haben u n d es Ihnen erreichbar wäre, das dumme Ding zurückschicken lassen, das ich einmal zu Ihrem 60 sten Geburtstag hinschrieb. 2 Ich weiss nichts mehr davon, v i e l l e i c h t liesse sich etwas Anständigeres daraus machen. Amalie fand ich leider recht angegriffen aber doch zufrieden mit der Wahl der Wohnung und des Orts, erstere ist auch sehr behaglich und letzterer anheimelnd und ganz im Grünen gelegen. Nun müssen wir nur Alles dazu thun, dass sie sich hier nun auch wirklich erholt. Von Dr. Webb habe ich noch Fragment, fol. 90 a b, 95 a b

Datierung: Abreise von Viareggio - Theos Aufenthalt daselbst, vgl. 85/S 1 2

Vgl. Agave, 86/E Anm. 1. Nicht auffindbar.

88/S

Kufstein, 24. Juni [1900]

Innigen Dank, vielgeliebte Baronin, für Ihren gütigen Brief und die Zusendung des kleinen Aufsatzes! Ich möchte ihn zu v e r b e s s e r n suchen und ihn dann zum 13. Sept. irgendwohin einsenden. Hoffentlich ist Ihnen diese Idee nicht unsympathisch, falls sie Ihnen aber aus irgend einem Grunde (den Sie mir ja natürlich gar nicht anzugeben brauchten) so erschiene, bedürfte es selbstredend nur zweier Worte von Ihnen, damit ich sie fallen liesse. Dahingegen wird mir Ihr Schweigen hierauf ein J a bedeuten, geliebte Baronin! Auf das Dringlichste habe ich Helene Tafel von Ihrer Ansiedlung in Forte de'Marmi abgerathen. Nur mündlich könnte ich Ihnen die Melancholie der von ihr gewählten Stätte schildern! Dazu kommt, um diese noch verlassener zu machen, die weite Entfernung von der Eisenbahnstation, der elend schlechte Weg der dorthin führt! Ich finde es sehr, s e h r unrecht von den Kurz', dass sie Helene zu der Niederlassung dort beredeten. Wie leid thut es mir, dass Ihre Nichte 1 in R o m noch so schlimme Tage hatte!

100

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

So wunderbar wird dieser Schluss Ihrer Erzählung 2 werden, geliebte Baronin! Das ist auch eine von Ihren Löwinnenstärken: der verklärte, wundervoll still leuchtende Glanz, den Sie über einen Schluss zu legen wissen! Gute Fahrt und gute Ankunft bei Ihren Kindern wünscht Ihnen von ganzer Seele Ihre Ihnen in dankbarster Liebe ergebene Theo. fol. 135 a b, 136 a b Datierung: Empfangsbestätigung Forte de'Marmi, wie 87/S. 1 2

für das dumme Ding 87/S; - Wohnung in

Marianne von Kinsky, Tochter der Ebner-Schwester Friederike. Agave, vgl. 86/E und 87/S.

89/E

Zdisslawitz 16. VII. 1900

Fräulein Theo Schücking (Berlin W.) {Kufstein} {Tirol} {Villa Fischnaler} (Nürnbergerstrasse 7. III) Theure beste Theo, das darf ich Ihnen doch sagen, daß das herrliche Bild Michelangelos mich über alle Beschreibung freut. Von D r Glaser noch keine Antwort. Die Wohnung in Rom genommen vom 1* Dec: bis letzten April Was thut meine Theo? An Frl. Hager i n n i g e Empfehlungen Ihre M. Postkarte

91/S - September

[1900]

90/S

101

7. Aug. [1900]

Hochgeboren Frau Baronin Marie Ebner Löschna bei Krasna Mähren Oestreich Innig verehrte Baronin, Da m[eine] Verwandten schon am Sonntag in Const[anz] eintrafen, kam ich am Abend desselben Tages hierher, fahre Freitag nach K[ufstein] zurück. Gestern waren wir auf der Meersburg, 1 wie wunderbar schön u. traurig war's da. Ihre alte Theo. Ansichtskarte, fol. 120 a b 1

Erinnerung an den Aufenthalt Levin Schückings als Bibliothekar auf der Meersburg.

91/S

Berlin W., Nürnbergerstr. 7 III, 22. Sept. [1900]

Innigst verehrte, innigst geliebte Baronin! Soeben als ich mich hinsetzte um auf Ihre so gütige Karte dankbare Worte zu antworten, kommt Ihr Brief! Der mich bewegt, wie ich's gar nicht ausdrücken kann. Wohl verstehen Sie es, geliebte Baronin, mit Ihrer Güte sprachlos zu machen. Und so will ich denn nur die gesegnete Hand küssen, die so zwingend gute Worte zu schreiben weiss wie keine auf der Welt und mir von ganzen Herzen dankbar meine Römischen vier Wände von ihr schenken zu lassen. 1 In den nächsten Tagen kann ich wohl besser schreiben, heute geht es nicht. Die Vorstellung Sie nun wirklich, wirklich - in einigen Monaten wiedersehen zu dürfen! Ihnen, geliebte Baronin, von ganzer Seele ergeben, immer Ihre dankbare Theo. fol. 88 ab, 89 a Datierung: meine Römischen vier Wände von ihr schenken lassen; darauf bezieht sich 93/S: Auch mein Eintreffen in Rom. 1

Theo muß aus finanziellen Gründen 1899 auf eine Romreise verzichten. Vgl. 80/S: „Meinen römischen Plan [...] habe ich abthun müssen [...] eine Verminderung meines kleinen festen Einkommen, die mir droht, würde ein in Rom wohnen unmöglich machen".

102

A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo

Schücking

/ S c h l o s s Z d i s s l a w i t z ; 2 4 . Sept. 1 9 0 0

9 2 / E

Fräulein Theo Schücking Berlin W Nürnbergerstrasse 7 Innigsten Dank, meine theuerste Theo! Ich melde nur noch daß ich gedenke am 3r Okt: in Wien zu sein, am l 1 Dec: in Rom. Dann letzte Hand an die Agave1 zu legen und sie vielleicht im Jänner Herrn D r Glaser zu übergeben. Er wird sie wie ich vermut[] bald [ ] Druck geben. Mir schwirrt der Kopf. Es ist zu viel [ ] Huldigungen. Wie soll ich danken? Postkarte 1

mit Abb.,

beschädigt:

Textverlust,

keine

Unterschrift.

Agave - erschienen in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Bd. 91, Heft 5 4 1 - 5 4 4 , Oktober 1901-Januar 1902.

93/S

Berlin W., N ü r n b e r g e r s t r . 7 III, 2 9 . Sept. [ 1 9 0 0 ]

Innigst verehrte Frau Doctor! Schon eher hätte ich schreiben sollen, war aber nicht ruhigen Gemüths genug dazu. Die Aussicht, Sie wiederzusehn, mich mit Ihnen von Neuem ganz in diese herrliche Arbeit, in diese von ernster Schönheit erfüllte Wirklichkeit vertiefen zu dürfen, das bewegt mich so tief, wie ich's gar nicht sagen kann. Und in dies stille Gefühl grossen Glükkes hinein fällt das Wiederzusammensein mit der armen, armen Johanna Mittelstaedt. Sie leidet furchtbar - wie ihre Tochter und ihre Schwiegerkinder sich benommen haben, dafür giebt's keine Bennenung. Ihr einziger Trost nur ist ihr Glaube an einen unzerreissbaren Zusammenhang mit ihm, die Gewissheit dass seine Liebe sie stets umgiebt und ihr jedesmal in Stunden höchster seelischer Noth Hülfe sendet. — N e i n , geliebte Baronin, es ist nicht zu viel der Huldigungen!1 Das sage nicht nur ich, das sagt Jeder - und nicht nur ganze ächte Menschen, auch die Berliner Halbmenschen, die so gern gut essen und von denen Jeder sich so erhaben gebaret als sei er ein bedeutendes Centrum. Aber auch sie sagen, es war nichts zu viel - und das ist das Beste an ihnen.

94/S - November [1900]

103

Wie wunderschön, so ganz und gar Sie, Baronin, sodass man Ihre Stimme dabei zu hören vermeint, ist Ihr Dank! Tausend Dank, dass Sie mich ihn lesen liessen. Gestern, nein vorgestern sah ich Dr. Glaser. Die Scheidung ist nun schon seit Wochen vollzogen, er leidet wohl sehr darunter, wenn er es auch nicht zugeben mag - nur die äussere Vereinsamung sei es, die ihn drücke. Aber stolz-glücklich war er über Agave 2 und so innig dankbar dafür. Er meinte, wenn er das Man[uskript] noch im Jänner bekäme, würde er damit das Aprilheft beginnen (die ersten Correcturbogen fielen dann in den Februar). Aber es würde undankbar von ihm sein, Sie zu hetzen, so könnte, sollten Sie das lieber haben, der Anfang auch in das Maiheft verlegt werden. Der Druck der Aushängebogen solle ganz und gar nach I h r e n Wünschen vor sich gehen, Baronin, entweder in Einem fortlaufend - (wie bei einem Buch) - oder in kurzen Zwischenräumen, - so wie Sie es anordnen würden, solle es geschehen. Auch mein Eintreffen in Rom, geliebte Baronin, soll sich ganz nach Ihren Wünschen richten, darnach wann Sie mich dort zuerst ein ganz kleinwinziges wenig brauchen könnten. Lassen Sie mich nicht aus wieder allzugrosser Güte vorher kommen, b i t t e , thun Sie das nicht, Baronin! Sie haben ja immer nur zu viele Menschen, die zu Ihnen kommen. In dankbarster liebender Verehrung Ihre Theo. fol. 180 a b, 181 a b, 182 a Datierung: Innigst verehrte Frau Doctor - zum 13. 9. 1900 wurde der das philosophische Ehrendoktorat der Universität Wien verliehen. 1

2

Ebner

Huldigungen zum 70. Geburtstagt der Ebner. Referat und Diplom des Ehrendoktorates vgl. Bettelheim 1910, S. 245ff. Vgl. 92/E.

94/S

Berlin W., 7 Nürnbergerstr., 6. Nov. [1900]

Verehrte, geliebte Baronin! Innigen Dank für Ihren viel zu gütigen Brief! Meine Padrona von Piazza Barberini hatte mir im August geschrieben, in meinem Briefe, den ich ihr vor etwas mehr denn einer Woche sandte, sagte ich noch nichts Bestimmtes über das Zimmer bei ihr.

104

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Nun will ich gleich heute bei ihr anfragen, ob ich Anfang Januar mein Zimmer bei ihr wieder beziehen kann. Nein, in die Pension möchte ich nicht, geliebte Baronin, man ist dann wegen der frühen Essensstunden (12 und 7 Uhr) so sehr gebunden. Und jetzt darf ich wohl zur Klarstellung etwas aussprechen, theure Baronin, was sich schriftlich besser als mündlich sagen lässt. Ich will mir dankbarsten Herzens meine vier Wände in Rom von Ihnen schenken lassen. Aber darüber hinaus kann ich Ihrer Grossmuth kein Zugeständniss machen. Denn leben muss ich hier auch, und da Rom sicherlich mindestens nicht theurer ist als Berlin, sondern eher billiger, werden Sie zugeben, geliebte Frau Doctor, dass meine Millionen in nichts geschädigt werden, wenn ich in Ihrer Nähe in Rom weilen darf. Was Sie mir aber mit diesem in Ihrer Nähe sein dürfen, schenken, das wissen Sie nun doch nicht, Baronin, - die Vorfreude nur durchleuchtet mich jetzt schon ganz und gar. Nicht später als den dritten Januar möchte ich von hier abreisen und nur, falls meine Cousine in Florenz nicht im Februar nach Rom kommt, bei ihr einen Tag und eine Nacht Station machen. So hoffe ich denn am 5 ten oder 6 ten in Rom einzutreffen. Weiter wage ich jetzt nichts mehr zu sagen, aus abergläubischer Furcht vor dem Berufen. 1 Nein, Baronin, es ist absolut unwahr dass Westermann R[ichard] V[oss] hat auf sein Honorar warten lassen, es ist ihm schon am 8 ten oder 10 ten October ausgezahlt worden. G e d r u c k t wird Fragment, fol. 86 a b, 87 a b Datierung: meine vier W ä n d e in R o m Bezug 1

auf 91/S und

93/S

Berufen, Verschreien: abergläubische Furcht, durch zu vieles Reden die Erfüllung des Wunsches zu verhindern. „Beschreien; unzeitig, voreilig nennen" Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd I, Sp. 1532.

95/S

Berlin W., Nürnbergerstr. 7, 18. N o v . [1900]

Von ganzem Herzen verehrte Baronin, ich kann Ihnen nicht sagen, wie tief mich Ihr grenzenlos gütiger Brief beschämt hat. Es ist ja nur aus Ihrem grossen Herzen heraus, dass Sie mich so ansehen und deshalb macht es mich nur noch immer demüthiger Ihnen gegenüber Hoffentlich kam meine Karte schon gestern früh in Ihre geliebten Hände sodass Sie sich nicht lange um die richtige Uberkunft des Briefes sorgten. Gestern und vorgestern waren zwei unruhige Tage für mich, d. h. nur äusserlich unruhig, - und so konnte ich erst heute zu meinem Briefe kommen.

96/S - Dezember

105

[1900]

Ach seelenfroh bin ich, dass Sie nun bald, bald fortfahren von Wien! Ich darf es mir gar nicht in die Vorstellung bringen, wie müde Sie nur ein einziger solcher von den gedankenlos egoistischen Anforderungen der Andern in Anspruch genommener Tag machen muss. Ein einziger nur, und nun eine ganze Reihe davon - Könnte ich mich doch als Drache vor Ihre Schwelle legen! Gott sei Dank, dass Sie sich nun hoffentlich am Donnerstag flüchten dürfen. Wie glücklich will ich sein, Sie erst nur in Florenz angekommen zu wissen. Mir geht es gut, geliebte Frau Doctor, wie sollte es auch nicht, wo mich eine wundervolle Vorfreude erfüllt und trägt. Vorgestern Abend war ich mit Freunden im Rosenmontag von Hartleben,1 ein modernes Kabale und Liebe, - alles Humoristische sehr gut beobachtet, alles Ernsthafte mit einem Untergrund von Rohheit. Nach Florenz hin hoffe ich Ihnen Nachricht von dem Abschlüsse mit meiner Padrona geben zu dürfen. Ich bat Helene Teufel, sich vorher noch persönlich bei ihr zu überzeugen, dass ich keine Klavierstudentin als nächste Nachbarin bekomme. Und nun, geliebte Baronin, küsse ich in dankbarer Demuth Ihre lieben, lieben Hände und bin mit tausend Gedanken an Sie stets und überall Ihre Theo fol. 81 a b, 83 a b, 82 a (in dieser Reihenfolge) Datierung: geliebte Frau D o c t o r = 1900. - dass Sie nun bald, bald fortfahren von Wien! bezieht sich auf 92/E: ich gedenke am 3. O k t . in Wien zu sein, am 1. Dec. in R o m . - „Rosenmontag" erschienen 1900 1

Otto Erich Hartlebens größter Theatererfolg, die Offiziertragödie 1900.

96/S

Rosenmontag,

Berlin 16. Dec. [1900]

Italien

Alla Signora Sig.ra Baronessa Marie Ebner Roma Piazza di Spagna 9 I Warmen Herzensdank, innigst verehrte Baronin, für Ihre viel zu gute Karte!! Gottlob nur, dass Sie sich wieder wohler fühlen - diese beiden

106

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

letzten Wochen waren mir durch die Furcht verdunkelt, Sie könnten unwohl sein. - Der arme Jacobowski - er lebte so gern - 1 Er war ein so treuer Freund. — Es zählt die Tage bis Sie wiedersehen darf Ihre Theo Dies Standbild ist eins der viel zu vielen der Siegesallee, ist von meinem] engsten Landsmann, Uphnes aus Sassenbergh m[eine] andern Karten sind mir ausgegangen u. heute ist Sonntag Ansichtskarte, fol. 104 a b Datierung: Der arme Jacobowski 1

Ludwig Jacobowsky stirbt November/Dezember (?) 1900.

97/S

Villa Fischnaler, Kufstein in Tirol, 7. Juli 1901.

Innigst verehrte, geliebte Baronin! Tausend Dank für Ihre Karte! Die ganze Woche hindurch habe ich bei mir selbst Raths gepflogen, ob sich's gar nicht einrichten liesse, dass ich mir den September frei machte. Denn der September denke ich mir, ist die Zeit, in der Sie die Fahnen erhalten würden?1 Leider aber hat mir all das Hin- und Herüberlegen doch keine Hülfe gebracht. Und so muss ich, schweren Herzens ihnen, geliebte Baronin, in einer Sache, an der mir so viel liegt, Schwierigkeiten machen! Bis zum 8 ten - 1 0 ten September gehört meine Zeit 2 - 3 Vormittagsstunden hindurch täglich mir allein. Aber nach diesem Termin muss ich zuerst Amalie [Hager] behülflich sein beim Aufbrechen und Abreisevorbereiten aus der Wohnung hier, die sie gegen den 15 ten verlassen muss. (Sie konnte in diesem Sommer nicht ihr altes Stubenmädchen mitnehmen und hat nur ein 15 jähriges, freilich sehr gutwilligtes Kind zur Hülfe). Am 15 ten spätestens muss ich nach Berlin, um meinen Umzug einzurichten! Ich habe die Wohnung am 1 sten October zu verlassen, und die meiste Umzugsarbeit fällt auf mich allein. So bleibe mir denn während dieser Wochen keine Zeit und vor Allem keine Ruhe und Müsse, um mich ganz und gar dem Lesen Ihrer herrlichen Erzählung zu widmen, Baronin. Und dass die Fahnen vor dem September schon fertig wären, kann ich nicht wünschen, weil das für Sie ein Hetzen bei der Arbeit bedeuten würde. Gewiss aber soll der Erstgeborene schon im Oktoberheft erscheinen, und so hilft's mir gar nichts, dass ich im Oktober wieder ganz frei bin. Nicht wahr, Baronin, Sie ahnen, wie ungern ich Ihnen dies schreibe, wie gern ich

107

98/S - Juli [1901]

antwortete, dass ich für den ganzen Herbst auch äusserlich so ganz zu Ihrer Verfügung bin, wie ich es innerlich für immer bin. — Gott gebe, dass Sie sich in Zdislawitz nun schon wieder von der Unruhe Ihrer Wiener Tage erholt haben und dass Ihnen die Carlsbader Kur gut thut! Zum Glück habe ich jetzt bessere Nachrichten von meinem armen Schwager [Rickert]. Gleich bei meiner Ankunft hier fand ich sehr beunruhigende vor: ein erneuter Anfall, schlimmer als die vorhergehenden. Erst seit Kurzem ist die Lähmung der rechten Gesichtshälfte behoben und er kann auch wieder ohne Schmerzen schlucken. Meine arme Schwester hat sich natürlich furchtbar gesorgt und auch ich athme erst jetzt wieder auf. Amalie, die sich Ihnen von ganzem Herzen empfehlen lässt, geht es nur leidlich, nicht gut. Hoffentlich helfen Ihr die Soolbäder wenigstens gegen die argen rheumatischen Schmerzen. Darf ich um schönste Empfehlungen an Gräfin Marianne [Kinsky] bitten? Es thut so wohl, sie bei Ihnen zu wissen. In tiefster Verehrung küsst Ihre geliebte Hand Ihre Theo. fol. 60 a b, 62 a b, 61 a b (in dieser Reihenfolge) 1

Der Erstgeborene.

98/S

In: Deutsche Rundschau Bd 109, X - X I I 1901.

Kufstein, Tirol, 23. Juli. [1901]

Innigst verehrte Baronin, Tausend Dank für Ihre gütige Karte, deren Nachricht mir eine so überaus freudige war. Innigst danke ich es Ihnen, dass ich den Erstgeborenen nun bald lesen darf, geliebte Baronin. Neben dieser grossen Freude aber läuft eine grosse Sorge her, werden Sie sich auch nicht allzu sehr mit der Beendigung dieser Arbeit anstrengen? Täglich denke ich in Angst nach Ihnen hin, Baronin, frage mich wie es Ihnen gehen mag. Gott gebe: leidlich! Auch, dass die Karlsbader Kur Sie nicht sehr angreife, darum sorge ich mich auch noch. - Amalie [Hager] trägt mir ihre allerangelegentlichsten Empfehlungen auf, es geht ihr nur massig, die Erholung will sich noch nicht einstellen. - Neulich führte mich ein rendez-vous mit meinen amerikanischen Verwandten nach Reichenhall, in Berchtesgaden besuchte ich Vossens, denen es zum Glück gut geht. Wir schrieben zusammen eine Karte an Helene T[afel] nach Wien, Frau v. Flattich beantwortete

108

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

sie mir an Stelle Helenens u. so erfuhr ich den schrecklich traurigen Tod ihres armen Neffen in Forte dei Marmi - Die arme Helene In dankbarster verehrender Liebe Ihre Theo Karte, fol. 156 a b Datierung: Bezug auf den „Erstgeborenen", Kur der Ebner, vgl. 97/S.

99/S

vgl. 97/S und 99/S. - Karlsbader

Villa Fischnaler, Kufstein, 6. Aug. [1901]

Innigen Dank, theure hochverehrte Baronin, für die Herzensberuhigung, die mir Ihr gütiger Brief brachte! Gottlob und Dank, dass Sie sich jetzt für einige Zeit, nicht nur ein paar Wochen, Baronin! - Ruhe gönnen wollen. Immer wieder kann ich nur bitten: Bedenken Sie, was Alles Sie seit dem vorigen September geschaffen und gethan haben! Es war ein Kriegsjahr, das doppelt zählt - Gar nicht dankbar genug können wir Alle sein, dass Sie es ohne e r n s t e Schädigung Ihrer Gesundheit durchgehalten haben. Und nun belohnen Sie diese tapfere Gesundheit dafür, Baronin, pflegen Sie sie und lassen Sie sie's nur einmal wieder ein wenig gut haben. Wenn nur unterdessen die Hitze bei Ihnen nachgelassen haben möchte! Hier haben wir's gut, dürfte ich Ihnen doch etwas Kühle zutragen. Unbeschreiblich freue ich mich auf den Erstgeborenen! Und zum ersten Mal hat mich etwas das Sie sagten, entrüstet! Zimmermannsarbeit! - es ist eine Versündigung, Baronin, das zu sagen. In der Kunst Brücken bauen können, das ist wohl Feines und Grosses zugleich nur die, die wir Andern uns im Leben, und sei es auch mit dem Schweisse der Seele, zusammenzimmern, die fallen handwerksmässig aus. Beide Hände zugleich möchte ich Ihnen dafür küssen, dass Sie jetzt zur Nothwehr gegen Manuscripte greifen. Es ist ja doch anders nicht möglich, man muss sich doch das Anrecht auf freien Athem erhalten. Amalie [Hager], die sich Ihnen viel, vielmals empfiehlt, geht es nur gerade leidlich. Es ist ein Jammer, dass sich die rechte Erholung noch immer nicht zeigen will. Und mit meinem armen Schwager [Rickert] geht es auf und nieder, zu a n h a l t e n d e m Besserbefinden will es bis jetzt nicht kommen. Gar leid thut's mir, dass Grfn. Marianne [Kinsky] Sie, geliebte Baronin, nun verlassen musste, und dazu einer schweren Sorge wegen Uberaus gütig ists von Ihnen, dass Sie uns Ma,1 das wir nicht kennen, zukommen lassen wollen, tausend Dank dafür!

100/S - August [1901]

109

Nachmittags. Uber Mittag ist das Buch gekommen, nochmals tausend Dank! Auch Amalie wird es sehr interessiren, sie stellt Ruth2 sehr hoch. Geliebte Baronin, noch eine flehentliche, dringlichste Bitte sich jetzt schonen und pflegen und nur schonen und pflegen zu wollen! von Ihrer ganz und gar ergebenen Theo. fol. 157 ab, 158 ab, 159 a Datierung: Hinweis auf den anstrengenden vorigen September = Sept. 1900 = 70. Geburtstag der Ebner. - Hinweis auf den schlechten Gesundheitszustand des Schwagers Rickert 97/S. - „Ma" erschienen 1901 1 2

Lou Andreas-Salomé: Ma. Ein Portrait. Roman 1901. Lou Andreas-Salomé: Ruth. Erzählung. 1895.

100/S

Villa Fischnaler, Kufstein Tirol, 18. Aug. [1901]

Innig verehrte Baronin,

Alle1 sind sie sehr schön und sehr wahr!! Wenn aber durchaus eine Auswahl unter ihnen getroffen werden soll, so möchten wir in erster Reihe gestellt sehen Die Natur wird Die Männer sind Unsere guten Eigenschaften Die Grossen werden immer Ein richtiger Prediger Der Gelehrte kann in Sumpfvögel beschimpften Was bringst du? fragte Die andern aber, geliebte Baronin, dürfen darum nicht fallen gelassen werden! B i t t e nicht! Denn jedes von ihnen enthällt eine tiefe, mit grosser Feinheit herausgehobene Wahrheit. Wie tief z.B. Eine Gazelle verblutete - Sie wirken nur stiller in der Färbung, sie sind nicht so leuchtend, wie die erstangeführten. - Amalie [Hager] und mir scheint die letztere Fassung: Ein scharfer Tadel beleidigt - die prägnantere. Wie glücklich und dankbar macht mich die Nachricht, dass es Ihnen leidlich geht! Fühlen müssen Sie's zuweilen, Baronin, wie meine Gedanken um Sie sind -

110

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schiicking

Gottlob, dass Sie nun mit dem Sprudeltrinken fertig sind, das war ja doch angreifend. Ruhen Sie nun auch w i r k l i c h aus, Baronin, ach, ich fürchte, nicht so ganz und gar, wie Sie es brauchten, Sie können nicht müssig sein! Wie freue ich mich auf den Erstgeborenen.2 - Für Ma? sind wir Ihnen noch ganz besonders dankbar, es ist ein s o interessantes Buch s o anregend. Aber ungleich scheint es mir. Und vorwiegend aus dem Kopf heraus geschrieben, aus einem eminent klugen Kopf! Nur gerade in zwei oder drei dann aber auch wunderschönen Scenen kommt Herzblut herauf. Wie gern, wie gern möchte ich Sie darüber sprechen hören! Denn es ist mir schrecklich leid, dass ich das Buch nicht so hoch stellen kann, wie ich es möchte, weil Sie es lieben. Amalie empfiehlt sich Ihnen vielmals in dankbarer Verehrung. Es geht ihr jetzt wieder besser, wir hatten neulich zu einer Fahrt einen schrecklichen Wagen bekommen, und da hat das Stossen ihrer armen Niere noch tagelang nachher Schmerzen eingetragen. Jetzt hatte sie die Freude des 3 tägigen Besuchs ihrer Schwester. Meinem Schwager [Rickert] geht es leider noch immer sehr wechselnd, so ist die Besserung eine sehr langsame. In innigster dankbarster Liebe küsst voll Verehrung Ihre geliebte Hand Ihre Theo. fol. 109 a b, 110 a b Datierung: Hinweise zum „Erstgeborenen", „Ma", 99/S. 1

2 3

97/S und 99/S. - Hinweis auf

Aphorismen, die von der Ebner für Die Woche vorgeschlagen wurden, vgl. 102/E. Dank der freundlichen Auskunft von Ulrike Leuschner sind folgende Aphorismen, großteils in Notizbüchern enthalten, zu eruieren: „Die Männer sind auf allen Gebieten die Führenden, nur auf dem Wege zum Himmel überlassen sie den Frauen den Vortritt." „Unsere guten Eigenschaften tragen kurze Gewänder, die schlechten gehen in Schleppkleidern einher." „Die Grossen werden immer größer sein, die Kleinen immer noch kleiner sein als der Maßstab der an sie angelegt wird." „Ein richtiger Prediger predigt auch tauben Ohren." „Der Gelehrte kann in geistiger Vereinsamung leben, der Künstler stirbt an ihr." „,Was bringst du?' fragte der [...]." (Parabel) Vgl. 97/S Lou Andreas-Salomé: Ma, vgl. 99/S

mis 101 /S

- August

[1901]

111

Villa Fischnaler, Kufstein, 29. Aug. [1901]

Innig verehrte Baronin, Gerade heute wollte ich Ihnen schreiben, als nun in der Frühe Ihre liebe gütige Karte kam. Ein Hurrah dafür, dass Sie nun bald mit der Arbeit fertig sind! Sie dürfen wohl Ihrem Fleiss eine tiefe Reverenz machen, geliebte Baronin!! Wie freute ich mich schon, als Sie neulich schrieben, Sie hätten die Episode am Hofe vollendet 1 und nun sind Sie schon beinahe ganz fertig! Sie sind eben immer die Löwin! Die Nachricht macht mich so vergnügt, ich muss Sie durchaus „Hochverehrte Frau Doctor" anreden. Also: in Rom meinten Sie einmal, dass Sie mir erlauben möchten, die Fahnen durchzusehen. Wie gern thäte ich das! Westermann würde den Roman gewiss so rasch wie möglich bringen, vielleicht schon Januar? Gegen Mitte September gedenke ich nach Berlin zurückzukehren, in meine frühere Wohnung: W. Nürnbergerstr. 7 m und dort vorläufig zu bleiben. 2 Voilà meine Projecte, geliebte Baronin, andere habe ich nicht. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu wiederholen, dass es mir eine grosse Freude wäre, Ihnen bei dem Fahnendurchsehn ein wenig helfen zu dürfen - das „helfen" meine ich natürlich nur in Beziehung auf Druckfehler und vielleicht noch eine gelegentliche Wortwiederholung - und dass Sie mir durch die Erlaubniss dazu eine grosse Gunst erweisen würden!! Für Ihre schöne letzte Karte mit der Hannakin 3 dankte ich noch nicht, als ich die kleine Arbeit zum 13 ten dampfend abgeschickt hatte, kam mir natürlich der Katzenjammer und so verschob ich das Schreiben. Wie reizend nun die heutige Karte ist, innigen Dank! fol. 76 a b, 77 a b Datierung: Hochverehrte Frau Doctor - also nach 1900 (Ehrendoktorat); weiters wieder Hinweis auf Korrekturhilfe siehe vorangegangene Briefe 1 2

3

Episode am Hofe: Agave, SW VI, S. 431 ff. Theo Schücking dürfte ihre frühere Wohnung Berlin/Nürnbergerstr. doch nur kurzfristig bezogen haben. Nur der Brief 104/E ist dahin adressiert. Bereits 105/E geht nach Berlin/Kurfürstenstr. Bewohnerin der Hannakei, vgl. 115/E

112

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

102/E

Zdisslawitz 6. Sept: 1901

Fräulein Theo Schücking Kufstein Villa Fischnaler Tirol. Gestern am 5 r ist die Revision gekommen theure Theo. Meine Schwägerin half mir sie durchsehen. Es war noch viel zu thun. Heute nach sechs Stunden intensiver Arbeit habe ich die Bogen expedirt. Dank für die Aphorismen]! 1 nun habe ich 10 brauchbare für die Woche - Sehen Sie, da wohne ich; an dem Fenster mit dem kleinen Vorhang steht mein Schreibtisch. 2 Nächstens mehr alles Beste an Sie u. unser liebes Fräulein. Ihre treue alte M. Postkarte mit aufgeklebter Photographie. 1 2

Aphorismen, vgl. 100/S. Photographie von Schloß Zdisslawitz.

103/S

Villa Fischnaler, Kufstein, 11. Sept [1901]

Innigst verehrte und von ganzer Seele geliebte Baronin, Alles Gute und schöne, das es auf der Welt nur giebt, wünsche ich Ihnen zum 13 ten 1 und zu allen folgenden Tagen! Sehnlich hoffe ich, dass Sie den Tag auf das Angenehmste verbringen, dass Sie sich sehr wohl fühlen werden, und dass er der erste einer längeren Reihe von Tagen ist, die der Erholung gehören. Amalie [Hager] trägt mir ihre innigsten Glückwünsche aus tiefster Verehrung heraus, auf. Tausendmal Dank für die schöne, liebe Karte, Baronin - und für die gute Nachricht, dass Sie nun die grosse Arbeit 2 ganz und gar fertig haben. Aber wie haben Sie sich noch damit geplagt, 6 Stunden intensiver Arbeit an einem Tage! Uberaus leid war es mir, dass ich Ihnen nicht die Revision a b n e h m e n konnte, aber da ich hier Niemanden zum Mitlesen hatte, würde ich wohl mehr Zeit dazu gebraucht haben, als sie von Berlin aus dazu liessen. Am 17 ten gedenken wir hier aufzubrechen, anderthalb Tage gemeinsam in München zu verbringen und dann nach Ost und N o r d auseinander zu gehen - Gleich nach meiner Ankunft in Berlin (W.

113

104/E - September 1901

Nürnbergerstr. 7 III) erlaube ich mir dann, Ihnen durch eine Karte Nachricht davon zu geben. Ich steige in der (unbewohnten) Wohnung meiner Schwester [Gerhardine] ab und gehe nur Tagsüber in die meine, um zum Umzüge (1. Oct) zu packen. Mitte November wollen Rickerts in Berlin eintreffen, gebe Gott, dass ihm die Thätigkeit dort, die ihm freilich der Arzt, d. h. mit Mass, erlaubt hat, nicht unheilvoll ist! Noch einmal, geliebte Baronin, viele, viele unaussprechlich innige Wünsche von Ihrer Theo. fol. 100 a b, 101 a b Datierung: Hinweis auf Wohnungswechsel in Berlin, 101/S und 104/E. tigstellung der „Agave", erschienen ab Oktober 1901. 1 2

-

Fer-

71. Geburtstag der Ebner. Agave, vgl. 92/E.

104/E

Zdisslawitz 18 I X 901

Fräulein Theo Schücking Berlin W. Nürnbergerstr. 7 III Theure Theo, nur um Gotteswillen, sich meinetwegen keine Sorgen machen! Dazu ist nicht der Schatten eines Grundes. Viel eher hätte ich Ursache mich über die Mühe u. Plage zu grämen, die Sie bei der Übersiedlung haben werden. Ich bin noch nicht im Reinen mit meinen Winterprojekten. Aus lauter Ängsten zusammengesetzt: vor der weiten Reise nach R[om] vor dem kalten Winter bei uns, vor den (Zeit: u>[] Ihre Marie Postkarte mit aufgeklebter Photographie, Halbe Zeile herausgeschnitten

darüber hs. E-E: Zdisslawitz. Salon.

114

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

105/E

/Wien Karlskirche; 6. Oct: 1901 Wien.

Fräulein Theo Schücking Berlin W. Kurfürstenstr. 119. Parterre. Theure Theo, natürlich rührt u. beglückt mich die Absicht des geliebten Fräuleins T. S. u. des verehrten D r Gflaser]. 1 Wie könnte es auch anders sein? Schreibe n ä c h s t e n s , werde Sie beschwören meiner Bitten eingedenk zu sein. Ihre M. Postkarte mit Abb. 1

Bezieht sich auf den Essay Theos: Marie von Ebner-Eschenbachs Heimat, 1902, vgl. unten S. 284ff.

106/E

Wien 17. Oct. 1901.

Meine theure Theo! So eben kommt ein Brief vom guten Herrn Bonfily, 1 der mir das Herz schwer macht. Er bedauert wie ich glaube aufrichtig, daß wir nicht nach Rom reisen werden. Ich schrieb ihm daß ich, wenn mir der Himmel das Leben schenkt, am ersten October 1902 wieder die mir so lieb gewordene Wohnung auf Piazza di Spagna zu beziehen gedenke. Es ist also bestimmt theure liebe Theo: Bis Ende Novembers bleibe ich in Wien. Dann wintere ich mich ein in Löschna u. bleibe dort bis ungefähr Ende März. April u. Mai möchte ich wieder in Wien zubringen u. im Juni mit meiner Nichte Marianne [Gräfin Kinsky] samt Haushalt nach Aussee. Nun theure liebe Theo, hoffe ich auf Ihren Besuch im Frühjahr. Ich hätte viel, sehr viel mit Ihnen zu besprechen. Nicht nur daß ich mich oft herzlich nach Ihnen sehne, ich bedarf Ihrer Hülfe, Ihres Rates. Für heute nichts mehr. Ich bin wie immer gehetzt, habe täglich Sitzung bei Marie Müller.2 Mög es Ihnen gut gehen! Bitte, an die Reproduction der Medaille nicht denken. Weigl hat ein vorzügliches Relief gemacht, das werde ich photographiren lassen. Nochmal: Mögen Sie wohl, s e h r wohl sein! In Treuen Ihre alte Marie.

Marie von Ebner-Eschenbach, österr. Dichterin (1830-1916). Relief von Robert Weigl

116

1

2

A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo

Schücking

Wohnungsvermieter in R o m ; bei ihm wohnte die Ebner während ihrer vorausgegangenen Rom-Aufenthalte. Pastellbild von Marie Müller, 1901. Abgebildet in: Ebner Bonner Symposion, S. 299, Abb. 8.

107/S

Berlin W., Kurfürstenstr. 119, 24. Oct. [1901]

Innigst verehrte Baronin, Welch herrlich liebe und wunderschöne Aussicht eröffnete mir Ihr Brief! O b ich Ihnen Handlangerin sein will, Baronin! Wie freue ich mich darauf, all diese geliebten Sachen mit Ihnen wieder durchgehen zu dürfen! D a n k , dass Sie dabei an mich dachten! Und welch ein Glück würde es nicht nur mir, auch Amalie [Hager] bedeuten, im Sommer mit Ihnen und Gräfin Marianne [Kinsky] am selben Ort zu sein! Ganz selig macht es mich, daran nur zu denken. Ob nun K u f s t e i n , Ihres Wohnens dort wegen, gerade dazu geeignet wäre, das geliebte Baronin, kann Ihnen Amalie besser sagen als ich. Sie haben so viele Besuche zu machen und riskiren obendrein, Amalie vielleicht nicht zu Haus zu finden, was dieser unsagbar leid sein würde, wollen Sie sie nicht bitten, Baronin, dann und dann zu Ihnen zu kommen? Heute nur diesen flüchtigen aber innigsten Herzensdank! Morgen will Dr. Glaser kommen, um nach dem Stande meiner kleinen Arbeit zu sehen, und da ich erst vor Kurzem wirklich dran kam, muss ich heute fleissig sein. Gestern schrieb mir meine Schwester [Gerhardine], dass sie gegen den 20 sten November kommen werden, nun bleibe ich jedenfalls so lange wie sie (halben December) und vielleicht aus Beharrungsvermögen auch darüber hinaus. Geschämt habe ich mich neulich recht, dass ich Ihnen von nahen Freunden hier nur Loebs nannte, Johanna Mittelstaedt ist ja auch da, aber durch die Lage und die Tageseinrichtung ihrer Pension schwierig zu erreichen, wir sahen uns bis jetzt nur Sonntags. - Von ganzem Herzen dankbar küsst Ihre geliebte Hand Ihre Theo. Mit welchem Genüsse und auch feinem Verständniss lesen die Menschen hier Agave und Erstgeborenen.

108/S - Herbst

[1901]

117

fol. 192 a b, 193 a b Datierung:

will Dr. Glaser kommen, u m nach dem Stande meiner kleinen Arbeit

zu sehen = „Marie v. Ebner-Eschenbachs Heimat". 1902. Daher dieser Brief 1901. - Kufsteinpläne der Ebner in ihrem Brief1909/E angesprochen. - Verweis auf „Agave" und „Der Erstgeborene", beide ab Oktober 1901 erschienen.

108/S

Berlin W., Kurfürstenstr. 119, [Herbst 1901]

Dank, tausend Dank innigst verehrte, geliebte Baronin! Wieviel Mühe habe ich Ihnen mit den beiden Blättern gemacht! Aber wie nöthig wars dass Sie sie ansahen! Wärmsten Dank auch für Ihren viel zu guten Brief vom Samstag, den mir Gräfin Mariannes [Kinsky] liebe Hand zusandte. Gestern versuchte ich etwas über Prof. Pauly zu erfahren, ohne Erfolg, vielleicht gelingt's mir heute Nachmittag und dann würde ich Ihnen gleich davon berichten. Lebte Dr. Jacobowski noch, dann hätte ich ja noch am selben Tage Alles gewusst Für die lieben schönen Bilder 1 küsse ich Ihnen noch ganz besonders beide Hände. Wie froh bin ich dass Sie das Wohnung nehmen in Wien vorläufig noch hinaus geschoben haben, Baronin! So bleibt mir ja doch ein O a sensignal in diesem Berliner Wüstenwinter, - greulich ists hier! Und dennoch will ichs gern aushalten, um nur einmal noch wieder für eine Zeitlang mit meiner Schwester, die jetzt so Schweres durchzumachen hat, zusammen zu sein. So innig wie man nur bitten kann Baronin, bitte ich Sie, schonen und pflegen Sie sich recht, dass Sie sich keine Erkältung, keine Übermüdung zuziehen, vergessen Sie nicht dass 3 römische Winter nacheinander, doch empfindlicher gegen Temperaturwechsel machen. Nicht wahr, Gräfin Marianne bleibt noch - solange sie bei Ihnen ist, hat man keine Angst, dass Sie sich verderben, sie denkt immer daran für Sie zu sorgen, God bless her. Mir geht es gut, um mich dürfen Sie keinen Gedanken der Sorge haben, geliebte Frau Doctor - Wärmste Empfehlungen an Grfn. Marianne. und innigst dankbare Verehrung und Liebe von Ihrer Theo. fol. 160 a b, 161 a b Datierung:

geliebte Frau D o c t o r = nach 1900;

- 3 römische Winter nachein-

ander = Romaufenthalte der Ebner 1898, 1899, 1900, also Datierung 1901 1

Wahrscheinlich Bildmaterial für den Essay Theos: Marie v. Ebner-Eschenbachs mat.

Hei-

118

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

109/E

Wien 25. Oct: 1901

Meine theure Theo! Ich war bei Fräulein Hager u. habe mein Kufsteiner Project 1 ausgekramt. Sie meint, daß wir eine halbwegs passende Wohnung nicht finden würden. (Keine Unterkunft für Sommergäste:) Es ist das in Tirol alltägliche Übel. Nun war das Ehepaar Breuer gestern bei mir u. redete mir zu den Sommer nur ja nirgends (anders) als in Berchtesgaden zuzubringen. Ich werde Fräulein Hager lange Zähne nach einem Aufenthalt in Berchtesgaden zu machen suchen. Gelingt es nicht, nun dann vertröste ich mich auf den Winter. In elf Monaten können wir schon in Rom sitzen u. verteufelt fleißig sein! Gestern war (auch) Professor Brentano bei mir, hat wieder seinen Sturm- u. Flattermantel abzulegen vergessen während seines ganzen langen Besuchs. Er sprach liebe, schöne, gescheite Sachen, ((sprach von Fechner 2 - jetzt meinem Freund und Tröster)) die mich entzückten, u. dennoch mußte ich oft darüber nachdenken was er wohl anhaben mag untrer dem Sturmmantel mit dem großen Kragen? Vielleicht nur ein Camisol u. weiße Inexpressibles, oder einen Schlafrock, oder vielleicht war er gar in Ball-Toilette u. wollte mich nur nicht blenden. Gute Theo, jetzt plagen Sie sich wieder mit mir. Bitte, loben Sie mich nur nicht w e i t w e i t über Verdienst, wenn von Verdienst überhaupt die Rede sein kann. Ganz gerecht genommen, kann nicht die Rede davon sein. Man thut wirklich nur was man thun muß. 27. Seit vorgestern liegt dieser armselige Zettel in meiner Mappe, ich sollte ihn nicht absenden, thu's aber doch, sündige auf Ihre Nachsicht. Sie wissen unter welchen Umständen ich schreibe. Nach jedem Satze eine Unterbrechung. Heute Sonntag. Morgens Kirche. Um 12 der Besuch der Spitzen der Uhrmachergilde 3 die meine Sammlung in Augenschein zu nehmen kommt. Nachmittags Vorlesung eines den Abend füllenden Stückes das Flora Gallinys Beifall hat - ich bin eine Menschenfresserin wenn ich nicht lobe. Abends jetzt immer Leute, weil sie wissen, daß ich da unfehlbar zu treffen bin. So thue ich denn gar nichts, zapple mich nur ab. In Löschna soll's anders werden. O theure Theo, leben Sie wohl! Haben Sie es denn behaglich? haben Sie eine gute Bedienerin? Ich grüße, grüße Sie, ich bitte Sie seien Sie brav u. sorgen für meine liebe Theo. Ihre Marie

110IS - Oktober

1 2

3

[1901]

119

Über Kufstein-Pläne der Ebner 107/S. Zur Fechner Lektüre - Brief Ebner an Breuer vom 28. 9. 1901: „Ida hat mich mit seinen kleinen Schriften bekannt gemacht, die mich ziemlich kühl ließen. Ich fand damals aus meiner eigenen engen Welt den Weg zu seiner großen nicht. Jetzt war allerdings das Büchlein vom Leben n[ach] d[em] T[ode] das erste das ich [...] erhielt und las. Die Biographie, die Tagesansichten folgten. Ich bin eine ignorante Kreatur und muß von vornherein darauf verzichten Fechners Gedankengang bis zu seinem Ursprung zu verfolgen, aber ich habe etwas, das stärker ist als Wissen, ich habe den Glauben. Es freut mich mehr als ich sagen kann, daß ich von mir selbst, zur Uberzeugung kam, während ich die ersten Kapitel der Tagesansichten las: das ist ja die Religion der Zukunft." Ebner-Breuer Briefe, S. 42. Die Ebner ließ sich 1879 als Uhrmacherin ausbilden; dies und ihre bedeutende Uhrensammlung (heute zum größten Teil im Uhrenmuseum der Stadt Wien) brachten sie in Verbindung zur Uhrmachergilde.

110/S

Berlin W., 119 Kurfürstenstr., 3 0 ste O c t . [ 1 9 0 1 ]

Innig verehrte Baronin, Dass ich auf einen so gütigen Brief zwei Tage lang schwieg - was mussten Sie nur von Ihrer alten Theo denken. Aber, geliebte Baronin, am Montag machte ich den Artikel fertig, gestern arbeitete ich ihn durch, heute habe ich ihn abzuschreiben angefangen. Ach, er gefällt mir gar nicht, „so musste es kommen, so hast Du's gewollt" würde ich Dr. Glaser vorsingen, wenn mir zum Singen nicht viel zu kümmerlich zu Muth wäre. Wenn Dr. Glaser ihn durchlesen hat, dürfte ich ihn (den Artikel) Ihnen vielleicht schicken, damit Frl. Hermann vielleicht ihn liebenswürdiger Weise eben durchflöge - da darin von Zdisslawitz die Rede ist konnte ja irgend eine dumme Unrichtigkeit darin stehen! Ja, leider Gottes ist es in Kufstein mit Wohnung und Unterkunft schlecht bestellt, es ist sonst ein besonders lieber Ort. Berchtesgaden ist einer der schönsten Punkte in Deutschland, und da Dr. Breuer, der doch Ihre Natur so genau kennt, es Ihnen anempfohlen hat, braucht man sich keine Sorge wegen der Wirkung der dortigen Luft zu machen, die ja Manchen, meiner Schwester z.B. und dem Voss, n i c h t gut thut. Unaussprechlich gern, geliebte Baronin, möchte ich dass wir dann auch hinkämen, weiss freilich gar nicht im Voraus, wie Amalie [Hager] entscheiden wird. In Reichenhall war sie ja öfters, zuletzt noch mit mir. Und da fällt mir ein, auch Sie, Baronin, waren ja öfters in Reichenhall, und so kennen Sie die Luft von Berchtesgaden ja auch schon. Wie glücklich würde es mich machen, mit Ihnen in Rom zu sein und für mich, aber nur für mich allein, „verteufelt fleissig" zu sein -

120

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

alle Correcturbogen für Sie durchzusehen! Aber Sie, Baronin, Sie müssten den nächsten römischen Winter nur der Ausspannung widmen - der letzte war zu arg angreifend für Sie! Und nun genug der „Wohlweisheit", und ich will nur ehrlich gestehen, dass mir die Vorstellung vom Mit Ihnen lesen dürfen Fragment, fol. 105 a b, 106 a b Datierung: wieder Bezug auf den Essay „ Marie v. Ebner-Eschenbachs Heimat" 1902, ebenfalls wieder Erwähnung der Kufsteinpläne wie in den vorausgegangenen Briefen.

111/S

Weihnachtsabend [1901]

Innigst verehrte, gütige Baronin, Das war wohl eine traumhaft liebe Überraschung, nun steht es vor mit mit Tannenreislein umkränzt, das namenlos liebe Bild. 1 Denn es ist ähnlich, Baronin, der es machte Ihres Geistes hat er einen Hauch gespürt - Sie sind es wirklich und nicht jemand ganz Anderes - Und wie reizend ist Format und Rahmen und die schöne Inschrift. Vom Grunde meines Herzens d a n k e ich Ihnen für Ihre Güte, die mir meinen Weihnachten verklärt. Unaussprechlich erleichtert fühle ich mich weil ich Sie nun aus Wien, wo doch nur die Uberanstrengung durch Menschen Sie wieder krank gemacht hat, - fort zu wissen! Und ich denke es mir nun als eine wundervolle Nervenwohlthat für Sie, geliebte Baronin, dass in Löschna ihr Tag I h n e n gehört. Innigen Dank auch für die letzte Agave - klingt sie nicht wundervoll aus, noch jedes Mal ergreift mich der Schluss so, wie wenn ich ihn zum erstenmal läse Wie froh wäre ich, wenn Sie die Morgen in Florenz2 noch nicht kennten! Sind Sie Ihnen längst vertraut Baronin, dann lächeln Sie gütig über diese Dummheit Ihrer alten Theo. O b wohl die Adresse „Löschna in Mähren" genügend ist? Diesen Brief will ich vorsichtshalber lieber erst nach Wien senden, um zu erfahren ob was ihm voranging, sicher in Ihre geliebten Hände gelangte. Nehmen Sie das einliegende kleine mexicanische Kunststück in Gnaden auf, theure Baronin, w i e fein müssen die Finger sein, die das machen können. Ausser für Ihr liebes, liebes Bild fühle ich mich heute Abend für nichts so dankbar, als für mein bischen Fantasie, die mich in Ihre Nähe

112/E - Dezember

1901

121

versetzt und mich Sie schauen lässt, wie Sie sich unter Ihren Kindern bewegen als sähe ich Sie in Wahrheit! Freilich thäte ich das, wäre mir herrlich friedensvoll zu Muth, während mir mein Fantasiebild von Ihnen überaus die Sehnsucht weckt. Es war mir ein Gemüthsbedürfniss heute allein zu bleiben. Solange ich in Berlin bin habe ich den Weihnachtsabend stets bei meinen Freunden Loeb verbracht. Und da es dort jetzt t r o s t l o s aussieht, wäre es mir eine Pein, den Abend den ich mir in Berlin nur bei Ihnen denken konnte, nun mit andern, frohen, Menschen zu verleben, denen zu liebe ich dann auch eine frohe Miene annehmen müsste. Und nun gütigste, von ganzer Seele verehrte Baronin, danke ich Ihnen noch einmal so innig wie man nur innig danken kann - für diesen schönen theuren Christkindchengruss. Ihre ganz und gar ergebene Theo. fol. 58 ab, 59 ab Datierung: Die letzten Lieferungen der „Agave" Dez. 1901/Jan. 1902, siehe auch 107/S. - Weiters: Ob wohl die Adresse „Löschna in Mähren" genügend ist? bezieht sich auf 106/E: Bis Ende Novembers bleibe ich in Wien. Dann wintere ich mich ein in Löschna. 1

2

Vermutlich eine Photographie, vgl. 106/E: „Weigl hat ein vorzügliches Relief gemacht, das werde ich photographiren lassen." Morgen in Florenz = Weihnachtsgabe Theos an die Ebner. Deren Dankschreiben 112/E: „von einem ausgezeichneten Führer geleitet in Florenz in Santra Croce" nimmt darauf Bezug. Es handelt sich hiebei um eine kunstgeschichtliche Abhandlung Ruskins, vgl. 113/E und 117/E.

112/E

Wien 25. (abends) XII 1901

Fräulein Theo Schücking Berlin W 62 Kurfürstenstraße 119 Parterre Theure Theo, Dank Ihnen habe ich den gestrigen u. den heutigen Abend, von einem ausgezeichneten Führer geleitet in Florenz in Santa Croce zugebracht u. mich dort unsagbar wohl befunden. Sie haben mir eine große Freude gemacht mit dem schönen Buche 1 u. auch für das liebe Bildchen habe ich innigsten Dank zu sagen. Auf einige Zeilen

122

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schiicking

von Ihnen hoffe ich, vielleich bringt sie die morgige Post. Mit meiner Gesundheit geht es wieder gut Mög es auch Ihnen gut gehen meine theure Theo. In Treuen Ihre M. Postkarte 1

Vgl. 111/S, Anm.2.

113/E

Wien 27. XII Ol

Fräulein Theo Schücking Berlin. 62 Kurfürstenstraße 119 Parterre Theure Theo, innigst danke ich für die schönen, bewunderungswürdigen Pfauen. Viel zu viel, theure Theo schenken Sie mir. Jetzt habe ich an Ruskin 1 schon eine so kostbare neue Bekanntschaft durch Ihre Güte gemacht. Ich ging ihm bis jetzt aus dem Wege, hatte eine gewisse Scheu vor ihm. Und absolut ungerechtfertigt war sie vielleicht nicht. Wie freue ich mich auch darüber mit Ihnen Rat zu pflegen. Gott behüte Sie! bleiben Sie nur gesund, am 31. hoffe ich um 5 Uhr nachmittags in Löschna einzutreffen. Innigst, herzlichst Ihre Marie. Postkarte 1

Ruskin, vgl. 111/S, 112/E, 117/E.

114/S

Kurfürstenstr. 119, Berlin W., 27 ste Dec. [1901]

Geliebte, innig verehrte Baronin, Wohl bin ich namenlos dankbar, dass es Ihnen wieder besser geht, aber doch noch ganz auseinander darüber, dass Ihnen diese schöne Weihnachtsfreude mit Ihren Kindern zusammen zu sein, zerstört wurde! Theure, innig geliebte Baronin, es thut mir ganz unaussprechlich leid - Und zu der Enttäuschung, zu Ihrem Kranksein nun auch noch die kleinen Unbehaglichkeiten des Umstellens aller schon getroffenen Einrichtungen, unglücklich macht es mich, mich in Alles das

11S/E - Januar 1902

123

hineinzudenken - und immer wieder muss ich mir des Dankgefühls dafür bewusst werden, dass Sie nur wieder besser sind! Gottlob, geliebte Baronin! Wie Ihr Bild mir meinen Weihnachten verklärte, das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen - tausend, tausend Dank dafür! Und es ist mir wie von Heinzelmännchen auf den Tisch gelegt worden, während ich nicht zu Haus war, wurde es beim Portier abgeliefert und von diesem mir in die Wohnung gebracht, so ist es mir als ein richtiges Glücksgeschenk, das es ist, zugefallen ohne dass ich auch nur einen Schritt darum gemacht hätte. (Und keinen Groschen, - zu meinem Bedauern nicht einmal den für den Boten, - dafür ausgelegt, Baronin) J e länger ich das liebe Bild betrachte, je lebendiger wird es Wärmsten Dank auch für Ihren gütigen Brief, den ich gestern früh und für die liebe Karte, die ich heute Morgen erhielt. Dass Sie den Ruskin noch nicht kannten und nun gleich lasen, macht mich so dankbar, geliebte Baronin. Ach, herrlich wäre das in Nr. 9 ein Zimmer zu finden! Aber nur eins Baronin, ich habe ja in R o m nie mehr gehabt, nur im letzten Winter zwei, weil der Eingang zu dem ersten, das ich schon früher hatte so besonders abstossend war. Mit der inständig flehentlichen Bitte, sich zu s c h o n e n und zu p f l e g e n bin ich von ganzem Herzen Ihre dankbarste Theo. fol. 137 a b, 138 a b Datierung: das liebe Bild = Weihnachtsgabe der Ebner an Theo,

einer Photographie 106/E, von Theo empfangen 111/S

115/E

Ankündigung

Löschna 5. Jan. 02

Fräulein Theo Schücking Berlin 62 W. Kurfürstenstraße 119 Meine theure Theo, heute nur einen ganz kleinen Gruß aus der Hannakei. 1 Gott erhalte Sie, bleiben Sie gesund u. mir gut im neuen Jahre. Mir geht es hier alle Tage besser; Meine Kinder sind engelhaft gegen mich. Sobald die Neujahrsgratulationen abgethan sein werden, fange ich an eine kl. Geschichte 2 zu schreiben. Darf ich das M. S. seiner Zeit schicken? alles erdenkliche Beste! Ihre M. E.

124

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

(Innigst erfreut über die besseren Nachrichten von Ihrem Schwager [Rickert].) Postkarte mit färb. Abb. Gedruckt: „Na té nasé Hané vsecko pozehnané, a to nejpéknéjsi: Hanacky; cervenounké tvdfe, ocka plny zàfe, temi ucaruji, ctveracky!" 1 2

Hannakei = eine Landschaft in Mähren: Große und Kleine Hanna in Mittelmähren. Ihr Beruf. Erzählung in: Gartenlaube 1903. Vgl. 116/E, 117/E und 120/E.

116/E

Löschna 17.1. 1902.

Meine geliebte Theo! „Heute haben wir blauen Himmel, Sonnenschein, vollkommene Windstelle, und die Kinder haben mir einen blühenden Mandelstrauch ins Zimmer gestellt. Darf man da Rom vermissen?" schrieb ich eben an meinen Bruder. Die Antwort lautet: Rom nicht so sehr wie meine gute Theo. Meine Kinder sind engelhaft für mich, und die Kinder der Kinder unbeschreiblich lieb und liebreich. Ich möchte die ganze Gesellschaft mit mir nach Rom nehmen können, wenn ich im nächsten Winter wieder dort sein werde. Ich weiß Theo, daß Sie und meine Nichte Marie [Gräfin Dubsky] einander zusagen würden wie selten zwei Menschen. Wie ich Ihnen schrieb, habe ich eine kleine Arbeit 1 für die Gartenlaube angefangen, und bin noch vollkommen im Zweifel ob etwas daraus wird. Im Anfang hemmte mich der Gedanke, daß ich für 16 jährige Leserinnen schreiben müsse, dann wieder kommen mir Skrupel, weil die Geschichte in katholischen Kreisen spielt. Die Heldin ist eine überzeugte Katholikin. Wenn nun Geheimrat Kröner so sehr aufs Protestantische hält wie Dr. Glaser, was dann? Viel hätte ich zu fragen, viel mit Ihnen zu besprechen. Wie geht es Ihnen, liebe theure Theo? Ist die Gesundheit gut, sind die Augen brav? Daß es Ihrem Herrn Schwager [Rickert] ordentlich geht, ist mir ein wahrer Trost. Was sagen Sie zu Herminens [Villinger] Berlin-Project? 2 Ich halte dafür, daß es ihr höchst wohlthuend wäre eine Zeitlang aus ihren kleinlichen Karlsruher-Verhältnissen heraus zu kommen. An ihrem Buche Binchen Bimber3 konnte ich keine Freude haben und schrieb es ihr auch. Jetzt erfährt aber gerade dieses Binchen große Erfolge, wird von den Kritikern über und über gelobt. Wer kann es ihr verargen wenn ihr die Zustimmungen besser gefallen als

117/E - Januar

1902

125

der Tadel? Vielleicht kommt die Zeit in der ich einsehen werde, daß ich mit dem meinen unrecht habe. Leben Sie wohl, theure Theo. Ich denke Ihrer gar oft in großer Freundschaft und Dankbarkeit. Ihre Marie 1 2

3

Ihr Beruf. Vgl. 115/E, 117/E und 120/E. Berlin-Projekt der Villinger? - bezieht sich möglicher Weise auf 124/S aus Berlin: „Herminens Vorlesung sehr schön verlaufen". Hinweis auf Binchen Bimber, vgl. unten S. 474.

117/E

Löschna 28.1 1902.

Meine theure geliebte Theo! Wie leid thut mir, daß Sie so abscheuliche Wohnungsunannehmlichkeiten haben! Nervenaufreibend ist eine musikalische Nachbarschaft dieses Kalibers. Wenn die Concertistin nicht auszieht, wird Ihnen nichts übrig bleiben als Ihre Wohnung abermals zu verlassen. Ich leide mit Ihnen so oft ich an Ihre Qual denke. Hoffentlich können Sie sich bis 1. Februar (tagsüber) recht lang bei Ihrer Frau Schwester aufhalten. Gott erhalte Ihren Schwager [Rickert] gesund. Daß ein Feuergeist wie der seine nicht ruhen kann, das weiß man ja. Wenn er's auch nicht aufschriebe und ausspräche was in ihm vorgeht, es wäre doch da und würde rastlos schaffen, und kämpfen. Ihr Aufsatz für Westermann1 ist gewiß für zu schmeichelhaft für diejenige, von der er handelt. Das schwöre ich bevor ich eine Zeile gelesen habe. Das Buch von Baronin Meysenbug2 lasse ich mir kommen. Marie Herzfeld berichtete neulich ganz begeistert darüber in der n[euen] f[reien] Presse. Ich werde gewiß mit Ihnen sagen: es ist gut, daß es da ist. Wer weiß, theure Theo, vielleicht sitzen wir heut über's Jahr bei Baronin Meysenbug und erweisen ihr göttliche Ehren. In absoluter Ratlosigkeit denke ich an den Sommer. Breuer ist so sehr für Berchtesgaden, und ich fürchte, daß ich dort nicht einen Tag Ruhe hätte. Mein Traum wäre ein stilles Winkelchen irgendwo in schönen Bergen mit Ihnen, Fräulein Hager und meiner Marianne [Kinsky]. Meine kleine Arbeit,3 ein sehr bescheidenes Ding, dürfte im Laufe des Februar fertig werden. Dann möchte ich es ihnen schicken, und um Ihr strenges Urteil bitten. Das darf ich, nicht wahr?

126

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Seien Sie tausendmal gegrüßt und Gott erlöse Sie bald von Ihrer clavierspielenden Nachbarschaft. (Schluss eigenhändig!) Mit Ruskin bin ich zu Ende. - Wie ungeheuer merkwürdig! Ich wünsche mir im Frühherbste in Florenz, mit den „sechs Morgen" in der Tasche nach Santa Croce wandern zu können u. dort ein bischen wenigstens, ein kleines Teilchen von dem zu sehen was er dort gesehen hat. 4 Warum hat dieser Schauende manchmal eine Blende vor den Augen? Z.B. wenn er von dem „Trugschluss" Darwins spricht? Gott beschütze Sie, theure Theo. Wenn ich nur wüßte ob es Ihnen - nach dem Auszug der armen Musikantin, sie ist ja am Ende auch zu bedauern, - behaglich geht. Seien Sie gegrüßt. Ich freue mich auf Herminens [Villinger] Briefe aus Berlin, ich hoffe viel für sie von dem dortigen Aufenthalt. Innigst Ihre Marie. Von fremder Hand. Eigene Hs.: (Schluß [...] Marie. 1 2

3 4

Theo Schücking: Marie v. Ebner-Eschenbachs Heimat. Vgl. S. 284ff. Entweder - Malwida von Meysenburg Der Lebensabend einer Idealistin. Nachtrag zu den,Memoiren einer Idealistin'. 1898 - oder (unwahrscheinlicher) ihr Essay Individualitäten. 1901. Ihr Beruf. Vgl. 115/E, 116/E und 120/E. Bezieht sich auf Theos Weihnachtsgabe an die Ebner (1901) = Kunstgeschichtliche Abhandlung Ruskins, siehe auch 111/S, 112/E und 113/E.

118/E

Löschna, 19. Februar 1902

Meine theure Theo, das thut mir leid, daß Sie {m}(M)agenschmerzen hatten u. Fieber u. sogar zu Bette liegen mußten. Wer hat Sie in den schlimmen Tagen der Krankheit gepflegt u. besucht? Sehen Sie, mir ahnte daß es Ihnen nicht gut geht u. ich machte mir Sorgen. Ach Theo, ich spaziere schon lange herum mit einer großen Bitte an Sie auf dem Herzen. Mit Berchtesgaden u. überhaupt mit einem Aufenthalt im Gebirge wird es kaum etwas werden, wahrscheinlich bringe ich den Sommer teils in Löschna, teils in Zdisslawitz zu, bin Ende Septembers in Wien u. schon in den ersten Tagen des Octobers in Rom. Bis dahin möchte ich aber unser Wiedersehen nicht hinausschieben. Sie können sich nicht vorstellen wie dringend ich Ihrer bedarf. Ihre liebe Teil-

118/E - Februar 1902

127

nähme an jedem Satz in meinen Arbeiten, Ihr Rat, Ihr Urteil sind mir notwendig. Nehmen Sie Rück- [!] auf die alte hilfsbedürftige Egoistin, liebe Theo u. wenn Ihre G e s u n d h e i t es erlaubt - conditio sine qua non! - kommen Sie im Mai nach Wien, zu mir, als mein lieber Gast, für 4 Wochen. In meiner kleinen Wohnung ist leider kein Platz aber ich installire Sie im Hotel Klomser, ganz nahe von mir u werde Sorge tragen, daß Sie dort gut behütet werden u. gut aufgehoben sind. (Denken Sie auch an die Freude die allen Ihren Wiener Freunden ein Wiedersehen mit Ihnen sein würde.) 20'

Gestern wurde ich unterbrochen u. kann erst heute weiter schreiben. Ich hatte der lieben, einzige Marie Müller für eine große Freude die sie mir gemacht hat zu danken. Stellen Sie sich vor, sie schickt mir ein Bild Idas [Fleischl], in halber Lebensgröße nach der Photographie die auch Sie besitzen, ausgezeichnet getroffen, das lebendige Leben, u. so schön gemalt.1 Eine Freude. Marie [Gräfin Dubsky] weinte als sie das Bild sah. Kann man aber auch nicht gerührt sein über diesen lieben Einfall der liebenswürdigen Künstlerin? Arme Theo, ich muß immer wieder dran denken daß Sie krank gewesen sind u. fragen wer Sie in einem solchen Falle betreut. Hermine [Villinger] schrieb gestern. Ich wüßte sie so gern schon bei Ihnen, sie leidet durch diese Geschichte mit Fr. v. N[ajmajer] mehr als mir recht ist u. ich völlig begreifen kann. Sie hat unter diesen Beziehungen ja doch recht sehr gelitten u. sie als etwas beschwerliches u. ihrer Natur widerstrebendes empfunden. O Theo - die Buren u. in Wien der Angriff Luegers auf die besten unserer Bürger u. in Triest die anarchistischen Bewegungen - das ist alles schrecklich. Die Angst vor dem Communismus u. Anarchismus2 die treibt die Regierung in die Arme der christlichen - sogenannten christlichen Partei. In Wirklichkeit haben diese Leute so viel Christentum wie die Zulu-Kaffern. Neulich schrieb ich an Gebrüder Paetel 2 geb. Expl. v. Spätherbst tagen3 an zwei unbekannte Freunde von mir zu schicken, u. erhielt die Antwort, es seien a u g e n b l i c k l i c h nur noch einige wenige brosch: Expl: u. nur noch ein geb. Expl. vorhanden. Wenn das heißen sollte daß die Auflage zu Ende geht, dürfte ich da bei der Correctur der neuen auf Ihre Hülfe hoffen. Erlauben das Ihre Augen? Ehrlich antworten, ich b i t t e ! Meine kleine Arbeit schreitet langsam vorwärts - es ist etwas anderes gewesen in früheren Tagen.

128

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

Gesundheit gut - die Gallen u. Leber schmerzen melden sich oft, aber in sehr aushaltbarem Grade. Gott behüte sie theure Theo. Ihre alte Marie. 1

2

3

E/Tb 20. 2. 1902: „Marie Müller schickt mir ein liebes liebes Bild von Ida". - Zu Ida Fleischl vgl. auch unten S. 467 u. Anm. 115. E/Tb 12. 2. 1902: „Die Canaille Lueger beschimpft den edlen Lobmeyr. Sagt in einer Interpellation Lobmeyr hätte sich das Ehrenbürgerrecht v. Wien in unqualificirbarer Weise erschlichen. Und die pappendeckelnen Affen im Parlament lassen den Bürgermeister der Wiens besten Bürger verunglimpft zu Ende reden!" - „die anarchistische Bewegungen" zunehmend seit der Ermordung König Humberts I (29. 7. 1900) und der Kaiserin Elisabeth von Osterreich 10. 11. 1898 durch einen Anarchisten. Aus Spätherbsttagen. 2 Bde Berlin, 1. Aufl. 1901, 2. Aufl. 1902.

119/S

Berlin W., Kleiststr. 32 III, 22. Febr. [1902]

Innigsten Herzensdank, geliebte Baronin, für Ihren viel zu guten Brief!! Nein, ich kanns mir nicht vorstellen, dass Sie meiner bedürfen nur Ihre Güte lässt Sie das sagen, Baronin Und Sie wissen, wie mit tausend Freuden ich im Mai nach Wien kommen würde, glückselig Sie wiedersehen und in Ihrer Nähe weilen zu dürfen. Und gewiss (und s e h r ehrlich geantwortet!) erlauben mir meine Augen, Correcturbogen durchsehen, so viel ich will. Also, geliebte und von ganzer Seele verehrte Baronin, wann und wo immer Sie bestimmen, erscheine ich und bin mit dem bischen, armseligen „Helfen", wie Sie es nennen unbeschränkt zu Ihrer Verfügung. Und Baronin - und jetzt sage ich etwas nicht m i r zu Liebe - wenn in einiger Zeit allerlei Menschenbedrängungen für Wien ihre Schatten voraus werfen sollten, nicht wahr, dann laden Sie es sich nicht auf, auch mich noch dort zu haben und schreiben mir ab. Nun haben Sie also doch noch immer Schmerzen - dagegen sollte es doch etwas geben, das h ü l f e , die Karlsbader Kur aus dem vorigen Sommer zählt nicht, wie angestrengt haben Sie dabei gearbeitet! Nein, b i t t e , denken Sie nicht mehr daran, dass ich krank war, Baronin, es geht mir jetzt schon wirklich viel besser! Ich wollte, Hermine [Villinger] wäre erst hier, die Ableitung durch den „change of scene" wird ihr gut thun - Sie schrieb mir nur gerade eine Andeutung über ihr Erlebniss, wie schrecklich leid thut's mir, dass sie darunter so leidet.

120/E - März 1902

129

In verehrender inniger Liebe stets Ihre Theo, die sich mit Ihnen, Baronin, freut über die grosse, wehmüthig schöne Freude an Frau Ida's [Fleischl] Bild. fol. 167 a b, 168 a b, 169 a Datierung: im Mai nach Wien = Einladung durch die Ebner 118/E. - Weiters: wehmütig schöne Freude an Frau Ida's Bild = 118/E, Anm. 1

120/E

Löschna. 5. März 902.

Theure Theo! Heute schreibt Ihnen meine Nichte. Es ist hier im Hause etwas ganz Eigenthümliches ausgeheckt worden. Wie wärs, fragt man sich, wenn Frl. Theo Schücking statt sich in Wien in ein Hotel zu setzen und den vielleicht wunderschönen Monat Mai in der Stadt zu verleben, aufs Land käme nach Löschna. Sie würde(n) dort mit offenen Armen aufgenommen (nachdem ich schreibe kann ich dafür gutstehen, in meinem Namen u. in dem meines Mannes). Die Reise nach Löschna ist um (ein) gutes Stück kürzer als die nach Wien und, - meine Nichte sträubt sich {dagegen} dies aufzuschreiben, aber ich sage Ihnen, man befindet sich hier wohl. Die Gegend ist lieblich, die Luft gesund, ein bischen sogar Gebirgsluft. - Dass ich, theure Theo, hundert mal mehr von Ihnen hätte in Löschna als in Wien ist eine ausgemachte Sache. Wir hätten recht viel miteinander zu thun, wenn Sie mir Ihre gütige Hilfe leihen wollen. Ich glaube, dass die Spätherbsttage ziemlich dicht vor einer neuen Auflage stehen und das Manuscript der neuen Geschichte, sie heisst ihr Beruft ist noch im Urzustrande da gibts noch manchen widerharigen Satz zu glätten und kleine Brückchen werden wohl auch noch gebaut werden müssen. Mit der Vorbereitung zu der neuen Auflage der Gesammt-Ausgabe hat es freilich noch Zeit, aber ich schliefe ruhiger, wenn die Arbeit gemacht wäre. Hundert Aphorismen gibt es auch noch auszuwählen, da muss aber meine Nichte dabei sein: Concilio de tre. Falls, wie wir sehr hoffen, Sie unsere Bitte erfüllen und unseren Vorschlag annehmen, wäre es gut wenn Sie die Zeit Ihres Aufenthaltes bei uns, mit der Ihrer Reise nach Tirol mit Frl. Hager in Ubereinstimmung brächten; nicht wahr theure Theo? Und jetzt überlassen wir Sie Ihren Gedanken; möge Ihr Entschluss zu unseren Gunsten lauten! Darum bittet a u f r i c h t i g Marie Kinsky u Ihre getreue alte Marie.

130

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schiicking

Meine theure Theo, ich muß noch bemerken, daß der Gedanke Sie hierher zu bitten, nicht von mir, sondern von meinen lieben Kindern ausging. Zuerst Fräulein Schücking, sagen sie, u. später dann Fräulein Villinger. Über den 2 l Punkt bewahren wir einstweilen Schweigen, weil ich von Herminens Sommerplänen noch nichts weiß. Von fremder Hand. Eigene Hs.: Unterschrift und Meine [...] weiß. 1

Ihr Beruf vgl. 115/E, 116/E, 117/E.

121/S

Berlin W., Kleiststr. 32, 7. März [1902]

Innig verehrte und geliebte Baronin, Dank für Ihren so unbeschreiblich guten Brief und die nicht minder gütige Einladung Ihrer Nichte [Marie Kinsky]! Soviel Liebenswürdigkeit gegenüber giebt es keine andre Antwort als nur D a n k und dankbare Bejahung. Freilich steht um dies Ja herum ein kleines Gestrüpp von Scrupeln, aber gegen diese giebt es ein Mittel, das einzige das bei bedrängenden Zweifeln hilft. Und das hat meine geliebte Baronin in der Hand - wenn Sie mir wirklich, e h r l i c h zu thun giebt, - mich vor- und nacharbeiten lässt, sodass ich Ihnen wirklich einige Arbeit a b n ä h m e , mechanische oder vergleichende - w i e dankbar würde ich Ihnen sein, wie glücklich und froh. Und gar keine Zeit hätte ich dann, meine Scrupel zu Wort kommen zu lassen, die mich sonst der so ganz und gar unverdienten Güte Ihrer Nichte gegenüber immer wieder beunruhigen würden! Geliebte Baronin, heute sende ich nur gerade diesen D a n k und ungezählte treue Wünsche. An Amalie [Hager] schreibe ich morgen, um sie zu bitten, es mich g l e i c h wissen zu lassen, wenn sie ihre Entscheidung für den Sommer getroffen hat. Gott sei Dank, ist es ihr bis jetzt leidlich gegangen, nur recht winter- und stadtmüde ist sie schon. - Für Hermine [Villinger] habe ich heute im St. Michael H o spiz in der Wilhelmstr. zum 12 ten ein Zimmer bestellt. In alter und immer neuer dankbarer Liebe und Verehrung stets Ihre Theo fol. 133 a b, 134 a b Datierung: Einladung nach Löschna 120/E

131

123/S - April [1902]

122/E

/Poststempel: Bestellt vom Postamte 30 3. 02/

Fräulein Theo Schücking Berlin W 62 Kurfürstenstraße, 119. Parterre Löschna Charfreitag 02 Theure liebe Theo, wir alle wünschen Ihnen gute Osterfeiertage. Meine Marie [Kinsky] ist von einem gewissen Aufsatz in Westermanns Monatsheften entzückt.1 Am 9Z April gedenke ich also in Wien zu sein u bis letzten April zu bleiben. Innigst u treuestens Ihre Marie. Postkarte mit Photographie.

M lle Mathieu genannte „Delle." 1

Personen jeweils hs. darunter

Großtante Marie

benannt:

unsere Mausi

Theo Schücking: Marie v. Ebrter-Eschenbachs Heimat. Vgl. unten S. 284ff.

123/S

Berlin W., 12 Bayreutherstr., 4 te Apr. [1902]

Innig geliebte Baronin, Haben Sie warmen Herzensdank für alles, alles unverdient Gute, das Sie mir auf Ihren lieben Karten sagen! Mir vorstellen zu dürfen dass ich Sie so bald wiedersehen soll, erfüllt mich mit einem unsagbar tiefen und dankbaren Glücksgefühl. Und wie dankbar bin ich auch dafür, dass Sie sich diesmal nicht arg abhetzen wollen, die Aufenthalte in Wien waren doch die letzten Male geradezu eine Uberanstrengung für meine geliebte Baronin. Ubermorgen gehen Rickerts fort, es ist mir eine grosse Erleichterung, Sie nicht hier zurückzulassen, sicherlich wäre dann wieder ein Unglück gekommen, während man jetzt doch hoffen darf, dass der Sommer leidlich verlaufen möchte. Gerade gestern musste ich so viel an den Sonntag denken, an dem ich vor 3 Jahren die Nachricht aus Wien erhielt,1 ganz unvorbereitet, durch ein Telegramm Adele Ebners - den ganzen Tag hat mich die Erinnerung daran beherrscht - Ganz stumm nur drücke ich Ihnen die Hand, geliebte Baronin, wage Ihnen kein Wort zu sagen -

132

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Ihre Ihnen ganz und gar ergebene Theo. Eine nachträglich Bitte noch Darf ich Sie um ein diktirtes Wort auf einer Karte bitten darüber, ob Krasna die letzte Eisenbahnstation auf meiner Mährenfahrt sein wird? Ich möchte mir in dieser Woche noch Auskunft über meine Route auf dem Bureau holen, gerade v o r Pfingsten ist's dort immer so voll. fol. 63 a b, 64 a b

Datierung: Erkundigung über die letzte Eisenbahnstation auf meiner Mähren-

fahrt, vgl. Löschna-Einladung 120/E. - vor 3 Jahren: Ida Fleischl gestorben. 1

Tod Ida Fleischls 1899, vgl. 82/S.

124/S

Berlin W., Bayreutherstr. 12, 25 ste Ap. [1902]

Innig geliebte Baronin, Am Dienstag wird mir der Zahnarzt sagen, ob noch ein zweiter (dem gezogenen) benachbarter Zahn entfernt werden muss, gestern liess sich das nicht feststellen. Sollte sich herausstellen, dass das nicht durchaus nöthig ist, dass er wahrscheinlich noch bis zum nächsten Jahr aushalten wird, dann würde ich auch so lange lieber ohne Ersatz bleiben. (Denn nur das Fehlen gerade dieses noch zu examinirenden Zahnes macht ihn durchaus nöthig.) Dann gäbe es nur noch Plomben zu machen und Wurzeln zu behandeln. Und ich könnte bestimmt darauf hoffen, wenn ich dann noch meine fatalen Tage hier verlebt hätte, unmittelbar nach Pfingsten, also am 20 sten Mai zu reisen. Das wäre um zwölf Tage später als der von Ihnen gedachte achte Mai, geliebte Baronin, nun könnte ich ja immer, wenn Sie und Ihre Nicht [Marie Kinsky] mich w i r k l i c h noch über Mitte Juni hinaus brauchen können - dann noch, je nachdem zugeben. Denn, Baronin, ich bin ja früher nie vor Anfang Juli zu Amalie [Hager] gekommen, es liess sich nicht gut anders einrichten, nur die beiden letzten Sommer bin ich, von R o m aus, um Mitte Juni bei ihr eingetroffen. Wenn ich nun diesmal nur gerade zu ihrem Geburtstag (27 ste Juni) eintreffen kann, dann ist Alles recht und gut. Amalie wird ihr Frl. v. Lanser nach Gmain mitnehmen, um ihr beim ersten Einrichten zu helfen, gewiss mag sie sie dann nicht g l e i c h darnach schon fortschicken, so würde ich in keinem Falle schon Anfang

125/E - April

133

1902

Juni zu ihr reisen, sondern bis Mitte Juni damit warten. Und dann, Baronin, - ich bin ja i m m e r nur gerade ein Vierteljahr bei Amalie geblieben, kam ich früh, ging ich früher, kam ich spät, so ging ich um so viel später. Länger als ein Vierteljahr mag Amalie Frl. v. L. nicht beurlauben, es würde sie, Frl. v. L., wahrscheinlich kränken, und es ist auch, als sie sie engagirte, nur gerade von diesem Vierteljahr die Rede gewesen. Somit, Baronin, n ä h m e ich Amalie keine zugesagten Tage, wenn ich etwas später als halben Juni käme, die gesammte Zeit meines Beiihrseins schöbe sich dadurch nur um etwas hinaus. Also wenn ich am 20 sten Mai kommen darf, könnte ich, falls Ihnen und Ihren Kindern das für so lange Zeit passen sollte, fünf Wochen bleiben, Baronin. Möglicherweise aber ist Ihnen oder Ihren Kindern diese Verschiebung an sich nicht ganz bequem, aus irgend einem triftigen Grunde heraus, dann natürlich, Baronin, darf ich sicher hoffen, nicht wahr, dass Sie mich darum wissen lassen. Allzu arg wäre es mir wenn Ihnen mein verspätetes Kommen eine Gene irgend einer Art eintrüge! Heute früh begann ich diesen Brief und kann ihn erst jetzt, 10 Uhr Abends, beenden, in fliegender Eile, da ich ihn noch in den Kasten stecken möchte. Gestern hatte ich Gerade nur die anderthalb Stunden nach dem Zahnarzt frei und da war mir recht schlecht. Heute gehts wieder gut. Morgen früh schreibe ich weiter, bitte meine geliebte Baronin, diesen morgigen Nachtragsbrief noch erst vor Ihrer eventuellen Entscheidung lesen und die heutige nüchterne Thatsachen herzählung nachsichtig aufnehmen zu wollen! In verehrungsvollster Liebe Ihre Theo (Herminens [Villinger] Vorlesung sehr schön verlaufen.) fol. 176 a b, 177 a b, 178 a b, 179 a Datierung: Theos Löschna-Reise = Löschna-Einladung

125/E

Fräulein Theo Schücking Berlin W. Bayreutherstr. 12 I

120/E

Wien 27. IV 02

134

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Theure Theo, alles wird sich in Wohlgefallen auflösen, wenn Sie wirklich ohne den allergeringsten Nachteil für Ihre Gesundheit nach Pfingsten von Berlin abreisen können. Das gute u. edle Fräulein H[ager] sagt mir daß sie ganz zufrieden ist, wenn Sie vor dem 27 t in Gr[oß] Gmain eintreffen. Gute 4 Wochen hätten wir Sie also in Löschna. S e h r gut. Ich will nun bis 15. Mai in Wien bleiben, es ist angenehm sich nicht abhetzen zu müssen. Und meine Arbeit die sehr in den Hintergrund gedrängt war kann ich hier noch fortsetzen Beste Grüße! beste Wünsche! Herzlichst I. alt. M. Postkarte

126/S

Berlin W., Bayreutherstr. 12, 29 ste Ap. [1902]

Innig verehrte Baronin, Was ich hoffte, hat sich erfüllt - der Zahnarzt meinte, der bewusste Zahn könnte noch bleiben. Somit fällt vorläufig die Nothwendigkeit des Ersatzes fort, und meine Freunde haben nur mit einem Schönheitsfehler mehr an mir, Nachsicht zu üben. Denn wenn ich lache, ist die Lücke sehr hässlich. Und doch bin ich seelenfroh, dass sich das Greuel der Falschheit vorläufig noch hat hinausschieben lassen. Warmen Herzensdank für Ihre gute, gute Karte von gestern früh! Also darf ich mich darauf stellen nach Pfingsten zu reisen, gen Löschna Ihre getreuste T. fol. 165 a b Datierung: wieder über die Löschna-Reise

127IE

1902

Wien 7. Mai 02

Fräulein Theo Schücking Berlin W. Bayreutherstraße 12. Theure Theo, ich glaube daß Sie über Pohl kommen werden, nicht über Krasna.

128/S - Juli [1902]

135

Schreibe gleich an Marie [Kinsky], die ihre Anfrage direct beantworten wird. Tausend, tausend Bestes! Ihre M. Postkarte

128/S

Villa Carolina, Bayr. Gmain b. Reichenhall, 10. Juli [1902]

Innig verehrte Baronin, Soeben brachte ich die 4 Bogen zur Post, b i t t e , sehen Sie das was auf dem beigefügten Zettel steht nur als all erbescheidenste Suggestion an! Da ich sie nun einmal durchlas, musste ich doch auch, aus Pedanterie, etwas dazu bemerken - c'est ä prendre ou ä laisser - ! Durch einen sehr glücklichen Zufall erhielt ich die Bogen endlich vorgestern Nachmittag, sie hatten so lange auf der Ostreichischen Post gelegen. U n s r e Post, von der ich Alles erhalte ist die Bayrische, da wir im Bayrischen „Gmain" wohnen, aber nach dem Bache, der die Grenze bildet; jenseits des Baches liegt das Östreichische „GrossGmain". Zur bayrischen Post resp. dem nächsten bayr. Postkasten haben wir eine halbe Stunde weit, der oestreichischen Post jenseits des Bachs sind wir viel näher und so bringen wir Alles, was wir abschikken, dorthin. Es thut mir namenlos leid, dass diese Constellation unsrer Postangelegenheiten diese endlos lange Verzögerung der Rücksendung zur Folge hatte, und ich bitte meine geliebte Baronin vielmals um Entschuldigung! Wenn Sie jetzt nur die Gnade haben wollen, ständig nach Villa Carolina Bayr. Gmain b. Reich11 zu adressiren, kommt, so darf ich hoffen, Alles rechtzeitig zu mir. Sollte unterdessen der Oberhof1 in Gräfin Maries [Kinsky] liebe Hände gelangt sein, so bitte ich, ihn gütig aufnehmen zu wollen und empfehle mich den lieben Ihrigen auf das Angelegentlichste! Nicht wahr, mein Brief an Gräfin Marie ist richtig übergekommen Nun, geliebte, verehrte Baronin, möchte ich n i c h t schliessen aber anfangen zu erzählen - darf aber Amalie [Hager] drüben nicht allein lassen. Sie trug mir innigste Empfehlungen auf. S e h r hoffe ich jetzt auf das baldige Eintreffen der nächsten Bogen und bin immer und überall Ihre Theo

136

A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo

Schücking

fol. 127 a b, 128 a b

Datierung: Adresse Bayr. Gmain = 124/S: Amalie wird ihr Frl. v. Lanser nach Gmain mitnehmen - Wenn ich nun diesmal nur gerade zu ihrem Geburtstag (27. Juni) eintreffen kann, dann ist Alles recht und gut. 1

Oberhof, ein Teil aus dem Roman Münchhausen von K. L. Immermann, immer wieder herausgenommen und als selbständiges Werk herausgegeben.

129/S

Villa Carolina, Gmain b. Reichenhall, 7. Aug. [1902]

Hochverehrte Baronin, Gestern war mir ganz übel vor Kopfweh und dazu war ich sehr in Sorge um Amalie [Hager], die mir sehr fiebrig schien, arg hustete und sich doch nicht legen wollte. Abends sandten wir zum Arzt, Dr. Itzinger aus Wien, der heute früh kam. Gottlob sagte er, in der Lunge sei nichts zu finden, es sei eine Bronchitis. Der Husten ist schon viel loser, der Kopf wieder freier und kein Fieber mehr. - Heute las ich Amalie Laboremus vor, das ist doch sehr merkwürdig. Wie innig froh bin ich, Baronin, dass Sie Ihre schöne Arbeit nun bald vollendet haben! Wärmste Empfehlungen an Ihre beiden sehr geliebten Nichten - in verehrender Liebe stets Ihre T. fol. 166 a b Datierung: Adresse Gmain und Erkrankung Amalie Hagers - siehe 130/S

130/S

Villa Carolina, Bayr. Gmain b. Reichenhall, 11. Aug. 02

Innig verehrte Baronin, Amalie [Hager] ist heute schon am Morgen aufgestanden, der Husten ist viel geringer, jetzt fühlt sie sich nur noch sehr matt. Gottlob nur, dass wir hier gleich einen guten Arzt hatten, Dr. Itzinger aus Wien, von dem Amalie schon durch ihren Prof. Reder gehört hatte. Wie geht es Ihnen, geliebte Baronin, hoffentlich gut! Nun ist Ihre Erzählung wohl beendet1 und es giebt jetzt wirklich „ein tiefes Aufathmen" - Ich denke noch immer so viel an Sie und s c h r e c k l i c h leid thut's mir, dass ich vorher nichts von dem Helmold-Bande wusste, gerade nur den hätten Sie sich dann verschreiben brauchen und den betreffenden Abschnitt lesen während Sie jetzt all die Mühe mit den andern Büchern hatten.

130/S - August 1902

137

Am Mittwoch, glaube ich, sandte ich die 2 letzten Bogen ab, 2 auf den 4 letzten habe ich nun gar nichts an den Satzzeichen mehr angemerkt. Es war überhaupt ein Missverständniss von mir, ich glaubte, sie sollten nach der neuen Rechtschreibung, nach dem Büchlein, das Sie mir in Löschna gaben, verändert werden. Deshalb hatte ich alle Kommas vor „und" angemerkt, weil das Büchlein von denen durchaus nichts wissen will, oft zu rigoros wie mir scheint? Gegen die Doppelpunkte bevor jemand zu reden anfängt, die ja in den weitaus meisten Fällen sein m ü s s e n , erlaubte ich mir vereinzelt Einwendungen wenn sie mir durch eine jeweilige Satzbildung als nicht gerechtfertigt vorkamen - Herr Paetel will sie nun aber, wie es scheint, überall haben und sicherlich werden sie Niemanden stören. Es ist ja etwas so ganz Anderes ob man als Leser liest (und nun gar I h r e Sachen, die so völlig gefangen nehmen) als wenn man sich hinsetzt und jede Zeile darauf hinbetrachtet, ob darin etwas geändert werden sollte Den ersten Bogen Revision habe ich bekommen und danke vielmals dafür, geliebte Baronin, erwarte nun die folgenden alle, die Sie mir so gütig in Aussicht stellen. Recht b e s c h ä m t aber fühlte ich mich dadurch, dass Sie sich die Mühe gaben, einige meiner Einwendungen brieflich zu widerlegen Sie können sich denken, wie nahe mich die Nachricht berührt, Baronin, dass Sie wegen der römischen Wohnung abgeschlossen haben! Und wie rasch werden sie vergehen, die Ihnen jetzt so lang erscheinen, die sieben Monate Abwesenheit Am 1. August erhielt ich Nachrichten von der kleinen Jeanne. 3 In den ersten 2 Wochen hat der Aufenthalt in Nettuno Malwida [von Meysenbug] sehr gut gethan, dann kamen wieder schlechte Nächte, seit Kurzem scheint's ihr, Gottlob, wieder leidlich zu gehen. Jeanne ist am Ersten abgereist, jetzt ist Natalie Herzen da. 4 Und nun sende ich ungezählte treueste Herzensgrüsse Ihnen, geliebte Baronin, und Ihren beiden Nichten. 5 Amalie will Ihnen angelegentlich empfohlen sein. Stets Ihre alte Theo. fol. 65 a b, 68 a b, 66 a b (in dieser Reihenfolge) Datierung: Hinweis auf Theos Löschna-Reise 1902 1 2 3 4 5

Ihr Beruf oder Die arme Kleine. Wahrscheinlich Korrekturen zu Aus Spätherbsttagen, 2. Aufl. 1902. Jeanne = die Tochter von Olga Herzen-Monod (Pflegetochter Malwidas). Natalie Herzen = die Schwester Olgas (2. Pflegetochter Malwidas). Die beiden Nichten Marie Dubsky und Marianne Kinsky.

138

A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

131/E

- Theo

Schücking Wien 22. IX 02

Meine theure Theo, innigsten Dank sage ich Ihnen für die corrigirten Bücher. Ich habe das Päckchen uneröffnet in einen Koffer gelegt der gerade zum Transport in die neue Wohnung zurecht gemacht wurde. Jeder freie Augenblick wird benützt zur Mobilisirung, die in den ersten Tagen des Novembers vor sich gehen soll. Meine arme Gusti ist sehr aufgeregt u. begreift nicht wie sie die Ubersiedlung „ganz allein" besorgen soll. Ganz allein bedeutet in dem Falle: zur Rechten einen Hausbesorger, zur Linken einen Hausbesorger, einen Tischlermeister als avant-, einen Tapezierer als arrière-Garde, die Transport Gesellschaft als corps d'armée. O Theo! o liebes, verehrtes Fräulein Hager, ich werde aufatmen in dem Schlafcoupé in dem gewöhnlich die Menschen ersticken. - Denn dieser Tage Qual ist groß. Auch das Herz thut mir weh. Meine Marie [Dubsky] u. meine Schwägerin Gisela [Dubsky] waren (vor)gestern da um Abschied von mir zu nehmen, mein Bruder Victor hat mir so eben Lebewohl gesagt - den seh ich erst in einem Jahre wieder. Unsere liebe, sehr, sehr liebe Hermine [Villinger] ist heute morgens nach Ischl zurück gefahren. Sie treffen sie wohl noch dort. Mög es Ihnen Beiden so gut als möglich gehen! das ist mir wichtig. Innigste Grüße. Wir wollen (Adolph u ich) am I e Okt. abreisen. In Treuen Ihre Marie

132/E

Wien 31. Sept. 1902.

Fräulein Theo Schücking Ischl Gasthof zum Stern Theure Theo! Die Bücher sind alle richtig angelangt; Ich danke. Freue mich innig Ihres Zusammenseins mit unserer lieben Hermine [Villinger] und sehr auf ein baldiges Wiedersehen mit Ihnen in Rom. Diesesmal wird nicht Adolph, sondern werden meine Kinder Marie und Philipp [Kinsky] mich begleiten. Der kleine Reiter ist entzückend, ich bringe ihn mit. Ihre Marie. Postkarte mit Abb.

134/E - Oktober 1902

133/E

139 Rom, 17. X 02

Fräulein Theo Schücking München Pension Kleinmichel Arcisstraße 46 B avaria Theure liebe Theo, aufs Herzlichste erwidere ich Ihren Gruß u. heiße Sie willkommen im voraus. Meine vielgeliebten Kinder finden Sie leider nicht mehr, sie sind im Augenblick in Florenz, wollen heute abends in Venedig eintreffen und auch dort nur ganz kurze Zeit bleiben. Haben, trotzdem die Tage die sie hier verlebten ihnen sehr genußreich waren, doch Sehnsucht heimzukehren. Auf bald gute theure Theo! Ihre treue Marie Postkarte

134/E

Rom IT X 02

Fräulein Theo Schücking München Arcisstraße 46 I r B avaria Meine theure liebe Theo, wie leid, wie unaussprechlich leid ist mir! Ich sagte schon oft zu Otto [Fleischl], daß Ihr Ausbleiben mir Sorgen macht, er suchte immer es mir auszureden. Und nun gibt es dafür einen so traurigen Grund. 1 Ja - kein Frieden auf Erden. Ich bin auch bekümmert um Hermine [Villinger]. Der Tod D r Bielschowskys wird ihr nahe gehen u. mit Recht. Tausend Grüße. Mögen Sie mir bald bessere Nachrichten geben können. Ihre M. Postkarte 1

E/Tb 27. 10. 1902: „Abgeordneter Rickert hat abermals einen Schlaganfall erlitten. Theos Ankunft verschoben."

140

A. Briefwechsel

Marie v. Ebner-Eschenbach

135/E

- Theo Schücking 29. XI. [1902]

Beste Theo, da schicke ich einen Brief von meiner Marie [Dubsky], etwas Zwieback zum Frühstück u. den doch sehr schönen - wenn auch etwas peinlichen - Onkel Franz [?]. Tausend herzliche Grüße! Wenn das Wetter es erlaubt, wollen Ottos [Fleischl] mich morgen nachmittags in die Campagna mitnehmen. Montag früh mit Löwy Braccio nuovo Montag nachmittags aber hofft zuversichtlich auf Ihr Kommen, teure Theo Ihre M. Datierung: Theo spätestens seit 4. 11. 1902 in Rom, vgl. E/Tb 4. 11. 1902: Mit Theo in den Diocletians Thermen.

136/E

Rom 7. II 03.

/Marie von Ebner-Eschenbach D. r phil. h. c. Rom, Piazza di Spagna, 97 Liebes theures Theochen, wie geht's? Werde ich heute nachmittags /' > 5, die große Freude haben Sie ganz hergestellt beim Thee bei mir zu sehen? Bog: 3 hat, scheint mir, nur ganz kleine Reparaturen nötig. Innigst Ihre: Visitenkarte,

137/E

keine

Unterschrift

l i . II [1903]

Theure Theo, Baron Wulff hat gewiß auch Ihnen die Einladung der Baronin Meysenbug für heute nachmittags Vi 5 bestellt. Darf ich Sie also um diese Zeit (zwischen 4 u. % 5) erwarten? Ihre Marie. Der Grfn Haugwitz habe ich abgesagt.

140/E - Februar [1903]

141

Datierung: Der Brief schließt an 136/E an und zeigt, gemeinsam mit den folgenden Briefen, die lebendige Korrespondenz der Ebner mit Theo Februar bis April 1903

138/E

16. II [1903]

Liebste Theo, heute bin ich nicht recht wohl u. glaube daß ich gut tun würde vormittags zuhause zu bleiben. Am Nachmittag habe ich, nicht wahr? die Freude Sie zu sehen? Ihre Marie

139/E

26. II [1903]

Liebste Theo, ich melde gehorsamst, daß es heute besser geht mit dem Auge. Keine Schmerzen. Möchten Sie nicht mit mir zu Nisini gehen meine neueste Acquisition ansehen u. dann über den Pincio heim? Schönsten Guten Morgen! Visitenkarte wie 136/E, keine Unterschrift

140/E

27. II. [1903]

Wollen Sie, theure Theo, die unendliche Güte haben, meine Zettelchen u. die betreffenden Stellen ein wenig anzusehen? An den neuen Bogen ist, wie mir scheint, nicht viel zu ändern1 Wenn Sie um 4 Uhr kommen könnten, wie dankbar wäre ich! da könnten wir die Korrekturen fertig bringen u. wenn Sie die Aufopferung ins Kolossale treiben wollten, den Beitrag für die n[eue] fr[eie] Presse zusammen stellen. Ich wünsche guten guten Morgen u. hoffe daß Sie vortrefflich geschlafen haben. Ich tat so u. es dem Auge besser. Dankbarst Ihre indiscrete Marie

142 1

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schiicking

Dieser und die folgenden Briefe 144/E, 145/E, 146/E und 147/E sprechen von den Korrekturbogen der Agave, als Buch erschienen bei Paetel, Berlin 1903. Vgl. E/Tb 21. 3. 1903: „Die drei ersten Bogen v. Agave a. Paetel", 24. 3.: „An Paetel Bog 7. 8. 9. Cor[recturen]" usw. bis 20. 3. 1903: „Agave. Cor[rectur] begonnen 1. Februar, beendet heute" Es folgt dann die Revision (etwa 24. 3. 1903 usw.)

141 /E

6C- [III. 1903]

Geburtstag Adolfs Theuerste Theo ich finde keine Schuld an diesem Bogen. Wäre Ihnen ein tête à deux um Vi 5 genehm? Am frühen Nachmittag muß ich zuhause bleiben, weil Pauls, die am Abend abreisen, mich noch besuchen Ihre plaggeisterische Marie Zettel Datierung: E/Tb 6. 3. 1903: Geburtstag meiner Brüder. Telegramm Adolph

142/E

Frühlingsanfang. 21. März [1903]

Meine teure Theo, wollen wir den Vormittag auf dem Pincio zubringen u. am Nachmittag in die Campagna fahren? Darf ich Sie etwas vor elf Uhr erwarten? Visitenkarte wie 136/E, keine

143/E

Unterschrift

24. III [1903]

Liebste Theo! Es lebe die deutliche Art meines vielgeliebten Bruders die Leser seiner Karten in Kenntniss der Tagesereignisse zu setzen! Besten guten Morgen Es ist bedeutend leichter ums Herz Ihrer alten Marie

146/E - März

144/E

[1903]

143 [März 1903]

Wie geht's theure Theo? Mir scheint immer daß Sie gestern nicht ganz wohl gewesen sind. Wollen Sie die Gnade haben, diesen Bogen noch anzusehen? u. darf ich heute nachmittags um 4 Uhr auf Sie hoffen? auf Seite 166 l 1 Zeile ein Strich, da m u ß ich f r a g e n 174 „wertvoll" zu schwach? heilig - unschätzbar - ihr teuerster Besitz - höchstes Gut - 1 Zettel, keine Unterschrift Datierung: Korrektur der „Agave" 1

Vgl. Agave, 1 . - 3 . Tausend, S. 174: „Isotta Montanini [...] so gewiß als ihre eigene Würde und die ihres Sohnes ihr heilig sei" (= SW VI, S. 411).

145/E

26. III. [1903]

Teure Theo, wenn dem Herrn Korrektor das Wort „Scheuel" (ein sehr gutes Wort!) unzulässig scheint, so setzen wir in Gottesnamen: Scheusal das das selbe bedeutet.1 Die Nacht war heute recht schlecht, obwohl ich doch etwas weniger huste. Auch die Halsschmerzen lassen jetzt nach Hoffentlich wird noch vor Victors Ankunft alles gut. Gute liebe Theo, ich habe große Angst daß Sie sich bei mir einen Katarrh-Baccilus holen könnten. Das wäre schrecklich. Kommen Sie ja erst wenn ich schon ins Sitzzimmer etablirt bin u wenn gut gelüftet ist. So gegen 4. Ja? Ihre Marie Wurde aber doch nicht geändert, vgl. Agave, 1 . - 3 . Tausend, S. 264: „Noch einmal hatte er sein Werkzeug zur Hand genommen und sich wieder angekrochen gefühlt vom Scheuel - Ohnmacht" (= SW VI, S. 450).

146/E

[III. 1903] 27.

Theure liebe Theo, heute geht es entschieden besser, nur der Schnupfen ist noch im höchsten Flor.

144

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schiicking

277. habe ich Bedenken. S e i n e m Schüler - des Mantels 1 Der Korrektor war brav, hat mehrere meiner Nachlässigkeiten gut gemacht. Wann darf ich auf das Glück hoffen, meine liebe Theo zu sehen? 27. Eben kommt eine Karte von Adolf. Victor hält sich noch einige Tage in Florenz auf Keine Unterschrift Datierung: Vgl. E/Tb 27. 3. 1903: C[orrespondenz] Kfarte] Adolf 1

Agave, l.-3.Tausend, S. 277: „Der wohlbekannte Mantel aus grobem Mönchstuch hüllte ihn ein, und jede Falte dieses Mantels lebt und spricht zu seinem Schüler" (= SW VI, S. 456).

147/E

29 [III. 1903]

Wie geht es heute teure Theo? mir geht es besser, nur die Nase ist noch sehr krank. Victor noch nicht da, Bogen sind nicht eingerückt. Mitzis Brief müssen Sie lesen. Tausend Bestes! Visitenkarte wie 136/E, keine Unterschrift Datierung: E/Tb 28. 3. 1903: Victor kommt heute od. morgen nachts.

148/E

3. IV. [1903]

Teure Theo, haben Sie den sehr schönen Nachruf an unsere liebe Helene [Tafel] erhalten? 1 Teure Theo, darf ich hoffen, Sie heute um 4 Uhr zu sehen? Einmal müssen Sie wieder Thee bei mir trinken, sonst schmeckt {er} mir {selbst} nicht mehr. Viel gehustet aber doch auch viel geschlafen. 1

Visitenkarte wie 136/E, keine 1

Unterschrift

E/Tb 4. 4. 1903: „Brf an Herrn Maier Dank für den Nachruf H[elene] Tafel.

153/E - April [1903]

145

Ach schon der 8. IV. [1903]

149/E

Liebste aller Theos, hier sind die Blumen u. hier ist das Zettelchen für die liebe, liebe Baronin.1 Nicht wahr, den verehrten Monods bestellen Sie die schönsten, wärmsten Grüße u. bringen bringen mir Nachricht von divi Gabriellino? Morgen, Theuerste, unternehmen wir eine Nachmittagspromenade (wohin Sie wollen) u den D o n n e r s t a g halten Sie mir frei Theo, da kommt Baronin Eichthal zu uns (zu Ihnen u. zu mir) nach: R o m , Piazza di Spagna,9 Ihre Obige Visitenkarte wie 1

136/E

Baronin Malwida von Meysenbug

10 l April. [1903]

150/E

Geliebte, beste Theo, ich hoffe wieder auf Sie gegen lA 5, (nachmittags Graberbesuch) darf ich? Visitenkarte wie 136/E,

keine

Unterschrift

14. IV [1903]

151/E

Theure Theo, Baron Wulf sagt sich um 4 Uhr zur Vorlesung an. Nicht wahr, ich darf auf Sie zählen? Zur Ausfährt wäre das Wetter nicht schön genug Visitenkarte wie 136/E, keine

153/E

Unterschrift

27. [IV. 1903]

Meine teure Theo Sie sind viel ärmer geworden, die Beste aus Ihrem Freundeskreis haben Sie verloren.1 Wie fangen wir, Ihnen übrig gebliebenen es nur an, Ihnen zu beweisen, daß Sie auch jetzt noch mehr Liebe, Hingebung, Hochschätzung, Dankbarkeit zur Verfügung haben können als die aller-allermeisten Menschen.

146

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Theo, ich möchte so gern Blumen besorgen. Sie gewiß auch. Tun wir das zusammen. Ja? Kommen Sie vielleicht gegen 11 zu mir? N u r wenn es Ihnen passt, natürlich! Visitenkarte wie 136/E, keine Unterschrift Datierung: Tod Malwidas von Meysenbug 26. 4. 1903 1

Tod Malwidas.

154/E

28. IV [1903]

Theure Theo, so eben war Olga Monod bei mir. Bitte lassen Sie mir sagen wie es Ihnen geht liebe gute Theo. Wenn es für Sie besser ist zuhause zu bleiben, komme ich zu Ihnen Ihre Marie Zettel

155/E

Wien I Spiegelgasse 1 2. Mai 03.

Fräulein Theo Schücking Rom Via Margutta Casa Bixio Teure beste Theo, ich danke innigst für die lieben Rosen, die Sie mir noch gebracht haben. Unsere Ottos [Fleischl] werden Ihnen gesagt haben, daß wir glücklich angelangt sind. Die Meinen fand ich Gottlob alle wohl; habe gut geschlafen. Es ist hier sehr heiß. 18° im Schatten. O Roma, Roma dir ist kühl! Möge es meiner teuren Theo a u s g e z e i c h n e t gehen. Ihre alte M Postkarte

1S7/S - Mai [1903]

156/E

147

Wien, 5' Mai 03.

Fräulein Theo Schücking Rom Vial Margutta. 53 Casa Bixio Italien Meine liebe teure Theo, innigen Dank für Ihre gute Karte. Auch ich muß mich erst langsam daran gewöhnen, meine geliebten römischen Getreuen zu entbehren. Geschwind geht das nicht. Zu tun fand ich sehr viel. Sie wissen wie pedantisch ich bin. Bevor jedes Stück auf dem richtigen Flecke steht, fühle ich mich nicht daheim. Und es ist wirklich schwer uns unterzubringen, wir haben zu „viele Sachen" für die kleine Wohnung u ich sage zum 2 l Mal: Diebe willkommen. Es ist hier sehr heiß, kein Vergleich mit Rom. L. Schönfeld bleibt bis 10% ich habe aber nichts von ihr, sie hat jetzt den Besuch ihrer Kinder u. selbst keine Ruhe. Tausend, tausend Bestes! Ihre Marie Marianne [Kinsky] sagt Ihnen alles erdenkliche Beste! Postkarte

157/S

Roma, Via Margutta 53 b , 8. Mai [1903]

Meiner geliebten Baronin, Innigsten Dank für die beiden so lieben Karten! Wie leid thut's mir, dass Sie sich mit „viele Sachen" plagen müssen - das ist die Kehrseite lieben Besitzes, dass er Einem genau so viel zu schaffen wie Freude macht Hier ist's jetzt auch recht warm, aber noch nicht drückend heiss. Gegen den 18 ten gedenke ich nun auch aufzubrechen. Monods reisen wohl am 20 sten, sind natürlich sehr beschäftigt aber, Gottlob, erholt sich Olga mit jedem Tage mehr. Sie gaben mir einen nachgelassenen Roman Malwida's1 zu lesen, ich habe ihn erst angefangen, mir ist er sehr interessant, weil er von Malwida ist, aber Anderen wird er, fürchte ich, von vornherein als „vient jeu" erscheinen - So bezweifle ich auch stark, dass R o d e n b e r g ihn nehmen wird, sprach auch Monod meine Ungewissheit darüber aus. Mir scheint er n u r für eine Buchausgabe geeignet, die ja auch wohl Malwidas Memoiren-Verleger

148

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schücking

übernehmen würden. Aber Monod will ihn zuerst in einer Revue erscheinen lassen. Als ich Wulf's Auftrag wegen der italienischen Ausgabe ausrichtete, nahmen sie es empfindlich auf, beschuldigten Wulf des Mangels an thätiger Freundschaft. Es ist da nichts zu machen. Bei Dr. Ottos [Fleischl] war ich am Dienstag, traf dort eine angenehme Frau?, die mit Mann und, glaube ich, Kindern im vergangenen Sommer Helene Tafeis Miethspartei gewesen war Dr. Ottos gingen Abends auf das Capitols-Fest wo Minna, wie Luise Ammon mir erzählte, ganz besonders hübsch dann ausgesehen hat. Warme Empfehlungen an Grfn. Marianne [Kinsky]. In inniger, verehrender Liebe stets Ihre Theo fol. 98 ab, 99 ab Datierung: Brief nimmt Bezug auf 155/E; 26. 4. 1903 1

weiters Tod Malwidas am

Nachgelassener Roman Malwidas von Meysenbug: Phädra. E/Tb, Anhang 1903, in: KTD, Tbb. V, S. 356: „Der Roman Phädra von Malwida von Meysenbug, konnte in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lang keinen Verleger finden, weil man ihn für unmoralisch erklärte. Heute würde er höchstens wegen seiner Lehrhaftigkeit Zurechtweisung erfahren."

158/E

Wien I Spiegelgasse 1. [9. Mai 1903]

Meine teure Theo! Dieses Kärtchen ist gestern für Sie eingetroffen. Hermine [Villinger] scheint in guter Stimmung, nur doch schon etwas müde. Wie geht es meiner lieben Theo, denkt sie ans Abreisen? Ich möchte gar zu gern täglich einen kleinen Rundflug machen nach via Margutta zur Prazza Rondanini u. über (den) Palatin u. (das) Forum wieder heim. Herzenstheo, Wien ist anstrengend. Viele, viele Besuche kommen u mit dem Ordnen u. Auspacken habe ich noch zu tun. Unsere Leute sind sehr brav, die Wohnung ist von einer Blitzblankheit wie man sie in Rom nicht kennt. Spiegel, Fenster, alles Metallgegenstände funkeln nur so. Meine arme Großvezierin [Dienstmagdt Gusti?] fand ich leider sehr übel aussehend. Sie wurde von Breuer sogleich in Behandlung genommen, es geht ihr besser, gut wird es der Getreuen wohl nie mehr gehen, denn sie hat ein schweres Herzleiden.

159/E - Mai 1903

149

Mein guter Bruder [Adolf] war eben da, er fährt heute nach Löschna, bringt den Sonntag bei den Kindern zu. E r überraschte (mich) mit einer Recension der Agave, die von der Zeit gebracht wurde. 1 Sie ist gewiß günstig, sonst hätte er sie mir nicht freundlich lächelnd überreicht. O b ich die Seelenstärke aufbringe sie zu lesen, ist nicht ausgemacht. (Ich wundre mich daß das Buch schon da ist.) Innigst, innigst grüße ich meine teure liebe Theo. Bei L. Schönfeld bin ich fast jeden Nachmittag, habe aber wenig davon, denn ihr Zimmer ist immer voll „Gestalten." In Treuen Ihre Marie, die auch Ihren Signorinis alles Schöne u. D r Glaser noch viel Schöneres von ihr zu bestellen bittet. (Verzeihen Sie das Geschmier beste Theo! Ich werde fortwährend unterbrochen.) (Daß ich nicht vergesse: Mit dem Husten geht es viel besser.) Datierung: Die Briefe vom 2. Mai (im Tb 3. Mai), 5. Mai und 22. Mai sind im Tagebuch vermerkt. Ebenso ein Brief vom 9. Mai, der nur 157/E sein kann. Er paßt auch inhaltlich gut in diese Reihe. 1

Eduard Höber: Ein Künstlerschicksal. Marie v. Ebner-Eschenbach. Agave. Schluß: „keine zu einem Sommer nur erblühte Agave, vielmehr eine Rose, deren Blühen, aus edler Wurzelkraft erwachsend, sich stetig in leuchtender Schönheit erneuert." Zu Ebners Resignation vgl. E/Tb 3. 5. 1903: „Deshalb verliere ich auch nicht den Mut trotz der Angriffe die Agave erfährt".

159/E

Wien 22. Mai 1903.

Signorina Schücking 53-Via Margutta Meine liebe, liebe Theo! Soeben kommt ein Brief Ottos [Fleischl] an, der mir die Nachricht bringt, daß meine beste Theo in R o m krank geworden ist. Es thut mir unsagbar leid und am liebsten würde ich sofort wieder umkehren und in die Via Margutta eilen, um mich mit eigenen Augen zu überzeugen, wie es Ihnen geht. Ich beneide die gute Madme Monod, die täglich nach Ihnen sehen kann und noch mehr beneide ich unseren guten Otto, der Sie, in hoffentlich kurzer Zeit, wieder gesund machen wird. Geliebte Theo, im Tram [Straßenbahn], schreibt er mir, haben Sie sich diese abscheuliche Erkältung geholt und Sie sind eben allzu sehr umher gejagt und in Anspruch genommen worden. Jeder wollte etwas von Ihnen, jeder disponirte über Sie. Ich habe es auch nicht besser

150

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

gemacht als die anderen. Warum sind Sie aber auch so lieb, gut, gescheit, daß man von Ihrer Gesellschaft nie genug haben kann? Wissen Sie, Theo, sobald Sie wieder wohlauf sind, müssen Sie sich bemühen recht unangenehm zu werden, damit die Menschen Sie in Ruhe lassen. Gute, liebe Theo, ich grüße Sie tausendmal. Was ein treues Herz an guten Wünschen ausströmen kann, fliegt Ihnen zu in solcher Fülle, daß ich meine, Sie müssen es spüren. Ihre allezeit dankbare u. getreue Marie. alles erdenkliche Beste von Marianne [Kinsky] die Sie sehr lieb hat.

Dr. O t t o v. Fleischl-Marxow

152

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach - Theo Schücking

Anhang

Marie v. Ebner-Eschenbach an Levin Schücking Wien i y Mai 1881 Lieber und hochverehrter Herr Doctor! jetzt versuche ich etwas das mir ganz gewiß mißlingen wird - Ihnen nämlich zu sagen, wie stolz und glücklich Ihre theuren Zeilen mich gemacht haben. Es giebt in der Welt nichts schöneres und besseres als den Empfang solch eines Briefes an dem man sich nicht satt lesen kann, der die kühnsten Erwartungen die man sich in der allerverwegensten Stimmung gemacht, weit - und weitaus übertrifft. Ich habe wahrlich viel Plage mit meiner Schriftstellern, die ich ja nie so betreiben kann wie mein Herz es verlangen würde, die nur immer so nebenher cultivirt werden darf, und bin meinen papiernen Kindern eine recht schlechte Mutter. Wenn aber Jemand den ich so grenzenlos verehre wie Sie, zu dem ich mit solcher Bewunderung empor sehe wie zu Ihnen, lieber Herr Doctor, mir sagt, daß die armen Zurückgesetzten, gar nicht so übel sind, und seine Theilnahme gewonnen haben - da wird mir doch ganz eigenthümlich wohl zu Muthe. Dank Ihnen also! aller-allertiefsten und allerhöchsten Herzensdank! Ich glaube daß man jede Freude doppelt fühlt nach so sehr traurigen Zeiten, wie diese letzten für mich und meine ganze Familie gewesen sind. Meine Nichte brachte von Ihrer Reise nach Italien den Typhus mit, am Tage ihrer Rückkehr mußte sie sich zu Bette legen.1 Das war am 31 t e n März und heute ist von aufstehen noch nicht die Rede. Wie oft habe ich im Laufe dieses Winters bitter beklagt daß unser schönes Projekt eines langen Aufenthaltes in Rom nicht zu Stande gekommen ist, und wie oft denke ich nun daß es doch viel besser ist eine volle Freude noch in Aussicht, als eine halbe schon genossen zu haben. In diesem Jahre wäre ja meine Vergnügungs- und Erholungsreise in trauriger Weise unterbrochen worden. 2 Ich will auf das nächste Jahr hoffen, innigst verehrter Herr und Freund! Vielleicht meint es das Schicksal anno 1882 gut (mit) mir und schenkt mir Gesundheit und Muße um die Fahrt nach Rom unternehmen zu können. Vorausgesetzt natürlich daß Sie und Ihre liebe Tochter sich dort befinden. Sollten Sie etwa daran denken den nächsten Winter in Wien

153

Anhang

zuzubringen, dann würde ich mich schwerlich entschließen mein altes Nest zu verlassen. Morgen schreibe ich an Fräulein Theo. Seien Sie, verehrter Herr Doctor inzwischen der gütige Vermittler meiner innigsten Empfehlungen. Mein Mann schließt die seinen an. Wir gedenken Ihrer so oft, sprechen so viel von Ihnen Sie lieben Beide! Sie haben eine unauslöschliche Erinnerung in den Herzen Ihrer Getreuen in Wien hinterlassen. Mit welcher Freude wird hier jede ihrer neuen Arbeiten begrüßt: Gestern beendete ich die Leetüre Ihrer prächtigen Novelle Das Fräulein von Thor eck und jetzt liest sie mein Mann mit dem aller größten Interesse. Tausend und tausend beste, verehrungsvolle Grüße! Ihre tiefergebene Marie Ebner Brief 1

2

E/Tb 31. 3. 1881: „Rückkehr der Reisenden Marie ist unwohl, hat sehr starkes Fieber - 40°. Gleich nach der ankunft zu Bette." Typhuserkrankung der Nichte Marie.

Marie v. Ebner-Eschenbach an Hofrätin Ebner in Graz. Löschna 1 Juni 1902. Meine liebe, verehrte Frau Namensgefährtin,1 Auf das Wärmste danke ich für die schöne Karte aus Randegg die immer Gefühle des Neides in mir erregt, gönnenden Neides, versteht sich! Es freut mich innigst dass Melanie Voss nicht ernstlich krank ist; wie von ganzer Seele wünscht man ihr alles Beste was es auf Erden nur gibt. Bis jetzt habe ich vergeblich in den Zeitungen nach einer Kunde vom Schicksal des neuen Stückes von Voss gesucht. Jetzt ist die Saison doch schon sehr vorgerückt und ich hoffe, dass man es nicht in diesen für Novitäten allerungünstigsten Zeit bringt. Der Wunsch entstand besonders lebhaft in mir da ich die Aufnahme von Laboremus am Burgtheater las, die Leute haben schon zu viel Neues gesehen, man ist abgestumpft. Wie geht es Ihrem lieben Herrn Gemal, ist seine grosse Arbeit sehr fortgeschritten, wird er sich nicht etwas Ruhe gönnen. Bitte empfehlen Sie uns, Tante und Nichte ihm angelegentlichst. Wenn Theo die seit einigen Tagen hier ist, wüsste dass wir an Sie schreiben kämen wir

154

A. Briefwechsel Marie v. Ebner-Eschenbach

- Theo Schiicking

auch mit ihren schönsten und innigsten Grüssen reich beladen. Sie erfreut uns sehr durch ihre liebe Gegenwart; meine Marie hat sie schon sehr lieb gewonnen und es ist ja auch nicht anders möglich. An der letzten Rede Körbers habe ich meine helle Freude, käms doch zum Krieg mit Ungarn, damit ich mitmarschiren könnte. Verehrte liebe Freundin, wenn Sie Ihren Vetter Professor Wettstein sehen, bitte empfehlen Sie mich ihm vielmals; der Nachmittag den ich durch seine Güte so schön im botanischen Garten verlebte, ist mir in unauslöschlicher Erinnerung geblieben. Ich gehe hier an einem Blumenbeete nicht vorbei ohne mich des einen oder anderen Wortes das er gesprochen zu besinnen, mit jedem wurde mir ein Lichtlein aufgesteckt. Schade dass ich zu alt bin um noch an die Thür seines VortragsSaales anzuklopfen und bescheidentlichst zu fragen: Darf ich herein?" Wenn Sie mir das nächste Mal schreiben bitte sagen Sie mir wie es seinem Söhnchen mit dem Ohre geht. Und nun noch tausend, tausend Grüsse. Das Hirzepinzchen2 das bei Ihnen in Gnade steht, ist, wie mein Neffe Philipp der gestern von Wien kam sagt, sehr mager und sehr blass und steht mit Zittern vor der Maturitas Prüfung. Bitte halten Sie den Daumen. In Treuen meine liebe innigst verehrte Freundin Ihre ur-ur-uralte Marie. Darf ich eine Empfehlung beifügen. O glauben Sie mir! Theo hat nicht ein philisterhaftes Haar an sich Brief, Standort: Universitätsbibliothek 1

2

Münster

Die Namensgefährtin ist die Frau des Hofrates Prof. Ebner (Prof. für Physik an der Universität Graz). M. v. Ebner-Eschenbach: Hirzepinzchen. Ein Märchen, 1900. Dieses äußerst pädagogische Märchen war zunächst für den Hausgebrauch in Zdislawitz geschrieben und betrifft den Neffen der Ebner, Franz von Dubsky, der in seinen Erinnerungen dazu ausführt: „Nun erhielt ich meine Strafe, sah aber mein Unrecht ganz und gar nicht ein, sondern blieb genau derselbe, der ich war - bis ich eines Tages erfuhr, Tante Marie habe aus Anlaß dieser Begebenheit etwas geschrieben, das sie mir demnächst selbst vorlesen wolle - weil es mir meine Fehler vor Augen führen und mich bessern würde". Franz Dubsky: Erinnerungen, S. 52.

B.

DOKUMENTATION

I. Die Familie Schücking.

1. Familienbriefe (Levin, Theo, Adrian) Levin Schücking - Theo ins Stammbuch Münster lO.Mai 1861

Du willst nun auch des Vaters Federzüge Hast Recht, mein Kind, und gibst mir eine Lehre: Was helfen mir die wilden Seelenflüge, Dies Schweifen auf des Lebens ödem Meere Dies ew'ge Wandern schmerzlicher Gedanken, Dies Sinnen über dunklen Schicksalsfragen, Dies ewig ungestillte Sehnsuchtskranken Nach Sonnenhöh'n, die unerreichbar ragen! Wenn ich dir blicke in die Augensterne Und mit der Locke deines Hauptes spiele, Dann fühl' ich ja, nicht die ersehnte Ferne Birgt meines Lebens, meines Glückes Ziele: Wo deine Stimme lacht in Kindeslust, Im engen Kreis, will ich die Heimath sehen, Die guten Keime hegend deiner Brust, Bis sie in voller duft'ger Blüthe stehen. Wird dann dein Herz für alles Gute schlagen, Auf deiner Stirn der innre Adel glänzen, Dann wird den Rest von meinen stillen Tagen Ein ros'ger Wiederschein des Glücks umkränzen.

158

B.

Dokumentation

Levin Schücking an Theo Schücking Sassenberg 10 Juli 82.

Liebe Theo! Als ich Deine Karte erhielt, war die meine, welche Dir sagen sollte, daß Rieschen abgereist und daß es mir gut gehe, schon abgegangen Du wirst sie erhalten haben. Heute vermelde ich Dir nun, daß ich gestern mit meiner Arbeit völlig fertig geworden, und nun, nachdem ich die nächstdringenden Briefe geschrieben, nach Löbs gehe, morgen oder übermorgen. Wie geht es Dir unterdeß? Da Du schriebst, daß Du einige Tage nicht wohl gewesen, bin ich nicht ohne Sorge, hoffentlich komt heute oder morgen eine Karte von Dir! Ich hoffe auch, daß Dina 1 Dir unterdeß zugesagt hat, so daß Du nach Ems gehen kannst, was ich durchaus nothwendig halte: und zwar für wenigstens volle drei Wochen, damit es eine Kur zu nennen ist, was vierzehn Tage nicht sind, die können nichts helfen. Zur Hinreise wirst Du noch Geld bedürfen, wie viel soll ich Dir senden? Ich denke 150 Mark wirst Du für Deine Reise und die erste Zeit des Aufenthaltes dort bedürfen. Hier natürlich nichts Neues, als daß Hw. Walsan [?] da war, dein Pianino zu stimmen, daß Rottwinkel einen sehr schlimmen Schlag bekommen hat, daß ich durch Gerd 2 ein mich höchlichst interessirendes neues Buch von Staub erhielt, daß die Kücken fabelhaft gedeihen, daß der Dresdener nun doch einen sehr hübschen Teppich gesendet hat voila tout! Anna fährt fort, unausgesetzt musterhaft zu sein, sie wäre eine famose Pastorshaushälterin, nur füttert sie mich zu gut; täglich improvisirt sie mit bewunderungswürdiger Phantasie eine Mehlspeise und die Folge davon ist, daß ich zu viel esse und den Magen auf den x-damm [?] bringe. Bei unserm gut geruirten [?] Keller halte ich es denn hier auch in der Einsamkeit vortrefflich aus; nur ist leider das Wetter noch immer von schlechter [?] Jämmerlichkeit, nicht nicht x-gesch genug zum Gutsein und nicht zum gründlichen Schlechtsein. Es freut mich aus Gerds Briefen zu sehen, daß es ihr ein wenig besser, innerlich seelenruhiger geht! 3 Nun leb wohl, liebe Theo, laß es Dir recht gut gehn, marte animo, generöse puella, wie Horaz und Buchmann sagen, sammle Dir in der fränkischen Welt auch einen schönen Novellenstoff ein! Dein treuer Vater, der die Fräulein auf dem hohen Rittersitz vielmals grüßen läßt!

1.1. Schücking - Familienbriefe

159 Sonntag Morgens

Liebe Theo, es thut mir leid, daß meine Karte Dich unnütz in Aufregung gebracht hat, doch wird hoffentlich in diesem Augenblick Frau Löbs jüngster Brief Dich beruhigt haben! Ich würde ja auch wenn ich k r a n k geworden, nicht nach S[assenberg] gehen wenn Niemand da ist. Ich bekam hier nur, grad wie im vorigen Winter auch, nur stärker das Leiden und hatte unruhige Nächte. Da das doch nur vom Essen oder Trinken kommen kann, so dachte ich mich nach S. zu meinem guten Portet Carnet [?] und den gesunden Suppen Annas zu flüchten - Hier, glaube ich, gießt die alte S-x-ssin Bratensauce in die Suppen, was für mich Gift ist! Meine Andeutung reisen zu wollen, erregte aber bei Frau Löb einen Sturm; so habe ich mir dann mit Adrians Tamin-Pulvern geholfen mir für den Abend Tee ausgebeten und schlafe viel besser jetzt, und werde nun bis Ende der Woche jedenfalls noch bleiben. Ich trinke nur ganz leichten aber ganz reinen Ahrwein - Löbs alter, ganz ausgezeichneter und feiner abgelagerter Bordeaux, den ein Freund des Vaters von Frau Löb (selbst) aus Frankreich besorgt hat - und mit dem sie mir nun ein rechtes Bene thun wollte, ist eine ganz schaurige Jauche, noch dicker und schlammiger als unser Laoville [?]. Also, Du siehst Du brauchst Dich um mich gar nicht zu ängstigen, liebe Theo; wie aber geht es Dir jetzt, ich bin besorgt, weil die Kur Dich so angegriffen hat; wenn es nicht besser wird, ist das doch beängstigend, und Du solltest einen Arzt fragen. Ist Frau Comper [?] da? Herzlichste Grüße an sie! - Und an Dina! Hier ist es ganz nett sonst, Löbs wie immer rührend aufmerksam; Nun ist Frau Meius [?] hier und Fräul. Burgholz [?], diese nicht viel besser, aber überaus sympathisch; und dann noch ein alter Geheimerrath Meius [?], 77 Jahre und noch immer ein unruhiger Gast [?], und vorlaut den ganzen Tag. Neulich war auch die ganze Präsidentenschaft des Ober L[andes] Gerichts da, mit Frauen u. Kindern, nur leider hatte Falk nicht können. Gestern eine sehr liebenswürdige Familie Zimmermann. Ich schließe jetzt, um wieder an mein Lustspiel zu gehen, es ist in den 14 Tagen hier fast ganz fertig geworden; Dir wird aber die unangenehme Mission zu theil werden, es abzuschreiben, da das sonst Niemand kann! Oelschläger hat mir die beigelegte Karte geschickt - Adrian mich mit zwei Karten bestürmt, in einer Sache, worin ich doch nichts helfen kann! Siehe die Rückseite!

160

B.

Dokumentation

Und nun lebe wohl, liebe Theo, schreibe mir bald eine Karte, wenigstens, wie es Dir geht! Dein treuer Vater. Anlage Karte:

Nauberg [?], den 24VIIx-x

Lieber Papa! 4 Nur 3 Worte um Dir meine Karte zu erklärten. Der e r s t e Brunnenarzt in Wildungen ist gestorben - ich habe mich schleunigst gemeldet - weil die Einnahmen dort f ü r s t l i c h e sind. Zu vergeben hat die Stelle der Geheimrath Varnhagen - wenn Du daher etwas thun kannst, so heist es alle Segel zu entfalten. Hörst Du etwas, so schreib mir doch bitte umgehend. 1000 herzliche Grüße Dein x-x Adrian. Du hast doch am Waldeck'schen Hofe Gönner, könnten die nicht etwas thun. Teilweise schwer leserlich 1

2 3

4

Dina ist die Tochter der Baronin Wöhrmann, die von Meta von Salis unterrichtet wurde. Tochter Gerhardine. Die seelische Anspannung Gerhardinens dürfte mit ihrer dann 1883 erfolgten Scheidung zusammenhängen. Levins Brief an Theo schließt eine Mitteilung Adrian Schückings an seinen Vater ein, wahrscheinlich um Theo zu informieren.

Theo Schücking an Gerhardine Rickert Roma Via Margutta 53b, 6.Jan. 03. Meine liebe, gute Gerd, Habe vielen Dank für Deinen lieben Brief, wenn Du nur jetzt, wo Du so viel zu thun hast, mir öfters eine Karte schickst - damit ich {öfter} über Deine Gesundheit in Ruhe bin, mit längeren Briefen plage Dich nicht, liebe Gerd. Pflege Dich nur etwas, das ist wohl für mich noch viel wichtiger. Und lass Dir nun Alles was Dir freundlich und wohlthuend sein kann zu Deinem Geburtstag wünschen, meine liebe Gerd! Wie froh bin ich dass Du nun mit der Malerei in den Zimmern fertig bist und die Handwerker nicht mehr im Haus hast. Und ich brauche Dir nicht zu sagen, wie lieb mir der Gedanke an mein Kommen zu Dir ist -

1.1. Schücking -

Familienbriefe

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Sobald ich nur erst weiss, wohin Amalie [Hager] im Sommer geht und wann sie von Wien fort will, kann ich meine Pläne machen. Helene schrieb mir heute, sie hoffe es einzurichten, im Sommer zu uns zu kommen, damit sie einmal wieder eine Zeitlang mit Dir und mir beisammen sein könne, diese Idee begeistere sie sehr. Sie fragt in jedem Briefe nach Dir. Von Frl. Hass hatte ich Nachrichten, aber sie schrieb r e c h t unfreundlich, dass sie mich durchaus bei Dir geglaubt hätte, Dir tragen zu helfen.1 Wäre {ihr} der Ton ihres Vorhaltens ein weniger unfreundlicher] würde ich mich darüber rechtfertigen, so antworte ich aber besser gar nicht darauf - wenn es Dir der Mühe werth ist, so schreibe Du ihr gelegentlich einmal, dass ich noch in München meine Romfahrt ganz aufgeben wollte, um zu Dir zu kommen Wie schrecklich muss aber der Sturm am Weihnachtstag gewesen sein, wohl wie der, den Amalie und ich in Traunstein erlebten. Hier ist nun, Gottlob, wieder warmes Wetter, es sind wahre Frühlingstage. Joha[nna] 2 schwimmt in Pensionsbeziehungen, je mehr sie mir davon vorredet, je mehr graust mir davor. Ein Segen bei meiner Wohnung ist, dass ich, wenn ich will, zu Haus essen kann, allein auf meinem Zimmer. Heute Vormittag bin ich sehr herumgelaufen (was ja aber hier nichts Unangenehmes ist) um etwas aufzufinden, was vor 2 Jahren Malwida [von Meysenbug] Olga [Monod-Herzen] schenkte, es scheint aber, dass sie es jetzt nicht mehr machen. So schicke ich dir denn morgen etwas Anderes was Du hoffentlich auch brauchen kannst - es thut mir so leid, dass mein „Muster ohne Werth" nun {zu} um 1 Tag zu spät bei Dir ankommt! x-xd nun noch einmal tausend Grüsse und treueste Wünsche von Deiner alten Theo. Viele Grüsse an Gerhard, bitte grüsse auch Bertha 1 2

Tod Heinrich Rickerts am 3.11.1902. Hier könnte Johanna Mittelstadt gemeint sein.

Theo Schücking an Gerhardine Rickert Roma Via Margutta 53b, 17. Febr. [1903] Meine liebe Gerd, Ich hatte mich nun doch so um Gerhardchen [Enkel Gerhardinens] gesorgt, dass mir gestern, als ich Deinen Brief mit der guten Nachricht

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B.

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von seiner Besserung bekam, ein Stein vom Herzen fiel. Dr. Fleischl sagte, auch deshalb müsse man ein Kind nach den Masern sehr schonen, weil dann so leicht etwas auf die Lungen fiele - schütze ihn nur gut bei Eurem rauhen Frühlingswetter dort. Dass ihm die Choco Spass gemacht hat, freut mich so, sage ihm nur viele Grüsse von mir. Gestern machte ich Frau Dr. Hermann, die Ende der Woche (glaube ich) es kann aber auch schon am Donnerstag gewesen sein? bei mir war, ohne mich zu treffen, meinen Gegenbesuch. Ich fand sie sehr nett. Ausser der Mutter war auch noch eine Frau d'Atri geb. Baum da, die Dich kennt. Natürlich kam gleich schon das uns bekannte Verwundern über die Ähnlichkeit unsrer Stimmen. Am Samstag will ich mit Mutter und Tochter in die Villa Medici gehen, bis dahin hatten sie schon alle Nachmittage besetzt. Vielen Dank, meine liebe Gerd, für das reizende Kalenderchen! Früher hat es mir jedesmal Papa geschenkt, nun habe ich es schon so oft von Dir bekommen. Dass es Levin1 wieder besser geht ist ja ein Segen, ich bat vor ein paar Tagen Lothar [Schücking] um Nachrichten von ihm, Adrian hatte sich hier ziemlich besorgt über ihn geäussert. Weisst D u etwas von A[drian Schücking], ich habe noch nichts von ihm gehört. Die Herzzustände, mit denen er auch hier zu schaffen hatte, (nach anhaltendem Sitzen in Neapel 2 war er hier zu viel gegangen) sind aber doch beunruhigend. Um die guten Ehlers thut es mir sehr leid, und dann thut es mir auch für Theo 3 leid, die sich doch gewiss in Danzig sehr gut unterhalten hätte. Dass Franz [?] eine so niedrige Äusserung wie die über das Pyrmonter Geld thun könne, hätte ich nie von ihm gedacht. Amalie [Hager] denkt wieder von Weitem an Zoppot, möchte wissen, ob man dort Wohnung mit Küche u. Mädchenzimmer bekommen kann. Ich habe aber vor der B l e n d u n g , die doch immer an der See ist, grosse Befürchtung für sie - sie ist jetzt so empfindlich gegen Blendung wie Du es Dir gar nicht denken kannst, und wie arg wäre es für uns beiden, wenn sie immerzu darüber klagen würde. Und nun sei vielmals gegrüsst, meine liebe Gerd! Deine Theo Datierung: Übereinstimmung Briefen; Wieder Erwähnung 1 2 3

der Adresse mit den beiden vorangegangenen des Enkels Gerhardchen (= Berger jun.).

L e v i n Ludwig Heinrich ist der 1878 geborene dritte Sohn Lothar Schückings siehe Register. Dr. Adrian Schücking arbeitete neben seiner Tätigkeit als Leiter und Besitzer des Sanatoriums in Pyrmont zeitweilig in einem Forschungsinstitut in Neapel. Julie Levine Adelheid Anna T h e o p h a n i e ist die 1881 geborene erste Tochter Adrian Schückings.

1.1. Schücking - Familienbriefe

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Theo Schücking an Gerhardine Rickert Via Margutta 53 b (angef.) 8. März (heute 10 März [1903] fertig geschrieben)

Meine liebe Gerd, Vielen Dank für Deinen lieben Brief - die Einreihstriche habe ich auch richtig erhalten und danke Dir ebenso, vielmals, dafür - daran habe ich nun aber auf lange hinaus!! Ich wollte Dir natürlich gleich dafür danken, diese letzten Tage waren aber so unruhig, so konnte ich auch nicht einmal dazu kommen, Gerhardchen [Berger = Enkel Gerhardinens] zu gratuliren, nur gerade die Choco für ihn absenden, hoffentlich entdecktet Ihr gleich das Löffelchen unter dem Deckel{chen}, das bei dieser Art Choco so nett ist. Die beifolgenden 5 Mark lege, bitte, in seine Sparkasse. Es thut mir so leid, dass ich auch sie nicht rechtzeitig schicken konnte, aber gar zu „dräuge" war es mir um den Kopf in der vergangenen Woche, dazu musste ich mich auch noch so ruhig, wie es leider n i c h t möglich war, halten U.A. waren auch Wulffs aus Lankwitz hier, weisst Du, er ist immer so nett und dabei so unterhaltend. Jetzt sind für Ostern Ditfu(r)ths in Sicht, sie macht mir aber viel zu schaffen, weil sie durchaus ein b i l l i g e s logis will und das giebt es um diese Zeit hier nicht. Gestern war Frau Dr. Hermann bei mir, natürlich kam die Mutter mit angetrottet, Dr. Glaser, der hinzukam war ganz versteinert sie, der er bisher immer ausgewichen ist, nun bei m i r zu finden, es hatte etwas Komisches, wie bestürzt er war. Wir haben hier jetzt nach dem herrlichsten Frühling wieder Kälte, ich fürchte nur, bei Dir ist sie um so viel ärger eingetreten. Vielen Dank für die Zeitung, 1 meine liebe Gerd, die Rede ist so schön und warm, das Beste, was ich noch von Dr. Hirsch gehört habe. Es ist überaus gut von Dir, dass Du Dich noch extra nach Wohnungen umsehen willst - ich schreibe jetzt nur gleich an Amalie [Hager], dass sie es Dir sofort mittheilen soll, w e n n sie sich für einen andern Sommeraufenthalt entschliessen sollte. Gebe Gott jetzt nur, dass sobald wie möglich diese greuliche Geldgeschichte aus der Welt kommt! Dass Dich diese Betrüger noch kaputt und krank machen, das ist das Allerschlimmste dabei Gewiss, meine liebe Gerd, mein Versprechen, im Herbst auf Monate zu kommen, das hast Du und das halte ich auch. Ich thue es ja auch so gern! Und nun sei vielmals gegrüsst und pflege und schone Dich nur! Grüsse auch Bertha von mir. Die Jungens auf dem Bildchen sind bekannte Modellbuben. Deine alte Theo.

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Datierung: Übereinstimmung der Rom-Adresse mit der des Briefes vom 6.1.03. - mein Versprechen, im Herbst auf Monate zu kommen = "Wiederholung aus dem Brief vom 6. 1. 03: ich brauche Dir nicht zu sagen, wie lieb mir der Gedanke an mein Kommen zu Dir ist. - Gerhardchen = der Enkel Gerhardinens, der nach dem Tod seiner Mutter, Levine Schuch, 1897 von der Großmutter betreut wurde. Häufigere Nennung der Namen Wulff und Dr. Glaser in den Briefen des Jahres 1903 an Marie v. Ebner-Eschenbach. 1

Könnte sich auf einen Artikel anläßlich des Todes von Gerhardinens Mann, Rickert, beziehen.

Theo Schücking an Marie Henze Sassenberg 9 Juli 79 Liebe Marie! 1 Das „Fräulein" wollte mir nicht recht aus der Feder - Sie stehen mir ja schon so nahe als Braut Adrians und ich hoffe daß auch Sie sich entschließen es fallen zu lassen und sobald wir uns persönlich begegnen, müßten wir freilich Schwesterschaft schließen, nicht nachher? Daß ich Sie lieber heute als morgen hier bei uns hätte, können Sie sich denken, liebe Marie, machen Sie uns bald die Freude Ihrer Bekanntschaft und kommen Sie zu uns! - Adrian war von je der liebste Bruder 2 von uns Schwestern und Sie hatten durchaus Recht ihm von der ersten Stunde an zu vertrauen er verdient alles Gute und Schöne und so auch Sie, liebe Marie. - Und daß er Sie gleich lieb gehabt und so rasch vorgegangen, freut mich so - ich halte es für den Stempel der Aechtheit des Gefühls bei ihm. Und nun lassen Sie mich Ihnen für heute Adieu sagen - Ihrer Frau Mama wollen Sie mich freundlich empfehlen und ich bin in herzlicher Zuneigung Ihre Theo 1

2

Dr. Adrian Schücking heiratete am 5.12.78 die Hannoversche Bürgerstochter Sophia Marie Henze. „Adrian war von je der liebste Bruder" Vgl. dazu Ebner: Die eine Sekunde, unten B.III, und S. 445f.

Adrian Schucking

Lothar Schücking

1.1. Schücking - Familienbriefe

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Theo Schücking an Adrian Schücking Sassenberg, 9. Mai [1882/1883?]

Mein lieber Adrian - nun mußt auch Du die Tage durchmachen während derer man nur das Bewußtsein hat daß sie durchgemacht werden müssen - kein anderes Lebensgefühl - die Tage der Rückkehr aus dem sonnigen, höhern Dasein in die sonnenlose, norddeutsche, nüchterne Alltagswelt. Und nicht einmal der Gedanke giebt Einem Trost dass es Allen so geht die aus Italien heimkehren. Dass wir seit zwei Wochen hier auch wieder gelandet sind - berichtete Papa Dir wohl schon - vor diesem Winter hätte ich mir nie denken können dass es mir schwer werden würde von Berlin zu scheiden und doch war es so - von lieben Menschen und lieben Erinnerungen mußte einmal wieder Abschied genommen werden. Schrieb ich Dir nicht schon daß mir das Berliner Klima gar nicht zusagen wollte? Verzeih' lieber Adrian - daß ich Dir jetzt lästig fallen muß - aber ich möchte Dich recht herzlich bitten mir ein wenig beizustehen. Ich fühle mich nämlich schon seit lange und ganz besonders in der letzten Zeit so schlecht und angegriffen - dass mir scheint um wieder auf die Höhe zu kommen, bedarf es noch etwas Anderes als blosser Schonung und Diät. Ich bin auch so mager geworden dass ich recht froh bin dass mich Niemand sieht. Schlaflosigkeit, stete Neigung zum alten „Leiden" und - Muthlosigkeit plagen mich so arg wie nur in längst vergangenen Jahren. Und so blutarm bin ich geworden dass ich stets friere und dass wenn ich die Hand nur fünf Minuten ruhig hinlege - sie mir gleich „einschlaft". - Doch ich will Deine Geduld nicht länger in Anspruch nehmen - qui finire il testo del libro dei lamenti Vielleicht köntest Du mir Eisenpillen verschreiben die zugleich gegen das Leiden wirken - oder ähnliche Tropfen - oder meinst Du dass ich vielleicht irgend einen Brunnen trinken soll - ich bin zu Allem bereit - um die Einsamkeit aushalten zu können, muss man gesund sein. An meinem Geburtstag bekam ich von einer alten Freundin ein sehr hübsches Reitkleid geschenkt 1 - da sie jetzt in Warendorf ein Damenpferd haben, möchte ich im Sommer reiten - ich glaube das macht wieder lustig. Verzeih' dass ich Dich a la Lieschen mit Stöpsel so gestellt habe, daß Du mir nicht entrinnen kannst - aber schon deshalb hasse ich Kränkeln weil es egoistisch macht. Weisst Du dass wir denken dass Prosper im Juni oder Juli kommen wird - ich würde mich sehr darüber freuen. -

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Lebe wohl, mein lieber Adrian, tausendmal grüsst Dich Deine Theo Datierung: Vor Levin Schückings Tod (berichtete Papa Dir w o h l schon). Nach den Reitandeutungen im Brief von Emmy von Dincklage vom 24. Nov. 1882 könnte der Brief Mai 1883 geschrieben sein. Auch Emmy v. D. Brief vom 18. Mai 1882 - gibt Reithinweise - daher 1882/1883. 1

Nach dem Brief Emmy von Dincklages vom 24.11.1882 (vgl. S. 313) scheint Frau Loeb die „alte Freundin" zu sein, die Theo „ein sehr hübsches Reitkleid geschenkt"; außerdem dürfte Frau Loeb in den spärlichen Liebeshändeln Theos eine gewisse Rolle gespielt haben.

Theo Schücking an Adrian

Schücking

Villa Lidauer Traunstein i. Bayern, d. 3.Juli. [1891]

Lieber Adrian! Seit dem 9. Mai sind wir von Wien fort, Frl. H[ager]'s ewiges Kranksein machte eine schleunige Abreise endlich zur Nothwendigkeit. Wir gingen zuerst nach Hossensass oben auf dem Brenner, bis uns ein eisiger 2tägiger Schneesturm forttrieb (dann) nach Vahrn bei Brixen. Dies Vahrn ist ganz wunderschön gelegen, und hat noch dazu den Vorzug der Billigkeit. Dorthin wurde mir endlich Dein Brief nachgeschickt, den ich gewiss schon längst beantwortet hätte, wenn mich nicht die Erinnerung wegen des Schillerpreises1 aufgehalten hätte. Ich konnte durchaus nichts Genaues darüber erfahren - an Voss wollte ich mich nicht wenden, da er gleich auf Dich gerathen hätte - endlich fiel mir Oelschläger auf. Ich sagte natürlich nicht, für wen ich es wissen sollte, es gab ein Hin- und Hergeschreibe, bis ich nun endlich die genaue Auskunft erhielt, die ich Dir hiermit beilege. Die Frage: Wollen Sie etwa Adrian einsenden? ärgerte mich - ich habe ihm gleich geantwortet, dass ich überhaupt Niemanden einsenden wollte, dass ich von Amerika aus gebeten worden sei, mich nach dem Schillerpreis zu erkundigen. Oelschläger muss durch Gerhardine oder Bronsart von der Wala2 gehört haben - jedenfalls musste ich seine Combination schnell umbringen, sonst hätte er Jedem erzählt, Du „bewürbest" Dich um den Schillerpreis. Dass eine Aufführung in Breslau oder Hannover Wahrscheinlichkeit geworden ist, freut mich riesig!! - Von Bronsart habe ich die Vorstellung eines sehr philiströsen, beschränkten Geistes.

1.1. Schiicking - Familienbriefe

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Von Gerhardine höre ich immer seltener und immer weniger, Rikkert spannt sie furchtbar ein für seine Ztg. 3 Ihre F[euilleton]'s sind jetzt sehr gut, über dem Niveau des Blattes. Levine [Schuch] geht es, wie ich vermuthe, gut. Seit dem 16.Juni sind wir hier in Traunstein, wo Frl. H[ager] bis zum Herbst eine Wohnung mit Küche gemietet hat. Wir hatten jetzt eine furchtbare Hitze, die mich an amerikanische Tage erinnerte. Den Tod der armen Emmy Dincklage wirst Du erfahren haben. Er geht mir sehr nahe, sie war uns eine so treue Freundin. Und nun grüsse ich Dich und die Deinen vielmals und bin immer Deine Schwester Theo. Datierung:

Tod Emmy v. Dincklages.

E/Tb, 12. Juli 1891: Freiharr von Dinck-

lage [ . . . ] theilt mit daß E[mmy] Dicklage zu Berlin im 66. J[ahre] einem Herzschlag erlegen ist. 1 2 3

Zur Schillerstiftung vgl. B.II.4. Vgl. Brief Adrian an Theo vom 2 4 . 1 . 9 2 , Anm. 2 (unten S. 171). Danziger Zeitung

Theo Scbücking an Adrian

Schücking Freitag 10. Mai [1894]

Lieber Adrian! Schon vor einigen Tagen wollte ich Dir schreiben, aber eine widerwärtige Zahnwurzelentzündung liess mich nicht dazu kommen. Jetzt in aller Eile nur Folgendes. Vor einigen Monaten schrieb mir ein Prof. Corvinus in Braunschweig, ob er nicht eine Reproduction unseres Drostebildchens, - das ja in dem von mir herausgegebenen Briefwechsel erwähnt wird - irgendwie käuflich erhalten könne. Da ihm sehr viel daran gelegen zu sein schien, sandte ich ihm die letzte Photo., die ich noch davon hatte. (Ausser zweien die ich noch für mich selbst zurück behalten habe.) Er bedankte sich sehr weitschweifig dafür, wollte nun aber gleich wissen, ob nicht seine Bekannten dieselbe Photo, auch haben könnten. Das kam mir nun doch zudringlich vor, und ich blieb still darauf. N u n bekam ich vor einer Woche einliegenden Brief, den ich Dich sehr bitte, mir zurückschicken zu wollen. Einliegend auch meine Antwort darauf. Mir ist, ehrlich gesagt, die Idee nicht sympathisch dass das Drostebildchen in den Handel kommen sollte. Auch kommt es mir taktlos

B. Dokumentation

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von Prof. Corvinus vor, dass er zum Dank für die geschenkte Photo., an der ihm soviel lag, mich von Neuem erst selbst und dann durch einen Dritten anbohrt. Wahrscheinlich haben sie Dir nun schon von Braunschweig aus geschrieben. Lass mich, bitte, gelegentlich wissen, was Du ihnen antwortetest da es mich schon des Briefwechsels wegen interessirt. Hoffentlich geht es Euch Allen bei dem herrlichen Wetter sehr gut. Gerhardine sah ich noch nicht, vielleicht kommt sie heute Morgen. Grüsse Deine Frau, Deine Kinder und sei Du selbst vielmals gegrüsst von Deiner Theo Datierung: in dem von mir herausgegebenen Briefwechsel = Ende 1893, vermutlich 1894

daher

Adrian Schücking an Gerhardine Rickert W. den 29. Juli 1890.

Liebe Gerhardine! Ich beabsichtigte schon damals als die betr. Erbverhandlungen stattfanden, den auf mich entfallenden Theil des Erbes (von c. 4 - 5 0 0 0 M.) seiner Zeit auf Theo zu übertragen. Als ich heute diesen Akt zu einem notariellen machen wollte, bedeutete mich mein Rechtsanwalt, daß nolenti non fit beneficium dass man einem Andern nur dann eine Schenkung machen könne, wenn man seiner Zustimmung sicher sei. Ich möchte Dich also bitten Theos Willensmeinung durch eine kurze bez. Anfrage festzustellen Mit herzlichem Gruß auch an Levinchen Dein Adrian P. S.: Der Erbbetrag wird in 3 Jahren fällig. Es wird das Einfachste sein, wenn Du diesen Brief an Theo schickst.

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1.1. Schücking - Familienbriefe

Adrian Schücking an Theo Schücking Pyrmont, 24.1.92

Liebste Theo! Verzeih freundlichst, dass ich Dir nicht früher schreibe - bitte - ich war unterweilen in Berlin und bin gerade in der letzten Zeit in einem Furor aller möglichen Arbeiten gewesen. Herzlichsten Dank für Deinen lieben Brief und dass Du unseres Kleinen so freundlich zu Weihnachten gedacht hast. - Was jene Schenkung1 betrifft, so gehört sie selbstverständlich Dir und Du hast ausschliessliches Verfügungsrecht darüber - nur wünschte ich, dass sie Dir auch wirklich zu Gute käme und werde daher auch darauf bestehen, dass sie Dir von Lothar ausgezahlt wird. - Mein Schauspiel besteht nur in einem Manuscript und konnte ich es Dir daher leider nicht schicken. Wenn Du mich im Frühjahr besuchst, worauf ich bestimmt hoffe - habe ich es vielleicht hier - augenblicklich habe ich es als Erstem dem Deutschen Theater eingeschickt. In Hannover ist es schon so weit, daß ich mit dem Regisseur die Besetzung der Rollen besprochen habe - ich denke nun wird es bald mit den Proben steigen. Außerdem habe ich einen Einakter geschrieben, für den ich vom Berliner Schauspielhaus Annahme erhoffe. 2 Um Voss ist es schade - er geht am Fragment 1 2

Schenkung - siehe Schillerstiftung und Adrianbrief vom 29. Juli 1890 Die schriftstellerische Begabung Adrian Schückings beweisen Türkische Erlebnisse und russische Schicksale. Geschichte eines Mitgenommenen. Wien 1879 (vgl. dazu C.I.5.b, Anm. 73). - Die neue Wala. Schauspiel in vier Aufzügen. Druck Brückner & Niemann, Leipzig; desgl. Reclam-Verlag. - Adlerfang, Schauspiel (nur noch unvollständiger Entwurf vorhanden). - Im Thal des Todes. Skizze. In: Berliner Sonntagsblatt 1879, Nr. 31, 3.8.1879. - Die beiden Ostlinning. Eine Emsgeschichte In: Nord und Süd. Eine deutsche Monatsschrift, Bd. 18, Heft 54 S. 325 (1883) - Spiegelbilder vom Bosporus. In: Nord und Süd. „Schücking zählt selbst die Stoffe auf, die er in Prosa und Schauspiel verwendet: Menschliche Leidenschaften, die Darstellung und Entlarvung von Lügen, verlogene Frömmigkeit, Ehrbarkeit, Genie, Mut, Philosophie, Pessemismus, Tugend, Krankheit und Jugend. Dazu kommen Verführung, Verdächtigung und Selbstmordpläne alle Merkmale der Belletristik sind vorhanden. Bleibt noch nachzutragen, daß manche vergnüglichen Dialoge in münsterländischem Dialekt verfaßt sind." (Dietrichkeit: A. Schücking, S. 62ff.)

Levin Schücking, im Alter von 65 Jahren. Gemälde M. v. Treuenfels

1.2. Testament

Levin

Schückings

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2. Das Testament Levin Schückings Copia Sassenberg, Freitag d. 17/18. 1880

Mein Testament. Mein letzter Wille ist, daß meine Besitzung zu Sassenberg ungetheilt bei einander und alles, was darin ist, auch in selben Stande zu meiner Erinnerung darin bleibt. So sollten meine Kinder es als ihr gemeinsames Familienerbe und bleibendes Vaterhaus betrachten, auch alle da ihren Aufenthalt nehmen, wenn Sie eine Zeit auf dem Lande sein wollen oder gar einer bleibenden Zuflucht bedürfen. Als Erben aber setze ich ein meinen ältesten Enkel Lothar, substituiré ihm meinen zweiten Enkel Walther, diesem meinen dritten Levin. Doch setze ich ihn nur unter der ausdrücklichen Bedingung ein: Daß er Sassenberg zu vergrößern sucht, wenigstens nicht verkleinert oder verhypothecirt und mit Schulden belastet; dafür in einer seiner Zeit verbindlichen Rechtsform sorgt, daß nach ihm das Gut wieder mit allem was darin ist, auf seinen ältesten Sohn oder in Ermangelung eines solchen, Neffen übergeht und so lange wie möglich in unserer Familie bleibt. Erfüllt er dise Bedingungen nicht, so fällt das Gut an den nächsten Agenten. Er wird diese Pflicht um so heiliger halten um der zähen Beharrlichkeit wegen, womit ich, arm mich durchschlagend durch Bedrängnisse und Sorgen, viele lange Jahre hindurch, dennoch Sassenberg nicht verkauft habe, um der Familie einen Rückhalt und einen bleibenden Anhalt zu erhalten. Meinem ältsten Sohn Lothar vermach ich den Nießbrauch und die Verwaltung von Sassenberg ohne Rechnungsablage ad dies vitae. Meiner theuren Tochter Gerhardine vermache ich meinen Diamantring von der Mutter, mein Portrait von der Jerichau - Baumann. Meiner Tochter Theo, die ich mit schwerer Sorge unversorgt zurücklassen muß, vermache ich Alles was sich auf ihrem Zimmer befindet, Alles an barem Geld (400 M.) Werthpapieren (2000 M.) und ausstehenden Forderungen (600 M.) vorhanden ist, Alles, was sich aus dem Verlagsrecht meiner Schriften noch erzielen läßt. Sodann soll meine Bibliothek, das Bild von Rubens, das Bild von Kalkreuth und der antike Torso versteigert, der Erlös in sicheren zins-

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tragenden Papieren angelegt und Theo dis übergeben werden und ihr gehören. Außerdem wird Lothar ihr eine Pension aus der Schiller Stiftung erwirken. Und ferner werden meine Söhne sich daran erinnern, daß da ich für jeden etwa 4000 ry aufwenden mußte, Sie studiren zu lassen, ich eben dadurch und um ihretwillen verhindert war, für Theo ein kleines Vermögen zu sammeln, und ferner, daß ihr Vater 20 Jahre seines Lebens hindurch sicherlich auch in precärster Lebenslage, für Vater, Bruder, Schwester hat schwere Opfer bringen müssen. Lothar wie Adrian werden deshalb jeder Theo eine kleine regelmäßige Rente zahlen. Ich vertraue da fest auf ihre adlige Gesinnung und brüderliche Liebe. Adrian vermache ich meinen Siegelring und mein Reiseperspectiv. Da Adrian's Studienkosten usw. die höchsten waren und er von meinen Kindern am besten gestellt ist, so wird er nicht einen Mangel väterlicher Liebe darin sehen, wenn ihm diser mein letzter Wille nur ein Andenken hinterläßt. Was das Silber und meine Uhr mit Kette angeht, so soll Alles mit der Bibliothek usw. versteigert werden, damit der daraus für Theo zu schaffende Fond desto beträchtlicher werde. Gelingt es mir, für Theo noch zurückzulegen, so werde ich einem Codicil noch genauer über diesen Punkt bestimmen. Dr. Chr. Bernh. Levin Schg. Kopie des Levin-Schücking-Testamentes,

geschrieben von Levin Schücking

Das Originaltestament (323-C5-o5 Depositum Schücking) im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster, aufbewahrt, weist „keine gravierenden Abweichungen" von der Copie auf „Einzig schreibt Schücking einmal Väterhaus statt Vaterhaus. Die Geldsummen, die in der Copie in Klammern für Theo eingesetzt sind, fehlen im Original. Aber das erklärt sich sicher aus der späteren Abfassung der Copie, als er die finanzielle Lage besser überblicken konnte." (Auskunft des oben genannten Museums vom 8.11.1996)

II. Theo Schücking

1. Meta von Salis: Theo Schücking (19. April 1850-23. Mai 1903) Was du verschwendetest, läßt nicht verarmen, Macht nur die Wange, nicht das Leben bleicher. Mir ist, als spendetest mit Liebesarmen Du noch aus deines fernen Grabes Haft.

Wie es Einem etwa ergehen muß, bis man eine Ansicht als bestätigt bleibend seinem Besitz einfügt, so widerfuhr es mir, als ich an ein längst im Sinn getragenes Lebensbild von Theo Schücking gehen wollte. Ich wandte mich an ein Mitglied der Familie um Ergänzung des mir zur Verfügung stehenden Stoffs. Aus welcher Ursache immer mir in der Kriegszeit die gewünschte Auskunft nicht geworden ist, ich sage mir jetzt, daß es im Grunde bei einer innerlich gerichteten Natur, die einen starken Einfluß nur auf mehr oder weniger innerlich gerichtete Naturen ausüben konnte, auf die Vollständigkeit der äußeren Daten nicht ankommt. Zentralfeuer und nährende Flamme eines Kreises sein, wie Viele können das? Und wenn solche im Verborgenen einmal irgendwo brennen, so erkennen und würdigen es Hinzutretende leicht unbefangener und sicherer, als die durch Umgebung und Gewohnheit abgedrängten, dem Kreis zugeborenen Glieder. Es ist wie bei der Sonne, von der die Erde und was auf ihr lebt, Sein und Bestehen hat, ohne daß es dem Einzelnen zum Bewußtsein kommt! So gebe ich denn getrost, was in meinem Schatzhaus aufgespeichert liegt, soweit es sich der Mitteilung aus Rücksicht auf Andere nicht entzieht, und rechne auf Nachsicht, wenn ich nicht weiß, wo Theo geboren, wann und wie lange sie da und dort lebte, wie Vieles sie geschrieben und wo veröffentlicht hat und dergleichen mehr. Theo Schücking ist am 19. April 1850 geboren als zweite Tochter des Schriftstellerehepaares Dr. jur. Levin Schücking und Luise v. Gall. Ein Sohn war den Schwestern vorangegangen, der zweite folgte ihnen. Die schöne Mutter starb im März 1855, zu früh, um den jüngern Kindern eine deutliche Erinnerung hinterlassen zu können. Auf Grund

Meta von Salis. Zeichnung von W. Allers 1899

II.l. Meta von Salis: „ Theo

Schücking"

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väterlicher und von Freunden stammender Erzählungen wurde sie von Theo hochverehrt. Die 1846 geborene Gerhardine sah sich schon in jungen Jahren an der Spitze des väterlichen Haushalts und betraut mit der Obsorge für die kleine „Oetich", was bei dem Wanderleben des Schriftstellers eine nicht eben leichte Aufgabe war. Ein Aufenthalt in Rom im Jahre 1863 machte einen tiefen Eindruck auf die sinnige Theo, und die damit verbundene Bekanntschaft mit Malwida von Meysenbug und deren mit der Kleinen ungefähr im gleichen Alter stehenden Pflegetochter, Olga Herzen, wurde von lebenslanger Bedeutung für sie, zum ersten Ring in einer Kette, deren letzter wieder in Rom angefügt werden sollte. Die Erziehungsjahre in einem Mädcheninstitut in Westdeutschland wirkten, wie es in ähnlichen Fällen zu geschehen pflegt, mehr in komischen, als in ernsten Erlebnissen nach, mit der Ausnahme jedoch, daß sie ihnen eine Freundin von wandelloser Treue verdankte. Früh wie durch den Tod der Mutter an die Schwester trat, durch die Verheiratung dieser mit dem Maler Werner Schuch, die Aufgabe an Levin Schückings jüngere Tochter heran, dem verwitweten Vater zu Haus und unterwegs ein Heim zu schaffen und ihm bei seiner Geistesarbeit die Hand zur Hilfe zu reichen. Dabei machte sie sich die Betreuung des heranwachsenden Lieblingsbruders, Adrian, noch besonders zur Pflicht. Oft hat sie den unermüdlichen Fußwanderer am Ende der Ferien in Sassenberg herausgefüttert und auf die fürs neue Semester erforderliche Höhe der Kräfte hinaufgebracht, ja selbst als Versuchskaninchen dem angehenden Mediziner hergehalten, bis er ihr durch ein gewagtes Experiment an der Wange eine unaustilgbare Narbe einbrannte. Der Dr. med. gewordene Bruder begab sich 1877 im Orientkrieg zu beruflichen Studienzwecken an die türkische Front. Er fiel in die Hand der Feinde und machte mit einem beschädigten, schlecht behandelten Knie die Schrecken einer Gefangenschaft durch, aus der ihn sein Vater erst nach mannigfachen Bemühungen zu befreien vermochte. Kaum in Wien in Sicherheit, wo die Seinen den Winter zugebracht hatten, so warf ihn ein Typhus aufs Krankenlager, während dessen die treue Schwester in erneuter Todesangst die Pflege des physisch Tieferschütterten in die Hand nahm. Ein interessantes Büchlein, Türkische Erlebnisse und russische Schicksale ist wohl geeignet, die Psyche von hüben und drüben zu erhellen und die Wagschale zugunsten der vielverleumdeten Moslemen zu senken. Es bildete die etwas teuer bezahlte Frucht des Abenteuers auf Seiten des jungen Mannes. Zu Lebzeiten des Vaters nahm Theos Schicksal nach außen einen gleichmäßig geordneten Verlauf. Der Sommer sah sie meistens in der

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B.

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westfälischen Heimat, Sassenberg bei Warendorf, wo das Stammhaus der alten Familie, deren Wappen das Einhorn ist, stand. Das damalige Haupt derselben verstand es, dem bodenständigen Wohngebäude mittels eines Türmchens und der Sandsteinbekrönung des Portals ein stattliches Gepräge zu geben, ohne ihm den Charakter der Traulichkeit zu benehmen. Zugleich lag ihm daran, den vorhandenen Grundbesitz abzurunden und zu mehren, soweit es die Liebe der Bauern zur Erbscholle und ihre Hartnäckigkeit möglich machten. Ein Dickkopf der betreffenden Menschenklasse hatte Schücking einmal mit der Bemerkung abgefertigt: „Wenn wir tot sind, Herr Doktor, kommt es nicht mehr darauf an, wem von uns beiden die Wiese gehört" und sie unerschütterlich behalten. Der Landaufenthalt dauerte zuweilen bis über Weihnachten hinaus, belebt durch die längeren und kürzeren Besuche von Verwandten und Freunden. Den Winter brachten Vater und Tochter später in Wien, Rom oder Berlin zu. Da wie dort bildeten sie einen Anziehungspunkt für geistig rege Männer und Frauen, in deren Kreis ihr Erscheinen immer willkommen war. Daß Schückings Tod einen Wendepunkt in den Verhältnissen der damals dreiundreißigjährigen Theo bedeuten mußte, ist selbstverständlich, wie es denn bei der unverheirateten Frau in ihrer bis gegen Ende des Jahrhunderts üblichen Stellung wohl in den meisten Fällen zum Schwersten gehört hat, sich bei schon zurückliegender Jugend ganz neuen Gewohnheiten zuzuwenden. Die verheirateten Geschwister versetzten sich selten in die ihr gewordene Lage und vermögen wohl kaum auch nur annähernd zu würdigen, was sie für Opfer bringt. Für eine sensitive Natur wie Theo, deren ausgesprochenste Charakterzüge Ehrlichkeit und Treue waren, mußte die Lücke, die der Tote hinterließ, sich besonders fühlbar machen. Hatte sie sich doch bis dahin sowohl aus Neigung als aus starkem Pflichtgefühl des Selbstbestimmungsrechts in großen wie in kleinen Dingen fast völlig begeben! Nun bedurfte sie einer neuen Aufgabe, die den Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit verlangte. Ein Oheim in den Vereinigten Staaten Nordamerikas bot die erste Gelegenheit zur Probe. Aber Dollarien hätte der vornehm empfindenden Tochter der roten Erde unter keinen Umständen, am wenigsten als Ersatz des Verlorenen, genügen können. Was sollten ihr die Kolossalitäten der yellow rieh, was die Gier und Sucht der rettungslos Armen? Der Amerikamüden bot Wien, wo Frau von Ebners und Frau v. Fleischls Haus und Herz ihr weit offen standen, Lebenslust und Schaffensfreude. Als Gesellschafterin einer jüdischen Dame verfügte sie hinreichend über Muße für literarische Arbeit. Erst als Herz und Au-

IIA.

Meta von Salis: „ Theo

Schücking"

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gen ihr den Dienst zu versagen begannen, löste sie das Verhältnis zu Frl. H., immerhin mit dem Versprechen, die Sommermonate alljährlich bei der sie innig Liebenden zubringen zu wollen. Im Winter 1899/ 1900 gelangte sie seit 17 Jahren zum erstenmale wieder nach Rom, dem ihr unersetzt gebliebenen. 1901 führte sie aufs neue an den Tiber und die Romfahrten standen in ihren Zukunftsplänen an erster Stelle. Aber schon die dritte sollte die letzte werden. Hatte sie einst mit Byron von der „Stadt der Seele" mit innigster Ueberzeugung sprechen können, so bot ihr im Frühling 1903 die „Niobe der Nationen" die Ruhestatt für die entseelte Hülle. Dicht unter der Stelle, wo Shelley's Cor cordium seine endliche Zuflucht fand, an dem Fleck, von dem der Ariel der Dichter sagte „it could make one in love with death" umschließt Mutter Erde die sterblichen Reste dieser Edelblüte aus deutschem Stamm! „Mein erster Weg führte mich zu einem Grabe, dessen Marmorplatte den teuren Namen Theo Schückings trägt. Ihre Schwester Gerhardine, die Witwe des freisinnigen Mitglieds des deutschen Abgeordnetenhauses, Heinrich Rickert, hat in den schneeweißen Marmor die Worte einmeißeln lassen: U n d e h ' D u w ä h l e s t , h a s t D u es g e t a n . 1 D u w ä h l s t d a s G u t e , weil's d a s G u t e ist

So war sie; in diesen zwei Zeilen ist ihr ganzes Wesen gekennzeichnet. Wohl jedem, der sie gekannt hat! Er hat erfahren, daß Menschen leben, für die das Gute tun heißt, dem Gesetze ihrer eigensten Natur entsprechen." In wenigen Augenblicken meines Lebens hat mich ein wärmeres Glücksgefühl überströmt, als in jenem, da ich im soeben vom Buchhändler erhaltenen Bändchen Erinnerungen an Grillparzer und Aus einem zeitlosen Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach von ungefähr auf Seite 78 obige Worte über die Frau las, deren Freundschaft auch mir das Leben vergoldet hat. Mit einem Male erstarben alle falschen Scheine und erloschen Salonflämmchen, Straßenflackerlichter und all die elektrische Gleißnerei der Trustberühmten und Parteibelichteten. Eine Seelenadlige hatte der Schwester über Tod und Grab hinaus das Diplom der Ebenbürtigkeit ausgestellt, die ihr hinfort Nie-

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Die Worte, wie ich sie an Ort und Stelle eintrug, lauten: „ D u wirst das Gute, weil es gut ist wählen - U n d eh' D u wählest, hast D u es vollbracht." Seit die Presse meldete, daß den Deutschen sogar die Verwaltung ihres Gottesackers in R o m entrissen ist, zittere ich für die meiner Liebe geheiligten Gräber, die dem aufgehetzten romanischen Pöbel preisgegeben sind.

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mand mehr bestreiten darf; einmal hatte wieder Gerechtigkeit gewaltet auf Erden! Schon manchmal früher war die Frage aufgestiegen, von wannen Theo Schückings Wesen der bestimmende Einschlag gekommen sei. Während des Krieges, der eine Gewitterklarheit sondergleichen über die seelischen Probleme höherer Menschen gebreitet hat, fiel plötzlich Licht in dieses Halbdunkel beim Wiederlesen eines längstbekannten Gedichts von Westphalens Dichterkönigin an Katharina Schücking. Im tiefsten Kern ging Theo zurück auf die Vatersmutter, die Frau des „klaren Auges" und „der freundlichen Hand", deren Liebe eine jahrelange Entfremdung nicht „beirrt" hatte; die „Starke, Feste", deren Menschtum ihr Dichtertalent „zehnfach" überragte; die „Bescheidene" mit dem „kristallklaren Wort", das wie „edelster Wein" wirkte; sie ist es, die ungeachtet des Zuwachses aus anderen Erbmassen und unter veränderten Zeiteinflüssen, am mächtigsten in Theo nachweste. Gestützt auf welche Entdeckung mich ein Familienidyll, dessen Kenntnis ich der Schwester verdanke, doppelt lieblich anmutet. Schükking, als junger Witwer, pflegte in der ersten, seinem Verlust folgenden Zeit, zuweilen im Zimmer vor dem erhöht sitzenden Töchterchen stehen zu bleiben und, in den Anblick des von dunkelblonden Locken umrahmten Gesichtchens versunken, auszurufen: „Was ein Kind! was ein Kind!" Und die Erzählerin fügte ergänzend hinzu: „Papa hat in der Tat Alles von Theo erwartet, z.B. auch nach den ersten Anfängen, in der Musik. Was ist daraus geworden?" Die Antwort mag Annette von Drostens Schlußstrophe an die Ahne geben: ... von Gottes reinstem Bild Ist nur ein grüner Hügel uns geblieben, Den heut umzieh'n die Winterstürme wild U n d die Gedanken derer, die Dich lieben.

Meine erste Bekanntschaft mit Schückings stammt aus dem Winter 1878/1879, einem der Marksteine meines Lebens. Vom November bis April war ich der Gast von Malwida v. Meysenbug, deren Verbindung mit Vater und Tochter schon durch jahrelange Dauer gefestigt war, indeß der Idealistin und meine persönlichen Beziehungen erst seit 1877 bestanden und sich auf das Lesen ihrer Memoiren, den von meiner Seite daran geknüpften ersten schüchternen Annäherungsversuch und den daraus hervorgegangenen Briefwechsel gründeten. Wie aufrichtig ich Malwida, besonders im Vergleich zu den schwankenden Gestalten, die seither vor das Publikum getretenen bewegten Frauen, schätzen lernte, wie eifrig wir strebten, uns gegenseitig gerecht zu werden, unsere Naturen waren nicht von jenen, zwischen welchen

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eine prästabilierte Harmonie sich elementar einstellt. Im Tiefsten und Eigensten berührten wir uns nicht, weshalb unser Verhältnis kein eigentlich inniges werden konnte. Die Atmosphäre, mit der die Idealistin sich umgab, ermangelte jenes Fluidums, dessen meine zuckende junge Empfänglichkeit bedurfte, wenn sie die harte Schale, in die sie sich gepanzert hatte, ablegen sollte. Ich wurde in ihrer Gegenwart nicht warm und weil ich scheu und teilweise ablehnend mit ihr verkehrte, hielt sie mich ihrerseits für kalt und keine Anlehnung suchend. Nach Ablauf der ersten Wochen, in welchen das Ueberwältigende Roms alles Uebrige in den Hintergrund drängte, fühlte ich mich einsamer als je und hörte mit unendlicher Wehmut den eintönigen Gesang des in der damals noch vor unseren Fenstern in der Via della Polveriera liegenden Vigna arbeitenden Landmanns, trotzdem von links der Monte Cavo in bläulichem Duft hereingrüßte und ich rechtsher, wenn ich die Augen von der Stadtgeschichte des Gregorovius hob, auf dem ergreifend verödeten Aventin noch den Schattenumriß von Ottos III. Palast und Kaisertum im Geist erblicken konnte. Für Malwidas Welt war ich im damaligen Zustand zu stolz und zu bescheiden zugleich. Nun trafen kurz vor Jahresschluß Schückings in Rom ein. Theo hatte Eile, am ersten freien Vormittag die alte Freundin beim Kolosseum aufzusuchen. Bevor sie wieder ging, wurde ich gerufen, Malwida machte uns bekannt, wir reichten uns die Hand, sahen uns einigermaßen forschend an und wechselten einige der herkömmlichen Reden. In dem Stadium, in dem ich mich noch befand, bildete jede Begegnung mit einem Wesen aus dem Kreis geistig Schaffender ein Ereignis. Theo war erfahrener, aber als ein echtes Kind Westfalens mit ihrem Eigensten ebenso zurückhaltend, wie die Tochter der rätischen Bergheimat. Wir wogen beide, ehe wir wagten, ganz fremd jedoch fühlten wir uns beim ersten Auseinandergehen schon nicht mehr. Zu einem Theeabend bei Malwidas mehr im Zentrum der Stadt wohnenden Schwestern erschienen Vater und Tochter dann zusammen. Der mir durch mehrere Erzählungen bekannte Schriftsteller, der erste seines Zeichens, der meinen Weg kreuzte, erwies sich im persönlichen Verkehr als sehr unterrichteter und dessen ungeachtet angenehmer Plauderer, dessen tiefblaue Sachsenaugen eigentümlich beobachtend in die ihn umgebende Gesellschaft zu tauchen schienen, für welche er als Paradepferd zu wirken nichts weniger als geneigt war. Es geschah im Lauf des Winters wiederholt, daß Baronin Medem (Malwidas verwitwete Schwester), ihn in einer dämmerigen Ecke des Salons aufstöberte, wo er mit einem harmlosen jungen Mädchen in anmutiges Gespräch vertieft war, ihm neckend mit dem Finger drohte und mahnte: „Nun habe ich Sie Exzellenz Y. immer noch nicht vor-

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stellen können". Daraufhin ertönte ein sehr verbindliches: „Bitte später, Frau Baronin", und Schücking setzte erleichtert die unterbrochene Unterhaltung fort. Ich verdankte dem aus dem Schatz seines Wissens gern und eindrucksvoll Mitteilenden den Hauptgewinn der römischen Wanderungen jenes ersten Winters im Süden. Kannten doch Wenige die reizvollen Winkel und historischen Stätten des mittelalterlichen und Renaissance-Rom besser als der Verfasser von Luther in Rom. Wohl auf Malwidas Wunsch hin hatten mich Schückings alsobald zur Teilnahme an den sonntäglichen Spaziergängen aufgefordert, die eine stehende Einrichtung in ihrem römischen Leben von jeher gebildet hatten. Dem herkömmlichen Kreis der Wanderer: Malern, Bildhauern und Schriftstellern schlössen sich häufig vorübergehende Gäste an, zu denen der eine oder andere vom Stabe Beziehungen hatte. Meistens traf man sich an einem bestimmten Punkte, von dem aus die Stadttore erreicht wurden, wo der eigentliche Ausflug erst begann. Mit Ausnahme derjenigen von Porta del Popolo nach Ponte molle gab es noch keine Pferdebahnen, zu Droschken entschloß man sich aus naheliegenden Gründen nicht oft, so blieben denn vorweltliche Rumpelkasten auf hohen Rädern, genannt Omnibus, das auserwählte Mittel zur Beförderung. Ich denke keineswegs mit Naserümpfen an die zusammengewürfelte Gesellschaft zurück, mit der man sich da dicht zusammengedrängt befand. Männer und Frauen aus dem kleinen römischen Bürgerstand benahmen sich so tadellos, daß die Nordländer nicht ohne Anwandlungen von Scham an in der Heimat erlebte Episoden denken konnten. Je nach Wetter und Unternehmungslust galt es die nähere Umgebung fuor le mura: Kirchen, Grabmäler, Klöster, Haine, Ruinen, oder wir schweiften weit hinaus auf Via Appia, Prenestina, del Arco oscuro, bis wo Albaner- oder Sabinerberge in täuschende Nähe gerückt schienen und die Castelli deutlich erkennbar aus den Falten der Abhänge und von den Hügeln herüberwinkten. Da war es denn schmerzlich, umkehren zu müssen und so Vieles zu versparen, wer weiß für wie lange. An der Via Flaminia habe ich mit Theo zum ersten Male wildwachsende Jonquillen gepflückt und ganz vereinzelte Asphodel die rosenfarbenen Blütenrispen dem Licht entgegenstrecken sehen. Der eigentlichen Heimkehr voraus ging eine kürzere oder längere Rast in einer der romantischen Osterien am Wegrande, wo eine entfernt an Garten gemahnende Anlage im Schatten einer Pinie, wenn anders nicht ein lose aus Rohr geflochtener Zaun höchst mangelhaft gegen die Sonne schützen sollte, mit rohem Holztisch und wackeligen Strohstühlen zur Niederlassung einlud. Brachte dann der Wirt den großen Fiasco mit goldenem Genzano oder purpurfarbenem Alle-

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atico - beide von einer Mäßigkeit des Preises, die der Gegenwärtige ins Reich der Aufschneiderei verweisen würde - so schwenkte einer der in Rom einheimisch gewordenen Künstler mit dem Inhalt des ersten halbgefüllten Glases der Reihe nach die übrigen Gläser rein, was die Bedienung keineswegs als für sie ehrenrührig empfand, und es entwickelte sich eine Szene ähnlich der von Frieda Schanz in Nespole unübertrefflich geschilderten, nur daß der Abschied nach Norden für uns noch nicht bevorstand. Die Sonne neigte sich der leichtsilberig angedeuteten Meerlinie zu und lugte mit immer schüchterner werdenden Strahlen durch das Zaungitter; das Hühnervolk schlüpfte kecker und beutegieriger aus und ein, aus der Ferne klang das Frühlingssehnen einer einsamen Lerche, die Farbentrunkenheit des Tages erlosch im zarten Abendgrau, der Aufbruch ließ sich nicht weiter verschieben. Stehe ich vor dem Schrein meiner Erinnerungsbilder, so erstaune ich über die Anzahl der in diese Zeit zurückreichenden, angesichts der vielen später gemachten, genußreichen und bedeutsamen Reisen. Vielleicht prägten sie sich um so tiefer ein, weil es die ersten dieser Art waren, vielleicht gedieh der Mangel an Photographien, in erster Linie an kunstvollendeten, dem Reisenden zum Vorteil, indem er ihn veranlaßte, aufmerksamer zu sehen und zu beobachten und den goldenen Ueberfluß der Welt mit gierigen Sinnen einzutrinken. Auch hat Rom und seine Umgebung schon bald nachher von seinem einzigartigen Gepräge vieles unwiederbringlich verloren. Derzeit redete eine weit zurückliegende Welt, charakteristisch abgestuft, wie mit tausend Zungen und Linien zu uns; mit einem ihr allein eigenen Zauber schmeichelte sich die weihevolle Oede der Campagna di Roma in Auge, Ohr und Herz des ihr von fernher Zugepilgerten, dem sie Heimat gab und in dessen Seele sie Heimat fand. Von den bronzefarbenen Mauerresten mit dem feinen reticulatum des Gefüges nickten blühende Goldlackstengel, auf der spärlich begrüntgen Wiedenfläche weidete in der Hut des malerisch in Lederhosen schreitenden, kühn in seinen Mantel drapierten alten Hirten die zottige Schafherde, deren Wolle mit dem Ocker der zu Tage liegenden Erdkrume übereinstimmte. Von fast überallher thronte über der Stadt der Kaiser und der Päpste majestätisch, unbekümmert und in sich gefaßt die Kuppel von St. Peter, von der Ouida ausruft: „Wie kommt es, daß sie uns immer so mächtig ergreift?" Nicht Fabrikschlote und viel weniger das gleißende Siegesdenkzeichen des fressendsten Schadens am Marke Europas, die Synagoge im ehemaligen Ghetto, drängten sich zwischen sie und den Beschauer, wie jetzt. Auch das Volksleben befand sich dermalen noch ungestört im Besitz seiner Naivität und natürlichen Würde. Der städtische Handwerksmann zog mit den Freunden zum Wein vor die Tore,

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krempelte sich, um die paar Fremden unbekümmert, am Brunnen der Osteria die Rockärmel in die Höhe, wusch ausdrucksvoll zuerst die Hände und dann den frisch im Gärtchen gepflückten Salat, den er selber kunstgerecht in der Schüssel anmachte und blickte, wenn er sich nach vollbrachtem Werk niederließ, die Gesellschaft mit einem gutmütigen Lächeln an, als ob er fragen wollte: hab ich's nicht gut gemacht? Die Angehörigen des Wirts zeigten sich bereit, den Wunsch der Forestieri, die das Vorrecht hatten, un po' matti zu sein, nach einer Tarantella aus dem Stegreif zu befriedigen, zu welchem Behufe ein paar Burschen bald aufgetrieben waren, die mit den Töchtern oder Muhmen das Kunststück aufführten. Der Klassenhaß, der nie schlummernde Verdacht, der die Trennungslinie nicht zwischen den Ständen, sondern zwischen den Armen und Reichen kurzweg, immer schärfer und schneidender zog, die rohe Neugier, das blasierte Spötteln, die das menschlich warme Interesse verdrängt haben, mit einem Wort, das Amerikanertum zeigte sich kaum von ferne an. Deutsche Männer und Frauen aus einer höheren Bildungsschicht verkehrten gern und sympathisch mit den vielfach außerhalb der ABC-Schützengilde stehenden, in Kopf und Herz umso reicher begabten Erben einer jahrhundertealten Kultur. Auf sie übte Theo eine auffallende Anziehung aus, was sich bei einer Omnibusfahrt zwischen Albano-Stadt und AlbanoBahnhof ausnehmend reizvoll zeigte. Zwei jugendliche Bauernmädchen saßen ihr gegenüber, wovon die eine wundervolle Rosen in der Hand trug, die wir drei Damen bewunderten. „Le vuole?" fragte die Trägerin und legte sie alsbald huldigend Theo in den Schoß. Daß der Humor bei den sonntäglichen Wanderungen nicht ausblieb, versteht sich von selbst, wie denn Vater und Tochter Schücking, jedes besonders akzentuiert, dem vorüberfliehenden Augenblick launig seine Würze abzugewinnen wußten. Gegen Frühjahr hin gelangten wir durch Porta Angelica hinaus auf die neronischen Felder am Fuß des Monte Mario, als eben die Sonne im Begriff war, hinter einer dünnen Wolkenschicht unterzugehen und der westliche Horizont wie Purpur zu glühen begann. Alle blieben, dem Anblick hingegeben, stehen. Unversehens brach ein Balte in den Ausruf aus: „Das könnte nun Corrodi - er meinte den Vater - doch nicht malen!" Schücking, zwischen Theo und mir stehend, flüsterte belustigt: „O diese Maler! Wenn sie einen Sonnenuntergang restlos genießen sollen, müssen sie die Unfähigkeit eines Kollegen, ihn wiederzugeben, feststellen!" U m die Jahreswende fuhren wir in ungwöhnlich zahlreicher Gesellschaft nach dem Tor von San Paolo und gingen von dort zu Fuß bis zur Patriarchalkirche des gleichen Namens. Es war ein verhangener, blasser Sonnentag, der den Kontrast zwischen den träge hingleitenden

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Wellen des flavus Tiber und der pomphaft aus der Asche wiedererstandenen Kirche stärker hervortreten ließ. Die protzenhafte Pracht des Innern fesselte nicht lange, jemand sprach von einem geradezu zum Tanz herausfordernden Marmoparkett. Ganz anders fesselte der erhalten gebliebene Kreuzgang mit den paarweise gekuppelten, ungleichen, zarten Säulchen. In den Beeten des Quadrums blühten einige Monatsrosen und da und dort streckte ein voreiliges Veilchen das Köpfchen hervor und atmete ein Duftweilchen aus, indessen das silberne Gefieder von Tauben um Gebälk und Türmchen blitze. Für uns Kinder rauherer Landstriche ein wonniges Erlebnis! Im überfüllten Omnibus ins Zentrum der Stadt zurückrumpelnd, geborgen inmitten des übersprudelnden Geschäckers junger Rheinländerinnen und heiterer Musensöhne, einigten Theo und ich uns auf das Du. Eine elegisch veranlagte Pfarrerstochter meinte kurz nachher: „Sie Glückliche! zugleich in Rom sein und Jemand dort Du sagen zu können!" und die liebreizende kleine Schottin, welche unter dem vereinigten Einfluß von Bischof Mermillod's Predigten im Gesù und ihrer polnischen Freunde damals zum Katholizismus übertrat und später ins Kloster ging, neckte uns mit der Beschuldigung, wir befänden uns fortwährend im Einverständnis, uns über alle Andern lustig zu machen, wenn wir in einem Salon im schützenden Rücken des Klaviers verschwanden, wo sie uns ertappte. Miß E. vertraute Theo zuerst ihren Bekennntniswechsel an. Die beiden trafen sich nach längerer Pause zufällig auf der Straße. Theo fragte das zarte Ding: „Wie ist es Ihnen inzwischen ergangen?" Miß E. antwortete ohne sich zu zieren: „Ich bin sehr gut geworden", die große Veränderung in diese Form kleidend. Die Sache machte viel Aufsehen; Malwida äußerte starkes Mißvergnügen, weil ich sie unbedingt billigte - für mich das erste Zusammenstoßen mit der Unduldsamkeit des freien Geistes, der ich seither so oft wieder begegnet bin. „Wenn es zu ihrer Wesensvollendung gehört, warum nicht?" hatte ich erklärt und stehe heute auf dem nämlichen Standpunkt wie 1879. Mehr gegen Frühjahr hin führte einer der Herren des Kreises eines Sonntags die Fürstin S. ein, die er als Cicerone zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt begleitete. Verdrossenes Wetter kürzte den Gang beträchtlich ab, der diesmal die Via Flaminia entlang führte; man saß auf der Terrasse einer der zahlreichen Locande jenseits Ponte molle bei Gespräch und harmlosem Spiel beisammen bis zum Aufbruch. Am folgenden Morgen ereignete sich ein zwiefach Unerwartetes: Theo kam zu ausnehmend früher Stunde und ausschließlich zu mir. Sie war vom raschen Gehen außer Atem, blieb auf der Schwelle meines Zimmers stehen und sagte: „Daß das Dir widerfährt, Meta, freut mich

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inniger, als wenn es mich beträfe", worauf sie mir auseinandersetzte, Herr K. wäre am Vorabend mit anderen Herren noch zu ihrem Vater gekommen und hätte ihr mitgeteilt, die Fürstin wünsche dringend, daß ich, zu der sie eine Vorliebe empfinde, sie auf ihre bevorstehende Reise nach Neapel begleite, „Du habest so was Besonderes in den Augen". Aus der Sache selber ist schließlich nichts geworden, was für mich hinreichend schmerzlich war, da es meine Bekanntschaft mit der herrlichen Parthenope fast um 20 Jahre hinausschob. Aber was von der Erfahrung blieb und mit der Zeit nur immer köstlicher wurde, war die Kenntnis von einer Fähigkeit im Andern aufzugehen, die ich allein bei einer Mutter für möglich gehalten hatte und in dieser außerordentlichen Stärke auch kein zweites Mal angetroffen habe. Dabei ist nicht zu übersehen, daß Theo die Reise ebenso herzlich genossen haben würde, wie ich. Also nicht fehlendes Bedürfnis, sondern Hingabe unter völliger Würdigung dessen, worauf verzichtet wurde, somit der Tatbestand, dem Neid und Mißgunst sonst fast unfehlbar entspringen! Es verheißt mancher Mund: ich würde mich in dem und dem Falle ganz mit dir eins fühlen, doch bei der Probe versagt die Kraft. Neidlosigkeit, mehr: Mitfreude - ich stehe nicht an, sie für die seltensten der menschlichen Eigenschaften zu erklären, weshalb denn auch trotz aller neueingeführten Befriedigungen punkto panes et circenses der obere und untere Pöbel sich in Permanenz im Zustand der Glückslosigkeit und Scheelsucht befindet. Theo sagte: wenn ich glücklich bin, so bin ich auch gut. Ohne Zweifel war sie das, jedoch kennzeichnender für sie das Umgekehrte: wenn und weil sie gut war, fühlte sie sich glücklich. Weil ihr persönliche Eitelkeiten fern lagen und sie keinen Wert legte auf den Vortritt in der Welt des Scheins, sprießten ihr Glück und Seelenreichtum an Stellen, wo der Genüßling und der Ehrsüchtige sich gelangweilt abwendet. Ein überströmender Reichtum an Einfühlungsvermögen und Güte bis zum Aufgehen im zweiten Ich ist Gottesgnadentum und solches Gottesgnadentum ist Theos Teil gewesen lebenslang! In jenem Winter wohnten Schückings im Vicolo Scavolino, unfern der Fontana Trevi, in den Zimmern einer abwesenden Bekannten, deren Dienerin sie besorgte. Wie die meisten geistig arbeitenden Fremden - Ibsen, Björnson u. A. - speisten sie mittags auswärts, gewöhnlich bei Coradetti an der Via della Croce, wo ein alter Kellner die Stammgäste mit jener Zuvorkommenheit zu befriedigen trachtete, die bei guter Behandlung jedes menschliche Gegenseitigkeitsverhältnis ähnlichen Charakters auf eine höhere Stufe, als die blos geldlich gegebene, hebt. Hier trafen sich die Bekannten, fast jeder beladen mit der Beute eines arbeitsvollen Vormittags, ebenso bereit zu geben, als zu

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empfangen. Im nahen Cafe greco, in dessen omnibusartig beengtem Raum die Gegenübersitzenden mit den Knieen zusammenstießen, wurde der Schwarze eingenommen, wenn Schücking nicht vorzog, zuerst über den Pincio oder sonstwohin zu schlendern und den braunen Trank, Zeitungen lesend, später am Corso zu schlürfen, wo ein Blick durch die Scheiben manchmal ein interessantes Straßenbild erhaschte. Die großen Umwandlungen in der italienischen Hauptstadt während der zwei Jahrzehnte, die ein Säkulum beschlossen und ein anderes einleiteten, haben mit den ursprünglichen, um so viel traulicher und künstlerischer anmutenden Zuständen und Einrichtungen aufgeräumt und der gepantschte, dreimal teurer verkaufte Wein und das Aeußere des Justizpalastes symbolisieren drastisch den Fortschritt der Zivilisation und den Rückgang der spontanen Lebenskunst. Das Schaffensfreudige hat vielfach dem Spekulanten weichen müssen; wer in Rom leben will, bedarf eines Einkommens, das nicht nur relativ das früher erforderliche übersteigt, und das bannt gewisse, dem allgemeinen Tun und Treiben förderliche Kräfte, eo ipso weg. Der Zensus ist viel höher, der persönliche Wert empfindlich geringer geworden. Levin Schückins Tagesordnung war ungefähr folgende: bis zum Glockenschlag Eins saß er an seinem schriftstellerischen Pensum; Theo waltete unterdessen ihrer hausfraulichen Obliegenheiten, oder schrieb mit großen, schönen, klaren Zügen eins seiner vollendeten Werke ins Reine für den Druck, machte mitunter auch eine Besorgung, oder einen Besuch. Nach dem Mittagsmahl steuerten Vater und Tochter bei guter Witterung nach einem Punkt innerhalb der Mauern. An Regentagen milderer Observanz begaben sie sich in die Werkstätten der Künstler oder machten Besuch bei irgend einem nach getanem Lebenswerk Quasi-Römer gewordenen Einzelnen oder Familien. Sehr gemütlich gestaltete sich die Einkehr bei der galizischen Baronin Stein, deren Erscheinung für den daran Gewöhnten zum Bild von Rom gehörte, wie in Capri später jene M. du Locle's zu dem der Insel. Die Stein hatte, kaum erwachsen, des Vaters beraubt, vor der Wahl gestanden, entweder den Konkurs über ein furchtbar verschuldetes Gut ergehen zu lassen, oder den Versuch zu machen, es zu Gunsten ihrer Schwester und der eigenen in die Höhe zu wirtschaften. Mit der vollen Energie einer zähen Rasse entschied sie sich für Letzteres. Mitten in die schweren Kämpfe um den Erfolg fiel die 48er Revolution mit ihrem Terror. Wie andere Gutsbesitzer mußte sie das Land verlassen, aber sie vertraute die Schlüssel ihrer Gebäulichkeiten ihren Bauern an. Und siehe da, die von ihr gerecht und gütig behandelten erwiesen sich der Auszeichnung wert; als sie zurückkam, fand sie ihr Eigentum unversehrt und die Ablösung der Robot vollzog sich in für sie erträgli-

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chen Formen. Im mittleren Lebensalter war sie so weit gediehen, daß sie die Schwester hatte aussteuern können und sich's gönnen durfte, den Winter im Süden zu leben. Die bei der Aufsicht über die landwirtschaftlichen Arbeiten usw. angenommenen Gewohnheiten in den Städten wieder abzulegen, fand Baronin Stein unnötig. Sie behielt den fußfreien Rock, die lose anliegende halblange Jacke, den Herrenhut bei, nur daß alles aus feinstem Wollstoff war, und die Cigarrette verließ sie sozusagen nie. Jemand wollte es Wort haben, sie hätte sogar während der Audienz bei Pius I X . geraucht und ihren Hund bei sich gehabt. Die auffallende Aehnlichkeit im Profil mit Liszt trug dazu bei, daß man sie für einen Mann hielt, solange man nur ihren Kopf sah. An seltsamen Vorkommnissen konnte es daher nicht fehlen, doch eine unerschütterliche Geistesgegenwart half ihr über die schwierigsten hinweg. So kam sie eines Abends bei schlechter Straßenbeleuchtung vor dem von ihr bewohnten Haus in Rom an, in dem die Treppen, wie damals üblich, ohne Licht waren. In den Gang tretend, vernahm sie von oben ein Geräusch, als ob sich Jemand hastig davon machen wollte. Sie tastete ihr metallenes Streichholzbüchschen aus der Tasche und rieb es mit einem der Hölzchen absichtlich so, daß es einen scharfen Ton, wie vom Schnappen eines Hahns, von sich gab. Im Nu polterte Etwas treppab und mit Windeseile an ihr vorüber dem Ausgang zu, was im Umriß als zwei männliche Wesen zu erkennen war. Das Abenteuer in Neapel trug, dem Schauplatz entsprechend, wüsteren Charakter. Ein Strolch anderer Sorte belegte die rüstig Einherschreitende an einer Straßenecke unversehens mit Beschlag: „Nehmen Sie mich bis an die nächste Laterne mit" ordnete die Baronin gelassen an, „dann lassen Sie mich laufen", was dann auch geschah. Die Stein war röm.-katholisch; die Figur eines eleganten Monsignore fehlte selten bei ihren nachmittäglichen Empfängen, wennschon sie es, nach Art der Damen des vorrevolutionären Frankreich, liebte, mit freigeistigen Anwandlungen zu spielen. Schücking spottete gutmütig: „sie zweifelt an Gott und der Dreieinigkeit, glaubt aber an den hl. Vater und alle Kardinäle." Ich fühlte mich Schückings für die Einführung bei einer Vollblutnatur ihres Gleichen sehr verbunden. Ihr trotz allen erfahrenen Undanks gütig gebliebenes Herz, ihre unerschütterliche, vor moralischer Anrüchigkeit vielleicht nicht immer zurückschreckende Freundestreue, ihre vornehme Milde im Urteil hoben sie weit über das Niveau des Salonprodukts. O b semitischer Einschlag bei ihr vorhanden war, gleichviel... Die Abende brachte Schücking am liebsten in seiner behaglichen Wohnstube zu, wo der eine oder andere Freund nach dem Abendessen selten für ein Stündchen vorzusprechen verfehlte. Lange Pfeife, Haus-

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mützchen, gestickte Pantoffeln und die Ecke am Kamin ... wie öd konventionell oder philiströs mußte Jemand sein, der dem alten Herrn diese Behaglichkeit zum Fehler anrechnete! Ein strohumhüllter Fiasco mit Montesfiascone oder Velletri stand bereit, die Temperatur, die Fließenboden und nicht allzu genau gefügte Fensterpfosten ungünstig beeinflußtem, zu erhöhen, wenn einmal ein Schneesturm über die Stadt dahinfuhr oder eine schneidende Tramontana blies. Theo huschte zuweilen zu den nachbarlich wohnenden Meysenbug'schen Schwestern hinüber, wenn sie „Papa" mit Gesellschaft in Gestalt von Mensch oder Buch vorzüglich versorgt wußte. Die Entfernung von Malwidas Viertel erschwerte Abendbesuche von und zu uns. Dauerte die Unterbrechung im Verkehr zu lange, so machte sich die tapfere Theo den engen Gassen und dunklen Winkeln hinter dem Trajansforum und den verrufenen Spitzbubennestern ums Kolosseum und Forum Romanum her zum Trotz auf den Weg und brachte Heiterkeit und Anregung in unser Stilleben. Der Portier mußte sie dann abholen, was bei ihr, in deren Haus ein kräftiger Mann den Posten innehatte, nicht auf Schwierigkeiten stieß, wie in manchem anderen, wo ein kleiner, mit Familie gesegneter Schneider oder Aehnliches, mehr von Furcht vor Privatrache und Camorristen gepackt wurde, als eine teutonische Schutzbefohlene. Daß unter den Kutschern mehr als einer der Camorra angehörte, war bekannt, und die malerischen, berittenen guardie, die von der Via Appia bis zum Kolosseum herein sicherten, erhöhten das Gefühl vorhandener Uebelstände vielleicht eindringlicher, als das der Geborgenheit. Ein Fräulein H. weigerte sich schauernd, selbst bei Tag unbegleitet über das Forum zum Kapitol hinaufzusteigen und blickte Malwidas junge Freundinnen, von deren gelegentlich auch Abends bestandenem Wagestück sie hörte, mißbilligend an. Mitunter klagte Theo, die Zerrissenheit der Tage, wie das römische Leben sie mit sich bringe, lasse sie nicht recht zur Arbeit kommen. Sie gehörte nicht zu den unersättlichen Genüßlingen, denen geordnete Tätigkeit unbekannt, oder eine Last ist, und die nicht inne zu werden vermögen, daß es mit dem Vergnügen geht, wie mit dem Trünke: je mehr man trinkt, je durstiger wird man und wenn der Wein nicht mehr genügt, so greift man zu gebrannten Wassern. Es war erstaunlich, wie sehr es ihr gelang, ohne ein Aufheben zu machen, durch Ausnützung der Minute den besetzten Tag auch im bessern Sinn fruchtbar zu machen, wie groß die Unruhe sein mußte, die auf sie einstürmte, bis ihre Züge den Ausdruck des Gehetzten bekamen. Kein Wunder, daß sie die Empfänglichste und Dankbarste war, wo es sich um Naturgenuß und Geselligkeit im Freundeskreise handelte! So z.B. bei den Unter-

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nehmungen, die wir beide allwöchentlich am Mittwoch mit einem Schwesternpaar verabredet hatten, das gegen Wintersende eingetroffen war. Wie sehr ihr der Ehrenplatz in jedem Herzen vorbehalten war, trat bei einer derselben unvermittelt zu Tage. Bei einem ziellosen „Bummel" in der Nachbarschaft des Farnesepalastes gelangten wir an den Ponte Sisto. Stromauf- und abwärtsblickend entdeckten Frl. E. und ich am Ufer Barken, die wir zuvor an dieser Stelle nicht wahrgeworden waren. Tiberfahrt? schoß es uns blitzartig durch den Kopf. Im Nu standen wir am Strande und in eifrigen Erörterungen mit den Schiffern. Warum denn nicht aufwärts gegen Ponte molle, Scheffels „treffliche Bruck"? Im Begriff einzusteigen, sahen wir einen Schutzmann auf uns zustrebend mit einem hochemporgehaltenen Gegenstand Zeichen machen. Besagter Gegenstand entpuppte sich als Geldbeutel, von dem er zu wissen begehrte, ob er einer der Damen abhanden gekommen sei. Nach erfolgter Prüfung unserer Taschen meldete sich Theo als die Eigentümerin. „Wieviel war darin?" frage der Diener des Gesetzes mit strengem Gesicht, denn schon hatte sich ein dichter Kreis von Zuhörern um die Fremden gebildet. Zart errötend erwiderte Theo: „Nichts." Schallendes Gelächter von uns und um uns her; sichtlich erleichtert - solch ein braver Hüter der öffentlichen Ordnung war immer froh, wenn er den armen Teufel laufen lassen konnte, dessen Hand er in fremden Taschen beschäftigt gesehen hatte - überreichte der Polizist das Corpus delicti und wir fuhren ab. Die beiden kräftigen Ruderer landeten uns halbwegs Ponte molle in einem Wirtshausgarten, wo wir bis Sonnenuntergang glückselig sitzen blieben; Villa Meilini und Villa Madama fast gegenüber, links abwärts die beherrschende Peterskuppel, im Hintergrund der schöngeschwungene Monte Mario. Dann glitten wir auf dem vielbesungenen Strom abwärts zur Einsteigestelle zurück. Am folgenden Tage besuchte ich die Schwestern, gleich unter der Tür bemerkend: „D. G., es ist uns gut gegangen und Theo ahnt von Allem nichts!" - „Ja, hast denn du es bemerkt?" gegenfragte es erstaunt und alsbald vertieften wir uns in die an den Brückenbogen schwierig gewordene Strömung, aus der die Ruderer den Nachen nur mit äußerster Kraftanstrengung herausgearbeitet hatten, indessen wir drei schweigend am Ufer nach einer Stelle gespäht, wohin Theo, die nicht schwimmen konnte, mitzuretten gewesen wäre. In den letzten Tagen des ungewöhnlich regnerischen April gelangte der immer wieder verschobene Ausflug ins Albanergebirge, die Krönung alles Früheren, zur Ausführung. Mit Schückings, Frl. E. und mir beteiligte sich ein österreichischer Gelehrter an der für einen Tag berechneten Wanderfahrt. Der vollendet schöne Sonntag Vormittag

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sah uns seelenvergnügt zu Pferd und zu Esel von Frascati dem vielbeschriebenen Weg über Marino, Castel Gandolfo und die Galleria di sopra folgen und unmittelbar hinter einer Prozession auf dem Hauptplatz von Albano einreiten. Während des Mittagsmahls verfinsterte sich der Himmel und schon in Ariccia suchten wir in einer Kirche Zuflucht vor einer halben Sündflut. Die Strecke bis Genzano konnte unter den Regenschirmen in erträglicher Weise zurückgelegt werden, aber die Rückkehr unter solchen Umständen wäre uns zu trostlos erschienen und so beschlossen wir bis Nemi zu pilgern, und dort zu übernachten. Der Frühlingswald mit den erst lichtbegrünten Eichen, den zahllosen Zyklamen an den Hängen oberhalb und unterhalb des Hohlwegs entschädigte teilweise für den rieselnden Tropfenfall und die quakenden, von Erde schweren Stiefel an recht müden Füßen, denn wir hatten die störrischen Grautiere in Albano entlassen. Dicht vor Nemi setzte der Regen aus, die Nebelschwaden, unter denen der See bisher verschwunden war, wurden lichter und lichter, fast grelle Scheine ließen den hochgelegenen Felsenhorst in seiner verwitterten ehemaligen Schönheit haarscharf hervortreten. Aber kaum in der Türe von de Sanctis geborgen, plätscherte es draußen wieder und schoben sich die Nebelvorhänge dicht und dichter vor dem dies- und jenseitigen Gelände zusammen. Drinnen standen wir vor der Tatsache, daß die Osteria nur über zwei Schlafzimmer verfügte, sodaß der Wiener über Rinnsale, Felsentreppen und Gallerien hinweg ein Gemach in der Nachbarschaft erklimmen mußte. Papa Schücking ergriff von dem kleinen, das Trio von dem großen Gelaß Besitz, wo ein normales Bett und ein Ungetüm von letto matrimoniale uns vielversprechend entgegengähnten. Notdürftig zurechtgezimmert fand sich die baufällige Gesellschaft allmählich in der Gaststube wieder zusammen, eifrig bemüht die Extremitäten an dem umfangreichen brasero notdürftig zu erwärmen und die Fußbekleidung, deren Wechsel nicht im Plan gelegen hatte, zu trocknen. Hammelrippchen, dampfende Maccaroni und feuriger Landwein halfen mit, den Humor auf seine frühere Höhe zu bringen. Als ich nach angestrengter Arbeit an einem Rippchen von dem halbbezwungenen aufblickte, ohne den Mißmut über die zähen Bissen zu verheimlichen, nahm ich mit Befremden wahr, daß alle Teller bis auf den meinen geleert waren und ich mit dem Verdacht der Zimperlichkeit belastet dasaß. Die Nachtkühle machte sich nach Schlafengehen dergestalt empfindlich fühlbar, daß Theo aus ihrer Einsamkeit mit Decken und Kissen in unsere Arche herüberstieg, deren warme Mitte die stets auf ihren Vorteil bedachte No. 3 einnahm, die Einzige, die sich vorsichtig auch mit einem Nachtgewand und Bettschuhen versehen hatte!

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Der folgende Frühvormittag machte uns kein freundlicheres Gesicht, als der Abend. Zum Spiegel der Diana hinabzuklettern verboten Wetter und Wegverhältnisse; der brasero wurde abermals zum einigenden Mittelpunkt. Heute, nahezu 40 Jahre nach dem Erlebnis, taucht ein Teil der geführten Gespräche aus dem Schacht meines Gedächtnisses empor. Die Rede kam u. a. auf die Menschenkenntnis. Nr. 3, der schwerlich jemals eine scharfe Intelligenz abgesprochen worden ist, wollte es nicht zugeben, daß ich im Punkte der Menschenkenntnis ihr überlegen sei, und berief sich auf den jungen Doktor als geeigneten Schiedsrichter. Der meinte, sie sei viel zu aggressiv, um sich Zeit zu nehmen zur Beobachtung, ergo lerne sie die Menschen nicht oder selten kennen; mir, bei der mir eigenen Apathie, möge das besser gelingen. Hier blicke ich wie durch eine Spalte auf ein schwachbeleuchtetes Bild, das mir den Eindruck wiedergibt, den ich damals auf Nebenstehende machte. Ein paar Jahre nach dem Erzählten konnte ich nicht umhin mit einer Nr. 3 nahestehenden Person über die zwischen uns mittlerweile eingetretene Entfremdung zu sprechen und Theo betreffend mit voller Zuversicht zu äußern, daß sie sich zu mir zurückfinden würde. „Aber N. N. ist doch sehr gescheit!" polterte mein Gegenüber, mich wirklich oder anscheinend mißverstehend, worauf ich verbindlich sagte: „Ohne Zweifel; dennoch: der Mensch lebt nicht vom Brot allein." Anscheinend nichtssagende Imponderabilien im Verkehr von Mensch zu Mensch. Theo und die Dritte, Theo und ich, daß das bis in die feinsten Verästelungen zweierlei war, worüber weder ein Mehr oder ein Weniger von Verstand noch Wissen entschied, das konnte Nr. 3 und Ihresgleichen nicht zugeben, weil die übrigen Faktoren bei ihnen fehlten. Vor dem Essen hellte der Himmel zögernd auf, nach demselben traten wir den Rückweg an. Munter schritten wir in den nun von den Stimmen der Nachtigallen festlich belebten Wald zurück, in dem ab und zu die dicken Tropfen von den Zweigen auf die Wanderer herabfielen, während durch die Reihen der Stämme der zartgrünlich schimmernde Wasserspiegel heraufblitzte und die Wehmut, so viel Unergründetes hinter sich zu lassen, nicht ganz zur Ruhe kam. Bei Genzano lachte die Sonne in voller Pracht, die uns bis nach Rom treu blieb. Mit Genugtuung vernahmen Nr. 3 und ich die zum Schluß von Dr. Schücking unserem strammen Durchhalten in Leistung und Stimmung gezollte Anerkennung: „Solches hätte sich mit Mädchen, die nicht „vom Lande" sind, nicht ausführen lassen." Waren wir doch alle „vom Lande" und stolz darauf, als auf die Kraft- und Reinigungsquelle, zu der zurückzukehren so heilsam ist, weil man sich, wie es Theo nannte, „in seinem Wald vom Wind wieder einmal von allen

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Wüstheiten und dumpfen Nachwehen der Stadt ausblasen lassen kann." Anfangs Mai nahm unser erstes und längstes Zusammensein sein Ende. Schückings verließen Rom später als ich; der Briefwechsel trat als dürftiger Ersatz an die Stelle eines fast täglichen persönlichen Verkehrs. Am 28. Mai schrieb Theo: „Ich kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, daß Du fort bist und habe so oft herzliche Sehnsucht nach D i r . . . Von Zeit zu Zeit mit Dir zusammenzukommen, scheint mir schon nicht mehr eine Ausschmückung, sondern ein Bedürfnis meines innern Lebens ... Wir leben noch immer ziemlich unruhig, heute mit dem und morgen mit jenem zusammen; diese Art Studentenleben hat aber kaum noch Reiz für mich, ich sehne mich nach einem festgefügten, planvollen Leben, aber werde ich mir das je gestalten können, äußerlich und innerlich unfrei, wie ich mir vorkomme?" ... Die Entfernung von Naumburg a. d. Saale, wohin ich mich von Rom aus begeben, und Westfalen, hatte schon einen Schimmer von Wiedersehenshoffnung über unsere Trennung gebreitet, den der Badeaufenthalt von Wöhrmanns 2 in Oeynhausen, dicht an der Porta westphalica, unerwartet rasch lebhafter aufglühen ließ. So lautete denn eine Stelle in Theos erstem Brief aus der Heimat im Juni: „Bitte Dir nur gleich so viel Urlaub aus, als Du eben verlangen kannst, damit wir Deines Besuches froh werden können, nicht nach einigen kurzen Tagen schon das verhaßte Abschiednehmen zu fürchten brauchen. Wenn es dir nur bei uns gefällt in diesem weltverlorenen Brukterwinkel... Wenn du um 10 von Rehme fortfährst, bist du um Mittag in Rheda, von dort Post bis hierhin. Natürlich komm ich dir entgegen, mindestens bis Warendorf. - Leb wohl und heiter, breit und tief. Viele schöne Grüße von Papa!" Sollte mir der „verlorene Brukterwinkel" nicht gefallen? Und ob! Heimatwarm hat es mich angemutet das gastfreie Land, die grünen Eichenkampe und wogenden Getreidefelder, das verträumte Dorf mit den stattlichen, breitspurigen Gehöften, deren Haustüren nachts nicht verriegelt zu werden brauchten, wo die Pute, von Raubzeug aus dem angrenzenden Wald her unbedroht, am Rand eines breiten Gartenweges brütete und wegen der nahenden Menschen nicht ihr Nest verließ, wo man, die Beete entlang wandeln, unversehens ins Dickicht des Forstes eintauchte, in dessen rauschenden Hallen es sich so prachtvoll sinnen ließ. Als Theo mich am ersten Tag in mein Zimmer geführt, hatte sie besorgt auf die Planken der einen Ecke hingewiesen und mich gebeten, dort recht sachte aufzutreten, weil sie wenig fest gefügt seien. 2

Dina v. W ö h r m a n n war meine Schülerin.

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„O," rief ich vergnügt, „das ist wie bei mir zu Hause!" denn in meinem alten Heimatschloß gabs nicht nur schwankende Stellen in den Fußböden, sondern von einer Stuckdiele prasselte zuweilen ein morsches Stück herab und es mußte gut gehen, wenn es statt des Kopfes die Füße mahnend streifte. An den folgenden Tagen trug ich Verlangen nach dem Anblick eines mir aus Annette v. Drostens Gedichten bekannt gewordenen „Heidekolkes" und ihr Jugendfreund Schücking führte mich an einen dieser geheimnisbrütenden rundlichen Waldtümpel. An einen, mit viertelmeterhohem bräunlichgrünem Krautgewächs bestandenen Acker herantretend, wies er bereits mit erhobener Hand auf das, was er mir auch fremd glaubte, als ich, ihm die Vorstellung ersparend, meine aus der Kindheit stammende Freundschaft mit dem Buchweizen beglaubigte, ergänzend: „Im Volk heißt er bei unszulande Heiden, ein Umstand, dem ich es verdanke, daß das französische sarrasin mühelos in meinem Gedächtnis haften blieb." Von gemeinsamen Gängen bei geisterhafter Mondscheinbeleuchtung, der Einkehr beim Dorfschuster und beim Korinthenstullen liefernden Bäcker, von Theos hausmütterlichem Walten und meiner Einweihung in Stippmilch mit Bickbeeren, Pumpernickel, echten westfälischen Schinken und die lokale Aussprache Ssshinken rede ich nicht, doch der Piauder- und Lesestunden an den intimen Gartenplätzchen, an denen man sich allmählich dem nahen Wald entgegensaß, indem immer wieder eins den Gang dahin zu unterbrechen lockte, muß ich dankbar Erwähnung tun. Am schönsten war es, daß vor der festgesetzten Abreise unerwartet eine Verlängerung des Urlaubs für mich eintraf. Ende Juli waren wir wieder auf den brieflichen Verkehr beschränkt. Theo antwortete erst auf den zweiten Bericht von mir, weil sie, wie es auf dem Lande häufig und doppelt unbequem zu geschehen pflegt, durch eine Periode der Mägdelosigkeit hindurchgemußt hatte, deren Störungen sie dem Vater ersparte, indem sie ihn veranlaßte, den Münsteranersohn zu besuchen. Am 9. A u g u s t schloß sie die zum Teil humoristische Beschreibung der überwundenen Mißstände damit: „Was soll ich Dir von uns erzählen? Unser Leben kennst du, besonders das beim schlechten Wetter, wie es jetzt wieder ist; den Ausruf „o Himmel" wird man sich abgewöhnen müssen, dieses schmutziggraue Wolkengeball kann man doch nicht als H i m m e l bezeichnen. Was ich in dieser Zeit getrieben, war alles nur Pflicht: Pflicht ist, den Anforderungen des Augenblicks zu genügen, sagt Goethe. Wunderst Du Dich, zu hören, daß es jetzt überall frische Gardinen bei uns gibt? ..." 29. S e p t e m b e r 1879. „Als ich Ende des vorigen Monats von einer wunderhübschen, kleinen holländischen Reise (deren Ziel die Austel-

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lung zu Arnheim war) zurückkehrte, winkte mir Dein 1. Brief freundlich und verheißend von meinem Arbeitstischchen entgegen ... Ich will Dich nicht mit dem Aufzählen alles dessen, was mir zu tun und zu schaffen machte, ermüden, Tatsache ist, daß ich den ganzen Tag hindurch in Anspruch genommen war und infolgedessen des Abends so müde und stumpfsinnig, daß mir nichts anderes übrig blieb, als „nach" Bett zu gehen. Wir hatten immerzu Besuch, mehrere Tage Einquartierung usw. Wie wünschte ich neulich, als wir Papas Geburtstag feierten, daß Du mit dabeigewesen wärest; wir saßen bis tief in die Nacht hinein draußen bei der Bowle und bauten Luftschlösser. Vossens3 hatten ein poetisches Telegramm und einen Lorbeerkranz noch aus dem Walde von Frascati gesandt; es sind doch wirklich selten gute Menschen... Daß Frau H. ihrer Tochter nicht gestattet, in das ... Haus zu gehen, hat mich sehr gefreut; ein Segen, daß es noch solche Mütter gibt; wie manche andere würde bei der Aussicht, damit renommieren zu können, daß ihre Tochter in so intimen Beziehungen zu solch berühmten Menschen stehe, alle anderen Bedenken sofort vergessen haben... Denke daran, welche einsame Tage ich nun bald durchleben werde, solche Tage, wie du sie auch gewiß kennst, in denen man nur von Briefen lebt. Vor Anfang Dezember werden wir keinesfalls von hier fortgehen..." Das Tages- und Monatsdatum der beiden folgenden Briefe fehlt; doch ist die Festsetzung derselben auf den Zeitraum von OktoberNovember aus andern Merkmalen möglich. Das Fehlen der Daten deutet in die in obigen Schlußsätzen angegebene Richtung, d.h. auf ein in dieser Periode ganz nach innen geführtes Leben. H e r b s t 1879. „... Adrian blieb 14 Tage, ich habe die ganze Zeit hindurch ausschließlich nur für ihn gelebt, mehr denn je zuvor alles getan, um es ihm behaglich und freundlich zu machen bei uns; er sollte das Bewußtsein mit hinwegnehmen, daß er bei uns stets auf warme Herzen für ihn rechnen kann, der arme liebe Junge. Bei ihm wurde mir so recht bewußt, daß wirkliche Liebe nichts des Glaubens an die Vollkommenheit des andern bedarf. Wie klar sind mir alle seine Schwächen und dennoch hänge ich genauso an ihm, als damals, als ich noch glaubte, niemand auf der Welt sei ihm gleich. Sein Wesen hat eben einen merkwürdigen Zauber und dabei ist er so glänzend begabt. So gern hätte ich Dir sein Buch geschickt Türkische Erlebnisse und russische Schicksale; es waren aber so viele Pflichtschenkungen zu ma3

Richard Voß und seine schöne Frau, deren Bekanntschaft auch 1870 in Rom gemacht worden war und mit welchen Theo lebenslang verbunden blieb.

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chen an Leute, die sich damals um seine Freilassung bemüht, daß nicht einmal für uns ein Exemplar übrig geblieben ist... Dann kam auf einmal eine Stimmung über mich und hielt bis heute vor, brrr! - einfach elend, ich versank immer tiefer in das Grau der Seele ... Könnten wir uns doch auch „alpenhinüber entschwingen"nach Neapel, dort mit den Freunden zusammen sein ... Nun kommt bald der Jahrstag unserer Bekanntschaft. Frau v. W. danke ich vielmals für die freundliche Aufforderung (uns bei einem, mittlerweile aufgegebenen, Plan auf Leipzig in Naumburg zu b e s u c h e n ) . . D e n jüngeren Bruder betreffend ist hier ein kleiner Hinweis darauf erlaubt, daß seine Heirat den Wünschen der Familie nicht entsprochen hatte, umsomehr als die junge Frau durch ihr Verhalten später so gut mit ihr verwuchs, daß Theo ihrer schon, als ich im Sommer 1883 wieder nach Sassenberg kam, mit der ihr eigenen Wärme und schützenden Mütterlichkeit gedachte. Es war eine der ausgesprochensten Eigenschaften meiner Freundin, sich durch und über die Liebe nicht verblenden zu lassen. Entgegen der selbstgefälligen Annahme Vieler, daß ihre Zuneigung durch die Vorzüge des betreffenden Menschen entzündet werden, war sie sich ruhsam bewußt, daß es sich hier um etwas Elementares handelt, in dessen Folge wir erst das Geliebte mit Vortrefflichkeiten geschmückt zu sehen wünschen, oft aber auch gewisse seiner Fehler den Tugenden gewisser Anderer weit vorziehen. Als ich ihren von trüben Stunden und Tagen Kunde bringenden Brief rasch beantwortete, strömte sie von einer Dankbarkeit über, die mich angesichts ihrer steten Regsamkeit, den Freunden wohlzutun, beschämen mußte. U n g e f ä h r im N o v e m b e r : „... möge kommen, was da wolle, den Brief vergesse ich Dir nie. Er brachte mir wie eine schöne Offenbarung, ich will es lieber gar nicht versuchen, Dir zu sagen, wie er mir die Seele bewegt hat. ... Es ist eine seltsame, wirre Welt, in der uns nur Eines unzerstörbar bleibt: Die Freude an lieben, geliebten Menschen, am immerwährenden geistigen Zusammensein und -fühlen mit ihnen ... Und dann ist ja auch wieder Sonntag Abend, ich denke dann so gerne an Dich, an die Abende bei den Schwestern, wo es mir immer beim Auseinandergehen mit Dir war, als sei Alles das, was wir zusammen geredet, nur das Präludium zu dem, was noch kommen müsse, denn die mißbilligenden Blicke nach uns hin gaben der Sache noch einen Reiz mehr.... Frau L. sagt, sie habe einst furchtbar gelitten, so furchtbar, wie ich es mir gar nicht denken könne (natürlich hält sie mich für ein Kind der Sonne und des Glücks) - „dig but deep enough, under all earth runs water, under all life runs grief..." Gegen Weihnachten verdichtete sich die Aussicht auf ein kurzes Zusammensein in Berlin, wohin Schückings für die kommenden Mo-

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nate reisen wollten, mehr und mehr zum festen Plane. Theos Brief von 17. D e z e m b e r enthält neben dem erquickenden Bekenntnis: „ja, auch ich glaube fest, daß wir Beide zusammen leben könnten, und hoffe darauf - ein Lichtpunkt in dem Dunkel, als welches mir bisher immer meine Zukunft erschienen ist," die erschütternde Betrachtung: „ich habe immer in der Erzählung von Lots Frau, die die Blicke wendet, um das Vergangene, Verlassene in seiner Gesamterscheinung zu überschauen, einen tiefen Sinn finden müssen... Denke an mich an Weihnachten. Am 23. gehen wir nach Münster . . . " Die Berliner Tage gestalteten sich bei aller Reichhaltigkeit doch recht harmonisch durch die Abwechslung zwischen drinnen und draußen. Der von einer nervösen Erschöpfung eben erholte Schriftsteller ließ die Eindrücke der damals noch jugendlich über die Stränge hauenden Reichshauptstadt behaglich an sich herankommen, prüfte die Dinge halb ironisch, immer aber mit Wohlwollen, und arbeitete Vormittags so ungestört und vertieft zu Hause, wie im Winter vorher in Rom. Seine Tochter und ich genossen eine Lohengrin-Aufführung mit Niemann, entfernten uns jedoch nach der Ouvertüre schon aus der Zauberflöte, weil wir aus Sparsamkeit in eine Logenreihe geraten waren, wo die Gesellschaft nach Theos Dafürhalten nur durch uns „gemischt" wurde, welchen Umstand ich dank meiner Kurzsichtigkeit weniger wahrnehmen konnte. Des Morgens galten unsere Ausgänge der Nationalgallerie, oder wir fuhren nach Charlottenburg zu der ergreifenden Apotheose, die Meister Rauch nicht allein der edlen Preußenkönigin Luise, sondern jener ganzen schweren, großen Zeit dargebracht hat, oder wir konnten uns dank Dr. Bernhard Foersters Fürsprache und unter seiner Führung in die dem größern Publikum noch gar nicht zugänglichen pergamenischen Skulpturen versenken. Eine geborene Römerin, die als Witwe eines deutschen Malers an der Spree wohnte, meinte sich unserer ländlichen Unerfahrenheit annehmen zu müssen, indem sie uns Abends das Tragen unserer Rembrandthüte verwies und sich entsetzte, als wir ahnungslos erzählten, daß wir bei einer Morgenwanderung im Vorübergehen im Café Bauer ein Gläschen Malaga getrunken hatten. Daß uns ältlichen jungen Damen kein Abenteuer über den Weg lief, ließ sie nicht als Rechtfertigung einer derartigen Verwegenheit gelten. In besagtem Berliner Café, wo wir unter väterlicher Bedeckung auch einer Maßregelung von Frau D. entgingen, ereignete sich, daß Dr. Schücking nach dem neuesten Heft der Preußischen Jahrbücher verlangte, in dem Treitschkes Aufsehen erregender Aufsatz über das auserwählte Volk Gottes stand. Verstört und außer sich über die Entdeckung erschien der Zeitungskellner nach kurzer Umschau, vermel-

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dend: „Jetzt haben die verfl... Juden ihn aus dem Heft herausgeschnitten." Der orientalische Zusatz begann sich bereits in zum Aufsehen mahnender Weise fühlbar zu machen und wer weiß, wie viel Deutschland im Jahre 1918 erspart geblieben wäre, wenn 1880 Treitschke und Foerster zu aufmerksameren Ohren und feineren Herzen gesprochen hätten. Ein vaterlandsloser, giftgeschwollener Harden hätte Kaiser und Reich und Volk nicht dergestalt in ihren Schicksalsstunden zu besudeln und zu verraten Gelegenheit gehabt! Die Bildungsinfusorien in Spreeathen verrieten schon vielfach semitische Herkunft, was sich z. B. ergab, als wir eines Sonntags nicht vermeiden konnten, einen mit einer nähern Bekannten herankommenden jüdischen Buchhändleraspiranten mit uns speisen und nachher uns begleiten zu lassen. Im vollen Dünkel seiner Rasse setzte er uns auseinander, nicht nur, daß die Bronzereliefs der Siegessäule verfehlt seien, sondern wie sie hätten richtig hergestellt werden müssen. Heiterer stimmte es, wenn die Berliner „Bildung" im Dienstpersonal der Gasthöfe verkörpert auftrat, z.B. in dem von uns bewohnten Hotel Schulz. Während unserer Abwesenheit hatte eines Abends ein kleiner Kaminbrand stattgefunden. Als wir zurückkamen, fanden wir Dr. Schücking noch vergnügt schmunzelnd über den näheren Bescheid des Zimmermädchens, in dem der Ausdruck „meine Kollegin in der Küche" so viel Raum behauptet hatte. In unserer „Burg" an der Markgrafenstraße machte sich die Großstadt höchstens wie die am Strand verlaufende Welle bemerkbar, die wir plätschern ließen. Da saßen wir an freibleibenden Abenden mit dem alten, klugen Herrn und tauschten Gedanken und Empfindungen über Residenz und Provinz, Schnoddrigkeit und Schlummerseligkeit, Mensch im Treibhaus und Mensch im Hinterland aus, als läge das Alles zu unserer Unterhaltung und Belehrung vor uns hingebreitet. Dahin kamen, wie in Rom, die näheren und wertvolleren unter den Freunden, um den sine ira erfolgenden Urteilen zu lauschen, die Schücking aussprach, oder sich am Anblick von Theos unbeirrbarer Frische unbewußt zu erquicken und gestärkt von dannen zu gehen. Da bedauerte Frau D. noch einmal die Unerzogenheit von uns beiden Damen, die wir unter den Zuhörerinnen im Bilseschen Konzertsaal die einzigen gewesen waren, in deren Händen Strickzeug und Häkelarbeit gefehlt hatten und ahnte nicht, daß solche Spießbürgerei hinwieder uns belustigte, denen weder Rom, noch Wien, noch München Aehnliches geboten hatte. So entpuppte sich überall dieselbe Erscheinung, die ich seither in ein Erlebnis in Halberstadt einzubegreifen pflege, wo ich eine Stunde nach meiner Ankunft zum Dome strebte und einen am Wege stehenden Schutzmann nach der Richtung fragte. Als hätte

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ich den Höhepunkt der Unzurechnungsfähigkeit überschritten, maß er mich von Kopf zu Fuß, ehe er mit geringschätzigstem Ausdruck brummte: „Wissen Sie das nicht? Immer geradeaus!" In gewissem Sinn ist Jeder Provinzler und verzeiht es Keinem, daß er's ist, wie der Engländer, der das Kleid der Fremden auf seiner Insel verfehmt und sich als Zebra mit der Pfeife im Hängemaul vom Nordkap bis an die Spitze von Sizilien durchflegelt. Den Winter 1879/80 zeichnete eine grimmige Kälte vor anderen aus, dermaßen, daß mich die Nachtfahrt von Berlin nach Frankfurt in den berüchtigten Thüringer Wagen so durchfror, daß ich bis Basel bei geheiztem Abteil und Sonnenschein kaum auftaute. In Basel aber befremdete mich eine andere Art von Kälte beim Empfang, im Vergleich mit dem Abschied in Berlin. Wie herzlich waren dort sogar die verhältnismäßig Fremden bei der Trennung gewesen, und hier wich eine Cousine mit allen Zeichen der Erschrockenheit zurück, als ich nach der Tante auch sie küssen wollte. Ich bin später nicht wieder in den Fehler verfallen, fand jedoch bis ins Alter die Erscheinung bestätigt, daß der Deutschschweizer der jüngeren Generation, unbeschadet sporadisch auftretender theoretischer Sentimentalität, im Grunde nüchtern ist bis ins Mark hinein. Das erklärt bis zu einem gewissen Grad auch seine utilitaristische Richtung und das ihr entspringende Verhalten im Weltkrieg, macht aber die Ausnahmen um so wertvoller, die es dennoch gibt. Noch im J a n u a r 1880 schrieb Theo: „... recht herzlich öde war es mir nach deinem Wegfahren zu Mute, ich konnte mich nur schwer entschließen, vorher vom Perron fortzugehen, stand noch lange an deiner Coupetüre und dachte: nun bist du noch in ihrer Nähe, wenn sie auch nichts davon weiß ... Dennoch w o l l t e ich tapfer sein ... Innigen, herzlichen Dank sage ich dir, daß du mich so bald von der sogenannten glücklichen Ankunft benachrichtigt..." Am 10. F e b r u a r 1880 (ich war inzwischen in meiner Heimat angelangt): „... Ich bin bei dir, liebste M., rufe dir zu: „Mut" Fear not in a world like this - And thon shalt know ere long - Know how sublime a thing it is - To suffer and be strong - in diesen Worten ist mehr Prometheustum als in der ganzen Gruppe von Müller.... Ein lieber Gedanke ist mir stets die Freude deiner Mama über dein Wiederkommen ... Du darfst es dir als Kompliment anrechnen, daß Herr W. Frau S. gegenüber geäußert, du seiest ihm unsympathisch (Herr W. war der bereits erwähnte semitische Jüngling)... Heute Mittag waren wir zu Eröffnung des Reichstags, da aber weder Bismarck noch der Kaiser erschienen, war die Sache nicht so interessant wie wir gehofft. Moltke aber war da, ich beobachtete ihn mit gespanntem Interesse.

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Die Sache ging im weißen Saale vor sich, durch den wir damals hindurch „gelatscht" 4 ) sind ... Meine Gedanken umkreisen deinen Turm, falls du noch eine Photo, von Euerm Schloß hast, würdest du mich sehr, sehr mit ihr erfreuen; ich liebe es so, um die Umgebung der Menschen, die ich liebe, zu wissen ... Unterdessen haben wir auch V.'s begrüßt. Er war wieder sehr nett, sie wieder sehr neugierig. (Von diesen römischen Bekannten war ich der Frau abgeneigt, weil sie mich s.Z. aufs ungehörigste zur Rede gestellt hatte, ob Malwida zur Kirche gehe, ich lutherisch sei usw.) Laß mich dir nun noch last not least erzählen, daß ich Fanny Lewald kennen lernte,5 einen Mittag bei ihr speiste. Sie ist eine schöne und sehr gescheite Jüdin, aber so kalt, und so läßt sie auch „kühl bis ans Herz hinan" ... Du ahnst nicht, welche Freude mir dein Ring macht; ich trage ihn jetzt allein, nicht mit den andern zusammen am vierten Finger, sehe ihn mir so oft an, am liebsten wenn er momentan nicht glänzt, dann gemahnt er mich an einen vollen Blutstropfen, den du mir zu eigen gegeben... Möchten die Götter mich im Sommer zu dir führen, wie wird das schön sein .. Am 1. M ä r z 1880 (meinem Geburtstag): „Im Wünschen für andre ist und bleibt man stets Optimist und die Erfahrung gibt das Recht dazu. „Das war gewiß ein andrer März" - jener in Rom, weißt du noch als wir zusammen in Villa Borghese waren und uns die Ariadne der Ouida ansahen: An jenem Tage hatte ich so lebhaft wie selten das Frühlingsgefühl: „Nun muß sich Alles Alles wenden", ich denke noch immer mit größter Freude an jenen ersten mit dir verlebten Geburtstag zurück ... Bei M.'s war es unsinnig luxuriös, denke dir, daß dieser emporgekommene Jude 100,000! Taler6 Reingewinn jedes Jahr hat er und seine Frau tun übrigens Alles, um durch Bescheidenheit und Höflichkeit diesen brutalen Reichtum vergessen zu machen, die Frau hat mir malgré tout gut gefallen ... Wir haben viel Mühe uns hier aus dem Strudel herauszuhalten, nach und nach und unmerklich hat sich unser Kreis doch erweitert und so laufen oft für einen Abend drei Einladungen auf einmal ein. Du kannst dir denken, wie Papa dann einfach seine Abwehrtheorie ins Praktische übersetzt, dafür dann aber 4 5

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In Filzschuhen, wie in P r u n k r ä u m e n üblich. Ich erst 1886 in R a g a z usw., w o b e i ich einem Redetournier zwischen ihr und einem anglisierten Rheinländer beiwohnte, in d e m die beiden eine so große Meisterschaft entwickelten, daß mir nicht klar wurde, w e m die Palme gebührte. Aeußerungen wie diese, damals zutreffend, bringen uns mit schneidender Schärfe z u m Bewußtsein, wie u n g e s t ü m sich die ö k o n o m i s c h e Entwicklung seit dem achten Jahrzehnt des 19. S ä k u l u m s bis ins zweite des 20. vollzog. 100,000 Taler E i n k ü n f t e im Jahr und Bescheidenheit und Höflichkeit in den hier in Frage k o m m e n d e n Kreisen, wie weit hatte sich das bis 1914 überholt, ins Gegenteil verkehrt!

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mich hinschickt... Nun wünsche ich dir noch tausendmal Glück, dir hat dein Geburtstag das Leben, mir hat er d i c h geschenkt..." Am 23. M ä r z 1880: „... Warum ich nicht eher schrieb?... Einige Stunden nach deinem Brief traf D. hier ein, blieb vierzehn Tage - sie war aus der öden Einsamkeit ihres Lebens herübergekommen, um sich einmal zu zerstreuen, zu amüsieren: so waren wir denn vom Morgen bis tief in die Nacht hinein draußen in Gallerien, Restaurants, Cafés, Konzerten und Theatern, legten uns totmüde dann zu Bett, um am andern Morgen die tournée wieder zu beginnen . . . Insofern blicke ich mit Befriedigung auf die Zeit zurück, als es wohltut, die Erfahrung gemacht zu haben, daß es Einem einmal glücken kann, allen müden, irrenden, sehnsüchtigen Gedanken den Abschied zu geben, bis zu ihrem Wiedereinstellen! - Seltsam nur, wie wenig ein nervöser Körper auszuhalten vermag, die letzten Tage hindurch fühlte ich mich so unbeschreiblich angegriffen und abgespannt, daß ich beinahe in Stumpfsinn verfiel, gestern legte ich mich um 11 Uhr schlafen, stand heute Morgen um halb 12 Uhr wieder auf, das hat mich frisch gemacht... Weißt du, 1. Meta, daß mir der Verheiratungsplan deines Papas großes Vergnügen gemacht hat? Es hat etwas so unbeschreiblich Komisches, die Idee, dich wie jedes Schablonenmädchen unter die Haube bringen zu können, wieviel Enttäuschungen wird dein Papa da noch durchzumachen haben! - Liebe - dies seltsame Wort, das dem Einen dies, dem Anderen das bedeutet, ich möchte es nicht immer so streng unterschieden von Freundschaft haben, mir scheint: eine große Freundschaft zwischen zwei Frauen ist L i e b e , viel häufiger als das Gefühl zwischen Mann und Frau es ist, das meistens zwischen „flirtation" und Leidenschaft schwankt; meistens sage ich, nicht immer, meiner Natur nach würde ich nicht sagen: je pense, done je suis, sondern j'aime, done je suis. - Entsinnst du dich noch, wie wir am vergangenen Ostersonntag n i c h t zusammen waren, du warst krank, aber Ostermontag Abend kam ich zur dir, weißt du noch, und am Mittwoch nach Ostern war die unvergeßliche Tiberfahrt? .. An dieser Ostern fiel vorläufig die Entscheidung, daß ich mich im Herbst wieder mit Wöhrmanns vereinigen würde. Darauf bezüglich schrieb Theo am 13. A p r i l 1880 (am 20. wollten Schückings Berlin verlassen): „... Die Nachricht, daß du in kurzer Zeit so glücklich sein wirst, Sizilien kennen zu lernen und dabei mit deiner geliebten Frau v. W. zusammen zu sein, siehst du, Herzens-Meta, das hat mich ganz glücklich gemacht... ein Wiedersehen in Neapel, ein Zusammensein dort, wäre wunderbar... Das Resultat meines heutigen Besuchs im Aquarium ist übrigens, daß ich wieder ein Atom von Eitelkeit fühle. Wenn in der Schöpfung solches Zeug wie Seespinnen, Seepferde,

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Quallen usw. seine Existenzberechtigung hat, dann fühlt sie unsereins auch noch trotz Leberflecken und schlechtem Teint... Es ist nur schade, daß man sich an J.'s wirklich seltene Herzensgüte viel eher gewöhnt, als an ihre „Torheit" (frei nach Papa), erstere nimmt man schon ganz gelassen hin, während man sich über letztere noch immer wundert..." Um Mißverständnissen vorzubeugen, die Theos Ironisierung ihres Aussehens hervorzurufen geeignet ist, betone ich, daß weder Gesicht noch Figur sie rechtfertigten. Schückings jüngere Tochter war keine „landläufige" Schönheit, umsomehr kam ihrer Gesamterscheinung zu, daß man sie im höhern Sinne schön nannte. Die feinen Züge, das klare Blauauge, der freigetragene Kopf mit den auf die Schultern fallenden Locken behielten bis in ihre allerletzten Jahre jene unverwüstliche Jugendlichkeit, die von innen stammt, und ein verklärender Hauch umgab das edle Antlitz. S a s s e n b e r g , 7. Mai 1880. „... am 21. April früh reisten wir (von Berlin) ab, wandten Ostwind und „Bildung" und Spreewasser den Rücken, freilich auch guten Menschen und lieben Erinnerungen! Einen Tag hielten wir uns bei meinem Bruder in Münster auf und sind jetzt schon seit zwei Wochen wieder hier ... Weißt Du, daß die Reise zu Dir und Marie Loeper die einzige frohe Aussicht für mich ist, das, was Du Wüstensignal nennst? ..." S a s s e n b e r g , 24. Mai 1880. „L. M.! Mir scheint, ich sagte Dir schon einmal, daß eine gute Fee mir das Talent in die Wiege legte, mich von ganzer Seele freuen zu können, das erlebte ich wieder an mir, als mir die Post Deine liebe Sendung brachte... Ich h o f f e im August zu kommen.... „Der Wunsch ist der Vater der Hoffnung" sagt die Baronin Ebner in ihrem reizenden Büchlein: Aphorismen, das ich Dir s e h r empfehle. Weißt Du, ich mag Papa nicht drängen um eine feste Zusage, das ist der sicherste Weg, um ihm eine Sache zuwider zu machen... Ich wage noch nicht, mich auf das Wiedersehen zu freuen und sage mir dabei doch zuweilen ganz ehrlich, daß es nur die Aussicht auf diese Reise ist, die mich tapfer bleiben läßt jetzt. Ich bin nun einmal nicht unter dem Stern geboren, der dem Einsamen leuchtet, ich bin für das Alleinsein nicht klug und gescheut genug ... Wahrscheinlich bewegst Du Dich in denselben rauschenden Zerstreuungen wie ich: in den Wald bummeln, Hühner futtern und in der Dämmerung halbvergessene Weisen auf dem Klavier zusammensuchen. Denke Dir, daß der liebe, drollige, gefräßige Kockeroll 7 gestorben ist im Winter, ich hege 7

Wie alle mit der Natur in innigem Verhältnis stehenden Menschen liebten Schückings Tiere. Ein Hund „Dämon" spielte seine Charakterrolle dergestalt unübertrefflich, daß man ihn dauernd ausmieten mußte. Kockeroll hieß ein Cochinchina-Hahn, dessen originelle Persönlichkeit mich 1879 gefesselt hatte.

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den starken Verdacht, daß Drüke die Rolle der Großveziers gespielt hat, die starkausgeprägte Individualität des Tieres verdroß sie . . . " 20. J u n i „... Ich hoffte Dir etwas D e f i n i t i v e s über mein Kommen sagen zu können, muß aber jetzt einsehen, daß ich das erst im nächsten Briefe werde tun können. Du weißt, bei mir hängt Alles von Papa ab. Bei dieser völligen Gebundenheit des äußeren Menschen entwickelt der innere einen nur um so größren Herzenseigensinn in Bezug auf seine Erinnerungen, Hoffnungen und Wünsche, daß diese letzteren jetzt täglich eine Fahrt ins Graubündnerland unternehmen, wird Dich nicht Wunder nehmen . . . Ende dieser Woche erwarten wir Papas Bruder aus Amerika zum Besuch, nach seinen Briefen zu schließen, muß er sympathisch sein ... Im Juli werde ich nun wirklich reiten, darauf freue ich mich. Das lange dunkelblaue Reitkleid ist schon da . . . " Am 23. J u l i . „Es wird mir sehr sauer, diesen Brief zu schreiben . . . Zu Dir reisen zu können, war das einzige Verlangen, was ich in Bezug auf meine nächste Zukunft hatte, natürlich muß es mir nun unerfüllt bleiben. Es ist so schwer zu leben, ohne eine Hoffnung für das H e r z . . . Zuweilen ist es mir, ich würde meine Enttäuschung leichter tragen, wenn sie nur mich allein beträfe, wenn ich nicht wüßte, daß auch Dir dadurch eine solche bereitet ist und dann wieder ist es mir ein so lieber, tröstender Gedanke, daß Dich mein Sein oder Nichtsein doch auch kümmert... Natürlich kennst Du die Briefe Lessings, ich las sie neulich zum ersten Mal mit der größten Freude. Lessing ist eine alte Liebe vor m i r . . . " Am 6. A u g u s t . „... Nun fühle ich mich schon mutiger, denke: tu ne cede malis . . . Ich denke mir Deine liebe Schwester bei Dir . . . Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich für Dich über die Aussicht der Wiedervereinigung mit Deiner lb. Baronin freue, die Ebner sagt ganz richtig: „Damit wir ein Glück rein genießen, muß es Jemandem, den wir lieben, widerfahren . . W e i ß t Du, völliger Mangel an Treue, an Anhänglichkeit ist doch etwas rein Unverständliches, man kann da nicht einmal zürnen... Dein erstes Honorar hat mir wirklich Spaß gemacht... Ich lerne jetzt fleißig Latein und Italienisch; als ich neulich über die Einsamkeit klagte, kaufte mir Papa Enten, sagte, sie seien sehr kluge Tiere, die das Beobachten lohnten. Das ist doch so wie: „Du könntest Dich auch mehr ums Vieh bekümmern. 8 8. Sept. „Alles um mich her atmet Frieden, im Garten - so sonnige, warme Tage haben wir noch - sitze ich, um an Dich zu schreiben, starrte eben schon eine ganze Weile in diese grünumlaubte Welt hinein und konnte nur das Eine denken: ach Leben, die Natur wollte doch 8

Eine Ermahnung meines Vaters an mich.

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von Anbeginn, daß du schön seiest, aber die Menschen haben Alles getan, um das Umgekehrte zustande zu bringen und mit welchem Erfolge! . . . Weißt Du, es ist uns beiden eben zu wenig am Leben gelegen, als daß es uns nicht quasi aufgedrungen werden sollte vom „gütigen Himmel", alt zu werden. Ist es nun egoistisch zu denken: wenn es dir auch noch so schwer wird, für mich ist es ein G l ü c k , daß du lange mit mir bleibst, daß ich vereint mit dir die Dämmerung hereinbrechen sehen werde - einerlei, ich denke so .. Am 2. D e z . „... Es waren ganz durch Arbeit ausgefüllte Wochen, die ich letzthin verlebte, unter ihr ein Achtzehnpfünder von einer Kopierarbeit. Als ich Alles getan hatte, wurde es mir mit einem Male zu viel der grauen Tage, der tobenden Herbststürme und vor Allem der Einsamkeit... ich flüchtete zu einer lb. mütterlichen Freundin . . . mit frischem Mute kehrte ich gestern wieder heim ... Wie gefällst Du Dir in Venedig? Wie geht es der Baronin und was macht Deine kleine Schülerin? . . . Die arme Elise Linhart. 9 - die Nachricht hat mich so erschüttert, - sie hatte ein solch energisches, sympathisches Talent. Man spricht stets von der Feigheit des Selbstmords, ich meine, es gehört eine seltene Unerschrockenheit dazu, so mutig in das dunkle Unbekannte hineinzuschreiten, wie elend mag ihr zu Mute gewesen sein die ganze lange Nacht vorher, daß sie solchen Entschluß fassen mochte. Die arme Frau . . . Was sagst Du von Dr. Foerster? Uebrigens ist die Petition 10 ein Unsinn, weil, wenn es nach ihr ginge, alle Juden sich sofort taufen lassen würden, und was wäre damit gewonnen? Vor 50 Jahren hätte man mit ihr kommen sollen, nun ist es längst zu spät. Es muß scharf zugehen jetzt in Berlin. Schade, daß wir das nicht erlebt e n ! . . . Ich werde Dich in Rom unbeschreiblich vermissen... Das kleine braune Mädel 11 in Leipzig ist im November feierlich „Theo" getauft worden, meine erste Patinnenschaft macht mir viel Freude . . . " Aus dem Zeitraum zwischen dem 9. Oktober und Schückings Abreise nach Rom fehlen einige Karten. Auf einer derselben teilte mir Theo mit, daß sie um Haaresbreite mit Anderen in einem Eisenbahnunglück unweit Dortmund umgekommen wäre. Die Nachricht traf mich mitten in einem der schlimmsten Kopfwehzustände, von denen ich jahrelang befallen zu werden pflege. Wie mit einer eisernen Hand waren Schmerzen und Dumpfheit alsbald weggewischt, so daß ich meinem Entsetzen und meiner Freude ungehindert Luft machen 9

10 11

Geb. Boeckel, Schriftstellerin, geb. 1818, durch Selbstmord gestorben am 20. Oktober 1880, in Civitavecchia. Die Ausweisung der Juden betreffend. Das Töchterchen ihres Bruders Adrian.

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konnte, indem ich der Geretteten schrieb. Die Not kam freilich am Tag darauf vermehrt über mich. Theo hatte unter der Nervenerschütterung durch den Vorfall monatelang zu leiden, stieg im Traum durchs Wagenfenster und setzte schaudernd Fuß um Fuß unter dem Zuruf der Hilfsmannschaft „nicht hier, da ist ein Körper, nicht dort, da ist ein Bein", bis sie, am durchdringenden Pfiff des Dampfventils erwachend, erkannte, daß das Grauen nicht der Wirklichkeit entsprang. S a s s e n b e r g , am 11. D e z e m b e r „... Laß uns zu h o c h m ü t i g zum Unglück und zum Elend sein, allen Gewalten zum Trotz wollen wir vereint auf der Höhe bleiben! - Am 16. gedenken wir aufzubrechen, noch einige Tage Station bei meinem Bruder in Münster zu machen, um dann die Romfahrt anzutreten... F. L. besitzt keinerlei Güte des Herzens, sie läßt darum ganz kühl. Und dann ist sie berechnend und unvornehm im Denken ... Wie der Sturm wieder einmal um das Haus heult, mir scheinen immer die Stimmen der Verstorbenen aus ihm heraus zu jammern ..." R o m , Via di R i p e t t a , Nr. 108, II., ? Dezember. - „O Rom mein Vaterland, Stadt meiner Seele" - ich bin ein anderer, besserer Mensch, Meta, seitdem ich wieder hier bin, die Existenz allein gibt hier schon eine Art Glücksgefühl, und wenn ich froh und glücklich bin, bin ich auch gut - Du weißt, ich habe von je der Lehre von der ethischen Bedeutung des Leids den Krieg erklärt... Könntest Du doch unsere Wohnung sehen, der Blick von Fenster und Balkon aus ist unbeschreiblich! ... Der Tiber droht mit einer Ueberschwemmung, bei der wir die zuerst Betroffenen sein werden. Bei uns zu Lande herrscht eine entsetzliche Kälte, wie gut, daß Papa der entgangen ist... Schrieb ich Dir, daß wir über Straßburg und durch die Schweiz und den MontCenis-Tunnel fuhren? .. 18. F e b r u a r 1881. „... Deinen Brief empfing ich nach der Rückkehr vom ersten gemeinsamen Ausritt mit E. Wir waren nach der Villa der Livia hin - wie war die Campagna schön, s o schön, daß es einem wehmütig machen konnte. Dann folgte ein Tag angestrengter Tätigkeit, ich schrieb immerzu und immerzu ab, gestern wurde ich fertig damit... Von der Baronin Ebner ist ein Band sehr schöne Neue Novellen erschienen, ich las sie mit großer Freude ... Im Uebrigen leben wir in der Dir bekannten Weise, Morgens meist zu Haus, dann treffen wir mit E., zuweilen auch mit Kauer 12 (dem Bruder dessen, den Du kennst) bei Bedean zusammen, der Nachmittag wird gemeinsam im Sonnenschein verbummelt und der Beschluß davon im Cafe nazionale gemacht. Den Abend sind wir wieder zu Haus, ab und zu sucht uns 12

Der Bildhauer Karl Kauer von Kreuznach.

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der eine oder andere alte Freund auf. Wie nüchtern das Alles klingt, und dennoch, welch ein Zauber liegt über dem Ganzen, welche wehmütige Freude des Daseins, man ist ja in R o m . Nicht nur Seele und Herz gesunden mir hier, auch der oft so kapriziöse Körper, ich fühlte mich lange nicht so w o h l . . . Malwida erzählte, daß Frau von W. ihr gesagt, daß es keine bessere Lehrweise als die Deine geben könne, daß Deine Stunden geradezu musterhaft seien .. 28. F e b r u a r 1881. „... Möchte es Dir doch im neuen Lebensjahr so gut werden, wie mir jetzt, die ich, für eine Weile wenigstens, Frieden gefunden habe. Carpe diem ist nun meine Losung, freilich ist es keine Kunst hier ihr nachzuleben, wo es so viele Rosen zu pflücken gibt, so mannigfacher Art. Doch ich will Deine Romsehnsucht nicht steigern..." Hier folgt wieder eine Lücke, teils infolge verlorener Briefe, teils weil ich im März mit der Absicht längeren Bleibens nach Rom kam, wo mir die gesuchte Erholung nicht beschieden war, weshalb ich nach einigen Fieberanfällen in die Schweiz reiste und erst im Mai nach Venedig zurückkehrte. Der Tiefstand meines Befindens und Drittpersonen hatten störenden Einfluß auf unseren Verkehr geübt, ich schied schmerzlich verwundet und Theo fühlte sich ihrerseits verletzt. Rückblickend erkläre ich mir die kleine Irrung leicht: Die Schroffheit, hinter welcher ich mein übersensitives Wesen verbergen gelernt hatte, sollte mich bis ins vorgerücktere Alter wiederholt um den unbeeinträchtigten Genuß der Freundschaft betrügen. Neben mir erschien das rohere Element leicht als das wohltuendere, selbst innigere. Offen und ehrlich schrieb Theo am 18. J u l i 1881 aus S a s s e n b e r g : „... Ich weiß nicht, w o m i t ich Dich in Rom so von allem Anfang an verletzt habe, die Versicherung, daß es durchaus absichtslos geschehen ist, kommt mir so überflüssig vor, aber glaube mir, daß Du, wahrscheinlich ohne es zu wissen, ganz anders gegen mich warst, wie sonst, und daß mich das scheu machte, mußt Du mir schon verzeihen. Wäre nicht mein Gefühl für Dich, so hätte ich es ja gar nicht in dieser nachhaltenden Weise empfunden . . . Die letzten Monate in Rom waren nicht die besten. Anfangs Mai erkrankte Papa an einem Ruhranfall, der sehr stark auftrat... Natürlich kam er dadurch sehr herunter. In den letzten Tagen des Mai gingen wir um der Luftveränderung willen nach Neapel, erlebten dort am Golfe herrliche Tage - weißt Du, es ist zauberhaft schön da - man kann nicht ohne Rührung an diese Welt voll der strahlenden, lachenden Schönheit zurückdenken. Für ungefähr acht Tage gingen wir dann nach Ischia und machten meist Nachmittags herrliche Partien. Von Ischia reisten wir nach Rom zurück, verlebten dort noch eine unruhige Woche und dann hieß es Abschied nehmen. Ueber Pisa, das für mich einen eigenen Reiz besitzt, den der

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Melancholie, Genua, Arona, Locarno und den Gotthard fuhren wir durch die Schweiz nach Mannheim, von da zu Schiff den Rhein hinunter . . . Wie teilst Du Deinen Tag ein? Der meine ist wieder einmal zur Hälfte ausgefüllt mit Häuslichem, unser jetziges Mädchen ist ganz und gar nicht eine „denkende" Künstlerin. Das Beste sind immer die Abende, das wundervolle Sternenlicht jetzt. Schade nur, daß der mystische Komet nicht mehr sichtbar i s t . . . " S a s s e n b e r g , 17. August 1882. „... Du hast mir eine große Freude damit gemacht, daß Du jetzt energisch etwas für Deine Gesundheit tust, habe ich doch seitdem ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, wenn ich an Dich denke, das mir viel, viel wert i s t . . . Die arme Baronin, dies nicht leben und nicht sterben können hat so etwas Entsetzliches, Tragisches . . . " S a s s e n b e r g , 26. September. „... Unsere Gäste sind nun fort, sie haben sich Alle hier ganz erholt und fuhren gesund von dannen. Für mich waren die Wochen ihres Besuches unruhige und geplagte, so sehr, daß mir zum ersten Mal jetzt die Ruhe und Einsamkeit ganz wundervoll vorkommt. Es hat sich ein wahrer Heißhunger unterdes in mir eingenistet nach konzentriertem, geistigem Leben, nach ernster Lektüre, dem ich jetzt mit einer gewissen Wonne Nahrung gebe ... Du glaubst nicht, welch ein reizender kleiner Kerl mein dritter Neffe ist, der sogenannte „Murks". Als der Wagen vor der Türe stand, und die Anderen allgemach einstiegen, kletterte er mir, die ich auf der Haustreppe saß, plötzlich auf den Schoß und erklärte von da aus ganz behaglich: ich bleibe hier, es fällt mir im Traum nicht ein, mitzugehen und wie sein Papa ausstieg, um ihn zu holen, lief er weinend davon. Zuletzt wurde er doch mit Gewalt hineingeschoben und das Letzte, was ich sah, war sein liebes, tränenüberströmtes Gesichtchen ... Papa war von Deiner Absicht, ihm von der Meersburg aus zu telegraphieren, ganz gerührt, es war aber auch wirklich lieb von Dir, Dir so etwas auszudenken. Wir haben auch diesmal den lieben 6. sehr vergnügt gefeiert, er fürchte den Neid der Götter, sagte Papa am Abend, es waren ihm so viele Grüße und Briefe zugegangen . . . " Im folgenden Briefe ist von meinen im Herbst 1881 erschienenen Gedichten die Rede. Falsche Bescheidenheit soll mich nicht abhalten, die betreffenden Stellen anzuführen. Bilden sie doch mit J. V. Widmanns ehrender Besprechung der 1908 herausgegebenen das wertvollste Zeugnis für eine im Vaterland seit Jahren Totgeschwiegene. Als 1895 zu Gunsten des Künstlerhauses in Zürich eine „schweizerische Dichtermappe" erschien, waren die deutsche Ricarda Huch und die in Deutschland beheimatete Jüdin Frapan, nicht aber Hedwig Kym und ich, um Beiträge angegangen worden. Unser Eintreten für die verfolg-

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ten Frauen Farner und Pfrunder hatte uns dem herrschenden Freisinn verhaßt gemacht und ich bekannte mich so wie so zur Aristokratie. Der auch aufgeforderte Balte Reinhold von Stern hat mich dann in eben diesem „schweizerischen" Ehrentempel gerächt. Hedwig Kym erlebte später folgendes Kuriosum rassenpsychologischer und literarkritischer Meisterschaft. Der Herausgeber einer in Familienpacht geratenen Zeitschrift sandte ihr ein Gedicht mit der Begründung zurück, es stelle die italienische Volkspsyche unbegründet als roh hin. Das Mißgeschick wollte, daß sich der Vorgang genau so vollzogen hatte, wie er geschildert wurde und überdies das rasche Uebergehen des temperamentvollen Romanen vom Schlimmen zum Guten reizend zum Ausdruck brachte. Um persönliche Empfindlichkeit handelt es sich bei uns beiden längst nicht mehr, doch ist mir nichts widerlicher als der Trust auf literarischem Gebiet, der das geistige Schaffen vergemeinert und zur Parteisache erniedrigt. S a s s e n b e r g , 19. O k t o b e r 1881. „... In Wahrheit, Deine Sendung war mir ein unbeschreiblich frohes Ereignis, Du kannst Dir kaum denken, wie sie mich erregte. Die Gedichte sind sehr schön, Du hast eben ein merkwürdig großes Talent, daß Du Dir ohne Dich zu überheben, dessen bewußt sein kannst, muß Dir an und für sich schon ein Glücksgefühl s e i n . . . Die Gedichte sind s e h r schön. Vielleicht erfreut es Dich, daß Papa es auch sagt, besonders gefiel ihm das: An E." A m 20. N o v e m b e r . „... Rüstet Du jetzt wohl schon mächtig zur Fahrt nach England? Gerne sehe ich Dich nicht in so weite, ungewisse Ferne ziehen . . . Wie kommt es nur, daß Du England gewählt hast, das möcht ich gern wissen. Wir werden nun nach Weihnachten für 2 - 3 Monate nach Berlin gehen. Der Umstand, daß es für uns so sehr bequem zu erreichen ist und daß dort im Sommer ein Roman von Papa erscheint, bestimmen eigentlich am meisten dabei. Obwohl ich nicht mit vielen Erwartungen hingehe, hoffe ich doch auf freundliche, genügsame Tage d o r t . . . W i e selten, im Gegensatz zu früheren Zeiten, freut man sich doch noch auf etwas, und w i e v i e l Leid bringt das bischen Leben! . . . Wie es mir geht? Nicht besonders, neulich einmal sogar recht schlecht. Ich habe mich im Sommer doch wohl zu anhaltend anstrengen müssen . . . " B e r l i n , 24. J a n u a r 1882. „... Am 13. Januar endlich reisten wir nach Hannover, waren dort mit Gerhardine zusammen und landeten zuletzt hier beim braven Schulz. J. S. empfing uns mit Blumen, Lichtern, Früchten, Weinflaschen und offenen Armen. Seitdem habe ich mich nun redlich bemüht, mich hier „einzuleben", bis jetzt ohne großen Erfolg freilich. Wie Italien für den Norden verdirbt! Ich möchte den ungarischen Spruch auf Italien umsetzen: extra Italiam non est vitam . . . Die Nach-

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rieht von dem Tode der Frau v. W. hat mich sehr ergriffen, im Geiste drückte ich Dir stumm die Hand, als ich davon las. Ich kann mir so gut denken, welche Trauer Dir ihr Tod brachte . . . Hörtest Du von Piloty's neuestem Bilde: Die klugen und die törichten Jungfrauen? Es ließ mich ganz kalt, schien mir so gemüts- und seelenlos .. H a r z b u r g , am 30. A p r i l . „... Du wirst erstaunt sein, mich h i e r zu sehen, wir mußten endlich Adrians Einladung nachfolgen, auf der Rückreise von Berlin nach Sassenberg den kleinen Umweg zu machen. Wir bereuen es n i c h t . . . mein Patchen ist ein so originelles, lustiges, kugelrundes Ding, wie nur je eins ein Menschenherz erfreute. Dazu ist die Gegend hier wunderbar anmutig und reizvoll, wir haben herrliche Partien gemacht in die verschiedenen Täler hinein, nach Ilsenburg, nach der alten Kaiserstadt Goslar usw. Mir ist leichter und harmonischer zu Mut geworden in der reinen Bergluft - habe Dank, daß Du in der letzten Zeit so viel Geduld mit mir hattest, mein Schweigen nicht falsch auslegtest und mir dieselbe bliebst, Du hast mir mit diesem feinen Verständnis unendlich wohl getan . . . Morgen oder übermorgen geht es nach Sassenberg, einige sehr unruhige beschäftigte Tage wird es dort zuerst geben und dann wird die alte stille Einsamkeit und Weltverlorenheit über mich kommen ... A u s R., den 4. J u l i . „... Du wirst Dich wundern, daß Papa mir erlaubte, von Sassenberg fortzugehen, hauptsächlich bestimmte ihn wohl dabei der Umstand, daß der Aufenthalt in Berlin und die nachfolgende Halsentzündung in S. mich arg heruntergebracht hatten und er mir eine Erholungsreise gönnte. Es geht mir nun auch schon besser, indes werde ich dennoch, falls D. es möglich machen kann, für zwei Wochen nach Ems zu kommen, auf der Rückreise von hier dorthin gehen für eine kurze Kur. Allein möchte ich aber nicht dort s e i n . . . Nach Amerika darfst Du nicht gehen, gerade Du nicht mit Deiner sensitiven Natur .. S a s s e n b e r g , den 3. S e p t e m b e r . „... Vorläufig bin ich noch sanguinisch genug, nicht an ein ganzes Jahr in Irland zu glauben, sondern zu hoffen, daß Du eher zurückkehrst und wir uns wiedersehen . . . man hat sich doch so Vieles zu sagen und umsomehr habe ich das Gefühl davon, da ich mit den für das Korrespondieren erforderlichen Gaben so schlecht bin ausgestattet worden . . . Seit 4 Wochen bin ich nun wieder hier, ich hoffte bei meiner Rückkehr auf vollständige Ruhe als Nachkur des Emser Brunnens, erlebte aber bis jetzt nur Unruhe und Trubel, so daß ich momentan recht angegriffen bin . . . Nun muß ich noch für Papa eine große Sache abschreiben, die Eile hat, ich wünschte, es wäre erst zwei Wochen weiter ... D a ß wir nach Rom gehen, ist so gut wie gewiß, wenigstens ist von keinem andern Plan für diesen Winter die Rede . . . "

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Am 7. N o v e m b e r . „Schon längst wollte ich Dir Deinen Brief beantworten, wurde aber die letzte Zeit hindurch so ganz und gar in Atem gehalten durch das Ausführen und Beendigen einer Arbeit, daß ich das Briefeschreiben sein lassen mußte. Gelegentlich werde ich Dir dann einmal von dieser Arbeit, die ich in ähnlicher Weise bald wieder aufzunehmen gedenke, sprechen ... Unser letzter Besuch war Adrian, jedes Mal, daß ich wieder mit ihm bin, empfinde ich von Neuem, wie lieb ich ihn habe, wie lieb diese ganze Atmosphäre von Frische und Anregung um ihn herum ... Ich fühle mich jetzt ganz wohl, Ems hat mir sehr gut getan ..." S a s s e n b e r g , den 21. N o v e m b e r „... Von ganzem Herzen dank ich Dir für Deinen Brief, für das Manuskript. 13 Soeben habe ich es zum zweiten Male durchgelesen... Ich ging gestern den ganzen Tag wie im Traum umher, konnte an gar nichts Anderes arbeiten gehen, immer standen mir die Situationen vor Augen ... was hast du durchgemacht, freundlos und allein bei alledem. Der Wunsch, Dich einmal bei mir zu haben und nach Herzenslust auspflegen zu können, ist mir seitdem um so verstärkter gegenwärtig ... Unbeschreiblich eindrucksvoll ist der Stempel des Wahren, Echten, der auf dem Ganzen ruht, die einzelnen Szenen gruppieren sich einem ganz von selbst vor den Augen. Und dann immer dieser Hintergrund des Einzellebens, die große Weltstadt. Aber ich will Dir und mir nicht das Herz von Neuem schwer machen - ich habe nämlich nie empfinden können, daß die Erinnerung an überstandene Leiden Genugtuung gewährt, wie die Leute sagen ... Nächstens gelegentlich erzähle ich Dir von mir und meiner letzten Arbeit, heute habe ich wirklich nicht die Ruhe dazu ..." R o m , Via di R i p e t t a , 1081, im K a r n e v a l 1883. „... Am 21. Dezember kamen wir hier an, die Reise durch Tirol und die Lombardei war der Ueberschwemmungen wegen sehr beschwerlich. Wir haben hier wieder in unserm Hause vom vorigen Jahr Wohnung gefunden, aber ein Stockwerk tiefer diesmal. Wie mir zu Mute war beim Wiederanblick der Tiberfluten - kann ich Dir gar nicht sagen. Ich sage mir oft, welch ein Unglück es für mich ist, daß ich auf der weiten Welt nur diese eine einzige Stadt so mit tausend Herzenfäden umspinnen kann. Mein Leben hier kennst Du, nur etwas stiller als sonst ist es diesmal; die jüngsten Familienerlebnisse14 haben uns die Lust genommen, größern Verkehr zu pflegen ... Ich leide jetzt so häufig an Herzklopfen, ich fühlte mich zwei Tage so schlecht, daß ich nichts tun konnte. Aber heute ging es mir wieder so gut, daß ich nachmittags eine 13 14

Ueber Selbsterlebtes in Familie, Home und Schule in London. Die sich vorbereitende Scheidung der Schwester.

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Weile dem Karnevalstreiben zuschaute . . . wundervoll war die weiche, sonnige Frühlingsluft, die förmlich berauschte .. R o m , am 8. F e b r u a r 1883. „... Im Stillen hoffe ich für mich, daß dies Jahr mir ein Wiedersehen mit Dir bringen wird, wann und wo wollen wir dem einzigen guten Sterne, den wir beide haben, dem der Treue, anheimgeben... Weißt Du, mir ist recht sorgenvoll zu Mute, wenn ich an W.'s Zukunft denke, ihr Charakter ist nun einmal durchaus nicht auf einfaches, gedankenloses Genießen des Augenblicks angelegt und dennoch ist es ihr ganzes äußeres L e b e n . . . M. ist jetzt hier, sie ist eine selten sensitive, fein empfindende Natur, ich weiß, Du würdest sie gerne haben . . . " S a s s e n b e r g , den 13. J u n i 1883. „... Erst in einem halben Jahre wird das Scheidungsverfahren frühestens seinen Abschluß finden mir ist, als würde mir bis dahin auch noch jener letzte Rest von Frische genommen sein, ohne den man nicht einmal mehr wieder aufzuatmen vermag, nicht auf G l ü c k , das hat man ja schon längst verlernt, aber auf F r i e d e n zu hoffen w a g t . . . Meine Karte sagte Dir schon, daß ich fest darauf hoffe, Dich im September hier zu haben. Die Aussicht darauf ist mir viel wert, 1. Meta, und Du darfst sie mir nicht nehmen. Du wirst es auch nicht tun, nicht wahr? Bitte, antworte mir gleich, wenn auch nur auf einer Karte, daß ich mit Sicherheit darauf rechnen kann, daß Du nach Sassenberg kommen würdest. Ich freue mich jetzt schon darauf, es Dir dann nach dem langen Aufenthalt in der Fremde recht behaglich und warm zu machen, 1. Meta! Papa rechnet mit mir auf Dein Kommen h i e r h e r ! „... Wie viel, wie viel haben wir uns zu sagen, in der Tat, es ist viel zu viel vorgefallen, als daß es anders als viva voce geschehen könnte. Wie werde ich froh sein, Dich hier zu haben, wiederum einmal, wie in alter guter Zeit!" S a s s e n b e r g , am 24. J u n i . „.. .Später wirst Du wohl beim Zurückdenken an dieses Jahr Irland kein anderes Gefühl haben, als das des dumpfen Staunens, daß Du es durchgehalten hast; man hat so Zeiten im Leben, bei denen man sich nachher nur mit diesem Gefühle aufhalten mag 15 . . . Nochmals danke ich Dir für Deine Zusage . . . " S a s s e n b e r g , 24. J u l i . „Heute beginnst Du die Heimreise, meine besten Wünsche sind bei Dir . . . Auf Wiedersehen, meine 1. Meta, es grüßt Dich und freut sich darauf Deine Theo." Und nun war mir Mitte August ein zweiter und letzter Besuch in Westfalen wirklich vergönnt, aber ein Trauerschleier liegt darüber. Als mich Theo in Warendorf abholte, wurde mir die erste Kunde von 15

In diesem Falle nicht zutreffend, weil ich eine wertvolle Freundin gefunden hatte.

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einem Uebelbefinden, das ihren Vater seit etlichen Tagen belästigte, aus dem der Arzt jedoch so wenig machte, daß Frau Gerhardine bei ihrer Abreise hatte bleiben können. Wir besorgten eine Flasche Champagner zur Anregung für den Kranken, ehe wir nach Sassenberg weiterfuhren. „Murks" und die schon recht verständige Levine weilten beim Großvater, der mich aufgeräumt willkommen hieß, indem er scherzhaft sein gelbes Aussehen erwähnte. Theos Begabung zur Krankenpflege hatte ich in Berlin an mir selber schätzen gelernt; die zarte, nie aufdringliche Hand, gepaart mit dem tapfern Ausdruck des Gesichts taten Wunder bei reizbaren Naturen. Der alte Herr glaubte zunächst ersichtlich nicht an Gefahr, weilte abends gern im Garten, plauderte mitunter, wenn auch nicht ohne beginnende Apathie und empfand doch wieder Ungeduld bei Ermunterungen zum Essen, welche seine Appetitlosigkeit nahelegte. Theos Mußestunden waren selten und kurz, im Geheimen verzehrte sie die Sorge um das teure Leben, vermehrt dadurch, daß sie ihren Bruder, den damaligen Badearzt in Pyrmont, auf der Höhe der Saison nicht veranlassen wollte, herüberzukommen, solange es der Hausarzt für überflüssig erklärte. Zur Unterhaltung des Vaters und um die Verantwortung zu teilen, bat sie den Bruder aus Münster, sich unauffällig einzustellen. Nach wenigen Tagen wünschte der Hausarzt selber den ärztlichen Sohn beizuziehen. Noch sehe ich den alten Herrn im Hausmützchen am Abend in der näheren Umgebung des Hauses umhergehen und häufig sinnend stillestehen, wie sich intime Naturfreunde zuweilen in einer Art unbewußten Abschiednehmens in ihrer letzten Lebenszeit zu tun offenbar gedrängt fühlen. Dann kam Dr. Adrian und bestimmte nach der gemeinsamen Untersuchung schon für den folgenden Vormittag die Ueberführung unter seine persönliche Aufsicht nach Pyrmont. Aeußerlich gefaßt, ordnete Theo das Erforderliche an, packte, bestellte ihr Haus für die voraussichtlich eintretende längere Abwesenheit und bat mich, nicht vor ihrer Abfahrt zu entfliehen. So sah ich denn an einem strahlend schönen Augustmorgen noch einmal in die tiefgründigen, stahlblauen Sachsenaugen Levin Schückings, als er mit beiden Söhnen und der treuesten der Töchter in den Wagen stieg, der sie nach Osten entführte, und begab mich einige Stunden später auf den Weg nach Thüringen. Die Nachricht von Schückings Tod am 31. August erreichte mich am Bodensee, im Angesicht jener Meersburg, die so hell in seine Jugend hineingeleuchtet hatte. Am 7. O k t o b e r schrieb Theo aus S a s s e n b e r g : „... ich bin so in Anspruch genommen jetzt, da ich so vieles zu tun, zu erwägen, zu bestimmen, zu schreiben - daneben läuft noch das Häusliche - , Adrian mit der Familie ist seit zwei Wochen hier, so kam ich noch gar

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nicht dazu, m e i n e Briefe zu schreiben. Es ist gut für mich, daß ich so viel zu tun habe, für meinen Körper wenigstens, ich schlafe jetzt doch wieder einige Stunden des Nachts. Aber das Erwachen am Morgen dann! . . . Ich hätte es früher nie für m ö g l i c h gehalten, daß ich einen solchen Schmerz stündlich und täglich durchhalten und dabei weiterleben könnte, wie vordem... ich dachte, an so etwas m ü s s e man sterben. - Aber ich will Dir noch nicht davon sprechen, es würde, ohne daß ich es wollte, verzweifelt lauten und Du würdest Dich betrüben. Und ich bin auch nicht verzweifelt, wenn Du mich sähest, würdest Du sagen, ich sei ruhig und gefaßt; w i e die Wunde brennt, weiß ja nur der, dem sie geschlagen wurde. Wenn ich mich anders als stark und gefaßt zeigte, es wäre nicht im Sinn Papas. So Vieles hätte ich Dir zu sagen, von so Manchem möchte ich mit Dir sprechen, was Bezug hat auf mich, auf mein künftiges Leben. Dankbar gerührten Herzens denke ich an die unzähligen, spontanen und warmherzigen Beweise und Aeußerungen der Treue, der Teilnahme, der Liebe, die ich empfing . . . Aus der ganzen Flut von Nekrologen, Nachrufen... sind mir das Liebste einige schlichte Worte der Emmy Dincklage. Sie begleiteten einen großen blühenden Haidekranz, den die drei Schwestern Dincklage gewunden ... in Papas Heimat . . . Ich danke Dir von Herzen für Deine Aufforderung, zu Dir nach Zürich zu kommen. Schon ehe Du mir schriebst, ging es mir einige Male durch den Sinn: „wenn das und das nicht wäre, möchtest Du gerne zu Meta und mit ihr lernen." Aber ich kann in diesem Winter nicht frei über mich verfügen . . . ich habe hier noch viel zu tun, Papas schriftlichen Nachlaß zu ordnen, die Brüder und Gerhardine wünschen, daß ich das tue, weil ich am besten über alles orientiert bin ... Alle Welt ist so gut gegen mich, alle schreiben mir, ich möchte zu ihnen kommen, i h r Haus sei fortan das meine, aber ich möchte mich allein zurechtfinden in dieser Welt, in der ich doch nun einmal allein gelassen bin .. In diesem Zeitpunkt tat ich etwas Unglaubliches, Etwas, das ich mir aus der Entfernung und bei kühler Betrachtung nur aus einem Fanatismus der Don Quixoterie oder Selbstzerfleischung erklären kann, denen ich mehrmals im Leben meine Ruhe und mein Glück, diesmal aber auch eine unersetzliche Freundin opferte. Aus Verblendung setzte ich ein Verhältnis aufs Spiel, dessen segensreiche Wärme ich Jahre hindurch aufs bitterste entbehren und dessen Fehlen die Herbheit meines Wesens steigern sollte, und opferte eine wirkliche seelische Verwandtschaft dem Wahn einer solchen. Für die eine Freundin bedeutungslos, mußte mein Verhalten die andere aufs tiefste verwunden und mich selber vereinsamen und verarmen.

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Anstatt Theo mit selbstvergessener Hingebung zu beglücken, wie sie es im umgekehrten Falle unbedingt getan hätte, eröffnete ich ihr, was das letzte, selten ungestörte Zusammensein und die allererste Trauerzeit nicht hatte laut werden lassen: meine rückhaltlose Parteinahme für eine meinem Herzen nahestehende, und ebenso uneingeschränkte Verurteilung einer ihr ebenso teuren Persönlichkeit, erfüllt von der verbohrten Annahme, daß das unserer Zusammengehörigkeit keinen Eintrag tun könne. Theos Seelengröße und den bittersten Schmerz überwindende Güte tritt bei dieser Gelegenheit so überwältigend zutage, wie es in keinem mir sonst bekannten Vorkommnis der Fall war, weshalb die übrigen Beteiligten zwar billig hier übergangen werden sollen, nicht aber ihre Antwort, so weit sie diese im Dunkel läßt. S a s s e n b e r g , am 22. N o v e m b e r 1883: „... Dieser Brief wird mir so furchtbar schwer zu schreiben. Ich wünschte, Du hättest ihn mir erspart, liebe Meta, überhaupt erspart, und nun gar in dieser Zeit des alles überflutenden einen großen Schmerzes. Aber ich klage Dich nicht an, Du hieltest es für Deine Pflicht, mir weh zu tun, da mußtest Du es." Es folgen Ausführungen über Vorfälle und Richtigstellungen des Sachverhalts, vornehme Ansichten der Schreiberin, die sie wohl zu weitgehend Andern beilegt, weniger aus Blindheit, als aus Furcht, sich zu überheben, wenn sie sie nach Gebühr geringer schätzte. „Liebe Meta, und nun bitte ich Dich, denke Dich nur einmal, nur für ganz kurze Zeit, in m e i n e Lage hinein. Du mußt es, um gerecht zu sein ... Wenn Du es auch jetzt um Deiner Liebe zu X willen tust, die Ueberzeugung lasse ich mir nicht nehmen, auch von Deinen eigenen Worten nicht, daß D u nie gegen eine Freundin so handeln würdest, k ö n n t e s t . . . Ich muß mich von denen trennen, die Gemeinschaft halten mit Z. Meta, 1. Meta, es wäre ja ganz schmählich von mir, wenn ich anders handelte. Denke Dich einmal in meine Lage. Würdest Du nicht gerade so handeln, wie ich es jetzt muß? - Ich spreche nicht davon, was ich leide dabei, wie ich leiden werde darunter - - ich will nicht daran rühren... Es ist eine so verrückte, sinnlose Fügung, wie es jetzt k o m m t . . . aber bedenke, daß ebenso wie Du zu dem, was Du für Deine Pflicht hältst, stehen mußt, ich ebenso zu der der meinen stehen muß. Ich kann Dich nur bitten, Dich in mich hinein zu denken, nicht objektiv zu sein. Aber um Dir zu zeigen, daß ich mich bestrebe, es zu sein, will ich Dir in Bezugt auf Y einräumen, was ich k a n n ... Und nun, meine liebe, liebe Meta, wollen wir von einander scheiden. Aber in Liebe, die dieselbe bleibt, für alle Zeit, nicht wahr, auch Du wirst sie mir so bewahren, wie ich Dir. Wie es nicht meine, so ist es auch nicht Deine Schuld, daß es so k o m m t . . . Ich klage nicht, ich

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kann Dir keine Worte darüber sagen, wie mir jetzt ist. Es ist oft besser, wir berühren das nicht, was uns zu tief berührt. Und so lebe wohl, und alles Gute, was das Eine dem Andern nur wünschen kann, wünsche ich Dir. Und laß uns festhaltn, daß wir nicht getrennt sind, trotz alledem, daß uns die gleiche Liebe und die gleiche Gesinnung eint. Habe Dank für Alles, was Du mir warst, was die Erinnerung daran mir immer sein wird. Lebe wohl! .. So taten wir beide, was uns am schwersten fiel. „Andre sehn vielleicht auch andern Weg zu gehn." Wir sind 17 Jahre lang diesen gegangen und wann und wo ich Theos mehr als obenhin erwähnen mußte, war es mir eine Linderung, in Wahrheit sagen zu können: „Es steht nichts Persönliches zwischen uns, was uns trennt, sind die Verhältnisse." Wenn Theo Gerechtigkeit werden soll, so muß das Bild, das ihre Briefe bis zu unserer Trennung von ihr geben, durch einige Striche ergänzt werden. Daß sie in dem Sinn, den man dem Ausdruck gemeinhin unterlegt, „geliebt" worden ist, verstand sich für Jeden, der sie näher kannte, von selbst. Auch hier würde Frau von Ebners Wort zugetroffen haben! „Wohl Jedem, der sie gekannt hat!", wie viel mehr, wenn Einer sie sich zu verdienen verstanden hätte! Ob sie selbst jemals „geliebt" hat zu erörtern, steht mir kein Recht zu, da gerade ihrem mimosenhaften Zurückbeben vor der brutalen Analyse des Erotischen Solches zuwider gewesen wäre. Daß sie aber wiederholt eine tiefe Zuneigung eingeflößt hat, darf ich ohne Scheu verraten, weil ich es zweimal miterlebt habe und durch Dritte erfuhr, wie große weltliche Vorzüge die Annahme eines unter mehreren Anträgen für sie im Gefolge gehabt hätte. Sie gehörte zu jenen Frauen, die entgegen vielen Anlässen „versorgt" zu werden, unverheiratet bleiben und ließ sich mit einem feinen Lächeln von der mit ihrem auf weiter Flur allein aufgetauchten Freier verheirateten als sitzengeblieben begönnern. Aus ihrem Munde erlebte ich keine Aufzählung vergeblich schmachtender Verehrer und wonnig ausgekosteter Triumphe, wie ich sie etwa von alternden einsamen Mädchen und Matronen mit Widerwillen zu hören bekam. Kaum über die erste Jugend hinaus, trug bei ihr die Sorge für den Vater dazu bei, sie für eine Werbung schwer zugänglich zu machen und der an ihre stete Dienstwilligkeit gewöhnte, die ungestörte Behaglichkeit seines Heims als das Gegebene betrachtende Papa erleichterte weder dem um die Liebe seiner Tochter Bemühten, noch der Begehrten die Anbahnung innigerer Beziehungen. Ich habe mit Interesse für beide Teile das allmählige Ausklingen jener zwei Episoden verfolgt, deren Zeugin ich

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ungesucht war. Theo erleichterte den Uebergang von der Liebe zur Kameradschaft oder Freundschaft durch die unverkennbare Bereitwilligkeit auf alle übrigen Wünsche und Ziele verständnisvoll einzugehen, sobald und solange sie nicht als ein Aufgeben der ablehnenden Haltung mißverstanden wurde. Das war nicht leicht angesichts des Ungestüms eines hochgebildeten jüngeren, des kaum verhehlten Verdrusses des ebenso gebildeten, als allgemein geachteten alten Herrn. Unbeabsichtigt verschaffte ich des letzteren Gefühlen einmal eine angenehme Entspannung dadurch, daß ich, als des ersteren starke Eitelkeit sich eine besonders witzige Veranstaltung zu leisten glaubte, für die er allgemeinen Beifall heischend stand, stoisch daran vorüberschritt, als wäre sie nicht da. Weder Mann, noch Frau, denen das Gefühl für den Abstand nicht vollständig abging, würde sich Theo unwürdig zu begegnen getraut haben. Rückblickend erscheint mir die Hoheit, die sie mit einem unsichtbaren Schleier umgab, um so rührender, weil sie mutterlos aufwuchs. Die einzige Frau, die, soweit meine Kenntnis reicht, vergaß, was sie ihr schuldig war, nachdem sie eifersüchtig um die erste Stelle in ihrem Herzen gestritten hatte, war bei einer nüchternen Intelligenz aller Seele bar und unfähig das Edle im Anderen zu erkennen, weil ihm nichts Verwandtes in ihr entgegenglühte. Umgekehrt faßte auch das Kleine, Unabgezeichnete ein Herz und Vertrauen zu Theo und wenngleich wir übereinkamen, das vielmißbrauchte „tout comprendre c'est tout pardonner" dahin zu begrenzen, daß man das Niederträchtige und Schmutzige nicht verstehen wolle, suchte und fand sie im konkreten Falle meistens einen Grund zur Entschuldigung, weil eben ihrem Empfinden nach die Brücke zur Verzeihung doch nur bei mangelndem Einblick in die Verhältnisse in der Luft hängen blieb. Viele baten in kleinen und großen Dingen um ihren Rat und Trost, vergaßen die ihnen eigene Ueberhebung, um ihrer Fürsprache teilhaftig zu werden, ihr unbestechliches Urteil einzuholen. Selbst unbeabsichtigt übte sie auf ziellos Umherflatternde, aus eigener Kraft nie ein Ziel Anstrebende, eine sammelnde, richtunggebende Wirkung aus. Nötigenfalls standen ihr auch strenge Worte zu Gebote, die keinen Zweifel übrig ließen, daß sie ihre Hand und ihren Schutz versage, wo sie keine Frucht erzogen. Mit der begabten Trägheit ließ sie sich in den Versuch ein, sie durch gemeinsames Studium zur Arbeit zu disziplinieren, oder machte den in ihren Mitteln Beschränkten Lust, sich zu Uebersetzungen hübscher Feuilletons zu befähigen, die unter ihrer Aegide ersprießlich untergebracht wurden. Unerbittlich trat sie der Familiarität entgegen, gleichviel ob sie einem alten männlichen Bekannten arglos entschlüpfte und nahm die komische Verzweiflung eines solchergestalt

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zurechtgewiesenen Knaben: „Aber ich habe doch schon Ihre Mutter gekannt", als belanglos hin. Gabriele Reuter, die Annette Droste so überquer vor ihrem neuzeitlichen Leserkreis gedeutet und zerlegt hat, würde aus Vorstehendem altjüngferliche Zimperlichkeit und lederne Konventionalität herausdestillieren. Dennoch konnte es nichts Lebenswärmeres, sonnig Heiters geben als die jüngere Tochter von Annette Drostens Dichterfreund. Aus Theos Munde hörte ich zuerst das Wort von „der Blume, die auf dunklem Grunde sprießt" und ihr Humor, so tief er aus Schmerz und düsterer Erkenntnis wuchs, trug, wie der Baum die Krone am höchsten emportreibt, der seine Wurzel am tiefsten ins Erdreich eingesenkt hat, in den sonnigsten Aether hinauf. Er tat darum auch nicht weh; ihre Güte bewahrte sie vor Gift und Bitterkeit. „Ich könnte niemals garstig gegen Dich sein," sagte sie bald nachdem wir uns kennen gelernt. „Du hast so nervöse Hände." Da sah ich nach den schlanken, zartgliedrigen ihrigen, die sie die Verletzlichkeit, welche die fremden hilflos zur Schau trugen, so unmißverständlich nachfühlen lehrten. Wie offen fremdes Frauenschicksal mitunter vor Theos Blick lag, erkannte ich in späteren Jahren aus einem gelegentlich über Goswina v. Berlepschs häusliche Umgebung getanen Ausspruch. Verschiedene Bekannte von mir hatten die beliebte Erzählerin an einem und dem andern Orte gekannt und mir von ihrer Anmut, Liebenswürdigkeit und Schelmerei zu berichten gewußt. Die Wärme ihres Gefühls hatte ich in einem besondern Fall aus der Ferne persönlich aufs wohltuendste empfunden. Bekanntlich ist Goswina sehr jung schon verlobt gewesen und erlebte den Verlust des Bräutigams, als er noch Student war. Lilli von B. hat sich dann mit dem Vater des Verstorbenen verheiratet und der glänzenden Schwester ein trauliches zu Hause geboten. Erst Theo wußte mir, ohne jede Schärfe gegen die Empfangende, anzudeuten, daß die Schenkende, die im Hintergrunde blieb, ein Opfer gebracht hatte und in stiller Größe weiter brachte. Sie w u ß t e , wie häufig die Heldin nicht jene ist, die den Lorbeer trägt, vielmehr der Lorbeer aus der Entsagung Unbekränzter am schönsten gedeiht. Daran muß von Zeit zu Zeit immer erinnert werden. Man ging fehl, wenn man Theos überströmende Güte mit jener Gutmütigkeit verwechselte, in die man wohlfeile Aeußerungen eines tat- und mutlosen Allgemeinwohlwollens umdeutet, das bei jeder Gelegenheit aus dem Munde tropft, wie Spülicht aus einem schlecht verschlossenen Gefäß. Daß sie von den Satten auf geebnetem Lebensweg damit erledigt wurde, konnte nicht ausbleiben. Aber wie unerbittlich blickten diese klaren Augen unter der denkenden Stirne in die Abgründe und Verborgenheiten der verschiedenen Naturen, wie sicher

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bewertete ihr Herz die Neigung, die man ihr entgegenbrachte, wie haarscharf trennte sie bei den Verehrtesten den Schein vom Sein! Die Phrasen intellektueller Snobs vermochten ihr die Nichtigkeiten des konventionellen Lebens nicht zu verschleiern, so wenig als das halb belustigende, halb beschämende Schauspiel, wie sich die vermeintlich Weisesten stets aufs Neue davon berücken ließen. Ohne Zweifel wurde ihre Hingabe mißbraucht, doch nicht ohne ihr Mitwissen, nicht ohne daß sie ihre Gründe hatte, sich durch die Betreffenden und im gegebenen Augenblick mißbrauchen zu lassen. Vor der Welt breitete sie den Mantel der Liebe um Blöße und Gebrechen ihr teurer Menschen und handhabte in der Stille ihres Kämmerleins den Maßstab der Gerechtigkeit. Das nicht zu tun, wäre ihr unrecht und dumm erschienen, wie mir. „Das Leben ist wüst", klagte sie wiederholt zur Zeit unserer ersten Bekanntschaft und vom „wüsten Leben" sprach sie wieder, als eine kurze Strecke gemeinsamen Wegs wieder vor uns lag und sie hat früher und später darin nur eine Veranlassung erblickt, so viel an ihr war, beizutragen zu seiner Veredlung und Vergoldung. Bei dieser Aufgabe konnten ihr sogar die Scheuklappen des Pferdes vorbildlich werden, wenn es galt, ein Ziel zu erreichen, zu dem der Weg rechts und links mit Schrecknissen und Gefahren besetzt war. Wie weit hat sie oft gerade die überschaut, die gewissermaßen auf sie herabblicken zu dürfen glaubten! So kam ich dazu, als ein Heimatbekannter sie in der großen Stadt besuchte und ohne weiteres zu einer musikalischen Aufführung im Freundeskreis mitnehmen wollte, wobei er ein Instrument bediente. Theo wich aus: „Ich bin nicht aufgefordert, Herr M." - „Darauf kommt's doch nicht an, Sie sind jederzeit ein werter Gast." - „Wenn ich aber vorziehe, nicht zu gehen?" wandte Theo ablenkend ein. „Aber ich begreife Sie nicht. Auf ihre Vermittlung hin spiele ich überhaupt bei Ihrer Freundin, Sie lieben klassische Musik, hier gibt es selten Anlaß, solche zu hören, und Sie weigern sich, die Gelegenheit zu benützen?" Da erst erklärte sie mit duldsamem Lächeln: „Dennoch bleibe ich fern, Herr M. In der Meinung der Freundin geht, was jenseits der Salonmusik liegt, über mich hinaus" - und brummend vor Entrüstung zog der Violinkünstler von dannen. Zu mir gewendet, erzählte die Freundin, sie sei eines Nachmittags ausnahmsweise gewürdigt worden, dabei zu sein, um einige Minuten später, als bestimmt, eingetroffen und gleich von der Hausgenossin gemaßregelt worden: „Du bist nicht pünktlich, Theo!" Für die unbeschäftigten, satten Feinschmeckerinnen im Punkte der Musik gab es die Hemmnisse nicht, die der stets in Anspruch genommenen Theo bei großen Entfernungen entgegentraten; die Verspätung galt dann als mangelndes Verständnis für höhere Kunst!

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Wenn Theo um ihres unbeirrbaren Auges willen an dem und jenem Freund gelitten hat, so ist sie dafür mehr als entschädigt worden durch die intime Wesenskenntnis anderer. Wie hat sie Frau v. Ebners nie versagende Feinfühligkeit genossen und hochgehalten, eben weil sie bei der im Leben von Schwierigkeiten des Alltags nicht heimgesuchten Edeldame nur dem weit über das Gewöhnliche Hinausgehenden intensiven Nachspüren in fremder Seele entsprang. Wie hat sie ihr Dank gewußt für jede Rücksicht, die Satte und Oberflächliche wieder nicht als etwas Besonderes empfunden hätten, weil sie es für sich anders nicht kannten, und sie selber sie nur für Abgezeichnete nahmen. In einem der letzten Winter bat sie die Hofrätin für den Abend zu sich. Theo antwortete, daß sie kommen könne und werde. „Gewiß" wiederholte die herzenswarme Oesterreicherin, „kannst Du kommen, aber wie verhält es sich mit dem Nachhauseweg?" und ruhte nicht, bis sie ihr einen Schutz ausfindig gemacht hatte. Dabei wohnte Theo an der Piazza Barberini, nicht weit von Piazza di Spagna, die durch hellerleuchtete, vielbenützte Straßen verbunden sind. Ist es nötig, darauf hinzuweisen, daß die Beobachtung solch verschwindend kleiner Imponderabilien der Psyche die unumstößliche Wahrheit bestätigt, daß die Menschen nicht gleich sind und zu der gerechten Forderung führt „daß sie es auch gar nicht werden" sollen, angenommen, daß das möglich wäre. Wie nicht anders zu erwarten, ist Theos Rat und Fürwort in erster Linie von angehenden Schriftstellern und sich mehr oder minder berufen glaubenden Talenten in Anspruch genommen worden. Mancher, der Bedenken trug, den Vater zu belästigen, setzte unbekümmert voraus, daß er sich seine Empfehlung mittels der Tochter verschaffen könne. Doch war eine vornehme Zurückhaltung bei Vater und Tochter die Regel: beide waren sich der kulturellen Verantwortlichkeit zu streng bewußt, um Brotkorbinteressen voranzustellen. Begegnete Theo bei einem sich unter ihren Schutz Flüchtenden der Ueberschätzung der eigenen Arbeit, so hielt sie mit der nötigen Aufklärung nicht hinter dem Berge, ungeachtet sie die krankhafte Empfindlichkeit und Nachträgerei der Species kannte. Handelte es sich gar um einmal verwöhnte Literaten, so war ihr Freimut imstande, diese zu veranlassen, sie hinfort aus der Reihe der für sie maßgebenden Autoritäten zu streichen. Dann hieß es: umso besser! So hatte ein anmaßendes Alterchen sie im Vertrauen befragt, ob sie die Herausgabe eines bunten Haufens während vieler Jahre veröffentlichter Feuilletons und Rezensionen in einem Sammelband, wie ihr Gönner und Schmeichler zuredeten, für richtig hielte. Dem größtenteils wertlosen Zeug gegenüber, dessen Er-

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folg nur auf der Aktualität beruht hatte, bekannte Theo ehrlich, daß sie es um ihres bisherigen Namens willen beklagen würde. Weit entfernt, daß sie das Frauchen überzeugt hätte, vernahm sie nur hinfort nichts mehr von dem Plane und das spätere Erscheinen des Bandes gab ihr Recht, indem es dazu diente, den Rang der Verfasserin im Urteil Berufener erheblich herabzusetzen. In einem verwickelten Falle, in dem sie das Manuskript für hervorragend erklärte und dem Dichter aus der Fülle ihrer Anerkennung das Ohr des besten Leserkreises gewünscht, hatte sie mir geschrieben: „Ich kann die Redaktion nicht um Aufnahme bitten, weil sie denken, von Papa eine Novelle zu bekommen." Und wieder: „Ich würde es ihnen längst geschickt haben, wenn nicht gerade dieser Zeitung gegenüber das Erbitten der geringsten Gefälligkeit, sei es auch nur die Durchsicht des Manuskripts, mir unmöglich wäre." Der Grund war ähnlich: Die Redaktion hatte sich eine einmal bestellte Nummer nicht bezahlen lassen. Dickhäuter vom Fach sehen in alledem höchstens eine bequeme Gelegenheit zur Ausbeute. Anderseits war Theo unermüdlich, schüchterne Anfänger zur Beharrlichkeit im Anklopfen, zur Geduld im Abwarten zu ermahnen, wenn eine ihr vorgelegte Schrift den Stempel der Tüchtigkeit trug und schickte sie wohl persönlich von Pontius zu Pilatus. „Man muß sich das Herumsenden eben nicht verdrießen lassen" lautete dann ihr Zuspruch, „im vorigen Jahr habe ich eine Arbeit von N. N. (einer Notorietät) erst beim dritten Male angebracht" und gab gleich die Stellen an, die zugänglich zu sein versprachen. Muß ich es betonen, daß bei aller Unterordnung und Uebereinstimmung, Theos Urteil mit dem des Vates nicht übereinzustimmen brauchte? Weder ausgesprochenes Wohlgefallen, noch kühle Ablehnung seinerseits beeinflußte ihre Parteinahme für oder gegen eine Sache. Schon um der Bewußtheit willen, daß die Frau, wenn sie echt ist, in vielen Punkten vom Mann verschieden fühlen muß und denken kann! Ich bin in der früheren und späteren Periode oft mit ihr einig gegangen, vorzugsweise auf jenen Gebieten, wo Spätergeborene jeder Herkunft und Schulung des Duldens und Entschuldigens, wenn nicht gar der Bewunderung und Nacheiferung kein Ende finden. Da sind wir im Leben wie im Nachbild streng ablehnend geblieben, wie verführerisch auch die Farben verteilt wurden, wie laut der Beifall ertönte. Weshalb ich dem mir später geschilderten Hergang in der Entwicklung einer berühmten Erzählerin mit schmerzlicher Aufmerksamkeit folgte, nicht nur um der mit Theos besonderer Meisterschaft vorgetragenen Einzelheiten und der ihnen aufgesetzten Lichter willen. Ohne den Humor der Behandlung hätte die Sache auf uns beiden noch schwerer gelastet.

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Das war in dem von ihr als seelenmordend bezeichneten Berlin. Da trat ein Mädchen in Theos Kreis, ein blutjunges Ding, dessen Talent von so übersprudelnder Frische und Eigenart war, daß Keiner, dem sie ihre schriftstellerischen Versuche vorlegte, daran vorüberkam. Von den Verhältnissen angewiesen, möglichst rasch durch eigene Tätigkeit ihren Unterhalt zu sichern, mußte sie für Zeitungen arbeiten können, einen Verleger finden, oder aber einen andern Erwerbszweig wählen, was ihr ein großes Opfer gewesen wäre. Da und dort eine Plauderei unterzubringen konnte sie nicht fördern. Immer mußte sie hören: „Sie haben eine starke Begabung, Ihr Stil ist gut, Sie liefern keine Dutzendware, aber - hm - nun - es fehlt ein Ingrediens, die Anziehung zu vervollständigen, eine Art der Zutat, ohne die das Angerichtete nicht schmeckt. Die Gaumen sind einmal verwöhnt und tun's nicht mehr ohne." Ungefähr in diesem Abschnitt der Sachlage verließ Theo Berlin. „Als ich wiederkam" fuhr sie fort, „fand ich die Kleine als Mitarbeiterin der gelesensten Blätter und Zeitschriften; sie verfügte über hübsche Einnahmen, verkehrte in der Welt und verriet keinerlei Ermattung der schöpferischen Ader." Und das mit Bedauern Vermißte hatte seine bleibende Stelle in den kleinern und größern Erzählungen und Skizzen, und machte sie angenehm vor Redaktionen und Publikum, die hinfort über mangelnde Würze nicht mehr Klage führten. Angesichts Theos Dienstbereitschaft gegenüber Kollegen ihres Vaters und Nachfolgerinnen ihrer Mutter, hat es mich wie etwas Gebührendes, längst Aufgewogenes, berührt, daß sie später, als sie das vertraute Gebiet selbsttätig betrat, mit wenig oder keinen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Briefstellen z.B. aus dem Jahre 1883 S. 111 [hier S. 210] deuteten bereits darauf hin, daß sie die ersten Schritte wagte. Unser letztes Zusammensein in Sassenberg, über dem die Schatten von ihres Vaters Todeskrankheit gelegen, waren keiner Art gründlicher Aussprache günstig gewesen, womit es zusammenhing, daß ich die damals schon erschienenen Beiträge nicht zu lesen bekam und in das Erreichte und Angestrebte keinen Einblick gewann. So konnte es geschehen, daß ich bei dem bald darauf eingetretenen Aufhören persönlicher Beziehungen keines der von ihr veröffentlichten Erzeugnisse kannte. Um so herzerfreuender wirkten im Jahre 1897 ihre Briefe von Annette v. Droste-Hülshoff und Levin Schücking erschienen 1893 bei Fr. V. Gruner in Leipzig, ein Büchlein, dessen Einband, Druck und Papier in selten beobachteter Uebereinstimmung mit dem Gegenstand und der ihn Behandelnden stehen und das ich zärtlich streichle, wenn ich's in die Hand nehme. Der Umstand, daß die Tochter des einen der Brief-

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Schreiber die Ausgabe besorgte, muß Jeden sich in das genauer bekannt gewordene Verhältnis Einfühlenden versöhnend und verklärend anmuten. Im Winter 1878/79 hatte ich Dr. Schücking mehrmals von der auserwählten Sängerin der roten Erde sprechen hören und zu meinem Geburtstag hatte mir Theo unter einem Strauß köstlicher Veilchen verborgen ihre Gedichte geschenkt. Das handliche Cotta-Bändchen ist mir heute noch lieber als andere Ausgaben, die hinzukamen und daß T. S. der Widmung fand ich ebenso bescheiden unter dem Vorwort zu den Briefen wieder. Daß Schücking des gegen Ende von Annettens Leben eingetretenen Bruchs mir gegenüber nicht Erwähnung tat, liegt auf der Hand. Zweifellos hat er immer und wahrscheinlich mit der zunehmenden zeitlichen Entfernung und von dem drum und dran der Gegenwart losgelöster, an dem Ausnahmeglück, das ihm in dieser Freundschaft wurde, gezehrt. Ebenso zweifellos ist die dankbare Verehrung, die er der erlauchten Toten unentwegt gezollt hat und in der das beredteste Zeugnis für seine eigene Edelnatur liegt. Ein minder Vornehmer würde, als der die Schuld an dem Risse Tragende, nicht Treue zu halten vermocht und auf alle Fälle eine Version erfunden haben, die der Nachwelt die Klarheit über das Vorgefallene verdunkelt hätte. Völker und Menschen hassen dort, wo sie sich verfehlten, wenn sie gemeiner Art sind. Theos Einleitung bestärkt mich in der Annahme, daß auch sie vom Vater keinen Aufschluß, oder nur im allgemeinsten Umriß über den Mißton erhalten hat, in den die Verbindung für alle Poesie und edles Menschentum Liebenden ausklang. Davon, was die Verheiratung Schückings mit einer Frau von ausgesprochener Persönlichkeit und starkem Selbstbewußtsein, der es nicht gegeben war, den richtigen Abstand von Annette zu nehmen, folgerichtig nach sich ziehen mußte, konnte die pietätvolle Tochter, deren Bild von der Mutter nicht auf eigene Kenntnis zurückging, keinen deutlichen Begriff haben. Sollte sie dennoch etwelche nähere Kunde gehabt haben, weshalb die bewährten Freunde in den letzten zwei Jahren vor Annettens Tod keine Briefe mehr austauschten, so sieht es ihr erst wieder recht ähnlich, mit welchem Feingefühl sie über die Lücke weggeglitten ist. Sie ließ das Feld für die abenteuerlichsten Vermutungen Unberufener offen und was verschlägt es, wenn der Mann, Herr Kummer, eine erhabene Freundschaft zwischen Vertretern verschiedenen Geschlechts aufs allergewöhnlichste aus dem altjüngferlichen Liebesbedürfnis Annettens und den Abbruch aus Fraueneifersucht, das Weib, Frl. Gabriele Reuter, die Erklärung zum größten Teil aus dem niedrigen Eros ableitet? Reine Rassen waren urweise, als sie den Pairshof einsetzten: man

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kann nur Seinesgleichen gerecht richten - différence engendre haine zum wenigsten Verständnislosigkeit. Wohl in Anerkennung ihrer Herausgabe dieses Briefwechsels wurde Theo später gebeten, den biographischen Nachlaß einer Künstlerin ersten Ranges zu bearbeiten. Sie mußte es ablehnen, denn Sehkraft und Herz verboten ihr nachgerade die angreifende Sichtung des handschriftlichen Materials. Aus den schon 1881 und 1882 aufgetretenen Störungen hatte sich nach und nach ein qualvolles Herzleiden entwickelt. Kleinere Aufsätze gelangen ihr immer noch. So lieferte sie im Jahre 1900 für die Septembernummer des Literarischen Echo eine Charakteristik Marie v. Ebner-Eschenbach als Huldigung an die Jubilarin, die am 13. ihren 71. Geburtstag feierte. Im anmutigen Plauderton, licht und duftig behandelt sie die seelischen Feinheiten der prachtvollen Frau. Sie weist auf die Verwandtschaft zwischen der österreichischen und der niedersächsischen Aristokratin des Blutes und Geistes hin, die gewiß das starke Band knüpfen half, das Vater und Tochter Schücking seit den ersten Wienertagen 1877/78 fest und fester mit der südlicheren der beiden einte. Wie viel sorgsamer erlauscht und instinktsicherer erfaßt erscheint hier die Dichterpersönlichkeit Mariens als jene Annettens in der kramphaft an erotischen Problemen und Hemmungen hängengebliebenen Analyse Gabriele Reuters, die ein veraltetes Vorurteil gegen Adel und adlige Sitte bis ins Philiströse verflacht und verzerrt. Man lese Stellen wie: „Beiden (Annette und Marie) gestand die aristokratische Abneigung ihrer Umgebung gegen den Eintritt der Frau in die Oeffentlichkeit lange Zeit hindurch die Betätigung dessen, was doch die Krone ihrer Persönlichkeit war - nur als aus Liebe geduldet zu. Sicherlich hat dies dazu beigetragen, daß beide erst in verhältnismäßig späten Jahren zur vollen Blüte ihrer Kunst gelangten. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Kunst gerade ihre höchste Vollendung aus einer Innerlichkeit erhielt, die sich in Jahren konzentrierten einsamen Schaffens bis zum hellsichtigen Erkennen verborgenster Herzensvorgänge gesteigert hatte . . . " Und: „Auch darin weist (ihr Leben) eine Verwandtschaft mit dem Annette v. Drostes auf, daß es nach außen hin einförmig verlaufen ist und daß es vorwiegend innere Erlebnisse waren, von denen es bewegt wurde." Ferner: „In der Atmosphäre reinster Menschenliebe, die sie umgibt, fühlt sich ein Jeder aus dem Alltäglichen herausgehoben und das Beste in sich wachgerufen. Dadurch hat sie, ohne es zu wissen, in ihrem Leben fortgesetzt veredelnd auf andere eingewirkt, ganz zu schweigen von dem stillen Einflüsse ihrer Umgangsformen, die der vollendete Ausdruck feinfühligen Empfindens für die Stimmungen der andern sind." Endlich: „Sie selbst stellt jeden-

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falls die reinste Verkörperung des Zusammenklangs zwischen Persönlichkeit und Talent dar." Sogar die kleine Skizze zur Ergänzung der Charakteristik Nietzsches, die Theo auf Frau Dr. Foersters Wunsch in Die Neue Bühne erscheinen ließ, trägt den ausgeprägten Stempel ihrer Persönlichkeit. Von dem kurzen Zusammensein in Rom im Frühling 1883 hatte mir Theo im darauffolgenden Sommer erzählt, eine junge Bekannte hätte eifrig darnach gestrebt, mit dem Einsiedler ins Gespräch zu kommen, während sie sich gesagt, ihm müsse an der Unterhaltung mit „Papa" mehr gelegen sein, als an der ihrigen, sich zurückgehalten und mit Genuß zugehört habe. Das tönt in ihrem Beitrag an, in dem den Eindrücken des Vaters, dem sie einst willig den Vortritt eingeräumt, auch die erste Stelle zugewiesen ist. Wohl selten ist Jemand von persönlicher Eitelkeit, von Sucht, eine Rolle zu spielen, freier gewesen, als sie in ihrem edlen Stolze, und das ist es, was ihrem bescheidensten Feuilleton einen so viel tiefern Wert verleiht, als all das Schaumschlagen der Vielschreiber communi generis ihren Tiraden. Im 4. Quartal der Gesellschaft, Jahrgang 1898, steht unter dem Titel derjenige Aufsatz von Theo, der mir der Die eherne Notwendigkeit liebste ist. Er enthält ihre Gedanken und Sorgen anläßlich der herannahenden Jahrhundertwende. Das ist Theo in ihrer heiligsten Tiefe, Verinnerlichung, Wahrhaftigkeit vor Gott und den Menschen. Keine molluskenhaften Optimismen, keine Prophezeiungen von einem goldenen Zeitalter, keine Friedensschalmeien und Humanitätsphrasen dafür hat sie mit zu ernsten, offenen Augen Tausende schwelgen und prassen und Geld erraffen und Millionen nach der Möglichkeit, ein Aehnliches zu tun, schielen und Milliarden sich in Neid und Haß verzehren sehen. Erschüttert und einverstanden las ich die strengen Worte der toten Freundin, als der Flügelschlag des Schreckens, den das junge Saekulum in seinem Schoß getragen, bereits um die Ohren der in Materialismus versklavten, durch Lüge und Heuchelei verdummten und verrohten Menschheit brauste. Erschüttert und dennoch unvorbereitet auf das noch Bevorstehende: den Bluthandel der Angelsachsen und ihrer mit Fluchgeld erkauften, am Todhaß - dem stärksten Band zwischen Materialisten - geleiteten Völkermeute, den Verrat an Europa mittels des an seinem Ritter Georg begangenen dreifachen Meuchelmords durch die Zahl, den Hunger und die Bestie in den niedrigsten Rassen! Mit dem Erscheinen ihrer einzigen Arbeit in der Gesellschaft ist ein merkenswertes Erlebnis Theos verbunden, das sie mir 1900 launig verschämt erzählte. Die Zeitschrift war ihr unsympathisch, ihr derzeitiger Herausgeber Jakobowski im persönlichen Verkehr und als begab-

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ter Dichter jedoch interessant. Nachdem sie seinem Wunsch, ihm einen Beitrag zu liefern, mehrmals nicht entsprochen hatte, setzte sie ihm eines Tages freundlich bestimmt auseinander, was sie dabei bestimmte. Der Dichter, beglückt einen Weg zu sehen, ihre Bereitwilligkeit zu erreichen und ehrlich überzeugt, daß er sie richtig deute, erklärte mit feinem Lächeln: „verlassen Sie sich darauf, wir werden eine ganz anständige Nummer zu Ehren Ihrer Mitarbeiterschaft herstellen." Theo schloß: „Freilich, i c h fand sie so wenig anständig, daß ich sie meiner lieben Frau v. Ebner nicht schicken mochte," und in der Tat, der sibyllenhafte Ernst ihrer Aeußerungen steht zu dem grotesken Gemisch von Scherz, Spott, Frivolität, das dicht ans Obszoene streift, in den übrigen Elaboraten dieses Heftes in seltsamem Gegensatz. Im Frühling 1888 hörte ich von Malwida v. Meysenbug in Rom, wohin ich seit 1881 nicht mehr gelangt war, daß Theo bei ihrem Oheim sei, ihr aber das amerikanische Wesen so wenig bekomme, als das Klima in Washington. Selbstverständlich. Was sollte die Mimose unter den robusten Nutzpflanzen? Im Winter 1889/90 traf eine meiner Universitätskolleginnen die nach Europa Zurückgekehrte in Wien im Salon der Frau von Gerold. Theo begrüßte sie mit besonderer Wärme als Jemand, den sie, wenn auch nur obenhin, früher gekannt hatte „weil es sie an jene so glückliche Zeit in Rom mit ihrem Vater erinnere und alle Menschen, die sie in jener Periode gekannt, sie intimer berührten, als ihre späteren Bekannten." Bei einem kurz darauf erfolgten Zusammentreffen mit der betreffenden Dame erfuhr ich u. a. von Theos Zufriedenheit mit ihrer Stellung bei Frl. v. H., trotzdem ihr Herzleiden sie mannigfach zu hemmen begonnen hatte. Ende Januar 1900 kam ich nach Rom, wo ich bis spät im April verweilte und Malwida öfters für ein Stündlein besuchte. Im März fand sich Olga Monod bei der geliebten Pflegemutter ein. Eines Abends ließ sie den Namen meiner unvergeßlichen Freundin fallen, wie wenn sie von einer eben Gesehenen spräche. „Ist Theo in Rom?" fragte ich, kaum meine Erregung verbergend und versicherte mich ihrer Adresse, sobald die Bestätigung erfolgt war. Am folgenden Nachmittag, den 17. April, fuhr ich an die Piazza Barberini, stieg die zwei Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, hörte, daß sie zu Hause, klopfte an, trat ein. Es bedurfte keiner langen Erklärungen; Theo sann einen Augenblick nach und bemerkte, „in der Nähe von S. Andrea delle Fratte wurde ich diesen Winter einmal an deine Augen erinnert; das mußt du gewesen sein." Uns tat nur Eines leid: daß wir in Rom länger zusammen gewesen, ohne es zu wissen, und nun meine Zeit bald abgelaufen war. Die siebzehn Jahre Trennung versanken und alles einst

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zwischen uns Getretene mit Ihnen. E i n e n schönen halben Tag wußten wir uns zu sichern. Zusammen machten wir meine Lieblingsfahrt über Ponte Molle und die Via Cassia bis zur Kreuzung mit dem Sträßchen, daqs über S. Onofrio auf Monte Mario nach S. Pietro in Vaticano führt, Natur, Geschichte, Kunst so lieblich und großgestaltig verbindend. Am Quirinalsplatz, wo ich, wie so manches Mal, bei der guten Frau Pecori wohnte, stiegen wir aus und ich führte meine alte Freundin der mir seither gewordenen zu, die krank zu Bette lag. Die beiden nahmen sich herzlichst an. Eine Stunde verfloß in traulichem Gespräch, dann folgte die letzte Nummer unseres Programms. Theo und ich wollten den Abend auf der unlängst eingerichteten Terrasse am höchsten Punkt der Via Prisca zubringen, von wo man den unbeschränkten Ausblick über die südöstlichen Stadtviertel mit anschließender Campagna und Albanergebirge genießt und rückwärts gewendet die Kirchen- und Klosteranlagen des mir von jeher zu Gemüt sprechenden Aventin liegen sieht. Wir waren fast die einzigen Gäste und das gutmütig scheltende „muß man denn immer essen?", womit Theo früher eine Einladung zu gemeinsamem Frühstück in die Pension von sich gewiesen hatte, verstummte vor dem frugalen Artischokkengericht, Früchten, Brot und Wein unseres abendlichen Mahls. Allmählich senkte sich das Dunkel auf die Ruinenhöhlen des Palatin, kaum erkennbar stand die Celimontana inmitten ihres Pinienwaldes und über uns strahlten leuchtender und leuchtender die Sterne vom samtenen Nachthimmel des Südens. Zu Fuß stiegen wir langsam in die Via S. Teodora hinab, gingen am Palatin entlang, dann unter dem Kapitolhügel hin über das Forum und immer zögernder der Quirinalstraße entgegen. Am obern Eingang zum Palazzo Rospigliosi, wo die Pension in einem Hintergebäude untergebracht war, erklärte ich, noch eine Strecke mitgehen zu wollen und jenseits des königlichen Palastes bestand Theo darauf, mich wieder zurück zu begleiten bis zum untern Eingang meines vorübergehenden Heims. Dort nahmen wir Abschied in der festen Ueberzeugung, daß uns nun noch manches frohe Wiedersehen vergönnt sein werde. Und es begann ein Sehnen und Hoffen auf einen Besuch Theos bei mir in Graubünden oder in meinem jungen Sonnenheim in Capri. Am 13. M a i 1890 [richtig: 1900] schrieb Theo aus Rom: „Gewiß hätte ich schon geantwortet, wollte nur vorher wissen, wie meine nächsten Wochen sich gestalten würden. Leider hat sich nun herausgestellt, daß sich eine Reise nach Marschlins und ein liebes Zusammensein dort mit Dir, nicht hineinschieben läßt. Der Zahnarzt will mich erst für Ende Mai freisprechen, dann muß ich mein schon im Herbst gegebenes Versprechen halten und so kommt mir die Marschlinsfahrt

II.l. Meta von Salis: „ Theo Schiicking"

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nicht mehr heraus. Es tut mir sehr leid, liebe Meta, doch das weißt Du ohnehin. Laß uns jetzt einander nur im Auge behalten, dann schlagen wir doch hoffentlich bald ein Zusammensein irgendwo heraus ... Glaube mir, daß ich oft nach Dir hindenke und froh bin, Dich wieder gefunden zu haben. Malwida klagte sich an, als ich ihr von uns beiden sprach - sie hätte es ganz vergessen gehabt, daß wir uns kannten." B e r l i n , am 8. D e z e m b e r 1900: „Für die Entschuldigungen, daß ich so lange schwieg, hätte diese Karte nicht Raum. Und die sollst Du nun erst einmal bekommen, nachdem ich jetzt, nach 14 Tagen einsehe, daß ich doch nicht zu dem ausführlichen Brief komme. Dieses Berliner verhetzte Leben ist einfach seelenmordend. Trotz alledem hätte ich Dich vor Weihnachten wissen lassen, daß ich im Januar nach Rom zu reisen gedenke. Daß zu meiner Vorfreude die Vorstellung, Dir dort wieder zu begegnen, sehr beiträgt, muß ich aber doch angesichts meines langen Schweigens noch besonders aussprechen! Nicht später als den 3. Januar möchte ich abreisen." Wir trafen uns erst im April in Rom und zwar für sehr kurze Zeit und unter ungünstigen Begleitumständen. Meine Freundin Kym und ich hielten uns, unterwegs von Capri nach San Remo, nur wenige Tage auf und waren in einem unbehaglichen Passantenhotel abgestiegen. Theos abermals an der Piazza Barberini innegehabtes Wohnzimmer und der dort zugebrachte Abend bildeten den Lichtpunkt in unserm ausnahmsweise auch verhetzten römischen Leben dieses Frühlings. Schon die Lage oberhalb des Tritonsbrunnens, schräg gegenüber von Nietzsches Vierstockzimmer, wo das Nachtlied in seinem Zarathustra in Worte gefaßt worden, sprach unbeschreiblich zu unserer Seele. Ein weicher, weher Zauber haftet an der Erinnerung an diesen Abend und Theos vordenkende unzudringliche Fürsorge für die erwarteten Gäste - ach, so ganz anders als das lärmige aus Allem und Nichts das gleiche Wesen machende Gebahren anderer Bekannten, die Ansprüche an unsere Zeit erhoben! Für den folgenden Tag reichte es zu einem gemeinsamen Mittagessen an Piazza Colonna. Theo kam etwas nach uns, in Eile und müde. Sie hatte den überhetzten Morgen damit beschlossen, den Sommerhut einzukaufen und erzählte launig, wie sie der herantretenden Putzmacherin auseinanderzusetzen getrachtet, daß sie kein abenteuerlich auf Jugend berechnetes Gebäude, wie es Alt und Jung jetzt trage, brauchen könne und jene verständnisvoll nickend gesagt habe, sie wisse, was sie wolle, nämlich un capello per una persona seria, in den Hintergrund verschwunden und augenblicklich mit einem ihre besten Erwartungen übertreffenden Werk hervorgetreten sei. Sie habe es anprobiert, auf dem Kopf behalten und bezahlt und sehe nun unserm Urteil entgegen. Das fiel denn in Bezug auf den

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Gegenstand und mehr noch die Art der Erledigung uneingeschränkt günstig aus. Allzu schnell war die kurz bemessene Stunde entflohen; wir sahen der Enteilenden nach bis sie vom Corso in die Via Frattina einbog, um auf dem kürzesten Weg zu Frau v. Ebner zu gelangen, die sie zum Zahnarzt zu begleiten versprochen hatte. Jetzt wie einst im Liebesdienst tätig und von so Vielen mit Beschlag belegt, daß sie von Zeit zu Zeit zusammenbrach, so war Theo. Von schriftlichen Mitteilungen bleibt wenig mehr anzureihen. Villa F i s c h n a l e r , K u f s t e i n . 5. S e p t e m b e r 1901. „An einem langen Briefe an Dich schreibe ich schon lange in Gedanken, will nur erst einmal diesen kurzen, darum nicht minder herzlichen Gruß absenden. - Der Abend mit Euch war der letzte ganz frohe für mich, Ende April erhielt ich die Nachricht vom Tod meines ältesten Bruders, kaum hier angekommen sehr beunruhigende Nachrichten von meinem Schwager (dem zweiten Mann ihrer geliebten Schwester), dem es erst jetzt wieder leidlich geht. In Rom fühlte ich mich den Mai hindurch gar nicht gut, Anfang Juni so schlecht, daß ich, um nicht krank zu werden, nur rasch direkt hierher fuhr, d. h. mit einer kleinen Ausruhstation in Sterzing. - Möchte es dir doch inzwischen immer sehr gut ergangen sein, meine 1. Meta! Und auch Hedwig, deren liebe Erscheinung in meiner Vorstellung immer neben der deinen steht. Vom 18. an ist meine Adresse Berlin W., Nürnbergerstraße 7, III." B e r l i n W. K u r f ü r s t e n s t r a ß e 119, 16. Dezember 1901 „... Wie gern käm ich im Frühjahr zu Euch nach Capri! Aber im besten Falle sehe ich Italien im nächsten Winter wieder, vorher sicher nicht. Den heurigen denke ich ganz hier zu verbringen. Meinem Schwager geht's, Gottlob, wieder leidlich, aber sein Besserbefinden kann doch fortan für die Seinen nur eine zitternde Freude sein, oder auch nicht einmal das. Anfang Januar gedenken sie herzukommen. - Ich habe meine eigene kleine Wohnung aufgegeben, meine Möbel untergestellt und will dies meinen l e t z t e n Berliner Winter sein lassen. - Möchte es dir und deiner mir so lieben Freudin sehr, sehr gut gehen! ..." R o m , Via M a r g u t t a 53b, 12. Febr. 1903 „... Als Kundschafter sende ich diese Karte aus, hoffentlich gelangt sie zu dir! Kommst du nach Rom? Es wäre wohl schön! - Seit November bin ich da, bleibe wahrscheinlich noch den April hindurch, da ich dann Freunde hier erwarte. Mme. Monod kam schon im Herbst zur Pflege Malwidas herbei, die, wie du wissen wirst, schwer leidet - hoffnungslos ... Zum Glück ahnt sie die Natur ihrer Krankheit nicht, hält ein Besserwerden für möglich. Jedesmal, daß man sie sieht, ist sie magerer und dünner geworden, nur die Seele ist die alte, nein, sie wächst noch unter all den Schmerzen..."

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R o m a , 2. März 1903. „Laß dir alles nur denkbare Gute der Welt zu deinem 1. Geburtstag wünschen! . . . Wie würde mich deine Karte erfreut haben, wenn nicht die Worte darauf gestanden hätten I am very poorly . . . Nach dem vorigen, sehr argen Winter befinde ich mich hier unvergleichlich viel besser. Ich sehe hier so wenig Menschen und bin doch viel in Anspruch genommen. Es versteht sich von selbst, daß wann immer Olga den Wunsch äußert, mich zu sehen, ich hingehe, aber der Weg ist ein weiter und nicht immer läßt es sich leicht einrichten. Dann bin ich viel bei Baronin Ebner. Ihr geht es zum Glück sehr ordentlich, bei der armen Malwida aber sieht es immer schlimmer aus. Rührend ist, wie sie trotz Schmerzen und zunehmender Schwäche wieder an ihre Herstellung glaubt... Sie freute sich sehr, von dir zu hören und sagte, du seiest treu. Dank für deine 1. Einladung, von Herzen gern will ich ihr nachkommen, wenn ich es nur eben einrichten kann. Ich muß nur erst wissen, wann ich meine Sommerfahrt anzutreten habe, diesmal früher als sonst, da ich meine alte Freundin, der meine Sommer stets gehören, eher - Anfang September - zu verlassen gedenke, um zu meiner armen Schwester (inzwischen verwitwet) zu gehen... Jedenfalls aber macht Ihr hier in R o m Station, bittet tut es!!! . . . " Diesen Wunsch Theo und uns zu erfüllen verhinderte meine damals besonders schlechte Gesundheit. R o m , 4. A p r i l 1903. „So s e h r hatte ich mich darauf gefreut, Euch heute früh an der B a h n zu überraschen - mußte mir nun aber schon gestern sagen, daß ich mir's zu versagen hätte . . . Pünktlich um 6 Uhr wurde ich wach, gleich kamen meine Gedanken zu Euch und folgen Euch bei Euerer Fahrt über Land und See. Von ganzem Herzen wünsche ich dir gute Ankunft, meine liebe Meta, und dir und uns, die wir dich lieben, baldigste Erholung in deiner Sonnenvilla! ... Wohl war es mir eine große Enttäuschung, daß du hier nicht Station gemacht hast, aber freilich, wenn es nicht ein richtiges, wirkliches A u s r u h e n für dich geworden wäre, hätte ich mich ja doch nicht so von Herzen darüber freuen können, sondern mich sorgen müssen, daß es dir die Reise n o c h strapaziöser gemacht hätte. Wie gerne käme ich für 8 - 1 0 Tage zu dir und vom Grunde meines Herzens danke ich dir für deine so liebevolle Einladung. G a n z bestimmt zusagen kann ich leider noch n i c h t . . . Der armen Malwida Befinden ist ein derartiges, daß die Katastrophe jederzeit eintreten kann - ebenso aber auch erst nach Wochen. Unmittelbar darnach, daß es zum Schlimmsten gekommen, möchte ich nicht fortgehen, das wirst du begreifen, Olgas wegen. Bis in die erste Maiwoche bleibe ich jedenfalls noch hier und Ende April schreibe ich dir Genaueres . . . Grüße mir Hedwig innig ..

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R o m , 10. Mai 1903. „Habe Dank für deinen Brief und die liebe Karte zum 19. - Du wirst es bald darnach erfahren haben, daß Malwida am 26. nach fünf schweren Sterbetagen sanft hinübergeschlummert ist. - Laß mich, bitte, nur auf einer Karte wissen... ob Ihr um den 20., 21. herum Hausbesuch haben werdet, oder ob ich hoffen darf, Euch in den Tagen allein zu finden... Du schriebst so lieb, daß ich mich getraue, mich für eine Woche bei dir anzumelden .. Die freudigste Zusage unsererseits, mit der Versicherung völliger Ungestörtheit vor andern Besuchen, erfolgte umgehend. Wir rüsteten uns wie zu einem Lebensfeste, wählten die schönsten Punkte als Ziele für Wanderung, Boot- oder Wagenfahrten, legten Gedrucktes und Geschriebenes zum Vorlesen bereit, genossen jeden Sonnenmorgen und jede gestirnte Nacht als Bürgschaft für ebenso herrliche während der Anwesenheit der Freundin. Durch ihre Gegenwart sollte die neue Heimat gleichsam ihre zweite Weihe erhalten, nachdem meine Schwester ihr ein Jahr vorher die erste gegeben hatte. Da traf eine Karte vom 14. Mai wie ein Donnerschlag in unsere heitere Willkommensstimmung. Ersichtlich mühsam geschrieben lautete sie: „Bitte, erwarte mich nicht sicher für Mitte nächster Woche, da ich durch eine starke Erkältung in meinen Reisevorbereitungen zurückgebracht worden bin. Bald m e h r . . A u f unsern Vorschlag, alsbald nach Rom zu kommen, wenn die Reise nach Capri unausführbar sei, erfolgte statt einer Antwort von ihrer teuren Hand, der Bericht der von ihr beauftragten Hauswirtin, sie liege fierberkrank zu Bett und die für den Plan in Aussicht genommene Zeit drohe ungenützt zu verstreichen. Sobald als möglich werde sie selber schreiben. So am 18. Mai. In lastender Bangigkeit harrten wir der versprochenen Kunde. Umsonst! Am 25. nach Tisch ging ich durch die rosenduftende Pergola zum Briefkasten am Pfeiler des Gartenportals. Einem Umschlag mit Aufschrift von unbekannter Hand entfielen sechs engbeschriebene Seiten, in die ich einen Blick warf und dann mit dem Aufschrei zu der im Haus gebliebenen Freundin zurückeilte: „Nun ist sie tot". Der Brief war einen Tag später abgefaßt, als Theo bei uns eintreffen sollte, kam von einer Dame, die ich seit 1879 nicht mehr gesehen und lautete, nachdem sie mir von Grüßen gesprochen, die sie jener bei ihrem Abschiedsbesuch für mich aufgegeben: „Nun fügt es das Schicksal, daß ich mich direkt in Ihr Gedächtnis zurückrufe, weil das liebevolle vermittelnde Glied gestern Abend 9 Uhr für immer von uns gegangen ist. Sie wissen wie selbstlos sie sich allezeit denen hingab, die ihr Herz besaßen. So hatten dieser Winter und dieses Frühjahr ihr eine Hochflut von Menschen zugeführt, die sämtlich ihre Gefälligkeit aufs äußerste in Beschlag nahmen. Baronin Ebner-Eschenbach berichtete

II.l. Meta von Salis: „ Theo

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es mir wiederholt mit tiefem Bedauern, wie Theo sich mit all den Empfehlungen aus Berlin abhetze . . . Als Theo zu mir kam, klagte sie schwer über ihr Befinden und sagte noch: „Sie glauben nicht, wie elend ich mich fühle und nun noch all das Packen und die Besuche! . . . " Nach ihrer Art lehnte sie Erleichterung und Hilfe energisch ab, nahm nur an, daß ich vor ihrer Abreise zu ihr komme. Gott! was fand ich da? - Das Verbot für Jeden einzutreten, weil Theo an einer schweren Lungenentzündung darniederliege! - Sie muß sich schon Tags darauf die schreckliche Krankheit durch erhitztes Besteigen eines zugigen Tramwagens geholt haben, nach dem, was ich erfahren konnte. Schrecklich aber ist mir's, daß Theo, statt sofort nach mir zu schicken, die ich nahe wohne und ihr seit 26 Jahren unentwegt treueste Gesinnung bewahrt habe, volle vier Tage einsam krank gelegen zu sein scheint, ehe sie sich entschloß den Arzt zu rufen und ihre spezielle Freundin, Frl. von A. aus Florenz, wieder zurückzutelegraphieren zu ihrer Pflege. Dr. F. berief eine deutsche Kreuzschwester aus S. Basilio . . . Der Schwester geübter Blick hatte ihr sofort die Hoffnungslosigkeit des Falles gezeigt. Die Natur war schon zu sehr erschöpft und zudem das Herz längst angegriffen . . . Bis zuletzt bewahrte sie ihr klares Bewußtsein, wie Frl. von A. mir sagte, als ich zum zweitenmale gestern abend in tiefer Unruhe nachsehen kan und die teure Hülle noch warm fand, ja sogar den Puls noch zu spüren glaubte... Der Schwester war zweimal, zuerst die Erkrankung, kurz darauf der Tod telegraphiert worden. Die Entfernung von Zoppot ist zu groß, als daß Gert zur morgigen Beisetzung eintreffen könnte ... „Arme Hagen [richtig: Hager]!" seufzte Theo noch gestern nachmittag im selbstlosen Gedanken an der armen Blinden Verlassenheit, wenn sie nun von ihr gehe, deren Sommer sie so aufopfernd seit Jahren verschönt hatte! . . . " Am 25. Mai ergänzte Frl. v. A. den Inhalt des Briefes von Frl. v. E. „Die traurige Nachricht, die ich mich verpflichtet fühle Ihnen mitzuteilen, wird Sie auch tief ergreifen. Unsere liebe, liebe Theo ist verschieden, wollte am 23. zu Ihnen nach Capri kommen und nahm nun andern ewigen Abschied von Rom. Zehn Tage vorher wurde sie krank, nachdem sie schon lange Zeit recht viel elend war. Dr. v. F. behandelte sie, nahm den fünften Tag eine Pflegerin, den siebenten telegraphierte er mich auf Theos Wunsch herbei. Ich war leider am Tage, wo ihre Krankheit ausbrach, nach Florenz abgereist, kam sofort, fand sie sehr schlecht, bis zuletzt bei vollem Bewußtsein, viel leidend. Am zehnten Tag abends 9 Uhr trat der Tod ein. Grüße für alle lieben Freunde trug sie mir auf, bis zuletzt an Andere denkend. Viel zu viel hat sie sich für Andere geopfert und Jedem ihre innige und köstliche Liebe gegeben.

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Heute abend kommt Gerhardine, morgen nachmittag um 5 Uhr ist die Beerdigung bei Monte Testaccio . . . " Da es mir nicht um den Namen eines minderwertigen, sondern um den Abstand zwischen ihm und einem wertvollen Menschen zu tun ist, darf ich aus der letzten Lebenszeit Theos erwähnen, daß da Einer war, der betrübend an Pflicht und Freundschaft sündigte, ein Anderer aber weit über seine Pflicht getan hat. Zu ihm sprach Frl. v. A.: „Ich danke Ihnen, daß Sie ein Herz gehabt haben für einsame, alte Frauen. Bewahren Sie sich's." Der Mann ist dann auch hingegangen in der Blüte seiner Jahre und der ungetrübten Schönheit seines Wesens. Auf hohen Bergen liegt ein ew'ger Schnee, Auf hohen Menschen liegt ein ew'ges Weh; Den Schnee, den Harm schmilzt keine Sonne weg, Den Gletscher überbrückt kein Blumensteg. Was um den Schnee wie Rosenpurpur loht Abglanz ist's nur von einem Sonnentod, Und was ein H a u p t mit G l o r i e n s c h e i n v e r k l ä r t A b g l a n z der G l u t ist's die das H e r z v e r z e h r t . Hamerling.

Am 31. Mai traten wir die Reise nach Norden an. Am 1. Juni, in Rom, suchten wir die Wohnung der uns Entrissenen auf und setzten es, ihres Widerstrebens nicht achtend, durch, daß uns die Hauswirtin ihr Schlafzimmer aufschloß. Ich wollte den Ausblick kennen, der sich dem Auge der immer Tätigen darbot, wenn sie einmal ein Stündchen Muße genoß. Aber die mißlaunige Frau, der kalte, öde Raum, das Sterbebett, dessen Matrazen und Kissen herausgerissen umherlagen, hinterließen bittere Gefühle. Nachmittags fuhren wir mit einer Last von Lilien des hl. Antonius zum frischen Grabhügel hinaus. Das tat besser, da war man in der ihr zukommenden reinen, durchsonnten Luft, Ich fühlte mich der vor Kurzem Entschlummerten so nahe, wie nie im Leben, nein, näher, denn die Toten sind unverlierbar unser, und bin bei jeder späteren Einkehr in der Stadt unserer Liebe an den beseelten Ort gepilgert, wo ich 1904 die das ganze Grab bedeckende horizontale Marmorplatte als etwas Erdrückendes empfand, 1913, als der in eine in halber Höhe ringsumlaufende Spalte derselben gepflanzte Epheu sie ganz in linde grüne Arme schloß, mit inniger Freude begrüßte. So oft wir kamen fanden wir das Bekenntnis irgend einer Liebe, oder Dankbarkeit in Gestalt einer Blume darauf niedergelegt und jedesmal beim Abschied vernahm ich wieder die Worte, die mir Theo 1900 vor dem Enteilen zugerufen hatte: „Jetzt noch einen Kuß und dann tapfer ins wüste Leben!"

Theo Schücking. Zeichnung Rom, 30. April 1865

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Im Februar 1905 erhielt ich in Capri von einer Freundin der Insel eine Karte mit den Schlußworten: „Zugleich einen ergebenen Gruß von unserem Bürgermeister, dem Neffen von Frl. Theo Schücking, als dem Jungen, der es nie wagte, Ihnen in Sassenberg Guten Morgen! zu sagen!" Das war der „Murks" von 1883. Im Augenblick stand das Pförtchen zu einem Garten voll der schönsten Erinnerungsblumen offen, in dessen Duft und Frische ich mich - wie dankbar - verlor! B a s e l , 18. Dezember 1918. Theo Schücking (19. April 1850-23. Mai 1903). Erschienen in: Auserwählte Frauen unserer Zeit. II. Teil. Von Meta von Salis/Marschlins, Dr. phil. 1919. (Als Manuskript, gedruckt.) S. 65-143.

2. Theo Schücking: Schriften a) Das römische

Tagebuch,

1881 (Auszug)

28 t e [Februar]

Geburtstagsbrief an Meta. Mit Vogts, Bauer und den Beiden [Gerhardt und Brandt] gespeist. Dann wir drei uns zusammen angezogen als Bäuerinnen und dann auf den Straßen flanirt bis des Abends um acht Uhr. Viel Spaß gehabt weil Emmy [Dincklage] so lustig und witzig. Bei den Beiden Thee getrunken und dann zu unserer Wohnung wo Brandt als Pulcinella und Gerhardt als Khedive, Bauers und Petri in Dominos. Zusammen ins Teatro Costanzi. Großer Schwindel da aber unbeschreibliche Menschenfülle und Hitze. Um halbeins nach Haus. Dort noch einen Brief von Mohn gefunden des Inhalts daß er das Irrlicht acceptirt und 200 Mk. dafür zahlen will. Ich mich sehr darüber gefreut.

6 te - [März]

Betty Morgens gekommen - dann Thauler. dann Frau Dreber. Mit Frau Dreber gespeist. Abends zu Fanny Lewald. Herr Bartels, Frau Ossenheim aus Hamburg u. A.

12te- [März]

Morgens Betty bei mir. Mit Vogts und den Beiden gespeist. Zur Ausstellung im Palazzo Cafforelli. Nicht viel Besonders da. Cafe nazionale, dann Emmy

II.2.a Theo Schiicking: Römisches Tagebuch

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und ich zur Bahn um Meta abzuholen. Mit ihr dann zu ihrem Logis im Rebecchino und darauf wir vier den Abend bei Wolfskeels verbracht. Meta sehr viel Punsch getrunken. 14te- [März]

Nachricht vom Attentat auf den Kaiser Alexander. Geburtstag des Königs Humbert. Ich Morgens zu den Beiden um mit ihnen über Meta's unheimliches abstoßendes Wesen zu sprechen. Bei Bedeau mit Vogts, den Beiden und dann Meta. Ohne Vogts auf den Rucio wo wieder bei Spillmann napolitanische Musik. Cafe nazionale. Abends Papa und ich zu Frau Vinelli, wo es reizend war, außer uns nur noch eine Frau v. Lindheim aus Pommern da. Vorher Faustina [Dreber] bei uns.

3 t e April, S o n n t a g . Mit den Beiden Brandt, Gerhardt und einem Schweizer Ehepaar Hamberger aus Porta Via heraus zu Ponte Nomentano. Von da einen herrlichen Weg über die Campagna zu Porta Salava hinein. Spät nach Haus. 17 t e ' [April] Ostersonntag. Ich Morgens bei Emmy, die nicht wohl, dann bei Wichmanns. Mit Anna gespeist. Cafe greco dort Gerhardt u. Brandt, Petri und Bauer. Mit ihnen im Omnibus nach S. Pietro, zur Porta Cavaleggieri hinaus in einer Vigne eingekehrt, wo Musik und viele Menschen. Durch Porta S. Pancrazio herein an S. Pietro in Montorio vorbei nach Haus. Ich Abends bei den Beiden. 28 te - [April]

U m 12 mit Papa zum Frühstück bei Wichmanns mit Johannes Brahms zusammen. Sehr nett. Dann zum Bedeau, wo die Beiden und Frl. Delffs. Ohne Papa, der müde, zur Villa Mattei wo es sehr schön war. Auf dem Rückweg Kirchenmusik in S. Giovanni e Paolo gehört. Frl. Delffs fort und wir in das Cafe Venezia. Abends die Beiden bei uns.

29 te - [April]

Früh Morgens Emmy mich abgeholt zur Parthie nach Tivoli. Wir Beide auf der Piazza Venezia die Coincidenza zum Tram bestiegen, auf Anna gewartet. Auf

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einmal im selben Wagen dem Blicke Dr. J. begegnet. Ich schon wieder heruntersteigen gewollt - im selben Moment Anna gekommen und der Wagen sich in Besetzung [!] gesetzet. Beim Umsteigen in den eigentlichen Tram vor Porta S. Lorenzo er sich zu mir gesetzt, wir dann zusammen gesprochen. In Tivoli angekommen ich mit den Beiden schnell von dannen. Wir zu den Cascaden im Thal, dann gespeist in der Sybilla und dann lange in der herrlichen Villa d'Este gebummelt. U m sechs wieder fort mit dem Tram, an der Villa Adriana Dr. J. mit seinem Freund in einen andern Wagen gestiegen. Ihn dann noch gesehen beim Aussteigen auf der Piazza d Venezia, er uns aber nicht gegrüßt. Ich die Nacht sehr schlecht geschlafen. l l t e n - [Mai]

Morgens ich zu Malwida ihr Rosen gebracht. Gegen Abend Betty gekommen. Mit Papa und ihr flanirt, dabei Gregorovius begegnet und mit ihm gegangen.

23sten.

Morgens einen Brief von H. bekommen, in dem er Bezug nimmt auf einen zu meinem Geburtstag, den ich nicht bekommen. - Mit dem Geheimrat Vogt gespeist. Nachher Betty gekommen, ich mit ihr zur Post und versucht, H's Brief noch nachträglich zu erhalten, aber vergebens. Cafe del Parlamento, wo Papa.

Vormerkbuch, fester schwarzer Einband, „Schnell'sche Buch- u. Papierhandlung WarendorfKurze Eintragungen täglich vom 18. Februar bis zum 29. Mai 1881, 32 Seiten (= Römisches Tagebuch). Dann umgekehrt, vom anderen Ende her beschrieben. Eintragungen teils täglich, teils unterbrochen vom 28. Juli 1884 bis 1. Mai 1886, 90 Seiten (= Amerikanisches Tagebuch). Die beiden Eintragungsteile stoßen unmittelbar aufeinander. Diese Art der Benützung fällt auf: Theo hat sich also das Vormerkbuch noch in Sassenberg (Einkaufsort: Warendorf) besorgt, in Rom spärlich als Tagebuch benützt und es dann nach Amerika mitgenommen und dort neu verwendet ob aus Sparsamkeit oder Sehnsucht nach einer glücklicheren Zeit, wer weiß es! Das amerikanische Tagebuch wird im Untersuchungsteil (C. I.2.c) in Auszügen zitiert.

II.2.b Theo Schücking: „Einleitung" Droste-Schiicking-Briefe

b) Einleitung

Tbl

der Droste -Schücking-Briefe

Der Öffentlichkeit werden hiermit die von Annette von Droste-Hülshoff an Levin Schücking geschriebenen Briefe übergeben, die sich in seinem Nachlasse vorfanden. Leider haben sich von seinen eigenen an die Dichterin gerichteten nur einzelne und auch diese nicht immer vollständig erhalten. So sind es vor allem die mit der mikroskopisch kleinen Schrift Annettens bedeckten Blätter, denen wir den Einblick in ein Freundschaftsverhältnis verdanken, das nicht nur für das Schaffen der Dichterin die höchste Bedeutung gewann, sondern das auch eine Kraft der Empfindung, einen Reichtum des Gemüts in sich barg, wie sie der moderne Mensch in seiner Unrast und Zersplitterung nur schwer nachzufühlen vermag. Annette von Droste war um viele Jahre älter als ihr junger Freund. In einem nach ihrem Tode in Memoriam geschriebenen Büchlein,1 sowie in seinen Lebenserinnerungen berichtet Levin Schücking von seinem ersten Besuche, den er im Jahre 1830 als Münsterscher Gymnasiast der Freundin seiner Mutter machte. Erst acht Jahre später, als er seine juristischen Studien beendet hatte und in die Heimat zurückgekehrt war, trat er Annetten näher. Ein reger persönlicher Verkehr entspann sich. Allwöchentlich am Dienstage wanderte er um die Nachmittagszeit hinaus nach dem ungefähr eine Stunde westlich von Münster gelegnen kleinen Edelhofe Rüschhaus, wo die Dichterin lebte. Der Weg führte zuerst über Ackerkämpe und Heidestrecken, dann durch ein Gehölz. Dort stand eine alte Bank, bis zu der ihm Annette gewöhnlich entgegenging. Einmal in jeder Woche, am Samstage, brachte auch die alte Botenfrau dem jungen Freunde einen Brief, ein Paket mit durchgelesenen Büchern und nahm eine neue Sendung mit hinaus. Auch Arbeiten der beiden wurden zwischen Münster und Rüschhaus hin- und hergesandt; aus gemeinsamen Neigungen und Interessen erwuchs gemeinsames Schaffen. Für das damals von Levin Schücking herausgegebene Malerische und romantische Westfalen dichtete Annette von Droste die meisten ihrer herrlichen Balladen. Für dasselbe Werk beschrieb sie auch einzelne ihr besonders bekannte und vertraute Landschafts- und Ortsszenerien, und der kleinen Schrift, in der Levin Schücking für die Vollendung des Kölner Doms eintrat, fügte sie den Meister Gerhard von Köln ein.

1

L. Schücking, Annette von Droste. Ein Lebensbild. Hannover, Carl Rümpler, 1862; zweite Auflage, 1872.

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Unterdessen hatte das Verhältnis zwischen ihnen eine Vertiefung erfahren, die ihm von da an seinen charakteristischen Zug verlieh. Annette erfuhr von einer Liebesneigung ihres Freundes zu einer anmutigen jungen Frau. Nach ihrer ganzen Lebensanschauung, ihrer hohen Auffassung der Ehe mußte sie diese Neigung als eine schwere sittliche Gefahr für ihn betrachten. Ihrem Einflüsse gelang es denn auch, die beiden jungen Menschen allmählich in die Bahn einer gehaltenen, reinen Freundschaftsempfindung hinüberzuführen. Dabei hatte sie zum erstenmale den mütterlichen Ton angeschlagen, der fortan in ihrem Verkehr weiterklang, und ein Spiel der Natur trug dazu bei, die mütterliche Beraterin ihrem jungen Genossen besonders teuer zu machen: sie glich im Äußern sehr seiner verstorbenen Mutter. Den Winter von 1841 bis 1842 verlebten die Freunde gemeinsam auf der Meersburg am Bodensee. Annettens Schwager, der Gatte ihrer einzigen Schwester Jenny, Freiherr Joseph von Laßberg, hatte Levin Schücking mit der Katalogisierung seiner wertvollen und umfangreichen Bibliothek betraut. Der weitaus größte Teil von Annettens lyrischen Poesien entstand in jener Zeit. In seiner Einleitung zu ihren Gesammelten Schriften erzählt Schücking, wie die Wette, die sie ihm antrug, daß sie in einigen Wochen einen Band lyrischer Gedichte zu schreiben vermöchte, den äußern Anlaß zu dieser Produktivität ohne gleichen gab. Wie schon oft in früheren Tagen fanden auch damals zwischen dem Freundespaare lebhafte Gespräche über den Mangel an Klarheit und Glätte des Ausdrucks in Annettens Gedichten statt. Schücking suchte die Freundin immer wieder zu emsigerer Feile zu veranlassen, aber immer wieder ohne Erfolg. Viele Jahre später bemerkte er in der oben genannten Einleitung: „Heute würde ich es nicht mehr thun, weil die Form viel mehr zum charakteristischen Wesen dieser unvergleichlichen Poesie gehört, als ich damals einsah. Auch drang ich mit meinen Wünschen wenig durch. Sint ut sunt! sagte selbstbewußt die Dichterin." Im April 1842 endete das Zusammenleben auf der romantischen alten Burg. Levin Schücking folgte dem anscheinend sehr vorteilhaften Antrage, die Erziehung der Söhne eines fürstlichen Hauses in Bayern zu übernehmen. In jenen Tagen lebendigsten persönlichen Verkehrs auf der Meersburg, von denen Schücking sagt, daß er damals „mit Empfindungen, die über sich nicht ganz klar gewesen seien, in das große und leuchtende Auge der besten Freundin geblickt, die er im Leben gefunden habe" - in jener Zeit war es auch, daß sein erster Roman Eine dunkle Tbat entstand. Die Schilderung des Stiftsfräuleins, die Annette von Droste für diesen Roman schrieb, giebt uns in manchen Zügen ihr

Il.l.b

Theo Schücking: „Einleitung"

Droste-Schücking-Briefe

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Selbstporträt, wie uns hinwieder in Bernhard, dem jungen Freunde des Stiftsfräuleins, der Verfasser selbst begegnet. Auch gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen hat Schücking in diesen Roman eingewoben. Und hier läßt er das Stiftsfräulein zu Bernhard Worte sagen, die, vielleicht einstmals von Annettens eignen Lippen gesprochen, uns einen Schlüssel für das Verhältnis der Dichterin zu Levin Schücking geben, das so eigentümlicher Art ist, daß es nicht leicht wird, es mit einem gangbaren Worte zu bezeichnen, geschweige denn zu erschöpfen. „Ich will wie eine Verwandte für Sie sorgen; ich will Sie wie einen Bruder liebhaben; ich will jemand haben, für den ich sorgen kann wie ein Weib; an dem ich eine geistige Stütze habe, denn meine Umgebung reicht nicht für mich aus; meine Gedanken gehen darüber hinaus und bewegen sich in einem Felde, das nur Sie auch betreten; aber wenn ich auch so gedankenarm wäre wie meine Köchin - es wär' doch dasselbe, ich will jemand haben, der mein ist, und dem ich wie einem geduldigen Kamele alles aufpacken kann, was an Liebe und Wärme, an Drang zu pflegen und zu hegen, zu beschützen und zu leiten in mir ist und übersprudelt! . . . Aber wenn Sie Kamel deshalb glauben oder jemals sich einbilden, ich wäre verliebt in Sie, ich wäre eine Thörin und würfe mich Ihnen an den Hals, so sind Sie nicht nur ein eitler Geck, sondern Sie sind etwas Schlimmeres; ein verdorbener Mensch, der von einem reinen und edlen Verhältnis keinen Begriff hat." So rein und edel Annettens Verhältnis zu ihrem Freunde auch war, seine Innigkeit mußte dennoch vor ihren Angehörigen verschleiert bleiben. Ihre Mutter war eine gescheute, energische Frau von gebietendem Auftreten, das ihrer Umgebung eine gewisse Zurückhaltung aufzwang. Annette von Droste liebte und verehrte diese Mutter von ganzer Seele, aber sie hat, so lange sie lebte, niemals die Befangenheit im Verkehre mit ihr überwunden. Auch ihrem gelehrten, ritterlichen Schwager gegenüber vermochte sie sich nicht frei gehen zu lassen. Aus dieser Scheu, die Ihrigen in die ganze Tiefe ihrer Freundschaftsempfindung blicken zu lassen, erklärt sich der Umstand, daß so wenige von Levin Schückings Briefen an sie und unter ihnen nur einzelne intimer Natur erhalten sind. Zu den letzten gehören vornehmlich die von Münster nach Hülshoff und Rüschhaus geschriebenen Billets am Anfange des vorliegenden Buches. In dem Briefe Annettens vom 11. September 1842 findet sich die Erklärung, warum die ihren aus jenen Jahren fehlen. Aus der Zeit wöchentlicher Korrespondenz zwischen Münster und Rüschhaus stammen außerdem noch einige an Annette gerichtete kurze, lateinisch geschriebene Zettel, wie z.B.: Nihil nisi salutem pro tarn splendida matutina diei hujus hora tibi dicere volui, nunc dum jam in itinere ad ecclesiam migras et equidem vix e lectulo

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resurrexi evectus nuntio tuo. Usque ad diem dei Ziu (Dienstag) vale sine capitis dolore ubi circa 2 horam in sylva ante villam tuam sedens in banculo isto te peto. O gravissimum exercitium in intoxicatione somni adhuc.2 Nach Annettens Tode wurde von ihrer Familie die Aufforderung an Levin Schücking gerichtet, ihre Briefe zurückzugeben. Dieser Forderung durfte er nicht nachkommen, da die Verstorbene zeitlebens die tiefe Innigkeit dieser Freundschaftsbeziehung so sorgfältig vor den Ihrigen verdeckt hatte. Er sagte deshalb, um dem Ansuchen der Auslieferung auszuweichen, die Vernichtung der Briefe zu. Vielleicht hat nur ein glücklicher Zufall den kostbaren Schatz vor diesem Schicksal gerettet. Aber die größere Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß eine spätere mündliche Verständigung zwischen Schücking und Annettens Bruder, dem Freiherrn Werner von Droste-Hülshoff, diese Zusage aufhob. Das Vorhandensein der Briefe war jederzeit allgemein bekannt, wie u.a. auch aus den von der Freiin Elisabeth von DrosteHülshoff herausgegebnen Gesammelten Werken von Annette Freiin von Droste-Hülshoff, S. 470, hervorgeht. Schücking selbst hat sie in seiner Einleitung zu den Gesammelten Schriften als noch vorhanden erwähnt, indem er eine Stelle aus einem der Briefe mit Angabe des Datums wörtlich anzieht. Was die Art der Herausgabe der vorliegenden Briefe betrifft, so muß noch gesagt werden, daß sie den Wortlaut unverändert und treu wiedergiebt; nur ein paar Stellen sind mit Rücksicht auf noch Lebende ausgelassen worden. Neben den Provinzialismen, in denen beide Briefsteller sich offenbar mit bewußter Behaglichkeit gehen lassen, finden sich bei Annette Absonderlichkeiten der Orthographie und Unebenheiten der Sprache, die als Fehler erscheinen könnten, die aber ohne Zweifel dem Sprachgebrauche Annettens entstammten, und an denen deshalb nichts geändert worden ist. Daß es gelang, einen so genauen Abdruck herzustellen, ist größtenteils der freundlichen Unterstützung Dr. Gustav Eschmanns, des Herausgebers des Geistlichen Jahres, zu verdanken. Mit bereitwilliger Güte unterzog er sich der Mühe, die Abschrift, die dem Drucke zu Grunde liegt, mit dem Originaltexte auf das sorgfältigste zu vergleichen. Außerdem sei ihm war2

Ich wollte Dir nur meinen Gruß senden um diese schöne Morgenstunde, jetzt wo Du bereits auf dem Wege zur Kirche bist und ich, geweckt durch Deinen Boten, kaum aus dem Bette aufgestanden bin. Lebe wohl ohne Kopfschmerz bis Dienstag, wo ich gegen zwei Uhr im Walde vor Deinem Landhause auf jener Bank sitzend Dich erwarte. O höchst mühsames Exerzitium, noch in der Schlaftrunkenheit!

II.2.b Theo Schücking: „Einleitung" Droste-Schiicking-Briefe

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mer Dank ausgesprochen für manchen wertvollen Rat in Bezug auf andre Schwierigkeiten der Herausgabe. Professor Hermann Hüffer, der Biograph Annettens, hatte ebenso die Güte, durch liebenswürdig erteilte Auskunft zur Vervollständigung der Fußnoten beizutragen. T.S. Einleitung. In: Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking. Herausgegeben von Theo Schücking. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1898, S. VXI. - [Eine„Neue Ausgabe" ist (laut Antiquar.-Katalog)„um 1900" erschienen.]

Verlagsvertrag Zwischen Fräulein Theo Schücking und Herrn Johannes Grunow wird Folgendes vereinbart.

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Fräulein Theo Schücking giebt die von ihr veranstaltete Sammlung von Briefen Annettes von Drostes und Levin Schückings Herrn Grunow in Verlag. §2. Das Buch, das zum Ladenpreis von 4 Mark abgegeben werden soll, wird in der Auflage von 2000 Exemplaren gedruckt.

P-

.

Als Honorar hat Fräulein Schücking die Summe von 1200 Mark zu erhalten, wenn die ganze Auflage verkauft wird. Zunächst hat Herr Grunow bis zu Höhe von 1000 Exemplaren für jedes verkaufte Exemplar 60 Pfennige zu entrichten, für die weiter abgesetzten Exemplare dann 75 Pfennige bis durch den Absatz die volle Honorarsumme erreicht ist. S4Abrechnung hat alljährlich nach der Ostermesse stattzufinden, sobald der Absatz sich hat feststellen lassen. s5Für die Veranstaltung einer neuen Auflage werden neue Vereinbarungen vorbehalten. Sollte der Absatz nach dem dritten Rechnungsjahr die Kosten des Buches nicht gedeckt haben, so soll Herr Grunow berechtigt sein, K o stendeckung durch antiquarischen Verkauf der noch vorhandenen Exemplare herbeizuführen. Für die antiquarisch verkauften Exemplare hat er dann kein Honorar zu entrichten.

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Mit vorstehenden, für sich und ihre Rechtsnachfolger verbindlichen Bestimmungen erklären sich die beiden Contrahenten durch ihre Namensunterschrift beiderseits einverstanden. Leipzig, am 1. Juli 1893. i.Fa. x-x-x Theo Schücking

c) Meine Tante Betty „Tante Betty ... liebe Tante Betty!" „Was, mein Junge?" Sie ist vertieft in die Bereitung meines Nachmittagskaffees, nach meinem eigensten Rezept: halb und halb, kalt ausgezogener Kaffee, der stark ist wie die Hölle, und kochend heiße Milch dazu. „Liebe Tante Betty ..." Ich stocke, da sie jetzt ihre ehrlichen, guten Augen auf mich richtet. „Nun, was denn, mein alter Junge?" Ich erscheine mir schon wie ein Unmensch ihr gegenüber. Und doch ist es meine Pflicht, ihr zu sagen... was zu sagen ich mir heute Morgen so fest vorgenommen habe. Meine Pflicht! Was thut der Deutsche nicht alles, wenn dies eine Wort gefallen ist! Er geht drauf los, wie der Stier losgeht, wenn er den rothen Lappen sieht, der Rekrutengaul, wenn ihm die Signaltrompete in die alten, steifen Ohren tönt. Also gehe auch ich los ... als echter Fanatiker, nicht nach rechts und nicht nach links blickend, in die warme Behaglichkeit ihres altmodisch eingerichteten Wohnzimmers, über die eben gefüllte, verlockend duftende Kaffeetasse vor mir hinweg starrend ... in die Pflicht hinein! „Du weißt, Tante Betty, daß ich immer ehrlich gegen Dich war ..." „Von kleinauf, mein Junge! Du hast mich niemals angelogen." „Nun möchte ich auch jetzt ehrlich gegen Dich sein, so schwer es mir wird, Deinetwegen und meinetwegen ..." „Um Gottes willen, was ist vorgefallen? — Ist Deine Schwester krank? Sag' es mir gleich heraus!" „Nein, es geht Mathilde ganz gut, auch ihrem Mann und ebenso ihren Kindern. Es handelt sich nur um Dich, Tante Betty!" „Um mich? Ja, aber was fällt Dir denn ein? Mir fehlt ja nichts!" Ich fühle, daß ich so nicht weiter komme. Ich muß entschiedener vorgehen.

II.2.C Theo Schticking: „Meine

Tante Betty"

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Sie ist unterdeß aufgestanden, um sich ihren Strickstrumpf zu nehmen. Natürlich sind es wieder weiche Wollensocken für irgend einen nichtsnutzigen alten Mann oder ein verlogenes Kind. Da sie damit erst am Ansatz ist, kann ich noch nicht recht beurtheilen, für welche Altersstufe menschlicher Verderbtheit die Strümpfe bestimmt sind. Es ist das ja auch ganz einerlei. Ich gehe also entschiedener vor. „Doch, Tante Betty, Dir fehlt etwas, dessen Mangel ein sehr böses Ding ist! Hier in Berlin heißt das! Ohne das man hier absolut nicht durchkommt! Dir fehlt alles und j edes Akkomodationsvermögen!" „Akkomodationsvermögen!" Sie sieht mich hilflos an und legt den Strickstrumpf vor sich hin. „Das mag ja sein, daß mir das fehlt! . . . Ich bin ja auch schon alt. Und da akkomon - " (über das verflixte Wort!) „akkomodirt man sich nicht mehr." „Man braucht das auch nicht," sage ich sehr energisch. Ihr erstaunter Blick läßt mich rasch hinzufügen: „Anderswo, meine ich. Ueberall anderswo! Man s o l l es auch eigentlich nicht." Dann schließe ich, wieder charaktervoll: „Nur hier in Berlin, da muß man sich akkomodiren, oder man ist verloren!" „Aber mir ist doch noch nichts Böses passirt, seitdem ich in Berlin bin! Und es gefällt mir hier ja auch, abgesehen davon, daß ich jetzt meinen guten Jungen so schön in meiner Nähe habe — " Der gute Junge! — Der gerade zum Angriffe übergeht! „Siehst Du, Tante Betty, Du nennt das nichts Böses, wenn man Dir mit Undank lohnt, Dich verspottet und verhöhnt. - Du bist eben viel zu gut für diese Welt! Ja, das bist Du! Das bist Du immer gewesen! Aber ich bin es nicht. Ganz und gar nicht! Und ich kann nicht ruhig dabei zusehen, wie man Dich auslacht. — Mich macht das wüthend, es bringt mich außer mir! Und doch kann ich mich nicht überall, auf der Straße, in jedem Restaurant, in jedem Laden mit all dem Volk, das über Deine goldene Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft lächelt und lacht, herumschlagen und raufen!" Sie hat mich, während ich dies mit - Gott sei es geklagt! - wenig Grazie hervorstoße, unverwandt angesehen. „Jetzt weiß ich endlich, was Du mit alledem sagen willst, mein alter Ludwig ... Es war Dir also gestern wohl sehr unangenehm, daß ich bei den Leuten, bei denen wir das Seidenkleid für Mathilde aussuchten, dem jungen, freundlichen Kommis, der uns bediente, ungefragt wegen seines schlimmen Auges einen Rath gab?" Und da ich nicht antwortete, setzt sie nachdenklich hinzu: „Ja, ja, Du magst Recht haben, sie lachten mich aus. Der Kassirer steckte rasch das Gesicht ins Taschentuch, als ich zu ihm

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kam; das fällt mir jetzt wieder e i n . . . aber die Leute meinen das ja nicht so schlimm." „Während Du dem dummen Jungen in sein dummes Auge hineinsahst, wollten sich die anderen grünen Kerle hinter Euch rein todtlachen. Nur die bloße Erinnerung daran macht mich schon wüthend!" „Das thut mir wirklich leid. Aber, weißt Du, ich mußte mir doch das Auge erst ansehen, ehe ich ihm mein altes Mittel anrathen durfte ... Beim Aufstehen schon fiel mir heute Morgen ein, daß es dem jungen Menschen, wenn er meinen Rathschlag befolgt hat, bereits viel besser mit dem Auge gehen würde, und . . . so etwas zu denken, freut mich d a n n . . . " Ein heller Schein zieht über ihre eben noch so ernsten Züge, und es glänzt etwas aus ihnen heraus, das schön und rührend ist. Ein jeder Andere würde ihr an meiner Stelle beide Hände küssen. Aber ich thue das nicht! Gott bewahre! „Es ist nicht dieser eine Fall nur, den ich im Sinne habe, Tante Betty," fahre ich fort in meiner strengen Weisheit. „Es ist schon besser, ich sage Dir gleich mit einem Mal alles heraus!" „Gewiß, mein Junge! Sprich Dich nur aus! Ich weiß ja doch, wie gut Du es mit mir meinst..." „Also, Tante Betty, die Art und Weise überhaupt, in der Du mit den Menschen um Dich her verkehrst, in der Du ihnen begegnest, paßt nicht hierher nach Berlin . . . Jedem hilfst Du, Jedem dienst Du! Wenn ein altes Weib in den Omnibus hineinstolpert, nimmst Du ihr erst einmal ihr zusammengebetteltes Bündel aus der Hand und hältst es ihr liebevoll, bis sie geruht hat, sich niederzulassen . . . Wenn ein fremder Hund bellend und kratzend an einer fremden Hausthür steht, mußt D u ihm mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit durch Anläuten Einlaß verschaffen! Was für grobes Zeug der Portier dann hinter Dir herschimpft, das hörst Du zum Glück nicht mehr! . . . Als ich neulich um die Straßenecke bog, kam ich natürlich gerade dazu, als sich meine Tante Betty bis zur Erde bückte, um einer Dame, die ihre Weihnachtsnüsse aus dem Papier hatte rollen lassen, beim Aufsammeln zu helfen. Natürlich inmitten einer Korona von Straßenjungen, die sich für den Verlust ihrer Beute mit frechen Worten an Euch rächte . . . " „Aber, Ludwig, Du übertreibst! Von frechen Worten habe ich wirklich nichts vernommen." „Weil Du sie nicht verstanden hast! Kurzum, all diese Hilfeleistungen, die bei Dir aus übergroßer Güte hervorgehen, sind hier in Berlin ganz und gar nicht am Platz! Hier sorgt Jeder nur für sich und noch

II.2.C Theo Schücking:

„Meine

Tante Betty"

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einmal für sich! Jeder stößt sich durch, gut oder schlecht, aber immer auf Kosten des Anderen. Rücksichtsnahme . . . giebt es nicht! Und wenn sie doch je einmal geübt wird, verlacht und verspottet man den, der sie vollbringt." Tante Betty holt tief Athem und schüttelt bekümmert den Kopf. „Was Du für eine Meinung von den Menschen hast!" „Die ist mir hier aufgezwungen worden. Du läßt Dir aber nichts aufzwingen. Du akkomodirst Dich n i c h t . . . Als Du mit Deinem verstorbenen Mann auf dem Lande lebtest, hast Du Dich mit alledem zum Engel Deiner Umgebung gemacht. Hier" - ich gebe mir doch einen starken Stoß, um es auszusprechen, - „hier machst Du Dich damit zum Leutespott!" — Ihr Haupt hat sich unter dem harten Wort gesenkt. Aber finster sehe ich über den lieben weißen Scheitel hinweg nach dem altmodisch mit Filetgardinen verhangenen Fenster. „Sprich nur weiter, Junge," sagt sie leise, „ich nehme Dir nichts Übel - - " „Du siehst es ja auch selbst, Du bringst Dich damit in die unangenehmsten Situationen hinein. Es war doch geradezu unwürdig, wie Dir neulich die Nichte des Herrn — nun, Du weißt schon — begegnet ist." „Aber, lieber Ludwig, wie kann so etwas denn meine Würde berühren?! — Und ich hatte mich, ehrlich gesagt, vorher etwas ins Unrecht gegen sie gebracht. Ich meine, weil ich bei Tisch so scharf ihr Geschimpf zurückwies. Sie hat doch nur aus Thorheit diese Sachen Anderen nachgeplappert. Aber ich kann diese Schimpfereien nun einmal nicht leiden! Ein Volk mit einer so uralten Kultur, mit einer Religionsgeschichte, die den Stamm der unseren bildet, mit diesem Schmähnamen zu benennen, das ist unwürdig!" Sie sagt es ganz zornig. „Nun ja, Tante Betty, Du warst gewiß im Recht. Aber gerade deshalb war es dann zu viel, daß Du am anderen Tage zu ihr in ihr Zimmer gingst." „Mir sagte das Mädchen unten in der Pension, sie läge zu Bett. Und das that mir doch leid, sie hat ja Niemanden, der nach ihr sieht. Ich dachte, sie brauchte vielleicht etwas. Wie konnte ich wissen . . . „Daß die junge Dame eine heimliche Trinkerin sei? Und daß sie Dich laut hinausweisen würde?... Nein, das konntest Du freilich nicht wissen! ... Die Geschichte ist ja auch noch immer nicht so schlimm wie die mit dem Lieutenant. Die ist mir noch die unangenehmste von allen! Dergleichen Erlebnissen setzt man sich aber aus, wenn man den Leuten so begegnet, wie . . . wenn man ihr Bedienter wäre . . . "

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Tante Betty sieht mich eine Weile ernsthaft an. Dann meint sie sanft: „Lieber Ludwig, ich bin jetzt eine alte Frau, und so ist es ein langes Menschenleben, in dem ich daran festhielt: lieber Andere bedienen, als mich bedienen lassen! Du magst das ja nun Bediententhum schelten. Du magst darin auch Recht haben . . . Aber was hast Du denn nur mit dem Lieutenant? Was meinst Du damit?" „Nun, der Lieutenant nebenan! Der Portier erzählte es mir in seiner zudringlichen Geschwätzigkeit, daß Du diesem Herrn aus großer Verlegenheit herausgeholfen hättest! Er sei ohne Wohnungsschlüssel gewesen, und da seine Wirthsleute abwesend waren, sei er zu Dir gekommen, und Du hättest ihn durch Dein Zimmer - daß der Wirth diese Thür noch immer nicht hat vermauern lassen, ist auch nur bei D e i «n e r Gutmüthigkeit möglich! - in seine Stube hineingehen lassen. „Ach so, das hattest Du im Sinn ... Nun ja, der arme Mensch war ganz in Verzweiflung, er müsse in das Zimmer hinein, um sich etwas zu holen, ich weiß nicht mehr was, etwas Dienstliches war es aber . . . " „Und da hast Du ihn über Dein Bett hinüber voltigiren lassen, Tante Betty, die Thür ist ja damit verstellt! Und so etwas geht nun einmal nicht, und wenn hundert Lieutenants deshalb in Verzweiflung gerathen! Ich könnte den Menschen umbringen, wenn ich an seine Unverschämtheit nur denke. Ja, Unverschämtheit! Und es hilft Dir nichts, daß Du mich nicht weiter reden lassen willst... Sieh, Tante Betty, ich m u ß es sagen, daß ich Dich lieber fern von mir, aber unter Menschen wissen will, die Dich lieben und verehren, wie Du es verdienst, als hier in meiner Nähe, aber verlacht und verspottet von Deiner Umgebung!" Da ist es heraus! Ich habe meine Pflicht gethan! Ich schöpfe tief Athem, fahre mir erleichtert durch die Haare, und forschend senkt sich mein Blick vor ihrem schwarzen Spitzenhäubchen, an das ich diesen letzten Ausbruch richtete, zu dem guten Antlitz darunter. Sie giebt keine Antwort, aber sie ist unter meiner Rede sehr blaß geworden, und mir scheint, daß ihre Hände, die in einander gefaltet auf dem angefangenen Socken für den alten oder jungen Taugenichts ruhen, ein wenig zittern. Wenn sie nur die Augen aufschlagen und mich ansehen wollte! Es wird mir unheimlich bei ihrem Schweigen. Ich war gewiß zu heftig gegen die alte Frau! Ich fahre mir wieder durch die Haare, aber diesmal aus Verzweiflung, sie ernsthaft gekränkt zu haben. „Tante Betty ... liebe Tante Betty!" „Mein alter Ludwig...!" Ihre Augen schimmern feucht, da sie sie nun aufschlägt. „Also fort willst Du mich wieder haben! Aus lauter

II.2.C Theo Schücking: „Meine

Tante Betty"

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Liebe zu mir! Weil sie ein paar Menschen ausgelacht haben, soll die alte Frau wieder aufpacken und sich mit Kisten und Kasten von Neuem in Bewegung setzen, nachdem sie kaum hier gelandet w a r . . . Das kann Dein Ernst nicht sein!" Jetzt ist es an mir, zu schweigen. Eine Stille tritt ein, so endlos lang, wie wenn langsam, Einer nach dem Andern, alle hundert verzweifelten Lieutenants von vorher in den Himmel hineinkämen! „Du hast mich erst nicht zu Worte kommen lassen, Ludwig. Ich meine, als Du die „Lieutenantsgeschichte" vorbrachtest. Sie war ja doch ganz anders! Er bat mich nicht um den Durchlaß durch die Thür, er fragte nur bei mir oder vielmehr bei meiner Minna an, ob seine Wirthsleute nicht seinen Wohnungsschlüssel hier für ihn abgegeben hätten. Ueber mein Bett ist er dann nicht hinübervoltigirt - so sehr läßt mich mein „Bediententhum" doch nicht allen Takt vergessen." (Oh, Tante Betty, das traf!) „Minna und der Tapezirer, der gerade da war, hatten vorher das Bett an die Seite gerückt." „Verzeihung, Tante Betty, Verzeihung!" „Und anderen Tages schon ist er gekommen, um mir seinen Dank zu sagen. Ein lieber, feiner Mensch. Zu Neujahr hat er mir wieder einen Besuch gemacht, und seitdem ist er öfters für ein Stündchen zu mir herübergekommen. Er hängt sehr an seiner Mutter, und ich erinnere ihn an sie . . . das würde er nun doch nicht sagen, wenn er mich, wie die Anderen, auch auslachte." Wiederum wäre es an mir, zu schweigen! Um mir aber doch einige Haltung zu geben, stehe ich auf, lehne mich gegen den Ofen und meine zögernd: „Nein, das würde er nicht sagen . . . " „Und die Waschfrau unten lachte mich auch nicht aus, weil ich ihr beistand, als ihr kleinstes Kind in Krämpfen l a g . . . gedankt hat sie mir, wie man sich gar nicht danken lassen mag! Es ist mir heute noch schrecklich, daß sie mir dabei sagte: „Frau Domänenräthin, Sie sind besser als der liebe Gott, Sie helfen Jedem, und der hilft nur den reichen L e u t e n . . . " Tante Betty sieht mich bekümmert an. Ihre ganze Theilnahme ist schon wieder bei der Frau da unten, die nicht mehr an Gottes Hilfe glaubt. Erst nach einer Weile fragt sie mich, zu mir zurückkehrend: „Hast Du mir jetzt auch alles herausgesagt, Ludwig, wie Du es vorhattest, wirklich alles?" „Ja, Tante Betty, ich habe Dir alles gesagt." Dies ist eigentlich nicht wahr, denn ich hatte ihr noch einige andere Vergehen ihrer Hilfsfreudigkeit gegenüber von Mensch und Thier vorhalten wollen. Aber ich bringe mich nicht mehr dazu. „Besser als der liebe Gott" ... es ist doch ein merkwürdiges Wort von dem feuchten

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Weib da unten, dem bösen Frauenzimmer, das so häßlich ist, daß es Einem jedesmal einen Ruck giebt, wenn man sie nur ansieht! „Dann, mein Junge, laß mich Dir jetzt danken für Deine Offenheit. Und es rührt mich, daß Du auf die alte Frau so viel hältst und nicht willst, daß man sie auslacht!" Ich lasse meine Anlehnung an den Ofen und damit zugleich meine ohnehin schon erschütterte Haltung fahren. „Danke mir nicht, Tante Betty . . . " „So viel, wie Du meinst, geschieht das Auslachen ganz gewiß nicht! Es mag ja vorkommen, aber was thut mir denn das? Darum ziehe ich nicht fort von hier, mein alter Ludwig ... Ich kann Dir ja freilich nicht versprechen, mich zu ändern. Dazu bin ich zu alt! Fünfzig Jahre hindurch habe ich immer gleich beide Hände hingereicht, wenn mir schien, daß mein Nächster nur meinen kleinen Finger brauchen wollte, - jetzt kann ich mich nicht auf einmal starr hinsetzen wie ein Buddha. Alte Menschen ändern ihre Gewohnheiten nicht mehr! Aber, Du wirst sehen, mit der Zeit werden sich die Leute hier schon daran gewöhnen und sich mein Helfen gern gefallen lassen . . . " „An letzterem habe ich nie gezweifelt, Tante Betty . . . " „Ich möchte Dir jetzt auch einmal alles heraussagen, lieber Junge. Also: Jeder soll thun, was er kann. Dazu ist er da. Ich meine, für den Nächsten soll er thun, was er kann!" Dies stellte Tante Betty mit einer absoluten Selbstverständlichkeit hin. Es ist ein Glück, daß ich nicht Advokat geworden bin. Ich hätte mich damit entschieden vergriffen. Nach allem, was ich vorher vorgebracht, dies „Ich meine!" „Für den Nächsten," wiederhole ich ergeben. „Doch ich wollte Dir noch etwas sagen. Aber nein, ich gebe Dir lieber den Brief selbst zu lesen, den ich vor einiger Zeit bekam. Ich muß Dir nur erzählen, was vorherging . . . Es war damals, als wir noch nicht in die Pension hier im Hause zum Speisen gingen. In dem Restaurant, in dem wir oft gegessen haben, da bei der Kirche, saß stets dicht neben uns ein alter Herr, der so sehr traurig aussah und mir deshalb schon lange leid that. Eines Mittags klagte er dem Kellner, das Fleisch sei jetzt immer so hart, daß er nichts davon genießen könne, und ob es denn heute nicht einmal auch Fisch gebe. Der war natürlich nicht zu haben, und der alte Mann bekam an dem Tage so gut wie nichts zu essen! Das nächste Mal war ich allein dort - Du warst irgendwo eingeladen - , und da der alte Herr erst spät kam, als ich schon fertig war, konnte ich ihm sagen, daß er sich nur ja vor dem Schmorbraten hüten solle, daß aber das Kalbfleisch mit Bechamelsauce ganz ausgezeichnet weich sei. Er stand auf und bedankte sich, sehr

II.2.C Theo Schücking: „Meine Tante Betty"

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feierlich, sage ich Dir. Dann setzte er sich zu mir und erzählte mir allerlei von sich. Weißt Du, so wie Jemand, der sich lange nicht hat aussprechen können, und der darunter gelitten hat. Er sei von Beruf Apotheker. Die Apotheke, in der er dreißig Jahre lang unter demselben Herrn Provisor war, sei in fremde Hände gekommen, und deshalb habe er sich jetzt ganz von seinem Berufe zurückgezogen. Das sei auch eine Weile gut gegangen. Aber dann wäre ihm seine Einsamkeit täglich trauriger vorgekommen. Und zugleich sei ihm seine alte Aufwärterin gestorben. Und die neue, die er jetzt hat, taugt offenbar nicht viel. Sie vergäße regelmäßig, ihm Abends seine Wärmflasche ins Bett zu legen. Und die Wärmflasche habe er sein Leben lang gehabt, und das kalte Bett sei ihm so schrecklich... Der alte Herr konnte Einem wirklich leid thun! Es war das gerade an dem letzten Tage, daß ich dort aß. Kurze Zeit darauf brachtest Du mir diesen Brief. Er hatte sich wohl von dem Wirth Deine Adresse geben lassen. Aber so lange Du den Brief liest, will ich lieber hinausgehen, - ich habe in der Küche etwas zu thun." Der Brief, den sie jetzt aus einem Fache ihres alten Klappschreibtisches nahm, war ein mit kleinen, zittrigen Zügen bedecktes Quartblatt. Ich las: . . . Str. Nr. 19 IV, 6. Dezember 1895. Geehrte Frau! Sie haben ein gutes Werk gethan, und es drängt mich, es Ihnen zu sagen, weil Ihnen das Freude bereitet. Mir war lange Zeit hindurch übel zu Muth. Ich dachte darüber nach, wem zu Liebe ich denn mein Leben weiter schleppen sollte. Es war alles so traurig um mich her, und vor meinem kalten Bett grauste mir an jedem Abend. Ein alter Mann braucht Wärme. An dem Tage, an dem Sie mich so freundlich anredeten und mir gütigen Rath ertheilten, war mir am allerübelsten zu Muth. Ich kam mir ganz verlassen vor. Seit einer Woche hatte mich Niemand auch nur angesprochen. Wenn die Menschen wüßten, wie elend es oft in der Brust des Anderen aussieht, sie würden nicht so mit einem freundlichen Wort geizen, wie sie es thun. Da sprachen Sie mich so gütig an und waren so besorgt um mich, daß ich etwas Ordentliches zu essen bekäme. Sie haben mir wirklich unendlich wohl damit gethan! Und ich sage Ihnen meinen allerinnigsten Dank dafür. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebenster Oswald Mercker. früher Provisor in der „Greif"-Apotheke.

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Ich saß noch immer mit dem Brief in der Hand, als Tante Betty wieder in das Zimmer kam. Sie trug auf einem Theebrett eine Kanne dampfend heißer Milch herein. „Du hast Deinen Kaffee ganz kalt werden lassen, jetzt sollst Du eine frische Tasse haben, mein Junge!" Ich warte, bis sie das Brett mit der Kanne auf den Tisch gestellt hat. Dann stehe ich auf, gehe auf sie zu und thue endlich, was ich gleich zu Anfang hätte thun sollen. Ich fasse ihre beiden lieben Hände und küsse sie innig. Dabei unterlasse ich, was ich ebenso gleich Anfangs hätte unterlassen sollen. Das Reden, meine ich. Meine Tante Betty. Von Theo Schücking. Erschienen in: Berliner Tageblatt. Montags-Ausgabe. 20. April 1896. XXV. Jg., Nr. 199. „Der Zeitgeist" Nr. 16 [S. 1-3 unten].

d) Heimkehr Auf der stillen Landstraße, die durch einen abgelegenen Teil des nördlichen Westfalens führt, liegt der letzte Sonnenschein eines Frühlingsabends mit dem halben, durch dünne Wolkenschleier gebrochenen Lichte, wie er diesem Erdstrich eigentümlich ist. In den jungen Halmen auf den Äckern neben der Straße rührt sich kein Luftzug, keine Bewegung geht durch die frischgrünen Blätter der Buchen und Birken, durch die braunen Schößlinge der Eichen am nahen Waldrande, und nur wie von fernher klingt der Schlag der Vögel durch die feuchte Atmosphäre. Weich legen sich die mattumrissenen Schatten der Pappeln auf den Weg. Kein greller oder harter Ton in Farbe oder Schall weit und breit in dieser Landschaft, auf der der Frieden sanfter Melancholie, stimmungsvoller Resignation zu ruhen scheint. Von dort, wo die Straße eine geringe Anhöhe übersteigt, kommt eine hochgewachsene, in dunkle, modisch zugeschnittene Gewänder gekleidete Frauengestalt. Sie ist nicht jung mehr und noch nicht alt, sie ist wohl auf jener Wende angelangt, die eines großen Dichters Wort „unseres Lebensweges Mitte" nannte. Auf den blassen Zügen liegt der Ausdruck einer starken inneren Erregung, die dunkeln Augen schweifen leuchtend umher, die leicht geöffneten Lippen atmen begierig die schwere und hier, wo der einsame Weg ganz von Gehölz und blühenden Sträuchern eingeschlossen wird, so frühlingswürzige Luft ein. Ein Fußpfad, dessen Spuren so schwach sind, daß sie nur ein sehr scharfes Auge oder eine sehr genaue Erinnerung zu erkennen vermag,

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läuft jetzt aus dem Gebüsch auf die Landstraße aus. Diesen Pfad zu ihrer Rechten, der über weichen Waldboden führt, auf dem Anemonen und Primeln blühen, schlägt die Wandernde ein. Mit sicherer Hand biegt sie die Zweige zurück, die ihn ihr oft verlegen wollen und findet sich durch, bis er endlich mit einer scharfen Biegung in eine stattliche Eichenallee mündet. Sie führt vom Dorfe Lyntrop, das weiter unten liegt, zu dem Herrenhause gleichen Namens hin, einem mäßig großen, aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts stammenden, mit Sandsteinornamenten reich geschmückten Ziegelbau. Hundertjährige Platanen, die durch den barocken Zuschnitt ihrer knorrigen Aste Riesen-Kandelabern gleichen, umstehen im Halbrund den vor dem Hause liegenden Hof. Niemand ist auf ihm zu erblicken als die Wanderin ihn betritt, außer einer uralten Frau, die in einem Holzsessel neben der zum hochgelegenen Erdgeschoß hinaufleitenden Freitreppe sitzt und offenbar eingeschlafen ist. Klopfenden Herzens steigt Gabriele Lynten die Stufen hinan, um, oben angelangt, stehen zu bleiben und zu dem in Stein gehauenen Wappen in die Höhe zu schauen, das so wuchtig über der Hausthür lagert. Der Mohr mit der Rose in der Hand . . . er sieht zu ihr hernieder mit demselben nichtssagenden Ausdruck, der ihr so namenlos tiefsinnig erschien, als sie noch ein Kind war. Wie oft hatte sie sich damals nicht grollend vorgestellt, was alles ihr dieser Mohr erzählen könnte, wenn er nur wollte. Von der weiten öden Wüste, die ihr frommer Vorfahr einst durchzogen, von den herrlichen Oasen darin! — Und wie klug Gabriele Lynten seitdem geworden ist! Sie weiß, daß es keines Zuges nach dem Morgenlande bedarf, um Wüstenstrecken kennen zu lernen, Lebenswüsten — ohne Oasen, deren Palmen im Abendwinde rauschen. Sie öffnet die unverschlossene Eingangsthür und durchschreitet eine weißgestrichene Halle, an deren Wänden schlechtgemalte Jagdstücke hängen, um in den Hauptraum des Hauses, einen auf den Garten hinausgehenden kleinen Saal einzutreten. Noch steht wie früher der große Tisch mit den gewundenen Füßen in der Mitte, um ihn herum die schwerfälligen Barocksessel; noch grüßen von den Wänden herab in dreifacher Reihe die Ahnenbilder - über dem Kamin als letztes das Bild ihres Vaters. Ihres Vaters! . . . Unverwandt schaut sie den edlen Männerkopf mit den stillen, lichten Augen an, bis sich ihre Blicke verschleiern. Vom Seiteneingange des Hauses her haben sich leise Schritte genähert. Eine bäurisch gekleidete Frau kommt in groben Wollsocken sie hat vorher die Holzschuhe in der Küche abgestreift - über die Schwelle und auf die Dame zu. „Jesus, Maria, Joseph!" ruft sie laut und strahlenden Antlitzes aus. „Die gnädige Fräulein! . . . Willkommen

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auf Lyntrop, willkommen!" Und sie streckt ganz glückselig dem Fräulein ihre Hand entgegen. Gabriele giebt den warmen Druck warm zurück. „Danke, Katrin," sagt sie dabei, „ich freue mich von Herzen, Sie wiederzusehen! Es geht Ihnen gut, nicht wahr?" „Das soll wohl sein, seitdem ich hier auf dem Hofe bin . . . Und das habe ich nur der gnädigen Fräulein zu verdanken, weil.. „Nein, Katrin, den Dank verdiene ich nicht," fällt Gabriele ein, „über Ihr Wohnen hier hatte nur mein Bruder zu bestimmen. Aber wie geht es Ihrem Jungen?" „O, Anton, der ist groß und stark geworden . . . Er ist nach der Bahn gefahren, um die gnädige Fräulein abzuholen, vor Schlüters Wagen hat uns Tenholt die Ackerpferde eingespannt, Schlüter hat seit vorigem Jahr einen schönen neuen Wagen und . . . " Sie unterbricht sich, um diensteifrig Gabrielen beim Offnen der Gartenthür zu Hilfe zu kommen und schlägt beide Flügel weit zurück. Gabriele holt tief Atem und sagt: „Mein Gott, wie schön das ist!" Der große Garten mit seinen Obstbäumen liegt wie ein einziger Blütenstrauß vor ihr. „Ja, so schön wie auf Lyntrop ist es auch wohl nirgendwo anders!" meint Katrin stolz. Sie stehen eine Weile schweigend nebeneinander in der offenen Thür, die schlanke Aristokratin und die plumpe Bäurin - die eine ganz in ihre Erinnerungen versunken, die andere ganz von der Freude des Wiedersehens mit ihrer früheren Herrin erfüllt. Die vergangenen Tage ziehen an Gabriele vorüber, da sie hier dem gebliebten Vater an Stelle der frühverstorbenen Mutter Haus hielt. Wie durchleuchtet von stillem Glück erscheinen sie i h r . . . Ihr gelehrter Vater, der noch zu den Letzten der edlen Gefolgschaft Goethischer Lebensanschauung gehörte, hatte der jungen, willensdurstigen Seele an seiner Seite jene Geistespfade gewiesen, auf denen er einstmals zum Glauben an den Zusammenhang aller Dinge, an die Harmonie alles Lebens gelangt war. „Aber gnädige Fräulein, Sie müssen sich endlich einmal setzen . . . " und Katrin nimmt dabei wieder den liebevoll hofmeisternden Ton aus alter Zeit an. „Ich will flink das Abendessen zurecht machen. Wir hatten die gnädige Fräulein erst um neun mit dem letzten Zuge von W ... erwartet, deswegen müssen die gnädige Fräulein entschuldigen, daß hier nicht bereits alles fix und fertig dasteht!" „Ich komme nicht von W . . . her, Katrin, ich habe heute schon eine viel längere Fahrt hinter mir." „O, wirklich . . . ? " sagt Katrin. „Und Tante meinte doch - Tante ist nämlich jetzt ganz bei mir, sie soll nun wohl bald an die neunzig

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sein — Tante meinte, die gnädige Fräulein wäre gewiß erst nach W . . . zum Herrn Baron auf Besuch gegangen. Der Baron und die gnädige Frau waren auch zu Ostern hier, aber nur ganz kurz . . . Und was die jungen Herren sind, die sind famost groß geworden und immer so vergnügt! . . . Und die gnädige Frau will noch vor Pfingsten hier kommen und bis Michaeli da bleiben. Samstag abends sind dann auch immer der Baron und die jungen Herren dabei und gehen erst Montag morgens wieder fort und . . . " Offenbar hätte sich Katrin ein Vergnügen daraus gemacht, einen Rapport über das Leben und Treiben der jetzigen Besitzer von Lyntrop abzustatten. Gabriele sagt aber rasch: „Ich bin doch recht müde, Katrin, bitte bringen Sie mir oben mein Schlafzimmer in Ordnung, ich will früh zur Ruhe gehen..." „Das Zimmer ist fertig, das haben wir bereits gestern zurecht gemacht. Aber das Abendessen will ich gleich bringen. Aus O ... habe ich mir holländischen Thee holen lassen — und Schinken und Bauernstuten habe ich im Haus, und Eier haben wir heute Morgen frisch ausgenommen, ich habe auch noch schnell etwas Butter gekernt..." „Gute Katrin, wie oft habe ich in all den Jahren daran denken müssen, wie Sie immer für mich sorgten! In der Fremde ist das anders, Katrin, niemand kümmert sich da . . . " Sie hat zu viel gesagt und hält ein. Katrins helle Augen hängen forschend an ihren Zügen. Die treue Seele wüßte gar zu gern, wie es ihrer früheren Herrin in der weiten Welt ergangen ist! Gewiß nicht allzu gut, sie sieht so ernst aus, kaum zum Wiedererkennen! . . . „Wenn die gnädige Fräulein das nicht einmal auf Lyntrop hätte, daß wir von Herzen gern alles für Sie thun, das wäre wohl traurig . . . " Und da ihr Gabriele, wie um zu danken, die Hand auf die Schulter legt, fährt sie fort: „Tante hat oft gesagt, ,rede nicht, wo kein Ohr ist,' ja was die gnädige Fräulein war, wenn die nur erst wieder bei uns käme, die hat sich um jedereins gekümmert und war so gemein mit allen Leuten, aber was die gnädige Frau i s t . . . " Sie kommt nicht dazu, mehr zu sagen. Gabriele wendet sich nach der Gartentreppe und steigt langsam die Stufen hinunter. „Bis nachher, Katrin", ruft sie ihr dabei freundlich zu. — Eine Stunde später sitzt Gabriele im Eßzimmer vor dem mit einem großen Strauß von wilden Kirschblüten geschmückten Tische, ihr gegenüber ein Mann in mittleren Jahren, der jetzige Gutsverwalter, dessen Vater zu des verstorbenen Baron Lyntens Zeiten in derselben Stellung diente.

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„Wenn ich mir erlauben darf, morgen die gnädige Fräulein abzuholen," beschließt er soeben seine Rede, „zeige ich dann was wir verbessert haben und die neuen Wiesen, die wir gekauft haben und . . . " Gabrielens dunkle, von den Lidern halb bedeckte Augen haben sich unter dem Eindruck einer lebhaften Ueberraschung weit geöffnet. „Was Sie sagen, Tenholt, mein Bruder hat Wiesenland gekauft?" „Jawohl, und auch Haidegrund," entgegnet er, sehr befriedigt darüber, ihr diese Neuigkeit mitteilen zu können, „den Haidegrund, den machen wir nun urbar, vergangenes Jahr haben wir bereits Hafer darauf geerntet. Aber was die Wiesen von Bauer Brinckmann sind, hinten an der Issel, die haben uns schon düftig Geld eingebracht. Das Heu steht hoch im Preise, und das Heu von den Wiesen ist ganz was Famostes . . . " „Von Bauer Brinckmann haben Sie die Wiesen gekauft?" fragt Gabriele, von neuem überrascht. „Ja, er mußte wohl dran glauben, freiwillig hätte er sie nicht hergegeben! Sie haben ihm das ganze Erbe versteigert, es sind nun an die drei Jahre h e r . . . Bauer Brinckmann sein Vater hat schon drei Geschwister ausgezahlt, und dann mußte Bauer Brinckmann als er drankam, gleich all das Geld aufnehmen; was seine Stiefbrüder waren, die wollten nicht auf dem Hofe bleiben, und die abzufinden, hat ihn in die Schulden hereingebracht, und er konnte zuletzt nicht mehr voran mit dem Zinsenzahlen . . . " Da Gabriele nicht antwortet, fährt er fort: „Mit dem Zinsenzahlen haben wir's jetzt wohl gut, weil die alte Hypothek von der neuen Landschaftsbank übernommen ist und zu niederm Fuß und ein Prozent Amortion, und die Schuld wird jedes Jahr bereits kleiner, und was mal die Enkel vom Herrn Baron sein werden, die sollen dann wohl keine Last mehr mit der Hypothek haben und . . . " Gabriele läßt ihn nicht zu einer weiteren Ausführung seines Zukunftsbildes der alten Hypothek auf dem Hause Lyntrop kommen. „Wenn Sie mich morgen früh abholen, Tenholt, so gegen acht, denke ich, wollen wir aber zuerst in den Wald gehen! Ich freue mich so auf die Eichen, die vor dem Fichtenbusch, wissen Sie ... „Vor dem Fichtenbusch . . . ? Ja, gnädiges Fräulein, die stehen nun wohl nicht m e h r . . . " „Die stehen nicht m e h r ? . . . Was meinen Sie damit, Tenholt?" „Ja, es war wohl ein gewaltiges Stück Geld, was sie dem Baron dafür geboten haben! Diesen Winter sind es an die vier Jahre her, daß sie sie geschlagen h a b e n . . . und es sind ja nicht unsere einzigen alten Eichen auf Lyntrop, hat der Baron gesagt, in fünfzig Jahren stehen noch ganz andere da, und somit also . . . "

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„An die Eichen hätten unsere beiden Väter nur über ihre Leiber weg eine Axt kommen lassen!" Gabriele steht auf und macht einige Schritte nach dem geöffneten Fenster hin und blickt hinaus auf den stillen Hof, dessen Platanen sich so dunkel von dem hellen Abendhimmel abheben. Nach einer Weile kommt es Tenholt vor, als sei die Audienz beendigt. „Dann will ich mal wieder nach Hause gehen", sagt er und erhebt sich dabei. „Gute Nacht, gnädige Fräulein!" Sie wendet sich nicht nach ihm um, als sie ihm nun: „Gute Nacht, Tenholt, grüßen Sie ihre Frau von mir", zur Erwiderung giebt. In ihren Augen stehen große Thränen, und die soll niemand sehen als die alten Bäume da draußen. Gabriele fand keinen Schlaf während dieser ersten Nacht im Vaterhause. Vielleicht waren es die Nachtigallen, deren lautes Schlagen sie wachhielt, vielleicht auch - da Katrin vor Gabrielens Ankunft den Raum Tag und Nacht gelüftet hatte - war es der starke Blütenduft in ihrem Zimmer, der sie so aufregte. Nach Mitternacht erhob sie sich von ihrem Lager, um die Läden zurückzuschlagen und die Fenster zu öffnen. Der Mond stand hoch über dem schimmernden Garten. Sein Schein legte sich milde und beruhigend auf die alten Einrichtungsstücke, die sie umgaben, von denen ihr ein jedes seit ihrer Kinderzeit als vertrauter Freund galt. Der Tag ihrer Heimkehr war der erste einer langen Reihe echter Frühlingstage gewesen, deren welche, feuchte Luft eine ganze Welt üppigen Treibens und Sprießens umgab. Der Rundgang mit dem Verwalter hatte stattgefunden und war, wie dieser meinte, zu Gabrielens Befriedigung verlaufen. Freilich war sie sehr still geworden, als sie die Lichtung erreichten, die früher der Eichengrund gewesen war. Aber es mußte sie doch erfreut haben, daß nun alles so gedieh auf Lyntrop! Auch hatte sie sehr aufmerksam zugehört, als er ihr vorrechnete, daß die Einnahmen des Gutes seit den letzten Jahren beständig gestiegen waren. Wie verstand aber auch der Baron das Wirtschaften - nicht einen Pfennig ließ er umkommen! So ablehnend sich Gabriele gegen alle Mitteilungen ihrer nächsten Umgebung über die jetzigen Herren von Lyntrop gezeigt, so hatte sie doch bald aus ihnen eine ziemlich genaue Vorstellung davon gewonnen, wie sich deren Persönlichkeiten in den ländlichen Gemütern wiederspiegelten. Ihr Bruder, der gute Haushalter, genoß offenbar im Dorfe eine Popularität, die, wenn sie auch durch sein scharfes Rechnen beeinträchtigt wurde, doch in seinem Ursprünge vom Hause Lyntrop zu fest wurzelte, als daß sie jemals hätte ganz schwinden können. „Die gnädige Frau" dagegen, die dieses Geburtsvorzuges entbehrte, hatte,

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wie es schien, auf dem Terrain der Volksgunst kaum noch etwas zu verlieren. Im Verlauf der nächsten Zeit versuchte es Katrin einige Male mit einem mehr oder minder diplomatischen Anlauf eine Gewißheit zu gewinnen, die vorläufig keine andere Begründung aufzuweisen wußte, als den allgemeinen Wunsch von Lyntrop. „Was die alte Druke im Armenhaus ist," so sagte sie eines Abends beim Auftragen des Nachtmahls, „um die hat sich all die Jahre kein einer mehr so recht gekümmert, die wird nun wohl ganz toll vor Freude sein, daß die gnädige Fräulein wieder da ist und jetzt immer hier bleiben s o l l . . . " Gabriele antwortete nicht darauf. Sie war offenbar nicht geneigt, sich über ihre Pläne zu äußern, und Katrins scharfsinnige Ergründungsversuche blieben ohne Erfolg. Doch trat ein jedes Mal, daß ihr der Wunsch, sie möchte ihren ständigen Wohnsitz auf Lyntrop nehmen, ausgedrückt wurde - und es geschah das von den Jungen und Alten, Gesunden und Kranken, von allen, denen sie begegnete, die sie im Dorfe aufsuchte - ein sanftes Leuchten in die ernsten Augen, und ihre Wangen röteten sich. Es waren Stunden reinsten Glücks, die diese Frühlingstage für sie bargen, in denen sie sich nur dem einen beseligenden Empfinden hingab, wieder in der Heimat zu sein, wieder der Heimat Luft zu atmen, ihre Gestalten um sich zu schauen, ihre Wipfel über sich rauschen und ihre Vögel über sich singen zu hören! „Sie hat sich schon gewaltig erholt in den paar Tagen, seit sie hier ist," sagte Katrin zu „Tante", die sich, in einen großen grauen Shawl eingewickelt, pythiagleich über den Dreifuß auf dem qualmenden offenen Heerde niederbeugte und das Torffeuer anschürte, während Katrin damit beschäftigt war, Kartoffeln für den Abendpfannkuchen zu reiben. „Ich bin ihr erst im Garten begegnet, sie sah wieder so gut zufrieden aus, wie früher, als ob der selige Baron noch lebte . . . " „Wenn es nur erst ganz sicher wäre, daß sie nun auch hierbleibt und nicht wieder fortgeht," meinte „Tante" und schob sich an den Küchenschrank, um dort nach dem ausgeglühten Rüböl zu suchen. „Es muß ihr in der weiten Welt nicht gut gegangen sein, sie ist so still geworden gegen früher... ,Ein rollender Stein setzt kein Moos an', hat unser Pastor selig gesagt." Es ist ein wunderschöner Sonntagmorgen auf Lyntrop, in den allein die Kirchenglocken, die vom Dorfe her zum Hochamt rufen, die melancholische Stimmung tragen, die nun einmal zu diesem Erdenwinkel gehört. Der Ton der Glocken klingt müde und traurig.

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Im Gartensaal des Herrenhauses, dessen Fensterthür weit geöffnet ist und in dem die Morgensonne auf den alten Bildern spielt, steht Gabriele, an den vorspringenden Kamin gelehnt, und lauscht den Worten eines hochgewachsenen Mannes nahe den Fünfzigen, der auf einem Sessel in der breiten Fensternische ihr gegenüber Platz genommen hat. „Ich gebe es dir ja zu, liebe Schwester," sagt er mit einer tiefen, wohllautenden Stimme, „daß ich dir in all diesen Jahren hätte häufiger schreiben und über Lyntrop berichten sollen! Dann würden dich die günstigen Veränderungen hier nicht so in Erstaunen versetzt haben. Aber ich muß den ganzen Tag am Schreibtisch frohnen - - und da kannst du es mir nicht verdenken, daß ich mich nicht abends von neuem daran setzen mag, um Familienbriefe zu verfassen! Ich bin der am meisten beschäftigte Verwaltungsbeamte in unserer Provinz, mußt du wissen! ... Freilich könnte ich ohne die verschiedenen Nebenämter, die mir allerlei Zuschüsse einbringen, auch gar nicht durchkommen! Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, vier Jungens in die Höhe zu bringen, du ahnst gar nicht, was das heißen will.. „Nun, allzuschwer trägst du nicht daran," giebt sie ihm zur Antwort. „Deinem ältesten Sohn hast du aus der Adelsstiftung ein Universitätsstipendium erwirkt und der zweite hat alle Aussicht, ihm darin nachzurücken - unser Vetter Bernhard, der gestern hier war, erzählte mir davon." „So, so, war Bernhard Berkhof bei dir? Dein alter Verehrer?... Und erzählte dir von uns?" fragt Alfred Lynten ein wenig betroffen. „Ja, die Jungens haben das ihren famosen Zeugnissen zu verdanken... Warum ist Bernhard denn nicht noch hiergeblieben. Ich hätte ihn gern einmal wiedergesehen, er kommt gar nicht mehr zu uns . . . " „Er sagte, er müsse zum Abend wieder zu Haus sein," erwiderte Gabriele. „Er lebt mit seiner jungen Frau sehr glücklich, wie es scheint..." „Mit einer solchen Gans!" meint Alfred Lynten wegwerfend. „Freilich, jeder hat die Frau, die er verdient! Bernhard Berkhof ist ja gewiß ein braver, guter Kerl, aber seine Intelligenz reicht doch nicht so weit, sonst hätte er sich nicht dies kindische Geschöpf zur Frau genom*« men! „Er ist ein ganzer Ehrenmann!" spricht Gabriele warm. „Nun ja ... Aber was ich vorhin noch sagen wollte: du hast uns gleichfalls nur selten Nachrichten über dich zukommen lassen . . . " „Ich hatte wenig Zeit für mich, Alfred ... Tagsüber war ich im Institut oder in Privathäusern mit meinen Stunden beschäftigt, und abends mußte ich ganze Stöße von Schülerheften durchsehen - "

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„So, du hast also auch noch Privatstunden gegeben?" forscht er teilnehmend. „Was sind wir beide doch für tüchtige Leute!" „Findest du?" sagt sie. „ N u n wie man's n i m m t . . . Es war nur ein kleines Institut, das von Mrs. Forbes, sie konnte mir kein großes Salair zahlen, und so erlaubte sie mir, daneben noch Stunden außer dem Hause zu erteilen." „ D u hast deine Stelle bei Mrs. Forbes aber nicht aufgegeben? Du willst doch wieder zu ihr zurückkehren?" fragt er lebhaft und sieht sie gespannt an. Und darüber tritt in seine Augen, aus denen gewöhnlich eine gewisse Gutmütigkeit hervorschimmert, ein falscher Schein. „Nein, ich gehe nicht wieder nach London zurück," entgegnet sie sehr bestimmt. Er schweigt eine Weile lang. Dann sagt er: „ D u mußt ja wissen, was du thust! . . . Mir kam diese Stelle sehr gut vor, wenn sie vielleicht auch wenig trug. Mein Gott, man muß überall etwas mit in den Kauf nehmen! Und Mrs. Forbes hat dich doch immer anständig behandelt, wie du selbst schriebst - und das ist schon sehr viel bei fremden Leuten..." „Das ist schon sehr viel" - klingt es in ihr nach. Die fünf langen Jahre, die sie in der Enge des Instituts verbracht hat, steigen in ihrer grauen Freudlosigkeit vor ihr auf . . . Ihr kleines dunkles Hofzimmer, in dem sie nur während der Sommerzeit tagsüber ohne künstliches Licht am Schreibtisch hatte arbeiten können, ihre einsamen Wanderungen durch die Straßen von London! Sie stehen vor ihr wie ein einziger endloser Arbeitstag, diese fünf Jahre, in denen sie sich immer wieder vorgesagt hat, daß sie sich nicht unglücklich fühle, daß sie sich nicht unglücklich fühlen d ü r f e . " Daß nur ein ganz mit Arbeit ausgefülltes Dasein dem Leben Wert verleihe und ach! so deutlich empfand, daß es nicht ihre innerste Seele war, die sich bei d i e s e r Arbeit auslebte, daß ihr bestes Selbst dabei schlief. Und dann war es aufgewacht, dies niedergehaltene Selbst und hatte stürmisch die Stillung jener Sehnsucht verlangt, die es übermächtig erfüllte, die ihr Recht haben wollte! Er mißdeutete ihr Schweigen, das er für eine Art Zustimmung zu seinen Worten ansah. Vielleicht hat sie das Aufgeben einer Stellung, die ihr so lange Zeit hindurch einen Rückhalt bot, schon selbst bedauert... „Hättest du mich nur dabei zu Rate gezogen," meinte er vorwurfsvoll. „Aber du mit deinen raschen Entschlüssen! ... Das hast du ja von je an dir gehabt, daß du . . . " „Ich habe ein ganzes Jahr darüber verstreichen lassen, ehe ich meinen Entschluß ausführte," unterbrach sie ihn sanft. Die Erinnerungen, die ihr soeben gekommen sind, haben sie weich gemacht. Sie sind ja

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vorüber, die Tage in der Fremde, sie ist wieder in der Heimat, wieder in ihrem Vaterhause, und ihr gegenüber sitzt der einzige Mensch, mit dem ein Band der Natur sie fest verknüpft! Er zuckt die Achseln. „Und was gedenkst du jetzt zu thun?" fragt er scharf. „Eben darüber wollte ich mit dir sprechen, Alfred, und deshalb bin ich dir auch von Herzen dankbar dafür, daß du so bald gekommen bist!" „Das verstand sich doch wohl von selbst... Aber jetzt laß mich deine Pläne erfahren!" Er sieht sie wieder an mit demselben Schein von vorher in den Augen. „Zuerst muß ich dich freilich wissen lassen, daß ich von nun an nicht mehr in der Lage bin, dir die Zahlung meiner Rente zu erlassen." „Dachte ich es mir doch!" Er springt erregt auf und macht einige Schritte im Zimmer hin und her. „Weißt du auch, daß du mir mit deiner „Rente" eine Leistung auflegst, der ich nicht gewachsen bin? Die jenseits meines Könnens liegt?!" „Nein," antwortet sie und sieht gelassen zu ihm auf, der jetzt vor ihr steht. „Ich weiß, daß dir Lyntrop genügend trägt, um endlich deinen Verpflichtungen gegen mich nachzukommen!" „Nun ja, da ich Lyntrop mit saurer Mühe und Arbeit etwas herausgerissen habe, gilt es dir natürlich gleich als Goldmine . . . Was weißt du von den Schwierigkeiten, mit denen ich noch stets zu kämpfen habe, von den Ausgaben, die ständig auf mir lasten! Du hast hier wohl allerlei wahrzunehmen geglaubt, was dich darauf schließen läßt, ich sei in aller Heimlichkeit ein vermögender Mann geworden? Du meinst wohl, weil ich Land angekauft habe? Nun . . . das Kapital dazu - habe ich mir geliehen, zu denselben Zinsen, die mir das Land jetzt schon t r ä g t . . . " Er ist sehr erregt, sonst würde er nicht diese Unwahrheit aussprechen, die so unwürdig ist und zugleich so thöricht in ihrer Durchsichtigkeit. Gabriele ist peinlich davon berührt. „Warum legst du mir darüber Rechenschaft ab?" sagt sie rasch. „Es ist doch deine Sache, wie du dein Geld verwenden willst!" „Man sollte es glauben!" entgegnet er bitter. „Aber wenn du mir versicherst, ich sei jetzt in der Lage, neue Verpflichtungen auf mich zu nehmen, die für mich Unmöglichkeiten - hörst du, Unmöglichkeiten! - sind, so suche ich doch zu ergründen, woher du meine Lage so gut zu kennen glaubst..." „Du willst also nicht?" „Von wollen ist hier nicht die Rede - nur von können! Und ich stehe an der Grenze meines Könnens deiner Forderung gegenüber!

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Wenn sie von meinem Willen abhinge, läge die Sache anders, das darfst du mir glauben! . . . " „Und dennoch, Alfred, muß ich auf meiner Forderung bestehen!" Der bestimmte Ton, in dem sie dies spricht, erregt ihn noch mehr. „So thue es," stößt er zornig hervor, „bestehe darauf! Stellen kannst du ja die Forderung, jedes Vierteljahr von neuem, wenn du willst... das Nachkommen hängt von mir ab!" Gabriele will den Frieden wahren zwischen sich und ihm. Sie sagt sich das vor und schränkt die schmalen Hände, die auf ihrem Schöße ruhen, fest ineinander. „Wir wollen uns nicht streiten, Alfred! Laß mich das mit Tenholt abmachen - er besorgt ja auch die andern Auszahlungen für dich." „Tenholt kann dir nur wiederholen, was ich dir soeben auseinandersetzte, daß wir kein Geld haben, um dir die Rente zu z a h l e n . . E r läßt sich wieder auf den Sessel ihr gegenüber nieder. „Es giebt positive Unmöglichkeiten, das mußt du doch einsehen! Sei doch vernünftig." Sie will den Frieden wahren, gewiß! Aber es kommt etwas über sie, das ihren Puls beschleunigt, etwas, das einer großen Empörung gleicht. „Höre mir zu, Alfred," antwortet sie mit erzwungener Ruhe. „Nur von einigen Thatsachen laß mich dir sprechen ... du scheinst sie ganz aus dem Gedächtnis verloren zu haben . . . " „Glaubst du?" wirft er geringschätzig hin. „Damals - nach unseres Vaters Tode, meine ich, habe ich dir ohne weiteres alles zugestanden, was du verlangtest. Lyntrop fiel dir und mir zu gleichen Teilen zu . . . " Er unterbricht sie: „Nach dem Gesetz, ja - wenn du es in Anspruch genommen hättest! Aber auch nur nach dem Gesetz, nicht nach altem Brauch und Herkommen, die von jeher dem S o h n e die Liegenschaften zugesprochen haben." „Zu gleichen Teilen," wiederholt sie. „Du bestandest aber darauf, als der alleinige Besitzer eingetragen zu werden und verwandeltest meinen Anteil in eine auf Lyntrop lastende Rente. Dazu sichertest du mir in einem Vertrage zwischen uns ein lebenslängliches Wohnrecht hier im Hause zu." „Die alten Geschichten," sagt er hochmütig. „Sehr bald darauf erklärtest du mir, Lyntrop trüge zu wenig, und es müsse zunächst zu viel hineingesteckt werden, als daß meine Rente nicht ganz zurückzustehen hätte! Du meintest es verkaufen zu müssen, wenn ich nicht vorläufig meine Ansprüche fahren ließe ... Es waren schlechte Jahre gewesen, die alte Hypothek mit ihren hohen Zinsen schluckte viel und ..

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„Nun ja," fällt er ungeduldig ein, „du warst damals, Gott sei Dank, vernünftig genug, das einzusehen!" „Wer weiß, ob ich mich so leicht gefügt, wenn nicht mein ganzes Herz an Lyntrop gehangen hätte! Wenn mir nicht unseres Vaters Wunsch so heilig gewesen wäre! Entsinnst du dich dessen noch, Alfred?" „Natürlich..." „Am Tage vor seinem Tode wachten in unserm Vater allerlei Erinnerungen auf an seine bedrängte Jugendzeit, als Lyntrop in fremde Hände gerathen war. Es war sein letzter Wunsch an uns, daß wir Lyntrop nicht verkaufen möchten, damit wir stets in allen Wechselfällen des Lebens ein schützendes Dach für uns wüßten. Alfred Lyntens Ungeduld wächst mit ihren Worten. „Ihr Frauen mit eurer Leidenschaft, in alten Geschichten zu wühlen!" „Um ohne die Rente leben zu können - ja, ich weiß, du botest mir damals an, den vierten Teil des Jahres bei euch zu verbringen," schaltet sie ein, da er sie unterbrechen will, „ging ich als Lehrerin nach England. Es waren freudlose Jahre d o r t . . . Ich habe kein Talent zum Lehren - ich empfand keinerlei Befriedigung dabei, nicht einmal die, daß ich mir damit meinen Unterhalt verdiente! Alles ruft jetzt,Arbeit!' als ob sie allein die Welt erlösen könnte - ich habe es an mir selbst erfahren, wie wenig die Arbeit an sich dem Menschen hilft, wenn sie nicht auch zugleich seiner Eigenart und seinen Anlagen entspricht..." „Als ob ich an meiner ,Arbeit' große Freude hätte!" meint Alfred Lynten voll Ironie. „Die Erbschaft des Blutes in uns, voilà tout! Du und ich, wir sind die ersten Lyntens, die überhaupt kennen gelernt haben, was arbeiten heißt! Woher sollten wir wohl die Anlagen dazu haben? Und darin liegt auch der Gegensatz unseres Standes zu unsrer Zeit, deren erstes Gebot Arbeit ist - Arbeit um des Erwerbs willen! Unser Vater hat das nicht begreifen können, er verstand das nicht!" „Laß uns bei dir und mir bleiben," sagt Gabriele. „Während ich fort war, gestalteten sich hier die Dinge sehr günstig. Die Pachtgelder stiegen in die Höhe, bedeutende Summen flössen dir aus den ersten Holzschlägen zu, den verfallenen Hof in O . . . " - sie nennt den kleinen Nachbarort - „konntest du sehr vorteilhaft als Baugrund an die neue Eisenbahn verkaufen. Das große Moor soll jetzt mit Hilfe der Regierung trocken gelegt werden, die . . . " „Entschuldige, wenn ich dich unterbreche," fällt er ihr ins Wort. „Du scheinst mir da ja noch eine ganze Reihe von glücklichen Umständen, die freilich sämtlich nur durch meinen Eifer herbeigeführt worden sind, herzählen zu wollen! Aber warum nimmst du einen so vorwurfsvollen Ton dabei an? Du hattest doch früher einen starken

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Familiensinn, du mußt dir doch sagen, daß die Lyntens schon in der nächsten Generation ganz anders dastehen werden! Daß es meinen Jungen zu gute kommen wird, wenn Lyntrop erst einen wirklichen Rückhalt für die Familie abgeben kann!" „Deinen Jungen," spricht sie ihm nach. „Dafür müssen wir uns aber Opfer auferlegen! Ich thue das, weiß Gott! Ich mühe und plage mich wie ein Kuli, um Lyntrop wieder in die Höhe zu bringen. Denn darum handelt es sich. Das Ansehen einer adligen Familie beruht nur auf ihrem Grundbesitz. Eine Ahnung davon hatte ja auch unser Vater, als er uns beschwor, Lyntrop nicht nach seinem Tode zu verkaufen." „An dies Ansehen hat er wohl nicht dabei gedacht," widerspricht Gabriele lebhaft. „Adlig ist, wer adlig handelt, sagte er." „Nun ja, unser Vater," und Alfred Lynten zuckt bedauernd die Achseln. „Ein Idealist wie er! Wer aber mitten im Leben steht, wie ich, der kommt mit dem Idealismus nicht durch! Und du, du hättest unterdessen auch können ..." Er vollendet seinen Satz nicht und verläßt den Platz in der Fensternische, um sich in der offenen Thür eine Cigarre anzuzünden. „Du erlaubst doch," sagt er und verfolgt dabei mit gespannten Blikken das Auffliegen der wilden Taube, die in der Linde seitwärts vom Hause ihr Nest hat. „Merkwürdig!" Er wendet sich wieder zu Gabrielen hin, die gleichfalls aufgestanden ist. „Es kommt das sehr selten vor, und es will's mir auch keiner glauben, daß ich in diesem Jahre dicht beim Hause ein Wildtaubennest habe. Katrin soll nur nicht so laut sein, wenn sie hier herum die Wege harkt, - ich muß es ihr nachher noch einmal selbst sagen." Da Gabriele nicht antwortet, fügt er hinzu: „Wolltest du noch anderes mit mir besprechen? Nun denn ..." Er lehnt sich gegen die Thüreinfassung und schaut wie vorher dem Kreisen der wilden Taube zu. Gabriele steht ihm jetzt gegenüber. Ihr Atem geht rasch. „Ich habe nämlich Tenholt in Aussicht gestellt, noch vor Tisch seine Rechnungsbelege durchzusehen." Sein Ton klingt ungeduldig. „Er wartet wohl schon auf mich ..." „Schenke mir nur noch eine Viertelstunde, Alfred, dann gebe ich dich frei! Ich habe dir ja noch nicht gesagt, daß ich in London krank war - heimwehkrank... Weißt du, was Heimweh ist? Diese letzten anderthalb Jahre hindurch hat mich das Heimweh geradezu verzehrt! Tag und Nacht, im Wachen und im Traum hatte ich nur eine Vorstellung vor Augen: den Hof, das Haus, den Garten hier, nur eine Empfindung in der Brust - die brennende Sehnsucht danach! In schlaflo-

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sen Nächten, in meinen Stunden habe ich oft geglaubt, die Lyntroper vertrauten Töne deutlich zu vernehmen - das Bellen der Hunde am Thor, das Dreschen in den Scheunen, das herbstliche Flachsbrechen auf dem Hof, das Feuerprasseln hier im K a m i n . . . Und nichts half gegen diese Bilder, keine Willensanstrengung, keine Beschäftigung, keine Ermüdung! Der Arzt sagte, es seien Halluciationen, wie sie bei nervösen Menschen häufig vorkämen. Ich habe zuletzt gefürchtet, wahnsinnig darüber zu werden!" Sie kann nicht weiter sprechen. Sie w i l l ja nicht in Thränen ausbrechen. Vor ihm, der so gelassen ihr gegenüber steht und langsam seine Cigarre raucht. „Neurasthenie sagt er, „die Krankheit unserer Z e i t . . . Gott sei Dank, daß meine Frau gesunde Nerven hat! Und du siehst doch auch wahrhaftig nicht übel und schlecht aus!" Sie tritt dicht auf ihn zu und blickt ihm so leidenschaftlich forschend in die Augen, daß er die seinen wegwendet. „Ich möchte hierbleiben, Alfred! Ich meine, für immer hierblieben! Seitdem ich wieder zurückgekehrt bin, bin ich auch wieder gesund! Und seitdem weiß ich auch, daß ich hierher gehöre, auf diesen Boden, unter diese Menschen hier, denen ich beistehen und nützen könnte, deren Ergehen und Leiden und Kümmernisse mir wie meine eigenen sind. Sie haben Vertrauen zu mir, sie würden um Rat und Hilfe zu mir kommen ich dürfte mich um sie sorgen und mühen! Sie sagen, sie brauchen mich, sie haben mich sehr vermißt, als ich fort war. Aber viel mehr noch brauche ich sie! Um einen Lebensinhalt zu haben, eine Aufgabe, deren Vorstellung allein mir jetzt schon das ganze Herz warm macht! Ich habe ja nichts geahnt von dem Schatz von Anhänglichkeit, den ich hier zurückließ. Jetzt möchte ich ihn mir neu verdienen, diesen goldenen Schatz, in Wahrheit erst verdienen - und davon leben und zehren . . . " Sie stockt, der Atem versagt ihr vor Erregung. „Du bist doch ganz die Alte geblieben," meint er, „genau so impulsiv, wie du immer warst! Von Anhänglichkeit und Treue zu träumen bei diesen Leuten hier mit ihrem berechnenden Eigennutz! Mattie hat mit ihnen schöne Erfahrungen gemacht, das kann ich dir sagen. Und du . . . Aber das ist ja deine Sache und hat mit deinem Wohnen hier nichts zu thun, das du natürlich jeden Tag realisieren kannst!" „Also du bist damit einverstanden? Ist es dir recht, wenn ich hierbleibe?" fragt Gabriele, und ihre Augen leuchten auf. „Gewiß - wie sollte mir das nicht recht sein? Und für das Haus wäre es jedenfalls besser, wenn jemand es ständig bewohnte. Außerdem hast du doch auch dein gutes Recht hier!" „Ich danke dir, Alfred!" Sie reicht ihm warm die Hand.

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„Nur muß ich vorher mit Mattie darüber sprechen ..." Sie antwortet nicht, sie sieht ihn groß an. Ein wenig verlegen fügt er hinzu: „Du hättest dich ja ohnehin noch erst mit ihr über die Wahl deines Zimmers zu beraten." „Die Wahl?" wiederholt sie. „Natürlich die Zimmer, die mir von je gehört haben, die ja auch in unserem Vertrag genannt sind - " „Ach s o . . . Gerade diese Zimmer willst du haben? Beide? Du brauchtest doch nur ein Schlafzimmer für dich, tagsüber wärst du mit uns zusammen... Es wird uns recht eng werden, wenn du uns gleich zwei Zimmer fortnimmst." „Aber Alfred," entgegnet sie ihm, „euch bleibt doch noch Raum genug im Haus!" „Und dennoch würde es uns so vorkommen, als wenn wir uns behelfen müßten. Wir Menschen nehmen die Dinge nun einmal so, wie sie uns erscheinen - das ist eine alte Geschichte - " Darauf weiß sie ihm freilich nichts zu erwidern. „Das müßt ihr Frauen indessen unter euch ausmachen. Du kennst nur leider Mattie noch so wenig! Es war ein Fehler unsres Vaters, daß er dich nie von sich lassen wollte. Wie dringend habe ich ihn damals, als wir noch in Schlesien waren, gebeten, er möchte dich auf ein halbes Jahr zu uns schicken! Er wollte aber nicht!" „Er war zu der Zeit schon sehr leidend" - bemerkt sie. Alfred Lynten beachtet diesen Einwurf nicht. „Mattie ist so gut nur darf man ihr nicht schroff entgegentreten! Darauf wirst du ein wenig Rücksicht nehmen müssen, Gabriele, auch wenn du gerade im Recht bist! Du bestehst immer auf deinem Recht, das geht nicht, damit kommt man nicht durch im Leben!" „Ich habe gewiß deiner Frau gegenüber den besten Willen," sagt sie stockend, „aber sie muß mir auch ihrerseits ein wenig davon entgegentragen." Es macht ihn verwirrt, sich für seine „Mattie mit dem eisernen Vorsatz", wie er sie einst genannt hat, in diese Zumutung hineinzudenken. „Mattie soll dir gleich nach meiner Rückkehr über alles schreiben," antwortet er ausweichend. „Am besten wäre es freilich, du begleitest mich für ein paar Wochen zu uns nach W . . . Doch wie du willst! Und jetzt muß ich noch rasch zu Tenholt gehen. Auf Wiedersehen nachher!" „Eine fatale Geschichte ..." sagt Alfred Lynten zu seiner Frau. Es ist am andern Vormittage. Vor einer Weile erst ist er von Lyntrop zurückgekehrt und sitzt nun seiner, trotz der Lenzwärme in ein dickes Flanellgewand gekleideten Gattin beim zweiten Frühstück gegenüber.

II.2.d Theo Schücking: „Heimkehr"

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Frau Martina äußerte nichts darauf. Aber ihre scharfen Augen hängen gespannt an seinem Antlitz. „Wir können es ihr nicht abschlagen, in Lyntrop ihren Wohnsitz zu nehmen. Sie hat ein Anrecht darauf. Und es läge ja auch nichts daran, es ihr bereitwillig zuzugestehen, sie würde uns dort kaum genieren und außerdem . . . " Frau Martinas schmale Lippen öffnen sich. „Du thust gerade als ob Lyntrop ein großes Schloß wäre! Wo sollen denn von nun an meine Mutter und der Onkel Werner logieren, wenn sie dort sind? Werner wird es sehr übel nehmen, daß er sein Zimmer hergeben muß, es ist ihm immer das liebste im ganzen Haus gewesen. Und es könnte uns eines Tages teuer zu stehen kommen, Alfred, daß wir einen Wunsch Werners nicht beachtet haben . . . ! " „Ach, das ließe sich zur Not noch alles einrichten," entgegnet er verstimmt. „Gabriele müßte sich eben mit einem anderen Zimmer begnügen! Die Schwierigkeit bei der Sache liegt ja ganz wo anders. Siehst du denn nicht ein, daß ich Gabrielen, wenn sie sich in Lyntrop niederläßt, ihre volle Rente auszahlen muß? Was meinst du denn, wovon sie sonst dort leben sollte?" „Das kannst du nicht! Das darfst du nicht!" stößt Frau Martina sehr erregt hervor, und ihre Lippen legen sich fest aufeinander. „Du hast zuerst Pflichten gegen uns - gegen mich und deine Söhne! Sollen w i r uns denn noch mehr einschränken, als wir es jetzt schon thun? Hältst du das überhaupt für möglich? Sage es mir doch einmal, wie wir das anfangen könnten! Und wenn auch - " Mißmutig schiebt er das Glas Wein zurück, das sie ihm eingeschenkt hat. „Ich danke, ich mag jetzt keinen Wein, ich muß noch arbeiten." „Und w e n n wir es auch könnten - es wäre ein himmelschreiendes Unrecht gegen uns, wenn du uns zu darben zwängest, damit diese ungemessenen Ansprüche deiner Schwester erfüllt würden! Warum hat sie sie denn früher nicht geltend gemacht? Weil sie sich selbst gesagt hat, daß sie ungerecht waren! Und nun, da ihr plötzlich die Laune kommt, willst du in deiner thörichten Gutmütigkeit..." Alfred Lynten seufzt schwer auf. „Ich w i l l gar nichts." „Sollen wir zu unsern Söhnen sagen: ihr müßt euch bescheiden, wir können nicht viel für euch thun, unsere nächsten Pflichten sind die gegen Gabriele, ihr kommt erst in zweiter Linie? Stelle dir das nur einmal vor!" „Rede doch nicht so ins Blaue hinein," giebt er gereizt zur Erwiderung. „Hilf mir lieber darüber nachdenken, wie sich diese fatale Geschichte aus der Welt schaffen ließe - "

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„Es muß eben Gabrielen ein für allemal klar gemacht werden, daß sie keine Anforderungen an uns stellen darf, daß unsere Kinder das erste Anrecht darauf haben, von uns berücksichtigt zu werden! Daß die Interessen der einzelnen Frau s t e t s hinter denen der Familie zurückzustehen haben!" Frau Martina spricht das mit jenem ganzen Aufwand von Aplomb aus, wie er der beschränkten Frau seit Erschaffung der Welt bei der Verkündigung eines Gemeinplatzes immer eigen gewesen ist. „Sehr richtig!" meint er. „Damit kommen wir aber nicht weiter. Es muß ihr klar gemacht werden ... das ist leicht gesagt!" Frau Martina geht eine Idee auf, die ihr als eine sehr gute erscheint, die sie aber vorläufig noch für sich behalten will. „Es wird am besten sein, wenn du diese Sache mir überlässest, Alfred, du hast es ja so wie so Gabrielen versprochen, daß ich ihr darüber schreiben sollte . . . Ich will es gleich morgen thun!" Ihr Ton ist mit einem Mal sehr ruhig und gelassen geworden. Alfred Lynten sieht seine Frau an. E r ahnt, daß ihre Klugheit einen Ausweg gefunden hat. Sie hat recht, es ist das Beste, daß er ihr die Sache überläßt. Einige Tage später wurde Gabriele um die Nachmittagsstunde von der Post ein Brief zugestellt, der die Schriftzüge ihrer Schwägerin trug. Sie schritt damit die Gartentreppe hinunter und setzte sich auf die Steinbank unter der Linde. Hier öffnete sie ihn und las: Liebe Gabriele! Alfred ist glücklich heimgekehrt und hat mir sofort Deine Wünsche in Bezug auf Lyntrop auseinandergesetzt. Es ist sehr begreiflich, daß Du Dich nach einer festen Heimat sehnst, und uns kann es ja nur angenehm sein, wenn jemand in Lyntrop Haus hält. Der einzige Mangel ist, daß es dort im Winter schrecklich einsam und kalt sein wird! Was nun die Zimmereinteilung betrifft, so ist ja die Auswahl, die Du getroffen hast, sehr gut. Aber gerade die beiden von Dir gewünschten Zimmer sind schon seit Jahren von meiner Mutter und meinem Onkel bewohnt worden, und alten Leuten, wie Du weißt, fällt jede Veränderung schwer. Deshalb mein Vorschlag an Dich: uns diese Zimmer für die Zeit, daß wir in Lyntrop sind, gütigst auch noch fernerhin zu überlassen! Wir brauchen eben jeden Winkel in Lyntrop für uns, solange wir dort sind! Und D u hast ja alte Freunde, die Du unterdessen besuchen könntest, sodaß Dich dies Arragement gewiß nicht in Verlegenheit bringen würde. N a türlich ist es ja ein kleinwenig unbequem für Dich, jährlich zu einer bestimmten Zeit den Wohnort zu wechseln, aber dafür hast Du dann auch wieder das ganze Haus für Dich allein, wenn Du zurückkehrst!

II.2.e Theo Scbücking: Essays

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Es freut mich, daß es Dir in Lyntrop gut geht und daß es Dir dort heimatlich zu Mut ist. Mit vielen Grüßen von Alfred und unsern Söhnen bin ich Deine Schwägerin Martina. Eine Weile verging. Gabriele saß noch auf demselben Platz. Sie hatte den Kopf gegen den Stamm der Linde gelehnt und blickte nun auf das alte Vaterhaus vor ihr. Lange sah sie ihn an, den im warmen Sonnenlichte so anheimelnd daliegenden Bau . . . Ein gurrender Ton über ihr ließ sie in die Höhe schauen. Dort umkreiste die wilde Taube den Baum, der ihr Nest barg und dem sie sich nicht nahe zu kommen getraute aus Scheu vor der hohen Gestalt da unten. Gabriele stand auf und ging langsam ins Haus hinein. Einige Wochen später verließ sie die alte Heimat für immer. Heimkehr. Von Theo Schücking. Erschienen in: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Hg. von Helene Lange. 5. Jg., Heft 5. Februar 1898, S. 269-279.

e) Essays Ein neues Buch von Marie v. Ebner-Eschenbach.1 Unter der Fülle künstlerischer Gestaltungskraft, die Marie v. EbnerEschenbach zwischen die ersten Namen unserer zeitgenössischen Literatur stellt, befindet sich auch ein Können so stiller Art, das sich uns seine volle Bedeutung erst nach längerem Studium ihrer Werke erschließt. Es ist das die ganz eigenartige Meisterschaft, mit der sie eine Erzählung einleitet. Sie hebt an mit einigen markigen Strichen, die den Menschen, den sie uns nahe bringen will, fest auf seinen eigenen Füßen stehend, vor uns hinzeichnen. Schon hat er auch seine eigene Atmosphäre um sich, und es ist „Luft" zwischen ihm und seinem Hintergrunde. Schon lieben wir ihn; voll Interesse beginnen wir in sein Thun, voll Antheilnahme in seiner Wünsche, seiner Gedanken Ringen hineinzusehen - bewegt horchen wir auf seines Herzens Schläge. Darüber ist uns nun freilich die Erkenntniß gekommen, daß wir zu schaffen haben mit Einem wohl „wie Tausende in allem Geringfügigen und Nebensächlichen, Einem wie Wenige aber in allem 1

Rittmeister Brand. Bertram Vogelweid. Zwei Erzählungen von Marie v. EbnerEschenbach. Berlin, Gebrüder Paetel, 1896.

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Großen, Ernsten, Wichtigen . . W i r haben einen Freund in ihm gewonnen, von dem wir ungern Abschied nehmen, mit dem wir noch manche Zwiesprache zu halten gedenken ... Dies Enthüllen einer Menschenseele vor unseren Blicken ist mit einer so edlen, in der Wahl ihrer Mittel so reinen Kunst geschehen, daß wir uns dessen kaum bewußt werden, eine wie große Sache das bedeutet und wie das allein dem echten Künstler gelingt. Alle Kunst ist ein Enthüllen und Michel Angelo sagte „cooprire", wenn er von der Bearbeitung des Marmors sprach. „Beim Mitleid und bei der Ehrfurcht fängt der Mensch an", heißt es im Rittmeister Brand, der ersten der zwei neuen Erzählungen von Marie v. Ebner-Eschenbach. Es ist der Held selbst, den sie diese Worte sagen läßt, ihn, der auch „beim Mitleid und bei der Ehrfurcht" angefangen hat: beim Mitleid mit demjenigen, der da Belehrung braucht, Erziehung und Zucht - bei der Ehrfurcht vor dem ethischen Inhalt eines Berufes, dessen Erwählung er sich schwer erkämpft hat. Von frühauf hat er sich dies ernsthafte Leben ernsthaft nach seinem Charakter zu gestalten gewußt ... Als er, aus der Treue gegen sich selbst heraus, das Mädchen, das er liebt, seinem Berufe opfert, setzt damit die Tragik seines Lebens ein: nicht lange darnach hat er seinem Charakter diesem selben Beruf, der ihm alles ist, der ihm „für Alles Trost bietet", zum Opfer zu bringen! „Gescheitert wie Robinson richtete er sich auf seiner Insel ein. Er änderte, als Feind der halben Maßregeln, seine Lebensweise aus dem Grunde. Er holte manches nach, was ihm an literarischer Bildung fehlte, las die Classiker, las auch moderne Poeten, konnte sich erfreuen an einem schönen Buch, einem schönen Bildwerk und an guter Musik. Diese wohltuenden Eindrücke gingen aber nicht tief; hinter der flüchtigen Wärme und dem Interesse, das sie erregten, schauerte es kalt, gähnte die Leere." Wie diese Kälte schwindet und sich diese Leere allmählich ausfüllt durch des einsam alternden Mannes Antheilnahme am körperlichen und geistigen Gedeihen seines kleinen Täuflings, des Söhnleins seines getreuen Dieners, wie diese Empfindung, nach echter Liebe schönstem Gesetze, immer weitere Kreise um sich zieht, immer reicher wird an Gegenständen, denen sie sich widmet und wie durch die Wiederbegegnung mit der nie vergessenen Geliebten sich endlich die ganze Fülle seines Gemüthes ausdrücken und ausleben darf das alles entwikkelt sich in einfach gehaltenem Rahmen mit unvergleichlicher Kunst, scheinbar absichtslos, von innen heraus. Die Gestalten, die ihn dabei umgeben, sind bis in jeden Blutstropfen hinein eine jede eine lebensvolle Individualität, die seelenvolle Sophie und Madame Amélie, die

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grundgescheute Frau und grenzenlos thörichte Gattin, Peter Peters, der treue Diener seines Herrn, und der mit köstlichem Spott gezeichnete Herr Eduard Weiß! Wohl einer der ersten unter ihnen aber ist der in dem Knaben Sophiens schlummernde edle, große Mensch, dessen reine Züge uns ergreifend anmuthen - die Götter lieben ihn und senden ihm den frühen Tod. Auch in dieser Erzählung Marie v. Ebner-Eschenbachs steigt aus dem Untergrunde tiefsten Lebensernstes jener herrliche Humor herauf, der mit ihrer künstlerischen Eigenart so eng verwachsen ist. Erscheint er in der ersten Erzählung wie Thautropfen, die im Frühstrahl erglänzen, so leuchtet und blitzt er aus der zweiten in schier übermüthigem Lichtgefunkel entgegen. Rittmeister Brand gehört zu dem Reifsten und Vollendetsten, das Marie v. Ebner-Eschenbach je geschaffen hat. Niemand kann uns wieder nehmen, was uns an Vertiefung und Erhebung darin zu Theil geworden ist. Bertram Vogelweid verwahrt sich seiner ganzen Anlage nach selbst dagegen, auf gleicher Höhe mit Rittmeister Brand zu stehen - aber auch ihn möchte wohl keiner wieder hergeben, der einmal in seinen Bannkreis getreten ist! Wir alle sprechen es der jungen, anmuthigen Gräfin Neuhaus nach: „Nein, der Vogelweid - wie ich den liebe!" Er ist eben unwiderstehlich, dieser Bertram Vogelweid, der berühmte Feuilletonist, der gefürchtete Kritiker, der überarbeitete Schriftsteller mit den gereizten Nerven, die ach! bei jedem Anlasse „Sturm" läuten, der Mann mit dem warmen, edlen Herzen, in dem doch so viel Haß und Verachtung wohnt. Leidenschaftlicher Haß seines ihm von der Noth des Lebens aufgezwungenen Muß-Berufes, zornige Verachtung seiner zweiten Nährmutter, der Literatur, grimmiger Widerwillen gegen jedes Manuscript, jeden Druckbogen, jedes Buch - gegen den ganzen papiernen Plunder, der sich um ein Literatenleben herum aufschichtet und ihm Luft und Athem und Frieden nimmt. „Achtstundentag - lächerliches Wort! Sei du ein fleißiger Schriftsteller und Redacteur an der großen Zeitung: „Die junge Grenzenlose" und sprich vom Achtstundentag. Habe allmorgendlich ein halbes Hundert Briefe zu verschlingen, ein paar Dutzend Manuscripte, Broschüren, Bücher durchzublättern, habe gewohnheitsmäßig zwei Romane unter der Feder und sprich vom Achtstundentag ..." Und an einer anderen Stelle klagt er: „Arbeit ist der beste Inhalt unseres Lebens. Weisheit, Tugend, Gesundheit, Glück! Sich überarbeiten ist Fluch, ist der Tod aller unserer Fähigkeiten, nicht der geistigen allein, auch der moralischen. Man taugt nichts mehr, man verliert allen Halt ..." Er hat sich durch die Vermittelung eines Freundes ein Gütchen kaufen lassen, den Preis dafür mit seiner Arbeit Schweiß bezahlt und noch

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immer leistet er weiter, „was ein Mensch nur leisten kann ..." und spart dabei wie ein Geizhals. „Denn damals war noch kein Wohnraum da, kein Stück Vieh, kein Ackergeräth, nichts. Alles Fehlende mußte erschrieben werden . . . " Nun trennt ihn nur noch ein Jahr sauren Mühens von dem heißersehnten Ziele: auf seinem Gütchen, nach seinem Sinne als Bauer, als Jäger zu leben! Und jetzt will er sich, um dieses Jahr überstehen zu können, vier Wochen hindurch eine Erholung gönnen, die er sich mit wahnsinnigem Fleiße erschrieben hat. „Vier Ueberblicke, vier Feuilletons, die letzten Fortsetzungen seiner, ja, das hat er sich zugeschworen, letzten Romane. Des Volksromans mit seinen idealen Anarchisten, ausbeuterischen Kapitalisten, vom Blut und Schweiß des Volkes lebenden Baronen, Grafen und Fürsten, des Salonromans mit seinen Zweideutigkeiten, seinen Schlüpfrigkeiten. Nur allzu treu nach französischen Mustern, und doch überall Champagner in Bier verwandelt." Diese vier Wochen der Erholung, der „Ruhe vor der Literatur!" sind es, in denen sich die Erzählung abspielt. Wir begleiten Bertram Vogelweid bei seiner Abreise, wir folgen ihm auf seiner Fahrt zu seinen Freunden. Wir lachen bis zu Thränen über die komischen Situationen, in die ihn seine Nervosität hineinbringt . . . und dennoch wird er selbst uns nie zum Gegenstande der Lächerlichkeit, immer stehen wir mit dem Hute in der Hand vor diesem geistvollen und guten Menschen. Wie ehrlich theilen wir seine Trauer, als er im Hause seiner Freunde einer so grausamen Enttäuschung begegnet - er, der sich auf nichts so gefreut hatte als auf die „absolut literaturfreie Atmosphäre" dort! Und wie ergreift uns seine Bewegung beim Betreten seines eigenen Grund und Bodens, seines „Vogelhauses!" - Aber kurze Zeit darnach weiß er schon, daß er dieses leidenschaftlich erstrebten, schwer errungenen Heims nie froh werden wird ohne die Erfüllung jenes Lebenswunsches, der, seitdem er hier weilt, seine ganze Seele beherrscht. Die kurze Scene, in der er Gertrud seine Liebe erklärt, gehört zu dem Schönsten in der Erzählung. Jeder, der das Glück hatte, lange Zeit in Italien zu verweilen, wird zu seinen unvergeßlichen Tagen dort die der Hochsommerzeit rechnen, in denen die Galerien von Fremden verlassen und leer sind. Still ist es dann in den hohen Räumen, von der lärmenden Welt jenseits dieser alten Mauern nur dringt es wie ein Rauschen herein: der Strom des Lebens, der unruhvoll dahinbraust. Die schweren Fensterläden sind gegen den da draußen siegreich fluthenden Sonnenschein nur hier und dort zurückgeschlagen, so daß ein wundervolles Helldunkel geschaf-

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fen ist, das einzelne Strahlen goldig durchflimmern und durchleuchten. In dieser Stille fangen nun die alten Meister an den Wänden zu reden an. In demselben friedvollen Schweigen, in demselben durchsichtigen Helldunkel, wie es nur die Sonne des Südens zu schenken vermag, wurden diese Bilder einstmals gemalt - so wollen sie auch heute noch gesehen sein, um ihren ganzen Reiz zu offenbaren und ihre Geheimnisse auszusprechen. An diese Feiertage der Vergangenheit gemahnen die mit einem Werke von Marie von Ebner-Eschenbach verbrachten Stunden. Wir sind allein mit ihren Menschenbildern, der Wellenschlag des Lebensstromes, der um sie her rauscht, dringt an unser Ohr. Und die Schönheit des Höchsten in der Schöpfung, der menschlichen Seele, offenbart sich, von Meisterhand enthüllt, vor unseren Blicken. Die Sonne aber, die dies durchsichtige Helldunkel hier, in dem sich jeder Umriß, jede Farbentönung klar und scharf - und doch übergangsreich wie das Leben selbst - abhebt, mit ihren Strahlen goldig durchleuchtet, ist die Sonne des Gemüthes einer edlen Frau, die zugleich eine große Dichterin ist. Ein neues Buch von Marie v. Ebner-Eschenbach, schienen in: Beilage zu Nr. 22042 der Danziger (Morgenausgabe), S. 2.

Die eherne

[Gez.] Theo Schücking. ErZeitung, 38. Jg., 5. Juli 1896

Notwendigkeit

Hocherhobenen Hauptes, mit schweren Schritten geht das neunzehnte Jahrhundert dem Tode entgegen. Aber diese aufrechte Haltung gehört nicht dem Mute an, sondern der Pose, und die Schwere dieser Schritte nicht der Kraft, sondern der Müdigkeit. Das Jahrhundert stirbt nicht wie ein Held, für eine Idee, einen Gott ... es geht an sich selbst zu Grunde, es stirbt an der Entartung seiner Organe, der Zersetzung seiner Säfte, dem Versiegen seiner Lebensquellen. Keine Abendröte leuchtet seiner Todesdämmerung. Dunkle Wolkenphantome halten am Horizonte Wache und strecken sich und wachsen hoch und höher, bis sich die Schatten ihrer ungeheuren Leiber nächtig über die Welt legen. Es sind die Dämonen der Gier, des Hasses, der Zerstörung, und an ihrem Saume entlang kriechend, die Parasiten der Feigheit, des Verrates, der Frechheit ohne Scham. Zu dem sternenlosen Himmel steigen keine Sterbegebete auf, keine Opfer. Nur der Rauch aus Millionen von Schloten wälzt sich zu ihm

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in die Höhe, und das Klopfen und Sausen von zahllosen Hämmern und Rädern giebt den Takt ab für jenen eintönigen, dunkelgefärbten Sang, der aus den Tiefen der Erde heraufdringt: das Lied der Arbeit. Es setzt nicht aus, wenn die wilden Schreie der Klassenkämpfe, der Rassenkriege, des Streites aller gegen alle es grell zu übertönen suchen, dumpf klingt es fort und fort in festgeschlossenem Rhythmus. Zu Füßen des sterbenden Jahrhunderts kniet die moderne Kunst. Mit gespannten Blicken verfolgt sie den abstoßenden Zersetzungsprozeß. Sie lauscht auf die pfeifenden Atemzüge des siechen Riesen, sie zählt seinen aussetzenden Pulsschlag, sie forscht nach seinen Wunden mit brutal tastender Hand. In tollem Durcheinander wogt und wirbelt in der Zersetzung ein vielgestaltiges, innerliches Leben hin und her. Es drängt und stößt sich alles in- und übereinander, was je an Stückwerk von Wissen und von Glauben, von Erkenntnis und von Wahn die Menschheit erleuchtet oder betrogen hat. Wie in den Zeiten des Untergangs der antiken Welt treibt auch um uns ein dunkles Wirrsal von Dogmen und von Symbolen, von Philosophieen und Lehren. Der Orthodoxe wie der Rationalist, der Buddhist wie der Ubermensch, der Theosoph wie der Anarchist, sie alle stehen in einer bunten Kette, abwechselnd bemüht, das Gefäß mit dem Labetrunk für die verschmachtende Menschheit weiter zu reichen. Aber der Wein aus den alten wie aus den neuen Schläuchen mundet dieser Welt nicht mehr, er dünkt ihr schal und abgestanden und steigert nur ihr fieberhaftes Verlangen. Unbeirrt von all dem Suchen und Greifen, Drängen und Wogen sitzt der Gelehrte vor seinem Mikroskop. Er späht den Pulsschlägen des Lebens nach bis auf die letzte, rätselvolle Ursache, deren Sphinxantlitz ihn höhnisch anblickt. Das Mittelalter kannte keine anderen Geheimnisse als die des Todes. Es wallfahrtete nach Golgatha und holte sich von dort die Auflösung der Rätsel der Ewigkeit. Das Leben selbst stellte ihm keine Fragen, alles hienieden lag klar und offenbar da im durchsichtigen Lichte einer transcendentalen Welt. W i r forschen nach keinen anderen Geheimnissen, als denen des Lebens, wir suchen das Leben seiner Hüllen und Schleier zu berauben, wie es keine andere Zeit vordem gethan hat - gleichwie, als wolle unser sterbendes Jahrhundert über dem Horchen auf all das Keimen und Sprießen, Entstehen und Werden den langsamen Tropfenfall des eigenen Blutes überhören, das matt in seinem kranken Leibe weiter rinnt. Aber über dem rastlosen Beobachten ewig wechselnder Lebensbethätigungen, Lebensformen und Lebenswandlungen haben sich die Gebiete der Forschung bis ins Unübersehbare vergrößert. Stets von neuem muß zur engeren Teilung geschritten werden, immer schwerer wird es, aus

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der verwirrenden Überfülle der Erscheinungen ihre Einheit und ihren geistigen Gehalt herauszuziehen: unter tausendfältiger Analyse verliert sich die Synthese. Im Kopf ein dürres Wissen und im Herzen eine schmerzende Leere, stehen wir an der Schwelle einer neuen Z e i t . . . ohne Liebe, ohne Glauben, ohne Hoffnung. Wir haben uns von den Göttern abgewendet, die uns im Griechentum im Zauber der Schönheit genaht waren, im Christentum in der Gemeinsamkeit des Leidens und des Duldens. Die Brücke, die sich von uns zu ihnen spannte, die aufgeführt worden war vom Gemüte der Menschheit, ist am Verfallen . . . Der Erdboden erdröhnt vom Heranmarsche der gewaltigen Massen eines aus der Tiefe aufsteigenden Standes. In unserer alles zersetzenden Zeit schließen sie allein sich immer dichter zu einem Riesenheerbann zusammen, dessen feindliches Nahen die Kontinuität der menschlichen Entwicklung zu zerreißen droht. Das Jahrhundert ist tot, es lebe das Jahrhundert! Seine Pforten wanken, mit wildem Tosen dringt der vierte Stand wie ein Meeresschwall herein, um Besitz zu ergreifen von der neuen Zeit - alles niederstampfend, was sich nicht der Masse unterordnen, nicht ihre Instinkte als Gesetze annehmen will, Höhen und Tiefen menschlichen Seins und Strebens mit grauer Alltagsgleichheit überschwemmend und ausfüllend. Gleichheit überall! Kein König mehr, der über dem Kärrner, kein Künstler, der über dem Handwerker, kein Fleißiger, der über dem Vagabunden stände? Gleichheit und Gemeinsamkeit! Gemeinsamkeit der Glücksgüter - Ausgleichung der irdischen Schicksalslose! . . . Am Saume des nächtigen Himmels erglänzt ein stahlheller Streifen, der in die Höhe wächst und dem neuen Jahrhundert den Morgen verkündet. Von dem leuchtenden Hintergrunde heben sich dunkel die Umrisse einer hochragenden Gestalt ab, deren Geberde streng und gebieterisch ist, gleich der einer Göttin. Sie hebt die Hand, und langsam weicht die flache Flut der neuen Gleichheitsordnung zurück, die sich träge über das Gefüge der Grundgesetze menschlichen Zusammenlebens ausbreitete, die von den Instinkten der Menge erhobenen Forderungen zerrinnen, und das herrische Geheiß der Göttin zwingt die Menschheit, wiederum weiter zu wirken an jenem ewigen Webstuhl alles Lebens - dessen Kette „Arbeit" heißt und dessen Einschlag „Verzicht". Die Dämmerung schwindet, der Tag bricht herein. Und jetzt bei dem steigenden Lichte erkennt die Menschheit die schleierumhüllte Gestalt. Sie erkennt ihre Meisterin: die eherne Notwendigkeit.

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Die eherne Notwendigkeit. Von Theo Schiicking. (Berlin.) Erschienen in: Die Gesellschaft. Monatsschrift für Litteratur, Kunst und Sozialpolitik. Hg. von Conrad und Jacobowsky. Minden. 4. Quartal 1898, S. 369-372.

Erinnerungen an Friedrich Nietzsche. Es war in R o m an einem regenschweren Sciroccotage des Frühlings 1883. Friedrich Nietzsche war vor kurzem angekommen, und unser kleiner Freundeskreis, dem seine Schwester schon seit längerer Zeit angehörte, begrüßte ihn heute zum ersten Male am gemeinsamen Mittagstische im Restaurant Bedeau. Neben Elisabeth Nietzsches rosig zierlicher Blondinenerscheinung nahm sich ihr Bruders hohe Gestalt mit den breiten Schultern, der stolz aufrechten Haltung und dem unerforschlich tiefen und wieder so seltsam warmen Ernste in den dunkeln Augen aus wie die Verkörperung geschlossener, edel gereifter Männlichkeit; einer Männlichkeit, die zu fest auf sich beruhte, um einer Kunst der Abwehr zu bedürfen, und welche die Milde des Starken übt. 1 Jenem ersten Zusammensein im Erdgeschoßraume des alten Hauses in der Via della Croce, vor dessen vergitterten Fenstern der Regen niederrauschte und ihn dämmerig und lichtlos erscheinen ließ, folgten noch andere dort. Nitzsche fühlte sich zu meinem Vater, Levin Schükking, sympathisch hingezogen und begegnete dem viel älteren Manne mit einer Feinheit, ich möchte sagen Anmut der Form, die etwas unbeschreiblich Gewinnendes hatte. Dabei gab er sich im Verkehr mit ihm, wie mit uns andern, ganz und gar einfach. Im fremdesten Fernen lag seinem Wesen jede Art persönlicher Eitelkeit, jede Möglichkeit einer Pose. Nitzsche kannte R o m gut, aber er liebte es nicht. Dazu empfand er das weiche, vorherrschend sciroccale Klima als unzuträglich für seine Kopfnerven, die seit Jahren von schweren Migräne-Attaquen heimgesucht wurden. Nie hörte man ihn indessen darüber klagen. N u r einmal sprach er davon. Er erzählte, daß dies Leiden aus jener Zeit herrühre, als er im Herbst 1870, vom Kriege heimgekehrt, eine Arbeit abschloß, die er noch als Schüler seines von ihm hochverehrten Lehrers Ritsehl von diesem übernommen hatte: die Anfertigung des Index für 25 1

Es ist sehr zu beklagen, daß Nietzsche nicht in jener Zeit gemalt worden ist, vor allem deshalb, weil sich eine ausgezeichnete Gelegenheit dazu bot. E r erneuerte nämlich damals eine frühere Bekanntschaft mit Lenbach, der von seinem Aeußern besonders seinem Blick so frappiert gewesen sein soll, daß er zu Bekannten sagte, Nietzsche besäße die schönsten Augen, die er je an einem Manne gesehen habe.

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Bände Rheinisches Museum, von denen, da er sie begann, erst 22 erschienen waren. Damals hatte es gegolten, die seitdem vollendeten drei letzten Bände, mit deren Druck man ihn drängte, noch philologisch sehr schnell durchzuarbeiten und überdies nachts bei Lampenlicht die Korrekturen - mit Anmerkungen in kleinster Schrift - zu machen. Er sagte dann noch, daß er jetzt auf eigene Verordnung hin Phosphor einnähme, weil ihm die Aerzte mitgeteilt hätten, in seinem Gehirn sei diese Substanz nicht genügend vorhanden. Und dabei lachte er. Sein Lachen hatte etwas überaus Liebenswürdiges, es klang so viel gutlaunige innige Belustigung heraus - niemals böser Spott oder gar Hohn. Und er lachte gern. Ich entsinne mich noch des Vergnügens, das ihm einmal meine Beschreibung einer Abendvorlesung in meiner ultramontanen Vaterstadt machte. Bei der Pointe, die darin bestand, daß sich der Recitator, dessen einziges Publikum mein Vater, meine Geschwister und ich bildeten, in der folgenden Nacht an einem Stricke aus dem Hotelfenster heruntergelassen hatte, um der Bezahlung der Rechnung zu entgehen - lachte er wie ein Kind und kam bald auf diese ihn offenbar sehr erheiternde Vorstellung zurück. Im ganzen freilich erschien er damals sehr ernst. Er vermied es, von Philosophie oder von metaphysischen Dingen zu reden und beobachtete über sein eigenes Schaffen ein zurückhaltendes Schweigen. Gelegentlich erwähnte er einmal seinen - derzeitigen - Verleger und rühmte von ihm ironisch-gelassen, daß er trotz der denkbar schlechtesten Geschäfte, die er mit seinen, Nietzsches, Werken mache, unentwegt behaupte, der enthusiastischte seiner Leser zu sein. Unter alledem barg sich tiefste, schmerzlichste Entmutigung. Wenige Monate vorher hatte er den ersten Teil seines Zarathustra in zehn Tagen niedergeschrieben. Unter denen, welchen er ihn zu lesen gab, war beinahe niemand, der ihn nicht mißverstanden hätte. So beschloß er - wie Elisabeth Förster-Nietzsche mitteilt - gerade in diesen in Rom verbrachten Wochen „unter dem Einfluß des inzwischen eingetretenen bedrückend schwülen Wetters und der schon oben erwähnten Entmutigung" - „überhaupt nichts mehr zu schreiben, jedenfalls keine Fortsetzung des Zarathustra. Er selbst sagte später von dieser Zeit: „Dann folgte ein schwermütiger Frühling in Rom, wo ich das Leben hinnahm - es war nicht leicht. Im gründe verdroß mich dieser für den Dichter des Zarathustra unanständigste Ort der Erde, den ich nicht freiwillig gewählt hatte, über die Maßen; ich versuchte loszukommen - ich wollte nach Aquila, dem Gegenbegriff von Rom, aus Feindschaft gegen Rom gegründet, wie ich dereinst meinen Ort gründen werde, die Erinnerung an einen Atheisten und Kirchenfeind comme il faut, an einen meiner Nächst-

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verwandten, dem großen Hohenstaufen - Kaiser Friedrich den Zweiten. Aber es war ein Verhängnis bei dem allen: ich mußte wieder zurück. Zuletzt gab ich mich mit der Piazza Barberini zufrieden, nachdem mich meine Mühe um eine antichristliche Gegend müde gemacht hatte. Ich fürchte, ich habe einmal, um schlechten Gerüchen möglichst aus dem Wege zu gehen, im Palazzo del Quirinale selbst nachgefragt, ob man nicht ein stilles Zimmer für einen Philosophen habe. Auf einer Loggia, hoch über der genannten Piazza, von der aus man Rom übersieht und tief unten die Fontana rauschen hört, wurde jenes einsamste Lied, das je gedichtet worden ist, das Nachtlied gedichtet; um diese Zeit ging immer eine Melodie von unsäglicher Schwermut um mich herum, deren Refrain ich in den Worten wiederfand: ,tot vor Unsterblichkeit'." „Tod vor Unsterblichkeit" ... diese gramvoll stolzen Worte hallten also auch damals in ihm wieder, während wir eines Nachmittags in einem kleinen, hart überm Tiber nächst der Brücke, die jetzt Ponte Cavour heißt, gelegenen Garten saßen und hinunterschauten auf den zu unsern Füßen träge dahinflutenden Strom, dem ewig lebendigen Erinnerungszeugen des antiken Rom. Lange saß er in seinen Stuhl zurückgelehnt schweigend da. Und dann äußerte er sein Gefallen an der stillen grünen Stätte, zu deren Frieden die Greuel des Verbrechens, das sie einst geschaut, in so grausamem Gegensatz standen. Hatte doch ihr gerade gegenüber Cäsar Borgia seinen Bruder, den jungen Herzog von Gaudia, überfallen und ins Wasser stoßen lassen. Nietzsche war ein genauer Kenner der Renaissance und besaß eine große Vorliebe für diese Epoche der Geschichte, ebenso mein Vater, dem sie als die interessanteste darin galt. Beide begegneten sich in der Verehrung des genialen Forschers Jakob Burckhardt, der Nietzsche persönlich nahe befreundet war. An jenem Nachmittage im Tibergarten war es, daß Nietzsche eine Bemerkung über Wagnersche Musik fallen ließ, deren feine Ironie charakteristisch für ihn ist. Er sprach davon, wie in Spanien das Verständnis und die Begeisterung für die Wagneropern in raschem Wachsen begriffen seien. Und als mein Vater seiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, diese altnordische Sagenwelt auf romanischem Boden Wurzeln fassen zu sehen, entgegnete er trocken, daß ja die Spanier seit Jahrhunderten bereits auf großwirkende Schauspiele vorbereitet worden seien: durch ihre Stiergefechte. Bei Wagners treuester Freundin, Malwida Meysenbug, die damals schon ihr lichtes schönes Heim nahe dem Kolosseum bewohnte, kamen wir bald darauf wiederum mit Nietzsche und seiner Schwester zusammen. Wie wir andern alle liebte und verehrte er die bedeutende

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Frau, mit der er vor Jahren gemeinsam einen Winter in Sorrent verlebt hatte, von ganzem Herzen. Mußte sie doch gerade ihn besonders anziehen, den sein nervöses Schönheitsgefühl so empfänglich machte für das Wohlthuende in der Atmosphäre, welche die edle Frau umgiebt. Als wir vor dem Aufbruch auf den Balkon des Hauses traten, um den eigenartig herrlichen Abendhimmel zu bewundern, über dessen Saum dunkelrote Wolken eine Purpurschleppe warfen, hing sein Blick an der jenseits des Kolosseums mächtig emporragenden Laterankirche - auf deren bildsäulengeschmücktem Dache als Giebelkrönung die überlebensgroße Statue des Täufers steht. Was für Gedanken mögen ihm genaht sein angesichts der wie zur Apotheose in die Lüfte hinausgehobenen Gestalt des Vorläufers jener Erlösungslehre, der er soeben in seinem Zarathustra durch den „Uebermenschen" den Krieg erklärt hatte. Der Tag unserer Abreise von Rom war erschienen. Am Abende desselben kamen Nietzsche und seine Schwester zu uns und brachten uns herrliche Rosen. Und während Nietzsche einige der schönsten davon meinem Vater gab, sagte er lächelnd, wie es ihm immer mißfallen habe, daß sich nicht auch Männer untereinander mit Blumen zu beschenken pflegten. Und dann schieden wir. „Auf Wiedersehen!" - - - so lauteten die letzten Worte, die wir uns zuriefen. Sechzehn Jahre sind seit jenen römischen Maitagen vergangen. Und wiederum ist's im Frühling, und ich gehe eine zwischen knospenden Blütenbäumen ansteigende Landstraße entlang, auf ein stattliches Haus zu. Sehr freundlich schaut es sich an mit dem hellen Sandsteinschmuck auf dem warmroten Maueruntergrunde, den großen Veranden, die ihm etwas so Gastliches verleihen. Aber auf der Landschaft ringsum ruht nicht die weichüppige Lenzpracht des Südens, sondern der herbe Reiz nordischen Naturerwachens. Scharf und grell erscheint das spärlich keimende Grün der Fluren, der aus den Knospen hervorbrechende Blütenschimmer steht hart gegen den graublauen Himmel mit den kaltweißen Windwölkchen daran, und die mittägliche Luft ist streng und kühl. An meinem Ziele angelangt, überschreite ich bewegt die Schwelle des Hauses, das Friedrich Nietzsche jetzt bewohnt - umgeben von aufopfernder schwesterlicher Fürsorge, die etwas unsagbar Rührendes hat in ihrem aus der Fülle der Liebe heraus intuitiven Erraten alles dessen, was von äußeren Eindrücken noch für sein Dasein wohlthuend wirken könnte. Um in der Gestaltung desselben unbeschränkt vorgehen zu können, hat Elisabeth Förster-Nietzsche dies Haus auf einsamer Höhe bezogen, das von ihr seitdem nur für die Bedürfnisse ihres teuren Kranken eingerichtet worden ist. Sie ist es auch, die ihm den

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Schmuck der Veranden gab, von deren größter, der untergehenden Sonne zu gelegener, Nietzsche gern die Blicke über das Thalgelände zu seinen Füßen schweifen läßt - in dessen Schöße Weimar ruht, die Stadt Goethes, der ihm als „dieser wahrhaft große Mensch" galt, „um dessentwillen man Deutschland lieben muß". Nietzsche verachtet das Mitleid. Nicht aus eigener Härte heraus. Nur zu wohl vertraut war es der zarten Güte und Milde seiner Natur, welcher überdies in so hohem Maße die Phantasie des Herzens zu teil geworden war. So konnte gerade ihm das Sichselbstverlieren des Gemütes in fremdem Schmerz, die seelische Identifizierung mit fremder Qual - von der wir erst, wenn sie sich auch physisch manifestiert, als „Stigmatisierung" reden - wie eine Gefahr für die Entwicklung zu männlich-starker, eigenartig geprägter Persönlichkeit erscheinen. Als ich am Abende die stille Landstraße zurückwandere, löst sich aus den mannigfaltigen Empfindungen, die dieser Tag in mir wachgerufen hat, die eine herrschende aus: Ehrfurcht vor der erschütternden Tragik des Menschenschicksals, das sich dort in dem roten Hause auf der Höhe erfüllt, Ehrfurcht - nicht Mitleid. So wirkt dieser große Geist auch da er gelähmt und seiner nicht mehr mächtig ist, noch zwingend auf uns ein. Erinnerungen an Friedrich Nietzsche. Von Theo Schücking. Erschienen in: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Litteratur und Kunst. Hg. von E. u. S. Eisner. II. Jg., 1. Halbjahr Oktober 1899-März 1900, Berlin 1900, S. 18-20.

Marie von Ebner-Eschenbach. Marie von Ebner-Eschenbach - die Nennung dieses Namens läßt die Kunst der alten Meister vor uns erstehen: jene Bildnisse von Männern und Frauen, aus deren Zügen eine so geheimnisvoll vertiefte Innerlichkeit spricht, daß uns die Empfindung überkommt, als seien die Töne und Lichter, mit denen sie gemalt, nicht auf der Palette gemischt, als seien sie aus dem Seelengrunde dieser Menschen genommen worden. Noch nach Jahrhunderten nimmt uns ihre geistige Eigenart so gefangen, daß wir über dem Verlangen, zu erforschen, was in ihnen vorging, ganz vergessen, ihr Kostüm oder die Umgebung, in die sie der Künstler gestellt hat, näher zu betrachten. Auch Marie EbnerEschenbach gegenüber fühlen wir uns so sehr im Banne ihrer Persönlichkeit, daß sie für uns aus dem Lebensrahmen, den ihr das Schicksal

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gab, ganz heraustritt und wir ihn kaum beachten. Damit thun wir nun wohl dem einen wie dem andern Unrecht, dem Schicksal wie dem Maler. Wie diesen sicherlich bei der Färbung und Anordnung der Umgebung seines Menschenbildes eine bestimmte Absicht leitete, so dürfen wir diese wohl auch hier dem Schicksal unterschieben. Durch ihre Geburt auf die Höhen des Lebens gestellt, wuchs Marie Ebner inmitten der Gesellschaft der oberen Zehntausend auf, an deren Lichtseiten sie durch die Erbschaft des Blutes in ihr Teil hatte - um nur eine unter ihnen anzuführen: die seit Generationen geübte Pflege verfeinerter Lebensformen und die dadurch bedingte Gewöhnung zur Selbstbeherrschung - , deren Schatten sie aber die Selbständigkeit ihres Geistes früh erkennen ließ. Nie hätte sie als eine Außenstehende diese Gesellschaft später so wahrheitsgetreu schildern können, daß wir deren Menschen vor unseren Augen einhergehen sehen, ihre Blicke auf uns ruhen fühlen und ihr Lachen und ihre Seufzer zu vernehmen glauben. Dadurch aber, daß die Familie, der sie entstammt, dem grundbesitzenden Adel angehörte, gewann sie früh die Kenntnis davon, daß es ganz in ihrer Nähe noch eine andere Welt als die ihre gab, in die ihr Herz sie dann bald den Weg finden ließ, die Welt der Armut und der Mühsal, der schweißbedeckten Stirnen und der hartschwieligen Hände. So wurde sie in gleicher Weise heimisch in Schloß und Hütte, wurde hier wie dort eine gleich erfahrene Kennerin der Herzen und der Seelen. Gewiß, daß sie auch den vollgemessenen Preis für diese Begünstigung zu entrichten hatte. Auch Annette von Droste-Hülshoff, die sich unter denselben Bedingungen entwickelte, mußte dies. Beiden gestand die aristokratische Abneigung ihrer Umgebung gegen den Eintritt der Frau in die Oeffentlichkeit lange Zeit hindurch die Bethätigung dessen, was doch die Krone ihrer Persönlichkeit war - nur als aus Liebe geduldet zu. Sicherlich hat dies dazu beigetragen, daß beide erst in verhältnismäßig späten Jahren zur vollen Blüte ihrer Kunst gelangten. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Kunst gerade ihre höchste Vollendung aus einer Innerlichkeit erhielt, die sich in Jahren konzentrierten einsamen Schaffens bis zum hellsichtigen Erkennen verborgenster Herzensvorgänge gesteigert hatte. Marie von Ebner-Eschenbach kam am 13. September 1830 auf Schloß Zdißlawitz in Mähren als zweite Tochter des Grafen Franz Dubsky zur Welt. Ihre Mutter, Marie von Vockel, der ihre Geburt das Leben kostete, entstammte einer alten Freiherrnfamilie des Königreichs Sachsen. Sie muß eine von reinster Herzensgüte und hoher Anmut durchleuchtete Erscheinung gewesen sein. Marie Ebner hat es später erzählt, wie es sie als Kind stolz und glücklich gemacht hat,

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wenn ihr die Gutsangehörigen sagten: „Ja, Ihre Mutter, das war eine Frau!" Die Lebensflamme der kleinen Marie war eine sehr schwache und drohte schon nach einigen Tagen Daseins zu verlöschen. Als ein sterbendes Kind brachte man sie eine Woche später nach Wien. Sorglichster Pflege, die sich um sie mühte, gelang es indessen, sie zu einem blühenden kleinen Wesen heranzuziehen, dessen Gesundheit sich nicht nur in körperlicher Frische, sondern auch in einer großen geistigen Lebendigkeit erwies. Einige Zeit nach dem Tode seiner ersten Gattin ging Graf Dubsky eine neue Ehe ein. Aus ihr, wie auch aus der dritten, die er nach einer Reihe von Jahren schloß, nachdem er zum zweitenmale Witwer geworden, entsprossen mehrere Söhne und Töchter. In ihrem Beitrage zu der Geschichte des Erstlingswerkes hat uns Marie Ebner von ihren Kinderjahren und von dem Sonnenschein, der auf ihnen lag, erzählt. Ein überaus lerndurstiges Kind, eignete sie sich mit größtem Eifer alles an, was ihr an Wissenstoff durch ihre Lehrer geboten wurde. Sehr früh auch begann ihre Phantasie schöpferisch zu gestalten, und sie zählte noch nicht vierzehn Jahre, als sie sich damit trug, eine große dramatische Dichterin zu werden. In der That gehörte denn auch ihre erste Dichtung der Bühne an: Marie Stuart in Schottland. Sie wurde an der Stuttgarter Hofbühne aufgeführt und sehr gut aufgenommen. Eine Achtzehnjährige, vermählte sich Gräfin Marie Dubsky mit ihrem Vetter. Baron Moritz von Ebner-Eschenbach galt schon damals als ein außergewöhnlich tüchtiger Offizier, und nicht allein seiner reichen Kenntnisse in seiner Fachwissenschaft halber - er gehörte der Ingenieurwaffe an - , ihm war auch eine umfassende humanistische Bildung zu eigen. In glücklicheren Zeiten, als es die nachmärzlichen Tage für Oesterreich waren, hätte es wohl nicht einmal der wichtigen technischen Erfindungen, mit denen er die Kriegswissenschaft bereicherte, bedurft, um ihn zu einer hervorragenden Stellung in der Armee zu befördern. Aber unter den damals für diese maßgebenden Konstellationen wurde er bald jener Gruppe von Offizieren zugezählt, deren militärische Begabung und Weitsichtigkeit zu verwerten, sich ein dumpfer Antagonismus scheute. Im Jahre 1875 reichte Baron Ebner seinen Abschied ein und trat mit dem Range eines FeldmarschallLeutnants in den Ruhestand. Die ersten zwei Jahre nach ihrer Verheiratung wohnte Marie Ebner in Wien und siedelte dann, da ihr Gatte als Lehrer an der dortigen Ingenieurakademie angestellt wurde, nach Klosterbruck über. Hier verlebte sie zehn Jahre, nach deren Verlauf Wien der ständige Wohnsitz des Ehepaares wurde. Die Sommermonate verbrachte sie stets in

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der alten Heimat. Schloß Zdißlawitz war nach dem Tode des Vaters in das Eigentum ihres ältesten Bruders, des Grafen Adolf Dubsky, übergegangen. In Wien und Zdißlawitz - einige kleinere Reisen und Sommerstationen in St. Gilgen am Abersee abgerechnet - sollte sich bis vor kurzem Marie Ebners Leben in ziemlich gleichmäßigem Wechsel zwischen diesen beiden Stätten abspielen. Auch darin weist es eine Verwandtschaft mit dem Annette von Drostes auf, daß es nach außen hin einförmig verlaufen ist und daß es vorwiegend innere Erlebnisse waren, von denen es bewegt wurde. Im Jahre 1875 erschien Marie Ebners erstes Buch, ein Band Erzählungen. Er blieb unbeachtet, so sehr er auch schon die hervorragende dichterische Eigenart und den tiefen Ernst ihres Künstlertums erkennen ließ. Nicht anders erging es dem ein Jahr nachher von ihr herausgegebenen Roman Bozena, der dann später eines ihrer meistgelesenen Bücher wurde. Erst zu Anfang der Achtzigerjahre eroberten sich ihre nun in ziemlich rascher Folge erscheinenden Schöpfungen die ihnen gebührende Stelle in der deutschen Lesewelt und im Auslande. Seitdem hat sich Marie Ebners Können nicht nur auf seiner Höhe erhalten: es hat sich in stetig aufsteigender Linie bewegt, und ein jedes Werk, das sie uns gegeben, hat uns immer nur bis zum Erscheinen des nächsten als das beste und reifste ihrer Kunst gegolten. Ich versage es mir hier, unter ihren Erzählungen einzelne anzuführen, enthalten sie doch alle Gestalten, die in unserer Vorstellung für immer lebendig sind. Zeigte sie schon in dem Roman Das Gemeindekind (1887) eine wunderbare Herzenskenntnis, so erwies sie sich in Unsühnbar, der einige Jahre später erschien, als eine geradezu unvergleichliche Meisterin der Seelenanalyse. Im Jahre 1897 traf Marie Ebner ein schwerer Verlust durch den Tod ihrer geliebten Schwester - Friederike Gräfin Kinsky - mit der sie, soweit ihr Erinnern reichte, jeglichen Tag ihrer Kindheit verlebt hatte. Im folgenden Jahr verlor sie ihren Gatten. Sein Lebensabend war durch körperliche Leiden sehr getrübt worden, unter denen das Schwinden des Augenlichtes den bis in sein hohes Alter allen seinen geistigen Interessen Treugebliebenen am schwersten drückte. Die Sorgen und Schläge der letzten Jahre hatten ihre Gesundheit angegriffen, und so entschloß sie sich im Herbste 1898, den Winter in Rom zu verbringen, gemeinsam mit ihrer ihr seit Jahren in innigster seelischer Gemeinschaft verschwisterten Freundin, Frau Ida von Fleischl. Die alte Zauberin Roma übte auf ihr wundes Gemüt die alte Heilkraft. Geistig und körperlich erfrischt und verjüngt, kehrte sie im Frühjahr 1899 nach Wien zurück. Nach wenigen Wochen schon

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wurde sie hier von einem neuen tiefschmerzlichen Verlust betroffen, dem Tode Ida von Fleischls. (vgl. L. E. I, 1214). Den Winter von 1899 und 1900 hat Marie Ebner wiederum in Rom verlebt. Sie widmete ihn der Schöpfung eines Romans, dessen Handlung in die Zeit der florentiner Renaissance fällt, und der uns als das Vollendetste erscheint, das wir ihrer Hand verdanken. Es waren die frühen Morgenstunden, in denen sie daran arbeitete, zur Zeit des Erwachens des von so mannigfaltigen, erstaunlich grellen Tönen durchschwirrten römischen Straßenlebens. Sie hielt daran fest, sie regelmäßig an ihrem Schreibtische zuzubringen, trotz allem, was in Rom an ablenkenden und zeitraubenden Erscheinungen auf sie eindrang. Von je hat sie außer der Kunst des Erzählens auch eine andere große und schwere Kunst geübt, die der Zeiteinteilung. Es ist bewundernswert, was diese Frau in ihren Tag hineinzunehmen und darin zu beenden weiß. Niemals finden ihre Freunde sie müßig, und die schmalen Hände legen sich nur dann unbeschäftigt im Schöße zusammen, wenn sie Besuche empfängt und mit ihnen plaudert. Und wie versteht Marie Ebner zuzuhören! Nicht nur das Gesagte vernimmt ihr Ohr auch was ungesprochen bleibt, weil es aus dem Labyrinth der Brust heraus noch nicht das Wort fand. So ist sie für ihre Freunde eine Beraterin sondergleichen, ohne die sie keinen wichtigen Entschluß fassen mögen. Sie liebt es, sie zur Theestunde in kleinstem Kreise um sich zu versammeln. Ihr Sinn für harmonische Formen spricht sich auch darin aus, daß sie dabei stets eine allgemeine Konversation, an der jeder gleichen Anteil nehmen kann, herbeizuführen sucht, die Einzelgespräche, jene Untugend unserer modernen Geselligkeit, sind ihr unsympathisch. Wohl allen, denen es vergönnt wurde, bei Marie Ebner zu Gast zu sein, ob es nun in ihrem tagsüber von römischer Sonne durchstrahlten Salon an der Piazza di Spagna oder in den behaglich schönen Räumen ihrer Wohnung in Wien war, werden die bei ihr verbrachten Stunden für immer in der Erinnerung haften. Ein Gefühl seelischen Geborgenseins überkommt den bei ihr Weilenden, während er in diese weichen, durchgeistigten Züge schaut, mit der wundervollen Stirn, über die sich der wellige Scheitel von jenem schönen Weiß legt, wie es sich nur bei einstmals blondem Haar einstellen mag. Unergründliche Güte liegt in der Tiefe der klaren Augen und zugleich ein sanftes Forschen, das warm bis in das Innerste fremden Wesens dringt. In der Atmosphäre reinster Menschenliebe, die sie umgiebt, fühlt sich ein jeder aus dem Alltäglichen herausgehoben und das Beste in sich wachgerufen. Dadurch hat sie, ohne es zu wissen, in ihrem Leben fortgesetzt veredelnd auf andere eingewirkt,

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ganz zu schweigen von dem stillen Einflüsse ihrer Umgangsformen, die der vollendete Ausdruck feinfühligen Empfindens für die Stimmungen der andern sind. Aber wenn somit ihre Persönlichkeit an sich eine erzieherische Macht ausübt - nichts liegt ihrem Wesen ferner als ein Belehren- oder Schulmeisternwollen, wie scharfsichtig ihr Auge auch anderer Vorzüge und Mängel zu unterscheiden vermag. Gleich dem edlen Kaiser Josef, dem Schätzer der Menschen, entdeckt sie rasch das Gold im Schachte der Herzen und schrieb das taube Gestein der Fehler gelassen bei Seite. Marie Ebner äußert sich selten über ihre eigenen Arbeiten, aber sie spricht und hört gern von den bedeutenderen neuen Erscheinungen in der Bücherwelt. Kaum eins der hervorragenderen Werke in der europäischen Litteratur, mit dem sie sich nicht bekannt machte. Auch dann, wenn sie im vorhinein weiß, daß es einer Richtung angehört, die nicht die ihre ist. Und immer ist ihr Urteil von gleich feinem Verständnisse und gleich eingehender Würdigung aller Vorzüge diktiert. Nur dort lehnt sie unbedingt ab, wo die Reinheit der künstlerischen Absicht fehlt. Es bedarf nicht des Eindruckes, den die Erscheinung Marie Ebners hervorruft, um zu wissen, was ihre Bücher aussagen: daß bei ihr die Ausbildung des künstlerischen Könnens untrennbar mit der der Persönlichkeit verbunden ist. Nach ihrer Ansicht kann sich nur mit Hilfe einer nie ruhenden Veredlung des Charakters und stetigen Steigerung der eignen Ansprüche an sich selbst die adelig reine, höchste Entfaltung des Talentes vollziehen. Und als derjenige Verlust in der Kunst, der dem Sinkenlassen der Persönlichkeit unmittelbar auf dem Fuße folgt, gilt ihr der des Vermögens zum Herausarbeiten gewisser edler Feinheiten, die sich wie die Facetten des Diamanten nur von gleich kostbarem Material herausschleifen lassen wollen. In dem Aphorismus: „Der Charakter ernährt oder verzehrt das Talent" hat sie dieser Anschauung prägnanten Ausdruck gegeben. Und sie selbst stellt jedenfalls die reinste Verkörperung dieses Zusammenklangs zwischen Persönlichkeit und Talent dar. Schwer ist es für den weiten Kreis derer, die sie verehren, die Thatsache in der Vorstellung zu realisieren, daß sie in diesem Monat schon ihr siebzigstes Lebensjahr zurücklegt. Scheint doch ihre noch stetig wachsende Kunst, wie die Anmut ihres Wesens eine unverwelkliche Jugend in sich zu bergen; eine Jugend, die sie mit verständnisvollster Liebe an dem Ergehen und Gedeihen der frischen Reiser an dem alten Familienstamme, der Kinder und Enkel ihrer Geschwister, Anteil nehmen läßt. Die Treue, die ein Grundzug ihrer Natur ist, hat sie in Heimat und Familie ihre stärksten Wurzeln schlagen lassen. Und so findet

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sie denn ihr Geburtstag auf dem Boden und in dem Kreise, mit dem ihr Gemüt auf das Innigste verwachsen ist. Aber die Feier, die dort am 13. September begangen wird, schlägt ihre Wellen weit hinaus über die Marken von Zdißlawitz. Große Ehrungen für sie sind in Wien zu diesem Tage geplant, und aus dem Deutschen Reich werden ihr dazu eine nicht geringe Schar von Glückwünschen wie aus ihrem Oesterreich zukommen. So reich an verehrender Liebe in Nähe und Ferne - sicherlich wird sich für sie dieser Tag, der für andere, minder Gesegnete, den Eintritt in herbstliche Kühle bedeutet, zu einem von sonniger Wärme durchfluteten gestalten, denn: ... was so frisch der Bäche Ufer schwellt, Wie sollte seinen Born es nicht erfüllen! Marie von Ebner-Eschenbach. Von Theo Schücking (Kufstein). Erschienen in: Das litterarische Echo. Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde. Hg. von J. Ettkinger. II. Jg., Heft 23, 1. September 1900, Berlin, Sp. 1623-1628.

Marie von Ebner-Escbenbacbs Heimat Ein weites Hügelland, das fruchtbare, von üppigem Saatenreichtum schwellende Felder decken, aus deren Wellen sich nur hie und da, gleich Inseln, dunkle Wälder herausheben - das ist die mährische „Hanna", die Heimat Marie von Ebner-Eschenbachs. Auf Zdißlawitz, dem jetzigen Stammsitze der Grafen Dubsky, kam sie als die zweite Tochter des Grafen Franz Dubsky am 13. September 1830 zur Welt. Gastlich schimmern die weißen Mauern des Schlosses, das auf einer Anhöhe liegt, zwischen den Parkwipfeln hervor, die es umkränzen, und von seinen Fenstern blickt man über die gesegneten Fluren hinweg bis zu ihrer Begrenzung durch niedrige Gebirgszüge, die Ausläufer der Karpaten. Unter dem langgestreckten Dache von Schloß Zdißlawitz hat sich Marie Ebners Kindheit und Jugend und der größere Teil ihres Lebens abgespielt. In ihrem biographischen Fragment Aus meinen Kinderund Lehrjahren hat sie eine so überaus liebenswürdige Schilderung jener vergangenen Tage entworfen, daß wir diese selbst wenigstens in einem kleinen Bruchstücke wiedergeben. „In jener Zeit brachten wir den größten Teil des Jahres in Zdißlawitz, dem Gute meines Vaters, zu, kamen erst im Spätherbst nach Wien und zogen im Vorfrühling aufs Land. Die Tage der Abfahrt, der

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Reise, der Ankunft waren befugte freie Tage für die Kinder. Wir wußten uns aber auch einige unbefugte zu erschwindeln. Sobald der erste für unsere Effekten bestimmte Koffer sich blicken ließ, waren auch schon unsere Bücher und Theken hineingeschmuggelt - unmöglich noch eine Lektion zu nehmen, alle Lehrgegenstände fehlten. Wir summten müßig im Hause herum, in der Küche, in den Vorzimmern, krochen in die noch leer stehenden Kisten, verbargen uns im Stroh, genierten alle Welt und wurden fortgeschafft, wo wir uns zeigten; das alles war uns unbeschreiblich angenehm, am angenehmsten aber die Reise selbst. „Heute legt man die Strecke (Wien-Zdißlawitz) in sechs Stunden zurück, damals brauchten wir anderthalb, wenn das Wetter schlecht war, auch wohl zwei Tage; ein Nachtlager gab es immer, und je länger wir unterwegs blieben, desto lieber war es uns. Die Postillone bekamen ein Extratrinkgeld „fürs Blasen", und gar herrlich schien es uns, unter schmetternden Fanfaren über die Landstraße und durch Ortschaften zu rollen. „Die Ankunft in der Stadt war immerhin erfreulich wegen des alten Spielzeugs, das wir dort zurückgelassen hatten und wiederfanden. Nach der langen Trennung kam es uns vor wie neugeschenkt und trotz mancher Schadhaftigkeit schöner denn je. Aber was bedeutete dieses Wiedersehen mit alten Bekannten aus Holz oder Blech im Vergleiche mit den lebendigen Freunden, die uns bei einer Ankunft in Zdißlawitz erwarteten. War das ein Drängen im Schloßhof, wenn unsere drei Reisewagen vorfuhren; war das ein Willkommrufen und ein Händeschütteln und ein Versichern, man hätte die Stunde, die uns wiederbringen sollte, kaum erwarten können! „Unter dem Thor, auf ihren Stock gestützt, stand eine alte Frau, ,Urgroßmutter' wurde sie im Hause genannt; man rechnete ihr nach, sie sei weit über neunzig. Unter unseren Großeltern schon hatte sie ihr halbhundertjähriges Dienstjubiläum gefeiert und lebte jetzt als Pensionärin im Schlosse. Ihr kleines, feines Gesicht war schneeweiß, weiß die zierlich gefältete Haube, die es umrahmte, weiß das über die Brust gekreuzte Tuch. Sie sprach fast nie; die weichen Schuhe, in denen sie einherhumpelte, machten ihren Gang unhörbar. Wir empfanden gewöhnlich einige Scheu vor ihr, doch kam diese im Freudenrausch der Heimkehr nicht zur Sprache. Die alte Frau erwiderte unsere Grüße scheinbar unbewegt, aber wir vernahmen das laute Klopfen ihres Herzens, wenn sie sich niederbeugte, um uns auf die Stirn zu küssen. Nicht minder herzlichen Willkomm als die Menschen daheim bot die heimische Natur: die Felder, die Wiesen, die blütenüberschneiten Bäume am Wegesrand und im Garten jeder Strauch und

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jeder Halm. Kein schöneres Wiedersehen aber als das der doppelreihigen, breitästigen Lindenallee, unseres liebsten Spielplatzes an heißen Sommertagen - o, wie herzlich wünschte ich oft ein Riese zu sein mit ungeheuren Armen, um all diese Wipfel umfassen und ans Herz drükken zu können - " Auch nachdem sich die Achtzehnjährige mit ihrem Vetter, dem hochbegabten Ingenieur-Offizier Moritz Freiherrn von EbnerEschenbach vermählt hatte, verbrachte sie die Sommerzeit stets in Zdißlawitz, gemeinsam mit ihrem Gatten, wenn ihn sein Beruf nicht in die Ferne führte. Da er derselben Familie angehörte wie sie, legte ihr ihre Heirat kein schmerzliches Losreißen von dem Boden des Elternhauses auf. Die Wurzeln, die schon das Kinderherz so tief in die Heimaterde versenkt hatte, wurden nicht gelockert durch den Eintritt in ein neues Dasein, sie konnten sich mehr und mehr festigen und stärken. Und ebenso sind die Fäden des Gemütes, welche, solange sie zu denken vermag, Marie Ebner untrennbar mit denen verknüpft haben, die ihres Blutes sind, in langer Jahre wechselvoller Reihe nur immer unzerreißbarer geworden. Nach dem Tode ihres Vaters übernahm ihr ältester Bruder, Graf Adolf Dubsky, die Herrschaft Zdißlawitz. „Der beste aller Brüder", so nennt sie ihn einmal. Und in der That darf Graf Dubsky als die Verkörperung aller Eigenschaften gelten, die diese Charakterisierung in sich schließt: zartes Erraten von unausgesprochenen Wünschen, liebevolles Bereiten fürsorglich ausgedachter kleiner Daseinsbehaglichkeiten, wachsame Ritterlichkeit, die alles von der Schwester abzuwehren sucht, was sich einer hochstehenden Frau von zudringlichem Alltagsgetriebe zu Mühlsal und Belästigung an die Sohlen heften möchte, und als Untergrund so mannigfach sich in Worten und Thaten äußernder Treue eine lebenslange, tiefe, verehrende Liebe. Im Jahre 1860 wurde Marie Ebners Gatte von Klosterbruck an der Thaya, wo er ein Jahrzehnt hindurch als Lehrer an der IngenieurAkademie gewirkt hatte, nach Wien versetzt, und von nun an verlebte sie die Wintermonate ebenfalls in der Nähe der Ihrigen. Das Ehepaar bezog eine Wohnung im dritten Stocke des Dubskyschen Familienhauses in der Rotenturmstraße, in dessen zweitem Stocke die Stadtwohnung Graf Adolf Dubskys lag. Als ihn das Schicksal traf, seine erste Gattin durch den Tod zu verlieren, war Marie Ebner seinen Kindern die sorglichste Mutter, eine Liebe, die ihr nun in beglückender Weise erwidert wird. Ist ja stets echte Liebe eins: was sie giebt, wird ihr zur Umgebung, was sie denkt, macht sie selbst zu liebender Gedanken Mittelpunkt. Aus den Kindern sind seitdem ganze, der Segnungen ihrer Erziehung innerlichst bewußte Menschen geworden.

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Und nicht nur ihnen, allen Kindern ihrer Geschwister hat Marie Ebner jene Liebeswärme entgegengebracht, aus der heraus sie an ihrem sechzigsten Geburtstage das schöne Wort sprach: „Die Kinderlose hat die meisten Kinder." Vor einer Reihe von Jahren vergrößerte Graf Adolf Dubsky Schloß Zdißlawitz durch einen neu angebauten Seitenflügel, und seitdem hat Marie Ebner darin stets dieselben Räume im ersten Stocke bewohnt. In Schattenleben hat sie uns in meisterhaft auf den Vorwurf gestimmten weichen Zügen, über denen es wie Dämmerungsschleier liegt, eine abendliche Wanderung auf dem Gange, an den sie stoßen und dessen Fenster auf den inneren Hof und auf die Lindenallee gehen, geschildert. Noch früher als in Wien und Rom beginnt Marie Ebner ihren Tag in Zdißlawitz. Die ersten Stunden gehören der Arbeit, selten findet das Morgenlicht sie nicht schon an ihrem Schreibtische - an dem sie doch nur körperlich weilt in diesen Stunden intensiver Schaffensthätigkeit. „Ich bin dann gar nicht hier," sagte sie einmal, als sie von ihren Frühstunden sprach. Ihre Seele geht jenen verschlugenen, nur von dem Lichte dichterischer Intuition erhellten Wegen nach, die zu den Geheimnissen der Menschenbrust führen. Und sie erschaut die versteckten Hemmungen wie die verborgen wirkenden Triebfedern menschlichen Thuns, sie horcht auf das Schlagen eines geängstigten Herzens, das Pulsieren einer verlangenden Leidenschaft, und furchtlos blickt sie hinab in die dunklen Tiefen des schuldigen Gedankens, in die Abgründe schuldigen Thuns. Aus den lebenatmenden Bildern aber, die sie in diesen Stunden entwirft, lösen sich jene Gestalten los, die un sfortan gleich teuren Weggenossen auf unseren Pfaden begleiten und an unserem Herde vertraute Gäste werden. Auch den, der das Glück hat, Marie von Ebner-Eschenbach seit vielen Jahren zu kennen, wandelt stets von neuem das Staunen an über die Kunst ihrer Zeiteinteilung, mit deren Hilfe sie den vielfältigsten Ansprüchen an ihr Gemüt und an ihre Zeit gerecht zu werden vermag. Weises Raten und mildes Führen, liebevolles Thun und großherziges Handeln drängen sich in ihren Tag zusammen. So ist denn auch keine Familie in Dorf Zdißlawitz und in seinem Umkreise, an deren Erlebnissen fröhlicher oder trauriger Art sie nicht wärmsten Anteil nähme, einen Anteil, auf dessen Bethätigung man dann freilich so sicher zu bauen gewohnt ist wie auf die Folgen von Regen und Sonnenschein. Ein Wunsch, den sie lange in den Tiefen ihres Herzens gehegt und für dessen Verwirklichung sie Jahre hindurch die Erträgnisse ihrer Arbeiten zurückgelegt, hat sich seitdem erfüllt. Im Dorfe steht jetzt ein geräumiges Armenhaus, das Graf Adolf Dubsky errichten ließ und das im Herbst 1900 seine ersten Be-

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wohner aufnahm. Es wird ein Ziel mehr abgeben für Marie Ebners Spaziergänge, die beinahe immer einem guten Zwecke gelten, dem Besuche alter Freunde, einstiger Bediensteter auf dem Gute. In einem Briefe plaudert sie darüber, welche Freude es ihr ist, „irgend ein getreues altes Möbel" zu begrüßen, „mit dem ich von längst vergangenen Zeiten, längst dahingeschiedenen Menschen sprechen kann. Und da freut mich's halt, wenn jeder, der mir begegnet, mich freundlich ansieht und mir die Hand reicht und sagt: Das ist gescheit, daß Sie wieder zu uns kommen." Wie manches Mal ist sie den Weg gewandelt, der vom Dorfe zum Schlosse führt, wie manche Vorstellung, manche Sehnsucht ihres Lebens ist ihr hier zur Seite geschritten. Und von wie vielen Träumen vergangener Tage bringt ihr das Rauschen der alten Linden im Garten, unter denen ihrer Kindheit Spielplatz war, die Erinnerung zurück. Viele unter diesen Träumen, die sich in edelster nicht nur, auch in glänzendster Gestalt erfüllt haben; aber welches Dichterleben gliche nicht dem Flusse, dessen Tiefen, so reiches Gold auch daraus ans Licht gefördert wurde, noch manche edle Körner bergen, auf die nie ein Sonnenstrahl gefallen. Nur an einen Umstand sei erinnert. Nachdem Marie Ebners Drama Maria Stuart in Schottland von Eduard Devrient in Karlsruhe mit gutem Erfolg aufgeführt worden war und sich dort jahrelang auf dem Spielplan gehalten hatte - Eduard Devrient brachte dies Stück später sogar, wie wir jetzt wissen, für den Schillerpreis in Vorschlag1 - , entsagte sie für immer der Bühne angesichts der unbenennbaren Behandlung, die die Wiener Presse ihrer von Laube mit Freude begrüßten und angenommenen Gesellschaftskomödie Das Waldfräulein hatte zu teil werden lassen. Wohl hatte es ihr seit ihrer frühen Jugend als höchstes Ziel vorgeschwebt, eine große dramatische Dichterin zu werden; solcher Art der Gegnerschaft indessen, wie sie sie damals kennen lernen sollte, fühlte sie sich nicht gewachsen. Aber es sind nicht nur Erinnerungen an weit vergangene Tage, die sie in der alten Heimat umgeben, Zeugen auch von jüngst erlebten großen Eindrücken ihrer Seele empfangen sie hier, wenn sie nach einer längeren oder kürzeren Abwesenheit zurückkehrt. Das Parterre vor dem Schlosse ist mit römischen Erwerbungen geschmückt. Die drei vorletzten Winter hat Marie Ebner in Rom verbracht, und Graf Adolf Dubsky, der sie jedesmal über die Alpen geleitete, hat in Rom die mächtigen Steinlöwen, die Hüter jetzt der Schwelle des Schlosses, und 1

Vergl. den „Briefwechsel zwischen Gustav Freytag und Eduard Devrient" in unseren Monatsheften, Dezember 1901, S. 355.

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die schöne, in Marmor ausgeführte Nachbildung der Flora des Vatikans angekauft und hierher gebracht. Noch ein Standbild ließ Graf Dubsky vor kurzen im Garten aufstellen, Marie Ebners Marmorbüste von dem Wiener Bildhauer Robert Weigl, die sich nun leuchtend von dem Hintergrunde dunklen Nadelholzes abhebt. Das bescheidene und doch so vornehme kleine Denkmal zeigt den Kopf der Dichterin in meisterlicher Wiedergabe. Es ruht auf einem anderthalb Meter hohen Sockel aus Laaser Marmor, dessen Vorderseite ein Bronzerelief mit der Darstellung einer Scene aus dem Gemeindekind trägt. Pavel, der Held dieser ergreifenden Erzählung, ruht unter einem hohen Baume, während sein Blick an dem im letzten Strahl der Abendsonne erglänzenden Kloster drunten im Thale hängt, in dem seine Schwester soeben den Schleier genommen hat. In der Nähe dieser Stätte, der Bruderliebe so unvergänglichen Schmuck verlieh, erhebt sich in einem Rundell unter alten, schönen Fichten ein reizvoll fremdartiger Bau, die architektonische Wiederholung des Achmed-Brunnens. Baron Moritz Ebner war es, der ihn einstmals errichten ließ als Wetterwarte, in der er dann viele Jahre hindurch meteorologische Beobachtungen und allerlei Messungen vornahm, bei denen Marie Ebner ihrem Gatten oft geholfen hat. Seit seinem Ubertritte in den Ruhestand - Baron Ebner war im Jahre 1875 um seinen Abschied eingekommen - gab er sich nur um so eifriger seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten hin, und bis zu seinem letzten Tage blieb er allen seinen geistigen und künstlerischen Interessen treu, trotz körperlicher Leiden und der Verdunkelung, die das Schwinden des Augenlichtes über seinen Lebensabend brachte. Im Jahre 1898 trennte der Tod eine Ehe, deren fünfzigjährige Dauer nach Verlauf von nur wenigen Monaten hätte gefeiert werden sollen. Als sie dieser Schicksalsschlag traf, war Marie Ebner noch tief gebeugt durch den Tod ihrer edlen Schwester, Friederike Gräfin Kinsky, die sie vor kaum einem Jahre verloren hatte. Ihre Gesundheit, die unter diesem Schmerze und unter der steten Sorge um ihren Gatten gelitten hatte, gab jetzt nach seinem Hingange ernstlichen Anlaß zur Beunruhigung. Eine gute Fügung wollte es, daß ihre so innig geliebte, seit Jahrzehnten ihrem Herzen nicht nur, auch ihrem Geiste am nächsten stehende Freundin, Frau Ida von Fleischl-Marxow, den folgenden Winter in Rom verbringen sollte. Marie Ebner begleitete sie dorthin; es war das erste Mal in ihrem Leben, daß sie römischen Boden betrat. Rom wirkte auf sie wie eine Offenbarung, neue Weiten der Erkenntnis eröffneten sich vor ihr. Sie sagte einmal von diesem ersten römischen Winter, daß er der weihevollste ihres Lebens gewesen sei. „Keiner von euch kann ermessen, was es heißt, im neunundsechzigsten Jahr zum

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erstenmal seinen Fuß auf die Stätte zu setzen, die einst die Achse der Welt war." Und nur wenige Zeilen weiter lesen wir in einem Briefe, den sie kurz vor ihrem Abschiede von Rom im Frühling 1899 schrieb: „Früchte werden diese goldenen Tage mir nicht tragen. Ich habe nicht mehr die Zeit und die Kraft, zu verwerten, was ich hier erwarb." Diese Worte sollten sich nicht erfüllen. Als sie sie niederschrieb, vergaß sie, daß es nicht bei ihr stand, über ihr Schaffen zu entschließen, daß wieder einmal ihre eigenen Worte an ihr wahr werden sollten: Ich diene ja, seht ihr, bin willenlos In meines Dämons Macht - Wie nenn ich Ihn? Heißt er vielleicht - daß G o t t erbarm - Talent?

Bei einem Spaziergange in der Villa Mattei war sie staunend stehen geblieben vor einer fremdartigen, in ihrer Üppigkeit an die Tropen gemahnenden Blütenrispe auf schlanken, hoch über Menschenhöhe emporragendem Schafte. Man sagte ihr, daß dies eine Agave sei, eine Pflanze, die oft länger denn ein Jahrzehnt hindurch nur ihre bizarr geformten, mattgefärbten Blätter treibt, bis mit einem Male aus deren kahlem Kranze ein Blütenschaft von wunderbarer Pracht emporschießt. Aber die Pflanze selbst stirbt daran. Der Eindruck, den Marie Ebners Phantasie davon empfing, sollte sich nicht wieder verwischen. Wie ein Symbol erschien ihr diese Pflanze, die Jahre braucht, um eine herrliche Blüte zu treiben, und danach verdorrt - wie ein Symbol so manches Künstlerlebens. Wohl sind sie gerade unserer Zeit besonders vertraut, jene künstlerischen Erscheinungen, die sich in einer einzigen wie über Nacht gekommenen Schöpfung ausgeben und dann verwelken, aber alle Zeiten haben sie gekannt. Und vor der Dichterin erstand nun ein Bild aus fernen, längst dahingegangenen Tagen, das des Jünglings Antonio Venesco, der von dem großen Masaccio zu seinem Schüler erwählt wird und nach einigen Jahren spontan, wie in Fieberglut, ein wunderbares Bild schafft, das ihn mit einem Schlage zu einem berühmten Maler macht. Aus den zwei stärksten Impulsen menschlichen Thuns ist es hervorgegangen, die Liebe und danach der Haß haben Antonio den Pinsel geführt. Nach dieser einen wundervollen Blüte versagt ihm seine Kunst für immer. Was nun folgt, ist graue Dämmerung: ein langsames Absterben dessen, was einst in ihm nach dem Höchsten rang - die Ergebung in die Alltagsmühlsal des Handwerkers. In dem Motto schon hat die Dichterin die Idee des Werkes klar ausgesprochen: Aus farbloser Hülle, Agave, bist du In Schönheit erstanden, seltsame du, Wie Blumen im Märchen durch Zauber erweckt.

11.2. e Theo Schücking: Essays

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Im Kranze süß duftender Blumen ragst du Auf zierlichem Schafte gen Himmel empor, Für e i n e n berauschenden Frühling giebst du Die Kraft eines Lebens, Agave, dafür Und stirbst am Erblühen - ein Wunder bist du.

Um diese tragische Gestalt gruppierte sich bald vor den Augen der Dichterin ein reiches, farbiges Geleite, und aus dem Bilde heraus spannen sich die Fäden nach ihr hin, die sie immer mehr und immer stärker umwoben. Im folgenden Herbst entschloß sie sich zu einer zweiten Romfahrt, so schmerzlich auch ihrem wunden Herzen das Wiederaufsuchen derselben Stätten erschien, an denen sie zuletzt mit ihrer teuren Freundin, Frau Ida von Fleischl-Marxow, geweilt hatte, die ihr seitdem durch den Tod genommen worden war. Aber sie fühlte wohl, daß nur die Arbeit ihr in der Gemütsverwaistheit, die diese drei letzten Jahre über sie verhängt hatten, Hilfe bringen könne. Um der Studien zu ihrer Renaissance-Erzählung willen kehrte sie nach Italien zurück und verbrachte den Winter, nachdem sie einen längeren Aufenthalt auch in Florenz genommen hatte, in Rom. Den darauffolgenden Sommer widmete sie noch denselben sehr gründlichen, sehr umfassenden Studien, die erst im vergangenen Frühjahr in Rom ihren Abschluß fanden, da sie dort die letzte Hand an die Agave legte. Nun ist diese vor uns emporgeblüht,2 und Marie von EbnerEschenbach hat uns damit ein edles Kunstwerk mehr geschenkt. Wir sehen dankbar zu ihr auf, die uns von neuem gab, was unserem Leben Erhebung und Verklärung verleiht, jene leuchtenden Stunden reinsten Genusses, in denen uns Dichterwort zum goldenen Schlüssel wird des eigenen Herzens wie der Welt. Marie von Ebner-Eschenbachs Heimat. Von Theo Schücking. Erschienen in: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte. 46. Jg., 92. Bd., April 1902, S. 39-45.

2

Seine erste Veröffentlichung fand der Roman in den Heften Oktober 1901 bis Januar 1902 dieser Zeitschrift.

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Asphodelos Plan: (Presse) E r und sie (Philippa) Sie liebt ihn. E r will es nicht sehen, will ganz eingesponnen bleiben in seinem Gram u{nd}(m) seine schöne, junge unwürdige Frau. Sie weiss, dass jene unwürdig war. Sie leidet sehr. Da kommt ihr Bewerber, der Liebhaber der Frau und sagt: wenn Du mich nicht nimmst - theile ich Jenem, den Du liebst, Alles mit. A. hört das. Sie will ihn nehmen. A. tritt dazwischen. Nun blüht auch bei ihm die Asphodelos{pflanze} (blume) empor und er nimmt sie an sein Herz. Die Blume blüht zwischen ihnen. Asphodelos gr. eigentlich wohl „die stille Pflanze" entg. sphodros heftig, stürmisch - eine lilienähnliche Pflanze, deren Wurzelknollen ein dürfiges Nahrungsmittel sind u. von den alt. Griech., wie zu einiger Speise, den Todten auf's Grab gepflanzt wurden. In Homer's U n terwelt wandeln auf einer Aspho. Geister der Helden und Träume. Phönix, der Purpurrothe oder Feuerfarbige, der Sonnenvogel. Entwurf einer Erzählung, vgl. Amerikanisches Tagebuch vom 23. 2. 1885 (unten S. 416, Anm.

15): Ich bis 12 geschrieben, „Asphodelos"

Von fremder Hand: Plan: (Presse)

angefangen.

3. Briefe von und an Theo Schücking a) Schriftstellerinnen

IDA B O Y - E D E/Tb Anhang 1898, In: KTD, Tbb. V, S. 84: Eine vortreffliche kleine E r z ä h lung ist Eine Brutalität von Ida B o y - E d . Romanwelt Jahrgang V I Heft 2. M. G. Conrad: in den Lokalschilderungen häuft der A u t o r die Farbe derart, daß die plastische Anschaulichkeit schwer darunter leidet - ein Urteil über

Boy-Ed in M. Maack, Dichterlexikon S. 175f

II.3.a Briefe Theo Schücking - Ida Boy-Ed

Ida Boy-Ed an Theo

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Schücking Lübeck d. 30 Dec 83.

Theures Fräulein! „Endlich, endlich" dachte ich in meinem tieferfreuten Herzen als ich Ihre liebe Handschrift sah. Ich wahrlich, hatte nur aus Delikateße so lange schweigend auf eine Kunde von Ihnen geharrt, denn Freundschaft darf man nicht aufdrängen, man muß warten, bis die einmal gebotene gefordert wird! Aber wie oft haben Gedanken und Gespräche sich mit dem theuren Verblichenen und mit Ihnen beschäftigt. Seltsam - grade vorgestern, als Sie an mich geschrieben haben mögen, las ich in einem Brief von D r M. G. Conrad von „Dr. Schücking und seiner liebenswürdigen Tochter" und ich freute mich, daß wir da wieder einen gemeinsamen Bekannten haben. Und auf den Schriftstellertagen in Darmstadt, wo ich sehr viel mit Emmy v. Dinklage verkehrte, wie oft ward der theure Namen Schücking da nicht zwischen uns genannt! Für die Novellenbände die Sie in meine Hand gelegt, danke ich Ihnen mit weinenden Augen. Liebe, theure Theo, ich kann Ihnen nur wiederholen, daß ich fest an die Untrüglichkeit des sympathischen Zugs glaube und daß Sie, Ihr Wesen, Ihr Angesicht, noch immer mit derselben schönen Deutlichkeit vor meiner Seele stehen. Freilich bin ich darüber unsicher, ob ich Ihnen viel sein kann; wer gewohnt war dem Rauschen eines Goldstroms zu lauschen, kann ein stilles, höchstens ein bischen nützliches Flüßchen nur arm erfinden! Aber sehen Sie, trotzdem kann ichs nimmer laßen tapfer zu streben, es mir Naturnothwendigkeit, ja, Existenzbedingung. Ich bin das Jahr hindurch nicht säumig gewesen; der Roman von deßem Plan damals die Rede war, wird nun erst erscheinen1 und zwar in der Tägl. Rundschau. Ein Buch hat vor 14 Tagen die Preße verlaßen, es enthält Das vergrabene Pfund und jene andere, in der Rundschau gestandene Erzählung. 2 Eine freundliche Aufnahme seitens erster Kritik ist mir alsbald zugesagt, es wird seinen Weg machen. Andere Novellen sind geschrieben und werden an verschiedenen Stellen im Jahr 84 das Licht sehen. So hab' ich mit meinen beiden Sorten Kindern, den kleinen Boys und den vielnamigen Boy-Eds genug zu thun. Eine Reise soll wieder Gemüth und Nerven auffrischen, ob sie sich nach dem Süden richtet ist auch ungewiß, der Zeitpunct von Ende März bis 1 Juni gedacht. (Das Buch, welches mir heute nicht zur Hand, sende ich Ihnen nächstens.) Weshalb ich Ihnen das so correct mittheile, fühlen Sie hoffentlich unschwer heraus: es heißt, daß meine liebe Theo Schücking vorher

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und nachher doch in ihren Planen mein Haus berücksichtigen soll; es heißt weiter, daß ich auch gern meine Reisezeit ändern kann, falls sie etwa grade um jene Zeit mir ihren lieben Besuch schenken wollte! Ich bin gewiß, daß eine ganz neue Umgebung, die zwar auch nur in einem Stillleben sich bewegt, Ihnen wohlthäte. Meine kleine Tochter Rosa würde Sie sehr lieb haben. Mia bella! Aber einen Gefallen müßen Sie mir jetzt schon thun: nennen Sie mich Ida. Unsere Nachnamen haben wir für die Gesellschaft, das Geschäft, die Feinde, die Welt. Unsere Vornamen für diejenigen welche zu unsern Herzen reden. Und rede ich denn nicht zu Ihrem Herzen? o, fühlen Sie es! Ihre Ida Boy-Ed Brief 1 2

Wahrscheinlich Ida Boy-Ed: Männer der Zeit, 1884 (Roman). Wahrscheinlich Getrübtes Glück, 1883 (Novellen).

Ida Boy-Ed an Theo Schücking Lübeck d. 15 Feb. 84.

Liebe Theo! Nicht so lange wie sie will ich schweigen, sondern Ihnen nur ganz schnell sagen, daß ich Ihren lieben Besuch nur als aufgeschoben betrachte. Unser Heimwesen dürfte grade auch als Sommeraufenthalt ganz freundlich auf Sie wirken und unsere herbe Seeluft Ihnen ganz wohlthun. Nach meiner Reise sprechen wir wieder darüber, nur das bemerke ich gleich: für acht Tage oder so ähnlich winzige Zeitspannen reist man nicht nach Lübeck! Den Novellenband 1 haben Sie schon erhalten und sich ohne Zweifel gedacht, daß der Brief als Apendix käme. Und in diesem Brief will ich Ihnen sogar erzählen, daß wir uns doch wohl bald - wenn auch nur auf ein Stündchen - sehen werden. Denn meine Reise geht über Leipzig und zwar Ende März, Anfang April. Freilich, wer weiß ob Sie dann nicht schon in Sassenberg sind. Nicht länger als einen Tag werde ich mich in Lfeipzig] aufhalten, denn ich habe nichts dort zu thun. Aber so von Bahnhof zu Bahnhof durch die Straßen jagen wo liebe Menschen wohnen, das kann ich nicht; ich muß ihnen wenigstens im vorbeigehen die Hand drücken. Kennen Sie Dr Franz Hirsch und seine Frau? Ein liebes Ehepaar, schöne Kinder - das Glück wohnt bei

11.3.a Briefe Theo Schücking - E. v. Dincklage

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ihnen. Weitere Pläne schweben noch ganz im Dunkeln, hängen auch vom Wetter ab, denn da jetzt die Krokus blühen, bangt mir vor einer Schlittschuhbahn im April. Das Sie Voss kennen, interessirt mich ungemein. Gegen diesen Dichter hatte ich in Folge seiner Scherben2 und seine Rollo? das schlimmste Vorurtheil, welches sich in Bewunderung verkehrte, denn ich muß Ihnen nur sagen, daß ich die neuen Römer4 für gradezu großartig halte. Auch Dr Conrad brauchte das Wort „seltsam" als er von Voss' Frau sprach. Was ist mit ihr? Sie können Sich nicht denken, wie ich brenne, diese beiden Menschen kennen zu lernen und Näheres von ihnen zu hören. Fast zage ich, daß mein Roman5 darnach kommt. Mein Trost ist die gründliche Verschiedenheit, welche alle Vergleiche ausschließt. Die wundervollen Landschaftsbilder hätte ich nicht mit meinem Talent erreicht. Mein Gebiet ist der Mensch, seine Schwächen und Leiden. Vielleicht weil ich selbst viel gelitten - anders wohl als Voss, den die Leidenschaft ausgebrannt zu haben scheint. Jedenfalls bitte ich Sie, ehrlich wie eine Freundin zur andern sein muß, die Wahrheit über mein Werk später zu sagen. Der dumme Titel der annoncirt wurde, war nicht von mir. Also fortan liebe Theo darf ich öfter von Ihnen hören? Ich bin im antworten immer pünctlich. Meine Rosa erwiedert Ihre Grüße bestens. Von ganzem Herzen Ihre Ida Boy-Ed. 1 2 3 4 5

Ida Boy-Ed: Getrübtes Gluck, 1883. Richard Voss: Scherben. Gesammelt vom müden Manne, Zürich 1878. Richard Voss: Rolla. Die Lebenstragödie einer Schauspielerin. 2 Bde Leipzig 1883. Richard Voss: Die neuen Römer. Roman aus der römischen Wildniß. Dresden 1885. Wahrscheinlich Ida Boy-Ed: Männer der Zeit. 1884.

E M M Y VON DINCKLAGE

( P s e u d o n y m : AMELIE) E/Tb 5. 9. 1875: Wir lasen Bauern-Adel von E. v. Dincklage. Gefiel besonders Friederl sehr. Mir sind die Sachen etwas zu ungleich, oft ganz skizzenhaft. E/Tb 1. 7. 1877: Nachmittag lasen wir eine sehr alberne Novelle von der Dinkklage. Es ist strafbarer Leichtsinn dergleichen drucken zu lassen.

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E/Tb 19. 5. 1877: Die Baronin [Dincklage] war sehr unterhaltend. Ihre Colleginnen, die Schriftstellerinnen Deutschlands, werden von ihr unbarmherzig hingerichtet Sehr merkwürdig ist, daß sie jedes Gespräch über ihre eigene litterarische Thätigkeit ablehnt, sich auch um die andern nicht im Geringsten zu kümmern scheint. Das hat etwas Junkerliches, beinahe vornehmes.

Emmy von Dincklage an Theo Schücking Reichenberg den 2. August 79 September

Meine liebe Theo, spät kam er, doch er kam - Ihr lieber, langer Brief, der mich so herzlich freute, daß ich Ihnen gern umgehend dafür gedankt hätte, wenn mich nicht der Gedanke, Ihnen, mein lieber, kleiner Faulpelz durch eine so rasche Antwort mehr Schreck als Freude zu verursachen, bis heute vom Schreiben abgehalten hätte, entschuldigen Sie deshalb, wenn ich Ihnen etwas verspätet meinen herzlichsten Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilen ausspreche und glauben Sie mir, daß ich durch das Aufschieben meiner Antwort mehr gestraft wurde als Sie. - U m mich zu entschädigen, werde ich Ihnen heute eine recht lange Epistel schreiben, da ich auf diese Art den langweiligen Regentag am angenehmsten verbringe. Sie haben es also auch durchgemacht, haben auch empfinden müssen, wie hart es ist, sich nach Italien wieder an Deutschlands herrlichen Sommer zu gewöhnen. Klar werden Sie sagen, wenn ich Ihnen bekenne, daß ich fast mit Bedauern von Meta hörte, wie schön es bei Ihnen ist, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich mir sogar oft wünschend den langen, häßlichen Sommer mit vergnügen ausmalte, wie auch in Sassenberg der Sturm um die Ecken heulen u. die regentriefenden Zweige gegen die Fenster peitschen würde? Ich hoffte nämlich zuversichtlich, ein Wetter wie wir es dieses Jahr hatten, würde Ihren Papa entscheiden, den nächsten Sommer in Italien, wo möglich am Golf von Neapel zu verbringen, damit wir Sie dort treffen könnten weil leider keine Aussicht auf ein Wiedersehen in Rom vorhanden ist. - Da ich mittler Weile aus Metas Brief entnommen habe, daß mir alles dies nichts hilft, daß meine Luftschlösser leider nicht so fest gebaut sind, als die schönen Thürme Ihres Papas welche Sie wahrscheinlich auch im nächsten Jahr wieder nach Deutschland ziehen werden - leiste ich feierliche Abbitte für obige fromme Wünsche u. hoffe Sie werden mir dieselben vergeben in Anbetracht des Zweckes, den ich dadurch erreiche wollte.

II.3.a Briefe Theo Schücking - E. v. Dincklage

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Es freut mich so sehr, daß auch Sie, meine liebe Theo, das Gefühl des Zusammengehörens mit Meta u. uns haben u. ich wünsche von ganzem Herzen, daß wir uns trotz aller momentanen Schwierigkeiten doch recht bald wieder einmal zusammen finden werden. Soeben erhalte ich einen Brief von Meta, dessen Inhalt ein sehr enttäuschender ist. Ich hatte mich so sehr auf ihren für den September vorgenommenen Besuch gefreut u. glaubte, ihr heutiges Briefchen enthielte den Tag ihrer Ankunft - nichts von all dem, sie erhält allerdings Ferien aber leider erst im Okt., wenn wir längst in Neapel sind. Ist das nicht ärgerlich? - Ich hatte mich so sehr gefreut Meta wiederzusehen, es wäre mir so lieb gewesen, wenn sie gekommen wäre. Solange meine Schwester Bertha hier ist. Die beiden hätten sich gewiß gegenseitig sehr gut gefallen. Nun ist wieder nichts damit u. wer weiß wann ich Meta wiedersehe. Wenn ich nur wüßte, warum sie im Augenblick so sehr herabgestimmt ist - in ihrem Brief zürnt Meta mit Gott und der Welt ohne zu sagen warum; ich kann höchstens vermuten, daß sie mit Baronin Wöhrmann unzufrieden ist. Es thäte mir leid, wenn sie sich in Letzterer getäuscht hätte, zumal jetzt wo Meta um Frau v. W[öhrmann]'s Willen die von ihrem Vater gewünschte Heimkehr ausschlug u. sich ein weiteres Jahr in Naumburg gesichert hat. 1 Uber unser Thun u. Treiben kann ich Ihnen nicht viel erzählen, wir leben ziemlich einförmig hier fort u. freuen uns sehr vier Fünftel unseres hiesigen Aufenthaltes glücklich hinter uns zu haben. In Kurzem wird mein Bruder Otto gleichzeitig mit meinem Vetter kommen, die Beiden bringen zu meiner großen Freude ihre Pferde mit. Unter den vier Pferden wird hoffentlich eines sein, welches mich tragt ohne sich am langen Kleid zu stoßen. Am lten Oktober werden wir abreisen, wenn Otto die gewünschte Urlaubsverlängerung bekommt, will er uns bis Venedig begleiten, wenn nicht, werden wir direct nach Neapel fahren. Anna, welche sich soeben wieder einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen hingibt, hat Händschels große Karte vor sich ausgebreitet u. sucht eine Reiseroute für uns indem sie sich häufig des Zirkels u. der Raductionstabelle bedient, Letztertes zur ungefähren Schätzung des Preises der Seefahrten. Die Tour, die sie mir allen Ernstes vorschlägt wäre nicht übel. Sie lautet: von Neapel nach Cagliari in Sardinien, dann nach Tunis von dort die verschiedenen Städte in Algerien u. zuletzt die Heimreise durch Spanien. Ich hätte schon Lust dazu, wenn nicht die gute Rechnerin Anna, der leidigen unangenehmen Börse wegen, die Bedingung daran knüpfen müßte, daß wir zum mindestens 2 - 3 Jahre auf die genannten Länder verwenden müßten, um durch mög-

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liehst lange Aufenthalte die große Reise weniger theuer zu machen. Was sagen Sie zu diesem Plan? Nicht wahr Sie finden es auch einen Unsinn, sich für so lange Zeit von aller civilisierten Welt auszuschließen. Nun, es hat noch Zeit, Anna will erst in einem Jahr ihre Neugierde nach Afrika befriedigen. Nicht wahr, Sie schreiben mir recht bald wieder und zwar recht ausführlich. Ich hoffe so sehr für Sie, daß sie den Winter wieder nach Rom komen, wer weiß vielleicht können wir dann doch für ein paar Wochen zusammen treffen. Anna meint zwar, höchstens, wenn ich all mein Besitzthum in Neapel auf den Monte di Pieta trüge, könne ich ihr beweisen, daß ich trotz ihrem Rechenexempel diese Spritztour ermöglichen könne. Vor ich schließe, habe ich noch eine Bitte an Sie. Ich finde es nämlich schade, daß wir uns noch mit dem steifen „Sie" anreden u. möchte Sie daher bitten, mich du zu nennen u. mir ein Gleiches zu erlauben. Ich habe sehr bedauert, durch den ganzen Brief von obigem Vorschlag keinen Gebrauch machen zu können, weil mir noch Ihre feierliche Erlaubnis fehlte. Bitte empfehlen Sie mich Ihrem Papa u. seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrer Emmy Auch Anna will beim Grüßen nicht vergessen sein. 1

Malwida von Meysenbug fand für Meta von Salis eine Stelle wo sie als Erzieherin arbeiten und finanziell unabhängig werden konnte; es war dies das Haus der Baronin Wöhrmann und deren Tochter Dina. Der Vater Metas verlangte die Heimkehr seiner Tochter (sie sollte das väterliche Gut verwalten) - diesem Verlangen widersetzte sich Meta weitgehend. Stump, S. 70.

Emmy von Dincklage an Theo Schücking Reichenberg den 3. Mai [1882?]

Meine liebe Theo, trotz Annas Raisonniren, daß ich ihr helfen müsse, unseren Augierstall wieder in Ordnung zu bringen, muß ich Dir schnell vor der Briefbote kommt, ein paar Zeilen schreiben u. dir vielmals für Deinen Brief sowie für die übersandte Zeitung danken! Weißt Du, ich bin ganz gerührt, daß mich der Herr L. Westerfeldt 1 so gern hat, daß er im schwungvollsten Stil sogar, das bischen was ich für L. that, vergrößerte; ich freue mich sehr, wenn ich einmal nach dem Autoren dieser Zeilen gefragt werde, zuzugeben, daß ich den talentvollen jungen Schriftsteller in Rom kennen gerlernt habe - überhaupt

II.3.a Briefe Theo Schücking - E. v. Dincklage

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durchmerken zu lassen, daß es nur seiner - allerdings sehr erwiederten Zuneigung zu mir zuzuschreiben sei, wenn er mich so lobt. Uber die verdutzten Gesichter der Bekannten, wenn ich ihnen dieses Geständniß mache, freue ich mich schon im Voraus. So jetzt habe ich helfen müssen das Klavier - es gibt keinen Ton von sich - zu tragen, mir zittern aber dadurch die Hände so, daß ich kaum noch schreiben kann. Uber Gerhardine habe ich mich riesig gefreut. Du hast zwar schon oft gesagt, daß sie hübsch sei - aber so hübsch hatten wir Beide sie nur nicht erwartet, dabei ihre große Liebenswürdigkeit u. ihre angenehme heitere Art - weißt Du, ich habe mich wahrhaft gefreut, daß Du so eine wundernette Schwester hast. O b wir uns gleich erkannt haben? Sie ist ja fast ganz Dein Ebenbild - nur sieht sie fast jünger aus als Du - ich habe sie beständig ansehen müssen. Es hat mich so sehr angenehm berührt, daß sie Dir so sehr ähnlich sieht. Als wir beim Waschen - wir haben uns nämlich bei ihr auch gewaschen - einen Augenblick allein waren, sagten wir Beide zur gleichen Zeit auch die Worte: Donnerwetter ist die hübsch, welche Ähnlichkeit mit Theo! Auch „Es" 2 hat uns sehr gut gefallen. Es ist aber schon ein solcher Riese, daß es mir ganz imponierte, auch schon ganz Dame - sie bot uns in einem fort an; Gerhardine fütterte uns nämlich fast zu tod. Ich habe noch nie - nachdem ersten Bekanntwerden mit jemand anderen - so sehr bedauert, auseinander gehen zu müssen, als mit Gerhardine, aber es ist ganz natürlich, als sie Dir so sehr ähnlich ist u. ganz Deine Art, ja selbst Deine Stimme oft hat. Dein heutiger Brief hat mich aber ein wenig enttäuscht. Ich hatte nämlich gehofft, Du kämst schon früher als am 20ten, auch Gerhardine hatte mich in dieser Idee bestärkt, weil sie meinte, Du kämst möglicher Weise gleich von Harzburg aus. Das wäre so wunderschön gewesen! Aber weißt Du - es geht mir immer so, wenn ich mich gar zu sehr auf etwas freue - nicht wahr, wenn Du etwas früher abkommen kannst, thust Du es - schreibe mir dann nur mit welchem Zug Du in Würzb. ankommst, dann hole ich Dich ab. Ich habe immer so Angst, daß Du am Ende nicht so lange bleiben willst, wie ich will, jetzt gar, wo Adrian von Deinem Zurückkommen nach Harzburg spricht. Bitte schön schreibe mir extra nocheinmal, daß das nichts mit Deinem Hiersein zu thun hat. Du kannst ja das Harzburger Wasser auch hier trinken. Ich werde dann meinen Vorsatz einmal wieder Stahlwasser zu trinken, auch ausführen u. wir können dann unseren Morgenspaziergang gemeinsam machen.

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Anna trinkt wie immer im Frühjahr in Reichenberg Ratotzy da wäre also die Badegesellschaft beisammen. Minna scheint etwas später kommen zu wollen, weil sie Hälfte Mai mit den Eltern ihres verstorb. Bräutigams nach dem Schwarzwald reisen soll. Sie spricht vom Juni. Den Otto erwarten wir am Samstag für ein paar Tage. Seinen großen Urlaub bekommt er wahrscheinlich erst im Juli. In aller Eile. Adio meine liebe Theo - bitte schön schreibe mir recht bald, daß ich Dich in Würzb. abholen kann. Anna laßt Dir sagen, wenn Du lenznoli [?] in Deinen Koffer bringen kannst, sollst Du sie Dir mitbringen denn wir haben mehr verrissene als ganze, u. bitte nimm Dir recht bequeme Anzüge mit. Unser Haushalt ist eigentlich recht schlampig, aber Du bist ja vorbereitet. Mit den herzl. Grüßen von Anna u. mir, an Dich u. deinen Papa bin ich wie immer Deine Emmy Auf Wiedersehen! Entschuldige Geschmier Angehängtes kleines Blatt

Hier ist es schauderhaft häßlich, ich habe gar nicht mehr gewußt, wie öde u. unfreundlich die Gegend von Reichenberg ist. Dazu haben wir heute oder vielmehr seit ein paar Tagen ein entsetzliches Wetter u. nur 9° Wärme - also kälter als den ganzen Winter in Palermo. Ich komme nie wieder nach Reichenberg; auch Anna, welche schon in Mailand wieder umkehren wollte, sagt, daß sie nie wieder so dumm sein wolle. 1

2

In der gesichteten sehr umfangreichen Korrespondenz Theo Schückings nimmt dieser Brief eine Sonderstellung ein: in ihm lüftet Emmy von Dincklage in klausulierter Form Theos Pseudonym - L. Westerfelde „Es" wird Gerhardinens Tochter, die zu dem Zeitpunkt dreizehnjährige Levine, sein.

Emmy von Dincklage an Theo Schücking Reichenberg 18. Mai 1882 Meine liebe Theo! Ich muß Dir heute schnell noch einmal schreiben, erstens um Dir herzlichst für das Buch Deines Bruders zu danken - es ist so sehr nett geschrieben, daß es sich leider nur zu schnell liest. - Der zweite Grund meines Schreibens ist, Dich ganz unterthänigst um Entschuldi-

II.3.a Briefe Theo Schiicking - E. v. Dincklage

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gung für meinen, neulich, in der ersten Verzweiflung verfaßten, unanständigen dummen Brief zu bitten. Ich bedauere jetzt von Herzen, denselben abgesandt zu haben u. Dir dadurch einen Einblick in das Chaos meiner unphilosophischen Lebensauffassung gestattet zu haben. Nicht daß ich heute viel besser wäre oder gar auf die Eigenschaft, das Unabänderliche mit Würde zu tragen, Anspruch machte - Anna verkündet mir ja alle Tage, sie wolle Dir haarklein berichten, wie ekelhaft, übellaunig u. roh gegen sie ich nach Deinem letzten Brief geworden sei - aber ich hätte doch beser gethan, Dir nicht 10 Seitenlang vorzujammern, denn Du wirst jetzt vielleicht noch weniger Lust haben bald zu kommen, Dir ein längeres Zusammensein mit einer langweiligen Kleinigkeit noch weniger verlockend vorstellen. Meine liebe Theo nicht wahr, das thust du mir doch nicht an! - Nicht wahr - , Du verschiebst Dein Kommen nicht nocheinmal? Weißt Du, das würde ich dann wirklich nicht mehr aushalten. Sei gut u. lieb, wenn Du Deinem Papa die Sache ganz genau erklärst, ihm meinetwegen sagst, die dumme Emmy würde fast verrückt, wenn jetzt nocheinmal etwas dazwischen käme - zutrauen wird mir ja Dein Papa ohnehin dann gibt er Dir schon den gewünschten Urlaub; auch auf recht lange, 6 Wochen zum mindesten, denn jetzt habe ich es wahrhaftig verdient, nachdem ich mich so grenzenlos auf den 2 Okt. gefreut hatte u. dann kurz vorher so scheußlich enttäuscht wurde! Ma non ne partiamo pin, Du wirst finden, daß meine Briefe nicht mehr zu lesen sind. Ich will deshalb von anderem sprechen. Bitte, wenn Du an Gerhardine schreibst, grüße sie herzlichst von mir u. sage ihr, sie solle nur ja Wort halten, uns bei ihrer Durchreise zu besuchen. Daß ich ihr gefallen hätte, setze ich mehr auf Rechnung von Gerhardinens Liebenswürdigkeit gegen dich; uns hat sie aber ohne Übertreibung ganz ausgezeichnet gefallen. Ich finde es deshalb zu schade, daß sie nicht auch nach Rom kommt. Das Buch von Adrian habe ich schon gelesen, der Ärmste hatte eine entsetzliche Zeit durchzumachen. 1 Ich hoffe nur, der gemeine Kerl von einem Oldenburg, hat das Buch auch gelesen u. sich gefreut, daß sein edles Benehmen vis-a vis von einem Landsmann bekanntgeworden ist. Nachdem Anna es gelesen hat, werde ich es Dir wiederschikken oder (wenn Du es in der Zwischenzeit nicht brauchst) wird es besser sein, wenn du es selbst mit nach Hause nimmst, damit ihm die oftige Schickerei nichts schadet. Schreibe mir, ob ich es bald schicken soll. Ich hätte Dir gestern schon geschrieben, kam aber nicht dazu, weil ich nach Würzburg mußte, um meine Zähne plombieren zu lassen. Das ist auch so ein zweifelhaftes Vergnügen. Und da ich ebenso un-

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gern auf etwas Unangenehmeres, als auf etwas Angenehmeres warte, ist es mir - trotz aller Tapferkeitsmedaille jetzt schon zum 2ten Mal vorgekommen, daß ich, nachdem ich möglichst ungeduldig l-l'A Stunden im Wartezimmer des Zahnarztes verbracht hatte, das Hasenpanier ergriff u. ganz tapfer den Rückzug antrat, w o ich zur Tortur zugelassen wurde. Es ist aber auch ganz zuwider, vom Lande aus, mit einem ellenlangen Commissionszettel, seine theure Zeit in einem Wartezimmer, noch dazu beim Zahnarzt verbringen zu müssen. Du schreibst mir jetzt gar nicht mehr, wie es Dir geht. Wirst Du hier irgend ein Stahl- oder sonstiges Mineralwasser trinken. In dem Fall, würde ich meine Kur mit Pyromonter Wasser, bis zu Deinem Kommen hinausschieben, um die Morgenspaziergänge mit dir gemeinschaftlich machen zu können. Ihr werdet jetzt auch gehörig in Sassenberg frieren, wir können es ohne Feuer gar nicht mehr aushalten. Weißt Du, meine liebe Theo, daß Du fast eine Versöhnung zwischen unserer Stiefmutter u. mir heraufbeschworen hast? Die Sache ist nämlich die: seit Deinem enthusiastischem Lob auf uns u. speziel auf euch in den Zeitungen, ward in den Würzburger Klatschkafens merkwürdiger Weise, manchmal auch gut über uns gesprochen. Einige der Hauptschwätzerinnen (welche wahrscheinlich bedauerten, daß seit unserer Abwesenheit nichts mehr zwischen ihr u. uns „los" sei) kamen daher auf die Idee, sie müßten jetzt für eine Versöhnung sorgen. Wie mir gestern Ida Hutten (eine Jugendbekannte von ihr) sagte, soll sie der Versöhnung gar nicht abgeneigt sein, es ärgert sie nämlich, daß außer einer Tante, welche in Uttingen auf dem Land lebt, alle Angehörigen der Familie Wolfskeel 3 nicht viel von ihr wissen wollen u. sie hofft scheint's, durch diese Versöhnung mit uns, auch mit O t t o [von Dincklage] wieder zu stehen zu kommen, bei welchem sie während unserer Abwesenheit mehrere vergebliche Versuche machte. 2 Wir haben nun gestern der Ida Hutten gesagt, daß wir - da uns ein Comödienspiel ganz verhaßt sei, von einer Versöhnung mit ihr durchaus nichts wissen wollten, daß wir aber gegen Gusti durchaus nie etwas gehabt hätten u. dieselbe recht gern wiedersehen würden. Wir wollten deshalb, wenn sie die Gusti oder Ida Hutten einmal zum Besuch hier bei uns mitgeben wollte, vor Gusti natürlich nie ein Wort von ihrer Mutter sprechen. Es würde uns freuen wenn wir Gusti wieder einmal zu sehen bekämen; sie scheint trotz dem verlogenen Tannschen Kreis in welchem sie jetzt lebt ehrlich geblieben zu sein, denn man versichert mir von allen Seiten, daß sie eine ganze Wolfskeel sei. Gusti wird im August 17 Jahre alt, wir haben sie seit ihrem 9ten oder lOten Jahr nicht mehr gesehen, damals war sie sehr nett. -

II.3.a Briefe Theo Schücking - E. v. Dincklage

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Ob sie auf Idas Vorschlag uns Gusti herauszubringen eingeht, bezweifle ich. Sie wird natürlich ihre Tochter nicht gern zu uns kommen lassen, nachdem wir erklärt haben, nichts von ihr wissen zu wollen. Wenn sie es dennoch der Gusti gestattet, geschieht es nur, weil sie in ihrer interessierten Dummheit glaubt, auf diese Art so nach u. nach an den Otto ran zu kommen, denn natürlich würde dann auch Otto mit Gusti zusammenkommen u. sie denkt wahrscheinlich, sich später - wenn wir wieder fort sind, durch Gusti mit Otto versöhnen zu können. Die mich betreffende Stelle in der Illustr. Frauenzeitung, wird jetzt gerade in Würzb. mit großem Interesse gelesen. Huttens haben die Ihrige schon an Gott u. die Welt ausgeliehen u. neulich soll selbst die alte Tante um das Blatt gebeten haben. Sie wird es mit sehr sauersüßem Gesicht gelesen haben. So oft ich gefragt wurde, ob ich den Verfasser der Zeilen kannte, verneinte ich konsequenthaft um dein Pseudonym zu wahren.3 Ich gab nur zu, es sei wahrscheinlich von einem Bekannten von Dir geschrieben, mich wundert, daß noch niemand daran dachte auf Dich selbst zu rathen. Liebe Theo, jetzt muß ich Dir doch etwas gestehen. Ich habe einmal an Bertha geschrieben, daß Du schreibst, noch von Rom aus. Bertha welche nie etwas für sich behalten kann jetzt wirst Du das leider auch von mir behaupten - wußte nichts besseres zu thun, als es Dudu Groß und Gretchen mitzutheilen. Meta hat Bertha nichts davon gesagt, weil ich sie extra davor warnte u. niemand weiß unter welchem Namen Du schreibst. Bitte entschuldige meine Dummheit, ich dachte damals nicht daran, daß Bertha, trotzdem ich sagte, Du wolltest nicht, daß es bekannt würde, meinen damaligen Brief an Gretchen u. Dudu zum lesen sandte. Im ganzen finde ich es zwar ganz unnöthig, daß du Dein Talent in ein Geheimniß hüllst, denn Du schreibst wirklich so sehr nett, daß Du Dich wahrhaftig nicht damit zu verstecken brauchst. Aber ich sehe deshalb doch ein, daß es Unrecht von mir war, der Bertha ohne Deine Erlaubniß davon zu sprechen. Nicht wahr, Du bringst mir Deine erste Novelle4 mit, überhaupt du laßt mich lesen was Du überhaupt noch geschrieben hast. Ich habe bei jedem meiner Briefe vergessen, Dich zu fragen, ob Du das Manuskript der Novelle: Das Tamburin,5 nicht wieder brauchst. Wenn dem so ist, schreibe es mir, ich schicke Dir es dann umgehend. Um es drucken zu lassen, wirst Du es wohl brauchen. Gestern haben wir Dudu gesagt, sie möchte also jetzt in der Zwischenzeit herauskommen. Vielleicht kommt sie heute Nachmittag mit Gretchen Edel, welche dann den Abend wieder nach Würzburg fahren

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u. diesen Brief mitnehmen würde, denn heute ist Himmelfahrt, da kommt kein Postbote. Von Minna [Kautzky] kann ich jetzt, vor ihrem Eintreffen kaum mehr hören - sie reist im Schwarzwald herum u. ich weiß keine Andresse mehr von ihr. Weißt Du, es thut mir sehr leid, daß ich Dich jetzt nicht mehr - die paar ersten Tage wenigstens allein haben können. Ich hatte alle meine List u. alle meine Schlauheit darauf verwendet u. bin nun in meinen eigenen Schlingen gefangen; denn indem ich gerade darauf bedacht war, die erste Woche nach dem 20ten Mai frei zu halten habe ich selbst dazu beigetragen, die erste Woche nach dem 7ten Juni um so sicherer Minna hier zu haben. Nicht daß ich mich nicht herzlich freute, Minna wiederzusehen, aber ich wollte nur, daß es Dir zuerst einmal recht gemütlich hier gewesen wäre. Nun jetzt hoffe ich, daß dies auch so der Fall sein wird. Das alles kommt aber von der Schlauheit - ich werde nie mehr dieser gemeinen Eigenschaft Hülfe suchen. Bitte schön, schreibe mir noch einmal recht ausführlich, da Du jetzt noch so lange ausbleibst, muß ich schon noch ordentlich schriftlich von Dir hören. - Und dann vergesse nicht, [daß] ich, auch wenn Dudu u. Minna das finden äußerst glücklich sein würde wenn Du früher eintriffst als am 7ten Juni. Ich brauche Dir wohl nicht erst zu sagen, welches Riesenvergnügen mir das wäre u. wie gern ich Dir mein Bett abtreten würde u. auf dem Kanapee campiren würde. Mache Dir also, wenn sich zufällig für Dich die Möglichkeit ergäbe, schon früher zu kommen, durchaus nicht den Gedanken, daß wir nicht genug Betten hätten. Weißt Du ich bin so dumm abergläubisch, nachdem ich gestern zufällig im Buch Deines Bruders die Zeilen „Du sollst nicht länger traurig sein - auf Regen folgt doch Sonnenschein" gefunden habe, habe ich wieder neuen Muth gefaßt. Denke Dir wie dumm, ich glaube nicht, daß Otto u. Alfred Pferde haben, welche für uns passen, das ist jammerschade! Nach Ottos Beschreibung, scheinen die Seinigen so, daß ich Bedenken habe eines davon zu reiten, weil sie nur durch den Schenkeldruck des Reiters pariert werden können. Natürlich denke ich dann nicht daran Dich aufsitzen zu lassen, da mir Theresens Unglück noch zu sehr in Erinnerung ist. Ich fürchte die beiden Pferde von Alfred werden ebenso schlecht für Damen zugeritten sein. Adio meine liebe Theo, sage die herzlichsten Grüße von mir an Deinen Papa u. er solle nicht hartherzig gegen mich sein. Ich könnte wirklich nichts dafür, daß mein größtes Vergnügen mit seiner Bequemlichkeit so sehr caramboliert. Viele Grüße von Anna u. mir Deine Emmy

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Adrian Schückings Türkisches Abenteuer, vgl. C. I.5.b, Anm. 73. Über die in Emmys Briefen auftauchenden Familienmitglieder derer von Dincklage ist eine klare Aussage nicht zu machen. So weist das Lexikon: Freiherrliche Häuser A Bd. VI 1966 Gesamtreihe 37, Alma, Klara, Friedrich und Agnes als Geschwister Emmys aus (S. 75f.), hingegen ist „meine Schwester Bertha" (Brief vom 2. 8. 1979) unauffindbar. - Die Stiefmutter Emmys ist eine geborene Wolfskeel; in diese Familie scheint auch Anna zu gehören, wie ein Brief Theos an Meta vom 18. 2. 1881 vermuten läßt: „von uns Allen verspricht sich wohl nur Anna v[on] Wfolfskeel] Genuß davon." - Gusti könnte Auguste Emma Julie Therese Elsbeth (1871-1949), eine Tochter des August Freiherrn von Dincklage, sein. - Otto von Dincklage auf Schulenburg, erhielt gemeinsam mit seinen Vettern Ernst August und Hermann und deren Vater Wilhelm von Dincklage 1844 die Erlaubnis den Freiherrentitel zu führen. (Adelslexikon, Bd. II, 1974, Bd. 58 der Gesamtreihe). Vgl. „L. Westerfeldt" im vorigen Brief. Diese „erste Novelle" Theo Schückings unter dem Pseudonym L. Westerfeldt konnte nicht nachgewiesen werden. Die Novelle Das Tamburin konnte ebenfalls nicht aufgefunden werden.

Emmy von Dincklage an Theo Schücking Venedig den 25. Oktober [1882?]

Mein liebe Theo! Soeben habe ich Deine Novelle gelesen - sie ist ganz wunderhübsch geschrieben! Was fällt Dir denn ein, nicht mit derselben zufrieden sein zu wollen? Ich finde sie so sehr gut, daß ich mich ganz freue, sie abzuschreiben. Bitte schön, schicke mir gleich die andere Hälfte; nicht allein, weil ich sie in einem abschreiben will, sondern auch, weil ich sie fertig lesen will. Weißt Du, es freut mich ganz riesig, daß Du so ein schönes Talent hast. Ich wollte ich hätte Dich jetzt hier, mein liebes Theolein und könnte Dir einmal auseinandersetzen, daß Du mein Urtheil - als Publicum - auch gelten lassen mußt. Ich bin faßt überzeugt, daß diese Novelle recht gut gefallen wird u. finde es ganz unrecht von Dir - gar noch unzufrieden sein zu wollen. Du wirst mir glauben, daß ich die Novelle durchaus nicht lobe um Dir Artigkeiten zu sagen u. wenn ich auch in literarischer Hinsicht ein Esel bin, so weiß ich doch was gut u. hübsch geschrieben ist und deshalb gratuliere ich Dir heute von ganzem Herzen. - Ich freue mich förmlich auf heute Abend wo ich mit der Abschrift beginnen werde. 1 Aber nicht wahr liebes Kind, Du schreibst mir nicht mehr von Dankbarkeit u. dergl. m. sondern schickst mir recht brav die andere Hälfte, ich habe ja lang Zeit genug hier, sie in Kurzem abzuschreiben u. es macht mir wirk-

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lieh Vergnügen mich wenigstens ein klein wenig nützlich machen zu können. Herzlichen Dank auch für die Beilage mit den Notizen über italienische Autoren. Ich werde einmal sehen, den Einen oder den Anderen aufzutreiben, fürchte aber fast, daß die Meister schon übersetzt sein werden. Warum doch nur die Italienerinnen immer so dumm sind? Von Castelnuvo heißt es doch in der Zeitung, daß er hauptsächlich in Venedig lebe, man sollte also doch glauben, daß er hier bekannt sein müsse - ma no, nient' affatto! Als ich neulich in reiner Verzweiflung über die Bücher, die ich mir von der Bibliothek nach Haus gebracht hatter, die Hausleute fragte, ob sie denn gar keine hübscheren neuen Bücher wüßten, sprachen sie mir alle von der langweiligen, alten Battaglia di Benevento, den Assedio di Firenze u. dergleichen alten Romanen mehr. Von Castelnuvo wußte niemand etwas. - Nur eins macht mich bedenklich, wer weiß ob der Aufsatz nicht von jemanden geschrieben ist, der die Bücher selbst übersetzt u. dadurch deutsche Verleger finden will. Ich erinnere mich jetzt, daß Gretchen Edel einmal auf das Lob der Allgemeinen hin, einen ital. Roman übersetzt hat, der entsetzlich langweilig u. dumm war u. den sie deshalb auch nie unterbrachte. Intanto vedsemo, ich will einmal nach dem Castelnuovo fahnden, sie könnten ja doch hübsch u. noch nicht übersetzt sein. Weiß Du - indem ich heute Deine Novelle las, fand ich, es wird mir ganz gut sein, wenn ich zuerst einmal viel für Dich abschreiben werde um mich dadurch für das Ubersetzen vorzubereiten, denn es thut mir ganz gut, mich an die Eintheilung der Abtheilungen, Alinea, Interpunktionen zu gewöhnen. Eine kurze Novelle von De Amicis habe ich hier schon übersetzt. Sie ist aber sehr groß, da darin ein Carabiniere, welcher die Seinigen nicht verrathen will, von den Briganten fast zu Tod massakriert wird; ich werde sie deshalb kaum unterbringen u. dann ist sie auch nicht besonders übersetzt, der Stil will mir nicht recht scheinen. Indeß, da ich schon seit etwa 6 Tagen an De Am[icis] geschrieben habe, ob er mir erlaube, diese Novelle (sie ist ganz kurz) für eine deutsche Zeitung zu übersetzen u. immer noch keine Antwort erhalte, ist es auch möglich, daß er nichts davon wissen will oder daß sie schon übersetzt ist. Ich brauche Dir wohl nicht erst zu sagen um wie viel schöner mir die Aussicht auf Rom gewesen wäre, wenn Anna nicht mitgekommen wäre, denn es ist ganz richtig, wir hätten dann viel mehr von einander gehabt. Als sie mir ihren Entschluß mittheilte, war er mir nur aus 2 Gründen recht. Erstens weil damit meine Bedenken über ihren zweifelhaften Aufenthalt während der Zeit meiner Abwesenheit hinwegfielen u. zweitens, weil - jetzt darf ich Dir es ja gestehen - ich alle Mühe

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hatte, Deinen verlockenden Einredungen gegenüber, fest zu bleiben in Bezug auf die Wohnung. Weißt Du, ich hätte es ja wunderschön gehabt, wenn ich im selben Haus mit Euch wohnen hätte können; aber ich hatte mir vorgenommen fest zu bleiben, weil ich in diesem Fall doch noch mehr mit Euch zusammen gewesen wäre, als wenn ich allein gewohnt hätte u. da fürchte ich, Deinen Papa u. vielleicht auch Dir, auf die Dauer zu viel zu werden. - Aber im Ganzen wäre es so viel schöner gewesen, wenn ich allein gekommen wäre. Wir müssen uns jetzt aber vornehmen, uns möglichst wenig durch Anna abhalten zu lassen, sondern so viel zusammen sein, als wir es auch ohne sie gewesen wären, denn sie hat wirklich nicht verdient, daß ich in dieser Beziehung viel Rücksicht auf sie nehme. Als sie mir ihren plötzlichen Entschluß neulich mittheilte, war sie ganz ärgerlich, an meinem Ausdruck zu bemerken, daß ich nicht gerade so riesig erfreut über ihrem Entschluß war. Und die Wahrheit zu gestehen, glaube ich wirklich, daß sie sich erst anders besonnen hat, als sie sah, daß ich recht gern allein nach Rom gegangen wäre. Freilich kommt auch noch dazu, daß sie sich, während den paar Malen als sie hier allein ausging, recht gelangweilt hat u. sich deshalb einen mehrmonatlichen Aufenthalt allein, als etwas sehr Unangenehmes vorstellen. Wenn Ihr nur wenigstens schon recht bald nach Rom kämt u. wenn wir nur wieder recht nahe von Euch zu wohnen kämen! Mir ist es jetzt ganz unangenehm, mich für unsere alte Wohnung zu entscheiden, so lange ich nicht weiß, wo ihr hinziehen werdet; Rom ist gar so weitläufig. Apropos, was ich über Alice u. Meta [von Salis] sagte, möchte ich natürlich durchaus nicht gern auf mich angewandt sehen. Ich finde auch Offenheit eine Hauptbedingung, selbst wenn die Wahrheit nicht angenehm zu hören ist - ist sie doch dem Gegentheil vorzuziehen. Du hast Recht, von dem Moment an, als ich mich in Metas Lage versetzte fand ich, daß ich in den Tag hinein geschwätzt hatte als ich sagte: was man nicht weiß macht einen nicht heiß. Daß aber die Universitätsrectoren nichts von ihr u. der Wienerin wissen wollen 3 - besonders da keine der Beiden ein Abiturientenexamen machen kann - finde ich sehr begreiflich. Meta steht jetzt in eifrigster Correspondenz mit Bertha, hat ihr aber wie es scheint nichts über ihr neustes Vorhaben gesagt, wahrscheinlich mit dem fait accomplit zu überraschen. Ich war gestern so gemein, Annas boshaften Vorschlag - der Bertha von Metas Bemühungen zu schreiben - auszuführen. Nachdem mein Brief fort war, reute es mich wieder, denn auf deutsch gesagt, ist das einerseits, nichts anderes als eine Klatscherei, wenn ich an Bertha das schreibe, was ihr Meta geheimhalten will.

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Ich wollte Marie Mellien hätte einen etwas weniger begreiflichen Geschmack u. fände anstatt an Dir - an Anna gefallen, dann wäre Letztere doch versorgt u. aufgehoben. Ich werde nicht gerade zulegen müssen um nach Rom zu gehen, wenn ich ein bischen sparsam bin, werde ich gerade reichen - hoffentlich bring ich es dazu, anständig um die gewisse Ecke des A zu kommen; d.h. ohne etwas umsetzen zu müssen u. auf das Eintreffen des Maizinses zu warten. Im übrigen habe ich ja immerhin noch ein Bischen mehr als Anna, eben von der im September 81 eingelösten Creditactie her. Für Deine Vertiefung in meine Toilettenangelegenheiten, sage ich Dir meinen herzlichsten Dank. Die von Dir beschriebene Husarenjacke kommt auch mir sehr verlockend vor - nur die langweilige, auf Sparsamkeit gerichtete Vernunft legt ihr Veto dagegen ein. Der beschriebene Anzug wird nämlich für diesen Winter sehr hübsch, im nächsten wird er schon altmodisch sein und bei meinen jetzigen guten Vorsätzen, will ich auf allen Luxus verzichtend, mir lieber ein Kleid kaufen, welches im Nothfall auf 2 - 3 Jahre zu tragen ist, wenn es dafür auch im ersten Winter minder elegant ist. Wahrscheinlich ein feierlich ernstes Marineblau oder dunkellila, das im 3ten Winter ebenso unbemerkt durch die Welt geht, als im ersten. Wenn Ihr dies Jahr Eure Koffer einmal praktisch u. billig nach Rom schicken wollt, schickt sie doch ja per Fracht u. nicht an einen Spediteur. Per Eilgut kommen sie gerade so theuer als das Passagiergut u. wenn man Reisestücke hat, kann man ja ganz gut die Koffer wochenlang vorher wegschicken, besonders im Winter, wo man ohnedies die warmen Kleider u. Mäntel an sich selbst mitnimmt. Von Würzburg bis Rom brauchen unsere 4 Koffer 21 Tage u. kosten bis ins Haus geliefert alle zusammen nicht ganz 30 M. Da wir vor Euch in Rom sein werden, kann ich sie Euch dann in eure Logis besorgen d. h. mit Dir zusammen, denn man muß sie auf der Dogana öffnen lassen. Wenn Du außer Euren Namen auf die Adresse: Roma fermo alla Stazione schreibst, wird Dir am Tag nach ihrer Ankunft, ferma in posta angezeigt, daß sie auf der Dogana liegen. Den 26ten Gestern Abend habe ich schon angefangen abzuschreiben u. bin schon ziemlich weit gekommen - nicht wahr Du schickst mir die andere Hälfte bald, denn ich werde in ein paar Tagen sicherlich mit dem Gesandten fertig sein u. ich freue mich jetzt sehr, das Ende auch zu lesen zu bekommen. Soeben erhalte ich Deinen Brief - siehst Du, daß ich Recht hatte, daß auch Dein Papa die Novelle sehr gut findet? Ich freue mich sehr für Dich über sein Urtheil, weil Du dagegen keine Gründe der

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schlechten Laune mehr bringen kannst und endlich selbst einsehen mußt, daß ich Recht habe, wenn ich Dir zu der sehr hübschen Novelle nur gratulieren kann. Leider habe ich jetzt schon 11 Seiten abgeschrieben - ich meine wegen dem Raumlassen nach der Uberschrift u. dem Kapitel. - Vielleicht, da reine Seiten ja immer Blätterweis gehen, kann ich es noch ändern, indem ich die beiden ersten Seiten noch einmal copire u. probiere, sie so einzutheilen, daß nach den Uberschriften mehr Raum bleibt. Indemfalles werde ich es für die folgenden Kapitel thun. Ich komme mit den Einschaltungen u. Correcturen ganz gut zurecht, sie sind ja ganz deutlich angezeigt. Wir haben wirklich fast immer Regen u. lasse ich es mir ja einmal einfallen, meinen Sonnenschirm mitzunehmen, so kann ich gewiß sicher sein, naß hinzukommen. - also Janitscheck in aller Heimlichkeit verheiratet - und schon seit beinah einem Jahr, das ist ja eine ganz misteriöse Geschichte. Wer weiß, was die Antecedenzen dieser jungen Frau sind, daß er seine Vermählung mit ihr so geheim gehalten hat wer weiß, ob ihn nicht an einem schönen Aprilmorgen anno 81, zu Tivoli der Entschluß zu diesem verzweiflungsvollen Schritt gekommen ist. ete die Co ta! Meine liebe Theo! ich freu mich schon wieder so kindisch auf Rom, daß ich die Zeit gar nicht mehr abwarten kann bis ich Dich wiedersehe! Nicht war mein liebes Kind, Du thust wenigstens alles was Du kannst um zu verhüten, daß Ihr nicht wieder so spät abreist als das letzte Mal. Nicht wahr, Ihr geht nicht zu Nathanaels? Ich glaube, wenn Du Deinem Papa zuredest die Koffer bald per piccola velocita abschicken zu lassen, reist er ihnen auch bald per grande veloccita nach. Ich wäre so sehr froh, wenn ich nicht gar so lang auf Euch warten müßte. Hast Du auch nichts mehr von Bethy Jakobsohn gehört? Da kommt sie vielleicht auch gar nicht nach Rom. Wenn Adrian kommt wirst Du wohl wieder recht vergnügt sein. Apropos, das muß ich Dir doch noch sagen, daß Anna keine so verstockte Sünderin ist, daß sie sich gar einfallen ließe, es anders als natürlich zu finden,wenn ich für Dich abschreibe. Ich habe ihr extra den betreffenden Passus aus Deinem Brief vorgelesen u. sie laßt Dir sagen, sie fände es ja nur natürlich, Du müßtest sie schon für eine sehr böse Sieben halten nachdem was Du schreibst. - Damit Du mir nicht wieder sagst, mein Ubersetzen ging dem Abschreiben vor, muß ich Dir noch erklären, daß es mit meinem Ubersetzen durchaus keine Eile hat. Denn bis die Antworten der um Erlaubniß befragten Autoren da sind, vergeht immer noch einige Zeit u. ich werde gewiß nicht mehr

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so dumm sein, zu übersetzen vor ich die Erlaubnis dazu habe - wie bei der Novelle von De Amicis die jetzt verlorene Mühe ist. Für heute Adieu meine liebe Theo, wir müssen ausgehen u. ich will den Brief mit zur Post nehmen. Der Brief ist wie Du siehst nicht in der Eile geschrieben. Du siehst ich nehme mir Deine Lectionen alle zu Herzen u. bessere mich nach Kräften. Hoffentlich brauche auch ich Dir nicht erst zu sagen, daß ich mich sehr freuen würde, einmal wieder einen langen Brief von Dir zu sehen. Die herzlichsten Grüße an Dich u. Deinen Papa von Deiner Emmy. Erhielt heute einen geschriebenen Brief von Gerd. Datierung: habe ich immerhin noch ein Bischen mehr [...] von der im September 81 eingelösten Creditactie weist auf das vorangegangene Jahr 1881 - daher 1882. 1

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Die Novelle Theos ist nicht bekannt. - Es ist erstaunlich, daß Emmy v. Dincklage sich vorbehaltlos in den Dienst Theos stellt, nahezu kniefällig um Abschreibearbeiten bittet, ihre eigene schriftstellerische Tätigkeit mit Ausnahme von Übersetzungen nicht erwähnt. Das verwundert umsomehr, als Emmy zu den bekannten Schriftstellerinnen gehörte, im Jahre 1881 die bedeutendsten Städte der USA bereist hatte, was einem „wahren Triumphzug für die Dichterin" glich. (Brümmer, S. 31 f.) Im Jahr 1882, aus dem dieser Brief stammt, veröffentlichte sie Emslandgeschichten und Die Amsivarier. Vgl. Untersuchungsteil (C. I.4.d), Anm. 53: Theos Ubersetzung. 1882 beschloß Meta von Salis nach England zu gehen, um sich als Erzieherin das Geld für ein Universitätsstudium zu verdienen und sich auf die Zulassungsprüfung vorzubereiten (Stump, S. 71).

Emmy von Dincklage an Theo Schücking Venedig den 24. Nov. 1882

Meine liebe Theo, tausend Dank für Deinen lieben Brief, der so sehr schön zur richtigen Zeit bei mir eintraf, ich lag nämlich gerade im Bett u. freute mich dann so riesig, in meiner trüben Stimmung durch diese angenehme Unterbrechung auf andere Gedanken gebracht zu werden. Ich hatte nämlich wieder einmal ein scheußliches Catarrhefieber, das dann erst mit dem solito Giorno in letto verging - außerdem hatte ich Dir noch einen ordentlichen Brief geschrieben, weil ich den in größter Eile geschriebenen Zettel gar nicht als Antwort auf Deinen Brief gerechnet hatte. Du kannst Dir also denken wie angenehm überrascht ich war, als mir Nini Deine lieben Zeilen ans Bett brachte.

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Was fallt Dir den ein meine liebe Theo wegen dem bischen Abschreiben einen solchen Lärm zu machen, ich kann Dir versichern, daß es für mich ein reines Glück war, mich während der trostlos langweiligen Zeit des schlechten Wetters hier so nützlich beschäftigen zu können, ich that es mit wahrem Vergnügen. Anna war mir förmlich neidig um diese Arbeit, sie sorgte nämlich selbst, daß es das Beste sei etwas Nützliches, das man gern thut vornehmen zu können, um die Regentage durchzubringen. Indem sie mir zusah bekam auch sie Lust zu schreiben u. auf einmal kann sie mit einem Pack Papier Federn u. Tinte heim; ich konnte mir kaum denken, was sie damit anfangen würde u. mußte dann wirklich gerade hinaus lachen als ich sie eine der Allgem. Zeitungen nehmen u. sie dieselbe mit großem Eifer abschreiben sah. Sie blieb sogar einige 8 - 1 0 Abende fortgesetzt an dieser nützlichen Arbeit, wie sie sagte: um sich wieder im Schreiben zu üben, damit sie es nicht ganz verlerne. Also merke Dir es: Abschreiben ist mir (besonders wenn es für Dich geschieht) eine ganz liebe Beschäftigung u. Versprich mir, daß Du mir, so wie Du mit Deiner Veronica Gambara fertig bist,1 das Abschreiben derselben besorgen laßt. Nicht wahr, liebe Theo, Du versprichst mir, daß Du mir jetzt immer alles für Dich copiren lassen wirst. Apropos, weil Du in einem Deiner Briefe sagst, Dein Papa, Gerd [Gerhardine], u. ich, wir seien vielleicht in unserem Urtheil Dir vis-avis, partheiisch, muß ich Dir doch schreiben, daß auch Anna, der ich Deine Novelle vorgelesen habe, dieselbe recht hübsch u. sehr gut geschrieben fand u. Du weißt, Anna ist für Niemand partheiisch - besonders mir gegenüber nicht für Dich weil es sie ärgert, daß ich Dich so gern habe, ihr Urtheil ist also wenigstens als von populigen, popula? populorum nehmen? Für uns wird es Zeit nach Rom zu reisen, denn hier ist es jetzt schon scheußlich kalt, so daß ich heute kaum die Feder halten kann, trotzdem ich eine sealda piedi unter den Füßen u. meinen Schal um habe. Wenn Ihr nicht nach Venedig kommt, verlierst du wirklich nicht viel, denn jetzt ist es gar nicht mehr schön hier. Alle paar Tage haben wir von 4 Uhr an starke Nebel, das Gondelfahren u. das Fahren mit der Vaporetti ist jetzt gar kein Vergnügen mehr, weil es in den Canälen immer Wind hat so daß man durch u. durch kalt wird u. in den Zimmern ist es infam feucht. Ich habe mir hier so nach u. nach einen gehörigen Rheumatismus in den Schultern angeschafft, hoffentlich bring ich ihn in Rom wieder los. Ich spüre ganz deutlich, daß er von dem naßkalten Schlafzimmer kommt. Die Maglieri hat mir noch nicht geantwortet - wer weiß, vielleicht lebt sie gar nicht

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mehr. Ich will den Brief noch liegen lassen bis morgen, damit ich Dir noch beifügen kann, ob wir die alte Wohnung nehmen oder nicht. Es wäre so viel netter, wenn Ihr zur selben Zeit schon nach Rom kämt wie wir, dann könnten wir beim Wohnungssuchen sehen, in Eure Nähe zu kommen. Oder wenn ihr wenigstens nur ein paar Tage später kämt als wir, dann könnte ich sehen, daß wir etwas finden in der Nähe von einer für Euch passenden Wohnung. Ich werde natürlich sehen, eine hübsche solche für 150 fr. zu finden, damit Dein Papa sich gleich nachdem Ihr angekommen seid entscheiden kann, ob er sie nehmen will oder nicht. Es wäre mir daher lieb, wenn Du mir durch Postkarten wissen lassen würdest wann Ihr ankommt, wenigstens wann ungefähr. Warum sagst Du, daß Ihr nicht reisen könnt, so lange es so kalt ist? Ich glaube daß es jetzt mit jeder Woche kälter wird - wäre es da nicht besser at conce abzureisen? Ich habe gestern gelesen, die Brennerbahn würde vom 1. Dez. an wieder fahrbar sein, aber weißt Du vor Venedig warne ich Dich nicht um meines Egoismus halber; sondern nur weil ich wirklich glaube, daß Du es bei wärmerem Wetter (also z.B. auf der Rückreise) viel mehr genießen würdest, denn, weil es noch lange dauern wird, bis man von Venedig aus direct nach Rom fahren kann; denn jetzt muß man entweder wieder zurück nach Verona oder man muß bei Rovigo den Trasbordo machen, d. h. ein Stück im Wagen u. in der Barke fahren. Wir wissen noch nicht recht welche Art wir vorziehen. Wenn wir von hier fort sind, werde ich nur den kleinen Nini vermissen, der wirklich ein ganz reitzender kleiner Kerl ist. Er sitzt von Morgensfrüh bis spät Nachts bei uns u. außer einigen ab u. zu nöthig werdenden colluttazioni, kommen wir so gut zusammen aus. Einmal hat er mir aus Ungezogenheit beim Abschreiben Deiner N[ovell]e einen Klecks auf meinen Bogen gemacht, indem er mir seine eingetauchte Feder darauf warf, da habe ich ihm tüchtig auf die Finger geklopft u. seitdem folgt er mir ganz ordentlich. Jetzt sitzt er gerade wieder bei Anna, die ihm Papierfiguren ausschneidet u. so oft ich ihm etwas auf deutsch sage ärgert er sich wüthend, dann brüllt er immer gleich: taciti me non voglio tentirti! Wir gehen hier immer Nachmittags spazieren d.h. auf der Piazza od. an der Riva u. danach setzen wir uns ins Caffee, wo ich den Standart u. Anna den Figaro liest. Das ist aber wirklich noch so ziemlich das Beste an dem Aufenthalt in V. während dem November. So oft ein Sonnenstrahl sich sehen laßt, fahren wir an den Lido hinüber um wenigstens ein wenig spazieren gehen zu können. In den Kirchen u. in den Galerien ist jetzt eine scheußlich schlechte Beleuchtung, denn es ist fast jeden Tag trüb u. die kleinen Straßen kann ich buchstäblich

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nicht gehen ohne mit starkem Kopfweh heim zukommen, weil sie so entsetzlich duften. Wie gesagt ich freue mich auf Rom u. hoffe dort Rheumatismus u. Kopfweh zu verlieren. Höre, Dein Aufenthalt bei Frau Löb erfüllt mich mit großem Bedenken; ich fürchte nämlich immer, sie wird ihn als Ulane auf einmal auftauchen lassen (u. da ich mich nicht mehr erinnere ob Du ihn schon kennst oder nicht) ist mir ganz ärgerlich zu Muth, derselbe könne Dir vielleicht wirklich gefallen2 u. das wäre mir gar nicht recht, denn wenn sich Frau Löbs Wünsche erfüllten u. Du darüber nicht nach Rom kämst! Drei Pferde sind zwar gar nicht ohne! - Nun hoffentlich ist er nicht allzu siegreich - ich will mir einstweilen nicht durch unnötige Sorgen graue Haare wachsen lassen. Es ist sehr lieb u. nett von Dir, daß Du das Anbringen meiner übersetzten kleinen Erzählung von De Am[icis] versuchen wolltest aber ich versichere Dir, es ist wirklich gar nichts an der selben u. sie ist dazu auch noch schlecht übersetzt so wäre es also ganz vergebliche Mühe sie anbringen zu wollen. Auch Anna meint, ich bekäme sie höchstens mit umgehender Post zurück. Weißt Du, ich habe sie auch eigentlich nur in Angriff genommen, um mich einstweilen zu üben vor ich etwas Hübsches gefunden habe. Castelnuovo werde ich mir in Rom holen. 25. Nov. die dumme Maglieri hat noch immer nicht geantwortet; ich will also den Brief fortschicken u. Dir per Postkarte schreiben, sobald ich Dir unsere neue Adresse angeben kann. Ich erinnere mich, daß Du von einer hübschen Wohnung für 100 fr. in der Fia Laurina Nr. 11 od. 12 sprachst. Vielleicht finden wir dort zwei hübsche Zimmer. Es wäre nur so bequem gewesen, wenn wir gar nicht lange im Hotel hätten bleiben müssen sondern gleich in der alten Wohnung hätten absteigen können, diesmal wollen wir aber lieber vorsichtig sein, denn der Aufenthalt hier soll uns eine Lehre sein, daß es besser ist, ein paar Tage länger zu suchen als aus Bequemlichkeit eine Wohnung schnell zu miethen die einem dann nicht paßt. Von Meta [v. Salis] erhielt ich vor ein paar Tagen einen Brief, sie scheint eigentlich nicht sehr zufrieden mit ihrer Stelle in Irland 3 - ich glaube eben daß ihr die Universität schon sehr im Kopf steckt, trotzdem sie uns natürlich nicht davon schreibt. Auch an Bertha hat sie nichts darüber geschrieben. Wenn Bertha über die Weihnachtsferien in Mayfield bleibt, ist es wahrscheinlich, daß sie sich Meta einladet u. Meta wird sich vielleicht aufschwingen sich die Reise zu zahlen, weil Mayfield fast zu London gehört u. deshalb der Aufenthalt für sie nicht gar zu langweilig wird. Ich hoffe jetzt, daß wir vielleicht in 14 Tagen schon zusammen sein werden - ich kann deshalb auch gar nicht mehr viel schreiben - es

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kommt mir vor als wäre es ganz verlorene Mühe sich da noch lange mit Tinte u. Feder abzuplagen u. ich freue mich so unendlich wenn ich mich erst wieder einmal so recht von Herzen mit Dir aussprechen kann. - Weißt Du die Anna wird uns schon nicht so sehr genieren; ich habe ihr ganz klar gesagt: wenn ich diesen Winter nach Rom ginge, geschähe es nur wegen Dir u. ich wolle ihr deshalb gleich im voraus sagen, daß ich ganz so leben würde wie es mir bequem sei; wenn es ihr dann nicht passe, daß ich meine Zeit eintheile, wie Ihr sie eintheilt müsse sie eben allein zu Tisch gehen ect. ect. Sie ist auch, da sie einsieht, daß ich, wenn sie nicht nach Rom mit gekommen wäre, doch ganz vergnügt alleine dort gewesen wäre, bedeutend weniger frech in ihren Ansprüchen an mich. Ich ließ sie hier extra merken, daß ich ganz gut für mich allein leben könnte - seitdem hat sie mir gezeigt, daß sie sich in Rom schon ganz zufrieden geben wolle, wenn ich ihr versprechen wolle, wenigstens ab u. zu mit ihr in die Theater zu gehen, da sie nicht allein in ein solches gehen könne u. ab u. zu einen Spaziergang in die Campagna - ähnlich wie die die wir in Palermo machten. Ich habe ihr das versprochen weil ich finde daß es so doch besser ist, alswenn ich ihr das Alles rundweg abgeschlagen hätte u. sie damit vielleicht dazu gezwungen hätte allein, vielleicht nach Neapel od. nach Palermo zu gehen. Hätte sie dann dort recht coquettirt ect. so hätte ich mir doch die Vorwürfe machen müssen. Als ich neulich an Bertha schrieb, Anna habe sich nun auf einmal entschlossen mit nach Rom zu gehen, schrieb mir Bertha umgehend, daß sie ganz glücklich darüber sei. Hier war Anna merkwürdig ordentlich - ob es wohl die Folge davon war, daß ich ihr durch Bertha sagen ließ, ich lebte lieber allein, als mit einer alten Coquette? Ich weiß gar nichts von einer Veronica Gambara. - Ich bin aber überzeugt, daß Du sehr leicht im Stand sein wirst Aufsätze über berühmte Frauen zu schreiben. In Rom ohnedies wirst Du Dir sehr viel Material aus den verschiedenen Bibliotheken sammeln können u. ich denke mir das wird ganz interessant für Dich werden, dort einiges zu verwerthen. Wie merkwürdig daß ich Molly Miller 4 kein einziges Mal begegnet habe. Meinem guten Physioniengedächtniß wäre sie sicherlich nicht unbemerkt an mir vorüber gegangen. In der Accademie wird sie jetzt wo es so kalt ist, wohl nicht mehr viel sein. Wir waren z.B. heute Vormittag im Museo Correr u. trotzdem wir a Person unsere Lira entree gezahlt hatten, sahen wir doch alles nur ganz flüchtig an u. eilten uns wieder hinaus zu kommen weil wir froren. Wann wird dann Marie Melien nach Rom kommen? Ich bin neugierig auf sie. Nicht wahr Du erzähltest mir einmal daß sie auch reitet?

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Da müssen wir doch einmal einige soldi dran wenden um zu 3 loszuziehen. Ich habe hier sehr gespart, damit ich doch ab u. zu in Rom etwas dran wenden kann. Wo jetzt also adio meine liebe Tho, bitte schreibe mir wie Du versprochen hast noch von Frau Löb aus - bei welcher Ihr hoffentlich bald, aber auf kurze Zeit eintreffen werdet. Wir reisen am 29. morgens über Verona ab u. werden in Rom im Hotel New York absteigen. Die herzlichsten Grüße von Deiner Emmy 1 2

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Zur Veronica Gambara vgl. auch C. Untersuchungen, S. 432. Möglicher Weise gehen die Verlobungsgerüchte über Theo von hier aus. „Ich dachte Sie wären verliebt und wartete geduldig auf eine Verlobungsanzeige" (Brief Molly Miller vom 21. 10. 1882, vgl. unten). Ende 1882 war Meta v. Salis bei der Familie Stuart in Nordirland angestellt. Vorallem mit der Mutter Charlotte Stuart verband sie das gemeinsame Interesse für Literatur, vgl. Stump, S. 71. Daher ist Emmy's Bemerkung, daß Meta „nicht sehr zufrieden mit ihrer Stelle in Irland" sei, etwas erstaunlich. Vgl. die Briefe Molly Millers, S. 321 ff.

AMALIE HAGER E/Tb 11. 4. 1898: m. Frln. Hager bei Ida. Sie brachte einen traurigen Brief von Theo. Übersiedlung in eine andere Wohnung, der „Tapezierer u. die anderen Leute die den Umzug besorgen sollten, betrunken. Theo so leidend, daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte. E/Tb 24. 5. 1903: Am Nachmittag die Todesbotschaft. Ein großer Schmerz für mich, ein Unglück für Fräulein Hager u. die arme Frau Rickert. E/Tb 25. 5. 1903: Bei dem armen Fräulein Hager.

Amalie Hager an Theo Schücking diktirt am 18. April 903. I. Kärntnerring 11. III.

Liebste Theo, den Abend eines ganz winterlichen Tages verwende ich um Dir für Deinen lieben wenn auch arg verhetzten Brief vom 14. d. M. zu danken sowie auch für den freundlichen Besuch Deiner theosofischen Freundin Nina; sie kam Mittwoch, fand mich nicht zu Hause u. war so gütig am N. M. wiederzukehren u. mir von Dir zu erzählen.

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Ich war sehr froh zu hören, dass es Dir gut geht u. Du besonders frisch aussiehst. Dann freilich waren wir bald in der 4t. Dimension für die mir die nötigen Organe fehlen. Ich teile ja manche ihrer Ansichten für die ich eine einfache Erklärung {wo ich eine} finde - sie aber will durch Mystik beweisen u. da kann ich nicht folgen. Ich danke Dir für diese Begegnung die auch doch sehr interessirte. sowie auch die Notitz über Aug. Eichthal. Das Wetter ist so unerlebt kalt u. stürmisch, dass ich für Barnn. Ebner besorgt bin wenn sie nicht auf Besserung wartet. Sehr begreiflich finde ich Deine Absicht in Rom zu bleiben bis das Leiden des armen Frl. von Meysenbug erschöpft ist u. Du Deiner lieben Freundin beistehen kannst. Es täte mir aber doch leid, wenn Du Capri aufgeben müsstest. Was Deine Reiseroüte nach Ischl betrifft - so wird es wol am besten sein, Du nimmst sie über Tontebba, Villach, St. Michel, Selzthal, Aussee; doch werde ich Dir seinerzeit noch genaue Angaben mitteilen. Meine Schwester ist seit Wochen durch einen hartnäckigen Luftröhrenkatarrh in's Zimmer gesperrt u. eine in Aussicht genommene kurze Erholungsreise nach Abbazzia wird dadurch u. durch das abscheuliche Wetter immer weiter hinaus geschoben. Denke Dir, Direktor Kirchhof hat Aschaffenburg verlassen, bringt den Sommer in Aibling zu u. zieht im Herbst wieder nach Bozen!!! Lass Dir nur ja für nächsten Winter die Vorhand auf Deine jetzige Wohnung in Rom, mit deren Vermieterinnen Du allen Grund zur Zufriedenheit zu haben scheinst, die gelbe Tapete lässt sich wol auf gemeinschaftliche Kosten durch eine weniger beleidigende ersetzen. Nun werden viele Deiner Freunde u. Bekannten abreisen u. Du wirst nach allzuviel Vergnügen u. Anregung noch eine Zeit relativer Ruhe vor Dir haben; was auch vor der Abreise Dir gewiss woltuend sein wird; aber vielleicht ist zu viel Unruhe noch immer besser als gar keine Bewegung. Leb wohl, u. wenn Du keine Zeit zum schreiben hast - so denke wenigstens oft an Deine alte Amalie

II.3.a Briefe Theo Schücking - A. Hager

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Amalie Hager an Theo Schücking Diktirt am 6. Mai 1903. Liebste Theo! Vielen Dank, daß Du mir auf Deiner Karte vom 2. 5. sagst, Du freust Dich auf die Wohnung in Ischl. Ich habe die Übersiedelung dorthin schon recht nötig, und mir den 28. Mai so ungefähr dafür bestimmt; natürlich wenn das Wetter es auch nur halbwegs erlaubt. Was Deine Reise anbelangt, so bin ich noch immer der Meinung, daß die Route von Florenz über Pontafel, ST. Michael, Selzthal u. Aussee die kürzeste wäre. In Selzthal kann man in einem Hotel hinter dem Bahnhof leidlich gut übernachten u. von da hättest Du verschiedene Züge nach Ischl. Wenn Du Abend in Florenz wegfährst, bist Du beiläufig um 7 oder /48 h. in Pontafel. Vielleicht kann Dir Dr. Otto [Fleischl] oder ein Reisebürau in Florenz genaue Auskunft geben; wenn Du lieber über den Brenner fährst, so wäre Rosenheim - Deutscher Kaiser - oder Salzburg - Hotel Pitter - die geeigneten Nachtquartiere. Von Salzburg nach Ischl kannst Du Dir den Zug wählen. Was immer ich noch erfahre, werde ich Dir mitteilen. Nun bitte ich Dich mir aufrichtig zu sagen, was ich Dir hier noch besorgen könnte, außer Seife u. Zahnpulver. Man kann aber auch in und von Ischl aus Alles Beziehen was Du etwa benötigst. Das Besuche machen wird mir jetzt sehr schwer, dennoch hoffe ich Bar[onin] E[bner] einmal zu sehen. Ich bitte Dich inständigst Dich bei dieser großen Hitze nicht allzu sehr abzuhetzen, damit Du nicht für die Reise leidend wirst. Kennst Du Die Drei Getreuen von Frenssen? Ich meine es würde Dir gefallen und ich könnte es mitbringen. Bitte vergiß nicht, mir Deine Florentiner Adresse zu schreiben, damit ich weiß wohin noch Reiseauskünfte zu senden sind. Wir haben hier jetzt eine Hoch-Sommerhitze, die mich sehr angreift u. die ich Dir nicht zur Reise wünsche. Ich kann Dir nicht sagen wie sehr ich mich auf unser Wiedersehen freue und sende Dir einstweilen die allertreuesten Grüße von Deiner alte Amalie.

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FANNY LEWALD ( P s e u d o n y m : IDUNA, 1 8 8 2 A D R I A N A ) E/Tb Anhang 1872 (KTD, Tb II, S155): Eine merkwürdige Erscheinung in der Literatur diese Frau, diese Bücher schreibende Frau. Denn eine Dichterin ist sie nicht, dazu fehlen ihr zwei Kleinigkeiten: Herzenswärme und Phantasie. Hingegen besitzt sie einen sehr klaren Verstand und dieser macht vortreffliche Reflexionen, zieht ihnen Hosen oder Röcke an und will uns dieselben für Menschen verkaufen. Aber wir sind nicht so dumm - wir merken es diesen Anna's und Sarah's und diesen Alwyns und Camilles an, daß sie nur eiskalte Gedanken ihrer Frau Mutter sind.

Fanny Lewald an Theo Schücking Hötel Milano d. 1/April 81

Ich habe es sehr bedauert liebes Fräulein, heute Ihren Besuch versäumt zu haben, u bedaure es ebenso der freundlichen Einladung nicht folgen zu können. Ich habe für mich, meine Schwester u unsern eben angekommenen jungen Freund, Dr. Seeligmann, eine Einladung für Montag zu Professor Pirvantani angenommen, u hoffe also, daß Sie und der verehrte Freund uns bald einmal dafür bei uns entschädigen. Wir Menschen gehen so leichtsinnig mit der Möglichkeit des Verkehrs um, als wären wir immer nahe beisammen oder immer auf Erden. Der Winter ist zu Ende u wir haben uns kaum gesehen. Vielleicht läßt sichs noch Etwas einbringen, wenn es geht, wie ich u meine Schwester es wünschen, die Ihnen Beiden empfohlen sein will. Herzlich grüssend Fanny Lewald Stahr Kärtchen.

Fanny Lewald an Theo Schücking Frankfurt a. M. den 18/Sept. 83

Mein liebes Fräulein! ich habe lange angestanden Ihnen zu sagen, wie sehr u wie schmerzlich mich der Tod Ihres trefflichen Vaters überrascht u erschüttert hat. Ich wußte, daß man im ersten überwältigenden Leid Nichts so nöthig hat, als in Ruhe sich selber überlassen zu

113.a Briefe Theo Schücking - F. Lewald

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werden. Man muß erst verstehen lernen, was Einem geschehen ist sich losreißen von der Vergangenheit - sich festzusetzen suchen in der für uns verwandelten Welt! - Und Trost zu sprechen, das kann ich nicht, da ich weiß wie völlig wirkungslos ein solches Unternehmen ist. Ich hatte Ihren Vater immer nur wohl u geistesfrisch gesehen - ich konnte mir nicht denken, daß er leidend gewesen war, als ich seinen Tod aus den Zeitungen ersah; denn die Anzeige desselben durch Sie, erhielt ich erst später von Berlin aus, nach Ragaz nachgesendet, wo ich bis zum 15r gewesen bin So hatte ich an Frau Löb geschrieben, u von ihr erfahren, daß der werthe Mann schon lange nicht völlig gesund gewesen sei - u er sah so gut, so rüstig aus! Es liegt ein neues Leben vor Ihnen - die Arbeit es selbstständig auszubauen. Möchte es Ihnen so gelingen, wie er es Ihnen sicher glückbringend gewünscht hat - Alleinstehen ist nicht leicht! Ich bleibe noch ein paar Tage hier, weil ich nach Wiesbaden hinüber will, nach meines Mannes Grab 1 zu sehen. Ich war seit drei Jahren nicht mehr dort, u obschon ich weiß, daß es versorgt wird von Freundeshand, zieht es mich dahin. Anfangs Oktober denke ich zu Hause zu sein. Geben Sie mir Nachricht von sich, von Ihren Planen für Ihre Zukunft, u denken Sie, daß Sie eben so herzlichen Antheils bei mir sicher sind, als das Gedenken an Ihren Vater in mir fest steht. Alles Beste mit Ihnen! Fanny Lewald Stahr 1

Fanny Lewaids Mann, Adolf Stahr, starb 1876.

Fanny Lewald an Theo Schücking W Berlin Bendlerstrasse 21, d. 17/Okt. 88 Frl. Schücking Liebes Fräulein! Ihr Briefchen hat mich sehr gefreut, denn ich hatte Ihre, u der mir von Herzen lieben Amalie Hager ganz u gar verloren. Nun weiß ich doch, wo meine Gedanken Sie Beide zu suchen haben. Ich wollte nur, es ginge Frl. Hager besser. Ich kenne sie jetzt 22 Jahre, u sie ist sich so gleich geblieben in ihrer sanften Anmuth, daß ich sehr

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B.

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wünschte, sie irgendwo in Ruhe wiederzusehen. O b uns das zu Theil wird? - Wer will das sagen? Von mir, schreibe ich Ihnen Nichts! Sie haben all das Unerfreuliche von unserer lieben Frau Löb erfahren, u man bekommt es so satt von sich u seinen Elendigkeiten zu sprechen. Halten Sie daran fest, daß Ihr od Frl. Hager's Schicksal mich lebhaft interessirt - u lassen Sie mich nicht, so lange wie diesmal, ohne Kunde von Ihnen u Ihrem Ergehen Frl. Hager meine besten Grüsse u Wünsche. Alles Gute mit uns Allen! Fanny Lewald Stahr Kleine

Karte.

E M I L I E MATAJA (Pseudonym: EMIL MARIOT) E/Tb 29. 10. 1881: erhielt nachmittags den Besuch von Ernst Landesmann und Frln Mataja-Mariot Sie affectirt die Widerwärtigkeit. E/Tb 29. 4. 1882: da erschien Fräulein Mataja und verdarb alles durch ihre steinerne Gegenwart. Sie fühlte recht gut daß sie genirte, blieb aber sitzen wie ein Heftpflaster. E/Tb 21. 3. 1897: Es [Ebner Stück Am Ende] soll mit einem ganz scheußlichen Stück von E. Mariot am selben Abend auf dem Deutschen Theater gegeben werden. Gretes Glück. Die alten Jungfern beschäftigen sich - das sieht man jetzt - doch schrecklich viel mit Ehestands-Geheimnissen. Sie sind recht grauslich, die alten Jungfern.

Emilie Mataja an Theo Schücking 22. 2. 1882.

Geehrtes Fräulein! Immer noch hatte ich geglaubt, mich für heute Nachmittag frei machen und Ihrer liebenswürdigen Einladung Folge leisten zu können und verschob deßhalb den Absagebrief bis jetzt; leider liegt es nicht in meiner Macht, über meine Zeit zu verfügen und ich kann nicht nur heute nicht abkommen, sondern bin für die Woche überhaupt schon engagirt.

II.3.a Briefe Theo Scbücking - M. Miller

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In der kommenden Woche werde ich so frei sein, liebes Fräulein, Sie aufzusuchen und werde Ihnen vorher noch ein paar Zeilen schreiben und den Tag angeben, was mir augenblicklich noch nicht möglich ist. Einstweilen bitte ich mein Nicht-Erscheinen freundlich zu entschuldigen und bis zum Wiedersehen nicht ganz zu vergessen1 ihre ergebene Emilie Mataja. 1

Siehe Briefe 3/S und 4/E.

MOLLY MILLER

Molly Miller an Theo Scbücking 5 Mai 1879. Wien Heumarkt 11 Liebste Theo, Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief und die Erinnerung an die Photographien. Beiliegend sende ich die Wunschliste meiner Freunde Westenholz, die ich irrthümlich wieder mitnahm. Wollen Sie wirklich so gut sein sich mit der Aufgabe zu befassen, die ich leider unerfüllt lassen mußte, so geschieht mir damit ein großer Gefallen. - Auch für den Michel-Angelo-Plafond wäre ich sehr dankbar und zwar in derjenigen photographischen Abbildung, welche Ihnen am Schönsten dünkt. Alles könnte durch den Verkäufer direkt mit Postnachnahme an mich gesendet werden. Ist die Borwn'sche Photographie, welche 165 L. kostet, so gross, dass sie durchaus nicht in ein Album passt, ich besitze ein sehr großes (etwas über 1 Meter lang & 85 C. M. breit) so würde ich um die Blätter zu 9 Vi L. bitten. Vielleicht sind diese auch größer in den einzelnen Bildern, da sie nicht das Ganze umfassen? - Bin ich aber nicht zu unbescheiden, wenn ich Ihre Güte so in Anspruch nehme? ... Wie gerne wäre ich mit Ihnen in Nemi gewesen! Wir haben aber hier einstweilen auch wirklich Schönes gesehen, das Sie hätten mitgenießen sollen. Wenn die silberne Hochzeit unsres Kaisers 1 vor der Welt in einer Weise gefeiert erscheint, welche den Eindruck außerordentlicher Loyalität macht, so ist dieser Eindruck nur in so ferne richtig als jeder gute Ostreicher, der den Bestand des Reiches wünscht wohl weiss, dass derselbe nur durch die Monarchie möglich ist und dass die Treue an das angestammte Kaiserhaus vielleicht die einzige

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B.

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Empfindung ist welche allen den zusammengewürfelten Nationalitäten gemeinsam {ist} bleibt. Eigentlich war aber unser Wiener Festzug ein Fest der Künstler & Handwerker & die K{ü}unstliebe, der sich seit {2} 10 Jahren außerordentlich entwickelnde Geschmack hat(te) mehr Anteil an den gebrachten Opfern als die Loyalität. Ein so gelungenes Schaugepränge habe ich noch nie gesehen & es mir nicht so schön vorgestellt. Makarts feiner Sinn für Farbe & sein außerordentliches Decorationstalent waren hier so sehr am Platze und unsre Industrie bot so treffliche Mittel zur Ausführung der künstlerischen Gedanken dass harmonisch schöne Bilder entstanden, welche sich mit keinen Bühneneindrücken vergleichen ließen. Einige Festwagen waren trotz der Skizzenhaftigkeit der Ausführung Kunstwerke von höherem Werth als wir sie sonst zu sehen gewohnt sind. Wunderschön waren z.B. am Festwagen der Eisenbahnen das Dämonische der Dampfkraft, die wilde Hast, das leidenschaftliche Ungestüm, die gewaltige Flucht dargestellt. - Die Künstler hatten eben einmal wieder zu uns sprechen, einen Gedankeninhalt zum Ausdruck bringen wollen, gerade wie in alter Zeit die Kunst eine Sprache war, die das Schöne unwillkürlich fand weil sie das Wahre suchte. Mir ist als ob das „schöne Worte machen" in der Sculptur und Malerei unsrer Zeit vorherrschend wäre und unser Festzug brachte mitunter wirklich Empfundenes zum Ausdruck. Die Bevölkerung jubelte den Künstlern zu, wie man etwa in der Renaissance den Dichtern zugejubelt haben mag welche auf dem Capitol gekrönt wurden, & auch einzelne Handwerkszweige wurden mit besonderer Anerkennung begrüßt, z.B. die schöne wohltönende Glocke der Gießer, die trefflichen Eisenarbeiten am Wagen der Schmiede & s. w.. Der Zug war eine Verherrlichung der Arbeit und darum bei aller Kaiserei echt demokratisch. Ein(e) recht schöne{r} (Zug)Sache ist auch dass unsre Pairs sich (als Jäger) anreihten, und dass man ihnen nicht erlaubte eine Ausnahmstellung einzunehmen. Wie ich höre wollten Einige, die Jagdgruppe solle erst auf dem Schwarzenbergplatze sich den andern beigesellen, der lange Weg vom Prater her genirte sie. Markart sagte aber „Ganz oder garnicht" und sie fügten sich. - Ich schreibe das Alles weil mir sehr leid ist dass Sie & Ihr Herr Vater nicht hier waren. Bitte sagen Sie dem Letzteren herzlichen Dank für seinen lieben Brief, der mich außerordentlich freute, und nun nehmen sie noch einen Kuss für den Ihrigen & für Vertrauen & Liebe welche innig erwiedert Ihre Molly. NB./ Über die Aufsätze Ihres Bruders [Adrian] in der Heimath ist Alles entzückt.2

II.3.a. Briefe Theo Schücking - M. Miller

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Kürzel für und hier mit & wiedergegeben. 1

2

Der von Markart gestaltete U m z u g anläßlich der Silbernen Hochzeit Kaiser Franz Joseph mit Elisabeth 27. 4. 1879. Uber die Schriftstellertätigkeit Adrians vgl. S. 171, Anm. 2, und S. 446, Anm. 73.

Molly Miller an Theo Schücking /Maison Barbier Venedig/ 21 Obr 1882

Meine gute Theo, Ja, das ist schön von Ihnen, dass Sie mich nicht aufgegeben haben, denn eigentlich glaubte ich es schon. Das moderne Wanderleben ist der Freundschaft gefährlich. Man begegnet so vielen neuen Menschen, die auch wieder ein Anrecht auf unsre Zeit gewinnen! und - ich dachte Sie wären verliebt, & wartete geduldig auf die Verlobungsanzeige. Ich bin, wie Sie sehen, in Venedig. Gott sei Dank geht es mir gut & seit ich mein Kunstgewerbe berufsmäßig betreibe, wie Ihr guter Vater es mir stets anrieth, 1 habe ich so rasche Fortschritte gemacht, dass mein Muth bedeutend gewachsen ist. Professor Ferrari, der Direktor der hiesigen Akademie, hat mich unter seinen besonderen Schutz genommen & mich veranlasst auch in diesem Jahre nach Venedig zu kommen. Nun ist diese Seestadt mir schon ein wenig zur Heimath geworden. Die hiesige Genossenschaft der bildenden Künste hat mich als Zunftschwester angenommen, alle Gondelfänger kennen mich, alle Bettelknaben, die Ladenbesitzer, die Kellner, die Briefträger; ich brauche hier keinen Paß mehr, & das ist angenehm. Auch verliert Venedig seinen Zauber niemals, am wenigsten für Jemand, der sich ernsthaft arbeitend beschäftigt. Es ist so wohlthätig, wenn man müde ist, in der Gondel über den Canal grande & nach den Lagunen zu fahren, ohne Wagengerapel, ohne den Anblick bunter Hässlichkeit, fern von allem Menschengewühle. Und wie unerschöpflich ist das Schöne, das eine glückliche, stolze Zeit hier geschaffen hat! Wenn man nur wenige Stunden des Tages dem Aufsuchen desselben widmet braucht man einen ganzen Winter um all das Vortreffliche einmal wiedergesehen zu haben. Es freut mich, dass Sie in diesem Jahre wieder nach Italien kommen, am schönsten aber wäre es, wenn Sie es nicht scheuten die drei Stunden Weges von Verona hierher zu machen und mich zu besuchen. Venedig ist es werth, dass man daran nicht vorüberfährt, & wenn Sie

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mir rechtzeitig schreiben, besorge ich Ihnen gute Wohnung in unsrer Nähe & hole Sie auf dem Bahnhofe ab; dann fahren wir in meiner Privatgondel spazieren & ich zeige Ihnen manches versteckte Schöne, so wie Sie mir das Museum Torlonia erschlossen. Obige Adresse ist gegenwärtig die meine, nächste Woche ziehe ich aber in eine neue, sonnigere Wohnung. Am sichersten treffen mich Briefe & Besuche in der „Accademia de belle arti". Herzlichst Grüße Ihrem lieben Herrn Vater, & er soll mir die Freude machen zu kommen, - ich würde sehr artig sein, lasse ich ihm sagen. Ihnen Kuss & Gruss von Ihrer ergebenen Molly Miller 1

Levin Schücking bestärkte Molly Miller in ihrem Wunsch, Malerin zu werden, und dürfte sich in der Accademia de belle arti für sie verwendet haben, wie aus weiteren Briefen (unveröffentlichten) Molly Millers an Theo hervorgeht.

Molly Miller an Theo Schücking Pernegg 3. Sept 1883.

Liebe, liebe Theo, Der Schmerz, den ich empfand, als ich gestern Abends in der Zeitung die Trauernachricht1 las, an der ich so gerne noch zweifeln möchte, giebt mir einen Begriff des Ihrigen! Ich möchte bei Ihnen sein & mit Ihnen weinen ... Armes gutes Kind, ich kenne die Größe & Tiefe Ihrer Liebe & weiss so ganz wie sehr Ihr Vater sie verdiente, - wie edel, wie gut, wie gross er war! welche traurige Lücke sein Tod in Ihr Leben reißt! Und Ihre arme Schwester, die in der letzten Zeit so viel zu überstehen & zu leiden hatte, wie schwer wird dieser Schlag auch sie treffen! Es thut mir weh, dass ich von Ihnen so fern, nicht einmal einen Kranz auf den Sarg des verehrten Freundes legen kann, auf dessen nachsichtige, gute Meinung ich stolz war, und auch dass ich jetzt in den letzten Wochen nicht dazukam Ihnen & ihm meine Grüße zu senden. Ich hatte die verlangten Fotografien zurechtgelegt & wollte es in diesen Tagen thun. - Das Ereigniss kam für mich ganz unerwartet. Sie erwähnen zwar in Ihrem Brief ein Magenleiden, aber als ein schon gebessertes, vergangenes Übel ... Wir wollen, wir sollen nicht klagen, im Grunde, das wird Ihnen vielleicht in diesem Augenblicke ein Trost

II.3.a Briefe Theo Schiicking - M. Miller

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sein, ist ja auch unser eigenes Leben kurz, & bald besteht Alles nur in Rückblicken. - Der Schmerz um das Verlorene macht so viele Menschen ungerecht gegen das Schicksal, wir müssen uns ja freuen so Gutes, Liebes besessen zu haben, es im Bilde, in der Tiefe des eigenen Herzens auch fortzubesitzen, wenn die Sinne den Verkehr nicht mehr vermitteln können. Und Ihr Vater hat auch so viel von seinem geistigen Leben & dem Weben seines Gemüthes und seiner Fantasie in seinen Werken niedergelegt, er lebt darin fort für die Menschheit, um wie viel mehr noch für Sie, die noch gar vieles zwischen den Zeilen lesen wird, was den Andern nicht erreichbar ist. - Und Sie liebe Theo, sind wohl auch in Vielem die Erbin seiner Absichten, Sie werden in der Familie & anderen Verhältnissen in seinem Sinne fortwirken, und werden sich allezeit freuen ihn ganz verstanden zu haben & ihm sehr, s e h r viel gewesen zu sein. - Möchte dieser heitere Rückblick Sie stärken & erheben in diesen Leidenstagen! Was kann i c h Ihnen sein oder für Sie thun, liebe Freundin? Was haben Sie vor, wo wollen sie & Ihre Frau Schwester den Winter zubringen. - Wollen Sie mich in Venedig besuchen? Wie sehr würde ich mich dessen freuen! Im Jänner werde ich vielleicht einen Besuch in Wien machen. - die übrige Zeit des Winters in Venedig sein. Diese stille, schöne Stadt eignet sich recht sehr für ernste, leidtragende Menschen, - die Kunst giebt noch Genüsse, wenn man es scheut andere Zerstreuung zu suchen & stört nicht die Andacht des Herzens. Wenn es Ihnen irgendwie von Werth sein kann zu wissen, dass Sie an mir eine Freundin haben, die Sie wirklich & innig schätzt & liebt, beste Theo, so vergessen Sie dies nicht, & glauben Sie mir, dass ich in schlechten wie guten Zeiten, gerne Ihnen nah wäre, körperlich & geistig Wenn Sie dabei nicht leiden, so erzählen Sie mir gelegentlich die Geschichte dieses Sommers, - ich werde großen Werth darauf legen. Bitte empfehlen Sie mich Ihrer Frau Schwester, die ich sehr gerne auch kennen lernen würde & seien Sie herzlich umarmt von Ihrer mittrauernden, tiefbetrübten Molly M Auch Ihrem guten Bruder einen Händedruck. 1

Tod Levin Schückings am 31.8. 1883.

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B. Dokumentation

ELISABETH F Ö R S T E R - N I E T Z S C H E

Elisabeth Förster-Nietzsche an Theo Schücking /Nietzsche Archiv, Weimar, den/ 2. Juni 1899.

Meine liebe Theo, Immer wollte ich Dir für Deinen lieben Besuch1 danken, der mir so große Freude bereitet hat und mich auf „mehr" begierig macht; aber die letzten Wochen sind für mich sehr angreifend gewesen. Mein geliebter Bruder erkrankte plötzlich und ich bin einige Tage in der größten Sorge um ihn gewesen. Es war einer jener Schlaganfälle, die ja wohl eine Begleiterscheinung seines Zustandes sind, aber dieses Mal war es schlimmer als die andern Male, und der Arzt ist selbst erstaunt, daß er sich so gut und verhältnißmäßig schnell davon wieder erholt hat. Was ich aber in jenen angstvollen Tagen und Nächten gelitten habe, das kann ich Dir, meine liebe Freundin, nicht beschreiben. Ich fühle so recht, wie er der Mittelpunkt meines ganzen Denkens und Fühlens ist und daß ohne ihn die Welt für mich etwas Trostloses sein würde. Seit einigen Tagen sind wir nun aber wieder in de{m}n gewöhnlichen Gang unserer Lebensweise gekommen, und da auch jene Bauerei, die gleich nach deinem Fortgang begann, ein erfreuliches Ende erreicht hat und das Haus nun wieder in bester Ordnung ist, so gedenke ich endlich aller meiner Briefschulden, nur mußt Du verzeihen, wenn ich diktire, da mir das bei meiner Kurzsichtigkeit nöthige gebückte Sitzen so schlecht bekommt. Ich wollte Dir nun schon längst schreiben, welches Wohlgefühl mir Deine liebe Gegenwart bereitet hat; wir wollen uns nur fest vornehmen, daß wir uns in Zukunft öfter sehen und von uns hören lassen. Vorzüglich möchte ich noch gern mehr von Dir selbst hören; die Zeit war neulich zu kurz, und so war eben mehr von meinen Schicksalen die Rede, noch dazu wir durch Herrn Dr. Müller überhaupt ganz von persönlichen Dingen abkamen. Was nun den italienischen Artikel betrifft, den ich Dir schicken wollte, so ist es mir beim besten Willen nicht möglich ihn wiederzufinden. Er muß in ein ganz falsches Fach gerathen sein und wenn er nicht einmal durch Zufall zum Vorschein kommt, so muß ich ihn verloren geben; aber ich erinnere mich ungefähr des Inhalts. Vielleicht wendest Du Dich an die Frankfurter Zeitung und bittest um den betreffenden Artikel Nietzsche in Rom, der ursprünglich von einem Herrn Cortesi in einer italienischen Zeitung erschienen wäre und von der Frankfurter Zei-

II.3.a Briefe Theo Schücking - Betty Paoli

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tung rekapitulirt worden sei. Es war ein größerer Artikel und nachher gab es noch zwei Berichtigungen. Angesichts dieser Vorlagen werden sich Deine viel richtigeren Erinnerungen2 noch besser zusammenfassen. Du hast ein paar charmante Züge erzählt, z. B. was mein Bruder zu den Rosen gesagt hat, die er Deinem verehrten Vater gab, und außerdem die Geschichte von der Wagnerischen Musik und den Stiergefechten. In den letzten Tagen tagte hier die Goethe-Gesellschaft; es kommen da immer allerhand Leute zu mir und ich fühle von neuem, daß eigentlich Weimar der richtigste Ort gewesen ist, den ich zu unserem Aufenthalt wählen konnte. In dem Vortrag, den Erich Schmidt über Pandora und Prometheus hielt, zeigte sich die innere Verwandtschaft meines Bruders mit dem jugendlichen Goethe so stark, daß ich verschiedentlich darauf angeredet wurde und selbst der Großherzog zu mir sagte: „An diesem Vortrag würde Ihr Bruder große Freude gehabt haben." Ich habe jetzt eine sehr liebliche Hausgenossin, eine junge Engländerin, die wunderbar schön Klavier spielt. Durch die Decke dringt es gedämpft zu meinem Bruder hinauf und ich habe mit Rührung gestern gesehen, welche Freude dies ihm bereitet. Wir erwarten in den nächsten Tagen Herrn Hans Olde, 3 der meinen Bruder für den PanA zeichnen soll; vielleicht kann das geschehen während er aus der Ferne Musik hört. Es gäbe ihm das einen unendlich rührenden und reizvollen Ausdruck, den der Künstler festhalten müßte. Mit innigen Grüßen umart Dich Deine alte treue Freundin Elisabeth Förster-Nietzsche Fremde Hand. Eigene Hs.: Mit [...] Nietzsche. 1 2 3 4

Für einen Aufenthalt Theos im Hause Förster-Nietzsche gibt es keine weiteren Hinweise. Theo Schücking: Erinnerungen an Friedrich Nietzsche. Oben B. II.2.e. Radierung Friedrich Nietzsche von Hans Olde. Pan, eine 1895 gegründete Kunst- und Literaturzeitschrift.

BETTY PAOLI ( P s e u d o n y m f ü r ELISABETH G L Ü C K ) E/Tb 7. 12. 1865: Kleine Soiree bei Fanny Elssler. Betty Paoli, Matholde Wikdauer, allerlei Herren und Damen [...] Fräulein Wildauer brach das Eis [...] Dafür aber Betty Paoli! Eine Minerva, eine Olympierin. Imposant gescheit und hinreißend wenn sie sich herablässt liebenswürdig zu sein.

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Betty Paoli an Theo Schücking Wien 8 Januar 1879.

Alla Signorina Theo Schücking Niccolo Savolino N £ 61. IV. a Roma. Liebes, theueres Fräulein! Ihr und Minna Steins1 freundliches Meingedenken, 2 das sich mir in der schönen Blumenspende kundgab, hat mich innig erfreut und gerührt. Gern hätte ich Ihnen sogleich so recht von Herzen dafür gedankt, ich bin jedoch mit einer Arbeit beschäftigt, die, da sie an einem bestimmten Tag abgeliefert werden muß, mir keinen freien Augenblick läßt. Bitte dieß auch der Baronin Stein mitzutheilen Ende Januar wird meine Sklaverei3 ein Ende nehmen, dann folgt ein ausführlicher Brief. Bis dahin mit den herzlichsten Grüßen Ihre Betty Paoli. Meine besten Empfehlungen an Ihren Herrn Vater. Postkarte 1

2 3

Vermutlich Familie um Augusta von Stein-Rebecchini - siehe auch Meysenbug Briefe. Gedenken an den Geburtstag der Paoli am 30.12. Die „Sklaverei" könnte eine Ubersetzungsarbeit sein: P. Berton: Didier, Schauspiel 1879.

Betty Paoli an Theo Schücking Wien 2 9 Januar 1879

Theueres, liebes Fräulein! Wenn die Post nicht die pflichtvergessenste Person von der Welt ist, so haben Sie durch meine Correspondenzkarte vom 8 d. M. den Grund erfahren, der mich abhielt Ihnen schon früher den gebührenden herzlichen Dank für Ihr liebes Erinnerungszeichen auszusprechen. Ich war ununterbrochen mit einer Arbeit beschäftigt, die ich am festgesetzten Tage abzuliefern versprochen hatte. Da nun das stricte Worthalten zu meinen schlechten Gewohnheiten gehört, gönnte ich mir nicht Ruhe und Rast noch die kleinste Zerstreuung, bis ich meine Aufgabe glücklich bewältigt hatte, und zwar noch v o r dem anberaumten Termin. 1

11.3.0, Briefe Theo Schiicking - Betty Paoli

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Jetzt bin ich wieder frei; der erste Gebrauch, den ich von meiner neugewonnenen Muße mache, ist Ihnen zu schreiben, denn es liegt mir sehr am Herzen, Ihnen zu sagen, wie oft wir Ihrer und Dr. Schückings gedenken, wie sehr wir Sie beide vermissen. Wenn der Sonntag herankommt, will er uns gar kein rechter Festtag scheinen, weil uns Ihre liebe Gesellschaft nicht zu Theil wird, wie im vorigen Jahr. Leider kann ich Ihnen nicht einmal unrecht geben, daß Sie statt Wien lieber Rom zum Aufenthalt während der rauhen Jahreszeit erkoren haben. Zwar ist, wie ich höre und in den Zeitungen lese, der dießjährige Winter auch in Italien strenger als gewöhnlich, aber im Vergleich mit unserm nordischen mag er sicher noch für manierlich gelten. Wenigstens bleiben Ihnen die trüben, naßkalten Nebeltage erspart, die uns ganz melancholisch und verdrießlich machen.2 - Ich bitte Sie, liebes Fräulein, Dr. Schücking in meinem Namen für die gütige Zusendung seiner Herberge der Gerechtigkeit zu danken.3 Ich habe den Roman mit großem Interesse gelesen und mich namentlich an der reizenden Abwechslung zwischen Scenen aus dem westphälischen und dem römischen Leben erfreut. In den Blättern sehe ich mehrere druckbereite Erzählungen von Dr. Schücking angekündigt; er ist in der That nicht nur um seine nie versiegende Phantasie, sondern auch um seine unermüdliche Arbeitskraft zu beneiden. - Mit schmerzlichem Bedauern habe ich durch gemeinschaftliche Bekannte erfahren daß Minna Steins Augenleiden sich nicht bessern will. Sie jammert mich mehr als sich ausdrücken läßt. Ich kann mir kaum Schrecklicheres denken als, jeder Beschäftigung unfähig, ausschließlich auf zufällige Besuche angewiesen zu sein. Bleiben diese aus, so versinkt man in seine trüben Gedanken. Und wenn sie auch kommen, - ach Gott wie viele Menschen giebt es denn, deren Verkehr wirkliche Anregung zu biethen hat? Ich bitte Sie, Minna Stein von mir bestens zu grüßen; nächstens werde ich an Baronin Eichthal schreiben und diesem Brief ein Blättchen für Minna beilegen, denn mehr darf man ihren kranken Augen wohl nicht zumuthen. - Beifolgend übersende ich Ihnen das von Baronin Meysenbug gewünschte Empfehlungsschreiben für Dr. Kurz. Möge es den besten Erfolg haben! Verbürgen kann ich denselben nicht, denn ich bin mit Frau von Texeira nicht mehr als flüchtig bekannt; unsere Verbindung besteht nur darin, daß ihre in Wien lebende Schwester, Frau von Boschan, mir eine sehr werthe und vertraute Freundin ist. Leider bringt sie diesen Winter in San-Remo zu, sonst hätte ich mich wegen des Empfehlungsschreibens an sie gewendet. Andere Beziehungen in Venedig habe ich nicht, - alle Menschen, die ich einst dort kannte, sind seitdem gestorben oder weggezogen. Meine besten Empfehlungen an Frl. von Meysenbug, die ich gar zu gern noch einmal wiedersehen

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möchte. Leben Sie wohl, theuerstes Fräulein, sorgen Sie dafür daß Dr. Schücking mich nicht ganz vergesse und seien Sie meiner herzlichsten Ergebenheit versichert. Ganz die Ihre. Betty Paoli. Das Bankhaus Texeira ist in Venedig so allgemein bekannt, daß Dr. Kurz die genauere Adresse in jedem Gasthof wird erfahen können. 1 2 3

Anmerkung 3 bei Brief vom 8. 1. 1879. Uber das römische Klima vgl. Untersuchungsteil S. 460f. L. Schücking: Die Herberge der Gerechtigkeit.

Betty Paoli an Theo Schücking Wien 5 Januar 1880.

Liebstes Fräulein. Es ist Ihrem Wesen vollkommen angemessen Blumen zum Neujahrsgruß zu schicken, - haben Sie doch selbst etwas Blumenhaftes Seelenduftiges das erquickt und erfreut. Dank für die liebevolle Erinnerung und Dank für die Glückwünsche, wenn der Himmel ein Einsehen hat, muß er sie schon um Ihretwillen erfüllen. Man sollte doch glauben, daß die Engel Alles durchzusetzen vermögen. Bringt mir dieses Jahr Glück, so werde ich demnach wissen, daß ich es auf Ihre Rechnung zu setzen habe. Aus Ihrem letzten Brief an Ida [Fleischl] ersah ich mit lebhaftem Bedauern daß Dr. Schücking längere Zeit unwohl war. Ich kann mir vorstellen welch böse Zeit dieß für Sie Beide gewesen sein mag: er war von Schmerzen, Sie von Sorge gequält, - man weiß kaum, welches das Schlimmere ist. Gottlob daß es nun vorüber und daß Sie die Festund Familienfreude in Münster ruhig genießen konnten. Ihr Plan den Rest des Winters in Berlin zuzubringen, will mir aber gar nicht gefallen; warum nicht lieber in Wien, wo Ihre Anwesenheit so viele Herzen erfreut hätte? Rom hätte ich Ihnen allenfalls noch vergeben, aber Berlin nun und nimmermehr. Doch geht mein Groll nicht so weit Ihnen nicht auch dort recht vergnügte Tage zu wünschen, nur muß festgestellt werden, daß Berlin Ihnen nicht so gut gefallen darf wie Wien. Tausend Empfehlungen und meine besten Neujahrsgrüße an Dr. Schücking. Für sein geistiges Wohlsein bürgt mir die große literarische Thätigkeit, die ich ihn entwickeln sehe. Was mich betrifft, so bin ich fauler als je, - das will viel sagen. Sie umarmend verbleibe ich mit unwandelbarer Zuneigung Ihre Betty Paoli.

II.3.a Briefe Theo Schücking - Betty Paoli

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Betty Paoli an Theo Schücking Wien 1 März 1881.

Theueres, liebes Fräulein. Wenn mein Dank für Ihren lieben Brief vom 28 Januar auch etwas spät kommt, ist er darum nicht minder herzlich, und wenn die Gedanken sich gleich von selbst in Schriftzeichen umsetzen, wäre er gewiß umgehend an Sie gelangt. Treu bewahre ich Sie die Erinnerung an Sie und wüßte mir kaum Lieberes zu wünschen, als daß Sie und Ihr verehrter Vater wieder einmal den Winter hier zubrächten. Leider ist Rom ein allzu gefährlicher Nebenbuhler unsers armen Wien, nicht nur weil es eben Rom, sondern vornehmlich weil es der Süden, in dem man von Schnupfen Bronchialkatarrh und wie alle die lieblichen Dinge heißen, wenig oder nichts weiß, 1 während sie hier unser tägliches Brod sind. Auch waren wir alle, zum Glück der Reihe nach, unwohl. Ich eröffnete den Reigen mit einem ganz grausamen Husten Carl Fleischl folgte meinem edeln Beispiel und endlich begann Ida [Fleischl] an einer allgemeinen Nervosität zu leiden, die an ihr eine ganz neue Erscheinung war. Jetzt geht es ihr besser, aber ganz gewichen ist das Übel noch immer nicht. Ich hoffe auf den Frühling, der durch den Umstand, daß die wärmeren Tage häufig Aufenthalt im Freien gestatten, sich in vielen Fällen als wahrer Wunderdoctor erweist. - Unser Leben geht nach wie vor den Ihnen bekannten Gang, wenigstens was meine Freunde betrifft; ich selbst ziehe mich allerdings mehr und mehr in mein Schneckenhäuschen zurück nicht aus Menschenfeindlichkeit, sondern einfach nur weil Theater, geräuschvolle Geselligkeit u.s.w. mich allzu sehr ermüden. So lange meine Augen aushalten, will ich darüber nicht klagen; wenn man lesen, schreiben und sich mit Handarbeiten beschäftigen kann, ist die Einsamkeit kein so großes Übel. Nur in den härtsten Monathen des Jahres, November und December, wann man von 4 bis 10 Uhr beim Lampenlicht sitzen muß fiel sie mir mitunter schwer. Gottlob daß nun eine bessere Zeit gekommen ist und man nicht länger genöthigt ist ein solches Eskimoleben zu führen, Sie freilich führen dagegen ein paradiesisch Leben und sind wohl jetzt schon mitten im Frühling dessen Nahen wir erst dämmernd ahnen. Es stimmt mich wehmüthig, wenn ich bedenke, daß ich Italien nicht wiedersehen werde; gerade an dem heutigen Tag empfinde ich dieß doppelt, denn der Carnevalsschluß in Rom zählt zu den heitersten, poetischsten Erinnerungen meines Lebens. Zehn Jahre sind vergangen seit ich den Monoli-Abend mitmachte und noch ist mir Alles so gegenwärtig als wäre es gestern gewesen. Ach, und die Nachmittage auf

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den Pincio, wenn bei Sonnenuntergang die St. Peterskuppel glüht und leuchtet und der Stadttheil am rechten Tiberufer von Gold überfluthet scheint! Damals genossen wir zu Dreien dises wunderbare Schauspiel - seitdem ist das kleine Häuflein zerstoben, Minna Stein todt, Auguste Eichthal im frostigen nüchternen England und ich, in meiner alten Habsburgergasse, bekomme des Schönen und Erhebenden gar wenig zu sehen. Kommen Sie manchmal mit Otto Fleischl und seiner Frau zusammen? Haben Sie sonst Bekannte in Rom wiedergefunden? Das thut dort Noth, denn mit der Geselligkeit ist es in der ewigen Stadt übel bestellt. Auch ist, wie ich höre, der Fremdenzudrang in diesem Jahre geringer als gewöhnlich. Die allgemeinen Zustände sind eben nicht erquicklich genug um große Reiselust einzuflößen. Ich schließ mit der Bitte mich Ihrem verehrten Vater bestens zu empfehlen. Besäße ich die Künste einer Circe, so würde ich sie aufbiethen, um ihn einmal wieder nach Wien zu locken. Mit den innigsten Grüßen Ihre treu ergebene Betty Paoli. 1

Vgl. auch den Brief vom 29. 1. 1879. Diese Zeilen über das römische Klima (vgl. auch S. 460f.) stehen im krassen Widerspruch zur Realität: Theo Schücking starb in Rom an einer Verkühlung, die zur Lungenentzündung wurde (vgl. etwa oben S. 230f. und B.II.5).

Betty Paoli an Theo Schücking Schloß Habrovan bei Neu-Kaussnitz in Mähren. 9 September 1883.

Theuerstes Fräulein. Tief bewegt richte ich diese Zeilen an Sie um Ihnen so gut sich diß mit Worten thun läßt, die schmerzliche Theilnahme auszudrücken, von der meine Seele erfüllt ist. 1 Sie wissen welche Verehrung und welche Sympathie ich für Ihren verewigten Vater hegte und können daher ermessen, wenigstens annäherungsweise ermessen, wie sehr mich die so ganz unerwartete Nachricht seines Todes ergriff. Wer ihn gekannt hat, muß ihn betrauern, denn in ihm vereinigte sich die reifste Einsicht mit dem reinsten Wohlwollen; daraus entsprang eine große persönliche Liebenswürdigkeit, von der sich Jeder angezogen und wohlthuend berührt fühlen mußte. - Die Überraschung in welche diese Todesnachricht mich versetzte, war um so größer und herber als ich gehofft hatte Sie Beide im nächsten Winter in Wien zu sehen. Ich hatte mir 's so schön gedacht endlich wieder eines so werthen Umgangs theilhaft

11.3.a Briefe Theo Schücking - Betty

Paoli

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zu werden und nun bedeckt ein Grab alle diese Hoffnungen. Von diesem Grabe weg pilgern meine Gedanken zu Ihnen theueres Fräulein und möchten, so gern einen Trost für Sie erfinden. Es ist jedoch ein vergebliches Bemühen, denn ich selbst bin von der Schwere Ihres Verlustes zu tief durchdrungen um auch nur den Versuch zu machen an Ihrem Leid zu rütteln. Sie müssen es durchmachen, solche Schicksalsschläge vermag kein Freundeszuspruch zu mildern; nur die Zeit allein kann allmälig dieß Werk vollbringen. Mich beschäftigt jetzt die Frage, welche neuen Lebenseinrichtungen Sie treffen werden. Da Sie unmöglich allein bleiben können, vermuthe ich, daß Sie bei einem Ihrer Geschwister Ihr Heim aufschlagen werden. Theilen Sie mir, wenn ein Brief Ihnen jetzt nicht eine zu peinliche Anstrengung ist, ja gewiß Ihre Pläne für die Zukunft mit. Seien Sie überzeugt, daß ich Ihre ferneren Lebenswege stets mit der aufrichtigsten Theilnahme verfolgen werde, und seien Sie ebenso überzeugt von der innigen Zuneigung mit der ich Ihnen ergeben bin. Ihre Betty Paoli. 1

Tod Levin Schückings am 31.8. 1883.

Betty Paoli an Theo Schücking Vöslau 6 Septbr. 1891.

Theuerstes Fräulein! Sie kennen mich wohl hinlänglich um zu errathen, daß nur gewichtige Gründe mich nöthigen konnten, die Beantwortung Ihres lieben Briefes bis auf heute zu verschieben. Ich war längere Zeit hindurch unwohl, und litt in Folge dessen an einer hochgradigen Nervosität, die mir das Schreiben zu einer schwierigen Aufgabe machte. Mit Recht werden Sie daraus folgern, daß mir mein Landaufenthalt geringer oder gar keinen Nutzen brachte. Ich hatte auch nicht viel davon erwartet; einem chronischen Leiden, wie das meine ist, läßt sich eben in keiner Weise beikommen. Man muß sich in Geduld fassen, solange es gehen will, doch gestehe ich Ihnen, daß meine Langmuth mitunter nicht länger vorhalten mag. - Gottlob, daß Sie mir von Ihrer eigenen Person, wie von meinem lieben Fräulein Hager, Besseres zu berichten in der Lage waren, Ich denke sehr oft an Sie Beide und freue mich, daß Ihnen Alles in Allem genommen, ein angenehmer Sommer beschieden ward. In Bezug auf das Wetter kann dies freilich nicht gelten; es war diesen

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B.

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Sommer über(all) durchwegs schlecht, und ich wage nicht zu hoffen, daß Traunstein eine Ausnahme davon gemacht hat. Doch hatten Sie mindesten einen Ihnen zusagenden Verkehr, der Ihnen einigen Ersatz für die vielen Regentage biethen mochte. Ich führe hier ein ganz einsiedlerisches Leben bin ganz ohne Umgang und hänge mehr und mehr meinen nicht rosigen Gedanken nach. Meine einzige Befriedigung besteht darin, daß mir von den Menschen, die mir werth sind, erwünschte Nachrichten erhalten. Ida Fleischl hat einen vergnügten Sommer zugebracht, wozu die Anwesenheit Ihres Enkelkindes wesentlich beitrug. - Ich gedenke bis 1 4 - 1 6 d. M. hier zu bleiben und dann in die Stadt zurückzukehren. Schwerlich darf ich hoffen, sie vor October wiederzusehen; gewiß hat Fräulein Hager Recht, ihren Landaufenthalt nach Möglichkeit zu verlängern, aber die Tage gehen denn doch hin und so wird endlich auch der erscheinen, an dem ich, nach langem Vermissen, Sie wieder begrüßen werde können, Tausend Herzensgrüße an das geliebte, theure Fräulein Hager und tausend Herzliches an Sie, von Ihrer Betty.

Betty Paoli an Theo Schücking Wien 27 October 1893

Theuerstes Fräulein! Ihre Güte hat mir die angenehmste Überraschung bereitet, die mir zu Theil werden konnte. Mit Ungeduld erwartete ich das Erscheinen des Briefwechsels zwischen Ihrem Vater und der Droste, hatte auch den Auftrag gegeben, mir das Buch gleich nach seinem Eintreffen hier zu schicken, und nun waren Sie so freundlich zu veranlassen, daß es mir von Leipzig direct zugesendet wurde. Ich weiß Ihnen gar nicht genug zu danken. Selbstverständlich machte ich mich sogleich über das Buch. 1 Schon die Einleitung fand ich vortrefflich; sie enthält Alles was vonnöthen, damit der mit den Verhältnissen weniger Vertraute sich zu orientiren vermöge und giebt dieses in höchst ansprechender, knapper Form. Die Briefe selbst sind ganz so interessant wie sich von ausgezeichneten Persönlichkeiten, von denen sie herrühren, erwarten ließ. Es ist gar sehr zu bedauern, daß von Schückings Briefen nicht eine größere Anzahl erhalten blieb; die der Droste scheinen vollzählig zu sein, und gewähren einen merkwürdigen Einblick in das innere Leben der großen Dichterin und die eigenthümliche Natur ihres Verhältnisses zu dem jungen Freund. Sie war eben eine ganz einzige Erschei-

II.3.a Briefe Theo Schiicking - M. v. Salis

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nung, die noch lange nicht genug gewürdigt wird. Allerdings hat sie eine mit Liebe und Bewunderung zu ihr aufblickende Gemeinde, aber diese Gemeinde sollte sich über ganz Deutschland erstrecken; erst dann würde ihr ihr Recht. Ich hoffe und erwarte, daß die Herausgabe ihrer Briefe neue Verehrer für sie werben wird, denn je tiefe man in ihr Gemüth blickt, um so mehr muß man sie lieben. Mit herzlichem Dank und den innigsten Wünschen für Ihr Wohl Ihre aufrichtig ergebene Betty Paoli. 1

Betty Paoli schrieb eine Besprechung, vgl. oben A, Anmerkung zu Brief 40/S.

M E T A V O N SALIS

Theo Schücking an Meta von Salis Sassenberg, Samstag 9 Aug. 1879 Meine liebe Meta, nach aller durchgemachten Unruhe darf ich mir heute endlich die Freude gönnen Dir auf Deine beiden lieben Briefe zu antworten tausend Dank für diese und für die zweite Novelle! - Es thut mir so leid, daß D u hast in Oeynhausen krank sein müssen - dass Du noch immer nicht so wohl {nicht} bist als ich es wünschte denn {würdest} wenn D u es wärest würdest Du auch nicht Jemanden der Dich gern hat solche Sachen schreiben von NichtVerleugnung des Racencharakters u.s.w. - meine liebe Meta, Dein Humor ist mir überall anderswo lieber als bei diesem Gegenstande! Doch nun muss ich mich noch entschuldigen dass ich Dir erst heute schreibe, weisst Du dass wir in der letzten Zeit gar kein dienendes Wesen hatten - um Papa wenigstens ein Theil Ungemüthlichkeit zu ersparen schickten wir ihn fort zu Lothar - er hat sich dort sehr gut unterhalten und kehrte ganz erfrischt zurück - seit vorgestern ist die mägdelose, die schreckliche Zeit vorüber - wir haben eine internistische Köchin nun. Der Besuch meines Bruders mit seiner Familie musste um unserer häuslichen Misere willen aufgeschoben werden - wir erwarten ihn {nun} Ende August Vom Läuschen erhielt ich einen lieben Brief in dem sie sich erkundigt ob Du schon wieder in Naumburg seiest - ebenso schrieb mir

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Malwida vorgestern wo Du seiest, sie möchte Dir einen Brief, der noch nach Rom gesandt worden, zuschicken. Beiden habe ich sogleich geantwortet dass Du wieder in Naumburg angelangt. Nun zur Hauptsache - zum Ziele: Da Papa erklärte Deine Handschrift sei ihm zu fein - las ich ihm Deine Novelle vor. Er hörte mit grossem Interesse zu - sagte Verfehlte Wahl1 sei in der Form sehr schön von einer ausgeschriebenen Feder zeugend - dennoch glaube er nicht dass die Seite Deines Talentes sich dahin neige grössere Compositionen zu schaffen - vielleicht kleinere Skizzen. Mit scheint das Urtheil zu kühl aber Du weisst wie warm Papa damals die Schönheit und den Schwung Deiner Verse anerkannte und rühmte nun meint er natürlich der Hauptschwerpunkt Deiner Talente falle dorthin. - M i r hat verfehlte Wahl ausserordentlich gefallen - zum Teile auch sehr wenn auch nicht um ganz offen zu sein, liebe Meta - so sehr wie das andere - es sind aber auch sehr feine Beobachtungen und hübsche Züge darin, nur hat mir das Ganze nicht den Eindruck der ersten Novelle gemacht. Du musst aber wissen dass in diesen Novellen durchaus das persönliche Interesse ausgeschlossen ist beim Lesen spielt das eine ganz andere Rolle natürlich und ich danke Dir tausendmahl für den Genuss, den Du mir gewährt, meine liebe Meta! Heute schicke ich Dir die beiden Sachen zurück - Louise Sieffers erlaubst Du mir wohl noch einige Tage zu behalten - ihre Gedichte gefallen mir sehr, sehr - könnte es Dich nicht reizen einige von ihnen zu übersetzen - so schön hatte ich sie mir aber nicht gedacht. Was soll ich Dir noch von mir erzählen - unser Leben kennst Du besonders das bei schlechtem Wetter wie es jetzt wieder ist - den Anruf: o Himmel wird man sich abgewöhnen müssen - diese schmutzig graue Wolkengeball kann man doch nicht als Himmel bezeichnen. - Vor längerer Zeit habe ich auch einen elan genommen und Emmy geschrieben - hoffe jetzt sehr auf einen Brief von ihr. Das übrige was ich in dieser Zeit getrieben hab Alles nur Pflicht „Pflicht ist den Anforderungen des Augenblickes zu genügen" sagt Göthe - gewiss wunderst Du Dich zu hören dass es jetzt überall frische Gardinen bei uns giebt Papa und Gerhardine grüssen Dich vielmals - letztere will sehr gern Deinen Auftrag auszuführen suchen, sobald sie wieder in Hannover. Ueber die Bilder meines Schwagers [Schuch, erster Mann Gerhardinens] in München lief ein sehr anerkennendes Urtheil von Pecht ein - das einzige versöhnende Moment ist dies grosse Talent. Mir scheint es bedarf der Versicherung nicht, liebe Meta, dass ich so gern im nächsten Sommer mit Dir ginge oder ein wenig später Dir

II.3.a Briefe Theo Schiicking - M. v. Salis

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nachkäme - wann Du mich gerade brauchen kannst - vorläufig hoffe ich fest dass mir das Geschick diese Freude gönnen wird! Lebe wohl, hoffentlich befindest Du Dich jetzt recht wohl - die arme Olga [Herzen-Monod] Malwida [v. Meysenbug] schreibt es ginge ihr ganz schlecht. - Nochmals lebe wohl, tausendmal grüsst Dich Deine Theo. 1

Später erschienen: Verfehlte Wahl. In: Schweizerische Wochenzeitung (dann: Schweizer Grenzport), 16 Folgen, 29. 12. 1888 bis 21. 1. 1889.

Theo Schücking an Meta von Salis Sassenberg, 17 Dez. 1879

Meine liebste Meta - von Herzen „guten Abend" sage ich Dir jetzt, nachdem wieder einmal ein Tag überstanden - sind das für Tage jetzt wo Alles fehlt - Sonne, Licht, Freude, Liebe - meine arme liebe Meta, solche Wochen wie ich sie jetzt in stumpfer Resignation durchlebe solche Wochen stehen Dir nun auch in Deiner heimathlichen Einsamkeit bevor - könnte ich die Sache doch wenigstens jetzt für uns beiden Stiefkinder zugleich abmachen! Papa ist nicht wohl seit 8 - 1 0 tagen es ist viel leichter selbst krank sein. Sonst hätte ich Dir auch schon eher geschrieben, Dir für Deinen lieben lieben Brief gedankt! Heute geht es etwas besser - ich verspreche mir Viel von der demnächst auszuführenden Reise und der damit zusammenhängenden Zerstreuung für Papa - sein Unwohlsein ist viel mehr als er zugestehen will, nervöser Natur. Und Du, Du liebe Meta - wie geht es Dir, wie erträgst Du Kälte, Schnee u. die übrigen Annehmlichkeiten eines norddeutschen Daseins - wie ich mich auf unser Wiedersehen freue - „nunc pluat" sagt der zur Sonne aufsteigende Adler - ich sage dann: nun mag es kalt sein! Wäre nicht der Zweifel an sich selbst von je der Begleiter einer w a h r e n Begabung, so würde mich das was Du sagst, befremdet haben - so aber liebe Meta - finde ich es ganz begreiflich gäbe aber trotz dieses Begleiters mit Wonne zwei Drittel meiner Lebensjahre hin um das andere Drittel hindurch das was mich bewegt so austönen zu können wie Du - nicht nur zur eigenen unaussprechlichen Erleichterung und Schmerzverklärung - auch zu Anderer Trost und Genuss es klingt seltsam nicht wahr, wenn i c h D i r sage dass Du ein grosses

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talent hast aber lass es mich Dir darum doch schreiben - und bald s p r e c h e n wir davon und hoffentlich von vielem Anderen Dich betreffend. Ja, Meta - auch ich glaube fest dass wir Beide zusammen leben könnten - und - h o f f e darauf - - ein Lichtpunkt in dem Dunkel als welches mir bisher immer meine Zukunft erschienen - seit einiger Zeit habe ich ein Vorbild für meine Lebensführung gefunden, und zwar im Thierreiche - das Pferd, das mit Scheuklappen vor beiden Augen, nicht nach rechts noch nach links sehend, geradeaus seinen ihm angehängten Karren zieht - weisst Du ich habe immer (in) der Erzählung von Lot's Frau die die Blicke wendet um das Vergangene, V e r l a s s e n e in seiner Gesamterscheinung zu überschauen - einen tiefen Sinn finden müssen. - Bitte, mache mir die Freude, mir noch vor Neujahr nach Münster hin einen Gruss zu senden. Adresse: Amtsrichter Schücking, Münster in Westfalen. Und dann bitte, füge dem Grusse doch auch die Angabe Deines Abreisetages nach Berlin hinzu{t} - wenn Du das dann schon kannst natürlich u. dann - denke an mich am Weihnachtsabend - meine Gedanken suchen dann auch Dich auf! - Am 23 s t e n gehen wir nach Münster kurz vor oder nach Neujahr nach Berlin Lebe wohl, meine liebste Meta - innige Grüsse sendet Dir Deine Theo.

Theo Schücking an Meta von Salis Via di Ripetta 108-11. 18 Febr. 81

Meine liebe Meta, Du kannst Dir denken welch tiefen Eindruck mir Dein letzter lieber Brief machte - wie mag es nun um Dich aussehen? Ich habe in der letzten Zeit so viel an Deine Lage gedacht, versucht mich hineinzuversetzen - darf ich Dir nun sagen, was das Resultat davon ist? Ich würde mir unehrlich vorkommen (wenn) ich Dir darüber schwiege. Siehst Du, Meta, mir scheint es wäre besser du gingest nach Haus 1 - ständest Deiner lieben Mama zur Seite in solcher für sie so schweren Zeit, die sich bei dem Alter Deines Papas ja jeden Augenblick zu einer noch viel schwereren gestalten kann - - ich meine, auf solches Handeln würdest Du später mit mehr Stolz und Befriedigung zurückblicken, als auf Dein Verbleiben in V[enedig] - wo Dich keine ausgesprochene

IlJ.a

Briefe Theo Schiicking

- M. v. Salis

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H e r z e n s p f l i c h t bindet. - Und dann auch wird Dein Vater sich jetzt gewiß nach Dir sehnen, Meta - und der Tod ist ein großer Versöhner! Ich bin mir wohl bewußt, daß ich jetzt zu Dir spreche aus einer vielleicht sehr mangelhaften Kenntniß der Verhältniße heraus - Vielleicht ist es (auch) nicht so, wie ich glaube - daß die alte Liebe zu Frau v. W[öhrmann] Dich beeinflußt - ich habe lange darüber nachgedacht o b ich Dir so schreiben sollte, wie ich es meinte - aber ich habe Dich doch zu lieb um Dir gegenüber unehrlich sein zu können. - Ich hoffe zuversichtlich gegebenen Falls würdest Du gerade so offen gegen mich sein, mir beistehen unbeirrten Blickes das Rechte zu thun. Heute sind es schon vierzehn Tage, daß ich Deinen Brief empfing, es war nach der Rückkehr vom ersten gemeinsamen Ausritt mit unserer lieben Emmy [Dincklage]. Wir waren nach der Villa der Livia hin - wie war die Campagna schön - s o schön daß es Einen wehmüthig machen konnte. - Dann folgten Tage angestrengter Thätigkeit ich schrieb immerzu und immerzu ab, gestern wurde ich fertig damit. Heute ist Frau Drebers Geburtstag nun, damals feierten wir ihn in Berlin mit Gerd zusammen. Wie die Zeit dahinrauscht - neulich schrieb Frau v. Feischi: die Zeit schwächt j e d e n Eindruck ab - das bestreite ich. Von der Bar. Ebner ist ein {sehr} Band sehr schöner {Neuer) Novellen erschienen2 - ich las sie mit großer Freude. Daß Malwida [v. Maysenbug] in diesen Tagen nach Cannes geht, weißt Du wohl, es scheint mir ein rechter Egoismus von Monod dabei im Spiel - wenn Olga wirklich an dem Wiedersehen so viel gelegen ist, warum kommt sie nicht nach Rom? Malw[ida] ist doch schließlich auch zu alt um so viel reisen zu dürfen. Die armen Leutchen thun mir besonders leid dabei. Laura ist immer gleich nett - aber Luise kann zuweilen arg langweilig werden. Im Uebrigen leben wir in der dir bekannten Weise - Morgens meist zu Haus - dann treffen wir mit Wolfskeels, zuweilen auch mit Bauer (dem Bruder dessen, den Du kennst) bei Bedeau zusammen - der Nachmittag wird gemeinsam im Sonnenschein verbummelt und der Beschluß davon im Cafe nazionale gemacht. Den Abend sind wir wieder zu Haus, ab und zu sucht uns der eine oder andere alte Freund auf. Wie nüchtern das Alles klingt und dennoch, welch ein Zauber liegt über dem Ganzen - welche wehmüthige Freude des Daseins man ist ja in Rom. - Du weißt, ich bestritt von je die ethische Bedeutung des menschlichen Leids, des darbenden, menschlichen Lebens. Nicht nur Seele und Herz gesunden mir hier - auch der oft so kapriziöse Körper, ich fühlte mich lange nicht so wohl.

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Doch nun genug von mir, die keine Theilnahme bedarf - und zu Dir liebste Meta! Malw[ida] erzählte, du hättest geschrieben daß Dein Zögling Dir jetzt viel Freude mache - wie gut ist das. dann auch daß Fr. v. W[öhrmann] ihr gesagt daß es keine bessere Lehrweise als die Deine geben könne, daß Deine Stunden geradezu meisterhaft seien. Morgen beginnt hier der Carneval - von uns Alten verspricht sich wohl nur Anna v. W[olfskeel] Genuß davon - sie liebt lautes Leben. Lebe wohl, meine liebe Meta - Alle grüßen Dich - ganz besonders aber Deine getreue Theo. 1

2

Als Frau von Wöhrmann, in deren Diensten Meta sowohl als Erzieherin der Tochter wie auch als Freundin stand, im Frühjahr 1880 zur Kur nach Venedig ging, verlangte Metas Vater, daß seine Tochter zuhause das elterliche Gut verwalte; Meta fügte sich äußerst unwillig kurze Zeit diesem Wunsch, ging dann abermals nach Venedig und wieder rief sie der Vater 1881 kurz vor Frau von Wöhrmanns Tod zurück. (Stump, S. 70). Marie von Ebner-Eschenbach: Neue Erzählungen, 1881.

Theo Schücking an Meta von Salis S.[assenburg] 26. Sept. 1881

Meine liebe Meta diesmal sollte die Antwort auf Deinen lieben Brief aus keiner Karte bestehen, so kommt es daß ich Dir erst heute dafür danke, da ich nicht eher die Zeit zu einem Briefe fand. Unsere Gäste sind nun fort - sie haben sich Alle hier ganz erholt und fuhren gesund von dannen. Für mich waren die Wochen ihres Besuches 1 unruhige und geplagte, so sehr, daß mir zum ersten Mal jetzt die Ruhe und Einsamkeit ganz wundervoll vorkommt. Es hat sich ein wahrer Heißhunger unterdeß in mir eingenistet nach concentrirtem geistigen Leben, nach ernster Lektüre, dem ich jetzt {no} mit einer gewissen Wonne Nahrung gebe. Weist Du, man hat auch schließlich ein Gefühl von innerem Verkommensein wenn man sich Wochen hindurch nur mit Wirthschafts- und Kücheninteressen beschäftigen muß. Die abendliche Unterhaltung mit meiner Schwägerin drehte sich dabei um so oberflächliche Dinge! Wären die Kinder nicht gewesen, die ich von ganzem Herzen lieb habe, hätte ich an Allem viel schwerer getragen. Du glaubst nicht welch ein reizender kleiner Kerl der dritte ist, der sogenannte „Murks". 2 Als ihr Wagen vor der Thür stand, und

II.3.a Briefe Theo Schücking - M. v. Salis

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die Anderen allgemach einstiegen, kletterte er mir, die ich auf der Haustreppe saß, plötzlich auf den Schooß und erklärte von da aus ganz behaglich: ich bleibe hier, es fällt mir im Traum nicht ein mitzugehen und wie sein Papa ausstieg um ihn zu holen, lief er weinend davon. Zuletzt wurde er doch mit Gewalt hineingehoben und das letzte was ich sah war sein liebes, thränenüberströmtes Gesichtchen! Liebe Meta, ich wünschte auch, ich wäre bei Dir gewesen um Dich zu pflegen in den acht Tagen, daß Du ganz liegen mußtest - welche Erleichterung mir Dein Brief durch die Nachricht brachte, daß Alles überstanden sei - brauche ich Dir nicht zu sagen! Hoffentlich bemühst Du Dich nach Kräften nicht mehr an diese Leidenstage3 zurückzudenken - ein wahrer Segen daß man alles Peinliche so schnell vergißt! - Es läßt sich so schwer in W o r t e n sagen, was ich bei dem Gedanken dran mit Dir fühle Nun bist Du wohl wieder zu Hause und hast Deine liebe Mama wohl und gesund angetroffen. Gedenkst Du bis Neujahr dort zu bleiben? Daß ich's Dir offen sage, der Plan eines Z u s a m m e n l e b e n s mit Frl. Schienhofer ist (mir) nicht so ganz sympathisch - intanto kennst Du sie wohl genauer als ich. Und jedenfalls ist die Nähe von Deiner Freundin Alice etwas Herrliches für Dich. Papa war von Deiner Absicht ihm von der Meersburg aus zu telegrafiren, ganz gerührt - es war aber auch wirklich lieb von Dir so etwas auszudenken. Wir haben auch diesmal den lieben 6 t e n sehr vergnügt gefeiert4 - er fürchte den Neid der Götter sagte Papa am Abend - es waren ihm so viele Grüße und Briefe zugegangen. - Sage Meta, da sich unser Wiedersehen nun noch hinausschiebt - könntest Du mich nicht etwas von dem, was Du gearbeitet hast, lesen lassen?? - Und könntest Du mir vielleicht das Buch von Nitzsche leihen? 5 Wie geht es ihm? tausend Grüße Deine Theo Ich habe meine Reittage wieder aufge[geben] Vielen Dank für das weiße Haar! 1 2 3 4 5

Besuch des Bruders Lothar mit Familie. Theos dreijähriger Neffe Levin, Lothars Sohn. Der Tod Frau von Wöhrmanns - siehe Brief vom 18. 2. 1881. Geburtstag Levin Schückings am 6. 9. Das für das Jahr 1881 aktuellste Nietzsche-Werk wäre Der Wanderer und sein Schatten, 1880.

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Theo Schücking an Meta von Salis Sassenberg, 19 O k t . 1881

Meine liebe Meta! Du wirst mich vielleicht schon säumig oder gar undankbar gescholten haben, daß ich Dir noch nicht für die grosse freudige Überraschung dankte, die Du mir gemacht hast! In Wahrheit, Deine Sendung war mir ein unbeschreiblich frohes Ereigniß - Du kannst Dir kaum denken wie sie mich erregte. Die Gedichte sind sehr schön - du hast eben ein merkwürdig grosses Talent, Meta - daß du Dir ohne Dich zu überheben, dessen bewußt sein kannst, muß Dir an und für sich schon (wie) ein Glücksgefühl sein. Natürlich habe ich mir gleich einige ganz besondere Lieblinge ausgesucht - es wäre mir unbeschreiblich viel werth wenn ich einmal mich m ü n d l i c h mit Dir über Deine „Kinder" aussprechen könnte - wenn es auch leider momentan nicht sein kann, will ich es mir wenigstens für den nächsten Sommer erhoffen. - Meta, für das, was Du mir geschenkt hast! Das liebe Büchlein traf mich wieder einmal in vollster Beschäftigung, so kam es daß ich Dir nicht eher, nicht gleich eingehend wie mein Herz es wünschte dankte. Aber daß ich mit tout bien que mal die Muße zu schaffen wußte um es heimlich zu verschlingen, brauche ich Dir wohl nicht {eher} erst zu sagen. Seitdem habe ich immer wieder darin geblättert und der erste Eindruck hat sich (noch) befestigt und verstärkt. Wie gesagt, die Gedichte sind s e h r schön und bedeutend — Versteh' mich recht, liebe Meta, daß ich so über eine Sache (anscheinend) urtheile an die ich ja nur mit meinem Empfinden herantreten kann aber micht dünkt, eine kleine Freude macht es Dir doch zu hören daß Du so verstanden wirst wie Du sprichst - daß Du nicht ohne Echo in die Welt hineinrufst ich weiß mir eben keinen {A} anderen Ausdruck für so Manches, das ich dir sagen möchte als: die Gedichte sind s e h r schön! Vielleicht erfreut es Dich daß Papa das auch sagt - besonders gefiel ihm das: An — [ ? ] Nimm' heute vorlieb mit diesen flüchtigen Zeilen - die Dina [Wöhrmann], die mich durch ihre liebe heitere Gegenwart zwei Wochen lang erfreute, will mich heute verlassen, am Tage nach Deinem schönen Gruß traf Adrian ein, bald darauf Lothar. Adrian, der in diesem Sommer so viel zu thun hatte, daß er sich schließlich einen Assistenten annehmen mußte er hat wiederum einige der schwierigsten Operationen seines Faches mit geradezu genialer Geschicklichkeit gemacht - ist von allen Berufsquälereien arg heran-

II.3.a Briefe Theo Schücking - M. v. Salis

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ter und nervös - nun pflege und verwöhne ich ihn wie in besseren tempi passati. Sei mir gegrüßt, meine liebe Meta von Deiner Theo.

Theo Schücking an Meta von Salis Sassenberg, 7. Okt. 1883.

Meine liebe Meta, auch ohne Deine liebe Karte hätte ich, Dir in diesen Tagen geschrieben, es verlangte mich danach. Aber ich bin so in Anspruch genommen jetzt - da ist so Vieles zu thun, zu erwägen, zu bestimmen, zu schreiben - daneben läuft noch das Häusliche, Adrian mit Familie ist seit zwei Wochen hier - meine Schwägerin muß sich pflegen, viel liegen - so kom ich noch gar nicht dazu m e i n e Briefe zu schreiben, es ist gut für mich daß ich so viel zu thun habe, für meinen Körper wenigstens, ich schlafe doch wenigstens jetzt wieder einige Stunden des Nachts. Aber das Erwachen am Morgen dann! Ich hätte es früher nie für m ö g l i c h gehalten daß ich einen solchen Schmerz1 stündlich und täglich durchhalten und dabei weiter leben könnte, wie Seite fehlt Ich möchte nicht vergessen Dir zu sagen daß ich von Emmy [Dincklage] zwei gute Briefe erhielt, aus der tiefsten Erschütterung heraus geschrieben - sie beklagt Papas Verlust nicht nur für mich, auch für Alle die ihn kannten, sei er unersetzlich Es ist mir viel werth, daß sie mir so geschrieben - ohne daß sie vielleicht darum wußte, handelte es sich ja in dieser Zeit um unser Verhältniß - Mein Schmerz um Papa wird für alle Zeit eins sein mit mir - so kann nur mir nahe stehen, wer darin mit mir fühlt Meine liebe Meta, ich danke Dir von Herzen für Deine Aufforderung zu Dir nach Zürich zu kommen. Schon ehe Du mir schriebst, ging es mir einige Male durch den Sinn: „wenn das und das nicht wäre, möchtest Du gern zu Meta und mit ihr Lernen." Aber ich kann in diesem Winter nicht frei über mich verfügen. Ich bin es Gerhardine schuldig in dieser dunkelsten Zeit ihres Lebens wenigstens einen Theil derselben bei ihr zu sein. Sie hat sich Ostern in Leipzig gebunden ich würde den ganzen Winter dort verbringen aber da sie erst von Abends sechs Uhr an frei ist, fällt es mir so schwer so lange Zeit den

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ganzen Tag hindurch allein zu sein in einer fremden, mir noch dazu unsympathischen Stadt. Im Frühjahr giebt sie dann hoffentlich dem Wunsche der Brüder und dem meinen nach und kommt für immer in unser Hauszurück. - Sie Fragment 1

Tod Levin Schückings am 31. 8. 1883.

Theo Schücking an Meta von Salis Roma, Via Margutta 53 b, 2. März 03

Liebe, theure Meta, Lass Dir alles nur denkbare Gute der Welt zu Deinem Geburtstag wünschen! Zuerst, dass Du ihn wieder erholt und w o h l begehen möchtest! Wie würde mich Deine Karte erfreut haben, wenn nicht die Worte darauf gestanden hätten: am very poorly. Sie gehen mir sehr nach, und herzlichst b i t t e ich Dich, mich doch bald wissen zu lassen, dass Du Dich besser fühlst! Nach dem vorigen, sehr argen Winter befinde ich mich hier unvergleichlich viel besser. Ich sehe hier so wenig Menschen und bin doch viel in Anspruch genommen, es versteht sich von selbst, dass wann immer Olga [Monod] den Wunsch äussert, mich zu sehen, ich hingehe, aber der Weg ist ein weiter und nicht immer lässt es sich leicht einrichten. Dann bin ich viel bei Bar. Ebner. Ihr geht es zum Glück sehr ordentlich, bei der armen Malwida [von Meysenbug] aber sieht es immer schlimmer aus. Rührend ist, wie sie trotz Schmerzen und zunehmender Schwäche wieder an ihre Herstellung glaubt, von einer „Krisis" spricht, die sie jetzt durchmache - Sie freute sich sehr, von Dir zu hören und sagte, D u seiest treu Dank für Deine liebe Einladung, von Herzen g e r n will ich ihr nachkommen, wenn ich es nur eben einrichten kann! Ich muss nur erst wissen, wann ich meine Sommerfahrt anzutreten habe, diesmal früher als sonst, da ich meine alte Freundin, der meine Sommer stets gehören, {diesmal} eher, - Anfang September, - zu verlassen gedenke, um zu meiner armen Schwester zu gehen. Ich hoffe aber, nicht mehr lange im Unklaren über meine nächste Zukunft zu sein und berichte Dir dann weiter. Jedenfalls aber macht Ihr hier in R o m Station, bitte, thut es!!! Und nun lass Dir noch einmal vom Grunde meines Herzens a l l e s Gute wünschen meine liebe Meta! Lass mich bald, nur mit einigen

II.3.a Briefe Theo Schücking - M. v. Salis

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Worten, von Dir hören, nicht wahr, Du thust es! Grüsse Deine Hedwig [Kym] viel, vielmals von mir und sei Du in Liebe und Treue gegrüsst von Deiner Theo

Theo Schücking an Meta von Salis Rom, Via Margutta 53 b , 10. Mai [1903]

Alla Signora Sig ra Baronessa Meta Salis Villa Helios Capri (Napoli) Meine liebe Meta, habe Dank für Alles, Deinen so guten Brief und die liebe Karte zum 19 ten! - Du wirst es bald darnach erfahren haben, dass Malwida [von Meysenbug] am 26 sten nach fünf schweren Sterbetagen sanft hinübergeschlummert ist Lass mich bitte, bald, nur auf einer Karte, wissen wie es Dir geht. So von ganzem Herzen hoffe ich: besser! Und dann, bitte ob Ihr um den 20 sten, 21 sten herum Hausbesuch haben werdet, oder ob ich hoffen darf, Euch in den Tagen allein zu finden. Liebe Meta, möglicherweise bin ich gerade um die Zeit nach dem 20 sten, ein langweiliger, wenig beweglicher Gast. Aber Du schriebst so lieb dass ich mich darum doch getraue, mich für eine ganze Woche bei Dir anzumelden. Viele Grüsse an Euch! D. T. Datierung: Tod Malwida von Meysenbug 26. 4. 1903 Rom, 14. V. 1903. Liebste Meta! bitte erwarte mich nicht sicher für Mitte nächster Woche, da ich durch eine starke Erkältung in meinen Reisevorbereitungen zurückgebracht worden bin. Bald mehr von Deiner alten Theo.

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M A R I E SCHUMANN

Marie Schumann an Theo

Schücking Interlaken d. 3 t e n Aug. 1900.

Liebes Fräulein, „hätte ich doch meinen an Sie vor einigen Tagen begonnenen Brief vollendet u. abgesandt". Das war mein erster Gedanke beim Empfang Ihres lieben Schreibens! Aber es ist nun einmal nicht geschehen, ich war unterbrochen worden und dann zu keiner ruhigen Stunde mehr gekommen, wie ich denn überhaupt jetzt sehr wenig am Schreibtisch sitze. Doch nun zuerst Dank für Ihre beiden lieben Briefe, die so viel Freundliches für mich enthalten und so viel Gutes von Ihnen berichten. - Sie haben trotz des so traurigen Zwischenfalles im November, doch einen sehr guten Winter verlebt! Wie genußreich und anregend ist allein der Verkehr mit einer so bedeutenden Frau wie Frau v. Ebner. - Und nun dürfen wir auch von den Früchten, die der römische Winter gezeitigt hat, genießen in dem neuen Roman. Mit Spannung sehe ich dem Erscheinen des Buches entgegen!1 Ein jedes aus diesem reichströmenden Born gewährte mir Freude u. Genuß! Aber auch auf die versprochnen „dit bits" aus Ihrer Feder freue ich mich. - Sie werden doch Meine Tante Betty2 nicht vergessen und den Aufsatz über Nitzsche?3 - Daß Ihre Augen noch immer Ihnen zu schaffen machen, ist wirklich recht traurig. - Aber Rom ist auch nicht der Ort wo man seine Augen schonen kann, - dazu wäre eigentlich ein Aufenthalt in Interlaken nicht ungeeignet.4 Daher komme ich mit der Frage: wollten oder könnten Sie Ihren Rückweg in's Winterquartier nicht über hier nehmen und noch eine Zeitlang hier Herbststation machen? Bitte überlegen Sie es sich und lassen mich bald hören ob es geht. Viel bieten kann ich nicht außer dem herzlichsten Willkomm, aber Ruhe zum Bummeln oder Arbeiten hätten Sie! - Nun, Sie wissen wie es hier ist. Von Allgeyers Arbeiten habe ich bis jetzt noch nichts gesehen. Er denkt erst im nächsten Frühjahr mir etwas „in seinem Sinn Fertiges", wie er sagt, zeigen zu können und ich gedulde mich. - Unfertiges möchte ich auch nicht sehen. - Ich weiß ja, daß allein die Vorarbeiten viel Zeit kosten und A. arbeitet peinlich gewissenhaft und muß alles erst gründlich in sich verarbeitet haben, ehe er daran geht etwas niederzuschreiben.

II.3.a Briefe Theo Schücking - H. Villinger

347

Ich bin schon seit Anfang April hier habe das herrlichste Frühjahr in all seinen Stadien genossen wie nie zuvor. - Es war einzig schön in dieser großartigen Umgebung das reiche Blühen der Wiesen u. Blume. - Mit mir erfreuten sich daran, zuerst meine liebe Eugenie [Schumann] 4 Wochen lang, dann eine Bekannte aus Frankfurt, schließlich meine Tante Berogine mit ihrer Freundin, die mich erst vorgestern verlassen haben. Maria Maaßen ist erst seit Anfang Juni hier. Sie hatte in ihrem Hause in Düsseldorf einen Bau vorgenommen, der sie so lange dort zurückhielt. Es kommt in nächster Woche eine Freundin von ihr, die hier bleibt während ich zu meinen Geschwistern nach Domburg reise. - Von Mitte August bis Mitte September. Gegen den 20 sten denke ich zurück zu komme, - sollte es aber zu Ihren Plänen besser passen schon früher hier zu sein so wissen Sie, daß Sie bei Maria gut aufgehoben sind und daß sie sich nur freuen würde Sie zu empfangen. Sie erwidert Ihre Grüße auf das Freundlichste. Herzlich ergeben Ihre Marie Schumann. Wo weilt Frau v. Ebner am [13] ten September? Es ist auch der Geburtstag meiner Mutter. Sie ist 1819. geboren u. würde heuer 81. Jahr alt. 1

2 3 4

M. v. Ebner-Eschenbach:

Agave.

Theo Schücking: Meine Tante Betty. Vgl. S. 242ff.

Theo Schücking: Erinnerungen an Friedrich Nietzsche. Vgl. S. 274ff. Innerhalb der Korrespondenz Theo Schückings mit der Schillerstiftung schreibt sie am 29. 10. 1899 aus Luzern: „Hochverehrter H e r r Hofrath! [ . . . ] Zur Fahrt dorthin [Interlaken] hat mich Frl. Marie Schumann eingeladen. Sie will aus den Tagebüchern und Briefen ihrer Mutter, Clara Schumann, ein Lebensbild derselben zusammenstellen und ich soll ihr dabei helfen. Da alles Material dafür bei ihr in Interlaken aufbewahrt ist, will sie sich dort einmal mündlich mit mir über Alles besprechen. Denn wir kennnen uns nicht. Wenn meine Augen es mir erlauben, möchte ich die Arbeit gern übernehmen. Freilich hörte ich, dass allein die Tagebücher 45 Bände füllen!" Schillerstiftung, Archivnummer 31.

H E R M I N E VILLINGER E/Tb 26. 4. 1887: Hermine Villinger gewinnt alle Herzen. Ein so liebes Wesen. Erquickend heiter, voll guter Einfälle, bescheiden, wohlwollend und sehr gescheit. E/Tb 21. 7. 1890: Es macht mir manchmal doch Sorgen, daß die kleinen Verhältnisse in denen sie lebt, beengend auf sie wirken könnten. Sie ist zu sehr in sich selbst eingesponnen!

348

B.

Dokumentation

E/Tb 10. 9. 1890: Hermine Villinger schickt eine alte Schwarzwälderin mit der Inschrift auf dem Zifferblatt: Mi Pendelschlag er soll Di sage Wie viele Herze für Di schlage Im Ländle w o me Heimet isch Wo D u scho lang kei Fremdes bisch.

Hermine Villinger an Theo Schücking Karlsruhe 24. Mai 1902

Lieber Kamerad! Hab herzlichen Dank; ich habe das Heftchen gleich verschlungen; es ist ebenso gut als liebevoll alles was Du von unsrer „Teuern" sagst. Die Damen haben's schon und werden selbst schreiben. Bist du nun wirklich und wahrhaftig in Löschna? so muß Dir ganz traumhaft zu Mute sein; ich möchte sehr gern diesen Traum mit Dir erleben dürfen. Es giebt manchmal so wunderbare Zufälle, Theo, davon muß ich Dir sagen. Meine Freundin Schottin kommt jedes Jahr nach Nauheim vorher treffen wir uns hier oder in Baden. Dies Jahr kam sie zu spät fort, nun schreibt sie einen Brief um den andern, ich müsse zu ihr kommen. Nun bin ich eben ganz herunter; weißt Du, Berlin war nach meinem fatalen Gemütswinter wohl eine Ablenkung und Anregung, 1 ich fand dort meine seelische Gesundheit wieder, aber als ich mich nun an die Arbeit machte, merkte ich, die Sache ging nicht; Schlaflosigkeit und Zappeligkeit stellten sich ein. Ich bin außer mir, sollte so notwendig jetzt arbeiten, nachdem ich zwei Monate gefeiert; aber der Bien' kann nicht, wenn er auch müßte. So geh ich nach Nauheim, thu nichts, schlaf lang und laß mich von meiner Schottin pflegen; das versteht sie famos. Aber Du, Theo, jetzt ist ja die x - x dort. Ist das nicht merkwürdig? recht leidend, die Arme, da wird wohl auch der Verkehr kein lebhafter werden. Aber ist es nicht merkwürdig? Den hiesigen Angelegenheiten stehe ich ganz objektiv gegenüber; ich kann sogar der Freundin jetzt allerlei Gefälligkeiten erweisen, da sie zur Hochzeit des Sohnes viele Gäste in's Haus bekommt und Betten und dergleichen braucht. So was freut mich; es ist eine eigene Genugthuung. Die Wolff wohnt jetzt drüben. Es geht mich gar nichts mehr an. Liebe, verzeih! so viel von mir. Bist Du gesund angekommen? Küß meiner Herzensmeisterin die Hand in meinem Namen; 2 wärmste Empfehlungen der Grf. Kinsky. Schreib einmal. Dein alter Kamerad Hermine

II.3.a Briefe Theo Schücking - H. Villinger

1 2

349

Berlin-Aufenthalt der Villinger - siehe A, Briefe 121/S u. 124/S. Hermine Villinger hatte die von ihr bereits hochverehrte Marie von Ebner-Eschenbach im Frühjahr 1887 persönlich in Wien kennen gelernt: „ A m 5. April endlich erstieg ich mit einem Herzklopfen, dem nichts vergleichbar war, die drei Treppen in der Roteturmstraße [!] 27, w o die Frau wohnte, nach deren persönlicher Bekanntschaft mich dürstete wie nach meinem Heil [...] Hier fühlte ich nur eines: daß ich der Natur gegenüber stand, der meine Seele bedingungslos zu Füßen sinken mußte. Endlich ein großes Talent und ein großer Mensch'". Villinger-Tagebucheintragung in Barck-Herzog S. 846.

Hermine Villinger an Theo Schücking Karlsruhe 29. Juni 1902. Mein lieber Kamerad! Nun bist Du wohl in Gmein, bei der lieben Amalie [Hager]; sag ihr nur gleich den schönsten herzlichsten Gruß. Hier ist eine Hitze zum Braten, aber nächsten Donnerstag steige ich auf meinen Feldberg 1400 M. hoch, mit Büchern, Gedanken und inneren Entwicklungsprozessen, wozu ich denn in der herrlichsten Luft alle Zeit zum ausbrüten habe. Es scheint das Loos der armen Kunstschaffenden zu sein, sich immer wieder häuten und entwickeln zu müssen. Im Grund, was will man Bessres haben? Wie geht Dir's, hast Du mit Marie Ebner alles was Dich angeht durchgesprochen ? Daß sie unbeschreiblich, rührend lieb war, das weiß ich; ich zweifle auch keinen Augenblick an der vollkommenen Liebenswürdigkeit der Ihren. 1 Aber hat man auch ein paar Stunden für sich, kann man laufen, sich ausrennen wie ich das zuweilen so nötig hab; - Ich muß im Spätjahr unter allen Umständen meine liebe Gräfin Schönfeld 2 sehen; fast ist sie mir ja in diesem Winter abhanden gekommen. Wenn's nun nicht anders geht, so reise ich von Ischl aus für ein paar Tage nach Wien und da würde ich es einrichten unsre Teure noch zu treffen. Das ist ihr vielleicht nicht angenehm in den Reisevorbereitungen, aber nur einmal wieder sehen, ein kurzes Stündchen Aussprache und viel ist wieder gewonnen. - Wie geht Dir's, liebe Theo, hasch dicke Bäckele kriegt? Weißt Du was ich wünschte; Du möchtest L[ouise] Dumont kennen lernen; sie würde Dich auf das liebevollste aufnehmen; es brauchte nur eine Begegnung zu sein ohne alle fernem Verpflichtungen. Ich bin überzeugt, daß Du dann zu mir sagen würdest: ja, halte zu ihr. Wegen der hiesigen Geschichte, alles in Ordnung; frei, froh leicht - soweit's die Hitz erlaubt. Ich sehe jetzt alles anders an; diese

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B.

Dokumentation

Frau hat sich gesucht was sie brauchte, dazu ist jeder berechtigt. Sie brauchte eine Hülfe, eine Unterhaltung, eine Seele, die sich ihr absolut unterordnet. Ich bin für jeden, mit dem ich mich finde, eine Aufgabe, ich gähre immer, stell oft was an und bin niemanden eine Hülfe. Ich bin eine Biene die immer Blumen braucht und frei ausfliegen können muß. Ich wollt ich hätt Dich auf meinem Feldberg, Du Liebe Deine Hermine 1

2

Bezieht sich auf den Löschna-Aufenthalt Theos - Einladung dorthin siehe A, Brief 121/E. Gräfin Schönfeld = Luise Neumann - siehe Register. Das besondere Interesse Hermine Villingers an Gräfin Schönfeld mag auch im gemeinsamen Wohnort Karlsruhe einen Grund haben.

Hermine Villinger an Theo Schücking Feldbergerhof. Bad Schwarza. 15 Aug. 02

Lieber Kamerad! Durch unsre geliebte Marie Ebner erfahre ich, daß es Dir und Amalie [Hager] nicht gut geht. Wohl Erkältung, denn es fehlt ja in diesem Sommer überall die Sonne. Gewiß kommt sie im September und macht mich zur matten Fliege, wo ich jetzt so frischauf bin. Aber vor Allem Dir und Amalie gute gute Besserungswünsche, die, ich hoffe von ganzem Herzen, nicht mehr notwendig sind. Ach Herzenskind, ich sage Dir, ich habe mich erholt; ich weiß gar nicht mehr daß ich Kummer hatte oder nicht wohl war. Hände und Taschen habe ich voll für den Winter, freu mich schon mit allen vieren in die Arbeit zu stürzen. Dann bin ich versorgt auch dort trotz der Nachbarschaft und habe ich meine Arbeit gethan: Berlin! Berlin! Hab doch was gelernt dort, hab viel gelernt - Ja, könnt ich das alles mit Dir durchplaudern! Bleibst Du denn auch bis in' Frühjahr in Rom, den ganzen April? Immer hoff ich, Dich wenigstens in der zweiten Hälfte meines Berlineraufenthaltes dort zu haben. Also ich reise am 28 t e n hier ab und bin den Sept. in Ischl. Zwischen dem 7 & 20 t e n mache ich eine Spritzfahrt nach Wien nur für 2 - 3 Tage, um Sie [M. v. E.-E.] zu sehen, zu berichten und für alle Lebenslagen ein Wörtlein zu hören, darnach ich mich richte. Du bist mir noch etwas Näheres über Löschna schuldig. Halt i c h ' s aus? Du weißt, ich bin nicht halb so brav wie Du, eigentlich gar nicht. Muß man den ganzen Tag wohlerzogen sein od. hat man freie Stunden? Ohne freie

II.3.a Briefe Theo Schücking - H. Villinger

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Stunden geh ich nicht einmal in den Himmel. Ich hatte hier keine Seele, nur die Natur, aber wir wurden Bruder x - x und leben in seliger Gemeinschaft. Leute sind genug da, die freundlich zu mir sind, aber ich hab nur wenig Zeit für sie. Gehst Du auch schon Anfang Oktober nach Rom? Doch erst noch nach Berlin zurück? Grüße mir Amalie von ganzem Herzen; aus derselben Gegend grüßt auch ihre Theo die getreue Hermine

Hermine Villinger an Theo Schücking am Weihnachtstag. 1902.

Liebste Theo, das Gute ist mit Dir, bei Dir, ich brauch Dir's nicht noch zu wünschen. Auf baldiges Wiederbegegnen, guter Kamerad! Deine Hermine Postkarte

Hermine Villinger an Theo Schücking Karlsruhe 6. Mai 03

Theo. Lieber Kamerad! Der Tod der Frf. von Meysenbug ist Dir gewiß nah gegangen. Nun war unsre teuerste Baronin schon auf der Heimreise und ich weiß Deine Adresse nicht. Ueberhaupt nicht ob Du noch in Rom bleibst und wo es dann hingeht. Schreib mir ein Wort. Oder bist Du auch so schreib verekelt? Ich möchte keine Feder mehr anrühren und vor mir stehen noch Katastrophen über Katastrophen. Ich denke oft an Dich, ich wollt, ich träfe Dich auch in Löschna. Warum muß denn überhaupt in dieser Welt alles so weit auseinander sein! Innigst Deine Hermine

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B. Dokumentation

b) Verleger

COTTA

Theo Schücking an Cotta Leipzig, Humboldstr. Nr. 6.1 [1893]

Hochgeehrter Herr! Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen von einer Angelegenheit zu sprechen komme, die an sich schon wenig erfreulich ist, und um derentwillen ich nun heute noch den Anschein auf mich laden muß, als bemühte ich Sie mit einer Anfrage, auf die die Antwort eine selbstverständliche ist. Vor einigen Tagen erschien bei meinem ältesten Bruder [Lothar Schücking], der in Münster lebt, Frl. Elisabeth von Droste-Hülshof mit folgendem, immerhin sonderbaren Ansinnen. Sie giebt eine neue Ausgabe der Werke ihrer Tante heraus, in der auch ihr, wie sie sagt, neu aufgefundene dritte Gesang zum Hospiz gebracht werden soll. Um nun dem Publikum noch mehr zu bieten, bittet sie uns (um) Einsicht in die ursprünglichen Texte der Gedichte - auch um Erlaubniß der Durchsicht des Briefwechsels zwischen Annette von Droste und meinem Vater bittet sie, da sie glaubt, auch daraus ließen sich vielleicht Anhaltspunkte bei der Beurtheilung des Textes gewinnen.1 Nach dem Testament meines Vaters nun sind alle ihm gehörigen Manuscripte, Papiere, Briefe u.s.w. in meinen, seiner jüngsten Tochter Besitz übergegangen. Mein Bruder konnte also nichts thun, als Frl. v. D. an mich verweisen. Nun ist natürlich meine Antwort auf ihre Anfrage ein einfaches Nein. Der von ihr eingeleitete Plan soll ja nichts Anderes sein, als ein Konkurrenzunternehmen der in Ihrem Verlage erschienenen, von meinem Vater eingeleiteten und durchgesehenen, schönen und endgültigen letzten Ausgabe.2 - mein Bruder wünscht nun aber noch von mir, daß ich Ihnen Nachricht von dieser Sache gebe, um (für sich) Ihre Zustimmung zu unserm Handeln ganz gewiß zu sein und somit Frl. v. D. in meinem Namen antworten zu können, daß zu der Pietät gegen unsern geliebten Vater auch noch die einfache Anstandspflicht gegen Ihren Verlag hinzukomme, um uns {somit} das Eingehen auf ihre mit stürmischen Bitten vorgebrachten Wünsche unmöglich zu machen. -

II.3.b Briefe Theo Schücking - Cotta

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Mit vorzüglicher Hochachtung Ihre ergebene Theo Schücking. Datierung: Briefwechsel Ebner-Eschenbach 1

2

u. Theo Schücking des Jahres 1893

Siehe A, Briefe 18/Sff.; zur Einmischung der Familie Droste in die Briefausgabe auch Brief 36/S. Vgl. auch Untersuchungen, C . I.4.a. Droste-Hülshoff: Gesammelte Schriften. H g . L. Schücking. 3 Bde. Stuttgart: Cotta 1878-1879.

Theo Schücking an Cotta Leipzig, Emilienstr. 9 part., 26. Apr. 93.

Hochgeehrter Herr! Verzeihen Sie, wenn ich mich heute wiederum an Sie wende. Da bezüglich der Droste-Briefe mir nach Ihnen von der Deutschen] Rundschau sowohl wie von Velhagens und zuletzt von Westerm.'s Monatshftn. eine ablehnende Antwort zu Theil wurde, muss ich wohl darauf verzichten, die Briefe in einer Zeitschrift erscheinen zu sehen. Um so mehr liegt mir jetzt daran, sie in einer Buchausgabe zu veröffentlichen. Ich erlaube mir nun, bei Ihnen anzufragen, ob die Firma J. G. Cotta geneigt sein würde, die Briefe in ihrem Verlage herauszugeben? Dass sie von der Kritik überaus warm aufgenommen werden würden, glaube ich annehmen zu dürfen. Einliegende Briefe unterbreite ich Ihrer Einsichtnahme mit der Bitte um freundliche Zurücksendung. Der Brief des Herrn Pantenins, der sich in demselben Sinne äusserte, befindet sich noch in den Händen meiner gütigen Freundin, Bar. Marie Ebner-Eschenbach, die eventuell den Briefen den Weg zu einer ausführlichen Feuilletonbesprechung in der Nfeuen] Frfeien] Presse eröffnen würde. Einer Buchausgabe könnten auch noch einige Briefe meines Vaters an die Droste, sowie ein der Öffentlichkeit noch nicht bekanntes Portrait der Dichterin beigegeben werden. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihre ergebene Theo Schücking

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B.

Dokumentation

Cotta an Theo Schücking 1. Mai 3

Fräulein Theo Schücking Leipzig Emilienstrasse 9 part Sehr geehrtes Fräulein! In Erledigung Ihres an unsern Herrn Adolf Kröner gerichteten geschätzten Schreibens vom 26. d. M. bedauern wir Ihnen mitteilen zu müssen, daß wir auf lange Zeit mit Verlags-Unternehmungen überhäuft sind und uns deshalb verhindert sehen, uns um den Verlag der Briefe von Annette von Droste-Hülshoff zu bewerben. Wir danken Ihnen verbindlichst für die uns durch Ihr freundliches Angebot erwiesene Aufmerksamkeit und senden Ihnen die uns zur Kenntnisnahme gesandten Briefe anbei zurück. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihre ergebenen J . G . C o t t a ' s c h e Buchh. Nachf. Abschrift einer handschriftlichen Abschrift im Cotta-Copierbuch 5 vom 20. Juli 1892 bis 7. Juni 1893.

HEINRICH HUBERT HOUBEN

Theo Schücking an H. H. Houben Bad Heiligkreuz bei Hall in Tirol, 24. Sept. [1899 oder 1900]

Verzeihen Sie, dass ich Ihnen nicht schon längst auf Ihren Brief geantwortet habe! Aber mein Sommer ist diesmal nicht so gut für mich verlaufen wie sonst, so schön der Aufenthalt in Miesbach und das Zusammensein mit meiner alten Freundin [Hager] auch war, ich habe dort sehr viel leiden müssen - schauderhafte Gesichts- und Zahnschmerzen und viel Fieber. Und erst jetzt, seitdem ich hier bin, geht's mir wieder gut. Mit einem Viertelskopf aber habe ich - damals sehr bald nach Ihrem Briefe, an meinen Bruder [Lothar?] geschrieben und darf deshalb wohl hoffen, dass die Gutzkow-Briefe nun schon seit einiger Zeit in Ihren Händen sind? 1 Sollte das indessen - wider aller Wahrscheinlichkeit - nicht der Fall sein, so bitte ich Sie, es mich noch hierher (bis Anfang Oktober) wissen zu lassen.

II.3.b Briefe Theo Schücking - H. H. Houben

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Wahrscheinlich stecken Sie wieder sehr tief in der Arbeit. Wenn ich in Berlin wäre, würde ich Sie bitten, mich ab und zu etwas davon sehen zu lassen - wenn ich Ihnen auch den „Kunstfreund" noch immer nicht zurückgegeben habe! Was aber morgen geschehen soll! Mit vielem Dank! Da ich hier nun schon einmal ziemlich tief an den Süden herangekommen bin, habe ich vor, diesen günstigen Umstand möglichst auszunutzen und für den Spätherbst und vielleicht auch Winteranfang noch nach Rom zu gehen. Sehr liebe Freunde von mir, denen anderswo noch einmal zu begegnen, ich keine Aussicht habe, werden auch dort sein. Da Dr. Stümcke, dem ich den Nietzsche-Artikel Anfangs Juli einsandte, mir denselben nicht zurücksandte, wird er ihn wohl, wie ich hoffe bald, bringen. Nun lassen Sie sich viele Wünsche alles Schönen auch für Ihren Wintersanfang sagen und seien Sie herzlich gegrüsst von Ihrer T. Schücking. Datierung: oder 1900 1

Theo Schiickings Nietzsche Artikel erschien 1900 - daher

1899

Offensichtlich war Lothar, als ältester Sohn (Adrian wohl weniger) im Besitz der Gutzkow Briefe an Levin Schücking. Durch Vermittlung Theos wurde das Material Houben für dessen Ausgabe des Gutzkow-Schücking-Briefwechsels zur Verfügung gestellt. - Siehe Literaturverzeichnis.

Theo Schücking an H. H. Houben Berlin W. Nürnbergerstr. 7, 22ste [Dezember 1900?]

Herrn Doctor Heinr.Hub. Houben Berlin - Schöneberg Albertstr. 1 Sehr geehrter Herr Doctor, Haben Sie warmen Dank für Ihren schönen Aufsatz, den ich mit Freude und Rührung las. Wenn Sie wirklich n o c h einen Abzug zu verschenken haben, dann möchte ich n o c h darum bitten, um ihn der Schwester meines Vaters

356

B. Dokumentation

in Philadelphia zuzusenden der ich damit eine grosse Freude machen könnte. - Noch einmal den Wunsch alles Guten zu den Feiertagen und zur hoffentlich recht lang währenden Erholungszeit nachher! Mit bestem Gruss T. S. Datierung: Alles Guten zu den Feiertagen - ein Weihnachts- und Neujahrswunsch? - noch einen Abzug könnte sich auf Arbeiten im Kunstfreund beziehen (Houben-Brief vom 24. 9. 1900).

Theo Schücking an H. H. Houben Berlin W., Bayreutherstr. 12 I/b Gössel [1902?]

Herrn Doctor Heinrich Houben Berlin - Schöneberg Ebersstr. 91 II Donnerstag früh. Sehr leid thut's mir, verehrter Herr Doctor, dass ich Sie und Ihre liebe junge Frau bitten muss, morgen nicht zu kommen, ich bin schon seit einigen Tagen für morgen zu einem gemeinsamen Mittagessen mit Hermine Villinger u. 2 Damen aus Karlsruhe gebunden. Am Samstag werden Sie zu viel zu thun haben, der Versammlung wegen, da könnte ich sonst gut (freilich erst gegen 5) zu Haus sein bestimmen Sie Herr Doctor, Stunde und Tag, vorläufig halte ich mir Montag und Dienstag frei. S e h r freut sich auf Sie Beiden Ihre T. S. Datierung: Mittagessen mit Hermine Villinger - diese ist im Winter 1902 in Berlin - siehe oben Villinger Brief vom 24. ß. 1902.

Theo Schücking an H. H. Houben Bayr. Gmain G. Reichenhall, Villa Carolina, 6. Juli 02.

Verehrter Herr Doctor, Hoffentlich nehmen Sie meine wenn auch sehr verspätete, so doch sehr herzliche Bitte um Entschuldigung meines Verstummens freundlich auf. Ihre liebe Karte habe ich damals erhalten war aber gerade

11.4. Die Schillerstiftung

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sehr leidend und hausgefangen und verschob deshalb die Beantwortung stets von Neuem auf den Tag, an dem ich Ihnen die Vormeldung meines Besuches machen konnte. Der kam aber nicht, anstatt seiner der, an dem ich wohl oder übel meine Reisevorbereitungen in grosser Hast machen musste. Die lange Fahrt nahm mich sehr her aber in Löschna habe ich mich dann allmählig erholt und fühle mich nun hier seit Kurzem wieder als gesund. Bis halben September werde ich wohl bleiben und hoffe, Sie geben mir unterdessen einmal Nachricht von Ihrem und Ihrer lieben jungen Frau Ergehen. Und nicht wahr, Sie werden sich gelegentlich wieder eine Erholung gönnen, v o r dem Winter, meine ich; mit Grauen denke ich an diese lange dunkle Zeit zurück, in der man ohne Licht und Luft ein Höhlendasein führt! Mein Aufenthalt in Mähren war ein sehr lieber und interessanter, Marie Ebner-Eschenbach wohnt nun schon seit dem vorigen Herbst in Löschna, bei ihrer Nichte Kinsky, die auch eine ganz ungewöhnlich edle Frauennatur ist. Nun grüsse ich Sie, verehrter Herr Doctor und Ihre liebe Frau auf das Herzlichste. Möchte dieser Sommer Ihnen Beiden viel Schönes bringen! Vergessen Sie nicht ganz Ihre alte Freundin Theo Schücking Am 15ten Juli werde ich meinen Mitgliederbeitrag mit 6 Mark einschicken. Soviel ich mich erinnere, waren es 6 Mark - bitte um Benachrichtigung wenn ich mich irren sollte -

4. Die Schillerstiftung Deutsche Schillerstiftung. Vorort Wien. Akten, betreffend die Unterstützung des Dichters Levin Schücking in Münster. 1865 78/3 (a) Die Bearbeitung der „Akten, betreffend die Unterstützung des Dichters Levin Schücking in Münster. 1865" durch die Deutsche Schillerstiftung, Vorort Wien, erfolgte in der 2. Verwaltungsperiode (Juli 1865-Dezember 1869) Vorort Wien, unter den Herren

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B.

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von Münch-Bellinghausen, Vorsitzender Josef Weißel, stellvertretender Vorsitzender Leopold Kompert, Schriftführer Salomon Mosenthal, stellvertretender Schriftführer Verwaltungsratsmitglieder: Theodor Löhlein, Badische Zweigstiftung Karl Bormann, Berlin Wolfgang Müller, Köln Ernst Förster, München Franz Dingelstedt, Weimar, dann W. Genast Geschichte der Deutschen Schillerstiftung, Rudolf Goehler, Berlin 1909, S. 153

Levin Schücking an Schillerstiftung Münster in Westfalen 13 Juli 1865

Hochwohlgeborener, Hochverehrtester Herr Baron! Lang gehegte persönliche Verehrung macht es mir leichter mich zu einem Schritt zu entschließen, den ich heute bei Ihnen thue, weil ich dazu gezwungen bin. Es ist der, Eur. Hochwohlgeboren um Vermittlung einer Ehrengabe aus dem Fonds der Schillerstiftung zu bitten. Ich besitze ein kleines nicht veräußerbares Gut, welches mir, nach Abzug von Hypothekenzinsen, Steuern und anderen Ausgaben dafür, jährlich nicht 150 Thaler einbringt; das ist mein ganzes festes Einkommen; alles andre muß für eine Familie von vier erwachsenen Kindern mit der Feder verdient werden. Es ist mir das tant bien que mal durch Fleiß und indem ich an einem von der Welt abgelegenen, zwar aller Anregung baren aber verhältnißmäßig noch wohlfeilen Ort wohnen blieb, gelungen. Bis jetzt! Aber eine lange zeitraubende Durch- und Umarbeitung meiner früheren Romane behufs einer Gesammtausgabe (Ausgewählte Romane, Brockhaus 1864), für welche ich ein nicht der Rede werthes Honorar erhielt; die Nothwendigkeit meiner erschütterten Gesundheit wegen den Winter in Italien zuzubringen; ein Verlust bei dem Bankrott eines Buchhändlers (Markgraf in Wien) und andere Umstände, deren Detaillierung ich mich überheben kann, haben mich so drückender Verlegenheit gegenüber gebracht, daß ich eben durchaus gezwungen bin, die Bitte um eine Ehrengabe der Schillerstiftung von einem Betrage auszusprechen dem ich dem p.t. Vorstand zu normiren

II.4. Die Schillerstiftung

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überlassen muß, während ich nur bemerke, daß eine Summe von 400 Thaler Pr. mir die Sorgen nehmen würde, deren Druck mich jetzt am Arbeiten und Produziren hindert! Ich habe im Jahre 1854 allein hier eine sehr würdige Feier des 100jährigen Geburtstages Schillers veranlaßt, und erwirkt; aber das materielle Resultat dieser Feier für den Fonds ist zu gering gewesen, daß mir dadurch heute ein Schritt erleichtert würde, bei dem ich ein natürliches Widerstreben nur durch den Gedanken unterdrücke, daß ich mich dabei an einen Mann wenden kann, der mir seit Jahren so hoch steht wie Eur. Hochwohlgeboren! Mit aufrichtiger Verehrung habe ich die Ehre zu sein, Hochwohlgeborener Herr Baron Ihr gehorsamster Diener Dr. Lewin Schücking.

Schillerstiftung Wien, den 29. Juli 1865. Lewin Schücking in Münster. Von mancher Seite her wird gegen die deutsche Schillerstiftung nicht selten der Vorwurf erhoben, daß es unrecht wäre, daß die deutschen Schriftsteller - immer im Sinnen des § 1 - zu ihrer Unterstützung die Beisteuer anderer, keine Feder führender Mitbürger in Anspruch nehmen, statt sich wie andere Arbeiter durch Hilfsvereine unter sich in Notfällen aufzuhelfen. Den Vertretern dieser Meinung wäre vielleicht von Anderen zu erwidern, daß diese Art gegenseitiger Abhülfe so lange unter uns unthümlich, als die größere Mehrzahl der Bücher, welche in Deutschland erscheinen, von denen gekauft wird, welche selber Bücher schreiben. Leider aber sehen wir heute wieder einmal aus Lewin Schückings Brief, welch' dringendes Bedürfniß die Schillerstiftung selbst für die Lieblinge der deutschen Lesewelt ist, wenn selbe nicht schon auf illiterarischem Wege ein Vermögen vorgefunden oder zu erwerben gewußt, wenn ihnen von keinem Mäzenaten ein titulus mensa, kein reiches Weib oder andere Sinekure geboten werden. Wir sind weit entfernt uns zu verhehlen, wie viel bei Betrachtung deutscher Schriftsteller misère auf Schuld wunderseltsamer Buchhändlergewohnheiten, nochmehr auf Schuld staatlicher Zerfahrenheit der Nation abzutragen, aber bei aller Ueberlegung und Gerechtigkeitsliebe wird sich Niemand des bitteren Anhauchs erwehren können, der aus Schückings Zeilen ihm entgegenweht. Da ist ein Schriftsteller, über ein

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B.

Dokumentation

Halbjahrhundert alt, fast ein Viertel)ahrhundert auf dem literarischen Markt, ein vielgerühmter, vielbeliebter, vielgelesener Schriftsteller und nicht etwa ein finsterer unfreundlicher Sonderling, der einsam mit seinem Genie, den eigenen Pfad sich tritt, fern vom Geschmack des Tages, unbekümmert um das Bedürfniß der Lesewelt. Nein, ein Mann, der die Bestimmungsgründe des Geschmacks gekannt und gewürdigt hat. Kein langsamer Arbeiter, der in nimmermüder Sorgfalt sich nur spät Genüge thut mit Wenigem und das Mehrere dem Publikum vorenthält, nein, ein rüstiger, fleißiger, freigebiger Autor, der viel geschrieben, Gedichte, Dramen, Reisen, Charakteristiken, Novellen, Romane - wie viele Romane! Romane, die alle Welt kennt!, der daneben noch Zeit gefunden, sich an der Redaction zweier der größten Zeitungen Deutschlands zu betheiligen, der Augsburger allg. Zeitung u. der Köllnischen. Und nicht nur dies Eine Schriftstellerleben steht da, noch ein zweites mit ihm vereinigt. Die Gattin, welche Schücking anno 44 geehelicht, hat mehrbändige Romane, hat Novellen, hat ein mehrmals aufgeführtes Theaterstück geschrieben. Schücking lebt auf der eigenen Scholle, baut selber seinen Kohl, ist den kostspieligeren Bedürfnissen der Städte ausgewichen - und trotz alle dem! und doch die peinlichen Verlegenheiten der allgemeinen deutschen Schriftstellernot und doch die hemmende drückende Bedürftigkeit, statt des Bischen otium cum dignitate, die das Bedürfniß des schöpferischen Geistes ist, darin seine Werkstatt, sein Material u. Zeug liegen! denn was ist ein Port ohne Stimmung? u. was ist die Stimmung ohne Muße? Wahrlich, ich habe beim Schreiben dieser Zeilen nur das Eine Bedenken, durch Mehrschreiben den Geschäftsgang zu verzögern. Lewin Schücking bittet um die Gabe von 400 Thalern mit denen er sich aufzuhelfen hofft. Die Gewährung derselben darf wohl keinem Zweifel unterliegen. Münch Vollkommen einverstanden mit der Anfrage des Herrn Vorsitzenden L. Kompert Wien 4. August 1865 Mit dem Antrag des Vors. einverstanden W. 9 Aug 1865 Wigl Einverstanden. Bormann Berlin 12. 8. 65. Durchaus einverstanden mit der Gabe an den durchaus würdigen Mann W. Müller K. 14/8 65 Einverstanden Ck. 17/8 65. Löhlein 19/8. 65. Einverstanden E Förster 19/8 65

11.4. Die

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Schillerstiftung

Herrn Dr. Lewin Schücking, Münster in Westfalen. Wien 30. VII. 1865.

Hochverehrter Herr, Die werte Zuschrift, in welcher Sie mir Ihr Anliegen an die d. Sch. St. mittheilen, habe ich alsbald nach Empfang der üblichen Begutachtung unterziehen lassen u. wird Ihr Gesuch schon in diesen Tagen den Umlauf an die einzelnen Mitglieder des Verwaltungsrates antreten. Ich zweifle nicht im Geringsten, daß genüber einem so verdienten Schriftsteller, wie Sie sind, mein hochverehrter Herr, die Vota einstimmig und zu Ihren Gunsten ausfallen werden. Inzwischen möchte ich mir Ihnen zu bemerken erlauben, daß in Folge des notwendigen Turnus, welchen Gesuch u. Gutachten bei den einzelnen Mitgliedern, welche derweilen den Verwaltungsrat bilden, ablaufen muß, bis zur endlichen Erledigung mehr Zeit vergehen dürfte, als Sie - zumal wenn Sie, wie leicht möglich, mit dem Geschäftsgange der Sch. St. nicht vertraut, - für angemessen halten. Werden Sie deshalb nicht ungeduldig, sehr geehrter Herr, und seien Sie überzeugt, daß was in meinen Kräften gestanden, geschehen ist, Ihre Angelegenheit dem erwünschten Ziele u. mit möglicher Raschheit zu zuführen. Indem ich Sie schließlich bitte, wegen eines Augenübels, das mir nur das Nöthigste zu schreiben erlaubt, zu entschuldigen, daß ich mich hier einer anderen Feder bediene, versichere ich Sie, mein sehr geehrter Herr meiner außerordentlichen Hochachtung u. etc. Münch

Herrn Dr. Lewin Schücking zu Münster in Westfalen. Wien, 28. August 65. Hochverehrter Herr! Mit aufrichtiger Freude theile ich Ihnen das Resultat der Abstimmung mit, welches soeben nach vollbrachtem, geschäftsmäßigen Turnus der Acten beim Vorort eingelangt ist. Auf das in Ihrer Angelegenheit ergangene Gutachten hat der Verw.-Rat der d. Sch. St. mit Einstimmigem Entschluß geantwortet u. ich habe somit die Ehre Ihnen auszusprechen, daß der Wunsch, welchen Sie in Ihrem werten Schreiben vom 13. v. Ms. ausdrücken, die d. Sch. St. möchte Ihnen in den augenblicklichen drückenden Verlegenheiten eine Aushülfe von 400 Th. gw. C. zukommen lassen, erfüllt wird.

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B.

Dokumentation

Wollen Sie dem gemäß die beiliegende Quittung ausfüllen u. unterzeichnen. Die genannte Summe wird, sobald die Quittung zurückgekommen, umgehend an Sie gesendet werden. Indem ich nochmals meiner Freude über den günstigen Ausgang Ihrer Sache Ausdruck gebe, der nur die gerechte Würdigung eines so vielverdienten litterarischen Charakters von Ihrer Stellung und Wirksamkeit ist, grüße ich Sie mit freundlichsten Grüßen. Seinen Sie stets meiner wärmsten Theilnahme, meiner aufrichtigen Anerkennung, meiner großen Hochachtung gewiß.

Levin Schücking an Schillerstiftung An den Vorsitzenden des Verwaltungsraths der Schillerstiftung, Herrn Freiherrn Münch Hochwohlgeboren Wien Sassenberg bei Warendorf in Westfalen 28. VIII 65

Hochverehrter Feiherr! Ich beeile mich, so eben im Besitz Ihres gewogentlichen Schreibens vom 23 d. M., zunächst Ihrer großen Güte und dann dem verehrlichen Verwaltungsrath der Schillerstiftung meinen allerherzlichsten Dank auszudrücken - wenn etwas drückendes in dem Schritte lag, zu dem ich mich entschließen mußte, so hat die Art und Weise, wie meine Bitte aufgenommen ist, nun etwas freudig Erhebendes, indem sie mir das wohlthuende Gefühl jeglicher Dankbarkeit gegen so wackerer Männer hülfbereite Theilnahme und Gewogenheit gibt! Ich weiß, daß man aus dem Fond der Schillerstiftung nicht entnehmen kann, ohne dadurch anderen, die durch ihre Verhältniße auf die Stiftung hingewiesen sind, zu entziehen - ich werde deshalb die mir bewilligte Summe stets als ein Darlehen betrachten und sobald die „res angusta domi" besseren Umständen gewichen, auf die Rückerstattung bedacht nehmen. Genehmigen Sie noch einmal, hochverehrtester Freiherr, den lebhaftesten Ausdruck meiner Dankbarkeit und der innigen Verehrung, womit ich nicht aufhören werde zu sein, Eur. Hochwohlgeboren gehorsamster Diener Dr. L. Schücking

363

IIA. Die Schillerstiftung

Schillerstiftung A n Wohlgeboren Herrn Dr. Lewin Schücking in Sassenberg bei Warendorf in Westfalen. Wien 2. Septbr 1865 Euer Wohlgeboren! beehren wir uns im Anschlüsse den Ihnen mit Schreiben v o m 23t v. M. von Seiten des Verwaltungsrathes der deutschen Schillerstiftung zur Verfügung gestellten Betrag von 400 Thalern schreibe vierhundert Thalern zu übersenden und zeichnen hochachtungsvoll für den Vorsitzenden x - x - x

Deutsche Schillerstiftung. Vorort Weimar. Akten, betreffend: die Unterstützung der hinterlassenen Tochter von Levin Schücking in Münster 1883 136/78, 3(b) Die Unterstützung der hinterlassenen Tochter von Levin Schücking in Münster 1883, 136/78,3(b) durch die Deutsche Schillerstiftung Vorort Weimar fällt in die zwei Verwaltungsperioden: 7. Verwaltungsperiode (1890-1894), Vorort Weimar Freiherr Bronsart von Schellendorff, Vorsitzender Hofrat Professor Dr. Weniger, stellvertretender Vorsitzender Justizrat Gruner, 2. vorörtliches Verwaltungsmitglied Verwaltungsratsmitglieder: Felix Dahn, Breslau Eduard Duboc, Dresden Paul Heyse, München Oberlandesgerichtsrat Dr. Schönhardt, Stuttgart Ludwig August Frankl, Ritter von Hochwart, Wien 8. Verwaltungsperiode (1895-1899), Vorort Weimar Freiherr Ludwig v. Gleichen-Rußwurm, Vorsitzender Geheimer Staatsrat Rothe, stellvertretender Vorsitzender Justizrat Gruner, 2. vorörtliches Verwaltungsratsmitglied, dann Paul v. Bojanowski Verwaltungsratsmitglieder: Moritz Lazarus, Berlin, dann Karl Frenzel Eduard Duboc, Dresden

364

B.

Dokumentation

Kommerzienrat Robert Heuser, Köln, dann Johannes Fastenrath Paul Heyse, München Ludwig Lobmeyr, Wien 7. Verwaltungsperiode: Geschichte der Deutschen Schillerstiftung Rudolf Goehler, Berlin 1909, S. 290 8. Verwaltungsperiode: ebenda, S. 308

An Frl. Theo Schücking 1892: 1894: 1895: 1896: 1899:

300 330 300 500 300

M. jährl. auf 3 J., 1/1. 9 2 - 3 1 712. 94. Be. 8 " " " 1 1865, Be. 13. " " " 1 ", 1896, Be. 19. " " " VA", 17796-31/12. 99. Be. 24 " " lebenslänglich vom 1/1 1900 ab.

Lothar Schiicking an Schillerstiftung Münster 11/12 83

Hochverehrter Herr Doctor! Am 31. August starb zu Pyrmont mein lieber Vater. Derselbe hat die pekuniären Früchte seines Lebens meist zum Ankauf und zur Vergrößerung einer Besitzung verwendet, die er in seinem Testament meinem ältesten Jungen vermacht hat, die aber an Unterhaltung, Steuern etc. leider ebensoviel kostet, wie sie einbringt. Im Testament sagt Vater daher von meiner unverheiratheten Schwester Theo: Außerdem wird Lothar ihr eine Pension aus der Schillerstiftung erwirken. Gehorsam unserm lieben Vater erlaube ich mir daher die Bitte, Sie hochverehrter Herr Doctor, möchten mir gütigst sagen, was ich zur Erreichung einer Pension zu thun habe. Wenn auch meine Schwester Theo keinen Hunger leiden wird, weil wir beiden Brüder, ich und der Dr. A. Schücking in Pyrmont zur Fürsorge für sie verpflichtet sind, so würde ihr doch eine Rente aus der Stiftung selbstverständlich große Erleichterung und Schutz vor der Nothwendigkeit, die Brüder stets in Anspruch zu nehmen, bieten. Vater muß großes Vertrauen auf Sie und die andern Herren von der Direction gesetzt haben, sonst hätte er sich nicht so bestimmt ausgedrückt.

365

II.4. Die Schillerstiftung

In alter Anhänglichkeit bin ich Ihr gehorsamster und treuergebenster Lothar Schücking Amtsrichter Auf der ersten Seite am linken Seitenrand von anderer

Hand:

Ich bitte um Entwurf: dringende Noth allerdings erforderlich u. undr. x-x jetzt überlassen x-x geben, ob ein Antrag gestellt werden solle.

Sch

illerstiftung

Herrn Lothar Schücking Amtsrichter in Münster Weimar 13 Dec. 83 Hochverehrter Herr und Freund In vorläufiger Erwiderung ihrer vorgestrigen Zuschrift muß ich mich einstweilen auf einige Bemerkungen beschränken, bevor Ihrem eventuellen Gesuch selbst näher getreten werden kann. Bei dem anerkannten und gefeierten Namen Ihres, auch von uns hochverehrten Vaters steht es wohl außer allem Zweifel, daß die Schillerstiftung der unversorgt hinterlassenen Tochter gern die helfende Hand reichen wird, sobald die „dringende Nothlage" genügend nachzuweisen ist. - Dieser Nachweis aber würde allerdings erforderlich sein, sowohl in Rücksicht auf die außergewöhnliche und fast erdrückende Belastung der Stiftungsmittel, als noch mehr in Rücksicht auf die Beurtheilung dieses Falls seitens der öffentlichen Meinung, die den fruchtbaren und viel gelesenen Dichter Schücking weitaus zu den wohl situirtesten seiner Berufsgenossen zählte. Dieser vielleicht übertriebenen Annahme, die gleichwohl zahlreiche Reclamationen zur Folge haben dürfte (wie schon öfter in analogen Fällen), müssten wir mit einer offenen, rückhaltlosen Darlegung der gesammten Familienverhältnisse entgegentreten können. Es ist nun die Frage, ob und wie weit Ihnen und den anderen Mitgliedern der Familie dies erwünscht sein würde, - und muß ich es Ihnen nach dieser Darlegung anheim geben, zu erwägen, ob Sie einen formellen Antrag an den Verwaltungsrath stellen wollen. Selbstverständlich würde im vorliegenden Fall von der üblichen Einsendung der Werke ganz abgesehen werden können, da dieselben uns und dem Verw. Rath hinreichend bekannt sind, und die literarische Dignität des Dichters Schücking außer aller Frage zu stellen. -

366

B.

Dokumentation

Indem ich noch hinzufüge, daß - wenngleich ich diese meine Auskunft als eine vertrauliche zu betrachten bitte, diese letztere doch keine bloß subjective Meinungsäußerung, sondern als eine im Auftrag des Vororts gegebene anzusehen ist, zeichne ich in treuem Angedenken an die dereinstigen schönen Münchner Tage mit hochachtungsvoller Begrüßung als Ihr ergebener J. Gr. Folge dieses Briefs war, daß man das Gesuch auf sich beruhen ließ. Weimar Oct 92. Jul Gr.

Theo Scbücking an SchillerStiftung 19. Okt. 1892 Leipzig, Emilienstr. 3 II Von anderer Hand: Urals [?] 14. Oct. 92. J. Gr. Hochgeehrter Herr Doctor! Gestatten Sie mir, mich an Sie zu wenden, um eine Pension von der Schillerstiftung zu erlangen. Mein Vater, Levin Schücking, starb im Jahre 1883. Zu seinem schweren Leidwesen musste er mich zurücklassen, ohne mich versorgt zu wissen. Das Studium meiner Brüder hatte ihn nicht dazu kommen lassen. Meinen kleinen Erbantheil übernahm mein ältester Bruder L. G. Rath Lothar S. in Münster, und verpflichtete sich, mir dafür eine jährliche Leibrente von 500 Mark auszuzahlen. Diese Summe setzte er nach einem Jahre schon - der Ausgaben für seine eigene Familie wegen - auf 350 Mark herab. Ein Bruder meines Vaters in Washington bot mir sein Haus als Heim an. Ich lebte zwei Jahre bei ihm, konnte aber durchaus nicht das dortige Klima vertragen und musste deshalb nach Europa zurückkehren. Hier nahm ich eine Stelle als Gesellschafterin in Wien an, in der ich sechs Jahre verblieb. In den letzten zwei Jahren aber hinderte mich mein schlechter Gesundheitszustand so häufig an der Erfüllung der übernommenen Pflichten und ein langwieriges Augenleiden nahm mir so sehr alle wirkliche Leistungsfähigkeit, dass ich zuletzt um meine Entlassung bitten musste. Seitdem bin ich nun hier in Leipzig, wo ich versuchen will, ob mir eine anhaltende Kur bei einem Augenarzte vielleicht doch noch Besserung meines Uebels bringen kann.

11.4. Die

Schillerstiftung

367

Mein ältester Bruder ist auch meiner jetzigen Lage gegenüber nicht zur gutwilligen Einhaltung unseres Vertrages zu bewegen. Seine drei Söhne nehmen, wie er sagt, seine Mittel vollständig in Anspruch. Mein zweiter Bruder, der als Arzt in Pyrmont lebt, hat mir die Schenkung von 5200 M. - die ihm aber erst am 1. Jan. 1893 vom ältesten Bruder ausgesetzt werden sollen - versprochen. Darüber hinaus kann ich nun keine Ansprüche an ihn erheben, da auch ihm natürlich Frau und Kinder am nächsten stehen. In so schwieriger und sorgenvoller Lage komme ich nun zu Ihnen, hochverehrter Herr Doctor, im Vertrauen darauf, dass meines guten Vaters Namen, der Name eines Mannes, der seinem Stande ein langes Leben hindurch stets Ehre gemacht hat, heute Fürsprache thun wird für dieses mein Gesuch. Hochachtungsvoll Ihre ergebene Theo. Schücking.

Schillerstiftung Nachrichtlich

Weimar 16 Oct 92.

Vor einigen Wochen war Frl. Schücking persönlich bei mir, um mir ihre precäre Lage zu eröffnen. Ich gab ihr selbst den Rath, unter Darlegung ihrer Verhältnisse ein Gesuch beim V. R. einzureichen. Sachlich ist dies im Bericht vor neun Jahren seitens ihres Bruders geschehen, aber, so zu sagen, unsrerseits noch parirt worden. Ich verweise auf vorhandene Correspondenz. Jetzt liegen die Verhältnisse in so fern anders, als die Brüder des Fräuleins wie es hinlänglich klar ist, ihren Pflichten nur in ungenügender Weise nachgekommen sind, - so daß eine ernste Nothlage besteht. Da es wohl keine Frage ist, daß es Pflicht der Schillerstiftung, sich der Tochter eines Dichters vom Range Schückings, anzunehmen, möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß Schücking selbst im Jahr 65 eine Ehrengabe von 1200 M. empfing. Das Gutachten im älteren Actenstück (offenbar von Hopfen [?]) enthebt mich der Pflicht einer besonderen literarischen Würdigung des uns allen unvergeßlichen Dichters. Jul. Gross Weimar 18/10 92

Da die Bittstellerin am 1 Januar 1895 ein Kapital von 5200 M. zu erwarten hat, das sie zur Erwerbung einer Leibrente verwenden kann,

368

B.

Dokumentation

so schlage ich vor, ihr bis dahin, also bis zum Schluß der laufenden Verwaltungsperiode, jährlich, und zwar vom 1 Januar d. J. an gerechnet, 300 Mark zu bewilligen. x-x-x Einverstanden, x-x-x Weimar 19. 10. 92 Ich stimme, da durch den Brief des Frlns Sch. eine thatsächliche Notlage der Petentin konstatirt erscheint, obwohl ich es, bei der sonstigen Lage der Akten, für wünschenswerth gehalten hätte, über die ökonomischen Verhältnisse der Familie im Ganzen etwas Näheres zu erfahren. Späterhin dürfte dies, falls die Schillerstiftung Frln Sch. als Pensionärin behalten sollte, ja doch notwendig werden. Stuttg. 22. 10. 92. Schoenhardt. Für die vorgeschlagene Unterstützung. May f. Heyse München 24/10 92. für 300 Mk. x-x-x 29/10 92. Ebenso Dahn. 4. XI. 92. Vergleiche E. Duboc 0/11

An Fräulein Theo Schücking Leipzig Emilienstr. 3/II Weimar 8/11. 92

Sehr geehrtes Fräulein Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass der Verwaltungsrath der Schillerstiftung beschlossen hat, Ihrem Gesuch vom 13ten Octob. Folge zu geben und Ihnen eine jährliche Zuwendung von 300 Mk. zu bewilligen und zwar vom 1. Jan. dieses Jahres bis Schluß der jetzigen Verwaltungsperiode 1. 1. bis 31/12 94. Beiliegende Quittung ermächtigt Sie, die erste fällige Jahresrate pro 92 bei unserer Zentralcasse (... P. ohne [?]) zu erheben. Hochachtungsvoll und ergebenst Der Vorort der deutschen Schillerstiftung NB. Gr.

11.4. Die Schillerstiftung

369

Deutsche Schillerstiftung. Vorort Weimar. An die Centraikasse der Deutschen Schillerstiftung. Weimar, den 15. November 1892 Die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung wird hierdurch angewiesen, an Fräulein Theo Schücking in Leipzig, Emilienstrasse 3. II. die ihr für drei Jahre vom l./I. 1892 bis 3 1 / X I I 94. ausgesetzte Verwilligung von jährlich Dreihundert Mark — Pfg. halbjährlich am 1. Januar und 1. Juli im Voraus gegen Quittung auszuzahlen und in der Rechnung gehörig in Ausgabe zu stellen. Der Vorort der Deutschen Schiller-Stiftung. N B . Gr

Theo Schücking an Schillerstiftung Sassenberg in Westfalen 3. Juli 94. Verehrter Herr Professor! Gestern erhielt ich die letzte Rate der mir durch Ihre gütigen Bemühungen von der Schiller-Stiftung zugewendeten jährlichen Beihülfe. Da sich nun in den letzten zwei Jahren meine Existenzsorgen leider nicht verringert haben, bitte ich Sie, verehrter Herr Professor, mir gelegentlich gütigst zwei Worte zukommen zu lassen, aus denen ich erfahre, was ich in dieser Angelegenheit für mich thun kann. Verzeihen Sie, dass ich Sie um Ihre kostbare Zeit bedränge, ich weiss Niemanden an den ich mich sonst wenden kann und Ihre Güte von damals giebt mir den Muth zu dieser neuen Bitte. Ich kann nicht sagen, wieviel mir daran liegt, die Zuwendung der letzten drei Jahre auch fernerhin bewilligt zu bekommen und wie dringend ich ihrer bedarf! Das heisst ich könnte es wohl sagen, aber doch nur in einer detaillirten Auseinandersetzung - und mit der will ich Sie nicht ermüden, wenn es nicht sein muss. Ihre dankbar ergebene Theo Schücking

Von anderer Hand:

Geschrieben daß das Gesuch verfrüht und im Herbst zu wiederholen sei. Weimar 5/7 x-x

370

B.

Dokumentation

Pension Waldsack[er] Vahrn in Südtirol 6. Sept. 189[4]

Hochgeehrter Herr Professor! Die mir durch den Verwaltungsrath der Deutschen Schillerstiftung auf die Dauer von 3 Jahren bewilligte Zuwendung von 300 M. jährlich, hat am 1. Juli d. J. ihren Abschluss gefunden. Da sich seit der Einreichung meines ersten Gesuches im Oktober 1892 meine Lebensverhältnisse nicht günstiger gestaltet haben, und überdies die Aussicht auf die dort von mir angeführte Schenkung von 5200 M., die mir mein Bruder am 1. Januar 1895 machen wollte, für mich seitdem eine sehr unsichere geworden ist, erlaube ich mir an den Verwaltungsrath der Deutschen Schillerstiftung die inständige Bitte zu richten, mir die Bewilligung von 300 M. jährlich gütigst erneuern zu wollen. Nur dieser Zuschuss und zugleich der Umstand, dass ich in diesem wie im vorigen Sommer 3 Monate als Gast meiner Freundin auf dem Lande verbringen kann, haben es mir überhaupt ermöglicht, mit meinen geringen Mitteln auszukommen. Indem ich mein Gesuch Ihrer gütigen Befürwortung empfehle, bin ich, hochgeehrter Herr Professor, Ihre sehr ergebene Theo Schücking. Von anderer Hand auf der ersten Seite:

300 M i Jahr. Petentin soll den Nachweis führen, weshalb sie die 5200 M. als verloren zu beklagen berechtigt ist. G 2/10

Schiller Stiftung Nachrichtlich

Weimar Sept. 94.

Levin Schücking selbst erhielt seinerzeit (65) eine einmalige Gabe von 1200 M. Nach seinem Tode 83 zeigte sich, daß seine noch ledige Tochter Theo unversorgt geblieben. Ihre beiden Brüder, selbst für Familien verpflichtet, konnten ihre anfänglichen Zusagen nicht einhalten. Frl Th.S. ging zuerst nach America zu einem Onkel, kehrte dann zurück und nahm eine Stelle als Gesellschafterin an. Als solche wurde ihr vor einigen Jahren eine Pension von 300 M. auf die Dauer der Verw. Periode bewilligt. Jetzt handelt es sich darum diese Pension zu verlängern. Uber das Alter der Dame konnte ich nichts erfahren. Da Frl. S., welche ich 65 in München kennenlernte, damals allerwenigstens 17 Jahre alt war muß sie heute nach 29 Jahren wenigstens 46 zählen, ich glaube

11.4. Die

371

Schillerstiftung

aber, daß sie älter ist. Aus Unkenntnis die Pension auszusetzen, scheint mir aus verschiedenen Gründen nicht räthlich. Jul. Grs. Nachrichtlich

Weimar 9/X 94

Laut Conferenzbeschluß vom 2/X. ist die Verlängerung der Pension von 300 M. auf ein Jahr bewilligt worden. Inzwischen sei nähere Auskunft zu verlangen bezüglich des erwarteten Rentencapitals. Jul. Gr. Fräulein Theo Schücking Pension Waldsacker Vahrn in Südtirol Weimar 10/X 94

Sehr geehrtes Fräulein Es freut mich Ihnen mittheilen zu können, daß der V. R. d. D. Sch. beschlossen hat, Ihrem Gesuche vom 6. Sept. Folge zu geben und Ihre mit Ende December ablaufende Pension von 300 M. vorläufig auf ein weiteres Jahr zu verlängern (1/1 95-31/12 95), hinsichtlich der Zukunft aber Ihnen zunächst den Nachweis zu überlassen, weshalb Sie sich berechtigt halten, jene fragliche Schenkung von 5200 M. als für immer verloren zu betrachten. Die Entrichtung der fälligen Zahlungen wird an den gleichen Terminen stattfinden wie bisher. Hochachtungsvoll u. ergebenst Der Vorort der Deutsch. Schillerstiftung NB Gr und Sch. Deutsche Schiller-Stiftung. Vorort Weimar. An die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung. Weimar, den 12. Oktober 1894.

Die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung wird hierdurch angewiesen, an Fräulein Theo Schücking in Leipzig, Emilienstr. 3 II die ihr für ein Jahr vom l./I. 1895 bis 31./XII. 1895 ausgesetzte Verwilligung von Dreihundert Mark — Pfg. halbjährlich am 1. Januar und 1. Juli im Voraus gegen Quittung auszuzahlen und in der Rechnung gehörig in Ausgabe zu stellen. Der Vorort der Deutschen Schiller-Stiftung NB. Gr

372

B.

Dokumentation

Theo Schücking an Schillerstiftung Charlottenburg b. Berlin Uhlandstr. 184 Gartenhs. IV 10. Oktober 1895.

Von anderer Hand: Praes 17/X 95 J. Gr.

Hochgeehrter Herr Professor! Ich bitte Sie herzlichst, dem Verwaltungs-Rath der Schillerstiftung gütigst mein Gesuch um Wiedergewährung der mir für das Jahr 1895 erneuerten Beihülfe von 300 Mk. übermitteln zu wollen. Meine Lebensverhältnisse haben sich seit meinem letzten Gesuche nach keiner Seite hin günstiger gestalten mögen. Ueber das Zunichtewerden der mir von meinem Bruder in Pyrmont für den 1. Januar 1895 in Aussicht gestellten Schenkung von 5200 M. habe ich mir erlaubt, Ihnen mündlich Aufschluss zu geben. Verzeihen Sie die Belästigung durch mein erneutes Gesuch, zu dem mich meine schwierige Lage zwingt und nehmen Sie den Dank, den ich Ihnen und den Herren vom Verwaltungsrath für die mir bisher um meines Vaters willen gewährte Unterstützung schulde, gütig auf! Hochachtungsvoll Ihre ergebene Theo Schücking

Schillerstiftung Nachrichtlich

Weimar 17. Oct. 95.

Fräulein Theo Schücking war vor einigen Tagen bei mir, um mir eine mündliche Schilderung ihrer Lage und des Verhältnisses zu ihren beiden Brüdern zu geben. Lothar der jüngere (jetzt wohl Justizrath in Münster) ist verpflichtet, seiner Schwester Wohnung im Elternhaus und jährlich 500 M. zu geben, kommt aber dieser Verpflichtung nur unregelmäßig und ungenügend nach, er macht Abzüge, läßt Rückstände, die trotz aller Mahnungen nicht beglichen werden - will auch - eben um seine Ausgabe zu mindern, daß seine Schweser lieber bei fremden Leuten in abhängiger Stellung bleibe, trotz ihres Augenleidens und ihrer Kränklichkeit. Der andere Bruder Adrian (Badearzt in Pyrmont) hat ihr 5200 M. als Schenkung versprochen, aber es ist eben nur beim Versprechen geblieben und alle Erinnerungen sind vergeblich gewesen. Der unternehmende Badearzt braucht immer neue größere Summen für Neu-

11.4. Die

Schillerstiftung

373

bauten etc. selbst die Andeutung der Schwester, daß sie zu ihrer prekären Lage bei der Sch. Stiftung offenen Bericht erstatten müsse, hat sich als wirkungslos erwiesen. Dazu kommt noch Einzelnes: Laut gerichtlicher Niederschrift steht Frl. Sch. im älterlichen Hause eine Wohnung von zwei bestimmten und geräumigen Zimmern zu, allein ihre Schwägerin verfügt selbständig darüber und wenn sie (Frl. Sch.) dennoch auf ihrem Recht besteht, wird sie mit einem dürftigen Kämmerchen abgefunden. Solche Zustände führen zu peinlichen Zerwürfnissen zwischen den nächsten Verwandten. Es ist von beiden Brüdern Sch. nicht rühmlich, so lieblos an ihrer jüngsten Schwester zu handeln und sie hilflos in die Welt hinauszustoßen um sich kümmerlich in allerhand abhängigen Stellungen fortzubringen. Alles was Frl. Sch. sagte, machte den Eindruck schmuckloser Wahrheit und unbedingter Glaubwürdigkeit. Ich möchte beantragen, die bisherigen 300 M. auf mehrere Jahre neu zu bewilligen. Der literar. Rang des beliebten Erzählers Schücking war vornehm genug, um auch eine event. Erhöhung dieser Summe zu rechtfertigen. Jul. Grosse 27. X. 95.

Die Verhältnisse, in denen Fräulein Schücking zur Zeit lebt u zu ihren Brüdern steht, scheinen mir noch zu wenig geklärt zu sein, als daß man den Nachweis einer dauernden Unterstützungsbedürftigkeit schon jetzt als erbracht ansehen könnte; zu einer Verlängerung der ihr bisher gewährten Pension auf mehrere Jahre könnte ich mich deshalb jetzt nur ungern entschließen wenn ich auch im Übrigen die Voraussetzungen für ein helfendes Eintreten der Schillerstiftung als gegeben erachte; für eine abermalige einmalige Verwilligung aber dürfte der geeignete Zeitpunkt jetzt noch nicht gekommen sein. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß die Angelegenheit auf der nächstjährigen Conferenz mündlich berathen, die Bittstellerin aber vorläufig beschieden und ihr anheimgestellt werde, bis dahin ihre Vermögenslage u die Verpflichtungen ihrer Brüder (vgl den Brief Bl.lb d A.) ihr gegenüber noch näher darzulegen; n ö t i genfalls könnte auch der Bruder Lothar in ähnlicher Weise wie bereits im Jahre 1889 nochmals um Auskunft angegangen werden. Rothe Weimar den 28. Oktober 1895

Mit Rücksicht auf die zu unserem Herrn Generalsekretär mitgetheilten Umstände möchte ich vorschlagen, der Gesuchstellerin vorläufig

374

B.

Dokumentation

schon jetzt eine einmalige Gabe von 300 M. pro x-x zu verwilligen, ihr aber gleichzeitig bemerklich zu machen, daß sie falls sie weiterer Unterstüzung bedürftig sein sollte, daher genauer, als bisher geschehen, zu begründen, insbesondere auch anzugeben habe, ob und x-x-x aus welchen Gründen ihre testamentarisch festgestellten Ansprüche an ihre Brüder nicht verwirklicht werden könnten. x-x-x „Außerdem wird Lothar ihr eine Pension aus der Schillerstiftung erwirken", so soll es im Testament Lewin Sch.s gelautet haben. Es will mir scheinen, als sähen die Herren Lothar u. Adrian darin ein die Schillerstiftung bindendes Gebot. Meines Erachtens haben wir nicht von dem Fräulein, sondern von den Brüdern uns Klarheit über die Gründe für die Nichterfüllung der ihnen zugefallenen Pflichten zu erbitten. Sind sie ausser Stande die Schwester gebührend zu unterstützen, so mögen sie es klipp und klar bekennen. Bis dahin keine weitere Bewilligung. Dr. Sehr., Ed. Duboc M. 3. XI. 95

Ich kann die Mittheilungen unseres Freundes Große über das unwürdige Betragen der Brüder Schücking durchaus bestätigen, da mir die Verhältnisse, die Frl Theo zu ihrem Gesuch an unsere Stiftung gedrängt haben, von anderer Seite, durch eine sehr nahe gemeinschaftliche Freundin, genau bekannt geworden sind. Daß es der Schwester als eine moralische Unmöglichkeit erscheint, ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen, kann ihr nur zur Ehre gerechnet werden. Sie ist überdies schwer leidend und unfähig, in einer dienenden Stellung ihren Lebensunterhalt zu suchen. Auf der nächsten Generalversammlung behalte ich mir vor, eine lebenslängliche Unterstützung in höherem Betrage vorzuschlagen. Auch Maria Rückert hat Brüder, die nicht mittellos sind. Gleichwohl empfängt sie eine lebenslängliche Pension. Für diesmal begnüge ich mich, eine Unterstützung von 500 Mk. auf zwei Jahre zu beantragen, daß wir einen Druck auf die Brüder ausüben könnten, ist völlig aussichtslos. Paul Heyse 5 November 1895.

Ich schließe mich dem Gruner'sehen Votum auf Ertheilung einer einmaligen Unterstützung von 300 Mark an und glaube auch, daß die endgültige Regelung von Seiten der Schillerstiftung bei der nächsten

II.4. Die Schillerstiftung

375

Versammlung des Verwaltungsrathes in mündlicher Verhandlung am besten geschehen kann. Das arme Fräulein auf die Güte herzloser Brüder zu verweisen geht mir gegen das Gefühl. Karl Frenzel. Köln, 8 Nov. 95.

Ich trete dem vorstehenden Votum des Herrn Frenzel, das mir durch die Lage der Verhältnisse gerechtfertigt erscheint, bei. V. x-x Wien 13. Nov. 95.

Bin ebenfalls für Herrn Gruners Antrag, da wir ja im Mai hoffentlich zu einem entscheidenden Beschluß gelangen können, es sich also jetzt nur darum handelt für die 6 - 7 Monate bis dahin einzutreten, x-x-x Weimar 2 6 / X I . 95.

Da ein neuer Antrag v. P. Heyse vorliegt müßte streng genommen ein neuer Turnus folgen. Dies schließt nicht aus daß Frl. Theo einen vorläufigen Bescheid erhält. Nach Majorität sind ihr pro 96. auf 300 M. bewilligt. - Wonach sie also für die Zeit 1/1 9 6 - 3 0 / 6 96150 M. erhalten wird. Geht dann im Mai der Antrag Heyses auf 500 M. durch, so erhält Fr. Sch. eine Nachzahlung von 200 M. Ich glaube so läßt sich die Sache am ehesten vereinfachen. Sachlich kann Fr. Th. Sch. nichts Neues weiter beibringen, als was sie mir mitgetheilt hat und was durch P. H. vollauf bestätigt wird. Höchstens könnten nach Dubocs Vorschlag die Brüder zur Rede gestellt werden. Und dies wird vor der Mai Conferenz geschehen - wäre es auch nur zur Vervollständigung der Acten. Jul. Gr.

An Fräulein Theo Schücking Charlottenburg b. Berlin, Uhlandstr. 184 Gartenhaus IV. Weimar, den 16/XI. 95

Sehr verehrtes Fräulein Wir freuen uns Ihnen mittheilen zu können, daß der Verwaltungsrath der deutschen Schillerstiftung beschlossen hat, Ihrem Gesuch vom

376

B. Dokumentation

26 ten Oct. Folge zu geben und Ihre bisherige Pension von 300 auf ein Jahr (S. 1 1/1 96-31/12 96) zu verlängern, die Entscheidung für die Folgezeit jedoch der nächsten Maiconferenz des V. R. vorzubehalten. Die fälligen Ratenzahlungen werden an den gleichen Terminen erfolgen, wie bisher. Hochachtungsvoll und ergebenst Der Vorort der deutschen Schillerstiftung. Gr

Deutsche Schiller-Stiftung. Vorort Weimar. An die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung. Weimar, den 18. November 1895.

Die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung wird hierdurch angewiesen, an Fräulein Theo Schücking in Charlottenburg bei Berlin, Uhlandstrasse 184 Gartenhaus IV. die ihr für ein Jahr vom 1/1. 1896. bis 31/XII 1896. ausgesetzte Verwilligung von Dreihundert Mark — Pfg. halbjährlich am 1. Januar und 1. Juli im Voraus gegen Quittung auszuzahlen und in der Rechnung gehörig in Ausgabe zu stellen. Der Vorort der Deutschen Schiller-Stiftung R. Gr

Theo Schücking an

Schillerstiftung Charlottenburg bei Berlin Uhlandstr. 184, Gartenhs. 20. Nov. 95.

Hochgeehrter Herr Professor! Soeben erhalte ich die Nachricht aus Weimar - ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass sie mich mit frohem, wärmsten Dank erfüllt. Aber ich kann es doch nicht lassen, es Ihnen, verehrter, gütiger Herr Professor, auszusprechen. Von ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihre Fürsprache und für Ihre Hülfe! Der Zuschuss von der Schillerstiftung bedeutet mir ja die Lebensermöglichung an sich, Ihr Beistand aber, Herr Professor, giebt mir immer wieder das, was man eben so nöthig wie das Andere zum Leben

377

11.4. Die Schillerstiftung

braucht: Muth und Zuversicht. Und dafür lassen Sie sich noch ganz besonders danken! Immer und überall Ihre dankbar ergebene Theo Schücking.

Charlottenburg, Uhlandstr. 184 Gartenhs. IV

9. Mai 96

Von anderer Hand: x-x 11/V 96. J. Gr. Hochgeehrter Herr Professor! In dem letzten Schreiben der Schillerstiftung vom November 95, in dem sie mir für das Jahr 96 noch einmal die Pension von 300 M. bewilligt hat, heisst es, dass die Entscheidung für die Folgezeit der Maiconferenz des Verwaltungsrathes vorbehalten bleibe. Ich bitte Sie nun vielmals, es mir verzeihen zu wollen, wenn ich mich in diesen Tagen noch einmal an meinen gütigen Anwalt in dieser Angelegenheit wende. Meine einzige Entschuldigung ist dabei, dass für mich Alles von dieser Entscheidung abhängt. Denn von den 1076 Mark (647 M. + 500 v. Lothar = 1147.), die mir jährlich bleiben, wenn mir die Schillerstiftung die bisher gewährte Pension versagt, kann ich nicht leben. Ich muss dann wiederum eine Gesellschafterinnenstelle annehmen, was aber meiner Kränklichkeit und besonders meiner Augenschwäche wegen so schwer ausführbar ist. Auf die Schenkung von ca. 5000 M., die mir mein Bruder Adrian für den 1. Jan. 95 zugesagt hatte, habe ich keine Aussicht mehr. Noch einmal, verzeihen Sie mir, dass ich Ihre Zeit und Geduld wiederum in Anspruch nahm! Wie auch die Entscheidung des Verwaltungsrathes fallen möge, immer und überall wird Ihnen für all Ihre hülfreiche Güte wärmsten Dank bewahren Ihre dankbar ergebene Theo Schücking. Von anderer Hand: Verschiebung bis zur Conferenz mitgetheilt Weimar 11/V. 96. Jul. Gr

Schillerstiftung Nachrichtlich

Weimar Juni 96

Uber den Sachverhalt giebt Bl.16 u 17 den vollständigen Aufschluß. Frl. Sch. ist von ihren Brüdern schmählich im Stich gelassen, sie mu-

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B.

Dokumentation

then ihrer kränklichen Schwester zu, wieder in fremde Dienste zu gehen und dies mit schnöder Vergessenheit ihrer brüderlichen Verpflichtungen. O b d. Sch. St. diese Herren deshalb zu R u h e [?] setzen darf oder soll scheint mir discutabel aber nicht daß helfend einzutreten ist, denn mit 300 M . wie bisher kann L. Schückings Tochter nicht leben. P. H . hat schon vor Jahresfrist 500 beantragt. Jul. Gr. Weimar 29/6. 96 Laut Conf.beschluß vom 2 8 / 6 . 9 6 5 0 0 M . bis Schluß d. V. Periode rückwirkend bis Ablauf der vorigen Pension Information bei d. Brüdern Jul. G r

A n Fräulein T h e o Schücking Charlottenburg Uhlandstr. 184 Gartenhaus I V Weimar, den 30/6. 96 Sehr geehrtes Fräulein Wir freuen uns Ihnen mittheilen zu können, daß der Verwaltungsrath der deutschen Schillerstiftung beschlossen hat, Ihrem Gesuch vom 9ten Mai Folge zu geben und Ihre bisherige Pension von 300 in künftigem Betrage von 500 bis zum Schluße der jetzigen Verwaltungsperiode zu verlängern (vom 1/7 96 bis 3 1 / 1 2 99). Beiliegende Quittung ermächtigt Sie die für dies J a h r noch entfallende Q u o t e der E r h ö h u n g von 100 M . sofort an unserer Centraikasse (Weimar, Adr. H r R a n k e n [?] Weißenborn) zu erheben. Hochachtungsvoll und ergebenst D e r Vorort der deutschen Schillerstiftung und W. Sch. G K Gr

Deutsche Schiller-Stiftung, Vorort Weimar. A n die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung Weimar, den 1. Juli 1896 D i e Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung wird hierdurch angewiesen, an Frl. T h e o Schücking in Charlottenburg Uhlandstr. 184, Gartenhaus I V die ihr für weitere 3 Vi J a h r [!] v o m 1. Juli 1896 bis 3 1 /

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11.4. Die Schillerstiftung

12 99 ausgesetzte Verwilligung von jährlich Fünfhundert Mark — Pfg. statt früher 300 M. halbjährlich am 1. Januar und 1. Juli im Voraus gegen Quittung auszuzahlen und in der Rechnung gehörig in Ausgabe zu stellen. Die Ausweisung vom 18. Novbr 1895 tritt mit 1. Juli 1896 ausser Kraft. Der Vorort der Deutschen Schiller-Stiftung. GK. Gr

Theo Schücking an Schillerstiftung Charlottenburg 7. Juli 96.

Hochgeehrter Herr Professor So warm danke ich Ihnen wie nur der danken kann, der soeben von einer schweren Lebenssorge befreit wurde! Ich wollte, ich könnte es Ihnen mündlich sagen, wie tief ich Ihre Güte empfinde - schriftlich gehts nicht Verehrter Herr Professor, wieder und wieder dankt Ihnen und wird Ihnen allzeit danken Ihre sehr ergebene Theo Schücking. Von anderer Hand: jetzige Adresse Berlin Nürnb. Strasse 7./II Weim 2 8 / 4 99

Miesbach Oberbayern 2. Sept. 1899

Von anderer Hand: Praes 4/9 99. x-x Hochverehrter Herr Hofrath!

Erlauben Sie, dass ich Ihnen mit der angelegentlichen Bitte um Ihre gütige Verwendung ein Gesuch an den Verwaltungsrath der Schillerstiftung einsende. Mein Anliegen ist, die mir bisher gewährte Pension in eine lebenslängliche verwandeln zu wollen. Über meine Verhältnisse habe ich mir erlaubt, Ihnen im Frühjahr mündliche Mittheilung zu machen. Herzlich bitte ich darum, die Belästigung dieses Gesuches aus meiner Lage heraus entschuldigen zu wollen. Und lassen Sie mich an diese Bitte den warmen Dank für alle mir bisher gewährte Unterstützung anschliessen! Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihre ergebene Theo Schücking.

Miesbach Oberbayern 2. Sept 99. Hochverehrter Herr Hofrath! Beifolgend mein Gesuch - möchte Ihre Güte ihm zu einer günstigen Aufnahme verhelfen!! - Als ich Ihnen im Frühjahr von dem mir kurz vorher zugefallenen Legate einer verstorbenen Freundin berichtete, ahnte ich nicht, dass die Auszahlung desselben auf Schwierigkeiten stossen sollte. Lothar an den ich mich um Rath wandte, zog Erkundigungen ein, deren Ergebnis dahin lautete, dass die Sache sich wohl nicht leicht abwickeln werde. Beide Herren, an die sich Lothar wandte, riethen dazu Klage in Aussicht zu stellen. Dazu vermochte ich mich nun freilich bisher nicht zu entschliessen. Vor zwei Monaten erhielt ich endlich als Antwort auf meine Briefe ein Schreiben vom Bruder meiner Freundin, worin er mir wenigstens die Auszahlung des Legates verspricht - freilich ohne einen auch noch so entfernten Zeitpunkt als Termin dafür zu nennen. Da Lothar mir nun mit Beifügung seiner Empfehlungen für Sie, Herr Hofrath, schrieb, ich solle Sie bitten, vorläufig von meiner Mittheilung wegen des Legats keinen Gebrauch machen zu wollen: ich hätte das Geld noch lange nicht - habe ich dem Gesuch nicht von einer Veränderung meiner Verhältnisse - über die ich Ihnen mündlich Aufschluss gegeben hätte - gesprochen. Sollten Sie es aber dennoch für angemessen halten, dass ich in meiner Eingabe diese Legatssache berühre, so bitte ich um die grosse Güte, mich davon mit zwei Worten auf einer Karte zu unterrichten. Ich sende dann sofort als Ersatz für das beifolgende Gesuch ein anderes ein, das die bezügliche Stelle enthält. Wie sehr hoffe ich, verehrter Herr Hofrath, dass Sie sich während des Sommers so erholt und erfrischt haben wie ich es von ganzem Herzen wünsche! Wer weiss, ob es nicht nur Ausführung meines Planes, Sie im Innthal zu besuchen, gekommen wäre, wenn mich hier nicht Wochen hindurch Fieber und greuliche Gesichts- und Zahnschmerzen heimgesucht hätten. Erst jetzt geht es mir wieder besser. Stets und überall bleibe ich Ihre dankbarst ergebene Theo Schücking Im Oktober werde ich mir erlauben, meine Adresse für diesen Monat einzusenden.

11.4. Die Schillerstiftung

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Heiligkreuz bei Hall i. Tirol, 1. Oct. 99 Von anderer Hand: praes 3 / X . 99. J. Gr.

Hochverehrter Herr Hofrath! Hiermit erlaube ich mir Ihnen meine Adresse für den Monat October einzusenden: mit Briefen von Frau Mathilde Muhr, Schellingstr. 92 III München. Mit vielen Wünschen für Ihr Wohlergehen, immer Ihre dankbar ergebene Theo Schücking. Luzem Hotel zur Waage, 9. Oct. 99

Hochverehrter Herr Hofrath! Vielmals bitte ich um Verzeihung, dass meine Zeilen so undeutlich abgefasst waren! Meine alte Freundin aus Wien, bei der ich immer die Sommermonate verbringe, hatte unsre Abreise von Heiligkreuz für den 2. October angesetzt, war aber noch unentschieden, wo sie in Innsbruck für die nächsten Tage Aufenthalt nehmen sollte. In der Sorge nun ein Schreiben aus Weimar könnte mir verloren gehen, wenn ich nicht eine ganz sichere Adresse angäbe, nannte ich die meiner Freundin, Frau Muhr in München, von der ich jeden Brief unverzüglich nachgesandt erhalten hätte. Meine Adresse in Interlaken, wohin ich in einer Stunde Weiterreise, schien mir nicht sicher genug, da ich vielleicht nur ein paar Tage dort bleibe. Zur Fahrt dorthin hat mich Frl. Marie Schumann eingeladen. Sie will aus den Tagebüchern und Briefen ihrer Mutter, Clara Schumann, ein Lebensbild derselben zusammenstellen und ich soll ihr dabei helfen. Da alles Material dazu bei ihr in Interlaken aufbewahrt ist, will sie sich dort erst einmal mündlich mit mir über Alles besprechen. Denn wir kennen uns gar nicht. Wenn meine Augen es nur eben erlauben, möchte ich die Arbeit gern übernehmen. Freilich hörte ich, dass allein die Tagebücher 45 Bände füllen! Vor dem 15. October werde ich nun wohl nicht von Interlaken fortgehen und Sie, verehrter Herr Hofrath, jedenfalls von dort aus über mein Verbleiben in Kenntnis setzen. Von heute bis zu meinem nächsten Schreiben lautet also die Adresse: bei Frl. Marie Schumann, Interlaken, Alpenstrasse. Verzeihen Sie, wenn ich auf meine zu kurze Nachricht von neulich nun habe vielleicht [eine] zu ausführliche folgen lassen. Nehmen Sie auch dies mit a[ll Ihrer] Güte hin, die stets von Ihnen erfahren hat Ihre dankbar ergebene Theo Schücking

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B.

Dokumentation

Zum Glück erhielt ich Ihre Karte gestern früh noch gerade vor meiner Abreise nach Innsbruck. Von anderer Hand: Notiz x-x Blatt 30

Schillerstiftung Weimar Octob. 99 Liste A. Pension für Frl. Theo Schücking lebenslänglich doch nur 300 statt früher 500. Motiv Frl. Th. Sch gestand mir bei einem Besuch, a) daß sie eine Erbschaft (ich glaube von 10000 M) gemacht b) daß ihr Bruder Lothar sein Wort eingelöst habe und nach Kräften für sie sorge. Unter solchen Umständen darf d. Sch. St. ohne der Petentin zu schaden mit d Pension heruntergehen. Jul. Gr Nachrichtlich

Weimar 30/X 99.

Laut Beschluß der General Versammlung vom 2 3 / X ist die Pension von Frl Th. Schücking vom 1 Jan 1900 in eine lebenslängliche verwandelt worden jedoch im geminderten Betrage von 500 auf 300 künftig Jul. Gr

An Fräulein Theo Schücking München An Adr. der Frau Mathilde Muhr München Schellingstrasse 92/111. Weimar 2. Nov. 99 Sehr geehrtes Fräulein Es gereicht uns zur aufrichtigen Freude und Genugthuung Ihnen eine Mittheilung machen zu können, daß die diesjährige Generalversammlung der deutschen Schillerstiftung vom 23. Oktober beschlossen hat, Ihre bisherige transitorische Pension in eine lebenslängliche umzuwandeln (Leider zwang uns die Rücksicht auf die ökonomischen und finanziellen Verhältnisse der Stiftung, Ihre Pension bis auf Weiteres um etwas herabzusetzen und zwar von 500 auf 300. Indeß hoffen wir, daß der Ausfall von irgend einer der reicheren Zweigstiftungen gedeckt werden kann. Auch bleibt bei eventueller günstigerer künftiger Finanzlage ein Zuschuß seitens der Centraikasse nicht ausgeschlossen, und fügen wie

11.4. Die Schillerstiftung

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dieser Mittheilung zugleich das betreffende Dekret bei. Die Pensionsraten werden Ihnen an denselben Terminen wie bisher zugehen. Mit vorzüglicher Hochachtung Der Vorort der deutschen Schillerstiftung. Gleichen-Ruß wurm x-x-x

Deutsche Schiller-Stiftung, Vorort Weimar An die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung Weimar, den 4. November 1899.

Die Centraikasse der Deutschen Schiller-Stiftung wird hierdurch angewiesen, an Frl Theo Schücking in Berlin die ihr in eine lebenslängliche umgewandelte Verwilligung von jährlich Dreihundert Mark am 1. Januar und 1. Juli j. J. vom 1 Januar 1900 ab gegen Quittung auszuzahlen und in der Rechnung gehörig in Ausgabe zu stellen. Der Vorort der deutschen Schiller-Stiftung, x-x, x-x

Pensions-Dekret für Fräulein Theo Schücking pr. Adresse der Frau Mathilde Muhr. München Schellingstraße 92/111 "Weimar, am Geburtstage Schillers 10. November 1899. Die am 2 3 / X 1899 zu Weimar versammelt gewesene Generalversammlung der Deutschen Schillerstiftung hat auf Vorschlag des Verwaltungsrathes beschlossen Ihnen in dankbarer Würdigung der Verdienste Ihres verstorbenen Vaters um die deutsche Nationalliteratur sowie in Betracht Ihrer bedrängten Lebenslage mit dem Beginn der nächsten Verwaltungsperiode, d.h. vom 1. Januar 1900 an eine lebenslängliche Pension von jährlich Dreihundert Mark, aus der Centraikasse der Stiftung zu verleihen. Die Verleihung der lebenslänglichen Pension ist unter den umstehend gedruckten, als integrirenden Theil dieses Dekrets zu betrachtenden Voraussetzungen und Bedingungen erfolgt. Zur Beurkundung dessen ist Ihnen dieses Dekret ausgefertigt worden.

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B.

Dokumentation

Der Vorort der Deutschen Schillerstiftung x-x, x-x Rückseite:

Auf Sassenbg. eingetragen sind folgende Rechte: Eine jährliche Leibrente von 500 Mark und ein Wohnungsrecht nach näherem Inhalt des § 5 des Erbrezesses für Frl. Theophanie Schücking. 5470 Mark, 62 Pf. Fünftausendvierhundert und siebenzig Mark 62 Pfennig Abfindung, zahlbar bis zum 1. Januar für den Arzt Dr. Adrian Schücking in Pyrmont. Zur besseren Übersicht wurden Anschrift und Datum einheitlich stets vorangestellt.

5. Theo Schückings Tod Nachruf für Theo Schücking in der vom 29. 5. 1903

Nationalzeitung

- (Theo Schücking) In Rom starb vor einigen Tagen T h e o S c h ü k king, viel zu früh für ihre zahlreichen Freunde, zu denen auch die jüngst hochbetagt verstorbene Schriftstellerin Malwida von Meysenbug gehörte. Gleich dieser war Theo Schücking, die nur ein Alter von 50 Jahren erreicht hat, seit langer Zeit in der „ewigen Stadt" ansässig und ebenfalls literarisch thätig. War sie doch zur Bethätigung auf dem Gebiete der schönen Literatur gewissermaßen schon durch ihre Geburt prädestinirt. Als Tochter aus der Ehe Levin Schückings, des hervorragendsten Romanschriftstellers, den die „rothe Erde" hervorgebracht hat, und Luise von Gall's, die trotz ihres frühzeitigen Todes sich bereits als Dichterin rühmlichst bekannt gemacht hatte, hat Theo Schücking sich nicht blos als Herausgeberin der Werke ihrer berühmten Landsmännin Annette von Droste-Hülshof, sondern auch als Verfasserin mancher feinen stimmungsvollen Novelle und Skizze unbestreitbare literarische Verdienste erworben. Die gefestigte Eigenart ihres Wesens, die Größe ihrer Gesinnung, die reichen Schätze ihres Geistes und Gemüthes werden allen denen, die sie aus ihren Schriften kennen gelernt haben, namentlich aber der auserwählten Gemeinde, die sich in der italienischen Hauptstadt in ihrem Salon1 versammelte, wozu wohl sämmtliche wissenschaftliche und künstlerische Kory-

II. 5 Theo Schückings Tod

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phäen der dortigen deutschen Kolonie gehörten, ewig unvergeßlich in Erinnerung bleiben. Ihre Beerdigung, zu der auch ihre Schwester, die Wittwe des im vorigen Jahre dahingeschiedenen Abgeordneten Rikkert, aus weiter Ferne herbeigeeilt war, hat unter imposanter Betheiligung auf dem idyllisch gelegenen Friedhof an der Pyramide des Cestius stattgefunden. Handschriftlicher 1

Vermerk:

Nationalzeitung 29. 5.

Daß Theo „seit langer Zeit in der ,ewigen Stadt' ansässig" gewesen sei, entspricht nicht den Tatsachen, ebenso wenig der Hinweis auf die auserwählte Gemeinde, „die sich in der italienischen Hauptstadt in ihrem Salon versammelte", auch war sie nicht „Herausgeberin der Werke" der Droste.

Todesanzeige Theo Schückings Am 23. Mai starb in Rom an Lungenentzündung unsere geliebte Schwester und Tante Theo Schücking und wurde am 26. dort auf dem Friedhof bei der Cestius-Pyramide beigesetzt. Im Namen der trauernden Hinterbliebenen: Gerhardine Rickert, geb. Schücking. Zoppot, Westpreussen 1. Juni 1903. Handschriftlicher

Zusatz mit nicht zu entziffernder

Unterschrift:

Auf ihrem weißen Grabstein hat ihre Schwester die Worte einmeißeln lassen: Du wählst das Gute, weils das Gute ist, und eh Du wähltest, hast du es gethan Sie ruht in der Nähe des kleinen Tempels, in dem die Reste ihrer ebenfalls 1903 verstorbenen mütterlichen Freundin Malvida v. Meysenbug beigesetzt ist. Handschriftenabteilung Nr. 7959/2

St. u. L. Bibliothek

Dortmund

Best. Atg,

Lfd.

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B.

Dokumentation

Theo's letzte Worte und Wünsche Die ersten vier Tage waren furchtbar. Ach ich muß so schrecklich leiden. N u r Liebe, kein Haß - nicht streiten Die gute Amalie, um die thut mirs so leid. Grüße Alle die gute Gerhardine, Amalie, Dr. Glaser, Baronin Ebner, meinen Neffen Adrian, etc. etc. Es muß eine Fortdauer geben, {dazu ist das Leidenszeit} Das Leben bringt zu viel Leid, ist zu sehr nur eine Leidenszeit. Ich habe zu viel Leid und zuviel Trauriges erlebt im Leben. Ich habe immer das Gute gewollt. Den len. Den Der Der

Schwestern die sie pflegten danken und etwas ordentliches zahFranziskanerinnen in Sassenberg 2000 Mark armen Anna in Berlin 1000 Mark armen Näherin gen. Angela in Sassenberg 100 Mark.

Theos letzte Worte und Wünsche (Beschriftung des Umschlages), aufgeschrieben von Luise von Ammon - siehe auch den folgenden Brief Ammon/Ebner vom 31. f . 1903

Luise Ammon an Marie von

Ebner-Eschenbach

Rom. Via Babunio 891, 31/Mai 03. Hochverehrte Frau Baronin! Bevor ich das schöne traurige R o m verlaße, wohin mich meine geliebte Theo in ihrer Noth zurückrief, die Stätte, wo Sie so viele köstliche Stunden der Arbeit und Freundschaft mit der lieben Entschlafenen verbrachten, muß ich Ihnen noch die Grüße ausrichten, die mir unsere geliebte Theo noch an Sie, verehrteste Baronin, auftrug, in der letzten schweren Stunde des Scheidens aus dem Leben. Ihr Geist war klar bis zuletzt, soweit es ihr die Qualen des armen Körpers gestatteten, dachte sie bis zuletzt nur an Andere, an ihre Lieben, an ihre Schwester Gerhardine, über deren Kommen sie so glück-

II. 5 Theo Schückings Tod

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lieh gewesen wäre, dankte mir daß ich gekommen wäre. Ein herbes Schicksal hatte mich gerade an dem Tage wo die böse Krankheit bei ihr ausbrach, am 14 Mai, von ihr aus Rom weg geführt, so konnte ich ihr nicht mehr viel sein, nur ihre Angst und Noth ein wenig erleichtern, ihr versprechen Alles für sie zu besorgen, mit ihr beten und die liebe gute Hand halten, bis alles Leben entwichen war. Im Leben hatte ich immer zu wenig für sie thun können, mein Gefühl an Liebe und Freundschaft nicht erschöpfen können, ihr nie genug danken können für alles Liebe, was sie uns that, bei der Krankheit und dem Tod meiner geliebten Mutter, die an derselben Krankheit vor 24 Jahren hier in Rom starb. Nun durfte ich ihr diesen Liebesdienst noch thun, auch nach ihrem Tode Alles für sie besorgen, wollte Gott, ich hätte mehr thun können, sie uns Allen noch erhalten. Ich weiß welche Bereicherung ihres Lebens Ihre Liebe und der Verkehr mit Ihnen ihr brachte und trat gerne vor Ihnen zurück, in der Hoffnung, ich könnte ihr später noch mehr sein, sie mehr für mich in Anspruch nehmen. Nun ist nichts mehr für mich zu thun hier, das Versprechen nach dem Tode Alles zu besorgen, habe ich erfüllt, der armen tief gebeugten Schwester, der das Leben so Schweres auferlegt und die mit größter Aufopferung trotz Gelenkrheumatismus dem zu spät erhaltenen Ruf sofort folgte, habe ich geholfen Alles zu lösen und ordnen. Die liebe Theo hatte es uns leicht gemacht, auch ihre große Ordnung und Klarheit in Allem. Wir haben die Liebste gebettet auf dem schönsten Kirchhof der Welt, wo ich durch des trefflichen Prof. Monod's Hülfe ein schön gelegenes Grab in der Nähe von M. v. Meysenbug fand. Die Geschwister werden ihr einen Grabstein setzen laßen und wir werden ihr liebes Grab gewiß Alle besuchen. Heute Nachmittag reisen wir ab nach München, von wo aus Frau Rickert wahrscheinlich noch Frl. Hager in Ischl besuchen will. Ich werde bald in meine Sommerheimath Niederdollendorf a/Rhein ziehen. Verzeihen Sie dass ich abbreche, aber ich hatte noch einiges zu besorgen und muß nun den Koffer schließen. Hoffentlich dürfen wir uns noch einmal mündlich unserer gemeinsamen lieben Freundin im treuen Erinnern widmen. Frau Rickert läßt sich Ihnen sehr empfehlen, sie wird von Ischl aus wieder in ihre Heimath Zoppot bei Danzig zurückkehren. Sie hatte immer sehnlichst gehofft ganz mit ihrer geliebten Schwester zusammen leben zu können. In Verehrung Ihre sehr ergebene Luise von Ammon. Mährisches Landesarchiv Brünn, fol. 69ab, 72 ab, 70ab

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Dokumentation

Marie Schumann an Gerhardine Richert Interlaken d. 9. Juni 1903.

Sehr geehrte Frau [Rickert] es hat die Nachricht von dem Tode Ihrer lieben Schwester mich tief bewegt. So kurz auch unsere Bekanntschaft war, so hing ich ihr doch liebevoll an und fest an der Hoffnung wir möchten uns noch einmal zu längerem Zusammensein begegnen. - Nun ist dies Alles dahin! Wie werden aber Sie erst durch diesen Schicksalsschlag getroffen. Sie verlieren in der Schwester die treueste Freundin und zu einer Zeit, wo Sie ihre Liebe gewiß doppelt bedurften, - so kurz nach dem Hinscheiden Ihres Gatten. - In herzlichster Theilnahme denke ich Ihrer und mit der Bitte, daß Sie mich nicht als ganz Fremde ansehen möchten. Gern hörte ich auch über die letzten Tage Ihrer lieben Schwester etwas, wäre Ihnen für eine Nachricht dankbar und für Alles was Sie über sich selbst hinzufügen wollten. Herzlich ergeben Ihre Marie Schumann.

Heinrich Gerhard an Gerhardine Rickert Passeggiata di Ripetta 33. Rom 18 Januar 1904.

Verehrte Freundin! Ihr freundliches Schreiben vom 14 Januar 1904 - habe ich erhalten. Damit Sie über das Grabmonument Ihrer lieben Schwester Theo beruhigt werden erlaube ich mir Ihnen einige Mittheilungen zu machen. Als mir Herr Kurneck die Nachricht brachte daß das Monument für unsere liebe Theo in Marmor fertig sei, war ich sehr überrascht! ich hoffte immer von Fräulein von Ammon und von Ihnen einige Nachricht zu bekommen Leider kam keine. Mit Fräulein Luise von Ammon hatte ich deutlich meine Absicht ausgesprochen, und sie gebeten darüber nachzudenken in welcher Weise man in der größten Bescheidenheit aber künstlerisch schön, das Grab schmücken könnte? Professor Schellhass sagte mir noch im Novem. daß mir Fräulein Ammon schreiben wollte, aber bis zum heutigen Tage nichts gehört. Ihre Adresse und die von Fräulein Ammon wußte ich nicht - Als ich im October von meiner Sommerfrische aus

II. 5 Theo Schückings

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Tod

der Schweiz zurück kam, und den Friedhof besuchte, kam mir auch eine paßende Idee für Theos friedliches Grab. So oft die gute Theo zu mir kam brachte sie immer einen ruhigen friedlichen Zauber mit sich, der für meine Stimmung, (die nicht immer heiter war) stets von guten Folgen war. In meiner Fantasie bildete sich eine Erscheinung der ich im Basrelief eine plastische Form gab, in einem kleinen Entwurf, eine zarte weibliche Gewandfigur in der rechten Hand einen Palmenzweig haltend, um ihn auf einen Aschenkrug zu legen der vor dieser Friedensfigur steht. Das Thonmodell wollte ich aus alter Freundschaft selbst herstellen, der Grabstein sollte aus Travertin hergestellt werden, die bescheidenen Kosten für Bronzeguß und Steinmetzarbeit würden nicht höher gekommen sein als das was Sie angelegt haben. Dem jungen Bildhauer Schulz der seit 3 Jahren in meinem Atelier beschäftigt ist, hatte ich schon die Ausführung des Monuments versprochen, er sollte es übernehmen. Die Stelle wo Ihre liebe Schwester ruht ist in einer andern Art ausgeschmückt worden als ich mir dachte! ob meine Idee aber auch nach Ihrem Geschmack ausgefallen wäre ist sehr fraglich? Der Grabstein den Sie in liegender Form gewählt, ist einfach und ernst, und so solid daß er tausend Jahre aushält, der Marmor ist ohne Sprünge sehr hart, die Steinmetzarbeit gut, der Platz in der Nähe von Dichterseelen, Suavi [?] Malwida von Meysenbug, der Sohn vom Göthe und einem schwäbischen Dichter. Sie werden jedenfalls zufrieden sein wenn Sie das Grab unserer lieben Theo besuchen werden. Das Sie noch mit Erbschaftsangelegenheiten zu kämpfen haben bedaure ich sehr, und wünsche von Herzen Sie bald davon befreit zu sehen. Mit meiner Gesundheit geht es bis jetzt leidlich trotz häßlicher Temperatur, ich freue mich auf den sonnigen warmen Sommer. Empfangen Sie die besten Glückwünsche fürs neue Jahr und herzlichen Gruß, von Ihrem freundschaftlich ergebenen Heinrich Gerhard

Kathinka Sutro (Tante Kathinka) an Gerhardine

Richert

[]tral Park W. 75 th str x-x 6. ten [ ] 1903.

Me[]ebe Gerhardine! Todt! Theo, unsere liebe, gute Theo todtü Ich kann es nicht fassen, nicht glauben. Mein Gott! - so etwas total Unerwartetes, nie Gedach-

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Dokumentation

tes, stürzt da plötzlich über Einem wie eine Lawine, {an} deren Kommen Niemand nur geahnt hat! Ich hatte ihren Brief über ein eben überwundenes Unwohlsein, das sie noch etwas schwach gelassen vor kaum 2 Wochen, in dem sie sagte, ihre Hauswirthin sei sehr gut währenddem zu ihr gewesen, und sie jetzt fast wieder wohl, - sie wolle Demnächst mir ausführlicher schreiben! Und nun!! „Nothing but the unexpectet happens"! sagt ein englisches Sprichwort, und bei Gott! ich hätte eher an alles Andere gedacht, als an dieses Unglück. Sie stand m[ ] und wir hatten [ ] wo sie mit Onkel Alfred zuerst zu uns nach Baltimore kam. 1 Ihr mildes, sanftes, oft sogar melancholisch angehauchtes Wesen, das doch, plötzlich angeregt, zur heitersten Fröhlichkeit stets überspringen konnte, hatte für mich etwas ungemein Sympathisches. Theo lachen zu hören, so herzlich, so natürlich und ansteckend, war mir, sowohl wie Emil [Sutro] der sie hoch helt wie ich, ein wahrer Genuß. Und wie verstand sie bei Allem, die komische Seite herauszufinden. Als wir sie bei uns in Reichenhall und München vor zwei Jahren sahen, war sie so frisch, elastisch, und liebenwürdig heiter, daß ich wohl viel eher an u n s e r e n Todt gedacht hätte, als an den ihren! [ ]dine, ist es doppelt [ Jen erlebten Verlust; und nun, wo Ihr geplant hattet in Ischl endlich ein längeres Beisammensein zu ermöglichen, raubt Dir der Tod auch diese Freude! Wie wahr ist es, daß ein Unglück selten allein kommt. Die kurze Nachricht Adrians sagte mir nichts Ausführliches, wohl weil er selbst noch nichts wußte, - aber Du, die Du hingeeilt bist nach ihrer Todesstätte - Du weißt gewiß viel Näheres über sie. Bitte schreib' mir Alles, - auch, wer die von Ammon 2 ist, über die ich Theo nur einmal reden hörte, und die zu ihr kam in ihren letzten Tagen? Ahnte sie daß sie uns verlassen müsse, und war ihr Scheiden nicht schwer? Woran starb sie denn eigentlich? Ich reibe mir d[ ] ob ich denn wirklich nicht träume. Es ist un[ ] bleibt mir unfaßbar, dieses schnelle Dahinscheiden, das nie zu meinen nur erdachten Möglichkeiten hörte! Meine herzige, liebe Theo nicht mehr unter den Lebenden zu wissen, wird mir den Tod erleichtern. Adrian schreibt u. a. daß Du, liebe Nichte auch öfter leidend bist, und das thut mir sehr leid. Du hast Dich wahrscheinlich in der Pflege Deines Gatten gar zu sehr aufgeopfert; oder diese wüsten Lebensstürme, die über dir hereinbrachen, 3 haben auch Dein p h y s i s c h e s Sein erschüttert. Schone Dich sehr im nächsten Sommer, der hoffentlich ein guter sein wird, so wird der böse Rheumatismus fliehen! Wäre die Welt nicht schön, wenn es keine Menschenqual darin gäbe! Es umarmt Dich herzlichst, in tiefer Sympathie Deine Tante Kathinka

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II.5 Theo Schiickings Tod Auf allen Seiten oben etwas abgerissen, daher 1 2 3

Textverluste.

Vgl. Untersuchungsteil (C. II.c): Amerikanisches Tagebuch. Luise von Ammon's Brief an Marie v. E.-E. vom 31. Mai 1903; außerdem hielt sie „Theo's letzte Worte und Wünsche" handschriftlich fest (vgl. oben). Tod ihres zweiten Mannes Heinrich Rickert am 3. 11. 1902, Tod der Tochter Levine am 23. März 1897.

Amalie Hager an Gerhardine

Rickert Wien 25. 5. 1903.

(Diktirt.) Liebe, arme Frau Rickert! Noch betäubt und bis in's tiefste Herz getroffen, kann ich Ihnen nur mit verständnißvollstem Schmerz die Hände drücken. Ich wünschte mir sehr Sie zu sehen. Wenn Sie über Pontafel, Tarvis u.s.w. nach Wien führen, so hätten Sie von hier sehr gute kurze Züge über Breslau, Posen, Kreuzen nach Danzig; Sie könnten bei mir absteigen und ich Ihnen die paar Sachen mitgeben, die die liebe Theo mir zurück ließ, weil sie sie nicht mehr in ihren Koffer unterbrachte. Wenn Ihnen dieser Plan behagt, dann telegraphiren Sie mir nur die Ankunftsstunde u. den Tag. Auf den Bahnhof kann ich Sie nicht in Empfang nehmen, aber am Kärnthnerring N° 11, 3. Stock links wird Sie mit schmerzlicher Freude erwarten Ihre treu ergebene Amalie H. Wien 30. 5. 03 (Diktirt.) Liebe, teure Frau Rickert! Eben Ihren lieben Brief aus Rom erhalten. Ich suche so ruhig wie möglich zu bleiben, und manchmal möchte das Herz mit aller Gewalt in Thränen aufzucken. Ich kann Ihnen nicht sagen, welch großes Geschenk Sie mir mit einem Besuch in Ischl machen würden, ich kann Sie dort bei mir aufnehmen u. bringe jedenfalls die paar Sachen Theo's mit. Von Mittwoch d. 3. Juni Nachmittags bin ich dort Villa Wiesinger. Bitte mir zu telegraphiren, damit ich Sie am Bahnhof empfangen kann. Wenn Sie aber

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zu müde und leidend {sind} für diese Anstrengung sind oder das Wetter zu schlecht wäre, dann kommen Sie um Gottes Willen nicht u. schonen Sie sich für den Rest Ihrer Reise. Wohin der Mangel der gebotenen Selbstschonung führt, daß erfahren unsere Herzen in der bittersten Weise. Bitte danken Sie dem lieben, guten Fräulein von Ammon für die Einlage in Ihren Brief. Da war es freilich auch schwer die Augen troken zu halten. Leben Sie wohl, liebe gute Frau Rickert, vielleicht auf baldiges Wiedersehen mit Ihrer in Trauer und Freundschaft ergebenen Amalie Hager.

III. Marie von Ebner-Eschenbach: Die eine Sekunde. Die Trauergäste hatten den Friedhof verlassen, nur ein Geschwisterpaar, ein stattlicher alter Mann und eine schlanke, viel jüngere, wenn auch längst nicht mehr junge Frau, waren noch an dem mit Blumen überreich geschmückten Grabe stehengeblieben. Der Spätsommerabend begann kühl zu werden, aber der Mann ließ sein weißhaariges Haupt unbedeckt, hielt seinen Hut in den gekreuzten Händen und blickte unverwandt zur Erde nieder. Er war groß und breitschultrig, schon etwas gebeugt, die hohe Stirn von Falten durchfurcht. Auf seinem bartlosen gebräunten und energischen Gesicht lag ein Ausdruck von lächelnder Wehmut, eine Rührung, eine Weichheit, die ihm beinah etwas Jugendliches gaben. Seine Schwester betrachtete ihn schweigend. Ist - die da unter Blumen ruht, eine der vielen gewesen, die er einst geliebt hat, eine der vielen, vielen, von denen er geliebt wurde? Es flog ihr nur durch den Sinn, hinterließ nicht die Spur eines Zweifels. Nein, nein, die Herzensruhe dieser stillen, klaren Frau hat er nie gestört, sie ja auch im Leben eher gemieden als aufgesucht. Was bewegt ihn jetzt? und warum ist er bei der Nachricht ihrer Erkrankung so rasch hierhergeeilt? Sie sprach diese Gedanken nicht aus, sie mahnte nur zum Aufbruch, denn es war spät geworden und Zeit, den Heimweg anzutreten. „Gehen wir," sagte er, blieb aber noch einen Augenblick stehen, schwenkte seinen Hut mit einer großen, feierlichen Gebärde grüßend vor dem Grabe und murmelte leise: „Dank!" Dann gingen sie lange nebeneinander hin, über Feld- und Wiesenwege, an kleinen, freundlichen Gehöften vorbei, der Straße zu, die, mählich aufsteigend, durch eine villenreiche belebte Ortschaft zu ihrer Behausung führte. Sie war Eigentum der Schwester, ein netter, wohnlicher Bau ohne überflüssigen Zierat, lag mitten in einem liebevoll gepflegten Garten und hatte eine traumhaft schöne Aussicht über die Stadt, den Fluß mit seinen Auen, den langen, dunklen Zug der bewaldeten Berge. Die Geschwister waren rüstig gewandert und dennoch erst bei einbrechender Nacht zu Hause angelangt. Sie hatten wenig und nur von gleichgültigen Dingen gesprochen. Nun, nach dem Abendessen, saßen sie am Tisch in der verglasten Veranda, beim sanftgedämpften Licht der elektrischen Lampe. Beide rauchten; er, zurückgelehnt in seinen

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Lehnsessel, sie, aufrecht in dem ihren. Die Zigarre zwischen den Zähnen, strickte sie mit feinen, geschickten Fingern emsig an einer Kinderjacke. Ihr Bruder unterbrach das Schweigen plötzlich. Seine klaren blauen Augen sahen die Schwester fragend an: „Theo, sag' mir, bin ich sentimental?" Sie mußte lachen: „Nein, mein Lieber, wirklich nicht." „ N u n - und doch, und doch - " , wiederholte er mehrmals. „Die Frau, die wir heute begraben haben, ist nie meine Geliebte gewesen, aber das größte Glück, das ich je durch eine Frau erfahren hab', hat sie mir geschenkt." Er schwieg wieder, und sie fragte nicht; sie fragte nie und erfuhr doch alles von ihm, oft mehr als sie zu erfahren wünschte. Sie rauchte und strickte weiter und sann über das Rätsel nach, das er ihr aufgegeben hatte. Das ganze Dasein der Entschlafenen war so ruhig und ereignislos verlaufen, lag klar vor aller Augen, es konnte ein Geheimnis nicht bergen. Sie hatte ihn als den großen Künstler, der er war, bewundert, für seine Arbeiten das feinste und tiefste Verständnis gehabt persönlich nahe schienen sie einander nie getreten zu sein. Jetzt begann er wieder: „Ich hätt' sie so gern noch gesehen vor ihrem Tod, ich hab' ihr was sagen wollen . . . D u warst zu klein, du hast nichts davon gewußt, und später, wie du groß geworden bist, war's lang vergessen, daß ich als sechzehnjähriger Bub verliebt gewesen bin in die schöne, ältere Kusine." „Nein, davon hab' ich nicht die geringste Ahnung gehabt." „ V e r l i e b t , " fuhr er fort, „und dabei so unschuldig mit meinen sechzehn Jahren, wie's heutzutag kein Zwölfjähriger mehr ist. Und diese Liebe und diese Unschuld, die haben miteinander eine inbrünstige Anbetung zuweg' gebracht. Ich hätt' mich für ein gutes Wort von ihr schinden, brennen, steinigen lassen. Ich war ein übermütiger Bub, dem die Haut alle Augenblick zu eng geworden is, sie war ruhig, majestätisch und dabei so lieblich, und sie hat so schön gesungen! Und wenn sie gesungen hat, was ich am liebsten gehabt hab' und heut noch hab': Lieder von Schubert, da war manchmal in ihrer Stimme etwas voller Sehnsucht, und da hab' ich Wonnequalen ausgestanden und genossen. Gesagt - nie ein Wort. Aber mein dummes Gesicht hat verraten, was in mir vorgegangen ist, und die Vettern und Basen haben mich mit großer Roheit und Grausamkeit ausgespottet. Manchmal hab' ich mir's gefallen lassen, manchmal nicht, und wenn nicht, dann hab' ich ihnen mit Antworten aufgewartet, die ihnen die Lust genommen haben, ihre Schnäbel an mir zu wetzen. Dazu hat dann sie gelächelt, und das war bitter für diese Gimpeln, die weniger oder mehr alle in sie verliebt gewesen sind."

III. Marie von Ebner-Eschenbach: „Die eine Sekunde"

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Er unterbrach sich und fing nach einer Weile wieder lebhaft an: „Erinnerst du dich noch der großen Familienversammlungen, die's alle Sommer beim Großonkel in Ungern gegeben hat?" „Freilich, 's ist lange her, es war immer sehr schön und festlich." „Also, noch viel länger her, als wie du dich erinnerst, sind einmal die Eltern der Johanna mit ihr zu uns gekommen, damit wir die Fahrt nach Ungern zusammen unternehmen. Eisenbahnen hat's da hinunter noch nicht gegeben, so sind drei Wägen eingespannt worden; ein offener für die zwei Väter, zwei Gläserwägen, einer für die Mütter, einer für die Johanna, für die Zofe und - für mich. Es war Hochsommer und sehr heiß, und die Tante hat - noch im Grab soll sie dafür gesegnet sein - die Hitze nicht vertragen. So ist bestimmt worden, daß wir in der Nacht fahren, bei Mondenschein und Sternenglanz. Alles war prächtig, nur hat mich gewurmt, daß der alte Johann, bevor er zum Kutscher auf den Bock gestiegen is, eine Pistole zu sich gesteckt hat. Teufel auch! Das hätte mir einfallen sollen, eine Pistole in meiner Brusttasche hätte sich gut gemacht. Indessen - ich hab's halt versäumt gehabt, und nachdem der Wagenschlag ins Schloß gefallen war, da hat's in meinem Herzen nur noch Platz für eine große Glückseligkeit gegeben. O Wonne ohnegleichen! Jetzt werde ich mit ihr sein, eine ganze Nacht, weit fort von der Welt, von allen andern Menschen. Eine ungeheure Lustigkeit hat mich gepackt, das tollste Zeug ist mir eingefallen, ich hab' drauflos erzählt und geplauscht, und wenn sie über meine Witze gelacht hat, war ich betrunken vor Stolz. Die Kammerjungfer hat im Anfang bescheiden mitgekichert, dann is sie eingeschlafen, die gute Person, und jetzt waren wir sozusagen allein. Da aber hat es mich überkommen: Herr Gott im Himmel, wenn ich doch ein Mann wär', der von gescheiten Sachen mit ihr spricht, nicht nur ein Junge, ein Bub', der sie lachen macht mit seinen Späßen ... Auf einmal war es aus mit meiner Fröhlichkeit; ich nehm' mich zusammen, sie soll sehen, daß mir auch ernste Dinge im Kopf herumgehen, und ich frag' sie, ob sie sich denken kann, daß ich ein Geheimnis hab', das ich mit mir herumtrag', schon lang, ich weiß gar nicht wie lang, und daß ich es ihr anvertrauen will. Im Anfang hat sie nicht recht gewußt, was sie aus meinen Reden machen soll, war aber bald gewonnen und hat sich gar nicht sehr gewundert, wie ich geschworen hab', daß ich - die Eltern sollen tun und sagen, was ihnen beliebt nichts andres werd' in der Welt als ein Bildhauer. Zwei Jahre, in Gottesnamen, büffel ich noch, dann, wenn's nicht anders is - geh' ich durch, zum großen Meister in Paris, und dort werd' ich ein Lehrling, ein Schüler - ein Könner. Was ich alles zusammenbramarbasiert hab', weiß ich nicht mehr, aber ich erinner' mich, daß sie gesagt hat: ,Daß

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du Talent hast, sehen ja alle.' - ,Nur ausbilden soll ich es nicht,' hab' ich aufgeschrien, ,nur als Spielerei soll ich's betreiben . . . Sie bilden sich ein, mich schon herumgekriegt zu haben, sie irren sich. W i e sie sich irren, is mein Geheimnis, und das hab' ich dir jetzt anvertraut.' Sie hat gemeint, es wird zum Durchgehen nicht kommen, zu einem so verzweifelten Schritt werden mich die Eltern nicht treiben. Für meine verschwiegenen Qualen war sie voll Teilnahme, hat wissen wollen, wann ich zum erstenmal gefühlt hab': Das ist mein Beruf; und wie mir war, als die Flamme zum erstenmal geknistert hat? . . . Ja, wenn ich's gewußt hätte - und ob das je einer gewußt hat? Was war mir auch an der Vergangenheit gelegen? All und alles nur an der Zukunft. Von der hab' ich gesprochen, von meinen großen Plänen, von allem, was ich tun und leisten will. Voll Aufmerksamkeit hat sie zugehört, manchmal nur meinem Eifer kleine Dämpfer aufgesetzt, ist immer stiller geworden und sagt endlich: ,Es muß sehr spät sein, ich möchte nicht ganz unausgeschlafen ankommen. Laß mich jetzt schlafen, und schlaf auch du!' Und hat sich in die Ecke gelehnt. ,Gute Nacht.' Das hat mich furchtbar gekränkt. Ich sag' ihr alles, was ich von mir nur weiß. Meine ganze Seele is Feuer und Flamme, jeder Nerv, jeder Blutstropfen hell wach und sie sagt: Schlaf! Na - wenn sie's sagen k a n n . . . Also schluck' ich meinen Zorn hinunter und meinen Schmerz und würg' heraus: ,Gute Nacht.' Sie muß gemerkt haben, daß sie mir wehgetan hat, und sagt noch einmal sehr lieb und herzlich: ,Gute Nacht.' Ich hab' mich in meinen Winkel gedruckt und mich geschämt, weil das Weinen mir nah' war, und hab' sie immerfort angeschaut. Sie könnt' es nicht bemerken, auf meiner Seite war's ganz finster, auf die ihre ist das volle Mondlicht gefallen. Herrgott, wie schön war sie in diesem weißen Glanz! ... Der heilige Ernst auf ihrer Stirn und um den Mund mit den vollen, weichen, sanften Lippen, die sich manchmal ganz leise bewegt haben. - Ich schau' und schau' und rühr' mich nicht, aber in mir tobt ein Aufruhr. Ja, ich werd' es erreichen, ich werde schöne Schöpfungen Gottes nachschaffen . . . Verworren und nebelhaft waren meine Gedanken, aber etwas hat werden wollen, und in dieser Nacht is ein Keimlein entstanden ... daselbe, aus dem zwanzig Jahre später die Vittoria Colonna herausgewachsen is, die mir so viel Ehr' eingetragen hat. Also: ich druck' mich in meinen Winkel und schau' ... und rühr' mich immer nicht. Und jetzt seh' ich, daß sie die Händ' hebt und ganz langsam ihren dünnen Schleier zum Hutrand hinaufschiebt, sich zu mir beugt immer näher . . . Ich fühl' ihr Gesicht nah an meinem, und mir vergeht der Atem - ihre Lippen liegen auf meinen Lippen, einen

III. Marie von Ebner-Eschenbach: „Die eine Sekunde"

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wunderbaren, kleinen, kurzen Augenblick. Dann richtet sie sich wieder leise auf, lehnt sich zurück und macht die Augen zu . . . Ich war tot - gestorben vor Glück, hoch weggeflogen über die Welt. Ich war wie einer, an dem ein himmlisches Wunder geschehen ist. Was soll der noch auf Erden? was kann ich noch erleben, was will ich noch erleben? Ja, ja, liebe Theo, es gibt in der Welt der Vergänglichkeit Dinge, die nicht vergehen. D e r Augenblick is in meinem Leben das, was nicht vergeht. An Glück in der Liebe hat es mir nicht gefehlt. Edle, stolze Frauen, so manche, die heute noch für unnahbar gelten, haben mir schöne Stunden und Tage geschenkt. Ich bleib' ihnen dankbar, aber manchmal, wenn ich nachdenk', geschieht mir's doch, daß ich mich frag': , War's die oder die? War's früher oder später, da oder dort?' ... D e r Augenblick, die eine einzige Sekunde steht immer da in meiner Erinnerung, immer gleich groß und einzig und funkelt wie ein Stern, in den alle andern ihr Licht ergossen haben . . . Die Kammerjungfer is aufgewacht, hat sich entschuldigt, daß sie geschlafen hat: ,Nur weiter, ich leiste Ihnen Gesellschaft,' sagt die Herrin, und bald merk' ich an ihren leisen, regelmäßigen Atemzügen: sie schläft sanft und tief. Ich hab' sie nicht mehr deutlich sehen können, denn der Mond war schon blaß geworden, und der Morgen hat gegraut, aber ihren Kuß hab' ich immer noch auf meinem Mund gefühlt und die Wonne ihrer Nähe still und lautlos genossen. Wir sind im Schritt und langsam einen Berg hinaufgefahren. Der Weg war gut, der Berg war nicht steil, der Wagen wie eine Wiegen. Manchmal hat ein Rad geknarrt, machmal hat ein Pferd geschnaubt. ... Nach allen den ausgestandenen Gemütsbewegungen haben meine gesunden sechzehn Jahre ihr Recht gefordert - ich hab' nicht mehr viel von mir gewußt, bis mir zuletzt nur noch geträumt hat, daß ich wach bin. Wirklich bin ich's worden über viel Lärm und Geschrei, das sich um unsre Wägen herum erhoben hat. Wir waren angekommen, und so früh am Tag es noch gewesen is, alle Hausleute, alle Gäste waren auf und haben uns willkommen geheißen. Man kennt die ungrische Gastfreundschaft. Was das Haus vermocht hat - und es hat viel vermocht - is zur Unterhaltung der Gesellschaft geschehen. Alle waren hochzufrieden, lustig und vergnügt, nur ich der unglücklichste Mensch, denn ich hab' zusehen müssen, wie die Johanna umringt und gefeiert worden is, wie alle Herren, die jungen und die alten, ihr gehuldigt haben, indessen ich zu den Adoleszenten gesteckt worden bin. Ich war in dem Gewühl ganz getrennt von ihr, hab' mich auch fern gehalten, war wütend über sie, weil sie den Leuten so gut gefallen hat, bin ihr ausgewichen in meiner Eifer-

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sucht, ich dummer Bub', während mein ganzer Mensch mit Leib und SeeP nur eine Sehnsucht nach ihr war. Einigemal hat sie mich gefragt: ,Was ist dir denn?', und ich hab' trotzig geantwortet: ,Nichts.' Sie hat mich verwundert angesehen, nicht traurig, nicht vorwurfsvoll, nur - verwundert. Die Eltern haben's in dem Getreib nicht lang ausgehalten, wir sind nach Haus gefahren, die andern sind geblieben, auch nach den Festlichkeiten, weil die Tante krank geworden is. Im Herbst hat man sie dann nach dem Süden geschickt. Sie hat sich nicht mehr erholt; das weißt du ja." „Gewiß," sagte die Schwester. „Es war so traurig, ihr langes Siechtum, und daß sie in der Fremde hat sterben müssen und daß sie die Verheiratung Johannas nicht mehr erlebt hat. Du warst damals in Paris, zwei Jahre schon." „Ja, ja. Die ersten Lehrjahre in der Schule bei meinem großen Meister waren schon durchgemacht, und auch, was man so das Leben nennt, hatt' ich kennengelernt. Und mir eingebildet: Das is, das is das wahre, das reiche, das unerschöpfliche Leben. Damals aber, wie ich den Brief bekommen hab', in dem du mir geschrieben hast, daß die Johanna Braut is, hat's mir doch einen starken Ruck gegeben, und an dem Abend hab' ich mich gelangweilt in der heitersten und der hübschesten Gesellschaft. Die Nacht im Reisewagen is vor mir aufgestiegen in ihrer Glorie und hat das Geflimmer und Geflimmsel um mich her jämmerlich verdunkelt... Nicht für lang, es hat wieder Feuer gefangen . . . Feuer - in jener Nacht war's eine Flamme, die ihr himmlisches Licht in meine Seele ergossen hat. Und ich hab' gewußt, und ich hab' mir gemerkt: Vergleiche nie . . . Das wirst du nie wieder empfinden, ebensowenig wie du je wieder sechzehn Jahre jung werden kannst, ebensowenig wie eine zweite Johanna geboren werden kann." „Sie war sehr, s e h r lieb," sagte die Schwester, „aber du verklärst sie. Ich habe nicht gewußt, daß mein Bruder ein Dichter ist." „Ach was! das is jeder echte bildende Künstler. Die Alhambra, der Moses, die Sixtinische Madonna sind gedichtet gewesen, bevor sie erbaut, gemeißelt, gemalt worden sind. Doch das gehört auf ein andres Blatt. Ich hab' sagen wollen: Eins hab' ich mir vorgenommen. Wenn ich sie wiederseh', frag' ich sie: ,Warum hast du mich damals geküßt? Aus Mitleid? Aus Reue, weil du gemerkt hast, daß ich gekränkt bin? . . . Aus Liebe? Aus einem plötzlichen, vorübergehenden Gefühl von Liebe? Sag' mir, warum!' Ja, ja, fest und oft hab' ich's mir vorgenommen. Aber wie ich sie zum erstenmal wiedergesehen hab', da war sie eine junge Frau und eine junge Mutter und so voll Hoheit in dieser doppelten Würde, daß ich meine Frag' nicht herausgebracht hab', wie

III. Marie von Ebner-Eschenbach: „Die eine Sekunde"

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heiß sie mir auch auf den Lippen gebrannt hat. Auch später is es mir so gegangen. Eine Art Rechenschaft verlangen von ihr - von dieser Frau - das geht nicht. Auch hab' ich gewußt: Nach der Frag' kämen andre, die ich nicht stellen darf. Also: schweigen - meiden. Meiden, das besonders wichtig. Hab' mich denn ferngehalten, mich nur unbändig gefreut, wenn ich gehört hab', daß sie in Begeisterung geraten is über eine oder die andre meiner Arbeiten. Oder wenn sie mir's geschrieben hat. So gewußt wie sie, was ich in meiner Kunst gewollt hab', hat niemand, niemand, niemand! Dabei bin ich durch's Leben spaziert mit meiner unbeantworteten Frag'. Hab' zuletzt auch gar nicht mehr fragen wollen. Nur wie sie schwer krank geworden is, da war's bald bei mir ausgemacht: Sie soll nicht sterben, bevor ich, der Greis, ihr, der Greisin, gesagt hab': D u hast mich einmal, vor langer Zeit, über alle Begriffe glücklich gemacht. N a - ich bin zu spät gekommen." Er biß sich auf die Lippen, eine Röte überflog sein energisches Gesicht, seine Stimme war rauh. „Daß mir's s o leid tut, is sentimental. Hol's der Kuckuck, ja, ich bin ein alter Narr, ich bin sentimental." Die Augen der Schwester ruhten nachdenklich auf seinen bewegten Zügen. Sie legte die Zigarre weg und reichte ihm über den Tisch ihre Hand: „So sei in Gottes Namen sentimental." Die eine Sekunde. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Zuerst veröffentlicht in: Westermanns Monatshefte. Geleitet von Dr. Friedrich Düsel. Bd. 119, I, Heft 109, September 1915, S. 1-5. Am 15. 3. 1915 hatte die Ebner im Tagebuch bereits vermerkt, daß sie die Erzählung an Dr. Düsel geschickt, und am 26. 3., daß der vortreffliche Dr. Düsel sie mit Dank und Freude aufgenommen habe. Am 26. 7. schickte sie Korrekturen an Westermann. Diese Zeitschriftenfassung bietet, wie zu zeigen sein wird, den besten Text und wurde daher als Druckvorlage gewählt. „Die eine Sekunde" erschien im selben Jahr noch einmal in: „Stille Welt". Erzählungen von Marie von Ebner-Eschenbach. Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1915. S. 153-169 (und in 2. Auflage 1916 mit derselben Seitenzahl). Die Ebner hatte, laut Tagebuch, am 17. 9. 1915 die Vorlagen zu Stille Welt an Paetel geschickt, und sie berichtet am 28., 29. 10. und 13. 11., daß die Korrekturen eingetroffen seien. Von abgeschickten Korrekturen schreibt sie nicht mehr, und es ist auch unwahrscheinlich, daß die greise Dichterin mit ihrer stark verminderten Sehfähigkeit diese Arbeit noch durchgeführt hat. Damit stimmt überein, daß diese Buchfassung deutliche Verschlechterungen enthält, die gewiß nicht der Dichterin, wohl aber einem eigenwilligen Setzer zugeschrieben werden können. So tilgt die Buchfassung über sechs Dutzend mal alle Apostrophe am Wortende, die statt -e stehen (Typus: hab' zu habj, ja sie setzt fast ein Dutzendmal statt des Apostrophs die Vollform ein (Typus: hab' zu habe), wodurch die einheitlich durchgehaltene Frische und Unmittelbarkeit des Erzähltons verliert. So auch wird das mundartlich anklingende wie eine

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Wiegen (S. 397) zu eine Wiege, die Beteuerung Das is, das is das wahre (S. 398) zusammengezogen zu einem (gesperrt) Das is das wahre, das redensartliche hat wieder Feuer gefangen (S. 398) zu einem steifen ist wieder Feuer geworden. Aus einer Straße, mählich aufsteigend (S. 393) wird allmählich aufsteigend, eine villenreiche belebte Ortschaft (S. 393) verliert das belebte. Die zentrale Stelle, die als einzige den Titel aufnimmt, wird in der Zeitschriftenfassung stark hervorgehoben: Der Augenblick, die eine einzige Sekunde, steht immer da (S. 397). Die Buchfassung vermeidet pedantisch die Wiederholung und streicht das eine. Gleich danach wird in der Zeitschriftenfassung der Vergleich wie ein Stern, in den alle andern ihr Licht gegossen, gebracht, aber die Buchfassung ergänzt überflüssig und zerstörend: alle andern Sterne. Diese Beweise, daß die Buchfassung einen verderbten Text enthält, sind umso notwendiger, als nur sie es ist, die angefangen von der Paetel-Ausgabe 1920, wieder abgedruckt wurde.

c. UNTERSU CHUN GEN

I. Theo Schücking

1. Die Familie Schücking Am 6. September 1814 wird Christoph Bernhard L e v i n Schücking zu Clemenswerth in Westfalen geboren. Sein Vater ist Paul Nicolaus Bernhard Joseph Schücking, 13. 3. 1787-16. 6. 1867. Seine Mutter Sybilla C a t h a r i n a Elisabeth, gen. Kathinka, geborene Busch, ist eine zu ihrer Zeit „viel gefeierte sinnige und gemüthreiche Dichterin", wie die Schückingsche Hauschronik vermeldet. Sie verkehrt im Kreise der Fürstin Gallitzin und ist eng befreundet mit Annette von DrosteHülfshoff, die nach deren Tod am 2. 11. 1831 entscheidenden Einfluß auf Levins Leben und schriftstellerische Laufbahn nimmt. Dieser ersten Ehe Paul Schückings entstammen neben dem ältesten Sohn L e v i n noch fünf weitere Kinder. Zwei davon sterben im Kleinkindalter. Zwei sind von Bedeutung für Theos Leben: Anton Matthias Franz A l f r e d , 4. 7. 1818-12. 10. 1898, und P r o s p e r Ludwig, 29. 10. 1829-9. 1. 1887 (siehe Register). Eine weitere Schwester, Modesta P a u l i n a Nicolaja Roswitha, 7. 4. 1825-18. 5. 1896, begründet den Wiener Hauptzweig der Familie, spielt aber im Leben Theo Schückings keine Rolle. Aus der zweiten Ehe Paul Schückings, 1832 mit Ottilie Gesina Bruck aus Osnabrück geschlossen, gehen drei weitere Kinder hervor. Eines davon stirbt im Kleinkindalter. Ludwig K o n s t a n t i n August, 14. 7. 1833-(?). 2. 1877, ist der Begründer des Baltimorer Hauptzweiges der Familie. Für Theos Leben wichtig ist Maria Anna C a t h a r i n a , gen. Kathinka, verheiratete Sutro (siehe Register - auch Tante Kathinka). Levins Vater, Paul Schücking, war nach dem Studium der Rechte in Münster in verschiedenen Ämtern tätig. Seit 1828 als StandesherrlichHerzoglich-Arembergischer Amtmann übte er eine segensreiche Verwaltungstätigkeit aus. 1837, nach Differenzen mit der hannoveranischen Regierung, legte er seinen Posten nieder und zog sich 1837/ 38 - ohne Beschäftigung - aus dem öffentlichen Leben zurück. 1838 begleitete er seinen zweiten Sohn Alfred - „dessen unwiderstehlichem Drang nach der neuen freien Welt folgend" (so die Hauschronik) auf einer Amerikareise, die mit der Ankunft in Baltimore am 28. 8. 1838 ihren Anfang nimmt. Während Amerika für Alfred und

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später auch für den Bruder Prosper zur zweiten Heimat wird, kehrt der Vater - trotz Lehrertätigkeit und Gründung einer Zeitschrift aus gesundheitlichen Gründen im Jahr 1840 allein nach Europa zurück und lebt von da an in Bremen als freier Schriftsteller (unter dem Pseudonym Ludger von Darfeld). Daneben ist er auch wissenschaftlich tätig, wobei der älteste Sohn Levin wesentlich und unter großen persönlichen Opfern zum Lebensunterhalt des Vaters beiträgt. Levin hatte zunächst die Rechte an den Universitäten München, Heidelberg und Göttingen studiert, sich aber bereits 1842 mit den Werken Das malerische und romantische Westfalen, Leipzig 1842 entstanden unter Mitwirkung von Annette von Droste Hülshoff gemeinsam mit Ferdinand von Freiligrath - und Der Dom zu Köln und seine Vollendung, Köln 1842, gänzlich der Schriftstellerei zugewandt. Diesem Entschluß, „die in ihrer Familie ohnedies erbliche Poesie"1 zur Existenzgrundlage zu machen, war 1841/42 der Aufenthalt als Bibliothekar an der bedeutenden Bibliothek des Freiherrn von Laßberg, eines Schwagers der Droste, vorangegangen. Dieser gemeinsame Aufenthalt mit der Dichterin auf der Meersburg, die seit dem Tod der Mutter stetig wachsende tiefe Zuneigung zu seinem „Mütterchen" und ihre anfeuernde Ermutigung hatten diesen Entschluß in ihm reifen lassen. Doch schon Ende des Jahres 1842 übernimmt er - wohl um dem Erekschen Schicksal des ,Verliegens' zu entgehen - die Erziehung zweier Söhne des bayrischen Fürsten Wrede, was längere Aufenthalte auf dessen Gütern in Osterreich nach sich zog. Der von der Droste schmerzlich empfundene Abschied Levins von der Meersburg bringt für ihn aber die persönliche und schriftstellerische Selbstfindung. Am 7. 10. 1843 heiratet er Johanna Udalrike Louise Freiin von Gall, geboren am 19. 9. 1815 in Darmstadt, die ihm bis zur Verlobung nur aus Briefen bekannt gewesen war. Auch sie, von Jugend an schriftstellerisch tätig, verfaßte bereits 1842 ein Lustspiel Ein schlechtes Gewissen, 1845 zwei Bände Frauennovellen, 1853 den Roman Der neue Kreuzritter und 1854 gemeinsam mit Levin zwei Bände Familienbilder und Familiengeschichten. Er ist es auch, der nach ihrem Tod 1856 eine Sammlung ihrer Novellen unter dem Titel Frauenleben herausgibt. Vom Beginn seiner Ehe an, also Herbst 1843 bis Herbst 1844, arbeitet Levin in Augsburg in der Redaktion der Allgemeinen Zeitung, Oktober 1844 bis Oktober 1852 in Köln als Redakteur der Kölnischen 1

Brief der Droste an Levin Schücking kurz vor der Geburt des ersten Sohnes vom 29.9.1844: „Es wäre ein Wunder, wenn die in ihrer Familie ohnedies erbliche Poesie jetzt nicht doppelt aufschießen sollt. Sechs schriftstellernde Schückinge gibt es schon: Ihre Eltern, Sie und Louise, Alfred und Pauline;" (Droste-Schücking Briefe, S. 313. - Droste: Briefe HKA, S. 215).

1.2. Theophania Schücking, genannt

Theo

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Zeitung. Dazwischen liegen Reisen: 1946 nach Paris, im Winter 1847/ 48 nach Rom und Neapel. Einen festen Wohnsitz erwirbt die Familie Levins mit dem am 6. 9. 1852 innerhalb der Familie geschlossenen Kaufkontrakt des alten Familiengutes zu Sassenberg. Hier stirbt am 16. 3. 1855 Louise von Gall und hinterläßt ihrem Mann vier unversorgte Kinder: Carl L o t h a r Levin, geboren am 19. 12. 1844 in Augsburg - G e r h a r d i n e Friederike Juliane Katharina, geboren am 10. 1. 1846 in Köln T h e o p h a n i a Elfriede Sabine Caroline, geboren am 1 9 . 4 . 1 8 5 0 in Köln - und Christoph Bernhard A d r i a n , geboren am 13. 7. 1852 ebenfalls in Köln. 2 Nach der Heirat Gerhardinens übernimmt Theophania, genannt T h e o - noch jung an Jahren - die Betreuung des jüngsten Bruders Adrian und die Führung des gesamten verwaisten Haushaltes und versorgt aufopfernd den Vater bis zu dessen Tod am 31. 8. 1883 in Pyrmont. 3

2. Theophania Schücking, genannt Theo a) Meta von Salis: Theo Schücking

(1850-1903)

Der Mühe, Theo Schückings Leben im Einzelnen nachzuzeichnen, enthebt uns Meta von Salis mit ihrem ausgreifenden Lebensbild: Theo Schücking (19. April 1850-23. Mai 1903), das im vorliegenden Band (B.II.l.) abgedruckt ist. Daß es sich hierbei auch um eine liebevolle Würdigung und - wenn man das Verhältnis der beiden Frauen zueinander in Betracht zieht - um ein posthumes Wiedergutmachungsbemühen handelt, ist unschwer schon aus dem Rahmen zu erkennen, in den Meta von Salis diesen Artikel stellt: Auserwählte Frauen unserer Zeit. II. Teil. 1919. Aus heutiger Sicht kann man in großen Teilen der Arbeit zustimmen, manchmal wird man ergänzen und einige Male berichtigen müssen. Meta von Salis bekennt sich von Anfang an zu einer sehr subjektiven Darstellung und begründet diese zum Einen mit einem Informationsdefizit, aus den verschiedensten Ursachen resultierend. Zum Anderen will sie aus ihrem „Schatzhaus" nur so viel ans 2

3

Ein fünftes Kind - Adolfine Eleonore Fenegundis geb. am 19.9.1854 stirbt im ersten Lebensjahr am 9.12.1854. Von diesem Kindbett hatte sich Louise Schücking nicht mehr erholt. Die Angaben über die Familie Schücking stammen aus: Deutsches Geschlechterbuch. - Brockhaus 13. Aufl. XIV, S. 508f. - Dietrichkeit: A. Schücking - Winterholler: Theo Schücking - Schücking: Haus-Chronik.

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C. Untersuchungen

Licht bringen, „soweit es sich der Mitteilung aus Rücksicht auf Andere nicht entzieht" (S. 176). Was den ersten Punkt anlangt, so geht das Informationsdefizit sicherlich nicht allein auf auskunftsunwillige Schückingsche Familienmitglieder zurück, sondern es liegt zu einem guten Teil auch an dem langjährigen Desinteresse Metas an der Person und dem Leben Theos. So besehen verwundert es auch nicht mehr allzu sehr, daß dieses Lebensbild erst 16 Jahre nach Theos Tod der Öffentlichkeit übergeben wurde. Was nun den zweiten von Meta ins Treffen geführten Punkt anlangt - ihre Rücksichtnahme auf andere so könnte man dem gut entgegenhalten, daß Diskretion nicht eben zu Metas herausragendsten Eigenschaften zu zählen ist. Sie führte stets eine scharfe Klinge nach allen Seiten hin - Höhen und Tiefen ihres eigenen Lebens geben davon beredt Zeugnis. Die beiden Frauen lernen sich also kurz vor Jahresschluss 1878 in Rom kennen und finden sehr bald Gefallen aneinander. Mit Vater und Tochter Schücking verbringt Meta interessante Abende und ist auch aus den familiären Landpartien in die Umgebung Roms nicht wegzudenken. Ihr Bericht über den gemeinsamen Rom-Aufenthalt bietet eine aufschlußreiche Ergänzung zu dem fragmentarischen Rom-Tagebuch Theos; denn was diesem an Alltäglichem nicht mehr aufschreibenswert scheint, berichtet uns Meta ausführlich, so etwa im einzelnen die Tageseinteilung Levin Schückings oder im allgemeinen die Einrichtung der Speisehäuser für die in Rom lebenden Künstler und anderes mehr. Durch Theos Aufzeichnungen ist es möglich, einige von Meta vorgenommene Namensabkürzungen oder anonyme Personenhinweise zu entschlüsseln: so darf in dem dort nicht genauer bezeichneten „Schwesternpaar" (S. 190) Emmy und Anna Dincklage vermutet werden und in der hinzukommenden „Nr. 3" (S. 191f.) die dritte Dincklage-Schwester Berta. Alle drei begegnen uns immer wieder in Theos Briefen (vgl. S. 213); hier ist vor allem auf die in diesem Band publizierte Auswahl aus dem amüsanten Briefwechsel Emmy Dinkklage - Theo Schücking zu verweisen (B.II.3.a.). Daß Meta mit ihrem schroffen und wenig liebenswerten Wesen sich nur schwer in den Kreis um Theo eingliedern konnte, geht eindeutig aus Briefen und Tagebucheintragungen hervor. Die hochgebildete Meta war und blieb ein Fremdkörper in diesem Umkreis und wollte es auch sein. Aber auch das Zusammenleben mit der ebenfalls sehr geistreichen Malwida von Meysenbug, bei der sie den Winter 1878/79 verbrachte, blieb nicht frei von Unstimmigkeiten. Um so mehr war das bei dem Verhältnis zu den Dincklage-Schwestern der Fall. Diese waren zu sehr Weltkinder, als daß sie sich auf die Dauer zu Meta hingezogen gefühlt hätten. Nur die schwärmerische Theo scheint sich

1.2. Theophania

Schücking,

genannt

Theo

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auf ziemlich lange Zeit deren Herrschaftsanspruch widerstandslos untergeordnet zu haben. Die sich immer inniger gestaltende Freundschaft zwischen beiden setzt sich auch außerhalb Roms fort und führt schon im Herbst 1879 zu einem Besuch Metas in Sassenberg. Was diese Freundschaft für Theo bedeutete, kann man ermessen, wenn man die Schilderung ihres Lebens in einem späteren Brief an die Ebner nachliest: D i e H e r b s t m o n a t e hier sind m i r i m m e r die s c h l i m m s t e n im g a n z e n J a h r Sie h a b e n gar keinen Begriff, v e r e h r t e F r a u B a r o n i n , v o n d e m B a n n e völliger A b g e s c h i e d e n h e i t v o n j e d e m m e n s c h l i c h e n L e b e n u n d R e g e n a u ß e r halb, den sie v e r h ä n g e n (Teil A , B r i e f 3 / S ) .

So verwundert es auch keineswegs, daß Metas Einfluß auf Theo stetig zunimmt, etwa auf dem Gebiet des Antisemitismus, wo sie die völlig unpolitische Theo zu Äußerungen verleitet (S. 197ff.), die Theos Wesen in keiner Weise entsprachen und zudem nicht im Sinne Levin Schückings waren. Nach Sassenberg trifft man sich in Berlin, wo sich Meta offenbar größte Mühe gibt, Theos zaghafte emanzipatorische Ansätze in ihrem Sinn zu verstärken. Strickzeug und Häkelarbeit sind hier belustigende „Spießbürgerei" für Meta (S. 198). Daß diese Belustigung auf Seiten Metas den Tatsachen entsprach, steht außer Zweifel; ob allerdings die sehr häusliche Theo diese Anschauung ihrer Freundin voll teilte, ist zumindest fraglich. In Zusammenhang mit solchen Emanzipationsbestrebungen muß nun - nolens volens - das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe kurz angesprochen werden, da unter anderen die Schweizerin Doris Stump 4 bei dem Verhältnis Meta - Theo unverkennbar darauf anspielt. Daß Meta von Salis Frauenrechtlerin in jeder Hinsicht war, steht außer Frage - und daß in diesem Befreiungsrundschlag auch lesbische Liebesbeziehungen ihren Platz hatten, ist nicht neu. 5 O b nun Metas Verhältnis zu Theo vorwiegend aus diesem Gesichtspunkt zu sehen und beurteilen ist, möchte ich dahingestellt sein lassen; birgt

4 5

Stump: Salis S. 68ff. Mit der Annahme, zwischen Emanzipationsbestreben und Lesbianismus bestehe ein enger Zusammenhang, stimmen Weininger und Sigmund Freud überein, was grundsätzlich sonst nicht der Fall war (vgl. Anderson: Vision, S. 14) - Zu der in fortschrittlichen Frauenkreisen durchaus gängigen Ablehnung der Ehe als einem Instrument der Unterjochung der Frau gibt es durchaus zwiespältige Stimmen, etwa Olga Waissnix an Arthur Schnitzler: „Die Ehe ist uns als einzige Laufbahn vorgeschrieben, unser Glück zu finden; finden wirs nicht, tent pis, ruhig entsagen und ertragen heißt's dann! - Wissen Sie aber, daß das ein Heldentum erfordert, dessen unter 1000 Männern kein einziger fähig wäre!" Vgl. Schnitlzer-Waissnix Briefe, S. 205. - Anderson: Vision, S. 19.

408

C.

Untersuchungen

doch diese Art der Betrachtung allzu sehr die Gefahr in sich, jede andere Deutungsmöglichkeit aus dem Gesichtsfeld zu verlieren. Ein auf solche Weise zu Stande gekommener einseitig apodiktischer und somit zwangsläufig unhistorischer Standpunkt könnte dem Versuch der heutigen Frauengeneration, ihre emanzipatorischen Anliegen gesellschaftlich-geschichtlich zu untermauern, nicht eben förderlich sein. Ein Brief Malwidas von Meysenbug an Meta von Salis wäre in diesem Zusammenhang sicher beherzigenswert: Doch hat sich [...] schon vieles zum Besseren geändert, und es kommt jetzt nur darauf an, daß die Frauen das richtige Maß und die richtige innere Würde finden, die das Errungene rechtfertigen und festhalten.6

Es steht außer Frage, daß einige Briefe Theos - von Meta selbst in ihrem Theo-Lebensbild sicher nicht absichtslos genau wiedergegeben und in ihrem Gefolge von Doris Stump ebenfalls eingehend zitiert - gemeinsam mit der Tatsache, daß Theo den ihr von Meta verehrten Ring stets am vierten Finger trug, 7 in diese Richtung weisen. Doch scheint trotzdem die eindeutige Festlegung dieses Freundschaftsverhältnisses auf einen lesbischen Liebesbund nicht ganz den Tatsachen zu entsprechen. Theo - wie wir aus dem Briefverkehr mit anderen Freundinnen wissen - , enthusiasmiert für die um fünf Jahre jüngere, ihr aber in vieler Hinsicht überlegene, sehr männlich wirkende Meta, war ohne Zweifel für ihr Alter unreif und durch die Lebensumstände etwas hausbacken geworden. Ihre Unreife und ihre Erziehung ließen sie mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht an eine lesbische Lebensplanung denken, wie sehr das auch im Sinne Metas gewesen sein mochte, wenn man an ihre späteren Frauenbeziehungen denkt. Auch ist es überflüssig, noch darauf hinzuweisen, daß Levin Schücking schwerlich einem solchen Bund seiner Tochter Verständnis entgegengebracht hätte. „Ich sehne mich nach einem festgefügten, planvollen Leben, aber werde ich mir das je gestalten können, äußerlich und innerlich unfrei, wie ich mir vorkomme?" (S. 193), klagt Theo in einem Brief an Meta. 6 7

Vom 2 4 . 1 . 1 8 8 7 . Meysenbug: Briefe, S. 178. Stump: Salis, S. 68f. - Bei allem Verständnis für die emotionelle Art der Behandlung des Stoffes wäre hier bisweilen Genauigkeit dienlicher gewesen: so wurden z . B . auf S. 163 Bilder verwechselt; die Abgebildete ist nicht Theo sondern ihre Schwester Gerhardine. - Stump scheint in der Frage der lesbischen Beziehung zwischen Theo und Meta, so sie denn wirklich bestand, die Position Schleichers weitgehend übernommen zu haben. So schreibt Schleicher etwa: „Auf eine Begegnung dieses römischen Winters [1878] fällt besonders helles Licht - auf jene mit Theo Schücking, Levin Schückings Tochter. Schon beim ersten kurzen Zusammensein tauchen die blauen Augenpaare der zwei zurückhaltenden Menschenkinder tief ineinander". (Schleicher: Salis, S. 34).

1.2. Theophania Schücking, genannt Theo

409

Um das Jahr 1879, aus dem der erwähnte Brief stammt, standen Theo durchaus auch andere Möglichkeiten offen - sie wird verehrt und es gibt sogar Hinweise in Briefen auf eine eventuell bevorstehende Verlobung. Anders sieht es bei Meta aus, die mit zunehmendem Alter immer mehr auf Frauenbeziehungen festgelegt zu sein scheint; eines ihrer Gedichte mag in diese Richtung weisen: Ich rettete auf leichtem Kahn Die schwesterliche Welle, An diesem Eiland legt ich an, Schon ist mir leicht und helle;8

Verlassen wir diesen ideologiebefrachteten Abschnitt, so liegt unabhängig davon mit Metas Biographie eine Würdigung Theo Schückings vor, die ihr auf verschiedensten Gebieten gerecht zu werden versucht. Von ihrem edlen aristokratischen Charakter und ihren geistigen Fähigkeiten ist da die Rede und von dem Zerwürfnis zwischen den beiden Frauen zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Freundschaft Metas hätte beweisen, wo sie zum ersten Mal in diesem Zusammensein nicht die Nehmende, sondern die Gebende hätte sein müssen. Denn während eines Besuches Metas in Sassenberg wird sie Zeugin des sich stetig verschlechternden Gesundheitszustandes Levin Schückings, der die Uberstellung in das Sanatorium in Pyrmont unter die Fürsorge seines dort als Arzt tätigen Sohnes Adrian notwendig machte. So sah ich denn an einem strahlend schönen Augustmorgen noch einmal in die tiefgründigen, stahlblauen Sachsenaugen Levin Schückins, als er mit beiden Söhnen und der treusten der Töchter in den Wagen stieg (S. 212).

Kurze Zeit später erreicht sie am Bodensee die Todesnachricht. Gerade die Anwesenheit Metas in Sassenberg zu diesem so wichtigen Zeitpunkt hätte die beiden Frauen noch enger aneinander binden können und müssen, aber: Anstatt Theo mit selbstvergessener Hingabe zu beglücken, wie sie es im umgekehrten Falle unbedingt getan hätte, eröffnete ich ihr [...] meine rückhaltlose Parteinahme für eine meinem Herzen nahestehende, und ebenso uneingeschränkte Verurteilung einer ihr ebenso teuren Persönlichkeit, erfüllt von der verbohrten Annahme, daß das unserer Zusammengehörigkeit keinen Eintrag tun könne (S. 214).

So unsensibel Metas Verhalten hier war und so wenig wir ihrer Erklärung dafür ganz glauben wollen, so gereicht es ihr doch zur Ehre, daß 8

Stump: Salis, S. 116f.

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C. Untersuchungen

sie ungeschönt die Schuld an dem Zerwürfnis auf sich nimmt. Theos darauf antwortender Abschiedsbrief nötigt uns in seiner schlichten tiefen Menschlichkeit Respekt ab, und beweist einmal mehr, daß sie durchaus - bei all ihren Schwächen - eine ebenbürtige Partnerin war. Die Wege der beiden Frauen bleiben von nun an auf lange Zeit getrennt. Erst 1900 kommt es auf Initiative Metas in Rom zu einer Aussöhnung, die Theo in eben der unsentimentalen Weise vollzieht, wie sie es ehedem beim Abschiednehmen getan hat. Eine Vertiefung sollte dieser Versöhnung mit Meta - nun aufs innigste mit Hedwig Kym verbunden 9 - während des geplanten nächsten Italienaufenthaltes folgen, doch dazu kommt es nicht mehr: am 23. Mai 1903 stirbt Theo in Rom. Die Liebe und das Vertrauen, das Theo Meta entgegengebracht hatte und in dem sie so tief enttäuscht worden war, konnte dieses letzte Zusammensein nicht wieder voll aufblühen lassen - dazu hätte es einer längeren Bewährungszeit bedurft. So ist es auch verständlich, daß Theo während ihrer letzten Krankheitstage eine Freundin aus Florenz - Luise Ammon - telegraphisch zu sich holt und nicht die auf Capri weilende Meta zu Hilfe ruft. Vermutlich war es auch diese Luise Ammon, die in dem Zerwürfnis mit Meta eine Rolle inne hatte. Wer genau die Mitspielerinnen in diesem Freundinnendrama waren, ist nicht im Einzelnen auszumachen, und letzten Endes kommt dem auch in der Beurteilung der Hauptpersonen keine entscheidende Bedeutung zu. 10 Festzuhalten bleibt nur, daß die Begegnung mit Meta sicherlich ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg Theos zur eigenen Selbstfindung war.

b) Das römische Tagebuch, 1881 Metas Aufzeichnungen über Theos Leben vermitteln einen kleinen Eindruck auch über das Schückingsche Leben in Rom, sie können aber durch das - leider nur sehr kurze - römische Tagebuch Theos für den Zeitraum vom 1 8 . 2 . - 2 9 . 5 . 1 8 8 1 ergänzt werden (vgl. B.II.2.a.). Levin Schücking weilte wie so viele seiner Berufs- und Standesgenossen wiederholt in Rom. So wohnte er von Anfang Oktober 1847 9

10

Meta publiziert auch Gedichtbände in Personalunion mit Hedwig Kym: Lieder und Sprüche von Hedwig K y m und Dr. Meta von Salis-Marschlins. Zürich 1892. Wenn Schleicher vermerkt: „Siebzehn Jahre später schließt sich die brennende Wunde in einem beseligenden Wiederfinden auf römischer E r d e " (Schleicher: Salis, S. 49), so entspricht dies der gänzlich unkritischen Einstellung Schleichers zu Meta von Salis, wird den weitaus nüchterneren Tatsachen aber kaum gerecht.

1.2. Theophania Schücking, genannt

Theo

411

bis Mitte März 1848 als Mitarbeiter der Kölnischen Zeitung mit seiner Frau in der Villa Babuino. Nach deren Tode mußte Theo in den Jahren 1863 und ab 1865 ohne Unterbrechung bis in Levin Schückings Todesjahr 1883 während der jeweiligen Wintermonate das kleine Hauswesen in der Via Sistiana 149 und in der Via di Ripetta 108 II betreuen.11 In dieser Zeit steht Theo als hübsches, fröhliches Mädchen vor uns - Zeichnungen und Portraitbilder beweisen das augenfällig. Mit den Freundinnen Emmy und Anna Dincklage feiert sie gemeinsam den römischen Karneval (28. 2. 81) und berichtet über Meta: „Emmy und ich zur Bahn um Meta abzuholen [...] Meta sehr viel Punsch getrunken" (12. 3. 8 1 ) - übrigens einer der wenigen Punkte, wo sogar Meta menschliche Schwächen verrät. Wir sehen sie als stets willkommene Begleiterin ihres Vaters im berühmten Café Creco, und nicht zuletzt als sorgsame Hausfrau die zahlreichen Besuche bewirtend, etwa Betty Paoli oder Fanny Lewald. Besonders erwähnt sei hier ihre Aufzeichnung vom 28. 4. 1881: „Um 12 mit Papa zum Frühstück bei Wichmanns mit Johannes Brahms zusammen. Sehr nett". 12 Nicht unerwähnt sollen auch die liebevollen, ein wenig koketten Schilderungen bleiben, die sie ihren häufigen Ausflügen in Begleitung der Herren Brandt und Gerhard widmet. Jugend und Lebenslust atmen diese Aufzeichnungen der reizvollen jüngsten Tochter Levin Schückings und so stehen sie in fast tragischem Gegensatz zu den trostlosen Eintragungen der alternden .amerikamüden' Theo aus dem amerikanischen Tagebuch. c) Das amerikanische

Tagebuch,

1883-1886

Damit sind wir an dem Punkt angelangt, der Theos Leben schlagartig verändert: 1883, dem Todesjahr Levin Schückings, dem Jahr, das ihr nicht nur den Vater nimmt, sondern auch die Freundschaft mit Meta zerbrechen läßt. Kurz nach Levins Tod schreibt sie, und Meta zitiert das in ihrem Lebensbild: 11

12

Die Quartierangaben verdanke ich dem noch immer äußerst verdienstvollen Buch von Friedrich Noack: Deutsches Leben in Rom, 1907. Allerdings - und das verwundert bei der Fülle des Materials nicht - haben sich einige Fehler eingeschlichen; so heißt es im Register S. 455: „Die Tochter Theo Schücking starb Ende Mai 1903 in Rom, wo sie ihre letzten Jahre zubrachte"; das wäre sicherlich Theos Wunsch gewesen, allein den Tatsachen entspricht es nicht. Vermutlich Franz Wichmann (s. Register). Vgl. Maack: Novelle, S. 317. - In den Aufzeichnungen Johannes Brahms' hat sich kein derartiger Hinweis gefunden.

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C.

Untersuchungen

Alle Welt ist so gut gegen mich, alle schreiben mir, ich möchte zu ihnen kommen, i h r Haus sei fortan das meine, aber ich möchte mich allein zurechtfinden in dieser Welt, in der ich doch nun einmal allein gelassen bin (S. 213).

Wie sehr ernst es ihr mit diesem Vorsatz ist, beweist ihr Amerika-Abenteuer, das hier eingehender behandelt werden soll; zeigt es doch - und Theo ist ja keineswegs ein Einzelfall - mit welch großen Schwierigkeiten Frauen, die ihr Unstern aus der Heimat getrieben hatte, konfrontiert wurden. Man denke etwa an Metas Irland-Erfahrungen, oder an Betty Paolis Aufenthalt in Rußland und ihre Flucht nach Galizien. Nach dem Tode Levins bleibt Theo ungesichert und unversorgt zurück. Zwar hatte ihr Vater noch testamentarisch versucht, ihr einen Lebensunterhalt zu sichern,13 doch scheitert dieser Versuch weitgehend an dem Verhalten der Geschwister, vor allem der Brüder Lothar und Adrian. Mit diesem Schicksal steht Theo in einer unabsehbaren Reihe höherer Töchter aus gutem, aber nicht sehr bemitteltem Haus, die - nach dem Tod des Vaters ohne Beruf und Ausbildung - nur auf die Mildtätigkeit der Verwandten angewiesen, ihr kümmerliches Dasein fristen. So unpoetisch dieses Leben für die meist nicht mehr ganz jungen Frauen war, so gab es doch den Stoff für unzählige Romane und Erzählungen ab. „So manche Biographie liest sich wie ein Abschnitt eines sozialen Romans mit all seinen Licht- und Schattenseiten", vermerkt Sophie Pataky, fürwahr eine intime Kennerin der Materie, in ihrem Vorwort zum Lexikon deutscher Frauen der Feder; 1898. Nur beispielhaft sei auf Gabriele Reuter: Ein Mädchen aus gutem Haus, Gertrude von Stein: Die arme Lena, Marie von Ebner-Eschenbach: Ein kleiner Roman - und nicht zuletzt auf Theos eigene Novelle: Heimkehr verwiesen. Daß sich Schriftstellerinnen wie Hedwig Courths-Maler, Ida Gräfin Hahn-Hahn oder Eugenie Marlitt in nur wenig variierenden Formen häufig dieses Sujets bedienten und es in den Tränenströmen ihrer meist den unteren Gesellschaftsschichten angehörenden Leserinnen mehr oder weniger gewinnträchtig fast ertränkten, muß nicht hervorgehoben werden. Neben so viel literarischer Vermarktung lag in diesem Sujet aber auch eine Initialzündung für die Frauenfrage des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Darauf wird an anderer Stelle einzugehen sein. Theo steht also im Jahr 1883 ziemlich unvorbereitet dem Zwang gegenüber, ihr Leben, das bisher in geregelten Bahnen verlaufen war, in die eigenen Hände zu nehmen. Bis dahin hat sie - und da ist sie wahrlich kein Einzelfall - die Stelle ihrer früh verstorbenen Mutter 13

Vgl. oben B.I.2. das Testament Levin Schückings.

1.2. Theopbania Schücking, genannt Theo

413

eingenommen; sie führte den Haushalt, begleitete den Vater auf vielen Reisen, schrieb ins Reine und las Korrekturen an dessen zahlreichen Romanen. Obwohl sie sich bereits literarisch betätigte - wie wir aus ihrem Rom-Tagebuch erfahren (28. 2. 81) - so wäre sie doch nie auf die Idee verfallen, sich selbst als Schriftstellerin zu sehen. Sie versuchte sich im Schreiben, wie es eben unter jungen Damen ihres Standes häufig Mode war. Schreiben, Zeichnen, Malen: das war im Stundenplan für höhere Töchter ausgiebig verankert, das hatte man gelernt und gefiel sich darin, zumal wenn die Schriftstellerei in der Familie ,erblich' war wie bei den Schückings. Daß diese Schreibmode oft für viele nach dem Tod der Eltern mittellos zurückgebliebenen Töchter zur einzigen Erwerbsquelle wurde, zeigen zahlreiche Beispiele. 14 Theo war nun aber im Zusammenleben mit ihrem schriftstellerisch so erfolgreichen Vater und dem daraus resultierenden Wissen um die Tükken des Dichterlebens die Unbefangenheit und Naivität abhanden gekommen, die so viele ihrer Leidensgenossinnen zu schriftstellerischem Ruhm verhalf. Sie schreibt - aus eigenem Antrieb und auf Anraten einiger Freunde - weiter, wagt es aber offensichtlich nicht, das Schreiben zur Basis für ihr weiteres Leben zu machen. So faßt sie den Entschluß, nach Amerika zu gehen, um in den etwas ungeregelten Haushalt ihres Onkels Prosper einzutreten. Während ihres Amerika-Aufenthaltes führt Theo ein Tagebuch, wie sie es auch schon in Rom getan hatte, ja sie verwendet sogar dasselbe Vormerkbuch und beschreibt es nun umgekehrt von der letzten Seite beginnend (vgl. oben B.II.2.a, Anm.). Freilich brächte es wenig, diesen Text mit all seinen täglichen Bemerkungen, Sorgen und Klagen im Ganzen abzudrucken. Es mag genügen, die wichtigsten Stellen, die ausreichenden Einblick in diesen Lebensabschnitt Theos gewähren, im Folgenden wiederzugeben. Dieses Amerika-Tagebuch - von Inhalt und Form nur als ganz persönliches Dokument zur eigenen Erinnerung gedacht - beginnt mit ihrer Ankunft in Washington am 1.7. 1884 und endet am 1.5. 1886. Die vordem so behütete Theo kommt nicht nur in ein völlig fremdes Land, das ihrem Wesen zudem sicher nicht entsprach, sie kommt auch zu einem Bruder ihres Vaters, dessen Heim mit wechselnden ,Haushaltsdamen', die weitestgehende Befugnisse besitzen, sie in staunendes Unverständnis versetzt. Zudem kommt ihr die undankbare Rolle des 14

So berichtet die Droste bereits 1842 in einem Brief an den jungen Levin Schücking über eine in Not geratene „freilich nicht besonders schätzbare" Bekannte namens Bornstedt: „Zum letzten Mittel, dem Erwerb durch Schriftstellerei, ist sie jetzt auch unfähig" (11.9.1842) Droste-Schücking Briefe, S. 105.

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C.

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,Dritten, wenn zwei sich streiten' zu, und zwar bei den Querelen zwischen Onkel Prosper und dessen ebenfalls in Washington ansässigen Bruder Alfred. Zunächst beklagt sie nur die ungewohnte gräßliche Hitze und die daraus resultierende gesundheitliche Beeinträchtigung. Doch bald kommen Eintragungen wie „Mir sehr unglücklich zu Muth." (23. 8. 1884) oder „Mir sehr schlimm zu Muth." (31. 8. 1884) hinzu - Eintragungen, die sich von nun an wie ein roter Faden in immer kürzeren Abständen wiederholen. Stets hilfsbereit, pendelt sie zwischen den Wohnungen der beiden Brüder hin und her, und schon am 19. 9. dieses Jahres dürfte sie mit dem Gedanken gespielt haben, nicht in Amerika zu bleiben: gemeinsamen Besuch bei Alfred; Prosper sagt hinter meinem Rücken ,das Frauenzimmer ist so schrecklich unpraktisch und dann nachher fatal streitsüchtig und aggressiv', Onkel Alfred zuletzt heftig geworden; ich mich sehr erschrocken.

Unpraktisch kann man sie sich durchaus vorstellen, aber Aggressivität und Streitlust lagen ihrem Charakter sicher fern. Zutiefst unglücklich war sie und von dem innigen Wunsch geleitet, liebevoll in den Kreis ihrer Angehörigen aufgenommen zu werden und ihnen mehr als nur eine Haushaltshilfe zu sein. Fast rührend mutet uns die Eintragung vom 21. 8. 1884 an: „Ausfahrt mit Onkel Alfred [...] Er mir dabei gesagt, ich habe nur dich - ich so froh und dankbar und gerührt [...]. Ich den Abend und die Nacht immer an Alfreds Worte gedacht." Und als wäre damit ihre Lebensfreude wieder zurückgekehrt, notiert sie am 9. 10. 1884: „Mir zum ersten Mal wieder Locken gemacht." Neben all dem Unerquicklichen, das sie in diesen ersten Monaten in Amerika erlebt, gibt es aber auch durchaus Erfreuliches: Ausflüge, auf denen sie die landschaftliche Schönheit in vollen Zügen genießt, abends Theaterbesuche, gemeinsames Dinnieren mit Freunden und Besuche bei Tante Kathinka, der sie und die ihr zeitlebens zugetan bleibt. Dazwischen muß für Prosper eine neue Wohnung gesucht und der Umzug bewerkstelligt werden. Sie streicht Fenster, Türen, Wände, poliert Möbel und putzt Teppiche, wie sie am 20. 10. 1884 vermerkt. Aus einem an sie gelangten Brief ihrer Schwester notiert sie am 24. l l . d . J . , „daß Adrian wieder Unruhe und Streit sucht in Sassenberg". Als auch Lothar wieder in den Erbschaftsstreit eingreift, will sie sich mit Onkel Alfred besprechen, dem sie bis dahin wesentlich näher gestanden hat als Prosper. Doch wir lesen am 20. 1. 1885: „Er [Alfred] sehr häßlich gegen mich gesprochen. Ich mich sehr darüber gekränkt." Über den Brief, den sie am folgenden Tag in dieser Sache an Alfred schreibt, notiert sie:

1.2. Theophania Schücking, genannt Theo

415

E r solle sich in der Erbschaftsangelegenheit nicht weiter bemühen. D a er das U n r e c h t auf meiner Seite sähe, verzichtete ich darauf ihn v o m Gegentheil zu überzeugen. Ich würde von jetzt an meinen Schutz nur in meinem reinen Gewissen suchen.

Zum ersten Mal lehnt sie sich hier gegen das ihr zugefügte Unrecht auf und macht sich mit dem Gedanken vertraut, in Zukunft nur auf sich selbst gestellt zu sein. Schon am 2. 2. 1885 erwähnt sie einen Brief Molly Millers, einer von Levin geförderten Malerin und Bildhauerin, in dem erstmals von Fräulein Hager, einer Verwandten Mollys, die Rede ist. O b der genannte Brief bereits die erste Offerte an Theo, als Gesellschaftsdame zu der fast blinden Wiener Jüdin Amalie Hager zu kommen, enthält, läßt sich nicht genau festmachen; anzunehmen ist es, denn schon kurze Zeit später, am 9. 2. 1885, nimmt sie den ersten Brief Amalie Hagers entgegen und notiert: „Ich Prosper von Frl. Hager gesprochen". Noch aber ist der Entschluß, nach Europa zurückzukehren, nicht endgültig gereift, denn sie teilt am 17. 2. 1885 mit: „Brief an Frl. Hager, vorläufig ihr Anerbieten abgewiesen." Am 21. 2. heißt es wieder wie schon so oft: „Mir arg traurig zu Muth." Die Erbschaftsstreitigkeiten gehen unterdessen weiter; am 2 . 3 . 1 8 8 5 : „morgens Brief von Lothar mit schlimmen Nachrichten über Adrian's Räuberei in Sassenberg." Dazwischen gibt es ständig Auseinandersetzungen zwischen den Onkeln Alfred und Prosper, jede Kleinigkeit gibt Anlaß zu abendfüllendem Zank: „Prosper abends sehr häßlich gegen mich, weil ich eine Cigarette rauchte. Ich ihm energisch geantwortet." (4.3. 1885) Was sich zaghaft angekündigt hat, daß sie fortan ihren Schutz nur mehr in sich bei ihrem reinen Gewissen suchen würde, verstärkt sich nun zusehends. Nicht nur, daß sie „energisch" auf Beleidigungen von Seiten Prospers reagiert, sie faßt auch endgültig den Entschluß, wieder nach Europa zurückzukehren. Wahrscheinlich am 23. 3. 1885 nimmt sie das Anerbieten Amalie Hagers, zu ihr nach Wien zu kommen, an. Mit diesem Entschluß wächst ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstsicherheit. So urteilt sie am 30. 3. 1885 nun gänzlich illusionslos über Alfred: „Mein Eindruck von Alfred, daß er ein sehr unglücklicher aber auch ein sehr jämmerlicher Charakter ist." Daß Prosper Theos Entschluß zur Rückkehr mit sehr geteilten Gefühlen aufnehmen würde, war klar, er will sie partout nicht gehen lassen, wie sie am 4. 5. 1885 berichtet. Die Brüder ziehen alle Register, um sie in ihrem Entschluß wankend zu machen, so am 6. 5.: „Alfred zum ersten Mal wieder plötzlich Gutes von Papa gesagt - von seinem inneren Adel, daß die Familie Schücking überhaupt edel sei!"

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C.

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Zu diesem Werben um Theo gehört sicher auch der Versuch Prospers, ihre in Amerika entstandene Schiffsnovelle hinter ihrem Rücken bei einem Verleger unterzubringen. 15 Sie aber reagiert sehr zornig (22.6.1885) darauf: „auch über Prospers Taktlosigkeit gesprochen, daß ich keine Schriftstellerin sei etc". Ihre Selbstbescheidung nimmt Alfred allerdings zu ernst. „Abends zu Alfred der erst ungnädiger Laune und dann meine Novelle furchtbar heruntergerissen [...] Mich wieder einmal sehr gekränkt!" In einer Eintragung vom 3. 8. 1885 bestärkt sie sich noch einmal selbst in dem Entschluß, sich von allem frei machen zu wollen. Ihre alltäglichen Arbeiten: kochen, einkaufen, aus der Bibliothek Bücher holen für Prosper, für Alfred abschreiben - auch er selbst verfaßt Novellen - füllen die Wochen weiterhin aus. Am 17. 11. 1885 bestätigt sie in einem Brief an Amalie Hager noch einmal definitiv ihre Absicht, zu ihr kommen zu wollen. Auch das Weihnachtsfest des Jahres 1885 verläuft für Theo nicht friedvoll. Am 23. 12. stirbt Alfreds neben ihm herlebende Frau Sarah, und ihr Begräbnis gibt wiederum Anlaß zu zänkischer Rückschau. Die Eintragungen bis zum Ende dieses Tagebuchs am 1. 5. 1886 bringen nichts Neues mehr: Briefe von und an Amalie Hager, ein Besuch in New York bei Mrs. Waldstein (vermutlich der Gattin des Verlegers, den Prosper wegen Theos Novelle konsultiert hatte), die üblichen Arbeiten in Prospers Haushalt. Was allerdings seit Sommer des Jahres 1885 auffällt, ist Theos ständiger Hinweis auf Näharbeiten. Diese sind so zahlreich, daß sie unmöglich nur der Verschönerung der eigenen Garderobe gedient haben können. Die Vermutung liegt sehr nahe, daß Theo mit diesen Arbeiten das Geld für die Heimreise zu erwirtschaften trachtet. Denn woher hatte sie überhaupt Geld? Von finanziellen Zuwendungen von Seiten ihrer beiden Onkeln ist nie die Rede. Vielleicht hat Tante Kathinka manchmal etwas nachgeholfen, aber das reichte sicherlich alles zusammen nicht für das teure Heimreisebillet. Eine kleinere Einnahme erbrachten vermutlich ihre Übersetzungsarbeiten ins Englische und Italienische. Wir wissen auch, daß sie zu dieser Zeit die Novelle Adorata von Luigi Capuana zur größten Zufriedenheit des Autors ins Deut15

Tagebucheintragung vom 6.5.1885: „Prosper die Schiffsnovelle an eine andere Redaktion gesandt". Diese Novelle ist nicht die einzige Arbeit des Jahres 1885; bereits am 23.2. d.J. hatte sie notiert: „Ich bis 12 geschrieben, Asphodelos angefangen". (Der Werkplan oben S. 292). Am 23. 11. d.J. berichtet sie über ein weiteres lit. Vorhaben: „Abends die kleine Sylvestergeschichte: Das Glück angefangen." Wie weit diese Pläne zur Ausführung kamen, war nicht nachprüfbar, festzustehen aber scheint, daß alle diese literarischen Bemühungen dem Gelderwerb - nämlich für die Kostendekkung der Heimreise - dienen sollten.

1.3. Theo Schücking - Freundschaft mit M. v.

Ebner-Eschenbach

417

sehe übersetzte.16 Auch die Geschwister fallen als Geldgeber aus, zumindest fehlt jeder Hinweis auf geschwisterliche Hilfe im Tagebuch. Möglicherweise hat Amalie Hager sich an den Reisekosten beteiligt, vermerkt finden wir das jedenfalls nirgends. So bleibt als Resümee des ganzen Amerika-Abenteuers nur festzuhalten, daß sich Theos finanzielle Situation keineswegs damit konsolidiert hatte. Sie war genauso mittellos wie vor ihrer Reise, auch waren ihre Hoffnungen auf ein künftiges, in jeder Hinsicht geregeltes Leben in Nichts zerstoben. Und doch wäre ohne diese Zwischenstation nie aus Levins bescheidener Tochter - Theo Schücking geworden.

3. Die Freundschaft mit Marie von Ebner-Eschenbach 1886-1903 Theo kehrt desillusioniert nach Europa zurück und übernimmt die Stelle einer Gesellschafterin bei der fast blinden Amalie Hager in Wien. Diese steht durch ihre Nichte Gräfin Anna Pongracz mit dem Kreis um die Ebner in Verbindung. Möglicherweise war es auch dieser Kreis, der die Verbindung zwischen Amalie Hager und Theo, wenn nicht hergestellt, so doch sicher nachdrücklich unterstützte. Durch die nunmehrige Anwesenheit Theos in Wien erfährt die aus dem Jahre 1877 herrührende Bekanntschaft zwischen der Ebner und Vater und Tochter Schücking eine beglückende Vertiefung. Betrachten wir die Verbindung dieser beiden so ungleichen Frauen etwas genauer. Das erste Zusammentreffen fällt, wie schon erwähnt, in das Jahr 1877. Die Ebner - zu diesem Zeitpunkt 47 Jahre, Theo 27 Jahre alt - hat ihre schriftstellerische Durststrecke hinter sich. Die Zeit der von wenig Erfolg gekrönten dramatischen Versuche liegt hinter ihr und sie steht mit ihrer 1876 erschienenen Erzählung Bozena am Beginn ihrer Karriere als die bedeutendste deutschsprachige Erzählerin des 19. Jahrhunderts.17 16 17

Tagebucheintrag vom 1.8.1885: „angefangen Adorata zu übersetzen." Schon wenige Jahre später kommt die Ebner zu lexikalischen Ehren so u.a. Groß: Dichterinnen - Hinrichsen: Deutschland, wo es heißt: „Früh mit den Meisterwerken unserer Literatur bekannt gemacht, brachte das hochbegabte Mädchen denselben ein inniges Verständnis entgegen und faßte das glühende Bestreben, ihnen nachzueifern. Und diesem Streben erwuchsen reiche Erfolge: M. v. E.-E. gilt nunmehr als eine der talentiertesten lebenden Schriftstellerinnen" (S. 128). - Maack: Novelle, nennt „Als Muster zu Studium guter deutscher Novellen" unter vierzehn Auserwählten auch Marie v. Ebner-Eschenbach mit dem Gemeindekind (S. 13).

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Daß sie und Ida Fleischl - in deren Salon die erste Begegnung stattfand und die sich gerne mit literarischen Zelebritäten schmückte 18 - an der Bekanntschaft mit dem vielgelesenen Autor Schücking interessiert waren, verwundert nicht. Aber nicht nur der Vater findet Erwähnung im Tagebuch der Ebner auch „seiner sehr lieben Tochter Theo" wird hier gedacht (8. 12. 1877). Das spricht dafür, daß eben diese Tochter Theo durchaus zu eigener Kontur im Schatten ihres Vaters fähig war. Dazu trug neben dem Liebreiz Theos auch die menschliche Seite, das Wissen um die Aufopferungsfähigkeit der jungen Frau bei. Denn die Ebner wußte um den privaten Grund des Wien-Aufenthaltes der Schückings: Levins Sohn Adrian war im türkisch-rußischen Krieg in Gefangenschaft geraten und nach langwierigen Interventionen des Vaters endlich frei gekommen (vgl. Anm. 73). Er erlitt bei seinem ersten Zusammentreffen mit der Familie in Wien einen totalen körperlichen Zusammenbruch, Freunde der Schückings und in erster Linie Theo bemühten sich aufopfernd um den jungen Mann. Von diesem Jahr 1877 reißt die Verbindung der Ebner zu den Schükkings nicht mehr ab. Sie ist nicht sehr intensiv, wird aber von beiden Seiten als etwas Kostbares empfunden. Mit dem Tode Levin Schükkings 1883 muß sich erstmals die aus guten Tagen stammende Verbindung zwischen beiden Familien bewähren. Und hier bestätigt sich die so oft gerühmte Menschlichkeit der Ebner: „Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich von ganzer Seele mit Ihnen traure" (5/E) schreibt die Ebner nach Erhalt der Nachricht vom Tode Levins an Theo. Daß diese innige Anteilnahme keineswegs eine leere Floskel war, zeigen die wiederholten Einladungen für Theo nach Wien noch im selben Jahr: Niemand vermag auszusprechen wie innigst ihre Wiener Getreuen sich glücklich preisen würden, Sie hier begrüßen zu dürfen [ . . . ] denn es legt unendlichen Werth darauf in, wenigstens schriftlichem Verkehr mit Ihnen zu bleiben, Ihre treue Marie E . ( 7 / E ) .

Aber es bleibt nicht allein bei Einladungen; zu den Freundschaftsbeweisen zählen in Hinkunft in erster Linie die Bemühungen der Ebner, Theo finanziell etwas abzusichern. So hilft sie bei der Suche nach einem Verleger für die Droste-Schücking Briefe und unterstützt mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Theos Bemühungen 18

So verfaßte Conrad Ferdinand Meyer anläßlich der Hochzeit Otto Fleischte mit der Schweizerin Minna Schwarzenbach ein Hochzeitscarmen: Brautgeleit im Privatdruck zur Hochzeit von Dr. Otto Fleischl-Marxow mit Anna Wilhelmina Schwarzenbach, 1890, von C. F. Meyer. In: C. F. Meyer, Sämtl. Werke. Hist.-krit. Ausgabe Bd. I, S. 33, dazu Bd. II, S. 176. Fälschlicher Weise wird Otto hier als „Sohn der Schriftstellerin Betty Paoli" bezeichnet.

1.3. Theo Schücking - Freundschaft mit M. v. Ebner-Eschenhach

419

um Zuwendung und Pension aus den Möglichkeiten der Schillerstiftung (vgl. B.II.4. und C.I.4.C.). Auch im ganzen privaten Bereich ist die Ebner Hilfe und Stütze für Theo und nimmt stets regen Anteil an deren und Amalie Hagers Leben. Sie ist Ansprechpartnerin und Vermittlerin bei kleinen Reibereien, die in diesem schwierigen Zusammensein nicht ausbleiben konnten. Immer wieder begegnen wir im Tagebuch der Ebner dem Namen ,Amalie Hager'; zum Teil sind es Besuchseintragungen (etwa am 10. 2. 1890), aber selbst dem intimeren Kreis scheint die alte Dame zeitweise angehört zu haben: „Nachmittag Frl. Hager, Theo, Sophie [Nichte der Ebner] meine neue Erzählung vorgelesen" (13.4. 1890), oder: „Heute nachmittag haben Ida, Frl. Hager, Theo Schücking und

ich über meinem Manuskripte: Parabeln,

Märchen

und Gedichte

zu

Gericht gesessen" (26. 12. 1891). Sind Besuche nicht möglich, so wandern Korrespondenzkarten von einer Wiener Wohnung zur anderen, und neidvoll nehmen wir den Post-Kundendienst der manchmal doch wirklich guten alten Zeit aus der Feder Adalbert Stifters zur Kenntnis: Jetzt ist man in der Lage, täglich zweimal in alle Teile der Stadt, der Vorstädte und der nächsten Umgebung mittels Post Briefe zu senden, und von da zurück zu erhalten. 19

Bei Ortsabwesenheit ersetzen lange gegenseitige Briefe das schmerzlich vermißte Gespräch. Fotografien20 und kleiner Geschenke - vornehmlich Kalender zum Jahreswechsel - werden ausgetauscht, und der Name Theo taucht im Tagebuch der Ebner immer auf, wenn es gilt, eine ihrer neuerschienenen Novellen Freunden zur Kenntnis zu bringen. 19

20

Weiter: „Das ganze zur Hauptpost Wien gehörige Terain ist nämlich in Bezirke abgeteilt, und in jedem dieser Bezirke ist ein Briefsammeikasten, in welchen die nächste Umgebung ihre Briefe, auch solche, die für weitere Entfernung bestimmt sind, zu weiterer Beförderung abgibt. Zu jedem solchen Kasten gehört auch ein Fuhrwerk [...] Dieser vierrädrige Kasten, gewöhnlich mit einem Pferde bespannt, erscheint täglich wenigstens zweimal vor seinem Bezirkssammelkasten, und [ . . . ] sowohl in der Stadt, als auch in den Vorstädten sind obbesagte Sammelkästen in solchen Distanzen angebracht, daß man [ . . . ] zur Briefaufgabe nicht wieder eine Reise machen muß." (Stifter: Wien, S. 409f). Als Marginalie zur Gepflogenheit, Photographien zu verschenken und zu erbitten: in einem Brief an Devrient aus dem Jahre 1861 schreibt die Ebner: „Entschuldigen Sie, daß ich es wage, eine kleine Photographie von mir in diesem Brief einzuschließen, und wenn Sie eine wertlose Gabe mit einer unschätzbaren erwidern wollen, so erweisen Sie mir die Freude, mir ihre Photographie für die meinige zu schicken". (Bettelheim 1920, S. 314). - Die eigene Photographie etwa einem Bewerbungsschreiben beizulegen, ist auch heute durchaus Usus, die Vorstellung aber, von dem Bewerbungsempfänger ebenfalls eine Photographie zu erbitten, ist nicht ohne Reiz.

420

C.

Untersuchungen

Daß Theo mit ihren nun verstärkt einsetzenden literarischen Bemühungen für die Ebner an Interesse gewinnt, kann man mit Sicherheit annehmen. Auf viele Weise sucht sie sich bei der älteren verehrten Freundin zu revanchieren, sie ist von aufopfernder Hilfsbereitschaft, die die Ebner bisweilen auch gerne in Anspruch nimmt, so ein Beispiel für viele im Tagebuch vom 11.4. 1891 festgehalten: „Theo so gütig, meine Sendung zu übernehmen". Schon hier setzen aber auch die sich mehrenden Hinweise auf Theos zerrütteten Gesundheitszustand ein: „Nachmittag Theo Schücking, die leider gar nicht gut aussieht, sich auch viele berechtigte Sorgen wegen Fräulein Hagers macht" (5. 4. 1891), und zwei Tage später: „Dann meine gute Theo die Abschied nehmen kam, und die mir durch ihr schlechtes Aussehen Sorgen macht" (6.4. 1891). Hier muß erklärend hinzugefügt werden, daß Theo sechs Jahre hindurch fast ausschließlich bei Amalie Hager in Wien ihren kräfteraubenden Dienst versah. 21 Im Jahr 1892 endet dieses dauernde Beisammensein. Der Grund hierfür liegt sowohl in den erwähnten Reibereien, besser gesagt Eifersüchteleien, als auch in dem sich durch physische und psychische Anstrengungen stetig verschlechternden Gesundheitszustand Theos. Einer ihrer Briefe an die Ebner gewährt Einblick in diese letzte krisengeschüttelte Zeit des Zusammenlebens mit Amalie Hager: „Für mich, Baronin, ist es gewiß sehr bitter, nach sechs Jahren Liebe und Treue für Amalie weniger Affectationswerth zu haben als ihr böses Stubenmädchen". Aber unverkennbar ist auch, daß Theo die bittere Lektion aus ihrem Amerika-Abenteuer gelernt hat, wenn es in demselben Brief weiter heißt: Wenn mir in den letzten Wochen vor d e m Auseinanderghen oft zu Muthe wurde, als könnte ich das ihr und mir nicht anthun - genügte das Besinnen auf die Eine brutale Tatsache ihrer bösen Dienstmädchen u m mich wieder fest zu machen. Erst jetzt habe ich meine Selbstachtung wieder, seitdem ich diesen Erniedrigungen entrückt bin [...] aber in dieser Bitterkeit tief drin steckt eine starke Kräftigung, die mich ihren ausgesprochenen Schmerz über unsere Trennung doch besser tragen läßt (18/S).

Nach dieser ,Trennung' verbringt Theo, wenn schon nicht keine, so doch wesentlich weniger Zeit mit Amalie Hager; meist sind es nur mehr die Sommermonate oder Urlaubsreisen. Doch auch dieses kür21

Gutzkow beschreibt in seinem Roman Der Zauberer von Rom das zeittypische Gouvernantendasein, das sich kaum von dem der Gesellschafterin unterscheidet, illusionslos: „Sie trug ihre Arme, so mager sie waren, entblößt ... So befiehlt das Sklavenleben des Gouvernantenthums, den innern und äußern Menschen den Umständen gemäß zu metamorphosiren [...] Auch den innern Menschen!" (Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom, 7. Bd., Leipzig 1860, S. 151).

1.3. Theo Schücking - Freundschaft mit M. v.

Ebner-Eschenbach

421

zere Beisammensein wird immer wieder getrübt durch das, aus der Blindheit resultierende egozentrische Wesen Amalie Hagers: „Aber Amalie leidet [...] d. h. seelisch, und das nimmt ihr die Ruhe, sich in andere Gemüther hineinzudenken" (50/S). Die folgenden Jahre sind für Theo ausgefüllt von finanziellen Sorgen, gesundheitlichen Beschwernissen und dem Gefühl von Heimatund Ruhelosigkeit. In dieser Zeit des Umgetriebenseins ist die Freundschaft mit Marie von Ebner-Eschenbach vielleicht der einzige feste Halt in ihrem freudlosen Leben. Mit dem Jahr 1898 ändert sich auch das Leben der Dichterin; in diesem Jahr stirbt ihr Mann Moriz von Ebner-Eschenbach; 22 Verpflichtungen der Familie gegenüber fallen weg. Sie erfüllt sich einen Wunsch: sie erlebt zum ersten Mal Rom (worauf später - von ihrer Sicht aus - noch näher einzugehen ist (vgl. C.II.l.b). Auch hier ist ihr Theo schon in den Vorbereitungen eine kenntnisreiche Gesprächspartnerin, kennt sie doch Rom seit Jugendtagen. Eine nochmalige Vertiefung erfährt die Beziehung der beiden Frauen durch die zweite Romreise der Ebner im Jahre 1899. Verunsichert und noch vereinsamter tritt diesmal die Ebner die Reise nach dem kurz vorher erfolgten Tod Ida Fleischls an. Theo ist als intime Kennerin Roms und der bedeutendsten italienischen Städte die ideale Reisegefährtin. Bereits in Florenz treffen die Frauen zusammen: „Mit der lieben guten Theo Schücking im Palazzo Pitti" notiert die Ebner im Tagebuch am 27. 10. 1899. Waren es in Florenz gemeinsame Spaziergänge und Besichtigungen, so erweitert sich in Rom, wo man am 30. 10. 1899 eintrifft, Theos Aufgabenbereich beträchtlich. Wenn sonst niemand verfügbar ist, schreibt sie nach Diktat an Verlage, Zeitungen und Freunde, begleitet die zahnwehgeplagte Ebner zum Arzt und vieles mehr. Das besonders innige Verhältnis, das sich auf diese Weise entwikkelt, hat auch die folgenden Jahre Bestand. Dadurch wird es für Theo möglich - vermutlich 1900 - , die finanzielle Hilfe der Ebner, ohne die ein Italienaufenthalt für sie nicht erschwinglich gewesen wäre, dankbar und ohne Empfindlichkeit anzunehmen: Wohl verstehen Sie es, geliebte Baronin, mit Ihrer Güte sprachlos zu machen. Und so will ich denn nur die gesegnete Hand küssen [...] und mir von ganzem Herzen dankbar meine Römischen vier Wände von ihr schenken lassen (91/S).

Theos Redlichkeit auch in dieser schwierigen Situation spricht aus dem, den obigen Brief ergänzenden Schreiben: 22

Ausführliche Biographie in: Moriz von Ebner-Eschenbach.

422

C.

Untersuchungen

Ich will mir dankbarsten Herzens meine vier Wände in Rom von Ihnen schenken lassen. Aber darüber hinaus kann ich Ihrer Großmut kein Zugeständnis machen. Denn leben muß ich hier auch, und da Rom sicherlich mindestens nicht theurer ist als Berlin, sondern eher billiger, werden Sie zugeben, geliebte Frau Doctor, daß meine Millionen in nichts geschädigt werden, wenn ich in Ihrer Nähe in Rom weilen darf! (94/S)

Aber nicht nur die Ebner nimmt Theos Hilfsbereitschaft in Anspruch. In Rom lebt Malwida von Meysenbug, mit Levin Schücking seit langer Zeit befreundet.23 Die Ebner lernt die Verfasserin der Memoiren einer Idealistin erst in Rom kennen. Malwidas Verhältnis zu Theo entwikkelt sich erst allmählich, was bei dem großen Altersunterschied nur natürlich war. So schreibt sie noch in einem Brief an Augusta von Stein am 8. 12. 1875 [?]: Ich habe viele Bekannte, aber niemand, der mir nahe steht wie Sie, denn Theo Schücking, die mit ihrem Vater wieder hier ist und die ich sehr liebe, ist doch zu jung, um mir ganz sein zu können was ich brauche. 24

Jahre später findet sich in einem Brief Malwidas an Meta von Salis schon ein ganz anderes Theo-Bild: Theo ist immer dieselbe gute, treue Seele, hat sich geistig bedeutend entwikkelt und ist wirklich das Muster töchterlicher Pflichttreue.25

Diese Züge in Theos Charakter waren es wohl auch, die in Malwida die Gewißheit wachsen ließen, daß ihr in dieser wesentlich jüngeren Frau Hilfe und Anteilnahme erstehen würden. Mit Beginn des Jahres 1903 verschlechtert sich der Zustand der greisen Malwida rapide. Theo pendelt rastlos zwischen den Wohnungen der beiden betagten Schriftstellerinnen hin und her. Am 21. 4. d. J. ruft Malwida Baron Wulf und Theo zu sich. Darüber berichtet die Ebner, die selbst am 19. 4. zum letzten Mal bei Malwida gewesen war,26 in ihrem Tagebuch: „sie hat von ihnen Abschied genommen. Auf ihrem Bett lagen schöne Rosen. Theo mußte eine für sich und eine für mich wählen." (21. 4. 1903). Am 26. des Monats stirbt die zunächst von al23

24 25 26

Während Malwidas gemeinsam mit Nietzsche verbrachten Sorrent-Aufenthaltes schreibt sie an ihre Stieftochter Olga: „Hier fand ich 2 Briefe [...] einen von Theo, der ich geschrieben hatte, ob sie und ihr Vater nicht April und Mai hieher kommen wollten [...] das hätte sehr gut gepaßt; wir hätten nicht zu verändern brauchen und hätten wieder Vorleser gehabt". (Meysenbug: Briefe, S. 124). Meysenbug: Briefe, S. 45. Brief vom 30.1.1883, ebenda S. 175. E / T b 19.4.1903: „Malwida Meysenbug wünschte Abschied von mir zu nehmen. Sie lag auf einem Ruhebett in ihrem kleinen Salon, ein Schatten, die Augen groß und leuchtend in dem schmalen abgemagerten Gesicht".

1.3. Theo Schücking

- Freundschaft

mit M. v.

Ebner-Eschenbach

423

len bewunderte, später etwas in Vergessenheit geratene ,Idealistin' und wird am Friedhof an der Cestiuspyramide bestattet. 27 Wie hoch Malwida Theos menschliche Qualität im Umgang mit fremdem Leid einschätzte - ihre Kräfte aber wohl überschätzte zeigt eine Anordnung Malwidas, die wir aus dem Tagebuch der Ebner vom 20. 4. 1903 kennen: Baronin Meysenbug hat angeordnet, daß ihre Leiche verbrfannt werde und sagte zu Madame Monod die diesen Entschluß bekämpfte: „Du darfst nicht dabei sein, du mußt zuhause bleiben, wenn man mich fortbringt und mit der alten treuen Theo Thee trinken."

So ehrenvoll das für Theo gewesen sein mag, so ist nicht zu übersehen, daß sie mit all den von ihr erwarteten Hilfeleistungen psychisch und physisch überfordert war. Die Ebner scheint das sehr wohl erkannt zu haben, wie wir einem Eintrag vom 28. 4. d. J. entnehmen: Theo, die Getreue, sehr ergriffen, sehr traurig und sehr übermüdet. Sie ist in den letzten Tagen ganz aufgegangen in der Sorge, der tatkräftigen Sorge um die kranke Freundin. Und was hat sie den ganzen Winter hindurch für mich getan! Wie eifrig mir geholfen bei meiner Arbeit, bei meinen Korrekturen, meiner Korrespondenz. Immer vom gleichen Eifer beseelt, immer hülfreich, immer geduldig und voll des wärmsten Interesses für die Arbeit die durch ihre Teilnahme gefördert wurde. Ich werde Theo nie genug danken können.

Aus Rom wieder nach Wien zurückgekehrt, setzt die Ebner die Korrespondenz mit der in Rom zurückgebliebenen Theo fort, erhält aber schon am 22. 5. 1903 die Mitteilung von Otto Fleischl, daß Theo erkrankt sei. Einen Tag später schreibt er: Keine Besserung. Das Fieber ist hoch der Puls rasch, die Atmung auch. Theo hat eine tüchtige Lungenentzündung. Möge es gut gehen, aussehen tut es schlimm genug (Tb. 23. 5. 1903).

Am Vormittag des 24. 5. gibt etwas bessere Nachricht wieder Hoffnung. Aber: „Am Nachmittag die Todesbotschaft. Ein großer Schmerz für mich, ein Unglück für Fräulein Hager und die arme Frau Rikkert", 28 notiert die Ebner in ihr Tagebuch. Schon am folgenden Tag finden wir sie „Bei dem armen Fräulein Hager" (Tb. 25. 5.) und für den 26. gibt sie einen Brief Minna Fleischls mit Bericht über Theos 27

28

Im Zuge der nostralgischen Aufarbeitung von Frauenliteratur erschien, wahrscheinlich erstmals, ein Roman über Malwida - Julia von Brencken: Anemonen pflückt man nicht. Malwida von Meysenbug, Wegbereiterin der Frauenbildung. Heilbronn 1995. Auf ihn sei der Kuriosität, nicht der Qualität wegen, hingewiesen. Frau Rickert ist Theos Schwester Gerhardine, vgl. Register.

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C.

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letzte Stunde wieder: „Gestern wurde sie auf dem protestantischen Friedhof zu Ruhe bestattet. Dr. Glaser schreibt: Ihr Andenken wird im Lichte bleiben". Die letzte Eintragung, die dem Andenken Theos gewidmet ist, steht im Tagebuch unter dem 20. 6. 1903: Frau Gerhardine Rickert schickt die Danziger Zeitung vom 26. Mai, die einen kleinen Nachruf: Theo Schücking enthält. Liebe Theo Der ihn geschrieben hat, meint es gut, wird Ihnen aber nicht gerecht!

Gerade das aber trifft voll auf den Nachruf zu, mit dem die Ebner im Zeitlosen Tagebuch das Andenken Theos ehrt. Im Romkapitel führt sie uns zur Osterzeit in einen „der kleinsten, aber poetischsten Friedhöfe", den Friedhof der nichtkatholischen Fremden an der Cestiuspyramide: Mein erster Weg führt zu einem Grab, dessen Marmorplatte den teuren Namen Theo Schücking trägt. Ihre Schwester Gerhardine die Witwe des freisinnigen Mitglieds des preußischen Abgeordnetenhauses, Heinrich Rikkert, hat in den schneeig weißen Stein die Worte einmeißeln lassen: „Du wählst das Gute, weil's das Gute ist / Und eh du wähltest, hast du es getan!" So war sie, in diesen zwei Zeilen ist ihr ganzes Wesen gekennzeichnet. Wohl jedem, der sie gekannt hat! Er hat erfahren, daß Menschen leben, für die das Gute tun heißt, dem Gesetz ihrer eigensten Natur entsprechen. Theo Schücking ruht in der Nähe des kleinen Tempels, in dem die Asche ihrer mütterlichen Freundin, Malwida von Meysenbug, beigesetzt wurde. Das Frühjahr 1903 hat beide hinweggerafft, die vielgefeierte Verfasserin der Memoiren einer Idealistin und die feinsinnige Tochter des Schriftstellerpaares Levin und Luise Schücking. Rom, das ihre geistige Heimat gewesen ist, birgt nun ihren Staub, und liebreich bewahren treue Freunde, die hier leben, ihr Gedächtnis". 29

Hier ist es nicht uninteressant, noch einmal vergleichsweise auf Meta von Salis einzugehen. Für die Würdigung der toten Theo übernimmt diese wörtlich den Ebnerschen Text aus dem Zeitlosen Tagebuch, zwar als Zitat ausgewiesen, doch ohne Nennung des Autor-Namens. Ein Gedicht Metas, Theo überschrieben, ist ein äußerst schwächliches Produkt, vielleicht auch deshalb unvollendet geblieben. 30 Die Schwierig29 30

Ebner: Zeitloses Tagebuch, S. 622. Das unvollendete Gedicht Meta von Salis', Theo überschrieben, lautet: Gleich wie die Sonne in des Meeres Fluten / Langsam, in königlichem Sich-Verbluten / Am Abend sinkt, den Westen purpurn färbend, / Und, wie sie schenkend lebte, schenkend sterbend, / So sah ich dich ins Reich der Toten steigen, / Geliebteste, die ich so heiß beweine, / Umstrahlt von deinem Glorienscheine / Von deinem Heldentum im Tun und Schweigen, / Von deiner stillen Größe Zauberkraft. / Die laute Menge braucht es nicht zu wissen, / der Webling wird dich keine Stunde missen. / Die schale Freundin, die dein Herz besessen / Und deine Kraft mißbrauchte, dich vergessen. / Was tut's? Du warst viel mehr als sie, viel reicher, / Was du verschwendetest [...]" u.s.w. - Handschriftlich in der Universitätsbibliothek Basel.

1.4. Theo Schticking als Schriftstellerin

425

keiten, die Meta mit diesem Thema hat, sind nicht zu übersehen. Eben deshalb - und psychologisch ist das gut zu erklären - unterläßt sie es auch hier nicht, Zensuren nach verschiedenen Seiten hin zu verteilen: „Einer war, der betrübend an Pflicht und Freundschaft sündigte, ein Anderer aber weit über seine Pflicht getan hat" (S. 232). Handschriftliche Randbemerkungen weisen den Ersteren als Dr. Otto Fleischl aus, während wir in dem letztgenannten Samariter Dr. Erhard zu sehen haben. Uber ihre eigenen Unterlassungssünden breitet sie jedoch das mit Sentimentalitäten gezierte Schlußkapitel. Diesem entnehmen wir auch, dass „Letzte Worte Theos" - seit Goethes letztem Wunsch nach „Mehr Licht" aus Literaten-Sterbestuben kaum mehr wegzudenken - von Luise von Ammon übermittelt sind. Von dieser dürfte auch der Auftrag für das Grabmonument vergeben worden sein - nicht ganz nach dem Willen des mit Theo befreundeten Bildhauers Heinrich Gerhard, aber gebilligt von Gerhardine Rickert. Wie sehr die Nachricht vom plötzlichen Tod Theos ihre nahen Freunde und fernweilende Bekannte traf, zeigen zahlreiche Kondolenzbriefe (vgl. im ganzen B.II.5.).

4. Theo Schücking als Schriftstellerin a) Die Ausgabe der Droste-Schücking Briefe Das Gefallen, das die Ebner an der ,sehr lieben Tochter Theo' fand, hätte wohl kaum ausgereicht, das Interesse an der Person Theos auf die Dauer wach zu halten. Dafür waren andere Gesichtspunkte ausschlaggebend. Zunächst einmal war Theo durch ihren Vater auf das engste mit dem Literaturbetrieb der Zeit vertraut und somit eine kenntnisreiche Gesprächspartnerin auf diesem Gebiet. Zum Anderen - und das war vielleicht ausschlaggebender - verkörperte Theo ein zeittypisches Schicksal vieler Frauen, dem Hilfsbereitschaft und Mitgefühl der Ebner in besonderem Maße galt. Wie sah nun so ein kleines Schriftstellerinnen-Dasein aus? Im Amerika-Abschnitt (C.I.2.c) legten wir dar, daß das Schreiben Theos aus Lust und Laune, wie sie es vor dem Tode ihres Vaters betrieben hatte, 31 nach ihrer Rückkehr aus Amerika zur bitteren Notwendigkeit geworden war. Gleichwohl ist ihre erste Arbeit, nachdem sie bei Ama31

Vgl. Irrlicht (S. 234), Das Tamburin (S. 303, 431), Schiffsnovelle, Das Glück (S. 416), Übersetzungen (S. 417, 437).

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lie Hager wieder Fuß gefaßt hatte, - die mit einem ausführlichen Vorwort versehene Herausgabe der Briefe von Annette von Droste Hülshoff und, Levin Schücking32 - nicht allein unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Es war ihr in erster Linie eine Verpflichtung, die sie dem Andenken ihres Vaters schuldig zu sein glaubte. Denn das Ungewöhnliche des Verhältnisses zwischen dem jungen Levin Schücking und der wesentlich älteren Dichterin - dem ,Mütterchen', wie Levin sie immer nennt - war, und heute würde das kaum anders sein, zu einer interessanten Bereicherung des literarischen Alltags geworden. Unter anderen hatte Gabriele Reuter mit ihrer harschen Kritik das Interesse an dieser eigenwilligen Freundschaft nicht verstummen lassen, indem sie, wie Meta von Salis berichtet „die Erklärung zum größten Teil aus dem niedrigen Eros ableitet!" (S. 222). Daß diese ihrerseits aus persönlicher Veranlagung und emanzipatorischem Vorbehalten die Schuld an Entfremdung und Bruch dieser eigentümlichen Freundschaft an Louise von Galls starker Persönlichkeit festmacht, verwundert nicht weiter. Ihre Auffassung, Theo habe „vom Vater keinen Aufschluß oder nur im allgemeinsten Umriß" (ebenda) erhalten, mag zum Teil zutreffen, doch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Theo durch die im Zusammenhang mit der Ausgabe aufgetretenen Auseinandersetzungen mit der Familie der Droste detaillierter eingeweiht wurde, als es der pietätvollen Tochter lieb sein konnte. Das in der Sache bewiesene Feingefühl und die sprachliche Akkuratesse, mit der sich Theo dieser schwierigen Aufgabe entledigte, verdienen durchaus Anerkennung, und die Ebner versagte sie ihr keineswegs. Wieviel Mühe und Ärger brachte diese Arbeit! Den Werdegang der Briefausgabe zu verfolgen, ist nicht nur von allgemeinem literatursoziologischem, sondern auch von speziell literaturhistorischem Interesse. Da der Droste-Forschung alle die Schwierigkeiten, die bis zur endgültigen Drucklegung der Briefe zu überwinden waren, bisher offenbar nicht bekannt sind, seien hier die betreffenden Briefstellen ausgewählt, übersichtlich zusammengestellt und kommentiert. Über den Beginn an dieser Arbeit berichtet Theo brieflich der Ebner am 28. 11. 1892: Die Droste-Briefe haben mir eine große Arbeit gemacht, in der ich noch drin stecke [ . . . ] Denken Sie Sich, Baronin, daß der Prof. Eschmann, dem ich sie im Sommer noch lassen mußte, der Richtigstellung der Interpunctionen wegen, sie mir damals mit Bleistift-Bemerkungen, Strichen, unnöthigstem H i n - und Hercorrigiren so zugerichtet hat, daß ich mir nun die Seele aus dem Leibe wischen und radiren muß, u m sie nur einigermassen wieder 32

Droste - Schücking Briefe. Einleitung abgedruckt B.II.2.b.

1.4. Theo Schücking als Schriftstellerin

427

lesbar zu machen - s o konnte ich sie Niemandem einschicken! [ . . . ] Offenbar ist die gute Professorenseele mitten in der Arbeit v o m Wahn überfallen worden, ein Schülerheft vor sich zu haben ( 1 8 / S ) .

Theo hatte sich an diese Arbeit gemacht - von vielen Seiten dazu animiert - ohne eine verbindliche Zusage von Seiten eines Verlages für die Publikation in Händen zu haben. Zunächst dachte sie an die Erstveröffentlichung der Briefe in einer Zeitschrift: „Einmal, weil diese lieben, schönen Briefe darin doch viel mehr gelesen würden! Und dann, weil das Buchhonorar gar so gering zu sein pflegt" (30/S). Die geeignetste Zeitung schien ihr die Gartenlaube zu sein, der sie die Briefe auch anbot. Die Antwort des dafür zuständigen Herrn Kröner fiel „sehr kühl" aus: ich möge sie [die Briefe] ihm alle einschicken. Es ist mir nun ein etwas unbehagliches Gefühl, diese so schwierige und kostspielige Abschrift jetzt dem Monate langen Umherliegen bei all den Stuttgarter „Lectoren", deren es nur für die Gartenlaube eine Menge giebt - auszusetzen (18/S).

Wie nach der ersten Kontaktaufnahme fast zu erwarten war, lehnte die Gartenlaube ab, und so fiel die zweite Wahl auf die Deutsche Rundschau, die zudem den Vorteil bot, daß sich die Ebner bei ihrem Freund Rodenberg dafür verwenden konnte. Diese signalisiert ihr Hilfsangebot auch postwendend: Lassen Sie mich aber ehe Sie bei Rodenberg einen Schritt thun, von mir aus anfragen. Ich werde ihm sagen, daß Sie im Besitze der herrlichen Briefe von A . v. Droste's an Ihren verehrten Vater sind, und daß ich Ihnen den Rath gegeben habe, das Manuscript der Redaction der ersten Monatsschrift Deutschlands einzusenden, wohin dieses kostbare Vermächtniß der ersten deutschen Schriftstellerin gehört ( 2 3 / E ) .

Rodenberg scheint zunächst von dem Plan sehr angetan gewesen zu sein, so läßt jedenfalls ein Brief der Ebner an Theo vermuten: Mein verehrter Freund Rodenberg schreibt: „Alles was von der DrosteHülshoff kommt, oder sich auf sie bezieht, darf von vornherein meiner innigsten Sympathie gewiß sein; wenn Sie daher Fräulein Schücking veranlassen wollten, sich an mich zu wenden, so würde ich Ihnen sehr dankbar sein" ( 2 5 / E ) .

Nach diesem freundlichen Brief verwundert es allerdings, daß Rodenberg kurze Zeit später im Februar dieses Jahres die Briefausgabe ablehnt. Theos darauf bezüglicher Brief ist nicht erhalten, aber sowohl Ebnersche Tagebucheintragungen als auch ihre Briefe an Theo geben Zeugnis von dem Unverständnis, das die Ebner für Rodenbergs Entscheidung empfand. So lautet die Tagebucheintragung vom 13. 2. 1893: „Theo schreibt zu meiner größten Bestürzung, daß Rodenberg die

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C.

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Briefe nicht nimmt. Sie haben zu wenig Publikum. Das ist eine Schande für Deutschland". Und weiter am 22. 2. heißt es: „Von meinem lieben Freund Rodenberg. Er giebt noch ausführlicher als früher die Gründe an, warum er die Droste Briefe nicht bringen kann". Und an Theo schreibt sie, die Rodenberg sonst immer nur freundschaftlichst verehrend erwähnt: „es übersteigt mein Begriffsvermögen [...] Ich verstehe diesesmal meinen lieben und hochverehrten Freund R. nicht" (26/E). Ihre weitere Bemühungen, Rodenberg doch noch umzustimmen (27/E), bringen keinen Erfolg. Und so bleibt es dabei, was sie am Schluß ihres oben erwähnten Briefes an Theo feststellt: „Ich bin betrübt über das Schicksal der Briefe, ich hätte alles eher erwartet als daß die D[eutsche] R[undschau] sich die Veröffentlichung eines solchen Schatzes entgehen lassen würde (26/E). Nun geht die Suche nach einer geeigneten Zeitschrift weiter, und Theo scheint an Westermann's illustrierte Monatshefte gedacht zu haben, wovor die Ebner allerdings gleich aus eigener Erfahrung warnt: Nein, mein liebes Kind, wenden Sie sich nicht zuerst an Westermann, er zahlt so gar schlecht. Ich gehe nicht mehr zu ihm seitdem er mir die Bettelbriefe miserabel honorirt hat! Wenden Sie sich an Velhagen und Klasing. Die sind sehr nobel" ( 2 6 / E ) .

In einem Brief der Ebner wenige Tage später (27/E) kommen noch weitere Publikationsmöglichkeiten zur Sprache, etwa das Universum und die von Carl Emil Francos redigierte Deutsche Dichtung. Theos Versuch, Velhagen für die Briefe zu interessieren, schlägt ebenfalls fehl, wie die Eintragung der Ebner in ihrem Tagebuch vom 21. 3. 1893 festhält: „Von Theo auch Velhagen nehmen die Droste-Briefe nicht". Neben der Ebner bemüht sich auch Ida Fleischl, den Briefen den Weg über eine Zeitschrift in die Öffentlichkeit zu bahnen; für den ganzen Wiener Kreis gilt, was die Ebner formuliert: „Das Schicksal der Drostebriefe geht mir nahe, es ist mir eine Herzensangelegenheit" (28/E). Warum die Briefe nun tatsächlich in keine der renommierten Zeitschriften Aufnahme fanden, entzieht sich unserer Kenntnis. Daß dafür „zu wenig Publikum" war, wie Rodenberg angab, scheint mehr als zweifelhaft. Die Briefe hätten gleich aus zwei Gründen ihr Publikum finden müssen: zuvorderst stand die Droste schon in hohem Ansehen als Dichterin, und für das weniger an Literatur interessierte Publikum hätte die damals wie heute gängige Lust an der Indiskretion das Interesse an der Briefausgabe wecken müssen. Moralische Bedenken dagegen hätten allenfalls in das Konzept der Gartenlaube gepaßt, waren aber für die anderen Zeitschriften nicht von Gewicht. Ob die Familie der Droste bereits zu diesem Zeitpunkt ihren nicht geringen Einfluß

1,4. Theo Schücking als Schriftstellerin

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bei den Zeitschriftenredaktionen geltend machte, um die Erstveröffentlichung in Zeitschriftenform zu verhindern, ist nicht nachzuweisen. Anzunehmen ist es fast, da massive Einsprüche von Seiten des sogenannten ,Droste-Neffen', 3 3 die Buchausgabe zu verhindern, bekannt sind. Erstaunlicherweise war diese dann doch bereits im Jahre 1893 bei Friedrich Grunow in Leipzig zu Stande gekommen, woran Theos Schwager Rickert wesentlichen Anteil hatte. Aus Südtirol, wo ein Treffen zwischen Theo und dem Neffen der Droste Klarheit schaffen sollte, berichtet diese rückblickend und auf einen Ebner-Brief, der voller Anerkennung für die Briefausgabe war (35/E), eingehend: E r ist mir der Lohn dafür, daß ich im Sommer n i c h t einen schönen Tages die Flinte ins Korn warf - nur um Ruhe zu haben von Herrn v. Droste und andern dunkeln Punkten in der Entstehungsgeschichte des Buches [...] Ach, wenn ich Ihnen nur einmal hätte mündlich von alledem erzählen können, z.B. von Herrn v. D.'s Verlangen, die Stelle auf S. 80: „ich möchte Dich zu Brei zusammendrücken etc." zu s t r e i c h e n , weil „sie eine unschöne Vorstellung erweckt." Nun ist es freilich nicht zu der Ausgabe ad usum Delphini der Familie Droste-Lassberg gekommen - aber wieviel Haß und Feindschaft wird nun dafür auf den Namen meines Vaters geworfen werden (36/S). 3 4

Daß sich die Begeisterung der Droste-Familie über die Briefausgabe in Grenzen hielt, bedarf keiner näheren Erläuterung, zumal die Frage, wie Theo in den Besitz der Briefe gekommen war, sicherlich genügend Zündstoff bot. Theos verklausulierte Auslassungen zu diesem Punkt vermögen keine Klarheit in die Angelegenheit zu bringen: Wenn mir die Courage dazu n i c h t abhanden kommt, möchte ich nun wohl einmal zu Dr. Rodenberg hingehen um ihm kurz zu sagen, w i e es sich mit meines Vaters Besitzrecht auf die Briefe mit den Einsprüchen der Droste und Lassberg verhielt [...] Wenn nur ein anständiger Mensch, der hier im literarischen Leben steht, den w a h r e n Thatbestand kennte, so wäre damit schon viel gewonnen (43/S).

Als eine Möglichkeit für den rechtmäßigen Anspruch Theos auf die Droste-Briefe bietet sich die Überlegung an, daß die Schwester der Droste - Jenny Baronin Laßberg - , die Theo gegenüber durchaus wohlwollend gesonnen war, 35 die Briefe an Levin Schücking im sicheren Wissen um dessen Loyalität zurückgegeben hatte. 33 34

35

Vgl. Briefe 36/S, 38/S, 43/S. Die hier vom Droste-Neffen beanstandete Stelle vgl. oben 36/S, Anm. 3. - Vielleicht ist es der zugegebener Maßen burschikose Ton des Briefes, der das Bild der nur tief empfindenden Lyrikerin in der Öffentlichkeit nicht verunstalten sollte. Vgl. Brief 2 2 / E .

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C.

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Einen Einblick in das Unerfreuliche dieser Auseinandersetzung gewährt auch der bereits erwähnte Brief der Ebner vom 21. 10. 1893: Die Einleitung mußte ich gleich lesen [ . . . ] Sie ist ausgezeichnet! Dieses B u c h müßte wirken wie ein kräftigender, reinigender H a u c h der gezogen k o m m t durch die ungesunde, dicke, stauberfüllte Atmosphäre [ . . . ] wenn es nur nicht gar so viele Menschen gäbe, denen die Schlangenspeise: Staub besser schmeckt als Ambrosia. Aber es giebt zum Glück doch noch Viele die auch das Einfache und Lautere gelten lassen [ . . . ] F ü r die haben Sie sich gemüht, die werden Ihnen dankbar sein ( 3 5 / E ) .

Daß die Zahl der „Dankbaren" aber erst mühsam vergrößert werden mußte, beweisen die Bemühungen um Rezensionen. An erster Stelle war es wieder die Ebner, die ermutigte und ihre Verbindungen für das Buch einzusetzen versprach: „Ich kann nur wiederholen, was ich für Ihr Buch thun kann, wird geschehen, aus Liebe und aus Uberzeugung" (37/E). Wie ,bitter schwer' es Theo selbst ankam, bekannte Redakteure um Besprechungen des Buches zu ersuchen, bezeugen Briefe aus dieser Zeit eindringlich.36 Rodenberg, Mauthner, Necker, Bettelheim, um nur einige zu nennen, sollten für diese Aufgabe gewonnen werden. Aber der Einwand der Ebner, „Besprechungen die von den Herren Recensenten auf eine Bitte hin veröffentlicht werden fallen selten gut aus" (37/E), bewahrheitete sich auch in diesem Fall. Vor allem ein äußerst übelwollendes Feuilleton des Redakteurs Ludwig Geiger in der Neuen Freien Presse37 scheint Theo endgültig dazu bewogen zu haben, die Dinge ihren Weg gehen zu lassen: Meine Ahnung, daß er [Geiger] gebeten wurde so zu schreiben, hat sich unterdess durch einen Brief in halbe Gewißheit umgewandelt. Ist dem so, so wird noch Mehreres dergleichen und zwar gerade in den tonangebenden Zeitungen erscheinen, da derjenige, der im Hintergrund steht, viel Einfluß hat [ . . . ] - aber schreiben thue ich jetzt an Niemanden mehr und fühle mich viel wohler dabei (38/S).

Um wen es sich bei dem „im Hintergrund" Stehenden handelt, wird nicht deutlich, doch weist Vieles auf den Droste-Neffen hin. Um so größer ist Theos Freude über „sehr warme und ausführliche Kritiken", allen voran die „wunderschöne, lange Besprechung" Betty Paolis: 36 37

Vgl. Briefe 36/S, 37/E, 38/S. Die Kritik Geigers ist so interessant und deshalb oben im Anschluß an 38/S aufgenommen, weil sie alle Einwände, die gegen die Briefausgabe im Umlauf waren, aufnimmt. Für den Verfasser peinlich: es ist von der „Herausgabe seitens des Sohnes" die Rede, und wahrscheinlich in Anlehnung daran bei Brümmer, Bd. 4, S. 31: „Briefe, hsg. v. Theodor Schücking".

1.4. Theo Schücking

als

Schriftstellerin

431

Ich bin so tief beschämt und tief gerührt, wie ich es gar nicht aussprechen kann [...] wie es mich bewegt, daß f ü r mich die alte L ö w i n sich noch einmal rührte. U n d wie herrlich geschrieben ist die Besprechung! (40/S).

Wie weit nun diese Briefausgabe für Theo neben all den Quälereien wenigstens in finanzieller Hinsicht ein Erfolg war, ist schwer nachzuprüfen. Mit geradezu kaufmännischem Interesse verfolgt die Ebner in den folgenden Monaten die Verkaufszahlen und gibt zufriedenen Bericht darüber: „Gerold [Wiener Verlagsbuchhandlung] versichert, das schöne Buch werde schön gekauft" (41/E) und „daß die DrosteSchücking Briefe gut ,gehen'" (42/E). Zieht man das Resümee aus all den Mühen und Querelen, die die Briefausgabe begleiteten, so muß doch mit allem Nachdruck darauf verwiesen werden, daß sie einen entscheidenden Wendepunkt in Theos Leben markiert: mit ihr tritt die Tochter Theo - so paradox das klingen mag - erstmals aus dem Schatten ihres Vaters und wird damit einem weiteren Publikum bekannt. Angebote, Lebensbilder verschiedener illustrer Persönlichkeiten zu verfassen, sind Ausdruck der Wertschätzung, mit der ihre Einleitung in weiten Kreisen aufgenommen worden war. Für diese Einleitung zeichnet sie erstmals schon auf dem Titelblatt mit vollem Namen als Verfasserin, was im speziellen Fall durchaus geboten schien. Durch die so bekundete Mitarbeit der Tochter Schücking gewann die brisante Briefausgabe in den Augen potentieller Käufer sicher an Glaubwürdigkeit. b) Pseudonymität Dieses Eingeständnis der Verfasserschaft ist nun keineswegs etwas, was gang und gäbe war. Die meisten Frauen veröffentlichten zumindest am Beginn ihrer Schriftstellerinnen-Karriere unter einem Pseudonym. „Schritt für Schritt, anfänglich zaghaft, unsicher unter einem männlichen Schild sich verbergend",38 begann zumeist das weibliche Schreiben; das trifft auch auf Theo zu. Sie hatte ihre Erzählungen und Ubersetzungen bis zum Tode ihres Vaters 1883 unter dem Pseudonym L. Westerfeld erscheinen lassen.39 38 39

Pataky: Lexikon, S. IX. Emmy v. Dincklage lüftet erstmals im Brief vom 3.5.1882 das Geheimnis um Theos Pseudonym, allerdings nur für den Eingeweihten zu erkennen: „Weißt Du, ich bin ganz gerührt, daß mich der Herr L. Westerfeld so gern hat" (oben S. 298). Diese Aussage steht im Zusammenhang mit der im Brief vom 18.5.1882 erwähnten Erzählung Das Tamburin, die offensichtlich unter diesem Pseudonym erschienen ist, aber nicht aufgefunden werden konnte. Möglicher Weise hat die Dincklage auch diese Novelle in der Illustrierten Frauenzeitung besprochen. Einen bestätigenden Hinweis

432

C.

Untersuchungen

Wie viele solcher Erzählungen es nun tatsächlich waren, läßt sich nicht nachverfolgen. Vor allem im Briefwechsel mit Emmy von Dincklage ist immer wieder von Novellen und Manuskripten und Werkplänen Theos die Rede, einmal auch von der Arbeit an einem Lustspiel.40 Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit kann man davon ausgehen, daß auch eine Novelle Veronika Gambara, für die zahlreiche Studien aus Theos römischer Zeit vorliegen,41 tatsächlich gedruckt wurde und sie dafür ein Honorar erhielt. Bei allen Plänen und Arbeiten aber scheint Theo strikt auf die Einhaltung ihres Pseudonyms geachtet zu haben, was bei der Schwatzhaftigkeit der Dincklage-Schwestern auch sehr notwendig gewesen zu sein schien.42 Hier ist auch allgemein die Schwierigkeit angesiedelt, kleinere Erzählungen, die meist in Zeitschriften unter einem Pseudonym veröffentlicht wurden, noch aufzufinden und zuzuordnen. Uber eine weitere Schwierigkeit berichtet Sophie Pataky: Eine große Zahl der schreibenden Frauen verweigerte die erbetene Mitteilung zwecks Aufnahme in das Lexikon, weil sie von der Voraussetzung ausgingen, sie gehörten nicht in das Lexikon deutscher Schriftstellerinnen, da sie wohl viel für Zeitschriften u. dgl. geschrieben, aber noch kein B u c h herausgegeben haben. 4 3

Was nun die Wahl der Pseudonyme anlangt, so sollten diese fast immer auf einen Mann als Verfasser schließen lassen.44 Pataky bemerkt dazu: Überraschende Enthüllungen wird dieses Werk, das Lexikon deutscher Schriftstellerinnen, vielen Buchrecensenten bringen, die das Werk eines männlichen Autors zu recensieren glaubten, während es von einer Frau geschrieben w u r d e . 4 5

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41

42

43 44

45

auf dieses Pseudonym verdanke ich Herrn Dr. Wolfgang Rasch. Deutsches Geschlechterbuch Bd. 152, S. 233: „Theophanie Elfriede Sabine Carolina gen. Theo [...] Schriftstellerin, Pseudonym: L. Westerfeld, schrieb u. a. Kritiken für das Berliner Tageblatt, gehörte zum Freundeskreis der Malwida v. Meysenbug." Vgl. Dincklage-Briefe oben B.II.3.a, S. 295ff. Dort konnte nur eine Auswahl geboten werden. Dincklage-Brief vom 24.11.1882 (S. 311). - Das in Rom für diese Erzählung gesammelte Material, Exzerpte usw. liegt handschriftlich unter den nachgelassenen Schriften (Privatbesitz). Z.B. Dincklage-Brief vom 18.5.1882, S. 303: „Liebe Theo, jetzt muss ich Dir doch etwas gestehen [...]" Pataky: Lexikon, S. X. Übrigens hat der Wunsch, neugeborene Mädchen männlicher erscheinen zu lassen als es die Natur vorgesehen hatte, viele Eltern zu abgeleiteter Namensgebung veranlaßt. Im Falle Theos trifft das allerdings nicht zu, denn ihr auf das männliche Geschlecht hindeutender Name Theo hängt nicht mit Theodor zusammen, sondern mit der durchaus weiblichen Theophanie. Anders sieht es bei Theos Schwester Gerhardine aus (abgeleitet von Gerhard) oder bei deren Tochter Levine (von Levin). Pataky: Lexikon, S. XI.

1.4. Theo Schücking als Schriftstellerin

433

Erwähnenswert ist es, daß auch die Ebner ihre Erstlingsarbeit unter ,M. Eschenbach' einreichte, was die Annahme, ein Mann, wahrscheinlich ihr eigener Gatte Moriz, sei der Verfasser, nahe legen sollte. 46 Doch damit noch nicht genug der Verwechslungen: eine sehr beliebte Kinderschriftstellerin namens Hering tauschte ihren wenig attraktiven Familiennamen gegen das Pseudonym ,Eschenbach. 47 Nur etablierte Schriftstellerinnen konnten sich den eigenen Namen oder ein weibliches Pseudonym leisten. So schrieb Elisabeth Glück als Betty Paoli, wobei dieses Pseudonym im Laufe der Zeit so mit der Person verwuchs, daß selbst im engsten Freundeskreis nur von der Paoli die Rede war, nie aber von der Glück. Ebenso wählte Fanny Lewald ein weibliches Pseudonym - Iduna (die nordische Göttin der Jugend) und ab 1882 Adriana. Von wenig Bescheidenheit zeugt das Pseudonym, unter dem die Günderode an die Öffentlichkeit trat: Tian - in China Bezeichnung des Himmels und seiner Personifikation. Männlich und keineswegs exaltiert ist das Pseudonym der im Tagebuch der Ebner häufig aufscheinenden Helene Druskowitz Adalbert Brun oder E. Rene. Charakteristischerweise versteckt sich der ,Kamerad' Hermine Villinger unter dem Pseudonym H. Willfried, und Bertha von Suttner schreibt sehr selbstbewußt unter Jemand'. 4 8 Es wäre äußerst reizvoll, der Wahl der Pseudonyme unter psychologischen Gesichtspunkten nachzugehen, was allerdings den Rahmen dieser Arbeit noch weiter überschreiten würde.

c) Die Schillerstiftung Für Theo war die Herausgabe des Briefwechsels Droste-Schücking in erster Linie Ausdruck töchterlicher Liebe und Verehrung und der Versuch, das Andenken an ihren Vater in der Öffentlichkeit von kleinbürgerlich moralischen Bedenken zu reinigen. In zweiter Linie ist aber sicher auch in der finanziellen Notsituation, in die Theo geraten war, ein Movens für diese aufopferungsvolle Arbeit zu sehen. Wie karg bemessen ihre finanziellen Möglichkeiten waren, geht aus den - trotzdem nie larmoyanten - Briefen dieser Zeit hervor. So berichtet sie der 46

47 48

In einem Brief an Devrient vom 6.11.1861 schreibt die Ebner: „Sie fragen mich aufrichtig, wer ich bin hochverehrter Herr! So muß ich Ihnen aufrichtig antworten. Ich bin nur eine arme Frau, die Frau des guten wackeren Obristlieutenants, an welchen Sie alle Ihre Briefe richten. Sagen Sie das Niemandem - ich flehe darum! und Sie selbst, wenn es möglich ist, vergessen Sie's." (Bettelheim 1920, S. 312). Vgl. E/Tb 24.1.1897. Vgl. Pataky: Lexikon, Verzeichnis der Pseudonyme.

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C.

Untersuchungen

E b n e r ihre B e f ü r c h t u n g e n , w a s das auf sie z u k o m m e n d e L e b e n in B e r lin anlangt: Aber Berlin ist mir nicht sympathisch [ . . . ] Ein Hauptgrund aber gegen Berlin ist seine Theuerkeit, die besagten Revenuen reichen bei Weitem nicht für Berlin aus. Aber erst wenn sie das mit erlebt hat, wird meine Schwester es mir zugeben. I m selben B r i e f g e h t sie a u c h auf die finanzielle Seite der

Droste-

S c h ü c k i n g B r i e f a u s g a b e ein: Wenn ich erst etwas Geld für die Droste-Briefe bekommen habe. Ja, w e n n ! Die einzige Chance dafür ist die, daß das Buch gut verkauft wird. Das hängt nun aber größtentheils von der Aufnahme der Presse ab. Es ist mir bitter schwer geworden, aber ich habe an die Redacteure [ . . . ] geschrieben und sie gebeten das Buch besprechen zu lassen. Wissen Sie Baronin, d a s sind die schweren Dinge, die Einem das wenig Geld haben auferlegt n i c h t das sich in Allem einschränken müssen! (36/S).

A n dieser Stelle soll ein B l i c k auf die Schillerstiftung, 4 9 als d e m letzten R e t t u n g s a n k e r für so m a n c h e in u n v e r s c h u l d e t e r N o t lebende Schriftstellerin g e w o r f e n w e r d e n . In u n s e r e m Fall handelt es sich u m : Deutsche Schillerstiftung. Vorort Wien. Akten betreffend die Unterstützung des Dichters Levin Schücking in Münster. 1865. Deutsche Schillerstiftung. Vorort Weimar. Akten betreffend: die Unterstützung der hinterlassenen Tochter von Levin Schücking in Münster. 1883. 5 0 W i e w e i t L e v i n S c h ü c k i n g s t e s t a m e n t a r i s c h e V e r f ü g u n g e n z u r finanziellen A b s i c h e r u n g T h e o s ( o b e n B . I . 2 . ) tatsächlich innerhalb der F a milie in A n w e n d u n g k a m e n , ist s c h w e r z u r e k o n s t r u i e r e n . I n e i n e m B r i e f des B r u d e r s A d r i a n an die S c h w e s t e r G e r h a r d i n e 5 1 ist v o n sei49

50

51

Deutsche Friedrich-Schiller-Stiftung e.V. gegründet 1859, 1945 erloschen und 1953 durch Theodor Heuss wiedererrichtet. Die im folgenden zitierten Akten: Deutsche Schillerstiftung, Vorort Wien. Akten, betreffend die Unterstützung des Dichters Levin Schücking in Münster. 1865. Akt 78/3 (a). - Deutsche Schillerstiftung. Vorort Weimar. Akten betreffend: die Unterstützung der hinterlassenen Tochter von Levin Schücking in Münster. 1883. Akt 136/78,3 (b). Beide Akten befinden sich in: Stiftung Weimarer Klassik, Goethe- und Schiller-Archiv Weimar; den Herren dieser Institution bin ich für wertvolle Auskunft zu Dank verpflichtet. - Wiedergabe des ganzen Konvolutes in diesem Band B.II.4. Es sei darauf hingewiesen, daß aus dem Kreis um die Ebner bereits die Akten der Louise von François von Helmut Motekat veröffentlicht wurden. Vgl. François: Akte. Brief Adrian Schückings an Gerhardine Rickert vom 29.7.1890. (S. 170) - Ein weiterer Brief in dieser Angelegenheit: Theo Schücking an den Neffen Levin (= Sohn Lothars) vom 11.5.1895 [?]: „Und wohl dürft Ihr mir glauben, daß ich seitdem mich Adrians ,Schenkung' den Herren von der Schillerstiftung gegenüber Jahrelang in so

1.4. Theo Schücking als Schriftstellerin

435

nem geplanten Erbverzicht zugunsten Theos die Rede, der aber noch der ,Zustimmung' Theos bedürfe. Tatsächlich scheint diese Schenkung in irgendeiner Weise erfolgt zu sein, aber durch ihre Geringfügigkeit Theos Lage nicht wesentlich gebessert zu haben. Schon vorher, 1883, wandte sich Lothar Schücking mit der Bitte um Unterstützung für seine Schwester an die Schillerstiftung, die vor Jahren bereits (1865) seinem Vater hilfreich unter die Arme gegriffen hatte (vgl. hier und zum folgenden die oben B.II.4. wiedergegebene Akte). Aber erst das direkte Gesuch Theos vom 19. 10. 1892 (S. 366f.) erfuhr Zustimmung. Die daraufhin erfolgte Genehmigung einer Zuwendung von 300 Mark für drei Jahre von 1892 bis 1894 datiert vom 8. 11. 1892 (S. 368). Nach Auszahlung der letzten Zuwendungsrate wendet sich Theo erneut an die Schillerstiftung, und zwar am 6. 9. 1894 mit der Bitte, mir die Bewilligung der 3 0 0 M. jährlich gütigst erneuern zu wollen. N u r dieser Zuschuß und zugleich der Umstand, daß ich in diesem wie im vorigen Sommer 3 Monate als Gast einer Freundin auf dem Lande verbringen kann, haben es mir überhaupt ermöglicht, mit meinen geringen Mitteln auszukommen (S. 370).

Am 12. 10. wird darauf nach einigem Schriftverkehr wiederum die Zentralkasse angewiesen, Theo für ein weiteres Jahr 300 Mark „im Voraus gegen Quittung auszuzahlen" (S. 371). In einem vom 10. 10. 1895 datierten Brief aus Charlottenburg bedankt sie sich, und erwähnt eine nicht erfolgte Schenkung (vielleicht in diesem Fall den Bruder Lothar betreffend): „nehmen Sie den Dank, den ich Ihnen und den Herren vom Verwaltungsrath für die mir bisher um meines Vaters willen gewährte Unterstützung schulde, gütig auf!" (S. 372). Kurz darauf beginnt ein erneuter Briefwechsel unter den Mitgliedern des Verwaltungsrates, aus dem besonders auf den Vorschlag Paul Heyses vom 3. 11. 1895, Theo eine Unterstützung von 500 Mark auf zwei Jahre zu gewähren, hingewiesen werden soll. Dem Antrag Heyses (S. 374) wird nur teilweise entsprochen, denn die Anweisung der Zentralkasse vom 18. 11. 1895 lautet auf 300 Mark für ein Jahr. Der Dankbrief vom 20. 11. zeigt mit aller Deutlichkeit die verzweifelte Situation, in der sich Theo befindet: D e r Zuschuß von der Schillerstiftung bedeutet mir ja die Lebensermöglichung an sich, Ihr Beistand aber, H e r r Professor, giebt mir immer wieder das, was man eben so nöthig wie das Andere z u m Leben braucht: Muth und Z u versicht. U n d dafür lassen Sie sich noch ganz besonders bedanken! (S. 3 7 6 ) drückend peinliche Lage versetzte - längst und ach wie gern auf die Rente verzichtet hätte, wenn ich die 300 M nicht durchaus brauchte".

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C.

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Nach einem weiteren Gesuch werden ihr am 30. 6. 1896 500 Mark für dreieinhalb Jahre, also 1896 bis 1899, bewilligt. Am 2. 9. 1899 richtet Theo von Miesbach/Oberbayern erneut ein Gesuch an den Verwaltungsrat der Schillerstiftung mit der Bitte die mir bisher gewährte Pension in eine lebenslängliche verwandeln zu wollen [...] Herzlichst bitte ich darum, die Belästigung dieses Gesuches aus meiner Lage heraus entschuldigen zu wollen (S. 379).

Wie redlich sie sogar in einer Situation fast lebensbedrohender Not ist, zeigt sich in einem erläuternden Brief zu dem obengenannten Gesuch vom 2. 9. 1899 (ebenda), in dem sie davon Kenntnis gibt, daß ihr von einer verstorbenen Freundin ein Legat zugefallen sei, dessen Auszahlung aber auf große Schwierigkeiten stoße und nach Auskunft von Juristen nur über einen Prozeß zu erreichen sein dürfte. Da sich nun dieses Legat offenbar keineswegs in bare Münze hat umsetzen lassen, wird ihr nach einem neuerlichen Schriftverkehr innerhalb des Verwaltungsrates der Stiftung ein in „Weimar, am Geburtstag Schillers 10. November 1899" ausgestelltes „Pensions-Dekret" für eine lebenslängliche Pension von 300 Mark jährlich übersandt (S. 383). Der lange Weg aus der einmaligen Zuwendung von 1200 Mark an Levin Schücking bis zur Gewährung der lebenslänglichen Pension für seine Tochter ist in mancherlei Hinsicht aufschlußreich. Zum Ersten verblüfft und begeistert das so unbürokratische Vorgehen des Verwaltungsrates in dieser Angelegenheit. Den positiv beschiedenen Bittgesuchen folgen keine unwillig gewährten Almosen. „Es gereicht uns zur aufrichtigen Freude und Genugthuung, Ihnen die Mitteilung machen zu können [...]" ist nicht nur als Brieffloskel zu sehen, wenn man das weitere Verhalten in Betracht zieht. Angesichts dieser amtlichen Herzenswärme denken wir fast deprimiert an die Unzahl von Formularen, die ein solches Gesuch heute füllen würde, von der gänzlich unpersönlichen Computerantwort ganz zu schweigen. Hier liegt nichts Herablassendes in der Gewährung und nichts Unterwürfiges in Bitte und Dank: „Ich wollte, ich könnte es Ihnen mündlich sagen, wie tief ich Ihre Güte empfinde - schriftlich gehts nicht - " (S. 379). Immer wieder schwingt ein persönlicher Ton mit, der auf beiden Seiten keine Peinlichkeiten aufkommen läßt. Der andere Punkt, der Aufmerksamkeit verdient, ist die Tatsache, daß Theo sowohl Zuwendung als auch lebenslängliche Pension „in dankbarer Würdigung der Verdienste Ihres verstorbenen Vaters" (S. 383) zugesprochen werden, was auch den Statuten der Stiftung (Hilfe für deutsche Schriftsteller oder deren Hinterbliebenen) entspricht. Weder der Verwaltungsrat noch Theo selbst aber wären auf die

1.4. Theo Schiicking

als

Schriftstellerin

437

Idee verfallen, ihre schriftstellerischen Leistungen hierbei irgendwie in Rechnung zu stellen. Theo reagiert daher auch gänzlich ohne jede Empfindlichkeit darauf, daß sie diese Pension nur ihrem Vater und nicht in Spuren sich selbst zu verdanken hat. So befremdlich einerseits der Hinweis nur auf die „Würdigung der Verdienste Ihres Vaters" für uns auch klingen mag, so gereicht es der Schillerstiftung im höchsten Maß zur Ehre, daß sie das Andenken eines Schriftstellers über dessen Tod hinaus auf diese Weise auszeichnete. d) Neubeginn Man könnte sich nun aber auch gut vorstellen, daß diese Großzügigkeit der Schillerstiftung Theo in ihrem redlichen Gemüt nun tatsächlich dazu motivierte, sich auf ihre Weise würdig und dankbar zu erweisen. So steht am Neubeginn ihrer schriftstellerischen Arbeiten ihre Rezension über Ein neues Buch von Marie v. Ebner-Eschenbach, das die Erzählungen Rittmeister Brand und Bertram Vogelweid enthält (oben B.II.2.e). Diese Rezension ist in erstaunlichem Ausmaß von literarischem Einfühlungsvermögen und Sicherheit in der Beurteilung gekennzeichnet und übertrifft sogar die Besprechung eines so geübten Kritikers wie Bettelheim.52 Von der „Kluft zwischen Wollen und Können" ist die Rede in dem Begleitbrief, den Theo an die Ebner schreibt, und weiter: Einen Passus hat mir mein Schwager [Rickert], dem die Danziger Zeitung gehört, ganz gestrichen und gerade um den ist's mir leid, es war doch wenigstens etwas Schwung darin aber er sagte, das sei Unsinn (61/S).

Trotzdem scheint die Ebner mit der Kritik sehr einverstanden gewesen zu sein wie ihr Dankschreiben beweist: „Es ist zu viel, aber es ist wunderschön! [...] Wie kann ein Schriftsteller genug danken für eine solche Besprechung?" (62/E) Aus demselben Jahr 1896 ist uns eine - von wahrscheinlich mehreren - anspruchslose Ubersetzung aus dem Italienischen ins Deutsche zugänglich: Die drei Warum. Aus dem Italienischen des Castelnuovo.53 Eine eigene Erzählung Tante Betty bildet zusammen mit der zwei Jahre später erscheinenden Erzählung Heimkehr den Abschluß ihrer novellistischen Arbeiten. Einschränkend muß hinzugefügt werden, 52

53

Bettelheims Besprechung in: Bettelheim 1900, S. 208ff. Die drei Warum. Aus dem Italienischen des Castelnuovo. geist Nr. 36) 7. September 1896.

Berliner Tagblatt (Der Zeit-

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C.

Untersuchungen

daß die Recherchen, was das schriftstellerische Gesamtwerk Theo Schückings anbetrifft, keinen Anspruch auf Vollständigkeit werden erheben können. Von dem Jahr 1898 an wendet sich Theo ausschließlich dem Essay zu. Beachtenswert scheint, daß sie mit autobiographischen Skizzen - denn um solche handelt es sich zweifelsfrei in beiden Fällen - den Abschied als Erzählerin vollzieht.

e) Erzählungen: Tante Betty -

Heimkehr

Die Qualität der skizzenhaften Erzählung Tante Betty (B.II.2.c) ist allerdings nicht hoch, aber der Inhalt ist bezeichnend: Der Neffe Ludwig versucht in seiner Tante Betty das übergroße Maß an selbstverleugnender Uneigennützigkeit auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren: Dir fehlt etwas, dessen Mangel ein sehr böses Ding ist! Hier in Berlin heißt das! Ohne das man hier absolut nicht durchkommt! - [...] Dir fehlt alles und jedes Akkomodationsvermögen!

- erklärt der weltkundige Neffe. Aber schließlich gelingt es der Tante doch, ihn von der Richtigkeit ihres Handelns und Denkens zu überzeugen. Wenn Theo den Neffen Ludwig sagen läßt: „Du bist eben viel zu gut für diese Welt!" - so umschreibt das ganz genau Theos Wunschvorstellung von sich selbst, und wenn man verschiedensten Äußerungen glauben darf, war sie tatsächlich so. Nicht von Ungefähr kommt es, daß in Theos ,Letzten Worten' der Ausspruch „Ich habe immer das Gute gewollt" so gewichtig ist. 54 Die zweite der autobiographischen Erzählungen: Heimkehr; gibt letztlich den mehr auf Egoismus zielenden Einwendungen des Neffen bei Tante Betty Recht, und das ist das eigentlich Bedrückende an dieser Erzählung. Sie ist das unverhüllte Verarbeiten von Theos eigenem Schicksal - des Heimkehrens - Heimkehren wohin? In Sassenberg, wo Theos Wohnrecht auf Lebzeit im väterlichen Testament festgelegt war, lebte und wirtschaftete ihr Bruder Lothar, zu dem ihre Verbindung äußerst locker gewesen zu sein scheint. Jedenfalls ist von längeren Aufenthalten Theos in Sassenberg nach dem Tode des Vaters in ihren Aufzeichnungen und Briefen keine Spur zu entdecken. Ob Bruder Adrian, bereits zu Lebzeiten Levins im Jahre 1883 Besitzer des Sanatoriums in Pyrmont geworden, ihr zeitweise Auf54

Theos letzte Worte durch Luise v. Ammon übermittelt. Die Schwester Gerhardine ließ auf Theos Grabstein einmeißeln: „Du wählst das Gute, weils das Gute ist, / und eh Du wählst, hast Du es gethan." (Vgl. B.II.5.)

1.4. Theo Schiicking

als

Schriftstellerin

439

nähme gewährte, ist aus dem vorhandenen Material nicht zu ersehen. Schwester Gerhardines erste Ehe war eben geschieden worden und sie selbst vollauf damit beschäftigt, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. So setzte sie sich erst später und mehr noch ihr zweiter Mann Rickert (den die Ebner einen „hochherzigen Anwalt der Frauen" nennt. 67/E) für Theo ein, soweit es das äußerst geschäftige Leben der Rickerts zuließ. Somit war die Frage nach der,Heimat' für Theo zu einer existentiellen geworden. An die Ebner schreibt sie 1894: I c h h a b e m i c h e n t s c h l o s s e n , m i r in B e r l i n eine g a n z kleine W o h n u n g f ü r m i c h z u s u c h e n . M a n hält dies in m e u b l i r t e n Z i m m e r n l e b e n , m i t k e i n e m a n d e r n A n k e r als die K o f f e r u n t e r d e n F ü s s e n , auf die D a u e r a b s o l u t n i c h t aus ( 4 7 / S ) .

In Theos Erzählung Heimkehr (B.II.2.d) heißt die Heimkehrerin Gabriele Lynten, aber sie ist unverkennbar Theo selbst. „Nicht jung mehr und noch nicht alt" (S. 250) kehrt sie aus der Fremde in ihr Elternhaus in Westfalen zurück. „Noch grüßen von den Wänden herab in dreifacher Reihe die Ahnenbilder - [...] das Bild ihres Vaters! [...] Unverwandt schaut sie den edlen Männerkopf mit den stillen lichten Augen an". 55 Und im Anblick dieses Bildes zieht die Vergangenheit an ihr vorüber, „da sie hier dem geliebten Vater an Stelle der früh verstorbenen Mutter Haus hielt" (S. 252). Vom gelehrten Vater ist da die Rede und vom Alleinsein in der Fremde. Die erste Begegnung Gabrielens mit dem Bruder Alfred, dem nunmehrigen Gutsherrn, ist ein Abtasten von beiden Seiten nach allen Seiten hin - zunächst unterkühlt freundlich. Dieser Ton zwischen den Geschwistern ändert sich abrupt in dem Augenblick, in dem Gabriele ihre Absicht kund tut, nicht mehr nach London als Lehrerin zurückkehren zu wollen. Eine weitere Verschärfung erhält der Disput durch Gabrielens Bitte, ihr die ihr zustehende Rente anweisen zu lassen. Auch die ihr vertraglich zugesicherten zwei Zimmer will man ihr nicht zugestehen, da vor allem die Schwägerin Platzbedarf anmahnt.56 In einem Brief wird ihr der von Bruder und 55

56

Die auffallenden Augen Levin Schückings - auch jedes seiner Portraits vermittelt diesen Eindruck - beschreibt Meta v. Salis: „So sah ich denn an einem strahlend schönen Augustmorgen noch einmal in die tiefgründigen, stahlblauen Sachsenaugen Levin Schückings" (S. 212). Vgl. die Akten der Schillerstiftung vom 17. 10. 95: „Laut gerichtlicher Niederschrift steht Frl. Sch. im älterlichen Hause eine Wohnung von zwei bestimmten und geräumigen Zimmern zu, allein ihre Schwägerin verfügt selbständig drüber und wenn sie (Frl. Sch.) dennoch auf ihrem Recht besteht, wird sie mit einem dürftigen Kämmerchen abgefunden" (S. 373).

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Untersuchungen

Schwägerin ausgedachte Kompromiß mitgeteilt: sie solle das Elternhaus nur dann bewohnen, wenn die Familie des Bruders dort nicht anwesend sei. Sie sollte „jährlich zu einer bestimmten Zeit den Wohnort [...] wechseln" (S. 266). Einige Wochen später verläßt sie die Heimat auf immer. Die Reihe der Parallelstellen zu Theos Leben ließe sich verlängern. Es spricht von ihrer tiefen Verletztheit, aber auch von Mut und Souveränität, das eigene Schicksal mit solcher Unverblümtheit und Schärfe einem Lesepublikum vorzuführen, das ja weitgehend aus dem Personenkreis bestand, dem die Schückingschen Familienverhältnisse durchaus bekannt waren. Man versteht plötzlich vieles im Leben Theos besser - ihre scheinbare Ruhelosigkeit, die sie ständig den Wohnort wechseln ließ, ihre untätige Planlosigkeit dem weiteren Verlauf ihres Lebens gegenüber und ihr Leiden am Herzen: 57 - h e i m w e h k r a n k . . . Weißt d u , w a s H e i m w e h ist? D i e s e l e t z t e n a n d e r t h a l b J a h r e h i n d u r c h hat m i c h d a s H e i m w e h g e r a d e z u v e r z e h r t ! [ . . . ] s e i t d e m ich w i e d e r z u r ü c k g e k e h r t b i n , b i n ich a u c h w i e d e r g e s u n d (S. 2 6 2 ) .

So sinnt Gabriele Lynten in der Erzählung über das ,Heimweh' nach, und unschwer sind darin Theos eigene Erfahrungen und Gedanken wiederzuerkennen. 58 Es ist nicht anzunehmen, daß diese Erzählung dem innerfamiliärenKlima eben förderlich war. Theo hatte weder eine Abrechnung noch Mitleidheischen damit im Sinn, aber die Dinge doch ins rechte Licht rücken zu wollen, hatte sie das Leben schmerzlich gelehrt. Daß ihre Heimkehr geradezu ideal in das Konzept der Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit (hg. von Helene Lange) paßte, versteht sich ganz von selbst.

57

58

Hier finden sich Gedanken Ellen Keys wieder, denen wir auch unter den Exzerpten Theos - vielleicht als Lesefrüchte zu bezeichnen - begegnen: „Wenn die Hingebung bis zur Aufopferung des legitimen Selbstgefühls, des individuellen Stolzes geht, so bleibt sie zwar edel, aber sie ist unnatürlich; sie ist in Gefahr, das Grundgesetz der Natur, die Erhaltung der Persönlichkeit zu zerstören. Dieser Fehler muß bestraft werden, und er wird es in ihrem Fall durch ein providentielles Leiden". (Theo-Nachlaß, Privatbesitz). Von Theos eigener Heimatlosigkeit zeugen auch ihre ständig wechselnden Adressen: mehrere U m z ü g e innerhalb Berlins, Charlottenburgs, längere Aufenthalte im Dienste Amalie Hagers in Wien, Kufstein, Traunstein, Miesbach, Reichenhall, St. Gilgen, Vahrn bei Brixen, in den letzten Lebensjahren in Rom.

1.4. Theo Schiicking als Schriftstellerin

441

f) Essays In einem anderen Sinn dem feministischen Anspruch gerecht wird Theos Essay des Jahres 1898: Die eherne Notwendigkeit (B.II.2.e). Er entspricht in Tendenz und Inhalt uneingeschränkt dem von Auguste Fickert erarbeiteten Programm, wonach die Frau in der Gesellschaft nur durch Verschmelzung von Intelligenz und Moral ihren Platz behaupten könne. Daraus mag sich auch erklären, warum gerade Literatur zu einem wesentlichen Bestandteil des feministischen Programmes avanciert war. Den Unbegabteren unter den zahlreichen Schriftstellerinnen war damit die Möglichkeit gegeben, aus Not oder Ideologie zur Feder zu greifen - und auch ein Lesepublikum dafür vorzufinden. Die Begabten aber - und ich meine hier an erster Stelle Marie von Ebner-Eschenbach und Louise von François - konnten es sich leisten, eine solch ideologische Vereinnahmung abzulehnen. Die erwähnten emanzipatorischen Voraussetzungen waren es auch, die es Theo Schücking ermöglichten, ihre Eherne Notwendigkeit in der bekannten Gesellschaft. Monatsschrift für Litteratur, Kunst und Sozialpolitik zu publizieren. Ohne diese Voraussetzung hätte die schriftstellerische Qualität, die dem Essay freilich durchaus nicht abzusprechen ist, kaum ausgereicht, ihr eine solche Publikationsmöglichkeit zu eröffnen, auch wenn die Arbeit vor den kritischen Augen einer Meta von Salis Gnade gefunden hatte: für sie ist es derjenige Aufsatz von Theo, der mir der liebste ist. E r enthält ihre Gedanken und Sorgen anläßlich der herannahenden Jahrhundertwende. Das ist T h e o in ihrer heiligsten Tiefe, Verinnerlichung, Wahrhaftigkeit vor G o t t und den Menschen (S. 224).

Sich dieser euphorischen Beurteilung ungeteilt anzuschließen, fällt schwer, für uns reduziert sie sich auf die Feststellung, daß hier eines jener zeittypischen literarischen Produkte mit hohem moralischem Anspruch vorliegt: und das herrische Geheiß der Göttin zwingt die Menschheit, wiederum weiter zu wirken an jenem ewigen Webstuhl alles Lebens - dessen Kette ,Arbeit' heißt und dessen Einschlag ,Verzicht' (S. 273).

Die nächste Arbeit Theos unter dem Titel Erinnerungen an Friedrich Nietzsche (S. 274ff.) fällt in das Jahr 1900. Die Anregung zu diesem Essay ging sicherlich weder von der Ebner aus, die sich sowohl in ihren Tagebüchern (etwa am 2. 12. 1898) als auch in ihrer Erzählung Bertram Vogelweid59 sarkastisch über Nietzsche äußert, noch von 59

Marie v. Ebner-Eschenbach: Bertram Vogelweid, S. 58; Nachwort S. 17.

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Meta von Salis' Nietzsche-Charakteristik Philosoph und Edelmensch (1897). 60 Was Meta anlangt, so war ja der Kontakt zwischen den beiden Frauen zu diesem Zeitpunkt völlig abgebrochen. Auch wenn Theo den Aufsatz Metas gekannt haben wird, so war sie sich doch viel zu sehr ihrer eigenen Grenzen bewußt, um sich auf philosophischem Gebiet mit Meta in einen Vergleich einzulassen. Vielmehr geht diese Arbeit auf Anregung und Bitte der NietzscheSchwester Elisabeth Nietzsche-Förster zurück,61 und sie reduziert sich klugerweise im ersten Teil ausschließlich auf die Beschreibung des Zusammentreffens von Theo und ihrem Vater mit dem Philosophen in Italien im Heim der Malwida von Meysenbug und unter deren Patronanz. Erläuternd muß hier eingefügt werden, wie die Verbindung Nietzsche-Schücking zu Stande gekommen war. Nietzsche verbrachte, einer Idee Malwidas folgend, die Zeit vom 27. 10. 1876 bis zum 8. 5. 1877 gemeinsam mit ihr in Sorrent. Malwida berichtet dazu: Ich hatte bereits vorbereitend eine Fahrt nach Sorrent gemacht und eine Wohnung gefunden, wie sie für die kleine Kolonie paßte [...] In Sorrent nun richtete sich das Leben ganz behaglich ein [...] Am Abend vereinte uns aufs neue das Abendessen und nach diesem im gemeinschaftlichen Salon angeregtes Gespräch und Lektüre [...] Wagners schieden Ende November, und nun begannen erst recht unsere Lese-Abende [...] Mit dem beginnenden Frühjahr schieden Ree und Brenner [...] Nietzsche und ich blieben allein, etwas in Not wegen unserer Abende, da wir beide, augenleidend, nun unseres trefflichen Vorlesers beraubt waren. 62

Zu diesen Leseabenden schreibt Richard Voss: In dem Salon von Malwida las ich einem erlesenen Kreise Nora vor. Der Kampf der Meinungen wogte mächtig und und her [...] Zu den Zuhörern gehörte Levin Schücking und seine Tochter Theo, hochkultivierte feine Menschen, deren Freundschaft mich sehr beglückte.63

Die so zu Stande gekommene Verbindung blieb auch nach dem Tode Levins bestehen. So schickte Elisabeth Nietzsche ihre Verlobungsanzeige an Theo sogar nach Amerika, wie wir einer Eintragung in Theos amerikanischem Tagebuch vom 4. 5. 1885 entnehmen. Es ist freilich erstaunlich, daß sich Elisabeth Nietzsche-Förster an die mit schriftstellerischem Lorbeer nicht gerade überhäufte Theo mit der Bitte um ein Nietzsche-Lebensbild wandte, - hätte ihr doch in 60

61 62 63

Meta v. Salis-Marschlins: Philosoph und Edelmensch. Ein Beitrag zur Charakteristik Friedrich Nietzsche's. Naumann, Leipzig, 1897. Brief Nietzsche-Förster an Theo (S. 326f.). In: Dichter lesen, S. 86f. In: Dichter lesen, S. 88.

1.5. Theo Schücking als literarische Figur

443

den wechselnden Teilnehmern ihres eigenen literarischen Salons eine auserlesene Schar von Schriftstellern der verschiedensten Qualitätsabstufungen für diesen Zweck zur Verfügung gestanden. Allem Anschein nach aber war es ihr Bestreben, den vergötterten Bruder aus den verschiedensten Perspektiven ins Licht rücken zu lassen. Für die schwierige Schilderung der menschlichen, ja sogar humorvollen Seiten des Philosophen schien sich Theo offenbar am besten geeignet zu haben. In den Jahren 1900 und 1902 schreibt Theo liebevolle Skizzen über ihre verehrte mütterliche Freundin Marie von Ebner-Eschenbach. Der 1900 unter Charakteristiken erschienene Artikel Theos Marie von Ebner-Eschenbach (S. 278ff.) bringt eine kurz gefaßte Biographie der Dichterin. Theo geht mit besonderem Engagement auf die Rom-Aufenthalte der Ebner 1899 und 1900 ein und endet mit der Vorschau auf den 70. Geburtstag der Ebner, zu dessen ehrendem Gedenken dies ein Beitrag sein sollte. Zwei Jahre später, 1902, bringt Theo eine neuerliche Würdigung unter dem Titel Marie von Ebner-Eschenbachs Heimat (S. 284ff.). Theo, in der Zwischenzeit zu Gast in Löschna, mit dem mährischen Land vertraut, widmet den hübsch bebilderten Aufsatz der „Jugend" der Dichterin, untrennbar mit dem Namen Zdislawitz verbunden. Mit der euphorischen Besprechung Ebnerscher Werke - vor allem der in Rom entstandenen Agave - endet Theos Schriftsteller-Dasein.

5. Theo Schücking als literarische Figur a) Levin Schücking: Die Herberge der Gerechtigkeit Constanze. Eine römische Studie Im Sinne des bereits zitierten Ausspruchs von Sophie Pataky: „So manche Biographie liest sich wie ein Abschnitt eines sozialen Romans mit all seinen Licht- und Schattenseiten"64 hätte die junge, lebenslustige, dann müde und vom Leben überforderte Theo durchaus Stoff zur Literarisierung geboten. Allein solcher Schicksale gab es zu viele, und sie waren bereits zu oft in Buchform auf dem Markt. Wäre Theo nicht die Tochter Levin Schückings, könnte man es damit bewenden lassen. Doch in diesem speziellen Fall liegt die Vermutung nahe, daß diese Tochter vielleicht in den Romanen des Vaters anzutreffen sein könnte. Sehen wir uns daraufhin in dessen umfangreichen Œuvre um. 64

Pataky: Lexikon, S. VII.

444

C.

Untersuchungen

In den Romanen Levin Schückings, gelegentlich mehr dem Geschmack des Lesepublikums als strengeren ästhetischen Maßstäben verpflichtet, ist die trivial-gängige Konstellation: verarmte Tochter meistert mit ungeheurer Anstrengung dann doch das Leben, häufig anzutreffen. Die liebevolle Schilderung dieser armen Töchter läßt durchaus die Annahme zu, daß Levin, der dieses Schicksal für seine Tochter sowohl mit verursachte als auch befürchtete und ihm durch Testamentsbestimmungen (vgl. B.I.2.) entgegenzuwirken trachtete, hier ein Bild Theos entwarf, das in der Zukunft der Realität entsprechen sollte. Aber die literarische Prädestination hielt der Wirklichkeit nicht stand, und Theo wurde vom wirklichen Leben mehr gemeistert, als daß sie es - wie ihre fiktiven Romanschwestern - gemeistert hätte. Es ginge zu weit, alle Schücking-Romane unter diesem Gesichtspunkt zu lesen, aber einer seiner bekanntesten: Die Herberge der Gerechtigkeit, bietet sich hier besonders als Beispiel an.65 Von einem Vater ist da die Rede - „aber ein einsamer Mann war er geblieben, dessen einzige Herzensinteressen seine Kinder waren" 66 - , und seine Tochter hatte stets mit unendlicher Zärtlichkeit an ihrem Vater gehangen, der, da ihre Mutter früh gestorben, ihr Bruder seiner Ausbildung wegen schon seit Jahren aus dem Hause fort auf Lehranstalten war, ihr Eins und Alles geworden. 67

Dieses Bild der Beziehung zwischen Vater und Tochter könnte fast unverändert in einer Theo-Biographie stehen, und ebenso die Charakteristik der Romantochter Berta: sehr wenig genial, sehr wenig zu einem auf Glück trotzenden Übermuth geneigt, aber ernst und beharrlich, gewissenhaft pflichttreu und eher geneigt, die Dinge zu schwer als zu leicht zu nehmen; dabei von tiefem und weichem, mit scheuer Keuschheit sich verschließendem Gemüth, das alle, nur ihr halbwegs verwandte Naturen doch zu wohl ahnten und erkannten, um nicht mit einer warmen und lebhaften Hinneigung an ihr zu hängen. 68

Eine weitere Schücking-Romantochter ist Constanze, die Titelheldin in Constanze. Eine römische Studie;69 das Werk übrigens unverkennbar als literarisches Denkmal der Via Margutta angelegt. Auch Constanze hat früh ihre Mutter verloren. Von einer Tante für den verwai65 66 67 68 69

Levin Schücking: Die Herberge der Gerechtigkeit, Roman, Leipzig 1879. Ebenda, S. 63. Ebenda, S. 61. Ebenda, S. 63f. Levin Schücking: Constanze. Eine römische Studie, In: Westermann's Illustrierte Deutsche Monatshefte. 19. Bd., Oktober 1865-März 1866, S. 1-26, 113-133,225-245.

1.5. Theo Schücking

als literarische

445

Figur

sten väterlichen Haushalt erzogen, kann sich nur ganz im Geheimen, hinter dem Rücken des Vaters, ihr Talent zum Zeichnen etwas entfalten. Mit dem Tod der Tante aber fällt jede Möglichkeit der Selbstentwicklung für Constanze weg, der Vater entfernt voll Erbitterung ihr Malzeug - „sie habe für den Haushalt zu sorgen, er wolle ein geordnetes Hauswesen um sich, keinen Blaustrumpf in Farben". 70 Levin Schücking setzt hier das Reizwort ,Blaustrumpf' ein, das - um eine Paradoxie zu verwenden - wie ein roter Faden die Trivialliteratur der Zeit durchzieht. Constanze verzichtet auf jede Eigenständigkeit, versorgt von nun an den Haushalt und geht in ihrer töchterlichen Opferwilligkeit so weit, daß sie, um den Vater zu retten, einem ungeliebten Mann in die Ehe folgt: Sie hat das Äußerste gethan, was eine Tochter für ihren Vater thun kann. Sie hat sich geopfert - und doch sich selbst behalten. 71

Damit die schaurig schöne Geschichte für Constanze gut enden kann, wird sogar der Papst bemüht - schließlich spielt die Geschichte ja auch in Rom. Wenn die Lebensumstände Theo dieses „Äußerste [...], was eine Tochter für ihren Vater thun kann" nicht abverlangten, so sind doch Parallelen zwischen Constanze und Theo zu ziehen: die überaus große Opferbereitschaft ist beiden eigen, ob aber das „sich selbst behalten" in Theos charakterlichen Möglichkeiten lag, ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Mit dem Blick auf diese zwei Schücking-Romane mag es sein Bewenden haben, auch wenn es sich verlohnte, in seinen Erzählungen und Romanen nach weiteren Töchtern mit unverkennbaren Theo-Zügen zu fahnden.

b) Marie v. Ebner-Eschenbach: Die eine

Sekunde

Noch interessanter aus dieser Sicht ist eine Erzählung der Ebner, in der die Hauptfigur nicht nur an Theo Schücking erinnert, sondern sogar ihren Namen Theo trägt. Die Rede ist von der kurzen Erzählung Die eine Sekunde (B.III.), die ein Gespräch zwischen einem Bruder und einer Schwester zum Inhalt hat. Von Anfang der Erzählung an drängt sich der Gedanke auf, es könnten sich bei dem alternden Geschwisterpaar durchaus Parallelen zu Theos eigenem Familienumkreis finden lassen. Schon der Name 70 71

Ebenda, S. 24. Ebenda, S. 25.

446

C.

Untersuchungen

der Schwester - Theo - macht aufmerksam, ist er doch auch in jener Zeit keineswegs üblich, und eine zufällige Namenswahl kann bei der Ebner hier sicherlich nicht angenommen werden. 72 Auch kennt die Ebner - möglicherweise sogar persönlich - Adrian Schücking, den Bruder Theos, von seinem, das unglückliche Kriegsabenteuer beendenden, Wien-Aufenthalt. 73 Sicher aber kennt sie ihn aus der Perspektive Theos. Mit deren Augen sieht sie seinen Charme, seine Begabung, seine Schwächen. Vom Begräbnis einer in Jünglings jähren glühend verehrten Cousine heimgekehrt, stellt der Bruder der Schwester die Frage: „sag' mir, bin ich wirklich sentimental?" (S. 394). Der Grund für diese Frage liegt in seinem Erinnern, daß er der Cousine nie von dem großen Erlebnis gesprochen, daß seine Begegnung mit ihr weit über die Jünglingsjahre hinaus bedeutsam gewesen war, daß er hätte Dank sagen müssen für „das größte Glück, das ich je durch eine Frau erfahren hab'" (ebenda). Aber wie verhält sich nun die Theo der Erzählung in dieser Situation: sie kennt seine Schwäche, immer ein Nehmender zu bleiben, wie Kinder nehmen ohne zu fragen, ohne schlechtes Gewissen, und jede Gelegenheit, das Empfangene zurückzugeben, vor sich her zu schieben trotz aller guten Vorsätze. Sie reagiert mehr als Mutter denn als Schwester: „sie fragte nie und erfuhr doch alles von ihm, oft mehr als sie zu erfahren wünschte" (ebenda). Wir erinnern uns hier daran, wie

72

73

Es ist dies nicht die einzige Erzählung der Ebner in der ein Name aus der Familie Schücking auftaucht. In der Erzählung Die arme Kleine findet sich ein Levin (Bornholm) und eine Luise (Verwandte der Familie Kosel). Von Levin Bornholm heißt es ausdrücklich, daß „Er Protestant, sie Katholikin" (SW V, S. 564) - bei Levin Schükking und Louise von Gall ist es genau umgekehrt, die Ungleichheit der Religionszugehörigkeit spielt aber auch in der Schückingschen Ehe eine nicht unwesentliche Rolle. Dieses unglückliche Kriegsabenteuer beschreibt Adrian Schücking selbst äußerst spannend ,im Stile Karl Mays' in seiner 1879 in Wien erschienenen „Geschichte eines Mitgenommenen" mit dem Titel Türkische Erlebnisse und russische Schicksale. - Am 4.10.1877 war der frisch promovierte Arzt Adrian Schücking als türkischer Sanitätsbeamter in die Dienste des Padischah getreten. Nach der Erstürmung der Stadt Etropol durch russische Truppen gerät der verletzt zurückgebliebene Adrian in russische Gefangenschaft. Den weitreichenden Verbindungen der Familie Schücking gelang nach diplomatischen Bemühungen auf höchster Ebene seine Freilassung 1878. Nach dem ersten Zusammentreffen Adrians mit der Familie folgte sein totaler gesundheitlicher Zusammenbruch. „Die Hauptsache war, daß ich unter der trefflichen Behandlung der Herren Collegen und der unermüdlichen Pflege, die mir von Seiten der Meinigen und der lieben Wiener zu Theil wurde, wieder genas. Meinem lieben Vater und meinem treuen Schwesterlein [Theo], die mich in dieser schweren Zeit mit der größten Aufopferung und Geduld gepflegt haben, brauche ich an dieser Stelle nicht erst meinen Dank auszusprechen". Türkische Erlebnisse und russische Schicksale. Geschichte eines Mitgenommenen von Adrian Schücking, Wien 1879, S. 292f.

1.5. Theo Schücking als literarische

Figur

447

sehr Theo Schücking in jüngeren Jahren bemüht gewesen war, dem kleineren Bruder Adrian die Mutter zu ersetzen. Und so sehen wir sie in der Erzählung vor uns, still zuhörend, und die „Zigarre zwischen den Zähnen strickte sie mit feinen geschickten Fingern emsig an einer Kinderjacke" (S. 394). Zigarre und Strickzeug werden hier zu Attributen der alternden kinderlosen Frau, stellvertretend für eine Frauengeneration des ausgehenden 19. Jahrhunderts - zukunftsorientiert und rückwärtsgewandt gleichzeitig. Die Schlußworte der Erzählung gehören der Schwester Theo: „Sie legte die Zigarre weg und reichte ihm über den Tisch die Hand: ,So sei in Gottes Namen sentimental'" (S. 399). Tröstend und souverän beendet sie dieses Zwiegespräch - die Insignien der neuen Zeit (Zigarre) weglegend, tritt sie wieder in ihre Mutterrolle (Kinderstrickzeug) dem Bruder gegenüber ein und gesteht ihm die Gefühlsregung zu, deren er eben allein fähig zu sein scheint. Ein gänzlich unsentimentaler Schluß. Die kleine Erzählung, zwölf Jahre nach Theos Tod erschienen - ist sie nicht liebevolle Erinnerung und Hommage an Theo Schücking?

Marie von Ebner-Eschenbach, Altersbildnis

II. Marie von Ebner-Eschenbach

1. R o m a) Uber deutsch-römischen Alltag Um dem Rom-Erlebnis im Leben und Werk der Ebner den gebührenden Stellenwert zuordnen zu können, ist zunächst ein kleiner, zwangsläufig höchst unvollständiger Exkurs über das Künstlerleben in Rom als Einleitung von Nöten. Wollte man über die Sehnsucht der Deutschen nach Italien und da besonders Rom referieren, hieße das - um im antiken Bild zu bleiben - Wasser in den Tiber gießen. Winckelmann und Goethe gehören in diesem Zusammenhang zur Minimalausstattung deutscher Allgemeinbildung. Weniger weiß man über das andere, äußerst umfangreiche Oeuvre der historischen Reise-Literatur, die sich mit dem Land, bzw. der Stadt deutscher Sehnsucht befaßt. 74 Waren es zunächst vorwiegend die Jünger der malenden und bildhauernden Zunft, die nach Rom pilgerten, so folgten ihnen bald Dichter und Denker in ebenso großer Zahl nach, die sogenannten ,Geisterkarawanen'. 75 Für Schriftsteller und Gelehrte galt die ,Bildungsreise' nach Rom als nahezu unerläßliche Voraussetzung für berufliches Avancement. Mäzene, öffentliche und private Geldgeber ermöglichten häufig der unbemittelten geistigen Elite ihres Landes den Aufenthalt in der Ewigen Stadt. Wilhelm von Humboldt, seit 1806 als bevollmächtigter Minister Preußens beim päpstlichen Stuhl, und seine Nachfolger Niebuhr und Bunsen sowie Ludwig von Bayern - um nur die herausragendsten Beispiele zu nennen - führten in Rom ein Haus, das allen ohne Rücksicht auf Geburt und Stellung offen stand. Das gesellige Leben der Deutschen 74

75

A u s der ansehnlichen Zahl dieser Reisebeschreibungen seien willkürlich nur einige herausgegriffen, die durch den Verfasser oder eine kuriose Titelgebung aus der Menge auf sich aufmerksam machen: Diarium Italicum oder Beschreibung der Reise des Landgrafen Karl v o n Hessen, Kassel 1722 - August von Kotzebue: Erinnerungen v o n einer Reise aus Livland nach R o m und Neapel, Berlin 1805, 3 Bde - Wilhelm Müller: Rom und die Römerinnen, Berlin 1820 - Ida Gräfin Hahn-Hahn: Jenseits der Berge, Leipzig 1840 - Fanny Lewald: Italienisches Bilderbuch, Berlin 1 8 4 7 - Levin Schücking: Eine Römerfahrt, Koblenz 1848 - Friedrich Pecht: Südfrüchte, Skizzenbuch eines Malers, Leipzig 1853 - Hermann Lessing: Torso und Korso, Berlin 1859. Noack 1927, S. 697.

450

C.

Untersuchungen

in Rom war so zu einer Intensität erwachsen, wie sie deutsche Großstädte nicht aufzuweisen hatte.76 Daß der seit 1850 stark zunehmende Fremdenverkehr - vor allem begünstigt durch die nun direkt nach Rom führende Eisenbahn - diesem geistigen Leben keinen Nutzen brachte, verwundert uns Kinder eines touristischen Zeitalters kaum. Zudem schwächte die nationale Bewegung der Jahre 1847 bis 1849 die Bedeutung Roms als Mittelpunkt der Kunstpflege erheblich. Friedrich Noack berichtet ausführlich über die Umwandlung Roms während der Besatzung der Stadt durch die Franzosen.77 Auf ihr Konto gehen die verbesserte öffentliche Sicherheit, der Ausbau der Straßen, Förderung der Ausgrabungen im antiken Rom, Einführung der Gasbeleuchtung in der Stadt und einiges mehr. Weitaus weniger positiv sieht ein Zeitgenosse diese „Neuerungen". Wir lesen bei Ferdinand Gregorovius, dem großartigen Kenner der Stadt Rom, in einer Tagebucheintragung vom 12. 1. 1873: Fast stündlich sehe ich ein Stück des alten R o m fallen. N e u - R o m gehört dem neuen Geschlecht; ich gehöre z u m alten R o m , in dessen zaubervoller Stille meine Geschichte der Stadt entstanden ist. Wenn ich heute nach R o m käme, so würde und könnte ich nimmermehr den Plan zu diesem Werk fassen. 7 8

Oder einige Zeit später am 14. 7. 1874: Ich könnte wohl auch noch bleiben. Aber es sträubt sich ein selbstbewußtes Gefühl in mir gegen die Vorstellung hier mich in Einsamkeit zu überleben und in R o m zu altern, w o alles neu wird und sich wandelt und ein neues zudringliches Leben bald alte liebe Pfade bedecken und unkenntlich machen w i r d . 7 9

Auch die Ebner, die dieses alte Rom nicht mehr kennen gelernt hat, berichtet in der Gartenlaube 1900: „Du wirst enttäuscht sein", hatte man mir vorhergesagt. „Das alte R o m ist im Entschwinden, das neue im Entstehen begriffen, und der Eindruck, den das Ganze heute macht, ein gemischter, oft sogar peinlicher". 8 0

Die schwämerische Liebe der Deutschen zu dem Land ihrer Sehnsucht - aus den vielfältigsten geistigen, wirtschaftlichen, politischen 76 77 78 79 80

Ebenda, S. 692. Ebenda, S. 557f. Gregorovius: Tagebücher, 12.1.1873. Ebenda, 14.7.1874. Ebner: Aus Rom, S. 501.

II.l. M. v. Ebner-Escbenbach - Rom

451

und emotionellen Beweggründen - wurde nicht stets in eben dem Maße von Italien erwidert. Animositäten gegen deutsche Künstler und Gelehrte breiteten sich aus - bezeichnender Weise blieb davon auch die Archäologie, die hier ihre wesentlichen Impulse französischem Verwaltungsgeschick und deutschem Forscherdrang verdankte, nicht verschont. So berichtet auch die Ebner: Seit Winckelmann haben „die fremden Gelehrten" Außerordentliches für Rom gethan, stehen aber hier durchaus nicht in Gnaden. Besonders scharf hat es die Mehrzahl auf die Archäologen abgesehen.81

Besonders erwähnt müssen in diesem Zusammenhang die aus den Romaufenthalten der Ebner nicht wegzudenkenden Archäologen Löwy und Hülsen werden. Daneben sind es aber auch kirchenpolitische Gegensätze, die das Leben der deutschen Kolonie stark beeinflußen. Das neu entstehende Italien ist antiklerikal und somit von den deutschen Protestanten heftig begrüßt, von den Katholiken aber als äußerst suspekt betrachtet. Die Ereignisse auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen hatten außerdem das nördlichere protestantische Deutschland in der Gunst steigen, das katholische Osterreich aber immer mehr ins Abseits geraten lassen. Die Spaltung der Künstler und Gelehrten in zwei konfessionelle Lager nahm bisweilen absurd kleinliche Züge an. So wurden in den 1844 gegründeten Deutschen Künstlerverein, der lange Zeit hindurch das gesellschaftliche Leben auf den verschiedensten Gebieten geprägt hatte, Deutschösterreicher nur als Ehrenmitglieder aufgenommen - gerne gesehen waren sie nicht. Im Gegenzug verweigerten etwa katholische Körperschaften die Teilnahme an der Gedächtnisfeier für die Schlacht von Leipzig. Es bildeten sich protestantische und katholische, sozusagen konfessionelle Salons: so war etwa das Haus des Malers Lindemann-Frommel protestantischen, das der Münchner Bankiersfamilie um Auguste von Eichthal katholischen Rompilgern vorbehalten. Selbst der Tod vermochte zwischen den konfessionellen Lagern nicht zu vermitteln. Die Fremden katholischen Glaubens, denen die Heimkehr nicht mehr gegeben war, wurden im Massengrab unter der für sie zuständigen Pfarrkirche oder auf dem Friedhof Campo Santo Teutonica bei St. Peter beigesetzt. Ihre protestantischen Schicksalsgefährten hingegen fanden an der Cestiuspyramide ihre letzte Ruhe (wie auch Malwida von Meysenbug und Theo Schücking). Gerade dieser 81

Ebenda, S. 507. - Vgl. auch S. 519: „Die Leute in Rom leben von den Fremden, lieben sie aber nicht. In ihren Augen sind die Fremden doch nur Barbaren, die solispendenden überdies dumme Barbaren".

Prof. Emanuel Lòwy

Malwida v. Meysenbug

454

C.

Untersuchungen

Umstand hatte unter den Protestanten auch außerhalb Italiens viel böses Blut gemacht, da sich auf päpstliche Anordnung oder Duldung hin der protestantische Begräbnisplatz in einem äußerst unwürdigen Zustand befand: er war nicht eingezäunt, das Vieh weidete darauf. 82 Die seit 1819 bestehende kleine protestantische Kirchengemeinde hatte sich ohne Erfolg um Abhilfe bemüht. Erst die Tatsache, daß Wilhelm v. Humboldt zwei seiner Kinder an eben dieser Stelle in Rom begraben mußte, brachte die ganze Angelegenheit ins Rollen. Es bedurfte aber noch der konsequenten Bemühung der beiden HumboldtNachfolger Niebuhr und Bunsen, um eine pietätvolle Änderung herbeizuführen. 1824 wurde mit Mitteln einer internationalen Geldsammlung der um ein benachbartes Grundstück vergrößerte Friedhof ummauert und so im Laufe der Zeit zu einem der schönsten Winkel der Ewigen Stadt. 83 Was dem Tod nicht gelungen war, nämlich Brücken zwischen den Konfessionen zu schlagen, gelang ohne Schwierigkeit auf einem anderen elementaren Gebiet menschlichen Daseins: die Sehnsucht nach der heimatlichen Küche vereinigte Katholiken und Protestanten in den dafür in Frage kommenden Speisehäusern. Augenzwinkernd kann man sagen, daß das gute alte Sauerkraut vereinte, was Staat und Kirche getrennt hatten. Einschlägige Schilderungen hierzu finden wir bei Fanny Lewald. 84 Zu den wenigen überkonfessionellen Treffpunkten für deutsche Schriftsteller zählte vor allem die Wohnung Malwida von Meysenbugs, Via Polviera 6, in der sie von Frühling 1863 bis Mai 1865 und dann dauernd von 1874 bis zu ihrem Tod 1903 lebte. Von einem Meysenbugschen Salon zu reden, entspräche wohl kaum den Tatsachen, dazu waren die finanziellen Voraussetzungen nicht gegeben. Was dem Hauswesen aber an äußerem Glanz fehlte, ersetzte Malwida durch geistvolle und für alle anregende Gespräche im großen Freundeskeis. So zählten u. a. Mazzini, Garibaldi, Romain Roland, Friedrich Nietzsche, Lou Andreas-Salome, Gottfried und Johanna Kinkel, Paul Heyse, Richard Voss, Ferdinand Gregorovius und nicht zuletzt - von besonderem Interesse für uns - Marie von Ebner-Eschenbach und zuerst Levin, dann Theo Schücking zu ihren liebsten Gästen. So 82 83 84

N o a c k 1927, S. 388. Ebner: Zeitloses Tagebuch, S. 621 ff. Einen Einblick in Küche und Speisehäuser vermittelt N o a c k 1927, S. 568f. - Sehr ausführlich und unterhaltsam: Ein Haushalts- und Küchenbrief. Von Fanny Lewald an Fräulein Helene Lobedan, R o m 1867. In: Lewald: Winter in Rom, S. 1 6 5 - 1 7 8 . Besonderes Augenmerk liegt hiebei auf der Trattoria Karl, die für die deutsche Küche in R o m zuständig war.

II.l. M. v. Ebner-Eschenbach - Rom

455

schreibt Malwida während eines gemeinsam mit Nietzsche verbrachten Sorrent-Aufenthaltes an ihre Stieftochter Monod-Herzen am 16.2. 1877: Hier fand ich 2 Briefe [...] einen von Theo, der ich geschrieben hatte, ob sie und ihr Vater nicht April und Mai hieher kommen wollten [ . . . ] das hätte sehr gut gepaßt; wir hätten nichts zu verändern brauchen und hätten wieder Vorleser gehabt. 8 5

Und am 30. 1. 1883 schreibt sie aus Rom an Meta v. Salis: „Theo ist immer dieselbe gute, treue Seele, hat sich geistig noch bedeutend entwickelt". 86

b) Das Romerlebnis der Ebner Die persönliche Verbindung zwischen der Ebner und Theo Schücking erfährt Vertiefung und Höhepunkt in den gemeinsamen Romaufenthalten. Beide Frauen empfanden diese Wochen fernab vom Alltagsgetriebe als Bereicherung. Für Theo, die Rom ja kannte, war es eine Zeit des Geborgenseins und des Gebrauchtwerdens, sie hatte eine Aufgabe und damit ein erfülltes Dasein. Das galt nicht in dem selben Maße auch für die Ebner. Sie führte auch in Wien ein wahrhaft tätiges Leben, aber für sie ging mit dem ersten Aufenthalt in der Ewigen Stadt ein Traum in Erfüllung: Kein jüngerer und am wenigsten ein junger Mensch wird begreifen, was es heißt, zu [!] 69 Jahren zum ersten mal den Boden der ewigen Stadt betreten und noch die Fähigkeit haben dieses Glück zu ermessen. 87

Hatten uns die Aufzeichnungen in Theos römischen Tagebuch einen Blick auf die Stadt aus der Perspektive eines jungen Mädchens werfen lassen, so zeigen uns Briefe und Tagebucheintragungen der Ebner das Romerlebnis mit den Augen einer gefeierten, eben von Schicksalsschlägen heimgesuchten Dichterin von 69 Jahren. Aus ihren begrenzten Wiener literarischen Zirkeln und Salons - am Literaturbetrieb des

85 86

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Meysenbug, Briefe, S. 127. Ebenda, S. 175. - Uber die Adressatin dieses Briefes, Augusta v. Stein-Rebecchini, berichtet Meta v. Salis: „Die originelle Vollblutnatur der gallizischen Baronin Stein, bei deren Empfängen man immer kirchliche Würdenträger traf, trotzdem sie mit freigeistigen Anwandlungen zu spielen liebte, so daß Levin Schücking im gutmütigem Spott einmal meinte: ,Sie zweifelt an Gott und der Dreieinigkeit, glaubt aber an den heiligen Vater und alle Cardinäle'." (Schleicher, Salis, S. 33f.). E / T b , Agenda 1899 ( K T D , TbV, S. 198).

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Jungen Wien nimmt sie ja kaum teil - tritt sie als ,homo novus' in die weltläufige Künstlergemeinde um den Spanischen Platz ein. Das Jahr 1898 brachte für die Ebner - wie schon oben angedeutet eine ganz neue Lebenssituation: Anfang des Jahres starb ihr Mann, der Feldmarschall-Lieutenant Moriz von Ebner-Eschenbach, dessen altersbedingte Unpäßlichkeiten und Krankheiten den vielleicht öfters gehegten Wunsch nach weiteren Reisen in ihr nicht hatten aufkommen lassen. Nun war sie freier von familiären Rücksichten und konnte über ihre Zeit besser verfügen. Außerdem dürfte ihr die Aussicht auf eine notwendige Ubersiedlung aus dem so geliebten Rabenhaus, das der Wiener Stadterweiterung zum Opfer fallen sollte, eine Reise nahe gelegt haben. Bruder Adolf unterstütze sie sehr in diesem Vorhaben, Ida Fleischl, seit 1893 ebenfalls verwitwet, bot sich als Reisebegleiterin an und die in Italien lebende Helene Tafel stellte sich als quartiermachende Vorhut für die beiden reisenden Damen zur Verfügung. 88 Arztliche Versorgung war durch Ida Fleischls Sohn Otto gewährleistet. Am 22. 10. 1898 hält die Ebner Einzug in Rom. Zunächst logiert man sich im Hotel de Londres ein und bereits am 26. 10. bezieht sie bei Padrone Bonfili - Piazza di Spagna 9 - ihre endgültige Wohnung. Ihr Quartier gehört zur ersten Adresse für ortsfremde Künstler und Schriftsteller. Uber Wohnung 89 und Zeiteinteilung berichtet sie selbst: Unsere Wohnung liegt eine Treppe hoch, drei ihrer Zimmer haben die Aussicht auf die Piazza di Spagna. Man braucht sich nur aus einem Fenster zu beugen, um links eine Fontäne und über ihr einige Cypressen des Pincio zu sehen. Uns gegenüber vor dem großen Haus der Propaganda Fide ragt eine Mariensäule empor. [...] Wir schwelgen in goldenem Lichte, wir atmen himmlisch reine Luft. Wir sind in Rom. Der Vormittag wird mit Besuchen von Kirchen und Museen, Galerien zugebracht, der Nachmittag in einem der unvergleichlichen Gärten, oder wir unternehmen eine Fahrt in die Campagna. Zumeist aber führt unser Weg nach der geliebten Passeggiata Margherita auf dem Gianicolo. 9 0

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Neben Theo und Helene Tafel erwies sich auch die Sekretärin der Ebner, Angela Ebert, als sehr hilfreich. Ü b e r das häusliche Leben in R o m notiert die Ebner: „Mit seinem Portier und mit den Briefträgern muß man in R o m auf gutem Fuße zu stehen suchen; ihre Mißgunst kann uns schwere Unannehmlichkeiten bereiten. Ich hatte das Glück mich immer des Wohlwollens dieser Würdenträger zu erfreuen. Mein Verhältnis zu unserem früheren, nun leider auch schon heimgegangenen Pförtner war ganz einfach freundschaftlich." In: Ebner, Notizbüchlein aus R o m , The „Ever ready" memorandum book, Wiener Stadt-Bibliothek Ia 81, 184, S. 3f., unveröffentlicht. Ebner: Aus Rom, S. 518.

II.l. M. v. Ebner-Eschenbach

- Rom

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Und wie die Abende ausgesehen haben, ahnen wir aus einer Schilderung, die Bettelheim ihrer römischen Wohnung widmet: Piazza di Spagna [ . . . ] aus dem die große Stehlampe mit ihrem milden roten Lichte wie ein Fanal über den Platz hinauszuleuchten pflegte, als Zeichen, daß sie für ihre Freunde zu Hause sei. 91

Sie, deren Leben bis zu diesem Zeitpunkt von strengster Zeiteinteilung, Fleiß und Disziplin geprägt war, scheint der Macht der vielen neuen Eindrücke fast zu erliegen: Ich k o n n t e nicht schreiben. Die Wonne des Nichtsthuns hatte sich mir geoffenbart, und es war mir unmöglich, mich aus ihrem Zauberbann zu lösen. Welche Macht sie über uns gewinnen kann ahnt keiner von E u c h . A u c h ich habe es bisher nicht geahnt, den Müßiggang nur v o m Hörensagen gekannt, und bin nun seit Monaten in ihn versunken, und genieße Tag für Tag seine Süßigkeit. 92

Tatsächlich kommen wir nicht umhin festzustellen, daß die literarische Ausbeute ihrer fünf Italienaufenthalte erstaunlich gering ist. Sicherlich spielt hierbei das zunehmende Alter eine Rolle, aber eben so sicher ist dies nicht der entscheidende Grund, wie das reiche Werk ihrer letzten Lebensjahre beweist. Plötzlich aus dem engen Kreis (Wien-Zdislawitz) herausgetreten, stürmt eine neue Welt auf sie ein, die sie nur schwer literarisch umzusetzen vermag. So treffen etwa die weltkundige Madame de Stael und die skandalumrauschte George Sand das italienische Kolorit in einigen römischen und venezianischen Erzählungen ohne Zweifel besser,93 als die Ebner mit ihrer in der italienischen Renaissance spielenden Erzählung Agave.94 Ihr ureigenstes Sujet der in Mähren angesiedelten Dorf- und Schloßgeschichten findet in Rom keinen Nährboden. In weiser Selbsterkenntnis - so scheint es - beschränkt sie ihre literarische Tätigkeit zunächst vor allem auf Berichte in Briefform Aus Rom in verschiedener Ausformulierung und Aufmachung.95 Daß ihr auch das nicht so ganz leicht von der Hand ging, beweist eine Eintra91 92 93

94

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Bettelheim 1920, S. 328. Ebner: Aus Rom, S. 499. Etwa: George Sand: Elle et Lui (1859), oder Madame de Stael: Corinne ou l'Italie (1807). Festzuhalten ist auch, daß sich die Renaissance mit ihren heroischen Frauengestalten und dem durch Jacob Burckhardt (Die Kultur der Renaissance in Italien, 1860) vermittelten Wissen um diese Zeit gerade bei Schriftstellerinnen größter Beliebtheit erfreute. So ist der Ebner-Roman Agave nicht nur als Frucht ihres Italienerlebnisses zu sehen, sondern auch als ein Tribut an die literarische Mode der Zeit. Ebner: Aus Rom, S. 499-528. Dazu die Aufzeichnungen und Entwürfe in E/Tb, Agenda 1899 (KTD, Tb V, S. 197-214).

C.

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Untersuchungen

gung vom 27. 4. 1899 im Tagebuch: „Mit den Briefen aus Rom bin ich bis auf einen fertig geworden. Ida ziemlich, nur ziemlich, zufrieden, ich - nicht einmal ziemlich," oder vom 15. 5. 1899: „Ich [...] beende mit großer Selbstunzufriedenheit meine armselige Arbeit Briefe aus Rom", und zwei Tage später (17.5.) schon etwas optimistischer: „Nachmittags las ich ihr [Ida] und Anna [Pongracz?] den zweiten Teil der Briefe aus Rom vor. Sie werden vielleicht doch halb und halb ihre Schuldigkeit tun." Neben der Arbeit an den Briefen aus Rom arbeitet sie an der Erzählung Ein Spätgeborener weiter und beendet schon längst Begonnenes: Meine Kinderjahre - in all dem Neuen, das sie wirbelnd umgibt, - eine Hommage an ihre Heimat Zdislawitz als den festgefügten Grundstein ihres Lebens. Was aber, um die emotionelle Situation der Ebner zu beurteilen, sicherlich noch einbezogen werden muß, ist die Tatsache, daß ihr während dieses ersten Rom-Aufenthaltes das österreichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft - als erster Frau - verliehen wird. Es ist bezeichnend für sie, daß sie in ihrer diesbezüglichen Eintragung im Tagebuch vom 2. 12. 1898 dieses Ereignis sofort in Beziehung zu ihrer Familie setzt: Als ich heimkam wurde mir eine herrliche Überraschung zuteil. Telegramm von Adolph und Victor Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft erfüllt deine Lieben mit unendlicher Freude.

Mit berühmten Auszeichnungsträgern wie beispielsweise Theodor Sikkel steht sie, die sich ihr Wissen und ihre Bildung fast autodidaktisch erworben hat, plötzlich anerkannt auf der Seite der Gelehrten; und sie fühlt sich geehrt und genießt es, wenn sie zu der augenzwinkernd als ,Ordenskapitel' bezeichneten Gelehrtenrunde geladen wird: „Hofrat von Sickel lädt zu einem gemütlichen Frühstück, bei dem das Ordenskapitel sich versammeln soll, für übermorgen Mittwoch ein" notiert sie für den 30. 1. 1899, und für die Einladung, sich in das Album dieses Ordenskapitels einzutragen, revanchiert sie sich mit einem entzückend bescheiden-souveränen Vierzeiler: An die Tafel der Propheten Durfte heut ein Weltkind treten. Fühlte sich sehr arm und klein Doch glückselig da zu sein. 96

Sie läßt es aber bei dem „glückselig da zu sein" nicht bewenden. Mit der ihr eigenen Energie versucht sie, sich mit geradezu wissenschaftlichem Eifer dieser Auszeichnung würdig zu erweisen - und was böte 96

In E/Tb 2.2.1899 vermerkt.

11.1. M. v. Ebner-Eschenbach

- Rom

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sich gerade in dieser Stadt mehr dazu an als Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. In Bewunderung und Anerkennung dieser ihrer Bemühungen widmet ihr Emanuel Löwy seine Geschichte der griechischen Plastik und Christian Hülsen sein Forum Romanum. Jahre später schildert Hülsen in einem Brief an Anton Bettelheim seine Begegnung mit der Ebner in Rom: Es war die Zeit der großen Ausgrabungen auf dem Forum Romanum, die damals weit über den Kreis der Fachgenossen hinaus Interesse erweckten [...] Ich hatte das Glück, die Baronin auf das Forum - und auch zu anderen Stätten des antiken Rom - begleiten zu dürfen, und habe stets bewundert, mit welchem frischen jugendlichen Interesse und welchem feinen Verständnis sie unsern oft minutiösen Untersuchungen folgte [...] so war es nur Abtragung einer Dankesschuld, wenn ich sie bat, die Widmung des For«wz-Büchleins anzunehmen. Umso mehr war ich überrascht und gerührt, als sie mich eines Tages mit der wundervollen Uhr erfreute, die sie selbst zusammengesetzt hatte.97

Die Inschrift auf dem Uhrdeckel lautet: „Chr. Hülsen - gelehrt verehrt - voll Erbarmen - mit den am Wissen Armen - Marie EbnerEschenbach 1904". Wenn hier auch eine Spur weiblicher Koketterie nicht zu übersehen ist, so muß die Bewunderung der Ebner für Hülsens, „sein Wissen und sein Gedächtniss",98 doch tatsächlich groß gewesen sein, denn von selbstgebauten Uhren trennte sie sich nur für ganz besondere Freundschafts- und Dankesbekundungen. Aber nicht nur an der Wissenschaftlerrunde findet die Ebner Gefallen, auch ganz privat scheint sie sich im Kreis der gelehrten Herren wohler gefühlt zu haben als in den Salons der verschiedensten Provenienz. Selbst ihrer Tarockleidenschaft konnte sie in diesem Umkreis mit dem ungarischen Historiker Bischof Fraknoi und dem Tiroler P. Denifle frönen. Wenn Bettelheim schreibt: „dabei lag ihr in der Fremde, wie daheim nichts ferner, als gesellschaftliche Erfolge zu suchen, einen Salon zu machen",99 so entspricht dies sicher den Tatsachen. Sie brauchte den Salon weder in Wien noch in Rom - worüber noch zu reden sein wird (C.II.2.a). Geistige Anregung boten ihr die gelehrten Herren und die in Rom kurzzeitig weilenden oder ansässig gewordenen Freunde. Hier ist noch einmal auf Malwida von Meysenbug zu verweisen, deren Heim sozusagen den Schnittpunkt vielgestaltiger überkonfessioneller Freundeskreise bildete. Hatte die Ebner mit ihrer ersten Rom-Reise (Oktober 1898 bis April 1899) die Leere, die der Tod ihres Gatten hinterließ, zu über97 98 99

Bettelheim 1920, S. 327f. Vgl. E/Tb 3 1 . 1 . 1 8 9 9 . Bettelheim 1920, S. 231.

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C.

Untersuchungen

brücken versucht, so muß die zweite Rom-Reise (Herbst 1899 Frühjahr 1900), sie über einen fast ebenso großen Verlust hinwegtrösten. Am 4. 6. 1899 stirbt Ida Fleischl nach einem am 27. 5. d. J. erlittenen Schenkelhalsbruch. Mit ihr verliert die Ebner nicht nur ihre langjährig beste Freundin, sie verliert auch ihr „literarisches Gewissen".100 Wie zutiefst schmerzlich sie diesen Tod empfunden hat, ersehen wir auch noch aus der letzten Tagebucheintragung des Jahres 1899: „Letzter Tag des Jahres das mich arm gemacht hat" (31. 12. 1899). Es ist nicht nur die Frau, die um die Freundin trauert, es ist auch die Schriftstellerin, der das Korrektiv verloren gegangen ist. Verwandte und Freunde versuchen, der Ebner den Verlust wenigstens ein klein wenig zu ersetzen; und hier stoßen wir immer wieder auf den Namen Theo Schücking, die in aufopfernder Weise zu helfen versucht. Zunächst aber soll die Rom-Reise im Herbst dieses traurigen Jahres etwas Ablenkung bringen. Der erste Halt wird in Florenz gemacht, wo die Ebner, von Helene Tafel und Theo geleitet, Lokalstudien für ihre Erzählung Agave macht.101 Von Ende Oktober 1899 bis Ende Mai 1900 finden wir die Ebner wieder in Rom, wohin sie vor den traurigen Erinnerungen und dem kalten, unfreundlichen Wiener Winter geflohen ist. Schon im Juli des Jahres 1899 hatte Theo versucht, die Ebner mit ,klimatischen Argumenten' zu einer neuerlichen Rom-Reise zu überreden: E i n Winter in R o m genügt u m die graue Trübheit des nordischen Winters vergessen zu lassen, denken Sie an die Trostlosigkeit der kurzen verhangenen Tage bei uns, an all den Nebel und Schnee. (82/S)

Vielleicht sollte man hier darauf hinweisen, daß Theo mit ihren ,Argumenten' sich in eine große Zahl von Rom-Reisenden einreihte, die die Notwendigkeit einer solchen Reise mit dem tristen heimatlichen Klima begründeten. Seit Goethes Römischen Elegien ziehen sich die Klagen über den grauen dunklen Norden mehr oder weniger poetisch durch fast alle Rom-Erzählungen. So beginnt Goethes VII. Elegie: O wie fühl' ich in R o m mich so wohl! gedenk' ich der Zeiten, D a mich ein graulicher Tag hinten im N o r d e n umfing, Trübe der H i m m e l und schwer auf meinen Scheitel sich senkte, F ä r b - und gestaltlos die Welt u m den Ermatteten lag, 1 0 2

100 101 102

Bettelheim 1910, S. 190. Bettelheim 1920, S. 240. Goethe: Römische Elegien, Hamburger Ausgabe, Bd 1, S. 162.

IIA. M. v. Ebner-Eschenbach

- Rom

461

Setzt man aber Fanny Lewaids sehr realistische Diagnose des römischen Klimas dagegen, 103 so füllt sich der Bilderbogen neben Poesie mit Prosa: „auch in diesen milden Wintern hat das italienische Klima an und für sich, und Rom insbesondere, seine bedenklichen Seiten." Nach eingehender Beschreibung der starken Temperaturunterschiede zwischen Tag und Abend, besonders fühlbar in den engen Gassen, fährt sie fort: „man bekommt dann neben dem Eindruck der Kälte noch eine dumpfe Feuchtigkeit einzuathmen, die wie gemacht dazu ist, Erkältungen zu erzeugen". Es liegt durchaus nahe, diese Beschreibung in ursächlichem Zusammenhang mit Theos zum Tode führender Lungenentzündung zu sehen. Speziell für die Winterzeit in Rom berichtet Fanny Lewald: „in manchen schönen, zum Theil reich eingerichteten und sonst behaglichen Wohnungen unserer Freunde sitzen sie wie die Lappländer um den Kamin geschaart und erstarren, wenn sie sich von ihm entfernen". Immerhin: Padrone Bonfili scheint jedenfalls für die Ebnersche Wohngemeinschaft bestens gesorgt zu haben, denn Briefe und Tagebücher berichten zwar von rauchenden Kaminen, aber von Kälte nicht. Daß das Klima nicht entscheidend für die Sehnsucht nach der Ewigen Stadt war, versteht sich von selbst. Aber worauf gründete sich diese Rom-Reise-Ideologie, vor allem auch bei Frauen? Eine köstliche Antwort gibt Levin Schücking in einem seiner Romane: Noch viel nachhaltiger sind die aufregenden Wirkungen Roms auf das sensitivere Frauengemüth. Zwei Drittel aller Romfahrer sind Frauen. Internationale Weltdamen. Oder auch Frauen, die sich aufrichtig sagen können, daß sie nur edlere Interessen verfolgen und deren ernstere Geistesrichtung schon lange sie den schönen Traum einer italienischen Reise hegen ließ. Oder Frauen, die in Jahren stehen, wo sie beginnen dürfen, gewissen originellen Seiten ihres Charakters nachzugehen, es mit der Toilette nicht mehr so ernst zu nehmen und sich dem Genuß hinzugeben, den eine gute Cigarette macht. [...] Sie arbeiten sich anfangs mit einer die Männer beschämenden rastlosen Gewissenhaftigkeit durch alle Sehenswürdigkeiten, durch alles was merkwürdig ist und was als merkwürdig ihnen geschildert wird. Sie nehmen förmlich Besitz von Rom [...] man bewundert die leichte Fassungsgabe, die Volubilität der Zunge, die Behendigkeit, womit sie die schwerwiegendsten Dinge, von der Peterskirche bis zu den Thermen des Caracalla, auf dem Flusse ihrer Rede zu schaukeln wissen - und auf dem Palatin heimisch sind, als ob sie schon als Kinder darauf gespielt hätten. Das aber schließt doch ein stilles inneres Wirken der Dinge auf ihre Seele nicht aus. Die Männer bekommen mit ihren Erinnerungen zu thun. Das ist bei Frauen weniger der Fall. [...] Sie vergessen sogar - vielleicht das zuerst - ihre Jahre. Es kommen Stunden, wo all der Zauber um sie her, die 103

Lewald: Winter in Rom, S. 175ff. - Positiv dagegen Betty Paoli (vgl. oben S. 329,331).

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C.

Untersuchungen

Natur, der Sonnenglanz, der Duft, die Freiheit der Bewegung, der N a c h klang des genossenen Schönen sie fortreißt [ . . . ] w o sie bacchantisch den Thyrsusstab schwingen möchten. Stunden, w o ihre Gefühle sich wild aufbäumen gegen den Gedanken, der R o m a n ihres Lebens gehe seinem E n d e zu und die Geschichte ihres Herzens könne sich nicht u m einige hochinteressante Kapitel noch erweitern. 1 0 4

Bei aller Berücksichtigung der Sonderstellung, die die Ebner innerhalb der romreisenden Frauen zukommt, trifft doch die bereits 1879 erstellte Analyse Schückings in allen Punkten auch auf die Ebner zu ein kleiner Baustein zur Erkenntnis, daß sie neben all ihrer ,Zeitlosigkeit' auch ein Kind ihrer Zeit war - oder gar ihrer Tage?: „Ich bin ein Kind meiner Zeit und will es sein; aber ein Kind meiner Tage will ich nicht sein," philosophiert die Ebner im Zeitlosen Tagebuch.105 Nach Wien zurückgekehrt, verleiht ihr im Sommer des Jahres 1900 die Wiener Universität - unter großer allgemeiner Anteilnahme - das Ehrendoktorat; damit finden ihre wissenschaftlichen Ambitionen, wie wir sie schon nach der Verleihung des Ehrenzeichens festgestellt haben, ihren krönenden Abschluß. Noch im November 1900 reist sie zum dritten Mal nach Rom, diesmal in Begleitung ihrer Sekretärin Angela Erbert, die ihre Handschrift den Schriftzügen der Dichterin derart angeglichen hatte, daß nur die ältesten Bekannten unterscheiden konnten, welche Briefe und Manuskripte von Marie Ebner selbst h e r r ü h r t e n " . 1 0 6

Das Leben in Rom während dieser und der darauf folgenden vierten Reise vom Herbst 1902 bis zum Frühjahr 1903 bringt für sie eigentlich nichts wesentlich Neues mehr. Und doch ein tägliches Geschenk: Ich habe in R o m Steine gesucht und Menschen gefunden, warme edle, prächtige, die mir entgegen gekommen sind mit unendlicher Güte, mich geführt und geleitet und mir die Schätze ihrer Erfahrung und ihres Wissens zur Verfügung gestellt haben. 1 0 7

Das Jahr 1903 fügt nun der schon langen Liste der heimgegangenen Freunde zwei weitere Namen hinzu, die aufs Engste mit Rom verbunden sind: am 26. April stirbt Malwida von Meysenbug und am 23. Mai Theo Schücking, beide in Rom und beide nicht weit voneinander an der Cestiuspyramide bestattet. 104 105 106 107

Schücking: Herberge der Gerechtigkeit, S. 122ff. Ebner: Zeitloses Tagebuch, S. 656. Bettelheim 1920, S. 262. E/Tb, Agenda 1899 (KTD, Tb V, S. 204).

II.2. M. v. Ebner-Eschenbach

- Literarisches

Leben

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Noch ein letztes Mal, 1905, tritt die nun schon hoch betagte Dichterin eine Romreise an, diesmal begleitet von Gräfin Marianne Kinsky, Graf Viktor Dubsky und dem Sohn Idas, Otto Fleischl. In den folgenden Jahren bis zu ihrem Tod wird ihr das mährische Löschna, Stammgut ihrer Lieblingsnichte Marie, zur Heimat. Wien ist nur noch immer mehr gemiedener Ausgangspunkt unvermeidlichen gesellschaftlichen Lebens. „Nun bin ich wieder in meiner armen traurigen Wohnung in Wien. Die hat von vielen Leiden zu erzählen und sie schweigt nicht" (Tb 30. 4. 1899).

2. Literarisches Leben a) Uber den Salon Wie sehr die Ebner auch Anteil an Theos Leben nahm, so war deren Schicksal keineswegs singulär, wie wir schon gesehen haben. Im Umkreis der Dichterin fanden sich Begabte und Unbegabte, zu Unrecht und zu Recht Verkannte, vom Glück Begünstigte und solche, denen das Leben schwer zugesetzt hatte. Sie alle versuchten, auf sich als Schriftstellerinnen aufmerksam zu machen, und der Ort, der diesem Vorhaben zustand und eventuell Erfolg versprechen konnte, war der Salon. Im Salon trafen sich aber auch bereits etablierte Literaten zu gegenseitigem Gedankenaustausch, um zu sehen und zu hören, um gesehen und gehört zu werden und um dem Salon zu Glanz und Ehre zu gereichen. Hier ließen sich Bekanntschaften anbahnen oder vertiefen, und hier konnten durchreisende Schriftsteller ohne Anlaufschwierigkeiten am literarisch-gesellschaftlichen Leben der Stadt teilnehmen wofür eben Levin Schücking und seine Tochter ein Beispiel sind. So scheint ein Blick auf den Wiener literarischen Salon, speziell in Bezug auf seinen Stellenwert im Leben der Ebner, durchaus geboten. Vorerst sei eine kurze Zusammenfassung gestattet. Beginnen wir also - in geradezu sträflicher Vereinfachung - mit dem Salon der Wiener-Kongreß-Zeit, dessen Funktion im Wesentlichen eine politische war. So verfügte während dieses Großereignisses fast jeder Staat innerhalb Wiens über einen solchen Treffpunkt, in dessen Mittelpunkt eine Dame als Muse und Alibi gleichzeitig stand. Wer dächte hier nicht an Rahel Varnhagens Wiener Kreis, einen Ableger ihres Berliner Salons, dessen politische Brisanz sie des Öfteren in Kon-

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C.

Untersuchungen

flikt mit dem Staat geraten ließ. Oder an die berühmt-berüchtigte Madame de Stael, die auch die Aufmerksamkeit verschiedenster Wiener Kreise auf sich zog, 1 0 8 nicht zuletzt als Hauptdarstellerin auf der Liechtensteinschen Salonbühne. Ebenso über ein Haustheater verfügte der Salon des Hauses Arnstein, indem sich um den Bankier Baron Arnstein die Hochfinanz versammelte, während seine Gattin Fanny und die Tochter Henriette - spätere von Pereira - dem Salon gesellschaftlichen Glanz verliehen. Geschäftliche Interessen verfolgte nebenbei auch der Salon der Karoline Pichler, der sich als günstiger Ort für Verlegergespräche, etwa mit Cotta, anbot. 1 0 9 Das war sicherlich mit ein Grund für die große Anziehungskraft, die dieser Salon in der Plankengasse auf einheimische und fremde Geistesheroen ausübte. Die vielgelesene Schriftstellerin konnte auf eine respektable Gästeschar verweisen: Thorwaldsen, Carl Maria von Weber, und sogar Grillparzer, später öffentlichen Auftritten fast krankhaft abhold, las hier am Beginn seiner Dichterlaufbahn aus seinen Werken. 110 Neben den literarisch ausgerichteten Salons gab es den Salon, in dem die Musik sozusagen die erste Geige spielte. Streng getrennt nach alter und zeitgenössischer Musik, schien diese Form des Salons den Malern der Zeit jedenfalls der reizvollste gewesen zu sein: wir kennen ihre biedermeierlichen Charme ausstrahlenden Bilder um den am Klavier sitzenden Schubert - gelockt und kurzsichtig, umgeben von Bauernfeld und Schwind. Diese biedermeierliche Idylle jedoch trügt. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts mehren sich die Zeichen des Niederganges. Die aristokratische Salonkultur hatte sich bereits überlebt und bürgerlichen Gesellschaftsformen Platz machen müssen. Wer wäre wohl berufener als Adalbert Stifter in seinen Wiener Salonscenen, diese Zeit des Auseinanderbrechens alter Formen und ihrer Trägerschaft aus eigener Anschauung zu beschreiben: E s gibt kaum ein Ding in neuester Zeit, das so vieldeutig geworden, das so verbraucht und verpönt worden als der Salon; jetzt gibt es juridische, ästhetische, politische, radicale, conservative, D a m e n - , Herren-, Friseurund Schneidersalons. 1 1 1

108 109 110

111

Seibert: Salon, S. 370 - Rossbacher: Literatur, S. 6 9 - 7 7 . Seibert: Salon, S. 380. Tornius: Salon Bd 2, S. 237ff - Wilhelmy-Dollinger, S. 37, gibt eine nützliche Definition: „Sehr vage formuliert ist ein Salon eine freie ungezwungene Geselligkeit, deren Grundlage die Konversation über literarische, künstlerische oder politische Themen bildet"; S. 38 werden einzelne Definitionskriterien aufgezählt. Stifter: Aus dem alten Wien, S. 498.

II.2. M. v. Ebner-Eschenbach

- Literarisches Leben

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Man kam, man sprach, man ging herum, man fuhr ab, meistens u m noch einen anderen Salon zu besuchen. U n d nachdem dieses K o m m e n , Sprechen, Gehen einige Zeit gedauert hatte - war der Salon aus. 1 1 2

Das Volk auf der Straße aber „bewundert und beneidet das Glück und die Fülle, in denen die Großen schwimmen". Fühlt man sich bei dieser Schilderung nicht heftig an glänzende Festspielauffahrten heutzutage erinnert, die dem kleinen Mann auch im 20. Jahrhundert noch Ersatz für dieses „Meer von Seligkeit" der Großen sein müssen? Dem Dichter aber ist es möglich, soziale Unterschiede in Poesie aufzuheben: N a c h einigen Stunden aber ist der A r m e und der Reiche, der Geringe und der H o h e , der Diener und der H e r r in Schlaf begraben; die Finsternis der N a c h t zieht über die Stadt, und unter ihr sind alle klopfenden H e r z e n gleich. 1 1 3

Bald aber war es nicht mehr die Nacht allein, die alle Standesunterschiede ausgleichen sollte. Der Wunsch, gleich zu sein, nahm die mannigfachsten Formen an. So fand der im Aussterben begriffene aristokratische Salon eine bürgerliche bis proletarische Wiederbelebung in den Diskussionszirkeln der verschiedenen Frauenvereine. Von den alteingesessenen Salons, die gleichzeitig noch neben der neuen bürgerlichen Variante weiter existierten, können hier nur die erwähnt werden, die in engem Zusammenhang mit der Ebner oder ihrem Kreis stehen. Der bekannteste in dieser Reihe ist der Wertheimsteinsche Salon um Josephine von Wertheimstein und deren Tochter Franziska - beide Namen untrennbar mit dem Ferdinand von Saars verbunden. Aber auch Bauernfeld und der junge Hugo von Hofmannsthal erinnerten sich zeitlebens dankbar der Aufnahme, die sie in diesem Kreis gefunden hatten. Dann wäre in den fünfziger und sechziger Jahren das Haus Iduna Laubes nachzutragen, ebenso der Salon des Schriftstellerehepaares Graf Albrecht und Gräfin Wickenburg, oder der Kreis um die Mitarbeiterin an der kaiserlichen Wiener Zeitung, Flora Galliny (mit dem Pseudonym Bruno Waiden), in dem neben der Ebner häufig Laube und Betty Paoli verkehrten. Besonders hervorgehoben werden muß auch der ,hochintellektuelle Salon' um Auguste von Littrow-Bischoff, der Frau des bedeutenden Astronomen, in dem man sich jeden Freitagabend auf der Sternwarte traf und der in seiner Anziehungskraft sogar mit dem Wertheimsteinschen Salon konkurrieren konnte. Dazu trug vor allem bei, daß Auguste von Littrow sich engster Kontakte 112 113

Ebenda, S. 508. Ebenda, S. 509.

Ida Fleischl

II.2. M. v. Ebner-Eschenbach

- Literarisches

Leben

46 7

zu Kunst und Politik rühmen konnte - nicht umsonst wird sie von der Ebner im Hinblick auf Grillparzer als dessen „weiblicher Eckermann" apostrophiert.114 In ihrem Buch Aus dem persönlichen Verkehre mit Franz Grillparzer, 1873, berichtet die Littrow - keineswegs frei von Eigenlob - über Musik und Komponisten, Staatsmänner, Dichter, Schriftsteller; alles was Rang und Namen hat, fällt ihrer Feder zum Opfer mit einer Ausnahme: die Ebner wird als Schriftstellerin nicht einer einzigen Bemerkung gewürdigt. Für uns von allergrößtem Interesse ist nun aber das gesellschaftliche Umfeld der Ida von Fleischl-Marxow. Sie war geachteter Mittelpunkt sowohl eines medizinischen (über Mann und Sohn) als auch eines literarischen Salons, der für das dichterische Schaffen der Ebner von größter Bedeutung wurde. Welch markante Rolle „das Haus Fleischl im geistigen Gesellschaftsleben Wiens gespielt" hat, zeigen die Nachrufe anläßlich des Todes von Ida Fleischl.115 Und gerade in diesem Salon fand das für Theo so folgenreiche erste Treffen mit der Ebner statt.116 b) Das Verhältnis der Ebner zum Salon Daß der Salon in seinen vielgesichtigen Ausprägungen und Metamorphosen117 für das literarische Wien - wie in anderen Hauptstädten auch - von existentieller Bedeutung war, ist deutlich. Um so bemerkenswerter ist in diesem Zusammenhang, daß Marie von EbnerEschenbach trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung nie Mittelpunkt eines eigenen Salons war. Dafür könnte man mancherlei Gründe anführen. Zunächst war ihr Mann, Moriz von Ebner-Eschenbach, kein besonderer Freund solcher Zusammenkünfte in seinem Haus - re" 4 Ebner: Erinnerungen an Grillparzer, SW 4. Bd, S. 601. 115 „Es gibt Menschen, die, dem Getriebe der Oeffentlichkeit fernstehend, dennoch aus der Fülle ihrer Wesenheit heraus weite Kreise beeinflussen. Zu diesen seltenen Erscheinungen zählte Frau Ida von Fleischl-Marxow. Der Name dieser Frau, seit Jahrzehnten schon von besonderem Klange in Wien, tönte gleich einem vollen Accord, denn er repräsentirte den harmonischen Dreiklang: Gemüth, Geist, Charakter"; so zeichnet ein anonymer, vermutlich von Flora Galliny stammender Nachruf das Bild der eben Verstorbenen. (Wiener Abendpost vom 9. Juni 1899, Nr. 130, S. 3) - Anton Bettelheim skizziert in seiner Würdigung das Haus Fleischl: „Es war der Sammelpunkt zahlreicher hervorragender Männer und Frauen; ausgezeichnete Hofschauspieler, Schriftsteller und Gelehrte fühlten sich da heimisch". (Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 1899, München 9.Juni, Nr. 130, S. lff.). 116 Vgl. E / T b 8.12.1877. 117 Kobau: Saar, S. 263.

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Untersuchungen

spektlos bezeichnete er sie als „Urschlereien". 118 Und die Ebner scheint dieser Einschätzung nicht gar viel entgegengesetzt zu haben. Als weiterer Grund kommt hinzu, daß sie engstens in ihren Familienverband eingefügt war, was ihr zwar Freude war, aber auch Zeit und Mühe kostete. Und schließlich war sie zu schreib-fleißig, um sich neben allen anderen Verpflichtungen auch noch durch die Ausrichtung eines eigenen Salons die Arbeitszeit verkürzen zu lassen. Gleichwohl wußte sie als Schriftstellerin die Vorteile dieser Einrichtung sehr wohl zu schätzen. So ist es vor allem die Veröffentlichung' von der sie, wie viele andere auch, in kleineren und größeren Zirkeln reichlich Gebrauch macht. 119 Sie nützt die Möglichkeit, einem literarisch interessierten Publikum aus ihren noch unveröffentlichten Manuskripten zu lesen. Ferdinand von Saar beschreibt dieses Vorlesen in seinem Essay zum 70. Geburtstag der Dichterin: Soweit meine Erinnerung reicht, hatten sich eingefunden Betty Paoli, Frau Ida Fleischl, Frau Auguste von Littrow-Bischoff, das gräfliche DichterEhepaar Wickenburg, Josef Weilen, der Verleger Rosner und meine Wenigkeit. Die Vorleserin [Ebner] begann mit unsicherer, leicht zitternder Stimme. Bald aber war sie in vollem Zuge, und mit gespannter Aufmerksamkeit folgte man der feinsinnigen Dichtung [Die Prinzessin von Banalien] und ihren zahlreichen Schönheiten. 1 2 0

In dieser Voröffentlichkeit allerdings ,Ersatz' oder ,alternative Familiensphäre' 121 sehen zu wollen, scheint wenig glaubhaft. An Familiensphäre fehlte es der Ebner nicht, und selbst im engsten Familienkreis hatte sie in ihrem Gatten einen stets aufmerksamen und anregenden Zuhörer und Kritiker. 122 Der literarische Salon bot aber über das Vorlesen hinaus zahlreiche Möglichkeiten, das schriftstellerische Können zu erweitern. In geistig anregendem Kreis wurden Bonmots erfunden, Anekdoten erzählt, Geistreicheleien auf das Wesentliche reduziert - eine Übung, die in ihrer Vollendung im Aphorismus und in Aphorismenketten gipfelte, ein literarisches Genre, das seit Rahel Varnhagen auch in geistvollen

118 119

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121 122

Bettelheim 1920, S. 302. So z.B. Bauernfeld: „Jetzt hätte ich Sie aber besonders nothwendig! Was gäbe ich darum, könnt' ich Ihnen meine Sachen vorlesen! Es ist mir als wäre alles noch unfertig, bevor Sie es kennen und approbiren". Brief Bauernfeld an Josefine v. Wertheimstein vom 11.12.1856 in: Kobau: Saar, S. 158. Ferdinand von Saar: Begegnungen mit Marie von Ebner-Eschenbach. In: Saar: SW XII, S. 165. Roßbacher: Literatur, S. 371 - Brinkler Gabler: Literatur, S. 73. Vgl. Moriz von Ebner-Eschenbach, S. 58f., Nachwort S. 192ff.

II.2. M. v. Ebner-Eschenbach

- Literarisches Leben

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Frauenkreisen Furore machte. 123 Neben dieser Königsdisziplin des Aphorismus gehörten das Sammeln von Zitaten, Einfällen und Gedankensplittern, Leseexzerpte, das Führen eines Tagebuches und ausgiebigste Briefwechsel zu den Gepflogenheiten dieser Kreise. All diesen schriftstellerischen Fingerübungen begegnen wir in verschiedener Wertung und Qualität im Schaffen der Ebner, allen voran ihren Aphorismen, vom Zeitpunkt des Erscheinens bis zum heutigen Tag mit Begeisterung aufgenommen.

c) D i e E b n e r und die Kritik Wenn sich die Ebner auch vom öffentlichen Literaturbetrieb nach Möglichkeit fernhielt, so war sie doch von öffentlicher Resonanz nicht unwesentlich abhängig. Fremde Kritik und Anderungsvorschläge aus dem Freundes- oder Familienkreis fanden stets ihr offenes Ohr. Allen voran ist hier Ida von Fleischl-Marxow zu nennen, auf die schon mehrfach hingewiesen wurde. „Selbst eine Stummgeborene", wie Bettelheim diese von der Dichterin so hoch geschätzte Freundin nennt, war sie offenbar mit großem Einfühlungsvermögen in fremde literarische Produkte begabt, eine unbestechliche Kritikerin, manchmal hart im Urteil, aber nie verletzend. So hebt denn auch Bettelheim in seinem Nachruf auf Ida Fleischl ausdrücklich diese herausragende Fähigkeit zu konstruktiver Kritik hervor: Allein sie [Ida Fleischl] verhehlte in ihrer männlichen Geradheit der geborenen Gräfin D u b s k y nicht, daß ihre - nach der Adelssitte der Zeit wesentlich französische - Vorbildung nicht für eine Frau genüge, die nach dem Kranz einer deutschen Dichterin strebe. 1 2 4

Diese Unbestechlichkeit war es auch, die die „gestrenge Merkerin" immer mehr zu dem literarischen Gewissen der Ebner werden ließ. Daß darüber die Freundschaft nie in die Brüche ging, spricht gleicher123

124

Von der Ebner erschienen Aphorismen in einem Einzelband zuerst 1880, in sieben, teilweise vermehrten Auflagen bis 1911, daneben natürlich in der Gesamtausgabe und ausgewählt in Sammelausgaben (wie Ein Buch für die Jugend) und in Zeitschriften. - Um in Wien auch noch die männliche Seite auf diesem Gebiet zu Wort kommen zu lassen, seien Arthur Schnitzlers Aphorismen genannt. Sie allerdings zeichnen sich, was die Charakterisierung der Frau anlangt, durch ätzenden Sarkasmus aus: „Das Streben der Weiber nach Emanzipation ist wie der ewige Ruf, daß sie von der Natur um drei Unzen Gehirn betrogen worden sind. Sie glauben eben immer, beim Krämer zu sein". (Arthur Schnitzler: Aphorismen und Betrachtungen. Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, 1967, S. 164). Nachruf Bettelheims, vgl. oben Anm. 115.

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Untersuchungen

maßen für beide Frauen. In diesem Sinn rührt uns auch das Resümee, das die todkranke Ida an ihrem letzten Lebenstag zieht: Jetzt bin ich noch bei Bewußtsein u. sage Dir: es war das Glück meines Lebens, daß ich dir bei deinen Arbeiten manchmal - durch Zufall - helfen konnte u. nur weil vier Augen mehr sehen als zwei. ( E / T b , 2. 6. 1899)

Der nächste Tagebuch-Eintrag enthält auch die einzige konkrete Korrektur durch Ida Fleischl, alle anderen Einwände sind von der Ebner nie dezidiert genannt worden: Abends [ . . . ] nur geflüstert ,Wenn eine neue Auflage von der Resl gemacht wird dann ändere die Stelle w o v o m Kahlkopf des Grafen die Rede ist; die gefällt mir nicht* - (3. 6. 1899).

Wie wichtig der Ebner diese Korrekturen waren, zeigt auch die Eintragung am Tag nach Ida Fleischls Tod vom 3. 7. 1899: „Correctur von Aus Rom an Kröner. Erste Correctur die Ida nicht durchgesehen hat". Nicht nur die Ebner schätzte Ida Fleischl als Beraterin, auch Louise von François holte für ihren Roman Frau Erdmuthes Zwillingssöhne den Rat Ida Fleischls und Betty Paolis in poetischen und publizistischen Angelegenheiten ein. 125 Hier ist anzumerken, daß Idas Verhältnis zu Betty Paoli von außen betrachtet enger schien, als das zur Ebner, beherbergte doch das Haus Fleischl die Paoli seit 1852 bis zu deren Tod 1894. Aber nur das Verhältnis Ida Fleischls zur Ebner war von einem solchen Gleichklang der Herzen gekennzeichnet, daß Unstimmigkeiten nie aufkamen. Demgegenüber verlief das Zusammenleben mit der äußerst empfindlichen Betty Paoli, dem „olympischen Betterl", 1 2 6 wie sie die Ebner nennt, nicht immer ganz reibungslos. Zahlreiche Eintragungen der Ebner in ihrem Tagebuch beweisen das, so etwa über die an Rheuma erkrankte Paoli: Dann langen Besuch bei Betty. Sie liegt im Bette klagt über Schmerzen. Breuer meint, sie könne nicht sehr leiden, sei eben namenlos empfindlich. G a r keine Rede v o m Fortziehen aus dem Hause Ida's. A n ein Etablissement mit Frau von L i t t r o w nicht zu denken. Diese hatte gleich erklärt, sich unter keinen Bedingungen dazu herbei lassen zu können (14. 11. 1882).

Auch in einem Brief der Ebner an Ferdinand von Saar wird diese Empfindlichkeit im übertragenen Sinne angesprochen: „Sie hätten, lieber guter Saar, ein Exemplar der Steinklopfer an B. Paoli schicken sollen. Sie hat es ein bischen übel genommen daß es nicht geschah". 127 125 126 127

Brinkler-Gabler: Literatur, S. 72. Ebner-Saar Briefe, 19.12.1875, S. 43. Ebenda, 8.5.1874, S. 36.

II.2. M. v. Ebner-Escbenbach

- Literarisches Leben

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Trotz aller Unstimmigkeiten steht aber fest, daß die Paoli sich stets dessen bewußt war und blieb, was Ida Fleischl für ihr Leben bedeutete. In einem Gedicht an Ida gibt sie dem poetischen Ausdruck: D a ß ich, als jeder Trost mir fern gelegen, U n d meiner H a n d der Hoffnung Stab entwunden, Inmitten all der Larven dich gefunden, Ich nenn es meines Lebens höchsten Segen! 1 2 8

So sehr die Paoli aber Ida Fleischl auch als ihren „höchsten Segen" pries, so war sie sicherlich für deren Kritik nicht in dem Maß zugänglich wie die Ebner, die keine kritische Anmerkung unbeachtet ließ ob immer zum Besten ihrer Werke, mag dahin gestellt bleiben. Es ist schwer vorstellbar, daß der Ebnersche Leitsatz - formuliert in einem Brief an Saar - auch auf die Paoli zutreffen könnte: „Ich [...] beuge mich Ihrem Tadel und freue mich Ihres Lobes". 1 2 9 Eine solche Diskrepanz im Umgang mit Kritik ist keineswegs nur an diesen beiden Frauen festzumachen. Dichter wie Eichendorff und Saar, um nur zwei zu nennen, die unsägliche Mühe an ihre Werke wandten, ließen dann aber die Kritik ungehört, während Marie von Ebner-Eschenbach aus einer merkwürdigen Mischung aus Unsicherheit und Souveränität jede Anregung aufnahm und einarbeitete, gleich ob sie vom Germanisten Erich Schmidt, dem Zeitschriftenherausgeber Rodenberg oder dem Dichter Saar kamen. Zwei Briefe seien hier stellvertretend für viele erwähnt: H e u t e hatte ich drei glückselige Momente. Drei Briefe, einen darunter von Prof. Erich Schmidt, habe ich erhalten, die alle die Zustimmung ihrer Verfasser aussprechen zu den Änderungen in Unsühnbar (12/E).130

Ein Jahr später schreibt sie über eine wohlwollende Rezension von F. Woll im Berliner Tageblatt:

128

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Betty Paoli: Neueste Gedichte. Wien 1870, Widmung. An Ida, S. III. - Wie sehr sich die Paoli ihrer eigentlichen Hilfsbedürftigkeit bewußt war, bezeugt auch ein weiteres Gedicht, darin heißt es: „Denn stützen mußt du mich mit deiner Kraft,/Dein böses altes Kind zum Guten ziehen./Du mußt, bald ernst und streng und bald gelind,/ Hier raten, trösten, strafen dort und wehren/Und die Gedanken, die das Leben sind,/ Den erdgebund'nen Geist erst denken lehren." (Am 5. September. An Ida, ebenda S. 82f). Ebner-Saar Briefe, 24.11.1876, S. 46f. Brief von Erich Schmidt vom 23.6.1891. Dieser hatte in der Deutschen Literaturzeitung (Jg. 11, Nr. 27, 1890, Sp. 997) manche Einwände gegen die erste Buchfassung von Unsühnbar, 1890, vorgebracht. Die Ebner hatte alle Kritikpunkte in der 3. Auflage, 1891, sorgfältig beachtet und den Roman dementsprechend umgearbeitet. Vgl. Burkhard Bittrich in KTD, Bd 2, S. 257f., 263ff„ 268f.

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C.

Untersuchungen

Sehen Sie, aus dieser Beurtheilung habe ich etwas gelernt. Ich möchte Ihnen die Hand dafür küssen können daß Sie sie mir geschickt haben und Wolff die Hand drücken für sein Lob und für seinen Tadel. Das Lob kommt wirklich vom Herzen, man fühlt's und der Tadel ist gerecht und lehrreich und ich will mir ihn zu nutze machen (20/E). Darüber hinaus war ihr das Urteil interessierter Laien nicht weniger beherzigenswert: Man darf eine nicht ganz fertige Arbeit nie einem allzu verständigen Publikum vorlesen; es ergänzt zu viel. Warm- und feinfühlige Menschen, die kein eigentliches Kunsturteil haben, aber gescheit sind und voll Interesse und Wohlwollen, das sind das rechte Publikum für noch nicht endgültig Abgeschlossenes. Ihnen merkt man es gleich an, wo eine Linie schärfer gezogen werden muß, wo ein Ubergang fehlt, wo - das Schlimmste! die Stimmung ins Wanken gerät". 131 Selbstironisch notiert die E b n e r an anderer Stelle: Wenn die Zuhörer nicht gleich in Ekstase geraten, denk ich: „Da haben wir's! einmal wieder etwas Mißglücktes!" Und geraten sie in Ekstase, dann denke ich: „Sie verstehen nichts". 132

Ein ,Kritiker', der dem Literaturbetrieb fern stand, ist hier n o c h ganz besonders zu erwähnen. Es handelt sich u m den von der E b n e r hochgeschätzten, universell gebildeten A r z t Dr. Josef Breuer. Als Hausarzt der Familien D u b s k y und Ebner-Eschenbach mit dem Leben seiner ,teuren, h o c h verehrten F r a u Gräfin' äußerst vertraut, wird er im Laufe der Jahre nicht nur z u m kenntnisreichen Gesprächspartner in politischen, sondern auch z u m unbestechlichen Berater in literarischen Fragen, w o v o n ein Briefwechsel in den Jahren 1 8 8 9 - 1 9 1 6 Zeugnis ablegt. A u c h hier können nur kleine Kostproben gegeben werden. A m 23. 10. 1889 berichtet die E b n e r in einem Brief zunächst über den G e mütszustand Adolphs', ihres Bruders, und fügt dann hinzu: In einigen Tagen erscheint also die Fortsetzung meiner Unglücksgeschichte. Ich habe eine Angst vor Ihnen, die mich oft überfällt und puterrot werden läßt. Wie habe ich nur diesen Wolfi sterben lassen können, ohne Sie zu fragen, ob es so recht ist. Ich beschwöre Sie, korrigieren Sie mir da etwas hinein für die Buchausgabe, die mir doch bei weitem wichtigere ist. 133

131 132 133

Ebner: Zeitloses Tagebuch, S. 654f. Ebenda: S. 636. Briefe Ebner-Breuer, S. 20.

II.2. M. v. Ebner-Eschenbach

- Literarisches Leben

473

Da in der hier nicht namentlich genannten Erzählung Unsühnbar Wolfi auch in der Buchfassung stirbt, ist man zunächst geneigt anzunehmen, die Ebner habe den Rat Breuers unbeachtet gelassen. Ihr Brief vom 2. 11. desselben Jahres bietet aber eine andere und zum Bild der Ebner weit besser passende Lösung an: Ach, hätten Sie mir doch Ihre Bedenken (das meine Erzählung betreffende) gleich mitgeteilt, lieber verehrter Freund. Jetzt ist der erste Teil bereits für die Buchausgabe gedruckt. Ich habe freilich eine Menge Änderungen gemacht, möge diejenige, die Sie wünschen darunter sein. 1 3 4

Offensichtlich kam Breuer mit seinen Vorschlägen für ein anderes Ende des armen Wolfi für die Buchausgabe zu spät. Wie ernst Breuer seine Berateraufgabe nahm, mag noch sein Brief vom 6. 1. 1902 zeigen: Dieser Tage habe ich, im Wagen herumfahrend, mir ein weiteres Schicksal für den Pfarrer von Glaubenslos zusammensinniert. D e r ist gewiß mit seiner inneren Entwicklung nicht fertig. D e m geschieht noch einmal etwas. 1 3 5

Und wie ernst es der Ebner ihrerseits mit seiner Beurteilung war, beweist ihr Brief vom 2. 9. 1902: O bitte, sagen Sie mir ehrlich und mit Fürsorge für mein Lokalrühmehen, ob ich das Manuskriptlein, das ich Ihnen hiemit übersende, unserer bestredigierten und verruchtesten Zeitung zur Veröffentlichung anbieten soll. 1 3 6

Die Zweifel am eigenen Talent,137 die auch im letztgenannten Zitat anklingen, von denen die Ebner zeit ihres Lebens gequält wurde, bewirken nun aber auch, daß sie den Werken anderer Schriftsteller und Schriftstellerinnen merkwürdig unkritisch gegenüber stand. Mag sein, daß ihre so oft gerühmte Bescheidenheit sie an manch schärferem Urteil hinderte. Uber Die Waffen nieder der mit ihr weitläufig verwandten Bertha von Suttner notiert sie: Ein B u c h von so voll ehrlicher Überzeugung und Talent und oft wirklicher Beredsamkeit und oft ganz dicht daneben kleine Orgien der Geschmacklosigkeit und des schlechten Tons (17. 2. 1892).

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Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 44. Ebenda, S. 50. In den Tagebüchern kommt dieser Zweifel am eigenen Talent immer wieder zum Ausdruck; besonders einprägsam auch in dem Gedicht Der Halbpoet: „In dir ein Schaffen unbewußt, / Ein lautlos Schrei'n in deiner Brust / Ein Wogen, Keimen, Knospensprengen, / Ein ruheloses Vorwärtsdrängen, / Und dennoch keiner Blüte Prangen, / Und dennoch kein Zumzielgelangen! / - Es ist die allergrößte Pein, / Ein Halbpoet geboren sein." (Ebner: SW IV, S. 559).

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Obwohl die Ebner der äußerst aktiven und zudem mondänen Suttner nicht allzu viele Sympathien entgegenbrachte, 138 ist sie in der Beurteilung des Suttnerschen Buches offensichtlich um Objektivität bemüht und vertraut die Kritik an der im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Gründerin der Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde (1891) vorsichtshalber nur ihrem Tagebuch an. Anders verhält sie sich zu Autorinnen, die ihr menschlich nahe standen, und hier ist Hermine Villinger zu nennen. In einem Brief an Theo Schücking teilt die Ebner ihre negative Sicht des Villinger'schen Werkes offen mit: „An ihrem [Villingers] Buch konnte ich keine Freude haben und schrieb es ihr auch" (116/E). Gemeint ist der Roman Binchen Bimher, und selbst die dort offen ausgesprochene Ovation an die Ebner ändert nichts an deren unbestechlichem Urteil. Dort heißt es nämlich von Binchen Bimber, einer ältlichen Bibliothekarin in einer kleinen, privaten Leihbibliothek: Ihnen verdanken wir ja unsere ganze literarische Bildung. Wissen wir noch, mit welch einfältigen Geschichten wir anfingen [...] - da haben sie uns den Weg gewiesen - o, Sie haben's verstanden, - erst veredelten Sie uns durch die Ebner-Eschenbach; ich durchschau' jetzt alles - das haben Sie gewußt, wer die durch hat, der greift zu keinem Schund mehr. 1 3 9

Besonders interessant ist die Einstellung, die die Ebner zu den Werken angesehener Autoren äußert. Die Auseinandersetzung mit den von ihr wenig geschätzten Naturalisten finden wir nur in ganz persönlichen Aufzeichnungen oder Briefen an vertrauteste Personen. So notiert sie im Tagebuch nach einer viel diskutierten Aufführung von Hauptmanns Fuhrmann Henschel im Burgtheater: Die Charakteristik im Fuhrmann Hentschel [!] wird so sehr hoch gerühmt. O b mit Recht? Ich bringe nicht heraus, ob Siebenhaar ein braver Mann oder ein Schuft ist [...] Die fünf Aufzüge kommen mir vor wie fünf Türen, man wird zu jeder langsam hingeführt und steht man davor, wird sie einem vor der N a s e zugeschlagen (11. 1. 1899).

Sind in dieser Kritik die praktischen Theater-Erfahrungen der Ebner nicht zu überhören, so läßt Theo Schückings naivere Beurteilung eben desselben Stückes nach einer Aufführung in Berlin noch weniger an Deutlichkeit zu wünschen übrig:

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E / T b 28.2.1896: „Von Baronin Suttner der Friedensfreundin die einem keinen Frieden giebt". Hermine Villinger: Binchen Bimer. Eine Geschichte, Stuttgart 1902, 6 . - 9 . Auflage 1922, Zitat: S. 204.

II.2. M. v. Ebner-Eschenbach - Literarisches Leben

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um dies Stück zu schreiben, dazu brauchte es k e i n e n Dichter! Es ist verblüffend scharf beobachtet, in allem Äußerlichen. Man bedauert diesen Fuhrmann unsagbar, aber er bleibt ganz uninteressant. Und die Szene der Mutter mit dem Kind wirkt abstoßend roh - (80/S).

Ebenso vertraut die Ebner ihre Kritik an Werken des gleichfalls ungeliebten Jungen Wien' nur den Tagebüchern an, aber da mit voller Schärfe: Der Weg ins Freie v. Arthur Schnitzler 1908. Was wird in dem Buche geschwatzt! Welche unerträgliche Selbstbespiegelung! Der Held ist ja Schnitzler selbst. Wie gleichgültig sind uns diese Leo Heinrich, Bergmann, Nürnberger, wie verächtlich der falsche Elegant Baron Georg, dieses Ebenbild des Autors. [...] Was das Buch unerträglich langweilig macht, sind, außer den endlosen Gesprächen, die fortwährenden Erinnerungen des Barons. An alles was er vor unsern Augen, oder nicht vor unsere Augen erlebte, erinnert er sich mit beklagenswerter Gedächtnistreue und kaut es uns wieder vor. Nicht einmal seine Träume erläßt er uns. 1 4 0

Während die Ebner weder den Naturalisten noch dem Jungen Wien viel abgewinnen konnte, ist Ferdinand von Saar, keiner der beiden Richtungen zuzurechnen, für sie von ganz besonderer Bedeutung. Obwohl mit ihm befreundet und von ihm durchaus geachtet, scheint sie sich als schriftstellernde Frau auch ihm gegenüber - sozusagen naturbedingt in der zweiten Riege gesehen zu haben. Dies, obwohl ihre Beziehung zu Saar fast als eine Schicksalsgemeinschaft anzusehen ist. Hatten doch beide mit ihren dramatischen Versuchen gleichermaßen Schiffbruch erlitten. Im Gegensatz zu Saar aber hat sich die Ebner in kluger Einsicht, mit ganzer Uberzeugung dem erzählenden Genre hingegeben, Saar aber litt trotz seiner erfolgreichen Hinwendung zu epischen Erzählformen lebenslang an seinem Scheitern als Dramatiker. Aus der Gemeinsamkeit der beiden Schriftsteller heraus, die nicht zuletzt aus unerfreulichen Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb hervorging, ist es leicht erklärlich, daß die Ebner Saar um Durchsicht, Rat und Kritik bat: „Sie geben mir das Beste was uns von dem Verstehenden zutheil werden kann; Aufrichtigkeit".141 So wollte sie ihre Erzählung Ein Spätgeborener nicht drucken lassen ohne vorher Saars Urteil eingeholt zu haben, und Saar sparte dann auch nicht mit Lob, wenn seine kritischen Einwände genauestens eingearbeitet wurden: „Die Änderungen, die sie vornahmen, so wie die Auslassungen zeigen, mit welch einsichtsvollem Fleiße Sie diese Arbeit wieder vorgenommen haben". 142 140

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E/Tb 1909, Anhang (KTD, Tb VI, S. 201). Ebner-Saar Briefe, 24.11.1876, S. 46. Ebenda, 2.5.1875, S.41.

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Bei aller Berücksichtigung der Kritik, die an ihren Werken geübt wurde, war die Ebner denn doch zutiefst durchdrungen von ihrer schriftstellerischen Berufung. Dies zeigt eindrucksvoll ein Brief an Theo Schücking: Wissen Sie was ihn [den Künstler] v o r allem macht: die N a i v i t ä t . „Helf mir Gott, ich kann nicht anders", und nicht einmal: „Helf mir G o t t " , kurzweg: „ich kann nicht anders. So m u ß ich's sehen, so m u ß ich's machen," und alles nachträgliche hineinspindisiren einer Absicht oder der U n t e r w e r fung unter irgend ein Schönheits-Wahrheits-Sittlichkeitsgesetz - Schwindel. Sagen Sie keinem Menschen, daß ich dieser Meinung bin, sonst steinigt man mich. Das heilige: ich muß, in der Seele des Künstlers faßt in sich das ganze Gesetz und die Propheten ( 5 2 / E ) .

3. Frauenbewegung a) Die Ebner und die Frauenfrage So wenig sich die Ebner äußerlich in das Korsett des aristokratischen Salons einzwängen ließ, so geschickt verstand sie es aber auch, sich der Vereinnahmung durch andere Institutionen zu entziehen. Sie nahm am Leben der literarischen Zirkel und der sich explosionsartig vermehrenden Frauen- und Bildungsvereine 143 teil, stand allen weiblichen Bildungsbestrebungen äußerst positiv gegenüber, lehnte aber - wann immer möglich - Präsidentschaften ab und verschaffte sich nicht zuletzt durch pünktliche Zahlung von Mitgliedsbeiträgen und großzügigen Spenden einen gewissen Freiraum. Das Emanzipationsprogramm der Ebner, soweit man überhaupt von einem solchen sprechen kann, deckt sich weitestgehend mit dem, das Malwida von Meysenbug in ihren Memoiren einer Idealistin aufstellte: die Frauen würdiger machen wollen [ . . . ] durch die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten, durch die sie nicht nur die leiblichen Erzeugerinnen, sondern auch die wahren Bildnerinnen der Jugend werden könnten. Ich hatte gewollt, daß die Frau, anstatt des Mannes Brutalität nachzuahmen, so sehr ihm ebenbürtig werden sollte für die Kulturaufgabe der Menschheit, daß sie auch ihm helfen sollte, sich von allem Schlechten zu befreien. 1 4 4 143

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Von den neu gegründeten Frauenzeitschriften seien nur die bedeutendsten angeführt: Die Frauenbewegung, 1898 - Dokumente der Frauen, 1899 - Neues Frauenleben, 1902 - Die Frau, Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, 1893. Meysenbug: Memoiren, 1. Bd, S. 378. Das hier vertretene Programm stimmt in vielen Punkten mit den Leitgedanken Marianne Hainisch's überein. - Vgl. auch die Ebner selbst: „Das Wort Frauenemancipation ist so oft von dummen Leuten in den Mund genommen worden daß selbst die gescheidten nicht mehr wissen was sie davon den-

11.3. M. v. Ebner-Eschenbach

-

Frauenbewegung

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Pädagogisch moralische Aspekte, die wir in fast allen Emanzipationsprogrammen an vorderster Stelle antreffen, finden wir auch in merkwürdigen Verrenkungen in den Richtlinien der Verlage, die vorwiegend weibliches Lesepublikum ansprachen. So erklärt der Herausgeber der Gartenlaube in den achtziger Jahren, die Beiträge dürfen weder eine politische noch eine religiöse Tendenz enthalten und müssen in erotischer Hinsicht so gehalten sein, daß sie vor jüngeren Mitgliedern im Familienkreis vorgelesen werden k ö n n e . 1 4 5

Die Rolle der Ebner als Galionsfigur einerseits und ihre finanzielle Unabhängigkeit andererseits ermöglichten ihr einen ganz eigenen Weg innerhalb des emanzipatorischen Aufbruchs. So beweist ihr Engagement für die Sache der Frauen - und das ist ohne Zweifel nicht gering anzusetzen - bei gleichzeitiger Distanz zu deren Ideologie die Sonderstellung, die sie im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts einnimmt. Theo Schücking formuliert das in ihrem 1900 erschienenen Artikel Marie von Ebner-Eschenbach sehr einfühlsam: D u r c h ihre Geburt auf die H ö h e des Lebens gestellt [ . . . ] gewann sie früh die Kenntnis davon, daß es ganz in ihrer N ä h e noch eine andere Welt als die ihre gab [ . . . ] . So wurde sie in gleicher Weise heimisch in Schloß und Hütte, wurde hier wie dort eine gleich erfahrene Kennerin der H e r z e n und der Seelen (S. 2 7 9 ) . 1 4 6

Es ist nicht zu übersehen, daß hier dem Vorwurf, die Ebner habe auf Grund ihrer Herkunft dem Volk gar nicht aufs Maul schauen können, entgegengewirkt werden sollte. Die Ebner ist zwar bewußt Aristokra-

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ken sollen u. nichts mehr darunter verstehn als eine Carricatur und Ausgeburt der Uebercivilisation. In der That bedeutet sie die möglichste Ausbildung aller weibl. Fähigkeiten inerhalb ihr von der Natur gezogenen Grenzen." (E/Tb 1874, Anhang; K T D , Tb II, S. 315). Wie bindend selbst renommierte Gartenlaube-Autoren wie die Ebner dieses redaktionellen Auflagen empfanden, zeigt ihr Brief an Theo Schücking vom 17.1.1902 (116/E): „Am Anfang hemmte mich der Gedanke, daß ich für 16jährige Leserinnen schreiben müsse, dann wieder kommen mir Skrupel, weil die Geschichte in katholischen Kreisen spielt [...] Wenn Geheimrat Kröner so sehr aufs Protestantische hält, wie Dr. Glaser, was dann?" - Dazu auch weiter Anderson: Vision, S. 303. - Auch die Richtlinien des Allgemeinen Osterreichischen Frauenvereins bezeichnen die „Hebung unseres intellektuellen Niveaus" als Endziel. (Anderson: Vision, S. 27). - Diese außerliterarischen Kriterien gaben vielen Schriftstellerinnen - soweit sie der Frauenbewegung nahe standen - die Möglichkeit, sich moralisch-pädagogisch zu artikulieren. Vgl. dazu das Gedicht der Ebner an Theo: Theo, feine Kennerin / Der Herzen u. der Seelen / Es hatte wirklich keinen Sinn / Dir Nachsicht zu empfehlen / Du siehst - ich weiß es ohnehin / Den guten Willen, / Den liebevollen, stillen E / T b Anhang 1899 (KTD, Tb V, S. 177).

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tin, gleichzeitig aber ist sie die kenntnis- und verständnisreiche Schilderin kleiner Leute. So ist sie wohl auch von tiefem Stolz erfüllt, als sie, die geborene Baronin und Frau des Feldmarschall-Lieutenants, in die Uhrmacherzunft aufgenommen wird. Die Erzählung Lotti die Uhrmacherin und ihre bedeutende Uhrensammlung hätten allein diese Auszeichnung nicht bewirken können, wenn da nicht ihre tiefe Ehrfurcht vor handwerklichem Können und solcher Art tätigem Leben bekannt gewesen wäre. Und da ist in diesem Artikel der Theo dann noch die Rede von der Abneigung der aristokratischen Umgebung gegen den Eintritt der Frau in die Öffentlichkeit. Daß diese Abneigung dagegen keineswegs auf aristokratische Kreise beschränkt war, ist hinlänglich bekannt. Was bei der Ebner von den Ihren ,nur aus Liebe' geduldet wurde, erzwang in kleinbürgerlichen Kreisen oft die nackte Not. Wir erinnern uns wieder an Sophie Patakys Vorwort zu ihrem Frauen-Lexikon, da heißt es zu diesem Punkt: Nicht immer ist es der innere Drang nach schriftstellerischer Bethätigung, welcher die Frau in die Rolle der .Schreibenden' gestellt hat. Gar oft waren es die eigene N o t , die Sorge um die darbende Familie, den siechen Gatten, die vaterlosen Kinder oder die der Unterstützung bedürftigen Geschwister, welche der Tochter, der Gattin, der Mutter oder Schwester die Feder in die Hand drückten, um das in ihr schlummernde Talent auszumünzen und so manche unter ihnen hat thränenden Auges ihre ,Humoresken' oder ,heiteren Bilder' aus dem Leben geschrieben. 1 4 7

Wie sehr sich die Ebner dieses hier angesprochenen Problems vieler Frauen bewußt war, zeigen viele ihrer Eintragungen in den Tagebüchern. Am aufschlußreichsten, weil ehrlichsten scheint ihre Antwort auf den Brief einer nicht näher bezeichneten Frau, in dem sie dieses Problem aus ihrer eigenen Sicht - Schriftstellern zwischen Beruf und Berufung - zu beantworten sucht: Ich bin nicht imstande ihre Frage zu beantworten. Die Schriftstellerei habe ich nie berufsmäßig betrieben, eigene Kinder nicht gehabt. N u r auf die Erziehung mir nahestehender und vielgeliebter durfte ich vor Jahren einigen Einfluß nehmen, und - das weiß ich noch gut - wenn eines von ihnen erkrankte oder in irgend einer Weise besonderer Sorgfalt bedurfte, war alle Litteratur für mich aus der Welt geschafft. Was geschehen wäre, wenn das eiserne Müssen mir in solchen Zeiten die Feder in die Hand gezwungen, ob ich dann wie manche tapfere Frau die Kraft gefunden hätte, am Bette meiner schwerkranken Kleinen geistig thätig zu sein, weiß ich nicht. 1 4 8 147 148

Pataky, Lexikon, S. VII f. E / T B 1899, Anhang ( K T D , T b V, S. 186). - Erinnert sei hier an Die Geschichte eines Wiener Kindes von Ferdinand v. Saar. Die Protagonistin ,Frau Elsa', Verfasserin eines Romanes mit dem Titel „Roman einer Frau", behauptet trotzdem von sich selbst,

II.3. M. v. Ebner-Eschenbach -

Frauenbewegung

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Wir treffen hier auf die mögliche Umkehr von dem, was häufig wieder Sophie Pataky - als Grund für den Beginn einer Schriftstellerinnen-Laufbahn angegeben wird; hier wird die Tatsache angesprochen, daß die Not keineswegs immer dem künstlerischen Wollen zum Durchbruch verhelfen muß, sondern dieses auch lähmen und vernichten kann. Es hätte gut sein können - und die Ebner ist sich dieser Möglichkeit durchaus bewußt - , daß sie bei einem ungünstigeren Geschick nicht zu der Ebner geworden wäre. Es sei daher noch einmal aufgegriffen, was vielfach gegen die Ebner ins Treffen geführt worden ist, daß sie eben nicht aus zwingender Not mit dem Schreiben begonnen habe, sondern aus freiem Wollen, was sich mit der moralischen Rechtfertigung des Schreibens in den Augen so mancher Frauenkämpferin nicht vereinen ließ. Diesem Anspruch nun genügte z.B. Louise von François in vollem Maße. Ihre Mittellosigkeit ließ die aristokratische Herkunft vergessen, zumal sie ihre Dichtungen - etwa in einem Brief an Gustav Freytag - „als Kinder der Not, der Reflexion und der Reminiszenz" bezeichnet,149 und sich selbst - trotz ihres Erfolges mit der Letzten Reckenburgerin als Dilettantin betrachtet. Trotz dieses geradezu existentiellen Unterschiedes verband die beiden Frauen tiefe gegenseitige Achtung und darauf basierende lebenslange Freundschaft. Von der Rolle, die Männer in diesen Frauenschicksalen spielen, ist wenig, eigentlich nie die Rede. Daß sie aber nur in Ausnahmefällen als Förderer ihrer begabten Frauen auftraten, muß nicht eigens betont werden. „Einen künstlerischen Beruf haben ist für eine Frau immer ein Unglück, denn sie darf an ihre Arbeit erst gehen, wenn sie nichts mehr zu thuen hat" vermerkt die Ebner im Tagebuch (25. 11. 1895). Von dem hinlänglich bekannten und fast zu Tode strapazierten Aphorismus über die dummen Männer als geborene Feinde aller gescheiten Frauen soll hier nicht die Rede sein, aber davon, daß auch die Ebner im Laufe ihres Lebens eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht hat. In einem Brief an Devrient vom Dezember 1861 heißt es: Man mag sagen was man will, das große Publikum tritt der Frauenbewegung auf künstlerischem Gebiet [ . . . ] recht befangen entgegen [...]. Ja, ist es nicht gut so? - Die Seelenkämpfe, inneren Widersprüche, all der Sturm

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„daß ich eigentlich keinen Beruf zur Schriftstellerin in mir fühle"; und der Erzähler vermerkt: „So war denn diese [ . . . ] Frau [...] zuletzt auch von dem schriftstellerischen Drang der Zeit erfaßt worden, auch die Macht ihrer Schicksale hatte ihr die Feder in die Hand gedrückt". Saar: SW I X , S. 228, 230, 251. François: Akte, S. 51.

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und Drang, aus dem jedes Kunstwerk geboren wird, sind, im Frauengemüthe durchgemacht, keine Sympathie erweckende Erscheinung. 150

Die Ebner der späteren Jahre ist hier nicht einmal zu ahnen, allerdings liegen auch ihre Lehrjahre dazwischen, in denen sie - nicht zuletzt auf Devrients Theater - mit ihren, aus solchen Seelenkämpfen hervorgegangenen Kunstwerken, arg Schiffbruch erlitten hatte. Ihr soziales Engagement, von dem auch „die Lehrgegenstände die ich in die Schulen von Zdislawitz und Honietitz geschickt habe" (Tb 16. 1. 1898) Zeugnis ablegen, entfaltete die Ebner nicht zuletzt auch im Rahmen der Wiener Schillerstiftung, die es ihr in einigen Fällen ermöglichte, notleidenden Schriftstellerinnen zu einer Pension oder einem Preis zu verhelfen; Louise von François und vor allem Theo Schücking seien hier als Beispiele angeführt. 151 Im Zusammenhang mit der Schillerstiftung sei ergänzend hinzugefügt, daß die Ebner vom Verein zur Errichtung eines Schiller-Denkmals in Wien in ein eigens dafür begründetes Damencomitee berufen wurde - gemeinsam mit Paula Frankl, Hofschauspielerin Gabillon, Gräfin Wickenburg-Almasy, Henriette von Wiener, Henriette Zimmermann und Auguste von Littrow-Bischoff. 1 5 2 Daß es in erster Linie weiblichem Einsatz zu verdanken war, daß Schiller, in Bronze gegossen, 153 diese Ehrung erhielt, beweist einmal mehr, wie Frauen das literarische Leben und seine Repräsentation nach außen im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts mitprägen wollten und konnten. Wie sehr die Ebner die Sache der Frauen zu ihrer eigenen machte, ohne sich ideologisch festlegen zu lassen, mögen zwei weitere Beispiele zeigen. Als der von Laube ausgeschriebene Lustspielpreis an eine Frau vergeben wurde, schreibt die Ebner in ihr Tagebuch: „ Sie siegte über 450 Mit-Bewerber. Ich habe eine viel ungetrübtere Freude als wenn ich's selbst wäre" (30. 10. 1877). 1 5 4 Ein weiteres Beispiel für 150 151

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Bettelheim 1920, S. 313. Vgl. Schillerstiftung (B.II.4. und C.I.4.c) und die Ausgabe von Motekat: François: Akte. Vgl. E/Tb 21.1.1904. - Littrow-Bischoff: Grillparzer, S. 169. Schiller-Denkmal in Wien, geschaffen von Johann Schilling, 1876. Der Universitätsbibliothek Wien/Fachbibliothek für Theaterwissenschaft verdanke ich folgende Auskunft: Die gesuchte Preisträgerin war Elise Henle (Mädchenname und Pseudonym für Elise Levi); das Preilustspiel hieß Durch die Intendanz, Preislustspiel in fünf Aufzügen („Am Stadttheater zu Wien mit dem ersten Preis prämiert den 31. Oktober 1877.") und ist als Reclam U B Nr. 2834 erschienen. - Die Ebner beteiligte sich an diesem Preiausschreiben nicht; ob der Grund hiefür in den Enttäuschungen liegt, die sie mit ihren dramatischen Werken im Burgtheater unter dem Direktorat Laubes erlebt hatte, ist nicht zu belegen. Jedenfalls erwähnt auch Laube die Ebner in seinem Buch über das Burgtheater an keiner Stelle. Immerhin aber nennt er in seinem zweiten Erinnerungsband über das Stadttheater zwei Dramen

II.3. M. v. Ebner-Eschenbach

-

Frauenbewegung

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das Engagement der Ebner in Frauenfragen betrifft den von ihr begründeten Ebner-Eschenbach-Fond, 155 dessen Satzung durch sie selbst, Lobmeyer, Minor und Bettelheim aufgestellt worden war. Das Kernstück dieser Satzung bestand in der Festlegung, daß alljährlich an ihrem Geburtstag die angefallenen Jahreszinsen durch den Wiener Zweigverein der Deutschen Schillerstiftung für bemerkenswerte literarische Leistungen zur Verfügung gestellt werden sollten. 156 Interessant ist ein Blick auf die noch unter der Ägide der Ebner ausgewählten Ebner-Preisträgerinnen, soweit sie uns durch Bettelheim bekannt sind: 1901: Isolde Kurz, 1902: Emilie Mataja, 1903: Hermine Villinger, 1904: Enrica Handel Mazetti, 1905: Helene Böhlau, 1906: Marie Eugenie delle Grazie, 1907: Ricarda Huch, 1908: Gisela Freiin von Berger, 1909: Hermine Cloter, 1910: Erika Rheinsch-Spann. 157

Neben bekannten Autorinnen-Namen wie etwa dem der Ricarda Huch finden wir solche, die nur mehr einem kleinen Kreis besonders Interessierter bekannt sind, und dann solche, die sich uns weniger durch eigene literarische Produktionen, als durch ihr Engagement in der Frauenfrage in Erinnerung erhalten haben. Sie alle gehören zu dem Kreis um die Ebner und sind der Dichterin mehr oder weniger verbunden. Um diesen Kreis noch genauer zu charakterisieren, sind Briefe, aus diesem Umfeld an Theo Schücking gerichtet, in den Textteil aufgenommen (B.II.3.a). Mit der Verteilung von Preisgeldern, oder einmaligen Zuwendungen und Gewährung von Pensionen sind wir am Existenzpunkt angelangt, nämlich an der Frage nach der Größe von Honoraren. Dabei zeigt sich sogleich, um wieviel schwieriger die Lage österreichischer Schriftstellerinnen im deutschsprachigen Raum war, im Vergleich mit

155

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der Ebner, und zwar sehr positiv: Das Waldfräulein sei „sehr erwünscht! [...] Ein künstlerisches Konterfei der Gegenwart aber hat auf der Bühne nicht nur Reiz, es hat auch reinigende Kraft." Untröstlich habe, „günstig angesprochen [...], aber einige vorlaute Tageskritiker entwerteten es" (Laube: Stadttheater, S. 101 und 125). Anläßlich des achtzigsten Geburtstages der Dichterin wurde der Marie v. EbnerEschenbach-Fond für gemeinnützige oder künstlerische, von der Dichterin zu bestimmende Zwecke errichtet. Der Aufruf dazu wurde von 500 Vertretern des österreichischen und deutschen Kulturlebens unterzeichnet. Vgl. Ebner-Breuer Briefe, S. 184 f. Von der warmherzigen Einstellung der Ebner Minderbemittelten gegenüber zeugt auch ihr Testament; darin ist ein Vermächtnis „nicht nur an ihre Verwandten und Bedienten und manche Vereine, sondern auch an ihre Freundinnen Hermine Villinger und Anna Gräfin Pongracz" festgeschrieben. Der Universalerbe, ihr Neffe Viktor Graf Dubsky, sollte aus dem Ertrag ihrer Werke das Armenhaus in Zdislawitz unterstützen. Vgl. Ebner Symposion, S. 30. Bettelheim 1920, S. 287, 289. Ebenda, S. 289.

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ihren ausländischen Kolleginnen. Bettelheim, in dieser Frage absolut glaubwürdig, berichtet: Die Sand verdiente mit der Feder über eine Million, der Eliot bot der Verleger Smith für Romola 10 000 Pfund; nach dem Riesenerfolg von Adam Bede verdoppelte Blackwood das Honorar; das höchste Honorar der Ebner für einen Roman in einer Zeitschrift - 6000 Mark; die Honorare für die Droste und Betty Paoli waren von beschämender Geringfügigkeit.158

Waren schon die Honorare für ausgewiesene Schriftstellerinnen ,beschämend geringfügig', so kann man sich unschwer die Größe der Honorare unbekannterer Autorinnen ausrechnen. Hier ist an Theo Schücking zu denken. Für ihre Ausgabe der Briefe Droste-Schücking liegt der Vertrag mit Grunow vor, in dem § 3 die finanzielle Abmachung festschreibt: Als Honorar hat Fräulein Schücking die Summe von 1200 Mark zu erhalten, wenn die ganze Auflage verkauft wird. Zunächst hat Herr Grunow bis zu Höhe von 1000 Exemplaren für jedes verkaufte Exemplar 60 Pfennige zu entrichten, für die weiter abgesetzten Exemplare dann 75 Pfennige bis durch den Absatz die volle Honorarsumme erreicht ist. 159

O b die männlichen Schriftsteller-Kollegen es in Hinblick auf die Höhe ihrer Einnahmen besser hatten als die weiblichen Konkurrentinnen, mag - wenn man einem Saar'schen Abrechnungsbericht glauben kann - bezweifelt werden: Im August erhielt ich die Abrechnung meines Verlegers. Vom Heinrich wurden 130, vom Innocens 324 Exemplare abgesetzt; mein Anteil am Gewinn betrug 33 Thaler. Was doch so ein deutscher Poet glänzende Geschäfte macht! 160

Allerdings soll darauf hingewiesen werden, daß neuere Forschungen zeigen konnten, daß sich Saars finanzielle Lage am Ende seines Lebens merklich entspannt hatte und er zum Zeitpunkt seines Ablebens über ein beträchtliches Vermögen verfügte. 161 Wenn man einen Blick in die hier angedeuteten finanziellen Schwierigkeiten des Broterwerbs durch Schreiben wirft, so war der Zusam158 159 160

161

Ebenda: S. 336. Grunow-Vertrag, oben S. 241f. Ebner-Saar Briefe 1.10.1868, S. 22 - Dazu auch Saars Aussage in der Geschichte eines "Wiener Kindes „Der Berufstitel ,Schriftsteller' diente zu jener Zeit noch nicht zu besonderer Empfehlung; man war weit eher geneigt, einige Mißachtung daran zu knüpfen". Saar: SW IX, S. 217. Vgl. Ferdinand von Saar: Hymen. Kritisch herausgegeben und gedeutet von Nikolaus Nowak. Tübingen 1997 (= F. v. Saar. Kritische Texte und Deutungen. Hg. von Karl Konrad Polheim und Jens Stüben, 8. Bd) S. 82f.

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Frauenbewegung

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menhalt der Schriftstellerinnen des gesamten deutschsprachigen Raumes neben der darin liegenden Möglichkeit des Gedankenaustausches auch auf pekuniärem Gebiet eine zwingende Notwendigkeit. Vor allem österreichische Autorinnen waren bei der Verlagssuche in Deutschland auf Hilfe angewiesen - an dieser Situation hat sich übrigens für österreichische Literaten bis heute nichts geändert. Die Ebner hatte in ihren Anfängen österreichische Verlage, als sie aber zu den arrivierten Schriftstellerinnen ihrer Zeit zu zählen begann, waren es deutsche Verleger, die um Arbeiten und Beiträge anfragten. Daß sie trotz ihrer Sonderstellung das Geschick ihrer glückloseren Kolleginnen nicht aus den Augen verlor, spricht mehr für ihr Engagement in Sachen der Frau als so manch geharnischt theoretischer Beitrag feministischer Kämpferinnen.

b) Weibliches und männliches Schreiben? Als „Beschützer weiblicher Federn" 1 6 2 verstand sich Ferdinand von Saar, bisweilen zwar etwas schulmeisterlich, doch immer mit großem persönlichem Einsatz. Diese Einstellung macht sich auch der Ebner gegenüber bemerkbar - wie der oben zitierte Brief (S. 475) zeigt - , und solche Briefstellen gäbe es noch mehrere. Zuvorderst trifft dieses Bemühen Saars auf Ada Christen zu, jedoch auch weniger bekannte Schriftstellerinnen wie z.B. die Freiin Sephine von Knorr konnten sich zu den Proteges Saars zählen. So teilt er der Ebner in einem Brief mit: Etwas habe ich diesen Sommer doch gethan, das mich mit einiger Befriedigung erfüllt. Ich habe nämlich die Gedichte der Freiin von K n o r r gründlich durchgenommen und nach strenger Auswahl und ausgiebiger Feilung ein Bändchen zusammengestellt, das der Verfasserin keine Unehre machen soll. 1 6 3

Wenn Saar in eben dem Brief weiter fort fährt, er habe alles angewendet „um ihr [Knorrs] poetisches Gold von Schlacken zu befreien", so ist ihm doch stets bewußt, daß diese Art der „Feilung" nur bei schwachen Schriftstellerinnen angebracht war. 162

163

In der Erzählung der Ebner Die Visite ist von einem „Beschützer ,weiblicher Federn"' die Rede (SW V, S. 306), was durchaus eine Anspielung auf Saar sein könnte (vgl. Anm. 176). - Vgl. auch Saars Urteil Anm. 171. Ebner-Saar Briefe 1.10.1868, S. 21f. - Dazu E/Tb 7.2.1872: „Heute brachte die Neue freie Presse ein herrliches Feuilleton von B. Paoli: In Sachen der Poesie. Darin geschieht die ehrenvollste Erwähnung der Gedichte Sephinens."

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C.

Untersuchungen

Daß das „poetische Gold" der Ebner nicht in dem Maße der Politur bedurfte, stand für ihn außer Zweifel und ebenso, daß sie sich nicht mit einem bescheidenen Plätzchen in der allgemeinen Wertschätzung würde begnügen müssen. In diesem Wissen verfaßte er auch den Prolog zur Geburtstagsfeier der Ebner im Wiener Burgtheater am 13. September 1900. 164 Seine Bewunderung für die Dichterin spricht nicht nur daraus, wie er diesen Prolog gestaltete, sondern daß er ihn überhaupt selbst an so ungeliebter Stelle wie dem Burgtheater vortrug. Bevor die Ebner darin expressis verbis besungen wird, wendet er sich allgemein huldigend an die „Fraun der Zukunft", sehr wohl das immense Kraftpotential aus „heißem Wissensdurst" und „Tatendrang" in „feingeformten Händen" erkennend. Auch vom „Reiz der Frauendichtung" ist da die Rede: „sie war und ist ein heller Spiegel stets der innersten Persönlichkeit." Ganz durchgängig vertritt Saar allerdings diese huldigende Auffassung nicht. Man erinnere sich nur an sein Gedicht An die Frauen, in dem es heißt: Aber nimmermehr wähnt, Daß damit euch anbrechen werde Höhere, frohere Tage des Seins. 165

Oder noch wesentlich krasser in dem Poem Fin de Siecle aus dem Jahre 1899: Vermannte Weiber! Brütet erfinderisch aus Die hohen Satzungen des lesbischen Zwitterverheißenden Frauenstaates! 166

Dem huldigenden Frauenbild verpflichtet - wenn auch bisweilen mehr theoretisch als in praxi - fühlte sich Julius Rodenberg, der Herausgeber der Deutschen Rundschau, bei seinem Motto zu Die reinen Frauen: Doch was das höchste bleibt hienieden Des Ew'gen nur geahnte Spur, Was Schönheit Poesie und Frieden, Das lehren dich die Frauen nur. 167

164

165 166 167

Prolog zur Feier des siebzigsten Geburtstages des Ehrenmitgliedes der GrillparzerGesellschaft Marie von Ebner-Eschenbach. Gesprochen im k.k. Hoftheater am 13.September 1900. (Saar: SW III, S. 121f.) Saar: SW II, S. 38. Saar: SW II, S. 66. Das ,Motto' entnommen dem Dichter Lexikon von Martin Maack, Lübeck 1896.

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Von so unterschiedlicher Einschätzung hebt sich die ,Frau der Zukunft', wie sie die Ebner in einem Vierzeiler zeichnet, wohltuend ironisch ab: Nicht flüchtig und nicht peinlich Nicht edel und nicht kleinlich Im Geiste klar im Herzen rein So soll die Frau der Zukunft sein 168

Diese Souveränität einem so existentiellen Anliegen gegenüber ließ die Ebner in Kreisen orthodoxer Frauenrechtlerinnen suspekt erscheinen - für diese Art der Auseinandersetzung ist in ideologischen Lagern selten Platz. Bezeichnenderweise sind es auch nur die besten unter den Schriftstellerinnen, die einen humoristischen Ton für dieses Thema wählen. 169 Die hier aufgezeigten unterschiedlichen Aussagen billigen der ,Frau der Zukunft' immerhin eine eigene Perspektive zu, wenn auch häufig eine sehr negative. Das Beispiel Rodenbergs darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Poesie die ,männliche' Art zu schreiben weiterhin Ziel und Beurteilungskriterium weiblichen Dichtens und Schreibens gleichermaßen blieb. Wie sah nun aber dieses ,männliche' Schreiben aus, welche Kriterien veranlaßten Dichter und Schriftsteller, auch Zeitgenossen der Ebner, zu geschlechtsspezifischer Einordnung? Viel ist darüber gerade in letzter Zeit theoretisiert worden, an praktischen Beispielen ist arger Mangel. In dem hier abgesteckten Rahmen können nur einige wenige Definitionsmöglichkeiten und konkrete Beispiele aufgezeigt werden. Josef von Eichendorff äußert sich in seinem Aufsatz Die deutsche Salon-Poesie der Frauen zu diesem Thema: Verfolgen wir aber nun weiter das Unterscheidende zwischen der Poesie der Männer und der Frauen, so finden wir bei den letztern, außer jener bloß negativen, fast jungfräulichen Abwehr alles Ungehörigen, ferner eine gewisse flexible Virtuosität des Gefühls, welche, wie die indischen Schlingpflanzen, Alles schmückend umfängt und überblüht, was sie ihrer Natur nach irgend zu erreichen vermag. Nun sollte man allerdings meinen, gerade eine solche Gefühlsausbildung könne der Frauen-Poesie nur günstig seyn, wenigstens der lyrischen, da diese ja eben in Gefühlen denkt. Allein das Gefühl an sich entscheidet überall doch nichts, es erhält seine Bedeutung erst durch seinen Inhalt und Gegenstand. Und eben hier liegt die Kluft, welche die beiden Geschlechter poetisch scheidet. 168 169

E/Tb 1899, Anhang (KTD, Tb V, S. 193). Für die Ebner sind hier besonders die Erzählungen Die Visite, 1868 (vgl. Anm. 176) und Bertram Vogelweid, 1896 (vgl. Ebner: Vogelweid), zu nennen, bei Louise von François Der Posten der Frau, 1868, bei der Droste Perdü! oder Dichter Verleger und Blaustrümpfe, 1840, postum ediert.

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D e m Gefühl, seit eh und je weiblich besetzt, wird hier die inhaltlichmännliche Bändigung des Stoffes entgegengesetzt. D o c h weiter: das Verhältniß der Frauen, wie es nun einmal ist und wohl auch niemals anders wird, ihre Erziehung und äußere Stellung zur Welt, wehrt den Anfall des ganzen, vollen Lebens von ihnen ab, und sie wissen von den großen Kämpfen und Abgründen desselben glücklicherweise nur vom Hörensagen und aus Büchern. Darum ist auch ihre Poesie keine erlebte, reinlicher und gesitteter zwar als die männliche, aber doch meist nur im elegantern Nachdruck des Gelesenen, ein liebevolles Ausmalen fremder Compositionen, gleichsam eine Art von ästhetischer Kochkunst, die das Wild, das die Männer draußen erbeutet, und wohl auch die Böcke, die diese geschossen, zubereitet und zierlich servirt. Daher auch der fast durchgehende Mangel an kräftiger Objectivität, so wie die merkwürdige Ungeschicklichkeit, ja Unfähigkeit in Auffassung und Darstellung männlicher Charaktere, die immer wie Mädchen mit Schnurrbärten erscheinen. Daher endlich beschränkt dieses reproducirende Nachgefühl sich eigentlich nur auf zwei, von den Männern mehr oder minder vernachläßigte Reviere: auf die Häuslichkeit mit obligater Liebe [...] oder auf den Salon. 170 D e n Ausführungen Eichendorffs, sie gewissermaßen umkehrend, folgt Levin Schücking in der konkreten Auseinandersetzung mit einem weiblichen Schreibprodukt, nämlich der Verserzählung Die Schlacht im Loener Bruch von Annette von Droste-Hülshoff. E r schreibt über die Droste: Sie unternimmt ein Werk, wie es von Frauenhand nie unternommen ist, und in der Ausführung ist nicht der leiseste Strich, der die Frauenhand verriete. Alles ist plastisch, in kecken kühnen Zügen mit festem Griffel hingezeichnet; nichts ist weich und verschwommen [...] bei ihrem Drang, die Wahrheit in konkretester Gestalt wiederzugeben wird die Dichterin nie versucht, den Fehler zu begehen, in welchen die Frauen so leicht verfallen, nämlich maßlos zu werden und ins Extreme zu geraten. 171

170

171

Eichendorff: Salon-Poesie, S. 67f. - Z u m genannten Salon vgl. oben C.II.2.a. - Visionär, was Eichendorff über die Frauenbildung, einem zentralen Thema der späteren Frauenbewegung, schreibt: „Es besteht ein eben so alter, als wunderlicher Streit über den Bildungsberuf der Frauen. Die Einen wollen sie nur mit der Spindel und dem rasselnden Schlüsselbund, nur im Wochenbett und in der Kinderstube dulden, während die Anderen, auch hier dem planirenden Principe unbedingter Freiheit und Gleichheit huldigend, ihnen Tribünen, Katheder, ja Schlachtfelder öffnen und die ganze Fluth der Zeitbildung gegen sie loslassen möchten, um den mittelalterlichen Rost, wie sie es nennen, von ihnen abzuwaschen." (Ebenda, S. 61). Levin Schücking: Annette von Droste. Ein Lebensbild. Hannover 1861. Zitat: Leipzig 1942, S. 68f. - Hier sei noch einmal Saar mit einem Urteil über männliches und weibliches Schreiben genannt. A n die Fürstin Hohenlohe schreibt er am 9. Oktober 1880: „über die weibliche Liebe überhaupt könnte eigentlich nur eine Frau richtig und erschöpfend schreiben; aber seltsam: unsere Schriftstellerinnen stellen in dieser Hinsicht auch stets nur mit männlicher Feder dar." (Hohenlohe-Saar Briefe S. 79).

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487

Wie war es nun mit der „Frauenhand" im Werk der Ebner bestellt, wie urteilte hierüber ihre engere Umgebung? Einige Stimmen seien hier exemplarisch angeführt. Beginnen wir mit Peter Rosegger, der in einer der herzgewinnendsten Huldigungen der Dichterin, die ihm übrigens persönlich nicht bekannt war, schreibt: Wie kann es denn sein, daß eine Frau aus hochgräflichem Geblüt dieses Erdenleben genauso sieht wie etwa ein armer Taglöhner oder ein sorgenvolles Arbeiterweib? Sonst pflegen solche D a m e n , wenn sie doch einmal aus ihrer Märchenromantik heraustreten, nur die „Gesellschaft" zu sehen, zu schildern und die leichten Tändeleien der Welt, und mit A r m u t und Elend nur insoferne zu spielen, als dann das Gegentheil u m so besser schmeckt. U n d diese gräfliche Dichterin! Wie ein Mann, hart im Willen und glühend im Herzen, faßt sie das herbe Leben und schreibt den ganzen, ringenden, irrenden und duldenden Menschen aus sich heraus, als ob er wirklich drinnen wäre. 1 7 2

Weniger poetisch, dafür weit vorsichtiger nimmt sich Marie von Bunsen, eine Schriftstellerkollegin aus dem weiteren Bekanntenkreis der Ebner, dieser Frage an: M a n kann nicht beweisen, ob Marie von Ebners Werke die Frauenhand verraten, denn sie hat sich nie hinter einer geborgten männlichen R ü s t u n g versteckt. Ihre musterhaft lebensfrohen jungen Mädchen - eine schlimme Klippe für die männlichen Kollegen - würden ihr Geschlecht wohl verraten; dagegen spräche neben ihrer knappen Sprache und dem gedrungenen A u f b a u der echte H u m o r , der Mangel an poetischen Sonnenuntergängen und rührenden Sterbescenen. 1 7 3

Was an Marie von Bunsens Aussage auffällt, ist die Tatsache, daß sie, obwohl durchaus emanzipatorisch gesonnen - daher wohl auch der kleine Seitenhieb auf die männlichen Kollegen - die Qualität Ebnerschen Schreibens, wie ,knappe Sprache' u. a. eindeutig dem negativen weiblichen Schreiben mit ,rührenden Sterbescenen' u.a. gegenüberstellt. Um sie selbst zu zitieren: „man kann nicht beweisen", ob ihr hiermit eine eigentlich nicht gewollte Hochschätzung des anderen Geschlechts unterlief oder ob sie tatsächlich männlichem Schreiben den Vorzug gab. Wie ambivalent journalistischer Sprachgebrauch zu „weiblichen Federn" sich verhielt, zeigt z. B. eine Besprechung Rudolf Lothars, eines bedeutenden Publizisten und Verfasser eines Lustspiels mit dem Titel Frauenlob, 1895:

172 173

Rosegger; Dichterin, S. 146. Bunsen: Ebner, S. 32f.

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Und ganz modern in jenem besten Sinne, wie es z. B. Fontane war, ist Marie von Ebner. Sie gilt heute als der größte Dichter den Osterreich besitzt. 174

Auch die Ebner selbst bringt ihre Ansicht zu diesem Thema anhand eines konkreten Beispiels. Im Zeitlosen Tagebuch schreibt sie: Ich lese mit Bewunderung den Ekkehard von Scheffel wieder. Ein solches Buch könnte eine Frau nicht schreiben; es ist ein durchaus männliches Buch. Die gründlichen Studien zuerst, dann die genaue Kenntnis der Landschaft, die man nur auf langen einsamen Wanderungen erwirbt, endlich diese reiche Erfindungsgabe. Es quillt nur so aus dem Boden, es strömt aus der Luft, von überall kommt es gesprudelt, gestoben, geflogen und was kommt ist fesselnd und warm, kühn und schön und lebendig.175

Mit fast ungläubigem Staunen sehen wir hier Scheffels Ekkehard als Paradigma männlichen Schreibens apostrophiert. Viele Romane hätten sich für diese Demonstration besser geeignet, zumindest unserem Empfinden nach, als dieses seelenbewegende Gefühlsepos. Die Gründe, die die Ebner für ein solches Einordnen ins männliche Fach anführt, sind schwer nachzuvollziehen. „Gründliche Studien" lassen sich zur Not als Attribute männlichen Schreibens verstehen, schwieriger wird es da schon mit der „auf langen einsamen Wanderungen" erworbenen Kenntnis der Landschaft - es sei denn, man bezöge den Umstand ein, daß Frauen die Möglichkeit ,einsamer Wanderungen' kaum für sich in Anspruch nehmen konnten. Vollends überrascht es aber, die Erfindungsgabe vorwiegend beim männlichen Geschlecht angesiedelt zu sehen; ist doch gerade sie es, die sogar ausgewiesene Frauenverächter dem weiblichen Geschlecht zuzugestehen bereit waren. Man mag über diese Ebnerschen Überlegungen verwundert sein, Argumente für und wider in Betracht ziehen - letztlich aber siegt doch die Erkenntnis, daß es der historische Stoff des Ekkehard gewesen sein dürfte, der sie zu ihrem Urteil veranlaßte. Kennen wir doch aus vielen Eintragungen in den Tagebüchern ihre überaus große Wertschätzung historischem Wissen gegenüber, insbesondere nach ihren Romaufenthalten. Aber auch eine liebenswert-ironische Betrachtung, die die Ebner diesem Thema widmet - und damit auch auf Rezensionen ihrer eigenen Erzählungen antwortet - soll hier nicht unerwähnt bleiben. In der schon erwähnten Erzählung Die Visite berichtet die Schriftstellerin Cäsarine Denker, in der man durchaus ein ironisches Selbstportrait 174

175

Rudolf Lothar in: Das litterarische Echo, Jg 4, Heft 8, Januar 1902, Sp. 5 0 5 - 5 2 4 . Zitiert nach Wunberg, Bd II, S. 1180. Ebner: Zeitloses Tagebuch, S. 667f.

Marie von Ebner-Eschenbach hohen Alter im Park von Zdisslawitz

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der Ebner sehen kann, über zwei Rezensionen ihres letzten Romans. Der erste Rezensent verwahrt sich dagegen ein Beschützer ,weiblicher Federn' zu sein. Wenn aber auch noch keine Frau in der Literatur etwas Hervorragendes geleistet habe, die Denker bilde jene A u s n a h m e [...] Ihr B u c h sei, abgesehen von der ergötzlich naiven Rolle, die der Zufall darin spiele und von mehreren Unmöglichkeiten, beinahe so gut, wie wenn ein M a n n es geschrieben hätte.

Der zweite Rezensent begründet seine Anteilnahme an d e m ,Denkerschen Buch' durch den netten Stil, der es auszeichnet. D i e Erfindungsgabe der Frauen ist bekanntlich keine Potenz, mit der man zu rechnen braucht, doch besitzen sie fast durchwegs Talent zu minutiösem Fleiße. 1 7 6

Schon in ihren frühen Dichterjahren versuchte die Ebner, die „poetische Kluft der Geschlechter" - um auf Eichendorff zurückzukommen - nach Möglichkeit zu überbrücken. So berichtet Bettelheim, daß sie sich in der Klosterbrucker Zeit allsonntäglich mit Halm traf, um historische Stoffe durchzubesprechen und sie in Szenarien zu gliedern. Mit diesem „Wissensdurst und Tatendrang" - um noch einmal den Saarschen Prolog zu zitieren - unterschied sie sich von vielen ihrer Schriftsteller-Kolleginnen. Aus der Sicht ihrer Zeit sicherte ihr aber gerade diese Kombination von weiblichem Fühlen in männlicher Sprache - so fraglich uns dieses Kriterium heute scheinen mag 1 7 7 - den herausragenden Platz in der Literatur.

176 177

Ebner: Die Visite, SW V, S. 306. Dem Schlußsatz in Karin Tebbens Vorwort ist durchaus zuzustimmen: „Hoffnung ist, daß sich aus der separaten Männer- und Frauenliteraturgeschichte eines Tages eine Literaturgeschichte zusammenfügt", in: Tebben (Hg.): Schriftstellerinnen, Vorwort.

VERZEICHNISSE

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Stammbaum

Ebner-Eschenbach

Stammbaum

Schücking

493

Abbildungen

Seite VII

Theo Schücking, Ölbild, Privatbesitz

Seite 115

Marie von Ebner-Eschenbach, Relief von Robert Weigl, Bildarchiv d. Ost. Nationalbibliothek

Seite 151

Dr. Otto v. Fleischl-Marxow, Photographie, Privatbesitz

Seite 165

Adrian Schücking, Photographie, Privatbesitz

Seite 166

Lothar Schücking, Ölbild, Westfälisches Amt für Denkmalpflege

Seite 172

Levin Schücking, Ölbild, Schücking Museum, Sögel

Seite 176

Meta von Salis, Zeichnung von W. Allers 1899, Privatbesitz

Seite 233

Theo Schücking, Zeichnung, Rom, 30. April 1865, Privatbesitz

Seite 448

Marie von Ebner-Eschenbach, Altersbildnis, Photographie, Bildarchiv d. Öst. Nationalbibliothek

Seite 452

Prof. Emanuel Löwy, Photographie, Privatbesitz

Seite 453

Malwida v. Meysenbug, Photographie, Privatbesitz

Seite 466

Ida Fleischl, Photographie, Privatbesitz

Seite 489

Marie von Ebner-Eschenbach im hohen Alter im Park von Zdisslawitz, Photographie, Privatbesitz

Diakritische Zeichen

( ) = Hinzufügung. Der genaue Platz (über der Zeile, am Rand u. ä.) wird nicht angegeben, da bei einer Briefausgabe nicht relevant. { } = Tilgung. [ ]

= Gedruckte Ortsangaben auf Briefpapier oder Karte.

[ ] = Zusatz des Herausgebers, bes. bei Namen. Doppelungsstriche (m) sind aufgelöst. Kursiv sind Buch- und Zeitschriftentitel im Haupttext einheitlich ausgezeichnet.

In Abkürzung angeführte Literatur

Anson: Vision Anson, Harriet: Vision und Leidenschaft. Die Frauenbewegung im Fin de Siècle Wiens. Wien 1994 [Engl. Original 1992]. Barck-Herzog: Villinger Barck-Herzog, Lisa: Hermine Villinger - Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Dichterfreundschaft. Nach Briefen von Hermine Villinger dargestellt. In: Deutsche Rundschau 87, 1961, S. 845-849. Bettelheim 1900 Bettelheim, Anton: Marie von Ebner-Eschenbach. Biographische Blätter. Berlin 1900. Bettelheim 1920 Bettelheim, Anton: Marie von Ebner-Eschenbach. Wirken und Vermächtnis. Leipzig 1920. Bettelheim: Paoli Bettelheim, Anton: Vorwort. In: Gedichte von Betty Paoli. Auswahl und Nachlaß. Stuttgart 1895. S. III-VI. Brinker-Gabler: Lexikon Brinker-Gabler, Gisela; Ludwig, Karola; Wöffen, Angela: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945. München 1986 (= dtv 3282). Brinker-Gabler: Literatur Deutsche Literatur von Frauen. 2. Bd. 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Gisela Brinker-Gabler. München 1988. Brockhaus, 13. Aufl. Brockhaus' Conversations-Lexikon. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie. 13. vollständig umgearbeitete Auflage. In sechzehn Bänden. Leipzig 1882-1887. Brümmer: Lexikon Brümmer, Franz: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. 6. völlig neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage. 8 Bde. Leipzig 1913. Bunsen: Ebner Bunsen, Marie von: Marie von Ebner-Eschenbach - Unsere erste Schriftstellerin. In: Die Frau, Bd. 1 (1893), S. 29-35. Coupek: Dubsky Coupek, Milan: Aus der Geschichte der Geschlechter Dubsky von Trebomyslic und Ebner von Eschenbach. Beilage: Stammbaum der Geschlechter. In: Ebner: Bonner Symposion, S. 15-25. Coupkova-Hamernikovä: Nachlaß Coupkova-Hamernikovä, Anna: Der schriftliche Nachlaß der Marie von EbnerEschenbach im Familienarchiv Dubsky. Beilage: Inventar des schriftlichen Nachlasses der Marie von Ebner-Eschenbach. In: Ebner: Bonner Symposion, S. 27-65. Dichter lesen Dichter lesen. Bd. 2: Jahrhundertwende. Hg. von Reinhard Tgahrt. Marbach/Neckar 1988 (= Marbacher Schriften 31/32).

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Verzeichnisse

Dietrichkeit: A. Schücking Dietrichkeit, Walter: Prof. Dr. Adrian Schücking. Königl. Preußischer Sanitätsrat, Badearzt, Forscher, Politiker, Schriftsteller und Philosoph. Hg. von der Freimaurerloge Friedrich zu den Drei Quellen. Bad Pyrmont 1995. Droste: Briefe H K A Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Winfried Woesler, Bd. X / l , Briefe 1843-1848. Text. Tübingen 1992. Droste-Schücking Briefe Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking. Hg. von Theo Schücking. Leipzig 1893. Dubsky: Erinnerungen Dubsky, Franz: Erinnerungen an Marie von Ebner-Eschenbach. In: Marie von Ebner-Eschenbach: Krambambuli und andere Erzählungen. Stuttgart 1996 (= Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7887). S. 4 9 - 5 9 . Ebner: Aus Rom Ebner-Eschenbach, Marie von: Aus Rom. In: Ebner: K T D , Tagebücher V, S. 4 9 9 528. Ebner: Bonner Symposion Marie von Ebner-Eschenbach. Ein Bonner Symposion zu ihrem 75. Todesjahr. Hg. von Karl Konrad Polheim. Bern/Berlin/Frankfurt a. M./New York/Paris/Wien 1994. Ebner-Breuer Briefe Marie von Ebner-Eschenbach - Dr. Josef Breuer. Ein Briefwechsel 1889-1916. Hg. von Robert A. Kann. Wien 1969. Ebner: Eine Sekunde Ebner-Eschenbach, Marie von: Die eine Sekunde. In: Westermanns Monatshefte. Bd. 119, I, Heft 109 September 1915, S. 1 - 5 . Ebner: K T D Marie von Ebner-Eschenbach: Kritische Texte und Deutungen. Hg. von Karl Konrad Polheim. Bd. I —III Bonn 1978ff., Bd. IV Tübingen 1989. Ebner: Paoli Ebner-Eschenbach, Marie von: Betty Paoli. In: Gedichte von Betty Paoli. Auswahl und Nachlaß. Stuttgart 1895. S. I X - X X I . Ebner-Saar Briefe Briefwechsel zwischen Ferdinand von Saar und Maria [sie] von Ebner-Eschenbach. Hg. von Heinz Kindermann. Wien 1957. Ebner: SW Ebner-Eschenbach, Marie von: Sämtliche Werke. 6 Bde. Berlin-Grunewald [1920]. E / T b (+ Datum) Ebner-Eschenbach, Marie von: Tagebücher (I: 1862-1869, II: 1871-1878, III: 18791889, IV: 1890-1897, V: 1898-1905, VI: 1906-1916). Kritisch hg. und kommentiert von Karl Konrad Polheim und (ab Bd. III) Norbert Gabriel. 6 Bde. Tübingen 19891997 (= Marie von Ebner-Eschenbach: Kritische Texte und Deutungen). Ebner: Vogelweid Ebner-Eschenbach, Marie von: Bertram Vogelweid. Eine Erzählung. Hg. von Edda Polheim. München 1998 (= Deutsche Bibliothek des Ostens). Ebner: Zeitloses Tagebuch Ebner-Eschenbach, Marie von: Aus einem zeitlosen Tagebuch. In: Ebner: SW IV, S. 619ff. Moriz v. Ebner-Eschenbach Ebner-Eschenbach, Moriz von: Erinnerungen des k.k. Feldmarschall-Lieutenants. Hg. von Edda Polheim. Berlin 1994 (= Deutsche Bibliothek des Ostens).

In Abkürzung

angeführte

Literatur

499

Eichendorff: Salon-Poesie Eichendorff, Joseph von: Die deutsche Salon-Poesie der Frauen. In: Joseph von Eichendorff: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe. Bd. VIII/1, S. 63-80. François: Akte Die Akte Louise von François. Hg. von Helmut Motekat. Weimar o. J. (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Deutschen Schillerstiftung. Heft 7). Geschlechterbuch Deutsches Geschlechterbuch. Bd. 152: Westfälisches Geschlechterbuch, Bd. 2. Limburg a.d.Lahn 1970. Schücking S. 185-264. Gregorovius: Tagebücher Gregorovius, Ferdinand: Römische Tagebücher. Hg. von Friedrich Althaus. Stuttgart 1892. Gross: Dichterinnen Gross, Heinrich: Deutschlands Dichterinnen und Schriftstellerinnen. Eine literarische Skizze. 2. Ausgabe Wien 1882, S. 126f., 266: M. Freifrau von Ebner-Eschenbach. Gutzkow-Schücking Briefe I Gutzkow, Karl, und Schücking, Levin: Ein litterarisches Freundschaftsbild. Nach unveröffentlichten Briefen entworfen von Heinr. Hub. Houben. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte für das gesamte geistige Leben der Gegenwart. Braunschweig, Bd. 89, Heft 531, Dez. 1900, S. 391-404. Gutzkow-Schücking Briefe II Der Briefwechsel zwischen Karl Gutzkow und Levin Schücking, 1838-1876. Hg., eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Rasch. Bielefeld 1998. Hinrichsen: Deutschland Hinrichsen, Adolf: Das literarische Deutschland. Berlin u. Rostock 1887. Hohenlohe-Saar Briefe Fürstin Marie zu Hohenlohe und Ferdinand von Saar. Ein Briefwechsel. Hg. von Anton Bettelheim. Wien 1910. Holzer: Wertheimstein Holzer, Rudolf: Villa Wertheimstein. Haus der Genien und Dämonen. Wien o.J. Hüffer: Droste Hüffer, Hermann: Annette von Droste-Hülshoff und ihre Werke. Vornehmlich nach dem literarischen Nachlaß und ungedruckten Briefen der Dichterin. 3. Ausg. bearbeitet von Hermann Cardauns. Gotha 1911. Hülsen: Forum Romanum Hülsen, Ch[ristian]: Das Forum Romanum. Seine Geschichte und seine Denkmäler. Marie von Ebner-Eschenbach in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet. Rom 1904. Kobau: Saar Kobau, Ernst: Rastlos zieht die Flucht der Jahre ... Josephine und Franziska von Wertheimstein - Ferdinand von Saar. Wien/Köln/Weimar 1997. Laube: Burgtheater Laube, Heinrich: Das Burgtheater. In: H . Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Hg. von Heinrich Hubert Houben. Bd. 29, S. 63-268, Bd. 30, S. 1-280. Laube: Stadttheater Laube, Heinrich: Das Wiener Stadttheater. In: H. Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Hg. von Heinrich Hubert Houben. Bd. 32, S. 9ff. Lewald: Römische Briefe Lewald, Fanny: Römische Briefe. In: Westermanns Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte 1881. S. 133-137, 271-276.

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Verzeichnisse

Lewald: römische Ateliers Lewald, Fanny: Aus römischen Ateliers. In: Westermann's illustrirte Monatshefte, 45. Bd., Oktober 1878-März 1879, S. 116-122. Lewald: Winter in Rom Lewald, Fanny, und Stahr, Adolf: Ein Winter in Rom. Berlin 1871. Littrow-Bischoff: Grillparzer Littrow-Bischoff, Auguste von: Aus dem persönlichen Verkehre mit Franz Grillparzer. Wien 1873. Maack: Novelle Maack, Martin: Die Novelle. Ein kritisches Lexikon über die bekanntesten deutschen Dichter der Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung der Novellisten. Lübeck 1896 (= Bibliothek kleiner Novellen und Erzählungen von Dichtern und Schriftstellern der Gegenwart). Meysenbug: Briefe Briefe von und an Malwida von Meysenbug. Hg. von Berta Schleicher. Berlin 1920. Meysenbug: Lebensabend Meysenbug, Malwida von: Der Lebensabend einer Idealistin. 4. Aufl. Berlin u. Leipzig 1903. Meysenbug: Memoiren Meysenbug, Malwida von: Memoiren einer Idealistin. Volksausgabe Berlin u. Leipzig o.J. Necker: Ebner Necker, Moritz: Marie von Ebner-Eschenbach. Nach ihren Werken geschildert. Leipzig u. Berlin 1900. Noack: Rom 1907 Noack, Friedrich: Deutsches Leben in Rom. 1700 bis 1900. Berlin 1907 [Reprint Bern 1971], Noack: Rom 1927 Noack, Friedrich: Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters. 2 Bde. Berlin und Leipzig 1927 (Hier Bd. 1). Pataky: Lexikon Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. 2 Bde. Berlin 1898. Reuter: Ebner Reuter, Gabriele: Ebner-Eschenbach. 3. Tausend. Berlin und Leipzig [1904], Rosegger: Dichterin [Rosegger, Peter:] Von unserer größten Dichterin. [Gez.:] R. In: Heimgarten. Eine Monatsschrift. Hg. von P. K. Rosegger. 25. Jg., Graz 1901. S. 145-146. Rossbacher: Literatur Rossbacher, Karlheinz: Literatur und Liberalismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit in Wien. Wien 1992. Saar: SW Ferdinand von Saars sämtliche Werke in zwölf Bänden. Hg. von Jakob Minor. Leipzig [1908], Salis: Theo Schücking Salis/Marschlins, Meta von: Theo Schücking (19. April 1850-23. Mai 1903). In: Meta von Salis/Marschlins: Auserwählte Frauen unserer Zeit. II. Teil. 1919. Als Manuskript gedruckt.

In Abkürzung

angeführte

Literatur

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Schleicher: Salis Schleicher, Berta: Meta von Salis-Marschlins. Das Leben einer Kämpferin. Erlenbach-Zürich und Leipzig 1920. Schnitzler-Waissnix Briefe Schnitzler, Arthur - Waissnix, Olga: Liebe, die starb vor der Zeit. Ein Briefwechsel. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. Hg. von Therese Nicki und Heinrich Schnitzler. Wien/München/Zürich 1970. Schücking: Haus-Chronik Haus-Chronik der Familie Schücking. 1 1 5 4 - 1 3 6 2 - 1 8 6 2 . Privatdruck. Schücking: Alte Ketten Schücking, Levin: Alte Ketten. Roman. 2 Bde. Breslau 1883. Schücking: Constanze Schücking, Levin: Constanze. Eine römische Studie. In: Westermann's Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte. 19. Bd. Braunschweig 1866. S. 1 - 2 6 , 113-133, 225-245. Schücking: Herberge der Gerechtigkeit Schücking, Levin: Die Herberge der Gerechtigkeit. Roman. 2 Bde. Leipzig 1879. Seibert: Salon Seibert, Peter: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz. Stuttgart/Weimar 1993. Stifter: Wien Stifter, Adalbert: Aus dem alten Wien (Wien und die Wiener). In: A. Stifter: Die Mappe meines Urgroßvaters (Letzte Fassung). Sonnenfinsternis. Aus dem alten Wien (Wien und die Wiener). Hg. von Max Stefl. Augsburg 1957. - Darin: Die Wiener Stadtpost, S. 4 0 8 - 4 1 3 . Wiener Salonszenen, S. 4 9 8 - 5 2 1 . Stump: Salis Stump, Doris: Sie töten uns - nicht unsere Ideen. Meta von Salis-Marschlins (1855 — 1929), Schweizer Schriftstellerin und Frauenrechtskämpferin. Thalwil/Zürich 1986. Tebben: Schriftstellerinnen Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de Siècle. Hg. v. Karin Tebben, Darmstadt 1999. Tornius: Salons Tornius, Valerian: Salons. Bilder gesellschaftlicher Kultur aus fünf Jahrhunderten. 2 Bde. Leipzig 1913. Wilhelmy-Dollinger: Salons Wilhelmy-Dollinger, Petra: Die Berliner Salons. Mit historisch literarischen Spaziergängen. Berlin/New York 2000. Winterholler: Theo Schücking Winterholler, Mariane: Marie von Ebner-Eschenbach und Theo Schücking. In: Ebner: Bonner Symposion. S. 6 7 - 7 9 . Wunberg Wunberg, Gotthart: Das Junge Wien. Osterreichische Literatur- und Kunstkritik 1887-1902. Ausgewählt, eingeleitet und herausgegeben. 2 Bde. Tübingen 1976.

Zitierte Ebner-Werke

Agave: 98-100, 102f., 111-113, 116f., 120f., 142-144, 149, 282, 290f., 346f., 442f., 457 Am Ende: 74 Aphorismen: 17, 109f., 129, 202, 469 Die arme Kleine: 446 Aus einem zeitlosen Tagebuch: 179, 424, 454, 462, 472, 488 Aus meinen Kinder- und Lehrjahren: 284 Aus Rom: 450, 456-458, 470 Aus Spätherbsttagen: 127-129 Bei meinen Landsleuten: 63 Bertram Vogelweid: 72, 267-271, 437, 441, 485 Bettelbriefe: 20f., 33 Betty Paoli: 59, 61 Bozena: 67f., 281, 417 Dorf- und Schloßgeschichten: 52, 457 Ein Buch für die Jugend: 469 Die eine Sekunde: 392-399, 445-447 Ein Spätgeborener: 458, 475 Erinnerungen an Grillparzer: 179, 467 Der Erstgeborene: 106-108, 110, 116f. Das Gemeindekind: 16, 19f., 81, 281, 289, 417 Gesammelte Schriften: 29 Glaubenslos?: 24, 39f., 44, 473 Der Halbpoet: 473 Hirzepinzchen: 154 Ihr Beruf: 124-126, 129f. Lotti, die Uhrmacherin: 478 Louise von Francois: 52 Louise von Francois, Erinnerungsblätter: 52 Maria Stuart in Schottland: 280, 288 Meine Kinderjahre: 458 Neue Erzählungen [fälschlich: Novellen]: 205, 339f. Parabeln, Märchen und Gedichte: 419 Die Prinzessin von Banalien: 468 Rittmeister Brandt: 71f., 267-271, 437 Das Schädliche: 53, 62 Schattenleben: 287 Stille Welt: 398 Die Todtenwacht: 53, 62 Unsühnbar: 17f., 281, 471-473 Untröstlich: 481 Die Visite: 483, 485, 488, 490 Der Vorzugsschüler: 86f., 90f. Das Waldfräulein: 288, 481

Kommentiertes Namenregister

Vorbemerkung: Bekannte Persönlichkeiten werden nicht kommentiert. Familiäre Bezeichnungen bei der Ebner: „mein Mann", „der Baron" (= Moriz) und bei Theo: „Papa", „ Vater" (= Levin) sind im Text nicht aufgelöst, im Register nachgewiesen.

Ammon, Luise von. Vermutlich verwandt mit dem Karlsruher Anthropologen Otto von Ammon (1842-1916). 386-88, 390f., 410, 425, 438 Andreas-Salomé, Lou. 12.2. (31.1.) 1861 (St. Petersburg) - 15.2.1937. Tochter des russischen Generals Gustav v. Salomé. Jugend in Petersburg, Studium der Religionsgeschichte und Philosophie in Zürich. In Rom Begegnung mit Friedrich Nietzsche, 1887 Heirat mit dem Iranisten F. C. Andreas. 1897 Begegnung mit Rilke, 1899 und 1900 mit ihm Reisen nach Rußland. 1912/13 Studienjahr bei Sigmund Freud in Wien. Lit. und wiss. Tätigkeit, Biographin, Essayistin und Erzählerin. 108-10, 148, 454 Bauernfeld, Eduard. 13.1.1802 (Wien) - 9.8.1890. 1848 Mitglied der österr. Akademie der Wissenschaft, 1849 Entlassung aus dem Staatsdienst wegen der Teilnahme an den Ereignissen des Jahres 1848 als Liberaler, seither freier Schriftsteller in Wien. Äußerst erfolgreich als Lustspieldichter (Salonkomödien nach franz. Vorbild); befreundet mit Grillparzer, Lenau, Schubert, M. v. Schwind. 464f., 468 Bettelheim, Anton. 18.11.1851 (Wien) - 29.3.1930. Juristisches Studium, 1881 Feuilletonredakteur der Neuen Freien Presse und der Deutschen Zeitung in Wien, 1885 ständiger Theaterberichterstatter für die Münchner Allgemeine Zeitung. Wendete sich ab 1885 immer mehr literarischen Arbeiten zu, die auf biographischen Forschungen basieren. 42, 45, 60, 430, 437, 459, 467, 469, 481 Bettelheim-Gabillon, Helene. Tochter des berühmten Schauspielerehepaares Ludwig und Zerline Gabillon, verheiratet mit Anton Bettelheim. 51 Boy-Ed, Ida. 17.4.1852 (Bergedorf bei Hamburg) - 13.5.1928. Tochter des Verlegers und Buchdruckers Christoph Marquard Ed, mit dem sie weite Reisen unternahm. Heiratete 1869 (1870) den hanseatischen Großkaufmann Carl Joh. Boy. Auseinandersetzungen mit ihrem Mann und dessen Familie wegen ihrer schriftstellerischen Tätigkeit bestimmten sie dazu, zur Selbstprüfung ein Jahr nach Berlin zu gehen. Kehrte nach dieser Frist wieder zur Familie zurück, ihr Haus wurde später zu einem Zentrum des geistigen Lebens in Lübeck. Erzählerin holsteinischer Dorfgeschichten, Darstellungen des hanseatischen Bürgerlebens, Frauenromane und Biographien berühmter Frauen. 51, 58, 292-95 Brahms, Johannes. 7.5.1833 (Hamburg) - 3.4.1897. 235, 411 Brandt, Otto. 1828 (Berlin) - 1892. Kam erstmals 1854 als Maler nach Rom, wohnhaft Via Ripetta 39, also in Nachbarschaft zu den Schückings. Wie Levin Schücking Mitglied des Deutschen Künstlervereins in Rom. 234-36, 411 Brentano, Franz. 16.1.1838 (Marienburg bei Boppard/Deutschland) - 17.3.1917. 1864 zum Priester geweiht, trat 1873 aus dogmatischen Gründen aus der kath. Kirche aus. 1874 Philosophie-Professur in Wien, mußte diese aber wegen seiner Heirat (1880) aufgeben. Verband aufs engste Philosophie und Psychologie, war von großem Einfluß auf die Phänomenologie Husserls. 118

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Verzeichnisse

Breuer, Josef. 15.1.1842 (Wien) - 20.6.1925. Prominentenarzt in Wien; 1867 Assistent an der Klinik Oppolzer, Eröffnung einer Privatpraxis 1871. 1894 Wahl zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaft. 1895 Veröffentlichung der Studie über Hysterie gemeinsam mit Sigmund Freud. Intensiver Briefwechsel mit M. v. Ebner-Eschenbach. 21, 58, 83, 118f., 125, 470, 472f., 481 Bunsen, Marie von. 16.(17.) 1.1860 (London) - 28.6.1941. Tochter des liberalen preußischen Politikers und Reichstagsabgeordneten Georg von Bunsen. Lebte in Berlin als Schriftstellerin und Aquarellmalerin, unternahm weite Reisen, befreundet mit Carmen Sylva (Königin von Rumänien). Erzählerin, Reiseschriftstellerin, Biographin, darunter: Marie von Ebner-Eschenbach - unsere erste Schriftstellerin. 51, 54-57, 487 Capuana, Luigi. 27.5.1839 (Mineo/Catania) - 28.11.1915. Professor für Ästhetik und Stilistik in Catania. Begründer des naturalistischen Romans in Italien und Hauptvertreter der veristischen Schule Italiens. 416f. Castelnuovo, Enrico. 16.2.1839 (Florenz) - 16.2.1915. Ital. Schriftsteller, zahlreiche Romane und Novellen (erhielt bereits 1884 eine Werkausgabe in deutscher Sprache: Ausgewählte Erzählungen). 306, 313 De Amicis, Edmondo. 31.10.1846 (Oneglia, heute Imperia) - 11.3.1908. Ital. Schriftsteller, begann als Schilderer des Soldatenlebens und als Reiseschriftsteller. Besonderer Erfolg: der Roman Cuore 1886 als Jugendbuch. 306, 313, 437 Denifle, Heinrich. 16.1.1844 (Imst/Tirol) - 10.6.1905. Seit 1861 Dominikaner; 1883 päpstlicher Unterarchivar. Bedeutender Erforscher der mittelalterlichen Geistesgeschichte. 459 Devrient, Eduard. 11.8.1801 (Berlin) - 4.10.1877. Zur berühmten Schauspieler- und Künstlerfamilie Devrient gehörend. 1844-1846 Oberregisseur in Dresden, 1852 — 1870 Leiter des Karlsruher Hoftheaters; hier wurde Marie von Ebner-Eschenbachs Drama Maria Stuart in Schottland (1860) mit respektablem Erfolg uraufgeführt. Devrient reichte eben dieses Drama für den Schillerpreis ein, dessen Zuerkennung allerdings ausblieb. 288, 419, 479f. Dincklage, Amalie Ehrengarte Sophie Wilhelmine (gen. Emmy). 13.3.1825 (Rittergut Campe bei Osnabrück) - 28.6.1891. Seit 1866 Stiftsdame zu Börstel. Genoß im Elternhaus eine breitgefächerte Erziehung. Verlobte sich jung mit einem Hauptmann von Enkstern, löste diese Verlobung aber aus Rücksicht auf ihre Eltern. Durch den Erfolg ihrer Frühwerke ermutigt, widmete sie sich ab 1869 ganz der Schriftstellerei. „Auf dem Gebiete des Romans ragt sie unter den schriftstellernden Frauen hervor" (Hinrichsen: Deutschland, S. 116). Wurde bereits 1895 in Brockhaus' KonversationsLexikon, Bd. 5, aufgenommen. Maack behandelte eingehender die schriftstellernden Geschwister Emmy, Clara Baronesse v. Dincklage und Friedrich Freiherr von Dincklage, dabei wird Clara als „Schwester der bekannten [...] Schriftstellerin E. v. Dincklage" apostrophiert, und Friedrich Freiherr v. Dincklage widme sich „auf Veranlassung seiner kürzlich verstorbenen Schwester, der berühmten E.v. Dincklage ganz litterarischer Tätigkeit". (Maack; Novelle, S. 86f.). - Uber die Familienmitglieder derer von Dincklage vgl. oben B.II.3.a, S. 305, Anm. 2. 3, 168f., 213, 234f., 293, 295-315, 339, 406, 411, 431f., 443 Dreber, [Faustina]. Vermutlich Frau des Landschaftsmalers K. H. Dreber (1822-1875); dieser lebte 1843 in Rom, zunächst wohnhaft Ripa del Fiume, dann Ripetta 35 zusammen mit Gerhard (vgl. Register). War Mitglied des Deutschen Künstlervereins. Frau Dreber wird in Theos amerikanischem Tagebuch erwähnt, und zwar als Adressatin eines Theo-Briefes vom 13.4.1886. 234f. Droste-Hülshoff, Annette von. 10.1.1797 (Hülshoff bei Münster) - 24.5.1848. Ihre Schwester Jenny, verheiratet mit dem Freiherrn von Laßberg; auf dessen Besitz -

Kommentiertes

Namenregister

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der Meersburg - ordnete der junge Levin Schücking die berühmte Bibliothek des Freiherrn. Während dieser Zeit enge Freundschaftsbeziehung der ebenfalls auf der Meersburg weilenden Annette v.D.-H. mit Levin Schücking, der die Begabung der Droste erkannte und als Anreger und Förderer ihres dichterischen Schaffens wirkte. 30-34, 39, 41 - 4 3 , 4 6 - 5 3 , 60, 80, 169, 180, 194, 217, 221 - 2 3 , 237-41, 279, 281, 334, 352f., 384, 403f., 413, 418, 425-31, 434, 482, 485f. Droste, Elisabeth von. Nichte der Dichterin, Tochter ihres Bruders Werner Konstantin, bemühte sich sehr um eine Werkausgabe ihrer Tante. 352 Droste, Heinrich von. Neffe der Dichterin, Bruder der Elisabeth von Droste, stand in enger Beziehung zu seiner Tante. 39, 40, 42, 46, 54, 429f. Dubsky, Adolf Graf von. 6.3.1833 (Wien) - 2.8.1911. Lieblingsbruder (Stiefbruder) M.v.Ebner-Eschenbachs, aus der dritten Ehe seines Vaters Franz von Dubsky mit Eugenia von Bartenstein. Nach dem Tod des Vaters war er das Haupt des Zdislawitzer Zweiges der Familie. Verließ die Armee als Dragoneroberst, wurde zum k. k. Kämmerer ernannt, 1865 Abgeordneter des mährischen Landtages, 1868 im Reichsrat. War lange Zeit Präsident der Wiener Bank Union und Mitglied mehrerer Verwaltungsräte und Unternehmen. Erweiterte seine Zdislawitzer Herrschaft um das angrenzende Hostice; nach seinem Tod Aufteilung des Besitzes unter den beiden Söhnen: Zdislawitz erbte Sohn Viktor (verkaufte die ganze Herrschaft nach der Bodenreform in den 20er Jahren) - Sohn Franz erhielt das Gut Hostice. 9 - 1 1 , 138, 142, 149, 281, 286-89, 456, 458, 472 Dubsky, Friederike von, verh. Gräfin Kinsky. 25.7.1829 (Wien) - 29.12.1895. Einzige echte Schwester M. v. Ebner-Eschenbachs aus der zweiten Ehe Franz v. Dubskys mit Marie v. Vockel. Verheiratet mit August Graf Kinsky. 24, 70, 79, 100, 281, 289 Dubsky, Marie von, verh. Gräfin Kinsky. 26.10.1864 (Wien) - 17.4.1926. Lieblingsnichte M.v.Ebner-Eschenbachs. Tochter Adolf v. Dubskys aus dessen erster Ehe mit Sophie Gräfin Stockau verw. Jellacic. Verheiratet mit Philipp Graf Kinsky, Sohn der Ebner-Schwester Friederike. 79, 124, 127, 129-32, 135, 137f., 140, 357 Dubsky, Viktor Josef Graf von. 6.3.1834 (Wien) - 16.7.1915. Stiefbruder der Dichterin (aus der dritten Ehe des Vaters mit Eugenia von Bartenstein). Kavalleriegeneral, österreichischer Diplomat in Brüssel, Petersburg, Teheran und Madrid. Gründete 1881 mit dem Kauf der Güter Zadlovice und Doubravice den Zadlowitzer Familienzweig. 138, 142, 144, 458, 463, 481 Ebner, Viktor von. Daten unbekannt; Professor der Histologie in Graz. Nicht verwandt mit der Dichterin. 57f., 61, 68, 71, 74, 87, 153f. Ebner, Adele, verheiratete Thanel. Vermutlich Nichte Viktor von Ebners und Tochter des in den Ebner-Tagebüchern oft genannten Johann Ebners. 59, 62, 66, 74-76, 86, 131 Ebner-Eschenbach, Moriz von. 27.9.1815 (Wien) - 26.1.1898. Verheiratet seit 1848 mit seiner Cousine Marie Dubsky, der Dichterin M. v. Ebner-Eschenbach. K. K. Feldmarschall-Lieutenant, Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Techniker, Erfinder (elektrische Torpedos), Verfasser umfangreicher autobiographischer und zeitkritischer Schriften. Schrieb zwei Novellen: Hypnosis perennis und Ein Wunder des heiligen Sebastian. Stuttgart 1897. 9 - 1 3 , 20, 2 2 - 2 4 , 2 9 - 3 1 , 34, 36, 44, 52, 62, 70f., 78-81, 83f., 89, 153, 280f„ 286, 289, 421, 433, 456, 467f„ 478 Edel, Margarete. 1846-(?). Tochter des bekannten Jura-Professors in Würzburg und späteren Landtagsabgeordneten Dr. Karl Edel. Unternahm viele Reisen in die Alpen und nach Italien, widmete sich später hauptsächlich der Pflege ihrer Eltern und ihrem Familienkreis in Würzburg. Auch literarisch tätig, eine epische Dichtung: San Gregorio, 1894. 306

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Verzeichnisse

Eichendorff, Joseph von. 10.3.1788 (Lubowitz/Schlesien) - 26.11.1857. 4, 471, 485f., 490 Erhard, Wolfgang. 1818 (Baden) - 18.10.1906. Geheimer Sanitätsrat und deutscher Botschaftsarzt in Rom. Seine letzte Adresse in Rom: Piazza di Spagna 20, also in unmittelbarer Nachbarschaft zu M. v. Ebner-Eschenbach. Mitgründer und Ehrenmitglied des Deutschen Künstlervereins. 425 Fechner, Gustav Theodor. 19.4. 1801 (Lausitz) - 18. 11. 1887. Professor der Physik, lehrte später Psychophysik, Ästhetik und Naturphilosophie. Gilt als Begründer der experimentellen Sinnesphysiologie. 118f. Fleischl-Marxow, Ida von. 1824-1899. Engste Freundin, Vertraute, literarische Beraterin M. v. Ebner-Eschenbachs. Verheiratet mit Carl v. Fleischl (gest. 13.6.1893): 9, 12f., 18, 2 0 - 2 2 , 32, 34f., 38, 42, 51, 53f., 56-62, 64-68, 70-75, 77f., 81-86, 89f., 92-95, 119, 127, 129, 132, 178, 281f„ 289, 291, 315, 330f., 334, 339, 418, 421, 428, 456, 460, 467-71. - - Kinder: Fleischl, Ernst von. (?)—22.10.1891 (Tod nach langem qualvollem Leiden, das von einer Leicheninfektion herrührte); Professor der Physiologie an der Universität Wien. 22 Fleischl, Otto von. Daten unbekannt. Arzt an der österr.-ungarischen Botschaft in Rom. Seit 1890 verheiratet mit der Schweizerin Mina, geb. Schwarzenbach (Minotto ist die scherzhafte Zusammenziehung der Namen Mina und Otto). 9, 37f., 58-60, 67, 77f., 83, 85, 90, 92-94, 139f., 146, 148f., 162, 231, 317, 332, 418, 423, 425, 456, 463 Fleischl, Paul von. Daten unbekannt. Fleischl, Richard von. Daten unbekannt. Förster-Nietzsche, Elisabeth. 10.7.1846 (Röcken bei Lützen) - 8.11.1935. Schwester des Philosophen, verheiratet mit dem Schriftsteller Bernhard Förster. Pflegte ihren geisteskranken Bruder bis zu seinem Tod; sammelte nachher seine Werke, gründete das Nietzsche-Archiv in Weimar und nahm umstrittenen Einfluß auf die Herausgabe der Werke ihres Bruders. In zahlreichen Arbeiten vermittelte sie ein Bild des Philosophen, vertiefte das Wissen um ihn auch in ihrem Salon in Weimar. 4, 274f., 277, 326f., 442 Fraknöi, Wilhelm (bis 1874 Wilhelm Frankl). 1843-1924. Studien in Tyrnau, Esztergom und Pest, 1864 Dr. phil., 1865 Priesterweihe, 1871-1879 Direktor des Ungarischen Nationalmuseums, seit 1870 Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, seit 1892 gewählter Bischof von Arbei. Verfasser zahlreicher Arbeiten aus der Kirchen- und Diplomatiegeschichte Ungarns im 16./17. Jhd. Seit 1878 ständig auch in Rom, Gründer der Monumenta Vaticana Hungariae und des Ungarischen Historischen Instituts in Rom 1892. 459 François, Louise von. 27.6.1817 (Herzberg/Sachsen) - 25.9.1893. Bildete sich nahezu autodidaktisch fort. Ihre langjährige Verlobung mit Alfred Graf von Görtz wurde wegen unsicherer Vermögensverhältnisse gelöst. Nach dem Verlust des eigenen Vermögens pflegte sie ihre Mutter und den erblindeten Stiefvater. Zog sich fast gänzlich vom Gesellschaftsleben zurück; Briefkontakte mit Marie v. Ebner-Eschenbach und C. F. Meyer. Bedeutende nicht-epigonale Erzählerin. 4, 18, 52, 54, 434, 441, 470, 479f„ 485 Franzos, Karl Emil. 25.10.1848 (Czortköw/Galizien) - 28.1.1904. 1867-1871 Jurastudium in Wien und Graz, als deutsch-nationaler Burschenschafter vom Staatsdienst ausgeschlossen, daher ab 1874 freier Schriftsteller. 1884-1886 Redakteur der Neuen Illustrierten Zeitung, seit 1887 Redakteur der von ihm gegründeten Zeitschrift Deutsche Dichtung. Novellist und Romanschriftsteller (vor allem das jüdische Milieu in Galizien schildernd). 33, 35, 428

Kommentiertes

Namenregister

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Gall, Louise von. Vgl. Schücking, Levin. 176, 360, 384, 404, 424, 426. Galliny, Flora. 1845-1913. Literarisch unter dem Pseudonym Bruno Waiden tätig; Mitarbeiterin an der kaiserlichen Wiener Zeitung. Bei den von ihr organisierten literarischen Zusammenkünften u.a. das Ehepaar Heinrich und Iduna Laube, Betty Paoli und nicht allzu häufig auch M. v. Ebner-Eschenbach. 58, 118, 465 Gerhard, Heinrich. 24.8.1823 (Kassel) - 24.10.1915. Bildhauer, wie sein Malerfreund O t t o Brand in der Via Ripetta in Rom wohnhaft. 1893 Vertreter der Berliner Akademie in Rom, 1894 Mitglied von S. Luca, wiederholt Präsident und seit 1889 Ehrenmitglied des Deutschen Künstlervereins. 234-36, 388f., 411 Gerold. Osterreichische Buchhändler- und Buchdruckerfamilie; J. Gerold erwarb 1775 die Universitätsdruckerei und Verlagsbuchhandlung. Heute Gerold & C o Wien. 53f., 431 Gilm zu Rosenegg, Hermann von. 1.11.1812 (Innsbruck) - 31.5.1864. 1854 Statthaltereisekretär in Linz. Lyriker. 59 Glaser, Adolf. Herausgeber einiger Jahrgänge von Westermann's Illustrirte Deutsche Monatshefte für das gesammte geistige Leben der Gegenwart. 100, 102f., 114, 116, 119, 124, 149, 163f., 424, 477 Goethe, Johann Wolfgang. 28.8.1749 (Frankfurt/Main) - 22.3.1832. 460 Gregorovius, Emil. Nähere Angaben nicht möglich; einziger Hinweis: „Emil Gregorovius: Der Himmel auf Erden in den Jahren 1901-1912. (159 Seiten), Leipzig 1892, F. W. Grunow" (Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums, Bd. 50, S. 136). 64f. Gregorovius, Ferdinand. 19.1.1821 (Neidenburg) - 1.5.1891. Nach theologischen und philosophischen Studien Journalist und Schriftsteller in Königsberg. Ging 1852 nach Italien und wurde hier zum unübertroffenen Geschichtenschreiber der Stadt Rom im Mittelalter. 88f., 181, 236, 450, 454 Grillparzer, Franz. 15.1.1792 (Wien) - 21.1.1872. 464f., 467 Grunow, Johannes. Herausgeber der Zeitschrift Die Grenzboten (1841-1922), später eigener Verlag Fr. W. Grunow, Leipzig. 37, 41f., 45, 53, 56, 64f., 214f., 429, 482 Gutzkow, Karl. 17.3.1811 (Berlin) - 16.2.1878. 354f., 420 Hager, Amalie. Aus den sehr dürftigen Informationen läßt sich folgendes eruieren: Eine fast blinde, nicht unbemittelte Wiener Jüdin, wohnhaft Wien XIII, Bezirk 5, Bergmüllergasse 8, die Adresse während ihrer häufigen Sommeraufenthalte Gmunden, Annagasse 1. Ihre Schwester ist Sophie von Miller-Aichholz (unveröffentlichter Brief Amalie Hagers an Gerhardine Rickert vom 3.8.1904: „Wenn Sie so freundlich sein wollen, meiner Schwester Ihren Glückwunsch ausdrücken zu wollen, so adressieren Sie Frau Sophie von Miller-Aichholz"). Deren Tochter, also die Nichte Amalie Hagers, ist die im intensiven Schriftwechsel mit Levin und Theo Schücking stehende Molly Miller; sie wiederum ist die Tante der in den E/Tb häufig anzutreffenden Flora Pongracz (Tochter der Anna Pongracz?). Weiterhin ist von einer HagerSchwester die Rede mit Namen Lippitt, Besitzerin von Pernegg (Steiermark); hierbei könnte es sich um Mathilde Lippitt handeln (nach Konbau: Saar, S. 61). Erwähnt wird noch ein Bruder, Besitzer eines Landhauses in Meidling, Name unbekannt. 2, 16-19, 22-24, 2 6 - 2 8 , 30, 32, 35, 37-41, 44, 50, 53, 57-62, 66-68, 72f., 75-78, 81, 83f., 86-89, 91-96, 98-100, 106-10, 112, 116, 118f., 125, 130, 132-38, 161-63, 168f., 179, 225, 231, 315-17, 319f., 333f„ 349f., 354, 385, 387, 391, 415-17, 419-21, 423, 425, 439 Hainisch, Marianne. 25.3.1839 (Baden b. Wien) - 5.5.1936. Führerin der österr. Frauenbewegung, dazu zahlreiche einschlägige Schriften. Gründete 1902 den Bund österreichischer Frauenvereine. 476

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Verzeichnisse

Halm, Friedrich (Eligius Franz Joseph Reichsfreiherr von Münch-Bellinghausen). 2.4.1806 (Krakau) - 22.5.1871. Seit 1811 in Wien, ebenda Jura-Studium; 1840 Regierungsrat, 1844 Kustos der Hofbibliothek, 1861 Herrenhaus-Mitglied, 1867 Generalintendant beider Hoftheater, 1870 krankheitshalber pensioniert. Vorsitzender der Schillerstiftung, Epigonaler Schriftsteller. 358-62, 490 Hamsun, Knud. 4.8.1859 (Lom/Gubrandsdal) - 19.2.1952. 77 Hartleben, Otto Erich. 3.6.1864 (Clausthal) - 11.2.1905. Zunächst Verfasser naturalistischer gesellschaftlicher Dramen, dann Novellenautor und Satiriker. 105 Hauptmann, Gerhart. 15.11.1862 (Obersalzbrunn/Schlesien) - 6.6.1946. 91f., 474 Henle, Elise (Pseudonym für Elise Levi). 10.10.1832 (München) - 18.10.1892. Schwester der Dichterin Henriette Ottemheiner. Autorin zahlreicher Lustspiele, z.T. pädagogischen Charakters, z.B. Backfischchens Theaterfreuden. Ein Geschenk für große und kleine Fräuleins 1887. 480 Herzen-Monod, Olga. Tochter des russischen sozialistischen Schriftstellers und Revolutionärs Alexander Herzen. Pflegetochter Malwida von Meysenbugs. Verheiratet mit dem französischen Historiker und Begründer der kritischen mediävistischen Schule Frankreichs, Gabriel Monod, der sich nach dem Tode M. v. Meysenbugs mehrfach als Herausgeber ihrer Werke betätigte. Vgl. Meysenbug, Malwida von. 81, 91, 137, 145-49, 161, 177, 225, 229, 337, 339, 344, 387, 422, 455 Herzfeld, Marie. 20.3.1855 (?) - (?) Ihr Pseudonym: H. M. Lyhne. Sie „ist als Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen, Dänischen, Schwedischen und Norwegischen und als Essayistin thätig" (Pataky Lexikon I, S. 346). Daneben Mitarbeiterin an der Wiener Rundschau, "Wiener Literaturzeitung/Neue Revue und der Neuen Freien Presse Wien. 125 Heyse, Paul. 15.3.1830 (Berlin) - 2.4.1914. 364, 368, 374f., 435, 454 Hofmannsthal, Hugo von. 1.2.1874 (Wien) - 15.7.1929. 465 Houben, Heinrich Hubert. 30.3.1875 (Aachen) - 27.7.1945. Literatur- und Kulturhistoriker. Herausgeber (Laube, Gutzkow). Führend in Verlagen tätig. 354-57 Hülsen, Christian. 29.11.1858 (Charlottenburg) - 19.1.1935. Althistoriker und Archäologe. Von 1887-1908 zweiter Sekretär des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom. Seit 1917 Professor in Heidelberg. 451, 459 Humboldt, Wilhelm von. 22.6.1767 (Potsdam) - 8.4.1835. 449, 454 Jacobowski, Ludwig. (?) - Ende Nov. oder Anfang Dez. 1900. Mitherausgeber der 1890 gegründeten Zeitschrift Der Zeitgenosse. Berliner Monatshefte für Leben, Kritik und Dichtung der Gegenwart. Er widmete sein Buch Der kluge Scheich. Ein Sittenbild aus Nordafrika, Breslau 1897, den Schwestern „Gerhardine und Theo". 74f., 86, 91, 106, 117, 224 Janitschek, Marie (Pseudonym Marius Stein). 22.7.1859 (Mödling b. Wien) - 28.4.1927. Verheiratet mit dem Straßburger Kunsthistoriker Herbert Janitschek, nach dessen Tod 1893 Übersiedlung nach Berlin, seit 1901 in München wohnhaft. Verfasserin von Gedichten, Romanen, Erzählungen und Novellen. 26, 55 Jungius (?). Vgl. Wendt. Kautsky, Minna (Pseudonym Eckert, Wilhelm Wiener). 11.6.1837 (Graz) - 20.12.1912. Jugend in Prag, heiratete 1854 den Landschafts- und Theatermaler Johann Kautsky; mußte ihren Schauspielerberuf wegen eines Lungenleidens aufgeben, lebte von 1863 bis 1904 in Wien, ab 1870 schriftstellerisch tätig, Mitglied des Wiener Künstlervereins. Schrieb zunächst Gedichte, Novellen, versuchte sich als Dramenautorin, schließlich erfolgreiche Erzählerin (unter dem Einfluß ihres Sohnes Karl sozialistisches Gedankengut). Befreundet mit W. Liebknecht, V. Adler und R. Luxemburg. 304

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Namenregister

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Keil, E. (?). Daten nicht bekannt, gründete 1853 in Leipzig die Gartenlaube als liberales Unterhaltungsblatt. 31 Key, Ellen. 11.12.1849 (Sundsholm/Schweden) - 24.4.1926. Schwedische Pädagogin, Verfasserin zahlreicher Schriften besonders zu Fragen der Frauenbewegung. Weltberühmt durch ihr Buch Das Jahrhundert des Kindes. 440 Kiesekamp, Hedwig. 21.7.1846 (Heinrichenburg/Westfalen) - (?). „Wollte Sängerin werden, verheiratet sich 1884 und folgte ihrem Gatten nach Münster. Ihre Bekanntschaft mit Levin Schücking brachte ihren Entschluß zur Reife, mit ihren dichterischen Versuchen an die Öffentlichkeit zu treten. Ihre .Märchen' und lyrischen Dichtungen' sind in Buchform, andere in Zeitschriften erschienen." (Maack: Novelle, S. 79). 89 Kinsky, Friederike. Vgl. Dubsky, Friederike. Kinsky, Marianne Gräfin von. 26.7.1857 (?) - 23.7.1922. Nichte M. v. Ebner-Eschenbachs. Tochter deren Schwester Friederike und des Grafen August Kinsky. 107f., 114, 116f., 125, 137, 147f., 150, 463 Kinsky, Marie. Vgl. Dubsky, Marie. Knorr, Josephine (Sephine) Freiin von. 15.4.1827 (Wien) - 31.5.1908. Früh verwaist, mit Ferdinand von Saar befreundet. Starb in geistiger Umnachtung. Vorwiegend Lyrikerin. 483 Körber, Ernst. 6.11.1850 (Trient) - 5.3.1919. Österreichischer Staatsmann. 1897 Handelsminister, 1899 Innenminister, 1900 zugleich Ministerpräsident, seit 1902 auch Justizminister; mußte 1904 auf ungarischen und tschechischen Druck zurücktreten, 1915/16 Finanzminister, 1916 nochmals kurzzeitig Ministerpräsident. 154 Krautschneider, Sophie. Daten nicht bekannt. Hausdame, Sekretärin, engste Vertraute Moriz von Ebner-Eschenbachs, in dessen letzten Lebensjahren Stütze und Pflegerin (während häufiger Abwesenheit der Dichterin). 79 Land, Hans. 25.8.1861 (Berlin) - (?) „Er ist Dramatiker und Novellist. Mehrere seiner in Buchform erschienenen Romane haben in kurzer Zeit mehrere Auflagen erlebt" (Maack: Novelle, S. 248). 55 Laßberg, Jenny Baronin von. Vgl. Droste-Hülshoff, Annette von. 30, 32, 40, 46f., 54, 238, 429 Laube, Heinrich. 18.9.1806 (Sprottau/Schlesien) - 1.8.1884. 1849-1867 Direktor des Wiener Burgtheaters, 1869-1870 Leiter des Leipziger Stadttheaters, 1871-1879 mit einjähriger Unterbrechung Leiter des von ihm gegründeten Wiener Stadttheaters. 49, 465, 480 Laube, Iduna. Verheiratet mit Heinrich Laube, selbst literarisch tätig. 465 Lange, Helene. 9.4.1848 (Oldenburg) - 13.5.1930. Führerin der deutschen Frauenbewegung, stand an der Spitze des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" und des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins". Seit 1893 Herausgabe der Zeitschrift Die Frau. Zahlreiche programmatische Arbeiten zu Fragen der Frauenbewegung. 267, 440 Lewald, Fanny. 24.3.1811 (Königsberg) - 4.8.1889. Tochter des Weinhändlers und Stadtrates David Markus (seit 1812 Lewald). In jeder Hinsicht frustrierende Jugendjahre; ermuntert durch ihren Vetter August Lewald erste Schreibversuche (erster Roman 1843), 1845 Reise nach Italien, Begegnung mit dem Gelehrten und Schriftsteller Adolf Stahr, den sie nach seiner Scheidung 1854 heiratete. Reiseschriftstellerin, Erzählerin, deren Romane sich mit sozialen Fragen und der Situation der Frau beschäftigen. 4, 200, 234, 318-20, 411, 433, 449, 461 Lindemann-Frommel, K. (?) 1819 (Markirch) - 16.5.1891. Landschaftsmaler. Von 1845-1848 und wieder von 1856 an in Rom (Via Babuino 39) wohnend. 451

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Verzeichnisse

Littrow-Bischoff, Auguste von. Daten nicht bekannt. Mittelpunkt eines von ihr initiierten literarisch-wissenschaftlichen Salons, bekannt durch ihre von Eitelkeit nicht freien Grillparzererinnerungen: Aus dem persönlichen Verkehre mit Franz Grillparzer, Wien 1873. Verheiratet mit Karl Ludwig Littrow, dem Leiter der Wiener Sternwarte. 465, 467f„ 470, 480 Loeb (?). Daten unbekannt. Theos Berliner Freunde, bereits aus Levin Schückings Zeit (L. Schückings Brief an Theo vom 10. Juli 1882 [?]: „nachdem ich [...] nach Löbs gehe"). Im Brief Emmy von Dincklages vom 24.11.1882 wird Theos Aufenthalt bei Frau Loeb erwähnt; außerdem taucht der Name immer wieder im Umkreis Fanny Lewaids auf. 32, 121, 159, 168, 313, 315, 319f. Löwy, Emanuel. 1.9.1857 (Wien) - 11.2.1938. Archäologe, 1889 Professor in Rom, 1818 in Wien. 140, 451, 459 Lothar, Rudolf (eigentlich Spitzer). 1865 (Budapest) - 1943. Schriftleiter der Neuen freien Presse in Wien. Später in Berlin. Gründet 1898 die Wiener Wochenzeitschrift Die Wege. Darüber hinaus Roman- und Bühnenschriftsteller, bes. Lustspiele. 487f. Marholm, Laura (Pseudonym für Laura geb. Mohr, verh. Hansson). 19.4.1854 (Riga) 1905. 1889 Heirat mit dem Schriftsteller Ola Hansson, 1895 Übersiedlung nach Deutschland, zunächst nach Berlin, 1896 nach München. 1905 Einweisung und Tod in einer Nervenheilanstalt. Dramatikerin, Erzählerin und Essayistin, setzte sich in ihrem Werk mit Fragen der Frauenbewegung auseinander. 55 Mataja, Emilie (Pseudonym Emil Marriot). 20.11.1855 (Wien) - 5.5.1938. Aus einer Wiener Kaufmannsfamilie stammend, begann früh zu schreiben. Themen ihrer in österr. und deutschen Zeitschriften erschienenen Werke sind die bürgerliche Moral, Religion und Berufsmöglichkeiten für Frauen. 11-13, 320f., 481 Mauthner, Fritz. 22.11.1849 (Horitz/Böhmen) - 29.6.1923. Jurastudium in Prag, 1876 Mitarbeiter am Berliner Tagblatt. Schriftleiter am Magazin für Literatur. Ab 1909 freier Schriftsteller; erst Dramatiker und Erzähler von Gesellschaftsromanen, dann historische Romane und philosophische Abhandlungen, besonders erfolgreich als Satiriker. 20, 22, 42f., 45, 72, 430 Mauthner, Ludwig. Professor der Augenheilkunde in Wien. Eine Nichte Ludwig Mauthners war verheiratet mit Karl Emil Franzos (E/Tb 1.9.1898). 22 Meyer, Conrad Ferdinand. 11.10.1825 (Zürich) - 18.11.1898. 418 Meysenbug, Malwida von. 28.10.1816 (Kassel) - 26.4.1903. Aus einer hugenottischen Emigrantenfamilie stammend; Vater und Brüder in hessischen Staatsdiensten; Besuch der Frauenhochschule in Hamburg, auf Grund ihres Briefwechsels mit 48-er Politikern 1852 Ausweisung aus Berlin, von 1852-1859 Sprachlehrerin, Erzieherin, Berichterstatterin politischer Zeitungen. Freundschaft mit Gottfried und Johanna Kinkel und Alexander Herzen, bei dessen Töchtern (vor allem bei Olga, spätere HerzenMonod) sie Mutterstelle vertrat. Lebte um 1871 mit Olga einige Zeit in Paris, hier Freundschaft mit Richard Wagner. Den Winter 1876/77 verbrachte sie mit dem kranken Friedrich Nietzsche in Sorrent. Lebte seit 1870 in Rom als Schriftstellerin und Übersetzerin. Freundschaftlicher Verkehr mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Liszt, Garibaldi, Romain Roland. 81-83, 91f., 125f„ 137, 140, 145-48, 161, 177, 180-82, 185, 189, 206, 225, 227-30, 236, 276f., 298, 316, 328f„ 336f., 339f., 344f., 351, 387, 389, 406, 408, 422-24, 442, 451, 454f., 459, 462, 476 Milde, Nathalie von. Eine Tochter (?) des auch in Rom tätigen Malers und Lithographen Karl Julius Milde (1803-1875). Miller, Molly. Vgl. Hager, Amalie.

24 314f., 321 - 2 5 , 415

Mittelstädt, Johanna (?). Mit Theo in Berlin befreundet. Der Vater ist Reichsgerichtsrat, Mitarbeiter der Zeitschrift Zukunft. 26f., 65, 116, 161

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Namenregister

511

Monod. Vgl. Herzen-Monod. Münch-Bellinghausen. Vgl. Halm. Muhr, Mathilde. Vermutlich Witwe des Malers Julius Muhr (1819-1865). Theo könnte mit Mathilde Muhr in Rom in Verbindung getreten sein. Da Julius Muhr in München starb und Theo im Rahmen des Briefwechsels mit der Schillerstiftung eine Münchner Adresse: Frau Mathilde Muhr, angibt, scheint dies naheliegend. 16, 74, 380-83 Necker, Moritz. 14.10.1857 (Lemberg) - 16.2.1915. 1884 Dr. phil. in Wien, Literaturkritiker und Essayist an führenden Zeitungen. Unter seinen Schriften: Marie von Ebner-Eschenbach. Nach ihren Werken geschildert, 1900. 43, 430 Neumann-Hofer, Otto. Mitarbeiter in: Kritisches Jahrbuch, hg. von Heinrich und Julius Hart, Hamburg 1889/90. Dann Herausgeber von Das Magazin für Litteratur (Brief 37/E vom 13.11.1893). 63 Niebuhr, Barthold. 27.8.1776 (Kopenhagen) - 2.1.1831. Historiker und Staatsmann. 1816-1823 preuß. Gesandter beim Vatikan, 1823 Professor an der Universität Bonn. 449, 454 Nietzsche, Friedrich. 15.10.1844 (Röcken bei Lützen) - 25.8.1900. 274-78, 326f., 341, 346f., 355, 422, 441-43, 454

36, 224, 227,

Olde, Hans. 27.4.1855 (Süderau) - 25.10.1917. Leitete 1902 die Weimarer Kunstschule, seit 1911 die Akademie in Kassel. Maler von Freilichtlandschaften und Bildnissen, Radierungen (Nietzsche). 327 Paoli, Betty (Pseudonym für Barbara Elisabeth Glück). 30.12.1814 (Wien) - 5.7.1894. Nach dem Verlust ihres Vermögens nahm sie 1833 in Begleitung ihrer Mutter eine Stelle als Erzieherin in Rußland an, nach Flucht und Tod der Mutter Erzieherin in einer adeligen polnischen Familie. 1835 Rückkehr nach Wien, erste Gedichtbände erscheinen. Seit 1841 Gesellschafterin im Hause des Philanthropen Josef Wertheimer, 1843-1848 Gesellschafterin der Fürstin Schwarzenberg, seit 1852 lebte sie bis zu ihrem Tod im Hause Fleischl-Marxow. Verfasserin viel beachteter Burgtheaterkritiken. Laubes bevorzugte Übersetzerin der von ihm in den Spielplan aufgenommenen französischen Lustspiele. Höchste Anerkennung ihrer Zeitgenossen fanden ihre Gedichte und ein Novellenband. 4, 9, 12f„ 20, 32, 36, 4 1 - 4 4 , 51 f., 54, 56-61, 64f., 327-35, 41 lf., 418, 461, 465, 468, 470f„ 482f. Pichler, Karoline. 7.9.1769 (Wien) - 9.7.1843. Führte den Salon ihrer Eltern (Hofrat v. Greiner) fort, der zum Mittelpunkt des Alt-Wiener kulturellen Lebens wurde. Erzählungen und Romane. 464 Pongracz. Vgl. Hager.

458

Preuschen, Hermione von. 7.8.1854 (Darmstadt) - 12.12.1918. Malerin, Lyrikerin und Erzählerin. Literarische Anregungen im Hause des Dichters Gustav zu Puttlitz schon in jungen Jahren. Studium an verschiedenen Malakademien. Malstudien in Rom, München, Berlin, Kopenhagen. In zweiter Ehe mit dem Schriftsteller Konrad Telmann verheiratet. Wohnsitz im Wechsel zwischen Rom und Berlin. 79 Przbyszewski, Stanislaw. 7.5.1868 (Lojewo/Polen) - 23.11.1927. Polnischer und deutscher Dichter, wesentlicher Vertreter der naturalist.-symbolist. Bewegung des „Jungen Polen". In Berlin dem literarischen Kreis „Schwarzes Ferkel" zugehörig, darin Begegnung mit Dehmel, Strindberg usw. 1885-1902 Mitarbeiter der Zeitschrift Die Gesellschaft, die den Naturalismus mehr süddeutscher Prägung vertrat. 36

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Verzeichnisse

Reuter, Gabriele, 8.2.1859 (Alexandria) - 16.11.1941. Tochter eines Großkaufmanns, lebte bis zum Tod des Vaters 1872 abwechselnd in Deutschland und Alexandria. Früher Entschluß zur Schriftstellerei, erste Arbeit 1875, später Verbindung zum Kreis der ,Freien Bühne' in Berlin. Erzählerin, Jugendbuchautorin, Dramatikerin, Publizistin: Monographien über M. v. Ebner-Eschenbach, 1904, und A. v. DrosteHülshoff, 1905. Stand der bürgerlichen Frauenbewegung nahe. 217, 222f., 412, 426 Rickert, G e r h a r d i n e Friederike Juliane Catharina, geb. Schücking, geschiedene Schuch. 10.1.1846 (Köln) - 22.10.1906. Tochter aus der Ehe Levin Schückings mit Louise von Gall, Schwester Theo Schückings. In erster Ehe (1868) verheiratet mit dem Maler Gustav Werner William Schuch (vgl. Schuch, Levine). Nach Scheidung in zweiter Ehe (1893) verheiratet mit Heinrich Rickert (vgl. Rickert, Heinrich, und Stammbaum). Verfasserin von Theaterkritiken für Berliner Zeitungen. 14, 41f., 51, 80-82, 113, 116, 160f., 163f., 168-170, 173, 177, 179, 208, 213, 232, 299, 301, 310f., 315, 325, 336, 339, 343, 387-89, 391, 405, 408, 423-25, 432, 434, 439 Rickert, Heinrich. 1833 (Danzig) - 1902. Seit Sommer 1883 verheiratet mit Gerhardine Schücking (nach deren Scheidung von dem Berliner Maler Schuch). Ubernahm 1858 die Redaktion der von ihm mitbegründeten Danziger Zeitung. 1870 wurde er in das Abgeordnetenhaus und 1874 in den Reichstag gewählt. Zunächst Mitglied der National-Liberalen Partei, schloß sich später der Deutsch-Freisinnigen Partei an. 1876 wurde er auf sechs Jahre zum Landesdirektor der damaligen Provinz Preußen gewählt, legte 1878 bei der Teilung der Provinz in Ost- und Westpreußen dieses Amt nieder. 41, 66, 68f., 71-73, 78, 107f., 110, 113, 124f., 131, 139, 161, 164, 169, 179, 384, 390, 437, 439 Rodenberg, Julius. 26.6.1831 (Rodenberg/Hessen) - 11.7.1914. 1855 Journalist, 1856 Dr. Jur.; seit 1874 Herausgeber der von ihm gegründeten Zeitschrift Deutsche Rundschau. Auch schriftstellerisch tätig als Lyriker, Feuilletonist, Dramatiker und Biograph. 17-19, 29, 31-33, 41, 45, 54, 56, 147, 427-30, 471, 484f. Rosegger, Peter. 31.7.1843 (Alpl/Steiermark) - 26.6.1918. 487 Ruskin, John. 8.2.1819 (Brantwood/Lancashire) - 20.1.1900. Englischer Schriftsteller, Sozialreformer und Maler. 1870-1874 Professor für Kunstgeschichte in Oxford. Nahm im englischen Geistesleben der 2. Hälfte des 19. Jhds. eine beherrschende Stellung ein. 121f., 126 Saar, Ferdinand von. 30.9.1833 (Wien) - 24.7.1906. 465, 468, 470f., 475, 478f„ 4 8 2 84, 486, 490 Salis-Marschlins, Meta von. 1.3.1855 (Marschlins/Graubünden) - 1.3.1929. Wurde mit 19 Jahren Erzieherin (da sie nicht studieren durfte), bereiste teilweise in dieser Aufgabe Deutschland, Italien, England und Irland; nach ihrer Rückkehr aus Irland studierte sie von 1883-1887 an der Universität Zürich Geschichte und promovierte zum Dr. phil. (Agnes von Poitou. Kaiserin von Deutschland. Eine historisch-kritischpsychologische Abhandlung. Diss. Zürch 1887). Lebte vorübergehend mit Hedwig Kym gemeinsam auf Marschlins, ab 1904 auf Capri, seit 1910 in Basel. Schriftstellerin und Frauenrechtskämpferin, Lyrikerin und Essayistin. 4, 160, 176-235, 296-98, 302, 305, 307, 310, 313, 315, 335-45, 405-11, 422, 424-26, 439, 441f., 455 Scheffel,1 Viktor. 16.2.1826 (Karlsruhe) - 9.4.1886.

488

Schmidt, Erich. 20.6.1853 (Jena) - 29.4.1913. Bedeutender und einflußreicher Literarhistoriker, Germanist. 1877 Prof. in Straßburg, 1880 in Wien, 1887 in Berlin. 20f., 327, 471 Schnitzler, Arthur. 15.5.1862 (Wien) - 21.10.1931. 407, 469, 475 Schönfeld, Louise Gräfin von (= Luise Neumann). 7.12.1818 (Karlsruhe) - (?). Tochter der berühmten Schauspielerin Amalie Haizinger aus deren erster Ehe mit dem Schau-

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Namenregister

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Spieler Neumann. Bereits 1838 Engagement am Wiener Burgtheater, beendete 1856 ihre Bühnenkarriere und heiratete den Grafen Karl von Schönfeld. 147, 149, 349f. Schuch, Emilie Louise Lucie Levine. 13.8.1869 (Osnabrück) - März 1897. Nichte Theo Schückings. Tochter Gerhardine Schückings aus der ersten Ehe mit dem Kunstmaler und Professor an den Polytechnischen Hochschulen Hannover, Dresden, München, Berlin, Gustav Werner William Schuch. Verheiratet mit Gerhard Berger, Pianist in Berlin, nach 1903 in Rußland verschollen. Zwei Söhne: Gerhard Berger jun. und (?). Vgl. Stammbaum. 82f., 164, 168-70, 177, 300, 390, 432 Schücking, Christoph Bernhard Adrian. 13.7.1852 (Köln) - 2.6.1914. Jüngster Sohn aus der Ehe Levin Schückings mit Louise von Gall, Bruder Theo Schückings. Medizinstudium an den Universitäten Würzburg, München, Leipzig, Halle, 1876 Dr. med. in Leipzig. Ging 1877 nach Konstantinopel (als Arzt Teilnahme am Krimkrieg), geriet 1877 in russische Gefangenschaft. Nach Entlassung 1879 praktischer Arzt in Hamburg und 1881 zu Bad Pyrmont, Professor der Medizin, 1882 Badearzt ebd., Gründer des Sanatoriums Dr. Schücking in Bad Pyrmont. Auch schriftstellerisch tätig. Verheiratet (1878) mit Sophia Maria Henze. 9f., 159f., 162, 164, 167-72, 174, 177, 195, 204, 209f., 212, 299, 301, 305, 309, 322f., 342, 364, 367, 370, 372-74, 377, 386f., 390, 405, 409, 412, 414f., 418, 434, 438, 446f. - - Kinder: Schücking, Julie Levine Adelheid Anna Theophanie. 1881-1962. Schücking, Adrian Levin August Prosper. 1883-1963. Schücking, Augusta Antonia Gerda, verh. Zander. 1892-1967. Schücking, Anton Matthias Franz Alfred. 4.7.1818 (Dülmen) - 12.10.1898. Onkel Theo Schückings. Wanderte 1838, zunächst in Begleitung seines Vaters, nach Amerika aus. Dort Sprachlehrer, Herausgeber verschiedener Zeitschriften, Studium der Rechte, 1846 Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft, dann Niederlassung als Anwalt zu Washington. Herausgeber des Wochenblatts Deutsche Nationalzeitung. Erhielt eine Anstellung im US-Schatzamt, aus dem er 1849 wegen des politischen Umschwungs entlassen wurde, widmete sich danach internationaler Advokatur. 1847 Gründer der ersten regelmäßigen Postdampferlinie New York-Bremen. Verheiratet seit 1846 mit Sara Ann Lee Watson (gest. am 22.12.1885), zweite Ehe 1889 mit Susan Drapper, beide Ehen kinderlos. 390, 403, 4 1 4 - 1 6 Schücking, Maria Anna C a t h a r i n a , gen. Tante Kathinka, verh. Sutro. Vgl. Sutro. Schücking, G e r h a r d i n e Friederike Juliane Catharina, geschiedene Schuch, verh. Rikkert. Vgl. Rickert. Schücking, Christoph Bernhard Levin Anton Matthias. 6.9.1814 (Meppen an der Ems) - 31.8.1883. Verheiratet (7.10.1843) mit Johanna Udalrike Louise Gerhardine Freiin von Gall (19.9.1815 Darmstadt - 16.3.1855): 4, 9 - 1 4 , 21, 32, 39, 42, 4 6 - 5 3 , 60, 62, 101, 152, 157-60, 162, 167f., 173f., 176-78, 180-82, 184, 186-98, 202-04, 206-09, 211-17, 219, 221f., 224, 235-41, 274f., 277, 293, 296, 298, 300f„ 307f., 310-12, 319, 322-25, 328-30, 332-37, 341-44, 352f., 357-67, 370, 373f., 383f., 403-06, 408-13, 415, 417f., 422, 424-31, 434-36, 438f., 442-46, 449, 454f„ 461-63, 482, 486. - - Kinder: Schücking, Carl L o t h a r Levin. 19.12.1844 (Augsburg) - 23.4.1901. Schücking, G e r h a r d i n e Friederike Juliane Catharina. 10.1.1846 (Köln) 22.10.1906. Schücking, T h e o p h a n i e Elfriede Sabine Caroline, gen. T h e o . 19.4.1850 (Köln) 23.5.1903. Schücking, Christoph Bernhard Adrian. 13.7.1852 (Köln) - 2.6.1914. Schücking, A d o l f i n e Eleonore Fenegundis. 19.9.1854 (Sassenberg) - 1854. Schücking, Carl L o t h a r Levin. 19.12.1844 (Augsburg) - 23.4.1901. Ältester Sohn aus der Ehe Levin Schückings mit Louise von Gall, Bruder Theo Schückings. Jurastu-

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Verzeichnisse

dium an den Universitäten Bonn, München, Berlin. Referendar, Gerichtsassessor, 1872 Kreisrichter zu Wollin in Pommern, 1874 Kreisrichter zu Burgsteinfurt, 18791884 Amtsrichter zu Münster, 1884-1901 Landgerichtsrat ebd. Verheiratet (1872) mit Luise Wilhelmine Amalie Beitzke: 162, 171, 173f., 205, 335, 338, 341f., 352, 354f., 364-67, 370, 372-74, 377, 380, 382, 405, 412, 414f., 435, 438. - - Kinder: Schücking, L o t h a r Engelbert Levin. 1873-1943. 173 Schücking, Walter Max Adrian. 1875-1935. 173 Schücking, Levin Ludwig Heinrich. 1878-1964. 173 Schücking, P r o s p e r Ludwig. 29.10.1829 (Clemenswerth) - 9.1.1887. Onkel Theo Schückings. Folgte seinem Bruder Alfred nach Amerika, 1850 Arzt und Apotheker in Pennsylvanian, später zu New York und Washington. Dr. med. 1867 Unterstaatssekretär im State Department. Ehe 1863 mit Marie (?), kinderlos. 167, 403f., 4 1 3 16 Schumann, Marie. 1841 -1929. Tochter Robert und Clara Schumanns. Erstgeborene und Liebling der beiden Eltern. Begleitete die Mutter schon früh auf den Konzertreisen, war die Verwalterin des Clara-Schumann-Nachlasses. 4, 95f., 346f., 381, 387f. Sickel, Theodor (Ritter von: seit 1884). 18.12.1826 (Aken) - 21.4.1908. Historiker. 1867 Professor in Wien, 1869 Leiter des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung. 1883-1901 Leiter des Osterreichischen Historischen Instituts in Rom. 458 Stein-Rebecchini, Augusta von. 1865-1900, keine genaueren Angaben. 328f. Stifter, Adalbert,. 23.10.1805 (Oberplan/Böhmen) - 28.1.1865. 419, 464f. Sutro, Maria Anna C a t h a r i n a , geb. Schücking, gen. Tante Kathinka. 24.10.1834 (Ludmillenhof) - 24.3.1910. Zunächst Gouvernante im Hause des Freiherrn von Haxthausen zu Vörden bei Marienmünster, wanderte 1856 nach Amerika aus und heiratete 1861 den aus Aachen stammenden Kaufmann und Färbereibesitzer zu Philadelphia Emil Sutro (seit 1900 Rentner und philosophischer Schriftsteller): 85, 89, 389f„ 403, 414, 416. - - Kinder: Sutro, Alfred Emanuel. 26.7.1862-11.8.1895. Sutro, Lucy Emily, 2.10.1865-22.5.1950. Sutro, Paul Emil. 12.12.1866-25.1.1947. 89 Suttner, Bertha von (geb. Gräfin Kinsky). 9.6.1843 (Prag) - 21.6.1914. Zunächst Erzieherin in der Familie des Barons von Suttner in Wien, 1876 gegen familiären Widerstand Heirat mit dem jüngsten Suttner-Sohn Artur Gundaccar. Gemeinsam mit ihrem Mann Aufenthalt in Georgien, dort als Musik- und Sprachlehrerin tätig. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich Journalistin, Erzählerin und Mitbegründerin der Friedensbewegung in den deutschsprachigen Ländern. Regte Alfred Nobel zur Stiftung des Friedensnobelpreises an, den sie als erste Frau 1905 erhält. 79f., 433, 473f. Tafel, Helene. 25.12.1847 (?) - 13.3.1903 (Florenz). Tochter des namhaften schwäbischen Demokraten Rechtsanwalt Gottlob Tafel. Wegen ihrer schwankenden Gesundheit dauernde Übersiedlung nach Italien. Sie übersetzte als erste die Ebner ins Italienische (Bozena), weiters Novellen von Heyse, Sudermann und Voß. 98f., 105,107f., 144, 148, 456, 460 Thorvaldsen, Bertel. 13.(19.?) 11.1768 (Kopenhagen) - 24.3.1844. 464 Varnhagenvon Ense, Rahel. 26.5.1771 (Berlin) - 7.3.1833.1814 Heirat mit Karl August Varnhagen v. Ense. Ihr berühmter Salon in Berlin war Treffpunkt bedeutender Literaten und Künstler. 463, 468 Villinger, Hermine (Pseudonym H. Wilfried). 6.2.1849 (Freiburg/Breisgau) - 4.3.1917. Aus einer badischen Beamtenfamilie stammend, ab 1850 in Karlsruhe lebend. Frühe Kontakte zum literarischen Kreis um Anna Ettlinger, daraus erwachsend der Wunsch

Kommentiertes

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nach einer Theaterlaufbahn. Bald jedoch - auch unter dem Einfluß der Ebner Entschluß zur Schriftstellerei. Einfluß M. v. Ebner-Eschenbachs ist unverkennbar, vor allem in Villingers Schilderungen des ländlichen Lebens im Schwarzwald; daneben auch emanzipatorische Themen. Erhält 1897 „die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft". (E/Tb 5.12.1897) 4, 15, 18, 20f., 31, 33f., 37, 55, 57, 60, 6 5 - 6 9 , 75-77, 80, 91, 124-28, 130, 133, 138f., 148, 347-51, 356, 433, 474 Voss, Richard. 2.9.1851 (Neugrape b. Pyritz) - 10.6.1918. Philosophiestudium in Jena und München, dann freier Schriftsteller, abwechselnd in Frascati und Berchtesgaden lebend. Zwischenzeitlich Einweisung in eine Nervenheilanstalt. „Heute gehört Richard Voss zu den erlauchtesten Geistern der gegenwärtigen Litteraturperiode. Seine Dramen Eva, Weh den Besiegten, Alexandra sind über sämtliche bessere Bühnen gegangen. Seine Novellen, meist italienische Dorfgeschichten, sind fast Allgemeingut jedes Gebildeten". (Maack: Novelle, S. 312). 16, 26, 74, 76-78, 81f., 86, 89, 98, 104, 107, 119, 153, 168, 195, 295, 442, 454 Waissnix, Olga. 1862-1897. Gattin des auf dem Semmering ansäßigen Hoteliers, Gutsbesitzers und Jägers Carl Waissnix. Sie ist die zweite Olga, die im Leben Schnitzlers eine Rolle spielt (die erste ist seine Frau Olga, geb. Gussmann)(, „Sie dilettiert literarisch und schauspielerisch". (Vorwort Weigel, in: Schnitzler-Waissnix Briefe S. 14f.) 407 Weber, Carl Maria von. 18.11.1786 (Eutin) - 5.6.1826. 464 Wendt (?). Uber die Damen Wendt und Jungius in E/Tb, 16.9.1896: „die edlen und liebenswürdigen Damen Wendt und Jungius". Sie werden immer gemeinsam erwähnt, tauchen in den E/Tbn 1891, 1896, 1903 öfters auf. Vermutlich gehört Frl. v. Wendt in den weiteren Familienkreis der Droste. Der Bruder der Dichterin, Werner Konstantin von Droste-Hülshoff, heiratete 1826 Karoline von Wendt-Papenhausen. Die Familie derer von Wendt gehört zum katholischen westfälischen Uradel. 64f., 75-77, 82, 96 Wertheimstein, Josephine von. 1820 (Brünn) - 1894, geb. Gomperz, heiratet 1843 den Bankier Leopold v. Wertheimstein, führt etwa ab 1870 einen Salon, der zu einem geistigen Zentrum Wiens wird. Seelische und körperliche Zerrüttung durch den frühen Tod ihres Sohnes Carl. In dieser Zeit führt die ebenfalls psychisch labile Tochter Franziska, 1844 (Wien) - 1907, den Salon alleine weiter, später wieder gemeinsam mit ihrer Mutter. 465, 468 Wichmann, Franz. 25.8.1859 (bei Hannover) - ? Schriftsteller. „Der Dichter hat die Welt schon durch gar manches liebenswürdige Erzeugnis seiner Schaffenskraft erfreut, reizende Erzählungen, Lyrisches und Episches, meist freilich in den besseren Unterhaltungsblättern zerstreut" (Maack: Novelle, S. 316). 235, 411 Wickenburg, Albrecht Graf von. 4.12.1838 (Graz) - 17.12.1911. Jura-Studium in Wien, 1860-1863 im staatlichen Verwaltungsdienst tätig. Zog sich 1863 ins Privatleben zurück. Unternahm ausgedehnte Reisen. Lyriker, Dramatiker, Erzähler und Ubersetzer. 465, 468 Wickenburg, Wilhelmine Gräfin von. 8.4.1845 (Ofen/Ungarn) - 22.1.1890. Geborene Gräfin von Almasy, in Wien ausgebildet, 1867 Heirat mit Wickenburg, Albrecht Graf von; Lyrikerin, Erzählerin und Dramatikerin. 465, 468, 480 Wolfskeel. Die Stiefmutter Emmy v. Dincklages war eine geborene Wolfskeel. Angehörige dieser Familie gehörten zum Kreis um Theo und Emmy. (vgl. Brief Emmys v. 18.5.1882, oben S. 302 und 305, Anm. 2.) 97f., 235, 302, 305, 339f.