Kritische Texte und Deutungen: Band 7 Gesellschaftsdramen, Künstlerdramen, Lustspiele und Einakter 9783110233070, 9783110233063

Marie von Ebner-Eschenbach (1830‑1916) was not only a novelist, but also a dramatist who wrote pieces for the theatre fr

187 62 8MB

German Pages 986 [988] Year 2010

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Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
Gesellschaftsdramen
Das Geständnis
Mutter und Braut
Künstlerdramen
Doctor Ritter
Die Schauspielerin
Lustspiele
Männertreue
Ohne Liebe
Die Selbstsüchtigen
Die Veilchen
Das Waldfräulein
Dialogisierte Novellen
Genesen
Ohne Liebe
Ein Sportsmann
Zwei Frauen
Einakter, „Dramatisches Sprichwort“, „Zweigespräch“
Am Ende
Bekenntniß
Ihre Schwester
Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen
Bettelbriefe
Marie von Ebner-Eschenbach und ihre Dramen
Backmatter
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Kritische Texte und Deutungen: Band 7 Gesellschaftsdramen, Künstlerdramen, Lustspiele und Einakter
 9783110233070, 9783110233063

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MARIE VON EBNER-ESCHENBACH KRITISCHE TEXTE UND DEUTUNGEN Begrndet von Karl Konrad Polheim Herausgegeben von Carsten Kretschmann und Jens Stben Gesellschaftsdramen, Knstlerdramen, Lustspiele und Einakter

MARIE VON EBNER-ESCHENBACH

KRITISCHE TEXTE UND DEUTUNGEN

Begrndet von Karl Konrad Polheim Herausgegeben von Carsten Kretschmann und Jens Stben SIEBTER BAND Gesellschaftsdramen, Knstlerdramen, Lustspiele und Einakter

De Gruyter

MARIE VON EBNER-ESCHENBACH

GESELLSCHAFTSDRAMEN, KNSTLERDRAMEN, LUSTSPIELE UND EINAKTER Kritisch herausgegeben und kommentiert von Marianne Henn

De Gruyter

ISBN 978-3-11-023306-3 e-ISBN 978-3-11-023307-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.  2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co., Gçttingen

¥ Gedruckt auf surefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Mit diesem Band der Historisch-Kritischen Ausgabe der Werke von Marie von Ebner-Eschenbach steht erstmals das gesamte überlieferte dramatische Werk Marie von Ebner-Eschenbachs zur Verfügung. Der vorliegende Band bietet ein vollständiges und kritisches Bild von achtzehn Dramen anhand der erhaltenen Handschriften und Drucke. Er schließt als verschollen geltende Dramen wie Die Schauspielerin, bisher unbekannte Einakter wie Das Bekenntniß und nie gedruckte dramatische Werke wie Das Geständnis, Mutter und Braut, Männertreue und Die Selbstsüchtigen ein. Ebner-Eschenbach verfasste zeit ihres Lebens dramatische Werke in einer Vielfalt von Gattungen, mit denen sie kreativ umging: historische Tragödien – enthalten in Band 6 der Historisch-Kritischen Ausgabe –, Gesellschafts- und Künstlerdramen, Lustspiele, Einakter, dramatische Sprichwörter und „Zweigespräche“ sowie ihre innovativen dialogisierten Novellen. Thematisch spiegeln die in dem vorliegenden Band enthaltenen Dramen die adlige und bürgerliche Gesellschaft wider und behandeln die vielfältigsten Themen wie das weibliche und männliche Künstlerdasein, Geschlechterbeziehungen, Freundschaften, aber auch naturalistische Themen wie sexuelle Gewalt. Der Band geht auf die Text-, Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der einzelnen Dramen ein und dokumentiert Aufführungen und Reaktionen in der Presse wie in der wissenschaftlichen Literatur. Dadurch entsteht – in Verbindung mit Band 6 – ein aufschlussreiches Bild des dramatischen Schaffens von Ebner-Eschenbach und seiner Rezeption. Da die Entstehungszeit der Dramen nicht in allen Fällen eindeutig festgelegt werden kann, wurden die Dramen innerhalb aller Gattungen alphabetisch geordnet. Mein Dank gilt Herrn Dr. Jens Stüben für die äußerst sorgfältige Durchsicht des Manuskripts. Außerdem bedanke ich mich herzlich bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Wienbibliothek, die an Ort und Stelle wie auch aus der Ferne immer sehr hilfreich gewesen sind. Schließlich danke ich Frau Birgitta ZellerEbert und Frau Sarah Schenkel vom Verlag Walter de Gruyter für ihre Unterstützung und Ratschläge. Toronto, Februar 2010

Marianne Henn

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

GESELLSCHAFTSDRAMEN Das Geständnis I.

Text: H

II.

Kritischer Apparat 1. 2.

Editorische Hinweise Zur Gestaltung von Text und Apparat

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Aufführungen und Reaktionen

3 73 75 75 77 79 80

Mutter und Braut I.

Text: H

II.

Kritischer Apparat 1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat

III.

Text- und Wirkungsgeschichte 1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte 2. Die Aufführungen und Reaktionen

83 149 151 151 153 155 156

KÜNSTLERDRAMEN Doctor Ritter I.

II.

Text: E2

161

Kritischer Apparat

181 183 183 183

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat 3. Fortlaufendes Variantenverzeichnis

VIII

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte 2. Die Aufführungen und Reaktionen

187 189 191

Die Schauspielerin I.

Text: H

195

II.

Kritischer Apparat

237 239 239

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte 2. Die Reaktionen

241 243 244

LUSTSPIELE Männertreue I.

Text 1. Männertreue (EK2) 2. Männertreue (J) 3. Männertreue, Dritter Aufzug (EK4)

249 250 300 350

II.

Kritischer Apparat

371 373 374 374

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat 3. Fortlaufendes Variantenverzeichnis

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte a. Der Erstdruck E mit Korrekturen (EK1, EK2, EK3) b. Der Druck J c. Der Erstdruck E mit Korrekturen und neuem dritten Akt (EK4) 2. Die Aufführungen und Reaktionen

377 379 379 380 382 383

IX

Ohne Liebe I. II.

Text: E

385

Kritischer Apparat

409 411 411

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung des Textes

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte 2. Die Aufführungen und Reaktionen

413 415 415

Die Selbstsüchtigen I.

Text: H1

419

II.

Kritischer Apparat

459 461 461 462

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat 3. Fortlaufendes Variantenverzeichnis

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte 2. Die Reaktionen

469 471 472

Die Veilchen I.

Text 1. Die Veilchen (E1) 2. Die Veilchen (E2)

475 476 497

II.

Kritischer Apparat

515 517 517

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte 2. Die Aufführungen und Reaktionen

519 521 523

X

Das Waldfräulein I.

Text 1. Das Waldfräulein (H1) 2. Das Waldfräulein (H2)

525 526 605

II.

Kritischer Apparat

683 685 685

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Die Aufführungen und Reaktionen

687 689 693

DIALOGISIERTE NOVELLEN

Genesen I.

Text: J

703

II.

Kritischer Apparat

719 721 721

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung des Textes

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Reaktionen

723 725 726

Ohne Liebe I.

Text: J

729

II.

Kritischer Apparat

755 757 757 757 757 758 759 759

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat 3. Sammelvarianten a. Vokalismus und Konsonantismus b. Groß- und Kleinschreibung c. Fremdwörter 4. Fortlaufendes Variantenvereichnis

XI

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Aufführungen und Reaktionen

761 763 764

Ein Sportsmann I.

Text: J

767

II.

Kritischer Apparat

777 779 779

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung des Textes

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Reaktionen

781 783 783

Zwei Frauen I.

Text: J

785

II.

Kritischer Apparat

797 799 799

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung des Textes

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Reaktionen

801 803 803

EINAKTER, „DRAMATISCHES SPRICHWORT “, „ZWEIGESPRÄCH“ Am Ende I.

Text: E

807

II.

Kritischer Apparat

821 823 823

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung des Textes

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Aufführungen und Reaktionen

825 827 828

XII

Das Bekenntniß I.

Text 1. Weißt du auch daß ich dich liebe? (H1) 2. Das Bekenntniß (H2)

833 834 843

II.

Kritischer Apparat

853 855 855

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Die Reaktionen

857 859 860

Ihre Schwester I. II.

Text: J

861

Kritischer Apparat

875 877 877

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung des Textes

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Reaktionen

879 881 881

Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen I.

Text: H

883

II.

Kritischer Apparat

897 899 899 899 900 900 901

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat 3. Sammelvarianten a. Vokalismus und Konsonantismus b. Fremdwörter 4. Fortlaufendes Variantenverzeichnis

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Die Aufführungen und Reaktionen

903 905 906

XIII

Bettelbriefe I.

Text: J

909

II.

Kritischer Apparat

927 929 929 929 929 930 930 931

1. Editorische Hinweise 2. Zur Gestaltung von Text und Apparat 3. Sammelvarianten a. Vokalismus und Konsonantismus b. Groß- und Kleinschreibung c. Fremdwörter 4. Fortlaufendes Variantenverzeichnis

III. Text- und Wirkungsgeschichte 1. 2.

Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Reaktionen

Marie von Ebner-Eschenbach und ihre Dramen 1. Die Dramen im Kontext der Gattung a. Das dramatische Werk Marie von Ebner-Eschenbachs b. Die dramatischen Gattungen c. Die Themenvielfalt des dramatischen Werkes 2. Die zeitgenössische Bühne und die Dramen a. Das dramatische Werk auf der Bühne b. Der Beruf einer Dramatikerin 3. Anhang: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs

Bibliographie 1. Quellen a. Textzeugen der Dramen b. Sammelausgaben der Dramen zu Lebzeiten c. Weitere Ausgaben der Dramen d. Dramenfragment, verschollene Dramen e. Briefe von und an Marie von Ebner-Eschenbach f. Tagebücher und autobiographische Schriften g. Rezensionen, Ankündigungen und Berichte in Zeitungen h. Sonstige Primärliteratur 2. Sekundärliteratur

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GESELLSCHAFTSDRAMEN

I. Text

Das Geständnis

(H)

[Das Geständnis] [Drama in vier Aufzügen]

Das Geständnis

6

PERSONEN Die verwittwete GRÄFIN VON WALLENFELD WALTER, ihr Sohn THECLA, seine Frau FRIEDRICH, sein Neffe OCTAVIE VON RANDAU BARON BERGTHAL MARQUIS VON L ANGIS HERR VON RHODE HERR VON WERNER CHARLOTTE, Kammerjungfer Thecla’s JOHN, Langis’ Groom FÖRSTER BEDIENTE

Erster Aufzug Parterre vor dem Schlosse, dessen einer Flügel im Hintergrunde sichtbar. Im Vordergrunde ein grosser Baum, am Fusse desselben ein Gartentisch, Bänke und Stühle.

Erster Auftritt DIE GRÄFIN, THECLA am Tische. Tusch und Händeklatschen hinter der Scene. Laute Bravorufe. WALTER, LANGIS, WERNER, FRIEDRICH, RHODE kommen. Alle Herrn ausser WERNER und LANGIS im Jagdcostüme.

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WALTER Langis vorführend. Da ist der Sieger! THECLA. Wir bewundern, Herr Marquis. WALTER. Mit Recht! mit Recht! WERNER. Ganz außerordentlich! FRIEDRICH. Die Distanz vierzig Schritte, das Ziel ein ausgeblasenes Ei, und dieses Ziel trifft er so unfehlbar wie wir eine klafterhohe Scheibe. Sechsmal erneuern wir’s und ... RHODE ihn unterbrechend, hämisch. Und sechsmal stirbt – ein ausgeblasenes Ei. ’s ist ungeheuer! FRIEDRICH. Ich bin dein Schüler, Langis. Du mußt mir Unterricht geben. Ich habe eine Leidenschaft für das Pistolenschießen. RHODE. Aber eine unglückliche. Zu Langis. Schießen Sie auf Hühner so gut wie auf Eier? LANGIS. Auf Menschen besser als auf beide, Herr von Rhode. FRIEDRICH. Das beweist die Geschichte seines letzten Duells in Paris. Kennen Sie diese Geschichte? RHODE. Mein Gott ja, ich glaube. THECLA. Ich kenne sie nicht. RHODE leise zu ihr. Um so besser! – für eine Dame. THECLA fortfahrend. Ich kenne sie nicht, und hörte sie gerne erzälen. Am liebsten von ihrem Helden selbst. RHODE leise zur Gräfin. Es ist unerlaubt, wie man hier diesen Langis verwöhnt. LANGIS. Es war die einfachste Geschichte von der Welt, Madame. Ein Mann, der sich durch mich beleidigt glaubte – RHODE. Mit Unrecht natürlich! Lacht und zuckt die Achseln. LANGIS mit einem strengen Blick auf Rhode. Mit vollem Unrecht – Rhode schweigt. schickte mir eine Einladung nach dem bois de Vincennes. Ich hatte mir vorgenommen, ihn nicht zu treffen und durchschoß seinen Hut. Es war ein kleines graues Wunder von einem Hut,

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Das Geständnis

mein Gegner hatte ihn den Tag zuvor aus England bekommen. Als er ihn beschädigt sah, ward er wütend, hob die Pistole, und zielte – wahrhaftig, Madame – er zielte nach meinem Herzen. Doch war er kein besonderer Schütz und seine Kugel streifte mir nur die Seite. „Was?“ rief ich ihm zu, „Sie sind damit nicht zufrieden, daß ich Ihres Kopfes schone, Sie fordern auch noch Schonung für Ihren Hut? – Wolan, sie sei gewährt!“ Und meine zweite Kugel fuhr so genau durch dieselbe Stelle, welche die erste durchbohrt hatte, daß die Öffnung nicht um ein Haar breit erweitert wurde. WALTER klopft Langis auf die Schulter. Zu stark, Langis! LANGIS. Diese Rücksicht für die Kopfbedeckung rührte ihren Eigenthümer. Er reichte mir die Hand. Die Fensterchen aber, die ich an seinem Hute angebracht, ließ er mit kleinen Ringen einfassen und erfand so – die Hüte mit Ventilations-Apparat, die heutzutage alle Welt trägt. Sehen Sie nur, Gräfin, alle diese Herren haben solche Hüte auf. RHODE zwischen den Zähnen. Wie abgeschmackt! Er setzt sich zur Gräfin. THECLA zu Langis. Ich bat um eine Geschichte, und Sie erzälen ein Märchen. RHODE leise zur Gräfin. Und noch dazu ein albernes. LANGIS zu Thecla. Sie fordern doch nicht im Ernste von mir, daß ich meine eigene Geschichte erzäle? – Lügen will ich nicht, so muß ich denn erfinden. FRIEDRICH zu Thecla. O nein, Cousine! nein! a l l e s das ist nicht erfunden; ein Duell hat statt gehabt, und der Herr, mit dem sich Langis schoß, war – LANGIS. Keinen Namen, wenn ich bitten darf. RHODE. Ganz Paris nannte ihn im vorigen Sommer, sagt man. LANGIS. Sonderbar, Herr von Rhode, vor mir ist er kein einziges Mal genannt worden, und ich brachte doch die Hälfte des vorigen Sommers in Paris zu. WALTER. Nun, Langis, er soll auch hier nicht genannt werden. THECLA leise zu Langis. – Der Mann nämlich. Die Frau jenes Mannes aber, hieß sie nicht – Octavie? ... LANGIS leise und bittend. Gräfin! WALTER. Wir schwatzen und schwatzen, und noch immer wartet unser Überwinder auf den versprochenen Lohn. THECLA. Worin soll er bestehn? WALTER. Deine Sache. Du wolltest für den Dank sorgen. RHODE halblaut zur Gräfin. Weil sie wußte, wer ihn verdienen würde. GRÄFIN streng. Herr von Rhode! THECLA nimmt ein Band aus ihrem Arbeitskorbe. Kommen Sie, Herr Marquis. FRIEDRICH. Ach, Cousine, warum zitterte mir die Hand? THECLA indem sie sich anschickt, Langis das Band anzuheften. Gut für einen Ehrenbecher. In acht Tagen löse ich den Wechsel ein. LANGIS lachend. Auf meinen Knieen – THECLA. Überflüssig! ich reiche zu Ihnen hinan.

I. Text

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LANGIS. Sagen Sie: Ich überrage! Leise und ernst. So werfe ich mich in Gedanken vor Ihnen nieder. THECLA. Auch das ist überflüssig. GRÄFIN zu Rhode, der Thecla und Langis beobachtet. Mein Tuch liegt neben Ihnen auf der Erde, ich bitte darum. Rhode bückt sich um das Tuch aufzuheben. LANGIS leise zu Thecla. Erlauben Sie, daß ich Sie in der Stille anbete, sonst thu’ ich’s laut. EIN DIENER tritt auf. Baron Bergthal ist so eben angekommen. WALTER. Pünktlich, wie immer. THECLA zum Diener. Das Frühstück, sogleich. Diener ab. WALTER der mit Werner an die entgegengesetzte Seite der Bühne getreten und eifrig mit ihm gesprochen hat. Lesen Sie die Briefe, die für mich eintreffen; – wenn es notwendig ist, so lassen Sie den Sekretär die Antworten besorgen, ohne meine Rückkehr von der Jagd abzuwarten. WERNER. Schon gut. Die Blätter wissen noch nichts von der bevorstehenden Veränderung im Ministerium, wir ignoriren sie auch. BERGTHAL kommt, in Jagdkleidern. Da bin ich, fünf Minuten nach zehn Uhr. – Welch’ ein Tag, Hochsommer im October! Schüttelt Walter die Hand, verneigt sich vor Thecla und der Gräfin. Frau Gräfin! liebe Thecla! THECLA. Willkommen, lieber Bergthal! WALTER. Willkommen allen. – Du siehst lauter gute Bekannte. Da steht der einzige Fremde. Deutet auf Langis. BERGTHAL auf Langis zugehend. O wir kennen uns! Reicht Langis die Hand. Ich bin entzückt, lieber Freund! Leise zu Walter. Wie heißt er? WALTER. Marquis von Langis. BERGTHAL. Der Sekretär? WALTER. Ganz recht. BERGTHAL. Der berühmte Langis? Der neue Robin Hood? Der Pferdebändiger? Der Don Juan? WALTER. Derselbe. BERGTHAL. Der Langis, wegen dessen die Gräfin Louise ihren Mann verließ und die Fürstin Camilla zu dem ihren zurückkehrte? der Langis, welcher die ... WALTER. Derselbe! derselbe! Das Frühstück wird gebracht. BERGTHAL schüttelt Langis’ Hand. Ich bin w i r k l i c h entzückt. LANGIS. Herr Baron, Sie ... BERGTHAL. O nur keine Förmlichkeit auf dem Lande, kein „Sie!“– „Du!“ wenn ich bitten darf – THECLA. Aber, Bergthal – schon wieder! – Zu Langis. Wissen Sie etwas von diesem neuen Freund? LANGIS. Nichts, als daß ihn offenbar Gott sendet, denn er fällt mir vom Himmel.

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Das Geständnis

THECLA. Es ist Baron Bergthal. LANGIS. Ah – der Lebemann, der Millionär? – ein großer Herr mit den Manieren eines Studenten – THECLA. Nun sehn Sie, Sie kennen ihn doch! LANGIS. Ich habe von ihm gehört. THECLA. Wo? – LANGIS zögernd. – Bei – bei – – THECLA. Genug. Ich verstehe. Ja, er hat seine Schwächen, wie Sie – gehört haben. Eine davon ist, Leute, die er zum ersten Male sieht, um das brüderliche „Du“ zu bitten, – wie Sie gleichfalls gehört haben. Er ist so kurzsichtig, daß er auf zehn Schritte einen Hasen nicht von einer Kuh unterscheidet, und dabei ein leidenschaftlicher Jäger. Seine Frau – LANGIS. Wie? er ist verheiratet? THECLA. Mein Gott ja, aber so wenig, daß es kaum der Mühe lohnt, davon zu sprechen. – Wendet sich gegen Bergthal. Und wie geht es der Baronin? BERGTHAL. Welcher Baronin? THECLA. Ihrer Frau. BERGTHAL. O sehr gut! wie ich glaube. THECLA. Bergthal! Bergthal! wie lange haben Sie wieder Ihre Frau nicht gesehen? BERGTHAL. Ich muß bitten! ich begegnete ihr erst neulich auf der Promenade. LANGIS. Nun, es hätte ihr gewiß nicht leicht etwas Angenehmeres begegnen können. BERGTHAL. Ihr wol nicht, aber mir. LANGIS. Das sind die Ehemänner! – Weißt Du was, Bergthal? Deine Frau flößt mir das größte Interesse ein. BERGTHAL. Nicht möglich! Du kennst sie? LANGIS. Ich werde Dich bitten, mich ihr demnächst vorzustellen. Mein Beruf ist, mich der Verlassenen anzunehmen. THECLA zu Bergthal. Da geschieht Ihnen Recht! BERGTHAL. Aber meine Frau ist keine Verlassene. Wenn ich nicht immer bei ihr bin, so geschieht das – aus Liebe. Ich theile die Menschen in zwei Classen, in solche, die ich lieber habe, wenn ich sie sehe, und in solche, die ich lieber habe, wenn ich sie nicht sehe. Da nun meine Frau zu der zweiten Classe gehört, so begreifen Sie, daß ich von ihr nur fliehe, um sie mehr zu lieben. – Aber unter anderm ... Walter! – Eine große Neuigkeit – fasse Dich, – bereite Dich vor, ungeheuer überrascht zu werden – WALTER. Wodurch denn? BERGTHAL. Heut über acht Tage trägst Du ein Portefeuille unter dem Arm. LANGIS. Das Ministerium des Äußern ... WALTER fällt ihm ins Wort. Geschwätz! Geschwätz!

I. Text

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BERGTHAL. Niemand zweifelt mehr an Deiner Ernennung. Ich gratuliere im voraus Zu Thecla. der Frau Ministerin. THECLA. Wär’s wirklich so weit? – Und – Walter, Du sagst mir davon kein Wort? WALTER. Wie sollt’ ich! – Bergthal plaudert da von Chimären. Überdies hast Du keinen Sinn für dergleichen Angelegenheiten. THECLA. Ich – keinen Sinn für {dergleichen} Angelegenheiten, die Dich so nah betreffen?! BERGTHAL. Noch etwas Neues. Der Präsident Fernau war sterbend. LANGIS. Ach der arme Präsident! BERGTHAL. Aber er erholt sich. LANGIS. Ach die arme Präsidentin! BERGTHAL. Und nun das Allerneueste! Zu Thecla. Ich melde einen Gast für heut Mittag: Octavie Randau, Ihre Nachbarin. ALLE HERRN. Octavie Randau? BERGTHAL. Wir fuhren in demselben Coupé und trennten uns auf der letzten Station. WALTER. Und sie kommt? BERGTHAL. Zur Tafel um sieben Uhr. RHODE. Vortrefflich! – eine charmante Person diese Octavie. BERGTHAL. Eine Künstlernatur, lebendig, warm – RHODE. Sehr – warm! LANGIS. Was sagen Sie, Herr von Rhode? RHODE. Nichts, Herr von Langis. LANGIS. Das ist das geistreichste was ich noch von Ihnen gehört habe. Rhode will auffahren. GRÄFIN legt die Hand auf seinen Arm. Ich bitte Sie! THECLA. Seltsam – was führt so plötzlich diese Frau hie her? – Seit zwei Jahren stand ihr Schloß verödet. Leise und kalt zu Langis. Dieser Besuch gilt wol Ihnen, Herr Marquis? – LANGIS im natürlichen Tone. Gewiß nicht, Frau Gräfin. Jene Dame, welche die Bedeutendsten vergeblich zu erringen strebten, wird einem Unbedeutenden nicht entgegenreisen. Draussen Jagdfanfare. FÖRSTER kommt. Die Jagdordnung, Herr Graf. Vertheilt die Jagdordnungen. DIENER meldend. Die Wagen sind bereit. BERGTHAL aufspringend. „Hörst Du das {Jagd}〈Hift〉horn, hörst Du es klingen?“ WALTER. Der erste Trieb im Bergrevier, der zweite im nahen Gehölz. Wir behalten die Wagen, um zurückzufahren. DIENER zu Langis. Das Pferd ist gesattelt. Ab. WALTER zu Langis. Du reitest wieder den Bob?

Das Geständnis

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LANGIS. Wie alle Tage. WALTER. Thu’s nicht, Langis, Du brichst auf dem tückischen Thiere noch den Hals. LANGIS. Oder ich bändige es. WALTER. Unmöglich. Gib die Kunstreiterei auf, und komm, jage mit uns. LANGIS. Ich schieße nicht auf Thiere, die vor mir davonlaufen. Ich führe keinen Krieg mit Hasen und Rehen. Der Krieg mit Bob ist mir lieber, Bob wenigstens steht seinen Mann. RHODE. Äußerst originell, wie immer! – Und seit wann, wenn man fragen darf, schießen Sie nicht mehr auf Hasen und Rehe? LANGIS. Seitdem ich in Russland einen Bären schoß, den ich – d a m a l s für den größten in Europa hielt. BERGTHAL legt den Arm um Rhode’s Schultern. Komm, mein Allerbester! Er führt ihn fort. – Förster schliesst sich ihnen an. Die Gräfin und Thecla sind aufgestanden und mit Werner, Walter, Langis und Friedrich in den Vordergrund getreten. Bergthal, Rhode ab nach rechts. WALTER küsst seiner Mutter die Hand. Leb’ wol, liebe Mutter! GRÄFIN. Waidmanns heil! FRIEDRICH der zu gleicher Zeit sich Thecla genähert, drückt inbrünstig ihre Hand. Cousine! THECLA zerstreut. Adieu, mein Kind. FRIEDRICH. Kind – oh! – THECLA. Auf Wiedersehn, Walter. WALTER. Kommst Du nicht mit, bis zur Terrasse? THECLA. Wenn Du willst. Sie gehen. FRIEDRICH der Langis’ Arm genommen. Wenn sie nur nicht immer sagen würde: „Mein Kind“ – das macht mich wütend! – Ab mit Langis.

Zweiter Auftritt DIE GRÄFIN. W ERNER.

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GRÄFIN. Sie legen sich doch nicht die Verpflichtung auf, mir Gesellschaft zu leisten? Meines Bleibens ist nicht lange. Die letzten Stiche an meiner Arbeit, und ich gehe. WERNER. Ich warte gern. Um so mehr als – Mit einer plötzlichen Wendung. Wie gefällt Ihnen Langis? Sie kennen ihn nun seit vierzehn Tagen. GRÄFIN. Langis? – Ein seltsames Gemisch von Unbefangenheit und von List, von Ernst und Frivolität – WERNER. Wie gefällt er Ihnen?

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GRÄFIN. Gut – vielleicht sehr gut! – Ich stehe wie alle andern unter dem Zauber seiner Liebenswürdigkeit. Bringt er mir nicht täglich das Opfer, eine Partie Schach mit mir zu spielen! er, der beste Spieler den ich kenne, mit mir, der schlechtesten Spielerin die es gibt! – Auch bin ich bestochen durch die unbedingte Höflichkeit, die er jeder Frau erweist, und wäre sie noch so häßlich und 〈wäre sie〉 noch so unbedeutend. Ich sah ihn neulich sich vor der alten Kammerfrau Charlotte so ehrfurchtsvoll verbeugen als sei er einer Königin begegnet. Dafür blickte sie ihn aber auch an, mit einem Ausdruck begeisterter Dankbarkeit, der deutlich sprach: Für den ging ich durch’s Feuer! – Mit einem Gruße unterwarf sich Langis ein Herz. WERNER. Er wird von dieser Eroberung keinen Gebrauch machen. GRÄFIN lächelnd. Das glaub’ ich selbst. WERNER. Wäre die alte Charlotte verheiratet – wer weiß? – sie besäße dann doch e i n e n Reiz in seinen Augen, den der verbotenen Frucht. Steht auf. Also – er gefällt Ihnen, dieser Langis! – GRÄFIN. Und Ihnen? WERNER. Mir nicht. Ich erschrecke vor dem Einfluß, den er auf Friedrich nimmt. In wenig Monaten soll mein Neffe unserer Gesandtschaft in Paris attachirt werden; da meint er denn, in Langis’ Fußstapfen treten, hieße sich am besten für die Carriere vorbereiten. Der Legationssekretär ist wie eine Sonne aufgegangen an seinem beschränkten Horizont. Was jener thut, ist nachahmenswert. Und er treibt das Nachahmen schon weit; mich wundert, daß es Ihnen nicht auffällt, w i e weit er es treibt ... GRÄFIN. Mir? – was sollte mir auffallen? WERNER für sich. Zum Verzweifeln! – Laut. Es sollte Ihnen auffallen, daß Friedrich, fortwährend von Langis’ Glück bei Frauen hörend, das seine nun auch bei einer Frau versucht, und zwar – bei der Ihres Sohnes. GRÄFIN legt ihre Arbeit zusammen. {Ich bin fertig.} 〈So, das wär’s.〉 WERNER für sich. Verwünschte Ruhe! Laut. Friedrich ist kein Genie, aber er ist ein hübscher, mutiger Bursche. ... Wachen Sie über Ihre Schwiegertochter! GRÄFIN steht auf. Genug des Scherzes, mein lieber Vetter und alter Freund. Wenn ich mir denken könnte, daß Sie im Ernste zu mir sprechen – aber ich kann es mir n i c h t denken – würde ich Ihnen antworten: Eine Tugend die man überwachen müßte, wäre der Wache nicht wert. WERNER. Sie sind sehr zuversichtlich. GRÄFIN. Ich darf es sein, meine Tochter ist eine tadellose Frau. WERNER. Ist sie auch eine glückliche Frau? – Nein, denn ihr Mann vernachlässigt sie. Die Gräfin will reden, er kommt ihr zuvor. Nicht um anderer Frauen willen, ich weiß! – allein gleichviel, es geschieht! – Meine Überzeugung aber ist, es gibt für ein junges, schönes Weib n u r e i n e n 〈wäre sie〉 üdZ, eingewiesen nach und.

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vollkommen sicheren Schutz vor jeder Herzensverirrung: – häusliches Glück. Alles andere, Pflichtgefühl, Religiosität, Mutterliebe, können in gewissen Fällen auch die Beste im Stiche lassen. ... GRÄFIN. Reden Sie nicht weiter! Ich weise jeden, auch den leisesten Verdacht gegen die Gattin meines Sohnes {auf das entschiedenste} zurück. Ich kenne sie. WERNER. Man kennt eine Frau niemals, wenn man selbst eine Frau ist; am wenigsten aber, wenn man eine Frau ist wie Sie. – Sie halten das Unrecht für unmöglich, weil Sie es niemals denken konnten. ... GRÄFIN peinlich bewegt. Ich ersuche Sie dringend – WERNER fortfahrend. Sie legen I h r e n Maßstab an alle übrigen und vergessen – GRÄFIN wie oben. Nichts – o beim Himmel! – nichts. ... WERNER. Und vergessen, daß es keine zweite Gräfin von Wallenfeld gibt. GRÄFIN. Leben Sie wohl. WERNER. Sie gehen? – GRÄFIN. Unser Gespräch ist zu Ende. WERNER. Und die Zeit Ihres Spaziergangs gekommen. Ich begleite Sie. Beide ab nach links.

Dritter Auftritt

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LANGIS’ Stimme hinter der Scene. John! Hörst Du nicht? LANGIS tritt auf von rechts. John! JOHN kommt gelaufen. Monsieur befielt? LANGIS. Wo bist Du? warum bleibst Du nicht im Stalle? JOHN. Monsieur waren zu Pferde gestiegen, und ich glaubte, Monsieur würden meiner nicht mehr bedürfen. LANGIS. Und da liefst Du hinüber zur hübschen Gärtnerstochter? – Was? JOHN. Monsieur – LANGIS. Thut er nicht verschämt, der Spitzbube? – Geh in mein Zimmer; hole mir die Hetzpeitsche und scharfe Sporen. Rasch. JOHN. Zu Befehl, Monsieur. Ab nach rechts. LANGIS setzt sich an den Tisch. Seinen zerbrochenen Reitstock betrachtend. Mit Sanftmut richtet man bei Bob nichts aus. Liebevollen Mahnungen gibt er kein Gehör. Thecla’s Arbeit auf dem Tische erblickend. Die Arbeit der schönen Gräfin. Mit Absicht hier gelassen? – dann kommt sie wieder. ... Oder vergessen? – dann wird sie sich ihrer erinnern und sie holen lassen. Durch Mademoiselle Charlotte? – Ich gehe! – Oder selbst holen? – Ich bleibe!

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JOHN kommt mit Peitsche und Sporen. Hier, Monsieur. LANGIS. Schnall’ an! Während ihm John die Sporen anschnallt, Thecla’s Arbeit betrachtend. Ich liebe die Frauen, die gern arbeiten. Frauen, die arbeiten, sind sanft, weiblich, geduldig, sie rauchen nicht. – Hätt’ ich Glück, die Gräfin käme, und ... Sieht in die Coulisse. Ich h a b e Glück. Springt auf. JOHN. Der zweite Sporen, Monsieur. LANGIS. Später. Geh – nimm dem Stallknecht den Bob ab. – Geh. John ab.

Vierter Auftritt LANGIS. THECLA von links.

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THECLA. Sieh da, Herr von Langis! – Ich glaubte, Sie wären fortgeritten. LANGIS. Ich kam zurück, um John einen Auftrag zu geben, und hier ... THECLA. Nun – hier? LANGIS. Hier begegnete mir ... THECLA. Wer denn? LANGIS. – Ihre Arbeit, Gräfin, die Sie vergessen haben. THECLA. Meine Arbeit? LANGIS. Ich hoffte, Sie würden kommen, um sie abzuholen, und diesen Augenblick wartete ich ab. THECLA sieht ihn an. So? – Nach kurzer Pause. Der Augenblick ist vorüber, warten Sie nicht mehr. LANGIS. Ich gehorche. Verbeugt sich und will gehn. Plötzlich stehen bleibend. Ei! THECLA die sich an den Tisch gesetzt hat. Was gibt’s? LANGIS. Ihre Schwiegermutter, die eben mit Baron Werner über die Terrasse geht. Erlauben Sie mir zu bleiben, bis sie vorbei geschritten. THECLA. Fürchten Sie sich vor meiner Schwiegermutter? LANGIS. Sie verkühlt mir das Herz. Ihre marmorne Ruhe hat etwas unheimliches. THECLA. Finden Sie das auch? LANGIS für sich. Auch! – Laut, indem er sich setzt. Und die Gräfin ist immer bei Ihnen? Sie trennen sich niemals von ihr? THECLA. Niemals. LANGIS. Bewunderungswürdig! aber – unangenehm. THECLA. Nicht im geringsten; meine Schwiegermutter ist die anspruchloseste Frau von der Welt. Ich glaubte, Sie wären ] Ich glaubte, sie wären Schreibfehler

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LANGIS. Das ist schlimm. THECLA. Die nachsichtigste. LANGIS. O schrecklich! THECLA. Die friedliebendste. LANGIS. Also anbetungswürdig, und Sie müssen anbeten. Da bleibt nichts übrig, als in stummer Andacht das Haupt zu beugen. THECLA. Sie fordert’s nicht. LANGIS. Zehnfacher Grund, es zu thun! THECLA. Sie stellt sich immer an den zweiten Platz. LANGIS. Hundertfache Verpflichtung, ihr den ersten einzuräumen! THECLA. Sie spricht nie einen Wunsch aus. LANGIS. Tausendfache Ursache, allen ihren Wünschen zuvorzukommen. O glauben Sie mir, es ist ein Unglück, daß die bösen Schwiegermütter aussterben, mit den guten hat man einen viel schwereren Stand. THECLA. In dieser Flut von Irrthümern schwimmt ein Tröpfchen Wahrheit. LANGIS. Wie edel sind Sie, n u r so viel, und wie gerecht, d o c h so viel zuzugeben! Ich bin voll Bewunderung. THECLA. Noch einmal? – Sie wiederholen sich, Herr von Langis! LANGIS. Man findet nicht immer verschiedene Ausdrücke für das immer gleiche Gefühl. THECLA. Ein Dichter sollte diese Kunst verstehn, und man sagt, daß Sie ein wenig Dichter sind. LANGIS. Darf ich fragen, wem ich’s verdanke, so verläumdet zu werden? THECLA. Ihren Freunden und Freundinnen, unter andern – Octavien. LANGIS. Hätt’ ich doch nie geglaubt, daß sie eine böse Zunge ist. THECLA. Sie glauben es auch jetzt nicht, und damals als Sie Octavien liebten – LANGIS. Ich l i e b t e sie nicht! – Heiterkeit, gute Laune, sehr oft ein lustiger Einfall, manchmal ein ernsthaftes Wort – darin bestand der Austausch, der zwischen uns stattfand. An Liebe dachte weder sie noch ich. THECLA. Gewissenlos, und dabei – ritterlich. Sie sind ein sonderbares Problem, Langis. LANGIS. An mir ist nichts sonderbar, und ich bin kein Problem. Ich bin ein Produkt: – das Produkt meiner inneren Verhältnisse. THECLA lächelnd. Ihrer Seelen- und Herzensverhältnisse also? Und von diesen lassen Sie sich bestimmen, frei nach Goethe? Sie haben nie versucht, ihrer Herr zu werden? LANGIS. Ich habe die Fruchtlosigkeit eines solchen Unterfangens eingesehen. THECLA. Bei welcher Gelegenheit? LANGIS. Bei Gelegenheit meiner ersten Liebe. THECLA. Das ist wol lange her? daß Sie ein ] daß sie ein Schreibfehler

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LANGIS. Es könnte gestern gewesen sein. THECLA. Der Gegenstand dieser Liebe war? LANGIS für sich. Sieh da – neugierig? – Laut. Meine Cousine, und die mir von meinem Oheim bestimmte Braut. THECLA. Braut?! – Sie wollten sich vermälen? ... Und Sie liebten Ihre Braut? LANGIS. Und ich war glücklich, so blind glücklich, daß ich nicht sah, daß ich a l l e i n es war. Am Verlobungstage warf sich die arme Anna zitternd in meine Arme, und beschwor mich, sie – vor mir zu retten. Mir vertraute sie in ihres Herzens Angst, was sie ihrem Vater nicht zu vertrauen wagte – ihre Liebe zu einem andern. Rasche Hilfe that Not. Ich erklärte meinem Onkel, meine Neigung für Anna sei erloschen. Er befahl mir, sie wieder anzufachen. Ich erschien nicht bei der Verlobung. Er drohte – ich entführte eine Tänzerin; er enterbte mich – ich ging nach Africa. Anna heiratete meinen Nebenbuhler. – Ich sah sie wieder, die ich liebte! – die ich von mir befreit und von der ich mich nicht zu befreien vermochte! Und – sehn Sie – wenn ich unter allen Frauen keine, wie s i e begehrte, so war auch keine, der ich’s weniger gestehn wollte. Zwischen uns lag ein Abgrund, den ich mit meiner Ehre hätte ausfüllen müssen: – Ihr Vertrauen. THECLA. Sie sprechen da ein edles Wort, Langis. LANGIS. Edel? – Ach bah! – ein ganz natürliches – und ich wiederholte mir’s immer! immer! – Umsonst. – Sie war da, diese unmögliche Leidenschaft, da! – trotz mir – freudverderbend, lästig. Und sie hatte eine Macht über mich, lächerlich, zum Erbarmen! THECLA. Und Sie lieben sie noch, jene Frau? LANGIS. Ich denke nicht mehr beständig daran. Seitdem ich aber die Ohnmacht des Willens gegenüber der Leidenschaft erkannte, kämpfe ich gegen keine Leidenschaft mehr an. Verliebe ich mich jetzt, so gibt’s für mich nur zwei Dinge zu überwinden: die Gleichgültigkeit der Geliebten, oder die Hindernisse, die mich von ihr trennen. Aber in das Glutmeer der Leidenschaft stürze ich mich ohne Zögern, kopfüber hinein, und juble wenn seine Wellen über mir zusammenschlagen. THECLA. Und Anna ist vergessen. {LANGIS. O nein! THECLA. Vergessen und ersetzt.} LANGIS. Glauben Sie das nicht. Nichts ersetzt sich im Leben. An die Stelle einer Liebe tritt nie eine andere, jede hat ihren besonderen Platz. O man weiß nicht, wie viele in einem Herzen Raum haben! THECLA. In „einem“?? – Sie sprechen nämlich von dem Ihrigen. LANGIS. Das meine ist nur ein Exemplar einer sehr zahlreichen Gattung. Wir Menschen sind einander viel ähnlicher als man glaubt. Und darum: – weil ich über mich die Wahrheit weiß, weiß ich sie so ziemlich über jeden und – jede!

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THECLA. {Viel gesagt.} 〈– Eine starke Behauptung.〉 LANGIS. Keine z u starke. Soll ich es Ihnen beweisen? – – Sie sind nicht glücklich Gräfin. Sie will reden. Erniedrigen Sie sich 〈nicht〉 zu {k}einer Lüge! – Sie können nicht glücklich sein! Sie sind jung und liebenswert, Ihre Umgebung ist das Alter und die Gleichgültigkeit. ... THECLA. Ich habe meine Kinder. LANGIS. Sie sehn wol, daß Kinder das Herz nicht ausfüllen, denn das Ihre ist unausgefüllt. Thecla, holde Frau! nehmen Sie die Freundschaft an, die ich Ihnen biete. Das Weib ist – was auch die Gemeinheit schwatze – eben so fähig, eine starkmütige Freundschaft zu empfinden, wie der Mann. Lassen Sie uns Freunde sein! Ich b i n Ihr Freund – und hoffe es immer zu bleiben. Ich hoffe, sag’ ich, denn ich will mich nicht besser machen als ich bin – g e w i ß weiß ich’s nicht, ob ich nicht einmal werde mehr sein wollen. Das aber weiß ich gewiß: In diesem Augenblicke sind Sie mir wie eine Schwester. THECLA. Sie führen eine sonderbare Sprache. LANGIS. Sie sollen ganz sicher sein. Ich gebe Ihnen mein feierliches Wort. Wenn jemals meine Freundschaft für Sie sich in – Er stockt. – in ein anderes Gefühl zu verwandeln droht, so bekenn’ ich’s offen – und dann liegt die Bestimmung über meine Zukunft in Ihrer Hand. Ein Wort – ein Wink, und ich gehe, und wir sehn uns niemals wieder. Wollen Sie’s auf diese Bedingung wagen? THECLA. Ich muß ja wol. Sie halten sich sonst für allzu gefährlich, und ich mindestens will Ihnen zeigen, daß Sie es doch weniger sind als Sie glauben. LANGIS. Freundschaft also – bis in den Tod! THECLA. Gedenken Sie am letzten Tage Ihres Urlaubs zu sterben? LANGIS. Ich nehme meine Freundschaft mit in die fremde Ferne. THECLA mit erzwungener Heiterkeit. Wenn sie noch lebt bis zur Abreise. LANGIS. Die Freundschaft ist nicht die Liebe, sie stirbt niemals. THECLA. Die Trennung tödtet auch sie. LANGIS für sich. Bewegt? – Ja bewegt – beim Himmel! – Laut. Theure – Will auf sie zueilen, sie tritt stolz zurück. Langis bleibt stehen. Freundin! THECLA kalt. Meine Schwiegermutter muß längst vorüber sein. LANGIS verbeugt sich. Leben Sie wohl, Gräfin. Will gehen. THECLA. Langis! LANGIS. Frau Gräfin? THECLA. Und seien Sie vernünftiger als Bob. Der Klügere gibt nach, sagt man. Keine Tollkühnheit. Daß ich den kaum gewonnenen Freund nicht noch vor Ende seines Urlaubs verliere.

sind Sie mir ] sind sie mir Schreibfehler Tage Ihres Urlaubs ] Tage ihres Urlaubs Schreibfehler

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LANGIS. Theure Freundin! Küsst ihre Hand. Im Abgehn für sich. Wär’s möglich? – diese Frau? – Vorwärts, mein wilder Bob, Du trägst Caesar und sein Glück! Ab.

Fünfter Auftritt THECLA allein.

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THECLA. – Freundschaft wäre das, was in meinem Herzen für ihn spricht? ... Wenn es Freundschaft ist, nun so darf ich’s ja empfinden! ... Nach einer Pause. Einst sagte man mir: „Wenn Dein Mann einmal aufhört, Dein Liebhaber zu sein, wird er anfangen, Dein Freund zu sein.“ – Damals erschrak ich vor dem Gedanken, daß jemals ein Tag kommen könne, an dem Walter für mich nichts mehr übrig haben würde, als arme, kühle Freundschaft, – und jetzt, jetzt gibt es Augenblicke, wo ich mich reich dünken würde, wenn ich besäße, was mir damals so wenig schien.

Sechster Auftritt DIE VORIGE. GRÄFIN.

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GRÄFIN. Ich suchte Dich im ganzen Hause. THECLA. Was befehlen Sie? GRÄFIN reicht ihr die Hand. Dein Hochzeitstag, Thecla – THECLA warm. Mutter – Sie denken dran? GRÄFIN. Im Auftrage Deiner Kinder, liebe Tochter – THECLA kalt. Ich danke – danke. Wirft einen flüchtigen Blick auf das Écrin, das die Gräfin ihr überreicht, und stellt es auf den Tisch. Meine Kinder haben den Nibelungenhort entdeckt. GRÄFIN. Ich bin doch nicht die erste, die Dir heut Glück wünscht, Thecla? THECLA. Die erste, die einzige. GRÄFIN. Walter natürlich ausgenommen – THECLA. Walter erinnert sich dieses Tages längst nicht mehr. Es ist so lange her! – volle fünf Jahre. GRÄFIN. Eine Spanne Zeit, wenn sie glücklich war. THECLA. Eine Ewigkeit, wenn sie es nicht gewesen. GRÄFIN. Für Walter war’s keine Ewigkeit. Ich preise Gott dafür und Dich.

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THECLA. Mich? – mich dürfen Sie dafür nicht preisen. Wenn Walter noch glücklich ist, so ist er’s auf eigene Hand, ich vermag zu seinem Glücke längst nichts mehr beizutragen. Ich bin ihm gleichgültig geworden. GRÄFIN. Kind! Du hast s o zu mir nie gesprochen – THECLA. Und warum hätt’ ich’s gethan? Sie glaubten an unser Glück, wozu Ihnen den angenehmen Wahn zerstören? GRÄFIN. Du thust es doch jetzt. THECLA. Ich bereue es schon; ich begreife mich selbst nicht. – Sie trafen mich in einem Augenblicke, wo mir das Herz weich geworden. – Verzeihn Sie, und vergessen Sie ein übereiltes Wort. GRÄFIN. Thecla! – Vergessen? – daß Du nicht glücklich bist? – Sprich weiter, meine Tochter. Klage mir Dein ganzes Leid. Ich will es kennen. – Nun? – Soll ich umsonst um Dein Vertrauen bitten? – THECLA. Daß ich Sie aufmerksam machen muß, Mutter, damit Sie sehen, – das befremdet, das hält mich zurück. – Sie leben neben uns – lesen Sie nicht, oder wollen Sie nicht in den Seelen lesen? – Fühlen Sie nicht, wie es kalt wird um uns her, wie Walter und ich neben einander stehen – zwei entfremdete Menschen? GRÄFIN. Ihr liebtet Euch – Eure Ehe schloß leidenschaftliche Neigung – THECLA. Die zwei arme – zwei glückselige Jahre dauerte – dann war’s vorbei. Meine Schuld ist’s nicht, daß es so gekommen. Ich habe gethan, was in meiner Macht stand, um Walter’s erkaltendes Gefühl nicht völlig erstarren zu lassen. Ich stand vor seiner vergehenden Liebe, wie ich vor meinem sterbenden Kinde gestanden wäre, mit zitternder Hoffnung – jeden Athemzug belauschend, aufjauchzend beim schwächsten Lebenszeichen, verzweifelnd bei seinem Erlöschen. Nun ist sie todt, völlig todt. Mein Wol und Wehe sind Waltern wie das fremder Menschen: – was brauche ich ihn? – ich habe ja die Kinder! – und e r , wozu braucht er mich? – er hat einen großen Wirkungskreis – ihn fordert das Leben, das Land fordert ihn – mir gab er zwei schöne Jahre seines Daseins – sie sind vorüber, er wendet sich der alten Thätigkeit wieder zu, – ich habe meine Kinder, er hat die Welt! – GRÄFIN. Getrost, meine Tochter! Walter’s Liebe ist nur vorübergehend zurückgedrängt durch seinen Ehrgeiz. Bis jetzt trug ihn das Glück; laß ihn die erste Enttäuschung erfahren, und er kehrt wieder, und fühlt es dankbar, sein bestes Eigenthum, das unverlierbarste sei doch das Herz seines Weibes. Geschrei und Lärm von aussen. THECLA. Mutter – hören Sie – hören Sie doch – GRÄFIN. Das ganze Schloß in Bewegung – was bedeutet –? CHARLOTTE kommt athemlos gelaufen. Frau Gräfin – ach Gott! – das Pferd – das Pferd – THECLA. Das Pferd? – welches Pferd? GRÄFIN. Fassung! reden Sie.

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CHARLOTTE. Aus meinem Fenster – sah ich’s vorüberstürmen voll Blut – ohne Reiter – das braune, böse – THECLA. Das Pferd Langis’?! CHARLOTTE. Er ist todt – GRÄFIN. Gott verhüt’s! THECLA hält sich am Sessel. Todt! CHARLOTTE ringt die Hände. Der schöne, der gute, der herrliche Herr Marquis! JOHN kommt gelaufen. Er stirbt! er stirbt! THECLA. Ach! JOHN will über die Bühne eilen. Das Blut strömt, man könnt’s in Scheffeln fassen – Will fort. GRÄFIN. Ihr Herr – wo ist Ihr Herr? – JOHN. Wer weiß, Madame – Will fort. GRÄFIN. Nicht hier? – nicht verwundet? JOHN. Ich such’ ihn, Madame. GRÄFIN. Wo ist Ihr Herr? Wer ist verwundet? JOHN. Der Bob, Madame, hat einen Schuß am Halse – GRÄFIN. Und Ihr Herr? JOHN. Gestürzt, Madame – wer weiß, wo – ich eile. Eilt vorüber. CHARLOTTE. Und ich fliege! – o Herr Marquis – wenn er nur lebt – nur lebt! – Eilt ab. GRÄFIN. Ein Wagen – in rasender Eile – Walter, Bergthal springen herab – da sind sie. – Ihnen entgegen. Welches Unglück – Walter – Walter und Bergthal treten auf. WALTER. Langis nicht da? GRÄFIN. Nein! nein! WALTER. Schrecklich, Mutter – schrecklich! – Bergthal schoß auf sein Pferd – BERGTHAL. Ich Unglückseliger. – Sie wissen – meine Augen – ich hielt’s für einen Bock! Rennt in Verzweiflung auf und ab. WALTER. Langis erhielt sich noch eine Weile auf dem wie rasend gewordenen Thiere – hier jedoch, in der Nähe des Parks – so viel wir sehen konnten – müssen Roß und Reiter zusammengestürzt sein. GRÄFIN. Das Pferd rannte nach dem Stalle – WALTER. Und Langis? – Verwünschte Geschichte! Eilt ab. THECLA. Ich folge – Sie will gehen, die Kniee versagen ihr. GRÄFIN zu Bergthal. Sie haben auf das Pferd geschossen – aber um Gotteswillen! – BERGTHAL. Nie mehr – nie in meinem Leben mehr rühr’ ich einen Stutzen an. Teufel! Teufel! – da steh ich im Gehölz – daher, sagt der Förster, muß der Bock kommen – plötzlich fliegt’s vorüber – wie ein Blitz – ich schieße, und treffe – das Pferd! – GRÄFIN. O wenn nur nicht auch den Reiter! –

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Thecla bedeckt das Gesicht mit den Händen. Im Hintergrunde tritt Langis auf, ganz ruhig. GRÄFIN. Da ist er! THECLA mit Jubel. Langis! – Gräfin sieht sie an. BERGTHAL. Er? – wirklich – er? – LANGIS zu Bergthal. Dank Dir, mein Allerbester – Du forderst zu viel von Bob. Schießen zu hören, kann er gewöhnen, aber nicht, selbst angeschossen zu werden. THECLA ringt nach Fassung. O mein Gott! – mein Gott! GRÄFIN. Ruhig – Für sich. Was ist das? WALTER kommt. Nun, dem Himmel sei Dank – Du bist heil. Gegen die Coulissen. Da kommen auch die andern – Winkt mit dem Tuche. Hieher! er ist da – unverletzt! unverletzt! Mit Bergthal gegen den Hintergrund. THECLA den Blick unverwandt auf Langis gerichtet, sinkt auf einen Stuhl. GRÄFIN bemüht sich um sie. LANGIS will vorstürzen. Was fehlt der Gräfin? GRÄFIN. Zurück!

Zweiter Aufzug Ein Salon im Renaissance-Styl. Reich vergoldete Lambris, Thüren- und Fenster-Verzierungen. Drei große Arkaden im Hintergrunde, welche die Aussicht auf eine hell erleuchtete, mit Blumen geschmückte Galerie gewähren. Links in der letzten Coulisse der Eingang zur Bibliothek, diesem gegenüber der zu den Zimmern der Gräfin. In der ersten Coulisse links ein Camin, und Lampen auf demselben; davor ein Balzac und mehrere Fauteuils. Rechts im Hintergrunde ein Spieltisch, näher an dem Etablissement am Camine, ein kleines Tischchen worauf ein Schachbrett steht.

Erster Auftritt GRÄFIN allein.

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GRÄFIN. Er muß fort. Sie liebt ihn – ich kann daran nicht zweifeln. – Daß ich’s nicht kommen sah! – daß ich da stand in der Mitte der Meinen, blind und taub für die Gefahr, die Ihnen droht – einzig mit mir selbst beschäftigt – –. O die Reue! die Reue! – Ist’s nicht genug, daß sie alte Schuld nicht tilgen kann – muß sie auch noch neue erzeugen? – – Da ist er! – Wie faß’ ich ihn? – wird er mir Rede stehn? –

Zweiter Auftritt VORIGE. LANGIS.

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LANGIS. Sie haben befohlen, Madame? GRÄFIN. Gebeten, Herr Marquis. LANGIS. Was steht zu Ihren Diensten? GRÄFIN nach kurzer Pause. Sie sagten neulich ein Wort, das mir in der Erinnerung blieb. Sie erklärten, einer Lüge durchaus unfähig zu sein. LANGIS. Ich bin es leider. GRÄFIN. Sie sagten: ich könnte vielleicht einen Mord begehn, aber nimmer wäre ich im Stande, ihn zu läugnen. LANGIS. Das ist wahr, Madame. GRÄFIN. An diese Aufrichtigkeit, deren Sie sich rühmen, appellire ich bei der Beantwortung der Frage: Wem gilt Ihr Besuch in diesem Hause?

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LANGIS. Wem? – Ihnen, Frau Gräfin – Ihrer Tochter, Ihrem Sohne – den guten Freunden die sich hier so zahlreich versammeln. Er gilt dem wilden Bob, dem sanften Black, er gilt dem Wald und seinen Rehen, dem Teich und seinen Fischen, der Wiese und ihren Heuschrecken. Er gilt der göttlichen Luft, die man hier athmet, und den Vögeln in dieser Luft! – GRÄFIN sieht ihn mit einem langen Blicke forschend an. Hätt’ ich Ihnen Unrecht gethan? LANGIS. O gewiß nicht! – Ich weiß zwar nicht, um was es sich handelt; was es aber auch sei, durch Sie geschieht keinem athmenden Wesen Unrecht, denn – was Sie thun und denken, ist Güte. GRÄFIN. Meine Frage gönnte Ihrer Antwort zum Ausweichen Raum. Sie haben ihn benutzt. Ich muß bestimmter fragen. Marquis! gilt Ihr Besuch nicht vor allem andern – der Frau dieses Hauses? LANGIS. Madame! – GRÄFIN. Aufrichtig, Herr von Langis! – Sie bemühn sich um die Gunst meiner Tochter – sie suchen sie zu blenden, zu umstricken – zu verführen, mit einem Wort! – Sie lieben – was sag’ ich? – Sie begehren sie – eine verheiratete Frau – die Frau eines Mannes, der Sie arglos und gastfrei zu sich geladen – das ist schlecht, mein Herr – das ist schändlich, und ... LANGIS. Halten Sie ein, Frau Gräfin! Mißbrauchen Sie Ihre Unverletzlichkeit nicht – bedenken Sie, daß ich Ihren Schmähungen hilflos gegenüber stehe, denn Sie sind eine Frau, und ich bin ein Edelmann. GRÄFIN mild, fast bittend. Beweisen Sie mir, daß Sie es, im Sinne des Wortes, sind! – Verlassen Sie uns, Marquis – heut noch – sogleich! Gehn Sie, und statt Sie zu verwünschen, werd’ ich Ihrer ohne Groll gedenken – wenn ich kann. – LANGIS ohne Spott. Ich bedaure, diesen schönen Lohn nicht verdienen zu können. Ich bleibe. GRÄFIN. Dann werden Sie mich zwingen, ein Mittel zu ergreifen, das ich gern ungebraucht gelassen hätte. Dann werde ich meinen Sohn veranlassen, meine Aufforderung zu wiederholen. LANGIS. Das steht Ihnen frei, Frau Gräfin. Mir hingegen steht es nicht frei, diese Aufforderung, die in seinem Munde zur Beleidigung wird, anders aufzufassen, denn als Beleidigung, und Rechenschaft dafür zu fordern. Der Graf wird sie natürlich geben, wir werden uns schießen und dann ... GRÄFIN. Es gibt noch ein anderes Mittel – ich werde mit meiner Tochter sprechen. LANGIS. Und ihr sagen, daß ich sie liebe? – O Dank, Madame! Sie machen sich zum Dollmetsch der Gefühle, die ich nicht gewagt hätte, selbst vor ihr auszusprechen – der Gefühle, denen ich bisher einen andern Namen verlieh. den Vögeln ] die Vögeln Schreibfehler

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Der Augenblick müßte kommen, in welchem man ihnen den einzigen gibt, der ihnen in Wahrheit zukommt. Sprechen Sie ihn aus, Madame – thun Sie’s! – Sie erweisen mir einen Dienst, den ich von Ihnen zuletzt erwartet hätte! GRÄFIN nach einer Pause. Es ist wahr. Ich kann weder meinen Sohn noch meine Tochter zu meinen Verbündeten machen, ich muß den Kampf gegen Sie allein führen. Unser Krieg, obwohl kein offener, soll darum nicht weniger hartnäckig sein. LANGIS. Ich nehme ihn an, wenn auch mit Befangenheit, denn es ist ein sehr ungleicher Kampf, Frau Gräfin. Sie stehn vor einem Feind, den Sie herzlich hassen und dessen Vernichtung Ihnen nicht allein als ein persönlicher, sondern auch als ein Triumph der guten Sache erscheint. Ich, Madame, ich stehe vor einem Gegner, den ich mit allen Kräften meiner Seele verehre, und den nicht zu lieben ich mir Gewalt anthun muß. Will ihre Hand küssen. GRÄFIN tritt stolz zurück. Keinen Scherz, mein Herr! Dies ist ein ernster Kampf, denn die theuersten Interessen werden darin angegriffen und vertheidigt. Wie er aber auch ende, Herr von Langis, ob mit Ihrem traurigen Siege, ob mit Ihrer beschämenden Niederlage, Sie werden immer der verlierende sein. Sie geht ab, durch die Mitte.

Dritter Auftritt

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LANGIS allein. Ei, Frau Gräfin, Verneigt sich gegen die Thüre, durch welche die Gräfin abgegangen. haben Sie Dank! Ich weiß jetzt, was Sie mir um jeden Preis hätten verbergen müssen: Ich bin geliebt! ... Und wie das gleich zündend wirkt! Kein Fieber auf Erden hat diese mittheilende Kraft. Vor einer Stunde noch empfand ich nichts für jene Frau als innige Sympathie, und jetzt – gibt es keine große That und keine große Tollheit, die ich um Sie nicht beginge!

Vierter Auftritt DER VORIGE. FRIEDRICH tritt ein, in Gedanken, ohne LANGIS zu sehn. Er wirft sich in einen Stuhl und drückt den Kopf in die Hände. LANGIS klopft ihm auf die Schulter. Fritz! – FRIEDRICH fährt auf. Du? – Was gibt’s?

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LANGIS. Komm zu Dir, sei ein Mann! – Du setzest Dir unmögliche Dinge in den Kopf. Diese Liebe zu Deiner Cousine ist ein Wahnsinn. FRIEDRICH. Warum? LANGIS. Warum?! warum?! – weil sie zu keinem guten Ende führen kann – weil Thecla verheiratet ist – weil – FRIEDRICH steht auf. Octavie ist auch verheiratet. LANGIS. Aber ihr Mann ist weder mein Vetter noch mein Freund. Sei vernünftig. FRIEDRICH. Ich bin’s nicht! und will’s nicht sein – und wenn’s ein Mittel gäbe, es zu werden, ich schwöre daß ich’s verachten würde. Hörst Du? – Spare Deine Rathschläge, oder wenn Du mir rathen w i l l s t , wenn Du mir helfen w i l l s t – Langis – so sag mir – Langis, wie gewinn’ ich sie? wie stell’ ich’s an, ihr zu gefallen? LANGIS für sich. Du Narr! – warte! – Laut. Armer Junge, so ist Deine Leidenschaft völlig unbezähmbar? FRIEDRICH. Völlig unbezähmbar. LANGIS. Du bist entschlossen, Thecla Dein zu nennen oder – FRIEDRICH. Oder zu sterben! LANGIS. Hm! sterben, begreifst Du, sterben kann ich Dich nicht lassen ... So geh denn hin und erkläre Dich. FRIEDRICH. Das will ich. Aber auf welche Art meinst Du? ... LANGIS. Vor allem keine kindische Schüchternheit. Du begehrst, was Du sicher bist zu erhalten. Du trittst ein, Deine Cousine sitzt am Kamine, Du wirfst Dich – FRIEDRICH. Ihr zu Füßen – LANGIS spöttisch. Spießbürger! – In einen Fauteuil, ihr gegenüber, und sprichst: „Cousine! Wie lang soll dieses Spiel noch dauern? – Machen Sie ein Ende! Ich liebe Sie, Sie lieben mich ...“ FRIEDRICH. Nun, das – weißt Du – das glaube ich nicht ... LANGIS. Was liegt daran? Wenn nur Sie es glaubt – und sie wird es glauben, wenn Du sie überzeugst – – „Sie lieben mich! – erhören Sie mich oder –“ FRIEDRICH zieht ein Terzerol aus der Tasche. Oder ich schieße mir eine Kugel durch den Kopf. LANGIS nimmt ihm ruhig das Terzerol aus der Hand und steckt es in die Tasche. Oder ich lasse mich von einer andern erhören. FRIEDRICH. Ja von welcher denn? es ist ja Niemand ... LANGIS. „Seien Sie vernünftig, Cousine!“ – So spricht man mit Frauen! – das ist eines Mannes Rede! Du geberdest Dich wie ein Kind, und wirst wie ein Kind behandelt. FRIEDRICH. O nicht lange mehr! ... Es muß anders werden, Cousine! ... Und wann, meinst Du, wäre der beste Moment? LANGIS. Um sich zu erklären? – der Moment ist immer da! FRIEDRICH. So? – Gut – ganz gut! – Immer da? Ich danke Dir, Langis. Ab.

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I. Text LANGIS. Geh, Du Affe! Die Strafe verdienst Du, und möge sie Dir zum Heile gereichen!

Fünfter Auftritt VORIGER. W ERNER von links.

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WERNER geht auf Langis zu und reicht ihm die Hand. Ich bitte Sie um Verzeihung. LANGIS. Weshalb? WERNER. Ich danke Ihnen. LANGIS. Wofür? WERNER. Sie verschaffen meinem Neffen eine vortreffliche Lektion. LANGIS. O! ... Sie haben gehorcht?! WERNER. Ich war in der Bibliothek – hier nebenan – ich hörte Sie mit Friedrich sprechen, und widerstand der Versuchung nicht, mich zu überzeugen, in welcher Weise Sie ihm Ihren Unterricht ertheilen. Es ist eine herbe, aber eine gesunde Weise. Ich bin Ihr Schuldner, Herr Marquis! Ab. LANGIS. Also hier gibt’s ein Dionysius-Ohr. Das ist gut zu wissen. Öffnet die Thüre der Bibliothek. Bleib du offen, hinter dir soll sich kein Lauscher mehr verstecken.

Sechster Auftritt DER VORIGE. OCTAVIE durch die Mittelthüre im Hintergrund.

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OCTAVIE. Nun, Langis? LANGIS. – Nun, Gräfin? – OCTAVIE vortretend. Wissen Sie, daß es im Rauchsalon langweilig wird? Die Herren schlafen ohne zu träumen, und Thecla träumt ohne zu schlafen. LANGIS. Sie träumt? Für sich. Von mir vielleicht? OCTAVIE. Friedrich ist schon vor einer halben Stunde davon gestürzt. Die Gräfin und Sie scheinen sich hier ein Rendezvous gegeben zu haben. Sich umsehend. Man sollte eigentlich fragen, ob man nicht stört? LANGIS. Ich bin allein wie Sie sehen. OCTAVIE. So darf ich reden. – Heil Dir, Graf von Favreuse und Du-Châtel! Heil Dir, Langis, der in acht Tagen König sein wird über eine Million Franken. LANGIS. Um Gotteswillen – das bedeutet doch nicht –

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OCTAVIE. Ganz Recht – das bedeutet! – Der Advokat Ihres Onkels war bei mir – die guten Leute in Frankreich schreiben mir noch einigen Einfluß auf Sie zu. Ich soll Sie – Ihre Familie läßt mich darum beschwören – ich soll Sie bestimmen, die Verzeihung Ihres Onkels – Ihr Onkel will Ihnen verzeihen – nicht von sich zu weisen. LANGIS. Und deshalb kommen Sie? OCTAVIE. Deshalb kam ich. LANGIS. Sie sind ein treues Herz, Octavie! OCTAVIE. Treu? Halb lachend, halb verlegen. Mein Mann meint – so so – –. Ich bin nur nicht rachsüchtig. ... Aber reden wir von Ihnen. Die Verzeihung Ihres Onkels ist eine bedingte. Er scheint sie eher in einem Anfall von Bosheit als in einem Anfall von Güte ertheilt zu haben. LANGIS. Daran erkenn’ ich den vortrefflichen Mann! OCTAVIE. Dennoch bleibt Ihnen nichts übrig als sie anzunehmen. Thun Sie es nicht, so ist jede Hoffnung unwiederbringlich verloren, daß sie Ihnen ein zweites Mal angeboten werde. Schon besteht eine Schenkung des ganzen Vermögens an das Land. Diese Schenkung tritt in acht Tagen in Kraft, wenn Sie bis dahin nicht bußfertig geworden sind. LANGIS. Mein Onkel verschenkt sein Vermögen – während seines Lebens? OCTAVIE. Doch behält er sich die Einkünfte desselben bis zu seinem Tode vor, wenn das Land Erbe ist. Ihnen hingegen würden sämmtliche Gelder und Güter – mit alleinigem Vorbehalt einer geringen Leibrente für Ihren Onkel – sogleich als freies Eigenthum übergeben. LANGIS. Das ließe sich hören. Aber die Bedingungen, Octavie, die Bedingungen! OCTAVIE. Diese sind: sofortige Rückkehr nach Paris ... LANGIS. Was? – OCTAVIE. Das Versprechen, die diplomatische Carrière aufzugeben, Frankreich innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht zu verlassen – LANGIS. Fünf Jahre! OCTAVIE. Und sich daselbst mit einer Französin, noch im Verlaufe dieses Jahres – LANGIS. Zu verheiraten. OCTAVIE. Zu verheiraten! LANGIS. Noch im Verlaufe dieses Jahres, und wir sind im Oktober! – und die Wahl meiner zukünftigen Frau, trifft mein Onkel? OCTAVIE. Nein. Die Wahl überläßt er Ihnen, und wünscht nur, daß dieselbe auf ein Mädchen Ihres Standes falle.

Ich soll Sie ] Ich soll sie Schreibfehler unwiederbringlich ] unwiderbringlich Schreibfehler

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LANGIS. Der Wunsch wird erfüllt. Wenn ich heirate, so heirate ich ebenbürtig. Wenn ich den banalen Schritt thue, so thue ich ihn auf die banalste Weise. OCTAVIE. Hier sind alle auf dieses Übereinkommen zwischen Langis, Onkel und Neffe, bezüglichen Dokumente. Gibt ihm Schriften. Lesen Sie, studieren Sie, fassen Sie Ihren Entschluß – alles in fünf Minuten. LANGIS legt die Schriften auf den Camin. Wie viel Zeit ist mir zur Überlegung gegönnt? OCTAVIE. Keine! – Ihr Onkel erwartet augenblicklichen Bescheid. Der Gedanke, daß Sie zögern könnten, seine Gnade anzunehmen, scheint ihm gekommen zu sein, und auf diese mögliche Zögerung sind Strafen ausgesetzt. Bringt der Telegraf morgen keine Antwort nach Paris, so verlieren Sie und das Land gewinnt – hunderttausend Francs. Bleibt die Antwort übermorgen gleichfalls aus, so verlieren Sie und das Land gewinnt zweimalhunderttausend Francs, und so fort jeden Tag bis zum letzten, dem achten Tag, an dem alles für Sie verloren geht. LANGIS. Mein Onkel ist ein böswilliger Narr. OCTAVIE. Geschwind, Langis! Schicken Sie John auf die Eisenbahnstation, telegrafiren Sie – reisen Sie. LANGIS. Jetzt? Das ist unmöglich. OCTAVIE sieht auf die Uhr. Neun Uhr. Um halb elf Uhr kommt der letzte Zug hier durch. Sie können noch zurecht kommen – gehn Sie, Langis. LANGIS. Heut auf keinen Fall. OCTAVIE. Das kostet hunderttausend Francs! LANGIS. Freudig bezalt! Hunderttausend Francs können mich nicht glücklich machen, aber der morgige Tag kann es! – OCTAVIE. Das Telegramm wenigstens mit der Nachricht daß Sie morgen unterweges sind, muß sogleich abgeschickt werden! LANGIS. Wozu? – ich verpflichte mich noch zu nichts, ich verspreche nichts – ich – mit einem Worte. ... Da haben wir’s! – unentschlossen zum ersten Mal in meinem Leben! Daran ist die Geldfrage Schuld – die verwünschte! – Sobald das erbärmliche Geld zu irgend einer Wichtigkeit kommt, ist’s um unsre beste Freiheit geschehn. ... Ich will kein Sklave sein! OCTAVIE. Soll das heißen, daß Sie nicht reich sein wollen? – Keine Thorheit, Langis. Sie sind gestern dreißig Jahre alt geworden. Die Zeit des Unsinns scheint für Sie noch nicht ganz vorbei, doch ist die gekommen, in welcher man ihn nicht mehr ungestraft begeht. Glauben Sie mir das, Langis, und gehn Sie. Ergreifen Sie eine ernste schöne Thätigkeit, wählen Sie eine liebe Frau – LANGIS. Besuchen Sie mich in Paris, wenn ich künftigen Winter dort bin? Darf ich Sie meiner Frau vorstellen? OCTAVIE. Das würden Sie gewiß bleiben lassen, und ich – dürfte Ihnen nicht Unrecht geben. Unter welchem Titel könnten Sie es thun?

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LANGIS. Ich würde ihr sagen – OCTAVIE. Sie müßten sagen: Das ist auch eine von denen die m i c h länger liebten als ich – sie ... die einzige aber die mir deshalb nicht gegrollt, und das ist etwas. LANGIS. ’s ist mehr als ich einer Frau jemals zugetraut – Sie Edle! OCTAVIE. Das bin ich nicht. LANGIS. Sie bessere als die Menschen wissen – OCTAVIE. Das bin ich vielleicht. Langis ergreift ihre beiden Hände. – Genug! Mit heftig unterdrückter Rührung. Ich will doch nicht hoffen, daß ich mich bedaure? – Lassen Sie mich – man kommt. Sie geht rasch nach rechts ab.

Siebenter Auftritt THECLA kommt durch die Mitte. LANGIS.

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THECLA Octavien nachblickend. Haben Sie vielleicht einen neuen Freundschaftsbund geschlossen, Herr von Langis? LANGIS. Ich habe einen alten erneuert. Diese Octavie ist ein seltenes Wesen, und hätte ein minder bitteres Los verdient als das welches ihr geworden. THECLA. Sie sind niedergeschlagen? LANGIS. Niedergeschlagen, zu Boden geworfen. Ich erhielt so eben eine sehr unangenehme Nachricht. THECLA. Mein Gott! LANGIS. Mein Onkel droht mir mit seiner Verzeihung, er ruft mich zurück, der liebevolle – fort von hier, von der Freude, der Freiheit, weg aus diesem Leben der heiteren Sorglosigkeit, weg von – Ihnen – THECLA. Und Sie gehen? LANGIS. Und was bietet er mir dafür? Elendes Geld! Für den Genuß, mein eigener Herr zu sein, und der Sklave derer die ich liebe, für das göttergleiche Gefühl, an allen Quellen des Lebens zu trinken und mich berauschen zu dürfen: Geld – armseliges Geld! – den Reichthum mit seiner Schwerfälligkeit, seinen selbstgeschaffenen Leiden! THECLA. Und Sie gehen? Die Gräfin erscheint an der Arkade links im Hintergrunde, bleibt einen Augenblick hinter derselben stehn und tritt dann leise in die Bibliothek, deren Thüre sie hinter sich schliesst. LANGIS nach einer kurzen Pause. Das hängt von Ihnen ab. Ich sagte Ihnen, der Augenblick könne erscheinen, in dem ich mein Schicksal in Ihre Hände lege – nun, Thecla, der Augenblick ist da! – Ich liebe Sie –

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Thecla und Langis fast zugleich: THECLA. Langis! LANGIS. Mit allen Kräften meiner Seele – THECLA. Langis! LANGIS. Ich habe Ihnen und mir geschworen, Sie nicht zu täuschen, nicht Freundschaft zu heucheln, wenn ich Liebe fühlte – ich fühle sie, ich bekenne sie! Ich erwarte mein Urteil, machen Sie mich elend oder glückselig. THECLA. Unsinniger! was erwarten Sie von mir? LANGIS. Entscheidung über mein Geschick. Ein Wort und ich scheide – ein Wort und frohlockend werfe ich Ihnen Reichthum und Glanz, Ehren und Würden zu Füßen, und finde mich königlich belohnt durch eine glückliche Stunde! THECLA. Und Ihre Zukunft? LANGIS. Die Zukunft ist des Zufalls, die Gegenwart ist mein. THECLA. Und das Glück eines großen Wirkungskreises – das Glück erfüllten Ehrgeizes? LANGIS. Es gibt kein Glück als das der Liebe, alles andere ist nichts. Ich kann der Liebe kein Opfer bringen, denn indem ich es i h r bringe, hört es auf, eines zu sein. THECLA. Sie täuschen mich, Langis; Sie täuschen sich selbst. LANGIS. Ich schwöre Ihnen, daß ich es nicht thue, ich kann es Ihnen beweisen. Jetzt, in diesem Augenblicke! – Schellen Sie, wenn ich bitten darf. THECLA schellt. LANGIS ist an einen der Spieltische getreten und hat einige Worte auf ein Blatt geworfen. Lesen Sie. THECLA lesend. „An Herrn Advokaten Perret in ... Liest die Adresse leise. Ich komme nicht. Sagen Sie das meinem Onkel. Langis“ Ein Diener ist von rechts eingetreten. Langis spricht einige Worte leise zu ihm. Diener ab. THECLA. Was hat dies zu bedeuten? – war das eine Entscheidung? LANGIS. Die bestimmteste. Ich bleibe, Thecla – ich bezale mit meiner Zukunft das Glück, eine kurze Zeit in Ihrer Nähe zuzubringen. THECLA. O mein Gott! das wäre möglich? – so etwas kann geschehn und Sie – könnten es thun? LANGIS. So viele Menschen opfern dem Ehrgeize ihr Glück, ich opfere meinem Glücke den Ehrgeiz. Sie werden mich lieben, Thecla! THECLA angstvoll. Ich werde nicht! – nicht so wie Sie es erwarten ... wie Sie jetzt vielleicht glauben es fordern zu dürfen. ... LANGIS. Ich ford’re nichts, ich hoffe – alles. THECLA. Vermess’ner! ... wie Sie jetzt ] wie sie jetzt Schreibfehler

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LANGIS. Was hält Sie ab, Thecla, mir die Liebe einzugestehn, die ich in Ihrem Auge lese, die Ihre zitternde Stimme mir verrät? – Sie leben in Herzenseinsamkeit und nähren sich von Wurzeln und Kräutern – Pflichtgefühl, Selbstbewußtsein, und wie sie alle heißen, die Surrogate der wirklichen Zufriedenheit. Bevor Sie es wissen und ahnen, wird Ihre Seele mit Bitterkeit erfüllt sein. Sie werden die Strenge gegen sich nicht mit Nachsicht gegen andere vereinen. Freudlos und freundlos werden Sie im Leben stehn, nichts liebend, von niemandem geliebt. THECLA. Genug! – Es ist nicht so! – ich kann nicht jeden einzelnen Ihrer Sätze widerlegen, aber daß in alledem ein Irrthum liegt, ist mir sonnenklar. Das Wort das ihn bezeichnet, find’ ich nicht, aber daß er vorhanden – das fühl’ ich! – LANGIS. Sie können meine Sätze nicht widerlegen, weil sie unwiderlegbar sind. Thecla! seien Sie weniger stark und Sie werden besser sein! THECLA in zitternder Aufregung. Nichts mehr, Langis! – Aus Barmherzigkeit – erschüttern Sie in mir nicht jedes Vertrauen auf mich selbst. ... LANGIS. Das will ich nicht. Erhöhen will ich Ihr Selbstvertrauen, indem ich Ihnen die Macht zeige, die Sie auf ein Menschenherz ausüben. THECLA. Ich mag Ihre Schuldnerin nicht sein – nehmen Sie das grausame Opfer zurück, das Sie mir brachten – ich kann – ich werde Sie nicht dafür belohnen. LANGIS. Das steht bei Ihnen. So wahr ich Sie liebe, Thecla! niemals werde ich glauben, mir durch dieses Opfer – wie S i e es nennen, nicht ich – ein Recht über Sie errungen zu haben. Niemals werd’ ich fordernd vor Sie treten, und die kleinste Gunst, die Sie mir zu erzeigen geruhn, als unverdiente Gnade mit jubelnder Dankbarkeit auf meinen Knieen empfangen. THECLA. Langis – um Gotteswillen! Ich bin nicht geschaffen für das Leben der Aufregung, das Sie mir bereiten wollen. Ich könnte nicht athmen mit dem Bewußtsein eines Unrechts – noch habe ich keines begangen, und doch – seit heut morgens foltert mich eine unbegreifliche Angst. Die Ruhe ist aus meinem Herzen, ein Nichts bringt mich um meine Fassung – ein rascher Schritt hinter mir – eine plötzlich geschlossene Thüre – LANGIS blickt bei diesen Worten unwillkürlich nach der Bibliothek. Erschreckend. Geschlossen?! – Wer ist da? THECLA. Was ist Ihnen? – worüber erschrecken Sie? LANGIS sich sammelnd. Beruhigen Sie sich. – Mut! nur Mut! – Leise. Ich muß Sie heut noch sprechen – machen Sie es möglich – THECLA. Sie müssen mich sprechen? – nun so sprechen Sie – LANGIS. Nicht hier! nicht hier!

Was hält Sie ab ] Was hält sie ab Schreibfehler das Sie mir ] das sie mir Schreibfehler

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I. Text THECLA. Was fürchten Sie? Sich umsehend. Doch keinen Horcher? ... LANGIS. Ihre Schwiegermutter – Er legt den Finger auf den Mund und deutet auf die Gräfin, welche mit Octavie die Galerie betritt. Die beiden Damen bleiben, angelegentlich sprechend noch einen Augenblick vor den Arkaden stehen, bevor sie eintreten. Indessen hat sich Thecla vor das Sofa auf dem Camin gesetzt und eine Arbeit in die Hand genommen. Langis ist in die Bibliothek getreten, kommt jedoch sogleich zurück. LANGIS für sich. Niemand!

Achter Auftritt DIE VORIGEN. GRÄFIN. OCTAVIE.

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GRÄFIN zu Langis. Ah, Herr von Langis! ertappt man Sie einmal auf dem Wege aus der Bibliothek? Ich habe längst einen geheimen Bücherfreund in Ihnen geahnt. Nun müssen Sie es doch eingestehn, Sie verdanken so gut wie andre die Hälfte Ihres Verstandes den Büchern. LANGIS. Ich habe jetzt nicht gelesen, Frau Gräfin. GRÄFIN. Gehn Sie doch! Man bleibt nicht, wenn man S i e ist, eine Stunde lang in einer Bibliothek, ohne ein Buch aufzuschlagen. LANGIS. – Aber, Frau Gräfin, ich war nicht seit einer Stunde in der ... GRÄFIN sieht ihn an, halblaut. Verzeihen Sie! Sie w a r e n in der Bibliothek, und zwar seit einer Stunde. LANGIS. Wenn Sie es durchaus befehlen – GRÄFIN zu Thecla. Wie geht’s, mein Kind? Die Kopfschmerzen sind doch besser? THECLA. Ein wenig. Ich danke. Gräfin setzt sich zu Thecla. Octavie tritt zu Langis. OCTAVIE. Nehmen Sie sich vor Rhode in Acht! Der abscheuliche Mensch sucht Waltern Verdacht gegen Sie einzuflößen. Ich habe der Gräfin davon gesprochen. LANGIS. Wozu denn? wozu denn das?

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Neunter Auftritt DIE VORIGEN. WALTER, BERGTHAL, FRIEDRICH, RHODE.

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RHODE zu Walter, auf Langis deutend. Da ist er! WALTER. Wo bleiben Sie, Langis? RHODE. Ich sagte es, ich, daß wir Sie hier finden würden. WALTER. Du hattest Recht. GRÄFIN. Sie haben Glück, Herr von Rhode! – Ja, nun haben Sie Recht; wären Sie vor fünf Minuten erschienen, so hätten Sie Unrecht gehabt. Denn als ich mit Thecla vor wenigen Augenblicken hereintrat, – THECLA für sich. Mit mir? GRÄFIN ohne Unterbrechung. Kam der Marquis soeben aus der Bibliothek. RHODE. So? – So? – Ja dann freilich – LANGIS leise zur Gräfin. Oh Madame – GRÄFIN ebenso zu ihm. Still! dies geschieht um meiner Tochter willen. THECLA sehr bestürzt zu Octavie. Warum diese Lüge? was glaubt sie? OCTAVIE. Nichts! nichts! ... Zu Bergthal, der zu Thecla getreten. Guten Morgen, Baron! Wie haben Sie geschlafen? BERGTHAL. Geschlafen? Ich habe nicht geschlafen. Die Augen fielen mir nur ein wenig zu. Es gibt eine falsche Schläfrigkeit, wie es einen falschen Appetit gibt. Gibt Octavien den Arm und führt sie zum Spieltische. Ist’s gefällig? – Zu Walter. Ist’s gefällig, Herr Minister? Walter und Rhode folgen und setzen sich an den Spieltisch. Walter mit dem Rücken gegen den Camin. Bergthal ihm gegenüber. Rhode mit dem Rücken gegen das Publicum. Octavie ihm gegenüber. GRÄFIN zu Langis, der sich Thecla nähern will. Herr Marquis, unsere Partie Schach. LANGIS. Zu Ihren Befehlen, Frau Gräfin. Sie setzen sich an den kleinen Tisch rechts im Vordergrunde. BERGTHAL. Ist das Pique, was da ausgespielt worden? OCTAVIE. Es ist Trèfle. THECLA zu Friedrich. Meinen Korb mit der Arbeitswolle, wenn Du so gut sein willst. FRIEDRICH dienstfertig. Sogleich! – Sich besinnend. Ja so! – Mit affectirter Nonchalance. Mein Gott – wo mag er denn liegen? Sucht umher. RHODE. Baron Bergthal – Sie sitzen auf dem Arbeitskorbe der Frau Gräfin. BERGTHAL springt auf. Ach nein! – und doch! – Sieht den Korb mit einem Feldstecher an. Ich bitte tausendmal um Verzeihung! Mein einziger Trost ist nur, daß der Korb keinen Schaden genommen. FRIEDRICH. Keinen Schaden? er ist flach gedrückt wie eine Cylinder-Uhr. GRÄFIN. Sie sind zerstreut, Herr Marquis, ich nehme Ihren Thurm.

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LANGIS. Mit dem Springer? GRÄFIN. Jawol. LANGIS. Dann demasquiren Sie Ihre Königin und liefern sie an diesen Läufer, der nur der günstigen Gelegenheit harrt – – – GRÄFIN. Ja ja! – das hatt’ ich übersehn. FRIEDRICH. Ins Spiel vertieft, alle. – „Der Moment ist immer da!“ sagt Langis. Ein so günstiger kommt vielleicht lange nicht wieder. – Wolan! Er setzt sich neben Thecla. Cousine! THECLA. Nun? – FRIEDRICH. Cousine! – Für sich. Es geht – es muß gehn! – Zu ihr. Sie ... Sie stricken, Cousine? THECLA. Ja wol, mein Kind. Für sich. Es war doch sonderbar, das Benehmen meiner Schwiegermutter. FRIEDRICH. Cousine! – wie lang soll dieses Spiel noch dauern? THECLA für sich. Was meint er damit? Laut. Welches Spiel? FRIEDRICH. Machen Sie ein Ende! THECLA für sich. Sollte dieses Kind ahnen? FRIEDRICH. Ich liebe Sie, Sie lieben mich – THECLA. Nun ja, natürlich, wie gute Verwandte – FRIEDRICH. Nein – anders! anders, Cousine! – Cousine, erhören Sie mich, oder – THECLA. Versteh’ ich recht? Entrüstet. Du bist ein unverschämter Junge! FRIEDRICH steht auf, laut. Cousine! WALTER sieht sich um. Friedrich! was machst Du? THECLA. Er macht sich lächerlich, störe ihn nicht. FRIEDRICH leise und heftig. Diese Beleidigung – THECLA. Beleidigung? – kindisches Kind! – Zurechtweisung ist’s, die Du reichlich verdienst. Geh. FRIEDRICH. Sie verbannen mich? THECLA. Auf Dein Zimmer. Geh, sag’ ich. FRIEDRICH. O Langis! Langis! THECLA erschrickt. Langis? FRIEDRICH. Warum erschrecken Sie, Cousine? – Sie sind rot geworden als ich den Namen nannte. THECLA. Still! still! ... FRIEDRICH. Und jetzt sind Sie blaß – THECLA. Friedrich, ich befehle Dir, ich bitte Dich – FRIEDRICH nach kurzer Pause. – Er also?! Hält die Hände vors Gesicht. O ich Dummkopf! THECLA. Ich begreife Dich nicht. FRIEDRICH. Um so besser begreife ich! – GRÄFIN. Keine Nachsicht, Marquis! ich sehe, daß ich verloren bin. LANGIS. Es gibt noch ein Mittel – opfern Sie die Königin.

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GRÄFIN. Um keinen Preis! LANGIS. Dann ist wirklich kein Ausweg mehr. FRIEDRICH der hinter den Stuhl der Gräfin getreten. Ich aber sehe einen. Liebe Tante! wollen Sie mir Ihre Partie übergeben? GRÄFIN. Dir, mein armer Friedrich? Steht auf. Nun, wenn Dich’s freut, eine verlorne Sache zu vertheidigen. FRIEDRICH. Nimmst Du mich als Gegner an, Langis? LANGIS. Mit Vergnügen. Friedrich setzt sich ihm gegenüber. WALTER zu Friedrich. Du gegen Langis? Das wird ein komisches Turnier. RHODE. Wer weiß? Friedrich besiegt vielleicht den Unbesiegbaren. BERGTHAL. Ich wette, nein! RHODE. Ich wette, ja! OCTAVIE zu den Herren. Lassen Sie uns ihrem Spiele zusehn und das unsre aufgeben. Baron Bergthal sticht ohnehin meine Könige mit Zweiern und Fünfern, und gibt consequent Carreau auf Coeur zu. Sie steht auf. Die Herrn dessgleichen. Alle umringen die Spieler. Gräfin und Thecla bleiben am Camin sitzen. LANGIS. Du bist am Zuge. FRIEDRICH. Schach dem König! LANGIS. Warum nicht gar. Nimm das zurück. FRIEDRICH. Schach dem König! LANGIS. Wolan, wenn Du so rasch sterben willst – Zieht. FRIEDRICH stützt beide Ellbogen auf den Tisch und sieht Langis in die Augen. Das war ein schlechter Zug von Dir, Langis – Zitternd vor Wut. Den sollst Du büßen! LANGIS. Ruhe! Du bist zu aufgeregt. FRIEDRICH kann kaum sprechen. O gar nicht! – siehst Du, nicht im geringsten! ... und mit vollkommenem Gleichmut, nehm’ ich die Königin. RHODE. Schön! eine große Kühnheit! LANGIS. Doch kostet sie ihn das Leben. Schach und matt! FRIEDRICH. Infam gespielt! – Wirft das Schachbrett um. ALLE. Friedrich! LANGIS springt auf. Donner und Wetter! ... GRÄFIN ist auf ihn zugeeilt. Ich beschwöre Sie! ... LANGIS mit mühsamer Fassung. Frau Gräfin! FRIEDRICH, den Walter beim Arme gefasst, zu Langis. Infam gespielt, wie ein ... Walter, Bergthal und Octavie zugleich: WALTER. Kein Wort! BERGTHAL. Du schweigst! OCTAVIE. Er ist toll! GRÄFIN flehend zu Langis. Herr Marquis! LANGIS ruhig. Ohne Sorge! – Wenn dieser Mann nicht ein Kind wäre, würde

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ich ... gleichviel was ich dann würde. – So aber, sag’ ich nur, er muß unwohl sein; man thäte gut, ihn zu Bette zu bringen. THECLA die bisher in sprachloser Bestürzung dagestanden. Herr von Langis! FRIEDRICH tritt dicht vor Langis hin. Ihre Stunde, mein Herr, und Ihre Zeugen. LANGIS lächelnd. Wie? – mein Herr! WALTER. Bergthal, gib meiner Frau und meiner Mutter den Arm – LANGIS. Nicht doch! ich bitte die Damen zu bleiben. Wir haben uns vor ihnen in einem zu schlechten Lichte gezeigt, um nicht zu wünschen, es bald in ein besseres zu verwandeln. – Du willst Dich mit mir schlagen, Friedrich? FRIEDRICH. Was soll die Frage? LANGIS. Also abgemacht. Ich stelle mich; aber unter einer Bedingung. Du mußt Fechtunterricht nehmen. Ich will ihn Dir geben. FRIEDRICH. Du?! LANGIS. Durch vierzehn Tage, täglich zwei, drei Stunden, so lange Dir’s beliebt. Ich werde Dir ein ehrlicher Lehrer sein, und sobald ich vor Dir keine Geschicklichkeit mehr voraus habe, sollst du Genugthuung bekommen. FRIEDRICH. Hast Du mich zum besten? – Noch einmal?! LANGIS. Mein Ehrenwort! unter dieser Bedingung schlage ich mich mit Dir. FRIEDRICH. Lächerlich! Ein Unsinn! LANGIS. Gehst Du darauf nicht ein, mein Ehrenwort! dann schlage ich mich nicht. FRIEDRICH. Aber fühlst Du denn nicht, Du Teufel, daß Du mich von neuem demütigst? LANGIS. Diese Absicht ist fern von mir. Meine Herrn und Damen, in Ihrer Gegenwart erkläre ich, daß ich mich im Unrecht fühle gegen diesen meinen Gegner. Wenn er es fordert, bin ich bereit, mich in vierzehn Tagen mit ihm zu schlagen, vorher aber mache ich ihm hiemit meine Entschuldigung. Er geht. RHODE für sich. Humbug! – nichts als Humbug! LANGIS im Vorübergehn leise zur Gräfin. Auch dies geschieht um Ihrer Tochter willen! Ebenso zu Thecla. Vergessen Sie nicht, daß ich Sie heut noch sprechen muß. THECLA. Langis! LANGIS. Sprechen muß! Die Gräfin ist hinter Thecla getreten. Erwarten Sie mich hier. THECLA. Unmöglich! ... LANGIS. Ziehn Sie es vor, mich in einem andern Zimmer zu empfangen? THECLA zögernd ängstlich. Ich werde hier sein. LANGIS. In einer Stunde! Ab.

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Zehnter Auftritt DIE VORIGEN, ohne LANGIS.

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Alle ausser Thecla und der Gräfin umringen Friedrich. BERGTHAL. Aber jetzt erklären Sie uns ... RHODE. Am Morgen schien dieser Langis Ihr bester Freund – OCTAVIE. Er ist es noch! WALTER. Du leidest, fürcht’ ich, an periodischem Wahnsinn! FRIEDRICH. Keine Vorwürfe! Laß mich! THECLA. Schone ihn. Ich bitte Dich darum. Er kommt hoffentlich bald zu sich, und macht morgen dem Marquis die Entschuldigungen, die er heut von ihm angenommen. Zu Octavie. Sie sind, wie ich höre, für mehrere Tage unser Gast. Ich begleite Sie auf Ihr Zimmer. Ab mit Octavie. FRIEDRICH. Entschuldigungen? – ich? – BERGTHAL. Kommen Sie mit – Herr von Rhode – Ergreift Walter’s Arm. WALTER. Dort steht Herr von Rhode. BERGTHAL. Ja so! – FRIEDRICH. Ich werde ihn noch sprechen! Will gehn. WALTER zu Friedrich. Geh auf Dein Zimmer, Friedrich. Du hast verstanden? FRIEDRICH. Ja! Für sich. Schöpft er Verdacht? will er mich fordern? Wirft sich in die Brust. Ich gehe auf mein Zimmer, ich erwarte Dich dort. Ab. BERGTHAL zur Gräfin. Hören Sie, Frau Gräfin, dieser Tag schließt unangenehm. Wozu geht man auf Reisen? – Mir ist so unbehaglich als wäre ich zu Hause. RHODE. Es liegt ein Geheimniß in der Luft. Kommen Sie, wir wollen darüber nachdenken. BERGTHAL für sich. Welches Vergnügen! Ich bin gerade hergekommen, um mit Herrn von Rhode nachzudenken. Laut. Gute Nacht, Walter – Frau Gräfin! Ab mit Rhode.

Elfter Auftritt GRÄFIN. WALTER,

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WALTER. Verstehn Sie etwas von der albernen Geschichte? Was hat Friedrich? was versetzt ihn in diese Aufregung? GRÄFIN. Du weißt es so gut wie ich. WALTER. Mutter! Sie denken doch nicht ... GRÄFIN. Ich denke, daß er jung ist, begeisterungsfähig – WALTER. Und Thecla schön –

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GRÄFIN. Ja wol, mein Sohn. Sie ist von einem doppelten Zauber umgeben, sie erregt zugleich das Mitleid und die Bewunderung. WALTER. Das Mitleid?!!! ist meine Frau mitleidenswert? GRÄFIN. Ja! denn sie ist Dir gleichgültig. WALTER. Nein, Mutter. Ich habe Thecla aus Liebe geheiratet, und ich liebe sie noch. Aber fünf Jahre sind vergangen, seitdem sie meine Frau geworden. Die fünf letzten Jahre meiner Jugend. Staunen Sie, daß ich nicht mehr wie ein Jüngling empfinden kann? GRÄFIN. Ich staune, daß Du wie ein Greis empfinden willst. Dazu ist’s denn doch zu früh, und es ist eine Täuschung, wenn Du glaubst, über die Zeit der Leidenschaften hinaus zu sein. Die deinen haben nur einen neuen Gegenstand ergriffen. Ein unbesiegbarer Trieb jagt Dich vorwärts, nach den Höhen, nach den Quellen des Einflußes und der Macht. Für alles Übrige ist Dein Interesse abgestumpft. Warum auch nicht? alles Übrige hast Du genossen. Aber, Unglücklicher! die Frau welche Du an Dich gekettet, ist nicht blasirt wie Du, den Becher, an dem Du Dich übersättigt, setzt sie eben erst an junge, durstige Lippen. Ihr Sinn ist noch rege, ihr Herz noch warm und verlangt Befriedigung, die es in der Außenwelt nicht finden kann. WALTER. Und nicht zu suchen braucht, da es sie im Hause finden soll. GRÄFIN. Finden s o l l t e , und zwar bei Dir! ... Thecla – WALTER. Sie hat ihre Kinder – GRÄFIN. Da ist sie, die stereotype Antwort! – Ihre Kinder! – Sind diese Kinder nicht auch die deinen, und glaubst D u Dich entschädigt für jede Forderung an das Leben, weil es Dir diese e i n e bezalte? WALTER. Ich? – Welcher Vergleich?!! bin ich eine Frau? Kann mir die Kinderstube die Welt sein? – Ihr ist sie’s. GRÄFIN. Irrthum, mein Sohn! – Auch einer Frau ist die Kinderstube erst dann die Welt, wenn sie in dieselbe mit befriedigtem Herzen tritt. Thecla’s Herz ist aber kein befriedigtes, es ist auch kein resignirtes Herz. Deine Frau hat noch nicht entsagt, und mit welchem Rechte verlangst Du daß sie entsage? Ist sie nicht jung, schön, geistvoll, vortrefflich? wert jeder Liebe und jeder Verehrung? Du hast geschworen, ihr Deine Existenz zu weihn, gib ihr was ihr gehört! WALTER. Ich begreife Sie nicht, Mutter. Was wollen Sie von mir? Bin ich Thecla nicht treu? laß ich’s an einer Rücksicht für sie fehlen? GRÄFIN. Nimm sie auf in Dein inneres Leben; mache sie zur Vertrauten Deiner Bestrebungen. WALTER. Was soll die Betheiligung einer Frau an ernstem Männerwerk? – Thecla hat über Hirngespinste geklagt – denn sie h a t geklagt, und Sie zu dem herbsten Tadel veranlaßt, den ich je erfuhr. Nun denn, sagen Sie ihr, daß sie Unrecht hat, sich unglücklich zu fühlen. Sie ist die geehrte Mutter meiner Kinder, die unbeschränkte Herrin meines Hauses. Ich gab ihr einen

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schönen Namen, eine glänzende Stellung. Die Huldigungen, welche man ihr in der Welt entgegenträgt, lasse ich sie unbefangen genießen. Ich bin kein eifersüchtiger Tyrann. Es freut mich, meine Frau gefeiert zu sehen. Ist sie mit alledem nicht zufrieden, braucht ihr schwärmerischer Sinn sentimentale Beschäftigung, so begeistre sie sich meinetwegen für irgend einen „Arthur“. Ich erlaube einen platonischen Anbeter, der zur selben Stunde mit ihr den Mond ansieht, wenn es nur an verschiedenen Orten geschieht. Ich erlaube einen eingebildeten Helden, wenn dieser Held nur Friedrich heißt und nicht – Langis! – GRÄFIN. Mein Sohn! WALTER. Sie halten mich für blind, nicht wahr? Aber selbst einem Blinden hätte die lächerliche Scene von vorhin die Augen geöffnet. GRÄFIN. Wer läugnet Friedrich’s kindische Leidenschaft für Deine Frau? – Ich doch nicht, die halb und halb mit angehört, wie er sie ihr erklärte. WALTER kurz. So? – GRÄFIN. Die Art, in welcher Thecla ihn zurechtwies, trieb ihn zu dem thörichten Ausbruch ... WALTER. Der – wie Eifersucht aussah. GRÄFIN. Und trotzige Verzweiflung war. Friedrich stellte sich der Degenspitze Langis’ entgegen, wie er sich einem Blitzstrahl entgegen gestellt hätte. WALTER. Es mag sein. Nein! – Sie sagen es – es ist! KAMMERDIENER meldend. Der Wagen des Herrn Grafen. Ab. GRÄFIN. Wohin, mein Sohn? WALTER. Ich verreise für drei Tage. GRÄFIN. Diese Reise ist unaufschiebbar? WALTER. Unaufschiebbar. Es gilt eine wichtige Mission, deren Erfolg vielleicht über meine Zukunft entscheidet. Für meine Gäste bin ich eines Prozesses wegen plötzlich nach der Stadt berufen worden. Leben Sie wol, Mutter. Will gehn. GRÄFIN. Von Deiner Frau hast Du Abschied genommen? WALTER. – N–ein! – GRÄFIN. So thue es denn. WALTER sieht nach der Uhr. Zu spät. Es ist keine Sekunde zu verlieren, oder ich versäume den Train. GRÄFIN. Walter! Walter! WALTER. Sagen Sie ihr meinen Gruß. Sie schläft wol schon und läßt sich von einem geträumten Werther den träumerischen Ossian vorlesen. – Adieu, Mutter. GRÄFIN. Adieu, Walter. WALTER. Darf ich den Weg durch Ihre Zimmer nehmen? GRÄFIN. Warum nicht? Geht voran.

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WALTER folgt ihr einige Schritte, und bleibt dann stehn. Sie waren heut zum ersten Mal in Ihrem Leben hart gegen mich. GRÄFIN. Zum ersten Male auch stand ich vor meinem Sohn wie vor einem Fremden. Ich kenne Dich nicht mehr. Nein! nicht innre Glut deckt Deine äußre Kälte. Du bist im Tiefsten angehaucht vom Froste der Gleichgültigkeit gegen diejenige welche Dir die Theuerste sein sollte. Ich bedaure Dich – noch mehr aber bedaure ich – Thecla! Geht. WALTER ihr folgend. Warum denn? – ich gönne ja meiner Frau alles was ihr Vergnügen macht. Ich hindre sie nicht einmal, ihre Romane zu spielen, so lange sie nur – wolverstanden – bei den ersten Capiteln bleibt! Beide ab nach rechts.

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THECLA tritt rasch aus der Bibliothek. Du hinderst mich nicht, meine Romane zu spielen? o nein – Du nicht! Du hinderst mich auch nicht, i h n zu lieben, der anders ist als Du! Mein Herz gibst Du frei? Bevor Du es gethan, trug es Deine Fesseln nicht mehr! – Du verschenkst was Dir genommen war ... Dem Vogel, der schon die Flügel in blauen Lüften wiegt, sagst Du: „Ich binde Dich nicht“ ... Sie wirft sich schluchzend auf den Balzac und verbirgt das Gesicht in den Kissen. Was Dein ist – behalte! – was Du unwiederbringlich nahmst; diese Hand, die sich für ewig in die Deine legte – behalte sie! – Deine Ehre werde ich Dir nicht kränken, Deinen Namen Dir nicht beflecken, ist er doch der Name meiner Kinder! ... Aber los von Dir reißt sich die mißhandelte Seele, los für immer das beleidigte Herz! – Geräusch von aussen. Stimme der Gräfin. Seine Mutter – o ich kann sie nicht sehn, nicht jetzt! – Tritt in die Bibliothek zurück.

Dreizehnter Auftritt Die GRÄFIN aus ihrem Zimmer, der KAMMERDIENER durch die Mitte. GRÄFIN. Löschen Sie die Lichter, schließen Sie die Galerie. KAMMERDIENER. Ich komme deshalb, Frau Gräfin. Er löscht die Lampen auf dem Camine, dann die Lichter auf den Spieltischen. Heller Mondschein leuchtet durch die Fenster der Galerie. GRÄFIN für sich. Hier sollte sie ihn erwarten. Er wird nicht eintreten. Laut. Ist Charlotte bei der Gräfin?

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KAMMERDIENER. Sie ging soeben hinauf. GRÄFIN. In der Bibliothek ist noch Licht. KAMMERDIENER an der Bibliothekthüre. Nein, Frau Gräfin. GRÄFIN. Sonderbar – mir schien doch eben – KAMMERDIENER. Die Lampe muß ausgegangen sein. GRÄFIN. Es ist gut. Sagen Sie Charlotten, daß ich noch hinauf zu der Gräfin kommen werde. Ab in ihre Zimmer. Kammerdiener geht durch die Mitte. Man hört die Galerie von aussen verschliessen.

Vierzehnter Auftritt THECLA. Später LANGIS.

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THECLA. Ich auf der Flucht vor meinen Leuten – Verstecken spielend in meinem eig’nen Haus – o Schmach! Sie will durch die Galerie forteilen. Verschlossen! Versucht an der zweiten Thüre. Auch hier! – verschlossen alles! – und sie – kommt zu mir – die mich für schuldlos hält – ganz schuldlos! ... Wer eilt dort über die Terrasse? kommt hieher – rüttelt am Schlosse? – Er ist’s – Langis! – Beugt sich hinaus. Stille! – still! – Er steigt die Treppe hinab – er geht, Gott sei Dank! Sie tritt in das Zimmer zurück. Horch! – was ist das? ... Es knistern und brechen die Zweige ... Himmel! LANGIS erscheint am geöffneten Fenster und springt herein. Sie sind hier? Sie erwarten mich? Thecla! Thecla! THECLA. Still, um Gotteswillen! – Ja, ich bin hier, aber um Sie zu bitten, um Ihnen zu sagen – Langis, Sie müssen fort – um Ihnen zu wiederholen: Ihr Opfer darf nicht gelten – ich nehm’s nicht an, Langis. LANGIS. So lieben Sie mich nicht? THECLA. O Gott! LANGIS. Und ich Thor! ich Thor, der glaubte – THECLA. Lieben? LANGIS. Thecla! THECLA. Langis! Langis! ich bin freudlos, mache mich nicht elend! ... Ich bin unglücklich, mache mich nicht schlecht! – LANGIS kniet vor ihr nieder. Beruhige Dich, süße, herrliche Frau! THECLA. Verlassen Sie mich, Langis! Gehn Sie, ich beschwöre Sie! LANGIS. Verlassen? – Steht auf. Dies Zimmer denn, aber nicht dies Haus! – Ich bitte um nichts, ich begehre nichts, aber laß mich bleiben – ich will Dich nur sehn, nur Deine Stimme hören, Dir danken, daß Du so schön bist, Theil nehmen an Deinen guten Werken, besser werden in Deiner frommen Nähe – THECLA. Langis! Langis!

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LANGIS. Thecla! – Ergreift ihre Hände. THECLA. Wenn Du mich liebst, so geh – – ich liebe Dich und ich bitte Dich: Geh! – Hab Mitleid mit meiner zitternden Angst! ... Entzieht sich seinen Armen. LANGIS. Thecla! Ich gäbe meine Seligkeit um Dich zu besitzen, und ich berühre nicht den Saum Deines Kleides! – ich gäbe die Erde und den Himmel um jetzt zu bleiben, und ich gehe! – Er ist mit ausgebreiteten Armen auf sie zugeeilt, bleibt dann stehn, neigt sich tief vor ihr, eilt zum Fenster und klettert hinab. THECLA die ihm angstvoll nachgesehn, sinkt in das Sofa zurück. Jetzt erbarme Dich meiner, o Gott, denn nichts beschützt mich mehr!

Dritter Aufzug Salon bei Thecla. Früher Morgen.

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CHARLOTTE an der Mittelthüre im Hintergrunde, auf einem Sessel eingeschlafen, mit einem Buche in der Hand. GRÄFIN kommt von links. Charlotte! CHARLOTTE fährt zusammen. Frau Gräfin – befehlen?! GRÄFIN. Sie lesen, Charlotte? CHARLOTTE noch halb im Schlafe. Lesen? merkwürdig – ich dachte wirklich, daß ich schliefe, ach Gott! und jetzt seh’ ich erst daß ich gelesen habe. Die Frau Gräfin werden zu Bette gehn ... GRÄFIN. Erwachen Sie, es ist heller Tag. CHARLOTTE. Merkwürdig, ach Gott! – So wären die Frau Gräfin gestern zur Ruhe gegangen, ohne mir zu schellen ... GRÄFIN. Im Gegentheil, Charlotte, die Gräfin schellte, und wiederholt. CHARLOTTE. Und ich – die nicht hörte! – weil ich hier war und wartete, und mich hieher gesetzt hatte, dicht an die Thüre, um die Frau Gräfin gleich kommen zu hören ... GRÄFIN. Die Gräfin kam die kleine Treppe herauf, aus meinen Zimmern. Da es spät geworden, dachten wir, Sie schliefen schon, Charlotte, und die Gräfin entkleidete sich selbst. CHARLOTTE. Selbst! ... entkleidete sich selbst?! ach Du mein Gott! ... und ich indessen sitze hier und warte, und warte! Sich verbessernd. und lese und lese! ... Ich muß nur jetzt gleich hinein und nachsehn! Eilt hinaus.

Zweiter Auftritt GRÄFIN allein. GRÄFIN. Als ich sie gestern fand – halb außer sich, in Thränen schwimmend, wollt’ ich nicht mit Fragen in sie dringen. Heut’ wird sie mir nicht schweigen. Sie kann ja reden, sie! – Hat sie doch nur ein Leid zu klagen, nicht eine Schuld einzugestehn! –

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Dritter Auftritt VORIGE. THECLA von rechts.

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Vor 1

THECLA geht auf die Gräfin zu und küsst ihre Hand. GRÄFIN. Schon auf, mein Kind? THECLA. Ich wollte zu Ihnen ... Ihnen danken! GRÄFIN. Mir? und wofür? THECLA. Dafür, daß Sie sich gestern meiner angenommen – so mütterlich und gut ... GRÄFIN. Indem ich Dich heraufgeleitet? – der große Dienst! THECLA. Nein, Mutter! – indem Sie meine Sache bei Waltern führten. Ich habe Ihr Gespräch mit ihm mit angehört. GRÄFIN erschrickt. Mit angehört? THECLA. Verzeihn Sie meine Kälte, mein Fremdsein gegen Sie! – Mutter! – ich wußte nicht daß Sie mich liebten. GRÄFIN. Ich liebe Dich, meine Tochter, und ich verehre Dich. Verstehst Du, Thecla, die Kraft dieses Wortes in dem Munde einer Mutter? ... THECLA verbirgt ihr Gesicht. Nicht so! – ich verdien’ es nicht – GRÄFIN. Liebes Kind! – THECLA. Halten Sie ein! ... Sie wissen nicht, daß Sie mich beschämen – so tief – so fürchterlich – GRÄFIN. Um Gotteswillen, Thecla – nein! – Du hast Dir nichts vorzuwerfen! ... THECLA. Halten Sie mich nicht für besser als ich bin – ich liebe, den ich nicht lieben sollte, und er – o Mutter! – er weiß es daß ich ihn liebe! – GRÄFIN für sich. Himmel! – Laut, ringt nach Fassung. Du sprachst ihn gestern noch? – gestern im Salon? – wie ist das möglich, nachdem ich doch die Galerie schließen lassen? – THECLA. Er kam – ich sprach ihn – er übte seinen namenlosen Zauber – noch klangen Walter’s höhnende Worte mir ins Ohr – GRÄFIN aufathmend. Und halb bestochen durch seine Wärme, halb von Deinem Unmut verführt, gestandest Du, was in jenem Augenblicke kaum wahr gewesen, was in Kurzem gewiß nicht mehr wahr sein wird. Übertreibe Dir nicht selbst die Gefahr, mein geliebtes Kind – Du konntest vielleicht schwanken einen kurzen Moment, aber Du k a n n s t nicht sinken! – es ist unmöglich! – fest wie mein Glaube an das Gute, steht mein Vertrauen auf Dich. THECLA. Meine ganze Seele send’ ich empor in einem inbrünstigen Gebete um Kraft ... GRÄFIN fällt ihr ins Wort. Der Wille ist die Kraft. Was bleibt mir noch für Dich Dritter Auftritt ] Dritter Aufzug Schreibfehler

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zu wünschen? Ein Letztes, Einziges: die Entfernung des Mannes, der Dich an Dir selbst irre gemacht. THECLA. Ja, Mutter! er muß fort ... Ich sage es – zürnen Sie nicht, daß ich’s mit Thränen sage. GRÄFIN. Wer kommt da? Dieser Schritt ... THECLA. O Gott! – – der seine! – GRÄFIN. Laß mich mit ihm allein. THECLA eilt nach der Thüre rechts.

Vierter Auftritt VORIGE. WALTER.

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GRÄFIN und THECLA zugleich. Walter?! WALTER. Ich. GRÄFIN. Mein Sohn – WALTER. Erschrecken Sie vor mir? GRÄFIN. Du schon zurück? – so bald – so unerwartet? WALTER mit einem Blicke nach Thecla, die zitternd stehen blieb. Und so unwillkommen. GRÄFIN. Wer sagt das? WALTER. Ihre Miene und die Miene meiner Frau. GRÄFIN. Du irrst, Walter. Ergreift Thecla’s Hand und führt sie ihm zu. Hier steht Deine Frau, die Dich begrüßt. WALTER. Das seh ich nicht. – Ich ging gestern ohne Abschied, Du empfängst mich heute ohne Gruß. So wären wir ja quitt, und hätten einander nichts vorzuwerfen. THECLA. So denke ich auch. Ich grolle nicht, Walter, und ich erwarte dasselbe auch von Dir. Sie geht.

Fünfter Auftritt VORIGE. Ohne THECLA. WALTER. Erklären Sie mir – warum diese Kälte, Mutter – dieses fremde Wesen? GRÄFIN. Warum, mein Sohn? Thecla hat unsrem Gespräche von gestern Abends gelauscht. WALTER. Unsrem Gespräche? ...

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GRÄFIN. Der – Zufall führte sie in die Bibliothek im Augenblicke wo Du ihr die freisinnige Erlaubniß ertheiltest, ihre Fantasie mit irgend einem Helden zu beschäftigen, unter der Bedingung daß er nicht Langis heiße. WALTER. Verwünscht! GRÄFIN. Nun, mein Sohn, Thecla wäre keine rechte Frau, wenn sie nicht gerade ihn zum Gegenstande der Träumereien machte, mit denen Du Deiner Frau gestattest sich die Zeit zu vertreiben. WALTER der unruhig auf und ab gegangen, bleibt vor der Gräfin stehn. Ich fühle die herbe Ironie in Ihren Worten. Sie trifft mich, wie Ihr gestriger Tadel mich traf – im Innersten. Es ist überflüßig, zu b e t h e u e r n was man b e w e i s t . Lange Zeit warte ich auf die Gelegenheit, meine Tüchtigkeit für den Posten, den ich anstrebe, zu beurkunden. Sie ist da, und ich lasse sie unbenützt vorüber gehn. Dies geschieht, weil ich erkannte, daß, so nah am Ziele – meine Gedanken ihm ferne waren. Sie hatten mir über mich die Augen geöffnet, ich sah ein, daß ein Mensch, der die nächsten Pflichten versäumt, ferner liegende schwerlich erfüllen wird. Ich bereute, ich beschloß gut zu machen, ich kam zurück. Jetzt aber hoffe ich, hier nicht kalte Abweisung, sondern eine herzliche Aufnahme zu finden. GRÄFIN. Und wenn Du sie nicht finden solltest? WALTER. Das verhüte Gott! – Kein zweites Mal würd’ ich zurückkehren, wie ich heut zurückgekehrt. GRÄFIN. Jahrelang standest Du Deiner Frau gleichgültig gegenüber, wie soll sie anders als mit Befremdung die ersten Zeichen Deines veränderten Gefühls aufnehmen? WALTER. Mit Entzücken würde sie es thun, wenn sie mich liebte. ... Mutter! was ich heut’ plötzlich sehe, was sich vor mir erhebt, so neu als wär’s in dieser Minute geboren – Sie sahen es kommen und wachsen – Warum warnten Sie nicht früher? GRÄFIN schmerzlich. Warum? – warum?! Nach einer Pause. Der Vorwurf ist gerecht. Auch ich habe gefehlt. Laß mich’s nicht entgelten, Sohn! – vor allem laß s i e nicht entgelten, was unser Unrecht war. ... Jetzt beschwör’ ich Dich: Sei mild mit Deinem Weibe! – Die Wandlung auch in ihrem Gemüte sich vollziehn zu lassen, braucht es Zeit. Gönne sie ihr, ohne Ungeduld, ohne Groll! – Ich fordre viel – doch fordre ich’s – für Dein Glück. – Zu Thecla! Beide ab.

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Verwandlung. Decoration des ersten Aufzugs.

Sechster Auftritt LANGIS und FRIEDRICH fechten.

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LANGIS. Parire denn! gut – ganz gut. – Nur ruhig. So! – Die Degenspitze immer gegen mein linkes Auge gerichtet. Kaltblütig, Friedrich! Laß die Hand nicht sinken. Ausgezeichnet! – In acht Tagen bin ich nur mehr ein Pfuscher gegen Dich. FRIEDRICH. Du spottest. LANGIS. Im vollen Ernste: Nein! FRIEDRICH. Du würdigst mich wirklich, im vollen Ernste mit mir zu sprechen? – Langis! Ich habe diese ganze Nacht wie ein Knabe geweint, aber auch wie ein Mann gerungen – ich habe mich geschämt vor mir und vor Dir und vor Thecla! Ausgerissen hab’ ich aus meinem Herzen, mit allen ihren Wurzeln, die verbrecherische Leidenschaft für sie, und mir zugeschworen hab’ ich –: Du wirst dasselbe thun! LANGIS. Ja Freund – – das kann man nicht immer. FRIEDRICH. Das k a n n m a n , Langis! – Spiele nicht mit mir – ich bin der Friedrich von gestern nicht mehr. Ich fühl’s, es war schändlich, Walter’s Frau zu begehren, schändlich von mir – und schändlich ist es auch von Dir! LANGIS. Friedrich – ich möchte Dich behandeln wie einen Freund – was stellst Du Dich mir wie ein Feind entgegen? – FRIEDRICH. Und wie kein ungefährlicher! – Lache nicht. – Ja! Du bist ein beneideter, gefeierter Mann, und ich bin ein unbedeutender junger Mensch, und ich sage Dir: fürchte mich! – Deine ganze Herrlichkeit ist in meinen Augen dahin – ich habe auf meiner Seite das gewaltige Übergewicht der guten Sache. Ich will das Rechte, Du trägst Dich mit dem Gedanken an ein Verbrechen! LANGIS. Laster, mein Lieber! – Übrigens – allen Respekt vor Dir. Ich ehre die Regung, die Dich treibt, so zu mir zu sprechen. FRIEDRICH. O geh! ... LANGIS. Mein Wort darauf: die Tugend der andern flößt mir Bewunderung ein. Was mich jedoch betrifft – Ohne Leichtfertigkeit. an mir ist nichts mehr zu verderben und nichts mehr zu retten. Ich bleibe schon bei meiner Lasterhaftigkeit. FRIEDRICH. Hier wenigstens sollst Du sie nicht ausüben – hier nicht!

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Siebenter Auftritt DIE VORIGEN. GRÄFIN mit WALTER, THECLA mit BERGTHAL, OCTAVIE mit WERNER, und RHODE kommen aus dem Schlosse. Begrüssung.

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GRÄFIN im Vorübergehn zu Langis. Ich habe Ihnen etwas zu übergeben. Sie setzt sich an den Tisch. THECLA dasselbe Spiel. Charlotte hat einen Brief für Sie. Setzt sich neben die Gräfin. OCTAVIE dasselbe Spiel. Zwei Worte! – wenn die andern fort sind. Setzt sich auf einen Sessel neben der Gräfin. Langis tritt hinter sie. Friedrich geht mit Rhode auf und ab. Werner und Walter bleiben links, dem Etablissement gegenüber stehen. WERNER zu Walter. Ich glaubte Dich über alle Berge. WALTER Langis beobachtend. Er spricht mit Octavie und kokettirt mit Thecla. WERNER. Wie kommt’s daß Du nicht abgereist? WALTER. Unvorhergesehene Hindernisse. Für sich. Wie er sie ansieht! WERNER. Hindernisse? WALTER. Doch erhält er nicht einen Blick – nicht einen! WERNER. Schade! eine so günstige Gelegenheit ... WALTER sich vergessend, halblaut. O sie liebt mich noch! WERNER. Wer? WALTER. Niemand – nichts – WERNER. Was ist Dir, Du bist so zerstreut? Sie gehn zurück. Bergthal setzt sich neben Thecla. Wie geht es heut’, schönste Gräfin? THECLA kurz. Ich danke. Beschäftigt sich mit ihrer Arbeit. BERGTHAL für sich. Etwas verstimmt. Setzt sich zu Octavie. Und die liebenswürdigste Baronin? immer heiter! immer sprudelnd von guter Laune. Darf ich theilnehmen an Ihrem interessanten Gespräche? OCTAVIE die mit Langis gesprochen, wendet sich. Ich danke. Spricht wieder mit Langis. BERGTHAL. Hm! – hat keine Zeit. Setzt sich zur Gräfin. Sie wickeln ab? O gnädigste Gräfin, erlauben Sie mir, Ihr Haspel zu sein. GRÄFIN in Gedanken. Ich danke. BERGTHAL für sich. Auch? – Hm! hm! ich muß heut nicht meinen geistreichen Tag haben. WALTER zu Friedrich, auf die Degen zeigend. Hast Du gefochten? – mit Langis? FRIEDRICH. Ja wol. LANGIS. Und vortrefflich. Ich wollte ihm eine Lektion geben und erhielt eine von ihm. WALTER zu Friedrich. Dein Zornesrausch ist doch ausgeschlafen? FRIEDRICH mit einem Blicke auf Thecla.

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So vollkommen als hätte diese Nacht ein halbes Jahrhundert gedauert. THECLA gezwungen heiter. Fröhliches Erwachen also – Dornröschen! BERGTHAL. Haha! – wenn es dem Erwachen Dornröschens glich, dann war es freilich ein fröhliches! – Sie wissen doch, wodurch diese Prinzessin ins Bewußtsein zurückgerufen wurde? THECLA. Eine alte Geschichte. BERGTHAL. „Doch bleibt sie immer neu.“ Dornröschen’s gab ’s zu allen Zeiten, gibt es bis zur Stunde, gibt es sogar hier im Hause. THECLA zerstreut. Unglaublich! Beschäftigt sich mit ihrer Arbeit. BERGTHAL. Ihre Camarilla wird mich verwünschen – ich verrate ohne Zweifel ein Geheimniß – WALTER. Ein Geheimniß? BERGTHAL. Aber die Versuchung ist zu groß – OCTAVIE. Unterliegen Sie ihr! BERGTHAL. Von Herzen gern! – Nun denn: Heut Nacht kam ich aus dem Pavillon, den Rhode am äußersten Ende des Gartens bewohnt, zum Schlosse zurück. Hier schien alles zu schlafen – tiefe Stille rings umher wie im Märchen – heller Mondenschein. OCTAVIE. Äußerst spannende Einleitung! BERGTHAL. Ich gehe in Gedanken, und gehe – GRÄFIN. Kommen Sie an, lieber Bergthal. BERGTHAL. Und komme an – beim Schlosse. Und hier nun sah ich – – OCTAVIE. Prahler! Sie wollen etwas gesehn haben? BERGTHAL. Ja wol sah ich! ich sah ihn aus dem Fenster steigen. Thecla, Walter, Rhode, Werner, Friedrich fast zugleich: THECLA halb unterdrückt. O Gott! WALTER. Wen denn? RHODE. Aus dem Fenster? WERNER. Aus welchem Fenster? FRIEDRICH. Wen? – Bergthal, wen? BERGTHAL. Ruhe! Ruhe! FRIEDRICH. Wer war’s? BERGTHAL. D a s kann ich nicht sagen. THECLA. Ich athme wieder! BERGTHAL. Ich war ja – wenigstens! – drei Schritte von ihm ... OCTAVIE. Als er aus dem Fenster stieg? BERGTHAL. Das heißt – als er von der Treillage herab und auf den Boden sprang. RHODE. Jetzt sprang er wieder von der Treillage! BERGTHAL. Natürlich – WALTER. Du sprachst doch vorhin von einem Fenster. Sieht Thecla an. Sie ist todtenblaß.

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BERGTHAL. Aus dem ich annehme, daß er auf die Treillage stieg, da ich doch nicht annehmen kann, daß er auf der Treillage wohnt. OCTAVIE. Unter Weintrauben – wer weiß! RHODE zu Octavie. Bitte! Sie machen ihn ganz confus. Zu Bergthal. Gut also – er sprang von der Treillage, und dann? BERGTHAL. Dann lief er davon. WALTER. Und Du riefst ihn nicht an? BERGTHAL. O ja – aber er gab keine Antwort. FRIEDRICH. Du befahlst ihm nicht, zu stehn? BERGTHAL. O ja, aber er rannte fort. WALTER. Und Du ranntest ihm nicht nach? BERGTHAL. O ja, aber im Laufe stieß ich an einen kleinen Gegenstand ... WERNER. Eine Baumwurzel – BERGTHAL. Baumwurzel? – ich glaube, es war das Glashaus ... OCTAVIE. Wirklich ein ganz kleiner Gegenstand? BERGTHAL. Ich stürzte – und der Fliehende entkam. RHODE. Verwünscht! WALTER. Die Richtung, die er nahm auf seiner Flucht, mußt Du kennen. BERGTHAL. Offenbar lief er dem rechten Schloßflügel zu. RHODE. Da hat ihn der Herr Marquis wol ankommen gesehn, denn er wohnt ja doch im rechten Schloßflügel. FRIEDRICH. Ja wol, ja wol! RHODE für sich. Die Gräfin scheint absonderlich bewegt. WALTER zu Bergthal. Das Fenster, aus dem jener große Unbekannte stieg, wirst Du wol beiläufig anzugeben wissen. BERGTHAL. Ja – sehr beiläufig – WERNER. Es muß ein Fenster des Mitteltrakts gewesen sein, denn nur an diesen sind Treillagen angebracht. WALTER. Ganz recht. GRÄFIN leise zu Thecla. Fassung! Laut. Den Mitteltrakt aber bewohne ich allein. BERGTHAL. Sie bewohnen ihn mit Ihrem Gefolge, und unter diesem befindet sich ein allerliebstes Kammermädchen. GRÄFIN. Bergthal! BERGTHAL. – Das einen allerliebsten Verehrer besitzt – verzeihn Sie – ich meine nur – unmöglich wäre es nicht – und ich versichere Sie, Frau Gräfin – es kommt vor. THECLA. Bergthal – in unsrem Hause – RHODE. Herr Marquis! Sie sprechen ja gar nicht! Jener Flüchtling, mit dem Sie in einem Schloßflügel wohnen – BERGTHAL. Und der am Ende niemand anderer ist als Ihr kleiner John. FRIEDRICH. John! BERGTHAL. Nicht wahr? nicht wahr? ich hab’s getroffen?!

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LANGIS. So gut wie den – Hirsch von gestern. RHODE leise zu Walter. Er weiß von der Geschichte! Laut. Also John war es nicht, das wissen Sie gewiß? LANGIS. Gewiß, Herr von Rhode, weiß man auf dieser Welt sehr wenig Dinge; unter diese wenigen gehört jedoch die Thatsache, daß anständige Leute vor Damen Gespräche über nächtliche Ausflüge der Lakaien – vermeiden. RHODE für sich. Impertinent! was soll ich damit machen? – Ich geb’s weiter! Laut. Diese gute Lehre ward unter Deiner Adresse aufgegeben, Bergthal! BERGTHAL bestürzt. Sie erschrecken mich ... Hätt’ ich eine Ungeschicklichkeit begangen? ... Meine Damen, ich bin – entschuldigen Sie – ich bin in Verzweiflung ... WALTER. Zu spät, Bergthal. Die Ungeschicklichkeit – Du verzeihst! – ist einmal begangen, ein Verdacht einmal erweckt. Jetzt bleibt nichts übrig als völlige Aufklärung desselben zu fordern, und wird sie verweigert, die Unschuldigen mit den Schuldigen zur Verantwortung zu ziehn. Sie, liebe Mutter, werden die Gnade haben, Ihren Leuten zu sagen, was ich den meinen sogleich ankündige. Wenn ich binnen zwei Stunden nicht erfahre, wer heut nachts aus einem Fenster des Schlosses in den Garten stieg, so ist morgen die sämmtliche Dienerschaft entlassen. BERGTHAL. Was fällt Dir ein?! THECLA. Aber Walter – BERGTHAL. Daran bin ich Schuld! – ach Gott – daß ich schwatzen mußte! OCTAVIE. Ja diese Männer – das kann nicht schweigen – BERGTHAL. Lieber! Bester! bedenk doch – die sämmtliche Dienerschaft entlassen – WALTER. Es bleibt dabei. BERGTHAL. Ich nehme sie alle in meine Dienste! alle! GRÄFIN. Sie werden nicht in die Lage kommen, diese Großmut auszuüben, mein lieber Bergthal, denn ich löse das Räthsel! Walter, die Übrigen ausser Thecla, Thecla, Walter, Werner, Friedrich, Rhode, Octavie, Bergthal sehr rasch: WALTER. Sie, Mutter? DIE ÜBRIGEN, ausser Thecla. Die Gräfin? THECLA leise. O was thun Sie? WALTER. Nun? nun? WERNER. Reden Sie! FRIEDRICH. Wer war’s? RHODE. Der Prinz aus dem Märchen? OCTAVIE. Vielleicht nur der Kater der alten Charlotte! BERGTHAL. Mir schien es ein größerer Gegenstand. GRÄFIN. Jener Gegenstand, mein lieber Bergthal, war eine Person –

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BERGTHAL. Und jene Person? – ich bin äußerst gespannt, zu hören was ich gesehen habe. GRÄFIN. Und jene Person niemand anderer als der Herr Marquis. Langis, Gräfin, Thecla, Werner und Walter, Rhode und Friedrich, Bergthal fast zugleich: LANGIS. Frau Gräfin! GRÄFIN. Läugnen Sie’s? THECLA. Mutter! WERNER und WALTER. Langis! RHODE und FRIEDRICH. Also doch! BERGTHAL. Wer? Er? dieser da? LANGIS leise. Wollen Sie Ihre Tochter verderben? GRÄFIN ebenso. Retten will ich sie! WALTER. Werden wir endlich hören? LANGIS. Gräfin, ich beschwöre – GRÄFIN. Herr von Langis! – der gestern etwas für ihn sehr Wichtiges im Salon vergaß – BERGTHAL. So? so? Was war’s denn? RHODE sehr leise zu Friedrich. Es wird sein Herz gewesen sein. GRÄFIN direct an Langis. – Es vergaß – mit unverzeihlichem Leichtsinn! Als er sich darauf besann und eiligst kam, es zu holen, fand er die Thüre der Galerie verschlossen. Nicht wahr? Herr Langis? Langis verneigt sich bejahend. Es blieb nichts übrig als durch das Fenster einzudringen, das ich selbst – den Blumen zu Liebe geöffnet hatte. RHODE für sich. Den Blumen? Für sich. Im October! – WALTER. Das ist alles? – Fand er was er gesucht? GRÄFIN. Nein – und zwar aus dem guten Grunde – weil ich es einige Stunden vorher auf dem Camin liegen sehe und zu mir genommen hatte. Als Sie kamen, Marquis, war ich da – LANGIS. Wie, Frau Gräfin? GRÄFIN. Und war grausam genug, Sie suchen zu lassen was Sie nicht finden sollten. Ich erbarmte mich Ihrer Angst und Unruhe nicht, sie schienen mir nur die gerechte Strafe Ihrer 〈unerlaubten〉 Vergeßlichkeit – LANGIS. Aber das ist ja – GRÄFIN. Abscheulich – Sie haben Recht. Jetzt ist Ihre Prüfung zu Ende und hier übergebe ich Ihnen Ihr Eigenthum, Herr von Langis – ich will sagen: Herr Graf von Favreuse und Du-Châtel! OCTAVIE. Er ist’s! er ist’s! – THECLA leise zur Gräfin. O Mutter – ich danke Ihnen! – WERNER, RHODE, FRIEDRICH. Was soll das heißen? 〈unerlaubten〉 üdZ, eingewiesen nach Ihrer.

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WALTER. Was enthalten diese Schriften? GRÄFIN. Nichts mehr und nichts weniger als die Schenkung eines großen Vermögens, die Übertragung eines glänzenden Namens. Gratulieren Sie dem Grafen, meine Herrn, und condoliren Sie uns, denn seine Familie gewinnt, und wir verlieren ihn. WALTER. Versteh’ ich recht? Dein Onkel versöhnt sich mit Dir? GRÄFIN. Aber er ruft ihn zurück – THECLA mit fester Haltung. Und freudig folgen Sie seinem Rufe, Herr Marquis – Sie thun es bald. LANGIS leise. Thecla – dieser Ton – BERGTHAL fällt Langis um den Hals. Kaum gewonnener Freund – ich werde Dich besuchen! WALTER. Mit seiner Frau – WERNER. Ich wünsche Ihnen Glück – FRIEDRICH. Und ich – RHODE. Und ich! – doch sagen Sie mir nur, was machte Sie gestern so zerstreut? FRIEDRICH ihm ins Wort fallend. Dich liebt das Schicksal – RHODE. Recht nach Art der wahren Liebe! Für sich. Es weiß selber nicht, warum? Alle umringen Langis, ausser Thecla, Walter und Gräfin. WALTER leise zur Gräfin. Ihre Erklärung genügt – diesen. Mir, liebe Mutter, genügt sie nicht. Ich werde von Ihnen die ganze Wahrheit fordern. GRÄFIN zu Langis. Wann werden wir von Ihnen Abschied nehmen? LANGIS. Nicht so bald, Frau Gräfin! GRÄFIN. Ich fürchte doch! Lesen Sie doch, ich bitte, Bedingung Numero eins des Dokuments Numero eins. Sie lautet: „Sofortige Rückkehr nach Paris.“ Nicht wahr? – O ich wußt’ es ja, das haben Sie übersehn. LANGIS. Sie sind sehr gnädig, mich darauf aufmerksam zu machen. Leise. Sie vernichten mich. WALTER. Nach alledem steht Deine Abreise unmittelbar bevor. OCTAVIE. Unmittelbar! BERGTHAL. Du hältst Dich in der Hauptstadt nicht auf? LANGIS. Ich weiß es nicht. BERGTHAL. Ich begleite Dich! Für sich. Es könnte ihm einfallen, sich auf der Durchreise meiner Frau vorstellen zu lassen! – WERNER dem ein Bedienter Briefe übergeben. Oder gibt es Neuigkeiten! Walter! – Walter! – Ministerielles Siegel. WALTER. Komm – komm mit auf mein Zimmer. Macht hastig einige Schritte gegen den Ausgang, besinnt sich aber und bleibt stehn. Thecla! THECLA. Was willst Du? Tritt zu ihm. WALTER. Dieser Brief bringt die Nachricht eines großen Sieges oder einer großen Niederlage. Ich bitte um Deine Theilnahme im ersten, Deinen Trost im zweiten Falle, um Deinen Rat in beiden.

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THECLA. Um – meinen – Rat – Du? ... WALTER. Ja, ich. THECLA für sich, im Hinausgehn. Träum’ ich denn? Walter, Thecla, Werner ab. OCTAVIE die während des Vorhergehenden leise mit der Gräfin gesprochen. Ihren Arm, Herr von Rhode, lassen Sie uns dem kranken Bob einen Condolenzbesuch machen. Einige Stückchen Zucker, wenn Sie so gut sein wollen, lieber Bergthal. BERGTHAL. Ich fliege. Ab. OCTAVIE. Friedrich, Sie kommen mit. Ein tête-à-tête mit Herrn von Rhode ist mir zu gefährlich. Ab mit Rhode und Friedrich.

Achter Auftritt GRÄFIN. LANGIS.

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LANGIS. Haben Sie eine rettende That gethan, oder eine verderbliche? Ihrer Erklärung, Frau Gräfin, widersprechen meine Handlungen. Ich kehre nicht nach Paris zurück. GRÄFIN. Doch, Herr Marquis! – Doch! LANGIS. Ich trete das Erbe meines Onkels nicht an – GRÄFIN. Doch, Herr Marquis! LANGIS. Ich habe es ausgeschlagen. GRÄFIN. In einem Telegramm, das Sie gestern durch einen uns’rer Diener aufgeben lassen? LANGIS. Ja, Frau Gräfin. GRÄFIN. Dieses Telegramm wurde nicht abgeschickt. LANGIS. Wie –? GRÄFIN. Ich nahm es dem Diener ab, welchem Sie es anvertraut. LANGIS. Aber das ist ja ein Verrat ... GRÄFIN. Noch wurde es nicht gebracht, das thörichte Opfer, dessen Früchte Sie doch nie genießen sollen. Thecla muß glauben, daß Sie es niemals bringen wollten – und Sie, Herr Marquis, müssen sie in diesem Glauben bestärken! – LANGIS. In dem Glauben, daß ich mit meinem Opfer vor ihr nur geprahlt? – O, nichts leichter als das – Sie fordern in der That eine wahre Spielerei! GRÄFIN. Ich weiß, was ich fordre, und weiß, von wem ich’s fordre. LANGIS. Halten Sie mich für einen Heiligen oder für einen Dummkopf, Frau Gräfin? GRÄFIN. Ich halte Sie für einen Menschen, der edler R e g u n g e n noch fähig ist, obwol nicht mehr fähig, das Edle dauernd zu üben. Sie können gewiß

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nicht immer das Gute thun, aber die Kraft mute ich Ihnen zu, einmal etwas Großes zu vollbringen! ... Es wäre etwas Großes, Langis, die Empfindung eines Weibes, das Sie nicht lieben darf, in Gleichgültigkeit zu verwandeln – LANGIS. Sagen Sie: in Verachtung! – denn das ist’s was Sie wollen. GRÄFIN. Die Frau, von der wir sprechen, ist Ihnen theurer als ich’s wußte. Sie haben es gestern bewiesen, – n i c h t als Sie kamen des Nachts – wahrlich, o nein! – aber als Sie – gingen. Wer so viel thut, ist im Stande, noch mehr zu thun. LANGIS. Das Unerhörte nicht, das Sie fordern. GRÄFIN. Unter Tausenden könnten Sie’s, Langis! – Geben Sie einem gequälten Herzen den Frieden, Sie haben ihn leichtsinnig und frevelhaft so vielen geraubt! – – Verzeihn Sie mir, ich will Sie nicht beleidigen – mein Gott, ich zittere ja vor Ihnen – Sie halten in Ihrer Hand das Glück oder Unglück der Meinen. – Stünde nur das Leben meiner Kinder auf dem Spiel – ich schwör’s! ich würde so demütig nicht bitten, zu Ihnen nicht – denn wahrlich, Herr Marquis ... Sich bemeisternd. doch nein – verzeihn Sie mir – ich begehre ja nichts so heiß – als Ihnen danken, Sie segnen zu können mit dem inbrünstigen Segen eines Weibes, einer Greisin, einer Mutter! LANGIS. Sie rühren mich, Frau Gräfin, Sie erschüttern mich – GRÄFIN. O wenn das ist! – wenn meine Worte Ihnen wirklich mehr sind als leerer Schall – wenn Sie Mitleid ... LANGIS. Nicht weiter, Gräfin! es demütigt mich, eine Frau Ihres Wertes so zu mir sprechen zu hören. ... Was Sie fordern, kann ich nicht thun – verachtet will ich von hier nicht gehn, aber zu gehn bin ich entschlossen – wenn Ihre Tochter es mir befielt. GRÄFIN. Oh – LANGIS. Aus ihrem eigenen Munde jedoch muß ich meine Verbannung hören, ihr freier Wille muß sie beschlossen haben. GRÄFIN. Und wenn dies geschieht? LANGIS. Dann werd’ ich Abschied nehmen. GRÄFIN. Seien Sie gesegnet für dies Wort! Sie werden es halten, Herr Marquis, und ich danke Ihnen. Sie geht ab.

Neunter Auftritt LANGIS allein. Später CHARLOTTE. LANGIS nach einer Pause. Die Liebe dieser Frau ist mehr wert als ein Königreich. Ein Narr der sie hätte und verschmähte!

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CHARLOTTE tritt auf, mit affectirter Vorsicht um sich blickend. Bst! bst! Herr Marquis! LANGIS. Mademoiselle Charlotte? CHARLOTTE. Ich habe einen Auftrag für den Herrn Marquis. LANGIS. Himmelsbotin! von Ihrer Gebieterin? CHARLOTTE. Sind der Herr Marquis auch allein? LANGIS. Allein – wenn ich Sie nicht rechne, Mademoiselle ... CHARLOTTE sich verbeugend. Zu viel Gnade – LANGIS dringend. Sie haben einen Brief für mich – CHARLOTTE. Von der gnädigsten Frau Gräfin ... LANGIS. Geben Sie! geben Sie! CHARLOTTE. Schwören kann ich dem Herrn Marquis, es ist das erste liebe Mal in meinem Leben, daß mir so etwas zugemutet – LANGIS. Den Brief! den Brief! CHARLOTTE. Hier – Sucht in den Taschen. Ei Du mein gerechter Gott – da ist sie schon, Deine Strafe! – jetzt hab’ ich ihn verloren – LANGIS. Verloren?! CHARLOTTE. Heilige Muttergottes, erbarme Dich meiner! – – ach Gott, hier ist er doch – mein Schutzengel muß vorgebeten haben – LANGIS nimmt den Brief. Endlich! CHARLOTTE. Nein, der Schreck! – in alle Glieder ist er mir gefahren ... LANGIS liest. „Leben Sie wol, Herr Marquis“ – Wie wäre das?! – „Ich beschwöre Sie, dieses Haus zu verlassen, ohne von seiner Herrin Abschied zu nehmen. So lange ich lebe, wird die Erinnerung an den gestrigen Abend mich mit Scham für mich und mit Bewunderung für Sie erfüllen.“ – Hier steht’s geschrieben – sie kann mir sagen: „Geh!“ – Aber nicht so – Aug’ in Auge soll sie mir das wiederholen. – Mademoiselle Charlotte! CHARLOTTE. Der Herr Marquis befehlen? LANGIS. Dieser Brief fordert eine Antwort. CHARLOTTE. Die Frau Gräfin verbaten mir, eine Antwort anzunehmen. LANGIS. So haben Sie denn die Güte, mich bei der Frau Gräfin anzumelden. CHARLOTTE. Auch dieses verbaten die Frau Gräfin ausdrücklich. LANGIS. Ich aber muß Ihre Gebieterin sprechen, Charlotte! CHARLOTTE. Die Frau Gräfin sind auf dem Zimmer des Herrn Grafen. LANGIS. Ich werde sie auf dem ihrigen erwarten. CHARLOTTE. Um Gotteswillen! LANGIS. Beste Charlotte! CHARLOTTE. Herr Marquis! ich bin eine arme alte Kammerjungfer ... Den Herrn Marquis wider den Willen der Frau Gräfin in ihr Zimmer führen – Gott verzeih mir meine vielen Sünden – das kann ich nicht! – LANGIS. Ich will mich ja nur bei der Gräfin verabschieden – sie sprechen – zehn

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Minuten – fünf Minuten lang – Sie werden mir’s nicht verweigern, Mademoiselle! – CHARLOTTE. Ach Gott – was machen Sie aus mir? LANGIS. Sie sagen Ja?! Octavie erscheint im Hintergrunde. CHARLOTTE. Jesus Maria, da kommt jemand! – Herr Marquis – entschuldigen Sie – aber ich habe die Ehre, unterthänigst davon zu laufen! Eilt ab. LANGIS. So bleiben Sie doch – verwünscht – ich war auf dem besten Wege! –

Zehnter Auftritt LANGIS. OCTAVIE.

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OCTAVIE. Sie rüsten sich noch immer nicht zur Abreise? LANGIS. Noch nicht. OCTAVIE. Ich komme, Sie in Thecla’s Namen dazu aufzufordern. LANGIS. Die Gräfin ist bei ihr? OCTAVIE. Sie ist bei ihr. LANGIS. Nun denn! die Gräfin kennt die Bedingung, die alleinige, unter der ich scheide. OCTAVIE. Thecla bittet Sie, ihr diese Bedingung zu erlassen. LANGIS. Warum?! ... Soll ich’s Ihnen sagen? ... In verändertem Tone. Dem Gleichgültigsten gibt man bei der Trennung ein Lebewol mit auf den Weg. So viel wage auch ich zu erwarten. OCTAVIE. Treiben Sie’s nicht zum äußersten, Langis! Sie müssen fort ... LANGIS. Nicht ohne Abschied! ... OCTAVIE. Machen Sie, was geschehen muß, von der Erfüllung einer kindischen Bedingung abhängig? – Ihr Zögern beängstigt und quält Thecla – gehn Sie, Langis! ... Ein Verdacht ist einmal erweckt, die Eifersucht und die Bosheit zälen jede Minute, die Sie noch hier zubringen. ... Welchen Vorwand haben Sie, um zu bleiben? LANGIS. Handelt sich’s nur darum, den zu finden? Ist dies Thecla’s einzige Sorge? – Wenn sich ein Grund für mein Bleiben fände – aufrichtig, Octavie! – würde sie auch dann noch auf meiner Entfernung bestehen? Glauben Sie’s? ... OCTAVIE. Ich wünsche es mit allen Kräften meiner Seele. LANGIS. Glauben Sie’s? – Geben Sie der Wahrheit die Ehre! – Sie schweigen? Jubel über Erd’ und Himmel hinaus – Sie glauben es nicht! OCTAVIE. Langis!

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LANGIS. Ich habe keinen Grund um zu bleiben – wie wär’s wenn ich mir einen schaffte? OCTAVIE. Wozu, mein Gott –? LANGIS. Ich schaffe ihn – ich thu’s – das weiß ich – – und jetzt weiß ich auch, wie ich’s thue! OCTAVIE. Ist das Ihre Antwort? ... O gewiß, ich bildete mir nicht ein, v i e l über Sie zu vermögen, aber mit Bitterkeit erfahr’ ich, daß ich – gar nichts über Sie vermag. ... LANGIS. Wer sagt das? OCTAVIE. Daß es mich Wunder nimmt! – daß ich noch eine Bitte versuchte – ich! – – es ist so unbeschreiblich thöricht! – – Was wären Sie mir noch schuldig? – was will die Närrin, die man aufgehört hat zu lieben, und nie angefangen zu achten? – LANGIS zerstreut ungeduldig. Sie machen mir bittere Vorwürfe – OCTAVIE. Ihnen? – o viel schlimmer – ich mache sie m i r . Doch genug – Leben Sie wol. LANGIS. Wohin? OCTAVIE. Kümmert Sie’s? LANGIS. Welche Frage! Bin ich nicht Ihr Freund – OCTAVIE. Nein, Langis. Ich seh’ es ein – die Empfindung, die wir für einander gehabt, kann sich nie und nimmer zur Freundschaft verklären. Die edle Blume wächst in alle Ewigkeit nicht aus entweihtem Boden. Uns hielt ein unheiliges Band – es ist zerrissen und die völlige Trennung vollbracht. Was von uns’rer Liebe übrig bleibt, ist Verlust, nicht Gewinn – ach Langis, es ist Reue – die Qual der Verdammten. ... Dennoch – wisse, ich werfe Dir nichts vor – Reicht ihm plötzlich beide Hände; er drückt sie in die Arme. LANGIS. Doch: Meine Freundin – was Du auch sagst! – OCTAVIE. Laß mich. Dein Mitleid verachte ich! Eilt ab.

Eilfter Auftritt LANGIS allein.

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LANGIS. Sie liebt mich mehr als ich’s gedacht, und ich liebe sie weniger als ich’s wußte. Ist das mein gerühmter Reichthum? – Weil eine Neigung entbrennt, muß eine andre erlöschen! – was gehn die beiden einander an? – Pfui über die Bettelhaftigkeit des Herzens – über das Gefühl das zu erschöpfen ist! Der Mensch ist einem Gotte nie ähnlicher als beim Erwachen der Leidenschaft, – ihm nie weniger ähnlich als bei ihrem Ersterben. Ein Thor, der den Funken in sich aufglimmen fühlt, und ihn zerstieben läßt, eh’

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er gezündet. Nein, ich spiele sie nicht mehr, die unmännliche Komödie feigherziger Entsagung: – was ich die Kraft habe zu begehren, hab’ ich die Kraft zu erringen – gleichviel um welchen Preis! Will gehn. Friedrich tritt ihm in den Weg.

Zwölfter Auftritt LANGIS. FRIEDRICH.

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FRIEDRICH. Wohin? LANGIS. Ins Schloß. FRIEDRICH. Wenn Du Thecla aufsuchen willst, so wisse, daß sie für niemand sichtbar ist. LANGIS. Übernimmst du in ihrem Auftrage die Rolle des meldenden Bedienten? FRIEDRICH. Langis! LANGIS. Gib Raum! FRIEDRICH. Du gehst nicht zu ihr. Hörst Du? LANGIS. Gemach – Du brauchst diesen Ton nicht anzustimmen, um mich zu mahnen, daß Du kommst, eine Schuld einzufordern. Ich bin bereit, Sie zu zalen. Nimmt die Degen. Wenn Dir’s also gefällig? – FRIEDRICH. O immer! immer! LANGIS reicht ihm die Degen. So wähle. Jetzt können wir uns schlagen, jetzt trägt unser Duell den Namen einer Fechtlektion. FRIEDRICH. Was soll das heißen? LANGIS. Das soll heißen: – Deine Herausforderung k o n n t ’ ich nur annehmen wie ich sie angenommen. Uns’rem ernsten Kampfe mußte der Anschein eines Scherzes gegeben werden – es ist geschehn, und wir haben freies Spiel! – Trifft jetzt einer von uns den andern, so hat’s der Zufall gethan. Vorwärts! FRIEDRICH. Du bist nicht klug. S o schlage ich mich nicht! Hier im Angesicht des Schlosses – LANGIS. Eben hier – um so weniger wird man zweifeln an der Formlosigkeit unserer Begegnung. FRIEDRICH. Ein Duell ohne Zeugen – LANGIS. Und ohne Arzt, Chirurg und Apotheker, das ist hart für einen weichen Jüngling! FRIEDRICH. Du bist von Sinnen! LANGIS. Stell Dich! Ihr Götter, hat der Junge Blut in den Adern? FRIEDRICH. So rotes, so warmes, wie Du! LANGIS. Beweis es denn, Bramarbas. Nun – wird’s?

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FRIEDRICH. Da widersteh’ ein and’rer – Er ist vorgestürzt, bleibt stehn und senkt den Degen. Nein nein – es wäre Unsinn! LANGIS. So begeh’ ihn, zwanzigjähriger Pedant! – oder hat’s der Hofmeister verboten und fehlt Dir der Mut! ... FRIEDRICH. Nicht weiter! – Komm an – Er stellt sich in Positur. Sie fechten. LANGIS. Wie schläfrig und matt ... Ja heut’ morgens, da war er ganz Feuer und Flamme ... Beim Spiel so hitzig und beim Ernste so kühl? FRIEDRICH fällt wütend aus. Reize mich nicht – es ist nicht nötig – siehst Du – siehst Du – Verwundet ihn. LANGIS. Gut ist’s! es ist gelungen! – Ich bleibe! – Der Degen entsinkt ihm. ... Jetzt kann ich bleiben ... FRIEDRICH. Du hast was Du gewollt – LANGIS. Ganz Recht – und wir sind wieder Freunde ... Deine Hand – FRIEDRICH. Um Dich zu stützen – Du zitterst – schwankst – LANGIS. Was fällt Dir ein? Er hält sich an der Bank. FRIEDRICH. Langis! um Gotteswillen! – Gräfin tritt auf. GRÄFIN. Im Auftrage meiner Tochter, Herr Marquis ... Himmel! was ist geschehn? – Der Marquis verwundet – FRIEDRICH. Durch mich – LANGIS. Beim Fechten – ich allein bin Schuld – mein Ehrenwort! – ich allein – Er sinkt auf die Bank. Rhode und Bergthal eilen herbei. RHODE. Was ist’s? was gibt’s? BERGTHAL. Was fehlt ihm? GRÄFIN. Der Marquis ward beim Fechten verwundet. RHODE. Durch seinen Schüler? BERGTHAL. Durch Friedrich? o armer Freund – RHODE. Das ist ja sehr traurig – GRÄFIN. Ja wol sehr traurig. LANGIS halblaut zu ihr. Für Sie, Madame, denn jetzt können Sie mich nicht aus dem Hause weisen!

Vierter Aufzug Salon im Schlosse

Erster Auftritt GRÄFIN durch die Mitte, W ALTER von rechts.

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GRÄFIN. Welche Nachrichten, mein Sohn? WALTER. Keine guten. GRÄFIN. Ich hab’s gefürchtet. WALTER. Die Schulter ist durchstochen, äußerste Schonung nötig, es müssen Wochen vergehn, bevor Langis an die Abreise denken kann. GRÄFIN. Hast Du den Grafen von Favreuse davon benachrichtigt? WALTER. Sogleich. Überdies ist Friedrich bereits abgereist – in zwei Tagen spricht er selbst den Grafen, der überzeugt werden muß, daß der Ungehorsam seines Neffen diesmal ein unfreiwilliger ist. So erhalten wir Langis sein Erbe, und so räche ich mich an ihm. Der die Hand nach meinem besten Eigenthum ausgestreckt, leide die Demütigung, daß i c h ihm das seine wahre. – Diesen Mann, der jetzt hülflos dem Schutze meiner Gastfreundschaft anheimgestellt ist, Stark. hoff’ ich – mein wehrloser Feind steht doppelt unverletzlich unter meinem Dache. Was dies Haus vermag, wird es ihm bieten, auch in der Abwesenheit seiner Herrn – GRÄFIN. Wie, mein Sohn? WALTER. Anstatt des Ministeriums des Äußeren, ward mir der Posten eines Gesandten in England angeboten. GRÄFIN. Und Du nimmst ihn an? WALTER. Ich habe es bereits gethan. GRÄFIN. Und Thecla? WALTER. Sie nahm die Nachricht unserer bevorstehenden Abreise mit fieberhafter Freude auf – sie will mich begleiten. Ich aber frage Sie, Mutter – ist mein Weib noch wert, es zu heißen? ... GRÄFIN. So wahr Deine Ehre mein höchstes Gut: Sie ist’s! WALTER. Sie betrachtet ihr Scheiden von hier wie eine Flucht aus gefährlicher Nähe – wie eine Rettung ... Nun – es ist bitter, daß sie Rettung braucht; daß sie Rettung sucht, muß ich ehren. Meine Frau liebt mich nicht mehr, aber sie will mich nicht verraten. Ich kann eine Verirrung verzeihn, die halb unbewußt begangen worden, an der ich selbst nicht ohne Schuld bin. Jetzt aber ist Thecla sich völlig klar – sie weiß daß sie einen falschen Weg eingeschlagen. Ein einziger Schritt weiter auf diesem Weg, ein Zweifel nur, ein Zögern vor der Umkehr – und bei allem was mir die Erde Theures und

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Heiliges trägt! lieber säh ich die letzte Dirne, die nachts durch die Straßen irrt, an meinem Herde schalten und gebieten, als dann noch Thecla! GRÄFIN. Walter – WALTER. Kein Wort mehr! ... Ich leide – leide – aber noch bin ich Herr meiner Qual. Alle Selbstbeherrschung hat ihr Maß – das der meinen ist voll ... Ein Wort – ein Blick bringt es zum Überfließen. Thecla versuche mich nicht – – Sie hüte sich! – – Er geht durch die Mitte rasch ab. GRÄFIN allein. Sie wollte fliehn – Dank allen guten Gewalten im Menschenherzen! – Sie w o l l t e – will sie es noch? Der Versucher gewann einen heißen Fürsprecher, das Mitleid, diesen mächtigen Verbündeten der Liebe. – Wenn sie jetzt zögerte, die Unglückselige! ... Mit flehend erhobenen Händen. Verhüt’ es Du, zu dem ich rufe – der Du groß genug bist, die Seele des Weltalls zu sein, und groß genug, um das kleinste Deiner Geschöpfe zu hören.

Zweiter Auftritt VORIGE. THECLA von links. In fieberhafter, aber mächtig bekämpfter Aufregung.

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THECLA. Wie steht’s um den Verwundeten? GRÄFIN. Er leidet, und ... THECLA. Der Arzt ist doch bei ihm? GRÄFIN. Ja wol, mein Kind. THECLA. Ein schlimmer Zufall – Friedrich muß untröstlich sein ... Horchend. Wer kommt? hören Sie nicht? – Schritte auf dem Gange ... GRÄFIN. Es ist nichts. THECLA. Die Wunde ist leicht, wie ich höre – es wäre kindisch um – unsern Gast besorgt zu sein ... Was mich betrifft, ich bin es nicht. – Unter anderm! ich hatte doch einen Auftrag für Sie – was war es nur? Ganz Recht! Octavie sendet ihre Abschiedsgrüße. Sie hat uns verlassen ... Abbrechend. Aber warum so ernst? Sie sind bekümmert – Mutter – Sie fürchten ... GRÄFIN. Für Dich, Thecla. THECLA. O mir ist wol, ganz wol! Ich freue mich, über Walter’s ehrenvolle Ernennung zu dem glänzenden Gesandtenposten, ich freue mich zu reisen – Sie werden nicht zurückbleiben, Mutter – was würden Ihre Enkel sagen? Ihre kleine Anna vor allem – das Kind war heut wieder so lieb! – wenn Sie wüßten ... GRÄFIN. Die Ernennung Walter’s kam sehr unerwartet.

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THECLA. Unerwartet – ja – alles kommt unerwartet – und ich zittere für – Octavie – vor einer Stunde noch – da nahm s i e Abschied, so ahnungslos – die arme Frau ... GRÄFIN. Ja wol, Thecla – die arme Frau! – Sie zeigt Dir wie in einem Spiegel die Zukunft derer, welche Langis liebt. THECLA. O Gott, dahin kann man kommen!

Dritter Auftritt VORIGE. BERGTHAL von rechts.

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BERGTHAL athemlos, kaum der Sprache mächtig. Sind Sie hier, Frau Gräfin? – ich bitte, mir zu sagen, ob Sie hier sind? GRÄFIN. Suchen Sie mich, Bergthal? BERGTHAL. Sie! – dreimal Sie! – ich bin in äußerster Verlegenheit, ich muß Sie sprechen ... THECLA. Weshalb? was gibt’s? BERGTHAL. Ach die Gräfin Thecla! Für sich. Jetzt soll man auch noch gratulieren! – Laut. Der Frau Gesandtin meinen Glückwunsch – Zur Gräfin. Es ist empörend – GRÄFIN Thecla zuvorkommend die reden will. Sie kommen von uns’rem Gaste, wie geht es dem Marquis? BERGTHAL. Schlecht. Eine Amputation wird notwendig sein. THECLA. O mein Gott! BERGTHAL zu Thecla. Also Gesandter in England! Zur Gräfin. Einige Worte mit Ihnen allein! – Zu Thecla. Walter ist ein Glückskind – GRÄFIN wie oben. Doch der Marquis, der Marquis! BERGTHAL. Im besten Fall bleibt er lahm für sein ganzes Leben. Zu Thecla. Es ist ein wahres Vergnügen für alle seine Freunde! Zur Gräfin. Nur einige Worte! GRÄFIN. Später, lieber Bergthal – BERGTHAL. Ich bitte dringend! – Sie sehn mich in einer Betroffenheit ... Leise. Denken Sie, daß meine Frau ... THECLA. Reden Sie laut! wie fanden Sie ihn? BERGTHAL. Ich? THECLA. Sagen Sie alles. BERGTHAL. Mein Gott, ich hoffe, daß ich noch nichts zu sagen habe – Zur Gräfin. Urteilen Sie – rathen Sie – soll ich zu ihr? GRÄFIN. Zu wem? BERGTHAL. Zu meiner Frau! – Leise zur Gräfin. meiner vielleicht ungetreuen Frau – Hören Sie nur was man mir schreibt ...

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GRÄFIN. Seien Sie kurz, bester Freund – BERGTHAL. Hier kann ich es nicht sagen, hier nicht – GRÄFIN. Kommen Sie denn – THECLA. Warum soll ich nicht hören ... Aufrichtig, Bergthal – Sie fürchten das Ärgste – BERGTHAL. Gott bewahre mich in Gnaden! – das Ärgste wäre arg ... Leise zur Gräfin. Es scheint öffentliches Geheimniß zu sein – woher weiß Sie? – GRÄFIN. Sie weiß nichts – Ihr mißversteht Euch – Zu Thecla. Sammle Dich! er spricht nicht von Langis. Bemeistre Deine unbegründete Sorge. Laut. Folgen Sie mir, Bergthal. Erwarte mich hier, mein Kind. BERGTHAL im Abgehn. Im Vertrauen: den Hof läßt sie sich machen! und noch dazu, in meiner Abwesenheit – GRÄFIN. In Ihrer Anwesenheit wäre das freilich unmöglich, denn Sie sind nie zu Hause. BERGTHAL. Das ist eigentlich wahr – jedoch ... Gräfin und Bergthal ab durch die Mitte. THECLA allein. Was hat er ihr zu sagen? – – – Gleichviel – da’s nicht Langis betrifft. Sie setzt sich. Ich soll ihn nicht mehr sehn – wir scheiden ohne Abschied und doch für’s Leben. Du bist mein Zeuge, strenger und gerechter Gott – wenn diese Liebe ein Verbrechen ist, dann ist sie auch eine Qual!

Vierter Auftritt DIE VORIGE. LANGIS von rechts.

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THECLA ihn erblickend. Ach! Verbirgt ihr Gesicht in den Händen. LANGIS geht langsam auf sie zu. Ist es wahr, Thecla? – ist es wahr? ... Weil Sie mich jetzt nicht verabschieden können, verlassen Sie mich? THECLA sich erhebend. Wir wollen scheiden. LANGIS. Wollen?! Die größte Lüge, die je ausgesprochen wurde, hör’ ich aus Ihrem Munde! Glauben S i e , daß ich durch Z u f a l l diese Wunde empfing? Muß ich Ihnen sagen, daß ich sie empfangen wollte? THECLA. Welche Thorheit, Langis – welche Tollkühnheit – LANGIS. Einen Vorwand galt’s, um einen Tag, eine Woche länger bleiben zu können wo Sie sind – Sie – von der ich scheiden will! – Mit dem Blut aus meinen Adern wär’ ich bereit, den Augenblick zu bezalen, in dem Sie mein würden, Sie, von der ich scheiden will – o wahrlich, in meinem Herzen verstehn Sie zu lesen! THECLA. Sie foltern mich.

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LANGIS. Und Sie – Sie thun mir wol! THECLA. Dürft’ ich, Langis ... Sich bezwingend. Seien Sie milde mit mir – ich bitte um Ihr Mitleid – LANGIS heftig. Halt! dies Mittel, mich abzuweisen, ist verbraucht. Mich rühren können Sie nicht mehr, denn Sie sind unfähig, gerührt zu werden. THECLA. Das sagen Sie, glauben Sie es auch? LANGIS ohne sie anzuhören. Sie irrten sich, Gräfin Thecla, als Sie zu mir sprachen: „Ich liebe Dich!“ Die Liebe bringt freudig jedes Opfer – Sie sehn es an dem Beispiel des Thoren, der vor Ihnen steht. – Was thaten Sie?! ... THECLA. Bin ich denn frei? Hab’ ich über mich selbst zu bestimmen? LANGIS. Sind Sie verpflichtet, Ihrem Mann auf Schritt und Tritt zu folgen? – Ist es undenkbar, daß er ohne Sie das Haus verläßt? Die Gräfin, die Kinder bleiben, wie ich höre, hier zurück; was treibt Sie hinweg? THECLA. Walter erwartet, daß ich ihn begleite. LANGIS. Bat er darum, wie er sollte – oder befahl er es, wie er durfte – der Herr? – Keines von beiden, nicht wahr? – O ich seh’ ihn am Schreibtisch, die Feder in der Hand – die ganze Seele eine einzige Depesche! – wie er sich wendet mit seinem kalten Ministergesicht: „Du kommst wol mit?“ Und Sie darauf, die Arbeit in der Hand, Stiche zälend: „Drei – vier – Warum nicht? – Fünf, sechs“ – Er hat es vielleicht nicht einmal gehört, es ist ihm gleichgültiger als ein Beistrich in seinem Briefe, diesem Menschen – und hier stirbt vielleicht einer daran, aber freilich: „warum nicht?!“ THECLA. Ihr Spott ist herbe. LANGIS. Weshalb reizen Sie ihn? – ein Wort und er verstummt. „Ich bleibe“ lautet das Wort. – Bleiben Sie, Thecla! finden Sie eine Ausflucht – und braucht es überhaupt einer Ausflucht? erinnert sich Walter überhaupt an ihr herzzerreißendes: „Warum nicht?“ – und wenn er sich erinnert – Sie haben sich jetzt anders besonnen – Sie bleiben! THECLA. Ich kann nicht. Fühlen Sie das nicht? – Wenn ich bliebe – Sie selbst müßten mich verachten. LANGIS. Ich verachte nichts als die Heuchelei, und nichts flößt mir so tiefen Ekel ein als die Lüge! – Heuchelei aber ist’s und Lüge vor der Welt und vor sich selbst, eine Liebe zur Schau zu tragen, die zu empfinden man längst aufgehört, mit einer Treue zu prunken, die in Wünschen und Gedanken hundertmal gebrochen ward! THECLA. Um Gotteswillen – schweigen Sie, Langis! – ich hab’ gefehlt – ja – und ich bekenn’s in reuiger Zerknirschung – meinen sündigen Gedanken mag der Himmel richten, vor einer sündhaften Handlung bewahre mich seine Barmherzigkeit!

Sie sehn es ] Sie stehn es Schreibfehler

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LANGIS. Sagt’ ich, daß ich Heuchelei und Lüge verachte? – ich hätte hinzusetzen sollen: „Ich verachte auch die Feigheit!“ Sie ist die dritte in dem Bunde des Hassenswürdigsten auf Erden! Feigheit spricht aus Ihnen, Sie haben nicht den Mut, glücklich zu sein! THECLA. Ich will kein Glück, das mir Verrat an meinen Pflichten und Schwüren erkauft! LANGIS. Was haben Sie geschworen? Ihren Mann ewig zu lieben? – Vermessenheit ohne Gleichen! – welch’ ein Frevel, welch’ ein Unsinn, einen Schwur zu thun, den zu halten nicht von Ihnen abhängt! – Haha! glauben Sie denn, daß der Gott, den Sie anrufen, solche Eide hört? Vor ihm sind Sie frei, vor ihm ist die Ehe gelöst, wenn die Herzen sich trennen! und kein Verdienst macht Ihnen der All liebende aus dem gewaltsamen In-sich-ertödten der göttlichsten Fähigkeit der Menschenbrust: der Liebe! THECLA. Sie sind fürchterlich, Langis! Sie entreißen mir den Strohhalm Trost, an den ich mich klammere! – Ich bringe mein Opfer mit blutender Seele, lassen Sie mir den Glauben, daß ich’s dem Rechte bringe! LANGIS. Das höchste Recht auf Erden ist die Liebe – und jedes muß untergehn, das nicht auf sie gegründet ist. Ich liebe Sie, wie ich im Leben nur einmal liebte und wie ich niemals mehr lieben werde. Ich darf Ihnen sagen: Ich lege Ihnen mein Dasein zu Füßen, vertrau’n Sie mir das Ihre! THECLA. Ein Traum, ein unmöglicher! LANGIS. Folgen Sie mir, Thecla, zerreißen Sie Ihr unglückliches Bündniß! Die Fessel der Ehe erniedrigt, wenn sie nicht mit Begeisterung getragen wird. ... Folgen Sie mir! ich will Sie kennen lehren was Sie bisher nicht gekannt: das Glück! – An Walter’s Seite erfuhren Sie es nie! – für sein kargendes Gefühl biet’ ich Ihnen den göttlichen Überfluß der Leidenschaft, – Wärme für Kälte, das Leben für den Tod! – Folgen Sie mir! THECLA. Und meine Kinder? – Auf diese Frage haben Sie keine Antwort, und es gibt keine! – Sie sehn es wol – ich kann Ihnen nichts vergelten! – Ich stehe fürchterlich in Ihrer Schuld – ich fühle mich eine Bettlerin Ihnen gegenüber, und meine Ohnmacht erfüllt mich mit Qual und Verzweiflung! LANGIS. An einem Wort von Ihnen hängt Schicksal und Zukunft eines Menschen, – und zu ihm sprechen Sie von Ihrer Ohnmacht? THECLA. Langis – Langis – ich kann meine Kinder nicht verlassen! LANGIS. Auch mich, Thecla, können Sie nicht verlassen! Was Sie zögern, mir einzugestehn – die Thräne in Ihrem Auge verrät’s – Ihre stummen Lippen rufen es mir zu – Er ist vor ihr niedergesunken, sie beugt sich zu ihm. – O endlich! endlich! THECLA. Dir folgen kann ich nicht – Dich jetzt zu fliehn – ich wollt’, ich hätt’ die Kraft dazu ... LANGIS. Geliebtes Weib! THECLA. Man kommt –

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LANGIS. Es ist – seine Mutter. Dein Entschluß ist gefaßt, bleib ihm treu. Verlier’ ich Dich, dann ist meine Seele verloren! Er geht ab.

Fünfter Auftritt THECLA. D IE G RÄFIN.

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GRÄFIN. Du warst nicht allein? THECLA. Nein, Mutter. GRÄFIN. Wer verließ so eben das Zimmer? THECLA. Herr von Langis. GRÄFIN. Langis?! den ich so leidend und so krank geglaubt. ... Er hat von Deiner Abreise gehört! ... THECLA. Meine Abreise – ich – gedenke sie aufzuschieben, wozu auch diese Eile? GRÄFIN. Thecla! THECLA. Sie selbst, die Kinder bleiben hier. Walter wird in der Stadt sehr in Anspruch genommen sein. Wochen können vergehn, bevor er sich nach England begibt – wär’ es nicht natürlich, ich wartete hier bei Ihnen, bei den Kindern, bis er uns riefe? GRÄFIN. Bei mir? bei den Kindern? Scheinbar uns zu Liebe, in Wahrheit aber um des Verführers Willen der Dich bestrickt und verblendet! THECLA. Mutter! – GRÄFIN. Hör’ mich an. Diese Stunde entscheidet über Dein Leben. Prüfe Dich – triff Deine Wahl. Es gibt unwiderstehliche Leidenschaften, es gibt Menschen die einander angehören oder sterben müssen. Die Dauer einer solchen Liebe wird ihre Weihe. Ist Dein Gefühl für Langis von dieser allgewaltigen, für das ganze Dasein ausreichenden Art – wolan – so folge dem unbesiegbaren Triebe Deines Herzens! THECLA. Das sagen Sie mir? GRÄFIN. Folge ihm! aber nicht gleisnerisch und versteckt – offen geschehe es! – Geh hin, sage Deinem Manne Lebewol – umarme Deine Kinder und scheide. Du willst die Entzückungen einer verbotenen Liebe genießen, bezale ihren ungeheuren Preis. Was Du die Schwäche hast zu thun, habe den Mut einzugestehn. Ich werde Deinen Fall beweinen, aber Deine Ehrlichkeit anerkennen. Nur keinen Verrat mit dem Schein der Treue, keine Sünde mit dem Gesichte der Tugend. Verbirg nicht Deine Schuld unter dem Dache, das Deine Kinder beherbergt. Die letzte mütterliche Handlung die ich von Dir fordre ist, daß Du die Luft die sie athmen rein erhältst von dem Hauche des Lasters.

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THECLA. Gott – mein Gott! GRÄFIN. Ich fordre es für uns, mehr noch aber: für Dich! – Wahrlich, nicht dem Glücke gehst Du entgegen! aber der Himmel auf Erden ist das schmachbedeckte Leben der gefallenen Frau, die ihrem Verführer folgt in die weite Welt, im Vergleiche zu dem an ihrem eignen Herde. Schlimmer als der Fluch des verlass’nen Gatten, ist der Kuß des ahnungslos betrogenen; herzzerreißender als die Anklage der Kinder, ist für sie der unschuldige Zuruf ihrer Liebe. Tausend Worte der verdienten Schmähung sind nichts gegen ein einziges der unverdienten Bewunderung. O – mit dem Gefühl der Schande im Herzen dastehn – ein geehrtes Weib! ... das Lob der Menschen erdulden und verdammt sein vor Gott und vor sich selbst! ... THECLA. Genug, Mutter ... es ist genug ... GRÄFIN. Qual ohne Namen und ohne Hoffnung, deren Ertragen Dich aufreibt und vor deren Ende Dir schaudert, denn was sie endet, ist die Entdeckung. ... Angst vor ihr wird das Gespenst Deines Lebens. – Ein unbefangenes Wort, absichtslos hingeworfen, trifft Dich wie ein vergifteter Pfeil ... Enthielt es nicht einen versteckten Sinn, eine schreckliche Anspielung? ... Freund und Feind, die Fremden und die Deinen, der Beste wie der Elendeste, jeder kann Dein Richter werden, ein Zufall, ein Nichts kann Dich verraten. Aus dem Schlafe fährst Du empor und lauschest den Athemzügen des Mannes an Deiner Seite – weckte nicht ihn wie Dich Dein Aufschrei aus dem Traum? Dein unwillkürlicher Aufschrei, der Dich vernichtet wenn er ihn gehört! ... THECLA. Halten Sie ein! ... GRÄFIN. Über die elende Sorge um das elende Geheimniß! ... Der Tag kann kommen, an dem Du selbst es verkündest, was Du verbargst in Todesbangen durch ein langes Leben – der Tag, an dem Deine eigenen Lippen Deine Schande aussprechen, der Tag wo Du Dein Kind am Abgrund stehen siehst, der Dich verschlang, und aufstöhnst: Zurück! – Sinke nicht wie ich! – der Tag wo Du den Schleier von Deiner entstellten Seele reißest und verzweifelnd ausrufst: Tochter! werde nicht wie ich! THECLA. Sie? – Mutter – Sie?! GRÄFIN. Ich – denn ich spreche von mir, und meine Leiden sind’s, die ich geschildert – – – – Du schauderst, Du wendest Dich ab – ja die Sünde ist häßlich: – Hasse mich! – sie ist verachtenswert: – Verachte mich! – aber verachte nicht meine Warnung! – O mein Kind – ich habe gebüßt mit jeder Buße, ich habe die Reue erschöpft – aber Reue ist nicht Sühne, und trostlos, hoffnungslos trag’ ich meine Qual ... Könnt ihr Schrei Dich zur Umkehr bewegen, da es noch Zeit! ... mein Kind – es wäre ein Segen ... auch für mich – der erste Thautropfe Labung – seit Jahren der erste, für ein verschmachtendes Herz ... Vermöcht’ er’s, ich stünde nicht mehr so verzweiflungsvoll am Ende eines verscherzten Lebens – vor dem Beginn einer – vielleicht! – verscherzten Ewigkeit.

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THECLA. Gott ist barmherzig. GRÄFIN. Grenzenlos ist er es mir gewesen – wenn Du mich hörtest, Kind, mein Kind! – wenn er es zugibt, daß mein Beispiel Dich warnt. ... Mag meine Seele verloren sein – aber die Deine – die Deine sei gerettet! ... Aufjauchzen noch würde ich Elende, wenn mir’s gelang, Dich zurück zu beschwören zu Deiner Pflicht, und – glaub’ es! – auch zu Deinem Glück. O Tochter – sprich es aus, das dreimal gesegnete Wort: Ich will nicht schuldig werden! THECLA stürzt nieder und küsst die Hände der Gräfin. Ich will nicht schuldig werden! – ich schwör’s! Nie! nie! nie! Dir schwör’ ich’s – – GRÄFIN. O mein Kind! – THECLA. Dir zu Füßen leg’ ich die gerettete Seele – führe – leite – beschirme – Mutter – o Mutter – – l i e b e mich! – GRÄFIN in ihren Armen. Dank über allen Dank! Worte sagen es nicht wie ich Dich segne! ... THECLA sich erhebend. Und jetzt – kein Zögern mehr, kein Zweifel – die Stunde drängt ... Sie schellt; ein Diener erscheint an der Schwelle. Zu ihm: Der Herr Marquis – ich ließe bitten. Diener ab. GRÄFIN. Was wirst Du thun? – THECLA. Mich lösen von ihm für alle Ewigkeit. ... O Mutter, ich schaudere vor meiner Schwäche, die mich zum zweiten Male schwanken ließ! – GRÄFIN. Mög’ Dich verdammen der nie eine verbotene Liebe in sich überwand! Der es gethan, er weiß, wie oft er an dem Siege verzweifelte, bevor er ihn errang! – THECLA horchend. – Sein Schritt! Die Gräfin zurückhaltend, die sich zum Gehen wendet. Bleiben Sie! – GRÄFIN. Mut, meine Tochter!

Sechster Auftritt VORIGE. LANGIS.

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LANGIS tritt ein; die Gräfin erblickend, bleibt er plötzlich stehn. Für sich. Nicht allein? THECLA. Treten Sie näher, Herr Marquis. LANGIS gehorcht. Frau Gräfin ... THECLA. Ich will dieses Haus nicht verlassen ohne ... LANGIS. Verlassen?! ... Sie – reisen?! ... THECLA. Ich folge meinem Mann. LANGIS. Freiwillig? aus eigenem Entschluß? THECLA. Freiwillig, aus eigenem Entschluß! – Aber zu dem Worte des

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Lebewols füge ich eines des Bedauerns. Ich fühle mich gegen Sie schuldig, Langis – – Walter erscheint an der Thüre. Ich ließ Sie Opfer bringen, die ich nie belohnen, Hoffnungen fassen, die ich nie erfüllen wollte – verzeihn Sie mir! ... LANGIS. – Hoffnungen fassen, die Sie nie ... Mit einem Blicke auf die Gräfin, leise. Ich verstehe. THECLA. Jetzt nicht, Herr Marquis! jetzt wahrhaftig nicht! ... Dies ist ein Abschied für immer. LANGIS. Wie? THECLA. Wir werden einander mit meinem Willen niemals wiedersehen. LANGIS. Nochmals: Ist das Ihr freiwilliger, unwiderruflicher Entschluß? THECLA. Ich habe es gesagt. LANGIS. Wolan, so hören Sie auch den meinen! Ich werde Ihnen niemals entsagen – niemals das Streben nach Ihrem Besitze aufgeben. Sie fliehn mich, ich werde Sie verfolgen – wo Sie sind, da werde ich sein – auf allen Ihren Wegen werden Sie mir begegnen – THECLA zurücktretend. Herr Marquis ... LANGIS. Auf jedem Ihrer Schritte! – flüchten Sie wohin Sie wollen, allüberall werd’ ich Sie zu finden wissen – GRÄFIN. Der Wahnsinnige! LANGIS. Es gibt keine Ferne, in der ich Sie nicht erreichte, kein Asyl, das Sie vor mir beschützte – WALTER tritt vor. Eines doch! GRÄFIN und THECLA. Walter! – WALTER. Eines doch! und ich biete es ihr – LANGIS betreten, verwirrt. – Sie? – WALTER streckt Thecla die Arme entgegen. Es steht Dir offen, Thecla, rette Dich hinein! THECLA eilt auf ihn zu. Bester! – Edelster! GRÄFIN. O mein Sohn! Langis starrt Walter und Thecla sprachlos an. THECLA. Walter, kannst Du mir vergeben? WALTER. So völlig wie ich von Dir Vergebung hoffe. THECLA. Hab Dank! WALTER. Still! – Daß Du einen falschen Weg betratst, war meine Schuld, Dir zur Umkehr die Hand zu reichen ist meine Pflicht. LANGIS zu Thekla. Und – Sie ergreifen diese Hand? THECLA. Auf meinen Knieen, wenn er’s begehrt! WALTER. Thecla – theures Weib! LANGIS zu Walter. Mit Deiner Frau Gemalin bist Du im Reinen, mit mir gilt’s noch abzurechnen. Die Genugthuung die Du zu fordern hast, kann ich Dir geben – trotz dieser Schmarre! –

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WALTER. Genugthuung? – – Ich halte meine Frau in meinen Armen. – Langis wendet sich ab. Meine Frau – der Du kein Opfer gebracht. Du bleibst im Besitze Deines Erbes, Langis, ohne Deine Erlaubniß führte ich Deine Sache bei Deinem Onkel. LANGIS nach einer Pause zur Gräfin. Triumfiren Sie, Frau Gräfin. Meine Niederlage ist entschieden. Wenn es etwas gibt, das sie versüßen kann, so ist es der Gedanke, daß S i e e s s i n d , die mich überwand. Ab. THECLA. O daß er Recht hat, Walter! – daß ich nicht allein, nicht aus eigener Kraft die Probe bestand! GRÄFIN. Doch, liebe Tochter! – gerettet kann nur werden, wer sich retten will!

II. Kritischer Apparat

Das Geständnis

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Ergänzung der Herausgeberin über der Zeile

{} 〈〉 [] üdZ

H WB H.I.N.

Handschrift in Sammlung ZPH 1283 Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die Kurrentschrift in H ist in Antiqua wiedergegeben. Der unterstrichene AntiquaText in der Handschrift für Akte, Szenen und Personen wird ohne Unterstreichung wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die unterstrichenen Bühnenbeschreibungen der Handschrift sind kursiv gesetzt wie auch die Szenenanweisungen, die in der Handschrift zwischen Schrägstrichen stehen und unterstrichen sind. Die in der Handschrift verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen und für Sammelausgaben werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt der Handschrift (H). Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Die in H vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat).

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Das Geständnis

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die Entstehung des Dramas Das Geständnis fällt in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Es ist unklar, wann Marie von Ebner-Eschenbach mit der Arbeit an dem Drama begonnen hat. Es spricht einiges für die Vermutung, dass das Stück anfangs Die Versuchung hieß. Ihre Tagebücher berichten am 20. Januar 1866 von einem Stück mit diesem Titel, das sie dem Deutschen Landestheater in Prag zur Beurteilung eingereicht hat. Das Drama mit dem Titel Das Geständnis, das lange Zeit als verschollen galt, wurde im Jahre 2003 von der Handschriftensammlung der Wienbibliothek zusammen mit anderen Dokumenten von einem Antiquariat erworben. Diese Nachlasssammlung Ebner-Eschenbachs trägt die Inventarisierungsnummer ZPH 1283. Einziger Textzeuge des Dramas ist eine Abschrift von fremder Hand (H). Die Handschrift besteht aus einem broschierten Notizheft von 228 nummerierten Seiten; der vordere Einbanddeckel fehlt. Sie ist nicht datiert, hat kein Titelblatt und beginnt mit dem Personenverzeichnis, über dem der Titel Das Geständnis steht. Es handelt sich bei der Handschrift um eine leicht überarbeitete Fassung, denn sie weist einige Tilgungen und Hinzufügungen auf, die in den laufenden Text mit aufgenommen wurden. Über die Entstehung der Handschrift sind wenig Einzelheiten bekannt. Unter dem Titel Die Versuchung schickte Ebner-Eschenbach das Manuskript an das Deutsche Landestheater in Prag. Die „Versuchung“ dieses in Adelskreisen spielenden Gesellschaftsstücks geht von dem französischen Diplomaten Marquis von Langis aus, der Thecla, die Gattin seines Freundes Walter von Wallenfeld, zu verführen sucht. Durch das „Geständnis“ (so der spätere Titel des Dramas) ihres eigenen Fehltritts durch die Gräfin von Wallenfeld, die Mutter Walters, wird die drohende Ehekrise verhindert. Im Januar 1866 erhielt Ebner-Eschenbach von dem Referenten des Deutschen Landestheaters in Prag eine günstige Beurteilung des Stückes. Nach dieser positiven Reaktion überarbeitete und kürzte Ebner-Eschenbach das Drama und schickte es im Februar 1866 erneut unter dem Titel Die Versuchung nach Prag. Am 1. März 1866 erhielt sie die Antwort, dass es sich um „ein gutes – ein deutsches, ein aufführbares Stück“ (T I, 1.3.1866) handle. Anfang November 1866 wurde ihr vom Theater mitgeteilt, dass die Aufführung für Dezember 1866 geplant sei (T I, 8.11.1866). Aufgrund vertraglicher Benefizaufführungen verzögerte sich jedoch die Aufführung von Das Geständnis, wie das Drama in den Tagebüchern seit dem 7. Januar 1867 heißt. Die Schauspieler, die im Januar 1867 mit den Proben begonnen hatten, waren von dem Drama begeistert und der Theaterdirektor Rudolf Wirsing war vom Erfolg überzeugt. Auch Heinrich Laube (1806–1884), zu diesem Zeitpunkt Direktor des Wiener Burgtheaters, war an dem Drama interessiert und wollte es noch vor dem Prager Theater aufführen. Allerdings schickte er das Drama bereits am 24. Januar 1867 an Ebner-Eschenbach mit der folgenden Erklärung zurück:

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Die erste Scene überhäuft. Das Interesse sammelt sich langsam u. wird mehr durch geistiges Fluidum welches in hohem Grade vorhanden ist, gesteigert, als durch die Handlung. Aber auch diese bringt immer plötzlich Zeichen positiven Talentes. Leider ist sie peinlich u. desshalb für’s Theater misslich. Dennoch erzwingt sie im 3t Acte volle Theilnahme. Da müsste sie für das Drama den Schluss finden, der IV. Act wird Novelle. Die Wiederholung der Situation zwischen Thecla u. d. Marquis ist auf der Bühne zerstörend, u. die an sich u. an anderer Stelle reiche u. schöne Rede der alten Gräfin kann das überlebte scenische Interesse nicht mehr retten. Der warme Schluss, um einen Act zu spät, kann vor einem wohl wollenden Publikum einen success d’estime erringen. (T I, 24.1.1867)

Wegen der Erkrankung der Hauptdarstellerin, die Thecla spielten sollte, musste die Prager Aufführung erneut verschoben werden.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung des Dramas Das Geständnis fand am 31. Oktober 1867 am Deutschen Landestheater in Prag statt. Ein Telegramm aus Prag berichtet, dass die Schauspieler vor vollem Haus ausgezeichnet gespielt hätten und dass der erste und zweite Akt vom Publikum lebhaft und der dritte und vierte etwas kühler aufgenommen wurden (T I, 2.11.1867). Es kam zu wiederholten Aufführungen des Dramas, als dessen Verfasser M. Haller (das gewählte Pseudonym für Ebner-Eschenbach) angegeben wurde, von dem man nur wusste, dass sein Aufenthaltsort Wien sei. In der Zeitung Die Presse wurde das vieraktige Schauspiel am 3. November 1867 besprochen. Der Rezensent berichtet, dass das Drama „mit glücklichem Erfolg“ in Szene gesetzt worden sei und „unsere Theaterkreise in ungewöhnlicher Weise“ beschäftige. Er spielt damit auf das Rätselraten um die Verfasserschaft an und vermutet, dass der Autor „unter dem Pseudonym Eschenbach die deutsche Bühne wiederholt mit sehr beachtenswerthen Gaben seines Talents beschenkt“ habe. Das aufgeführte Stück glänzt, wie der Rezensent ausführt, durch seinen geistreichen Dialog, wie durch einige sehr wirksame Scenen und erzielt nur keinen vollständigen Erfolg, weil seine Helden allzusehr dagewesen, und der Kampf zwischen Pflicht und Liebe am Theater unzähligemale schon veranschaulicht worden.1

Ebner-Eschenbach erwähnt in ihrem Tagebuch eine weitere Besprechung, in der der Rezensent „gegen das Stück loszieht“ und „rein persönlich“ werde, nur um „herauszubringen wie der aussehen u. sein mag der das Geständniss schrieb.“ Viel lieber wäre ihr eine sachkundige Auseinandersetzung mit dem Werk und der Aufführung gewesen. Sie richtet an die Rezensenten den Rat: „Um das was gemacht ist kümmert Euch, 1

Die Presse Nr. 302 vom 3.11.1867.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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nicht um den der’s gemacht hat.“ (T I, 3.11.1867). Die der Dichterin bekannte und in Prag lebende Schauspielerin Anna Versing-Hauptmann lobt Das Geständnis, aber nicht die darstellenden Schauspieler (T I, 9.11.1867). Auch der Wiener Professor Robert Zimmermann (1824–1898) schloss sich diesem Lob an (T I, 19.12.1867). In dem tschechischen Blatt Politik erschien allerdings eine recht böse Kritik,2 die ihre Wirkung auf den sonst so verständnisvollen Gatten Moriz von Ebner-Eschenbach (1815–1898) nicht verfehlte: Moriz nimmt die Sache doch mir ein wenig übel. Noch eine solche Kritik u. ich werde für die Bühne überhaupt nicht mehr schreiben dürfen. „Du trägst meinen Namen, ich will ihn nicht in solcher Weise verunglimpft sehen.“ – Er hat das Recht so zu sprechen, ich sehe es ein. (T I, 16.11.1867)

In Wien fand keine Aufführung des Dramas Das Geständnis statt. Ebner-Eschenbach nimmt in einem Brief an den Direktor des Karlsruher Hoftheaters Eduard Devrient (1801–1870), mit dem sie seit 1860 besonders im Zusammenhang mit ihren historischen Tragödien korrespondierte und der ihre Tragödie Marie Stuart in Schottland erfolgreich am Karlsruher Hoftheater aufführen ließ, Stellung zu ihrem „Conversationsstück“, wie sie Das Geständnis bezeichnete. Trotz des Prager Erfolges habe sie ein „böses Gewissen mit dieser Arbeit“ und geht mit sich ins Gericht: Der Dialog, den ich den Leuten zum Trotze schrieb die immer behaupten es könne die Grazie und Elegance der Franzosen im deutschen Gespräche nie erreicht werden, – ist das einzige was mich daran freut. Die Handlung ist leichtsinnig aufgebaut, und ausser einem einzigen, taugen die Charaktere nicht viel.3

Da Das Geständnis nie im Druck erschien, soll das in diesem Band nachgeholt werden; das Drama wurde auch bisher in der wissenschaftlichen Literatur nicht rezipiert. Lediglich Ebner-Eschenbachs erster Biograf Anton Bettelheim (1851–1930), der Das Geständnis kannte, geht davon aus, dass Ebner-Eschenbachs „Technik und ihre Charakteristik“ in dem Drama durchaus neben ihrem Vorbild, dem französischen Sittenstück, bestehen können und ihr Werk dieses „durch den schroffen Wahrheitsmuth in der menschenumwandelnden, freiwilligen Beichte der greisen Gräfin“ sogar überrage. 4

2

In der Zeitung „Politik“ vom 3.11.1867, Beilage zur Nr. 215, heißt es u. a.: „Die Helden sind wahre Ausbünde von widersinnigsten Gegensätzen und ausgesuchten Widersprüchen. Die Mitwirkenden gaben sich die anerkennenswerthe Mühe, durch ein gutes Spiel ‚das Geständnis‘ über Wasser zu halten, was auch eines Theils gelang.“ Zitiert in Jiří Veselý: Tagebücher legen Zeugnis ab. Unbekannte Tagebücher der Marie von Ebner-Eschenbach, S. 233. 3 Ebner-Eschenbach an Eduard Devrient am 12.11.1867 (WB, H.I.N. 56614). 4

Bettelheim: Biographische Blätter, S. 67.

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Mutter und Braut Schauspiel in vier Aufzügen

Mutter und Braut

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[PERSONEN GRÄFIN RICHARD, ihr Sohn AURORA, seine Braut BARON LIEBENTHAL, ihr Vater GRAF WALDEGG EBERT, Advokat der Gräfin HILDEBRANT, Kammerdiener STEINAU SCHILDHEIM BERGER]

Erster Aufzug Salon im Schlosse. Dunkel, mit alterthümlicher Einrichtung.

Erster Auftritt WALDEGG. EBERT kommt herein.

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EBERT. Was sagen Sie dazu? Richard kommt mit seiner Braut, und dem Vater der Braut {, und einem kleinen Troß von Anfängern}. WALDEGG. Ich weiß es Ebert, und ich freue mich. EBERT. Ist das eine Ueberraschung! Seit drei Monaten gibt er uns kein Lebenszeichen, ich glaubt’ ihn todt, oder eingesperrt. Stattdem hat er sich nur zu gut unterhalten, um schreiben zu können. Hat gespielt, gejubelt, den Hof gemacht – eine Braut genommen! WALDEGG. Eine schöne Braut. EBERT. Und reich! Was will man mehr? WALDEGG. Hätt er doch nur, bevor er die Wahl getroffen, seine Mutter gefragt: Billigst Du’s? EBERT. Wer frägt d a r n a c h ? wer kümmert sich d a r u m ? Man muß überhaupt den Müttern abgewöhnen sich in die Angelegenheiten ihrer Söhne zu mischen. Das geschieht am Besten, wenn man ohne sie beschließt. WALDEGG. Leider scheint dies Richard’s Grundsatz zu sein. – EBERT. So scheints! – Nun – mich wundert’s nicht von dem kleinen Herrn, den seine Mutter aufwachsen ließ, als gäb’s auf Erden keinen Widerspruch. Der das Heilmittel nie kennen lernte welches die gütige Natur für Patienten seiner Art auf den Bäumen wachsen läßt. O wie singt Desdemona? „Weide grüne Weide!“ WALDEGG. Trotzdem sehn Sie, ist Richard gut. EBERT. Ißt gut. Ja! Trinkt auch gut! Die Wahrheit muß man sagen. WALDEGG. Sein Herz hat sich in tausend Gelegenheiten bewährt. EBERT. {In tausend Gelegenheiten?} Freilich! – Zum Beispiel damals als er so starrsinnig darauf bestand, vor der Zeit großjährig gesprochen zu werden, sich seine unbeschränkte Freiheit auch noch gerichtlich bestätigen zu lassen. WALDEGG. Sein Zweck war, sich hier ganz als Herr zu fühlen, ganz im eig’nen Sinn zu wirken. EBERT. Und er fing auch an zu – „wirken“ daß Gott erbarm! Durch volle vierzehn Tage. Aber das Landleben füllt einen solchen Mann nicht aus. Er muß fort, muß die Welt sehn! WALDEGG. Dagegen ist eigentlich, nichts einzuwenden.

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EBERT. – Eigentlich – nein. Schade nur, daß seine Reise in die Welt durch Städte führte wo es gar zu viel zu sehn gab. Auch zu lernen. Besonders für den Landwirth. Wie man einen Wald im Quinze verwerthet, oder ein Weizenfeld im boudoir einer Tänzerin. Das soll er prächtig verstehn! WALDEGG. Er hat getollt, mein Gott ja. EBERT. Und sein Geld bei’m Fenster hinaus geworfen. Ja ja. Es ziemt denen, die unfähig wären, einen Pfennig zu erwerben, die Millionen leichtsinnig zu verschwenden. S’ist so nobel das Geld zu verachten! Nun, wenn die Gräfin nicht Einhalt thut, wird er bald keins mehr zu – verachten haben. WALDEGG. So weit wird’s nicht kommen. EBERT. Ich fürchte das Gegenteil. Sein väterliches Erbe hat Richard erschöpft. Eichen, schwer belastet, brachte dieses Jahr keinen Heller ein; der junge Herr lebte von den Einkünften, die Rosenberg, dank der klugen Verwaltung der Gräfin, trug. In seiner Abwesenheit durfte sie schalten in i h r e m – Eigenthume. ... WALDEGG. Still doch! Still! EBERT. Ja so, das große Geheimniß. Daß wir’s nur nicht verraten. Ich möcht’s in alle Welt hinaus schrei’n! O wenn ich bedenke daß e i n Wort dem Herrn Grafen die Hände bindet, seinem lächerlichen Treiben ein Ende macht – wenn ich das bedenke. Nun ich bring’s doch noch dahin, daß dieses Wort ausgesprochen werde! WALDEGG. Dahin bringen Sie’s niemals. EBERT. Lieber soll die saubere Wirtschaft weiter floriren, lieber Alles zu Grunde gehn! ... Sich zusammen nehmend. Schon gut. – Sie wissen ob ich die Gräfin verehre, aber zur Verzweiflung bringt mich ihre grenzenlose Schwäche. WALDEGG. Schwäche? Die Gräfin und schwach? – Ich habe ihre Stärke kennen gelernt. EBERT. Sie – ja. Eine große Stärke, die eben wieder aus der größeren Schwäche für ihren Sohn hervorging. Sie wurden von d e r Frau sehr geliebt. ... WALDEGG ablehnend. – Oh – EBERT. Aber ihren Richard liebte sie doch noch mehr. O – der Schwäche! ... Sie wären mit ihr der glücklichste Mensch der Erde geworden, aber was war Ihr Glück im Vergleich zu Richard’s Vorteil der durch eine zweite Heirat seiner Mutter, beeinträchtigt werden konnte? ... O – der elenden Schwäche! Da Waldegg ihn unterbrechen will. Lassen Sie mich reden! Ich weiß was ich sage, ich kenne die Gräfin besser als Sie! WALDEGG lächelnd. Wahrhaftig? – EBERT. Ja wohl. Sie gingen, nachdem Ihre Hand ausgeschlagen worden, ich blieb. Und wer sie damals sah, wie ich, wer jede ihrer im Verborgenen geweinten Thränen zählte, wie ich, jeden unterdrückten Seufzer errieth, wie ich, und jede Thräne stocken, jeden Seufzer, sich in ein Lächeln verwandeln sah, wenn ihr Blick auf Richard fiel, der – der – Er stockt.

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WALDEGG. Der sollte – dünkt mich, zuletzt von ihrer Schwäche reden. EBERT. Hm! ... Und ich thu’s doch! – Es ist eine Schwäche, unnützer Weise, stark zu sein. HILDEBRANT tritt ein, und vor Ebert hin, kurz aber höflich. Sind Sie da Herr Advokat? EBERT. Ich bin’s Herr Kammerdiener. Was gibt’s? HILDEBRANT. Weiß nicht. Will gehen. EBERT. Schickt die Frau Gräfin? HILDEBRANT. Wer sonst? Will gehen. EBERT. Was befiehlt Sie? HILDEBRANT. Wenn sie mir’s hätte sagen können, käme sie nicht her, um es Ihnen zu sagen. Hildebrant ab. WALDEGG. Freund. ... Sie kommt, will Sie sprechen – ich ziehe mich zurück. EBERT. Jetzt werden wir ein ernsthaftes Wort reden, Frau Gräfin. WALDEGG. Ebert! in einer Stunde umarmt sie den langentbehrten Sohn. Verbittern Sie diese glückliche Stunde nicht. – Die erste seit Jahren. Nur jetzt keine unzeitigen Vorwürfe, Ebert! Er geht ab. EBERT allein. Ja ja, i h m erscheinen Vorwürfe immer unzeitig, die man der Frau Gräfin macht. Er ist ihr gegenüber gerade so blind, wie sie es gegenüber ihres Sohnes ist. – Ich bin’s nicht Gott sei Dank! Ich blieb ungeblendet von all{er der} 〈ihrer〉 Herrlichkeit {die einem entgegen funkelt, wenn man den Charakter dieser Frau betrachtet}. Ich will ihr sagen – Zögernd. – was ich ihr eben zu sagen wage ... Entschlossen. Schäme Dich Ebert! Theilst auch Du den Respekt vor ihren Schwächen? Wieder zögernd. Warum haben die Leute aber auch Schwächen, ehrwürdiger als die Tugenden anderer Menschen? –

Zweiter Auftritt DER VORIGE. GRÄFIN, HILDEBRANT.

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GRÄFIN im Kommen. Besorgen Sie’s Hildebrant. Er soll alles wiederfinden wie er’s verließ und liebte. Die alten Menschen, das alte Haus. Hildebrant will gehen. Noch Eins? – Die Hütte {Lion} 〈Ralph〉’s lassen Sie aus dem Hofe schaffen. Er hat den Hund so lieb gehabt, ich konnte mir nie ein Herz fassen, ihm zu schreiben er sei todt, und möchte nicht daß sein erster Blick auf die leere Hütte fiele. HILDEBRANT. Zu Befel. – Aber – er wird wohl andere Hunde mitbringen, und dann ... GRÄFIN. Thun Sie wie ich Ihnen sagte.

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HILDEBRANT. Sehr wohl. Für sich. Hat sich so lange um die alte Mutter nicht gekümmert, und sollte sich um den alten Hund kümmern. Hildebrant ab. EBERT verneigt sich. Frau Gräfin – GRÄFIN. Ihre Hand Ebert! Nun? was sagen Sie? – Er kommt. EBERT. – Sie haben mit Ihrem Advokaten sprechen wollen. GRÄFIN. Vorher auch einige Worte mit meinem Freunde. EBERT. Er sollte Ihnen wohl Auf die Papiere in ihren Händen zeigend. – denn Sie kommen in Geschäften – den Advokaten gewinnen? Aber das sind zwei so grundverschiedene Personen, daß sie auf einander nicht den geringsten Einfluß nehmen. – Ich muß demnach bitten. – GRÄFIN. Nun denn Herr Advokat! Haben Sie unserem Banquier Ordre erteilt, das bei ihm liegende Kapital zur Auszahlung bereit zu halten? EBERT. Ja wohl Frau Gräfin. Um aber definitiv den Befehl zu dieser Auszalung geben zu können, bedarf ich noch einer Vollmacht. GRÄFIN. Die ich sogleich unterschreibe. Ist sie aufgesetzt? EBERT. Sie ist aufgesetzt. Zieht ein Blatt hervor. GRÄFIN. Geben Sie. EBERT das Blatt betrachtend. Eine große Summe! Die Frucht weiser Sparsamkeit, und mancher, von Niemand geahnten Entbehrung. GRÄFIN nach dem Blatte langend. Geben Sie! EBERT. Einen Augenblick. – Was bleibt Ihnen wenn Sie das alles verschenkt haben werden? GRÄFIN. Mir? – EBERT. – Nun? GRÄFIN. Und wenn mir nichts bliebe außer dem was mein Sohn mir geben will. Fürchten Sie, mich deßhalb darben zu sehen? EBERT. Sie sind vermutlich auch entschlossen {Rosen}〈Auffen〉berg zu verlassen, und nach dem Wittwensitz Schlosshof zu ziehn? GRÄFIN. Ich mich von Richard trennen? EBERT. Sie werden sich von ihm nicht trennen. Wie aber wenn er, sich von Ihnen trennte? GRÄFIN zweifelnd. – Sie scherzen wohl? EBERT sieht nach der Uhr. In einer halben Stunde kommt Ihr – Ihnen durch lange Abwesenheit entfremdeter Sohn, mit seiner Ihnen fremden Braut. Wissen Sie ob das Zusammenleben mit dem jungen Paare, Ihnen für alle Zukunft zusagen wird? GRÄFIN lächelnd. Ich habe einigen Grund es zu vermuten. EBERT. Mein Rath wäre, sich nicht unbedingt darauf zu verlassen. GRÄFIN. Ebert! EBERT. Wenn diese Vollmacht unterschrieben sein wird, dann ist Ihr Sohn ein reicher Mann, und Sie sind eine arme Frau. Wollen Sie das sein? Bevor Sie

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den entscheidenden Schritt thun, sprechen Sie mit Richard von dem Testamente Ihres Gatten. ... GRÄFIN. Wozu? EBERT ohne sich unterbrechen zu lassen. Sagen ihm: „Als Dein Vater starb, fand ich für gut, sein Testament das m i c h zur Erbin seines Vermögens einsetzte, zu verheimlichen.“ GRÄFIN. Was soll das? EBERT wie oben. „Du wuchsest in dem Wahn auf, hier Herr zu sein, Du bist es nicht ...“ GRÄFIN. Ich weiß nicht, Ebert, kennen wir uns seit heut, oder seit dreißig Jahren? EBERT wie oben. „Dir hinterließ Dein Vater nichts ausser Eichen, die Stammherrschaft Deines Hauses. Das von ihm gekaufte {Rosen}〈Auffen〉berg ist mein. Deine bisherige Lebensweise zeigt, daß Du mehr verbrauchst als Du hast. Du verschwendest mein Sohn, bedarfst um es noch weiter – zu können großer Geldkräfte – hier sind sie. Vergeude was ich sparte – ich behalte mir nur den Besitz dieses Gutes vor – das Uebrige ist Dein.“ GRÄFIN. Und Rosenberg ist sein, und alles was ich habe! Das Testament seines Vaters bleibt in Ewigkeit meinem Sohn ein Geheimniß, bleibt es – ausser Waldegg und Ihnen, aller Welt. Die Gründe die meine Handlungsweise vor sechzehn Jahren bestimmten, gelten heut wie damals. EBERT. Nichtige Gründe! GRÄFIN. Gebieterische! Ich ford’re jede Mutter auf, zu erklären, ob ich anders handeln konnte! ... Wenn ich mein ganzes Leben an mir vorüberziehn lasse, und mich bei jeder seiner Handlungen frage: “Wünschest Du diese ungeschehn?” so ist jene die letzte, bei der ich sagte: Ja! – EBERT. Sie Frau Gräfin. Aber n u r Sie. – Was ist an diesem Testamente, so ungerecht, wie es Ihnen erscheint? GRÄFIN. Ein Vater entzieht seinem Sohn, was er ihm nur irgend entziehn kann, setzt ihn auf den kleinen Pflichttheil eines tiefverschuldeten Vermögens – EBERT. Um den Rest in Hände zu legen, die ihn besser zu verwalten verstehn als er selbst! Der Graf w u ß t e was er that, er kannte seinen Sohn. GRÄFIN. Er mißkannte ihn vom ersten Augenblicke seines Daseins! Lieblosigkeit gegen Richard diktirte seinen letzten Willen, sprach aus jeder Zeile desselben; eine Lieblosigkeit, unter der, schon des Knaben Kindheit gelitten hatte. EBERT. Ich weiß nicht wie groß Richards Schuld an der Abneigung seines Vaters gewesen ist. GRÄFIN. Schuld? Der Vater war ebenso in seiner Schuld diese Abneigung zu empfinden, als der Sohn, sie einzuflößen. Schuld an ihr trugen die Charaktere, trug Gott! der diese Charaktere so geschaffen. Zwei ganze,

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unbeugsame Naturen standen einander gegenüber, und stießen sich gegenseitig ab. EBERT. Kein Wunder, daß der Graf sich stets inniger, an den liebenswürdigen Sohn, seiner ersten Ehe schloß. Kein Wunder daß er, als jener in der blühenden Kraft seines Lebens, starb, die Liebe die ihn für den Verlorenen beseelte, auf Richard nicht übertrug. GRÄFIN. Nein! – nein! – das Kind des Alters erfuhr nur seine Gleichgiltigkeit. Niemand außer mir ahnt, was es darunter gelitten. Wer hat sich abgequält wie ich, stündlich einen Balsam zu finden für sein stündlich verletztes Gefühl? Es kam die Zeit wo auch das, mir nicht mehr gelang, wo ich ihn trotz aller Bemühungen meiner Liebe, werden sah, was auf Erden das Traurigste ist: E i n u n g l ü c k l i c h e s K i n d . Nun starb mein Gatte, und ich sollte mit einem Testamente vor die Gerichte treten, das jede 〈alle〉 Anklage rechtfertigte, die Richard je gegen ihn geführt? Dieses Testament sollte dereinst in meines Sohnes Hände kommen? Er sollte den unzweifelhaften Beweis erhalten daß sein Vater unväterlich für ihn empfand? EBERT. Frau Gräfin – GRÄFIN. O ich erinnere mich sehr gut der Stunde, in welcher Sie mich fanden, das unselige Blatt in den Händen. Ich reichte es Ihnen, Sie nahmen – lasen – und als ich endlich ausrief: „Dieses Testament existirt nicht, darf nicht existiren!“ – da erwiederten Sie ... EBERT. Ich erwiederte – nie kann ich mir’s verzeihn! – in der Erregung des Moments – {angesteckt von Ihrem übertriebenen Zartgefühl} 〈erschüttert durch den Anblick Ihrer Pein〉 – „Es ist eben keines gefunden worden.“ GRÄFIN. Und dabei blieb es, und der natürliche Erbe, trat in seine Rechte. EBERT. Und – und – ich war damals obwol schon ein alter Kauz, doch – um sechzehn Jahre zu jung. Heut Frau Gräfin – GRÄFIN die inzwischen mehrere Male an das Fenster getreten. Wie viel Uhr ist’s Ebert? EBERT. Eben Zwölf. GRÄFIN. – Zwölf Uhr – Wenn er kommt, müßte man seinen Wagen sehen können, auf dem Tüfer Berg. Sie schellt. EBERT. Heut Frau Gräfin – Hildebrant kommt. GRÄFIN. Das Fernrohr Hildebrant. HILDEBRANT. Das Fernrohr? GRÄFIN. Hierher. Öffnet das Fenster. Auf das Fenster.

〈alle〉 üdZ, eingewiesen nach jede; ohne Tilgung.

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HILDEBRANT stellt das Fernrohr, das er von einem Kasten herabgenommen, auf dem Fenster auf. Gräfliche Gnaden, werden sich die Augen anstrengen! Für sich im Abgehen. Und am Ende – wieder umsonst. EBERT während die Gräfin das Fernrohr stellt, und hindurchsieht. Heut Frau Gräfin, bin ich zufällig um sechzehn Jahre älter als ich – vor sechzehn Jahren war, und – GRÄFIN. – Ebert! Kommen Sie – mich dünkt – ich sehe – Ebert blicken Sie durch dieses Glas ... EBERT. Wäre vergeblich. Für mich ist das Fernrohr nicht erfunden. Ich konnt’ es nie erlernen ein Auge zuzudrücken. Mit verändertem Tone. Und was die Vollmacht betrifft ... GRÄFIN immer am Fenster. Die Vollmacht – ganz recht – ist’s möglich daß, ich vergaß ... Rasch! Richard einmal da, hab’ ich keinen Sinn mehr für Geschäfte. EBERT. Sogleich. Als ob er suchte. Nun, wo ist sie denn? wieder vergraben unter allen den Papieren. Jetzt werd ich sie wahrscheinlich nicht sobald finden, sonst – Für sich. sonst wäre die Königin Lear, {fix und} 〈bald〉 fertig.

Dritter Auftritt DIE VORIGEN, WALDEGG.

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GRÄFIN. Waldegg! Hierher mein Freund! leihn Sie mir ihr Auge ... Was erblicken Sie? WALDEGG durch das Fernrohr blickend. Einen schwarzen Punkt auf dem Tüfer Berge. GRÄFIN. Der sich bewegt, näher kommt – WALDEGG. Es ist ein Wagen. GRÄFIN ihn fortdrängend. Lassen Sie mich – – vergeblich – mir schwimmts vor den Augen – HILDEBRANT hereinstürzend. Sie sind da! GRÄFIN. Sind da? EBERT. Was fällt dem Hildebrant wieder ein? Man sieht den Wagen erst auf dem Tüfer Berge. HILDEBRANT. Das muß die Bagage sein. Der Herrschaftswagen ist schon im Park. GRÄFIN jubelnd mit einem Blick durch das Fenster. Schon hier! schon hier! Eilt hinaus. Hildebrant folgt. EBERT. Ich will der Erste sein der ihnen – aus dem Wege geht. Will gehen.

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WALDEGG hält ihn zurück. Nein, nein! bleiben Sie. {Kommen Sie! – ihnen entgegen! Geht der Thüre zu. In der Mitte des Zimmers angekommen, schallt ihm Geschrei und Gelächter von mehreren Stimmen entgegen. Er bleibt stehn. Draußen: SCHILDHEIM. Ist das Dein Zimmer Junge? Reißt die Thüre auf, und sieht herein. Nachdem er die Anwesenden erblickt. Oho! Schlägt die Thüre wieder zu. WALDEGG. Das ist – sonderbar – – EBERT. Charmant! Charmant! ... Eine schöne Art sich anzumelden! ... Nun? Bleiben Sie? – Ich wünsche gute Unterhaltung! Ab nach Rechts.}

Vierter Auftritt DIE VORIGEN, RICHARD , AURORA, LIEBENTHAL.

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RICHARD. Theure Mutter! GRÄFIN in seinen Armen. Mein Sohn! RICHARD sich losmachend. Hier {ist} 〈bring’ ich Dir〉 meine liebe Braut. GRÄFIN. Gott segne sie! Die Hände beider haltend. Gott segne Euch Beide meine Kinder! RICHARD auf Liebenthal deutend. Und hier ... LIEBENTHAL. Ich stelle mich selbst vor. Ich bin der Papa. GRÄFIN. Herr von Liebenthal – LIEBENTHAL. Baron ja. Es ist zwar völlig gleichgültig Herr von, Graf, oder Baron – völlig gleichgültig. Nicht wahr Mama? GRÄFIN befremdet. Völlig gleichgültig. WALDEGG reicht Richard die Hand. Sei mir gegrüßt. Zu Aurora. Mein Fräulein – GRÄFIN. Graf Waldegg liebes Kind, unser bester, ältester Freund. LIEBENTHAL sich vordrängend. Sehr erfreut! Schüttelt dem Grafen die Hand. Habe schon viel gehört ... Leise zu Richard. Du? ist das der Waldegg, von dem die Leute sagen ... RICHARD streng. Was? LIEBENTHAL. – Nu-n. Nichts. GRÄFIN die sich mit Aurora auf das So{f}〈ph〉a gesetzt, ihrem Sohn der neben ihr auf einem Sessel Platz nimmt, die Hand reichend. Richard! Zu Aurora. Gesegnet ist Dein Eintritt in mein{em} Haus{e}, Kind – LIEBENTHAL stutzt. In m e i n { e m } Haus{e}? GRÄFIN. Du bringst mir diesen Flüchtling wieder und – D u , bringst ihn! AURORA. Sie sind außerordentlich gütig. RICHARD zur Gräfin. Du wirst es für sie sein, nicht wahr?

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GRÄFIN. Kannst Du fragen? Zu Aurora. Du fragst nicht! Mit welcher Empfindung ich Dich grüße, weißt Du, wenn er Dir nur manchmal von mir sprach. Hat er das gethan, liebes Kind? Hat er Dir von der armen Mutter erzält, die sich daheim nach seiner Heimkehr sehnte? LIEBENTHAL sich über die Lehne des Canape’s beugend. Das hat er Mama! {Seit den sechs Wochen wo er verlobt ist } 〈Gewiß〉 – {GRÄFIN. Schon seit sechs Wochen? LIEBENTHAL. Fast jeden zweiten Tag!} Immer hieß es: Ich will doch meiner Mutter schreiben! – Ich aber sagte: Was schreiben! – Spare Deine Zeit. Zeit ist Geld. Wir kommen selbst und Alle zusammen. Um die Einwilligung der Mama brauch{s}t Dir nicht bange zu sein, sie gibt ja zu Deiner Heirat nichts als ihren Segen. RICHARD. Gut gut! {Papa} 〈Baron〉! Leise zur Gräfin. Seine Weise {scheint Dir} 〈ist〉 wunderlich. Du wirst Dich daran gewöhnen, mir zu Liebe. GRÄFIN. {Gewiß und gerne!} 〈Ich werd’s – versuchen.〉 AURORA. Sie leben Winter und Sommer auf dem Lande Gräfin? GRÄFIN. Ja mein Kind, aber nenne mich Mutter – ich habe ... LIEBENTHAL. Winter und Sommer! Sehr solid Mama! Freilich auch etwas eintönig ... Uebrigens – im Alter! – Die Kinder werden Ihrem Beispiele nicht folgen. Meine Tochter Aurora ist gewöhnt in der großen Welt zu glänzen, und ich muß gestehn, daß sie vortrefflich zu glänzen versteht! – GRÄFIN. Mit so viel Jugend, so viel Schönheit. – LIEBENTHAL. Was Schönheit! jetzt ist sie in ihrem Reisekostüm. Warten Sie nur Mama! bis wir uns in Balltoilette sehen lassen. Verbindlich. Es würde mir ein besonderes Vergnügen sein, wenn Sie mich im künftigen Carnaval in der Stadt besuchten, um Ihre Schwiegertochter tanzen zu sehen. Ich wohne Fürstenstrasse, eigenes Palais – wohne nicht übel. Tapeten, Meubeln aus Paris – alles aus Paris – auch Kunstwerke. RICHARD. {Bester Papa, l}〈L〉assen wir vor der Hand ... LIEBENTHAL ohne sich unterbrechen zu lassen. Nur die Equipagen englisch. Marquis d’Argentcourt sagt immer zu mir: „Wie Du es nur anfängst, einen s o l c h e n Stall zu haben?“ Er hätt’ ihn nämlich lieber selbst. Aber es fehlt der nervus rerum. – AURORA ihm in’s Wort fallend. Sieh doch nach Papa, ob unsere Bagage noch nicht angekommen ist. LIEBENTHAL. Sogleich. Will hinaus eilen. WALDEGG am Fenster. Sie ist angekommen. AURORA sich erhebend. Dann will ich gehn meine Toilette zu machen. GRÄFIN. Toilette! für uns? Wo denkst Du hin? AURORA. Ich kann doch nicht in Reisekleidern beim Diner erscheinen? Warten Sie nur ] Warten sie nur Schreibfehler

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GRÄFIN. Warum nicht? Wir sind unter uns, und i h m Auf Richard deutend. gefällst Du auch in Deinen Reisekleidern so gut, daß es unmöglich wäre ihm besser zu gefallen. AURORA mit Koketterie. Ich will es {doch} 〈wenigstens〉 versuchen. {RICHARD. Lasse sie Mutter.} GRÄFIN. Komm mir nur bald wieder zurück. Denke daß ich in Jahren nicht müde werden kann Dich zu sehn, und bisher Dich kaum erblickte. RICHARD zu Aurora. Ich führe Sie. Zur Gräfin. Es ist doch Alles zu ihrem Empfang bereit? Welche Zimmer? GRÄFIN. An die meinen schließend. RICHARD. Im linken Flügel? Halblaut. {Willst Du uns lächerlich machen?} 〈Ach liebe Mutter.〉 Diese Zimmer mit ihrer patriarchalischen Einfachheit! Aurora ist an dergleichen nicht gewöhnt. GRÄFIN. Ich wollte sie in meiner Nähe haben. {RICHARD. Im rechten Flügel wäre sie würdiger bewohnt. GRÄFIN. Wenn Du es wünschest, gebe ich sogleich Befehl. Will schellen.} RICHARD. {Erlaube liebe Mutter. Befele geb’ ich selbst.} 〈Nun denn.〉 Aurora den Arm reichend. Kommen Sie. {Aurora} LIEBENTHAL. Sie gestatten wol, daß auch ich den Reisestaub von mir schüttle? Drückt ihre Hand. Auf Wiedersehn Mama! Richard geht mit Aurora, Liebenthal folgt. GRÄFIN sieht ihrem Sohn eine Weile nach. Setzt sich dann, den Kopf auf die Hand stützend. Waldegg macht eine Bewegung, sie fährt auf. Wer ist’s? WALDEGG tritt vor. Ich bin es. GRÄFIN. Sie bester Freund? Und so traurig? theilen Sie die Freude dieses Tages nicht? – Nun – ist Er nicht schön geworden? Die Gestalt so stolz, die Stirne so frei! Man sieht’s, die birgt keinen unedlen Gedanken. Bin ich nicht eine glückliche Mutter, Waldegg? WALDEGG. Die glücklichste der Erde! richtet sich das Glück nach dem Verdienst. GRÄFIN. Und die Braut die er sich gewält! ein herrliches Mädchen. Sie scheint sehr ernst, sehr stille. Ihre Haltung ist königlich, und – bemerkten Sie die wundervollen Augen? ... Sie war etwas kalt – etwas zurückhaltend ... O bis sie sich nur an mich schließt! bis sie nur die Schüchternheit abgelegt, die jetzt noch ... WALDEGG verwundert. Schüchternheit? ... {Geschrei im Hofe, am lautesten Aurora’s Stimme. Man hört Steinchen an die Fensterscheiben fliegen. Gelächter. Ei! GRÄFIN. Was gibt es? WALDEGG der an’s Fenster getreten. Das Brautpaar und seine Gäste stehn im Hofe, sehen und winken herauf.

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GRÄFIN. Oeffnen Sie das Fenster. WALDEGG. Sogleich. Im Augenblick wo er das Fenster öffnen will, wird es von einem herein- und an ihm vorüberfliegenden Steinchen zerbrochen. Unten. Oh! Bitt um Entschuldigung! Gelächter. GRÄFIN aufspringend. Sie sind getroffen? WALDEGG. Ganz und gar nicht! Unten Steinau’s Stimme: Das Fräulein hat ihren Mantel Oben vergessen, und bittet darum. Richard’s Stimme: Keine Antwort. Bist Du todt, Waldegg. Gelächter. GRÄFIN. War das nicht Richard? Will an’s Fenster treten. WALDEGG sie zurückhaltend. Ich beschwöre Sie!}

Fünfter Auftritt DIE VORIGEN, RICHARD .

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{RICHARD heiter. Gott Lob, da steht er ja! Bist Du’s Waldegg oder ist’s Dein Geist? Haben wir Dich erschlagen? WALDEGG. Ihr habt mir kein Haar gekrümt. RICHARD. Welches Glück! Wir zitterten für Dein Lockengebäude. GRÄFIN vorwurfsvoll. Richard!} HILDEBRANT tritt ein. Das Fräulein lassen um ihren Mantel bitten. RICHARD. Richtig! Ich bin ja deßhalb gekommen. Zu Waldegg. Weil Du mir den Weg nicht zu ersparen geruhtest. Gibt Hildebrant den Mantel. Hier, {was seh ich} 〈Teufel〉! Da ist ja der alte Raisoneur Hildebrant. GRÄFIN. Du hast ihn noch nicht gesehn? Ihm noch kein freundliches Wort gesagt? RICHARD. Grüß Dich Gott Brummbär! Wie steht’s? ... Unter Andern? Ich hab’ Dir {ja} vor meiner Abreise meinen {Lion} 〈Ralph〉 übergeben. HILDEBRANT für sich. Er denkt noch an ihn. Laut. Den {Lion} 〈Ralph〉 ja – mit Respekt zu melden. Er ist todt. RICHARD auffahrend. 〈Todt?〉 Warum starb er? {An Deiner Nachlässig ...} HILDEBRANT. An Ihrer Abreise Herr Graf. Fraß nicht mehr, heulte Tag und Nacht, heulte sich todt, vor Ihrer Thür. RICHARD. Mein treuer ... {Mit erzwungener Gleichgiltigkeit. Nun mir ist’s recht. So brauche ich ihn nicht erschiessen zu lassen, wenn er einmal alt und unnütz worden.} 〈Unsinn! Wer ihm glaubte!〉

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HILDEBRANT. {Alt und unnütz?} 〈Wer? Jeder der’s gesehen hat.〉 RICHARD{. – Ja – Alter. Klopft ihm auf die Schulter. Wirst auch unnütz werden. Bist nicht jünger worden in den drei Jahren. Geh jetzt.} 〈heftig. Schweig und geh. Du hast meinen Auftrag Sorge zu tragen für das Thier. Da Hildebrant reden will. Schweig sag ich. – Schlecht erfüllt. Geh.〉 HILDEBRANT für sich im Hinausgehen. Dummer {Lion} 〈Ralph〉! ’s war nicht der Mühe werth. Dummer {Lion} 〈Ralph〉! Schad um den Hund. Hildebrant ab. GRÄFIN. Du hast ihm weh gethan. RICHARD ungeduldig. Ich bitte ... GRÄFIN. Und mir, in dem alten Diener. RICHARD. Und ihm in dem alten Hund. Da haben wir’s. Eine lange Schmerzenskette! {Um Gotteswillen} 〈Beste〉 Mutter, keine falsche Sentimentalität! GRÄFIN. – Mein – Gott – – RICHARD. Ich bin ihrer so entwöhnt. So entwöhnt bei jedem Wort zu überlegen, ob’s nicht den nicht Jenen verletzen könnte. Ein solcher Zwang, beste Mutter, ist mir verhaßt. In einem fremden Hause ertrüg’ ich ihn schwer. In dem eigenen – Du verzeihst – ertrag’ ich ihn nicht! WALDEGG der die Zeit über, in peinlichster Verlegenheit, im Zimmer auf und abgegangen, für sich. Schrecklich! schrecklich! ... Und seine Worte haben einen Zeugen? Ich blieb zu lange. Zieht sich still zurück. GRÄFIN. Die Leute sagen, die besten Mütter, verwöhnten ihre Kinder. Die böse Stiefmutter: Welt, verwöhnt sie wohl mehr. Steht auf, und legt die Hand auf Richard’s Schulter, ruhig. Ich habe Jahrelang in Schmerzen auf Dich gewartet mein Sohn. Es vergingen oft Monate, in denen ich an Deiner Existenz zweifeln konnte, an Deiner Erinnerung vermochte ich nicht zu zweifeln. Manchmal betrog ich meine Sehnsucht mit dem Gedanken, Er will Dich überraschen – ist vielleicht schon auf dem Wege – ist vielleicht schon hier ... O d a s Gefühl! – Und so oft ein Hufschlag hallte, das Rollen eines Wagens ertönte – ein rascher Schritt auf der Treppe – so oft bebte – zitterte – jauchzte mein kindisches Herz ... Weich. Und nun – nun ist er wirklich da – und ... RICHARD sie unterbrechend. Und wenn er bleiben, gerne bleiben soll, so beenge ihn nicht in seinem Thun und Lassen. Nach einer Pause. Mit mir zieht ein neues Leben in diese Räume ein. Das alte – gute Mutter, muß ihm weichen. Ich bringe Menschen mit, die meine Freunde sind, aber schwerlich die Deinen werden dürften. Trotzdem bitte ich – dulde sie. GRÄFIN. Dulden? ich liebe sie, wenn Du sie liebst. RICHARD. Und – was Aurora betrifft, so bedenke, bevor Du ein Urteil über sie fällst, daß sie in Kreisen aufwuchs in denen das Gefühl die hervorragende Rolle nicht spielt, die Du ihm einräumst. Die Zeit ist nüchtern geworden –

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wir sind ihre Kinder. Du mußt uns nicht mit den Augen der Deinen beurtheilen. In dem Leben das wir führen, wird Dir Manches nicht behagen, dennoch Mutter, werden wir es führen. Mein Haus soll vor Allem meiner künftigen Frau gefallen. Ihr Wille wird hier herrschen. Der Deine aber – GRÄFIN. Der meine? – Seid glücklich! Das ist mein Wille, sonst habe ich keinen. Und keine Bitte als die: Gönnt mir, mich an Eurem Glücke zu freuen! RICHARD. Das sollst Du, nur laß uns auf unsere Weise glücklich sein. GRÄFIN. Du bist Herr mein Sohn, und hast keinen Richter über Deine Handlungen, als Dein eigenes Gefühl. RICHARD mit ausbrechender Empfindung. Mutter! Faßt sie in seine Arme und sieht sie lange schweigend an. Endlich, sanft, ihr Haar berührend. Die Locke war schwarz als ich Dich verließ. Nun ist sie grau geworden. GRÄFIN. Das Alter mein Kind. RICHARD. Nicht auch die Sorge um den ungerathenen Sohn? GRÄFIN. Mein Richard! Mein Stolz! mein Glück! Die Thüre im Hintergrunde öffnet sich. {Liebenthal und Aurora erscheinen auf der Schwelle. STEINAU höhnisch zu Aurora auf Richard zeigend. Rinaldo wieder in den alten Ketten!} 〈RICHARD springt auf. Ach – Aurora! GRÄFIN. Welcher Schrecken! Zu Aurora. Nur näher Kind – nur näher. LIEBENTHAL zu Aurora. Hast Du gesehen? Wie er kniete vor der Mama – Leise. Wir wollen das auch einstudiren wir beide zusammen! –〉

Leben das ] Leben daß Schreibfehler

Zweiter Aufzug Garten. Im Hintergrunde ist ein Theil des Schlosses, von hohen Linden umschattet, sichtbar.

{Erster Auftritt BERGER liegt rauchend auf drei Sesseln ausgestreckt. STEINAU und SCHILDHEIM spielen Karten.

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BERGER. Herrliches Schloß! Prächtiger Garten! Der Gärtner hat tausend Gulden Besoldung ... denken Sie – tausend Gulden! – Sich streckend. Es ist himmlisch hier! STEINAU. Ja. Himmlisch langweilig. SCHILDHEIM. Hab’ ich’s nicht gesagt? Diese Leute unterhalten sich wie wir uns langweilen. BERGER. Das Diner war köstlich. Auf Silber servirt. STEINAU. Das ist unserem Poeten aufgefallen. Auf dem Parnaß muß es spießbürgerlich hergehn. Fünf. SCHILDHEIM. Après. – BERGER. Wie viel mag die Schüssel werth sein, auf welcher der Fisch aufgetragen wurde? STEINAU. Etwas mehr als das Honorar welches Ihnen Ihr letztes Stück eintrug. BERGER sehr selbstbewußt. Und – etwas weniger als mein nächstes tragen wird! Meine Aktien steigen Herr von Steinau! SCHILDHEIM. Seit wann denn? STEINAU. Seitdem er Mitarbeiter der „Stechfliegen“ und des „Nachtwächters“ geworden ist. BERGER aufgeblasen. Geistvolle Blätter! STEINAU. In diesen Ihn nachahmend. „Geistvollen Blättern“ lobt Herr Berger ein Dutzend anderer Berger’s. Dafür loben diese wieder i h n in einem Dutzend anderer „Geistvoller Blätter“ und wenn ein Dutzend „Geistvoller Blätter“ lobt – da lobt das Publikum natürlich mit! – BERGER. Sie scherzen. Ueber dergleich bin ich erhaben. Ich habe unter den Literaten nur Feinde, nichts als Feinde. Ihr Lob ford’re ich nicht heraus, ich erdulde es. SCHILDHEIM. Ein großer Mann dieser Berger! Unter andern! Wovon sprachen Sie denn vorhin mit Waldegg? BERGER. Von meinen Werken die er noch nicht kennt.

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SCHILDHEIM. Der Arme! Die Zeiten dieser glücklichen Unwissenheit sind nun für ihn vorbei! – Ich mußte lachen über den Alten. O – sein Gesicht, als ich mir im Salon eine Cigarre anzünden wollte! ... „Sie rauchen?“ – „Wie ein Schornstein“ ... „Entschuldigen Sie aber ... Verzeihn Sie – jedoch ... Die Gräfin verträgt den Tabakgeruch nicht ...“ – Im neunzehnten Jahrhundert! BERGER. Das glaubt sie, ihren Ahnen schuldig zu sein. STEINAU. Die Rauchwolken könnten uns verhindern zu sehn wie hoch sie die Nase trägt. SCHILDHEIM. Ich schlage! STEINAU. Teufel! – Du hast Glück. BERGER springt auf, und stellt sich hinter Schildheim’s Stuhl. Glück. SCHILDHEIM. Merkwürdig viel Glück. Deckt seine Blätter auf. Ich schlage. STEINAU. Schon wieder! Wirft die Karten auf den Tisch. Das Spiel ist aus. BERGER zu Schildheim. Warum ahnt ich nichts von Ihrem Glück im Spiele? Ich hätte auf Sie gesetzt! SCHILDHEIM das Geld einsteckend, das Steinau ihm hinschiebt. Recht Schade! Zu Steinau. Es thut mir wirklich leid Dich zu berauben. ... STEINAU für sich. Als ob er nicht darauf ausginge! Laut. Wie lange Richard wegbleibt! – Es muß spät sein. BERGER sieht nach der Uhr. Fünf Uhr. Mein Feuilleton Artikel soll noch heute fort. SCHILDHEIM. Mensch! Sie haben schon Zeit gefunden einen Feuilleton Artikel zu klexen? BERGER. Er führt den Titel: „Das Landleben des Adels.“ STEINAU. Sehn Sie sich’s doch an eh Sie’s beschreiben. BERGER. Ich kenne es. Durch Intuition! So kannte Schiller die Schweiz. Der Poet muß sich auf seine Einbildungskraft verlassen. Man nennt das künstlerische Divination meine Herrn. Adieu. Geht, kommt aber wieder zurück. Zu Steinau. Hätten Sie wohl die Güte mir einige Cigarren zu leihn? STEINAU. Leihn? – zum Rauchen? Zieht seine Cigarrentasche hervor. Es sind Prenzados. BERGER. Was Sie da für eine allerliebste Cigarrentasche haben! – Ein werthes Angedenken? Wenn mir Jemand eine Freude machen wollte, brauchte er mir nur eine solche Cigarrentasche zu schenken. Geht und kommt wieder. Sagen Sie mir, ist der alte Waldegg reich? STEINAU. Ein Waldegg und reich? – Die Waldegg’s haben nichts. BERGER. So, so? – Adieu. Geht ab. SCHILDHEIM. Was kümmern d e n , Waldegg’s Vermögensumstände? STEINAU. Was sie ihn kümmern? Dem r e i c h e n Waldegg würde er eine Prachtausgabe seiner Werke – schenken. Der a r m e muß sie um den Ladenpreis kaufen. Du verstehst.

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SCHILDHEIM. Hahaha! Wenn die Poesie eifersüchtig sein kann auf die Industrie, so muß die Muse Berger’s schlimme Stunden haben. STEINAU. Vom Dichten lebt man eben nicht, sondern vom Geld welches man dafür bekommt. Ein schreckliches Ding das Poeten Handwerk! – Aber komm jetzt, laß uns nach Richard sehn. SCHILDHEIM. Nicht auch nach Aurora, Du Sünder! ... Wie steht’s mit Euch Beiden? – Mich dünkt sie gewöhnt sich an das Unglück, Richard’s Braut zu sein? Uebrigens – wer durchschaute dieses Mädchen? – Sie ist eine Sphinx, noch dazu eine Sphinx von Stein. STEINAU. Der Oedipus findet sich, der ihr Rätsel löst! ... Was sie ist, weißt Du, gib Acht was Sie werden wird. Man glaubt nicht wie die Ehe diese kleinen Geschöpfe bildet! Ein Mädchen, das ist Nichts, Eines wie Alle! und Alle wie Eines! Aber eine Frau! eine kokette Frau! Das ist Reiz! Das ist Leben! Nicht zwei die Du auf dieselbe Weise gewinnen könntest, und doch nicht Eine die Dir widersteht wenn Du sie gewinnen w i l l s t . Eine Frau – – SCHILDHEIM. Schon gut! eine Frau! – wenn sie aber einen Mann hat der – ein Mann ist. ... STEINAU. Um so lockender der Kampf: Um so glorreicher der Sieg! – O ich bin verliebt – nicht mehr in das Fräulein von Liebenthal, nein! ich bin verliebt in die künftige Gräfin von Rosenberg! SCHILDHEIM. Steht Ihr noch in Correspondenz? Theilt Ihr Euch noch jeden Abend schriftlich mit? – STEINAU. Was wir keine Gelegenheit fanden, einander während des Tages mündlich mitzutheilen. Ja! Zieht ein gefaltetes Blatt hervor. Ich habe darin Rosenberg und seine Bewohner mit einem Humor beschrieben, um den mich Berger beneiden würde! SCHILDHEIM. Laß mich lesen, ich b i t t e Dich! STEINAU hält das Blatt vor sich hin. Meine Autoreneitelkeit könnte mich beinahe dazu verleiten! – – SCHILDHEIM über seine Schulter lesend. „Das Wachsfigurenkabinet“ – Das ist das Schloss? STEINAU. Errathen! SCHILDHEIM. Und die drei Wachsfiguren, seine drei alten Bewohner? STEINAU. Richtig! SCHILDHEIM. „Kasperl der Thoringer“ – wer ist denn das? STEINAU. Richard ist’s, der ritterliche Bär, der bärenhafte Ritter! – Er scheint mir hier, besonders drollig, glaubt eine hausherrliche Würde annehmen zu müssen – die ihn kleidet! ... SCHILDHEIM. Aurora wird lachen.

Das ist das Schloss? ] Daß ist das Schloss? Schreibfehler

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STEINAU. Arme Aurora! Heut lacht sie über ihn – heut über’s Jahr weint sie vielleicht über ihn, aber hoffentlich in meinen Armen! SCHILDHEIM. Ich rathe Dir, hüte Dich vor der alten Frau. Kein Falke sieht so scharf wie eine Schwiegermama. Auch vor dem Advokaten hüte Dich. Harmlos ist nur der Hausfreund – freilich d e r ! ... Der würde auch mich nicht geniren, wenn ich dereinst gesonnen wäre, den Dienst zu quittiren und meinen Aufenthalt hier zu nehmen. STEINAU. – Wie? – Deinen Aufenthalt? – Teufel! – Du denkst doch nicht ... SCHILDHEIM. Ich denke i m m e r ! und zwar – an mich ... Sieh dort kommt Richard mit Deiner zukünftigen Gräfin von Rosenberg. STEINAU. Langweile ihn, indeß ich sie unterhalte. Bleibt plötzlich stehen, und sieht ihn an. Aber hör’ einmal – Du nährst nicht etwa tolle Hoffnungen in Bezug auf ... SCHILDHEIM. Jene Dame? Steinau macht ihm ein Zeichen vorauszugehn. Er tritt zurück. Après Vous! Beide ab.}

{Zweiter} 〈Erster〉 Auftritt LIEBENTHAL und EBERT kommen.

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LIEBENTHAL. Ich hab’ es ja gesagt! eine Damenregierung! Kein Ernst, keine Ordnung! ... Der Wald wimmelt von Leuten die dort Streu holen, ich will sie abschaffen. „Herr Graf“ sagt der Förster – er muß sich versprochen haben ... „Herr Graf“? Nun – ich pretendire es nicht. Wirklich nicht. Also der Förster sagte: „Herr Graf, sie haben die Erlaubniß.“ Im Parke dieselbe Geschichte. Da lesen Frauen und Kinder das abgefallene Holz auf. Wieder will ich sie abschaffen, wieder heißt es: „Sie haben die Erlaubniß!“ Ich bitte Sie! Hier stehlen die Leute mit Erlaubniß! EBERT. {In Ihrem Comptoir kommt dergleichen nicht vor.} 〈Und bei Ihnen ohne Erlaubniß, das ist der ganze Unterschied.〉 LIEBENTHAL. Diese Mißbräuche müssen abgeschafft werden. EBERT. Wird schwerlich geschehn. Diese vermeinten Mißbräuche, sind Wohlthaten, die seit undenklichen Zeiten, die Herrn von Rosenberg, ihren Armen erzeigen. LIEBENTHAL. Was haben sie {davon} von diesen Wohlthaten? Wenn ich eine Wohlthat erzeige so will ich etwas davon haben. Wer hört, von den ihrigen? Wer setzt sie in die Zeitung?

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EBERT. {Bis jetzt} 〈In die Zeitung?〉 Niemand. {Künftighin wird es vielleicht Herr Berger thun.} LIEBENTHAL. {Daß} 〈Das〉 muß {er} 〈geschehen〉 – hören Sie! – ich will {ihm’s sagen} 〈dafür sorgen〉 – EBERT. Da werden Sie der Gräfin einen rechten Gefallen thun. LIEBENTHAL. Und wenn’s einmal in der Zeitung gestanden hat, dann – abgeschafft! Abgeschafft alles was nicht zeitgemäß ist, was an romantische Grillen mahnt. Ein praktischer Geist muß hier lebendig werden. Wir wollen Fabriken errichten, Brantweinbrennereien. Vielleicht ließe sich ein Kohlenbergwerk eröffnen. EBERT lacht laut auf. LIEBENTHAL. Und dann sagen Sie mir, haben Sie eine Zuckerraffinerie? Das soll alles hier entstehn, die Industrie soll blühn, Handel und Wandel gedeihn. Sie sehen mich groß an? Dazu meinen Sie, braucht man Geld? Wir haben’s, Gottlob. Wir haben’s! – EBERT. – Freilich, Geld muß man haben, wenn man heut zu Tage eine Herrschaft besitzen will. Ihnen wird’s auch daran nicht mangeln, Sie ersparen es – an den Wohlthaten. Er lacht. LIEBENTHAL. Ich glaube, Sie lachen ... Ich bitte mir zu sagen ob Sie lachen! EBERT. Hören Sie’s denn nicht? LIEBENTHAL. Noch will ich meinen Ohren nicht trauen ... Ich muß fröhlichst ersuchen – ich kann als Cavalier nicht dulden ... Wollen Sie mich beleidigen? RICHARD der während der letzten Worte aufgetreten. Das will i c h nicht hoffen. LIEBENTHAL. Hoffe nur, hoffe! Der Herr Advokat lacht, und ich habe allen Grund zu glauben – Herr, lachen sie? EBERT dicht an ihn herantretend. Ja – denn! LIEBENTHAL eingeschüchtert. S-o? – werden Sie mir sagen warum? EBERT. Nein! LIEBENTHAL zurückweichend. Nein? – nun – dann – EBERT. Dann? LIEBENTHAL freundlich. – Lassen Sie’s bleiben! ... Auf das Freundlichste. Lassen Sie’s bleiben! RICHARD Ebert bei Seite nehmend. Schon bei Tische bemerkte ich, daß Sie keine Gelegenheit vorüber gehen lassen, dem Baron zu wi{e}dersprechen. EBERT. Warum behauptet er immer das Gegenteil von Allem was vernünftig ist? RICHARD. Sie bemühn sich förmlich, ihn lächerlich zu machen. EBERT. Ich? – O bitte – dieser Mühe überhebt er mich selbst. RICHARD. Aendern Sie diesen Ton Ebert. EBERT. Ist er Ihnen nicht angenehm?

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RICHARD. Ich rathe Ihnen, ändern Sie Ihr ganzes Benehmen, wenn ich nicht glauben soll – – es sei Ihnen vorgeschrieben ... EBERT. Bravo! bravo! nur weiter! RICHARD. Vorgeschrieben von Personen, denen, sie mögen sich stellen wie sie wollen, die Gegenwart neuer Freunde im Hause, ein Dorn im Auge ist. EBERT. Große Erwartungen hatte ich auf Sie gesetzt, Sie übertreffen die Kühnsten! – Herr Graf. O nur so fort, nur so fort, und es wird noch alles gut. RICHARD. Was wird gut? EBERT. – Alles. Vielleicht sogar – Sie selbst. RICHARD heftig. Setzen Sie meine Geduld nicht auf die Probe! EBERT. Gott bewahre! Ich weiß ja ohnehin daß sie nicht bestünde. RICHARD. Ebert! Ich verbiete ... HILDEBRANT kommt. Herr Advokat – RICHARD sich zusammennehmend, für sich. Der alte Thor! – S’ist kindisch sich über ihn zu ärgern. HILDEBRANT. Der Postbote ist auf der Kanzlei. EBERT. Ich komme. Hildebrant ab. LIEBENTHAL. Die Post ist da! AURORA, STEINAU und SCHILDHEIM, die bald nach Richard gekommen, und im Hintergrunde geblieben, vortretend. Die Post? LIEBENTHAL. Sie bringt doch Zeitungen? EBERT. Gewiß, gewiß. Liebenthal, Schildheim, Steinau, Aurora fast zugleich. LIEBENTHAL. Ich bitte um meine Börsenzeitung! SCHILDHEIM. Die Jagdzeitung! STEINAU. Meine Briefe! AURORA. Die Meinen! EBERT. Einen Augenblick – LIEBENTHAL. Ich gehe mit Ihnen – EBERT. Bemühn Sie sich nicht. Ich bringe das ganze Paket herunter. Entschuldigen Sie nur wenn ich vorher das Amtliche erledige. LIEBENTHAL. Meine Börsenzeitung! ... EBERT im Abgehen. Gleich, gleich, warten Sie doch einen Moment. Ab. LIEBENTHAL. Warten? Auf die Börsenzeitung? Gott der Gerechten! – Sich rasch verbessernd. Gerechter Gott! – Halt Herr Advokat, ich gehe mit? Hastig suchend. Mein Taschenbuch! – gestern notirten wir Liest halblaut. Geld knapper – Eisenbahn Aktien, beschränktes Geschäft. Kein Schluß gemacht. Dukaten auf Zeit ohne Nehmer ... In die Coulissen. Herr Advokat! Herr Advokat! Stürzt Ebert nach. AURORA. Man merkt daß wir auf dem Lande sind. Die Ankunft der Post ist ein Ereigniß. Setzt sich.

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SCHILDHEIM. Für mich – stets ein unerfreuliches. Ich erschrecke vor jedem an mich gerichteten Brief. STEINAU. Sind Deine Gläubiger so schreibselig? AURORA. Ich wollte meine Bekannten wären es. Zum ersten Mal in meinem Leben sehne ich mich nach Briefen. RICHARD. Wirklich? AURORA. Und Sie? RICHARD. Was sollen Briefe mir bringen, wenn ich bei Ihnen bin? AURORA. Nun – eine angenehme Nachricht – eine kleine wohlthuende Abwechslung. RICHARD setzt sich zu ihr. Aurora – Sie sind verstimmt? AURORA. Ganz und gar nicht. RICHARD faßt ihre Hand. Sie erschrecken mich! „Ganz und gar nicht“ – das heißt so viel als – ganz außerordentlich – Aurora! trag’ ich Schuld – AURORA. Sie? wer spricht von Ihnen? RICHARD mit Pathos. Weh mir wenn es Ihr Herz nicht thut! Lachend. O theurer, schöner Trotzkopf, ich liebe Dich! Liebe Dich um so mehr, je ... AURORA ihn unterbrechend. Eine Liebeserklärung vor Zeugen? – RICHARD auffahrend. Richtig, die sind noch da. Schildheim! willst Du nicht ein wenig ausreiten? SCHILDHEIM für sich. Zu deutsch: Willst Du nicht ein wenig zum Teufel gehn? RICHARD. Lasse Dir das beste Pferd satteln, das Du hier findest. STEINAU. Ich rathe zu dem Streitroß der Frau Gräfin. Es sollen keine zwanzig Jahre verflossen sein, seitdem sie’s zuletzt bestieg. RICHARD. Geh lieber Schildheim. Wirf einen Kenner-Blick in den Stall. SCHILDHEIM. Er wird schön bestellt sein – ich kann mir’s denken! Geht ab. RICHARD zu Steinau. Und Du – willst nicht ausreiten? STEINAU für sich. Deutlicher schon – man kann nicht. Laut. Unmöglich. Ich habe Mit einem Blick auf Aurora. Einen dringenden Brief zu beenden. RICHARD. Wir halten Dich nicht ab! einen langen, dringenden Brief ... STEINAU. Nicht lang, nur dringend. Bin in einer Viertelstunde wieder hier. RICHARD. Ich hoffe Du eilst nicht meinetwegen. AURORA liebenswürdig. Meinetwegen thun Sie, hoff’ ich, das Gegenteil. STEINAU. Zu gnädig. Geht ab. RICHARD. Nun aufrichtig Geliebte! wir sind allein. ... Oder soll i c h Ihnen das Geheimniß Ihrer Mißstimmung verrathen? – Sie langweilen sich. AURORA. Langweilen? – nein. Ich unterhalte mich nur nicht. RICHARD. Sie sehnen sich nach den rauschenden Stadtfreuden, den Festen zurück bei denen Sie, zu meinem Entzücken, meinem Stolze, vor allen Frauen glänzten, und alle Männer blendeten? AURORA. Bräutigam und Schmeichler – paßt das zusammen?

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RICHARD. Aufrichtig Aurora! mißfällt Ihnen das stille Haus nicht, über welches Sie nun gebieten sollen? AURORA. Gebieten? Das heißt, wenn Ihre Mutter es erlaubt. RICHARD. Die Herrschaft meiner Mutter endet, sobald Sie die Ihre antreten. Sie wird Ihnen niemals ein Recht bestreiten, thäte sie’s aber, dann ... AURORA. Dann würden Sie mir rathen – es aufzugeben. RICHARD. Nein! AURORA. Doch! Sie werden ihr nie widersprechen. Man streitet nicht mit Personen vor denen man kniet. Ich traf Sie heut zu den Füßen Ihrer Mutter. ... RICHARD. Nun? AURORA. Und – traute meinen Augen kaum und dachte: Vor mir hat er noch nie gekniet. RICHARD. Wußt’ ich denn Kalte, Stolze, ob Sie eine so demutvolle Huldigung nicht mit Hohn aufnehmen würden? Muß ich denn Ihnen gegenüber nicht stets mein Herz in der Hand halten, und jede Äußerung seines überströmenden Gefühl’s unterdrücken, aus Furcht sie könne Ihnen mißfallen? Wer jubelt mehr als ich, wenn Sie meiner Abgötterei einen Wunsch verrathen? O es ist nicht ungestraft geschehn! von nun an werden Sie mich knien sehn, auch vor Ihnen ... AURORA. „Von nun an?“ Eben von nun an, darf es nie mehr geschehn. „Auch?!“ – Lieber Richard, ich will keine Huldigung die Sie außer mir, noch irgend einem Menschen auf Erden darbringen. Mit Koketterie. O – ich kann auch eifersüchtig sein! Das Geringste was ich von dem Cultus den Sie mir weihn ford’re, ist ein eigenes – Ceremoniel. RICHARD. Wissen Sie daß Sie entzückend sind? AURORA. Die Leute sagen es mir so oft, daß ich verstockt sein müßte, um es nicht zu glauben. Zärtlich. Sie aber finden mich nebstbei auch sehr anspruchsvoll? RICHARD. Meiner Liebe können Sie es nie genug sein. AURORA. Nimm Dich in Acht Großsprecher! ich werde Dich auf die Probe stellen. RICHARD sie umschlingend. Thun Sie’s wenn Sie mich glücklich machen wollen. Lieben heißt ja eben so gut fordern, als – gewähren. AURORA. Wahrhaftig? RICHARD. Ja Theuerste, und darum: fordern Sie! w a s Sie wollen, im Voraus sag’ ich „Ihre Forderung, ist erfüllt!“ Darf ich dasselbe Versprechen auch von Ihnen erwarten? AURORA. Es müßte früher etwas positiver formulirt werden. RICHARD. Bedingungen? Sie werden ihr ] Sie werden Ihr Schreibfehler

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AURORA. Ich unterschreibe keinen Kontrakt ohne ihn gelesen zu haben. RICHARD. Dießmal hätten Sie’s wagen können. Ich werde nichts unmögliches begehren. AURORA. Nämlich nichts was Ihnen unmöglich scheint. RICHARD. – Es ist doch etwas Eigenes sehn Sie, um den Boden in dem wir wurzeln! Lang hab’ ich mich ihm entzogen, nun wirkt sein Zauber doppelt mächtig auf mich ein. Mir ist als sollt’ ich nie wieder fort von hier, wo ich wirken kann, und will! AURORA. Nie wieder fort! und daß ich Ihnen dabei Gesellschaft leiste, ist wohl die Forderung die Sie an mich stellen wollen? RICHARD. Sie ist’s! AURORA. O wie gut daß ich nichts versprach! RICHARD. Aurora – Sie würden nicht ... AURORA. Immer hier bleiben. Ein Leben führen wie Gessner’s Hirten? – Lächelnd. Nein Bester. RICHARD ungeduldig. Nein?! ... Sich bezwingend. Ich darf nicht ungerecht sein. Sie haben ihre Kindheit in Städten verlebt, kennen den Reiz der heimatlichen Erde nicht. AURORA. Als ob Städte nicht auch auf heimatlicher Erde stünden, und man nur auf dem Felde zu Hause sein könnte! Auch ich kenne das Gefühl, das Sie eben beschrieben. RICHARD. Wo hätten Sie’s kennen lernen? AURORA. Im – Comptoir meines Vaters, edler Graf! RICHARD. Welch ein Vergleich! AURORA. Ein vortrefflicher. Doch lassen wir alle Projekte für die Zukunft, und denken an die Gegenwart. Sie sprechen davon Ihr Leben in dem Hause Ihrer Väter zuzubringen, und Ihre arme Braut weiß noch nicht, ob sie darin wird wohnen können. RICHARD. Wie so? AURORA. In den ungeheuren Räumen des rechten Flügels, werde ich mich nie heimisch fühlen. RICHARD. O – es wird Ihnen schon gelingen, sie wohnlich zu machen. Kommen Sie, sehn wir uns die Zimmer noch einmal an. AURORA. Wozu? Dort liegt der Plan des Schlosses, dort auf jener Bank – geben Sie, ich bitte! RICHARD. Sogleich. Vorher aber – AURORA. Was denn? RICHARD küßt sie auf die Stirne. Das!

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Zweiter Auftritt VORIGE, STEINAU.

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STEINAU. Ich habe die Ehre! RICHARD mit Ungeduld zu ihm. Schon fertig mit Deinem Brief? STEINAU. Ja wohl. RICHARD. Er muß erstaunlich kurz ausgefallen sein. AURORA. Den Plan lieber Richard. STEINAU halblaut zu Aurora während Richard nach dem Hintergrunde geht. Sie ahnen wohl, an Wen dieser erstaunlich kurze Brief gerichtet ist? AURORA. Bewundern Sie meinen Scharfsinn – ich ahne es. STEINAU den Brief hervorziehend. Wollen Sie ihn gleich in Empfang nehmen? – Soll ich ihn auf Ihr Zimmer schicken? ... Oder – ist’s dem Verfasser erlaubt ihn – selbst zu überbringen. AURORA. Auf mein Zimmer? Laut. Nein. RICHARD aus dem Hintergrunde. Was sagen Sie? STEINAU legt den Brief vor Aurora, auf den Tisch hin. So nehmen Sie. Rasch! AURORA bedeckt den Brief mit ihrem Taschentuche. Sich nach Richard umsehend. Ich sagte Nein. RICHARD sich nähernd, den Plan in der Hand. Worauf? AURORA nach kurzem Besinnen, indem sie Tuch und Brief in die Tasche steckt. Auf Steinau’s Behauptung – ich könne im Schlosse, die Wohnung wälen die mir beliebe. RICHARD. Das läugnen Sie? Dort steht mein Haus, und Sie sind seine Herrin. AURORA zu Steinau. Sie hören. Nun denn! Einen Punkt auf dem Plan bezeichnend. Hier werd ich wohnen! RICHARD. Hier? – Das sind die Zimmer meiner Mutter. AURORA zu Steinau. – Was sagt ich Ihnen? STEINAU. Die freundlichsten im ganzen Hause. Besonders dieses mit dem kleinen Erker muß reizend sein! AURORA. Reizend! Nachmittags führte mich die Gräfin hinein. Wenn man verstünde es hübsch zu arangiren, es gäbe nicht leicht etwas so Herziges, so Originelles! ... Er hätte mich wirklich gefreut, der kleine Erker! RICHARD. Wie gesagt, das Zimmer mit dem Erker bewohnt meine Mutter, und ... STEINAU. Ei! so mag sie von nun an, ein anderes bewohnen. AURORA. Sie brauchte nur in den rechten Flügel hinüber zu ziehen. STEINAU. Als einzelne Frau wird sie sich darin wohl zurecht finden können. RICHARD. Mein Gott ja! aber es ist doch schwer ... STEINAU. Ich staune! bist Du nicht der Herr in Deinem Hause? Zweiter Auftritt ] Dritter Auftritt

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AURORA. Gott behüte! – Denn seine Mutter ist die Frau darin. RICHARD. Aurora! STEINAU. Facta loquuntur. Die Thaten reden. RICHARD. Schon gut! schon gut! Zu Aurora. Ihr Wille mag geschehn! ... Meine Mutter wird sich ihm nicht entgegen stellen. AURORA. Wenn Sie auf meiner Seite sind, gewiß nicht. Zu Steinau, während Richard ungeduldig pfeifend gegen den Hintergrund geht. Ich habe meine erste Schlacht gewonnen. STEINAU. Und somit die Letzte. Es kommt Alles auf den Anfang an. AURORA. Nun gehn wir an die Einrichtung des eroberten Gebiets. Geben Sie mir einen Bleistift. Ich will Ihnen meine Gedanken – zeichnen. STEINAU nimmt einen Bleistift aus seinem Portefeuille. Hier. AURORA zeichnet auf dem vor ihr ausgebreiteten Plane. Das ist mein großer, das, mein kleiner Salon. Aus den Fenstern des Erkers muß die Aussicht herrlich sein. STEINAU über ihre Schulter in den Plan sehend. Ja, wenn sie nicht durch diese alten Linden, verdeckt würde. AURORA. Sie meinen? STEINAU in die Coulissen blickend. O rührender Anblick! ... Sehn Sie doch! – Die Frau Gräfin mit einem Paar kleiner Dorfengeln! – AURORA leise. Still! bemerken Sie nicht die finstern Gesichter die uns Richard schneidet? –

Dritter Auftritt DIE VORIGEN, GRÄFIN, zwei kleine Mädchen an der Hand führend.

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GRÄFIN zu einem der Kinder. Komm nur heran, und fürcht Dich nicht. Zu Aurora. Hier ist eine kleine Deputation die um Audienz bittet. Die zwei Aeltesten aus meiner, künftig – unserer Schule. Sie kommen Dich einzuladen. Alles steht zu Deinem Empfange bereit, die Kleinen warten in ihrem schönsten Staat. ... AURORA. W a s – soll ich? GRÄFIN. Uns folgen! Zu den Kindern. Geht hin ... AURORA. Laßt, Laßt! ... Zu Richard. Ihre Brieftasche! GRÄFIN. Nicht doch mein Kind, um Geld bitten wir nicht, noch danken wir dafür. Gib uns ein gutes Wort, und – komm mit uns! AURORA. Ich bin wirklich in Verlegenheit –

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Dritter Aufritt ] Vierter Auftritt

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GRÄFIN. O komm! STEINAU. Gehn Sie doch, zu der l i e b e n Dorfjugend! AURORA. Morgen – – ein anderes Mal ... Leise zu Richard. Sie wissen wie peinlich mir derlei Dinge sind. RICHARD. Laß sie! Ich bitte Dich; sie folgt Deiner Einladung nächstens – ein andres Mal. – STEINAU zu Aurora. Sie entgehn ihrem Schicksale nicht. RICHARD. Jetzt aber schicke diese Kinder nach Hause. Wir haben dringend mit Dir zu reden. GRÄFIN. Dringend? mit mir? Hier bin ich. Zu den Kleinen. Geht heim ihr Kleinen. Heut sei kein Fest, ließ ich sagen; vielleicht morgen. Hört Ihr? Geht nun. Die Kinder gehen ab. RICHARD. Ich komme mit einer Bitte, Mutter. GRÄFIN ihm die Hand reichend. Hab’ Dank! RICHARD. Willst Du uns Deine Zimmer abtreten? wir bewohnten gerne den linken Flügel des Schlosses, und bieten Dir den rechten an. GRÄFIN. Den rechten? Lachend. Eine Reihe von Prunkgemächern? Zu viel für meine bescheidenen Wünsche. AURORA. Es würde uns aber freuen ... GRÄFIN. Wollt Ihr meine Zimmer, Kinder, sie stehn zu Euren Diensten. Ich bitte nur um einen anspruchsloseren Ersatz, als den Ihr mir zugedacht. RICHARD. Wähle selbst. STEINAU. An die großen Apartements grenzen die Gastzimmer. AURORA. Zu ebener Erde ist eine Reihe von Zimmern frei. GRÄFIN. Gewiß. O es ist mir nicht bange, bald ein Winkelchen zu finden, in welchem ich alte Hausschwalbe, mir mein behagliches Nest wieder aufbaue. Darf es nur in Eurer Nähe geschehn, was will ich mehr? AURORA, die inzwischen mit Steinau wieder an den Tisch getreten, den Plan betrachtend. Dieses Zimmer ist’s! Hier das Fenster. Das wird zur Thüre des kleinen Balcon’s ausgebrochen, den ich daselbst anbringen lasse. Mit affektirter Sentimentalität. Da will ich hinaustreten in lauen Sommernächten, wenn Mondschein im Kalender steht, und meinen Blick schweifen lassen über Höhen und Thäler, weit hinaus über das, romantisch zu meinen Füßen ausgebreitete Land. STEINAU. Sie vergessen die alten Linden, die dem Erker jede Aussicht benehmen. AURORA. Dem ist leicht abgeholfen, die alten Linden werden gefällt. Macht einen Bleistiftstrich auf den Plan. Weg sind sie! GRÄFIN lebhaft. Welche alten Linden? RICHARD. Die vor dem Schlosse, diese dort. GRÄFIN. Nein! Das gibst Du nicht zu! RICHARD. Warum nicht? was liegt an ihnen?

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GRÄFIN. So viel! so viel! O Kinder, verschont mir diese Bäume! Zu Richard. Dein Urgroßvater hat sie gepflanzt, Dein Großvater, Dein Vater haben sie heilig gehalten, Deine Mutter hat so oft in ihrem Schatten geruht. Du selbst hast als Kind zu ihren Füßen gespielt, und hast sie lieb gehabt, auch Du! ... Seit dreißig Jahren freu ich mich jeden Frühling auf ihr erstes Grün. – Laßt mich die lang gewohnte Freude in meinen letzten Jahren nicht entbehren! STEINAU leise zu Aurora. Da haben wir schon die Opposition! RICHARD. Was ist Ihre Meinung Aurora? STEINAU wie oben. N i c h t nachgeben! Thun Sie’s das erste Mal, müssen Sie’s immer thun. RICHARD. Nun Aurora? AURORA. Meine Meinung war, daß m e i n e Wünsche, stets vor denen Ihrer Mutter würden zurücktreten müssen. Sie haben kürzlich – das Gegenteil betheuert. GRÄFIN. Nicht so, meine Tochter! RICHARD. Indem ich Sie um Ihre Meinung frug, fiel mir nicht ein sie bestimmen zu wollen. Zur Gräfin. Ich bitte Dich Mutter, laß uns hier schalten! Wir haben einmal unsere Freude d’ran, nach eigner Idee zu bauen und abzutragen, zu pflanzen und zu fällen. GRÄFIN. Thut das, meine Kinder! aber thut es nicht mit völliger Pietätlosigkeit gegen die Vergangenheit. Sie hat den Grundstein zu Deinem Hause gelegt. Die Saaten zu Deinen Erndten gestreut. Du bist ihr Dank schuldig mein Sohn. – AURORA leise zu Steinau. Die Erinnrungen an diese altadelige Vergangenheit dürften meine neuadelige Gegenwart auf die Dauer, langweilen. Laut. Meinen Sie nicht? STEINAU. Ich bin davon durchdrungen. AURORA zu Richard. So muß ich auf die Hoffnung verzichten, von meinen Fenstern aus, eine andere Aussicht zu genießen, als die, auf ein paar alte Linden, die Ihre Ahnen pflanzten? RICHARD. O nein, seien Sie ruhig. Was Sie wünschen, wird geschehn. AURORA. So geben Sie Befehl, daß es gleich geschehe. STEINAU. Soll ich Arbeiter bestellen? GRÄFIN. Wozu die Eile? RICHARD. Wozu die Verzögerung? Zu Steinau. Bestelle sie. STEINAU. Sehr gerne. Geht ab. RICHARD. Verzeih Mutter, aber wir können uns hier nicht heimisch fühlen, wenn – wenn Jemand Anderer über jeden Baum in unseren Gärten bestimmt. GRÄFIN. Das will ich nicht! weiß Gott. RICHARD. Nun dann ... Lärm und Geschrei von Aussen. GRÄFIN. Was ist das?

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RICHARD eilt gegen den Hintergrund. Ich sehe nach – Gott! Schildheim ... Stürzt hinaus. HILDEBRANT kommt gelaufen. Da haben wir’s! GRÄFIN. ... Was gibt’s? HILDEBRANT. Gestürzt ist er! aber geruhn zu bemerken, der Stallmeister warnte ihn – – GRÄFIN. Wer ist gestürzt? Antworten Sie doch! HILDEBRANT. Der junge Herr mit dem alten Rappen. AURORA setzt sich. Das wird Niemand anderer als Freund Schildheim sein. GRÄFIN. Graf Schildheim?!

Vierter Auftritt WALDEGG und RICHARD führen den hinkenden SCHILDHEIM herein.

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WALDEGG. Nur noch einige Schritte – zu dieser Bank – – GRÄFIN. Um Gotteswillen – – was ist geschehn?! WALDEGG. Nichts von Bedeutung, beruhigen Sie Sich! Er und Richard helfen Schildheim zu der nächsten Bank. Hierher. GRÄFIN zu Hildebrant. Eilen Sie – rufen Sie den Arzt – rufen Ebert! – SCHILDHEIM sich niedersetzend. – Den Advokaten? O ich will noch nicht Testament machen! GRÄFIN. Ebert ist ein geschickter Chirurg. Sie können sich einstweilen seiner Pflege anvertrauen. Rasch Hildebrant, lassen Sie anspannen, und fahren selbst um den Arzt. HILDEBRANT. Sehr wohl. Im Abgehen für sich. Wozu der Arzt? Er hat sich ja nicht den Hals gebrochen. Ab. GRÄFIN sich um Schildheim bemühend. Sie leiden? ... Ach – Sie bluten ja –! SCHILDHEIM. Ich nicht – nur meine Nase. ... Es ist schmachvoll uninteressant, aber es ist! – Sucht in seinen Taschen. – Ich weiß nicht – wo mein Tuch – AURORA wirft ihm das ihre zu, und zugleich, ohne es zu bemerken, Steinau’s Brief auf den Boden. Da ist meines, verwundeter Ritter! Behalten Sie’s zum Andenken an diese Stunde. SCHILDHEIM. O Fräulein Aurora! ich wage es zwar nicht – aber Sich des Tuchs bedienend. – Ich – danke. GRÄFIN. Es wird wohl nichts Ernstliches sein? SCHILDHEIM. Eine kleine Prellung. Zu Waldegg. Der Rappe ist schlechter weggekommen.

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Vierter Auftritt ] Fünfter Aufritt

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WALDEGG. Mein armer Rappe – ja! SCHILDHEIM zu Richard. Du magst ihn nur gleich expediren lassen. RICHARD mit verbissenem Ärger. – So? – nur gleich! SCHILDHEIM. Er hat wenigstens zwei Beine gebrochen. RICHARD. Und höchstens vier! – O geh! GRÄFIN zu Waldegg. Ihr edler, treuer Jagdgefährte! RICHARD zur Gräfin. Ich will mich selbst überzeugen wie es mit dem armen Gaule steht. Ab. SCHILDHEIM. Wie kann man auch ein so altes Thier im Stalle dulden? WALDEGG. Er genoß das Gnadenbrot – Nicht unsere Schuld ist’s wenn Sie Pferde reiten, die nicht mehr diensttauglich sind. SCHILDHEIM. Sein Aussehn verführte mich. Ein Prachtpferd, bei alledem! Keinen Fuß mehr, keinen Athem, aber noch Raçe, noch siedendes Blut! Das erste Mal nahm er noch die Hecke. Das zweite Mal freilich – bezahlte er seinen Ruhm mit seinem Leben. Nun – er ist eines edlen Todes krepirt. AURORA lachend. Aber Schildheim! GRÄFIN sich mit Widerwillen abwendend, zu Waldegg. Wir haben einen alten Günstling verloren.

Fünfter Auftritt DIE VORIGEN, LIEBENTHAL, STEINAU, EBERT, BERGER.

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STEINAU zu Schildheim. Was hör ich? Das Knäblein ist vom Schaukelpferdlein gefallen? EBERT. Wir wollen gleich sehn ob es sich etwas gethan. Untersucht Schildheim’s Fuß, den dieser auf die Bank gelegt. Thut das weh? SCHILDHEIM. Unbedeutend. EBERT. Und das? SCHILDHEIM. Aye! EBERT. Auch unbedeutend. Der ganze Fall wie er da liegt mit Haut und Haar – unbedeutend. Im – Fuße fehlt es Ihnen nicht. SCHILDHEIM. Verordnen Sie mir nichts? EBERT. Doch – einige Stunden der Ruhe. Können Sie lesen? SCHILDHEIM unbefangen. O ja. EBERT. Sehn Sie. Der Augenblick wäre da, dieses Talent auszuüben. Zieht ein Paket mit Zeitungen und Briefen aus der Tasche. Hier ist eine Jagdzeitung.

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noch die Hecke ] noch Hecke Schreibfehler Fünfter Auftritt ] Sechster Auftritt

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BERGER. Was? Sie haben Zeitungen? STEINAU und AURORA. Unsere Briefe! EBERT. Da sind sie. BERGER zudringlich. Der Theateragent! Die Stechfliegen! Ach die Stechfliegen! EBERT. Lassen Sie mich nur früher den Damen – ihre Briefe – BERGER. Die Stechfliegen! Greift hastig nach dem Zeitungsblatte, und will es Ebert aus der Hand ziehn, das ganze Paket fällt zu Boden. Ach! EBERT. Warum so hastig? Die verwünschte Ungeduld! BERGER bückt sich, die Zeitungen und Briefe aufzuheben. Mein Gott – die Stechfliegen –! EBERT. Mit Ihren Stechfliegen! Bückt sich gleichfalls. Sie sind selbst auf die Zeitungen, wie eine Fliege auf den Zucker. BERGER immer noch auflesend. Die Zeitungen sind doch nicht da, um von Ihnen den halben Tag in der Tasche herumgetragen zu werden! EBERT Briefe verteilend. Hier mein Fräulein. Herr von Steinau – Herr von Schildheim, hier – SCHILDHEIM. O Weh! GRÄFIN. Schmerzt der Fuß? SCHILDHEIM. Nein – der Brief. BERGER Steinau’s Brief aufhebend, reicht ihn Ebert. Da liegt noch einer – EBERT gibt denselben an die Gräfin ohne ihn anzusehn. Von Ihrem Banquier Frau Gräfin. Er zeigt auch mir an, daß er sein Geschäft mit dem des Baron Liebenthal vereinigt hat. GRÄFIN. So? EBERT. Dieser ist jetzt Depositair Ihrer Kapitalien. GRÄFIN. Desto besser. EBERT. Er schreibt auch mir – Greift in die Tasche und zieht einen versiegelten Brief hervor. – Was bedeutet denn – da ist ja erst der Brief an Sie. ... Arbeiter mit Sägen, Hacken etc. treten auf. STEINAU will ihnen entgegen. Hierher Ihr Leute! Hierher! EBERT. Ich habe mich vergriffen. D e r hier ist der rechte – der frühere muß ... GRÄFIN hat Anfangs gleichgültig, dann mit allen Zeichen der Bestürzung gelesen. O mein Gott! mein Gott! STEINAU. Bewaffnen Sie sich alle, meine Herrn! EBERT sich umsehend. Was gibts denn dort? LIEBENTHAL. Bewaffnen? STEINAU. Zu einem Titanenkampfe – Auf die Linden deutend. Jene Riesen fallen! LIEBENTHAL und BERGER. Die Linden? WALDEGG. Nimmermehr. EBERT. Frau Gräfin! Das werden Sie nicht dulden! GRÄFIN. Richard!

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RICHARD. Mutter? GRÄFIN. Thu’s nicht, mein Sohn! Thu es nicht! AURORA zu Richard. Nun? schwanken Sie? RICHARD. Es ist beschlossen – ich gab mein Wort – GRÄFIN. Beschlossen! ... RICHARD. Ich kann nicht mehr zurück, laß mich, gute Mutter. Mit Aurora, gegen den Hintergrund. GRÄFIN. O Richard – in welchen Händen bist Du?! STEINAU der eine Hacke ergriffen hat. Mit diesen alten Linden stürzt die alte Herrschaft! BERGER, LIEBENTHAL. Sie stürzt! WALDEGG. Halt! Herr von Steinau! Halt! EBERT zur Gräfin. Ist’s möglich? Sie lassen diese Bäume ... GRÄFIN. Was liegt an diesen Bäumen? WALDEGG. Wie? STEINAU. Hoch die neue Herrin! BERGER, LIEBENTHAL, SCHILDHEIM. Hoch! WALDEGG. Sie waren Ihre Freude! GRÄFIN. Was liegt an meiner Freude? Auf die Gruppe im Hintergrunde deutend. Träfen die mit jedem Schlag mein Herz? ... was liegt an mir? ... Aber Sein Glück steht auf dem Spiele – das Glück meines Sohn’s! STEINAU die Hacke schwingend. Hoch Gräfin Aurora! BERGER, LIEBENTHAL und SCHILDHEIM. Hoch!

Dritter Aufzug Zimmer der Gräfin. ARBEITSLEUTE sind beschäftigt die Bilder von den Wänden zu heben, und auf dem Boden aufzuschichten. Andere nehmen Maaße, die Meubeln stehn zusammen geschoben in einer Ecke. AURORA und STEINAU treten ein.

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AURORA. Auch hier lasse ich bereits die Arbeiten beginnen. Zu einem der Arbeiter. Haben Sie die Tapeten mitgebracht? ERSTER ARBEITER. Ja wohl. AURORA. Sie müssen in den Saal geschafft werden. Zu Steinau. Dort wollen wir Musterung halten. ERSTER ARBEITER. Sogleich. Geht. AURORA zu den übrigen Arbeitern. Sind die Gobelin’s im ersten Salon herabgenommen? ZWEITER ARBEITER. Noch nicht. AURORA. Thun Sie’s auf der Stelle, es sollte schon geschehn sein. ZWEITER ARBEITER. Wir gehn. Arbeiter ab. STEINAU. Die prachtvollen alten Gobelin’s lassen Sie herabnehmen? Was finden Sie an ihnen auszusetzen? AURORA. Glauben Sie daß mich’s freut, überall den Spuren eines Luxus zu begegnen, in dem die Ahnen dieses Hauses lebten, während die meinen vielleicht mit dem Elend kämpften? ... Was mich hier umgibt, soll nichts Überkommenes sein. Mir allein will ich’s danken, der königlichen Macht meines Reichthum’s. STEINAU. Gedenken Sie vielleicht die Gobelin’s zu verkaufen? AURORA. Wenn sie gut bezahlt würden, warum nicht? Absolut genommen haben sie einen großen Werth, der für Andere dadurch nichts verliert, daß sie für mich keinen besitzen. Wenn Sie also Käufer sind – STEINAU. Das – hab’ ich nicht gesagt. AURORA. Nur gedacht. Was kosteten die Gobelin’s die Sie aus Paris kommen ließen? STEINAU. Zu viel! Ich überzalte sie. AURORA. Bah! S i e überzalen eben so wenig als Ich – verschenke. Wir werden schwerlich Handels einig werden. Sie geht das Zimmer musternd, gegen den Hintergrund. STEINAU für sich. Wie klug, wie praktisch! wie anders, als die Andern! Ein außerordentliches Geschöpf! ... Weiß Gott wie mir geschieht, aber ich könnte es fast bereu’n zurückgetreten zu sein.

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AURORA. Dieses Zimmer wird sich vortrefflich einrichten lassen. Rechts das große Etablissement, links das kleine. Das Clavier in die Mitte. Meinen Sie nicht? oder dorthin? STEINAU in Gedanken. Ganz Recht, dorthin! AURORA. „Ganz recht, dorthin“ und das sagen Sie in einem Tone! mit einer Mine! Ich höre den sterbenden Appiani: „Marinelli“ rufen! Was fehlt Ihnen denn? STEINAU. Sie heiraten einen Andern, und fragen was mir fehle? AURORA. Possen! – Sie glauben nicht wie schlecht es Ihnen steht, den sentimentalen Liebhaber zu spielen ... Aber – da fällt mir ein: Was stand denn in Ihrem gestrigen Briefe? STEINAU. Haben Sie ihn nicht gelesen? AURORA. Ich habe ihn verloren. STEINAU. Verloren? wo? AURORA. Sie sollen’s erfahren, sobald – ich ihn gefunden haben werde. STEINAU. W e n n Sie ihn finden! wenn ihn nicht Jemand Anderer vor Ihnen findet. ... Es wäre fatal – – Besinnen Sie sich nur – ich gab Ihnen den Brief gestern Nachmittags, auf der Terasse. Sie steckten ihn sammt Ihrem Tuche in die Tasche. AURORA. Richtig! ... Bald darauf zog ich mein Tuch hervor – für Schildheim – den Brief wahrscheinlich mit – STEINAU. Er fiel auf die Erde – AURORA. Und liegt vielleicht noch dort. Sehn Sie nach, ich stand einige Schritte von der Bank, zunächst der Blumengruppe – STEINAU erschrocken. Da haben wir’s! AURORA. Was fehlt Ihnen? STEINAU. Einige Schritte von der Bank, zunächst der Blumengruppe? – Dort bückte sich ja der Advokat – nach den Briefen die am Boden lagen – mein Brief kam – er ist – er ist in seinen Händen – o der Teufel! – in den Händen der Gräfin!! ... AURORA. Unangenehm, sehr unangenehm! Ihr Brief enthielt? STEINAU. Er enthielt – AURORA. Doch keine Liebeserklärungen? STEINAU. – Eigentlich – nein – aber Bemerkungen über Richard und die Gräfin – die sie wenig erbauen dürften – und – AURORA. Und über deren Sinn man sich nicht täuschen kann! STEINAU. Unmöglich. AURORA trocken. Ich danke Ihnen. STEINAU. Jetzt zürnen Sie noch – ich Unglücklicher! AURORA. Verschonen Sie mich wenigstens mit Klagen. Ich habe ihn verloren. ] Ich habe Ihn verloren. Schreibfehler

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STEINAU. Ich bin wirklich in Verzweiflung ... AURORA. Genug von Ihrer Verzweiflung! Lassen wir das jetzt gut sein und leihn Sie mir hier eine hilfreiche Hand. Noch einmal: das große Etablissement stellen wir Rechts? STEINAU. – R–echts. Das heißt – AURORA. Das heißt: Links gegenüber. Ja. STEINAU. Sie spotten? Sich umsehend. Es ist wirklich schwer sich auszukennen, so lange noch Alles so vollgeräumt. Lassen Sie dieses alte Gerümpel fortschaffen. AURORA schellt. Sogleich. STEINAU. Wird eine glückliche Frau diese Zimmer bewohnen? AURORA. Wer ist glücklich? Schellt. STEINAU. Sie lieben Richard nicht. AURORA. Ich – heirate ihn. STEINAU. Weil Sie Gräfin Rosenberg werden wollen. AURORA lebhaft. Nein! – Es ist mein völliger Ernst wenn ich sage – ich habe keine Sympatie für die Aristokraten und wünsche ihnen keine einzuflößen. Diese Leute verzeihn mir übrigens die „geborne Liebenthal“ nie, und indem ich Richard heirate, trete ich nicht in seinen Kreis, er tritt in den meinigen. Sie schellt. STEINAU. Sie heirathen Richard nicht aus Liebe, nicht aus Ehrgeiz – warum also heirathen Sie ihn? AURORA. Erstens seh ich keinen vernünftigen Grund ihn auszuschlagen. Zweitens wünscht mein Vater diese Verbindung ... Schellt heftig. Kommt denn hier Niemand wenn man schellt? STEINAU. Aurora überlegen – hören Sie – – Ergreift und küßt ihre Hand. Ich liebe Sie! – AURORA. – Wie sich selbst. Nicht mehr und nicht minder als Ihre Christenpflicht. Hildebrant tritt ein. AURORA. Da kommt Jemand! Josef, – Johann – oder – wie Er heißt. – Ich habe geschellt. HILDEBRANT trocken aber sehr artig. Sehr wohl. Will gehen. AURORA. Hört Er? Ich habe geschellt! HILDEBRANT. Schön. Will gehen. STEINAU und AURORA. Wohin denn? HILDEBRANT. Den Diener des gnädigen Fräuleins rufen. AURORA. Kann Er meine Befehle nicht vollziehn? STEINAU. Das Fräulein befielt Ihm diese Meubeln wegzuschaffen. HILDEBRANT. Diese Meubeln gehören unserer Frau Gräfin. Will gehn. AURORA. Bleibt und gehorcht! STEINAU da Hildebrant abermals Miene macht fortzugehn. Hörst Du denn nicht?

Mutter und Braut

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HILDEBRANT sich mühsam bezwingend. Du? – Er? – Die Frau Gräfin nennen mich Sie ... Mit Respekt zu melden. AURORA. Nun denn: Sie! – hören Sie nicht was Ihnen befohlen wird? HILDEBRANT wie Oben. – Die Frau Gräfin haben mir nichts befohlen. STEINAU sehr laut und heftig. Soll das heißen, daß Ihm außer seiner Frau Gräfin, Niemand zu befehlen hat? HILDEBRANT. – – Mit – Respekt! – So etwas wird’s wohl heißen. STEINAU. Nehm’ Er sich in Acht! ...

Zweiter Auftritt VORIGE. WALDEGG.

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WALDEGG im Eintreten. Was giebt es? ... Aurora erblickend. Verzeihung mein Fräulein, aber – ich hörte laute Stimmen, und glaubte mich berechtigt einzutreten. STEINAU auf Hildebrant zeigend. Dieser Mensch – HILDEBRANT halblaut. Ich bin kein Mensch! STEINAU. Dieser Bediente, der kein Mensch ist, hat sich sehr impertinent gegen das Fräulein benommen.. WALDEGG verweisend. Aber Hildebrant! AURORA. Auch gegen Herrn von Steinau. WALDEGG. Das ist unverzeihlich. HILDEBRANT. Gräfliche Gnaden haben Recht ... es war gegen den schuldigen Respekt – Aber ich bitte zu bemerken, wie es hier aussieht. – Hier – in unserem Zimmer! Alles zerstört, alles unter einander geworfen! Geht händeringend umher. WALDEGG sich umsehend. In der That – ich begreife nicht – HILDEBRANT immer mit verhaltenem Zorne. Das haben diese gnädigen Herrschaften gethan. WALDEGG. Unmöglich! HILDEBRANT. Hier liegt das Bild vom Urgroßpapa! zerbrochen der Rahmen ... Und die Urgroßmama, wie sieht die aus! Und in unserem Salon reißen sie die gestickten Malereien herunter. ... Und im Erker brechen sie Thüren aus ... WALDEGG zu Aurora. Ich kann nicht denken dies Alles geschähe – auf Ihren Befehl. AURORA. Doch, Herr Graf! Doch – dies Alles geschieht auf meinen Befehl. WALDEGG. In den Zimmern der Gräfin? AURORA. Den meinen von heut an. Sie sind mir abgetreten.

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WALDEGG. – Durch die Gräfin selbst? AURORA. Durch wen Anders? WALDEGG. Diese Zimmer, seit dreißig Jahren von ihr bewohnt – An deren jedes sich für sie tausend theure Erinnerungen knüpfen? ... O! es ist mit schwerem Herzen geschehn! Sie bringt ein großes Opfer, leidet darunter, wenn sie’s auch nicht eingesteht ... Nein mein Fräulein, das können Sie nicht wollen – das kann Richard nicht zugeben! AURORA. Wenn er es aber schon zugegeben hätte? WALDEGG. Dann ist’s in der Uebereilung geschehn und – Sich unterbrechend zu Hildebrant. Gehn Sie, Hildebrant – Hildebrant ab. und von einem so ertheilten Zugeständniß werden Sie Gebrauch zu machen verschmähn. AURORA. Wenn ich es aber nicht verschmähte? WALDEGG. Sie werden! o ganz gewiß: Sie werden! Ich thue Ihnen das schwere Unrecht nicht, daran zu zweifeln. AURORA. Zweifeln Sie, bester Graf! zweifeln Sie – aus Vorsicht. Daß die Enttäuschung die Ihnen bevorsteht keine allzu plötzliche sei. WALDEGG sieht sie eine Weile erstaunt und fragend an. – Und – Sie scherzen doch! ... Es wäre ja unmöglich – – AURORA zu Steinau. Der Graf scheint zum Hüter dieser Zimmer bestellt – wie kommt’s daß Richard vergaß mich davon zu unterrichten? WALDEGG mit mühsam unterdrücktem Zorn. Mein Fräulein – o mein Fräulein ... Ich beschwöre Sie – ersparen Sie mir die Pein mit Ihnen zu reden, wie ich mir’s nie verzeihn könnte – mit einer Dame gesprochen zu haben. AURORA. Sie erschrecken mich! es muß etwas Entsetzliches sein ... WALDEGG. Sie wurden mit so großer Sehnsucht erwartet ... So viel Liebe begrüßte Sie an dieser Schwelle ... Erwiederung freilich läßt sich nicht erzwingen – aber warum – warum denn verletzen? Die Mutter Richard’s – diese Frau ... O Sie wissen nicht was für ein Herz Sie kränken! STEINAU. Was für ein Herz das ist, weiß freilich Niemand so gut als der Graf Waldegg. WALDEGG heftig auffahrend. Was meinen Sie damit? STEINAU. Ich meine ... AURORA. Still doch Steinau. STEINAU. Warum denn? Wenn Graf Waldegg das halbe Wort nicht versteht muß man ihm das ganze sagen. WALDEGG Steinau’s Arm ergreifend. Nicht hier! STEINAU. Auch gut. Das Fräulein verzichtet gerne darauf, noch einmal zu hören was sie schon tausend Mal hörte. WALDEGG. Von – Ihnen? STEINAU. Von mir und Andern. Ihr Geheimniß ist ein öffentliches, Herr Graf. AURORA zu Steinau. Ich bitte Sie – Zu Waldegg. Seine Gereiztheit verleitet ihn, auf Gerüchte anzuspielen.

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WALDEGG. Gerüchte? – es gibt Gerüchte die Richard’s Mutter verunglimpfen und sie durften vor Ihnen laut werden? – o mein Fräulein! mein Fräulein – aus welcher Welt kommen Sie? STEINAU. Es thut mir leid, aber ich kann nicht ungesprochen machen was ausgesprochen ist. Leichtfertig. Ueberdies zuckten Sie so stark, nachdem mein Pfeil abflog, daß ich nicht zweifle er habe getroffen. WALDEGG. Herr! ... Noch ließ das Alter mir Kraft, zu thun, was ich in meiner Jugend stets gethan – die Unverschämtheit – STEINAU impertinent. Wie? WALDEGG. Die Unverschämtheit die in meiner Gegenwart das Heilige angriff, zu strafen – mit der Kugel oder dem Degen – STEINAU weicht einen Schritt zurück, wie begütigend. O – ho – WALDEGG einen Schritt gegen ihn. Noch hätt’ ich die Kraft! – Wenn ich es zum ersten Mal in meinem langen Leben unterlasse, so geschieht’s aus Ehrfurcht für die edle Frau, deren Name bei einem solchen Streite nicht genannt werden darf. STEINAU und AURORA. Aber Graf ... Richard tritt ein, bleibt jedoch im Hintergrunde. WALDEGG. Das thu ich heut – das vermag ich noch heut. – Ob ich’s ein zweites Mal vermöchte, zweifle ich – da es aber nicht geschehn darf, so wollen wir einander aus dem Wege gehn. RICHARD tritt vor. Was sagst Du, Waldegg? WALDEGG. Du hier? – – gut – gut, daß Du kommst. RICHARD. Was geht hier vor? WALDEGG. So viel wie nichts. Ein alter Bekannter scheidet aus dem Hause, in das die neuen eingezogen. Wir trennen uns. RICHARD. Die neuen Bekannten? meinst Du meine Braut – meine Freunde? WALDEGG. Sie mein’ ich! RICHARD. Und? Sie vertreiben Dich? WALDEGG. Sie vertreiben mich – – sie die Deiner Mutter begegnen wie ihr nicht begegnet werden soll! – Sie ... RICHARD. Wie meiner Mutter begegnet werden soll, darüber hab’ ich zu wachen. Kein Anderer. WALDEGG. Thu’s künftig besser – bisher hast Du’s schlecht gethan. RICHARD. Darüber beruhige Dich – WALDEGG. Beruhige Dich! – Seine Mutter wird beleidigt, mich bringt’s in Wut und er sagt: Beruhige Dich! ... Ich bin ein alter Mensch und da steht ein junger, und der sagt: Beruhige Dich! – O das aufbrausende Alter! – o die besonnene Jugend!

zu strafen – ] zu straffen – Schreibfehler

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AURORA. Wie kann man über ein Nichts außer sich geraten. Ich begreife Sie nicht Graf Waldegg. WALDEGG. Wir begreifen uns gegenseitig nicht, mein Fräulein. Auch diesem Auf Steinau zeigend. gegenüber bin ich nicht glücklicher. RICHARD. Werd’ ich endlich erfahren was dies alles bedeutet? WALDEGG. Laß Dir’s von ihnen erzählen. Wir sind mit einander fertig. Den Vorwand für meine Abreise zu finden, sei meine Sorge. Wendet sich. RICHARD. Du – wolltest also wirklich? WALDEGG. Ich gehe. In eine für mich – leere Welt. Das thu ich für Deine Mutter, Richard. Waldegg ab. AURORA. Da geht er hin, der Treffliche! STEINAU. Solche Charaktere sind so schön – wie Schade daß sie so lächerlich sind! RICHARD zu Steinau. Nun rede! womit hast Du ihn beleidigt? STEINAU. Nicht der Mühe werth es wieder zu erzählen! – mit einem Scherze. RICHARD. Einem Scherze? STEINAU. Einem unschuldigen Scherz den er übel nahm – obwol ich – RICHARD. Obwol Du? STEINAU. Obwol ich ihn nicht übel meinte – gewiß! RICHARD. Worüber ging der Scherz? STEINAU. Du nimmst mich ja förmlich in’s Verhör? RICHARD. Worüber ging der Scherz? STEINAU. Mein Gott lieber Richard! – über das läppische Gerücht von seinem Verhältnisse mit Deiner Mutter. RICHARD fährt auf. Du hättest gewagt – ? STEINAU beschwichtigend. – Einem Gerüchte, das Jeder wiederholt und Keiner glaubt – Ich zuletzt das versichere ich ... RICHARD. Hältst Du für nötig mich dessen zu versichern? Steinau! Steinau, hüte Dich! ein Wort zuviel in der Sache – eine Mine – STEINAU. Sei ruhig – es fällt mir nicht ein, Deine Mutter anzugreifen. ... Mit keinem Gedanken! – Ich ließ mich mit Waldegg in Streit ein – wegen Dir! ... Seine Gegenwart belästigte Dich – ich weiß – nun ich befreite Dich von ihr. Verdient’ ich nicht Deinen Dank? ... Oder willst Du etwa daß er bleibe? – soll ich ihn zurückrufen? wirst Du es thun? RICHARD. Das werde ich nicht. Er geht – er mag gehn ... Es ist mir vielleicht lieb daß er geht – dennoch – dennoch – rechne der nicht auf meinen Dank, der ihn zu gehn bewog. Tritt an’s Fenster und bleibt dort in Gedanken stehn. STEINAU. Hoho! ich nehme für ihn die Kastanien aus dem Feuer, und er wirft mir zur Belohnung die Schalen in’s Gesicht? Charmanter Jüngling der! AURORA. Lassen Sie ihn, er ist verdrießlich. Den Vorwand ] Der Vorwand Schreibfehler

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STEINAU leise. Gegen uns! Wenn ihm jetzt die Mama den Kopf heiß machte wegen des Briefs. Es wäre fatal. AURORA leise. Für – Sie. Helfen Sie sich so gut Sie können, was mich betrifft – ich helfe mir! Tritt zu Richard schmeichelnd. Nun Richard, unliebenswürdiger Hausherr! Vergessen Sie, daß Sie mir eine Fahrt auf dem Meere von Rosenberg versprochen! RICHARD. Nein nein! Kommen Sie. AURORA nimmt seinen Arm. Wir gedenken die Welt zu umsegeln, und an der böhmischen Küste zu landen, – im Falle der Ocean nicht überläuft, wenn unsere Nußschale darauf gesetzt wird. RICHARD. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer guten Laune. AURORA. Ich kondoliere mir zu Ihrer schlechten. RICHARD bitter. Was liegt Ihnen an meiner Laune? AURORA. Sehr viel! – Alles. Zärtlich. Kann mich Schlimmeres treffen, als Sie verstimmt zu sehn? RICHARD. Soll ich das für Ernst nehmen? AURORA. Bei meiner Ungnade: Ja! Aber nun Nimmt seinen Arm. vorwärts! zu Schiffe! ... Im Hinausgehen, singend. „Mein Herz gleicht ganz dem Meere, hat Sturm und“ ... Sich plötzlich unterbrechend wendet sie sich gegen Steinau. Ist’s gefällig? Aurora, Richard, Steinau ab.

Dritter Auftritt Die GRÄFIN und EBERT kommen.

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EBERT. Er geht. Glauben Sie mir: Er geht. GRÄFIN. Nicht doch. Das kann ja nicht sein. EBERT. Mein Gott Frau Gräfin, heut zu Tage ist so Vieles was nicht sein kann. GRÄFIN. Waldegg mich verlassen? Ich weiß nur Eins das ihn dahin bringen kann: die Ueberzeugung es müsse um meinetwillen geschehn. EBERT. Er hat sie vielleicht, glaubt vielleicht jetzt überflüssig, ja störend zu sein. GRÄFIN. Kinderei! EBERT. Kinderei so viel Sie wollen, aber: – Er geht – GRÄFIN. Ich werde mit ihm sprechen und er wird bleiben. Darüber bin ich ruhig. Könnt’ ich’s eben so sehr über alles Andere sein! ... Sie ließen Richard sagen, daß ich ihn erwarte? Hier in meinem – meinem ehemaligen Zimmer?

Nach 18

Dritter Auftritt ] Vierter Aufritt

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– Ja die Gewohnheit und wir alten Leute! – Immer wieder zieht mich’s her, und mir ist als wär’ ich nur da zu Hause. EBERT, einen Fauteuil vorrückend. Wollen Sie Sich nicht setzen? Fräulein Aurora wird diese Freiheit vielleicht entschuldigen. GRÄFIN sich setzend. – Ebert – Sie haben den Brief Steinau’s an die Braut seines – Freundes gelesen – EBERT. Mit unbeschreiblichem Vergnügen. GRÄFIN. Ich – mit Entsetzen. Giebt es Herzen, die so empfinden? Das meine schaudert bei dem Gedanken, daß Richard auf dem Punkte stand sich mit diesem Mädchen zu vermälen. EBERT. S t a n d ? auf dem Punkte s t a n d ? Soll sein Verlöbniß gelöst werden? GRÄFIN. Sie fragen?! EBERT. Und wer soll es lösen wenn ich bitten darf? GRÄFIN. Derjenige der es schloß, ohne zu wissen was er that, eine Frau wälte, ohne sie zu kennen. EBERT. Richard? GRÄFIN. Richard. EBERT. Sie spaßen. GRÄFIN. Es gilt die Sache der ich mein ganzes Leben gewidmet habe, es gilt – sein Glück. Ich werde ihm die Augen über seine Braut öffnen, und er wird zurücktreten. EBERT. Das wird er nicht. GRÄFIN. Wir wollen sehn. EBERT. Sie haben kein Mittel ihn dahin zu bringen, Sie sind – Verzeihung, Frau Gräfin! – machtlos über ihn. GRÄFIN. Ich machtlos über meinen Sohn?! EBERT. Wenn S i e sagten: Aurora muß zurücktreten, das wäre ein Wort! und dazu wüßt’ ich auch ein Mittel. GRÄFIN. Dazu wüßt’ ich keins. EBERT. Und Sie halten es in Händen! GRÄFIN. In Händen? EBERT. Ob Fräulein Aurora Richard blos deßhalb heiratet, weil er reich ist, weiß ich nicht, das aber weiß ich daß sie ihn nicht heiraten würde, wenn er arm wäre. Nun Frau Gräfin – so m a c h e n Sie ihn arm! Treten Sie in Ihre Rechte! Berufen Sich auf das Testament! ... GRÄFIN. – Das Testament und immer das Testament! Wie oft muß ich Ihnen wiederholen daß jede Erinnerung daran mir peinlich ist? In Wahrheit besteht das unglückliche Dokument nicht, und sollte der Form nach nicht bestehn. Sie hätten es längst verbrannt, ging’s nach meinem Willen. EBERT. Verbrannt? Ein Falsum begangen? ein Verbrechen? GRÄFIN. Wenn Sie mich doch nie wieder an dieses Testament mahnen, und vergessen wollten, daß es je geschrieben worden, wie ich’s vergessen habe!

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EBERT. Gut Frau Gräfin, gut! Ich werde mich bemühn. GRÄFIN tritt voll Unruhe an das Fenster. Richard kommt nicht! – EBERT. Ich will noch einmal nach ihm senden. GRÄFIN reicht ihm die Hand. Sind Sie böse, Ebert? EBERT. Ich schicke Richard. Bitten Sie, vielleicht gibt er nach; stellen Sie vor, vielleicht sieht er ein ... Werfen Sie Erbsen an die Wand, vielleicht fällt sie um! GRÄFIN. Aber Freund! EBERT küßt ihre Hand. O Frau Gräfin! Wo das Sehvermögen gewöhnlicher Menschen aufhört, entdeckt Ihr Auge noch ganze Welten, und für das Nächste, Einfachste, ist’s manchmal blind, stockblind! Geht ab. GRÄFIN allein. Ein so guter, gescheidter Mensch, aber Richard zu beurteilen, verstand er nie! Nach einer Pause. O wir wollen sehen, ob meine Worte das Herz meines Sohnes verschlossen finden! Dieses Mal nahen sie Dir nicht schmeichelnd, nicht wohlthuend, mein armes Kind! Sie wollen zerstören was Du jetzt als Dein Glück empfindest, Dir den Glauben an ein Wesen rauben das Du liebst! – Hab’ ich denn Mut genug dazu? vermag ich’s? ... Nur keine Schwäche jetzt –: Ich s o l l , also – ich k a n n ! ... O mein lieber Sohn, mir ist als hätte ich noch nie etwas für Dich gethan, und es geschähe heut, zum ersten Mal! –

Vierter Auftritt DIE VORIGE, RICHARD .

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RICHARD. Du hast mich rufen lassen, Mutter? GRÄFIN geht auf ihn zu, und faßt seine Hände. Richard! RICHARD. So bewegt? Was gibts? Haben wir wieder etwas verbrochen? GRÄFIN. Setze Dich zu mir Richard. So, und nun: hör mich an ... Du sagst mir immer – ich verstünde die Welt nicht mehr. Seit dem ich jung gewesen – was freilich, lange her – hätte sich alles geändert. Neue Gedanken lenkten die Menschen, neue Ziele strebten sie an. Mag sein. Eines aber muß doch jetzt noch sein wie es damals war – die Liebe, mein Sohn! Heut wie damals erwärmt sie das kälteste Herz, begeistert das schwächste zur größten That, das selbstsüchtigste zum edelsten Entschluß. So war’s als ich ein Kind gewesen, so wird es sein wenn Du ein Greis sein wirst. Mißtrau’ meinem Urteil über alles Uebrige, meinem Urteil über die Liebe vertraue! Vertrau’

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Wesen rauben das Du liebst! ] Wesen rauben daß Du liebst! Schreibfehler Vierter Auftritt ] Fünfter Auftritt

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ihm selbst dann, wenn es Dir einen süßen Glauben vernichtet, vertrau ihm wenn es Dir sagt: Richard, Deine Braut liebt Dich nicht! RICHARD. Mutter! GRÄFIN. Das ist meine Ueberzeugung. RICHARD. Du findest Aurora kalt, ich weiß, zweifelst an ihrem Gefühl weil sie es nicht zu äußern versteht wie Du. Aber die tiefste Empfindung, Mutter, ist selten die lauteste. GRÄFIN. Ein Vorwurf, mein Sohn? RICHARD. Eine Erfahrung. O ich bitte Dich, tadle mich so viel Du willst, Aurora verschone! Nichts gegen sie! Ihre Liebe bei mir zu verdächtigen wird Dir niemals gelingen. GRÄFIN. Verdächtigen?! ... Nicht mein Verdacht trifft Deine Braut, sondern meine volle, gewichtige Anklage. RICHARD. Das ist – GRÄFIN fällt ihm in’s Wort. Anklagen aber kann ich nur die Anwesende. Sie schellt. RICHARD. Was willst Du ihr sagen? Hildebrant kommt. GRÄFIN zu Hildebrant. Das Fräulein. Ich ließe bitten. Hildebrant ab. GRÄFIN nach einer kurzen Pause. Graf Waldegg verläßt das Haus. Weißt Du warum? RICHARD. Du wirst es von ihm erfahren. GRÄFIN dringender. Weißt Du warum? RICHARD. Frag ihn. Ich bitte Dich, Mutter – frag nicht mich. GRÄFIN. Gut.

Fünfter Auftritt DIE VORIGEN, AURORA.

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GRÄFIN. Ich danke Ihnen daß Sie kommen Fräulein Aurora. AURORA für sich. „Ihnen“ „Fräulein“ – Hoho! Laut. Was befehlen Sie, Frau Gräfin? GRÄFIN. Ich bitte um Aufrichtigkeit mein Kind. Darf ich sie erwarten? AURORA. Gewiß. GRÄFIN. Wollen Sie Sich nicht setzen?

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Nichts gegen sie! ] Nichts gegen Sie! Schreibfehler Fünfter Auftritt ] Sechster Auftritt

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AURORA. Wenn Sie’s gestatten, werde ich von Ihrer Erlaubniß Gebrauch machen, und mich Für sich. in meinem Zimmer Laut. setzen. Nimmt Platz auf einem Fauteuil, den Richard vorgerückt. GRÄFIN. Verzeihn Sie der Mutter des Mannes, der Sie jetzt noch als seine Braut ansieht – RICHARD. Jetzt – noch?! GRÄFIN. – Die Frage: Ist dieser Brief an Sie gerichtet? Reicht ihr den Brief. AURORA den Brief entfaltend. Dieser Brief? GRÄFIN sie beobachtend, für sich. So ruhig? ... Ich werde irre. AURORA. Ja, dieser Brief ist an mich gerichtet. GRÄFIN. Von – von? AURORA. Von Steinau. RICHARD. Steinau schreibt Ihnen? AURORA. Wie Sie sehn. RICHARD. Darf ich fragen was? AURORA. Mein Gott ja, lieber Richard! – Beobachtungen, Rathschläge, hie und da einen Tadel. RICHARD. Einen Tadel? AURORA sich zur Gräfin wendend. Sie wissen nicht Frau Gräfin, daß Steinau im Begriffe stand sich um meine Hand zu bewerben, als Richard ihm zuvorkam. Uneigennützig wich er dem vornehmeren, dem reicheren Freier – GRÄFIN. Nicht auch, dem geliebteren? AURORA fährt fort, als hätte sie die Einwendung nicht gehört. Aber wir beschlossen Freunde zu bleiben, und ich sehe keinen Grund warum wir es nicht bleiben d ü r f t e n ? Ich sehe nicht ein warum ich Steinau hassen und verbannen soll, weil er – bevor ich Richard’s Braut gewesen – seine Augen zu mir erhob. GRÄFIN. Hassen und verbannen? Wer spricht davon? Es wäre in seiner Art ebenso unpassend, als es mir unpassend scheint, gerade ihn zu Ihrem Vertrauten zu wählen. – AURORA zuckt die Achseln. Ansichtssache. – Wir haben uns einmal vorgenommen, einander Freunde zu bleiben, unsere Gedanken auszutauschen in Wort und Schrift, – wir haben uns einmal vorgenommen – ein Paar gute Cameraden zu sein! RICHARD. Ist das die Sprache eines schuldigen Bewußtsein’s? – Liebe Mutter, Du nimmst, wie immer, einen Scherz für Ernst. AURORA. Richard ist ruhig über meine Correspondenz mit Steinau. Vielleicht entschließen Sie Sich, es auch zu werden. GRÄFIN. Nein, mein Kind. Der Ton, in dem Ihnen Herr von Steinau schreibt, verletzt mich auf das Äußerste. Was er Ihnen schreibt, thut mir weh, denn es Vertrauten zu wählen. ] Vertrauten wählen. Schreibfehler

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läßt keinen Zweifel darüber zu, daß es zwischen Ihnen und Ihrem „Freunde“ fest steht, – Convenienz, nicht Liebe, habe Ihre Verlobung mit Richard geschlossen. RICHARD lebhaft. Wie Du redest! AURORA sich rasch zu ihm wendend. Glauben Sie das? RICHARD. Mutter! Mutter! was ist Deine Absicht bei Alledem? welches traurige Ziel verfolgst Du? GRÄFIN. Ich will Dich, und Sie, vor einem übereilten Schritt retten den Ihr bereuen würdet, jede Stunde Eures Lebens! RICHARD ungeduldig. Der Schritt den wir thun wollen ist kein übereilter. GRÄFIN. Aurora, sehn Sie mein Kind, so wahr ich vor Ihnen stehe: dabei leitet mich die Rücksicht auf Sie, nicht minder als die auf ihn. Ich schwöre Ihnen, wäre mir Richard der Fremdeste auf Erden, und Sie meine einzig liebe Tochter – nur an Sie allein denkend, würde ich Sie beschwören: Geben Sie den Gedanken an eine Verbindung mit ihm auf! RICHARD. Das also ist’s – das willst Du erreichen? AURORA. Aber Frau Gräfin – GRÄFIN. Sie lieben ihn nicht, und wollen ihm Ihr Leben weihn? Ein Anderer hat Ihr Vertrauen, und ihm wollen Sie sich vermälen? O wissen Sie denn was das ist eine Ehe ohne Liebe? Es ist die Hölle auf Erden. RICHARD. Mutter! ... AURORA legt die Hand auf seinen Arm. Lassen Sie mich der Gräfin antworten. Zu dieser. Sie reden zu mir wie zu einem Kinde. Ich bin aber kein Kind, ich lebe in der großen bunten Welt, und sehe mich darin um mit offenen Augen. Wissen Sie was ich mit diesen fast immer sah? Ich sah beinahe jede Ehe zur Hölle werden, die schwärmerische Liebe geschlossen hatte. GRÄFIN. Schwärmerische Liebe ist darum nicht: wahre Liebe. Aber wär’ es so – wenn erfahrene Herzen scheitern können, um wie viel mehr, können es unerfahrene. Einmal im Leben, lernt jeder Mensch die Empfindung der Liebe kennen, er wäre denn weniger, oder – mehr als ein Mensch. Auch Sie werden sie kennen lernen. Sie sind schön und reichbegabt, man wird Sie anbeten, feiern, lieben! Einst wird der Mann kommen, den auch Sie wieder lieben werden. RICHARD. Einst!? GRÄFIN. Und dann? – dann haben Sie die Kraft zu widerstehn, und gehn siegreich, aber unglückselig aus dem schwersten aller Kämpfe hervor, oder Sie unterliegen, und werden um so elender je höher Sie vor Ihrem Fall gestanden. RICHARD. Und das Alles muß sie – vor mir hören, in meiner Gegenwart?

als die auf ihn. ] als die auf Ihn. Schreibfehler

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AURORA freundlich zu ihm. Ruhig – ich bitte! Zur Gräfin. Ich werde mindestens nicht sagen dürfen, daß ich ungewarnt meinem Schicksale entgegen ging. GRÄFIN. Mädchen! ... Aber nein – nichts mehr zu Dir – wir Beide können uns nicht verstehn, für meine Stimme hast Du kein Ohr! – zu Dir wende ich mich Richard! höre mich! ... Ein noch traurigeres wäre Dein Loos – Du liebst – wie stündest Du neben der lieblosen Frau? – Dein Eigen ihr Leben, ihr schönes Selbst – Nicht Dein Eigen – ihr Herz. Du bist Herr und Meister ihres Schicksal’s und bist es nicht – der kleinsten Regung in ihrer Seele! Das ist fürchterlich, Richard – Alle Qualen die wir träumen können zusammen genommen, reichen nicht an die! RICHARD. Genug Mutter! genug! ... Ich erschrecke wenn ich mich erinnere aus welcher Ursache Du Veranlassung schöpftest zu einem Auftritte wie der jetzige. Ich muß sorgen, daß sich dergleichen nicht wiederhole. GRÄFIN. – – Du willst meiner Warnung nicht glauben? – Ueberzeuge Dich also! – Fräulein Aurora, geben Sie ihm den Brief den Sie in Händen halten. AURORA zu Richard. Fordern Sie’s? Ich weiß daß ich es thun muß, wenn Sie’s fordern. Allein – bedenken Sie Lieber: – Es ist die erste Gelegenheit die Ihnen geboten wird mir Vertrauen zu beweisen. Fordern Sie den Brief? RICHARD. Nein! – Ich würde mich schämen es zu thun. AURORA. Ich wußt es ja. O Sie empfinden wie ein rechter Edelmann! Für sich. – Das heißt, höchst unpraktisch! RICHARD ihre Hand küssend. Ich glaube an Sie! Fest wie der Bau der Erde steht mein Vertrauen auf meine Braut. AURORA. Dank, mein vortrefflicher Richard! Zur Gräfin. Sie sind auf allen Feldern geschlagen – ich denke unser Krieg hat ein Ende. Leise zu Richard. Jetzt aber, lassen Sie mich fort. Wenn ich noch länger bleibe, ist mir’s nicht möglich meinen Ernst zu bewahren, denn daß gerade die gute Gräfin, ganz vergessend auf ihren Ritter ohne Furcht und Tadel, sich für Andere zur Sittenpredigerin macht, das ist von einer Komik! – Ich gebe der Welt das erste Beispiel eines – entfliehenden Siegers! Sich verbeugend gegen die Gräfin. – Frau Gräfin! Geht ab. GRÄFIN. Richard, dieses Mädchen wird nicht Deine Frau. RICHARD. Du bist entschlossen alles zu thun um es zu verhindern? GRÄFIN. Das bin ich. RICHARD. Und i c h bin entschlossen nicht von ihr zu lassen. Willst Du den vergeblichen Kampf trotzdem fortsetzen? GRÄFIN. Hätt’ ich ihn unternommen wenn ein Nachgeben denkbar wäre? RICHARD. O das ist die Mutter die mich liebt! Das ist die Frau die behauptet mein Glück sei das ihre! – Wie sehr hab ich mich getäuscht! GRÄFIN. Undankbarer! nicht wiederhole. ] nicht widerhole. Schreibfehler

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RICHARD. In offene Arme glaubte ich meine Braut zu führen, und führte sie an ein Herz das sie mit feindlicher Gesinnung empfängt. GRÄFIN. Du weißt nicht was Du redest. RICHARD. – Mit feindlicher Gesinnung! – Nur sie kann Strafbares wittern in Aurora’s Beziehungen zu Steinau. Wohlwollen und Güte, könnten es nicht! GRÄFIN. Wohlwollen und Güte? – Sie hat beide erschöpft. RICHARD heftig. Wodurch? – Ich möcht’ es wissen! Welche ihrer Handlungen rechtfertigt Deine Erbitterung, Deine rücksichtslose Strenge? – Du warst doch sonst so mild; wo Niemand eine Entschuldigung fand, fandest Du sie! warum jetzt das Gegenteil von alledem, gerade Ihr gegenüber die ich liebe? ... Besinne Dich – beurteile sie schonender! GRÄFIN. Ich kann es nicht m e h r thun, als ich’s schon gethan. RICHARD. Wir Alle brauchen Nachsicht. Keiner ist so makellos daß er die Härte herausfordern dürfte. Nicht einmal Du selbst. GRÄFIN. Die Härte nicht. Der Gerechtigkeit unterwerfe ich mich. RICHARD. Uebe sie denn auch an Andern! Steinau steht meiner Braut noch immer nicht so nah, als Waldegg Dir gestanden. Gräfin und Richard zugleich: GRÄFIN. Richard! RICHARD. – Denn was dieser Waldegg Dir gewesen, wissen wir Alle. GRÄFIN. Richard!! RICHARD. – Und Er – Er bringt sein Leben seit Jahren in Deiner Nähe, in meinem Hause zu, das erlaubt die Strenge die mit Aurora in’s Gericht geht! GRÄFIN. Uns – vergleichst Du? RICHARD. Behüte Gott daß ich es jemals – dürfe! GRÄFIN. Oh! RICHARD. Ihr wird Steinau nie werden – GRÄFIN. Was mir Waldegg war? – Nein! tausendmal Nein! ... Was dieser Waldegg ist, wird so leicht kein Andrer. – Was er mir gewesen, w e i ß t D u n i c h t ! Ich will Dir’s sagen. Dieser Waldegg hat mich geliebt, glühend und heiß ... Diesen Waldegg hab’ ich unsäglich wieder geliebt ... Eine Verbindung mit ihm wäre mein Glück gewesen und seine Seligkeit – ich schloß sie nicht – wegen {Dir} 〈Deiner〉! – Denn Dich – Dich hab’ ich noch mehr geliebt – und auf Dein Haupt wollt’ ich Alles häufen was ich besaß – nichts theilen! nicht mein Gut, nicht mein Herz, nicht meine Gedanken! – Darum hab’ ich ihm entsagt ... Noch mehr! auch entfernt hab’ ich ihn – wegen {Dir} 〈Deiner〉! – Unsere Liebe war rein und makellos – aber nicht einmal ein falscher Schein durfte auf D e i n e r M u t t e r haften! Nicht der Schatten eines Scheins! – Er ging – sein Herz blieb bei mir – er hat keinen Herd gegründet ... Noch in der Ferne waren wir ihm Alles – ich und Du! Er hat aus der Ferne für Dich gedacht, gesorgt! ... Auf Dich gebaut, auf Dich gehofft – Dich geliebt! – Das Haar auf Deinem Haupte war ihm theuer! ...

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Jetzt bin ich alt – Gott sei Dank, daß ich alt bin! – jetzt hab’ ich keine Verläumdung mehr zu scheuen – jetzt rief ich ihn zurück – für immer. Jetzt will ich ihm alles lohnen was er für mich gethan ... Er ist das was mir bleibt nach einem freudlosen Leben ... Der Einzige der nie täuschte, nie wankte – und auch mich nie wanken ließ! ... Er war meine Liebe, er ist mein Freund, und ich bin stolz daß er es ist! stolz auf ihn, stolz auf seinen Werth! ... Mit blutendem Herzen riß ich mich in der Jugend von ihm los – es geschieht im Alter nicht wieder – nie mehr trenne ich mich von ihm – eh bei’m Himmel – trenn ich mich von Dir! RICHARD. Mutter!! GRÄFIN. – Was? RICHARD. Eh trennst Du Dich von mir? ... So steht’s? – Ja – das wußt’ ich freilich nicht – das nicht! – Nach einer kurzen Pause. Nun Mutter – auch ich kenne ein Wesen, von dem ich mich schwerer trennte als von Dir! GRÄFIN. Dennoch wirst Du Dich von ihm trennen! RICHARD. Nie! niemals! GRÄFIN. Aurora d a r f Deine Frau nicht werden! RICHARD. Du hassest sie obwol ich sie liebe – vielleicht w e i l ich sie liebe! O – ich seh es klar – unsere Neigungen gehn auseinander – wir verstehn uns nicht mehr, unser Zusammenleben wär’ eine Qual. Ihr ein solches Dasein zu bereiten. Hab’ ich um meine Braut nicht geworben. Mag geschehn was geschehn muß. Wir scheiden. Jetzt will ich gehn Mutter – in Kurzem kehre ich zurück meine Braut in dieses Haus zu führen. Ich hoffe es leer zu finden. Zu Deinem Aufenthalt sei der Witwensitz Schlosshof Dir bestimmt. Du wirst Dich dort glücklich fühlen, Waldegg folgt Dir ja. Geh hin Mutter. Gehe bald! GRÄFIN die ihn während seiner Rede sprachlos angestaunt. Wahrheit? ... Ist’s denn möglich?! ... Das sprach mein Sohn? ... O sein Vater kannte ihn – er hatte Recht – – leider Recht! Nach einer Pause, im heftigsten Kampfe. Es ist weit gekommen zwischen uns – so weit, daß es um keinen Preis mehr weiter kommen darf! – Tritt an den Tisch, schellt, und schreibt einige Worte auf ein Blatt Papier. Hildebrant kommt. An Advokat Ebert. Schnell. Hildebrant ab. RICHARD nach einer Pause. Du warst es Mutter, welche die Ereignisse zu diesem Äußersten trieb. GRÄFIN. Nein! – das warst Du! – Du treibst mich zu thun was mein Herz zerreißt, wovon ich bisher wie vor einer Unmöglichkeit zurückschauderte! ... Ja denn! wir trennen uns – aber nicht ich gehe von hier. ... Du gehst! RICHARD. – Ich?! ... GRÄFIN. Du bist in diesem Hause mein Gast gewesen, Dein Recht darauf ist ein Wahn. Meine Liebe allein hatte Dich zum Herrn gemacht in meinem Eigentum. RICHARD. Ich – begreife nicht –

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GRÄFIN. Diese Liebe hast Du verscherzt, und mein Wille entzieht Dir nun was sie Dir gewährte. Ebert tritt ein das Testament in der Hand. GRÄFIN zu ihm. Geben Sie meinem Sohn das Testament seines Vaters. EBERT im höchsten Erstaunen. Frau Gräfin – Mit ausbrechender Freude. Frau Gräfin! GRÄFIN für sich. Diese Stunde muß ich erleben – dazu ward ich aufgespart! – Zu Richard. Du gehst, Richard – geh mit Gott. Gräfin ab. RICHARD ihr nachblickend. Sie ist von Sinnen gekommen. EBERT. Ich glaube vielmehr, sie ist z u Sinnen gekommen. Für sich. Dies ist die schönste Stunde meines Lebens. Reicht Richard das Testament. Lesen Sie Herr Graf. Ein Uebermaaß von Liebe und Zartgefühl bestimmte Ihre Mutter, Ihnen dieses Testament zu verheimlichen. Sie wurden, gegen meine dringenden Vorstellungen in dem Glauben erzogen, ein sehr reicher großer Herr zu sein. RICHARD der das Testament ergriffen hat, und mit immer steigender Bestürzung darin liest. Seh ich denn recht? EBERT. Ohne Zweifel. Sie haben ja vortreffliche Augen. So lange Ihre Mutter lebt sind Sie freilich noch immer ein großer Herr, aber ein verwünscht armer! RICHARD. So lange sie lebt – –? EBERT. Nun, trösten Sie sich. Wenn Sie’s noch eine Weile so fort treiben, sind Sie der alten Frau bald los. RICHARD schleudert das Testament zu Boden. Ich hier nur ein Gast? ... Ich hier nur geduldet durch die Gnade meiner Mutter! ... Mein Eigentumsrecht eine Fabel, die sie mir vorsang weil sie’s freute, und nun widerruft weil sie’s freut?! ... O sie that Unrecht mich zu täuschen – wie sie Unrecht thut mich jetzt zu enttäuschen. Meint sie mich bettelnd zurück kehren zu sehn? – Wie sehr irrt sie sich in mir! – Ich will nichts als was mir gebührt, und würde anzunehmen erröthen, selbst von meiner Mutter – gerade von ihr! Sie will daß ich gehe – ich werde gehn. Sagen Sie ihr das! Eilt hinaus. EBERT hebt das Testament vom Boden auf. Ist das edler Wein was da gährt? oder ist’s nur trübe Hefe? – Gezündet hat der Funke, das ist gewiß, Sie brennen lichterloh Herr Graf. Wollte Gott Sie kämen, wie echtes Metall, geläutert aus dem Feuerbade!

Vierter Aufzug Dekoration des ersten Aufzugs.

Erster Auftritt LIEBENTHAL, EBERT, vor einem mit Papieren und Kassenbüchern bedeckten Tisch.

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LIEBENTHAL. Entschuldigen Sie – mehr als die Hälfte seines Vermögens konnte der Graf seinem Sohne nicht entziehn, und die Gesetze ... EBERT. Die Gesetze sind beobachtet worden. Was sie dem Majoratsherrn Eichen von Rosenberg zusprechen, das erhält er. Es besteht in dem unveräußerlichen Gut. LIEBENTHAL rasch. Rosenberg! EBERT. Nein! – Eichen, dem Stammsitz der Familie, von dem sie auch den Namen hat. LIEBENTHAL. Was? Die Rosenberg heißen eigentlich – Eichen? EBERT. Sie heißen so, bevor Veit von Rosenberg, Anno 1400, einen Grafen Eichen adoptirte, der die Linie Eichen von Rosenberg gründete. LIEBENTHAL. Und Eichen – sagen Sie – Vertraulich. Sehr belastet? – Trägt wenig? EBERT. Bei den jetzigen Verhältnissen, kaum die Interessen der darauf lastenden, unaufkündbaren Schuld. LIEBENTHAL. Diese Schuld künden zu dürfen, hat aber die Frau Gräfin Bewilligung erhalten. EBERT. Sie wird nun keinen Gebrauch davon machen. LIEBENTHAL. Das Geld bleibt in meinen Händen? – Ich verwalte es! – Vortrefflicher Gedanke! – Aber fahren Sie fort, mein lieber Herr Ebert, was besitzt Richard außer diesem Gute das nichts trägt? EBERT. Ausserdem besitzt er noch bedeutende – LIEBENTHAL gespannt. Kapitalien? EBERT. Ja – negative, nämlich: Schulden. LIEBENTHAL. S-onst – nichts? EBERT. Nein. LIEBENTHAL. Ein Gut das nichts trägt, und viele Schulden, sein ganzer Besitz? EBERT. So lange seine Mutter lebt. LIEBENTHAL. Sie kann uralt werden! Die Leute von denen man eine Erbschaft erwartet, werden alle uralt. Geht händeringend auf und ab. Sie kann noch dreißig Jahre leben! ... Sie kann ihren Sohn überleben! Plötzlich, vor Ebert stehen bleibend. Was bleibt in diesem Falle, meiner Tochter?

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EBERT zuckt die Achseln. Auf jeden Fall, denk’ ich, dereinst das Vermögen ihres Vaters. LIEBENTHAL. Das meine? Erlauben Sie! – heirathet Aurora um m e i n Vermögen zu bekommen, oder das ihres Mannes? Dieser Mann besitzt jedoch keines, wie ich sehe. Seine Mutter braucht ihm nichts zu hinterlassen; sie kann ihr Geld vergeuden, verschenken! EBERT. In diesem Falle, wäre freilich die Familie Ihres Schwiegersohns auf Ihre Großmut angewiesen. LIEBENTHAL. Sprechen Sie mir nicht von meiner Großmut! Ich kann’s nicht leiden. EBERT. Was wollen Sie thun, mein bester Baron! Richard ist einmal mit Ihrer Tochter verlobt, Sie gaben ihm Ihr Wort, ein Cavalier dem andern – Ich rate Ihnen nicht es zurück zu nehmen. Richard versteht keinen Spaß, er ist der Mann der seine Rechte wahrt – Wenn’s darauf ankommt – mit dem Degen in der Faust. LIEBENTHAL. Degen? – Kenn’ ich nicht. Duelle sind verboten, d a s kenn’ ich. Wir haben, Gott sei Dank, eine Polizei! EBERT. Glauben Sie mir, reizen Sie den Richard nicht. Was liegt auch für den Baron von Liebenthal daran, ob sein Schwiegersohn reich oder arm ist? Wer sagt mit so vielem Rechte als er: „Geld? – wir haben’s!“ LIEBENTHAL. Das heißt – ich hätte ein’s gehabt, wenn e r ein’s gehabt hätte. Wissen Sie, für die Herrschaft hätte ich ein’s gehabt. Ich hätte ihm diese Herrschaft ... EBERT. Es gibt keine Herrschaft mehr. LIEBENTHAL. Dieses – Gut – mit der Zeit, abgekauft: Rosenberg-Liebenthal! wer weiß was ich d a f ü r gethan hätte? – ich weiß es selbst nicht, aber viel – sehr viel! – ich hätte mich vielleicht von meinem Sohne adoptiren lassen: Liebenthal-Rosenberg! ... Ich hab’ es gut mit ihm gemeint, mein lieber Ebert! Sie können es der alten Frau sagen, w i e gut! EBERT. Es wird sie rühren! LIEBENTHAL. Wenn sie es wüßte, und – sie kann es ja erfahren! setzte sie gewiß ihren Sohn hier wieder ein. Sie ist eine ausgezeichnete Frau, die ich bewund’re. Wirklich ... Wie hat sie das Vermögen verwaltet! und dieses Rosenberg administrirt! – Nichts auszusetzen! – Mit einer so klugen Dame müßte man reden können. Glauben Sie nicht? EBERT. Ja wohl. Ich glaube daß man mit ihr reden kann. LIEBENTHAL. Das freut mich! ... Wir bringen noch einen Vergleich zu Stande. Schüttelt Ebert’s Hand. und wenn das wäre, mein lieber Herr von Ebert – EBERT. Ebert schlechtweg. LIEBENTHAL. V o n Ebert. Längst verdient! Wenn das wäre ... Ich bin ein guter Mensch – leider! Hat mich schon viel Geld gekostet diese Güte – dann – Sie

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können es der Frau Gräfin sagen: Ihr Sohn liebt meine Tochter so sehr – ich kann mich nicht entschliessen ihn unglücklich zu machen!

Zweiter Auftritt VORIGE. STEINAU.

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STEINAU. Ah lieber Baron! meine Condolenz, lieber Baron. Was sagen Sie zu Ihrem Schwiegersohne? LIEBENTHAL. Ich – ja ich – STEINAU. Es ist vorbei mit der Herrlichkeit. Wer hätte das gedacht? Richard, abhängig von seiner Mama! Richard an ihre Großmut angewiesen. Sie Herrin und Gebieterin, und er hier im Hause gar nichts mehr. Eine Null! LIEBENTHAL. Nur ruhig. Es wird alles wieder ausgeglichen – alles! STEINAU. Nichts wird ausgeglichen. Zwischen Richard und seiner Mutter ist’s zum völligen Bruch gekommen. Sie sind entzweit für das ganze Leben.

Dritter Auftritt VORIGE. RICHARD .

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RICHARD in einem Briefe lesend. Schön – o sehr schön – ganz vortrefflich! Zu Steinau. Lies das – Schildheim ist fort. Welche Eile! Er besorgt, mir beschwerlich zu sein – in meiner jetzigen Lage. Er entflieht – ohne Lebewohl. Um mir den Schmerz des Abschieds zu ersparen. Unnöthige Rücksicht! D e m Schmerze wäre ich noch gewachsen gewesen. STEINAU lesend. Haha! welche Uebereinstimmung! Zieht einen Brief hervor. Da, sieh her! Du wirst heut mit Abschiedskomplimenten förmlich überschüttet. Zu Liebenthal und Ebert. Meine Herrschaften! Doktor Berger empfielt sich der ganzen Gesellschaft zu Gnaden. RICHARD. Auch der? was jagt den hinweg? STEINAU. Ein fälliger Wechsel. Er wollte eben Deine Großmut anrufen, als er hörte, Du könnest Großmut nicht mehr üben. Da hieß es denn: Auf und davon! nach der Stadt. Er muß versuchen dort Geld zu machen. Es gibt ja Narren, vielleicht sind’s welche genug um seine Gläubiger zu werden. Da! {nun} die Hinterlassenschaft der heimgegangenen Freunde! RICHARD zerreißt die Briefe. Weg damit! – Auf Diese hab ich nicht gezält. Auf Euch rechne ich – Ergreift Liebenthal’s Hand. Vater! ein reicher Mann warb

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um Deine Tochter, nun ist er ein armer Mann geworden. Du wirst ihn darum nicht geringer achten. LIEBENTHAL. Lieber Richard, Deine Mutter ist eine edle, eine reiche Frau, sie kann nicht zugeben daß ihr Sohn, der ebenfalls edle und reiche Graf, plötzlich dastehe als ein – Verzeih mir’s Gott, als ein armer Graf. Sie kann es nicht zugeben, sie wird es nicht zugeben. Ich erwarte die großmüthigsten Entschlüsse von ihrer Gnade. RICHARD. Gnade? wer denkt daran ihre Gnade anzurufen? ... O genug – ich bitte Dich! – laß uns scheiden – fort mein Vater! bald, sogleich! – Wie brennt der Boden unter meinen Füßen! LIEBENTHAL. Nur einen Versuch Richard, mein Sohn! – Sprich mit Deiner Mutter – bitte sie um ihre Liebe – Leise. Ich habe einen tiefen Blick in Deine Verhältnisse gethan, Du kannst ohne ihre Liebe nicht leben. RICHARD. Doch, doch – ich will’s versuchen ... Kein Wort der Entschuldigung zu ihr, der Entschuldigung, die aussähe wie eine Bitte. Auf die Seele binde ich Dir’s: Kein Wort! Ich spreche jetzt mit Aurora, und eh der Abend kommt haben wir Rosenberg verlassen. Geht ab. LIEBENTHAL. Der Gedanke daß er für meine Tochter keine besondere, so zu sagen gar keine Partie mehr ist, scheint ihn nicht zu inkommodiren. EBERT. Nicht im Geringsten. LIEBENTHAL. Das ist eigentlich etwas undelikat. Finden Sie nicht – Herr von Ebert? EBERT. Im Gegenteil, es ist außerordentlich delikat. Er kann doch nicht annehmen, daß er in Ihren Augen mit seinem Gelde auch seinen Werth verlor? Die Schande thut er Ihnen nicht an. LIEBENTHAL. Sehr gut! Sehr gut! Für sich. Ist das Spaß oder Ernst? Laut. Trotzdem will ich doch versuchen die Spannung zwischen der verehrten Mutter und dem – delikaten Sohn, zu verringern. Es wird wohl angezeigt sein, mich bei der hochgebornen Frau anmelden zu lassen? – EBERT. So mein’ ich auch. HILDEBRANT öffnet die Thüre im Hintergrunde und sieht herein. Die Herrschaften sind noch da? Will fort. EBERT. Was wollen Sie, Hildebrant? HILDEBRANT. Im Fall die Herrschaften fort – nicht mehr da wären, würde die Frau Gräfin den Grafen Waldegg hier sprechen. Er ist nicht etwa schon dagewesen, Herr Advokat? LIEBENTHAL. Noch war er nicht da der Herr Graf. Aber er kommt wenn es die Frau Gräfin befielt. Ich für meine Person, ich würde ... EBERT nimmt seinen Arm. – Gehn, wenn sie mit Andern zu sprechen wünscht. LIEBENTHAL. Das ist’s! Kommen Sie. Der Himmel behüte daß wir die Frau Gräfin geniren! Bitte Herr Haushofmeister – Zu Ebert. Ein prächtiger alter Knabe dieser wackere Hildebrant! – Zu Hildebrant. Bitte der Frau Gräfin zu

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sagen, daß ich die Ehre haben werde, mich nach ihrem werten Befinden zu erkundigen. Ab mit Ebert und Steinau. HILDEBRANT ihm nachsehend. Was hat den auf einmal angeblasen? Ist ja gar nicht mehr zu erkennen!

Vierter Auftritt VORIGE, WALDEGG.

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WALDEGG. Die Gräfin noch nicht da? HILDEBRANT. Sie kommt so eben. Hildebrant ab. Gräfin tritt ein. WALDEGG ihr entgegen. Ich ließ Sie bitten. Mit gespielter Heiterkeit. Ich wollte Sie doch noch sehn, vor meiner großen Reise! – Sie wissen noch nicht, ich verlasse Rosenberg für einige Tage. GRÄFIN. Warum? WALDEGG. – Geschäfte – ein Brief den ich heut erhielt, rufen mich nach der Stadt. Ich komme wieder – vielleicht früher als ich denke. Leben Sie indeß recht herzlich wohl! Will gehn. GRÄFIN. Waldegg! WALDEGG wendet sich. Theure Gräfin? GRÄFIN. Sie werden mich nicht verlassen – jetzt nicht! Ich bedarf Ihrer mehr als je. WALDEGG. Wie sehn Sie aus? mein Gott was ist Ihnen? GRÄFIN. – Waldegg – ich habe heute meinen Sohn verloren. WALDEGG. Was sagen Sie? GRÄFIN. Er hat sich losgerissen von meinem Herzen – nein! – ich habe ihn aus meinem Herzen gerissen, aus meinem Leben! ich habe ihm gesagt: – „Geh!“ WALDEGG. Das ist ja nicht möglich! GRÄFIN. So dacht’ ich auch – noch gestern – ach! – noch vor einer Stunde! ... Es ist alles möglich! WALDEGG. Sie wollen sich von ihm trennen? Sie verschließen ihm Ihr Haus? – Sie, die beste Mutter, die zärtlichste! GRÄFIN. Wär’ ich’s nicht gewesen! Es gäbe eine Entschuldigung für ihn! WALDEGG. Was er verbrochen hat weiß ich nicht – das aber seh ich, Sie sind aufgeregt und beurteilen ihn mit Härte, sie sind erbittert – GRÄFIN. Ich war’s – ich bin es nicht mehr – ich bin nur mehr unglücklich – grenzenlos unglücklich. Waldegg, ich habe mein Leben verloren, vergeudet, ich habe Ihnen umsonst entsagt! WALDEGG. – Gott! ...

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GRÄFIN. Er hat meine Liebe nie gelohnt – das konnt’ ich verzeihn – er hat sie nie erwiedert – das mußt ich ertragen. Jetzt weiß ich – er hat sie nie geschätzt, er hat sie nicht einmal erkannt! Da endet alles. Mißbrauchen läßt sich die Liebe – mißachten nicht! WALDEGG. – Und dennoch! – Sie thun ihm Unrecht – ich – GRÄFIN. Brechen wir ab. Ich muß meine Fassung bewahren, ich habe sie schwer genug errungen. Ihre Hand, mein Freund! Lassen Sie mir diese treue, edle Stütze! Sie sind stets derselbe – auch heut wieder haben Sie ihn entschuldigt ... Trotz meinem Schmerze, danke ich Ihnen – Sie thun mir immer wohl! WALDEGG drückt schweigend ihre Hand. Kurze Pause. Hildebrant kommt. HILDEBRANT. Herr Baron Liebenthal läßt gehorsamst fragen, ob er seine Aufwartung machen dürfe? WALDEGG. Der Baron? – ich gehe. GRÄFIN. Bleiben Sie, und hören Sie! Zu Hildebrant. Ich erwarte den Baron. HILDEBRANT. Werden nicht lange warten. Er steht Draußen, aufgeputzt wie zum Balle. Öffnet die Thüre. Würdevoll: Die Frau Gräfin lassen bitten. Ab.

Fünfter Auftritt VORIGE, LIEBENTHAL, mit weisser Cravatte, im schwarzen Frack.

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LIEBENTHAL. Hochgeborne Gräfin! Küßt ihre Hand. Herr Graf! Verbeugung. Meinem väterlichen Herzen ist es ein Bedürfniß ... Was mich hierher führt – – Frau Gräfin! Unsere Kinder sind – wie Sie Gelegenheit gehabt zu bemerken – verlobt. Ich komme um Ihre Einwilligung zu diesem Bündniß zu bitten, Erlaubt! – GRÄFIN. Meine Einwilligung? – Jetzt? – Wenn dieselbe überhaupt notwendig wäre, müßte sie vor, nicht nach der Verlobung eingeholt werden. LIEBENTHAL. Formsache! – reine Formsache. Vor – nach – was liegt daran! – Es geschieht, das ist der Hauptpunkt. GRÄFIN. Wahrhaftig, Herr von Liebenthal –? LIEBENTHAL leise. Baron! GRÄFIN sich verbessernd. Baron Liebenthal. Nun denn wenn es noch Zeit meine Einwilligung zu geben, so muß es auch noch Zeit sein, sie zu verweigern. LIEBENTHAL. Verweigern? – Lächelnd. Das – ginge vielleicht weniger. Etwas Ausgemachtes erlauben, ändert eigentlich nichts, aber macht sich gut. Etwas Ausgemachtes verbieten, ändert eigentlich auch nichts, macht sich aber nicht gut. WALDEGG mit unterdrücktem Lächeln zur Gräfin. Der Baron hat, streng genommen, Recht.

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LIEBENTHAL. Unsere Kinder lieben einander – das ist ihre Sache. Sie wollen leben – das ist unsere Sache. Ein Haus muß gegründet werden, das ist, gewöhnlich – des Mannes Sache. GRÄFIN. Ich bedaure daß mein Sohn nicht in der Lage ist, es so glänzend zu gründen, als Sie erwartet hatten. Das ist nun nicht mehr zu ändern. LIEBENTHAL. Wie so, Frau Gräfin? Alles ist zu ändern. Alles könnte wieder werden wie es war, sobald Sie wollten, Erlaucht. Der Segen der Eltern baut den Kindern Häuser – bauen ... Sich verbessernd. – Geben Sie Ihren Segen! GRÄFIN. Wir verstehn einander nicht ... LIEBENTHAL. O Hochgeborene! und ich bin doch, so leicht zu verstehn! GRÄFIN. Ich will kurz sein, Baron Liebenthal. Die Heirat Richard’s und Ihrer Tochter ist beschlossene Sache; mein Wunsch vermag nicht sie rückgängig zu machen. Ich weiß es, muß aber gestehn: Von ganzem Herzen bedaure ich daß es so ist. Liebenthal und Gräfin zugleich: LIEBENTHAL. Wie? – Was? GRÄFIN. Wär ich nicht so machtlos über meinen Sohn, nie würde diese Verbindung geschlossen, nie! LIEBENTHAL. Und – warum – wenn – ich bitten darf? Ist meine Tochter keine gute Partie? ist sie nicht reich genug? GRÄFIN. Nicht reich genug? ... Z u reich vielleicht. LIEBENTHAL. Scheint unsere Familie Ihnen zu wenig vornehm? GRÄFIN. Der Charakter Ihrer Tochter ist der Grund meiner Abneigung gegen diese Heirat. Da Liebenthal sie unterbrechen will. Erlauben Sie! – Noch einmal, zum letztenmal – sie kann nur g e g e n meinen Willen geschlossen werden. LIEBENTHAL. Das kommt Ihnen vielleicht nur so vor! Sollte sich Ihr Widerwille nicht mit der Zeit geben? Sie werden etwas für das Glück Ihres Sohnes thun Frau Gräfin. GRÄFIN rasch. Für sein Glück? Schmerzlich. Was ich dafür thun k o n n t e – ist gethan. Mir bleibt zu thun nichts mehr übrig. LIEBENTHAL. O Süß. Was eben in I h r e n Augen – nichts ist ... Freilich: – Noblesse oblige! – Die Herrschaften glauben immer nichts zu thun, indessen sie die Welt in Erstaunen setzen. GRÄFIN. Sie haben meinen bestimmten Entschluß gehört. LIEBENTHAL. Erlaucht werden Ihren Sohn nicht zur Verzweiflung treiben. Er liebt meine Tochter so sehr, und sie – ihre Liebe ist ein Wahnsinn! GRÄFIN. So muß denn Liebe allein, Liebe ohne jede Nebenrücksicht, ihre Ehe schließen. LIEBENTHAL in höchster Bestürzung. Liebe allein? – Verzeihn – das ist aber doch ein Bischen wenig. Auf das Dringendste. Erlaucht m ü s s e n sich entschließen etwas dazu zu geben! Eine so vornehme Dame kann nicht

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wollen, daß ihr Sohn abhängig werde von den Gnaden seiner Frau. Eine wirklich vornehme Dame soll vornehm denken, Erlaucht. GRÄFIN. Dieselbe Verpflichtung hat ein wirklich vornehmer Herr, und somit empfehle ich Ihrer Großmuth und Güte, das – was S i e das G l ü c k unserer Kinder nennen. Leben Sie wohl Baron Liebenthal, und grüßen Sie, im Falle ich nicht mehr das Vergnügen hätte, sie zu sehn, Fräulein Aurora von mir. LIEBENTHAL verbeugt sich gegen die Gräfin und Waldegg kurz. Ich habe die Ehre! Gräfin und Waldegg ab. LIEBENTHAL allein. Er wirft sich erschöpft auf einen Sessel. – Schmutzerei – Schmutzerei ohne Gleichen ... Wenn das heißt nobel sein, so bin ich’s ja auch! – – Geredet – vorgestellt, gebeten – umsonst! – Wer hätte das geglaubt? – Baron Liebenthal hat zum ersten Mal in seinem Leben etwas umsonst gethan!

Sechster Auftritt VORIGE. AURORA.

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AURORA. Was ist Dir Papa?! LIEBENTHAL. Weißt Du es schon, meine arme Tochter? Aurora mein Kind?! AURORA. Richard suchte mich auf, mir das große Ereigniß mitzutheilen. Ich ging ihm aus dem Wege, Steinau hat mir alles erzält. Nun, Du wolltest ja mit der Mama sprechen. Hast Du’s gethan? LIEBENTHAL. Vergeblich! Sie will nichts hören! ... Mein Gott was läge daran, aber sie will nichts g e b e n ! AURORA ganz ruhig. So? LIEBENTHAL ringt die Hände. Wenn er jetzt nicht zurücktritt, der Habenichts! – O mein Kind, mein armes, jammervolles Kind! Du bist angewiesen auf die Großmut Deines Vaters, Du bist eine – Bettlerin! AURORA. W e n n ich den Grafen heirate. LIEBENTHAL. Er hat mein Wort – ich gab es ihm. Ein Cavalier dem andern! Ich muß es halten. Richard ist kein Mensch der mit sich spaßen läßt. AURORA ernst. Auch Du bist kein solcher, mein Vater. LIEBENTHAL sich aufrichtend. Nein. Natürlich! AURORA. Wenn Jemand in dieser fatalen Geschichte, Ursache hat zu fragen, ob man mit ihm spaßen gewollt, so bist Du es. Wie! Graf Richard von

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Rosenberg wirbt bei Dir als einer der reichsten Edelleute des Landes um meine Hand, und kaum hast Du sie ihm gewährt, so stellt sich’s heraus, daß dieser vermeinte große Herr nur ein armer, von seiner Mutter abhängiger Junge ist, der nicht über ein Blatt in seinen Wäldern, nicht über einen Gulden in seinen Cassen verfügt. Wie kann da noch von eingegangenen Versprechungen, von Wort halten, die Rede sein! LIEBENTHAL sie umarmend. Aurora – mein großartiges Kind! – Wer hat Dir d e n Gedanken eingegeben? – Muß mir dieses Licht erst durch meine Tochter aufgehn? ... Muß ich durch sie erfahren daß man mit uns spaßen gewollt? – Schön Herr Graf! sehr schön, spaßen Sie, nur muthen Sie uns nicht zu, mitzuspaßen – nur das nicht. Ich muß bitten! Nicht wahr Aurora, mein Kind? AURORA. Ja, lieber Vater. LIEBENTHAL. Er möge mir kommen, der Herr Graf – ich erwarte ihn, ich werde ihm sagen – AURORA. – Nichts. D u gar nichts. Was gesagt werden muß – es ist sehr wenig – überlasse mir zu sagen. LIEBENTHAL. Du wolltest – mein muthiges Kind? AURORA. Der Graf ist kein Mann, dem man seinen Abschied zu g e b e n braucht. Es genügt ihn erraten zu lassen, daß er gut thun würde, ihn zu neh men. LIEBENTHAL. Erraten? – Fein – sehr fein! wenn er aber nicht erriete? – AURORA. Sei ganz ruhig. Er wird wohl. LIEBENTHAL. Wie Du meinst, Aurora, meine kluge, meine geistreiche Tochter. O Gott – wie komm ich zu diesem Kinde?! AURORA. – Nun haben wir aber noch etwas zu besprechen lieber Vater. LIEBENTHAL. Noch etwas? AURORA. Hör’ mich an. Als Braut verließ ich die Residenz, nur als Braut will ich dahin zurückkehren. Ich habe niemals gerne, den Neidern und Schwätzern, Gelegenheit gegeben, ihren Witz an mir zu üben. Das geschähe unfehlbar wenn ich, die als zukünftige Gräfin Rosenberg abreiste, als Fräulein Liebenthal wieder käme. LIEBENTHAL. Was ist zu thun? AURORA. Eine andere Wahl ist zu treffen, und zwar sogleich. Wir haben ja, Gottlob die Wahl. LIEBENTHAL. Die haben wir. AURORA. Es ist hier Jemand der mich liebt und mir gefällt, der selig wäre, wolltest Du ihn als Schwiegersohn begrüssen. LIEBENTHAL. Steinau? AURORA. Steinau. LIEBENTHAL verächtlich. Sein Vater war Banquier. AURORA. Wie Du.

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LIEBENTHAL. Schon recht, aber – AURORA. Du sagst Ja? LIEBENTHAL. Das heißt ... AURORA. Du sagst Ja! LIEBENTHAL. Wenn Du darauf bestehst. – – Freilich: Rosenberg-Liebenthal, Liebenthal-Rosenberg! ... Es wäre doch schön gewesen!

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RICHARD. Finde ich Sie endlich? Meine Braut läßt sich lange suchen in der schwersten Stunde meines Lebens. AURORA. Was Sie mir zu sagen haben, weiß ich. LIEBENTHAL. Sie weiß es, weiß alles. Bemühn Sie sich nicht. RICHARD. Aurora! Was haben Sie? LIEBENTHAL. Es wäre an uns zu fragen: Was haben S i e ? Für sich. Verwünscht wenig haben Sie! RICHARD geht auf Aurora zu und ergreift ihre Hand. Sie wissen Alles? so wissen Sie denn auch daß wir Rosenberg verlassen, heut – sogleich. O daß es noch in dieser Minute geschehn könnte! AURORA. Mein Vater und ich sind zur Abreise bereit. RICHARD. Eine Bitte nun: Lassen Sie uns jetzt nicht nach der Stadt zurückkehren, der Aufenthalt daselbst wäre mir peinlich. Wir beabsichtigten, nach unserer Vermälung eine größere Reise zu unternehmen, treten wir sie noch v o r unserer Vermälung an. Du begleitest uns lieber Vater – LIEBENTHAL für sich. Natürlich. Wer würde sonst bezahlen? Laut. Reisen? Sie wollen reisen? RICHARD. S i e ? ! LIEBENTHAL. Reisen kostet Geld, Herr Graf. RICHARD. – H e r r Graf?! AURORA. Und wir werden uns einschränken, unnötige Auslagen vermeiden müssen. RICHARD. Aurora! ... Welcher Ton?! AURORA. W i r gehn, Graf Richard. S i e thäten vielleicht klüger, zu bleiben. RICHARD. Uns trennen?! AURORA. In Ihren jetzigen Verhältnissen –

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RICHARD. O, Sie haben mir gelobt, in allen Verhältnissen, in Freud und Leid, getreu an meiner Seite zu stehn – AURORA macht ihrem Vater, der reden will, ein Zeichen zu schweigen. – Wohl – darum aber – RICHARD. Und ich glaubte daß dieses Versprechen, mir freiwillig gegeben, aus innerstem Herzensbedürfniß, freudig gehalten werden würde! – AURORA. Ich gab Ihnen mein Wort, ja. Ich muß es halten. RICHARD. Auch gerne halten? Auch gerne?! ... Sie müssen es n i c h t halten – wenn Sie es nicht gerne thun. – Hören Sie das, es ist mein heiliger Ernst! Ihr Wort ist nicht gegeben, wenn Sie bereu’n es gegeben zu haben ... Bereu’n Sie’s? – Sie schweigen? – Nun denn nur einen Blick! – Sehn Sie mich an, mir fest in’s Auge – Da Aurora sich abwendet. O – Sie können nicht! LIEBENTHAL. Sie quälen mein armes Kind, Herr Graf. RICHARD. Ich quäle, Herr Baron? Nun, weiß Gott, ich werde auch gequält! Zu Aurora. Meine Mutter behält Recht, Aurora. Sie haben mich n i e geliebt. Daß schon die erste Stunde, die Ihr Gefühl auf die Probe stellt, es mir so schrecklich klar beweisen muß! – AURORA. Ich bedaure – RICHARD sie unterbrechend. Es ist aus. Wir wollen keine Worte darüber machen. Klagen wenigstens werden Sie mich nicht hören, wenn ich auch nicht so ruhig vor Ihnen zu stehn vermag, wie Sie vor mir. Unser Leidensanteil ist aber auch gar zu ungleich, ich verliere an einem Tage Alles, Sie – nur m i c h . LIEBENTHAL. Trotzdem sind wir doch auch traurig Herr Graf. Recht traurig. Es ist alles aus, haben Sie gesagt – Rasch als fürchte er unterbrochen zu werden. – Sie haben es gesagt! Darum aber keine Feindschaft. Wir scheiden als Freunde. Für sich. Er thut mir fast leid. Laut. Sie sind viel zu verständig, viel zu nobel, um nicht zu begreifen daß wir scheiden m ü s s e n . RICHARD. Ja wohl – ich begreife! ... Zu viel beinahe für meinen dummen Kopf, zu viel auf einen Schlag! – O daß ich so s p ä t begreife!

Achter Auftritt VORIGE, STEINAU. STEINAU. Es ist angespannt. LIEBENTHAL. Schön, schön. Zu Richard der während des folgenden teilnamlos vor sich hinstarrend mit verschränkten Armen im Fenster steht. Da bleibt Nach 30

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wohl nichts übrig als uns zu beeilen ... Es wäre unartig den Kutscher warten zu lassen. AURORA hat leise mit Steinau einige Worte gewechselt und fährt halblaut fort. Und Sie können mit meinem Vater sprechen. STEINAU halblaut. Sie haben schon mit ihm gesprochen? LIEBENTHAL der zu den Beiden getreten. Ja mein lieber Steinau und ich habe nichts dagegen. Aber jetzt – Legt auf Richard deutend, den Finger auf den Mund. STEINAU betroffen. Nichts dagegen? – O – ich Mit einem Seufzer. Ich bin zu glücklich! LIEBENTHAL. Alles Weitere zu Hause. Graf Rosenberg! – Sie hören nicht, Graf Rosenberg? RICHARD wie erwachend. Doch – doch – was giebt’s? LIEBENTHAL. Es soll mir immer eine Freude sein, Graf Rosenberg, Sie bei mir zu sehn. Verschmähn Sie nicht, wenn Sie in die Residenz kommen, einen Löffel Suppe bei Baron Liebenthal. – Die Leute behaupten, sie wäre gut. AURORA. Leben Sie wohl, und vergessen Sie uns nicht ganz. Liebenswürdig. Ich werde mich auch im künftigen Fasching erinnern, daß Sie im vorigen mein Lieblingstänzer waren. RICHARD. Dank! dank! dank – o – Sie überhäufen mich! LIEBENTHAL. Kommt Kinder. STEINAU. Auf Wiedersehn, lieber Richard! RICHARD. – Auch Du? STEINAU. Auf f r ö h l i c h e s Wiedersehn! RICHARD. Auf – Du gehst? ... Und mit Ihnen? ... STEINAU. Es fällt mir schwer genug – o viel schwerer als Du denkst ... Allein der alte Baron – Du weißt ja, ich bin ihm unentbehrlich. RICHARD. Ihm a l l e i n ? – Nicht auch – seiner Tochter? nicht auch – Ihr? ... Du schweigst?? ... STEINAU. – Trotzdem – hoff’ ich – RICHARD. Trotzdem? also wirklich? ... O mein Gott! ... STEINAU. – Ich hoffe sag’ ich – ich hoffe – wir bleiben doch die Alten! Schüttelt ihm die Hand. LIEBENTHAL indem er mit Aurora und Steinau dem Ausgange zugeht. Meine Empfelung der Mama! Liebenthal, Aurora und Steinau ab. RICHARD nach einer langen Pause. Um wie viel bitterer als alles dies ist doch der Gedanke: Ich hab’s verdient, und mir geschieht nur Recht! Wirft sich auf einen Stuhl, das Gesicht in beiden Händen. GRÄFIN ist eingetreten, und an der Thüre stehn geblieben. Nach den letzten Worten tritt sie langsam vor, und legt Richard sanft die Hand auf die Schulter. Richard!

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Mutter und Braut

RICHARD springt auf. Du? Kalt. Ich bin sehr beschämt mich noch hier finden zu lassen. Entschuldige – ich mach es gut. Will gehn. GRÄFIN. Bleib! – noch einen Augenblick. Wir scheiden früh genug. RICHARD. Und scheiden dann für immer. GRÄFIN. Mein Sohn – muß es im Groll geschehn? Ich hätte Dir gerne vor der Trennung versöhnt die Hand gedrückt. RICHARD. Unmöglich, nach Allem was vorgefallen. GRÄFIN. Wir haben einander gegenseitig viel zu vergeben. Nimm das Bewußtsein mit Dir, daß Deine Mutter ihr Unrecht einsieht und bereut. RICHARD. Du hast nichts zu bereuen. Du bist vollkommen im Recht. GRÄFIN. Ich bin’s nicht! – Schwer hab’ ich gefehlt – schwer büß ich es. Du brauchtest eine feste Hand und ich war schwach. Wahrheit sollte zwischen uns sein und ich – täuschte Dich. Jede Lüge straft sich, und hätte die beste Absicht sie ausgesprochen. Ich hätte Dir nichts verbergen, Dir nie den letzten Willen Deines Vaters verheimlichen sollen. RICHARD. Darunter leidet Niemand als ich. GRÄFIN. – Meinst Du? ... Auch ich leide! und bitterer als Du. Dein Leben beginnt – Dir kann Ersatz werden für Verlorenes; das meine endet, mir ersetzt sich nichts mehr. Was das Alter verliert, hat es für immer verloren. RICHARD. Nun Mutter – wenn wir Beide fehlten, ist’s billig daß wir Beide leiden. GRÄFIN. Aber nicht mehr als – billig. So viel geschehn kann unser herbes Loos zu mildern, d a r f geschehn. Wenn auch D u jetzt alles verlierst was Dir als Dein Glück erschien, und gekränkt und enttäuscht von hier gehst, sollst Du nicht hülflos und im Mangel gehn. Wenn auch i c h meinen Sohn scheiden sehe, soll’s doch nicht mit dem qualvollen Gedanken sein, daß ihm Entbehrungen bevorstehn. Bestimme selbst wessen Du bedarfst um das Leben fortzuführen das Du bisher geführt. Das einzige was ich Dir noch geben kann sollst Du reichlich erhalten. RICHARD. Geld?! ... Das einzige was Du mir noch geben kannst – Geld?! ... O g u t e Mutter – ich habe um Brot nicht gebeten – was giebst Du mir – einen Stein! ... Nach kurzer Pause. Hab Dank d a f ü r ! Ich brauche nichts, ich nehme nichts. GRÄFIN. Das habe ich beinah von Dir erwartet. Also Du willst mich auch noch für mein Unglück strafen? – Der große Schmerz ist Dir nicht genug, Du thust die kleinliche Bitterkeit hinzu. RICHARD. Wir müssen die Dinge nehmen wie sie einmal sind. GRÄFIN. Ich habe keinen Einfluß mehr auf Dich, keinen! Thu denn was Du willst. M e i n Leben ist verloren. Meine Opfer waren Thorheit, Kindesliebe ist nur Wahn. Geh! ... Ich habe keinen Sohn, Du hast keine Mutter mehr. RICHARD. Enden wir diese peinliche Unterredung, aus Barmherzigkeit: Nichts mehr! – Lebewohl. Wendet sich, und geht rasch der Thüre zu.

I. Text

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GRÄFIN. Er geht! – So ist’s vollendet – Alles! Alles vorbei! ... O mein einziges Kind! Gott – Gott, was lebt’ ich – und was leb’ ich noch?! ... Sinkt auf einen Stuhl. RICHARD hat sich, schon am Ausgange stehend, umgewendet, und bleibt einen Augenblick zögernd, dann halblaut. Mutter! GRÄFIN fährt auf. Ach! – RICHARD stürzt vor und seiner Mutter zu Füßen. Mutter! Mutter! GRÄFIN. – Das ist – das klingt – wie meines – Sohnes Stimme ... RICHARD leidenschaftlich. Du allein hast mich g e l i e b t auf der ganzen Erde – unter allen Menschen – D u a l l e i n ! GRÄFIN. Das fühlst Du? das weißt Du? – RICHARD. Tief in innerster Seele! ... Du willst mich nicht darben lassen – willst mir geben was ich brauche! – O so gieb mir nur einen Rest, nur einen Schatten wieder von dem alten Gefühl! Ich bin tief gesunken, aber so tief nicht daß ich ohne Deiner Liebe leben könnte! Ich verdien’s nicht – aber gieb sie mir! Auf meinen Knieen bitt’ ich: Strafe mich, aber v e r g i e b mir! – Heiß mich gehn – aber nicht ohne Deinen S e g e n ! GRÄFIN. Seitdem Du athmest war jeder meiner Gedanken Segen – Segen für Dich! ... Er hat auf Deinem Haupte geruht vom ersten Tag – er umgiebt Dich – er überschüttet Dich! ... Frage nicht ob ich D i r verzeihe – frage ob ich m i r verzeihe? Dich lieben, Dich segnen ist mein Leben, Dich nicht lieben, nicht segnen, wäre mein Tod ... Du bist mir von Neuem geboren – jauchzend wie dereinst – Deinen ersten Schrei, begrüß’ ich Dein erstes Liebeswort, mein Kind, mein geliebtes, mein wiedergeschenktes Kind! RICHARD in ihren Armen. Mutter! gute Mutter! Waldegg und Ebert sind eingetreten, und bleiben im Hintergrunde stehn. WALDEGG halblaut zu Ebert. O sehn Sie doch! EBERT. Der verlorene Sohn. GRÄFIN sie erblickend. Kommt her! kommt her! Zu Waldegg. O Freund – was sagt ich Ihnen? mein Leben sei ein verlorenes? – Das war eine Lüge! ein Frevel! – Mein Sohn vergilt mir – lohnt mir alles tausendfach – Er ist zurückgekehrt – er liebt mich. Ich habe nicht umsonst gelebt!

II. Kritischer Apparat

Mutter und Braut

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Ergänzung der Herausgeberin über der Zeile

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H WB H.I.N.

Handschrift (WB, H.I.N. 54498) Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die Kurrentschrift in H ist in Antiqua wiedergegeben. Der unterstrichene AntiquaText in der Handschrift für Akte, Szenen und Personen wird ohne Unterstreichung wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die in Antiqua-Text erscheinenden Bühnenbeschreibungen der Handschrift sind kursiv gesetzt wie auch die in Kurrentschrift geschriebenen, zwischen Schrägstrichen stehenden Szenenanweisungen. Die in der Handschrift verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Der in der Handschrift im Anlaut verwendete Diphthong Ui für den Umlaut Ü wird mit Ue wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen und für Sammelausgaben werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt der Handschrift (H). Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Die in H vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat).

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Mutter und Braut

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Nach einer Tagebucheintragung begann Marie von Ebner-Eschenbach das Drama Die Heimkehr, wie das Stück anfangs betitelt war, im November 1862. Es war ein Auftragsstück, um das Friedrich Halm (eigentl. Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen, 1806–1871), der spätere Gemeralintendant der beiden Hoftheater in Wien, Ebner-Eschenbach für die mit ihm befreundete Schauspielerin Julie Rettich (1809–1866) gebeten hatte (T I, 9.11.1863). Der Titel des Stückes bezieht sich auf die Heimkehr Richards, des Sohnes der Gräfin von Rosenberg, der nach jahrelanger Abwesenheit mit seiner Braut Aurora Liebenthal auf Schloss Rosenberg eintrifft. Bereits nach Vollendung des zweiten Aktes äußerte Ebner-Eschenbach in einer Tagebucheintragung ihre Unzufriedenheit mit dem Stück (T I, 10.1.1863), Ende Januar 1863 jedoch vollendete sie den vierten und letzten Akt. Während der Arbeit an dem Drama übergab sie Halm die einzelnen Akte zur Beurteilung und besprach mit ihm mögliche Umarbeitungen. Mit diesen und der „Umarbeitung der Umarbeitungen“ (T I, 13.4.1863) beschäftigte sich Ebner-Eschenbach im März und April 1863. Anschließend besprach Ebner-Eschenbach das abgeschlossene Drama eingehend mit Julie Rettich. Sie gesteht in ihrem Tagebuch: „Sie hat in allem recht, sie ist eine vortreffliche Frau und Künstlerin. Ich liebe und bewundere sie, aber nie wieder schreibe ich einer Schauspielerin eine Rolle“ (T I, 22.4.1863). Im Mai übergab EbnerEschenbach das fertige Manuskript der Heimkehr an Halm (T I, 11.5.1863) und am 6. Juli 1863 eröffnete Julie Rettich damit ihr Gastspiel im Berliner Viktoria-Theater (T I, 6.7.1863). Die Arbeit an der Heimkehr war allerdings noch nicht abgeschlossen. Im Dezember 1863 nahm Ebner-Eschenbach das Drama erneut vor. Sie ist voller Selbstzweifel, obwohl Rettich ihr während eines Besuches versichert, sie „werde nie besseres schreiben als die Scenen zwischen Mutter und Sohn in der Heimkehr.“ Jedoch EbnerEschenbach kommentiert: „Das wollen wir doch sehen“ (T I, 10.12.1863). Die erneuten Umarbeitungen ziehen sich bis Januar 1864 hin, aber Halm ist mit dem Resultat äußerst zufrieden und bestätigt ihr: „Das Stück ist und bleibt gut und muß seinen Weg gehen.“1 Bereits am 14. Februar 1864 erhielt Ebner-Eschenbach die Nachricht, dass das nun Mutter und Braut betitelte Drama in Hamburg zur Aufführung angenommen wurde. Der neue Titel verweist auf die Konfrontation des alten Geburtsadels, vertreten durch die Gräfin von Rosenberg, mit dem neuen Geldadel, vertreten durch Aurora Liebenthal, zwischen denen sich Richard entscheiden muss. Auch wird der Kontrast zwischen Land- und Stadtadel thematisiert. Im Mai 1865 beschäftigt sich Ebner-Eschenbach nochmals mit Mutter und Braut,

1

Halm an Ebner-Eschenbach am 27.1.1864 (WB, H.I.N. 56258).

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nimmt Umarbeitungen vor und lässt sich von Halm beratschlagen, der diese Fassung „vollkommen wirksam, spannend u. wirksam“ (T I, 19.5.1865) findet. Einziger Textzeuge des Dramas ist eine Abschrift von fremder Hand (H.I.N. 54498), bestehend aus 71 nummerierten Seiten. Die Handschrift beginnt mit einem Titelblatt von Ebner-Eschenbachs Hand: „Mutter und Braut. Schauspiel in vier Aufzügen“. Dieses Titelblatt ist offensichtlich während der letzten Überarbeitung hinzugefügt worden. Die Handschrift enthält kein Personenverzeichnis und ist auch nicht datiert. Es handelt sich bei der Handschrift um eine überarbeitete Fassung, denn sie weist eine Reihe von Tilgungen und Hinzufügungen auf, die in den edierten Text mit aufgenommen wurden.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung des Dramas mit dem Titel Die Heimkehr fand am 6. Juli 1863 am Berliner Viktoria-Theater als Gastspiel der Schauspielerin Julie Rettich statt. Sie feierte in der Rolle der Gräfin von Rosenberg große Erfolge, während das Stück von der Presse eher kritisch aufgenommen wurde. Das Abendblatt der Presse berichtet von der Aufführung in Berlin: „Frau Rettich hat im Victoria-Theater in einem jämmerlichen Schauspiel Die Heimkehr ihr Gastspiel eröffnet, und wird von der Berliner Kritik in einer die Wiener Gemüthlichkeit wahrhaft beschämenden Weise gefeiert.“2 Halm jedoch geht davon aus, dass auch das Schauspiel erfolgreich sein werde, wenn es von der Presse nicht zugrunde gerichtet wird (T I, 8.7.1863). Die Autorin muss anonym geblieben sein, denn in der Presse wird von dem „Schauspiel aus der Feder einer süddeutschen Aristokratin“ (T I, 12.7.1863) gesprochen. Enttäuscht ist Ebner-Eschenbach weniger über die Reaktion in der Presse als über die in ihrem näheren Bekanntenkreis: „Meine besten Freunde sind nicht imstand das Vergnügen zu verbergen, das die absprechenden Recensionen über Die Heimkehr ihnen macht [sic]“ (T I, 5.10.1863). In Hamburg wurde das umgearbeitete Stück unter dem Titel Mutter und Braut am 22. März 1864 zum ersten Mal aufgeführt. Wiederum spielte Julie Rettich die Rolle der Gräfin von Rosenberg und hatte einen „außerordentlichen Erfolg“. 3 Vom Publikum wird das Drama gut aufgenommen: „Mutter und Braut hatte einen durchaus ehrenvollen Erfolg. Nach der Darstellung wurden alle Schauspieler und Julie allein, noch zweimal gerufen“ (T I, 24.3.1864). In der Hamburger Presse wird jedoch das umgearbeitete Drama ebenso absprechend behandelt wie in Berlin. Trotzdem ist Rettich davon überzeugt, dass Mutter und Braut in Wien gefallen werde, wo aber das Drama nicht aufgeführt wird (T I, 8.4.1864). Es 2 3

Die Presse Nr. 184 vom 7.7.1863. Vgl. auch T I, 9.7.1863. Die Presse Nr. 88 vom 29.3.1864.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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kommt auch zu keiner Aufführung in Weimar, obwohl Halm empfahl, das Schauspiel an den dortigen Direktor des Hoftheaters zu schicken. Den fehlenden Erfolg schreibt Halm nicht dem Drama selbst zu, dessen Stoff sowie die Charakterzeichnungen er nach wie vor für gelungen hält, sondern den falschen Erwartungen eines sentimentalen Publikums und einer kritisierenden Presse.4 Das Drama Mutter und Braut wurde nie gedruckt und erscheint in diesem Band erstmals im Druck. In der wissenschaftlichen Literatur wurde das Werk mit einer Ausnahme auch nicht rezipiert. Im Jahre 1994 geht Reichard in einem Artikel auf das Werk ein und erläutert: Das Drama verwendet Motive, die seit Iffland und Kotzebue zum Inventar des bürgerlichen Trivialdramas gehören. Allerdings ändert Marie von Ebner-Eschenbach die Vorzeichen. Nicht mehr das Bürgertum garantiert die sittlichen Werte und verteidigt sie gegenüber dem Adel, sondern der alte Adel selbst wird zur höchsten moralischen Instanz. Die Bösewichte entstammen nun nicht mehr dem Beamtenadel, sondern sind Bankiers und Neureiche, die sich in den Adelsstand erst eingekauft haben. Natürlich geht es Marie von Ebner-Eschenbach nicht darum, das Bürgertum pauschal zu verurteilen. Deshalb fügt sie die Figur des bürgerlichen Advokaten Ebert ein, der auf der Seite der alten Gräfin steht.

Es kommt für Reichard in dem Drama zu einer Schwarz-Weiß-Malerei und einer Idealisierung des Hochadels.5

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Halm an Ebner-Eschenbach am 28.3.1864 (WB, H.I.N. 56259). Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 105.

KÜNSTLERDRAMEN

I. Text

Doctor Ritter (E2)

Doctor Ritter Dramatisches Gedicht in einem Aufzuge von Marie Baronin Ebner-Eschenbach

Als Manuskript gedruckt.

Wien 1872 Verlag von L. Rosner

Doctor Ritter

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PERSONEN HENRIETTE VON WOLZOGEN CHARLOTTE, ihre Tochter DOCTOR RITTER (FRIEDRICH SCHILLER) BIBLIOTHEKAR REINWALD VOGT, Verwalter von Bauerbach DER GÄRTNER Bauerbach 1783.

Erster Auftritt Wohnstube im Herrenhause. Blumengewinde an Fenster und Thüren. VOGT am Fenster. GÄRTNER tritt ein.

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GÄRTNER. Alles fertig, Herr Verwalter, alles bereit. VOGT. ’s ist auch Zeit. Die Herrschaften können jeden Augenblick da sein. GÄRTNER. Mögen kommen. Die Schuljugend ist vor dem Triumphbogen aufgestellt und der Herr Pfarrer vor der Schuljugend. Meine Buben neben den Pöllern – Lunten in der Hand. Der Doctor rennt ab und zu, möchte sich um alles in der Welt nützlich machen, aber – aber – – nun, Kränze winden ist schwerlich sein Metier; wenn er’s nicht trifft, d a s nehm’ ich ihm nicht übel. VOGT. Das n i c h t , und was d e n n ? GÄRTNER. Nun, ich meine nur, ein Doctor ist er doch. An seinen Curen freilich merkt man’s nicht. VOGT. Exempli gratia. Citire Er ein Beispiel. GÄRTNER. Eines aus dem Dutzend. Dem Maier erkrankt eine Kuh und eine Magd. Der Doctor läßt sich nicht lange bitten – gefällig erweist er sich jederzeit gerne – verschreibt Mixtur für Nummer Eins, Pillen für Nummer Zwei. Aber der Maier irrt sich und gibt der Kuh die Pillen, der Magd die Mixtur. VOGT. Was Er sagt. – Und? GÄRTNER. – Sind beide gesund worden, Herr Verwalter! VOGT. Ein Resultat, erfreulich für den Maier. GÄRTNER. Aber bedenklich für den Doctor, denn man kann fragen: „Wenn sich der Maier n i c h t geirrt hätte, was wäre dann geschehen?“ VOGT. Er ist ein kluger Mann, mein lieber Gärtner. GÄRTNER. Ich bin ein Gärtner, das weiß ich und das ganze Dorf. Allein ob Doctor Ritter ein Doctor ist, das frag’ ich und das ganze Dorf. VOGT. Kümmert’s auch das Dorf? GÄRTNER. Die Leute sind neugierig. Warum gibt er’s gar so geheimnißvoll! Kommt zu Fuß daher im tiefen Winter, im tiefen Schnee und – im leichten Rock. Bringt einen Brief von uns’rer gnäd’gen Frau und wird sofort im Herrenhause einlogirt, verköstigt und verpflegt. Das war sechs Wochen vor Neujahr. Wir haben Mai – er ist noch immer da. VOGT. Genirt er Ihn? GÄRTNER. Halten zu Gnaden, mich genirt der Leute Gemunkel und Geträtsch. Die einen sagen „’s ist ein Spion,“ die andern „’s ist ein Deserteur“ – noch andere – ei! der Tag ist lang und der Verstand ist kurz –: „Es ist ein Bräutigam für unser Fräulein.“

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VOGT. Ueber die Dummheit! die vermaledeite! GÄRTNER. Je nun – die Herrschaft kommt – jetzt, meint man, wird e r gehen. Nichts da, er bleibt erst recht. VOGT. Erst recht? was soll’s? – Genug! – Auf die Thüre weisend. Ich rathe Ihm – GÄRTNER. Halten zu Gnaden – ich – – – ich entferne mich. Gärtner ab. In der Thüre begegnet ihm Schiller.

Zweiter Auftritt VOGT. SCHILLER.

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SCHILLER. Sie kommen nicht – mein Freund – begreifen Sie’s? Sie kommen nicht! Geduld, sie werden kommen. VOGT. SCHILLER. Dies ist ein Tag in meinem Leben, Vogt – Der glücklichste, ach! – oder ganz unselig! VOGT. Wenn Sie heut’ Abend schlafen geh’n, amice, Dann, wett’ ich, sagen Sie: er war nicht das Und jenes nicht. In Ihrer Herrin Hand SCHILLER. Liegt meiner Zukunft Unheil oder Heil. Sie mög’ entscheiden; ich – ich beuge mich. Was hat die Edle schon für mich gethan! Sie setzt des Fürsten Gnade auf das Spiel, Die mir verloren, deren sie bedarf, – Und bietet Schutz, ein Obdach bietet sie Dem Freund- und Heimatlosen, dem Verbannten. Und mehr noch – mehr! Sie hält mich tröstend aufrecht, Und mild und ernst, wie eine gute Mutter, Ruft sie mir Muth und Rath und Warnung zu. Sie thut so viel – o Freund, es ist u n m ö g l i c h , Daß sie all’ dies um meinetwillen thut – Ich bin ihr werth, weil ich es Lotten bin. VOGT. Der Raptus! taucht er wieder auf? Vogt! Vogt! SCHILLER. VOGT. Sie kennen meine Meinung von der Sache; Ich möcht’ nicht oft Gesagtes wiederholen. SCHILLER. Und ich nicht oft Gehörtes wieder hören. VOGT. Doch s o l l t e n Sie, und gäbe Gott, es nütze!

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SCHILLER. Der Freundin Mund allein fällt hier den Spruch. VOGT. Sie wähnen sich geliebt – mag sein – mag nicht – – Es ist noch weit von eines Mädchens Thräne Bei’m Abschied von dem Jugendfreund des Bruders Bis zu der Mutter Segen ... O genug! SCHILLER. VOGT. Man bricht so leicht nicht mit dem Vorurtheil; Ein Fräulein von Wolzogen ward noch nie Vermält an einen Dichter. Alles was SCHILLER. Auf dieser Welt geschieht, geschieht einmal Zum erstenmal. Lockt Sie’s voranzuschreiten VOGT. Auf neuer Bahn, die noch zu brechen ist? Es geht sich besser auf getret’nem Pfad. SCHILLER. Im allgemeinen – das nicht jedem paßt. VOGT. Mein junger Freund – fort mit den eitlen Träumen! Und machen Sie es meinem Sohne nach. Der wählt aus seinem Stande sich ein Mädchen, Die Tochter eines schlichten Musikus; Ein schönes Kind und einfach, brav und klug. Kein sich’res Los hat er ihr noch zu bieten – (Er ist so alt wie Sie, just dreiundzwanzig) – Und darum wirbt er nicht; er strebt und ringt Nach einem, freilich nur bescheid’nen Ziel, Doch wenn er sich’s errungen, darf er sagen: „Hier ist mein Herd, hier schalte Du als Weib! Mein Reich ist klein, allein es ist das meine, Ich hab’s erworben Dir zu Lieb und Dienst.“ SCHILLER. Nun, lieber Vogt! unendlich ist m e i n Reich! VOGT. Doch, vor der Hand – noch nicht von dieser Welt. Pöllerschüsse. Zurufe aus der Ferne. VOGT. Sie kommen! Ja! ... SCHILLER. Ich eile – folgen Sie! Vogt rasch ab. VOGT. SCHILLER macht eine Bewegung, als ob er folgen wollte, bleibt dann plötzlich stehn. Wie angewurzelt! ... Da steht der Phantast! – – Ist’s lange her, daß ich geschworen hätte, Mir wüchsen Flügel? flieg’ ihr nun entgegen! – Lauscht hinaus. Der Wagen hält ... Ihr Fuß betritt den Boden – Denselben Boden, Himmel! der mich trägt! ... Hochrufe wiederholt, immer lauter.

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O, ruft nur! ruft ihr zu! – Die Stimme hier, Die keiner hört, jauchzt volleres Entzücken Als Eure laute Lust ausjubeln kann! Schritte und Stimmen ganz nahe. Sie kommt – hinweg – wohin verberg’ ich mich?

Dritter Auftritt DER VORIGE. HENRIETTE. CHARLOTTE. VOGT.

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HENRIETTE auf der Schwelle. Welch’ ein Empfang – habt Dank! habt Dank! Da ist er! LOTTE die Schillern zuerst erblickt. SCHILLER. Oh! Schiller! HENRIETTE. Freundin! – Beste! – Gütigste! – SCHILLER. Charlotte! CHARLOTTE. L o t t e ! – immer noch wie einst. Sind wir nicht mehr die alten guten Freunde? Nun – reden Sie! Ich habe keine Worte. SCHILLER. VOGT. Herrgott! – und d e r – der will ein Dichter sein! SCHILLER. Er will – will nicht – hier hört das Wollen auf. HENRIETTE. Sie sind bewegt? Sie leiden? Ich? ... O wenn SCHILLER. D a s leiden heißt – dann, Freude, fahre wohl! ... Mein Gott, so lang die tiefste Einsamkeit, Und plötzlich: S i e ! ... Ich muß es fassen erst, Das Wunder und das Glück, daß Sie es s i n d ... Mich finden erst – erst zu mir selber kommen! – Rasch ab. CHARLOTTE zu Vogt. Was fehlt ihm denn? VOGT. O dem fehlt viel! Sehr seltsam – Zu Vogt. HENRIETTE für sich. Verstehen Sie ...? Ja leider, nur zu gut. VOGT. HENRIETTE. Nun dann erklären – – VOGT. Wohl. Ich werde – Auf Charlotte deutend. später. HENRIETTE. Es thut mir weh, ihn s o zu finden, Vogt, Und eben jetzt, in diesem Augenblick ... Abbrechend.

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Ich hab’ von Dalberg einen Brief an ihn, Der ihn beruft nach Mannheim. In ein Amt? VOGT. Ein Amt, das Brot gibt, seinen Mann ernährt? HENRIETTE. Wir wollen’s hoffen. Er wird angestellt? VOGT. Warum nicht gar! Ich bitte Ihro Gnaden, Wird angestellt, als – was? Als Dichter. HENRIETTE. Oh! VOGT. Mehercle! ... Als Theaterdichter. HENRIETTE. Hm! VOGT. Und davon hoffen Ihro Gnaden – Brot? CHARLOTTE. Ja! Brot für i h n , für u n s – Ambrosia. VOGT. Von allem was der Jüngling je gewagt, Scheint d i e s e r Schritt mir das gewagteste! HENRIETTE. Und darum darf er ihn nur freudig thun, Aus eig’ner Wahl, aus tiefstem Herzensdrang. Blickt er zurück nach dem, was er verläßt, Wirft er nicht ohne Zagen und Besinnen Sich in die Arme seinem Genius, Mit jener festen Siegeszuversicht, Die den Triumph verkündet und verleiht – Dann ist’s vorbei. Noch eh’ es angefangen. VOGT. Ich frag’ in Demuth: – wär’ das Unglück groß? Indem sich Schiller in das Ausland wendet, Vollzieht er ganz den Bruch mit seinem Fürsten, Und dazu, schwant mir, räth’ man besser – nicht. Er hat auch so sich schwer genug versündigt ... Ein Carlsschüler – der „die Räuber“ schreibt, Und „die Verschwörung des ...“ Wie heißt er doch? – CHARLOTTE. Fiesco! Ein republikanisch Trauerspiel. VOGT schlägt die Hände zusammen, mit Verzweiflung. Republikan ... O tempora, o mores! – Ein Feldscheer, der sich heimlich absentirt, Ein Unterthan, der den Gehorsam bricht, Und schuld’ge Ehrfurcht an den Nagel hängt. Ein Sohn – der einzige des bravsten Vaters, Der all sein Hoffen nur auf ihn gesetzt Und ihn schon sah, als Doctor und Soldat –

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Ein Weiser und ein Held! – denselben Sohn, Der jetzt – dem Himmel sei’s geklagt – sich der Poeterei ergibt, Gedichte macht, Und Schulden, um – um (mit Respekt zu sagen) Den Quark gedruckt der Welt zu offeriren. CHARLOTTE. O der Barbar! Mit Gunst – ich liebe ein VOGT. Gedicht – (besonders wenn’s lateinisch ist) – Wenn zum Vergnügen man es schreibt und liest. Ich halte wenig drauf – als Broterwerb; Hans Sachs, der gute Schuster und Poet – Das war ein Mann! der trieb’s in rechter Weise! Es gab sein Handwerk seiner Kunst zu essen; Zuerst der Stiefel – hernach das Gedicht! – Doch unser Doctor, der ist and’rer Meinung, Der sagt: erst Poesie, dann – Recipe. HENRIETTE. Die Medizin ist seine Stärke nicht. VOGT. Die freilich nicht. Er hat es weit gebracht. Zieht unter fremdem Namen, arm, allein, Ein Heimatloser durch die weite Welt – Es ist ein Graus – und dabei denkt er noch ... Doch d a s – unter vier Augen. Nun? – was ist’s? HENRIETTE. So sprechen Sie! ... VOGT auf Charlotte deutend. Ich bitte ... Gut denn – gut; HENRIETTE. So folgen Sie mir auf mein Zimmer. Henriette und Vogt ab nach rechts. CHARLOTTE. Ich unterdeß, ich will ...

Vierter Auftritt DIE VORIGE. SCHILLER. SCHILLER tritt Charlotten in der Thür entgegen. Wohin, Charlotte? CHARLOTTE. In’s Freie, in den Garten, in den Wald! SCHILLER. Ich darf wohl mit? CHARLOTTE. O wenn’s gefällig ist? Ich will Sie führen ... Lotte, liebe Lotte! – SCHILLER. Sie waren, als wir schieden, tief ergriffen,

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Und jetzt – beim Wiedersehen ... Kommen Sie! CHARLOTTE. SCHILLER. Ist dies das Auge, das in Thränen schwamm Bei uns’rem letzten Lebewohl in Stuttgart? CHARLOTTE. Ich wüßte nicht, daß es ein and’res wäre. SCHILLER. Sie können scherzen? Ei! wie frohe Leute. CHARLOTTE. SCHILLER. Worüber denn so froh? Nun, daß ich lebe CHARLOTTE. Und daß es Mai ist und die Sonne scheint. SCHILLER. Das vollste Glück, die innig tiefste Freude, Die scherzen nicht. Die scherzen nicht? CHARLOTTE. SCHILLER. Sie sind so ernst wie Götter, und das Herz, Das sie beseelen, die Unendlichen, Empfängt sie wonnebebend – bebend ja – Vor ihrer überird’schen Majestät. CHARLOTTE sieht ihn an; nicht verstehend. Das wird wohl nur der Fall bei Dichtern sein. SCHILLER. Es ist der Fall bei jedem, der empfindet. Und warme Herzen fühlen alle gleich; Des Dichters einzig Vorrecht bleibt, daß er, Was alle fühlen, sagen kann allein. CHARLOTTE. Was alle ... Nein! vielleicht doch alle – nicht. Es gibt auch Leute, die sich gern bescheiden Mit jener armen Freude, welche – lacht. Was mich betrifft zum Beispiel, lieber Freund, Ich bin zufrieden mit der Heiterkeit, Die mild und sonnig aus der schönen Welt, Herein in meine off’ne Seele strömt. Was Gott uns Gutes gibt, mir und den Meinen, Ich nehm’ es dankbar hin. Das Traurige Das kommt von selbst, und kommt es – nun so geb’ Ich ihm sein Recht – nicht minder, doch – nicht mehr; Von meiner Freude aber halt ich’s fern. Ich will nicht „selig“ sein, nur herzlich froh, Und denke still: der Himmel ist gerecht; Versagt er dir ein Uebermaß von Glück, Schickt er wohl auch kein Uebermaß von Leid. SCHILLER. Das heißt, den vollen, gold’nen Becher: Leben Mit kühlen Lippen flüchtig nur berühren. – Nicht d a z u ward er schäumend hingestellt!

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Wir sollen kosten seinen tiefsten Inhalt, Ihn leeren sollen wir bis auf den Grund. Erschöpfen alles was an Lust und Qual Der Menschheit Pulse mächtig wogend schwellt, Und vorwärts dringen, rastlos, unerschrocken, In alle Tiefen und auf alle Höh’n! Im edlen Kampf, im heißgeführten Streit, Schmilzt uns’res Wesens letzte Schlacke ab; Der Frieden b l e i b t , den man im Sturm errang! Aus Nacht und Dunkel, Irrthum, Wahn und Schmerz Geht rein und frei der laut’re Mensch hervor – Der G o t t in ihm wird so, nur so geboren. CHARLOTTE. Ich wiederhol’s: es ist ein Unterschied – Das ist für Sie ... für and’re – anderes. SCHILLER. Zufrieden nicht sei mit gemeinem Lose, Dem edle Gaben das Geschick verlieh. Dein ist die Seele, höchsten Schwunges fähig, Das reine Herz, der sonnenklare Geist: O zwinge sie nicht nieder in den Staub – Empor zur Heimat, Engel! – auf zum Licht! Ich liebe Dich – vertraue Dich mir an. Ich will Dich führen zum Vortrefflichen, Zum Quell des Schönen will ich Dich erheben! CHARLOTTE verwirrt erschrocken. Mein Gott! – o Schiller – Schiller – Henriette ist während der letzten Reden eingetreten. CHARLOTTE erblickt sie, eilt auf sie zu und wirft sich in ihre Arme. Mutter! HENRIETTE. Geh’ mein Kind. Charlotte ab.

Fünfter Auftritt HENRIETTE. SCHILLER. SCHILLER. Charlotte! – Mädchen! Will ihr nachstürzen. HENRIETTE tritt ihm in den Weg. Bleiben Sie ... Sie bleiben! SCHILLER. O Himmel! – ich – Vergebung, theure Frau – Ich liebe – die Empfindung riß mich hin – Ich liebe sie und ich gestand es ihr.

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HENRIETTE. Auf Gegenliebe hoffend – Ihrer fast – SCHILLER. Sie zürnen, Freundin? – Ihrer fast gewiß! HENRIETTE. Weil Lotte, als Sie Abschied nahmen, weinte? Es fällt mir schwer, aus allen Ihren Himmeln Mit einem einz’gen Worte Sie zu reißen. – An jenem Tag’, mein Freund, da kamen Sie – Sie kamen nicht allein. Mit Winkelmann, SCHILLER. Der gleichfalls schied – – Ihm galten Lotten’s Thränen. HENRIETTE. SCHILLER. Oh! – ich bin blind! ... Ihm galten sie – i h m ihr Erröthen, ihr Erblassen – alles i h m ! HENRIETTE. Er weckte in des Mädchens jungem Herzen Die erste Regung, die der Liebe g l e i c h t , Nicht Liebe ist. SCHILLER. Nicht – Liebe – –? HENRIETTE. Jenes Halb unbewußte, traumhafte Gefühl, Dem Fantasie das luft’ge Dasein gibt, Das seinen ganzen Reichthum i h r verdankt, In einem Blick den höchsten Ausdruck findet, Und immer fast – unausgesprochen stirbt. SCHILLER. Das sagen Sie – und jetzt – und sagen mir’s? HENRIETTE. Ich thue mehr – ich sage Ihnen, Schiller, In dieser Einsamkeit, die Ihre Nähe So schön und reich mit allem schmücken wird, Was uns entzücken und begeistern kann, Geliebt von Ihnen, den sie ja bewundert, Wird Lotte Ihrem Einfluß nicht entgeh’n. SCHILLER. Was soll das – großer Gott –? Allein – erwägen Sie HENRIETTE. Das Wort, das nun ich spreche, denn für immer, Für’s ganze Leben sprech’ ich’s aus –: Allein, Selbst w e n n das Kind Sie liebte, n i e würd’ ich Zu dieser Neigung meinen Segen geben. SCHILLER. Sie spielen fürchterlich mit meinem Herzen! HENRIETTE. Mein Freund – Ihr beide s e i d nicht für einander. Der Dichter, mit dem nie erfüllten Streben, Mit seinem Drang in’s Unermeßliche, Das heit’re Mädchen mit der weichen Seele: Ihr muß das Dasein sanft und ruhig fließen

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In der Beschränkung schützend stillem Frieden; Zerstören würde sie ein rauh’ Berühren. Sie aber haben Frieden nicht zu bieten, Es ist der Kampf Ihr heimisch Element, In Ihnen ringt der Genius der Welt. Lebendig auferstanden, will durch Sie Ein neuer Geist der Zeit sich offenbaren. Er kommt im Sturme, in der Wetterwolke – Sie sind sein Priester, sein Verkünder Sie! ... SCHILLER fällt ihr in’s Wort. Das alles g l a u b t ’ ich einst! Und Leute gibt’s, HENRIETTE lächelnd. Die glauben es noch jetzt. Hier der Beweis! Gibt ihm Dalberg’s Brief. Erschlossen liegt vor Ihnen jetzt die Laufbahn, Von der so stolz Sie träumten – Dalberg ruft! SCHILLER wirft den Brief auf einen Tisch. Der zagende, der unentschloss’ne Dalberg? Der mich verließ in meiner größten Noth, Der Mann der Rücksicht, der da krittelt, mäkelt An jedem freien Wort? – der den „Fiesco“ Also verstümmelt auf die Bühne brachte, So zahm und sanft, daß keiner mehr in ihm Den heißen Funken wiederfinden kann, Der aus den Räubern hell und lodernd sprühte? HENRIETTE dringend, überredend. Doch Dalberg ist besiegt, und halb und halb Versöhnt ist Herzog Carl. H e u t e noch, In dieser Stunde noch, erwart’ ich Reinwald, Der die Verzeihung Ihres Fürsten bringt. SCHILLER. Verzeihung? – o vollkommen wird sie sein, Wenn hin zu ihm ich trete und ihm sage: Ich füge mich. Dein Wille, Herr, geschehe – Was Du an mir gehaßt, das war der Dichter; – Der Dichter ist g e w e s e n . – Und Ihr Ehrgeiz? HENRIETTE. Der Ruhm, den Sie gehofft? SCHILLER. Mit welchem Recht? – Schon lange nagt, nie ruhend, mir am Herzen Die Qual des Zweifels an der eig’nen Kraft. – Ich hab’ vielleicht mich thöricht überschätzt,

Sie aber haben ] Sie aber, haben Setzfehler Ein neuer Geist der Zeit ] Ein neuer Geist, der Zeit Setzfehler

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Ich bin vielleicht ... Hinweg damit – hinweg! Ich bin nichts, will nichts sein als nur geliebt, Von ihr geliebt ... Und daß ich’s werden könnte, Sie sprachen es – und dieses Wort durchflammt Die Nacht in mir! – löst jeden Widerstreit, Zeigt mir den Weg zum Heile und zum Himmel! HENRIETTE. Das eine Wort? ... Sie hörten nur das eine? – Ich sprach es als B e f ü r c h t u n g aus, nicht als Verheißung. Gott! ... Wie war mir doch? B e f ü r c h t u n g ? ... SCHILLER. Ich fasse endlich – – ich begreife – Lotte! Ich steh’ zu tief für Dich – bin zu gering! HENRIETTE. Zu tief? o nein! ... Sie stehen ihr zu hoch; Z u w e n i g nicht, Sie sind z u v i e l für sie. SCHILLER bebend, in größter Bewegung. Dem M e n s c h e n Schiller wäre sie erreichbar? HENRIETTE. Dem D i c h t e r Schiller muß ich sie verweigern, Und beide scheinen unzertrennlich mir. SCHILLER. Da liegt der Irrthum! – da liegt auch die Lösung! ... M u ß ich ein Dichter sein? – Daß ich’s sein w o l l t e , Das war so lang ich denke oder – lebe, Mein Unglück, meine Qual! – Im Namen dessen, Was ich und and’re meinen Genius nennen, Kam jedes Leid, das ich erfuhr, heran; Und jeder Stachel, der mich tief verletzte, In seinem Namen ward er eingesenkt! Was keine Zunge nennt, hab’ ich gelitten, Um ihn! durch ihn! HENRIETTE. Ein nichts – vergleichen Sie’s Mit der Verzweiflung, Freund, ihm zu entsagen. SCHILLER. Zählt Ihr für n i c h t s die Thränen meiner Mutter, Des Vaters Zürnen und des Fürsten Groll? ... O dieser Fürst! ... Ich habe ihn geliebt, Er war mir wie ein Gott. Ich riß mich schwer Von ihm los – und that es doch! ... O alles – alles! ... um ein Traumgebild – Ein Ideal, das unerreichbar schön Vor meinem trunk’nen Auge leuchtend schwebte. – Der Schleier reißt – der Zauber ist gebannt – Ich kehr’ zurück, zur langentbehrten Heimat, Zu meinen Brüdern, zu der Wirklichkeit! – Auch ich will glücklich sein! – ich war es nie ...

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Es lechzt mein Herz nach Freundschaft und nach Liebe, Mir schaudert vor der eisigkalten Höhe, Auf der ich einsam und entsagend stand; In Eure Mitte tret’ ich –: Nehmt mich auf! HENRIETTE. Sie täuschen sich – Ihr stürmisches Gefühl, Es reißt Sie hin. – Wir haben für die Welt, Die Sie uns opfern wollen, Ihnen n i c h t s Des Opfers werth, zu bieten – und darum ... SCHILLER. Es ist beschlossen, Freundin – ist beschlossen – Für ewig schwör’ ich den Poeten ab, Ich will nichts mehr als leben hier, hier sterben! Gärtner kommt. GÄRTNER. Der Bibliothekar aus Stuttgart kommt, Herr Reinwald, gnäd’ge Frau. Herein! herein! Gärtner ab. HENRIETTE.

Sechster Auftritt HENRIETTE. SCHILLER. REINWALD.

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HENRIETTE. Willkommen, Reinwald! tausendmal willkommen! REINWALD. Verehrte Frau! ... Mein Schiller! ... SCHILLER. Sei gegrüßt. REINWALD. In schlechter Laune? – Schade, lieber Freund, Ich bringe nicht, was sie verbessern kann. Zu Henriette. Sie seh’n mich tief ergriffen – HENRIETTE. Gott! – der Herzog ... REINWALD. Ein schwerer Schlag trifft ihren armen Vogt – Ich komme ihn zu holen – geben Sie Ihm Urlaub. Vogt? HENRIETTE. REINWALD. Sein Sohn verzweifelt. HENRIETTE. Was ist gescheh’n? Das Mädchen, das er liebte – REINWALD. HENRIETTE. Ich weiß: die Tochter eines Musikus, Und seine Braut. Nicht seine Braut, noch hatt’ REINWALD. Er nicht gewagt, um ihre Hand zu bitten. Die stille Neigung, die er ihr bewies, Hielt s i e für Freundschaft wohl. Ein anderer Besaß ihr Herz, hatt’ es im Sturm gewonnen.

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HENRIETTE. Und dieser and’re ist? W a r Ferdinand REINWALD. Von Böller, des Ministers Sohn. Von Böller? HENRIETTE. REINWALD. Des Vaters Stolz, Major in frühen Jahren, Vom Herzog für ein glänzend Los bestimmt. SCHILLER. O ja! o ja! Die Stufen, welche and’re Mit heißem Ringen nicht erklimmen können, Im Schlafe werden s i e hinauf gehoben! REINWALD. Doch diesmal kam das Glück an einen Menschen, Der von sich weist des blinden Zufalls Gaben. Den Vorurtheilen der Geburt zum Trotz, Tritt er als Freier um das Geigerskind Vor den erstaunten Musikus. SCHILLER. Und – der? REINWALD. Nicht seinem Ohr, nicht seinem Auge trauend – Weist ihn an des Ministers Excellenz. HENRIETTE. Wie sich’s geziemte. Feile Späher hatten REINWALD. Von dem Verhältniß seines Sohn’s schon längst Dem Herrn Baron die Kunde zugetragen. Doch zählend auf der Jugend Unbestand, Fand er für gut, darüber still zu schweigen. Als Ferdinand ihm kühn entgegen tritt Und von dem Mädchen nie zu lassen schwört, Da übermannt wild rasend ihn die Wuth. Er droht dem Sohn mit Fluch, dem Geiger mit Dem Arbeitshaus, der Tochter mit dem Pranger. SCHILLER in höchster Spannung. Und – der Major? Bleibt unerschütterlich. – REINWALD. Und nun thut der Baron das Unerhörte: Des Mädchens Tugend weiß er zu verdächt’gen, Stellt, durch verruchte Künste sie Dem Liebenden als eine – Dirne hin. SCHILLER stärker. Und – der Major? – Ein Jüngling, lieber Freund, REINWALD. Bisher vom Glück getragen, dem der Wunsch Stets nur erschien als Bote der Erfüllung – Er ist zum Kampf mit einem solchen Meister – Dem Pfaffen der Gewalt, dem Helden der Kabale – Gerüstet nicht und nicht – verderbt genug.

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Er unterliegt – er g l a u b t die Lüge – doch Er ü b e r l e b t sie nicht. Für ihn gibt es In dieser Welt nur die Geliebte, oder – Den Tod. An ihr verzweifelnd wält er – Tod?! ... SCHILLER schreit auf. Und – sie? Das Mädchen starb mit ihm. REINWALD. Entsetzlich! HENRIETTE. SCHILLER. – Sie starb mit ihm. Ja – d i e Vermälung war Entsetzlich, aber ewig; ihre Liebe, So warm wie Leben, grenzenlos wie die Unendlichkeit! ... Und diese beiden Menschen, Die sich gefunden unter Tausenden In einem einz’gen, herrlichen Gefühl, Der schönsten Blume und der seltensten, Die auf des Daseins harten Pfaden sprießt – Sie mußten sterben – und warum? warum? ... Nicht, weil ein großes Schicksal sie zermalmt, Dem man sich beugt, w e i l es ein großes ist; – Um einen Wahn – dem Unsinn starben sie! ... O Menschen! Menschen! wohin geht die Welt? – Die Narrheit wirft die Pritsche weg und greift Zum Richterschwert, Die Schellenkappe läutet Todte ein! REINWALD. – Du schweifst in’s Maßlose. Nicht also – Freund ... HENRIETTE. SCHILLER. „In’s Maßlose?“ ... „Nicht also?“ ... Ihr erbebt Wie ich – Ihr leidet – so wie ich, und weint Und – schweigt?! und lebt getrost in Ruhe weiter, Als wäre nichts gescheh’n, als was da m u ß ? ! ... REINWALD. Was sollen wir – Was können andres wir HENRIETTE. Als weinen denn und schweigen – schweigend leiden? – SCHILLER. Kein Unrecht gäb’s, gäb’s keinen, der es duldet. Der Bosheit Kinder zieht die Feigheit groß, Und solch ein Mann, wie jene Excellenz – Wir kennen ihn von länger, als von heut’ – Lebt von der Dumpfheit derer, die er quält; Ich will sie wecken alle, welche schlafen! Ihn aber zieh’n vor einen Richterstuhl, ewig; ihre Liebe, ] ewig; Ihre Liebe, Setzfehler

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Vor dem er endlich zittern lernen soll. – Erbärmlicher! Du drohtest mit dem Pranger? Dein Pranger steht und fällt an einem Tag; Den Schandpfahl, Mann! an welchen i c h Dich binde, Versehrt kein Blitz, kein Sturmwind reißt ihn um, Vergeblich rauscht an ihm vorbei die Zeit. Ich will der Erde Deine Schmach verkünden, Ich will ein Bild in Flammenzügen malen, In dem nach hundert noch und hundert Jahren, Das Laster schaudernd sich im Spiegel sieht! REINWALD. Bedenke nur, bedenk’ – daß Du – daß ich ... SCHILLER. Du? Ich? – O Reinwald! w a s bist D u und i c h In einer Welt, in der noch Millionen Aus allen Adern schwer und schmerzlich bluten? Kein Ich und Du! es gibt kein eig’nes Leid; Der Menschheit Jammer, der allein thut weh! – HENRIETTE. O Dichter! – d a s sind S i e – Sie sind es wieder. SCHILLER. Sie hatten recht. Für mich ist nicht der Friede, Fern bleibe mir, der ihn genießen will. An’s Werk, Poet! Nimmt Dalberg’s Brief. Du kamst zur rechten Zeit. HENRIETTE. Nach Mannheim, Schiller! Ziehe hin getrost. REINWALD. Der Herzog hindert Deinen Flug nicht mehr; Ein warmes Wort versöhnt ihn – sprich es aus. SCHILLER. Es soll gescheh’n, dereinst, bis ich geworden Mehr als zu sein er je mir zugetraut. Draußen aus weiter Entfernung Gesang. Chor aus den Räubern. GÄRTNER kommt gelaufen. Studenten aus Heidelberg! Eine ganze Schaar! Sie sind gekommen, um den Herrn Doctor abzuholen und nach Mannheim zu führen, den Herrn Doctor, der nicht mehr R i t t e r , sondern S c h i l l e r heißt! Ab. Der Gesang näher. Donnernder Hochruf. Hoch Schiller! HENRIETTE. Der Freunde Segen begleitet ihn, Entgegen jubelt ihm des Volkes Liebe: Mit seinem Lied, mit diesen Klängen grüßt Die deutsche Jugend ihren Freiheits-Dichter! – CHARLOTTE kommt. Was hör’ ich, Schiller? Sie verlassen uns? Und ohne Abschied? HENRIETTE ihr entgegen. Meine Tochter! Kleine Lotte! SCHILLER zugleich. Steht vor ihr in heftiger Bewegung, dann, sich mit Gewalt fassend, tritt er näher und legt die Hand auf ihr Haupt.

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Behüt’ Dich Gott, der Gott, von dem Du glaubst, Daß er nur Gutes Dir gewähren kann; Und mög’st Du nie und nimmer kennen lernen Den Schmerz, der lacht, die Freude, welche weint! GÄRTNER kommt. Kommen Sie, Herr Doctor! kommen Sie! die draußen können’s nicht erwarten! CHARLOTTE. Sie geh’n? Unendlich arm, unendlich reich. SCHILLER. CHARLOTTE. Sie kommen wieder! Hier sind Sie daheim, Hier liebt man Sie ... Charlotte – HENRIETTE. Sei’n Sie ruhig. – SCHILLER. Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder. – Ihr alle, die mir ihn verschönt, habt Dank Und lebet wohl. Mich treibt’s hinweg zu ringen Für Euch, für Eurer Güter heiligste. –––––––––––––––––––– Leih’ mir die Waffen zum Erlösungswerke, Dein Flammenschwert leih’ mir, o Poesie! Ich schwing’ es kühn, den Guten eine Leuchte, Ein Wetterstrahl den Nied’ren und Gemeinen, Der tödtlich niederzuckt! Leih’ mir die Waffen – Den Sieg verleiht die Kraft – ich fühl’ die meine! Leb wohl – geliebt und wohl! Die Heimat sei Euch süß! Ich aber – fort in Sturm und Drang – Die Welt mein Haus, die Menschheit meine Liebe! Indem er sich zum Abgehen wendet, und die andern eine Gruppe bilden, fällt der Vorhang.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Einzeldruck 1869 Einzeldruck 1872 Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

E1 E2 WB H.I.N.

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Einzeldrucks E2 ist in Antiqua wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die in runden Klammern stehenden Bühnenbeschreibungen und Szenenanweisungen sind kursiv gesetzt. Der Versverlauf wurde aus dem Originaltext übernommen. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen und für Sammelausgaben werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der Text folgt dem Einzeldruck E2. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Setzfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Der kritische Apparat verzeichnet die Varianten des Einzeldrucks E1.

3. Fortlaufendes Variantenverzeichnis Das folgende Variantenverzeichnis zeigt die Unterschiede zwischen dem edierten Text E2 und dem Erstdruck E 1 auf. Erster Auftritt 165,6 165,27

Kränze winden] Kränzwinden E1 geheimnißvoll!] geheimnißvoll. E1

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Zweiter Auftritt 166,9 166,12 166,19 166,21 167,6 167,17 167,30 167,32

entscheiden; ich] entscheiden, ich E1 bedarf, –] bedarf, E1 all’ dies] all’ d i e s E1 taucht] – taucht E1 dem Vorurtheil;] der Tradition; E1 Musikus;] Musicus; E1 stehn.] stehen. E1 flieg’] – flieg’ E1 Dritter Auftritt

168,1 168,16 169,5 169,9 169,20 169,28 169,32 170,4 170,9 170,11 170,12

Schillern] Schiller E 1 Wohl.] Wol. E1 Ich] – Ich E1 – Ambrosia.] – : Ambrosia! E1 Demuth:] Demut: E1 O tempora,] O Tempora, E1 einzige des] einzige – des E1 Respekt] Respect E1 drauf] d’rauf E 1 Weise!] Weise; E1 essen;] essen, E1 Vierter Auftritt

170,24 170,2 171,3 171,14 171,19 172,7 172,13 172,16 172,24

Charlotten] Charlotte E 1 wohl] wol E1 Lebewohl] Lebewol E1 wohl] wol E1 vielleicht] – vielleicht E1 heißgeführten] heiß geführten E 1 wiederhol’s:] wiederhol’s – E1 edle Gaben ] e d l e G a b e n E1 Geh’ mein] Geh’, mein E 1 Fünfter Auftritt

173,7 173,19 174,12–13

nicht] – nicht E1 mir’s? ] mir’s? ... E1 liegt vor Ihnen jetzt die Laufbahn, / Von der so stolz Sie

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II. Kritischer Apparat

174,17 174,29 175,32 175,38 176,3

träumten –] Ihnen ist die große Laufbahn, / Ihr heißer Wunsch erfüllt sich – E1 „Fiesco“] Fiesco E1 Dichter; –] Dichter, E1 Von ihm los –] Und blutend von ihm los – E1 Brüdern,] Brüdern – E1 stand;] stand, E1 Sechster Auftritt

176,5 176,14 177,22 177,28 178,1 178,7 178,18 178,32 179,21 179,28 179,31 180,4 180,12 180,14 180,20

Herzog ...] Herzog. E1 wohl.] wol. E1 Wuth.] Wut. E1 Künste sie] Künste sie, E1 doch] doch, E1 ewig; ihre] ewig. Ihre E1 wohin] – wohin E1 heut’ –] heut – E1 hin getrost.] hin, getrost. E1 R i t t e r , sondern S c h i l l e r ] nicht hervorgehoben in E1 jubelt ihm des Volkes Liebe:] Ihnen kommt des Volkes Liebe, E1 weint!] weint. E1 wohl.] wol. E1 Leih’] Leih E1 wohl – geliebt und wohl! ] wol – geliebt und wol! E1

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Am 7. Januar 1869 wurde Marie von Ebner-Eschenbach vom Komitee der SchillerAkademie in Wien gebeten, ein einaktiges Stück zu verfassen, dessen Held Friedrich Schiller (1759–1805) sein sollte. Die Aufführung des Stückes sollte dem SchillerDenkmalfonds zugute kommen. Die Aufgabe lockte Ebner-Eschenbach sehr, denn immerhin handelte es sich bei dem Stoff um den von ihr seit ihrer Kindheit verehrten Dichter, mit dessen Leben und Werk sie engstens vertraut war. Es fiel ihr daher leicht, innerhalb kürzester Zeit einen Einakter zu konzipieren, den sie zunächst Ein Tag aus Schiller’s Leben nannte (T I, 8.1.1869). Bereits am 22. Januar 1869 notiert sie in ihr Tagebuch, dass das nun Doctor Ritter betitelte Stück beendet und sie – was für die äußerst selbstkritische Dramatikerin selten ist – damit recht zufrieden sei (T I). Gemäß ihrer üblichen Arbeitsweise las nun Ebner-Eschenbach den Einakter in ihrem Bekannten- und Freundeskreis vor oder ließ ihn vorlesen, um erste Reaktionen auf das Stück zu bekommen und um Ratschläge zur Verbesserung einzuholen, die ihr in diesem Fall Josef Weil Ritter von Weilen (1828–1889), der sich als Dichter ‚Weilen‘ nannte, anbot. Nach einigen Änderungen kam es am 28. Januar 1869 zu einer weiteren Vorlesung des Doctor Ritter, an der vor allem auch das Frauen-Komitee des SchillerDenkmalfonds teilnahm, von dem das Stück mit zunehmendem Beifall aufgenommen wurde. Danach schickte sie das Stück an Friedrich Halm, den Generalintendanten der beiden Hoftheater in Wien, der ihr empfahl, es dem Schiller-Komitee offiziell einzureichen (T I, 31.1.1869). Halm war daran interessiert, das Stück auch am Wiener Burgtheater aufführen zu lassen. Es kam dann fast zu einem Eklat, als EbnerEschenbach ihren anonym eingereichten Doctor Ritter zurückziehen wollte, da sie erfahren hatte, dass der Schriftsteller Sigmund Schlesinger (1832–1918) auch aufgefordert worden war, ein Stück einzureichen. Jedoch konnte „tant de bruit pour une omelette“ (T I, 5.2.1869), wie Ebner-Eschenbach das Missverständnis nannte, durch einen Brief an das Komitee bereinigt werden. Schlesinger war mit seinem geplanten Stück Die Schwestern von Rudolstadt (1875) nicht fertig geworden. Als letzter Instanz las Ebner-Eschenbach ihr fertiges Stück ihrer treuesten Ratgeberin Ida von FleischlMarxow (1824–1899) vor (T I, 9.2.1869). Damit Ebner-Eschenbach den Proben des Stückes im Burgtheater beiwohnen und dabei assistieren konnte, übergab Halm ihr seinen Schlüssel zur Intendantenloge. Auch ihr Ehemann Moriz von Ebner-Eschenbach (1815–1898) und ihr Halbbruder Adolf von Dubsky (1833–1911) schlossen sich ihr bei den Proben an und waren besonders von dem Spiel des Schiller-Darstellers Friedrich Krastel beeindruckt, so dass die Autorin hoffnungsvoll der Aufführung entgegensah (T I, 18.2.1869). Von dem Text ist keine Handschrift erhalten. Am 26. Februar 1869 übergab EbnerEschenbach das Manuskript des Einakters dem Wiener Verlag F. Reitmann mit der Auflage, dass der Verlag die Druckkosten übernehme, aber das Verlagsrecht bei ihr

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bleibe (T I, 26.2.1869). Dieser Erstdruck (E1) erschien 1869 und hat das Titelblatt: „Doctor Ritter. Dramatisches Gedicht in 1 Aufzuge von M. v. Eschenbach“ (WB, A 77184). Auf der zweiten Seite erscheint die Besetzung im k. k. Hof-Burgtheater: Henriette v. Wolzogen

Fr. Gabillon

Charlotte, ihre Tochter

Fr. Hartmann-Schneeberger

Doctor Ritter (Friedrich Schiller)

Herr Krastel

Bibliothekar Reinwald

Herr Baumeister

Vogt, Verwalter in Bauerbach

Herr Schöne

Der Gärtner

Herr Arnsburg.

Im Dezember 1871 war Ebner-Eschenbach mit dem Verleger Rosner in Kontakt, der 1872 das erste unter ihrem eigenen Namen erschienene Prosawerk, das Märchen Die Prinzessin von Banalien, veröffentlichte. Jedoch wollte Rosner zuerst Doctor Ritter erscheinen lassen. Ebner-Eschenbach überarbeitete daraufhin das Mauskript des Doctor Ritter und übergab dem Verlag am 31. Januar 1872 die korrigierte Fassung (T II). Dieser Druck (E2) erschien im Jahre 1872 im Verlag von L. Rosner, Wien mit dem Titelblatt: „Doctor Ritter. Dramatisches Gedicht in einem Aufzuge von Marie Baronin Ebner-Eschenbach“ (WB, A 142281). Die gleiche Fassung erschien 1872 auch im Verlag der Wallishauser’schen k. k. Hof-Buchhandlung (WB, A 39959). Sämtliche Unterschiede zwischen E2 und E 1 sind in dem fortlaufenden Variantenverzeichnis aufgeführt (II. 3. S. 183–185). Die Abweichungen betreffen zum großen Teil Orthografie und Interpunktion. Darüber hinaus gibt es einige textliche Varianten. Im zweiten Auftritt wurde „Tradition“ durch „Vorurtheil“ (167,6) ersetzt, was auf die spätere Argumentation des Bibliothekars Reinwald vorausweist (177,10). Zwei weitere Varianten erscheinen im fünften Auftritt, wobei E2 die dichterische Laufbahn des Titelhelden Schiller als stolzen Traum (174,12–13) und E1 als heißen „Wunsch“ (174,13) beschreibt. In E2 fehlen die Worte „Und blutend“ (175,32), was vom Metrum her gesehen als Textfehler angesehen werden könnte. Es liegt hier die Vermutung nahe, dass Ebner-Eschenbach beabsichtigte, den Text mit anderen Worten zu ersetzen, oder der Verleger diesen Textteil versehentlich nicht druckte. Die Handlung des dramatischen Gedichts in Jamben trägt sich im Jahre 1783 auf dem Landgut der verwitweten Henriette von Wolzogen in Bauerbach zu, wo der beim Herzog von Württemberg in Ungnade gefallene Schiller unter dem Decknamen Doktor Ritter Zuflucht gefunden hat. Es kommt zu einer vorübergehenden schwärmerischen Neigung des Dichters zur Tochter Charlotte von Wolzogen. Diese Liebe, die jedoch von der jungen Charlotte nicht erwidert wird, steht im Mittelpunkt des Einakters. Schiller findet nach dieser Verirrung schließlich den Weg zurück zu seiner dichterischen Berufung. Das Stück endet mit seinem Ruf nach Mannheim.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung von Ebner-Eschenbachs einzigem Gelegenheitsstück Doctor Ritter fand am 21. Februar 1869 im Kärntnertortheater statt und wurde mit enthusiastischem Beifall aufgenommen. Die Titelrolle spielte Friedrich Krastel und Zerline Gabillon trat als Henriette von Wolzogen auf. Zwei Tage später, am 23. Februar 1869, folgte die erste Aufführung im Burgtheater, und zwar mit der gleichen Besetzung. EbnerEschenbach, die auch bei dieser Aufführung anwesend war, vertraut ihrem Tagebuch an, dass Doctor Ritter „ziemlich freundlich aufgenommen“ und „der Autor einmal gerufen“ (T I, 23.2.1869) wurde. Die Reaktionen in der Wiener Presse waren allerdings gemischt. Ein Rezensent kommentiert das Stück in der Wiener Zeitung: „Die einzelnen Gestalten sind selbstverständlich nur skizzirt, aber mit unläugbarem Talent, der Dialog enthält manches hübsche.“ Der Rezensent hätte sich gewünscht, dass der Autor in das Stück nicht den Stoff von Schillers Kabale und Liebe, sondern von Don Carlos aufgenommen hätte. Besonderes Lob erfuhr der Schauspieler Friedrich Krastel, der „den Schiller mit Feuer spielte“, aber der Rezensent wies auch darauf hin, dass er „wieder Alles ohne Unterschied im Sturmschritt nahm.“ Die „anderen Rollen“ waren „sehr angenehm besetzt“. 1 Der Rezensent in der Neuen Freien Presse führt aus: Für ein Gelegenheitsstück ist das kleine Drama sehr nett, seine Sprache schön und poetisch. Aber der Schiller, der uns hier entgegentritt, ist kein Mensch von Fleisch und Blut, sondern ein Extract aus Schiller’s sämmtlichen Werken, ein künstlich construirtes Wesen, von idealistischer Hand geformt. Diese Hand, wie wir hören, eine weibliche, hat Talent, aber mit der Bühne ist sie schwerlich vertraut. Gespielt wurde das Stück gut; Herr Krastel hatte sich, so gut es bei seinen gesunden Backen möglich ist, eine treue Maske hergerichtet und gab den Schiller mit einem Feuer und einer poetischen Leidenschaft, die selbst den kühlsten Zuseher mit fortrissen.2

Trotz weiterer erfolgreicher Aufführungen am Burgtheater machte der berüchtigte Wiener Kritiker Ludwig Speidel (1830–1906), der seit Ende der sechziger Jahre das Wiener Feuilleton dominierte, das von „einer ungenannten Dame“ verfasste dramatische Gedicht Doctor Ritter zur Zielscheibe seines Hohns: Da es alle Welt weiß, so dürfen wir es ja verrathen: die Verfasserin ist Frau Baronin v. Ebner, auf literarischem Felde unter dem Kriegsnamen Eschenbach bekannt. Sie hat wohl daran gethan, sich hinter den wirksamen Namen Schiller zu stecken, denn auf eigene Hand dürfte sie wol schwerlich wirken können. [...] Herr Krastel in der Titelrolle war ganz der Mann, die betreffenden SchillerTiraden (feinstes Panama-Stroh) brillant aufprasseln zu lassen. Schiller schlug bei diesen Stellen wacker durch.3

1

Wiener Zeitung Nr. 42 vom 22.2.1869. Neue Freie Presse Nr. 1612 vom 23.2.1869, S. 7. 3 L. Sp.: Theater. Schiller-Akademie – Burgtheater. In: Die Presse Nr. 58 vom 27.2.1869. 2

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Doctor Ritter

Für Ebner-Eschenbach war es jedoch eine Genugtuung, dass ihr Mann Moriz sowie ihre Brüder Adolf und Victor der begeistert aufgenommenen Aufführung des Doctor Ritter beiwohnten und dass sie sich dem überraschten Vater, Graf Franz von Dubsky, an seinem 85. Geburtstag als erfolgreiche Burgtheaterautorin zu erkennen geben konnte. Außerdem beglückwünschte sie der Schriftstellerkollege Ferdinand von Saar (1833–1906) in einem Brief zu dem „schönen Erfolg“ des Doctor Ritter und wunderte sich nur, dass manch „prächtige Stellen“ in dem Drama und Schillers eigene Worte, die „zum Entzücken schön und passend angewandt“ seien, nicht mehr Beifall erfuhren. Doch freute er sich, dass „bei anderen Stellen lebhafter, ja stürmischer Beifall“4 ausbrach. Am meisten freute sich Ebner-Eschenbach jedoch über das Lob Franz Grillparzers (1791–1872), von dem am gleichen Abend wie ihr Doctor Ritter die Szene Hannibal und Scipio aufgeführt wurde. Sie besuchte den von ihr verehrten Dichter einige Tage später in seiner Wohnung in der Spiegelgasse in Wien; er empfing sie mit den Worten: „,Sie sind’s. Nun endlich. Ich hätt Ihnen gern schon lange gesagt, daß sich niemand in ganz Wien über den Erfolg von Ihrem Doktor Ritter so gefreut hat wie ich.‘“5 Im Wiener Burgtheater wurde das Stück bis zum 10. März 1869 sechsmal aufgeführt. In den folgenden Jahren fanden weitere erfolgreiche Aufführungen in Prag, Leipzig, Stuttgart, Mannheim und Graz statt. Im Mai 1882 wurde Doctor Ritter in Bauerbach aufgeführt. Im Januar 1885 spielte das Stück zum ersten Mal im Fürstlichen Hoftheater in Sigmaringen. Anlässlich von EbnerEschenbachs siebzigstem Geburtstag wurde am 13. September 1900 Doctor Ritter im Burgtheater in einer Neuinszenierung zusammen mit ihren Dramen Am Ende und Ohne Liebe aufgeführt. Die Vorstellung wurde mit einem Prolog von Ferdinand von Saar, der von dem Hofschauspieler Josef Lewinsky (1835–1907) vorgetragen wurde, eröffnet. 6 Die letzten Aufführungen von Doctor Ritter in Wien fanden 1906 im Verein für heitere Kunst und 1912 im Josefs-Saal des Lehrerhaus-Vereins statt. Zum ersten Mal seit 1872 erscheint in diesem Band ein Wiederabdruck von Doctor Ritter. In der wissenschaftlichen Literatur setzte sich 1900 Moritz Necker mit Doctor Ritter auseinander. Für ihn ist die „Wahl des biographischen Zeitabschnittes“ sehr geschickt und der Einakter „nach Form und Inhalt gleich bewundernswürdig“, da er sich „zu einem geistvollen Charakterbilde Schillers“ vertieft: Mit allen Mitteln der Kunst ist hier Schillers Natur verständlicher dargestellt, als es Bände ästhetischer Gelehrsamkeit vermöchten, und in dem Bilde des einen Dichters ist zugleich das Verhältnis der Poesie überhaupt zur Welt, zur alltäglichen Menschheit gezeichnet.7

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Saar an Ebner-Eschenbach am 22.2.1869 (WB, H.I.N. 6081). Ebner-Eschenbach: Meine Erinnerungen an Grillparzer, S. 34. Vgl. auch T I, 15.3.1869. 6 Saar: Prolog zur Marie von Ebner-Eschenbach-Feier im Wiener Hofburgtheater am 13. September 1900. Beilage zum Brief von Saar an Ebner-Eschenbach, 18.9.1900 (WB, H.I.N. 60855). 7 Necker: Marie von Ebner-Eschenbach. Nach ihren Werken geschildert, S. 32. 5

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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Für Necker hat Ebner-Eschenbach in diesem Stück „wohl eine der schönsten Huldigungen des Schillerschen Genius“8 geschaffen. Mehr als 90 Jahre später nimmt Reichard eine kritischere Stellung gegenüber dem Drama ein. Er verweist auf die „Abweichungen von der historischen Realität“ und kommt zu dem Resultat, dass Ebner-Eschenbach „ein sehr einseitiges Schillerbild“ entwerfe: „Die Ebner macht ihn zum Repräsentanten ihres eigenen Künstlerideals, das vom Dichter verlangt, die Funktion eines moralischen Erziehers der Menschheit auf sich zu nehmen.“9 Das Thema des Künstlers, der zwischen Leben und Kunst wählen muss, hat die Dichterin auch in ihrem Drama Die Schauspielerin bearbeitet.

8 9

Necker, S. 42. Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 111.

I. Text

Die Schauspielerin

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Die Schauspielerin Drama in drei Aufzügen

Wien 1861

Die Schauspielerin

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PERSONEN HELENE WALTER, Schauspielerin MÜLLER, Theaterregisseur BARON MAX BERGTAL HEINRICH WALDAU SOFIE WALDAU, seine Cousine LORD FITZHERALD AGLAJA MAYER, Schaupielerin CONRAD, Diener bei Helene Ort der Handlung: Eine deutsche Hauptstadt.

Erster Aufzug Elegantes Empfangszimmer bei Helene. Eine Mittelthüre, eine Seitenthüre links. Lampen auf Tischen und dem Camine.

Erster Auftritt

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CONRAD öffnet die Mittelthüre. HEINRICH auf der Schwelle. Die Vorstellung geht zu Ende, das Fräulein wird sogleich hier sein. CONRAD ab. HEINRICH vortretend, ein Bouquet in der Hand. Gott sei Dank! bald ist alles überstanden – das Lärmen der Menge, die Comödie und ihr wüstes Getreibe ... Alles überstanden? – für jetzt, und in ungewisser Zukunft, die gewisse Qual. – O! Auch zu seh’n Helene auf der Bühne stehend – wie Du von tausend Augen neugierig angegafft, Gefühle künstelst und Empfindungen spielst – ich bin kein Mann, wenn ich’s noch länger trage! Er legt Hut und Bouquet auf die Fensterbrüstung, und nähert sich einem Tische, auf dem Papiere liegen, deren einige er aufschlägt und durchläuft. Briefe von allen Direktoren, Einladungen von allen Intendanten – die meisten noch uneröffnet ... Halt! – ein Blatt das gelesen worden – erwogen! da sind Anmerkungen von Ihrer Hand. – Liest. „Contrakt für Petersburg ...“ Das Papier unwillig wegwerfend. Sie hat an eine Trennung denken können! Steht in Gedanken versunken. – Ein Wagen? ... Das Hausthor öffnet sich – Zur Thüre eilend. Sie ist’s!

Zweiter Auftritt

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MAX ihm entgegen. Bitt’ um Entschuldigung: Er ist’s. Nur – Dein gehorsamer Diener. HEINRICH. Du warst im Theater? MAX. Natürlich. Helenen’s Abschied von unserer Bühne – so etwas versäumt man nicht. HEINRICH. Die Vorstellung zu Ende? MAX. Seit einer Viertelstunde. HEINRICH. Und Du bist früher hier als sie? MAX. – Als die Vorstellung?

früher hier als sie? ] früher hier als Sie? Schreibfehler

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HEINRICH. Narr! ... Als Helene. – MAX. Ja Freund – i c h werde von einem entzückten Publikum nicht endlos gerufen mit lautem Geschrei. HEINRICH. Verwünschte – lächerliche Ovationen! MAX. Weiß Gott. HEINRICH. Das pflegtest D u sonst nicht zuzugeben. MAX. Tempora mutantur. Bin der Alte nicht mehr. – Im Grunde hab ich nie für Helene geschwärmt. HEINRICH. Zum Schwärmen braucht man – Flügel. MAX. Die fehlen mir – ganz Recht. Wenn ich ihr huldigte, geschah’s, weil es eben Mode. Blieb ich unerhört – je nun – gleiches Schicksal theilten Andere, es galt schon für eine Ehre die stolze Helene auf der Gasse grüssen zu dürfen. Am Tage an welchem ich Zutritt in ihr Haus erlangte, lud mich der Consul zu Tische. „Ich komme von der Walter ...“ „Die Walter sagt ...“ usw.! – Damit ließ sich etwas machen. – Die Leute konnten glauben was sie wollten – und da sie immer sehr viel glauben wollen ... HEINRICH. – Banquier! Du spekulirst mit den Gunstbezeugungen einer Frau, wie mit Aktien an der Börse – auf Schwindel. Aus nichts machst Du Dir ein Capital – das Andere zalen. MAX. Kann ich dafür daß die Eroberung einer gefeierten Schauspielerin unter uns für so ruhmreich gilt? – Als Weihschild neulich, die bisher untadelhafte Laura vom Ballet entführte, stiegen alle Papiere, und die Juden frohlockten: „Er hat die Tugend überwunden – er wird werden ein grosser Mann in Israel!“ – Aber zur Sache: Ich bin nicht mehr der Alte – sagt’ ich – die kleinen Auszeichnungen, womit mich Helene beehrte, haben ihren Wert verloren – seitdem – – HEINRICH. Seitdem? – MAX. – Rund heraus – seitdem ich weiß, daß ich ein Narr gewesen, mich mit ihnen zu begnügen. HEINRICH. – Himmel und Erde! MAX. Seitdem ich sehe, daß die Göttin nicht unempfindlich ist, verzeihe ich ihr nimmermehr, es gegen mich gewesen zu sein. HEINRICH. Sprich in anderem Tone von Helene – ich liebe sie – verstehst Du das? ... Ihre Ehre ist die meine. MAX. – So? – Dann bestielst Du Dein Eigenthum. HEINRICH. Bei allem, was Dir theuer ist! – sprich in anderem Tone von – meiner Geliebten, meiner – Braut ... MAX lachend. Hahaha! – Deiner – Was? – HEINRICH. Lache nicht – oder ... MAX. Ich muß Dir in’s Gesicht lachen, wenn ich Dir nicht in’s Gesicht – weinen soll. Bist Du verrückt geworden? ... Hast Du vergessen, daß Du einer Andern gehörst? ... Freund! – Ich war heute bei Deinen Eltern. Man ist dort tief

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verstimmt. – Dein Vater – hielt ein Buch – irgend eines seiner puritanischen Profeten, in dem er – nicht las. Deine Mutter eine Arbeit, an welcher sie – nicht nähte. Nur Deine Cousine stickte mit einer Emsigkeit, die sich verdoppelte, als Dein Vater nach Dir frug: Ob ich Dich gesehen – etwas gehört von dem Erfolge Deiner Bewerbungen um die Sekretär’s Stelle bei’m Ministerium? ... HEINRICH. Sie ist mir so gut als gewiß. MAX. Ich hätte Dich besucht, aber nicht zu Hause getroffen – erwiederte ich. – „Natürlich“ – meinte er „Wenn man ihn finden will, darf man ihn nicht in seiner Wohnung suchen. Auch in meiner nicht.“ Deine Mutter warf einen flehenden Blick auf ihn – Sofie aber, erhob sich und verließ das Zimmer. Sie grüßte mich zwar mit – gesenkten Augen – doch w e i ß ich, daß sie voll Thränen standen. HEINRICH. – Schweig! MAX. Mir kannst Du das sagen – Deinem Gewissen nicht. HEINRICH heftig. Genug! – Mit Überwindung. Hast Du die Absicht, Helene zu erwarten? MAX. Mit Deiner Erlaubniß. HEINRICH. – Du bist ohne Zweifel – geladen. MAX. – Ein für alle Mal. Ist’s nicht heute Mittwoch? – HEINRICH. Der leidige Empfangstag! – – Ich hatt’s vergessen. MAX. Sei so gut – genire Dich, den Leuten zu zeigen, wie herzlich Du sie zu allen Teufeln wünschest. HEINRICH. – Über Deine läppischen Scherze! MAX auffahrend. – Du bist ... Doch nein! – Den Göttern Ehrfurcht – den Verliebten – Mitleid. Geniesse Dein Glück zum letzten Male, geniesse die Liebe, bevor Du sie für immer in der Ehe begräbst – aber verletze nicht, wie Du es thust, alle Schranken des Herkommens. Sei meinethalb ein ungetreuer Bräutigam, aber sei es nicht mit so verzweifelter Offenherzigkeit. HEINRICH. Ich habe nie etwas gehaßt als Verstellung – nie etwas verachtet als die Lüge. MAX. Eben deßhalb bist Du mir ein Rätsel seit dem unglücklichen Zufall, durch welchen Du Helene kennen lerntest. HEINRICH. Als ob es einen Zufall gäbe! MAX. Um so schlimmer, Herr Bräutigam, wenn Du die Bekanntschaft einer Schauspielerin – aufgesucht. HEINRICH. Aufgesucht ebensowenig. Sie ist mir entgegen getreten wie die Vollendung meines Geschicks – wie das Glück. Ein Leben lang hat man darnach gerungen, es kommt – und wir umfassen in dem Fremden das heiß gesuchte – Eigenthum. Ich sah sie einmal ... MAX. Und verlorst den Kopf, und handelst, – Du – sonst der treuste Mensch auf Erden – treulos an Deiner verlobten Braut.

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HEINRICH. Ich thät’s, wenn ich ihr am Altare schwüre, was ich nimmer halten kann: sie zu lieben. MAX. Sophismen der Leidenschaft! Sofie gegenüber – bist Du unwahr. HEINRICH. Nimmermehr! Sie weiß Alles. MAX. Das sieht Dir gleich, Du ehrlicher Verräter. Alles? ... Pah! Sie wird’s vergessen. HEINRICH am Fenster. Helene! ... Sie kommt. MAX. Jetzt ist sie es wirklich.

Dritter Auftritt

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HELENE am Arm Müller’s, Blumen und Lorbeerkränze tragend. MAX ihr entgegen. Mein Fräulein! HELENE. Willkommen! sieht man Sie endlich wieder? MAX. Endlich? O wie gütig ... Endlich! MÜLLER. Das war ein Tag! Huldigen Sie seiner Siegerin – meiner élève. D i e s e Maria Stuart hätte Schiller erleben sollen – unter solchem Aplaus ist noch keine zum Schaffot gegangen. Leicester hatte gut verzweifeln – Niemand hörte ihn. „Walter! Walter!“ brüllte das Publikum, bis der Vorhang wieder rauschte, und wieder empor – und sie vor trat – dankend – Abschied nehmend. „Wiederkommen!“ war die Antwort – unzälige Hervorrufe – ein wahrer Blumenhagel – und immer von Neuem: „Wiederkommen!“ Ich glaube, sie schreien noch. MAX. Unrecht haben sie. Nichts von Wiederkommen. Ich rufe: „Hiergeblieben!“ MÜLLER. Unmöglich. Wir müssen fort. MAX. Wohin? ... Wo soll Fräulein Helene mehr bewundert werden als bei uns? MÜLLER. Ja ja, Deutschland bewundert, aber Rußland – bezalt. HELENE auf Heinrich zugehend. Heinrich! HEINRICH. So viele Kränze? HELENE. Nimm sie alle. HEINRICH. Laß. HELENE nimmt den Mantel ab, und legt ihre Kränze auf den Tisch. Conrad servirt den Thee. HELENE. Ich bin müde. Zu Conrad. Verbitten Sie für heute jeden Besuch. Conrad ab. Wir bleiben unter Freunden, Zu Max. wenn Sie einverstanden sind.

und sie vor trat ] und Sie vor trat Schreibfehler

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MAX. Und wie sehr! „Freude herrscht in Troja’s Hallen.“ Sie sehen Ihnen zu Ehren habe ich mir jüngst einige klassische Bildung angeschafft. HELENE. Edle Handlungen belohnen sich selbst – CONRAD kommt, eine Karte auf den Tisch legend. Die Karte Seiner Durchlaucht, Fürsten Ahlfeld. Ab. HELENE zu Max. Die Klassicität steht Ihnen vortrefflich. MAX. Dann: „muß ich zu den Gelahrten – auf gut Glück“ – wie ein König bei Schiller sagt. MÜLLER. Nicht doch. Ein Bedienter sagt’s bei Shakespeare. HELENE. Wie wohlthätig ist diese Stille nach der betäubenden Bewegung des Abends! – Nun bin ich Ihre ergebenste Wirtin, meine Herren. Ihre Tasse, lieber Müller. CONRAD kommt, wie oben. Professor Lenz. Ab. MAX. Würdigen Sie doch Heinrich’s Aufmerksamkeit. Weil Sie die Stille lobten – schweigt er. HELENE zu Heinrich. Soll ich das glauben? MAX. Alles was für seine Liebenswürdigkeit spricht. In diesem Falle, wie in vielen, muß der Glaube die Werke ersetzen. CONRAD kommt, wie oben. Graf Lichtenberg ... HEINRICH leise. Daß der Mensch an seinen Meldungen erstickte! CONRAD fortfahrend. Obrist Götz, Baron Collin ... HELENE. Gut! Gut! ... Behalten Sie die Karten im Vorzimmer. Conrad ab. Heinrich nähert sich, sein Bouquet in der Hand. MÜLLER zu Max. Haben Sie schon alle die herrlichen Kränze bewundert? MAX. Gewiß. Bewundere sie aber mit Vergnügen noch einmal. MÜLLER. Diesen warf Seine Hoheit der Erbprinz mit eigener Hand zu Helenen’s Füssen. Heinrich zerpflückt sein Bouquet. MÜLLER. Die wundervollen Lorbeern ... MAX. Sind von mir. HELENE. Ihre eigenen? MAX. – Weil ich sie – bezalte. MÜLLER. Den Camelien-Strauß schickte Graf Freiberg. Den Epheu-Kranz Lord Fitzherald. Heinrich schleudert sein Bouquet zu Boden. HELENE zu ihm tretend. Was thun Sie? HEINRICH. Ich vertilge Überflüssiges. HELENE. Die Blumen gehörten mir. HEINRICH. – So lange sie die – einzigen waren, die Ihnen gehörten. HELENE. Sie wären mir unter tausenden die einzigen geblieben. Heftiger Wortwechsel im Vorzimmer.

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AGLAJA noch Draussen. Mich abweisen? ... Was denken Sie? MÜLLER und Max. Wer ist das? HEINRICH. – Eine Ihrer – Freundinnen, Fräulein Helene. AGLAJA eintretend. O Helene – sich vor m i r verläugnen zu lassen! ... Zu Conrad, der auf der Schwelle steht. Gehen Sie nur. Conrad auf einen Wink Helenen’s ab. Eine jede Andere wäre gekränkt davon gegangen – Ich sage: „Mich abzuweisen? – es ist unmöglich!“ und – trete ein. Baron Bergtal – Herr Waldau – guten Abend! ... Ihre Dienerin Herr Regisseur. Helene umarmend. Laß Dich umarmen, Du Göttliche! Nun? hab’ ich Dir heute die Hanna recht gespielt? ... Bis auf den letzten Akt – nicht wahr? – Da meint’ ich zu ersticken. – Ich schluchzte bei Deinem Abschied. ... Ach wenn ich denke, daß Du wirklich von uns gehst – wie Maria Stuart ... HELENE. – Doch nicht ganz so – doch glücklicher Weise – nicht zum Schaffot. AGLAJA. Aber nach Petersburg – heißt es? HELENE. Auch darüber bin ich noch unentschieden. HEINRICH leise. N o c h unentschieden? HELENE ebenso. Der Herr und Meister meiner Bestimmung fragt? MÜLLER zu Aglaja. Glauben Sie ihr nicht. Es ist so gut wie ausgemacht. Hier der Contrakt: solche Anträge stellt uns Petersburg – Uns – denn mein engagement ist nicht minder glänzend. AGLAJA liest. Unerhört! ... Ein Vermögen – ein hôtel – u n d eine Equipage ... O Gott – die Kunst – es ist doch etwas Himmlisches! Für sich. – Freilich muß man nur nicht immer die – Hanna’s spielen sollen! ...

Vierter Auftritt LORD FITZHERALD tritt ein, CONRAD, der ihn zurück halten will, ruhig zur Seite schiebend. ALLE sehen ihn befremdet an.

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AGLAJA zur Seite tretend, für sich. Ist’s möglich? Der sonderbare Engländer? ... Den ganzen Abend verfolgten mich seine Blicke – jetzt verfolgt er mich selbst. FITZHERALD auf Helene zugehend. – Sie sind Lady Fitzherald! HELENE. Ich?! FITZHERALD. Ja – Sie. HEINRICH leise. Der Narr der! MÜLLER vergnügt die Hände reibend. Wieder Einer, den sie verrückt gemacht! MAX zu Aglaja. Donner und Doria! Das ist – glaube ich – eine Liebeserklärung? AGLAJA. – Wie so? Für sich. Mit der Kennedy hat er koquettirt, und deklamirt sich der Stuart?

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FITZHERALD Müller, Heinrich und Max die Hände schüttelnd. – Sie sind Hausfreund! – Und Sie – Und Sie! – Aglaja anblickend. Wer ist diese – hübsche Miss? MAX. Fräulein Aglaja Mayer. AGLAJA für sich. Er fragt? – Sollten seine Blicke wirklich nicht – mir ... FITZHERALD Aglaja’s Hand schüttelnd. Auch Sie! AGLAJA. – Auch ich – Hausfreund!? HELENE. Sie erregen den Neid einer Schauspielerin Mylord. Ihr Scherz ist so gut studiert, daß man ihn für Ernst halten könnte. HEINRICH. Oder Ihr Ernst so komisch, daß man ihn für Scherz halten könnte. FITZHERALD. Was soll das heissen? – Versteh’n Sie mich: – Sie sind Lady Fitzherald. HELENE unwillkürlich lächelnd. Ich bin Helene Walter, und will es noch einige Zeit bleiben. FITZHERALD. Bis Sie werden geheirat haben mich. HELENE. Vorläufig denke ich nicht daran, mich zu verheiraten. FITZHERALD. Prüderie. Sie werden schon denken daran. HELENE. Vielleicht – allein ich habe noch nicht gewält. FITZHERALD. So wälen Sie jetzt. Ich bin Lord Fitzherald. CONRAD kommt, ein versiegeltes Päckchen in der Hand. Zu Helene. Ein Herr, der sich nicht nennen will, sendet ... HEINRICH rasch vortretend. Was? HELENE zu Conrad. Sie wissen, daß anonyme Sendungen nicht angenommen werden, – unter keiner Bedingung! CONRAD ein Goldstück vorzeigend. Je nun – unter dieser ... HELENE. Sie lassen sich bestechen? HEINRICH zu Helene. Und Sie – staunen darüber? Zu Conrad, leise. Her mit Deinem Goldstück! Da ist Ersatz. CONRAD. Zu Befehl. – Aber der Herr – draussen, wartet auf Antwort. HELENE die das Packet in ein Blatt Papier geschlagen. Hier ist sie. HEINRICH darnach langend. Erlauben Sie. Die Neugierde ist mein Erbfehler. Erbricht das Packet. Für sich. Diamanten? – und dem Diener ein Goldstück für die Besorgung ... Das will ergründet sein. Zu Conrad. Wo wartet der Herr, der sich nicht nennen will? CONRAD. Vor dem Hause. HEINRICH zu Helene. Vertrauen Sie mir die Zurückstellung dieser Kostbarkeiten, und – die Antwort an den Geber. Heinrich eilt hinaus. Conrad folgt ihm. HELENE. O mein Gott! Leise zu Müller. Eilen Sie ihm nach! MÜLLER ebenso. Ihn glauben zu machen, daß Sie eine Entdeckung fürchten? HELENE – Sie haben Recht. MAX der eifrig mit Fitzherald und Aglaja gesprochen. Wenig Dank sind wir Ihnen schuldig, Mylord. Sie stören mit Ihrem unseligen Heiratsantrag ...

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FITZHERALD. Zounds Sir! Was ist das: unselig? – Selig weiß ich, aber u n selig ... Mit plötzlicher Heftigkeit. Nehmen Sie das Un zurück! MAX. Verstehen Sie doch einen Scherz! FITZHERALD. Ich verstehe never ein Scherz! HELENE. Dann verzeihen Sie Mylord, wenn ich dasselbe Recht für mich in Anspruch nehme, und Ihnen sage, daß mich Ihr Benehmen verletzt – beleidigt. Was berechtigt Sie, in mein Haus einzudringen? Ist seine Bewohnerin ein Gut, nach dem man, um es zu besitzen, nur die Hand auszustrecken braucht? FITZHERALD. Nicht um zu besitzen – um zum Altar zu führen Sie! HELENE. Wer sagt, daß ich Ihnen dahin folgen will? FITZHERALD. Mein Verstand Miss. Eine Theaterspielerin heirat immer gern einen Lord. MAX zu Aglaja. Ein Menschenkenner. Wie? AGLAJA. – Ja und – Nein. Für sich. Man kommt sich wirklich vor – wie gar nicht auf der Welt. HELENE. Also daß ich eine Schauspielerin bin, rechtfertigt Ihr Benehmen? Einer anderen Frau gegenüber hätten Sie niemals gewagt ... FITZHERALD. Eine andere Frau hat schon einen Mann, oder – eine Mother ... Sie gehören der großen, weiten Welt – Sie sind – – HELENE. Doch nicht vogelfrei, weil ich ohne Beschützer bin – ohne Familie? ... Mylord – Sie sind kein Gentlemann! FITZHERALD einen Schritt zurücktretend. O! MÜLLER zu Helene. Mässigung! – Ich kenn Sie nicht mehr. HELENE. Todesangst verzehrt mich ... Er kommt nicht! AGLAJA für sich. Ich muß ihr zu Hülfe kommen. Zu Fitzherald. In I h r e m Interesse Mylord. Ihr Antrag ist gestellt, gönnen Sie meiner Freundin Zeit, ihn zu überlegen. FITZHERALD. – Überlegen ... So? – AGLAJA zu Helene. Und nun – gute Nacht, mein Engel. HELENE. Gute Nacht. AGLAJA. Auf Morgen theures Herz ... Ach! – da fällt mir ein: Wie komm’ ich heim? Mein dienstbarer Geist vergißt mich, scheint es ... Ich kann doch nicht allein – so spät ... HELENE. Conrad soll Dich begleiten. MAX. Das Fräulein zu Fusse nach Hause schicken? – Das ist unmöglich. Was meint Mylord? FITZHERALD. Mein Wagen ist zu Ihrer Disposition, Miss. AGLAJA. O Mylord! ... Wie gütig! ... Ich weiß wirklich nicht, ob ich – Gebrauch machen darf ... FITZHERALD. Machen Sie – ich bitte. AGLAJA. Wenn Sie es durchaus wollen ... Wendet sich.

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MAX leise zu Fitzherald. Man wartet auf Ihren Arm. FITZHERALD. Ich habe gesagt: „Mein Wagen steht zu Ihrer Disposition, Miss.“ Von mein Arm habe ich nichts gesagt. HELENE. Ich ersuche Sie, das Fräulein zu Ihrem Wagen zu begleiten. FITZHERALD. – Sie ersuchen? Nach einer kleinen Überlegung. Miss! – Finally: refusiren Sie mich? HELENE. Ja Mylord. FITZHERALD, Aglaja den Arm reichend. Ich bin ein Gentleman Miss – but Sie – sind eine Thörin. Ich werd’ in England erzälen, daß Sie sind eine Thörin, wenn ... Sie sich nicht vielleicht doch – überlegen. Ab mit Aglaja. HELENE. Ich ertrage die Ungewißheit nicht länger! MAX für sich. Bei Gott! Freund Heinrich versteht die Kunst, sich interessant zu machen. Man zittert um ihn? – Auch um mich soll man zittern! Laut. Mein Fräulein, dieser Insulaner hat Sie beleidigt – meine Wut ist grenzenlos – mein Rachedurst unersättlich! ... Dennoch – soll er gesättigt werden. Ich gehe, Mylord aufzusuchen, Rechenschaft zu fordern ... HELENE. Ja – gehen Sie. MAX. Halten Sie mich nicht zurück! ... Er – oder – ich ... Vielleicht Beide. Ich gehe. Für sich. In’s – Casino! Max ab. MÜLLER für sich. Wir sind allein. Jetzt muß ich reden – Mut denn! ... Ich k a n n es ihr nicht ersparen ... Zögernd. Meine arme Helene ... HELENE wirft sich auf das Sopha. Ich leide Freund! Lauschend. Hören Sie! ... Man öffnet das Thor ... MÜLLER. Das ist Heinrich. HELENE freudig. Ha! ... Mutlos. Nein – er ist’s nicht. MÜLLER. Ich irrte. Es ist Bergtal, der den Lord ermorden geht. HELENE. Oder – eine Partie Wist mit ihm spielen. MÜLLER. – Mein gutes Kind – ich ... HELENE abwesend. Sie gehen Müller? Gute Nacht. MÜLLER. Gute Nacht denn. Wendet sich. Zurückkommend. Noch wollt’ ich Ihnen sagen ... HELENE. Was? MÜLLER. Es sind – Nachrichten gekommen von ihrem kranken Vater. HELENE lebhaft. Und Sie verschweigen mir? ... MÜLLER. – Der Brief traf während der Vorstellung ein. HELENE. Wo ist er? – Geben Sie! MÜLLER als ob er ihn suchte. Ja – wo ist er nur? ... Ich hab’ ihn wohl zu Hause vergessen. HELENE. Zu Hause? – Sie sagten doch eben – MÜLLER. Im – Theater – meint’ ich. Es ist auch gleichviel. Ich habe den Inhalt genau behalten. Er zeigt in kurzen Worten an, – daß – keine Besserung eingetreten.

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HELENE. – Doch auch – keine Verschlimmerung? Nicht wahr, lieber Müller, keine Verschlimmerung? Mit wachsender Unruhe. Ach – da will ich ja dem Himmel danken ... Er aber – Heinrich – In Thränen. Guter Gott – schütze ihn! MÜLLER. – Liebes Kind ... Für sich. Nein! – Morgen ist ja auch noch ein Tag, und immer zu früh erfährt sie das Traurige. Laut, ihr beide Hände reichend. Auf Wiedersehen! Auf den Contrakt zeigend. Morgen wird d i e s e Angelegenheit in Ordnung gebracht – und dann fort nach Petersburg! ... Wann reisen wir? – HELENE. Ich weiß nicht. – Auf Wiedersehen Müller. MÜLLER im Abgehen. „Auf Wiedersehen – Müller.“ – Einst hieß es: Lieber, guter Freund ... Einst ... Nun ja! Einst ist nicht jetzt. Ist’s für Niemanden. Willst D u etwas Apartes haben – Müller? – Er geht ab. HELENE allein. Er geht – eine schlimme Botschaft auf dem Herzen ... Er verheimlicht mir ... Mein armer Vater! – – Ich muß Gewißheit haben. Geht zur Thüre. Müller! Zurückkommend. Nein, kein neuer Schmerz jetzt, wo meine Seele um Dich zittert Heinrich! ... Doch wie? soll in meiner Liebe zu Ihm jede andere untergehen? ... Guter Gott, fordre nicht Rechenschaft von diesem Gefühle, wenn Du einmal mit mir in’s Gericht gehst! ... Wenn Er ihn trifft ... W e n n trifft? Wer ist so dreist, mir Geschenke anzubieten? – Wechsel! ausgestellt auf meine Ehre – zalbar durch Erniedrigung? – Dergleichen wagte man doch sonst nicht – Was berechtigt jetzt zu der K ü n s t l e r i n steigt?

Fünfter Auftritt HEINRICH.

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HELENE. Du bist’s! ... Dank dem Himmel! HEINRICH. Fassung. Was besorgtest Du? HELENE. Deine Heftigkeit – einen Gegner, der es nicht liebt zur Rede gestellt zu werden. HEINRICH. Kennst Du ihn denn? ... Weißt Du? – HELENE. Nichts von ihm – ich schwör’s! HEINRICH. Keine Betheuerungen. Ein Ja oder Nein genügt. Du stehst nicht mehr auf der Bühne, spielst nicht mehr Comödie. HELENE. Heinrich! ... Mit Überwindung. – Wen trafst Du vor dem Hause? HEINRICH. Jemanden, mit dem man sich nicht schlägt. HELENE. Ich athme auf. – Es war?

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HEINRICH. Ein Sekretär des Prinzen. Ich warf ihm die Sendung seines Herrn vor die Füsse, und trug ihm die Meldung auf, daß künftig jede Zeile an Dich durch meine Hände geht. Hab’ ich Recht gethan? HELENE. Welche Frage! D u hast’s gethan. HEINRICH. Daß ich’s verdiente, dieses ehrende Wort! Helene wozu hast Du mich gemacht? ... Hin ist die letzte Spur von Ruhe in meiner Brust – hin der Glaube an Offenheit und Güte! ... Ich zweifle, wo ich vertrauen sollte – ich könnte vernichten was ich anbete – – O versöhne den furchtbaren Zwiespalt meines Innern! HELENE. Mein Leben gäb’ ich, es zu können! HEINRICH. Mit einem W o r t e kannst Du es. Soll ich’s nennen? Ist’s möglich, daß Du meine Leiden kennst – nicht aber ihren Grund? – HELENE. Ich kenne ihn. Du liebst Helene, und – hassest die – Schauspielerin. HEINRICH. So lange Du es bist, heißt mein Leben Pein und Todesangst. Nicht mir gehörst Du – Du gehörst dem Theater. Das Urteil, die Bewunderung der Menge haben ein Recht auf Dich, denn Du forderst sie heraus. Mit Geld erkauft sich der Genuß Deines Anblicks – Dein Name prangt an den Strassenecken ... Eine Schauspielerin! ... Das ist Öffentlichkeit, Zeitungsreklame, Tagesgespräch ... HELENE. Aber auch Ruhm und Begeisterung! Freude am selbstgeschaffenen Schönen, Stolz auf die Kraft es schaffen zu können! ... Daß mir’s gelänge, Dich mit ihr zu versöhnen und ich ford’re keinen Triumpf mehr von meiner Kunst! ... Lieber Heinrich, könntest Du Dich meiner Thätigkeit freuen – dulden, daß ich ihre Früchte Dir zu Füssen lege ... HEINRICH. Du verwechselst die Rollen. Selbst strebt der Mann, und an s e i n e n Erfolgen erhebt und freut sich das geliebte, liebende Weib. Das ist ihr Beruf – sie hat keinen andern. HELENE. Irrtum Heinrich! – Ich glaube an den meinen. In seiner Erfüllung liegt die Bestimmung und Pflicht meines Lebens. HEINRICH. Pflicht? ... Du hast die heiligste verletzt, als Du ihm folgtest. Gegen Deiner Eltern Willen ergriffst Du Deinen Stand, verliessest segenlos das Vaterhaus. Die Mutter starb und rief vergeblich in der letzten Stunde nach Dir. Im Kreise der Kinder, die an ihrem Todtenbette standen, fehlte Eines – das liebste – Du fehltest. HELENE, das Gesicht in beiden Händen. – Ich fehlte! HEINRICH. Und Du konntest Dich Deiner Triumpfe freuen, trotz des fürchterlichen Preises, womit Du sie bezaltest: Dem Glücke der Deinen, das Gott Dir anvertraut? HELENE. Auch meinen Beruf hat mir Gott anvertraut. HEINRICH. Du warst ein Kind, als Du ihn wältest! Du hofftest, ja – Du trotztest auf den Erfolg, diese{r} höchste{n}, nicht: gerechteste{n} Krönung unserer Thaten. Sie ward Dir geschenkt ...

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HELENE. Geschenkt? HEINRICH. Wie aber, wenn das Glück Dir den Erfolg nicht entgegengetragen hätte – wenn Du gedemütigt und enttäuscht ... HELENE. Nicht entgegen g e t r a g e n ward mir der Erfolg. Ich hab ihn errungen – erringen müssen, weil mein die Kraft, mein der begeisterte Wille. Geschenk aber – nur diese Kraft, und mit ihr: Verpflichtung, sie zu üben. HEINRICH. Das ist Dein Wahn! ... Des Weibes Beruf heißt lieben, und nicht – glänzen. Schmerzlich hast Du es selbst erfahren. Fand ich in der vergötterten Schauspielerin eine glückliche Frau? – Ich fand ein armes, einsames Geschöpf. Daß ich sie also fand, – warf mich ihr zu Füssen. Die ruhmgekrönte Künstlerin hatte mich kalt gelassen, das schwache, liebebedürftige Weib schloß ich entzückt an meine Brust! HELENE. Laß es da ruhen, und Du brauchst ihm nicht zu sagen, wie arm es war, eh Du’s geliebt. – Ach ja! mit geschlossenen Augen ging ich an den Seligkeiten des Lebens vorbei, nur an der Grösse der Entbehrung die des Besitzes ermessend. Rastlos treibt der Beruf – die Jugend floh, ich stand im Zenith meines Lebens und meiner Kunst. Und als ich von diesen Höhen zurückblicke auf die vergangene Zeit, und ausruhen will: „Ruhm hat mir Gott gegeben – wo aber blieb das Glück?“ – – – Da trittst Du mir entgegen – ich fasse Dich, ich habe Dich, und in Deinem Besitze die Krone aller menschlichen Glückseligkeit! HEINRICH. Drücke ihren frischen Kranz auf Dein Haupt, und entsag’ den Flitterkronen, womit Du es bisher geschmückt. Beglückend nur kannst Du glücklich sein ... HELENE. Bin ich’s denn nicht? HEINRICH. Ich aber – bin ich es auch? HELENE. O Heinrich! HEINRICH. Ich bin es nicht, und werde es nicht sein, bevor Du mir geopfert ... HELENE. Die Kunst?! – Nein! Das forderst Du nicht ... HEINRICH. Alles fordert die Liebe, weil sie alles vergilt. O die meine hat nicht gekargt. Freudig gab sie alles hin: die Neigung angebeteter Eltern, eine holde Braut ... HELENE. – Die Du nie geliebt! ... Wie kommt der Name jetzt auf Deine Lippen? ... Weh mir, wenn noch eine Erinnerung an sie in Deinem Herzen Raum hat! ... Wenn ich nicht weiß, daß ich allein Dich beglücken kann – keine Andere auf der ganzen Welt – was war dann meine grenzenlose Hingebung? – HEINRICH. Laß sie eine grenzenlose sein, und jeder Zwispalt ist gelöst. Ich habe Dir mein Dasein geweiht, gib mir dafür Deine Kunst! HELENE. Ich sah ihren Lohn in Deiner Neigung! Sie gab meinem Erkennen die Vollendung – meinem Streben das Ideal. HEINRICH. Traurig für mich, wenn Dir meine Liebe nur Mittel schien, nicht

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alleiniger Zweck, wenn Du in ihr nur die Hand gesehn, die Dich auf die Gipfel des Ruhmes trug. HELENE. Nein! Nein! HEINRICH. Aber mein Leben soll nicht darben, damit Deine Kunst schwelge. Hör mein letztes Wort ... HELENE. Sprich’s nicht aus! Ich kann meinem Berufe nie entsagen. HEINRICH. Wähle zwischen ihm und mir. HELENE. Heinrich! ... Auf meinen Knieen flehe ... HEINRICH. – Keine Scheu! ... Nichts, das mich mahnt – Sich bezwingend. Du hast mein letztes Wort gehört – erwäg’s. Rat bringt die Einsamkeit, ich lasse Dich allein. HELENE. Kannst Du mich jetzt verlassen, wo zum ersten Male eine Frage ungelöst schwebet zwischen Dir und mir? – HEINRICH. Ich komme Morgen, Deine Entscheidung zu hören. Deine Entscheidung über zweier Menschen Geschick. Wende sie wie Du – darfst. Morgen Helene. Er will gehen. HELENE. Aber doch die Hand – nach der ich weinend die meine strecke? – Zum Abschied doch die Hand? – HEINRICH einige Schritte gegen sie. Helene! Sich rasch abwendend. Leb wohl. Eilt hinaus. HELENE. Er geht!

Zweiter Aufzug Dekoration des vorigen

Erster Auftritt HELENE auf dem Sopha liegend. MÜLLER tritt langsam ein. HELENE erblickend, eilt er auf sie zu.

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MÜLLER. Schon wach? ... Oder soll ich sagen: noch wach? ... Die Lampen im Verlöschen – die Kerzen tief herab gebrannt ... Sie selbst – nicht umgekleidet? ... Sie haben die Nacht hier schlaflos zugebracht! HELENE. – Schlaflos. MÜLLER. Mein Gott wie sehen Sie aus? ... Was ist Ihnen? HELENE. Nichts – so viel wie nichts. Mich fröstelt. MÜLLER schellt, Conrad kommt zu ihm. Feuer in den Camin! Hinaus die sterbenden Lichter! – Die Fensterläden geöffnet! Zu Helene. S’ist heller Tag, die Sonne prangt in vollem Glanze. HELENE. Eine Wintersonne. Kurze Herrlichkeit! MÜLLER. Doch darum nicht minder eine Herrlichkeit. CONRAD nachdem er Müller’s Befehle vollzogen, ab. MÜLLER. Hieher. Er führt Helene zum Camin, wo sie in einem Lehnstuhl Platz nimmt. So! – Nehmen Sie den Mantel, und – die welken Blumen aus Ihrem Haar. HELENE die Blumen herabnehmend. Welk? also – todt. Verblühen ist sterben. Sie wirft die Blumen in den Camin. Müller’n die Hand reichend, mit einer plötzlichen Wendung. Sie verliessen mich gestern, eine traurige Nachricht auf den Lippen – MÜLLER. Wer hat Ihnen gesagt? – HELENE. Ihr treues Auge, das noch immer nicht lügen lernen will. – Reden Sie. Ich kann jetzt Alles hören – bin sehr gestält. Wie steht’s mit meinem armen Vater? MÜLLER. Nicht gut. Der Arzt – gibt – wenig – Hoffnung. HELENE. Ich muß ihn noch sehen! ... Ich will zu ihm. MÜLLER. Ach – Sie sollen ihn – nicht mehr sehen. HELENE. Nicht mehr – sehen? ... Er ist todt?! MÜLLER. Todt. HELENE. Im Groll gegen mich gestorben! ... Oder – hat er mir verziehen? ... Hat er? Müller reicht ihr schweigend einen eröffneten Brief, sie liest. – O Gott – – ein ganzes Leben ist zu kurz, um es zu beweinen –: Er starb – und hat mir – n i c h t vergeben!

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MÜLLER. Ein höherer Richter spricht Dich frei – ein – strengerer: Dein eigenes Bewußtsein. Sei stark mein Kind! ... Trifft Dich Dein Verlust denn unvorbereitet? HELENE. Jahrelang hab’ ich vor ihm gezittert – nun kommt er wie ein Plötzliches. MÜLLER. Getrost meine Tochter! Dein Vaterhaus war längst nicht mehr bei Ihnen ... Dein Vaterhaus ist das Theater, Deine Heimat überall, wo die Kunst eine Heimat hat. Wir hängen nicht an der Scholle – Gott sei Dank! – Unsere Familie ist nicht in vier Mauern eingeschlossen. Wo uns ein Mund entgegen lacht, wo wir ein Herz rühren, da ist unsere Familie. Die stirbt so leicht nicht aus, und – wir brauchen keine andere. HELENE. Wirklich nicht? Geht auf ihn zu, und faßt seine Hände. Alter Freund – was glänzt denn da auf Deiner Wange und straft Dich lügen? MÜLLER. – Laß es gut sein. Nicht uns selbst – die Andern rühren ist unser Gewerbe. – Vernünftig, Kind! und hör’ mich an. Dein Vater ist todt; die leise Hoffnung, die Du noch nährtest, ihn zu versöhnen – zerstört. Jetzt hält Dich nichts mehr hier zurück – Du kommst mit mir nach Petersburg. Auf den Contrakt zeigend. Solche Bedingungen bietet man uns nicht alle Tage – Reicht ihr eine Feder. Unterschreibe! HELENE. – Nicht jetzt. MÜLLER. Und wann? – und warum, nicht jetzt? HELENE. – Sie sollen es hören. – Bald. MÜLLER. Gut denn: Bald! ... Dann aber will ich keine Ausflüchte hören. Hier ist der Entwurf meines Briefes an die Direktion des deutschen Theaters in Petersburg. Darf ich ihn an Deinem Schreibtische in’s Reine bringen? HELENE. Gewiß. MÜLLER. Er soll noch Vormittags auf die Post. Ich gehe. Wendet sich im Gehen noch einmal zurück. Vernünftig, liebes – liebes Kind! Ab nach links. HELENE allein. – So ist es denn gekommen! ... Ermiß Dein Leid – und fühl es ganz, und trag’ es ganz – wenn’s Deine Kraft vermag ... O Gott! ist es D e i n Ruf, für den ich mein Herz zerreisse und das Herz der Meinen? – Du machst Kindesliebe Allen zur Pflicht – warum nicht mir? ... Steh’ ich, ein besonderes Wesen unter besonderem Gesetz? – Deiner Erwälten Eine! ... Wag’ ich’s mich dafür zu halten? – Bin ich es, weil die Menge mir zujauchzt? – Sie hat tausend grössere mit Füssen getreten, und tausend Mal die Gemeinheit gefeiert. – Wenn ich berufen bin, was will der Zweifel? ... Was will die Reue die zu mir spricht: „Du liessest alle Hoffnungen unerfüllt, die treue Eltern auf Dich gesetzt. Für ihre Sorge welcher Lohn? Für ihre Liebe welcher Dank? – Ein einsames Alter – ein verödetes Haus ...“

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Zweiter Auftritt HEINRICH

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HELENE ihn erblickend. – Heinrich ... HEINRICH. – Deine Entscheidung! ... Wie? – in Thränen? – O ich errathe – Dein Vater – HELENE. – Todt, lieber Heinrich. HEINRICH drückt sie in seine Arme. Meine arme Helene! HELENE. Das war der alte Ton! – Du liebst mich noch – nein – Du liebst mich w i e d e r – O Lieber! – Bin ich Dein? HEINRICH. – Bist Du’s? – Ich frage Dich. HELENE. Du fragst – wie gestern? – HEINRICH. Wie gestern. HELENE. – Nein! Schmeichelnd. Ford’re, w a s Du willst. – Gibt es einen Liebesbeweis, den ich Dir noch versagt – ich weiß keinen – doch bitt’ ich: ford’re ihn! HEINRICH. Ich hab’ ihn ja gefordert. HELENE. Nur diesen Einen nicht ... HEINRICH heftig. Helene! ... Sich bezwingend. Alles verläßt das Weib um den geliebten Mann – Vater und Mutter – ihre Heimat – ihr Haus ... HELENE. Nicht ihren Gott! ... Das Tagwerk nicht, wozu Er sie berufen. Wirst Du es nie begreifen? mein ganzes Leben wäre nur Eine Lüge, wenn ich’s vermöchte, dem zu entsagen, was mir bisher das Höchste und Heiligste gewesen. Wofür hätt’ ich gerungen? wofür das Herz der Meinen zerrissen? ... Für e i n e n I r r t u m hab’ ich es gethan, wenn je die Stunde schlägt, in der ich meinem Berufe treulos werden kann! HEINRICH. Irrtum auch und Lüge war mein Glaube an die Heiligkeit der Ehe, wenn ich mich je mit einer Schauspielerin vermäle. Entwürdigt käm’ ich mir vor, wenn mein Weib meinen Namen auf die Bühne schleppte, wenn ich sie dort Empfindungen spielen sähe, die zu erwecken ich allein ein heiliges Recht besitze. Eine traurige Verbindung von Wirklichkeit und Täuschung wäre mein zweifelhaftes Glück. Das Fantom Deiner Bühnenerscheinung verfolgte mich bis in die Wonnen unserer Umarmungen. Im Entzücken Deines Kusses würd’ ich mich fragen was echtes – was geheucheltes Gefül! HELENE. Mein Gott! HEINRICH. Zum letzten Mal: Wähle! – mich oder Deine Kunst. HELENE. Hab’ Erbarmen! HEINRICH. ... Keine Worte! Wähle! HELENE. – So verzeihe mir Gott –: Dich! – Ich kann nicht anders. – HEINRICH. Meine Braut! Mein Weib! HELENE. O Heinrich ...

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I. Text

HEINRICH. Jetzt bin ich Dein mit jedem Schlage meiner Pulse ... Gebiete – herrsche über mich – Du sollst es nie bereuen, mir Dein Bestes geopfert zu haben! HELENE. – Mein Bestes! ... Wenn nur nicht zugleich alles Gute in mir.

Dritter Auftritt

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CONRAD meldend. Baron Bergtal. Conrad ab. MAX tritt ein. Verzeihen Sie, mein Fräulein, daß ich zu so ungewohnter Stunde bei Ihnen erscheine, ein dringender Auftrag für Heinrich den ich hier zu finden wußte ... HEINRICH. Für mich? MAX. Dein Vater war bei mir ... HEINRICH. Nun? MAX. Er trug mir auf ... Stockt, mit einem Blicke auf Helene. Ich – HELENE. Entschuldigen Sie mich. Will gehen. HEINRICH. Bleibe! Zu Max. Und Du – sprich. Ich habe kein Geheimniß vor meiner Braut. MAX verlegen. In der That – Für sich. Da haben wir’s! HELENE. Ich aber bedarf der Ruhe. Erlaube mir, sie aufzusuchen. Ab, mit einer Verbeugung gegen Max. MAX. Bei allen Grillen, die je einen verrückten Kopf bevölkert: Das ist zu toll! HEINRICH. Was hast Du mir zu sagen? MAX. Unangenehmes – im Auftrage Deines Vaters. Du erhältst die gewünschte Sekretärstelle nicht. HEINRICH gleichgültig. So? MAX. Man erzält sich von der Ungnade eines gewissen Prinzen, die sich gewisse Leute, einer gewissen Schauspielerin wegen, zugezogen. HEINRICH. Erzält man sich? MAX. Ein jüngerer Beamter erhält den Dir bestimmten Posten. Du gehst statt {ihm} 〈seiner〉 nach der Provinz. HEINRICH. Vortrefflich. Helene wird den Aufenthalt daselbst jenem in der Residenz vorziehen. MAX. Und die Zurücksetzung, die Unehre für Dich? HEINRICH. Unehre? ... Als ob mir die ein Anderer geben könnte! MAX. Freilich, Du gibst sie Dir schon selbst, indem Du Dein Wort brichst, und Deines Vaters Herz. HEINRICH. Genug! MAX. O wenn m i r Einer dergleichen zugemutet, – ich würde die Achseln gezuckt, und gedacht haben: „Wer weiß, wessen ein Mensch meiner Art

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fähig ist.“ Demjenigen, der es von Dir erzälte, hätt’ ich in das Gesicht geschlagen. HEINRICH. Mache mich nicht toll! MAX. Du bist’s! ... Weiß Gott, wenn Du d e n Entschluß vollführst, versteh ich nicht mehr Schwarz von Rot, und Tag von Nacht zu unterscheiden. HEINRICH. Verzichte denn auf diese Fähigkeit. MAX. Die letzten Tage haben Deinen Vater zum Greise gemacht. Ich bin kein weichherziges Weib, aber die Miene, mit welcher er heute bei mir eintrat, – wünsche ich vergessen zu können. Niemals hing ich an meinem Vater wie Du an dem Deinen, doch um alle Seligkeiten des Himmels und der Erde, möcht’ ich eine solche Miene bei dem alten Mann nicht sehen. HEINRICH. Hör auf! Du peinigst grausam und – vergeblich. MAX. Du bist also entschlossen, Dich mit einer Schauspielerin zu vermälen? HEINRICH. Helene ist es nicht mehr. MAX. Was?! HEINRICH. Sie verläßt die Bühne. MAX. Im Mittage ihres Ruhms? ... Das kannst Du nicht fordern. HEINRICH. Und hab’ es doch v e r l a n g t . Fühlst Du jetzt, daß ich ihr jedes Opfer bringen muß? MAX. Nur den braven Mann darf Dich’s nicht kosten. HEINRICH. Ich will zu meinem Vater. Er schliesse entweder Sie und mich, oder keines von uns Beiden jemals wieder an seine Brust. MAX. Du gehst? HEINRICH. – Noch Eins! ... Ich werde meinen Vater sprechen, nicht – Sofie ... Wenn Du sie sehen solltest, sag’ ihr – MAX. Nun? HEINRICH. – Nichts ... Leb wohl. Ab durch die Mitte. MAX allein. – Nichts? ... Ich will’s ausrichten. O der Unsinn! der vermaledeite Unsinn! ... Das soll eine Ehe werden? – Eine Hölle – ja! Glück erkauft durch unmögliche Opfer, das ist – unmögliches Glück. Heinrich? – so gut reißt sich der Ast vom Baume, wie d e r vom Herzen seiner Eltern. Helene? – so gut leb’ ich ohne Kopf, wie d i e ohne ihre Kunst. Die Leute wollen zusammen reich werden, und jeder begehrt den Bankerott des Andern, bevor er ihn zum Compagnon annimmt ... Kleine Sofie! Dich hatten die Götter – Gott, will ich sagen, für ihn geschaffen. Man brauchte das Kind nur anzusehen, um zu wissen: „So muß sie sein, die ihn beglücken soll.“ – Ja – selbst Helene, ihr gegenüber gestellt, müßte gestehen: Die ist’s, die für ihn gehört! ... Hätte der Zufall sie nur einmal zusammen geführt, wer weiß, wie der Anblick des Mädchens – – der Zufall? – ja warum muß es denn der Zufall sein? ... Halt! – da liegt vielleicht ein Mittel zur Heilung. Wir wollen uns die Sache doch überlegen! Ab, durch die Mitte.

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Vierter Auftritt HELENE. MÜLLER.

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MÜLLER. Bei allem was Ihnen heilig ist: widerrufen Sie diesen fürchterlichen Entschluß! HELENE. – Ich kann von Ihm nicht lassen. MÜLLER. Sie haben der Kunst schwerere Opfer gebracht. HELENE. Keine entehrenden! MÜLLER. Erlauben Sie – HELENE. Welcher Kampf mein Freund! welcher Kampf derjenige, in dem ich mir die Überzeugung errang: Du kannst nicht von Ihm lassen! ... Trennung von meiner Kunst ist der – Tod; – Trennung von Heinrich ist Erniedrigung, ärger als der Tod. MÜLLER. Erniedrigung? HELENE. – Vor Ihm – vor mir selbst. Ich bin seine Braut, er hat mir Opfer gebracht – MÜLLER. Nun hören Sie, wenn alle Menschen so empfinden würden! HELENE. Und wenn keiner unter allen so empfindet – empfinde i c h darum weniger so? MÜLLER. – Dennoch – HELENE. Dennoch?! MÜLLER. – Helene, bleib’ Deiner Kunst getreu! HELENE. Und Heinrich? – soll ich ihm sagen: Geh, weil Du mich ausschliessend liebst, und ausschliessend geliebt sein willst? MÜLLER. – Ja. – Du sollst es ihm sagen. HELENE. Ich soll – will ich auch? – Sie vergessen bei alledem nur die Kleinigkeit, daß ich ihn liebe! MÜLLER. Schlimm genug. – Aber – ob er Dich liebt – HELENE. Müller! MÜLLER. – Dich begreift? ... Er begreift Dich nicht! Er begreift gar nichts als seine eigenen Hirngespinste, die wieder kein Anderer begreift! ... Was bildet er sich ein? – Die Kunst sollst Du aufgeben? ... Lächerlich! ... Glaubt er, Du könntest sie aufgeben? ... Glaubt er, Du wirst dann keine Künstlerin mehr sein, wenn Du von der Bühne herunter steigst? HELENE. Nicht die Künstlerin macht er mir zum Vorwurf, nur die Schauspielerin. MÜLLER. Pah! Pah! die Künstlerin verträgt er ebensowenig als die Schauspielerin. Was ihm ein Gräuel ist, das ist die Ausnamsstellung ... Hitzig. Aber jeder Ausnamsmensch hat eine Ausnamsstellung, macht sie sich unwillkürlich selbst. Das ist so einfach! das – HELENE. Genug Müller – mein Entschluß ist gefaßt.

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MÜLLER. Unwiderruflich? HELENE. Unwiderruflich. MÜLLER. – Gut ... Dann sag’ ich nichts mehr. Heirate ihn! – Bisher hast Du angestrebt, daß die Ausgezeichneten Dich eine grosse Künstlerin nennen, – jetzt strebe an daß die kleinen Leute von Dir sagen: „Man sieht ihr ja das Gewerbe nicht an – sie ist wie eine gewönliche Frau.“ – Es wird Dir sauer werden. Ich zweifle ob Dir’s je gelingt ... Aber – ich sage nichts mehr. – – Der liebe Gott hat Dir Talent gegeben, die Menschen für das Höchste, Edelste zu begeistern – geh’ hin und übe Dich im Kochen! ... Gut – gut – ich sage nichts mehr! – – Auch im Rechnen übe Dich, was Du bisher nie lernen mochtest ... Helene Waldau wird nicht mit vollen Händen verschenken können, wie die gefeierte Schauspielerin. Helene Waldau wird Manches entbehren müssen! HELENE. Die Freude nie – mit Ärmeren zu theilen. Thu ich jetzt mehr? MÜLLER. Diejenigen, die Du an Deine Wolthaten gewöntest, werden Ja sagen. HELENE. Aber mein eigenes Herz wird Nein sagen. MÜLLER. – Freilich – Du hast immer Recht. Heirate! ... Weich. Nur denk’ in der neuen, fremden Welt, nie an die alte Heimat zurück – das Theater.

Fünfter Auftritt HEINRICH

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HEINRICH, in grosser Aufregung auf Helene zugehend. Helene! HELENE. Was ist Dir Heinrich? HEINRICH. Jetzt darf ich Dein Opfer annehmen. Das meine ist gebracht. HELENE. Welches Opfer? – Ach! – Angstvoll. Du warst – bei Deinen – Eltern? ... HEINRICH. Zum letzten Mal. MÜLLER. Ja warum denn – ich bitte Sie? HELENE. Um meinetwillen Freund! um meinetwillen! HEINRICH. Um Deinetwillen Helene! HELENE. Ach! MÜLLER. So? – um Ihretwillen ... HEINRICH, Helene an das Herz drückend. Ich habe Dich theuer erkauft – z u theuer – nicht! MÜLLER. Also lossagen müssen Sie sich von Ihren Eltern, um dieser Frau Ihre Hand reichen zu können? HEINRICH. Ich – habe mich losgesagt.

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MÜLLER. Sie haben sich losgesagt. Und dann? – und weiter? ... Dann soll’s unter den Verwünschungen der Ihrigen zur Kirche geh’n? ... Das soll’s nicht Herr! – Das nicht ... Unter solchen Umständen führt man eine solche Braut nicht heim! HELENE sich ihm nähernd. Ruhig, lieber Müller – MÜLLER ohne sie anzuhören. Sie sagen sich los von Ihren Eltern? ... Ihre Eltern sollen sich lossagen von ihrem lächerlichen Vorurteil – HEINRICH. Niemals! Niemals! MÜLLER. Das wäre vernünftiger. Kommt mir vor ... Hören Sie: ich wünsche Ihre Verbindung mit Helene gerade so sehnlich wie – Ihre Familie. Wenn aber Helene sie fordert, muß sie mit Ehren vollzogen werden ... Mir scheint Herr – Sie verstehen schlecht, die Sache Ihrer Braut zu führen. Das scheint mir. Nimmt Hut und Stock. Ich will jetzt mit Ihren Eltern reden. Sie sollen die Helene kennen lernen, der sie voll Abscheu die Thüre ihres Hauses weisen. – Das ist meine Schuldigkeit – ich thue sie. Mögen die Andern dann das thun, was sie für die ihre halten. Will gehen. HELENE. Bleiben Sie Müller. HEINRICH. Laß ihn. Gehen Sie Freund – sagen Sie ihnen – MÜLLER. Ich weiß, was ich sagen werde. Habe niemals auf den Souffleur gespielt. Ich werde alles sagen, was Sie hätten sagen – können. Im Abgehen. Und bei der Gelegenheit trag’ ich meinen Brief auf die Post, sonst bin ich vor ihm in Petersburg. Jetzt kannst Du allein reisen. Gute Nacht – Müller. Ab durch die Mitte. HEINRICH. Er mag’s versuchen, aber ich fürchte – ich weiß – es ist vergeblich. Er wirft sich auf einen Stuhl, das Gesicht in den Händen. HELENE. Heinrich – lieber Heinrich – HEINRICH. Verachte mich – mir ist, als hätt’ ich noch das Weinen nicht verlernt! HELENE. Das ist das Glück, das ich Dir bringe ... HEINRICH sich erhebend. Ich will’s verwinden! Auf meiner Seite ist das Recht – kann ich dafür, daß diejenigen, gegen die ich es verteidige, meine Eltern sind? ... Es war die schwerste Stunde meines Lebens. – Sie ist vorbei. HELENE. Nein! nein! Die schwerste k o m m t . Die Augen schliessen sich, die über Deine Kindheit wachten, die Eltern – sterben, die Du geliebt und gekränkt. Dann erhebt sich jede begangene Schuld – die kleinste wie die größte, mit dem Bewußtsein vor Dir – nie mehr gut machen zu können. Die Stunde, Heinrich – ist die schwerste. HEINRICH. Ist das Dein Trost? HELENE. Trost? – Es gibt keinen. Dafür nicht. HEINRICH. Wohlan denn! Kann die Wahrheit nur unter Schmerzen errungen werden, – leiden wir um sie ... Aber die g a n z e Wahrheit laß uns auch zu Ehren bringen – laß uns g a n z Recht behalten. Fortan weich’ ich nicht einen Schritt – ich will das Weib meiner Wahl geehrt sehen w e i l sie das

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Weib meiner Wahl. – Noch in der Schauspielerin sollen sie es achten, die Du bist und bleiben sollst! HELENE. Heinrich! HEINRICH. Sie haben die Schauspielerin geschmäht – ich werde mich mit der Schauspielerin vermälen, und sie soll ihnen Achtung abzwingen. HELENE. Wahrheit? – Wahrheit? HEINRICH. Sobald Du – willst. HELENE. – Nein – sag – faß ich’s – kann’s denn sein? ... So liebst Du mich? – so vertrauest Du auf mich? ... O selig sein ist herrlich – aber selig machen, ist göttlich! ... Heinrich – lebe hundert Jahr – trinke das Glück an allen Quellen der Freude – einen solchen Augenblick erlebst Du doch nicht wieder! Stürzt in seine Arme. HEINRICH. Meine Helene – HELENE. – Weißt Du was Du mir mit dem einen Worte schenkst? – das Leben! – Kein anderes war das Opfer, das Du von mir gefordert. HEINRICH. – Helene! HELENE. Nie wär ich eine Künstlerin gewesen, wenn es für mich ein Leben gäbe außer meiner Kunst. – Und wär’s ein Leben an Deiner Seite – elend wär’s! HEINRICH vorwurfsvoll. Helene!! HELENE. Unrettbar hätt’ ich hinwelken müssen in Deinen Armen. – Im Schooß des Glückes ohne Empfindung dafür ... HEINRICH. – Als Du zwischen mir, und Deinem Berufe – m i c h gewählt – wolltest Du also nur – HELENE. Mit Ehren sterben, aber meiner Kunst entsagen, hieß – sterben. HEINRICH. Durch mich! ... An meinem Herzen! ... HELENE. Nichts mehr davon – nichts mehr vom Sterben ... Jetzt willst Du ja, daß ich an Deinem Herzen lebe! HEINRICH in Gedanken. – So also liebst Du Deine Kunst – so liebst Du sie? ... HELENE. Mehr als Alles – nicht mehr als: Dich. Reicht ihm die Hand, mit dem vollen Ausdrucke der Liebe. Hab’ ich’s denn nicht bewiesen? Liessest Du mir nicht die Wahl? HEINRICH. Die Wahl – die Wahl – noch jetzt stand es Dir frei – mein Opfer – HELENE. – Dein – Opfer? – – HEINRICH wie oben. – Mit Ehren – sterben! ...

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Sechster Auftritt MÜLLER

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MÜLLER zu Heinrich. Ihre Mutter erwartet Sie. Jetzt sprechen Sie mit ihr. Ich habe mit ihr gesprochen. HEINRICH. – Ich gehe. – Von Helene werden Sie hören, daß ich den Kampf gegen meine Rivalin – die Kunst, aufgegeben habe. Ich vermäle mich mit der Schauspielerin, wenn sie – es bleiben – will. Er wendet sich zu gehen. MÜLLER. Waldau – Sie sind doch ein braver Mann! HELENE Heinrich nacheilend. Heinrich! HEINRICH für sich. Gott! Gott! was ist in alledem Wahrheit? HELENE. Was hast Du? HEINRICH. Es geht vorüber. Laß mich. Ab, durch die Mitte. MÜLLER. Sieg! vollständiger Sieg! ... O welch’ ein Glück! HELENE. – Ein Glück so groß, daß es – unmöglich ist! ...

Dritter Aufzug Dekoration der vorigen

Erster Auftritt

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CONRAD, die Thüre öffnend. Das Fräulein läßt bitten. AGLAJA tritt ein. Conrad ab. AGLAJA sich umsehend. Noch nichts gepackt? ... Nun, das heißt wie eine Prinzessin reisen, man setzt sich nur in den Wagen, das Gefolge mag aufräumen. – Ja ja mein werthester Lord, man setzt sich nur in den Wagen, aber – man setzt sich. Man reist wie eine Prinzessin, aber – man reist! – Sie werden traurig sein Mylord? Sie werden eine Trösterin zu schätzen wissen ... Wer weiß? ... Mein Gott, Niemand weiß! – Der Engländer hat einen gar zu langsamen Kopf! Der eintretenden Helene, entgegen eilend. Liebste Helene! HELENE. Willkommen Aglaja. AGLAJA. Zum letzten Male! ... Ach – mir will das Herz brechen! ... Sieht nach der Uhr, für sich. Um zwei Uhr, sagte er, nun ist’s ein Viertel über zwei. Laut. – Das Herz brechen! – Wie vortrefflich warst Du gegen mich – wie vielen Dank bin ich Dir schuldig! HELENE. Keinen, durchaus keinen. AGLAJA. Tausend Gefälligkeiten hast Du mir erwiesen! Jederzeit großmütig an mich gedacht ... Mit dem roten Schawl zum Beispiel ... Für sich. Unbegreiflich – er kommt nicht. Laut. Meine erste Liebe könnt’ ich vergessen – den roten Schawl Helene – vergesse ich Dir nie! HELENE. Kein Wort weiter von diesen Kleinigkeiten. Sie verstehen sich von selbst. Du hättest an meiner Stelle ... AGLAJA. Ebenso gehandelt: gewiß. O ich hätte auch jederzeit an mich gedacht ... Für sich. Jetzt wird geschellt. Laut. Jederzeit! CONRAD meldend. Lord Fitzherald. Ab.

Zweiter Auftritt FITZHERALD AGLAJA stürzt in Helenen’s Arme. Ich muß zur Probe. Lebe wohl! Zu Fitzherald, der am Eingange stehen blieb, tragisch. O Mylord – zu welchem Abschied kommen Sie! ...

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FITZHERALD vortretend, zu Helene. Ich komme auch – Abschied zu nehmen – Miss. HELENE. Ebenso liebenswürdig als – unerwartet Mylord. FITZHERALD. So? – AGLAJA pathetisch. Nach Petersburg Mylord! nach Petersburg! ... Das ist weit – man sollte nicht glauben w i e weit – besonders von England. Zu Helene. Sag’ ihm daß Du nach Petersburg reisest. HELENE. – Das kann ich nicht sagen. FITZHERALD. Nicht sagen? AGLAJA. Und warum? HELENE. Weil es nicht von mir abhängt. FITZHERALD. Nicht von Sie? AGLAJA. Von wem denn? HELENE. Von Heinrich Waldau liebe Aglaja, mit dem ich mich heute verlobte. AGLAJA. Verlobte?! Für sich. Ist mir noch lieber als Petersburg. Laut. Und das muß ich erst jetzt erfahren? – Eigentlich – habe ich mir’s längst gedacht. Du Herrliche – Gott segne Dich! ... O wenn die ewige Gerechtigkeit sich nicht – blamiren will – mußt Du glücklich werden! FITZHERALD mit mühsamer Fassung. Miss – ich hab gewußt es ... Im Casino weiß man Alles. AGLAJA. Auch mehr als Alles. FITZHERALD. Ich hab’ aber nicht wissen wollen es. Miss! ... Auch im Casino wird man sagen – daß Sie sind – eine Thörin! HELENE lächelnd. Dann ist es ja sehr gut für mich, daß mir die Urteile des Casino gleichgültig sind. FITZHERALD sieht sie eine Weile stumm an. Well. Wendet sich zu gehen, kehrt aber wieder zurück. Miss – ich habe Freundlichkeit für Sie – wahre Freundlichkeit ... Ich warne Sie! HELENE. Wovor? FITZHERALD. Wovor diese Heirat. Man sagt schlimme Sachen von diese Heirat. HELENE. Im Casino? FITZHERALD. Der Prinz hat eine Passion für Sie. Der Prinz ist Chef von Mister Wa – Wo – AGLAJA. Waldau? FITZHERALD. Es ist nicht gut wenn ein Chef eine Passion hat für eine Gemalin! HELENE. Was wollen Sie sagen? FITZHERALD. Ich warne Sie Miss! ... Ich warne Sie! ... Der Fürst, der die Regierung hat – ist sehr ungeduldig über die Passion von sein son. Diese Heirat soll wieder geduldig machen ihn – er soll denken: Alles aus for ever ... Heftig. Aber – n i c h t : Alles aus for ever – aber der Prinz ist Chef von Mister Waldau! HELENE. Ich verstehe noch immer nicht –

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AGLAJA. Mir scheint – i c h verstehe. O Pfui Mylord! Pfui! Pfui! Sie entrüsten mich. Meine Freundin Helene ist über einen solchen Verdacht erhaben! FITZHERALD. Aber – Mister – Waldau – HELENE. Sie zweifeln an Ihm? – – wohl nur Sie allein! AGLAJA. Dafür steh ich – einer solchen Handlungsweise ist er unfähig. HELENE. Welcher Handlungsweise denn? – Nennen Sie die Dinge bei’m Namen! ... Ich habe kein Geschick, Räthsel aufzulösen. FITZHERALD. Ich werde nennen. Man sagt – Mister Waldau nimmt Ihre Hand, um zu verstecken, wenn der Prinz nimmt Ihr Herz. HELENE. Schändlich! FITZHERALD. Das ist von Mister Waldau eine Wolthätigkeit, für welche der Prinz ... HELENE. Wie Mylord? – im Casino wo man Alles weiß, wüßte man nicht, daß Waldau sich gestern – um seiner Heirat willen – die Ungnade des Prinzen zugezogen? ... Daß er heute schon ihre Folgen empfand? FITZHERALD. Das weiß man. HELENE. Und was sagt man d a z u ? FITZHERALD. Man sagt, daß der Prinz und Mister Waldau sehr fiffig zum Werke gehen. HELENE. O die Bosheit ist der Verstand der Dummen! Sie gibt dem Albernsten – Gedanken. – Mylord – Sie werden jedes Ihrer Worte – jedes – in Gegenwart Herrn Waldau’s wiederholen. FITZHERALD. Very – well. Er wird hören kein Neues, er weiß schon, daß man weiß. HELENE. Himmel! ... FITZHERALD. Ein Freund von mir hat begegnet ihn, und jetzt weiß er. AGLAJA. Das fehlte noch! HELENE unruhig auf und nieder gehend. Er darf die Schmach nicht dulden. Gott! Gott! wohin soll das führen? FITZHERALD. Ich will auch begegnen ihm! ... Ich will auch ihm sagen ... AGLAJA. Nichts! ... Wenn Sie Freimütigkeit zu verschenken haben, so warten Sie damit den jungen Herrn Für sich. Will sagen: alten Weibern – Laut – vom Casino auf. Nützen wird es freilich auch nichts. Am Besten – man läßt die Zungen lästern, wie’s am Besten – man läßt die bösen Kinder schreien. Wenn sie nicht mehr können, hören sie von selbst auf. HELENE. Aber das Unheil ist geschehn! Ein guter Name zu Grunde gerichtet. AGLAJA. O Menschen! Menschen! ... Und was ist an alledem Schuld? – Deine Berümtheit. Wärst Du ein armes unbekanntes Mädchen, Niemand kümmerte sich um Herrn Waldau’s Heirat ... HELENE. W ä r ’ ich ein armes, unbekanntes Mädchen! AGLAJA. – Da er die grosse Walter heimführt – muß er sich das Gerede gefallen lassen. Wer sich darüber grämen wollte! – Wir Künstlerinnen behielten kein

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Haar auf dem Kopfe. – Die Laffen die uns lästern, verschreiben sich doch alle dem Teufel für ein Lächeln von uns! ... Und ihr Gewäsche sollte Dich ... HELENE. Von mir ist nicht die Rede. Zu Fitzherald. Sie kennen Waldau nicht Mylord – ich will zu vergessen suchen, daß Sie ihn einer Niederträchtigkeit fähig hielten. Denjenigen, die ihn kennen und sie ihm zutrauen, denen fehlt, um sie selbst zu begehen, nur – die Gelegenheit. FITZHERALD. O! O! HELENE. Adieu Mylord. FITZHERALD, wendet sich ab, kehrt aber wieder zurück. Miss! ... Wenn Sie werden wollen Lady Fitzherald, werden die Menschen schweigen. HELENE. Dann freilich muß man sie reden lassen, denn ich will nicht Lady Fitzherald werden. FITZHERALD. Adieu Miss ... Wenn Sie sich vielleicht doch überl... HELENE. Adieu Mylord. FITZHERALD. Adieu Miss. Verbeugt sich gegen Helene, und geht ab. AGLAJA, für sich. So? – Und mich grüßt er nicht einmal? Laut. – Das ist ein dummer Engländer, Du hast ganz Recht, ihn spazieren zu schicken ... Ja – das bildet sich ein, weil es ein Lord ... Aber Helene wo bist Du? ... Wach’ auf! – Ich glaube gar Du triffst Anstalt, Dir ein Stadtgeschwätz zu Herzen zu nehmen? Sieht nach der Uhr. – Ach Du lieber Gott – schon drei Uhr! ... Und das neue Stück, und die Probe! Für sich. Jetzt heißt es wieder Strafe zalen. Laut. Ich bin zwar unwol, könnte mich entschuldigen lassen ... Gott meine Migraine! ... Nun bemerke ich erst, wie heftig sie inzwischen geworden – aber ich gehe doch. Die Herrn Regisseurs sollen nur sehen, wie man sich aufopfert für die Kunst. Stürzt in Helenen’s Arme. Theures Herz – wie lieb’ ich Dich! – bei’m Abschied fühlt man das. Für sich. Wenn ich Migraine habe, können sie mich nicht Strafe zalen lassen. Laut. Schreibe mir – von dem Leben in Petersburg, dem Theater – von Dir vor Allem – und von der eleganten Herrnwelt. Vielleicht vermittelst Du ein Gastspiel – Du kennst meine Vielseitigkeit. Und so: Lebe wohl!

HELENE. Leb’ wohl Aglaja. AGLAJA. – Mit blutendem Herzen! – Preßt das Tuch vor’s Gesicht und stürzt hinaus. HELENE allein. – – Kein Schatten lag auf seiner Ehre ... Sein Name wird mit dem meinigen genannt, und der niedrigste Verdacht wagt sich an ihn! ... „Ein armes, unbekanntes Mädchen?“ – O wir ärmeren – berümten Frauen! ... Was fragt die Verläumdung darnach, ob unser Leben fleckenlos gewesen – es erhob sich über die Gewönlichkeit, dafür rächt sich die Gewönlichkeit. – Eine berümte Frau – das ist ein Schlag in’s Gesicht jedes unberümten Mannes. Eine gefeierte Frau – das ist Herausforderung jeder ungefeierten. Tausend Kleine sprechen von uns, wie sprächen sie anders als klein? – Wir

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stehen auf dem Pranger, und der uns liebt, muß den Mut haben, ihn mit uns zu betreten ... Wirst Du ihn haben Heinrich? – – Darf ich zugeben, daß Du ihn habest? ... Ich verachte das Urteil der Menge – wirst Du es verachten? – auch dann wenn es Deine Gattin lästert? ... Unsäglich muß Dein Vertrauen sein – wenn es nie wanken soll, unsäglich Deine Liebe, wenn Du für Dein ganzes Herz nur ein getheiltes forderst, und die Nebenbulerin duldest – die Kunst! ... O diese Kunst! diese ewige Räuberin an meinem Leben – diese vergängliche Kunst, die von dem Athem meines Mundes lebt, und mit mir sterben wird – ist sie die Qualen wert – die ich um sie leide?! CONRAD meldend. Baron Bergtal. HELENE. – Ich bin nicht zu sprechen. CONRAD. Er steht schon im Vorzimmer. HELENE. – Einen Augenblick also – daß ich mich – fasse. Helene ab nach links, Conrad öffnet die Mittelthüre, und geht dann ab.

Dritter Auftritt MAX, SOFIE hereinführend.

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MAX. Wir sind an Ort und Stelle, treten Sie ein. SOFIE. W o sind wir? ... Ach mir klopft das Herz ... Daß ich so unbesonnen war, Ihnen zu folgen! MAX. Sie haben sich meiner Ehre anvertraut, war das unbesonnen? SOFIE ängstlich. – Mein Gott – Sie betheuerten mir, das Glück meiner Pflegeeltern, die Zukunft Heinrich’s hingen davon ab, daß ich Ihnen folge ... Da erwog ich nicht lange und ging. – Aber jetzt erklären Sie – was soll ich hier? ... Wo bin ich denn? – MAX. Sie sind bei Helene Walter. SOFIE. Himmel! ... O Herr von Bergtal, das war nicht Recht! ... Zur Thüre eilend. Ich will fort ... MAX. Bleiben Sie! SOFIE. Lassen Sie mich ... MAX. Wie oft haben Sie den Augenblick herbeigesehnt, in dem Sie Ihren Eltern alles Gute vergelten könnten, das sie Ihnen erweisen. Diesen Augenblick sendet der Himmel, benützen Sie ihn. Sie finden in Helene eine Andere als Sie erwarten. Sie ist edel und gut, sie wünscht nichts heisser als Heinrich’s Glück. Beweisen Sie ihr, daß er es an ihrer Seite nicht finden kann – und sie entsagt ihm. SOFIE. Das soll ich? ... Das könnte ich? MAX. Wenden Sie sich an ihr Herz. Stellen Sie ihr vor ... Sie kommt.

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SOFIE. Ich kann sie nicht sehen! Zur Thüre eilend. Nein! ... MAX ihr nach. Ich b i t t e !

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HELENE. Herr von Bergtal – und? – – MAX. Ich erlaube mir, Ihnen eine Dame vorzustellen, deren Name Ihnen längst bekannt und theuer: Fräulein Sofie Waldau. HELENE halblaut. Sofie Waldau? Zu Max. Sie wissen nicht, was Sie thun. MAX. Zu Zeiten. Für sich. Ich will ein Dummkopf sein, wenn ich’s jetzt nicht weiß. Laut. Fräulein Helene – Fräulein Sofie – Ein Herr in Gegenwart z w e i e r Damen spielt gewönlich eine jämmerliche Figur. Ich habe die Ehre mich Ihnen zu empfelen. Leise zu Helene. Seien Sie freundlich mit dem Kinde! Leise zu Sofie. Gedenken Sie Ihrer Eltern! ... Für sich. Lieber Herrgott, ich bin kein ungestümer Pocher an Deiner Himmelsthür – man kann nicht seltener kommen als ich. Lohne mir die Diskretion, indem Du heute meine flehende Bitte erhörst: – Gib Deinen Segen! – Ab durch die Mitte. SOFIE leise. Er geht wirklich – er läßt mich hier allein – – HELENE, nach einer Pause, beklommen. – Welchem Zufall verdanke ich – die Freude – SOFIE. O – Fräulein Walter! ... HELENE. – Was wünschen Sie von mir? SOFIE zögernd. Die Erlaubniß – Sie – zu sprechen. HELENE für sich. Sie zittert. – Wie – ich. Ihr einen Platz anweisend. Reden Sie. SOFIE einige Schritte gegen Helene. Verzeihen Sie mir! ... HELENE. Und was denn? ... Bis jetzt wüßte ich’s nicht, und kann nur aus dieser Bitte erraten, daß Sie beabsichtigen, mir Gelegenheit dazu zu geben. SOFIE. Nein. HELENE. Aufrichtig mein Fräulein! Sie kommen zu mir, das Herz schwer, die Lippen überströmend von Anklagen ... SOFIE betheuernd. Nein! Nein! HELENE. Weßhalb also kommen Sie, wenn Sie nicht kommen, mir Vorwürfe zu machen? SOFIE. Ach – ich kam ja nicht aus eigenem Entschluß ... Herr von Bergtal hat mich zu Ihnen geführt. HELENE. Wozu? – Warum? SOFIE. Erst hier erfuhr ich, bei wem ich sei – was man von mir begehre.

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HELENE. Von Ihnen? SOFIE. Ich soll – er meint – – Herr von Bergtal sprach zu mir: „Helene ist edel und gut, sie will nur Heinrich’s Glück. – Beweisen Sie ihr, daß er es an ihrer Seite nicht finden kann – und sie – entsagt ihm.“ HELENE. Wahrhaftig? – und der Beweis wäre so leicht zu geben? ... Und Sie wollten ihn geben? SOFIE. Ich weiß sehr gut, daß ich es nicht kann – Ihnen gegenüber – nicht. HELENE. Aber sich selbst gegenüber – Ja! ... Ihr Urteil ... SOFIE. Mein Urteil bestimmen meine Eltern. HELENE rasch. Ihre Eltern? – Schmerzlich, für sich. Die – Seinigen! ... Nach einer kleinen Pause, Sofie fixirend. Sie waren Ihrem Vetter verlobt – Sie liebten ihn? SOFIE. Ich ... HELENE. Sie liebten ihn? SOFIE. – Ich – weiß nicht – ich weiß nichts als – – Betheuernd. Ich hab’ ihm entsagt – völlig ... In dem Anspruch auf ihn. HELENE. Dann stehen zwischen Heinrich und mir nur seine Eltern? SOFIE. N u r seine Eltern? ... Aber liebevolle Eltern – die ihm Alles waren. Ach s o l c h e Eltern, das ist mehr als eine Braut, und als die ganze übrige Welt! HELENE. Ich bewundere Ihr kindliches Gefühl. Es gibt einen Lohn für solche Tugend – mög’ er Ihnen werden. – Ich, liebes Mädchen, habe keine Eltern, und auf der weiten Erde Niemanden als Heinrich. Begreifen Sie, daß ich mich an ihn klammere mit aller Kraft meiner Seele ... Sie haben jedem Anspruch auf ihn entsagt? SOFIE. Jedem. HELENE. Nun denn! wenn Sie nur an seine Eltern denken – ist’s unmöglich, daß ich sie mir versöhne? SOFIE rasch. Unmöglich! Wie entschuldigend. Ich glaube, daß es unmöglich ist. HELENE. Ich hoffe das Gegentheil. Wenn sie ihren Sohn durch mich glücklich sehen, wenn ich sie ehre und liebe, wie ich meine Eltern – SOFIE ihr in’s Wort fallend. Die Ihrigen? ... Man sagt – Fräulein Walter ... HELENE. – Ach! – Drückt das Gesicht in die Hände. Vater – Mutter – bin ich genug bestraft?! ... SOFIE. Jetzt hab’ ich Sie verletzt. Es thut mir Leid. HELENE nach einer Pause. Das also ist’s! ... In Ihren Augen war ich m e i n e n Eltern eine schlechte Tochter, und würde es denen Heinrich’s sein. – Ich könnte freilich sagen: Ich war keine schlechte Tochter! – aber ich überzeuge Sie nicht ... Gesetzt also, ich hätte eine Pflicht verletzt, muß ich darum alle verletzen? – Weil ich – wie Sie denken, keine gute Tochter war, kann ich darum keine gute Frau werden? ... Reden Sie! – Ich lese das Nein auf Ihrem Gesichte, und peinige mich vergeblich, die Ursache dieses unerbittlichen Nein zu ergründen!

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SOFIE. Ich weiß, was ich sagen möchte – ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll, ohne Ihnen – weh zu thun. HELENE. Sie sind nicht hieher gebracht worden, um mir wohl zu thun. Erfüllen Sie die Absicht Ihrer Freunde. SOFIE. – Wir verstehen einander nicht – sehen Sie! – trotz meinem besten Willen – trotz Ihrem grossen Verstande ... So wie ich jetzt vor Ihnen steh’, werden Heinrich und seine Eltern oft vor Ihnen stehen. – Wir sind anders als Sie! – so anders – daß wir Sie niemals vollkommen begreifen können – und – darum – HELENE. Weiter! warum stocken Sie? SOFIE. Und darum – niemals vollkommen – lieben. HELENE. Weßhalb sollten Sie so ganz anders sein? ... Worin bestünde dieser ungeheure Unterschied? SOFIE. Ja wer das sagen könnte – man kann es wohl nur fühlen. HELENE. Was man recht fühlt, muß man auch sagen können. SOFIE. – Sie vielleicht. HELENE. Ich wäre keine Künstlerin, wenn ich es nicht könnte. SOFIE. Sie wären – wie wir. Wir können nicht sagen, was wir am Tiefsten empfinden – wollen es nicht einmal, oder doch nur den Wenigen, die wir lieben. Wir halten das Gefühl für entheiligt, das sich vor Gleichgültigen preis gibt. HELENE. Nicht vor Gleichgültigen! ein warmes Gefühl warm ausgesprochen, verwandelt die Gleichgültigen in Freunde. SOFIE. Diejenigen ausgenommen, welche glauben, auch ein – kaltes Gefühl könne warm ausgesprochen werden von – von – HELENE. – Schauspielern wollen Sie sagen. SOFIE. Oder solchen, die von ihnen lernen, Empfindungen als ihre eigenen zu schildern, die sie gar nicht haben. HELENE. Also lügen und heucheln? SOFIE. Im Leben würde man’s so nennen, auf dem Theater – ich weiß – nennt man es anders ... Aber – verzeihen Sie! wir glauben, zu einer – gewissen – Falschheit – zwingt wohl Ihre Kunst ... HELENE. Wenn es auf Erden etwas gibt, das geradezu jede Falschheit vernichtet im Herzen seiner Träger, so ist’s die echte Kunst! – Nur der Wahre kann ihr dienen, denn sie ist selbst die höchste Wahrheit ... Aber – ich falle wieder in meine alte Schwachheit –: den Blinden von der Farbe zu reden! SOFIE. Ach der Blinde kann an Farben glauben – obwol er sie nicht sieht. Wir sehen und hören den Ausdruck Ihrer Empfindungen, und glauben nicht daran. – Sie finden bei uns kein Vertrauen – auch bei Heinrich nicht, denn er ist nicht wie Sie – er ist wie wir. HELENE. Ein Anderer als Sie! ... Von dem Vertrauen das ich Ihnen n i c h t einflösse, gab er mir heut einen edlen Beweis. – Er hat – –

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SOFIE lauschend. Ich höre Schritte. Wer kommt? HELENE. Es ist Heinrich. SOFIE. Um Gotteswillen! ... Er darf mich nicht hier finden. HELENE. Warum? SOFIE. Sie können fragen?! HELENE. Jetzt verstehen wir uns wieder nicht. Ist’s denn eine Schande, bei mir zu sein? SOFIE. Was müßt’ er denken? Angstvoll flehend. Verbergen Sie mich! HELENE deutet nach der Thüre links. Treten Sie dort ein. SOFIE wie oben. Kein Wort zu ihm – von meiner Anwesenheit! ... Sie versprechen mir? HELENE. Ja – ja. SOFIE. O Dank! Sie eilt ab nach links, Helene schließt die Thüre hinter ihr, und hält die Klinke noch in der Hand, als Heinrich eintritt.

Fünfter Auftritt HEINRICH

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HEINRICH. Müller hat Deine Sache wacker geführt Helene, ich fand meine Mutter mild gestimmt. Sie will Dich sehen. HELENE halb hinhörend. Mich sehen – HEINRICH. Du wirst sie gewinnen, ich zweifle nicht. – Allein was ist Dir? ... Hab’ ich Dich überrascht? – Ganz recht – mir war als hätt’ ich sprechen gehört ... Warst Du allein? HELENE. Lieber Heinrich – HEINRICH. Warst Du allein? HELENE. – Nein. HEINRICH. Wer war bei Dir? ... Soll ich’s nicht hören? ... Wer war bei Dir? HELENE. Niemand, den ich nicht empfangen durfte. HEINRICH. So nenne ihn! HELENE bittend. Frage nicht. HEINRICH wie von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt. Was sagte mir vorhin der Engländer? ... Was zischelten die – lieben Bekannten? ... Tod und Hölle! wenn es denkbar wäre!! ... O! – o ich kam so ruhig aus meiner Eltern friedlichem Haus – muß ich bei’m ersten Schritt über diese Schwelle, die Natter treten – den Verdacht? – HELENE. Verdacht gegen wen? HEINRICH. Gegen Dich! die mir verheimlicht und verbirgt – und wenn es ein Gedanke wäre –

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HELENE. Du siehst, es ist mehr als ein Gedanke, es ist ein Besuch. HEINRICH. Verhöhnst Du mich? – Helene – wenn Du Spott treiben könntest mit der Seelenruhe eines Menschen, der von allen Empfindungen, die ihn einst durchglüten, keine wieder findet, wenn er an sein Herz klopft, und in diesem Herzen nur mehr Dich allein ... Wenn Du es kannst – bist Du seiner Liebe niemals werth gewesen! HELENE. Genug! HEINRICH. Fort von dieser Thüre – oder ich will – HELENE. Doch nicht Gewalt brauchen? HEINRICH. Vertrauen – rückhaltloses Vertrauen ford’re ich von der Frau, die das meine besitzen, – Wahrheit ohne Grenzen von ihr, die meinen Namen tragen will. – Gib mir Beides – oder es geschieht ein Riß in dem Bande, das uns verbindet ... Helene! in meinem Herzen ist eine Stelle, die Du nicht kennst, wenn Du mir weigerst ... HELENE ruhig. – Auch ich ford’re Vertrauen – auch ich. Von der Thüre zurücktretend. Der Weg ist frei. Tritt ein. Aber bedenke, daß der Augenblick, in welchem Du diese Schwelle überschreitest, derjenige ist, in dem Du mich verlierst. – Ich kann des Mannes Frau nie werden, der an mir – wenn auch nur eine Sekunde lang gezweifelt, nach solchen Beweisen von Liebe, wie ich sie Dir gegeben. – Tritt ein! – HEINRICH. Comödie! ... Immer und immer die Comödie! ... Mit dieser Miene sah ich Dich hundert Mal auf der Bühne stehen, und Deinen Theaterhelden imponiren. – Muß ich Dich ewig mahnen – Schauspielerin! daß ich ein Anderer bin als sie? ein Mensch aus Fleisch und Blut, und mit gesunden Sinnen, der sich nicht schämt, ihrem Zeugniß zu vertrauen, den ein studierter Blick nicht ausser Fassung bringt! HELENE. Komm zu Dir selbst, Du sprichst im Fieber. HEINRICH. Was meine Augen sehen – sind das Spukgebilde? was meine Ohren hören – Geisterstimmen? Zur Thüre stürzend. Wahrheit will ich – Überzeugung! HELENE. So hole sie. Heinrich ist im Begriffe die Thüre zu öffnen. Sofie tritt ihm daraus entgegen. HEINRICH. Sofie!! SOFIE. Ich. HEINRICH. Was soll ... SOFIE mit zitternder Stimme. Ich – die – nicht gesehen sein wollte – und – Fräulein Walter bath – mich zu verbergen. HEINRICH nach einer Pause. Fräulein Walter, hat Deine Bitte gewissenhaft erfüllt. Eine – Kinderbitte, die sie besser – abgeschlagen. – Wozu dies Alles? Warum verbirgst Du Dich? ... Was suchst Du hier? – ergreift auch Dich der Dämon der Comödie? ... Willst Du auch Deine Scenen spielen?

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MAX der während der letzten Worte eingetreten, für sich. D e r hier? Teufel! – ihn können wir nicht brauchen ... SOFIE. – Mein Gott ... Heinrich ... O Fräulein Walter – sprechen Sie für mich! HELENE. Ich will es thun. Gehen Sie. MAX für sich. Wir sind entlassen – das ist klar, aber haben wir auch etwas ausgerichtet? Vortretend. Mein Fräulein! Verbeugt sich gegen Helene. Halblaut zu Sofie. Ist’s gelungen? – HELENE. Ja! ja! ... In Ihrem Sinne – tausend Mal: Ja! SOFIE zu Max. Fort von hier ... Zu Helene, mit gefalteten Händen. O Fräulein Walter – ich kann nur wiederholen: Verzeihen Sie mir! HELENE. Gehen Sie, liebes Kind. MAX für sich. Ich verstehe von allem diesem genau so viel wie – nichts. Trotzdem ziehen wir ein göttlich allwissendes Gesicht, und treten würdevoll zurück. Reicht Sofieen den Arm. Kommen Sie. Er verbeugt sich gegen Helene und geht ab mit Sofie. HEINRICH, nach einer Pause peinlichen Schweigens. Du hast mich beschämt. Forderst Du daß ich zu Deinen Füssen meine Reue beschwöre? HELENE kalt. Nein Heinrich. HEINRICH. Ich müßte lügen wenn ich’s thäte – ich empfinde mehr Groll als Reue. Du hast mich behandelt wie einen Knaben, dessen Vertrauen man auf die Probe stellt. HELENE. Nein Heinrich. HEINRICH. Du hast gespielt mit meinem Schmerze, denn ich litt – ich leide! ... Meine Hitze ist Wahrheit, nicht Kunst wie Deine Kälte ... Diese Kälte, die mich empört, beleidigt, denn sie spottet meiner qualvollen Aufregung! HELENE. Nein Heinrich. HEINRICH. Bei allem was Dir theuer ist: Einen anderen Ton! eine andere Miene! ... Ein Wort der Erklärung, der Verständigung! HELENE. Und wenn Dein Heil und meines davon abhingen – ich spräch’ es nicht. Nicht die Verständigung gilt es jetzt, es gilt die Trennung – wir scheiden. HEINRICH der sie eine Weile zweifelnd angesehen. Nein! Du k a n n s t nicht von mir lassen! HELENE. Doch Heinrich – doch! – nach der Erfahrung dieser Stunde. HEINRICH. Helene! HELENE. Entehrung schien mir die Trennung von Dir? ... Entehrung wäre mir die Vereinigung mit einem Manne, der sich meiner – schämt. HEINRICH. Welche Thorheit! welche Übertreibung! HELENE. Blick’ in Dein Herz und läugne! ... Du s c h ä m s t Dich meiner Vergangenheit! ... Sie ist Dir eine Schule der Lüge und des Betrugs, die jede Stunde ihre Früchte tragen, Deine Ehre schänden, Dein Glück vergiften kann!

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HEINRICH. Das sagst Du in dem Augenblicke, wo ich im Begriffe stand, Dir meine Ehre und mein Glück für ewig zu vertrauen? – HELENE. Heil Dir und mir daß es noch nicht geschehen! ... Der Bund noch nicht unlöslich geschlossen, der uns aneinander geschmiedet hätte zu gegenseitigem Elend! HEINRICH. Auch die Trennung ist Elend – für Dich noch mehr als für mich. Ich stehe nicht allein. Geliebte Arme strecken sich mir entgegen, wenn ich mich aus den Deinen reisse. Du – scheidest in mir von Allem, was Du auf Erden besitzest! ... Die Kunst wird Dir nicht künftig sein, was sie Dir ehmals war – Du hast das wahre Glück kennen gelernt – HELENE. – Durch Dich?! ... Ich war an Deiner Seite trostlos oder – selig –: Glücklich nie! ... Erheben soll die Liebe, die Deine hat mich erniedrigt. Zweifel waren ihr unseliges Geschenk – jämmerliche Zweifel an meinem Berufe, meiner Kunst – ich aber muß glauben an diese heiligsten Güter, denn mein Glaube ist mein Mut, meine Kraft! HEINRICH. Genug: er w a r d erschüttert ... HELENE. Nicht lange! Denn er siegt – nicht tief, denn er besteht, indeß der Glaube an Deine Liebe in Trümmer fällt. HEINRICH. Der alte Wahnsinn – die krankhafte Verblendung! HELENE. Nie sah mein Auge heller. Mit fürchterlicher Klarheit les’ ich in Deinem Herzen. Mann der Wahrheit – Deine Liebe zu mir war eine Täuschung! Die größte Verirrung Deines Lebens begingst Du nicht in dieser Stunde, die uns trennt – Du begingst sie in der Stunde die uns vereinigte! HEINRICH. – Nein sag’ ich! – Helene – das Mißtrauen eines Augenblicks trennt uns nicht. HELENE. Das Mißtrauen e i n e s Augenblicks? – Das Mißtrauen j e d e n Augenblicks! Meine ganze Zukunft mit Dir verlebt, wäre nur eine Reise solcher Augenblicke. HEINRICH. Mit einem Schlage kommt Dir diese Überzeugung? – bisher hast Du – – HELENE. Ich hab’ ertragen, was ich ertragen konnte – eines Flaumes Last hinzu gefügt – bricht meine Kraft. Wenn ich länger duldete unter Deiner rauhen Hand, als ich hätte dulden sollen, so war’s weil ich mich schuldig fühlte – freilich anders als Du ahntest. Schuldig der Untreue an meiner Kunst – schuldig theilen zu wollen, was ihr allein gehört: mein Herz, mein Geist, meine Empfindungen und Gedanken. – Ich bin bestraft, Gott sei Dank! – bekehrt. Feierlich gebe ich Dir hier Dein Wort zurück und ford’re das meine. HEINRICH. – So nimm’s! ... Kehre zurück zu Deinen Götzen, prahle mit der Treue für eine Idee, die Du den Menschen nicht zu halten weißt. Kämpfe ihn fort den unnatürlichen Kampf gegen Deine wahre Bestimmung und erwache nie zu dem Bewußtsein eines verfehlten Lebens!

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HELENE. Nimm denselben Wunsch von mir. Auch Du kehr zurück zu den Deinigen. – Das Mädchen, das eben zitternd vor Dir stand, den lauten Schrei seines Herzens unterdrückend, dem das Wort der Rechtfertigung auf den Lippen erstarb: Das ist die Frau, die für Dich gehört – ich bin Eures Gleichen nicht. HEINRICH. Sag es ohne Verachtung. Erhebe Dich nicht über uns – – Ha! Du meinst über dem Leben zu stehen und kannst Dich seinen Leiden nicht entziehn? – Schmerzen gibt’s, für welche die Kunst keinen Balsam besitzt. Was ist die Kunst, wenn das Leben pochend an jeder Pforte der Empfindung, seine Feuerströme durch Deine Pulse jagt? Was ist die Kunst, wenn das durstende Herz nach Erquickung lechzt? – HELENE. – Nichts – erfahren hab’ ich’s, und ertragen. Ein Maaß von Glück ist Jedem zugemessen, ein anderes Jedem. Ich habe an der Tafel der Götter geschwelgt, und muß verzichten auf irdischen Genuß. HEINRICH. – Über den dünkelvollen Stolz! ... Vergeblich suchst Du Trost in ihm. In Deinem Innern fühlst Du das ganze Gewicht meiner Worte, in Deinem Innern wütet – vielleicht schon jetzt, die bitterste Empfindung der Menschenbrust: die Reue! HELENE. Reue?! ... So wahr mir Gott helfe: Es gibt keine Wunde, aus der mein Herz nicht blutet. Ich leide, was ein Mensch leiden kann. Hier steh ich. Läge heute die Macht in meiner Hand, dieses bis an die Grenzen des Möglichen geprüfte Dasein von Neuem zu beginnen – nicht anders könnt’ ich handeln, als ich gehandelt habe. HEINRICH. Unbeugsam – leb wohl! ... Er wendet sich ab, kehrt aber wieder zurück. Nein! – Du sollst nicht sagen, daß ich die schlimme Stunde benützend, Dich verließ ohne Wiederkehr. – Auch ich hab’ gefelt. Noch ein Mal – ein letztes – biet’ ich die Hand zur Versöhnung. Ergreife sie rasch! ... Wenn ich so – wenn ich j e t z t diese Schwelle überschreite – will ich ehrlos sein, betrete ich sie jemals wieder! HELENE. – Lebe wohl. HEINRICH. Du willst es. ... Folge Deiner Wahl! Er stürzt hinaus. HELENE tritt zurück, dann wie aus tiefer Erstarrung erwachend, mit einem Schrei. Heinrich! ... Mit gebrochener Stimme. Es mußte sein. Du weißt es, Lenker der Geschicke ich folge nicht meiner Wahl, ich folge meiner Bestimmung! Sie hat sich während der letzten Worte aufgerichtet, und ist an den Tisch getreten, auf welchem der Contrakt liegt.

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Sechster Auftritt MÜLLER in Reisekleidern

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MÜLLER. Jetzt heißt es scheiden. Ich bin reisefertig. HELENE den Contrakt unterschreibend. – Nehmen Sie mich mit. MÜLLER. Was seh ich – Kind! ... Du kehrst zurück – willst wieder ganz der Kunst gehören? ... HELENE. Weh dem, der glaubt, ihr nur halb gehören zu können; die Kunst hat ihn verloren, und das Leben hat ihn nicht gewonnen.

II. Kritischer Apparat

Die Schauspielerin

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Ergänzung der Herausgeberin

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Handschrift in Sammlung ZPH 1283 Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die Kurrentschrift in H ist in Antiqua wiedergegeben. Die unterstrichene Kurrentschrift in der Handschrift für Akte und Szenen wird ohne Unterstreichung in Antiqua wiedergegeben. Die unterstrichene Antiquaschrift für Personen erscheint ohne Unterstreichung als Kapitälchen. Die in Kurrentschrift stehenden Bühnenbeschreibungen sowie die zusätzlich in runden Klammern erscheinenden Szenenanweisungen der Handschrift sind kursiv gesetzt. Die in der Handschrift verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Abbreviaturen wie „u.“ für ‚und‘ werden ausgeschrieben. Der verwendete Überstrich auf „m“, „n“ und „r“ zur Verdoppelung wird durch die doppelten Konsonanten wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt der Handschrift (H). Die in H vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat). Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Die Schauspielerin

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Über die Entstehung des Dramas Die Schauspielerin gibt es wenige Hinweise, denn sie fällt in die Zeit vor den Tagebucheintragungen Ebner-Eschenbachs. Nach der Handschrift des Dramas entstand es im Jahre 1861. Das Drama galt lange als verschollen. Einziger Textzeuge des Dramas ist ein eigenhändiges Manuskript der Dichterin (H). Dieses wurde erst im Jahre 2003 von der Handschriftensammlung der Wienbibliothek zusammen mit anderen Dokumenten von einem Antiquariat erworben. Diese Nachlasssammlung Ebner-Eschenbachs trägt die Inventarisierungsnummer ZPH 1283. Die Handschrift besteht aus einem broschierten Notizheft von 56 Blättern. Das Titelblatt trägt die Aufschrift: „Die Schauspielerin. Drama in 3 Aufzügen. Wien 1861“. Danach folgt auf einer weiteren Seite das Personenverzeichnis. Es handelt sich bei der Handschrift um eine leicht überarbeitete Fassung, denn sie weist einige Tilgungen und Hinzufügungen auf, die in den laufenden Text mit aufgenommen wurden. Einen Einblick in die Entstehung des Dramas bietet Ebner-Eschenbachs Korrespondenz mit Eduard Devrient. Gegenüber dem Theaterdirektor, der Ebner-Eschenbachs Erstlingswerk Maria Stuart in Schottland zur Aufführung im Großherzoglichen Hoftheater in Karlsruhe angenommen hatte, gesteht sie im Oktober 1861, was die Konzipierung des Dramas Die Schauspielerin veranlasste. Nach den enttäuschenden Ablehnungen ihrer historischen Tragödie im Jahre 1860 durch mehrere Bühnen habe man ihr empfohlen: „,Sie müssen andere Stoffe wälen – Stoffe einfachster Art. Sie müssen ein Stück in Prosa schreiben.‘“1 Diesem Rat folgte Ebner-Eschenbach, wie sie Devrient schrieb, und vollendete das Drama am 4. Oktober 1861: „Das Stück heißt: Die Schauspielerin, und behandelt den Conflikt zwischen dem Leben und der Kunst.“ Sie kündigt an, das Drama nach nochmaliger Überarbeitung Devrient mit der Bitte um seine Beurteilung zu schicken: „Dann entscheiden Sie was geändert werden soll – und da ich hoffe dem Kind meines Geistes nicht blind gegenüber zu stehen, so werde ich ihm seine Fehler abgewöhnen, sobald mir nur die Augen recht geöffnet werden.“ 2 Noch während ihrer Arbeit an dem neuen dritten Akt von Maria Stuart in Schottland schickt Ebner-Eschenbach am 22. Oktober 1861 das Manuskript des Dramas Die Schauspielerin an Devrient und bittet ihn um die Beantwortung folgender Fragen: „Ob Sie mit der Führung des Ganzen zufrieden sind? Ob der leitende Gedanke genug klar hervorspringt: Ganz müsse die Hingabe an die Kunst sein, sonst tauge weder das Leben noch die Kunst? Ob endlich der Dialog in Prosa mir gelang?“3 Gleichzeitig erläutert sie in dem Brief ihre Konzeption des Stückes: 1

Ebner-Eschenbach an Devrient am 5.10.1861 (WB, H.I.N. 56596). Ebd. 3 Ebner-Eschenbach an Devrient am 22.10.1861 (WB, H.I.N. 56598). 2

Die Schauspielerin

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Nebst der absoluten Einheit der Handlung, auch jene von Zeit und Ort festzuhalten, schien mir bei diesem Stoffe eine gebotene Notwendigkeit. Nur lasse ich die Handlung nicht vom Tage zur Nacht, sondern von der Nacht zum Tage spielen, wie ja auch die Heldin aus den Schatten ihrer Zweifel, durch Kämpfe und Leiden, zum sonnigen Lichte der wahren Erkenntniß gelangt.4

Devrients Urteil über das Drama fällt ablehnend aus, was Ebner-Eschenbach in ihrem Antwortbrief bescheiden akzeptiert: „Ach Sie haben ja Recht! Alles – alles seh’ ich ein was Sie mir über ‚Die Schauspielerin‘ sagen.“ Sie bittet ihn, ihr das Drama zurückzuschicken, damit sie „ein grosses Kreuz darüber“ machen könne, und fügt hinzu: „Gewiß aber kommt es nicht aus meiner verschlossenen Lade.“5

2. Die Reaktionen Die Lade blieb nicht verschlossen; Ebner-Eschenbach reichte das Drama Heinrich Laube zur Aufführung am Burgtheater ein. Jedoch lehnte es Laube ab. In einem ausführlichen Brief vom 24. Dezember 1861, den Bettelheim zitiert, begründet Laube seine Ablehnung mit der fehlenden Publikumswirksamkeit des Stückes. Er hält die Arbeit für „geistvoll und reich an kleinen Zügen wirklichen Lustspieldialoges“ und betont, dass sie als Buch der Autorin „Anerkennung und manches Genüge bringen“, aber sich nicht für das gegenwärtige Theater eignen würde: Auf der Bühne würde sie untergehen. Schon weil sie dem ganzen Plane nach zu der Verneinung dessen führt, wofür die Theilnahme des Publikums in Bewegung gesetzt worden ist. Das ist auf dem Theater stets ein Fehler, dem die Rache des Publikums auf dem Fuße folgt. Publikum will Genüge des Herzens, lustig oder traurig. Ein Ergebniß des Verstandes, wie hier die Einsicht, daß die beiden Leute nicht zusammengehören, ist ihm eine unerquickliche Enttäuschung. Das ist nun hier nicht zu ändern. Die ganze Anlage, allzu abstract, beruht darauf. Sie ist consequent durchgeführt und wird den Respect der Leser erzwingen. Im Theater entscheiden aber nicht die Leser. Haben Sie nur diese gewollt, dann haben Sie Ihr Ziel erreicht und diese „Studie“ wird sich Ihnen für Ihr nächstes Theaterstück sicher verwerthen, denn es ist erstaunlich, wie rasch Sie zur Knappheit der Form, zur Zweckmäßigkeit aller Linien, auch der kleinen, vorgeschritten sind.6

Ebner-Eschenbach muss danach die Hoffnung auf eine Aufführung nicht ganz aufgegeben haben. Denn nach einer Tagebucheintragung vom 7. Januar 1863 schickte die Direktion des Prager Theaters das bereits angenommene Drama Die Schauspielerin wieder zurück mit der Begründung: „Fräulein Gephardt will kein Stück zu 4

Ebd. Ebner-Eschenbach an Devrient am 6.11.1861 (WB, H.I.N. 56600). Leider ist Devrients Brief an Ebner-Eschenbach und damit seine Begründung der Ablehnung des Dramas nicht auffindbar. 6 Laube an Ebner-Eschenbach am 24.12.1861. Zitiert in: Bettelheim: Biographische Blätter, S. 65. 5

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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ihrem Benefice wählen, in dem ihr so viel schmeichelhaftes gesagt wird“ (T I). In einer letzten Eintragung zu dem Drama gegen Ende des Jahres erwähnt EbnerEschenbach, dass es auch zu der von Thomé in Aussicht gestellten Aufführung nicht gekommen ist (T I, 4.11.1863, Beilagen 1863, S. 310).7 Karl Gladt erwähnt in seiner Ausgabe des Dramas Das Waldfräulein, dass die Burgschauspielerin Julie Rettich (1809–1866) das Stück in ihr Gastspiel-Repertoire aufgenommen habe.8 Das konnte nicht verifiziert werden. Die Schauspielerin ist nie im Druck erschienen, was in diesem Band nachgeholt werden soll. Da das Drama nicht zugänglich war, wurde es auch bisher in der wissenschaftlichen Literatur nicht rezipiert.

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Es handelt sich dabei vermutlich um Franz Thomé (um 1800–1872), Theaterdirektor in Laibach, Lemberg, Triest, Klagenfurt, Graz, Riga und Prag. 8 Gladt: Kindliche Begeisterung und Theaterleidenschaft. In: Das Waldfräulein, S. 21.

LUSTSPIELE

I. Text

Männertreue

1.

Männertreue (EK2)

Männertreue Lustspiel in vier Aufzügen

Nach einer Novelle des Bandello

Als Manuskript gedruckt.

Wien 1874 Druck und Verlag von J. B. Wallishausser’s k. k. HoftheaterDruckerei

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PERSONEN FOSCARI, der Doge NICOLO FOSCARI, sein Neffe GIROLAMO BEMBO LUCIA, seine Frau ANSELMO BARBADICO ISOTTA, seine Frau G〈H〉ISMONDA MORA DOMENICO MARIPETRO, Richter ORSO, Anführer der Wache EIN DIENER BEMBO’S EIN GEFANGENWÄRTER SENATOREN, WACHEN

Venedig: 1426

Erster Aufzug Ein Zimmer im Palazzo Barbadico.

Erster Auftritt

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ANSELMO steht am Fenster. Das ist sie – nein – und ja! – ’s ist meine Gondel, Die dort herüber kommt vom canalazzo. Fuhr heut’ so früh Isotta schon zur Kirche? – Bei Gottes Bart, und bei Sanct Marco’s Löwen, s’ ist meine Gondel nicht! – {Vom Wimpel wehen, Verwünscht! verflucht! die Farben meines Feindes.} 〈Am Wimpel gleissen Die gold’nen Rosen meines Feindes Wappen.〉 – Der Affe lernt doch ewig nichts als – äffen, Nun äfft er selbst mir meine Gondel nach, Die einzig war bisher und ohne Gleichen. ... Jetzt hält sie an. Steigt Bembo selbst heraus? Nicht doch – es ist sein holdes Weib, Lucia. Wie still! wie schön! – Sie zögert an der Schwelle – Ich glaub’ es gern. Du süße, zarte Taube, Zu Muth ist Dir in Deines Herren Haus Wie einem Vöglein in des Geiers Nest. – Sie blickt herauf. ... Er neigt sich grüßend aus dem Fenster. O Lieblichkeit! o Güte! Sie neigt sich huldvoll – dankt – Er grüßt wieder. Du heilige Madonna! Mich empört’s, es ist ein Frevel, Daß all der Reiz des Bembo’s Eigenthum!

Zweiter Auftritt DER VORIGE. ISOTTA. ISOTTA ist von links gekommen und hat sich neben ANSELMO an die Fensterbrüstung gelehnt. Er fährt erschrocken zurück. ISOTTA hinabrufend. Lucia! ANSELMO zieht sie vom Fenster fort. Halt – zurück!

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ISOTTA. Laß’ mich sie grüßen! ANSELMO. Du sollst nicht! ... Nein! Du grüßtest sie doch auch. ISOTTA. ANSELMO. Und wenn ich’s that! Ich grüß’ als Mann die Frau, Das fordert Höflichkeit und gute Sitte; Doch meine Frau, die Gattin Barbadico’s, Darf eines Bembo Gattin nicht begrüßen. ISOTTA. Wie lächerlich! Ich bin es endlich satt Zu fliehen die ich liebe, weil ihr Mann Gott sei’s geklagt, mit Dir in Feindschaft lebt. ANSELMO. Isotta! Zürne nur! – Ich sag’ es doch, ISOTTA. Gleich Schwestern wuchsen wir zusammen auf, Lucia war mir wie mein zweites Herz, – Bis ich Dich kennen lernt’, und Bembo sie – Und bis Ihr Bösen grausam uns getrennt. – Weil Ihr Euch haßt, d’rum sollen wir uns hassen, Einander meiden, niemals sprechen, nie! Und sind doch Nachbarn, wohnen Haus an Haus, Ich könnt’ die Hand ihr reichen aus dem Fenster ... ANSELMO. Doch wirst Du’s nicht, und ich verbiet’ es Dir! Dergleichen nur zu denken, ist für Dich Schon Sünd’ und Unrecht. ISOTTA. Ei, der Haß ist Sünd’, Ihr sollt{’} Euch schämen! – Weißt Du nur, gesteh’s, Woher die Feindschaft gegen Bembo stammt? ANSELMO. Woher? – Aus tausend Gründen. ISOTTA. Sprich nicht so! Denn „tausend Gründe“, Lieber, sind kein Grund; Der „Tausend“ sagt, weiß Einen nicht zu nennen. ANSELMO. O lahme Weisheit! – Uns’re Eltern schon Empfanden diesen Haß und erbten ihn Von ihren Ahnen, wie von ihnen wir. Von uns’rer Seite stammt er aus Verachtung Und bei den Bembo’s stammt er aus dem Neid Auf uns’res Hauses Ehren, seinen Glanz. ISOTTA. Wenn sie beneiden, sind sie zu bedauern. Seid Ihr an Ehren reicher, seid’s an Großmuth. – Ich könnt’ nicht hassen, den ich kleiner wüßt’ Und ärmer als mich selbst. So sind die Weiber! ANSELMO. Sie haben stets nur einen Maßstab: Sich.

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Was sie nicht könnten, auch kein And’rer sollt’s. Von dem, was in des Mannes Seele gährt, Fehlt ihnen selbst der Ahnung blasser Schein, Und wo die Ahnung schweigt, schweigt ihr Verständniß! ISOTTA. O Gott im Himmel, stets das alte Lied! So sprach, mein ich, schon Adam einst zu Eva. – ANSELMO. Du bist ein Kind. Mit nichten, das bist Du! Ihn umarmend. ISOTTA. Mein lieber Sohn, wann wird aus Dir ein Mann? –

Dritter Auftritt DIE VORIGEN. NICOLO FOSCARI kommt lachend.

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NICOLO. Hahahaha! Ich kann mich noch nicht fassen ... Gegrüßet, edle Frau! – Und Du ... Haha – – Er lacht. ANSELMO. Du bist ja heut’ besonders aufgeräumt. NICOLO. Ach wüßtest Du – Starb Dir ein Gläubiger? ANSELMO. NICOLO. Das leider nicht. Erbarmte Deiner Noth ANSELMO. Der Doge sich und füllte Deinen Säckel? NICOLO. O weit gefehlt! Er lacht. Es war, bei Gott, zu toll – ANSELMO. Was gab es denn? Zu lachen gab’s. NICOLO. Worüber? ANSELMO. NICOLO lacht. Worüber lacht man, wenn nicht über Bembo? ISOTTA aergerlich. Schon wieder Bembo! Ja, schon wieder er! – ANSELMO bitter. Der Narr Venedigs, den Du ernsthaft nimmst. Zu Foscari. Parodirend. Er thut ihr leid – und sie könnt’ ihn nicht hassen – Und sie – mit einem Wort: Mein schlimmster Feind Hat einen Anwalt hier, an meinem Weibe! NICOLO. Vortrefflich! Ei! – Ich will’s ihm sagen – ich! Der halb Verrückte wird dann ganz verrückt. Er glaubt ja so ... Er stockt. Was glaubt er, Foscari? ISOTTA ernst.

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NICOLO. Daß Ihr ... daß er ... Allein – darf ich’s erzählen? ISOTTA. Ist’s denn so arg? ’s ist eines Narren Rede – NICOLO. Gebt Narrenfreiheit und ich melde sie. ISOTTA ihn fixirend. Ich bin erstaunt, Signor. Erstaunt? NICOLO verwirrt. Ja wohl. ISOTTA. Seit Monden wandelt Ihr umher, ein Bild Des Gram’s, des Groll’s, – sag’ ich es g’rad’ heraus? – Der hoffnungslosen Liebe. Heut’ seid Ihr Ganz Uebermuth und jubelt wie ein Kind. NICOLO wie oben. – Man tröstet sich. Sich selber, nicht so rasch. ISOTTA. Das kann ein Tröster nur und nur – der rechte! – Ich wünsch’ Euch Glück, die Treue hat gesiegt, {Madonna} 〈Ghismonda〉 Mora ist doch nicht aus Stein! NICOLO. Im Gegentheil, mehr Stein als je – ich schwör’s ... Für sich. O Fassung! Fassung! dieses Weib ist schlau ... Steht denn mein Glück auf meiner Stirn’ geschrieben? Laut, immer verwirrter. Wenn auch nicht trösten, kann man sich – zerstreuen, Und was ich eben hörte, war darnach, Den Ernst der sieben Weisen zu zerstreuen ... – Fragt Memmo nur und Venier – die gingen Mit mir – und Loredan, der ging mit ihm. Und dieser winkt’ uns – hinter jenes Rücken ... ANSELMO. Des Bembo? NICOLO. Ja, wir möchten näher treten, Und sprach, ihm freundlich auf die Schulter klopfend: Fahr’ fort, mein Freund, der Foscari ist taub, Der hört kein Wort, die andern, die sind stumm, Die schwatzen nicht – Und Bembo sah uns an Und grinste, ganz unendlich selbstbewußt. – „’s ist gut, denn sonst – ich rühme mich nicht gern, Und werd’ nicht gern gerühmt“ ... ANSELMO. Der Possenreißer! NICOLO fortfahrend. – „Ich siege wohl, doch triumphir’ ich nicht.“ – Und Loredano drängt: Erzähle weiter! – „Was soll ich noch erzählen? Bin zu Ende. Mein Barbadico war wie toll vernarrt –“ ANSELMO. Vernarrt? ... In wen? NICOLO. Geduld, laß’ Bembo reden.

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„Und sie – Lucia, ließ aus Höflichkeit Sich seine Werbung kurze Zeit gefallen –“ ANSELMO seines Zornes kaum mehr Herr. Ich habe nie um sie geworben, nie! Sie kaum beachtet – damals ... Freund – gemach! – ISOTTA. Du warbst wohl nicht, doch sehr gefiel sie Dir, – Du lobtest ihre stille, liebe Art, Ihr sanftes Wesen und ... Kann sein, kann sein – ANSELMO. Ich weiß davon nichts mehr, ’s ist lange her. ISOTTA. Ein Jahr beinah’ – zu lang für Männertreu’. ANSELMO zu Foscari. Nun weiter, weiter! Rede! Nein, ich nicht, NICOLO. Der weise Bembo, der fährt also fort: „Lucia war ihm nicht gerade abhold, Und kam ich nicht, Gott weiß, was noch geschah. Jedoch – ich kam. Jetzt war’s vorbei mit ihm, Nicht einen Blick gönnt’ sie dem Armen mehr. Ich freut’ mich deß’, obwohl um jene Zeit Isotta mich ... ISOTTA. Nun ist die Reih’ an mir. NICOLO. – „Mich fühlen ließ, wie sehr sie mir geneigt ... ISOTTA lachend. Ich – ihm? ... – – „Sie that mir leid, allein ich dachte, NICOLO. Soll aus Erbarmen einer sich vermählen, Der sich vermählen kann aus purer Liebe? – Da ging ich hin und freite um mein Weib. Die zwei Verschmähten reichten sich die Hände – Sie suchten eines bei dem andern Trost Für gleiches Leid. Ich hoff’, sie fanden ihn, Und neide ihnen nicht ihr ärmlich Glück Zusamm’ gelesen aus des unser’n Resten, Wie karge Bröslein von des Reichen Tisch’.“ Hahahaha! ... Und dabei sein Gesicht – – ANSELMO faßt ihn beim Arme. Das sagt’ er? Gut. Und – Ihr? Wir – lachten. NICOLO. ANSELMO. Doch Ihr schwiegt? Gewiß! NICOLO. ANSELMO mit verbissener Wuth. Ich habe Freunde ... o!

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NICOLO. Man wird den Narren doch nicht widerlegen? – Wär’ zu viel Ehre, wie die Klugheit lehrt. ISOTTA. – Macht sich auch nicht zum Herold seiner Schwänke, Lehrt Klugheit überdies. Lebt wohl, Signor. NICOLO. Madonna, zürnt Ihr mir? Ihr seid berauscht ISOTTA. Von jungem Glück ... Nicolo will sie unterbrechen, sie läßt ihn nicht zu Worte kommen. Ich habe scharfe Augen! Sie dienen mir getreu. – Im Uebrigen: Dem Wort des Trunk’nen leih’ ich kein Gewicht. Isotta ab. NICOLO. Sie geht. Da geht sie hin – und ist im Irrthum Und läßt nicht zu, daß ich ihn widerlege! ANSELMO. Was liegt daran! Du schmachtest lang genug Um endlich auch einmal belohnt zu werden. NICOLO. Doch werd’ ich’s nicht – muß aus dem Sinn mir’s schlagen. ’s ist halb gethan. ANSELMO ungeduldig. So besser denn – vortrefflich! ... Für sich. Wenn er nur ging’ – ich halte mich kaum mehr! NICOLO. – Und was ich da von Bembo Dir erzählte Verdrießt Dich nicht, nicht wahr? Nicht im Geringsten. ANSELMO. Doch jetzt – Begleitet ihn. Ich bin beschäftigt ... Du verzeihst. NICOLO an der Thüre. Gutmüthig. – Ich habe wirklich wie ein Thor geschwatzt. ANSELMO. Ein Scherz ... Man darf doch scherzen. Lieber Freund! NICOLO umarmt ihn. ANSELMO. Leb’ wohl. NICOLO. Leb’ wohl! Nicolo ab. Nun endlich ... Ha – ich athme! ANSELMO. NICOLO zurückkommend. – Anselmo ... Du – ANSELMO fährt zusammen. Was gibt’s?! Und Du glaubst nicht ... NICOLO. ANSELMO grimmig. Ich glaube nichts und – alles was Du willst! – Leb’ wohl! NICOLO kindisch betheuernd. Nicht wohl, – o nein, mein Freund, ich lebe So arm wie jemals, und so unbeglückt. Nicolo ab.

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Vierter Auftritt ANSELMO allein.

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Hol’ Dich der Satan! Wenn zehntausend Mora’s Dir schenkten ihre Gunst, was schiert es mich? In mir lebt Ein Gedanke nur, Ein Wunsch –: Ich will den Bembo lehren mich verhöhnen! Sein Weib wird mein, so wahr ich ehrlich bin. Er hat die Schande selbst herabbeschworen, Der Laff’ und Prahler, auf sein freches Haupt. Sie war mir abhold nicht, sagt er? Ich glaub’s! Sie war und ist es nicht. Begegn’ ich ihr, Blickt sie mich gütig an und lächelt wohl, Ja, neulich, auf der Riva, war mir’s doch Als blieb sie stehen, da sie mich ersah, Als schwebt’ ein süßes Wort auf ihren Lippen – Ich grüßt’ erwartungsvoll, doch sie – urplötzlich Und wie von Scheu erfaßt, sie wandte sich, Und schritt erröthend, stumm an mir vorbei. – O zarte Scheu, Du sollst bezwungen werden! ... Gelungen ist mir mancher Liebesbrief, Manch’ hübscher Vers sogar, in dem sich unter Bescheid’ner Bitte, duft’ger Schmeichelei Die lechzend heiße Leidenschaft verbarg, Wie unter Blumen sich die Schlange birgt. – Noch einmal Muse, sei mir hold, gewähre Dem Manne Deine Gunst, der zu Dir fleht, Im heißen Drang’ des Hasses und der Liebe! – Anselmo ab.

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Verwandlung Im Hause Bembo’s Tiefes, getäfeltes Gemach. Bilder in die Wände eingelassen. Hohe Thüre im Hintergrunde. Eine kleine Thüre in der Seitenwand rechts; dieser gegenüber, links das Bild eines Ritters im Harnisch.

Fünfter Auftritt GIROLAMO zerrt einen Diener bei’m Ohr herein. LUCIA folgt ängstlich.

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GIROLAMO. Hab’ ich ihn wieder auf der That ertappt? – Mit meines Feindes Diener im Gespräch – Schon zweimal warnt’ ich ihn, jetzt hab’ ich’s satt. Du bist entlassen, Schuft, aus meinem Dienst ... DIENER. Entlaßt mich auch aus Euren Händen, Herr, Mein Ohr! Mein Ohr! LUCIA sucht den Diener zu befreien. Girolamo! Hinweg! GIROLAMO. Was mengst Du Dich in Deines Mann’s Geschäfte? LUCIA. Verzeih’ – allein der Arme dauert mich ... Was that er, also Deinen Zorn zu reizen? GIROLAMO. Mit meines Feindes Diener, hörst Du nicht? Fand ich ihn im Gespräch – vertraulich, freundlich, Trotz des Befehls, mit jenen Nachbarsleuten Nichts anderes zu tauschen als nur Prügel Und scheele Blicke und als Fluch und Schimpf. LUCIA. Doch, Theuerster – GIROLAMO. Was – doch! Hier gilt kein doch! Mit meiner Mutter Milch hab’ ich die Feindschaft Getrunken gegen die〈se〉 Barbadico’s, Sie eingesogen mit des Vaters Lehren ... LUCIA ist zwischen Girolamo und den Diener getreten. Ich weiß, daß Eure Eltern schon sich haßten, Doch weiß ich nicht, warum? Leise zum Diener. Du geh’ nur, geh’. Diener schleicht sich fort. GIROLAMO. Warum?! O Unverstand! ... Warum? LUCIA. Nun ja. GIROLAMO. Sie haßten sich, weil sie sich haßten – ei! Die Lieb’, der Haß sind selbst sich Grund genug. – LUCIA. O weh!

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GIROLAMO. Du murrst? Nein, nein – ich trau’re nur. LUCIA. Anselmo’s Frau ... Was ist’s mit seiner Frau? GIROLAMO heftig. LUCIA. Sie ist mein Mühmchen, meine halbe Schwester; Kein Tag verging, als wir noch Mädchen waren, An dem wir uns nicht sah’n ... O liebster Mann, Und nun, nun müssen wir einander fliehen, Kein traulich Wörtchen dürfen wir mehr tauschen, – Nicht einen Gruß! Natürlich! GIROLAMO. ’s ist doch hart LUCIA. Und thut mir weher, als ich sagen kann. GIROLAMO. Du weinst – ich glaube gar ... Wer ist Dir lieber, Die Jugendfreundin oder ich – Dein Mann?! LUCIA. Das weißt Du wohl, bist meines Herzens sicher; Wär’ also ich’s des Deinen! ... GIROLAMO. Wie?! ... Lucia ... Für sich. Ich bin verrathen! ... Fühlt in die Brusttasche. Nein ... Mein Brief ist da. LUCIA. Bekenn’ es nur – Du nahmst mich halb aus Trotz, Weil Barbadico mich, Dein Feind, umwarb; Um ihn zu kränken, hast Du mich gefreit. Ich arme Thörin aber liebte Dich Vom ersten Augenblick so tief und herzlich Indessen Du – Was denn? ... Was – ich?! GIROLAMO. LUCIA. – Noch damals Für meine Freundin, für Isotta schwärmtest. GIROLAMO. Für sie? – Ich schwärmt’ für sie? ... Bescheidenheit Verbietet mir zu sagen –: Sie – für mich. LUCIA. So lange sie Anselmo nicht gekannt. – Dann wählt’ sie ihn. GIROLAMO. Weil ich vorher Dich wählte. LUCIA. Das ist nicht ausgemacht ... Und – soll’s nicht werden! Denn jetzt – jetzt liebst Du mich, wie sich’s gebührt, – Nicht wahr? GIROLAMO. Ich liebe Dich. LUCIA. Beweis{’} es auch. Schmeichelnd. Es ist ein wicht’ger Tag, der heutige, {Vor dreien Jahren wurden ich und sie Isotta –}

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〈Für mich und sie. – Isotta mein ich.〉 Nun? GIROLAMO. {Vom Bischof, meinem Ohm, LUCIA. Im Dome von San Marco confirmirt ...} 〈Vor einem Jahr empfingen wir zugleich Die heil’ge Firmung in San Marco’s Dom,〉 – Ich gäb’ ihr gern ein Zeichen des Gedenkens An jenen feierlichen Augenblick, {Wo in der traumumfloss’nen Kinderseele Zum ersten Mal mit schmerzlich-süßem Bangen Ein klar’ Bewußtsein uns’res Selbst erwacht, Und wir das heil’ge Gotteshaus verließen. Das wir betraten unbefang’ne Mädchen, –} 〈Mit dem von uns die Kindheit Abschied nahm Und ihrer Träume unbewußtes Glück. Zwei unbefang’ne Mädchen hatten wir Das Gotteshaus betreten und verließen’s〉 Den Ernst der Jungfrau auf geweihter Stirn. GIROLAMO. Mein edles Weib! ... Für sich. Ich sollt’ sie nicht betrügen. LUCIA. Girolamo – laß mich ihr zeigen, Freund, Daß ich der schönen Stunde nicht vergaß! GIROLAMO. Was willst Du thun? ... Nun – was? LUCIA. Ich möchte ihr Den Psalter senden, den Du einst mir gabst, Den sie so innig zu besitzen wünschte Und den ich damals ihr verweigert hab’ – Aus Eifersucht – ich muß es nur gestehn, – Ich gönnt’ ihr nichts, was einmal Dir gehört. GIROLAMO. Den Psalter also wollte sie besitzen? Für sich. Er kam von mir – und das hat sie gewußt! LUCIA. Wenn Du’s erlaubtest ... heute schickt’ ich ihn – Ich bin jetzt klug – nicht eifersüchtig mehr – Erlaubst Du mir’s? Du schickst den Psalter nicht! – GIROLAMO. Und nun genug. Bring’ mich nicht auf, Lucia! ... LUCIA mit Thränen kämpfend. Du willst es nicht – nun denn, so soll’s nicht sein. GIROLAMO. Auch weinen sollst Du nicht – hörst Du? ... Man kommt, Nimm Dich zusammen! ... Ei – {Madonna} 〈Ghismonda〉 Mora ...

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Sechster Auftritt DIE VORIGEN. G〈H〉ISMONDA.

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G〈H 〉ISMONDA. Seid mir gegrüßt. Gegrüßt – gegrüßt, Signora. GIROLAMO. Leise zu Lucia. Wisch’ Dir die Thränen ab! Laut zu G〈h〉ismonda. Wir sind beglückt! ... Leise zu Lucia. So heiße sie willkommen doch! G〈h〉ismonda ... Die Stimme versagt ihr. LUCIA. G〈H 〉ISMONDA. Was fehlt Euch, Theure? – Traurig, liebstes Herz? Wer kränkte Euch? Sie selber kränkte sich! GIROLAMO. Kein and’rer sie – am wenigsten ihr Gatte. G〈H 〉ISMONDA. Ha! Wie er sich vertheidigt – wie geschwind! So recht mit schwerbeladenen Gewissens Voreil’ger Hast. Wer hat Euch angeklagt? Ich that es nicht – Ihr selbst bekennt Euch schuldig Indem Ihr läugnet, es zu sein. Ihr irrt ... LUCIA. G〈H 〉ISMONDA. O nein, Lucia! – Nehmt ihn nicht in Schutz, Denn er verdient es nicht. GIROLAMO für sich, erschrocken. Was sagt sie? – He! G〈H 〉ISMONDA. Er ist ein Mann wie eben alle sind – So lang sie werben, girrend, sanfte Tauben; Einmal beglückt, Hyänen, Tiger – Schlangen! LUCIA. Er nicht, – glaubt mir ... GIROLAMO. Bekenne nur, gesteh’, Was mich gereizt, rechtfert’ge den Gemahl. LUCIA. Rechtfert’gung brauchst Du nicht, vor Niemandem, Du bist Dein eig’ner Herr und bist der meine. G〈H 〉ISMONDA. Fürwahr, das nenn’ ich Demuth! Demuth – ei! ... GIROLAMO. Für meines Feindes Gattin hegt sie Freundschaft, Will ein Geschenk ihr senden mir zum Trotz ... G〈H 〉ISMONDA. Nicht Euch zum Trotz, der Freundin nur zu Liebe. – Vergönnt ihr doch die harmlos kleine Freude. GIROLAMO. Ich sollte ... Ich ... Was denn? Was sollt denn Ihr? G〈H 〉ISMONDA. Von Euch wird nichts verlangt, Ihr habt dabei Die Augen nur zu schließen, wißt von nichts,

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Und hinter Eurem Rücken trag’ ich selbst Lucia’s Botschaft zu Isotta hin. GIROLAMO. Das wär’ schon recht ... O wirklich? Wär das recht? LUCIA freudig. GIROLAMO. – Allein nicht hinter meinem Rücken nur, Auch hinter seinem – Barbadico’s Rücken, Müßt’ es gescheh’n. Natürlich! das versteht sich, G〈H 〉ISMONDA. Daß er nichts wissen darf – er glaubte sonst Ihr kämt entgegen ihm auf halbem Weg. GIROLAMO. Das ist’s! ... Ihr habt’s getroffen! ... O wie klug! ... Und unter der Bedingung denn gestatt’ ich, Zu Lucia. Daß Du den Psalter sendest. Bring’ ihn her. LUCIA. Mein liebster Mann! ... Du bester aller Menschen! ... G〈H 〉ISMONDA. Den Dank nachher, nun kommt, Lucia, kommt, Wir holen das Geschenk! Leise, indem sie Lucia fortzieht. Und nehmen eins! Ich hab’ auch was für Euch – das soll Euch freuen! – G〈h〉ismonda und Lucia ab, nach links.

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GIROLAMO allein. Der Himmel will’s – nicht ich – ‘s ist höh’re Fügung; Der sich’re Bote, dessen ich bedarf, Er kommt von selbst und bietet sich mir an. Den Wink des Schicksals zu verschmäh’n wär’ Thorheit. Er zieht den Brief heraus. – Ich schrieb den Brief nur so, für mich – zum Scherz, {Sie ringen mir ihn ab, fast mit Gewalt.} 〈Soll ich im Ernst ihn senden? ... Ja, ich soll!〉 Lucia und G〈h〉ismonda kommen zurück. LUCIA. Hier ist das Buch. GIROLAMO. Laß’ seh’n, ob auch das rechte. Er legt während des folgenden seinen Brief zwischen die Blätter des Psalters. LUCIA leise zu G〈h〉ismonda. Ich will’s ihm sagen doch! ... Wie Kohle brennt Isotta’s Gabe mir in meiner Hand. G〈H 〉ISMONDA. Thut was Ihr müßt. LUCIA. Soll sein Vertrau’n ich täuschen?

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G〈H 〉ISMONDA. Das {seine} 〈ihre〉 oder {ihr}〈sein〉’s, Ihr habt die Wahl. 〈Das seine oder ihres – trefft die Wahl.〉 LUCIA zu Girolamo. Mein Freund ... Was soll’s – was willst Du noch? Nichts mehr. GIROLAMO. Zu G〈h〉ismonda, ihr den Psalter überreichend. Nehmt hin, Madonna, und wie schon gesagt – – G〈H 〉ISMONDA fällt ihm in’s Wort. Ich weiß, ich weiß. Seid ruhig, ich bin treu. LUCIA neckend. Bisher nur im Versagen und Verweigern Nicht im Gewähren, schwöret Foscari. G〈H 〉ISMONDA verwirrt. Hat er geklagt? Nein, nein, mit Worten nicht, LUCIA. Doch seine Miene klagt, sein bleich Gesicht. Ihr solltet Euch erbarmen, seid zu hart! G〈H 〉ISMONDA wie oben. Wir sind es nie genug, glaubt mir, Lucia, Ich selbst – ich fürchte ... Was denn? Was? LUCIA. G〈H 〉ISMONDA. Vor allem – Leise ihr in’s Ohr. Mein eigen Herz! ... Lebt wohl. Wendet sich rasch zum Abgehen. Wenn Ihr’s erlaubt, GIROLAMO hastig. Geleit’ ich Euch. Zu Lucia. Leb’ wohl. Du gehst? ... O bleibe ... LUCIA. GIROLAMO. Unmöglich ... Denn – ich hab’ zu thun – ich hab’ ... Ich werd’ vor Abend kaum nach Hause kommen – Vielleicht vor morgen nicht ... Ich muß, siehst Du – Ich muß nach Malamocco! Wie? – Was dort? LUCIA. GIROLAMO zu G〈h〉ismonda. Madonna, Euren Arm! Er geht rasch mit G〈h〉ismonda ab. Er zürnt mir doch! LUCIA ihnen nachblickend, nach kurzer Pause. Sonst würd’ er mich so plötzlich nicht verlassen, Fast ohne Abschied, ohne einen Kuß! ... Er zürnt schon jetzt und grundlos, wie mir scheint, Wie wird er zürnen erst, wenn er erfährt Daß ich mich ließ verleiten von G〈h〉ismonda, Sie zieht ein kleines Päckchen aus der Tasche. Hier dies Geschenk Isotta’s anzunehmen, Der Feind, sagt sie, hätt’s selber ihr gegeben. 〈Das seine oder ihres – trefft die Wahl.〉 ndZ hinzugefügt; ohne Tilgung.

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– – Was ist es nur? ... Ein Kästchen, und – ein Brief ... Die Glückliche! sie durfte schreiben ... Doch Das ist nicht ihre Hand. Ach – ein Gedicht – Die Unterschrift: „Anselmo“ – Was soll das? – Sie liest, anfangs unterbrochen und leise, dann rasch und laut mit immer steigender Entrüstung. Ein Räthsel künd’ ich Geheimnißvoll, Weiß nicht zu sagen, Wer’s lösen soll. Seit eines Engels Blick Auf mir geruht, Werd’ ich verzehrt Von Höllenglut. Ich denk’ nicht mehr, Ich athme kaum, Ich wall’ und wandle Wie im Traum. So bin ich todt, Obwohl ich lebend bin: Erwecke mich, O Himmelskönigin! ... Ha! Barbadico! ... Großer, guter Gott! ... Er wagt’s, der Gatte meiner Freundin wagt’s Von Liebe mir zu sprechen, solche Schmach Mir anzuthun und solchen Treubruch ihr?! – Entsetzlich, gräulich ... O Girolamo, Wie stehest Du vor mir, wie rein, wie hoch, Vergleich ich Dich mit jenem schlechten Mann! ... Sie liest wieder. Ein Stelldichein erfrecht er sich zu fordern? – Erzwingen will er’s, wenn ich’s nicht gewähre, Sein Leben wagen – meinen Herrn bedrohen – – Verderbtheit ohne Grenzen, ohne Namen! Leises Pochen an dem Getäfel links, neben dem Bilde des Ritters im Harnisch. – Man pocht? ... Und wo? ... Sie geht zur Mittelthür, öffnet dieselbe und blickt hinaus. Nicht hier. Sie schließt die Thüre.

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Isotta’s Stimme hinter dem Bilde. Lucia! LUCIA. Wer ruft? Isotta’s Stimme, wie oben. Lucia! ... Wer? ... Allmächtiger! LUCIA angstvoll. Woher die Stimme?! ... Isotta’s Stimme, wie oben. Oeffne mir, Lucia. LUCIA mit Entsetzen. Er hat sich hier verborgen ... Schreiend. Hilfe! Hilfe! Isotta’s Stimme, wie oben. Ich bin’s – Isotta ist’s ... Isotta? LUCIA. Isotta’s Stimme, wie oben. Komm’ Heran! ... Lucia, hörst Du mich? Ich höre. LUCIA nähert sich dem Bilde. Isotta’s Stimme, wie oben. Drück’ an die Rose im geschnitzten Wappen Zur rechten Seit’ des Bild’s, vor dem Du stehst. LUCIA zitternd. Ich thu’s ... Ich thu’s! Sie drückt an die bezeichnete Stelle, das Bild schiebt sich langsam in die Wand. Man erblickt den Ausgang eines schmalen, dunkeln Ganges, an dem Isotta steht, eine kleine Lampe in der Hand.

Achter Auftritt DIE VORIGE, ISOTTA.

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ISOTTA in Lucia’s Arme stürzend. Lucia! Meine Schwester! LUCIA. Du kommst zu mir! ... Ich hab’ Dich wieder ... Dich! ISOTTA sich umsehend. Dein Mann ist nicht daheim? Soeben ging er fort LUCIA. Und kehrt kaum heute wieder. ISOTTA. Das ist gut ... LUCIA. Ist’s möglich denn? ... Ich kann mich noch nicht fassen – Du bist bei mir! – Du kamst – – durch welches Wunder ...? ISOTTA lächelnd. Nicht durch ein Wunder, Kind – durch diesen Gang, Von dessen Dasein ich vor Monden schon In einer Chronik uns’res Hauses las, Die mein Anselmo sehr in Ehren hält, Doch zu entziffern niemals sich bemüht. Von diesem Weg zu Dir mit ihm zu sprechen,

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Hielt eine dunkle Ahnung mich zurück. Wie glücklich bin ich jetzt, daß ich ihr folgte! LUCIA. Du kanntest längst ein Mittel, mich zu sehen, Und hast es nicht benützt? Mir schien’s Verrath ISOTTA. Und Unrecht an Anselmo. Heut jedoch ... LUCIA. Was stockst Du? ... Sprich! ... Was gestern unrecht schien, Wie wurd’ es heute recht? Das sollst Du hören, ISOTTA. Du meine arme, liebe Freundin, Du! LUCIA. Ich bin nicht arm ... Ich nicht. O wüßte sie! ... ISOTTA für sich. LUCIA für sich. O wüßte sie wie arm sie selber, wie Beklagenswerth! ISOTTA. Mein Schwesterchen – Isotta! LUCIA. ISOTTA. Es schwebt ein Unglück über Deinem Haupte, Ich kam, es zu beschwören – Dich zu warnen. LUCIA. Wovor? Vor Deines Mannes Untreu’. ISOTTA. Ha! LUCIA. Verkehrtheit! ... Ihn – den Meinen, klagst Du an?! ... ISOTTA. Ich hab’ Beweise. LUCIA. Schweig’ Isotta, schweig’ ... Nicht alle Männer sind dem Deinen gleich! ISOTTA. Ich wollt’, der Deine gliche meinem mehr, Dir wäre besser. LUCIA in großer Aufregung. Thörichte Verblendung! ... Zieht Anselmo’s Brief hervor und reicht ihn Isotta. Lies diesen Brief. Von ihm – – an Dich? ... ISOTTA. Sie überfliegt das Blatt. Dann mit gebrochener Stimme, fast weinend. An – Dich! – – Sie wirft sich auf einen Stuhl und bedeckt das Gesicht mit ihren Händen. LUCIA kniet bei ihr. Isotta, Schwester! ... Was hab’ ich gethan?! ... Kannst Du mir je verzeih’n? ... O weine nicht – Dein Mann ist treu – und er hat nur gescherzt. – ISOTTA bitter. Meinst Du? LUCIA. Gewiß! – Und deshalb sollst Du lachen, Und sollst Dich grämen nicht. Sei nur vernünftig, Was hab’ ich ] Was’ hab ich Setzfehler

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– Noch immer Thränen? ... Ei, wie schad’ um sie. Zieht ihr die Hände vom Gesicht. ISOTTA. Laß’ mich! Ein wenig nur versuch zu lachen. LUCIA. ISOTTA. Versuch’s doch selbst – Du bist in meinem Fall Und hast zu lachen ganz den selben Grund. Gibt ihr Girolamo’s Brief. LUCIA betroffen. Von meinem Manne – von Girolamo? ISOTTA. Im Psalter, den Du sandtest, lag der Brief. LUCIA. Den ich Dir sandte? – – Den hätt’ er benützt – – Sie liest. O ganz abscheulich! Meine eig’ne Hand Macht er zum Werkzeug des Verraths an mir – Springt auf. Der Schändliche! Liest wieder. Er liebt Dich, leidet, brennt ... Genug ... Hinweg! Zerreißt den Brief. Mit Wuth. Ich Unglückselige! ISOTTA sich erhebend. Sei ruhig, sag’ nun ich – es ist ein Scherz. LUCIA. Das gilt von Deinem, nicht von meinem Manne, Der meine ist zum Scherzen viel zu plump. Sieht Isotta forschend an. Er rühmt sich da – daß Du – ihn angeblickt ... ISOTTA. Ich hab’s gethan, so oft ich ihm begegnet, Und dachte stets dabei: Vieltausend Grüße Trüg’ ich – wie gern! ihm auf für meine Schwester. LUCIA. So ging’s auch mir, wenn ich Anselmo sah. Und diese beiden eitlen Männer glaubten, Daß ihnen gelte uns’re Freundlichkeit! Und bauten frech darauf ein sündhaft’ Hoffen! ... O Frevel, unerhört und himmelschreiend – Wie straf’ ich ihn? ... Wo find’ ich Rache! – Rache! – ISOTTA. Lucia! ... Kenn ich Dich – die sanfte, milde ...? LUCIA. Was Sanftmuth und was Milde, gegenüber Dem niedrigsten Verrath! Komm’ zu Dir selber. ISOTTA. LUCIA. So schwer wie ich, ward nie ein Weib beleidigt Denn nie hat eines so wie ich geliebt! ISOTTA. Nicht minder liebt’ ich, glaube mir, als Du, Und qualvoll leid’ auch ich. Du leidest? ... Leidest? ... LUCIA. Bist nicht empört und glühst nicht auf im Zorn? – Senkst still das Haupt und weinst? ... O geh mir, geh – Du hast im tiefsten Wesen Dich verwandelt. Einst Funken sprühend, feurig wie die Flamme, Jetzt Tropfen rieselnd, wie ein armer Born.

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ISOTTA. Ich bin gebeugt, gedemüthigt, gebrochen ... LUCIA. Gebrochen, schwaches Ding? ... Wie kläglich, – ha! In mir erwacht erst heut’ die g a n z e Frau ... Von ungeahnter Macht bin ich durchdrungen Und schützen werd’ ich mein verletztes Recht! ISOTTA. Was willst Du thun? Uns rächen, was denn sonst? LUCIA. ISOTTA. Doch wie? Ich sinne – will – ich werde – – halt – ich hab’s! ... LUCIA. Sie flehten beide um ein Stelldichein, Sie sollen’s haben, doch zu Schimpf und Strafe! Denn eh’ sie kommen, wechseln wir den Platz! ISOTTA freudig. Vortrefflich! – So wie heut’ schleich’ ich herüber, Und Du – hinüber, auf demselben Weg! LUCIA. Und wenn die Sünder an die Thüre pochen – ISOTTA. Dann öffnet jedem – seine eig’ne Frau! Sie steh’n entsetzt, beschämt, erkennen sie ... LUCIA. Gemach mein Schatz! Nicht um ein Königreich Darf unser Spiel so rasch verrathen werden. Das schwere Unrecht fordert lange Strafe. Du bist Lucia morgen für den Gatten, Benimmst Dich gegen ihn so, wie Du wünschest, Daß ich mich selber gegen ihn benähme, Ganz starr und eisig, stumm und voll Verachtung. ISOTTA Lucia umarmend. Es soll gescheh’n – doch morgen denk’ auch Du, Daß Name wir getauscht und Sein und Wesen, Daß meine Würde Du zu wahren hast. LUCIA. Sei Du nur, mir zu Ehren, unerbittlich, Ich, Dir zu Ehren, werde stachlig sein Trotz einer Distel – herb, wie Bilsenkraut. ISOTTA. Verstelle Dich! ... Du mußt sehr ängstlich thun, Unhörbar flüstern – dicht verschleiert sein ... LUCIA. Das schwör’ ich Dir: Mein Mann erkennt mich nicht! Trät’ ich ihm jetzt, am hellen Tag entgegen, Und spräche ihn mit meiner Stimme an, Er würde bebend fragen: „Wer ist das? Ihr Heil’gen, schützt mich vor der Furie!“ – In Wuth und Groll verkehrt sind Lieb’ und Güte, Ich fühle von der Löwin was in mir, Und meinem Herrn will ich die Herrin zeigen!

Zweiter Aufzug Rückseite der aneinander stoßenden Paläste Barbadico und Bembo jener rechts, dieser links vom Zuschauer. Ein Steinweg zwischen den Häusern und dem Canal, der den Vordergrund bildet. Der Palazzo Barbadico bildet die Ecke in eine enge Calle, die ihn von dem nächsten Hause trennt.

Erster Auftritt NICOLO kommt von rechts, in einem grauen Mantel eingehüllt.

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NICOLO. Verbirg dich, Mond! Verbirg dich, Unverschämter! Was blickst Du schadenfroh auf mich herab Und leuchtest mir zu Tod mein schönes Glück? – Im Dunkel nur erblüht es, weißt Du wohl. O laß mich selig sein, geh’ schlafen Mond! Du Freund der Liebenden, sei mir nicht feindlich! ... Schwebt keine Wolke denn am Horizont, In deren Schatten ich es wagen darf, Zum ersten Mal nach endlos langem Werben Erhörung hoffend ihr zu nah’n, der Göttin, Vor der bis jetzt ich betend lag auf Knien? ... O Stunde heißersehnt und schwererrungen, Sollst Du mir ungenützt vergeh’n? ... Verfolgt Bis an die Himmelspforte mich mein Unstern? Muß ich noch zweifelnd zögern an der Schwelle? – – Dort steigen Wolken auf ... Ich will mich bergen, Bis sie des Mondes helles Aug’ verschleiern, Im Schatten jener Häuser, – ich will – warten! – Verfluchtes Wort! ... Die Höllenpein heißt warten, So qualvoller, je näher schon dem Ziel. – Erreicht ist mein’s, doch kann ich’s nicht ergreifen, Die Stunde kam, doch zagt der Augenblick! – – Er biegt um die Ecke rechts und verschwindet im Dunkel der Calle.

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Zweiter Auftritt ORSO und DOMENICO kommen von links.

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DOMENICO. Dort hat sich einer davon geschlichen, ich habe ihn deutlich verschwinden sehen – um die Ecke. – Es war ein Dieb! ... Eure Leute sind doch in der Nähe? ... Ruft ihn an. ORSO. Das war kein Dieb. Viel eher ein Verliebter, der im Mondenschein schwärmte. DOMENICO. Ich sage Euch –: Ein Dieb! ... Wenn Ihr nicht ruft, ruf’ ich ... He, Dieb! ... He! ... Die Stimme versagt ihm. ORSO. Das hat er schwerlich gehört. DOMENICO. Weil er nicht wollte, weil er taube Ohren macht, der schlechte Kerl ... Das ist die Furcht – diese Lumpe stellen sich verwegen, doch sind sie feig – wie das böse Gewissen ... Erfaßt schaudernd Orso’s Arm. Was regt sich da? ... Flüsternd. Seine Gefährten sind hier herum versteckt. ORSO. Wenn sie nicht im Kanale untertauchen, weiß ich nicht, wo? – DOMENICO. Das ist es ja – das ist das Unglück ... Räuber verbergen sich – und die Wache weiß nicht, wo? ... Wir sind bedroht auf Tritt und Schritt, aber die Wache weiß nicht, durch wen? ... Gestohlen wird, wie in Tripolis, aber entdeckt – – Ihr Heiligen! was? Der Diebstahl immer, doch niemals der – Dieb. ORSO. Wir haben erst gestern eine ganze Bande Spitzbuben eingebracht. DOMENICO. Habt Ihr auch die – Anführer? – Die wohl nicht. Warum? Weil sie sich verbergen – dort – wohin der Arm der Gerechtigkeit nicht reicht. ORSO. Der Arm der Gerechtigkeit reicht überall hin. DOMENICO. Du, meine Güte! – Der arme Arm! – Geheimnißvoll. Wenn Ihr einmal – verkappt unter der Larve eines Strolches, einen Bembo ausspürtet – oder einen Dandalo – oder einen Foscari – was dann? Was meint Ihr? ... Dann würde sich der Arm der Gerechtigkeit heben – aber nicht um den Verbrecher zu treffen, sondern um ihn – Mit Mimik. durchschlüpfen zu lassen. ORSO. Ihr glaubt, unsere großen Herren mischten sich manchmal zum Spaße unter die Straßenräuber. DOMENICO. Zum – Spaße glaube ich nicht. ORSO. Was denkt ihr, Messere? DOMENICO. Mehr als ein Soldatengehirn sich vorstellen kann, Hauptmann. ORSO. Da wäre ich doch neugierig – DOMENICO. – Zum Exempel – daß wir verwildern unter Foscari – daß seine ewigen Kriege uns in das Verderben führen –

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ORSO. Nicht auf dem kürzesten Wege! Durch diese Kriege haben wir Fuß gefaßt in der Lombardei, Salonichi erworben, und, im letzten Feldzuge gegen Visconti, Brescia und sein Gebiet. DOMENICO. Er wird Euch’s lange in der Hand lassen, der Visconti! – – Rüstet schon, hört man, zu neuem Kampfe. ORSO. Was verschlägt das Euch? DOMENICO. Was – mir?! Gott behüt’ Euren Scharfsinn – er hat die schwindende Sucht. – – Ich brauche Frieden, Hauptmann, ich brauche Sicherheit. Anstatt dessen, was hab’ ich? – Das Entsetzen immer in allen Gliedern ... ORSO. Aber warum denn? DOMENICO ohne sich unterbrechen zu lassen. Venedig ist ein Raubstaat worden und eine Räuberstadt – ORSO. Alles durch die Kriege? DOMENICO wie oben. Und die Häupter der Stadt – heiliger Altar! – Abenteurer, Blutvergießer, Prasser ... Der Dogenneffe Foscari hat allein mehr Schulden, als Brescia bezahlen kann, sammt seinem Gebiete ... Unter solchen Umständen werden die großen Herren klein, da wächst ihnen jeder Gläubiger über den Kopf, da quetscht sie die Noth. Der eigene Säckel ist leer, aber im Kriege hat man gelernt, in den fremden greifen – – und wenn der sich nicht gutwillig öffnet – zückt der große Herr den Dolch – oder knüpft eine Strickleiter – und – – ORSO. Schweigt! schweigt. Die Angst legt Euch gefährliche Reden in den Mund. Geh’t heim, Messere. Wo hält Eure Gondel? DOMENICO. Nirgends. Ich wollte mich aus der Versammlung auf diesen meinen Beinen nach Hause begeben. ORSO. So geht denn. DOMENICO. Allein? – Ich habe einen weiten Weg. Der Eure führt an meinem Hause vorbei. ORSO. In später Nacht erst. DOMENICO. Gleichviel. Ich bleibe bei Euch. Ich stelle mich unter die Obhut der bewaffneten Macht. ORSO. Dann kommt. DOMENICO. Ruft Eure Leute. Sagt ihnen, daß sich ein Richter ihnen anvertraut hat. ORSO. Schon gut. Haltet Euch ruhig. Er winkt seinen Leuten. DOMENICO. Es wird dunkel. Der Mond verhüllt sich. Sehr schauerlich. Zu den Wachen, die von links auftreten. Ihr Leute, seid mir achtsam! Seht nach den Räubern – vor Allem seht nach

in der Hand lassen ] in der Haut lassen Setzfehler

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mir. Wenn man etwas Verdächtiges entdeckt, so habe man zuerst ein Auge auf mich. Ich bin Messere Domenico Maripetro, ein Mitglied der republikanischen Regierung! Während dieser letzten Worte gehen Alle rechts ab, an der Calle vorbei. Die Bühne bleibt einige Sekunden lang leer. Eine Thurmuhr in der Nähe schlägt eilf.

Dritter Auftritt ANSELMO kommt von links.

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ANSELMO. Und neun – und zehn – und eilf! – – Jetzt ist es Zeit! – So leicht hätt’ ich den Sieg mir nicht geträumt, Und mich verdrießt beinah’ des Kampfes Kürze; Das schwer Errung’ne nur beseligt ganz. – Wie Unrecht hattest, Tölpel Bembo, Du, Herauszufordern mein bewährtes Glück! Bald ruht Dein Weib an Deines Feindes Brust, Mit ihren Küssen Deine Schmach besiegelnd. Er nähert sich der Thüre von Bembo’s Haus und pocht dreimal rasch und leise. Ich höre kommen – leichte Schritte ... Die Thür öffnet sich, Isotta tritt verschleiert auf die Schwelle. O! – – Die Heil’ge naht und so verehr’ ich sie! Er kniet nieder. ISOTTA mit gebrochener Stimme. An–sel–mo ... Herr ... ANSELMO. Nicht, Herr, – ein Sklave nur, Unwürdig, dieses Schleiers duft’gen Saum Mit seinen heißen Lippen zu berühren, Wär’ nicht die Gnade, nicht die Himmelshuld, Die Sünder reinigt und sie heil’gen kann! ISOTTA wie oben. Steht auf. ANSELMO gehorcht. Ich thu’, was Du gebietest, Holde. Er faßt ihre Hand. ISOTTA zieht ihre Hand zurück. Nicht so. Laßt meine Hand. ANSELMO. O laßt sie m i r ! Ich habe nie so schöne Hand berührt! ISOTTA leise. Der Treulose! ANSELMO. Wie? ... Was sagtet Ihr?

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ISOTTA. Ich nichts. ANSELMO.

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Und doch – Er nähert sich. Lucia! Fort! ... Hinweg! ... ISOTTA tritt schaudernd zurück. ANSELMO verwirrt. Was fürchtet Ihr, Madonna? Euch. ISOTTA dumpf. Und ich – ANSELMO. Ich wahrlich – fürchte: Euch ... In Demuth hat In Eurer Nähe sich mein Muth verwandelt; Bangt nicht vor dem, den Bangen Ihr gelehrt. ISOTTA. Man kommt. Sie wendet sich. Entfliehst Du, Göttin? ANSELMO. Folget mir. ISOTTA. Sie verschwindet im Flure. ANSELMO. Sie zittert, wie im Morgenhauch die Espe! ... So hat Isotta nie vor mir gezittert, Ihr fehlt der holde Reiz der Schüchternheit, Der d i e s e schmückt, die mädchenhafte Frau, Die zarte, anmuthreiche! ... D a s war sie, Das war das Weib, das Gott für mich erschuf! Er folgt Isotta und schließt hinter sich die Thüre.

Vierter Auftritt LUCIA öffnet die Thüre des Palazzo Barbadico und blickt spähend umher.

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LUCIA. Er zögert lang’ – o Gott! wenn er bereute – Und käme n i c h t , ich könnt’ ihm noch verzeih’n, So groß ist meine Langmuth, meine Liebe. – Ihr Heil’gen, wendet sein verirrtes Herz! Es ist genug, daß er das Schlechte wollte, Vielleicht nur einen Augenblick es wollte – Vielleicht sogar – nicht wollt’ – daß er dem Feind Zum Possen und Verdruß den Brief geschrieben, Und um zu reizen seine Eifersucht ... Dies könnte sein, und – ist! ... Und ich – ich that Dir unrecht, mein Geliebter! – – Alles still ... Er kommt nicht – nein – er wär’ längst da, wenn wirklich ... Girolamo kommt von rechts. – Hilf Himmel – dennoch – Ei ... nun gnad’ Dir Gott!

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GIROLAMO für sich. Ich glaube fast, sie wartet schon auf mich ... O Ungeduld! – – Er nähert sich. Seid Ihr’s Madonna? Ja, LUCIA. Ich bin’s – – allein – seid Ihr’s? Wahrhaftig, – ich! GIROLAMO. LUCIA mit vor Zorn zitternder Stimme. Ich muß das sicher wissen, Herr, denn – seht, Ich hab’ für Euch da etwas in Bereitschaft, Das keinen Andern darf gespendet sein ... GIROLAMO. Dann spendet kühn, es trifft den rechten Mann. LUCIA gibt ihm eine schallende Ohrfeige. Und auch die rechte Wange! O! ... O! ... O! ... GIROLAMO. LUCIA. Läßt eine Dame man so lange warten Beim ersten Stelldichein? – – O! ... O! ... O! ... GIROLAMO. LUCIA. Ist Brauch dies in Venedig? – ist’s der Eure? GIROLAMO verblüfft. Geschäfte – meine Zeit ... Seid Ihr ein Krämer, LUCIA. Bei dem Geschäfte vor der Liebe gehen? Ist Eure Zeit so kostbar, weil sie Geld? – Ein Goldstück jede Stunde – oder zwei? Ich will es wissen! Sagt es frei heraus, Wie viel ich immer zu vergüten hab’ ... Euch schuldig, bei der Hölle! bleib’ ich nichts ... GIROLAMO für sich. O welch’ ein Weib! Sie lodert – Reibt sich die Wange. Das ist Feuer ... Vor meinem Aug’ sprüh’n Funken – ellenlang. Laut. Sehr schmeichelhaft, im Grund, ist Euer Zorn. LUCIA. Wohl – ich verstehe mich auf Schmeichelei, Mein süßer Herr. GIROLAMO für sich. Trotz einer Tigerin. Laut. Gebt Eure Hand, daß ich die mächt’ge küsse. LUCIA reicht ihm die Hand. O küßt sie nur! GIROLAMO für sich. Wie eine Männerfaust So rauh. Laut. Geliebte, Eure Hand ist kalt. LUCIA für sich. Geliebte?! ... Warte – o! ... Laut. Doch nicht mein Herz. GIROLAMO. Was macht das Eure glühen?

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LUCIA. Eifersucht! – – War’s Eure Frau, die Euch zurückgehalten? Man sagt, daß sie die Herrschaft führt im Hause. GIROLAMO. In meinem Hause, sie? – O lächerlich! Gehorsam ist mein Weib und unterthänig, Mein Wink ihr unverbrüchliches Gesetz. LUCIA für sich. Das wird sich ändern in der Zeiten Lauf. GIROLAMO. In strenger Zucht muß man die Frauen halten ... LUCIA heftig. Was sagt Ihr da? Die schwachen, meine ich – GIROLAMO. LUCIA wie oben. Und zählt wohl mich dazu? Bewahr’ mich Gott! GIROLAMO zurückweichend. LUCIA. Bei mir käm’t Ihr schlecht an mit Eurer Zucht. GIROLAMO kniet nieder und entblößt sein Haupt. Der Deinen, zorn’ge Göttin, beug’ ich mich; Daheim ein König, bin ich hier ein Knecht! LUCIA legt die Hände auf seinen Kopf. Wohlan – wohlan – – und dieses Haupt ist mein? GIROLAMO. Der ganze Bembo Dein mit Leib und Seele. LUCIA. Mit Leib und Seele – Faßt ihn an den Haaren. und mit Haut und Haar! GIROLAMO ächzend. O schrecklich – fürchterlich! ... Wie Ihr befehlt ... LUCIA. So nehm’ ich ihn denn auch zu eigen ganz, Und wie er sich ergab, auf Gnad’ und – Ungnad’. GIROLAMO. Auf Gnad’, und – Ungnad? ... Wild ist meine Liebe – – LUCIA. GIROLAMO. Ich hab’s erprobt. LUCIA. Ihr habt noch nichts erprobt. Das Beste soll erst kommen! GIROLAMO. Wie? – das Beste? – War denn schon Gutes da? Die Leidenschaft LUCIA. Ist Feuersglut. Wenn Ihr das Feuer fürchtet, Kommt ihm nicht nah. Lebt wohl. Sie wendet sich. Ihr geht? ... Und ich – GIROLAMO. Darf ich Euch folgen? Wenn Ihr’s wagt! Sie verschwindet im Flure. LUCIA. Ich wag’s! GIROLAMO ruft ihr nach. Das nenn’ ich Wärme! Leben! ... Welch’ ein Weib! – Was die mich fühlen lehrt, empfand ich nie, Lucia’s Zärtlichkeit gleicht dieser, wie Ein flackernd Lichtlein in der Krankenstube

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Dem Ausbruch des Vesuvs! ... Und all die Lohe Hab’ ich entfacht. Ein Gott, umwallt von Flammen, Komm ich mir vor. – ’s ist aus mit uns – Lucia, Die sanfte Güte rührt, weckt Mitleid, doch Nur Leidenschaft allein beglückt den Mann! Er geht und wirft hinter sich die Thüre zu.

Fünfter Auftritt FOSCARI kommt von rechts. In einer Hand hält er das abgerissene Ende einer Strickleiter, mit der andern preßt er ein Tuch an seine blutende Stirne.

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FOSCARI. Hierher – noch einen Schritt – – so fern als möglich Von meiner Liebsten Haus ... Daß nicht mein Blut Verrathe, was geschah ... Seine Hände sinken matt herab. Nun fließ’ dahin – Dein dunkler Strom fleckt hier nicht ihren Ruf – Vor kränkendem Verdacht bleibt sie bewahrt. Die Strickleiter ist zu Boden gefallen; er will sich bücken, um sie aufzuheben, und bricht zusammen. Und wo – wo berg’ ich dich – treuloses Werkzeug, Das mich zum Glücke tragen sollte – und Das – mich – betrog ... G〈h〉ismonda – Deinen Schrei, Ich hörte ihn – – sei ruhig – o sei ruhig – Ich plaudre nicht, ich bin – ein stummer Mann – Dem – Tod – ist Dein Geheimniß anvertraut. Seine Sinne schwinden.

Sechster Auftritt DOMENICO, ORSO, gefolgt von der Wache, kommen von rechts.

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ORSO rasch auftretend. Ein Fenster hat geklirrt, ich habe einen Schrei gehört und einen schweren Fall. DOMENICO athemlos hinter ihm her. Was rennt Ihr so? ... Ich habe nie vernommen, daß man der Gefahr entgegen läuft. Kommt zurück. ORSO umherblickend. Es muß hier in der Nähe gewesen sein. DOMENICO in Todesangst. Bringt mich nach Hause. Es war nichts, sag’ ich Euch; es gibt heut nichts zu fangen.

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ORSO. Gerade heut. DOMENICO. Es ist umsonst – die Kerle wagen sich nicht aus ihren Schlupfwinkeln. Sie haben Wind bekommen, daß ich die Stadt durchstreife. ORSO hat leise mit einigen seiner Leute gesprochen, sie begeben sich in die Calle. DOMENICO. Wohin schickt Ihr die Leute? Sie sollen meinen Rücken decken ... Ihr entblößt mir meinen Rücken ... ORSO lauschend. Haltet Euch doch still. DOMENICO. Was seht Ihr? ... Was hört Ihr? ... Ewige Barmherzigkeit – wir sind umringt ... ORSO wie oben. Still, Messere! DOMENICO. Nein! Erhebt die Stimme. Die ehrlichen Diebe hier herum sollen wissen, daß ich sie ungeschoren lassen will – daß ich nichts gegen sie im Schilde führe ... Laßt uns nach Hause gehen ... Gönnt Euren braven Leuten Ruhe – jagt sie nicht umher in der Nacht – die Nacht hat Gott der Herr geschaffen, daß seine Menschen sie verschlafen ... Geht, ihre Leu... Er ist an die Stelle gekommen, wo {Foscari} 〈Nicolo〉 liegt, stolpert über dessen Beine und fällt. O heilige Dreieinigkeit – da lieg’ ich! ORSO. Messere! – was ist? ... DOMENICO. Ein Erschlagener! ... Blut! ... Ein See – ich lieg’ auf einem Todten in einem See von Blut ... Fischt mich heraus! ORSO hilft ihm auf. Fackeln her! He – Fackeln! Die Leute aus der Calle eilen mit Fackeln herbei. Wahrhaftig – ein Erschlagener – DOMENICO. Ein Körper – o! ein Körper – – ORSO. Leuchtet – hierher! DOMENICO. Ja, leuchtet! ... Leuchtet dem Körper in’s Gesicht – Schaudervoll! ... Eine Verbrecherphysiognomie. Das ist einer von denen, die man zuerst hängen und dann richten soll. ORSO. Possen! Das ist ein sehr friedfertiger Geselle. Das ist Nicolo Foscari – des Dogen Neffe. DOMENICO. Des – Do – gen – – Nef – fe – ?! ORSO. Was liegt da neben ihm? ... Das abgerissene Ende einer Strickleiter ... DOMENICO. Strickleiter!! Wie? ... Wer? ... Strickleiter! ... ORSO. Die nehm’ ich zu mir. Armer Nicolo – – DOMENICO. Eine saubere Armuth – eine Armuth mit einer Strickleiter in der Hand – Sprach ich nicht eben von einer Strickleiter, Hauptmann? – that ich’s nicht? ORSO. – – Erschlagen – an der Schwelle des Palastes Barbadico Lauschend. und da d’rin alles still! ... Zu einigen seiner Leute. Ihr, nehmt die Leiche auf. Es geschieht. Tragt sie nach dem Dogenpalaste, meldet dem Dogen, daß ich

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Euch auf dem Fuße folge, Bericht erstatten werde – – Die Leute mit {Foscari} 〈Nicolo〉 ab nach links. DOMENICO ihnen nachrufend. Meldet, daß auch Messere Maripetro kommt, dem man die ganze Entdeckung verdankt – der auf sie gestoßen ist mit seinem Scharfsinn ... ORSO. Scharfsinn? – Ei, mit seiner Nase! Nach einer Pause. Ist Eurem – Scharfsinn die Stille nicht befremdlich in den beiden, sonst so lauten Häusern? ... Nicht ein Fenster erleuchtet ... Alles wie ausgestorben ... DOMENICO. Vielleicht – alles todt – alles – – ermordet ... O Hauptmann! ORSO. Fiel Foscari lautlos? War niemand in der Nähe, als der Mord geschah? Ich hätte Lust, ein wenig anzufragen. Er nähert sich der Thüre des Palastes Barbadico. Diese wird im selben Augenblicke von innen vorsichtig geöffnet. DOMENICO flüsternd. Gebt Acht! ... Gebt Acht! ... Die Thüre ... seht! ORSO leise zu seinen Leuten. Keinen Laut! ... Drückt Euch an die Wand. GIROLAMO schleicht aus der Thüre. Leb wohl – Engel, Kriegsgöttin ... Schließt die Thüre. Drache! ... Heil mir, daß ich entronnen bin mit geraden Gliedern – Brr! ... Mänade, ich gönne Dich dem Feinde. Bei meiner Treu’ – ich hab’ ein besseres Weib. DOMENICO leise. Wie er sich schüttelt, seht. ... Es graut ihm vor sich selber. ORSO winkt seinen Leuten. Fasset ihn! ANSELMO schleicht aus der Thüre des Palastes Bembo. DOMENICO. Halt! Halt! ... Da ist noch einer! ... ORSO. Wahrhaftig ... Winkt den Leuten, sich ruhig zu verhalten. ANSELMO. Auf Nimmerwiedersehen – Du Klageweib! Lad’ andere zu Deinen Thränenfesten. – Das Glück das Du gewährst, gönn’ ich dem Bembo! Erblickt Girolamo. Teufel! ... Ein Mann an meiner Thür?! GIROLAMO erblickt Anselmo. Was regt sich dort? – Wer da? ANSELMO auf ihn zustürzend. Ich! Steh, Du! GIROLAMO. Gewiß! ANSELMO. Bembo! GIROLAMO. Barbadico! ORSO. Sie sind es. ANSELMO. Woher? GIROLAMO. Woher Du selber? ANSELMO. Du warst bei meinem Weibe! GIROLAMO. Bei dem meinen Du! ANSELMO zieht. So stirb! GIROLAMO zieht. {Verende!} 〈Fahr’ zur Hölle!〉 ORSO wirft sich zwischen sie. Halt! Halt! Im Namen des Gesetzes! Die Wachen trennen die Kämpfenden trotz ihres heftigen Widerstandes. GIROLAMO. Söldlinge! Hunde!

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ORSO. Ruhe, Signor Bembo – behaltet kaltes Blut, wenn’s Euch beliebt, und gebt Bescheid auf meine Frage, Herr. An der Schwelle des Hauses, aus dem Ihr so eben schlich’t ... ANSELMO wüthend. O! ORSO. Und das Ihr sonst – bei Tage mindestens – zu meiden pflegt, fanden wir den Neffen des Dogen ermordet. GIROLAMO. Was kümmert’s mich? Mit den Wachen ringend. Laßt los! Er erwehrt sich der Wachen. ANSELMO hat sich gleichfalls frei gemacht, er und Girolamo dringen mit blanken Klingen auf einander ein. Komm’ an! ORSO. Entwaffnet sie! GIROLAMO. Versucht’s! ANSELMO. Entwaffnen – mich? – Girolamo und Anselmo werden von Orso und seinen Leuten übermannt und entwaffnet. ORSO. So. Nun bindet sie, denn sie sind toll. Anselmo und Girolamo zugleich während sie gefesselt werden: ANSELMO. O Wuth! GIROLAMO. O Schmach und Schande! DOMENICO der sich hinter den Wachen verborgen hält, tritt vor. Ja, Schande! Ja – ja wohl! ... Himmel! Herrgott! ... Ertappt! nächtlicher Weile auf Diebeswegen – einer im Hause des anderen – so erlauchte Häupter – so hohe Herren – und gehen stehlen! ORSO lacht. Stehlen – hahaha! ANSELMO schäumend. Lacht nicht! ORSO. Nein, nein. GIROLAMO. Gebt mich frei – oder ... ORSO. Ich traf Euch im Zweikampf. Ihr kennt das Gesetz; ich muß Euch verhaften, Ihr Herren. Was jeder von Euch im Hause des Feindes suchte – ob Ihr Kenntniß habt vom Morde Foscari’s – wird das Verhör an den Tag bringen. Zu den Wachen. Führt sie ab! ANSELMO. Entehrt vor ganz Venedig! GIROLAMO. O Weiber! Weiber! ORSO. Vorwärts! DOMENICO. Wartet! Wartet! An Eure Spitze setzt sich die Gerichtsperson! Der Zug hat sich, ohne auf ihn zu achten, in Bewegung gesetzt; er will sich vordrängen und wird von einer der Wachen, die den noch immer sich wehrenden Girolamo führen, in den Canal gestoßen. DOMENICO im Fallen. {O Donnerwetter! Hilfe! Hilfe!} 〈Ihr Heiligen – zu Hilfe!〉

Dritter Aufzug Ein Gemach im Dogenpalaste. Auf einem Tische das abgerissene Ende der Strickleiter, und Schreibgeräthe.

Erster Auftritt DOGE, O RSO.

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DOGE. Was meldet der Wärter von seinen Gefangenen? ORSO. Sie haben eine unruhige Nacht zugebracht, Morgens und Mittags die Nahrung verweigert. Beantworten mit finsterem Schweigen jede Frage die man an sie richtet. Sie sitzen stumm einander gegenüber und werfen sich grimmige Blicke zu. DOGE. Ich will meinen Neffen sprechen, vorausgesetzt, daß er im Stande ist, mir Rede zu stehen. ORSO. Er ist es, Herr, er hat sich erholt von seiner tiefen Ohnmacht. DOGE. Sendet ihn. ORSO. Noch eines, Herr. Bei Tageshelle entdeckte ich, daß sich von der Stelle, an der wir Signor Foscari fanden, durch die Calle Barbardico leichte Blutspuren, bis zum Steinweg, in den sie mündet, zogen. Dort endeten sie vor dem dritten Hause. DOGE. Kennt Ihr das Haus? Wessen ist es? ORSO. Es ist der Palazzo der Witwe Mora. DOGE. Und so meint Ihr? ORSO. Nichts Herr, ich berichte was ich sah. DOGE. Geht. Meinen Neffen und Messere Maripetro. ORSO. Dieser wartet, obschon etwas unwohl in Folge der heut’ Nacht erlittenen Erkältung. Oeffnet die Thür und winkt. Domenico tritt ein. Orso ab.

Zweiter Auftritt DOGE. D OMENICO. DOMENICO an der Thüre mit tiefen Bücklingen. Erlauchter! Er niest. DOGE. Tretet näher.

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DOMENICO gehorcht. Mit Verlaub. Niest wieder. Verzeihung, Erlauchter – ein kleiner Schnupfen; doch bin ich stolz darauf. Ich zog mir ihn zu im Dienste der Republik. DOGE. Ich weiß, ich weiß. Messere Maripetro! Die Signoria hat, nachdem sie Eueren und des Hauptmanns Orso Bericht über das Ereigniß der heutigen Nacht entgegengenommen, mir nicht nur die Untersuchung dieser Sache, sondern auch die Entscheidung darin übertragen. DOMENICO. Mit Ausschluß der Quarantia? des Rathes der Zehn der ... DOGE. Ja, Messere. DOMENICO für sich. O Republik! – Ist das republikanisch? DOGE. Ich hingegen verpfändete mein fürstliches Wort, mich dieser Angelegenheit mit äußerster Gewissenhaftigkeit anzunehmen, und wünsche überdies, daß jeder Schritt, den ich in derselben thue, von einem verläßlichen Zeugen überwacht werde. Ihr seid der Mann, den ich dazu auserwählt habe, vorzüglich deshalb, weil ich Euch als meinen Gegner kenne. DOMENICO. Mich? ... O dies – dieser Verdacht. DOGE. Setzt Euch, Messere, nehmt die Feder zur Hand, Ihr werdet, was hier vorgeht, an die Signoria berichten. Zuerst die Unterredung zwischen mir und meinem Neffen. DOMENICO. Unterredung –? Euer Neffe, Erlauchter – ist todt. DOGE. Mein Neffe ist so lebendig wie ich und Ihr. Da – seht.

Dritter Auftritt DIE VORIGEN. NICOLO, eine Binde um die Stirne.

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DOMENICO fällt bei seinem Anblick vor Schrecken beinahe vom Stuhle. Ewige Barmherzigkeit – der Todte! DOGE. Behaltet Platz, Messere. DOMENICO. Ich – wollt’ – nur – grüßen ... Für sich. Lebendig – und ein Räuber! ... Lebendig ist noch schlimmer als todt ... NICOLO will auf den Dogen zugehen. Mein theurer Oheim, Ihr ... DOGE winkt ihn fort. Dein Richter, Foscari. NICOLO. Richter? Was hab’ ich denn gethan? DOGE. Das wollen wir von Dir hören. Bedenke, ehe Du sprichst, daß ein jedes Deiner Worte so schwer wiegt, als fiele es vor dem versammelten Rathe der erlauchten Republik. NICOLO. Mein Fürst ... DOGE. Du wurdest heute Nacht für todt in der Nähe der Häuser Barbadico’s und Bembo’s gefunden. Hattest Du Streit mit einem von den beiden?

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NICOLO. Mit Keinem, Herr. Weder den einen noch den anderen habe ich erblickt. DOGE. Schreibt doch, Messere. DOMENICO. Erlauchter – ja. DOGE auf Nicolo’s Stirne deutend. Wie kamst Du zu der Wunde? NICOLO. Ich bin – ich ... O Herr! ... DOMENICO für sich. Haha! ... Er stottert schon! Schreibend. Ich bin ... ich ... O Herr! – Es steht geschrieben. – DOGE. Von der Stelle, an der Du fielst, führen Blutspuren durch die Calle Barbadico, bis zum Palazzo Mora. NICOLO für sich. Himmel! DOMENICO. Ei! Ei! Mir neu – Palazzo Mora? DOGE. Dort wurdest Du überfallen? – Nicht? NICOLO. Ich? – Ja, ja – ganz recht – ich wurde überfallen. DOGE. Von Strolchen? NICOLO. Möglich! – Es werden wohl Strolche gewesen sein. DOMENICO. Wurde überfallen? ... Wurde? ... Nicht doch – er überfiel – NICOLO. Ich fiel! Betheuernd. Er sagt es, Herr – fiel über – – – DOMENICO. Entschuldigt! – Ich fiel über Euch! DOGE. Laßt ihn reden. Während des Kampfes mit den Strolchen also, stürztest Du – NICOLO. Des – Kampfes? ... DOGE. Kam es denn zu keinem Kampfe? NICOLO. Sprach ich von einem Kampfe? DOGE. Von einem Ueberfall sprachst Du. Soll ich glauben, daß Du Dich nicht zur Wehre gesetzt hast? NICOLO. Ich – werde – wohl – DOGE ihn nachahmend. – Ich – werde – wohl! ... Drücke dich bestimmter aus! NICOLO. Ich setzte mich zur Wehre. DOGE. Gelang Dir’s, einen Deiner Gegner zu verwunden? NICOLO. – Ja – sicherlich. DOGE. Mit welcher Waffe? NICOLO. Ich hatte – meinen Dolch. DOGE. Hier ist er! So blank wie er aus dem Laden des Waffenschmieds kam. Mit Deinem Dolche hast Du Dich nicht gewehrt. NICOLO. Ja ... Nein! ... DOMENICO. Er verwirrt sich – laßt mich die Verwirrung zu Papiere bringen! DOGE. Womit d e n n ? ... Mit dieser Strickleiter vielleicht? – Er hebt sie in die Höhe. NICOLO erschrocken. Herr! ... DOGE. Die fand man bei Dir! ... Und ich will Dir sagen, wozu sie dienen sollte, verliebter Thor! ...

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NICOLO. Ich fleh’ euch an – DOGE. Dir dienen sollte sie, das Zimmer zu ersteigen der schönen Witwe ... NICOLO. Nennt keinen Namen! ... Keinen Namen, Herr! DOMENICO triumphirend. Der reichen Witwe Mora! Mir geht ein Leuchtthurm auf! ... Einbrechen – einbrechen – – NICOLO. Einbrechen – Ich?! – verdammter Schreiber ... DOMENICO zum Dogen. Er läugnet – jetzt ist’s gewiß. DOGE. Gib Antwort – NICOLO für sich. Das wär’ ein Ausweg ... O Pein – der einzige! DOGE. Bekenne oder ... NICOLO. Herr – droht mir nicht! Für sich. Die Ehre der Geliebten gegen die meine – welcher Einsatz! DOGE. Bekenne! NICOLO. Wohlan denn – ich will – bekennen – – was Euch nicht freuen wird – – DOMENICO. Er – will bekennen? Jetzt ist’s ganz gewiß! NICOLO tritt trotzig an den Tisch. Ich, Nicolo Foscari, bekenne, daß ich heut’ Nacht in das Haus Madonna Mora’s schlich, mit der Absicht, sie zu berauben. DOGE. Nicolo! DOMENICO. – Be – rau – ben ... Erlauchter, hört: berauben! NICOLO. Ich befestigte eine Strickleiter – DOMENICO. Diese da! NICOLO. – an eines ihrer Fenster, um mir den Rückzug zu sichern, nachdem mein Raub vollführt. DOMENICO. Nachdem! So ist er’s schon – so ward er denn vollführt? NICOLO. Im Vorsatz nur. DOMENICO. Um so besser – das heißt um so schlimmer – nämlich für Euch. Der Vorsatz, Jüngling, ist schlimmer als die That ... DOGE. Wie so? DOMENICO. Vor dieser kann man zur Noth sich schützen doch, vor jenem – nicht. DOGE. Zu Ende! Zu Ende! DOMENICO zu Nicolo. Fahrt weiter. NICOLO. Was soll ich sagen noch? – Im Begriffe, meinen Raub in’s Werk zu setzen – vernahm ich Schritte, Stimmen, und – entfloh. DOMENICO. Durch’s Fenster, an dem die Leiter – NICOLO. – hing ... Ja! Ja wohl! ... Mein Unglück wollte, daß sie, in der Hast schlecht angebracht – unter meiner Last abreißend, mit mir zu Boden fiel ... DOMENICO. Langsam! ... Ich komme nicht nach ... NICOLO. – und daß ich, durch den Sturz verwundet, erschöpft vom Blutverlust, unter Weges ohnmächtig zusammen sank.

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DOMENICO. ... Sank! ... Es steht! ... Ist das ein Bekenntniß! ... So rund und nett, wie mir noch keines dargebracht worden, so lang’ ich Richter bin! DOGE spöttisch. Berauben wolltest Du Signora Mora? Mit Gewalt nehmen, was sie Deinen Wünschen versagte? NICOLO. Ich sagte – berauben, Herr. DOMENICO. Seid ruhig – es steht schon da ... Rauben – einbrechen – ich möcht’ Euch küssen! ... Meine {Erlaucht} 〈Ehrfurcht〉, – das ist mir eines Edelmannes stolzes Bekenntniß. – Ich hab’s gethan – basta, fertig. Läugnen ist gut für das gemeine Pack! ... Wenn die beiden Anderen auch so schön bekennen, Erlauchter, so haben wir einen Prozeß, der Alle, die damit zu thun hatten, zur Unsterblichkeit befördert – – Zu Nicolo. Euch – sofort; uns – in einiger Zeit. DOGE zu Nicolo. Du bestehst auf dem Wortlaute Deiner Aussage? NICOLO. Ich bestehe darauf. DOGE tritt zur Thüre. Orso! Orso tritt ein. DOGE. Führt Signor Foscari in das Gefängniß. Er klagt sich eines gemeinen Verbrechens an, behandelt ihn denn, wie einen gemeinen Verbrecher. Nicolo wird von Orso abgeführt. DOMENICO. Und jetzt die beiden Andern, Herr! DOGE. Was soll’s mit ihnen? Das Geständniß Foscari’s hat sie von dem Verdachte gereinigt, der auf ihnen ruhte. DOMENICO. Gereinigt, Erlauchter? ... Wie so? ... Sie sind nächtlicher Weile ertappt worden, als sich einer aus dem Hause des andern schlich. – Was hatten sie dort zu suchen? fragt die Gerechtigkeit. DOGE. Nach – Allem hat die Gerechtigkeit nicht zu fragen. DOMENICO. Nicht? ... Ich meine doch! ... Ich meine sehr. Verhör {muß} 〈dürfte unerläßlich〉 sein, Erlauchter ... DOGE. Wohlan denn, wir wollen auch sie verhören. DOMENICO. Und wenn sich herausstellt, daß sie mit der gleichen Absicht, wie Signor Foscari, eingedrungen sind in fremdes Gebiet – DOGE. Dann trifft sie gleiche Strafe. Nach kurzer Pause. Begebt Euch zu Signora Mora, Messere. Sagt ihr, Nicolo würde das an ihr beabsichtigte Verbrechen, das er eingestand, mit seinem Leben büßen. DOMENICO. Es wird sie sehr beruhigen. Ich eile. DOGE. Sobald dies vollbracht, sendet Barbadico und Bembo hierher. Wenn die Schuld erwiesen wird, deren Ihr sie zeiht, Messere, bin ich entschlossen – ich hindere Euch nicht, dies in der Stadt zu verbreiten – Barbadico und Bembo zwischen den Säulen enthaupten, meinen Neffen aber – hängen zu lassen. Er geht.

Sagt ihr, Nicolo würde ] Sagt Ihr, Nicolo würde Setzfehler

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I. Text

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DOMENICO. Hän–gen? ... O – o Brutus ... Ein großer Doge und – wie Wachs in meiner Hand! Wenn’s Dir gefallen sollt’, mich zu erhöhen, Herr, so kehre Dich an meine Demuth nicht ... Ein großer Doge ... „Ich hindere Euch nicht, dies in der Stadt zu verbreiten“? Maripetro versteht. – Zu {Madonna} 〈Signora〉 Mora. Er geht ab.

Verwandlung. Gefängniß. Kahle Mauern. Kleines vergittertes Fenster, durch welches das Licht spärlich hereindringt. Schwere eisenbeschlagene Thüre. Rechts und links eine mit Stroh bedeckte Pritsche. GIROLAMO und ANSELMO, gefesselt, sitzen einander gegenüber.

Vierter Auftritt

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GIROLAMO. Ich würdigte bisher ihn keines Wort’s, Doch spräch’ ich gern ihn an, denn schweig’ ich länger, So birst mein Herz vor Wuth. – Er regt sich nicht, Sitzt da, so gleichgiltig und dumm – ein wahrer Klotz! ANSELMO wirft einen wüthenden Blick nach ihm. Ein Kerl, wie {Gallerte, blutlos} 〈widerwärtig, häßlich〉 – – Pfui! ... {Molluske} 〈Du Spinne〉! ... Heute Nacht hat er geschnarcht – – Ich knirschte, raste, weinte! – – und er schnarchte – Er ruht auf seinen Lorbeern – o! – o! – o! Gesammelt in dem Garten meines Glücks. Erwürgen werd’ ich ihn, und sie dazu. GIROLAMO. Er hat leicht ruhig sein, der schlechte Schelm, Er schwelgte in den Armen meines Weibes, Indeß mich seine Hexe so mißhandelt, Daß ich mich freute, als sie mich entließ, Wie Jonas, als ihn ausgespie’n der Hai. ANSELMO Girolamo betrachtend. Der Ekelhafte! – Nur ein sündvoll’ Weib, Verderbt bis in der Seele tiefsten Grund, Kann solch’ ein Ungeheuer reizend finden Und solcher Fratze gönnen ihren Kuß. Fürwahr, bei Allem, was man heilig nennt! Wie hassenswerth er sei, mehr noch ist sie’s ... Er schwor mir ew’ge Feindschaft tausendmal, Doch sie gelobt’ mir ew’ge Lieb’ und Treue. GIROLAMO. Er sieht mich an und murmelt – murmle Du! – –

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Ihm fehlt gewiß der Muth, mich anzusprechen, Und er meint wohl, ich wäre feig wie er ... Da soll ... Laut zu Anselmo. Elender! Wer? ANSELMO auffahrend. Ich sprach zu Dir. GIROLAMO. ANSELMO. Zu mir, Du Schurke? Er will auf Girolamo zustürzen, wird aber durch die Kette zurückgehalten. Und – ich bin gefesselt! GIROLAMO triumphirend, für sich. ’s ist doch auch ihm so ganz behaglich nicht! Laut und hämisch. Wir sitzen stumm einander gegenüber Und hätten, dünkt mir, Manches uns zu sagen. ANSELMO. Ich Dir zuerst: Daß ich Dich tödten will! GIROLAMO. Zu allererst: Daß ich den Hals Dir breche! ANSELMO. Wenn sich ein Mann durch Worte ließ besiegen, Vielleicht – Du Weiberheld! GIROLAMO. Das bist Du selber! ANSELMO für sich. Ich war’s, bis mich sein Weib zum Feigling machte. Mit ihren Thränenfluthen löschte sie Die Glut in dreißig Heldenherzen aus. Als wie ein blöder Knab’ stand ich vor ihr! Ich ward genarrt – und er ... O Wuth! Laut. Du Teufel! Dein letzter Athemzug, er haucht allein Von meiner blanken Ehr’ den Flecken fort; Der letzte Tropfen erst von Deinem Blut Thut mir genug, bei Gott, ich will ihn haben! GIROLAMO für sich. Für das, was ich ihm an der Ehr’ verletzte, Wär’ bald genug gethan! Laut. Wir treffen uns, Deß’ sei gewiß – und gut – trau’ dieser Faust. ANSELMO. Und was geschieht den pflichtvergess’nen Weibern? GIROLAMO. Die nenne nicht! Sonst sterb’ ich gleich vor Abscheu, Und könnt’ Dich dann nicht mehr erwürgen, Feind! Und könnte nicht, sobald dies abgethan, Hintreten vor die schnöde Buhlerin, Die meine Frau einst war, und mir den Dolch Vor ihren Augen graben in die Brust Und rufen: Mörderin ... ich fluche Dir! löschte sie ] löschte die vermutlich Setzfehler

I. Text

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ANSELMO. Das ist m e i n Vorsatz, i c h will also sterben. GIROLAMO. Auch Du willst sterben? Bin ich nicht entehrt? – ANSELMO. Vor ganz Venedig blosgestellt dem Hohn? – Meinst Du, die Wachen schweigen und der Richter? – O Schande! Schande! Trösten könnt’ ich ihn –, GIROLAMO für sich. Doch hol’ mich gleich der Satan, wenn ich’s thu’, Denn wer – wer tröstet mich? Laut und parodirend. „O Schande! Schande! ...“ – Trägst Du sie denn allein, die „Schande“ – wie? Nagt ihre Qual nicht giftig auch an mir? ... Du erntest, was Du ausgesä’t ... Heims’ ein! – ANSELMO. Beim lichten Himmel! ... Bei der finster’n Hölle! Ich gäbe tausend Leben, hätt’ ich sie, Ich gäb’ die Erde, wär’ sie mein, dahin, Die Schmach von meinem Namen wegzutilgen! GIROLAMO sieht ihn forschend an. – Gäbst Du dafür sogar – sogar die – Rache? ANSELMO nach einer Pause. Die Rache selber. – Ja. – Auch ich! ... Auch ich! ... Laut. GIROLAMO für sich. Um diesen Preis kann uns – Du Elender – Der Schein der Ehre noch erhalten werden. ANSELMO. Erhalten – noch? ... O Gott – – erhalten werden?! GIROLAMO. Ein Mittel gibt’s. Wenn Du es fandest, Mann! ANSELMO. Und mir entdeckst, bist Du mein Feind nicht länger. Ich nenn’ Dich Bruder – Vater nenn ich Dich! GIROLAMO. Ich weiß ein Mittel, doch – es bringt den Tod. ANSELMO. Den such’ ich ... Und – es bringt nicht eben Ruhm. GIROLAMO. ANSELMO. Wär’s auch ein Tausch nur gegen and’re Schande, Jedwede dünkt mir Ehre gegen die! GIROLAMO. Ganz meine Meinung, Feind! ANSELMO. So rede – Bembo! GIROLAMO. Vor unsern Häusern todt lag Foscari. Laß uns bekennen, daß wir ihn erschlagen Im Augenblick, bevor die Häscher kamen – Und als wir diese nahen hörten – rasch Uns flüchteten ... ANSELMO. Uns – flüchteten?

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GIROLAMO. – Verwirrt, In Todesangst, die eig’ne Thür verfehlend, Barg’ jeder sich im Haus des anderen ... Und dort – alsbald erwischten ihn die Wachen. ANSELMO. – Die – Weiber, ahnten von dem allem nichts! Die werden nicht genannt. Natürlich nicht. GIROLAMO. ANSELMO. So recht – so recht – ich bins zufrieden – ja – Doch sag’, warum wir Foscari ermordet? GIROLAMO. Das – finde selbst. Erfand ich nicht genug? ANSELMO nach kurzem Nachdenken. Er wollte – uns versöhnen –! Ja, das geht. Den alten Haß rieth er uns aufzugeben – Daraus entspann sich Streit ... Wir beide fielen Ihn an zu gleicher Zeit, und löschten unsern Zorn In seinem Blut! GIROLAMO. Ich that’s! ... Ich will’s beschwören! In’s Angesicht den Weibern will ich’s schwören, Wenn etwa die uns lügen strafen wollten. ANSELMO. Sie werden sich wohl hüten, glaube mir, Sie werden schweigen, die Nichtswürdigen, Die all’ des Unheils Grund und Ursach’ sind. GIROLAMO. Die Deine ist ein Seraph gegen meine. ANSELMO. O Himmel, nein! ... Die meine ist verrucht, Sie kam entgegen Dir, ich bins gewiß ... Bei meinem Eid! Ich klage Dich nicht an. Der eines schönen Weibes Gunst verschmähte, Das wär’ kein Mann – verachten müßt man ihn! GIROLAMO. Verachten! – Wohl! ... O Freund, wie acht’ ich Dich! ANSELMO. Nicht inniger als ich Dich schätzen muß, Du Retter meiner Ehre! ... O, daß wir So spät uns lieben lernten – erst im Tode! GIROLAMO. Doch um so sich’rer – für die Ewigkeit. ANSELMO. Ich sehne mich, die Hände Dir zu drücken. GIROLAMO. Mich schmerzt, daß ich Dich nicht umarmen kann!

Wir beide fielen ] Wir beide, fielen Setzfehler

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I. Text

Fünfter Auftritt DIE VORIGEN. DER GEFANGENWÄRTER.

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GEFANGENWÄRTER. Signors, es stehen Eure Frauen draußen. ... Girolamo und Anselmo zugleich: GIROLAMO. Hinweg! – Hinweg! ... O sie erfrechen sich! ... ANSELMO. GEFANGENWÄRTER. Sie haben, Euch zu sehen, die Erlaubniß Vom Dogen selbst. ... Girolamo und Anselmo zugleich: Was schiert das uns? ... GIROLAMO. ANSELMO. Und hätten die Erlaubniß sie von Gott, Wir wollen nichts von ihnen hören. Geht. GIROLAMO. Sagt ihnen, daß zum Tod wir uns bereiten Und nicht gestört sein dürfen. Wie? ... Zum – Tod?! GEFANGENWÄRTER. GIROLAMO. Es büßen Mörder, mein’ ich doch, mit Tod. GEFANGENWÄRTER. So seid Ihr’s wirklich? ... Himmel! GIROLAMO und ANSELMO sich erhebend, zugleich. Wir sind Mörder! Domenico ist während dieser letzten Worte eingetreten. DOMENICO die Hände über den Kopf zusammenschlagend. Entsetzensvoll! Zum Gefangenwärter. Ihr habt’s gehört – seid Zeuge – Ich will sogleich es bringen zu Papier – Und Ihr seid Zeuge ... Ja ... Papier ... Signors, Ich sollte melden von des Dogen Hoheit ... Ich – weiß, ach, nicht mehr – was? ... O Mördervolk ... Für sich. Und die wollt er entlassen – unverhört ... Mir schwindelt fast – – Einbrecher dort – hier Mörder – – Es ist zu viel des Glücks! Zu reicher Segen Für Deinen armen Maripetro, Herr! ... Der Mensch im Richter weint, indeß der jauchzet! – Zu Girolamo und Anselmo. Macht Euch bereit und fertig zum Verhör, Signors, nein Mörder, – ja, Signors und Mörder! In einer Stunde! Wohl – wir sind bereit! GIROLAMO und ANSELMO zugleich.

Vierter Aufzug Ein großer Saal im Dogenpalaste. Im Hintergrunde eine hohe Thüre, an welcher Wachen stehen. Rechts die Signoria auf amphitheatralischen Estraden. Links, auf einem Thronsessel, der DOGE. Rechts von ihm, gegen den Vordergrund, LUCIA, G〈H〉ISMONDA, ISOTTA, auf niederen Stühlen.

Erster Auftritt

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DOGE. Ich habe Euch berufen, Ihr edlen Herren, auf die dringende Bitte der Signora’s Barbadico, Bembo und Delphino, verwitwete Mora, die Ihr hier seht. Sie behaupten, in der Angelegenheit ihrer Männer und meines Neffen wichtige Aufschlüsse geben zu können, doch wollen sie dieselben nur der versammelten Signoria ertheilen. So schreiten wir denn, im Falle es Euch beliebt, in Gegenwart dieser Zeugen zum Verhöre. Die Signoria macht ein beistimmendes Zeichen. DOGE. Führt die Gefangenen Barbadico und Bembo vor.

Zweiter Auftritt DIE VORIGEN, ANSELMO und GIROLAMO werden hereingeführt. Ohne Fesseln. Einer hat den Arm um den Hals des anderen geschlungen.

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ISOTTA. Lucia! O – Isotta, sieh – wie bleich! ... LUCIA. Anselmo und Girolamo verneigen sich, einander immer umschlungen haltend, vor dem Dogen und vor der Signoria. Ihre Frauen erblickend, fahren sie auseinander. ANSELMO auf Isotta deutend, leise und grimmig zu Girolamo. Ha! ... Dort – Deine Geliebte! ... Ei – – die Deine! ... GIROLAMO ebenso zu ihm, auf Lucia deutend. ISOTTA leise zu Lucia. Sie hielten sich umschlungen – welches Wunder! LUCIA ebenso zu ihr. Ich sah’s mit Augen und kann’s glauben nicht! DOGE zu Domenico. Beginnt! DOMENICO steht auf. Hochmächt’ger Doge! – Weise Signoria! – Ihr armen Schächer! – Ihr unsel’gen Frauen! ... Wir nennen Gott den ew’gen Richter auch, – Ihr armen Schächer! ] Ihr, armen Schächer! Setzfehler

I. Text

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Ich bin der zeitliche, sein Stellvertreter, Im sünd’gen Jammerthal, genannt die Welt; Als solcher mahn’ ich Euch: bekennt! ... Entlastet – GIROLAMO fällt ihm in’s Wort. Erspart uns Euer albernes Geschwätz. Zu künden uns’re Schuld, sind wir entschlossen, Nicht sie zu hehlen, und bekennen laut, Daß Deinen Neffen, Doge, wir erschlugen! Bewegung in der Versammlung. ISOTTA aufspringend. O glaubt es nicht! Sie lügen Herr! – sie lügen! – LUCIA ebenso. DOGE. Bis man Euch reden heißt, {seid stille, Frauen} 〈Ihr Frauen schweigt〉. Zu Anselmo und Girolamo. Ihr – beide, schlugt ihn? Ja, zusammen, Herr. GIROLAMO. DOMENICO. Und wirklich, i h n ? ... War’s nicht ein and’rer etwa? ANSELMO. Kein anderer! Ich schwör’s, mit stärkstem Eid’. DOGE. Und schwört Ihr auch, daß Ihr zu Tod ihn schlugt? GIROLAMO nach kurzer Pause. So sicher – als – als wir mit ihm gekämpft. DOMENICO. Ihr lügt! Wir – lügen, {Esel} 〈Dummkopf〉? GIROLAMO. Das – war derb! DOMENICO. Gemein sogar, doch freilich, Höflichkeit Erwartet man von Eures Gleichen nicht. DOGE gibt einer der Wachen einen Wink; diese geht ab. Zu Anselmo und Girolamo. Ihr sollt die Leiche Eures Opfers sehen. Foscari wird hereingeführt. Blickt dorthin! Wie ... Er lebt?! ANSELMO und GIROLAMO zugleich. GIROLAMO leise zu Anselmo. Das ist sehr bös. NICOLO bei’m Anblick G〈h〉ismonda’s theils erschrocken, theils freudig. O Gott – G〈h〉ismonda hier?! Mir bebt das Herz. G〈H〉ISMONDA für sich. DOGE. Da steht er, dessen Mordes Ihr Euch zeiht, Und schwört, daß Ihr ihm nicht ein Haar gekrümmt. ANSELMO rasch. Aus Großmuth, Herr, weil er uns retten will. DOGE. Ich fürchte, daß Ihr einer Schuld Euch anklagt, Die niemals Ihr begingt, um zu verbergen Ein größeres Vergeh’n, das Ihr begangen. DOMENICO. O Born der Weisheit! ... Eben wollt’ ich’s sagen ... Ihr nehmt die Worte mir vom Mund, Erhab’ner! Zu Anselmo und Girolamo. Also bekennt ...

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GIROLAMO. Wir haben schon bekannt, Daß wir ihn tödten wollten. Dabei bleibt’s. NICOLO. Mich tödten – Ihr? ... Ei Possen! – Und warum? GIROLAMO. Hast Du darnach zu fragen, oder – Auf die Versammlung zeigend. Die? – Zum Dogen. Wenn er jetzt lebt, wie’s scheint – je nun – ist das Die Sache seiner kräftigen Natur, Und nicht die uns’re. W i r erschlugen ihn, Und fordern Strafe, – Strafe für den Mord. DOMENICO zu der Signoria. Auch er, Hochweise, spricht nicht eben dumm, Und jedenfalls – – O höret mich! ISOTTA aufspringend. Ihr schweigt! – DOGE. ISOTTA wirft sich dem Dogen zu Füssen. Ich kann nicht länger schweigen – kann es nicht! Sie wendet sich gegen die Signoria. Schien’t Ihr so böse, als Ihr gütig seid, Und hielt ein Schwert ein jeder in der Hand, Bereit, bei’m ersten Wort mich zu durchbohren, – Ich schwiege nicht! – Ich stürbe, doch – ich spräche! ... Erhebt sich. Wieder zum Dogen, sehr rasch. Die Männer suchen, hoher Herr, den Tod Und klagen deshalb sich des Mordes an, Und suchen Tod, die Thoren, weil sie glauben, Daß treulos wir, und daß entehrt sie sind, – Doch ist’s nicht so ... Anselmo und Girolamo zugleich: ANSELMO heftig. Nicht so? GIROLAMO. Die Schwätzerin ... ISOTTA ohne sich unterbrechen zu lassen. Unschuldig sind sie freilich keinesweges; Doch ihre Schuld, so groß sie immer sei, Wird noch gebüßt – bei uns – nicht mit dem Leben. DOMENICO. Was wisset Ihr davon? ... Habt I h r vielleicht Darüber zu entscheiden – he? ... Ihr habt Uns das Verbrechen kund zu geben – basta! – Sofern es Euch bekannt – und damit – basta! ISOTTA. Untreue gegen uns, heißt ihr Verbrechen. DOMENICO. Untreu’ – haha – ein sauberes Verbrechen! ... Ich glaube gar, Ihr spaßet – vor Gericht. ANSELMO leise zu Girolamo. O schamlos ist dies Weib! ... Ich könnt’ sie tödten! –

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ISOTTA zum Dogen. Ein jeder dieser Männer, Herr, erbat Ein Stelldichein sich von der Frau des andern – ANSELMO. Willst schweigen Du? Verflucht – {s}〈S〉ei, ganz verflucht! GIROLAMO. ISOTTA. Wir aber, Freundinnen von Jugend an, Vertrauten gegenseitig uns ... Anselmo und Girolamo zugleich: Was?! ... ANSELMO. Wie?! ... GIROLAMO. ISOTTA sehr erregt, abgebrochen und hastig. – Der beiden Gatten traurigen Verrath, – Gewährten ihnen auch – das Stelldichein – Doch anders, als sie’s wünschten – denn – zuvor – Vertauschten wir den Platz ... Im Haus der andern Empfing jedwede – ihren eig’nen Mann! GIROLAMO. Die Unerhörte! Wie die lügen kann! ANSELMO. Nicht übel ausgedacht – o kluge Schlangen! DOGE zu Girolamo und Anselmo. Den eig’nen Mann! ... Vernehmt Ihr das, Ihr Herren? Zu Isotta. Beweise gebt – – Wir geben – unser Wort! – ISOTTA stolz. DOMENICO. Ein Weiberwort?! ... Das gilt nicht vor Gericht. ISOTTA. Es gilt nicht – wie? ... ein ehrlich Frauenwort? ... Sind rechtlos wir vor der Gerechtigkeit? ANSELMO nicht mehr Herr seiner selbst. Du thust noch stolz, Verworfene? – noch stolz? Das ist zu viel – und mehr ist’s, als zu viel! ... – Entrüstung über Deine Falschheit, Weib, Macht jede Rücksicht mich mit Füßen treten – Treibt, wie im Wahnsinn – mich zu thun – was ich Bereuen werde – thuend schon bereu’ ... Vor die Signoria tretend, außer sich. Ja denn! Ich warb um fremden Weibes Gunst, Doch war’s das meine n i c h t – das mich empfing! Zu Lucia. ... Vergebt! Zu Girolamo. – Vergib ... O Gott – ich bin verrückt! GIROLAMO. Wenn Du von jeder Rücksicht los Dich sagst, Dann thu’ auch ich’s und schwör’ ... LUCIA springt auf und eilt auf Girolamo zu. Girolamo ... GIROLAMO. Aus meinen Augen! Höre mich, Anselmo. ISOTTA ist zu Anselmo getreten. ANSELMO. Hinweg! – Hinweg! –

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LUCIA zu Girolamo. O höre! ... Dich – Verruchte? GIROLAMO. Viel lieber hört’ ich eine Kröte singen! DOGE zu Girolamo. Bezähmt Euch, Signor Bembo, wenn’s beliebt. Zu Isotta und Lucia. Wenn das, was Ihr behauptet, Wahrheit ist, Müßt Ihr, Signora’s, es beweisen können. Behieltet Ihr kein Pfand von Euren Männern, Das Euch als Zeichen diente des Erkennens, Nicht einen Handschuh, einen Ring, ein Tuch? DOMENICO für sich. Hat je um solches Zeug gefragt ein Doge?! ISOTTA. Die Vorsicht, leider, ließ ich außer Acht. LUCIA. Auch leider ich – o Gott! – wie nun beweisen? ... GIROLAMO. Das fiel’ Euch schwer – ich glaub’s! DOGE zu den Frauen. Besinnet Euch. ANSELMO zum Dogen. Es ist umsonst, die Lüge zu erfinden, Ein anderes, als ihr zum Sieg verhelfen. Und wenn’s bei Euch geläng’, bei mir – mißräth’s. ... Mein Weib ist rasch und feurig, sehr beredt, Wie Ihr Euch überzeugt, und heute Nacht Empfing mich eine stumme Thränenweide – GIROLAMO. Wie – Thränenweide? ... Meine Frau ist sanft Und scheu und demüthig, und mich empfing Ein Wütherich – ein weiblicher ... Ein Unhold! LUCIA rasch. Dazu hat Deine Untreu’ mich gemacht! Mein ganzes Inn’re wallte auf im Zorn! ... GIROLAMO. Wahrhaftig, das – das klang wie heute Nacht ... Doch täuschen uns die Ohren wohl – im Finstern. ISOTTA weich, zu Anselmo. Im Glücke war ich übermüthig einst – Doch als sich Deine Liebe von mir wandte, Fühlt’ ich die Lebenslust in mir geknickt, Jedwede Kraft und Blüthe meiner Seele ... Und hoffnungslose Trauer faßte mich – – Thränen ersticken ihre Stimme. ANSELMO. Ach, diese Stimme – diese Thränen mahnen ... Doch kann’s nicht sein – und nimmer kann es sein! ... ISOTTA. Ein jedes Deiner Worte wiederhol’ ich – Sie prägten unvergeßlich sich mir ein – Besinne Dich – wer sprach, als ich erschien; „Die Heil’ge nah’t und so verehr’ ich sie“? Wer kniete nieder ... Kniete? ... Das war ich! GIROLAMO.

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ISOTTA. Wer faßte meine Hand, und sprach – – das schmerzte –: „Ich habe nie so schöne Hand berührt“? ANSELMO. Wenn’s denkbar wäre, möglich wär’ ... Isotta! ... Er bedeckt das Gesicht mit seinen Händen. DOGE auf Anselmo deutend, zu Girolamo. Der ist halb überzeugt – seid Ihr’s noch nicht? GIROLAMO. Ich werde, Herr, doch kennen meine Frau! LUCIA zu Girolamo. So nimm Vernunft nur an, Du böser Zweifler! Anselmo gibt schon zu, daß er geirrt – Nun denn! Wenn er bei seiner Frau gewesen, Kann er zugleich bei mir gewesen sein? DOGE. Das leuchtet ein. Nicht mir! Ich will Beweise. GIROLAMO. LUCIA. O glaub’, Girolamo! ... Glaub’ meinen Schwüren Und meinen Thränen glaub’! Beweise sag’ ich! ... GIROLAMO. LUCIA. Die kann ich Dir nicht geben – Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. oder – doch? ... GIROLAMO. Nun – wie? Doch – einen! LUCIA. Hei, die Lügnerin! GIROLAMO. Gebt Acht, gebt Acht! Sie wird wohl noch behaupten, Beweisen k ö n n t ’ , allein sie w o l l e nicht. LUCIA. Wenn zur Verzweiflung Du mich treibest, Mann ... GIROLAMO trotzig. Jetzt droht sie gar! ... Du gibst ihn, den Beweis, Wo nicht – verstoß ich Dich! LUCIA außer Fassung. So hab’ ihn denn! ... Sie gibt ihm eine Ohrfeige. GIROLAMO. Barmherzigkeit! Weh’ mir! ... Was that ich?! ... LUCIA mit Entsetzen. GIROLAMO steht einen Augenblick verblüfft. Plötzlich in Jubel ausbrechend. Sie war’s! Hält sich die Wange und stürzt triumphirend vom Dogen zur Signoria. Erlauchter Doge! Weise Signoria! Sie war’s! ... Sie war’s – ich schwör’s vor Gott – sie war’s! – Ich rufe Euch zu Zeugen meines Glücks –: Ich hab’ die treu’ste Frau in ganz Venedig! Stürzt auf Lucia zu und umarmt sie. Das ist die mächt’ge, ist dieselbe Hand! LUCIA fast knieend. Mög’ sie verdorren, wenn ich jemals wieder Im Zorn sie hebe gegen meinen Herrn!

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GIROLAMO hält sie umfaßt. Lucia! Vielgeliebter! LUCIA. Theures Weib! ANSELMO Isotta umschlingend. ISOTTA. Anselmo! Ein Räthsel ist gelöst – DOGE. Das zweite, Herr, G〈H〉ISMONDA sich erhebend. Gestattet mir zu lösen. Sprecht, Signora. DOGE. NICOLO. Was wird sie thun? mich retten? – mich verderben? G〈H〉ISMONDA. Das Ende einer Leiter seh’ ich liegen Dort auf des Richters Pult. Domenico das obere Ende derselben Strickleiter überreichend. Versucht, ob es Zu diesem Stück gefügt, wie Hälfte nicht Zu Hälfte paßt. DOMENICO die Enden zusammenfügend. Auf’s Haar! ... Ich wollte sagen, Auf einen Seidenfaden ... Hier! ... Blickt her – Das ist die Leiter, hohe Signoria, Auf der, beseelt von Mord- und Diebsgelüsten – Wir haben sein Geständniß – Foscari Erklimmen wollt’ die Wohnung ... Seiner – Gattin! G〈H〉ISMONDA mit zitternder Stimme, aber laut. NICOLO aufschreiend. G〈h〉ismonda! DOGE. Ruhe, dort. An meinem Fenster G〈H〉ISMONDA wie oben. Befestigte die Leiter – ich – – ich selbst. DOMENICO. – – Befestigt – selbst ...? ... NICOLO stürzt G〈h〉ismonden zu Füßen. Dies Wort vermält uns ... Mein! Er faßt ihre Hand. DOMENICO. Wo bleibt der Einbruch dann? – der bleiben muß? NICOLO. Im Protokoll! Tragt achtsam ihn nach Hause! DOMENICO. Der Schuldige hat seine Schuld bekannt – G〈H〉ISMONDA. – Getilgt ist sie, wenn ich die Hand ihm reiche. DOMENICO hämisch. Ihr tilgt die Schuld – tilgt Ihr auch seine Schulden? DOGE. Spart Euren werthen Athem, Messere! G〈H〉ISMONDA zum Dogen. Vor zweiter Ehe zagt’ ich, weil die erste Unselig war. Doch Foscari gab mir Beweis von solcher Liebe, daß getrost Ich ihm mein Schicksal anvertrau’. O Herr, Hältst Deinen Namen Du mich werth zu tragen, So segne uns. DOGE. Ich segn’ Euch, meine Kinder!

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ANSELMO zu Lucia. Die Frau des Feindes hab’ ich frech beleidigt, Verzeihet mir! – Ich ehr’ in Euch fortan Des Freundes Gattin – eine liebe Schwester. Er küßt Lucia’s Hand. GIROLAMO zu Isotta. Dasselbe, edle Frau, sprech’ ich zu Euch. Er küßt Isotta’s Hand. DOMENICO. Das liegt sich in den Armen, küßt sich – pfui! Am hellen Tage – vor Gericht – – o Himmel! – Sind nach Arcadien wir denn versetzt? – Ist dies ein Liebeshof?! Orso ist während dieser Rede eingetreten und hat dem Dogen Briefe überreicht, welche dieser öffnet und überfliegt. So scheint es fast, DOGE sich erhebend. Doch – scheint es nur, denn allzulang entläßt Der Ernst des Lebens die Lebend’gen nicht. Zu der Signoria. Visconti kündet neuen Krieg uns an. Die Versammlung erhebt sich. Lautes Gemurmel. EINZELNE STIMMEN. Visconti! – Neuen Krieg! DOMENICO. Da haben wir’s! ... DOGE. Casalmaggiore, Torricelle, sind Durch ihn besetzt, Bresciello hat er Versucht zu überfallen. Hei, der Schäker! ANSELMO. Meint er, Venedig schliefe? – Auf – ins Feld! DOGE. In’s Feld! dort warten bess’re Thaten Euer, Als eben Ihr vollbracht. Wir sind zur besten GIROLAMO. Gerade gut genug! NICOLO zu G〈h〉ismonda. Zum Hochzeitskranz Will ich, Du Holde, Lorbeern pflücken gehen! Die Frauen schließen sich mit angstvollen Geberden an ihre Männer. DOGE zu den Frauen. Entlaßt sie klaglos, wie’s geziemt den Frauen Zukünft’ger Helden. Die Miglieder der Signoria sind von der Estrade herabgestiegen. Ein Theil von ihnen umringt den Dogen, die Anderen sprechen angelegentlich mit einander, links um die Estrade gruppirt. Die drei Paare in der Mitte der Bühne. DOMENICO der allein seinen Platz nicht verläßt, und vergeblich versucht hat, sich Gehör zu verschaffen. Helden? Maledetto! Zum Galgen eben reif, und jetzo – Helden?! Rafft seine Schriften zusammen und schlägt sie wüthend gegen das Pult. Häng’ Dich, Gerechtigkeit! ... Ich werd’ Bandit!

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Männertreue von Marie von Ebner-Eschenbach

Photolithographischer Neudruck der Original-Ausgabe Die Dichterin hat uns dieses von ganz Grillparzerischer Anmut erfüllte Lustspiel mit folgendem liebenswürdigen Brief überlassen: „Gern gebe ich meine Zustimmung zum Erscheinen von Männertreue in Ihrer werten Zeitschrift unter der einzigen Bedingung, daß Sie, verehrte Herren, die Verantwortung für dieses Wagnis auf sich nehmen. Zu bemerken habe ich nur, daß das kleine Lustspiel vor Jahren – vor wie vielen weiß ich nicht mehr – vom Grafen Zdenko Kolowrat ins Tschechische übersetzt, ziemlich oft im böhmischen Theater in Prag aufgeführt wurde. Mit besten Empfehlungen, verehrte Herren, Ihre ergebene Marie Ebner-Eschenbach.“ Wir übernehmen diese Verantwortung mit Vergnügen und sind gewiß, daß unsere Leser es uns danken werden.

DER MERKER. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater. Jg. 3, Heft 1–4, 1912

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PERSONEN FOSCARI, der Doge NICOLO FOSCARI, sein Neffe GIROLAMO BEMBO LUCIA, seine Frau ANSELMO BARBADICO ISOTTA, seine Frau GISMONDA MORA DOMENICO MARIPETRO, Richter ORSO, Anführer der Wache EIN DIENER BEMBOS EIN GEFANGENWÄRTER SENATOREN, WACHEN

Venedig: 1426

Erster Aufzug Ein Zimmer im Palazzo Barbadico.

Erster Auftritt

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ANSELMO steht am Fenster. Das ist sie – nein – und ja! – ’s meine Gondel, Die dort herüber kommt vom canalazzo. Fuhr heut’ so Früh Isotta schon zur Kirche? – Bei Gottes Bart, und bei San Marcos Löwen, ’s ist meine Gondel nicht! – Vom Wimpel wehen, Verwünscht! Verflucht! die Farben meines Feindes. – Der Affe lernt doch ewig nichts als – äffen, Nun äfft er selbst mir meine Gondel nach, Die einzig war bisher und ohne Gleichen. ... Jetzt hält sie an. Steigt Bembo selbst heraus? Nicht doch – es ist sein holdes Weib, Lucia. Wie still! Wie schön! – Sie zögert an der Schwelle – Ich glaub’ es gern. Du süße, zarte Taube, Zu Muth ist dir in deines Herren Haus Wie einem Vöglein in des Geiers Nest. – Sie blickt herauf. ... Er neigt sich grüßend aus dem Fenster. O Lieblichkeit! O Güte! Sie neigt sich huldvoll – dankt – Er grüßt wieder. Du heilige Madonna! Mich empört’s, es ist ein Frevel, Daß all der Reiz des Bembo’s Eigentum!

Zweiter Auftritt DER VORIGE. ISOTTA. ISOTTA ist von links gekommen und hat sich neben ANSELMO an die Fensterbrüstung gelehnt. Er fährt erschrocken zurück. ISOTTA hinabrufend. Lucia! ANSELMO zieht sie vom Fenster fort. Halt – zurück! ISOTTA. ANSELMO. Du sollst nicht! ... Nein!

Laß mich sie grüßen!

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ISOTTA. Du grüßtest sie doch auch. ANSELMO. Und wenn ich’s tat! Ich grüß’ als Mann die Frau, Das fordert Höflichkeit und gute Sitte; Doch meine Frau, die Gattin Barbadicos, Darf eines Bembo Gattin nicht begrüßen. ISOTTA. Wie lächerlich! Ich bin es endlich satt Zu fliehen die ich liebe, weil ihr Mann, Gott sei’s geklagt, mit dir in Feindschaft lebt. ANSELMO. Isotta! Zürne nur! – Ich sag’ es doch, ISOTTA. Gleich Schwestern wuchsen wir zusammen auf, Lucia war mir wie mein zweites Herz – Bis ich dich kennen lernt’, und Bembo sie – Und bis ihr Bösen grausam uns getrennt. – Weil Ihr Euch haßt, d’rum sollen wir uns hassen, Einander meiden, niemals sprechen, nie! Und sind doch Nachbarn, wohnen Haus an Haus, Ich könnt’ die Hand ihr reichen aus dem Fenster. ANSELMO. Doch wirst du’s nicht, und ich verbiet’ es dir! Dergleichen nur zu denken, ist für dich Schon Sünd’ und Unrecht. Ei, der Haß ist Sünd’, ISOTTA. Ihr sollt’ euch schämen! – Weißt du nur, gesteh’s, Woher die Feindschaft gegen Bembo stammt? ANSELMO. Woher? – Aus tausend Gründen. Sprich nicht so! ISOTTA. Denn „tausend Gründe“, Lieber, sind kein Grund; Der „Tausend“ sagt, weiß einen nicht zu nennen. ANSELMO. O lahme Weisheit! – Uns’re Eltern schon Empfanden diesen Haß und erbten ihn Von ihren Ahnen, wie von ihnen wir. Von uns’rer Seite stammt er aus Verachtung Und bei den Bembo’s stammt er aus dem Neid Auf uns’res Hauses Ehren, seinen Glanz. ISOTTA. Wenn sie beneiden, sind sie zu bedauern. Seid ihr an Ehren reicher, seid’s an Großmuth. – Ich könnt’ nicht hassen, den ich kleiner wüßt’ Und ärmer als mich selbst. ANSELMO. So sind die Weiber! Sie haben stets nur einen Maßstab: Sich. Was sie nicht könnten, auch kein And’rer sollt’s. Von dem, was in des Mannes Seele gährt,

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Fehlt ihnen selbst der Ahnung blasser Schein, Und wo die Ahnung schweigt, schweigt ihr Verständnis! ISOTTA. O Gott im Himmel, stets das alte Lied! So sprach, mein ich, schon Adam einst zu Eva. – ANSELMO. Du bist ein Kind. Mit nichten, das bist du! Ihn umarmend. ISOTTA. Mein lieber Sohn, wann wird aus dir ein Mann?

Dritter Auftritt DIE VORIGEN. NICOLO FOSCARI kommt lachend.

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NICOLO. Hahahaha! Ich kann mich noch nicht fassen ... Gegrüßet, edle Frau! – Und du ... Haha – – Er lacht. ANSELMO. Du bist ja heut’ besonders aufgeräumt. NICOLO. Ach wüßtest du – Starb dir ein Gläubiger? ANSELMO. NICOLO. Das leider nicht. Erbarmte deiner Not ANSELMO. Der Doge sich und füllte deinen Säckel? NICOLO. O weit gefehlt! Er lacht. Es war, bei Gott, zu toll! ANSELMO. Was gab es denn? NICOLO. Zu lachen gab’s. ANSELMO. Worüber? NICOLO lacht. Worüber lacht man, wenn nicht über Bembo? ISOTTA ärgerlich. Schon wieder Bembo! Ja, schon wieder er! – ANSELMO bitter. Der Narr Venedigs, den du ernsthaft nimmst. Zu Foscari. Parodierend. Er tut ihr leid – und sie könnt’ ihn nicht hassen Und sie – mit einem Wort: Mein schlimmster Feind Hat einen Anwalt hier, an meinem Weibe! NICOLO. Vortrefflich! Ei! – Ich will’s ihm sagen – ich! Der halb Verrückte wird dann ganz verrückt. Er glaubt ja so ... Er stockt. Was glaubt er, Foscari? ISOTTA ernst. NICOLO. Daß ihr ... daß er ... Allein – darf ich’s erzählen? ISOTTA. Ist’s denn so arg?

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NICOLO. ’s ist eines Narren Rede – Gebt Narrenfreiheit und ich melde sie. ISOTTA ihn fixierend. Ich bin erstaunt, Signor. Erstaunt? NICOLO verwirrt. Jawohl. ISOTTA. Seit Monden wandelt ihr umher, ein Bild Des Gram’s, des Groll’s – sag’ ich es g’rad’ heraus? – Der hoffnungslosen Liebe. Heut’ seid Ihr Ganz Übermut und jubelt wie ein Kind. NICOLO wie oben. Man tröstet sich. Sich selber, nicht so rasch. ISOTTA. Das kann ein Tröster nur und nur – der rechte! – Ich wünsch’ euch Glück, die Treue hat gesiegt, Madonna Mora ist doch nicht aus Stein! NICOLO. Im Gegenteil, mehr Stein als je – ich schwör’s ... Für sich. O Fassung! Fassung! Dieses Weib ist schlau ... Steht denn mein Glück auf meiner Stirn geschrieben? Laut, immer verwirrter. Wenn auch nicht trösten, kann man sich – zerstreuen, Und was ich eben hörte, war darnach, Den Ernst der sieben Weisen zu zerstreuen ... – Fragt Memmo nur und Venier – die gingen Mit mir – und Loredan, der ging mit ihm. Und dieser winkt uns – hinter jenes Rücken ... ANSELMO. Des Bembo? Ja, wir möchten näher treten, NICOLO. Und sprach, ihm freundlich auf die Schulter klopfend: Fahr’ fort, mein Freund, der Foscari ist taub, Der hört kein Wort, die andern, die sind stumm, Die schwatzen nicht – und Bembo sah uns an Und grinste, ganz unendlich selbstbewußt. – „’s ist gut, denn sonst – ich rühme mich nicht gern, Und werd nicht gern gerühmt“ ... Der Possenreißer! ANSELMO. NICOLO fortfahrend. – „Ich siege wohl, doch triumphier’ ich nicht.“ – Und Loredano drängt: Erzähle weiter! – „Was soll ich noch erzählen? Bin zu Ende. Mein Barbadico war wie toll vernarrt – “ ANSELMO. Vernarrt? ... In wen? Geduld, laß’ Bembo reden. NICOLO. „Und sie – Lucia, ließ aus Höflichkeit Sich seine Werbung kurze Zeit gefallen –“

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ANSELMO seines Zornes kaum mehr Herr. Ich habe nie um sie geworben, nie! Sie kaum beachtet – damals ... Freund – gemach! – ISOTTA. Du warbst wohl nicht, doch sehr gefiel sie dir – Du lobtest ihre stille, liebe Art, Ihr sanftes Wesen und ... Kann sein, kann sein – ANSELMO. Ich weiß davon nichts mehr, ’s ist lange her. ISOTTA. Ein Jahr beinah’ – zu lang für Männertreu’. ANSELMO zu Foscari. Nun weiter, weiter! Rede! Nein, ich nicht, NICOLO. Der weise Bembo, der fährt also fort: „Lucia war ihm nicht gerade abhold, Und kam ich nicht, Gott weiß, was noch geschah. Jedoch – ich kam. Jetzt war’s vorbei mit ihm, Nicht einen Blick gönnt’ sie dem Armen mehr. Ich freut’ mich deß’, obwohl um jene Zeit Isotta mich ... Nun ist die Reih’ an mir. ISOTTA. NICOLO. – „Mich fühlen ließ, wie sehr sie mir geneigt ... ISOTTA lachend. Ich – ihm? ... – – „Sie tat mir leid, allein ich dachte, NICOLO. Soll aus Erbarmen einer sich vermählen, Der sich vermählen kann aus purer Liebe? – Da ging ich hin und freite um mein Weib. Die zwei Verschmähten reichten sich die Hände – Sie suchten eines bei dem andern Trost Für gleiches Leid. Ich hoff’, sie fanden ihn, Und neide ihnen nicht ihr ärmlich Glück Zusamm’ gelesen aus des unser’n Resten, Wie karge Bröslein von des Reichen Tisch’.“ Hahahaha! ... Und dabei sein Gesicht – – ANSELMO faßt ihn am Arme. Das sagt er? Gut. Und – Ihr? NICOLO. Wir – lachten. Doch ANSELMO. Ihr schwiegt? NICOLO. Gewiß! Ich habe Freunde ... o! ANSELMO mit verbissener Wut. NICOLO. Man wird den Narren doch nicht widerlegen? – Wär’ zu viel Ehre, wie die Klugheit lehrt.

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ISOTTA. – Macht sich auch nicht zum Herold seiner Schwänke, Lehrt Klugheit überdies. Lebt wohl, Signor. NICOLO. Madonna, zürnt ihr mir? Ihr seid berauscht ISOTTA. Von jungem Glück ... Nicolo will sie unterbrechen, sie läßt ihn nicht zu Worte kommen. Ich habe scharfe Augen! Sie dienen mir getreu. – Im übrigen: Dem Wort des Trunk’nen leih’ ich kein Gewicht. Isotta ab. NICOLO. Sie geht. Da geht sie hin – und ist im Irrtum Und läßt nicht zu, daß ich ihn widerlege! ANSELMO. Was liegt daran! Du schmachtest lang genug Um endlich auch einmal belohnt zu werden. NICOLO. Doch werd’ ich’s nicht – muß aus dem Sinn mir’s schlagen. ’s ist halb getan. ANSELMO ungeduldig. So besser denn – vortrefflich! ... Für sich. Wenn er nur ging’ – ich halte mich kaum mehr! NICOLO. – Und was ich da von Bembo dir erzählte Verdrießt dich nicht, nicht wahr? Nicht im Geringsten. ANSELMO. Doch jetzt – Begleitet ihn. Ich bin beschäftigt ... Du verzeihst. NICOLO an der Tür. Gutmütig. – Ich habe wirklich wie ein Tor geschwatzt. ANSELMO. Ein Scherz ... Man darf doch scherzen. Lieber Freund! NICOLO umarmt ihn. ANSELMO. Leb wohl. Nicolo ab. ANSELMO. Nun endlich ... Ha – ich atme! NICOLO zurückkommend. – Anselmo ... du – Was gibt’s?! ANSELMO fährt zusammen. Und du glaubst nicht ... NICOLO. ANSELMO grimmig. Ich glaube nichts und – alles was du willst! – Leb’ wohl! Nicht wohl, o nein, mein Freund, ich lebe NICOLO kindisch beteuernd. So arm wie jemals und so unbeglückt. Nicolo ab.

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Vierter Auftritt ANSELMO allein.

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Hol’ dich der Satan! Wenn zehntausend Mora’s Dir schenkten ihre Gunst, was schiert es mich? In mir lebt ein Gedanke nur, ein Wunsch –: Ich will den Bembo lehren, mich verhöhnen! Sein Weib wird mein, so wahr ich ehrlich bin. Er hat die Schande selbst herabbeschworen, Der Laff’ und Prahler, auf sein freches Haupt. Sie war mir abhold nicht, sagt er? Ich glaub’s! Sie war und ist es nicht. Begegn’ ich ihr, Blickt sie mich gütig an und lächelt wohl, Ja, neulich, auf der Riva, war mir’s doch Als blieb sie stehen, da sie mich ersah, Als schwebt’ ein süßes Wort auf ihren Lippen – Ich grüßt’ erwartungsvoll, doch sie – urplötzlich Und wie von Scheu erfaßt, sie wandte sich, Und schritt errötend, stumm an mir vorbei. – O zarte Scheu, du sollst bezwungen werden! Gelungen ist mir mancher Liebesbrief, Manch’ hübscher Vers sogar, in dem sich unter Bescheid’ner Bitte, duft’ger Schmeichelei Die lechzend heiße Leidenschaft verbarg, Wie unter Blumen sich die Schlange birgt. – Noch einmal, Muse, sei mir hold, gewähre Dem Manne deine Gunst, der zu dir fleht, Im heißen Drang des Hasses und der Liebe! – Anselmo ab.

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Verwandlung Im Hause Bembos Tiefes, getäfeltes Gemach. Bilder in die Wände eingelassen. Hohe Türe im Hintergrunde. Eine kleine Türe in der Seitenwand rechts; dieser gegenüber, links das Bild eines Ritters im Harnisch.

Fünfter Auftritt GIROLAMO zerrt einen Diener beim Ohr herein. LUCIA folgt ängstlich.

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GIROLAMO. Hab’ ich ihn wieder auf der Tat ertappt? – Mit meines Feindes Diener im Gespräch – Schon zweimal warnt’ ich ihn, jetzt hab’ ich’s satt. Du bist entlassen, Schuft, aus meinem Dienst ... DIENER. Entlaßt mich auch aus euren Händen, Herr! Mein Ohr! Mein Ohr! LUCIA sucht den Diener zu befreien. Girolamo! Hinweg! GIROLAMO. Was mengst du dich in deines Mann’s Geschäfte? LUCIA. Verzeih’ – allein der Arme dauert mich ... Was tat er, also deinen Zorn zu reizen? GIROLAMO. Mit meines Feindes Diener, hörst du nicht? Fand ich ihn im Gespräch – vertraulich, freundlich, Trotz des Befehls, mit jenen Nachbarsleuten Nichts anderes zu tauschen als nur Prügel Und scheele Blicke und als Fluch und Schimpf. LUCIA. Doch, Teuerster – GIROLAMO. Was – doch! Hier gilt kein doch! Mit meiner Mutter Milch hab’ ich die Feindschaft Getrunken gegen die Barbadicos, Sie eingesogen mit des Vaters Lehren ... LUCIA ist zwischen Girolamo und den Diener getreten. Ich weiß, daß eure Eltern schon sich haßten, Doch weiß ich nicht warum? Leise zum Diener. Du geh’ nur, geh’. Diener schleicht sich fort. GIROLAMO. Warum?! O Unverstand! ... Warum? LUCIA. Nun ja. GIROLAMO. Sie haßten sich, weil sie sich haßten – ei! Die Lieb’, der Haß sind selbst sich Grund genug. – LUCIA. O weh!

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GIROLAMO. Du murrst? Nein, nein – ich trau’re nur. LUCIA. Anselmos Frau ... Was ist’s mit seiner Frau? GIROLAMO heftig. LUCIA. Sie ist mein Mühmchen, meine halbe Schwester; Kein Tag verging, als wir noch Mädchen waren, An dem wir uns nicht sah’n ... O liebster Mann, Und nun, nun müssen wir einander fliehen, Kein traulich Wörtchen dürfen wir mehr tauschen – Nicht einen Gruß! Natürlich! GIROLAMO. ‘s ist doch hart LUCIA. Und tut mir weher, als ich sagen kann. GIROLAMO. Du weinst – ich glaube gar ... Wer ist Dir lieber, Die Jugendfreundin oder ich – dein Mann?! LUCIA. Das weißt du wohl, bist meines Herzens sicher; Wär’ also ich’s des deinen! ... GIROLAMO. Wie?! ... Lucia ... Für sich. Ich bin verraten! ... Fühlt in die Brusttasche. Nein ... Mein Brief ist da. LUCIA. Bekenn’ es nur – du nahmst mich halb aus Trotz, Weil Barbadico mich, dein Feind, umwarb; Um ihn zu kränken, hast du mich gefreit. Ich arme Thörin aber liebte dich Vom ersten Augenblick so tief und herzlich Indessen du – Was denn? ... Was – ich?! GIROLAMO. LUCIA. – Noch damals Für meine Freundin, für Isotta schwärmtest. GIROLAMO. Für sie? – Ich schwärmt’ für sie? ... Bescheidenheit Verbietet mir zu sagen –: sie – für mich. LUCIA. So lange sie Anselmo nicht gekannt. Dann wählt’ sie ihn. GIROLAMO. Weil ich vorher dich wählte. LUCIA. Das ist nicht ausgemacht ... Und – soll’s nicht werden! Denn jetzt – jetzt liebst du mich, wie sich’s gebührt, – Nicht wahr? GIROLAMO. Ich liebe dich. LUCIA. Beweis’ es auch. Schmeichelnd. Es ist ein wicht’ger Tag, der heutige, Vor dreien Jahren wurden ich und sie Isotta –

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GIROLAMO. Nun? Vom Bischof, meinem Oheim, LUCIA. Im Dome von San Marco konfirmiert ... – Ich gäb’ ihr gern ein Zeichen des Gedenkens An jenen feierlichen Augenblick, Wo in der traumumfloss’nen Kinderseele Zum erstenmal mit schmerzlich-süßem Bangen Ein klar’ Bewußtsein uns’res Selbst erwacht, Und wir das heil’ge Gotteshaus verließen Das wir betraten unbefang’ne Mädchen, – Den Ernst der Jungfrau auf geweihter Stirn. GIROLAMO. Mein edles Weib! ... Für sich. Ich sollt’ sie nicht betrügen. LUCIA. Girolamo – laß mich ihr zeigen, Freund, Daß ich der schönen Stunde nicht vergaß! GIROLAMO. Was willst du tun? ... Nun – was? Ich möchte ihr LUCIA. Den Psalter senden, den du einst mir gabst, Den sie so innig zu besitzen wünschte Und den ich damals ihr verweigert hab’ – Aus Eifersucht – ich muß es nur gestehen – Ich gönnt’ ihr nichts, was einmal dir gehört. GIROLAMO. Den Psalter also wollte sie besitzen? Für sich. Er kam von mir – und das hat sie gewußt! LUCIA. Wenn du’s erlaubtest ... heute schickt’ ich ihn – Ich bin jezt klug – nicht eifersüchtig mehr – Erlaubst du mir’s? Du schickst den Psalter nicht! – GIROLAMO. Und nun genug. Bring’ mich nicht auf, Lucia! ... LUCIA mit Thränen kämpfend. Du willst es nicht – nun denn, so soll’s nicht sein. GIROLAMO. Auch weinen sollst du nicht – hörst du? ... Man kommt, Nimm dich zusammen! ... Ei – Madonna Mora ...

Sechster Auftritt DIE VORIGEN. GISMONDA . GISMONDA. Seid mir gegrüßt. Gegrüßt – gegrüßt, Signora. Leise zu Lucia. GIROLAMO. Wisch dir die Thränen ab! Laut zu Gismonda.

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Wir sind beglückt! ... Leise zu Lucia. So heiße sie willkommen doch! Gismonda ... Die Stimme versagt ihr. LUCIA. GISMONDA. Was fehlt euch, Teure? – Traurig, liebstes Herz? Wer kränkte euch? Sie selber kränkte sich! GIROLAMO. Kein and’rer sie – am wenigsten ihr Gatte. GISMONDA. Ha! Wie er sich verteidigt – wie geschwind! So recht mit schwerbeladenem Gewissen Voreil’ger Hast. Wer hat euch angeklagt? Ich tat es nicht – ihr selbst bekennt euch schuldig Indem ihr leugnet, es zu sein. Ihr irrt ... LUCIA. GISMONDA. O nein, Lucia! – Nehmt ihn nicht in Schutz, Denn er verdient es nicht. GIROLAMO für sich, erschrocken. Was sagt sie? – He! GISMONDA. Er ist ein Mann wie eben alle sind – So lang sie werben, girrend, sanfte Tauben; Einmal beglückt, Hyänen, Tiger – Schlangen! LUCIA. Er nicht – glaubt mir ... Bekenne nur, gesteh’, GIROLAMO. Was mich gereizt, rechtfert’ge den Gemahl. LUCIA. Rechtfert’gung brauchst du nicht, vor niemandem, Du bist dein eig’ner Herr und bist der meine. GISMONDA. Fürwahr, das nenn’ ich Demut! Demut – ei! ... GIROLAMO. Für meines Feindes Gattin hegt sie Freundschaft Will ein Geschenk ihr senden mir zum Trotz ... GISMONDA. Nicht euch zum Trotz, der Freundin nur zu Liebe. – Vergönnt ihr doch die harmlos kleine Freude. GIROLAMO. Ich sollte ... Ich ... Was denn? Was sollt denn Ihr? GISMONDA. Von euch wird nichts verlangt, ihr habt dabei Die Augen nur zu schließen, wißt von nichts, Und hinter eurem Rücken trag’ ich selbst Lucias Botschaft zu Isotta hin. GIROLAMO. Das wär’ schon recht ... O wirklich? Wär das recht? LUCIA freudig. GIROLAMO. – Allein nicht hinter meinem Rücken nur, Auch hinter seinem – Barbadicos Rücken, Müßt’ es gescheh’n. Natürlich! das versteht sich, GISMONDA.

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Daß er nichts wissen darf – er glaubte sonst Ihr kämt entgegen ihm auf halbem Weg. GIROLAMO. Das ist’s! ... Ihr habt’s getroffen! ... O wie klug! ... Und unter der Bedingung dann gestatt’ ich, Zu Lucia. Daß du den Psalter sendest. Bring’ ihn her. LUCIA. Mein liebster Mann! ... Du bester aller Menschen! ... GISMONDA. Den Dank nachher, nun kommt, Lucia, kommt, Wir holen das Geschenk! Leise, indem sie Lucia fortzieht. Und nehmen eins! Ich hab’ auch was für euch – das soll euch freuen! – Gismonda und Lucia ab, nach links.

Siebter Auftritt

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GIROLAMO allein. Der Himmel will’s – nicht ich – ’s ist höh’re Fügung; Der sich’re Bote, dessen ich bedarf, Er kommt von selbst und bietet sich mir an. Den Wink des Schicksals zu verschmäh’n wär’ Thorheit. Er zieht den Brief heraus. – Ich schrieb den Brief nur so, für mich – zum Scherz, Sie ringen mir ihn ab, fast mit Gewalt. Lucia und Gismonda kommen zurück. LUCIA. Hier ist das Buch. Laß’ seh’n, ob auch das rechte. GIROLAMO. Er legt während des folgenden seinen Brief zwischen die Blätter des Psalters. LUCIA leise zu Gismonda. Ich will’s ihm sagen doch! ... Wie Kohle Brennt mir in meiner Hand Isottas Gabe. GISMONDA. Tut was ihr müßt. LUCIA. Soll sein Vertrau’n ich täuschen? GISMONDA. Das seine oder ihr’s, Ihr habt die Wahl. LUCIA zu Girolamo. Mein Freund ... GIROLAMO. Was soll’s – was willst du noch? Nichts mehr. Zu Gismonda, ihr den Psalter überreichend. Nehmt hin, Madonna, und wie schon gesagt – GISMONDA fällt ihm ins Wort. Ich weiß, ich weiß. Seid ruhig, ich bin treu. LUCIA neckend. Bisher nur im Versagen und Verweigern Nicht im Gewähren, schwöret Foscari.

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GISMONDA verwirrt. Hat er geklagt? Nein, nein, mit Worten nicht, LUCIA. Doch seine Miene klagt, sein bleich Gesicht. Ihr sollet euch erbarmen, seid zu hart! GISMONDA wie oben. Wir sind es nie genug, glaubt mir, Lucia, Fürchte ich selbst – ich ... Was denn? Was? LUCIA. Vor allem – GISMONDA. Leise ihr ins Ohr. Mein eigen Herz! ... Lebt wohl. Wendet sich rasch zum Abgehen. Wenn Ihr’s erlaubt, GIROLAMO hastig. Geleit’ ich euch. Zu Lucia. Leb’ wohl. Du gehst? ... O bleibe ... LUCIA. GIROLAMO. Unmöglich ... Denn – ich hab’ zu tun – ich hab’ ... Ich werd’ vor Abend kaum nach Hause kommen Vielleicht vor morgen nicht ... Ich muß, siehst du – Ich muß nach Malamocco! Wie? – Was dort? LUCIA. GIROLAMO zu Gismonda. Madonna, euren Arm! Er geht rasch mit Gismonda ab. Er zürnt mir doch! LUCIA ihnen nachblickend, nach kurzer Pause. Sonst würd’ er mich so plötzlich nicht verlassen, Fast ohne Abschied, ohne einen Kuß! ... Er zürnt schon jetzt und grundlos, wie mir scheint, Wie wird er zürnen erst, wenn er erfährt Daß ich mich ließ verleiten von Gismonda, Sie zieht ein kleines Päckchen aus der Tasche. Hier dies Geschenk Isottas anzunehmen, Der Feind, sagt sie, hätt’s selber ihr gegeben. – – Was ist es nur? ... Ein Kästchen, und – ein Brief ... Die Glückliche! sie durfte schreiben ... Doch Das ist nicht ihre Hand. Ach – ein Gedicht – Die Unterschrift: „Anselmo“ – Was soll das? – Sie liest, anfangs unterbrochen und leise, dann rasch und laut mit immer steigender Entrüstung. Ein Rätsel künd’ ich Geheimnisvoll, Weiß nicht zu sagen, Wer’s lösen soll.

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Sie liest, ] Sie leist, Setzfehler

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Seit eines Engels Blick Auf mir geruht, Werd’ ich verzehrt Von Höllenglut. 5

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Ich denk’ nicht mehr, Ich atme kaum, Ich wall’ und wandle Wie im Traum. So bin ich tot, Obwohl ich lebend bin: Erwecke mich, O Himmelskönigin! ... Ha! Barbadico! ... Großer, guter Gott! ... Er wagt’s, der Gatte meiner Freundin wagt’s Von Liebe mir zu sprechen, solche Schmach Mir anzutun und solchen Treubruch ihr?! – Entsetzlich, gräulich ... O Girolamo, Wie stehest du vor mir, wie rein, wie hoch, Vergleich ich dich mit jenem schlechten Mann! Sie liest wieder. Ein Stelldichein erfrecht er sich zu fordern? – Erzwingen will er’s, wenn ich’s nicht gewähre, Sein Leben wagen – meinen Herrn bedrohen – Verderbtheit ohne Grenzen, ohne Namen! Leises Pochen an dem Getäfel links, neben dem Bilde des Ritters im Harnisch. – Man pocht? ... Und wo? ... Sie geht zur Mitteltür, öffnet dieselbe und blickt hinaus. Nicht hier. Sie schließt die Türe. Isottas Stimme hinter dem Bilde. Lucia! LUCIA. Wer ruft? Isottas Stimme, wie oben. Lucia! ... Wer? Allmächtiger! LUCIA angstvoll. Woher die Stimme?! ... Isottas Stimme, wie oben. Öffne mir, Lucia! LUCIA mit Entsetzen. Er hat sich hier verborgen ... Schreiend. Hilfe! Hilfe! Isottas Stimme, wie oben. Ich bin’s – Isotta ist’s ...

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LUCIA. Isotta? Isottas Stimme, wie oben. Komm’ Heran! ... Lucia, hörst du mich? Ich höre. LUCIA nähert sich dem Bilde. Isottas Stimme, wie oben. Drück’ an die Rose im geschnitzten Wappen Zur rechten Seit’ des Bild’s, vor dem du stehst. LUCIA zitternd. Ich tu’s ... Ich tu’s! Sie drückt an die bezeichnete Stelle, das Bild schiebt sich langsam in die Wand. Man erblickt den Ausgang eines schmalen, dunklen Ganges, an dem Isotta steht, eine kleine Lampe in der Hand.

Achter Auftritt DIE VORIGE, ISOTTA.

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ISOTTA in Lucias Arme stürzend. Lucia! Meine Schwester! LUCIA. Du kommst zu mir! ... Ich hab’ dich wieder ... Dich! ISOTTA sich umsehend. Dein Mann ist nicht daheim? Soeben ging er fort LUCIA. Und kehrt kaum heute wieder. Das ist gut ... ISOTTA. LUCIA. Ist’s möglich denn? ... Ich kann mich noch nicht fassen – Du bist bei mir! – Du kamst – – durch welches Wunder ...? ISOTTA lächelnd. Nicht durch ein Wunder, Kind – durch diesen Gang, Von dessen Dasein ich vor Monden schon In einer Chronik uns’res Hauses las, Die mein Anselmo sehr in Ehren hält, Doch zu entziffern niemals sich bemüht. Von diesem Weg zu dir mit ihm zu sprechen, Hielt eine dunkle Ahnung mich zurück. Wie glücklich bin ich jetzt, daß ich ihr folgte! LUCIA. Du kanntest längst ein Mittel, mich zu sehen, Und hast es nicht benützt? ISOTTA. Mir schien’s Verrat Und Unrecht an Anselmo. Heut jedoch ... LUCIA. Was stockst du? ... Sprich! ... Was gestern unrecht schien, Wie wurd’ es heute recht? ISOTTA. Das sollst du hören, Du meine arme, liebe Freundin, du! LUCIA. Ich bin nicht arm ... Ich nicht.

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ISOTTA für sich. O wüßte sie! ... LUCIA für sich. O wüßte sie, wie arm sie selber, wie Beklagenswert! Mein Schwesterchen – ISOTTA. Isotta! LUCIA. ISOTTA. Es schwebt ein Unglück über deinem Haupte, Ich kam, es zu beschwören – dich zu warnen. LUCIA. Wovor? Vor deines Mannes Untreu’. ISOTTA. Ha! LUCIA. Verkehrtheit! ... Ihn – den Meinen, klagst du an?! ... ISOTTA. Ich hab’ Beweise. Schweig’ Isotta, schweig’ ... LUCIA. Nicht alle Männer sind dem deinen gleich! ISOTTA. Ich wollt’, der deine gliche meinem mehr, Dir wäre besser. Törichte Verblendung! ... LUCIA in großer Aufregung. Zieht Anselmos Brief hervor und reicht ihn Isotta. Lies diesen Brief. Von ihm – – an Dich? ... ISOTTA. Sie überfliegt das Blatt. Dann mit gebrochener Stimme, fast weinend. An – dich! – – Sie wirft sich auf einen Stuhl und bedeckt das Gesicht mit ihren Händen. LUCIA kniet bei ihr. Isotta, Schwester! ... Was hab’ ich getan?! ... Kannst du mir je verzeih’n? ... O weine nicht – Dein Mann ist treu – und er hat nur gescherzt. ISOTTA bitter. Meinst du? LUCIA. Gewiß! – Und deshalb sollst du lachen, Und sollst dich grämen nicht. Sei nur vernünftig, – Noch immer Tränen? ... Ei, wie schad’ um sie. Zieht ihr die Hände vom Gesicht. ISOTTA. Lass’ mich! LUCIA. Ein wenig nur versuch’ zu lachen. ISOTTA. Versuch’s doch selbst – du bist in meinem Fall Und hast zu lachen ganz den selben Grund. Gibt ihr Girolamos Brief. LUCIA betroffen. Von meinem Manne – von Girolamo? ISOTTA. Im Psalter, den du sandtest, lag der Brief. LUCIA. Den ich dir sandte? – – Den hätt’ er benützt – – Sie liest. O ganz abscheulich! Meine eig’ne Hand Macht er zum Werkzeug des Verrats an mir – Springt auf. Der Schändliche! Liest wieder. Er liebt dich, leidet, brennt ...

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Genug ... Hinweg! Zerreißt den Brief. Mit Wut. Ich Unglückselige! ISOTTA sich erhebend. Sei ruhig, sag’ nun i c h – es ist ein Scherz. LUCIA. Das gilt von deinem, nicht von meinem Manne, Der meine ist zum Scherzen viel zu plump. Sieht Isotta forschend an. Er rühmt sich da – daß du – ihn angeblickt ... ISOTTA. Ich hab’s getan, so oft ich ihm begegnet Und dachte stets dabei: Vieltausend Grüße Trüg’ ich – wie gern! – ihm auf für meine Schwester. LUCIA. So ging’s auch mir, wenn ich Anselmo sah. Und diese beiden eitlen Männer glaubten, Daß ihnen gelte uns’re Freundlichkeit! Und bauten frech darauf ein sündhaft Hoffen! ... O Frevel, unerhört und himmelschreiend – Wie straf’ ich ihn? ... Wo find’ ich Rache! – Rache! – ISOTTA. Lucia! ... Kenn ich dich – die sanfte, milde ...? LUCIA. Was Sanftmut und was Milde, gegenüber Dem niedrigsten Verrat! ISOTTA. Komm’ zu dir selber. LUCIA. So schwer wie ich, ward nie ein Weib beleidigt Denn nie hat eines so wie ich geliebt! ISOTTA. Nicht minder liebt’ ich, glaube mir, als du, Und qualvoll leid’ auch ich. LUCIA. Du leidest? ... Leidest? Bist nicht empört und glühst nicht auf im Zorn? Senkst still das Haupt und weinst? ... O geh mir, geh – Du hast im tiefsten Wesen dich verwandelt. Einst Funken sprühend, feurig wie die Flamme, Jetzt Tropfen rieselnd, wie ein armer Born. ISOTTA. Ich bin gebeugt, gedemütigt, gebrochen ... LUCIA. Gebrochen, schwaches Ding? ... Wie kläglich, – ha! In mir erwacht erst heut’ die g a n z e Frau ... Von ungeahnter Macht bin ich durchdrungen Und schützen werd’ ich mein verletztes Recht! ISOTTA. Was willst du tun? LUCIA. Uns rächen, was denn sonst? ISOTTA. Doch wie? Ich sinne – will – ich werde – halt – ich hab’s! ... LUCIA. Sie flehten beide um ein Stelldichein, Sie sollen’s haben, doch zu Schimpf und Strafe! Denn eh’ sie kommen, wechseln wir den Platz!

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ISOTTA freudig. Vortrefflich! – So wie heut’ schleich ich herüber, Und Du – hinüber, auf demselben Weg! LUCIA. Und wenn die Sünder an die Türe pochen – ISOTTA. Dann öffnet jedem – seine eig’ne Frau! Sie steh’n entsetzt, beschämt, erkennen sie ... LUCIA. Gemach mein Schatz! Nicht um ein Königreich Darf unser Spiel so rasch verraten werden. Das schwere Unrecht fordert lange Strafe. Du bist Lucia morgen für den Gatten, Benimmst dich gegen ihn so, wie du wünschest, Daß ich mich selber gegen ihn benehme, Ganz starr und eisig, stumm und voll Verachtung. ISOTTA Lucia umarmend. Es soll gescheh’n – doch morgen denk’ auch du, Daß Name wir getauscht und Sein und Wesen, Daß meine Würde du zu wahren hast. LUCIA. Sei du nur, mir zu Ehren, unerbittlich, Ich, dir zu Ehren, werde stachlig sein Trotz einer Distel – herb, wie Bilsenkraut. ISOTTA. Verstelle dich! ... Du mußt sehr ängstlich tun, Unhörbar flüstern – dicht verschleiert sein ... LUCIA. Das schwör’ ich dir: Mein Mann erkennt mich nicht! Trät’ ich ihm jetzt, am hellen Tag entgegen, Und spräche ihn mit meiner Stimme an, Er würde bebend fragen: „Wer ist das? Ihr Heil’gen schützt mich vor der Furie!“ – In Wut und Groll verkehrt sind Lieb’ und Güte, Ich fühle von der Löwin was in mir, Und meinem Herrn will ich die Herrin zeigen!

Zweiter Aufzug Rückseite der aneinander stoßenden Paläste Barbadico und Bembo, jener rechts, dieser links vom Zuschauer. Ein Steinweg zwischen den Häusern und dem Kanal, der den Vordergrund bildet. Der Palazzo Barbadico bildet die Ecke in eine enge Calle, die ihn von dem nächsten Hause trennt.

Erster Auftritt NICOLO kommt von rechts, in einem grauen Mantel eingehüllt.

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NICOLO. Verbirg dich, Mond! Verbirg dich, Unverschämter! Was blickst du schadenfroh auf mich herab Und leuchtest mir zu Tod mein schönes Glück? Im Dunkel nur erblüht es, weißt du wohl. O laß mich selig sein, geh’ schlafen, Mond! Du Freund der Liebenden, sei mir nicht feindlich! Schwebt keine Wolke denn am Horizont, In deren Schatten ich es wagen darf, Zum ersten Mal nach endlos langem Werben Erhörung hoffend ihr zu nah’n, der Göttin, Vor der bis jetzt ich betend lag auf Knien? ... O Stunde, heißersehnt und schwererrungen, Sollst du mir ungenützt vergeh’n? ... Verfolgt Bis an die Himmelspforte mich mein Unstern? Muß ich noch zweifelnd zögern an der Schwelle? Dort steigen Wolken auf ... Ich will mich bergen, Bis sie des Mondes helles Aug’ verschleiern, Im Schatten jener Häuser – ich will – warten! Verfluchtes Wort! ... Die Höllenpein heißt warten, So qualvoller, je näher schon dem Ziel. – Erreicht ist mein’s, doch kann ich’s nicht ergreifen, Die Stunde kam, doch zagt der Augenblick! – Er biegt um die Ecke rechts und verschwindet im Dunkel der Calle.

Im Schatten jener Häuser ] Im Schatten jene Häuser Setzfehler

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Zweiter Auftritt ORSO und DOMENICO kommen von links.

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DOMENICO. Dort hat sich einer davon geschlichen, ich habe ihn deutlich verschwinden sehen – um die Ecke. – Es war ein Dieb! ... Eure Leute sind doch in der Nähe? ... Ruft ihn an. ORSO. Das war kein Dieb, viel eher ein Verliebter, der im Mondenschein schwärmte. DOMENICO. Ich sage euch –: ein Dieb! ... Wenn ihr nicht ruft, ruf’ ich ... He, Dieb! ... He! ... Die Stimme versagt ihm. ORSO. Das hat er schwerlich gehört. DOMENICO. Weil er nicht wollte, weil er taube Ohren macht, der schlechte Kerl ... Das ist die Furcht – diese Lumpe stellen sich verwegen, doch sind sie feig – wie das böse Gewissen ... Erfaßt schaudernd Orsos Arm. Was regt sich da? ... Flüsternd. Seine Gefährten sind hier herum versteckt. ORSO. Wenn sie nicht im Kanale untertauchen, weiß ich nicht, wo? – DOMENICO. Das ist es ja – das ist das Unglück ... Räuber verbergen sich – und die Wache weiß nicht wo? ... Wir sind bedroht auf Tritt und Schritt, aber die Wache weiß nicht durch wen? ... Gestohlen wird wie in Tripolis, aber entdeckt – – Ihr Heiligen! was? Der Diebstahl immer, doch niemals der Dieb. ORSO. Wir haben erst gestern eine ganze Bande Spitzbuben eingebracht. DOMENICO. Habt ihr auch die – Anführer? Die wohl nicht. Warum? Weil sie sich verbergen, dort – wohin der Arm der Gerechtigkeit nicht reicht. ORSO. Der Arm der Gerechtigkeit reicht überall hin. DOMENICO. Du, meine Güte! – Der arme Arm! Geheimnisvoll. Wenn ihr einmal – verkappt unter der Larve eines Strolches, einen Bembo ausspürtet – oder einen Dandalo – oder einen Foscari – was dann? Was meint ihr? Dann würde sich der Arm der Gerechtigkeit heben – aber nicht um den Verbrecher zu treffen, sondern um ihn – Mit Mimik. durchschlüpfen zu lassen. ORSO. Ihr glaubt, unsere großen Herren mischten sich manchmal zum Spasse unter die Straßenräuber. DOMENICO. Zum – Spasse glaube ich nicht. ORSO. Was denkt ihr, Messere? DOMENICO. Mehr als ein Soldatenhirn sich vorstellen kann, Hauptmann. ORSO. Da wäre ich doch neugierig – DOMENICO. Zum Exempel – daß wir verwildern unter Foscari – daß seine ewigen Kriege uns in das Verderben führen – ORSO. Nicht auf dem kürzesten Wege! Durch diese Kriege haben wir Fuß gefaßt in der Lombardei, Salonichi erworben, und, im letzten Feldzug gegen Visconti, Brescia und sein Gebiet.

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DOMENICO. Er wird euch’s lange in der Hand lassen, der Visconti! – – Rüstet schon, hört man, zu neuem Kampfe. ORSO. Was verschlägt das euch? DOMENICO. Was – mir?! Gott behüt’ euren Scharfsinn – er hat die schwindende Sucht. – Ich brauche Frieden, Hauptmann, ich brauche Sicherheit. Anstatt dessen, was hab’ ich? – Das Entsetzen immer in allen Gliedern ... ORSO. Aber warum denn? DOMENICO ohne sich unterbrechen zu lassen. Venedig ist ein Raubstaat worden und eine Räuberstadt – ORSO. Alles durch die Kriege? DOMENICO wie oben. Und die Häupter der Stadt – heiliger Altar! – Abenteurer, Blutvergießer, Prasser ... Der Dogenneffe Foscari hat allein mehr Schulden, als Brescia bezahlen kann, samt seinem Gebiete ... Unter solchen Umständen werden die großen Herren klein, da wächst ihnen jeder Gläubiger über den Kopf, da quetscht sie die Not. Der eigene Säckel ist leer, aber im Kriege hat man gelernt, in den fremden greifen – – und wenn der sich nicht gutwillig öffnet – zückt der große Herr den Dolch – oder knüpft eine Strickleiter – und –– ORSO. Schweigt! Schweigt. Die Angst legt euch gefährliche Reden in den Mund. Geh’t heim, Messere. Wo hält eure Gondel? DOMENICO. Nirgends. Ich wollte mich aus der Versammlung auf diesen meinen Beinen nach Hause begeben. ORSO. So geht denn. DOMENICO. Allein? – Ich habe einen weiten Weg. Der eure führt an meinem Hause vorbei. ORSO. In später Nacht erst. DOMENICO. Gleichviel. Ich bleibe bei euch. Ich stelle mich unter die Obhut der bewaffneten Macht. ORSO. Dann kommt. DOMENICO. Ruft eure Leute. Sagt ihnen, daß sich ein Richter ihnen anvertraut hat. ORSO. Schon gut. Haltet euch ruhig. Er winkt seinen Leuten. DOMENICO. Es wird dunkel. Der Mond verhüllt sich. Sehr schauerlich. Zu den Wachen, die von links auftreten. Ihr Leute, seid mir achtsam! Seht nach den Räubern – vor allem seht nach mir. Wenn man etwas Verdächtiges entdeckt, so habe man zuerst ein Auge auf mich. Ich bin Messere Domenico Maripetro, ein Mitglied der republikanischen Regierung! Während dieser letzten Worte gehen alle rechts ab, an der Calle vorbei. Die Bühne bleibt einige Sekunden lang leer. Eine Turmuhr in der Nähe schlägt elf.

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Dritter Auftritt ANSELMO kommt von links.

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ANSELMO. Und neun – und zehn – und eilf! – – Jetzt ist es Zeit! – So leicht hätt’ ich den Sieg mir nicht geträumt, Und mich verdrießt beinah’ des Kampfes Kürze; Das schwer Errung’ne nur beseligt ganz. – Wie Unrecht hattest, Tölpel Bembo, du, Herauszufordern mein bewährtes Glück! Bald ruht dein Weib an deines Feindes Brust, Mit ihren Küssen deine Schmach besiegelnd. Er nähert sich der Tür von Bembos Haus und pocht dreimal rasch und leise. Ich höre kommen – leichte Schritte ... Die Tür öffnet sich, Isotta tritt verschleiert auf die Schwelle. O! – – Die Heil’ge naht und so verehr’ ich sie! Er kniet nieder. ISOTTA mit gebrochener Stimme. An–sel–mo ... Herr ... Nicht Herr, ein Sklave nur, ANSELMO. Unwürdig dieses Schleiers duft’gen Saum Mit seinen heißen Lippen zu berühren, Wär’ nicht die Gnade, nicht die Himmelshuld, Die Sünder reinigt und sie heil’gen kann! ISOTTA wie oben. Steht auf. Ich tu’, was du gebietest, Holde. ANSELMO gehorcht. Er faßt ihre Hand. ISOTTA zieht ihre Hand zurück. Nicht so. Laßt meine Hand. ANSELMO. O laßt sie m i r ! Ich habe nie so schöne Hand berührt! ISOTTA leise. Der Treulose! ANSELMO. Wie? Was sagtet ihr? ISOTTA. Ich nichts. Und doch – Er nähert sich. ANSELMO. Lucia! ISOTTA tritt schaudernd zurück. Fort! ... Hinweg! ... ANSELMO verwirrt. Was fürchtet ihr, Madonna? ISOTTA dumpf. Euch. Und ich – ANSELMO. Ich wahrlich – fürchte: Euch ... In Demut hat

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In Eurer Nähe sich mein Mut verwandelt; Bangt nicht vor dem, den Bangen Ihr gelehrt. ISOTTA. Man kommt. Sie wendet sich. Entfliehst du, Göttin? ANSELMO. Folget mir. ISOTTA. Sie verschwindet im Flure. ANSELMO. Sie zittert, wie im Morgenhauch die Espe! ... So hat Isotta nie vor mir gezittert, Ihr fehlt der holde Reiz der Schüchternheit, Der diese schmückt, die mädchenhafte Frau, Die zarte, anmutreiche! ... Das war sie, Das war das Weib, das Gott für mich erschuf! Er folgt Isotta und schließt hinter sich die Türe.

Vierter Auftritt LUCIA öffnet die Türe des Palazzo Barbadico und blickt spähend umher.

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LUCIA. Er zögert lang’ – o Gott! Wenn er bereute – Und käme nicht, ich könnt’ ihm noch verzeih’n, So groß ist meine Langmut, meine Liebe. – Ihr Heiligen, wendet sein verirrtes Herz! Es ist genug, daß er das Schlechte wollte, Vielleicht nur einen Augenblick es wollte – Vielleicht sogar – nicht wollt’ – daß er dem Feind Zum Possen und Verdruß den Brief geschrieben, Und um zu reizen seine Eifersucht ... Dies könnte sein, und – ist! ... Und ich – ich tat Dir unrecht, mein Geliebter! – – Alles still ... Er kommt nicht – nein – er wär’ längst da, wenn wirklich ... Girolamo kommt von rechts. Hilf Himmel – dennoch – Ei ... nun gnad’ Dir Gott! GIROLAMO für sich. Ich glaube fast, sie wartet schon auf mich ... O Ungeduld! – – Er nähert sich. Seid ihr’s Madonna? Ja, LUCIA. Ich bin’s – – allein – seid ihr’s? GIROLAMO. Wahrhaftig, – ich! LUCIA mit vor Zorn zitternder Stimme. Ich muß das sicher wissen, Herr, denn – seht,

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Ich hab’ für euch da etwas in Bereitschaft, Das keinem Andern darf gespendet sein ... GIROLAMO. Dann spendet kühn, es trifft den rechten Mann. LUCIA gibt ihm eine schallende Ohrfeige. Und auch die rechte Wange! O! ... O! ... O! ... GIROLAMO. LUCIA. Läßt eine Dame man so lange warten Beim ersten Stelldichein? – – O! ... O! ... O! ... O! ... GIROLAMO. LUCIA. Ist Brauch dies in Venedig? – Ist’s der eure? GIROLAMO verblüfft. Geschäfte – meine Zeit ... Seid ihr ein Krämer, LUCIA. Bei dem Geschäfte vor der Liebe geh’n? Ist eure Zeit so kostbar, weil sie Geld? – Ein Goldstück jede Stunde – oder zwei? Ich will es wissen! Sagt es frei heraus, Wie viel ich immer zu vergüten hab’ ... Euch schuldig, bei der Hölle! bleib ich nichts ... GIROLAMO für sich. O welch’ ein Weib! Sie lodert – Reibt sich die Wange. Das ist Feuer ... Vor meinen Augen sprüh’n Funken – ellenlang. Laut. Sehr schmeichelhaft, im Grund, ist euer Zorn. LUCIA. Wohl – ich verstehe mich auf Schmeichelei, Mein süßer Herr. GIROLAMO für sich. Trotz einer Tigerin. Laut. Gebt eure Hand, daß ich die mächt’ge küsse. LUCIA reicht ihm die Hand. O küßt sie nur! GIROLAMO für sich. Wie eine Männerfaust So rauh. Laut. Geliebte, Eure Hand ist kalt. LUCIA für sich. Geliebte?! ... Warte – o! ... Laut. Doch nicht mein Herz. GIROLAMO. Was macht das eure glühen? Eifersucht! – – LUCIA. War’s eure Frau, die euch zurückgehalten? Man sagt, daß sie die Herrschaft führt im Hause. GIROLAMO. In meinem Hause, sie? – O lächerlich! Gehorsam ist mein Weib und untertänig, Mein Wink ihr unverbrüchliches Gesetz. LUCIA für sich. Das wird sich ändern in der Zeiten Lauf. GIROLAMO. In strenger Zucht muß man die Frauen halten ... LUCIA heftig. Was sagt ihr da?

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GIROLAMO. Die schwachen, meine ich – LUCIA wie oben. Und zählt wohl mich dazu? Bewahr’ mich Gott! GIROLAMO zurückweichend. LUCIA. Bei mir käm’t ihr schlecht an mit eurer Zucht. GIROLAMO kniet nieder und entblößt sein Haupt. Der deinen, zorn’ge Göttin, beug’ ich mich; Daheim ein König, bin ich hier ein Knecht! LUCIA legt die Hände auf seinen Kopf. Wohlan, wohlan – – und dieses Haupt ist mein? GIROLAMO. Der ganze Bembo dein mit Leib und Seele. LUCIA. Mit Leib und Seele – Faßt ihn an den Haaren. und mit Haut und Haar! GIROLAMO ächzend. O schrecklich – fürchterlich! ... Wie ihr befehlt. LUCIA. So nehm’ ich ihn denn auch zu eigen ganz, Und wie er sich ergab, auf Gnad’ und Ungnad’. GIROLAMO. Auf Gnad’ und – Ungnad’? Wild ist meine Liebe – – LUCIA. GIROLAMO. Ich hab’s erprobt. Ihr habt noch nichts erprobt. LUCIA. Das Beste soll erst kommen! Wie? – Das Beste? – GIROLAMO. War denn schon gutes da? Die Leidenschaft LUCIA. Ist Feuersglut. Wenn ihr das Feuer fürchtet, Kommt ihm nicht nah. Lebt wohl. Sie wendet sich. Ihr geht? ... Und ich – GIROLAMO. Darf ich euch folgen? LUCIA. Wenn ihr’s wagt! Sie verschwindet im Flure. GIROLAMO ruft ihr nach. Ich wag’s! Das nenn’ ich Wärme! Leben! ... Welch’ ein Weib! – Was die mich fühlen lernt, empfand ich nie, Lucias Zärtlichkeit gleicht dieser, wie Ein flackernd Lichtlein in der Krankenstube Dem Ausbruch des Vesuvs! ... Und all die Lohe Hab’ ich entfacht. Ein Gott, umwallt von Flammen, Komm ich mir vor. – ’s ist aus mit uns – Lucia, Die sanfte Güte rührt, weckt Mitleid, doch Nur Leidenschaft allein beglückt den Mann! Er geht und wirft hinter sich die Türe zu.

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Fünfter Auftritt FOSCARI kommt von rechts. In einer Hand hält er das abgerissene Ende einer Strickleiter, mit der andern preßt er ein Tuch an seine blutende Stirne.

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FOSCARI. Hierher – noch einen Schritt – – so fern als möglich Von meiner Liebsten Haus ... Daß nicht mein Blut Verrate, was geschah ... Seine Hände sinken matt herab. Nun fließ dahin – Dein dunkler Strom fleckt hier nicht ihren Ruf – Vor kränkendem Verdacht bleibt sie bewahrt. Die Strickleiter ist zu Boden gefallen; er will sich bücken, um sie aufzuheben, und bricht zusammen. Und wo – wo berg’ ich dich – treuloses Werkzeug, Das mich zum Glücke tragen sollte – und Das – mich – betrog ... Gismonda – Deinen Schrei, Ich hörte ihn – – sei ruhig – o sei ruhig – Ich plaudre nicht, ich bin – ein stummer Mann Dem – Tod – ist dein Geheimnis anvertraut. Seine Sinne schwinden.

Sechster Auftritt DOMENICO, ORSO, gefolgt von der Wache, kommen von rechts.

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ORSO rasch auftretend. Ein Fenster hat geklirrt, ich habe einen Schrei gehört und einen schweren Fall. DOMENICO atemlos hinter ihm her. Was rennt ihr so? ... Ich habe nie vernommen, daß man der Gefahr entgegen läuft. Kommt zurück. ORSO umherblickend. Es muß hier in der Nähe gewesen sein. DOMENICO in Todesangst. Bringt mich nach Hause. Es war nichts, sag’ ich euch; es gibt heut nichts zu fangen. ORSO. Gerade heut. DOMENICO. Es ist umsonst – die Kerle wagen sich nicht aus ihren Schlupfwinkeln. Sie haben Wind bekommen, daß ich die Stadt durchstreife. ORSO hat leise mit einigen seiner Leute gesprochen, sie begeben sich in die Calle. DOMENICO. Wohin schickt ihr die Leute? Sie sollen meinen Rücken decken ... Ihr entblößt mir meinen Rücken ... ORSO lauschend. Haltet euch doch still.

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DOMENICO. Was seht ihr? ... Was hört ihr? ... Ewige Barmherzigkeit! sind wir umringt? ... ORSO wie oben. Still, Messere! DOMENICO. Nein! Erhebt die Stimme. Die ehrlichen Diebe hier herum sollen wissen, daß ich sie ungeschoren lassen will – daß ich nichts gegen sie im Schilde führe ... Laßt uns nach Hause gehen ... Gönnt euren braven Leuten Ruhe – jagt sie nicht umher in der Nacht – die Nacht hat Gott der Herr geschaffen, daß seine Menschen sie verschlafen ... Geht, ihr Leu... Er ist an die Stelle gekommen, wo Foscari liegt, stolpert über dessen Beine und fällt. O heilige Dreieinigkeit – da lieg’ ich! ORSO. Messere! – Was ist? ... DOMENICO. Ein Erschlagener! ... Blut! ... Ein See – ich lieg’ auf einem Toten in einem See von Blut ... Fischt mich heraus! ORSO hilft ihm auf. Fackeln her! He – Fackeln! Die Leute aus der Calle eilen mit Fackeln herbei. Wahrhaftig – ein Erschlagener – DOMENICO. Ein Körper – o! Ein Körper – – ORSO. Leuchtet – hierher! DOMENICO. Ja, leuchtet! ... Leuchtet dem Körper in’s Gesicht – Schaudervoll! ... Eine Verbrecherphysiognomie. Das ist einer von denen, die man zuerst hängen und dann richten soll. ORSO. Possen! Das ist ein sehr friedfertiger Geselle. Das ist Nicolo Foscari – des Dogen Neffe. DOMENICO. Des – Do – gen – Nef – fe – ?! ORSO. Was liegt da neben ihm? ... Das abgerissene Ende einer Strickleiter ... DOMENICO. Strickleiter?! Wie? ... Wer? ... Strickleiter! ... ORSO. Die nehm’ ich zu mir, armer Nicolo – DOMENICO. Eine saubere Armut – eine Armut mit einer Strickleiter in der Hand – Sprach ich nicht eben von einer Strickleiter, Hauptmann? – Tat ich’s nicht? ORSO. – – Erschlagen – an der Schwelle des Palastes Barbadico Lauschend. und da drin alles still ... Zu einigen seiner Leute. Ihr nehmt die Leiche auf. Es geschieht. Tragt sie nach dem Dogenpalaste, meldet dem Dogen, daß ich euch auf dem Fuße folge, Bericht erstatten werde – Die Leute mit Foscari ab nach links. DOMENICO ihnen nachrufend. Meldet, daß auch Messere Maripetro kommt, dem man die ganze Entdeckung verdankt – der auf sie gestoßen ist mit seinem Scharfsinn ...

einigen seiner Leute. ] einigen siner Leute. Setzfehler

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ORSO. Scharfsinn? – Ei, mit seiner Nase! Nach einer Pause. Ist eurem – Scharfsinn die Stille nicht befremdlich in den beiden, sonst so lauten Häusern? ... Nicht ein Fenster erleuchtet. Alles wie ausgestorben ... DOMENICO. Vielleicht – alles tot – alles – – ermordet ... O Hauptmann! ORSO. Fiel Foscari lautlos? War niemand in der Nähe, als der Mord geschah? Ich hätte Lust, ein wenig anzufragen. Er nähert sich der Türe des Palastes Barbadico. Diese wird im selben Augenblicke von innen vorsichtig geöffnet. DOMENICO flüsternd. Gebt acht! ... Gebt Acht! ... Die Türe ... seht! ORSO leise zu seinen Leuten. Keinen Laut! ... Drückt euch an die Wand. GIROLAMO schleicht aus der Türe. Leb wohl – Engel, Kriegsgöttin ... Schließt die Türe. Drache! ... Heil mir, daß ich entronnen bin mit geraden Gliedern – Brr! ... Mänade, ich gönne dich dem Feinde. Bei meiner Treu’ – ich hab’ ein besseres Weib. DOMENICO leise. Wie er sich schüttelt, seht ... Es graut ihm vor sich selber. ORSO winkt seinen Leuten. Fasset ihn! ANSELMO schleicht aus der Türe des Palastes Bembo. DOMENICO. Halt! Halt! ... Da ist noch einer! ORSO. Wahrhaftig ... Winkt den Leuten, sich ruhig zu verhalten. ANSELMO. Auf Nimmerwiedersehen – du Klageweib! Lad’ andere zu deinen Thränenfesten. Das Glück, das du gewährst, gönn’ ich dem Bembo! Erblickt Girolamo. Teufel! ... Ein Mann an meiner Tür?! GIROLAMO erblickt Anselmo. Was regt sich dort? – Wer da? ANSELMO auf ihn zustürzend. Ich! Steh, du Schurke! GIROLAMO. Gewiß! ANSELMO. Bembo! GIROLAMO. Barbadico! ORSO. Sie sind es. ANSELMO. Woher? GIROLAMO. Woher du selber? ANSELMO. Du warst bei meinem Weibe! GIROLAMO. Bei dem meinen du! ANSELMO zieht. So stirb! GIROLAMO zieht. Verende! ORSO wirft sich zwischen sie. Halt! Halt! Im Namen des Gesetzes! Die Wachen trennen die Kämpfenden trotz ihres heftigen Widerstandes. GIROLAMO. Söldlinge! Hunde! ORSO. Ruhe, Signor Bembo – behaltet kaltes Blut, wenn’s euch beliebt, und gebt Bescheid auf meine Frage, Herr. An der Schwelle des Hauses, aus dem ihr soeben schlich’t ... ANSELMO wütend. O!

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ORSO. Und das ihr sonst, bei Tage mindestens, zu meiden pflegt, fanden wir den Neffen des Dogen ermordet. GIROLAMO. Was kümmert’s mich? Mit den Wachen ringend. Laßt los! Er erwehrt sich der Wachen. ANSELMO hat sich gleichfalls frei gemacht, er und Girolamo dringen mit blanken Klingen auf einander ein. Komm’ an! ORSO. Entwaffnet sie! GIROLAMO. Versucht’s! ANSELMO. Entwaffnen – mich? – Girolamo und Anselmo werden von Orso und seinen Leuten übermannt und entwaffnet. ORSO. So, nun bindet sie, denn sie sind toll. Anselmo und Girolamo zugleich während sie gefesselt werden: ANSELMO. O Wut! GIROLAMO. O Schmach und Schande! DOMENICO der sich hinter den Wachen verborgen hält, tritt vor. Ja, Schande! Ja – ja wohl! ... Himmel! Herrgott! ... Ertappt! Nächtlicher Weile auf Diebeswegen – einer im Hause des anderen – so erlauchte Häupter – so hohe Herren – und gehen stehlen! ORSO lacht. Stehlen – hahaha! ANSELMO schäumend. Lacht nicht! ORSO. Nein, nein. GIROLAMO. Gebt mich frei – oder ... ORSO. Ich traf euch im Zweikampf. Ihr kennt das Gesetz; ich muß euch verhaften, Ihr Herren. Was jeder von euch im Hause des Feindes suchte – ob ihr Kenntniß habt vom Morde Foscaris – wird das Verhör an den Tag bringen. Zu den Wachen. Führt sie ab! ANSELMO. Entehrt vor ganz Venedig! GIROLAMO. O Weiber! Weiber! ORSO. Vorwärts! DOMENICO. Wartet! Wartet! An eure Spitze setzt sich die Gerichtsperson! Der Zug hat sich, ohne auf ihn zu achten, in Bewegung gesetzt; er will sich vordrängen und wird von einer der Wachen, die den noch immer sich wehrenden Girolamo führen, in den Kanal gestoßen. DOMENICO im Fallen. O Donnerwetter! Hilfe! Hilfe!

Dritter Aufzug Ein Gemach im Dogenpalaste. Auf einem Tische das abgerissene Ende der Strickleiter und Schreibgeräte.

Erster Auftritt DOGE, O RSO.

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DOGE. Was meldet der Wärter von seinen Gefangenen? ORSO. Sie haben eine unruhige Nacht zugebracht, Morgens und Mittags die Nahrung verweigert. Beantworten mit finsterem Schweigen jede Frage, die man an sie richtet. Sie sitzen stumm einander gegenüber und werfen sich grimmige Blicke zu. DOGE. Ich will meinen Neffen sprechen, vorausgesetzt, daß er im Stande ist, mir Rede zu stehen. ORSO. Er ist es, Herr, er hat sich erholt von seiner tiefen Ohnmacht. DOGE. Sendet ihn. ORSO. Noch eines, Herr. Bei Tageshelle entdeckte ich, daß sich von der Stelle, an der wir Signor Foscari fanden, durch die Calle Barbardico leichte Blutspuren, bis zum Steinweg, in den sie mündet, zogen. Dort endeten sie vor dem dritten Hause. DOGE. Kennt Ihr das Haus? Wessen ist es? ORSO. Es ist der Palazzo der Witwe Mora. DOGE. Und so meint ihr? ORSO. Nichts Herr, ich berichte, was ich sah. DOGE. Geht. Meinen Neffen und Messere Maripetro. ORSO. Dieser wartet, obschon etwas unwohl in Folge der heut Nacht erlittenen Erkältung. Öffnet die Tür und winkt. Domenico tritt ein. Orso ab.

Zweiter Auftritt DOGE. D OMENICO. DOMENICO an der Türe mit tiefen Bücklingen. Erlauchter! Er nießt. DOGE. Tretet näher.

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seinen Gefangenen ] seinem Gefangenen Setzfehler

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DOMENICO gehorcht. Mit Verlaub. Nießt wieder. Verzeihung, Erlauchter – ein kleiner Schnupfen; doch bin ich stolz darauf. Ich zog mir ihn zu im Dienste der Republik. DOGE. Ich weiß, ich weiß. Messere Maripetro! Die Signoria hat, nachdem sie Eueren und des Hauptmanns Orso Bericht über das Ereigniß der heutigen Nacht entgegengenommen, mir nicht nur die Untersuchung dieser Sache, sondern auch die Entscheidung darin übertragen. DOMENICO. Mit Ausschluß der Quarantia? des Rates der Zehn der ... DOGE. Ja, Messere. DOMENICO für sich. O Republik! – Ist das republikanisch? DOGE. Ich hingegen verpfändete mein fürstliches Wort, mich dieser Angelegenheit mit äußerster Gewissenhaftigkeit anzunehmen, und wünsche überdies, daß jeder Schritt, den ich in derselben tue, von einem verläßlichen Zeugen überwacht werde. Ihr seid der Mann, den ich dazu auserwählt habe, vorzüglich deshalb, weil ich euch als meinen Gegner kenne. DOMENICO. Mich? ... O dies – dieser Verdacht. DOGE. Setzt euch, Messere, nehmt die Feder zur Hand, Ihr werdet, was hier vorgeht, an die Signoria berichten. Zuerst die Unterredung zwischen mir und meinem Neffen. DOMENICO. Unterredung –? Euer Neffe, Erlauchter – ist tot. DOGE. Mein Neffe ist so lebendig wie ich und Ihr. Da – seht.

Dritter Auftritt DIE VORIGEN. NICOLO, eine Binde um die Stirne.

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DOMENICO fällt bei seinem Anblick vor Schrecken vom Stuhle. Ewige Barmherzigkeit – der Tote! DOGE. Behaltet Platz, Messere. DOMENICO. Ich – wollt’ – nur – grüßen ... Für sich. Lebendig – und ein Räuber! ... Lebendig ist noch schlimmer als tot ... NICOLO will auf den Dogen zugehen. Mein teurer Oheim, Ihr ... DOGE winkt ihn fort. Dein Richter, Foscari! NICOLO. Richter? Was hab’ ich denn getan? DOGE. Das wollen wir von dir hören. Bedenke, ehe du sprichst, daß ein jedes deiner Worte so schwer wiegt, als fiele es vor dem versammelten Rate der erlauchten Republik. NICOLO. Mein Fürst ... DOGE. Du wurdest heute Nacht für tot in der Nähe der Häuser Barbadicos und Bembos gefunden. Hattest du Streit mit einem von den beiden?

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NICOLO. Mit Keinem, Herr. Weder den einen noch den andern habe ich erblickt. DOGE. Schreibt doch, Messere. DOMENICO. Erlauchter – ja. DOGE auf Nicolos Stirne deutend. Wie kamst du zu der Wunde? NICOLO. Ich bin – ich ... O Herr! ... DOMENICO für sich. Haha! ... Er stottert schon! Schreibend. Ich bin ... ich ... O Herr! – Es steht geschrieben. – DOGE. Von der Stelle, an der du fielst, führen Blutspuren durch die Calle Barbadico, bis zum Palazzo Mora. NICOLO für sich. Himmel! DOMENICO. Ei! Ei! Mir neu – Palazzo Mora? DOGE. Dort wurdest du überfallen? – Nicht? NICOLO. Ich? – Ja, ja – ganz recht – ich wurde überfallen. DOGE. Von Strolchen? NICOLO. Möglich! – Es werden wohl Strolche gewesen sein. DOMENICO. Wurde überfallen? ... Wurde? ... Nicht doch – er überfiel – NICOLO. Ich fiel! Beteuernd. Er sagt es, Herr – fiel über – – – DOMENICO. Entschuldigt! – Ich fiel über euch! DOGE. Laßt ihn reden. Während des Kampfes mit den Strolchen also, stürztest du – NICOLO. Des – Kampfes? DOGE. Kam es denn zu keinem Kampfe? NICOLO. Sprach ich von einem Kampfe? DOGE. Von einem Überfall sprachst du. Soll ich glauben, daß du dich nicht zur Wehre gesetzt hast? NICOLO. Ich – werde – wohl – DOGE ihn nachahmend. – Ich – werde – wohl! ... Drücke dich bestimmter aus! NICOLO. Ich setzte mich zur Wehre. DOGE. Gelang dir’s, einen deiner Gegner zu verwunden? NICOLO. Ja – sicherlich. DOGE. Mit welcher Waffe? NICOLO. Ich hatte – meinen Dolch. DOGE. Hier ist er! So blank wie er aus dem Laden des Waffenschmieds kam. Mit deinem Dolche hast du dich nicht gewehrt. NICOLO. Ja ... Nein! ... DOMENICO. Er verwirrt sich – laßt mich die Verwirrung zu Papier bringen! DOGE. Womit denn? ... Mit dieser Strickleiter vielleicht? – Er hebt sie in die Höhe. NICOLO erschrocken. Herr! ... DOGE. Die fand man bei dir! ... Und ich will dir sagen, wozu sie dienen sollte, verliebter Thor! NICOLO. Ich fleh’ euch an –

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DOGE. Dir dienen sollte sie, das Zimmer zu ersteigen der schönen Witwe ... NICOLO. Nennt keinen Namen! ... Keinen Namen, Herr! DOMENICO triumphierend. Der reichen Witwe Mora! Mir geht ein Leuchtturm auf! ... Einbrechen – einbrechen – NICOLO. Einbrechen – ich?! – Verdammter Schreiber ... DOMENICO zum Dogen. Er leugnet – jetzt ist’s gewiß. DOGE. Gib Antwort – – NICOLO für sich. Das wär’ ein Ausweg ... O Pein – – der einzige! DOGE. Bekenne oder ... NICOLO. Herr – droht mir nicht! Für sich. Die Ehre der Geliebten gegen die meine – welcher Einsatz! DOGE. Bekenne! NICOLO. Wohlan denn – ich will – bekennen – – was euch nicht freuen wird – – DOMENICO. Er will bekennen? Jetzt ist’s ganz gewiß! NICOLO tritt trotzig an den Tisch. Ich, Nicolo Foscari, bekenne, daß ich heut’ Nacht in das Haus Madonna Moras schlich, mit der Absicht, sie zu berauben. DOGE. Nicolo! DOMENICO. – Be – rau – ben ... Erlauchter, hört: berauben! NICOLO. Ich befestigte eine Strickleiter – DOMENICO. Diese da! NICOLO. – an eines ihrer Fenster, um mir den Rückzug zu sichern, nachdem mein Raub vollführt. DOMENICO. Nachdem! So ist er’s schon – so ward er denn vollführt? NICOLO. Im Vorsatz nur. DOMENICO. Um so besser – das heißt um so schlimmer – nämlich für euch. Der Vorsatz, Jüngling, ist schlimmer als die Tat ... DOGE. Wie so? DOMENICO. Vor dieser kann man zur Not sich schützen, doch vor jenem – nicht. DOGE. Zu Ende! Zu Ende! DOMENICO zu Nicolo. Fahrt weiter. NICOLO. Was soll ich sagen noch? – Im Begriffe, meinen Raub in’s Werk zu setzen – vernahm ich Schritte, Stimmen, und – entfloh. DOMENICO. Durch’s Fenster, an dem die Leiter – NICOLO. – hing ... Ja! Jawohl! ... Mein Unglück wollte, daß sie, in der Hast schlecht angebracht – unter meiner Last abreißend, mit mir zu Boden fiel ... DOMENICO. Langsam! ... Ich komme nicht nach ... NICOLO. – und daß ich, durch den Sturz verwundet, erschöpft vom Blutverlust, unter Wegs ohnmächtig zusammensank. DOMENICO. ... Sank! Es steht! ... Ist das ein Bekenntnis! ... So rund und nett, wie mir noch keines dargebracht worden, so lang’ ich Richter bin! DOGE spöttisch. Berauben wolltest du Signora Mora? Mit Gewalt nehmen, was sie deinen Wünschen versagte?

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NICOLO. Ich sagte – berauben, Herr. DOMENICO. Seid ruhig – es steht schon da ... Rauben – einbrechen – ich möcht’ euch küssen! ... Meine Erlaucht – das ist mir eines Edelmannes stolzes Bekenntnis. – Ich hab’s getan – basta, fertig. Leugnen ist gut für das gemeine Pack! ... Wenn die beiden anderen auch so schön bekennen, Erlauchter, so haben wir einen Prozeß, der alle, die damit zu tun hatten, zur Unsterblichkeit befördert – – Zu Nicolo. euch – sofort, uns – in einiger Zeit. DOGE zu Nicolo. Du bestehst auf dem Wortlaute deiner Aussage? NICOLO. Ich bestehe darauf. DOGE tritt zur Tür. Orso! Orso tritt ein. DOGE. Führt Signor Foscari in das Gefängnis. Er klagt sich eines gemeinen Verbrechens an, behandelt ihn denn wie einen gemeinen Verbrecher. Nicolo wird von Orso abgeführt. DOMENICO. Und jetzt die beiden andern, Herr! DOGE. Was soll’s mit ihnen? Das Geständnis Foscaris hat sie von dem Verdachte gereinigt, der auf ihnen ruhte. DOMENICO. Gereinigt, Erlauchter? ... Wieso? ... Sie sind nächtlicher Weile ertappt worden, als sich einer aus dem Hause des andern schlich. Was hatten sie dort zu suchen? fragt die Gerechtigkeit. DOGE. Nach – allem hat die Gerechtigkeit nicht zu fragen. DOMENICO. Nicht? ... Ich meine doch! ... Ich meine sehr. Verhör muß sein, Erlauchter ... DOGE. Wohlan denn, wir wollen auch sie verhören. DOMENICO. Und wenn sich herausstellt, daß sie mit der gleichen Absicht, wie Signor Foscari, eingedrungen sind in fremdes Gebiet – DOGE. Dann trifft sie gleiche Strafe. Nach kurzer Pause. Begebt euch zu Signora Mora, Messere. Sagt ihr, Nicolo würde das an ihr beabsichtigte Verbrechen, das er eingestand, mit seinem Leben büßen. DOMENICO. Es wird sie sehr beruhigen. Ich eile. DOGE. Sobald dies vollbracht, sendet Barbadico und Bembo hierher. Wenn die Schuld erwiesen wird, deren Ihr sie zeiht, Messere, bin ich entschlossen – ich hindere euch nicht, dies in der Stadt zu verbreiten – Barbadico und Bembo zwischen den Säulen enthaupten, meinen Neffen aber – hängen zu lassen. Er geht. DOMENICO. Hän–gen? ... O – o Brutus ... Ein großer Doge und – wie Wachs in meiner Hand! Wenn’s dir gefallen sollt’, mich zu erhöhen, Herr, so kehre dich an meine Demut nicht ... Ein großer Doge ... „Ich hindere euch nicht, dies in der Stadt zu verbreiten?“ Maripetro versteht. – Zu Madonna Mora. Er geht ab.

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I. Text

Verwandlung. Gefängnis. Kahle Mauern. Kleines vergittertes Fenster, durch welches das Licht spärlich hereindringt. Schwere eisenbeschlagene Türe. Rechts und links eine mit Stroh bedeckte Pritsche. GIROLAMO und ANSELMO, gefesselt, sitzen einander gegenüber.

Vierter Auftritt

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GIROLAMO. Ich würdigte bisher ihn keines Wort’s, Doch spräch’ ich gern ihn an, denn schweig’ ich länger, So birst mein Herz vor Wut – er regt sich nicht, Sitzt da, so gleichgiltig und dumm – ein wahrer Klotz! ANSELMO wirft einen wütenden Blick nach ihm. Ein Kerl, wie Gallerte, blutlos – – Pfui! ... Molluske! ... Heute Nacht hat er geschnarcht – – Ich knirschte, raste, weinte! – – und er schnarchte Er ruht auf seinen Lorbeern – o! – o! – o! Gesammelt in dem Garten meines Glücks. Erwürgen werd’ ich ihn, und sie dazu. GIROLAMO. Er hat leicht ruhig sein, der schlechte Schelm, Er schwelgte in den Armen meines Weibes, Indes mich seine Hexe so mißhandelt, Daß ich mich freute, als sie mich entließ, Wie Jonas, als ihn ausgespie’n der Hai. ANSELMO Girolamo betrachtend. Der Ekelhafte! – Nur ein sündvoll’ Weib, Verderbt bis in der Seele tiefsten Grund, Kann solch’ ein Ungeheuer reizend finden Und solcher Fratze gönnen ihren Kuß. Fürwahr, bei allem, was man heilig nennt! Wie hassenswert er sei, mehr noch ist sie’s ... Er schwor mir ew’ge Feindschaft tausendmal, Doch sie gelobt’ mir ew’ge Lieb’ und Treue. GIROLAMO. Er sieht mich an und murmelt – murmle Du! – – Ihm fehlt gewiß der Mut, mich anzusprechen, Und er meint wohl, ich wäre feig wie er ... Da soll ... Laut zu Anselmo. Elender! Wer? ANSELMO auffahrend. Ich sprach zu Dir. GIROLAMO. seinen Lorbeern ] seinen Lobeern Setzfehler

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ANSELMO. Zu mir, du Schurke? Er will auf Girolamo zustürzen, wird aber durch die Kette zurückgehalten. Und – ich bin gefesselt! GIROLAMO triumphierend, für sich. S’ ist doch auch ihm so ganz behaglich nicht! Laut und hämisch. Wir sitzen stumm einander gegenüber Und hätten, dünkt mir, Manches uns zu sagen. ANSELMO. Ich dir zuerst: Daß ich dich töten will! GIROLAMO. Zu allererst: Daß ich den Hals dir breche! ANSELMO. Wenn sich ein Mann durch Worte ließ besiegen, Vielleicht – du Weiberheld! Das bist du selber! GIROLAMO. ANSELMO für sich. Ich war’s, bis mich sein Weib zum Feigling machte. Mit ihren Tränenfluten löschte sie Die Glut in dreißig Heldenherzen aus. Als wie ein blöder Knab’ stand ich vor ihr! Ich ward genarrt – und er ... O Wut! Laut. Du Teufel! Dein letzter Atemzug, er haucht allein Von meiner blanken Ehr’ den Flecken fort; Der letzte Tropfen erst von deinem Blut Tut mir genug, bei Gott, ich will ihn haben! GIROLAMO für sich. Für das, was ich ihm an der Ehr’ verletzte, Wär’ bald genug getan! Laut. Wir treffen uns, Deß’ sei gewiß – und gut – trau’ dieser Faust. ANSELMO. Und was geschieht den pflichtvergeßnen Weibern? GIROLAMO. Die nenne nicht! Sonst sterb’ ich gleich vor Abscheu, Und könnt’ dich dann nicht mehr erwürgen, Feind! Und könnte nicht, sobald dies abgetan, Hintreten vor die schnöde Buhlerin, Die meine Frau einst war, und mir den Dolch Vor ihren Augen graben in die Brust Und rufen: Mörderin ... ich fluche dir! ANSELMO. Das ist mein Vorsatz, ich will also sterben. GIROLAMO. Auch du willst sterben? Bin ich nicht entehrt? – ANSELMO. Vor ganz Venedig bloßgestellt dem Hohn?

sich ein Mann ] sich eine Mann Setzfehler löschte sie ] löschte die vermutlich Setzfehler in E, in J übernommen.

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– Meinst du, die Wachen schweigen und der Richter? – O Schande! Schande! Trösten könnt’ ich ihn, GIROLAMO für sich. Doch hol’ mich gleich der Satan, wenn ich’s tu’, Denn wer – wer tröstet mich? Laut und parodierend. „O Schande! Schande! ...“ – Trägst du sie denn allein, die „Schande“ – wie? Nagt ihre Qual nicht giftig auch an mir? ... Du erntest, was du ausgesä’t ... Heims’ ein! – ANSELMO. Beim lichten Himmel! ... Bei der finster’n Hölle! Ich gäbe tausend Leben, hätt’ ich sie, Ich gäb’ die Erde, wär’ sie mein, dahin, Die Schmach von meinem Namen wegzutilgen! GIROLAMO sieht ihn forschend an. – Gäbst du dafür sogar – sogar die – Rache? ANSELMO nach einer Pause. Die Rache selber. – Ja. – GIROLAMO für sich. Auch ich! ... Auch ich! ... Laut. Um diesen Preis kann uns – Du Elender – Der Schein der Ehre noch erhalten werden. ANSELMO. Erhalten – noch? ... O Gott – – erhalten werden?! GIROLAMO. Ein Mittel gibts. Wenn du es fandest, Mann! ANSELMO. Und mir entdeckst, bist du mein Feind nicht länger. Ich nenn’ dich Bruder – Vater nenn ich dich! GIROLAMO. Ich weiß ein Mittel, doch – es bringt den Tod. ANSELMO. Den such’ ich GIROLAMO. ... Und – es bringt nicht eben Ruhm. ANSELMO. Wär’s auch ein Tausch nur gegen and’re Schande, Jedwede dünkt mir Ehre gegen die! GIROLAMO. Ganz meine Meinung, Feind. So rede – Bembo! ANSELMO. GIROLAMO. Vor unsern Häusern tot lag Foscari. Laß uns bekennen, daß wir ihn erschlagen Im Augenblick, bevor die Häscher kamen – Und als wir diese nahen hörten – rasch Uns flüchteten ... Uns – flüchteten? ANSELMO. GIROLAMO. – Verwirrt, In Todesangst, die eig’ne Tür verfehlend, wenn ich’s tu’ ] wenn ichs’ tu’ Setzfehler

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Barg’ jeder sich im Haus des anderen ... Und dort – alsbald erwischten ihn die Wachen. ANSELMO. – Die – Weiber, ahnten von dem allem nichts! Die werden nicht genannt. Natürlich nicht. GIROLAMO. ANSELMO. So recht – so recht – ich bin’s zufrieden – ja – Doch sag’, warum wir Foscari ermordet? GIROLAMO. Das – finde selbst. Erfand ich nicht genug? ANSELMO nach kurzem Nachdenken. Er wollte – uns versöhnen –! Ja, das geht. Den alten Haß riet er uns aufzugeben – Daraus entspann sich Streit ... Wir beide fielen Ihn an zu gleicher Zeit, und löschten unsern Zorn In seinem Blut! GIROLAMO. Ich tat’s! ... Ich will’s beschwören! In’s Angesicht den Weibern will ich’s schwören, Wenn etwa die uns Lügen strafen wollten. ANSELMO. Sie werden sich wohl hüten, glaube mir, Sie werden schweigen, die Nichtswürdigen, Die all’ des Unheils Grund und Ursach’ sind. GIROLAMO. Die deine ist ein Seraph gegen meine. ANSELMO. O Himmel, nein! ... Die meine ist verrucht, Sie kam entgegen dir, ich bins gewiß ... Bei meinem Eid! Ich klage dich nicht an. Der eines schönen Weibes Gunst verschmähte, Das wär’ kein Mann – verachten müßt man ihn! GIROLAMO. Verachten! – Wohl! ... O Freund, wie acht’ ich dich! ANSELMO. Nicht inniger als ich dich schätzen muß, Du Retter meiner Ehre ... O, daß wir So spät uns lieben lernten – erst im Tode! GIROLAMO. Doch um so sich’rer – für die Ewigkeit. ANSELMO. Ich sehne mich, die Hände dir zu drücken. GIROLAMO. Mich schmerzt, daß ich dich nicht umarmen kann,

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Wir beide fielen ] Wir beide, fielen Setzfehler in E, in J übernommen.

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Fünfter Auftritt DIE VORIGEN. DER GEFANGENWÄRTER.

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GEFANGENWÄRTER. Signors, es stehen eure Frauen draußen. ... GIROLAMO. Hinweg! – Hinweg! ... O, sie erfrechen sich! ... ANSELMO. GEFANGENWÄRTER. Sie haben, euch zu sehen, die Erlaubnis Vom Dogen selbst ... Was schiert das uns? ... GIROLAMO. ANSELMO. Und hätten die Erlaubnis sie von Gott, Wir wollen nichts von ihnen hören. Geht. GIROLAMO. Sagt ihnen, daß zum Tod wir uns bereiten Und nicht gestört sein dürfen. GEFANGENWÄRTER. Wie? ... Zum – Tod?! GIROLAMO. Es büßen Mörder, mein’ ich doch mit Tod. GEFANGENWÄRTER. So seid ihr’s wirklich? ... Himmel! GIROLAMO und ANSELMO sich erhebend. Wir sind Mörder! Domenico ist während dieser letzten Worte eingetreten . DOMENICO die Hände über den Kopf zusammenschlagend. Entsetzensvoll! Zum Gefangenwärter. Ihr habt’s gehört – seid Zeuge – Ich will sogleich es bringen zu Papier – Und ihr seid Zeuge ... Ja ... Papier ... Signors, Ich sollte melden von des Dogen Hoheit ... Ich – weiß, ach, nicht mehr – was? ... O Mördervolk ... Für sich. Und die wollt er entlassen – unverhört ... Mir schwindelt fast – – Einbrecher dort – hier Mörder – – Es ist zu viel des Glücks! Zu reicher Segen Für deinen armen Maripetro, Herr! ... Der Mensch im Richter weint, indes der jauchzet! Zu Girolamo und Anselmo. Macht euch bereit und fertig zum Verhör, Signors, nein Mörder – ja, Signors und Mörder! In einer Stunde! GIROLAMO und ANSELMO. Wohl – wir sind bereit!

Vierter Aufzug Ein großer Saal im Dogenpalaste. Im Hintergrunde eine hohe Tür, an welcher Wachen stehen. Rechts die Signoria auf amphitheatralischen Estraden. Links, auf einem Thronsessel, der DOGE. Rechts von ihm, gegen den Vordergrund, LUCIA, GISMONDA , I SOTTA, auf niederen Stühlen.

Erster Auftritt

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DOGE. Ich habe euch berufen, Ihr edlen Herren, auf die dringende Bitte der Signoras Barbadico, Bembo und Delphino, verwitwete Mora, die Ihr hier seht. Sie behaupten, in der Angelegenheit ihrer Männer und meines Neffen wichtige Aufschlüsse geben zu können, doch wollen sie dieselben nur der versammelten Signoria erteilen. So schreiten wir denn, im Falle es Euch beliebt, in Gegenwart dieser Zeugen zum Verhöre. Die Signoria macht ein beistimmendes Zeichen. DOGE. Führt die Gefangenen Barbadico und Bembo vor.

Zweiter Auftritt DIE VORIGEN, ANSELMO und GIROLAMO werden hereingeführt. Ohne Fesseln. Einer hat den Arm um den Hals des andern geschlungen.

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ISOTTA. Lucia! O – Isotta, sieh – wie bleich! ... LUCIA. Anselmo und Girolamo verneigen sich, einander immer umschlungen haltend, vor dem Dogen und vor der Signoria. Ihre Frauen erblickend, fahren sie auseinander. ANSELMO auf Isotta deutend, leise und grimmig zu Girolamo. Ha! ... Dort – Deine Geliebte! ... Ei – – die deine! ... GIROLAMO ebenso zu ihm, auf Lucia deutend. ISOTTA leise zu Lucia. Sie hielten sich umschlungen – welches Wunder! LUCIA ebenso zu ihr. Ich sah’s mit Augen und kann’s glauben nicht! DOGE zu Domenico. Beginnt! DOMENICO steht auf. Hochmächt’ger Doge! Weise Signoria! – Ihr armen Schächer! – Ihr unsel’gen Frauen! ... Wir nennen Gott den ew’gen Richter auch, Ich bin der zeitliche, sein Stellvertreter, Im sünd’gen Jammertal, genannt die Welt;

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Als solcher mahn ich euch: bekennt! ... Entlastet – GIROLAMO fällt ihm in’s Wort. Erspart uns euer albernes Geschwätz. Zu künden uns’re Schuld, sind wir entschlossen, Nicht sie zu hehlen, und bekennen laut, Daß deinen Neffen, Doge, wir erschlugen! Bewegung in der Versammlung. ISOTTA aufspringend. O glaubt es nicht! Sie lügen Herr! – Sie lügen! LUCIA ebenso. DOGE. Bis man euch reden heißt, seid stille, Frauen. Zu Anselmo und Girolamo. Ihr – beide, schlugt ihn? Ja, zusammen, Herr. GIROLAMO. DOMENICO. Und wirklich, i h n ? ... War’s nicht ein andrer etwa? ANSELMO. Kein anderer! Ich schwör’s, mit stärkstem Eid’. DOGE. Und schwört ihr auch, daß ihr zu Tod ihn schlugt? GIROLAMO nach kurzer Pause. So sicher – als – als wir mit ihm gekämpft. DOMENICO. Ihr lügt! GIROLAMO. Wir – lügen, Esel? Das – war derb! DOMENICO. Gemein sogar, doch freilich, Höflichkeit Erwartet man von eures Gleichen nicht. DOGE gibt einer der Wachen einen Wink; diese geht ab. Zu Anselmo und Girolamo. Ihr sollt die Leiche eures Opfers sehen. Foscari wird hereingeführt. Blickt dorthin! ANSELMO und GIROLAMO. Wie ... Er lebt?! Das ist sehr bös! GIROLAMO leise zu Anselmo. NICOLO beim Anblick Gismondas teils erschrocken, teils freudig. O Gott – Gismonda hier?! GISMONDA für sich. Mir bebt das Herz. DOGE. Da steht er, dessen Mordes ihr euch zeiht, Und schwört, daß ihr ihm nicht ein Haar gekrümmt. ANSELMO rasch. Aus Großmut, Herr, weil er uns retten will. DOGE. Ich fürchte, daß ihr einer Schuld euch anklagt, Die niemals ihr begingt, um zu verbergen Ein größeres Vergehn, das ihr begangen. DOMENICO. O Born der Weisheit! ... Eben wollt’ ich’s sagen ... Ihr nehmt die Worte mir vom Mund, Erhab’ner! Zu Anselmo und Girolamo. Also bekennt ... Wir haben schon bekannt, GIROLAMO. Daß wir ihn töten wollten, dabei bleibt’s. NICOLO. Mich töten – ihr? ... Ei Possen! – Und warum?

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GIROLAMO. Hast du darnach zu fragen, oder – Auf die Versammlung zeigend. Die? – Zum Dogen. Wenn er jetzt lebt, wie’s scheint – je nun – ist das Die Sache seiner kräftigen Natur, Und nicht die uns’re. W i r erschlugen ihn, Und fordern Strafe – Strafe für den Mord. DOMENICO zu der Signoria. Auch er, Hochweise, spricht nicht eben dumm, Und jedenfalls – – O höret mich! ISOTTA aufspringend. Ihr schweigt! DOGE. ISOTTA wirft sich dem Dogen zu Füßen. Ich kann nicht länger schweigen – kann es nicht! Sie wendet sich gegen die Signoria. Schien’t ihr so böse, als ihr gütig seid, Und hielt ein Schwert ein jeder in der Hand, Bereit, beim ersten Wort mich zu durchbohren, – Ich schwiege nicht! – Ich stürbe, doch – ich spräche! ... Erhebt sich. Wieder zum Dogen, sehr rasch. Die Männer suchen, hoher Herr, den Tod Und klagen deshalb sich des Mordes an, Und suchen Tod, die Toren, weil sie glauben, Daß treulos wir, und daß entehrt sie sind – Doch ist’s nicht so ... Nicht so? ANSELMO heftig. Die Schwätzerin ... GIROLAMO heftig. ISOTTA ohne sich unterbrechen zu lassen. Unschuldig sind sie freilich keineswegs; Doch ihre Schuld, so groß sie immer sei, Wird noch gebüßt – bei uns – nicht mit dem Leben. DOMENICO. Was wisset ihr davon? ... Habt i h r vielleicht Darüber zu entscheiden – he? ... Ihr habt Uns das Verbrechen kund zu geben – basta! – Sofern es euch bekannt – und damit basta! ISOTTA. Untreue gegen uns, heißt ihr Verbrechen. DOMENICO. Untreu’ – haha – ein sauberes Verbrechen! ... Ich glaube gar, ihr spaßet – vor Gericht. ANSELMO leise zu Girolamo. O schamlos ist dies Weib! ... Ich könnt’ sie töten! – ISOTTA zum Dogen. Ein jeder dieser Männer, Herr, erbat Ein Stelldichein sich von der Frau des andern – ANSELMO. Willst schweigen du? GIROLAMO. Verflucht sei, ganz verflucht!

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ISOTTA. Wir aber, Freundinnen von Jugend an, Vertrauten gegenseitig uns ... Was?! ... ANSELMO. Wie?! ... GIROLAMO. ISOTTA sehr erregt, abgebrochen und hastig. – Der beiden Gatten traurigen Verrat – Gewährten ihnen auch – das Stelldichein – Doch anders, als sie’s wünschten – denn – zuvor – Vertauschten wir den Platz ... Im Haus der andern Empfing jedwede – ihren eig’nen Mann! GIROLAMO. Die Unerhörte! Wie die lügen kann! ANSELMO. Nicht übel ausgedacht – o kluge Schlangen! DOGE zu Girolamo und Anselmo. Den eig’nen Mann! ... Vernehmt ihr das, ihr Herren? Zu Isotta. Beweise gebt – – ISOTTA stolz. Wir geben – unser Wort. – DOMENICO. Ein Weiberwort?! ... Das gilt nicht vor Gericht. ISOTTA. Es gilt nicht – wie? ... ein ehrlich Frauenwort? ... Sind rechtlos wir vor der Gerechtigkeit? ANSELMO nicht mehr Herr seiner selbst. Du tust noch stolz, Verworfene? – Noch stolz? Das ist zu viel – und mehr ist’s, als zu viel! ... – Entrüstung über deine Falschheit, Weib, Macht jede Rücksicht mich mit Füßen treten – Treibt, wie im Wahnsinn – mich zu tun – was ich Bereuen werde – tuend schon bereu’ ... Vor die Signoria tretend, außer sich. Ja denn! Ich warb um fremden Weibes Gunst, Doch war’s das meine n i c h t – das mich empfing! Zu Lucia. ... Vergebt! Zu Girolamo. – Vergib ... O Gott – ich bin verrückt! GIROLAMO. Wenn du von jeder Rücksicht los dich sagst, Dann tu’ auch ich’s und schwör’ ... LUCIA springt auf und eilt auf Girolamo zu. Girolamo ... GIROLAMO. Aus meinen Augen! ISOTTA ist zu Anselmo getreten. Höre mich, Anselmo. ANSELMO. Hinweg! – Hinweg! – O höre! ... LUCIA zu Girolamo. GIROLAMO. Dich – Verruchte? Viel lieber hört’ ich eine Kröte singen! wie im Wahnsinn ] wie ihm Wahnsinn Setzfehler

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DOGE zu Girolamo. Bezähmt euch, Signor Bembo, wenn’s beliebt. Zu Isotta und Lucia. Wenn das, was ihr behauptet, Wahrheit ist, Müßt ihr, Signoras, es beweisen können. Behieltet ihr kein Pfand von euren Männern, Das euch als Zeichen diente des Erkennens, Nicht einen Handschuh, einen Ring, ein Tuch? DOMENICO für sich. Hat je um solches Zeug gefragt ein Doge?! ISOTTA. Die Vorsicht, leider, ließ ich außer Acht. LUCIA. Auch leider ich – o Gott! – Wie nun beweisen? ... GIROLAMO. Das fiel’ euch schwer – ich glaub’s! Besinnet euch. DOGE zu den Frauen. ANSELMO zum Dogen. Es ist umsonst, die Lüge zu erfinden, Ein anderes, als ihr zum Sieg verhelfen. Und wenn’s bei euch geläng’, bei mir – mißrät’s. ... Mein Weib ist rasch und feurig, sehr beredt, Wie ihr euch überzeugt, und heute Nacht Empfing mich eine stumme Thränenweide – GIROLAMO. Wie – Thränenweide? ... Meine Frau ist sanft Und scheu und demütig, und mich empfing Ein Wüterich – ein weiblicher ... Ein Unhold! LUCIA rasch. Dazu hat deine Untreu’ mich gemacht! Mein ganzes Inn’re wallte auf im Zorn! ... GIROLAMO. Wahrhaftig, das – das klang wie heute Nacht ... Doch täuschen uns die Ohren wohl – im Finstern. ISOTTA weich, zu Anselmo. Im Glücke war ich übermütig einst – Doch als sich deine Liebe von mir wandte, Fühlt’ ich die Lebenslust in mir geknickt, Jedwede Kraft und Blüte meiner Seele ... Und hoffnungslose Trauer faßte mich – – Thränen ersticken ihre Stimme. ANSELMO. Ach, diese Stimme – diese Thränen mahnen ... Doch kann’s nicht sein – und nimmer kann es sein! ... ISOTTA. Ein jedes deiner Worte wiederhol’ ich – Sie prägten unvergeßlich sich mir ein – Besinne dich – wer sprach, als ich erschien; „Die Heil’ge nah’t und so verehr’ ich sie“? Wer kniete nieder ... Kniete? ... Das war ich! GIROLAMO. ISOTTA. Wer faßte meine Hand, und sprach – – das schmerzte: „Ich habe nie so schöne Hand berührt“? ANSELMO. Wenns denkbar wäre, möglich wär’ ... Isotta! ... Er bedeckt das Gesicht mit seinen Händen.

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DOGE auf Anselmo deutend, zu Girolamo. Der ist halb überzeugt – seid Ihr’s noch nicht? GIROLAMO. Ich werde, Herr, doch kennen meine Frau! LUCIA zu Girolamo. So nimm Vernunft nur an, du böser Zweifler! Anselmo gibt schon zu, daß er geirrt – Nun denn! Wenn er bei seiner Frau gewesen, Kann er zugleich bei mir gewesen sein? DOGE. Das leuchtet ein. Nicht mir! Ich will Beweise. GIROLAMO. LUCIA. O glaub’, Girolamo! ... Glaub’ meinen Schwüren Und meinen Thränen glaub’! Beweise sag’ ich! ... GIROLAMO. LUCIA. Die kann ich dir nicht geben – Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. oder – doch? ... GIROLAMO. Nun – wie? Doch – einen! LUCIA. GIROLAMO. Hei, die Lügnerin! Gebt Acht, gebt Acht! Sie wird wohl noch behaupten, Beweisen könnt’, allein sie wolle nicht. LUCIA. Wenn zur Verzweiflung du mich treibest, Mann ... GIROLAMO trotzig. Jetzt droht sie gar! ... Du gibst ihn, den Beweis, Wo nicht – verstoß ich dich! LUCIA außer Fassung. So hab’ ihn denn! ... Sie gibt ihm eine Ohrfeige. GIROLAMO. Barmherzigkeit! Weh’ mir! ... Was that ich?! ... LUCIA mit Entsetzen. GIROLAMO steht einen Augenblick verblüfft. Plötzlich in Jubel ausbrechend. Sie war’s! Hält sich die Wange und stürzt triumphirend vom Dogen zur Signoria. Erlauchter Doge! Weise Signoria! Sie war’s! ... Sie war’s – ich schwör’s vor Gott – sie war’s! – Ich rufe euch zu Zeugen meines Glücks –: Ich hab’ die treu’ste Frau in ganz Venedig! Stürzt auf Lucia zu und umarmt sie. Das ist die mächt’ge, ist dieselbe Hand! LUCIA fast kniend. Mög’ sie verdorren, wenn ich jemals wieder Im Zorn sie hebe gegen meinen Herrn! GIROLAMO hält sie umfaßt. Lucia! Vielgeliebter! LUCIA. Theures Weib! ANSELMO Isotta umschlingend. ISOTTA. Anselmo!

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DOGE. Ein Räthsel ist gelöst – Das zweite, Herr, GISMONDA sich erhebend. Gestattet mir zu lösen. Sprecht, Signora. DOGE. NICOLO. Was wird sie tun? mich retten? – mich verderben? GISMONDA. Das Ende einer Leiter seh’ ich liegen Dort auf des Richters Pult. Domenico das obere Ende derselben Strickleiter überreichend. Versucht, ob es Zu diesem Stück gefügt, wie Hälfte nicht Zu Hälfte paßt. Auf’s Haar! ... Ich wollte sagen, DOMENICO die Enden zusammenfügend. Auf einen Seidenfaden ... Hier! ... Blickt her – Das ist die Leiter, hohe Signoria, Auf der, beseelt von Mord- und Diebsgelüsten – Wir haben sein Geständnis – Foscari Erklimmen wollt’ die Wohnung ... GISMONDA mit zitternder Stimme, aber laut. Seiner – Gattin! NICOLO aufschreiend. Gismonda! Ruhe, dort. DOGE. An meinem Fenster GISMONDA wie oben. Befestigte die Leiter – ich – – ich selbst. DOMENICO. – – Befestigt – selbst ...? NICOLO stürzt Gismonden zu Füßen. Dies Wort vermält uns ... Mein! Er faßt ihre Hand. DOMENICO. Wo bleibt der Einbruch dann? – der bleiben muß? NICOLO. Im Protokoll! Tragt achtsam ihn nach Hause! DOMENICO. Der Schuldige hat seine Schuld bekannt – GISMONDA. – Getilgt ist sie, wenn ich die Hand ihm reiche. DOMENICO hämisch. Ihr tilgt die Schuld – tilgt ihr auch seine Schulden? DOGE. Spart euren werten Atem, Messere! GISMONDA zum Dogen. Vor zweiter Ehe zagt’ ich, weil die erste Unselig war. Doch Foscari gab mir Beweis von solcher Liebe, daß getrost Ich ihm mein Schicksal anvertrau’. O Herr, Hältst deinen Namen du mich wert zu tragen, So segne uns. DOGE. Ich segn’ euch, meine Kinder! ANSELMO zu Lucia. Die Frau des Feindes hab’ ich frech beleidigt, Verzeihet mir! – Ich ehr’ in euch fortan NICOLO stürzt Gismonden zu Füßen. ] NICOLO stüzt Gismonden zu Füßen. Setzfehler

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Des Freundes Gattin – eine liebe Schwester. Er küßt Lucias Hand. GIROLAMO zu Isotta. Dasselbe, edle Frau, sprech’ ich zu euch. Er küßt Isottas Hand. DOMENICO. Das liegt sich in den Armen, küßt sich – pfui! Am hellen Tage – vor Gericht – – o Himmel! Sind nach Arkadien wir denn versetzt? – Ist dies ein Liebeshof?! Orso ist während dieser Rede eingetreten und hat dem Dogen Briefe überreicht, welche dieser öffnet und überfliegt. So scheint es fast, DOGE sich erhebend. Doch – scheint es nur, denn allzulang entläßt Der Ernst des Lebens die Lebend’gen nicht. Zu der Signoria. Visconti kündet neuen Krieg uns an. Die Versammlung erhebt sich. Lautes Gemurmel. EINZELNE STIMMEN. Visconti! – Neuen Krieg! Da haben wir’s! ... DOMENICO. DOGE. Casalmaggiore, Torricelle, sind Durch ihn besetzt, Bresciello hat er Versucht zu überfallen. ANSELMO. Hei, der Schäker! Meint er, Venedig schliefe? – Auf – ins Feld! DOGE. Ins Feld! Dort warten bess’re Taten euer, Als eben ihr vollbracht. GIROLAMO. Wir sind zur besten Gerade gut genug! Zum Hochzeitskranz NICOLO zu Gismonda. Will ich, du Holde, Lorbeern pflücken gehen. Die Frauen schließen sich mit angstvollen Geberden an ihre Männer. DOGE zu den Frauen. Entlaßt sie klaglos, wie’s geziemt den Frauen Zukünft’ger Helden. Die Miglieder der Signoria sind von der Estrade herabgestiegen. Ein Teil von ihnen umringt den Dogen, die anderen sprechen angelegentlich mit einander, links um die Estrade gruppiert. Die drei Paare in der Mitte der Bühne. DOMENICO der allein seinen Platz nicht verläßt, und vergeblich versucht hat, sich Gehör zu verschaffen. Helden? Maledetto! Zum Galgen eben reif, und jetzo – Helden?! Rafft seine Schriften zusammen und schlägt sie wütend gegen das Pult. Häng’ dich Gerechtigkeit! ... Ich werd’ Bandit!

3.

Männertreue Dritter Aufzug (EK4)

Dritter Aufzug Ein Gemach im Dogenpalast. Kurze Decoration. Doge an einem mit Papieren bedecktem Tische, auf welchem auch ein Dolch und das abgerissene Ende einer Strickleiter liegen. ORSO steht vor ihm.

Erster Auftritt

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DOGE Orso entlassend. Ich dank’ Euch Orso. Sendet nun den Richter. Orso ab. DOGE allein. Ich will Dich Sitte lehren, tolle Jugend, Und Achtung vor des Nächsten Frau und Herd. Die Zeit ist ernst, sie fordert Mannesthaten Und meine Edlen üben Knabenstreiche. Selbst Nicolo – – ei, der wol zuerst! Was ist ihm Heil und Weh der Republik Wenn die Geliebte weigert ihre Gunst? Und was der Ehrgeiz ihm? Zum schnöden Ruhm Den er begreift, steigt man – Die Strickleiter verächtlich von sich schiebend. auf dieser Leiter!

Zweiter Auftritt DOGE. D OMENICO.

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DOMENICO an der Thüre mit tiefen Bücklingen. Erlauchter! Er niest. DOGE. Tretet näher. DOMENICO gehorcht. Mit Verlaub. Niest wieder. Verzeihung, Erlauchter – ein kleiner Schnupfen; doch bin ich stolz darauf. Ich zog mir ihn zu im Dienste der Republik. DOGE. Ich weiß, ich weiß. Messere Maripetro! Die Signoria hat, nachdem sie Eueren und des Hauptmanns Orso Bericht über das Ereigniß der heutigen Nacht entgegengenommen, mir nicht nur die Untersuchung dieser Sache, sondern auch die Entscheidung darin übertragen. DOMENICO. Mit Ausschluß der Quarantia? des Rathes der Zehn der ... DOGE. Ja, Messere. DOMENICO für sich. O Republik! – Ist das republikanisch? DOGE. Ich hingegen verpfändete mein fürstliches Wort, mich dieser Angelegenheit mit äußerster Gewissenhaftigkeit anzunehmen, und wünsche überdies, daß jeder Schritt, den ich in derselben thue, von einem verläßlichen

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Zeugen überwacht werde. Ihr seid der Mann, den ich dazu auserwählt habe, vorzüglich deshalb, weil ich Euch als meinen Gegner kenne. DOMENICO. Mich? ... O dies – dieser Verdacht. DOGE. Setzt Euch, Messere, nehmt die Feder zur Hand, Ihr werdet, was hier vorgeht, an die Signoria berichten. Zuerst die Unterredung zwischen mir und meinem Neffen. DOMENICO. Unterredung –? Euer Neffe, Erlauchter – ist todt. DOGE. Mein Neffe ist so lebendig wie ich und Ihr. Da – seht.

Dritter Auftritt DIE VORIGEN. NICOLO, eine Binde um die Stirne.

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DOMENICO fällt bei seinem Anblick vor Schrecken beinahe vom Stuhle. Ewige Barmherzigkeit – der Todte! DOGE. Behaltet Platz, Messere. DOMENICO. Ich – wollt’ – nur – grüßen ... Für sich. Lebendig – und ein Räuber! ... Lebendig ist noch schlimmer als todt ... NICOLO will auf den Dogen zugehen. Mein theurer Oheim, Ihr ... DOGE winkt ihn fort. Dein Richter, Foscari. NICOLO. Richter? Was hab’ ich denn gethan? DOGE. Das wollen wir von Dir hören. Bedenke, ehe Du sprichst, daß ein jedes Deiner Worte so schwer wiegt, als fiele es vor dem versammelten Rathe der erlauchten Republik. NICOLO. Mein Fürst ... DOGE. Du wurdest heute Nacht für todt in der Nähe der Häuser Barbadico’s und Bembo’s gefunden. Hattest Du Streit mit einem von den beiden? NICOLO. Mit Keinem, Herr. Weder den einen noch den anderen habe ich erblickt. DOGE. Schreibt doch, Messere. DOMENICO. Erlauchter – ja. DOGE auf Nicolo’s Stirne deutend. Wie kamst Du zu der Wunde? NICOLO. Ich bin – ich ... O Herr! ... DOMENICO für sich. Haha! ... Er stottert schon! Schreibend. Ich bin ... ich ... O Herr! – Es steht geschrieben. – DOGE. Von der Stelle, an der Du fielst, führen Blutspuren durch die Calle Barbadico, bis zum Palazzo Mora. NICOLO für sich. Himmel! DOMENICO. Ei! Ei! Mir neu – Palazzo Mora? DOGE. Dort wurdest Du überfallen? – Nicht?

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NICOLO. Ich? – Ja, ja – ganz recht – ich wurde überfallen. DOGE. Von Strolchen? NICOLO. Möglich! – Es werden wohl Strolche gewesen sein. DOMENICO. Wurde überfallen? ... Wurde? ... Nicht doch – er überfiel – NICOLO. Ich fiel! Betheuernd. Er sagt es, Herr – fiel über – – – DOMENICO. Entschuldigt! – Ich fiel über Euch! DOGE. Laßt ihn reden. Während des Kampfes mit den Strolchen also, stürztest Du – NICOLO. Des – Kampfes? ... DOGE. Kam es denn zu keinem Kampfe? NICOLO. Sprach ich von einem Kampfe? DOGE. Von einem Ueberfall sprachst Du. Soll ich glauben, daß Du Dich nicht zur Wehre gesetzt hast? NICOLO. Ich – werde – wohl – DOGE ihn nachahmend. – Ich – werde – wohl! ... Drücke dich bestimmter aus! NICOLO. Ich setzte mich zur Wehre. DOGE. Gelang Dir’s, einen Deiner Gegner zu verwunden? NICOLO. – Ja – sicherlich. DOGE. Mit welcher Waffe? NICOLO. Ich hatte – meinen Dolch. DOGE. Hier ist er! So blank wie er aus dem Laden des Waffenschmieds kam. Mit Deinem Dolche hast Du Dich nicht gewehrt. NICOLO. Ja ... Nein! ... DOMENICO. Er verwirrt sich – laßt mich die Verwirrung zu Papiere bringen! DOGE. Womit d e n n ? ... Mit dieser Strickleiter vielleicht? – Er hebt sie in die Höhe. NICOLO erschrocken. Herr! ... DOGE. Die fand man bei Dir! ... Und ich will Dir sagen, wozu sie dienen sollte, verliebter Thor! ... NICOLO. Ich fleh’ euch an – DOGE. Dir dienen sollte sie, das Zimmer zu ersteigen der schönen Witwe ... NICOLO. Nennt keinen Namen! ... Keinen Namen, Herr! DOMENICO triumphirend. Der reichen Witwe Mora! Mir geht ein Leuchtthurm auf! ... Einbrechen – einbrechen – – NICOLO. Einbrechen – Ich?! – verdammter Schreiber ... DOMENICO zum Dogen. Er läugnet – jetzt ist’s gewiß. DOGE. Gib Antwort – NICOLO für sich. Das wär’ ein Ausweg ... O Pein – der einzige! DOGE. Bekenne oder ... NICOLO. Herr – droht mir nicht! Für sich. Die Ehre der Geliebten gegen die meine – welcher Einsatz! DOGE. Bekenne!

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NICOLO. Wohlan denn – ich will – bekennen – – was Euch nicht freuen wird – – DOMENICO. Er – will bekennen? Jetzt ist’s ganz gewiß! NICOLO tritt trotzig an den Tisch. Ich, Nicolo Foscari, bekenne, daß ich heut’ Nacht in das Haus {Madonna} 〈Signora〉 Mora’s schlich, mit der Absicht, sie zu berauben. DOGE. Nicolo! DOMENICO. – Be – rau – ben ... Erlauchter, hört: berauben! NICOLO. Ich befestigte eine Strickleiter – DOMENICO. Diese da! NICOLO. – an eines ihrer Fenster, um mir den Rückzug zu sichern, nachdem mein Raub vollführt. DOMENICO. Nachdem! So ist er’s schon – so ward er denn vollführt? NICOLO. Im Vorsatz nur. DOMENICO. Um so besser – das heißt um so schlimmer – nämlich für Euch. Der Vorsatz, Jüngling, ist schlimmer als die That ... DOGE. Wie so? DOMENICO. Vor dieser kann man zur Noth sich schützen doch, vor jenem – nicht. DOGE. Zu Ende! Zu Ende! DOMENICO zu Nicolo. Fahrt weiter. NICOLO. Was soll ich sagen noch? – Im Begriffe, meinen Raub in’s Werk zu setzen – vernahm ich Schritte, Stimmen, und – entfloh. DOMENICO. Durch’s Fenster, an dem die Leiter – NICOLO. – hing ... Ja! Ja wohl! ... Mein Unglück wollte, daß sie, in der Hast schlecht angebracht – unter meiner Last abreißend, mit mir zu Boden fiel ... DOMENICO. Langsam! ... Ich komme nicht nach ... NICOLO. – und daß ich, durch den Sturz verwundet, erschöpft vom Blutverlust, unter Weges ohnmächtig zusammen sank. DOMENICO. ... Sank! ... Es steht! ... Ist das ein Bekenntniß! ... So rund und nett, wie mir noch keines dargebracht worden, so lang’ ich Richter bin! DOGE spöttisch. Berauben wolltest Du Signora Mora? Mit Gewalt nehmen, was sie Deinen Wünschen versagte? NICOLO. Ich sagte – berauben, Herr. DOMENICO. Seid ruhig – es steht schon da ... Rauben – einbrechen – ich möcht’ Euch küssen! ... Meine Erlaucht, – das ist mir eines Edelmannes stolzes Bekenntniß. – Ich hab’s gethan – basta, fertig. Läugnen ist gut für das gemeine Pack! ... Wenn die beiden Anderen auch so schön bekennen, Erlauchter, so haben wir einen Prozeß, der Alle, die damit zu thun hatten, zur Unsterblichkeit befördert – – Zu Nicolo. Euch – sofort; uns – in einiger Zeit. DOGE zu Nicolo. Du bestehst auf dem Wortlaute Deiner Aussage? NICOLO. Ich bestehe darauf. DOGE tritt zur Thüre. Orso! Orso tritt ein.

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DOGE. Führt Signor Foscari in das Gefängniß. Er klagt sich eines gemeinen Verbrechens an, behandelt ihn denn, wie einen gemeinen Verbrecher. Nicolo wird von Orso abgeführt. DOMENICO. Und jetzt die beiden Andern, Herr! DOGE. Was soll’s mit ihnen? Das Geständniß Foscari’s hat sie von dem Verdachte gereinigt, der auf ihnen ruhte. DOMENICO. Gereinigt, Erlauchter? ... Wie so? ... Sie sind nächtlicher Weile ertappt worden, als sich einer aus dem Hause des andern schlich. – Was hatten sie dort zu suchen? fragt die Gerechtigkeit. DOGE. Nach – Allem hat die Gerechtigkeit nicht zu fragen. DOMENICO. Nicht? ... Ich meine doch! ... Ich meine sehr. Verhör muß sein, Erlauchter ... DOGE. Wohlan denn, wir wollen auch sie verhören. DOMENICO. Und wenn sich herausstellt, daß sie mit der gleichen Absicht, wie Signor Foscari, eingedrungen sind in fremdes Gebiet – DOGE. Dann trifft sie gleiche Strafe. Nach kurzer Pause. Begebt Euch zu Signora Mora, Messere. Sagt ihr, Nicolo würde das an ihr beabsichtigte Verbrechen, das er eingestand, mit seinem Leben büßen. DOMENICO. Es wird sie sehr beruhigen. Ich eile. DOGE. Sobald dies vollbracht, sendet Barbadico und Bembo hierher. Wenn die Schuld erwiesen wird, deren Ihr sie zeiht, Messere, bin ich entschlossen – ich hindere Euch nicht, dies in der Stadt zu verbreiten – Barbadico und Bembo zwischen den Säulen enthaupten, meinen Neffen aber – hängen zu lassen. Er geht. DOMENICO. Hän – gen? ... O – o Brutus ... Ein großer Doge und – wie Wachs in meiner Hand! Wenn’s Dir gefallen sollt’, mich zu erhöhen, Herr, so kehre Dich an meine Demuth nicht ... Ein großer Doge ... „Ich hindere Euch nicht, dies in der Stadt zu verbreiten“? Maripetro versteht. – Zu {Madonna} 〈Signora〉 Mora. Er geht ab.

Sagt ihr, Nicolo würde ] Sagt Ihr, Nicolo würde Setzfehler

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Verwandlung. Ein großer Saal im Dogenpalaste. Im Hintergrunde, eine hohe Thüre an welcher Wachen stehen. In der letzten Coulisse, links Eingang zu den Gemächern des Dogen. Auf derselben Seite, ein Thronsessel, an dessen Stufen, jedoch mehr gegen den Vordergrund, drei Taburets. Rechts, amphitheatralische Estraden für die Signoria. Daneben, näher an der Rampe, das erhöhte Pult des Richters.

Vierter Auftritt ANSELMO und GIROLAMO von ORSO geleitet, durch die Mitte.

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GIROLAMO. Was soll’s? wohin denn führt Ihr mich? wohin? Ich will zurück – hört Ihr? in mein Gefängniß! ORSO. Zu warten werdet Ihr ersucht, Ihr Herren, Bis sich die Signoria hier versammelt. ANSELMO für sich. Es ist gescheh’n, und öffentlich die Schande! GIROLAMO zornig und angstvoll. Ihr spaßt – und schlecht! ... Was hätt’ wol ich zu thun Mit Eurer Signoria? Ei, nichts weiter ORSO. Als Rede stehn vor ihrem Tribunal – Er wendet sich und geht dem Hintergrunde zu, behält jedoch während des Folgenden, die Gefangenen im Auge. GIROLAMO mit einem wütenden Blicke nach Anselmo. Hat der’s gehört? Der Klotz bleibt regungslos. Ich würdigte ihn bisher nicht eines Worts Doch sprech ich jetzt ihn an, denn, schweig’ ich länger So birst mein Herz vor Wut ... ANSELMO sieht Girolamo von der Seite an. Grimmig. Ob der sich regt? Der Schurke?! Heute Nacht hat er – geschnarcht. Ich knirschte, raste, weinte! – – und er schnarchte – Er ruht auf seinen Lorbeern – o! – o! – o! Gesammelt in dem Garten meines Glücks. Erwürgen werd’ ich ihn, und sie dazu. GIROLAMO. Er hat leicht ruhig sein, der schlechte Schelm, Er schwelgte in den Armen meines Weibes, Indeß mich seine Hexe so mißhandelt, Daß ich mich freute, als sie mich entließ, Wie Jonas, als ihn ausgespie’n der Hai. ANSELMO Girolamo betrachtend. Der Ekelhafte! – Nur ein sündvoll’ Weib,

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Verderbt bis in der Seele tiefsten Grund, Kann solch’ ein Ungeheuer reizend finden Und solcher Fratze gönnen ihren Kuß. Fürwahr, bei Allem, was man heilig nennt! Wie hassenswerth er sei, mehr noch ist sie’s ... Er schwor mir ew’ge Feindschaft tausendmal, Doch sie gelobt’ mir ew’ge Lieb’ und Treue. GIROLAMO. Er sieht mich an und murmelt – murmle Du! – – Ihm fehlt gewiß der Muth, mich anzusprechen, Und er meint wohl, ich wäre feig wie er ... Da soll ... Laut zu Anselmo. {Elender!} 〈Du Memme!〉 Wer? ANSELMO auffahrend. Ich sprach zu Dir. GIROLAMO. ANSELMO. Zu mir, {Du Schurke?} 〈Bramarbas?!〉 Er will auf Girolamo zustürzen, {wird aber durch die Kette zurückgehalten. Und – ich bin gefesselt!} 〈bemerkt aber Orso’s auf ihn gerichteten Blick, und bezwingt sich. Leise. Dafür zahlst Du später!〉 GIROLAMO triumphirend, für sich. ’s ist doch auch ihm so ganz behaglich nicht! Laut und hämisch. Wir {sitzen} 〈steh’n da〉 stumm einander gegenüber Und hätten, dünkt mir, Manches uns zu sagen. ANSELMO. Ich Dir zuerst: Daß ich Dich tödten will! GIROLAMO. Zu allererst: Daß ich den Hals Dir breche! ANSELMO. Wenn sich ein Mann durch Worte ließ besiegen, Vielleicht – Du Weiberheld! GIROLAMO. Das bist Du selber! ANSELMO für sich. Ich war’s, bis mich sein Weib zum Feigling machte. Mit ihren Thränenfluthen löschte sie Die Glut in dreißig Heldenherzen aus. Als wie ein blöder Knab’ stand ich vor ihr! Ich ward genarrt – und er ... O Wuth! Laut. Du Teufel! Dein letzter Athemzug, er haucht allein Von meiner blanken Ehr’ den Flecken fort; Der letzte Tropfen erst von Deinem Blut Thut mir genug, bei Gott, ich will ihn haben! GIROLAMO für sich. Für das, was ich ihm an der Ehr’ verletzte, Wär’ bald genug gethan! Laut. löschte sie ] löschte die vermutlich Setzfehler

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Wir treffen uns, Deß’ sei gewiß – und gut – trau’ dieser Faust. ANSELMO. Und was geschieht den pflichtvergess’nen Weibern? GIROLAMO. Die nenne nicht! Sonst sterb’ ich gleich vor Abscheu, Und könnt’ Dich dann nicht mehr erwürgen, Feind! Und könnte nicht, sobald dies abgethan, Hintreten vor die schnöde Buhlerin, Die meine Frau einst war, und mir den Dolch Vor ihren Augen graben in die Brust Und rufen: Mörderin ... ich fluche Dir! ANSELMO. Das ist m e i n Vorsatz, i c h will also sterben. GIROLAMO. Auch Du willst sterben? Bin ich nicht entehrt? – ANSELMO. Vor ganz Venedig blosgestellt dem Hohn? – Meinst Du, die Wachen schweigen und der Richter? – O Schande! Schande! GIROLAMO für sich. Trösten könnt’ ich ihn –, Doch hol’ mich gleich der Satan, wenn ich’s thu’, Denn wer – wer tröstet mich? Laut und parodirend. „O Schande! Schande! ...“ – Trägst Du sie denn allein, die „Schande“ – wie? Nagt ihre Qual nicht giftig auch an mir? ... Du erntest, was Du ausgesä’t ... Heims’ ein! – ANSELMO. Beim lichten Himmel! ... Bei der finster’n Hölle! Ich gäbe tausend Leben, hätt’ ich sie, Ich gäb’ die Erde, wär’ sie mein, dahin, Die Schmach von meinem Namen wegzutilgen! GIROLAMO sieht ihn forschend an. – Gäbst Du dafür sogar – sogar die – Rache? ANSELMO nach einer Pause. Die Rache selber. – Ja. – Auch ich! ... Auch ich! ... Laut. GIROLAMO für sich. Um diesen Preis kann uns – Du Elender – Der Schein der Ehre noch erhalten werden. ANSELMO. Erhalten – noch? ... O Gott – – erhalten werden?! GIROLAMO. Ein Mittel gibt’s. Wenn Du es fandest, Mann! ANSELMO. Und mir entdeckst, bist Du mein Feind nicht länger. Ich nenn’ Dich Bruder – Vater nenn ich Dich! GIROLAMO. Ein Mittel gibt’s, doch soll es wirksam sein Dann müssen vor Gericht wir Freundschaft heucheln.

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ANSELMO unwillkürlich zurückweichend. Warum nicht gar! Siehst Du? ... Auch bringt’s den Tod. GIROLAMO . ANSELMO rasch. Den such’ ich! Und – es bringt nicht eben Ruhm. GIROLAMO. ANSELMO. Wär’s auch ein Tausch nur gegen and’re Schande, Jedwede dünkt mir Ehre gegen die! GIROLAMO. Ganz meine Meinung, Feind! So rede – Bembo! ANSELMO. GIROLAMO. Vor unsern Häusern todt lag Foscari. Laß uns bekennen, daß wir ihn erschlagen Im Augenblick, bevor die Häscher kamen – Und als wir diese nahen hörten – rasch Uns flüchteten ... ANSELMO. Uns – flüchteten? – Verwirrt, GIROLAMO. In Todesangst, die eig’ne Thür verfehlend, Barg’ jeder sich im Haus des anderen ... ANSELMO. – Die – Weiber, ahnten von dem allem nichts! Die werden nicht genannt. Natürlich nicht. GIROLAMO. ANSELMO. Allein der Kampf in welchem man uns traf? GIROLAMO. Den führten wir zum Schein – um sie zu täuschen Ob uns’res Bundes wider Foscari. ANSELMO. Er fiel Dich an, und ich beschützte Dich! GIROLAMO. Nun droht er Dir – mich übermannt der Zorn – – ANSELMO. Wir beide stürzen über ihn, er liegt In seinem Blut! GIROLAMO. Ich that’s! ... Ich will’s beschwören! In’s Angesicht den Weibern will ich’s schwören, Wenn etwa die uns lügen strafen wollten. ANSELMO. Sie werden sich wohl hüten, glaube mir, Sie werden schweigen, die Nichtswürdigen, Die all’ des Unheils Grund und Ursach’ sind. GIROLAMO. Die Deine ist ein Seraph gegen meine. ANSELMO. O Himmel, nein! ... Die meine ist verrucht, Sie kam entgegen Dir, ich bins gewiß ... Bei meinem Eid! Ich klage Dich nicht an. Der eines schönen Weibes Gunst verschmähte, Das wär’ kein Mann – verachten müßt man ihn! GIROLAMO. Verachten! – Wohl! ... O Freund, wie acht’ ich Dich!

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ORSO, dem ein Gerichtsdiener eine Meldung gemacht hat, tritt vor. Signors, Eure Frauen stehen draußen ... GIROLAMO und ANSELMO zugleich. Hinweg! Hinweg! Sie haben, Euch zu sprechen ORSO. Vor dem Verhör, vom Dogen selbst Erlaubniß. ANSELMO. Die Unverschämten wagten ... Geht! ... Sagt ihnen – – GIROLAMO. Sagt ihnen, daß zum Tod wir uns bereitet, Und nichts zu thun mehr haben mit der Welt! ORSO. Zum Tode? Büßen Mörder nicht mit Tod? GIROLAMO. Domenico ist, mit Acten unter dem Arme aus den Gemächern des Dogen gekommen, und hat sich langsam genähert. Bei den letzten Worten stürzt er vor. DOMENICO. So – seid Ihr’s? ... Mörder?! Ja! ANSELMO. Und läugnen’s nicht! GIROLAMO. DOMENICO die Hände über den Kopf zusmmenschlagend. Entsetzensvoll! Zu Orso. Ihr habt’s gehört – seid Zeuge – Ich will sogleich es bringen zu Papier – Und Ihr seid Zeuge ... Ja ... Papier ... Signors, Ich sollte melden von des Dogen Hoheit ... Ich – weiß, ach, nicht mehr – was? ... O {Mördervolk ...} 〈Graus und Schauder!〉 Für sich. Und die wollt er entlassen – unverhört ... Mir schwindelt fast – – Einbrecher dort – hier Mörder – – Es ist zu viel des Glücks! Zu reicher Segen Für Deinen armen Maripetro, Herr! ... Der Mensch im Richter weint, indeß der jauchzet! – Zu Girolamo und Anselmo. Macht Euch bereit und fertig zum Verhör, Signors, nein Mörder, – ja, Signors und Mörder! Sogleich bereit! GIROLAMO und ANSELMO zugleich. Wolan, wir sind bereit! Domenico geht zu seinem Pulte. Die Flügelthüren im Hintergrunde werden geöffnet, die Mitglieder der Signoria treten paarweise ein, und nehmen Plätze auf der Estrade. THÜRSTEHER. Der Doge! Doge, kommt von links, mit Gefolge und steigt die Stufen zum Thronsessel empor. Orso und das Gefolge stehen zu seiner Linken, neben Orso,

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Girolamo und Anselmo. Die Signoria und Domenico erheben sich als der Doge das Wort ergreift. DOGE. Verständigt wurdet Ihr, verehrte Herren Von dem Ereigniß seltsam, räthselhaft, Das heute Nacht die Stadt im Schlafe störte, Und habt vertrauensvoll mir’s übertragen Die That zu prüfen und den Spruch zu fällen. Nun aber fand wo Unrecht ich vermutet Sich schwere Schuld, und bitten muß ich Euch Auf meine schwache Schultern nicht allein Die Last des schweren Richteramts zu bürden. Es handelt sich um dreier Bürger Leben. Wenn’s Euch beliebt vernehmen wir die Zeugen. Die Signoria, die der Rede des Dogen theilnehmend gefolgt, macht ein beistimmendes Zeichen. Auf einen Wink des Dogen, werden die Flügelthüren im Hintergrunde abermals geöffnet: Ghismonda, Isotta und Lucia erscheinen, und werden, nachdem sie sich vor der Signoria und vor dem Dogen verbeugt, von einer Gerichtsperson zu den Taburets geleitet auf denen sie sich niederlassen. GIROLAMO bei’m Anblick der Frauen, leise zu Anselmo. Hilf Gott, die Weiber! D a s die Zeugen?! Das? ANSELMO ebenso zu ihm. ISOTTA leise zu Lucia. Dort stehen sie! LUCIA ebenso zu ihr. Wie bleich und wild! ... Mir schaudert. DOGE zu Domenico. Beginnt! Alle, Domenico ausgenommen, setzen sich. DOMENICO. Hochmächt’ger Doge! – Weise Signoria! – Ihr armen Schächer! – Ihr unsel’gen Frauen! ... Wir nennen Gott den Himmelsrichter auch, – Ich bin der ird’sche, bin sein Stellvertreter Im sünd’gen Jammerthal, genannt die Welt; Als solcher mahn’ ich Euch: bekennt! ... Entlastet – GIROLAMO fällt ihm in’s Wort. Erspart uns Euer albernes Geschwätz. Zu künden uns’re Schuld, sind wir entschlossen, Nicht sie zu hehlen, und bekennen laut, Daß Deinen Neffen, Doge, wir erschlugen! Bewegung in der Versammlung. ISOTTA aufspringend. O glaubt es nicht! LUCIA ebenso. Sie lügen Herr! – sie lügen! –

Ihr armen Schächer! ] Ihr, armen Schächer! Setzfehler

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DOGE. Bis man Euch reden heißt, {seid stille, Frauen.} 〈Ihr Frauen, schweigt.〉 Zu Anselmo und Girolamo. Ihr – beide, schlugt ihn? Ja, zusammen, Herr. GIROLAMO. {DOMENICO. Und wirklich, i h n ? ... War’s nicht ein and’rer etwa?} 〈DOGE. Vereint? Ihr zwei vereint, die grimmen Feinde? GIROLAMO. Wir haben Herr, seit gestern uns versöhnt. DOGE. Der neuen Freundschaft erste Frucht ein Mord? ... Wir müssen wünschen, daß Ihr Feinde bleibt. DOMENICO. Und Foscari erschlugt Ihr? ... War’s kein and’rer?〉 ANSELMO. Kein anderer! Ich schwör’s, mit stärkstem Eid’. DOGE. Und schwört Ihr auch, daß Ihr zu Tod ihn schlugt? GIROLAMO nach kurzer Pause. So sicher – als – als wir mit ihm gekämpft. DOMENICO. Ihr lügt! GIROLAMO. Wir – lügen, Esel? Das – war derb! DOMENICO. Gemein sogar, doch freilich, Höflichkeit Erwartet man von Eures Gleichen nicht. DOGE gibt einer der Wachen einen Wink; diese geht ab. Zu Anselmo und Girolamo. Ihr sollt die Leiche Eures Opfers sehen. Foscari wird hereingeführt. Blickt dorthin! Wie ... Er lebt?! ANSELMO und GIROLAMO zugleich. GIROLAMO leise zu Anselmo. Das ist sehr bös. NICOLO bei’m Anblick Gismonda’s theils erschrocken, theils freudig. O Gott – Gismonda hier?! Mir bebt das Herz. G〈H〉ISMONDA für sich. DOGE. Da steht er, dessen Mordes Ihr Euch zeiht, Und schwört, daß Ihr ihm nicht ein Haar gekrümmt. ANSELMO rasch. Aus Großmuth, Herr, weil er uns retten will. DOGE. Ich fürchte, daß Ihr einer Schuld Euch anklagt, Die niemals Ihr begingt, um zu verbergen Ein größeres Vergeh’n, das Ihr begangen. DOMENICO. O Born der Weisheit! ... Eben wollt’ ich’s sagen ... Ihr nehmt die Worte mir vom Mund, Erhab’ner! Zu Anselmo und Girolamo. Also bekennt ... GIROLAMO. Wir haben schon bekannt, Daß wir ihn tödten wollten. Dabei bleibt’s. NICOLO. Mich tödten – Ihr? ... Ei Possen! – Und warum? GIROLAMO. Hast Du darnach zu fragen, oder – Auf die Versammlung zeigend. Die? – Zum Dogen. Wenn er jetzt lebt, wie’s scheint – je nun – ist das

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Die Sache seiner kräftigen Natur, Und nicht die uns’re. W i r erschlugen ihn, Und fordern Strafe, – Strafe für den Mord. DOMENICO zu der Signoria. Auch er, Hochweise, spricht nicht eben dumm, Und jedenfalls – – O höret mich! ISOTTA aufspringend. Ihr schweigt! – DOGE. ISOTTA wirft sich dem Dogen zu Füssen. Ich kann nicht länger schweigen – kann es nicht! Sie wendet sich gegen die Signoria. Schien’t Ihr so böse, als Ihr gütig seid, Und hielt ein Schwert ein jeder in der Hand, Bereit, bei’m ersten Wort mich zu durchbohren, – Ich schwiege nicht! – Ich stürbe, doch – ich spräche! ... Erhebt sich. Wieder zum Dogen, sehr rasch. Die Männer suchen, hoher Herr, den Tod Und klagen deshalb sich des Mordes an, Und suchen Tod, die Thoren, weil sie glauben, Daß treulos wir, und daß entehrt sie sind, – Doch ist’s nicht so ... Anselmo und Girolamo zugleich: Nicht so? ANSELMO heftig. Die Schwätzerin ... GIROLAMO. ISOTTA ohne sich unterbrechen zu lassen. Unschuldig sind sie freilich keinesweges; Doch ihre Schuld, so groß sie immer sei, Wird noch gebüßt – bei uns – nicht mit dem Leben. DOMENICO. Was wisset Ihr davon? ... Habt I h r vielleicht Darüber zu entscheiden – he? ... Ihr habt Uns das Verbrechen kund zu geben – basta! – Sofern es Euch bekannt – und damit – basta! ISOTTA. Untreue gegen uns, heißt ihr Verbrechen. DOMENICO. Untreu’ – haha – ein sauberes Verbrechen! ... Ich glaube gar, Ihr spaßet – vor Gericht. ANSELMO leise zu Girolamo. O schamlos ist dies Weib! ... Ich könnt’ sie tödten! – ISOTTA zum Dogen. Ein jeder dieser Männer, Herr, erbat Ein Stelldichein sich von der Frau des andern – ANSELMO. Willst schweigen Du? Verflucht – sei, ganz verflucht! GIROLAMO. ISOTTA. Wir aber, Freundinnen von Jugend an, Vertrauten gegenseitig uns ...

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Anselmo und Girolamo zugleich: Was?! ... ANSELMO. Wie?! ... GIROLAMO. ISOTTA sehr erregt, abgebrochen und hastig. – Der beiden Gatten traurigen Verrath, – Gewährten ihnen auch – das Stelldichein – Doch anders, als sie’s wünschten – denn – zuvor – Vertauschten wir den Platz ... Im Haus der andern Empfing jedwede – ihren eig’nen Mann! GIROLAMO. Die Unerhörte! Wie die lügen kann! ANSELMO. Nicht übel ausgedacht – o kluge Schlangen! DOGE zu Girolamo und Anselmo. Den eig’nen Mann! ... Vernehmt Ihr das, Ihr Herren? Zu Isotta. Beweise gebt – – Wir geben – unser Wort! – ISOTTA stolz. DOMENICO. Ein Weiberwort?! ... Das gilt nicht vor Gericht. ISOTTA. Es gilt nicht – wie? ... ein ehrlich Frauenwort? ... Sind rechtlos wir vor der Gerechtigkeit? ANSELMO nicht mehr Herr seiner selbst. Du thust noch stolz, Verworfene? – noch stolz? Das ist zu viel – und mehr ist’s, als zu viel! ... – Entrüstung über Deine Falschheit, Weib, Macht jede Rücksicht mich mit Füßen treten – Treibt, wie im Wahnsinn – mich zu thun – was ich Bereuen werde – thuend schon bereu’ ... Vor die Signoria tretend, außer sich. Ja denn! Ich warb um fremden Weibes Gunst, Doch war’s das meine n i c h t – das mich empfing! Zu Lucia. ... Vergebt! Zu Girolamo. – Vergib ... O Gott – ich bin verrückt! GIROLAMO. Wenn Du von jeder Rücksicht los Dich sagst, Dann thu’ auch ich’s und schwör’ ... LUCIA springt auf und eilt auf Girolamo zu. Girolamo ... GIROLAMO. Aus meinen Augen! Höre mich, Anselmo. ISOTTA ist zu Anselmo getreten. ANSELMO. Hinweg! – Hinweg! – O höre! ... LUCIA zu Girolamo. Dich – Verruchte? GIROLAMO. Viel lieber hört’ ich eine Kröte singen! DOGE zu Girolamo. Bezähmt Euch, Signor Bembo, wenn’s beliebt. Zu Isotta und Lucia. Wenn das, was Ihr behauptet, Wahrheit ist,

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Müßt Ihr, Signora’s, es beweisen können. Behieltet Ihr kein Pfand von Euren Männern, Das Euch als Zeichen diente des Erkennens, Nicht einen Handschuh, einen Ring, ein Tuch? DOMENICO für sich. Hat je um solches Zeug gefragt ein Doge?! ISOTTA. Die Vorsicht, leider, ließ ich außer Acht. LUCIA. Auch leider ich – o Gott! – wie nun beweisen? ... GIROLAMO. Das fiel’ Euch schwer – ich glaub’s! Besinnet Euch. DOGE zu den Frauen. ANSELMO zum Dogen. Es ist umsonst, die Lüge zu erfinden, Ein anderes, als ihr zum Sieg verhelfen. Und wenn’s bei Euch geläng’, bei mir – mißräth’s. ... Mein Weib ist rasch und feurig, sehr beredt, Wie Ihr Euch überzeugt, und heute Nacht Empfing mich eine stumme Thränenweide – GIROLAMO. Wie – Thränenweide? ... Meine Frau ist sanft Und scheu und demüthig, und mich empfing Ein Wütherich – ein weiblicher ... Ein Unhold! LUCIA rasch. Dazu hat Deine Untreu’ mich gemacht! Mein ganzes Inn’re wallte auf im Zorn! ... GIROLAMO. Wahrhaftig, das – das klang wie heute Nacht ... Doch täuschen uns die Ohren wohl – im Finstern. ISOTTA weich, zu Anselmo. Im Glücke war ich übermüthig einst – Doch als sich Deine Liebe von mir wandte, Fühlt’ ich die Lebenslust in mir geknickt, Jedwede Kraft und Blüthe meiner Seele ... Und hoffnungslose Trauer faßte mich – – Thränen ersticken ihre Stimme. ANSELMO. Ach, diese Stimme – diese Thränen mahnen ... Doch kann’s nicht sein – und nimmer kann es sein! ... ISOTTA. Ein jedes Deiner Worte wiederhol’ ich – Sie prägten {unvergeßlich} 〈so furchtbar tief〉 sich mir ein – Besinne Dich – wer sprach, als ich erschien; „Die Heil’ge nah’t und so verehr’ ich sie“? Wer kniete nieder ... GIROLAMO. Kniete? ... Das war ich! ISOTTA. Wer faßte meine Hand, und sprach – – das schmerzte –: „Ich habe nie so schöne Hand berührt“? ANSELMO. Wenn’s denkbar wäre, möglich wär’ ... Isotta! ... Er bedeckt das Gesicht mit seinen Händen. DOGE auf Anselmo deutend, zu Girolamo. Der ist halb überzeugt – seid Ihr’s noch nicht? GIROLAMO. Ich werde, Herr, doch kennen meine Frau!

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LUCIA zu Girolamo. So nimm Vernunft nur an, Du böser Zweifler! Anselmo gibt schon zu, daß er geirrt – Nun denn! Wenn er bei seiner Frau gewesen, Kann er zugleich bei mir gewesen sein? DOGE. Das leuchtet ein. Nicht mir! Ich will Beweise. GIROLAMO. LUCIA. O glaub’, Girolamo! ... Glaub’ meinen Schwüren Und meinen Thränen glaub’! Beweise sag’ ich! ... GIROLAMO. LUCIA. Die kann ich Dir nicht geben – Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. oder – doch? ... GIROLAMO. Nun – wie? Doch – einen! LUCIA. GIROLAMO. Hei, die Lügnerin! Gebt Acht, gebt Acht! Sie wird wohl noch behaupten, Beweisen k ö n n t ’ , allein sie w o l l e nicht. LUCIA. Wenn zur Verzweiflung Du mich treibest, Mann ... GIROLAMO trotzig. Jetzt droht sie gar! ... Du gibst ihn, den Beweis, Wo nicht – verstoß ich Dich! So hab’ ihn denn! ... LUCIA außer Fassung. Sie gibt ihm eine Ohrfeige. GIROLAMO. Barmherzigkeit! LUCIA mit Entsetzen. Weh’ mir! ... Was that ich?! ... GIROLAMO steht einen Augenblick verblüfft. Plötzlich in Jubel ausbrechend. Sie war’s! Hält sich die Wange und stürzt triumphirend vom Dogen zur Signoria. Erlauchter Doge! Weise Signoria! Sie war’s! ... Sie war’s – ich schwör’s vor Gott – sie war’s! – Ich rufe Euch zu Zeugen meines Glücks –: Ich hab’ die treu’ste Frau in ganz Venedig! Stürzt auf Lucia zu und umarmt sie. Das ist die mächt’ge, ist dieselbe Hand! LUCIA fast knieend. Mög’ sie verdorren, wenn ich jemals wieder Im Zorn sie hebe gegen meinen Herrn! GIROLAMO hält sie umfaßt. Lucia! Vielgeliebter! LUCIA. Theures Weib! ANSELMO Isotta umschlingend. ISOTTA. Anselmo! Ein Räthsel ist gelöst – DOGE. Das zweite, Herr, GISMONDA sich erhebend. Gestattet mir zu lösen.

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DOGE. Sprecht, Signora. NICOLO. Was wird sie thun? mich retten? – mich verderben? GISMONDA. Das Ende einer Leiter seh’ ich liegen Dort auf des Richters Pult. Domenico das obere Ende derselben Strickleiter überreichend. Versucht, ob es Zu diesem Stück gefügt, wie Hälfte nicht Zu Hälfte paßt. Auf’s Haar! ... Ich wollte sagen, DOMENICO die Enden zusammenfügend. Auf einen Seidenfaden ... Hier! ... Blickt her – Das ist die Leiter, hohe Signoria, Auf der, beseelt von Mord- und Diebsgelüsten – Wir haben sein Geständniß – Foscari Erklimmen wollt’ die Wohnung ... GISMONDA mit zitternder Stimme, aber laut. Seiner – Gattin! NICOLO aufschreiend. Gismonda! Ruhe, dort. DOGE. GISMONDA wie oben. An meinem Fenster Befestigte die Leiter – ich – – ich selbst. DOMENICO. – – Befestigt – selbst ...? ... Dies Wort vermält uns ... Mein! NICOLO stürzt Gismonden zu Füßen. Er faßt ihre Hand. DOMENICO. Wo bleibt der Einbruch dann? – der bleiben muß? NICOLO. Im Protokoll! Tragt achtsam ihn nach Hause! DOMENICO. Der Schuldige hat seine Schuld bekannt – GISMONDA. – Getilgt ist sie, wenn ich die Hand ihm reiche. DOMENICO hämisch. Ihr tilgt die Schuld – tilgt Ihr auch seine Schulden? DOGE. Spart Euren werthen Athem{, Messere}! GISMONDA zum Dogen. Vor zweiter Ehe zagt’ ich, weil die erste Unselig war. Doch Foscari gab mir Beweis von solcher Liebe, daß getrost Ich ihm mein Schicksal anvertrau’. O Herr, Hältst Deinen Namen Du mich werth zu tragen, So segne uns. Ich segn’ Euch, meine Kinder! DOGE. Sich zu Anselmo und Girolamo wendend. Ihr beiden Feinde aber, macht mir Frieden. Ihr habt nichts mehr einander vorzuwerfen, So völlig hebt sich Schuld und Gegenschuld. GIROLAMO und ANSELMO treten einander zögernd näher. DOGE. Gebt auf den Haß mit dem Ihr Thoren, Euch Verfolgt bis in die Herzen Eurer Frauen!

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Nur ihrer edlen Freundschaft dankt Ihr’s heut, Daß Ihr nicht dasteht schmachbedeckt, entehrt. ANSELMO. Girolamo – ich denk’ ... Anselmo – ich – GIROLAMO. LUCIA zu Girolamo, flehend. Reich ihm die Hand! ISOTTA ebenso zu Anselmo. Komm’ ihm zuvor, Anselmo! Girolamo und Anselmo reichen einander die Hände. DOGE. So recht! Und nun ist auch der Spott entwaffnet. Belächeln wird kein Bürger in Venedig Den Zwischenfall der Euren Bruderkrieg Den längst beklagten, führt zu frohem Ende, Vielmehr ihn preisen, segnen wollen wir! Die Signoria giebt Zeichen des Beifalls. ANSELMO zu Lucia. Die Frau des Feindes hab’ ich frech beleidigt, Verzeihet mir! – Ich ehr’ in Euch fortan Des Freundes Gattin – eine liebe Schwester. Er küßt Lucia’s Hand. GIROLAMO zu Isotta. Dasselbe, edle Frau, sprech’ ich zu Euch. Er küßt Isotta’s Hand. DOMENICO. Das liegt sich in den Armen, küßt sich – pfui! Am hellen Tage – vor Gericht – – o Himmel! – Sind nach Arcadien wir denn versetzt? – Ist dies ein Liebeshof?! Orso ist während dieser Rede eingetreten und hat dem Dogen Briefe überreicht, welche dieser öffnet und überfliegt. So scheint es fast, DOGE sich erhebend. Doch – scheint es nur, denn allzulang entläßt Der Ernst des Lebens die Lebend’gen nicht. Zu der Signoria. Visconti kündet neuen Krieg uns an. Die Versammlung erhebt sich. Lautes Gemurmel. EINZELNE STIMMEN. Visconti! – Neuen Krieg! Da haben wir’s! ... DOMENICO. DOGE. Casalmaggiore, Torricelle, sind Durch ihn besetzt, Bresciello hat er Versucht zu überfallen. Hei, der Schäker! ANSELMO. Meint er, Venedig schliefe? – Auf – ins Feld! DOGE. In’s Feld! dort warten bess’re Thaten Euer, Als eben Ihr vollbracht. GIROLAMO. Wir sind zur besten Gerade gut genug!

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NICOLO zu Gismonda. Zum Hochzeitskranz Will ich, Du Holde, Lorbeern pflücken gehen! Die Frauen schließen sich mit angstvollen Geberden an ihre Männer. DOGE zu den Frauen. Entlaßt sie klaglos, wie’s geziemt den Frauen Zukünft’ger Helden. Die Miglieder der Signoria sind von der Estrade herabgestiegen. Ein Theil von ihnen umringt den Dogen, die Anderen sprechen angelegentlich mit einander, links um die Estrade gruppirt. Die drei Paare in der Mitte der Bühne. DOMENICO der allein seinen Platz nicht verläßt, und vergeblich versucht hat, sich Gehör zu verschaffen. Helden? Maledetto! Zum Galgen eben reif, und jetzo – Helden?! Rafft seine Schriften zusammen und schlägt sie wüthend gegen das Pult. Häng’ Dich, Gerechtigkeit! ... Ich werd’ Bandit!

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Ergänzung der Herausgeberin neben der Zeile eigenhändig

{} 〈〉 [] ndZ eh. E EK1 EK2 EK3 EK4 J

Einzeldruck 1874 Einzeldruck 1874 mit eh. Korrekturen (WB, H.I.N. 60640) Einzeldruck 1874 mit eh. Korrekturen (WB, H.I.N. 60641) Einzeldruck 1874 mit eh. Korrekturen (WB, H.I.N. 60642) Einzeldruck 1874 mit eh. Korrekturen und neuem dritten Akt (WB, H.I.N. 54496) Der Merker 1912

WB H.I.N.

Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe der Texte: Die Frakturschrift des Einzeldrucks E und die eigenhändigen Korrekturen in EK2 sowie die Antiquaschrift des Drucks J sind in Antiqua wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die Bühnenbeschreibungen und in runden Klammern gesetzten Szenenanweisungen der Drucke sowie die unterstrichenen Bühnenbeschreibungen und in Schrägstrichen gesetzten Szenenanweisungen der handschriftlichen Teile des neuen dritten Aufzugs sind kursiv gesetzt. Die im Original nach den Namen manchmal klein und meistens groß geschriebenen Regieanweisungen werden vereinheitlicht und klein geschrieben. Der Versverlauf wurde aus dem Originaltext übernommen. Von EK4 wird der neue dritte Akt wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

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2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Die Texte folgen den Fassungen EK2 und EK4, d. h. dem Einzeldruck E unter Einbeziehung handschriftlicher Korrekturen und Umarbeitungen, sowie dem Zeitschriftenabdruck J. Es wurde EK2 und nicht EK1 oder E K3 als Textgrundlage gewählt, weil diese Fassung Ebner-Eschenbach als Grundlage zur Fassung EK4 diente. Mit Ausnahme der Fassung EK4, die auf EK2 beruht und daher nach dieser entstanden ist, kann man die chronologische Reihenfolge der Fassungen nicht feststellen. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Wort- und Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Die in den Einzeldrucken handschriftlich vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat). Von der Fassung EK4 wird nur der auf einer Umarbeitung beruhende dritte Akt abgedruckt. Die Abweichungen zwischen EK2 und EK1 sowie zwischen EK2 und EK4 sind in dem folgenden fortlaufenden Variantenverzeichnis aufgeführt. Auf die wichtigsten Abweichungen im Druck J und in dem neuen dritten Akt in EK4 (der den früheren dritten und vierten Akt zusammenfasst) wird exemplarisch in dem Abschnitt zur Entstehungsgeschichte eingegangen.

3. Fortlaufendes Variantenverzeichnis Das folgende Variantenverzeichnis zeigt die Unterschiede zwischen dem edierten Text EK2 und den Fassungen E K1 sowie E K4 (ohne den neuen dritten Akt) auf. Personen EIN GEFANGENWÄRTER] {EIN GEFANGENWÄRTER} EK4 Erster Aufzug Fünfter Auftritt 261,2

Mühmchen] {Mühmchen} 〈Bäschen〉 EK4 Siebter Auftritt

265,1

Das {seine} 〈ihre〉 oder {ihr}〈sein〉’s,] Das seine oder ihr’s, EK4

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II. Kritischer Apparat

Zweiter Aufzug Vierter Auftritt 277,5

ihr unverbrüchliches] {ihr unverbrüchliches} 〈Befehl, mein Wille ihr〉 EK4 Sechster Auftritt

279, nach 14 wo {Foscari} 〈Nicolo 〉] wo Foscari EK1 EK4 280, nach 1 mit {Foscari} 〈Nicolo〉] mit Foscari E K1 E K4

Dritter Aufzug Dritter Auftritt 285,17

Madonna Mora’s] {Madonna} 〈Signora〉 Mora’s EK1

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte a. Der Erstdruck E mit Korrekturen (EK1, EK2, EK3) Die Arbeiten an dem Lustspiel Männertreue beginnen im Sommer 1873, als sich Ebner-Eschenbach zunächst in Reichenhall und anschließend in der Schweiz aufhält. Die Handlung des Lustspiels geht auf eine Novelle des italienischen Dichters Matteo Bandello (um 1485–1561) zurück. Im Mittelpunkt stehen zwei verfeindete Venezianer, die durch die List ihrer miteinander befreundeten Ehefrauen bloßgestellt und versöhnt werden. Am 18. Juli 1873 notiert Ebner-Eschenbach in ihr Tagebuch, dass sie die erste Hälfte des ersten Akts von Männertreue beendet habe (T II). Ein paar Tage später vollendet sie trotz Unwohlseins den fünften Auftritt dieses Akts. Wohl noch unter dem Einfluss der Attacke durch die Wiener Presse in der Folge der Aufführung des Lustspiels Das Waldfräulein setzt sie große Hoffnungen in ihr neues Lustspiel, was ihre schriftstellerische Tätigkeit und vor allem die Anerkennung durch die Familie angeht: Wenn dieses Lustspiel gelänge u. einen guten Erfolg erringen würde hätten die Meinen vielleicht nichts mehr einzuwenden gegen die Ausübung meines Berufes. Das ist er ja doch. Aber freilich ist der künstlerische Beruf einer Frau überhaupt ernst zu nehmen? Wenn er sich nicht gleich von allem Anfang an, durch eine unwidersprechlich große Leistung kundgibt, wer wird an ihn glauben? Ein Suchen u versuchen, tasten, anklopfen – das ist nichts. (T II, 22.7.1873)

Bereits am nächsten Tag steigt ihre Stimmung, und sie freut sich auf den zweiten Akt, „der lustig werden kann“ (T II, 23.7.1873). Am 9. August beendet sie dann den ersten Akt und gesteht, dass sie „ihn für gar nicht so übel“ halte (T II, 9.8.1873). Die Arbeit an dem Lustspiel geht nun gut voran; eine Woche später plant sie den dritten Akt und stellt sich die Frage, ob der „Stoff in 3 Aufzügen zu bewältigen“ sei (T II, 16.8.1873). Nachdem sie am 31. August den dritten Akt beendet hat, plant sie am 1. September bereits den vierten Akt: „Der muß am sorgfältigsten ausgearbeitet werden – Iso[t]ta’s Rede vor der Signoria könnte leicht eine Klippe werden“ (T II, 1.9.1873). Den Stoff möglicherweise in drei Akten behandeln zu können, muss sie also zu diesem Zeitpunkt aufgegeben haben. Am 10. September 1873 liest Ebner-Eschenbach Ida und Otto von Fleischl-Marxow die ersten zwei Akte des Stückes vor und kommt zu der Einsicht, dass der erste Akt „um wenigstens 100 Verse zu lang“ sei und dem zweiten „der kräftige dramatische Pulsschlag“ fehle (T II, 10.9.1873). Als sie eine Woche später wieder in Wien eintrifft, ist das Lustspiel bereits vollendet: „Aber was werden die Meinen sagen, wenn ich ihnen gestehe, daß ich ein fertiges Lustspiel in meinem Koffer mitbringe“ (T II, 18.9.1873). Am 24. November 1873 nimmt Heinrich Laube das Lustspiel zur Aufführung im Stadttheater in Wien an (T II, 24.11.1873). Die von ihm gewünschten Kürzungen der Exposition und des Schlusses werden von Ebner-Eschenbach sofort durchgeführt. Da

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sie keinen Abschreiber für ihr Manuskript finden kann, lässt sie das Lustspiel gleich drucken (T II, 26.11.1873). Der Erstdruck E, hergestellt in der Hoftheater-Druckerei von J. B. Wallishausser, vordatiert auf 1874, muss am 20. Dezember 1873 bereits vorgelegen haben. Denn an diesem Tag korrigiert Ebner-Eschenbach gleichzeitig zwei Exemplare des Erstdrucks E (T II). Von Männertreue ist keine Handschrift erhalten. In der Österreichischen Nationalbibliothek befindet sich ein Nachdruck (Signatur 624817 B), dessen Text vollkommen mit E übereinstimmt, also keinerlei Korrekturen aufweist; es steht lediglich auf dem Titelblatt vor dem Namen der Druckerei das Wort „Aus“ und danach der Vermerk: „Eigenthum des Verfassers“. Bei EK1 (WB, H.I.N. 60640) und EK2 (WB, H.I.N. 60641) handelt es sich um überarbeitete Fassungen des Erstdrucks E von 1874; sie bestehen aus 25 Blättern oder 50 Seiten. Außerdem existiert noch eine Fassung EK3, die allerdings nicht alle im integralen Apparat von EK2 aufgeführten handschriftlichen Korrekturen enthält. Die Herkunft des aus 23 Blättern bestehenden Typoskripts (WB, H.I.N. 60643) ist zweifelhaft; es trägt keinen Hinweis, wer es erstellt hat. Auch wird das Typoskript von Ebner-Eschenbach weder erwähnt noch enthält es irgendwelche Anmerkungen oder eigenhändige Korrekturen von ihr. Der edierte Text beruht auf EK2, da diese Fassung die vollständigste und ästhetisch beste ist und von Ebner-Eschenbach als Grundlage für EK4 diente. EK2 weist eine Reihe von Tilgungen und Hinzufügungen auf. Außerdem schließt der integrale Apparat eine Hinzufügung ein, die zu keiner Tilgung führte und die in einer Fußnote entsprechend gekennzeichnet ist. Die Korrekturen in EK1 und EK2 sind nahezu identisch. Die wenigen Abweichungen zwischen EK1 und EK2 sind im fortlaufenden Variantenverzeichnis (II. 3.) aufgeführt.

b. Der Druck J Der Druck J erschien 1912 in den Heften 1–4 der Zeitschrift Der Merker als „photolithographischer Neudruck der Original-Ausgabe“. Nach einem auf dem Titelblatt zitierten Brief Ebner-Eschenbachs erteilt sie ihre Erlaubnis zu diesem Neudruck und verweist gleichzeitig auf die vor längerer Zeit erfolgte Übersetzung des Lustspiels durch Zdenko Kolowrat ins Tschechische (s. S. 301). Bei J handelt es sich im Wesentlichen um den Text des Erstdrucks von 1874 ohne die späteren handschriftlichen Tilgungen und Hinzufügungen Ebner-Eschenbachs. Es kommen die folgenden textlichen Varianten vor: 307, nach 27 313,6 314,9

faßt ihn am Arme] faßt ihn beim Arme EK2 schwerbeladenem Gewissen] schwerbeladenen Gewissens E K2 Brennt mir in meiner Hand Isottas Gabe] brennt Isotta’s Gabe mir in meiner Hand EK2

III. Text- und Wirkungsgeschichte

315,5 323, nach 36 326,15 329,1–2 330,21 333,1 341,4 341,10 344,17 345,2

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Fürchte ich selbst – ich ...] Ich selbst – ich fürchte ... EK2 elf] eilf E K2 Vor meinen Augen] Vor meinem Aug’ EK2 Barmherzigkeit! sind wir umringt? ...] Barmherzigkeit – wir sind umringt ... EK2 Steh, du Schurke!] Steh, Du! E K2 vom Stuhle] beinahe vom Stuhle EK2 Girolamo und Anselmo zugleich: fehlt in J erhebend.] erhebend, zugleich. E K2 Girolamo und Anselmo zugleich: fehlt in J Girolamo und Anselmo zugleich: fehlt in J.

Die Orthographie von J unterscheidet sich vom Erstdruck E vor allem durch die Kleinschreibung aller Anrede- und Indefinitpronomina: euch (304,20); du, dich, deines (310,7); eure (310,19); einen (304,24); alle (336,6); niemandem (313,17). In J steht nach Satzzeichen wie Gedankenstrich, Doppelpunkt und Ausrufezeichen eher die Großschreibung: still! Wie (303,12); Gott! Wenn (325,1); Venedig! – Ist’s (326, 7); Hauptmann? – Tat (329,27); Ertappt! Nächtlicher (331,12). Grundsätzlich ist die Rechtschreibung modernisiert. So werden z. B. ss und ß konsequent verwendet: Lass’ (318,18); Indes (337,13); bloßgestellt (338,31); Füßen (344, nach 7). Im Anlaut wird in J statt Ue und Oe der Umlaut verwendet: Übermut (306,6); übrigen (308,5); Öffne (316,26); Überfall (334,24). Bei Sustantiven und Adjektiven steht statt -niß die Endung -nis: Verständnis (305,2); Geheimnisvoll (315,25). Es wird th durch t ersetzt: Eigentum (303,19); tat (304,1); Gegenteil (306,11); errötend (309, 16); Teuerster (310,15); verraten (311,13); Demut (313,19); Rätsel (315,24); Verrat (317,16); Not (323,15). In J werden t, d, dt konsequent verwendet: tot (316,9); Toten (329,11); Tote (333,2); töten (338,5). In J steht: samt (323,13). Bei Verben und Adjektiven romanischen Ursprungs wird die Endung -ieren verwendet: Parodierend (305, 11); triumphierend (335,3); gruppiert (349,20). Im allgemeinen wird in J der Apostroph bei Apokopierung und Synkopierung von Substantiven und Verben weniger eingesetzt: Stirn (306,13); winkt (306,19); werd (306,27); schleich (320,1). Auch wird der Apostroph in J als Zeichen der Synkopierung bei Präpositionen weniger verwendet: beim (344,11); ins (349,14). Beim Genitiv von Namen wird in J der Apostroph getilgt: Barbadicos (304,3); Lucias (313, 28); Isottas (315,18); Moras (335,16). Die Zeichensetzung ist sparsamer; es werden weniger Gedankenstriche und Punkte gesetzt. Jedoch werden Kommata nach der neueren Rechtschreibung hinzugefügt, wie z. B. nach der Anrede: schlafen, Mond (321,5), oder vor Relativpronomen: Frage, die (332,3). Außerdem wird der Sperrdruck weniger häufig eingesetzt als in E.

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Männertreue

Es ist unklar, warum J auf die allererste Fassung zurückgeht und weder die Korrekturen EK1/EK2 noch die Umarbeitungen, die Ebner-Eschenbach im Jahre 1874 an dem Stück vorgenommen hat (s. Abschnitt c.), berücksichtigt. In einer Tagebucheintragung vom 15. Dezember 1911 notiert Ebner-Eschenbach lediglich, dass Männertreue in der Zeitschrift Der Merker zum 1. Januar 1912 erscheinen werde (T VI). Es ist zu vermuten, dass die geänderte Fassung EK4, die sie dem Übersetzer Kolowrat übergeben hat, nicht mehr in ihrem Besitz war.

c. Der Erstdruck E mit Korrekturen und neuem dritten Akt (EK4) Im Mai 1874 gab Ebner-Eschenbach dem Erzähler und Chefredakteur der Wiener Zeitung Friedrich Uhl (1825–1906) ihr Lustspiel Männertreue zur Lektüre. Sein Urteil über das Stück stimmt mit dem des Übersetzers Zdenko Kolowrat, von dessen Arbeit an einem Teil des Lustspiels sie sehr beeindruckt war (T II, 24.4.1874), überein. Beide halten die letzten zwei Akte, besonders den dritten, für einen schwachen Teil des Lustspiels (T II, 4.5.1874). Im Juni 1874 ist Ebner-Eschenbach intensiv mit einer Umarbeitung beschäftigt und kann am 14. Juni 1874 den fertigen dritten Akt zur Übersetzung an Kolowrat schicken (T II). Dabei muss es sich um den neuen dritten Akt handeln, der eine Zusammenfassung der früheren beiden letzten Akte mit umgearbeiteten und neuen Textteilen darstellt. Die Fassung EK4 (WB, H.I.N. 54496) besteht aus 48 Blättern und ist im ersten und zweiten Akt mit EK2 im Wesentlichen identisch. Die Korrekturen, die EK2 enthält, wurden auch in EK4 eingetragen. Außerdem enthält EK4 einige wenige weitere Korrekturen, die im fortlaufenden Variantenverzeichnis aufgeführt sind. Der neue dritte Akt in EK4 besteht aus herausgeschnittenen gedruckten Textteilen aus dem dritten und vierten Akt von EK2, die in einigen Fällen geändert wurden sowie handschriftlichen neuen Textteilen. Das Titelblatt von EK2 wurde korrigiert, und zwar wurde „vier“ gestrichen und „drei“ darüber geschrieben. Auch wurde der Verlagsname getilgt. Ebner-Eschenbach hat in EK4 die Figur des Gefangenenwächters („Gefangenwächters“) gestrichen. Der dritte Aufzug in EK4 besteht aus vier Auftritten, wovon der vierte der weitaus längste Auftritt ist und den früheren fünften Auftritt des dritten Aufzugs sowie den ganzen früheren vierten Aufzug (mit zwei Auftritten) umfasst. Der erste Auftritt des dritten Aufzugs mit dem Dogen und Orso ist vollkommen neu und verkürzt (S. 351). Der Text des folgenden zweiten und dritten Auftritts ist bis auf eine Korrektur auf S. 354,4 identisch mit EK2. Die Beschreibung der „Verwandlung“ vor dem vierten Auftritt ist umgeschrieben, und die ersten Zeilen des vierten Auftritts sind neu (S. 356,1-13). Übernommener gedruckter Text, der mit E K2 bis auf einige handschriftliche Korrekturen identisch ist, steht auf S. 356,14 bis 358,31, S. 359,3–14, 359,21–33, 360,7–18, 361,18 bis 362,3, 362,9 bis 367,25 und 368,11 bis 369,5, dem Ende des Dramas. Handschriftliche Korrekturen des gedruckten Textes finden sich auf

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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S. 357,10–15, 360,12, 362,1, 362,3 und 367,19; die meisten dieser Korrekturen sind neu. Neuer handschriftlicher Text steht auf S. 358,32 bis 359,2, 359,15–20, 360,1 bis 360,9, 360,21 bis 361,19, 362,4–8 und 367, vor 26 bis 368, nach 10.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Nachdem Heinrich Laube das Lustspiel Männertreue am 24. November 1873 zur Aufführung am Stadttheater angenommen hatte, kam es zu Schwierigkeiten. Am 16. Januar 1874 berichtete Ida von Fleischl-Marxow von einem Gespräch mit Laube: „Er hat wenig Hoffnung auf einen theatralischen Erfolg der Männertreue. Die Lustigkeit die darin herrsche sei keine die lachen machen werde“ (T II). Ein paar Tage später erklärte Laube der Dichterin, dass Theodor Lobe sich weigere, den Richter Domenico Maripetro zu spielen, und bat sie, dem Schauspieler doch zu schreiben, „wie wichtig es mir sei daß er die Rolle übernähme“ (T II, 25.1.1874). Jedoch führte auch das keine Lösung herbei, denn Laube hatte weiterhin Besetzungsprobleme mit dem Stück (T II, 17.2.1874). Als dann Lobe im Jahre 1874 die Direktion des Stadttheaters übernahm, wollte er Männertreue als eines der ersten Stücke auf die Bühne bringen. Von Ebner-Eschenbach wurde dies jedoch eher besorgt aufgenommen: „Die Nachricht von der bevorstehenden Aufführung von Männertreue beunruhigte mich sehr[.] Wie werden sie das Stück auf dem Stadttheater zurichten!“ (T II, 4.10.1874). Da sich die Besetzungsfrage nicht zufriedenstellend lösen ließ, konnte EbnerEschenbach am 9. Oktober 1874 befriedigt feststellen: „Das wäre also auch überstanden“ (T II). Zu einer Aufführung von Männertreue am Stadttheater kam es nicht. Allerdings wurde das Lustspiel in Coburg aufgeführt, wie Laube in einem Telegramm an Ebner-Eschenbach berichtete: „Männertreue gestern mit sehr gutem Erfolg in Scene gegangen“ (T II, 15.11. und 17.11.1874). Außerdem wurde es in Gotha aufgeführt, wo es mit Beifall aufgenommen wurde (T V, Anhang S. 471). In der Übersetzung durch Zdenko Kolowrat erlebte es am böhmischen Theater in Prag einen großen Erfolg, wie ein Telegramm bestätigt: „Stück sehr gefallen, Applaus groß Verfasser gerufen vortrefflich gespielt“ (T II, 17.12.1874). Kolowrat schickte EbnerEschenbach einen Zeitungsausschnitt mit einer ausführlichen Rezension der Männertreue, den sie in ihr Tagebuch aufnahm. Es handelt sich dabei um das dreiaktige Lustspiel mit dem tschechischen Titel Dva sousedé. Der Rezensent (nh.) verweist auf Matteo Bandello als Quelle des Lustspiels, bei dem auch Shakespeare den Stoff für seine Tragödie Romeo und Julia fand. Er lobt das „wechselseitige Doppelspiel“ der verfeindeten Girolamo Bembo und Anselmo Barbadico und ihrer befreundeten Ehefrauen, in das „noch mit Geschick eine abenteuerliche Liebesaffaire zwischen dem jungen Foscari und der schönen Ghismonda Mora verwoben“ werde. Der Rezensent fährt fort:

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Männertreue

Das komische Element ist hier durch die Figur des vorlauten Richters Domenico Maripetro vertreten, der nicht nur seiner ganzen Charakteranlage nach an die Gestalten der einfältigen Gerichtsdiener Holzapfel und Schleewein aus dem obengenannten Shakespeare’schen Lustspiele 1 erinnert, sondern auch wie diese, in Situationen von geradezu tragischem Gepräge erheiternd eingreift, und so die einheitliche Lustspielstimmung des Ganzen wohlthuend befördert. Ueberhaupt ist hier auch der Charakter der Zeit und des Ortes vortrefflich dargelegt, und die üppig schöne und blühende Sprache versetzt uns schon unwillkürlich in das Land der Liebe und Gesänge. Der Novität kam eine vortreffliche Darstellung zu statten. (T II, Anhang 1872, S. 157f.)

Die Urteile aus dem Freundes- und Bekanntenkreis Ebner-Eschenbachs über das Stück sind gemischt. Der Dichter Faust Pachler (1819–1891) ist von dem Lustspiel begeistert: „Bravo, bravissimo! wenn Ihre ‚Männertreue‘ auf das Publikum denselben Eindruck macht, wie auf mich, so erleben Sie eine große Freude. [...] Es hat Verve, es interessiert und vor allem – es unterhält.“2 Der Schriftsteller und Hoftheaterintendant in Schwerin Gustav Heinrich Gans Edler Herr zu Putlitz (1821–1890) kommentiert das Lustspiel: „Sehr schön, edler Bau, sorgfältige Sprache aber zu fein, mein Publikum verträgt das nicht“ (T II, 12.1.1874). Für Ferdinand von Saar (1833–1906) war das Lustspiel „ein unglücklicher Wurf“3 und für die Lyrikerin und Übersetzerin Betty Paoli (1814–1894) „frivol“ (T II, 11.1.1874). Ebner-Eschenbach schickte ihr Lustspiel auch an Eduard Devrient und zog in einem Begleitbrief das Resümee des Stückes: „Männertreue“ ist mit gutem Erfolge, wie ein Telegramm mir meldete, in Gotha aufgeführt worden. Mehr erfuhr ich nicht über das Schicksal des Stückes an der dortigen Bühne; ein verheißener Brief mit näheren Details fand sich nicht ein. Von den übrigen deutschen Bühnen, an die ich es versandte, hat es keine angenommen. Vom Stadttheater, dem ichs unter Heinrich Laubes Direction eingereicht hatte zog ich es zurück, da Herr Director Lobe eine Besetzung des Lustspiels anordnete, die ihm meiner Ansicht nach den Untergang hätte bereiten müssen. Nur auf einer Bühne hat „Männertreue“ einen dauernden Erfolg errungen, und wird sich allem Anscheine nach auf derselben behaupten. Auf welcher? – Jetzt werden Sie lachen, – auf der, des böhmischen Theaters zu Prag. Es ging dort in meisterhafter czechischer Uebersetzung, und ganz brillant dargestellt im Herbste in Scene, und hat seitdem zahlreiche Wiederholungen bei überfülltem Hause erlebt. Ist das nicht eine Ironie sonder gleichen?4

In der wissenschaftlichen Literatur hat das Stück bisher keinen Widerhall gefunden. In diesem Band werden zum ersten Mal die vieraktige und die dreiaktige Fassung (dritter Akt) des Lustspiels Männertreue abgedruckt. 1

Hiermit ist Shakespeares Komödie Viel Lärm um Nichts gemeint, in der die Charaktere Holzapfel und Schlehwein auftreten. 2 Pachler an Ebner-Eschenbach am 10.1.1874 (WB, H.I.N. 60687). Vgl. T II, 11.1.1874. 3 Saar an Ebner-Eschenbach am 25.3.1874 (WB, H.I.N. 50024). 4 Ebner-Eschenbach an Devrient am 9.3.1875 (WB, H.I.N. 56656). Das Stück wurde von den Bühnen in Berlin und München abgelehnt, s. Laube an Ebner-Eschenbach am 15.3.1874 (WB, H.I.N. 56144). Es wurde allerdings in Coburg gespielt (s. S. 383).

I. Text

Ohne Liebe

(E)

Ohne Liebe Lustspiel in einem Akt von Marie von Ebner-Eschenbach

Bühnen-Bearbeitung gemäß der Aufführung im Residenz-Theater zu Berlin.

Berlin: Eduard Blochs Theater-Buchhandlung [1891]

Ohne Liebe

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PERSONEN GRÄFIN LASSWITZ EMMA, ihre Enkelin GRAF RÜDIGER GRAF MARKO LASSWITZ DORA ELISE, Doras Bonne EIN BEDIENTER ORT DER HANDLUNG: Palais der Gräfin Laßwitz in Wien

Dekoration: Ein Salon im Palais der Gräfin Laßwitz in Wien. Die Einrichtung ist im Zopfstil gehalten, die Wände sind mit Brokat überzogen. Eine hohe Mittelthür führt in ein Eingangszimmer, eine Thür links in die Wohnzimmer der Gräfin, eine Thür rechts in die ihrer Enkelin, Gräfin Emma Laßwitz. Im Vordergrunde rechts steht ein kleines Kanapee, davor ein Arbeitstisch und ein Sessel. Gegen den Hintergrund links an der Wand größere Möbelgruppe, wenn es der Raum zuläßt. Auf dem Kanapee, den Fauteuils, den Sesseln ist eine reiche Bescherung an Toilettegegenständen, Kleidern, Hüten u.s.w. ausgelegt.

Erster Auftritt GRÄFIN LASSWITZ. EMMA.

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GRÄFIN beschäftigt sich mit dem Ordnen der Blumenspenden, Schmucksachen, Albums und Bücher, welche den Tisch bedecken. Emma in einfachem, dunklem Morgenanzug, tritt ein. Dein Geburtstag, liebes Kind, wir gratulieren. EMMA küßt ihr beide Hände. Dank und aber Dank! Die Geschenke betrachtend. Alles wunderbar. Ja, das bist Du; eine solche Wahl triffst nur Du. – Diamanten – leichtsinnige Großmutter, nun gar Diamanten – die darf ich ja nicht tragen, ich alte Jungfer. GRÄFIN. So warten wir, bis aus der alten Jungfer eine junge Frau wird. EMMA. Pst! Heute spricht man nicht von unangenehmen Dingen – nur von Dir, von Deiner Großmut. Sie mustert die Geschenke von neuem. – Es ist wirklich und wahrhaftig zu viel. GRÄFIN. Ich habe für drei zu geben, vergiß das nicht. EMMA. Wie sollt’ ich? Du hast mir nie etwas Gutes gethan, ohne zu sagen: im Namen Deiner armen verstorbenen Eltern. Sie führt die Gräfin zu dem Kanapee im Vordergrund, nimmt auf dem Sessel Platz, ergreift beide Hände der Gräfin. Verzogen aber hast Du mich in Deinem eigenen Namen. GRÄFIN. Verzogen? EMMA. Du hast mir das Leben zu angenehm gemacht, zu schön, zu leicht – Großmutter, sag’ einmal, wie alt war ich, als mein Vater starb und bald darauf meine Mutter? Drei Jahre – nicht? GRÄFIN. Ungefähr. EMMA. So bin ich nun seit einundzwanzig Jahren bei Dir. Sie sind mir vergangen wie ein Tag, aber was nützt das? Auch wenn man unvermerkt alt geworden, alt ist man doch. GRÄFIN. Mit vierundzwanzig?

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EMMA. Als ich sechzehn war und Damen in meinen jetzigen Jahren auf den Bällen herumhüpfen sah, dachte ich: was wollen denn diese alten Schachteln, wollen sie sich vielleicht einen Mann ertanzen? GRÄFIN. Das hast Du nicht notwendig. Die Bewerber kommen uns ins Haus. EMMA. Gott weiß es. Was für Menschen! GRÄFIN. Nun, nun, Rüdiger befindet sich unter ihnen, und der liebt Dich, nicht Dein Geld. EMMA. Möglich, weil er selbst genug hat. Aber Großmutter, er ist ein Familiengötze. GRÄFIN ungeduldig. Das sagst Du immer; was meinst Du eigentlich damit? EMMA. Was soll ich anderes meinen als einen Menschen, mit dem seine Verwandten Abgötterei treiben? GRÄFIN wie oben. Sie thun es, weil er es verdient. EMMA. Niemand verdient Abgötterei, am wenigsten derjenige, der sie duldet. GRÄFIN. Woher hast Du diese Phrase? EMMA legt den Zeigefinger an die Stirn. Ich hab’s daher, und deshalb ist es keine Phrase. Denk’ einmal darüber nach – wodurch hat sich Rüdiger die Anbetung seiner Familie zugezogen? Durch eitel negative Tugenden. Er hat nie Schulden, nie einen Rausch, nie ein Duell gehabt. Er bringt seine Tage im Bureau und zwei Abende in der Woche bei seiner Mutter zu, umgeben von Tanten und Schwestern und Basen, und die Damen alle schwingen Weihrauchfässer. Ach, der einzige Sohn, Neffe, Bruder, Vetter! Ach, der Einzige überhaupt! Wo giebt es noch seinesgleichen? Ach, wo weilt sie, die Glückliche, die er erwählen und einführen wird in den Kreis seiner Priesterinnen, damit auch sie das Weihrauchfaß ergreife und – GRÄFIN. Schweige! Er liebt Dich mit beispielloser Treue, obwohl, Faßt sie scharf ins Auge. wenigstens scheinbar, unerwidert. EMMA nach einer Pause, sehr ernst. Auch ich habe jahrelang so geliebt und bin mit dieser Liebe fertig geworden. Er soll mir’s nachmachen! Ich kann ja nicht mehr lieben. Marko war für mich der Inbegriff aller männlichen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, er hatte alle Vorzüge, die ich bewundere, alle Fehler, die mir verzeihlich scheinen. Wir sind als Nachbarskinder aufgewachsen, und schon meine Wärterin hatte mir gesagt: der Graf Marko ist Ihr zukünftiger Bräutigam. Dergleichen merkt man sich, und so liebte ich ihn denn wie einen Bräutigam. Er hingegen liebte mich, wie man eine Schwester liebt, und heiratete meine Freundin. GRÄFIN. Die er recht unglücklich gemacht hat. EMMA. Oder sie ihn – wer weiß es? Nach einer langen Pause. Nun ist er Witwer seit drei Jahren. GRÄFIN. Jawohl, und vergräbt sich in Kroatien auf dem Gute seiner Verstorbenen und überläßt die Verwaltung seines schönen Waldsee den

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Beamten, die dort wirtschaften, daß es ein Graus und schlechtes Beispiel ist für die ganze Nachbarschaft. EMMA. Wie bös Du ihm bist! Beinahe noch so böse wie in jener Zeit, da ich ihn liebte und Lachend. unendlich unglücklich war. GRÄFIN. Du hast jetzt gut lachen. Viel Thorheit habe ich kennen gelernt, eine so große, wie diese Liebe, nicht. Aber, mein Kind, ganz geheilt von der einzigen Krankheit, welche Dich jemals heimgesucht, wirst Du dann erst sein, wenn Du den Entschluß fassest – EMMA legt beide Hände um den Hals der Gräfin, sieht ihr in die Augen. Die Frau Rüdigers zu werden. Er ist einmal Dein Liebling, dieser Verführer aller Großmütter. GRÄFIN sucht sich vergeblich von ihr loszumachen. Laß doch, Du Närrin! EMMA umarmt sie und läßt sie los. Verzeih! Auch ich werde einmal sechzig, und dann wird es mir ergehen wie Euch. Wenn ich das bedenke, bin ich im stande – und nehme ihn; man muß für seine alten Tage sorgen. DIENER meldend. Graf Rüdiger. GRÄFIN. Da siehst Du nun. Rückt die Haube zurecht. Zum Diener. Sehr angenehm. Diener ab. EMMA seufzt. Ach Gott! Steht auf, geht zum Tisch und macht sich mit den Geschenken zu thun. GRÄFIN. Emma, wenn er sich heute erklärte? EMMA. Geschähe es, zum drittenmal. Wir werden doch unsere Fassung bewahren bei einem nicht mehr ungewöhnlichen Ereignis.

Zweiter Auftritt VORIGE. RÜDIGER. GRAF RÜDIGER, ein Bouquet in der Hand, tritt ein. Er ist blond, stark, sorgfältig gekleidet, hat ein hübsches Gesicht, trägt einen Vollbart, wiegt sich beim Gehen ein wenig in den Hüften. Er verneigt sich vor beiden Damen und ist im Begriff, auf Emma zuzugehen. Sie bleibt regungslos und lächelnd am Tische stehen. Er, allmählich die Haltung verlierend, hemmt den Schritt.

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GRÄFIN. Grüß Gott, mein lieber Rüdiger. RÜDIGER. Frau Gräfin. Nach kurzer Überlegung wendet er sich, geht auf sie zu und überreicht ihr den Blumenstrauß. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Glückwunsch zum Geburtstage Ihrer Enkelin darzubringen. GRÄFIN. Mir? O, ich bin sehr überrascht und nehme ihn freudig an.

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EMMA. Bravo, Graf Rüdiger, das haben Sie gut gemacht. Geht auf ihn zu und bietet ihm die Hand. Er, nach einigem Zögern, reicht ihr zwei Finger, die er schnell zurückzieht. Ich freue mich jetzt schon auf den Geburtstag meiner Großmutter, da bekomme ich ein Bouquet. Gräfin ist aufgestanden, stellt die Blumen in eine Vase und bleibt während der nächstfolgenden Reden im Hintergrund. RÜDIGER verstimmt. Sie loben mich – ein Glück, das mir selten widerfährt. GRÄFIN. Jawohl. EMMA sieht sie mißbilligend an. Nicht Partei nehmen! Zu Rüdiger ernsthaft. Ich mache mir Ihretwegen manchmal Vorwürfe. RÜDIGER ebenso. Nur manchmal? EMMA. Das ist Ihnen zu wenig? Nun, sehen Sie, nicht herauskommen aus der Hölle der Gewissensqualen, das wäre wieder mir zu viel. Sie lacht. RÜDIGER. Ich würde gern mit Ihnen lachen, ich lache gern über gute Scherze, aber die Ihren – Er zuckt die Achseln. EMMA. Sind nicht gut. Verstehe ich mich aufs Gedanken-Erraten, was? RÜDIGER sieht sie vorwurfsvoll an. Nach einer Pause. Nein, so kann es nicht länger fortgehen. Wir müssen ein Ende machen, wir müssen uns endlich einmal aussprechen. EMMA. Endlich einmal? Wir thun seit drei Jahren nichts Anderes. RÜDIGER. Und wo bleibt das Resultat? Wir wollen heute zu einem Resultat kommen. EMMA. Wie wär’s, wenn wir uns setzten? GRÄFIN zu Rüdiger. Hierher, mein lieber Freund. Weist ihm einen Platz an ihrer Seite an. Stellung: Gräfin rechts, Rüdiger links auf dem Kanapee, Emma ihnen gegenüber. Sie hat sich schräg auf den Sessel gesetzt und kreuzt die Arme über dessen Lehne. EMMA. Da sind Sie schon wieder zwei gegen mich. RÜDIGER. Gräfin, ich würde einem Manne, wie ich bin, anders begegnen. – Einem Manne, der mit solcher Treue, solcher Beständigkeit – Die Stimme versagt ihm. GRÄFIN legt die Hand auf seine Schulter. Lieber Rüdiger – EMMA zugleich. Lieber Graf, wenn Sie glauben, daß ich Sie nicht zu schätzen weiß, dann irren Sie. RÜDIGER der sich wieder gesammelt hat. Nun, Gräfin, wenn ich jemanden zu schätzen wüßte, würde ich ihn nicht unglücklich machen, ich würde mich bemühen, seine Gefühle zu erwidern. EMMA. Wer sagt Ihnen, daß ich nicht versucht habe, mich zu bemühen? RÜDIGER. O dann fahren Sie fort – etwas guten Willen, und es wird gehen. Meine Mutter, meine Tanten, meine Schwestern wären glücklich – GRÄFIN. Auch ich wäre es.

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RÜDIGER. Auch Ihre Großmutter, auch sie – ach, wie glücklich wäre ich selbst, wenn ich meine Großmutter glücklich machen könnte. Emma lacht. GRÄFIN und RÜDIGER zugleich. Emma! Emma! Jetzt lacht sie wieder. EMMA. Aber nein. Mit Entschluß. Sie sind ein gutmütiger Mensch, Graf Rüdiger, Sie sind auch treu, sind vernünftig, ich glaube, daß es sich mit Ihnen leben ließe – Rüdiger und Gräfin zugleich. RÜDIGER will aufspringen. Gräfin Emma! GRÄFIN. O mein Kind! EMMA. Bleiben Sie sitzen; ich bin noch nicht fertig: Leben ließe – vorausgesetzt, daß Sie sich einer Zumutung fügen würden – RÜDIGER stutzt. Zumutung? EMMA. Ja. – In der Bibel steht, der Mann soll Mutter, Tanten, Basen und Schwestern verlassen und dem Weibe nachfolgen. RÜDIGER. Ich habe die Stelle anders citieren gehört. EMMA. Sie wird eben meistens falsch citiert. RÜDIGER nach langer Überlegung ängstlich. Sie fordern es, ich weiß nicht, was ich – das heißt ich würde so etwas nicht von mir verlangen, wenn aber Sie das Herz dazu haben – soll es geschehen. GRÄFIN in hellem Entzücken. Rüdiger, Sie sind ein edler Mensch! RÜDIGER einigermaßen betroffen. Wir werden uns jedenfalls noch darüber aussprechen. EMMA. O weh! GRÄFIN streng. Was sagst Du? EMMA. Ich frage Sie, Graf Rüdiger, wenn Sie sich entschlössen, mir zu Ehren auf den größten Reichtum an Liebe, den Sie besitzen, zu verzichten, was dann? RÜDIGER. Dann würde ich auf Ersatz hoffen. GRÄFIN. Sie würden ihn fordern dürfen. EMMA. Ganz richtig. Es könnte aber sein, daß ich nicht im stande wäre, dieser Anforderung zu genügen. RÜDIGER außer sich. Und Sie werden es nicht im stande sein. Welch ein Narr bin ich – ein anderer hätte längst – aber auch ich sehe es endlich ein: Sie sind unfähig zu lieben, sind eiskalt, und im Grunde muß man Sie bedauern. GRÄFIN. Jawohl, bedauern. EMMA. Weil ich unfähig bin zu lieben? Das ist nicht der Fall. Unter allen Umständen müßte ich Ihnen ja das Geständnis machen – ich habe eine große Liebe in meinem Leben gehabt. Gräfin räuspert sich. RÜDIGER zu ihr, betroffen, tonlos. Jetzt hat sie auch eine große Liebe gehabt! GRÄFIN zu Emma. Du bist lächerlich.

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RÜDIGER. Ich bitte – ich muß um nähere Erklärung bitten. EMMA herzlich. Ich werde Ihnen jetzt weh thun, Graf Rüdiger, verzeihen Sie mir im voraus. Sie reicht ihm über den Tisch die Hand, er verweigert ihr die seine. Diese meine Großmutter sagte oft zu mir: Welche Thorheit, mein Kind, Du setzest Dir jemanden in den Kopf, der nicht an Dich denkt. Trotz dieser Warnung – RÜDIGER fällt ihr ins Wort. Fuhren Sie fort, ins Blaue hinein zu schwärmen – für Marko! – Inkommodieren Sie sich nicht weiter. Mit Marko würde ich’s aufnehmen – dem guten Marko! GRÄFIN zuversichtlich. Thun Sie’s nur. Daß die Wahl zwischen ihm und Ihnen meiner Emma heute noch schwer würde, glaube ich nicht. EMMA sieht ihr in die Augen. Auch ich nicht. RÜDIGER sie mißverstehend. Jedenfalls haben Sie Gelegenheit, Vergleiche anzustellen; Marko ist hier. EMMA mit Selbstbeherrschung. Seit wann? RÜDIGER. Seit gestern. Immer derselbe. Sieht übrigens recht übel aus. GRÄFIN. Die Trauer um seine Frau. RÜDIGER. Oder die Vorwürfe, die ihm sein Gewissen Ihretwegen macht, wenn ich annehmen will, daß er eins hat. DIENER meldend. Graf Laßwitz. GRÄFIN. Da haben wir’s.

Dritter Auftritt VORIGE. MARKO.

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MARKO tritt ein. Er ist groß und schlank, etwas nachlässig in seinem Benehmen und in seiner Kleidung. Die Züge des gebräunten Gesichts sind unregelmäßig, die Augen von kräftigen Brauen überschattet. Schnurrund Backenbart sind kurz gehalten, das dichte, leicht ergraute Haar, das inmitten der Stirn eine Spitze bildet, ist kurz geschoren. Er geht auf die Gräfin zu, küßt ihr die Hand. Grüß Gott, Tante. Wie geht’s? GRÄFIN kühl. Ich danke Dir, gut. MARKO. Sie sehen auch gut aus, was mich freut. Wendet sich zu Emma. Und wie steht’s mit Dir, Cousine? EMMA ruhig und freundlich. Gleichfalls gut – was Dich gleichfalls freut. MARKO. Von Herzen. Zu Rüdiger. Guten Tag, Hermann. RÜDIGER gespreizt. Habe die Ehre.

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EMMA wie oben. Höre, Marko, das Vergnügen, zu erfahren, daß wir uns wohlbefinden, hättest Du Dir früher verschaffen können. Nimm Platz. Sie nähert sich dem Sessel, den sie früher eingenommen hat. Rüdiger will denselben für sie zurecht rücken, sie kommt ihm zuvor, ohne seine Absicht bemerkt zu haben. Tief verletzt, kehrt er zum Kanapee zurück und setzt sich wieder neben die Gräfin. MARKO vergebens nach einem unbesetzten Sessel suchend. Alles vergriffen. Was bedeutet diese Ausstellung? Ist denn heute? Schlägt sich vor die Stirn. Zwölfter Mai. Dein Geburtstag, Emma. Verzeih, ich hätte mich dessen erinnern sollen. GRÄFIN. Warum denn auf einmal – da es in Jahren nicht geschah? MARKO. In Jahren – ganz richtig. Aber, wenn ich auch nicht schrieb, ich erinnerte mich an jedem zwölften Mai, daß dieser Tag durch unsere ganze Jugendzeit der schönste im Jahre gewesen. Er befreit einen Fauteuil von den darauf liegenden Gegenständen und läßt sich neben dem großen Tisch nieder, auf den er den Ellbogen stützt. EMMA wendet den Kopf nach ihm. Weißt Du noch? Das waren Feste! Weißt Du noch den Ball der Dorfkinder im Garten, bei dem ich immer sitzen blieb, weil meine Tänzer vom Büffet nicht wegzubringen waren? MARKO. Ja, ja, und damals, wo ich an der Spitze eines Bauern-Banderiums in den Schloßhof geritten kam, und mein Pferd vor den Fahnen scheute und mich abwarf, angesichts der bestürzten Gäste und des lachenden Volkes. EMMA. Und Du auf einen Jagdhund fielst, der mit verzweiflungsvollem Geheul entfloh. MARKO. Ich hegte Selbstmordgedanken nach diesem Sturze – das Feuerwerk zerstreute sie. EMMA. Mir machte das Feuerwerk immer das geringste Vergnügen, denn sobald es abgebrannt war, hieß es: das Fest ist aus, geh schlafen! – Aber vom Morgen des dreizehnten an begann ich mich auf den nächsten zwölften Mai zu freuen. MARKO zur Gräfin. Es ist merkwürdig, Tante; da sind wir so lange Zeit außer allem Verkehr gestanden – nun bin ich wieder bei Ihnen und mir ist, als hätte ich Sie gestern verlassen. RÜDIGER. Merkwürdig. GRÄFIN. In der That. Ich empfinde Dir gegenüber anders. Lieber Marko, jemand, der seine ganze Kinder- und Jugendzeit hindurch in dem Hause einer entfernten Verwandten aufgenommen war wie ein Sohn – MARKO durchdrungen. Ja, ja, das war ich. Fahre fort, Tante, in Deiner Anklage, die ja berechtigt ist und lautet: Ich, Deine entfernte Verwandte, war zugleich die Einzige, welche Dir Wohlwollen zeigte; die Einzige, welche Dein erinnern sollen. ] errinnern sollen. Setzfehler

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Vertrauen besaß. Warum entzogst Du es mir in dem Augenblick, in welchem Du Dein eigenes Haus gegründet hast? Warum hörte ich seitdem nicht mehr von Dir als jeder Fremde, dem Du schicklichkeitshalber die Geburt einer Tochter und ein paar Jahre darauf den Tod Deiner Frau anzeigtest? Nachdenklich. Ja, warum? – GRÄFIN. Warum? – Sprich. Nun? Marko zögert. EMMA. Lassen wir’s bis später, bis – RÜDIGER. Bis wir en famille sind, wollen Sie sagen. Sagen Sie es doch! oder auch nicht – es wäre überflüssig – ich verstehe, Erhebt sich. und empfehle mich. GRÄFIN seine Hand ergreifend. Lieber Rüdiger, was fällt Ihnen ein? En famille heißt: in Ihrer Gegenwart. MARKO unangenehm überrascht. In seiner Gegenwart! – Sieht erst Emma, die seinen Blick ruhig aushält, dann Rüdiger an. Nach einer Pause zu diesem. Dir ist sehr zu gratulieren. EMMA. Darüber weiß man wirklich noch nichts Bestimmtes. RÜDIGER beißt sich auf die Lippen. Nein, denn die Gräfin ist nicht – wie soll ich sagen? – und ich bin nicht zudringlich. GRÄFIN. Ganz Ihrer Meinung, lieber Graf, aber setzen Sie sich. – Und jetzt bitte ich um eine andere Konversation. Zu Marko. Du hast ja eine Tochter, drei Jahre alt, wenn ich nicht irre. MARKO. Jawohl, erst drei Jahre. GRÄFIN. Und wo ist die Kleine? MARKO. Wo sollte sie anders sein als bei mir. GRÄFIN lebhaft. Bei Dir, und Du hast sie nicht mitgebracht? Das ist – verzeih! wieder eine Deiner Rücksichtslosigkeiten. MARKO gutmütig. Rücksichtslosigkeit nennst Du das? GRÄFIN. Wo seid Ihr abgestiegen? MARKO. Im Hotel Dir gegenüber. GRÄFIN immer lebhafter. Im ersten Stock? MARKO. Jawohl. GRÄFIN. Und die Kleine bewohnt das Erkerzimmer links? MARKO. Jawohl. EMMA. Sie ist es! GRÄFIN. Ich kenne sie! Ich habe sie gestern am Fenster gesehen und eine Stunde lang mit ihr kokettiert. Ein Engel – aber zart – und diesen zarten Engel legt man in ein Wirtshausbett, füttert man mit Wirtshaussuppe, während seine Großtante ihm gegenüber wohnt. Unverzeihlich! Sie hat sich erhoben, geht auf Marko zu und bleibt vor ihm stehen. Deine einzige Entschuldigung ist, Du weißt nicht, was Du thust.

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EMMA lächelnd zu Marko. Nimm das nicht übel. Meine Großmutter hat ein dreijähriges Kind am Fenster gesehen, meine Großmutter ist verliebt. GRÄFIN. Unsinn! – Ich will die Kleine hier haben, Marko, ich werde sie gesund pflegen. MARKO. Aber Tante, es fehlt ihr nichts. GRÄFIN. Nichts? Welche Blindheit, Gott im Himmel! Sie hat ihre Mutter verloren und – es fehlt ihr nichts. Schellt erst einmal, dann zweimal. Hole sie, in einer Viertelstunde ist alles zu ihrem Empfang bereit. Der Diener und eine Kammerjungfer sind durch die Mittelthür eingetreten. Gräfin erteilt hastig und leise ihre Befehle und entläßt die Leute. EMMA indessen zu Marko. Was zögerst Du? Die Kleine muß zu uns kommen. MARKO. Sie muß? Etwas verlegen. Ja, das ist so eine Sache. – Ich weiß nicht, ob sie will. EMMA. Die Dreijährige hat schon einen Willen? GRÄFIN kommt in den Vordergrund zurück. Nun geh, Marko. Sie drängt ihm seinen Hut auf und geleitet ihn zur Thür. MARKO. Ich geniere mich, Tante – meine Kleine – sie ist ein wenig schlimm. GRÄFIN. Mag sie sein, wie sie will, ich gewähre ihr Gastfreundschaft. RÜDIGER mitten im Zimmer, knöpft seinen Rock zu. Das thäte ich wieder nicht. Der Zwischenvorhang fällt und hebt sich innerhalb derselben Minute wieder.

Vierter Auftritt MARKO. DORA. ELISE. G RÄFIN. DIENER. Der DIENER öffnet beide Flügel der Mittelthür. Zuerst stürzt die Kammerjungfer herein, läuft durch den Salon in das Zimmer links. M ARKO folgt. Er trägt DORCHEN auf dem Arme, die sich an seinen Hals anklammert, den Kopf an seine Schulter preßt und aus allen Kräften schreit. Die Bonne eilt ihm, die GRÄFIN der Bonne nach.

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MARKO. Wo? – Wohin? Wendet sich rechts von der Eingangsthür. DIENER vortretend, nach links weisend. Hierher, Herr Graf. Marko schwenkt rasch nach links. GRÄFIN zu der Kleinen. Nicht weinen, mein Schatz, mein Herz, nicht weinen, mein Engel! ELISE ebenso. Pas avoir peur, ma chérie, Élise est là, Élise est là. DIENER. Aber Komtesserl, Komtesserl! Alle links ab.

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Die Beschwichtigungsversuche der Gräfin und der Bonne und das Geschrei des Kindes dauern fort.

Fünfter Auftritt EMMA. Dann MARKO.

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EMMA von rechts aus ihrem Zimmer. Einen netten Einzug hält unser Gast. Sie blickt ins Nebenzimmer durch die offen gebliebene Thür und lacht. Ein charmantes Kind, meiner Treu! MARKO kommt, halb verdrießlich, halb verlegen. Ich habe es ja gesagt, daß man sie in Ruhe lassen soll. Man muß Kinder immer in Ruhe lassen. Die arme Kleine war ganz zufrieden mit ihrer Wirtshaussuppe. EMMA die ihn kopfschüttelnd angehört hat. Sie wird auch bei uns zufrieden werden. Sie geht in das Zimmer links. Einen Augenblick wird das Geschrei des Kindes stärker, dann hört es allmählich auf. MARKO hat sich gesetzt, stützt die Ellenbogen auf die Knie, das Gesicht in die Hände. Als das Geschrei aufhört, hebt er den Kopf und beobachtet die Vorgänge im Nebenzimmer. Sie beruhigt sich. Sieh da, sieh da, wie ernsthaft die Cousine mit ihr spricht. Den Ton ist sie freilich nicht gewöhnt. – Verzieht auch schon den Mund – es wird gleich wieder angehen, das Geschrei. – O Wunder! – Sie giebt ihr die Hand, sie hört ihr zu und lacht. – Die arme Kleine, jetzt lacht sie gar. Das wird noch eine dicke Freundschaft werden zwischen den beiden. EMMA tritt langsam ein und bleibt mit gekreuzten Händen vor Marko stehen. Du hast ein schlimmes Kind, mein lieber Marko. Verstehst Dich nicht auf Erziehung, scheint mir. MARKO aufstehend. Nein! – Ich weiß nichts anzufangen mit gebrechlichen Wesen, ihre Schwäche imponiert mir, ich zittere vor ihrer Angst, ich halte es nicht aus vor Mitleid mit ihrem geringsten Schmerz – und so erfülle ich dem Kinde jeden Wunsch, ihre Launen regieren mich Zornig. und die Bonne sucht mich noch zu übertreffen und die Dienerschaft folgt unserem Beispiel, alles kriecht vor der kleinen Tyrannin Ausbrechend. und wir bilden das Kind allmählich aus zu einem würdigen Mitglied der Gesellschaft der heiligen Affen von Benares. EMMA. Ein höchst erfreuliches Erziehungsresultat. MARKO. Aber so weit soll es nicht kommen. Mein Entschluß ist gefaßt, ich gebe das Kind demnächst ins Sacré-cœur. EMMA. Wo Fremde gut machen sollen, was der Vater an ihm gesündigt hat. Ich weiß besseren Rat: Laß die Kleine bei uns.

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MARKO. Was Dir einfällt! EMMA. Etwas sehr Praktisches. Ich verstehe mit Kindern umzugehen, ich habe das gut gelernt in unserem Kindergarten auf dem Lande. MARKO. Kindergarten? So? Etwas spöttisch. Du beschäftigst Dich mit Volksbildung? EMMA. In ihren bescheidensten Anfängen. MARKO. Nun, ich werde in Waldsee Eurem Beispiel folgen Mit einer leichten Verbeugung. unter Deiner Anleitung. EMMA. Ich bitte dich, bleiben wir bei der Stange. Giebst Du uns die Kleine? MARKO. Ich denke nicht daran. Die Tante würde das bißchen Gute, das an dem Kind noch ist, bald ausgerottet haben. EMMA. Ich bin da, um dem Unfug zu steuern. MARKO. Wie lange noch? Rüdiger wird schwerlich warten, bis Dorchens Erziehung beendet ist. EMMA. Rüdiger wird vielleicht noch länger warten müssen, wenn er es überhaupt thun will. MARKO. Das heißt? – Was heißt das? EMMA. Daß ich ihm schon mehrmals gesagt habe: Warten Sie lieber nicht, es ist am Ende doch umsonst. Ich liebe ihn nicht. MARKO. Das ist kein Ehehindernis. EMMA sieht ihn aufmerksam und ernsthaft an. Seltsam, was Du da behauptest. – Seltsam, meiner Treu! MARKO lacht. Du sagst noch immer: Meiner Treu? EMMA. Noch immer. Ich werde meine alten Gewohnheiten nicht los.

Sechster Auftritt VORIGE. GRÄFIN.

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GRÄFIN kommt von rechts. Jetzt hat sie die Biskote doch gegessen, denk Dir, Marko! und sie ist überhaupt der herzigste Schatz, der mir je vorgekommen ist. Sie hat „Ghoßtante“ zu mir gesagt und Elise mußte Purzelbäume machen. MARKO entrüstet zu Emma. Purzelbäume! GRÄFIN. Warum nicht? sie macht das sehr anständig. Zu Emma. Und nach Dir hat sie dreimal gefragt. EMMA freudig. Wirklich? hat sie wirklich nach mir gefragt? Zu Marko. Siehst Du, ich war streng, ich habe sie gezankt, das war ihr etwas Neues, und das Neue verfehlt bei Kindern seine Wirkung nie. Ab nach links. GRÄFIN. Ach, Marko! ich hätte eine so große Bitte: Vertraue mir Dorchen an,

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für ein Jahr oder zwei. In kurzer Zeit reisen wir auf das Land, dann lebt sie in Deiner Nachbarschaft, Du kannst sie täglich besuchen. – Erfülle mir die Bitte, Marko, eine liebreiche Umgebung thut dem Kinde not; ihr seid so hart, ihr Männer, ihr habt keinen Begriff von der Geduld, der Zärtlichkeit, die ein Kind braucht – Dorchen ist unvertraut, eingeschüchtert, Ärgerlich, weil er lacht. verprügelt mit einem Wort. MARKO. Verprügelt, die? DIENER kommt mit einem Brief, den er der Gräfin überreicht. Von Herrn Grafen Rüdiger. Ab. GRÄFIN. Er schreibt mir? – Liest. Sieh nur – er ist gekränkt – hat auch alle Ursache, Emma und Du, Ihr wart unfreundlich gegen ihn. Liest. Er will nicht mehr kommen – O! – Er fürchtet sich zu genieren, o! o! – Emmas Wort: en famille hat ihm zu weh gethan. MARKO. Sie hat es nicht ausgesprochen, er legte es ihr in den Mund. GRÄFIN. Gleichviel, wir werden trachten ihn wieder gut zu machen. Aber jetzt, lebe wohl. Das Essen der Kleinen wird wohl schon serviert sein. Will gehen. MARKO. Ist das eine schwere Aufgabe, Rüdiger wieder gut zu machen? GRÄFIN. Eine ungemein leichte. Für sich. Sie ist gewiß schon bei der Suppe. DIENER meldend. Der Herr Graf Rüdiger. GRÄFIN die schon die Klinke der Thür links in der Hand hält, wendet sich. Wer? DIENER. Graf Rüdiger. MARKO. Er wollte ja nicht mehr kommen. GRÄFIN eine kleine Regung der Ungeduld niederkämpfend. Schön, sehr schön. Zum Diener. Lassen Sie ihn eintreten. DIENER. Der Herr Graf wünschen Frau Gräfin allein zu sprechen. GRÄFIN. Ach was, allein! Zu Marko. Nach der Suppe folgt ein Hühnerfilet mit grünen Erbsen. Ich hätte mich so gern überzeugt, daß es ihr schmeckt. DIENER. Der Herr Graf warten. GRÄFIN. Führen Sie ihn ins Kinderzimmer. MARKO. Aber, Tante, ich bitte Dich – Nimmt seinen Hut. ich gehe. GRÄFIN. Du bleibst, Du rührst Dich nicht von der Stelle. Wenn die Kleine nach Dir riefe – was dann? Zum Diener. Führen Sie den Grafen in den gelben Salon. Diener ab. Es ist ein Mißgeschick, daß der gute Rüdiger just in diesem Augenblick kommen muß. Bei Tische und vor dem Einschlafen sind Kinder am herzigsten. Ab durch die Mitte.

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Siebter Auftritt MARKO allein. MARKO. Die Tante! sie übertrifft mich noch. Nein, kleines Dorchen, hier ist unseres Bleibens nicht. Wir reisen. – Wenn auch im Irrtum befangen, ich seh ihn ein, und das ist der erste, der wichtigste Schritt zur Befreiung.

Achter Auftritt MARKO. DORA. EMMA. ELISE. EMMA kommt von links, sie führt DORA an der Hand. ELISE mit unzufriedener Miene.

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EMMA. Dorchen kommt um Verzeihung zu bitten, daß sie so schlimm gewesen ist. Nun, Du Kleine? DORCHEN. Pardon, Papa. MARKO. Pardon, das Kind sagt Pardon? Das ist ja etwas Außerordentliches. Streichelt ihre Haare. Wir wollen aber auch andere Saiten aufziehen, von nun an. Mein Dorchen hat mir heute Schande gemacht. ELISE pikiert. Andere Saiten? Chande gemacht? qu’est-ce que cela veut dire? MARKO zu Elise. Ich bitte Sie, das Kind zu Bett zu bringen. Es schläft ja schon. ELISE. Viens ma chérie, viens mon petit ange. DORCHEN hält Emmas Hand fest. Avec toi, avec toi! EMMA. Brav sein, Dorchen. Führt sie bis zur Thüre, wo Elise sie übernimmt und mit ihr abgeht. MARKO. Ich glaube wirklich, Du würdest mit ihr fertig werden. EMMA. Es wäre keine große Kunst. MARKO. Mir ist es nicht gelungen. EMMA. Ich seh’s mit Staunen. Du, der schon als Jüngling die Seelenstärke eines Mannes hatte, Du, der kühne Bekämpfer des Unrechts, Ritter der Vernunft – wie Du Dich nanntest – Du stehst unter einem Sie mißt an ihrer Hand. so langen Pantoffel; Du hast dringend nötig, nach Hilfe zu rufen, wenn Dir Deine Tochter in die Nähe kommt. MARKO erhebt den Kopf, sieht sie freundlich an. Eine Deiner wohlbekannten Übertreibungen. Wahrhaftig, Du hast Dich nicht verändert. EMMA. Semper idem. An mir erleben meine Freunde auch nach langer Trennung keine Überraschungen. MARKO. Um so besser, wenn Du immer bist, wie Du immer warst.

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EMMA. Weißt Du was? – Sei nicht galant, es steht Dir schlecht. Nach einer Pause. Marko, ich kann es nicht glauben, daß Du wenig Rücksicht für Deine arme, kleine, zarte Frau gehabt, daß Du sie unglücklich gemacht hast. MARKO sieht finster zu Boden. Das letztere ist wahr. EMMA. Ein schlechter Dank für ihre große Liebe. MARKO springt auf. Liebe! Liebe! – Wenn ich nur dieses Wort nicht mehr hören müßte. ELISE erscheint an der Thür. Monsieur, la petite dort, le moindre bruit l’éveille. MARKO leise. Elle dort? C’est bien, c’est très-bien! Elise zieht sich zurück. MARKO wie oben, sieht auf die Uhr. Das ist ihr Nachmittagsschläfchen. Es dauert meistens eine Stunde. Nur still, nur still! Will mit äußerster Vorsicht den Sessel in Emmas Nähe rücken, erschrickt und horcht. Beruhigt sich. Nein, es ist nichts. EMMA mit unterdrückter Stimme. Was sagtest Du vorhin? Welches Wort soll man vor Dir nicht aussprechen? MARKO. Eines, das ich gar zu oft nennen hörte, als Entschuldigung, als Rechtfertigung von vielem, vielem mir zugefügten Unrecht, mir auferlegter Pein. Meine arme, kleine, durch ihre Schwäche gefeite Frau hat mir nicht nur das Wort, sondern auch die Empfindung, welche man damit zu bezeichnen pflegt, auf ewig verleidet. – „Ja mein Leben, meine Seele, ja Marko, ich quäle Dich, aber – aus Liebe. Ja ich möchte nicht eine Minute ohne Dich sein, ich bin anspruchsvoll, aber – aus Liebe!“ EMMA. Pst! Du weckst das Kind. MARKO dämpft die Stimme. Und aus Liebe war sie eifersüchtig auf Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit, besonders auf die Vergangenheit. Es war ein Verbrechen, daß ich nicht unerfahren wie ein Mondkalb in die Ehe getreten. Ein Mann, der das Leben kennt, der Abenteuer gehabt hat, wie leicht ist es dem, eine ahnungslose Frau zu betrügen. Und er denkt und sinnt nichts Anderes als Betrug. Laut und lauter. Meine Feinde wissen, daß ich ein ehrlicher Mensch bin; diejenige, deren Abgott ich war, wußte es nicht. EMMA. Pst, pst! MARKO. Wenn ich das Haus auf ein paar Tage verließ, fühlte ich mich als eine Art Henker; ich wußte ja, meine Frau verzehrt sich daheim in Angst und Sehnsucht. EMMA. Das war krankhaft. MARKO. Krankhaft? Ja, die Liebe ist eine Krankheit. EMMA. Keine unheilbare wenigstens. MARKO. Bei meiner Frau hat sie sich als solche erwiesen. EMMA erschrocken. Marko, unheilbar – tödlich? MARKO. Nein, Gott sei Dank! So arg war es doch nicht. – Sie starb an einem anderen Übel, sanft und ruhig, ihre Hand in der meinen.

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EMMA. Arme Frau! MARKO. Das habe ich immer gedacht, wenn Ungeduld mich übermannen wollte, und so lebte ich sechs Jahre hin, kämpfend zwischen Empörung und Mitleid. Und da nimmt die Tante mir es noch übel, daß ich nicht geschrieben habe. Was hätte ich schreiben sollen? Steht auf. Eins weißt Du, eins wird mir immer unbegreiflich bleiben: So viele unglücklich Liebende sind durch die Kunst und die Poesie verewigt worden, Laut. warum niemals die viel Bedauernswerteren – die unglücklich Geliebten? EMMA. Es ist merkwürdig; Du brauchst aber deshalb nicht zu schreien. MARKO nach einer Pause wieder leise. Daß ich niemals an Euch schrieb, war kein Zeichen des Vergessens. Im Gegenteil, in meinen schlimmen Stunden gedachte ich Deiner. EMMA lächelt. Sehr schmeichelhaft. MARKO. In dem Sinn, in dem ich’s meine, ohne Zweifel. Ich überlegte, ich sagte mir, allein bleiben kann ich nicht. Mein Haus braucht eine Herrin, mein Kind braucht eine Mutter, mein Herz braucht einen Kameraden. So kam ich denn her, um Dich zu fragen – ich gesteh’ Dir’s aufrichtig – ob Du die drei Ämter übernehmen willst. EMMA ruhig. Du schenkst mir viel Vertrauen. MARKO. Schenken? Du hast es von je und immer. Was meinst Du, Emma, wenn ich mich vor sechs Jahren um Dich beworben hätte, würdest Du mich genommen haben? EMMA wie oben. Ganz gewiß. MARKO. Sehr schade, sehr schade! Wir hätten in guter Freundschaft eine friedliche Ehe geführt. Aber nein, die Freundschaft genügte mir nicht, es mußte Liebe sein. Ich mußte eine Leidenschaft fassen und einflößen. Preßt beide Hände an die Schläfen. Vorbei! Nicht mehr gut zu machen. Ich bin wieder frei, noch nicht alt, reich – ich mochte mich hinwenden, wohin ich wollte, ich fand keine, die mich nicht liebte. In Kroatien auf dem Gute ließ jedes heiratslustige Fräulein in der Nachbarschaft mich merken, ich trage Dich im Herzen. Auf der Reise hierher, welche Entdeckung – Elise liebt mich. EMMA. Du bist ein moderner Orpheus. MARKO. Ohne Leier. Unterwegs erzählte sie mir in einem fort Geschichten von Grafen, die aus unwiderstehlicher Leidenschaft Bonnen geheiratet haben. Wehmütig. Bin ich nicht ein Pechvogel? – Als ich mich entschließe, bei der einzigen, von der ich sicher weiß, die liebt mich nicht, anzufragen: Willst Du den Jugendfreund zum Manne nehmen? finde ich sie halb und halb verlobt. EMMA. Dieses Hindernis wird bald behoben sein. MARKO. Was sagst Du?

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EMMA. Aber es ist noch ein anderes vorhanden, das nicht wegzuräumen ist. MARKO rasch. Welches?

Neunter Auftritt VORIGE. GRÄFIN. RÜDIGER. GRÄFIN und RÜDIGER kommen durch die Mitte. Sie befinden sich in lebhaftem Wortwechsel.

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GRÄFIN. Ganz und gar nicht Ihrer Meinung, mein lieber Graf. Halblaut zu Emma. Was macht sie? EMMA ebenso. Sie schläft. RÜDIGER. Ich muß dennoch dabei bleiben. EMMA. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen Euch beiden? Die Welt steht nicht mehr lang. GRÄFIN zu Emma. Er findet es unverträglich mit seiner Mannesehre, seine Bewerbung um Dich fortzusetzen, er findet – EMMA fällt ihr ins Wort, zu Rüdiger. Sie geben mir einen Korb, Graf Rüdiger? RÜDIGER. Den ich an Ihrer Stelle nicht annehmen würde. EMMA. Ich thu’s trotzdem. Seien Sie mir nicht böse. Reicht ihm die Hand, herzlich. Sie geben mir einen Korb, ich bitte um Ihre Freundschaft. RÜDIGER. Die ich Ihnen nicht gewähren kann. Verlangen Sie Freundschaft von Ihrer Großmutter, von Ihrem Vetter. Was mich betrifft – ich empfehle mich. EMMA wie früher. Leben Sie wohl, Graf Rüdiger. RÜDIGER. Das wünsche ich Ihnen. Es thut mir leid, daß ich zur Erfüllung dieses Wunsches nichts beitragen kann. Mein Wille war der beste, meine Absicht ganz uneigennützig. GRÄFIN zerstreut nach der Thür links blickend. Sie sind so edel, lieber Rüdiger, immer so edel – RÜDIGER. Ohne mir zu schmeicheln – in dieser Sache. – Zu Emma. I h r Glück lag mir am Herzen, nicht das meine. Ich an Ihrer Stelle hätte einen Mann, der einzig und allein mein Glück im Auge hat, besser zu schätzen gewußt. GRÄFIN wie oben. Lieber, lieber Graf. Zu Emma. Mir ist, als hörte ich Stimmen, sie ist vielleicht schon wach. RÜDIGER. So bleibt mir denn nichts übrig als – GRÄFIN wendet sich nach links. Adieu, adieu, lieber Rüdiger. Für sich. Ich werde ihn schon wieder gut machen. RÜDIGER. Als Sie um eine letzte Unterredung zu bitten, Frau Gräfin. GRÄFIN mit Selbstüberwindung. O natürlich – mit Vergnügen.

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Rüdiger verbeugt sich gespreizt vor Emma und geht mit der Gräfin durch die Mittelthür ab.

Zehnter Auftritt MARKO. EMMA.

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EMMA. War der Mann nicht eigentlich etwas grob gegen mich? MARKO. Warum sollte er nicht grob gewesen sein, er liebt Dich ja. Emma nimmt Platz auf dem kleinen Kannapee rechts, Marko auf dem Sessel links neben ihr. Marko drückt das Gesicht in die Hände. Recht schade, recht schade! EMMA. Was meinst Du? MARKO nach der Thür deutend, durch welche Rüdiger abgegangen ist. Daß nur ein Nebenhindernis weggeräumt wurde. EMMA. Ich kann’s nicht ändern; das Haupthindernis bleibt. MARKO. Worin besteht es? sprich doch. Die Ungewißheit ist etwas sehr Unangenehmes. EMMA. Du bist im Irrtum über mich, Marko. Ich muß Dir ein Geständnis thun: Ich habe Dich geliebt. MARKO rückt von ihr weg. Schrecklich! Steht auf und geht sehr bekümmert mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. So oft er an Emma vorüberkommt, richtet er abgebrochene Reden an sie. Aber nein. Lauter Einbildungen. EMMA immer ganz ruhig. Die reine Wahrheit, ich will Dich nicht betrügen. MARKO. Wenn es gewesen wäre – ich hätte auch etwas davon gemerkt. EMMA. Dazu gehören zwei. Einer, der es merkt, eine, die’s merken läßt. MARKO bleibt stehen. Lieben und es nicht merken lassen? Schüttelt den Kopf. Kommt nicht vor. EMMA. Im allgemeinen nicht – aber bei mir. – Ich habe eine gewaltige Liebe für Dich gehabt. MARKO. Habe gehabt! – Vergangene Zeit. EMMA. Wenn es aber wiederkäme? MARKO. Fürchte nur das nicht. In den ersten besten verliebst Du Dich eher als in einen, in den Du bereits verliebt Mit Nachdruck. gewesen bist. EMMA. Und das Sprichwort: Alte Liebe rostet nicht?

Marko drückt das Gesicht in die Hände. ] MARKO drückt das Gesicht in die Hände. Setzfehler weggeräumt wurde. ] weggeräumt würde. Setzfehler

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MARKO. Alte Liebe ist Freundschaft. Wischt sich die Stirn. Das war auch nötig, mich so zu erschrecken. Er holt einen Sessel aus dem Hintergrund links und setzt sich ganz links, mit dem Rücken gegen die Wand, so daß er so entfernt von Emma als möglich seinen Platz hat. Emma – Cousine – wollen wir aufrichtig miteinander reden? EMMA. Wie denn anders? MARKO. Nun, meine Freundin – die Hindernisse wären weggeräumt. – Kennen lernen brauchen wir zwei uns nicht mehr. Ich möchte nur eins wissen: Was empfindest Du jetzt für mich? EMMA. Ich empfinde für Dich eine herzliche Sympathie und ein herzliches Bedauern. MARKO. Warum das? EMMA. Weil Deine schönsten Jahre Dir vergällt worden sind. MARKO. Emma – und – die Deinen? EMMA. Still! Es schickt sich nicht, eine Dame an schöne Jahre, die vergangen sind, zu erinnern. Also das Bedauern ist gegenseitig. MARKO. Die Sympathie gleichfalls. EMMA erhebt sich ein wenig und neigt den Kopf. MARKO. Überdies habe ich vor Dir eine aufrichtige Hochachtung. EMMA wie früher. Ganz mein Fall Dir gegenüber. MARKO erhebt und verneigt sich. Von einem Vertrauen ohne Grenzen sprach ich Dir schon – auch von meiner Sehnsucht nach einem guten Kameraden. Er hat sich wieder gesetzt, legt die gekreuzten Hände auf seine Knie und sieht Emma mit einem langen, innigen Blick an. Willst Du mein guter Kamerad werden? EMMA stützt den Arm auf den Tisch und die Wange auf die Hand. Unter Bedingungen. MARKO. Nenne sie. EMMA. Ich trenne mich nicht von meiner Großmutter. MARKO. Selbstverständlich, sie bleibt bei uns. Ferner? EMMA. Ich will Deine gleichgestellte Lebensgefährtin und in allen Dingen, die meinen Horizont nicht übersteigen, Deine erste Instanz sein. MARKO nickt zustimmend. Das sollst Du sein. EMMA. Ich habe zur Demut ebenso wenig Talent wie zur Lüge, ich bin nicht hilflos – Lächelnd. besitze demnach kein Mittel, Dir zu imponieren. MARKO. Du brauchst auch keines. Mein unbedingter Glauben an Dich sichert Dir Deine unbedingte Selbstherrlichkeit. EMMA. Da wir ohne Liebe heiraten, wissen wir nichts von ihren Schmeicheleien. MARKO. Ich weiß leider genug von ihnen, um sie zu verabscheuen – aber, Verehrte! ich habe so oft Ja gesagt, sage auch Du einmal Ja. Nimmst Du mich?

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EMMA. Ja. MARKO freudig, aber ohne seinen Platz zu verlassen. Das ist der segenbringendste Augenblick meines Lebens! Unser Bund ist geschlossen. EMMA. Eine Frau – ein Wort.

Elfter Auftritt VORIGE. GRÄFIN. Dann ELISE. GRÄFIN kommt durch die Mitte. EMMA und MARKO erheben sich.

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GRÄFIN. Der arme Rüdiger, jetzt ist er weggegangen. Er sagt eigentlich immer dasselbe, der arme Gute! MARKO. Er thut auch immer dasselbe, deshalb zweifle ich nicht, daß er wiederkommen wird. GRÄFIN. Dann will ich suchen, ihn zu versöhnen. EMMA. Zu spät, Großmutter. ELISE auf der Schwelle. Monsieur, la petite vient de s’éveiller. Ab. GRÄFIN. De s’éveiller! Will ihr nach. MARKO stellt sich vor die Thür. Verzeih! – Ich muß Dir etwas sagen – Tante, Mit bebender Stimme. beste Tante, ich habe die Ehre, Dich um die Hand Emmas zu bitten. GRÄFIN fassungslos zu Emma. Und Du? EMMA. Ich bin einverstanden. GRÄFIN wie oben. Liebst Du ihn denn noch? MARKO rasch. Wir heiraten nicht aus Liebe. GRÄFIN. Sondern? MARKO. Aus Hochachtung. GRÄFIN zu Emma. Und Dein Grund? EMMA schalkhaft. Unüberwindliche Sympathie. MARKO zur Gräfin in bittendem Tone. Deine Zustimmung, Tante – und Verzeihung für einst begangene, unbewußte Schuld. GRÄFIN. Unbewußt? – Nun, ich bin eine gehorsame Großmutter. MARKO stürzt auf sie zu und küßt stürmisch ihre Hand. Tante! GRÄFIN. Ihr seid mir unheimlich, Ihr zwei. Hochachtung? Und er steht links und sie steht rechts. Gebt einander zu meiner Beruhigung doch wenigstens die Hände.

ELISE auf der Schwelle. ] EMMA auf der Schwelle. Setzfehler

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MARKO. Dagegen erhebt sich kein Hindernis. Ergreift Emmas Hand. Sie wird ja nicht nur mein guter Kamerad, sondern auch meine gute Frau. Vertraute! Freundin! Getreue! – Gieb mir den Verlobungskuß. EMMA halb lachend, halb gerührt. Ist denn das notwendig ohne Liebe? MARKO. Das ist unter allen Umständen notwendig. Der Vorhang fällt. Ende.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Einzeldruck Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

E WB H.I.N.

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Einzeldrucks E ist in Antiqua wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die im Petitdruck erscheinenden Bühnenbeschreibungen sowie die zusätzlich in runden Klammern stehenden Szenenanweisungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung des Textes Der Text folgt dem Einzeldruck E. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Setzfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Ohne Liebe

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Von der Entstehung des Stückes Ohne Liebe ist nichts bekannt. Ebner-Eschenbach erwähnt erstmals am 14. März 1890 in ihrem Tagebuch, dass sie es vorgelesen und „es nicht sonderlich gefallen“ habe (T IV). Das war eine Täuschung, wie sich später herausstellen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war die dialogisierte Novelle Ohne Liebe (S. 729–753) bereits gedruckt; sie erschien im September 1888 in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften. Als einziges Werk von Ebner-Eschenbach existiert Ohne Liebe sowohl als dialogisierte Novelle als auch als Lustspiel. Letzteres wurde als „Bühnen-Bearbeitung gemäß der Aufführung im Residenz-Theater zu Berlin“ im Jahre 1891 in Eduard Blochs Theater-Buchhandlung gedruckt. EbnerEschenbach behält sich jedoch von Bloch das Recht vor, Ohne Liebe als dialogisierte Novelle „in eine etwaige Gesammtausgabe aufnehmen zu dürfen“ (T IV, 4.5.1891). Am 12. Juni 1891 erhält sie von Bloch drei Exemplare des Lustspiels und die Nachricht, dass die Theaterbuchhandlung jeweils ein Exemplar an den Direktor des Stadttheaters in Straßburg und Königsberg gesandt habe (T IV). Es handelt sich dabei um ein einaktiges Lustspiel mit elf Szenen. Die textlichen Unterschiede zwischen dem Lustspiel und der dialogisierten Novelle, die gattungsspezifisch sind, werden in dem späteren Kapitel der Gattungsgruppe „Dialogisierte Novellen“ erläutert. Seit dem Erstdruck des Lustspiels (WB, A 85472) ist – im Gegensatz zur gleichnamigen dialogisierten Novelle – das Werk nicht wieder erschienen. Das soll in diesem Band nachgeholt werden. Es geht aus den Hinweisen auf Ohne Liebe in den Tagebüchern von EbnerEschenbach nicht immer eindeutig hervor, ob es sich bei dem erwähnten Stück um das Lustspiel oder die dialogisierte Novelle handelt. Es steht jedoch fest, dass Ohne Liebe eines der erfolgreichsten und am meisten aufgeführten Werke Ebner-Eschenbachs ist. Bereits 1890 will die Schauspielerin Zerline Gabillon (1835–1892) das Stück auf das Burgtheater bringen (T IV, 21.9.1890), was jedoch noch acht Jahre dauern sollte. Zuerst feierte es in Berlin als Lustspiel und dialogisierte Novelle Erfolge, bis es dann auch in Ebner-Eschenbachs Heimatstadt Wien auf die Bühne gelangte.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Es kam während des Jahres 1891 zu erfolgreichen Aufführungen des Lustspiels Ohne Liebe am Residenz-Theater in Berlin. Der Rezensent für die Literatur-Zeitung führt am 15. Januar 1891 aus:

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Ohne Liebe

Eine erfrischende und erfreuliche Wirkung übte [...] das allerliebste Lustspiel „Ohne Liebe“ von Marie v. Ebner-Eschenbach. Hier befinden wir uns inmitten anständiger Menschen mit anständigen Gesinnungen und hören eine anständige Sprache. Man merkte es dem Publikum ordentlich an, mit welchem Behagen es die reine Luft, die hier weht, einsog. Dieses sehr anmuthige und vornehm-liebenswürdige Stück mit seinen reizenden humorvollen Wendungen und seiner originellen Grundidee: Umgebung der conventionellen Lustspielliebe, fand auch eine vorzügliche Darstellung.1

Der Kritiker (E. S.) des Berliner Couriers weist in seiner Rezension darauf hin, dass das Stück als von der Verfasserin „mit übertriebener Anspruchslosigkeit“ bezeichnete dialogisierte Novelle zuerst an der Freien Bühne in Berlin erfolgreich war. Er spricht sich über das Lustspiel durchaus lobend aus: Der Einacter „Ohne Liebe“ [...] hat bei seiner zweiten Erstaufführung [...] einen unbestrittenen Erfolg davongetragen. Daß die zierliche Arbeit, mit ihrer Verschwendung von geistvollen Wendungen, ihren lustigen Pointen und ihren neuen, gut beobachteten Typen gestern Beifall und jubelnde Anerkennung errungen, ist am Ende kaum so überraschend, als die warme Aufnahme, welche das von der Parteien Haß und Gunst erfüllte Publikum der Freien Bühne dem MiniaturConversationsstück bereitet hatte. [...] Das Haus war gut besucht; allseitiger und nachhaltiger Beifall folgte der Aufführung des kleinen Lustspiels. Die Mitwirkenden wurden zu wiederholten Malen gerufen.2

Die nächste Aufführung des Lustspiels war am Deutschen Theater in Berlin. Otto Brahm (1856–1912), der 1894 die Leitung des Deutschen Theaters übernommen und Gerhart Hauptmann zu seinem Hausdichter gemacht hatte, plante sie für den 19. September 1896, und zwar in Verbindung mit Hauptmanns Hannele (1893). In einem Brief vom 12. September 1896 lud er Ebner-Eschenbach ausdrücklich zur Aufführung ein.3 Er bedauerte in seinem Brief vom 23. September 1896, dass „es uns nicht vergönnt geworden ist neben dem Genuß Ihres liebenswürdigen Werkchens uns auch an seiner Wirkung auf die Verfasserin selbst erfreuen zu können.“ Er versichert ihr, dass die Aufführung einen „großen Eindruck gemacht und lebhaften Beifall hervorgerufen“ habe. Er lobt ihre Fähigkeit als Dramatikerin und nimmt ihr das Versprechen ab, sich bei weiteren Werken des Deutschen Theaters zu erinnern.4 Mit achtjähriger Verspätung kommt das Lustspiel Ohne Liebe im Jahre 1898 in Wien auf die Bühne, was Ebner-Eschenbach freudig kommentiert: „Mein Wunsch also erfüllt“ (T V, 2.4.1898). Am 20. April 1898 wohnte die Dichterin den Proben am Burgtheater bei und war, wie sie gesteht, „unverzeihlich aufgeregt“ (T V, 20.4.1898). Worüber sie sich besonders freuen musste, war die Tatsache, dass ihr Stück zusam1

Literatur-Zeitung Nr. 77 vom 15.1.1891. Berliner Courier Nr. 99, Beilage, vom 12.4.1891. 3 Brahm an Ebner-Eschenbach am 12.9.1896 (WB, H.I.N. 60754). 4 Brahm an Ebner-Eschenbach am 23.9.1896 (WB, H.I.N. 60753). 2

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men mit Esther (1848), einem Stück des von ihr verehrten Franz Grillparzer (1791– 1872), aufgeführt wurde. Wie sie in ihrem Tagebuch notiert, ist die Erstaufführung von Ohne Liebe am Burgtheater am 29. April 1898 „vortrefflich ausgefallen“. Auch ihr Stiefbruder Adolf Dubsky und ihr Freund und Arzt Josef Breuer (1842–1925) und dessen Frau waren „ganz glücklich über den schönen Erfolg. Ich wurde 4 mal gerufen“ (T V, 29.4.1898). Ohne Liebe wurde bis zum 16. Juni 1898 viermal wiederholt und am 17. Mai 1898 wurde das Lustspiel zusammen mit Arthur Schnitzlers Liebelei (1895) gegeben. Auch in der Presse wird die Aufführung gelobt. Der Rezensent der Wiener Abendpost kommentiert die erste Aufführung: Das kleine Stück hat sehr angesprochen [...]. Was die Personen des Lustspiels sagen, ist anmuthender, als was sie thun; was in ihnen und besonders was um sie vorgeht, bildete stets die Stärke der Frau von Ebner. Man kann die Dame die Poetin der Atmosphäre nennen, wie es Maler dieser Art giebt. [...] Gespielt wurde das alles wie gutes altes Burgtheater, nein, wie gutes neues Burgtheater, denn das wirklich Gute wirkt immer neu.5

Für den Rezensenten der Neuen Freien Presse ist die Erstaufführung am Burgtheater „mit einem starken Erfolge gegeben worden.“ Er betont, dass der Titel des Lustspiels „halb ironisch zu nehmen“ sei, und führt nach einer kurzen Zusammenfassung der Handlung aus: Das ist einfach genug, aber so voll natürlicher Grazie und so voll von Humor, daß man mitgehen muß, man mag wollen oder nicht. Die beiden Hauptrollen werden von Frau Hohenfels und Herrn Hartmann aufs beste gespielt. Frau Wilbrandt gab eine alte Aristokratin sehr fein, auch Herr Gimnig [...] hatte einen guten Abend.6

In seiner Rezension im Feuilleton des Prager Tagblatts erinnert Moritz Necker daran, dass „endlich die schwere Sünde gutgemacht und nach vielen Zwischenfällen und Verschiebungen“ Ohne Liebe am Burgtheater aufgeführt worden sei. Für ihn ist das Stück „mit wahrhaft zündendem Erfolge gespielt worden“. Besonders lobt er, „mit welcher Feinheit nach und nach die Jugenderinnerungen hervorgeholt werden“ und dass die Annäherung Emmas und Markos „mit unsäglicher Schlichtheit, Innigkeit und Poesie“ gestaltet werde. Er spricht die Hoffnung aus, dass „das Burgtheater den Muth finden wird“, auch andere Einakter der Dichterin „ins Repertoire aufzunehmen, so daß der ganze Abend mit ihren Dichtungen gefüllt werden könnte“.7 Anlässlich des 70. Geburtstages von Ebner-Eschenbach wurde das Lustspiel nochmals zusammen mit Doctor Ritter und Am Ende am 13. September 1900 am Burgtheater aufgeführt.8 Das Lustspiel Ohne Liebe beschloss den festlichen Abend. Der Rezensent der Wiener

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Wiener Abendpost Nr. 98 vom 30.4.1898. Neue Freie Presse Nr. 12099 vom 30.4.1898. 7 Prager Tagblatt Nr. 122 vom 3.5.1898. 8 Neue Freie Presse Nr. 12950 vom 12.9.1900 und Nr. 12952 vom 14.9.1900. 6

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Abendpost (O. T.) fand, im Vergleich zum Einakter Am Ende, den Ton des Lustspiels „etwas lebhafter, die Lichter des Humors heller“: es ist ein correctes Bühnenlustspiel, das man treuloserweise in den Archivstaub gelagert und vergessen hat, bis – ja bis die Dichterin 70 Jahre alt geworden ist. Auch die Darstellung erlaubte sich eine gewisse herzhafte Heiterkeit, Herr Hartmann voran, dann Frau Wilbrandt, Frau Devrient und Herr Gimnig: das gab ein liebenswürdiges Quartett.9

Neben Berlin und Wien kam es auch zu Aufführungen in anderen Städten, obwohl nicht ganz klar ist, ob es sich dabei um das Lustspiel oder die dialogisierte Novelle handelt. Ohne Liebe wurde am Kurtheater in Stuttgart (T IV, 28.5.1893), am Stadttheater in Leipzig, am Hoftheater Meiningen und in Rostock aufgeführt (T IV, 10. u. 18.10.1896). In der wissenschaftlichen Literatur setzte man sich nur mit der leichter zugänglichen dialogisierten Novelle auseinander.

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Wiener Abendpost Nr. 211 vom 14.9.1900.

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Die Selbstsüchtigen (H1)

Die Selbstsüchtigen Lustspiel in drei Aufzügen

Die Selbstsüchtigen

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PERSONEN GRÄFIN M ATHILDE EMMA, ihre Tochter GABRIEL, ihr Stiefbruder GRAF STEINBERG PETERMANN SIMON EIN DIENER Ort der Handlung: Das Schloß der Gräfin

Erster Aufzug Erster Auftritt Salon im Schlosse. Moderne Einrichtung. Eine große Glasthüre öffnet sich auf eine Terrasse mit Blumengruppen, Gartentischen und Bänken. Im Hintergrunde des Zimmers ein Blumentisch. In der Ecke links ein Etablissement, vor demselben ein großer Stickrahmen. Rechts im Vordergrunde ein Ruhebett. Ein Fenster rechts, Ausgänge rechts und links. Mathilde und Emma einander gegenüber am Stickrahmen. Gabriel auf dem Ruhebett Zeitung lesend, rauchend.

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EMMA. Meine Mutter giebt nicht acht! meine Mutter ist {einmal} wieder zerstreut. MATHILDE. Zerstreut? wirklich? EMMA. Halt ein! halt ein! ... {Da sind ja schon zwei Kreuzchen zu viel,} 〈Genug schattirt;〉 ich seh’s von hier. MATHILDE. Wo denn? EMMA. {Am Stiele der weißen Rose} 〈Die weiße Lilie〉. MATHILDE. {Du h}〈H〉ast recht. EMMA{. Wie immer. Nicht wahr, mein Onkel Gabriel?} 〈zu Gabriel. Hab recht. Hab immer recht.〉 GABRIEL. {Nicht wahr. Ich bin auch der Meinung.} 〈Nun ja.〉 EMMA. {Das habe ich im voraus gewußt. O wir sind ja ein Herz und ein Sinn!} 〈Warum so zögernd, warum nicht freudig Ja! ja!〉 GABRIEL{. Wie könnt’ es anders sein? – bei Deiner Nachgiebigkeit.} 〈lacht. In Gottesnamen: Ja! ja!〉 {EMMA. Der Liebenswürdigkeit nachzugeben ist Seligkeit; schon der gewöhnlichen Liebenswürdigkeit, und nun gar, der Deinen! – Woher stammt sie, mein Onkel Gabriel? Sie ist kein inländisches Gewächs. Hast Du sie von den Botokuden oder von den Cosaken? MATHILDE. Emma! Emma!} EMMA. Liebe Mutter bücke Dich nicht so tief über Deine Arbeit, Du bekommst Kopfweh. Steht auf. Überhaupt, es ist genug für heut. Die Nadel weg! MATHILDE. Lass’ mich doch nur diesen Faden zu Ende ... EMMA. Genug, hab’ ich gesagt! Nimmt Mathilden mit sanfter Gewalt die Nadel aus der Hand. {Wer wagt’s zu widersprechen? Sollte das meine Mutter sein? Ich will’s nicht hoffen, Gehorsam ist der Mütter erste Pflicht.} 〈Du strengst sie viel zu sehr an, Deine Augen, meine Augen. Küßt sie auf die Augen.〉 GABRIEL der die Zeit {über viele Zeichen von Ungeduld gegeben hat} 〈etwas gesucht hat〉. {Unerträglich ist ...

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EMMA. Was, mein Onkel Gabriel? GABRIEL. Daß – Sich bezwingend. Daß Euer Diener immer vergißt mir meine Cigarren ... Emma} 〈Wo nur meine Cigarren〉, ich bitte Dich, liegen sie nicht dort auf dem Tische? EMMA. Allerdings, sie liegen dort auf dem Tische. Sie setzt sich. MATHILDE steht auf, holt die Cigarren. Hier sind sie. Emmas Tuch ist auf den Boden gefallen, Mathilde hebt es auf. {Dein Tuch mein Kind. GABRIEL zwischen den Zähnen. Unglaublich! – widerwärtig!} Petermann kommt mit einem Paket Briefe. PETERMANN. Die Post. EMMA und GABRIEL zugleich. Hierher! PETERMANN, indem er Emma die Briefe überreicht, leise zu ihr. Der Jäger ist da aus Neuhaus, er möcht gern mit der Comteß sprechen wegen der Überraschung für heut abends. EMMA. Er soll warten, ich komme. GABRIEL. Nichts für mich, Petermann? PETERMANN. Die Comteß wird schon sehen. Ab. GABRIEL. Wenn Dir’s gefällig wäre mir meine Briefe herauszugeben ... EMMA. Bist Du Bräutigam, mein Onkel Gabriel? GABRIEL. Ich? EMMA. Da ist ja doch ein Brief – so schön, so zierlich, man könnte fast sagen so geziert. Den hat kein Mann, den hat eine Frau geschrieben! Affectirt muß sie sein und mager, man sieht es den Buchstaben an. Wie sie dastehn – wie hungrige Gespenster. Pfui! – lächerlich! GABRIEL. Gieb her! EMMA. Und sie raucht Deine Braut? Dieser zarte Brief duftet nach Tabak. GABRIEL. Gieb, sag’ ich! EMMA. Geduld, Geduld, zuvor will ich wissen ... Aber was kümmert’s mich wer Dir schreibt. Da hast Du! – Ich hab’ genug zu lesen an unseren Briefen. Sie setzt sich {an den Tisch} und erbricht die Briefe. MATHILDE. Nun Emma, wer schreibt mir? EMMA. Der Musiklehrer bittet um Verlängerung seines Urlaubs. Ist gewährt. Adele kündigt sich an zum Thee. MATHILDE. Schön, ich freue mich ... EMMA. Nur nicht zu sehr, ich muß ihr absagen. MATHILDE. So? EMMA. Wir sind nicht zu Hause, wir machen nachmittags eine Partie nach der alten Burg; ich habe schon alle Anstalten getroffen. MATHILDE. Wie Du willst. GABRIEL der inzwischen seinen Brief gelesen hat. Emma, lass’ uns allein, ich habe mit Deiner Mutter zu sprechen. EMMA. Wie? – – ich verstehe nicht ...

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GABRIEL. Lass’ uns allein. EMMA. Mutter! ... Hörst Du? ... Hörst Du das? MATHILDE. Lieber Gabriel verzeih, Emma ist allerdings nicht gewöhnt – Zu Emma. Theuerstes Kind, thu’ mir’s zu Liebe, geh! EMMA leise zu ihr. Jedes Wort sagst Du mir später wieder das jetzt hier gesprochen wird. Ja? MATHILDE. Gewiß mein Kind, wenn es nicht fremde Geheimnisse betrifft. EMMA. Eben um die handelt sich’s, denn die Deinen mein armes Mütterchen, die weiß ich ohnehin, und wüßt’ ich nichts als sie, ich wäre die größte Ignorantin der Welt. MATHILDE. Magst recht haben Du Kleine. Aber jetzt – Bittend. Dein Onkel wird böse – geh! EMMA. Nun ja denn, ja! – Der Bitte gebe ich nach, befehlen soll mir niemand, am wenigsten ein blutjunger Onkel, der vom Erzengel nichts hat als den Namen! Emma ab, durch die Mitte.

Zweiter Auftritt MATHILDE. GABRIEL.

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GABRIEL. Die Widerspänstige in neuer, aber nicht in verbesserter Auflage. Warte nur! Petruchio ist schon auf dem Wege. MATHILDE. 〈sieht ihr nach. Nach einer Weile, tief aufathmend.〉 Was hast du mir zu sagen? GABRIEL. {Mathilde, mein Freund} Oswald Steinberg {wird die Ehre haben sich Dir vorzustellen und zwar als Bewerber um Emma’s Hand} 〈sagt sich an als Bewerber〉. MATHILDE {lacht} 〈unruhig. Was will er denn?〉. GABRIEL. {Worüber lachst du?} 〈Werben – um die Kleine werben.〉 MATHILDE. {Über Deinen Scherz.} 〈Sagte er das?〉 GABRIEL. {Es ist kein Scherz.} 〈Nicht grad heraus – aber doch kein Zweifel, kein Zweifel.〉 MATHILDE. Du sprichst im Ernste von einem Bewerber um die Hand dieses Kindes? GABRIEL. Dieses Kind ist gerade so alt als seine Mutter war als sie ... MATHILDE. – Als sie verheiratet wurde. Meine Tochter soll aber nicht verheiratet werden; sie soll wählen frei, nach ihrem Herzen. Sie soll nicht eines Tages erwachen und hören daß sie von heut an das Eigenthum eines Mannes sei der ihr so fremd ist, wie der erste Mandarin im Reiche seiner chinesischen Majestät, und daß sie diesem Fremdling anzugehören habe in

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Liebe und Hingebung durch’s ganze Leben. Sie soll überhaupt den wichtigsten Entschluß den eine Frau fassen kann, nicht fassen, bevor sie weiß was er bedeutet. GABRIEL. Ich traue meinem Ohre nicht! Du ereiferst Dich? Du äußerst rundweg eine bestimmte Meinung? – {Arme Mathilde, d}〈D〉ie Erfahrung muß hart gewesen sein vor {welcher} 〈der〉 du andere mit solcher Energie zu bewahren suchst. ... Dein Mann – MATHILDE. Lassen wir die Todten ruhen. GABRIEL. Das versteht sich! Sie mögen Frieden haben, auch wenn sie keinen gaben. – Was übrigens Deine Tochter betrifft – die wird heiraten und nicht verheiratet werden, dafür steh’ ich gut. MATHILDE. Auch ich. GABRIEL. Mit ihren sechzehn Jahren ist sie selbständiger als Du. MATHILDE. Ihr Vorzug und meine Schwäche. Ich bedarf einer Stütze, sie bietet sie mir. GABRIEL. Gewöhnlich pflegt {freilich} zwischen Mutter und Kind das umgekehrte der Fall zu sein. Je nun – es muß auch Ausnahmen geben. Auf Deine Fürsprache also ist nicht zu rechnen, ich verlasse mich auf Emma’s offene Augen. Einfältig ist das Mädel nicht und sie müßte es sein wenn sie sich nicht in den Mann verliebte den ihr gutes Glück heut hierher führt ... MATHILDE. Heut?! – Schon heut?! ... GABRIEL. Ich glaube wahrhaftig Du erschrickst. Dazu ist kein Grund. Mein Freund Oswald, liebe Mathilde – MATHILDE. Sein Ruf ist der beste – ich weiß. GABRIEL. Was – Ruf! – dieser beste Ruf ist noch lange nicht so gut wie er selbst. I h n muß man kennen, sein ganzes Leben! Gesehen muß man ihn haben, damals als sein Vater starb und dem kaum mündig gewordenen Sohne einen bedrohten Namen, ein zerrüttetes Vermögen und eine Unzahl kleiner, von ihrer albernen Mutter verwahrloster Geschwister hinterließ. Zwölf Jahre, die schönsten in einem Menschendasein, hat er nur für andere gelebt, gearbeitet, sich geopfert – MATHILDE. Zwölf Jahre? – ja – wie alt ist er denn? GABRIEL Sechsunddreißig Jahre. MATHILDE. {Viel ä}〈Ä〉lter als Du. GABRIEL. – Behauptet der Kalender, der alte Lügner! In Wahrheit bin ich gegen Oswald ein Greis. Nicht nur jung, kindlich fast ist er geblieben. Jetzt sind seine Verhältnisse geordnet, seine Geschwister versorgt, er darf an sein eigenes Glück denken, er will sich verheiraten. Das sagte er mir, als ich von meinen langen Reisen in die Heimat zurückgekehrt, auf dem Wege hierher ihn besuchte. Sogleich fiel mir Emma ein, die während meiner Abwesenheit zur Jungfrau herangewachsen, und ich rief: Komm! Sieh Dir meine Nichte an – ich kenne sie zwar nicht, aber das ist eine Frau für Dich. Und er läßt

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sich nicht gar zu lange bitten, und er kommt, und er ist da – – Hörst Du nicht schon seinen Wagen durch den Garten rollen? MATHILDE. Mein Gott! {mein Gott, d} 〈D〉as ist ja schrecklich! – Er kommt, er wird sie sehen, sie lieben, sie mir entführen ... GABRIEL. Das nicht, o nein! ... Ihr sollt, Du und Deine Kinder, nur eine Familie bilden, Ihr bringt einen Theil des Jahres in Steinberg, den andern hier zu. Du behältst Deine Tochter und gewinnst einen Sohn – und was für einen! Ist das nicht herrlich! MATHILDE. Wenn alles sich fügte wie Du es denkst, ja, tausendmal ja! Aber wird sich’s so fügen und verdiene ich, daß sich’s so füge, ich, die bei alledem zuerst an mich denke, an die Befriedigung meines Egoismus? – Wenn nur ich Emma nicht verliere – das ist meine höchste Sorge. O Lieber! – aber ich kann nicht anders – es ist stärker als ich. Man fordre jedes Opfer von mir, alles, alles, nur das eine nicht! GABRIEL. Oswald wird’s nicht fordern. MATHILDE. Wird sie ihn wirklich lieben? Wird er ihr wirklich gefallen? – GABRIEL. Ich frage mich ob sie i h m gefallen wird. Du hast Deine Tochter erstaunlich verzogen. MATHILDE. Ich habe nichts auf Erden als sie, sie ist mein einziges Glück. Ich war selbst beinahe ein Kind als sie zur Welt kam, wie hätte ich strenge sein sollen? GABRIEL. Nun ja, nun ja! MATHILDE. Und was ich etwa versäumte, Du holst es nach, – mit großem, vielleicht zu großem Eifer. {War} 〈Wenn〉 ich zu milde 〈war〉, {Du} bist 〈Du〉 zu hart. Und es schmerzt sie, glaub’ mir. Gestern, nach dem Streite den Ihr zusammen {gehabt} 〈hattet〉, fand ich sie in Thränen. GABRIEL. – So? kann die auch weinen? MATHILDE. Bitterlich weinte sie – GABRIEL. Aus Ärger. MATHILDE. Aus Wehmut – daß sie Dir nichts zu Danke thut, daß sie Dir mißfällt. GABRIEL. Geweint also ... Das ist ihr gesund! – hm, hm, sie soll nur sehen – – Der Wagen! ... Dießmal ist er’s wirklich – er hält schon vor dem Schlosse. MATHILDE. Mein Herz klopft zum zerspringen – Gabriel! ... Trennt mich nicht von ihr! GABRIEL. Nein, mein Wort darauf! Diener kommt durch die Mitte. DIENER. Graf Steinberg ist angekommen. GABRIEL. Hierher, hierher! Diener ab. MATHILDE zu Gabriel. Empfange Du ihn – ich muß mich fassen – einen Augenblick! – Ab nach links.

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Dritter Auftritt STEINBERG durch die Mitte. GABRIEL.

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STEINBERG. Gabriel! GABRIEL. Endlich! Warum so spät? Seit acht Tagen erwarte ich Dich, oder wenigstens eine Nachricht von Dir. STEINBERG. Ich habe doch geschrieben – längst habe ich – GABRIEL. Längst? – da ist Dein Brief. Eben angelangt. Sieh den Poststempel. STEINBERG. Nun ja, sieh das Datum, den hat mein alter Simon wieder eine Woche lang in der Tasche {umher}getragen, bevor er ihn abschickte. Ich kann ihm das nicht abgewöhnen. GABRIEL. ‘s ist eine Liebhaberei wie eine andere. Aber nochmals, warum so spät? STEINBERG. Meine Mutter war unwohl. GABRIEL. Doch nichts von Bedeutung? STEINBERG. Ein Schnupfen. GABRIEL. – Ein Schnupfen? Und deshalb ... STEINBERG. Es wäre doch rücksichtslos gewesen – Du begreifst ... GABRIEL. Natürlich! – Über Land fahren, vier Meilen weit, indeß eine schnupfenkranke Mutter zu Hause – nießt ... Ein Barbar müßte man sein. STEINBERG. Aber es ist wieder gut und ich bin da. Etwas beklommen zwar – etwas erschrocken über die leichtsinnige Kühnheit mit der ich mich entschloß ... GABRIEL fällt ihm in’s Wort. Leichtsinnige Kühnheit? – Und doch! – Du hast am Ende nicht ganz Unrecht, denn – bester Freund, meine Nichte ... Ich muß Dich erst vorbereiten. STEINBERG. Worauf? – Schielt sie? hinkt sie? GABRIEL. Sie ist, daß ich es nur gestehe – STEINBERG. Nun? GABRIEL. Ein verzogenes Kind, eine kleine Egoistin. STEINBERG. Gerade recht für einen großen Egoisten wie ich bin; ich verdiene nichts besseres. GABRIEL. Du? Haha! Er hält sich für einen Egoisten! STEINBERG. O nicht ich allein, sehr viele andere erklären mich dafür. GABRIEL. Selbstverständlich die{jenigen} denen Du Dich ganz aufgeopfert hast. STEINBERG. Ich? GABRIEL. Na – lassen wir’s gut sein. Übrigens giebt es noch einen Umstand, dem ich neulich, den Verhältnissen hier im Hause durch meine lange Abwesenheit entfremdet, nicht {Rechnung trug.} 〈erwog ...〉 Hör mich an: – Meine Schwester, mit siebzehn Jahren Witwe geworden, hat ihre ganze Liebesfähigkeit auf ihre Tochter concentrirt. Sie lebt einzig in dem Kinde,

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Trennung von ihm wäre ihr Tod und sie ist, w i r sind fest entschlossen, Emma nur an einen Mann zu verheiraten der sich verpflichtet diese Trennung niemals zu fordern. STEINBERG. Wie? die Gräfin würde in meinem Hause leben wollen? GABRIEL. Oder Dich einladen in dem ihren zu leben. STEINBERG. Freund, lieber Freund, das dürfte sich schwerlich machen lassen – GABRIEL. Oho! ... Und warum? STEINBERG. Weil meine Mutter in Beziehung auf mich, ähnliche Wünsche hegt ... Weil sie ... GABRIEL. – Sich etwa auch bei Dir etabliren will? STEINBERG. Auch. GABRIEL. Lächerlich! höchst lächerlich! STEINBERG. Ich selbst bin nicht dafür, ich gestehe Dir’s im tiefsten Vertrauen. Allein gieb zu, daß es mir kaum möglich sein würde ihr zu verweigern was ich der Mutter meiner Frau zugestünde. GABRIEL. Seiner Frau – wie er schon redet! ... Du hast sie noch nicht, und bekommst gar keine unter diesen Umständen – hier wenigstens nicht, das wisse! STEINBERG. Nun dann steht mir ein anderes Unglück bevor ... Nein! nein, ein anderes Glück! – Ich bin ein wenig abergläubisch und ich sage Dir, – ich hatte ein Gefühl als ich hereinfuhr in den Park, als der Schatten seiner prächtigen Buchen mich umfing – GABRIEL. O Gott – Ahnungen! STEINBERG. Ein Gefühl das mich stets überkömmt vor einer bedeutenden Wendung meines Schicksals – ein Gefühl ... GABRIEL. Lasse Dich nur narren von eitlen Träumereien. Die Wirklichkeit hat ein anderes Gesicht und führt eine andere Sprache. Mit dürren Worten, mein Bester: Ich verbiete Dir meiner Nichte den Hof zu machen, ihr erst den Kopf zu verdrehen und ihr dann die Wahl zu lassen zwischen Dir und ihrer Mutter. – Man weiß wie in solchen Fällen die Wahl ausschlägt. STEINBERG. Nun wahrlich ... GABRIEL. Meine Schwester soll ihrer einzigen Lebensfreude nicht beraubt werden. Ich bin da um es zu verhindern – ich! – Ich habe manches Unrecht gut zu machen, das an ihr durch die zweite Heirat unseres Vaters mit meiner Mutter begangen wurde. Und ich will es, will meine Schwester glücklich sehen, das ist m e i n Egoismus. STEINBERG. Und ich will meine Mutter nicht kränken, das ist der meinige! GABRIEL. Schön, sehr schön! STEINBERG. Sei billig, zwei Schwiegermütter unter einem Dache, es ist zu viel. GABRIEL. Um die – der Frau. STEINBERG. Ich könnte wohl mit gleichem Rechte sagen, um die des Mannes.

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GABRIEL. Immer besser! er weist seiner Schwiegermutter schon die Thür bevor er noch Bräutigam ist. STEINBERG. Davor bewahre mich Gott! Der Besuch Deiner Schwester wird mir sehr willkommen sein. GABRIEL. Besuch? – Fremde besuchen – also eine Fremde soll sie ... STEINBERG. Das habe ich nicht gesagt. GABRIEL. Eben erst. Genug, Du kriegst meine Nichte nicht! STEINBERG. Vielleicht doch – wer weiß – wenn sie mir gefällt. GABRIEL entrüstet. Wenn sie ihm gefällt! STEINBERG beißt sich auf die Lippen. Gabriel – – – Ich wollte nicht – – verwünschtes Wort! Werd’ ich denn niemals lernen ... Verzeih, ich habe mich hinreißen – lassen, aber gerissen lieber Freund, gerissen – hast Du! GABRIEL. Mag sein. STEINBERG. Ein schöner Anfang! Wär ich zu Hause geblieben. GABRIEL. Da kommt meine Schwester, bei der ich thöricht genug war mich für Dich zu verbürgen ... Da kommt sie.

Vierter Auftritt VORIGE. MATHILDE.

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STEINBERG Mathilde erblickend, unwillkürlich. O wie schön! GABRIEL. Graf Steinberg, liebe Mathilde. STEINBERG. Gräfin! MATHILDE. Ich freue mich herzlich – STEINBERG. – Gräfin – welches Glück – Frau Gräfin, welche Ehre – wirklich ... Leise zu Gabriel. Das soll Deine Schwester sein? GABRIEL. Wer sonst? STEINBERG. Die Mutter einer sechzehnjährigen Tochter? GABRIEL. Nun, wenn ich Dir’s sage! STEINBERG. Freilich – freilich – GABRIEL. Was fehlt Dir? Nimm Dich zusammen! Laut zu Mathilde. Er ist ganz betroffen, Du imponirst ihm ungeheuer. STEINBERG. Aber Gabriel – GABRIEL. Was denn? Gieb’s nur zu, mir ist’s ja recht. STEINBERG für sich. Zu schön – o viel zu schön für eine Schwiegermutter! GABRIEL. Ich lasse Dich allein mit meiner Schwester, Du wiederholst ihr wol am liebsten und besten selbst was wir eben zusammen sprachen? STEINBERG. Ich bitte Dich ...

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GABRIEL. Sag’ ihr nur was sie von Dir zu erwarten hat. Ohne Umstände! Aufrichtigkeit vor allem, nicht wahr Mathilde? MATHILDE. Gewiß. GABRIEL. Du hörst, also: „Tritt fest auf!“ Ich gehe ... STEINBERG fasst seine Hand, leise. Bleibe! GABRIEL. Bleiben – wozu? Meine Aufgabe ist erfüllt – ich habe das Gespräch angenehm eingeleitet. Ich empfehle mich! Ab durch die Mitte. MATHILDE. Mein Bruder will Sie in Verlegenheit setzen, kehren Sie sich nicht daran. Sie nimmt Platz auf der chaise longue und weist Steinberg einen Stuhl neben derselben an. STEINBERG indem er sich setzt. Verlegenheit? – ja, ich gesteh’s, ich bin etwas in Verlegenheit, vor Überraschung, vor – Bewunderung. MATHILDE. Und ich gestehe Ihnen daß ich ein günstiges Vorurtheil habe für Leute die leicht in Verlegenheit gerathen. STEINBERG. Aus welchem Grunde? MATHILDE lächelnd. Aus einem sympathischen. Aber – – haben Sie denn gefrühstückt? Es ist unverzeihlich, daß ich erst jetzt darnach frage. Erhebt sich. Ich werde sogleich ... STEINBERG aufspringend. Um Gotteswillen Frau Gräfin, bemühen Sie sich nicht! Ich kann jetzt nicht frühstücken – um keinen Preis. MATHILDE. – Wenn Sie es vorziehen zu warten, in einer Stunde wird hier das Luncheon servirt. STEINBERG. Warten, gewiß, in Ihrer Gesellschaft, Gräfin, wenn ich bitten darf. MATHILDE nimmt ihren früheren Platz wieder ein, Steinberg den seinen. Nach einer Pause. Sie haben gutes Wetter gehabt zu Ihrer Fahrt. STEINBERG. Vortreffliches, obwol am Morgen bedenkliche Wolken aufstiegen, so daß meine Mutter schon meinte, es wäre besser, ich bleibe zu Hause. MATHILDE. Ihre Mutter! sprechen Sie mir von Ihrer Mutter! ... Sie lebt bei Ihnen? STEINBERG. Jetzt nur einige Monate im Jahre. Im Falle jedoch ich mich verheiraten sollte, gedenkt sie Er seufzt. sich ganz und gar bei mir niederzulassen. MATHILDE. Das begreife ich! Daran thut sie recht! STEINBERG. – Wie? ... Sie wären einverstanden, Gräfin? MATHILDE. Können Sie fragen? – Welche Seligkeit für eine Mutter im Hause einer geliebten Tochter Sich verbessernd. – eines geliebten Sohnes leben zu dürfen, sich sonnend an seinem Glücke! Beneidenswerth, dem ein solches Los zu Theil wird. – Sie haben auch Brüder und Schwestern? STEINBERG. Sehr viele. Wir sind eine zahlreiche Familie. MATHILDE. Um so besser! Je mehr theure Menschen uns umgeben, {je} 〈desto〉 schöner ist das Leben, {je} 〈desto〉 mehr Gelegenheit giebt es täglich, stündlich, zu nützen, zu erfreuen, {je} 〈desto〉 reicher fühlt man sich in dem

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Bewußtsein es zu können. Da wird unser Glück unsere Pflicht und unsere Pflicht unser Glück. STEINBERG für sich. Herrliche Frau! MATHILDE. Sie sind nicht einverstanden? STEINBERG. Doch! – ich meine ... ich meine allerdings. – Allein so sehr ich den Werth des Familienlebens zu schätzen weiß, so muß ich doch zugeben, daß es auch seine Schattenseiten hat. MATHILDE. Verschwindend gegen ... STEINBERG. Und es kommt mir vor, daß man das Beisammensein mit vielen theuren Menschen nur so lange recht genießt, {so lange} 〈als〉 – man – Verwirrt, ihrem Blicke ausweichend. nicht lieber allein wäre ... MATHILDE sieht ihn an. J–a ... STEINBERG. – Allein, mit einer über alles geliebten – Frau zum Beispiel. Wäre es nicht natürlich daß man wünschte sich ihr ganz zu widmen, unbeirrt durch die tausend Rücksichten die bedingt werden durch die Existenz in einer, mit Mitgliedern fast zu reich gesegneten Familie. Ich glaube daß ich – wenn ich von mir sprechen darf, selbstsüchtig genug bin um ... MATHILDE. Selbstsüchtig – Sie? Verläumden Sie sich nicht! Ich weiß was Sie für andere gethan haben. STEINBERG. Nicht mehr als jeder von ihnen an meiner Stelle gethan hätte. – O Gräfin! ich sehe nicht gerne unzufriedene Gesichter, das ist alles. MATHILDE. Und das ist gut. Mit einer plötzlichen Wendung. Eine Gewißensfrage, lieber Graf! – Gesetzt ihre – „über alles geliebte Frau“ hätte eine Mutter die nichts auf Erden besäße als ihr Kind, fänden Sie den Muth ihr zu sagen: Geh, Du bist hier zu viel? STEINBERG. Das würde sich finden, bleiben wir bei der Frau. MATHILDE. Sie haben recht, die Frau ist die Hauptsache, bleiben wir bei der Frau. Nun, wie wünschten Sie die Ihre? STEINBERG. O Gott ... MATHILDE. Welche Anforderungen, welche Ansprüche würden Sie ... STEINBERG. Anforderungen? Ansprüche? – Ich müßte sie lieben können – nein! ich müßte sie lieben m ü s s e n – das wären meine Anforderungen, meine Ansprüche. MATHILDE für sich. Wer müßte Emma nicht lieben? Außer Gabriel weiß ich niemand ... Laut. Vortrefflich! STEINBERG mit überwallender Empfindung. Gräfin, ich bin ein alter Mensch, und bildete mir ein, ich hätte gar kein Herz mehr ... MATHILDE. Darin irrten Sie, Sie sind ja ganz Herz, ganz Gemüt – STEINBERG. In diesem Augenblicke wirklich. MATHILDE. Nun wahrhaftig, ich glaube Sie besser zu kennen als Sie sich selbst. STEINBERG. Und diese Bekanntschaft flößt Ihnen keinen Widerwillen ein? MATHILDE. Im Gegentheil.

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STEINBERG. O! MATHILDE. Und – wenn meine Tochter ... Was uns betrifft – STEINBERG. Uns?! MATHILDE reicht ihm die Hand. Wir werden uns verstehen. STEINBERG ergreift und küßt ihre Hand. Sie beseligen mich!

Fünfter Auftritt VORIGE. EMMA.

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EMMA durch die Mitte, mit einem ungeheuren Strauße abgeschnittener Blumen. Da ist etwas für Deinen Blumentisch. STEINBERG für sich. Verwünscht die Störung! MATHILDE. Emma! Vorstellend. Graf Oswald Steinberg. Meine Tochter. STEINBERG verbeugt sich leicht. Sie sagen es, also muß es sein. Ihre Tochter! es ist erstaunlich – so groß. EMMA. Und so alt. Ja, das meint alle Welt. Jetzt läßt man uns noch für Schwestern gelten, in zwei Jahren aber Umarmt Mathilde. geb’ ich Dich für meine Tochter 〈aus〉! MATHILDE. Emma – Emma! EMMA tritt zurück und ordnet den Blumentisch im Hintergrunde. STEINBERG. Ich möchte verzweifeln, Gräfin, wenn ich bedenke, wie lange ich freiwillig auf das Glück verzichtete, Ihnen hier meine Aufwartung zu machen, wir sind ja beinahe Nachbarn und seit Jahren hätte ich ... MATHILDE. Nachbarn, ja – etwas entfernte ... Emma, was thust Du? EMMA. Ich schmücke Deinen Blumentisch. MATHILDE. Das hat später Zeit; jetzt komm{e} ... STEINBERG. O laßen Sie doch das liebe Kind ... EMMA. Kind? STEINBERG. Aber nun will ich das Versäumte nachholen, – eifrig, mit Ihrer gnädigsten Erlaubniß. EMMA halblaut. „Gnädigsten Erlaubniß!“ Sie lacht. MATHILDE. Es wird sehr liebenswürdig von Ihnen sein. – Emma! EMMA. Mutter. STEINBERG. Und vielleicht darf ich hoffen, daß auch Sie sich vielleicht ... EMMA halblaut. „Vielleicht, vielleicht!“ MATHILDE verweisend. Emma! STEINBERG für sich. Naseweises Geschöpf! Laut. – Entschließen könnten, meiner Mutter die Ehre Ihres Besuchs zu gönnen.

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MATHILDE. Mit meiner Tochter, wie gerne! – Emma bringe Deine Blumen hierher. EMMA. Da hast Du sie! Streut ihr alle Blumen in den Schooß. MATHILDE fasst ihre Hand, leise. Setze Dich zu uns, sei freundlich. EMMA. O Gott, werd’ ich wieder zur Amabilität dressirt? Setzt sich auf einen Schemel zu Mathildens Füßen. An ihre Mutter gelehnt zu Steinberg. Wie befinden Sie sich? STEINBERG. Vortrefflich, ich danke. Zu Mathilde. Sie peinigen die arme Kleine. Ich wette, sie sehnt sich fort aus der Gesellschaft erwachsener Leute, in’s Freie, in den Garten, zum Beispiel oder Volant. MATHILDE befremdet. Aber – Graf ... EMMA lacht. Ach ja! und zu meinen kleinen Hühnern – so klein sind sie, und zu meinem Buche das ich im Taubenschlag vergaß ... Ich lese jetzt den Robinson. STEINBERG. Wie schön, nicht wahr? EMMA. Mutter, er glaubt’s! Zu Steinberg. Köstlich, Sie sind ja köstlich! STEINBERG. Finden Sie? EMMA. Ich lese den Robinson meiner Puppe vor, es ist ihre Lieblingslectüre. Denken Sie! sie weint bei den rührenden Stellen, ganz wie mein kleines Mütterlein, das kann auch weinen über Bücher. Ich – bin’s nicht im Stande. STEINBERG trocken. Es wird später kommen. Zu Mathilde. Ein neuer Beweis Ihrer Güte, Frau Gräfin, der Schmerz des Dichters oder der von seinem Genius belebten Gestalten, vermag Sie zu rühren, zu ergreifen. Ein neuer Beweis? was sag ich? – wer bedürfte seiner? Soll uns die Sonne erst beweisen daß sie die Sonne, die Blume, daß sie Blume ist, dadurch daß jene leuchtet, diese blüht? MATHILDE. Graf Steinberg – EMMA. Es bleibt ihnen doch nichts anders übrig, den beiden – scheint mir. STEINBERG für sich. So? – altklug ist sie auch! Gabriel auf der Terrasse. GABRIEL. Emma! Emma! EMMA springt auf. Mein Onkel Gabriel! STEINBERG fröhlich. Er ruft Sie, – zu ihm, geschwind! EMMA. Ich eile! Wir wollen Haschens spielen und Ringereia. Mit einer Verbeugung. Sie sind auch geladen. Geht lachend der Terrasse zu und mit Gabriel ab. STEINBERG. Ein herziges kleines Wesen, voll Mutwillen, voll ... MATHILDE steht auf, die Blumen fallen zu Boden. Sie setzen mich in Erstaunen – STEINBERG. O die Blumen! Beugt sich um sie aufzuheben. MATHILDE. Das ist eine besondere Art – STEINBERG knieend, eine Rose in der Hand. Eine ganz besondere! die schönste Rosa Thea –

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MATHILDE. Wen haben Sie zum Besten, Graf Steinberg? STEINBERG steht auf, erschrocken. Zum Besten – ich?! MATHILDE. Nun ja doch. STEINBERG. Verzeihen Sie – ich war – ich bin – ich habe ... Ausbrechend. O gnädigste Gräfin! MATHILDE tritt zurück. Mein Gott was ist ihm? was hat ihn so verwirrt? ... Man muß ihm Zeit laßen sich zu sammeln. Laut. Sie wünschen vielleicht etwas frische Luft zu schöpfen, im Garten. Auf Wiedersehen bei’m Luncheon, Graf Steinberg. Ab, nach links.

Sechster Auftritt STEINBERG allein.

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STEINBERG. – Graf Steinberg? nicht mehr: lieber Graf? Großer Gott, welche plötzliche Veränderung in ihrem Tone, in ihrem ganzen Wesen! – Warum? – Warum?! Schlägt sich vor die Stirne. O ich Narr! ich Thor! frage ich noch? ... Ich bin ja gekommen – man erwartet von mir ... Ich sollte mich bewerben um die Tochter ... Himmel und Erde, – um die Tochter! ... Er wirft sich auf die chaise longue, die Mathilde eben verlaßen hat.

Zweiter Aufzug Decoration des Vorigen

Erster Auftritt STEINBERG allein. Hat seinen Platz nicht verlassen.

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STEINBERG steht auf, drückt den Kopf in die Hände. Nichts! ... Kein erlösender Gedanke! – Kein Rath, keine Hilfe, – nur die niederschmetternde Überzeugung daß ich mich lächerlich gemacht habe vor Gott und den Menschen ... Was muß sie von mir denken die herrliche Frau? ... Sie war freundlich gegen mich um ihrer Tochter willen, wenn sie wüßte daß ich, geblendet, bezaubert, mein Auge zu ihr selbst zu erheben wagte? ... Tollkühner Träumer – zu Ihr! Simon kommt. SIMON. Ankleiden, Herr Graf. STEINBERG. Wie gefällt Dir’s hier, Simon? SIMON. Na – so. Unser Steinberg ist’s nicht. Kommen Sie, Herr Graf. STEINBERG. Wo wohne ich denn? SIMON. Im linken Flügel. STEINBERG. Aussicht? SIMON. Auf den Teich. STEINBERG. Ist er tief? SIMON. Es scheint so. STEINBERG. In den stürze ich mich, wenn sie ... Nein! ich mag’s gar nicht aussprechen. Simon hat inzwischen die Blumen vom Boden aufgelesen, Steinberg nimmt sie. Her damit! Sie lagen auf Ihrem Schooße, Ihre Hand hat sie berührt! Er will fort.

Zweiter Auftritt VORIGE. GABRIEL. EMMA. GABRIEL. Wohin so eilig? STEINBERG. Mich ankleiden. GABRIEL leise. Nun, was sagst Du zu meiner Schwester? Ist das eine Frau die man von seiner Schwelle weist?

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STEINBERG. Selig wenn ich sie jemals hinübertragen darf auf diesen meinen Armen. GABRIEL. Also – Du siehst. STEINBERG. O ich habe Dir Dinge zu erzählen, Dinge! – ich kann aber jetzt Auf Emma deutend. nicht reden, Du begreifst. Zu Emma, sehr freundlich. Nun, haben wir uns gut unterhalten? sind wir recht müde worden? EMMA. Und hungrig! – Wie ein Wolf. STEINBERG. Das ist allerliebst, allerliebst. Nachmittags sind Sie ausgeruht und wir spielen dann – EMMA. Blinde Kuh, wenn es Ihnen gefällig ist. STEINBERG. Schön, ich eile – EMMA. Mit den Blumen? was machen Sie denn mit meinen Blumen? STEINBERG. Ich flehe Sie an, sie mitnehmen, sie behalten zu dürfen, zur Erinnerung an – an unsere erste Begegnung. EMMA zu Gabriel. Er wird galant. STEINBERG. Darf ich? EMMA. Ohne weiters. STEINBERG. Dank! tausend Dank! Ab durch die Mitte. Simon folgt.

Dritter Auftritt EMMA. GABRIEL.

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EMMA. Das ist ein spaßiger Kauz, den Du uns da in das Haus gebracht hast. GABRIEL. Das ist ein spaßiger Ton in dem Du von dem Freunde Deines Oheims sprichst. EMMA. Soll man den vielleicht ernsthaft nehmen, Oheim? GABRIEL. Dazu wird jedermann höflich eingeladen, am höflichsten aber, Du. EMMA. Welches Unglück! und gerade ich kann dieser Einladung keine Ehre machen. GABRIEL. Emma – Mit Entschluß. Ich habe mit Dir zu reden. EMMA. – Reden heißt diesesmal nicht: brummen? GABRIEL einen Fauteuil vorrückend. Setze Dich. EMMA. Ich bleibe lieber stehen. GABRIEL barsch. Setz’ Dich! EMMA sieht ihn trotzig an, dann seufzend. Der Gescheitere giebt nach. Setzt sich. GABRIEL. Mein Kind, ich finde an Dir sehr vieles auszustellen, aber trotzdem liebe ich Dich.

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EMMA. Wirklich? – hätt’s nicht gedacht. Du liebst mich? Heftig. Und zankst in einem fort mir mir? GABRIEL ebenso. Weil Du ein verwöhntes Kind bist, das sich für die wichtigste Person in der Welt hält und seine Launen für deren Gesetze; weil Du Deine Mutter tyrannisirst und das ganze Haus, weil Du mit einem Worte, eine Egoistin bist! EMMA. Egoistin – ich? Springt auf. Das bin ich nicht! – Ich habe meine Fehler, aber eine Egoistin bin ich nicht! GABRIEL. Doch, doch! – Und eine von der schlimmen Sorte, von der Sorte derjenigen die sich’s nicht eingestehen. Emma will reden. Ruhe! kommen wir zur Sache. EMMA. Wo waren wir denn bis jetzt? GABRIEL. Bei der Einleitung. Emma, ich werde Dir etwas sagen. EMMA. Das – höre ich. GABRIEL. Du bist – im Vertrauen, Du bist sechzehn Jahre. EMMA. Das große Geheimniß! GABRIEL. Es wäre nicht unpassend darüber nachzudenken, daß auch für Dich die Zeit immer näher heranrückt, wo junge Mädchen – junge Frauen werden. EMMA. So Gott will. GABRIEL. Ich habe darüber nachgedacht, und als Steinberg mir diesen Morgen schrieb ... EMMA. Er schrieb Dir? – Der Brief mit den kleinen zaghaften Buchstaben war von ihm? GABRIEL. Ja wol. EMMA. Und ich dachte – und ich bildete mir ein ... o, ich bin recht albern! GABRIEL. Nun das ist einmal ein vernünftiges Wort! – Als er mir schrieb er werde kommen, nein, eigentlich schon früher, da fielen mir – Deine sechzehn Jahre ein, und daß er ein vortrefflicher Mensch sei, und – Deine Mutter – und daß er – und ich – und daß ich – daß Du ... EMMA. Aber {mein} Onkel Gabriel weißt Du was? – Du bist in Verlegenheit! Du willst in einem fort sprechen und brichst wieder ab, und wirst rot – ja, Du bist in Verlegenheit, vor mir! vor mir! ... Ich fühle mich sehr geschmeichelt! GABRIEL. Bei’m Himmel, Du erschöpfst {jede} 〈meine〉 Geduld. – Ich – in Verlegenheit! EMMA. Beweise das Gegentheil. Sag’ was Du sagen willst, klar, kurz, ruhig. Was ist’s? GABRIEL mit Überwindung. Der Zweck von Oswalds Besuch ist, Dich kennen zu lernen, sein Wunsch Dir zu gefallen, und wenn es ihm gelingt, um Deine Hand zu werben. EMMA lacht. Ein prächtiger Gedanke! Wer mag ihm den gegeben haben? GABRIEL. Ich hab’s gethan. EMMA. – Du?! ...

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GABRIEL. Aus Liebe zu Dir. EMMA. Aus Liebe zu mir?! ... GABRIEL. Und zu Deiner Mutter, – weil Oswald ihr der zärtlichste Sohn sein wird, – weil er sie niemals von Dir trennen wird. EMMA. Deshalb soll ich ihn heiraten? GABRIEL. Du hörst ja, deshalb nicht allein. EMMA. Aber hauptsächlich. Nun, ich bin gerührt über Deine Fürsorge für – meine Mutter. Was mich betrifft, so danke ich Dir vielmals für alle Mühe, die Du Dir mit meiner Erziehung und mit meiner Versorgung gabst; es wäre indiscret von mir sie länger in Anspruch zu nehmen, da ich nicht beabsichtige Nutzen daraus zu ziehen. GABRIEL. Was – was soll das heißen? EMMA. Es soll heißen, daß wir gewöhnt sind, meine Mutter und ich, mit unseren Angelegenheiten allein fertig zu werden ... Es ist bisher recht gut gegangen, es wird auch künftig gehen. GABRIEL. Gut gegangen? Lacht. Hahaha! O ganz vortrefflich! Wolan denn – so werde selig auf Deine Façon. Du willst den braven Mann, den ich Dir bestimmte, nicht einmal kennen lernen – EMMA leise, mit ihrem Zorne und ihren Thränen kämpfend. Den er mir bestimmte – Gott, Gott! ... Laut, wie oben. Ich will nicht ihn, und ich will niemand kennen lernen, weil ich nicht die Absicht habe mich zu verheiraten – überhaupt nicht. Sehr zufrieden mit meinem Lose, wünsche ich nichts als hier mit meiner guten Mutter, der ich mich ganz, ganz aufopfere, still und einsam zu leben und zu sterben. GABRIEL. Zu viel! zu viel! ... Sie opfert sich – sie will nicht heiraten! Sie will still und einsam ... Alle Wetter, weiß sie überhaupt was sie will? ... Es ist aber auch gleichgiltig. Was kümmert’s mich? EMMA. Freilich – was? GABRIEL. Nichts, von heute an. Ich war ein Thor Einfluß auf Dich nehmen, für Dein Bestes sorgen zu wollen. Thue und lasse fortan was Dir gefällt. Zwischen uns beiden aber – ist alles aus! Er geht zornig ab.

Vierter Auftritt EMMA allein. EMMA. Um so besser denn, und ich bin wieder meine eigene Herrin wie ich’s war von Kindheit an, bis dieser Onkel kam, um hier sein Talent zum Hofmeister und zum Tyrannen zu pflegen und so lange nergelte und commandirte, bis er mich ganz irre machte an mir selbst, und mir beinahe

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alle Lust verdarb an der Unabhängigkeit. Aber das ist vorbei, Gott sei Dank, und ich fühle mich wieder. – Könnt ich’s ihm nur gleich beweisen wie ich mich fühle! Petermann kommt durch die Mitte. PETERMANN. Ich bitt’ Comtess, der Jäger ist schon wieder da aus Neuhaus. EMMA. Was will er? PETERMANN. Alles was die Comtess in Neuhaus haben herrichten lassen, ist eingefallen. EMMA zerstreut. Eingefallen? wem ist etwas eingefallen? PETERMANN. Wem? sich selber. Eingefallen, umgefallen, die Triumphbogen, die Fahnenstangen, alles. EMMA. Wie ärgerlich! wie ungeschickt! ... Sie haben es doch gleich wieder aufgestellt? PETERMANN. Das geht nicht so geschwind. Ich glaub’ Comtess, die Comtess lassen’s gut sein. Die Mama haben ohnehin an solchen Festivitäten keine Freude. EMMA. Aber i c h Petermann! aber i c h ! – Und was mich freut, das freut auch sie, Du weißt. Deshalb muß man, ihr zu Liebe, immer thun was mir Freude macht. Fort! – Sage dem Jäger – – oder nein, warte! ich will lieber selbst nachsehen. Lass’ mir den Rappen satteln Petermann, den Satan. PETERMANN. Comtess – der Graf Gabriel hat’s verboten. EMMA. Verboten?! PETERMANN. Das größte Unglück kann geschehen wenn die Comtess das unbändige Thier reiten, sagt er. Er macht sich Sorgen, er will’s nicht, er verbietet’s halt. EMMA traurig. Das war früher, Petermann. Jetzt verbietet er mir nichts mehr, mein Onkel Gabriel. Gebieterisch. Den Satan vor! sag’ ich, sogleich. PETERMANN. Na – – Sehr wohl. Petermann ab. EMMA allein. Ein Unglück könnte geschehen, meint er? – Um so besser, ich gäb’ was d’rum wenn eines geschähe! Da würde er doch sehen, mein Onkel Gabriel, was dabei heraus k{ö}〈o〉mmt, wenn man sich um mich nicht bekümmert, ha! ha! um – mich! ... Warum mich’s gar so kränkt, daß er mich verheiraten will? – mehr als kränkt, warum mich’s empört? Steinberg erscheint auf der Terraße, blickt wie suchend umher und nähert sich langsam. EMMA. Da kommt mein Bräutigam – der lächerliche Mensch, den ernsthaft zu nehmen ich höflich eingeladen bin ... Spaßig! – Weil er’s will, mein Onkel Gabriel, möcht’ ich’s nicht thun, und wieder möcht’ ich’s gerade thun, weil er’s will. Aber nicht aus Gehorsam, o nein! ihm zum Trotze, als ob’s ihn verdrießen müßt! Ich möcht’s thun um ihm zu zeigen, daß mir gar leicht an einem andern Menschen mehr liegt als an ihm, an jedem – sogar an dem dort!

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Fünfter Auftritt VORIGE. STEINBERG.

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STEINBERG im Kommen, für sich. Sie läßt sich nicht sehen – sie zürnt mir, sie ... Erblickt Emma. O Gott, die Tochter! Will fort. EMMA. Graf Steinberg. STEINBERG. Sie befehlen, Gräfin? EMMA. Wollen Sie nicht vielleicht ein wenig Platz nehmen? Das Gabelfrühstück wird gleich aufgetragen werden. STEINBERG. Gabelfrühstück? Für sich. Sie muß entsetzlich gefräßig sein. Laut. Was macht der Appetit? EMMA seufzend. Ein wenig vergangen. STEINBERG. Das wäre! EMMA. – Die traurige Folge einer Gemüthsbewegung, – eines Gesprächs mit einem Onkel ... Sie sind auch Onkel? STEINBERG. O – sehr! EMMA. Ein guter, nachsichtiger, nicht wahr? STEINBERG. Je nachdem, ich bin auch streng, wenn es sein muß, – so schwer mir’s fällt. EMMA. Aber nicht zum Vergnügen, nicht aus Grausamkeit. STEINBERG. Gewiß nicht. EMMA. Dann thun Sie nur Ihre Pflicht, Sie erfüllen eine traurige Nothwendigkeit, daß sie Ihnen traurig vork{ö}〈o〉mmt, das ist recht. Die Freude hingegen zu nergeln, zu quälen, die ist am Onkel das abscheuliche! STEINBERG. – Nicht am Onkel allein, sie wäre es an jedem. EMMA. Sie ist das Zeichen eines bösen Herzens. STEINBERG. Eines beschränkten Geistes. EMMA. Einer verbitterten Seele. STEINBERG. Eines lieblosen Gemüts. EMMA. Lieblos, das ist’s! das ist das schlimmste! vor lieblosen Menschen hüte man sich, man suche Schutz gegen sie, bei guten Menschen. STEINBERG. Das thue man! EMMA nach einer Pause. Sind Sie ein guter Mensch, Graf Steinberg? STEINBERG. Ich? – Ja meine theuerste kleine Gräfin – das weiß ich nicht. EMMA. Sie wissen es nicht? STEINBERG. Mein Gott, wer kennt sich selbst? EMMA. Jeder, meine ich, der nachdenkt. STEINBERG für sich. Wahrhaftig, sie redet ganz vernünftig, sie ist kein Kind mehr. Laut. Gräfin, Sie flößen mir Respect ein. EMMA verbeugt sich. Das ist für mich eine Freude und eine Ehre. STEINBERG. Bei so großer Jugend –

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EMMA. Lassen wir die Jugend, bleiben wir bei’m Respect. STEINBERG. Wie Sie befehlen. Mathilde und Gabriel sind auf die Terraße getreten. EMMA. Wenn Sie sich entschließen könnten, ihn zu bethätigen, diesen – Respect, immer auch vor andern Leuten so würden wir, mit der Zeit, recht gute Freunde werden. STEINBERG. Freunde? – Ja, ja! ... Gräfin, Ihre Freundschaft wäre für mich ein Segen – Sie wissen nicht ein wie großer! EMMA. Wirklich? STEINBERG. Nein! – Sie wissen es nicht und ich kann es Ihnen auch nicht sagen, jetzt noch nicht, allein der Tag könnte kommen an dem ich Sie beschwören würde, diese Freundschaft, die ich erringen will, deren ich mich werth machen will – zu bethätigen, durch Ihre mächtige Fürsprache ... EMMA. Schon gut – bethätigen Sie nur vorher Ihren Respect, dann werde ich sehen was für Sie geschehen kann. STEINBERG. Was soll ich thun um Ihnen zu beweisen? EMMA sieht sich um und erblickt Gabriel. Küssen Sie mir die Hand. STEINBERG gehorcht. In tiefer, in freudiger Ehrfurcht!

Sechster Auftritt VORIGE. MATHILDE. GABRIEL.

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GABRIEL rasch vortretend. Ei sieh doch, unser schüchterner Landjunker! Leise zu Steinberg. Du machst ja erstaunliche Fortschritte in der Gunst der Damen. STEINBERG. Beider?! – Glaubst Du Freund? Erblickt Mathilde und verwirrt sich. Die Gräfin – Will ihr entgegengehen, bleibt aber in Verlegenheit stehen. MATHILDE zu Emma. Ich suchte Dich im Garten, Kind. EMMA. Nun ich war hier, schon lange. Wir haben ein ernsthaftes Gespräch zusammen gehabt dieser Graf und ich. Unsere Ansichten begegnen sich in vielen Dingen. Er ist ein gescheiter Mann dieser Graf, und – Mit Absicht gegen Gabriel. was mir mehr, was mir alles gilt, auch ein guter Mann. GABRIEL lacht gezwungen. So schnell hast Du das weggehabt? EMMA. Ich besitze Menschenkenntniß, Gott sei Dank! GABRIEL wie oben. Hahaha! MATHILDE. Er gefällt Dir also? EMMA. Gefällt mir, interessirt mich.

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Sechster Auftritt ] Neunter Auftritt

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MATHILDE. O mein Kind, mein liebes gutes Kind! Zu Steinberg, sehr freundlich. Sie haben mir doch verziehen bester Graf, daß ich meine Hausfrauenpflichten einen Augenblick vernachlässigte ... STEINBERG. Sie beschämen mich gnädigste Gräfin, ich muß um Verzeihung bitten wegen meines unerhörten Benehmens von vorhin. MATHILDE nimmt Platz auf der chaise longue, Steinberg, ihrem Winke folgend, neben ihr. Sie sprechen angelegentlich weiter. GABRIEL tritt zu Emma, die sich am Stickrahmen etwas zu schaffen macht. Du hast Dich besonnen, das ist ganz recht, Du beherzigst meinen Rat, das freut mich; aber – allzubuchstäblich brauchst Du ihn nicht zu befolgen. EMMA mit gespielter Zerstreutheit. Wie? GABRIEL. Eine Heirat ist eine ernsthafte Sache –. „Drum prüfe ...“ nun – Du kennst Deinen Schiller. Man muß wissen ob man einander wirklich versteht – verstehst Du?: versteht? EMMA kurz. Man versteht einander sogleich oder nie! Sie tritt zu ihrer Mutter. GABRIEL ihr folgend. Falsch! total falsch! – nur die Zeit kann lehren ... EMMA auf die Lehne der chaise longue gestützt, zu Steinberg hinüber. Wenn ich bedenke, daß es Menschen giebt die sich einbilden, Freundschaft, Sympatie, könnten nicht plötzlich entstehen, so macht mich’s lachen. Als ob Gefühle sich erst aus dem täglichen Umgang entwickeln, – gleichsam gekocht werden müßten an kleinem Feuer, wie ein Ragout! STEINBERG. Richtig! bewunderungswürdig! – Gefühle lodern empor in uns so wie – der Blitz hinaufzuckt in der Wolke! GABRIEL. So? – Ich habe ihn immer nur herunter zucken gesehen. Na, ich bestätige Dir, daß Du an einem Tage zweimal poetisch gewesen bist. Sei einmal prosaisch und iß wenn Du kannst, da ist das Frühstück. Petermann und ein Diener haben einen gedeckten Tisch hereingetragen und setzen vier Stühle. PETERMANN. Es ist aufgetragen. EMMA. Und der Satan? PETERMANN. Gesattelt. GABRIEL. Du willst doch jetzt nicht ausreiten? EMMA. Ich will. Geht der Thüre rechts zu. GABRIEL. Auf dem unbändigen Satan? Ich verbiete es. MATHILDE. Auch ich theures Kind. EMMA hat die Thüre geöffnet. Das Reitkleid, Toni! MATHILDE. Aber wir gehen zu Tische. EMMA auf der Schwelle. Ich esse heut nicht. MATHILDE. Und wohin willst Du? EMMA. Voraus nach Neuhaus. MATHILDE und GABRIEL. Du bleibst! EMMA. Adieu Mama! Schließt rasch hinter sich die Thüre.

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GABRIEL. Das nenn’ ich Gehorsam! Es ist eine wahre Freude! – Mathilde, ruf’ sie zurück, befiel’ ihr ... Oder soll ich? ... MATHILDE. Nicht doch – GABRIEL. Die wilde Hummel, sie muß ihren Willen haben! MATHILDE. Je nun, wenn dadurch keinem etwas zu Leid geschieht – Entschuldigend zu Steinberg. Ich glaube zu erraten daß sie mir in Neuhaus eine Überraschung vorbereitet. STEINBERG. Und – geht? sie geht – das liebenswürdige Mädchen, das gute Kind! MATHILDE wie oben. Ich möchte ihr die Freude nicht verderben. GABRIEL. Als ob die sich eine Freude verderben ließe! Am Fenster. Da eilt sie schon die Treppe herab, schwingt sich in den Sattel und sprengt davon. MATHILDE ist neben Gabriel an’s Fenster getreten. Das Gitter! das Gitter! GABRIEL. Halloh – sie setzt darüber hinweg. Toll – wahrhaftig, toll! STEINBERG. Wie kühn, und dabei wie anmutig! GABRIEL. Das fehlte noch daß man sie bewunderte, – sie verdient ... Petermann, mein Pferd, mein Pferd! – Ich muß ihr nach, es könnte das größte Unglück ... Stürzt ab. Petermann ist vorausgeeilt. MATHILDE. Gabriel – unser Gast ... Auch er fort ... STEINBERG mit schlecht unterdrücktem Jubel. Wahrhaftig – auch er – MATHILDE zu dem Diener der am Eingange stehen geblieben ist. Für uns den Wagen in einer halben Stunde. Diener ab.

Siebenter Auftritt MATHILDE. STEINBERG.

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MATHILDE. – Wir wollen auch nach Neuhaus wenn es Ihnen gefällig ist, für jetzt indessen muß ich Sie noch einmal um Entschuldigung bitten, lieber Graf, aber wir frühstücken allein. STEINBERG. Was könnte mich glücklicher machen? ... Dies ist ein Tag ... MATHILDE indem sie sich an den Frühstücktisch setzt. Nehmen Sie Platz. STEINBERG setzt sich ihr gegenüber. Mathilde rechts, Steinberg links, die Stühle in der Mitte bleiben leer. MATHILDE. Eine Tasse Thee? STEINBERG. Ich bitte, – ich danke ... Ich bin selig – MATHILDE. In der That, Sie sehen ganz verklärt aus. – Ist Ihnen Rephuhn gefällig?

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Siebenter Auftritt ] Sechster Auftritt

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STEINBERG. Rephuhn, ja gewiß. Servirt sich. Gräfin! wie beneide ich jeden dem die unschätzbare Gabe zu Theil ward, sich auszusprechen, das rechte Wort finden zu können, für seine Empfindungen, seine Gedanken! MATHILDE schiebt ihm das Salzfaß zu. Sie haben kein Salz. STEINBERG streut Salz in seine Tasse. Ich gehöre leider nicht zu denen, die das Talent besitzen – MATHILDE. Lieber Graf – Thee mit Salz, trinken Sie das gern? STEINBERG. Nicht doch – ja so – ich glaubte es {in} 〈auf〉 meinen Teller gethan zu haben. – Ich bin stumm geboren, Gräfin. MATHILDE. Hier ist Brot. STEINBERG. Allerdings. Und so – MATHILDE. Nehmen Sie, oder erlauben Sie daß ich Ihnen vorlege. STEINBERG steht auf, seinen Teller über den Tisch zu Mathilden hinüber reichend. Zu viel! zu viel! MATHILDE. Reis? STEINBERG. Nein – Gnade! MATHILDE. Eine andere Tasse nun – aber, setzen Sie sich doch hierher. Auf den Stuhl zu ihrer Rechten zeigend. STEINBERG gehorcht. MATHILDE. Ich sehe schon, man muß für Sie sorgen. STEINBERG. O wenn Sie das übernehmen würden Gräfin, wenn ich hoffen dürfte ... MATHILDE. Hoffen darf man immer. STEINBERG. So sprechen Sie, weil Sie nicht ahnen wie hoch meine Hoffnungen, wie kühn ... MATHILDE. Und wenn ich es doch ahnte? ... Wenn ich Ihre Hoffnungen theilte? STEINBERG. Theil– Die Stimme versagt ihm. MATHILDE. Ja lieber Graf, allein wir dürfen nichts übereilen, wir müssen ihrer Neigung Zeit lassen sich zu entfalten. STEINBERG. Meiner Neigung? Mein Gott sie wächst mir ja bereits über den Kopf. MATHILDE. Ich sprach nicht von Ihrer Neigung. STEINBERG. Von wessen denn? MATHILDE für sich. Etwas schwerfällig der gute Graf. Laut. Sie fragen? – Nun wenn Sie erst fragen, dann kann ich Ihnen nicht antworten. STEINBERG. Sehen Sie, ich wußt’ es ja! Ist aufgesprungen und ringt ratlos die Hände. Plötzlich vor Mathilde hintretend. – – – Gräfin, niemand ist von der Richtigkeit des Ausspruchs daß es nichts geschmackloseres gäbe als von sich selbst zu sprechen, inniger überzeugt als ich, und dennoch sehe ich mich genöthigt, immer wieder zu diesem verpönten Conversationsstoff zurück zu kommen.

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MATHILDE. Wolan denn! setzen Sie sich und reden Sie, denn frühstücken, sehe ich, werden Sie heut nicht mehr. STEINBERG. Ich will die unbescheidene Handlungsweise wenigstens in eine bescheidene Form kleiden. Ich will in der dritten Person reden. MATHILDE. Ich höre. STEINBERG. Gräfin – es war einmal ein Mann, ein unbedeutender Mensch, weder durch körperliche, noch durch geistige Vorzüge ausgezeichnet – MATHILDE. Hier wird protestirt. Wie Unrecht thun Sie Ihrem Helden. STEINBERG. Keineswegs – ich muß das wissen. Dieser Mann hegte den Wunsch sich zu verheiraten, und ein Freund gab ihm den Rat bei einem jungen, reizenden Mädchen in der Nachbarschaft sein Glück zu versuchen. Der unbedeutende Mensch folgte der Einladung des Freundes, er ging – das heißt, er kam – und ihm begegnete – – etwas seltsames ... Sein Herz, das noch nie leidenschaftlich geliebt hatte ... Sein ganzes Wesen, das noch nie – – mit einem Worte, plötzlich – bei dem Anblicke einer wunderbaren – einer ... O Gott – ich kann nicht weiter! ... MATHILDE. So will ich den Faden Ihrer Erzählung aufnehmen. Er kam, sagten Sie, ja er kam, sah – und ... STEINBERG gespannt. – Und? MATHILDE. Und – liebte. STEINBERG enttäuscht. Ja wol aber er – siegte nicht? MATHILDE. Noch nicht, doch hat es sehr den Anschein daß er siegen wird. Er hat eine Verbündete, die nicht zu unterschätzen ist, nämlich – die Mutter. Die gewann er sogleich durch seine Einfachheit, seine Bescheidenheit, seine Güte. STEINBERG. Gewann er sie?! Stürzt auf die Kniee. O Gräfin! MATHILDE. Und sie sprach: Sie flößen mir so viel Vertrauen ein, ich halte das Glück der Frau die Sie erwählen, für so gesichert, daß ich kaum weniger innig als Sie die Erfüllung Ihrer Wünsche herbeisehne. Sie reicht ihm die Hand, die Steinberg, noch immer knieend, an seine Lippen drückt. MATHILDE beugt sich zu ihm nieder, zutraulich. Sie trennen mich nicht von ihr – von Emma? STEINBERG. Behüte mich Gott! MATHILDE. Nun lieber Freund, meiner Einwilligung sind Sie gewiß. STEINBERG sich erhebend. Anbetungswürdige ... MATHILDE. Was mich betrifft, ich würde ruhig, voll Zuversicht mein höchstes Gut in Ihre Hände legen – mein einzig geliebtes Kind – meine Tochter. STEINBERG prallt zurück. Tochter?! ... Macht einen Schritt gegen Mathilde, will sprechen. Plötzlich. Sie weinen? ... Thränen? ... MATHILDE. Freudenthränen – die Sie fließen machen, mein Freund. Macht einen Schritt ] Macht ein Schritt Schreibfehler

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I. Text

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STEINBERG. O – O – meine Seele – mein Leben – jeder Athemzug ... Diener kommt. DIENER meldend. Es ist angespannt. Ab. MATHILDE. Fassung jetzt. Wir sind kindisch, beide, lassen uns ganz hinreißen von unserer Empfindung. Ist das erlaubt? – vernünftige Leute wie wir. Erwarten Sie mich am Wagen, ich komme sogleich nur die Zeit einen Hut aufzusetzen. Will gehen, wendet sich wieder und reicht Steinberg nochmals die Hand. Noch einmal Freund! Mein Segen begleitet Ihre Werbung! Ab nach links.

Achter Auftritt STEINBERG allein.

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STEINBERG. Werbung? habe ich wirklich? – Elender, habe ich? Ich liebe die Mutter und werbe um die Tochter, Schmach und Verderben: Welche Rolle spiele ich hier? – Jedes gütige Wort, jeder freundliche Blick – gestohlen, betrügerisch entwendet, sie gelten dem vermeinten künftigen Schwiegersohne ... Und nicht reden können! fühlen wie man durch sein Schweigen immer tiefer sinkt in einen Abgrund der Lüge und nicht reden können! ... Ich muß fort – ich darf sie nicht mehr sehen, nie mehr, die Rechtlichkeit fordert’s, die Ehre! Simon kommt. SIMON. Was machen denn der Herr Graf? Die Frau Gräfin sitzen im Wagen und warten. STEINBERG. Auf mich? Herrgott, schon lange? Ich fliege! Ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich fliege! Stürzt ab durch die Mitte. SIMON ihm nach mit dem Hute. Der Hut! Der Hut!

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Achter Auftritt ] Siebenter Auftritt

Dritter Aufzug Decoration des vorigen

Erster Auftritt GABRIEL trägt die scheinbar ohnmächtige Emma herein. PETERMANN folgt händeringend.

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PETERMANN. Um Gotteswillen! ... Um Gotteswillen was ist geschehen?! ... GABRIEL Emma sanft auf das Ruhebett legend. Gestürzt ist sie. PETERMANN. – Ist todt! – erschlagen! GABRIEL. Unsinn, sie athmet, siehst Du nicht? Hat rosige Wangen, sie lächelt – aber sie schweigt. PETERMANN. Warum spricht sie denn nicht? warum öffnet sie denn nicht die Augen? GABRIEL. Wasser! Essig! ... Emma, nur ein Wort, ein Wort nur, liebe Emma! Petermann bringt Wasser. Wo ist meine Schwester? PETERMANN. Den Herrschaften nachgefahren, nach Neuhaus – sind ihr nicht begegnet? GABRIEL. Ich ritt den Waldsteig, dann querfeldein ... Aber Donnerwetter, der Müllerbursche führt den Rappen auf der Straße zurück, – den wird sie treffen – der erzählt ihr von dem Unglück ... Sie erschrickt tödtlich! – Petermann, lass’ satteln, lass’ anspannen – ihr entgegen! ... Tröste sie, sag’ ihr ... EMMA steht auf. Sag’ ihr daß mir gar nichts fehlt. GABRIEL und PETERMANN. Ach! EMMA. Daß ich frisch und gesund bin, daß ich mir nur einen Spaß gemacht habe – geh’, mein alter Petermann! PETERMANN. Ein schöner Spaß – na ich eile – frisch und gesund! Eilends ab. GABRIEL. Wirklich? wirklich? EMMA. Glaubst Du’s noch nicht? – Ich glitt ja so sanft herab vom Rappen auf den Rasen und lachte über Deinen Schrecken. Nein! daß Du es nicht bemerkt hast! und als ich Dich so bestürzt sah freute ich mich und schloß die Augen, und dachte: Er soll sich einmal ängstigen, der herzlose Tyrann! Hahaha! GABRIEL. Abscheulich von Dir, abscheulich! EMMA. O, wie er klagte der herzlose Tyrann! wie er sich ängstigte. GABRIEL. Gar nicht, fiel mir nicht ein. EMMA. Mit welcher Sorgfalt er mich auf sein Pferd heben ließ, und mich in die Arme nahm, und mit mir nach Hause ritt langsam, traurig und jammerte: Emma sprich doch, sprich! GABRIEL. Und das hörtest Du?

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EMMA. Und das hörte ich. GABRIEL. Und gabst keine Antwort? EMMA. Keine – ich war ja ohnmächtig. Hahaha! GABRIEL. Welche Bosheit! welche Hinterlist! O die Weiber, die Weiber! Es steckt mehr Heimtücke in solch einem kleinen sechzehnjährigen Ding, als in einer Armee von Räubern! EMMA. Verzeih! die Freude war zu groß. Dich zum erstenmale liebevoll und gütig gegen mich zu sehen. GABRIEL. Liebevoll und gütig? – Ich wollte Du hättest den Hals gebrochen! EMMA. Hahaha! GABRIEL. Lache nur! sei munter! Du hast Dir einen Spaß gemacht, – Deiner Mutter freilich kann er verderblich werden. EMMA. Meiner Mutter? GABRIEL. Ob sie wol auch lacht wenn sie hört daß Du gestürzt bist, daß ich Dich besinnungslos nach Hause brachte? EMMA. O mein Gott! mein Gott! daran habe ich nicht gedacht! GABRIEL. Das ist es, das ist es ja! Wann hättest Du Zeit an andere zu denken, Egoistin? – – Was liegt auch an den andern? Was liegt daran ob Deine Mutter leidet, hast doch Du – gelacht. EMMA. Es ist wahr! es ist wahr! o Himmel, ich seh’ es ein, ich bin eine Egoistin! ... Meine Mutter, meine arme Mutter, Schluchzend. Deine Tochter ist eine Egoistin! GABRIEL. Nun – wenn Du es nur zugiebst – bereust ... EMMA schluchzt immer heftiger. GABRIEL. Beruhige Dich ... EMMA wie oben. Wie – soll – ich – mich – beruhigen? Was soll ich thun? O Gabriel was fängt man an, wenn man einsieht, daß man eine Egoistin ist? GABRIEL. Man sucht sich zu bessern. EMMA. Aber wie? Wirft sich in seine Arme. Mein Onkel und allerbester Freund! Du kannst mich retten, Du allein. GABRIEL sucht sich loszumachen. Schon gut! schon gut! EMMA. Du weißt wie man mich behandeln soll, niemand sonst – Du bist streng mit mir; ich brauche Strenge – Schlingt die Arme um seinen Hals. Nimm Dich meiner an. GABRIEL wie oben. Kind, ich bitte Dich, mäßige Dich. EMMA. Willst Du mir rathen, mir helfen, mir sagen Gabriel, immer! immer! was ich thun soll um das gräßliche Laster los zu werden das ich verabscheue ... GABRIEL. – Laster? Ich bitte Dich um alles in der Welt: mäßige Dich! EMMA ringt die Hände. Egoismus! pfui, ich hasse ihn. O Gabriel, sprich, was soll ich thun? befiehl, ich werde gehorchen! Sie lehnt weinend den Kopf an seine Brust.

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GABRIEL drückt sich vergessend, einen Kuß auf ihre Stirne. Liebes Kind – Rasch zurücktretend. Donner und Wetter! das Mädel ist – EMMA. – Gabriel – GABRIEL. Hm, hm – ganz vernünftig, oder doch auf dem Wege es zu werden. EMMA. Was soll ich thun? was soll ich thun?! GABRIEL. Nun – Opfer bringen, zu Zeiten. EMMA. Opfer bringen? GABRIEL. Dich bemühen immer zuerst an die andern zu denken und erst ganz zuletzt an Dich selbst. EMMA. Das ist alles? GABRIEL. – Ist genug. EMMA. Zu wenig! zu wenig! – nicht einmal ganz zuletzt gar nie mehr an mich denken will ich! ... Von heut an bin ich für mich nicht mehr auf der Welt! GABRIEL. Das ist wieder Thorheit, Übertreibung. EMMA. Du sollst schon sehen! GABRIEL horchend. Ein Wagen – nicht? EMMA. Meine Mutter – Sie kommt! Eilt dem Hintergrunde zu. Steinberg, Mathilde am Arme führend, erscheint auf der Terrasse.

Zweiter Auftritt VORIGE. MATHILDE. STEINBERG.

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MATHILDE hat sich bei Emma’s Anblick von Steinberg losgemacht und ist auf sie zugeeilt. EMMA in Mathildens Armen. Mutter! MATHILDE. Du böses Kind, ich würde Dir zürnen wenn ich könnte! EMMA. Versuch’ es nur – zürne – strafe, ich verdien’s! ... Aber was ist Dir? Du zitterst ... bist so blaß ... MATHILDE. Nichts, nichts, die Aufregung – die Angst – STEINBERG barsch zu Emma, während sie und Gabriel Mathilde zu der Chaise longue führen. Daran sind Sie Schuld, wir begegneten Ihrem ledigen Pferde. EMMA kniet bei Mathilden. Erhole Dich! Erhole Dich! – Sieh, mir ward kein Haar gekrümmt, – Du aber – MATHILDE. Keine Sorge um mich – ein Augenblick der Ruhe macht alles wieder gut. GABRIEL zu Steinberg. Lassen wir sie allein. STEINBERG zu Mathilde hinüber blickend. Gott sei gelobt, ihre Wangen färben sich wieder! Zu Gabriel. Ich muß Dich dringend sprechen. O Freund! ich habe eine Bitte an Dich.

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GABRIEL für sich. Soll ich etwa seinen Freiwerber machen? Dafür danke ich. Laut. Entschuldige – ein wichtiger Brief – ich bin sehr in Anspruch genommen. Entschuldige! Ab durch die Mitte. STEINBERG für sich. Jetzt hätte ich reden können – ich fühl’s – ich hätte! ... Zu Mathilde. Darf ich, Gräfin, bald die Ehre haben mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen? MATHILDE. Sie sind immer willkommen. Steinberg verbeugt sich und geht ab.

Dritter Auftritt MATHILDE. EMMA.

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EMMA. Wie geht’s meine liebe Küßt Mathilde wiederholt. liebe, liebe Mutter? Wie fühlst Du Dich? MATHILDE. Ach so wohl mein Kind! So selig Dich da vor mir zu sehen, blühend und munter indeß meine unglückliche Phantasie Dich mir schon malte ... EMMA. Denk’ nicht mehr daran! Du hast mich wieder, und so ganz hast Du mich wie noch nie. In mir ist etwas merkwürdiges vorgegangen, eine große Veränderung – MATHILDE beugt sich zu ihr nieder. Ei sieh doch! und worin besteht sie? EMMA. Du wirst es erfahren – Du wirst Dich verwundern. MATHILDE. Vielleicht weniger als Du glaubst. Sag’ mir einmal, Kind, unser Gast gefällt Dir? – er interessirt Dich? EMMA. – Mich? MATHILDE. Du meintest doch vorhin – EMMA. Ach ja – vorhin. – MATHILDE. Du brauchst Dich dessen nicht zu schämen, er verdient die herzlichste Theilnahme, die aufrichtigste Sympatie, er ist so gut, so anspruchslos, seiner Vorzüge so unbewußt. Ich kenne keinen liebenswürdigeren Charakter, – und – denke Dir, welches Wunder – er fühlt sich unaussprechlich zu Dir hingezogen. Ich begreife zwar nicht wie das sein kann, aber – es ist so. EMMA die mit wechselnden Empfindungen zugehört hat. Aber ich Mutter – ich – Hält inne, leise. Ach! – schon wieder das verwünschte Ich! MATHILDE. Du hast ihn förmlich bezaubert ... Kind, wenn Du seine Empfindungen erwidern könntest, wenn Du lernen könntest – später, dereinst – ihn zu lieben, zu schätzen nach seinem ganzen Werthe – erlöst wäre ich von aller Sorge um Deine Zukunft, ich wüßte Dich geborgen an dem besten Herzen!

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EMMA in heftiger Erregung. O Mutter! MATHILDE. – Und zugleich bliebst Du mein – er würde uns niemals von einander trennen – EMMA. Hat er um mich geworben, Mutter? MATHILDE nach kurzem Zögern. Ja denn, ja, mein geliebtes Kind! EMMA. Und – wenn ich seiner Werbung Gehör schenkte – es würde Dich freuen? MATHILDE. Freuen? – o Gott! – beseligen! EMMA leise. Opfer bringen – Opfer bringen – MATHILDE. Es ist natürlich von der Zukunft die Rede, zu einer raschen Entscheidung zwingt Dich nichts – EMMA sich erhebend. – Als mein eigenes Herz. MATHILDE. Wie? Erhebt sich gleichfalls. EMMA. – Das nichts will als Deine Zufriedenheit, Dein Glück. MATHILDE. Um das Deine handelt sich’s nicht um das meine. EMMA. Nein, nein! ... Wer denkt an mich? – Ich nicht – nimmermehr! MATHILDE. Ob Du glaubst ihn lieben zu können, das ist die Frage. EMMA. – Ich – und ich! – was liegt an mir? MATHILDE. Emma! ... EMMA. O ich werde ihn lieben – Sich immer mehr steigernd. Ich liebe ihn schon jetzt, der mir Gelegenheit giebt zu erproben – zu bewähren – Steinberg auf der Terrasse. MATHILDE. Da kommt er! ... Was sag’ ich ihm? EMMA wirft sich in die Arme ihrer Mutter und hält sie lange umschlungen. Plötzlich mit Entschluß. – Sag’ ihm daß ich mich ansehe als seine Braut. Im Abgehen nach rechts. Bin ich noch eine Egoistin, mein Onkel Gabriel? Rasch ab. MATHILDE ihr nachblickend. Wie sonderbar das Kind, wie ganz anders als sonst ... Nur die Liebe kann so verwandeln – die Liebe.

Vierter Auftritt MATHILDE. STEINBERG.

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MATHILDE ihm entgegen, freudig. Gute Nachrichten lieber Freund! STEINBERG. Keine für mich. Ich komme um Abschied zu nehmen, Gräfin. MATHILDE. Abschied? STEINBERG. Vorher aber muß ich Ihnen ein Geständniß thun ... Ich habe Sie betrogen – MATHILDE. Was soll das? ...

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STEINBERG. Nicht mit Absicht, nicht aus bösem Willen, – aus Schwäche und Zaghaftigkeit. Ich ließ Sie glauben daß Ihre Tochter der Gegenstand meiner plötzlich erwachten Liebe sei, indeß eine andere herrliche Frau – eine ... MATHILDE {sieht ihn an – beginnt zu verstehen – in äußerster Verwirrung}. Unbegreiflich – es ist ja hier niemand – STEINBERG. Doch! Doch! Jemand dem mein Herz entgegen flog vom ersten verhängnissvollen, unvergeßlichen Augenblicke an – der aber so hoch – so unerreichbar – – MATHILDE will ihm in’s Wort fallen. STEINBERG. Hören Sie mich! – da ich endlich zu sprechen die Kraft gefunden habe, da ich die Feigheit mit der ich so lange schwieg, büßen will durch die todverachtende Qual mit der ich mich jetzt in das Verderben hineinrede. Sie werden mich hassen, Gräfin. MATHILDE. O gewiß nicht! STEINBERG. Seien Sie ruhig – Sie werden. Gräfin! Gräfin! ... Wie konnte ich noch einen Blick, noch einen Gedanken für eine andere haben nachdem ich Sie gesehen? MATHILDE zurücktretend. Mich?! STEINBERG. Gräfin! Gräfin! wenn Sie Ihre Tochter zu verheiraten wünschen so halten Sie sich ferne von ihr, fordern Sie nicht zum Vergleiche mit Ihnen heraus, es könnte noch manchem so ergehen wie mir, der, um die Tochter werbend, fühlt – daß er die Mutter anbetet! MATHILDE. Graf Steinberg, dies ist ein unpassender Scherz. STEINBERG. Scherz?! ... Sehe ich aus wie einer der scherzt? ... Mein Gesicht lügt wenn ich so aussehe. MATHILDE. Meine Jahre, mein ganzes Leben sollten mich schützen vor so beleidigenden Erklärungen. STEINBERG. Beleidigend? – Die ernsthafte Liebe eines ehrlichen Mannes ist keine Beleidigung. Ihre Jahre? – Ich wollte Sie zählten hundert; Ihnen wäre es gleichgültig und ich litte weniger. MATHILDE. Einbildungen! STEINBERG. Ich sage nicht, daß ich daran sterben werde an diesen Einbildungen, aber daß ich’s gerne thäte – können Sie mir glauben. Ich liebe Sie. MATHILDE. Das ist ein großes Unglück. Meine Tochter hegt ähnliche Empfindungen – für Sie. STEINBERG. Einbildungen! kindische Einbildungen! Sie kennt mich viel zu kurze Zeit – MATHILDE. Kennen Sie mich denn länger? STEINBERG. Das ist etwas anderes! ich kenne Sie freilich nicht lange, aber mir ist, als hätte ich Sie immer gekannt – wenigstens zählt das Leben nicht, das vorher gewesen: – J e t z t , rief’s in mir als ich Sie erblickte, j e t z t beginnt mein Dasein! alles frühere war Spiel, war Traum – ich bin heut geboren!

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MATHILDE immer weiter vor ihm zurücktretend. Man wäre versucht es zu glauben. STEINBERG. – Aber nicht zum Glücke, zum – Schmerz. MATHILDE. Enden wir diese peinliche Unterredung. STEINBERG. Wol – wol – enden wir – scheiden wir ... Will gehen, wendet sich jedoch um und macht einige Schritte auf Mathilde zu. Muß es im Grolle geschehen? MATHILDE. – Durch Sie erfährt meine arme Tochter die erste Enttäuschung. STEINBERG. Freilich – das können Sie mir niemals verzeihen! – Die Laune eines Kindes ward durchkreuzt, dafür giebt es keine zu harte Strafe, dieses Kind ist ja der Mittelpunkt der Welt! ... Die erste Enttäuschung? – o dieses Kind wird noch viele erfahren und daß sie ihr recht empfindlich seien, dafür sorgt die verwöhnende Abgötterei ihrer Mutter ... Leben, Gräfin, heißt: leiden, schön leben, heißt: standhaft leiden. Haben Sie Ihre Tochter das gelehrt? – Nein! – Warum nicht? – Aus Selbstsucht, aus der gefährlichsten die es giebt, aus derjenigen die im Gewande der Selbstentäußerung einhergeht. Der Schmerz Ihres kleinen Götzen thut Ihnen weher als der eigene, darum machen Sie sich zu seinem Schilde. Jetzt können Sie es noch, aber werden Sie es immer können? – Das Leben ist hart, es wird die des Leids ungewohnte hilflos finden, wehrlos. Dann seh’ ich Sie bitter werden, Sie, die milde, gütige, die jede 〈 ihr zugefügte〉 Kränkung{, ihr zugefügt,} verzeiht – vergißt – wird nie verzeihen wenn ihrem Liebling Weh geschah. ... Man nennt das göttlichen mütterlichen Egoismus – – göttlichen? – – nun, es sei! ... Ich bin das erste Opfer des Ihren, er hat mich gerichtet, ich fühl’s, Sie können mir nie vergeben. – – Aber wenn Sie mir einen grollenden Gedanken nachdenken, so sagen Sie sich wenigstens, daß der Ihnen so schuldig erscheinende, ein unglücklicher ist, denn – zürnen Sie – o zürnen Sie nur: Er wird Sie lieben bis zum letzten Athemzuge! Er stürzt ab. MATHILDE. Steinberg! ... Mein Gott ich habe ja nie geläugnet – wer hat mich jemals des Egoismus härter angeklagt als ich mich selber? – Unglücklicher Mann! ... Ich leide um ihn nicht weniger als um sie. Und zürnen? – ich zürne ihm nicht. Im Gegentheil, er gefiel mir in seinem Zorne fast besser als früher in seiner Schüchternheit ... Gefiel mir? ... Mir? ... Emma, mein Kind, mich erdrückt die Scham ... Emma’s Stimme wird hörbar. – Sie! – hinweg! O Himmel, wohin ist es mit mir gekommen? – ich entfliehe vor meiner Tochter! Ab nach links.

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Fünfter Auftritt EMMA kommt durch die Mitte, G ABRIEL ihr nach.

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EMMA. Ja! ich hab’s gethan! Er hat mein Wort. Siehst Du nun, daß ich Opfer bringen kann? GABRIEL. Verkehrtheit ohne gleichen! Das wollte ich – das will Deine Mutter nicht! EMMA. Doch! doch! – O hättest Du ihre Freude gesehen als ich ihr mein Jawort gab für ihn. GABRIEL. Jawort – verdammt! EMMA. Sie schätzt ihn so hoch – sie spricht von ihm mit solcher Begeisterung – GABRIEL geht erregt auf und ab. Das geht zu weit! Alle Selbstentäußerung in Ehren, aber das geht zu weit! EMMA. Gabriel, ich will mich aufopfern für meine Mutter. Sie hat keinen heißeren Wunsch als daß ich ihn heirate, den Grafen, sie sagt, an seinem Herzen wäre ich geborgen. GABRIEL heftig. Nicht besser als an manchem anderen ... Es giebt noch andere Herzen! EMMA. Sie hat gerade dieses für mich ausgewählt. GABRIEL. Oswald ist ein guter Mensch, nun ja – EMMA. Meine Mutter findet ihn vortrefflich – anspruchslos, liebenswürdig – sie sagt ... GABRIEL. Sie findet – sie sagt – sie! sie! sie! – Mag sie ihn auch selbst heiraten, wenn er ihr gar so liebenswürdig erscheint! EMMA. Ga–briel! – – heiraten? Meine Mutter?! GABRIEL. Es geht nicht an – natürlich – ich meinte nur so im Übermuth, das heißt – im Scherz ... EMMA nach einer Pause. – Übrigens – weißt Du – wenn man’s recht bedenkt – warum eigentlich geht es nicht? GABRIEL. Aber Emma – EMMA. Hör’ einmal – überlegen könnte man’s. Dieser Graf ist wirklich ein braver Mann. GABRIEL. Wer läugnet das? EMMA. Es kommt mir auch vor, daß er sich sehr wohl fühlt in der Gesellschaft meiner Mutter. GABRIEL. Glaubst Du? EMMA. Man soll immer zuerst an die anderen denken, warum haben wir denn überhaupt in dieser ganzen Angelegenheit nicht zuerst an meine Mutter gedacht? – Dieser Graf ist ihrer würdig – GABRIEL. O vorzüglich! EMMA. Ausgezeichnet!

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GABRIEL. Der beste aller Menschen! EMMA. Nun sieh, warum muß denn gerade ich immer das beste haben? – Ich verdiene ihn gar nicht – ich kann mich mit einem viel geringeren begnügen – GABRIEL. – So? EMMA. Aber meine Mutter und er, die sind für einander geschaffen. GABRIEL. Bei meinem Eid – das Kind ist ein Genie!

Sechster Auftritt VORIGE. MATHILDE.

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MATHILDE. – Mein Kind – – Gabriel – – EMMA. O die roten Augen! Du hast geweint? MATHILDE. Nein – ja – ein wenig – – Emma, ich habe Dir etwas mitzutheilen ... Vor sich hin. – Ich steh’ vor ihr wie eine Verbrecherin! EMMA. Auch ich habe Dir etwas mitzutheilen, etwas ernsthaftes, wichtiges ...

Siebenter Auftritt VORIGE. STEINBERG kommt durch die Mitte.

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MATHILDE. Gott – er selbst! STEINBERG nach einer Pause allgemeiner Verlegenheit. Gräfin ... MATHILDE. Graf Steinberg – Sie noch hier? STEINBERG. – Ich kann im Grolle nicht scheiden! – Er tritt zu Mathilde. Es ist unmöglich. MATHILDE leise. Ich möchte in die Erde sinken! GABRIEL. Scheiden? Groll? – Was soll das heißen? Du gehst? STEINBERG. Ja wol, ja wol, – für immer! EMMA. Wollen Sie mich denn nicht mehr heiraten? STEINBERG. Gräfin – nein. GABRIEL und EMMA. Ach! STEINBERG. Ich habe andere Wünsche gehegt – thörichte, und ich hatte die Vermessenheit sie auszusprechen, und wurde dafür bestraft. GABRIEL leise und freudig zu Emma. Erräthst Du? – andere Wünsche! EMMA. O wenn ich’s wagen dürfte zu errathen! GABRIEL zu Steinberg. Dies alles will sagen, daß Du sie Auf Emma deutend. verschmähst?

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STEINBERG. Das Wort ist schlecht gewählt. GABRIEL. Schon gut, das sagt man jedem {nach} 〈Wort,〉 das den Nagel auf den Kopf trifft. MATHILDE zu Emma. Mein Kind, ich bin in Verzweiflung ... GABRIEL. Dann thue einen verzweifelten Schritt –. Emma’s Hand ergreifend. Gieb sie mir! MATHILDE. Dir?! ... Gabriel, sie liebt einen anderen. GABRIEL. Da sei Gott vor! STEINBERG halblaut. Amen. GABRIEL. Und wenn der andere, andere Wünsche hegt? EMMA. Und wenn mir das gerade recht ist? MATHILDE. Mein Bruder ... Emma, wie? – Du könntest Dich entschließen? EMMA. Zweifelst Du? ... Der Auf Gabriel zeigend. zweifelt nicht. MATHILDE. Kinder – Ihr lebtet in beständigem Kriege – EMMA. Er hat sich in mein Herz hineingezankt ... GABRIEL. Mädchen! ... EMMA. – und ich nehm’ ihn, obwol er etwas schreckliches ist – GABRIEL. Ich? ... Was denn? EMMA. Ein Egoist – der mich dem – anderen nur so lange gönnte, als ich ihm selber unausstehlich war. GABRIEL. Daß sie recht hat im Grunde! – Daß ich’s wirklich bin – ein Egoist! MATHILDE. Wer ist es nicht? EMMA. Wer nicht? STEINBERG. Wir sind es alle. GABRIEL. Freilich – mit Unterschied. Zu Emma. Man muß immer an die anderen denken. EMMA lächelt. Zuerst? GABRIEL. Ei, wenigstens zugleich. Ein gutes Wort für – ihn. EMMA Steinberg ihrer Mutter zuführend. Mutter, er hat mich gebeten seine Fürsprecherin zu sein. MATHILDE Emma’s Hand erfassend. Mache Dich nicht dazu! STEINBERG. Weil ich keine Fürsprache verdiene? MATHILDE Emma’s Hand immer festhaltend. Weil Sie keiner bedürfen. STEINBERG. Gräfin! ... Mathilde! ... Sie wollten? – Sie könnten ... EMMA. Sag’ ja Mutter, geschwind, daß er’s noch hört bevor er vor Freude stirbt. MATHILDE. – Vielleicht denn ... Ja – STEINBERG. O Himmel! ... Aus Erbarmen? aus göttlichem Opfermute? MATHILDE. – Ich fürchte Freund – aus Egoismus.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Ergänzung der Herausgeberin eigenhändig

{} 〈〉 [] eh. H1 H2

eh. Handschrift mit eh. Korrekturen (WB, H.I.N. 54497) Handschrift von fremder Hand mit Korrekturen (WB, H.I.N. 60639)

WB H.I.N.

Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die unterstrichene Antiquaschrift in der Handschrift für Akte und Szenen wird kursiv wiedergegeben. Die unterstrichene Antiquaschrift für Personen erscheint als Kapitälchen. Die in Schrägstrichen stehenden Bühnenbeschreibungen und Szenenanweisungen der Handschrift sind kursiv gesetzt. Die in der Handschrift verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Abbreviaturen wie „u.“ für ‚und‘ werden ausgeschrieben. Der verwendete Überstrich auf „m“ und „n“ zur Verdoppelung wird durch die doppelten Konsonanten wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt der Handschrift H1. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Die in H1 vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat).

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3. Fortlaufendes Variantenverzeichnis Das folgende Variantenverzeichnis zeigt die Unterschiede zwischen dem edierten Text H1 und der Handschrift H2 auf. Die Tilgungen und Hinzufügungen in H1, die als integraler Apparat erscheinen, sind hier nicht aufgeführt. Erster Aufzug Erster Auftritt 423,22 424,12,16

Die Nadel weg!] fehlt in H2 Comteß] Comtess H2 Zweiter Auftritt

425,2 425,19 425,19 426,26 426,35 426,41 426,42 427,10 427,14 427,16 427,17 427,31

Petruchio] Petruccio H2 ist, wie] ist wie H2 seiner] Seiner H2 I h n ] Ihn H2 Kalender] Calender H2 Komm! Sieh] Komm! sieh H2 ich kenne sie zwar nicht, aber] {ich kenne sie zwar nicht, aber} H2 ich, daß] ich dass H2 alles, alles] alles alles H2 gefallen? –] gefallen? H2 i h m ] ihm H2 mißfällt] missfällt H2 Dritter Auftritt

428,2 428,35–36

428,37 429,15 429,20 429,27 429,41 430,12

Dich, oder] Dich oder H2 dem ich neulich, den Verhältnissen hier im Hause durch meine lange Abwesenheit entfremdet, nicht erwog ...] dessen ich neulich nicht erwähnte und mit dem Du bei Zeiten bekannt werden mußt. H2 mit siebzehn] zu siebenzehn H2 zugestünde] zugestände H2 abergläubisch] abergläubisch, H2 Worten,] Worten H2 wohl] wol H2 hinreißen] hinreissen H2

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II. Kritischer Apparat

Vierter Auftritt 431,16 431,18 431,22 431,25 431,31 431,40 432,1 432,9 432,9 432,23 432,24 432,32 432,37 432,39

unverzeihlich,] unverzeihlich H2 Gotteswillen] Gotteswillen, H2 Gesellschaft,] Gesellschaft H2 besser, ich] besser ich H2 ich! Daran] ich! daran H2 stündlich,] stündlich H2 Bewußtsein] Bewustsein H2 vor, daß] vor dass H2 Beisammensein] beisammensein H2 Gewißensfrage] Gewissensfrage H2 fänden Sie den Muth] brächten Sie es über sich H2 m ü s s e n ] müssen H2 ein,] ein H2 Augenblicke] Augenblicke, H2 Fünfter Auftritt

433, vor 1 433,8 433,10 433,10 433,15 433,16 433,18 433,22 434, vor 6 434,21 434,27 434,31 435,1 435,2 435,7

Strauße] Strauß H2 Tochter aus] Tochter H2 verzweifeln,] verzweifeln H2 bedenke,] bedenke H2 Zeit; jetzt] Zeit. Jetzt H2 laßen] lassen H2 Versäumte] versäumte H2 Mutter.] Mutter? H2 gelehnt] gelehnt, H2 Güte,] Güte H2 anders] anderes H2 Sie, –] Sie, H2 Besten] besten H2 Besten] besten H2 laßen] lassen H2 Sechster Auftritt

435, nach 5 435, nach 5

chaise longue] Chaise-longue H2 verlaßen] verlassen H2

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Zweiter Aufzug Erster Auftritt 436,17

mich,] mich H2 Zweiter Auftritt

437,10

Kuh,] Kuh H2 Dritter Auftritt

437,9 437,9 437,13 438,7 438,16 438,18 438,20 438,30 438,31 438,33 439,8 439,9 439,17 439,18 439,19 439,19 439,23 439,25 439,28

EMMA] EMMA zaghaft H2 nicht:] nicht H2 Gescheitere] gescheidtere H2 Egoistin –] Egoistin H2 Geheimniß] Geheimnis H2 heranrückt] heran rückt H2 habe] h a b e H2 Onkel Gabriel] mein armer Onkel H2 ja,] ja, ja, H2 meine] jede H2 Mühe,] Mühe H2 gabst;] gabst, H2 Mann,] Mann H2 bestimmte,] bestimmte H2 Zorne] Zorn H2 er] e r H2 ganz, ganz] ganz weihe, ganz H2 heiraten! Sie] heiraten! sie H2 EMMA.] EMMA schmerzlich. H2 Vierter Auftritt

439,2 439,2 439,4 440,16 440,25 440,29 440,30 440,31 440, nach 32

Kindheit an,] Kindheit an H2 kam,] kam H2 commandirte,] commandirte H2 i c h [...] i c h ! ] ich [...] ich! H2 früher,] früher H2 sehen,] sehen H2 Gabriel,] Gabriel H2 kränkt,] kränkt H2 Terraße] Terrasse H2

465

II. Kritischer Apparat

440,35 440,37

thun, weil] thun weil H2 müßt] müßte H2 Fünfter Auftritt

441,11 441,15 441,20 442, nach 2 442,4 442,4

Gemüthsbewegung, –] Gemütsbewegung – H2 streng, wenn] strenge wenn H2 Nothwendigkeit] Notwendigkeit H2 Terraße] Terrasse H2 immer] immer, H2 andern] anderen H2 Sechster Auftritt

entgegengehen] entgegen gehen H2 gescheiter] gescheidter H2 vernachlässigte ...] vernachlässigte? H2 ich] i c h H2 chaise longue] chaise-longue H2 etwas zu] zu H2 Drum] D’rum H2 – nur] nur H2 chaise longue] Chaise-longue H2 bedenke,] bedenke H2 hereingetragen] hereingetragen, H2 Adieu Mama! Schließt rasch hinter sich die Thüre.] eilt auf ihre Mutter zu und umarmt sie stürmisch. Verzeihung und Lebewohl, meine geliebte Mama! Rasch ab. H2 444,2 befiel’] befiel H2 444,11 herab,] herab H2 444, nach 16 vorausgeeilt] voraus geeilt H2

442,4 442,8 443,3 443,4 443, vor 6 443,6 443,10 443,14 443, nach 14 443,15 443, nach 23 443,37

Siebenter Auftrittt 444,2 444,3 445,2 445,37 446,13 446,14 446,22 447,3

bitten,] bitten H2 aber] aber – H2 auszusprechen] aussprechen H2 genöthigt] genötigt H2 Herz,] Herz H2 Wesen,] Wesen H2 wird] w i r d H2 hinreißen] hinreissen H2

Die Selbstsüchtigen

466

447,13

Hut! Der] Hut! der H2 Dritter Aufzug Erster Auftritt

448,15 448,19 448,23 448,25 449,18 449,20 449,26 450,8

lass’ anspannen] laß anspannen H2 geh’] geh H2 Nein!] Nein, H2 ängstigen,] ängstigen H2 andern] anderen H2 Himmel,] Himmel H2 an, wenn man einsieht,] an wenn man einsieht H2 andern] anderen H2 Zweiter Auftritt

450,4 450,6 451,3

blaß] blass H2 Chaise longue] chaise-longue H2 genommen.] genommen. ... H2 Dritter Auftritt

452,24

Abgehen] abgehen H2 Vierter Auftritt

452,4 453,5 453,10 453,19 453,20 453,28 453,30 453,38 453,38 453,39 454,9 454,25–26

Geständniß] Geständnis H2 Doch! Doch!] Doch! doch! H2 hineinrede] hinein rede H2 der,] der H2 werbend,] werbend H2 gleichgültig] gleichgiltig H2 nicht,] nicht H2 ist,] ist H2 nicht,] nicht H2 J e t z t [...] j e t z t ] Jetzt [...] jetzt H2 das] d a s H2 mir einen grollenden Gedanken nachdenken] meiner grollend gedenken H2 Fünfter Auftritt

455,23

Übermuth] Unmuth H2

467

II. Kritischer Apparat

456,2 456,5

ich] i c h H2 die] d i e H2 Sechster Auftritt

456,5

Auch ich habe Dir] Und ich habe D i r H2

Siebenter Auftritt 456,2 457,10 457,35

Gräfin ...] Gräfin – H2 der andere] der – andere H2 Freude] Freude – H2

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Die Selbstsüchtigen

1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Ebner-Eschenbach begann die Arbeit an dem Lustspiel Die Egoisten, wie das Drama Die Selbstsüchtigen anfangs betitelt war, im März 1871. Am 25. März beendete sie den ersten Akt und am 28. März den zweiten und gesteht in ihrem Tagebuch: „Wird ein kleiner Schmarn“ (T II). Obwohl sie bereits am 29. März mit dem dritten Akt beginnt, ist sie sich dessen bewusst, dass an den beiden ersten Akten noch einiges zu tun sei, denn „sie sind zu skizzenhaft“ (T II). Am 6. Mai 1871 ist sie mit dem dritten Akt fertig und schreibt, wie sie ironisch in ihrem Tagebuch notiert, gleich selbst die Kritik: Ein niedliches Ding ohne jeden tieferen Gehalt. Die Hauptperson, die Mutter, müßte einen ganz anders bestimmenden Einfluss auf ihre Umgebung ausüben, in ihrer Hand müssten alle Fäden der Handlung liegen, sie müsste immer die Führende sein. Wie die Sache jetzt steht, hält sie sich bescheiden fern u hat keine andere Aufgabe, als immer anmutig zu bleiben. (T II, 6.5.1871)

Sie arbeitet weiterhin an dem Stück und liest es am 5. Januar 1872 ihrer Ratgeberin Ida von Fleischl-Marxow vor, die den zweiten Akt zu kurz und schwächer als die anderen findet; Ebner-Eschenbach nimmt sich daher vor: „Ich muß für ihn noch etwas thun. Selbstgespräch Emma’s – sorgfältiger ausführen den Schluß lebendiger. Auch im 3t Aufz: dürften einige aufgesetzte Lichter nicht schaden. Es ist zu skizzenhaft.“ (T II, 5.1.1872). Nach einer Pause beschäftigt sie sich im September und Oktober 1872 erneut mit dem Lustspiel, liest daraus vor und arbeitet wieder daran, bis es am 21. Oktober 1872 zu einer Lesung des vollendeten Stückes kommt, und zwar vor einem Publikum: „so anregend, so dankbar!“ (T II). Am 15. Oktober 1872 hat EbnerEschenbach erfahren, dass der Schriftsteller Nikolaus Duffek (1833–1892), der unter dem Pseudonym Julius Rosen schrieb, gerade ein dreiaktiges Stück mit dem Titel Die Egoisten (1872) veröffentlicht hatte. Die Dichterin muss ihr Lustspiel dem Verleger L. Rosner eingereicht haben, der es aber nicht annahm (T II, 15.10.1872). Am 25. Oktober 1872 liest Ebner-Eschenbach ihr Stück bei Heinrich Laube vor, dessen Kommentar bezeichnend ist: „Geistvolle Arbeit, liter: tadellos, aber das Stadttheater Publ: erwartet andere Stücke. Ich kann’s nicht geben. Aber daß ich’s im Burgtheater einreiche das will er nicht, wie er sagte: Aus Neid, denn dort kann es gefallen.“ (T II). Wiederum scheint Ebner-Eschenbach mit einem Drama an der Theaterpolitik in Wien zu scheitern. Im November 1872 beginnt Ebner-Eschenbach mit dem Abschreiben des Lustspiels, das sie nun Die Selbstsüchtigen nennt (T II, 22.11.1872) und am 9. Dezember 1872 schickt sie das Manuskript an Michaelson (T II). Der Burgschauspieler Adolf von Sonnenthal (1834–1909) gibt dem Lustspiel, wie Ebner-Eschenbach in ihrem Tagebuch vermerkt, „seine volle Zustimmung“ (T II, 14.3.1874). Im April 1874 lässt Ebner-Eschenbach eine zweite Abschrift des Stückes anfertigen (T II, 2.4.1874). Am

Die Selbstsüchtigen

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6. Dezember 1874 notiert Ebner-Eschenbach in ihr Tagebuch, dass ihr Lustspiel Franz Freiherrn von Dingelstedt (1814–1881), dem Direktor des Burgtheaters, „confidential eingereicht worden“ (T II) sei. Möglicherweise handelt es sich hierbei um die Handschrift H1 (WB, H.I.N. 54497). Sie erhält das Stück von Dingelstedt mit von ihm vorgenommenen Bemerkungen zurück, denen, wie sie notiert, „gerecht zu werden, sehr leicht ist“ (T II, 13.5.1875). Bei den von ihr offenbar durchgeführten Korrekturen handelt es sich wahrscheinlich um die Änderungen in H1. Ferdinand von Saar rät ihr im Mai 1875, sich doch an Dingelstedt zu wenden, „ob er Vertrauen auf den Bühnenerfolg der [Selbstsüchtigen] setze?“ Falls das nicht der Fall sein solle, schlägt Saar vor, das Lustspiel nicht herzugeben (T II, 18.5.1875). Die letzte Erwähnung des Stückes ist vom 25. Mai 1875; sie berichtet von einer Lesung und möglicherweise einer weiteren Umarbeitung (T II). Ob es dazu kam, ist unklar. Auch zu einer Aufführung des Lustspiels ist es nicht gekommen. Die einzigen Textzeugen des Lustspiels sind die erwähnten Handschriften H1 und H2: Die Handschrift H1 ist von Ebner-Eschenbach angefertigt und weist eine Reihe von eigenhändigen Tilgungen und Hinzufügungen auf (WB, H.I.N. 54497). Die Handschrift H2 ist von fremder Hand und enthält einige Korrekturen wie z. B. S. 427,1 und abweichenden Text wie S. 428,35–36 (WB, H.I.N. 60639). Das Titelblatt von beiden Handschriften lautet: „Die Selbstsüchtigen. Lustspiel in drei Aufzügen“. Es wird in diesem Band erstmals abgedruckt.

2. Die Reaktionen Anton Bettelheim bedauert 1900, dass dieses „aristokratische Gesellschaftsstück“, dessen Triebkräfte „Anmuth und Laune, Seele und Seelenkenntniß, Innigkeit und Wahrhaftigkeit“ seien, nicht auf das Burgtheater gelangte. Er vergleicht Die Selbstsüchtigen mit dem französischen Drama: „Nirgends stören Züge der Ziererei, wie in Marivaux’ Rococo-Stücken (selbst dem vielgerühmten Jeu de l’amour et du hasard), nirgends Töne falscher Empfindsamkeit, wie in den Boudoirstücken des zweiten Kaiserreichs, Feuillet’s Comédies et proverbes.“1 In ihrer Arbeit behandelt auch Elisabeth Felbinger 1947 Die Selbstsüchtigen. Sie geht davon aus, dass die Egoisten des Stückes „im Grunde genommen gerade das Gegenteil“ sind:

1

Bettelheim: Biographische Blätter, S. 70–71.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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Jeder sorgt so viel um den anderen, ist so sehr mit dessen Wohlergehen beschäftigt, daß er das Nächstliegende darüber übersieht und vergisst. Wenn nicht noch die Jüngste wirklich einigen gesunden Egoismus besäße, würden alle vor lauter Rücksichtsnahme an ihrem Glück vorbeigehen.2

Nach Felbinger findet „dieses feine, vornehme Zurücksetzen der eigenen Wünsche zum Wohle des anderen“ in diesem Stück „eine beinahe ironische, humorvolle Darstellung“. 3

2 3

Felbinger: Marie von Ebner-Eschenbachs dramatische Arbeiten, S. 99–100. Ebd.

I. Text

Die Veilchen

1.

Die Veilchen (E1)

Die Veilchen Lustspiel in einem Aufzuge von Eschenbach

Als Manuskript gedruckt.

Wien: Druck von J. B. Wallishausser 1862

Die Veilchen

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PERSONEN GRAF SIGMUND ANDLAU FRANZISKA, seine Frau GRÄFIN PLATEN GRÄFIN JULIE NEUBERG BARONESSE AUGUSTE WOLF GRAF AHLFELD BARON RATH EIN DIENER

Eleganter Salon. Links am Kamine ein Tisch, Kanape und Fauteuils. Rechts, am Fenster ein kleiner Marmortisch, auf dem eine Blumenvase steht, zwei Fauteuils. SIGMUND und FRANZISKA an dem kleinen Tische. DIENER steht vor FRANZISKA und präsentirt auf silbernem Teller ein großes Veilchenbouquet.

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DIENER. ... Und sich erkundigen nach dem Befinden der Frau Gräfin, und fragen: ob er im Laufe des Vormittags aufwarten dürfe? FRANZISKA. Freilich, freilich. Es würde mir Vergnügen machen. DIENER. Sehr wohl, Erlaucht. Will gehen. FRANZISKA. Vergessen Sie ja nicht, ich ließe danken, schönstens, bestens – ich hätte eine große Freude gehabt. DIENER. Sehr wohl, Erlaucht. Ab. FRANZISKA das Bouquet zu Sigmund hinüber reichend. Da! ist das nicht liebenswürdig? SIGMUND nimmt die Blumen. Ein prächtiger Strauß. Er zählt. Eins, drei, fünf – eigentlich sieben Sträuße in einem zusammen gebunden. Ach, wie das duftet! ... Mich mahnt’s an unsere Wälder, wo jetzt auch die Veilchen blühen. FRANZISKA. Mich mahnt’s an den guten Menschen, der mir den Strauß geschickt. Ist Ahlfeld nicht vortrefflich? Er sucht meine Gedanken zu errathen, mir den kleinsten Wunsch zu erfüllen. SIGMUND faßt ihre Hand. Thut e r das allein? FRANZISKA. Ich sagte gestern vor ihm und ... noch einem Andern – daß ich Veilchen über Alles liebe. SIGMUND. Du? ... Ich dachte, Julie Neuberg hätte es gesagt. FRANZISKA. Sie sagte mir’s nach. SIGMUND. Und sah Ahlfeld dabei an. FRANZISKA. Wenn sie’s gethan, hat sie den Rechten angesehen. Er versteht doch was man meint, wenn man sagt: Ich liebe Veilchen über Alles. SIGMUND. Liebst Du sie, so freue Dich an den Lebendigen. Das sind ja nur arme Sterbende. In Andlau, geliebtes Kind – FRANZISKA. In Andlau und immer in Andlau! Geliebter Mann, die Veilchen habe ich auf dem Lande nun durch neunzehn Jahre genossen – erlaube mir sie im zwanzigsten, in der Stadt zu genießen. Bester, ich bin so zufrieden hier! über jede Beschreibung! ... Das Herz geht mir auf unter allen den prächtigen Menschen, die ich täglich kennen lerne. Niemals hätte ich geglaubt, daß es so viele gute Menschen g i b t . Wie kommen mir alle entgegen! Wie lieben mich alle! ... Sigmund – ich freue mich, daß ich lebe – Du hast eine glückliche Frau! SIGMUND. Nun, dann bin ich ein glücklicher Mann!

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FRANZISKA. Es thut so wohl geliebt zu werden! und mich liebt man, weißt Du das? SIGMUND. Aus eigenster Erfahrung. FRANZISKA. Dich meint’ ich nicht. Daß Du mich liebst, versteht sich von selbst, wozu wärst Du mein Mann? – Aber mich lieben auch Leute, bei denen sich’s nicht von selbst versteht. SIGMUND. Ist das möglich? FRANZISKA. Alles liebt mich, Alt und Jung, Groß und Klein ... SIGMUND. Was da fleucht und kreucht – die ganze Menschheit und die ganze Arche Noa ... Dasch an der Spitze ... FRANZISKA. Ah – Dasch! Klingelt, Diener kommt, zu ihm. Ist das Kammermädchen mit Dasch nach Hause gekommen? DIENER. Noch nicht, Erlaucht. Ab. FRANZISKA am Fenster. Wie lange sie ausbleibt. ... Bei diesem Wetter! SIGMUND. Und Dasch hat nicht einmal einen Regenschirm mitgenommen? FRANZISKA. Schlechter Spötter! – Also, mich liebt man. Ich habe Freunde, wahre Freunde gewonnen in dieser kurzen Zeit. SIGMUND lachend. Haha! Wahre Freunde? hier? in diesen wenigen Wochen? FRANZISKA. Zum Beispiel Ahlfeld, Julie, Auguste. SIGMUND. Das sind mir die Rechten! FRANZISKA. Höre sie nur reden. SIGMUND. Reden? Du mußt nicht Alles für ausgemacht halten, was sie reden. In einem Scheffel Schmeichelei geben sie Dir höchstens ein Körnlein Wahrheit. FRANZISKA. Mir zu schmeicheln fällt Niemandem ein. SIGMUND. Glaubst Du? – Ich versichere Dich des Gegentheils. In der Welt sagt man einander angenehme Unwahrheiten. Das nennen die Leute: liebenswürdig sein. FRANZISKA. Und sollten es eigentlich falsch und verächtlich nennen?! SIGMUND. So schlimme Namen wollen wir nicht gebrauchen. Beurtheile doch die Andern nach Dir selbst. Sagst Du allen Deinen „prächtigen“, „guten“, „vortrefflichen“ Freunden immer die blanke Wahrheit? FRANZISKA zuversichtlich. Immer! SIGMUND. Das ist sehr stark. FRANZISKA. Was denn? SIGMUND. Liebes Kind, wenn jede kleine Unwahrheit, die Du gesagt hast, seitdem wir in die Stadt gekommen sind, Seufzend. um hier unseren letzten Honigmond zuzubringen, Dich nur Eines Deiner Haare gekostet hätte – so viele ihrer sind, heute müßten wir zum Perrückenmacher schicken. FRANZISKA. Genug! genug! ... zu viel! ... Was muß ich hören? Du hältst mich mich, Alt und Jung, ] mich Alt und Jung, Setzfehler

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für eine ausgelernte Lügnerin; vielleicht auch Heuchlerin? – warum nicht gar Räuberin und Mörderin?! SIGMUND. Franziska! FRANZISKA. Welche Anklage, mein Gott! welche gräßliche Anklage! SIGMUND. Von einer Anklage ist nicht die Rede. Ich behaupte eine Thatsache, ohne sie zu verdammen, wenn ich sie auch nicht gerade lobe. FRANZISKA. Nicht loben, heißt – tadeln. SIGMUND. Bitt’ um Entschuldigung. O Frauenlogik! FRANZISKA. Nicht loben heißt nicht tadeln. O Männerweisheit! SIGMUND. Schon zwanzig Jahre und noch so kindisch! FRANZISKA. Erst dreißig Jahre, und schon so grundgescheidt! SIGMUND. – Ich will mich nicht ärgern, liebes Kind. FRANZISKA. Im Gegentheil, ärgere Dich nur, ich ärgere mich sehr. SIGMUND. Die Uhr schlägt Eins. Nun werden sie gleich da sein, die prächtigen – guten – vortrefflichen Freunde. Erlaubst Du mir bei jeder kleinen Unwahrheit, die in den nächsten sechzig Minuten über Deine Lippen kommt, einen dieser Veilchensträuße zum Fenster hinauszuwerfen. FRANZISKA welche inzwischen die Blumen in die Vase gesetzt hat. Mich dazu, wenn ich lüge! SIGMUND. Dich? ... Dich erst dann, wenn alle sieben Sträusse schon draußen sein werden. FRANZISKA lachend. Bei der achten Lüge, gut, ich gebe Dir die Erlaubniß dazu. SIGMUND. Danke Dir. – Aber – an Deinem Geburtstage soll ich Dir den Hals brechen? FRANZISKA. Es wird den Hals nicht kosten. Der Sand vor dem Hause ist ja hoch aufgeschüttet. DIENER meldend. Das Kammermädchen ist mit Dasch nach Hause gekommen. FRANZISKA. Gut. Diener ab. SIGMUND. Dasch! ... Ein Wink von Oben. ... Schicksalsmächte, ich verstehe euch! – Nach dem siebenten Strauße fliegt Dasch! Geht zur Thüre und ruft hinaus. Bringt Dasch in mein Zimmer. FRANZISKA ängstlich. Du wirst – doch – nicht – SIGMUND. Deine a c h t e Lüge tödtet das süße Thier, und Du sagst nicht eine! Diener trägt einen Korb in welchem ein kleines Hündchen liegt, über die Bühne und geht ab. FRANZISKA. Du hast Recht. Also, topp! – eingeschlagen! SIGMUND. Der Vertrag ist geschlossen. FRANZISKA. Unter einer Bedingung. Wenn alle Besuche fort sind, und alle Sträuße noch da, leistest Du kniend Abbitte. SIGMUND. Von ganzem Herzen. FRANZISKA die Thüre öffnend, hinter welcher der Korb mit dem Hündchen vermuthet wird. Ja, was macht denn mein Dascherl, mein liebes? – Du bist

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froh, daß Du mich wieder siehst – Sag ja, gutes Dascherl? So – so – nur ruhig, nur schön kuschen – placire dich, Dascherl! DIENER meldend. Frau Gräfin Neuberg. Julie tritt ein. FRANZISKA ihr entgegen. Willkommen, liebste Julie! Sie umarmend. Dein Namenstag, nicht wahr? JULIE zu Franziska. Dein Geburtstag, nicht wahr? FRANZISKA. Ich gratulire! JULIE. Ich gratulire! Zu Sigmund der sich verneigt. Guten Morgen Ihnen. FRANZISKA. Nun? machen sie sich? bringen wir sie zusammen? JULIE. Wir bringen sie zusammen. FRANZISKA. Herrlich! ich bin entzückt! JULIE zu Sigmund. Und Sie? SIGMUND. Ich bin bereit entzückt zu werden, haben Sie nur die Gnade mir zu sagen worüber? FRANZISKA. Er fragt! JULIE. Sie fragen? SIGMUND. Ich frage! wovon ist die Rede? FRANZISKA. Wovon spricht seit acht Tagen die ganze Stadt? JULIE. Was bewegt alle Gemüther, setzt jeden Ehrgeiz in Bewegung? SIGMUND. Nun? JULIE. Die lebenden Bilder – FRANZISKA. Die wir arangiren. SIGMUND. So? FRANZISKA. Wir sagen es ja in Einem fort! SIGMUND zuckt die Achseln. Ich habe eben nichts gehört. FRANZISKA zu Julie. Uebernimmt Ahlfeld die Direktion? JULIE. Ahlfeld und ich die Direktion, mein Bruder die Regie, Baron Rath zeichnet schon die Kostüm’s. SIGMUND. Schon? ... dann bekommen die Schneider unserer – Enkel Etwas zu thun. In fünfzig Jahren dürften die Zeichnungen fertig sein. FRANZISKA. Wir müssen sie in fünf Tagen haben. SIGMUND. Da hast Du Recht, sie von dem langsamsten und langweiligsten aller Menschen ausführen zu lassen. JULIE. Langsam ist er, das muß man sagen. FRANZISKA. Langweilig auch, das muß man auch sagen. SIGMUND. Sieh doch! Das gestehst Du ein? Zu Julie. Und wenn er mit ihr spricht, hört sie ihm mit einer Aufmerksamkeit zu! ... Es sieht aus, als wollte sie jedes seiner Worte verschlingen! JULIE. Wär’ eine unverdauliche Speise! Ahlfeld ] Ahnfeld Setzfehler

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FRANZISKA. Es sieht auch nur so aus. Ich mache ein aufmerksames Gesicht, und höre ihn gar nicht an, sondern denke was mich freut. SIGMUND. – S–o? ... Daran erkenn’ ich meine aufrichtige Frau! FRANZISKA zu Julie. Wir wollen Deinen Bruder bitten die Zeichnungen zu entwerfen. JULIE. Was fällt Dir ein? Der Baron wäre tief gekränkt. Ich darf mich mit ihm nicht verfeinden. Er ist ein Vetter des Ministers, und mein Mann will Präsident werden. FRANZISKA. Hast Du die Liste der Glücklichen mitgebracht, denen wir erlauben mitzuwirken? JULIE. Hier. Wir waren strenge, Ahlfeld und ich. SIGMUND leise zu Franziska. Hörst Du, sie sagt schon zweimal: Ahlfeld und ich. Was behaupte ich immer? FRANZISKA. Unmöglich, Sigmund – Eine verheiratete Frau! In der Liste lesend. Gut – vortrefflich – aber – wo bleibt Adele? ... Die immer freundliche Berg? – Meine Freundin Auguste? JULIE. Die erste ist alt, die zweite häßlich, die dritte alt und häßlich – wir können sie nicht brauchen. FRANZISKA. Liebe Julie, ich darf mich mit Auguste nicht verfeinden. Sie ist die intimste Freundin der Oberstkanzlerin. Ich bin um das Marien-Kreuz eingekommen und bedarf einer Fürsprache bei der boshaften, hochmüthigen Exzellenz. Uebrigens lieb’ ich Auguste, und sie kann ohne mich nicht leben. JULIE. Unglaublich! FRANZISKA. Ich glaube es – Sie hat es mir gesagt! JULIE herzlich lachend. Sie glaubt Etwas, weil man ihr’s sagt! ... Herzenskind, werde nur zwei Jahre älter, und Du glaubst blos deshalb eine Sache nicht, weil man sie Dir gesagt. SIGMUND winkt seiner Frau. Hört! Hört! JULIE. Zur Tagesordnung! Aus dem Macbeth machen wir kein Tableau, können deßhalb Deine drei – Damen, nicht brauchen. FRANZISKA. Wohlan, wenn es sein muß – opfere ich Auguste. SIGMUND. Auf dem Altare der Aesthetik. FRANZISKA. Jedoch mit schwerem Herzen, mit bösem Gewissen. Nun erweise mir das Schicksal nur die einzige Gnade, sie heute nicht hierher zu führen. Wie stünd’ ich vor ihr? Ich könnte ihr nicht in die Augen sehen ... Ihr kleinen Götter des Zufalls, euch ruf’ ich an. ... DIENER meldend. Baronesse Wolf! FRANZISKA. – Das ist zum Verzweifeln! SIGMUND für sich. Zum Entzücken!

Die immer freundliche ] Die immer freundlichen Setzfehler

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JULIE leise zu Franziska. Kein Wort von den Tableau’s! Auguste tritt ein. FRANZISKA ihr entgegen. Liebste, beste Auguste, wie schön, daß Du kommst! Wie freut’ mich’s Dich zu sehen! ... SIGMUND der sich gegen Auguste verneigt hat, stürzt zum kleinen Tische und wirft bei Franziska’s letzten Worten ein Bouquet zum Fenster hinaus. Nummero Eins! FRANZISKA sieht es. Für sich. Adieu, Abbitte! – Darauf hatt’ ich vergessen. AUGUSTE macht Julien, die inzwischen zu Sigmund getreten, und leise mit ihm spricht, eine kalte Verbeugung. Die Gräfin Neuberg. Ich bitte sich nicht stören zu lassen. JULIE. Worin denn, liebe Baronin? AUGUSTE. In dem eben geführten Gespräche. Leise zu Franziska. Nimm Dich vor der Kokette in Acht! FRANZISKA. Ich? AUGUSTE. Was m i c h hierher zieht ist die Sympathie für die F r a u des Hauses. Sie setzt sich neben Franziska. SIGMUND leise zu Julie. Sie erweist mir die Ehre zu glauben, daß Sie ... JULIE. Abscheulich! Für sich. Sie wäre im Stande mich zu verleumden, bei – Ahlfeld. FRANZISKA zu Auguste. Was willst Du sagen? – AUGUSTE. – Nichts, mein gutes – armes Kind ... Von etwas Anderem, Liebste! Spricht weiter mit Franziska. SIGMUND leise zu Julie. Von etwas Anderem als – Nichts. Ist nicht wahr, es kommt wieder ein – Nichts. AUGUSTE fortfahrend. ... Sagte mir die Kanzlerin. „Ich weiß kein Wort davon“ sagt’ ich „ich glaube es nicht. Wenn Franziska daran dächte Tableau’s zu arrangiren, wäre ich gewiß die Erste, der sie es mittheilten ...“ FRANZISKA. – Wie kannst Du zweifeln?! – Blickt zu Sigmund hinüber, der im Begriffe ist, ein zweites Bouquet aus der Vase zu nehmen, und stockt. Glauben – daß ich – daß wir ... Sigmund legt das Bouquet wieder in die Vase zurück. AUGUSTE. Was ist Dir, Franziska? Für sich. Mit welcher Unruhe sie hinüberblickt! Ganz verloren vor Eifersucht. Laut. Franziska, hab’ ich Recht gehabt? FRANZISKA. – Freilich – nein – das heißt ... Winkt Julien, leise. Hilf mir – ich bitte Dich! JULIE. Wir wollten Sie überraschen, liebe Baronin ... Aber das ist unmöglich ... Sie sind allwissend. Ja denn, wir machen Tableau’s. AUGUSTE piquirt. So? – so? FRANZISKA sehr rasch. Bei denen wir auch Dir eine Rolle zugedacht. SIGMUND wirft das zweite Bouquet zum Fenster hinaus. Nummero Zwei!

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FRANZISKA. O weh! JULIE leise zu Franziska. Was thust Du? Zu Auguste. Unter den Zusehern nämlich. AUGUSTE. War das Deine Meinung, Franziska? FRANZISKA. Meine Meinung? Julie ist wieder zu Sigmund getreten. Ich – versteh’ mich, liebe Auguste – meine Meinung – unsere – war ... Für sich. Was sag’ ich nur das höflich ist und doch wahr? AUGUSTE. So sprich doch, liebes Herz! Für sich mit einem Blicke nach Julie und Sigmund. Unerträglich, diese Neuberg mit ihrer Koketterie! – FRANZISKA nachdenkend. Das geht! Laut. Unsere Meinung war, vor allem Andern und hauptsächlich ... Leise. – das geht wieder nicht Laut. zu – thun – was Stockt und sinnt nach, endlich leise. Ei – ich kann nicht helfen! Laut, mit Entschlossenheit. zu thun – was Du nur wünschest, was Dich nur freut ... Leise. Das Dritte ist hin! SIGMUND das dritte Bouquet zum Fenster hinausschleudernd. Nummero Drei! AUGUSTE. – Was ich wünsche? nun – ich gesteh’s – ich wünsche eine Rolle zu ... FRANZISKA der Julie Zeichen macht, fällt Augusten in das Wort. Und Du sprichst mir gar nicht von unserer verehrten, theuren Frau Oberstkanzlerin? SIGMUND. – Theuren? verehrten? Das geht ja prächtig! Das vierte und fünfte Bouquet hinauswerfend. Nummero Vier und Fünf! JULIE zu Sigmund. Was thun Sie mit den schönen Sträußen? SIGMUND. – Mein Geheimniß, Gräfin. FRANZISKA die das Hinauswerfen der zwei letzten Bouquet’s nicht bemerkt hat, fortfahrend zu Auguste. Wir lieben sie alle so sehr! SIGMUND schleudert das sechste Bouquet hinaus. Nummero sechs! FRANZISKA fortfahrend. Wie geht es ihr? Ich will mich heute noch selbst darnach erkundigen. AUGUSTE. Sie kommt Dir vielleicht zuvor. FRANZISKA. Die Frau Oberstkanzlerin?! SIGMUND hinzutretend. Wirklich, Baronin? AUGUSTE. Sie wird gleich hier sein um Dir ... FRANZISKA aufspringend. Die Frau Oberstkanzlerin bei mir?! JULIE spöttisch. Welche Ehre! Für sich. Zu m i r kann sie nicht kommen! AUGUSTE mit Salbung. Um Dir persönlich die Freude auszudrücken die es ihr macht, Dein Gesuch – Du weißt welches – mit ihrem ganzen Einfluße zu unterstützen. FRANZISKA fällt Augusten, dann ihrem Manne, endlich Julien um den Hals. Ich hab’s! Ich hab’s! Ich hab’ das Kreuz! AUGUSTE. Drei Tage nach Einreichung Deines Gesuch’s. Ein seltener Fall, ein sinnt nach, endlich ] sinnt nach endlich Setzfehler

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unerhörter. Ich weiß Personen, die seit drei Jahren fortwährend um das Kreuz petitioniren und es – nicht erhalten können! JULIE. Wahrscheinlich trägt eine kleine Bosheit der Frau Oberstkanzlerin die Schuld. AUGUSTE. Oder eine kleine Mangelhaftigkeit im Stammbaume. Es soll an einer Urgroßmutter fehlen. JULIE für sich. Unverschämt! – Die ihrige war eine Wäscherin! SIGMUND zu Auguste. Eine Urgroßmutter? Die kann freilich Niemand schenken. AUGUSTE. Entschuldigen Sie. Die allerhöchste Gnade kann auch Ahnen – kann auch eine Urgroßmutter schenken. DIENER meldend. Herr Baron Rath. Rath tritt ein, eine Mappe unter dem Arme. Begrüssung. Diener ab. RATH. Schöne Damen! „Vor Euch wir beugen unser Knie.“ FRANZISKA. Thun Sie das im Geiste, bester Baron, in der Wahrheit jedoch – setzen Sie sich nieder. RATH. Mit der Ausführung der Kostüm-Zeichnungen für die darzustellenden Tableau’s betraut, erlaube ich mir den Entwurf derselben, einem Zu Auguste. eben so reizendem ... AUGUSTE. Immer liebenswürdig der Baron! RATH zu Franziska und Julie. Als erfahrenem Areopag vorzulegen. Er breitet die Zeichnungen auf dem Tische aus. Erstes Tableau, Theuerdank – AUGUSTE. Ah – charmant! Leise zu Franziska. Unter jeder Kritik! RATH zu Sigmund. Das bist Du – Theuerdank! Maximilian. Zu Franziska. Das sind Sie – Prinzessin Ehrenreich Maria von Burgund – FRANZISKA mit einem Ausrufe des Schreckens. Das bin ich?! RATH zu Julie. Das sind Sie – die schöne Mechtildis. JULIE. Ganz deliziös! Leise zu Sigmund. Jede Vogelscheuche ist im Vergleiche – eine Venus! RATH zu Julie. Nicht wahr? Triumphirend. Was sagen Sie, meine Damen? AUGUSTE bei Seite. Ce sont des horreurs. Sie werden aussehen wie die Narren. Laut. Süperb, Baron! – Sie sind ein kleiner Kaulbach. RATH ihre Hand küssend. O gnädigste Baronin, ein ganz kleiner! SIGMUND zu Auguste. Sie sind nicht die Erste, die ihm das sagt – er selbst hat sich’s schon gesagt. RATH. Junger Mann aus Dir spricht der Neid. Zu Franziska. Ihr Urtheil, schönste Gräfin? FRANZISKA. Mein Urtheil? ... Im Ganzen ... Zu Sigmund hinüber blickend, der wieder an das Fenster getreten. Das heißt im Einzelnen ... Ich versichere Sie, lieber Baron ... RATH. Im Ganzen sind Sie zufrieden? FRANZISKA für sich. – Wenn ich nickte? ... zu nicken wird doch erlaubt sein?

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Ach – wer weiß? Mit einem Blicke nach den Veilchen. Nur mehr Eine Lüge möglich – die m u ß ich mir für die Kanzlerin aufheben! RATH. Aber es schwebt ein Aber auf Ihren Lippen! FRANZISKA leise. Ich hab’s! Laut. Bester Baron – Sie bemühten sich – es wäre undankbar von uns Ihnen Ausstellungen zu machen. Leise. Die reinste Wahrheit! RATH. Undankbar? Damen sind nie undankbar – es wäre undankbar von mir, das zu behaupten! FRANZISKA die schon einige Male unruhig nach der Thüre gesehen, zu Auguste. Ach Liebe! die Gräfin Platen kommt nicht. AUGUSTE. Mir unbegreiflich. JULIE. Welche Sehnsucht nach der – ich zitire Dich wörtlich: boshaften und hochmüthigen Exzellenz! FRANZISKA erschrocken. Aber, Julie! AUGUSTE zu Julie. Gräfin, ich muß bitten – ich kann nicht dulden ... JULIE. Verstellen Sie sich nicht beste Baronin, der Frau Oberstkanzlerin Exzellenz sind ja noch nicht hier. RATH. Sie kommt? Rafft seine Zeichnungen zusammen. Erlauben Sie – SIGMUND. Rath, sei ein Mann! Du wirst Deine Freunde nicht verlassen in der Stunde der Gefahr. RATH. Es wäre ungentil, Du hast Recht – aber die Exzellenz – ich fürchte mich. FRANZISKA lachend. Ihnen thut sie nichts. RATH. Nun, wenn Sie glauben. Setzt sich. AUGUSTE zu Franziska. Hochmüthig und boshaft hast Du gesagt? JULIE. Nein, – boshaft und hochmüthig. FRANZISKA rasch. Gott bewahre. Sigmund nimmt das letzte Bouquet in die Hand, und spielt damit – sie hält plötzlich inne. JULIE. Freilich hätte sie bescheiden und herzensgut sagen können, aber ... FRANZISKA leise. Still Unglückselige! Alles erzählt sie ihr wieder. JULIE ebenso. Kein Wort. Sie wagt es nicht, ich hab’s hundert Mal erprobt. RATH. Es ist zwar von einer Dame die Rede, aber ich muß gestehen Zu Franziska. das Porträt, welches Sie in zwei Zügen von Ihrer Exzellenz entwarfen, ist nicht ohne Aehnlichkeit. DIENER meldend. Ihre Exzellenz, Frau Gräfin Platen. Alle stehen auf. AUGUSTE. Sagt’ ich’s nicht! – Da ist sie! Platen tritt ein, Diener ab. FRANZISKA. Sie ist’s! Gräfin, diese Ehre, dieses Glück – dieser Besuch ... PLATEN. Die willkommene Gelegenheit, Sie meiner wohlwollenden Gesinnungen zu versichern. FRANZISKA. Ich weiß wirklich nicht, wie ich meine Freude ausdrücken soll.

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PLATEN. Ich lese sie auf Ihrem Gesichte. AUGUSTE leise zu Platen. Bekommt sie das Kreuz? PLATEN ebenso zu Auguste. Die höchste Frau haben ihr Gesuch signirt ohne mich zu fragen. Ich bin übergangen. AUGUSTE. Schmachvoll! PLATEN leise. Ruhig. Die Ehre muß gerettet werden. Laut zu Franziska. Die Achtung und Liebe, welche ich für Sie hege, kennend, haben Ihre Hoheit Ihr Gesuch um allergnädigste Verleihung des Marien-Kreuzes, auf meine Bitte, zu bewilligen geruht. FRANZISKA entzückt. O – theure Gräfin! RATH. Ich gratulire! AUGUSTE mit einem Blicke nach Julien. Und ich! – JULIE. Und ich! SIGMUND. Meine Frau ist Eurer Exzellenz sehr verpflichtet. FRANZISKA. Ihrer Güte verdanke ich dieses Glück. Ihrer unsäglichen – allbekannten Güte! SIGMUND stürzt zum Tischchen und wirft das siebente Bouquet beim Fenster hinaus. Sieg, vollständiger Sieg! da fliegt Nummero sieben! FRANZISKA leise. O Gott! ... PLATEN. Was ist denn dem Grafen? Zu Sigmund. Wollen Sie gefälligst das Fenster schließen. FRANZISKA. – Ihm ist – ihm ist – o gar nichts ... SIGMUND. Fliegende Hitze – Euer Exzellenz. PLATEN für sich. Sonderbar. Laut. Meiner allbekannten Güte – sagen Sie? Welcher Irrthum! – welche Schmeichelei! ... Niemand wird – o ich weiß es wohl! – des Mangels an Güte öfters angeklagt – – FRANZISKA mit gespielter Verwunderung. Ah! – JULIE. Mit welchem Unrecht! PLATEN zu Franziska. Ich freue mich, daß wenigstens Sie ... FRANZISKA. Ich – o ich – ja ich! ... SIGMUND. Dasch! herein da. Leise zu Franziska. Ich muß ihn in der Nähe haben. PLATEN. Wenn man von den Meisten so sehr verkannt wird ... RATH. Viel Feind’ – viel Ehr’! PLATEN. Thut es wohl sich doch von Einigen verstanden zu wissen. FRANZISKA für sich. Die arme Frau! Laut. Theure Gräfin – o bei uns ... Hält inne mit einem Blicke nach Sigmund. JULIE. Gewiß, und hier werden Sie verehrt. Die Hand auf der Brust.

Bekommt sie das Kreuz? ] Bekommt Sie das Kreuz? Setzfehler

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AUGUSTE für sich. Ich muß Ihnen doch ein wenig bange machen. Laut. Wie sehr die beiden Damen Dich zu schätzen wissen, das kann ich bezeugen. Im Augenblicke, in welchem Du eintratest, sprachen sie eben von Dir – PLATEN. Im Guten will ich hoffen. FRANZISKA. O! ... Leise zu Julie. Da hast Du’s! PLATEN. Ja, ja, man wünschte manchmal eine Fliege zu sein und so die Urtheile zu belauschen ... JULIE. Hätten doch diese Wände Ohren – FRANZISKA leise. Julie! JULIE leise. Nur Muth! Laut. Wäre dieses Zimmer ein Sprachrohr! ... RATH leise zu Julie. Ich bitte Sie um Gotteswillen, machen Sie keine solchen Spässe. Es wird Einem Angst und Bange. PLATEN sehr freundlich. Sie wünschen ich hätte gehört was Sie von mir sprachen? Sich zu Franziska wendend. Nun meine Damen, mich davon in Kenntniß zu setzen, hängt ja nur von Ihnen ab! – FRANZISKA angstvoll zu Sigmund hinüberblickend. Gräfin – Gräfin – ich ... PLATEN. Soll ich’s erfahren? FRANZISKA wie oben. Keineswegs – allerdings – Leise zu Sigmund. Sei barmherzig! – RATH, der angelegentlich mit Augusten spricht, zu welcher er sich nach dem Eintreten der Platen gesetzt hat, und die ihm nur zerstreut zuhört. Ein historisches Wams dieses da! laut Familienchronik trug es mein Ahnherr Kunz von Rathsamhausen beim Turniere zu Augsburg 1549. AUGUSTE die mit sichtlichem Interesse das Gepräch zwischen Franziska und der Platen verfolgt. – Wirklich? – Sehr interessant. PLATEN zu Franziska, die verlegen schweigt. Sie sind so zurückhaltend, so befangen – Zu Sigmund. Eine reizende kleine Frau! Zu Franziska. Und ich möchte doch gar zu gerne die Wahrheit erfahren. Sich manchmal loben zu hören, hat auch seinen Reiz. FRANZISKA angstvoll nach Sigmund blickend. Theuerste Frau – wir sagten – Sie wären – immer und gegen Jeden ... PLATEN. Was Liebe? FRANZISKA. – Die – Gräfin – Platen. Zu Julie leise und rasch. Ich darf nicht lügen – um Gotteswillen – lüge Du für mich. JULIE ebenso. Von Herzen gerne. Laut. Das heißt: Die Güte – die Liebenswürdigkeit – das Wohlwollen selbst! PLATEN geschmeichelt. Ei – nicht doch ... JULIE. Sie wollten die Wahrheit hören, Gräfin. Aber freilich, wer hat den Muth sie Ihnen zu sagen? Ihre Bescheidenheit würde ihn der Schmeichelei anklagen. sie Ihnen ] zu Ihnen Setzfehler

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PLATEN leise zu Auguste. Eine geistreiche Frau die Neuberg, ich weiß nicht was Du gegen sie hast. Hingegen Deine Franziska – schüttelt den Kopf. Laut zu Franziska. Ihre Freundin interpretirt sehr liebenswürdig, interpretirt sie auch wahr? FRANZISKA für sich. O Dasch! – O Dasch! SIGMUND aufstehend. Jetzt kommt sein Todesurtheil. FRANZISKA wirft sich ihm in den Weg. Halt! halt! – ich – ich will’s ja sagen! ... Mit muthvollem Entschluß. Frau Kanzlerin! – Die Hände faltend. O verzeihen Sie mir – aber wir haben – das heißt – ich habe – ich ganz allein – nicht sehr viel Gutes von Ihnen gesagt ... PLATEN gedehnt. – W–as? – FRANZISKA. – Nicht sehr – viel – – eher – – PLATEN aufstehend. Gräfin Andlau! JULIE zu Franziska. Bist Du verrückt? – FRANZISKA. – Eher – sehr – wenig – AUGUSTE. Was muß ich hören? – PLATEN zu Franziska. Und das gestehen Sie noch? Für sich. Qu’elle bevue! Zu Sigmund. Was mich nur in Erstaunen setzt, ist das Schweigen des Herrn vom Hause ... SIGMUND. Das Schweigen der Bestürzung. Ich bitte Euer Exzellenz tausend Mal um Verzeihung, aber – ich habe nicht die Erziehung meiner Frau gemacht. PLATEN. Leider hat es auch niemand Anderer gethan. RATH leise zu Sigmund, ihm auf die Schulter klopfend. Edler Ritter, Du hast eine große Frau! PLATEN wendet sich Julien zu. Wenn ich nicht irre, bewerben auch Sie sich um das Kreuz? JULIE verbeugt sich zustimmend. AUGUSTE rasch und spitz. Aber es fehlt an einer Urgroßmutter. PLATEN. Ganz recht. Ihre Großmutter jedoch war? JULIE. Eine Freiin von Goldberg. PLATEN zu Rath. Sind die gut? RATH. Mit uns verwandt. So alt als die Welt. AUGUSTE höhnisch. Es gibt Leute die sogar behaupten, sie stünden schon im alten Testamente. PLATEN zu Julie. Ihr Gesuch ist doch eingereicht? – Die höchste Frau haben Sich vielleicht geirrt und statt jenes – dieser Dame, das Ihrige unterzeichnet! Julie macht eine tiefe Reverenz, und die Platen schreitet majestätisch hinaus, von Sigmund bis zur Thüre begleitet. Auf der Schwelle bleibt sie stehen, und ruft sich zurückwendend. Auguste! Platen ab. AUGUSTE. – Sogleich, mon ange. Zu Franziska. Was hast Du gethan? Mit uns ] Mit Uns vermutlich Setzfehler

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JULIE. Was hast Du gethan? FRANZISKA. Das Kreuz ist dahin. – Thut mir Leid! ... Zu Julie. Ich will’s verschmerzen – Mit unterdrückten Thränen. wenn Du, was ich verliere – gewinnst. JULIE. Mein Herzenskind! ... RATH zu Sigmund, ihm auf die Schulter klopfend. Edler Ritter, ich sage Dir, Du hast auch eine gute Frau! – Ahlfeld tritt ein. Er hält die sieben Veilchensträuße in der Hand und geht rasch auf Franziska zu, die mit Auguste und Julie an dem großen Tische Platz genommen hat; ohne die Letztere zu bemerken, welche, mit dem Rücken gegen die Thüre sitzend, von der Lehne ihres Fauteuils verdeckt wird. AHLFELD. Gräfin – was bedeutet das? Vor fünf Minuten trete ich in den Hof, sehe ein Fenster – dieses Fenster – sich öffnen, und im selben Augenblick fliegt mir Etwas in’s Gesicht – das – zum Glücke Desjenigen, der es geworfen, nur ein Veilchenstrauß ist. Ich hebe es auf und sieh! auf dem Boden umhergestreut liegen noch sechs andere Sträuße – wenn ich nicht irre dieselben, welche Sie die Gnade hatten, von mir anzunehmen. JULIE für sich. Er schickt ihr Blumen? – AHLFELD. Dieselben, die ich Ihnen heut Morgens, mit meinen Glückwünschen zu Füssen legte. JULIE wie oben. Glückwünschen – zu ihrem Festtage? Des meinen freilich – hat er – vergessen. AHLFELD. Was soll ich davon denken? FRANZISKA. Nichts Schlimmes, Graf Ahlfeld. AHLFELD. Eben so wenig etwas Gutes, und das gewiß – daß Sie meine Blumen zum Fenster hinauswerfen. FRANZISKA unüberlegt. Nicht ich – mein Mann. AHLFELD zu Sigmund. – Du? SIGMUND. Ich kann’s nicht läugnen. AHLFELD für sich. So weit bin ich schon? Laut. Freund Andlau, ich stehe zu Diensten. FRANZISKA. Welche Thorheit, Graf Ahlfeld! AUGUSTE zu Rath, der fortwährend mit ihr spricht, und die gerne dem Gespräche der Andern folgen möchte. Hören Sie doch? SIGMUND zu Ahlfeld. Nicht nöthig. Sei ganz ruhig, die Eifersucht hat mit meinem Blumenstreuen nichts zu thun. AHLFELD. Du sagst das in einem Tone ... RATH. Ich lauschen? wo denken Sie hin! Für sich. So viel ich verstehe, wird dort Etwas verhandelt, das weder gehört, noch weiter erzählt zu werden braucht. Muth, junge Frau! zwei Ohren und eine Zunge blockire ich!

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SIGMUND zu Ahlfeld. In einem Tone! soll ich Dir etwa Rechenschaft geben von meinem Tone? FRANZISKA ängstlich. Lieber Sigmund! JULIE sich erhebend. Welche Thorheit Graf Andlau! AHLFELD zu Julie. Sie – hier? JULIE. Setzt Sie das in Erstaunen? Leise. Ich wollte mich an den Blumen erfreuen, die Sie – Anderen schicken. AHLFELD leise. Eine bloße Höflichkeit. JULIE leise. Deren Sie, m i r gegenüber lange vergassen. AHLFELD leise. Julie! JULIE. An meinem Namenstage hätte mich’s doch gefreut ... AHLFELD. Ihr Namenstag! Schlägt sich vor die Stirne. O! RATH der Auguste, die sich bereits einige Male erhoben hat, zum Sitzen nöthigt. Das war der ältere Zweig. Der jüngere blühte fort in Ernst Josua auf Rathsamhausen, und Antheil Abbensen ... AUGUSTE zerstreut, die Andern beobachtend. Nicht möglich – der Arme! FRANZISKA zu Sigmund, auf Julie und Ahlfeld deutend. Was ist den Beiden? SIGMUND. Man weiß nichts Gewisses – man vermuthet nur. AHLFELD zu Julie. Wir werden beobachtet. Zu Franziska. Sie sind mir noch eine Antwort schuldig, Gräfin. FRANZISKA. Und gebe sie. Ihre Blumen wurden das Opfer einer Wette zwischen meinem Mann und mir. Ihre Blumen haben mir bewiesen, wie oft ich, ohne mir Rechenschaft davon zu geben – kleine Unwahrheiten sage, und mich zu dem Entschlusse gebracht, von nun an solle keine Lüge mehr über meine Lippen kommen, auch nicht die geringste ... RATH wie oben. Sie wanderten aus. Dort ist unser Geschlecht ausgestorben ... AUGUSTE sich erhebend. Hier noch nicht. Leise. Leider! RATH erhebt sich auch. Die Blokade ist aufgehoben! AHLFELD. Nicht die geringste? nicht einmal eine Höflichkeits- eine Nothlüge? FRANZISKA. Nicht einmal die! JULIE. Ein kindischer Einfall. FRANZISKA. Warum? JULIE. Du fragst im Ernste? FRANZISKA. Im vollsten. JULIE. Dann erwiedere ich ebenfalls im vollstem Ernste. Weil Du Dich bei aller Welt verhaßt und lächerlich machen würdest. FRANZISKA. Das wollen wir sehen! JULIE. Nicht Einen Freund wirst Du bald mehr haben, nicht Einen! FRANZISKA. Besser keine Freunde als solche, die es nur sind, weil ich ihnen die Wahrheit – verschweige. RATH. Herrlich! herrlich!

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AUGUSTE. Ganz Unrecht hat sie nicht. FRANZISKA sie umarmend. Auguste! Du verstehst mich. – O meine Besten! laßt uns von dieser Stunde an grenzenlos aufrichtig gegen einander sein. JULIE. Ich bitte Dich ... AUGUSTE. Meinethalb. Seien wir aufrichtig. FRANZISKA. Sagt mir Alles, was ihr von mir denkt, ich will Euch Alles sagen. Dir – geliebte Julie ... JULIE abwehrend, erschrocken. Um Gotteswillen – Verdrießlich. Verschone mich. AHLFELD hastig zu Julie. Kommen Sie. FRANZISKA. Was ängstigt Dich, Liebe? AUGUSTE sich an Julien’s und Ahlfeld’s Verlegenheit weidend. Die Gräfin fürchtet, zu hören was die Welt von ihr denkt, könnte sie hochmüthig machen. Ich habe das nicht zu besorgen. Die Wahrheit über mich zu erfahren, kann mir nur eine Uebung in der christlichen Demuth sein. Und so bitte ich denn, theuerste Franziska, mir zu sagen, welche meiner Schwächen, meiner Unvollkommenheiten Schuld trägt, daß ich bei Deinen Tableaus nicht mitwirken sollte ... FRANZISKA für sich. Jetzt wärmt sie die alte Geschichte wieder auf! SIGMUND zu Franziska. Armer Dasch! ich glaubte ihn gerettet. FRANZISKA weinerlich. Er ist nicht in Gefahr. AUGUSTE. Denn – errathen zu haben, daß ich ausgeschlossen bin, werden die Damen, meinem freilich sehr geringem Scharfsinn doch zutrauen? – FRANZISKA. Es war die Meinung, liebe Auguste – daß Du vielleicht nicht mehr – jung genug – AUGUSTE. Nicht jung? – alt etwa? – Hm! SIGMUND zu Rath. Rom ist gerettet, aber – Coriolan ist hin! RATH zu Sigmund. Hin ist er! FRANZISKA. Vielleicht auch nicht gerade so – so schön – als – AUGUSTE. Nicht schön? – etwa – häßlich? – Alt und häßlich also? ... Sei so gut und erzähle das nicht weiter, die Leute könnten an Deinem Urtheile irre werden ... O mein betrogenes Herz! FRANZISKA liebevoll. Was liegt daran ob Du jung und schön? was liegt m i r daran? – Ich liebe Dich wie Du bist – werde Dich immer lieben, auch wenn Du noch viel älter sein wirst, viel ... AUGUSTE. Genug! ... Das ist nicht mehr Aufrichtigkeit – das ist Impertinenz! FRANZISKA. Au–gu–ste – – AUGUSTE. Ich habe von Freundschaft geträumt – ich bin aufgewacht. RATH beschwichtigend. Suchen Sie wieder einzuschlafen ... AUGUSTE sich zum Gehen wendend. Niemals!

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FRANZISKA ihr nacheilend. Verlaß mich nicht – bleibe! AUGUSTE. Adieu. Die Herren verneigen sich. Auguste geht ab. RATH zu Sigmund. Du hast eine ungeheure Frau! JULIE zu Ahlfeld. Ich halte diese Frau für krank. Den Finger an der Stirne. Hier. FRANZISKA. Sie hat mich verlassen! JULIE. So werden alle Deine Bekannten thun, wenn Du ihnen nichts zu sagen weißt, als – die Wahrheit. FRANZISKA will ihre Hand fassen. Ach Julie, meine liebste Freundin – vielleicht meine – Einzige – Du scheinst mir verletzt, gekränkt und Dir habe ich ja noch gar nichts ... AHLFELD fällt ihr ins Wort. Die Gräfin will auch nichts hören. JULIE. Ausgenommen Eines. Waren diese Blumen die ersten, welche Graf Ahlfeld Dir „zu Füssen“ legte? AHLFELD leise flehend zu Franziska. Sagen Sie ja! FRANZISKA zu ihm. Ich lüge nicht. Zu Julie. Keine Rede! fast täglich schickt er die schönsten Sträuße ... JULIE für sich. Wie mir ... Vor einem Jahre! AHLFELD leise zu Franziska. Ich beschwöre Sie – schweigen Sie! FRANZISKA. Warum denn? AHLFELD leise. Wie oft bat ich Sie, Ihren Freundinnen von meinen Blumen nicht zu sprechen! FRANZISKA. Sie sind zu bescheiden Graf Ahlfeld. Sie wollen sich Ihrer Großmuth nicht rühmen. AHLFELD. Nein – nein! SIGMUND. Ja wohl, er meint die linke Hand solle nicht wissen, was die rechte thut. JULIE. Bin ich in diesem Falle die linke Hand? AHLFELD. Sie quälen mich Gräfin, ich bitte um Gnade. JULIE. Wir sprechen uns. – Später. Zu Franziska. Laß Dich warnen, Franziska, vor den Blumen des Grafen Ahlfeld. Sie haben auch ihre Dornen, die freilich erst dann erscheinen, wenn die Blumen – ausbleiben. FRANZISKA. Was soll das heißen? JULIE. Lebe wohl. Ich wünsche diesem Hause, das Du zu einem Tempel der Wahrheit machen willst, recht viele Besucher. – Halb laut. Unter denen – ich selten erscheinen dürfte. FRANZISKA. Ist es möglich? ... Die Herren verneigen sich. Julie geht ab. FRANZISKA. Auch sie! ... Auch sie! Auch sie! ... Auch sie! ] Auch Sie! ... Auch Sie! Setzfehler

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RATH. „Sie geht in Wuth, sie trägt den Tod im Herzen.“ AHLFELD halblaut zu Sigmund. Ich muß folgen, Du begreifst? SIGMUND. Ich begreife. Gehe – bevor meine Frau, auch zu begreifen anfängt. FRANZISKA. Lieber Sigmund, mir scheint, ich habe schon angefangen. Nimmt die Veilchen, die Ahlfeld auf das Tischchen gelegt hat, und reicht sie ihm. Nehmen Sie Ihre Veilchen mit Graf Ahlfeld, – das sind nur arme Sterbende und ich gehe mich an den Lebendigen zu freuen. AHLFELD verneigt sich. Ich gehorche Gräfin. Geht ab. SIGMUND. Hab’ ich verstanden? ... Du willst fort?! FRANZISKA. Bin ich denn hier nicht unmöglich geworden? ... Welche Menschen Sigmund! welche Menschen! Julie behält recht. Ich habe nicht einen einzigen Freund! SIGMUND kniend. Einen doch! RATH ebenfalls kniend. Und noch einen! SIGMUND. Sieh’ Dich um, Franziska. FRANZISKA thut es und erblickt den knienden Rath. Wie? – was? sie verlassen uns nicht? RATH. Verlassen – ich? – Ich gehe nicht einmal, wenn Sie mich fortjagen. FRANZISKA. Das sagen Sie jetzt. Aber – wenn ich auch Ihnen die Wahrheit bekenne – Ihnen gestehe – lieber Rath – daß ich sie oft recht langweilig gefunden ... SIGMUND sie unterbrechend. – Lassen wir das ... FRANZISKA. Ich habe, wenn Sie mit mir sprachen, ein aufmerksames Gesicht gemacht, und Flehend. – verzeihen Sie mir! – Ihnen doch nicht zugehört – SIGMUND. Hör’ auf, Franziska! Entschuldigend zu Rath. Sie hat einen förmlichen Anfall von Aufrichtigkeit. FRANZISKA. Ich finde auch – o bester Baron! – Ihre Zeichnungen gar nicht schön ... Im Gegentheil, ich finde sie, – nun – das Gegentheil von schön. – So! – jetzt gehen auch Sie, lassen Sie mich allein mit meinem Schmerz, mit meiner Enttäuschung – Stürzt in Sigmunds Arme. und mit meinem Mann! RATH. Noch mehr Wahrheit! Sagen Sie Alles! FRANZISKA. Gott sei Lob und Dank, ich habe schon Alles gesagt! SIGMUND. Und er geht doch nicht! FRANZISKA. Nicht? – nicht? ... O Sie sind – RATH. Ihr Ritter – wenn Sie mich dazu annehmen. FRANZISKA. Freudig – feierlich. Aber jetzt fort, Sigmund! SIGMUND. Nach Andlau! Zu Rath. Du kommst doch mit, Du Echter? RATH. Wenn meine Dame ruft – FRANZISKA. Das thut sie. RATH. Nach Andlau!

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FRANZISKA. Dort wollen wir allen Leuten die Wahrheit sagen. SIGMUND. Nicht allen. Geben wir unser Bestes, nur den Besten. FRANZISKA. Mit den Uebrigen seien wir – liebenswürdig!

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Die Veilchen Lustspiel in einem Aufzuge von M. von Eschenbach

Wiener Theater-Repertoir Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt.

Wien: Verlag der Wallishausser’schen Buchhandlung 1877

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PERSONEN GRAF SIGMUND ANDLAU FRANZISKA, seine Frau GRÄFIN PLATEN GRÄFIN NEUBERG BARONIN WOLF [GRAF AHLFELD] BARON RATHHAUSEN EIN DIENER

Eleganter Salon. Links, am Camine ein Tisch, Canapé und Fauteuils. Rechts, am Fenster ein kleiner Marmortisch, auf dem eine Blumenvase steht, zwei Fauteuils.

Erster Auftritt SIGMUND und FRANZISKA an dem kleinen Tische. DIENER steht vor FRANZISKA und präsentirt auf silberner Platte ein großes Veilchenbouquet.

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DIENER. Graf Ahlfeld läßt sich erkundigen nach dem Befinden der Frau Gräfin und anfragen, ob er im Laufe des Vormittags seine Aufwartung machen dürfe? FRANZISKA. Freilich, freilich, ich erwarte ihn. DIENER. Sehr wohl. Will gehen. FRANZISKA. Vergessen Sie ja nicht: Ich ließe danken, schönstens – bestens – ich hätte eine große Freude gehabt. DIENER. Sehr wohl. Ab. FRANZISKA das Bouquet zu Sigmund hinüberreichend. Da! Ist das nicht liebenswürdig? SIGMUND nimmt die Blumen. Ein prächtiger Strauß! Eins – drei – fünf, eigentlich sechs Sträuße in einen zusammen gebunden. Ach, wie das duftet! ... Mich mahnt’s an unsere Wälder, wo jetzt auch die Veilchen blühen. FRANZISKA. Mich mahnt’s an den guten Menschen, der mir die Blumen geschickt hat. Ist Ahlfeld nicht vortrefflich? Er sucht meine Gedanken zu errathen, mir den kleinsten Wunsch zu erfüllen. SIGMUND faßt ihre Hand. Thut er das allein? FRANZISKA. Ich sagte gestern vor ihm und – noch einem Anderen, daß ich Veilchen über Alles liebe. SIGMUND. Du? – Ich dachte, Julie Neuberg hätte es gesagt. FRANZISKA. Sie sagte mir’s nach. SIGMUND. Und sah Ahlfeld dabei an. FRANZISKA. Wenn sie’s gethan, hat sie den Rechten angesehen. Er versteht doch, was man meint, wenn man sagt: Ich liebe Veilchen über Alles! SIGMUND. Liebst Du sie, so freu’ Dich an den lebendigen. Das sind ja nur arme sterbende. In Andlau, geliebtes Kind. FRANZISKA. In Andlau und immer in Andlau! – Geliebter Mann: Die Veilchen habe ich auf dem Lande durch neunzehn Jahre genossen, erlaube mir sie im zwanzigsten – in der Stadt zu genießen. Bester – ich bin so zufrieden hier, über jede Beschreibung! ... Das Herz geht mir auf unter allen den prächtigen Menschen, die ich täglich kennen lerne. Niemals hätte ich geglaubt, daß es so viele gute Menschen gäbe. Wie kommen mir Alle entgegen, wie lieben

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mich Alle! Sigmund, ich freue mich, daß ich lebe – Du hast eine glückliche Frau! SIGMUND. Nun, dann bin ich ein glücklicher Mann! FRANZISKA. Es thut so wohl, geliebt zu werden, und mich liebt man, weißt Du das? SIGMUND. Aus eigenster Erfahrung. FRANZISKA. Dich meint’ ich nicht. Daß Du mich liebst, versteht sich von selbst, wärst Du sonst mein Mann? – Aber mich lieben auch Leute, bei denen sich’s nicht von selbst versteht. SIGMUND. Ist das möglich? FRANZISKA. Alles liebt mich – Alt und Jung, Groß und Klein. SIGMUND. Was da fleucht und kreucht – die ganze Menschheit und die ganze Arche Noä – Dash an der Spitze. FRANZISKA. Ah, Dash! Klingelt. Diener kommt. Zu ihm. Ist das Kammermädchen mit Dash nach Hause gekommen? DIENER. Noch nicht. Ab. FRANZISKA am Fenster. Wie lange sie ausbleibt! SIGMUND. Bei diesem Wetter ... Und Dash hat nicht einmal einen Regenschirm mitgenommen? FRANZISKA. Schlechter Spötter! – Also: Mich liebt man, ich habe Freunde, wahre Freunde gewonnen in dieser kurzen Zeit! SIGMUND lacht. Haha ... Wahre Freunde, hier? FRANZISKA. Zuerst meine edle Gräfin Berg. SIGMUND. Die laß’ ich gelten, die Eine! FRANZISKA. Dann Ahlfeld – Julie – Auguste – SIGMUND. Das sind mir die rechten! FRANZISKA. Höre sie nur reden. SIGMUND. Reden?! ... Du mußt nicht Alles für ausgemacht halten, was sie – reden. In einem Scheffel Schmeichelei geben sie Dir kaum ein Körnchen Wahrheit. FRANZISKA. Mir zu schmeicheln fällt Niemandem ein. SIGMUND. Glaubst Du? – Ich versichere Dich des Gegentheils. In der Welt sagt man einander angenehme Unwahrheiten. Das nennen die Leute liebenswürdig sein. FRANZISKA. Und sollten es eigentlich falsch und verächtlich nennen. SIGMUND. Kind! ... Beurtheile nur die Anderen nach Dir selbst. Sagst Du allen Deinen „guten“, „vortrefflichen“ Freunden immer die blanke Wahrheit? FRANZISKA zuversichtlich. Immer! SIGMUND. Liebes Herz, wenn jede kleine Unwahrheit, die Du gesagt hast, seitdem wir in die Stadt gekommen sind, Seufzend. um hier unsere letzten Honigwochen zuzubringen, Dich nur eines Deiner Haare gekostet hätte – so viele ihrer sind, heute müßten wir zum Perrückenmacher schicken.

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FRANZISKA. Genug, zu viel! ... Was muß ich hören? Du hältst mich für eine ausgelernte Lügnerin, vielleicht auch Heuchlerin – warum nicht gleich auch Räuberin und Mörderin? SIGMUND. Franziska! FRANZISKA. Welche Anklage, mein Gott, welche gräßliche Anklage! SIGMUND. Von einer Anklage ist nicht die Rede. Ich behaupte eine Thatsache ohne sie zu verdammen, wenn ich sie auch nicht gerade lobe. FRANZISKA. Nicht loben, heißt tadeln! SIGMUND. Bitte um Entschuldigung. – O Frauenlogik! FRANZISKA. Nicht loben, heißt nicht tadeln. – O Männerweisheit! SIGMUND. Schon zwanzig Jahre und noch so kindisch! FRANZISKA. Erst dreißig Jahre und schon so grundgescheidt! SIGMUND. Ich will mich nicht ärgern, liebes Kind ... FRANZISKA. Warum denn nicht? – Aergere Dich nur; ich ärgere mich sehr. SIGMUND. Die Uhr schlägt Eins. Nun werden sie gleich da sein, die „guten“, „vortrefflichen“ Freunde. Erlaubst Du mir, bei jeder kleinen Unwahrheit, die in den nächsten sechzig Minuten über Deine Lippen kommt, einen dieser Veilchensträuße zum Fenster hinauszuwerfen? FRANZISKA welche inzwischen die Blumen in die Vase gesetzt hat. Mich dazu, wenn ich lüge! SIGMUND. Dich? ... Dich erst dann, wenn alle Sträuße schon draußen sein werden. FRANZISKA. Bei der siebenten Lüge?! – Gut, ich gebe Dir die Erlaubniß dazu. SIGMUND drückt ihr die Hand. Ich danke Dir. Aber – an Deinem Geburtstage soll ich Dir den Hals brechen? FRANZISKA. Wird den Hals nicht kosten, der Sand vor dem Hause ist ja hoch aufgeschüttet. DIENER meldend. Das Kammermädchen ist mit Dash nach Hause gekommen. FRANZISKA. Endlich! Diener ab. SIGMUND. Dash? – Ein Wink von oben. Schicksalsmächte, ich verstehe Euch. – – Nach dem sechsten Strauße fliegt Dash! Geht zur Thüre und ruft hinaus. Bringt Dash in mein Zimmer. FRANZISKA ängstlich. Du wirst doch nicht? ... SIGMUND. Deine s i e b e n t e Lüge tödtet das süße Thier, und Du sagst nicht ein e! Diener trägt einen Korb, in dem ein kleines Hündchen liegt über die Bühne und geht ab. FRANZISKA. Du hast recht. Also Topp – eingeschlagen. SIGMUND. Der Vertrag ist geschlossen. FRANZISKA. Unter einer Bedingung. Wenn alle Besuche fort sind und alle Sträuße noch da sind, leistest Du knieend Abbitte. SIGMUND. Von ganzem Herzen.

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FRANZISKA die Thür öffnend, hinter welcher der Korb mit dem Hündchen vermuthet wird. Ja was macht denn mein Dash, mein lieber? ... Bist froh, daß Du mich wieder siehst, – sag’ ja, mein Dash! So – so, nur ruhig! – Placire Dich! DIENER meldend. Frau Gräfin Neuberg. Ab.

Zweiter Auftritt VORIGE. JULIE.

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FRANZISKA. Willkommen, Liebste! Umarmt Julie. Dein Namenstag, nicht wahr? JULIE. Dein Geburtstag, nicht wahr? FRANZISKA. Ich gratulire! JULIE. Ich gratulire! Zu Sigmund. Guten Morgen Ihnen. Sie legt Hut und Shawl ab. FRANZISKA. Nun, machen sie sich? – Bringen wir sie zusammen? JULIE. Wir bringen sie zusammen. FRANZISKA. Herrlich, ich bin entzückt! JULIE zu Sigmund. Und Sie? SIGMUND. Ich bin bereit, es zu werden, haben Sie nur die Gnade, mir zu sagen worüber? FRANZISKA. Er fragt! JULIE. Sie fragen? SIGMUND. Ich frage: Wovon ist die Rede? FRANZISKA. Wovon spricht seit acht Tagen die ganze Stadt? JULIE. Was bewegt alle Gemüther, setzt jeden Ehrgeiz in Bewegung? SIGMUND. Nun? JULIE. Die lebenden Bilder – FRANZISKA. Die wir arrangiren. SIGMUND. So? FRANZISKA. Wir sagen es ja in einem fort! SIGMUND zuckt die Achseln. Ich habe eben nichts gehört. FRANZISKA zu Julie. Uebernimmt Ahlfeld die Direktion? JULIE. Wir übernehmen sie, Ahlfeld und ich; mein Bruder ist Regisseur, Baron Rathhausen zeichnet schon die Costume. SIGMUND. Schon? JULIE. Wir brauchen die Bilder morgen, es müssen Wunder von Geschwindigkeit geschehen. SIGMUND. Und die erwarten Sie von Rathhausen, dem umständlichsten aller Menschen?

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JULIE. Umständlich ist er, das muß man sagen. FRANZISKA. Wohl auch ein wenig langweilig dazu. SIGMUND. Findest Du? Zu Julie. Und wenn er mit ihr spricht, hört sie ihn an mit einer Aufmerksamkeit! ... Es sieht aus, als wollte sie jedes seiner Worte verschlingen. JULIE. Wäre eine unverdauliche Speise. FRANZISKA. Es sieht auch nur so aus. Ich mache ein neugieriges Gesicht und höre ihm gar nicht zu, sondern denke, was mich freut. SIGMUND. S–o? ... Daran erkenn’ ich meine aufrichtige Frau. FRANZISKA zu Julie. Hast Du die Liste der Glücklichen mitgebracht, denen wir erlauben mitzuwirken? JULIE. Hier ist sie. Wir waren strenge, Ahlfeld und ich. SIGMUND leise zu Franziska. Schon wieder: Ahlfeld und ich. Was behaupte ich immer? FRANZISKA ebenso zu ihm. Unmöglich, Sigmund. – Eine verheiratete Frau! In der Liste lesend, laut. Gut, vortrefflich – aber, wo bleibt Betty, und – Adele und meine Freundin Auguste? JULIE. Die Eine ist alt, die Andere häßlich, die Dritte – Beides. Wir können sie nicht brauchen. FRANZISKA. Liebe Julie, ich kann mich mit Augusten nicht verfeinden, sie ist Ohr und Auge der Oberstkanzlerin. Ich bin um das Marienkreuz eingekommen und bedarf einer Fürsprecherin bei der boshaften Excellenz. Ueberdieß lieb’ ich Auguste und sie kann ohne mich nicht leben. JULIE. Unglaublich! FRANZISKA. Ich glaube es. – Sie hat es mir gesagt! JULIE lacht. Sie glaubt etwas, weil man ihr’s sagt! ... Herzenskind, werde älter und Du glaubst bloß deßhalb eine Sache nicht, weil man sie Dir gesagt hat. SIGMUND. Hört! Hört! JULIE. Zur Tagesordnung. Aus dem Macbeth machen wir kein Tableau, reflectiren also auf deine drei – Damen nicht. FRANZISKA. Wohlan, wenn es sein muß. – Ich opfere Auguste, jedoch mit schwerem Herzen, mit bösem Gewissen. Nun erweise mir das Schicksal nur die einzige Gunst, sie heute nicht hieher zu führen. Ich könnte ihr nicht in die Augen sehen ... Ihr kleinen Götter des Zufalls, Euch ruf’ ich an! ... DIENER meldend. Baronin Wolf! Ab. FRANZISKA. Das ist zum Verzweifeln! SIGMUND für sich. Zum Entzücken!

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Dritter Auftritt VORIGE. AUGUSTE.

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FRANZISKA ihr entgegen. Liebste, beste Auguste, wie schön, daß Du kommst! Wie freut mich’s, Dich zu sehen ... SIGMUND der sich gegen Auguste verneigt hat, stürzt zum kleinen Tische und wirft bei Franziska’s letzten Worten ein Bouquet zum Fenster hinaus. Numero Eins! FRANZISKA sieht es, für sich. Adieu, Abbitte. Darauf hatt’ ich vergessen. AUGUSTE macht Julien, die zu Sigmund getreten ist und leise mit ihm spricht, eine kalte Verbeugung. Die Gräfin Neuberg. Ich bitte, sich nicht stören zu lassen. JULIE. Worin denn, liebe Baronin? AUGUSTE. In dem eben geführten Gespräche. Leise zu Franziska. Nimm Dich vor der Kokette in Acht! FRANZISKA. Ich? AUGUSTE. Was mich hierher zieht, ist die Sympathie für die Frau des Hauses. Sie setzt sich zu Franziska. SIGMUND leise zu Julie. Die Baronin erweist mir die Ehre zu glauben, daß Sie ... JULIE. Lächerlich und abscheulich! Für sich. Sie wär im Stande mich zu verleumden, bei – Ahlfeld. FRANZISKA zu Auguste. Was willst du sagen? AUGUSTE. – Nichts, mein gutes armes Kind. ... Unter Anderem, Liebste! Ich komme von der Kanzlerin. „Andlau’s arrangiren Tableaux,“ sagte sie. „Ich glaube es nicht,“ sage ich. – „Eine so wichtige Sache unternimmt Franziska ohne mein Wissen nimmermehr.“ FRANZISKA. – Natürlich – Blickt zu Sigmund hinüber, der eben im Begriffe ist, ein zweites Bouquet aus der Schale zu nehmen, und stockt. Wie könntest du glauben, daß ich – daß wir ... AUGUSTE. Was ist dir, Franziska? Für sich. Mit welcher Unruhe sie hinüberblickt! – Ganz verloren vor Eifersucht. Laut. Hab’ ich nicht Recht gehabt? FRANZISKA. Freilich – nein – das heißt ... Winkt Julien, leise. Hilf mir, ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. JULIE zu Auguste. Wir wollten Sie überraschen, liebe Baronin, aber das ist unmöglich. Sie sind allwissend. Ja denn, wir machen Tableaux. AUGUSTE. So. so. FRANZISKA sehr rasch. Bei denen wir auch dir eine Rolle zudachten. ... SIGMUND wirft das zweite Bouquet zum Fenster hinaus. Numero Zwei! FRANZISKA. O weh!

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JULIE leise zu Franziska. Was thust Du? Zu Auguste. Unter den Zusehern nämlich. Tritt wieder zu Sigmund. AUGUSTE. War das deine Meinung, Franziska? FRANZISKA. Meine Meinung – ich – versteh’ mich recht – AUGUSTE. So sprich doch, liebes Herz! FRANZISKA nachdenkend. Das geht! Laut. Unsere Meinung war – meine Meinung vor allem anderen – Leise. Das geht wieder nicht ... Ei – ich kann nicht helfen! Laut mit Entschlossenheit. dir die Wahl zu lassen – willst Du mitwirken, Liebste, so wird es uns eine Freude sein. Für sich. Das Dritte ist hin! SIGMUND das dritte Bouquet zum Fenster hinausschleudernd. Numero Drei! AUGUSTE. Nun – wir werden sehen – ich verspreche nichts, aber – wenn ich durchaus unentbehrlich wäre ... JULIE leise zu Franziska. Da hast du’s! – Man muß sie auf andere Gedanken bringen. Laut. Und Sie sprechen uns gar nicht von unserer verehrten Frau Kanzlerin? AUGUSTE. Ich fand sie sehr verstimmt. JULIE. Verstimmt? Das wäre! Wissen Sie denn, daß man sich in der Stadt erzählt, ihre Stellung sei erschüttert? AUGUSTE. Geschwätz! JULIE. Man nennt sogar ihre Nachfolgerin. AUGUSTE. Ich bitte Sie! – Und wer sollte das sein? JULIE. Die Gräfin Berg. FRANZISKA. Wär’s möglich? Die edle liebenswürdige Gräfin Berg? Welch’ ein Tausch! – Es wäre ein wahres Glück – – AUGUSTE. Doch nicht für Dich? Ei, ei Franziska. Du solltest nicht Partei für sie ergreifen, die Berg ist die intimste Feindin der Frau Kanzlerin und die Frau Kanzlerin ist Dir sehr gewogen. FRANZISKA. Nun ja, gegen mich war sie immer sehr gnädig, gegen Andere jedoch – AUGUSTE. Was gehen Dich die Anderen an? – Du wirst noch heute einen Beweis ihres Wohlwollens empfangen. FRANZISKA. Auguste, versteh’ ich Dich? AUGUSTE. Bist Du nicht vor drei Tagen um das Marienkreuz eingekommen? FRANZISKA. Freilich, freilich. AUGUSTE. – Mit welchem Erfolge, wird die Gräfin Platen selbst mittheilen, und zwar – hier, und zwar – sogleich. FRANZISKA aufspringend. Die Oberstkanzlerin bei mir?! JULIE spöttisch. Welche Ehre! Für sich. Zu m i r kann sie nicht kommen!

ein wahres Glück ] ein, wahres Glück Setzfehler

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AUGUSTE. Bei Dir! – Um Dir persönlich die Freude auszudrücken, die es ihr macht, die Gewährung Deiner Bitte mit ihrem ganzen Einflusse zu unterstützen. FRANZISKA fällt ihrem Manne, dann Augusten, dann Julien um den Hals. Ich hab’s! Ich hab’s! Ich hab’ das Kreuz! AUGUSTE. Drei Tage nach Einreichung Deines Gesuchs. Ein seltener Fall, ein unerhörter. Ich weiß Personen, die seit drei Jahren fortwährend um das Kreuz petitioniren und es nicht erhalten können. JULIE. Vermuthlich trägt eine kleine Bosheit der Frau Kanzlerin die Schuld. AUGUSTE. Oder eine kleine Mangelhaftigkeit im Stammbaume. Es soll an einer Urgroßmutter fehlen. JULIE für sich. Unverschämt! – Die ihrige war eine Wäscherin! DIENER meldend. Herr Baron Rathhausen. Rathhausen tritt ein, eine Mappe unter dem Arme. Begrüßung. Diener ab. RATHHAUSEN. Schöne Damen: „Vor Euch wir beugen unser Knie.“ FRANZISKA. Thun Sie das im Geiste, bester Baron, in der Wirklichkeit jedoch – setzen Sie sich nieder. RATHHAUSEN. Mit der Ausführung der Costum-Zeichnungen für die darzustellenden Tableaux betraut, erlaube ich mir, den Entwurf derselben einem Zu Auguste. eben so reizenden Zu Franziska und Julie. als erfahrenen Areopag vorzulegen. AUGUSTE. Immer liebenswürdig der Baron! Rathhausen breitet die Zeichnungen auf dem Tische aus. Erstes Tableau: Theuerdank. AUGUSTE. Ah – deliciös! Leise zu Franziska. Schauerlich! RATHHAUSEN zu Sigmund. Das bist Du – Theuerdank – Maximilian. Zu Franziska. Das sind Sie – Prinzessin Ehrenreich – Maria von Burgund. FRANZISKA mit einem Ausrufe des Schreckens. Das bin ich?! RATHHAUSEN zu Julie. Das sind Sie – die schöne Mechtildis. JULIE. Ent – entzückend! Leise zu Sigmund. Eine Vogelscheuche. RATHHAUSEN. Was sagen Sie, meine Damen? AUGUSTE für sich. Ce sont des horreurs. Sie werden aussehen wie die Narren. Laut. Charmant, Baron! Charmant! Ich bewundere in Ihnen einen kleinen Kaulbach. RATHHAUSEN küßt ihre Hand. O gnädigste Baronin – einen ganz kleinen! Zu Franziska. Ihr Urtheil, schönste Gräfin? FRANZISKA. Mein Urtheil? – Im Ganzen – Zu Sigmund hinüber blickend. das heißt im Einzelnen ... Ich versichere Sie, lieber Baron ... RATHHAUSEN. Im Ganzen sind Sie zufrieden?

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Erstes Tableau ] Erstes Tableaux Setzfehler

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FRANZISKA für sich. Der gute Mensch – ich kann ihn nicht kränken. Laut. Sehr zufrieden. SIGMUND wirft das vierte Bouquet zum Fenster hinaus. Numero Vier! FRANZISKA leise. Numero Vier auch dahin – wegen eines armseligen: Sehr zufrieden? Trotzig. Warte! Wenn ich schon für eine Lüge bezahlen muß, so soll’s doch wenigstens eine tüchtige sein. Zu Rathhausen. Prächtig sind Ihre Bilder, Baron! Ich hab nie etwas Schöneres gesehen. RATHHAUSEN. Sie sagen das nicht bloß, um mir Freude zu machen? Es ist Ihre wirkliche Meinung? FRANZISKA. Meine wirkli ... Mit einem Blicke nach den Veilchen. Nein! – es sind nur mehr zwei Sträuße übrig, die muß ich mir für die Kanzlerin aufheben. Zu Julie. Ich darf nicht mehr lügen – lüge Du für mich. JULIE. Vom Herzen gerne. Zu Rathhausen. Können Sie noch zweifeln? Sie ist ja ganz begeistert! DIENER meldend. Ihre Exzellenz, Frau Gräfin Platen. Alle stehen auf. AUGUSTE. Sagt ich’s nicht? Da ist sie! Gräfin Platen tritt ein. Diener ab. FRANZISKA. Sie ist’s. Gräfin, diese Ehre, dieses Glück – dieser Besuch ... PLATEN. Die willkommene Gelegenheit, Sie meiner freundlichen Gesinnungen zu versichern. FRANZISKA. Ich weiß nicht, wie ich meine Freude ausdrücken soll – PLATEN. Ich lese sie auf Ihrem Gesichte. AUGUSTE zur Platen. Bekömmt sie das Kreuz? PLATEN. Es ist ihr so gut wie gewiß, kostet mich nur mehr ein Wort an die höchste Frau. Zu Franziska. Sie ahnen nicht, was mich eigentlich hierher führt? AUGUSTE zu Franziska. Sie will Dich überraschen – sag’ nein! Du bist mir’s schuldig. FRANZISKA. Nein, Gräfin, ich habe keine Ahnung. Seufzend. Numero Fünf! SIGMUND schleudert das fünfte Bouquet zum Fenster hinaus. Numero Fünf! PLATEN feierlich. Die Achtung und Liebe, welche ich für Sie hege, kennend, wird Ihre Hoheit Ihr Gesuch um allergnädigste Verleihung des MarienKreuzes auf meine Bitte zu bewilligen geruhen. FRANZISKA. O – theure Gräfin! RATHHAUSEN. Ich gratulire! AUGUSTE. Und ich! JULIE. Und ich! SIGMUND. Meine Frau ist Euer Excellenz sehr verpflichtet. FRANZISKA. Ihnen allein verdanke ich dieses Glück, Ihrer unsäglichen Güte für mich!

für eine Lüge ] für eine Lücke Setzfehler

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PLATEN. Ihre Dankbarkeit thut mir wohl. In einer Stellung, wie die meine erfährt man sie selten. Man kommt zu oft in die Lage Anderen nützlich zu sein und für nichts strafen uns die Menschen härter als für Dienste, die wir ihnen erwiesen haben. AUGUSTE. Ja wohl. Ja wohl. FRANZISKA. Ist das möglich? – So schlecht könnten die Menschen sein? Dann wär’s ja ein Unglück zu leben! PLATEN. Halten Sie es denn für ein Glück? FRANZISKA. Bis jetzt ist mir’s so vorgekommen. PLATEN. Ihre Jugend erklärt diesen beneidenswerthen Irrthum. Wenn Sie einmal meine Erfahrungen – Doch ich bin heute besonders verstimmt – durch einen neuen Schmerz, eine neue Enttäuschung ... FRANZISKA für sich. Die arme Frau! AUGUSTE. Was ist geschehen, Theuerste? PLATEN. Gräfin Berg ist abgereist. ALLE UEBRIGEN. Abgereist?! PLATEN. Und ohne Abschied, ohne mir Lebewohl zu sagen. AUGUSTE. Die Herzlose! Nach Allem, was Du für sie gethan hast! JULIE zu Sigmund. Jetzt ist die Platen allmächtig! Laut. Also fort ist sie? – Glückliche Reise, ich weine ihr nicht nach. Verzeihen Sie, Gräfin, aber wir können Ihren Schmerz nicht theilen. Nicht wahr, Franziska? SIGMUND zu Franziska. So sprich doch, liebes Kind. FRANZISKA. Nicht? – o ja ... JULIE leise. Schweige! Laut zur Platen. Ihre Güte beurtheilte diese Dame mit einer Nachsicht, die ihr von uns nicht zu Theil wurde. Nicht wahr, Franziska? FRANZISKA. Nachsicht? JULIE. Einen Augenblick, ehe sie kamen, Gräfin, sprachen wir davon – Franziska und ich, wie schrecklich es doch wäre, wenn die Intriguantin ihr Ziel erreichte, das – Sie wissen es nicht, Frau Kanzlerin, Sie sind zu edel, zu großmüthig, um derlei Dinge für möglich zu halten – kein anderes war als: Sie aus der Stellung zu verdrängen, in welcher Sie so segensreich wirken – in welcher Sie unersetzlich sind! PLATEN zu Auguste. Eine geistreiche Frau, die Neuberg. Ich weiß nicht, was Du gegen sie hast. Laut. Man sagte mir wohl, daß Gräfin Berg diese Absicht hegte, allein ich habe es nicht geglaubt. Uebrigens – möglich, daß ich mich irrte – möglich, daß Andere die Gräfin besser zu beurtheilen verstanden als ich. Zu Franziska. Wer sagte mir doch, daß Sie sehr gut mit ihr gewesen sind? FRANZISKA. Ich – ich ... Jetzt ist die Platen ] Jetzt die Platen Setzfehler

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JULIE leise zu ihr. Um Gottes Willen, es gilt das Kreuz! Einsagend. Du kanntest sie kaum ... FRANZISKA. Ich kannte sie kaum ... SIGMUND stürzt zum Tischchen und wirft das letzte Bouquet zum Fenster hinaus. Numero Sechs! FRANZISKA. Was habe ich gethan?! Das war feig! Das war schlecht! JULIE. Wir fanden sie unbeschreiblich widerwärtig, wir Beide und alle Welt. Nicht wahr, Franziska? SIGMUND öffnet die Thüre ins Nebenzimmer. Dash! ich muß ihn in der Nähe haben. PLATEN sehr freundlich. Ei, ei – so unbeliebt wäre die Berg in der Gesellschaft? Was meint unsere kleine Gräfin dazu? JULIE. Rede! SIGMUND. Dash! komm mein kleiner Dash! FRANZISKA. Laß’ das Sigmund – ich weiß ja doch, Du machst nicht Ernst. Auch ist’s nicht nöthig – ich bin beschämt genug. – Mit muthvollem Entschluß. Frau Kanzlerin, Gräfin Berg ist meine verehrte Freundin – ich schätze sie, ich liebe sie, und verachte mich, daß ich sie einen Augenblick verläugnen konnte. PLATEN. Verläugnen? – ja, warum denn? FRANZISKA. Ich dachte – ich meinte. PLATEN. Doch nicht, es thun zu müssen, mir zu Gefallen? ... Ich will nicht hoffen, daß Sie so klein von mir denken? FRANZISKA. Gräfin – Gräfin – SIGMUND. Gnade, Excellenz, mit den diplomatischen Ränken meiner Frau. Euer Excellenz sind zu großmüthig, um es nicht zu verschmähen, einen Gegner, der Ihnen so wenig gewachsen ist, ganz zu vernichten. PLATEN. Na–tür–lich. Zu Auguste. Ein unausstehlich süffisanter Mensch! Laut. Vernichten? Diese reizende, kleine Frau? – Wenn Sie wüßten, wie gnädig Ihre Hoheit ihr gesinnt sind, wie sie heut wieder sagten: „Die süße, kindliche Andlau“ – so kindlich – zu kindlich fast, um jetzt schon das Marien-Kreuz ... Zu Auguste. Der Orden ist keine Kleinkinderbewahr-Anstalt! Wendet sich zu Julien. Wenn ich nicht irre, bewerben auch Sie sich um das Kreuz! Julie verneigt sich zustimmend. AUGUSTE rasch und spitz. Aber es fehlt an einer Urgroßmutter. PLATEN. Ganz recht. Ihre Urgroßmutter jedoch war? JULIE. Eine Freiin von Thal. PLATEN zu Rathhausen. Die sind gut. RATHHAUSEN. Mit uns verwandt. So alt wie die Welt. PLATEN zu Julie. Ihr Gesuch ist doch eingereicht? Die höchste Frau werden es vielleicht heut’ noch signiren. Zu Franziska. Und das Ihre – Gräfin, wird –

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wie gesagt – seinerzeit Berücksichtigung finden. Um ein wenig Geduld darf man bei Ihrer großen Jugend wohl bitten. Franziska und Julie machen eine tiefe Reverenz. Platen schreitet majestätisch hinaus, von Sigmund bis zur Thüre begleitet. Auf der Schwelle bleibt sie stehen und sich zurückwendend. Auguste! Platen ab. AUGUSTE. Gleich, mein Engel! Zu Franziska. Was hast Du gethan? JULIE. Was hast Du gethan? FRANZISKA mit unterdrückten Thränen. Das Kreuz ist dahin! – Thut mir leid! ... Zu Julie. Ich will’s verschmerzen, wenn, was ich verliere – Du gewinnst. JULIE. Mein Herzenskind! RATHHAUSEN Sigmund auf die Schulter klopfend. Höre, ich sage Dir, Du hast eine merkwürdige Frau! DIENER meldend. Graf Ahlfeld! Ahlfeld tritt ein. Er hält die sechs Veilchensträuße in der Hand und geht rasch auf Franziska zu, ohne Julie gleich zu bemerken, die in’s Fenster getreten ist, dessen Vorhänge sie ihm verdecken. AHLFELD. Gräfin, was bedeutet das? Vor fünf Minuten trete ich in den Hof und siehe da, mir fliegt aus diesem Fenster ein Veilchenstrauß entgegen. Ich hebe ihn auf und finde auf dem Boden umhergestreut liegen noch fünf andere Sträuße, dieselben, welche ich Ihnen mit meinen Glückwünschen heut zu schicken wagte. JULIE vortretend. Mit Ihren Glückwünschen? Sie vergessen also nur die Festtage Ihrer a l t e n Freunde. AHLFELD schlägt sich vor die Stirne. Ihr Namenstag ... Leise und flehend. Julie! FRANZISKA. Fort mit den Blumen! Fort! ... Ich mag sie nicht sehen! AHLFELD. Warum? Was haben ... FRANZISKA. Jeder dieser Sträuße mahnt mich an eine Lüge, eine Falschheit. AHLFELD bestürzt. Lüge? – Falschheit? – JULIE leise zu ihm. Auch mich! Auch mich! AHLFELD ebenso zu ihr. Ich schwöre Ihnen ... AUGUSTE. Was werden wir hören? FRANZISKA. O meine Freunde, meine lieben Freunde! Unwahr bin ich gegen Euch Alle gewesen. – ALLE außer Sigmund. Unwahr? FRANZISKA. Aber es soll gut gemacht werden. Keine neue Lüge mehr und die alten – ehrlich eingestanden! SIGMUND. Was fällt Dir ein, Franziska! FRANZISKA. Grenzenlos aufrichtig will ich sein. – Ahlfeld und Julie zugleich, zurückweichend. AHLFELD. Gräfin! JULIE. Verschone mich!

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FRANZISKA. Was fürchtest Du, Liebste? AUGUSTE sich an Julien’s und Ahlfeld’s Verlegenheit weidend. Die Gräfin fürchtet, zu hören, was man von ihr denkt, könnte sie hochmüthig machen. FRANZISKA wirft sich Augustchen um den Hals. Ausgeschlossen warst Du von unseren Tableau’s, Theuerste! ... Sigmund, Julie und Rathhausen fast zugleich. SIGMUND. Da haben wir’s! JULIE. Sie ist verrückt! RATHHAUSEN. Sie ist merkwürdig! AUGUSTE. Ausgeschlossen? ... Und das s a g s t Du mir noch?! FRANZISKA zu Rathhausen, mit gefalteten Händen. Ihre Bilder, o bester Baron! Finde ich nichts weniger als prächtig ... SIGMUND. Franziska! JULIE. Sie wird gefährlich. AHLFELD hängt ihr den Shawl um. Gehen wir, bevor die Reihe an uns kommt. RATHHAUSEN. Nichts weniger als prächtig? SIGMUND. Hilf Gott, sie hat einen förmlichen Anfall von Aufrichtigkeit! AUGUSTE. – Ausgeschlossen – ich! – ich! ... O meine Ahnung! O mein betrogenes Herz! FRANZISKA. Nicht doch – nicht doch – ich liebe Dich ja, und jetzt erst recht! AUGUSTE. Laß’ das. Ich habe von Freundschaft geträumt – ich bin aufgewacht. SIGMUND begütigend. Suchen Sie wieder einzuschlafen. AUGUSTE. Niemals! Wendet sich zum Gehen. FRANZISKA. Bleibe! bleibe! AUGUSTE. Adieu! Die Herren verneigen sich. Auguste geht ab. FRANZISKA. Sie hat mich verlassen! JULIE die inzwischen ihren Hut aufgesetzt hat. Das werden alle Deine Bekannten thun, wenn Du ihnen nichts zu sagen weißt, als die Wahrheit. FRANZISKA will ihre Hand fassen. Ach Julie! meine liebste Freundin! vielleicht meine einzige! Dir habe ich ja gar nichts ... AHLFELD ihr in’s Wort fallend. Die Gräfin will auch nichts hören. JULIE. Nein! – Lebewohl. Ich wünsche diesem Hause, das zu einem Tempel der Aufrichtigkeit gemacht werden soll, recht viele Besucher ... Unter denen i c h selten zu treffen sein dürfte. Die Herren verneigen sich. Julie ab. FRANZISKA. Auch sie! Auch sie! AHLFELD halblaut zu Sigmund. Ich muß folgen – Du begreifst. SIGMUND. Ja wohl. Geh’, bevor meine Frau ebenfalls zu – begreifen anfängt.

fürchtest Du, Liebste? ] fürchtest, Du Liebste? Setzfehler Ausgeschlossen warst Du ] Ausgeschlossen war Du Setzfehler

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FRANZISKA. Lieber Sigmund, mir scheint ich habe schon angefangen. Nimmt die Veilchen, die Ahlfeld auf das Tischchen gelegt hat und reicht sie ihm. Nehmen Sie Ihre Veilchen mit, Graf Ahlfeld, – das sind nur arme sterbende, und ich gehe, mich an den lebendigen zu freuen. AHLFELD. Ich gehorche, Gräfin. Geht ab. SIGMUND. Hab’ ich verstanden? ... Du willst fort? FRANZISKA. Was soll ich noch hier, wenn ich den Leuten nichts mehr zu sagen weiß, als die Wahrheit? – Welche Menschen, Sigmund! welche Menschen! – Du behältst Recht, – ich habe nicht einen einzigen Freund! SIGMUND knieend. Einen doch! RATHHAUSEN ebenso. Und noch einen. SIGMUND. Sieh’ Dich um, Franziska. FRANZISKA thut es, und erblickt den knieenden Rathhausen. Wie? – Was? – Sie sind da? Gehen Sie – folgen Sie den Andern, lassen Sie mich allein mit meinem Schmerz, mit meiner Enttäuschung und – Stürzt in Sigmund’s Arme. mit meinem Manne! RATHHAUSEN sich erhebend. Oh – wenn Sie mich dulden wollten in dieser Gesellschaft! FRANZISKA. Bester Baron – als meinen Freund? RATHHAUSEN. Als Ihren Verehrer! Zu Sigmund. Du hast wohl nichts dagegen? SIGMUND. Nicht das Geringste! – Nach Andlau! ... Du besuchst uns doch – Verehrer? RATHHAUSEN zu Franziska. Darf ich? FRANZISKA reicht ihm die Hand. Nach Andlau, – dort wollen wir allen Leuten die Wahrheit sagen. SIGMUND. Nicht Allen. Geben wir unser Bestes nur den Besten. Mit den Uebrigen seien wir – liebenswürdig.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Einzeldruck 1862 Einzeldruck 1877 Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

E1 E2 WB H.I.N.

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift der Einzeldrucke E1 und E2 ist in Antiqua wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die in runden Klammern stehenden Bühnenbeschreibungen und Szenenanweisungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der Text folgt den Einzeldrucken E1 und E2. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Setzfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Da der Text nach dem Erstdruck vollkommen überarbeitet wurde, werden in III. 1. die textlichen Unterschiede zwischen den beiden Einzeldrucken erläutert.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Die Veilchen

1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Inmitten ihrer Studien zu den historischen Tragödien und ihrer Arbeit an diesen Werken schreibt Ebner-Eschenbach im Jahre 1862 ihr Lustspiel Die Veilchen. In einem Brief an Eduard Devrient vom 23. März 1862 verweist sie auf „die kleine Arbeit“, die sie ihm geschickt und über die sie sein Urteil erbeten habe. Es handelt sich dabei um Die Veilchen. Sie ist nicht sicher, wie der Theaterdirektor diese Arbeit aufnehmen wird: „mich beunruhigt der Gedanke daß Sie bei’m Anblicke dieser wertlosen Kleinigkeit unangenehm überrascht gewesen, und sich sagten daß ich meine Zeit vertrödle. Von diesem Verdachte muß ich mich reinigen, wenn mir das Herz wieder leicht werden soll.“1 Sie berichtet Devrient nun über ihre intensive Arbeit an zwei Trauerspielen (Cinq-Mars und Jacobäa), aber auch die entmutigende Situation am gegenwärtigen Burgtheater, wo ein auf den Publikumsgeschmack ausgerichtetes Repertoire eine Aufführung historischer Tragödien undenkbar mache. Deshalb habe sie ihre „Thätigkeit für einige Zeit dem Lustspiele“ gewidmet, deren „erste kleine, vielleicht unreife Frucht“ seien Die Veilchen. Sie bittet Devrient, das Lustspiel „in Karlsruhe spielen zu lassen“, wenn er „nicht unbedingt den Stab über das kleine Stück brechen“ wolle, denn eine dortige Aufführung würde die Direktion des Burgtheaters dem Stück gewogen machen. 2 Devrient rät jedoch gegen eine Aufführung des Lustspiels, und Ebner-Eschenbach stimmt in ihrem Antwortbrief vom 5. April 1862 seinen Beweggründen zu. Zu diesem Zeitpunkt hat sie aber „über das unglückliche Lustspiel kein Verfügungsrecht mehr, denn es ist an H. Michaelson verkauft“. 3 Es wurde von J. B. Wallishausser im Jahre 1862 gedruckt; dieser Erstdruck (E1) befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek (Signatur 159389-B). Das Lustspiel Die Veilchen wird erst wieder im März 1863 erwähnt. Nach einer Tagebucheintragung muss Ebner-Eschenbach zwischen dem 7. und 10. März 1863 das Stück an verschiedene Theater verschickt haben; in Breslau soll es zu einer Aufführung kommen (T I, Beilagen 1863, S. 310). Auch der Intendant des Wiener Burgtheaters Heinrich Laube will Die Veilchen inszenieren und hat das Stück daher „bei der obersten Direction“ eingereicht, die es „als ‚unbeanstandet‘“ zurückgegeben hat. Er bittet Ebner-Eschenbach am 30. April 1863 um ihre Besetzungsvorschläge, falls ihr eine Aufführung am Burgtheater noch wünschenswert sei.4 Trotzdem äußert Laube ein paar Tage später Bedenken hinsichtlich der Bühnenwirksamkeit des Stückes, wie Ebner-Eschenbach in ihrem Tagebuch notiert: „Ihm ist bang um Die Veilchen er fürchtet daß wir damit abblitzen. Ich hab ein Kanonenfieber ohnegleichen“ (T I, 11.5.1863). Ebner-Eschenbach wohnt zusammen mit ihrem Ehemann 1

Ebner-Eschenbach an Devrient am 23.3.1862 (WB, H.I.N. 56603). Ebd. 3 Ebner-Eschenbach an Devrient am 5.4.1862 (WB, H.I.N. 56604). 4 Laube an Ebner-Eschenbach am 30.4.1863 (WB, H.I.N. 49865). 2

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Moriz den Proben bei und ist von den Darstellern beeindruckt: „Es war sehr amüsant“ (T I, 12.5.1863). Eine zweite Arbeitsphase an dem Lustspiel Die Veilchen beginnt Ende 1871, nachdem Ebner-Eschenbach mit Ida von Fleischl-Marxow das Lustspiel gelesen und die Änderungen bestimmt hat (T II, 14.12.1871). Danach ist die Dichterin mit den Umarbeitungen beschäftigt, die sie wiederum mit Fleischl-Marxow bespricht (T II, 23.12.1871), worauf sie das umgearbeitete Lustspiel am 19. Februar 1872 druckfertig macht (T II). Es folgen mehrere Nachfragen wegen des Drucks, bis Wallishausser im Februar 1876 den Antrag stellt, Die Veilchen „in Verlag zu nehmen“ (T II, 1.2.1876). Dieser zweite Einzeldruck (E2) erscheint 1877 im Verlag der Wallishausser’schen Buchhandlung; er befindet sich in der Wienbibliothek (Signatur A 39960). Bei dem Einzeldruck E2 handelt es sich um eine vollkommene Überarbeitung des Einzeldrucks E1. Während E 1 aus einem Akt ohne Unterteilung besteht, ist der Akt in E2 in drei Szenen unterteilt. Baron Rath in E1 wird in E 2 zu Baron Rathhausen, und die sieben Veilchensträuße in E1 werden in E2 zu sechs reduziert. Es gibt auch eine Reihe von textlichen Unterschieden. Es heißt z. B. in E1, S. 480,18–19: SIGMUND lachend. Haha! Wahre Freunde? hier? in diesen wenigen Wochen? FRANZISKA. Zum Beispiel Ahlfeld, Julie, Auguste.

In der ersten Szene von E2, S. 502,22–25 dagegen lautet die entsprechende Stelle: SIGMUND lacht. Haha ... Wahre Freunde, hier? FRANZISKA. Zuerst meine edle Gräfin Berg. SIGMUND. Die laß’ ich gelten, die Eine! FRANZISKA. Dann Ahlfeld – Julie – Auguste –

Grundsätzlich kommt es jedoch in E2 gegenüber E1 zu Tilgungen, was sich in einer Verkürzung des Lustspiels ausdrückt. Wenn man z. B. in E1 S. 482,27 bis 483,8 mit S. 504,23 bis 505,9 in E2 vergleicht, wird deutlich, dass der Text umgeschrieben und verkürzt wurde. Es werden im weiteren Verlauf von E2 immer wieder einzelne Sätze oder Satzteile getilgt, oder es kommt zu einer vollkommenen Umarbeitung, wie der Vergleich von S. 488,17 bis 490,27 in E1 mit S. 510,1 bis S. 511,32 in E2 zeigt. Das Gleiche gilt für die Umarbeitung eines großen Teils der letzten Seiten des Lustspiels (ab S. 491,15 bzw. S. 512,17).

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung des Lustspiels Die Veilchen fand am 13. Mai 1863 am Burgtheater statt. Es wurde zusammen mit dem dreiaktigen französischen Lustspiel Die Ehestands-Invaliden von Dumanoir und Lafargue gezeigt. Ebner-Eschenbach reagiert erleichtert: „Das kleine Stück wurde vom Publikum sehr freundlich aufgenommen, mir ist ein Stein vom Herzen“ (T I, 13.5.1863). Für den Rezensenten der Presse war die Darstellung gelungen. Das Lustspiel beruhe „auf einem hübschen Einfall, der aber nicht sonderlich geschickt zum Ausdruck“ komme. 5 Der Rezensent der Wiener Zeitung bezeichnete Die Veilchen als „ein recht artiges kleines Vorspiel“, das vom Publikum „freundlich aufgenommen“ wurde.6 Das Lustspiel wurde am Burgtheater mehrere Male wiederholt. Zu einer ausführlicheren Rezension kam es durch Emil Kuh (1828–1876) in der Presse am 18. Mai 1863: Das Epigramm – für ein solches muß man das Stückchen ansehen – das recht anmuthig anfängt, läuft in eine stumpfe Spitze aus. Man braucht im oberflächlichen gesellschaftlichen Verkehr nicht zu lügen, man kann die Wahrheit umgehen, und je zierlicher und gewandter eine Frau dieses „edle Whist“ zu spielen versteht, desto lieber wird man an den Facetten ihres Geistes verweilen. Noch weniger angemessen ist in der großen Welt die nackte Aufrichtigkeit, deren sich die bekehrte Francisca bedient; weit eher wäre fast erlaubt, in Tricots den Salon zu betreten. Endlich ist in den Bergen die Unhöflichkeit, die unsere Gräfin fürder zu escomptiren gedenkt, weder mehr willkommen, noch die Wahrheit häufiger anzutreffen, als in der Stadt; wir wissen ja aus Goethe’s Gedichten, wie dem „Meister einer ländlichen Schule“ seine Ungenirtheit bekommen.7

Mit dem Lustspiel Die Veilchen fand Ebner-Eschenbach zum ersten Mal den Weg auf die Bühne des Burgtheaters, wo das Stück insgesamt achtmal gespielt wurde.8 Die Veilchen wurden auch in Brünn aufgeführt, wo sie „sehr gefielen“ (T I, 21.6.1863). Außerdem wurden sie in Prag sowie Breslau 9 gespielt und kamen in Coburg auf die Bühne, wo die Schauspielerin Anna Versing-Hauptmann (1834–1896) „in den reizenden ‚Veilchen‘ mit hoher Freude gespielt“ habe.10 Nachdem Ebner-Eschenbach an den Intendanten des Münchner Hoftheaters im September 1873 drei Exemplare der Veilchen geschickt hatte, kam es am 20. Dezember 1873 zur Aufführung, zu der ihr der Historienmaler Eduard Ille (1823–1900) 5

Die Presse Nr. 132 vom 14.5.1863. Wiener Zeitung Nr. 110 vom 14.5.1863. 7 Die Presse Nr. 136 vom 18.5.1863. 8 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 107. 9 Ebd.; siehe auch T I, Beilagen 1863, S. 310. 10 Versing-Hauptmann an Ebner-Eschenbach am 5.12.1867 (WB, H.I.N. 60802). 6

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gratulierte: „Freudigsten Glückwunsch zum gestrigen Erfolg der Veilchen“ (T II, 21.12.1873). Die Rezension in der Neuen Freien Presse über diese Aufführung ist jedoch weniger enthusiastisch. Der Rezensent geht davon aus, dass in dem einaktigen Lustspiel Die Veilchen „der etwas überflüssige Beweis geführt wird, daß die Damen vom Hofe häufig lügen.“ Da aber diese Szenen, wie er gesteht, „gut gespielt wurden und das Lustspiel sich rasch ent- und abwickelte, so erfreute es sich auch einer wohlwollenden Aufnahme.“11 Die Veilchen wurden 1876 vom Liebhabertheater in Weißkirchen aufgeführt (T II, 4.7.1876). Im Mai 1882 wohnte Ebner-Eschenbach der Generalprobe ihres Werkes im Konservatorium der Schauspielschule in Wien bei (T III, 6.5.1882). Noch 1911 wurde das Lustspiel von den Hofschauspielern aus Stuttgart anlässlich des Geburtstags der Königin von Württemberg in Friedrichshafen gespielt (T VI, 15.10.1911). Ferdinand von Saar gefielen Die Veilchen und er hätte sich hin und wieder eine Aufführung zusammen mit anderen Einaktern von Ebner-Eschenbach gewünscht.12 Anton Bettelheim führt 1900 zu dem Lustspiel aus: Diese ganz kleine Kleinigkeit ist so allerliebst geführt, sie spielt mit dem tiefsten Lebensernst so lustig und ist in aller Lustigkeit so ernst: denn eine Weile steht – nicht die Wette, sondern das Eheglück des prächtigen Paares auf dem Spiele – daß „Die Veilchen“ wohl als Muster eines deutschen Einakters gelten dürfen.13

Georg Reichard sieht 1994 in den Veilchen vor allem auch den Stadt-Land-Konflikt thematisiert: „Das harmlose Lustspiel bedient sich der aus dem bürgerlichen Drama bekannten Gegenüberstellung vom Leben auf dem Land, als Ort freier Selbstverwirklichung, und dem Leben in der Stadt, das von gesellschaftlichen Zwängen und Intrigen beherrscht wird.“14

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Neue Freie Presse Nr. 3350 vom 22.12.1873, S. 5. Saar an Ebner-Eschenbach am 25.3.1874 (WB, H.I.N. 50024). 13 Bettelheim: Biographische Blätter, S. 68–69. 14 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 107. 12

I. Text

Das Waldfräulein

1.

Das Waldfräulein (H1)

Das Waldfräulein Lustspiel in drei Aufzügen

Das Waldfräulein

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PERSONEN GRAF HOCHBURG KURT, sein Sohn THERESE, seine Tochter SARAH, seine Tochter GRAF HECTOR BERG, sein Schwiegersohn GRÄFIN VON THAL, seine Schwester MELANIE, Tochter der Gräfin CLAUDINE, Tochter der Gräfin GRAF ROBERT HOCHBURG GRÄFIN NORDHEIM PAUL, ihr Sohn FÜRST LIMBURG GRAF L AZÁRY, Hußarenrittmeister GRAF T URNAU FRANZ, Kammerdiener bei Graf Berg DIENER bei Graf Berg DIENER bei Gräfin von Thal PETER SEIDL

Rechts und links vom Zuschauer

Erster Aufzug Salon bei Gräfin von Thal. Links ein großes, rechts ein kleines Etablissement, ein Blumentisch im Fenster. Balzac, zwei Fauteuils. Im Hintergrunde ein Clavier.

Erster Auftritt GRÄFIN, am großen Tische, mit einer Tapisserie-Arbeit beschäftigt. CLAUDINE am Clavier, spielt eine Polka. MELANIE liegt auf dem Balzac, ein Buch in der Hand.

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MELANIE zu Claudine. Gnade für unsere Ohren! – Dein Geklimper ist empörend. GRÄFIN. Geduld, Melanie! Claudine, fahre fort, mein Kind. Ein Stück wenigstens sollst Du ohne Fehler spielen können. Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie – Denkt ein wenig nach. weil sie kein einziges Stück ohne Fehler spielen konnte. CLAUDINE spielt mit verdoppeltem Eifer. GRÄFIN. Er sagte: „Ein Mädchen das nicht einmal“ – Ich weiß nicht mehr genau w a s er sagte, aber genug, es war etwas sehr richtiges. CLAUDINE. Und das ist die Lieblingspolka des Grafen Paul. GRÄFIN. Spiele, Claudine! spiele! MELANIE. Gieb Dir keine Mühe. Den Grafen Paul erspielst Du Dir mit Deiner Polka doch nicht, der ist bis über die Ohren verliebt in das Waldfräulein. CLAUDINE steht auf. In das Waldfräulein?! GRÄFIN. „Verliebt!“ – „Über die Ohren?“ – Melanie, mein Kind, welche Ausdrücke! MELANIE. Mein Gott, Mama! Zu Claudine. Hast Du nicht bemerkt, wie er unserer Cousine gestern im Theater den Hof gemacht? CLAUDINE. Aber sie gönnte ihm ja keinen Blick. Sie hatte nur Sinn für die Vorstellung, die Arme! MELANIE. Und doch gab es gerade gestern so viel Köstlicheres im Theater zu sehen als die Vorstellung. Zum Beispiel, dicht neben uns die Gräfin Nordheim. ... O! diese Angst um ihren Sohn, um den guten Grafen Paul! – Die Vortreffliche! sie glaubt, die ganze Welt sei ein einziges, von den Comtessen ausgespanntes Netz, und ihr alleiniger Zweck: den Grafen Paul zu fangen. – Uns gegenüber, da kokettirte Vetter Hector, vor der Nase seiner Frau ... GRÄFIN. „Vor der Nase!“ – Melanie, mein Kind!

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MELANIE. Kann nicht helfen, Mama. Vor der Nase seiner Frau, mit Miss Lovely vom Ballet, in die übrigens auch Vetter Kurt ganz vernarrt ist. GRÄFIN. „Vernarrt“?! MELANIE. Und die am Ende kein Geringerer heiraten wird als – der Fürst Nordheim. GRÄFIN. Fürst Nordheim?! – Schwager der Gräfin Nordheim?! – Sei christlich meine Tochter! MELANIE. Wenn man Augen im Kopfe hat, kann man nicht immer christlich sein. Oder sollen wir es machen wie das Waldfräulein? – Das schaute nicht rechts und nicht links, es starrte unverwandt die Schauspieler und Schauspielerinnen an – CLAUDINE. Ich habe mich wirklich geschämt. {GRÄFIN. Was gab man denn? – was haben wir nur gesehen? MELANIE. Die Braut von Messina. Ein dummes Stück. CLAUDINE. Und so langweilig! GRÄFIN. Aber klassisch, meine Kinder! ... Zweifelnd. Es ist doch klassisch?} MELANIE. Vor dem heutigen Abend fürchte ich mich. Unglückliche Idee des Onkels, Sarah jetzt schon in die große Welt zu führen! ... Die Herren freilich – unterhalten sich mit ihr. CLAUDINE. Man hat sie zum Besten. MELANIE. Graf Paul nicht! – Ich sage und behaupte auf Ehre: der ist tüchtig in sie verliebt. GRÄFIN. Melanie! schon wieder! MELANIE. Und Onkel Robert – macht ihr förmlich den Hof. GRÄFIN. Robert? ... Wirklich, meine Kinder?! ... Robert – ei seht doch, seht ... Da muß ich meinen Bruder aufmerksam machen. {CLAUDINE zu Melanie. Du bist lächerlich mit Deinen Einbildungen. MELANIE. Lächerlich Du selbst! CLAUDINE. Jetzt muß ich aber ... GRÄFIN. Kinder, disputirt nicht! Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie – Denkt ein wenig nach. weil sie einmal mit ihrer Schwester disputirte. CLAUDINE sehr sanft. Hörst Du, Melanie?}

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Zweiter Auftritt VORIGE. GRAF HOCHBURG.

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HOCHBURG. Guten Morgen. Melanie und Claudine zugleich. MELANIE. Den besten Dir. CLAUDINE. Gut geschlafen? GRÄFIN. So sorgenvoll? HOCHBURG. Kein Wunder, liebe Schwester. Sarah besucht heut ihren ersten Ball. Wie wird sie bestehn? Wird sie gefallen? GRÄFIN. Wir wollen das Beste hoffen. Es soll ja Leute geben die sie hübsch finden. HOCHBURG. – Graf Paul? – Nein – daran ist nicht zu denken. Ich – denke auch nicht daran. – Nach dem Tode seines Onkels wird er Fürst – Herr des größten Majorats im Lande. Überdies ist seine Mutter durchaus dagegen, daß er sich jetzt schon verheirate. Nein, nein! – ich mache für Sarah keine kleinen Ansprüche, aber bis zu Graf Paul versteigen sie sich nicht. CLAUDINE. Der gute Onkel! HOCHBURG. Kommt Therese nicht herab? – Ich sprach so eben mit ihr ein ernstes Wort. Ich bedaure, daß sie die Aufgabe welche sie sich selbst gestellt: ihre Schwester in die große Welt einzuführen, so lässig betreibt. MELANIE. Lässig? – Sie ist überall. Man will sie an verschiedenen Orten zugleich gesehen haben. HOCHBURG. Sie ist überall und führt ihre Schwester überall hin, kümmert sich aber nirgends um sie. Komme ich meinen Töchtern in einen Salon nach, so finde ich Sarah umringt von der Blüthe des mauvais genre. Die Leute die niemand ansieht, darin besteht die Gesellschaft ihrer Wahl. Da ist ein Mensch in unserer Familie, den ich immer mit Überwindung „Vetter“ genannt habe. Ein Mensch, der nur in die Welt gesetzt scheint, um sich über ihre Einrichtungen lustig zu machen. Ein Verächter des Adels dem er angehört, im Herzen – es ist meine Überzeugung – ein Socialist. GRÄFIN. Bruder! CLAUDINE. Ich weiß, wen Du meinst – MELANIE. Robert! Robert den Apostat! CLAUDINE. Was heißt eigentlich Apostat? MELANIE. Mir unbekannt. Ich rede den Andern nach. GRÄFIN. Kinder! Kinder! Das ist vielleicht ein Wort, welches anständige junge Personen gar nicht aussprechen sollten. HOCHBURG. Die letzte Möglichkeit, mit ihm umzugehen, schwand, am Tage seiner Verheiratung. MELANIE. Mit einer Müllerstochter.

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GRÄFIN. Jawol. Man spricht nicht davon. HOCHBURG. Nun – en famille ... CLAUDINE. Überdies ist sie ja todt. MELANIE. Eines möchte ich wissen –: wie kam Onkel Robert zu seinen demokratischen Schrullen? HOCHBURG. Wie kommt man zu dergleichen? – Schlechte Bücher, schlechter Umgang. – Nach dem Tode seiner Frau stürzte er sich kopfüber in die Politik und fiel ganz und gar auf die linke Seite. – Und {GRÄFIN. Ein Hochburg! HOCHBURG. Jetzt vertritt er im Parlamente eine Richtung – ich kann nur sagen – blutrot. Ich führte neulich Sarah in die Pairskammer, damit sie ihn auf der Rednerbühne sehe. GRÄFIN. Bruder! das hast Du gethan?! HOCHBURG. Ich mußte zu diesem äußersten Mittel greifen, um sie vor Robert mit ewigem Schauder zu erfüllen, denn} gerade für ihn, gerade für diesen traurigen Auswuchs unseres Stammbaumes zeigt {sie} 〈Sarah〉 eine besondere Vorliebe. GRÄFIN. Sie für ihn? ... Er wol auch für sie. HOCHBURG. Was? GRÄFIN. Merkwürdig – merkwürdig! aber mir kommen auf einmal Ideen ... HOCHBURG. Ideen? – Ich will nicht hoffen – GRÄFIN. Wenn ihm das Mädchen gefiele? – Wenn er Absichten hätte – HOCHBURG. Auf meine Tochter?! GRÄFIN. Gemach. – Er ist kein wünschenswerther Umgang, aber – eine glänzende Partie. Leise zu ihren Töchtern. Von Euch beiden würde ihn keine nehmen? Melanie und Claudine zugleich. MELANIE rasch. Nein! CLAUDINE langsam. N–ein. HOCHBURG. Absichten auf meine Tochter! ... Das fehlte noch! ... Dieser Mensch! – Gott verhüte daß er mir so bald wieder in den Weg kommt. Ich wäre kaum im Stande ihm meine Geringschätzung zu verbergen. GRÄFIN. Nun, bei mir bist Du nicht in Gefahr ihm zu begegnen. Wir sehen ihn nur in der Welt, und wenn wir ihn dort sehen, so – Denkt ein wenig nach. so sehen wir weg. DIENER meldend. Graf Robert Hochburg. ALLE. Wer?! DIENER. Graf Robert Hochburg. GRÄFIN. Um Gotteswillen! HOCHBURG. Schwester, was soll das bedeuten? GRÄFIN zum Diener. Nicht zu Hause! nicht zu Hause!

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Dritter Auftritt VORIGE. ROBERT HOCHBURG.

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ROBERT auf der Schwelle. Welches Glück, meine gnädigste Cousine, Sie zu treffen wenn Sie nicht zu Hause sind. GRÄFIN zum Diener. Jacob, ich bin für niemand zu Hause. ROBERT. Sehr traurig für den armen Paul! – Er will Ihnen in einer Viertelstunde seine Aufwartung machen. CLAUDINE flehend. Mama! GRÄFIN. Jacob! – ich bin zu Hause. Diener ab. HOCHBURG. Schwester! GRÄFIN. Mein Gott! was thut man nicht für seine Kinder! ROBERT vortretend. Dieser allseitig so freundliche Empfang rührt mich. Er setzt sich auf einen Fauteuil neben dem Canapé der Gräfin. HOCHBURG steht auf. ROBERT zu ihm. Du bleibst! – Ich ersuche Dich zu bleiben. Ich habe mit Dir zu reden. HOCHBURG. Und deshalb kommst Du zu meiner Schwester? ROBERT. Da ich Dich bei Dir nicht finde und höre daß Du hier seiest. DIENER meldend. Die Schneiderin läßt bitten. MELANIE und CLAUDINE. Unsere Ballkleider! – Hat sie unsere Ballkleider gebracht? DIENER. Zu dienen, ja. MELANIE. Die Göttliche! wie pünktlich! CLAUDINE. {O wie pünktlich!} Geschwind Mama, zu ihr! GRÄFIN. Geduld meine Kinder! ich habe einen Herrn gekannt – der ... Ja – was wollt ich denn ... Schon gut. Zum Diener. Jacob! Wenn Graf Nordheim kommt, so sagen Sie, ich freute mich ihn zu sehen, und führen ihn herein. Diener ab. GRÄFIN zu Hochburg. Au revoir! Zu Robert. Adieu! Gräfin, Melanie, Claudine ab.

Vierter Auftritt HOCHBURG. ROBERT. HOCHBURG. Was hast Du mir zu sagen? ROBERT. Dein Sohn war bei mir. HOCHBURG. Das setzt mich in Erstaunen.

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ROBERT. Er kam nicht zu seinem Vergnügen, er kam in Geschäften. HOCHBURG. Zu – Dir? ROBERT zieht Papiere aus der Tasche und reicht sie Hochburg. Wenn diese Kleinigkeiten im Laufe des Tages nicht geordnet werden, wird Kurt im Laufe des Abends seiner Freiheit beraubt sein. HOCHBURG. Sei–ner Frei–heit? ... Wechselklagen?! ... Sieht die Papiere hastig durch. Fünftausend. Achttausend ... Das ist unmöglich. – Mein Sohn hat keine Schulden. Ich habe alle bezalt – im verfloss’nen Jahr. ROBERT. Aus der Erinnerung an diese edle That, schöpft er den Mut ... HOCHBURG. – Ungerathenes Kind! ROBERT. Im Gegentheil! Das gerathenste der Welt. Kurt ist was Du haben wolltest: die Blume aller Eleganz. Es gilt für eine Ehre, auf der Gasse von ihm gegrüßt zu werden. Er hat das größte Glück bei den größten Künstlerinnen ... {HOCHBURG. Die Lovely? – Für sich. Bosheit! Man weiß, daß er dort nicht reüssirt. ROBERT. Er hat seinen Schneider zu einem reichen, seinen Schuster zu einem berühmten Manne gemacht. Ein Pferd, das er einmal geritten, und eine Dame, mit welcher er einmal getanzt, gehören zu den gefeiertsten Wesen unter der Sonne. Freilich, mein lieber Hochburg – Opfer kostet eine solche Carriere. Wie viele sie schon gekostet hat – das weißt Du; wie viele sie noch kosten wird das weiß – ja, wer weiß das? –} HOCHBURG immer mit den Papieren beschäftigt, sehr bestürzt. – Kommt mir in diesem Augenblicke – höchst ungelegen. ROBERT. Mir sind unerwartet Gelder eingelaufen. Ich bin im Zweifel, was mit ihnen anfangen. Willst Du mir aus der Noth helfen? HOCHBURG. Schöne – „Noth“. ROBERT. Mein Wagen steht vor dem Thore – laß Dich zu mir führen. Mein Intendant erwartet Dich; ich gab ihm den Befehl ... HOCHBURG auffahrend. Den gabst Du umsonst. Ich danke Dir. Ich werde andere Mittel finden. ROBERT für sich. So sind sie! Laut. Mensch! Ich biete D i r nichts an; D e i n S o h n wird mein Schuldner. {Potz tausend! ich komme da zu etwas, wozu jemals zu kommen ich verzweifelte: zu einer Stellung „in der Welt“, zu einer „Position“!} HOCHBURG. Genug – Leb wohl. Will gehen, besinnt sich aber und kehrt zurück. – Noch eines: Ich baue keine großen Stücke auf Deine Freundschaft für uns, die Schmach aber thue ich Dir nicht an, Dich zu bitten – über das eben Vorgefallene zu schweigen. ROBERT. Daran thust Du auch recht. – Hochburg! HOCHBURG. Was noch?

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ROBERT. Du gehst? – Zu Deinem Sohne? ... Hör’ doch nur: – brüskire mir den lieben Jungen nicht. Er ist zuletzt doch ein ganzer Kerl. Setz’ ihn auf das wildeste Pferd – er bändigt’s. Steck’ eine Nadel in die Wand – er schießt sie herunter. Wirf ihn in den Hellespont – er schwimmt hinüber! HOCHBURG ausbrechend. Beinahe wär’s besser, er ertränke! Indem er heftig abgeht, stösst er in der Thüre auf den eintretenden Paul. Pardon! Sich zusammennehmend. Sie, lieber Graf? – Äusserst liebenswürdig. Sehr erfreut, Sie zu sehen, wenn auch nur einen Augenblick. – Sehr erfreut! Hochburg ab.

Fünfter Auftritt ROBERT. PAUL.

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PAUL. Was fehlt dem Grafen? ROBERT. Ein Schwiegersohn. PAUL. Ich bin’s! ich bin der Mann! ROBERT. Sei so gut. Deine Mutter legt sich in’s Grab. PAUL. Sie steht wieder auf. Ich werb’ um das Waldfräulein, ich heirate sie! ROBERT. Wenn sie Dich nimmt. PAUL. O! mich nimmt man. ROBERT. Bist Du dessen so gewiß? PAUL. Keine Mama in der ganzen Stadt, die mir’s nicht zu verstehen gäbe. ROBERT. Ich wüßte nicht, daß Sarah die Mama’s zu ihren Herzensvertrauten gemacht. PAUL. Liebt sie einen andern? Nein, sie liebt niemand, das seh ich ihr an den Augen an. Ja, ich sehe ihr sogar an den Augen an, daß sie mir gut werden könnte. Werden – wir wollen nichts überstürzen. Vor allem gilt’s die Kleine zu erziehen. ROBERT. Für die große Welt. PAUL. Gewiß, da sie bestimmt ist, in ihr zu leben. Es wird Kämpfe kosten, denn Sarah ist energisch und tritt unseren – unseren – ROBERT. Vorurtheilen PAUL. Vorurtheilen, es sei! – mit einem Mut entgegen – ROBERT. Sie weiß nicht was sie thut. PAUL. Man muß sie’s lehren! Man muß ihr sagen: Die Welt ist einmal wie sie ist; wir ändern’s nicht. Es bleibt nichts übrig, als sich zu fügen. – Traurig genug, daß so Selbstverständliches einem achtzehnjährigen Mädchen erst gesagt werden muß. Und – ganz wunderbar, daß jenes Mädchen – Hochburg’s Tochter ist. In s e i n e m Hause ist sie nicht aufgewachsen.

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ROBERT. Nein. PAUL. Und warum nicht? ROBERT. ’s ist eine lange Geschichte. Hast Du lange Geduld, um sie anzuhören? PAUL. Geduld? – dazu? – Tausendmal mehr als Du erschöpfen kannst. ROBERT. Der Teufel! jetzt glaube ich’s beinahe, daß Du verliebt bist. PAUL. Die Geschichte! die Geschichte! ROBERT der sich gesetzt hat. Vor zwanzig Jahren war ein Witwer. Er hatte zwei schuldlose Kinder und ein schuldenbelastetes Vermögen. PAUL. Gut. ROBERT. Findest Du? – Er bewarb sich um die Hand eines Mädchens von unzweifelhaftem Reichthum und von zweifelhaftem Adel. PAUL. Was?! ROBERT. Sie vermälten sich, und von nun an wurde es ihm Lebensaufgabe, seiner Frau den Eintritt in die höchsten Kreise zu verschaffen. PAUL. Der ihr zukam, ihr gebührte! ROBERT. Es gelang meinem Vetter, den Leuten diesen Wahn – PAUL. Wahn?! ROBERT. – beizubringen. Nach einigen Jahren rastlosen Tanzens, Schwatzens, Festegebens, Jahren der Hetzjagd auf – Edelwild, gehörte die Gräfin Hochburg zu den elegantesten Damen der Stadt. PAUL. Schön! schön! ROBERT. Da trat ein bedenklicher Umstand ein: Die Gräfin wurde Mutter, und begann über der Liebhaberei für ihr Kind ihre Pflichten gegen die Welt zu vernachlässigen. Eines Tages hatte der Hof sein Erscheinen bei einem Feste zugesagt das Hochburg gab. PAUL. Ah! ROBERT. Der ehrfurchtsvoll Erwartete wurde vom Hausherrn am Fuße der Treppe empfangen, in den Tanzsaal geführt und hier – PAUL. Nun – hier? ROBERT. – sollte – an der Thüre, die Hausfrau stehen, und – sie steht nicht da! ... Man sucht, und findet sie endlich im Kinderzimmer wo die kleine Sarah plötzlich erkrankt ... PAUL. Erkrankt! ROBERT. Aber wenn sie auch plötzlich gestorben wäre, in d i e s e m Augenblicke d u r f t e die Hausfrau ihren Posten nicht verlassen. Ein – Dummkopf sieht das ein. PAUL lachend. Ja! ROBERT. {Ein so krasses Vergehen an allem was der Graf seiner Gemalin als unverbrüchlich achten gelehrt, empörte in ihm jedes gute Gefühl. Für die Unmöglichkeit der Wiederholung eines solchen Skandals mußte Sorge getragen werden, und der Graf trug Sorge.} 〈Auch that’s der Graf und trug Sorge die Wiederholung eines solchen Skandals unmöglich zu machen.〉 Er

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nahm der thörichten Mutter das Kind, und übergab es ihrer viel älteren Schwester, die dasselbe auf dem Lande erzog. PAUL. Sag’: im Urwalde. ROBERT. Diese Schwester hatte in ihrer Jugend ein Verhältniß mit einem bürgerlichen Schriftsteller und Gelehrten. Von einer Verbindung war natürlich keine Rede – der kleine Adel perhorrescirt Mesalliancen mehr als der große. – Die Liebenden wurden getrennt, fanden sich erst im Alter wieder, und beschlossen nun, ihr Leben als Freunde auf der Besitzung der Dame zu beenden. PAUL. Und zwischen diesen beiden Menschen – ROBERT. – Wuchs Sarah heran. Ihre Eltern besuchten sie so oft ihre Geschäfte ihnen Zeit dazu vergönnten. Endlich schien die Mutter von der Monomanie für ihr Kind wirklich geheilt; allein – das rastlose Treiben des Lebens in der großen Welt hatte die Gesundheit der zarten Frau erschöpft. Sie starb – ich glaube im Vorzimmer einer Herzogin, bei welcher ihr Mann sie zur Aufwartung gemeldet. PAUL. Robert! ROBERT. Inzwischen war auch nach mehrmaliger Carnevals-Ausstellung, die ältere Tochter des Grafen glücklich an Mann gebracht; – der Vater ruft Sarah zurück. Sie kommt. Aber was hat die ländliche Erziehung aus ihr gemacht? PAUL. Ein Waldfräulein. ROBERT. Ein Geschöpf durchaus unfähig, in der Gesellschaft der Euren, seinen Weg zu finden. PAUL. Das wollen wir sehen. Ich bin da. ROBERT. Du? – Nun, ’s ist etwas. Deine Mutter ist aber auch da. PAUL. Hm! ROBERT. Die Prinzessin ward noch nicht geboren, der sie Dich gönnte. PAUL. Ja, ja ... Sie träumt von einer Prinzessin ... Sie ahnt nicht – Gott! sie darf nie ahnen, daß Sarah’s Mutter ... ROBERT. Kaum – blau a n g e l a u f e n e s Blut in den Adern führte. PAUL. Ein mißlicher Umstand. ROBERT. Du bist ein guter Sohn, und Deine Mutter kennt ihre Macht. Sie wird Dich beschwören – wird weinen – PAUL. – Das wird mir leid thun. Trotzdem ... wenn Sarah sich ändert, mir zu Liebe sich ändert, so trag’ ich sie auf meinen Armen zum Altar durch eine Armee von weinenden Müttern! ROBERT. Bramarbas! – Laß nur die Gefahr herankommen und wo ist dann Dein Mut? PAUL. Der Mut wächst oft mit der Gefahr. ROBERT. Geh mir – Du Kind des Vorurtheil’s! – Der Mann, der Sarah heimführen will, muß aus anderem Holze geschnitten sein als Ihr Puppen.

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PAUL. Robert?! Du denkst doch nicht selbst ... ROBERT. – Wer weiß! ... PAUL. Blendet mich das Licht – oder Berührt Robert’s Scheitel. sind das wirklich graue Haare? ROBERT. Es giebt Mädchen die auf das Herz sehen und nicht auf die Haare. – Die Gräfin kommt. Leb’ wohl! PAUL. Robert! Robert! – das sieht ja aus wie Flucht. ROBERT. ’s ist auch eine! Robert rasch ab.

Sechster Auftritt PAUL. GRÄFIN. MELANIE. CLAUDINE mit Hüten und Mänteln. Begrüßung.

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GRÄFIN. Ich habe Sie warten lassen lieber Graf – verzeihen Sie. Ich bin untröstlich. PAUL. Zu gnädig. Melanie und Claudine zugleich: MELANIE. Wir sind auch untröstlich. CLAUDINE. Wir auch. PAUL. Viel zu gnädig. GRÄFIN sehr zerstreut, sehr verstimmt. Ihr lieber Besuch – der uns außerordentlich freut – MELANIE und CLAUDINE. Außerordentlich! GRÄFIN. – Wir können leider nicht von ihm profitiren ... Ich habe anspannen lassen – wir müssen fort. PAUL. Ich hoffe nur, daß keine unangenehme Veranlassung ... GRÄFIN. Ach meine arme Claudine! – Sie verzeihen? – Schellt. Diener kommt. Jacob, ist noch nicht angespannt? DIENER. Noch nicht, Frau Gräfin. GRÄFIN. Treiben Sie! treiben Sie zur Eile! Diener ab. PAUL. Ich bedaure sehr ... GRÄFIN. Tausend Dank! PAUL will sich verabschieden. Frau Gräfin! CLAUDINE. Bleiben Sie doch, bis man den Wagen meldet. PAUL. Darf ich? Für sich. Vielleicht kommt sie indessen. GRÄFIN. Natürlich! natürlich! – es ist sehr freundlich von Ihnen.

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Siebenter Auftritt VORIGE. SARAH.

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SARAH. Ein Brief! Melanie! Claudine! ein Brief – von ihm – von ihm! PAUL. Von ihm?! SARAH. Und von meiner lieben guten Tante, und von Anne Kathrein! Auf die Gräfin zueilend. Sieh doch – ! GRÄFIN winkt ihr, auf Paul deutend. Laß das – laß das jetzt – Melanie und Paul fast zugleich: MELANIE. Wer ist Anne Kathrein? PAUL. Und wer ist ... SARAH. Sie hier, Graf Paul? Kommt denn heut alles Gute zusammen? MELANIE. Wer ist Anne Kathrein? SARAH. Das weißt Du nicht? –: {die kleine Gärtnerin, die Kleine des Gärtner’s,} mein Pflegekind! – Melanie – wenn ich Dich ihren Brief lesen ließe! – und den – und den ... Vergessen glaubt’ ich mich, weil sie so lange nicht schrieben – und sie schrieben nicht um mir das Herz nicht schwer zu machen. GRÄFIN verweisend. Kind! Kind! SARAH. Wie hab’ ich ihnen unrecht gethan den Meinen! Wie denken sie an mich! wie lieben sie mich – meine Tante, mein Professor – PAUL. Professor? – Der Freund Ihrer Tante? SARAH. Und der meine – mein zweiter Vater! PAUL. Von dem haben Sie einen Brief? Für sich. Ich athme wieder! SARAH. Was fehlt Ihnen? – Was fehlt überhaupt der ganzen Gesellschaft? Man ist verstimmt, – besonders Du Claudine ... CLAUDINE. Ach Gott! SARAH. Armes Herz! – sag’ doch – was hast Du? CLAUDINE leise und rasch, fast weinend. Mißrathen – total mißrathen, meine Toilette für heut abends! {SARAH. Und das ist alles? CLAUDINE. Ich denke, es ist genug!} SARAH. Kinderei! mach’ Dir nichts d’raus. CLAUDINE. Du hast leicht reden, Dein Kleid ist entzückend, zum Niederknie’n. SARAH. So nimm’s! Ich tausche. CLAUDINE. Sarah! – Das thätest Du? Du Engel! SARAH. Ohne weiters! CLAUDINE. Mama! Mama! Leise zur Gräfin. Sie tauscht! ... MELANIE die während dieses halblaut geführten Gesprächs eifrig mit Paul gesprochen hat, der immer nach Sarah hinüber blickend, nur zerstreut zuhört. Gewiß – ein Prachtpferd! – Vollblut.

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PAUL. Halbblut. CLAUDINE mit der Gräfin flüsternd. Was soll ich thun? GRÄFIN. Deprecire und – nimm an! – CLAUDINE. Wir müssen doch zur Schneiderin. GRÄFIN. Natürlich! – Einiges wird jedenfalls zu ändern sein, obwol Ihr so ziemlich von einer Größe und Gestalt. – Sarah! umarme mich, Du Gute! Gerührt. Du bringst ein großes Opfer {und ich muß mir’s als Opfer auferlegen Dein Opfer anzunehmen. Allein, was thut man nicht für seine Kinder?} SARAH lacht. Opfer? ... Sind das Faxen wegen eines armseligen Kleides! GRÄFIN. Kind! Kind! – keine freigeisterischen Äußerungen! {Geheimnisvoll. Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie einmal in einer Balltoilette ganz abscheulich ausgesehen.}

Achter Auftritt VORIGE. THERESE. HECTOR mit verbundener Hand.

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THERESE. Da bringe ich einen Blessirten. ALLE. Einen Blessirten? THERESE. Wir kehren hier ein, um dem Patienten das Steigen einer Treppe zu ersparen, und haben uns die Freiheit genommen, Eis zu bestellen. ALLE umringen Hector und rufen durcheinander. Was fehlt ihm? – Was hat er sich gethan? HECTOR. Nichts. SARAH. O die klaffende Wunde! GRÄFIN. Nichts? – um so besser. Schön – schön! Zum Diener, der eine Kanne, ein Becken etc. bringt. Ist endlich angespannt? DIENER. Zu dienen, Frau Gräfin. Diener ab. SARAH um Hector beschäftigt. Wie Du blutest! MELANIE. Schrecklich, auf Ehre! CLAUDINE nachdem sie Hector’s Hand lange neugierig angesehen. Das kann man gar nicht anseh’n. Ich werde gewiß die ganze Nacht davon träumen! HECTOR. Macht keine Geschichten. SARAH verbindet ihn. Was träumen! – Helfen heißt es und nicht träumen. Zu Hector. Es thut recht weh? HECTOR. Gar nicht. GRÄFIN. Nun – ich bin beruhigt. SARAH zu Hector. Wie ist denn das geschehen? HECTOR zuckt die Achseln. So.

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PAUL. Hast Du Dich geschlagen? HECTOR. Nein. PAUL. Bist gestürzt? HECTOR. Nein. PAUL. Hat Dich ein Pferd, ein Hund gebissen? HECTOR. Nein. PAUL. Aber – Donnerwetter ... HECTOR. Niki Bentheim sagt im Club, daß er Messer werfen kann wie die ... die Wilden. Es soll nur Einer die Hand an die Thür halten, er wird Messer werfen, knapp herum um die Hand. Die Andern sagen: „Messer werfen ist nichts, aber die Hand hinhalten – das ist was! Wer thut’s?“ – – Niemand will’s thun. Da hab’ ich’s gethan. Sarah, Gräfin, Melanie und Claudine zugleich: SARAH. Welcher Unsinn! GRÄFIN anerkennend. Ah! – Ah! – MELANIE. Allen Respekt! CLAUDINE. Superb! SARAH. Wenn unsere Dorfjungen so dummes Zeug treiben wollten, na, der Herr Schulmeister ... ich danke! THERESE umarmt Hector. Das ist mein toller, mein unverbesserlicher Mann! – Geh, ich bin stolz auf Dich. HECTOR. Das erste Messer fliegt gut, das zweite – acht Linien zu weit, das dritte – Betrachtet seine Hand. PAUL. Fünf Linien zu nah! HECTOR. Hm! – so etwas. SARAH. Aber Hector! – warum hast Du denn die Hand hingehalten? HECTOR. So. – Aus Sport. SARAH. Aus – Sport? GRÄFIN. Melanie, Claudine, kommt. Therese, mache Du die honneurs. Ich bitte, sich nicht zu derangiren. THERESE. Graf Paul, Sie bleiben noch. PAUL reicht der Gräfin den Arm. Erlauben Sie mir wenigstens, Sie zu Ihrem Wagen zu führen, Frau Gräfin. GRÄFIN. Sie sind wirklich zu liebenswürdig! Gräfin, Paul, Melanie, Claudine ab. THERESE zu Hector. Wär’s nicht besser, Lieber, Du gingest jetzt hinauf in Dein Zimmer, und legtest Dich ein wenig auf den Diwan? HECTOR. Ich? – Ich muß auf die Reitschule. THERESE. Aber denke doch – HECTOR. Denken? – Ich? –

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THERESE. Welcher Schrecken! – Das Denken ist uns verleidet, nicht wahr? – seitdem wir – Ihm in’s Ohr, neckend. nicht mehr an die: „reizende“ Lovely denken dürfen. HECTOR. Reizend, ja, wie eine welke Citronenschale. THERESE. Du sprachst anders in Deiner Junggesellenzeit. HECTOR. O! nein. THERESE. Possen! – Wenn sie Dir nicht gefiel, warum machtest Du ihr den Hof? HECTOR. – So. – Aus Sport. SARAH. Aus – Sport? PAUL kommt zurück. SARAH wendet sich rasch an ihn. Graf Paul! was ist denn „Sport“? THERESE. Sarah! HECTOR. Sie fragt, was Sport ist. Haha! PAUL. Lache nicht, antworte! HECTOR. Das weiß ja jeder Mensch, was Sport ist. SARAH. Ich weiß es nicht, gewiß nicht. Ich habe schon in Heyse’s Fremdwörterbuch nachgeschlagen. Darin jedoch steht, es sei Spiel, Scherz; bei Euch ist Sport Ernst, Auf Hector’s Hand deutend. blutiger Ernst. PAUL. Es giebt eben zwei Sorten von Sport, den zahmen und den tollen. Wir üben den tollen aus. SARAH. Auch Sie Graf Paul? – Auch Sie haben den Sport? PAUL. Anfälle davon, zu Zeiten! SARAH. Er tritt also auch sporadisch auf? Ist er eine Krankheit? ein Miasma? {THERESE. Oh, Waldfräulein!} PAUL. {Er liegt in der Luft, lauert aber auf jede Gelegenheit, seinen schwankenden Wohnsitz zu verlassen und sich in festeren Grund einzurichten. Giebt es, namentlich in unseren Kreisen, einen Jüngling, bei dem sich zum Beispiel im Gehirne eine leere Stelle} 〈Ja wol! und wenn er irgendwo einen leeren Kopf〉 findet, gleich schlüpft der Sport hinein, und hat er einmal ein Wurzelchen geschlagen, dann ist sein Wachsthum pilzenhaft. Er frißt den {Verstand, den Wissensdrang, die Ehrfurcht} 〈Sinn für ernstes und wichtiges〉, er entwickelt den phisischen Mut, die phisische {Stärke} 〈Kraft〉, den falschen Ehrgeiz. Dämonisch an ihm ist, daß er die Begeisterung für das Göttliche tödtet, und die Begeisterung entzündet für – den Pferdefuß. HECTOR. Heißt das was? PAUL. Aus – Sport wagt man sein Leben an einen Sprung über eine Hecke. Aus – Sport wirft man seiner Väter Erbe mit einer Karte auf den grünen Tisch. Aus Sport verführt man seines Freundes Frau ... HECTOR. Hoho! – Das thut man, weil diese Frau verführt sein will. THERESE. Nicht immer. HECTOR. Bitte Dich!

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THERESE. Ich weiß! ich weiß! – Dir ist Frauentugend ein Märchen. Die beste Frau ... HECTOR. – Hat ihre schwachen Stunden. THERESE. Entsetzlich! – Und solche Reden führt er vor diesem Kinde! – Sarah, ich habe oben meine Uhr vergessen. Hole sie, ich bitte – sie liegt in meinem – oder in Hector’s Zimmer – oder im Salon. Geh’, mein Kind. SARAH. Ich bin gleich wieder da. Sarah ab. THERESE zu Paul. Sie hören, welche Meinung er von den Frauen hat. Er! – ein Mann, den ich geheiratet habe. Zu Hector hintretend. Und ich? Bin ich eine Ausnahme? HECTOR seufzt. Jetzt ärgert sie sich wieder. THERESE. Das nimmt ihn Wunder! HECTOR. Mich? – mich nimmt gar nichts Wunder. PAUL. Er ist ein Sportsman. THERESE. Eins, denk’ ich, Eines müßte Dich dennoch Wunder nehmen. Wenn Dir bewiesen würde, daß es treue Frauen giebt, – Frauen, {die ihrem Mann liebevoll zugethan bleiben, auch wenn er es nicht um sie verdient. Frauen,} die unzugänglich sind jeder Schmeichelei, taub jeder Liebeserklärung – HECTOR. Liebeserklärung? – Jetzt muß ich aber auf die Reitschule. THERESE. Auf die Reitschule?! HECTOR. Adieu, Therese. Um drei Uhr kommt der Wagen. Laß’ die Pferde nicht lange steh’n. Der Fandango hat gestern zweimal gehustet. Ab. {THERESE. Gut! – schon gut! – vortrefflich! HECTOR im Abgehn halblaut zu Paul. Meinst Du wirklich, daß es Frauen giebt – wie sie sagt? – Ich meine: Eine wie die Andere ... Und wenn Du heiratest ... freilich man thut besser, man heiratet gar nicht. Hector ab.} THERESE. Sie wollten mir’s nicht glauben – sind Sie jetzt überzeugt? – So denkt er von uns Frauen! – So spricht er von uns! PAUL. Sie nehmen das alles viel zu – THERESE. – Aber er muß bekehrt werden, überführt! Vor der Tugend seiner Frau wenigstens muß er lernen Respekt zu haben! PAUL. Ich bin überzeugt, den hat er schon jetzt. THERESE nach einer Pause. – Graf Paul Nordheim! sind Sie mein Freund? PAUL. Ich schwör’s! THERESE. Thu’n Sie mehr, beweisen Sie! PAUL. Wodurch – womit? – was soll ich ...? THERESE. Sie sollen mir eine Liebeserklärung machen, und er soll sie hören – und ich will sie abweisen, mit einem Stolz! einer Unbarmherzigkeit! ... So ist noch nie eine Liebeserklärung abgewiesen worden. PAUL. Ich – danke. THERESE. Wie? PAUL. Ist das Ernst?

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THERESE. Der Feierlichste! PAUL. – Und – wie wollen Sie die Comödie in Scene setzen, in der ich eine so dankbare Rolle habe? THERESE. Meine Sorge. Sie haben keine andere, als heut um neun Uhr, eine Stunde vor dem Balle – auf dem ich, nebenbei gesagt, den Cotillon mit Ihnen tanze ... PAUL. Verzeihen Sie, das ist unmöglich. THERESE. – Weil? PAUL. Weil ich beabsichtige, Gräfin Sarah zu engagiren. THERESE. Ei seht doch! – Und Ihre Mutter? – Bisher erlaubte sie Ihnen den Cotillon nur mit verheirateten Frauen zu tanzen. PAUL. – Seit einiger Zeit pflegt meine gute Mutter, auf jedem Balle, vor dem Cotillon einzuschlafen. THERESE. Gut. – Um neun Uhr also sind Sie bei mir, im blauen Salon, der an Hector’s Schreib – o giftige Ironie des Tapezierer’s: – Schreibzimmer! – stößt. PAUL. Aber um neun Uhr ist ja Hector niemals in seinem Schreibzimmer. THERESE. Heut wird er dort sein. Der Fandango hat nicht umsonst gehustet. Dieser Husten, mein Gemal, kommt mir sehr gelegen! PAUL. Wie wollen Sie es bewerkstelligen – THERESE. Ich kann in meinem Hause alles bewerkstelligen. Ich habe einen dienstbaren Geist, dessen Hilfe ich niemals umsonst anrufe. PAUL. Sie machen mich neugierig. {THERESE. Soll ich Ihnen mein Geheimniß verrathen? PAUL. Verrathen Sie.} THERESE. Mein lieber Graf! wenn ein junger Mann von Familie sechzehn Jahre alt wird, so geht er bei uns –? PAUL. – Zur Cavallerie. THERESE. Richtig. Und man giebt dem Kinde eine – Kinderfrau mit, in Gestalt eines bewährten Dieners, auf daß er die Börse, den Stall – und wol auch das Herz seines kleinen Herrn überwache. In Kurzem bekommt dieser das Garnisonsleben satt. Er quittirt und –? PAUL. – Heiratet. THERESE. Richtig. Der alte Diener, der ihm inzwischen unentbehrlich geworden, wird nun der natürliche Feind der jungen Frau. Ist diese unklug, so läßt sie sich mit ihm in einen Kampf ein um die Herrschaft über den Herrscher. Ist sie klug, – {wie Ihre gehorsamste Dienerin,} so benützt sie s e i n e n Einfluß, um den i h r e n zu begründen. Das stellt sie auf folgende Weise an: – Soll der Mann {in seinem Interesse natürlich: es handelt sich immer nur

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um sein Interesse!} von irgend etwas a b g e h a l t e n werden, dann sagt die Frau zum Hausgeiste: „Mein lieber Franz“ – der unsere heißt Franz – „sorgen Sie doch dafür, daß der Graf dies t h u e ...“ PAUL. – Verstehe! THERESE. Soll der Mann hingegen zu irgend etwas bestimmt werden, dann sagt die Frau: „Lieber Franz, sorgen Sie doch dafür, daß der Graf dies – b l e i b e n lasse ...“ PAUL. Das Mittel ist – THERESE. Untrüglich! Glänzende Erfolge sprechen für die Vortrefflichkeit der Methode. PAUL. Sie – sind stark. THERESE. Fassen Sie denn Vertrauen und kommen Sie, schlag neun, mit Ihrer {schönen} kleinen Liebeserklärung auf der Zunge, in den –? PAUL. – In den blauen Salon. Für sich. Da habe ich mich in eine schöne Geschichte eingelassen! – Laut. Wollen Sie mir jetzt erlauben Ihnen einen Rath zu geben? THERESE. Sprechen Sie. PAUL. Gräfin Sarah wird wol heut abends meiner Mutter vorgestellt werden? THERESE. Gewiß. PAUL. Und – Sie wünschen sicherlich daß sie ihr gefalle? THERESE. Ohne Zweifel. PAUL. Nun dann sorgen Sie vor allem dafür, daß der erste Eindruck ein günstiger sei, er ist bei meiner Mutter entscheidend. {Von einem gefaßten Vorurtheil kommt sie niemals zurück.} Jenen – ersten Eindruck jedoch bestimmen Kleinigkeiten ... Zum Beispiel: der Augenblick. Wählen Sie ihn günstig! –: die Toilette. Meine Mutter schließt oft vom Kleide auf – die Seele. THERESE. – Der Schneiderin? PAUL. Oh! THERESE. Seien Sie ruhig. Sarah’s Kleid wird reizend sein. PAUL. Und die Verneigung, die Haltung – alles wichtig! – Meine Mutter imponirt gerne ... Oh wenn Gräfin Sarah es dahin brächte bei der heutigen Vorstellung etwas verlegen zu sein, das wäre herrlich! THERESE. Sie nehmen ja sehr großen Antheil an der Kleinen. PAUL zurückhaltend. Sehr großen. – Sie kommt.

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Neunter Auftritt VORIGE. SARAH.

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SARAH. Hier ist Deine Uhr. Alle Winkel habe ich durchsucht. Sie lag ... THERESE. Nun? – wo lag sie denn? SARAH. Auf Hector’s Schreibtisch, ganz wunderschön, im Etui, auf rosenfarbenem Seidenpapier. Giebt ihr die Uhr und tritt zu Paul. THERESE. Dies ist nicht meine Uhr. Während des Nachfolgenden sprechen Paul und Sarah zusammen. THERESE für sich. Das ist eine ganz neue. Allerliebstes Ding! – Hector! excellenter Mensch: er denkt an meinen morgigen Geburtstag! – Jetzt thut es mir beinahe leid, daß ich ... Was denn? Ich will ihm ja eine Freude machen. Erfahren soll er, welche Frau, die seine! PAUL sein Gespräch mit Sarah fortsetzend. Und was schreibt Ihr Pflegekind noch? SARAH. Sie schreibt noch, die arme Kleine, sie sei besorgt um ihren Bruder, um den Peter, der hier ist, einen Dienst zu suchen und der nichts von sich hören läßt. Da trägt sie mir denn tausend Dinge an ihn auf. PAUL. An den Peter. SARAH. Ja. Sie meint, in der großen Stadt wisse Jedermann so gut Bescheid über den Peter Seidl, wie auf unserem Dorfe. THERESE. Sarah! Sarah! Du bist wieder mitten {d’rin} in der Idylle. Zu Paul. {Das Dorf und der Peter, und was weiß ich! Sie aber hören zu und machen ein Gesicht, als ob es Sie interessirte. PAUL. Es interessirt mich auch und – THERESE. Und trotzdem muß ich Ihre} 〈Ich aber muß diese〉 schäferliche Unterhaltung stören. 〈Zu Sarah.〉 Ich habe {mit diesem poetischen Wesen hier} {w}〈W〉ichtige〈s〉 {Dinge zu reden} 〈mit Dir zu besprechen〉; dann kommt die marchande de modes, dann wird ausgefahren, mit einem Wort: Geschäfte über Geschäfte! SARAH zu Paul. Und Sie werden wol auch Geschäfte haben, wichtigere als wir. PAUL lächelnd. Ich? – Nein, ich habe keine Geschäfte. SARAH. Gehen Sie nicht in die Kammer? Sie sind ja erbliches Mitglied. PAUL. Ich bin’s, überlasse es aber Klügeren als ich, dort ihre Weisheit auszukramen. Auch fehlt mir die Zeit. SARAH. Das begreife ich nicht. Sie haben keine Geschäfte und Sie haben auch keine Zeit? THERESE streng. Sarah! SARAH. Ich darf doch fragen. PAUL. – Es giebt gesellige Verpflichtungen, die man erfüllen muß. – Es giebt Zusammenkünfte – bei Tische ...

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SARAH. Ja, Diners. PAUL. – auf Bällen, im Club, im Theater ... SARAH. Ja, ja, allerlei Unterhaltungen. PAUL. – Es giebt – equestrische Übungen ... SARAH lacht. Sie sind sehr spaßig! – PAUL. Ganz unwillkürlich, Gräfin, ganz unwillkürlich! SARAH. Und wie ernsthaft er das alles sagt! THERESE. So meint er’s auch. SARAH. So meint er’s? – Ihr wollt mir weis machen, daß es erwachsene Leute gibt, die den ganzen Tag nichts thun, als spaziren gehen, essen und spielen, wie die kleinen Kinder? PAUL. Aber, Gräfin ... THERESE. Genug jetzt! SARAH zu Paul. Haben Sie keine Güter zu verwalten? PAUL. Die Verwaltung meiner Güter besorgt mein alter Direktor. SARAH. Und Sie schämen sich nicht, den alten Mann arbeiten zu lassen und müßig zu gehen, ein junger, gesunder Mensch wie Sie. THERESE. Graf Paul – skandalisiren Sie sich nicht! PAUL halblaut zu Therese. Man muß sie erziehen. SARAH. Nehmen Sie sich ein Beispiel an meinem Onkel Robert. Den habe ich in der Kammer reden gehört. Seine Worte flogen wie die Pfeile, und jedes traf sein Ziel: – des Gegners aufgestellten Grund – daß er hinsank wie ein todter Mann! – Es war schön, Graf Paul, denn ich fühlte wol, daß Robert eigentlich gegen seinen Vortheil sprach, daß er für sich nichts nahm als das Recht, Armen zu helfen, Unterdrückte zu beschützen. Und als er schloß: „Ein Pereat der Selbstsucht! Hoch – die Anderen!“ – da war es stille rings um ihn, aber in meinem Herzen jauchzte und rief’s: „Hoch Du selbst, Du guter Onkel Robert!“ THERESE zu Paul. – Ich b i t t e Sie, skandalisiren Sie sich nicht! SARAH. Was? PAUL. N–ein – i c h skandalisire mich nicht ... Aber ich fürchte daß die meisten – – Zu Sarah, warm. Theuerste Gräfin! Sie gehen abends auf den Ball – reden Sie von solchen Sachen auf dem Balle nicht! THERESE. Überlassen Sie mir’s, die Kleine zur Vernunft zu bringen. – Leben Sie wohl; das heißt: leben Sie – in Erwartung des Wiedersehens – um neun Uhr. PAUL. Um neun Uhr. Verneigt sich und will gehen. SARAH. Ihre Hand! – Nicht so förmlich. – So ist’s recht! – Den Cotillon also? PAUL. O – wenn Sie ein wenig anders werden – nicht werden! nur sich ein wenig anders g e b e n wollten! – nicht meinetwegen, aber wegen der –

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verwünschten Leute ... Innig. Was mich betrifft ... Abbrechend. – Sie werden heut meine Mutter kennen lernen; ich wünschte s e h r daß Sie ihr gefielen! – Leise zu Therese. Vergessen Sie nicht: der erste Eindruck entscheidet! Sich verneigend. Gräfin! Zu Sarah. Gräfin! Paul ab. SARAH. Was will er? – ich soll mich anders geben? THERESE. Komm, Sarah, setze Dich zu mir. SARAH setzt sich auf einen Schemel neben dem Fauteuil auf dem Therese Platz genommen hat. THERESE. – Der heutige Tag ist für Dich ein großer Tag, Sarah. Es ist der Tag Deines ersten Balles. Der Platz auf den Du Dich heute stellst, der bleibt der Deine. Merke Eines vor allem, es ist das ABC der Comtessen-Fibel: – man tanzt mit keinem uneleganten Tänzer. SARAH. Aber – wenn ein uneleganter mich auffordert? THERESE. So sagst Du: „Ich bin schon engagirt.“ SARAH. Aber – wenn’s nicht wahr ist? THERESE. Gleichviel, Du sagst es. SARAH. Lügen?! Das kann ich nicht. THERESE. Ach was! man kann alles; nur wollen muß man, nur sich’s zutrauen muß man. Der Glaube an die eigene Kraft, der versetzt Berge. SARAH. Der Professor meint – THERESE. Laß mich mit dem Professor zufrieden! – Überhaupt ist es ganz ungehörig einen Professor immer im Munde zu führen. Du erzählst beständig von ihm, und von Deiner alten Tante, damit machst Du D i c h lächerlich, und s i e . SARAH. Lächerlich? – die Tante? – den Professor?! – Du kennst sie nicht. THERESE. Noch etwas. Du hast viel gelernt – SARAH. Ich?! THERESE. Du mußt Dich außerordentlich hüten es merken zu lassen. SARAH. Das – wird nicht schwer halten! THERESE. Du redest oft Dinge, die total unpassend sind: zum Beispiel, neulich, mit Onkel Robert, vor dem ich Dich übrigens warne – SARAH. Vor dem Onkel?! Dem Edelsten den ich kenne, außer meinem Prof... Hält plötzlich sich besinnend inne. THERESE. Dem Onkel, mein Kind, geht man in der Welt aus dem Wege. Er ist schlecht angeschrieben in der Gesellschaft, und bei Hofe. SARAH. Was liegt denn mir daran? THERESE. Es hat Dir daran zu liegen. – Willst Du hören, was der Onkel ist? – willst Du’s? – er ist: demokratisch gesinnt. SARAH. Nun – wenn’s seine politische Überzeugung ist. – THERESE schlägt die Hände zusammen. Um Gotteswillen! – SARAH. Hab’ ich wieder etwas Unpassendes gesagt? ... Und – was denn neulich, dem Onkel?

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THERESE. Ganz recht! neulich, bei’m Empfang des englischen Gesandten, sprachst Du mit Robert, vor Zeugen noch dazu – von einer Statue der Juno! SARAH. Das war unpassend? THERESE. Zweimal! – Erstens klingt’s gelehrt – SARAH lacht auf. THERESE. – Und ein gelehrtes Mädchen findet keinen Mann, – und zweitens schickt sich’s gar nicht, von Statuen zu sprechen. Deine Juno! wer weiß, ob sie angezogen war! SARAH. Das ist – Scherz – nicht wahr? und jetzt lachst Du wieder! Fällt Theresen um den Hals. Bist nicht mehr böse auf das arme Waldfräulein? THERESE. Willst du Dich bessern? SARAH. Meinetwegen! {THERESE. Keine gelehrten Gespräche mehr? SARAH. Keine mehr!} THERESE. Keine Äußerungen des Entzückens mehr über Robert’s Politik? {SARAH. Aber – THERESE. Graf Paul bat so schön!} SARAH seufzend. Keine mehr! THERESE. Keine Erwähnung des Professors mehr? SARAH. Keine mehr! um seinetwillen. THERESE. Kein Aufsuchen mehr der Celebritäten des mauvais genres – Comtessen Moorheim und dergleichen? SARAH springt auf. Das begehre nicht! nur dieses Einzige nicht! – Wenn ich sie so traurig dastehen sehe, die Häßlichen, die Verpönten – allein, mitten unter den Ihren – und warum? weil der über sie gelacht, weil jener sie nicht gegrüßt, weil ihre Mutter nicht hoffähig gewesen, {und derlei Erbärmlichkeiten mehr} 〈oder was weiß ich! 〉 – wenn ich sie sehe, förmlich betteln um ein gutes Wort, einen freundlichen Blick, und die Andern, die – wie Ihr sagt: – „Eleganten“ gehen an ihnen vorbei und {schauen} 〈sehen〉 weg, {oder messen sie und lächeln} – – Donner und Doria! da heißt’s an mich halten, sonst ... Sie ballt die Faust. THERESE mit unterdrücktem Lachen. Hilf Gott, mit dem Kinde kommt es noch zu einem Exzess! {SARAH. Sei ruhig – ich thu’s ja nicht. – Aber auf die Verlassenen zuzustürzen, ihnen die Hand zu reichen, ihnen zu sagen: M i r seid Ihr schön – i c h liebe Euch – Wollt Ihr etwas das ich habe? – hier ist es! – Braucht Ihr mich? – hier bin ich! – das, so wahr ich die Sarah bin, das soll mir niemand wehren! THERESE. Niemand? SARAH. Niemand! THERESE. Auch nicht – Graf Paul?

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SARAH. D e r denkt so klein nicht wie Ihr! Der ist nicht elegant weil er dies thut und jenes bleiben läßt, der ist elegant von Natur und bedarf all der Künsteleien nicht! THERESE. Oh! oh! welche Begeisterung! Zieht sie auf ihren vorigen Platz zurück. Du bist ihm gut, scheint mir, dem Grafen Paul? SARAH. Von ganzem Herzen. THERESE. O Waldfräulein!} SARAH. Therese, wird’s mit mir gehen in der Welt? – – Es wird n i c h t gehen Therese. – Schickt mich heim in unser altes, trautes Schloß, zu meiner Tante, zu meinem Professor ... THERESE. – Zur Kathrein und zum Peter – vive Dieu! da hätten wir einmal wieder die ganze Gesellschaft beisammen! SARAH. Der arme Peter ist nicht dabei. THERESE. Wir wollten versuchen, ohne ihn fertig zu werden. Vorwärts nun, in den Kampf – das Herz bleibt zu Hause, und draußen thun wir, als ob wir gar keines hätten! – Komm, wir fahren ein wenig aus, das erfrischt, und nach dem Speisen dann –: zu den Waffen! ich will sagen: zur Toilette! Therese ab nach links. Sarah folgt ihr. Bei’m Vorübergehen an dem Blumentisch bleibt sie plötzlich stehen. SARAH. O die armen Blumen! Schellen an der Hausthüre. Alle welk und halb verdurstet. Ergreift die Kanne, die auf dem Tische stehen geblieben. Ja, Blumen müssen sie haben, allein daß Jemand für sie sorgte! Begießt die Blumen.

Zehnter Auftritt VORIGE. GRÄFIN NORDHEIM. DIENER.

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DIENER. Euer Erlaucht! – Die Damen sind eben im Begriffe auszufahren. GRÄFIN NORDHEIM. War mein Sohn hier? DIENER. Seine Erlaucht waren hier. GRÄFIN NORDHEIM. Wann? mit wem? wie lange blieb er? DIENER. Vielleicht eine Stunde, Euer Erlaucht. GRÄFIN NORDHEIM für sich. Eine Stunde – o Gott! – in einem Hause, in dem es drei Töchter gibt, und alle heiratsmäßig! – O mein armer Engel! Wendet sich zum Abgehen. DIENER eilt voran und öffnet beide Flügel der Thüre. Was habe ich der Frau Gräfin zu melden? GRÄFIN NORDHEIM. Melden Sie, daß die Gräfin Nordheim hier war und nach ihrem Sohn frug! Will gehen.

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SARAH, die mit den Blumen beschäftigt, an dem Vorhergehenden keinen Antheil genommen, stürzt, als die Gräfin sich nennt, auf diese zu. Sie sind die Gräfin Nordheim? ... Sie sind seine Mutter? GRÄFIN NORDHEIM. – Seine? ... Wessen? ... SARAH ohne sich unterbrechen zu lassen. Ach so erlauben Sie, daß ich Ihre Hand küsse! Wie wird Graf Paul sich freuen wenn er hört, daß wir uns schon kennen! GRÄFIN NORDHEIM abwehrend. „ W i r “ ? – wer ist denn das? ... SARAH wie oben. Er wünscht so sehr daß ich Ihnen gefalle – GRÄFIN NORDHEIM. Ha! SARAH. Und es ist auch mein innigster Wunsch. Mein ganzes Herz fliegt Ihnen zu – Sie sind ja seine Mutter! ich liebe Sie schon – lieben Sie mich auch ein wenig! GRÄFIN NORDHEIM. Junges Mädchen, Sie sind ... Ja – w e r s i n d S i e d e n n ? SARAH. Ich bin Sarah. GRÄFIN NORDHEIM. – Sarah – was? SARAH. Sarah Hochburg. GRÄFIN NORDHEIM. Das Waldfräulein! ... SARAH. – So nennen sie mich. GRÄFIN NORDHEIM. Und Sie machen dem Namen Ehre. Für sich. Welcher Ton! welche Manieren! – Ein ganz verwahrlostes Geschöpf! SARAH eingeschüchtert. Aber Graf Paul ... GRÄFIN NORDHEIM. Mein Sohn? – was haben Sie mit meinem Sohn? – Ich muß es erfahren – – Sieht Sarah an, für sich. Sie ist schrecklich aber – nicht übel – und die Jugend ... Nun, wenn man nur die Gefahr k e n n t , dann wird man ihr begegnen! Sie geht ab. Diener folgt ihr. SARAH allein. – Jetzt möchte ich nur wissen –: h a b ’ ich ihr gefallen oder nicht?

Zweiter Aufzug Salon bei Therese. Mittelthüre im Hintergrunde. Rechts und links in den Vordercoulissen, Tapetenthüren. Links im Hintergrunde, die Zimmerecke abschneidend, der Eingang zu einem Erker, schwere Vorhänge an Fenstern und Thüren. Großes Etablissement in der Mitte, kleines Canapé und zwei Fauteuils in der Nähe der Tapetenthüre rechts. Lampen auf dem Tische und dem Camine.

Erster Auftritt THERESE. FRANZ.

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THERESE tritt, in Balltoilette von links auf. War der Arzt da? FRANZ. Zu dienen, Frau Gräfin. THERESE geheimnissvoll. Hat er den Fandango gesehen? FRANZ. Deshalb ist er ja geholt worden. THERESE. Ich habe den Arzt bitten lassen einen Bericht aufzuschreiben. Wo ist er? FRANZ überreicht ihr ein Blatt Papier. Hier. THERESE. So lang? ei, ei! – Im Vertrauen mein lieber Franz, ich bin in Angst um den Fandango. Das Pferd kommt mir ganz kurios vor. FRANZ. Da sollte man aber doch dem Herrn Grafen – THERESE. Nur nichts sagen! Wenigstens jetzt nicht. Der Fandango muß heute durchaus noch einmal eingespannt werden. FRANZ. Es könnten aber die Braunen – THERESE. Es m ü s s e n die Rappen eingespannt werden! FRANZ zwischen den Zähnen. Caprizen! THERESE. Morgen, wenn es schon nicht anders sein kann – FRANZ wie oben. – Und wenn’s zu spät ist! – THERESE. Morgen wollen wir mit der Wahrheit herausrücken. Nehmen Sie den Bericht, mein lieber Franz, und legen Sie ihn m o r g e n auf den Schreibtisch des Grafen, m o r g e n , Sie verstehn? nur nicht etwa heut! nur nicht etwa schon jetzt! – Er kommt – still! FRANZ für sich. Geheimnisse! immer Geheimnisse! Franz ab durch die Mitte, während Hector durch dieselbe auftritt.

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Zweiter Auftritt THERESE. H ECTOR.

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HECTOR. Schon angezogen? Wann geht Ihr? THERESE. Die Stunde ist um neun, folglich gehen wir um zehn Uhr. Kommst Du mit? HECTOR. Ich? – ich muß in den Club. THERESE. O dieser Club! – Ich bitte Dich, laß den Club Club sein und komm mit! Es ist mir so unangenehm, immer allein in die Welt zu gehen. HECTOR gähnt. Du hast Deine Schwester. THERESE. Aber die Leute fragen mich: „Wo ist Ihr Mann?“ Wir sind doch erst ein Jahr verheiratet, was soll man denken wenn man uns nie zusammen sieht? HECTOR. Was? – Daß ich im Club bin. THERESE. Mach’ einmal eine Ausnahme; nur heut’ – HECTOR hat sich auf das Canapé gesetzt, lehnt den Kopf zurück und schließt die Augen. Kann nicht. Hab’ gestern zu viel gewonnen im Ecarté. Muß Revanche geben. THERESE tritt zu ihm. So kamst Du nur, um mir lebewohl zu sagen? HECTOR ohne seine Stellung zu verändern. Ich bin gekommen, um Dich zu bitten, die Pferde nicht warten zu lassen. THERESE zärtlich. Sonst hast Du mir nichts zu sagen? HECTOR. Gar nichts. THERESE. Wie seh’ ich denn aus in meiner Balltoilette? Bist Du mit mir zufrieden? HECTOR. Sehr zufrieden. THERESE. So mache doch nur die Augen auf! FRANZ meldend. Der Friseur bittet, er hat Eile. THERESE. Ich komme. Franz ab. HECTOR. Ich habe geglaubt, Du bist fertig. THERESE. Eine Blume wird noch aufgesteckt. – Gute Nacht, Du Unmensch, der mich nicht ansieht – HECTOR. Oh! THERESE. Dem ich nicht gefalle – HECTOR sich aufrichtend. Oh! – Oh! – THERESE. Der mich nicht mehr liebt – HECTOR küsst ihr die Hand. Oh! – Oh! – Oh! – THERESE. Gute Nacht denn! HECTOR. Gute Nacht. Therese ab nach links.

Das Waldfräulein

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HECTOR sinkt in seine frühere Stellung zurück. Herzige Frau. – Wenn ich nur nicht so schläfrig wäre. – Herzige Frau. – Arme Lovely! FRANZ kommt. Herr Graf! HECTOR. Was willst Du? FRANZ. Dem Fandango – HECTOR im Halbschlafe. Kapitales Thier – vom Rothschild – aus der Jungfrau von Orléans. FRANZ. Dem Fandango geht’s schlecht. HECTOR emporschnellend. Was? Sich besinnend. Nichts fehlt ihm. FRANZ. Es muß ihm doch etwas fehlen. Die Frau Gräfin haben im Geheimen den Pferdedoktor kommen lassen. HECTOR. Pferdedoktor? FRANZ. Und der hat im Geheimen einen Bericht aufgeschrieben – HECTOR steht auf. Den muß ich lesen. FRANZ. Und ich hab’ ihn im Geheimen auf Ihren Schreibtisch gelegt – HECTOR gähnt. Gut. – Zwei Nächte nicht geschlafen – – Also, wo ist er, der Bericht? Ab nach rechts. Franz ab durch die Mitte. Gleich darauf tritt durch dieselbe:

Dritter Auftritt

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SARAH ein grosses Bouquet in der Hand. Liebe Therese ... Ah, sie ist bei der Toilette ... Ich halt’ mich fern, sonst heißt es gleich: „Nein, d a s Kleid! – Nein, so kann ich Dich nicht seh’n! – Kind, wenn Du dem Grafen Paul gefallen willst ...“ O ja, ich will Ihnen gefallen, Graf Paul, mir liegt daran, obwol Sie ein Müßiggänger sind und blutwenig gelernt haben! – Aber Sie können nachholen, Sie sind jung und hätte Ihnen der Himmel einen Professor beschert, so wie mir, Sie wären schon jetzt, was Sie gewiß dereinst werden: ein prächtiger Mann! – Ja, ja; und verdienten eine prächtige Frau. Das würde dann ein anderes Leben sein als die Leute hier ... Arme Therese! ... Sie kommt – Überrascht sie, ihr lieben Blumen, ihr schönen! – Ich verstecke mich und will mich weiden an ihrem Staunen über euch. Sie eilt auf den Erker zu, dessen Vorhänge sie hinter sich herabfallen lässt. Hier bin ich herrlich placirt.

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Dritter Auftritt ] Vierter Auftritt

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Vierter Auftritt DIE VORIGE. THERESE. Sie geht leise über die Bühne und schaut durch das Schlüsselloch der Tapetenthüre rechts.

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THERESE. Richtig! Da sitzt er, auf dem Balzac, ganz vertieft in seiner Lektüre ... SARAH blickt aus ihrem Versteck hervor. Was thut sie denn? – Sieht meine Blumen gar nicht ... THERESE halblaut. Jetzt, wo der entscheidende Augenblick herannaht, wird mir fast unheimlich zu Muthe. Man schellt ... oh – hätte ... Nun, ich werde doch die Courage nicht verlieren? DIENER meldend. Graf Nordheim. THERESE kleinlaut. Sehr ange... Sich ermannend. Sehr angenehm! Diener ab.

Fünfter Auftritt VORIGE. PAUL in Balltoilette.

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SARAH wie oben. Sehr unangenehm! PAUL. Gräfin! THERESE für sich. Nun gilt’s! Laut. Ei, Graf Paul! PAUL leise. Ist er da? THERESE leise. Er ist da. Beginnen Sie. PAUL. Gräfin! – THERESE. Was führt Sie hieher, zu so ungewohnter Stunde? Leise. Fragen Sie, ob er zu Hause ist? PAUL. Ist Hector zu Hause? THERESE. Ach nein! Leise. Freuen Sie sich. PAUL. Welches Glück! THERESE seufzt. Er ist l e i d e r nicht zu Hause. PAUL. Sie bedauern das? – Natürlich! Sie lieben ihn. THERESE. Ja wol, ich liebe meinen Mann. Sie wissen es. PAUL. Ich weiß es, aber – Mit Pathos. ich glaube es nicht! THERESE leise. Recht gut; nicht neu, allein recht gut. Laut. Sie glauben es nicht? PAUL. Weil ich es nicht glauben will! weil mich’s zur Verzweiflung brächte! THERESE. Erklären Sie sich deutlicher. Ich verstehe Sie nicht.

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Vierter Auftritt ] Fünfter Auftritt Fünfter Auftritt ] Sechster Auftritt

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Das Waldfräulein

PAUL. O heilige Einfalt! vor der ich mein Knie beuge ... Ja! – Sie sind eine tugendhafte Frau, und ich – ich bin – – Sucht den Ausdruck. Leise. Was bin denn ich? THERESE soufflirend. Ein wahnsinniger Thor! PAUL leise. Erlauben Sie! ... THERESE flehend, leise. Ich bitte! PAUL leise. Nun, wenn’s sein muß! Laut. Ein wahnsinniger Thor! THERESE. Ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, davon hätte ich nichts bemerkt. PAUL. Sie verstehen nicht, Sie bemerken nicht – – so muß ich denn sprechen, klar, bündig – SARAH aus ihrem Verstecke. Was machen die für albernes Zeug? – Ich mag nicht lauschen, nein. Im Augenblicke wo sie heraustreten will, hat Paul sich gegen sie gewandt. Sie zieht sich zurück. Oh! PAUL leise. Dort hinter dem Vorhang hat sich etwas geregt. THERESE. Ein Gespenst vielleicht. Fürchten Sie sich? PAUL für sich. Lächerlich – aber dieser Spott ist mir unangenehm. Laut. Scherzen Sie nicht. Hier ist kein Grund zu scherzen, und nicht um Ihnen Spaß zu machen bin ich gekommen. THERESE. – – Setzen Sie sich. PAUL. Nein! ... Ich will knieen. Er setzt sich. Hier, zu Ihren Füßen – THERESE. Was fällt Ihnen ein? PAUL. Mir fällt ein, daß Sie schön sind und daß ich – Sie liebe. THERESE. Stehen Sie auf! PAUL. Nein! THERESE. Ich befehle es! PAUL. Aber – ich liebe Sie! THERESE. Für wen halten Sie mich mein Herr? – Ich bin eine – Frau – PAUL. Eben deshalb – THERESE. – Eine Frau, die brav ist, die verheiratet ist, und die jeden Mann der sich erdreistet ihr eine Liebeserklärung zu machen, verachtet! PAUL. Wie! Für sich. Das ist aber doch – THERESE. Fort! Wagen Sie es nie wieder die Schwelle dieses Hauses zu überschreiten – PAUL. Was?! THERESE. Außer – Sie kommen als ein ganz veränderter Mensch. Leise. Stammeln Sie einige Worte und gehen Sie. PAUL steht auf. Für sich. – Zu dumm! – aber – ich ärgere mich wirklich. THERESE. Nun, so gehen Sie doch, mein Herr! PAUL von ihr wegtretend, für sich. Ich wollte, Hector stürzte hervor und forderte mich. Später klärt sich dann alles auf, und jetzt – könnte es dieser schönen Frau nicht schaden, zur Strafe für ihr frevelhaftes Spiel einige Angst auszustehn. Laut, entschlossen. Ich bleibe!

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THERESE leise. Nein, mein lieber Graf; im Ernste: gehen Sie. Ich danke Ihnen. Laut. Zum letztenmale: entfernen Sie sich! PAUL. Das ist zu viel! – So, Gräfin, weist man mich nicht ab! – {Was habe ich denn gethan? mein Herz habe ich Ihnen zu Füßen gelegt, das Herz eines Mannes!} THERESE flehend. Machen Sie ein Ende! PAUL ohne sich unterbrechen zu lassen. {Und mit ihm mein Leben, meine Treue!} Sie sind verheiratet, sagen Sie? – Tod und Hölle! wenn verheiratet sein, heißt: beschützt, vergöttert sein, wenn es heißt, Ziel aller Wünsche sein und Inbegriff aller Sorgfalt und Liebe – dann sind Sie n i c h t verheiratet – {mit Hector wenigstens nicht!} THERESE in Todesangst, immer nach der Thüre von Hector’s Zimmer blickend. Ich beschwöre Sie! PAUL. {Er} 〈Hector〉 vernachlässigt Sie! {und ein Mann der seine schöne, seine junge Frau vernachlässigt, gibt sie der Verfolgung preis –} THERESE wie oben. Sie irren! es ist nicht so arg – PAUL. Zittern Sie! Andere werden kommen und Ihnen von Liebe sprechen, Andere als ich – THERESE. Bei Gott! Sie gehn zu weit! PAUL. Zu weit? – und ich kniee noch? Wirft sich auf die Knie. {Und ich habe noch Ihre Hand nicht berührt.} Ergreift Theresen’s Hand und hält sie trotz ihres Widerstrebens bis zum Ende der Scene fest. THERESE. Lassen Sie mich! – – Welche Sprache! – PAUL. O glückliche Frau! kennen Sie diese Sprache nicht? – es ist die Sprache der Liebe! – {Ihr Hector freilich verschmäht es, sie zu sprechen – Aber Ihr Hector ist ja nicht der einzige Mann auf Erden. Sie waren blind – öffnen Sie die Augen – blicken Sie um sich, die Welt ist voll des Jubels, des Entzückens – und die Herzen in dieser Welt, sind voll der Anbetung für Sie!} THERESE. Ist das Wahrheit? ist das Comödie? – mir schwindelt – PAUL. Hinweg mit der gespielten Unbefangenheit! {Hinweg mit ihr wie mit einer Larve, die wir früher oder später uns doch vom Antlitz reißen.} Wahrheit sei zwischen Dir – THERESE entrüstet. Dir?! PAUL. Zwischen Dir und mir! Wir lieben uns – haben wir den Mut es zu gestehn! THERESE ausser Fassung. Wahnsinniger – schweigen Sie! – Ich bin verloren – Sie sind verloren – wir alle sind’s! Reisst sich los und stürzt, nach links, ab. PAUL lacht. Hahaha! Welche Angst! Nun, meine Holde, wenn Sie jemals wieder ein ähnliches Fest veranstalten, – mich werden Sie dazu nicht mehr laden! – Aber – der Gemal? – – Der hat starke Nerven. Warum kommt er nicht? Warum fordert er mich nicht? – Hält er mich für so ungefährlich? Ich finde

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beinahe, daß ich i h n fordern sollte, weil er m i c h nicht fordert. – Wie? – oder ist er am Ende gar nicht da? – Wir wollen doch sehen ... Geht zur Thüre rechts und öffnet. Hector – Ach so! – – Hahaha! nun begreife ich! – Macht die Thüre leise wieder zu. Das ist wirklich komisch. Gegen die Thüre durch welche Therese abgetreten. O wenn Du wüßtest, was ich weiß! – aber ich sage Dir nichts – zittere nur noch ein wenig! Rasch und lachend durch die Mitte ab. SARAH schwankt blass und zitternd aus ihrem Verstecke hervor. Was hab’ ich hören müssen?! ... müssen – ja! – Ich wollte nicht lauschen – fliehen wollt’ ich – und die Füße versagten – schreien wollt ich – und der Laut starb mir auf den Lippen. – „Wir lieben uns“ sagte er, und sie sagte nicht: Nein, und sie ist eine verheiratete Frau! ... O die glühenden Worte zuerst und dann das gellende Lachen ... Reden die ich nicht verstand – eine Drohung zuletzt ... Was war das alles? – Unrecht – schweres Unrecht! – Nach einer Pause. So seid Ihr also, Ihr Menschen in der großen Welt? – und lächerlich ist Euch, der nicht ist wie Ihr? – Nun, i c h will ewig lächerlich sein! – Verhöhnt will ich sein, verspottet von Euch allen – und anders, bei Gott! ganz anders als Ihr! – Bewundern will ich was Ihr schmäht, in das Herz schließen was Ihr verstoßt. – Mißfall ich Euch – um so besser! ich w i l l keinem Menschen gefallen, Mit den Thränen kämpfend. als alte Jungfrau will ich sterben, einsam und traurig, aber wenigstens treu und wahr! DIENER kommt. Die Frau Gräfin suchen die Comteß. Es ist Zeit zum Balle. Ab. SARAH heftig. Zum Balle?! – Tanzen wenn der Himmel einstürzt? – Am Ende gar mit i h m tanzen, der so redlich aussieht, und doch falsch ist und verderbt ist, bis in die tiefste Seele! ... Auch zu hören, wie Therese, wenn er lockt und schmeichelt und – – Nein! – ich – ja was will ich denn? – – Mit Entschluss. E u c h s t e h n w i l l i c h . Entgegen tret’ ich Euch. Nicht mehr ein blödes Waldfräulein, nicht mehr ein gehorsames Kind –: Ein Geschöpf, das Euch durchschaut, und weiß, es thut recht, wenn es nicht thut wie Ihr. – Ruhe nun und Fassung. – Inbrünstig flehend. Laß mich kalt sein, mein Gott! Zieht ihr Tuch aus der Tasche und zugleich das Etui mit der Uhr. – Die Uhr! – Wie heilig sie mir auftrug, sie wieder zurück zu bringen, damit dem armen Hector nicht die Freude der Überraschung verdorben werde. – O die Welt ist schlecht! Sie ist während des Vorhergehenden langsam bis zur Thüre von Hector’s Zimmer vorgeschritten, als sie dieselbe geöffnet, fährt sie zurück. Er ist da! – er hat alles gehört, so gut wie ich ... Da liegt er, auf dem Ruhebett – die Hand vor den Augen – ein Bild des Jammers! – O – o – er schluchzt. – Nicht? ... Wie ist mir denn? ... Wär’s möglich? – Mein Gott, wacht selbst über den Bösen ein guter Stern? – Sie geht auf den Fussspitzen in Hector’s Zimmer und kommt rasch wieder zurück. Aufathmend. Er hat niemanden gehört, nicht sie, nicht mich, denn – er schläft.

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FRANZ kommt. Die Frau Gräfin steigen schon in den Wagen. SARAH. Ich komme. Für sich. „Zum Kampfe“ sagt sie? – Wolan denn: Zum Kampfe! Sarah ab.

Sechster Auftritt FRANZ. HECTOR kommt.

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HECTOR. Mir scheint, ich habe geschlafen. Wie viel Uhr? FRANZ. Halb eilf, Herr Graf. HECTOR. Oho. – Rock und Hut. FRANZ holt beides aus Hector’s Zimmer. Ihn ankleidend. Was ist’s denn mit dem Bericht? HECTOR. Welchem? FRANZ. Dem des Doktors über den Fandango. HECTOR. Gewäsch. Die Gräfin fort? FRANZ. Ja wol. HECTOR. Hat die Pferde warten lassen? FRANZ. – Zwei – drei Minuten. HECTOR. Ich bin schon froh, wenn’s nicht fünf sind. – Du – Mit einigem Zögern. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Packet in rosenfarb’nem Papier. Das trägst Du – in die Blumengasse No ... FRANZ fällt ihm in’s Wort. Ich weiß schon. Zur Tänzerin. Dahin geh ich nicht, Herr Graf. HECTOR. Oho! FRANZ. Bin ungern genug hingegangen als Sie noch ledig waren. Die Geschichte muß aus sein. Jetzt muß sie aus sein, Herr Graf. HECTOR nach einer kleinen Pause. Du gehst also nicht? FRANZ. Nein, Herr Graf. HECTOR. So geh ich selbst. Geht in sein Zimmer. FRANZ. Das lassen Sie bleiben! Hector kommt zurück. Wenn der selige Papa ... Hector durch die Mitte ab. – Herrgott! was hab’ ich mit dem Kind schon ausgestanden, seit dem Tage wo ich ihn auf sein erstes Schaukelpferd hob, und ihm die erste hölzerne Pistole mit Erbsen lud! Geht ab.

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Sechster Auftritt ] Siebenter Auftritt

Das Waldfräulein

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Verwandlung während welcher der Zwischenvorhang fällt. Eleganter Salon. Polstersitze rings an den Wänden. Unter dem Kronleuchter, ein Pouf. Rechts, im Vordergrunde ein reich gedeckter, mit Tabourets, Fauteuils und Stühlen umstellter Thetisch. Der Salon ist durch eine leichte Säulenstellung von der hell erleuchteten, mit Statuen, Bildern und Blumen geschmückten Galerie getrennt, deren Rückwand den Hintergrund bildet, und die als der Eingang in den Tanzsaal angenommen wird. Festlich gekleidete Herrn und Damen treten durch dieselbe in den Saal. Diener gehen ab und zu. Das Orchester spielt die letzten Takte einer rauschenden Polka. Der Hintergrund bleibt fortwährend belebt.

Siebenter Auftritt GRÄFIN, MELANIE, CLAUDINE kommen von links.

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MELANIE. Liebste Mama, laß uns nur ein wenig ausschnaufen! GRÄFIN. Dein Tuch Melanie! Dein Tuch! es ist hier kühl. MELANIE. Uf! – wir haben gerast – Lazáry ist der erste Polkist der Welt. Ich sterbe vor Hitze. CLAUDINE am Thetische. Ich sterbe vor Durst. Eine Schale The. Darf ich? GRÄFIN nimmt ihr die Schale aus der Hand und flößt ihr löffelweise The ein. Geduld! – Zwei Löffel – langsam. Es ist genug. MELANIE. Mama, Mama, Du treibst es gerade so mit uns, wie Hector mit seinen Rennpferden. GRÄFIN sanft drohend. Melanie, mein Kind, Du bist heute ... MELANIE schmeichelnd. Wie denn? – Nun – wie bin ich denn? GRÄFIN. – Charmant – CLAUDINE. Und ich? GRÄFIN. Auch Du. Ihr seid beide charmant. Ich bin zufrieden mit meinen Töchtern. Ihr seht beide aus – Denkt ein wenig nach. – Charmant – charmant. CLAUDINE. Und doch Mama, – und dennoch – Zu Melanie. Soll ich’s sagen? MELANIE. Freilich, sag’s. CLAUDINE. Sag’ Du’s – ich getraue mich nicht. GRÄFIN. Ihr erschreckt mich. MELANIE. Sie hat keinen Tänzer für den Cotillon. GRÄFIN. Unglückliches Kind! CLAUDINE fast weinend. Ich bleibe sitzen!

Siebenter Auftritt ] Achter Auftritt

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GRÄFIN. Das wäre eine schöne Geschichte! – Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie einmal – Denkt ein wenig nach. – sitzen blieb. CLAUDINE. Was fangen wir an, mein Gott? {GRÄFIN in die Galerie blickend. Da kommt zum größten Glücke mein Neffe Kurt, er soll Rath schaffen! –} 〈GRÄFIN betrachtet sie mit Rührung. Meine Claudine! ... Sollte diese Prüfung Dir wirklich auferlegt werden – so opfere sie der Heiligen Veroni – – nein, der Heiligen Anna ... Weich. Dann hast Du wenigstens ein Verdienst. CLAUDINE. Ja Mama, ich hätte aber lieber einen Tänzer. GRÄFIN. Ergebung mein armes Kind, Ergebung – – Blickt in die Gallerie. Mit ganz verändertem Tone. Aber – da kommt ja mein Neffe Kurt – der soll uns aus der Not helfen! ...〉

Achter Auftritt VORIGE. HOCHBURG und KURT kommen im Gespräch von rechts.

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KURT. Das ist wahr, Papa, Du lässest meinen Credit nicht sinken. Heut könnte ich mehr Schulden machen als Du eben bezaltest. HOCHBURG. Es soll dafür gesorgt werden, daß Du gar keine mehr machen kannst. – Geh nun, und engagire Gräfin Ludmilla zum Cotillon. KURT lachend. Aber Papa! HOCHBURG. Keine Einwendungen. Ich will’s. KURT. Allumsonst, Papa, ich heirate sie doch nicht{, und wenn sie statt einer, zehn Millionen hätte, und wenn ich statt eines, zehn Cotillons mit ihr tanzte}. HOCHBURG. Warum? KURT. Weil ich mir von meinem Vater meine Schulden bezalen lassen kann, niemals aber – von meiner Frau. HOCHBURG. Hm! GRÄFIN. Kurt, mein Neffe, Du mußt Deiner Cousine Claudine einen Tänzer verschaffen für den Cotillon. KURT. Wen denn geschwind? – Den kleinen Turnau vielleicht. Ein anständiger Jüngling – meine Schule! HOCHBURG. Wird seinem Vater viel Geld kosten, diese Schule. KURT. Ich bin sein Leitstern und er ist mein Schatten – läßt mich nicht aus den

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Achter Auftritt ] Neunter Auftritt

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Augen. Seht Ihr ihn? Winkt Turnau, der während des Vorhergehenden öfters in der Galerie sichtbar geworden und nun vortritt. Claque unter dem Arme, weisse Rose im Knopfloch. KURT leise zu ihm. Ich will Dich meinen Cousinen vorstellen. Engagire diese da Zeigt auf Claudine. zum Cotillon. TURNAU ebenso. Ist sie elegant genug für mich? KURT. Wer? M e i n e Cousine? TURNAU laut. Ich bitte Dich, mich den Damen zu nennen. KURT Turnau vorstellend. Graf Turnau. Leise zur Gräfin. Ein Epouseur. GRÄFIN. Ah! Verbeugung. TURNAU zu Claudine. Schlechtes Wetter diese Woche. CLAUDINE. O sehr schlechtes! TURNAU. Besonders montag. CLAUDINE. Ganz besonders. TURNAU. Und mittwoch auch. CLAUDINE. Da haben Sie recht. TURNAU. Darf ich um den Cotillon bitten, Gräfin? CLAUDINE freudestrahlend. Ich bin zwar schon engagirt, aber ich werde, Ihnen zu Ehren, Graf Turnau, eine Confusion machen. TURNAU. Danke, Gräfin. Im Abgehen leise zu Kurt. Sie ist hübsch und, Gott sei Dank! geistreich wenigstens scheint sie nicht. Ab. GRÄFIN begeistert. Ein charmanter, distinguirter Mensch! HOCHBURG. Sind meine Töchter noch nicht gekommen? GRÄFIN. So eben glaube ich. HOCHBURG. Wie sieht Sarah aus? GRÄFIN. Recht gut. – Ich habe sie noch nicht gesehen. HOCHBURG. Nichten! kümmert Euch ein wenig um Sarah. GRÄFIN. So viel als möglich lieber Bruder, so viel als möglich. Du weißt, auf dem Balle ist jeder sich selbst der nächste. Draussen Musik, fortdauernd bis zu Limburgs Auftreten. MELANIE die erschöpft in einem Fauteuil gelegen, springt auf. Mein Walzer mit Limburg! GRÄFIN entzückt. Mit Limburg?! CLAUDINE. Mein Walzer mit Lazáry! GRÄFIN electrisirt. Mit Lazáry? – Kinder – geschwind! geschwind! Gräfin, Melanie, Claudine eiligst ab in den Ballsaal. HOCHBURG. Kurt, nimm Dich Deiner Schwester an. KURT. Recht gerne. Wenn sie nur nicht gar so aschenbrödelmäßig angethan wäre. HOCHBURG. Aschenbrödelmäßig? ... In einer Toilette von Candide Muguet? KURT. Papa, das ist unmöglich! – Sieh doch selbst. Dort steht sie – links im Saale – und spricht mit den Moorheim’s.

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HOCHBURG. Sie steht – sie tanzt nicht – keine Spur von einem Tänzer ... Sie spricht mit den Moorheim’s – {Die Moorheim – Inbegriff von allem was unelegant heißt in der Welt!} Und sieht aus – als ginge sie zur Kirchweih und wäre die Tochter des Verwalters! ... Was ist da wieder geschehen?! – Ab in den Saal. TURNAU der sich in der Nähe gehalten, tritt vor. Bist Du endlich allein? – Don Juan, Lovelace oder Kurt, höre mich! – ich war bei i h r . KURT. Nimmt sie raison an? TURNAU halblaut und sehr rasch, wie alles folgende. Wen hab’ ich dort getroffen? Hector, Deinen Schwager. KURT. Ungefährlich. Den hat sie schon geliebt. Zur Sache. TURNAU. Also –: Ja! KURT. Ohne Bedingung? TURNAU. Unter v i e l e n Bedingungen. KURT. Keine grausamen, hoffe ich. TURNAU. Wie man’s nimmt. S o geschieht es, sagt sie, oder gar nicht. Schlag zwei Uhr morgens hält Dein Coupé vor ihrem Hause. Du sitzest auf dem Bocke, kein Diener neben Dir dem Du unterweges die Zügel übergeben könntest. Sie steigt in den Wagen mit ihrer Kammerjungfer ... KURT. Mit ihrer Kammerjungfer? TURNAU. Und Du führst sie nach Marienberg, wo Ihr um sieben Uhr morgens anlangt und wo Du sie im großen Hôtel absetzest. KURT. Und in Marienberg bleiben wir einen Tag. TURNAU. Davon hat sie nichts gesagt. KURT. Gleichviel. Das weitere findet sich. Bedeutend weniger verspricht – das nähere. Sag’ an mein Schatz, wie viel Grade unter Null hatten wir heut? TURNAU. Nachmittag – zwischen elf und zwölf. KURT. Nach Mitternacht dürften wol noch einige dazu kommen. Es wird eine erfrischende Spazi{e}rfahrt sein! – Die Ankunft in Marienberg muß mich für alles entschädigen. Ich nehme die Bedingungen an. Sag’ ihr – TURNAU. O sie will etwas schriftliches. Zieht ein unversiegeltes Briefchen aus der Tasche und reicht es Kurt. KURT lesend. „Miss Lovely! Ich gebe Sie my word, daß ich Ihre EntführungsConditions erfüllen will.“ Das soll ich unterschreiben? TURNAU. Ja. KURT. Mit meinem Blute? TURNAU. Nein, mit meinem Bleistift. Reicht ihm denselben. KURT unterschreibt. Besorgst Du’s, lieber Junge? TURNAU. Das thut mein Jäger, den ich im Vorzimmer warten ließ. Winkt einem vorübergehenden Diener; dieser eilt herbei. Gieb diesen Brief ...

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KURT leise. Vorsicht! Dies scheint kein Lakai „vom Fache“, sondern einer der nur ausnahmsweise in der Livree steckt. Zum Diener. Bist Du vom Hause, Freund? DIENER. Mein Herr – leider nein. Nur zur Aushülfe aufgenommen. Peter Seidl aus ... KURT. Ich danke Dir, ’s gut. Diener ab. Lieber Turnau – Reicht ihm den Brief. Deinem Jäger. TURNAU. Ich lerne wieder: Wenn man einen dummen Streich machen will, kann man nicht klug genug zu Werke gehen. Ab nach rechts. KURT sieht auf die Uhr. Bald zwölf. Setzt sich auf den Pouf. Eigentlich ist die ganze Geschichte – fade. Allein es geht nicht anders; der Widerstand dieser Lovely fing an, an meinem Ruhm zu nagen. TURNAU kommt zurück und stellt sich vor Kurt hin. Jetzt gesteh mir aber zum Lohne für alle meine Botengänge: Was hast Du an der alten Lovely, und wem entführst Du sie? – Hector ist ungefährlich, Nordheim ist abgereist – KURT. Wütend vor Eifersucht auf mich. TURNAU. Wem entführst Du sie? – ihrem Theaterdirektor? einem neuen Anbether? – ihren Gläubigern? KURT. S i e hat keine Gläubiger, die haben ihre „Anbether“ wie Du sagst. Übrigens mauvais genre – das Wort. Nimm Dich zusammen, da kommen Limburg und Lazáry. Du unterhältst Dich wieder, und was noch schlimmer ist, man sieht Dir’s an. Lerne doch wenigstens ein gelangweiltes Gesicht machen! Limburg und Lazáry kommen. LIMBURG wirft sich auf den Pouf mit dem Rücken gegen Kurt. Diese Bälle – ist das eine Erfindung! – Scheußlich! TURNAU, der eine gemessene Haltung angenommen, sich gleichfalls auf den Pouf werfend. Warum bleibst Du? LIMBURG. Ich habe die vierte Quadrille mit der Frau vom Hause. TURNAU. Zum heulen. Ich habe die dritte mit der Tochter. Sobald die überstanden ist und der Cotillon, geh ich. LIMBURG. Zur Lili? – Die Ricki läßt sie grüßen. Zu Kurt, ohne sich zu rühren. Du, ist das Deine Schwester, die Sarah Hochburg, genannt das Waldfräulein? Du kannst mich ihr vorstellen. TURNAU. Ich bin ihr schon vorgestellt, glaub’ ich. LAZÁRY. Ich auch. Ich finde sie allerliebst. LIMBURG. Sie soll ein wenig Blaustrumpf sein. Mir ist es zwar alles eins, aber ich will ihr rathen sich anders zu chaussiren. LAZÁRY. Blaustrumpf? – Da ist sie gewiß musikalisch. Bravo! – Ich finde sie allerliebst und originell, das gefällt mir, weil ich selbst originell bin. LIMBURG. Wie zehntausend And’re! LAZÁRY. Da kommt sie!

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TURNAU. Mit dem Apostat. Langweilige Figur! Sarah und Robert. Die Herren stehen auf. KURT Limburg vorstellend. Fürst Limburg, liebe Sarah. Meinen Freund Turnau, kennst Du. SARAH. Turnau? – Nein. TURNAU verletzt. Ich bin Ihnen doch vorgestellt worden, bei’m schwedischen Gesandten. SARAH. So? – ich hab’s vergessen. KURT zu Turnau. Nun, Du hast starken Eindruck gemacht. LAZÁRY für sich. Originelle kleine Person! KURT ebenso. Jetzt ist’s aber höchste Zeit für mich zu verschwinden. Einen Gang durch den Saal, und dann: Gute Nacht für eine Weile, große Welt! Ab nach links. SARAH hat auf einem Fauteuil in der Nähe des Theetisches Platz genommen. Die jungen Herren auf Tabourets. Robert allein auf dem Pouf. LAZÁRY. Mit wem haben Sie diesen Walzer getanzt, Gräfin? SARAH. Ich habe ihn gar nicht getanzt. TURNAU. Und warum nicht? SARAH. Weil {mich niemand aufgefordert hat.} 〈ich nicht Lust hatte.〉 {Die Herren sehen einander an. LIMBURG zu Turnau. Naiv oder dumm? TURNAU. Dumm. LIMBURG zu Sarah. Das ist ja unmöglich – das! LAZÁRY. Ich finde die Musik hübsch von dem Walzer. Lieben Sie Musik? Ich singe und spiele Zither. Kennen Sie vielleicht „Mailüfterl“? SARAH lächelnd. Mir ist als hätt’ ich es schon einmal gehört. LAZÁRY. Das singe ich. Und noch viele Lieder. Was unsere Bande spielt, das singe ich alles. Und alles von selbst. Glauben Sie, daß ich etwas gelernt habe? Gar nichts. ROBERT. Potz tausend, lieber Graf! – ich habe einen abgerichteten Canarienvogel; wenn ich dem von Ihrem Talente erzäle, er hängt sich. LAZÁRY. Er soll nur!} THERESE kommt, ängstlich, aufgeregt. O dieser Paul! er verfolgt mich auf Tritt und Schritt ... Wohin rette ich mich? Erblickt Sarah. Ach! ... Sarah! ... Tritt vor und beugt sich über die Rücklehne von Sarah’s Fauteuil, leise. Papa ist – Papa ist entrüstet über Deine Toilette. SARAH ohne sich umzusehen. Entrüstet? Die Herren sind aufgestanden. THERESE zu ihnen. Bleiben Sie! – ich setze mich. Auf den Pouf zeigend. Dorthin. Wie früher zu Sarah. Er macht mir Vorwürfe – – ich hätte sorgen sollen – aber ich – mein Gott! SARAH wendet sich um. Du hattest an ganz andere Dinge zu denken.

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THERESE tritt von ihr weg, für sich. Wie sie das sagt! – Ahnt dieses Kind? ... Mir ist fürchterlich zu Mute. Setzt sich auf den Pouf mit dem Rücken gegen Robert, ohne von ihm, der sie gegrüsst hat, Notiz zu nehmen. ROBERT für sich. Luft ... für meine Verwandten bin ich auf dem Balle – Luft. PAUL kommt. Therese und Sarah zugleich: THERESE für sich. Da ist er! SARAH für sich. Da ist er! LAZÁRY zu ihr. Ich finde die Musik hübsch von dem Walzer. Lieben Sie Musik? TURNAU zu Sarah. Ich – ich kann die Musik nicht leiden. Bin überhaupt mehr für das Praktische als für die Kunst. LAZÁRY. Ich finde Musik keine Kunst, ich finde Musik eine Gabe der Natur. LIMBURG. Das ist mir alles Eins. Wir sind nicht da um Musik zu machen, sondern um sie anzuhören, wenn – die Gratiana singt. Gehen Sie oft in die Oper, Gräfin? und in das Ballet? Die Lovely ist außerordentlich. Sie hat gestern siebenzehn Pirouetten nacheinander gemacht. Ich hab’s gezält. Es ist mir aber alles Eins. SARAH steht auf. Mit Ungeduld. Auch mir! LAZÁRY. Was haben Sie? sind Sie böse? SARAH. Ungeduldig, Graf Lazáry! ungeduldig! PAUL hat sich genähert. Worüber? SARAH immer mit Therese beschäftigt, die seit Paul’s Eintreten zitternd und bleich vor sich hinstarrt. Über Vieles und Viele. PAUL. Unter denen auch wir uns befinden? auch wir? – Wem haben Sie den Handschuh hingeworfen? wer soll ihn aufheben. SARAH. Derjenige der sich schuldig fühlt. PAUL. Erforschen wir unser Gewissen! LIMBURG. Gewissen? Ich habe leider gelesen, daß wir keines haben. ROBERT. Stand das in der Sportszeitung? LIMBURG. Vermutlich. Wüßte nicht wo ich’s sonst gelesen hätte. SARAH. In Büchern lesen Sie niemals? LIMBURG. Nein. Ich will kein Gelehrter werden. SARAH. Nun, die Gefahr scheint bei Ihnen nicht groß. LAZÁRY. Schauen Sie, das ist desto besser. Lesen, Studi{e}ren – wozu? – Wenn man Talent hat, so braucht man’s nicht, und wenn man kein Talent hat, so hilft es nicht. ROBERT. Dennoch gibt es eine Kunst und eine Wissenschaft, die Ihr treibt Euer lebenlang, gleichviel ob Ihr Talent dazu besitzt oder nicht. TURNAU. So? ROBERT. Diese Kunst ist die Reitkunst – LAZÁRY. O ja – bravo! ROBERT. Und diese Wissenschaft ist – der Sport.

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LIMBURG. Da freilich lernt man nicht aus. SARAH. In andern Künsten und Wissenschaften auch nicht, Fürst Limburg! LIMBURG abgewendet. Blaustrumpf! THERESE. Sarah! PAUL zu Sarah. Sie sind mir noch eine Antwort schuldig. SARAH. Seien Sie froh wenn ich diese Schuld nicht bezale. PAUL. So gereizt Gräfin? so verstimmt? SARAH. Ballstimmung Graf Paul, Ballstimmung! – Mein Gott, {LIMBURG zu Turnau. Derer, die keine Tänzer bekommen. SARAH.} Ich habe mir unter einem Balle etwas Schönes vorgestellt, es ist etwas Klägliches! ALLE. Oh! THERESE leise zu Sarah. Kein Wort mehr! SARAH laut. Ich sage was ich denke. LIMBURG. Sie unterhalten sich also nicht? SARAH. Unterhalten Sie sich? – Sie sehen nicht darnach aus. Überhaupt, wer unterhält sich denn auf diesem Balle? Die Herren? – Mit einem zornigen Blick auf Paul. Einige ausgenommen, die ein b e s o n d e r e s Interesse hieher geführt – die Herren? die umherschleichen, freudlos, leblos – aus schläfrigen Augen, d e r einen gnädigen Blick zuwerfend und j e n e r einen höhnenden? – Diese Herren, unterhalten sie sich? – Andere, darauf kann ich schwören, unterhalten sie nicht! LIMBURG zu Turnau. Sie ist eigentlich amüsant. THERESE zu Paul. {Gott! Gott!} 〈Ach!〉 wenn sie nur schwiege! SARAH. Und die Comtessen? 〈– ei〉 die eleganten 〈vielleicht,〉 {für die ist ja der Ball – eine schreckliche Arbeit! ALLE. Arbeit?! SARAH ohne Spott. Die Armen! – Wenn ich sie todtmüde schon und ganz erschöpft, aber mit lächelndem Gesichte umherfliegen sehe – muß ich an die Kinder eines Seiltänzers denken, der einmal in unser Dorf kam – THERESE. Graf Paul! sagen Sie ihr ... SARAH, ohne sich unterbrechen zu lassen. Die hüpften auch unbegreiflich lange, und machten auch dabei eine fröhliche Miene, und ich hörte später zu alledem seien sie gebracht worden durch grausame Mißhandlung. Wie mögen die Comtessen gemißhandelt worden sein, bis sie lernten tanzen ohne Athem und lächeln zu der Qual! ALLE lachen. LAZÁRY. Originelle kleine Person! SARAH. Und das sind} die glücklichen, die beneideten! – Aber die Uneleganten nun, die Sitzengebliebenen? Unterhalten sich d i e ? Oh – manche ringt mit den Thränen! – Ihr Herren, könnt Ihr das mit ansehen? LIMBURG. Haha, ja! wir haben das Herz!

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SARAH. Das Herz? – ihr habt {nicht das Herz und nicht jenes. Ihr habt} gar kein Herz! LIMBURG zu Therese. Sehr amüsant, Ihre Schwester. SARAH. Wenn einer von Euch ein Herz hätte – LAZÁRY. Wie ich zum Beispiel. SARAH. Sie? Draussen Musik. PAUL. Was würde er thun der Mann von Herz? SARAH. Hergehen und eine Moorheim zum Tanze bitten! ALLE HERREN. Eine Moorheim! LIMBURG. Die mit der roten Nase? TURNAU. Nein, die Dichterin – die tanzt nur in Versen. THERESE vermittelnd. Die Jüngste hat keine rote Nase und ist keine Dichterin. LAZÁRY. Dann hat sie gewiß einen anderen Defekt. PAUL. Eine Moorheim ... Saperlott! LAZÁRY. Es ist v i e l was Sie wollen, Gräfin – aber um Ihnen zu beweisen – – – Mit Entschluss. Ich thu’s! SARAH. Graf Lazáry, Sie sind ein guter Mensch! LAZÁRY. Ich thu’s! Ab in den Saal. ALLE. Er geht! THERESE. Er geht wirklich! ROBERT. Immer langsamer. SARAH. Die armen Moorheim’s – jetzt erblicken sie ihn! – LIMBURG. Die rote Nase steht schon auf – TURNAU. Oh! – zu früh – er stutzt – LIMBURG. Kopfscheu? ROBERT. Er dreht sich auf dem Absatze herum – und – Limburg, Turnau und Therese zugleich: LIMBURG. Entflieht! TURNAU. Entflieht! THERESE. Entflieht! LIMBURG. Bravo Lazáry! THERESE zu Sarah. Daran bist Du schuld! Die öffentliche Beleidigung danken die Moorheim – Dir! SARAH. Mein Gott! PAUL. O, das ist abscheulich – das muß gut gemacht werden – – Könnt’ ich mich nur verdreifachen! Eilt in den Saal. Limburg und Turnau zugleich: LIMBURG. Er wird doch nicht ... TURNAU. Er wird doch nicht ... ROBERT. Er w i r d ! – Seht hin! so schreitet ein resoluter Mann. LIMBURG. Haha!

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ROBERT. Da fliegt er schon! SARAH für sich. Warum muß der schlechteste von Allen – der liebenswürdigste von Allen sein? TURNAU. Ausgezeichnet! Er wirbelt dahin mit einer Begeisterung! LIMBURG. Und s i e – sie tanzt sich aus in dieser einen Polka, für die ganze Faschingszeit! Gräfin Nordheim kommt. GRÄFIN NORDHEIM. Mein Sohn – trösten Sie mich liebe Therese! – er tanzt mit einer Moorheim, der arme Engel! LIMBURG. Wir gratuli{e}ren Gräfin, Ihre Schwiegertochter ist gefunden! GRÄFIN NORDHEIM. – Ich verstehe nicht ... Er muß sich vergriffen haben ... Zu Therese. Er ist zu gut – das Mitleid ... Zu welchen Verirrungen kann noch sein weiches Herz ... o Liebe! THERESE für sich. Wie sie mich liebt, die Schlange, seitdem ich verheiratet bin! GRÄFIN NORDHEIM. Wenn eine Mutter alle Gefahren bedenkt denen ein Sohn in der Welt ausgesetzt ist – welche Qual! THERESE wie oben. Wüßte sie ...! GRÄFIN NORDHEIM. Meiner Überzeugung nach gibt es nur Eins, das einen jungen, gefühlvollen Mann retten kann vor einer Liaison, einem leichtsinnigen Lebenswandel, oder gar – einer frühen Heirat, und das ist –: eine leidenschaftliche, aber platonische Liebe zu einer verheirateten, aber tugendhaften Frau. THERESE tritt weg von ihr. Gräfin! – Für sich. Der Erbärmliche – er hat geschwatzt! Lazáry kommt zurück. LIMBURG. Lazáry! da kommt er! Heraus Lazáry! Heraus! Limburg und Turnau applaudiren. LAZÁRY zu ihnen. Hol’ Euch der Teufel! Zu Sarah. Gräfin – es war unmöglich. Wie ich sie in der Nähe gesehen habe, da ist mir die Courage vergangen ... Jeder Mensch hätte über mich lachen müssen. SARAH. Jetzt freilich lacht niemand – im Gegentheil, man bewundert Sie! Sie haben ein harmloses Mädchen beleidigt, – wie edel – wie ritterlich – wie kühn! ... Eine That – d i e s e r Bewunderung werth! ROBERT. Du kennst den Werth der Dinge nicht. Für d i e s e Bewunderung werfen d i e s e Herren ihren Antheil hin an der Herrschaft der Erde. LIMBURG. Ich bitte Sie! den hätten sie haben können „diese Herren“? ROBERT. Sie hätten – ja! Sie vor anderen. Sie waren im Besitze geboren, vom Glück allüberall die ersten hingestellt. Sie haben den Platz geräumt, jetzt ist die Theilung vollzogen, und – ohne sie. LIMBURG. Wie schade! und wer hat denn alles genommen? Herren ihren ] Herren, ihren Schreibfehler

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ROBERT. Zwei Damen, lieber Fürst, die noch immer vergeblich nach der Ehre Ihrer Bekanntschaft seufzen: die Arbeit, lieber Fürst, und die Intelligenz! LIMBURG lacht forcirt. Sehr witzig! sehr! Hochburg und Paul sind während der letzten Reden eingetreten. SARAH. Bravo! bravo Onkel Robert! – jetzt applaudire i c h ! HOCHBURG. Arbeit und Intelligenz? Parlamentsphrasen? Er tritt zur Gräfin Nordheim. GRÄFIN NORDHEIM zu ihm. Graf Hochburg, mit diesem Menschen sind Sie verwandt! HOCHBURG. Sehr entfernt. ROBERT. Diejenigen die ich meine, spielen indessen und reiten und jagen und liebeln. Sie haben keinen Sinn für eine Zeit, die eine Zeit ist des mühens und ringens, eine Zeit, die keinen mehr mit Gütern überschüttet, die er nicht selbst erworben hat oder doch nicht selbst zu vertheidigen weiß! Es sind viele Gäste eingetreten, darunter Gräfin Melanie, Claudine. Die letzteren haben neben Therese und der Gräfin Nordheim Platz genommen. SARAH zu Robert. Ganz meine Meinung! Du sprichst mir aus der Seele! Gelächter. HOCHBURG. Was hör’ ich?! ... TURNAU zu Limburg. Gib doch eine Antwort – schlag’ ihn! LIMBURG. Ich schlage ja in einem fort. TURNAU. Aber daneben. LIMBURG nach kurzer Pause, zu Robert. O wir wissen es lange – Sie sind – Demokrat. Bewegung. ROBERT. Wenn ich es wäre, wie liebte ich sie – Diejenigen die ich meine – wie schlösse ich sie an mein Herz! denn wahrhaftig, Gegner, so nichtig, so kindisch wie sie, sind doch nur verkleidete Bundesgenossen! LIMBURG für sich. Insolent! SARAH. Herrlich! herrlich! PAUL zu ihr, bittend. Gräfin! Er tritt zwischen sie und Robert. GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Und das ist Ihre Tochter, dort, neben jenem Hochburg – das ist Ihre Tochter! HOCHBURG hinüberblickend. Ist sie’s? – ich bin nicht sicher – meine Kurzsichtigkeit ... LIMBURG. Graf Hochburg! Wortgefechte sind meine Sache nicht. Dergleichen überlasse ich den Gelehrten. Leise. Auf anderem Terrain steh ich zu Diensten. ROBERT. Ich auch. LIMBURG. – Und was die Politik betrifft, für die hab’ ich kein Talent. ROBERT. Zur Logik um so mehr. LIMBURG. Es ist mir auch alles Eins!

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GRÄFIN NORDHEIM, HOCHBURG, TURNAU. Sehr gut! Gräfin und Claudine, Melanie und Lazáry zugleich: GRÄFIN und CLAUDINE. Ah – sehr gut! MELANIE und LAZÁRY. Sehr gut, auf Ehre! Limburg wird umringt und beglückwünscht. ROBERT. Kleines Volk! PAUL beschwichtigend. Er hat Dich gefordert, was willst Du mehr? Ich bin Dein Sekundant – nicht wahr? {Freilich! Ich bin ein Narr, und verfalle immer wieder in den Wahn, es schliefe vielleicht doch ein Funke in diesen flachen Kieselköpfen, der heraussprühen würde bei kräftig geführtem Schlag! Wie oben. – Morgen! Du zählst auf mich – nicht wahr?} ROBERT drückt ihm die Hand. PAUL. Aber Friede jetzt! Hier ist nicht der Ort ... SARAH. Warum denn nicht? PAUL. Auf dem Balle, Gräfin ... {Zu Robert. Meine Mutter Freund – Du kennst meine Mutter. Reiße s i e Auf Sarah zeigend. nicht mit in den Abgrund Deiner Ungnade! Zu Sarah.} Robert ist ein Mann – er mag dem Urtheil der Thoren Trotz bieten. Sie brauchen es nicht herauszufordern. SARAH. Es zu fürchten noch weniger! GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Meinen Sohn! rufen Sie mir meinen Sohn! – Er verführt mir ihn noch, den armen Engel! SARAH. Wie man diesen Limburg umringt! wie man ihm Glück wünscht! Immer lauter. Und mein {armer} Onkel steht allein – selbst S i e wagen es nur ganz verstohlen mit ihm zu reden! PAUL stellt sich dicht an Robert’s Seite. Oh – bitte! – SARAH. Wär’ i c h ein Mann, ich wollte sein wie e r ! LIMBURG. Ei, der tausend! Gekicher. GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Was? – – Demokratisch ist sie auch? Immer angstvoller. Rufen Sie mir meinen Sohn! LIMBURG zu Sarah. Wir wissen jetzt wo Sie Ihre Ideale suchen. SARAH. Nicht unter Euch. Gekicher. EINZELNE STIMMEN. Oh! Oh! ROBERT verweisend. Sarah! LIMBURG. Freilich, wir haben kein Glück bei Waldfräuleins und {Blaustrümpfen. Wir sind nicht auf der Höhe – sind keine EmancipationsRitter und keine dummen Gelehrten ... Wir sind ...} 〈Emancipirten ...〉 SARAH {ohne sich unterbrechen zu lassen.} Unnütze Geschöpfe seid Ihr 〈Luxusartikel seid Ihr –〉 in Gottes Welt, {wißt} 〈lernt〉 nichts und thut nichts 〈Luxusartikel seid Ihr –〉 üdZ, eingewiesen nach Unnütze bis seid Ihr; keine Tilgung.

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und lacht noch derer die {lernen} 〈wissen〉 und leisten ... Lacht, wo Ihr verehren solltet wenn Ihr könntet, wenn Ihr nicht zu blind wärt, zu kalt, zu arm dazu! Und Euch opfert man sie? um {Euch} 〈Euretwillen〉 soll man sie verläugnen? {die Braven? die Tüchtigen?} – Ha – ich nicht! Ich nicht! ... 〈SARAH lächelnd. Emancipirten? LIMBURG. Wir sind nicht auf der Höhe – SARAH. Das ist wahr. LIMBURG. Und sind stolz darauf. Zu Turnau. Sie giebt mir schon recht. SARAH. Dazu haben Sie keinen Grund. LIMBURG zu Turnau. Schlag’ ich sie jetzt.〉 Musik. Walzer bis zu Ende des Aufzugs. PAUL. Der Cotillon! – SARAH {wie oben} 〈zu Limburg und Turnau〉. Meine Wege sind andere als die Euren und ich kenne andere Menschen als Euch! Ihr würdet sie verhöhnen, mir aber ist Segen und Sonnenschein die Erinnerung an sie und alles was mich mahnt ... Alle haben sich erhoben. {MELANIE am Arme ihres Tänzers. Das ist ja schrecklich, was du treibst! Geht vorüber. CLAUDINE wie Melanie. Ach Sarah, mir ist leid um Dich! Geht vorüber. THERESE wie Melanie und Claudine. Wie hatt’ ich Dich vor dem Onkel gewarnt! Geht vorüber. SARAH. Aber Therese ... Alle wenden sich ab. – Alle? – Trotzig. Das ist mir recht! – das hab’ ich gewollt! PAUL. Gräfin – der Cotillon. GRÄFIN NORDHEIM. Mit – ihr? ... Das verbiete ich! PAUL. Verzeihung, liebe Mutter. Ich bin mit der Gräfin engagirt. SARAH. Lassen Sie das gut sein. Ich tauge nicht ... Mit Ihnen nicht! GRÄFIN NORDHEIM. – S i e – nicht mit – i h m ? PAUL. Gräfin Sarah – warum ...? SARAH. O – ich bedarf Euer nicht! – ich habe niemanden mehr lieb – die ganze Welt ist mir gleichgültig!} Mehrere Diener sind an den Thetisch getreten, unter ihnen Peter Seidl, mit einer Tasse in der Hand. SARAH erblickt ihn. Ihr Gesicht verklärt sich. Peter! Peter! – Da ist ja der Peter Seidl! Stürzt auf ihn zu. {Deine Schwester läßt Dich grüßen – es geht ihr gut und allen und Du sollst nur schreiben!} Bei Sarah’s Ausruf sind alle stehn geblieben, die schon im Begriffe waren, in die Gallerie zu treten. Man sieht sich um, wispelt und kichert.

〈SARAH lächelnd. Emancipirten? bis LIMBURG zu Turnau. Schlag’ ich sie jetzt.〉 aR, neben LIMBURG. Freilich bis Emancipirten ...; ohne Tilgung.

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PETER lässt die Tasse fallen, ergreift und schüttelt Sarah’s dargebotene Hände. Die kleine Comteß! SARAH. {Sie sind daheim um Dich in tausend Sorgen. Geht Dir’s schlecht?} 〈Deine Schwester läßt Dich grüßen.〉 – Komm doch zu uns Peter! PETER. Sehr wol – Ja! GRÄFIN, T HERESE, MELANIE, CLAUDINE. Sarah! HOCHBURG tonlos. Sarah! ROBERT zu ihm. Verhülle Dein Antlitz und stirb wie ein Römer!

Dritter Aufzug Salon bei Therese Das Bouquet Sarah’s in einer Blumenvase auf dem Tische des Mitteletablissements.

Erster Auftritt HECTOR aus seinem Zimmer. FRANZ durch die Mitte. Kommen zugleich.

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HECTOR. Warst Du dort? FRANZ. Zum letztenmale, und nur damit Sie nicht wieder hingehn, Herr Graf. HECTOR. Hast Du sie gesprochen? FRANZ. Nein, Herr Graf. HECTOR. Warum? FRANZ. Weil sie fort ist. HECTOR. Was heißt das: „fort“? FRANZ. Man nennt’s auch – durchgegangen. HECTOR. Oho! FRANZ. Bei’m Portier hinterließ sie eine Tracht Visitkarten, darunter diese für Sie, Herr Graf. HECTOR nimmt die Carte. Lesend. Dina Lovely p. p. c. – – P? p?! c??!! ... FRANZ. Die Frau Gräfin kommen. Ab.

Zweiter Auftritt HECTOR. THERESE.

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THERESE aus ihrem Zimmer. Sehr unsicher, sehr beklommen. Guten morgen, Hector. HECTOR ohne sie anzusehen. Guten morgen. THERESE für sich. Himmel! – welche Stimme – und welche Miene! {Laut. Nun? wie ging es gestern im Club? Hast Du gewonnen? verloren? HECTOR in Gedanken. Verloren. THERESE. Nichts, Lieber! oder doch nur Geld – glaube mir.} HECTOR wie oben. Unterhalten auf dem Balle? THERESE. Oh nein! D u warst nicht da und meine Stimmung – HECTOR. Stimmung? Fixirt sie. Stimmung? THERESE für sich. Wie er mich ansieht!

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HECTOR für sich. Hat Turnau geplaudert? Der war ja auch bei der – bei der – Ballt die Faust. miserablen Person! {THERESE wie oben. Er ist schrecklich! ... HECTOR. Therese –} THERESE. – Lieber! Guter! – Du hast etwas auf dem Herzen ... Sag’ mir’s! – sag’ mir alles. Vielleicht, ja gewiß, vermag ich Dich zu trösten. HECTOR. Trösten? – Was soll das heißen? Er geht auf und ab. {THERESE für sich. Daß ich diesen Paul nicht liebe, darauf kann ich schwören! Kann ich aber auch darauf schwören, daß er mich nicht liebt?} HECTOR hat das Bouquet bemerkt, und bleibt plötzlich vor demselben stehen. Mirabilis Jalappa! THERESE fährt zusammen. Hector! HECTOR das Bouquet betrachtend. Wenn sie die schickte, hieß das sonst: „Komm heute“. Höhnt sie mich? THERESE. Was murmelt er? HECTOR. Wer hat den Strauß gebracht? THERESE. Ich weiß nicht! ich habe ihn gar nicht gesehen. Für sich. Dieser Mensch! jetzt wagt er’s schon Blumen zu schicken! HECTOR schellt. Zum eintretenden Franz. Wer hat das gebracht? FRANZ. Das – lag gestern abends auf dem Tisch. – HECTOR und THERESE. Gestern abends? FRANZ. Ich habe es in das Wasser gesetzt. HECTOR. Wer hat’s gebracht? FRANZ. Weiß nicht, Herr Graf. HECTOR für sich. Er will’s nicht sagen. Kenn’ ihn schon. FRANZ. Es war niemand fremder da, außer dem Grafen Nordheim. Vielleicht hat der – THERESE. Er nicht! o nein! er nicht! G e b r a c h t hat er es nicht! HECTOR. So hat’s jemand geschickt? Für sich. Es war d o c h sie. Er nimmt das Bouquet aus der Vase, zerreisst es und wirft es in den Camin. Ich möchte ihr den Hals umdrehen wie diesem Strauße! Laut. Ich brauche keine anonym in’s Haus geschickten Blumen. THERESE. Ist das mein Mann? mein mehr als ruhiger Mann? – So habe ich ihn nie gesehen! HECTOR. Rock und Hut! FRANZ. Sogleich, Herr Graf. Eilt ab, nach rechts. THERESE. Du willst fort? ... Ich lasse Dich nicht. Du darfst mir nicht aus dem Hause, so lange Du so böse bist, so außer Dir! HECTOR. Außer mir? Lacht forcirt. THERESE. Du bleibst! weil ich Dich bitte – weil es mir eine Freude macht – weil heute mein Geburtstag ist! HECTOR. Dein Geburtstag?

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THERESE. O stelle Dich nicht als hättest Du nicht daran gedacht. – Ich habe sie schon erblickt – HECTOR. Wen? Franz mit Rock und Hut. THERESE. Die liebe kleine Engländerin – – HECTOR während Franz ihm den Rock anzieht. Wen?! THERESE. Die schönste von allen lebenden Uhren – FRANZ reicht Hector den Hut. Für sich. O weh! Geht ab. HECTOR. Die – hast Du – erblickt? – THERESE. In Händen sogar habe ich sie gehabt – verzeih! – sie lag auf Deinem Schreibtisch – und Sarah – HECTOR. Die Weiber! die Weiber! ... Jetzt muß ich aber gleich fort. THERESE. Wohin, Hector? – wohin? HECTOR. In den Club. Für sich. Zum Uhrmacher. THERESE. Bleibe! HECTOR für sich, im Abgehen. Teufel – wenn ich nur die gleiche finde! Ab durch die Mitte. THERESE allein. – Er geht. – In den Club? wer das glaubte! ... In den Club? – ich muß Gewißheit haben. Schellt. Zu Franz, der eintritt. Der Graf ist fort, und ich habe vergessen, ihn zu fragen, ob – ob ich – – ja! ob ich heut den Fandango einspannen lassen darf. Gehen Sie ihm nach, dem Grafen, in den Club – lassen Sie ihn herausrufen und bringen Sie mir seine Antwort sogleich. FRANZ. Sehr wol. Will gehen. THERESE. Franz! ... Noch Eins mein lieber Franz! ... Schicken Sie gleich zum Grafen Nordheim. Der Graf läßt fragen – was denn? – – wie er sich befindet. FRANZ befremdet. – Befindet? – Halblaut. Das läßt der Graf nicht fragen. THERESE für sich. O Gott! ich vergesse ... Laut. Nein, nein! – Lieber Franz, hören Sie –: schicken Sie j a nicht zum Grafen Nordheim und lassen Sie ihn j a nicht erfahren, daß der Graf zu wissen wünscht wie er sich befindet! FRANZ. Sehr wol. Für sich im Abgehen. Da muß ich mich gleich selbst erkundigen. Ab. THERESE allein. – Hector! Hector! ... Wenn er nur gesprochen hätte! – wenn er mich nur mit Vorwürfen überhäuft hätte! – Dieses Schweigen ist fürchterlich! ... Wie er da stand – wie er dort umherging – mit welchem Tone er sagte: „Mirabilis Jalappa!“ – Mein Mann der im gewöhnlichen Leben eine Orchidee nicht von einer Moorrübe unterscheidet – mein Mann sagt: „Mirabilis Jalappa!“ FRANZ kommt. THERESE. Sie – Franz? – Schon zurück?!

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FRANZ. – Frau Gräfin – vor dem Hause bin ich dem Diener des Grafen Nordheim begegnet. Wie der Herr Graf sich befindet können wir jetzt nicht erfahren. THERESE in höchster Spannung. Nicht? ... Warum nicht? FRANZ. Der Herr Graf ist, schon sehr zeitlich, in einem Fiaker fortgefahren. Geheimnissvoll. und hat seine Pistolen mitgenommen. THERESE. Pistolen?! ... Himmel! FRANZ auf den eintretenden Hochburg deutend. Der Herr Graf Papa. THERESE. Fassung! Fassung! FRANZ. Jetzt geh ich in den Club. Ab, nachdem Hochburg eingetreten.

Dritter Auftritt THERESE. HOCHBURG.

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HOCHBURG. Therese! THERESE. Vater! HOCHBURG. Das war ein Abend – das war eine Nacht! THERESE. Entsetzlich, bester Vater. HOCHBURG. Wir sind blamirt vor der ganzen Welt. THERESE. Leider, leider! Für sich. O wenn es nur das wäre! HOCHBURG. Für Sarah ist hier alles aus, alles vorbei. Ich schicke sie zurück, auf das Land. THERESE. Hab’ Geduld. Sie kann sich ändern. HOCHBURG. Niemals! Sie ist unadelig geboren. O das Blut – das Blut ihrer Großmutter! ... {Ich schicke sie auf das Land zurück. Dort mag sie politisiren mit ihrem Professor, Freundschaft schließen mit Anne Kathrein, mag sich mit irgend einem Junker von Plumpersdorf vermälen und den Peter Seidl in ihren Dienst nehmen als maitre d’hôtel. Der wird zum übrigen Hausstande passen!} EIN DIENER meldend. Frau Gräfin Nordheim! Hochburg und Therese zugleich: HOCHBURG. Die Gräfin! THERESE mit einem Schrei. Die Gräfin! HOCHBURG. Sie kommt – sie besucht uns – trotz des gestrigen Skandals?! THERESE für sich. Sie kommt! ... Um Rechenschaft zu fordern? ... Um ihren Sohn von mir zu fordern? ... Ich bin in einer Lage! ... Du guter Gott – kann man das eine „Lage“ nennen, wenn man von Furcht und Hoffnung umhergeworfen wird wie ein Ball! Gräfin Nordheim tritt ein.

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HOCHBURG ihr entgegen. – Frau Gräfin! THERESE ringt nach Fassung. – Theuerste ... GRÄFIN NORDHEIM. Wie geht’s liebe Therese? – Graf Hochburg, ich habe eine Bitte an Sie. HOCHBURG. Befehlen Sie über Ihren gehorsamsten Diener. Sie setzen sich. GRÄFIN NORDHEIM. Ich wünschte mit Ihrer Tochter Sarah zu sprechen. HOCHBURG und THERESE. Mit Sarah? GRÄFIN NORDHEIM. Und zwar, unter vier Augen. HOCHBURG. Oh – ich bin glücklich ... Welche Gnade Frau Gräfin ... THERESE für sich. Sie weiß von nichts. HOCHBURG. Gewiß ist auch Ihnen Frau Gräfin, das Benehmen dieses – Kindes gestern auf dem Balle etwas – eigenthümlich erschienen. Das Kind i s t eigenthümlich – ich gesteh’s. GRÄFIN NORDHEIM. Mein Gott – die ländliche Erziehung – HOCHBURG. Ein Wort von Ihnen kann Wunder thun. Ich bin ewig Ihr Schuldner, wenn Sie nicht verschmähen es zu sprechen – GRÄFIN NORDHEIM. Mit nichten ... Deshalb kam ich ja. HOCHBURG küsst ihr die Hand. Gräfin! THERESE mit einer Verbeugung gegen die Gräfin, welche diese erwiedert. Gräfin! HOCHBURG und THERESE ab durch die Mitte, in der Thüre begegnet ihnen Franz. THERESE. Endlich! – nun? FRANZ. Der Herr Graf sind nicht im Club. THERESE. Aber wo denn? – wo?! GRÄFIN NORDHEIM. Wenn von Ihrem Manne die Rede ist – THERESE. Ja wol – von ihm! GRÄFIN NORDHEIM. Den sah ich eben, mit einer bei ihm ungewöhnlichen Hast, aus einem Uhrmacherladen auf dem Ring, herausstürzen. Er war so eilig, daß er nicht einmal Zeit fand mich zu grüßen. THERESE. Unverzeihlich! Für sich. Was soll das wieder bedeuten? ... Ich unglückliche Frau! Hochburg, Therese, Franz ab. GRÄFIN NORDHEIM allein. – Der gute Graf, wenn er meint, ich werde hier die Gouvernante abgeben, da irrt er sich! ... {Meine Meinung soll es hören, das Fräulein aus dem Walde – aber der Nutzen meiner guten Lehren mag anderen zu gute kommen. W i r wollen die Früchte ihrer Besserung nicht genießen – mein Paul und ich! ... Mein Sohn! Er war gestern sehr affizirt – der arme Engel. Es ist höchste Zeit dieser Thorheit ein Ende zu machen!}

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Vierter Auftritt DIE VORIGE. SARAH.

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SARAH. Guten Morgen, {beste} Gräfin. GRÄFIN NORDHEIM. Guten Morgen. SARAH. Sie wünschen mich zu sprechen? GRÄFIN NORDHEIM. Ja, meine Liebe. SARAH rasch. Im Auftrage des Grafen Paul? GRÄFIN NORDHEIM. – Im Auftrage –? – – Ich? ... Das ist stark! SARAH. Wenn nicht – um so besser, denn mit dem Grafen Paul und mir, verzeihen Sie beste Gräfin, aber da ist es aus – ganz aus! GRÄFIN NORDHEIM. Schlimm genug wenn – – SARAH. O ich habe sehr viel Freundschaft für ihn gehabt, viel, viel mehr als ich es selbst gewußt. GRÄFIN NORDHEIM. Sehr schmeichelhaft, sehr! SARAH. Wie tief und herzlich diese Freundschaft war, das fühle ich erst jetzt. Sie brauchen ihm das nicht zu sagen. GRÄFIN NORDHEIM. – Nicht? – ei seht doch! SARAH. Nein. Ich bitte Sie im Gegentheil, sagen sie ihm von mir nichts als nur: daß es mir lieb wäre wenn wir einander nie und nimmer wiedersähen. GRÄFIN NORDHEIM. Das wäre Ihnen lieb? SARAH. Es ist einmal so. Verzeihen Sie beste Gräfin! – Und wenn Sie mir etwas gutes thun wollen, so bitten Sie meinen Vater, daß er mich fortschicke von hier, heim zu den Meinigen. GRÄFIN NORDHEIM für sich. Ich traue meinen Ohren nicht; sie kommt allen meinen Wünschen zuvor. SARAH. Wollen Sie es thun? GRÄFIN NORDHEIM. Ja gewiß, ich will. SARAH. Sie sind s o gut! GRÄFIN NORDHEIM. Liebes, vortreffliches Kind! Sie fallen einander in die Arme. GRÄFIN NORDHEIM. Sie sehen ein, nicht wahr? Daß mein Sohn in Verhältnissen lebt – SARAH. Ja, leider! GRÄFIN NORDHEIM. – die er berücksichtigen muß – SARAH. – Oh! ... GRÄFIN NORDHEIM. – bei der einstigen Wahl seiner Gattin. SARAH hastig. Er will heiraten? GRÄFIN NORDHEIM. Dereinst – in hoffentlich ziemlich ferner Zukunft. SARAH. Bis er sich geändert haben wird, gebessert.

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GRÄFIN NORDHEIM. Gebessert? ... Mein liebes Kind –: gebessert? ... Ich wüßte nicht von welchem Fehler. – Er h a t keinen der arme Engel. SARAH. Nun – was das betrifft ...! GRÄFIN NORDHEIM. Mein liebes Kind – ich hoffe nicht daß Sie sich herausnehmen ... Mein Sohn ist ein ganz tadelloser – – SARAH. Entschuldigen Sie ihn nicht, Gräfin! entschuldigen Sie ihn nicht! {GRÄFIN NORDHEIM. – Vor Ihnen? Für sich. Sie ist unglaublich. SARAH. Geben Sie acht auf ihn. Erlauben Sie ihm nicht, den ganzen Tag müßig zu sein. „Müßiggang ...“ Sie kennen ja das alte Sprichwort.} GRÄFIN NORDHEIM. Wie sie mit mir redet! – Es ist unerhört wie sie mit mir redet! SARAH. Und wenn ich Ihnen rathen darf –: Verbieten Sie ihm ganz und gar hieher zu kommen, in dieses Haus. GRÄFIN NORDHEIM. So lange Sie noch da sind? SARAH. Auch wenn ich nicht mehr da sein werde. O dann erst recht! GRÄFIN NORDHEIM. So? – So? – Für sich. Hab’ ich mir’s doch immer gedacht! – Diese Melanie, diese Claudine ... Wahrscheinlich ermutigt durch die alberne Mama. – Wie hoch die hinaus will! – was die sich einbildet! Laut. Nun, liebe Kleine, umarmen Sie mich noch einmal mein Kind. Sie gefallen mir außerordentlich. Ich danke Ihnen für Ihre guten Rathschläge, ich werde sie befolgen. Gräfin Nordheim ab durch die Mitte. Hochburg und Therese sind während der letzten Reden der Gräfin von links aufgetreten.

Fünfter Auftritt SARAH. HOCHBURG. THERESE.

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THERESE. Was soll das heißen? HOCHBURG. Sie dankt D i r für – Deine guten Rathschläge? SARAH. Ja. {HOCHBURG. Ist mir dunkel.} THERESE {für sich. Der Franz könnte schon zurück sein. Zu Sarah.} Wovon habt Ihr gesprochen? SARAH sieht ihr fest in’s Gesicht. Vom Grafen Paul! Will fort. THERESE ihr nach. Hat sie ihn heut gesehen? Ausholend. Ist er etwa am frühen Morgen ausgegangen? SARAH. Davon war nicht die Rede. Ab durch die Mitte. {HOCHBURG. Sarah!}

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THERESE für sich. Sie schlagen sich vielleicht in diesem Augenblicke. Laut. Und dieser Franz, dieser Franz, der nicht kommt! {HOCHBURG. Therese!} FRANZ tritt ein athemlos. THERESE. Nun?! Nun?! FRANZ. Der Herr Graf sind vom Uhrmacher auf dem Ring, zu einem Uhrmacher auf dem Graben gefahren – THERESE. – Und – dort – –? FRANZ. Aber auf dem Graben giebt’s viele Uhrmacher ... Ich war bei dreien ... Keiner hat den Herrn Grafen gesehn. THERESE. Wären Sie zum vierten gegangen – zum fünften – zum zehnten! FRANZ. Frau Gräfin ich bin – außer Athem. {HOCHBURG. Sag mir nur was Dir einfällt, Deinem Mann so nachsetzen zu lassen? THERESE. Dieses jagen von einem Uhrmacher zum andern ... Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. Vater wenn man sich duellirt, pflegt man vielleicht auf den Kampfplatz eine besonders gut gehende Uhr mitzunehmen? HOCHBURG. Unsinn! FRANZ für sich. Kampfplatz? – Sich duellirt? Wegen der Heuschrecke vom Ballet?} THERESE. Bediente! Comissionairs – zu allen Uhrmachern der Stadt ... Ich gebe selbst Befehl. Vorwärts Franz! Therese ab nach links. FRANZ folgt ihr. O wenn ich nicht selbst in Sorgen wäre – keinen Schritt! Ab. HOCHBURG allein. – Nein – meine Töchter! ... Wenn sie nicht beide auf dem Punkte stehen überzuschnappen – so gehe ich heut abend zu Bette als rother Republikaner! DIENER meldend. Graf Nordheim.

Sechster Auftritt HOCHBURG. PAUL.

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PAUL. Graf Hochburg! ... Meine Mutter war hier! HOCHBURG. So eben. Sie müssen ihr begegnet sein. PAUL. Was sagte meine Mutter? – Ich bitte Sie um Gotteswillen ... HOCHBURG. Junger Mann, Sie sind in einer Aufregung – Für sich. Auch der! PAUL. Was sagte meine Mutter?! HOCHBURG. Mir sehr wenig. Sie kam um mit Sarah zu sprechen.

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PAUL. Und – sprach sie? HOCHBURG. Sprach sie! PAUL. Dann ist alles aus, alles verloren! Stürzt auf Hochburg zu. HOCHBURG weicht zurück. Fassen Sie sich! – {wenn man Besuche macht, so faßt man sich.} PAUL. Verzeihen Sie. Eine Ehrensache hielt mich ab v o r meiner Mutter hier zu sein. Robert hat sich geschlagen – mit Limburg ... HOCHBURG. Ist er todt? {PAUL. Wer? HOCHBURG. Robert.} PAUL. Er? – Er befindet sich vortrefflich. Limburg hat eine Schmarre. {HOCHBURG. Allerdings – das ist ein Unglück. PAUL. Ich war sein Sekundant – deshalb – o glauben Sie mir! – deshalb allein – HOCHBURG. Und Limburg? PAUL. Was Limburg! HOCHBURG. Ist d e r todt? PAUL. Hat eine Schmarre!} Nicht der Rede werth – aber i c h ... {HOCHBURG. Nun S i e sind doch nicht todt. PAUL. Ach wenn es nur das wäre!} ... Graf Hochburg! – ich – ich liebe Ihre Tochter Sarah grenzenlos! HOCHBURG prallt zurück. Wie?! ... PAUL. Haben Sie a u c h etwas dagegen? HOCHBURG. – Mein Sohn! PAUL. {Oh von ganzem Herzen! – aber meine Mutter ... HOCHBURG. Ihre Mutter schwärmt für Sarah, die vortreffliche Frau! Sie hat sie umarmt, zärtlich – ich hab’s gesehen! Ihr gedankt, innig – ich hab’s gehört. PAUL. – Entsetzlich! HOCHBURG. Entsetzlich? PAUL. Dann liebt mich Sarah nicht! Sie liebt mich nicht! HOCHBURG. Woher vermuthen Sie ...? PAUL. Deshalb hat meine Mutter sie umarmt! – dafür hat meine Mutter ihr gedankt! HOCHBURG. Seien Sie doch ruhig. Das Mädchen liebt Sie. Ich bin davon überzeugt! PAUL. Ich bin es leider nicht – Graf Hochburg!} Gestatten Sie mir eine Unterredung mit Ihrer Tochter ... {Aus ihrem eigenen Munde muß ich hören, daß ich ihr nicht ganz unausstehlich bin, wenn ich es glauben soll! HOCHBURG gerührt und entzückt. Liebenswürdige Bescheidenheit! PAUL.} Theuerster Graf, lassen Sie mich Gräfin Sarah aufsuchen – HOCHBURG. Ich schicke meine Tochter hieher, aber vorbereiten will ich sie. – – PAUL. Durchaus nicht! I h r Wunsch darf sie nicht bestimmen. Frei soll ihr Entschluß sich äußern.

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HOCHBURG. Wolan denn, auch das. Reicht ihm die Hand. Glück auf lieber Paul! Ab. PAUL allein. Ich zittere. – Ich? – nein! – Ja doch, ja, und gehörig. – – – Was tadelte ich nicht alles an ihr – noch gestern. – Wie lag mir der Stammbaum ihrer Mutter im Sinne, die Bedenken der meinen, das Geschwätz der guten Freunde, – und heut! ... Ein Zweifel an der Möglichkeit sie zu erringen, ein Wanken im Glauben an ihre Sympatie, und verschwunden vor der vollen, warmen Herzensregung ist die kalte Rücksicht, das hohle Vorurtheil. – Nichts quält, nichts ängstigt mehr, als nur die Frage: Kann sie mich lieben, und bin ich ihrer werth? –

Siebenter Auftritt DER VORIGE. SARAH.

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PAUL ihr entgegen. Gräfin Sarah! – Ihr Vater hat Ihnen gesagt – – Sie wußten, daß Sie mich hier treffen würden? SARAH. Ja. PAUL. Und Sie kamen dennoch. Haben Sie Dank! ... Seit gestern sind Sie gegen mich so – verändert, daß ich fürchtete ... Nun, gottlob, Sie sind da. Aber die frühere Sarah sind Sie nicht. – Warum? – Launen? Sie haben keine. Es muß etwas geschehen sein das mir Ihre gute Meinung – denn ich glaube sie besessen zu haben – entzog. Bin ich verläumdet worden? SARAH. Nein. PAUL. Habe ich etwas gethan das Ihnen mißfiel? SARAH. Ja. PAUL. Und was? – Seien Sie aufrichtig mit mir! – So gewiß Sie glauben, mich anklagen zu dürfen, so gewiß hoffe ich mich rechtfertigen zu können. SARAH. Nein. PAUL. Gräfin! Gräfin! – es steht zwar geschrieben: Euer Wort soll sein: Ja, ja, und Nein, nein – aber Sie befolgen dieses Gebot doch gar zu buchstäblich. – Mein ganzes Herz liegt offen vor Ihnen – SARAH. Das Herz eines Mannes! PAUL befremdet. J–a. Warum verschließen Sie mir das Ihre? – Gräfin Sarah, wenn Bewunderung und Sympatie, ein Recht geben auf Vertrauen, dann verdiene ich daß Sie mir vertrauen. {SARAH. Bewunderung? – wie käme ich dazu? – Sympatie – haben Sie für andere Leute mehr als für mich – Leise. und mehr als gut ist. PAUL. Glauben Sie das nicht! – S i e sind mir, Sie, das wichtigste Wesen in der

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Schöpfung, dasjenige, von dem mir das höchste Glück, das tiefste Leid kommen kann ... Wäre es anders, stünde ich da vor Ihnen so rathlos und zugleich so fest entschlossen, so nahe der Verzweiflung und so bereit zum Entzücken? ... SARAH. Entzücken? ... Wie war es doch? – Jubel und Entzücken – davon die Welt voll ist ... Blicken Sie nur um sich – oh! – oh! PAUL. – Mein Gott! ... SARAH mit Überwindung. Ich habe meinem Vater versprochen, Sie anzuhören. Was wollen Sie von mir? Sagen Sie! – nur bald, nur rasch – und lassen Sie mich fort. PAUL in heftigem Kampfe. Gehen Sie, Gräfin Sarah. Ich halte Sie nicht zurück. Gehen Sie und nehmen Sie das Bewußtsein mit sich, einen Menschen der Sie liebt, recht unglücklich gemacht zu haben. SARAH bitter. – Der mich liebt! PAUL. Ja, der Sie liebt, und Sie lieben w i r d , trotz all Ihrer Härte und Herbigkeit. Ich fühl’s, selbst S i e vermögen es nicht diese übermächtige Empfindung in mir zu besiegen.} SARAH für sich. Kann ein Mensch so lügen? – Laut. Der Zweck dieser Unterredung, Graf Nordheim? – Das letzte von allen diesen schönen Worten? PAUL. Schönen W o r t e n ? ! – Leben Sie wohl. – Will gehen. SARAH. Graf Paul! PAUL bleibt stehen. Gräfin Sarah? SARAH mit gefalteten Händen. Gehen Sie in sich, Graf Paul! gehen Sie in sich! PAUL. Wie gerne! – Ich bin ja immer bereit einen Fehler abzulegen, ein Unrecht gut zu machen – aber man muß mir den Fehler nennen, das Unrecht zeigen. SARAH. Sind Sie ein Kind? – Fühlen Sie es denn nicht selbst? PAUL. Was? – reden Sie! SARAH. – Ich kann nicht – Ich bringe es nicht über meine Lippen. PAUL. Ist es denn etwas so fürchterliches? SARAH. Das fürchterlichste das man sich denken kann! PAUL. Sie erschrecken mich – SARAH. Das Gewissen – wenn Ihr Gewissen sich regte – wie wollt ich Gott danken! ... Wie hab’ ich darum zu ihm gebetet heut Nacht, so innig und inbrünstig! – – PAUL. Sarah! SARAH. Und nun sage ich Ihnen, herzlicher als eben Sie zu mir gesagt haben: Leben Sie wohl! PAUL. Muß man denn überhaupt: „Leben Sie wohl!“ sagen? SARAH. Man pflegt doch nicht ohne Gruß von einander zu gehen.

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PAUL. Muß man denn überhaupt von einander gehen? – Wär’s nicht besser, man bliebe, man verständigte sich, reichte sich die Hände, und sagte dabei: „Für’s Leben!“? SARAH. – Was sagte man ...? PAUL. Die Hoffnung lassen Sie mir, Gräfin Sarah – die leise, beseligende Hoffnung – SARAH zieht sich immer mehr zurück. Worauf denn? PAUL. Daß Sie vielleicht doch einmal – dereinst – mein werden könnten – SARAH. Ihre Frau? Ausbrechend. Sie wollen mich heiraten?! PAUL. Bei’m Himmel, ja! SARAH. Nun, Graf Nordheim, das ist g a n z abscheulich von Ihnen!

Achter Auftritt DIE VORIGEN. HOCHBURG.

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HOCHBURG zu Paul. Haben Sie Ihr Glück versucht? PAUL. Meiner Versuchung, Graf Hochburg, widersteht mein Glück. {HOCHBURG. Ihr seid noch nicht im Reinen, Kinder? PAUL.} Gräfin Sarah schlägt mich aus. HOCHBURG. Das kann nicht sein! Sie haben falsch gehört – SARAH. Mein Vater! der Graf hat ganz recht gehört. HOCHBURG fast sprachlos. – Du – unterfängst Dich ... Gegen Paul. Entschuldigen Sie – – SARAH. Mein Gott – HOCHBURG. Bei’m Himmel – das hat keinen Namen!

Neunter Auftritt DIE VORIGEN. ROBERT.

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ROBERT kommt rasch. Guten Morgen. HOCHBURG für sich. Der? – Immer zur Unzeit. SARAH ist Robert entgegen geeilt. Immer, Du Guter, wenn ich Dich am innigsten ersehne! ROBERT. Was fehlt dem Kinde? – Leise zu Hochburg. Die Lovely ist verschwunden – die ganze Stadt voll von der Nachricht – man meint, daß Kurt, ich komme von ihm – auch er – –

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HOCHBURG. Was hat Kurt mit der Lovely zu schaffen? ROBERT. – Bestimmt weiß ich’s nicht, aber ich habe böse Ahnungen. HOCHBURG. Lächerlich! – lächerlich! {THERESE kommt. Onkel Robert! hast Du meinen Mann nicht gesehen? HOCHBURG. Auch die? – die fehlte noch! THERESE Paul erblickend. Graf Paul Nordheim! ... Wo ist mein Mann?! ... PAUL. Bei’m Uhrmacher, Gräfin, bei’m Uhrmacher auf dem Markte. THERESE. ... Auf dem Markte? ROBERT. Nein doch, bei’m Uhrmacher in der Herrenzeile. THERESE. ... In der Herrenzeile? PAUL für sich. Arme Therese! – Deine Strafe ist schlimmer als Dein Vergehen. Ich will Dir Ruhe schaffen. Leise zu Therese. Ich muß Sie sprechen! THERESE. Sie mich? – Nie wieder! PAUL wie oben. In Hector’s Sache. THERESE. Ihr Wort darauf? PAUL. Mein Wort. THERESE laut und förmlich. Graf Nordheim, ich erwarte Sie im Salon meines Mannes. Ab, durch die Mitte. SARAH die sie beobachtet hat, für sich. Das nennt man, glaub’ ich, ein StellDich-ein. Oh!} PAUL. – Gräfin Sarah – SARAH macht eine abwehrende Bewegung. PAUL. Fürchten Sie nichts. Ich dringe jetzt nicht mehr in Sie. Ich will einer günstigeren Stunde warten. Dann bekennen Sie mir freimütig wessen Sie mich beschuldigen. Dann mag sich’s entscheiden, ob Ihr Verdacht derart gewesen, daß S i e ihn aufgeben können, und i c h – ihn verzeihen darf. Ab, durch die Mitte. HOCHBURG. Ich weiß nicht mehr was ich denken soll. Hier hört alles auf. SARAH hat sich an den Tisch des Mitteletablissements gesetzt, verbirgt das Gesicht in den Händen und weint. HOCHBURG sehr erregt. – Es giebt Grenzen – Meine Geduld steht an den ihren. Vernimm! –: Wenn der edle junge Mann, der uns eben verließ, wiederkehrt, empfängst Du ihn freundlich – bescheiden, still, aber freundlich. Du begrüßest in ihm Deinen Bräutigam. SARAH steht auf. Nein, Papa! HOCHBURG. Hat man je dergleichen erlebt? – – Zu Robert. Ist Dir ein solcher Übermuth vorgekommen? – ein solcher Unverstand?! ... ROBERT. Niemals! Ich begreife nicht, was das Mädel will. SARAH. Was das Mädel will? – – Ein wenig Wohlwollen, ein – wenig Güte. Einen Arm auf den sie sich stützen kann, ein Herz an das sie glauben kann – – HOCHBURG. Das alles wirst Du finden bei Deinem künftigen Mann – und – –

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SARAH. Wenn ich aber nicht heiraten will, lieber Vater? – Und ich will nicht heiraten. Ich habe es schon beschlossen. HOCHBURG. Nicht heiraten?! ... Du willst nicht heiraten?!! ... Was willst Du denn? – – In ein Kloster gehen? SARAH. Das auch nicht. HOCHBURG. Thorheit! Verkehrtheit! ... Bezwingt sich. – Warum führt man Dich in die Welt? Weshalb giebt man sich mit Dir so viel, leider fruchtlose Mühe? – Wozu berief ich Dich hieher? SARAH. Wozu? HOCHBURG. Wozu, ja! –: um Dich zu verheiraten, dazu! – einzig und allein. Das ist – – SARAH. Um mich zu verheiraten! – – Also nicht weil Du Dich nach mir sehntest? weil Du mich bei Dir haben wolltest? HOCHBURG. Haben – bei mir haben – aber doch nicht – behalten! – da sei Gott vor! SARAH. – Blos um mich zu verheiraten! – – Und gleichviel an wen? wenn er mich nur fortnimmt, so recht fort! – und für immer – –? HOCHBURG ausser sich. Ja! ja! ja! ROBERT. Mäßige Dich. HOCHBURG. Ich kann mit ihr gar nicht reden! SARAH schmerzlich. Gleichviel an wen! – – der erste beste – HOCHBURG. Paul, der erste beste!! – Nach dem Tode seines Onkels wird er Fürst! SARAH. Ob ich ihn liebe, darnach fragst Du nicht? – ob er meiner Liebe werth ist, darnach fragst Du nicht? {HOCHBURG hart. Viel eher frag’ ich, ob Du der seinen werth bist. SARAH. Vater!} HOCHBURG. Genug! genug! Keinen Widerspruch mehr. Du wirst heiraten – ich will es und befehl’s. {SARAH. – So zwingst du mich – HOCHBURG. Zu Deinem Glücke! zu einem Glücke das tausende Dir beneiden, tausende die es mehr verdienen als Du!} ROBERT. Mäßige Dich. HOCHBURG. Leicht gesagt! ... Aus Dir spricht der Onkel, mich, ihren Vater, bringt dieses herzlose, undankbare Kind aus aller Fassung – um den Verstand! SARAH. Du hörst es, Onkel Robert, ich muß gehorchen, sonst bin ich ein herzloses, undankbares Kind, das seinen Vater um den Verstand bringt. Ich m u ß heiraten um jeden Preis. Nun denn – so erbarme Du Dich meiner – Onkel Robert, Du! –: Heirate mich! ROBERT springt auf. Ich?! HOCHBURG sinkt auf einen Stuhl. Es ist geschehen – sie i s t verrückt!

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SARAH. Sie wollen mich diesem Paul hingeben – laß’ es nicht zu! Ich werfe mich an Dein Herz, weise mich nicht ab! – Ich suche Schutz bei Dir – gewähre ihn! ROBERT für sich. Was ist da vorgegangen? – Wodurch hat sich „dieser Paul“ um allen Credit gebracht? Laut mit angenommenem Ernste. – Du verschmähst Paul und wählst mich? – – Sarah, {Sarah,} treibe kein Spiel mit mir! SARAH. Ich rufe zu Dir in meiner Herzensangst – ist das ein Spiel? – Ich rufe zu Dir mit Thränen und mit Flehen – ist das ein Spiel? ROBERT wie oben. Ja mein liebes Kind – sage mir vor allem anderen – –: {Für sich. Ich bin lächerlich ... Laut, mit Zögern. Sage mir –} Liebst Du mich denn? {genug –} HOCHBURG. Hahaha! ROBERT. {Ich wußt’ es ja – da lacht schon einer.} 〈Man wird gebeten nicht zu lachen.〉 SARAH. Ob ich Dich liebe kannst Du fragen?! ROBERT zu Hochburg. Hörst Du wol? Zu Sarah. Und Du ziehst m i c h – Paul vor! – SARAH. Vergleiche Dich nicht mit ihm! nenne ihn nicht in einem Athem mit Dir! {ROBERT. Sarah, prüfe Dich mein Kind. Du liebst mich wirklich – den alten Onkel? SARAH. Ach ...} ROBERT. {– Ich – ich. Für sich. Immer lächerlicher. Laut. – Ich g e f a l l e Dir?} 〈Besser als er gefällt Dir Dein alter Onkel?〉 SARAH. Wie {mir} Niemand {mehr gefällt} auf der ganzen Welt{!} 〈gefällst Du mir.〉 ROBERT. {Nicht mög – –. Für sich. Freilich d} 〈D〉as 〈freilich〉 – kann Geschmackssache sein. Deine Tochter hat einen sehr soliden Geschmack, Vetter Hochburg. SARAH. Wie keinen bewundere ich Dich! was Du findest, das ist auch meine Meinung und ich weiß: es ist die beste, edelste. – {Wenn Du kommst bin ich glücklich, i}〈I〉n Deiner Nähe allein fühle ich mich ganz ruhig, ganz glücklich! HOCHBURG. Närrisches Ding! ROBERT. 〈Und in der seinen höchst beklommen – nicht wahr? ganz unheimlich.〉 Mein Kind – ich bin erstaunt – ich bin gerührt. Ich kann’s nicht läugnen. Für sich. Aber den Kopf wollen wir deshalb doch nicht verlieren. Laut. Du hast ein Wort gesprochen das mich zu Deinem Sklaven macht. Du hast meinen Schutz begehrt. {Den verweigerte ich noch keinem der ihn anrief. Ich will mit Dir nicht den Anfang machen.} 〈Du sollst ihn haben –〉 {SARAH. Oh Du bist gut!

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ROBERT. Hier steh’ ich. Kein Jüngling der mit Dir scherzen und schwärmen wird, aber ein Mann der diese kleine Hand mit ehrlicher Rechte faßt und Dir sagt, Sarah: Meine Schuld soll’s nicht sein wenn Du es je bereust sie mir anvertraut zu haben.} 〈O wir wollen diesem Paul schon zeigen daß es noch andere Leute auf der Welt giebt als ihn daß wir uns frei machen können von ihm. Vertraue Dich mir. Du sollst es nie bereuen.〉 SARAH. Auch Du, Onkel Robert, sollst es nie bereuen ... Thränen ersticken ihre Stimme. ROBERT. Mein Liebling! meine kleine Sarah! HOCHBURG. Macht ein Ende der kläglichen Comödie! SARAH. Comödie? – ROBERT. Halt da, Vetter Hochburg! – Ich spiele mit, in der Comödie und mir beliebt’s meine Rolle ernst zu nehmen. Vetter Hochburg, {gieb mir Deine Tochter zur Frau!} 〈ich habe die Ehre Dich um die Hand Deiner Tochter Sarah zu bitten.〉 HOCHBURG. {Beinahe} 〈Fast〉 hätt’ ich Lust zu sagen: Nimm sie! – Du bindest Dir eine Ruthe sonder Gleichen. Diener kommt. DIENER zu Hochburg. Herr Graf, der Jäger des Grafen Kurt ist da. Der Herr Graf werden vermißt, sind heut Nacht, drei Viertel auf zwei Uhr, vom Hause weggefahren, ohne Begleitung, ohne eine Post zu hinterlassen und sind bis zur Stunde nicht zurück gekehrt. ROBERT. Ei! HOCHBURG. Das große Ereigniß! Es geschieht wol zum erstenmal, daß er eine Nacht außer dem Hause zubringt. DIENER. Aber – HOCHBURG. Schon gut. Diener ab. HOCHBURG leise zu Robert. Er hat entsetzliches Glück bei den Frauen. ROBERT. Wenn das Glück Lovely heißt, dann ist es freilich entsetzlich. HOCHBURG. Ich will nur gehen, die Leute meines Sohnes beruhigen – ihnen verbieten zu schwatzen. ROBERT. Ich begleite Dich. Bedenklich ist die Geschichte doch. – Im schlimmsten Falle reise ich ihm nach, und dafür stehe ich Dir gut: ich bringe ihn zurück. Wendet sich zu Sarah. – Sarah – nun? – wo bleibt mein Bräutigamskuß? SARAH wirft sich in seine Arme. ROBERT küsst sie auf die Stirne. {Ich bin viel glücklicher als ich’s gestehen darf, ich bin sehr glücklich!} 〈Für sich. Sehr angenehm! – O wie gerne tauschte ich die Gnade in der ich stehe, gegen die Ungnade in der sich Paul befindet! Laut. Komm – Schwiegervater!〉 Hochburg und Robert ab. SARAH. Ich bin gerettet – bin geborgen am Herzen des edelsten Mannes. Seine Braut! – Verdiene ich so viel Glück als ich – empfinden s o l l t e ? ...

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empfinden w i l l ! – gewiß. Schluchzend. Wir werden sehr, sehr glücklich sein! Sarah ab. 〈um ihm zu zeigen wie dankbar ... mit welchem seligen Gefühl – Ja – mit seligem Gefühl ... Ist’s noch nicht da – es kommt!〉

{Zehnter Auftritt

DIE VORIGE. THERESE aus Hector’s Zimmer, FRANZ durch die Mitte. Kommen zugleich.

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FRANZ. Wir sind ihm auf der Spur! auf der Spur! man hat ihn gesehen bei’m Uhrmacher auf dem Jakobsplatz. Ich fliege dahin! Franz stürzt ab. THERESE. Ring – Graben – Markt – Herrenzeile – Jakobsplatz! Sie wirft sich rechts in einen Fauteuil. Sarah hat sich in einen Fauteuil links gesetzt. THERESE nach einer Pause. Ach Sarah! – ich weiß mir nicht zu rathen noch zu helfen. Ich bin in einer Lage – – Guter Gott! kann man das eine „Lage“ nennen, wenn man von Furcht und Hoffnung umhergeworfen wird, wie ein Ball! SARAH für sich. Die Reue quält. THERESE rückt näher. Ich muß Dir alles sagen! – ich muß mein Herz entlasten, Sarah – Kind – Schwester! ich habe eine fürchterliche Thorheit begangen! SARAH. Arme Therese! THERESE. Ich habe Hector, der immer behauptet, es gäbe keine Tugend unter den Weibern das Gegentheil beweisen wollen, und deshalb den Grafen Paul gebeten, mir eine Liebeserklärung zu machen. SARAH. S–o–? ... THERESE. – die Hector mitanhören sollte ... SARAH. Mitanhören? THERESE. Die Art in welcher ich den eingebildeten Verehrer abzuweisen entschlossen war, sollte Hector überzeugen – Du verstehst? Rückt näher. SARAH. Nicht ein Wort. THERESE. Ich treffe Anstalt, daß Hector, scheinbar ohne mein Wissen, zu Hause bleibt – SARAH rückt näher. Gestern, vor dem Balle? THERESE. Ja. ich setze mich hieher, an die Thüre seines Zimmers; Paul kommt,

〈um ihm zu zeigen bis es kommt!〉 üdZ, eingewiesen nach gewiß bis glücklich sein!; ohne Tilgung.

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sagt seine Phrasen her – ich antworte – voll Würde, voll Entrüstung – erwarte, daß er geht, daß Hector erscheint und gerührt spricht: „Ja, es giebt noch tugendhafte Frauen!“ – Indessen ach! was geschieht? – – Der abscheuliche Paul, anstatt sich zu entfernen, wie ich es ihm befehle – bleibt, und fängt nun erst recht an, mir von seiner Liebe vorzudeklamiren, in Ausdrücken – so herausfordernd für Hector – so beleidigend für mich – – noch schaudert mir davor ... SARAH. Und – Du reißest Dich los – Rückt näher. THERESE. Ich reiße mich los! – Aber seitdem – seitdem lebe ich wie unter dem Beile des Henkers! Was nützen mir jetzt Paul’s Betheuerungen, er habe gestern nur gescherzt, mich nur ängstigen wollen! SARAH. Nur gescherzt? – Dich nur ängstigen wollen? THERESE. – Er liebe mich n i c h t – er liebe einzig Dich. SARAH springt auf. Therese! Therese! w e n n es wahr wäre! THERESE. Es ist aber n i c h t wahr. Er sagt n u r Lügen, lauter Lügen! SARAH. Mit dem ehrlichen Gesichte! THERESE. Zuerst behauptet er, Hector hätte von der ganzen Liebeserklärung nichts gehört, sondern während derselben ruhig in seinem Zimmer geschlafen! – Offenbare Lügen ... SARAH in höchster Spannung. Wahrheit! – Hector hat geschlafen, er hat sogar ein wenig geschnarcht. THERESE. Was weißt Du davon? – Er hat nicht geschlafen, er hat alles gehört; er ist seit der unglücklichen Katastrophe finster und räthselhaft. SARAH. Weiter – weiter – THERESE. Zweitens! – Paul hat die Kühnheit gehabt, mir einen Strauß zu schicken – noch dazu auf höchst geheimnißvolle Art. – Niemand will ihn übernommen, Niemand hereingebracht haben. Aber der Strauß i s t von ihm, und er läugnet’s! SARAH. – Hyazinthen, weiße Rosen, Mirabilis – THERESE. Jalappa! SARAH jubelnd. Es ist wahr! es ist wahr! – Er lügt nicht – oh – Therese! Fällt Therese um den Hals. THERESE. Sarah?! SARAH. Er hat Recht – in allem Recht – die Welt ist voll des Jubels, des Entzückens! und alles ist ... Hält plötzlich inne. – – Nein, nein – alles ist Verkehrtheit und Confusion und die Welt ist häßlich, und das Leben ist ein Unsinn und ich bin die Braut Onkel Robert’s! ...}

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Zehnter Auftritt HECTOR und FRANZ kommen durch die Mitte.

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HECTOR. Also – wo ist die Gräfin? FRANZ indem er ihm den Überrock auszieht. Mit dem Grafen Papa, hinüber gegangen in sein Zimmer. {Soll ich sie holen? HECTOR. Wird schon von selbst kommen. FRANZ} Geheimnissvoll. Herr Graf, ich glaube – sie weiß alles. HECTOR. – Alles? Für sich. Esel. FRANZ. Herr Graf haben noch den Hut ... HECTOR. Graf zum Kukuk. FRANZ. Sehr wol Herr Graf. Für sich im Abgehn. Die Lektion muß gut gewesen sein, denn die Laune ist schlecht. Ab. HECTOR zieht Uhren aus allen Taschen, legt sie auf den Tisch ordnet und betrachtet sie. Die – sieht der noch am ähnlichsten. Aber – zum Verwechseln nicht – nein. – Dumme Geschichte. – – Vielleicht doch daß die ... Kurt tritt ein. KURT. Good day. HECTOR. Was Teufel – Du? KURT. Papa war bei mir, hör’ ich. Setzt sich. HECTOR. Wo ist die Lovely? KURT. Weiß ich’s? HECTOR. – Du weißt nicht? KURT erblickt die Uhren. Ah ça! – Bist Du ein Uhrmacher geworden? HECTOR. Ich leg’ so eine Sammlung an. KURT. Unvollständig. Das Prachtexemplar fehlt. Zieht das Etui in rosenfarbnem Papier aus der Tasche. Da! HECTOR. – Oho! KURT legt das Etui auf den Tisch. Die Fürstin Dinah Nordheim, geborne Lovely, läßt grüßen. HECTOR. – Meine – Deine – KURT. S e i n e Lovely. HECTOR. Wessen? KURT. Des Nordheim. HECTOR. Waren sie denn nicht brouillirt? KURT. Sie haben sich versöhnt. HECTOR. War er denn nicht verreist? KURT. Sie wußte wohin, da ist sie ihm nachgereist. Jetzt darf man’s sagen –: nach Marienberg. Ich – aus Freundschaft – habe sie begleitet. HECTOR ironisch, sieht ihn zweifelnd an. Guter Kerl.

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KURT springt auf, ausbrechend. Verteufelt! verwünscht! verflucht! vermaledeit!! HECTOR ganz ruhig. He – he – KURT. Zur Hölle die Verstellung! – Ich erzäl’s – – Ich erzäl’s heut nacht im Club, und – merk das, und sag’ es ihnen –: Sie mögen ihre Nerven in Acht nehmen! Dem – unwillkürlich oder nicht – nur die Wimper zuckt, nur die Lippe sich kräuselt, der schießt sich morgen mit mir. {Keine Spielerei, keine Distanz! – Zwei Pistolen, geladen die eine, ungeladen die andere. Und nun gewählt. Die Mündungen auf die Herzen gedrückt und – los das Zünglein! – Ich will der einzige sein, der über die Geschichte lacht.} HECTOR. N–a. – – Also die Lovely? KURT. Ich führe sie nach Marienberg. HECTOR. Mit den Schecken? KURT. Mit den Schecken. HECTOR. Sechs Stund’? KURT. Vier fünfzehn. HECTOR der bis jetzt den Hut nicht abgelegt, nimmt ihn unwillkürlich ab. Servus. KURT. Wir halten vor dem großen Hôtel. Sechs Uhr fünfzehn. Sie sagt: „Ich bin fatiguirt, ich muß mir ausruhn, Toilette machen. Komm Sie in drei Stund. Da wollen wir frühstück.“ – Ich zum Kellner: „Ein Zimmer für mich.“ Und er zu mir: „Keines mehr frei. Madame haben das große Apartement bestellt, alles andere überfüllt.“ Und sie zu mir: „So gehe Sie unterdeß spazi{e}r.“ – Sechs Uhr fünfzehn. – Ich gehe „spazi{e}r.“ – Drei volle Stunden. HECTOR. Hm. KURT. Und wie ich zurückkehre, und wie ich in den Salon trete, da sitzen sie am Thetisch, sie und Nordheim. HECTOR. Und Nordheim. KURT. Wie mich der erblickt, steht er auf und dankt mir feierlich und förmlich für den Dienst, den ich – s e i n e r B r a u t erwies indem ich sie so ritterlich hieher geleitet. Für die Weiterreise werde er sorgen. Verneigt sich und geht, seine Anstalten zu treffen. Die Tänzerin aber spricht: „Hätten S i e mich geheirat Sir? O nein, Sie haben nur gewollt davon gehn mit mir. Nordheim war {böse} 〈schlimm〉, aber ich habe ihn gemacht wieder gut und er heirat mich. {Wenn er sich nicht hätte machen lassen wieder gut, ja dann! ich weiß nicht was ich würde haben gethan – in Verzweiflung.} Good morning Sir. Ich will jetzt werden eine Lady und respektabel.“ Sie reicht mir die Hand und die Uhr, und empfiehlt sich. HECTOR. Armer Kerl. KURT heftig. Was? – „armer Kerl“ – wer?! ... HECTOR. N–a – der Nordheim.

Das Waldfräulein

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Elfter Auftritt DIE VORIGEN. HOCHBURG. THERESE.

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HOCHBURG auf Kurt, T HERESE auf Hector zugehend. Da ist er! THERESE. Endlich, Du Guter! Lieber! Endlich! HOCHBURG zu Kurt. Endlich, Du Taugenichts! ... Wo warst Du? KURT. Ausgefahren, Papa. HOCHBURG. Wenn Du in Zukunft wieder einmal – ausfahren solltest, ersuche ich Dich, einen Tag zu wählen, an dem Deine eventuelle Geliebte – zu Hause bleibt. KURT. Ja wol Papa! HOCHBURG. Man legt sonst den Leuten Vermuthungen nahe – KURT. Denen zwar jede Begründung fehlt – HOCHBURG. Die aber trotzdem colportirt werden. {KURT. Trotzdem? Du willst sagen: 〈Das heißt wol:〉 Eben deswegen. HOCHBURG. Ich will sagen! Was ich sage, das will ich sagen!} HECTOR leise zu Kurt. Wie denn? – Ich dachte, Du erzälst es jedem? KURT. Jedem mit dem ich mich schießen kann, wenn ihm’s etwa einfiele zu lächeln. THERESE erblickt die Uhren. Ach, die vielen Uhren! HECTOR. Gratuli{e}re zum Geburtstag. THERESE. Närrischer Mensch! die alle gehören mir? – alle? ... Aber die erste bleibt doch die schönste. Greift nach dem Etui. HECTOR nimmt es ihr aus der Hand. Die schlechteste. Wirft die Uhr auf die Erde und tritt darauf. THERESE. Was thust Du? HECTOR. Sie hat einen Fehltritt begangen – will sagen: sie ist fehl gegangen. THERESE bestürzt, für sich. {Soll das eine Anspielung sein? Laut.} Einen Fehltritt? – Oh zu hart das Wort! HECTOR. Herzige Frau. Umarmt sie. – Für sich. Sie weiß – etwas – aber sie verzeiht. THERESE für sich. Er hat alles gehört aber er thut nichts dergleichen.

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Zwölfter Auftritt DIE VORIGEN. GRÄFIN NORDHEIM. ROBERT.

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ALLE der Gräfin entgegen. Gräfin Nordheim! HOCHBURG. Frau Gräfin – vor Ihnen steht ein ganz vernichteter Vater. GRÄFIN NORDHEIM. Und vor Ihnen – eine {namenlos erstaunte} 〈unglückselige〉 Mutter ... Hochburg führt sie zum Sopha, auf dem sie Platz nimmt. O{h} mein Sohn! er hat packen lassen der arme Engel, er will fort, und wohin? ... Nach America! In Verzweiflung. Zu den Republikanern! ... THERESE. Er verreist? Leise zu Hector. Das ist Dein Werk – ich danke Dir! HECTOR. Was soll mein Werk sein? THERESE wie oben. Du willst es nicht gestehen – also – Sie legt den Finger auf den Mund. HECTOR. Ja! Also! KURT zur Gräfin. Frau Gräfin! GRÄFIN NORDHEIM. Sie – hier? ... Graf Kurt {Hochburg}, sind Sie wirklich hier? KURT. Mit Leib und Seele. GRÄFIN NORDHEIM. – {Also} – Nicht – {?} nicht? – KURT. Was – Frau Gräfin? GRÄFIN NORDHEIM unbesonnen. Und – die Lovely? KURT. Die Lovely läßt Sie grüßen. GRÄFIN NORDHEIM. Mich? ALLE ÜBRIGEN. Kurt! KURT. Wenn diese Uhren richtig zeigen, so hat die Lovely in dieser Stunde bereits die Ehre, Ihrer nächsten Verwandschaft anzugehören. Sie ist die Frau Ihres Schwagers, des Fürsten Nordheim. Gräfin Nordheim und Hochburg zugleich: GRÄFIN NORDHEIM. Nein!! ... HOCHBURG. Unmöglichkeit! KURT. Mir ward das Glück, Brautführer zu sein. HECTOR Kurt drohend. Du! KURT leise. Nun, auch mit der kann ich mich nicht schießen. Verneigt sich. Frau Gräfin. Im Hinausgehen zu Hector. Komm! THERESE. Nichts da! Er bleibt bei seiner Frau. HECTOR mit einem unterdrückten Seufzer. Er bleibt bei seiner Frau. KURT für sich. – „Bei seiner Frau.“ Das Ende vom Liede. Vorbei das lustige Champagner-Gelage, die Zeit der Korklese ist da. Jetzt giebt’s –: Pantoffelholz! Kurt ab. {THERESE zu Hector. Die Gräfin scheint ihr volles Herz ausschütten zu wollen, ziehen wir uns diskret zurück. Therese und Hector ab nach rechts.}

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Das Waldfräulein

ROBERT. Ein schwerer Schlag für Sie, Frau Gräfin. Erlauben Sie mir, Ihnen meine ganze Theilnahme auszudrücken. GRÄFIN NORDHEIM. Die {Trauer} 〈Abreise〉 meines Sohnes, Graf Hochburg, die {Trauer} 〈Abreise〉 meines Sohnes, das ist für mich der schwerste Schlag. HOCHBURG. Seien Sie überzeugt ... GRÄFIN NORDHEIM. Ihre Tochter {nimmt die Hand meines Sohnes nicht an.} 〈hat den Antrag meines Sohnes refüsirt. –〉 Sehr taktvoll, sehr delikat! – {Ich ehre das. ROBERT. – Taktvoll? Delikat? GRÄFIN NORDHEIM. Ich ehre auch, daß sie abreisen, daß sie die Stadt verlassen will. – HOCHBURG. Die Stadt ja ... GRÄFIN NORDHEIM. Sie hat ganz recht. Es ist nicht gut wenn sie hier bleibt; der Aufenthalt in der Stadt ist für sie – nicht gut. HOCHBURG. Es war ohnehin – ROBERT. Erlauben Sie – GRÄFIN NORDHEIM. Sie sehnt sich zurück nach dem Lande. Sie hätte immer dort bleiben sollen. Sie hat hier nichts als Unheil angerichtet. Mein Sohn ist sehr unglücklich durch sie geworden. ROBERT. Dafür sind andere Leute sehr glücklich durch sie geworden. GRÄFIN NORDHEIM. Glücklich geworden? ... Zum Beispiel? ROBERT. Zum Beispiel ich, Frau Gräfin, mit dem sie sich so eben verlobte. GRÄFIN NORDHEIM freudig. Ah! ROBERT. Sie ist meine Braut.} 〈ROBERT. Da sie meine Braut ist. GRÄFIN NORDHEIM. Ihre Braut? THERESE. Wer? von wem ist denn die Rede? ROBERT. Von Deiner Schwester Sarah, die mich so eben zum glücklichsten der Sterblichen gemacht, die meine Hand angenommen hat. THERESE zu Hochburg. Mit Deiner Einwilligung? HOCHBURG zuckt die Achseln.〉 GRÄFIN NORDHEIM. Ich gratuli{e}re! ... {Von ganzem Herzen.} Das ist ja vortrefflich! {vernünftig und vortrefflich.} O{h} sie ist ein liebliches Wesen ... Jetzt muß ich’s gestehn –: ich finde sie bezaubernd. – Merkwürdig aber – bezaubernd! ... Und ich bin entzü... Sich plötzlich besinnend. Allein – – mein Sohn?! ... Was wird mein Sohn dazu sagen? – Himmel – was wird der arme Engel ... {ROBERT. Er wird sich trösten. HOCHBURG. Wenn er sich aber n i c h t tröstet? GRÄFIN NORDHEIM. Wenn er u n tröstlich ist? ... Es kommt vor – höre ich. ROBERT. Bei Ausnahms-Menschen. GRÄFIN NORDHEIM. O Gott! o Gott! mein Sohn ist ein Ausnahms-Mensch!}

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ROBERT. {Fügen Sie} 〈Er wird〉 sich in das Unabänderliche 〈fügen〉, Gräfin. Sarah liebt ihn nicht, da kann niemand helfen. GRÄFIN NORDHEIM. Um so schlimmer! – Sie sollte ihn lieben – er verdient geliebt zu werden. HOCHBURG. Über alle Maßen! GRÄFIN NORDHEIM. Und er liebt Ihre Tochter mit einer Innigkeit! – Und ich habe ihn als er vorhin heimgekommen, in einem Zustande gesehen ... Ich hätte nie gedacht, daß ich mein liebes Kind in einem solchen Zustande sehen und nicht vor Schmerz sterben könnte! {HOCHBURG. Auch ich, Gräfin, habe ihn hier so gesehen. Er machte mir bange.} 〈THERESE. Mein Gott Gräfin, das geht vorüber – er wird sich trösten. –〉 GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Ich begreife Ihre Tochter nicht; ich begreife sie nicht! ... Die Wahl zu haben zwischen meinem Sohne und ... Hält inne. ROBERT. Und – mir. Vollenden Sie nur. GRÄFIN NORDHEIM. Ein solcher Engel! eine solche Partie! ROBERT. Engel? – mag sein. Partie? – Sie vergessen, daß der Schritt den Ihr Schwager Nordheim, heut zum Traualtar gethan, für Paul ein fataler Schritt ist. Wenn die Fürstin Dinah ihren Gemal mit Nachkommenschaft beglückt – wo bleibt dann Paul’s Fürstenthum? HOCHBURG rathlos. – Wo? – freilich – wo? ... GRÄFIN NORDHEIM. Nachkommenschaft? – aber das ist ja abscheulich – das ist ja ein Raub – das sollte man verbieten! 〈THERESE zu Hector. Höre – das ist zu stark – die Abreise begreife ich, aber wozu denn diese Werbung? HECTOR. Seine Sache. – THERESE. Die Deine! Alles Dein Werk! HECTOR. So?〉

Dreizehnter Auftritt DIE VORIGEN. PAUL. Später SARAH {und THERESE}. GRÄFIN NORDHEIM. Mein Sohn! 〈THERESE mit einem unterdrückten Schrei. Er selbst. Sie erfasst krampfhaft Hector’s Arm. HECTOR. Ah ça. Calmire Dich. THERESE sich überwindend. Ich bin ganz ruhig. – Angstvoll. Sarah – ?〉

23–27 2–4

〈THERESE zu Hector. Höre bis So?〉 aR hinzugefügt, nach verbieten!; ohne Tilgung. 〈THERESE bis Sarah –?〉 aR hinzugefügt; ohne Tilgung.

Das Waldfräulein

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PAUL {sie} grüßend. {Liebe Mutter. Zu Hochburg.} Graf Hochburg, ich komme {um} 〈die entscheidende Antwort〉 Gräfin Sarahs {entscheidende Antwort} zu holen. Darf ich mir eine letzte Unterredung mit ihr erbitten? ROBERT. Die Erlaubniß zu dieser letzten Unterredung habe i c h zu ertheilen. PAUL. Du –? ROBERT schellt, ein Diener erscheint. Gräfin Sarah. {Ich ließe bitten.} Diener ab. Ich, junger Freund. PAUL. In welcher Eigenschaft? ROBERT. In der ihres Verlobten. PAUL. Ihres Verlobten? ... Sie liebt Dich?! ... Zur Gräfin, schmerzlich. Mutter, sind Sie jetzt zufrieden? SARAH kommt. Zu Robert. Was willst Du –. Paul erblickend. O mein Gott! PAUL. Gräfin Sarah! ... Ich ... Im heftigsten Kampfe. Ich wünsche Ihnen Glück. SARAH. Ich danke Ihnen. PAUL nach einer Pause. Sie haben eine edle Wahl getroffen. Sie wollten die Krone Ihrer Liebe an den Würdigsten verschenken – und wenn hier das Verdienst allein entscheidet ... SARAH fällt ihm in’s Wort. Graf Nordheim, dieser Ton gekränkter Unschuld ziemt Ihnen nicht. GRÄFIN NORDHEIM. Nicht? – meinem Engel? THERESE für sich. Engel – Ha! SARAH deutet auf die Thüre links. Vater, Onkel Robert, und auch Sie theure Gräfin, ich bitte ein wenig da hinein zu treten. Ich habe mit meiner Schwester und mit dem Grafen zu reden. GRÄFIN NORDHEIM. Reden Sie mein Kind! reden Sie! SARAH vertraulich zu ihr. Sie kennen mich. Es ist zu seinem Besten. GRÄFIN NORDHEIM. Zu seinem Besten? Winkt Hochburg und Robert. Kommen Sie! SARAH. Geht! geht! ROBERT. Das ist doch sonderbar. SARAH. Onkel Robert, hast Du Vertrauen zu mir? ROBERT. Ja! Reicht der Gräfin den Arm und führt sie hinaus. HOCHBURG ihnen folgend. Ich verstehe gar nichts. Gräfin Nordheim, Hochburg, Robert ab nach links.

Unterredung habe ] Unterredung, habe Schreibfehler

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Vierzehnter Auftritt THERESE. SARAH. PAUL.

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PAUL zu Sarah. Nun denn Gräfin! nun denn, Ihre Anklage! ... Haben Sie endlich den Mut gefunden sie auszusprechen? {{SARAH. Meiner Schwester zulieb die ich vor Ihnen retten will ... PAUL. Vor mir? THERESE. Sarah! SARAH. Ihrer armen Mutter 〈{zulieb}〉, die Sie für einen Engel hält, {zulieb} habe ich ihn gefunden. – {Vernehmt’s} Ihr Unseligen! Ich kenne Euer {schreckliches} 〈{strafbares}〉 Geheimniß! THERESE sinkt in einen Lehnstuhl. Himmel! SARAH. Ihr liebt Euch ... THERESE. Er mich – 〈{leidenschaftlich der Unselige –}〉 ich aber nicht ihn! PAUL. Ich Sie Gräfin?! ... Ah! SARAH. Gerechter Gott! gestern knieten Sie hier an dieser Stelle, zu den Füßen dieser Frau, dieser verheirateten Frau, und riefen ...}} 〈SARAH Therese immer noch an der Hand haltend. Ich habe mich vor Ihnen gerettet, ich will auch meine Schwester vor Ihnen retten. Sehen Sie sich um Paul thut es. – Wo sind Sie – Woran mahnt Sie dieses Zimmer und die Verfassung dieser zitternden Frau – THERESE. Himmel – meine Ahnung. Sie weiß alles. SARAH. Also, ich war hier – gegen meinen Willen – habe alles gehört –〉 Paul und Sarah zugleich: PAUL. Aber das war ja – SARAH. – Wir lieben uns! PAUL. Das war ja Scherz. THERESE. Haha – Scherz! PAUL. Eine Comödie, auf Befehl Ihrer Schwester aufgeführt – SARAH. Auf Befehl? ... THERESE steht auf. Es sollte eine Comödie sein, Sie haben eine Tragödie daraus gemacht. Sie haben mich unglücklich gemacht. Ich stehe vor meinem Manne wie eine Verbrecherin ... Seine Freundlichkeit selbst ist mir unheimlich denn schaudernd frage ich mich ob sie nicht blos eine Maske ... PAUL. Seien Sie doch ruhig – ich kann ... SARAH. Sie ist unglücklich, sehen Sie? Sie haben sie unglücklich gemacht! PAUL. Ich mache sie wieder glücklich wenn ich ihr sage ... THERESE abwehrend. Nichts! Ich will nichts hören! SARAH tritt zwischen beide. Sie will nichts hören! sie unglücklich gemacht! ] Sie unglücklich gemacht! Schreibfehler

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Das Waldfräulein

PAUL. – Daß es mir nicht einfällt Sie zu lieben – Therese und Sarah zugleich: THERESE. Wie? SARAH. Ah! PAUL. Daß ich meine Rolle in Ihrem improvisirten Festspiele nur etwas leidenschaftlicher darstellte als mir vorgeschrieben war, weil ich Sie ängstigen wollte ... Therese und Sarah zugleich: THERESE piquirt. So. So. SARAH. Rolle? – Festspiel? – PAUL. – Weil ich mich rächen wollte für die Mißhandlung die Sie mir angedeihen ließen im Angesichte Ihres Mannes. SARAH. Was soll das alles heißen? – Zu dieser gestrigen Scene – PAUL. – War ich kommandirt, von der Gräfin – die das Bedürfniß fühlte sich vor Hector im vollen Glanze ihrer ehelichen Treue zu zeigen. SARAH. Vor Hector? THERESE. Oh Hector! Hector! PAUL. Er erhielt seinen Lauscher- ich, meinen Liebhaberposten angewiesen, sie – spielte die tugendhafte Frau vortrefflich – THERESE. – Spielte?! ... PAUL. – Ich, den gewissenlosen Verführer wie ein Coulissen-Reisser. THERESE. Entschuldigen Sie, Sie haben sehr natürlich gespielt. SARAH. Ihr habt gespielt! – gespielt mit dem Heiligsten! – welches Unrecht, welcher Frevel! THERESE. Er ist bestraft Sarah. Seit gestern lebe ich wie unter dem Beile des Henkers. Hector hat alles gehört und er schweigt, und er sinnt vielleicht – Paul und Sarah zugleich: PAUL. Aber Gräfin – SARAH. Hector hat gar nichts gehört. THERESE. Nichts?! SARAH. Er schlief ja. – PAUL. Das wissen Sie? THERESE. Er – schlief? ... SARAH. Er hat sogar ein wenig geschnarcht. Therese und Paul zugleich: THERESE. Oh! PAUL. Das wissen Sie auch? SARAH. Ja. Das Publikum auf welches Ihr zähltet ließ Euch im Stiche, doch hatte sich eines eingefunden auf welches Ihr nicht gezählt, ein armes – unfreiwilliges ... PAUL sich plötzlich besinnend. Der Vorhang! ... Dort – SARAH. Dort stand ich.

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PAUL und THERESE. Oh Lauscherin! SARAH. So ungern – wenn Ihr wüßtet ... THERESE zu Paul. Und das Bouquet? das Bouquet?! PAUL. Welches Bouquet? THERESE. Hyacinthen, weiße Rosen, Mirabilis – SARAH. Jalappa? THERESE. Ja wol! ja! SARAH. Das hab’ ich Dir gebracht. THERESE. – Du? ... Sie lacht. Hahaha, mein armer, {lieber} Hector! Er gerieth in Wut über die „anonym in’s Haus geschickten Blumen“. Zu Paul. Und Sie {können} schwören 〈mir〉 daß er kein Wort von Ihren – Improvisationen gehört hat? PAUL. Kein Wort! THERESE. Dann ist ja dieser Mann von einer Eifersucht deren Existenz ich bisher nicht ahnte und vor der man sich in Zukunft hüten muß ... O Himmel! welcher Gefahr bin ich entgangen ... Wie glücklich bin ich! Sarah! Graf Paul! – jetzt ist alles herrlich, alles gut! PAUL Sarah anblickend. – Alles? SARAH. Alles gut?! {{Ich bin die Braut Onkel Roberts. GRÄFIN NORDHEIM die sich schon mehrmals an der Thüre gezeigt hat. 〈{umgesehen hat und nur mit Mühe von Robert zurück gehalten wurde.}〉 Dürfen wir kommen? Niemand sagt nein: Kommen wir! Gräfin Nordheim, Hochburg, Robert treten ein, bleiben jedoch anfangs im Hintergrunde. PAUL. Gräfin Sarah. Nein, Ich fasse es nicht. Sie hielten das alles für Ernst und mich für einen schlechten Menschen? 〈{mich für einen schlechten Verführer –}〉}} SARAH reicht ihm mit raschem Entschlusse die Hand. Verzeihen Sie mir {Graf Paul}! Ich habe Ihnen Unrecht gethan. GRÄFIN NORDHEIM {{〈{will}〉 {vorstürzend} 〈{vorstürzen}〉. Robert hält sie zurück.}} 〈die sich schon mehrmals umgesehen hat, und deren Aufmerksamkeit Robert und Hochburg die ganze Zeit über zu fesseln bemüht waren.〉 Unrecht! Meinem Engel{?}! {PAUL zu Sarah. Und Sie hielten alles für Ernst und mich für einen schlechten Menschen? SARAH mit gefalteten Händen. Verzeihen Sie mir!} PAUL {zu Sarah}. Nun, gottlob daß Sie Ihre Meinung geändert und daß wir wenigstens als Freunde scheiden können. Was Sie mir sonst noch vorzuwerfen haben – SARAH. O nichts 〈mehr〉 – nichts! PAUL. Doch. – Sie tadeln meine Lebensweise. Mit Recht, ich seh es ein ... Ja, Sarah, ich habe genippt, getrunken sogar an allen Quellen des Vorurtheils ...

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Das Waldfräulein

Mein Gott! wenn einem gar nichts anderes vorgesetzt wird ... Aber mein guter Stern bewahrte mich vor der Schmach im Vorurtheil unterzugehen ... GRÄFIN NORDHEIM zu Robert. Graf Hochburg – erschüttert er sie nicht? ROBERT. Er nicht, aber s i e . Sehen Sie einmal meine Braut an. 〈Nein Gräfin. Ich bin unerschütterlich.〉 {SARAH mit mächtig hervorbrechender Empfindung. – Ihr gutes Herz bewahrte Sie, das ist Ihr guter Stern.} PAUL. Und so war mir noch zu helfen als Sie kamen, Sie Heidenröslein! als Sie hereinschwebten in unsere dunstige Stadtatmosphäre, wie ein frischer, erquickender – wenn auch mitunter etwas rauher Wald- und Bergeshauch ... SARAH. Rauh –? Haben Sie wirklich gefunden? PAUL. – Gleichviel. – Schon recht, daß Sie rügten was an mir zu rügen war. Es hat genützt, mein Wort darauf! GRÄFIN NORDHEIM schluchzt. Er ist rührend! ROBERT. – Nun, er rührt sie auch. {Für sich. Ein wenig bald, ein wenig bald kommt die Enttäuschung!} PAUL. Und jetzt –: Leben Sie wohl. – Für immer Sarah ... Wendet sich rasch. SARAH. {Leben Sie wohl – Was fällt Ihnen ein?} Warum für immer? GRÄFIN NORDHEIM stürzt ihm in den Weg. Mein Sohn! ... Wohin mein Sohn?! PAUL nicht mehr Herr seiner selbst. Über alle Berge! über alle Meere! in die weite Welt! ... Könnt’ ich sagen: Aus der Welt! {GRÄFIN NORDHEIM. Oh! oh! SARAH. Bleiben Sie! PAUL. Nein! – Sie sind mir verloren und mit Ihnen die Heimat – das Glück!} 〈SARAH. Wozu denn das? Wir sind ja wieder gut. Bleiben Sie bei uns.〉 GRÄFIN NORDHEIM. {Und ich verliere meinen Sohn! ...} 〈O nein.〉 Er verläßt mich, er geht! ... ROBERT. {Seien Sie doch ruhig.} 〈Jetzt??〉 Sieht auf die Uhr. Jetzt fährt ja gar kein Bahnzug ab. PAUL. Sarah – Sie lieben ihn! Sie sind seine Braut! SARAH. Onkel Robert, sieh, er leidet ... Er will fort – Onkel Robert ... {Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. „Ein Pereat der Selbstsucht, hoch – die Anderen!“ ROBERT. Da bist Du dabei, bei den – „Anderen“? SARAH. Onkel Robert, erbarme Dich noch einmal! ... Onkel Robert – heirate mich nicht! Gräfin Nordheim, Paul und Hochburg zugleich: GRÄFIN NORDHEIM. Ach! PAUL. Sarah! HOCHBURG. Gott sei Dank! 〈Nein bis unerschütterlich.〉 üdZ, eingewiesen nach Er nicht, aber s i e ; ohne Tilgung.

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ROBERT. Richtig. Darauf warte ich seit einer Viertelstunde.} GRÄFIN NORDHEIM. Graf Hochburg – haben Sie ein Herz? ROBERT. Zu dienen! ein ganz kleines – Deshalb geht’s auch jetzt über – Sarah und Paul zugleich: SARAH. Bester! PAUL. Freund! ROBERT. Nämlich – zur feindlichen Partei. Zu Sarah. – Ich mag Dich nicht. SARAH. {Ach – danke! danke!} Gott sei Dank! {ROBERT. Paul, mein Lieber, sieh zu, daß ich sie los werde. PAUL. Einziger! HOCHBURG. Vortrefflichster! GRÄFIN NORDHEIM. Graf Robert, Sie sind doch ein edler Mensch! ROBERT. Schmeichelt nur. Es verdirbt mich nicht. Auf Sarah deutend. Die da hat gesorgt, daß der Baum meiner Eitelkeit nicht in den Himmel wachse. SARAH fällt ihm um den Hals. Onkel Robert – ich liebe Dich! ROBERT. Gib acht. Er wird eifersüchtig. SARAH. – Nein, jetzt nicht mehr!} ROBERT zu Hochburg und Gräfin Nordheim. Mit Verlaub. Führt Sarah Paul zu. Da hast Du sie! PAUL. Sarah! Mädchen! Waldfräulein! SARAH. Graf Paul! PAUL. Mutter – was sagen Sie dazu? GRÄFIN NORDHEIM. Meine Kinder! PAUL und SARAH zur Gräfin Nordheim. Mutter! Zu Hochburg. Vater! Umarmung. 〈Ende〉

Das Waldfräulein

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{Fünfzehnter Auftritt

DIE VORIGEN. GRÄFIN, MELANIE, CLAUDINE, kommen durch die Mitte. HECTOR, THERESE, von rechts.

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THERESE. Was seh ich? PAUL. Meine Braut! ALLE EINGETRETENEN. Ach! CLAUDINE. Braut? – Mama, sie ist Braut – Mama, wir wollen auch Waldfräuleins werden! HECTOR reicht Paul die Hand. Viel Glück, wenn Deine Frau wird wie die meine. THERESE. Hector – Dir fehlt doch nichts? ... Mein Mann macht mir das erste Compliment! SARAH, die alle umringen und beglückwünschen, sich zu Paul wendend. Allen habe ich gesagt, daß ich Sie liebe, nur Ihnen nicht – Paul, jetzt sag’ ich’s Dir!}

2.

Das Waldfräulein (H2)

Das Waldfräulein Lustspiel in drei Aufzügen

Das Waldfräulein

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PERSONEN GRAF HOCHBURG KURT, sein Sohn THERESE, seine Tochter SARAH, seine Tochter GRAF HECTOR BERG, sein Schwiegersohn GRÄFIN VON THAL, seine Schwester MELANIE, Tochter der Gräfin CLAUDINE, Tochter der Gräfin GRAF ROBERT HOCHBURG GRÄFIN NORDHEIM PAUL, ihr Sohn FÜRST LIMBURG GRAF L AZÁRY, Husarenrittmeister GRAF T URNAU FRANZ, Kammerdiener bei Graf Berg DIENER bei Graf Berg DIENER bei Gräfin von Thal PETER SEIDL

Rechts und links vom Zuschauer

Erster Aufzug Salon bei Gräfin von Thal. Links ein großes, rechts ein kleines Etablissement, ein Blumentisch im Fenster. Balzac, zwei Fauteuils. Im Hintergrunde ein Klavier.

Erster Auftritt GRÄFIN am großen Tische mit einer Tapisserie Arbeit beschäftigt. CLAUDINE am Klavier, spielt eine Polka. MELANIE liegt auf dem Balzac, ein Buch in der Hand.

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MELANIE zu Claudine. Gnade für unsere Ohren! – Dein Geklimper ist empörend. GRÄFIN. Geduld, Melanie! Claudine, fahre fort, mein Kind. Ein Stück wenigstens sollst Du ohne Fehler spielen können. Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie Denkt ein wenig nach. weil sie kein einziges Stück ohne Fehler spielen konnte. CLAUDINE spielt mit verdoppeltem Eifer. GRÄFIN. Er sagte: „Ein Mädchen, das nicht einmal“ – Ich weiß nicht mehr genau w a s er sagte, aber genug, es war etwas sehr richtiges. CLAUDINE. Und das ist die Lieblingspolka des Grafen Paul. GRÄFIN. Spiele Claudine! spiele! MELANIE. Gieb Dir keine Mühe. Den Grafen Paul erspielst Du Dir mit Deiner Polka doch nicht, der ist bis über die Ohren verliebt in das Waldfräulein. CLAUDINE steht auf. In das Waldfräulein?! GRÄFIN. „Verliebt!“ – „Über die Ohren!“ – Melanie, mein Kind, welche Ausdrücke! MELANIE. Mein Gott, Mama! Zu Claudine. Hast Du nicht bemerkt, wie er unserer Cousine gestern im Theater den Hof gemacht? CLAUDINE. Aber sie gönnte ihm ja keinen Blick. Sie hatte nur Sinn für die Vorstellung, die Arme! MELANIE. Und doch gab es gerade gestern so viel Köstlicheres im Theater zu sehen als die Vorstellung. Zum Beispiel, dicht neben uns die Gräfin Nordheim ... O! diese Angst um ihren Sohn, um den guten Grafen Paul! – – Die Vortreffliche! sie glaubt, die ganze Welt sei ein einziges, von den Komtessen ausgespanntes Netz, und ihr alleiniger Zweck, den Grafen Paul zu fangen. – Uns gegenüber, da kokettierte Vetter Hector, vor der Nase seiner Frau ... GRÄFIN. „Vor der Nase!“ – Melanie, mein Kind!

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Das Waldfräulein

MELANIE. Kann nicht helfen, Mama. Vor der Nase seiner Frau mit Miss Lovely vom Ballet, in die übrigens auch Vetter Kurt ganz vernarrt ist. GRÄFIN. „Vernarrt?!“ MELANIE. Und die am Ende kein Geringerer heiraten wird als – der Fürst Nordheim. GRÄFIN. Fürst Nordheim?! – Schwager der Gräfin Nordheim?! – Sei christlich, meine Tochter! MELANIE. Wenn man Augen im Kopfe hat, kann man nicht immer christlich sein. Oder sollen wir es machen wie das Waldfräulein? – Das schaute nicht rechts und nicht links, es starrte unverwandt die Schauspieler und Schauspielerinnen an. {CLAUDINE. Ich habe mich wirklich geschämt. GRÄFIN. Was gab man denn? – was haben wir nur gesehen? MELANIE. Die Braut von Messina. Ein dummes Stück. CLAUDINE. Und so langweilig! GRÄFIN. Aber klassisch, meine Kinder! ... Zweifelnd. Es ist doch klassisch?} MELANIE. Vor dem heutigen Abend fürchte ich mich. Unglückliche Idee des Onkels, Sarah jetzt schon in die große Welt zu führen! ... Die Herren freilich – unterhalten sich mit ihr. CLAUDINE. Man hat sie zum Besten. MELANIE. Graf Paul nicht! – Ich sage und behaupte auf Ehre: der ist tüchtig in sie verliebt. GRÄFIN. Melanie! schon wieder! MELANIE. Und Onkel Robert – macht ihr förmlich den Hof. GRÄFIN. Robert? ... Wirklich, meine Kinder?! ... Robert, ei seht doch, seht ... Da muß ich meinen Bruder aufmerksam machen. {CLAUDINE zu Melanie. Du bist lächerlich mit Deinen Einbildungen. MELANIE. Lächerlich Du selbst! CLAUDINE. Jetzt muß ich aber ... GRÄFIN. Kinder disputiert nicht! Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie, Denkt ein wenig nach. weil sie einmal mit ihrer Schwester disputierte. CLAUDINE sehr sanft. Hörst Du, Melanie.}

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Zweiter Auftritt VORIGE. GRAF HOCHBURG.

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HOCHBURG. Guten Morgen. MELANIE. Den besten Dir. CLAUDINE. Gut geschlafen? GRÄFIN. So sorgenvoll? HOCHBURG. Kein Wunder, liebe Schwester. Sarah besucht heute ihren ersten Ball. Wie wird sie bestehn? Wird sie gefallen? GRÄFIN. Wir wollen das Beste hoffen. Es soll ja Leute geben die sie hübsch finden. HOCHBURG. – Graf Paul? – Nein – daran ist nicht zu denken. Ich denke auch nicht daran. – Nach dem Tode seines Onkels wird er Fürst – Herr des größten Majorats im Lande. Überdies ist seine Mutter durchaus dagegen, daß er sich jetzt schon verheirate. Nein, nein! – Nein, nein, – ich mache für Sarah keine kleinen Ansprüche, aber bis zu Graf Paul versteigen sie sich nicht. CLAUDINE. Der gute Onkel! HOCHBURG. Kommt Therese nicht herab? – Ich sprach soeben mit ihr ein ernstes Wort. Ich bedaure, daß sie die Aufgabe, welche sie sich selbst gestellt: ihre Schwester in die große Welt einzuführen, so lässig betreibt. MELANIE. Lässig? – Sie ist überall. Man will sie an verschiedenen Orten zugleich gesehen haben. HOCHBURG. Sie ist überall und führt ihre Schwester überall hin, kümmert sich aber nirgends um sie. Komme ich meinen Töchtern in einen Salon nach, so finde ich Sarah umringt von der Blüte des mauvais genre. Die Leute, die niemand ansieht, darin besteht die Gesellschaft ihrer Wahl. Da ist ein Mensch in unserer Familie, den ich immer mit Überwindung „Vetter“ genannt habe. Ein Mensch, der nur in die Welt gesetzt scheint, um sich über ihre Einrichtungen lustig zu machen. Ein Verächter des Adels, dem er angehört, im Herzen – es ist meine Überzeugung – ein Sozialist. GRÄFIN. Bruder! CLAUDINE. Ich weiß wen Du meinst. MELANIE. Robert! Robert den Apostat! CLAUDINE. Was heißt eigentlich Apostat? MELANIE. Mir unbekannt. Ich rede den andern nach. GRÄFIN. Kinder! Kinder! Das ist vielleicht ein Wort, welches anständige, junge Personen gar nicht aussprechen sollten. HOCHBURG. Die letzte Möglichkeit mit ihm umzugehen, schwand am Tage seiner Verheiratung. MELANIE. Mit einer Müllerstochter. GRÄFIN. Jawohl. Man spricht nicht davon.

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HOCHBURG. Nun – en famille ... CLAUDINE. Überdies ist sie ja todt. MELANIE. Eines möchte ich wissen: – Wie kam Onkel Robert zu seinen demokratischen Schrullen? HOCHBURG. Wie kommt man zu dergleichen? – Schlechte Bücher, schlechter Umgang. – Nach dem Tode seiner Frau stürzte er sich kopfüber in die Politik und fiel ganz und gar auf die linke Seite. – Und {GRÄFIN. Ein Hochburg! HOCHBURG. Jetzt vertritt er im Parlamente eine Richtung, ich kann nur sagen – blutrot. Ich führte neulich Sarah in die Pairskammer, damit sie ihn auf der Rednerbühne sehe. GRÄFIN. Bruder! Das hast Du getan?! HOCHBURG. Ich mußte zu diesem äußersten Mittel greifen, um sie vor Robert mit ewigem Schauder zu erfüllen, denn} gerade für ihn, gerade für diesen traurigen Auswuchs unseres Stammbaumes zeigt Sarah eine besondere Vorliebe. GRÄFIN. Sie für ihn? ... Er wohl auch für sie. HOCHBURG. Was? GRÄFIN. Merkwürdig – merkwürdig! aber mir kommen auf einmal Ideen ... HOCHBURG. Ideen? – Ich will nicht hoffen – GRÄFIN. Wenn ihm das Mädchen gefiele? – Wenn er Absichten hätte – HOCHBURG. Auf meine Tochter?! GRÄFIN. Gemach. – Er ist kein wünschenswerter Umgang aber – eine glänzende Partie. Leise zu ihren Töchtern. Von Euch beiden würde ihn keine nehmen? MELANIE rasch. Nein! CLAUDINE langsam. N–ein. HOCHBURG. Absichten auf meine Tochter! ... Das fehlte noch! ... Dieser Mensch! – Gott verhüte, daß er mir so bald wieder in den Weg kommt. Ich wäre kaum imstande ihm meine Geringschätzung zu verbergen. GRÄFIN. Nun, bei mir bist Du nicht in Gefahr ihm zu begegnen. Wir sehen ihn nur in der Welt, und wenn wir ihn dort sehen, so – Denkt ein wenig nach. so sehen wir weg. DIENER meldend. Graf Robert Hochburg. ALLE. Wer?! DIENER. Graf Robert Hochburg. GRÄFIN. Um Gotteswillen! HOCHBURG. Schwester was soll das bedeuten? GRÄFIN zum Diener. Nicht zu Hause! nicht zu Hause!

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Dritter Auftritt VORIGE. ROBERT HOCHBURG.

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ROBERT auf der Schwelle. Welches Glück, meine gnädigste Cousine, Sie zu treffen, wenn Sie nicht zu Hause sind. GRÄFIN zum Diener. Jacob, ich bin für niemand zu Hause. ROBERT. Sehr traurig für den armen Paul! – Er will Ihnen in einer Viertelstunde seine Aufwartung machen. CLAUDINE flehend. Mama! GRÄFIN. Jacob! – Ich bin zu Hause. Diener ab. HOCHBURG. Schwester! GRÄFIN. Mein Gott, was tut man nicht für seine Kinder! ROBERT vortretend. Dieser allseitig so freundliche Empfang rührt mich. Er setzt sich auf einen Fauteuil neben dem Canapée der Gräfin. HOCHBURG steht auf. ROBERT zu ihm. Du bleibst! – Ich ersuche Dich zu bleiben. Ich habe mit Dir zu reden. HOCHBURG. Und deshalb kommst Du zu meiner Schwester? ROBERT. Da ich Dich bei Dir nicht finde und höre, daß Du hier seiest. DIENER meldend. Die Schneiderin lässt bitten. MELANIE und CLAUDINE. Unsere Ballkleider! Hat sie unsere Ballkleider gebracht? DIENER. Zu dienen, ja. MELANIE. Die Göttliche! wie pünktlich! CLAUDINE. {O wie pünktlich!} Geschwind Mama, zu ihr! GRÄFIN. Geduld, meine Kinder! Ich habe einen Herrn gekannt – der ... Ja – was wollt ich denn ... Schon gut. Zum Diener. Jacob, wenn Graf Nordheim kommt, so sagen Sie, ich freute mich ihn zu sehen und führen ihn herein. Diener ab. GRÄFIN zu Hochburg. Au revoir. Zu Robert. Adieu! Gräfin, Melanie, Claudine ab.

Vierter Auftritt HOCHBURG. ROBERT. HOCHBURG. Was hast Du mir zu sagen? ROBERT. Dein Sohn war bei mir. HOCHBURG. Das setzt mich in Erstaunen.

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ROBERT. Er kam nicht zu seinem Vergnügen, er kam in Geschäften. HOCHBURG. Zu Dir? ROBERT zieht Papiere aus der Tasche und reicht sie Hochburg. Wenn diese Kleinigkeiten im Laufe des Tages nicht geordnet werden, wird Kurt im Laufe des Abends seiner Freiheit beraubt sein. HOCHBURG. Sei–ner Frei–heit? ... Wechselklagen? ... Sieht die Papiere hastig durch. Fünftausend. Achttausend. Das ist unmöglich. Mein Sohn hat keine Schulden. Ich habe alle bezahlt im verflossenen Jahr. ROBERT. Aus der Erinnerung an diese edle Tat schöpft er den Mut ... HOCHBURG. Ungeratenes Kind! ROBERT. Im Gegenteil, das geratenste der Welt. Kurt ist was Du haben wolltest. Die Blume aller Eleganz. Es gilt für eine Ehre auf der Gasse von ihm gegrüßt zu werden. Er hat das größte Glück bei den größten Künstlerinnen ... {HOCHBURG. Die Lovely? – Für sich. Bosheit! Man weiß, daß er dort nicht reüssiert. ROBERT. Er hat seinen Schneider zu einem reichen, seinen Schuster zu einem berühmten Manne gemacht. Ein Pferd, das er einmal geritten und eine Dame, mit welcher er einmal getanzt, gehören zu den gefeiertsten Wesen unter der Sonne. Freilich, mein lieber Hochburg – Opfer kostet eine solche Carriere. Wie viele sie schon gekostet hat – das weißt Du, wie viele sie noch kosten wird, das weiß – ja, wer weiß das?} HOCHBURG immer mit den Papieren beschäftigt, sehr bestürzt. Kommt mir in diesem Augenblicke – höchst ungelegen. ROBERT. Mir sind unerwartet Gelder eingelaufen. Ich bin im Zweifel was mit ihnen anfangen. Willst Du mir aus der Not helfen? HOCHBURG. Schöne – „Noth“. ROBERT. Mein Wagen steht vor dem Tore – lass Dich zu mir führen. Mein Intendant erwartet Dich, ich gab ihm den Befehl ... HOCHBURG auffahrend. Den gabst Du umsonst. Ich danke Dir. Ich werde andere Mittel finden. ROBERT für sich. So sind sie! Laut. Mensch! Ich biete D i r nichts an. D e i n S o h n wird mein Schuldner. {Potztausend! ich komme da zu etwas, wozu jemals zu kommen, ich verzweifelte: zu einer Stellung „in der Welt“, zu einer „Position“.} HOCHBURG. Genug – Leb wohl. Will gehen, besinnt sich aber und kehrt zurück. – Noch eins. Ich baue keine großen Stücke auf Deine Freundschaft für uns, die Schmach aber tue ich Dir nicht an, Dich zu bitten über das eben Vorgefallene zu schweigen. ROBERT. Daran tust Du auch recht. – Hochburg! HOCHBURG. Was noch? ROBERT. Du gehst? – Zu Deinem Sohne? ... Hör doch nur: – brüskiere mir den lieben Jungen nicht. Er ist zuletzt doch ein ganzer Kerl. Setz’ ihn auf das

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wildeste Pferd – er bändigt’s. Steck’ eine Nadel in die Wand – er schießt sie herunter. Wirf ihn in den Hellespont – er schwimmt hinüber! HOCHBURG ausbrechend. Beinahe wär’s besser, er ertränke! Indem er heftig abgeht stößt er in der Tür auf den eintretenden Paul. Pardon! Sich zusammennehmend. Sie, lieber Graf? – Äußerst liebenswürdig. Sehr erfreut Sie zu sehen, wenn auch nur einen Augenblick. – Sehr erfreut! Hochburg ab.

Fünfter Auftritt ROBERT. PAUL.

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PAUL. Was fehlt dem Grafen? ROBERT. Ein Schwiegersohn. PAUL. Ich bin’s. Ich bin der Mann! ROBERT. Sei so gut. Deine Mutter legt sich ins Grab. PAUL. Sie steht wieder auf. Ich werb’ um das Waldfräulein, ich heirate sie! ROBERT. Wenn sie Dich nimmt. PAUL. O mich nimmt man! ROBERT. Bist Du dessen so gewiß? PAUL. Keine Mama in der ganzen Stadt, die mir’s nicht zu verstehen gäbe. ROBERT. Ich wüßte nicht, daß Sarah die Mamas zu ihren Herzensvertrauten gemacht. PAUL. Liebt sie einen andern? Nein, sie liebt niemand, das seh ich ihr an den Augen an. Ja, ich sehe ihr sogar an den Augen an, daß sie mir gut werden könnte. Werden – wir wollen nichts überstürzen. Vor allem gilt’s die Kleine zu erziehen. ROBERT. Für die große Welt. PAUL. Gewiß, da sie bestimmt ist in ihr zu leben. Es wird Kämpfe kosten, denn Sarah ist energisch, und tritt unseren – unseren – ROBERT. Vorurteilen PAUL. Vorurteilen, es sei! mit einem Mut entgegen – ROBERT. Sie weiß nicht was sie tut. PAUL. Man muß sie’s lehren! Man muß ihr sagen: Die Welt ist einmal wie sie ist, wir ändern’s nicht. Es bleibt nichts übrig als sich zu fügen. – Traurig genug, daß so Selbstverständliches einem achtzehnjährigen Mädchen erst gesagt werden muß. Und – ganz wunderbar, daß jenes Mädchen – Hochburgs Tochter ist. In s e i n e m Hause ist sie nicht aufgewachsen. ROBERT. Nein. PAUL. Und warum nicht?

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ROBERT. ’s ist eine lange Geschichte. Hast Du lange Geduld um sie anzuhören? PAUL. Geduld? – dazu? – Tausendmal mehr als Du erschöpfen kannst. ROBERT. Der Teufel! jetzt glaube ich’s beinah daß Du verliebt bist. PAUL. Die Geschichte! die Geschichte! ROBERT der sich gesetzt hat. Vor zwanzig Jahren war ein Witwer. Er hatte zwei schuldlose Kinder und ein schuldenbelastetes Vermögen. PAUL. Gut. ROBERT. Findest Du? – Er bewarb sich um die Hand eines Mädchens von unzweifelhaftem Reichtum und von zweifelhaftem Adel. PAUL. Was?! ROBERT. Sie vermälten sich und von nun an wurde es ihm Lebensaufgabe, seiner Frau den Eintritt in die höchsten Kreise zu verschaffen. PAUL. Der ihr zukam, ihr gebührte! ROBERT. Es gelang meinem Vetter den Leuten diesen Wahn – PAUL. Wahn?! ROBERT. – beizubringen. Nach einigen Jahren rastlosen Tanzens, Schwatzens, Festegebens, Jahren der Hetzjagd auf – Edelwild, gehörte die Gräfin Hochburg zu den elegantesten Damen der Stadt. PAUL. Schön! schön! ROBERT. Da trat ein bedenklicher Umstand ein: Die Gräfin wurde Mutter und begann über der Liebhaberei für ihr Kind ihre Pflichten gegen die Welt zu vernachlässigen. Eines Tages hatte der Hof sein Erscheinen bei einem Feste zugesagt das Hochburg gab. PAUL. Ah! ROBERT. Der ehrfurchtsvoll Erwartete wurde vom Hausherrn am Fuße der Treppe empfangen, in den Tanzsaal geführt und hier – PAUL. Nun hier? ROBERT. – sollte – an der Türe die Hausfrau stehen, und – sie steht nicht da! ... Man sucht und findet sie endlich im Kinderzimmer, wo die kleine Sarah plötzlich erkrankt ... PAUL. Erkrankt! ROBERT. Aber wenn sie auch plötzlich gestorben wäre, in d i e s e m Augenblick d u r f t e die Hausfrau ihren Posten nicht verlassen. Ein – Dummkopf sieht das ein. PAUL lachend. Ja! ROBERT. Auch tat’s der Graf und trug Sorge die Wiederholung eines solchen Skandals unmöglich zu machen. Er nahm der törichten Mutter das Kind und übergab es ihrer viel älteren Schwester, die dasselbe auf dem Lande erzog. PAUL. Sag: im Urwalde …

Festegebens, ] Festegebend, Schreibfehler

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ROBERT. Diese Schwester hatte in ihrer Jugend ein Verhältnis mit einem bürgerlichen Schriftsteller und Gelehrten. Von einer Verbindung war natürlich keine Rede – der kleine Adel perhorresziert Mesalliancen mehr als der große. Die Liebenden wurden getrennt, fanden sich erst im Alter wieder und beschlossen nun, ihr Leben als Freunde auf der Besitzung der Dame zu beenden. PAUL. Und zwischen diesen beiden Menschen – ROBERT. – Wuchs Sarah heran. Ihre Eltern besuchten sie so oft ihre Geschäfte ihnen Zeit dazu vergönnten. Endlich schien die Mutter von der Monomanie für ihr Kind wirklich geheilt; – allein das rastlose Treiben des Lebens in der großen Welt hatte die Gesundheit der zarten Frau erschöpft. Sie starb – ich glaube im Vorzimmer einer Herzogin, bei welcher ihr Mann sie zur Aufwartung gemeldet. PAUL. Robert! ROBERT. Inzwischen war auch nach mehrmaliger Carnevals-Ausstellung, die ältere Tochter des Grafen glücklich an Mann gebracht; – der Vater ruft Sarah zurück. Sie kommt. Aber was hat die ländliche Erziehung aus ihr gemacht? PAUL. Ein Waldfräulein. ROBERT. Ein Geschöpf durchaus unfähig in der Gesellschaft der Euren seinen Weg zu finden. PAUL. Das wollen wir sehen. Ich bin da. ROBERT. Du? – Nun? ’s ist etwas. Deine Mutter ist aber auch da. PAUL. Hm! ROBERT. Die Prinzessin ward noch nicht geboren, der sie Dich gönnte. PAUL. Ja, ja ... Sie träumt von einer Prinzessin ... Sie ahnt nicht – Gott! sie darf nie ahnen, daß Sarahs Mutter ... ROBERT. Kaum – blau a n g e l a u f e n e s Blut in den Adern führte. PAUL. Ein misslicher Umstand. ROBERT. Du bist ein guter Sohn und Deine Mutter kennt ihre Macht. Sie wird Dich beschwören – wird weinen – PAUL. Das wird mir leid tun. Trotzdem ... wenn Sarah sich ändert, so trag ich sie auf meinen Armen zum Altar durch eine Armee von weinenden Müttern! ROBERT. Bramarbas! – Lass nur die Gefahr heran kommen und wo ist dann Dein Mut? PAUL. Der Mut wächst oft mit der Gefahr. ROBERT. Geh mir – Du Kind des Vorurteils. – Der Mann, der Sarah heimführen will, muß aus anderem Holze geschnitten sein als Ihr Puppen. PAUL. Robert?! Du denkst doch nicht selbst ... ROBERT. – Wer weiß! ... PAUL. Blendet mich das Licht – oder Berührt Roberts Scheitel. sind das wirklich graue Haare?

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ROBERT. Es gibt Mädchen die auf das Herz sehen und nicht auf die Haare. Die Gräfin kommt. Leb wohl! PAUL. Robert! Robert! Das sieht ja aus wie Flucht. ROBERT. ’s ist auch eine! Robert rasch ab.

Sechster Auftritt PAUL. GRÄFIN. MELANIE. CLAUDINE mit Hüten und Mänteln. Begrüßung.

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GRÄFIN. Ich habe Sie warten lassen, lieber Graf – verzeihen Sie. Ich bin untröstlich. PAUL. Zu gnädig. MELANIE. Wir sind auch untröstlich. CLAUDINE. Wir auch. PAUL. Viel zu gnädig. GRÄFIN sehr zerstreut, sehr verstimmt. Ihr lieber Besuch, der uns außerordentlich freut – MELANIE. Außerordentlich. CLAUDINE. Außerordentlich. GRÄFIN. Wir können leider nicht von ihm profitieren ... Ich habe anspannen lassen – wir müssen fort. PAUL. Ich hoffe nur, daß keine unangenehme Veranlassung ... GRÄFIN. Ach meine arme Claudine! Sie verzeihen? – Schellt. Diener kommt. Jacob ist noch nicht angespannt? DIENER. Noch nicht, Frau Gräfin. GRÄFIN. Treiben Sie! treiben Sie zur Eile! Diener ab. PAUL. Ich bedaure sehr. GRÄFIN. Tausend Dank! PAUL will sich verabschieden. Frau Gräfin! CLAUDINE. Bleiben Sie doch bis man den Wagen meldet. PAUL. Darf ich? Für sich. Vielleicht kommt sie indessen. GRÄFIN. Natürlich! natürlich! – es ist sehr freundlich von Ihnen.

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Siebenter Auftritt VORIGE. SARAH.

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SARAH. Ein Brief! Melanie! Claudine! ein Brief – von ihm – von ihm! PAUL. Von ihm?! SARAH. Und von meiner lieben, guten Tante und von Anne Kathrein! Auf die Gräfin zueilend. Sieh doch! GRÄFIN winkt ihr, auf Paul deutend. Lass das – lass das jetzt – Melanie und Paul fast zugleich: MELANIE. Wer ist Anne Kathrein? PAUL. Und wer ist ... SARAH. Sie hier, Graf Paul? Kommt denn heut alles Gute zusammen? MELANIE. Wer ist Anne Kathrein? SARAH. Das weißt Du nicht? – {Die kleine Gärtnerin, die Kleine des Gärtners,} mein Pflegekind! – Melanie – wenn ich Dich ihren Brief lesen ließe! und den – und den! ... Vergessen glaubt’ ich mich, weil sie so lange nicht schrieben – und sie schrieben nicht um mir das Herz nicht schwer zu machen. GRÄFIN verweisend. Kind! Kind! SARAH. Wie hab ich ihnen unrecht getan, den Meinen! Wie denken sie an mich! wie lieben sie mich – meine Tante – mein Professor – PAUL. Professor? – Der Freund Ihrer Tante? SARAH. Und der meine – mein zweiter Vater! PAUL. Von dem haben Sie einen Brief? Für sich. Ich atme wieder. SARAH. Was fehlt Ihnen? Was fehlt überhaupt der ganzen Gesellschaft? Man ist verstimmt, besonders Du Claudine. CLAUDINE. Ach Gott! SARAH. Armes Herz! – sag doch, was hast Du? CLAUDINE leise und rasch, fast weinend. Mißraten – total mißraten meine Toilette für heut abends. {SARAH. Und das ist alles? CLAUDINE. Ich denke, es ist genug!} SARAH. Kinderei! Mach Dir nichts draus. CLAUDINE. Du hast leicht reden, Dein Kleid ist entzückend, zum Niederknien. SARAH. So nimm’s! Ich tausche. CLAUDINE. Sarah! – Das tätest Du? Du Engel! SARAH. Ohne weiters! CLAUDINE. Mama! Mama! Leise zur Gräfin. Sie tauscht! MELANIE die während dieses halblaut geführten Gespräches eifrig mit Paul gesprochen hat, der, immer nach Sarah hinüber blickend, nur zerstreut zuhört. Gewiß! Ein Prachtpferd, Vollblut. PAUL. Halbblut.

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CLAUDINE mit der Gräfin flüsternd. Was soll ich tun? GRÄFIN. Depreciere und – nimm an! – CLAUDINE. Wir müssen doch zur Schneiderin. GRÄFIN. Natürlich! Einiges wird jedenfalls zu ändern sein, obwohl Ihr so ziemlich von einer Größe und Gestalt. – Sarah! umarme mich, Du Gute! Gerührt. Du bringst ein großes Opfer {und ich muß mir’s als Opfer auferlegen, Dein Opfer anzunehmen. Allein was tut man nicht für seine Kinder!} SARAH lacht. Opfer? ... Sind das Faxen wegen eines armseligen Kleides! GRÄFIN. Kind! Kind! – keine freigeisterischen Äußerungen! {Geheimnisvoll. Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ weil sie einmal in einer Balltoilette ganz abscheulich ausgesehen.}

Achter Auftritt VORIGE. THERESE. HECTOR mit verbundener Hand.

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THERESE. Da bringe ich einen Blessierten. ALLE. Einen Blessierten? THERESE. Wir kehren hier ein, um dem Patienten das Steigen einer Treppe zu ersparen und haben uns die Freiheit genommen, Eis zu bestellen. ALLE umringen Hector und rufen durcheinander. Was fehlt ihm? Was hat er sich getan? HECTOR. Nichts. SARAH. O die klaffende Wunde! GRÄFIN. Nichts? Um so besser. Schön, schön! Zum Diener, der eine Kanne, ein Becken, etc. bringt. Ist endlich angespannt? DIENER. Zu dienen, Frau Gräfin. Diener ab. SARAH um Hector beschäftigt. Wie Du blutest! MELANIE. Schrecklich, auf Ehre! CLAUDINE nachdem sie Hectors Hand lange neugierig angesehen. Das kann man gar nicht ansehn. Ich werde gewiß die ganze Nacht davon träumen! HECTOR. Macht keine Geschichten. SARAH verbindet ihn. Was träumen! – Helfen heißt es und nicht – träumen! Zu Hector. Es tut recht weh? HECTOR. Gar nicht. GRÄFIN. Nun – ich bin beruhigt. SARAH zu Hector. Wie ist denn das geschehn? Depreciere (H1) ] Degreciere Schreibfehler

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HECTOR zuckt die Achseln. So. PAUL. Hast Du Dich geschlagen? HECTOR. Nein. PAUL. Bist gestürzt? HECTOR. Nein. PAUL. Hat Dich ein Pferd, ein Hund gebissen? HECTOR. Nein. PAUL. Aber – Donnerwetter. HECTOR. Niki Bentheim sagt im Klub, daß er Messer werfen kann wie die ... die Wilden. Es soll nur einer die Hand an die Tür halten, er wird Messer werfen, knapp herum um die Hand. Die andern sagen: Messer werfen ist nichts, aber die Hand hinhalten – das ist was! Wer tut’s? – – Niemand will’s tun. Da hab ich’s getan. SARAH. Welcher Unsinn! GRÄFIN anerkennend. Ah! – Ah! MELANIE. Allen Respekt! CLAUDINE. Superb. SARAH. Wenn unsere Dorfjungen so dummes Zeug treiben wollten, na, der Herr Schulmeister ... ich danke! THERESE umarmt Hector. Das ist mein toller, mein unverbesserlicher Mann! – Geh, ich bin stolz auf Dich. HECTOR. Das erste Messer fliegt gut – das zweite acht Linien zu weit, das dritte – Betrachtet seine Hand. PAUL. Fünf Linien zu nah! HECTOR. Hm – so etwas. SARAH. Aber Hector! – Warum hast Du denn die Hand hingehalten? HECTOR. So – aus Sport. SARAH. Aus – Sport? GRÄFIN. Melanie, Claudine kommt. Therese mache Du die honneurs. Ich bitte sich nicht zu derangieren. THERESE. Graf Paul Sie bleiben noch. PAUL reicht der Gräfin den Arm. Erlauben Sie mir wenigstens Sie zu Ihrem Wagen zu führen, Frau Gräfin. GRÄFIN. Sie sind wirklich zu liebenswürdig! Gräfin, Paul, Melanie, Claudine ab. THERESE zu Hector. Wär’s nicht besser, Lieber, Du gingest jetzt hinauf in Dein Zimmer und legtest Dich ein wenig auf den Divan? HECTOR. Ich? – Ich muß auf die Reitschule. THERESE. Aber denke doch – HECTOR. Denken? – Ich? –

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THERESE. Welcher Schrecken! – Das Denken ist uns verleidet, nicht wahr? – seitdem wir – Ihm in’s Ohr, neckend. nicht mehr an die: „reizende“ Lovely denken dürfen. HECTOR. Reizend, ja, wie eine welke Citronenschale. THERESE. Du sprachst anders in Deiner Junggesellenzeit. HECTOR. O nein. THERESE. Possen! – Wenn sie Dir nicht gefiel, warum machtest Du ihr den Hof? HECTOR. So – aus Sport. SARAH. Aus – Sport? Paul kommt zurück. SARAH wendet sich rasch an ihn. Graf Paul, was ist denn „Sport“? THERESE. Sarah! HECTOR. Sie fragt was Sport ist. Haha! PAUL. Lache nicht, antworte! HECTOR. Das weiß ja jeder Mensch was Sport ist. SARAH. Ich weiß es nicht, gewiß nicht. Ich habe schon in Heyse’s Fremdwörterbuch nachgeschlagen. Darin jedoch steht, es sei Spiel, Scherz, bei Euch ist Sport Ernst, Auf Hectors Hand deutend. blutiger Ernst. PAUL. Es gibt eben zwei Sorten von Sport, den zahmen und den tollen. Wir üben den tollen aus. SARAH. Auch Sie, Graf Paul? – Auch Sie haben den Sport? PAUL. Anfälle davon, zu Zeiten! SARAH. Er tritt also auch sporadisch auf? Ist er eine Krankheit? ein Miasma? {THERESE. Oh Waldfräulein!} PAUL. Ja wohl! und wenn er irgendwo einen leeren Kopf findet, gleich schlüpft der Sport hinein, und hat er einmal ein Wurzelchen geschlagen, dann ist sein Wachstum pilzenhaft. Er frisst den Sinn für Ernstes und Wichtiges, er entwickelt den physischen Mut, die physische Kraft, den falschen Ehrgeiz. Dämonisch an ihm ist, daß er die Begeisterung für das Göttliche tötet und die Begeisterung entzündet für – den Pferdefuß. HECTOR. Heißt das was? PAUL. Aus Sport wagt man sein Leben an einen Sprung über eine Hecke. Aus Sport wirft man seiner Väter Erbe mit einer Karte auf den grünen Tisch. Aus Sport verführt man seines Freundes Frau ... HECTOR. Hoho! – Das tut man, weil diese Frau verführt sein will. THERESE. Nicht immer. HECTOR. Bitte Dich! THERESE. Ich weiß! Ich weiß! Dir ist Frauentugend ein Märchen. Die beste Frau ... HECTOR. – Hat ihre schwachen Stunden.

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THERESE. Entsetzlich! – Und solche Reden führt er vor diesem Kinde! – Sarah, ich habe oben meine Uhr vergessen. Hole sie, ich bitte, sie liegt in meinem oder in Hectors Zimmer, oder im Salon. Geh, mein Kind. SARAH. Ich bin gleich wieder da. Sarah ab. THERESE zu Paul. Sie hören welche Meinung er von den Frauen hat. Er! – ein Mann den ich geheiratet habe. Zu Hector hintretend. Und ich? Bin ich eine Ausnahme? HECTOR seufzt. Jetzt ärgert sie sich wieder. THERESE. Das nimmt ihn Wunder. HECTOR. Mich? – mich nimmt gar nichts Wunder. PAUL. Er ist ein Sportsman. THERESE. Eins, denk ich, eines müsste Dich dennoch Wunder nehmen. Wenn Dir bewiesen würde, daß es treue Frauen gibt – Frauen, {die ihrem Mann liebevoll zugetan bleiben, auch wenn er es nicht um sie verdient. Frauen,} die unzugänglich sind jeder Schmeichelei, taub jeder Liebeserklärung – HECTOR. Liebeserklärung? – Jetzt muss ich aber auf die Reitschule. THERESE. Auf die Reitschule?! HECTOR. Adieu, Therese. Um drei Uhr kommt der Wagen. Lass die Pferde nicht lange stehn. Der Fandango hat gestern zweimal gehustet. Ab. {THERESE. Gut! – schon gut! – vortrefflich! HECTOR im Abgehen halblaut zu Paul. Meinst Du wirklich, daß es Frauen gibt – wie sie sagt? Ich meine: Eine wie die Andere. Und wenn Du heiratest ... freilich man tut besser, man heiratet gar nicht. Hector ab.} THERESE. Sie wollten mir’s nicht glauben – sind Sie jetzt überzeugt? – So denkt er von uns Frauen! – So spricht er von uns! PAUL. Sie nehmen das alles viel zu – THERESE. Aber er muß bekehrt werden, überführt! Vor der Tugend seiner Frau wenigstens muß er lernen Respekt zu haben! PAUL. Ich bin überzeugt, den hat er schon jetzt. THERESE nach einer Pause. – Graf Paul Nordheim, sind Sie mein Freund! PAUL. Ich schwör’s. THERESE. – Tun Sie mehr, beweisen Sie! PAUL. Wodurch – womit? – was soll ich? THERESE. Sie sollen mir eine Liebeserklärung machen, und er soll sie hören und ich will sie abweisen, mit einem Stolz! einer Unbarmherzigkeit! ... So ist noch nie eine Liebeserklärung abgewiesen worden. PAUL. Ich danke. THERESE. Wie? PAUL. Ist das Ernst? THERESE. Der feierlichste. PAUL. Und wie wollen Sie die Komödie in Szene setzen, in der ich eine so dankbare Rolle habe?

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THERESE. Meine Sorge. Sie haben keine andere als heut um neun Uhr, eine Stunde vor dem Balle, auf dem ich, nebenbei gesagt, den Cotillon mit Ihnen tanze. PAUL. Verzeihen Sie, das ist unmöglich. THERESE. – Weil? PAUL. Weil ich beabsichtige Gräfin Sarah zu engagieren. THERESE. Ei seht doch! – Und Ihre Mutter? – Bisher erlaubte sie Ihnen den Cotillon nur mit verheirateten Frauen zu tanzen. PAUL. Seit einiger Zeit pflegt meine gute Mutter auf jedem Balle – vor dem Cotillon einzuschlafen. THERESE. Gut. – Um neun Uhr also sind Sie bei mir, im blauen Salon, der an Hectors Schreib – o giftige Ironie des Tapezierers: – Schreibzimmer stößt. PAUL. Aber um neun Uhr ist ja Hector niemals in seinem Schreibzimmer. THERESE. Heut wird er dort sein. Der Fandango hat nicht umsonst gehustet. Dieser Husten, mein Gemal, kommt mir sehr gelegen! PAUL. Wie wollen Sie es bewerkstelligen – THERESE. Ich kann in meinem Hause alles bewerkstelligen. Ich habe einen dienstbaren Geist, dessen Hilfe ich niemals umsonst anrufe. PAUL. Sie machen mich neugierig. {THERESE. Soll ich Ihnen mein Geheimniss verraten? PAUL. Verraten Sie.} THERESE. Mein lieber Graf! wenn ein junger Mann von Familie sechzehn Jahre alt wird, so geht er bei uns – PAUL. – Zur Kavallerie. THERESE. Richtig. Und man gibt dem Kinde eine – Kinderfrau mit in Gestalt eines bewährten Dieners, auf daß er die Börse, den Stall – und wol auch das Herz seines kleinen Herrn überwache. In Kurzem bekommt dieser das Garnisonsleben satt. Er quittiert und –? PAUL. Heiratet. THERESE. Richtig. Der alte Diener, der ihm inzwischen unentbehrlich geworden, wird nun der natürliche Feind der jungen Frau. Ist diese unklug, so lässt sie sich mit ihm in einen Kampf ein um die Herrschaft über den Herrscher. Ist sie klug, so benützt sie s e i n e n Einfluss, um den i h r e n zu begründen. Das stellt sie auf folgende Weise an: – Soll der Mann – {in seinem Interesse natürlich, es handelt sich immer nur um sein Interesse!} von irgend etwas a b g e h a l t e n werden, dann sagt die Frau zum Hausgeiste: „Mein lieber Franz“ – der unsere heißt Franz – „sorgen Sie doch dafür, daß der Graf dies t h u e ...“ PAUL. – Verstehe! THERESE. Soll der Mann hingegen zu irgend etwas bestimmt werden, dann sagt die Frau: „Lieber Franz, sorgen Sie doch dafür, daß der Graf dies – b l e i b e n lasse ...“

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PAUL. Das Mittel ist – THERESE. Untrüglich! Glänzende Erfolge sprechen für die Vortrefflichkeit der Methode. PAUL. Sie sind stark. THERESE. Fassen Sie denn Vertrauen und kommen Sie schlag neun mit Ihrer schönen, kleinen Liebeserklärung auf der Zunge, in den – PAUL. – In den blauen Salon. Für sich. Da habe ich mich in eine schöne Geschichte eingelassen! Laut. Wollen Sie mir jetzt erlauben Ihnen einen Rat zu geben? THERESE. Sprechen Sie. PAUL. Gräfin Sarah wird wohl heut abends meiner Mutter vorgestellt werden? THERESE. Gewiß. PAUL. Und – Sie wünschen sicherlich, daß sie ihr gefalle? THERESE. Ohne Zweifel. PAUL. Nun, dann sorgen Sie vor allem dafür, daß der erste Eindruck ein günstiger sei; er ist bei meiner Mutter entscheidend. Von einem gefassten Vorurteil kommt sie niemals zurück. Jenen – ersten Eindruck jedoch bestimmen Kleinigkeiten ... Zum Beispiel, der Augenblick. Wählen Sie ihn günstig! – Die Toilette. Meine Mutter schließt erst vom Kleide auf – die Seele. THERESE. Der Schneiderin? PAUL. Oh! THERESE. Seien Sie ruhig. Sarahs Kleid wird reizend sein. PAUL. Und die Verneigung, die Haltung – alles wichtig! – Meine Mutter imponiert gerne ... O wenn Gräfin Sarah es dahin brächte bei der heutigen Vorstellung etwas verlegen zu sein, das wäre herrlich! THERESE. Sie nehmen ja sehr großen Anteil an der Kleinen. PAUL zurückhaltend. Sehr großen. – Sie kommt.

Neunter Auftritt VORIGE. SARAH.

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SARAH. Hier ist Deine Uhr. Alle Winkel habe ich durchsucht. Sie lag – THERESE. Nun? – Wo lag sie denn? SARAH. Auf Hectors Schreibtisch, ganz wunderschön, im Etui, auf rosenfarbenem Seidenpapier. Gibt ihr die Uhr und tritt zu Paul. THERESE. Dies ist nicht meine Uhr. Während des Nachfolgenden sprechen Paul und Sarah zusammen.

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THERESE für sich. Das ist eine ganz neue. Allerliebstes Ding! – Hector! exzellenter Mensch; er denkt an meinen morgigen Geburtstag! – Jetzt tut es mir beinahe leid, daß ich ... Was denn? Ich will ihm ja eine Freude machen. Erfahren soll er, welche Frau, die seine! PAUL sein Gespräch mit Sarah fortsetzend. Und was schreibt Ihr Pflegekind noch? SARAH. Sie schreibt noch, die arme Kleine, sie sei besorgt um ihren Bruder, um den Peter, der hier ist einen Dienst zu suchen und der nichts von sich hören lässt. Da trägt sie mir denn tausend Dinge an ihn auf. PAUL. An den Peter? SARAH. Ja. Sie meint, in der großen Stadt wisse jedermann so gut Bescheid über den Peter Seidl, wie auf unserem Dorfe. THERESE. Sarah! Sarah! Du bist wieder mitten {drin} in der Idylle. {Das Dorf und der Peter, und was weiß ich! Zu Paul. Sie aber hören zu und machen ein Gesicht als ob es Sie interessierte. PAUL. Es interessiert mich auch und – THERESE.} Ich aber muss diese schäferliche Unterhaltung stören. Zu Sarah. Ich habe Wichtiges mit Dir zu besprechen, dann kommt die marchande de modes, dann wird ausgefahren, mit einem Wort: Geschäfte über Geschäfte! SARAH zu Paul. Und Sie werden wohl auch Geschäfte haben, wichtigere als wir. PAUL lächelnd. Ich? – Nein, ich habe keine Geschäfte. SARAH. Gehen Sie nicht in die Kammer? Sie sind ja erbliches Mitglied. PAUL. Ich bin’s, überlasse es aber Klügeren als ich, dort ihre Weisheit auszukramen. Auch fehlt mir die Zeit. SARAH. Das begreife ich nicht. Sie haben keine Geschäfte und Sie haben auch keine Zeit? THERESE streng. Sarah! SARAH. Ich darf doch fragen. PAUL. – Es gibt gesellige Verpflichtungen, die man erfüllen muß. – Es gibt Zusammenkünfte – bei Tische ... SARAH. Ja, Diners. PAUL. – auf Bällen, im Klub, im Theater ... SARAH. Ja, ja, allerlei Unterhaltungen. PAUL. Es gibt – equestrische Übungen ... SARAH lacht. Sie sind sehr spassig! PAUL. Ganz unwillkürlich, Gräfin, ganz unwillkürlich! SARAH. Und wie ernsthaft er das alles sagt! THERESE. So meint er’s auch. SARAH. So meint er’s? Ihr wollt mir weis machen, daß es erwachsene Leute gibt, die den ganzen Tag nichts tun, als spazieren gehen, essen und spielen, wie die kleinen Kinder? PAUL. Aber Gräfin ...

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THERESE. Genug jetzt! SARAH zu Paul. Haben Sie keine Güter zu verwalten? PAUL. Die Verwaltung meiner Güter besorgt mein alter Direktor. SARAH. Und Sie schämen sich nicht, den alten Mann arbeiten zu lassen und müssig zu gehen, ein junger, gesunder Mensch wie Sie. THERESE. Graf Paul – skandalisieren Sie sich nicht! PAUL halblaut zu Therese. Man muß sie erziehen. SARAH. Nehmen Sie sich ein Beispiel an meinem Onkel Robert. Den habe ich in der Kammer reden gehört. Seine Worte flogen wie die Pfeile, und jedes traf sein Ziel: – des Gegners aufgestellten Grund – daß er hinsank wie ein toter Mann! – Es war schön, Graf Paul, denn ich fühlte wohl, daß Robert eigentlich gegen seinen Vorteil sprach, daß er für sich nichts nahm als das Recht, Armen zu helfen, Unterdrückte zu beschützen. Und als er schloss: „Ein Pereat der Selbstsucht! Hoch – die Anderen!“ – Da war es stille rings um ihn, aber in meinem Herzen jauchzte und rief’s: „Hoch Du selbst, Du guter Onkel Robert!“ THERESE zu Paul. Ich b i t t e Sie, skandalisieren Sie sich nicht! SARAH. Was? PAUL. N–ein – i c h skandalisiere mich nicht ... Aber ich fürchte, daß die meisten – – Zu Sarah warm. Theuerste Gräfin, Sie gehen abends auf den Ball – reden Sie von solchen Sachen auf dem Balle nicht! THERESE. Überlassen Sie mir’s, die Kleine zur Vernunft zu bringen. – Leben Sie wohl; das heißt, leben Sie in Erwartung des Wiedersehens – um neun Uhr. PAUL. Um neun Uhr. Verneigt sich und will gehen. SARAH. Ihre Hand! – Nicht so förmlich. So ist’s recht! – Der Cotillon also? PAUL. O, wenn Sie ein wenig anders werden – nicht werden! nur sich ein wenig anders g e b e n wollten! – nicht meinetwegen, aber wegen der – verwünschten Leute ... Innig. Was mich betrifft – Abbrechend. – Sie werden heut meine Mutter kennen lernen, ich wünschte s e h r , daß Sie ihr gefielen! – Leise zu Therese. Vergessen Sie nicht, der erste Eindruck entscheidet! Sich verneigend. Gräfin! Zu Sarah. Gräfin! Paul ab. SARAH. Was will er? – ich soll mich anders geben? THERESE. Komm Sarah, setze Dich zu mir. SARAH setzt sich auf einen Schemel neben dem Fauteuil auf dem Therese Platz genommen hat. THERESE. Der heutige Tag ist für Dich ein großer Tag, Sarah. Es ist der Tag Deines ersten Balles. Der Platz, auf den Du Dich heute stellst, der bleibt der Deine. Merke eines vor allem, es ist das ABC der Komtessen-Fibel: – man tanzt mit keinem uneleganten Tänzer. SARAH. Aber – wenn ein uneleganter mich auffordert? THERESE. So sagst Du: – „Ich bin schon engagiert.“ SARAH. Aber wenn’s nicht wahr ist?

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THERESE. Gleichviel, Du sagst es. SARAH. Lügen?! Das kann ich nicht. THERESE. Ach was! man kann alles, nur wollen muß man. Der Glaube an die eigene Kraft, der versetzt Berge. SARAH. Der Professor meint – THERESE. Lass mich mit dem Professor zufrieden! – Überhaupt ist es ganz ungehörig einen Professor immer im Munde zu führen. Du erzählst beständig von ihm und von Deiner alten Tante, damit machst Du D i c h lächerlich, und s i e . SARAH. Lächerlich? – die Tante? – den Professor?! Du kennst sie nicht. THERESE. Noch etwas. Du hast viel gelernt. SARAH. Ich?! THERESE. Du mußt Dich außerordentlich hüten es merken zu lassen. SARAH. Das – wird nicht schwer halten! THERESE. Du redest oft Dinge, die total unpassend sind; zum Beispiel, neulich, mit Onkel Robert, vor dem ich Dich übrigens warne – SARAH. Vor dem Onkel?! Dem Edelsten den ich kenne, außer meinem Prof... Hält plötzlich, sich besinnend inne. THERESE. Dem Onkel, mein Kind, geht man in der Welt aus dem Wege. Er ist schlecht angeschrieben in der Gesellschaft und bei Hofe. SARAH. Was liegt denn mir daran? THERESE. Es hat Dir daran zu liegen. – Willst Du hören was der Onkel ist? – willst Du’s? – er ist: demokratisch gesinnt. SARAH. Nun – wenn’s seine politische Überzeugung ist – THERESE schlägt die Hände zusammen. Um Gotteswillen! – SARAH. Hab ich wieder etwas Unpassendes gesagt? ... Und – was denn neulich, dem Onkel? THERESE. Ganz recht! neulich beim Empfang des englischen Gesandten, sprachst Du mit Robert, vor Zeugen noch dazu, von einer Statue der Juno! SARAH. Das war unpassend? THERESE. Zweimal – erstens klingt’s gelehrt – SARAH lacht auf. THERESE. Und ein gelehrtes Mädchen findet keinen Mann – und zweitens schickt sich’s gar nicht, von Statuen zu sprechen. Deine Juno! Wer weiß, ob sie angezogen war! SARAH. Das ist – Scherz – nicht wahr? und jetzt lachst Du wieder! Fällt Theresen um den Hals. Bist nicht mehr böse auf das arme Waldfräulein? THERESE. Willst du Dich bessern? SARAH. Meinetwegen! THERESE. Keine gelehrten Gespräche mehr? {SARAH. Keine mehr! THERESE. Keine Äußerungen des Entzückens mehr über Robert’s Politik?

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SARAH. Aber – THERESE. Graf Paul bat so schön!} SARAH seufzend. Keine mehr! THERESE. Keine Erwähnung des Professors mehr? SARAH. Keine mehr! um seinetwillen. THERESE. Kein Aufsuchen mehr der Celebritäten des mauvais genres – Comtessen Moorheim und dergleichen? SARAH springt auf. Das begehre nicht! nur dieses Einzige nicht! – Wenn ich sie so traurig dastehen sehe, die Hässlichen, die Verpönten – allein, mitten unter den Ihren – und warum? weil der über sie gelacht, weil jener sie nicht gegrüßt, weil ihre Mutter nicht hoffähig gewesen, oder was weiß ich! – wenn ich sie sehe förmlich betteln, um ein gutes Wort, einen freundlichen Blick, und die Andern, die – wie Ihr sagt: – „Eleganten“ gehen an ihnen vorbei und sehen weg {oder messen sie und lächeln} – – Donner und Doria! da heißt’s an mich halten, sonst ... Sie ballt die Faust. THERESE mit unterdrücktem Lachen. Hilf Gott, mit dem Kinde kommt es noch zu einem Exzess! {SARAH. Sei ruhig – ich tu’s ja nicht. – Aber auf die Verlassenen zuzustürzen, ihnen die Hand zu reichen, ihnen zu sagen: M i r seid Ihr schön – i c h liebe Euch – Wollt Ihr etwas das ich habe? – hier ist es! – Braucht Ihr mich? – hier bin ich! – das, so wahr ich die Sarah bin, das soll mir niemand wehren! THERESE. Niemand? SARAH. Niemand! THERESE. Auch nicht – Graf Paul? SARAH. Der denkt so klein nicht wie Ihr! Der ist nicht elegant, weil er dies tut und jenes bleiben lässt, der ist elegant von Natur und bedarf all der Künsteleien nicht! THERESE. Oh! Oh! welche Begeisterung! Zieht sie auf ihren vorigen Platz zurück. Du bist ihm gut, scheint mir, dem Grafen Paul? SARAH. Von ganzem Herzen. THERESE. O Waldfräulein!} SARAH. Therese, wird’s mit mir gehen in der Welt? – – Es wird n i c h t gehen, Therese. – Schickt mich heim in unser trautes, altes Schloss, zu meiner Tante, zu meinem Professor. THERESE. – Zur Kathrein und zum Peter – vive Dieu! Da hätten wir einmal wieder die ganze Gesellschaft beisammen! SARAH. Der arme Peter ist nicht dabei. THERESE. Wir wollten versuchen ohne ihn fertig zu werden. Vorwärts nun, in den Kampf – das Herz bleibt zuhause und draußen tun wir, als ob wir gar

Moorheim ] Moosheim Schreibfehler

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keines hätten! – Komm, wir fahren ein wenig aus, das erfrischt, und nach dem Speisen dann – zu den Waffen! ich will sagen: zur Toilette! Therese ab nach links. Sarah folgt ihr. Beim Vorübergehen an dem Blumentisch bleibt sie plötzlich stehen. SARAH. O die armen Blumen! Schellen an der Haustür. Alle welk und halb verdurstet! Ergreift die Kanne die auf dem Tische stehen geblieben. Ja, Blumen müssen sie haben, allein daß jemand für sie sorgte! Begießt die Blumen.

Zehnter Auftritt VORIGE. GRÄFIN NORDHEIM. DIENER.

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DIENER. Euer Erlaucht! Die Damen sind eben im Begriffe auszufahren. GRÄFIN NORDHEIM. War mein Sohn hier? DIENER. Seine Erlaucht waren hier. GRÄFIN NORDHEIM. Wann? mit wem? wie lange blieb er? DIENER. Vielleicht eine Stunde, Euer Erlaucht. GRÄFIN NORDHEIM für sich. Eine Stunde – o Gott – in einem Hause in dem es drei Töchter gibt und alle heiratsmäßig! O mein armer Engel! Wendet sich zum Abgehen. DIENER eilt voran und öffnet beide Flügel der Türe. Was habe ich der Frau Gräfin zu melden? GRÄFIN NORDHEIM. Melden Sie, daß die Gräfin Nordheim hier war und nach ihrem Sohn frug! Will gehen. SARAH, die mit den Blumen beschäftigt an dem Vorhergehenden keinen Anteil genommen, stürzt, als die Gräfin sich nennt, auf diese zu. Sie sind die Gräfin Nordheim? Sie sind seine Mutter? GRÄFIN NORDHEIM. – Seine? ... Wessen? ... SARAH ohne sich unterbrechen zu lassen. Ach, so erlauben Sie, daß ich Ihre Hand küsse! Wie wird Graf Paul sich freuen, wenn er hört, daß wir uns schon kennen! GRÄFIN NORDHEIM abwehrend. „Wir?“ – wer ist denn das? ... SARAH wie oben. Er wünscht so sehr, daß ich Ihnen gefalle – GRÄFIN NORDHEIM. Ha! SARAH. Und es ist auch mein innigster Wunsch. Mein ganzes Herz fliegt Ihnen zu – Sie sind ja seine Mutter! Ich liebe Sie schon – lieben Sie mich auch ein wenig! GRÄFIN NORDHEIM. Junges Mädchen, Sie sind ... Ja – w e r s i n d S i e d e n n ? SARAH. Ich bin Sarah.

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GRÄFIN NORDHEIM. Sarah – was? – SARAH. Sarah Hochburg. GRÄFIN NORDHEIM. Das Waldfräulein! SARAH. So nennen sie mich. GRÄFIN NORDHEIM. Und Sie machen dem Namen Ehre. Für sich. Sie ist schrecklich aber – nicht übel – und die Jugend ... Nun, wenn man nur die Gefahr k e n n t , dann wird man ihr begegnen! Sie geht ab. Diener folgt ihr. SARAH allein. – Jetzt möchte ich nur wissen – hab ich ihr gefallen oder nicht?

Zweiter Aufzug Salon bei Therese. Mitteltüre im Hintergrunde. Rechts und links in den Vorderkulissen Tapetentüren. Links im Hintergrunde, die Zimmerecke abschneidend der Eingang zu einem Erker; schwere Vorhänge an Fenstern und Türen. Großes Etablissement, in der Mitte, kleines Canapée und zwei Fauteuils in der Nähe der Tapetentüre rechts. Lampen auf dem Tische und dem Kamin.

Erster Auftritt THERESE. FRANZ.

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THERESE tritt in Balltoilette von links auf. War der Arzt da? FRANZ. Zu dienen, Frau Gräfin. THERESE geheimnissvoll. Hat er den Fandango gesehen? FRANZ. Deshalb ist er ja geholt worden. THERESE. Ich habe den Arzt bitten lassen, einen Bericht aufzuschreiben. Wo ist er? FRANZ überreicht ihr ein Blatt Papier. Hier! THERESE. So lang? ei, ei! – Im Vertrauen mein lieber Franz, ich bin in Angst um den Fandango. Das Pferd kommt mir ganz kurios vor. FRANZ. Da sollte man aber doch dem Herrn Grafen – THERESE. Nur nichts sagen! Wenigstens jetzt nicht. Der Fandango muß heute durchaus noch einmal eingespannt werden. FRANZ. Es könnten aber die Braunen – THERESE. Es m ü s s e n die Rappen eingespannt werden! FRANZ zwischen den Zähnen. Caprizen! THERESE. Morgen, wenn es schon nicht anders sein kann – FRANZ wie oben. Und wenn’s zu spät ist! – THERESE. Morgen wollen wir mit der Wahrheit herausrücken. Nehmen Sie den Bericht, mein lieber Franz, und legen Sie ihn m o r g e n auf den Schreibtisch des Grafen, m o r g e n , Sie verstehen? nur nicht etwa heut! nur nicht etwa schon jetzt! – Er kommt – still! FRANZ für sich. Geheimnisse! Immer Geheimnisse! Franz ab durch die Mitte, während Hector durch dieselbe auftritt.

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Zweiter Auftritt THERESE. H ECTOR.

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HECTOR. Schon angezogen? Wann geht Ihr? THERESE. Die Stunde ist um neun, folglich gehen wir um zehn Uhr. Kommst Du mit? HECTOR. Ich? – ich muß in den Club. THERESE. O dieser Club! Ich bitte Dich lass den Club Club sein und komm mit! Es ist mir so unangenehm immer allein in die Welt zu gehen. HECTOR gähnt. Du hast Deine Schwester. THERESE. Aber die Leute fragen mich: „Wo ist Ihr Mann?“ Wir sind doch erst ein Jahr verheiratet, was soll man denken, wenn man uns nie zusammen sieht? HECTOR. Was? – Daß ich im Club bin. THERESE. Mach einmal eine Ausnahme, nur heut – HECTOR hat sich auf das Canapée gesetzt, lehnt den Kopf zurück und schließt die Augen. Kann nicht, hab gestern zu viel gewonnen im Ecarté. Muß Revanche geben. THERESE tritt zu ihm. So kamst Du nur um mir Lebewohl zu sagen? HECTOR ohne seine Stellung zu verändern. Ich bin gekommen um Dich zu bitten die Pferde nicht warten zu lassen. THERESE zärtlich. Sonst hast Du mir nichts zu sagen? HECTOR. Gar nichts. THERESE. Wie seh ich denn aus in meiner Balltoilette? Bist Du mit mir zufrieden? HECTOR. Sehr zufrieden. THERESE. So mache doch nur die Augen auf! FRANZ meldet. Der Friseur bittet, er hat Eile. THERESE. Ich komme. Franz ab. HECTOR. Ich habe geglaubt, Du bist fertig. THERESE. Eine Blume wird noch aufgesteckt. – Gute Nacht, Du Unmensch, der mich nicht ansieht – HECTOR. Oh! THERESE. Dem ich nicht gefalle – HECTOR sich aufrichtend. Oh! – Oh! – THERESE. Der mich nicht mehr liebt – HECTOR küsst ihr die Hand. Oh! – Oh! – Oh! – THERESE. Gute Nacht denn! HECTOR. Gute Nacht. Therese ab nach links.

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HECTOR sinkt in seine frühere Stellung zurück. Herzige Frau. – Wenn ich nur nicht so schläfrig wäre. – Herzige Frau. – Arme Lovely! FRANZ kommt. Herr Graf! HECTOR. Was willst Du? FRANZ. Dem Fandango – HECTOR im Halbschlaf. Kapitales Thier – vom Rothschild – aus der Jungfrau von Orléans. FRANZ. Dem Fandango geht’s schlecht. HECTOR emporschnellend. Was? Sich besinnend. Nichts fehlt ihm. FRANZ. Es muß ihm doch etwas fehlen. Die Frau Gräfin haben im Geheimen den Pferdedoctor kommen lassen. HECTOR. Pferdedoctor? FRANZ. Und der hat im Geheimen einen Bericht aufgeschrieben – HECTOR steht auf. Den muß ich lesen. FRANZ. Und ich hab ihn im Geheimen auf Ihren Schreibtisch gelegt – HECTOR gähnt. Gut. – Zwei Nächte nicht geschlafen – – Also wo ist er, der Bericht? Ab nach rechts. Franz ab durch die Mitte. Gleich darauf tritt durch dieselbe:

Dritter Auftritt

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SARAH ein großes Bukett in der Hand. Liebe Therese ... Ah, sie ist bei der Toilette ... Ich halt mich fern, sonst heißt es gleich: „Nein, d a s Kleid! – Nein, so kann ich Dich nicht sehn! – Kind, wenn Du dem Grafen Paul gefallen willst! ...“ O ja, ich will Ihnen gefallen, Graf Paul, mir liegt daran, obwohl Sie ein Müßiggänger sind und blutwenig gelernt haben! Aber Sie können nachholen, Sie sind jung, und hätte der Himmel Ihnen einen Professor beschert, so wie mir, Sie wären schon jetzt, was Sie gewiß dereinst werden – ein prächtiger Mann! Ja, ja, und verdienten eine prächtige Frau. Das würde dann ein anderes Leben sein als die Leute hier ... Arme Therese! ... Sie kommt … Überrascht sie, ihr lieben Blumen, ihr schönen! – Ich verstecke mich und will mich weiden an ihrem Staunen über euch. Sie eilt auf den Erker zu, dessen Vorhänge sie hinter sich herabfallen lässt. Hier bin ich herrlich placiert.

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Dritter Auftritt ] Vierter Auftritt

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Vierter Auftritt DIE VORIGE. THERESE. Sie geht leise über die Bühne und schaut durch das Schlüsselloch der Tapetentüre rechts.

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THERESE. Richtig! Da sitzt er, auf dem Balzac, ganz vertieft in seiner Lectüre ... SARAH blickt aus ihrem Versteck hervor. Was tut sie denn? ... Sieht meine Blumen gar nicht ... THERESE halblaut. Jetzt wo der entscheidende Augenblick heran naht, wird mir fast unheimlich zumute. Man schellt ... oh hätte – Nun, ich werde doch die Courage nicht verlieren? DIENER meldend. Graf Nordheim. THERESE kleinlaut. Sehr angene... Sich ermannend. Sehr angenehm! Diener ab.

Fünfter Auftritt VORIGE. PAUL in Balltoilette.

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SARAH wie oben. Sehr unangenehm! PAUL. Gräfin! THERESE für sich. Nun gilt’s! Laut. Ei, Graf Paul! PAUL leise. Ist er da? THERESE leise. Er ist da. Beginnen Sie. PAUL. Gräfin! – THERESE. Was führt Sie hierher zu so ungewohnter Stunde? Leise. Fragen Sie ob er zuhause ist. PAUL. Ist Hector zuhause? THERESE. Ach nein! Leise. Freuen Sie sich. PAUL. Welches Glück! THERESE seufzt. Er ist l e i d e r nicht zuhause. PAUL. Sie bedauern das? – Natürlich. Sie lieben ihn. THERESE. Ja wohl, ich liebe meinen Mann. Sie wissen es. PAUL. Ich weiß es, aber – Mit Pathos. ich glaube es nicht! THERESE leise. Recht gut, nicht neu, allein recht gut. Laut. Sie glauben es nicht? PAUL. Weil ich es nicht glauben will! Weil mich’s zur Verzweiflung brächte! THERESE. Erklären Sie sich deutlicher. Ich verstehe Sie nicht.

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Vierter Auftritt ] Fünfter Auftritt Fünfter Auftritt ] Sechster Auftritt

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PAUL. O heilige Einfalt! vor der ich mein Knie beuge ... Ja! – Sie sind eine tugendhafte Frau, und ich – ich bin – – Sucht den Ausdruck. Leise. Was bin denn ich? THERESE soufflierend. Ein wahnsinniger Thor! PAUL leise. Erlauben Sie! ... THERESE flehend, leise. Ich bitte! PAUL leise. Nun, wenn’s sein muß! Laut. Ein wahnsinniger Thor! THERESE. Ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, davon hätte ich nichts bemerkt. PAUL. Sie verstehen nicht, Sie bemerken nicht! – – so muß ich denn sprechen, klar, bündig – SARAH aus ihrem Versteck. Was machen die für albernes Zeug? Ich mag nicht lauschen, nein. Im Augenblick wo sie heraustreten will, hat Paul sich gegen sie gewandt. Sie zieht sich zurück. Oh! PAUL leise. Dort hinter dem Vorhang hat sich etwas geregt. THERESE. Ein Gespenst vielleicht. Fürchten Sie sich? PAUL für sich. Lächerlich. Aber dieser Spott ist mir unangenehm. Laut. Scherzen Sie nicht. Hier ist kein Grund zu scherzen, und nicht um Ihnen Spaß zu machen bin ich gekommen. THERESE. – Setzen Sie sich. PAUL. Nein! ... Ich will knien. Er setzt sich. Hier, zu Ihren Füßen … THERESE. Was fällt Ihnen ein? PAUL. Mir fällt ein, daß Sie schön sind und daß ich Sie liebe. THERESE. Stehen Sie auf. PAUL. Nein! THERESE. Ich befehle es! PAUL. Aber – ich liebe Sie! THERESE. Für wen halten Sie mich mein Herr? – Ich bin eine Frau – PAUL. Eben deshalb – THERESE. – Eine Frau die brav ist, die verheiratet ist, und die jeden Mann der sich erdreistet ihr eine Liebeserklärung zu machen, verachtet! PAUL. Wie? Für sich. Das ist aber doch – THERESE. Fort! Wagen Sie es nie wieder die Schwelle dieses Hauses zu überschreiten. – PAUL. Was?! THERESE. Außer Sie kommen als ein ganz veränderter Mensch. Leise. Stammeln Sie einige Worte und gehen Sie. PAUL steht auf, für sich. – Zu dumm! – aber – ich ärgere mich wirklich. THERESE. Nun, so gehen Sie doch, mein Herr! PAUL von ihr wegtretend, für sich. Ich wollte Hector stürzte hervor und forderte mich. Später klärt sich dann alles auf, und jetzt – könnte es dieser schönen Frau nicht schaden, zur Strafe für ihr frevelhaftes Spiel einige Angst auszustehen. Laut, entschlossen. Ich bleibe!

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THERESE leise. Nein, mein lieber Graf, im Ernste: gehen Sie. Ich danke Ihnen. Laut. Zum letztenmale, gehen Sie! PAUL. Das ist zu viel! – So, Gräfin weist man mich nicht ab! – {Was habe ich denn getan? Mein Herz habe ich Ihnen zu Füßen gelegt, das Herz eines Mannes!} THERESE flehend. Machen Sie ein Ende! PAUL ohne sich unterbrechen zu lassen. {Und mit ihm mein Leben, meine Treue!} Sie sind verheiratet, sagen Sie? – Tod und Hölle! – wenn verheiratet sein, heißt: beschützt, vergöttert sein, wenn es heißt, Ziel aller Wünsche sein und Inbegriff aller Sorgfalt und Liebe – dann sind Sie n i c h t verheiratet – {mit Hector wenigstens nicht!} THERESE in Todesangst, immer nach der Tür von Hectors Zimmer blickend. Ich beschwöre Sie! PAUL. Hector vernachlässigt Sie! {und ein Mann der seine schöne, seine junge Frau vernachlässigt, gibt sie der Verfolgung preis.} THERESE wie oben. Sie irren! es ist nicht so arg – PAUL. Zittern Sie! Andere werden kommen und Ihnen von Liebe sprechen. Andere als ich – THERESE. Bei Gott! Sie gehn zu weit! PAUL. Zu weit? – und ich knie noch? Wirft sich auf die Knie. Und ich habe noch Ihre Hand nicht berührt. Ergreift Theresens Hand und hält sie trotz ihres Widerstrebens bis zum Ende der Szene fest. THERESE. Lassen Sie mich! – Welche Sprache! – PAUL. O glückliche Frau! kennen Sie diese Sprache nicht? – es ist die Sprache der Liebe! – {Ihr Hector freilich, verschmäht es, sie zu sprechen – Aber Ihr Hector ist ja nicht der einzige Mann auf Erden. Sie waren blind – öffnen Sie die Augen, blicken Sie um sich, die Welt ist voll des Jubels – des Entzückens – und die Herzen in dieser Welt sind voll der Anbetung für Sie!} THERESE. Ist das Wahrheit? ist das Komödie? Mir schwindelt – PAUL. Hinweg mit der gespielten Unbefangenheit! {hinweg mit ihr wie mit einer Larve, die wir früher oder später uns doch vom Antlitz reißen.} Wahrheit sei zwischen Dir – THERESE entrüstet. Dir?! PAUL. Zwischen Dir und mir! Wir lieben uns – haben wir den Mut es zu gestehn! THERESE außer Fassung. Wahnsinniger – schweigen Sie! – Ich bin verloren – Sie sind verloren – wir alle sind’s! Reißt sich los und stürzt nach links, ab. PAUL lacht. Hahaha! Welche Angst! Nun, meine Holde, wenn Sie jemals wieder ein ähnliches Fest veranstalten – mich werden Sie dazu nicht mehr laden! – Aber – der Gemal? – – – Der hat starke Nerven. Warum kommt er nicht? Warum fordert er mich nicht? – Hält er mich für so ungefährlich? Ich finde beinahe, daß ich i h n fordern sollte, weil er m i c h nicht fordert. – Wie? –

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oder ist er am Ende gar nicht da? – Wir wollen doch sehn! ... Geht zur Türe rechts und öffnet. Hector … Ach so! – – Hahaha! nun begreife ich! – Macht die Türe leise wieder zu. – Das ist wirklich komisch! Gegen die Türe durch welche Therese abgetreten. O wenn Du wüßtest, was ich weiß! – aber ich sage Dir nichts – zittere nur noch ein wenig! Rasch und lachend durch die Mitte ab. SARAH schwankt blass und zitternd aus ihrem Versteck hervor. Was hab’ ich hören müssen?! müssen ja! – Ich wollte nicht lauschen – fliehen wollt’ ich und die Füße versagten – schreien wollt ich – und der Laut starb mir auf den Lippen. – „Wir lieben uns“, sagte er, und sie sagte nicht: Nein, und sie ist eine verheiratete Frau! ... O die glühenden Worte zuerst und dann das gellende Lachen ... Reden die ich nicht verstand – eine Drohung zuletzt – – Was war das alles? – Unrecht – schweres Unrecht! – Nach einer Pause. So seid Ihr also, Ihr Menschen in der großen Welt? – und lächerlich ist Euch, der nicht ist wie Ihr? – Nun, i c h will ewig lächerlich sein! – Verhöhnt will ich sein, verspottet von Euch allen – und anders, bei Gott! ganz anders als Ihr! – Bewundern will ich, was Ihr schmäht, in das Herz schließen, was Ihr verstoßt. – Missfall’ ich Euch, um so besser! ich w i l l keinem Menschen gefallen Mit den Tränen kämpfend. als alte Jungfrau will ich sterben, einsam und traurig, aber wenigstens treu und wahr! DIENER kommt. Die Frau Gräfin suchen die Comtess. Es ist Zeit zum Balle. Ab. SARAH heftig. Zum Balle?! – Tanzen, wenn der Himmel einstürzt? – Am Ende gar mit i h m tanzen, der so redlich aussieht und doch falsch ist und verderbt ist bis in die tiefste Seele! ... Auch zu hören wie Therese, wenn er lockt und schmeichelt und – – Nein! – ich – ja was wollt ich denn? – – Mit Entschluss. E u c h s t e h n w i l l i c h . Entgegen tret’ ich Euch. Nicht mehr ein blödes Waldfräulein, nicht mehr ein gehorsames Kind. Ein Geschöpf, das Euch durchschaut und weiß, es tut recht, wenn es nicht tut wie Ihr. – Ruhe nun und Hoffnung. – Inbrünstig flehend. Laß mich kalt sein, mein Gott! Zieht ihr Tuch aus der Tasche und zugleich das Etui mit der Uhr. – Die Uhr! Wie heilig sie mir auftrug, sie wieder zurück zu bringen, damit dem armen Hector nicht die Freude der Überraschung verdorben werde. – O die Welt ist schlecht! Sie ist während des Vorhergehenden langsam bis zur Türe von Hectors Zimmer vorgeschritten, als sie dieselbe geöffnet, fährt sie zurück. Er ist da! er hat alles gehört so gut wie ich ... Da liegt er auf dem Ruhebett – die Hand vor den Augen – ein Bild des Jammers! – O – o – er schluchzt. – Nicht? ... Wie ist mir denn? ... Wär’s möglich? – Mein Gott, wacht selbst über den Bösen ein guter Stern? – Sie geht auf den Zehenspitzen in Hectors Zimmer und kommt rasch wieder zurück. Aufatmend. Er hat niemanden gehört, nicht sie, nicht mich, denn – er schläft! FRANZ kommt. Die Frau Gräfin steigen schon in den Wagen.

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SARAH. Ich komme. Für sich. Zum Kampfe? sagt sie? – Wohlan denn: Zum Kampfe! Sarah ab.

Sechster Auftritt FRANZ. HECTOR kommt.

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HECTOR. Mir scheint, ich habe geschlafen. Wie viel Uhr? FRANZ. Halb elf, Herr Graf. HECTOR. Oho – Rock und Hut. FRANZ holt beides aus Hectors Zimmer. Ihn ankleidend. Was ist’s denn mit dem Bericht? HECTOR. Welchem? FRANZ. Dem des Doctors über den Fandango. HECTOR. Gewäsch. Die Gräfin fort? FRANZ. Jawohl. HECTOR. Hat die Pferde warten lassen? FRANZ. Zwei – drei Minuten. HECTOR. Ich bin schon froh, wenn’s nicht fünf sind. – Du – Mit einigem Zögern. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Paket in rosenfarbnem Papier. Das trägst Du in die Blumengasse No ... FRANZ fällt ihm ins Wort. Ich weiß schon. Zur Tänzerin. Dahin geh ich nicht, Herr Graf. HECTOR. Oho! FRANZ. Bin ungern genug hingegangen als Sie noch ledig waren. Die Geschichte muß aus sein. Jetzt muß sie aus sein, Herr Graf. HECTOR nach einer kleinen Pause. Du gehst also nicht? FRANZ. Nein, Herr Graf. HECTOR. So geh ich selbst. Geht in sein Zimmer. FRANZ. Das lassen Sie bleiben! Hector kommt zurück. Wenn der selige Papa ... Hector durch die Mitte ab. – Herrgott! was hab’ ich mit dem Kind schon ausgestanden, seit dem Tage wo ich ihn auf sein erstes Schaukelpferd hob, und ihm die erste hölzerne Pistole mit Erbsen lud! Geht ab.

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Sechster Auftritt ] Siebenter Auftritt Ihn ankleidend. (H1) ] Ihn entkleidend. Schreibfehler

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Verwandlung während welcher der Zwischenvorhang fällt. Eleganter Salon. Polstersitze rings an den Wänden. Unter dem Kronleuchter ein Pouf. Rechts im Vordergrunde ein reich gedeckter, mit Tabourets, Fauteuils und Stühlen umstellter Theetisch. Der Salon ist durch eine leichte Säulenstellung von der hell erleuchteten, mit Statuen, Bildern und Blumen geschmückten Galerie getrennt, deren Rückwand den Hintergrund bildet, und die als der Eingang in den Tanzsaal angenommen wird. Festlich gekleidete Herren und Damen treten durch dieselbe in den Saal. Diener gehen ab und zu. Das Orchester spielt die letzten Takte einer rauschenden Polka. Der Hintergrund bleibt fortwährend belebt.

Siebenter Auftritt GRÄFIN, MELANIE, CLAUDINE kommen von links.

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MELANIE. Liebste Mama, lass uns nur ein wenig ausschnaufen! GRÄFIN. Dein Tuch, Melanie! Dein Tuch, es ist hier kühl. MELANIE. Uf! – wir haben gerast – Lazáry ist der erste Polkist der Welt. Ich sterbe vor Hitze. CLAUDINE am Theetisch. Ich sterbe vor Durst. Eine Schale Thee. Darf ich? GRÄFIN nimmt ihr die Schale aus der Hand und flößt ihr löffelweise Thee ein. Geduld, – zwei Löffel – langsam. Es ist genug. MELANIE. Mama, Mama, Du treibst es gerade so mit uns, wie Hector mit seinen Rennpferden. GRÄFIN sanft drohend. Melanie, mein Kind, Du bist heute ... MELANIE schmeichelnd. Wie denn? Nun – wie bin ich denn? GRÄFIN. – Charmant – CLAUDINE. Und ich? GRÄFIN. Auch Du. Ihr seid beide charmant. Ich bin zufrieden mit meinen Töchtern. Ihr seht beide aus – Denkt ein wenig nach. – Charmant – charmant. CLAUDINE. Und doch, Mama – und dennoch – Zu Melanie. Soll ich’s sagen? MELANIE. Freilich, sag’s. CLAUDINE. Sag Du’s – ich getraue mich nicht. GRÄFIN. Ihr erschreckt mich. MELANIE. Sie hat keinen Tänzer für den Cotillon. GRÄFIN. Unglückliches Kind! CLAUDINE fast weinend. Ich bleibe sitzen! Siebenter Auftritt ] Achter Auftritt

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GRÄFIN. Das wäre eine schöne Geschichte! – Ich habe einen Herrn gekannt, der seine Braut blos deshalb sitzen ließ, weil sie einmal Denkt ein wenig nach. – sitzen blieb. CLAUDINE. Was fangen wir an, mein Gott? GRÄFIN betrachtet sie mit Rührung. Meine Claudine! ... Sollte diese Prüfung Dir wirklich auferlegt werden – so opfere sie der heiligen Veroni – – nein, nein, der heiligen Anna ... Weich. dann hast Du wenigstens ein Verdienst. CLAUDINE. Ja Mama, ich hätte aber lieber einen Tänzer. GRÄFIN. Ergebung, mein armes Kind, – – Ergebung. Blickt in die Galerie, mit ganz verändertem Ton. Aber – da kommt ja mein Neffe Kurt – der soll uns aus der Not helfen! ...

Achter Auftritt VORIGE. HOCHBURG und KURT kommen im Gespräch von rechts.

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KURT. Das ist wahr, Papa, Du lässest meinen Kredit nicht sinken. Heut könnte ich mehr Schulden machen als Du eben bezahltest. HOCHBURG. Es soll dafür gesorgt werden, daß Du gar keine mehr machen kannst. – Geh nun, und engagiere Gräfin Ludmilla zum Cotillon. KURT lachend. Aber Papa! HOCHBURG. Keine Einwendungen. Ich will’s. KURT. Allumsonst, Papa{, ich heirate sie doch nicht, und wenn sie statt einer, zehn Millionen hätte, und wenn ich statt eines, zehn Cotillons mit ihr tanzte}. HOCHBURG. Warum? KURT. Weil ich mir von meinem Vater meine Schulden bezahlen lassen kann, niemals aber – von meiner Frau. HOCHBURG. Hm! GRÄFIN. Kurt, mein Neffe, Du mußt Deiner Cousine Claudine einen Tänzer verschaffen für den Cotillon. KURT. Wen denn geschwind? Den kleinen Turnau vielleicht. Ein anständiger Jüngling – meine Schule! HOCHBURG. Wird seinem Vater viel Geld kosten, diese Schule. KURT. Ich bin sein Leitstern und er ist mein Schatten – lässt mich nicht aus den Augen. Seht Ihr ihn? Winkt Turnau der während des Vorhergehenden öfters in der Galerie sichtbar geworden und nun vortritt. Claque unter dem Arm, weiße Rose im Knopfloch.

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Achter Auftritt ] Neunter Auftritt

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KURT leise zu ihm. Ich will Dich meinen Cousinen vorstellen. Engagiere diese da Zeigt auf Claudine. zum Cotillon. TURNAU ebenso. Ist sie elegant genug für mich? KURT. Wer? Meine Cousine? TURNAU laut. Ich bitte Dich mich den Damen zu nennen. KURT Turnau vorstellend. Graf Turnau. Leise zur Gräfin. Ein Epouseur. GRÄFIN. Ah! Verbeugung. TURNAU zu Claudine. Schlechtes Wetter, diese Woche. CLAUDINE. Oh sehr schlechtes! TURNAU. Besonders Montag. CLAUDINE. Ganz besonders. TURNAU. Und Mittwoch auch. CLAUDINE. Da haben Sie recht. TURNAU. Darf ich um den Cotillon bitten, Gräfin? CLAUDINE freudestrahlend. Ich bin zwar schon engagiert, aber ich werde Ihnen zu Ehren, Graf Turnau, eine Konfusion machen. TURNAU. Danke, Gräfin. Im Abgehen leise zu Kurt. Sie ist hübsch und, Gott sei Dank! geistreich wenigstens scheint sie nicht. Ab. GRÄFIN begeistert. Ein charmanter, distinguierter Mensch! HOCHBURG. Sind meine Töchter noch nicht gekommen? GRÄFIN. So eben, glaube ich. HOCHBURG. Wie sieht Sarah aus? GRÄFIN. Recht gut. – Ich habe sie noch nicht gesehen. HOCHBURG. Nichten! kümmert Euch ein wenig um Sarah. GRÄFIN. So viel als möglich, lieber Bruder, so viel als möglich. – Du weißt, auf dem Balle ist jeder sich selbst der nächste. Draußen Musik, fortdauernd bis zu Limburgs Auftreten. MELANIE die erschöpft in einem Fauteuil gelegen, springt auf. Mein Walzer mit Limburg! GRÄFIN entzückt. Mit Limburg?! CLAUDINE. Mein Walzer mit Lazáry?! GRÄFIN elektrisiert. Mit Lazáry?! – Kinder – geschwind! Gräfin, Melanie, Claudine eiligst ab in den Ballsaal. HOCHBURG. Kurt, nimm Dich Deiner Schwester an. KURT. Recht gerne. Wenn sie nur nicht gar so aschenbrödelmäßig angetan wäre. HOCHBURG. Aschenbrödelmäßig? ... In einer Toilette von Candide Muguet? KURT. Papa, das ist unmöglich! Sieh doch selbst. Dort steht sie – links im Saale – und spricht mit den Moorheims. HOCHBURG. Sie steht – sie tanzt nicht – keine Spur von einem Tänzer. – Sie spricht mit den Moorheims – {Die Moorheim, Inbegriff von allem was unelegant heißt in der Welt!} Und sieht aus – als ginge sie zur Kirchweih

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und wäre die Tochter des Verwalters! ... Was ist da wieder geschehen?! – Ab in den Saal. TURNAU der sich in der Nähe gehalten, tritt vor. Bist Du endlich allein? – Don Juan, Lovelace oder Kurt, höre mich! – ich war bei ihr. KURT. Nimmt sie raison an? TURNAU halblaut und sehr rasch, wie alles folgende. Wen hab ich dort getroffen? Hector, Deinen Schwager. KURT. Ungefährlich. Den hat sie schon geliebt. Zur Sache. TURNAU. Also: – Ja! KURT. Ohne Bedingung? TURNAU. Unter v i e l e n Bedingungen. KURT. Keine grausamen, hoffe ich. TURNAU. Wie man’s nimmt! S o geschieht es, sagt sie, oder gar nicht. Schlag zwei Uhr morgens hält Dein Coupé vor ihrem Hause. Du sitzest auf dem Bocke, kein Diener neben Dir, dem Du unterweges die Zügel übergeben könntest. Sie steigt in den Wagen mit ihrer Kammerjungfer ... KURT. Mit ihrer Kammerjungfer? TURNAU. Und Du führst sie nach Marienberg, wo Ihr um sieben Uhr morgens anlangt und wo Du sie im großen Hôtel absetzest. KURT. Und in Marienberg bleiben wir einen Tag. TURNAU. Davon hat sie nichts gesagt. KURT. Gleichviel. Das weitere findet sich. Bedeutend weniger verspricht – das nähere. Sag an, mein Schatz, wie viel Grade unter Null hatten wir heut? TURNAU. Nachmittag – zwischen elf und zwölf. KURT. Nach Mitternacht dürften wohl noch einige dazu kommen. Es wird eine erfrischende Spazierfahrt sein! – Die Ankunft in Marienberg muß mich für alles entschädigen. Ich nehme die Bedingungen an. Sag ihr – TURNAU. O sie will etwas schriftliches. Zieht ein unversiegeltes Briefchen aus der Tasche und reicht es Kurt. KURT lesend. „Miss Lovely! Ich gebe Sie my word, daß ich Ihre EntführungsConditions erfüllen will.“ Das soll ich unterschreiben? TURNAU. Ja. KURT. Mit meinem Blute? TURNAU. Nein, mit meinem Bleistift. Reicht ihm denselben. KURT unterschreibt. Besorgst Du’s, lieber Junge? TURNAU. Das tut mein Jäger, den ich im Vorzimmer warten ließ. Winkt einem vorübergehenden Diener, dieser eilt herbei. Gib diesen Brief ... KURT leise. Vorsicht! Dies scheint kein Lakai „vom Hause“, sondern einer, der nur ausnahmsweise in der Livree steckt. Zum Diener. Bist Du vom Hause, Freund? DIENER. Mein Herr – leider nein. Nur zur Aushilfe aufgenommen. Peter Seidl aus ...

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KURT. Ich danke Dir, ’s gut. Diener ab. Lieber Turnau, Reicht ihm den Brief. Deinem Jäger. TURNAU. Ich lerne wieder: Wenn man einen dummen Streich machen will, kann man nicht klug genug zu Werke gehen. Ab nach rechts. KURT sieht auf die Uhr. Bald zwölf. Setzt sich auf den Pouf. Eigentlich ist die ganze Geschichte – fade. Allein, es geht nicht anders; der Widerstand dieser Lovely fing an, an meinem Ruhm zu nagen. TURNAU kommt zurück und stellt sich vor Kurt hin. Jetzt gesteh mir aber zum Lohne für alle meine Botengänge: Was hast Du an der alten Lovely und wem entführst Du sie? – Hector ist ungefährlich, Nordheim ist abgereist – KURT. Wütend vor Eifersucht auf mich. TURNAU. Wem entführst Du sie? ihrem Theaterdirector? einem neuen Anbeter, ihren Gläubigern? KURT. S i e hat keine Gläubiger, die haben ihre Anbeter, wie Du sagst. Übrigens mauvais genre – das Wort. Nimm Dich zusammen, da kommen Limburg und Lazáry. Du unterhältst Dich wieder und was noch schlimmer ist, man sieht Dir’s an. Lerne doch wenigstens ein gelangweiltes Gesicht machen! Limburg und Lazáry kommen. LIMBURG wirft sich auf den Pouf, mit dem Rücken gegen Kurt. Diese Bälle ist das eine Erfindung! Scheußlich! TURNAU der eine gemessene Haltung angenommen, sich gleichfalls auf den Pouf werfend. Warum bleibst Du? LIMBURG. Ich habe die vierte Quadrille mit der Frau vom Hause. TURNAU. Zum heulen. Ich habe die dritte mit der Tochter. Sobald die überstanden ist und der Cotillon, geh ich. LIMBURG. Zur Lili? – Die Ricki lässt sie grüßen. Zu Kurt ohne sich zu rühren. Du, ist das Deine Schwester, die Sarah Hochburg, genannt das Waldfräulein? Du kannst mich ihr vorstellen. TURNAU. Ich bin ihr schon vorgestellt, glaub ich. LAZÁRY. Ich auch. Ich finde sie allerliebst. LIMBURG. Sie soll ein wenig Blaustrumpf sein. Mir ist es zwar alles eins, aber ich will ihr raten sich anders zu chaussieren. LAZÁRY. Blaustrumpf? – Da ist sie gewiß musikalisch. Bravo! Ich finde sie allerliebst und originell, das gefällt mir, weil ich selbst originell bin. LIMBURG. Wie zehntausend andre! LAZÁRY. Da kommt sie! TURNAU. Mit dem Apostat. Langweilige Figur! Sarah und Robert. Die Herren stehen auf.

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KURT Limburg vorstellend. Fürst Limburg, liebe Sarah. Meinen Freund Turnau kennst Du. SARAH. Turnau? Nein. TURNAU verletzt. Ich bin Ihnen doch vorgestellt worden, beim schwedischen Gesandten. SARAH. So? – Ich hab’s vergessen. KURT zu Turnau. Nun, Du hast starken Eindruck gemacht. LAZÁRY für sich. Originelle kleine Person! KURT ebenso. Jetzt ist’s aber höchste Zeit für mich zu verschwinden. Einen Gang durch den Saal und dann: Gute Nacht für eine Weile, große Welt! Ab nach links. SARAH hat auf einem Fauteuil in der Nähe des Theetisches Platz genommen. Die jungen Herren auf Tabourets. Robert allein auf dem Pouf. LAZÁRY. Mit wem haben Sie diesen Walzer getanzt, Gräfin? SARAH. Ich habe ihn gar nicht getanzt. TURNAU. Und warum nicht? SARAH. Weil ich nicht Lust hatte. {Die Herren sehen einander an. LIMBURG zu Turnau. Naiv oder dumm? TURNAU. Dumm. LIMBURG zu Sarah. Das ist ja unmöglich – Das! LAZÁRY. Ich finde die Musik hübsch von dem Walzer. Lieben Sie Musik? Ich singe und spiele Zither. Kennen Sie vielleicht „Mailüfterl“? SARAH lächelnd. Mir ist als hätte ich es schon einmal gehört. LAZÁRY. Das singe ich. Und noch viele Lieder. Was unsere Bande spielt, das singe ich alles. Und alles von selbst. Glauben Sie, daß ich etwas gelernt habe? Gar nichts. ROBERT. Potztausend, lieber Graf! – ich habe einen abgerichteten Kanarienvogel, wenn ich dem von Ihrem Talente erzähle, er hängt sich! LAZÁRY. Er soll nur!} THERESE kommt ängstlich, aufgeregt. O dieser Paul! er verfolgt mich auf Tritt und Schritt ... Wohin rette ich mich? Erblickt Sarah. Ach! ... Sa – rah! ... Tritt vor und beugt sich über die Rücklehne von Sarahs Fauteuil, leise. Papa ist – Papa ist entrüstet über Deine Toilette. SARAH ohne sich umzusehen. Entrüstet? Die Herren sind aufgestanden. THERESE zu ihnen. Bleiben Sie! – ich setze mich Auf den Pouf zeigend. dort hin. Wie früher zu Sarah. Er macht mir Vorwürfe – ich hätte sorgen sollen – aber ich – mein Gott! SARAH wendet sich um. Du hattest an ganz andre Dinge zu denken.

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THERESE tritt von ihr weg, für sich. Wie sie das sagt! – Ahnt dieses Kind? ... Mir ist fürchterlich zu Mute. Setzt sich auf den Pouf mit dem Rücken gegen Robert, ohne von ihm, der sie gegrüßt hat, Notiz zu nehmen. ROBERT für sich. Luft ... für meine Verwandten bin ich auf dem Balle – Luft. PAUL kommt. THERESE für sich. Da ist er! SARAH für sich. Da ist er! LAZÁRY zu ihr. Ich finde die Musik hübsch von dem Walzer. Lieben Sie Musik? TURNAU zu Sarah. Ich – ich kann die Musik nicht leiden. Bin überhaupt mehr für das Praktische als für die Kunst. LAZÁRY. Ich finde Musik keine Kunst, ich finde Musik eine Gabe der Natur. LIMBURG. Das ist mir alles eins. Wir sind nicht da um Musik zu machen, sondern um sie anzuhören, wenn – die Gratiana singt. Gehen Sie oft in die Oper, Gräfin, und in das Ballet? Die Lovely ist außerordentlich. Sie hat gestern siebzehn Pirouetten nacheinander gemacht. Ich hab’s gezählt. Es ist mir aber alles eins. SARAH steht auf. Mit Ungeduld. Auch mir! LAZÁRY. Was haben Sie? sind Sie böse? SARAH. Ungeduldig, Graf Lazáry! ungeduldig! PAUL hat sich genähert. Worüber? SARAH immer mit Therese beschäftigt, die seit Paul’s Eintreten zitternd und bleich vor sich hinstarrt. Über Vieles und Viele. PAUL. Unter denen auch wir uns befinden? auch wir? – Wem haben Sie den Handschuh hingeworfen? Wer soll ihn aufheben? SARAH. Derjenige, der sich schuldig fühlt. PAUL. Erforschen wir unser Gewissen! LIMBURG. Gewissen? Ich habe leider gelesen, daß wir keines haben. ROBERT. Stand das in der Sportszeitung? LIMBURG. Vermutlich. Wüßte nicht wo ich’s sonst gelesen hätte. SARAH. In Büchern lesen Sie niemals? LIMBURG. Nein. Ich will kein Gelehrter werden. SARAH. Nun, die Gefahr scheint bei Ihnen nicht groß. LAZÁRY. Schauen Sie, das ist desto besser. Lesen, studieren, wozu? – Wenn man Talent hat, so braucht man’s nicht, und wenn man kein Talent hat, so hilft es nicht. ROBERT. Dennoch gibt es eine Kunst und eine Wissenschaft, die Ihr treibt Euer Lebenlang, gleichviel ob Ihr Talent dazu besitzt oder nicht. TURNAU. So? ROBERT. Diese Kunst ist die Reitkunst. LAZÁRY. O ja – bravo! ROBERT. Und diese Wissenschaft ist – der Sport. LIMBURG. Da freilich lernt man nicht aus.

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SARAH. In andern Künsten und Wissenschaften auch nicht, Fürst Limburg! LIMBURG abgewendet. Blaustrumpf! THERESE. Sarah! PAUL zu Sarah. Sie sind mir noch eine Antwort schuldig. SARAH. Seien Sie froh, wenn ich diese Schuld nicht bezahle. PAUL. So gereizt Gräfin? so verstimmt? SARAH. Ballstimmung Graf Paul, Ballstimmung! – Mein Gott! {LIMBURG zu Turnau. Derer, die keine Tänzer bekommen. SARAH.} Ich habe mir unter einem Balle etwas Schönes vorgestellt; es ist etwas Klägliches! ALLE. Oh! THERESE leise zu Sarah. Kein Wort mehr! SARAH laut. Ich sage was ich denke. LIMBURG. Sie unterhalten sich also nicht? SARAH. Unterhalten Sie sich? – Sie sehen nicht darnach aus. Überhaupt wer unterhält sich denn auf diesem Balle? Die Herren? – Mit einem zornigen Blick auf Paul. Einige ausgenommen, die ein b e s o n d e r e s Interesse hierher geführt – die Herren? die umher schleichen, freudlos, leblos – aus schläfrigen Augen d e r einen gnädigen Blick zuwerfend und j e n e r einen höhnenden? – Diese Herren, unterhalten sie sich? – Andere, darauf kann ich schwören, unterhalten sie nicht! LIMBURG zu Turnau. Sie ist eigentlich amüsant. THERESE zu Paul. {Gott! Gott!} Wenn sie nur schwiege! SARAH. Und die Comtessen? die eleganten vielleicht, {für die ist ja der Ball – eine schreckliche Arbeit! ALLE. Arbeit?! SARAH ohne Spott. Die Armen! – Wenn ich sie totmüde schon und ganz erschöpft, aber mit lächelndem Gesicht umher fliegen sehe – muß ich an die Kinder eines Seiltänzers denken, der einmal in unser Dorf kam – THERESE. Graf Paul! sagen Sie ihr – SARAH ohne sich unterbrechen zu lassen. Die hüpften auch unbegreiflich lange und machten auch hiebei eine fröhliche Miene, und ich hörte später zu alledem seien sie gebracht worden durch grausame Misshandlung. Wie mögen die Comtessen gemisshandelt worden sein, bis sie lernten tanzen ohne Atem und lächeln zu der Qual! Alle lachen. LAZÁRY. Originelle kleine Person! SARAH. Und das sind} die glücklichen, die beneideten! – Aber die uneleganten nun, die Sitzengebliebenen? Unterhalten sich die? Oh – manche ringt mit den Thränen! – Ihr Herren, könnt Ihr das mitansehen? unterhalten sie sich? ] unterhalten Sie sich? Schreibfehler

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LIMBURG. Haha, ja! wir haben das Herz! SARAH. Das Herz? Ihr habt {nicht das Herz und nicht jenes. Ihr habt} gar kein Herz! LIMBURG zu Therese. Sehr amüsant, Ihre Schwester. SARAH. Wenn einer von Euch ein Herz hätte – LAZÁRY. Wie ich zum Beispiel. SARAH. Sie? Draußen Musik. PAUL. Was würde er tun der Mann von Herz? SARAH. Hingehen und eine Moorheim zum Tanze bitten! ALLE HERREN. Eine Moorheim! LIMBURG. Die mit der roten Nase? TURNAU. Nein, die Dichterin – die tanzt nur in Versen. THERESE vermittelnd. Die Jüngste hat keine rote Nase und ist keine Dichterin. LAZÁRY. Dann hat sie gewiß einen anderen Defekt. PAUL. Eine Moorheim ... Saperlott! LAZÁRY. Es ist viel was Sie wollen, Gräfin – aber um Ihnen zu beweisen – – – Mit Entschluss. Ich thu’s! Ab in den Saal. ALLE. Er geht! THERESE. Er geht wirklich! ROBERT. Immer langsamer. SARAH. Die armen Moorheims – jetzt erblicken sie ihn! – LIMBURG. Die rote Nase steht schon auf! – TURNAU. Oh! – zu früh – er stutzt – LIMBURG. Kopfscheu? ROBERT. Er dreht sich auf dem Absatz herum – und – LIMBURG. Entflieht! TURNAU. Entflieht! THERESE. Entflieht! LIMBURG. Bravo Lazáry! THERESE zu Sarah. Daran bist Du schuld! – Die öffentliche Beleidigung danken die Moorheim – Dir! SARAH. Mein Gott! PAUL. O, das ist abscheulich – das muß gut gemacht werden. – Könnt ich mich nur verdreifachen! Eilt in den Saal. LIMBURG. Er wird doch nicht ... TURNAU. Er wird doch nicht ... ROBERT. Er w i r d ! – Seht hin! so schreitet ein resoluter Mann. LIMBURG. Haha! ROBERT. Da fliegt er schon! SARAH für sich. Warum muß der Schlechteste von allen – der liebenswürdigste von allen sein?

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TURNAU. Ausgezeichnet! Er wirbelt dahin mit einer Begeisterung! LIMBURG. Und s i e – sie tanzt sich aus in dieser einen Polka für die ganze Faschingszeit! GRÄFIN NORDHEIM kommt. Mein Sohn – trösten Sie mich, liebe Therese! – er tanzt mit einer Moorheim, der arme Engel! LIMBURG. Wir gratulieren, Gräfin, Ihre Schwiegertochter ist gefunden! GRÄFIN NORDHEIM. – Ich verstehe nicht ... Er muß sich vergriffen haben ... Zu Therese. Er ist zu gut – das Mitleid ... Zu welchen Verirrungen kann noch sein weiches Herz ... o Liebe! THERESE für sich. Wie sie mich liebt, die Schlange, seitdem ich verheiratet bin! GRÄFIN NORDHEIM. Wenn eine Mutter alle Gefahren bedenkt denen ein Sohn in der Welt ausgesetzt ist – welche Qual! THERESE wie oben. Wüßte sie! ... GRÄFIN NORDHEIM. Meiner Überzeugung nach gibt es nur eins, das einen jungen, gefühlvollen Mann retten kann vor einer Liaison, einem leichtsinnigen Lebenswandel, oder gar – einer frühen Heirat und das ist – eine leidenschaftliche, aber platonische Liebe zu einer verheirateten, aber tugendhaften Frau. THERESE tritt weg von ihr. Gräfin! Für sich. Der Erbärmliche – er hat geschwatzt! Lazáry kommt zurück. LIMBURG. Lazáry! da kommt er! Heraus Lazáry! Heraus! Limburg und Turnau applaudieren. LAZÁRY zu ihnen. Hol Euch der Teufel! Zu Sarah. Gräfin – es war unmöglich. Wie ich sie in der Nähe gesehen habe, da ist mir die Courage vergangen ... Jeder Mensch hätte über mich lachen müssen. SARAH. Jetzt freilich lacht niemand – im Gegenteil – man bewundert Sie! Sie haben ein harmloses Mädchen beleidigt – wie edel – wie ritterlich – wie kühn! ... Eine Tat – dieser Bewunderung wert! ROBERT. Du kennst den Wert der Dinge nicht, für d i e s e Bewunderung werfen d i e s e Herren ihren Anteil hin an der Herrschaft der Erde. LIMBURG. Ich bitte Sie! den hätten sie haben können „diese Herren“. ROBERT. Sie hätten – ja! Sie vor anderen. Sie waren im Besitze geboren, vom Glück allüberall die ersten hingestellt. Sie haben den Platz geräumt, jetzt ist die Teilung vollzogen und – ohne sie. LIMBURG. Wie schade! und wer hat denn alles genommen? ROBERT. Zwei Damen, lieber Fürst, die noch immer vergeblich nach der Ehre Ihrer Bekanntschaft seufzen: die Arbeit, lieber Fürst, und die Intelligenz! LIMBURG lacht forciert. Sehr witzig! sehr! Hochburg und Paul sind während der letzten Reden eingetreten. platonische Liebe ] platonischen Liebe Schreibfehler

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SARAH. Bravo! bravo Onkel Robert! – jetzt applaudiere i c h ! HOCHBURG. Arbeit und Intelligenz! Parlamentsphrasen? Er tritt zur Gräfin Nordheim. GRÄFIN NORDHEIM zu ihm. Graf Hochburg mit diesem Menschen sind Sie verwandt! HOCHBURG. Sehr entfernt. ROBERT. Diejenigen die ich meine, spielen indessen und reiten und jagen und liebeln. Sie haben keinen Sinn für eine Zeit, die eine Zeit ist des mühens und ringens, eine Zeit, die keinen mehr mit Gütern überschüttet, die er nicht selbst erworben hat oder doch nicht selbst zu verteidigen weiß! Es sind viele Gäste eingetreten, darunter Gräfin Melanie, Claudine. Die letzteren haben neben Therese und der Gräfin Nordheim Platz genommen. SARAH zu Robert. Ganz meine Meinung! Du sprichst mir aus der Seele! Gelächter. HOCHBURG. Was hör ich?! ... TURNAU zu Limburg. Gib doch eine Antwort – schlag ihn! LIMBURG. Ich schlage ja in einem fort. TURNAU. Aber daneben. LIMBURG nach kurzer Pause zu Robert. O wir wissen es lange – Sie sind – – Demokrat! Bewegung. ROBERT. Wenn ich es wäre, wie liebte ich sie – Diejenigen die ich meine – wie schlösse ich sie an mein Herz! denn wahrhaftig, Gegner, so nichtig, so kindisch, wie sie, sind doch nur verkleidete Bundesgenossen! LIMBURG für sich. Insolent! SARAH. Herrlich! herrlich! PAUL zu ihr, bittend. Gräfin! Er tritt zwischen sie und Robert. GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Und das ist Ihre Tochter, dort, neben jenem Hochburg – das ist Ihre Tochter? HOCHBURG hinüberblickend. Ist sie’s? – Ich bin nicht sicher – meine Kurzsichtigkeit. LIMBURG. Graf Hochburg! Wortgefechte sind meine Sache nicht. Dergleichen überlasse ich den Gelehrten. Leise. Auf anderem Terrain steh ich zu Diensten. ROBERT. Ich auch. LIMBURG. Und was die Politik betrifft, für die hab’ ich kein Talent. ROBERT. Zur Logik um so mehr. LIMBURG. Es ist mir auch alles eins! GRÄFIN NORDHEIM, HOCHBURG, TURNAU. Sehr gut! GRÄFIN und CLAUDINE. Ah – sehr gut! MELANIE und LAZÁRY. Sehr gut, auf Ehre! Limburg wird umringt und beglückwünscht.

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ROBERT. Kleines Volk! PAUL beschwichtigend. Er hat Dich gefordert, was willst Du mehr? Ich bin Dein Sekundant – nicht wahr? {Freilich, ich bin ein Narr und verfalle immer wieder in den Wahn, es schliefe vielleicht doch ein Funke in diesen flachen Kieselköpfen, der heraussprühen würde bei kräftig geführtem Schlag! Wie oben. Morgen, Du zählst auf mich, nicht wahr?} ROBERT drückt ihm die Hand. PAUL. Aber Friede jetzt! Hier ist nicht der Ort ... SARAH. Warum denn nicht? PAUL. Auf dem Balle, Gräfin. {Zu Robert. Meine Mutter, Freund – Du kennst meine Mutter. Reiße s i e Auf Sarah zeigend. nicht mit in den Abgrund Deiner Ungnade! Zu Sarah.} Robert ist ein Mann, er mag dem Urteil der Toren Trotz bieten, Sie brauchen es nicht herauszufordern. SARAH. Es zu fürchten noch weniger! GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Meinen Sohn! rufen Sie mir meinen Sohn! – Er verführt ihn mir noch, den armen Engel! SARAH. Wie man diesen Limburg umringt! Wie man ihm Glück wünscht! Immer lauter. Und mein armer Onkel steht allein – selbst S i e wagen es nur ganz verstohlen mit ihm zu reden! PAUL stellt sich dicht an Roberts Seite. Oh – bitte. SARAH. Wär’ i c h ein Mann, ich wollte sein wie e r ! LIMBURG. Ei, der Tausend! Gekicher. GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Was? – – Demokratisch ist sie auch? Immer angstvoller. Rufen Sie mir meinen Sohn! LIMBURG zu Sarah. Wir wissen jetzt wo Sie Ihre Ideale suchen. SARAH. Nicht unter Euch. Gekicher. EINZELNE STIMMEN. Oh! Oh! ROBERT verweisend. Sarah! LIMBURG. Freilich, wir haben kein Glück bei Waldfräuleins und Blaustrümpfen. Wir sind nicht auf der Höhe. Wir sind keine Emancipations-Ritter und keine dummen Gelehrten. Wir sind ... SARAH {ohne sich unterbrechen zu lassen.} Unnütze Geschöpfe seid Ihr in Gottes Welt, lernt nichts und tut nichts und lacht noch derer, die lernen und leisten ... Lacht, wo Ihr verehren solltet wenn Ihr könntet, wenn Ihr nicht zu blind wärt, zu kalt, zu arm dazu! Und Euch opfert man sie? um Euretwillen soll man sie verleugnen? die Braven? die Tüchtigen? – Ha – ich nicht! Ich nicht! ... Musik. Walzer bis zu Ende des Aufzugs. PAUL. Der Cotillon! – SARAH zu Limburg und Turnau. Meine Wege sind andere als die Euren und ich

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kenne andere Menschen als Euch! Ihr würdet sie verhöhnen, mir aber ist Segen und Sonnenschein die Erinnerung an sie und alles was mich mahnt ... Alle haben sich erhoben. Mehrere Diener sind an den Theetisch getreten, unter ihnen Peter Seidl mit einer Tasse in der Hand. SARAH erblickt ihn. Ihr Gesicht verklärt sich. Peter! Peter! – Da ist ja der Peter Seidl! Stürzt auf ihn zu. {Deine Schwester läßt Dich grüßen – es geht ihr gut und allen und Du sollst nur schreiben!} Bei Sarahs Ausruf sind alle stehen geblieben, die schon im Begriffe waren in die Galerie zu treten. Man sieht sich um, wispelt und kichert. PETER läßt die Tasse fallen, ergreift und schüttelt Sarahs dargebotene Hände. Die kleine Comtess! SARAH. Deine Schwester läßt Dich grüßen. Sie sind daheim um Dich in tausend Sorgen. Geht Dir’s schlecht? – Komm doch zu uns, Peter! PETER. Sehr wohl – ja! GRÄFIN, T HERESE, MELANIE, CLAUDINE. Sarah! HOCHBURG tonlos. Sarah! ROBERT zu ihm. Verhülle Dein Antlitz und stirb wie ein Römer!

Dritter Aufzug Salon bei Therese Das Bouquet Sarahs in einer Blumenvase auf dem Tische des Mitteletablissements.

Erster Auftritt HECTOR aus seinem Zimmer. FRANZ durch die Mitte. Kommen zugleich.

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HECTOR. Warst Du dort? FRANZ. Zum letztenmale, und nur damit Sie nicht wieder hingehn, Herr Graf. HECTOR. Hast Du sie gesprochen? FRANZ. Nein, Herr Graf. HECTOR. Warum? FRANZ. Weil sie fort ist. HECTOR. Was heißt das „fort“? FRANZ. Man nennt’s auch – durchgegangen. HECTOR. Oho! FRANZ. Beim Portier hinterließ sie eine Tracht Visitkarten, darunter diese für Sie, Herr Graf. HECTOR nimmt die Karte. Lesend. Dina Lovely p. p. c. – – P? p?! c??!! ... FRANZ. Die Frau Gräfin kommen. Ab.

Zweiter Auftritt HECTOR. THERESE.

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THERESE aus ihrem Zimmer. Sehr unsicher, sehr beklommen. Guten Morgen, Hector. HECTOR ohne sie anzusehen. Guten Morgen. THERESE für sich. Himmel! – welche Stimme – und welche Miene! {Laut. Nun, wie ging es gestern im Club? Hast Du gewonnen? verloren? HECTOR in Gedanken. Verloren. THERESE. Nichts Lieber! oder doch nur Geld, glaube mir.} HECTOR wie oben. Unterhalten auf dem Balle? THERESE. Oh nein! D u warst nicht da und meine Stimmung – HECTOR. Stimmung? Fixiert sie. Stimmung? THERESE für sich. Wie er mich ansieht!

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HECTOR für sich. Hat Turnau geplaudert? Der war ja auch bei der – bei der – Ballt die Faust. miserablen Person! {THERESE wie oben. Er ist schrecklich! ... HECTOR. Therese.} THERESE. – Lieber! Guter! – Du hast etwas auf dem Herzen ... Sag mir’s! – sag mir alles. Vielleicht, ja gewiß, vermag ich Dich zu trösten. HECTOR. Trösten? – Was soll das heißen? Er geht auf und ab. {THERESE für sich. Daß ich diesen Paul nicht liebe, darauf kann ich schwören! Kann ich aber auch darauf schwören, daß er mich nicht liebt?} HECTOR hat das Bouquet bemerkt und bleibt plötzlich vor demselben stehen. Mirabilis Jalappa! THERESE fährt zusammen. Hector! HECTOR das Bouquet betrachtend. Wenn sie die schickte, hieß das sonst: „Komm heute“. Höhnt sie mich? THERESE. Was murmelt er? HECTOR. Wer hat den Strauß gebracht? THERESE. Ich weiß nicht! ich habe ihn gar nicht gesehen. Für sich. Dieser Mensch! jetzt wagt er’s schon Blumen zu schicken. HECTOR schellt. Zum eintretenden Franz. Wer hat das gebracht? FRANZ. Das – lag gestern abends auf dem Tisch. HECTOR und THERESE. Gestern abends? FRANZ. Ich habe es in das Wasser gesetzt. HECTOR. Wer hat’s gebracht? FRANZ. Weiß nicht, Herr Graf. HECTOR für sich. Er will’s nicht sagen. Kenn ihn schon. FRANZ. Es war niemand Fremder da, außer dem Grafen Nordheim. Vielleicht hat der – THERESE. Er nicht! o nein! er nicht! G e b r a c h t hat er es nicht! HECTOR. So hat’s jemand geschickt? Für sich. Es war doch s i e . Er nimmt das Bouquet aus der Vase, zerreißt es und wirft es in den Kamin. Ich möchte ihr den Hals umdrehen wie diesem Strauße! Laut. Ich brauche keine anonym ins Haus geschickten Blumen. THERESE. Ist das mein Mann? mein mehr als ruhiger Mann? – So habe ich ihn nie gesehen! HECTOR. Rock und Hut! FRANZ. Sogleich Herr Graf! Eilt ab, nach rechts. THERESE. Du willst fort? ... Ich lasse Dich nicht. Du darfst mir nicht aus dem Hause, so lange Du so böse bist, so außer Dir! HECTOR. Außer mir? Lacht forciert. THERESE. Du bleibst! weil ich Dich bitte – weil es mir eine Freude macht – weil heute mein Geburtstag ist! HECTOR. Dein Geburtstag?

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THERESE. O stelle Dich nicht als hättest Du nicht daran gedacht. – Ich habe sie schon erblickt – HECTOR. Wen? Franz mit Rock und Hut. THERESE. Die liebe, kleine Engländerin – – HECTOR während Franz ihm den Rock anzieht. Wen?! THERESE. Die schönste von allen lebenden Uhren – FRANZ reicht Hector den Hut, für sich. O weh! Geht ab. HECTOR. Die – hast Du – erblickt? – THERESE. In Händen sogar habe ich sie gehabt – verzeih! – sie lag auf Deinem Schreibtisch – und Sarah – HECTOR. Die Weiber! die Weiber! ... Jetzt muß ich aber gleich fort ... THERESE. Wohin, Hector? – wohin? HECTOR. In den Club. Für sich. Zum Uhrmacher. THERESE. Bleibe! HECTOR für sich im Abgehen. Teufel – wenn ich nur die gleiche finde! Ab durch die Mitte. THERESE allein. – Er geht. – In den Club? wer das glaubte! ... In den Club? ich muß Gewißheit haben. Schellt. Zu Franz, der eintritt. Der Graf ist fort, und ich habe vergessen, ihn zu fragen, ob – ob ich – – ja! ob ich heut den Fandango einspannen lassen darf. Gehen Sie ihm nach, dem Grafen, in den Club – lassen Sie ihn herausrufen, und bringen Sie mir seine Antwort sogleich. FRANZ. Sehr wohl. Will gehen. THERESE. Franz! ... Noch eins, mein lieber Franz! ... Schicken Sie gleich zum Grafen Nordheim. Der Graf lässt fragen – was denn? – – wie er sich befindet. FRANZ befremdet. Befindet? – Halblaut. Das lässt der Graf nicht fragen. THERESE für sich. O Gott! ich vergesse ... Laut. Nein, nein! – Lieber Franz, hören Sie – schicken Sie j a nicht zum Grafen, und lassen Sie ihn j a nicht erfahren, daß der Graf zu wissen wünscht wie er sich befindet! FRANZ. Sehr wohl. Für sich im Abgehen. Da muß ich mich gleich selbst erkundigen. Ab. THERESE allein. Hector! Hector! ... Wenn er nur gesprochen hätte! – wenn er mich nur mit Vorwürfen überhäuft hätte! – Dieses Schweigen ist fürchterlich! ... Wie er dastand – wie er dort umher ging – mit welchem Tone er sagte: „Mirabilis Jalappa!“ – Mein Mann, der im gewöhnlichen Leben eine Orchidee nicht von einer Moorrübe unterscheidet – mein Mann sagt: „Mirabilis Jalappa!“ FRANZ kommt. Noch eins (H1) ] Noch ein Schreibfehler

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THERESE. Sie – Franz? – Schon zurück?! FRANZ. Frau Gräfin – vor dem Hause bin ich dem Diener des Grafen Nordheim begegnet. Wie der Herr Graf sich befindet, können wir jetzt nicht erfahren. THERESE in höchster Spannung. Nicht? ... Warum nicht? FRANZ. Der Herr Graf ist, schon sehr zeitlich, in einem Fiaker fortgefahren. Geheimnisvoll. und hat seine Pistolen mitgenommen. THERESE. Pistolen?! ... Himmel! FRANZ auf den eintretenden Hochburg deutend. Der Herr Graf Papa. THERESE. Fassung! Fassung! FRANZ. Jetzt geh ich in den Club. Ab, nachdem Hochburg eingetreten.

Dritter Auftritt THERESE. HOCHBURG.

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HOCHBURG. Therese! THERESE. Vater! HOCHBURG. Das war ein Abend – das war eine Nacht! THERESE. Entsetzlich, bester Vater! HOCHBURG. Wir sind blamiert vor der ganzen Welt. THERESE. Leider, leider! Für sich. O wenn es nur das wäre! HOCHBURG. Für Sarah ist hier alles aus, alles vorbei. Ich schicke sie zurück, auf das Land. THERESE. Hab’ Geduld. Sie kann sich ändern. HOCHBURG. Niemals. Sie ist unadelig geboren. O das Blut – das Blut ihrer Großmutter! ... {Ich schicke sie auf das Land zurück. Dort mag sie politisieren mit ihrem Professor, Freundschaft schließen mit Anna Kathrein, mag sich mit irgend einem Junker von Plumpersdorf vermählen und den Peter Seidl in ihren Dienst nehmen als maitre d’hôtel. Der wird zum übrigen Hausstande passen!} EIN DIENER meldend. Frau Gräfin Nordheim! HOCHBURG. Die Gräfin! THERESE mit einem Schrei. Die Gräfin! HOCHBURG. Sie kommt – sie besucht uns – trotz des gestrigen Skandals?! THERESE für sich. Sie kommt! ... Um Rechenschaft zu fordern? ... Um ihren Sohn von mir zu fordern? ... Ich bin in einer Lage! ... Du guter Gott – kann man das eine „Lage“ nennen, wenn man von Furcht und Hoffnung umher geworfen wird wie ein Ball. Gräfin Nordheim tritt ein. HOCHBURG ihr entgegen. – Frau Gräfin!

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THERESE ringt nach Fassung. – Theuerste ... GRÄFIN NORDHEIM. Wie geht’s, liebe Therese? – Graf Hochburg, ich habe eine Bitte an Sie. HOCHBURG. Befehlen Sie über Ihren gehorsamsten Diener. Sie setzen sich. GRÄFIN NORDHEIM. Ich wünsche mit Ihrer Tochter Sarah zu sprechen. HOCHBURG und THERESE. Mit Sarah? GRÄFIN NORDHEIM. Und zwar unter vier Augen. HOCHBURG. Oh ich bin glücklich ... Welche Gnade, Frau Gräfin. THERESE für sich. Sie weiß von nichts. HOCHBURG. Gewiß ist auch Ihnen, Frau Gräfin, das Benehmen dieses – Kindes gestern auf dem Balle etwas – eigentümlich erschienen. … Das Kind i s t eigentümlich – ich gesteh’s. GRÄFIN NORDHEIM. Mein Gott – die ländliche Erziehung. HOCHBURG. Ein Wort von Ihnen kann Wunder tun. Ich bin ewig Ihr Schuldner, wenn Sie nicht verschmähen es zu sprechen – GRÄFIN NORDHEIM. Mit nichten ... Deshalb kam ich ja. HOCHBURG küsst ihr die Hand. Gräfin! THERESE mit einer Verbeugung gegen die Gräfin, welche diese erwidert. Gräfin! Hochburg und Therese ab durch die Mitte, in der Tür begegnet ihnen Franz. THERESE. Endlich! – nun? FRANZ. Der Herr Graf sind nicht im Club. THERESE. Aber wo denn? – wo?! GRÄFIN NORDHEIM. Wenn von Ihrem Mann die Rede ist – THERESE. Ja wohl – von ihm! GRÄFIN NORDHEIM. Den sah ich eben, mit einer bei ihm ungewöhnlichen Hast, aus einem Uhrmacherladen auf dem Ring herausstürzen. Er war so eilig, daß er nicht einmal Zeit fand mich zu grüßen. THERESE. Unverzeihlich! Für sich. Was soll das wieder bedeuten? ... Ich unglückliche Frau! Hochburg, Therese, Franz ab. GRÄFIN NORDHEIM allein. Der gute Graf, wenn er meint, ich werde hier die Gouvernante abgeben, da irrt er sich! ... {Meine Meinung soll es hören das Fräulein aus dem Walde, aber der Nutzen meiner guten Lehren mag anderen zugute kommen. W i r wollen die Früchte ihrer Besserung nicht genießen mein Paul und ich! ... Mein Sohn! Er war gestern sehr affiziert, der arme Engel. Es ist höchste Zeit dieser Torheit ein Ende zu machen!}

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Vierter Auftritt DIE VORIGE. SARAH.

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SARAH. Guten Morgen, beste Gräfin. GRÄFIN NORDHEIM. Guten Morgen. SARAH. Sie wünschen mich zu sprechen? GRÄFIN NORDHEIM. Ja, meine Liebe. SARAH rasch. Im Auftrag des Grafen Paul? GRÄFIN NORDHEIM. – Im Auftrag? – – Ich? ... Das ist stark! SARAH. Wenn nicht – umso besser, denn mit dem Grafen Paul und mir, verzeihen Sie, beste Gräfin, aber da ist es aus – ganz aus! GRÄFIN NORDHEIM. Schlimm genug wenn – – SARAH. O ich habe sehr viel Freundschaft für ihn gehabt; viel, viel mehr als ich es selbst gewußt. GRÄFIN NORDHEIM. Sehr schmeichelhaft, sehr! SARAH. Wie tief und herzlich diese Freundschaft war, das fühle ich erst jetzt. Sie brauchen ihm das nicht zu sagen. GRÄFIN NORDHEIM. – Nicht? – ei seht doch! SARAH. Nein. Ich bitte Sie im Gegenteil, sagen sie ihm von mir nichts als nur: daß es mir lieb wäre wenn wir einander nie und nimmer wiedersähen. GRÄFIN NORDHEIM. Das wäre Ihnen lieb? SARAH. Es ist einmal so. Verzeihen Sie, beste Gräfin! – Und wenn Sie mir etwas gutes tun wollen, so bitten Sie meinen Vater, daß er mich fortschicke von hier, heim zu den Meinigen. GRÄFIN NORDHEIM für sich. Ich traue meinen Ohren nicht, sie kommt allen meinen Wünschen zuvor. SARAH. Wollen Sie es tun? GRÄFIN NORDHEIM. Ja gewiß, ich will. SARAH. Sie sind s o gut! GRÄFIN NORDHEIM. Liebes, vortreffliches Kind! Sie fallen einander in die Arme. GRÄFIN NORDHEIM. Sie sehen ein, nicht wahr? daß mein Sohn in Verhältnissen lebt – SARAH. Ja, leider! GRÄFIN NORDHEIM. – die er berücksichtigen muß – SARAH. – Oh! ... GRÄFIN NORDHEIM. – bei der einstigen Wahl seiner Gattin – SARAH hastig. Er will heiraten? GRÄFIN NORDHEIM. Dereinst – in hoffentlich ziemlich ferner Zukunft. SARAH. Bis er sich geändert haben wird, gebessert.

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GRÄFIN NORDHEIM. Gebessert? ... Mein liebes Kind – gebessert? ... Ich wüßte nicht von welchen Fehlern. – Er hat keinen, der arme Engel. SARAH. Nun – was das betrifft! ... GRÄFIN NORDHEIM. Mein liebes Kind, ich hoffe nicht, daß Sie sich herausnehmen. – – Mein Sohn ist ein ganz tadelloser – – SARAH. Entschuldigen Sie ihn nicht, Gräfin! Entschuldigen Sie ihn nicht! {GRÄFIN NORDHEIM. – Vor Ihnen? Für sich. Sie ist unglaublich. SARAH. Geben Sie acht auf ihn. Erlauben Sie ihm nicht den ganzen Tag müßig zu sein. „Müßiggang“ Sie kennen ja das alte Sprichwort.} GRÄFIN NORDHEIM. Wie sie mit mir redet! – Es ist unerhört wie sie mit mir redet! SARAH. Und wenn ich Ihnen raten darf –: Verbieten Sie ihm ganz und gar hierher zu kommen in dieses Haus. GRÄFIN NORDHEIM. So lange Sie noch da sind? SARAH. Auch wenn ich nicht mehr da sein werde. O dann erst recht. GRÄFIN NORDHEIM. So? – So? – Für sich. Hab’ ich mir’s doch immer gedacht! – Diese Melanie, diese Claudine. Wahrscheinlich ermutigt durch die alberne Mama. Wie hoch die hinaus will! – was die sich einbildet! Laut. Nun, liebe Kleine, umarmen Sie mich noch einmal mein Kind. Sie gefallen mir außerordentlich. Ich danke Ihnen für Ihre guten Ratschläge, ich werde sie befolgen. Gräfin Nordheim ab durch die Mitte. Hochburg und Therese sind während der letzten Reden der Gräfin von links aufgetreten.

Fünfter Auftritt SARAH. HOCHBURG. THERESE.

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THERESE. Was soll das heißen? HOCHBURG. Sie dankt D i r für – Deine guten Ratschläge? SARAH. Ja. {HOCHBURG. Ist ein Dunkel.} THERESE. {für sich. Der Franz könnte schon zurück sein. Zu Sarah.} Wovon habt Ihr gesprochen? SARAH sieht ihr fest ins Gesicht. Vom Grafen Paul! Will fort. THERESE ihr nach. Hat sie ihn heut gesehen? Ausholend. Ist er etwa am frühen Morgen ausgegangen? SARAH. Davon war nicht die Rede. Ab durch die Mitte. HOCHBURG. Sarah!

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THERESE für sich. Sie schlagen sich vielleicht in diesem Augenblicke. Laut. Und dieser Franz, dieser Franz, der nicht kommt! HOCHBURG. Therese! Franz tritt atemlos ein. THERESE. Nun?! Nun?! FRANZ. Der Herr Graf sind vom Uhrmacher auf dem Ring, zu einem Uhrmacher auf dem Graben gefahren – THERESE. – Und – dort? – – FRANZ. Aber auf dem Graben gibt’s viele Uhrmacher ... Ich war bei dreien ... Keiner hat den Herrn Grafen gesehen. THERESE. Wären Sie zum vierten gegangen – zum fünften – zum sechsten! FRANZ. Frau Gräfin ich bin – außer Atem. {HOCHBURG. Sag mir nur was Dir einfällt, Deinem Mann so nachsetzen zu lassen? THERESE. Dieses jagen von einem Uhrmacher zum andern ... Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. Vater, wenn man sich duelliert, pflegt man vielleicht auf den Kampfplatz eine besonders gut gehende Uhr mitzunehmen? HOCHBURG. Unsinn! FRANZ für sich. Kampfplatz? Sich duelliert? Wegen der Heuschrecke vom Ballet?} THERESE. Bediente! Comissionairs – zu allen Uhrmachern der Stadt. Ich gebe selbst Befehl. Vorwärts Franz! Therese ab nach links. FRANZ folgt ihr. O wenn ich nicht selbst in Sorgen wäre – keinen Schritt! Ab. HOCHBURG allein. Nein – meine Töchter! Wenn sie nicht beide auf dem Punkte stehen überzuschnappen – so gehe ich heute abends zu Bette als roter Republikaner! DIENER meldend. Graf Nordheim.

Sechster Auftritt HOCHBURG. PAUL.

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PAUL. Graf Hochburg! ... Meine Mutter war hier! HOCHBURG. So eben. Sie müssen ihr begegnet sein. PAUL. Was sagte meine Mutter? – Ich bitte Sie um Gotteswillen! ... HOCHBURG. Junger Mann Sie sind in einer Aufregung – Für sich. Auch der! PAUL. Was sagte meine Mutter?! HOCHBURG. Nur sehr wenig. Sie kam um mit Sarah zu sprechen. PAUL. Und – sprach sie?

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HOCHBURG. Sprach sie! PAUL. Dann ist alles aus, alles verloren! Stürzt auf Hochburg zu. HOCHBURG weicht zurück. Fassen Sie sich! {wenn man Besuche macht, so fasst man sich.} PAUL. Verzeihen Sie. Eine Ehrensache hielt mich ab v o r meiner Mutter hier zu sein. Robert hat sich geschlagen – mit Limburg ... HOCHBURG. Ist er todt? PAUL. Wer? HOCHBURG. Robert. PAUL. Er? – Er befindet sich vortrefflich. Limburg hat eine Schmarre. {HOCHBURG. Allerdings – das ist ein Unglück. PAUL. Ich war sein Sekundant – deshalb, o glauben Sie mir! deshalb allein. HOCHBURG. Und Limburg? PAUL. Was Limburg! HOCHBURG. Ist d e r todt? PAUL. Hat eine Schmarre! nicht der Rede wert – aber ich. HOCHBURG. Nun Sie sind doch nicht todt. PAUL. Ach, wenn es nur das wäre! ...} Graf Hochburg! – ich – ich liebe Ihre Tochter Sarah grenzenlos! HOCHBURG prallt zurück. Wie?! PAUL. Haben Sie a u c h etwas dagegen? HOCHBURG. – Mein Sohn! {PAUL. O von ganzem Herzen! aber meine Mutter! HOCHBURG. Ihre Mutter s c h w ä r m t für Sarah, die vortreffliche Frau! Sie hat sie umarmt, zärtlich – ich hab’s gesehn! ihr gedankt innig – ich hab’s gehört. PAUL. – Entsetzlich! HOCHBURG. Entsetzlich? PAUL. Dann liebt mich Sarah nicht! sie liebt mich nicht! HOCHBURG. Woher vermuten Sie ...? PAUL. Deshalb hat meine Mutter sie umarmt, – dafür hat meine Mutter ihr gedankt! HOCHBURG. Seien Sie doch ruhig. Das Mädchen liebt Sie. Ich bin davon überzeugt! PAUL. Ich bin es leider nicht, Graf Hochburg!} Gestatten Sie mir eine Unterredung mit Ihrer Tochter ... {Aus ihrem eigenen Munde muß ich hören, daß ich ihr nicht ganz unausstehlich bin, wenn ich es glauben soll! HOCHBURG gerührt, entzückt. Liebenswürdige Bescheidenheit! PAUL.} Teuerster Graf, lassen Sie mich Gräfin Sarah aufsuchen. HOCHBURG. Ich schicke meine Tochter hierher, aber vorbereiten will ich sie. – – PAUL. Durchaus nicht! – Ihr Wunsch darf sie nicht bestimmen. Frei soll ihr Entschluss sich äußern.

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HOCHBURG. Wolan denn, auch das! Reicht ihm die Hand. Glück auf, lieber Paul! Ab. PAUL allein. Ich zittere. – Ich? – nein – ja doch, ja, und gehörig. – – – Was tadelte ich nicht alles an ihr – noch gestern. – Wie lag mir der Stammbaum ihrer Mutter im Sinne, die Bedenken der meinen, das Geschwätz der guten Freunde – und heut! ... Ein Zweifel an der Möglichkeit sie zu erringen, ein Wanken im Glauben an ihre Sympathie, und verschwunden vor der vollen, warmen Herzensregung, ist die kalte Rücksicht, das hohle Vorurteil. – Nichts quält, nichts ängstigt mehr als nur die Frage: Kann sie mich lieben, und bin ich ihrer wert? –

Siebenter Auftritt DER VORIGE. SARAH.

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PAUL ihr entgegen. Gräfin Sarah! – Ihr Vater hat Ihnen gesagt, – – Sie wußten, daß Sie mich hier treffen würden? SARAH. Ja. PAUL. Und Sie kamen dennoch. Haben Sie – Dank! ... Seit gestern sind Sie gegen mich so – verändert, daß ich fürchtete ... Nun, Gottlob, Sie sind da. Aber die frühere Sarah sind Sie nicht. – Warum? – Launen? Sie haben keine. Es muß etwas geschehen sein, das mir Ihre gute Meinung – denn ich glaube sie besessen zu haben – entzog. Bin ich verleumdet worden? SARAH. Nein. PAUL. Habe ich etwas getan das Ihnen missfiel? SARAH. Ja. PAUL. Und was? Seien Sie aufrichtig mit mir! – So gewiß Sie glauben, mich anklagen zu dürfen, so gewiß hoffe ich mich rechtfertigen zu können. SARAH. Nein. PAUL. Gräfin! Gräfin! – es steht zwar geschrieben: Euer Wort soll sein: Ja, ja, und nein, nein – aber Sie befolgen dieses Gebot doch gar zu buchstäblich – Mein ganzes Herz liegt offen vor Ihnen – SARAH. Das Herz eines Mannes! PAUL befremdet. J–a. Warum verschließen Sie mir das Ihre? – Gräfin Sarah, wenn Bewunderung und Sympathie, ein Recht geben auf Vertrauen, dann verdiene ich daß Sie mir vertrauen. {SARAH. Bewunderung? – wie käme ich dazu? – Sympathie – haben Sie für andere Leute mehr als für mich Leise. und mehr als gut ist. PAUL. Glauben Sie das nicht! – S i e sind mir, Sie, das wichtigste Wesen in der

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Schöpfung, dasjenige von dem mir das höchste Glück, das tiefste Leid kommen kann. – Wäre es anders, stände ich da vor Ihnen so ratlos und zugleich so fest entschlossen, so nahe der Verzweiflung und so bereit zum Entzücken? ... SARAH. Entzücken? ... Wie war es doch? – Jubel und Entzücken – davon die Welt voll ist – Blicken Sie nur um sich – oh! – oh! PAUL. Mein Gott! ... SARAH mit Überwindung. Ich habe meinem Vater versprochen, Sie anzuhören. Was wollen Sie von mir? Sagen Sie – nur bald, nur rasch – und lassen Sie mich fort! PAUL in heftigem Kampfe. Gehen Sie, Gräfin Sarah. Ich halte Sie nicht zurück. Gehen Sie und nehmen Sie das Bewußtsein mit sich, einen Menschen, der Sie liebt, recht unglücklich gemacht zu haben. SARAH bitter. – Der mich liebt! PAUL. Ja, der Sie liebt, und Sie lieben w i r d trotz all Ihrer Härte und Herbigkeit. Ich fühl’s, selbst S i e vermögen es nicht diese übermächtige Empfindung in mir zu besiegen.} SARAH für sich. Kann ein Mensch so lügen? – Laut. Der Zweck dieser Unterredung, Graf Nordheim? – Das letzte von allen diesen schönen Worten? PAUL. Schönen W o r t e n ? ! – Leben Sie wohl. – Will gehen. SARAH. Graf Paul! PAUL bleibt stehen. Gräfin Sarah? SARAH mit gefalteten Händen. Gehen Sie in sich, Graf Paul! gehen Sie in sich! PAUL. Wie gerne! – Ich bin ja immer bereit einen Fehler abzulegen, ein Unrecht gut zu machen – aber man muß mir den Fehler nennen, das Unrecht zeigen. SARAH. Sind Sie ein Kind? fühlen Sie es denn nicht selbst? PAUL. Was? reden Sie! SARAH. – Ich kann nicht – Ich bringe es nicht über meine Lippen. PAUL. Ist es denn etwas so fürchterliches? SARAH. Das fürchterlichste das man sich denken kann! PAUL. Sie erschrecken mich – SARAH. Das Gewissen – wenn Ihr Gewissen sich regte – wie wollt ich Gott danken! ... Wie hab’ ich darum zu ihm gebetet heut Nacht, so innig und inbrünstig! – – PAUL. Sarah! SARAH. Und nun sage ich Ihnen herzlicher als eben Sie zu mir gesagt haben: Leben Sie wohl! PAUL. Muß man denn überhaupt: „Leben Sie wohl“ sagen? SARAH. Man pflegt doch nicht ohne Gruß von einander zu gehen.

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PAUL. Muß man denn überhaupt von einander gehen? – Wär’s nicht besser, man bliebe, man verständigte sich, reichte sich die Hände und sagte dabei: „Für’s Leben!“? SARAH. Was sagte man? ... PAUL. Die Hoffnung lassen Sie mir, Gräfin Sarah, – die leise, beseligende Hoffnung – SARAH zieht sich immer mehr zurück. Worauf denn? PAUL. Daß Sie vielleicht doch einmal dereinst – mein werden könnten. SARAH. Ihre Frau? Ausbrechend. Sie wollen mich heiraten?! PAUL. Beim Himmel, ja! SARAH. Nun, Graf Nordheim, das ist g a n z abscheulich von Ihnen!

Achter Auftritt DIE VORIGEN. HOCHBURG.

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HOCHBURG zu Paul. Haben Sie Ihr Glück versucht? PAUL. Meiner Versuchung, Graf Hochburg, widersteht mein Glück. {HOCHBURG. Ihr seid noch nicht im Reinen, Kinder? PAUL.} Gräfin Sarah schlägt mich aus. HOCHBURG. Das kann nicht sein! Sie haben falsch gehört – SARAH. Nein Vater! der Graf hat ganz recht gehört. HOCHBURG fast sprachlos. – Du – unterfängst Dich – Gegen Paul. Entschuldigen Sie – – SARAH. Mein Gott – HOCHBURG. Beim Himmel – das hat keinen Namen!

Neunter Auftritt DIE VORIGEN. ROBERT.

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ROBERT kommt rasch. Guten Morgen. HOCHBURG für sich. Der? – Immer zur Unzeit. SARAH ist Robert entgegen geeilt. Immer, Du Guter, wenn ich Dich am innigsten ersehne! ROBERT. Was fehlt dem Kinde? Leise zu Hochburg. Die Lovely ist verschwunden – die ganze Stadt voll von der Nachricht – man meint, daß Kurt, ich komme von ihm – auch er – –

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HOCHBURG. Was hat Kurt mit der Lovely zu schaffen? ROBERT. – Bestimmt weiß ich’s nicht, aber ich habe böse Ahnungen. HOCHBURG. Lächerlich – lächerlich! {THERESE kommt. Onkel Robert! hast Du meinen Mann nicht gesehen? HOCHBURG. Auch die? – die fehlte noch! THERESE Paul erblickend. Graf Paul Nordheim! ... Wo ist mein Mann?! ... PAUL. Beim Uhrmacher, Gräfin, beim Uhrmacher auf dem Markte. THERESE. ... Auf dem Markte? ROBERT. Nicht doch, beim Uhrmacher in der Herrenzeile. THERESE. In der Herrenzeile? PAUL für sich. Arme Therese! – Deine Strafe ist schlimmer als Dein Vergehen. Ich will Dir Ruhe schaffen. Leise zu Therese. Ich muß Sie sprechen! THERESE. Sie mich? – Nie wieder! PAUL wie oben. In Hectors Sache. THERESE. Ihr Wort darauf? PAUL. Mein Wort. THERESE laut und förmlich. Graf Nordheim, ich erwarte Sie im Salon meines Mannes. Ab durch die Mitte. SARAH die sie beobachtet hat, für sich. Das nennt man, glaub ich, ein StellDich-ein. Oh!} PAUL. Gräfin Sarah! SARAH macht eine abwehrende Bewegung. PAUL. Fürchten Sie nichts. Ich dringe jetzt nicht mehr in Sie. Ich will einer günstigeren Stunde warten. Dann bekennen Sie mir freimütig wessen Sie mich beschuldigen. Dann mag sich’s entscheiden ob Ihr Verdacht derart gewesen, daß S i e ihn aufgeben können, und i c h – ihn verzeihen darf. Ab durch die Mitte. HOCHBURG. Ich weiß nicht mehr was ich denken soll. Hier hört alles auf. SARAH hat sich an den Tisch des Mitteletablissements gesetzt, verbirgt das Gesicht in den Händen und weint. HOCHBURG sehr erregt. Es gibt Grenzen. Meine Geduld steht an den ihren. Vernimm! – Wenn der edle junge Mann, der uns eben verließ, wiederkehrt, empfängst Du ihn freundlich – bescheiden, still, aber freundlich. Du begrüßest in ihm Deinen Bräutigam. SARAH steht auf. Nein, Papa! HOCHBURG. Hat man je dergleichen erlebt? – – Zu Robert. Ist Dir ein solcher Übermut vorgekommen? ein solcher Unverstand?! ROBERT. Niemals! Ich begreife nicht, was das Mädel will. SARAH. Was das Mädel will? – – Ein wenig Wohlwollen, ein wenig Güte. Einen Arm auf den sie sich stützen kann, ein Herz an das sie glauben kann – – HOCHBURG. Das alles wirst Du finden bei Deinem künftigen Mann – und – –

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SARAH. Wenn ich aber nicht heiraten will, lieber Vater? – Und ich will nicht heiraten. Ich habe es schon beschlossen. HOCHBURG. Nicht heiraten?! ... Du willst nicht heiraten?!! ... Was willst Du denn? – – In ein Kloster gehen? SARAH. Das auch nicht. HOCHBURG. Torheit! Verkehrtheit! ... Bezwingt sich. Warum führt man Dich in die Welt? Weshalb gibt man sich mit Dir so viel, leider fruchtlose Mühe? – Wozu berief ich Dich hierher? SARAH. Wozu? HOCHBURG. Wozu, ja! … Um Dich zu verheiraten, dazu! – einzig und allein. Das ist – – SARAH. Um mich zu verheiraten! – – Also nicht, weil Du Dich nach mir sehntest? weil Du mich bei Dir haben wolltest? HOCHBURG. Haben – bei mir haben – aber doch nicht – behalten! – Da sei Gott vor! SARAH. Blos um mich zu verheiraten! – – Und gleichviel an wen! wenn er mich nur fortnimmt, so recht fort! – und für immer! HOCHBURG außer sich. Ja, ja, ja! ROBERT. Mäßige Dich. HOCHBURG. Ich kann mit ihr gar nicht reden! SARAH schmerzlich. Gleichviel an wen … Der erste beste – HOCHBURG. Paul, der erste beste!! Nach dem Tode seines Onkels wird er Fürst! SARAH. Ob ich ihn liebe, darnach fragst Du nicht? – ob er meiner Liebe wert ist, darnach fragst Du nicht? {HOCHBURG hart. Viel eher frag ich ob Du der seinen wert bist. SARAH. Vater!} HOCHBURG. Genug! genug! Keine Widerrede mehr. Du wirst heiraten, ich will es und befehl’s. {SARAH. So zwingst du mich – HOCHBURG. Zu Deinem Glücke! zu Deinem Glücke das tausende Dir beneiden, tausende die es mehr verdienen als Du!} ROBERT. Mäßige Dich. HOCHBURG. Leicht gesagt! ... Aus Dir spricht der Onkel, mich, ihren Vater, bringt dieses herzlose, undankbare Kind aus aller Fassung – um den Verstand! SARAH. Du hörst es, Onkel Robert, ich muß gehorchen sonst bin ich ein herzloses, undankbares Kind, das seinen Vater um den Verstand bringt. Ich m u ß heiraten um jeden Preis. Nun denn – so erbarme Du Dich meiner – Onkel Robert, Du! – Heirate mich! ROBERT springt auf. Ich?! HOCHBURG sinkt auf einen Stuhl. Es ist geschehen – sie i s t verrückt!

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SARAH. Sie wollen mich diesem Paul hingeben – lass es nicht zu! Ich werfe mich an Dein Herz, weise mich nicht ab! – Ich suche Schutz bei Dir – gewähre ihn! ROBERT für sich. Was ist da vorgegangen? Wodurch hat sich „dieser Paul“ um allen Kredit gebracht? Laut mit angenommenem Ernste. Du verschmähst Paul und wählst mich? – Sarah, treibe kein Spiel mit mir! SARAH. Ich rufe zu Dir in meiner Herzensangst – ist das ein Spiel? Ich rufe zu Dir mit Tränen und mit Flehen, ist das ein Spiel? ROBERT wie oben. Ja mein liebes Kind, – sage mir vor allem anderen {Für sich. Ich bin lächerlich. Laut, mit Zögern. Sage mir,} liebst Du mich? HOCHBURG. Hahaha! ROBERT. Man wird gebeten nicht zu lachen. SARAH. Ob ich Dich liebe kannst Du fragen?! ROBERT zu Hochburg. Hörst Du wohl? Zu Sarah. Und Du ziehst m i c h Paul vor? SARAH. Vergleiche Dich nicht mit ihm! nenne ihn nicht in einem Atem mit Dir! {ROBERT. Sarah, prüfe Dich, mein Kind. Du liebst mich wirklich, den alten Onkel? SARAH. Ach. ROBERT. Ich – ich – Für sich.} Besser als er gefällt Dir Dein alter Onkel? SARAH. Wie niemand auf der ganzen Welt gefällst Du mir. ROBERT. {Nicht mög – – Für sich. Freilich, d}〈D〉as freilich kann Geschmackssache sein. Deine Tochter hat einen sehr soliden Geschmack, Vetter Hochburg. SARAH. Wie keinen bewundere ich Dich! was Du findest, das ist auch meine Meinung und ich weiß: es ist die beste, edelste. In Deiner Nähe allein fühle ich mich ganz ruhig, ganz glücklich! HOCHBURG. Närrisches Ding! ROBERT. Und in der seinen höchst beklommen, nicht wahr? ganz unheimlich. Mein Kind – ich bin erstaunt – ich bin gerührt. Ich kann’s nicht leugnen. Für sich. Aber den Kopf wollen wir deshalb doch nicht verlieren. Laut. Du hast ein Wort gesprochen, das mich zu Deinem Sklaven macht. Du hast meinen Schutz begehrt. Den verweigerte ich noch keinem der ihn anrief. Ich will mit Dir nicht den Anfang machen. {SARAH. Oh Du bist gut! ROBERT. Hier steh ich. Kein Jüngling der mit Dir scherzen und schwärmen wird, aber ein Mann der diese kleine Hand mit ehrlicher Rechte fasst und Dir sagt Sarah: Meine Schuld soll’s nicht sein, wenn Du es je bereust sie mir anvertraut zu haben.} SARAH. Auch Du, Onkel Robert, sollst es nie bereuen. Tränen ersticken ihre Stimme. ROBERT. Mein Liebling! meine kleine Sarah!

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HOCHBURG. Macht ein Ende der kläglichen Comödie! SARAH. Comödie? ROBERT. Halt da, Vetter Hochburg! – Ich spiele mit in der Comödie und mir beliebt’s meine Rolle ernst zu nehmen. Vetter Hochburg, ich habe die Ehre Dich um die Hand Deiner Tochter Sarah zu bitten. HOCHBURG. Fast hätt ich Lust zu sagen: Nimm sie! – Du bindest Dir eine Rute sonder gleichen. Diener kommt. DIENER zu Hochburg. Herr Graf, der Jäger des Grafen Kurt ist da. Der Herr Graf werden vermisst, sind heut Nacht, drei Viertel auf zwei Uhr vom Hause weg gefahren, ohne Begleitung, ohne eine Post zu hinterlassen und sind bis zur Stunde nicht zurückgekehrt. ROBERT. Ei! HOCHBURG. Das große Ereigniss! Es geschieht wohl zum erstenmal, daß er eine Nacht außer dem Hause zubringt. DIENER. Aber – HOCHBURG. Schon gut. Diener ab. HOCHBURG leise zu Robert. Er hat entsetzliches Glück bei den Frauen. ROBERT. Wenn das Glück Lovely heißt, dann ist es freilich entsetzlich. HOCHBURG. Ich will nur gehen, die Leute meines Sohnes beruhigen – ihnen verbieten zu schwatzen. ROBERT. Ich begleite Dich. Bedenklich ist die Geschichte doch. – Im schlimmsten Falle reise ich ihm nach, und dafür stehe ich Dir gut, ich bringe ihn zurück. Wendet sich zu Sarah. – Sarah – nun? – wo bleibt mein Bräutigamskuß? SARAH wirft sich in seine Arme. ROBERT küsst sie auf die Stirne. Für sich. Sehr angenehm! – O wie gerne tauschte ich die Gnade in der ich stehe gegen die Ungnade, in der sich Paul befindet! Laut. Komm – Schwiegervater! Hochburg und Robert ab. SARAH. Ich bin gerettet, bin geborgen am Herzen des edelsten Mannes. Seine Braut! – Verdiene ich so viel Glück als ich – empfinden sollte? ... empfinden w i l l – gewiß. Schluchzend. Wir werden sehr, sehr glücklich sein! Sarah ab.

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{Zehnter Auftritt

DIE VORIGE. THERESE aus Hector’s Zimmer. FRANZ durch die Mitte. Kommen zugleich.

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FRANZ. Wir sind ihm auf der Spur! auf der Spur! man hat ihn gesehen beim Uhrmacher auf dem Jakobsplatz. Ich fliege dahin. Franz stürzt ab. THERESE. Ring – Graben – Markt – Herrenzeile – Jakobsplatz! Sie wirft sich rechts in einen Fauteuil. Sarah hat sich in einen Fauteuil links gesetzt. THERESE nach einer Pause. Ach Sarah! – ich weiß mir nicht zu raten, noch zu helfen. Ich bin in einer Lage – – Guter Gott! kann man das eine Lage nennen, wenn man von Furcht und Hoffnung umhergeworfen wird wie ein Ball! SARAH für sich. Die Reue quält. THERESE rückt näher. Ich muß Dir alles sagen! – ich muß mein Herz entlasten, Sarah – Kind – Schwester! ich habe eine fürchterliche Torheit begangen! SARAH. Arme Therese! THERESE. Ich habe Hector, der immer behauptet, es gäbe keine Tugend unter den Weibern das Gegenteil beweisen wollen, und deshalb den Grafen Paul gebeten mir eine Liebeserklärung zu machen. SARAH. S–o–? – THERESE. Die Hector mitanhören sollte. SARAH. Mitanhören? THERESE. Die Art in welcher ich den eingebildeten Verehrer abzuweisen entschlossen war, sollte Hector überzeugen – Du verstehst? Rückt näher. SARAH. Nicht ein Wort. THERESE. Ich treffe Anstalt, daß Hector, scheinbar ohne mein Wissen, zu Hause bleibt – SARAH rückt näher. Gestern, vor dem Balle? THERESE. Ja. Ich setze mich hierher, an die Türe seines Zimmers. Paul kommt, sagt seine Phrasen her – ich antworte voll Würde, voll Entrüstung – erwarte, daß er geht, daß Hector erscheint und gerührt spricht: „Ja, es gibt noch tugendhafte Frauen!“ – Indessen, ach! was geschieht? Der abscheuliche Paul, anstatt sich zu entfernen, wie ich es ihm befehle – bleibt, und fängt nun erst recht an, mir von seiner Liebe vorzudeklamieren, in Ausdrücken – so herausfordernd für Hector – so beleidigend für mich – – noch schaudert mir davor ... SARAH. Und – Du reißest Dich los – Rückt näher. THERESE. Ich reiße mich los! – Aber seitdem – seitdem lebe ich wie unter dem Beile des Henkers! Was nützen mir jetzt Pauls Beteuerungen, er habe gestern nur gescherzt, mich nur ängstigen wollen! SARAH. Nur gescherzt? – Dich nur ängstigen wollen?

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THERESE. Er liebe mich n i c h t – er liebe einzig Dich. SARAH springt auf. Therese! Therese! Wenn es wahr wäre! THERESE. Es ist aber n i c h t wahr. Er sagt n u r Lügen, lauter Lügen! SARAH. Mit dem ehrlichen Gesichte! THERESE. Zuerst behauptet er, Hector hätte von der ganzen Liebeserklärung nichts gehört, sondern während derselben ruhig in seinem Zimmer geschlafen! – Offenbare Lüge ... SARAH in höchster Spannung. Wahrheit – Hector hat geschlafen, er hat sogar ein wenig geschnarcht. THERESE. Was weißt Du davon? – Er hat nicht geschlafen, er hat alles gehört, er ist seit der unglücklichen Katastrophe finster und rätselhaft. SARAH. Weiter – weiter – THERESE. Zweitens! – Paul hat die Kühnheit gehabt, mir einen Strauß zu schicken – noch dazu auf höchst geheimnisvolle Art. – Niemand will ihn übernommen, niemand ihn hereingebracht haben. Aber der Strauß i s t von ihm und er leugnet’s! SARAH. – Hyacinthen, weiße Rosen, Mirabilis – THERESE. Jalappa! SARAH jubelnd. Es ist wahr! es ist wahr! – Er lügt nicht – oh – Therese! Fällt Therese um den Hals. THERESE. Sarah?! SARAH. Er hat Recht – in allem Recht – die Welt ist voll des Jubels, des Entzückens und alles ist ... Hält plötzlich inne. – – Nein, nein, alles ist Verkehrtheit und Confusion und die Welt ist hässlich, und das Leben ist ein Unsinn und ich bin die Braut Onkel Roberts! ...}

Zehnter Auftritt HECTOR und FRANZ kommen durch die Mitte.

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HECTOR. Also – wo ist die Gräfin? FRANZ indem er ihm den Überrock auszieht. Mit dem Grafen Papa hinüber gegangen in sein Zimmer. {Soll ich sie holen? HECTOR. Wird schon von selbst kommen. FRANZ} Geheimnisvoll. Herr Graf, ich glaube, sie weiß alles. HECTOR. – Alles? Für sich. Esel. FRANZ. Herr Graf haben noch den Hut ... HECTOR. Graf zum Kukuk. FRANZ. Sehr wohl, Herr Graf. Für sich im Abgehen. Die Lektion muß gut gewesen sein, denn die Laune ist schlecht. Ab.

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HECTOR zieht Uhren aus allen Taschen, legt sie auf den Tisch, ordnet und betrachtet sie. Die – sieht der noch am ähnlichsten ... Aber – zum Verwechseln nicht – nein. – Dumme Geschichte. – – Vielleicht doch daß die ... Kurt tritt ein. KURT. Good day. HECTOR. Was Teufel – Du? KURT. Papa war bei mir, hör ich. Setzt sich. HECTOR. Wo ist die Lovely? KURT. Weiß ich’s? HECTOR. Du weißt nicht? KURT erblickt die Uhren. Ah ça! – Bist Du ein Uhrmacher geworden? HECTOR. Ich leg’ so eine Sammlung an. KURT. Unvollständig. Das Prachtexemplar fehlt. Zieht das Etui in rosafarbenem Papier aus der Tasche. Da! HECTOR. Oho! KURT legt das Etui auf den Tisch. Die Fürstin Dina Nordheim, geborne Lovely, lässt grüßen. HECTOR. – Meine – Deine – KURT. S e i n e Lovely. HECTOR. Wessen? KURT. Des Nordheim. HECTOR. Waren sie denn nicht brouilliert? KURT. Sie haben sich versöhnt. HECTOR. War er denn nicht verreist? KURT. Sie wußte wohin, da ist sie ihm nachgereist. Jetzt darf man’s sagen – nach Marienberg. Ich – aus Freundschaft – habe sie begleitet. HECTOR ironisch, sieht ihn zweifelnd an. Guter Kerl. KURT springt auf, ausbrechend. Verteufelt! Verwünscht! verflucht! vermaledeit!! HECTOR ganz ruhig. He – he – KURT. Zur Hölle die Verstellung! – Ich erzähl’s – – Ich erzähl’s heut nacht im Club, und – merk das und sag es ihnen: Sie mögen ihre Nerven in Acht nehmen! Dem – unwillkürlich oder nicht – nur die Wimper zuckt, nur die Lippe sich kräuselt, der schießt sich morgen mit mir. {Keine Spielerei, keine Distanz! – Zwei Pistolen, geladen die eine, ungeladen die andere. Und nun gewählt. Die Mündungen auf die Herzen gedrückt und – los das Zünglein! – Ich will der einzige sein, der über die Geschichte lacht.} HECTOR. N–a. – – Also die Lovely? KURT. Ich führe sie nach Marienberg. HECTOR. Mit den Schecken? KURT. Mit den Schecken.

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HECTOR. Sechs Stund? KURT. Vier fünfzehn. HECTOR der bis jetzt den Hut nicht abgelegt, nimmt ihn unwillkürlich ab. Servus. KURT. Wir halten vor dem großen Hôtel. Sechs Uhr fünfzehn. Sie sagt: „Ich bin fatiguiert, ich muß mir ausruhn, Toilette machen. Komm Sie in drei Stund. Da wollen wir frühstück.“ – Ich zum Kellner: „Ein Zimmer für mich.“ Und er zu mir: „Keines mehr frei. Madame haben das große Apartement bestellt, alles andere überfüllt.“ Und sie zu mir: „So gehe Sie unterdess spazier.“ – Sechs Uhr fünfzehn. – Ich gehe „spazier.“ – Drei volle Stunden. HECTOR. Hm. KURT. Und wie ich zurückkehre und wie ich in den Salon trete, da sitzen sie am Theetisch, sie und Nordheim. HECTOR. Und Nordheim. KURT. Wie mich der erblickt, steht er auf und dankt mir feierlich und förmlich für den Dienst, den ich – s e i n e r B r a u t erwies, indem ich sie so ritterlich hierher geleitet. Für die Weiterreise werde er sorgen. Verneigt sich und geht seine Anstalten zu treffen. Die Tänzerin aber spricht: „Hätten S i e mich geheirat, Sir? O nein, Sie haben nur gewollt davon gehn mit mir. Nordheim war schlimm, aber ich habe ihn gemacht wieder gut und er heirat mich. {Wenn er sich nicht hätte machen lassen wieder gut, ja dann! Ich weiß nicht, was ich würde haben getan – in Verzweiflung. Good morning Sir. Ich will jetzt werden eine Lady und respektabel.“ Sie reicht mir die Hand und die Uhr, und empfiehlt sich.} HECTOR. Armer Kerl. KURT heftig. Was? – „armer Kerl“ – wer?! ... HECTOR. N–a – der Nordheim.

Elfter Auftritt DIE VORIGEN. HOCHBURG. THERESE.

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HOCHBURG auf Kurt, T HERESE auf Hector zugehend. Da ist er! THERESE. Endlich – Du Guter! Lieber! Endlich! HOCHBURG zu Kurt. Endlich, Du Taugenichts! ... Wo warst Du? KURT. Ausgefahren, Papa. HOCHBURG. Wenn Du in Zukunft wieder einmal – ausfahren solltest, ersuche ich Dich, einen Tag zu wählen, an dem Deine eventuelle Geliebte – zu Hause bleibt. KURT. Ja wohl Papa.

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HOCHBURG. Man legt sonst den Leuten Vermutungen nahe – KURT. Denen zwar jede Begründung fehlt – HOCHBURG. Die aber trotzdem kolportiert werden. {KURT. Trotzdem? Das heißt wohl: Eben deswegen. HOCHBURG. Ich will sagen! Was ich sage, das will ich sagen!} HECTOR leise zu Kurt. Wie denn? – Ich dachte, Du erzählst es jedem? KURT. Jedem mit dem ich mich schießen kann, wenn ihm’s etwa einfiele zu lächeln. THERESE erblickt die Uhren. Ach, die vielen Uhren! HECTOR. Gratuliere zum Geburtstag. THERESE. Närrischer Mensch! die alle gehören mir? – alle? ... Aber die erste bleibt doch die schönste. Greift nach dem Etui. HECTOR nimmt es ihr aus der Hand. Die schlechteste. Wirft die Uhr auf die Erde und tritt darauf. THERESE. Was tust Du? HECTOR. Sie hat einen Fehltritt begangen – will sagen: sie ist fehl gegangen. THERESE {für sich. Soll das eine Anspielung sein? Laut}. Einen Fehltritt? – Oh zu hart das Wort! HECTOR. Herzige Frau. Umarmt sie. – Für sich. Sie weiß – aber sie verzeiht. THERESE für sich. Er hat alles gehört aber er tut nichts dergleichen.

Zwölfter Auftritt DIE VORIGEN. GRÄFIN NORDHEIM. ROBERT.

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ALLE der Gräfin entgegen. Gräfin Nordheim! HOCHBURG. Frau Gräfin – vor Ihnen steht ein ganz vernichteter Vater. GRÄFIN NORDHEIM. Und vor Ihnen eine – unglückliche Mutter. Hochburg führt sie zum Sofa auf dem sie Platz nimmt. O mein Sohn, er hat packen lassen der arme Engel, er will fort und wohin? ... Nach Amerika! In Verzweiflung. Zu den Republikanern! ... THERESE. Er verreist? Leise zu Hector. Das ist Dein Werk – ich danke Dir. HECTOR. Was soll mein Werk sein? THERESE wie oben. Du willst es nicht gestehen, also – Sie legt den Finger auf den Mund. HECTOR. Ja! Also! KURT zur Gräfin. Frau Gräfin! GRÄFIN NORDHEIM. S i e – h i e r ? ... Graf Kurt, sind Sie wirklich hier? KURT. Mit Leib und Seele. GRÄFIN NORDHEIM. – Also – nicht – nicht? –

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KURT. Was – Frau Gräfin? GRÄFIN NORDHEIM unbesonnen. Und – die Lovely? KURT. Die Lovely läßt Sie grüßen. GRÄFIN NORDHEIM. Mich? ALLE ÜBRIGEN. Kurt! KURT. Wenn diese Uhren richtig zeigen, so hat die Lovely in dieser Stunde bereits die Ehre, Ihrer nächsten Verwandtschaft anzugehören. Sie ist die Frau Ihres Schwagers, des Fürsten Nordheim. GRÄFIN NORDHEIM. Nein!! ... HOCHBURG. Unmöglichkeit! KURT. Mir ward das Glück, Brautführer zu sein. HECTOR Kurt drohend. Du! KURT leise. Nun, auch mit der kann ich mich nicht schießen. Verneigt sich. Frau Gräfin. Im Hinausgehen zu Hector. Komm! THERESE. Nichts da! Er bleibt bei seiner Frau. HECTOR mit einem unterdrückten Seufzer. Er bleibt bei seiner Frau. KURT für sich. – „Bei seiner Frau“ – Das Ende vom Liede. Vorbei das lustige Champagner-Gelage, die Zeit der Korklese ist da. Jetzt gibt’s: – Pantoffelholz! Kurt ab. THERESE zu Hector. Die Gräfin scheint ihr volles Herz ausschütten zu wollen, ziehen wir uns diskret zurück. Therese und Hector ab nach rechts. ROBERT. Ein schwerer Schlag für Sie, Frau Gräfin. Erlauben Sie mir Ihnen meine ganze Teilnahme auszudrücken. GRÄFIN NORDHEIM. Die Abreise meines Sohnes, Graf Hochburg, die Abreise meines Sohnes, das ist für mich der schwerste Schlag. HOCHBURG. Seien Sie überzeugt ... GRÄFIN NORDHEIM. Ihre Tochter hat den Antrag meines Sohnes refüsiert. – Sehr taktvoll – sehr delikat! – Ich ehre das. {ROBERT. – Taktvoll – delikat? GRÄFIN NORDHEIM. Ich ehre auch, daß sie abreisen, daß sie die Stadt verlassen will. HOCHBURG. Die Stadt – ja ... GRÄFIN NORDHEIM. Sie hat ganz recht. Es ist nicht gut, wenn sie hier bleibt, der Aufenthalt in der Stadt ist für sie – nicht gut. HOCHBURG. Es war ohnehin – ROBERT. Erlauben Sie – GRÄFIN NORDHEIM. Sie sehnt sich zurück nach dem Lande. Sie hätte immer dort bleiben sollen. Sie hat hier nichts als Unheil angestiftet. Mein Sohn ist sehr unglücklich durch sie geworden. ROBERT. Dafür sind andere Leute sehr glücklich durch sie geworden. GRÄFIN NORDHEIM. Glücklich geworden? ... Zum Beispiel? ROBERT. Zum Beispiel, ich, Frau Gräfin, mit dem sie sich so eben verlobte.}

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GRÄFIN NORDHEIM freudig. Ah! Ich gratuliere! ... {Von ganzem Herzen. ...} Das ist ja vortrefflich! {vernünftig und vortrefflich.} Oh sie ist ein liebliches Wesen ... Jetzt muß ich’s gestehn: – ich finde sie bezaubernd. Merkwürdig aber – bezaubernd! ... Und ich bin entzü... Sich plötzlich besinnend. – – Allein – mein Sohn?! ... Was wird mein Sohn dazu sagen? – Himmel, was wird der arme Engel ... {ROBERT. Er wird sich trösten. HOCHBURG. Wenn er sich aber n i c h t tröstet? GRÄFIN NORDHEIM. Wenn er u n tröstlich ist? ... Es kommt vor – höre ich. ROBERT. Bei Ausnahms-Menschen. GRÄFIN NORDHEIM. O Gott! o Gott! mein Sohn ist ein Ausnahmsmensch!} ROBERT. Er wird sich in das Unabänderliche fügen, Gräfin. Sarah liebt ihn nicht, da kann niemand helfen. GRÄFIN NORDHEIM. Umso schlimmer! – Sie sollte ihn lieben – er verdient geliebt zu werden. HOCHBURG. Über alle Maßen! GRÄFIN NORDHEIM. Und er liebt Ihre Tochter mit einer Innigkeit! – Und ich habe ihn, als er vorhin heimgekommen, in einem Zustande gesehen ... Ich hätte nie gedacht, daß ich mein liebes Kind in einem solchen Zustande sehen und nicht vor Schmerz sterben könnte! THERESE. Mein Gott, Gräfin, das geht vorüber, er wird sich trösten. – HOCHBURG. Auch ich Gräfin habe ihn hier so gesehen. Er machte mir bange. GRÄFIN NORDHEIM zu Hochburg. Ich begreife Ihre Tochter nicht! ... Die Wahl zu haben zwischen meinem Sohn und ... Hält inne. ROBERT. Und – mir. Vollenden Sie nur. GRÄFIN NORDHEIM. Ein solcher Engel! Eine solche Partie! ROBERT. Engel? – mag sein, Partie? – Sie vergessen, daß der Schritt den Ihr Schwager Nordheim heut zum Traualtar getan für Paul ein fataler Schritt ist. Wenn die Fürstin Dinah ihren Gemal mit Nachkommenschaft beglückt – wo bleibt dann Paul’s Fürstentum? HOCHBURG ratlos. – Wo – freilich – wo? ... GRÄFIN NORDHEIM. Nachkommenschaft? – aber das ist ja abscheulich – das ist ja ein Raub – das sollte man verbieten!

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Dreizehnter Auftritt DIE VORIGEN. PAUL. Später SARAH.

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GRÄFIN NORDHEIM. Mein Sohn! PAUL sie grüßend. Liebe Mutter. Zu Hochburg. Graf Hochburg, ich komme die entscheidende Antwort Gräfin Sarahs zu holen. Darf ich mir eine letzte Unterredung mit ihr erbitten? ROBERT. Die Erlaubnis zu dieser letzten Unterredung habe i c h zu erteilen. PAUL. Du –? ROBERT schellt, ein Diener erscheint. Gräfin Sarah. Ich ließe bitten. Diener ab. Ich junger Freund. PAUL. In welcher Eigenschaft? ROBERT. In der ihres Verlobten. PAUL. Ihres Verlobten? ... Sie liebt Dich? ... Zur Gräfin schmerzlich. Mutter sind Sie jetzt zufrieden? SARAH kommt. Zu Robert. Was willst Du? – Paul erblickend. O mein Gott! PAUL. Gräfin Sarah! ... Ich ... Im heftigsten Kampfe. Ich wünsche Ihnen Glück. SARAH. Ich danke Ihnen. PAUL nach einer Pause. Sie haben eine edle Wahl getroffen. Sie wollten die Krone Ihrer Liebe an den Würdigsten verschenken und wenn hier das Verdienst allein entscheidet – SARAH fällt ihm ins Wort. Graf Nordheim, dieser Ton gekränkter Unschuld ziemt Ihnen nicht. GRÄFIN NORDHEIM. Nicht? – meinem Engel? THERESE für sich. Engel – Ha! SARAH deutet auf die Türe links. Vater, Onkel Robert, und auch Sie, teure Gräfin, ich bitte ein wenig da herein zu treten. Ich habe mit meiner Schwester und mit dem Grafen zu reden. GRÄFIN NORDHEIM. Reden Sie mein Kind! reden Sie! SARAH vertraulich zu ihr. Sie kennen mich. Es ist zu seinem Besten. GRÄFIN NORDHEIM. Zu seinem Besten? Winkt Hochburg und Robert. Kommen Sie! SARAH. Geht! geht! ROBERT. Das ist doch sonderbar – SARAH. Onkel Robert hast Du Vertrauen zu mir? ROBERT. Ja! Reicht der Gräfin den Arm und führt sie hinaus. HOCHBURG ihnen folgend. Ich verstehe gar nichts. Gräfin Nordheim, Hochburg, Robert ab nach links.

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Vierzehnter Auftritt THERESE. SARAH. PAUL.

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PAUL zu Sarah. Nun denn, Gräfin! nun denn, Ihre Anklage! ... Haben Sie endlich den Mut gefunden sie auszusprechen? SARAH. Meiner Schwester zulieb die ich vor Ihnen retten will ... PAUL. Vor – mir? THERESE. Sarah! SARAH. Ihrer armen Mutter zulieb, die Sie für einen Engel hält, habe ich ihn gefunden. – Vernehmt’s Ihr Unseligen! Ich kenne Euer strafbares Geheimnis! THERESE sinkt in einen Lehnstuhl. Himmel! SARAH. Ihr liebt Euch ... THERESE. Er mich – leidenschaftlich der Unselige – ich aber nicht ihn! PAUL. Ich Sie Gräfin?! ... Ah! SARAH. Gerechter Gott! gestern knieten Sie hier an dieser Stelle, zu den Füßen dieser Frau, dieser verheirateten Frau und riefen ... PAUL. Aber das war ja – SARAH. – Wir lieben uns! PAUL. Das war ja Scherz ... THERESE. Haha – Scherz! PAUL. Eine Komödie, auf Befehl Ihrer Schwester aufgeführt – SARAH. Auf Befehl? ... THERESE steht auf. Es sollte eine Komödie sein, Sie haben eine Tragödie daraus gemacht, Sie haben mich unglücklich gemacht. Ich stehe vor meinem Manne wie eine Verbrecherin ... Seine Freundlichkeit selbst ist mir unheimlich, denn schaudernd frage ich mich ob sie nicht blos eine Maske ... PAUL. Seien Sie doch ruhig – ich kann ... SARAH. Sie ist unglücklich, sehen Sie? Sie haben sie unglücklich gemacht! PAUL. Ich mache sie wieder glücklich, wenn ich ihr sage ... THERESE abwehrend. Nichts! Ich will nichts hören! SARAH tritt zwischen beide. Sie will nichts hören! PAUL. – Daß es mir nicht einfällt Sie zu lieben – THERESE. Wie? SARAH. Ah! PAUL. Daß ich meine Rolle in Ihrem improvisierten Festspiele nur etwas leidenschaftlicher darstellte als mir vorgeschrieben war, weil ich Sie ängstigen wollte ... THERESE pikiert. So, so. SARAH. Rolle? – Festspiel? –

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PAUL. – Weil ich mich rächen wollte für die Mißhandlung, die Sie mir angedeihen ließen im Angesichte Ihres Mannes. SARAH. Was soll das alles heißen? – Zu dieser gestrigen Scene – PAUL. – War ich kommandiert, von der Gräfin – die das Bedürfnis fühlte sich vor Hector im vollen Glanze ihrer ehelichen Treue zu zeigen. SARAH. Vor Hector? THERESE. O Hector! Hector! PAUL. Er erhielt seinen Lauscher- ich meinen Liebhaberposten angewiesen, sie – spielte die tugendhafte Frau vortrefflich – THERESE. Spielte?! ... PAUL. – Ich, den gewissenlosen Verführer wie ein Coulissen-Reisser. THERESE. Entschuldigen Sie, Sie haben sehr natürlich gespielt. SARAH. Ihr habt gespielt! – gespielt mit dem Heiligsten! – welches Unrecht, welcher Frevel! THERESE. Er ist bestraft, Sarah. Seit gestern lebe ich wie unter dem Beile des Henkers. Hector hat alles gehört und er schweigt und er sinnt vielleicht – PAUL. Aber Gräfin – SARAH. Hector hat gar nichts gehört – THERESE. Nichts?! SARAH. Er schlief ja – PAUL. Das wissen Sie? THERESE. Er – schlief? ... SARAH. Er hat sogar ein wenig geschnarcht. THERESE. Oh! PAUL. Das wissen Sie auch? SARAH. Ja. Das Publikum auf welches Ihr zähltet, ließ Euch im Stiche, doch hatte sich eines eingefunden auf welches Ihr nicht gezählt, ein armes – unfreiwilliges ... PAUL sich plötzlich besinnend. Der Vorhang! ... Dort – SARAH. Dort stand ich. PAUL und THERESE. Oh Lauscherin! SARAH. So ungern – wenn Ihr wüßtet ... THERESE zu Paul. Und das Bouquet? Das Bouquet?! PAUL. Welches Bouquet? THERESE. Hyacinthen, weiße Rosen, Mirabilis – SARAH. Jalappa? THERESE. Ja wohl! ja! SARAH. Das hab’ ich Dir gebracht. THERESE. – Du? ... Sie lacht. Hahaha, mein armer, lieber Hector! Er geriet in Wut über die „anonym ins Haus geschickten Blumen“. Zu Paul. Und Sie können schwören, daß er kein Wort von Ihren – Improvisationen gehört hat? PAUL. Kein Wort!

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THERESE. Dann ist ja dieser Mann von einer Eifersucht, deren Existenz ich bisher nicht ahnte und vor der man sich in Zukunft hüten muß ... O Himmel! Welcher Gefahr bin ich entgangen! ... Wie glücklich bin ich! Sarah! Graf Paul! – jetzt ist alles herrlich, alles gut! PAUL Sarah anblickend. – Alles? SARAH. Alles gut?! ... {Ich bin die Braut Onkel Roberts. GRÄFIN NORDHEIM die sich schon mehrmals an der Türe gezeigt hat. Dürfen wir kommen? Niemand sagt nein. Kommen wir! Gräfin Nordheim, Hochburg, Robert treten ein, bleiben jedoch anfangs im Hintergrunde. PAUL. Gräfin Sarah, nein, ich fasse es nicht. Sie hielten das alles für ernst und mich für einen schlechten Menschen?} SARAH reicht ihm mit raschem Entschluss die Hand. Verzeihen Sie mir, ich habe Ihnen Unrecht getan. GRÄFIN NORDHEIM vorstürzend. Unrecht? Meinem Engel?! PAUL zu Sarah. Nun, Gottlob, daß Sie Ihre Meinung geändert und daß wir wenigstens als Freunde scheiden können. Was Sie mir sonst noch vorzuwerfen haben – SARAH. O nichts mehr – nichts! PAUL. Doch. – Sie tadeln meine Lebensweise. Mit Recht, ich seh es ein ... Ja, Sarah, ich habe genippt, getrunken, sogar an allen Quellen des Vorurteils ... Mein Gott! wenn einem gar nichts anderes vorgesetzt wird ... Aber mein guter Stern bewahrte mich vor der Schmach im Vorurteil unterzugehen ... GRÄFIN NORDHEIM zu Robert. Graf Hochburg – erschüttert er sie nicht? ROBERT. Er nicht, aber s i e . Sehen Sie einmal meine Braut an. {SARAH mit mächtig hervorbrechender Empfindung. – Ihr gutes Herz bewahrte Sie, das ist Ihr guter Stern.} PAUL. Und so war mir noch zu helfen als Sie kamen, Sie Heidenröslein! als Sie hereinschwebten in unsere dunstige Stadtathmosphäre, wie ein frischer, erquickender – wenn auch mitunter etwas rauher Wald- und Bergeshauch ... SARAH. Rauh? – Haben Sie wirklich gefunden? PAUL. Gleichviel. – Schon recht, daß Sie rügten, was an mir zu rügen war. Es hat genützt, mein Wort darauf! GRÄFIN NORDHEIM schluchzt. Er ist rührend! ROBERT. – Nun, er rührt sie auch. {Für sich. Ein wenig bald, ein wenig bald kommt die Enttäuschung!} PAUL. Und jetzt – Leben Sie wohl. – Für immer, Sarah ... Wendet sich rasch. SARAH. Was fällt Ihnen ein? Warum für immer? GRÄFIN NORDHEIM stürzt ihm in den Weg. Mein Sohn! ... Wohin mein Sohn?! PAUL nicht mehr Herr seiner selbst. Über alle Berge! über alle Meere! in die weite Welt! ... Könnt ich sagen: Aus der Welt! GRÄFIN NORDHEIM. Oh! Oh!

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SARAH. Bleiben Sie! PAUL. Nein! – Sie sind mir verloren und mit Ihnen die Heimat – das Glück! GRÄFIN NORDHEIM. Und ich verliere meinen Sohn! Er verlässt mich, er geht! ROBERT. Jetzt? Sieht auf die Uhr. Jetzt fährt ja gar kein Bahnzug ab. PAUL. Sarah – Sie lieben ihn! Sie sind seine Braut! SARAH. Onkel Robert, sieh, er leidet ... Er will fort – Onkel Robert ... {Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt. „Ein Pereat der Selbstsucht, hoch – die Anderen!“ ROBERT. Da bist Du dabei bei den „Anderen“? SARAH. Onkel Robert, erbarme Dich noch einmal! ... Onkel Robert – heirate mich nicht! Gräfin Nordheim, Paul und Hochburg zugleich: GRÄFIN NORDHEIM. Ach! PAUL. Sarah! HOCHBURG. Gott sei Dank! ROBERT. Richtig. – Darauf warte ich seit einer Viertelstunde.} GRÄFIN NORDHEIM. Graf Hochburg – haben Sie ein Herz? ROBERT. Zu dienen! ein ganz kleines – deshalb geht’s auch jetzt über – SARAH. Bester! PAUL. Freund! ROBERT. Nämlich – zur feindlichen Partei. Zu Sarah. Ich mag Dich nicht. {SARAH. Gott sei Dank! ROBERT. Paul, mein Lieber, sieh zu, daß ich sie los werde. PAUL. Einziger! HOCHBURG. Vortrefflicher! GRÄFIN NORDHEIM. Graf Robert, Sie sind doch ein edler Mensch! ROBERT. Schmeichelt nur. Es verdirbt mich nicht. Auf Sarah deutend. Die da hat gesorgt, daß der Baum meiner Eitelkeit nicht in den Himmel wachse. SARAH fällt ihm um den Hals. Onkel Robert – ich liebe Dich! ROBERT. Gib acht. Er wird eifersüchtig. SARAH. – Nein, jetzt nicht mehr!} ROBERT zu Hochburg und Gräfin Nordheim. Mit Verlaub. Führt Sarah Paul zu. Da hast Du sie! PAUL. Sarah! Mädchen! Waldfräulein! SARAH. Graf Paul! PAUL. Mutter – was sagen Sie dazu? GRÄFIN NORDHEIM. Meine Kinder! PAUL und SARAH zur Gräfin Nordheim. Mutter! Zu Hochburg. Vater! Umarmung. 〈Ende〉

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{Fünfzehnter Auftritt

DIE VORIGEN. GRÄFIN, MELANIE, CLAUDINE kommen durch die Mitte. HECTOR, THERESE von rechts.

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THERESE. Was seh ich? PAUL. Meine Braut! ALLE EINGETRETENEN. Ach! CLAUDINE. Braut? – Mama, sie ist Braut – Mama, wir wollen auch Waldfräuleins werden! HECTOR reicht Paul die Hand. Viel Glück, wenn Deine Frau wird wie die meine. THERESE. Hector – Dir fehlt doch nichts? Mein Mann macht mir das erste Compliment. SARAH die alle umringen und beglückwünschen, sich zu Paul wendend. Allen habe ich gesagt, daß ich Sie liebe, nur Ihnen nicht – Paul, jetzt sag ich’s Dir!}

II. Kritischer Apparat

Das Waldfräulein

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Sekundäre Tilgung, eine primäre umschließend getilgte Hinzufügung Ergänzung der Herausgeberin am Rande über der Zeile

{} 〈〉 {{ { } }} 〈{ }〉 [] aR üdZ eh.

eigenhändig

H1 H2 WB H.I.N.

eh. Handschrift mit eh. Korrekturen in Sammlung ZPH 1283 Handschrift von fremder Hand (WB, H.I.N. 54485) Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die Kurrentschrift in H1 und Antiqua in H2 sind in Antiqua wiedergegeben. Der unterstrichene Antiqua-Text in den Handschriften für Akte und Szenen sowie in H1 für Personen wird ohne Unterstreichung wiedergegeben, wobei Personen als Kapitälchen erscheinen. Die unterstrichenen Bühnenbeschreibungen der Handschriften sind kursiv gesetzt wie auch die Szenenanweisungen, die in H1 zwischen Schrägstrichen und in H2 in runden Klammern stehen und unterstrichen sind. Die in den Handschriften verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt den Handschriften (H1 und H2). Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Die in den Handschriften vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat). In III. 1. werden die textlichen Unterschiede zwischen den beiden Handschriften erläutert.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Das Waldfräulein

1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Ebner-Eschenbachs Beschäftigung mit dem Stoff zu dem Lustspiel Das Waldfräulein begann im Juni 1867. Aus einer Tagebucheintragung vom 28. Juni geht hervor, dass sie sich mit der Idee zu dem Stück an Eduard Devrient gewandt und er den Stoff gebilligt hat (T I). Im November 1867 arbeitet sie am ersten Akt, jedoch herrscht nicht immer die richtige Stimmung zum Schreiben, wie sie in ihrem Tagebuch gesteht: In meinem finsteren Hofzimmer ist’s kaum möglich zu schreiben. Das verstimmt mich, u. wird mich beeinflussen fürcht’ ich bei’m Waldfräulein. Waldfräulein sollte gedichtet werden in einer sonnenlicht durchglänzten Stube, warm u. klar sollt es darin sein, u. im Herzen dessen der es schreibt. (T I, 17.11.1867)

Aber bald geht die Arbeit am Waldfräulein wieder gut voran, und am 17. Dezember 1867 beendigt sie den ersten Akt, der, als sie ihn vorliest, „zu unterhalten schien“ und gefällt (T I, 16. u. 17.12.1867). Mit dem Plan zum zweiten Akt ist Ebner-Eschenbach zwar anfangs nicht zufrieden (T I, 20.12.1867), aber sie kann ihn mit viel Fleiß am 20. Januar 1868 zu Ende führen (T I). Sie steht dem entstehenden Drama weiterhin sehr selbstkritisch gegenüber und notiert am 4. Februar 1868 in ihr Tagebuch: „Das Waldfräulein steigt seiner Beendigung entgegen und sinkt von Tag zu Tag mehr in meiner Achtung. Ich entdecke alle Augenblicke neue Fehler, die nicht mehr gut zu machen sind. Was für ein Stück Arbeit habe ich da geliefert!“ (T I). Durch eine Lesung des Stückes bei Heinrich Laube kommt sie zur Einsicht, dass es „viel zu lang“ ist (T I, 16.3.1868), und beginnt sofort mit den Kürzungen. Obwohl Laube die Änderungen billigt und ihr empfiehlt, das Lustspiel einzureichen, folgt sie dem Wink seiner Frau, Iduna Laube, sich damit Zeit zu lassen (T I, 22.4.1868). Ebner-Eschenbach plant, während des Sommers an dem Stück zu arbeiten und es erst im Spätherbst einzureichen (T I, 23.4.1868). Diese Arbeiten ziehen sich bis November 1868 hin. Während der erste Akt des Stückes bei einer Lesung auf Moriz von EbnerEschenbach, Ferdinand von Saar und die Lyrikerin Josephine von Knorr (1827–1908) eine „recht gute Wirkung“ (T I, 27.11.1868) hat, verwirft Friedrich Halm das Lustspiel (T I, 29.12.1868). Die widersprüchlichen Reaktionen auf das Werk haben zur Folge, dass Ebner-Eschenbach unsicher wird: „Warum habe ich, trotz Münch [Halm], trotz meines eigenen Urteils über das Waldfräulein doch noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß das Stück gefallen könne?“ (T I, 30.12.1868). Im Februar 1869 entschließt sich Ebner-Eschenbach, den dritten und vierten Akt umzuarbeiten (T I, 14.2.1869), und nimmt im März 1869 Änderungen vor (T I, 11.3.1869). Sie holt Rat bei Schriftstellerkollegen wie Hieronymus Lorm (Heinrich Landesmann, 1821–1902) oder Betty Paoli (1814–1894); die Schauspielerin Zerline Gabillon (1835–1892) beurteilt das Lustspiel im April 1869 als „vortrefflich“ (T I, 7.4.1869).

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Das Waldfräulein

In der Beschäftigung mit dem Waldfräulein tritt dann eine Pause von über zwei Jahren ein. Erst als Laube im Oktober 1871 gegenüber Ida von Fleischl-Marxow die Absicht äußert, Das Waldfräulein inszenieren zu wollen, beginnt Ebner-Eschenbach erneut mit Umarbeitungen des Stückes (T II, 26.10.1871). Während der nächsten Monate bespricht sie das Stück wiederholt mit Ida von Fleischl-Marxow, deren Ratschläge für sie „unschätzbar“ (T II, 26.12.1871) seien. Gegen Ende des Jahres 1871 schließt sie die Arbeiten ab und übergibt Laube am 17. Januar 1872 das fertige Lustspiel. Kaum eine Woche später nimmt Laube Das Waldfräulein zur Aufführung im Stadttheater an (T II, 22.1.1872). Er hat nur wenige Änderungswünsche, auf die Ebner-Eschenbach sofort eingeht. Obwohl Laube sich von dem Lustspiel „einen guten Erfolg“ (T II, 22.7.1872) verspricht und der Schriftsteller Joseph Weil Ritter von Weilen (1828– 1889) ihr zur Aufführung rät, regen sich Zweifel bei Ebner-Eschenbach (T II, 6. u. 7.11.1872). Laube holt ihre Vorschläge für die Besetzung des Waldfräuleins ein, „das er so gut besetzt als ihm möglich“ (T II, 19.12.1872). Am 10. Januar 1873 wohnt sie mit ihrem Mann Moriz der Probe des Stückes bei und ist von den beiden letzten Akten enttäuscht, was sie dazu veranlasst, sofort weitere Änderungen vorzunehmen (T II, 10. u. 11.1.1873). Die Umarbeitung schien sich bewährt zu haben, wie Ebner-Eschenbach in ihrem Tagebuch mitteilt: „In der Probe fasste ich Mut, der 3t Akt wird sich schon machen u. dem 4t hoffe ich geholfen zu haben durch Hinweglassung der Scene zwischen Sarah u. Paul. Auch Ida [von Fleischl-Marxow] war einverstanden“ (T II, 12.1.1873). Nach den Aufführungen des vieraktigen Lustspiels Das Waldfräulein am Stadttheater in Wien im Jahre 1873 und 1874 kommt es zu einer letzten Umarbeitung. EbnerEschenbach erhält von dem Dichter Faust Pachler (1819–1891) „vortreffliche Ratschläge“ (T II, 28.9.1875) und arbeitet „an der Umgestaltung des 4 t Aufzugs des Waldfräuleins“, wie Ebner-Eschenbach hofft, „zum Vortheile des Ganzen“ (T II, 8.10.1875). Sie schließt diese Arbeiten Ende Oktober 1875 ab, noch unsicher über das Resultat: „Heut also bin ich fertig worden mit der Umarbeitung des Waldfräuleins. Ob es auch besser worden?“ (T II, 22.10.1875). Offenbar handelt es sich dabei um die in ein dreiaktiges Lustspiel umgearbeitete Fassung, von der zwei Handschriften (H1 und H2) erhalten und in der Wienbibliothek archiviert sind. Da beide Handschriften nicht datiert sind, ist keine genaue Entstehungszeit zu ermitteln. Fest steht, dass H1 im Jahre 2003 von der Wienbibliothek als Teil einer Nachlasssammlung Ebner-Eschenbachs erworben wurde (ZPH 1283). Es handelt sich bei dem Manuskript offensichtlich um die in einer Tagebucheintragung vom 14. April 1897 erwähnten „Rudera“ des Waldfräuleins, die die Autorin Anton Bettelheim übergab (T IV, 14.4.1897). H1 besteht aus 172 eigenhändigen und handnummerierten Seiten in Kurrentschrift. Das Titelblatt lautet: „Das Waldfräulein. Lustspiel in drei Aufzügen“. Das Personenverzeichnis der zweiten Seite führt neben den Personen die Namen von Schauspielern und Schauspielerinnen auf. Vermutlich handelt es sich dabei um Besetzungsvorschläge Ebner-Eschenbachs, die großenteils mit der Aufführungsbesetzung überein-

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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stimmen. Bei H2 handelt es sich um eine Abschrift, möglicherweise von H1, denn die in beiden Handschriften (H1 und H2) getilgte zehnte Szene des dritten Akts endet in H2 in der Mitte eines Blattes, und daran schließt sich die neue zehnte Szene an. In H1 beginnt die neue Szene auf einer neuen Seite. H2 ist in Antiqua und von fremder Hand (WB, H.I.N. 54485); diese Handschrift besteht aus 60 beidseitig beschriebenen Blättern mit Stempel-Paginierung. Die Titelseite entspricht der von H1, und das Blatt mit dem Personenverzeichnis trägt die gleichen Besetzungsvorschläge. Beide Handschriften weisen Tilgungen auf, die aber nicht immer identisch sind. In H2 gibt es keine Hinzufügungen; es steht mitunter nur der neue Text, wo in H1 der getilgte und hinzugefügte Text erscheinen. Das deutet darauf hin, dass H2 auf H1 beruht. H1 weist eine Reihe von Hinzufügungen auf, die meistens über den Text geschrieben sind, gelegentlich auch am Rand stehen und einmal auf einem über den getilgten Text geklebten Blatt erscheinen. Die Unterschiede zwischen H1 und H2 können wie folgt zusammengefasst werden: Grundsätzlich weist H2 eine modernisierte Rechtschreibung auf. Es wird z. B. meistens th durch t ersetzt: Blüte (611,22), wünschenswerter (612,23), tut (613,9), Tore (614,25), Vorurteilen (615,19), Not (641,11). Das Dehnungs-h wird in H2 konsequenter verwendet: Jawohl (611,38), bezahlt (614,7), wohl (625,11). In H2 wird i statt ie in gibt (618,1) eingesetzt. Bei Wörtern romanischen Ursprungs wird k oder z statt c verwendet: Klavier (609, vor 1), Komtessen (609,24), Sozialist (611,27), Klub (621,9), Komödie (623,41), Szene (623,41), Kavallerie (624,24). In H2 steht t statt dt: tötet (622,28). Die Endung -ieren wurde bei Verben und Adjektiven romanischen Ursprungs verwendet: kokettierte (609,25), brüskiere (614,39), perhorresziert (617,3), profitieren (618,11), quittiert (624,28). Der Apostroph wird in H2 im allgemeinen weniger verwendet. Er wird bei Apokopierung und Synkopierung von Substantiven und Verben seltener eingesetzt: Geh (623,3), denk (623,12), Niederknien (619,29). Beim Genitiv von Namen wird in H2 der Apostroph getilgt: Hochburgs (615,26), Hectors (620,14). Auch beim Plural steht in H2 kein Apostroph: Mamas (615,10). Die Zeichensetzung ist, vor allem was Gedankenstriche angeht, in H2 sparsamer, oder es wird statt einem Doppelpunkt oder Gedankenstrich in H2 ein Komma verwendet. In H2 werden Kommata konsequenter nach der neueren Rechtschreibung gesetzt, wie z. B. vor Relativpronomen: Mädchen, das (609,7), Aufgabe, welche (611,16), Adels, dem (611,26). Dasselbe gilt auch vor Konjunktionen: verhüte, daß (612,28), treffen, wenn (613,2). Aber das Komma steht im Gegensatz zu H1 nicht immer nach der Anrede: Spiele Claudine (609,10), Schwester was (612,37). Es fehlen in H2 gelegentlich Regieanweisungen wie „Melanie und Claudine zugleich“ (531, nach 1; 532, nach 26) oder „Zu Paul“ (546,17). Unter anderem kommen die folgenden textlichen Varianten vor:

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530,12 531,12 537,35-36 545,23-24 549,12 549,14 557,20-21 561,7 568,17 571,32-33

588,39-40

593,35-37

595,35-36

602,22-25

Das Waldfräulein

Ich habe mich wirklich geschämt.] {Ich habe mich wirklich geschämt.} H2 Nein, nein! –] Nein, nein! – Nein, nein. H2 mir zu Liebe sich ändert, so trag’] so trag H2 {Von einem gefaßten Vorurtheil kommt sie niemals zurück.}] Von einem gefassten Vorurteil kommt sie niemals zurück. H2 {Keine gelehrten Gespräche mehr? }] Keine gelehrten Gespräche mehr? H2 Keine Äußerungen des Entzückens mehr über Robert’s Politik?] {Keine gelehrten Gespräche mehr?} H2 {Und ich habe noch Ihre Hand nicht berührt.}] Und ich habe noch Ihre Hand nicht berührt. H2 ich heirate sie doch nicht] {ich heirate sie doch nicht} H2 SARAH. Graf Lazáry, Sie sind ein guter Mensch!] fehlt in H2 {Blaustrümpfen. Wir sind nicht auf der Höhe – sind keine Emancipations-Ritter und keine dummen Gelehrten ... Wir sind ...} 〈Emancipirten ...〉] Blaustrümpfen. Wir sind nicht auf der Höhe – sind keine Emancipations-Ritter und keine dummen Gelehrten ... Wir sind ... H2 {Den verweigerte ich noch keinem der ihn anrief. Ich will mit Dir nicht den Anfang machen.} 〈Du sollst ihn haben –〉] Den verweigerte ich noch keinem der ihn anrief. Ich will mit Dir nicht den Anfang machen. H2 Good morning Sir. Ich will jetzt werden eine Lady und respektabel.“ Sie reicht mir die Hand und die Uhr, und empfiehlt sich.] {Good morning Sir. Ich will jetzt werden eine Lady und respektabel.“ Sie reicht mir die Hand und die Uhr, und empfiehlt sich.} H2 {THERESE zu Hector. Die Gräfin scheint ihr volles Herz ausschütten zu wollen, ziehen wir uns diskret zurück. Therese und Hector ab nach rechts.}] THERESE zu Hector. Die Gräfin scheint ihr volles Herz ausschütten zu wollen, ziehen wir uns diskret zurück. Therese und Hector ab nach rechts. H2 {GRÄFIN NORDHEIM. Oh! oh! SARAH. Bleiben Sie! PAUL. Nein! – Sie sind mir verloren und mit Ihnen die Heimat – das Glück!} 〈SARAH. Wozu denn das? Wir sind ja wieder gut. Bleiben Sie bei uns.〉] GRÄFIN NORDHEIM. Oh! oh! SARAH. Bleiben Sie! PAUL. Nein! – Sie sind mir verloren und mit Ihnen die Heimat – das Glück! H2

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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Zusätzlicher Text findet sich in H1 auf S. 551,18–22, S. 572,6–11, S. 589,4–6, S. 596, 25–31, S. 597,23–27, S. 597,2–4 und S. 599,15–20. Das Waldfräulein wurde 1969 erstmals von Karl Gladt herausgegeben, und Roman Roček übernahm 1988 diese Fassung in seinen Band Marie von Ebner-Eschenbach: Aphorismen, Erzählungen, Theater. Diese veröffentlichten Texte des Lustspiels basieren auf H2, sind aber nicht vollkommen mit diesem Manuskript identisch und weisen außerdem orthographische Modernisierungen auf. Gladt geht in seiner Ausgabe des Waldfräuleins davon aus, dass es sich bei der in der Wienbibliothek befindlichen Handschrift H.I.N. 54485 (Ia 79174) entgegen den Archivangaben (s. S. 685) um eine eigenhändige Handschrift Ebner-Eschenbachs handelt. Auf der Titelseite seiner Ausgabe führt Gladt daher an: “Erstdruck nach der Handschrift der Marie von EbnerEschenbach”.1 Außerdem erläutert Gladt, dass Ebner-Eschenbach bereits vor der Uraufführung Das Waldfräulein auf drei Akte reduziert habe.2 Das ist ein Irrtum, denn das Lustpiel war zu diesem Zeitpunkt noch ein vieraktiges Werk und wurde auch als solches aufgeführt. Erst nach den Aufführungen im Jahre 1873 und 1874 hat EbnerEschenbach 1875 das Lustspiel in ein dreiaktiges Stück umgearbeitet (s. S. 690). In dem vorliegenden Band wird zum ersten Mal die Fassung H1 des dreiaktigen Lustspiels Das Waldfräulein wiedergegeben sowie die vollständige Fassung H2 mit allen Tilgungen und Hinzufügungen.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung des Lustspiels Das Waldfräulein fand am 13. Januar 1873 am Wiener Stadttheater statt. Das Stück wurde mit Spannung erwartet, denn es hatte sich herumgesprochen, dass es den Adel karikiere und sich hinter dem Pseudonym eine Standesgenossin verberge. Der Abend wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis, da alles, was Rang und Namen hatte, die Premiere besuchte und man einen Skandal erwartete. Als Direktor des Stadttheaters und Regisseur des Stückes analysierte Heinrich Laube die Situation wie folgt: Die vornehme Welt, welche uns für ein bürgerliches Theater hielt und nur ausnahmsweise zu uns kam, machte diesen Abend zu einer solchen Ausnahme und fand sich ein. Das Stück sollte von einer Standesgenossin sein, und deshalb wollte man es sehen. Man sah und hörte, und ging mit den Worten: „das hält sich nicht“!3 1

Das Waldfräulein. Hg. v. Karl Gladt. Siehe auch Gladt: Kindliche Begeisterung und Theaterleidenschaft. In: Das Waldfräulein, S. 40–41 und 50. 2 Gladt: Kindliche Begeisterung und Theaterleidenschaft. In: Das Waldfräulein, S. 45. 3 Laube: Das Wiener Stadt-Theater, S. 124–125.

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Das Waldfräulein

Ebner-Eschenbach beschreibt den Tag der Uraufführung als „einer der qualvollsten Tage meines Lebens“: „lag von 7 bis ½ 10 auf der Folter. Die Schauspieler machten mir nichts zu Danke u. das Stück schien mir elend! Nach dem letzten Aufzuge hörte ich mehr Zischen als Applaus. [...] Eine rechte Pein – u. das thut man sich freiwillig an? – Nein! nein – nicht freiwillig ...” (T II, 13.1.1873). Auch der folgende Tag brachte keine Erleichterung für die Dramatikerin, denn nun fiel die Presse über das Stück her: „Ich schäme mich zu tode, ich getraue mich kaum auf die Straße. Die Zeitungen aller Gattungen u. Tendenzen überschütten mich mit Hohn. Grausam!“ (T II, 15.1.1873). Ebner-Eschenbach hat Kritik an ihren Werken stets begrüßt; sie geht selbst äußerst kritisch mit dem Lustspiel um, aber die persönlichen Angriffe der Wiener Presse haben sie zutiefst getroffen: Das Waldfräulein ist gewiß ein sehr schwaches Stück. Wer kann seine Fehler besser gesehen haben, als ich sie sah bei der Probe u. bei der Aufführung. Aber den Hohn mit dem es überschüttet wird hat es nicht verdient u. die Autorin weiß nicht wie sie zu der persönlichen Gehässigkeit kommt, die ihr wie auf Signal von allen Journalen, allen, ohne Ausnahme bewiesen wird. Unter der Flut der Beschimpfungen die auf mich niederhagelten wagte ich mich kaum auf die Gasse. Als ein Fiaker mich freundlich grüßte war ich von Dankbarkeit erfüllt. Ich leide nicht für mich, ich leide um derer willen denen ich lieb bin, die sich mit mir kränken u. schämen. (T II, Anhang, Januar 1873, S. 229–230)

Am 14. Januar 1873 berichtet ein Rezensent der Neuen Freien Presse von dem Stück, und es wird deutlich, dass die Anonymität bereits gelüftet ist: „Frau Baronin v. Eschenbach scheint das vieractige Lustspiel ‚Das Waldfräulein‘ in der doppelten Absicht geschrieben zu haben, gewisse Vorurtheile des adligen Standes nach Verdienst zu geißeln und die Blaustrümpfe für alle erlittene Unbill zu rächen.“4 Am 15. Januar 1873 setzt sich der Rezensent tt in der gleichen Zeitung ausführlicher mit dem Stück und der Aufführung auseinander. Er polemisiert vor allem gegen die Charakterisierung der Titelfigur, die wie ein „Hauskobold“ die Zuschauer „scandalisiert“ und „die Vertreter der Jeunesse dorée sittenrichterlich abkanzelt, eine lange Parlamentsrede hält über die Rechte des Volkes, den Segen der Freiheit, und zum guten Ende einen befreundeten Bedienten vor allen Gästen caressiert“. Das Benehmen des Waldfräuleins entspreche keineswegs dem „Inbegriff des Natürlichen“, sondern dem einer „verbauerten Jungfrau“, denn ihr mangle, „für ein Mädchen zumal, ein gesittetes, bescheidenes Betragen, der gute Wille, den Formen der Gesellschaft“ zu folgen, da sie „in den Salon hineinspringt wie ein Bauerntölpel“. Der Rezensent gesteht dem Waldfräulein zu, dass sie nicht ungelehrt sei, aber das gebe ihr „eine ausgesprochene Anlage zum Blaustrumpf“, und er folgert daraus: „Die Absicht, für die edle Zunft der gelehrten Frauen eine Lanze zu brechen, springt so faustdick in die Augen, daß der Gedanke an irgend eine persönliche Rache der Authoress in allernächster Nähe liegt.“ Sarkastisch schließt der Rezensent: 4

Neue Freie Presse Nr. 3014 vom 14.1.1874, S. 7.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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Das Stück selbst, obgleich kein Stück, sondern ein Bilderbuch, wirkt mit seinen pikanten Einzelheiten, seinen fast nur zu absichtlich hervortretenden Beziehungen auf das gesellschaftliche Leben, Alles in Allem zu nehmen, ziemlich ansprechend. In meergrünen Maroquin gebunden, mit Holzschnitten von Caspar Scheuren5 geschmückt, wird „Das Waldfräulein“ prächtig anzuschauen sein – in der Vitrine der Special-Ausstellung für Frauen-Literatur. Auf den Brettern des Stadttheaters macht es sich weniger gut; allein, wie sagt man doch, wenn man weder loben kann, noch unbedingt tadeln möchte: Wir haben schon Schlechteres gesehen.6

In der Presse setzt sich der Rezensent J. B. vor allem auch mit der Komik auseinander und führt aus, dass Frauen in der Literatur zwar „einen scharfen Sinn für das lächerliche Detail, für die Beobachtung der komischen Erscheinung in ihren einzelnen Aeußerungen“ besäßen, aber nie „ein Ganzes“ schaffen könnten, denn der „souveräne Humor ist ein männliches Vorrecht“. Der Rezensent kommt dann auf die Verfasserin des Waldfräuleins zu sprechen, die darin „in keinem Zuge die Frau“ verleugne: Sie weiß mit ihren komischen Marionetten, nachdem sie dieselben aufgestellt hat, nicht fertig zu werden und ihnen in keiner Weise die ergötzliche Beweglichkeit zu geben, die sie zu einer Lustspielhandlung brauchbar macht. Ihr Lustspiel enthält eine Reihe feiner, komischer Salonstudien aus der aristokratischen Welt, denen man den scharf erspähenden Blick der Frau sofort anmerkt – aber mit Ausnahme des Grafen Hector Berg (Herr Friedmann), dieses trefflich gezeichneten Narren des Sports, gibt es in dem Stück keinen weiteren abgeschlossenen Charaktertypus.

Für den Rezensenten hat das Stück „nur einen ‚Vorgang‘“ und keine „Handlung im Sinne einer dramatischen Composition“. Der Gesamteindruck des Stückes erscheint ihm in seinem schildernden Theil recht pikant, in seinem dramatischen dagegen als durchaus unzulänglich, weil die Verfasserin dem letztern selbst den geringeren Antheil ihres Interesses zugewendet hat. Die novellistische Ausmalung des Gesellschaftsbildes war der eigentliche Antrieb dieses literarischen Products. Es liegt darin eine herbe Polemik, welche die literarisch gebildete Dame von Adel gegen gewisse Gesinnungen und sociale Formen führt, die sie im Kreise der eigenen Standesgenossen angetroffen, und die sie sich vor der gebildeten Welt auszusprechen gedrungen fühlt.7

Die Darsteller haben ihre Aufgabe nach dem Rezensenten „in verdienstvoller Weise“ absolviert. Die Titelrolle wurde von Toni Hiller „recht interessant“ gespielt: „mit lebhafter und starker Empfindung, aber auch mit gewissen manierirten Zuthaten des Spiels, welche die reine Wirkung desselben oft empfindlich stören.“8

5

Caspar Johann Nepomuk Scheuren (1810–1887) war ein deutscher Maler und Illustrator, ein Vertreter der Düsseldorfer Malerschule. 6 Neue Freie Presse Nr. 3015 vom 15.1.1874, S. 3–4. 7 Die Presse Nr. 14 vom 15.1.1873. 8 Ebd.

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Das Waldfräulein

Es kommt auch zu ausgewogeneren Besprechungen. Für den Rezensenten B. W. der Wiener Zeitung „fesselt und erquickt“ das Lustspiel „durch die frappante Lebensfrische und Wahrheit des Details“, und er gesteht: „Die Handlung ist ziemlich dürftig, allein die Menschen, die sie vollführen, und jene, die sich um sie gruppiren, sind vom Wirbel bis zur Sohle lebendig Fleisch und Blut, eine wahre Galerie von Typen.“ Die Handlungsführung scheint ihm überzeugend: Eine Fülle köstlicher Episoden, pikanter Scenen, feiner Züge bewirkt die Lösung wie vordem die Schürzung des Conflictes, das Interesse unausgesetzt fesselnd, doch verhehlen wir es nicht, mehr durch eine geradezu treffliche Charakterskizzierung als dramatische Handlung. Mit wenigen Worten ist oft eine ganze Gestalt, ja mehr noch: ein ganzer Typus in schärfster Prägnanz vor unsere Augen gezaubert und zwar mit jenem echten Humor, der sich von der ätzenden Satyre durch einen warmen Gemüthshauch so anmuthend abhebt.9

Nach Ansicht des Rezensenten ist auch der Dialog „ganz reizend, die Sprechweise der verschiedenen Personen mit einer feinen Präcision aus einander gehalten, wie sie selbst unsere feinsten Conversationsstücke nicht aufzuweisen vermögen.“ Er rügte am Publikum das Bestreben, jeder Gestalt des Lustspiels „ein halb Dutzend Originale, die mit ‚sprechender‘ Portraitähnlichkeit getroffen“ seien, unterzuschieben. Jedoch war die Aufnahme, die Das Waldfräulein erfuhr, „sehr freundlich“. 10 Auch der Rezensent w. im Neuen Fremden-Blatt erwähnt die dürftige Handlung des Stückes, aber er betont, dass es unter einer bühnenkundigen Hand „gewiß einen bedeutenden Succeß gehabt und auch verdient“ hätte. Denn die Verfasserin des Lustspiels entwickle „eine Lebendigkeit der Darstellung, eine Wahrheit der Charakterisirung, eine Frische der Situation, die uns Achtung vor ihrem Talente abzwingt, das wohl berufen ist [...] noch Bedeutendes zu schaffen.“ Für ihn handelt es sich – mit Ausnahme der Titelfigur – um „eine ganze Galerie von Personen, auf deren Porträtähnlichkeit man schwören kann“.11 In der Deutschen Zeitung referiert der Rezensent r. über die Lustspielgattung im allgemeinen und Das Waldfräulein im Besonderen. Obwohl er das Stück für „kein Meisterwerk“ halte, habe es für ihn doch „einen großen, bei deutschen Lustspielen seltenen Vorzug“: „es ist aus der Gegenwart, aus der deutschen Gesellschaft heraus geschrieben. [...] Unsere deutschen Poeten sind meist in der römischen und griechischen Welt, im Mittelalter und in der Renaissancezeit besser zu Hause als im modernen Salon.“ Im Waldfräulein, so führt der Rezensent aus, habe Ebner-Eschenbach, die „als dramatische Dichterin längst vortheilhaft bekannt“ sei,

9

Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung Nr. 10 vom 14.1.1873. Ebd. 11 Feuilleton des Neuen Fremden-Blattes Nr. 14 vom 15.1.1873. 10

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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diesmal ihren Stoff mit glücklichem Griffe aus der vornehmen Welt geholt. Sie wollte den Gegensatz schildern, in den natürliche, vernünftige Erziehung ein Mädchen aus gräflicher Familie mit ihrer Umgebung bringen muß, und der Versuch gelang im Ganzen gut. Wohl sind schon viel schärfere Satiren gegen den Adel geschrieben worden, aber das Thema ist noch nicht erschöpft und wird von der Bühne herab selten so unmittelbar entwickelt.12

Nach dem Rezensenten sind auch die Figuren – mit Ausnahme von Paul – „trefflich entworfen“, der Dialog „ist durchwegs fein, stellenweise mit viel Geist und Humor gearbeitet und die Situationen sind oft von wirkungsvoller Komik“, während die Handlung „nicht die starke Seite des Stückes“ sei, denn der Aufbau sei „ziemlich lose und mit zahlreichen Episoden durchflochten“.13 Sigmund Schlesinger schließlich vergleicht im Neuen Wiener Tagblatt vor allem die Charakterisierung der Titelheldin und ihres Onkels mit den Personen der Gegenseite und stellt fest, dass die ersteren „an die ‚naive Ungenirtheit‘ der Volksstückhelden von ehedem mahnen“. Dagegen seien die Personen der Gegenseite „mit ihren Lächerlichkeiten, ihren Nichtigkeiten, ihren Bornirtheiten und Blasirtheiten viel unmittelbarer, viel leichter, viel anspruchsloser und darum auch viel wirksamer gezeichnet“. Besonders gelungen schien Schlesinger dabei „die Aristokratie in der Aristokratie, die Exklusivität in der Exklusivität, die Konstituirung des Rangunterschiedes in dem eigenen Rang, die Scheidelinie zwischen Superfine extract und mauvais genre im eigenen Kreise“. Besonders lobt Schlesinger, dass „in diesen Gestalten und Szenen ja doch wirkliche Komik“ stecke.14 Nach der Attacke in einem Teil der Wiener Presse fühlte sich Ebner-Eschenbach von einigen in ihrem Freundeskreis im Stich gelassen, wie sie am 17. Januar 1873 in ihr Tagebuch notiert: „Mein guter Weil kam u predigte mir vor, daß mir der Kopf brannte. Jetzt, nachdem das Unheil geschehen ist, jetzt warnen die Freunde[.] Das hätten sie früher thun sollen.“ Und nochmals am 18. Januar 1873: „Anton Langer u. der ganze Schriftstellerkreis in dem Krueg lebt, lassen dem Waldfräulein m e h r als Gerechtigkeit widerfahen. Aber sie – schweigen.“ (T II). 15 Ferdinand von Saar jedoch schreibt Ebner-Eschenbach noch am Abend nach der Uraufführung, „ganz erfüllt von dem Eindrucke, den mir Ihr ebenso tiefes, als reizendes Lustspiel hinterlassen“, und erwähnt das Publikum, das das Stück mit „lauten, unwillkürlichen Zeichen des Beifalls, der Heiterkeit“ aufgenommen habe. Er fand nur den ersten Akt „etwas lahm“, während der vierte Akt „vortrefflich“ sei.16 Bezeichnend ist eine Reaktion aus Berlin auf die abfälligen Wiener Pressestimmen, die Ebner-Eschenbach ihrem Tagebuch anvertraut: „Man scheint in Berlin zu wissen welcher Werth auf die Wiener 12

Deutsche Zeitung Nr. 374 vom 15.1.1873. Ebd. 14 Schlesinger: Die Lernenden des Stadttheaters, in: Neues Wiener Tagblatt Nr. 14 vom 15.1.1875. 15 Anton Langer (1824–1879), österreichischer Schriftsteller und Journalist. S. auch Brief von Krueg an Ebner-Eschenbach vom 17.1.1873 (WB, H.I.N. 60792). 16 Saar an Ebner-Eschenbach am 13.1.1873 (WB, H.I.N. 60782). 13

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Das Waldfräulein

Kritik zu legen ist.“ (T II, 20.1.1873). Entgegen den in der Presse geäußerten Erwartungen wurde Das Waldfräulein am Stadttheater wiederholt aufgeführt. Es hielt sich zwar „nicht mit der Kraft eines Zugstückes“, wie Laube ausführt und näher begründet, doch „es hielt sich durch das pikante, geistreich geführte Thema“, denn es spielt in Wien selbst, und zwar in der vornehmen Welt, welche man sonst „la crême de la crême“ nannte. [...] Darin liegt ja eine unmittelbare Macht des Theaters, daß es die Vorgänge und Sitten des Tages künstlerisch konterfeit. Künstlerisch, nicht scandalös. [...] Ein künstlerisches Konterfei der Gegenwart aber hat auf der Bühne nicht nur Reiz, es hat auch eine reinigende Kraft.

Nicht nur thematisch und durch seine Tagesaktualität entsprach Das Waldfräulein dem Theaterkonzept Laubes, sondern auch „durch den talentvoll geführten Dialog“: Es giebt eine Art Dialog, welche man Wiener Dialog nennt – B a u e r n f e l d ist dessen Pflegevater – und welcher eine specifische Form ist wie der Pariser Dialog. Der Pariser geht immer auf geistvolle Pointen, der Wiener mehr auf behagliche Witzeswendungen. Die große gesellige Stadt gebiert ihn dort wie hier, und die verschiedene Landesart bringt den Unterschied mit sich. Die leicht gefällige Form dieses Wiener Dialogs und seine anregende Gewandtheit ist für die Bühne von Werth, und die deutschen Lustspieldichter können Gewinn aus dem Studium derselben schöpfen.17

Laube sah in Ebner-Eschenbachs Lustspiel die Tradition des „Wiener Dialogs“ weitergeführt. Das Waldfräulein wurde am Wiener Stadttheater bis zum 9. Oktober 1874 mindestens zwölfmal aufgeführt; nach der sechsten Aufführung wurde die Rolle Sarahs von Katharina Schratt übernommen. Selbst Ebner-Eschenbach konnte nach der zehnten Aufführung des Waldfräuleins feststellen: „Es wurde besser gespielt, und aufgenommen. Am Ende gefällt es den Leuten noch nachdem die Kritik sich ausgeschimpft hat.“ (T II, 11.10.1873). Eine gewisse Genugtuung für Ebner-Eschenbach war wohl die Tatsache, dass vermutlich durch den Erfolg von Ohne Liebe in Berlin sich sowohl Oscar Blumenthal (1852–1917), Direktor des Lessing-Theaters, als auch Otto Brahm (1856–1912), Direktor des Deutschen Theaters, für Das Waldfräulein interessierten (T IV, 14.4.1891 u. 4.12.1896). Zu einer Aufführung ist es allerdings in Berlin nicht gekommen. Was die wissenschaftliche Literatur betrifft, so stellt Anton Bettelheim, dem EbnerEschenbach das Manuskript des Lustspiels zugeschickt hat, das Stück dem französischen Lustspiel gegenüber: Wer heute das niemals gedruckte ‚Waldfräulein‘ liest und in seiner socialen Satire mit Pailleron’s Monde où l’on s’ennuie oder Gondinet’s Club vergleicht, wird die deutsche Dichterin schwerlich 17

Laube: Das Wiener Stadt-Theater, S. 125. Eduard von Bauernfeld (1802–1890), österreichischer Schriftsteller, der als Meister des Wiener Konversationsstücks mit Wiener Lokalkolorit gilt und zum Hausdichter des Burgtheaters wurde.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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ohne Weiteres gegen die Pariser Komödienschreiber zurücksetzen, die in ihren GesellschaftsBildern nach dem bekannten Rezept niedliche, carrikirende Vignetten zur Zeitgeschichte zum Besten geben.18

Karl Gladt geht in seiner Ausgabe vom Jahre 1969 davon aus, dass Das Waldfräulein auch in der heutigen Zeit „durch eine geschickte dramaturgische Bearbeitung und Inszenierung bühnenwirksam“ gestaltet werden könne.19 Georg Reichard verweist 1994 auf den Einfluss der französischen Komödie auf Ebner-Eschenbachs Lustspiel, zumal die Dramatikerin bekannterweise die Dramen Octave Feuillets (1821–1890), Émile Augiers (1820–1889) und des jüngeren Alexandre Dumas (1824–1895) bewunderte. Er hebt die positiven Elemente des Lustspiels von Ebner-Eschenbach hervor: Die Qualitäten der Komödie liegen in der spöttisch-ironischen Zeichnung adliger Überheblichkeit, die mit viel Situationskomik entlarvt wird. Bei der Schilderung adliger Verhaltensweisen greift Marie Ebner nicht nur auf eigene Erfahrungen, sondern auch auf Motive der französischen Gesellschaftsdramen zurück.20

Edith Toegel weist 1997 darauf hin, dass im Waldfräulein ein Thema anklinge, das in vielen der späteren erfolgreichen epischen Werke Ebner-Eschenbachs wieder aufgenommen werde. In dem Lustspiel stelle Ebner-Eschenbach „zwei Formen des adeligen Lebens in lehrreicher, aber auch humorvoller Weise einander gegenüber: auf der einen Seite das Idealbild des gebildeten und großmütigen Adels, auf der anderen Seite das Zerrbild des Hochadels, der in seiner Borniertheit den starren Konventionen unterworfen ist.“ In der Titelfigur mit ihrem ehrlichen und herzlichen Wesen zeichne Ebner-Eschenbach das „Ideal der Aristokratin“. 21

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Bettelheim: Biographische Blätter, S. 90. Édouard Pailleron (1834–1899), französischer Dramatiker und Komödiendichter; Edmond Gondinet (1828–1888), französischer Bühnendichter und Librettist. Gladt: Kindliche Begeisterung und Theaterleidenschaft. In: Das Waldfräulein, S. 49. 20 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 115. 21 Toegel: Marie von Ebner-Eschenbach. Leben und Werk, S. 35. 19

DIALOGISIERTE NOVELLEN

I. Text

Genesen

(J)

Genesen Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach

AN PAUL HEYSE Der Waffenschmied stand an der Esse und schmiedete gute Waffen. Flammen umlohten, Funken umsprühten ihn. Von diesen einer flog weithin bis zu einem Hause, vor dem eine alte Frau saß und spann. Ihre Kunkel bot ihm etwas Nahrung, und so entglomm ein Flämmchen. Verzeih’ ihm sein Dasein, lieber Meister, es kann nicht dafür, daß Funken sprühen, wenn Du am Werke bist.

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 94, Heft 559 vom April 1903, S. 43–50.

ROBERT. KLARA. OSWALD. KLARA an ihrem Arbeitstisch. Sie hat ein Buch auf dem Schoße liegen, die Hände darüber gefaltet, blickt ganz versunken in Gedanken regungslos vor sich hin. ROBERT tritt auf die Schwelle der gegenüberliegenden Tür. Er ist im Straßenanzug, hält den Hut in der Hand; sieht seine Frau eine Weile prüfend an.

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ROBERT ruhig. Klara! KLARA fährt zusammen. Was ist? ROBERT. Noch nicht angezogen? Du gehst nicht mit? KLARA. Nein. ROBERT. Du gehst nicht mit? KLARA. Geh nur allein. Grüß’ ihn noch herzlich. ROBERT. Es würde ihn freuen – er trennt sich so schwer ... Komm doch ... Ein letztes Lebewohl. KLARA. Ich habe ihm schon gestern Lebewohl gesagt. ROBERT. Eben deshalb ... weil’s eine schöne Überraschung wäre ... KLARA. Nein – ich bitte dich, nein. ROBERT. Warum nein? Warum nicht, wenn ich’s wünsche? KLARA bestimmt. Darum. ROBERT. Sag’ doch wenigstens einen Grund ... Hält inne, sieht sie forschend an, dann halb im Scherz, halb im Ernst. Es tut dir zu leid, du fürchtest dich ... KLARA sieht ihm fest in die Augen, zuckt langsam und fast unmerklich mit den Achseln. Wer weiß, vielleicht. ROBERT wie früher. Nun ja, nun ja, das ist’s, du fürchtest, eine zu große Gemütsbewegung zu verraten. KLARA legt das Buch auf den Tisch, nimmt eine Arbeit zur Hand. Ohne aufzublicken. Was ich nicht verraten will, verrat’ ich nicht. ROBERT. Gewiß nicht. Und das ist es eben, daß etwas ist, das du nicht verraten willst. Eine Frau wie du ... Sieht sie wieder aufmerksam an, zieht die Uhr. Noch ein wenig Zeit. Holt einen Sessel, stellt ihn neben das Nähtischchen, setzt sich. Klara! KLARA. Robert! ROBERT. Liebes Kind, wenn du glaubst, daß ich mir in den sechs Wochen, die Oswald bei uns zugebracht hat, nicht hundertmal gesagt habe, daß er besser für dich passen würde als ich, irrst du. KLARA. Sechsmal sieben ist zweiundvierzig; zweiundvierzig in hundert. Rechnet leise. Also täglich zweiundachteinundzwanzigstelmal. ROBERT. Es wird wohl noch öfter gewesen sein. KLARA mit Selbstüberwindung. Warum würde er besser für mich passen? Weil ich musikalisch bin, und weil er eine schöne – übrigens ganz ungeschulte

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Stimme hat und französische Romanzen reizend singt: Pendant que je te parle tes yeux se sont baissés, ils ont craint de me dire, les beaux jours sont passés ... Sie hat halblaut, aber sicher eingesetzt, die Stimme wird immer schwankender und versagt zuletzt gänzlich. ROBERT. Klara, was haben wir einander gelobt nach der Trauung, wir zwei ganz allein, extra Standesamt, extra kirchliche Feier? KLARA. Wir haben einander unbedingte Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit gelobt. ROBERT. Ja, mein Kind. KLARA. Warum sagst du mir heute immer: mein Kind? ... Ich bin deine Frau. ROBERT. Gut also, ich appelliere an die unbedingte Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit meiner Frau. Habe ich unrecht, zu glauben, daß meine Frau sich sagt: Hätt’ ich Oswald doch früher kennen gelernt, früher – als ich noch nicht gebunden war. Sieht sie fortwährend forschend an. Er gefällt mir sehr, nicht nur weil er französische Romanzen reizend singt, sondern weil er ein superiorer Mensch ist und ein glänzender Mensch und auf dem Weg, ein berühmter Mensch zu werden. Ein Pitt, ein Fox, ein Kaunitz, ein – was weiß ich. Jedenfalls einer, der leben wird im Gedächtnis der Welt, wenn niemand mehr ahnt, daß wir dagewesen sind. Weil ich in seiner Nähe ein langentbehrtes Glück wiedergenossen habe, den Umgang mit einem Ungewöhnlichen, ich, die verheiratet ist mit der verkörperten Mittelmäßigkeit ... unterbrich mich nicht! ... Mittelmäßigkeit ... mit einem mittelmäßig begabten, mittelmäßig besoldeten Mann in mittelmäßiger Lebensstellung ... KLARA. Aber Robert! ROBERT. Unterbrich mich nicht! ... in mittelmäßiger Lebensstellung, mit mittelmäßiger Zukunft, ein unscheinbares Rad in der großen Staatsmaschine, das, einmal ausgelaufen, ins Kehricht des wohlverdienten Ruhestandes geworfen wird. Das ist das Leben, das er mir zu bieten hat. KLARA. Habe ich mir auf ein glänzendes Rechnung gemacht? War ich der äußeren Herrlichkeit und all des Falschen, das sich hinter ihr verbirgt, und der Berühmtheiten und all ihres Drum und Dran nicht müde, als ich Mit einem innigen Blick. meinen mittelmäßigen Mann kennen lernte? Hab’ ich mich in die früheren Verhältnisse zurückgesehnt? ROBERT. Bis jetzt nicht. Es ist dir eben bis jetzt in diesem Neste noch niemand begegnet, der dich in die Pracht vergangener Zeiten zurückversetzt hätte ... KLARA. Pracht? Wenn ich dir sage – ROBERT. Pracht! Die höchste, die man genießen, und der größte Luxus, den man treiben kann: der Umgang mit ausgezeichneten Menschen. Er mag seine Unbequemlichkeiten haben, aber entbehr’ ihn nur, wer ihn gewohnt ist von

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Jugend auf und nicht stumpfsinnig ist. Entbehr’ ihn eine Zeitlang und begegne dann einem, der den ganzen Reichtum wiederbringt, den man vielleicht nicht völlig zu schätzen wußte, als man ihn noch besaß ... Begegn’ ihm nur ... KLARA mit mühsamem Spotte. Und du mußt sogleich dein Herz an ihn verlieren. ROBERT. Nicht sogleich – o, du hast dich wacker zur Wehr gesetzt, wacker gekämpft, und ich meinte schon, du hättest auch gesiegt ... Aber jetzt glaube ich – sehe ich ... Nun ja, ich begreif’s, begreife alles. Unterbricht sich, springt auf. Da stehen auf dem Perron und dem Zug nachblicken, der hinwegführt, was uns fast zwei Monate lang das Leben schön und reich gemacht hat, und dann heimgehen am Arm des mittelmäßigen Mannes mit einem Gesicht, auf dem geschrieben steht: Es tut nicht weh, Pätus ... Scheußlich für dich – und für den, der dort davonbraust, und für noch einen ... Aber für den plädier’ ich nicht, liebes Kind. KLARA. Schon wieder? Wie du mir vorkommst ... Gepeinigt. Du sprichst wie ein Vater zu seinem unglücklich verliebten Fräulein Tochter, nicht wie ein Mann zu seiner Frau. Aber ich bin einmal verheiratet ... ROBERT. Man kann auch zweimal verheiratet sein. Es kommt vor und nicht bei Geringen – bei großen Künstlern, bei Vorbildern und Leuchten der Menschen ... Hat er es uns nicht gestern auseinandergesetzt? Hat er uns nicht Beispiele angeführt, die zu befolgen wahrlich keine Schande ist. Er war sehr deutlich gestern. Es müßt’ mich wundern, wenn du ihn nicht verstanden hättest ... Du bist nicht taub, nicht stumpf ... Ausbrechend. begreife! KLARA wie oben. Mir wird am Ende nichts anderes übrigbleiben. Ich werde begreifen müssen, daß du dich nach deiner Freiheit sehnst und mich los sein willst ... Wenn ich nur wüßte – wo bist du ihr begegnet, wo existiert die Unwiderstehliche, die mich bei dir ausgestochen hat? ROBERT sich beherrschend. Kläre! Kläre! Was du da sagst, wie du’s sagst, gefällt mir nicht. Zum erstenmal gefällt mir etwas an dir nicht. Unser Eid, Kläre, unser Eid! Wir sagten damals: man kann ewig lieben, aber einander ewige Liebe schwören, kann man nicht, ebensowenig als man darauf schwören kann, ewig gesund zu bleiben. KLARA. Darauf kann man freilich nicht schwören, aber man kann etwas dafür tun. ROBERT. Dafür tun? Danke! Ich danke für eine Gesundheit, die ich pflegen muß. Ich mag von Gesundheitspflege nichts wissen. Jetzt wenigstens noch nicht. Jetzt will ich meine Gesundheit genießen, ich will sogar auf sie sündigen dürfen. KLARA. Mir scheint, das tust du. ROBERT. Und wenn! Und wenn mir daran liegt, ganz genau zu wissen, was ich an ihr habe, an der Gesundheit – an dem, – spielen wir nicht mit Worten, an dem Glück. Hab’ ich überhaupt noch eines? Es ist mir unter den Händen

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zerronnen. Zieht die Uhr, steckt sie wieder ein, ohne sie angesehen zu haben. Unser Eid, Kläre, unser Eid! Nichts verheimlichen, nichts vertuschen. Du weißt, daß er dich liebt, dich vergöttert. Du malst dir das Leben aus, das du an seiner Seite führen würdest ... KLARA. Du irrst! Das habe ich nie getan. ROBERT. Du wirst es tun! Laß ihn erst fort sein, laß erst die Phantasie, die das Schöne noch verschönt, an die Stelle der Wirklichkeit treten, über die doch immer ein Schatten von Bitternis gleitet, an der doch immer ein Erdenstäubchen hängt. Laß erst das Leben wieder recht einförmig werden neben dem Mann, dem Justizbeamten, der oft wochenlang nichts im Kopf hat als seine Verbrecher. In den guten Tagen, in denen ich doch manchmal einen Vorwurf von dir zu hören bekam – jetzt findest du mich immer tadellos –, sagtest du, wenn ich Abends heimkam, zerstreut und müd’ und dumm: Ich hab’ abgewirtschaftet, ich interessiere dich nicht mehr; um dich zu interessieren, muß man eine Familie ermordet oder wenigstens einen Einbruch verübt haben ... Und hattest du nicht recht? Ein solcher Mann, das ist dein Umgang, und im übrigen ehrsame Honoratioren, die dir nichts und denen du nichts zu sagen hast, und kein rechter Kunstgenuß und kein rechtes geistiges Leben und nichts, nichts, woran du gewöhnt warst, seitdem du atmest ... Leugne das! Leugne, daß es dir abgeht; leugne, daß Oswald alles das mit sich brachte, daß er dich durch seine bloße Nähe in die Atmosphäre versetzte, in der du aufgewachsen bist – in die d e i n e – deine eigentliche ... KLARA. Du weißt, ob ich mich in ihr glücklich gefühlt habe, ob ich in den kleinen menschlichen Sonnen, die täglich bei uns aufgingen, nicht Flecken sah, die mir die Freude an ihnen verdarben. So viel Eitelkeit, Neid, Mißgunst ... ROBERT hat, ohne sie anzuhören, vor sich hingestarrt. Auffahrend aus seinen Gedanken. Wenn das Kind nicht hätte sterben müssen; wenn das Kind noch da wäre! ... Laß ihn nur fort sein, und die Sehnsucht wird erwachen, und du wirst neben mir hergehen, und wir werden äußerlich leben wie früher, und die fürchterliche Trennung, die Trennung der Seelen, wird zwischen uns vollzogen sein ... Kläre, ich sage dir, wenn ich die Überzeugung hätte, daß du mit ihm glücklich werden kannst – ich würde dich freigeben. KLARA langsam. Du würdest mich freigeben? ROBERT. Ich g l a u b e , ich würde dich freigeben. Wenn mir einer die Überzeugung verschaffen könnte ... Ja, ich g l a u b e , ich wär’s im stande. Nur sicher sein müßt’ ich: Sie wird, was früher war, vergessen – die matte, die fade Episode ... KLARA. Was sagst du? Wie nennst du unsere Ehe? ROBERT in heftiger Erregung, die er mit äußerster Mühe zu verbergen sucht. Die matte, die fade Episode in ihrem Leben vergessen, zurückkehren in ihr

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Element und aufblühen in einem echten Glück ... Aber wer verbürgt mir das? Wer steht mir gut dafür, Kläre, daß die Erinnerung sterben wird, daß sie nicht kommen wird grau und abscheulich und Asche streuen wird auf deine helle Freude, immer dichter, immer dichter, bis sie erlischt unter dem fahlen Staub? Die Erinnerung an eine lächerliche Figur, an einen entsagenden Mann, der in unsere Zeit paßt, wie der edle Brackenburg in sie passen würde. KLARA mit gewaltsam erzwungener Heiterkeit. Höre Brackenburg, wenn du nicht bald gehst, dampft Egmont ab mit der Eisenbahn. ROBERT. Noch immer Humor; aber kein guter. Nimmt seinen Hut, wendet sich der Tür zu. Leb wohl, Kläre. Ab. KLARA allein, sieht ihm eine Weile nach; dann halblaut, in abgebrochenen Sätzen. Kein guter, nein ... da hat er recht ... und hat in allem recht. Setzt sich auf das Ruhebett, legt den Kopf auf das Kissen. Lange Pause. Wie leben jetzt? ... Daß mir das begegnen mußte, mir! Wie leben jetzt? Aus! aus! Sag dir: Es ist aus! Sie steht auf, schreitet langsam durch das Zimmer. Die Hausglocke erschallt, Klara horcht auf. Besuch? Nur jetzt kein Besuch ... Tritt an den Sofatisch. Im Vorzimmer wechseln eine Männer- und eine Frauenstimme einige Worte. Die Tür wird geöffnet. OSWALD tritt ein. Begrüßung. Gnädige Frau – KLARA. Sie? OSWALD. Ich. Entschuldigen Sie – nur ich. Ist Robert schon fort? schon nach dem Bahnhof gegangen? KLARA. Schon nach dem Bahnhof gegangen. Ja. OSWALD. Ich bedaure wirklich ... ich hoffte, noch zurecht zu kommen, um ihm zu sagen, daß ich erst am Abend reise. Mit etwas ironischem Bedauern. Nun wartet er auf mich bis zum Abgang des Zuges, wird besorgt sein und gewiß zu mir eilen ans andere Ende der Stadt – KLARA. Den Weg hätten Sie ihm ersparen können und auch die Sorge. OSWALD. Er verzeiht mir gewiß, er ist so gut. KLARA auf der Defensive, gereizt. Ja, er ist gut. Die meisten Menschen, die seelenstark sind, sind auch gut. Das hat Gott so eingerichtet. OSWALD. Gott? KLARA. Gott. OSWALD. Nun ja, die Engel glauben an Gott. KLARA. Es glauben auch noch andere an ihn. OSWALD. Sie meinen das Widerspiel der Engel. KLARA. Ich meine das Widerspiel der Engel. OSWALD. Also auch Lucifer – oder der Lichtbringer. KLARA. Lieber Freund, Sie bedauern, Robert nicht hier zu finden – gehen Sie ihm entgegen, gehen Sie wenigstens nach Hause und erwarten Sie ihn dort.

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OSWALD entschlossen. Erlauben Sie mir, ihn hier zu erwarten, bei Ihnen ... allein bei Ihnen ... Einen solchen Augenblick hab’ ich vergeblich ersehnt die ganze Zeit hindurch. KLARA steht auf. Wahrhaftig? ... Und Sie führen ihn herbei – nachdem wir schon Abschied genommen hatten – Sie führen ihn auf die ehrlichste Art herbei. OSWALD. Ehrlich? ... Gnädige Frau – sind Sie’s? Sie scherzen, Sie spötteln, Sie suchen ruhig zu scheinen, aber Ihnen bebt das Herz wie mir; Sie wissen so gut wie ich, daß dieser Augenblick kommen mußte, und daß es nicht ein Augenblick für kleinliche Bedenken ist, sondern für eine große Entscheidung. KLARA. Ich habe Ihnen gestern Lebewohl gesagt. OSWALD. Und geglaubt: jetzt ist alles aus? wirklich geglaubt? ... Vorwurfsvoll. Sie haben mich zum Erschrecken wenig kennen gelernt. Wissen Sie nicht, daß ich Sie liebe? ... Wissen Sie nicht, daß ich noch nie verzichtet habe? ... Nie! KLARA gedehnt, ein wenig zurückweichend. S–o? OSWALD. Nein, Frau Kläre, noch nie! Ich habe, die ich begehrte, immer errungen und keine noch begehrt wie Sie mit solcher, nicht blinder, nein, mit hellsehender Leidenschaft! Bis jetzt, sehen Sie, war der Gedanke an die Ehe mir wie ein Gedanke ans Grab. Heiraten, lächerlich! KLARA wie früher. S–o? OSWALD. Einem Weibe Rechte über mich geben und, weil ich ihr die gegeben habe und sie in diesem Besitz gewiß schädigen werde, mich als ihr Schuldner fühlen, am Ende noch Mitleid mit ihr empfinden ... dafür meine Freiheit aufgeben? – Stupid, stupid! KLARA. S–o? OSWALD. Ja, so dacht’ ich. Keine Frau ahnt, was ihr der Mann opfert mit seiner Freiheit. Mehr als Macht und Ruhm, Straflosigkeit und – man ahnt nicht, wie innig das zusammenhängt – Gewissensruhe. Absolute Freiheit ist absoluter Frieden. Der seine Freiheit bei kaltem Blute opfert, ist ein Schurke oder ein Narr. Ich tue es nicht, wenn ich Ihnen sage: Werden Sie meine Frau – ich tue es nicht, es hat sich selbst getan. Von der Stunde an, in der ich Sie fand, hatte ich keine Freiheit mehr, ich stand vor dem Überwältigenden, dem Wunder, ich stand vor Ihnen. Alle meine Überzeugungen, Vorsätze, Pläne – nur noch Trümmer, alle meine Zukunftsträume – Trümmer, mein Leben ein verlorenes, wenn ich Sie nicht erringe, Frau Kläre. KLARA immer bemüht, ihren forcierten Humor beizubehalten. Frau – das ist es eben, daran denken Sie nicht bei Ihrer Werbung. OSWALD. Gewiß nicht wie an ein unüberwindliches Hindernis. Wir finden einander um einige Jahre später, als wir uns hätten finden sollen, einige Jahre des Glückes sind uns geraubt; aber wir haben die Gegenwart und eine

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Zukunft, die ewig Gegenwart sein wird für unser täglich neugeborenes Glück. Das fühlen auch Sie. Abwehrende Bewegung Klaras. Sie fühlen, Sie wissen es, Frau Kläre, Ihre Augen sind aufrichtiger als Ihre Lippen. Ihre Augen haben den meinen schon oft geantwortet, wenn ich fragte: Was war deine Ehe, du herrliches Weib? Was war, was du für Liebe hieltest? ... Ach, was war überhaupt die ganze Vergangenheit, die Ihre und die meine? Ein Fristen, ein Suchen, und was sie an Freuden brachte – schattenhaft ... Jetzt erst beginnt für uns das Leben! KLARA entzieht ihm ihre Hand, die er ergriffen hat. Nein – Tonlos. es endet. OSWALD. Klara! Klara! Er reißt sie mit Gewalt an sich, hält sie an seine Brust gepreßt und küßt sie. KLARA hat sich losgemacht, eilt zur Mitteltür. Die Hand auf der Klinke, verwirrt und schweratmend. Das war schlecht, dazu habe ich Ihnen nie die geringste Berechtigung ... ich habe nie – nie ... OSWALD starrt sie leidenschaftlich an. Klara, wenn ich wollte, wenn ich Sie einem Augenblick des Rausches, der Überraschung verdanken wollte, nicht Ihrer freien Entschließung ... Sich fassend. Immer ruhiger, endlich schmeichelnd, mit scherzender Bitte. Lassen Sie doch die Klinke los! Kommen Sie fort von der Tür ... kommen Sie ... Sie werden sich doch nicht vor mir retten lassen wollen durch Ihre Dienerin? ... Was fürchten Sie? KLARA tritt langsam vor. Nicht Sie, nicht mich. Aber eines von uns beiden verläßt dieses Zimmer ... Wenn Sie mich nicht hinwegtreiben wollen – gehen Sie selbst. OSWALD fragend, lächelnd. Sie weisen mich also fort? KLARA. Ich weise Sie fort. OSWALD. Ich aber bleibe, verzeihen Sie mir. Ich werde, was ich will, erreichen. Ihnen zum Trotz – Ihnen zuliebe ... Ich werde Robert erwarten. KLARA. Wahnsinn ... Was wollen Sie von ihm? OSWALD. Sie! ... Weichen Sie nicht zurück, nur keine Angst vor mir – ich bin bei Sinnen. Ich will so ruhig zu ihm sprechen wie ein fischblütiger Advokat. Ich will ihm sagen: Schwärmerischer Freund der Wahrheit, ist dir nie eingefallen, seitdem du deine Frau heimgeführt hast, daß sie ein anderes Los verdient und braucht, als du ihr zu bieten hast? KLARA. Darauf kann ich Ihnen antworten. Die Frage hat er gestellt, aber zu meiner Beschämung. OSWALD rasch. So mag der Adler sich schämen, daß er nicht im Sumpf wohnen kann. KLARA mit Entrüstung. Sumpf? OSWALD. Ja doch! Die Langeweile ist ein Sumpf, und gestehen Sie, daß Sie sich langweilen in diesem Provinzneste, inmitten dieses Provinzpopanzentums von verknöcherten Pfahlbürgern und verbittertem Beamtenvolk ... Nun denn, ich will ihm sagen: Wohl dir, wohl uns, wenn du einsiehst, daß diese Frau

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hier verkümmert, daß sie in eine andere Welt gehört und an die Seite – nein, nein! in die Arme, ans Herz eines anderen ... Sie will sprechen, er kommt ihr zuvor. als du bist, der sich in ihr Leben gedrängt hat. KLARA. Er hat sich nicht in mein Leben gedrängt. OSWALD. Nicht auf unbescheidene Art. Ich weiß, wie es gekommen ist. Ich seh’ alles mit Augen. Ihr glänzendes Elternhaus, ein weltberühmter Mann sein Mittelpunkt, umringt von kleinen Berühmtheiten, die hereingeströmt sind von nah und fern, die danach geizen, sich rühmen zu dürfen: ich habe den großen Gelehrten gesprochen, ich habe seine bezaubernde Tochter gesehen. Und hatte dann einer die Kühnheit, um die Vielgefeierte zu werben, da suchte Ihr klares, scharfes Auge nach einer Spur eigennütziger Zwecke unter dem Schein begeisterter Hingebung, glühender Liebe. Abseits aber stand einer, der nicht warb, es nicht wagte, der sein Herz in die Hand nahm, und der liebte schweigend, hoffnungslos Mit leisem Spotte. und so heiß, wie ein würdiger Justizbeamter nur irgend zu lieben vermag. KLARA. Spotten Sie nicht. Sie ist zum Sofa getreten, setzt sich, stützt den Ellbogen auf den Tisch und die Wange auf die Hand. OSWALD. Er errang den hohen Preis. Und ich – Schlägt sich vor die Stirn. KLARA. Sie? OSWALD. Ließ es geschehen. KLARA. Was heißt das? OSWALD rückt ein Taburett in die Nähe des Sofas, setzt sich. In den Tagen des Leidens hatte er geschwiegen, seine überschwengliche Seligkeit löste ihm die Zunge. Er sprach von Ihnen – Sie können denken, in welcher Weise – und wünschte „seine beiden liebsten Menschen“ – Sie und mich – miteinander bekannt zu machen. Ich aber habe ein Vorurteil gegen Idole. Und – denken Sie! ... ich hatte Sie einmal gesehen, flüchtig in Rom – im Vatikan – mein Begleiter hatte mich aufmerksam gemacht auf den berühmten Gelehrten aus Wien und auf seine schöne Tochter – und denken Sie! denken Sie! ... Sie hatten mir nicht gefallen ... KLARA. – flüchtig – in Rom im Vatikan? Uns machte ein junger Arzt auf den berühmten Parlamentarier aus Wien aufmerksam und – denken Sie! denken Sie! mir gefiel er ganz gut. OSWALD. Sagen Sie mir das, seien Sie grausam! Verdien’ ich’s besser? Ohne mein verfluchtes Vorurteil, ohne einen Augenblick der Blindheit, wären Sie mein geworden – kampflos. Entschlossen. Nun aber ist der Kampf da, und wir werden ihn bestehen. KLARA. Den Kampf nicht, den Sie meinen. Einen anderen. Wir werden scheiden. OSWALD. Ich glaube nicht. KLARA. Lassen Sie sich kein zweites Mal verabschieden ...

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OSWALD. O – Sie zürnen mir. – Ja, ja, ich verdien’ auch das ... Ich habe mich hinreißen lassen, habe vergessen, daß Sie auf Knien verehrt werden wollen ... Nun denn, ich bereue ... Kann man mehr tun als bereuen? ... Ich bereue und bete an ... Bete die Frau an, durch die das Wunder sich an mir vollzogen hat. Senkt, ohne seinen Platz zu verlassen, ein Knie zu Boden. KLARA. Was für ein Wunder denn? OSWALD. Darf ich beichten? Ich möchte so gern. Kommt ihrer Antwort zuvor. Die Frauen haben eine große Rolle in meinem Leben gespielt, sie haben kaum je mein Herz, meine Phantasie unbeschäftigt gelassen. Aber n i e , verstehen Sie wohl, n i e ! hat eine Frau Einfluß auf meine Entschließungen, mein Tun und Lassen genommen. Ich bin einer Frau zuliebe nie um die Breite eines Haares von dem Weg abgewichen, den ich mir vorgezeichnet hatte – dem Weg, der zu meinen ehrgeizigen Zielen führt. Das verheißungsvollste Stelldichein mit einem schönen Weibe und die lästigste Audienz bei einem maßleidigen Vorgesetzten – so bitter die Wahl –, ich habe nie geschwankt. Ich will und wollte nur eins: zur Macht gelangen ... KLARA. Aber das Wunder? OSWALD. Das vollbrachten Sie. Um Ihretwillen bin ich, statt eine langersehnte Erholungszeit an der Riviera zuzubringen, in diesem Städtchen sitzen geblieben ... habe wichtige Zusammenkünfte mit meinen Parteigenossen versäumt ... sie vergeblich auf mich warten lassen, ihnen nicht Wort gehalten, ich! – für diese Leute die Verkörperung der Zuverlässigkeit ... Ermessen Sie die Gewalt der Anziehung, die Sie auf mich ausüben, und gegen die ich mich ja aufbäume ... KLARA legt die Hand auf seinen Arm. Und die wir besiegen werden. OSWALD. Versäumt! versäumt! ... Sieht sie an. Ein Zufall, ein kleiner, unbedeutender, ein Kind von einem Zufall – die Verspätung eines Eisenbahnzuges, ein unerwartetes Zusammentreffen mit Ihnen und Robert und sein gutmütiges Entzücken, sein Drängen: du wartest nicht auf dem Bahnhof, du wartest bei uns, du bleibst ein paar Stunden, noch besser, ein paar Tage. Und ich, der bei Ihrem Anblick wieder dachte: wodurch bezaubert diese Frau alle, die ihr nahen? ... Ich Narr! Sie sprachen, ich hörte ihre Stimme zum erstenmal. Man hat Ihnen gewiß schon oft gesagt, was in dem Klang Ihrer Stimme liegt, welche liebliche Tiefe, welche melodische Heiterkeit. Sie umschmeichelt, sie beherrscht ... KLARA. Ich will weder schmeicheln, noch beherrschen. OSWALD. Sie tun es! Je unbewußter, je siegreicher. Leugnen Sie, wenn Sie dürfen, daß Sie w u ß t e n , was Sie mir wurden. Mehr und mehr von Tag zu Tag – alles! Leugnen Sie, daß ich ohne Einfluß auf Sie geblieben bin ... Sehen Sie mir in die Augen und leugnen Sie. Er legt sanft und leicht den Arm um sie. Geliebteste, die Vollendung Ihres Wesens liegt in dem meinen, die des meinen in dem Ihren.

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KLARA macht sich los und rückt weiter fort von ihm. OSWALD. Sagen Sie! Haben Sie sich nie herausgewünscht aus der Tretmühle Ihres Kreises in die Freiheit? Die Freiheit, alles zu genießen, was das reiche Leben einer reichen Natur bietet? Haben Sie sich nie danach gesehnt, ganz leise, ganz uneingestanden? Was jeder höhere Mensch anstrebt, ist Vollendung, und das höchste Glück ist die höchste Vollendung. Jeder Schmerz, jedes Leid, jede Sehnsucht ein Mangel. KLARA schüttelt den Kopf. Rhetorik, lieber Freund, sophistische Rhetorik. OSWALD. Wie kalt Sie sich stellen können! – Küßt ihre Hand. Ihre Hand zittert unter meinen Lippen ... Da, auf Ihren Wangen glühen dunkle Flecke ... süße, verräterische Rosen ... Vielgeliebte! Will sie küssen, sie weicht aus. Sie beseligen und quälen! Sie beseligen unbewußt und quälen wissend. Grausam – nicht bloß gegen mich ... Bricht aus. Ein Unrecht ist an uns begangen worden, und Sie setzen es fort. Sie sind doch eine schwache Frau! Gut denn, ich werde stark sein für uns beide. Der zwischen uns steht, muß weichen. KLARA. Das soll er nicht. OSWALD. Wir wollen sehen. Außer – Sie verraten mich. KLARA. Verraten? OSWALD. In seiner Gegenwart ... Wenn Sie mir nicht widersprechen ... Klara, ich fordere von Ihnen kein Tun, nur ein Lassen ... Werden Sie nicht mitleidig, wehleidig für einen anderen. Sie sind es ja nicht für sich selbst. Und wenn er jammern sollte ... KLARA sieht ihn groß an. OSWALD. – um das Glück, das ich ihm rauben will, und das sich ihm rauben läßt ... KLARA. Er wird nicht jammern. OSWALD. Toben also? KLARA. Er wird auch nicht toben. OSWALD. Bleibt also nur grandiose Resignation. Eine schöne Rolle. Napoleon auf dem Felsen von St. Helena ... KLARA wie früher. Sie hassen ihn. OSWALD. Ich hasse ihn, wie ich Sie liebe, ich hasse ihn, diesen Verweichlicher des Rechts, diesen Billigkeitsritter, der mir so klein vorkommt, so klein! Und mit dem ich um ein höchstes Gut ringen muß ... KLARA. Wie sprechen Sie von ihm, und wie hat er von Ihnen gesprochen. OSWALD. Hat er mich gelobt? ... Er war klüger als ich ... ich spreche wie ein Berauschter. Warum berauscht mich Ihre Nähe? Man ist nicht klug im Rausche, man vergißt, sich auf den Edlen zu spielen ... KLARA. Wie denkt er von Ihnen, und wie denken Sie von ihm! OSWALD. Nach Gebühr. Er ist er, und ich bin ich. KLARA. Respekt vor Ihrer Superiorität – Schonung für den Freund, der sie anerkennt, obwohl ...

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OSWALD. Obwohl ich die Hand nach seiner Frau ausstrecke und er es weiß? ... Frau Kläre, er weiß auch, daß wir beide mehr aneinander gewinnen, als Sie und er aneinander verlieren; er weiß, wo für Sie das reichere Glück blüht. Er weiß, er sieht, und Sie wissen nicht, Sie sehen nicht. Kläre, ich habe manche geringgeschätzt, weil sie mir zu sehr entgegenkamen – Sie würd’ ich geringschätzen, wenn Sie sich mir entzögen! Es wäre ein Verbrechen an Ihnen, an mir – dieses feige, niedrige Verzichten ... Wozu sind wir mehr als Tausende und Tausende, wenn wir den Weg der Tausende gehen? Den breiten, bis zum Ekel mit Füßen getretenen Weg des Herkömmlichen ... KLARA. Man nennt ihn auch den Weg der Pflicht. OSWALD lacht bitter auf. Und der Moral – und wie gesagt, die Blinden, die Tauben, die Stumpfen gehen – die große Masse, die getriebene Herde geht ihn. Wir aber sind frei. Unser Wille ist unsere Moral, und wenn Sie von Pflicht sprechen, wenn Ihr Herz an dem Ausdruck hängt: Unser Glück ist unsere Pflicht. KLARA. Und das Glück der anderen? Wenn wir unser Glück nur auf Kosten des Glückes anderer erkaufen können? OSWALD. Dann – bezahlen wir. Sie sind eine schöne Frau und wissen nicht, daß leiden machen Glück ist? KLARA. Ich erinnere mich dunkel vergangener Tage, in denen eine diesem Glück verwandte Empfindung sich in mir geregt hat. Mit feinem Spotte. Es waren die Tage der Unreife – das Herz hat auch seine Flegeljahre. Steht auf. Ich bin draußen. Sie geht an ihm vorüber, er springt auf. Mein armer Freund, Sie reisen um einen Tag zu spät. Wären Sie gestern davongefahren, Sie hätten meine Illusionen mitgenommen. Jetzt liegen die alle hier herum – ein verwelkter, zerpflückter Blumenstrauß. ROBERT tritt rasch ein, bleibt an der Tür stehen, sieht abwechselnd seine Frau und Oswald mit zornfunkelnden Augen an. Natürlich ... während man mich spazieren schickt. Bewegung Klaras. Nicht du – der. OSWALD höhnisch und bitter. Spazieren schickt? Nicht dich, sondern mich. Zu Klara. Sagen Sie ihm alles. Ich warte. ROBERT. Du wartest noch? OSWALD. Ich will mich finden lassen, weißt du. ROBERT. Ja so, jetzt versteh’ ich dich. Aber ich habe ja, wie ich sehe, gar keinen Grund ... Reise in Frieden, lieber Sohn. OSWALD zu Klara mit echtem Schmerz. Leben Sie wohl! Ich habe mich in Ihnen geirrt. Ich habe einen furchtbaren Fehler begangen, ich habe Sie zu überzeugen gesucht, und Frauen überzeugt man nicht, man überrascht und erobert sie. Tritt näher zu ihr, leise. Frau Kläre, es war ein Augenblick, wenn ich den benutzt hätte ... Leben Sie wohl! Er geht. Eine Pause.

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ROBERT mit verbissenem Ingrimm. Da hast du’s. Ich bin doch kein entsagender Mann – da hast du’s nun. KLARA am Fenster. Höre, Robert, der dort über die Straße geht, dunkel wie eine Gewitterwolke, der hat mir sehr gefallen. Tritt auf ihn zu, wirft sich in seine Arme. Dich aber lieb’ ich. ROBERT. Das war wieder wie einst. KLARA. Wie es einst gewesen ist und wieder sein wird und immer. ROBERT. Was hat er dir zugeflüstert? Etwas von einem Augenblick. KLARA. Robert – er hat mich geküßt ... das verzeihst du nie! Schlingt die Arme um seinen Hals, drückt das Gesicht an seine Brust. Du wirst die Schmach ... ROBERT faßt ihren Kopf mit beiden Händen, hebt ihn empor. Wegbrennen. Er küßt sie.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Druck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften 1903

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Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Zeitschriftenabdrucks J ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die durch Sperrdruck gekennzeichneten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die Bühnen- sowie die in runden Klammern stehenden Szenen- und Personenbeschreibungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung des Textes Der Text folgt dem einzigen Druck zu Lebzeiten der Dichterin J. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Über die Entstehung der dialogisierten Novelle Genesen gibt es nur wenige Hinweise. In einem Brief an Paul Heyse vom 23. Januar 1903 erwähnt Ebner-Eschenbach, dass die Anregung zu ihrem Werk sein einaktiges Drama Der Stegreiftrunk (1897) gewesen sei. Dieses Drama Heyses, das sie vor Jahren gelesen habe, habe einen „großen Eindruck“ auf sie gemacht, und sie habe viel darüber nachdenken müssen: „Natürlich kam dann die Frage von selbst: Wie hättest du [...] den Stoff behandelt? und bald war auch eine dialogisierte Novelle fertig.“1 Da Ebner-Eschenbach das Werk Ida von Fleischl-Marxow vorlas, blieb es in dem Besitz ihrer Beraterin und Freundin und gelangte erst nach deren Tod wieder in ihre Hände. Das kann frühestens nach Juni 1899 (Ida von Fleischl-Marxow starb am 4.6.1899) gewesen sein. Ebner-Eschenbach nimmt dann zwischen Juni 1899 und Ende 1902 einige Änderungen an dem wieder in ihrem Besitz befindlichen Werk Genesen vor und plant, es zu veröffentlichen, und zwar mit einer Widmung an Paul Heyse, wenn er ihr das erlaube: „Wenn es auch leider keine Ähnlichkeit gibt zwischen Ihrer Dichtung und meinem Produktchen, sein geistiger Urheber sind doch Sie und das möchte ich aussprechen in ein paar widmenden Worten.“2 Ebner-Eschenbach übergibt am 25. Dezember 1902 das Manuskript von Genesen (zusammen mit dem der dialogisierten Novelle Zwei Frauen) an Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte (T V). Nachdem sie weitere Korrekturen an Genesen vorgenommen hat, schickt sie die Korrekturfahnen am 29. Januar 1903 an die Zeitschrift zurück. Auf Wunsch des Redakteurs der Zeitschrift, Adolf Glaser (1829–1915), ändert die Dichterin am 2. Februar 1903 die Widmung, die er „zu demütig findet“ (T V). Dabei handelt es sich wohl um die Widmung auf der Titelseite der dialogisierten Novelle (s. S. 705). Die ursprüngliche Fassung der Widmung ist nicht zu ermitteln. Am 17. März 1903 schickt Ebner-Eschenbach ihre dialogisierte Novelle Genesen an Paul Heyse (T V). Genesen erscheint im April 1903 in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften. Es handelt sich hierbei um den einzigen vorhandenen Textzeugen. In dem vorliegenden Band wird Genesen nach dem Erstdruck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften vom Jahr 1903 wiedergegeben.

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Ebner-Eschenbach an Heyse am 23.1.1903, in: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von EbnerEschenbach, S. 387–388. 2 Ebd., S. 388.

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2. Die Reaktionen Paul Heyse reagiert nach der Lektüre von Genesen besonders auf die Gestaltung der Ehefrau Klara und ihr Verhalten gegenüber den beiden Männern: Diesmal ist mir’s unverständlich geblieben, warum Sie es der Frau so leicht gemacht haben, von ihrer Influenza zu genesen. Der Mann, den sie schießlich nicht liebt, sondern nur bewundert, zu bewundern f o r t f ä h r t trotz alledem, ist als ein so hochmütiger, herrischer, anspruchsvoller Übermensch geschildert, daß er uns von vorn herein abstößt, da wir seine sonstigen Qualitäten, die ihn einer Frau reizend machen könnten, nicht mit Augen sehen. Und so nehmen wir es ihr übel, daß sie ihren trefflichen ‚mittelmäßigen‘ Gatten sich selbst so tief in Schatten stellen läßt.3

Ebner-Eschenbach gesteht Heyse zu, dass sie bei Klaras ‚Genesung‘ von ihren Illusionen hinsichtlich Oswalds zu großzügig verfahren sei, und erklärt: „Mein Herz gehörte dem Manne u. den Liebhaber vernachlässigte ich in strafwürdiger Weise.“ 4 Aufschlussreich ist Ebner-Eschenbachs Reaktion auf Heyses Hinweis, dass diese Schwierigkeit bei einer möglichen Aufführung von Genesen ohne Weiteres zu überwinden sei. Denn angeblich konzipierte sie zumindest diese dialogisierte Novelle nicht als Bühnenstück: An eine Aufführung denke ich nicht einmal in einem schweren Traume. Die winzigen Sächelchen, die ich noch hie und da herausgebe, befinden sich wohl in der stillen Hut irgend eines Monatsheftes. Ich vertraue ihr Erscheinen als ein halbes Geheimnis dem Herausgeber an, der es als ein ganzes bewahrt. Das ist die Ruhe, das ist der Frieden.5

Jedoch kann diese Distanz zur Bühne auch aus ihrer Enttäuschung über die Behandlung durch die Wiener Presse verstanden werden. Immerhin waren die Aufführungen ihrer dialogisierten Novelle Ohne Liebe recht erfolgreich. Im Jahre 1947 veröffentlichte Heinz Rieder in seinem Band Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach auch die dialogisierte Novelle Genesen. Für Rieder stellt Ebner-Eschenbach in diesem Werk die Frau zwischen Mann und Freund, zwischen nüchternen Hausverstand und genialen Egoismus, zwischen Solidität und Künstlertum. Der meisterhaft geführte Dialog zwischen Frau und Freund enthüllt ihr die ichsüchtige Herzlosigkeit und Selbstsucht des Geliebten, angesichts deren sie „genesen“ in die Arme ihres Mannes zurückfindet.6

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Heyse an Ebner-Eschenbach am Gründonnerstag 1903, in: Ebd., S. 391. Ebner-Eschenbach an Heyse am Karfreitag 1903. In: Ebd., S. 392. 5 Ebd. 6 Rieder: Nachwort. In: Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach in vier Bänden, S. 243. Erschienen ist nur Band 1: Bei meinen Landsleuten. Erzählungen, Novellen und Skizzen. 4

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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Dieser Ausgabe Rieders folgt Susanne Kord in ihrem im Jahre 2005 herausgegebenen Band Letzte Chancen: Vier Einakter von Marie von Ebner-Eschenbach, der auch die dialogisierte Novelle Genesen enhält. 7 In ihrer Einleitung bietet Kord eine weitere Interpretationsmöglichkeit, indem sie den Titel der dialogisierten Novelle auf den Ehemann Robert bezieht: Aufgrund seiner Verhandlungen mit Klara ist Robert eindeutig von seinen Minderwertigkeitskomplexen Oswald gegenüber genesen. Robert übernimmt nach Oswalds Abgang sogar einen Teil seiner Rolle: im letzten Kuß auf der Bühne entwickelt er sich vom edel Entsagenden zum leidenschaftlichen Liebhaber.

Und damit bringt Robert, wie Kord ausführt, „neuen Schwung“ in seine Ehe, die am Ende auch als „‚genesen‘“ angesehen werden kann.8

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Allerdings gibt Kord irrtümlicherweise als Entstehungsjahr 1896 für Genesen an (s. S. 73). Kord: Einleitung. In: Letzte Chancen: Vier Einakter von Marie von Ebner-Eschenbach, S. 18.

I. Text

Ohne Liebe

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Ohne Liebe Dialogisierte Novelle von Marie v. Ebner-Eschenbach

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 64, Heft 384 vom September 1888, S. 759–772.

Ein Salon im Palais der Gräfin Laßwitz in Wien. Die Einrichtung ist im Zopfstil gehalten, die Wände sind mit blauem Brokat überzogen. Eine hohe Mittelthür führt in ein Eingangszimmer, eine Thür links in die Wohnzimmer der Gräfin, eine Thür rechts in die ihrer Enkelin, Gräfin Emma Laßwitz. Im Vordergrunde rechts steht ein kleines Kanapee, davor ein Arbeitstisch und ein Sessel. Gegen den Hintergrund links an der Wand ein großes Etablissement. Auf dem Kanapee, den Fauteuils, den Sesseln ist eine reiche Bescherung an Toilettegegenständen, Kleidern, Hüten usw. ausgelegt. Gräfin Laßwitz beschäftigt sich mit dem Ordnen der Blumenspenden, Schmucksachen, Albums und Bücher, welche den Tisch bedecken. Emma, in einfachem, dunklem Morgenanzug, tritt ein. Sie ist schön und anmutig, sehr ruhig in ihren Bewegungen und in ihrer Sprechweise. Seelenfrieden, innere Klarheit drücken sich in ihrem Wesen aus.

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GRÄFIN. Dein Geburtstag, liebes Kind, wir gratulieren. EMMA küßt ihr beide Hände. Dank und aber Dank! Die Geschenke betrachtend. Alles wunderbar. Ja, das bist du; eine solche Wahl triffst nur du ... Wie dir das alles ähnlich sieht. Meiner Treu! ... wenn ich diesen Reithut auf dem Kopf der Kaiserin von China sähe, rief ich aus: den hat Ihnen, Majestät, meine Großmutter geschenkt. Umarmt die Gräfin. GRÄFIN. Ach – geh! EMMA. Und von wem die Blumen? GRÄFIN. Diese von Berg. EMMA. Der gute Alte! GRÄFIN. Die von Thal. EMMA. Freuen mich nicht. GRÄFIN. Die von Hügel. EMMA. Da hätten wir ja die Landschaft beisammen. Kein Achenbach, leider. Sie nimmt ein Schmuckkästchen vom Tisch. Diamanten ... leichtsinnige Großmutter, nun gar Diamanten ... die darf ich ja nicht tragen, ich alte Jungfer. GRÄFIN. So warten wir, bis aus der alten Jungfer eine junge Frau wird. EMMA. Pst! heute spricht man nicht von unangenehmen Dingen – nur von dir, von deiner Großmut. Sie mustert die Geschenke von neuem. – Es ist wirklich und wahrhaftig zu viel. GRÄFIN. Ich habe für drei zu geben, vergiß das nicht. EMMA. Wie sollt ich? Du hast mir nie etwas Gutes gethan, ohne zu sagen: im Namen deiner armen verstorbenen Eltern. Sie führt die Gräfin zu dem Kanapee im Vordergrund, nimmt auf dem Sessel Platz, ergreift beide Hände der Gräfin. Verzogen aber hast du mich in deinem eigenen Namen. GRÄFIN. Verzogen?

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EMMA. Du hast mir das Leben zu angenehm gemacht, zu schön, zu leicht ... Großmutter, sag einmal: wie alt war ich, als mein Vater starb und bald darauf meine Mutter? Drei Jahre – nicht? GRÄFIN. Ungefähr. EMMA. So bin ich nun seit einundzwanzig Jahren bei dir. Sie sind mir vergangen wie ein Tag, aber was nützt das? Auch wenn man unvermerkt alt geworden, alt ist man doch. GRÄFIN. Mit vierundzwanzig? EMMA. Als ich sechzehn war und Damen in meinen jetzigen Jahren auf den Bällen herumhüpfen sah, dachte ich: was wollen denn diese alten Schachteln, wollen sie sich vielleicht einen Mann ertanzen? ... GRÄFIN. Das hast du nicht notwendig. Die Bewerber kommen uns ins Haus. EMMA. Gott weiß es. Was für Menschen! GRÄFIN. Nun, nun, Rüdiger befindet sich unter ihnen, und der liebt dich, nicht dein Geld. EMMA. Möglich, weil er selbst genug hat. Aber Großmutter, er ist ein Familiengötze. GRÄFIN ungeduldig. Das sagst du immer; was meinst du eigentlich damit? EMMA. Was soll ich anderes meinen als einen Menschen, mit dem seine Verwandten Abgötterei treiben? GRÄFIN wie oben. Sie thun es, weil er es verdient. EMMA. Niemand verdient Abgötterei, am wenigsten derjenige, der sie duldet. GRÄFIN. Woher hast du diese Phrase? EMMA drückt den Zeigefinger an die Stirn. Ich hab’s daher, und deshalb ist es keine Phrase. Denk einmal darüber nach – wodurch hat sich Rüdiger die Anbetung seiner Familie zugezogen? Durch eitel negative Tugenden. Er hat nie Schulden, nie einen Rausch, nie ein Duell gehabt. Er bringt seine Tage im Bureau und zwei Abende in der Woche bei seiner Mutter zu, umgeben von Tanten und Schwestern und Basen, und die Damen alle schwingen Weihrauchfässer. Ach, der einzige Sohn, Neffe, Bruder, Vetter! Ach, der einzige überhaupt! Wo giebt es noch seinesgleichen? ach, und wo weilt sie, die Glückliche, die er erwählen und einführen wird in den Kreis seiner Priesterinnen, damit auch sie das Weihrauchfaß ergreife und ... GRÄFIN. Schweige! – Einen vortrefflichen Menschen verspotten hören ist mir überhaupt unangenehm; von dir aber thut es mir weh. Er liebt dich mit beispielloser Treue, obwohl, Faßt sie scharf ins Auge. wenigstens scheinbar, unerwidert. EMMA nach einer Pause, sehr ernst. Auch ich habe jahrelang so geliebt und bin mit dieser Liebe fertig geworden. Er soll mir’s nachmachen! GRÄFIN. Kind, überlege, bevor du diesen Mann abweist. Überlege, was das ist, unter dem Schutz und Schirm eines solchen Mannes zu stehen.

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EMMA. Gute Großmutter, ein Götze ist niemandem ein Schirm, der braucht selbst Schirme ... Gräfin will sprechen, sie kommt ihr zuvor. Laß mich eine alte Jungfer bleiben; wie soll ich heiraten? – Ich kann ja nicht mehr lieben. Marko war für mich der Inbegriff aller männlichen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, er hatte alle Vorzüge, die ich bewundere, alle Fehler, die mir verzeihlich scheinen. Wir sind als Nachbarskinder aufgewachsen, und schon meine Wärterin hatte mir gesagt: der Graf Marko ist Ihr zukünftiger Bräutigam. Dergleichen merkt man sich, und so liebte ich ihn denn wie einen Bräutigam. Er hingegen liebte mich, wie man eine Schwester liebt, und heiratete meine Freundin. GRÄFIN. Die er recht unglücklich gemacht hat. EMMA. Oder sie ihn – wer weiß es? Nach einer langen Pause. Nun ist er Witwer seit drei Jahren. GRÄFIN. Jawohl, und vergräbt sich in Kroatien auf dem Gute seiner Verstorbenen und überläßt die Verwaltung seines schönen Waldsee den Beamten, die dort wirtschaften, daß es ein Graus und schlechtes Beispiel ist für die ganze Nachbarschaft. Ich halte es, weiß Gott, für unrecht zu verpachten: Hast du den Genuß, habe die Plage. – Aber die Waldseer Anarchie an der Grenze könnte sogar mich verleiten, ein Unrecht zu thun. Das hätte dann dieser Herr Marko auf dem Gewissen. EMMA. Wie bös du ihm bist! beinahe noch so böse wie in jener Zeit, da ich ihn liebte und Lachend. unendlich unglücklich war. GRÄFIN. Du hast jetzt gut lachen; in deinen Backfischjahren hast du mich oft genug nervös gemacht mit deinem Hirngespinst von einer Liebe, die von ihrem Gegenstand nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde. Viel Thorheit habe ich kennen gelernt, eine so große, wie diese Liebe, nicht. Gott sei Dank, starb die unirdische endlich doch eines irdischen Todes – sie verhungerte. Ohne jede Nahrung kann sogar die geistigste Liebe nicht leben. Aber, mein Kind, ganz geheilt von der einzigen Krankheit, welche dich jemals heimgesucht, wirst du dann erst sein, wenn du den Entschluß fassest – EMMA legt beide Hände um den Hals der Gräfin, sieht ihr in die Augen. Die Frau Rüdigers zu werden. Er ist einmal dein Liebling, dieser Verführer aller Großmütter. GRÄFIN sucht sich vergeblich von ihr loszumachen. Laß doch. EMMA. Nein, du mußt die Wahrheit hören. Ihr seid im Irrtum, wenn ihr meint eure Schwachheit verbergen zu können. Man sieht eure Augen leuchten, so oft der Name Rüdiger ausgesprochen wird. GRÄFIN wie oben. Närrin! Närrin! EMMA umarmt sie und läßt sie los. Verzeih! Auch ich werde einmal sechzig, und dann wird es mir ergehen wie euch. Wenn ich das bedenke, bin ich im stande und nehme ihn; man muß für seine alten Tage sorgen.

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DIENER meldend. Graf Rüdiger. GRÄFIN. Da siehst du nun. Rückt die Haube zurecht. Zum Diener. Sehr angenehm. Diener ab. EMMA seufzt. Ach Gott! Steht auf, geht zum Tische und macht sich mit den Geschenken zu thun. GRÄFIN. Emma, wenn er sich heute erklärte? EMMA. Geschähe es zum drittenmal. Wir werden doch unsere Fassung bewahren bei einem nicht mehr ungewöhnlichen Ereignis. Hermann Rüdiger, ein Bouquet in der Hand, tritt ein. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, mittelgroß, blond, fett, sorgfältig gekleidet, hat ein hübsches Gesicht, trägt einen Vollbart, wiegt sich beim Gehen ein wenig in den Hüften. Sein Wesen drückt Selbstvertrauen aus, ist aber nicht frei von einiger Befangenheit; es verdirbt ihm die Laune, sobald ihm diese zum Bewußtsein kommt. Er verneigt sich vor beiden Damen und ist im Begriff, auf Emma zuzugehen. Sie bleibt regungslos und lächelnd am Tische stehen. Er, allmählich die Haltung verlierend, hemmt den Schritt. GRÄFIN. Grüß Gott, mein lieber Rüdiger. RÜDIGER. Frau Gräfin. Nach kurzer Überlegung wendet er sich, geht auf sie zu und überreicht ihr den Blumenstrauß. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Glückwunsch zum Geburtstage Ihrer Enkelin darzubringen. GRÄFIN. Mir? O, ich bin sehr überrascht und nehme ihn freudig an. EMMA. Bravo, Graf Rüdiger, das haben Sie gut gemacht. Geht auf ihn zu und bietet ihm die Hand. Er, nach einigem Zögern, reicht ihr zwei Finger, die er schnell zurückzieht. Ich freue mich jetzt schon auf den Geburtstag meiner Großmutter, da bekomme ich ein Bouquet. Gräfin ist aufgestanden, stellt die Blumen in eine Vase und bleibt während der nächstfolgenden Reden im Hintergrund. RÜDIGER verstimmt. Sie loben mich – ein Glück, das mir selten widerfährt. EMMA. Wie Sie das sagen, wie vorwurfsvoll! als hätte ich eine heilige Pflicht versäumt. RÜDIGER. Von Pflicht ist nicht die Rede, ich glaube nur auf mehr Rücksicht Anspruch machen zu sollen, als ich von Ihnen erfahre. Ein anderer Mann ... EMMA. Lieber Graf, ich bin heute ausnehmend friedlich gestimmt und bereit, jedes begangene Unrecht einzusehen, noch mehr: es zu bekennen. Treuherzig. Mein Undank gegen Sie ist groß. RÜDIGER. Jawohl. GRÄFIN auf ihrem früheren Platz, hat eine Arbeit zur Hand genommen. Jawohl. EMMA sieht sie mißbilligend an. Nicht Partei nehmen! Zu Rüdiger ernsthaft. Ich mache mir Ihretwegen manchmal Vorwürfe. RÜDIGER ebenso. Nur manchmal? EMMA. Das ist Ihnen zu wenig? Nun, sehen Sie, nicht herauskommen aus der Hölle der Gewissensqualen, das wäre wieder mir zu viel. Sie lacht.

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RÜDIGER. Ich würde gern mit Ihnen lachen, ich lache gern über gute Scherze, aber die Ihren Er zuckt die Achseln. EMMA. Sind nicht gut. Verstehe ich mich aufs Gedanken-Erraten, was? RÜDIGER sieht sie vorwurfsvoll an. Nach einer Pause. Nein, so kann es nicht länger fortgehen. Wir müssen ein Ende machen, wir müssen uns endlich einmal aussprechen. EMMA. Endlich einmal? Wir thun seit drei Jahren nichts anderes. RÜDIGER. Und wo bleibt das Resultat? Wir wollen heute zu einem Resultat kommen. EMMA. Wie wär’s, wenn wir uns setzten? GRÄFIN zu Rüdiger. Hierher, mein lieber Freund. Weist ihm einen Platz an ihrer Seite an. Gräfin rechts, Rüdiger links auf dem Kanapee, Emma ihnen gegenüber. Sie hat sich schräg auf den Sessel gesetzt und kreuzt die Arme über dessen Lehne. EMMA. Da seid ihr schon wieder zwei gegen mich. Ist das schön von Ihnen, Graf Rüdiger, sich einer Claque zu versichern, bevor Sie Ihre Philippika gegen ein armes schwaches Weib eröffnen? GRÄFIN. Hör endlich auf mit deinen unzeitigen Späßen. EMMA. Gern, sie kommen mir ohnehin nicht vom Herzen. RÜDIGER. Dann begreife ich nicht ... Gräfin, ich würde einem Manne, wie ich bin, anders begegnen ... Einem Manne, der mit solcher Treue, solcher Beständigkeit Die Stimme versagt ihm. GRÄFIN legt die Hand auf seine Schulter. Lieber Rüdiger ... EMMA zugleich. Lieber Graf, wenn Sie glauben, daß ich Sie nicht zu schätzen weiß, dann irren Sie. RÜDIGER, der sich wieder gesammelt hat. Nun, Gräfin, wenn ich jemanden zu schätzen wüßte, würde ich ihn nicht unglücklich machen, ich würde mich bemühen, seine Gefühle zu erwidern. EMMA. Wer sagt Ihnen, daß ich nicht versucht habe, mich zu bemühen? RÜDIGER. O dann fahren Sie fort – etwas guten Willen, und es wird gehen. Meine Mutter, meine Tanten, meine Schwestern wären glücklich ... GRÄFIN. Auch ich wäre es. RÜDIGER. Auch Ihre Großmutter, auch sie – ach, wie glücklich wäre ich selbst, wenn ich meine Großmutter glücklich machen könnte. EMMA lacht. Gräfin und Rüdiger zugleich. GRÄFIN. Emma! Emma! RÜDIGER. Jetzt lacht sie wieder. EMMA. Aber nein. Mit Entschluß. Sie sind ein gutmütiger Mensch, Graf Rüdiger, Sie sind auch treu, sind vernünftig, ich glaube, daß es sich mit Ihnen leben ließe ...

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Rüdiger und Gräfin zugleich. RÜDIGER will aufspringen. Gräfin Emma! GRÄFIN. O mein Kind! EMMA. Bleiben Sie sitzen; ich bin noch nicht fertig: Leben ließe – vorausgesetzt, daß Sie sich einer Zumutung fügen würden ... RÜDIGER stutzt. Zumutung? EMMA. Ja. – In der Bibel steht, der Mann soll Mutter, Tanten, Basen und Schwestern verlassen und dem Weibe nachfolgen. RÜDIGER. Ich habe die Stelle anders citieren gehört. EMMA. Sie wird eben meistens falsch citiert. RÜDIGER nach langer Überlegung ängstlich. Sie fordern es, ich weiß nicht, was ich ... das heißt ich würde so etwas nicht von mir verlangen, wenn aber Sie das Herz dazu haben – soll es geschehen. GRÄFIN in hellem Entzücken. Rüdiger, Sie sind ein edler Mensch! RÜDIGER einigermaßen betroffen. Wir werden uns jedenfalls noch darüber aussprechen. EMMA. O weh! GRÄFIN streng. Was sagst du? EMMA. Ich frage Sie, Graf Rüdiger, wenn Sie sich entschlössen, mir zu Ehren auf den größten Reichtum an Liebe, den Sie besitzen, zu verzichten, was dann? RÜDIGER. Dann würde ich auf Ersatz hoffen. GRÄFIN. Sie würden ihn fordern dürfen. EMMA. Ganz richtig. Es könnte aber sein, daß ich nicht im stande wäre, dieser Anforderung zu genügen. RÜDIGER außer sich. Und Sie werden es nicht im stande sein. Welch ein Narr bin ich – ein anderer hätte längst – aber auch ich sehe es endlich ein: Sie sind unfähig zu lieben, sind eiskalt, und im Grunde muß man Sie bedauern. GRÄFIN. Jawohl, bedauern. EMMA. Weil ich unfähig bin zu lieben? Das ist nicht der Fall. Unter allen Umständen müßte ich Ihnen ja das Geständnis machen – ich habe eine große Liebe in meinem Leben gehabt. GRÄFIN räuspert sich. RÜDIGER zu ihr, betroffen, tonlos. Jetzt hat sie auch eine große Liebe gehabt! GRÄFIN zu Emma. Du bist lächerlich. RÜDIGER. Ich bitte – ich muß um nähere Erklärung bitten. EMMA herzlich. Ich werde Ihnen jetzt weh thun, Graf Rüdiger, verzeihen Sie mir im voraus. Sie reicht ihm über den Tisch die Hand, er verweigert ihr die seine. Soweit ich mich zurück erinnere, erinnere ich mich geliebt zu haben, innig, vertrauensselig, der Gegenliebe überzeugt. Diese meine Großmutter den Sie besitzen, ] den sie besitzen, Setzfehler

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sagte oft zu mir: Welche Thorheit, mein Kind, du setzest dir jemanden in den Kopf, der nicht an dich denkt. Trotz dieser Warnung ... RÜDIGER fällt ihr ins Wort. Fuhren Sie fort, ins Blaue hinein zu schwärmen – für Marko! ... Inkommodieren Sie sich nicht weiter. Von dieser Kinderei wußte ich und habe nur deshalb nie mit Ihnen darüber gesprochen, weil sie mir denn doch als ein von gar zu lange her überwundener Standpunkt erschien. EMMA. So? RÜDIGER. Ja so! Und wenn das nicht der Fall wäre, mit Marko würde ich’s aufnehmen – dem guten Marko! GRÄFIN zuversichtlich. Thun Sie’s nur. Daß die Wahl zwischen ihm und Ihnen meiner Emma heute noch schwer würde, glaube ich nicht. EMMA sieht ihr in die Augen. Auch ich nicht. RÜDIGER sie mißverstehend. Jedenfalls haben Sie Gelegenheit, Vergleiche anzustellen; Marko ist hier. EMMA mit Selbstbeherrschung. Seit wann? RÜDIGER. Seit gestern. Immer derselbe, immer noch im Prozeß mit seinem Onkel und ehemaligen Vormund. Sieht übrigens recht übel aus. GRÄFIN. Die Trauer um seine Frau. RÜDIGER. Oder die Vorwürfe, die ihm sein Gewissen ihretwegen macht, wenn ich annehmen will, daß er eins hat. DIENER meldet. Graf Laßwitz. GRÄFIN. Da haben wir’s. MARKO tritt ein. Er ist groß und schlank, etwas nachlässig in seinem Benehmen und in seiner Kleidung. Die Züge des gebräunten Gesichts sind unregelmäßig, die strengen blauen Augen von kräftigen Brauen überschattet. Schnurr- und Backenbart sind kurz gehalten, das dichte, leicht ergraute Haar, das inmitten der Stirn eine Spitze bildet, ist kurz geschoren. Er geht auf die Gräfin zu, küßt ihr die Hand. Grüß Gott, Tante. Wie geht’s? GRÄFIN kühl. Ich danke dir, gut. MARKO. Sie sehen auch gut aus, was mich freut. Wendet sich zu Emma. Und wie stehts mit dir, Cousine? EMMA ruhig und freundlich. Gleichfalls gut – was dich gleichfalls freut. MARKO. Vom Herzen. Zu Rüdiger. Guten Tag, Hermann. RÜDIGER gespreizt. Habe die Ehre. EMMA wie oben. Höre, Marko, das Vergnügen, zu erfahren, daß wir uns wohlbefinden, hättest du dir früher verschaffen können. Nimm Platz. Sie nähert sich dem Sessel, den sie früher eingenommen hat. Rüdiger will denselben für sie zurecht rücken, sie kommt ihm zuvor, ohne seine Absicht bemerkt zu haben. Tief verletzt kehrt er zum Kanapee zurück und setzt sich wieder neben die Gräfin. wie stehts mit dir, ] wie stets mit dir, Setzfehler

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MARKO vergebens nach einem unbesetzten Sessel suchend. Alles vergriffen. Was bedeutet diese Ausstellung? Ist denn heute? Schlägt sich vor die Stirn. Zwölfter Mai. Dein Geburtstag, Emma. Verzeih, ich hätte mich dessen erinnern sollen. GRÄFIN. Warum denn auf einmal – da es in Jahren nicht geschah? MARKO. In Jahren – ganz richtig. Aber, wenn ich auch nicht schrieb, ich erinnerte mich an jedem zwölften Mai, daß dieser Tag durch unsere ganze Jugendzeit der schönste im Jahre gewesen. Er befreit einen Fauteuil von den darauf liegenden Gegenständen und läßt sich neben dem großen Tisch nieder, auf den er den Ellbogen stützt. EMMA wendet den Kopf nach ihm. Weißt du noch? Das waren Feste! Weißt du noch den Ball der Dorfkinder im Garten, bei dem ich immer sitzen blieb, weil meine Tänzer vom Büffett nicht wegzubringen waren? MARKO. Ja, ja, und damals, wo ich an der Spitze eines Bauern-Banderiums in den Schloßhof geritten kam, und mein Pferd vor den Fahnen auf dem Balkon scheute und mich abwarf, angesichts der bestürzten Gäste und des lachenden Volkes. EMMA. Und du auf einen Jagdhund fielst, der mit verzweiflungsvollem Geheul entfloh. MARKO. Ich hegte Selbstmordgedanken nach diesem Sturze – das Feuerwerk zerstreute sie. EMMA. M i r machte das Feuerwerk immer das geringste Vergnügen, denn sobald es abgebrannt war, hieß es: das Fest ist aus, geh schlafen! ... Aber vom Morgen des dreizehnten an begann ich mich auf den nächsten zwölften Mai zu freuen. MARKO zur Gräfin. Es ist merkwürdig, Tante; da sind wir so lange Zeit außer allem Verkehr gestanden – nun bin ich wieder bei Ihnen und mir ist, als hätte ich Sie gestern verlassen. RÜDIGER. Merkwürdig. GRÄFIN. In der That. Ich empfinde dir gegenüber anders. Lieber Marko, jemand, der seine ganze Kinder- und Jugendzeit hindurch in dem Hause einer entfernten Verwandten aufgenommen war wie ein Sohn ... MARKO durchdrungen. Ja, ja, das war ich. GRÄFIN ohne sich unterbrechen zu lassen. Aus Teilnahme mit seinen unglücklichen Verhältnissen, denn seine Mutter war tot und sein Stiefvater und zugleich Vormund ein harter, ein – unredlicher Mann. Die Verwandte nahm das Herz des Jünglings in ihre Obhut, sie wollte nicht, daß es verbittere. MARKO. In d e r Gefahr befand ich mich nie, weil nur die Schwachen verbittern. RÜDIGER empfindlich. Wenn das eine Anzüglichkeit sein soll ... wenn vielleicht ich gemeint bin ...

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EMMA lacht auf. MARKO mit ehrlicher Verwunderung. Du, Hochgelobter? Stolz und Glück der Deinen, wirst dich doch nicht getroffen fühlen, wenn man von verbitterten Menschen spricht? Er steht auf und wendet sich an die Gräfin. Fahre fort, Tante, in deiner Anklage, die ja berechtigt ist und lautet: Ich, deine entfernte Verwandte, war zugleich die einzige, welche dir Wohlwollen zeigte; die einzige, welche dein Vertrauen besaß. Warum entzogst du es mir in dem Augenblick, in welchem du dein eigenes Haus gegründet hast? Warum hörte ich seitdem nicht mehr von dir als jeder Fremde, dem du schicklichkeitshalber die Geburt einer Tochter und ein paar Jahre darauf den Tod deiner Frau anzeigtest? Nachdenklich. Ja, warum? ... GRÄFIN. Warum? – Sprich. Nun? MARKO zögert. EMMA. Lassen wir’s bis später, bis ... RÜDIGER. Bis wir en famille sind, wollen Sie sagen. Sagen Sie es doch! oder auch nicht – es wäre überflüssig – ich verstehe Erhebt sich. und empfehle mich. GRÄFIN seine Hand ergreifend. Lieber Rüdiger, was fällt Ihnen ein? En famille heißt: in Ihrer Gegenwart. MARKO unangenehm überrascht. In seiner Gegenwart? ... Sieht erst Emma, die seinen Blick ruhig aushält, dann Rüdiger an. Nach einer Pause zu diesem. Dir ist sehr zu gratulieren. EMMA. Darüber weiß man wirklich noch nichts Bestimmtes. RÜDIGER beißt sich auf die Lippen. Nein, denn die Gräfin ist nicht – wie soll ich sagen? ... und ich bin nicht zudringlich. GRÄFIN ablenkend, zu Marko. Du gehst also nach Waldsee? – Endlich! MARKO. Was sollt ich dort, solange sich mein Vormund – RÜDIGER fällt ihm ins Wort. Ich würde sagen: mein Vater. MARKO. Mein Stiefvater, lieber Freund; solange sich also d e r , mit einem Schein von Recht, die Mitregentschaft anmaßen durfte. Dieser Schein ist zerstört ... RÜDIGER wie oben. Auf Kosten des letzten Willens deiner Mutter. Man sagt, du habest ihr Testament angegriffen. MARKO gelassen. Es war nicht das ihre, war ihr nur zur Unterschrift vorgelegt worden, als sie schon halb bewußtlos ... Aber lassen wir diese peinlichen Dinge. Meine Freunde werden keine Rechtfertigung in Ehrensachen von mir verlangen ... EMMA unwillkürlich. Nein. MARKO. Ich erwarte vielmehr, daß sie für mich einstehen, wenn es etwa nötig wäre. RÜDIGER. Da kann ich dir nur wünschen, daß du in dieser Erwartung nicht getäuscht werdest. Ich, an deiner Stelle, ich würde ...

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MARKO tritt an ihn heran. Mit unterdrücktem Zorn. Was? RÜDIGER. Ich würde mich gefaßt machen ... MARKO. Worauf? RÜDIGER. Nicht überall dem Wohlwollen zu begegnen, das dir soeben Er deutet auf Emma. entgegenkam. Will aufstehen. GRÄFIN zieht ihn am Arme auf seinen Platz zurück. Ganz Ihrer Meinung, lieber Graf, aber setzen Sie sich. – Und jetzt bitte ich um eine andere Konversation. Zu Marko. Du hast ja eine Tochter, drei Jahre alt, wenn ich nicht irre. MARKO. Jawohl, erst drei Jahre. GRÄFIN. Und wo ist die Kleine? MARKO. Wo sollte sie anders sein als bei mir. GRÄFIN lebhaft. Bei dir, und du hast sie nicht mitgebracht? Das ist – verzeih! wieder eine deiner Rücksichtslosigkeiten. MARKO gutmütig. Rücksichtslosigkeit nennst du das? GRÄFIN. Wo seid ihr abgestiegen? MARKO. Im Hotel dir gegenüber. GRÄFIN immer lebhafter. Im ersten Stock? MARKO. Jawohl. GRÄFIN. Und die Kleine bewohnt das Erkerzimmer links? MARKO. Jawohl. EMMA. Sie ist es! GRÄFIN. Ich kenne sie! Ich habe sie gestern am Fenster gesehen und eine Stunde lang mit ihr kokettiert. Ein Engel – aber zart – und diesen zarten Engel legt man in ein Wirtshausbett, füttert man mit Wirtshaussuppe, während seine Großtante ihm gegenüber wohnt. Unverzeihlich! Sie hat sich erhoben, geht auf Marko zu und bleibt vor ihm stehen. Deine einzige Entschuldigung ist: du weißt nicht, was du thust. EMMA lächelnd zu Marko. Nimm das nicht übel. Meine Großmutter hat ein dreijähriges Kind am Fenster gesehen, meine Großmutter ist verliebt. GRÄFIN. Unsinn! ... Ich will die Kleine hier haben, Marko, ich werde sie gesund pflegen. MARKO. Aber, Tante, es fehlt ihr nichts. GRÄFIN. Nichts? Welche Blindheit, Gott im Himmel! Sie hat ihre Mutter verloren und – es fehlt ihr nichts. Schellt erst ein-, dann zweimal. Hole sie, in einer Viertelstunde ist alles zu ihrem Empfang bereit. Zwei Zimmer neben meinem Schlafzimmer stehen zur Verfügung. Der Diener und eine Kammerjungfer sind durch die Mittelthür eingetreten. Gräfin erteilt hastig und leise ihre Befehle und entläßt die Leute. EMMA indessen zu Marko. Was zögerst du? Deine Kleine muß zu uns kommen. MARKO. Sie muß? Etwas verlegen. Ja, das ist so eine Sache ... Ich weiß nicht, ob sie will. EMMA. Die Dreijährige hat schon einen Willen?

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GRÄFIN kommt in den Vordergrund zurück. Nun geh, Marko. Sie drängt ihm seinen Hut auf und geleitet ihn zur Thür. MARKO. Ich geniere mich, Tante – meine Kleine – sie ist ein wenig schlimm. GRÄFIN. Mag sie sein, wie sie will, ich gewähre ihr Gastfreundschaft. RÜDIGER mitten im Zimmer, knöpft seinen Rock zu. Das thäte ich wieder nicht.

Der Salon ist leer. Aus dem Vorzimmer dringt lautes Kindergeschrei. Der Diener öffnet beide Flügel der Mittelthür. Zuerst stürzt die Kammerjungfer herein, läuft durch den Salon in das Zimmer links. Marko folgt. Er trägt Dorchen auf dem Arme, die sich an seinen Hals anklammert, den Kopf an seine Schulter preßt und aus allen Kräften schreit. Die Bonne eilt ihm, die Gräfin der Bonne nach.

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MARKO. Wo? – wohin? Wendet sich links von der Eingangsthür. DIENER vortretend, nach rechts weisend. Hierher, Herr Graf. MARKO schwenkt rasch nach rechts. GRÄFIN zu der Kleinen. Nicht weinen, mein Schatz, mein Herz, nicht weinen, mein Engel! BONNE ebenso. Pas avoir peur, ma chérie, Élise est là, Élise est là. DIENER. Aber Komtesserl, Komtesserl! Alle links ab. Die Beschwichtigungsversuche der Gräfin und der Bonne und das Geschrei des Kindes dauern fort. EMMA aus ihrem Zimmer. Was giebt es? – Ach! der Einzug unseres Gastes. Sie blickt ins Nebenzimmer durch die offen gebliebene Thür und lacht. Ein charmantes Kind, meiner Treu! MARKO kommt, halb verdrießlich, halb verlegen. Ich habe es ja gesagt, daß man sie in Ruhe lassen soll. Man muß Kinder immer in Ruhe lassen. Die arme Kleine war ganz zufrieden mit ihrer Wirtshaussuppe. EMMA die ihn kopfschüttelnd angehört hat. Sie wird auch bei uns zufrieden werden. Sie geht in das Zimmer links. Einen Augenblick wird das Geschrei des Kindes lauter, dann hört es allmählich auf. MARKO hat sich gesetzt, stützt die Ellbogen auf die Knie, das Gesicht in die Hände. Als das Geschrei aufhört, hebt er den Kopf und beobachtet die Vorgänge im Nebenzimmer. Sie beruhigt sich. Sieh da, sieh da, wie ernsthaft die Cousine mit ihr spricht. Den Ton ist sie freilich nicht gewöhnt ... Verzieht auch schon den Mund – es wird gleich wieder angehen, das Geschrei ... O Wunder! – sie giebt ihr die Hand, sie hört ihr zu und lacht ... Die arme Kleine, jetzt lacht sie gar. Das wird noch eine dicke Freundschaft werden zwischen den beiden.

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EMMA tritt langsam ein und bleibt mit gekreuzten Händen vor Marko stehen. Du hast ein schlimmes Kind, mein lieber Marko. Verstehst dich nicht auf Erziehung, scheint mir. MARKO aufstehend. Nein! – ich weiß nichts anzufangen mit gebrechlichen Wesen, ihre Schwäche imponiert mir, ich zittere vor ihrer Angst, ich halte es nicht aus vor Mitleid mit ihrem geringsten Schmerz ... und so erfülle ich dem Kind jeden Wunsch, ihre Launen regieren mich Zornig. und die Bonne sucht mich noch zu übertreffen und die Dienerschaft folgt unserem Beispiel, alles kriecht vor der kleinen Tyrannin Ausbrechend. und wir bilden das Kind allmählich aus zu einem würdigen Mitglied der Gesellschaft der heiligen Affen von Benares. EMMA. Ein höchst erfreuliches Erziehungsresultat. MARKO. Aber so weit soll es nicht kommen. Mein Entschluß ist gefaßt, ich gebe das Kind demnächst ins Sacré-cœur. EMMA. Wo Fremde gut machen sollen, was der Vater an ihm gesündigt hat. Ich weiß besseren Rat: Laß die Kleine bei uns. MARKO. Was dir einfällt! EMMA. Etwas sehr Praktisches. Ich verstehe mit Kindern umzugehen, ich habe das gut gelernt in unserem Kindergarten auf dem Lande. MARKO. Kindergarten? so? Etwas spöttisch. Du beschäftigst dich mit Volksbildung? EMMA. In ihren bescheidensten Anfängen. MARKO. Nun, ich werde in Waldsee eurem Beispiel folgen Mit einer leichten Verbeugung. unter deiner Anleitung. EMMA. Ich bitte dich, bleiben wir bei der Stange. Giebst du uns die Kleine? MARKO. Ich denke nicht daran. Die Tante würde das bißchen Gute, das an dem Kind noch ist, bald ausgerottet haben. EMMA. Ich bin da, um dem Unfug zu steuern. MARKO. Wie lange noch? Rüdiger wird schwerlich warten, bis Dorchens Erziehung beendet ist. EMMA. Rüdiger wird vielleicht noch länger warten müssen, wenn er es überhaupt thun will. MARKO. Das heißt? ... Was heißt das? EMMA. Daß ich ihm schon mehrmals gesagt habe: Warten Sie lieber nicht, es ist am Ende doch umsonst. MARKO. Und er setzt trotzdem seine Bewerbung fort? EMMA. Trotzdem. MARKO. Nun, der hat eine gute Portion Geduld. EMMA. Und eine gute Portion Eigensinn. Und er hat noch etwas: eine mächtige Fürsprecherin, meine Großmutter, die ihn bewundert und das unbedingteste Vertrauen in die Bravheit seines Charakters hat. MARKO. Es ist auch nicht das Geringste gegen ihn einzuwenden.

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EMMA. Doch! seine böse Laune, seine Übelnehmerei. MARKO. Die hat allerdings zugenommen mit den Jahren. Er wird eben verwöhnt. EMMA. Dafür dank ich, das kann ich nicht brauchen – verwöhnt bin ich selbst. MARKO. Dann werdet ihr euch um so besser verstehen. EMMA. Oder um so schlechter. Übrigens sind das nebensächliche Bedenken, wenn man von einem Menschen weiß, er ist ehrenhaft und treu – und hauptsächlich wenn man ihn liebt. Ich aber liebe ihn nicht. MARKO. Das ist kein Ehehindernis. EMMA sieht ihn aufmerksam und ernsthaft an. Seltsam, was du da behauptest. – Seltsam, meiner Treu! MARKO lacht. Du sagst noch immer: Meiner Treu? EMMA. Noch immer. Ich werde meine alten Gewohnheiten nicht los. GRÄFIN kommt triumphierend. Jetzt hat sie die Biskote doch gegessen, denk dir, Marko! und sie ist überhaupt der herzigste Schatz, der mir je vorgekommen ist. Sie hat „Ghoßtante“ zu mir gesagt und Elise mußte Purzelbäume machen. MARKO entrüstet zu Emma. Purzelbäume! GRÄFIN. Warum nicht? sie macht das sehr anständig. Zu Emma. Und nach dir hat sie dreimal gefragt. EMMA freudig. Wirklich? hat sie wirklich nach mir gefragt? Zu Marko. Siehst du, ich war streng, ich habe sie gezankt, das war ihr etwas Neues, und das Neue verfehlt bei Kindern seine Wirkung nie. Ab nach links. GRÄFIN. Ach, Marko! ich hätte eine so große Bitte: Vertraue mir Dorchen an, für ein Jahr oder zwei. In kurzer Zeit reisen wir auf das Land, dann lebt sie in deiner Nachbarschaft, du kannst sie täglich besuchen ... Erfülle mir die Bitte, Marko, eine liebreiche Umgebung thut dem Kinde not; ihr seid so hart, ihr Männer, ihr habt keinen Begriff von der Geduld, der Zärtlichkeit, die ein Kind braucht ... Dorchen ist unvertraut, eingeschüchtert, Ärgerlich, weil er lacht. verprügelt mit einem Wort. MARKO. Verprügelt, die? DIENER kommt mit einem Briefe, den er der Gräfin überreicht. Von Herrn Grafen Rüdiger. Ab. GRÄFIN. Er schreibt mir? – Liest. Sieh nur – er ist gekränkt – hat auch alle Ursache, Emma und du, ihr wart unfreundlich gegen ihn. Liest. Er will nicht mehr kommen ... O! ... Er fürchtet zu genieren, o! o! – Emmas Wort: en famille hat ihm zu weh gethan. MARKO. Sie hat es nicht ausgesprochen, er legte es ihr in den Mund. GRÄFIN. Gleichviel, wir werden trachten ihn wieder gut zu machen. Aber jetzt, lebe wohl. Das Essen der Kleinen wird wohl schon serviert sein. Will gehen. MARKO. Ist das eine schwere Aufgabe, Rüdiger wieder gut zu machen?

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GRÄFIN. Eine ungemein leichte, weil ja Güte der Grundzug seines Charakters ist. MARKO. Schade, daß seine Laune und der Grundzug seines Charakters so wenig übereinstimmen. GRÄFIN. Seine Laune? es ist die eines Verliebten, der sich einbildet, nicht völlige Erwiderung zu finden. Zerstreut. Das alles vergeht, das alles giebt sich in der Ehe. Für sich. Sie ist gewiß schon bei der Suppe. MARKO. Ja, ja, ich weiß, was sich in der Ehe giebt. DIENER meldend. Der Herr Graf Rüdiger. GRÄFIN die schon die Klinke der Thür links in der Hand hält, wendet sich. Wer? DIENER. Graf Rüdiger. MARKO. Er wollte ja nicht mehr kommen. GRÄFIN eine kleine Regung der Ungeduld niederkämpfend. Schön, sehr schön. Zum Diener. Lassen Sie ihn eintreten. DIENER. Der Herr Graf wünschen Frau Gräfin allein zu sprechen. GRÄFIN. Ach was, allein! Zu Marko. Nach der Suppe kommt ein Hühnerfilet mit grünen Erbsen. Ich hätte mich so gern überzeugt, daß es ihr schmeckt. DIENER. Der Herr Graf warten. GRÄFIN. Führen Sie ihn ins Kinderzimmer. MARKO. Aber, Tante, ich bitte dich – Nimmt seinen Hut. ich gehe. GRÄFIN. Du bleibst, du rührst dich nicht von der Stelle. Wenn die Kleine nach dir riefe – was dann? Zum Diener. Führen Sie den Grafen in den gelben Salon. Diener ab. Es ist ein Mißgeschick, daß der gute Rüdiger just in diesem Augenblick kommen muß. Bei Tische und vor dem Einschlafen sind Kinder am herzigsten. Ab durch die Mitte. Marko allein. MARKO. Die Tante! sie übertrifft mich noch. Nein, kleines Dorchen, hier ist unseres Bleibens nicht. Wir reisen. – Wenn auch im Irrtum befangen, ich seh ihn ein, und das ist der erste, der wichtigste Schritt zur Befreiung. Emma kommt von links, sie führt Dorchen an der Hand. Elise folgt mit unzufriedener Miene. EMMA. Dorchen kommt um Verzeihung zu bitten, daß sie so schlimm gewesen ist. Nun, du Kleine? DORCHEN. Pardon, Papa. MARKO. Pardon, das Kind sagt Pardon? Das ist ja etwas Außerordentliches. Streichelt ihre Haare. Wir wollen aber auch andere Saiten aufziehen, von nun an. Mein Dorchen hat mir heute Schande gemacht. ELISE pikiert. Andere Saiten? Chande gemacht? qu’est-ce que cela veut dire? MARKO zu Elise. Ich bitte Sie, das Kind zu Bett zu bringen. Es schläft ja schon. ELISE. Viens ma chérie, viens mon petit ange. DORCHEN hält Emmas Hand fest. Avec toi, avec toi!

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EMMA. Brav sein, Dorchen. Nimmt sie auf den Arm und trägt sie bis zur Thüre, wo Elise sie übernimmt und mit ihr abgeht. MARKO. Ich glaube wirklich, du würdest mit ihr fertig werden. EMMA. Es wäre keine große Kunst. MARKO. Mir ist es nicht gelungen. EMMA. Ich seh’s mit Staunen. Du, der schon als Jüngling die Seelenstärke eines Mannes hatte, du, der kühne Bekämpfer des Unrechts, Ritter der Vernunft – wie du dich nanntest – du stehst unter einem Sie mißt an ihrer Hand. so langen Pantoffel; du hast dringend nötig, nach Hilfe zu rufen, wenn dir deine Tochter in die Nähe kommt. MARKO erhebt den Kopf, sieht sie freundlich an. Eine deiner wohlbekannten Übertreibungen. Wahrhaftig, du hast dich nicht verändert. EMMA. Semper idem. An mir erleben meine Freunde auch nach langer Trennung keine Überraschungen. MARKO. Um so besser, wenn du immer bist, wie du immer warst. EMMA. Weißt du was? – Sei nicht galant, es steht dir schlecht, Nach einer Pause. Marko – ich kann es nicht glauben, daß du wenig Rücksicht für deine arme, kleine, zarte Frau gehabt, daß du sie unglücklich gemacht hast. MARKO sieht finster zu Boden. Das letztere ist wahr. EMMA. Ein schlechter Dank für ihre große Liebe. MARKO springt auf. – Liebe! Liebe! ... Wenn ich nur dieses Wort nicht mehr hören müßte! ELISE erscheint an der Thür. Monsieur, la petite dort, le moindre bruit l’éveille. MARKO leise. Elle dort? C’est bien, c’est très bien! Elise zieht sich zurück. MARKO wie oben, sieht auf die Uhr. Das ist ihr Nachmittagsschläfchen. Es dauert meistens eine Stunde. Nur still, nur still! Will mit äußerster Vorsicht den Sessel in Emmas Nähe rücken, erschrickt und horcht. Beruhigt sich. Nein, es ist nichts. EMMA mit unterdrückter Stimme. Was sagtest du vorhin? welches Wort soll man vor dir nicht aussprechen? MARKO. Eines, das ich gar zu oft nennen hörte, als Entschuldigung, als Rechtfertigung von vielem, vielem mir zugefügten Unrecht, mir auferlegter Pein. Meine arme, kleine, durch ihre Schwäche gefeite Frau hat mir nicht nur das Wort, sondern auch die Empfindung, welche man damit zu bezeichnen pflegt, auf ewig verleidet ... „Ja, mein Leben, meine Seele, ja Marko, ich quäle dich, aber – aus Liebe. Ja, ich möchte nicht eine Minute ohne dich sein, ich bin anspruchsvoll, aber – aus Liebe!“ EMMA. Pst! Du weckst das Kind. MARKO dämpft die Stimme. Und aus Liebe war sie eifersüchtig auf Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit, besonders auf die Vergangenheit. Es war ein Verbrechen, daß ich nicht unerfahren wie ein Mondkalb in die Ehe getreten.

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Ein Mann, der das Leben kennt, der Abenteuer gehabt hat, wie leicht ist es dem, eine ahnungslose Frau zu betrügen. Und er denkt und sinnt nichts anderes als Betrug. Laut und lauter. Meine Feinde wissen, daß ich ein ehrlicher Mensch bin; diejenige, deren Abgott ich war, wußte es nicht. EMMA. Pst, pst! MARKO. Wenn ich das Haus auf ein paar Tage verließ, fühlte ich mich als eine Art Henker; ich wußte ja, meine Frau verzehrt sich daheim in Angst und Sehnsucht. EMMA. Das war krankhaft. MARKO. Krankhaft? Ja, die Liebe ist eine Krankheit. EMMA. Keine unheilbare wenigstens. MARKO. Bei meiner Frau hat sie sich als solche erwiesen. EMMA erschrocken. Marko, unheilbar – tödlich? MARKO. Nein, Gott sei Dank! so arg war es doch nicht ... Sie starb an einem anderen Übel, sanft und ruhig, ihre Hand in der meinen. EMMA. Arme Frau! MARKO. Das habe ich immer gedacht, wenn Ungeduld mich übermannen wollte, und so lebte ich sechs Jahre hin, kämpfend zwischen Empörung und Mitleid. Und da nimmt die Tante es mir noch übel, daß ich nicht geschrieben habe. Was hätte ich schreiben sollen? Die Wahrheit – Verrat an meiner Frau. Die Unwahrheit – Verrat an euch. EMMA. Aber später, als du Witwer geworden. MARKO. Da war meine Seele betrübt. Man macht ein Wesen, von dem man geliebt wird, nicht ungestraft unglücklich. Es rächt sich, wirft einen Schatten auf das ganze Leben. EMMA. Du hast dir ja keinen Vorwurf zu machen. MARKO. Sei es, wie es sei, die Erinnerung bleibt. Steht auf. Eines weißt du, eines wird mir immer unbegreiflich bleiben: so viele unglücklich Liebende sind durch die Kunst und die Poesie verewigt worden, Laut. warum niemals die viel Bedauernswerteren – die unglücklich Geliebten? EMMA. Es ist merkwürdig; du brauchst aber deshalb nicht zu schreien. MARKO nach einer Pause wieder leise. Daß ich niemals an euch schrieb, war kein Zeichen des Vergessens. Im Gegenteil, in meinen schlimmen Stunden gedachte ich deiner. EMMA lacht. Sehr schmeichelhaft. MARKO. In dem Sinn, in dem ich’s meine, ohne Zweifel. Ich überlegte, ich sagte mir: allein bleiben kann ich nicht. Mein Haus braucht eine Herrin, mein Kind braucht eine Mutter, mein Herz braucht einen guten Kameraden. So kam ich denn her, um dich zu fragen – ich gesteh dir’s aufrichtig –, ob du die drei Ämter übernehmen willst. EMMA ruhig. Du schenkst mir viel Vertrauen.

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MARKO. Schenken? Du hast es von je und immer. Was meinst du, Emma, wenn ich mich vor sechs Jahren um dich beworben hätte, würdest du mich genommen haben? EMMA wie oben. Ganz gewiß. MARKO. Sehr schade, sehr schade! Wir hätten in guter Freundschaft eine friedliche Ehe geführt. Aber nein, die Freundschaft genügte mir nicht, es mußte Liebe sein. Ich mußte eine Leidenschaft fassen und einflößen. Preßt beide Hände auf die Schläfen. Vorbei! nicht mehr gut zu machen. Ich bin wieder frei, noch nicht alt, reich – ich mochte mich hinwenden, wohin ich wollte, ich fand keine, die mich nicht liebte. In Kroatien auf dem Gute ließ jedes heiratslustige Fräulein in der Nachbarschaft mich merken: ich trage dich im Herzen. Auf der Reise hierher, welche Entdeckung – Elise liebt mich. EMMA. Du bist ein moderner Orpheus. MARKO. Ohne Leier. Unterwegs erzählte sie mir in einem fort Geschichten von Grafen, die aus unwiderstehlicher Leidenschaft Bonnen geheiratet haben. Wehmütig. Bin ich nicht ein Pechvogel? – Als ich mich entschließe, bei der einzigen, von der ich sicher weiß, die liebt mich nicht, anzufragen: Willst du den Jugendfreund zum Manne nehmen? finde ich sie halb und halb verlobt. EMMA. Dieses Hindernis wird bald behoben sein. MARKO. Was sagst du? EMMA. Aber es ist ein anderes vorhanden, das nicht wegzuräumen ist. MARKO rasch. Welches? Gräfin und Rüdiger kommen durch die Mitte. Sie befinden sich in lebhaftem Wortwechsel. GRÄFIN. Ganz und gar nicht Ihrer Meinung, mein lieber Graf. Halblaut zu Emma. Was macht sie? EMMA ebenso. Sie schläft. RÜDIGER. Ich muß dennoch dabei bleiben. EMMA. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen euch beiden? Die Welt steht nicht mehr lang. GRÄFIN zu Emma. Er findet es unverträglich mit seiner Mannesehre, seine Bewerbung um dich fortzusetzen, er findet ... EMMA fällt ihr ins Wort. Zu Rüdiger. Sie geben mir einen Korb, Graf Rüdiger? RÜDIGER. Den ich an Ihrer Stelle nicht annehmen würde. EMMA. Ich thu’s trotzdem. Seien Sie mir nicht böse. Reicht ihm die Hand, herzlich. Sie geben mir einen Korb, ich bitte um Ihre Freundschaft. RÜDIGER. Die ich Ihnen nicht gewähren kann. Verlangen Sie Freundschaft von Ihrer Großmutter, von Ihrem Vetter. Was mich betrifft – ich empfehle mich. EMMA wie früher. Leben Sie wohl, Graf Rüdiger.

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RÜDIGER. Das wünsche ich Ihnen. Es thut mir leid, daß ich zur Erfüllung dieses Wunsches nichts beitragen kann. Mein Wille war der beste, meine Absicht ganz uneigennützig. GRÄFIN zerstreut nach der Thür links blickend. Sie sind so edel, lieber Rüdiger, immer so edel ... RÜDIGER. Ohne mir zu schmeicheln ... in dieser Sache ... Zu Emma. I h r Glück lag mir am Herzen, nicht das meine. Ich an Ihrer Stelle hätte einen Mann, der einzig und allein mein Glück im Auge hat, besser zu schätzen gewußt. GRÄFIN wie oben. Lieber, lieber Graf, Zu Emma. mir ist, als hörte ich Stimmen, sie ist vielleicht schon wach. RÜDIGER. So bleibt mir denn nichts übrig als ... GRÄFIN wendet sich nach links. Adieu, adieu, lieber Rüdiger. Für sich. Ich werde ihn schon wieder gut machen. RÜDIGER. Als Sie um eine letzte Unterredung zu bitten, Frau Gräfin. GRÄFIN mit Selbstüberwindung. O natürlich – mit Vergnügen. Rüdiger verbeugt sich gespreizt vor Emma und geht mit der Gräfin durch die Mittelthür ab. EMMA. War der Mann nicht eigentlich etwas grob gegen mich? MARKO. Warum sollte er nicht grob gewesen sein, er liebt dich ja. Emma nimmt Platz auf dem kleinen Kanapee rechts, Marko auf dem Sessel links neben ihr. Marko drückt das Gesicht in die Hände. Recht schade, recht schade! EMMA. Was meinst du? MARKO nach der Thür deutend, durch welche Rüdiger abgegangen ist. Daß nur ein Nebenhindernis weggeräumt wurde. EMMA. Ich kann’s nicht ändern; das Haupthindernis bleibt. MARKO. Worin besteht es? sprich doch. Die Ungewißheit ist etwas sehr Unangenehmes. EMMA. Du bist im Irrtum über mich, Marko. Ich muß dir ein Geständnis thun: Ich habe dich geliebt. MARKO rückt von ihr weg. Schrecklich! Steht auf und geht sehr bekümmert mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. So oft er an Emma vorüberkommt, richtet er abgebrochene Reden an sie. Aber nein. Lauter nachträgliche Einbildungen. EMMA immer ganz ruhig. Die reine Wahrheit, ich will dich nicht betrügen. MARKO. Wenn es gewesen wäre ... ich hätte auch etwas davon gemerkt. EMMA. Dazu gehören zwei. Einer, der es merkt, eine, die’s merken läßt. MARKO bleibt stehen. Lieben und es nicht merken lassen? Schüttelt den Kopf. Kommt nicht vor.

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EMMA. Im allgemeinen nicht – aber bei mir. – Ich habe eine gewaltige Liebe für dich gehabt. MARKO. Habe gehabt! – Vergangene Zeit. EMMA. Wenn es aber wiederkäme? MARKO. Fürchte nur das nicht. In den ersten besten verliebst du dich eher als in einen, in den du bereits verliebt Mit Nachdruck. gewesen bist. EMMA. Und das Sprichwort: Alte Liebe rostet nicht? MARKO. Alte Liebe ist Freundschaft. Wischt sich die Stirn. Das war auch nötig, mich so zu erschrecken. Er holt einen Sessel von dem großen Etablissement und setzt sich links, mit dem Rücken gegen die Wand. Emma – Cousine – wollen wir aufrichtig miteinander reden? EMMA. Wie denn anders? MARKO. Nun, meine Freundin – die Hindernisse wären weggeräumt. – Kennen lernen brauchen wir zwei uns nicht mehr. Ich möchte nur eins wissen: Was empfindest du jetzt für mich? EMMA. Ich empfinde für dich eine herzliche Sympathie und ein herzliches Bedauern. MARKO. Warum das? EMMA. Weil deine schönsten Jahre dir vergällt worden sind. MARKO. Emma – und – die deinen? EMMA. Still! Es schickt sich nicht, eine Dame an schöne Jahre, die vergangen sind, zu erinnern. Also das Bedauern ist gegenseitig. MARKO. Die Sympathie gleichfalls. EMMA erhebt sich ein wenig und neigt den Kopf. MARKO. Überdies habe ich vor dir eine aufrichtige Hochachtung. EMMA wie früher. Ganz mein Fall dir gegenüber. MARKO erhebt und verneigt sich. Von einem Vertrauen ohne Grenzen sprach ich dir schon – auch von meiner Sehnsucht nach einem guten Kameraden. Er hat sich wieder gesetzt, legt die gekreuzten Hände auf seine Knie und sieht Emma mit einem langen, innigen Blick an. Willst du mein guter Kamerad werden? EMMA stützt den Arm auf den Tisch und die Wange auf die Hand. Unter Bedingungen. MARKO. Nenne sie. EMMA. Ich trenne mich nicht von meiner Großmutter. MARKO. Selbstverständlich, sie bleibt bei uns. Ferner? EMMA. Ich will deine gleichgestellte Lebensgefährtin und in allen Dingen, die meinen Horizont nicht übersteigen, deine erste Instanz sein. MARKO nickt zustimmend. Das sollst du sein. EMMA. Ich habe zur Demut ebenso wenig Talent wie zur Lüge, ich bin nicht hilflos – Lächelnd. besitze demnach kein Mittel, dir zu imponieren.

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MARKO. Du brauchst auch keines. Mein unbedingter Glauben an dich sichert dir deine unbedingte Selbstherrlichkeit. EMMA. Da wir ohne Liebe heiraten, wissen wir nichts von ihren Schmeicheleien. MARKO. Ich weiß leider genug von ihnen, um sie zu verabscheuen – aber, Verehrte! ich habe so oft Ja gesagt, sage auch du einmal Ja. Nimmst du mich? EMMA. Ja. MARKO freudig, aber ohne seinen Platz zu verlassen. Das ist der segenbringendste Augenblick meines Lebens! Unser Bund ist geschlossen. EMMA. Eine Frau – ein Wort. Gräfin kommt durch die Mitte. Emma und Marko erheben sich. GRÄFIN. Der arme Rüdiger, jetzt ist er weggegangen. Er sagt eigentlich immer dasselbe, der arme Gute! MARKO. Er thut auch immer dasselbe, deshalb zweifle ich nicht, daß er wiederkommen wird. GRÄFIN. Dann will ich suchen, ihn zu versöhnen. EMMA. Zu spät, Großmutter. ELISE auf der Schwelle. Monsieur, la petite vient de s’éveiller. Ab. GRÄFIN. De s’éveiller! Will ihr nach. MARKO stellt sich vor die Thür. Verzeih! – Ich muß dir etwas sagen – Tante, Mit bebender Stimme. beste Tante, ich habe die Ehre, dich um die Hand Emmas zu bitten. GRÄFIN. Du? Fassungslos zu Emma. Und du? EMMA. Ich bin einverstanden. GRÄFIN wie oben. Liebst du ihn denn noch! MARKO rasch. Wir heiraten nicht aus Liebe. GRÄFIN. Sondern? MARKO. Aus Hochachtung. GRÄFIN zu Emma. Und dein Grund? EMMA. Unüberwindliche Sympathie. ELISE kommt mit der Kleinen, die sich von ihr losreißt und auf Emma zueilt. DORCHEN. Ma cousine, ma cousine! EMMA nimmt sie auf den Arm. MARKO zur Gräfin in bittendem Tone. Deine Zustimmung, Tante. GRÄFIN zuckt die Achseln. Emma hat viel um dich gelitten, du hast gut zu machen. MARKO. Unbewußte Schuld. GRÄFIN. Übrigens bin ich eine gehorsame Großmutter. MARKO stürzt auf sie zu und küßt stürmisch ihre Hand. Tante! EMMA küßt die Kleine. Dorchen!

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ELISE die mit wachsender Entrüstung zugesehen hat, wendet sich nach links. Et moi, je fais mes paquets! Ab. GRÄFIN blickt abwechselnd Emma und Marko an. Ihr seid mir unheimlich, ihr zwei. Hochachtung? Und er steht links und sie steht rechts. Gebt einander zu meiner Beruhigung doch wenigstens die Hände. MARKO. Dagegen erhebt sich kein Hindernis. Ergreift Emmas Hand. Sie wird ja nicht nur mein guter Kamerad, sondern auch meine gute Frau. Er nimmt ihr das Kind vom Arm und stellt es auf den Boden. Vertraute! Freundin! Getreue! – Gieb mir den Verlobungskuß. EMMA halb lachend, halb gerührt. Ist denn das notwendig ohne Liebe? MARKO. Das ist unter allen Umständen notwendig. Sie umarmen einander herzlich. MARKO hält ihre beiden Hände fest in den seinen. Die schönen Jahre sind vorbei, jetzt werden die guten kommen.

II. Kritischer Apparat

Ohne Liebe

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Druck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften 1888 Druck in Gesammelten Schriften 1893 Druck in Gesammelten Schriften 1905

J S1 S2

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Zeitschriftenabdrucks J ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die im Sperrdruck gesetzten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die Bühnen- wie auch die in runden Klammern stehenden Szenenbeschreibungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der Text folgt dem Zeitschriftenabdruck J. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Setzfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden.

3. Sammelvarianten Die im Folgenden aufgeführten orthographischen Varianten basieren auf der Uneinheitlichkeit der damaligen Rechtschreibung.

a. Vokalismus und Konsonantismus α. In den Fassungen J und S2 werden im Anlaut Ä und Ü verwendet; in S1 stehen Ae und Ue: Überlege (734,40); Überlegung (736,9; 738,10); Übelnehmerei (745,1); Übrigens (745,6; 752,36); Übertreibungen (747,11); Überraschungen (747,13); Übel (748,15); Ämter (748,40); Überdies (751,24). β. In einem Fall wird in S1 noch s verwendet, während in J und S2 schon ß steht: bißchen (744,26).

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γ. In J und S1 wird ie statt i in giebt und giebst verwendet, während in S2 stets i steht: giebt (734,31; 743,7,17; 746,6,8); giebst (744,26). δ. Substantive mit der Endung -nis in J und S2 haben in S1 noch das damals gebräuchliche -niß: Kenntnis (735,25); Ereignis (736,7); Geständnis (738,30; 750,25); Ehehindernis (745,9); Hindernis (749,20; 753,6); Nebenhindernis (750,21); Haupthindernis (750,22). ε. In J wird in den folgenden Wörtern manchmal th und meistens t verwendet, während in S1 noch th und in S2 immer t steht: Mittelthür (733, vor 1; 742, vor 37; 743, vor 1; 750, vor 16); Thür (733, vor 1; 743, vor 2; 746, vor 11; 747,22; 750,4; 752,20); anmutig (733, vor 1); Thal (733,11); Großmut (733,20); notwendig (734,12; 753,10,11); thut (734,35); heiratete (735,10); wirtschaften (735,16); thun (735,19; 736, vor 5; 737,7; 739,10; 744,32; 750,25); Thorheit (735,26; 739,1); Irrtum (735,36; 746,28; 750,25); Erraten (737,3); gutmütiger (737,35); Zumutung (738,4,5); Reichtum (738,19); That (740,28); Teilnahme (740,32); nötig (741,37; 751,8); gutmütig (742,14); Wirtshausbett (742,24); Wirtshaussuppe (742,24; 743,11); thust (742,27); erteilt (742, vor 37); thäte (743,4); Eingangsthür (743,1); Rat (744,16); not (745,27); gethan (745,37); nötig (747,8); Verrat (748,20,21); Bedauernswerteren (748,30); Gegenteil (748,33); heiratslustige (749,11); geheiratet (749,16); Wehmütig (749,17); thu’s (749,34); thut (750,1; 752,14); Demut (751,38); heiraten (752,3,26). ζ. In J und S2 wird entweder t oder d verwendet, aber in S1 steht dt: tot (740,33); tödlich (748,13). η. In J und S2 steht Witwer (735,12; 748,22), während in S1 Wittwer verwendet wird. θ. Während in J und S2 allmählich (736, vor 8; 743, vor 14; 744,10) steht, wird in S1 allmählig verwendet.

b. Groß- und Kleinschreibung α. Bei Anredepronomina steht in J und S2 die Kleinschreibung, während in S1 die Großschreibung eingesetzt wird: du (733,3,25; 734,18,40; 735,21,23,30,36; 736,2; 738,17; 739,1,31; 740,9,16; 741,6,7,8,30,39; 742,12,14,27,37; 744,25; 745,10,22,26, 35; 746,21; 747,2,6,7,8,11,14,15,16,17,27; 748,22,27,31,39; 749,1,2,18,21; 750,19; 751,5,6,15,28,37; 752,6,23,25,33); dir (733,3,19; 734,5,35; 739,1,24,26,31; 740,28; 741,5,8,39; 742,4,12,16; 744,17; 745,14,19; 746,22; 747,8,15,28; 748,26; 751,19,24, 25,39; 752,1,20) deiner (733,20,24; 741,4,10,30,40; 742,13; 744,24; 745,26; 747,10; 748,34); deinem (733,25; 735,24); dich (734,14,35; 735,29; 739,2,27; 741,2; 744,2,20, 25; 746,20,21; 747,7,11,34; 748,39; 749,2,12,31; 750,17,30; 751,2,5,16; 752,1,21,33); dein (734,15; 735,33; 737,15; 741,6,7; 752,29); deinen (735,23; 737,15; 751,20); ihr (735,36; 737,12; 742,15; 745,35; 753,3); eure (735,37); euch (735,41; 745,5; 748,21, 32; 749,28); deine (741,4; 747,8,16; 751,19,35,36; 752,2); eurem (744,23). β. Das folgende Indefinitivpronomen wird in S1 im Gegensatz zu J und S2 groß geschrieben: niemanden (735,1).

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II. Kritischer Apparat

γ. Adverbien werden in S1 groß geschrieben, während in J und S2 die Kleinschreibung steht: im stande (735,41-42; 738,23,25) und außerdem in diesem Fall in S2 die Zusammenschreibung verwendet wird: im voraus (738,37).

c. Fremdwörter α. Für Verben und Adjektive romanischen Ursprungs wird in J und S2 die Endung -ieren und in S1 die Endung -iren verwendet: gratulieren (733,1; 741,20); citieren (738,8); citiert (738,9); Inkommodieren (739,4); kokettiert (742,23); geniere (743,2); imponiert (744,5); triumphierend (745,14); genieren (745,36); serviert (745,40); pikiert (746,36). Allerdings wird in S2 für den Untertitel Dialogisirte verwendet. β. In J steht Büffett (740,11), während in S1 und S2 Büffet verwendet wird. γ. In J und S1 wird Bouquet (736, vor 8, 15) verwendet, während in S2 Bukett steht.

4. Fortlaufendes Variantenverzeichnis Das folgende Variantenverzeichnis zeigt die restlichen textlichen Unterschiede zwischen dem edierten Text J und den Fassungen S1 und S2 auf. 733, vor 1 733,5 733,6 734,2 735,23 736,20 739,6 739,26 740,40 745,8 745,16 747,8 750,32 751,39

Vordergrunde] Vordergrund S1 S2 auf dem] auf den S 1 geschenkt.] geschenkt! S1 S2 mein] mir mein S 1 S2 Du hast] Da hast S1 S2 anderer] andrer S1 S2 lange her] lange S1 S2 stehts] stets S1 steht’s S 2 bin ...] bin. S1 S2 hauptsächlich wenn] hauptsächlich, wenn S1 S2 gesagt und] gesagt, und S1 S2 Hilfe] Hülfe S1 die’s] die es S 1 S2 hilflos] hülflos S1

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Ohne Liebe

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Ebner-Eschenbachs erste dialogisierte Novelle mit dem Titel Ohne Liebe erschien im September 1888 in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften. Über die Entstehung des Stückes ist nichts Näheres bekannt. Es ist anzunehmen, dass die Dichterin nach der Enttäuschung mit ihren dramatischen und dem Erfolg mit ihren novellistischen Werken in ihrer Experimentierfreude versuchte, ihre novellistische Stärke auf die Bühne zu übertragen. Ihre dialogisierte Novelle Ohne Liebe hat kein Personenverzeichnis und wird auch nicht in Akte und Szenen unterteilt. Sie wird lediglich durch eine Szenenbeschreibung ungefähr in der Mitte des Textes (s. S. 743) in zwei Teile gegliedert. Die dialogisierte Novelle unterscheidet sich textlich vom Lustspiel gleichen Titels schon durch eine längere und ausführlichere Szenenbeschreibung zu Beginn des Stückes. Außerdem wird gleich am Anfang und während des ganzen Stückes zusätzlicher Dialog hinzugefügt, der zur näheren Charakterisierung der Personen dient und zum besseren Verständnis ihrer Beziehungen beiträgt, wie z. B. S. 733, 3–16. Oder es wird ein Textteil anders und viel ausführlicher gestaltet, wie z. B. der hinzugefügte Text auf S. 734,34–35, S. 734,40 bis 735,3 sowie S. 735,17–20, S. 735, 23–25, S. 735,26–28 und S. 735,36–39. Zusätzlicher Text findet sich in der dialogisierten Novelle z. B. auch auf S. 736,17–25, 737,12–17, 740,32 bis 741,3 sowie S. 741,24 bis 742,6 oder S. 744,36 bis 745,8, S. 746,1–7 und S. 748,20–27. Manchmal wird in der dialogisierten Novelle oder in dem Lustspiel Text hinzugefügt oder es wird jeweils anders formuliert wie z. B. auf S. 752,31 bis 753,3. Die Schlusszeilen auf S. 753,12–13 sind in der dialogisierten Novelle zusätzlich. Als Ebner-Eschenbach am 3. Dezember 1890 durch ein Telegramm der Direktion des Berliner Residenz-Theaters von der Annahme ihres Werkes informiert wurde, notiert sie in ihr Tagebuch: „Sie ‚acceptiren‘ Ohne Liebe, das ich ihnen gar nicht angetragen habe“ (T IV). Sie setzt sich sofort mit dem Verleger von Westermanns Illustrierten Monatsheften in Verbindung, um festzustellen, ob ihr das Verfügungsrecht über die dialogisierte Novelle zustehe. Es ist zu vermuten, dass der Theaterdirektor und -kritiker Paul Schlenther (1854–1916), der zusammen mit Otto Brahm und anderen den Theaterverein Freie Bühne begründete, die Vermittlerrolle für das Werk in Berlin gespielt hat. In einem Brief vom 5. Dezember 1890 gesteht Ebner-Eschenbach, dass für sie eine Aufführung auf der Freien Bühne, die sich der Pflege sozialkritischer Dramen der Naturalisten verpflichtet hatte, undenkbar sei: Es liegt mir sehr am Herzen, Ihnen mitzutheilen, daß die Zeitungen lügen wenn sie erzählen, daß ich meine alte dialogisirte Novelle „Ohne Liebe“ der „Freien Bühne“ eingereicht habe. Es ist mir gar nicht eingefallen. Herr Dir Schlenther, that mir kund, daß die Aufführung statt finden werde,

Ohne Liebe

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und daß er hoffe, ich hätte nichts dagegen. Die freie Bühne und – ich! Wann hat je etwas 1

schlechter zusammen gepaßt? Und dennoch, das gewagte Experiment ist gelungen.

Bereits 1890 wandte sich der Verlag der Gebrüder Paetel an Ebner-Eschenbach mit der Absicht, die dialogisierte Novelle zu drucken (T IV, 5. u. 8.12.1890). Sie erschien dann in den von dem Verlag herausgebrachten Gesammelten Schriften von EbnerEschenbach von 1893, 1905 und 1920. Außerdem wurde sie in die vom Leipziger Verlag Fikentscher et al herausgegebene Hafis-Ausgabe ihrer Sämtlichen Werke von 1928 aufgenommen. Schließlich erschien sie im Jahre 1958 in der von Johannes Klein besorgten Ausgabe ihrer Werke im Winkler-Verlag und im Jahre 2005 in dem von Susanne Kord herausgegebenen Band Letzte Chancen: Vier Einakter von Marie von Ebner-Eschenbach. 2 Der in dem vorliegenden Band edierte Text der dialogisierten Novelle Ohne Liebe folgt dem Erstdruck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften vom Jahr 1888.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung der dialogisierten Novelle Ohne Liebe fand am 30. November 1890 auf der Freien Bühne in Berlin statt. Am 2. Dezember 1890 erhielt Ebner-Eschenbach aus Berlin ein Glückwunschtelegramm von ihren Berliner Freunden: „Freie Bühne, freie Runde, / sendet dankerfüllt im Sinn, / fröhlichen Erfolges Kunde / ihrer fernen Dichterin. / Feiernd trinken im Chore / und dein Lob tönt warm und laut / Ohne Liebe, con amore / hat Berlin dein Werk erschaut.“ Es folgen „33 Unterschriften, darunter Fritz Mauthner, Erich Schmid, Gerhard Hauptmann, Brahm, Ernst von Wolzogen u. so weiter, weiter!“ (T IV, 2.12.1890). Auch in der Presse wurde das Stück sehr positiv aufgenommen: Heute Vormittags brachte die „Freie Bühne“ ihre zweite diesjährige Aufführung, welche zwei sehr interessante Stücke von völlig verschiedenem Charakter darbot. Das erste war eine zweiactige Comödie, „Angele“, von einem jungen Autor, Otto Erich Hartleben. [...]

Das zweite Stück

gehörte nicht zu der gepfefferten Gattung, und wir können seine Darstellung in diesem Rahmen höchstens aus den Sympathien erklären, welche seine Verfasserin, Frau v. Ebner-Eschenbach, damit für die dichterischen Bestrebungen der „Freien Bühne“ bekunden wollte. Ihre dialogisirte Novelle in zwei Acten, „Ohne Liebe“, ist ein sehr fein gedachtes und höchst anziehend geschriebenes Lustspiel voll anmuthigster Seelenmalerei. Durch die sympathischen beiden Hauptfiguren, die der Comtesse Laßwitz und ihres Vetters Marco, deren Herzen sich in späten Jahren nach 1 2

Ebner-Eschenbach an Unbekannt am 5.12.1890 (WB, H.I.N. 55406). Kord gibt irrtümlicherweise 1898 als Entstehungsjahr an. In: Letzte Chancen, S. 21.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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langer stiller Neigung „ohne Liebe“ finden, sowie durch das hübsche Beiwerk gewann das kleine Stück rasch die Gunst aller Hörer und wird sie auch über die „Freie Bühne“ hinaus behaupten.3

Es ist bezeichnend, dass im Zusammenhang mit der dialogisierten Novelle Ohne Liebe wiederholt von der Aufteilung in zwei Akte gesprochen wird. Es handelt sich jedoch um keine Akteinteilung im strengen Sinne, sondern lediglich um eine längere Szenenbeschreibung ungefähr in der Mitte des Werkes. In ihrem Tagebuch zitiert Ebner-Eschenbach den Kommentar Paul Schlenthers zur Aufführung der dialogisierten Novelle, die „von ungefähr [...] kürzlich in geschlossener Gesellschaft auf die Bühne“ kam: „Mitglieder des Residenztheaters, vornan Fräulein Zipser und Herr Brandt, spielten es zum allgemeinen Entzücken eines anspruchsvollen Publikums. Es erweckte theils Rührung, theils herzliches Lachen. Man applaudirte bei offener Szene und nach Schluß“ (T IV, Anhang 1891, S. 189). Der Regisseur der Freien Bühne wandte sich am 6. Dezember 1890 an Ebner-Eschenbach mit der Bitte, dem Darsteller des Marko, Emanuel Reicher, das alleinige Aufführungsrecht für Ohne Liebe während seines Gastspiels in Deutschland (mit Ausnahme Berlins) zu gewähren (T IV). Ebner-Eschenbach gewährte diese Bitte am 8. Januar 1891 (T IV). Auch in München wurde die dialogisierte Novelle Ohne Liebe aufgeführt, wo sie am 13. März 1892 ihre Erstaufführung erfuhr. Max Bernstein geht in seiner Rezension auch auf die Gattungsfrage ein: Ehrlich und vornehm ist es, wenn Marie v. Ebner-Eschenbach das, was nur eine Novelle in Gesprächsform ist, auch so nennt. Ehrlich und vornehm ist diese Arbeit durchaus. Nichts Theatralisches, Nichts dem Publikum zu Liebe. Ein Kunstwerk, klein, aber ächt. Wie schön ist die Novelle, wovon dieser kurze Akt eigentlich nur das Ende darstellt! Man hat das behagliche Gefühl, in sehr guter Gesellschaft zu sein und von einem ausgezeichneten Erzähler eine Geschichte zu hören, nicht aufregend, aber spannend. Weniges ausgeführt, Vieles angedeutet, nicht breit und stark genug, um dramatisch zu wirken, doch von intimem Reize, gleich dem Dufte einer Blume, den man ja auch nicht mit Händen greifen kann.4

Bernstein betont weiter, dass die Darstellung „beinahe unübertrefflich“ gewesen sei. Besonders hebt er die Darstellerin der Gräfin Emma, Clara Heese, hervor, deren Rolle „zu ihren kleinsten, aber allerbesten“ gehöre: „Sie hat den Charakter [...] mit vollendeter Kunst nachgezeichnet: aufs Feinste abgewogen zwischen Geist und Esprit, vornehmer Ruhe und mädchenhafter Schalkheit, erfahrenem Ernst und ungetrübter Empfindung, ganz jene Anmuthige, immer Dame und Mädchen zugleich.“5

3

Neue Freie Presse Nr. 9439 vom 4.12.1890, S. 6. Münchner Neueste Nachrichten Nr. 122 vom 15.3.1892. 5 Ebd. 4

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Ohne Liebe

Der Schriftsteller Paul Heyse (1830–1914), mit dem Ebner-Eschenbach seit den frühen 1880er Jahren in engem Briefkontakt stand, sah eine Aufführung von Ohne Liebe im Münchener Residenztheater. Er versicherte ihr, das Stück sei so „vortrefflich gespielt“ worden, dass sie „ihre helle Freude daran gehabt“ hätte. Er kommt dann u. a. auch auf die Szenenbeschreibung in der Mitte und die daraus resultierende Zweiteilung zu sprechen: Nicht das kleinste graziöse Wort, kein leiser Charakterzug, der nicht zu voller dankbarer Wirkung kam. Ich dächte aber, Sie höben den Abschnitt in der Mitte wieder auf, der doch leicht auszufüllen wäre. Warum kann das verzogene Kind im Hotel nicht so ungeberdig nach seinem Papa verlangen, daß der Bonne nichts übrig bleibt, als es zu ihm zu führen? Rein theatralisch gesprochen ist es nicht gut, den Schein eines Aktschlusses zu erregen, der doch nicht zu einer Höhe führt, sondern nur eine Pause bedeutet.6

In der Einleitung zu ihrer Ausgabe Letzte Chancen aus dem Jahre 2005 setzt sich Susanne Kord mit Ebner-Eschenbachs dialogisierter Novelle Ohne Liebe auseinander und hebt hervor, dass Ebner-Eschenbach in ihren dialogisierten Novellen und Einaktern aus dieser Zeit einen neuen Diskurs geschaffen und erprobt habe. Sie fährt fort, dass in Ohne Liebe der Titel nicht wörtlich zu nehmen sei und vor allem „nicht die Liebe an den Pranger“ stelle: „Die Bedingungen, die Emma schließlich an ihre Beziehung mit Marko stellt, laufen letztendlich auf die Gleichheit hinaus, die eine wahre Liebe erst ermöglichen.“ Kord fasst den Kern von Ohne Liebe folgendermaßen zusammen: „Was hier abgelehnt wird, ist nicht die Liebe, sondern auf literarischer Ebene die lächerliche Übersteigerung des Liebesdiskurses und auf sozialer Ebene die im Liebesdiskurs implizite Forderung blinder Unterwerfung an den weiblichen Partner.“7

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Heyse an Ebner-Eschenbach am 1.4.1892. In: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von EbnerEschenbach, S. 324. 7 Kord: Einleitung. In: Letzte Chancen, S. 12–16.

I. Text

Ein Sportsmann

(J)

Ein Sportsmann Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 95, Heft 565 vom Oktober 1903, S. 79–82.

Herrenzimmer. Die Einrichtung ist behaglich und hat einen etwas altmodischen Anstrich. An den mit dunkelbraunen Ledertapeten überzogenen Wänden hängen Bilder von berühmten Rennpferden in einfachen Rahmen. Links zwei Fenster, zwischen ihnen ein massiver Tisch, auf dem Stöcke und Peitschen liegen, darüber eine Pendeluhr. Schräg in der Ecke auf einem Marmorsockel die Reiterstatuette Bartenheims. Eine Mitteltür, eine Tapetentür rechts. An der Wand neben ihr ein breiter Diwan, ein Tisch mit Rauchrequisiten, Fauteuils. BARTENHEIM. Junggeselle. Fünfzig Jahre alt. Mittelgroß, schmal, nervig. Dunkelbraune, schlicht gekämmte Haare, kleiner Schnurrbart, kurz gehaltener, kleiner Backenbart. Rassegesicht. Niedrige Stirn, kräftige Nase. Ruhige dunkelbraune Augen, in denen es bei starker Erregung feurig aufblitzt. Ziemlich großer, energischer Mund mit schmalen, fest geschlossenen Lippen. Gelassenes Benehmen, ohne Spur von Absichtlichkeit. HANS DONATH. Dragonerleutnant. Zweiundzwanzig Jahre alt. Etwas größer als Bartenheim, mit dem er Ähnlichkeit hat. In seiner Art und Weise verrät sich die viel weichere Natur. Er beobachtet Bartenheim gegenüber nur mit größter Selbstüberwindung sein zurückhaltendes Benehmen.

BARTENHEIM kommt von rechts im Hut und Sommerpaletot. KAMMERDIENER folgt. BARTENHEIM tritt an den Tisch, wählt dort einen der Stöcke und nimmt das Taschentuch und die Handschuhe in Empfang, die der KAMMERDIENER ihm reicht. Ein DIENER durch die Mitte.

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DIENER. Leutnant Graf Donath. Ich habe gesagt, daß Herr Graf im Begriff sind auszugehen. BARTENHEIM hat anfangs nicht hingehört. Im Begriff sind ... Jochel, Sie werden noch der reine Bildungsfex. Was gibt’s? DIENER. Leutnant Graf Donath ... BARTENHEIM. Wer? DIENER. Leutnant Graf Donath. BARTENHEIM zieht die Brauen zusammen. Sie haben ihm gesagt, daß ich „im Begriff“ bin – DIENER. Auszugehen. BARTENHEIM. Gut. DIENER will abgehen. BARTENHEIM. Halt! – Warten Sie ... Ich will doch – – Führen Sie ihn herein. Er nimmt den Hut ab.

BARTENHEIM. kurz gehaltener, kleiner ] kurz gehaltenen, kleinen Setzfehler

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Ein Sportsmann

HANS tritt ein. Militärischer Gruß. Er ist augenscheinlich bemüht, seine tiefe Gemütsbewegung zu verbergen. Ich bitte um Entschuldigung, Graf Bartenheim – ich störe ... BARTENHEIM. Durchaus nicht. HANS. Sie wollten ausgehen. BARTENHEIM. Ich bleib’ ebenso gern da. Gibt dem Kammerdiener einen Wink, läßt sich von ihm den Paletot ausziehen. HANS tritt heran, will ihm den Hut abnehmen. BARTENHEIM ablehnend. Lassen Sie gut sein. Bitte! KAMMERDIENER mit den Kleidungsstücken in das Toilettenzimmer. BARTENHEIM zu Hans. Legen Sie ab. HANS verbeugt sich, schnallt den Säbel ab, legt ihn samt der Kappe auf einen Sessel, der neben der Mitteltür steht. BARTENHEIM hat ihm liebreich nachgesehen. Als Hans sich wendet und wieder auf ihn zukommt, kühl und förmlich wie früher. Sie haben Urlaub? HANS. Fünftägigen – gehabt. BARTENHEIM. Kommen jetzt? HANS. Von Gradno. BARTENHEIM. Habe mir’s gedacht – vom Begräbnis ... HANS. Meiner Mutter. BARTENHEIM. Schwerer Verlust für Sie. HANS. Schwerer Verlust – und so bitter! Sie hat gewünscht, mich noch zu sehen, sich sehr gesehnt, gewartet ... und ich hab’ sie nicht mehr am Leben gefunden ... Haßerfüllt, verächtlich. Ich bin zu spät berufen worden durch diesen – durch den ... BARTENHEIM kalt. Durch wen? HANS. Durch den Grafen Donath. BARTENHEIM wie oben. Ihren Vater. HANS zwischen den Zähnen, trotzig. Durch den Grafen Donath. BARTENHEIM absichtlich überhörend, lenkt ab. Wann rücken Sie wieder ein? HANS. Übermorgen früh bin ich zu Haus. BARTENHEIM nickt ihm freundlich zu. Beim Regiment heißt bei Ihnen „zu Haus“? – Gut. HANS. Wenn man kein anderes hat. BARTENHEIM will etwas erwidern, besinnt sich und schweigt. Seine Cigarre ist ausgegangen, er setzt sie umständlich wieder in Brand. HANS aufgeregt und anklagend. Ich habe kein anderes, seitdem meine Mutter tot ist. BARTENHEIM absichtlich überhörend. Wissen Sie, lieber Donath ... HANS vorwurfsvoll. Sie haben mich früher immer Hans genannt. BARTENHEIM. Die Zeiten ändern sich. Sie sind jetzt regierender Leutnant. HANS. O – deshalb ...

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BARTENHEIM. Ja, wenn Sie nichts dagegen haben –: Hans. Also, was ich sagen wollte, mein Lieber – ausgeschlafen kommen Sie morgen nicht auf die Reitschule. Das ist ein kurioser Umweg, den Sie da machen ... HANS rasch. Er reut mich nicht! BARTENHEIM ohne sich unterbrechen zu lassen. Von Gradno über Wien nach Biljeka. HANS freudig überrascht. Sie wissen, daß ich dort in Station bin? BARTENHEIM einen Augenblick betroffen, aber gleich wieder gefaßt, nachlässig. Der Baron Straßer, glaub’ ich, hat neulich im Klub davon gesprochen, sein Bruder dient in Ihrem Regiment. HANS. Er ist mein Rittmeister. BARTENHEIM. Angenehmer Vorgesetzter? HANS. Sehr. BARTENHEIM. Gutes Regiment überhaupt. HANS. Sie kennen es. Es war das Ihre, und darum hab’ ich just in dem dienen wollen. Sie sind nicht vergessen, Graf Bartenheim, in Ihrem alten Regiment. Die Alten werden jung, wenn sie von Ihnen sprechen. Wie oft hör’ ich sagen: Der beste Soldat, der beste Kamerad, das war der Bartenheim und damals auch schon der beste Reiter. BARTENHEIM hat ihn, während er sprach, mit einem warmen Blick angesehen und sich dabei seinen Gedanken überlassen. Zerstreut. Wer? HANS. Sie. BARTENHEIM. Ich – was? Ja so! ... Freut mich, wenn ich gut angeschrieben bin bei Ihnen Lächelnd. „zu Haus“. HANS. Nach jedem Rennen, das Sie mitgemacht haben, soll großer Jubel losgewesen sein, wenn in den Zeitungen gestanden hat: Graf Bartenheims Nikolo oder Kisbir oder Däumling Erster. Und damals, wie man Ihnen nach Ihrem letzten Sieg die Statuette dort verehrt hat, haben die Offiziere ein Fest gegeben. BARTENHEIM. Erinnere mich. Gratuliert haben Sie mir ja auch. Jeden meiner alten Kameraden, der noch bei Ihnen dient, grüßen Sie mir. HANS. Die werden sich freuen! Die werden mich beneiden, daß ich da sein durfte, da bei Ihnen! BARTENHEIM mißmutig. Komplimente? HANS. Sie merken schon, daß es keine sind. Unwillkürliche Bewegung nach der Hand Bartenheims. BARTENHEIM mit ablehnender Gebärde, aber nicht unfreundlich. Also Sentimentalitäten. Sind Sie sentimental?

BARTENHEIM mißmutig. ] BARTENSTEIN mißmutig. Setzfehler

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HANS. Beim Regiment gelt’ ich nicht dafür ... Aber heut’ ... wissen Sie, heut’ ... Wenn man durchgemacht hat, was ich ... Rasch, seinem Gefühl nachgebend. Stellen Sie sich vor – Sie haben Ihre Mutter sehr lieb ... Sie werden Ihre Mutter auch sehr lieb gehabt haben ... BARTENHEIM peinlich berührt. Wendet sich ab. War nicht danach. Lassen wir die Toten in Ruh’. HANS. Die meine – die war danach! BARTENHEIM. Eine prächtige Frau! HANS hingerissen. Und wenn gewisse Leute sich unterstehen, anzuspielen auf einen Schatten, der in ihrem reinen Leben – mir wäre dieser Schatten Licht und Glanz – ich würde ihr zur Tugend ... BARTENHEIM fällt ihm ins Wort, eisig. Sie fiebern, scheint mir. HANS. Nein! ... Ja! – Vielleicht. Sich fassend. Was ich sagen wollte ... Sie hätten Ihre Mutter lieb gehabt – nehmen Sie es an – und sie hätte gekränkelt, lange schon, und Sie wären in Sorgen gewesen um sie. Aber da ist einer, der lacht Ihnen ins Gesicht. – Sorgen – warum denn? Es fehlt ihr ja nichts – Zustände – ach was! Die anderen leiden mehr darunter als sie ... Und s i e gibt ihm recht, immer recht! Sie widerspricht ihm nicht, sie beugt sich ... die stolze Frau vor ihm – wie eine Magd ... BARTENHEIM zuckt zusammen, blickt starr vor sich hin. HANS. Ich – lass’ mich beschwichtigen, leb’ in den Tag hinein. Es geht mir gut, schreibt sie in jedem Brief. Da – auf einmal kommt ein Telegramm: Mutter schwer krank. Erwarte dich. Und ich kenn’ ihn und begreife gleich, was das zu sagen hat ... Und also: fort, zu ihr! zu – ihr? – find’ ich sie noch? Er beißt die Zähne zusammen. D i e Reise merk’ ich mir ... Find’ ich sie noch? Wird sie mich noch verstehen, wenn ich sage: „Mutter“? werd’ ich noch einmal von ihr hören: „Kind“? – Meine Jugend, meine Gesundheit, mein Leben d a f ü r ... Ich komm’ an ... und ... steh’ – vor dem geschlossenen Sarg. Nicht einmal den Anblick der Toten hat er mir gegönnt, der – Graf Donath. Hat erst telegraphiert, als alles schon vorüber war ... Aus Güte. – Er wollte sie schonen und mich ... Er – schonen! der Heuchler ... der ... BARTENHEIM fällt ihm ins Wort. Vergessen Sie nicht ... HANS nach einer Pause mit Ingrimm. Ich hab’ ihm nichts getan! – Er ist hinter dem Sarg gegangen, und der seine wird neben dem ihren stehen in der Gruft, und ich – ich halte den Gedanken aus. Ich suche meine Mutter nicht in der Gruft in Gradno. Dort modert ihr abgelegtes Kleid. Sie lebt in meinem Andenken und in dem der Menschen, Vermeidet es, Bartenheim anzusehen. die ihr wert gewesen sind. BARTENHEIM etwas forciert, förmlich. Und denen es gewiß heilig bleiben wird.

Eine prächtige Frau! ] Ein prächtige Frau! Setzfehler

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Nach abermaliger Pause, ablenkend. Sie haben Verwandte hier, waren Sie bei ihnen? HANS. Nein. Es ist ja auch keine Zeit – BARTENHEIM. So? – Richtig, ja. HANS. Ich habe Verwandte. Lauter Donaths. Sind alle auf einen Schlag. Ich mag sie nicht. BARTENHEIM. Pflegen Sie das so in die Welt hinauszuschreien? HANS. Ich sage es I h n e n , weil ich Ihnen gern etwas sage, was kein anderer aus mir herausbrächte. Und auch weil ich glaube, daß Ihnen die Donath mit ihrer katzenpfotigen Freundlichkeit gerade so ans Herz gewachsen sind wie mir. Wie sollten Sie auch die Sorte vertragen? Ihnen m u ß ja die Falschheit zuwider sein. BARTENHEIM lächelt ihn an. Beinahe ebenso wie die Lobhudelei. HANS. Ja, selbst wie das hundertfach verdiente Lob und die Bewunderung ... BARTENHEIM. Schon gut. HANS. Noch nicht! BARTENHEIM. Verdiene keine Bewunderung. HANS. Ja und ja! Bewunderung und Vertrauen ... Warum kommen denn die Leute zu Ihnen, wenn sie sich nicht Rat wissen in einer heiklen Ehrensache? Warum lebt ein armer Teufel, der nirgends Rettung sieht und schon verzweifeln will, wieder auf, wenn er hört: der Bartenheim nimmt sich deiner an? Warum, wenn’s auf eine Fürsprache ankommt, bei der man leicht eine hohe Ungnade riskiert, kann man Gift darauf nehmen, daß einer reden wird. Wer? der schweigsame Bartenheim. BARTENHEIM. Sind Sie fertig? Ist Ihnen jetzt leichter? HANS. Ja. Ich kann, seitdem mir nach und nach die Augen aufgegangen sind, die Antwort auf diese Warum geben. Früher hätt’ ich sie nicht gewußt, und doch war es mir schon als Kind eine ausgemachte Sache: an dem Bartenheim, der so selten kommt, ist mehr als an allen, die bei uns ein- und ausgehen. Und wenn Sie mir auf die Schulter geklopft und mich gefragt haben: Wie geht’s dir, Hans? war ich stolz, und – gerade zum besten ist es mir ja nicht gegangen in meinem – Vaterhaus; aber in dem Augenblick habe ich antworten können: Jetzt geht’s mir gut ... Einmal hab’ ich in einer illustrierten Zeitung ein Bild von Ihnen gefunden, es ausgeschnitten und an die Wand genagelt über mein Bett und habe zu meiner Mutter gesagt: Wie der ist, so will ich werden. BARTENHEIM in Gedanken. Halblaut. Und Ihre Mutter, was wird sie wohl gesagt haben? HANS. Sie hat nichts gesagt. Sie hat mich zärtlich geküßt.

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BARTENHEIM fast übermannt, bezwingt sich. Wirft einen Blick nach der Pendeluhr. Ja, mein lieber Hans, mir tut’s leid, aber wenn Sie Ihren Zug nicht versäumen wollen ... Ihr Zug geht um fünf. HANS. Verzeihen Sie, um halb sechs. BARTENHEIM nachdrücklich. Um fünf. HANS versteht, erhebt sich. Ein schmerzliches Zucken verzieht sein Gesicht. Er holt seinen Säbel, schnallt ihn um, nimmt die Kappe. BARTENHEIM. Ihre Reisesachen werden Sie auch noch abholen müssen. HANS kaum fähig zu sprechen. Die sind – auf dem – Bahnhof ... BARTENHEIM nervös. So. Nun denn: Adieu. Gute Fahrt, gute Ankunft. HANS steht erwartungsvoll. Dan–ke. BARTENHEIM. Es war schön, daß Sie mich aufgesucht haben. HANS. Darf ich wiederkommen? BARTENHEIM. Gewiß! Gewiß! HANS. Im Herbst. BARTENHEIM. Im Herbst? HANS. Es heißt – und wir hoffen sehr darauf –, unser Regiment soll hierher transferiert werden. BARTENHEIM peinlich überrascht. Ist das bestimmt? HANS. Es soll so gut wie bestimmt sein. Im Herbst also darf ich wiederkommen? BARTENHEIM zögernd. ’s ist die Frag’, ob Sie mich finden ... Ich habe Reisepläne. Reicht ihm die Hand. Adieu. HANS ergreift die Hand Bartenheims und küßt sie rasch. BARTENHEIM. Was fällt Ihnen ein? Adieu, Donath, adieu, Hans! HANS grüßt, geht zur Tür. Dort, die Hand schon auf der Klinke, bleibt er stehen, sieht sich noch einmal nach Bartenheim um. BARTENHEIM am Tische, auf dem er etwas zu suchen scheint. Nach einer Weile wendet er den Kopf und nickt Hans verabschiedend zu. HANS ab. BARTENHEIM wie einer unwiderstehlichen Anziehung folgend, ein paar Schritte ihm nach. Nimmt sich mit Gewalt zusammen und bleibt schwer atmend stehen. Dann tritt er ans Fenster und winkt hinab, wie dankend für einen Gruß. Geht vom Fenster fort und bis zur Mitte des Zimmers. Leb’ wohl, mein Junge! Beide Hände krampfhaft an den Kopf gepreßt. Ah! ... Das war schwer!

mir tut’s leid, ] mir tut leid, möglicherweise Setzfehler

II. Kritischer Apparat

Ein Sportsmann

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Druck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften 1903

J

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Zeitschriftenabdrucks J ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die im Sperrdruck gesetzten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die in runden Klammern stehenden Bühnen-, Szenen- und Personenbeschreibungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung des Textes Der Text folgt dem einzigen Druck zu Lebzeiten der Dichtertin J. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Setzfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Ein Sportsmann

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die dialogisierte Novelle Ein Sportsmann entstand während Ebner-Eschenbachs viertem Romaufenthalt (Oktober 1902 bis April 1903). Es gibt keinen Hinweis auf eine mögliche Inspiration zu diesem Werk. Ebner-Eschenbach berichtet lediglich am 6. Januar 1903, dass sie das Manuskript der dialogisierten Novelle Ein Sportsmann an Adolf Glaser, den Redakteur von Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften geschickt habe (T V). Einige Monate später nimmt sie Korrekturen an der dialogisierten Novelle vor, und am 14. Juli 1903 schickt sie die Korrekturfahnen an die Zeitschrift zurück (T V). Ein Sportsmann erscheint im Oktober-Heft von Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften. Mehr noch als in ihren bisherigen dialogisierten Novellen verlegt Ebner-Eschenbach in diesem Stück den psychologischen Vorgang vom Dialog in die ausführlicheren Personen- und Szenenbeschreibungen. Der in dem vorliegenden Band edierte Text Ein Sportsmann folgt dem Erstdruck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften vom Jahr 1903.

2. Die Reaktionen Die dialogisierte Novelle Ein Sportsmann wurde von Heinz Rieder 1947 in seinen Band Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach aufgenommen. Rieder verweist darauf, dass in dieser dialogisierten Novelle „vor allem die Meisterschaft im Verschweigen“ auffällt: [...] alles Wesentliche, Wichtige steht zwischen den Zeilen, wird kaum angedeutet, aber gerade darum um so wirksamer. Hinter gleichgültigen Worten verbergen sich erschütternde Schicksale, am Ende gehen die Menschen – wie hier Vater und Sohn – unerkannt aneinander vorüber. Sie müssen es, weil die anonyme Tyrannin „Gesellschaft“ die Wahrheit nicht erfahren darf. Mit der forschen Haltung des „Sportsmann“ maskiert sich ein zermartertes Herz.1

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Rieder: Nachwort. In: Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach, S. 243.

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Zwei Frauen

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Zwei Frauen Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 94, Heft 562 vom Juli 1903, S. 497–501.

Eleganter Salon, geschmackvolle Einrichtung. Zwei Türen, eine in der Mitte, eine links. Rechts ein Erker mit breitem Fenster, davor, schief gestellt, ein kleines Kanapee. Links ein Tisch, an dem von einer Seite ein Fauteuil, von der anderen ein Sessel steht. GRÄFIN S OPHIE, siebenunddreißig Jahre alt RUDOLF, ihr Sohn, sechzehn Jahre alt ANNA, ihre Tochter, fünfzehn Jahre alt FRAU ELSBETH, fünfunddreißig Jahre alt EIN DIENER RUDOLF hoch aufgeschossen, schmal, hellblond. Er hat einen mädchenhaften feinen Teint, rosige Wangen, große, aber schön geformte Hände und Füße. Sitzt im Fauteuil, die Ellbogen auf den Tisch, das Kinn auf die verschränkten Finger gestützt, und ist vertieft in das Lesen eines Buches, das vor ihm liegt. ANNA durch die Mitte. Untersetzt, braune Haare, braune, kluge, ernst blickende Augen. Die beiden jungen Leute haben dieselbe Art, in abgehackten Sätzen stoßweise zu sprechen.

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ANNA setzt sich schweigend ihrem Bruder gegenüber, nimmt eine Stickerei vom Tische und fängt an, sich emsig mit ihr zu beschäftigen. RUDOLF nach einer Weile, ohne aufzusehen. Wer war’s? ANNA. Die Cousinen. RUDOLF. Was haben sie gewollt? ANNA. Was alle wollen. RUDOLF. Kondolieren. ANNA. Ja. RUDOLF. Hast du sie fortgeschickt? ANNA. Ja. RUDOLF. Ihnen gesagt, daß sie es noch nicht weiß? ANNA nickt. RUDOLF. Haben sie sich gewundert? ANNA zuckt mit den Achseln. Natürlich. RUDOLF. Aber – aber – es steht schon in allen Zeitungen – Sieht auf. Man wird es ihr doch sagen müssen. ANNA murmelt vor sich hin. Freilich. RUDOLF. Du wirst es ihr sagen müssen. ANNA. Ich nicht. RUDOLF. Wer also? ANNA. Weiß nicht. RUDOLF. Sonst könnte sie’s erfahren – zufällig – plötzlich – und – und – ANNA senkt den Kopf. Plötzlich darf sie es nicht erfahren.

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RUDOLF. Darf sie? – darf sie? Wirst du’s verhindern? Ist der Zufall ein Hund, dem man nur so sagt: Du, kusch du! spring’ nicht heraus aus deinem dunklen Winkel! ANNA. Das ist wieder ein Vergleich! RUDOLF ganz verwundert. Warum denn? ANNA ungeduldig. Der Zufall und ein Hund – Unsinn! ... Wenn du nur etwas Gescheites ausdenken könntest! Legt ihre Arbeit hin, ringt die Hände unter dem Tische. Eine sanfte Art sie vorzubereiten – ganz langsam – RUDOLF. Aber wie? ANNA. So – weißt du, so – daß sie nach und nach von selbst auf den Gedanken kommt. RUDOLF nachdenklich. So? – So von selbst? ANNA. Ja! ja! RUDOLF. Wenn du, zum Beispiel, sagen würdest – ANNA. Ich? – nein, i c h nicht! – d u ! ... RUDOLF. Was dir einfällt – ich! ... Läuten an der Hausglocke. RUDOLF. Schon wieder! ... Wer nur? ANNA. Gewiß die Lisa. Die stirbt vor Neugier, zu hören, was die Mutter dazu gesagt hat. RUDOLF. Geh’! Schick’ sie fort. ANNA. Geh’! Schick’! Immer soll ich, ’s ist schwer. Die Mutter hat schon gefragt: Warum laßt ihr niemanden vor? Ich bin ja wieder wohl. Diener bringt eine Karte. DIENER. Eine Dame. Fremd – in tiefer Trauer. ANNA nimmt die Karte, liest, springt auf. Rudi! Reicht ihm die Karte über den Tisch hin. RUDOLF liest. Frau Elsbeth ... Die Stimme versagt ihm. Er erhebt sich, starrt seine Schwester an. Nach einer Weile. Die kann man nicht fortschicken ... ANNA zaudert noch, dann entschlossen. Und auch nicht warten lassen. Gibt dem Diener einen Wink. DIENER geht ab und öffnet gleich darauf die Tür vor Elsbeth. ELSBETH tritt ein. Eine stattliche, schöne Frau. Schwarz gekleidet, kleine Kapotte mit langem Kreppschleier. Sie hat reiche, blonde Haare, die sie glatt gescheitelt trägt. Ihre Stirn ist niedrig, die Nase etwas stark. Die Augen sind tiefblau, nicht sehr groß und haben einen ungemein sanften Ausdruck. Der Mund, mit feingeschwungener Oberlippe, ist von außerordentlicher Lieblichkeit. Die Form des Gesichtes ein reines, längliches Oval. Sie tritt langsam vor. Anna geht ihr entgegen. Rudolf folgt seiner Schwester. RUDOLF und ANNA zugleich. Gnädige Frau ... ELSBETH bleibt vor ihnen stehen. Graf Rudolf? – Gräfin Anna? BEIDE. Ja – ja, gnädige Frau.

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ELSBETH mit unsicherer Stimme. Ich habe einen Auftrag an Ihre Mutter ... RUDOLF. Einen Auftrag ... ANNA. O, gnädige Frau, unsere Mutter ... es wird sie sehr angreifen ... sie ist sehr krank gewesen. RUDOLF. Ja – sehr! sehr schwer krank! ELSBETH. Das hat sie meinem Manne geschrieben – nach ihrer Wiederherstellung. RUDOLF. Wiederherstellung ... ja – aber – Stockt. ANNA. Aber sie ist noch sehr schwach ... Hervorstoßend. Und der Arzt hat es uns auf die Seele gebunden ... Mit einem hilfesuchenden Blick zu Rudolf. Nicht wahr? RUDOLF. Ja – dringend, dringend! ANNA. Sie zu behüten vor jeder Gemütsbewegung. RUDOLF. Jeder – ja! ANNA. Eine heftige Gemütsbewegung könnte ihr Tod sein – und so haben wir uns nicht getraut – ELSBETH. Sie haben sich nicht getraut? – Was nicht getraut? ANNA. Ihr zu sagen von dem Unglück ... O, gnädige Frau – sie hat den Herrn Professor unendlich verehrt und bewundert. RUDOLF. Meine höchste Instanz, hat sie immer von ihm gesagt ... Mein weltliches Evangelium ... Mein bester Freund ... ANNA. Es ist ein furchtbarer Schlag für sie! ELSBETH ohne Bitterkeit, mit einem leisen Lächeln. Für sie. RUDOLF. Und so – haben wir es nicht übers Herz gebracht ... ihr zu sagen, daß ... ANNA gewaltsam hervorstoßend. Und so ... weiß sie es noch nicht. ELSBETH tritt überrascht einen Schritt zurück. Weiß es noch nicht? ... Ich habe doch ... ist denn mein Telegramm – mein Brief – ANNA. O, gnädige Frau! – die Telegramme – wir müssen – der Arzt hat es befohlen ... die Telegramme, gnädige Frau, eröffnen wir. RUDOLF. Keine Überraschungen! sagt der Arzt, nicht einmal freudige ... Sie hat Ihr Telegramm nicht gelesen. ELSBETH nach einer Pause. Und mein Brief? RUDOLF. Ihr Brief – wir haben ja gewußt, was er enthält – Zieht einen geschlossenen Brief aus der Tasche. Da ist er. ELSBETH. Uneröffnet – RUDOLF. Verzeihen Sie! ANNA. Verzeihen Sie uns! RUDOLF und ANNA treten mit flehenden Mienen und Gebärden an sie heran. RUDOLF. Wir sind ganz ratlos ... ANNA. Wir wissen nicht, was wir anfangen sollen ... ELSBETH blickt schweigend von einem zum anderen. RUDOLF. Gnädige Frau –

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ANNA. Gnädige Frau – denken Sie nur – es ist unsere Mutter! ... RUDOLF. Unsere gute Mutter – ANNA. Und wie krank sie war – RUDOLF. Und was der Arzt sagt – ANNA mit ausbrechender Angst. O Gott! wenn sie kommt und Sie hier findet ... RUDOLF wie Anna. Gnädige Frau, das darf nicht ... das soll nicht ... ANNA einfallend. Sonst erfährt sie ja gleich ... ELSBETH. Arme Kinder, wie wollen Sie es verhindern? Sie muß es erfahren. ANNA. Sie muß – ja, wir begreifen ... Nur nicht plötzlich, nicht grausam plötzlich! ELSBETH. Nicht plötzlich ... Sieht nochmals die beiden jungen Leute mit einem langen, ernsten Blick an. Dann sanft, aber entschieden. Ich habe eine Botschaft an Ihre Mutter zu bestellen. Gehen Sie zu ihr, ich bitte, melden Sie mich. ANNA bäumt sich auf gegen diese Bitte, die halb und halb wie ein Befehl klingt. Aber, gnädige Frau ... ELSBETH nachdrücklich. Tun Sie’s, ich bitte Sie. ANNA sichtlich beeinflußt durch Elsbeths Entschiedenheit, aber noch unentschlossen, wendet sich mit stummer Frage an Rudolf. RUDOLF hat scheu nach Elsbeth hingeblickt, zögernd, leise. Tu’s. ANNA nach einem letzten Kampfe, nähert sich der Tür links. Rudolf ist an den Tisch getreten. Anna wechselt im Vorübergehen einige unverständliche Worte mit ihrem Bruder, dann langsam ab nach links. RUDOLF bleibt in peinlicher Erwartung am Tische stehen. ELSBETH ist an das Erkerfenster getreten, hält sich dort regungslos, in Gedanken versunken, den Blick, der nicht schaut und nicht sieht, unbeweglich in die Ferne gerichtet. Sophie und Anna kommen. SOPHIE etwas unter Mittelgröße, schmächtig, nur um wenige Jahre älter als Elsbeth, sieht aber viel älter aus. Angegraute Haare, feine, edle Züge, leuchtende graue Augen. Weißes Spitzenhäubchen, weißes Hauskleid mit Spitzen besetzt und mit langer Schleppe. SOPHIE tritt rasch auf Elsbeth zu, die ihr entgegengeht. Sie, Frau Professor! Da wird mir ja ein inniger Wunsch endlich erfüllt! Reicht ihr die Hand. ELSBETH hat unwillkürlich ihrer Berührung auszuweichen gesucht, beherrscht sich, läßt ihr die Hand. SOPHIE. Dank! Dank, daß Sie zu mir kommen, und jetzt dürfen Sie mir auch so bald nicht wieder fort. Führt sie zu dem Kanapee rechts, auf dem beide Frauen Platz nehmen. RUDOLF und ANNA stehen nebeneinander im Hintergrunde etwas gegen links und verfolgen mit gespannter Aufmerksamkeit das Gespräch zwischen ihrer Mutter und Frau Elsbeth.

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SOPHIE. In Trauer? Sieht sie forschend an. In der tiefsten? – und die verweinten Augen? Rasch. O – Sie arme Frau! Ihr Bruder ... der Professor sprach davon in seinem letzten Briefe – war leidend ... hat sein Zustand sich verschlimmert? haben Sie ihn verloren? ELSBETH. Nein, Frau Gräfin, es geht besser. SOPHIE. Dann haben Sie einen anderen Verlust erlitten, der Ihnen nahe geht, sehr nahe. ELSBETH. Sehr nahe. SOPHIE. Und plötzlich muß es so gekommen sein. ELSBETH. Es ist plötzlich gekommen. SOPHIE. Denn aus dem letzten Briefe des Professors spricht nicht die leiseste Besorgnis ... Lebhaft. Ein herrlicher Brief! Er brachte mir Grüße aus dem goldenen Orient. Jedes seiner Worte atmete Freudigkeit. Sie wehte mir beglückend aus seinen Blättern entgegen, drang herein in die Stille und Dämmerung meiner Krankenstube wie eine jubelnde Stimme, wie warmes, strahlendes Licht – half mir genesen! ELSBETH. Sie haben ihm das geschrieben? SOPHIE. Mein Brief sollte ihn nach seiner Rückkehr erwarten in Martigny. ELSBETH. Er hat ihn dort gefunden. SOPHIE. Aber nicht beantwortet. Ich habe auf eine Antwort gehofft, mir Sorgen gemacht, daß sie verloren gegangen sei ... Sie wissen nicht – hat er mir noch geschrieben? ELSBETH vermeidet ihren Blick. Es war seine Absicht. SOPHIE beobachtend, mit leisem Mißtrauen. Sein Aufenthalt in seinen geliebten Schweizer Bergen sollte dieses Mal von besonders kurzer Dauer sein. ELSBETH. Von kurzer Dauer. SOPHIE. Und auch der Ihre? Sie haben ihn noch rascher abgebrochen? Es zog Sie heim zu Ihren Kindern, Ihrer Mutter? ELSBETH. Jawohl. SOPHIE. So eilten Sie ihm voraus, und er schickt mir Nachricht durch Sie? ELSBETH mühsam. Er schickt mich. Ja. SOPHIE in steigender Unruhe. Reden Sie! sagen Sie mir – ist es nicht wie sonst – kommen Sie nicht wie sonst um einige Tage ihm voraus – das Haus zu seinem Empfang bereit zu machen? ELSBETH. Nein – nicht wie sonst ... SOPHIE wie jemand, der Böses ahnt, seine Ahnung aber nicht bestätigen lassen will. Nicht wie sonst – und warum? reden Sie! ELSBETH. Weil – mein Gott ... SOPHIE fällt ihr ins Wort. Eines Ihrer Kinder ist erkrankt – oder Ihre Mutter? ELSBETH schüttelt den Kopf. SOPHIE. Nicht? und wer? – reden Sie doch ... ELSBETH. O, gnädige Frau – Sie ahnen ja, was geschehen ist –

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SOPHIE mit immer klarer aufleuchtendem Verständnis, wendet sich rasch gegen Rudolf. Das Touristenunglück auf dem Montblanc ... Du hast neulich vorgelesen aus der Zeitung ... und plötzlich abgebrochen ... und warst feuerrot ... und wolltest nicht weiter ... weil es mich angreifen ... Sieht ihn mit starren Augen durchdringend an. Das war’s? RUDOLF. Das war’s. SOPHIE schreit auf. Tot! tot! ... das ist ja nicht zu fassen – das ist ja unmöglich – tot?! Sie erbleicht, läßt die Hände auf den Schoß sinken, schließt die Augen und lehnt den Kopf zurück. ELSBETH bleibt unbeweglich und sieht gerade vor sich hin. RUDOLF und ANNA treten schüchtern näher. Mutter ... Liebe Mutter ... SOPHIE richtet sich auf. Zu ihren Kindern gewendet, vorwurfsvoll. Deshalb durft’ ich niemanden sehen – deshalb unterschlugt ihr alle Briefe, alle Zeitungsblätter? Er war tot, und ihr ließt mich weiterleben im Geiste mit ihm und mich auf seine Rückkehr freuen? Kinder – das ist nicht recht gewesen! Wendet sich plötzlich an Elsbeth. Er ist fort – munter, lebensfroh und ... Ich besinne mich ... die Zeitung ... Greift sich an die Stirn. Einer der Verunglückten wurde als Leiche ... Beugt sich, blickt Elsbeth von unten hinauf in die Augen. Er ist fort – munter und lebensfroh, und einen Toten hat man Ihnen zurückgebracht? ELSBETH. Einen Sterbenden. SOPHIE. Bewußtlos? ELSBETH. Nein. SOPHIE. Er kannte Sie noch? ELSBETH nickt bejahend. SOPHIE. Kannte Sie noch? Sprach noch? ELSBETH mühsam. Er sprach. SOPHIE. Nahm Abschied von Ihnen ... trennte sich schwer ... ELSBETH. So schwer! ... vom Leben – von seiner Arbeit – von seinen Kindern ... SOPHIE. Von – Ihnen ... Entsetzlich und doch – Rasch, leidenschaftlich. beneidenswert! ... Das letzte, liebreiche Wort, das er sprach, war an Sie gerichtet ... Sie haben seinen letzten Blick ... alle seine Gedanken waren bei Ihnen und bei seinen Kindern ... ELSBETH. Seinen fernen Kindern daheim. SOPHIE. Und hat er ... In hoher Spannung. auch der fernen – Freunde gedacht? ELSBETH. Ja! aller fernen Freunde ... Auch Ihrer. SOPHIE zieht Luft ein durch die geschlossenen Lippen, als empfände sie einen heftigen physischen Schmerz, senkt den Kopf. A u c h – meiner. Einen Ausbruch ihres Gefühls kaum noch niederringend. Sie waren bei ihm, an – Dieses Wort besonders betonend. u n s hat er – gedacht ... Er hat Trost aus Ihrer Nähe geschöpft, sie ist sein Labsal gewesen ... sein letzter ... Überwältigt, beinahe aggressiv. Beneidenswert!

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ELSBETH zieht sich ein wenig zurück. Ein kurzes Schweigen. SOPHIE im schweren Kampf mit sich selbst, fast bitter. Sie würden die Erinnerung an diese Augenblicke voll unermeßlichem Schmerz nicht tauschen gegen das höchste Erdenglück, das Sie noch erfahren könnten! ELSBETH halblaut, befremdet. Noch erfahren – ich? ... Diese Erinnerung gäb’ ich gern hin. Sie ist durch sein Leiden erkauft. Lauter. Ah – wenn er ohne zu erwachen hinübergeschlummert wäre, d a f ü r hätte ich Gott gedankt. SOPHIE. Das ist – das ist ... ELSBETH. Es hat nicht sein dürfen. Er hat die Pein der Trennung erdulden müssen, den Wert der teuren Güter ermessen, von denen es scheiden hieß ... den ganzen Wert ... Tränen ersticken ihre Stimme. Nach einer Weile, wieder gefaßt. Verzeihen Sie, Frau Gräfin ... Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, um zu klagen. Ich komme auf sein Geheiß, um Ihnen seine letzten Grüße zu bestellen und seinen tiefen, tiefen Dank. SOPHIE. Dank?! ... Als ich all mein Glück begraben wähnte, allen Mut verloren hatte, allen Glauben, als ich in die Irre geraten war, hat er mich an seiner Hand zu lichten Bahnen geleitet ... Immer rascher, immer hingerissener. Er war mein Erlöser aus einem Labyrinth der Zweifel, er lehrte mich eigene Gedanken verfolgen und ihrer Kraft vertrauen ... Er gab meinem Leben seinen geistigen Inhalt, er hat mein traumdunkles Dasein hell gemacht ... Und – seines Vertrauens hat er mich gewürdigt! Ich war eingeweiht in seine großen Ziele, ich kannte jeden Schritt, der ihn näher zu ihnen brachte – ich war reich durch ihn und fühlte mich bevorzugt vor allen ... Schweigt plötzlich hocherrötend und erschrocken, als würde sie sich bewußt, ein übereiltes Wort gesprochen zu haben. ELSBETH einfach. Vor allen. Sagen Sie es nur. Sie dürfen. Wer hätte ihm sein können, was Sie ihm waren mit Ihrem großen, herrlichen Verstand? Keine zweite. Sophies erstaunt fragenden Blick beantwortend. Ich zuletzt. SOPHIE. Das ... das würden Sie zugeben? ELSBETH. Wie könnt’ ich anders? Ich habe es ja erfahren. Er hat sich ja bemüht, mich in die große Welt seiner Gedanken einzuführen, und ich wäre ihm gern gefolgt. Ich konnte nur nicht, mir fehlte die Fähigkeit dazu. Er wollte das lange nicht zugeben, überschätzte mich und hatte große Geduld und suchte mich immer wieder aufzurichten, wenn mir der Mut sank. Endlich aber ... ich weiß noch den Tag ... endlich bat ich ihn: Gib die ungelehrige Schülerin auf – Walter, deine Frau ist dumm. Da strich er mir über den Scheitel und sprach: Bewahre! nur zur Hypatia ist sie nicht geboren. – Später dann hat er Sie gefunden und mit Ihnen das, was er immer schwer entbehrte – einen weiblichen Geist, der seinem männlichen ebenbürtig war. Ihr Interesse, Ihr Verständnis – ein vorahnendes nannte er’s – beglückten ihn. SOPHIE seufzt tief auf, wiederholt vor sich hin. Beglückten ihn.

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ELSBETH. Und dann auch mich, nachdem er nicht mehr zweifelte ... SOPHIE fällt ihr ins Wort, hochfahrend. Woran? ELSBETH. An dem Ernst und an der Echtheit Ihrer Teilnahme für ihn und für seine Wissenschaft. SOPHIE gedehnt. An dem Ernst? ... ELSBETH. Ihre Teilnahme hätte ja auch nur flüchtig, nur die Laune einer großen Dame sein können, die neugierig war, einen Blick zu tun in die Seele eines Gelehrten und in seine Beschäftigung. SOPHIE. O – Sie kannten mich nicht. ELSBETH. Ich habe Sie kennen gelernt – durch ihn und Sie liebgewonnen und habe Sie hochgehalten, weil Sie die Schuld, in der ich bei einem Vielgeliebten stand und die ich nicht einlösen konnte, für mich eingelöst haben. SOPHIE staunt sie an. Mich hochgehalten? ... Mich liebgewonnen – – W i r k l i c h ? Und nie eine Regung gehabt der – wie soll ich sagen? – des Mißtrauens, der ... Sie haben Kaum hörbar. sich nie beeinträchtigt gefühlt – durch mich? ELSBETH. Beeinträchtigt – wieso? Ich war seine Frau und die Mutter seiner Kinder. SOPHIE. Mich liebgewonnen, behaupten Sie und – haben mich gemieden? Bescheidener, wärmer als bisher. Sich immer fern von mir gehalten. Hält man sich fern von denen, die man liebt? ELSBETH. Warum nicht, wenn man doch fühlt, ich reiche nicht zu dir hinan, du würdest dich gar tief zu mir herabbeugen müssen. Und, sehen Sie, wie Sie beide sind – Verbessert sich. w a r e n , so fein und rücksichtsvoll, meine Anwesenheit hätte Ihnen eine Last auferlegt. Sie hätten mir immer beweisen wollen: Halte dich nicht für vergessen, weil du in der Niederung stehen geblieben bist, während wir unseren hohen Gedankenflug unternahmen. Und Sie hätten ihn oft unterbrochen, um sich zurückzuwenden und herab zu mir, und das hätte mich ... Nein, nein! es war besser so, wie es war, und Ihrer – und auch meiner – würdiger. SOPHIE richtet sich auf, sieht Elsbeth lange an. Ihr starrer Blick wird weich und mild. Tränen schießen ihr in die Augen. Sie erhebt sich und läßt sich langsam auf die Knie vor Elsbeth hingleiten. ELSBETH erschrocken. O, Frau Gräfin! RUDOLF und ANNA eilen herbei, wollen ihre Mutter aufrichten. SOPHIE abwehrend. Laßt mich, Kinder – hierher gehör’ ich – das ist mein Platz.

II. Kritischer Apparat

Zwei Frauen

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Druck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften 1903

J

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Zeitschriftenabdrucks J ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die im Sperrdruck gesetzten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die in runden Klammern stehenden Bühnen-, Szenen- und Personenbeschreibungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung des Textes Der Text folgt dem einzigen Druck zu Lebzeiten der Dichterin J. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Zwei Frauen

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die dialogisierte Novelle Zwei Frauen, die ungefähr zur selben Zeit wie Genesen entstanden sein muss, hat mit dieser dialogisierten Novelle eine thematische Ähnlichkeit. Der Unterschied besteht darin, dass es sich in Zwei Frauen um einen Mann zwischen zwei Frauen handelt, während in Genesen die Frau zwischen zwei Männern steht. Auch für die Entstehung von Zwei Frauen gibt es nur spärliche Hinweise. Ebner-Eschenbach übergibt am 25. Dezember 1902 das Manuskript (zusammen mit Genesen) an Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte (T V). Sie nimmt Korrekturen an der dialogisierten Novelle vor und schickt die Korrekturfahnen am 21. April 1903 an die Zeitschrift zurück. Zwei Frauen erscheinen im Juli-Heft von Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften. Noch Jahre später liest die Schauspielerin Auguste Wilbrandt-Baudius (1843–1937) Zwei Frauen im privaten Kreis vor, was Ebner-Eschenbach mit „glänzend“ kommentierte (T VI, 23.3.1909). Der in dem vorliegenden Band edierte Text von Zwei Frauen folgt dem Erstdruck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften vom Jahr 1903.

2. Die Reaktionen Heinz Rieder übernahm die dialogisierte Novelle Zwei Frauen 1947 in seinen Band Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach. In dieser dialogisierten Novelle ringen, wie Rieder betont, zwei Frauen um den Mann noch nach seinem Tod: „In ihrer Liebe vermögen sich die beiden Frauen auch zu finden, obwohl anfangs die eine der anderen feindselig gegenüberstand.“1

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Rieder: Nachwort. In: Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach, S. 243.

EINAKTER, „DRAMATISCHES SPRICHWORT“, „ZWEIGESPRÄCH“

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Am Ende

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Am Ende Scene in einem Aufzug von Marie von Ebner-Eschenbach

Den Bühnen gegenüber Manuskript.

Berlin: Verlag der Theater-Buchhandlung Eduard Bloch [1897]

Am Ende

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PERSONEN FÜRST ERWEIN SEINSBURG FÜRSTIN KLOTHILDE SEINSBURG FRÄULEIN ZEDWIN KAMMERMÄDCHEN KAMMERDIENER EIN LIVREEDIENER

Dekoration. Orangerie in Verbindung mit den Zimmern des Erdgeschosses. Glaswände. Eingänge zu beiden Seiten; in der Mitte große, offenstehende Flügelthür. Aussicht auf den Garten. Gruppen von Orangenbäumen, Palmen, Araukarien, Blattgewächsen. Rechts ein Etablissement, bequeme Möbel mit Strohgeflecht; links ein gedecktes Tischchen, daneben ein Fauteuil mit Fußbank. In der Ferne verhallender Kirchengesang. Schluß des Meßliedes. Die Fürstin kommt, begleitet von Landleuten und Armen. Sie spricht lebhaft mit ihnen, einige entfernen sich lachend, die andern dankend. Kammerdiener und Kammermädchen, gleichfalls aus der Kirche kommend, sind vorangegangen, erwarten die Fürstin an der Thür und folgen ihr, wenn sie eintritt. Sie trägt einen einfachen Anzug, der die Mode nur markiert: dunkelgraues Foulardkleid, ein weißes Spitzentuch, eine Sommerkapotte. KAMMERDIENER nimmt ihr das Gebetbuch und den Sonnenschirm, KAMMERMÄDCHEN den Hut ab. KLOTHILDE setzt sich auf einen Gartensessel mit runder, niederer Lehne rechts. KAMMERMÄDCHEN glättet ihr die Haare, stülpt ihr die Haube auf.

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KAMMERMÄDCHEN. Durchlaucht brauchen wirklich keine Haube bei der Hitze. Haben noch so schöne Haare. KLOTHILDE. So schön weiße. Setzen Sie mir meine Haube nur auf, wenn nicht zu Ehren einer Glatze, zu der meiner sechzig Jahre. KAMMERMÄDCHEN reicht ihr einen Handspiegel. Ich bitte, Durchlaucht. KLOTHILDE ablehnend. Ich danke, mein Fräulein. Ich verlasse mich auf Ihre Kunst. Nicht immer mit Recht. Gestern zum Beispiel, habe ich den ganzen Tag das Gefühl eines Mangels an Gleichgewicht gehabt, und, wie ich abends an einem Spiegel vorübergehe, seh’ ich, daß meine Haube auf dem linken Ohr sitzt! KAMMERMÄDCHEN. Da muß sie – gerade gerutscht sein ... KLOTHILDE. Das heißt – schief ist sie gerutscht. Entgleisung. Jenun, so etwas kommt nicht nur bei Hauben vor. KAMMERDIENER hat das Frühstück gebracht, disponiert alles, auch eine Anzahl Briefe, mit äußerster und prätentiöser Sorgfalt auf dem Tische links. KLOTHILDE hinzutretend. Briefe? KAMMERDIENER. Geschäfts-, Bettel-, Familienbriefe. Mit freudig verklärtem Gesicht. Von Gräfin Ernestine, von Fürst Erwein! KLOTHILDE. Gute Kinder! Kein Tag ohne einen Gruß an die Mama. Wägt einen der Briefe in ihrer Hand. Der ist von meiner Tochter. KAMMERDIENER mit bedauerndem Achselzucken. Strafporto. Das heißt ] Daß heißt Setzfehler

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KLOTHILDE. Natürlich und Gottlob. Mein Sohn macht’s kürzer. Auch natürlich. Wenn man im Lager ist, mein Herr Major, mein lieber, alter Junge. Oeffnet den Brief, will lesen. Anna, meine Brille. Kammermädchen bringt eine große Hornbrille mit runden Gläsern. Entlassender Wink. Kammermädchen nimmt den Hut und das Spitzentuch und geht ab. KAMMERDIENER. Fräulein Zedwin hat angefragt, wann sie kommen darf, die Zeitungen vorlesen. KLOTHILDE. Steht etwas Interessantes drin? KAMMERDIENER verschämt. O – Durchlaucht! – – KLOTHILDE. Genieren Sie sich nicht, – ich weiß ja, wer meine Zeitungen zuerst liest und gönne Ihnen diese Priorität. Nun, Herr Politiker? ... KAMMERDIENER. Durchlaucht – Krieg in Amerika, Krieg in Afrika – Wahlbewegungen – Grubenbrände ... Arbeiterstrike ... KLOTHILDE bedeckt einen Augenblick das Gesicht mit den Händen. Schrecklich! Schrecklich! – Die Sendungen nach Ostrau sind doch fort? KAMMERDIENER. Gestern, Durchlaucht. – Das Fräulein darf kommen – – KLOTHILDE. Um Zwölf ... Warten Sie! – um halb Eins. Auch noch Zeit, von dem Elend in der Welt zu hören. KAMMERDIENER. Zu Befehl, Durchlaucht. Ab. KLOTHILDE allein. Sie hat die Brille aufgesetzt. Liest; gießt Thee in ihre Tasse, nimmt ein paar Löffel und liest wieder. „Hoffentlich geht es Dir gut, gute, gute Mama ...“ – Eins, drei, fünf Ausrufungszeichen. Wie kleine Reitpeitschen. – „Mir ausgezeichnet. Rasend zu thun. Küsse hunderttausendmal Deine Hände. Dein treuer Sohn.“ – Treu, ja ja – mir wenigstens ... Und nun Du, mein Sonnenkind. Oeffnet den zweiten Brief. Vier dicht beschriebene Blätter. Da ist ein Herz voll Liebe einmal wieder übergegangen. Streichelt den Brief, legt ihn auf ihren Schoß, ißt und trinkt. O Jugend, du glückselige, du reiche! – wie schön ist’s, jung zu sein! ... Aber alt zu sein – wie bequem! Sie lehnt sich behaglich in ihren Sessel zurück; liest. „Einzige, Angebetete“ Lächelt. Nun ja, nun ja, die erste Seite darf ich nie lesen – aus Bescheidenheit. Wendet. „Sei nur nicht bös ... Du hast Ueberraschungen nicht gern, – verzeih!“ ... Wenn sie gar so innig um Verzeihung bittet, hat sie immer etwas Allerliebevollstes im Sinn. Rasch. Sie schickt mir einen meiner Enkel ... kommt vielleicht selbst. KAMMERDIENER kommt eilig, verstört. Durchlaucht – ein Besuch ... KLOTHILDE freudig. Eines der Kinder? oder ... KAMMERDIENER stimmlos. Durchlaucht – der Fürst Seinsburg ... KLOTHILDE springt auf. Mein Sohn! Besinnt sich. Unmöglich, – er ist ja im Lager! KAMMERDIENER immer noch außer Fassung. Durchlaucht, es ist nicht – es ist ... Er hat seine Karte – – Ueberreicht eine Visitenkarte. KLOTHILDE wirft einen Blick darauf; konsterniert. Mein Mann!

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KAMMERDIENER wie früher. Seine Durchlaucht fragen, ob Ihre Durchlaucht ... KLOTHILDE nach einer Pause, mit Selbstüberwindung. Sie will es, – das Kind will es ... und auch mein alter Junge ... Ich weiß ja – Euer innigster Wunsch ... Nun denn, Euch zuliebe. Ich lasse bitten. Kammerdiener ab. Klothilde setzt sich, legt die Brille auf den Tisch. ERWEIN kommt. Eleganter, jugendlicher Reiseanzug. Haare und Bart gefärbt. Etwas zu enge, lichtbraune Schuhe. Er bleibt einen Augenblick zögernd an der Thür stehen. Für sich. Traurig verändert; eine Greisin. Ja die Frauen! – vergängliche Gebilde. Tritt langsam, mit gespielter Unbefangenheit auf Klothilde zu. Verneigung. Fürstin ... KLOTHILDE. Fürst Seinsburg ... ERWEIN ratlos, wie er das Gespräch einleiten soll. Meine Tochter, von der ich komme, trägt mir auf ... sie hat mich gebeten ... KLOTHILDE. Gewiß auch mich – in diesem Briefe. Ich habe ihn noch nicht gelesen. Sehr unsicher. Setzen Sie sich; Sie sind vielleicht müde von der Reise? ERWEIN. Müd’ – ich? Nie! Aber mit Ihrer Erlaubnis. Setzt sich auf einen Sessel rechts. KLOTHILDE sieht ihn fortwährend aufmerksam an, was ihn in Verlegenheit setzt. Wie jung Sie geworden sind in den vielen Jahren! – Zwanzig und einige drüber ... ERWEIN gereizt. Ich durchlebe die Jahre, ich zähle sie nicht. – Meine Tochter meint, daß ich mir erlauben dürfe ... Sucht nach Worten, findet sie nicht. einmal einige Augenblicke – auf der Fahrt nach Paris ... KLOTHILDE. Sie fahren also immer noch nach Paris? Nicht zum Perruquier, wie ich mit Vergnügen sehe, – aber – aber – zum Coiffeur! ERWEIN zieht sein Taschentuch, wischt sich die Stirn, auf der einige schwarze Streifen entstehen. Es ist eine Hitze in diesen Waggons! KLOTHILDE. Und in diesen Herbsttagen, die sich auf die Hundstage spielen ... Den Parfumeur besuchen Sie auch. Da werden neue Vorräte gemacht. Und ich, denken Sie, ich kann Parfums noch immer nicht leiden! ERWEIN steckt das Taschentuch rasch ein. Schade; ein Genuß weniger. KLOTHILDE. Was liegt dran? Man hat ihrer im Alter so viele – ERWEIN. Viele? ... Das Neueste. Sie waren immer originell. KLOTHILDE. Den Anspruch habe ich aufgegeben, wie jeden andern. Von den aufgegebenen Ansprüchen kommen die Genüsse. Und mehr noch! Ein Anspruch zieht zur Thür hinaus, – ein Glück fliegt zum Fenster herein. So wird das Alter – das schönste Alter. – Darf ich Ihnen eine Tasse Thee antragen? ERWEIN. Ich danke, ich habe gefrühstückt. Kleine Pause.

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KLOTHILDE. Nach Paris also. Ja, die Pariser Cosmetiques! Sie haben so viel Anhänger wie die falschen Propheten. Glauben Sie mir oder nicht, Sie gebrauchen da eine Sorte, – die bekämen Sie in Lundenburg auch. ERWEIN nicht verstehend. Sorte? Lundenburg? KLOTHILDE. Neben Ihnen liegt ein Spiegel. Bitte, bedienen Sie sich. ERWEIN hält den Spiegel vor, anfangs nah, dann immer weiter und weiter. Im ersten Augenblick bestürzt. Nimmt dann die Sache mit Humor. Man ist doch recht schlecht bedient ... Empfehlung meines Kammerdieners, da die Nachhülfe aus Paris anfing zu verblassen ... Ich bitte um Entschuldigung. Steht auf. Ein Schmerz im Fuße macht ihn zusammenzucken. – Wo könnte ich Waschwasser ... KLOTHILDE. Sie finden alles, was Sie brauchen, in den Zimmern meines Sohnes, den Zimmern rechts. ERWEIN. Da? – dort? Links? KLOTHILDE vor sich hin. Schwerhörig ist er auch geworden. Etwas lauter. Die Stiege hinauf, dann Mit Handbewegung. nach rechts. ERWEIN. Danke, Danke! Ab nach rechts. KLOTHILDE allein. Wie habe ich den Mann geliebt – und was ist aus ihm geworden, was haben sie aus dem brillanten, unwiderstehlichen Seinsburg gemacht, diese ... Unterbricht sich jäh. Lächelnd. Wenn ich ihn doch aus seinen ledernen Fußangeln befreien könnte! Ich weiß nicht, kommt es nur von der Chaussure, aber sehr vergnügt sieht er nicht aus, der arme Freudenjäger. Setzt die Brille auf, liest eine Weile in dem Brief ihrer Tochter. Du braves Kind, wie zärtlich und – wie klug! Wie bemüht, mein Mitleid zu erwecken. O Kind, das Mitleid ist schon wach: Geschminktes Alter, trauriges Alter! Liest. „Dieser arme Papa, er hat herbe Enttäuschungen erlitten.“ Gesprochen. Ja, ja – davon hört ich auch, das beeilten sie sich mir zu erzählen – seine Freunde. Liest. „Nicht heute, nicht gestern, vor langer Zeit schon erlitten und – nicht verwunden, nur mit Stolz ertragen ...“ Gesprochen. Sie bewundert ihn noch. Liest. „Er klagt natürlich nicht, aber man hört und man – sieht. O Mutter, er sehnt sich mehr als er jemals eingestehen würde, nach dem stillen Zuhause, das er einst übermütig verlassen hat!“ – übermütig – nennt sie das? Ein sehr mildes Wort. Schüttelt den Kopf, liest weiter. „Ich sage ihm: Papa, klopf’ an! Klopf’ an! Die Allgütige thut Dir auf.“ ERWEIN kommt zurück. Das Gesicht ist gewaschen, die Haare, etwas in Unordnung geraten, sind an den Wurzeln grau. Das ist ja sehr hübsch da droben. Mein Sohn ist vortrefflich etabliert. Wirklich beneidenswert. KLOTHILDE. Einfach, militärisch, wie er es liebt; keine Ueberflüssigkeiten. ERWEIN. Hat recht. Diese Ueberflüssigkeiten – man findet täglich neue, die einem unentbehrlich sind – drücken einen endlich aus dem Hause. KLOTHILDE. Und ich will meinen Sohn ins Haus hinein ziehen.

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ERWEIN. Das ist auch mein Wunsch, und auch bei mir findet mein Sohn seine Zimmer bereit, so oft er sich ankündigt ... KLOTHILDE schonend. Bei mir braucht er sich eben nicht erst ankündigen. Er ist stündlich erwartet und willkommen. ERWEIN nach einer Pause. Ja, Sie sind immer eine gute Mutter gewesen. KLOTHILDE. Ich wäre auch eine gute Frau gewesen ... Nein! kein „wenn.“ Wer nicht bewiesen h a t , soll nicht sagen, daß er bewiesen h ä t t e . – Lieber Fürst, Sie schenken mir doch eine Stunde? ERWEIN ritterlich. Schenken? Ich bin’s, der sich beschenkt fühlt, wenn Sie mir so lang Gastfreundschaft gewähren ... Um ein Uhr würde ich dann zum Schnellzug auf die Station fahren, wo ich meinen Diener mit meinen Reiseeffekten zurückgelassen habe. KLOTHILDE. Mit allen Ihren Reiseeffekten? ERWEIN. Ja. KLOTHILDE. Schade! ERWEIN. Warum? KLOTHILDE. Weil ich vermute, daß sich in Ihrer Reisetasche ein Paar fußfreundliche Slippers befinden, die Sie ... ERWEIN fällt ihr ins Wort. Slippers? Ich? Nie! Ich kenne Slippers nur vom Sehen. KLOTHILDE. Aber vielleicht lassen Sie sich aus Rücksicht auf den Behaglichkeits-Kultus, der bei mir getrieben wird – für die Stunde, die Sie hier zubringen – zu einem Anlehen bei der Garderobe meines Sohnes herab ... Die Hand auf dem Drücker der elektrischen Glocke. Darf der Diener Ihnen behilflich ... ERWEIN rasch. Nie! Dafür dank’ ich Mit Bitterkeit. vorläufig noch. Ab nach rechts. KLOTHILDE sieht ihm nach. Sechsundzwanzig Jahre! Es macht einem einen Eindruck. – In Haß geschieden, fest entschlossen, lieber zu sterben als einander jemals wiederzusehen. Es geschieht – und man überlebt’s, man hat sogar ein Dankgefühl ... Meine Tochter schickt ihn. Ich habe noch niemandem die Thür gewiesen, den sie geschickt hat. Soll ich mit ihrem Vater den Anfang machen? Ach, die Kinder, – die sind eine Macht! Vertieft sich wieder in den Brief. ERWEIN kommt, bleibt auf der Schwelle stehen und betrachtet die Fürstin ernst und aufmerksam. Plötzlich sich aufraffend tritt er vor. Sehr behaglich in einem weiten Uniformpaletot, in großen Schuhen. Schlenkert mit den Füßen. Das muß man meinem Sohne lassen. Füße hat er – von erster Größe. KLOTHILDE. Wie schreitet sich’s aber mit ihnen aus! Wie steht man da! ERWEIN. Und der Paletot! Schlägt ihn übereinander. Das soll militärisch sein? Schlafrockartig ist’s.

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KLOTHILDE. Auch in einer weiten Uniform kann ein kühner Soldat stecken ... Möge die Gelegenheit dazu nie kommen, nie! Wenn sie aber unglückseliger Weise käme – mein Sohn würde dieselbe an Tollheit grenzende Tapferkeit beweisen, die seinen Vater berühmt gemacht hat. ERWEIN. Berühmt? O, das ist zu viel. Und überhaupt – rechnen Sie einem Mann Tapferkeit zum Verdienst an? Wenn ich eine Frau wäre, fände ich physischen Mut bei einem Manne selbstverständlich, moralischen Mut aber achtungswert. KLOTHILDE. Was nennen Sie moralischen Mut? Den Kampf gegen allerlei Versuchungen, allerlei Velleitäten ... ERWEIN. Den Widerstand gegen schöne verlockende Reminiszenzen. Fräulein Zedwin kommt. Erwein stramm, wirft ihr einen Blick voll Bewunderung zu. Zur Fürstin: Bitte, stellen Sie mich vor. KLOTHILDE. Fürst Seinsburg. Fräulein Zedwin. ZEDWIN zu ihm. Vorleserin der Frau Fürstin. Zu ihr. Wann befehlen, Durchlaucht? KLOTHILDE. In einer Stunde, wenn Sie so gut sein wollen, liebes Kind. ZEDWIN. Erfurchtsvolle Verbeugung vor der Fürstin, abweisende Verbeugung vor dem Fürsten. Ab. ERWEIN. Eine unangenehme Person! KLOTHILDE. Ich habe sie lieb. Leider verliere ich sie bald. Sie ist Braut. ERWEIN. Ah – deshalb ... KLOTHILDE. Nicht – d e s h a l b . Sie hat nur keinen Sinn für eine gewisse Art von Liebenswürdigkeit, sie wünscht nicht, „schöne verlockende Reminiszenzen“ zu wecken. ERWEIN. Hm! Beeilt, das Gespräch abzulenken. Sie waren vorher ganz vertieft in einen Brief ... KLOTHILDE. Von meiner Tochter. Wollen Sie ihn lesen? ERWEIN nimmt den Brief, hält ihn weit von sich. Will lesen, es geht nicht, er thut nur dergleichen. Charmant! charmant! Sie schreibt charmant! KLOTHILDE. Nur heute zufällig etwas undeutlich. Darf ich Ihnen meine Brille ... ERWEIN. Brille! – Ich? Nie! KLOTHILDE. Meine Tochter schreibt charmant, aber sie wiederholt sich. ERWEIN. Was holt sie? KLOTHILDE lauter. Kommen Sie näher. Ich bin ein klein wenig schwerhörig. ERWEIN bedauernd. O! Gleich darauf, galant. Davon bemerke ich nicht das Geringste. Rückt einen Sessel in die Nähe des Fauteuils der Fürstin. KLOTHILDE. Meine Tochter klagt fortwährend: „Was habe ich von meinen Eltern, ich sehe sie kaum!“ und mein Sohn stimmt ein in den Jammer. Die beiden behaupten, sie hätten einen Beruf, der ihnen wenig Zeit für Vater und Mutter übrig läßt, und daß die wenige noch geteilt werden muß. ...

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ERWEIN. Bei der Teilung komme ich immer zu kurz. Meine Kinder teilen eben – nach ihrem Herzen. KLOTHILDE. In dem Falle würden sie gleich teilen. Aber sie sind nicht ganz sicher, – fürchten vielleicht ... ERWEIN. Was fürchten sie? Meine Kinder sollen wissen, wem ihr Vaterhaus gehört, solang sie da sind, wem es überlassen wird, völlig, freudig, darin zu schalten und zu walten – solang ... Ach, je länger, je lieber! ... Aber wie lang halten sie’s denn bei mir aus? und – ich und die Einsamkeit, wir stehen auf einem miserablen Fuße ... In früheren Jahren hatten auch Sie keine besondere Neigung fürs Einsiedlerische. Wie halten Sie es jetzt? Wie verbringen Sie die langen Herbstabende? KLOTHILDE. Das weiß ich nicht. Ich habe nur kurze. ERWEIN. Hm! – Sie langweilen sich nie? KLOTHILDE. Doch, manchmal, – wenn gewisse Besuche kommen. ERWEIN. Ja, ja. Sie haben viel Nachbarschaft hier herum. „Im dunkeln Laub die Landorangen glüh’n“. KLOTHILDE. Es giebt einige genießbare darunter. Im ganzen hab’ ich auch nicht zu klagen, diese Herrschaften nehmen Rücksicht auf mein hohes Alter und überlaufen mich nicht. ERWEIN. Gut, sehr gut, denn bei allem Geselligkeitsbedürfnis – es kann einem zu viel werden ... Auch mir. Wenn mir zum Beispiel ein Extrazug voll Saus und Braus und Champagnerräuschchen ins Haus fällt. Die lustige Bande hat soupiert von Mitternacht bis früh, will noch nicht schlafen gehen, sehnt sich nach frischer Luft. Hinaus aufs Land, zum Frühstück nach Seinsburg. Dort ist’s immer lustig, dort ist man immer willkommen ... Es ist unglaublich, was die Leute sich einbilden. Aber neulich spielt’ ich ihnen einen Streich. Ich ignorierte ihr Telegramm und entfloh zu meiner Tochter. KLOTHILDE. Und der Heuschreckenschwarm fand das Haus leer. ERWEIN. Ich habe mich sehr wohl befunden bei meiner Tochter. Von Jahr zu Jahr wohler. Ich weiß nicht, wie das kommt. Meine Enkel sind allerliebst. KLOTHILDE. Die meinen auch. ERWEIN. Und meine Tochter ... KLOTHILDE. Eine prächtige Frau. Und so glücklich! ERWEIN. Nun das – ist ein Glück. KLOTHILDE. Das höchste Glück, – es wird uns noch als Verdienst angerechnet. ERWEIN. Die kleine Klodi war etwas unwohl, als ich abreiste. KLOTHILDE. So? Es hat doch nichts zu sagen? ERWEIN. Meine Tochter meint: nein. Aber ihr Mann ist so ängstlich. Er hat den Arzt rufen lassen. Sie will mir noch hierher telegraphieren, wenn der Doktor die leiseste Besorgnis äußert. KAMMERDIENER kommt. Durchlaucht, der Kutscher bittet. Wenn Durchlaucht zurecht kommen wollen zum Schnellzug, dürfte es bald Zeit sein ...

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ERWEIN fällt ihm ins Wort. Bald! Bald! ... Er soll sich gedulden. Ich brauche seine Ermahnungen nicht. Kammerdiener ab. Pause. Klothilde, was halten Sie von gebrochenen Schwüren? KLOTHILDE. Daß sie eine große Aehnlichkeit mit Lawinen haben. Wenn die einmal ins Rollen kommen, ist kein Halten mehr. ERWEIN. Wir haben geschworen, einander nie wiederzusehen, und – da bin ich. Bittend. Lassen wir die Lawine weiterrollen. KLOTHILDE. Wie weit? ERWEIN zögernd. Meinen Kindern wird es schwer, ihre Zeit zwischen Vater und Mutter zu teilen ... Wenn man es ihnen nur möglich machen könnte, beide Eltern zugleich – Ratlos, wie er sich ausdrücken soll. Helfen Sie mir doch! Sie wissen, was ich sagen will! KLOTHILDE. Mein Sohn kommt hierher nach den Manövern, – da sind Sie in Paris. ERWEIN. Ich muß ja nicht nach Paris! ... Uebrigens bleibe ich auf keinen Fall lang ... Meine Tochter hat mir versprochen, den Herbst bei mir zuzubringen. KLOTHILDE. Bei Ihnen? ... den Herbst? ERWEIN. Kein Fest ohne meinen Schatz, die kleine Klodi ... Meine Tochter nimmt ihre Kinder mit – – KLOTHILDE. Die Verräterin! Dasselbe hat sie mir versprochen! ERWEIN. Und wird Wort halten, und kommen Nach kurzer Pause, zweifelnd, bittend. – zu Ihnen, – nach Seinsburg. KLOTHILDE bewegt und bemüht, es zu verbergen. Was soll ich dort? Als Heuschreckenvertilgerin auftreten ... als eine Art Rattenmamsell? ERWEIN. Sie sollen sich dort behaglich fühlen, sollen leben, wie es Ihnen zusagt. Meine Kinder und ich werden uns bemühen, Ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen. Klothilde! – Kommen Sie! Verzeihen Sie – vergessen Sie alles – alles! KLOTHILDE. Eines will ich doch nie vergessen – daß ich in Seinsburg sehr glücklich gewesen bin. ERWEIN. Und ich, – wie glücklich durch Sie ... KLOTHILDE fällt ihm ins Wort. Davon sprechen wir nicht. Die Zeit, in der dieses Glück Ihnen genügte, war kurz. Wie kurz sie war, erfuhr ich spät; Sie haben die Rücksicht gehabt, es mir zu verbergen. Als ich mich nicht mehr täuschen lassen konnte, hieß es: Er ist eben, wie alle. Das sollte ein Trost sein. – Wie alle! – Er, den ich für etwas Einziges gehalten hatte! ... Unterbricht sich, wieder kühl. Nicht leicht zu verwinden das. Aber der Hochmutsteufel half. Es wäre schlimm, wenn einem nur das leichte gelänge. Ich nahm den Kampf auf ... Aber ich habe kein Talent zur Märtyrerin ... Der innere Bruch zwischen uns war vollzogen jahrelang, – endlich kam’s zum äußern ... Klothilde, was halten Sie ] ERWEIN. Klothilde, was halten Sie Setzfehler

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ERWEIN schmerzlich. Durch meine Schuld, meine große Schuld! War ich nicht mit Blindheit geschlagen? War ich nicht wie das Kind, das die Wahl hatte zwischen der glühenden Kohle und dem sanft leuchtenden Edelstein – und das nach der Kohle griff? Unverzeihlich! Unverzeihlich! KLOTHILDE fällt ihm ins Wort. Nicht rekriminieren! Keine Vorwürfe, nicht gegen andere, nicht gegen sich selbst. Wir waren einmal, wie wir waren. Sie kein Heiliger, ich kein Engel. ERWEIN. Sie haben durch mich sehr gelitten ... KLOTHILDE. Ich habe ... Aber denken Sie nur – nach der Trennung für immer, und nachdem ich alle Hoffnung aufgegeben hatte, was that ich? Ich unheilbare Optimistin fing sogleich von neuem zu hoffen an. – Lassen wir ihn sein Leben durchbrausen, sagte ich mir. Am Ende finden wir uns doch wieder zusammen. Wenn ich eine alte Frau geworden bin, wenn er nicht mehr jung sein wird, dann treffen wir uns wie zwei Freunde, die tagsüber verschiedene Wege gewandert sind, am Abend vor der Hüttenthür und halten da ein Plauderstündchen, eine kurze Rast, ehe wir zur langen Rast ins stille Haus treten – bald nacheinander, will’s Gott. ERWEIN leise. Klothilde! KLOTHILDE. Von solchen Träumen gewiegt, ging ich wohlgemut, wie einer zweiten Jugend, dem Alter entgegen – ließ es nicht etwa nur herankommen – o, ich machte ihm Avancen, freute mich über jedes weiße Haar auf meinem Kopfe, über jede Falte auf meinem Gesichte, und schmeichelte mir: die haben Vorgänger bei meinem Manne. Indessen – große Enttäuschung! Da bin ich am ersehnten Ende angelangt, bin alt – was hilft’s? Ich bin’s allein. Sie werden nicht alt. ERWEIN unüberlegt. Das macht nichts. Wenn nur eines von uns ... Wissen Sie, an wen Sie mich gemahnt haben, da vorhin, mit Ihrer Brille, und ganz versunken in den Brief meiner Tochter ... KLOTHILDE. Nun – an eine Ihrer Urgroßtanten. ERWEIN. Gefehlt! um zwei Generationen. KLOTHILDE. An Ihre Großmutter. ERWEIN. Um zwei Generationen, sag’ ich. KLOTHILDE. An Ihre Mutter vielleicht? Erwein nickt. Da gratuliere ich mir! Mit Ihrer Mutter haben Sie im besten Einvernehmen gelebt. ERWEIN. Einvernehmen? – Ein kühles Wort. Es war mehr. Es war von meiner Seite Dankbarkeit, Bewunderung, Ehrfurcht, von der ihren grenzenlose Güte und Nachsicht ... Man braucht so viel Nachsicht – KLOTHILDE. Wie wahr! Am meisten braucht sie – der zu wenig hatte – wie ich. – Ich bitte Ihnen dieses große Unrecht ab. ERWEIN ergriffen. Sie mir – ein Unrecht! Du guter Gott – Sie mir! KAMMERDIENER kommt. Zu Erwein. Durchlaucht, der Kutscher bittet dringend, es ist höchste Zeit. Ab.

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ERWEIN. Nun denn! – Leben Sie wohl. Dank, daß Sie mich nicht fortgeschickt haben ... Es ist bei Ihnen so friedlich ... etwas muß ich Ihnen sagen: Ich habe Sie oft schwer vermißt ... Ihren Umgang, Ihre liebe Heiterkeit, Ihr geistiges Wesen ... Mehr als oft – immer! ... DIENER kommt eilig. Ein Telegramm aus Ostrau für Seine Durchlaucht. ERWEIN bestürzt. Also doch! Also doch etwas Ernstes! ... KLOTHILDE sucht ihre eigene Unruhe zu bemeistern. Nicht so ängstlich, es wird nichts sein. ERWEIN nervös. Was sagen Sie? Fährt rasch mit der Hand nach dem Ohr. Ich bin auch etwas ... Reißt das Telegramm auf. Eine Brille! Eine Brille! KLOTHILDE. Da! Hilft ihm die Brille aufsetzen. ERWEIN liest. „Ich komme, ich bitte, beschwöre, erwarte mich bei Mama, alles wohl, Umarmung, Ernestine.“ A–h ich atme wieder. KAMMERDIENER kommt. Durchlaucht, der Kutscher – er fährt davon. ERWEIN. Mag er meinetwegen zum Teufel fahren! KAMMERDIENER verletzt. Bitte Durchlaucht, der Weg – hier nicht bekannt. ERWEIN hält Klothilde das Telegramm hin. Was thun? Was thun? KLOTHILDE. Darf ich für Dich entscheiden Erwein? ERWEIN. Befiehl! KLOTHILDE zum Kammerdiener. Der Kutscher soll auf die Station zurückfahren und den Kammerdiener und die Reise-Effekten, die dort lagern, Leise Erwein ins Ohr. samt Slippers und Brillen Laut. abholen. Der Fürst bleibt. Der Vorhang fällt. Ende.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Einzeldruck Wienbibliothek im Rathaus, Wien

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Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Einzeldrucks E ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die im Sperrdruck gesetzten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die Bühnenbeschreibungen sind kursiv gesetzt wie auch die in runden Klammern stehenden Szenenanweisungen. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung des Textes Der Text folgt dem Einzeldruck E. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Setzfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Die erste Eintragung im Tagebuch zu dem Einakter Das Ende, wie das Stück anfangs betitelt ist, findet sich am 11. März 1896: „Ach, wie gehetzt! Und wenn ich Ruhe hätte, wäre Das Ende fertig und gelungen und sehr lustig; eine Rettung in diesen trüben Tagen.“ (T IV). Jedoch bereits fünf Tage später kann Ebner-Eschenbach ihrer Beraterin und Freundin Ida von Fleischl-Marxow die erste Hälfte des Einakters vorlesen (T IV, 16.3.1896). Im Mai 1896 beendet Ebner-Eschenbach das Stück, und es folgen weitere Vorlesungen im engeren und weiteren Freundes- und Bekanntenkreis, u. a. auch vor Anton Bettelheim and seiner Frau Helene Bettelheim-Gabillon. Mitte Mai 1896 reicht die Dichterin den Einakter dem Herausgeber von Cosmopolis, Ernst Heilborn (1867–1942), ein (T IV, 15.5.1896). Am 8. Juni 1896 schickt sie an Cosmopolis die Korrekturen von Am Ende, wie das Stück nun heißt, zurück (T IV). In dieser Zeitschrift ist Am Ende jedoch nie erschienen. Nach einer Pause von mehreren Monaten sendet Ebner-Eschenbach den Einakter Am Ende am 20. März 1897 an Paul Schlenther (1854–1916), der zusammen mit Otto Brahm und anderen 1889 in Berlin die Freie Bühne gegründet hatte und von 1898 bis 1910 Direktor des Burgtheaters war. Am Ende soll zusammen mit Gretes Glück (1897), einem Schauspiel von Emil Marriot (Pseudonym für Emilie Mataja, 1855– 1938), am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt werden (T IV, 21.3.1897). Am 30. April 1897 erhält Ebner-Eschenbach von Eduard Bloch einen Vertrag über das Stück Am Ende, das 1897 in der Theaterbuchhandlung Bloch als Bühnenmanuskript gedruckt wurde. Dieser Einzeldruck befindet sich in der Wienbibliothek (Signatur: A 77161) und dient als Grundlage für die edierte Fassung in diesem Band. Am Ende wurde von den Gebrüdern Paetel in die 1920 erschienenen Sämtlichen Werke Ebner-Eschenbachs aufgenommen. Außerdem ist der Einakter in der HafisAusgabe ihrer Sämtlichen Werke von 1928 enthalten. Er wurde auch in dem Band Marie von Ebner-Eschenbach. Dichterin mit dem Scharfblick des Herzens von Sybil Gräfin Schönfeldt im Jahre 1997 veröffentlicht. Schließlich wurde der Einakter von Susanne Kord in ihren Band Letzte Chancen vom Jahre 2005 aufgenommen. 1

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Kord gibt irrtümlicherweise 1895 als das Entstehungsjahr des Einakters an. In: Letzte Chancen, S. 93.

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2. Die Aufführungen und Reaktionen Die Uraufführung des Einakters Am Ende fand durch die Freie Bühne am 11. April 1897 im Deutschen Theater in Berlin statt. Noch am Abend der Aufführung sandte Paul Schlenther ein Telegramm an Ebner-Eschenbach: „Am Ende mit herzlichster Freude soeben aufgenommen. Humor u. Ernst wurden gleich stark nachempfunden. Langdauernder Applaus.“ (T IV, 11.4.1897). Am nächsten Tag trafen weitere „vortreffliche Nachrichten über Am Ende“ ein (T IV, 12.4.1897). Am 16. April 1897 wurde Am Ende vom Theaterdirektor Otto Brahm für das Deutsche Theater in Vertrag genommen. Auch in der Berliner Presse wurde der Einakter sehr günstig rezipiert. Im Berliner Tageblatt betont der Rezensent, dass das Stück „mit Recht nur eine Scene“ heiße: „Es ist der stille Abendsonnenglanz nach einer lebenslänglichen Tragödie voll von seelischen Kämpfen und Entbehrungen.“ Nach sechsundzwanzigjähriger Abwesenheit tritt der Mann vor seine Frau mit jugendlich gezwungenen Schritten, das Haar gefärbt, die Füße in modische Stiefel gepreßt. Und jetzt zeigt sich Marie von Ebner-Eschenbach ganz, wie sie ist. Keine Explosion unverjährten Grolls, keine Vorwürfe, kein Wunsch, von ihm den Schwur der Besserung zu hören. Der Triumph der Fürstin ist, sich selbst zu bezwingen und den Widerwillen, den ihr der morsche Geck wohl einflößen dürfte, in Neckerei aufzulösen.2

All das ist, wie der Rezensent urteilt, „gut gemacht, mit schneller und sicherer Hand“, und auch die Darsteller „erfreuten durch das denkbar subtilste Spiel“.3 Das Fremdenblatt sah in dem Stück „ein stimmungsvolles Bild ... zierlich auf Elfenbein gemalt, zart an Farbe, doch deutlich erkennbar. Das Elfenbein stellt in diesem Falle das köstliche Talent der Verfasserin und ihr eigenes Alter die liebe, verbleichende Malerei dar.“4 Nach dem Rezensenten der Vossischen Zeitung wurde Am Ende „von gutbesetztem Hause mit anmutiger, herzlicher und freudiger Teilnahme aufgenommen.“ Für ihn ging von dem Einakter ein so feiner reiner Salonton aus, ein Geist des beruhigten, fröhlichen Alters, eine so behagliche Müdigkeit, eine so heitere Resignation [...], daß man nicht nachließ, nach dieser Dichterin zu rufen, die das von ihr im Stückchen verteidigte Recht des Alters, bequem zu leben, für sich selbst in Anspruch genommen hatte und fern vom Geräusch und den Aufregungen einer Theatervorstellung in ihrem Wien geblieben war.5

Der Rezensent des Kleinen Journals gesteht, dass er „im deutschen Schrifttum außer Annette von Droste-Hülshoff keine Schriftstellerin von ähnlich männlicher Gestaltungskraft“ kenne wie Ebner-Eschenbach. Er nennt ihre Einakter „kleine Plaudereien, 2

Berliner Tageblatt. In: Bühnenblatt Eduard Bloch Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897, S. 2–3. Ebd., S. 3. 4 Fremdenblatt. In: Bühnenblatt Eduard Bloch Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897, S. 2. 5 Vossische Zeitung. In: Bühnenblatt Eduard Bloch Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897, S. 3. 3

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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die weniger durch das wirken, was sie sagen, als dadurch, wie sie es sagen“. Und so sei Am Ende „nichts als Genrebild ganz intimen Charakters, aus dem der zarte Humor des Alters mit leisen Tönen zu uns spricht. Es wirkt wie ein Pastellbild mit leicht und vorsichtig aufgetragenen Farben, die nur dazu bestimmt sind, den Umrißlinien den plastischen Reiz zu geben.“6 In einem Feuilleton mit dem Titel „Zwei Oesterreicherinnen“ im Neuen Wiener Abendblatt setzt sich Max Lesser mit dem Schauspiel von Emil Marriot (s. S. 827) und Ebner-Eschenbachs Am Ende auseinander; im letzteren würden „Menschenschicksale voll Breite und Fülle“ in einen „kleinen Rahmen gespannt“: So auffallend verschieden sonst der bittere, ja grausame Ernst der epischen Dichtungen der EbnerEschenbach und die humorvolle Laune ihrer knappen Komödien ist, so bietet sich hier, im Herauswachsen des Inhaltes über die Form, die zusammenhaltende Gemeinsamkeit des Kunstschaffens dar. Diese Dichterin sagt uns immer mehr, als sie zu sagen scheint; sie läßt Töne schwingen, die im Gemüthe weiterklingen; sie zeigt ihre Figuren gerundet und in Bewegung; ihre Menschen leben nicht nur während der kargen Zeitspanne, in der sie uns vorgeführt werden, sondern man sieht, daß sie ein Leben hinter sich haben und daß ihnen noch Anderes zu thun obliegt, als blos sich uns zu produciren. Man wird nachdenklich und ernst bei Frau v. EbnerEschenbach, auch wenn sie fröhlich mit reizenden Kleinigkeiten kommt.

Und Lesser nennt Am Ende zusammenfassend „ein Bijou“: „ein Stück ziervoller Kleinkunst, nichts darüber freilich. Aber wenn die Dichterin Größeres hätte geben wollen, so hätte sie es gethan. Es wäre ein Unrecht, sie nach Anderem als nach ihrer Absicht zu messen.“7 In einer Beilage zum Pester Lloyd nahm auch Walter Paetow zu den beiden „Frauendramen“ Stellung, die „warmen Beifall gefunden“ hätten, und führt weiter aus: Marie Ebner’s „Szene“, ein Lustspiel im Style und in der Form ein Schwesterkind der graziösen kleinen Bühnendichtungen „Ohne Liebe“ und der Plauderei „Bettelbriefe“, athmet Heiterkeit, Versöhnlichkeit, Milde [...]. Da offenbaren sich zwei Naturen; in aller ihrer Größe die der Fürstin und in ihrer menschlichen Schwachheit die des Fürsten. [...] Ein Gegensatz klafft zwischen diesen beiden Menschen; und wir begreifen, daß ihre Naturen mit einander sich nicht verschmelzen konnten; aber wir begreifen auch, daß „am Ende“, da alle Cosmétiques nicht mehr helfen, das Gute in der Natur des Fürsten sich mehr und mehr durchbricht und ihn nach einer Versöhnung heiß verlangen läßt.8

Am Ende wurde im Jahre 1897 auch in Brünn mit Erfolg aufgeführt (T IV, 26.4.1897), fiel im gleichen Jahr in Mannheim durch (T IV, 12.11.1897), war aber 1899 in Karlsruhe erfolgreich. Eugen Kilian inszenierte Am Ende am dortigen Hoftheater, 6

Kleines Journal. In: Bühnenblatt Eduard Bloch Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897, S. 2. Lesser: Zwei Oesterreicherinnen. In: Neues Wiener Abendblatt Nr. 102 vom 11. 4.1897. 8 Paetow: Zwei Frauendramen. In: Pester Lloyd Nr. 91 vom 16.4.1897. 7

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Am Ende

was, wie er Ebner-Eschenbach mitteilte, für ihn „eine Quelle reichen Genusses“ war, und ließ sie wissen, „dass Ihr entzückendes kleines Dramolet ‚Am Ende‘ gestern hier zum ersten Male in Scene ging und bei demjenigen Teile des Publikums, der für derartige feine Kostbarkeiten der Literatur Sinn und Verständnis besitzt, eine sehr beifällige und warme Aufnahme fand.“9 Aus Anlass des 70. Geburtstages von Ebner-Eschenbach, im Rahmen eines Festabends, kam Am Ende schließlich am 13. September 1900 auch in Wien, am Burgtheater, auf die Bühne. Der Einakter bildete den Auftakt; ihm folgte die Aufführung von Doctor Ritter und Ohne Liebe. Die Darbietung wurde zu einem durchschlagenden Erfolg, wie der Rezensent der Neuen Freien Presse mitteilt, für den der Einakter „in das Fach des Proverbe einschlägt und die feinste Blüthe weiblicher Anmuth entfaltet. Frau Wilbrandt und zumal Herr Sonnenthal führten uns in die Atmosphäre des alten Burgtheaters zurück.“10 Der Rezensent der Wiener Zeitung stimmt in das Lob des Einakters Am Ende ein: Eine Scene nur, das Wiederfinden getrennter Gatten am Lebensabend, Wiederfinden und Wiedervereinigung! Wie viel Stimmung, welch edle Einfachheit, welche Fülle von Gemüth aber ziert diese Scene, die Frau Wilbrandt und Herr Sonnenthal meisterhaft spielten! Das war ein Hauch von echter Poesie, und die Bühne von heute vertrug ihn.11

Auch der Kritiker Max Kalbeck schloss sich diesem Urteil an: „Von diesen drei Stücken ist unserem Dafürhalten nach ‚Am Ende‘ das genialste und zugleich dasjenige, das eindringlicher als sonst ein anderes für die hervorragende dramatische Befähigung der Ebner spricht.“12 In einem längeren Feuilleton geht der Rezensent O. T. der Wiener Abendpost auf den Einakter ein: Welch blühende Jugend „am Ende“, am Abende des Lebens, der noch lange kein Ende bedeutet! Nur „eine Scene in einem Aufzuge“, und doch ein ganzes Menschendrama mit versöhnendem Abschlusse. Echtes, frisches Leben, und kein greller Effect, keine Menschen aus den Tiefen der Gesellschaft, und dennoch echte, warmblütige Menschen. Eine Episode, ein Proverbe, wenn man will, und welch reicher Inhalt an Handlung dennoch! Die linde Luft eines heiteren Herbsttages durchweht das Ganze; die sonst scheidende Sonne verklärt es. Linder Wehmuth mengt sich ein leiser, zarter Humor, und die Macht des Gemüthes bringt das versöhnende Ende.13

Am Ende kam im Jahre 1904 auf die Bühne des Königlichen Residenztheaters in München. Auch diese Inszenierung war ein Erfolg, wie der Rezensent berichtete:

9

Kilian an Ebner-Eschenbach am 13.1.1899 (WB, H.I.N. 60763). Neue Freie Presse Nr. 12952 vom 14.9.1900. 11 Wiener Zeitung Nr. 210 vom 14.9.1900. 12 Neues Wiener Tagblatt Nr. 253 vom 15.9.1900. 13 Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 211 vom 14.9.1900. 10

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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Von den ersten schüchternen dramatischen Versuchen der Ebner-Eschenbach ist diese Szene durch Jahrzehnte geschieden, aber es ist immer dieselbe ganze Ebner mit all ihrer feinen Grazie und ihrer tiefen und klaren Lebenswahrheit und Weisheit. [...] Der milden Fürstin, der Alles verstehenden und verzeihenden Frau, legt die große Dichterin die guten und klugen Herzensworte in den Mund, die den Hauptreiz der anspruchslosen Plauderei ausmachen.14

Der Einakter wurde auch mehrere Male am Leipziger Stadttheater gespielt (T VI, Anhang 1908, S. 123), und im Jahre 1914 gelangte Am Ende auf die Bühne des Herzoglichen Hoftheaters in Dessau, wo es erfolgreich gespielt wurde. Der Rezensent W. S. des Anhaltischen Staats-Anzeigers geht auf das dramatische Werk der Dichterin ein führt zu dem aufgeführten Stück aus: „Am Ende“ mutet an wie eine stimmungsreiche dialogisierte Novelle, die schon wegen ihrer geringen Umfänglichkeit kein großes künstlerisches Ausmaß verträgt. Aber liebenswürdig nach seinem Inhalt, gefällig in der Form verrät der Einakter die sympathische Eigenart seiner Urheberin und damit den Grundton all ihrer Dichtungen, das Ideal all ihres Strebens: der umfassenden, verzeihenden Liebe den schönsten Altar im menschlichen Herzen zu errichten. [...] Mit dem Einakter wird sich M. von Ebner-Eschenbach noch manchen Verehrer ihrer Kunst gewinnen.15

Nach Georg Reichard wurde Am Ende bis 1953 auf dem Burgtheater siebenundzwanzig Mal gespielt.16 Im Jahre 2005 weist Michaela Neidl in ihren Ausführungen zu dem Einakter abschließend darauf hin, dass im „Zeitalter der Schönheitsoperationen“ EbnerEschenbachs „kritische Andeutungen gegen Kosmetik zugunsten der Natürlichkeit höchst modern und aktuell“ anmuten. 17 Susanne Kord geht im gleichen Jahr in ihrem Band auf die Doppelbedeutung des Titels Am Ende ein und hebt die „unterschiedliche Haltung“ des Fürsten und der Fürstin „zur Zeit“ hervor: Während Klothilde sich der Vergangenheit erinnert, die Gegenwart genießt und sich die Zukunft gestaltet, ist Erwein „im eigentlichsten Sinne des Wortes am Ende“. Seine „letzte Chance“ für die Zukunft „bietet sich ihm erst, als er fähig wird, seine Hilflosigkeit zuzugeben“. Eben „weil Klothildes Zeitverständnis nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft einschließt, weiß sie die Antwort und kann ihm die Entscheidung abnehmen.“18

14

Allgemeine Zeitung Nr. 276 vom 21.6.1904. Beilage zum Anhaltischen Staats-Anzeiger Nr. 75 vom 29.3.1914. 16 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 121, Fn. 97. 17 Neidl: Analytisches und kritisches Potential in Denken und Werk der „Dichterin der Güte“, S. 229. 18 Kord: Einleitung. In: Letzte Chancen, S. 19–20. 15

I. Text

Bekenntniß

1.

Weißt du auch daß ich dich liebe? (H1)

Weißt du auch daß ich dich liebe?

Eleganter kleiner Salon. AMALIE in einem Fauteuil neben dem Kamin, mit einer Handarbeit beschäftigt. PAUL tritt ein.

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AMALIE. Wahrhaftig – Sie! Denken Sie, daß ich es erst nicht glauben wollte. PAUL. Darf ich fragen, was, gnädige Frau? AMALIE. Denken Sie, daß ich meinte, es müsse eine Namensverwechslung {stattgefunden haben} 〈sein〉. PAUL. Eine Namensverwechslung – wann? AMALIE. Als der Diener Sie anmeldete. PAUL. Darf ich fragen warum Sie das meinten, gnädige Frau? AMALIE zuckt die Achseln. Je nun. Aber bitte, setzen Sie sich doch. PAUL thut es. Sie waren vielleicht erstaunt, daß ich mir die Freiheit nehme schon wieder bei Ihnen vorzusprechen. AMALIE. Ganz recht! das heißt – genau das Gegentheil. Ich war erstaunt, daß Jemand der seiner Freunde so lange vergaß sich ihrer zuletzt doch noch erinnert. PAUL warm. Vergaß ... Nimmt sich zusammen. Er fürchtete vielleicht nur ... AMALIE fällt ihm ins Wort. – zu stören. Geniren Sie sich lieber {Freund} 〈Paul〉! geniren Sie sich einen so abgeschabten Gemeinplatz zu gebrauchen. Sie – ein Poet! PAUL. So hätten Sie, gnädige Frau, mein {langes} 〈längeres〉 Ausbleiben wirklich bemerkt? AMALIE lässt ihre Arbeit in den Schoß sinken. Sieht ihn an. Er senkt die Augen. Absicht also? ... Was man nicht alles erlebt an den unschuldigsten Kindern ... Wie alt sind Sie? PAUL. Sechsundzwanzig Jahre. Sie wissen es. AMALIE. Wie soll ich mir das merken? Es ist ja mein eigenes hohes Alter. Und da wir in gleichen Jahren stehen, sind Sie {jung} 〈ein Jüngling〉 und bin ich {alt} 〈eine Greisin〉. Er will reden, sie läßt ihn nicht zu Worte kommen. O bitte! lassen Sie die liebenswürdige Schmeichelei, die Sie jetzt in die Welt setzen wollen, ungeboren. Sprechen wir von etwas anderem. Was können Sie mir denn vom Wetter erzählen? PAUL. Es ist rauh und kalt. AMALIE. Das sind böse Eigenschaften. PAUL. Nicht nur beim Wetter. AMALIE. O wie wahr! PAUL mit unterdrückter Heftigkeit. Ueberdies ist gar keine Hoffnung vorhanden, daß es sich bessere. Das Thermometer steht auf null. Das Barometer ist gefallen. Das Hydrometer ... AMALIE. Nicht allzugründlich o Germane! Ich weiß genug. Ich werde ausfahren, statt auszugehen.

Bekenntniß

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PAUL steht auf. Ich empfehle mich Ihnen gnädige Frau. AMALIE. Wissen Sie was? Empfehlen Sie sich indem Sie dableiben, und nicht indem Sie davonlaufen. PAUL. Sie wollen ausfahren. AMALIE. Zu dem Ende muß erst angespannt werden. PAUL. Befehlen Sie daß ich den Auftrag dazu gebe? AMALIE. Die Glocke steht vor Ihnen; seien Sie nur so gut zu schellen. PAUL thut es. Diener kommt. AMALIE. Lassen Sie anspannen. In einer Stunde. PAUL freudig, für sich. In einer Stunde! Nach kurzem Besinnen, kleinlaut. Sie erwarten Besuch? AMALIE. Nicht doch, ich h a b e Besuch. Aber – ohne Ihnen nahetreten zu wollen, nicht sehr ergötzlichen. PAUL. Alles zu seiner Zeit. Ein ergötzlicher kommt wohl bald nach. AMALIE sieht ihn an, lächelt. Haben Sie bestimmte Nachrichten darüber? PAUL. Nachrichten keine, nur Vermutungen. AMALIE. Ach was sind Vermutungen! Wenn ich welche 〈Vermutungen〉 anstellen wollte – auf was für Gedanken könnt ich kommen! PAUL. Bei welcher Gelegenheit, wenn ich fragen darf? AMALIE. Beim Lesen der letzten Novelle Ihres letzten Bandes zum Beispiel. Da ist eine Frau geschildert. PAUL. Wie ein Dichter sie träumt. AMALIE. Und nicht etwa wie eine die lebt, wollen Sie sagen. 〈Nicht nach der Natur –〉 Mein Herr Poet, Ihre Bücher sind liebenswürdiger als Sie. PAUL. Es giebt Persönlichkeiten denen gegenüber der ganze Mensch, und demnach auch dessen Liebenswürdigkeit – angenommen daß er {x-x-x} 〈welche〉 besitzt, in Ehrfurcht zerschmilzt. AMALIE. Spott? PAUL. Das glauben Sie selbst nicht. AMALIE. Was muß man nicht alles glauben, wenn man gar nichts weiß. ... Nach kurzer Ueberlegung, rasch. Aber unter andern! Wie befindet sich denn {der Freund} 〈Herr von Ritter〉? PAUL bestürzt. Ich weiß es nicht. Ist er unwohl? AMALIE. Man sagt so. {Man sagt er habe 〈neulich〉 ein Duell gehabt am Morgen eines kalten Novembertages.} 〈Man sagt es. Man sagt, er sei neulich durch einen gewissen Poeten an einem kalten November-Morgen, zu einem Ausflug in die Umgebung aufgefordert worden.〉 Da hat er sich beim Nachhausefahren {eine Erkältung zugezogen} 〈erkältet〉. PAUL. Nichts von Bedeutung hoffe ich. 〈Vermutungen〉 üdZ, eingewiesen nach welche; ohne Tilgung. 〈Nicht nach der Natur –〉 aR hinzugefügt; ohne Tilgung.

I. Text

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AMALIE ernst. Ich hoffe es auch. Im Interesse der Frau, um derentwillen Herr von Ritter sich jene – Erkältung zugezogen hat. PAUL. War eine Frau dabei im Spiele? AMALIE. {Denken Sie –} Ja! Zu ihrem Glücke wissen nicht viele Leute davon. PAUL. Wie kommt es, daß Sie es erfahren haben? AMALIE. Einer der Freunde, die Herr von Ritter einlud, ihn bei seinem Ausflug zu begleiten, hat es mir erzählt. PAUL. Der Schwätzer! AMALIE. – Aus Freundschaft. Es lag ihm daran Herrn von Ritter zu disculpiren. PAUL. Was ihm gelang? AMALIE. Beinahe. Das Scherzwort über jene Frau das sich Herr von Ritter in einem kleinen Bekannten-Kreise erlaubte, war im Grunde harmlos. Das klügste was die{jenigen} 〈hatten〉 thun {konnten} 〈können〉, die es hörten, wäre gewesen – es zu ü b e r hören. PAUL. So – das klügste? ... Nun, ja wohl, das klügste allerdings. Losbrechend. Nur auch zugleich das feigste und niederträchtigste! AMALIE etwas erschrocken. Lieber Paul, Sie würden mich verbinden, wenn Sie sich weniger starker Ausdrücke bedienen wollten. PAUL. Sie haben zu befehlen. AMALIE. Die Frau, der jenes Scherzwort gegolten, erhielt schon Tags darauf den Beweis, daß es ihr nicht geschadet habe. PAUL. {Und was geschah?} 〈Durch wen?〉 AMALIE. {Ein} 〈Durch einen〉 Theilnehmer an der kleinen Gesellschaft in der es gesprochen wurde. PAUL. Und {wie gab er ihn?} 〈in welcher Weise?〉 AMALIE. Indem er ihr das größte Zeichen von Achtung {gewährte} 〈gab〉 das ein Mann einer Frau {x-x} 〈geben〉 kann – indem er ihr seine Hand antrug. PAUL zuckt schmerzlich zusammen. Leise. So ist es wahr? AMALIE. Was sagen Sie? PAUL. – Daß ich Ihnen das beste Glück wünsche. AMALIE . Ich danke Ihnen, ich bin davon überzeugt. PAUL. Freiherr von Wildenstein ist – ist jedenfalls ... Er stockt. AMALIE. Ein sehr tactvoller Mann. PAUL. O – sehr! AMALIE. Hat er es nicht bei Gelegenheit des Vorgangs von dem wir eben sprachen, glänzend bewiesen? {Die} 〈Er vernichtet die〉 Beleidigung, die einer unbescholtenen Frau widerfährt {hat er vernichtet} indem er sie ignorirt. So ganz ignorirt, daß er {demjenigen, der sie ausgestoßen hatte,} 〈ihrem Urheber〉 gleich darauf einen {von diesem verlangten} Dienst erweist. PAUL. Tactvoll nennen Sie das? AMALIE. Und wie nennen Sie’s?

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PAUL zögernd. Mindestens ebenso merkwürdig wie – tactvoll. AMALIE. Merkwürdig denn! Wie viel Leute giebt es heutzutage, die M e r k würdiges zu thun vermögen? Und nun gar in dem Stande dem der Freiherr von Wildenstein angehört? Er ist ein Nachkomme desselben Wildenstein dem das Standbild der Muttergottes am Kreuzwege, als er vor ihm den Hut lüftete zurief: Setzen Sie auf Herr Vetter. Wissen Sie das? PAUL. O das weiß ich sehr genau. AMALIE. Der Freiherr erzählt die Geschichte gut. PAUL. Vortrefflich. AMALIE. Ich sehe Ihnen jetzt an was Sie denken, Sie denken: Die Uebung macht’s. Aber der Freiherr ist überhaupt gar nicht langweilig. ... Ich will ihn nicht gerade einen Mann von Geist nennen, aber an Verstand fehlt es ihm {keineswegs} 〈nicht〉. PAUL. Ich bin davon überzeugt. AMALIE. Ebenso wenig will ich ihn einen schönen Mann nennen, aber seine Erscheinung hat etwas Sympathisches. PAUL verneigt sich stumm. AMALIE ungeduldig. Er {besitzt} 〈hat〉 auch Urtheil und Geschmack. PAUL. Das beweist seine Wahl. AMALIE immer gereizter. Von seinem Charakter haben wir noch gar nicht gesprochen. PAUL. Es versteht sich von selbst, daß es der ehrenwerteste ist. AMALIE. Paul! Sie sind unausstehlich! PAUL {auflebend} für sich. Paul? 〈Laut.〉 Warum? Gebe ich Ihnen nicht in Allem recht? AMALIE. Eben deshalb, thörichter, mit Blindheit geschlagener Mensch. DIENER meldend. Freiherr von Wildenstein. AMALIE mit plötzlicher Ruhe. Absichtlich. Ich lasse sehr bedauern. Ich bin nicht zu Hause. Diener ab. PAUL. Was war das, gnädige Frau? AMALIE. Eine Abfertigung. PAUL nach einer Pause. So haben Sie mich zum Besten gehabt. ... Auflebend. Gleichviel! – Ich athme wieder. AMALIE lächelnd. Und was störte Sie bisher in dieser durchaus unerläßlichen Thätigkeit? PAUL. Lachen Sie nicht! Achtung gnädige Frau, Achtung vor jeder tiefen und {ehrlichen} 〈wahrhaftigen〉 Empfindung, auch wenn man sie nicht theilt. Die meine hat mich zu einer Er sucht nach einem Worte. {x-x} 〈Maßregel〉 verleitet, die Ihnen unverständig und taktlos erscheint. Ich bedaure es, kann {es} aber nicht bereuen. {In} 〈Ich würde im〉 gleiche{m}〈n〉 Fall das Gleiche wieder thun. AMALIE. Wieder unverständig handeln? Unverständig bedeutet ohne Verstand?

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PAUL. {Sie sagen es.} 〈Ganz gewiß.〉 {{AMALIE. Schade. {Der} Verstand 〈besitzen,〉 ist eine so schöne Sache!}} 〈AMALIE. Sie bestätigen das mit einem Stolze! ... Mich dünkte bisher, es sei eine schöne Fähigkeit seinem Verstand unter allen Umständen die Herrschaft zu bewahren.〉 PAUL. Schöner noch ist {manchmal} die Fähigkeit {ihn nie zu verlieren.} 〈seinem Verstand manchmal die Herrschaft zu entreißen.〉 AMALIE. Sie haben vielleicht so Unrecht nicht. {Gehen} 〈Wollen〉 wir {noch} weiter 〈gehen〉 und {sagen} 〈behaupten〉: 〈Besonnenheit〉, Vernunft, {Urtheil,} Klugheit sind gute Dinge, bessere aber sind Tollkühnheit, Schwung, die Begeisterung einer jungen Seele. PAUL. {Die} 〈Alles was〉 Sie an mir tadeln. AMALIE. Das glauben Sie zu wissen? PAUL. O das weiß ich! AMALIE steht auf, geht auf ihn zu legt die Hand auf seine Locken. Und wissen Sie auch daß ich Sie liebe? PAUL umschlingt sie stürmisch. Amalie!

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AMALIE. Ich lasse sehr bedauern. Ich bin nicht zu Hause. Diener ab. PAUL. Was war das, gnädige Frau? AMALIE. Eine Abfertigung. PAUL. So haben Sie mich zum Besten gehabt? ... Gleichviel! Auflebend. Ich athme wieder! AMALIE. Und was störte Sie in dieser durchaus unerläßlichen Thätigkeit? PAUL. Lachen Sie nicht! Achtung gnädige Frau, Achtung vor jeder tiefen und wahrhaftigen Empfindung. Auch wenn man sie nicht {theilt} 〈begreift〉. Die meine hat mich zu einer Er sucht nach einem Wort. einer Maßregel verleitet die Ihnen taktlos und unverständig erscheint. Ich bedaure es, kann aber nicht bereuen. Ich würde in gleichem Fall das Gleiche wieder thun. AMALIE. Wieder unverständig handeln? Unverständig bedeutet ohne Verstand. PAUL. Ganz gewiß. AMALIE. Sie bestätigen das mit einem Stolze! ... Mich dünkte bisher es sei eine schöne Fähigkeit, seinem Verstand unter allen Umständen die Herrschaft zu bewahren. PAUL. Schöner noch ist die Fähigkeit seinem Verstand manchmal die Herrschaft zu entreißen. AMALIE. Sie haben vielleicht so Unrecht nicht. Warm. Wollen wir weiter gehen und behaupten Klugheit, Besonnenheit, Vernunft sind gute Dinge – bessere aber sind: Tollkühnheit, Schwung, die Begeisterung einer jungen Seele ... PAUL. Alles, was Sie an mir tadeln. AMALIE. Das glauben Sie zu wissen? PAUL. O das weiß ich! AMALIE steht auf tritt zu ihm, legt die Hand auf sein Haupt. Und wissen Sie – und weißt du auch daß ich dich liebe?

2.

Das Bekenntniß (H2)

Das Bekenntniß

Bekenntniß

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PERSONEN PAUL AMALIE EIN DIENER

Scene. Eleganter kleiner Salon. AMALIE {in} 〈an〉 einem {Fauteuil} 〈Tischchen〉 neben dem Kamin, mit einer Handarbeit beschäftigt. {PAUL tritt ein.}

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Vor 1

AMALIE. Wahrhaftig – Sie! Denken Sie, daß ich es erst nicht glauben wollte. PAUL. Darf ich fragen, was, gnädige Frau? AMALIE. Denken Sie, daß ich meinte, es müsse eine Namensverwechslung stattgefunden haben. PAUL. Eine Namensverwechslung – wann? AMALIE. Als der Diener Sie anmeldete. PAUL. Darf ich fragen warum Sie das meinten, gnädige Frau? AMALIE zuckt die Achseln. Je nun. Aber bitte, setzen Sie sich doch. PAUL thut es. Sie waren vielleicht erstaunt, daß ich mir die Freiheit nehme schon wieder bei Ihnen vorzusprechen. AMALIE. Ganz recht! das heißt – genau das Gegentheil. Ich war erstaunt, daß Jemand der seiner Freunde so lange vergaß sich ihrer zuletzt doch noch erinnert. PAUL warm. Vergaß ... Nimmt sich zusammen. Er fürchtete vielleicht nur ... AMALIE fällt ihm ins Wort. – zu stören. Geniren Sie sich lieber Paul! geniren Sie sich einen so abgeschabten Gemeinplatz zu gebrauchen. Sie – ein Poet! PAUL. So hätten Sie, gnädige Frau, mein langes Ausbleiben wirklich bemerkt? AMALIE lässt ihre Arbeit in den Schoß sinken. Sieht ihn an. Er senkt die Augen. Absicht also? ... Was man nicht alles erlebt an den unschuldigsten Kindern ... Wie alt sind Sie? PAUL. Sechsundzwanzig Jahre. Sie wissen es. AMALIE. Wie soll ich mir das merken? Es ist ja mein eigenes hohes Alter. Und da wir in gleichen Jahren stehen, sind Sie ein Jüngling und bin ich eine Greisin. Er will reden, sie läßt ihn aber nicht zu Worte kommen. O bitte! lassen Sie die liebenswürdige Schmeichelei, die Sie jetzt in die Welt setzen wollen, ungeboren. Sprechen wir von etwas anderem. Was können Sie mir denn vom Wetter erzählen? PAUL. Es ist rauh und kalt. AMALIE. Das sind böse Eigenschaften. PAUL. Nicht nur beim Wetter. AMALIE. O wie wahr! PAUL mit unterdrückter Heftigkeit. Ueberdies ist gar keine Hoffnung vorhanden, daß es sich bessere. Das Thermometer steht auf Null. Das Barometer ist gefallen. Das Hydrometer ...

{in} 〈an〉 einem {Fauteuil} 〈Tischchen〉 ] in einem {Fauteuil} 〈Tischchen〉 Schreibfehler

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AMALIE. Nicht allzu gründlich o Germane! Ich weiß genug. Ich werde ausfahren, statt auszugehen. PAUL steht auf. Ich empfehle mich Ihnen, gnädige Frau. AMALIE. Wissen Sie was? Empfehlen Sie sich indem Sie dableiben, und nicht indem Sie davonlaufen. PAUL. Sie wollen ausfahren. AMALIE. Zu dem Ende muß erst angespannt werden. PAUL. Befehlen Sie, daß ich den Auftrag dazu gebe? AMALIE. Die Glocke steht vor Ihnen; seien Sie nur so gut zu schellen. PAUL thut es. Diener kommt. AMALIE. Lassen Sie anspannen. In einer Stunde. Diener ab. PAUL freudig, für sich. In einer Stunde! Nach kurzem Besinnen, kleinlaut. Sie erwarten Besuch? AMALIE. Nicht doch, ich habe Besuch. Aber – ohne Ihnen nahetreten zu wollen, nicht sehr ergötzlichen. PAUL. Alles zu seiner Zeit. Ein ergötzlicher kommt wohl bald nach. AMALIE {sieht ihn an,} lächelt. Haben Sie bestimmte Nachrichten darüber? PAUL. Nachrichten keine, nur Vermutungen. AMALIE. Ach was sind Vermutungen! Wenn ich welche anstellen wollte – auf was für Gedanken könnt’ ich kommen! PAUL. Bei welcher Gelegenheit, wenn ich fragen darf? AMALIE. Beim Lesen der letzten Novelle, Ihres letzten Bandes zum Beispiel. Da ist eine Frau geschildert … PAUL. Wie ein Dichter sie träumt. AMALIE. Und nicht etwa wie eine die lebt, wollen Sie sagen. Mein Herr Poet, Ihre Bücher sind liebenswürdiger als Sie. PAUL. Es giebt Persönlichkeiten denen gegenüber der ganze Mensch, und demnach auch dessen Liebenswürdigkeit – angenommen daß er welche besitzt, in Ehrfurcht zerschmilzt. AMALIE. – Spott? PAUL. Das glauben Sie selbst nicht. AMALIE. Was muß man nicht alles glauben, wenn man gar nichts weiß. ... Nach kurzer Ueberlegung, rasch. Aber unter andern! Wie befindet sich denn Herr von Ritter? PAUL bestürzt. Ich weiß es nicht. Ist er unwohl? AMALIE. Man sagt so. Man sagt, er sei neulich durch einen gewissen Poeten an einem kalten November-Morgen, zu einem Ausflug in die Umgebung aufgefordert worden. Da hat er sich beim Nachhausefahren {eine Erkältung zugezogen} 〈erkältet〉. PAUL. Nichts von Bedeutung hoffe ich.

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AMALIE ernst. Ich hoffe es auch. Im Interesse der Frau, um derentwillen {Herr von Ritter} 〈er〉 sich jene – Erkältung zugezogen hat. PAUL. War eine Frau dabei im Spiele? AMALIE. Ja! Zu ihrem Glücke wissen nicht viele Leute davon. PAUL. Wie kommt es, daß Sie es erfahren haben? AMALIE. Einer der Freunde, die Herr von Ritter einlud, ihn bei seinem Ausflug zu begleiten, hat es mir erzählt. PAUL. Der Schwätzer! AMALIE. – Aus Freundschaft. Es lag ihm daran Herrn von Ritter zu disculpiren. PAUL. Was ihm gelang? AMALIE. Beinahe. Das Scherzwort über jene Frau das sich Herr von Ritter in einem kleinen Bekannten-Kreise erlaubte, war im Grunde harmlos. Das klügste was diejenigen thun konnten die es hörten, wäre gewesen – es zu ü b e r hören. PAUL. So – das klügste? ... Nun, ja wohl, das klügste allerdings. Losbrechend. Nur auch zugleich das feigste und niederträchtigste! AMALIE etwas erschrocken. Lieber Paul, Sie würden mich verbinden, wenn Sie sich weniger starker Ausdrücke bedienen wollten. PAUL. Sie haben zu befehlen. AMALIE. Die Frau, der jenes Scherzwort gegolten, erhielt schon Tags darauf den Beweis, daß es ihr nicht geschadet habe. PAUL. Durch wen? AMALIE. Durch einen Theilnehmer an der kleinen Gesellschaft in der es gesprochen wurde. PAUL. Und in welcher Weise? AMALIE. Indem er ihr das größte Zeichen von Achtung gab das ein Mann einer Frau geben kann – indem er ihr seine Hand antrug. PAUL zuckt schmerzlich zusammen. Leise. So ist es wahr. AMALIE. Was sagen Sie? PAUL. Daß ich Ihnen das beste Glück wünsche. AMALIE . Ich danke Ihnen, ich bin davon überzeugt. PAUL. Freiherr von Wildenstein ist – ist jedenfalls ... Er stockt. AMALIE. Ein sehr tactvoller Mann. PAUL. O – sehr! AMALIE. Hat er es nicht bei Gelegenheit des Vorgangs von dem wir eben sprachen, glänzend bewiesen? Er vernichtet{e} die Beleidigung, die einer unbescholtenen Frau widerfährt indem er sie ignorirt. So ganz ignorirt{e}, daß er ihrem Urheber gleich darauf einen Dienst erweist. PAUL. Tactvoll nennen Sie das? AMALIE. Und wie nennen Sie’s? PAUL zögernd. Mindestens ebenso merkwürdig wie – tactvoll.

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AMALIE. Merkwürdig denn! Wie viel Leute giebt es heutzutage, die M e r k würdiges zu thun vermögen? Und nun gar in dem Stande dem der Freiherr {von Wildenstein} angehört? {Er ist} 〈Ein Wildenstein!〉 ein Nachkomme desselben Wildenstein dem das Standbild der Muttergottes am Kreuzwege, als er vor ihm den Hut lüftete zurief: Setzen Sie auf Herr Vetter. Wissen Sie das? PAUL. O das weiß ich sehr genau. AMALIE. Der Freiherr erzählt die Geschichte gut. PAUL. Vortrefflich. AMALIE. Ich sehe Ihnen jetzt an was Sie denken, Sie denken: Die Uebung macht’s. Aber der Freiherr ist überhaupt gar nicht langweilig. ... Ich will ihn nicht gerade einen Mann von Geist nennen, aber an Verstand fehlt es ihm keineswegs. PAUL. Ich bin davon überzeugt. AMALIE. Eben so wenig will ich ihn einen schönen Mann nennen, aber seine Erscheinung hat etwas Sympathisches. PAUL verneigt sich stumm. AMALIE ungeduldig. Er besitzt auch Urtheil und Geschmack. PAUL. Das beweist seine Wahl. AMALIE immer gereizter. Von seinem Charakter haben wir noch nicht gesprochen. PAUL. Es versteht sich von selbst, daß es der ehrenwerteste ist. AMALIE. Paul! Sie sind unausstehlich! PAUL für sich. Paul? Laut. Warum? Gebe ich Ihnen nicht in Allem recht? AMALIE. Eben deshalb, thörichter, mit Blindheit geschlagener Mensch. DIENER meldend. Freiherr von Wildenstein. AMALIE mit plötzlicher Ruhe. Absichtlich. Ich lasse sehr bedauern. Ich bin nicht zu Hause. Diener ab. PAUL. Was war das, gnädige Frau? AMALIE. Eine Abfertigung. PAUL nach einer Pause. So haben Sie mich zum Besten gehabt? ... Gleichviel! Auflebend. – Ich athme wieder! AMALIE lächelnd. Und was störte Sie bisher in dieser durchaus unerläßlichen Thätigkeit? PAUL. Lachen Sie nicht! Achtung gnädige Frau, Achtung vor jeder tiefen und wahrhaftigen Empfindung. Auch wenn man sie nicht theilt. Die meine hat mich zu einer Er sucht nach einem Worte. einer Maßregel verleitet, die Ihnen unverständig und tactlos erscheint. Ich bedauere es, kann aber nicht bereuen. Ich würde in gleichem Fall das Gleiche wieder thun. AMALIE. Wieder unverständig handeln? Unverständig bedeutet ohne Verstand? PAUL. Ganz gewiß.

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AMALIE. Sie bestätigen das mit einem Stolze! ... Mich dünkte bisher, es sei eine schöne Fähigkeit seinem Verstand unter allen Umständen die Herrschaft zu bewahren. PAUL. Schöner noch ist die Fähigkeit seinem Verstand manchmal die Herrschaft zu entreißen. AMALIE. Sie haben vielleicht so Unrecht nicht. {Warm.} Wollen wir weiter gehen und behaupten: Klugheit, Besonnenheit, Vernunft sind gute Dinge – bessere aber sind Tollkühnheit, Schwung, die Begeisterung einer jungen Seele ... PAUL. Alles, was Sie an mir tadeln. AMALIE. Das glauben Sie zu wissen? PAUL. O das weiß ich! AMALIE steht auf, geht auf ihn zu, legt die Hand auf seine Locken. Und wissen Sie auch daß ich Sie liebe? PAUL umschlingt sie stürmisch. Amalie!

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AMALIE. Er kommt nicht. Auch heute nicht. Sie legt die Arbeit auf den Tisch, nimmt ein Buch zur Hand und blättert darin. Er verlässt sich wohl darauf, daß ich mich in seiner Gesellschaft befinden kann so oft ich will, daß es mir freisteht mich zu versenken in die Welt seiner Gedanken – seiner s c h ö n e n Gedanken ... Man schellt. Endlich! Endlich doch! Aber du – Verbirgt das Buch. verschwindest. Man darf diese Poeten nicht zu eitel machen. DIENER meldend. Die Frau Präsidentin von Steinbach. AMALIE enttäuscht. – Wer? DIENER. Frau Präsidentin von Steinbach. AMALIE steht auf. Ich lasse mich entschuldigen. Diener ab. AMALIE auf und abgehend. Die Frau Präsidentin ... Wenn man bedenkt in welchen Gefahren man sich stündlich befindet! ... Sie hat gewiß recognosciren wollen die Neugierige! – Das verdanke ich Ihnen mein Herr Poet, Ihrer Unvorsichtigkeit, Übereilung, Ihrem unberufenen Ritterdienst. Die Uhr schlägt drei. Und nach alledem ganz einfach fortbleiben, sich nicht blicken lassen, das ist unbegreiflich und deshalb unverzeihlich. Sie bleibt stehen. Übrigens auch gut. Alleinsein ist auch gut. Berührt den Drücker der Tischglocke. Diener kommt. AMALIE. Es wird niemand vorgelassen. DIENER. Sehr wohl. Will gehen. AMALIE. Außer – wenn – vielleicht – Draußen wird geschellt. Sehen Sie doch nach wer es ist. Diener ab. AMALIE. Ich bin von einer Unentschlossenheit, einer Inconsequenz! DIENER kommt. Es ist Herr Rainer. AMALIE mit gespielter Gleichgiltigkeit. So? Nach einer Pause in der sie sich den Anschein giebt zu überlegen. Führen Sie ihn herein. RAINER tritt ein.

fortbleiben, ] fortbleibt, Schreibfehler

II. Kritischer Apparat

Bekenntniß

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Hinzufügung Sekundäre Tilgung, eine primäre umschließend Ergänzung der Herausgeberin unleserliches Wort unleserliche Wortgruppe am Rande über der Zeile

{} 〈〉 {{ { } }} [] x-x x-x-x aR üdZ H1 H2 WB H.I.N.

Handschrift, eigenhändig (WB, H.I.N. 60455) Handschrift, von fremder Hand (WB, H.I.N. 60646) Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die deutsche Schrift in H1 und H2 ist in Antiqua wiedergegeben. Die unterstrichenen Personen in den Handschriften werden ohne Unterstreichung wiedergegeben und erscheinen als Kapitälchen. Abkürzungen für Personen werden ausgeschrieben. Die unterstrichenen Szenenanweisungen der Handschriften, die in H1 zusätzlich zwischen Schrägstrichen und in H2 in runden Klammern stehen, sind kursiv gesetzt. Die in der Handschrift verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Der verwendete Überstrich auf „m“ und „n“ zur Verdoppelung wird durch die doppelten Konsonanten wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt den Handschriften (H1 und H2). Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei offensichtlichen Schreibfehlern, die jeweils in einer Fußnote erläutert werden. Die in den Handschriften vorgenommenen Tilgungen und Hinzufügungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat).

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Bekenntniß

1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Es ist kaum etwas über die Entstehung der in der Wienbibliothek aufbewahrten Handschriften (H1 und H2) bekannt. Die Handschrift H1 ist unter dem Titel Ein Bekenntniß archiviert. Sie ist in einem Notizbuch Ebner-Eschenbachs enthalten (H.I.N. 60455), das außerdem eine Reihe von Notizen und Entwürfen enthält, die nichts mit dem Bekenntniß zu tun haben. Unter diesen Notizen und Entwürfen sind unter anderem auch Aphorismen. Mitten in diesem Notizbuch befindet sich das als H1 bezeichnete eigenhändige Manuskript, das Folgendes umfasst: Erstens den auf einem separaten Blatt stehenden Titel „Weißt du auch daß ich dich liebe?“; darüber steht das Datum „28. Dezember 1881“. Es ist zu vermuten, dass damit der Beginn der Niederschrift von H1 angezeigt ist. Zweitens 49 nicht nummerierte, einseitig beschriebene Blätter, wobei auf den dem Text links gegenüberliegenden Seiten gelegentlich Hinzufügungen angebracht sind. Das Blatt 49 schließt mit dem Datum: „4t Jänner 1882“. Drittens darauf folgende weitere acht Blätter mit einer längeren Variante, wobei der Text wiederum auf der jeweils rechten Seite steht. Am Ende des Textes steht schräg in der unteren rechten Ecke der Seite: „Heißt wirklich nichts. Ist aber doch in den Westermannischen Monatsheften erschienen.“ Wenn es sich dabei um einen Veröffentlichungshinweis handelt, so konnte dieser nicht bestätigt werden. Der Einakter ist nicht im Druck erschienen. Das zweite in der Wienbibliothek archivierte Manuskript ist eine undatierte Abschrift von fremder Hand mit dem Titel „Das Bekenntniß“: H2 (H.I.N. 60646). H2 besteht aus insgesamt zehn Blättern, wovon acht handschriftlich nummeriert sind. Die sich anschließende Variante steht auf zwei nicht nummerierten Blättern. Das Tagebuch sagt über die Entstehung des Einakters wenig aus. Am 2. Februar 1883 ist vermerkt: „Das Proverbe Bekenntniß zurecht gestutzt. Einleitungsscene.“ (T III). Das bedeutet, dass sich Ebner-Eschenbach das Stück fast dreizehn Monate nach der ersten Niederschrift nochmals vorgenommen hat. H2 ist vermutlich nach dem 2. Februar 1883 entstanden, denn diese Handschrift trägt den im Tagebucheintrag vom 2. Februar erstmals vorkommenden Titel des Stückes und weist ein Personenverzeichnis auf. H2 übernimmt nicht alle Korrekturen von H1 und weist zusätzliche Änderungen auf. Die letzte Tagebucheintragung zu diesem Stück ist vom 28. Oktober 1886 und lautet: „An Gross: Bekenntniß.“ (T III). Dieser Eintrag bleibt rätselhaft; es ist unklar, ob Ebner-Eschenbach den Einakter an Heinrich Gross lediglich zur Lektüre geschickt hat oder ob damit der Gedanke an eine Veröffentlichung verbunden ist.

Das Bekenntniß

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Die textlichen Änderungen in H1, die H2 nicht übernimmt, finden sich auf S. 837,4; S. 837,18; S. 838, 34; S. 839,13 und S. 840,13. Außerdem weist H2 textliche Änderungen auf, die in H1 nicht vorkommen, wie z. B. auf S. 848,16; S. 849,1–2 und S. 850,3. In H2 stehen gelegentlich vor der Anrede und vor Relativpronomen Kommas, die in H1 fehlen, wie z. B. auf S. 848,3 und S. 851,10. Die sowohl in H1 und H2 auf den Text des Einakters folgenden Varianten unterscheiden sich vollkommen. Während die Variante in H2 schwer in den Text einzuordnen ist, sollte in H1 möglicherweise der Text ab S. 840,27 mit der Variante ersetzt werden. Der Einakter erscheint in den Fassungen H1 und H2 zum ersten Mal in diesem Band im Druck.

2. Die Reaktionen Der Einakter ist, soweit bekannt, niemals aufgeführt worden. Eine zeitgenössische Reaktion liegt nicht vor. Da besonders die Handschrift H1, aber auch H2, schwer zugänglich waren, gab es bisher keine Reaktionen in der wissenschaftlichen Literatur.

I. Text

Ihre Schwester

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Ihre Schwester von Marie von Ebner-Eschenbach

Deutsche Rundschau, Bd. 117 (1903), S. 321–329.

Salon im Erdgeschoß auf derselben Höhe mit einer Terrasse, zu der ringsum einige Stufen führen. Türen rechts und links. Fast die ganze Breite des Hintergrundes einnehmend eine Glaswand mit feiner Eisenkonstruktion und Eingangstür in der Mitte. Rechts ein Etablissement. Tisch, Fauteuils, Stühle, ein kleines Kanapee. Die Einrichtung im Stil der Zeit Maria Theresias gehalten, die Vorhänge und Möbelüberzüge aus glattem, meergrünem Seidenstoff. Neben der Tür links eine große Jardiniere mit Blumen vor einem hohen, in die Wand eingelassenen Spiegel. In der Ecke eine Pendeluhr im Stehkasten aus Boule. Die Glaswand gewährt die Aussicht in den Garten. Zwischen der Terrasse und einem mit weißem Marmor eingefaßten Bassin ein Blumenparterre. Rechts und links von ihm breite Kieswege längs dichter Laubwände, die von einer Laubenanlage umschlossen werden. Hinter ihr steigt die Landschaft sanft empor und nimmt sich aus wie ein wohlgepflegter Park mit weitgedehnten Wiesengründen, einzeln stehenden alten Bäumen, üppigen Hecken und Baumgruppen. Es ist ein sonniger, warmer Frühsommernachmittag. HADWIGA, fünfunddreißig Jahre alt. Groß, ebenmäßige, imposante Gestalt. Edle, feine Gesichtszüge. Kastanienbraune Haare, die zurückgekämmt sind und am Hinterkopf einen dichten Knoten bilden. Die leuchtenden, dunklen Augen haben einen ernsten und milden Ausdruck; um den kleinen Mund ist ein Zug von Schwermut ausgeprägt. Sanfte Überlegenheit, hervorgegangen aus freiwilliger, stolzer Resignation, spricht sich, ihr selbst unbewußt, in ihrer Art und Weise aus. GRETE, achtzehn Jahre alt. Ihre Gesichtszüge sind denen ihrer Schwester ähnlich, der Teint und die Farbe der Haare lichter, die Augen tiefblau. In ihrem Sein und Gebaren ist sie Hadwigas Widerspiel. Ihr ganzes Wesen atmet und verbreitet Heiterkeit und ist von dem unbefangenen Bewußtsein der Berechtigung zu jedem schönen und frohen Daseinsglück beseelt. SOLM, sechsunddreißig Jahre alt. Eine kraftvolle, männliche Erscheinung. Anspruchslos, ruhig und fest, vertrauenerweckend auf den ersten Blick. Er hat ein schmales, gebräuntes Gesicht, trägt seine reichen, schwarzen Haare schlicht niedergekämmt; der Schnurr- und Backenbart sind kurz gehalten. Seine Kleidung ist nicht eben nachlässig, aber sehr einfach.

HADWIGA in einem Fauteuil am Tische mit einer Handarbeit beschäftigt. GRETE kommt durch die Tür links. Sie trägt eine weiße, gestickte Bluse, einen Rock aus weißem Pikee und um die Taille eine hellrosenfarbige Schleife.

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im Stehkasten ] in Stehkasten Setzfehler

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GRETE. Nicht da? Nicht gekommen? HADWIGA ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. Wer? GRETE. Du fragst? HADWIGA. Wen meinst Du? GRETE. Nun, doch i h n . HADWIGA. Wen – ihn? GRETE geht auf sie zu. Hadwiga, verstelle dich nicht, Beste. HADWIGA. Wenn du Herrn Solm meinst, nein, er ist nicht gekommen. Ich erwarte ihn auch nicht. Er war doch gestern da. GRETE leise, ein wenig schüchtern. Und deshalb – eben deshalb erwarte ich ihn. HADWIGA. Herr Solm wird nicht alle Tage ... GRETE fällt ihr ins Wort. Warum auf einmal so feierlich: Herr Solm! Was hat er denn getan? ... Bis jetzt war er, „sagt alles nur in allem“ – Solm, der neueste und – der liebste Nachbar ... Wieviel Uhr ist es denn? Sie wirft einen Blick nach der Uhr. Drei! Wunderbar ... Ich bildete mir ein, es sei vier, es sei – ich weiß nicht, wieviel ... Ich saß am Bett der alten Martens und hielt den Suppenteller, den sie auslöffelte ... Herr mein Gott, mit einer Langsamkeit! Und ich dachte: das erlebe ich nicht, daß der Teller leer wird; der wird, mir scheint, immer voller. In ihm steigt und steigt das Süppchen wie die Flut ... Völlig unheimlich! Wenn das so weitergeht – eine Weile nur – werfe ich alles hin – ich bin’s imstande – und renne, renne heim. HADWIGA. Ein Unsinn. GRETE. Weil es doch erst drei Uhr ist, also gut – ein Unsinn, zu rennen, wie ich gerannt bin Fächelt sich mit ihrem Taschentuche. über die Wiese und durchs Dorf. HADWIGA. Wie du auch aussiehst – feuerrot. Abbrechend. Es geht ihr besser, der Martens? GRETE ist an die Jardiniere getreten und macht sich dort mit den Blumen zu schaffen. O, die wird uralt, überlebt uns alle, wie ein bombenfester Pergamentband hundert Goldschnittlinge überlebt! HADWIGA. Ich protestiere im Namen der Goldschnittlinge und im eigenen. GRETE. Das brauchst du nicht. Ich habe gesagt: alle. Wenn ich sage: alle, bist du nie dabei, du Einzige, du über allen hoch ... HADWIGA. O weh! Die beliebten Übertreibungen. GRETE vor der Wanduhr, sieht hinauf. Vorwärts, alte Schnecke! Tummle dich Halb zu Hadwiga gewendet, etwas befangen. – der großen, der schönen, der Stunde entgegen, in der ... Sie hält inne. HADWIGA mit unterdrückter Spannung, ohne den Kopf zu erheben. In der? GRETE geht langsam auf sie zu, setzt sich neben sie und legt leise die Hand auf Hadwigas Hände. Nicht so fleißig! Ich bin auch da, ich möchte auch etwas haben von deiner Aufmerksamkeit – – HADWIGA wie früher. Der Stunde, in der?

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GRETE. In der Ludwig Solm kommen wird und meine Schwester bitten wird: Geben Sie mir Ihre Grete zur Frau. HADWIGA rasch und abwehrend. Das soll er nicht! Das nicht! GRETE beugt sich zurück, sieht sie groß an. Hadwiga! HADWIGA. Das soll er nicht und wird es nicht! Kind! Kind! Was du dir einbildest! GRETE wieder zärtlich, wieder die Hände Hadwigas leise berührend. Hadwiga, ich bilde mir nichts ein. Gestern noch war ich im Zweifel, und das tat nicht wohl ... Mir war nicht sehr wohl zumute in dieser letzten Zeit ... O, ich habe mich nicht verzärtelt! ich habe es mir tüchtig gesagt: Fasse keine falsche Hoffnung. Er kommt oft – ja, er kommt gern, er führt gern ernste Gespräche mit meiner gescheiten, meiner prächtigen Schwester. – Er ist auch gegen mich aufmerksam und freundlich, unsympathisch scheine ich ihm gerade nicht zu sein, In verändertem Tone, plötzlich rasch und entschlossen. aber die große, tiefe, die bewundernde Liebe, die ich für ihn habe ... HADWIGA hat sie, während sie sprach, unverwandt mit steigender Angst angesehen. Jetzt fällt sie ihr ins Wort. Liebe? Liebe? ... Die hast du gut verborgen. GRETE. D i r wollte ich nichts verbergen, das wisse! Ich bitte Dich – wisse das ... Aber darüber reden ... Sie wird schon sehen, dachte ich. HADWIGA. Und ich war blind. GRETE. Nicht für ihn. Ich schätze ihn nicht höher, als du ihn schätzest. HADWIGA. Das freilich ist ein hoher Maßstab. GRETE. Siehst du? Und nun stelle dir vor – dieser Mann, dieser Ludwig Solm, dem ich immer nur mit Ehrfurcht, ja, mit Ehrfurcht! begegnet bin, weil ich weiß, was er ist, und was er tut, und was seine Meinung gilt, und welchen Einfluß er auf die Menschen nimmt ... Dieser Solm, an den ich nie gedacht habe, ohne zugleich zu denken: Wie müßte die Frau sein, die mir seiner würdig schiene, die ich fände, schön und gut und vortrefflich genug für ihn – dieser Solm, Hadwiga, dieser Mensch ... stelle dir vor – geht neben dir einher, schweigend eine ganze Weile ... Du, aus Höflichkeit, – er ist doch dein Gast – fängst an von dem und von jenem und bekommst kaum eine Antwort und gerätst in Verlegenheit ... nun ja – was erzähle ich ihm denn auch? Was für Zeug bringe ich da vor? Und wünschest heiß: Wenn mir doch etwas einfallen wollte, das ihn interessiert ... Beten könntest du, zu Gott beten um einen vernünftigen Einfall ... Da – plötzlich bleibt er stehen, dieser Solm ... und ich bleibe auch stehen. Er ist bleich und sieht mich an, und seine Augen flehen – demütig, die Augen, die so streng schauen können und so prächtig kühn! Und mit einer ganz kleinen Stimme sagt er mir, daß ich ihm das Liebste auf der Welt bin, und fragt, ob ich ihn zu kennen glaube ... und für wert halte ... und ob ich mich entschließen könnte, sein zu werden. HADWIGA hat ihr sprachlos zugehört. In Bestürzung. Und – du?

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GRETE. Nun – ich? HADWIGA völlig verwirrt. Und er – und wann – wann hätte er ... GRETE. Gestern – gestern abends, Liebste, als wir die Tanten begleiteten zu ihrem Wagen, den sie ans untere Gartentor beordert hatten, diese Guten, diese Hellseherinnen! ... Du mit ihnen voraus ... Solm und ich hinter euch auf drei Schritte – aus denen nach und nach – mehr wurden ... Die Tanten – Gott segne sie! – waren, wie gewöhnlich, sehr laut und stritten, wie gewöhnlich, miteinander über Falbsche Theorie und kritische Tage ... und ich – Wunder aller Wunder! – ich hörte das – ich wandelte neben meinem Halbgott, nein, ich schwebte in einer himmlischen Atmosphäre, es leuchtete und klang – und alles um mich her war lichtverklärt, war Schönheit und Melodie und durch alle die Pracht hindurch – ein wenig komisch, ein wenig rührend – hörte ich die Tantenstimmen, und ich wünschte heiß: Sprecht nur weiter, noch lang, damit auch er weiter sprechen könne ... Sieht ihrer Schwester ins Gesicht, unterbricht sich. Hadwiga, die angstvolle Miene ... Warum, warum? HADWIGA. Mein Gott, Grete, mein Kind, liebes, liebes Kind ... GRETE. Dein Kind, ja! – immer dein Kind, auch dann noch, wenn ich es für niemand anderen mehr sein werde. Immer dein Kind. Umarmt sie. HADWIGA macht sich von ihr los. Was hast du Herrn Solm geantwortet? GRETE. Ich weiß nicht. Ich glaube – nichts – Ich glaube aber auch, daß er mich trotzdem gut verstanden hat, denn er hat sehr glücklich ausgesehen. HADWIGA. Du weißt nicht ... und weißt doch, daß er heute kommen wird und seinen Antrag stellen wird? GRETE. Heute! Wendet den Kopf nach der Uhr. Bald. Mit flehender Bitte. Und du wirst nicht Einwendungen gegen ihn erheben, wie du sie erhoben hast, damals gegen den jungen Reiteroffizier, der sich so eifrig um mich bewarb, und später dann gegen den feinen und liebenswürdigen Staatsmann. HADWIGA. Du hast sie gelten lassen, meine Einwendungen. GRETE. Ja, die gegen den Offizier ziemlich leichten Herzens. Nicht ganz so die gegen den Staatsmann. Ich behaupte nicht, daß er mir gerade Neigung eingeflößt hat, aber Z u neigung, weißt du, Z u neigung war’s. – HADWIGA. So? – Ist das etwas anderes? GRETE. Etwas ganz anderes, ja, und hätte mehr werden können ... Und – als du seinen Antrag in meinem Namen ablehntest, entstand eine kleine Revolte gegen dich in meinem Herzen. Ich habe sie besiegt, und heute, Hadwiga, du Meine! Heute danke ich dir und lobpreise dich ... Du wolltest mich nicht hingeben an ein alltägliches Glück, du wolltest mich aufheben für ihn ... Hast du denn geahnt, daß er kommen würde, du Beste, du Kluge, du Weise? Umfaßt sie. Du meine Vorsehung! HADWIGA legt den Arm um ihre Schulter und sieht ihr in die Augen. Hältst du mich wirklich für deine Vorsehung?

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GRETE. Ja. HADWIGA. Glaubst du wirklich, daß ich dich lieb habe, wie eine Mutter ihr Kind lieb hat? GRETE. Ja. HADWIGA. Daß es kein Opfer gibt, das ich dir nicht brächte ... Was Opfer! Nichts könnte mir, für dich getan, als Opfer erscheinen. Weißt du’s? GRETE. Ich weiß. HADWIGA nach einer Weile – als ob sie sich besinne, um für das, was sie sagen will, den richtigen Ausdruck zu finden. Weißt auch, wie natürlich das ist ... bist du nicht in Wirklichkeit mein Kind? – War ich nicht achtzehn Jahre alt, als du kamst und unsere beiden Eltern uns rasch nacheinander verließen? ... Denke, denke – Achtzehn Jahre! Eigentlich jung – aber von der Stunde an, in der ich dich hatte, gab es für mich nur noch e i n e Jugend – die deine, keine anderen Ansprüche an das Leben als – die deinen. GRETE. Du Gute! Du Große! HADWIGA. Nicht gut noch groß. Mir wurde das leicht. Es gibt einsame Menschen und Menschen zu zweien. Ich bin ein einsamer Mensch. Und was ich vorhin sagte, sollte dir bloß ins Gedächtnis rufen ... GRETE. Ins Gedächtnis? Wovon ich durchdrungen bin und überzeugt wie vom Dasein Gottes – vom Bewußtsein deiner Liebe! HADWIGA. Meiner Liebe und Fürsorge ... und was auch geschähe, was ich auch täte, dieses Bewußtsein wäre unerschütterlich? GRETE. Gewiß, Hadwiga. HADWIGA. Weil ich – weil du – Kind, wenn Solm heute kommt ... GRETE. Kommt! Springt auf, eilt zur Mitteltür, die sie ein wenig öffnet, horcht hinaus. Hörst du? Das ist das Rollen seines Wagens, das ist der Hufschlag seiner Braunen ... Schließt die Tür, kommt zurück, kniet bei Hadwiga nieder und umfaßt sie. Sage ihm alle meine Fehler, sage ihm meine einzige Tugend: daß ich ihn grenzenlos liebe – und sei nicht traurig – du wirst unser Kleinod sein – ich vernachlässige dich nicht, wenn ich eine noch so glückliche Braut sein werde und eine noch so stolze Frau, immer bleibst du mir, was du mir immer gewesen bist, Schwester – Mutter! Drückt sie an sich. Auf Wiedersehen! ... Ich warte in meinem Zimmer, nein – dort hielte ich es nicht aus – ich warte im Garten – sage ihm alles – ja. – Sage ihm ... ich warte, warte – auf das Glück. Ab nach links. HADWIGA sieht ihr nach. Schlägt die Hände vors Gesicht. Du armes Kind!

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SOLM kommt über die Terrasse, von einem Diener geleitet, der die Glastür vor ihm öffnet und hinter ihm wieder schließt. SOLM tritt ein und verneigt sich tief.

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HADWIGA hat sich erhoben, bleibt einen Augenblick stehen, den Gruß Solms erwidernd, und nimmt dann ihren früheren Platz wieder ein. SOLM geht auf sie zu, küßt ihre Hand. Sie wissen, was mich hierher führt, Fräulein, welche große Bitte ich auszusprechen ... Blickt sie an und hält inne. Was ist Ihnen? Wie sehen Sie aus? HADWIGA unfähig zu sprechen, lädt ihn durch eine Handbewegung ein, Platz zu nehmen. SOLM rückt einen Stuhl in die Nähe ihres Fauteuils. Ihre Schwester hat mit Ihnen gesprochen, Fräulein. HADWIGA mühsam. Ja, Herr Solm ... Sie hat mir gesagt ... Plötzlich rasch und laut mit ausbrechendem Schmerze. O, Herr Solm, ich hätte diesem Augenblick zuvorkommen, ich hätte verhüten sollen ... SOLM. Was verhüten? ... Antworten Sie mir ... Liebes, verehrtes Fräulein, was verhüten? HADWIGA. Ich hätte Ihnen ersparen sollen, Mit schwerer Selbstüberwindung. – eine Fehlbitte zu tun. SOLM. Eine Fehlbitte? HADWIGA. Grete kann Ihre Frau nicht werden. SOLM. Fräulein Hadwiga! HADWIGA wiederholt leise. Kann Ihre Frau nicht werden. SOLM in schmerzlicher Bestürzung. Sie verwerfen mich? HADWIGA. Welch ein Wort, lieber Solm! SOLM. Sie kann meine Frau nicht werden, sagen Sie – und hat mir doch gestern selbst gestattet ... HADWIGA. Ich weiß. SOLM. Und ich durfte glauben, daß meine Bewerbung ... Ihre Schwester ist mir nicht abgeneigt, und ich, ganz einfach, ich bete sie an ... Ich bin kein Jüngling mehr, ich habe viel erlebt, viel erfahren, viel gekämpft. Ich bin glücklich gepriesen worden, ohne es zu sein, denn das Glück, nach dem ich strebte, bot sich mir nicht, und ich hatte aufgehört, es zu erhoffen. Warum sollte sich gerade mir ein verwegener Traum erfüllen? Ich war ein resignierter Mensch, als ich hierher kam – und eben hier – in Ihrer Nähe, trat das Glück mir entgegen, – verkörpert – in der holdesten Gestalt ... Geblendet stand ich und voll Zweifel ... Du bist es – bist du für mich? Da neigte es sich mir zu und sprach: Ich bin erreichbar. HADWIGA tonlos. Er–reichbar – – SOLM. Nicht? ... Sie sagen: Nein, Sie halten mich für unwürdig ...

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HADWIGA. O, lieber Solm! ... Daß es ein Erdenglück gibt, dessen Sie unwürdig wären, – ich weiß nur einen, der das für denkbar hielte – der eine sind Sie. SOLM. Worte, Fräulein, Worte! HADWIGA. Tiefste Überzeugung. SOLM. Und dennoch weisen Sie mich ab? HADWIGA. Ich – b i t t e Sie: werben Sie nicht. SOLM. Sie geben mir Rätsel auf, Fräulein – Sie spielen mit mir. HADWIGA. Spielen – ich? Sehen Sie nicht, wie ich leide? Spielen ... ja, mit uns, mit ihr hat das Schicksal gespielt – und furchtbar! SOLM nimmt sich mit Gewalt zusammen. Mit – ihr? HADWIGA. Werben Sie nicht – treten Sie zurück ... und aus Mitleid und Barmherzigkeit: fragen Sie nicht nach dem Grund meiner Bitte ... Fordern Sie nicht Rechenschaft. Sie wenigstens nicht ... denn ihr werde ich sie geben müssen ... endlich müssen ... Verdoppeln Sie die Qual nicht! ... SOLM. Verzichten – zurücktreten soll ich? ... Das verlangen Sie – und verlangen, daß ich nicht frage ... HADWIGA. Ich b i t t e , ich bitte flehentlich. SOLM. Gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen diesen Wunsch erfülle, halten Sie selbst für unmöglich. Warum sprechen Sie ihn aus? HADWIGA. Mein Gott, wie man sich an einen Strohhalm klammert ... SOLM. Ohne Ihre Schwester zu fragen, aus eigener Machtvollkommenheit wollen Sie verfügen ... HADWIGA. Lieber Solm, wenn Grete ahnen könnte ... Nicht einen Augenblick würde sie zögern, und wenn ihr das Herz darüber bräche, zu sagen wie ich: es kann nicht sein. SOLM sieht sie starr und fragend an, dann plötzlich. Fräulein Hadwiga, jetzt – jetzt m ü s s e n Sie sprechen. HADWIGA. Wohl – ich sehe ein – ich muß ... Mit Ihnen – mit ihr ... Sie sind ein Mann. Sie werden verschmerzen, vergessen ... Für mein armes Kind wird alles vorüber sein. Frohsinn, Seelenfrieden – tot! tot ...! Erniedrigt und entwürdigt wird sie sich fühlen, aus einem jungen, stolzen Geschöpf in ein gedemütigtes, gebrochenes verwandelt sein. SOLM. Fräulein, Fräulein – wie soll ich das verstehen? HADWIGA in Gedanken, halblaut. Vielleicht ... Es gibt vielleicht Frauen, die darüber hinwegkämen – ich kann es mir nicht denken – und ebenso unfaßbar wäre das auch ihr. SOLM hat ihre Hände gefaßt und preßt sie krampfhaft. Reden – reden Sie! HADWIGA die Augen weit geöffnet, den Blick regungslos vor sich hingerichtet, wie verloren; in leisem, gepreßtem Ton, der sich manchmal zu einem Ausdruck schneidender Qual und bitterer Ironie steigert. Der Mann des Vertrauens meiner Eltern, ihr Freund, der Vormund, den sie uns bestellt – ihm waren wir anheimgegeben und zweien Tanten, zierlichen alten

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Jungfrauen mit so viel Blick und Gedanken wie ein paar Porzellanfigürchen. Sie und wir – und wie viele mit uns! – verehrten den Beschützer, den treuen Verwalter unseres Hab’ und Gutes, den unfehlbaren Berater in allen Rechtsfragen ... Grete wuchs unter seinen Augen auf. Sie war, wenn er uns mit seiner Familie besuchte, die Gespielin seiner Kinder. Wie eines von ihnen schien er sie zu lieben ... Mit einer allzu nachsichtigen Liebe nur und manchmal machte er mir einen scherzenden Vorwurf über meine Strenge, während ich seine entzückten Lobpreisungen meines Kindes mit stiller Dankbarkeit einheimste ... Einmal wurde ich gewarnt. Durch seine eigene Frau ... Er kennt nichts Heiliges, wenn die Leidenschaft in ihm erwacht ... Jedem Schuft gegenüber peinlich gewissenhaft – o ja! Aber ein Mädchen, eine Frau, die er begehrt – und wäre sie vom Himmel herabgestiegen – sie an sich zu reißen, hindern ihn nicht Pflicht und nicht Ehre ... Das ist Männermoral. SOLM zwischen den Zähnen, kaum hörbar. Weiter – – weiter ... HADWIGA. Frevelhaft und lästerlich erschienen mir die Worte dieser Frau. Ich stimmte in meinem Herzen den Leuten bei, die sie anklagten und sie eine aus Eifersucht verrückt Gewordene nannten ... Männermoral – was wußte ich von ihr? Wir lebten wie auf einer verzauberten Insel – das Schlechte lag fern, und fern wollte ich es halten und verschloß mein Ohr der Schwergeprüften, die es ausgesagt hatte ... Immer rascher, mit fliegendem Atem. Einmal – drei Jahre sind es jetzt ... Er war da – auf der Durchreise nach seinem Gute. Wir kamen zurück von einem Spaziergange. Ich hatte Besorgungen im Hause. Er blieb allein mit ihr ... Nach einiger Zeit – plötzlich – es war seltsam – nie wieder hatte ich an jene Warnung gedacht – plötzlich ergriff es mich wie mit Krallen: Grete ist in Gefahr ... Und ich weiß noch – ich schäme mich noch des abscheulichen Gedankens, der mir durch den Kopf fährt – Trotzdem ... Die Stimme versagt ihr. Sie ringt nach Fassung. Von Schauern durchbebt. Fort – wie gejagt – aus der Stube, auf den Gang – und habe ihn kaum betreten, als mir aus dem Fremdenzimmer ein Schrei entgegengellt ... Der Schrei ... Jetzt noch – manchmal, höre ich ihn – fahre auf aus dem Schlafe, weil ich meine, ihn zu hören ... Mit einem solchen Schrei auf den Lippen stirbt ein Kind vor Schrecken ... Ich stürze, fliege, ich bin bei ihr ... Sie liegt da – auf ihrer Stirn haben die Haare sich emporgesträubt – ihre Augen sind groß und starr geöffnet wie die einer Toten – – und ein Mann, ein Tier mit menschlichen Zügen richtet sich vor mir auf ... SOLM stöhnend, in furchtbarer Erschütterung. Dafür – dafür – gibt es nicht Strafe – nur Rache ... ich nehme sie! HADWIGA schüttelt den Kopf. Nach einer Pause. Er ist ihr entzogen. Mein Geheimnis hat ein Toter geteilt. SOLM. Tot – er tot?

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HADWIGA. Gefallen, in einem Ehrenhandel. SOLM. Ehrenhandel? Hat ein Hund eine Ehre? HADWIGA. – Ein Gewissen vielleicht ... er hatte den Zweikampf – in den schlimmsten Tagen der Krankheit Gretes – mutwillig herbeigeführt. SOLM ohne auf sie zu hören. Aus der Welt geschafft und nicht durch mich – der die Blume dieses Lebens gebrochen hat ... sie entadelt hat an Leib und Seele ... diese Seele – diese reinste, für immer beschmutzt hat mit einer schändlichen, unauslöschlichen Erinnerung ... HADWIGA. Das – das also nicht. SOLM. N–icht? Staunt sie an. Wie sagen Sie? – Nicht? HADWIGA. Sie lag viele Stunden lang in tiefer Ohnmacht – erwachte dann zu einem Schein des Lebens – ohne Blick in den Augen, der Sprache beraubt. Und als ich nach langer, langer Zeit ihre Stimme endlich wieder vernahm, drang sie im Flüstern des Fiebers zu mir, und mit schaudernder Erwartung las ich die Laute von ihren Lippen ... Was beschäftigte ihren armen, flackernden Geist? Was für Bilder schwebten ihm vor? – Solm, mein Freund, mir zitterte das Herz, als sie die ersten verständlichen Worte bildete und als über ihr schmales Krankengesichtchen der goldige Schimmer eines Lächelns glitt ... Mir zitterte das Herz, ich mußte ein Aufjauchzen unterdrücken und sank auf meine Kniee ... Lieber Solm, dieses Lächeln – eine heitere Kindererinnerung hatte es hervorgezaubert ... Helle Gedanken, freundliche Vorstellungen nur umspielten sie. Und nicht damals beim leisen Regen des wiederkehrenden Bewußtseins und nicht später, als es klar und klarer wurde – nie eine Erinnerung an den entsetzensvollen Augenblick. Die unerforschliche Macht, die unsere Schicksale webt, schien zu bereuen, daß sie allzu Grausames verhängt, und nahm, nachdem es sich vollzogen hatte, mit spätem Erbarmen die Erinnerung daran. SOLM wiederholt vor sich hin, leise. Nahm die Erinnerung daran. HADWIGA. Ich nährte lang einen fressenden Zweifel. Er schwand, als sie zum erstenmal von jenem Manne sprach und unbefangen fragte: Der Vormund – war er oft da während meiner langen Krankheit? Wann kommt er wieder? ... Nie, wenn sein Name vor ihr genannt wurde, auch nur der Schein einer Veränderung in ihren Zügen. Und als ich ihr nach ihrer Genesung, zagend und bangend, Kunde von seinem Tode gab, – weinte sie dem „väterlichen Freunde“ warme Tränen nach. SOLM hat ihr versonnen, halb abwesend zugehört. Nahm ihr die Erinnerung daran – HADWIGA. Und jetzt gilt’s, einen Faustschlag führen in den reinen Seelenspiegel, den selbst der Frevel nicht mit einem Hauch zu trüben vermochte – Jetzt kommt das Ärgste – die grauenhafte Offenbarung – wird mein Kind erfahren: es gibt Abscheuliches, und du bist ihm zum Opfer gefallen und wir dürfen den Mann, der dich liebt, nicht mit dir betrügen.

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SOLM in Gedanken, wiederholt mechanisch. Nicht betrügen. HADWIGA wendet sich händeringend. Man sieht Grete aus den Laubenanlagen heraustreten und die Richtung gegen die Terrasse einschlagen. Ihre mädchenhaft schlanke Gestalt löst sich lichtumflossen, weiß und hell von dem dunkeln Hintergrund. Sie schreitet erhobenen Hauptes, leicht und frei, mit anmutiger Hoheit, wie glückgetragen, einher. HADWIGA auf sie deutend. O – sehen Sie! SOLM hat sich gewandt. Er steht regungslos. In tiefster Rührung, unaussprechlichem Entzücken versinkt er in den Anblick der herrlichen Erscheinung. Unwillkürlich erheben sich seine Arme, unwillkürlich breitet er sie mit liebevoller, schützender Gebärde ihr entgegen. HADWIGA. Begreifen Sie, daß ich gezögert habe, diesen Glanz zu verlöschen, diese Lebensfreudigkeit in Verzweiflung zu verwandeln? ... Herr, mein Gott! – Und das müssen! SOLM. Müssen? ... Warum müssen? Mit feierlichem Entschluß. Nein! Nein! Er ergreift Hadwigas Hände und preßt sie heftig an seine Brust. S c h w e i g e n , Fräulein ... S c h w e i g e n – m e i n e S c h w e s t e r Had wig a!

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Druck in: Deutsche Rundschau 1903

J

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Zeitschriftenabdrucks J ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die im Fettdruck gesetzten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die Bühnen- und Personenbeschreibungen sowie die in runden Klammern stehenden Szenenbeschreibungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung des Textes Der Text folgt dem Zeitschriftenabdruck J. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei einem offensichtlichen Setzfehler, der in einer Fußnote erläutert wird.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Über die Entstehung des Einakters Ihre Schwester ist nichts Näheres bekannt. EbnerEschenbach schickt das Manuskript des Stückes am 3. September 1903 an Julius Rodenberg (1831–1914), den Herausgeber der von ihm gegründeten Zeitschrift Deutsche Rundschau, und notiert in ihr Tagebuch: „Ob ich die zurückbekomme? Sehr neugierig.“ (T V). Bereits vier Tage später nimmt Rodenberg Ihre Schwester an und kündigt gleichzeitig an, dass der Einakter im Dezember erscheinen wird (T V, 7.9.1903). Ebner-Eschenbach schickt am 3. Oktober 1903 die Korrekturen von Ihre Schwester an die Gebrüder Paetel, in deren Verlag die Deutsche Rundschau erschien (T V). Im Band 117 der Zeitschrift wurde der Einakter gedruckt. Am 17. Dezember 1903 erfährt die Autorin, dass der Einakter Ihre Schwester im Neuen Wiener Journal vom 2. Dezember 1903 ohne Erlaubnis nachgedruckt wurde, woraufhin Paetel „einen Kampf“ gegen das Journal eröffnet (T V, 17. u. 22.12.1903). Ebner-Eschenbach gab dem Einakter Ihre Schwester keine Gattungsbezeichnung. Statt eines Personenverzeichnisses folgt der einleitenden Bühnenbeschreibung eine ausführliche Personenbeschreibung. Der Einakter ist durch eine Szenenbeschreibung (s. S. 870), die fast genau in der Mitte steht, in zwei Teile unterteilt.

2. Die Reaktionen Ihre Schwester ist, soweit bekannt, niemals aufgeführt worden. Es liegt auch keine zeitgenössische Reaktion vor. Elisabeth Felbinger geht in ihrer Arbeit 1947 auf Ebner-Eschenbachs innovative Thematisierung der Vergewaltigung eines jungen Mädchens in dem Einakter ein. Während für die betroffene jüngere Schwester das schreckliche Ereignis aus dem Bewusstsein verschwunden sei, bleibe es für die ältere Schwester eine bedrückende Erinnerung. Felbinger hebt diese Art der Behandlung durch Ebner-Eschenbach hervor: „Sie [Hadwiga] wird sich nie von dem Gedanken befreien können, wird ihr Leben lang von dem Bewußtsein verfolgt. Fast unheimlich mutet diese Bewußtseinsübertragung an, die das Geschick zweier Menschen willkürlich verwandelt.“1 Karl Gladt führt in seinem Band 1969 aus, dass Ebner-Eschenbach mit dem Einakter Ihre Schwester „vollkommen aus den von ihr bevorzugten Themenkreisen“ heraustrete, und verweist ebenfalls auf die Übertragung der „Schreckensmomente auf das Bewußtsein“ der Schwester und schließt mit der Feststellung: „Entsprechend der optimisti1

Felbinger: Marie von Ebner-Eschenbachs dramatische Arbeiten, S. 159.

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schen Grundhaltung der Dichterin findet diese höchst interessante Studie eine positive Lösung.“2 Michaela Neidl fasst 2005 ihre Ausführungen so zusammen: „Anhand dieses Einakters reflektiert Ebner nur einen Teilbereich des Themenkomplexes ‚Sexualität‘, ihr spezifisches Interesse bleibt auch hier jenes am moralischen Standpunkt.“3 Es erstaunt, dass dieser Einakter bisher kein größeres Interesse in der wissenschaftlichen Literatur gefunden hat und nach dem einzigen Druck zu Lebzeiten der Dichterin bis heute nie wieder veröffentlicht wurde.

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Gladt: Kindliche Begeisterung und Theaterleidenschaft. In: Das Waldfräulein, S. 26. Irrtümlicherweise verwendet Gladt für den Einakter den Titel „Zwei Schwestern“ (S. 26). 3 Neidl: Analytisches und kritisches Potential in Denken und Werk der „Dichterin der Güte“, S. 236.

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Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen Dramatisches Sprichwort von Marie von Ebner-Eschenbach

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PERSONEN GRÄFIN JULIE GRÄFIN LEONORE COLONEL FLEURY EIN DIENER

Ein halbrunder Gartensalon, reich geschmückt mit Gruppen von Blumen und exotischen Gewächsen. Rechts und links Etablissements aus Rohrgeflecht. Mittelwand aus Glas. Aussicht auf einen großen, wohlgepflegten Park. Alle Fenster und Thüren geschlossen, helle Mittagsbeleuchtung. FLEURY in einem Lehnsessel, Cigarette im Munde, ein Buch in der Hand. Er ist im Sommeranzug, ein Soldatenmützchen auf dem Kopfe, einen Paletot um die Schultern.

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FLEURY. Elendes Gewäsch! Wirft das Buch auf den Tisch, streckt sich aus und bläst langsam eine Rauchwolke in die Luft. Erzählt mir, wovon Ihr wollt, Ihr Poeten von heute, Ihr seid gescheidter als ich, und ich kann – das heisst: ich könnte Vieles von Euch lernen. Aber von Liebe schweigt, von der versteht Ihr so wenig, wie Eure Leser. Was Ihr dafür haltet und gebt ist Alles – Alles! Nur nicht Liebe, nur nicht die Liebe, die wir kannten und die unsere Dichter besangen. Die versicherte sich nicht im Voraus ihres Lohnes, überlegte nicht erst lange, ob es vernünftig sei, die Vernunft zu verlieren. Auf gut Glück, kraft ihrer eigenen Stärke wuchs sie in die Wolken, nachdem sie freilich zuvor ihren Gegenstand unter die Sterne versetzt. Sie hoffte, so lange sie konnte, und konnte sie das endlich nicht mehr, nun denn! so glühte und blühte sie weiter – hoffnungslos. Hoffnungslos, aber nicht trostlos ... Sie trug ihren Lohn in sich, in ihrer eigenen Grösse ... Unglücklich ist kein Sterblicher, dem der Glaube blieb an eine unsterbliche Empfindung in seiner Brust. Er versinkt in Träumen. Julie kommt durch die Mittelthür, die offen stehen bleibt, hastig und aufgeregt, einen Brief in der Hand. JULIE leise. Fleury! Lauter. lieber Fleury! Laut. Colonel Fleury! FLEURY springt auf, nimmt die Mütze ab. Was befehlen Sie? JULIE. O Bester! fassen Sie sich, machen Sie sich gefasst ... FLEURY. Worauf denn? JULIE. Auf die schönste Ueberraschung. FLEURY lacht. Auf s c h ö n e Ueberraschungen, meine gnädigste Gräfin, bin ich immer gefasst. JULIE. Auf diejenige n i c h t , die ich bringe! die ist zu schön, zu wunderbar ... Ich weiss wirklich nicht, wie ich sie Ihnen verkündigen soll ... FLEURY. Ist Gefahr dabei? JULIE. Für ein Wesen von Ihrer Gemüthsart – vielleicht. FLEURY. Um so besser! da stehe ich und biete ihr die Brust. Er öffnet die Arme; der Paletot gleitet von seinen Schultern herab. Aber erlauben Sie, dass ich vorher die Thür schliesse. Er thut es. So, und nun heraus mit der Sprache! JULIE. Ohne Vorbereitung? FLEURY. Ohne die geringste. JULIE. Wohlan denn! – Leonore kommt.

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FLEURY erbleicht, tritt einen Schritt zurück. JULIE. Und bald, vermuthlich schon ... Blickt ihn an, zögernd. schon morgen ... Aber mein Gott, Sie erschrecken mich – wie sehen Sie aus? FLEURY hat krampfhaft die Lehne eines Sessels erfasst, dieser knickt ein, er schiebt ihn zur Seite. Morgen? schon morgen? Greift nach einem anderen Sessel. JULIE nimmt ihm denselben aus der Hand. Beruhigen Sie sich! ... Vielleicht auch erst übermorgen. FLEURY noch immer ganz verwirrt. Nein ... sagen Sie ... Leonore ... sie weiss, dass ich hier bin und ... JULIE. Und kommt! ... Weiss, dass Sie hier sind, sie noch lieben und kommt! FLEURY. Weiss, dass ich – mein Gott ... und durch wen hat sie erfahren ... JULIE. Ich war so frei, es ihr zu schreiben, verzeihen Sie meine Indiscretion. FLEURY küsst stürmisch Juliens Hand. JULIE. Ich schrieb: Am Tage Deiner Verheiratung hat e r Europa verlassen. Er hasste und floh den Welttheil, in welchem Du als die Frau eines Anderen lebtest; er suchte in Afrika Vergessen oder den Tod. FLEURY. Und fand keines von beiden. JULIE. Dafür aber ein drittes, das ihm half die Sehnsucht nach den beiden überwinden – den Ruhm. FLEURY ablehnend. O – o – JULIE. Den Ruhm eines Helden in hundert mörderischen Gefechten, eines Vorbilds seiner Officiere, eines Vaters seiner Soldaten. FLEURY. Aus welchen Zeitungen haben Sie diese Phrasen zusammengelesen? JULIE. Aus allen möglichen. Wenn Sie durchaus Nachricht darüber wünschen, wenden Sie sich an Leonore. Sie war’s, die alle diese Journale und Revuen aus Frankreich kommen liess. FLEURY jubelnd. Und las? – und las? – JULIE. Jedes Wort – nämlich in den Berichten über Afrika. FLEURY. Sie beseligen mich. JULIE. Gelassen, lieber Freund! Hören Sie weiter. Er fand den Ruhm, schrieb ich also, und mit diesem eine Art von Glück, einen Wirkungskreis, und mit diesem eine Art von Heimat. Da plötzlich, zum Erstaunen Aller, die ihn für ewig zerfallen mit dem alten Europa hielten, wandelt den eisernen Soldaten, den kühnen Löwenjäger, eine weichmüthige Regung des Heimweh’s an. Eh’ man sich dessen versieht, hat er Urlaub gefordert, erhalten und Alles verlassen, woran ihm das Herz gehangen zwanzig Jahre lang, seine Kameraden, seine Rosse, seine Waffen. Das Geheimniss dieses seltsamen Entschlusses kennt nur die Freundin, die ihm die Botschaft sandte: Worauf warten Sie noch? Leonore ist Witwe seit zwei Jahren ... FLEURY. O Beste! das schrieben Sie ihr, und ihre Antwort darauf – JULIE hält den Brief in die Höhe. Steht da –

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FLEURY streckt die Hand nach dem Blatte aus. Die Thür rechts wird geöffnet. Leonore tritt ein. JULIE auf sie deutend. Und dort – FLEURY wendet sich rasch um. Leonore! Er steht wie angewurzelt. Auch Leonore ist bewegt, fasst sich aber zuerst, geht auf ihn zu und reicht ihm die Hand. JULIE hat sich indessen dem Ausgange genähert. Für sich. Ein rührender Anblick! – Mein Werk. Mög’s gedeihen ... wenn überhaupt etwas gedeihen kann bei dieser Temperatur. Uff! – man vergeht! Ab, ohne die Thür zu schliessen. LEONORE. Nach zwanzig Jahren, lieber Freund! FLEURY. Leonore, Sie stehen vor mir so schön, so liebenswerth, wie ich Sie immer sah – immer! im Träumen und Wachen ... Sie haben sich nicht verändert. LEONORE. Sie aber – wenn Sie sich verändert haben, so ist es nur zu Ihrem Vortheil. FLEURY. Dank für dieses gute Wort! Es beweist mir Ihre Blindheit und worauf dürfte ich überhaupt hoffen, wenn n i c h t auf Ihre Blindheit? LEONORE für sich. O wie heiss ist es hier! Laut. Orientalische Ausdrucksweise, lieber Freund. Wir sind nicht daran gewöhnt – was soll ich antworten? ... FLEURY in ihrem Anblick verloren. Zwanzig Jahre? – Nicht zwanzig Wochen, denk’ ich, wenn ich Sie ansehe ... Ein Leben – wenn ich die Veränderung ermesse zwischen dem Tag, an dem ich Sie zum letzten Male sah und heute. Damals rang ich mit der Verzweiflung, heute bitte ich das Glück – tödte mich nicht. Unterbricht sich plötzlich. Entschuldigen Sie einen Augenblick! Unsere Freundin ist die vortrefflichste Frau von der Welt, aber sie hat eine üble Gewohnheit: Sie vergisst regelmässig die Thüren zu schliessen. Geht nach dem Hintergrunde und schliesst {sorgfältig} die Gartenthüre. LEONORE für sich. Um Gotteswillen, was thut er denn? Hält er mich für eine Orchidee? ... Diese offene Thür war das Einzige, das mich bisher hinderte, zu ersticken. Legt den Hut ab und setzt sich an den Tisch links in die Nähe des Fensters. FLEURY nimmt Platz auf einem Sessel. Nachdem er sie lange angesehen. Erinnern Sie sich noch unseres stummen Abschieds? LEONORE. Am vierundzwanzigsten Jänner ... FLEURY. Um sieben Uhr Abends, in Gegenwart von ein paar hundert Zeugen. LEONORE. Es war eine bittere Stunde. FLEURY. Sie standen an der Seite Ihrer Mutter, umringt von Leuten, die Ihnen Glück wünschten. In Ihrer Nähe Ihr Vater mit einem jungen Manne, der mir ganz fremd war ... LEONORE. Und mir – beinahe. Acht Tage vorher war ich in den Salon gerufen worden, hatte ihn dort gefunden und im Stillen über die Auszeichnung

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gestaunt, mit der meine Eltern diesen Herrn behandelten, der mir so förmlich, so steif und – so unbedeutend erschien. Ich lachte, als man mir sagte: Sie haben Ihren Verlobten kennen gelernt. FLEURY hat die Arme gekreuzt, starrt vor sich nieder. Und ich Unseliger, der sich damals in den schönsten Hoffnungen wiegte – sich zagend und schüchtern fragte: Wirst du geliebt? aber nur dieser Gewissheit bedurft hätte, Leonore, um Sie einer Welt abzuringen! LEONORE. Als Sie diese Gewissheit zu erlangen suchten, war’s zu spät. Ich durfte sie Ihnen nicht mehr geben. – Es klang mir immer unbegreiflich, wenn ich von jungen Mädchen hörte, die sich dem Willen ihrer Eltern widersetzten. Die sechzehnjährigen Kinder, die das vermögen, haben – darauf schwör’ ich – anders geartete Eltern, als die meinen waren, weniger gefürchtete – Sie verbessert sich. weniger verehrte. FLEURY. Das wusste ich, und so sehr ich litt, – gegrollt habe ich Ihnen keinen Augenblick. LEONORE. Und ich lieber Freund, dankte Ihnen im Herzen diesen Edelmuth ... Sie hat die Handschuhe ausgezogen, den Fächer ergriffen und fächelt sich. FLEURY. Angebetete ... Rückt von ihr weg, knöpft den Rock zu. LEONORE. Ich dankte Ihnen auch – unter heissen Thränen – als ich erfuhr, dass Sie dem Drängen Ihrer Verwandten nachgegeben und sich entschlossen hatten ... FLEURY fällt ihr ins Wort. Theure! Verehrte! Wollen Sie mir eine Gnade erweisen? LEONORE. Welche denn? FLEURY. Schenken Sie mir Ihren Fächer. LEONORE sieht ihn befremdet an. Da haben Sie ihn. FLEURY. Dank! den heissesten Dank! Steckt den Fächer in seine Brusttasche. – Sich entschlossen hatten, sagten Sie? LEONORE fährt fort. In der afrikanischen Armee Dienste zu nehmen. Nicht nur sich selbst, auch mir erleichterten Sie durch diese scheinbar so grausame Trennung das Ertragen eines herben Schicksals, die Ergebung in ... Bricht ab, fährt mit dem Taschentuche über das Gesicht. FLEURY. Was ist Ihnen? LEONORE. Heiss ist mir. Ich bin sehr empfindlich gegen Hitze ... Das ist eine meiner schwachen Seiten ... Oeffnen Sie ein paar Fenster. FLEURY erschrocken. Ein paar? ... Wie Sie befehlen. Wirft den Paletot um, setzt die Mütze auf und öffnet einen Fensterflügel rechts. Ja! das wollte ich. Wollte Ihnen den Gedanken an die Möglichkeit einer Begegnung ersparen, die Ihnen hätte peinlich sein müssen. Sie waren mir nichts schuldig, o gewiss nichts – aber Sie wussten doch, Sie wussten, nicht wahr? wie unsäglich, wie über alle Massen Sie geliebt wurden.

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LEONORE. Und Sie, trotz allen Schweigens, trotz aller Mühe, die ich mir gab, zu verhehlen, was in mir vorging – FLEURY. An jenem unvergesslichen Abend, an dem ich zugleich glückselig und elend war ... in Einer Secunde erfuhr: Sie liebt dich, und – sie ist für dich verloren ... Den Blick, den Sie damals auf mir ruhen liessen, während ich meinen Segenswunsch und mein Lebewohl stammelte – den nahm ich mit mir – der erhellte mir die Seele und stählte mir das Herz. Aus der Erinnerung an ihn habe ich Lebensmuth geschöpft oder Todesverachtung – je nachdem, wie’s eben nöthig war. Im Sandsturm der Wüste, im Lagerzelt, auf kurzer, der Erschöpfung gegönnter Rast, im Handgemenge, immer, immer sah ich ihn – Ausbrechend. wie jetzt, so klar, so trostreich, so himmlisch ... Will knieen. LEONORE erhebt sich, fächelt sich mit dem Taschentuch. Geduld, mein lieber, lieber Freund ... wir sind ein paar alte Leute. FLEURY. Eben deshalb haben wir zur Geduld keine Zeit mehr ... Die meine ist zu Ende. LEONORE öffnet ein Fenster links. FLEURY eifrig. Und man darf ihr das nicht übel nehmen – nach zwanzig Jahren. Wovon nährte sie sich überhaupt so lange? Von dem Glauben, dass mein Opfer nicht umsonst gebracht worden, dass Ihr Dasein, Leonore, ein zufriedenes sei, und der Mann, den Ihre Eltern für Sie gewählt, des Loses ... Er verwirrt sich, wirft unruhige Blicke nach den offenen Fenstern. Für sich. Saperlott – das zieht! Laut. Des beneidenswerthen Loses würdig, das ihm zu Theil geworden ... LEONORE. Er war – FLEURY. Ein Ehrenmann, hört’ ich. LEONORE. Mehr als das – ein Mann von Ehre und vollkommen wohlerzogen. Das ist viel. FLEURY nimmt hastig die Mütze ab. Sehr viel, allerdings. LEONORE. In hochwichtigen Fragen wären vielleicht, v i e l l e i c h t sag’ ich, wir hatten nicht Gelegenheit, es zu erproben, unsere Ansichten, unsere Ueberzeugungen nicht ganz dieselben gewesen ... Aber ich bitte Sie, wie oft kommt es denn überhaupt zur Entscheidung hochwichtiger Fragen? FLEURY ist an das Fenster rechts getreten und hat es geschlossen. Freilich, wie oft? wenn überhaupt. Sie haben ganz recht. Für sich. Es zieht noch immer. LEONORE für sich. Fürchterlich, fürchterlich, diese Hitze! Laut. Das Leben kann grosse Dinge bringen, aus kleinen jedoch besteht es, und in allen kleinen Dingen stimmte der Geschmack meines Mannes mit dem meinen überein. FLEURY. Und so waren Sie denn an seiner Seite – LEONORE. Nicht unglücklich, wenn auch nicht so glücklich, wie ich wohl hätte werden können, wenn ich nicht zuvor ... Sie stockt. FLEURY athemlos lauschend. Nicht zuvor? ... Vollenden Sie!

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LEONORE. Jetzt darf ich es ja sagen, es ist kein Unrecht mehr. Lächelnd. Es ist auch keine Gefahr mehr dabei – wenn ich nicht zuvor Sie kennen gelernt hätte, lieber Freund. FLEURY. Leonore! Sollte versäumtes Glück sich nicht einbringen lassen? ... Mein Herz ist jung geblieben, ich schwöre Ihnen – Will den Arm erheben, zuckt zusammen, leise. Die verwünschte Schulter – da haben wir’s! Eilt zum Fenster links und schliesst es. Etwas ungeduldig. Sie werden schon entschuldigen, ich fürchte nichts auf Erden – die Zugluft ausgenommen. LEONORE. Uff! Uff! ... Haben Sie denn hier welche verspürt? FLEURY. Ich nicht, aber diese meine Schulter. LEONORE theilnehmend. Dieselbe, die von der Kugel des Si-Lala durchbohrt wurde? FLEURY. Ja wohl! ja wohl! LEONORE mit Begeisterung. Im Gefechte gegen die Oulad-sidi-Scheich, unter den Palmen von Laghouat? FLEURY. Sie wissen davon? LEONORE. Und von Ihrer Grossmuth gegen die gefangenen Feinde, und von Allem, was Ihnen zur Ehre gereicht ... Sie sind ein Held, ein edler Mensch, ich achte, ich bewundere, ich ... Hält inne. FLEURY. Weiter! Weiter! noch ein Wort – sprechen Sie es aus – LEONORE. Nun denn – ich bin Ihnen von ganzem Herzen gut, aber ... FLEURY. Erbarmen Sie sich – kein aber – LEONORE. Aber ich fürchte, dass wir ... FLEURY. Was? um Himmelswillen ... LEONORE sieht ihn an. Nach kurzem Besinnen. Beantworten Sie mir zuvor eine Frage. Könnten Sie es lange aushalten in einer Atmosphaere wie diese? FLEURY. Warum nicht? Wenn Fenster und Thüren geschlossen bleiben und die Sonne ordentlich auf die Glaswand scheint. LEONORE. Sie sind einzig! ... Ich finde diese Atmosphaere grässlich! FLEURY. Grässlich? LEONORE. Strausseneier würden hier ausgebrütet. FLEURY gutmüthig. O nein, dazu fehlt noch viel. LEONORE. Wirklich? Gereizt. Sie waren in Afrika an eine ganz andere gewöhnt. FLEURY. Ja wohl. Die dortige wurde sogar mir manchmal etwas unbequem. LEONORE. Das klingt unglaublich, und wenn Sie es nicht sagten ... FLEURY. Allerdings gehörte etwas dazu, bis es so weit kam. LEONORE immer gereizter. Und was, zum Beispiele? FLEURY. Was? Nun jedenfalls mehr als ein Marsch von sechs Stunden im Sonnenbrand der Wüste durch den glühenden Sand. Soldaten, in der Sahara alt geworden, fielen schweigend hin, hatten keinen Laut mehr in der vertrockneten Kehle ...

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LEONORE. Und Sie? FLEURY. Und ich befand mich wohl! liess mich durchdringen von der edlen Himmelsgluth, lebte auf in diesem Lichte, diesem grenzenlosen, das kein Schatten unterbricht, den der langsam schreitenden Dromedare und Rosse ausgenommen. Herrlich! ... Die afrikanische Hitze, man fühlt sie nicht nur, man hört sie, sie hat eine Stimme, ein tönendes, leises Klingen ... LEONORE. Genug – ich bitte Sie ... genug. Erzählen Sie mir das im Winter. FLEURY seufzend. Ach Gott ja! – hier gibt’s einen Winter. LEONORE. Und dieses Jahr einen strengen, behaupten die Wetterpropheten. Sie sind hiermit feierlich geladen, nach meinem Schneefeld. FLEURY. Schneefeld? – so heisst Ihr Besitz? LEONORE. Mit gutem Recht, dafür bürg’ ich Ihnen. FLEURY steckt die Hände in die Taschen. Schauernd. Brr! LEONORE. Dort, lieber Freund, im grossen, gegen Norden gelegenen Saal ... FLEURY. Sie haben in Schneefeld einen grossen, gegen Norden gelegenen Saal? LEONORE. In dem ich meine Nachmittage zubringe, und in dem „sogar mir“ die heitere Frische der Temperatur manchmal etwas „unbequem“ wird. FLEURY. Wie viel Grade, wenn ich bitten darf? LENORE. Zehn Réaumur, vorausgesetzt, dass im Kamine ein halber Stoss Eichenholz in Flammen steht. FLEURY. Und dort bringen Sie Ihre Nachmittage zu? ... Rasch. Empfangen dort vielleicht Ihre Gäste? LEONORE. So thu’ ich. Der Ausblick aus den fünf Fenstern ... FLEURY. Gegen Norden? LEONORE. Gegen Norden ist ein herrlicher. Ein Kranz von Gletschern rings umher, und das weite Thal ein Meer von Schnee ... Dort, lieber Freund – dort sprechen wir weiter von Afrika. Jetzt ... entschuldigen Sie mich. Will fort. FLEURY in Verzweiflung. Dort – dort – und dort können Sie leben? LEONORE. Dort ja, während ich hier zu Grunde gehe, unfehlbar und – bald. Adieu! FLEURY. Bleiben Sie! Vertritt ihr den Weg. Suchen Sie sich zu gewöhnen – allmälig ... LEONORE. Ebenso gut könnt’ ich mich allmälig daran gewöhnen, vom Schlag gerührt zu werden. FLEURY. Das verhüte Gott! LEONORE. Verhüten vor allem Sie’s, und lassen Sie mich fort. FLEURY öffnet die Thür. Zu Befehl. LEONORE tritt auf die Schwelle, fächelt sich mit dem Tuche, während Fleury sich immer weiter von ihr entfernt. Wenn schon die Rede davon ist, in alten Tagen eine neue Gewohnheit anzunehmen, so käme ein solches Heldenstück doch eher dem Manne zu, dem Soldaten, I h n e n eher als mir, Scharf. um so mehr als Ihr Geschmack ein besonderer, der meine der aller Welt ist – in

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Europa nämlich. Gewöhnen S i e sich, gewöhnen Sie sich, lieber Freund, an eine Atmosphaere, die in Europa allgemein üblich ist. FLEURY. Nicht allgemein. Es gibt auch in Europa heisse Länder, und man sagt, dass sie bewohnt sind. LEONORE sehr aufgeregt. Von Leuten, die ich nur anstaunen kann, mit denen ich aber nie etwas zu thun haben will. Auf Wiedersehen, lieber Fleury. – Suchen Sie mich auf, wenn Ihnen an meiner Gesellschaft gelegen ist. Adieu! ... Adieu heisst auf Wiedersehen. Athmet tief auf und eilt hinweg. Ach, Luft! Luft! FLEURY blickt ihr eine Weile nach und schliesst dann die Thür. Er streckt sich wieder in seinem Lehnsessel aus, zieht die Decke vom Tisch, und breitet sie über seine Füsse, entzündet eine Cigarette und bläst langsam grosse Rauchwolken von sich. – – Charmante Frau! ... Und wie jung sie geblieben ist, wie schön! Ganz so schön, wie ich sie in meinen Träumen sah. Charmante Frau, liebenswürdiges Geschöpf – ein Engel! ... Macht sich aus der Zugluft so wenig wie diese ätherischen Wesen. – Steht zwischen Thür und Angel im Wirbelwind und seufzt: Luft! Luft! ... Ihr wäre am wohlsten, wenn sie die Flügel ausbreiten, sich in kühle Höhen schwingen könnte ... Sie schwinge sich! sie spiele mit dem Zephir, gaukle mit dem säuselnden West, kämpfe mit dem brausenden Nord – ich hindere sie nicht! ich will sie bewundern – aber aus der Ferne. Beim Turban des Propheten – aus der Ferne! JULIE kommt. Heil Ihnen, lieber Fleury! abermals eine gute Nachricht. FLEURY. Hochwillkommen, meine verehrteste Gräfin. Verzeihen Sie gnädigst, dass ich nicht aufstehe, ich bin durch und durch erkältet. JULIE sieht ihn mit Erstaunen an. Sonderbar – Sie sind erkältet, und Leonore ... Gleichviel ... Meinen Glückwunsch denn! der alte Zauber hat seine Macht nicht verloren, sie ist Ihnen noch gewogen. FLEURY. Ja ja, sie hat es mir selbst gesagt. JULIE. Und Sie wiederholen es mit solcher – Fassung? FLEURY. – Zehn Grade Réaumur, meine gnädigste Gräfin! Springt auf. Zehn Grade Réaumur! JULIE. Ich verstehe gar nichts – was heisst das? FLEURY. Es heisst, dass ich sie liebe, sie anbete, so innig, so glühend, so treu wie je, nur – n o c h uneigennütziger. JULIE. Das ist so edel, dass es beinahe lächerlich ist. Uneigennützig! Sie bilden sich ein, zu lieben, verliebt zu sein, und sprechen von Uneigennützigkeit? FLEURY. Unverbesserlicher Idealist. Ja, ja. JULIE zuckt die Achseln. Versäumen Sie nicht muthwillig den günstigen Augenblick. Gehen Sie zu ihr und – auf meine Verantwortung – bringen Sie Ihre Werbung an.

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FLEURY. Sie meinen wirklich? – JULIE. Ich meine wirklich. Gehen Sie zu ihr. Leonore erwartet Sie, ich will Ihnen das verrathen – in der Grotte. FLEURY mit Entrüstung. Wo? JULIE. In der Grotte. FLEURY. Mich wundert, wenn sie mich nicht unter dem Wasserfall in der Grotte erwartet. Nein, nein! dahin gehe ich nicht! JULIE. Und sie will nicht hierher kommen. FLEURY. O man lasse sie gewähren! JULIE. Was seid Ihr für kindische Leute? ... Was habt Ihr? was hat es zwischen Euch gegeben? – Einen Streit? eine Wette? Sprechen Sie, Fleury, erklären Sie mir ... FLEURY eifrig. Erklären Sie sich selbst, warum ein Vogel nicht im Wasser, ein Fisch nicht in der Luft, ein afrikanischer Soldat nicht in Schneefeld leben kann! JULIE lacht. Temperatur-Frage! FLEURY. Lebensfrage! Alpha und Omega einer behaglichen Existenz. Ich liebe einen Engel, ich werde von einem Engel geliebt – was nützt mir das? – ich kann es in seiner Nähe nicht aushalten! JULIE. Und er nicht in der Ihren? Sie lacht. Zum Glück scheint es doch nicht so schlimm zu sein, denn sehen Sie nur, da kommt der Engel, kommt, obwohl er es hier nicht aushalten kann. O wir Frauen, wir sind doch die besseren! LEONORE eintretend, reisefertig. Schon wieder da, lieber Fleury, habe mich erfrischt, habe mich besonnen. FLEURY etwas betroffen. So – so besonnen? JULIE. Bravo! Bravo! LEONORE. Sollte ich vorhin eine Aeusserung gethan haben, die Sie verletzte, hier bin ich, um Abbitte zu thun. FLEURY. Abbitte? Sie mir? Wie kämen Sie dazu? Sie haben nie aufgehört, anbetungswürdig zu sein, aber ich ... LEONORE. Kein Wort der Selbstanklage – ich protestire! Lässt ihn nicht zu Worte kommen. Nein, nein, ich nehm’ es persönlich, Sie beleidigen mich! ... Geht auf ihn zu und reicht ihm beide Hände, die er abwechselnd küsst. Es war mir ein Glück, lieber Freund, Sie wiederzufinden, so unverändert, so ganz und gar dem edlen Bilde gleichend, das ich im Herzen getragen habe und ewig tragen werde! FLEURY. Sie sagen, was ich fühle. – Ewig! Ewig! JULIE. O meine Theuren! ich gebe Euch meinen Segen! FLEURY. Segen – wozu? LEONORE. Wir scheiden zwar nicht, aber leider – wir müssen uns meiden. FLEURY. So ist es. EIN DIENER meldend. Der Wagen der Frau Gräfin. Ab.

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JULIE. Dein Wagen? Was soll das heissen? LEONORE. Dass ich fortfahren werde ... FLEURY. Ich! ich werde fortfahren, Sie anzubeten wie bisher ... JULIE. Aus der Ferne? ... Ihr trennt Euch? LEONORE. Nur scheinbar. Für sich. Mein Gott, ich fange schon wieder an zu ersticken. FLEURY. Nur für die kurze Dauer dieses Erdenlebens. LEONORE. Eine Spanne Zeit. Drüben, lieber Freund – FLEURY. In einer anderen Welt – LEONORE für sich. Einer kühleren hoff’ ich – Laut. dort sehen wir uns wieder. JULIE. Hier aber, hier? Ihr vergesst die Erde. LEONORE nimmt den Arm, den Fleury ihr bietet. Wir haben den Himmel. FLEURY. Den Himmel unserer Träume, unserer Erinnerungen. JULIE. Ihr vergesst die Gegenwart. FLEURY. Ewige Liebe, Freundin, ist ewige Gegenwart. LEONORE wendet sich auf der Schwelle. Und ihr Dort ist immer hier! Ab mit Fleury. JULIE allein. Leonore – Fleury – es ist unmöglich ... Eilt zur Thür und blickt ihnen nach. Er hebt sie in den Wagen – ein Händedruck – ein letzter Gruss – ein allerletzter! ... Sie fährt davon ... Ich k a n n nicht glauben, was ich glauben m u s s . Zu dem eintretenden Fleury. Sie ist fort, Fleury! FLEURY. Lässt sich Ihnen noch vielmals empfehlen. JULIE starrt ihn an. Und Sie – so ruhig – so heiter ... Sie folgen ihr wohl? FLEURY schliesst die Thür. Mit allen meinen Gedanken. JULIE. G e d a n k e n ? ! Grosser Gott, dieser Mann ist in Afrika erfroren! FLEURY. Mir scheint, Sie haben Recht. Reibt sich die Hände. Was wollen Sie, liebe Freundin? Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen.

II. Kritischer Apparat

Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen

1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Tilgung Ergänzung der Herausgeberin

{} [] H J

Handschrift (WB, H.I.N. 60638) Druck in der Zeitschrift Die Dioskuren 1881

WB H.I.N.

Wienbibliothek im Rathaus, Wien Inventarisierungsnummer

Wiedergabe des Textes: Die im Manuskript unterstrichene Antiquaschrift für Personen erscheint ohne Unterstreichung als Kapitälchen. Die in Schrägstrichen stehenden Bühnenbeschreibungen und Szenenanweisungen der Handschrift sind kursiv gesetzt. Die in der Handschrift verwendeten Unterstreichungen im Text werden als Sperrung wiedergegeben. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der edierte Text folgt der Handschrift (H). Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Die in H vorgenommenen Tilgungen sind in dem edierten Text verzeichnet (integraler Apparat).

3. Sammelvarianten Die im Folgenden aufgeführten orthographischen Varianten basieren auf der Uneinheitlichkeit der damaligen Rechtschreibung.

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a. Vokalismus und Konsonantismus α. Sowohl in H wie auch in J steht im Anlaut Ae, Oe und Ue: Aeusserung (895,27); Oeffnen (890,33); Ueberraschung (887,20); Ueberraschungen (887,21); Ueberzeugungen (891,29). In H findet sich außerdem Atmosphaere (892,26,29; 894,2). β. In H wird konsequent ss verwendet, während in J in diesen Fällen ß steht; heisst (887,3; 893,11, 894,8,30,31); Grösse (887,13); gefasst (887,18,22); weiss (887,24; 888,6,8,9); schliesse (887,29); erfasst (888, vor 4); dass (888,7,8,9; 890,18; 891,13,14; 892,23; 893,19; 894,4,22,31,33); küsst (888, vor 11; 895,33); hasste (888,12); liess (888,23; 893,1); fasst (889, vor 3); schliessen (889, vor 6; 889,22); heiss (889,14; 890,32); vergisst (889,22), regelmässig (889,22); schliesst (889, vor 23; 892,7; 894, vor 10; 896,23); Gewissheit (890,6,8); wusste (890,14); heissen (890,18; 896,1); heissesten (890,26); gewiss (890,37); wussten (890,38); Massen (890,39); unvergesslichen (891,3); liessen (891,5); grosse (891,34; 894 vor 10); Grossmuth (892,17); grässlich (892,29,30); Strausseneier (892,31); grossen (893,14,15); Stoss (893,19); heisse (894,3); Füsse (894, vor 10); Aeusserung (895,27); Lässt (895,31; 896,21); vergesst (896,11,14); Gruss (896,18); muss (896,20); Grosser (896,24). γ. In einem Fall findet sich in H deshalb (891,14), während in J deßhalb verwendet wird. δ. Für die Endung -nis steht in H -niss und in J -niß: Geheimnis (888,34). ε. Sowohl in H wie auch in J wird th verwendet: Thüren (887, vor 1, 889,22); Mittelthür (887, vor 16); Gemüthsart (887, 26); Thür (887,29; 889, vor 1, vor 6; 889,24; 893,37; 894, vor 10, 13; 896,17,23); thut (887,29); vermuthlich (888,2); Welttheil (888,12); weichmüthige (888,31); liebenswerth (889,7); Vortheil (889,11); Edelmuth (890,16); Thränen (890,18); Theure (890,21); Lebensmuth (891,8); beneidenswerthen (891,20); Theil (891,21); athemlos (891,39); theilnehmend (892,11); Grossmuth (892,17); gutmüthig (892,32); Himmelsgluth (893,3); thu’ (893,23); Thal (893,26); Athmet (894,8); muthwillig (894,36); verrathen (895,3); thun (895,28); Theuren (895,38). ζ. Sowohl in H wie auch in J steht dt statt t: gescheidter (887,3); tödte (889,19).

b. Fremdwörter α. In H wie auch in J wird bei folgenden Wörtern romanischen Ursprungs c verwendet: Cigarette (887, vor 1; 894, vor 10); Indiscretion (888,10); Officiere (888,19); Secunde (891,4). β. Bei dem folgenden Verb romanischen Ursprungs wird in H wie auch in J die Endung -iren verwendet: protestire (895,31).

II. Kritischer Apparat

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4. Fortlaufendes Variantenverzeichnis Das folgende Variantenverzeichnis zeigt die restlichen Unterschiede zwischen dem edierten Text H und dem Druck J auf. 885 887,6 887,15 889,vor 23 890,14 890,16 891,20 892,14 892,20 894,32 895,16 895,23 895,25 896,26

unter Palmen] unter den Palmen J Alles! Nur] Alles! nur J Träumen] Träumereien J schliesst {sorgfältig} die Gartenthüre] schließt sorgfältig die Glasthür J litt, –] litt – J ich] ich, J Saperlott] Saperlot J Oulad-sidi-Scheich] Oulad-sidi-Cheik J Weiter! Weiter!] Weiter! weiter! J n o c h ] noch J Temperatur-Frage] Temperaturs-Frage J Fleury,] Fleury; So – so] So – so – J unter Palmen] unter den Palmen J

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen

1. Die Texte und ihre Entstehungsgeschichte Am 9. September 1880 vermerkt Ebner-Eschenbach in ihrem Tagebuch: „Hofrat schickt das Proverbe zurück, meint es werde aus den Dioskuren seinen Weg ins Burgtheater finde[n]. Davon träume ich nicht einmal. Der Traum wäre ein böser, so lange Speidel und seine Sklaven die Meinungs-Fabrikation in der Fr[eien] Presse gepachtet haben.“ (T III). 1 Es handelt sich bei dem von ihr als „Proverbe“ bezeichneten Werk um das „dramatische Sprichwort“ Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, das also zu diesem Zeitpunkt bereits verfasst ist. Ebner-Eschenbach fertigt am 17. September 1880 eine Abschrift des Werkes an und nimmt die „letzte Feilung“ vor (T III). Aus ihrem Bekanntenkreis erhält die Dichterin sehr positive Reaktionen auf das „dramatische Sprichwort“; es hat Karl und Louise von Schönfeld, Joseph Ritter von Wertheimer und Josef von Weilen gut gefallen (T III, 26.11. u. 26.12.1880).2 Das „dramatische Sprichwort“ erschien mit dem Titel Es wandelt Niemand ungestraft unter den Palmen im Jahrbuch Die Dioskuren von 1881. Auch der letzte Satz des Stückes lautet in dieser Veröffentlichung wie der Titel, d. h. in beiden Fällen wird „unter den Palmen“ verwendet. Der Titel verweist auf Ottilies Tagebuch in Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften (1809): „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.“3 Das Sprichwort findet sich außerdem in Theodor Fontanes Roman L’Adultera in dem „Unter Palmen“ überschriebenen 12. Kapitel: „Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen.“4 Es ist unwahrscheinlich, dass EbnerEschenbach Fontanes Roman kannte, bevor sie ihr „dramatisches Sprichwort“ schrieb. Ein Vorabdruck des Romans erschien in der Zeitschrift Nord und Süd im Jahre 1880. Am 2. Januar 1882 schickt Ebner-Eschenbach das „dramatische Sprichwort“ an den Verleger Franz Lipperheide (1838–1906) und notiert in ihr Tagebuch: „Sehr

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Mit „Hofrat“ ist wohl Franz Freiherr von Dingelstedt (1814–1881) gemeint, der 1867 zum Direktor des Burgtheaters ernannt wurde und von 1875 bis 1881 Intendant der beiden Hoftheater in Wien war. Ludwig Speidel (1830–1906), Feuilletonist, Theaterkritiker und Mitarbeiter der Neuen Freien Presse, dominierte seit Ende der 1860er Jahre dreißig Jahre lang das Wiener Feuilleton und lieferte mitunter bissige Attacken. 2 Louise von Schönfeld (1818–1905) begann ihr Engagement am Wiener Burgtheater 1838 und beendete ihre Bühnenkarriere 1856, als sie den Grafen Karl von Schönfeld heiratete. Joseph Ritter von Wertheimer (1800–1887), Schriftsteller. Josef Weil Ritter von Weilen (1828–1889), Schriftsteller. 3 Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften. In: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hg. v. Erich Trunz, Bd. 6, S. 416. 4 Theodor Fontane: L’Adultera. In: Sämtliche Werke. Romane, Erzählungen, Gedichte. Hg. v. Walter Keitel und Helmuth Nürnberger, Bd. 2, S. 83.

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neugierig!“ (T III). Allerdings ist nicht bekannt, was aus dieser Kontaktnahme geworden ist. Die in diesem Band edierte Fassung des „dramatischen Sprichworts“ folgt der in der Wienbibliothek archivierten eigenhändigen Handschrift Ebner-Eschenbachs (H). Die Handschrift (H.I.N. 60638) ist in Antiqua geschrieben, besteht aus 20 Blättern und ist mit dem Jahr 1900 datiert; der Titel wie der letzte Satz lauten: Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen. Er folgt also dem Goethe- wie auch Fontanezitat. In seiner 1947 erschienenen Ausgabe Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach, die das „dramatische Sprichwort“ enthält, verwendet auch Heinz Rieder den korrekten Titel, druckt aber ansonsten die in den Dioskuren erschienene Fassung. Susanne Kord folgt in ihrem Band Letzte Chancen von 2005 dem von Rieder veröffentlichten Text.

2. Die Aufführungen und Reaktionen Am 21. Mai 1881 kommt es zu einer „Aufführung des Proverbe Es wandelt niemand ungestraft etc. bei Falke“ (T III). Es ist nicht klar, um was für eine Aufführung es sich dabei handelt. Es könnte sich um eine private Lesung mit verteilten Rollen gehandelt haben. Anlässlich einer am 3. März 1883 stattfindenden „Soirée bei Gerold“ wurde Ebner-Eschenbach, wie sie in ihrem Tagebuch schreibt, eine „ungewohnte Ehre zu Theil“ (T III). Von Dilettanten wurde zu Beginn des Abends Adolf von Wilbrandts Jugendliebe (1873) aufgeführt.5 Danach hielt Frau von Gerold „eine Ansprache“ an die Verfasserin von Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen und Die Veilchen, und „endlich wurden die beiden Kleinigkeiten nett u. mit Verve dargestellt“ (T III). Von anderen Aufführungen ist nichts bekannt. Elisabeth Felbinger weist in ihrer Arbeit 1947 darauf hin, dass es sich in diesem Stück nicht um ein psychisches, sondern um ein physisches Problem handle. Allein die Trennung bietet den beiden sich liebenden, aber nicht zusammenpassenden Menschen „die Gewähr für ihre Seelenfreundschaft“. Felbinger sieht in dem Stück „ein humoristisches Bekenntnis der Dichterin zu dieser Art Freundschaft, die sie selbst lange Jahre mit Luise von François und Paul Heyse pflegte.“6 Heinz Rieder konstatiert 1947 im „Nachwort“ seines Bandes in diesem „dramatischen Sprichwort“ einen „Übergang vom Lustspiel zur dialogisierten Novelle“ und betont: „Die Komik des Stückes liegt in der Begründung, mit der der einzige Weg einer Seelenfreundschaft in

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Adolf von Wilbrandt (1837–1911), Schriftsteller und Direktor des Burgtheaters von 1881 bis 1887. Er war verheiratet mit der Hofburgschauspielerin Auguste Wilbrandt-Baudius (1843–1937). 6 Felbinger: Marie von Ebner-Eschenbachs dramatische Arbeiten, S. 150.

III. Text- und Wirkungsgeschichte

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der räumlichen Trennung der Geliebten gegeben wird.“7 Für Susanne Kord bewegt sich das Stück „zwischen hoher Tragödie und Posse“, denn nach „Jahrzehnten sehnsüchtig durchlittener Trennung erörtern die ehedem verzweifelt Liebenden ihre tragische Liebesgeschichte und haben dabei nichts im Sinn als die Zimmertemperatur. Dabei ist das Klima als Ehehindernis leicht lesbar als Anspielung auf die Inkompatibilität der Charaktere.“8

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Rieder: Nachwort. In: Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach, S. 242–243. Kord: Einleitung. In: Letzte Chancen, S. 16.

I. Text

Bettelbriefe

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Bettelbriefe Ein Zweigespräch von Marie v. Ebner-Eschenbach

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 71, Heft 421 vom Oktober 1891, S. 130–139.

Schreibzimmer Gräfin Beates, einfach und altmodisch eingerichtet. Ein Fenster, eine Thür, an den Wänden Bücherschränke, über denselben Familienporträts. In der Nähe des Fensters, schräg gegen dasselbe gestellt, ein Schreibtisch; diesem gegenüber an der Längswand ein kleines Kanapee, vor dem ein Tisch steht. Es ist sieben Uhr abends; das Zimmer wird durch einen dreiarmigen Gaslustre hell erleuchtet. Gräfin Beate, zweiunddreißig Jahre alt, noch schön, mittelgroß, schlank, in schwarzer englischer Toilette, sitzt am Schreibtisch, Briefe lesend. Es wird an die Thür geklopft, Baron Max tritt ein. Er ist sechsundvierzig Jahre alt, sehr groß, breitschulterig, hat feine, edle Züge, eine bereits ansehnliche Glatze, dunkelgraue Haare. Die Wangen und das Kinn sind rasiert, die Enden des Schnurrbarts in die Höhe gebürstet. Seine Kleidung ist elegant und anspruchslos. Er grüßt stumm, stellt seinen Hut auf einen Sessel, zieht ein Paket mit Schriften aus seiner Tasche und breitet sie auf dem Schreibtisch aus.

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BARON. Sieben Empfangscheine über ebensoviele Antworten auf Bettelbriefe. Eine Quittung über fünfundzwanzig Gulden, ausgestellt von Rosalie Wimmer, eine über siebzehn Gulden, unterfertigt von den Eheleuten Kaniz. Hier die saldierte Rechnung für eine Singersche Familien-Nähmaschine. Sie wurde ausgefolgt und mit Jubel aufgenommen. Lob und Preis ohne Ende habe ich zu bestellen, Sie sind selbstverständlich ein Engel, und ich wünsche Ihnen einen guten Abend. GRÄFIN. Den ich dankend erwidere. Was Ihnen allein gebührt, behalten Sie für sich: den Engel. BARON setzt sich, einem Winke, den sie ihm giebt, gehorchend, auf das Kanapee ihr gegenüber. Darf ich fragen, ob Sie vielleicht aufgelegt sind, ein Geständnis anzuhören? GRÄFIN stutzt. Das hängt vom Geständnis ab. BARON. Frau Gräfin – GRÄFIN. So feierlich? BARON. Gräfin, ich habe mich im Laufe des heutigen Tages mehrmals auf demselben Gedanken ertappt. GRÄFIN etwas ängstlich. Und der war? BARON. Ob ein Kommissionär Ihre Gänge nicht ebensogut besorgen könnte? Ich bin nicht mehr jung. GRÄFIN. Haha! BARON. Das Treppensteigen ermüdet mich. GRÄFIN. Hoho! BARON in bittendem Tone. Sagen Sie nicht immer Haha und Hoho! Mit Nachdruck. Ermüdet mich. Ihre Armen haben die Manie, im vierten und im fünften Stock zu wohnen. GRÄFIN. Es giebt keinen fünften Stock.

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BARON. Aber so manchen vierten mit Mezzanin und Entresol. GRÄFIN. Übrigens stecken auch einige in Kellerwohnungen. BARON. Leider Gottes, die armen Teufel! GRÄFIN. Jetzt sind Sie gerührt, sehen Sie. Ich weiß ja, Sie brauchen meine Armen, sonst wäre Ihr Leben leer. BARON nagt am Schnurrbart. Ich werde heiraten. GRÄFIN. Ich werde mich vergiften, könnten Sie nicht in einem anderen Tone sagen. BARON. Papperlapapp – GRÄFIN bittend. Sagen Sie doch nicht immer Papperlapapp. Läutet; Diener kommt. Den Thee. Diener ab. Wenn Sie mir glauben, geben Sie Ihre Heiratsgedanken auf – BARON. Und werden Armenvater oder Bettelmönch. GRÄFIN. Das erste wäre kein Hindernis; zum zweiten fehlt Ihnen das Talent. Seitdem ich den Vorzug habe, Sie zu kennen, das heißt, seit drei Jahren – BARON. Nicht ganz. Diener bringt das Theezeug auf einem Servierbrette, stellt es auf den Tisch, rückt einen Sessel für die Gräfin an denselben und geht ab. Zwei Jahre und dreihundertdreiundsechzig Tage. Es war am zweiundzwanzigsten Januar um zehn Uhr abends im Salon des deutschen Botschafters. GRÄFIN hat sich an den Tisch gesetzt und bereitet den Thee. So genau wissen Sie das? Nun, lieber Freund, da Sie mir von der ersten Stunde an Ihr ganzes Vertrauen schenkten, weiß ich, daß Sie seit jenem 22. Januar fünfundeinhalbmal verliebt gewesen sind. BARON. Papper... Gräfin sieht ihn an; er räuspert sich. Nun denn – fünfundeinhalbmal – so? ... Ich bewundere Ihr gutes Gedächtnis. GRÄFIN legt ihm kalten Aufschnitt vor. Ja, ja, mein Gedächtnis ist noch intakt. Sie waren verliebt: Zweimal in verheiratete Frauen, zweimal in junge Mädchen, ein halbes Mal in eine Hofdame. Und immer hieß es: Wenn Sie – nämlich ich – sie doch kennen lernten, Sie wären entzückt, das ist eine Schwärmerisch. charmante Person! ... Haha! BARON, der mit großem Appetit gegessen hat, hebt den Kopf. Lachen Sie den armen Nebenmenschen nicht aus. Ich sollte gefeit sein gegen Ihren Spott – ich habe mich Ihnen, wie Sie selbst zugeben, völlig ausgeliefert, ich sage Ihnen alles, ich liege vor Ihnen Entfaltet seine Serviette auf dem Tische und glättet sie mit beiden Händen. – sehen Sie: so. – Ausgebügelt; kein Fältchen in meiner Seele, dem Sie nicht auf den Grund schauen könnten. GRÄFIN. Das ist wahr. Im Anfang befremdete mich Ihre Vertrauensseligkeit einigermaßen. BARON rasch. Glauben Sie nur nicht, daß mir je einem anderen Menschen gegenüber beim ersten Begegnen das Herz so aufgegangen ist, wie damals –

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GRÄFIN fällt ihm ins Wort. Nehmen Sie etwas Hasenpastete. Sie sind hungrig, armer Freund. BARON. Ich habe nicht zu Mittag gegessen. Die Wirtshauskost wird mir täglich widerwärtiger. Aber was ich Ihnen sagen wollte: mein Vertrauen blieb und bleibt unerwidert. Sie sind verschlossen wie ... Sinnt nach. Ich suche umsonst, ich finde keinen Vergleich, der auch nur halbwegs – GRÄFIN. Strengen Sie sich nicht an. Ich werde Red und Antwort stehen. Was wollen Sie wissen? worüber soll ich Auskunft geben? Sie sehen mich bereit dazu, ich habe – unnennbares Glück! – keine Geheimnisse. BARON. Dann gestehen Sie mir – Sieht sie voll Innigkeit an, verwirrt sich und schweigt; sie hat ihm eine Tasse Thee hingestellt, er nimmt einen Schluck. Wo kaufen Sie Ihren Thee? Er ist vorzüglich; ich kann keinen anderen mehr trinken. So gestatten Sie sich doch e i n e n Luxus ... das ist Thee zu – GRÄFIN. Es ist Ljansin; das russische Pfund zu vier Gulden. BARON. Unbegreiflich! Ich zahle zwölf, und mein Diener setzt mir eine Flüssigkeit vor ... nicht einmal mein Hund mag sie ohne Obers sauf... Hält inne unter dem strafenden Blick der Gräfin. sau... f... Rasch. zu sich nehmen. Aber Sie antworten mir um keinen Preis, Sie weichen aus – GRÄFIN. Verzeihen Sie! Ich fragte: Was wünschen Sie von mir zu wissen? und Sie überraschten mich mit der Gegenfrage: Wo kaufen Sie Ihren Thee? BARON. Es beliebt Ihnen, mich auszulachen; ich bitte Sie, sich ja nicht zu genieren. Ehre genug für einen unbedeutenden Menschen wie ich, wenn er Ihnen einen Augenblick Spaß machen darf. GRÄFIN. Haha! BARON. Wie eben jetzt. GRÄFIN. Sie tyrannisieren mich mit Ihren Märtyrermienen. Noch einmal denn: was wollen Sie von mir wissen? BARON. Wie sind Sie dazu gekommen, die Wohlthätigkeit in so großartigem Maße auszuüben, daß Sie – ich bin davon überzeugt – trotz Ihres Reichtums oft darben? GRÄFIN. Ich? O lieber Freund! ... daß ich mir hier und da etwas Überflüssiges versage, darin besteht mein Darben. BARON. Papperl... Hält inne; in verändertem Tone. Ich wette, Sie machen sich einen Vorwurf daraus, daß Sie sich satt essen Mit steigender, aber unterdrückter Heftigkeit. – im Falle es geschieht, woran ich fast zweifele. Nur so fort, ruinieren Sie Ihre Gesundheit, sterben Sie, welch eine Wohlthat für die Armen! Wenn Sie ihnen auch Ihr ganzes Vermögen hinterlassen, eine solche Verweserin dieses Reichtums findet sich nicht mehr, die Armen werden immer betrogen sein! GRÄFIN. Es müßte nur jemand mein Erbe antreten, der die Sache zum mindesten ebensogut versteht.

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BARON. Rechnen Sie nicht auf mich! Ich bin um vierzehn Jahre älter, und es fällt mir nicht – GRÄFIN. Ohne Sorge! Ich habe Sie im Leben genug gequält. Nach meinem Tode sollen Sie unbehelligt bleiben. BARON. Nach Ihrem Tode, wenn ich das Unglück haben sollte, Sie zu überleben, würde mich nichts mehr behelligen. Mir wäre alles gleichgültig. GRÄFIN. Auch Wohl und Weh des Nächsten? BARON barsch. Auch. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Mehr verlangt nicht einmal das Evangelium. Nun, was giebt mir ein gewisses Interesse an mir? das Bewußtsein, vielleicht die Einbildung, daß ich mich Ihnen ein bißchen nützlich erweisen kann. Nehmen Sie mir das weg, und ich bin mir gleichgültig, und die anderen dürfen es mir auch sein. GRÄFIN. Es wird nicht so weit kommen. BARON. Das hängt von Ihnen ab. Versprechen Sie mir, an sich zu denken, sich nicht mutwillig zu Grunde zu richten. GRÄFIN. Welche Übertreibungen! ... Sprechen wir von etwas anderem. Ich bin Ihnen die Geschichte meiner Berufswahl schuldig – sie hat nämlich eine Geschichte. Sie versinkt in Gedanken. Ich verjage gewöhnlich die Erinnerung daran, weil sie mir peinlich ist. BARON. Dann schweigen Sie, beschwören Sie diese Erinnerung nicht herauf ... ich will nichts hören ... Ich mache mir Vorwürfe – GRÄFIN. Nein, nein! Sie fordern ein Zeichen meines Vertrauens, und Sie dürfen es fordern; Sie haben ein Recht darauf. BARON. Wie käme ich zu einem Rechte? Was Sie mir gewähren, ist Gunst und Gnade. Bin ich zu kühn, wenn ich diese Gunst, diese Gnade als Zeichen anzusehen wage ... vielleicht als Vorboten – Bemerkt, daß sie nicht zugehört hat, und stockt plötzlich. GRÄFIN auffahrend aus ihrem Nachsinnen, nach kurzer Pause. Sie wissen, daß ich, früh verwaist, im Kloster erzogen wurde. Zehn Jahre habe ich darin verlebt, ununterbrochen. Die anderen gingen auf Ferien, ich nie. Wer hätte mich herausgenommen? Meinem Onkel und Vormund, dem einzigen Verwandten, den ich hatte, fiel das nicht ein. BARON. Traurig! GRÄFIN. Durchaus nicht; es ging mir gut. Ich war im Kloster bei jung und alt eine beliebte Persönlichkeit; ich habe eine glückliche Jugend und nie einen anderen Wunsch gehabt, als weiter zu leben, wie ich lebte, und, einmal erwachsen, Klosterfrau zu werden. BARON. Das hätte noch gefehlt! GRÄFIN. An meinem achtzehnten Geburtstag schrieb ich meinem Onkel und schüttete mein ganzes, volles Herz vor ihm aus bis auf den letzten Tropfen.

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Tags darauf war er da, zornschnaubend: Wo ist meine Nichte? Her mit ihr! Machen Sie mir keine Schwierigkeiten! Ich überwinde alle, ich telegraphiere an den Papst! BARON. Ganz recht; ich hätte auch telegraphiert. GRÄFIN. Am selben Abend mußte ich mit vom Weinen geschwollenen Augen die Honneurs beim Thee meines Onkels machen, in einer Versammlung von ältlichen Herren. Derjenige, dem die übrigen den meisten Respekt bezeigten, war der für mich Erwählte und ich kurze Zeit darauf aus einem unbedeutenden Klosterzögling in Ihre Excellenz Frau Gräfin Hochfeld, Ministersgattin, verwandelt. BARON. Wie kann man sich so ohne weiteres verheiraten lassen! Haben Sie denn gar keinen Willen gehabt? GRÄFIN. Ich habe nicht einmal gewußt, daß eine Frau einen Willen haben darf. Gehorsam wurde im Kloster gelehrt, Gehorsam forderte mein Onkel als mein vom Gesetz bestellter Gebieter. Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden, sagte mein angebeteter Schiller. BARON verdrießlich. Freilich – die Religion, das corpus juris, die Ästhetik forderten Sie zum Gehorsam auf; Sie mußten ihn leisten. GRÄFIN. Ich hatte es im Grunde nicht zu bereuen, Hochfeld war – BARON fällt ihr ins Wort. Ich weiß schon; wie alle verstorbenen Ehemänner ein Muster seiner Gattung. GRÄFIN. Lieber Baron, dieser Scherz kommt zu oft in uralten Lustspielen vor! Man sollte ihn ein paar Menschenalter hindurch in kühle Vergessenheit geraten lassen; vielleicht wird er wieder frisch. BARON beschämt. Entschuldigen Sie ... ich bin litterarisch unzurechnungsfähig. GRÄFIN. Ich hatte meine Heirat nicht zu bereuen, sagte ich – BARON. Im Grunde nicht zu bereuen, sagten Sie. GRÄFIN. Mein sehr imposanter Mann fand alles recht, was ich that, ließ mir volle Freiheit, bekümmerte sich sogar etwas zu wenig um mich. Ich aber schwelgte im Hochgefühle meiner Unabhängigkeit. Was für neue Freuden brachte sie! Unter anderen eine, die ich beinahe am höchsten schätzte. Lachen Sie mich nicht aus – BARON. Ich – Sie? Verkehrte Welt! GRÄFIN. Die Freude, die Briefe, die ich erhielt, selbst eröffnen zu dürfen. Im Kloster waren sie mir erst nach strenger Durchsicht ausgeliefert worden. Und nun! – Wenn ich am Morgen in das freundliche Speisezimmer trat, die Thür des in ein Gärtchen verwandelten Balkons offen stand – wir hatten im Herbst geheiratet, und jetzt war’s Frühling – und auf dem schön gedeckten Tische einige noch von niemandem gelesene Briefe meiner einstigen, auch schon flügge gewordenen Schulkameradinnen lagen, da hätte nur einer kommen und sagen sollen: Es giebt ein Glück, von dem du nichts weißt.

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BARON seufzt tief auf, leise. Und von welchem du später nichts wirst wissen wollen. GRÄFIN überhörend. Ich frühstückte immer allein, konnte dann meine Korrespondenz in größter Ruhe und Muße genießen. Stellen Sie sich vor – einmal, was finde ich neben meiner Tasse zwischen anderen Briefen? ... ein großes Schreiben von unbekannter Hand. Ich erbrach es zagend, las; sein Inhalt ergriff mich in allen Seelentiefen – es war ein Bettelbrief, der erste, den ich erhielt. BARON. O folgenschweres Ereignis! Eine so zahlreiche Nachkommenschaft, wie dieser Brief sie hatte, wurde nicht einmal dem Abraham versprochen. GRÄFIN. Klara Glasperle, eine Waise und Witwe – BARON. Mit sieben Kindern. GRÄFIN. Von denen drei tot, und mit einem gelähmten Bruder – BARON. Eine Variante, der Bruder. GRÄFIN ohne sich unterbrechen zu lassen. – Beschwor mich kniefällig, meine wohlbekannte Großmut auch an ihr zu üben. Sie wußte von mir mehr als ich selbst: Ich war eine Mutter der Armen – die Verlassenen, die Verzweifelnden riefen mich an in ihrer höchsten Not, und thaten es umsonst – und so weiter! ... Ich fühlte mich gerührt, geschmeichelt, beschämt. Guter Gott, wie kam ich zu einem solchen Lobe, ich lustiges Ding, das nur an seine Unterhaltungen dachte, und schon deshalb nicht viel verschenken konnte, weil es sich in beständiger Geldverlegenheit befand. BARON. Wieso? GRÄFIN. Mein Mann setzte die Verwaltung meines Vermögens in der gewissenhaften Weise meines Vormundes fort und gab mir ein reichliches Nadelgeld, mit dem ich hätte auskommen können und sollen, aber nie auskam. Ich steckte in Schulden bei Schneidern, Modisten, Photographen, und so weiter. Als Frau Glasperle ihren Hilfeschrei ertönen ließ, machten – ich weiß es wie heute – sechs Gulden den Inhalt meiner Kasse aus. Und wie vielmal sechs Gulden hätten dazu kommen müssen, bevor ich hätte sagen dürfen: Ich habe nichts. BARON mitleidsvoll. Sie Arme ... GRÄFIN. Zerschmelzen Sie nicht. Nur kein übel angebrachtes Erbarmen. Sie berauben sich und haben, wenn’s gilt, nichts mehr übrig. BARON. Papperlapapp! GRÄFIN. Lieber Baron – sagen Sie, haben Sie manchmal Ahnungen? BARON. Wohl, wohl, ich kann mich aber nicht auf sie verlassen. GRÄFIN. Deshalb wird sich Ihnen kaum je enthüllen, wie geschmacklos es ist, Ihr ewiges: Papperlapapp. BARON verlegen. Doch – ich beginne zu ahnen – ich werde mich bessern.

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GRÄFIN. Ich schickte also meine sechs Gulden, mit den dringendsten Entschuldigungen, daß meine Darbringung so gering war, an die angegebene Adresse, die des Bruders. BARON. Des gelähmten. GRÄFIN. Ja. Er natürlich war immer zu Hause, während die Glasperlen sich beständig auf den Straßen zerstreuten – BARON. Hm, hm – Arbeit suchend. GRÄFIN hat seine Tasse ausgespült, wieder gefüllt und stellt sie vor ihn hin. Noch eine Tasse Thee. BARON. Die dritte. Es sei. Schlafen kann ich ja doch nicht. GRÄFIN. Das wäre schlimm. BARON. Es ist schlimm. GRÄFIN. Haha – BARON sieht sie vorwurfsvoll an. Schon wieder – wenn Sie wüßten ... Aber ich bitte, fahren Sie fort. GRÄFIN. Obwohl Sie mich fortwährend unterbrechen? BARON. Papper... Erschrickt. pap... Entzückt, in der Meinung sich herauszuhelfen. Pah! pah! GRÄFIN. Sehr schön. Jetzt kommen eitel verkümmerte Papperlapapps zu stande; und ich wette, Sie wissen nicht, wo wir geblieben sind. BARON. Sie haben verloren. Bei dem gelähmten Bruder, an den Sie sechs Gulden schickten. GRÄFIN. Seine Adresse lautete: Herrn Hugo Muckenberger, Mediziner, Margareten, Berggasse Nr. 49, 4. Stock, Thür Nr. 12. Postwendend kam ein in den gesteigertsten Ausdrücken gehaltenes Dankschreiben, für welches wieder ich wärmstens dankte. Es entspann sich eine lebhafte Korrespondenz; wahre Liebesbriefe wanderten hin und her. Meine Teilnahme wurde fortwährend rege erhalten. Das Unglück, das die Glasperlen verfolgte, grenzte ans Märchenhafte; die Kinder fielen von einer Krankheit in die andere, hungerten, froren – BARON. Im Sommer? GRÄFIN. Sie hatten kaltes Fieber ... BARON. Papper... o pardon! – Ich glaube vielmehr, daß Ihre Witwe Bettelbriefe hatte für jede Saison und sich einmal vergriff. GRÄFIN. Mein ganzes Geld spazierte nach der Berggasse, und meine Rechnungen blieben unbezahlt; und unsere Abreise auf das Land stand bevor. Ich wurde gemahnt, wußte nicht, was beginnen, und suchte endlich Rat bei meinem „natürlichen Beschützer“. Aufrichtig mit der Sprache herauszurücken, wagte ich nicht, machte zarte Andeutungen und bildete mir

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ein, bei einem Manne wie der meine braucht man nur antippen und ein Quell der Weisheit springt, und meinen Schützlingen und mir ist geholfen. Aber es kam anders. Hochfeld hörte mir geduldig zu und sagte dann: Wenn ich dich recht verstehe, bekommst du Bettelbriefe. Das versteht sich von selbst. Alle Personen, die sich in bevorzugter Lebensstellung befinden, erhalten solche Zuschriften. Es giebt Leute, die aus dem Verfassen derselben ein Gewerbe machen, das in der Ausbeutung der Leichtgläubigkeit und der Frivolität besteht. Er setzte mir auseinander, um wieviel mehr wert der ist, der jeden Bettelbrief unbeantwortet in den Papierkorb wirft, als derjenige, der Geld, also Macht, dem Müßiggang, also dem Laster ausliefert. BARON vor sich hin. Ich höre ihn sprechen. GRÄFIN. Es gäbe allerdings noch einen anderen Standpunkt, zu dem ich mich aber kaum werde emporschwingen wollen, setzte er hinzu, und sah mich etwas spöttisch an – BARON. Mit seinen kalten grauen Augen. GRÄFIN. Warum glauben Sie, daß er kalte graue Augen hatte? BARON. Da hängt ja doch sein Bild, und Sie sagen, daß es ähnlich war. GRÄFIN. Es sei denn, ich wäre gesonnen, mein Leben in den Dienst der Armen zu stellen, sie aufzusuchen, mich vertraut zu machen mit ihren Verhältnissen, die Kranken zu pflegen, die Kinder ... BARON fällt ihr ins Wort. Kurz, alles das zu thun, was Sie thun. GRÄFIN. Schlecht und recht. Damals that ich aber nichts davon; in jener Stunde erst, aus reinem Widerspruchsgeist, erwachte in mir der Wunsch, den „Standpunkt“ zu erreichen, den mein Mann für mich unerreichbar hielt. Als er mich verlassen hatte, machte ich eine höchst einfache Toilette, nahm einen Mietwagen und fuhr nach Margareten in die Berggasse. An der Ecke stieg ich aus, hieß den Fiaker warten und befand mich in einer fremden Welt. Häßliche Häuser, ärmlich gekleidete, finster dreinschauende Menschen, verwahrloste Kinder. Nummer siebenundvierzig, seiner Umgebung würdig, hatte kleine Fenster, einen schmutzigen Hof, eine schmale finstere Treppe, die ich emporstieg ... BARON. Wie? was? nur so – ohne vorher zu fragen ... GRÄFIN. Nur so; getragen wie von Flügeln von dem wonnigen Bewußtsein meiner edlen That. BARON unruhig. Jetzt ahne ich, und zwar etwas Unangenehmes. GRÄFIN. Je höher ich gelangte, desto heller wurde es. Auf dem Flur des vierten Stockes konnte ich die Nummern der Thüren, die auf denselben mündeten, deutlich lesen, hatte zwölf bald gefunden und klopfte an mit triumphierendem Finger. Keine Antwort; aber mir ist, als hörte ich schnarchen. Ich klopfe stärker, eine Thür gegenüber öffnet sich, ein altes zahnloses Weib guckt hervor, droht mir mit der Faust und schimpft: Das ist ein Gerenn! ein Gerenn, seitdem der Lump Geld hat.

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BARON. Verdammte Hexe! GRÄFIN. Mir wird angst und bang – ich trommele mit dem Knopfe meines Sonnenschirmes an der Thür und rufe: Frau Glasperle, Frau Glasperle, sind Sie da? ... Endlich regt sich’s drinnen, eine Baßstimme – die des gelähmten Bruders, denke ich – brüllt: Herrrein! ’s is ja offen. Und richtig, die Klinke giebt meinem Drucke nach, ich stürze mehr als ich trete in ein niederes, mit dickem Tabaksqualm gefülltes Zimmer. – Bist du’s Katherl? klopfst an, was heißt das? spricht wieder die Baßstimme, und vor mir steht und streckt die Hand aus und faßt mich am Kinn ... BARON. Der Frechling ... GRÄFIN. Ein riesiger, bärtiger, offenbar angetrunkener Gesell, in Hemdsärmeln, mit offener Weste ... BARON. Unverschämter ... GRÄFIN. Er beugt sich, sein branntweinduftender Atem weht mich an – ich weiche zurück, stammele: Wo ist Frau Glasperle? ... Er wankt mir nach, er wiehert: Das bin ich selbst, habe die Ehre mich vorzustellen, Witwe Glasperle, sieben Kinder ... Und Sie, mein Schätzchen – Sie sind meine Wohlthäterin – meine schöne, gütige Wohlthäterin ... Erraten? nicht wahr? ... Werden mein Geheimnis bewahren ... werden mir zum Pfand dafür ein Küßchen geben ... BARON springt auf. Canaille! Ich zertrümmere ihn! ... Wo wohnt er? GRÄFIN. Heute kann ich Ihnen seine Adresse nicht mehr angeben. – Ich war vor ihm in die Tiefe des Zimmers geflohen, er wackelte herum zwischen mir und der Thür ... Da ergriff mich der Mut der Verzweiflung. Ich legte mein Parasol ein wie eine Lanze und rannte an ihn an, und – denken Sie nur – er gab Raum, er glitt aus, ich glaube sogar, er fiel hin ... ich aber erreichte die Thür im Nu, hatte noch die Geistesgegenwart, den Riegel vorzuschieben, und rannte die Treppe hinab wie gejagt ... Im ersten Stock wäre ich beinahe der die Stiege waschenden Hausmeisterin auf den Kopf gesprungen. Sie goß vor Schrecken ihren Wasserkübel um und sagte mir Dinge – BARON senkt die Augen. Peinlich, sehr peinlich. GRÄFIN. Jetzt noch erröte ich, wenn ich daran denke. In meiner Verwirrung, in meinem Bestreben, mich zu rechtfertigen, erzählte ich ihr alles, die ganze Geschichte meiner verunglückten Pilgerfahrt, nannte mich ... sie blieb mißtrauisch ... BARON. Gemeine Krea... Gräfin sieht ihn strafend an, er hält inne, fährt dann los. Nein, es muß heraus: Gemeine Kreatur! GRÄFIN. Erst als ich ihr alles Geld gegeben, das ich bei mir hatte ... BARON sehr teilnehmend. Es wird gottlob nicht viel gewesen sein. GRÄFIN. Schenkte sie mir Glauben, bat um Verzeihung, empfahl mir, in Zukunft vorsichtiger zu sein, und begleitete mich zu meinem Wagen. Dann ging sie Herrn Muckenberger aus der Gefangenschaft befreien und ihm, wie sie

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versicherte, die Hölle heiß machen ... Und ich fuhr heim – in einer Betroffenheit, einer Beschämung ... Haha! BARON. Sie haben jetzt gut lachen – damals mag die gemachte Erfahrung Ihnen recht herb erschienen sein. Was ich übrigens nicht verstehe – das ist die Lehre, welche Sie aus ihr geschöpft. Sie hätte andere Folgen haben müssen, meine ich. GRÄFIN erregt. Und hat sie gehabt – Folgen, die ich nie verwinden werde. BARON. Liebe Freundin ... GRÄFIN. Acht Tage später erhielt ich einen zweiten Bettelbrief. Sein Anblick schon beengte mir den Atem. Er war in der Berggasse Nummer neunundvierzig aufgegeben, kam aus der nächsten Nähe des Schauplatzes meines albernen Abenteuers. Die Hausmeisterin hatte geschwatzt, ich war die Fabel der Berggasse, ein Nichtsnutz nach dem anderen wird jetzt kommen und meine „Leichtgläubigkeit“, meine „Frivolität“ auszubeuten suchen ... Wie recht hatte mein Mann behalten, welch ein gesegneter Aufenthalt wäre der Papierkorb für die Episteln des verlotterten Mediziners gewesen! – Das Schicksal, das dem ersten Bettelbrief erspart blieb, wurde dem zweiten zu teil. Nach einigen Tagen indessen, beim Suchen irgend eines in Verlust geratenen Schriftstücks, kam der Brief mir wieder in die Hand, und nun las ich ihn und fand ihn befremdlich trocken. – Die Bittstellerin hatte gehört, daß ich mich der Armen annähme, und den Rat erhalten, mein Mitleid anzuflehen. – „Ich war immer eine fleißige Arbeiterin,“ schrieb sie, „jetzt bin ich krank, kann mich und mein Kind nicht erhalten. Lassen Sie sich nach der Anna Bauer erkundigen ...“ Ihre Stimme versagt. BARON. Nicht weiter! ... Es greift Sie an. GRÄFIN fährt abgebrochen und hastig fort. Mich erkundigen lassen – durch wen? Meine Leute, ich bemerkte es bei jeder Gelegenheit, waren geschworene Feinde der Armen. BARON. Sie hielten die Ausbeutung der Gebieterin für i h r Privilegium. GRÄFIN immer erregter. Meinem Manne wagte ich nicht ein zweites Mal mit derselben Frage zu kommen, er imponierte mir zu sehr ... O, wenn die Männer wüßten, welches Unglück es für ihre Frauen und auch für sie selbst ist, dieses Imponieren ... BARON übereilt. I c h würde Ihnen nicht imponieren. GRÄFIN. Erkundigen Sie sich, hatte Frau Glasperle nie geschrieben – diese Worte fielen mir immer wieder ein, und endlich fuhr ich zum zweitenmal in die Berggasse. Nicht mehr mit Hochgefühlen, sondern mit der Empfindung einer lieblos erfüllten Pflicht. Vor Nummer neunundvierzig ließ ich halten und ersuchte den Kutscher, jemanden herbeizuholen, der mir Auskunft geben könne über Anna Bauer. Kaum hatte ich den Namen ausgesprochen, als eine Frau, die vor dem Hause stand, laut aufschrie: „Du, Augustin! du, Mann, komm, komm! da ist jetzt die Herrschaft, die sich nach der Anna

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erkundigen thut.“ Der Angerufene trat aus dem Thore, behäbig, redselig, und präsentierte sich als Hausbesorger. Ja, die Anna Bauer hatte hier gewohnt, bei der Kirchendienerin im dritten Stock war sie „zu Bett“gewesen. Eine brave Person und arbeitsam und fleißig, ja. Alle Monat ihren „Fünfer“ nach Hause geschickt, den Eltern. Nachher, als sie den Fehltritt begangen – ihr Brotgeber, der schlechte Kerl, der schon so manche andere auf dem Gewissen hat – und sie so elend krank geworden ist, da war’s aus mit dem Geldschicken, und ist auch gleich per Post der Fluch der Eltern gekommen. Hat sich erfüllt, so ungerecht er traf. Aus dem Spital wurde sie entlassen, ihr Leiden war nicht akut. Verdienen konnte sie nichts, aufs Betteln verstand sie sich schlecht, ließ es auch gleich sein, sobald sie einige Kreuzer beisammen hatte, Milch davon zu kaufen für das Kind. Jammervoll ist es ihr gegangen; da auf einmal scheint sie neu aufzuleben. Die Hausbesorgerin von nebenan hat mit ihr gesprochen, ihr geraten, sich an eine „gute Herrschaft“ zu wenden. Sie hat es gethan, hat geschrieben, und ist plötzlich voll Zuversicht: Ihr wird geholfen. Das Letzte verpfändet, auf die Straße gesetzt, erschöpft und hungernd, aber – gehofft, gehofft und gewartet. Ans Thor angelehnt hat sie gestanden von früh bis abends, Tag um Tag, und jeden Briefträger gefragt: Haben’s was für mich? In jeden Wagen hineingeschaut mit aufleuchtenden Augen, im festen Glauben, er bringt die Retterin ... BARON. Mein Gott – GRÄFIN erzwungen ruhig; starrt vor sich hin. Die blieb zu lang aus ... Das arme Weib verlor den Mut; sie suchte die sicherste Zuflucht, ging in die Donau mit ihrem Kinde ... Wie verloren. Einen Brief von ihren Eltern – im Couvert, wissen Sie – trug sie bei sich, und so konnten die Leichen vom Hausbesorger agnosciert werden – am selben Morgen war es geschehen. BARON. Gräfin, Beate, Freundin – verzeihen Sie mir! GRÄFIN. Ihnen – was denn Ihnen? BARON. Meine grenzenlose Plumpheit von vorhin. Verfügen Sie über mich, schicken Sie mich, wohin Sie wollen, auf Türme, auf Dächer! – Verzeihen Sie mir jedes Wort des Tadels Ihrer Mildthätigkeit, Ihrer Großmut! Ich seh es ein, Sie können nicht anders, Sie müssen – es giebt für Sie keinen anderen Trost. GRÄFIN reicht ihm beide Hände, die er küßt und einen Augenblick in den seinen festhält. BARON. Verehrte Freundin! – Und dann? GRÄFIN. Dann kam eine schwere Zeit. Der Schatten der armen Frau, die vergeblich ihre Hoffnung auf mich gesetzt, hat meine Jugendjahre verdüstert. Ich sah sie immer vor mir, müd und krank am Thore lehnen und – warten. Ich versenkte mich in den Anblick des schmerzlichen Bildes und horchte den Lehren, die es predigte, und suchte an anderen Unglücklichen gut zu machen, was ich an der einen verschuldet.

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BARON. O – wie lange sind Sie schon eine Wohlthäterin! GRÄFIN unwillkürlich lächelnd. Sehr lange. BARON bestürzt. So war’s nicht gemeint. Ich sagte, das heißt ich wollte sagen: eine Wohlthäterin ganz im stillen – schweigend – GRÄFIN nickt. Ich wühlte meine Gedanken über das folgenschwerste Ereignis meines Lebens in mich hinein. Viel später erst, ich weiß nicht mehr bei welcher Veranlassung, sprach ich einmal meinem Manne davon. Ich that’s mit bebender Seele und – weckte sein Befremden. – Ist es möglich, so kindisch zu sein? Sich Vorwürfe machen – worüber denn? was ging die Sache mich an? Eine arme Närrin hatte auf meine Hilfe gerechnet? Sie hätte ebensogut auf die Hilfe einer anderen ihr unbekannten Person rechnen können. Er riet mir dringend, meine Phantasie nicht maßlos spielen zu lassen und mich frei zu halten von Gefühlssubtilitäten ... BARON. Hm – so? – nun vielleicht – und Sie? GRÄFIN. Ich? – Bis dahin war Hochfeld mir vorgekommen wie ein großer hoher Mensch, dem ich zwar angehörte, den ich aber noch kennen zu lernen hatte. Eine Brücke von meinem Verständnis zu dem seinen müsse es geben, meinte ich, und suchte sie. – In jener Stunde überkam mich’s plötzlich ... daß ich sie nie finden würde. BARON kann eine gewisse gutmütige Schadenfreude nicht verbergen. Und mit der verlorenen Brücke haben Sie weiter existiert. Und so war die Ehe beschaffen, von der Sie sagen – GRÄFIN fällt ihm ins Wort. Daß sie alles in allem genommen ... Es giebt viele weniger gute Ehen. BARON. Aber auch bessere, und sogar vortreffliche. Sich vergessend. Eine solche zum Beispiel wie die unsere sein könnte. Erschrocken. O Pardon! GRÄFIN unruhig, verlegen. Haha – BARON. Nein, nein! nicht haha. Überlegen Sie. – Ein Verständnis zwischen uns, ein grenzenloses ... von einer Brücke keine Rede: festes Land ... die Armenpflege mein eigentlicher, mir von der Natur angewiesener Wirkungskreis ... Bettelbriefe meine Lieblingslektüre ... ich komme immer mehr auf den Geschmack. GRÄFIN. Hoho! BARON in steigender Ekstase. Nein, nein, nein! Nicht hoho. Wenn es möglich wäre – wenn ich dableiben dürfte, nicht hingehen brauchte, um mich – der Himmel weiß mit welcher Mühe – zum sechstenmale zu verlieben; – wenn ich ein Recht hätte auf diesen Thee, diese Pastete, dieses Zimmer, dieses Gespräch, diesen kleinen Zank mit Ihnen, dem nie eine Versöhnung folgt, weil wir das nicht nötig haben, weil wir auch während des heftigsten Zankes innerlichst einig sind – wenn Sie mich nehmen wollten – Hat den Tisch zur Seite gerückt; erhebt die gerungenen Hände. Stürmisch. Nehmen Sie mich! ... Wenn Sie mich nicht nehmen, verschenke ich alles, was ich habe, werde

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ein Bettler, schreibe Ihnen täglich zehnmal zehn Briefe, falle Ihnen ganz zur Last. GRÄFIN. Lieber Baron, wie alt sind Sie? BARON hat sich immer tiefer vom Kanapee herabgleiten lassen, halb kniend. Zwanzig Jahre. GRÄFIN schüttelt den Kopf. Zu jung für mich. BARON. Es vergeht. Fährt mit der Hand über seinen Scheitel, seufzt tief auf. Es ist schon vergangen. Anwandlungen, tollkühne Träume. Ich weiß ja, Sie sind mir überlegen an Rang, Bildung, Geist – GRÄFIN. Papperlapapp! BARON überrascht, jubelnd. Hoho! Gleich darauf wieder mutlos, in ganz verändertem Tone. Ach nein! Erhebt sich, deutet auf die Briefe, die auf dem Schreibtisch liegen. Ich sehe da ein paar Bittschriften. Thut rasche Hilfe not? – Befehlen Sie über mich. GRÄFIN. Das Wetter ist schlecht. BARON. Was liegt daran? GRÄFIN. Neun Uhr. Hören Sie? es schlägt schon neun Uhr. BARON. Ich fürchte mich nicht im Finstern. – Schicken Sie mich fort. Sie finden ja keine Ruhe, solange Ihnen irgend ein Obdachloser vorschwebt ... Deutet auf die Briefe, die auf dem Schreibtisch liegen. Darf ich lesen? GRÄFIN. Nein, es ist verboten. BARON. Aus welchem Grunde? GRÄFIN. Raten Sie. BARON bärbeißig. Es sündigt wieder jemand auf Ihre Güte. GRÄFIN ist aufgestanden. Nein – aus Bescheidenheit. ’s ist lauter Dank. BARON. Nicht e i n e Bitte darunter? nun, gestehen Sie, das konnt ich nicht erraten ... Er will noch etwas hinzusetzen, seine Augen begegnen ihrem freundlich auf ihn gerichteten Blick. Plötzlich ergreift er ihre Hand und zieht sie an seine Lippen. GRÄFIN sich zu ihm neigend. Sie sind überhaupt im Erraten nicht stark, sonst wüßten Sie längst – daß ich Sie herzlich liebe.

II. Kritischer Apparat

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1. Editorische Hinweise Zeichen und Abkürzungen: Druck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften 1891 Druck in Gesammelten Schriften 1893 Druck in Gesammelten Schriften 1905

J S1 S2

Wiedergabe des Textes: Die Frakturschrift des Zeitschriftenabdrucks J ist in Antiqua wiedergegeben, wobei die im Sperrdruck gesetzten Personen als Kapitälchen erscheinen. Die Bühnenbeschreibungen und die zusätzlich in runden Klammern stehenden Szenen- sowie Personenbeschreibungen sind kursiv gesetzt. Zitate und Verweise: Zitatnachweise erfolgen unmittelbar nach den Zitaten in runden Klammern oder in Fußnoten mit Namen, Titel und Seitenangabe. Für ungedruckte Quellen werden Siglen verwendet, die im Quellenverzeichnis aufgeführt und mit bibliographischen Angaben versehen sind.

2. Zur Gestaltung von Text und Apparat Der Text folgt dem Zeitschriftenabdruck J. Orthographie und Interpunktion werden beibehalten. Eingegriffen wurde nur bei einem offensichtlichen Setzfehler, der in einer Fußnote erläutert wird.

3. Sammelvarianten Die im Folgenden aufgeführten orthographischen Varianten basieren auf der Uneinheitlichkeit der damaligen Rechtschreibung.

a. Vokalismus und Konsonantismus α. In den Fassungen J und S2 werden im Anlaut Ä und Ü verwendet; in S1 stehen noch Ae und Ue: Übrigens (914,2); Überflüssiges (915,30); Übertreibungen (916,16); Ästhetik (917,17); Überlegen (924,28). β. In J und S1 wird ie statt i in gibt verwendet, während in S2 stets i steht: giebt (913, vor 10,26; 916,9; 917,41; 920,6; 921,6; 923,32; 924,23).

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γ. Substantive mit der Endung -nis in J und S2 haben in S1 noch das damals gebräuchliche -niß: Geständnis (913,11,12); Hindernis (914,14); Gedächtnis (914,25,26); Ereignis (918,9; 924,5); Geheimnis (921,19); Verständnis (924,17,28). δ. In J wird in den folgenden Wörtern manchmal th oder t verwendet, während in S1 immer th und in S2 t steht: Thür (913, vor 1; 917,37; 920,40; 921,3,24,27); heiraten (914,6); Heiratsgedanken (914,12); Thee (914,11; 915,11,12,19; 917,6; 924,37); Theezeug (914,16); verheiratete (914,27); Wirtshauskost (915,3); Wohlthätigkeit (915,27); Reichtums (915,28,37); Wohlthat (915,35); mutwillig (916,15); geraten (917,24; 923,14); Heirat (917,26); that (917,28; 920,22); geheiratet (917,38); Großmut (918,16; 923,31); Not (918,18); thaten (918,18); Margareten (919,23, 920,26); Teilnahme (919,26); Rat (919,37; 922,21); wert (920,8); thun (920,21); That (920,34); Thüren (920,37); Atem (921,14; 922,10); Wohlthäterin (921,18; 924,1,4); Mut (921,24; 923,23); erröte (921,32); teilnehmend (921,39); geratenen (922,19); thut (923,1; 925,12); Thore (923,1,37); gethan (923,15); Thor (923,17); Mildthätigkeit (923,31); that’s (924,7); riet (924,12); gutmütige (924,20); nötig (924,39); mutlos (925,10); raten (925,22); erraten (925,26,27). ε. In J und S2 wird tot (918,13) verwendet, aber in S1 steht todt. In J wird der Eigenname Hochfeld (917,9,19; 920,3; 924,15) geschrieben, während in S1 und S2 Hochfeldt steht. ζ. In J und S2 steht Witwe (918,11; 919,32; 921,16), während in S1 Wittwe verwendet wird. In J und S1 steht litterarisch (917,25), in S2 dagegen literarisch.

b. Groß- und Kleinschreibung α. Bei Anredepronomina steht in J und S2 die Kleinschreibung, während in S1 die Großschreibung eingesetzt wird: du (917,41; 918,1; 920,4); du’s (919,9); dich (920,3). β. Indefinitivpronomina und Zahlwörter werden in S1 im Gegensatz zu J und S2 groß geschrieben: alles (914,34; 916,6); jemand (915,39; 925,23); die anderen (916,12,29); etwas anderem (916,16); jung und alt (916,33); jemanden (922,39); niemandem (917,39). γ. Adverbien werden in S1 groß geschrieben, während in J und S2 die Kleinschreibung steht: ohne weiteres (917,11); zu stande (919,18); im stillen (924,4).

c. Fremdwörter α. Für Verben und Adjektive romanischen Ursprungs wird in J und S2 die Endung -ieren und in S1 die Endung -iren verwendet: rasiert (913, vor 1); genieren (915,20); tyrannisieren (915,25); ruinieren (915,35); telegraphiere (917,2); triumphierendem (920,39); imponierte (922,31); imponieren (922,33,34); präsentierte (923,2); existiert (924,21).

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β. In den folgenden Wörtern wird in S1 c verwendet, während in J und S2 k steht: Kommissär (913,18); Korrespondenz (918,4). In J wie in S1 wird c verwendet, während in S2 z steht: Excellenz (917,9); agnosciert (923,26). γ. In J und S1 wird Couvert (923,24) verwendet, während in S2 Kuvert steht.

4. Fortlaufendes Variantenverzeichnis Das folgende Variantenverzeichnis zeigt die restlichen textlichen Unterschiede zwischen dem edierten Text J und den Fassungen S1 und S2 auf. 913, vor 1 913, vor 1 913,1 913,18 913,21 913,24 914,25 914,27 914,30 914,35 915,8 915,10 915,13 915,32 915,34 915,40 916,7 916,27 916,39 917,20 917,20–21 917,22 917,36 917,40 918,28 919,18 920,1 920,39 920,40 921,2 921,10 921,11

Gaslustre] Glaslüster S2 breitschulterig] breitschultrig S1 S2 Empfangscheine] Empfangsscheine S1 S 2 ebensogut] ebenso gut S1 S2 ermüdet mich.] ermüdet mich ... S1 S2 Ermüdet] – ermüdet S1 S2 fünfundeinhalbmal – so? ...] fünfundeinhalbmal so? ... S1 fünfundeinhalbmal! ... S2 Zweimal [...] zweimal] Zwei Mal [...] zwei Mal S1 Haha!] fehlt in S1 S2 so. – Ausgebügelt;] so. – Ausgebügelt: S1 so! – Ausgebügelt; S2 wissen? worüber] wissen? Worüber S1 S2 mir –] mir S1 S2 Ljansin;] Ljansin: S1 S2 inne;] inne, S1 S2 zweifele] zweifle S1 S2 ebensogut] ebenso gut S1 S2 Weh] Wehe S1 S 2 Nachsinnen,] Nachsinnen S1 S2 ganzes, volles] ganzes volles S1 S2 schon; wie alle] weiß! wie sämtliche S2 ein Muster seiner Gattung] eine Musterkarte aller Tugenden S2 uralten] antiquirten S1 antiquierten S2 – Wenn] – wenn S1 S2 Schulkameradinnen] Schulkameraden S1 S 2 Hilfeschrei] Hülfeschrei S1 eitel verkümmerte] lauter verkümmerte S1 S 2 antippen und] antippen, und S1 S2 ist, als] ist als S 1 war, als S2 klopfe] klopfte S1 trommele] trommle S1 S2 Frechling] Frechheit S 1 S2 Hemdsärmeln] Hemdärmeln S1 S2

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921,14 921,15 921,16 921,27 921,31 921,32 922,5 922,15 922,18 922,19 922,36 923,1 923,13 923,32 923,37 924,3 924,10,11 924,22 924,36 924,40 925, vor 4 925,12 925,16 925,25

Bettelbriefe

weht] wehte S1 stammele] stammle S1 S2 Ehre] Ehre, S 1 S2 Riegel vorzuschieben] Schlüssel, der außen steckte, umzudrehen S1 S2 peinlich.] peinlich! S1 S 2 Jetzt noch] Heute noch S1 S2 geschöpft] schöpfen S1 schöpften S2 welch] welch’ S 1 zu teil] zu Theil S1 zuteil S2 Hand] Hände S1 S 2 zweitenmal] zweiten Mal S1 redselig,] redselig S1 S2 Hausbesorgerin] Hausmeisterin S1 S 2 anderen] andern S1 S 2 müd] müd’ S1 heißt] heißt, S1 S2 Hilfe] Hülfe S1 beschaffen,] beschaffen S1 sechstenmale] sechsten Male S 1 S2 innerlichst] innerlich S1 S 2 kniend] knieend S1 S2 Hilfe] Hülfe S1 Sie? es] Sie? Es S1 S2 Nicht e i n e [...] konnt] Nicht eine [...] konnte S1 S2

III. Text- und Wirkungsgeschichte

Bettelbriefe

1. Der Text und seine Entstehungsgeschichte Ebner-Eschenbach beginnt mit den Bettelbriefen am 9. Mai 1891; sie notiert in ihr Tagebuch: „Heute habe ich einen Dialog aufgeschrieben. Mit großer Leichtigkeit und Freude. Bettelbriefe ein Dialog. Natürlich braucht die Ausarbeitung wenigstens eine Woche Zeit.“ (T IV). Am 26. Mai 1891 liest sie die Bettelbriefe Louise von Schönfeld vor, und am 8. Juni 1891 ist das „Zweigespräch“, wie sie jetzt die Bettelbriefe nennt, „bis auf die letzte Feile“ fertig (T IV). Am 21. Juni 1891 schickt sie die Bettelbriefe an den Verleger George Westermann (T IV). Als sie jedoch einige Zeit nichts von Westermanns Zeitschrift hört, wird sie unruhig: „Heute vor einem Monat, Bettelbriefe an Westermann geschickt. Seit meine schweren Jahre vorüber sind, ließ mich Niemand mehr so lang auf Antwort warten. Sollen die überstandenen Peinlichkeiten am Ende meiner Laufbahn Wiederholungen erfahren?“ (T IV, 20.7.1891). Ihre Sorge ist unberechtigt, denn nach Korrekturen an dem Werk im August erscheinen die Bettelbriefe im Oktober-Heft 1891 von Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften (T IV, 24.7. u. 16.8.1891). Die Bettelbriefe wurden bereits 1892, ein Jahr nach der Erstveröffentlichung, von den Gebrüdern Paetel in dem Band Drei Novellen veröffentlicht, der bis 1912 vier Auflagen erlebte. Von der Gattungsbezeichnung her ist interessant, dass das „Zweigespräch“ in einen Novellenband aufgenommen wurde. Allerdings tragen die Bettelbriefe in diesem Band keinen Untertitel; sie werden also weder als „Zweigespräch“ noch als Novelle bezeichnet. Die Bettelbriefe erschienen ebenfalls in den von den Gebrüdern Paetel herausgegebenen Gesammelten Schriften von Ebner-Eschenbach von 1893 und 1905 sowie in den Sämtlichen Werken von 1920. Außerdem wurden die Bettelbriefe in der Hafis-Ausgabe der Sämtlichen Werke von 1928 veröffentlicht. Schließlich wurden sie in den von Johannes Klein herausgegebenen Band von EbnerEschenbachs Erzählungen, Autobiographischen Schriften von 1958 aufgenommen.

2. Die Reaktionen Noch bevor Ebner-Eschenbach ein Exemplar ihrer Bettelbriefe an Paul Heyse (1830– 1914) schicken konnte, erhielt sie von ihm einen Brief, der sie jubilieren ließ und „ein Freudenräuschchen“1 auslöste. Heyse ist über das Werk voll des Lobes: Auf Ihre „Bettelbriefe“ gibt es keine andere Antwort, als einen Liebesbrief. Seit ich sie gestern gelesen habe, bin ich wieder ganz im Banne Ihrer Kunst, die so ganz Ihre Natur ist, und als ein 1

Ebner-Eschenbach an Heyse am 7.10.1891. In: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von EbnerEschenbach, S. 317.

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Bettelbriefe

alter Musset-Verehrer darf ich wohl gestehen, daß es mich mit einer ganz besonders stolzen Freude erfüllt hat, alle Anmut, gesellschaftliche Feinheit und Heiterkeit und jene naive Unmittelbarkeit, bei der einem das Herz im Leibe lacht, in einem deutschen Proverbe wiederzufinden, dazu noch eine Kleinigkeit, die dem Franzosen nicht immer eigen war, eine Seelenfülle, die uns im Innersten erwärmt.2

Johannes Klein geht in dem Nachwort seines Bandes auf die dramatischen und erzählerischen Züge des Dialogs Bettelbriefe ein. Er führt das Werk unter der Gruppe der Novellen und Kurzgeschichten auf, nennt es aber einen „Einakter“. 3 Für ihn dringt gerade in den Bericht der Gräfin „viel Dramatisches ein; man hört die einfachen Menschen, die in ihm auftreten, charakteristisch verschieden sprechen. Der novellistische Zuschnitt, den man dem Ganzen zubilligen mag, zeigt sich im überraschenden Ausgang.“ Und zum Thema führt Klein aus: „Noch einmal herrscht das soziale Motiv, wenn auch als Motiv der Wohltätigkeit, und man erkennt die ureigene Welt der Marie von Ebner-Eschenbach.“4

2

Heyse an Ebner-Eschenbach am 2.10.1891. In: Ebd., S. 316–317. Alfred de Musset (1810–1857), Lyriker und Novellist der französischen Romantik. 3 Klein: Nachwort. In: Erzählungen, Autobiographische Schriften, S. 930. 4 Ebd.

Marie von Ebner-Eschenbach und ihre Dramen

1. Die Dramen im Kontext der Gattung a. Das dramatische Werk Marie von Ebner-Eschenbachs Marie von Ebner-Eschenbach war Dramatikerin, Novellistin, Romanschriftstellerin, Aphoristikerin, Autobiografin und Lyrikerin. Ihre dramatische Tätigkeit erstreckte sich über ihre ganze schriftstellerische Laufbahn, d. h. über ein halbes Jahrhundert. Von 1850 bis 1910 gibt es kein Jahrzehnt, in dem Ebner-Eschenbach nicht dramatisch tätig war. Ihr Erstlingswerk war die Briefsatire Aus Franzensbad (1859), jedoch bereits ein Jahr später vollendete sie ihr erstes dramatisches Werk, die historische Tragödie Maria Stuart in Schottland (1860).1 Ihr Interesse am Drama und an der Geschichte ging bis in die Kinderjahre zurück,2 bis sie sich in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts ernsthaft mit dem historischen Drama beschäftigte. Als letzte dramatische Werke erschienen 1903 ihre drei dialogisierten Novellen Genesen, Zwei Frauen und Ein Sportsmann sowie der Einakter Ihre Schwester. 3 In den sechziger Jahren setzte sich Ebner-Eschenbach intensiv mit der historischen Tragödie auseinander. Es kam zur Umarbeitung der Maria Stuart in Schottland (1863), und es entstanden die Fragmente Cinq-Mars und Richelieu (1859–1865), das Trauerspiel Marie Roland (1867) sowie die Fragmente Jacobäa und Jacobäa von Bayern (1862–1871). Jedoch befasste sie sich in diesem Jahrzehnt auch mit anderen dramatischen Gattungen. Im Jahre 1861 vollendete sie ihr erstes Künstlerdrama Die Schauspielerin, und 1862 erschien die erste Fassung ihres Lustspiels Die Veilchen. Ein weiteres Lustspiel Ein kleines Unrecht, das 1863 entstand, gilt als verschollen. 4 Noch im gleichen Jahr vollendete Ebner-Eschenbach das Schauspiel Die Heimkehr, das ein Jahr später in Mutter und Braut (1864) umgearbeitet wurde. Im Jahre 1866 beendete sie das Drama Das Geständnis, und 1869 erschien erstmals das dramatische Gedicht Doctor Ritter, das 1872 erneut veröffentlicht wurde. Neben den vier historischen Tragödien verfasste Ebner-Eschenbach also in diesem Jahrzehnt sechs weitere Dramen. Die siebziger Jahre könnten als die Zeit der Lustspiele bezeichnet werden. In diesem Jahrzehnt verfasste Ebner-Eschenbach neun Lustspiele, einschließlich der umgearbeiteten Fassung des Lustspiels Die Veilchen (1877). Es entstand Das Waldfräulein (1873), das sie von der vieraktigen Komödie in eine dreiaktige (1875) umschrieb. Danach folgten fünf Lustspiele, deren Texte nicht auffindbar sind und als verschollen 1

Ebner-Eschenbach: Die historischen Tragödien. „Maria Stuart in Schottland“, „Marie Roland“, „Richelieu“, „Jacobäa“. Hg. v. Marianne Henn. Ebner-Eschenbach: Meine Kinderjahre, S. 114. 3 Siehe die chronologische Liste der Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs, S. 956–958. 4 Ebner-Eschenbach berichtet in ihrem Tagebuch von der Arbeit an dem Stück: T I, 25.8., 2.9., 15.9., 4.10.1863. 2

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Ebner-Eschenbach und ihre Dramen

gelten. Es handelt sich dabei um Die Witwe (1873), das 1874 im Wiener Stadttheater aufgeführte Lustspiel Untröstlich (1873), Idée fixe (1874), Mein Opfer (1874) und das Fragment gebliebene Lustspiel Die Pessimisten (1874). Ebner-Eschenbach berichtet in ihren Tagebüchern von der Arbeit an diesen Stücken.5 Das Lustspiel Männertreue (1874) arbeitete sie von einem vieraktigen in ein dreiaktiges Lustspiel um, jedoch wurden 1912 in der Zeitschrift Der Merker die ursprünglichen vier Akte gedruckt. Schließlich vollendete sie im Jahre 1875 das Lustspiel Die Selbstsüchtigen. Gleichzeitig begann Ebner-Eschenbach in den siebziger Jahren mit ihrem Erzählwerk und verfasste ihr erstes Märchen (Die Prinzessin von Banalien, 1872), eine Reihe von Erzählungen sowie Aphorismen. Während in den achtziger Jahren vor allem Ebner-Eschenbachs bekannte und ihren Ruhm begründende Erzählwerke entstanden, setzte sie ihre dramatische Tätigkeit fort. Bei den von jetzt an entstandenen dramatischen Werken handelt es sich um einaktige Dramen, bei denen Ebner-Eschenbach gattungsmäßig recht experimentell vorging. Außerdem wandte sie sich mit diesen dramatischen Werken nicht wie bisher üblich an Theaterdirektoren, sondern veröffentlichte sie in Zeitschriften. Das erste, als „dramatisches Sprichwort“ bezeichnete Werk war Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, das 1881 in den Dioskuren erschien. Es folgte der in den Jahren 1882–1883 entstandene Einakter Bekenntniß. Im Jahre 1888 erschien in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften Ebner-Eschenbachs erste dialogisierte Novelle Ohne Liebe. Ihre Experimentierfreude mit der dramatischen Gattung zeigt sich darin, dass dieses Werk 1891 auch als Lustspiel erschien. In der wissenschaftlichen Forschung wird meistens nur die dialogisierte Novelle berücksichtigt, was dazu führt, dass Aufführungen des Lustspiels als die der dialogisierten Novelle ausgewiesen werden. So geht Ulrike Tanzer davon aus, dass es sich sowohl bei der Aufführung am Deutschen Theater in Berlin im Jahre 1896 als auch der am Burgtheater im Jahre 1898 um die dialogisierte Novelle handelt, während es das Lustspiel Ohne Liebe war (s. S. 416– 417).6 Im gleichen Jahr, 1891, wurden außerdem in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften Ebner-Eschenbachs Bettelbriefe veröffentlicht, die sie als „Ein Zweigespräch“ bezeichnete. Darauf erschien 1897 in Eduard Blochs Theater-Buchhandlung die „Scene in einem Aufzug“ Am Ende. Ebner-Eschenbachs letzte dramatische Werke sind drei dialogisierte Novellen – Genesen, Zwei Frauen, Ein Sportsmann –, die 1903 in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften veröffentlicht wurden, und der in der Deutschen Rundschau ebenfalls 1903 erschienene Einakter Ihre Schwester. Wie Helmut Brandt ausführt, war die Deutsche Rundschau nach 1870 „das 5

„Die Witwe“: T II, 27.6.1873; „Idée fixe“: T II, 14.12.1873, 13.1. und 14.1.1874; „Mein Opfer“: T II, 30.1., 21.2., 2.3., 31.12.1874; „Die Pessimisten“: T II, 30.6. und 10.8.1874; „Untröstlich“: T II, 18.10.1873. 6 Tanzer: Dialogisches Erzählen. Zu den Novellen Marie von Ebner-Eschenbachs, S. 166.

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wichtigste Publikationsorgan“, und somit war es „ein Ausweis von Rang“,7 zum Kreis der Autoren und Autorinnen dieser Zeitschrift zu gehören. Darunter waren Theodor Storm, Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Paul Heyse, Theodor Fontane und eben auch Marie von Ebner-Eschenbach sowie Louise von François, Helene Böhlau, Isolde Kurz, Ricarda Huch und Clara Viebig. Ebner-Eschenbachs gesamtes dramatisches Werk besteht aus 28 Dramen: Sechs Dramentexte (Ein kleines Unrecht, Die Witwe, Untröstlich, Idée fixe, Mein Opfer, Die Pessimisten) gelten als verschollen; drei sind Fragmente geblieben (CinqMars/Richelieu, Jacobäa/Jacobäa von Bayern, Die Pessimisten); vierzehn Dramen sind im Druck erschienen, je zur Hälfte in Verlagen und in Zeitschriften (Maria Stuart in Schottland, Die Veilchen in zwei verschiedenen Fassungen, Marie Roland, Doctor Ritter, Männertreue, Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, Ohne Liebe als dialogisierte Novelle und Lustspiel, Bettelbriefe, Am Ende, Genesen, Zwei Frauen, Ein Sportsmann, Ihre Schwester); dreizehn sind aufgeführt worden (Maria Stuart in Schottland, Die Veilchen, Die Heimkehr/Mutter und Braut, Das Geständnis, Marie Roland, Doctor Ritter, Das Waldfräulein, Untröstlich, Männertreue, Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, die dialogisierte Novelle Ohne Liebe, das Lustspiel Ohne Liebe, Am Ende). Nach dem Erstdruck in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften wurden zu Ebner-Eschenbachs Lebzeiten die Bettelbriefe in den wiederholt aufgelegten Band Drei Novellen (1892, 1901, 1912) im Verlag der Gebrüder Paetel aufgenommen. Außerdem erschienen sie zusammen mit der dialogisierten Novelle Ohne Liebe in den Gesammelten Schriften von Marie von EbnerEschenbach im selben Verlag. Posthum wurden die Bettelbriefe, die dialogisierte Novelle Ohne Liebe und der Einakter Am Ende in Ebner-Eschenbachs Sämtlichen Werken des Verlags der Gebrüder Paetel von 1920 sowie in die Hafis-Ausgabe ihrer Sämtlichen Werke von 1928 aufgenommen. Im Jahre 1947 veröffentlichte Heinz Rieder in dem Band Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach die dramatischen Werke Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, Ein Sportsmann, Genesen und Zwei Frauen, und Johannes Klein nahm 1958 Ebner-Eschenbachs Bettelbriefe und die dialogisierte Novelle Ohne Liebe in den Band Erzählungen. Autobiographische Schriften auf. Außerdem wurde Das Waldfräulein 1969 von Karl Gladt und 1988 von Roman Roček in Ebner-Eschenbachs Aphorismen, Erzählungen, Theater veröffentlicht. Schließlich erschienen in Susanne Kords Band Letzte Chancen: Vier Einakter von Marie von Ebner-Eschenbach die dialogisierte Novelle Ohne Liebe sowie die dramatischen Stücke Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, Genesen und Am Ende. Mit dem vorliegenden Band liegt erstmals das gesamte überlieferte dramatische Werk der Autorin gedruckt vor.

7

Brandt: Marie von Ebner-Eschenbach und die „Deutsche Rundschau“, S. 1001.

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b. Die dramatischen Gattungen Überblickt man Ebner-Eschenbachs gesamtes dramatisches Werk, so zeigt sich, dass es sich um keine vorübergehende und resigniert aufgegebene Tätigkeit handelt, wenn diese auch in der Forschung verschiedentlich als „die bitteren Lehrjahre als Dramatikerin“ und „ihr Rüstzeug für die Arbeiten auf ihrem ureigensten Gebiet, der Erzählung“8 sowie als „Irrweg“9 oder erst kürzlich als ihr „fast dreißigjähriges vergebliches Bemühen auf dem Gebiet des Dramas“10 bezeichnet wurde. Vielmehr weist ihr dramatisches Werk eine erstaunliche Gattungsvielfalt auf, die ihre Experimentierfreude und Kreativität auf diesem Gebiet widerspiegelt. Ebner-Eschenbach schrieb historische Tragödien, Gesellschaftsdramen, Künstlerdramen, Lustspiele und eine Reihe verschiedener Einakter. Sie bezeichnete ihre Werke verschiedentlich als „Schauspiel“, „Trauerspiel“, „Drama“, „Lustspiel“, „dramatisches Gedicht“, „dramatisches Sprichwort“, „Zweigespräch“, „Scene“ und „dialogisierte Novelle“. Da von dem vieraktigen Drama Das Geständnis kein Titelblatt vorhanden ist, fehlt die Gattungsbezeichnung. Zwei ihrer dramatischen Stücke tragen keine Gattungsbezeichnung: Bekenntniß und Ihre Schwester (beides Einakter). Jedoch benutzte sie in ihren Tagebüchern für Bekenntniß und auch für Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen statt der deutschen Bezeichnung „dramatisches Sprichwort“ den französischen Gattungsbegriff „Proverbe“. 11 Er beschreibt „Schauspiele in einem Akt mit lebhaftem, beziehungsreichem Dialog, die die Wahrheit e. Sprichwortes, prägnanten Lehrsatzes oder e. Lebenserfahrung erläutern, erweisen und beispielmäßig belegen wollen.“12 Ebner-Eschenbach war mit dem Werk der französischen Meister dieser Gattung, Alfred de Musset (1810–1857) und Octave Feuillet (1821–1890), durchaus vertraut. Es ist bezeichnend, dass noch zwei andere dramatische Einakter EbnerEschenbachs als „Proverbe“ gedeutet wurden. So rechnet der Rezensent der Neuen Freien Presse ihre „Scene in einem Aufzug“ Am Ende dieser Gattung zu (s. S. 830). Für Paul Heyse übertraf Ebner-Eschenbach mit ihrem „deutschen Proverbe“ Bettelbriefe, die sie „Ein Zweigespräch“ genannt hatte, sogar seinen verehrten Musset (s. S. 935–936). Selbst in dem skandalumwitterten Lustspiel Das Waldfräulein erkennt der Rezensent der Deutschen Zeitung die für die deutsche Komödie ungewöhnliche Leistung einer durchaus gelungenen satirischen Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Gesellschaft (s. S. 696–697). Am Kreativsten zeigte sich Ebner-Eschenbach allerdings mit der Gattung der dialogisierten Novelle (Ohne Liebe, Genesen, Zwei Frauen, Ein 8

Gladt: Kindliche Begeisterung und Theaterleidenschaft. In: Das Waldfräulein, S. 27. Klein: Nachwort. In: Marie von Ebner-Eschenbach: Das Gemeindekind, Novellen, Aphorismen, S. 963. 10 Tanzer: Dialogisches Erzählen. Zu den Novellen Marie von Ebner-Eschenbachs, S. 157. 11 T III, 9.9., 17.9., 26.12.1880, 21.5.1881, 2.2.1883. 12 von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, S. 601. 9

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Sportsmann). Zweifelsohne wurde der Weg zu dieser innovativen dramatischen Form durch den Erfolg der Dichterin mit ihren Novellen und Romanen beeinflusst. Ulrike Tanzers Feststellung im Zusammenhang mit Ebner-Eschenbachs erzählerischem Œuvre gilt auch für ihr dramatisches Werk: Es sei bisher unbeachtet geblieben, dass „Ebner-Eschenbach kreativ mit der Novellentradition umgeht, Gattungsgrenzen auslotet und mit Erzählformen experimentiert“.13 Ebner-Eschenbach experimentiert zwar mit der Gattung, aber sie setzt sich nicht theoretisch mit ihr auseinander. Es kommt einmal zu einer Diskussion mit Paul Heyse über eine schärfere Abgrenzung zwischen Gattungen, aber Ebner-Eschenbach bestand auf ihrem kreativen Umgang.14 Der Unterschied zwischen einer dramatischen Gattung wie dem Lustspiel und EbnerEschenbachs dialogisierter Novelle ist schon rein äußerlich am Beispiel von Ohne Liebe erkennbar. Den dialogisierten Novellen geht kein Personenverzeichnis voraus, und sie sind auch nicht in Akte und Szenen unterteilt. Ohne Liebe wird lediglich durch eine Szenenbeschreibung ungefähr in der Mitte des Textes in zwei Teile gegliedert. Diese Gliederung wird gelegentlich in der Besprechung der dialogisierten Novelle als Akteinteilung interpretiert. Paul Heyse empfahl Ebner-Eschenbach aus theatralischen Gründen die Szenenbeschreibung in der Mitte in Handlung aufzulösen (s. S. 766), was sie aber nicht tat. Auch das Stück Ihre Schwester, das keine Gattungsbezeichnung trägt, weist die Zweigliederung auf und zeigt, dass die Gattungsgrenzen mitunter fließend werden. Manche dialogisierten Novellen beginnen mit einer ausführlichen Personenbeschreibung, die der Charakterisierung dient (Ein Sportsmann, Zwei Frauen). Das trifft auch auf den Einakter Ihre Schwester zu, der thematisch dem naturalistischen Drama am nächsten kommt. Schon 1947 wies Elisabeth Felbinger in ihrer Studie auf die Bedeutung der dialogisierten Novellen Ebner-Eschenbachs hin und sah das Charakteristische dieser Werke in der genauen „Menschenbeobachtung“ und der „psychologischen Motivierung“: „Jedes Detail der Umgebung, jeder Zug an dem Menschen bekommt eine kennzeichnende Bedeutung für die Art und die Handlungen der Personen“, was dazu führe, dass der „eigentliche Gehalt“ nicht „im Gespräch, sondern zwischen den Zeilen, in den Szenenanweisungen“ liege.15 EbnerEschenbachs „Meisterschaft im Verschweigen“ in der dialogisierten Novelle hob auch Heinz Rieder hervor und sah diesen Zug besonders in dem Werk Ein Sportsmann verwirklicht, in dem „alles Wesentliche, Wichtige“ zwischen den Zeilen stehe und daher „um so wirksamer“ sei (s. S. 783). Max Bernstein nannte die dialogisierte Novelle Ohne Liebe in seiner Rezension der Münchener Aufführung „eine Novelle in Gesprächsform“ (s. S. 765) und verwies damit auf die Verwandtschaft zwischen Novelle und Drama. Ebner-Eschenbachs dialogisierte Novellen tragen novellistische Züge, so dass bei ihnen von einem 13 14

15

Tanzer: Dialogisches Erzählen. Zu den Novellen Marie von Ebner-Eschenbachs, S. 162. Heyse an Ebner-Eschenbach am 1.12.1895 und Ebner-Eschenbach an Heyse am 3.12.1895. In: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von Ebner-Eschenbach, S. 344–347. Felbinger: Marie von Ebner-Eschenbachs dramatische Arbeiten, S. 130.

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Wendepunkt, einem überraschenden Ende oder Goethes „sich ereignete[r] unerhörte[r] Begebenheit“ gesprochen werden kann.16 Jedoch enthalten sie auch viel Dramatisches. Ein Rezensent vermutete in der Gattungsbezeichnung den üblichen weiblichen Bescheidenheitsmodus, da Ebner-Eschenbach Ohne Liebe „mit übertriebener Anspruchslosigkeit“17 eine dialogisierte Novelle genannt habe.

c. Die Themenvielfalt des dramatischen Werkes Ebner-Eschenbachs dramatische Werke spiegeln in den meisten Fällen die ihr vertraute zeitgenössische adlige Gesellschaft wider. Sie zeigen den Gegensatz von Stadt- und Landadel, Geburts- und Geldadel und schließen Bürgerliche ein. Selbst ihre späten Einakter, die sich thematisch dem naturalistischen Drama nähern, spielen in adligen Kreisen. Eine Ausnahme in diesem Zeitrahmen bilden das Künstlerdrama Doctor Ritter, das im 18. Jahrhundert spielt, und das Lustspiel Männertreue, das eine Novelle des italienischen Dichters Matteo Bandello (um 1485–1561) zur Grundlage nimmt und sich im Venedig des 15. Jahrhunderts zuträgt. In Ebner-Eschenbachs beiden Künstlerdramen wird die Entscheidung zwischen Leben und Kunst aus weiblicher Sicht in dem Drama Die Schauspielerin und aus männlicher in dem dramatischen Gedicht Doctor Ritter, das auf das Bauerbacher Jahr in Friedrich Schillers Leben eingeht, thematisiert. Geschlechterbeziehungen im adligen Kreis werden auf vielfältige Weise in einer Reihe von Dramen behandelt. In Männertreue werden zwei verfeindete Venezianer von ihren Ehefrauen bloßgestellt und versöhnt. In Mutter und Braut steht der Mutter-Sohn-Konflikt im Mittelpunkt, aber es wird auch die Beziehung zwischen dem Sohn und seiner Braut beleuchtet und in diesem Zusammenhang das Leben auf dem Land dem der Stadt gegenübergestellt. In dem Drama Das Geständnis wird ein Ehebruch durch ein unerwartetes Geständnis der Schwiegermutter verhindert, und in Die Selbstsüchtigen entscheidet sich schließlich der ältere Bewerber für die Tochter und der jüngere für die Mutter. Die beiden Lustspiele Die Veilchen und Das Waldfräulein setzen sich kritisch und satirisch mit dem adligen Leben und seinen Umgangsformen auseinander, wobei auch wiederum der Gegensatz von Stadt und Land thematisiert wird. Das verschollene Lustspiel Untröstlich behandelt den Stoff der Witwe von Ephesus. Nach einer Rezension in der Deutschen Zeitung zeigt das Stück „zwei durch vermeintliches Unglück Untröstliche, die sich mit dem noch größeren Unglück eines Anderen dennoch trösten und zuletzt ein Paar werden.“18

16 17 18

Zur Novelle siehe von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, S. 526–528. Berliner Courier Nr. 99, Beilage, vom 12.4.1891. Deutsche Zeitung Nr. 792, Beilage, vom 17.3.1874, S. 6.

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Auch die Einakter behandeln eine Vielfalt von Themen, und wiederum werden auch in ihnen die Geschlechter auf verschiedene Weise miteinander konfrontiert. In dem dramatischen Sprichwort Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen kann die große Liebe nur als Seelenfreundschaft verwirklicht werden. In dem Stück Das Bekenntniß kommt es nicht zum erwarteten Liebesbekenntnis des Mannes, sondern dem der Frau; in Ohne Liebe werden Vernunftehe und Liebesehe konfrontiert, und es kommt schließlich zu einer Beziehung, die auf Gleichheit beruht. In den Bettelbriefen behandelt Ebner-Eschenbach die Wohltätigkeit, ein Thema, das ihr sehr am Herzen lag und das sie in ihrem Erzählwerk wiederholt thematisiert hat. Der Einakter Am Ende geht auf das weibliche und männliche Altern in der landadeligen Sphäre ein, und in der dialogisierten Novelle Ein Sportsmann verhindern gesellschaftliche Konventionen, dass sich der Vater dem Sohn zu erkennen gibt. In Genesen wird die Frau zwischen zwei Männern und in dem Gegenstück Zwei Frauen der Mann zwischen zwei Frauen dargestellt. Das letzte dramatische Werk Ihre Schwester ist eine psychologische Studie, die vom Thema her als naturalistisches Drama anzusehen ist. Es nimmt das heikle Thema der Vergewaltigung auf. Diese Gewalttat verfolgt das Bewusstsein der älteren Schwester, während sie aus dem Bewusstsein des Opfers, der jüngeren Schwester, gelöscht ist. Die thematische Spannweite des dramatischen Werkes Ebner-Eschenbachs reicht von der in der Nachfolge des klassischen Dramas verfassten historischen Tragödie bis zum naturalistischen Einakter. Roman Roček wies darauf hin, dass in dem Motto, das sie ihren Aphorismen voranstellte – „Ein Aphorismus ist der letzte Ring einer langen Gedankenkette“ –, im Grunde „bereits ihre gesamte Poetologie zusammengefaßt“ sei: „Denn legt nicht auch ihr Dichten, ihr Denken Jahresring um Jahresring zu, wächst es nicht wie die ineinander verschränkten, verschlungenen Glieder einer Kette?“19 Vielleicht könnte dieser Spruch auch auf das stete Wachsen und Sich-Fortentwickeln des dramatischen Werkes von Ebner-Eschenbach angewandt werden.

2. Die zeitgenössische Bühne und die Dramen a. Das dramatische Werk auf der Bühne Von Ebner-Eschenbachs insgesamt achtundzwanzig Dramen wurden fast die Hälfte, genau dreizehn, aufgeführt. Es ist aufschlussreich, dass die meisten der aufgeführten Dramen außerhalb Wiens auf die Bühne kamen. Zehn Dramen wurden in Orten wie Karlsruhe, Danzig, Brünn, Prag, Coburg, München, Weißkirchen, Weimar, Friedrichshafen, Berlin, Hamburg, Leipzig, Stuttgart, Mannheim, Graz, Bauerbach, 19

Roček: Nachwort. In: Marie von Ebner-Eschenbach: Aphorismen, Erzählungen, Theater, S. 576.

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Sigmaringen, Meiningen, Rostock und Dessau aufgeführt, während nur sieben in Wien gespielt wurden. Von den sieben Stücken wurden Die Veilchen im Burgtheater, Doctor Ritter im Kärntnertortheater und Das Waldfräulein sowie Untröstlich im Stadttheater uraufgeführt. Bei den beiden Aufführungen von Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen handelt es sich um private Veranstaltungen. Die Tatsache, dass weder die historische Tragödie Maria Stuart in Schottland, die in Karlsruhe erfolgreich aufgeführt, noch Marie Roland, die in Weimar uraufgeführt wurde, in Wien auf die Bühne kam, lag an der dortigen Theaterpolitik. Zwar plante Heinrich Laube, der von 1849 bis 1867 Direktor des Wiener Burgtheaters war, Marie Roland aufzuführen, aber die Aufführung fiel einem Konflikt zwischen Laube und dem zum Generalintendanten der beiden Hoftheater ernannten Friedrich Halm zum Opfer. 20 Als erstes dramatisches Werk Ebner-Eschenbachs wurde das Lustspiel Die Veilchen im Burgtheater am 13. Mai 1863 mit besonders gutem Erfolg uraufgeführt und danach wiederholt gespielt (s. S. 523–524). Es wurde mit dem Pseudonym „Eschenbach“ angekündigt. Das Lustspiel spielten auch Theater in Brünn, Prag, Coburg, Breslau, München, Weißkirchen, Weimar und noch im Jahre 1911 in Friedrichshafen. Im gleichen Jahr 1863 gastierte die in Wien verehrte Schauspielerin Julie Rettich am Berliner Viktoria-Theater mit dem anfangs Die Heimkehr betitelten Schauspiel und ein Jahr später trat sie in Hamburg in dem in Mutter und Braut umbenannten Drama mit großem Erfolg auf, während das Stück selbst weniger wohlwollend aufgenommen wurde. Die Verfasserin blieb anonym; es wurde lediglich gemutmaßt, dass das „Schauspiel aus der Feder einer süddeutschen Aristokratin“ (T I, 12.7.1863) stamme. Es war ein Auftragsstück für die mit Friedrich Halm befreundete Julie Rettich, und Ebner-Eschenbach gelobte, nie wieder ein Stück für eine bestimmte Schauspielerin zu schreiben. 21 Das nächste Drama Das Geständnis wurde am 31. Oktober 1867 mit dem Pseudonym M. Haller in Prag uraufgeführt, sehr gut aufgenommen und mehrere Male wiederholt. Das Pseudonym führte jedoch dazu, dass es zum Rätselraten um den Verfasser kam und ein Rezensent sich mehr mit dem Aussehen des Autors befasste als dem Stück selber. Ebner-Eschenbach reagierte darauf mit der Bemerkung, dass eine Kritik nur Wert habe, wenn sie sach- und nicht personenbezogen sei (T I, 3.11.1867).

20

21

Ebner-Eschenbach stellte sich in dem Konflikt auf die Seite von Laube. In einer Tagebucheintragung notiert sie: „Münch hat Unrecht gehandelt, sehr Unrecht! Ich fürchte dass er sich nie von alle der Schmach wird reinigen können, womit er beladen wird.“ (T I, 20.10.1867). Eligius Freiherr von Münch-Bellinghausen benutzte das Pseudonym Friedrich Halm. T I, 22.4.1863. Noch Jahre später nimmt sie zu Halms Ratschlag, beim Schreiben von Dramen „an die Aufführung durch große Schauspieler“ zu denken, Stellung und beschreibt die damit verbundene Gefahr (T I, 6.1.1867).

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Die zweite Uraufführung eines Dramas von Ebner-Eschenbach in Wien fand am 21. Februar 1869 im Kärntnertortheater statt. Es war das dramatische Gedicht Doctor Ritter, das zu Gunsten des Schillerdenkmal-Fonds gespielt wurde. Das Stück wurde ohne Verfassernamen angekündigt. Zwei Tage später, am 23. Februar 1869, folgte die erste Aufführung des Dramas am Burgtheater; das Stück wurde auf dieser Bühne sechsmal erfolgreich wiederholt. Noch im Jahre 1900 kam es anläßlich eines Festaktes zum 70. Geburtstag Ebner-Eschenbachs zu einer Aufführung von Doctor Ritter am Burgtheater. Auch in einer Reihe von anderen Städten wurde das Drama mit Erfolg gespielt. Während die Zuschauer in Wien das Drama recht freundlich aufnahmen, Ferdinand von Saar sowie Franz Grillparzer von dem Stück begeistert waren, reagierte die Presse gemischt (s. S. 191–192). Besonders der berüchtigte Wiener Feuilletonist Ludwig Speidel nutzte seine Polemik zu einem persönlichen Angriff, der durch die Namensnennung der Autorin auch deren Ehemann Moriz, einen FeldmarschallLieutenant, traf: „die Verfasserin ist Frau Baronin v. Ebner, auf literarischem Felde unter dem Kriegsnamen Eschenbach bekannt.“ Außerdem wurde für Speidel das vom Schiller-Komitee vorgegebene Thema des Stückes zum Mittel, die dramatischen Fähigkeiten der Autorin in Frage zu stellen: „Sie hat wohl daran gethan, sich hinter den wirksamen Namen Schiller zu stecken, denn auf eigene Hand dürfte sie wol schwerlich wirken können.“22 Jedoch war Ebner-Eschenbach nicht die einzige Dramatikerin, die die Wiener Kritiker zu ihrer Zielscheibe machten. Auch ihre Schriftstellerkollegen Friedrich Hebbel, Ferdinand von Saar und Franz Grillparzer waren ihren Angriffen ausgesetzt.23 Noch 1874 notierte Ebner-Eschenbach in ihr Tagebuch: „Wenn ich den Namen eines Dichters [...] in einem Feuilleton Speidels lese, ist mir als sähe ich einen Falken in den Fängen eines Geiers.“24 Und Ferdinand von Saar schrieb in einem Brief an Ebner-Eschenbach: „eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Speidel oder ein ‚Solchener‘ etwas über einen ehrlich Ringenden schriebe“. 25 Georg Reichard fasst die Wiener Pressekritik in diesen Jahren so zusammen: „Die Kritik sei nicht konstruktiv, sondern beleidigend und entmutigend. Die Rezensionen seien voreingenommen, ihren Urteilen fehle die nötige Objektivität.“26 Rückblickend rechnete um die Jahrhundertwende Karl Kraus (1874– 1936) mit dem Wiener Theaterjournalismus und besonders Ludwig Speidel, der seit Ende der sechziger Jahre das Wiener Feuilleton dominierte, ab: Deutschmeister Speidel, der seit 30 Jahren den Inhalt aller Burgtheaterstücke so schön angibt, hat niemals auf die Production befruchtend eingewirkt. Er überragt ja an Bildung den ganzen Tross

22

L. Sp.: Theater. Schiller-Akademie – Burgtheater. In: Die Presse Nr. 58 vom 27.2.1869. Vgl. Ebner-Eschenbach: Die historischen Tragödien, S. 806. 24 T II, Anhang 1874, S. 317. 25 Saar an Ebner-Eschenbach am 26.11.1876. In: Kindermann, S. 50. 26 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 112. Vgl. auch Rossbacher, der die Flugschrift „Wien war eine Theaterstadt“ zitiert, in der Autoren und Theaterdirektoren von der Kritik behaupten, dass sie „launenhaft, brutal, ungerecht, widerspruchsvoll bis zur Lächerlichkeit“ sei. In: Literatur und Liberalismus, S. 108. 23

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der Leute, deren Beruf es ist, ein entstelltes Bild von der Aufnahme einer Novität zu geben. Aber wird ihm darum nicht umso schwerer der kritische Amtsmissbrauch, den er seit Jahrzehnten treibt, anzurechnen sein? 27

Anlässlich einer Feier zu Ehren Speidels fasst Karl Kraus die Karriere des Kritikers wie folgt zusammen: [...] dass er in dreißigjährigem Zusammenleben mit dem ärgsten journalistischen Geschmeiße den Anschluss an die deutsche Sprachkunst nicht verlor, kann nicht oft genug betont werden. Was aber ist die Summe dieses literarischen Lebens? Eine schöne Inhaltsangabe ... Es ist dreiste Festtagslüge, Herrn Speidel einen Wächter des Wiener Kunstgeschmacks zu nennen, ihn, der nie Damm, stets Dulder der unersättlichen Wiener Kunstcorruption war. [...] Wann hat sich die Kunst durch ihn „gefördert“ fühlen müssen? Wofür sollte ihm das Burgtheater „dankbar“ sein? [...] Burgtheaterkritik hat Speidel nie, Burgtheaterpolitik freilich geistreicher und geschmeidiger als die Anderen betrieben.28

Eduard Devrient, der als Karlsruher Theaterdirektor auch mit den Wiener Verhältnissen vertraut war, hatte sich schon in den frühen sechziger Jahren Sorgen gemacht, dass die Wiener Theaterpolitik Ebner-Eschenbachs dramatische Tätigkeit beeinflussen könne: „ich fürchte, daß Sie sich aus Unbefriedigung an dem Verhalten der Bühne Ihrem Talente gegenüber von der Bühne selbst abwenden könnten. Ich müßte es aufs Tiefste beklagen, weil ich Ihre dramatische Befähigung für die Ihrer Zeitgenossen überragende halte.“29 Es dauerte fast dreißig Jahre, bis es zur nächsten Aufführung eines Stückes von Ebner-Eschenbach am Burgtheater kam. Die Uraufführungen der nächsten beiden Lustspiele Ebner-Eschenbachs fanden 1872 im neu gegründeten Stadttheater in Wien statt, dessen Direktor Heinrich Laube von 1872 bis 1880 war. Das Stadttheater wurde, wie Georg Reichard ausführt, als „Konkurrenzunternehmen zum Burgtheater“ verstanden, in dem die Logen dem Adel vorbehalten waren, während sich am Stadttheater durch den „wachsenden Wohlstand des Bürgertums“ auch „reiche Bürger in Logen einkaufen“30 konnten. Außerdem ging man davon aus, dass im neuen Stadttheater ein „freier gestelltes Repertoire ein erwünschter Vortheil sein werde“, da es nicht den „zahlreichen Rücksichten unterworfen“ sei, die das Burgtheater, das sich „im Hause des Kaisers“ befand, beschränkten.31 Die Uraufführung des Lustspiels Das Waldfräulein am 13. Januar 1873 wurde ohne Verfassername angekündigt, und erst ab Juni 1874 stand auf dem Theaterzettel „Lustspiel in vier Akten von M. v. Eschenbach“. Zur Aufführung erschien auch der Adel, obwohl er das Stadttheater für ein bürgerliches Theater hielt, 27

Kraus: Die Fackel Nr. 2, 1899, S. 15. Kraus: Die Fackel Nr. 38, 1900, S. 28. Devrient an Ebner-Eschenbach am 4.2.1863. In: Bettelheim: Wirken und Vermächtnis, S. 316. 30 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 114. Vgl. auch Laube: Das Wiener Stadt-Theater, S. 10–11. 31 Laube: Das Wiener Stadt-Theater, S. 14. 28 29

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weil bekannt geworden war, dass die Verfasserin eine Adlige sei, die in dem Lustspiel ihren Stand karikiere (s. S. 693). Jedoch wurde das Lustspiel von den Zuschauern recht freundlich aufgenommen. Die feindliche Haltung kam anfangs von Seiten der Presse, die die Verfasserin mit Hohn überschüttete und behauptete, sie habe das Lustspiel lediglich geschrieben, um „die Blaustrümpfe“ zu rächen. Die Titelheldin stellte die Presse verzerrt als „Bauerntölpel“ dar (s. S. 694). Mit solchen Angriffen wurde Ebner-Eschenbachs Fähigkeit als Dramatikerin bezweifelt. Am meisten traf Ebner-Eschenbach wohl, dass durch das „Kesseltreiben“32 der Presse auch ihre Familie in die Öffentlichkeit gezogen wurde und sich dadurch deren Unverständnis gegenüber ihrer dramatischen Tätigkeit nur noch verstärkte. Jedoch erwies sich Das Waldfräulein, das mindestens zwölfmal aufgeführt wurde, als Bühnenerfolg.33 Es kam in der Folge zu recht positiven Rezensionen (s. S. 696–698). Vor der Aufführung schickte Ebner-Eschenbach ihr „kleines einactiges Lustspiel ‚Untröstlich‘“ an Ferdinand von Saar mit der Bemerkung, dass es „unter dem Parapluie allerstrengster Anonymität auf dem Stadttheater aufgeführt und sicherlich ruiniert werden wird“.34 Die Uraufführung von Untröstlich fand am 16. März 1874 als „Original-Lustspiel in einem Act von Meier“ statt. Ebner-Eschenbach notierte in ihr Tagebuch: „Es wurde in der ersten Hälfte gut, in der 2t schlecht gegeben und dementsprechend aufgenommen.“ (T II, 16.3.1874). Von der Presse wurde das Lustspiel abfällig behandelt. Das abgewandelte Thema der Witwe von Ephesus wurde in der Deutschen Zeitung als „langweilig“ und „unnatürlich“ beschrieben. 35 Der Rezensent der Neuen Freien Presse führte aus: „‚Untröstlich‘ soll ein sogenanntes Original-Lustspiel sein, an welchem indeß nichts Originales zu entdecken ist, als die unbeschreibliche Naivetät, mit der hier eine läppische Idee läppisch behandelt wurde. Davon zu schweigen ist die einzige Kritik, welche dieses dramatische Experiment eines gewissen Herrn Meier verdient.“36 Laube begrüßte es, dass es nun nicht nur französische, sondern auch kleine deutsche Stücke wie Untröstlich gebe: „aber einige vorlaute Tageskritiken entwertheten es. Unsere Tageskritik ist auch im Allgemeinen nicht ganz frei von dem Fehler, den Werth kleiner Compositionen zu unterschätzen.“ 37 In einem Brief vom 25. März 1874 an Ebner-Eschenbach kündigte Laube an, dass „die Zeitungen“ Untröstlich „so gründlich verleumdet“ hätten, dass er es „zunächst habe fallen lassen müssen“.38 Im Gegensatz zum Waldfräulein hatte das Stück jedoch Ferdinand von Saar nicht gefallen, und er begründete es:

32

Bettelheim: Wirken und Vermächtnis, S. 148. Nach Alexander von Weilen ist eine mehr als zehnmalige Aufführung als erfolgreich anzusehen. In: Der Spielplan des neuen Burgtheaters, S. xix. 34 Ebner-Eschenbach an Saar am 2.2.1874 (WB, H.I.N. 55405). 35 Deutsche Zeitung Nr. 792, Beilage, vom 17.3.1874. 36 Neue Freie Presse Nr. 3433 vom 17.3.1874. 37 Laube: Das Wiener Stadt-Theater, S. 155. 38 Laube an Ebner-Eschenbach am 25.3.1874 (WB, H.I.N. 56135). 33

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Die Idee, zwei Leute, welche einen erlittenen Schmerz krampfhaft festhalten, auf heitere und liebenswürdige Art davon geheilt werden zu wissen, ist für ein Lustspiel eine so glückliche, daß ich mich höchlich wundere, wie Sie, die sonst so zart und fein zu schildern versteht, diesmal zu einem so groben Pinsel und zu Deckfarben haben greifen können. Sie haben lauter Chargen und fast unmögliche gegeben.39

An den von ihm bewunderten Laube stellte er die Frage: Warum giebt er nicht [...] hie und wieder einmal die reizenden und wirklich duftenden „Veilchen“? Warum nicht den schwungvollen „Dr Ritter“? Warum erprobt er nicht einmal die Bühnenfähigkeit der „Marie Roland“, diese Dichtung voll reinsten Adels und ergreifender Reife der Empfindung? Warum brachte er nicht in der Faschingszeit „Die Männertreue“?40

Nach der misslungenen Aufführung von Untröstlich stellte Ebner-Eschenbach zunächst fest: „Nun schreibe ich meine Erzählung Ein Spätgeborner zu Ende u. scheide ein für alle Mal von meinem Wahn daß ich es vielleicht doch noch zu einer tüchtigen dramatischen Leistung bringen werde.“ (T II, 16.3.1874). Aber sie hielt nicht Wort, und ihre dramatische Tätigkeit war noch lange nicht zu Ende. Auch das Lustspiel Männertreue sollte am Stadttheater aufgeführt werden, aber die schlechte finanzielle Situation des Stadttheaters, die durch den Börsenkrach im Mai 1873 ausgelöst worden war, zwang das Theater dazu, immer mehr „Zugstücke“41 zu spielen. Als der Schauspieler Theodor Lobe vorübergehend die Direktion am Stadttheater übernahm und Besetzungsprobleme auftraten, war Ebner-Eschenbach erleichtert, dass es nicht zur Aufführung des Stückes am Stadttheater kam. Jedoch fanden erfolgreiche Aufführungen des Lustspiels in Coburg und Gotha statt. Am böhmischen Theater in Prag erlebte Männertreue in der tschechischen Übersetzung von Zdenko Kolowrat einen großen Erfolg (s. S. 383–384). Ebner-Eschenbachs letztes mehraktiges Lustspiel Die Selbstsüchtigen gefiel Laube zwar, aber er hielt es für eine Aufführung am Stadttheater nicht für geeignet. Jedoch war er auch dagegen, dass die Dramatikerin das Stück dem Burgtheater einreichte: „Aus Neid, denn dort kann es gefallen.“ (T II, 25.10.1872). So fand keine Aufführung statt, und wiederum schien ein Drama Ebner-Eschenbachs an der Wiener Theaterpolitik gescheitert zu sein. Bei den folgenden einaktigen dramatischen Werken kam es zu einer Änderung in Ebner-Eschenbachs bisheriger Handlungsweise. Sie reichte ihre fertigen dramatischen Werke nicht mehr bei Theaterdirektoren ein und wandte sich damit gegen die von Halm aufgestellte Forderung, keine „Buchdramen“ zu schreiben (T I, 6.1.1867). Sie 39

Saar an Ebner-Eschenbach am 25.3.1874 (WB, H.I.N. 50024). Vgl. auch TB II, 27.3.1874. Saar an Ebner-Eschenbach am 25.3.1874 (WB, H.I.N. 50024). 41 Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 120. 40

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veröffentlichte ihre Dramen nun, und zwar die meisten von ihnen in Zeitschriften. Der Druck, auf die Bühne zu kommen, war damit geschwunden, und paradoxerweise führte das dazu, dass sich nun so bekannte Theaterdirektoren wie Otto Brahm in Berlin an sie wandten. Aufschlussreich ist Ebner-Eschenbachs Reaktion auf Heyses Hinweis auf eine mögliche Aufführung von Genesen. Sie betonte, dass sie die dialogisierte Novelle nicht als Bühnenstück konzipiert habe und „nicht einmal in einem schweren Traume“ an eine Aufführung denke. Daraus schöpfe sie „Ruhe“ und „Frieden“. 42 Am 21. Mai 1881 und 3. März 1883 fanden Liebhaberaufführungen des dramatischen Sprichworts Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen in Wien statt. Nach der Veröffentlichung ihrer dialogisierten Novelle Ohne Liebe in Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften im Jahre 1888 wurde ihr vom Residenz-Theater in Berlin mitgeteilt, dass das Werk zur Aufführung angenommen sei, obwohl sie es der Bühne gar nicht angetragen hatte (T IV, 3.12.1890). Die Uraufführung der dialogisierten Novelle Ohne Liebe fand am 30. November 1890 auf der Freien Bühne in Berlin mit großem Erfolg statt. Nach der Aufführung erhielt Ebner-Eschenbach ein Glückwunschtelegramm, das von „ihren Berliner Freunden“, worunter sich Fritz Mauthner, Erich Schmid, Gerhart Hauptmann, Otto Brahm und Ernst von Wolzogen befanden, unterzeichnet war (T IV, 2.12.1890). Auch die Presse sprach sich lobend über das Stück aus. Außerdem wurde die dialogisierte Novelle auch in München mit überragendem Erfolg gegeben (s. S. 765). Auf den Erfolg der dialogisierten Novelle folgte mit der Uraufführung am 15. Januar 1891 im Residenz-Theater in Berlin auch der des Lustspiels Ohne Liebe. Danach brachte Otto Brahm das Lustspiel 1896 zusammen mit Gerhart Hauptmanns Hannele (1893) auf die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin, wo es großen Beifall erntete. Nach dem Erfolg in Berlin wurde das Lustspiel erst Jahre später, am 29. April 1898, am Burgtheater erfolgreich und wiederholt auf die Bühne gebracht. Es muss für Ebner-Eschenbach eine Genugtuung gewesen sein, nun die lobenden Wiener Pressestimmen zu vernehmen (s. S. 417–418). Es kam auch zu Aufführungen in Städten wie Leipzig, Meiningen, Stuttgart und Rostock. Neben Am Ende wurde Ohne Liebe eines der erfolgreichsten und am meisten aufgeführten Werke EbnerEschenbachs. Das letzte uraufgeführte Werk war der Einakter Am Ende. Auch er erlebte seine Uraufführung durch die Freie Bühne in Berlin, und zwar am 11. April 1897 mit großem Applaus am Deutschen Theater. Die Berliner Presse sprach sich äußerst lobend aus (s. S. 828–829). Das Stück wurde danach in Städten wie Brünn, Karlsruhe, 42

Ebner-Eschenbach an Heyse am Karfreitag 1903. In: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von Ebner-Eschenbach, S. 392. Vgl. auch S. 726.

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Leipzig, München und Dessau erfolgreich auf die Bühne gebracht. Am Burgtheater wurde Am Ende erstmals anlässlich des Festaktes zum 70. Geburtstag EbnerEschenbachs aufgeführt, und zwar mit durchschlagendem Erfolg (s. S. 830). Insgesamt wurde Am Ende am Burgtheater bis 1953 siebenundzwanzig Mal gespielt.43

b. Der Beruf einer Dramatikerin Ebner-Eschenbach wahrte am Anfang ihrer dramatischen Tätigkeit sorgsam ihre Anonymität. Sie benutzte für ihre dramatischen Werke entweder keinen Verfassernamen oder das männliche Pseudonym „M. v. Eschenbach“. Der Verfassername fehlt bei dem Künstlerdrama Die Schauspielerin, den Gesellschaftsdramen Mutter und Braut sowie Das Geständnis und den Lustspielen Das Waldfräulein, Männertreue und Die Selbstsüchtigen.44 Mit dem männlichen Pseudonym „M. v. Eschenbach“ erschienen die historischen Tragödien Maria Stuart von Schottland und Marie Roland, das Lustspiel Die Veilchen (der Druck von 1862 trägt den Verfassernamen „Eschenbach“) und das dramatische Gedicht Doctor Ritter. Erst im Jahre 1881 begann die Autorin mit dem dramatischen Sprichwort Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen ihren vollen Namen zu verwenden: „Marie von Ebner-Eschenbach“. Das gilt auch für das 1874 entstandene und 1912 in der Zeitschrift Der Merker gedruckte Lustspiel Männertreue. Eine Ausnahme bildet der zweite Druck des Stückes Doctor Ritter von 1872, das mit dem Verfassernamen „Marie Baronin Ebner-Eschenbach“ erschien. Ihre Anomymität als Dramatikerin erklärte Ebner-Eschenbach dem Theaterdirektor Eduard Devrient, der ihre historische Trägodie Maria Stuart in Schottland in Karlsruhe mit Erfolg aufführte, damit, dass dramatische Leistungen von Frauen nicht ohne Vorurteil betrachtet würden und sie als Dramatikerin unvoreingenommen beurteilt werden wolle. 45 Dieses Vorurteil galt besonders hinsichtlich der Tragödie, die immer noch als ‚hohe‘ und damit als ‚männliche‘ Gattung angesehen wurde. Noch Jahre später stellte sie in einem Brief an Hieronymus Lorm die Forderung nach einer vorurteilsfreien Beurteilung des weiblichen Schaffens: Das „allgemeine Urtheil über Frauenschriftstellerei“, nicht ein besonderes über mich, das ist’s, was ich bekämpfe, u. daß Sie, ein Dichter, ein Philosoph, in dieses allgemeine Urtheil einstimmen, das ist’s, was mich schmerzt und verwirrt. Wer weiß besser als Sie, daß die Kritik sich nur um das

43

Vgl. Reichard: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs auf den Bühnen des Wiener Burg- und Stadttheaters, S. 121, Fn. 97. Von dem Drama Das Geständnis ist zwar kein Titelblatt überliefert, aber bei der Aufführung in Prag blieb der Verfasser des Stückes ungenannt oder es wurde das Pseudonym M. Haller benutzt. 45 Ebner-Eschenbach an Devrient am 14.12.1861. In: Ebner-Eschenbach: Die historischen Tragödien, S. 814. 44

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Hervorgebrachte, nicht um den hervorbringenden zu bekümmern hat? Daß Kunstwerke geschaffen werden, daran liegt alles, u. garnichts daran, ob Männer oder Frauen sie schufen.46

Außerdem schrieb sie unter dem Deckmantel der Anonymität aus Rücksicht auf ihre adlige Familie. Schon früh fürchtete sie, dass ihr Mann und ihre Brüder sich durch die schonungslosen Angriffe der Kritiker „verletzt fühlen“ könnten, und gerade diese „Schmerzen“ hätte sie ihnen gerne erspart. Deshalb wäre es für sie ein „kleiner Trost“, dass „Niemand der den Eschenbach trifft die – Marie Ebner meint.“47 EbnerEschenbach reagierte daher empfindlich auf verunglimpfende Pressestimmen, nicht weil sie Kritik scheute, sondern weil sie durch das Schreiben für die öffentliche Bühne auch ihre Familie in Mitleidenschaft gezogen sah. Beispielhaft ist Moriz von EbnerEschenbachs Reaktion auf eine abfällige Kritik anlässlich der Aufführung des Dramas Das Geständnis in einer tschechischen Zeitung: „‚Du trägst meinen Namen, ich will ihn nicht in solcher Weise verunglimpft sehen.‘ – Er hat das Recht so zu sprechen, ich sehe es ein.“ (T I, 16.1.1867). Ebner-Eschenbach versuchte sogar, mit fremder Hilfe ihre Familie vor schlechten Pressekritiken zu schützen. Nach der Uraufführung des Lustspiels Das Waldfräulein entzog, wie sie in ihrem Tagebuch notierte, ihre ehemalige Erzieherin Marie Kittl „eine böse Kritik des Waldfräuleins die in der Bohemia stand [...] den Augen meiner ‚gräflichen Schwester‘“ (T II, 27.1.1873). Durch einen Erfolg auf der Bühne glaubte sie, die Skepsis und die Geringschätzung, mit der die Familienmitglieder ihrer dramatischen Tätigkeit begegneten, beseitigen zu können. Sie hoffte, dass ihr dies mit Männertreue gelingen würde: Wenn dieses Lustspiel gelänge u. einen guten Erfolg erringen würde hätten die Meinen vielleicht nichts mehr einzuwenden gegen die Ausübung meines Berufes. Das ist er ja doch. Aber freilich ist der künstlerische Beruf einer Frau überhaupt ernst zu nehmen? Wenn er sich nicht gleich von allem Anfang an, durch eine unwidersprechlich große Leistung kundgibt, wer wird an ihn glauben? Ein Suchen u versuchen, tasten, anklopfen – das ist nichts. (T II, 22.7.1873)

Wiederholt kämpfte sie darum, als Dramatikerin ernst genommen zu werden und ihre dramatische Tätigkeit als Beruf anerkannt zu sehen. 48 Obwohl Ebner-Eschenbach die gesellschaftlichen Verpflichtungen ihres Standes und die Aufgaben in der Familie sehr ernst nahm, sah sie sich wiederholt den Vorwürfen ausgesetzt, dass ihr Schreiben sie der Familie entfremde, ihre „Liebe für sie“ schädige, sie unglücklich und sogar unfähig mache, sich um ihre vielgeliebten Nichten und

46

Ebner-Eschenbach an Lorm am 17.6.1878. In: Aus Briefen an einen Freund, S. 71. Ebner-Eschenbach an Devrient am 19.1.1862. In: Ebner-Eschenbach: Die historischen Tragödien, S. 816. 48 Im Vergleich mit der militärischen Karriere ihres Mannes gestand Ebner-Eschenbach: „In Deiner das heißt: in unserer Familie nimmt es Dir Niemand übel, daß Du Seeminen legen willst, während Du meine armen Theaterstücke am liebsten in die Luft sprengen möchtest.“ (T I, 29.4.1866). 47

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Neffen zu kümmern.49 Jede Stunde, die sie mit Schreiben verbrachte, musste sie sich erkämpfen, und so gestand sie im Jahre 1877 in einem Brief an Hieronymus Lorm: Ich bin die unfreieste Person, die es auf der ganzen Welt giebt; über jeden Tag meines Lebens ist schon verfügt, meine schriftstellerischen Beschäftigungen, u. alles was mit ihnen in Beziehung steht, sind denen, die ich liebe, denen ich angehöre, doch eigentlich ein Dorn im Auge. Die „Dichterei“ wird mir nur unter der Bedingung verziehen, daß keine meiner angeborenen Pflichten im geringsten dadurch beeinträchtigt werde.50

Schreiben und besonders auch das dramatische Schreiben war für Ebner-Eschenbach eine Lebensnotwendigkeit. Sie gesteht dies gegenüber ihrer engsten und vertrautesten Beraterin und Freundin, Ida von Fleischl-Marxow, als diese sie mahnte, sich zu schonen: „Ich brauche freilich nicht zu schreiben um essen zu können aber ich brauche zu schreiben um l e b e n zu können.“ (T II, 18.10.1878). Gegen Ende ihrer langen schriftstellerischen Tätigkeit wurden Ebner-Eschenbach eine Reihe von Ehrungen zuteil. Aus Anlass ihres 70. Geburtstages fand am 13. September 1900 im Burgtheater ein Festakt mit der Aufführung ihrer Werke Am Ende, Doctor Ritter und Ohne Liebe statt. Der Festakt wurde mit einem von Ferdinand von Saar verfassten Prolog eröffnet, in dem er auch auf ihre dramatischen Leistungen zu sprechen kommt: Denn ob die Dichterin ihr Größtes auch Fernab vollbracht von der Theaterwelt, Hat sie ihr doch im Laufe vieler Jahre Bedeutungsvolle Gaben zugedacht.51

Daneben wurde ihr eine Grußmedaille von österreichischen und deutschen Freunden zusammen mit einem Huldigungsgedicht von Paul Heyse überreicht, in dem er sie als „Deutschlands größte Dichterin“52 feierte. Außerdem wurde ihr als erster Frau das Ehrendoktorat der Wiener Universität verliehen; im Doktordiplom hieß es: „Marie v. Ebner-Eschenbach, die unvergleichliche Erzählerin, die größte Schriftstellerin in deutscher Sprache, die erste unter den lebenden Schriftstellern Oesterreichs, die kluge Beobachterin und ebenso weise als milde Beurtheilerin des Lebens.“53 Darüber hinaus wurde sie im November 1909 anlässlich des 150. Geburtsjahres Friedrich Schillers zum Ehrenmitglied der Schillerstiftung ernannt und im Juni des folgenden Jahres wurde sie in die Goethe-Gesellschaft aufgenommen. Die meisten Ehrungen, wie die des Ehrendoktorats, bezogen sich auf die berühmte Novellistin. Es ist durchaus 49

Vgl. T I, 25.1.1865, 29.4.1866 und 9.1.1867, T II, 5.7.1873 und 4.3.1877, T III, 4.8.1887, T IV, 2.2.1893 und 26.5.1896. 50 Ebner-Eschenbach an Lorm am 3.6.1877. In: Aus Briefen an einen Freund, S. 69. 51 Saar: Prolog zur Marie von Ebner-Eschenbach-Feier im Wiener Hofburgtheater am 13. September 1900. Beilage zum Brief von Saar an Ebner-Eschenbach am 18.9.1900 (WB, H.I.N. 60855). 52 Alkemade: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von Ebner-Eschenbach, S. 383. 53 Bettelheim: Biographische Blätter, S. 238.

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möglich, dass Ebner-Eschenbach der verdiente „Nachruhm als Dramatikerin“ versagt wurde, weil sie, wie Susanne Kord mutmaßte, zu diesem Zeitpunkt als erfolgreiche und gefeierte Erzählerin galt. 54 Dass Novellisten als Dramatiker keine Anerkennung finden, hat nicht nur der mit ihr befreundete Ferdinand von Saar erfahren, sondern auch Paul Heyse, der in einem Brief, nachdem sie ihm ihre dialogisierte Novelle Genesen gewidmet hatte, feststellte: „Die fable convenue von dem Novellisten, der sich zu seinem Schaden auf die Bretter verirre, bleibt bestehen, wenigstens bei meinen Lebzeiten.“55

54 55

Kord: Einleitung. In: Letzte Chancen, S. 10. Heyse an Ebner-Eschenbach am Gründonnerstag 1903. In: Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von Ebner-Eschenbach, S. 391.

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3. Anhang: Die Dramen Marie von Ebner-Eschenbachs Dramen

Entstehung/Druck

Aufführung

Maria Stuart in Schottland Schauspiel in fünf Aufzügen von M. v. Eschenbach

1860 Druck Ludwig Mayer, umgearbeitete Fassung 1863

Die Schauspielerin Drama in drei Aufzügen

1861

Die Veilchen Lustspiel in einem Aufzuge von Eschenbach [1877:] von M. von Eschenbach

1862 Druck J. B. Wallishausser; umgearbeitete Fassung 1877 Wallishausser’sche Buchhandlung

Ein kleines Unrecht Lustspiel in fünf Akten (verschollen)

1863

Mutter und Braut Schauspiel in vier Aufzügen (ursprünglich Die Heimkehr)

1864

Cinq-Mars/Richelieu Trauerspiel in fünf Aufzügen (Fragment geblieben)

1859–1865

Das Geständnis (ursprünglich Die Versuchung) [Drama in vier Aufzügen]

vor 1866

UA 31.10.1867 am Deutschen Landestheater, Prag (Ps. M. Haller); wiederholt aufgeführt

Marie Roland Trauerspiel in fünf Aufzügen von M. v. Eschenbach

1867 J. B. Wallishausser’s k. k. Hoftheater-Druckerei

UA 31.10.1868 in Weimar

Doctor Ritter Dramatisches Gedicht in einem Aufzuge von M. v. Eschenbach [1872:] von Marie Baronin Ebner-Eschenbach

1869 Verlag von F. Reitmann, 1872 Druck von L. Rosner und der Wallishausserschen k. k. HofBuchhandlung

UA 21.2.1869 am Kärntnertortheater, Wien; 23.2.1869 Erstaufführung am Burgtheater; vom 23.2. bis 10.3. sechsmal gegeben, erneut am 13.9.1900; auch in Prag, Leipzig, Stuttgart, Mannheim, Graz, Bauerbach, Sigmaringen

1863

Uraufführung (UA) 4.10.1861 in Karlsruhe; wiederholt aufgeführt; auch in Danzig

UA 13.5.1863 am Burgtheater, Wien; vom 13.5. bis 26.6. achtmal gegeben; auch in Brünn, Prag, Coburg, Breslau, München, Weißkirchen, Weimar, Friedrichshafen

UA 6.7.1863 am ViktoriaTheater, Berlin; 1864 in Hamburg

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Dramen

Entstehung/Druck

Jacobäa/Jacobäa von Bayern Trauerspiel in fünf Aufzügen (Fragment geblieben)

1862–1871

Das Waldfräulein Lustspiel in drei Aufzügen

1873, 1875

Die Witwe (verschollen)

1873

Untröstlich Lustspiel in einem Akt (verschollen)

1873

Idée fixe Lustspiel (verschollen)

1874

Mein Opfer Lustspiel (verschollen)

1874

Die Pessimisten Lustspiel (Fragment, verschollen)

1874

Männertreue Lustspiel in vier Aufzügen [1912:] Lustspiel in drei Aufzügen von Marie von EbnerEschenbach

1874 HoftheaterDruckerei von J. B. Wallishausser, 1912 in: Der Merker

Die Selbstsüchtigen Lustspiel in drei Aufzügen (ursprünglich Die Egoisten)

1875

Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen Dramatisches Sprichwort von Marie von Ebner-Eschenbach

1881 in: Die Dioskuren, 1900

Bekenntniß [„Proverbe“]

1882–1883

Aufführung

UA 13.1.1873 am Stadttheater, Wien; mindestens zwölfmal gegeben; angekündigt als „Lustspiel in vier Acten“; ab Juni 1874: „Lustspiel in vier Acten von M. v. Eschenbach“

UA 16.3.1874 „OriginalLustspiel in einem Act von Meier“ am Stadttheater, Wien

Coburg, Gotha; in tschechischer Übersetzung Dva sousedé am böhmischen Theater in Prag

21.5.1881 bei Falke in Wien 3.3.1883 bei Gerold in Wien

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Dramen

Entstehung/Druck

Aufführung

Ohne Liebe Dialogisierte Novelle von Marie v. Ebner-Eschenbach

1888 in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte

UA 30.11.1890 Freie Bühne in Berlin; auch in München

Ohne Liebe Lustspiel in einem Akt von Marie von Ebner-Eschenbach

1891 Druck von Eduard Blochs Theater-Buchhandlung

UA 15.1.1891 am ResidenzTheater, Berlin; auch 1896 am Deutschen Theater, Berlin; 29.4.1898 Erstaufführung am Burgtheater, bis 1900 sechsmal gespielt; auch in Leipzig, Meiningen, Stuttgart, Rostock

Bettelbriefe Ein Zweigespräch von Marie v. Ebner-Eschenbach

1891 in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte

Am Ende Scene in einem Aufzug von Marie von Ebner-Eschenbach

1897 Verlag der Theater-Buchhandlung Eduard Bloch

Genesen Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach

1903 in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte

Zwei Frauen Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach

1903 in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte

Ein Sportsmann Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach

1903 in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte

Ihre Schwester [Einakter] von Marie von Ebner-Eschenbach

1903 in: Deutsche Rundschau

UA 11.4.1897 am Deutschen Theater, Berlin; auch in Brünn, Mannheim, Karlsruhe, Leipzig, München, Dessau; 13.9.1900 Erstaufführung am Burgtheater, bis 1953 27-mal gespielt

Bibliographie

1. Quellen Abkürzung: WB = Wienbibliothek im Rathaus, Wien ÖNB = Österreichische Nationalbibliothek, Wien

a. Textzeugen der Dramen Druckschriften: Künstlerdramen: E1

E2 E3

Doctor Ritter. Dramatisches Gedicht in einem Aufzuge von M. v. Eschenbach. Als Manuscript gedruckt. Wien: Verlag von F. Reitmann. Druck von E. Jasper 1869. Doctor Ritter. Dramatisches Gedicht in einem Aufzuge von Marie Baronin Ebner-Eschenbach. Als Manuskript gedruckt. Wien: Verlag L. Rosner 1872. Doctor Ritter. Dramatisches Gedicht in einem Aufzuge von Marie Baronin Ebner-Eschenbach. Als Manuskript gedruckt. Wien: Verlag der Wallishausser’schen k. k. Hof-Buchhandlung Adolph W. Künast 1872.

Lustspiele: E

EK1 EK2 EK3 EK4

Männertreue. Lustspiel in vier Aufzügen. Nach einer Novelle des Bandello. Als Manuskript gedruckt. Wien: Druck und Verlag von J. B. Wallishausser’s k. k. Hoftheater-Druckerei 1874. Männertreue. Lustspiel in vier Aufzügen. Nach einer Novelle des Bandello. Als Manuskript gedruckt. Wien 1874. Aus: J. B. Wallishausser’s k. k. Hoftheater-Druckerei. Eigenthum des Verfassers. [ÖNB, 624817 B] Männertreue. Lustspiel in vier Aufzügen. Nach einer Novelle des Bandello. [Mit eigenhändigen Änderungen]. 1874. [WB, H.I.N. 60640] Männertreue. Lustspiel in vier Aufzügen. Nach einer Novelle des Bandello. [Mit eigenhändigen Änderungen]. 1874. [WB, H.I.N. 60641] Männertreue. Lustspiel in vier Aufzügen. Nach einer Novelle des Bandello. [Mit eigenhändigen Änderungen]. 1874. [WB, H.I.N. 60642] Männertreue. Lustspiel in drei Aufzügen. Nach einer Novelle des Bandello. [Erster und zweiter Akt mit eigenhändigen Änderungen sowie neuer dritter Akt]. Wien, 1874. [WB, H.I.N. 54496]

Bibliographie

962

J

Männertreue. Lustspiel in vier Aufzügen. Photolithographischer Neudruck der Original-Ausgabe. [Mit zitierter brieflicher Genehmigung der Autorin.] In: Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 3 (1912), Heft 1, S. 25–29; Heft 2, S. 72–74; Heft 3, S. 103–110; Heft 4, S. 143–148.

E

Ohne Liebe. Lustspiel in einem Akt von Marie von Ebner-Eschenbach. Berlin: Eduard Blochs Theater-Buchhandlung [1891].

E1

Die Veilchen. Lustspiel in einem Aufzuge von Eschenbach. Als Manuskript gedruckt. Wien: Druck von J. B. Wallishausser 1862. Die Veilchen. Lustspiel in einem Aufzuge von M. v. Eschenbach. Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt. Wien: Verlag der Wallishausser’schen Buchhandlung 1877.

E2

Dialogisierte Novellen: J

Genesen. Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach. [Widmung an Paul Heyse.] In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Bd. 94, Heft 559 vom April 1903, S. 43–50.

J

Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle von Marie v. Ebner-Eschenbach. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Bd. 64, Heft 384 vom September 1888, S. 759–772. Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle. In: Gesammelte Schriften von Marie von Ebner-Eschenbach. Vierter Band: Erzählungen. Zweiter Band. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1893, S. 261–300. Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle. In: Gesammelte Schriften von Marie von Ebner-Eschenbach. Vierter Band: Erzählungen. Zweiter Band. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1905, S. 259–298.

S1

S2

J

Ein Sportsmann. Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Bd. 95, Heft 565 vom Oktober 1903, S. 79–82.

J

Zwei Frauen. Dialogisierte Novelle von Marie von Ebner-Eschenbach. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Bd. 94, Heft 562 vom Juli 1903, S. 497–501.

Bibliographie

963

Einakter: E

Am Ende. Scene in einem Aufzug von Marie von Ebner-Eschenbach. Den Bühnen gegenüber Manuskript. Berlin: Verlag der Theater-Buchhandlung Eduard Bloch [1897].

J

Ihre Schwester von Marie von Ebner-Eschenbach. In: Deutsche Rundschau 117 (1903), S. 321–329.

Dramatisches Sprichwort: J

Es wandelt Niemand ungestraft unter den Palmen. Dramatisches Sprichwort von Marie von Ebner-Eschenbach. In: Die Dioskuren. Literarisches Jahrbuch des ersten allgemeinen Beamtenvereins der österreichisch-ungarischen Monarchie 10 (1881), S. 10–18.

Zweigespräch: J

S1

S2

Bettelbriefe. Ein Zweigespräch von Marie v. Ebner-Eschenbach. In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 71, Heft 421 vom Oktober 1891, S. 130–139. Bettelbriefe. In: Gesammelte Schriften von Marie von Ebner-Eschenbach. Vierter Band: Erzählungen. Zweiter Band. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1893, S. 301–327. Bettelbriefe. In: Gesammelte Schriften von Marie von Ebner-Eschenbach. Vierter Band: Erzählungen. Zweiter Band. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1905, S. 299–325.

Handschriften (WB): Gesellschaftsdramen: H

[Das Geständnis. Drama in vier Aufzügen.] Manuskript von fremder Hand. [1867]. [Sammlung ZPH 1283].

H

Mutter und Braut. Schauspiel in vier Aufzügen. Eigenhändiges Manuskript. [1863]. [H.I.N. 54498].

Bibliographie

964

Künstlerdramen: H

Die Schauspielerin. Drama in drei Aufzügen. Eigenhändiges Manuskript. Wien 1861. [Sammlung ZPH 1283].

Lustspiele: H1 H2

H1 H2

Die Selbstsüchtigen. Lustspiel in drei Aufzügen. Eigenhändiges Manuskript mit eigenhändigen Korrekturen. [1875]. [H.I.N. 54497]. Die Selbstsüchtigen. Lustspiel in drei Aufzügen. Manuskript von fremder Hand. [1875]. [H.I.N. 60639]. Das Waldfräulein. Lustspiel in drei Aufzügen. Eigenhändiges Manuskript mit eigenhändigen Korrekturen. [1875]. [Sammlung ZPH 1283]. Das Waldfräulein. Lustspiel in drei Aufzügen. Manuskript von fremder Hand. [1875]. [H.I.N. 54485].

Einakter, dramatisches Sprichwort: H1 H2 H

Weißt du auch daß ich dich liebe? [Bekenntniß]. Eigenhändiges Manuskript. 1882. [H.I.N. 60455]. Das Bekenntniß. Manuskript von fremder Hand. [1883]. [H.I.N. 60646]. Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen. Dramatisches Sprichwort von Marie von Ebner-Eschenbach. Eigenhändiges Manuskript. [1900]. [H.I.N. 60638].

b. Sammelausgaben der Dramen zu Lebzeiten Drei Novellen. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1892. [Enthält: Bettelbriefe]. Drei Novellen. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Zweite Auflage. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1892. [Enthält: Bettelbriefe]. Drei Novellen. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Dritte Auflage. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1901. [Enthält: Bettelbriefe]. Drei Novellen. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Vierte Auflage. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1912. [Enthält: Bettelbriefe]. Gesammelte Schriften von Marie von Ebner-Eschenbach. Vierter Band. Zweiter Teil: Erzählungen. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1893. [Enthält: Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle, Bettelbriefe].

Bibliographie

965

Gesammelte Schriften von Marie von Ebner-Eschenbach. Zweite Auflage. Vierter Band. Zweiter Teil: Erzählungen. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1905. [Enthält: Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle, Bettelbriefe].

c. Weitere Ausgaben der Dramen (in chronologischer Reihenfolge) Marie von Ebner-Eschenbach: Sämtliche Werke. Bd. 1. Berlin: Gebr. Paetel [1920]. [Enthält: Am Ende]. Marie von Ebner-Eschenbach: Sämtliche Werke. Bd. 2. Berlin: Gebr. Paetel [1920]. [Enthält: Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle]. Marie von Ebner-Eschenbach: Sämtliche Werke. Bd. 3. Berlin: Gebr. Paetel [1920]. [Enthält: Bettelbriefe]. Marie v. Ebner-Eschenbach: Alte Schule. Drei Novellen. Bertram Vogelweid. Ohne Liebe. Leipzig: H. Fikentscher, H. Schmidt & C. Günther [1928] (= Sämtliche Werke. Hafis Ausgabe). [Enthält: Bettelbriefe, Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle]. Marie v. Ebner-Eschenbach: Altweibersommer. Aus einem zeitlosen Tagebuch. Die Prinzessin von Banalien. Meine Kinderjahre. Meine Erinnerungen an Grillparzer. Am Ende. Leipzig: H. Fikentscher, H. Schmidt & C. Günther [1928] (= Sämtliche Werke. Hafis Ausgabe). Der Nachlaß der Marie von Ebner-Eschenbach. Hg. v. Heinz Rieder. Wien: Agathonverlag 1947. [Enthält: Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, Ein Sportsmann, Genesen, Zwei Frauen]. Marie von Ebner-Eschenbach: Erzählungen. Autobiographische Schriften. Hg. von Johannes Klein. München: Winkler 1958 [Enthält: Ohne Liebe. Dialogisierte Novelle, Bettelbriefe]. Das Waldfräulein. Lustspiel in drei Aufzügen. Erstdruck nach der Handschrift der Marie von Ebner-Eschenbach. Hg. v. Karl Gladt. Wien: Belvedere Verlag Wilhelm Meissel 1969. Marie von Ebner-Eschenbach: Aphorismen, Erzählungen, Theater. Hg. v. Roman Roček. Graz, Wien: Böhlau Verlag 1988. [Enthält: Das Waldfräulein] Letzte Chancen: Vier Einakter von Marie von Ebner-Eschenbach. Hg. v. Susanne Kord. London: The Modern Humanities Research Association 2005. [Enthält: Ohne Liebe, Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen, Genesen, Am Ende]. Macht des Weibes: Zwei historische Tragödien von Marie von Ebner-Eschenbach. Hg. v. Susanne Kord. London: The Modern Humanities Research Association 2005. [Enthält: Maria Stuart in Schottland (mit dem alten dritten Aufzug), Marie Roland]. Marie von Ebner-Eschenbach: Die historischen Tragödien. Maria Stuart in Schottland, Marie Roland, Richelieu, Jacobäa. Kritisch herausgegeben und kommentiert von Marianne Henn. Tübingen: Max Niemeyer 2006 (= Marie von

Bibliographie

966

Ebner-Eschenbach: Kritische Texte und Deutungen. Begründet von Karl Konrad Polheim. Hg. v. Carsten Kretschmann und Jens Stüben. Bd. 6).

d. Dramenfragment, verschollene Dramen Handschriften: [o. T.] Eigenhändiges Manuskript. Fragment eines Schauspiels (beginnend: Werners Arbeitszimmer, undatiert). [WB, H.I.N. 60645]. Ein kleines Unrecht. Lustspiel in fünf Akten. 1863. [Text verschollen]. Die Witwe. 1873. [Text verschollen]. Idée fixe. Lustspiel. 1874. [Text verschollen]. Mein Opfer. Lustspiel. 1874. [Text verschollen]. Die Pessimisten. Lustspiel. 1874. [Fragment. Text verschollen]. Untröstlich. Lustspiel in einem Akt. 1874. [Text verschollen].

e. Briefe von und an Marie von Ebner-Eschenbach Gedruckte Briefsammlungen: Aus Briefen an einen Freund von Marie von Ebner-Eschenbach. In: Deutsche Rundschau 249 (1936), S. 67–74. [Briefe an Hieronymus Lorm von 1868 bis 1890]. Briefwechsel von Paul Heyse und Marie von Ebner-Eschenbach. In: Die Lebens- und Weltanschauung der Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach. Hg. v. Mechtild Alkemade. Graz, Würzburg: Wächter-Verlag 1935, S. 257–398. Ebner-Eschenbach, Marie von: Briefwechsel mit Theo Schücking. Frauenleben im 19. Jahrhundert. Hg. v. Edda Polheim. Tübingen: Max Niemeyer 2001 (= Marie von Ebner-Eschenbach: Kritische Texte und Deutungen. Hg. v. Karl Konrad Polheim und Carsten Kretschmann. 2. Ergänzungsband). Kann, Robert A. (Hg.): Marie von Ebner-Eschenbach – Dr. Josef Breuer. Ein Briefwechsel, 1899–1916. Wien: Bergland Verlag 1969. Kindermann, Heinz (Hg.): Briefwechsel zwischen Ferdinand von Saar und Marie von Ebner-Eschenbach. Wien: Wiener Bibliophilen-Gesellschaft 1957. [Kindermann]

Originalbriefe von und an Marie von Ebner-Eschenbach (Wienbibliothek, MvEE = Marie von Ebner-Eschenbach): MvEE an Eduard Devrient, 5.10.1861 [H.I.N. 56596] MvEE an Eduard Devrient, 22.10.1861 [H.I.N. 56598] MvEE an Eduard Devrient, 23.3.1862 [H.I.N. 56603]

967

Bibliographie

MvEE an Eduard Devrient, 5.4.1862 [H.I.N. 56604] Heinrich Laube an MvEE, 30.4.1863 [H.I.N. 49865] Friedrich Halm an MvEE, 27.1.1864 [H.I.N. 56258] Friedrich Halm an MvEE, 28.3.1864 [H.I.N. 56259] MvEE an Eduard Devrient, 12.11.1867 [H.I.N. 56614] Anna Versing-Hauptmann an MvEE, 5.12.1867 [H.I.N. 60802] Friedrich Halm an MvEE, 31.1.1869 [H.I.N. 56234] Ferdinand von Saar an MvEE, 22.2.1869 [H.I.N. 6081] Ferdinand von Saar an MvEE, 13.1.1873 [H.I.N. 60782] Krueg an MvEE, 17.1.1873 [H.I.N. 60792] Faust Pachler an MvEE, 10.1.1874 [H.I.N. 60687] Heinrich Laube an MvEE, 15.3.1874 [H.I.N. 56144] Heinrich Laube an MvEE, 25.3.1874 [H.I.N. 56135] Ferdinand von Saar an MvEE, 25.3.1874 [H.I.N. 50024] MvEE an Eduard Devrient, 9.3.1875 [H.I.N. 56656] MvEE an Unbekannt, 5.12.1890 [H.I.N. 55406] Eugen Kilian an MvEE, 13.1.1899 [H.I.N. 60763] Ferdinand von Saar an MvEE, 13.9.1900 mit Prolog zur Ebner-Eschenbach-Feier im Wiener Hofburgtheater [H.I.N. 60855]

f. Tagebücher und autobiographische Schriften Marie von Ebner-Eschenbach: Ebner-Eschenbach, Marie von: Autobiographische Schriften I. Meine Kinderjahre. Aus meinen Kinder- und Lehrjahren. Kritisch herausgegeben und gedeutet von Christa-Maria Schmidt. Tübingen: Max Niemeyer 1989 (= Marie von EbnerEschenbach: Kritische Texte und Deutungen. Hg. v. Karl Konrad Polheim. Bd. 4). [A] Ebner-Eschenbach, Marie von: Meine Erinnerungen an Grillparzer. Aus einem zeitlosen Tagebuch. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel 1916. Ebner-Eschenbach, Marie von: Tagebücher I–VI. Bd. I–II herausgegeben und kommentiert von Karl Konrad Polheim. Bd. III–VI herausgegeben und kommentiert von Karl Konrad Polheim und Norbert Gabriel. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1989–1997 (= Marie von Ebner-Eschenbach: Kritische Texte und Deutungen. Hg. v. Karl Konrad Polheim). [T]

Eduard Devrient: Eduard Devrient. Aus seinen Tagebüchern. Hg. v. Rolf Kabel. Bd. II: Karlsruhe 1852–1870. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1964. [Devrient]

Bibliographie

968

g. Rezensionen, Ankündigungen und Berichte in Zeitungen Am Ende: Neues Wiener Abendblatt Nr. 102 vom 11.4.1897. Pester Lloyd Nr. 91 vom 16.4.1897. Mährisch-schlesischer Correspondent Nr. 93 vom 24.4.1897. Brünner Sonntags-Zeitung Nr. 29 vom 25.4.1897. Berliner Tageblatt, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Freisinnige Zeitung, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Fremdenblatt, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Kleines Journal, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Reichsanzeiger, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Tägliche Rundschau, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Vossische Zeitung, in: Bühnenblatt Eduard Bloch, Jg. 1, Nr. 1 vom August 1897. Neue Freie Presse Nr. 12952 vom 14.9.1900. Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 211 vom 14.9.1900. Wiener Zeitung Nr. 210 vom 14.9.1900. Neues Wiener Tagblatt Nr. 253 vom 15.9.1900. Allgemeine Zeitung Nr. 276 vom 21.6.1904. Anhaltischer Staats-Anzeiger Nr. 75 vom 29.3.1914. Doctor Ritter: Wiener Zeitung Nr. 42 vom 22.2.1869. Neue Freie Presse Nr. 1612 vom 23.2.1869. Wiener Zeitung Nr. 43 vom 23.2.1869. Die Presse Nr. 58 vom 27.2.1869. Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 211 vom 14.9.1900. Das Geständnis: Die Presse Nr. 302 vom 3.11.1867. Neue Freie Presse Nr. 1688 vom 11.5.1869. Mutter und Braut: Die Presse Nr. 184 vom 7.7.1863. Die Presse Nr. 88 vom 29.3.1864. Ohne Liebe: Neue Freie Presse Nr. 9439 vom 4.12.1890. Literatur-Zeitung Nr. 77 vom 15.1.1891. Berliner Courier Nr. 99 vom 12.4.1891. Münchner Neueste Nachrichten Nr. 122 vom 15.3.1892. Neue Freie Presse Nr. 12099 vom 30.4.1898.

969

Bibliographie

Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung Nr. 98 vom 30.4.1898. Prager Tagblatt Nr. 122 vom 3.5.1898. Neue Freie Presse Nr. 12950 vom 12.9.1900. Neue Freie Presse Nr. 12952 vom 14.9.1900. Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 211 vom 14.9.1900. Neues Wiener Abendblatt Nr. 102 vom 11. April [o.J.].

Untröstlich: Deutsche Zeitung Nr. 792 vom 17.3.1874. Neue Freie Presse Nr. 3433 vom 17.3.1874. Die Presse Nr. 75 vom 17.3.1874. Die Veilchen: Die Presse Nr. 132 vom 14.5.1863. Wiener Zeitung Nr. 110 vom 14.5.1863. Die Presse Nr. 136 vom 18.5.1863. Neue Freie Presse Nr. 3350 vom 22.12.1873. Das Waldfräulein: Neue Freie Presse Nr. 3014 vom 14.1.1873. Deutsche Zeitung Nr. 374 vom 15.1.1873. Neue Freie Presse Nr. 3015 vom 15.1.1873. Neues Fremden-Blatt Nr. 14 vom 15.1.1873. Neues Wiener Tagblatt Nr. 14 vom 15.1.1873. Die Presse Nr. 14 vom 15.1.1873. Burgtheater in Wien: Laube, Heinrich: Dramaturgische Berichte. In: Neue Freie Presse Nr. 1267 vom 10.3.1868. Kraus, Karl: Die Fackel Nr. 2 (1899) und Nr. 38 (1900). Stadttheater in Wien: Laube, Heinrich: Das Wiener Stadt-Theater. Leipzig: Verlagsbuchhandlung J. J. Weber 1875.

h. Sonstige Primärliteratur Fontane, Theodor: Sämtliche Werke. Romane, Erzählungen, Gedichte. Herausgegeben von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger. Bd. 2. München: Carl Hanser 1962.

Bibliographie

970

Goethe, Johann Wolfgang von: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Herausgegeben von Erich Trunz. Bd. 6. München: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1981. Saar, Ferdinand von: Sämtliche Werke in 12 Bänden. Bd. 12: Tragik des Lebens – Auswahl aus der nichtdichterischen Prosa – Bibliographie – Register. Herausgegeben von Jakob Minor. Leipzig: Max Hesses Verlag [1908]. [Saar]

2. Sekundärliteratur Alkemade, Mechtild: Die Lebens- und Weltanschauung der Freifrau Marie von EbnerEschenbach. Graz, Würzburg: Wächter-Verlag 1935. Benesch, Kurt: Die Frau mit den hundert Schicksalen. Das Leben der Marie von Ebner-Eschenbach. Wien, München: Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst 1966. Bettelheim, Anton: Marie von Ebner-Eschenbach. Biographische Blätter. Berlin: Gebrüder Paetel 1900. – Marie von Ebner-Eschenbach’s Wirken und Vermächtnis. Leipzig: Quelle & Meyer 1920. Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979. Bramkamp, Agatha C.: Marie von Ebner-Eschenbach. The Author, Her Time, and Her Critics. Bonn: Bouvier 1990. Brandt, Helmut: Marie von Ebner-Eschenbach und die „Deutsche Rundschau“. In: Herbert Zeman (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil von der Jahrhunderwende bis zur Gegenwart (1880–1980). Teil 2. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1989, S. 1001–1015. Brinker-Gabler, Gisela (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. II: 19. und 20. Jahrhundert. München: C. H. Beck 1988. Colvin, Sarah: Disturbing Bodies: Mary Stuart and Marilyn Monroe in Plays by Liz Lochhead, Marie von Ebner-Eschenbach and Gerlind Reinshagen. In: Forum for Modern Language Studies 35.3 (1999), S. 251–260. – ‚Ein Bildungmittel ohnegleichen‘: Marie von Ebner-Eschenbach and the Theatre. In: Laura Martin (Hg.): Harmony in Discord. German Women Writers in the Eighteenth and Nineteenth Centuries. Oxford: Peter Lang 2001, S. 161–182. – Women and German Drama. Playwrights and Their Texts, 1860–1945. Rochester, NY: Camden House 2003. Drewitz, Ingeborg: Wege zur Frauendramatik. In: Neue deutsche Hefte 14.2 (1955), S. 152–155.

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