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German Pages 250 [254] Year 2022
Didem Atik
Entwicklung und Erklärung berufsfachlichen Wissens im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in Eine empirische Studie zu Auszubildenden in der bautechnischen Domäne
Pädagogik
Empirische Berufsbildungsforschung 5
Franz Steiner Verlag
5
Empirische Berufsbildungsforschung Herausgegeben von Kristina Kögler, Niclas Schaper, Susan Seeber und Stefan C. Wolter Band 5
Entwicklung und Erklärung berufsfachlichen Wissens im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in Eine empirische Studie zu Auszubildenden in der bautechnischen Domäne Didem Atik
Franz Steiner Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Univ.-Diss., Stuttgart D 93 Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13229-9 (Print) ISBN 978-3-515-13231-2 (E-Book)
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Berufsbildungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Forschungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Annäherung an das zu erfassende Konstrukt . . . . . . . . . . 2.1 Prägung des Kompetenzbegriffes durch die zentralen Forschungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Behavioristische Auffassung . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Generic skills . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Kognitivistische Auffassung . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der Kompetenzbegriff in der beruflichen Bildung . . . . . . . 2.2.1 Das Fundament der (beruflichen) Handlungskompetenz . . . 2.2.2 Berufliche Handlungskompetenz heute . . . . . . . . . 2.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zugänge zur beruflichen Handlungskompetenz . . . . . . . . 2.3.1 Holistischer Ansatz: ganzheitliches Kompetenzkonstrukt . . . 2.3.2 Kognitivistischer Ansatz: differenziertes Kompetenzkonstrukt . 2.3.3 Abgrenzung von Kompetenz und kognitiver Grundfähigkeit . . 2.3.4 Unterschiede der zwei Zugänge: holistischer vs. kognitivistischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Konsequenzen für die Diagnostik beruflicher Kompetenzen . . 2.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Begrifflichkeit für die vorliegende Arbeit . . . . . . . . . . 2.4.1 Kognitive Architektur. . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Wissensdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Ausgangslage für die vorliegende Arbeit . . . . . . . .
ix xi 1 1 1 3 4 5 9 9 10 10 11 12 13 13 14 16 16 17 19 20 21 22 27 28 29 30 31
vi
Inhaltsverzeichnis
3 Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen. . . . . 3.1 Differenzierte Analysen der berufsfachlichen Kompetenzausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Ausgewählte Befunde zur Dimensionalität berufsfachlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Einblick in die Niveaumodellierung . . . . . . . . . . 3.2 Verständnis zu Entwicklungsprozessen berufsfachlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Implikationen der Heterogenität für die Kompetenzentwicklung 3.2.2 Ausgewählte Befunde zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Relevante Determinanten für die berufsfachlichen Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Ausgewählte Befunde zu elaborierten Erklärungsmodellen . . 3.3 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Ziele und Hypothesen der empirischen Studie . . . . . . . . . . 4.1 Erfassung berufsfachlichen Wissens . . . . . . . . . . . . 4.2 Dimensionalität berufsfachlichen Wissens . . . . . . . . . . 4.3 Berufsfachliche Kompetenzentwicklung . . . . . . . . . . 4.3.1 Berufsfachliche Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Berufsfachliche Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Elaboriertes Erklärungsmodell zum berufsfachlichen Wissen . . . 4.4.1 Einflüsse kognitiver Eingangsvoraussetzungen und sprachlicher Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Einflüsse soziokultureller Merkmale sowie wahrgenommener Motivation und Unterrichtsqualität . . . . . . . . . . 4.4.3 Relevante Determinanten für das berufsfachliche Wissen in unterschiedlichen Leistungssegmenten . . . . . . . . . . 4.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Datenherkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Organisationsform und Charakteristika . . . . . . . . . . . 5.4 Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Stichprobenziehung . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Stichprobenbeschreibung . . . . . . . . . . . . .
33 34 36 42 43 45 50 57 74 83 87 88 90 92 93 94 95 97 98 100 101 103 103 104 105 107 107 107
Inhaltsverzeichnis
5.5 Instrumentarien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Erfassung berufsfachlichen Wissens . . . . . . . . . . 5.5.2 Erfassung relevanter Determinanten für das berufsfachliche Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Statistisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Umgang mit fehlenden Werten. . . . . . . . . . . . 5.6.2 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Empirischer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Datenaufbereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Teilziel 1 – Erfassung des berufsfachlichen Wissens . . . . . . 6.2.1 Kompetenzstand zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres. . . 6.2.2 Kompetenzstand am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . 6.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Teilziel 2 – Prüfung der Kompetenzstruktur . . . . . . . . . 6.3.1 Kompetenzstruktur am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . 6.3.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Teilziel 3 – Berufsfachliche Kompetenzentwicklung . . . . . . 6.4.1 Voraussetzungen für den Längsschnitt . . . . . . . . . 6.4.2 Modellprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Längsschnittskalierung . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Aussagen zur Kompetenzentwicklung der Gesamtgruppe . . . 6.4.5 Aussagen zur Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Leistungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Teilziel 4 – Generierung eines Erklärungsmodells für das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . 6.5.1 Zusammenhänge zwischen den Determinanten und dem berufsfachlichen Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Regressionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Strukturgleichungsmodell . . . . . . . . . . . . . 6.5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.5 Relevante Determinanten zur Entwicklung der Leistungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .
vii
109 109 121 130 130 132 135 137 137 139 140 142 144 145 146 148 149 150 154 156 157 161 168 169 170 179 184 187 189 202
viii
Inhaltsverzeichnis
7 Zusammenfassung und Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zusammenfassung und Diskussion der Befunde aus der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Güte der Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Strukturprüfung des Abschlusstests . . . . . . . . . . 7.1.3 Berufsfachliche Kompetenzentwicklung . . . . . . . . 7.1.4 Erklärungsmodell zum Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . 7.2 Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Limitationen der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205 205 206 208 209 211 214 215 216 218 221
Abbildungsverzeichnis
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7
Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . Eingangstest Aufgabe 14 . . . . . . . . . . Eingangstest Aufgabe 6 . . . . . . . . . . Abschlusstest Aufgabe 18 . . . . . . . . . Abschlusstest Aufgabe 12 . . . . . . . . . Eingang- und Abschlusstest: Ankeritem 17 Eingang- und Abschlusstest: Ankeritem 2 .
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105 116 117 119 119 121 122
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10
WrightMap zum Eingangstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WrightMap zum Abschlusstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede in den Schwierigkeiten der Ankeritems . . . . . . . . Entwicklung der Ankeritems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WrightMap: Eingangs- und Abschlusstest . . . . . . . . . . . . . . WrightMap: Entwicklungsverläufe im ersten Ausbildungsjahr . . . Streudiagramm: Entwicklungsdynamik im ersten Ausbildungsjahr . Mediansplit: Entwicklungsdynamik in den Leistungsgruppen . . . Terzilsplit: Entwicklungsdynamik in den Leistungsgruppen . . . . Strukturgleichungsmodell zur Erklärung des Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142 144 152 153 157 158 160 165 166 187
Tabellenverzeichnis
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9
6.10
6.11
6.12
6.13 6.14
Stichprobenzusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Curriculum erstes Ausbildungsjahr der Farbtechnik . . . . . . . . Zuordnung der Ankeritems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Grundfähigkeit, Basiskompetenzen, Sprachverhalten: Mittelwerte und Standardabweichungen, Interne Konsistenz . . . . . . Fähigkeitsselbstkonzept, Motivation, Qualitätsmerkmale des Unterrichts: Mittelwerte und Standardabweichungen, Interne Konsistenz Migrationshintergrund erfasst über Eltern- und Kindgeneration . . Bildungshistorie der Auszubildenden . . . . . . . . . . . . . . . . Bildungsstatus der Eltern und kulturelles Kapital . . . . . . . . . .
108 110 120 124 127 128 129 131
Skalierungsergebnisse der Eingangs- und Abschlusstestung . . . . 144 (Potenzielle) Subdimensionen: Korrelationen und Reliabilität . . . 147 Modellvergleich eindimensionales - vs. vierdimensionales Modell . 147 Zuordnung der Ankeritems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Modellvergleich: Modell mit Verankerung vs. Modell ohne Verankerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Mediansplit: Zuteilung der Leistungsgruppen . . . . . . . . . . . . 163 Terzilsplit: Zuteilung der Leistungsgruppen . . . . . . . . . . . . . 164 Vergleich der Leistungsgruppen: Mediansplit vs. Terzilsplit . . . . 167 Korrelationen zwischen den kognitiven Determinanten und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Korrelationen zwischen sprachlichen Komponenten und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Korrelation zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Korrelationen zwischen Motivation sowie Qualitätsmerkmalen des Unterrichts und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Regressionsmodell zum Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres: Kognitive Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Regressionsmodell zum Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres: Kognitive Determinanten und sprachliche Komponenten 181
xii
Tabellenverzeichnis
6.15 Regressionsmodell zum berufsspezifischen Vorwissen zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres: Kognitive Determinanten, sprachliche Komponenten, soziale Hintergrundmerkmale . . . . . . . . . . 6.16 Korrelationen zwischen dem berufsfachlichen Wissen, den Fähigkeitsselbstkonzepten und der Motivation: „Leistungsschwache“ . . 6.17 Korrelationen zwischen dem berufsfachlichen Wissen, dem Fähigkeitsselbstkonzepten und der Motivation: „Leistungsstarke“ . . . . 6.18 Gruppenvergleich: Berufsfachliches Wissen, Fähigkeitsselbstkonzepte, Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.19 Regressionsmodell zum Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres: „Leistungsschwache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.20 Regressionsmodell zum Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres: „Leistungsstarke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.21 Gruppenvergleich: Kognitive Grundfähigkeit und Deutschnote . . .
183 192 192 195 197 199 200
Abkürzungsverzeichnis ET Eingangstest: Instrument zur Erfassung der berufsfachlichen Kompetenzen zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres AT Abschlusstest: Instrument zur Erfassung der berufsfachlichen Kompetenzen zum Ende des ersten Ausbildungsjahres VW Vorwissen: Berufsspezifisches Vorwissen im Ausbildungsberuf Maler/innen und Lackierer/innen FW Fachwissen: Berufsspezifisches Fachwissen im Ausbildungsberuf Maler/innen und Lackierer/innen t1 Erster Messzeitpunkt: Beginn des ersten Ausbildungsjahres t2 Zweiter Messzeitpunkt: Ende des ersten Ausbildungsjahres FSK Fähigkeitsselbstkonzept FSK Deutsch Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch FSK Mathe Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Mathematik/Naturwissenschaften IQ Kognitive Grundfähigkeit HS Hauptschule RS Realschule LQ Lösungsquote
DANKSAGUNG An dieser Stelle möchte ich den Menschen meinen Dank aussprechen, ohne deren Unterstützung diese Dissertation nicht zustande gekommen wäre. In erster Linie gilt mein außerordentlicher Dank meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Reinhold Nickolaus, der mich mit seiner Begeisterungsfähigkeit bereits bei der Entscheidung zum Start meines Zweistudiums sowie dem Verbleib in der Wissenschaft überzeugte. Seine menschliche und kompetente Art als Wissenschaftler, Chef und Doktorvater haben mich vieles gelehrt und mich bedeutend geprägt. Durch seine „offene Tür“ kam es zu zahlreichen Gesprächen, die mir immer als ermutigend, bereichernd und konstruktiv in Erinnerung bleiben werden. Ich bin sehr dankbar, dass er mich bis zum Ende meiner Dissertation begleiten konnte. Besonderer Dank gilt hier auch seiner Frau Hiltrud Nickolaus, ohne die ich diesen Weg nicht bis zum Schluss mit Herrn Professor Dr. Nickolaus hätte gehen können. Frau Professorin Dr. Kristina Kögler danke ich für die kurzfristige Übernahme des Erstgutachtens, mit Ihrem wissenschaftlichen Hintergrund habe ich eine weitere Sichtweise auf meine Arbeit bekommen. Ebenso danke ich meiner Zweitgutachterin Professorin Dr. Frau Birgit Ziegler, von deren Gutachten meine Arbeit profitiert hat. Für den Zugang zur Datenbasis, die für meine empirische Arbeit essenziell ist, danke ich der Baden-Württemberg-Stiftung und dem Netzwerk für Bildungsforschung. Außerdem bin ich allen Schulen und Lehrkräften dankbar, die mit Ihrer Kooperation und Ihrem Engagement den Grundstein meiner Arbeit legten. Ich danke meinen Kollegen und den studentischen Hilfskräften vom BWT, die mich in meiner Arbeit unterstützt haben. Insbesondere Frau Margrit Oehler danke ich besonders für die ganzen Jahre, in denen Sie mich mit ihrer freundlichen Art bei der Beschaffung der notwendigen Literatur unterstützt hat. Außerdem danke ich Melissa Lienhardt, die mir für die Formatierung der Literatur in meiner Arbeit zur Seite stand. Ich danke meinem Kollegen Stefan Behrendt für die Freude und Motivation, die ich durch Ihn für die Statistik bekommen habe. Er hat mich ausnahmslos jederzeit Beraten und zu meiner Entwicklung beigetragen. Ein besonderer Dank gilt meiner Kollegin und Freundin Florina Stef˘ ¸ anic˘a, die mich mit Ihrer herzlichen Art in allen Phasen dieser Arbeit, aber auch im Privaten stets begleitet, unterstützt und bereichert hat. Durch Sie habe ich immer wieder eine neue Perspektive gewinnen können, die mich vorangebracht hat. Bei meiner Schwester Aylin Atik möchte ich mich für Ihre Geduld, Ihr Verständnis, Ihre Unterstützung und die Liebe bedanken, die Sie mir ausnahmslos in allen Lebensphasen gegeben hat. Ihre rationale, zielorientierte, aber zugleich liebevolle Art hat mir über viele schwere Momente während der Erstellung dieser Arbeit geholfen.
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Danksagung
Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern Gülay und Kazim Atik, die mich immer in den entscheidenden Momenten meines Lebens bestärkt und ermutigt haben, mich in meiner persönlichen Entwicklung und in all meinen Entscheidungen ausnahmslos begleitet und unterstützt haben. Für das Korrekturlesen und die Anregungen danke ich herzlich Irmgard Birnbaum, Elektra Kleusberg und Tobias Ahlers, die viel Durchhaltevermögen zeigten. Zuletzt möchte ich mich bei meiner Schwester Yeliz Atik und meinen Freunden Sabine Gauch, Daniel Krug, Sebastian Heilig und Alexander Tellier bedanken, die durch konstruktive und fachliche Gespräche jederzeit während meines Schreibens für mich da waren.
ZUSAMMENFASSUNG Die Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen im Forschungskontext der Berufsbildung liefern Erkenntnisse, die es ermöglichen, für einzelne Ausbildungsberufe Aussagen über die berufsfachliche Kompetenzentwicklung zu generieren. In der vorliegenden Arbeit wird der Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in untersucht, in den überwiegend Jugendliche mit ungünstigen kognitiven Eingangsvoraussetzungen einmünden. Zudem ist die Berufsgruppe im Gegensatz zu anderen Ausbildungsberufen auch durch ungünstige soziokulturelle Hintergrundmerkmale geprägt. Mit der durchgeführten empirischen Analyse gelingt es erstmals, Aussagen zur (1) Kompetenzstruktur und (2) Kompetenzentwicklung im Grundbildungsjahr im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in zu generieren. Die Kompetenzentwicklung der Berufsgruppe wird durch den Einsatz komplexer methodischer Verfahren in der Berufsbildungsforschung analysiert. Zudem wird das berufsspezifische Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres anhand verschiedener Determinanten prognostiziert. Die Ergebnisse belegen, dass das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres einer eindimensionalen Struktur unterliegt. Zudem wird im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in ein Leistungszuwachs des berufsfachlichen Wissens im ersten Ausbildungsjahr gemessen. Außerdem werden für verschiedene Leistungsgruppen in diesem Berufssegment unterschiedliche Entwicklungsdynamiken berichtet. Die untere Leistungsgruppe, gemessen an den kognitiven Eingangsvoraussetzungen, erzielt einen stärkeren Kompetenzzuwachs als die obere Leistungsgruppe. Gleichzeitig liegen für die unterschiedlichen Leistungsgruppen die Kompetenzstände sowohl zu Beginn als auch am Ende des ersten Ausbildungsjahres deutlich auseinander. Demzufolge werden trotz der dokumentierten partiellen Leistungshomogenisierung die bestehenden Unterschiede zwischen den Leistungsgruppen nicht kompensiert. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die zu Beginn der Ausbildung „leistungsschwachen“ Auszubildenden trotz der signifikant besseren Entwicklung im Gegensatz zu den „leistungsstarken“ Auszubildenden zum Ende des ersten Ausbildungsjahres immer noch deutlich schlechter abschneiden. Die Ergebnisse implizieren, dass die „Leistungsstarken“ im Vergleich wenig Entwicklungschancen bekommen. Hinsichtlich der Befunde zu den Entwicklungsdynamiken in den unterschiedlichen Leistungsgruppen sollte die Aufmerksamkeit in der Praxis auf eine gezielte individuelle Förderung gerichtet werden. Das Erklärungsmodell für das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres zeigt, dass nicht nur kognitive, sondern auch nicht kognitive Determinanten für den Wissenszuwachs im berufsfachlichen Wissen bedeutsam sind. Die Befunde bestätigen, dass das berufsspezifische Vorwissen als stärkster Einflussfaktor, gefolgt
xviii
Zusammenfassung
von kognitiver Grundfähigkeit und dem formalen Schulabschluss, für das Fachwissen erklärungsrelevant wird. Die Ergebnisse zeigen aufgrund der Relevanz der kognitiven Merkmale, dass eine Förderung in diesen Bereichen einen hohen Stellenwert bekommen sollte. Zudem haben soziokulturelle Merkmale einen Einfluss auf den Leistungsstand am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Ferner werden Indikatoren für sprachliche Kompetenzen (Deutschnote und erfasste Muttersprache) sowie der Berufsabschluss der Eltern für das erzielte Fachwissen als relevant bestätigt. Die Analysen in den unterschiedlichen Leistungsgruppen verdeutlichen, dass die erklärungsrelevanten Merkmale in den Gruppen unterschiedlich auf das Fachwissen wirken: So verändert sich die Interpretation der Effekte der sprachlichen Kompetenzen. Denkbar ist beispielsweise, dass der Einfluss der Muttersprache auf das Fachwissen, der lediglich in der oberen Leistungsgruppe Erklärungskraft zugesprochen wird, nicht aufgrund von sprachlichen Defiziten, sondern anderweitigen Einflussgrößen ausgelöst wird. Zukünftige Forschungsaktivitäten sollten verstärkt den Einfluss nicht-kognitiver Merkmale auf die Entwicklung des Fachwissens untersuchen. Dadurch können Informationen für die Analyse und Reflexion der Praxis bereitgestellt werden, z. B. mit Fokus auf die systematische Diskriminierung spezifischer Gruppen (Effekt der Muttersprache), die sich aufgrund der Befunde der vorliegenden Arbeit vermuten lässt.
ABSTRACT In the area of vocational education and training (VET), the diagnostic and the modelling of professional competences provide evidence. This enables researchers to generate statements regarding the development of professional competences in different professions of VET. This work focuses on the profession of painter and varnisher. It is predominantly young people with unfavourable cognitive abilities, who enter this vocational training. The observed group of apprentices is characterized by more unfavourable socio-cultural background characteristics in comparison to apprentices of other professions in VET. The conducted empirical analysis allows for the first time to generate statements on (1) the structure and (2) the development of professional competences in the first year of VET for the profession of painter and varnisher. The competence development is analysed by using novel methodological procedures in the research field of VET. Furthermore, the professional knowledge in the end of the first year of VET is predicted using different determining factors. The results reveal a unidimensional structure of professional knowledge in the first year of VET as best fitting to the collected data. In addition, a performance increase during the first year of VET was measured. Moreover, different development dynamics are reported for different performance groups. The “lower performance group”, measured by the apprentices’ cognitive background, achieves a stronger increase in professional knowledge than the “upper performance group”. At the same time, the “upper performance group” shows a higher level of professional knowledge, both in the beginning and in the end of the first year of VET. This means, the existing knowledge differences between the two performance groups are not compensated in the first year of VET despite the above documented partial homogenisation of competences. The results also imply that the "high performersïn the beginning of VET have less development opportunities during the first year of apprenticeship compared to the "low performers". Regarding the findings of this work on the different development dynamics in the different performance groups, practice should pay attention to providing individual support for every apprentice. The explanatory model for professional knowledge in the end of the first year of VET shows that both cognitive and non-cognitive factors have predictive capacity. The prior professional knowledge (collected in the beginning of VET) has the strongest influence on professional knowledge in the end of the first year of VET, being followed by basic cognitive abilities and the type of school-leaving certificate. An implication of this finding is that teaching practice in this field should focus on promoting cognitive skills. A series of further factors are predictive for the professional knowledge in the end of the first year of apprenticeship: socio-cultural background
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Abstract
characteristics, indicators for linguistic skills (the final school grade in German language, the apprentices’ mother language) and parents’ professional qualifications. The analyses illustrate that some of the above mentioned determinants have different predictive capacities for the professional knowledge within the different performance groups: For example, the mother language has an impact on the professional knowledge in the “high performing” group, but not in the “low performing” group. A possible explanation for this finding is that there may be other confounding variables that have not been collected in this study. Future research should focus on analysing the impact of non-cognitive factors on the development of professional knowledge. Thereby, information for the analysis and reflection of teaching practice can be provided, regarding e. g. systematic discrimination of specific groups (effect of mother language), which could be assumed due to the results of the present study.
KAPITEL 1 EINFÜHRUNG 1.1
BERUFSBILDUNGSFORSCHUNG
Das deutsche Berufsbildungssystem zählt in den bildungspolitischen Diskussionen im internationalen Vergleich zu den erfolgreichsten Ausbildungsmodellen (Bundeszentrale für politische Bildung, 2014). Durch die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung wird nicht nur der starke Einfluss des Ausbildungssystems auf die marktwirtschaftliche sowie politische Entwicklung eines Landes deutlich. Sondern auch die politische Ebene und die gesellschaftliche Struktur können von einem durchdachten und funktionierenden Berufsbildungssystem profitieren. Im Mittelpunkt politischer Analysen steht insbesondere das Individuum, das durch das Erlernen einer Berufstätigkeit die Gestaltung seines Lebens und seines Selbst vornehmen und sich somit in die Gesellschaft integrieren kann. Die gesellschaftliche Teilhabe ist vor allem für die Entfaltung der Individuen von großer Bedeutung. Diese Aspekte bekommen in der Entwicklung der Berufsbildungsforschung einen besonderen Stellenwert (Roth, 1971). Das deutsche Berufsbildungssystem zeigt eine lange Tradition auf. Die empirische Forschung entwickelte sich in diesem Bereich besonders stark in den 1990erJahren und rückte in den Fokus der Berufsbildungsforschung. Aufgrund der späten Entwicklung des Forschungsfeldes bestehen übergreifend immer noch große Forschungsdesiderate in diesem Wissenschaftsgebiet. Die Herausforderung der Kompetenzforschung im beruflichen Bereich liegt unter anderem darin, dass es sich um ein komplexes theoretisches Konstrukt handelt, welches einen theoretischen Zugang benötigt um die im Rahmen einer Berufsausbildung erworbenen Kompetenzen adäquat zu erfassen um diese empirisch untersuchen zu können. Die Berufsbildungsforschung steht nicht nur vor der Aufgabe die beruflichen Kompetenzen beziehungsweise Anforderungen in einem Beruf zu definieren und operationalisieren, sondern auch mit der Diagnostik und Modellierung vielfältiger Einflussfaktoren umzugehen. Gegebenenfalls können diese sich in unterschiedlichster Form bemerkbar machen und beispielsweise durch die Zusammensetzung der Schülerschaft oder der institutionellen Kontexte (Schulformen) beeinflusst werden.
1.1.1
Forschungsbedarf
Mit Blick auf das Feld der gewerblich-technischen Ausbildung liegen zu einzelnen Berufen Studien vor, in welchen Kompetenzen erfasst und Aussagen zur Kompetenzstruktur sowie zur Kompetenzentwicklung generiert wurden. Die Untersu-
2
1. Kapitel Einführung
chungen berufsfachlicher Kompetenzen im gewerblich-technischen Bereich sind vor allem durch die Metall- und Elektroberufe geprägt (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). In diesen Domänen sind hauptsächlich Jugendliche vertreten, die im Berufsbildungssystem, bezogen auf ihre kognitiven Eingangsvoraussetzungen, zur oberen Leistungsebene zählen. Dagegen liegen im Vergleich zu diesen „leistungsstarken“ Ausbildungsberufen für den „leistungsschwachen“ Bereich1 wenig Befunde vor. Bisherige Studien zu einzelnen Ausbildungsberufen, die hauptsächlich von Jugendlichen mit erheblichen Schwächen in den kognitiven Eingangsvoraussetzungen gewählt werden, (z. B. im Baubereich) dokumentieren enorme Leistungsprobleme (Petsch et al., 2015). Zudem verstärken die berichteten hohen Diskrepanzen zwischen den curricular intendierten und den realisierten Zielen die Problematik in diesem Feld (Norwig et al., 2010). Die Schwierigkeiten in den eher „leistungsschwachen“ Segmenten werden durch die aktuellen Studien im Übergangssystem bestätigt (Atik & Nickolaus, 2016b; Atik & Nickolaus, 2017; Behrendt et al., 2017). Durch die dort berichteten Befunde werden erstmals Entwicklungsaussagen für einzelne Bereiche bereitgestellt, in die besonders viele Jugendliche mit ungünstigen kognitiven Eingangsvoraussetzungen einmünden. Insgesamt werden in diesen Segmenten zum einen unterdurchschnittliche Kompetenzstände und zum anderen stagnierende Entwicklungsverläufe dokumentiert, was den Bedarf an weiteren Forschungsanforderungen in diesem Feld deutlich macht. Gestützt wird die Forderung nach mehr Untersuchungen im unteren Leistungssegment durch die Zahlen der Berufsbildungsstatistik. So gehören die weniger attraktiven Berufsgruppen im gewerblich-technischen Bereich zu den meistgewählten Ausbildungsberufen, die im unteren Leistungssegment eingeordnet werden und die hauptsächlich der Metall- und Bautechnik zuzuordnen sind. In diese Ausbildungsberufe münden überdurchschnittlich viele „leistungsschwache“ Jugendliche aus der Hauptschule, teils auch aus der Realschule, ein (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015). Die Notwendigkeit nach Forschung in den eher „leistungsschwachen“ Ausbildungsberufen wird durch die bisherigen Ergebnisse gestützt. So wird berichtet, dass vor allem in diesen Berufsgruppen es nicht ohne Weiteres gelingt, während der Ausbildung die intendierten Kompetenzen aufzubauen. Da in diesem Feld zu wenig Forschung betrieben wird, liegen nicht ausreichend Informationen vor, um darauf aufbauend handlungsorientiert vorzugehen. Eine Berufsgruppe, die mit der oben beschriebenen Problematik auffällt, ist der Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in.2 Die Berufsgruppe rückt nicht nur aufgrund einer starken Besetzung durch Jugendliche mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen in den Blick, auffällig ist auch die hohe Abbruchquote, die in diesem Ausbildungsberuf verzeichnet wird. Mit einem Anteil an Abbrechern von 1
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Im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich die Unterteilung und Benennung der „leistungsstarken“ sowie „leistungsschwachen“ Auszubildenden auf die kognitiven Eingangsvoraussetzungen der Jugendlichen. Der Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in ist dem Fachbereich der Farbtechnik zugeordnet.
1. Kapitel Einführung
3
41.7 % (Bund) und 36.5 % (Baden-Württemberg) liegen die Maler/in und Lackierer/in innerhalb des Handwerks über dem Durchschnitt. Im Vergleich lag die vorzeitige Vertragslösungsquote 2013 im Handwerk bundesweit bei 33.6 % und in BadenWürttemberg bei 27.9 %. Dagegen werden in der Industrie und im Handel deutlich geringer Lösungsquoten verzeichnet (bundesweit: 31.6 %, in Baden-Württemberg: 18.1 %) (Zentralverband des Deutschen Handwerks, 2013; Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015). Die bisherigen Ergebnisse in vergleichbar „leistungsschwachen“ Ausbildungsberufen und die hohen Abbruchzahlen im Berufsfeld Maler/in und Lackierer/in verdeutlichen den dringenden Handlungsdruck für dieses Segment. Da die Befunde zur Kompetenzforschung keinen Aufschluss über die kritische Lage in dieser Berufsgruppe geben, ist der einschlägige Forschungsbedarf besonders dringend. Aufgrund dessen wird in der vorliegenden Arbeit die Analyse des berufsfachlichen Wissens im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in fokussiert.
1.1.2
Forschungskontext
Die vorliegende Arbeit entstand im Kontext des Projektes „Die Entwicklung fachlicher Kompetenzen im Übergangssystem und der dualen Ausbildung in ausgewählten Berufen“, das durch die Baden-Württemberg-Stiftung finanziert wurde. Dabei wurde im Zeitraum von Januar 2013 bis Juli 2016 eine längsschnittliche Untersuchung durchgeführt. Ziel war es, erste Erkenntnisse zur Kompetenzmessung und Kompetenzentwicklung berufsfachlichen Wissens im Übergangssystem zu liefern. Im Rahmen des Projektes erfolgte erstmals die Instrumentenentwicklung zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens für die Fachbereiche der Metall- und Farbtechnik. Die Instrumente wurden für das Übergangssystem in den Schulformen Berufsvorbereitungsjahr (BVJ), Berufseinstiegsjahr (BEJ) und der Berufsfachschule (BFS) sowie in der dualen Ausbildung eingesetzt. Um die Aussagekraft der Projektergebnisse zu verstärken, erfolgte eine Verknüpfung mit zusätzlichen Daten, die anhand der hier vorgelegten Dissertation erhoben wurden. Auch im Interesse der Baden-Württemberg-Stiftung konnte damit die Datenmenge verdoppelt werden. Während die Instrumente im Rahmen des Projektes entwickelt wurden, konnten durch die Dissertation zusätzliche Prädiktoren, die für die Kompetenzentwicklung relevant sein könnten, erfasst und für die Analysen im Projektkontext genutzt werden. So schließt die Dissertation an die Ergebnisse aus dem Projektkontext an und ermöglicht mit einer (gegenwärtig) angemessenen, methodischen Herangehensweise eine Analyse der Kompetenzen bei Maler/in und Lackierer/in, die bislang in diesem Bereich noch ausstand. Anknüpfend an das Forschungsdesiderat im „leistungsschwachen“ Segment wird mit dem Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in in dieser Arbeit eine Berufsgruppe fokussiert, in der (kognitiv) eher leistungsschwache Jugendliche deutlich überrepräsentiert sind. Vor dem Hintergrund dessen, dass dieser Ausbildungsberuf aufgrund von vorhergehenden Selektionsmechanismen durch das Berufsbildungs-
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1. Kapitel Einführung
system und den Arbeitsmarkt mit ungünstigen kognitiven Eingangsvoraussetzungen sowie nachteiligen soziokulturellen Hintergrundmerkmalen in die Ausbildung einmünden, kann mit den bisherigen Befunden zur Kompetenzforschung eine unbefriedigende Kompetenzentwicklung erwartet werden. Zwar ist eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu berufsfachlichen Kompetenzen in anderen Berufsgruppen gegeben, jedoch sollte aufgrund von unterschiedlichen Einflussfaktoren (beispielsweise ungünstigeren kognitiven Eingangsvoraussetzungen) die Übertragung der Ergebnisse aus den Erklärungsmodellen für das Fachwissen aus verschiedenen Domänen mit Vorsicht stattfinden. Es ist davon auszugehen, dass Kompositionseffekte einen Vergleich erschweren. So kann vermutet werden, dass trotz der Ähnlichkeiten einzelner Berufsgruppen, durch die Zusammensetzung der Schülerschaft weitere Prädiktoren relevant werden und Unterschiede hervorrufen. Diese könnten, bezogen auf die berufsfachlichen Leistungsstände oder Entwicklungen, zu differenten Aussagen führen. Mit dieser Überlegung sollen die bisherigen Untersuchungen und gewonnenen Informationen aus anderen Berufssegmenten es dennoch ermöglichen, Annahmen zu formulieren und diese gezielt für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in zu überprüfen.
1.2
ZIEL DER ARBEIT
Infolge der beschriebenen Forschungsdesiderate im „leistungsschwachen“ Segment ist es das Ziel der Arbeit, die Forschungslücke für den „leistungsschwachen“ Bereich zu verkleinern, indem eine bisher noch nicht untersuchte Berufsgruppe, bezogen auf die berufsfachliche Kompetenzmessung, in den Blick genommen wird. Im Rahmen der empirischen Untersuchung sollen erste Aussagen zu Kompetenzständen erfolgen, die zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres3 im Fachbereich der Farbtechnik erfasst wurden. Zudem werden die durch das Curriculum intendierten Kompetenzstrukturen am Ende der Grundstufe überprüft. Im Anschluss daran wird den zentralen Fragestellungen nachgegangen: Wie vollzieht sich die Kompetenzentwicklung der Jugendlichen innerhalb des ersten Ausbildungsjahres und mit welchen Einflussgrößen kann eine Prognose für das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres stattfinden? Durch die vorliegende Arbeit werden zum einen erste Aussagen zur Kompetenzentwicklung im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in generiert und in diesem Kontext auch die Aspekte der Heterogenität berücksichtigt, indem eine Analyse der Entwicklungsverläufe unterschiedlicher Leistungsgruppen durchgeführt wird. Des Weiteren werden im Hinblick auf die vermutete Heterogenität in den kognitiven sowie nicht kognitiven Determinanten jene Merkmale in den Blick genommen, die aus theoretischer Sicht einen empirisch nachweisbaren Einfluss auf das berufsfachliche Wissen
3
Die einjährige Berufsfachschule entspricht dem ersten Ausbildungsjahr in einer Berufsausbildung. Zudem wird das erste Ausbildungsjahr in der dualen Ausbildung auch als Grundstufe/Grundbildungsjahr bezeichnet. Im Rahmen dieser Arbeit wird unter dem ersten Ausbildungsjahr und der Grundstufe/Grundbildungsjahr dasselbe verstanden.
1. Kapitel Einführung
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am Ende des ersten Ausbildungsjahres erwarten lassen. Dies geschieht mit dem Ziel, ein elaboriertes Erklärungsmodell für das erzielte Fachwissen aufzustellen. Letztendlich sollen aus den hervorgehenden Ergebnissen die Probleme des Ausbildungsberufes Maler/in und Lackierer/in transparent werden, sodass Erkenntnisse für die Praxis zur Verfügung stehen. Damit soll gewährleistet werden, dass an den richtigen Stellen angesetzt werden kann, mit der Intention, Veränderungen in positivem Sinne hervorzurufen. Im schulischen Kontext wäre das sehr hilfreich, um pädagogische Handlungsprogramme zu optimieren und den Wissenserwerb der Auszubildenden mit gezielten Maßnahmen zu beeinflussen. Für den wissenschaftlichen Bereich könnten die nachfolgenden Studien für dieses Berufsfeld an die bestehenden Befunde anschließen, um mit den gewonnenen Ergebnissen weitere Forschungslücken bearbeiten und reduzieren zu können. Im Gesamten beschäftigt sich die Arbeit mit der Verallgemeinerbarkeit der zentralen Befunde zur beruflichen Kompetenzforschung im gewerblich-technischen Umfeld und versucht Impulse dahingehend zu setzten, dass eine Sensibilisierung im Umgang mit generalisierten domänenübergreifenden Aussagen stattfindet. In diesem Zusammenhang wird der Gedanke verfolgt, dass die Erkenntnisse zu berufsfachlichen Kompetenzen aus einem komplexen Gefüge von mehreren Einflussgrößen bestimmt sind. Je nach Berücksichtigung von diversen Merkmalen können durch kleinere Veränderungen, beispielsweise Hinzunahme weiterer Kriterien oder heterogene sowie homogene Zusammensetzungen die Aussagen zu berufsfachlichen Kompetenzen unterschiedlich ausfallen. Es kann erwartet werden, dass durch beeinflussende Determinanten bereits kleine Unterschiede zu verschiedenartigen Ergebnissen in den einzelnen Berufsgruppen führen. So ist aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung von Schülerschaften in den Ausbildungsberufen nicht von einem allgemeingültigen Muster auszugehen.
1.3
AUFBAU DER ARBEIT
Zu Beginn der Arbeit wird in die Kompetenzforschung eingeführt mit dem Ziel, das notwendige Verständnis aufzubauen, um die Fragestellungen zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung und -erklärung bei Maler/in und Lackierer/in zu bearbeiten (Kapitel 2). Dafür wird zunächst auf die drei zentralen Forschungstraditionen eingegangen, die den heutigen Kompetenzbegriff prägen. Anschließend wird die Entstehung der Definition der beruflichen Handlungskompetenz thematisiert und die Dimension Fachkompetenz vorgestellt. Diese stellt eine Teilkomponente der beruflichen Handlungskompetenz dar und ist für diese Arbeit von zentraler Bedeutung. Das Kapitel schließt mit den Herausforderungen der Berufsbildungsforschung und zeigt im Überblick die durch die Begriffsdefinitionen entstehenden Implikationen sowie die daraus hervorgehenden wichtigsten Forschungshorizonte auf. Schließlich wird mit Blick auf die kognitive Architektur und die vorausgegangenen Überlegungen die eigene Definition bezogen auf das zu erfassende Konstrukt formuliert. Das Kapitel 3 gibt einen Einblick in den einschlägigen Forschungsstand zur Kompetenzmodellierung im Forschungskontext der beruflichen Bildung, um an-
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1. Kapitel Einführung
schließend die bestehenden Forschungslücken für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in herauszuarbeiten. Es erfolgt eine Vorstellung ausgewählter Befunde zur Kompetenzstruktur. Außerdem findet zum Verständnis zu Entwicklungsprozessen der berufsfachlichen Kompetenzen eine Auseinandersetzung mit den Implikationen der Heterogenität für die Kompetenzentwicklung statt. In diesem Zusammenhang werden die Spezifika der Akteursgruppe, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird, näher betrachtet. Darauffolgend werden relevante Determinanten für das berufsfachliche Wissen vorgestellt, um anschließend ausgewählte Befunde zur Kompetenzentwicklung und elaborierten Erklärungsmodellen in der Berufsbildung zu skizzieren. Zum Abschluss des theoretischen Teils der Arbeit werden in Kapitel 4 die Forschungsfragen formuliert, die sich aus dem zuvor vorgestellten Forschungsstand ableiten lassen. Anknüpfend daran werden für die vorliegende Untersuchung die zentralen Fragestellungen und die Hypothesen aufgestellt, die einer empirischen Überprüfung unterzogen werden sollen. Kapitel 5 dient dazu, die Durchführung der vorliegenden empirischen Untersuchung transparent darzustellen. Es wird auf das Untersuchungsdesign und die eingesetzten Instrumente eingegangen. Zudem werden die Überlegungen geschildert, welche durch die Charakteristika der Stichprobe für die Erfassung des berufsfachlichen Wissens relevant werden. Anschließend werden die eingesetzten methodischen Verfahren zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen vorgestellt. Im vorletzten Kapitel 6 erfolgt die empirischen Überprüfung der aufgestellten Hypothesen. Das Kapitel wird in vier Ergebnisteile untergliedert: Teilziel 1 Erfassung berufsfachlichen Wissens, Teilziel 2 Prüfung der Kompetenzstruktur, Teilziel 3 Berufsfachliche Kompetenzentwicklung, Teilziel 4 Generierung eines Erklärungsmodells für das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Im ersten Teilziel werden die Instrumente analysiert, die zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens eingesetzt wurden. Dieser Abschnitt liefert erste Erkenntnisse über die Güte der Instrumentarien zu Beginn und am Ende der Grundstufe. Im Anschluss folgt im Teilziel 2 eine Dimensionalitätsanalyse, durch die der Abschlusstest am Ende des ersten Ausbildungsjahres einer Strukturprüfung unterzogen wird. Mit den Ergebnissen aus den ersten zwei Zielsetzungen findet, bezogen auf die Teilziele 3 und 4, die Analyse und Beantwortung der zentralen Fragestellung statt. Hierfür wird zum einen durch die Verankerung der zwei Instrumente eine längsschnittliche Modellierung durchgeführt, mit der die Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr aufgezeigt wird. Zum anderen wird abschließend das Ergebnis der Strukturgleichungsmodellierung zum Fachwissen am Ende der Grundstufe vorgestellt. Zuletzt fasst das Kapitel 7 die Erkenntnisse aus dem empirischen Teil der Arbeit zusammen und dient der Einordnung in den gegenwärtigen Forschungsstand. Darauf aufbauend werden die Befunde einer kritischen Betrachtung unterzogen und die praktischen Implikationen der Untersuchung diskutiert. Abschließend wird ein auf den Ergebnissen aufbauender Ausblick vorgestellt, in dem eine Beschreibung der Konsequenzen für das Forschungsfeld aus den Resultaten der Dissertation erfolgt. Zudem werden die Implikationen in Bezug auf die pädagogische Praxis und somit auf die Handlungsfähigkeit der Auszubildenden näher in den Blick genommen. Au-
1. Kapitel Einführung
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ßerdem wird das Ziel verfolgt, anhand der vorgelegten Befunde für nachfolgende wissenschaftliche Untersuchungen in der Berufsbildungsforschung Wege aufzuzeigen, mit denen gezielt weitere fundierte Aussagen generiert und noch bestehende Desiderate bearbeitet werden können.
KAPITEL 2 ANNÄHERUNG AN DAS ZU ERFASSENDE KONSTRUKT Das vorliegende Kapitel dient der begrifflichen Orientierung und soll die Terminologie der berufsfachlichen Kompetenz genauer beleuchten. Zunächst erfolgt ein Gesamtüberblick zum Kompetenzbegriff, bezogen auf die zentralen Forschungstraditionen, die im Laufe der Zeit das Verständnis von Kompetenz maßgeblich geprägt haben. Im Anschluss daran wird das zu erfassende Konstrukt für die vorliegende Arbeit verortet, indem der Kompetenzbegriff im Rahmen der beruflichen Bildung betrachtet wird. In diesem Kontext wird das heutige Verständnis der berufsfachlichen Handlungskompetenz mit ihren Dimensionen dargestellt. Nachfolgend wird eine Komponente der beruflichen Handlungskompetenz, nämlich die Fachkompetenz, näher beschrieben. Die Erfassung von Kompetenzen erfordert eine Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, die mit der Kompetenzdiagnostik einhergehen. Daher werden die Begrifflichkeiten sowie die diagnostischen Herangehensweisen der Kompetenzmessung diskutiert, um letztendlich für die vorliegende Untersuchung eine empirische Überprüfung und Interpretation der Ergebnisse in Bezug auf das berufsfachliche Wissen zu ermöglichen. Basierend auf den Voraussetzungen für die Operationalisierung des beruflichen Wissens sollen anschließend die theoretisch abgeleiteten Hypothesen für die Untersuchung im Berufsfeld der Maler/in und Lackierer/in formuliert und mit den entsprechenden Instrumentarien und Methoden geprüft werden.
2.1
PRÄGUNG DES KOMPETENZBEGRIFFES DURCH DIE ZENTRALEN FORSCHUNGSTRADITIONEN
Es gibt vielfältige Definitionen für den Kompetenzbegriff. Um ein Verständnis für die zahlreichen Diskussionen um den Kompetenzbegriff und die unterschiedlichen Auffassungen dieses theoretischen Konstrukts zu bekommen, ist es aufschlussreich, die Entstehung sowie die Entwicklung dieses Diskurses zu reflektieren. Es existiert weder im internationalen noch im nationalen Bereich eine Einigung über die Definition des Kompetenzbegriffes. So kann im deutschsprachigen Raum im wissenschaftlich-theoretischen Bereich nicht von der „Einen“ Bedeutung des Begriffs ausgegangen werden. Die derzeitigen Annäherungen an das Konstrukt stammen aus einer Entwicklung von unterschiedlichen Ansätzen. Es werden drei Forschungstraditionen differenziert, die im Laufe der Zeit den Kompetenzbegriff geprägt haben: die behavioristische Auffassung, die generic skills sowie die kognitivistische Tradition. Im Folgenden werden die drei Herangehensweisen in kurzer Form dargestellt. Es erfolgt keine detaillierte Ausführung zu den einzelnen Bereichen, da das Ziel ist
10
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
einen Überblick zu schaffen, um anschließend auf den für diese Arbeit gewählten Kompetenzbegriff überzuleiten und diesen deutlich zu definieren.
2.1.1
Behavioristische Auffassung
Im behavioristischen Ansatz werden z. B. in Winther (2010) Kompetenzen über die Performanz definiert, die als direkt beobachtbar und zugleich messbar beschrieben werden. Zentral für diese Auffassung von Kompetenz ist die klare Operationalisierbarkeit des Outcomes, der als unmittelbar beobachtbares Wissen und Können verstanden wird. In diesem Kontext wird das Wissen und Können nicht nur als (kognitiv) Verfügbares, sondern auch als Anwendbares übersetzt. Somit erfolgt die Definition von Kompetenz als etwas, das ein Individuum aus dem ihm zur Verfügung stehenden Wissen und Können, welches für spezifische Situationen notwendig wird, abrufen und einsetzen kann, um am Ende ein (erfolgreiches) Handeln zu erzielen. Durch den Einsatz von Instrumenten soll anschließend die vorher klar definierte Art der Fähigkeit sowie der Umfang und die festgelegten Ausprägungen operationalisiert werden. Diese Auffassung von Kompetenz kann aufgrund dessen, dass sie sich ausschließlich auf das Subjekt bezieht, kritisch betrachtet werden (Winther, 2010). Zudem wird der Fokus auf die direkt beobachtbare und messbare Performanz gelegt und somit lediglich von manifesten Strukturen und Prozessen ausgegangen. Dies würde bedeuten, dass ein ausbleibender Outcome eine nicht vorhandene Kompetenz impliziert.
2.1.2
Generic skills
Das zweite Verständnis von Kompetenz mündet in die generic skills, die sich in Deutschland an den von Mertens (1974) eingeführten Schlüsselqualifikationen orientieren. Durch die generic skills werden Kompetenzen als eine Art Bündelung oder Sammlung von allgemeinen Fähigkeiten verstanden, durch die es gelingt, arbeitsspezifische Anforderungen zu bewältigen (Winther, 2010). Norris (1991, zitiert nach Winther) gibt wieder, dass die generic skills im englischsprachigen Raum als ein komplexes Konstrukt, bestehend aus Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen definiert werden, welche als Voraussetzung für eine berufliche Tätigkeit vonnöten sind. Dieser Ansatz orientiert sich im Gegensatz zur behavioristischen Tradition nicht am Individuum (Subjekt), sondern am Gegenstand (Objekt). Auslöser für die Einführung der Schlüsselqualifikationen war unter anderem die Bildungsexpansion, die in den 1970er Jahren mit dem Ziel betrieben wurde, dem ständigen Wandel in der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen sowie sozialen Umwelt mit der Bündelung von Fähigkeiten und Einstellungen entgegenzuwirken (Mertens, 1974). Zusammengefasst bezieht sich der starke Objektbezug auf die beruflichen Anforderungen, die wiederum stark vom Arbeitsmarkt beeinflusst werden. Bei dieser Auffassung von Kompetenz werden die notwendigen Anforderungen in einzelne Fähigkeiten und Einstellungen klassifiziert, die in gebündelter Form dem
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
11
Individuum bei der Bewältigung der immer wieder wechselnden Bedingungen zur Verfügung stehen. In Deutschland werden die generic skills im Anschluss an Mertens (1974) Definition der Schlüsselqualifikationen in der Bildungswissenschaft diskutiert. Mertens (1974) benennt vier zentrale Qualifikationsbereiche, die für aktuelle und zukünftige Anforderungen in der Arbeitswelt relevant werden: die Basis- und Horizontalqualifikationen, sowie die Breitenelemente und Vintagefaktoren (Winther, 2010). Da in diesem Kapitel lediglich ein kurzer Überblick zu den unterschiedlichen Ansätzen erfolgen soll, wird im Weiteren nicht näher auf die einzelnen Schlüsselqualifikationen eingegangen. Insgesamt werden die generic skills, wie bereits bei der behavioristischen Auffassung, auch kritisch beleuchtet. Zabeck (2004) äußert Bedenken an diesem Ansatz, indem er die Schlüsselqualifikationen als einen Beweis für die Fortführung des pädagogischen Illusionismus beschreibt: Er sieht in Mertens‘ Konzept dieselben Schwächen, wie im didaktischen Reduktionismus, in dem die Vetreter meinten, „Erziehung und Unterricht könnten sich auf wenige einfache Fähigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren“ (Zabeck, 2004, S. 140). So wird seiner Meinung nach das Problem des Lerntransfers nicht gelöst. Zabeck beschreibt die Problematik als das Schlüsselqualifikationen-Dilemma, indem er den übergeordneten Anspruch gegenüberstellt, zum einen für die Transferfähigkeit situationsunspezifisch zu bleiben und zum anderen soweit wie möglich situationsspezifisch zu werden, um konkrete Leistungen erfüllen zu können (Zabeck, 2004). Ähnliches wird auch bei Schelten (2004), zitiert nach Winther (2010) geschildert: Er bemängelt Mertens‘ Konzept der Schlüsselqualifikationen ebenfalls, indem er die Generalitätsannahme infrage stellt. Der Abstraktionsgrad, der mit der Generalisierbarkeit einhergehe, sei nur bedingt einlösbar, da dies bei der Vermittlung von allgemeinen Fähigkeiten schwer zu leisten sei. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass sobald Schlüsselqualifikationen nicht über inhaltliche Spezialisierung bestimmt sind, die Transferwirkung nicht gegeben ist. Wird jedoch der Inhaltsbezug zu stark, so stehe die Annahme, die Schlüsselqualifikationen seien übergreifend einsetzbar, im Widerspruch mit der Universalitätsannahme (Winther, 2010). Zudem könnte, wie bereits zu Beginn angedeutet, der (zu) starke Objektbezug in Form der beruflichen Anforderungen als eine Schwäche dieser Forschungstradition interpretiert werden, die dazu führt, dass das Individuum unbeachtet bleibt.
2.1.3
Kognitivistische Auffassung
Die dritte Forschungstradition rührt aus den 1960er-Jahren, in denen der behavioristische Ansatz im Vordergrund steht. In dieser Zeit verändert der Linguist Noam Chomsky durch die Einführung seiner Sprachtheorie die Auffassung, Kompetenzen seien mit der Performanz gleichzusetzen. Durch die Trennung von Kompetenz und Performanz zählt Chomsky zu den ersten Vorreitern des modernen Kognitivismus. Chomsky geht von einem kognitiven System aus, ohne die Performanz, die sich als sprachliches Handeln am Beispiel der Sprachkompetenz ausdrückt, nicht leistbar ist (Chomsky, 1968). Nach Chomsky steht jedem Menschen eine „kognitive Ba-
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2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
sis“ des Handelns zur Verfügung, die durch personelle oder situative Komponenten, die letztendlich entstehende Performanz beeinflussen kann. Mit der Einführung der Abgrenzung von Kompetenz und Performanz prägt Chomsky das Kompetenzverständnis (Klieme & Hartig, 2007). Die kognitionspsychologische Auffassung des Kompetenzbegriffes wird vor allem in der empirischen Bildungsforschung verwendet. So werden Kompetenzen als kontextspezifische Leistungsdispositionen, die in unterschiedlichen Domänen in situationsspezifischen Anforderungen zum Einsatz kommen, definiert (Klieme & Hartig, 2007). Die für diese Forschungstradition prägende Definition stammt von (Weinert, 2001b), der in seinem Gutachten, welches Kompetenzen für internationale Schulleistungsstudien bestimmen sollte, den Begriff Kompetenz genauer formuliert. In seinem Gutachten definiert Weinert Kompetenzen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, 2001b, S.27 f). Mit diesem Kompetenzverständnis werden latente Kompetenzstrukturen erst erfassbar, sobald diese durch das Individuum in konkreten Situationen durch eine Performanz sichtbar werden. Somit wird durch die erkennbar werdende Performanz auf die latente Persönlichkeitsstruktur der Person geschlussfolgert. Zu beachten ist hierbei, dass eine ausfallende Leistungsperformanz keine Erklärung für mangelnde Kompetenz des Individuums sein muss. Daher geht Weinert in seiner Definition von affektiven Bereitschaften aus, die neben den kognitiven Dispositionen für eine konkrete Handlung notwendig werden (Klotz, 2015). Weiterhin setzt das erfolgreiche und verantwortungsvolle Nutzen der kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, von welchen Weinert spricht, eine soziale sowie gesellschaftliche Wertgebundenheit für den Kompetenzbegriff voraus. Es muss bestimmt werden, wann von einem kompetenten Handeln in einer spezifischen Situation auszugehen ist, um dieses Handeln überhaupt erfassen und prüfen zu können (Klotz, 2015). Diese Herangehensweise für die Auffassung von Kompetenz kann vor allem aufgrund einer stark normativen Prägung kritisch betrachtet werden. Daher ist eine eindeutige Definition schwierig zu formulieren, da die Vorstellungen gegebenenfalls differieren. Letztlich wird von einer Operationalisierung latenter Strukturen und Prozesse ausgegangen, die der Kritik unterliegt, die Interpretation auf Basis von Annahmen vorzunehmen, die wiederum nicht eindeutig als „richtig“ ausgewiesen werden können.
2.1.4
Zusammenfassung
Die Vorstellung der Forschungstraditionen (Abschnitt 2.1) zeigt, dass die heutige Definition von Kompetenzen durch verschiedenartige Betrachtungsweisen geprägt ist. Die Entstehung der unterschiedlichen Auffassungen kann als ein Entwicklungsprozess betrachtet werden, der durch auftretende Probleme ausgelöst wurde und
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
13
zu Veränderungen führte. Es wird deutlich, dass alle drei Herangehensweisen (behavioristischer Ansatz, generic skills, kognitivistische Auffassung) sowohl Überschneidungen als auch Differenzen in ihrem Verständnis von Kompetenzen aufzeigen. Die Ansätze versuchen mit den Herausforderungen und Ansprüchen umzugehen, die durch die Erfassbarkeit des Konstrukts einhergehen. Während sich der behavioristische Gedanke lediglich am Subjekt orientiert und Kompetenz als direkt beobachtbare sowie messbare Performanz übersetzt und somit von manifesten Strukturen und Prozessen ausgeht, wird durch die generic skills der Kompetenzbegriff vom ständigen Wandel der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Welt bestimmt. In diesem Zuge werden Kompetenzen eher auf den Gegenstand ausgerichtet, anstatt auf das Subjekt. In diesem Kontext wird von Schlüsselqualifikationen gesprochen, die zur Bewältigung von arbeitsspezifischen Anforderungen befähigen. Dagegen versucht die kognitivistische Auffassung bei der Definition des Konstrukts sowohl das Subjekt als auch das Objekt (die Anforderungen aus der Arbeitswelt) in den Blick zu nehmen. Kompetenzen werden definiert, als erlernbare, kontextspezifische Leistungsdispositionen in Kombination mit affektivmotivationalen Komponenten, die in bestimmten Anforderungssituationen sichtbar werden. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass unabhängig davon, welcher der Ansätze als Grundlage für die Definition von Kompetenz dient, unterschiedliche Implikationen zu kritischen Rezeptionen führen.
2.2
DER KOMPETENZBEGRIFF IN DER BERUFLICHEN BILDUNG
Nach der Herleitung der unterschiedlichen Forschungsansätze wird im Folgenden der Kompetenzbegriff in seiner Bedeutung und Einbettung im Berufsbildungsbereich betrachtet. In diesem Zusammenhang wird die Entstehung der Begrifflichkeit der beruflichen Handlungskompetenz aufgezeigt, um anschließend das berufsfachliche Wissen, das im Rahmen dieser Arbeit empirisch untersucht wird, definieren zu können.
2.2.1
Das Fundament der (beruflichen) Handlungskompetenz
Der Ansatz, Kompetenzen als individuelle Dispositionen zu definieren und das Individuum in den Fokus zu stellen, hatte in der Berufspädagogik seinen Ursprung in den 1970er-Jahren in Roths anthropologischer Pädagogik, durch die der Begriff erstmals in dieser Form vorgestellt wurde (Roth, 1971). Mit der Formulierung von Roth durchlebte das Kompetenzverständnis einen Wechsel von einer traditionellen zu einer emanzipatorischen Sichtweise des Erziehungsbegriffs und begegnete dem aufgeklärten Bildungsbegriff (Klieme & Hartig, 2007). So liegt der Fokus bei der Beschreibung von beruflicher Handlungskompetenz und in der Zielsetzung der Erziehung darin, „Mündigkeit als Kompetenz für verantwortliche Handlungsfähigkeit“ zu verstehen. Roth erklärt Mündigkeit als „seelische Verfassung einer Person, bei der die Fremdbestimmung soweit wie möglich durch Selbstbestimmung abge-
14
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
löst ist“ (Roth, 1971, S.180). Das Kompetenzkonzept wird hier als ganzheitliche Handlungsfähigkeit interpretiert und in mehrere Dimensionen unterteilt, die durch die Lern- und Sozialisationsprozesse und Strukturen sowie durch die Erziehung beeinflusst werden (Winther, 2010). Bezogen auf die berufsfachliche Handlungsfähigkeit formuliert Roth: „Mündigkeit als Kompetenz und zwar in einem dreifachen Sinne: a) als Selbstkompetenz (self competence), d. h. als Fähigkeit, für sich selbstverantwortlich handeln zu können, b) als Sachkompetenz, d. h. als Fähigkeit, für Sachbereiche urteils- und handlungsfähig und damit zuständig sein zu können, und c) als Sozialkompetenz, d. h. als Fähigkeit, für sozial, gesellschaftlich und politisch relevante Sach- oder Sozialbereiche urteils- und handlungsfähig und also ebenfalls zuständig sein zu können“ (Roth, 1971, S.180).
Durch Roths Dimensionierung wird der Grundstein für die Definition von Handlungsfähigkeit in der Berufspädagogik gelegt. Die Mündigkeit erhält in seinem emanzipatorischen Ansatz den höchsten Stellenwert und wird als moralische Handlungsfähigkeit betitelt (Franke, 2005). Der deutsche Bildungsrat greift die Trias von Roth auf und formuliert die Dimensionen in Fach-, Sozial- und Humankompetenz um. Zudem wird die moralische Handlungsfähigkeit, wie sie von Roth verstanden wird, nochmals in veränderter Form aufgenommen. Die Dimension wird in der Humankompetenz, in dem Sinne gefasst, „dass der Lernende sich seiner selbst als eines verantwortlich Handelnden bewusst wird, dass er seinen Lebensplan im mitmenschlichen Zusammenleben selbstständig zu fassen und seinen Ort in Familie, Gesellschaft und Staat richtig zu finden und zu bestimmen vermag“ (Deutscher Bildungsrat, 1974). Mit dieser Änderung wird der emanzipatorische Ansatz hier verstärkt, indem mit der Humankompetenz die Fähigkeit der kritischen Reflexion verbunden wird (Klieme & Hartig, 2007). Zusammenfassend wird das Kompetenzverständnis, welches durch die Arbeiten von Roth geprägt ist und sich durch das Aneignen von Kompetenzen auszeichnet, indem dem Individuum zur Mündigkeit verholfen wird, als die Fähigkeit des selbstständigen und selbstverantwortlich Handelnden definiert (Hartig & Klieme, 2007).
2.2.2
Berufliche Handlungskompetenz heute
Im Folgenden wird auf das Verständnis der heutigen beruflichen Handlungskompetenz eingegangen. In diesem Zusammenhang wird betrachtet inwieweit die durch Roth entstandene und vom deutschen Bildungsrat aufgenommene Kompetenzauffassung derzeit noch Einfluss auf die Erziehungswissenschaften nimmt.
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
2.2.2.1
15
Bedeutung der Bildung für das Individuum
Ein Exkurs im Zusammenhang mit dem (allgemeinen) Bildungsbegriff macht deutlich, dass die von Roth angestrebte Mündigkeit, in der die Fremdbestimmung von der Selbstbestimmung abgelöst werden soll, in der jetzigen Zeit immer noch elementar scheint (Roth, 1971). In diesem Kontext differenziert beispielsweise Tafner (2015) die Zielsetzungen der Bildung sowie Ausbildung und zeigt so auf, dass zwischen den zwei Elementen ein starkes Abhängigkeitsverhältnis besteht, welches folgendermaßen zu gewichten ist: Die Bildung erhält eine übergeordnete Rolle, indem sie in wesentlichem Maße die Ausbildung jedes Individuums beeinflusst. Tafner postuliert: „Bildung ist mehr als Ausbildung, es geht um Reflexion, Selbsterkenntnis, Orientierung, Selbstbestimmung und moralisches, verantwortliches Handeln [. . . ] Bildung ist nicht transitiv, Bildung ist reflexiv. Reflexion hängt mit dem Bewusstsein und der Subjektivität des Menschen zusammen“ (Tafner, 2015, S.66 f.). Die Bildung wird an erster Stelle von der Subjektivität des Individuums beeinflusst. Die Bedeutung des Subjekts in der Lebenswelt beschreibt Habermas, indem er „die Natur des menschlichen Geistes“ als ein Problem in der objektiven Welt veranschaulicht (Habermas, 2012, S.35). Nach Habermas ist die Subjektivität des Menschen als „ein Stachel für die Konzeption einer versachlichten, alle kausal vernetzten Körper einschließenden Welt“ zu sehen (Habermas, 2012, S.36). Zusammengefasst kann dies so interpretiert werden, dass der Fokus auf dem Individuum liegt und die Bedingungen, die mit einer Ausbildung einhergehen und Einflusskraft bekommen (können), die individuelle Entwicklung vorantreiben können. Jedoch wird die Ausbildung der Bildung untergeordnet. Im Vordergrund steht die Subjektivität, die anhand der Bildung ihre Form findet und letztendlich auf die Ausbildung Einfluss nimmt. In Bezug auf die berufliche Handlungskompetenz sollen die angeführten Zitate verdeutlichen, dass die berufliche Handlungskompetenz, so wie sie heute verstanden wird, nicht mehr nur als eine Zweckmäßigkeit „zum Überleben“ definiert wird, sondern als Etwas, das zur individuellen Entwicklung des Menschen beiträgt. Der Ansatz von Roth, individuelle Dispositionen zu definieren und das Individuum zu fokussieren, wird durch das heutige Verständnis einer umfassenden Handlungsfähigkeit gestützt. So beinhaltet das Konstrukt zum einen die kognitiven Leistungsdispositionen als auch affektiv-motivationale Komponenten und zum anderen wird über die Kompetenzen die Zuständigkeit des Individuums für sich selbst und die Gesellschaft bestimmt (Klieme & Hartig, 2007). Auf die Bestandteile der Kompetenzkonzeption von Roth beziehen sich sowohl die pädagogische Praxis als auch die Psychologie und die Erziehungswissenschaften (Hartig & Klieme, 2007). Aufgrund des normativen Charakters muss die Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum mit starker Kritik umgehen. Auslöser ist, dass das Kompetenzverständnis sich auf die Definition des Berufs zurückführen lässt und „mit der Idee von Identitäts- und Weiterbildung verbunden ist“ (Klieme & Hartig, 2007, S.23). In den Momenten, in denen das Individuum mit seinem Selbst eine grundlegende Stellung bekommt und auch die Bedeutung des
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2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
Berufs auf diese ausgerichtet wird, ist die Kritik unumgänglich, da es sich hierbei um einen normativen Ansatz handelt.
2.2.3
Zusammenfassung
Die empirische Berufsbildungsforschung folgt dem kognitivistischen Ansatz (Abschnitt 2.1.3), die zugleich auf Roths berufliche Handlungsfähigkeit rekurriert. Diese orientiert sich am Anspruch der Mündigkeit des Individuums und versteht die berufliche Handlungsfähigkeit im dreifachen Sinne: der Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz. Im Anschluss daran entwickelte sich die heutige Definition der beruflichen Handlungskompetenz, in der den drei Subdimensionen gleichermaßen Gewicht zugesprochen wird. Insgesamt zeigt sich so eine Entwicklung von den früheren Zielsetzungen, die Bildungsziele als allgemeine und kontextunabhängige Fähigkeiten zu definieren, hin zu einer Formulierung von Bildungszielen, die von unterschiedlichen Anforderungen der Lebenswelt beeinflusst und somit kontextabhängig sind. In diesem Fall muss aktuell in der Berufspädagogik das Kompetenzverständnis beides abdecken: zum einen die Bewältigung von inhaltsübergreifenden Aufgaben und zum anderen das Lösen von spezifischen situationsbezogenen Anforderungen. Die berufspädagogische Forschung bündelt dieses Bildungsziel in der beruflichen Handlungskompetenz, die sich wiederum aus den drei Komponenten der Sach-, Sozial- und Personalkompetenz zusammensetzt (Klieme, 2004).
2.3
ZUGÄNGE ZUR BERUFLICHEN HANDLUNGSKOMPETENZ
Die Definition des Konstrukts der Kompetenz ist jedoch nicht die einzige Problematik, mit der sich das Forschungsfeld der Berufsbildung auseinandersetzen muss. Hinzu kommt die Diagnostik der oben formulierten Kompetenzkonzeption, die ebenso angreifbar wird. Der Anspruch einer ganzheitlichen Erfassung der Handlungskompetenz führt zu Implikationen, die vor allem bei der Operationalisierung des Konstrukts deutlich wird. „Das Ideal besteht darin, die berufliche Ausbildung wie auch die zugehörigen Prüfungsverfahren in ‚vollständigen beruflichen Handlungen‘ zu organisieren, d. h. als Handlungsabläufe, die vom Auszubildenden selbstständig geplant, durchgeführt und kontrolliert werden“ (Klieme & Hartig, 2007, S.23). Im Zuge dessen, lassen sich in der derzeitigen Berufsbildungsforschung zwei Zugänge aufführen. Die zwei Forschungszugänge unterscheiden sich in ihrer theoretischen sowie methodischen Herangehensweise. Es handelt sich hierbei zum einen um das holistische Konzept, das einem starken handlungsorientierten Ansatz und einer weiten Begriffsdefinition von Kompetenz folgt und zum anderen um die kognitionspsychologische Sichtweise, die sich durch eine enge kognitive Definition charakterisiert (Zlatkin-Troitschanskaia & Seidel, 2011). Im Folgenden werden beide Konzeptionierungen vorgestellt. Zunächst wird auf den holistischen und anschließend auf den kognitivistischen Ansatz eingegangen.
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
2.3.1
17
Holistischer Ansatz: ganzheitliches Kompetenzkonstrukt
Eines der bedeutendsten handlungsorientierten Kompetenzverständnisse entstammt aus dem Sekretariat der ständigen Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (1996), die in den 1990er-Jahren eine Modifikation der bestehenden Dimensionen Rohts vornahm und dadurch die Entstehung des heutigen Konstrukts der beruflichen Handlungskompetenz wesentlich prägt. Durch die pädagogische Kompetenzvermittlung soll das Individuum zur Mündigkeit befähigt werden (Klieme & Hartig, 2007). Damit übereinstimmend wird durch die Gestaltung der Ausbildungsordnungen und der Rahmenlehrpläne im Jahr 1996 die berufliche Handlungskompetenz als zentrales Bildungsziel festgeschrieben (Seeber & Nickolaus, 2010). Nach diesem Konzept soll es dem Individuum gelingen, auf den stetigen Wandel der Umwelt zu reagieren und selbst an deren Gestaltung mitwirken zu können. Damit rücken (Leistungs-) Dispositionen in den Vordergrund und führen in der Berufspädagogik zugleich zur Distanzierung vom Qualifikationsbegriff (Seeber & Nickolaus, 2010). Mit der Einführung der beruflichen Handlungskompetenz als zentralem Zielkonstrukt und der damit einhergehenden Orientierung an Arbeitsprozessen und stärker selbstgesteuerten Lehr-Lernarrangements soll das Ziel des lebenslangen Lernens verfolgt und die Problematik des trägen Wissens angegangen werden (Nickolaus et al., 2010). Heute definiert die Kultusministerkonferenz (KMK) die Handlungskompetenz als „die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten “(Sekretariat der ständigen Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S.10) und modifiziert die drei Dimensionen von Roth in: Fach-, Personal- und Sozialkompetenz. In der Zielsetzung der KMK werden die drei Dimensionen gleichgestellt, sodass trotz der noch immer starken Subjektorientierung die Mündigkeitsorientierung (nach Frankes Einschätzung) an Bedeutung verliert und nicht mehr wie bei Roth und dem deutschen Bildungsrat im Fokus steht (Franke, 2005). Die drei Kompetenzdimensionen, die in dem Konzept der beruflichen Handlungskompetenz aufgehen, werden von der KMK wie folgt definiert:
18
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
„Humankompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Befähigung, als individuelle Persönlichkeit die Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen in Familie, Beruf und öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Sie umfasst Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungsund Pflichtbewusstsein. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte “(Sekretariat der ständigen Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S.11). „Sozialkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Befähigung, soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten, Zuwendungen und Spannungen zu erfassen und zu verstehen sowie sich mit anderen rational und verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen. Hierzu gehört insbesondere auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität “(Sekretariat der ständigen Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S.11). Fachkompetenz wird definiert als „die Bereitschaft und Befähigung, auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen “(Sekretariat der ständigen Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2007, S.11).
Zudem wird im Rahmen der KMK angenommen, dass in allen drei Dimensionen als übergreifende Bestandteile die kommunikative Kompetenz, sowie die Methodenund die Lernkompetenz eine Rolle spielen (Sekretariat der ständigen Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2007). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass diese Auffassung der beruflichen Handlungskompetenz eine Weiterführung des ursprünglichen Begriffsverständnisses von Roth erkennen lässt. Mit diesem breiten Kompetenzverständnis wird das Konstrukt der beruflichen Handlungskompetenz nur schwer greifbar und bedarf für empirische Studien einer präziseren Fassung. Jedoch stellt genau diese Forderung nach einer eingrenzenden Definition eine große Herausforderung dar. So stehen die Vertreter des holistischen Ansatzes einer engeren Konstruktdefinition, basierend auf einer empirischen Herangehensweise, kritisch gegenüber. Beispielsweise wird dies durch die Definition von Bader (1989) deutlich. Als Vertreter des holistischen Ansatzes erklärt er berufliche Handlungskompetenz als „die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen, in beruflichen Situationen sach- und fachgerecht, persönlich durchdacht und in gesellschaftlicher Verantwortung zu handeln“ (Bader, 1989, S.75). Zudem differenziert Bader (1989) drei weitere Komponenten (Planung, Durchführung, Kontrolle), die neben der Trias (Sach-, Selbst-, Sozialkompetenz) für eine vollständige Handlung bedeutsam werden. Eine Trennung der einzelnen Dimensionen für die Operationalisierung sieht er kritisch, da seiner Meinung nach durch die gegenseitige Wechselwirkung der Komponenten, eine eindeutige Differenzierung nur begrenzt möglich ist. Dieser Auffassung folgen auch Straka und Macke (2010), indem sie davon ausgehen, dass Kompetenzen eine „Einheit von Kenntnis und Wissen über Sachen, andere und sich selbst, motorisch, kognitiven Handlungsdispositionen und Orientierungsdispositionen wie Motiven, Emotiven sowie Werten“ sind (Straka & Macke, 2010, S.447). Die Autoren sind wie Bader (1989) gegen eine Reduzierung des Kom-
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
19
petenzverständnisses auf den kognitiven Leistungsbereich, da sie Kompetenzen als weit mehr „als eine kontextspezifische, kognitive Leistungsdisposition“ verstehen (Straka & Macke, 2010, S.450). Insgesamt wird deutlich, dass für die Vertreter der holistischen Richtung der Begriff der Kompetenz erst Sinn macht, wenn damit mehr als nur Fähigkeiten und Fertigkeiten verknüpft werden. In diesem Zusammenhang folgen Straka und Macke zur Durchführung einer empirischen Prüfung einem Kompetenzkonzept, dass aus mehreren Elementen besteht, die in einem „nomologisches Netzwerk“4 verortet werden. Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von einer empirischen Konstruktvalidiät als „ultimate goal“ für die Berufsbildungsforschung (Straka & Macke, 2010). Im Gegensatz dazu stehen die Vertreter des kognitivistischen Ansatzes, wie beispielsweise Hartig und Jude (2007), bezogen auf die Konstruktvalidität für das Kompetenzkonzept, der empirischen Prüfung eines nomologischen Netzwerks kritisch gegenüber. Dies wird im Anschluss bei der Ausführung der kognitivistischen Auffassung deutlich.
2.3.2
Kognitivistischer Ansatz: differenziertes Kompetenzkonstrukt
Dem holistischen Ansatz, welcher als allumfassendes Kompetenzkonstrukt verstanden wird, kann die kognitivistische Auffassung gegenübergestellt werden. Dem kognitivistischen Ansatz zufolge wird der Kompetenzbegriff hauptsächlich durch kognitive Dispositionen bestimmt, die für das Kompetenzkonzept die grundlegenden Elemente darstellen (Klieme & Hartig, 2007). Gleichzeitig werden jedoch durch die hohe Gewichtung der kognitiven Dispositionen die nicht kognitiven Komponenten aus dem Kompetenzkonstrukt ausgegrenzt. Aebli (1980) schließt beispielsweise an die Auffassung an und definiert Handlungskompetenz als Repertoire aus (kognitiven) Handlungsschemata, die zur Verfügung stehen, um Problemsituationen zu bewältigen, wobei diese für die Umsetzung motivationale sowie volitionale Prozesse erfordern. Auch Weinert (2001b) wird mit seinem Kompetenzverständnis, wie schon zur kognitivistischen Forschungstradition beschrieben (Abschnitt 2.1.3), den Vertretern dieser Sichtweise zugeordnet. Weinert erklärt das Kompetenzkonzept aus der psychologischen Tradition. Demzufolge definiert er die Handlungskompetenz als Konstrukt, das „neben kognitiven auch soziale, motivationale, volitionale und oft moralische Kompetenzen“, es erlaubt, „erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen erfolgreich, aber auch verantwortlich zu nutzen“ (Weinert, 2001b, S.28). Die Definition von Weinert zählt zwar zu den meist verbreiteten im Bereich der kognitivistisch orientierten Kompetenzforschung, es wird jedoch nicht völlig klar, wie genau die Verbindungen zwischen den kognitiven Dispositionen und den emotionalen Komponenten zu verstehen sind (Zlatkin-Troitschanskaia & Seidel, 2011). Es wird zwar deutlich, dass neben den kognitiven auch die motivationalen, volitiona4
Das Beziehungsgeflecht aus sowohl latenten Konstrukte als auch beobachtbaren Merkmalen wird in diesem Zusammenhang als nomologisches Netzwerk definiert.
20
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
len sowie personellen Faktoren das Handeln einer Person in bestimmten Situationen beeinflussen können. Jedoch nimmt Weinert dahingehend, dass er die kognitiven, motivationalen und volitionalen Komponenten für das Konzept als notwendige Kombination für gleichgewichtig erachtet, keine klare Abgrenzung der einzelnen Dimensionen vor (Klieme & Hartig, 2007). Für den Umgang mit den emotionalen Merkmalen erfolgt in Weinerts Definition lediglich der Zusatz, dass eine differenzierte Erfassung der kognitiven Kompetenzen und den motivationalen, volitionalen sowie sozialen Merkmalen empfohlen wird. Durch diese Trennung soll es möglich sein, die Zusammenhänge sowie Wechselwirkungen der kognitiven und emotionalen Aspekte zu analysieren und aufzuzeigen (Klotz, 2015). Somit schließt sich Weinert (in pragmatischer Perspektive) einem engen Kompetenzbegriff an, der sich ausschließlich auf kognitive Dispositionen stützt, die aber durch die Verknüpfung anderer Dispositionen, wie beispielsweise motivationalen oder volitionalen Merkmalen, eine Handlungskompetenz konstituieren können (Klieme & Hartig, 2007). Im Gegensatz dazu formulieren Klieme und Leutner (2006) im Rahmen des Schwerpunktprogramms mit dem Titel „Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen“5 ihre Definition präziser. Sie grenzen in ihrer kognitivistischen Konstitutionalisierung die Kompetenzen unmissverständlich auf kognitive Leistungsdispositionen ein, indem die motivationalen und volitionalen Merkmale ausgeschlossen werden. Die Autoren definieren Kompetenzen als „kontextspezifische Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen“ (Klieme & Hartig, 2007, S.14). In diesem Zusammenhang wird der Einfluss der emotionalen Aspekte auf die Kompetenz anerkannt. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass sie jene nicht als grundlegende Komponenten für das Kompetenzkonzept verstehen und sich auf die kognitiven Dispositionen konzentrieren (Zlatkin-Troitschanskaia & Seidel, 2011).
2.3.3
Abgrenzung von Kompetenz und kognitiver Grundfähigkeit
Eine Gemeinsamkeit der beiden Forschungsdisziplinen (holistischer und kognitivistischer Ansatz) ist, dass außer Frage steht, dass der Kontextbezug der kognitiven Dispositionen ein zentrales Element für das Kompetenzkonzept ist (Hartig & Klieme, 2006). Durch diese Charakteristika unterscheiden sich die kognitiven Leistungsdispositionen von generellen Leistungsdispositionen wie der Intelligenz, die im Gegensatz zur Kompetenz als kontextunabhängig verstanden wird. Die Annahme der Erlernbarkeit der kognitiven Dispositionen ist ein weiterer Aspekt, der im Kontext der Intelligenzforschung nur in begrenztem Maße adäquat berücksichtigt werden kann. Anhand dieser Kriterien erfolgt eine Abgrenzung zur Intelligenzforschung (Klieme & Hartig, 2007).
5
Das Schwerpunktprogramm: „Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen“ wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert.
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
21
Bei der Bewältigung von spezifischen Anforderungen wird davon ausgegangen, dass die generellen Leistungsdispositionen mitwirken. Nach Weinert (2001a) stehen die allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten jedem Menschen als Grundausstattung zur Verfügung und müssen für das Meistern einer spezifischen Anforderung nicht erlernt werden. Dies wird durch den derzeitigen Forschungsstand bestätigt; dieser belegt, dass für die allgemeinen Grundfähigkeiten (im Erwachsenenalter) eine (weitgehende) Nicht-Veränderbarkeit unterstellt werden kann, was bedeutet, dass Intelligenz als (weitgehend) stabiles Persönlichkeitsmerkmal propagiert wird. Während kontextspezifische Kompetenzen bei Individuen vollkommen fehlen können, ist davon auszugehen, dass für die kognitive Grundfähigkeit immer ein messbarer Wert vorliegt (Hartig & Klieme, 2006). Trotz der theoretischen Abgrenzung der Kompetenz und Intelligenz belegen bisherige empirische Studien hohe Zusammenhänge zwischen den zwei Konstrukten (Hartig & Klieme, 2006). Diese werden in Abschnitt 3.2.3 zum Forschungsstand der Kompetenzentwicklung und -erklärung genauer betrachtet.
2.3.4
Unterschiede der zwei Zugänge: holistischer vs. kognitivistischer Ansatz
Die Auseinandersetzung mit den zwei vorgestellten Zugängen, dem kognitionsbezogenen (differenzierten) und dem handlungsorientierten (holistischen) Ansatz, zeigt deutliche Unterschiede auf. Während der kognitivistische Ansatz das Kompetenzkonstrukt ausschließlich durch kognitive Leistungsdispositionen bestimmt und affektive sowie volitionale Aspekte nicht als konstituierende Elemente erkennt, sondern als beeinflussende Determinanten, werden in der holistischen Auffassung die Merkmale der Motivation und Volition in der Definition der beruflichen Handlungskompetenz als Teilelemente verstanden, durch die überhaupt ein ganzheitliches Handeln entsteht (Nickolaus & Seeber, 2013). Die Vertreter des handlungsorientierten Kompetenzkonstrukts gehen nur bei einer Kombination aus mehreren Komponenten (Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen) von Kompetenzen aus, die zur Bewältigung spezifischer Anforderungssituationen notwendig sind. Wie schon durch die Kritik von Straka und Macke aufgezeigt (Abschnitt 2.3.1), genügt es den Vertretern der holistischen Sichtweise nicht, durch reines Wissen (z. B. Fachwissen) ein Kompetenzkonzept aufzustellen (Zlatkin-Troitschanskaia & Seidel, 2011). Insgesamt wird in beiden Lagern den affektiven und volitionalen Merkmalen eine Bedeutung zugesprochen, jedoch impliziert die divergente Kompetenzstruktur eine unterschiedliche Gewichtung der Merkmale. Infolgedessen erfolgt die empirische Beobachtung des Konstrukts in verschiedenen Herangehensweisen. Die Vertreter des kognitivistischen Ansatzes plädieren für eine differenzierte und separate Erfassung dieser Facetten, um die Zusammenhänge und die Wechselwirkungen zwischen den kognitiven Dispositionen und den motivationalen sowie volitionalen Aspekten zu analysieren, während durch den holistischen Ansatz eine allumfassende Kompetenzmessung angestrebt wird (Nickolaus & Seeber, 2013).
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2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
2.3.5
Konsequenzen für die Diagnostik beruflicher Kompetenzen
Die Entscheidung zwischen den zwei skizzierten Zugängen in der beruflichen Bildung fällt für die vorliegende Arbeit auf die Begriffsbestimmung des kognitivistischen Ansatzes. Dieser Auffassung des differenzierten Kompetenzkonstruktes zu folgen, hat starke Auswirkungen auf die wissenschaftliche Herangehensweise. Um die empirische Überprüfung des Konstrukts basierend auf diesem Verständnis durchzuführen, wird die Begrifflichkeit für die vorliegende Arbeit auf Grundlage des differenzierten Kompetenzkonstrukts angestrebt. Im Anschluss erfolgt ein kurzer Überblick zu den Konsequenzen, die in der Kompetenzdiagnostik durch die begriffliche Fassung des Merkmals „berufliche Kompetenz“ entstehen. Durch die Beleuchtung der empirischen Herangehensweise soll die Entscheidung für die kognitivistische Auffassung nachvollziehbar sowie begründbar werden.
2.3.5.1
Kompetenzdiagnostik in der beruflichen Bildung
Das übergeordnete Ziel der Kompetenzdiagnostik ist es, die durch das Bildungssystem angestrebten Kompetenzen zu erfassen und zu analysieren, um diese anschließend mit den Bildungszielen gegenüberzustellen (Hartig & Klieme, 2006). Mit der Kompetenzdiagnostik wird die Weiterentwicklung oder Optimierung von Bildungsprozessen und Strukturen im Bildungswesen ermöglicht. Die empirischen Messungen der Kompetenzen sind die Grundlage für die Evaluation von Maßnahmen im Bildungssystem und können zur Verbesserung der Institutionen genutzt werden (Hartig & Jude, 2007). Durch die bisherigen Schulleistungsstudien hat die Kompetenzdiagnostik in der empirischen Forschung an Bedeutung gewonnen. Die weltweit größte Schulleistungsstudie ist PISA, sie steht für „Programme for International Student Assessment“.6 Im Rahmen von PISA werden unterschiedliche Kompetenzbereiche (z. B. Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) sowie andere relevante allgemeinbildende Merkmale erfasst, um zu prüfen, inwieweit es gelingt die Jugendlichen auf das Erwachsenenleben vorzubereiten (Reiss et al., 2016). Ergänzend sind für den beruflichen Kontext die breit angelegten ULME-Studien zu nennen, die ihren Fokus auf die Kompetenzmodellierung in 17 Berufen aus verschiedenen Disziplinen legen und die Aufmerksamkeit auch in der beruflichen Bildung auf die Untersuchung von Kompetenzen lenken (Lehmann & Seeber, 2007;
6
Die PISA-Studie ist initiiert durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Im Rahmen der Studie werden in über 70 Staaten Schülern/innen seit dem Jahr 2000 in einem Drei-Jahres-Rhythmus befragt und verglichen.
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
23
Seeber & Lehmann, 2011).7 Im Rahmen der ULME-Studien wurden erstmals in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik auf Basis der Item-Response-Theorie Modellierungen, bezogen auf berufliche Kompetenzen, vorgenommen (Robitzsch et al., 2018). In dieser Untersuchung erfolgten Aussagen zu Dimensionalitäten und zu Niveaus in den einbezogenen Berufen (Lehmann & Seeber, 2007). Neben Vergleichsstudien wurde der Frage nach der Validität der Erfassung beruflicher Kompetenzen nachgegangen. So entstanden im Rahmen groß angelegter Programme, wie beispielsweise dem einschlägigen DFG-Schwerpunktprogamm8 , Untersuchungen mit dem Fokus auf der Erfassung individueller Lernergebnisse. Das Programm beinhaltete mehrere Projekte, die sich zu unterschiedlichen Zeiträumen im Verlauf der Ausbildung im Kern mit der Kompetenzmodellierung und -entwicklung in gewerblich-technischen Ausbildungsberufen befassten. Weitere vergleichbare Untersuchungen wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. In diesem Rahmen wurden in der Forschungsinitiative ASCOT9 technologiebasierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung näher untersucht. Der Anspruch sowie das Ziel dieser Forschungsinitiative war es objektive, reliable und valide Messungen von berufsfachlichen Kompetenzen sowie deren Einflussfaktoren in ausgewählten Ausbildungsberufen bereitzustellen. Zudem beschäftigen sich vielfältige Einzelprojekte mit der Entwicklung von Messverfahren, durch die, so die Annahme, eine Erfassung und ein Vergleich von beruflichen Kompetenzen für die Anrechnung von Leistungen/Abschlüssen im europäischen Raum vereinfachen würde (Nickolaus, 2011). Mit der Entscheidung, Kompetenzen in der beruflichen Bildung als kognitive Dispositionen zu fassen, wird ein hoher wissenschaftlicher Anspruch an die psychometrische Messung gestellt (Klieme & Hartig, 2007). Die Anforderung, das oben skizzierte Konzept der beruflichen Handlungskompetenz zu erfassen, um anschließend die Möglichkeit zu haben, (erfolgreich) Lehr-Lernprozesse zu evaluieren und pädagogische Handlungsprogramme aufzustellen, führt auf verschiedenen Ebenen zu Herausforderungen.
7
8
9
ULME I: Untersuchung der Leistungen, Motivation und Einstellungen zu Beginn der beruflichen Ausbildung, ULME II: Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler in den Abschlussklassen der teilqualifizierenden Berufsfachschulen, ULME III: Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler in den Abschlussklassen der Berufsschulen. Deutschen Forschungsgemeinschaft im Schwerpunktprogramm „Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen“. Näheres hierzu wird bei Gschwendtner (vgl. z. B. 2011) und Abele (2014) berichtet. Die Forschungsinitiative ASCOT wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Im Rahmen des Projektes wurden in verschiedenen Ausbildungsberufen die berufsfachlichen Kompetenzen reliabel und valide erfasst und analysiert.
24
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
2.3.5.2
Das Theorie-Empirie-Problem
Eine Herausforderung für die Erfassung von Kompetenzen ist die Theorie-EmpirieProblematik, auf die Beck bereits in den 80er-Jahren aufmerksam machte (ZlatkinTroitschanskaia & Seidel, 2011). Demnach entstehen theoretische Modelle durch fundierte Forschung, welche wiederum Basis für die Formulierung theoretischer Hypothesen sind und durch die Auswahl von angemessenen Methoden geprüft werden. Für Beck beginnt somit die Problematik bereits durch die Versuche, „theorielose“ Wissenschaft zu betreiben. Durch Becks Überlegungen wird deutlich, dass die Herausforderung für die Untersuchung von Kompetenz schon mit der (notwendigen) Theorie ausgelöst wird und dies Auswirkungen auf die angewandte Empirie hat (Zlatkin-Troitschanskaia & Seidel, 2011). Becks Beschreibung der Problematik wird auch durch andere Forscher bestätigt. So werden die Zusammenhänge der einzelnen Forschungsschritte gleichermaßen durch Hartig und Klieme (2007) diskutiert. Die Autoren gehen davon aus, dass zur Erfassung von Kompetenzen theoretische Modelle nötig sind, die zum einen für die Entwicklung von Instrumenten und zum anderen zur Beschreibung der Ergebnisse dienen sollen. Klieme und Hartig (2007) erachten die Kombination aus pädagogischen Konstrukten, psychologischen Kompetenzmodellen und Messverfahren als eine der komplexesten Herausforderungen für die Kompetenzdiagnostik. Mit dieser Stellungnahme geben sie dem Theorie-Empirie-Problem ebenfalls Gewicht. Ähnlich argumentieren Erpenbeck und von Rosenstiel (2003), die in ihrem Handbuch zur Kompetenzmessung ausführen, dass die Messung der nicht sichtbaren inneren Fähigkeiten einer Person nur anhand einer festgelegten Theorie für das Kompetenzkonstrukt möglich ist. Die Autoren beschreiben den Kompetenzbegriff als „theorierelativ“ und behaupten so, dass ein theoretischer Rahmen benötigt wird, in dem der Kompetenz eine definierte Bedeutung zugesprochen wird, um überhaupt eine empirische Beobachtung durchführen zu können (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003). In diesem Zusammenhang wird die Relevanz der kontroversen Diskussion über den Kompetenzbegriff, die in den vorherigen Abschnitten dargestellt wurde, deutlich. Die Problematik liegt darin, dass eine konsensfähige Formulierung des Konstrukts für die Generierung von theoretischen Kompetenzmodellen notwendig ist. Die Unterscheidung zwischen kognitionsbezogenen (differenzierten) und handlungsorientierten (holistischen) Ansätzen veranschaulicht, dass die Entscheidung für einen dieser Forschungsansätze mit dem Verständnis des Kompetenzkonstrukts auch Implikationen für die daran anknüpfende Empirie aufweist (Zlatkin-Troitschanskaia & Seidel, 2011).
2.3.5.3
Anforderungen an empirische Messverfahren
Winther und Klotz (2014) betrachten die Problematik der Bestimmung des Kompetenzmodells im Detail und nennen in diesem Kontext drei Voraussetzungen, die bei der Kompetenzdiagnostik in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik beachtet werden sollten. (1) Die fachlichen Inhalte, die erfasst werden sollen, müssen sich auf klare
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
25
Definitionen beziehen. In diesem Zusammenhang wird in der Berufsbildungsforschung auch auf Domänenmodelle zurückgegriffen, die die spezifischen Anforderungsbereiche sowie den Umfang (die Reichweite) eines Berufes festlegen (Winther & Klotz, 2014). (2) Die Autoren fordern, dass bei der Formulierung eines Kompetenzmodells die Validität für die berufliche Kompetenz gewährleistet werden sollte. (3) Damit geht auch der Anspruch an Reliabilität einher. Im Folgenden wird auf diese Aspekte kurz eingegangen (Winther & Klotz, 2014). Reichweite Die Bestimmung der Reichweite der zu erfassenden Kompetenz wird zu einer großen Herausforderung, da sowohl das theoretische Modell als auch anschließend die Instrumentenentwicklung damit zusammenhängen. Nur auf Basis einer festgelegten Reichweite kann es gelingen, zielgerichtet Kompetenzen in verschiedenen Bereichen zu beschreiben und adäquat zu analysieren. Mit diesem Aspekt rücken auch die Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) in den Vordergrund. Beide Forschungszugänge (holistisch vs. kognitivistisch) müssen sich bei dem Versuch der Konkretisierung der Reichweite mit diesen Schwierigkeiten auseinandersetzten. Die holistische Herangehensweise definiert die berufliche Handlungskompetenz, wie bereits in Abschnitt 2.3.1 beschrieben, im weiteren Sinne und hat den Anspruch einer ganzheitlichen Erfassung. In diesem Kontext wird dem holistischen Verständnis vorgeworfen, dass vor allem erhebliche und (gegenwärtig) nicht bewältigbare Validitiäts- und Reliabilitätsprobleme auftreten. Die Probleme kommen dadurch zustande, dass mit wenigen Aufgaben in einer eingeschränkten Testzeit die berufliche Handlungskompetenz abgebildet und auf ein breites Anwendungsfeld geschlossen wird (Nickolaus & Seeber, 2013). Im Gegensatz dazu versucht der kognitivistische Ansatz die beschriebene Problematik zu bewältigen, indem zur Erfassung der Subdimensionen eine konkretere Beschreibung des Kompetenzmodells angestrebt wird, um anschließend sukzessive durch weitere Analysen die Zusammenhänge der Dimensionen prüfen zu können. Jedoch ist auch diese Herangehensweise nicht einfach, da mit dieser konzentrierteren Auffassung eine klare Ausdifferenzierung der Subdimensionen notwendig wird, die eine Festlegung der Indikatoren sowie eine Bestimmung der Anforderungsbereiche und ihrer Reichweite erfordert (Nickolaus & Seeber, 2013). Die Bestimmung der Reichweite beruflicher Kompetenzen ist nicht immer eindeutig, da je nach Anforderungssituation unterschiedliche Kompetenzen (stark spezifizierte oder auch berufsübergreifende) erforderlich werden. Die beruflichen Kompetenzen sind nicht nur durch die Merkmale ihrer Fachdisziplin oder durch wiederkehrende Denkmuster bestimmt, sondern werden zusätzlich durch Handlungen beeinflusst, die in spezifischen Situationen vonnöten sind. Diese Tatsache erschwert die Festlegung der Grenzen zwischen den Domänen, da es sowohl zu starken Überlappungen oder aber auch klaren Abgrenzungen je nach Bereich kommen kann (Nickolaus & Seeber, 2013).
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2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
Gütekriterien Wie in allen empirischen Untersuchungen sollte auch zur Analyse der berufsfachlichen Kompetenzen durch die Forschungszugänge eine adäquate Durchführung gewährleistet werden. Um verwertbare Daten für die Hypothesenprüfung zu erhalten, liegt der Anspruch in der Erfüllung von Gütekriterien. Für die Kompetenzforschung heißt das, Instrumente zu entwickeln, die bei der Erfassung von Kompetenzen der Objektivität, Reliabilität und Validität genügen (Hartig & Jude, 2007). Die Objektivität ist gegeben, sobald das Testergebnis der Person ausschließlich von den Merkmalen der Personen abhängt und somit beispielsweise unabhängig von Testleiter oder Testsituation ist. Zusätzlich sollte die Interpretation des Testergebnisses nicht durch Personen beeinflussbar sein, die die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse vornehmen. In diesem Zusammenhang wird zwischen Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität differenziert (Hartig & Jude, 2007). Die Reliabilität gibt die Messgenauigkeit eines solchen Kompetenztests an. In diesem Zusammenhang wird zwischen einem (a) wahren und einem (b) gemessenen Kompetenzwert unterschieden; dabei ist Letzterer mit Messfehlern behaftet. Der Anteil der wahren Kompetenz von der gemessenen Kompetenz wird als Reliabilität definiert. Die Prüfung der Reliabilität eines Tests kann z. B. in der klassischen Testtheorie unter anderem über die interne Konsistenz des Tests bestimmt werden. Hierzu kann z. B. das Maß Cronbachs Alpha herangezogen werden (Hartig & Jude, 2007). Zudem wird die Validität relevant, die auch als Gültigkeitsmaß übersetzt wird. Dieses Gütekriterium dient zur Überprüfung, ob wirklich das Merkmal gemessen wird, das erfasst werden soll. Nur wenn die Validität gegeben ist, können empirische Ergebnisse zielorientiert genutzt werden. Unterschieden wird dabei unter anderem zwischen der Kriteriums- und Inhaltsvalidität, die gleichermaßen einzulösen sind (Hartig & Jude, 2007). Sobald die Anforderungen der Objektivität, Reliabilität und Validität für das entwickelte Instrument erfüllt sind, kann auf Grundlage der Messergebnisse eine kriteriumsbezogene Auswertung stattfinden. So können beispielsweise Aussagen darüber gemacht werden, mit welcher Ausprägung von Kompetenzen eine Person welche Aufgaben bewältigen kann (Hartig & Jude, 2007). Die Erfüllung dieser Anforderungen ist jedoch herausfordernd und wird durch mehrere Aspekte beeinflusst. So zeigen beispielsweise die Diskrepanzen zwischen intendiertem und realisiertem Curriculum, die sich in den vorliegenden Befunden spiegeln, dass bereits bei der Testkonstruktion zur Erfassung der Kompetenzen inhaltliche Validitätsprobleme auftreten. Zudem wird durch stark variierende Aufgabenzuschnitte der Anspruch erschwert, valide zu messen. Hinzu kommen die begrenzten Testzeiten, die zum Beispiel durch erschwerte Zugänge ins Feld oder motivationale Herausforderungen bei den Schülerschaften verursacht sein können und Reliabilitätseinschränkungen zur Folge haben (Nickolaus & Seeber, 2013).
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
2.3.6
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Zusammenfassung
Bei der Erfassung der beruflichen Handlungskompetenz werden zwei unterschiedliche Forschungszugänge genutzt, die als holistisch beziehungsweise kognitivistisch etikettiert werden. Die Auseinandersetzung mit dem handlungsorientierten vs. kognitionsbezogenen Ansatz (Abschnitte 2.3.1; 2.3.2) macht deutlich, dass es keinen Königsweg gibt und beide Zugänge mit Kritik umgehen müssen. Mit der Annäherung an das zu erfassende Konstrukt zeigt sich, dass für die empirische Untersuchung die Festlegung einer Definition sowie die Generierung eines theoretischen Kompetenzmodells zur Herausforderung wird und Folgen für die einzusetzenden Messverfahren hat. Die Diskussion in dem Forschungskontext (Abschnitt 2.3.5) verdeutlicht, dass mit der Entscheidung für oder gegen einen der zwei Forschungsansätze, unterschiedliche Konsequenzen getragen werden müssen. Es scheint, dass der Anspruch, der mit der ganzheitlichen Erfassung von beruflicher Handlungskompetenz einhergeht, gegenwärtig nicht erfüllbar ist. Dies wird vor allem durch das Kriterium erschwert, die Testgütekriterien, bezogen auf alle Kompetenzfacetten, einzulösen. Im Gegensatz dazu hat der kognitivistische Ansatz den Anspruch, lediglich eine Komponente genauer zu betrachten, jedoch zeigen sich auch hier Probleme, die mit der Konzentration auf eine Teilfacette einhergehen. So wird es zu einer Herausforderung, eine klare Abgrenzung von den anderen Komponenten vorzunehmen. Der Versuch mit dem differenzierten Ansatz, die Kompetenzabschätzung sukzessive durchzuführen und das Gesamtkonstrukt schrittweise zu fassen, birgt ebenfalls Schwierigkeiten. Letztendlich können (gegenwärtig) anhand des kognitivistischen Ansatzes, im Gegensatz zum holistischen, keine Aussagen über die umfassende Handlungsfähigkeit bereitgestellt werden, da lediglich immer nur ein Teilaspekt der beruflichen Handlungskompetenz betrachtet wird. Bei Betrachtung der skizzierten Schwächen, bezogen auf die empirische Erfassung des holistischen vs. des kognitivistischen Konstrukts, wird davon ausgegangen, dass mit dem kognitionsbezogenen Ansatz eine Reduzierung der Komplexität des zu erfassenden Kompetenzkonstrukts erfolgt. Durch diese Reduktion werden für die Kompetenzabschätzung die mit dem holistischen Ansatz einhergehenden Reliabliäts- und Validitätsprobleme gemildert. Somit wird für die vorliegende Arbeit die Auffassung von Klieme und Hartig (2007) geteilt. Die davon ausgehen, dass durch den handlungsorientierten Ansatz die inhaltliche Definition von Kompetenz in ihrer Komplexität zunimmt und dadurch die Operationalisierung des Konstrukts erschwert wird. Die Autoren kommen zum Ergebnis, alternativ „mehrere präzise definierte Konstrukte zu unterscheiden und separat zu messen (z. B. kognitive Fähigkeiten und motivationale Dispositionen), statt unterschiedliche Aspekte in einem breiten Konstrukt zusammenzufassen“ (Klieme & Hartig, 2007, S.25). Letztendlich soll im Vergleich zur holistischen Auffassung durch die differenzierte Herangehensweise der Fokus auf ein Element gelegt und somit eine einfachere empirische Erfassbarkeit sowie Prüfung bei Einhaltung der notwendigen Gütekriterien in der Untersuchung gewährleistet werden. Im Einklang mit diesem Problemaufriss konzentrieren sich auch die aktuellen Bildungsstandards im Gegensatz zu dem holistischen Ansatz nicht auf die allumfas-
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2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
senden Kompetenzbereiche, sondern nehmen in ihren Messungen ausgewählte Dimensionen in den Blick (Klieme & Hartig, 2007). Wie auch im Rahmen der nationalen und internationalen Schulleistungsstudien zu Leistungsmessungen (Large Scale Assessments), beispielsweise PISA, wurden motivationale sowie affektive Aspekte zwar nicht ganz ausgegrenzt, aber zählten lediglich neben den kognitiven Leistungsdispositionen als beeinflussende Determinanten im Kompetenzkonzept (Hartig & Klieme, 2006). So wird im Rahmen der Large Scale Assessments das Ziel verfolgt die Kontrolle und die Optimierung der Qualität in Schule und im Unterricht zu gewährleisten. Hierzu werden Konzepte sowie Instrumente entwickelt, um der Bildungspolitik mit den resultierenden Ergebnissen relevante Informationen zur Verfügung zu stellen. Für diese aktuelle empirische Bildungsforschung zählen die Kompetenzdefinitionen von Weinert (2001b) sowie von Klieme und Leutner (2006) zu den meist genutzten. Insgesamt wird durch den Abschnitt 2.3.5 aufgezeigt, dass der holistische Ansatz unerwünschte Implikationen für die empirische Erfassbarkeit des Kompetenzkonstrukts beinhaltet. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit bezieht sich die durchgeführte empirische Untersuchung auf das Verständnis von Kompetenz, das der kognitionspsychologischen Auffassung folgt. Mit der gewählten pragmatischen Herangehensweise werden die skizzierten Probleme vermieden beziehungsweise reduziert. Außerdem wird die Entscheidung für die kognitivistische Auffassung (gegenwärtig) auch in der empirischen Berufsbildungsforschung präferiert und somit gestützt.
2.4
BEGRIFFLICHKEIT FÜR DIE VORLIEGENDE ARBEIT
In der vorliegenden Arbeit liegt das Ziel darin, das theoretische Konstrukt „Kompetenz“, wie in den aufgeführten aktuellen Schulleistungsstudien, durch eine engere Definition zu operationalisieren. Hierfür werden anhand des angenommenen Messmodells für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in präzise Forschungshypothesen aufgestellt, um diese einer empirischen Prüfung zu unterziehen. Im Anschluss daran sollen nützliche Informationen für die Praxis bereitgestellt werden, um die Möglichkeit einer Optimierung der Handlungsprozesse zu begünstigen. In Anlehnung an das Kompetenzverständnis von Klieme und Leutner (2006) erfolgt für die vorliegende Arbeit eine Einschränkung auf kognitive Leistungsdispositionen, die erlern- oder trainierbar sind und sich somit von der allgemeinen kognitiven Grundfähigkeit abgrenzen. Die hier angenommenen kontextspezifischen Leistungsdispositionen werden als konstituierende Komponenten der Kompetenz verstanden, die durch motivationale und affektive Aspekte beeinflusst werden und einen erfolgreichen Einsatz in beruflichen Handlungen zur Folge haben (können). In dieser Kompetenzdefinition ergibt sich, dass der Anspruch dieser empirischen Arbeit nicht darin liegt, eine allumfassende Handlungskompetenz abzubilden. Eine adäquate Erfassung der umfassenden beruflichen Handlungskompetenz hat zum Ziel, Aussagen bezogen auf die Entwicklung der beruflichen Handlungskompetenz als Ganzes bereitzustellen und ist sowohl aus messtechnischen Gründen als auch aus zeitlicher Perspektive nicht einzuhalten. Daher wird die Erfassung der beruflichen
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
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Handlungskompetenz auf die Komponente Fachkompetenz beschränkt. Mit einer Fokussierung auf die Teilfacette Fachkompetenz ist die Erwartung verbunden, eine präzisere Abschätzung des Konstrukts vornehmen zu können, als wenn alle Facetten berücksichtigt würden. Das heißt nicht, die Bedeutung der Kompetenzfacetten Selbst- und Sozialkompetenz zu negieren, auch wenn für die vorliegende Untersuchung, in Anbetracht des empirischen Anspruchs, lediglich eine der drei Dimensionen näher untersucht wird. Da der Einbezug aller Teilfacetten im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten ist, wären somit weitere empirische Studien notwendig, die stärker auf die Sozial- und Selbstkompetenz eingehen. So könnten letztendlich perspektivische Aussagen zu einer umfassenden Analyse aller drei Kompetenzfacetten der beruflichen Handlungskompetenz generiert werden.
2.4.1
Kognitive Architektur
Mit der Entscheidung, die Dimension Fachkompetenz zu untersuchen, stellt sich die Frage, was genau darunter verstanden wird. Dies hat zur Folge, dass geprüft werden muss, ob für die zu erfassende kognitive Disposition von mehreren Facetten ausgegangen werden muss. Zudem ist es für die gegenwärtige Untersuchung der berufsfachlichen Kompetenz relevant, welche kognitiven Strukturen und somit Formen von Wissen von Bedeutung sind. Zum genaueren Verständnis der berufsfachlichen Kompetenz erfolgt ein kurzer Einblick in die kognitive Architektur, durch die zum einen die Entstehung und zum anderen die Veränderung von Wissensstrukturen näher erläutert wird. Durch diesen Exkurs soll gewährleistet werden, dass im Anschluss für die vorliegende Arbeit eine klare Definition formuliert werden kann. Betrachtet man nach Stern (2006) den Wissensbegriff in der Philosophie, so wird er als wahre und gerechtfertigte Überzeugung definiert, wohingegen in der kognitionspsychologischen Sichtweise der Begriff „als Überzeugungen, die uns befähigen, Aufgaben und Probleme erfolgreich zu bewältigen“ (Stern, 2006, S.99) gefasst wird. Für die Bewältigung von Aufgaben und Problemen wird Wissen benötigt, welches zunächst generiert werden muss, um zum Einsatz zu kommen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie dieses Wissen entsteht und welche Veränderungen die Wissensstrukturen erfahren. Im Folgenden wird ein kurzer Einblick zum Wissen sowie zu den potenziellen Dimensionen des Wissens gegeben, um im Anschluss daran für die empirische Prüfbarkeit, die zu untersuchenden Elemente zu formulieren. Die zur Verfügung stehende Kapazität des Gedächtnisses kann durch die Generierung von Einheiten, genannt Chunks10 , beeinflusst werden. So kann durch die Verdichtung oder Bündelung von Informationen die Wissensorganisation neu strukturiert werden und eine Vergrößerung des Aufnahmevermögens neuer Informationen erfolgen (Stern, 2006). Diese Bündelung von Informationen kann auf unterschiedliche Arten geschehen. Beispielsweise kann durch gezieltes Einsetzen von 10
Dieser Begriff wird in Zusammenhang mit explizitem Wissen (deklarativem Wissen) verwendet und erklärt. Näheres berichtet (Abele, 2014), der in seiner Arbeit auf die Aktivierung im Detail eingeht.
30
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
Strategien die Gedächtniskapazität so erweitert werden, dass z. B. Zahlenkombinationen durch Verknüpfung mit Ereignissen in ihrem Informationsgehalt gebündelt werden und sich in ihrer Komplexität reduzieren (Stern, 2006). Die kognitive Architektur modelliert Wissen durch Netzwerke, die aus mehreren miteinander verbundenen Knoten bestehen. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Knoten für einen Wissensinhalt steht und die Verbindungen unterschiedlich starke Assoziationen zwischen verschiedenen Inhalten darstellen. Durch die Aktivierung der Wissensinhalte werden sowohl die Verbindungs- als auch die Assoziationsstärken zwischen den Knoten so beeinflusst, dass durch häufiges Abrufen der Zusammenhänge die Assoziationsstärke zwischen den Wissensinhalten vergrößert wird (Stern, 2006). Mit diesem Modell kann erklärt werden, wie sich durch das Lernen, also durch die Aktivierungsprozesse, die zur Bewältigung von Anforderungen notwendig sind, das kognitive Netzwerk verändern lässt. So wird das bestehende Wissen immer wieder neu organisiert und strukturiert. Der Prozess der stetigen Aktivierung führt dazu, dass die Assoziation zwischen den Inhalten mit der Zeit ohne bewusste Steuerung erfolgen kann und zu einem automatisierten Handeln führt (Stern, 2006). Zusammenfassend kann durch die Festigung von Wissen eine Automatisierung hervorgerufen und somit mehr Kapazität für das Bewältigen von neuen Anforderungen zur Verfügung gestellt werden. Die Güte dieser Annahme zeigt sich besonders gut anhand eines Beispiels aus den PISA Studien, das hauptsächlich bei „leistungsschwachen“ Schülern/innen dokumentiert wurde. So hatten vor allem Jugendliche mit schwachen Lesefähigkeiten durch fehlende Automatisierungsprozesse größere Probleme, Aufgaben zu bewältigen. Diesen Jugendlichen stand nicht genügend Aufnahmevermögen für die Sinnzusammenhänge zur Verfügung, was dazu führte, dass ihr Fokus anderweitig gelegt werden musste. Durch bestehende Defizite im Lesen mussten diese Jugendlichen sich zunächst mit dem Leseprozess auseinandersetzen, bevor sie überhaupt in der Lage waren, die Problemstellungen zu bearbeiten. Es scheint, dass für die Verstehensprozesse freie Kapazitäten benötigt und diese durch automatisiertes Wissen zur Verfügung gestellt werden können. So hatten im Gegensatz Jugendliche, die über automatisierte Lesefähigkeiten verfügten, aufgrund freier Kapazitäten, Vorteile bei der Bewältigung der Problemstellungen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass durch das Lernen Veränderungen im Netzwerk hervorgerufen werden können und sich anhand wiederholter Aktivierungsprozesse als automatisiertes Wissen bemerkbar machen (Stern, 2006).
2.4.2
Wissensdimensionen
Dieser kurze Exkurs vermittelt, dass von unterschiedlichen Wissensformen ausgegangen werden kann. Im Anschluss an Fortmüllers kognitives System11 wird zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen unterschieden (Fortmüller, 1997). 11
Fortmüller definiert sein kognitives System (1996) als Informationsverarbeitungsparadigma. Fortmüller (1996) stützt sich dabei auf das Soar-Modell von Newell (1990) und differenziert es nach Anderson (1995) in deklaratives und prozedurales Gedächtnis.
2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
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Fortmüller (1996) nimmt an, dass es auf Grundlage von Umweltreizen zur Konstruktion eines sensorischen Gedächtnisses kommt. Dieses zeichnet sich durch eine hohe Kapazität aus, das jedoch nur für kurze Dauer verfügbar ist. Anschließend werden die sensorischen Informationen identifiziert und letztendlich interpretiert. Dieser Prozess ist abhängig von dem zur Verfügung stehenden Vorwissen, sowie dem eingebetteten Kontext und hat zur Folge, dass sich kognitive Strukturen entwickeln. Das Resultat ist deklaratives Wissen, welches „‚statisches‘ Wissen über Sachverhalte, jedoch noch kein ‚Können‘ im engeren Sinn“ (Fortmüller, 1996, S.378) darstellt. Das Modell von Fortmüller differenziert „a) das deklarative Wissen, das jene Informationen umfasst, die potenziell (und zum Teil natürlich auch faktisch) den Gegenstand der mentalen Informationsverarbeitung bilden, sowie b) das prozedurale Wissen, das die Prozeduren umfasst, auf deren Ausführung die mentale Informationsverarbeitung basiert. Dementsprechend sind Denk- und Problemlöseprozesse als Anwendung des prozeduralen auf das deklarative Wissen zu interpretieren“ (Fortmüller, 1997, S.53). Ein weiteres Merkmal, das die aufgeführten zwei Komponenten unterscheidet, ist die Reproduzier- und Reflektierbarkeit des Wissens. So kann, wenn das Merkmal der Reflektierbarkeit nicht zutrifft, von implizitem Wissen ausgegangen und dieses dem prozeduralen Wissen zugeordnet werden. Fortmüller (1997) führt hier als Beispiel die korrekte Anwendung von Grammatik beim Sprechen der Muttersprache an. Dabei wird demonstriert, wie die erbrachte Leistung als solche nicht immer eindeutig vom Anwender erklärt werden kann. Wohingegen beim Einsatz von explizitem Wissen, das dem deklarativen Wissen zugeschrieben wird, eine Darlegung möglich ist (Fortmüller, 1997). Trotz der Unterschiede sind die zwei Wissensstrukturen miteinander verbunden. Betrachtet man den vorgestellten Fall aus PISA (siehe oben) erneut mit der Differenzierung in deklaratives und prozedurales Wissen, kann der Zusammenhang zwischen den Wissensformen deutlich aufgezeigt werden. Das Beispiel thematisiert, dass bei den Hauptschülern aufgrund dessen, dass der Leseprozess nicht ausreichend automatisiert ist, keine Kapazitäten für die Sinnzusammenhänge verbleiben. Die Automatisierung ist die Folge von wiederholter Anwendung, in diesem Fall der Lesefähigkeit. So muss im Vorfeld die Lesefähigkeit trainiert werden, um dadurch Aufmerksamkeit für die Inhalte zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, die Entwicklung prozeduralen Wissens verlangt ein bereits vorhandenes (deklaratives) Wissen, auf das zurückgegriffen werden kann, um überhaupt den Prozess in Gang zu setzten.
2.4.3
Ausgangslage für die vorliegende Arbeit
Zusammenfassend erfolgt in der Kognitionspsychologie die Trennung der Fachkompetenz in zwei Wissensformen: Zum einen wird von deklarativem und zum anderen von prozeduralem Wissen ausgegangen. Im gewerblich-technischen Forschungsfeld wird für die Untersuchung der beruflichen Handlungskompetenz zwar auf das Modell von Fortmüller zurückgegriffen, jedoch wird in diesem Kontext eher
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2. Kapitel Annäherung an das zu erfassende Konstrukt
eine Unterscheidung zwischen den zwei Dimensionen berufsfachlichem Wissen und berufsfachlicher Fertigkeit vorgenommen (z. B. Abele, 2014). Die erste Komponente wird in vorliegenden Studien (vgl. z. B. Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Nickolaus et al., 2013; Nickolaus et al., 2018; Atik & Nickolaus, 2016b) anhand von Wissenstests untersucht, während im Gegensatz dazu die berufsfachlichen Fertigkeiten zum Beispiel mit Hilfe von (computersimulierten) Arbeitsproben operationalisiert wird (z. B. Gschwendtner et al., 2009). Im Rahmen dieser Arbeit wird die Differenzierung der Dimensionen der Fachkompetenz ebenfalls basierend auf dem kognitionspsychologischen Gedächtnismodell nach Fortmüller (1997) vorgenommen. Die vorliegende empirische Untersuchung konzentriert sich ausschließlich auf das berufsfachliche Wissen und betrachtet keine berufsfachlichen Fertigkeiten. Mit dem berufsfachlichen Wissen wird angenommen, dass die zwei Wissensdimensionen in Form von deklarativem und (teils) prozeduralem Wissen berücksichtigt werden. Gefasst werden die zwei Wissensformen im Anschluss an Fortmüller wie folgt: Deklaratives Wissen wird als Faktenwissen verstanden, das aus dem Wissensgebiet zur Lösung von Aufgaben im Fachbereich der Farbtechnik (Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in) benötigt wird. Das prozedurale Wissen wird als Wissen definiert, das anhand von deklarativem Wissen ein strategisches Vorgehen zur Bearbeitung von Aufgaben zulässt. Es wird demzufolge nicht als eine motorische Fertigkeit definiert, die ein Handeln beschreibt. Im Rahmen dieser Arbeit wird beispielsweise das Wissen, das zur Bearbeitung einer (mehrschichtigen) mathematischen Aufgabe benötigt wird, als prozedurales Wissen bestimmt. Wie in den bisherigen Studien im gewerblich-technischen Bereich wird das berufsfachliche Wissen durch den Einsatz von Leistungstests untersucht. Zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit zwei Leistungstests konstruiert und eingesetzt. Die Entwicklung der Instrumente basiert auf dem Curriculum, das für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in in Baden-Württemberg zur Verfügung steht. Mit den eingesetzten Instrumenten wird das berufsfachliche Wissen im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres erfasst. So wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit das berufsfachliche Wissen zum einen in Form von berufsspezifischem Vorwissen und zum anderen als berufsspezifisches Fachwissen definiert. Ersteres schließt Inhaltsbereiche ein, die zum Teil in den allgemeinbildenden Schulen gelehrt werden. Das berufsspezifische Fachwissen deckt die Inhaltsbereiche aus den vier Lernfeldern12 ab, die als berufstypisches Wissen eingeordnet werden können. Folglich liegt das Ziel der empirischen Untersuchung darin, Aussagen über das berufsfachliche Wissen zu generieren, welches wiederum mit den zwei eingesetzten Instrumenten, zum einen mit Beginn der Ausbildung in berufsspezifisches Vorwissen und zum anderen am Ende des ersten Ausbildungsjahres in berufsspezifisches Fachwissen, differenziert wird. Eine genauere Beschreibung der zwei Instrumente erfolgt in Abschnitt 5.5.1.
12
Lernfeld 1: Bearbeitung von metallischen Untergründen, Lernfeld 2: Bearbeitung von nichtmetallischen Untergründen, Lernfeld 3: Herstellung von Oberflächen und Objekten, Lernfeld 4: Gestaltung von Oberflächen und Objekten.
KAPITEL 3 DIAGNOSTIK UND MODELLIERUNG BERUFSFACHLICHER KOMPETENZEN Dieses Kapitel gibt einen Überblick über den einschlägigen Forschungsstand. Im Folgenden werden ausgewählte Befunde aus dem berufsbildenden Forschungsbereich berichtet, mit dem Ziel, bestehende Forschungslücken aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang wird angestrebt, die Forschungslage in Bezug auf den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in offen zu legen, um mit der vorliegenden Arbeit die Defizite in diesem Bereich zu reduzieren. Das Kapitel lenkt den Fokus auf die Herausforderungen im „leistungsschwachen“ Segment. Die bisherigen empirischen Befunde dienen zur Ableitung der Forschungsfragen, die im Anschluss in Kapitel 4 vorgestellt werden. Im vorigen Kapitel (Abschnitt 2.3.5) wurden die Konsequenzen für die Diagnostik der beruflichen Kompetenzen diskutiert. Im Folgenden wird die Kompetenzmodellierung im Forschungskontext der beruflichen Bildung vorgestellt, welche die Kompetenzstruktur, -entwicklung und -erklärung einschließt. Schlussendlich wird der bisherige Stand der Forschung mit Blick auf das Gegenstandsfeld der Kompetenzentwicklung und -erklärung im Fachbereich Farbtechnik im ersten Ausbildungsjahr skizziert. In diesem Zusammenhang werden bezogen auf die berufsfachliche Kompetenz unterschiedliche Analysen durchgeführt. Zum einen findet anhand von Struktur- und Niveaumodellen eine differenzierte Prüfung der Kompetenzausprägungen statt und zum anderen wird durch Erklärungsmodelle ein Beitrag zum Verständnis der Entwicklungsprozesse der berufsfachlichen Kompetenzen geleistet. Im erste Teil des Kapitels werden zunächst ausgewählte Befunde zur Strukturmodellierung aus dem berufsbildenden Forschungskontext referiert. Zudem erfolgt ein kurzer Einblick in die Niveaumodellierung. Im Anschluss findet zum Verständnis zu Entwicklungsprozessen der berufsfachlichen Kompetenzen eine Auseinandersetzung mit Implikationen der Heterogenität für die Kompetenzentwicklung statt. In diesem Zusammenhang werden die Spezifika der Akteursgruppe, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird, näher betrachtet. Anschließend werden mit Blick auf die Besonderheiten der Adressaten ausgewählte Befunde zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung angeführt. Darauffolgend werden relevante Determinanten für die berufsfachlichen Kompetenzen vorgestellt, um anschließend die bestehenden elaborierten Erklärungsmodelle in der Berufsbildung zu skizzieren. Das Ziel dieses Kapitels liegt nicht darin, einen Gesamtüberblick zum Forschungsstand zu geben, sondern maßgebliche Befunde für die empirische Untersuchung im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in zu sondieren, um im Anschluss die zentralen Fragestellungen für dieses Berufsfeld (daraus) ableiten zu können. In diesem Zusammenhang werden hauptsächlich ausgewählte Ergebnisse aus der
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
gewerblich-technischen Berufsbildung angeführt. Zudem werden nur vereinzelt Befunde aus dem kaufmännischen Segment referiert, da der Fokus aufgrund der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Berufsgruppe auf dem gewerblich-technischen Segment liegt. Die Ergebnisse aus dem kaufmännischen Bereich sollen lediglich einen Einblick in das Forschungsfeld geben. Die Befunde zu Maler/in und Lackierer/in beziehen sich auf die Analysen, die wie in Abschnitt 1.1.2 beschrieben, im Rahmen des Projektes entstanden. Die Ergebnisse können somit als Voranalysen für die vorliegende empirische Untersuchung interpretiert werden.
3.1
DIFFERENZIERTE ANALYSEN DER BERUFSFACHLICHEN KOMPETENZAUSPRÄGUNEN
Wie bereits im Abschnitt 2.3.5.1 berichtet, erfolgt die Leistungsdiagnostik in der empirischen Bildungsforschung wie in den internationalen Schulleistungsstudien durch standardisierte Instrumente. Die Tests zur Erfassung der Kompetenzen werden ausgehend von theoretischen Modellen generiert. Diese konstruierten theoretischen Modelle werden mithilfe von Struktur- und Niveaumodellen beschrieben (Klieme & Leutner, 2006). Anhand von Strukturmodellen werden Informationen zur Differenzierung der zu erfassenden Dimensionen bereitgestellt. Niveaumodelle dagegen liefern Erkenntnisse darüber, welche Fähigkeiten unterschiedliche Personen zur Bewältigung spezifischer Anforderungen erbringen müssen. Mit diesem Vorgehen wird es möglich, die Fähigkeiten zum Lösen von berufsfachlichen Aufgaben in detaillierter Form zu beschreiben (Hartig & Klieme, 2006). Im Rahmen dieser Arbeit wird erstmals das berufsfachliche Wissen modelliert, das im ersten Ausbildungsjahr im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in gelehrt und mit dem Einsatz von Fachkompetenztests erfasst wird. Aufgrund der Erstentwicklung der Instrumentarien für dieses Berufsfeld lassen die Daten nicht alle Analysen zu. Die Ziele, die bei der Testkonstruktion verfolgt wurden, führen bezogen auf eine Niveaumodellierung zu starken Einschränkungen. Während für die Strukturmodellierung Items zum Einsatz kamen, durch die eine Abdeckung der curricularen Inhalte möglich ist, erfolgte die Itementwicklung ohne große Berücksichtigung der schwierigkeitsbestimmenden Merkmale und somit nicht mit der Intention eine Niveaumodellerierung zu ermöglichen. Aus diesem Grund liegt der Fokus der Arbeit zunächst auf der Prüfung der Güte der eingesetzten Instrumente. Dies erfolgt mit methodischen Verfahren, die bisher für dieses Berufsfeld noch nicht verwendet wurden. Anschließend folgt eine Analyse der beruflichen Kompetenzen in Bezug auf ihre Dimensionalität am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Eine Niveuamodellierung wird in der vorliegenden Arbeit aufgrund der oben angeführten Einschränkungen nicht vertieft behandelt. Es erfolgt lediglich zur Vollständigkeit ein kurzer Einblick zur Niveuamodellierung in der Berufsbildungsforschung.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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Wie bereits angeführt, können durch Kompetenzstrukturmodelle einzelne Kompetenzfacetten, die das Können der Personen beschreiben, dokumentiert und in ihrer Zusammenhangstruktur erklärt werden (Hartig & Klieme, 2007). Durch eine Ausdifferenzierung der Fachkompetenz ermöglichen die Strukturmodelle eine detaillierte Analyse von Subdimensionen. Zentrales Ziel ist es, vorab zu klären, „welche Kompetenzen in einem bestimmten Zusammenhang differenziert erfasst werden können oder erfasst werden sollen “ (Hartig & Klieme, 2006, S.132). Ein eindimensionales Modell bedeutet „Alle Personen und alle Aufgaben werden auf einem einzelnen Kontinuum von niedriger bis hoher Kompetenz bzw. niedriger bis hoher Aufgabenschwierigkeit angeordnet“ (Hartig & Jude, 2007, S. 33). So handelt es sich bei diesem Fall um eine kontinuierliche, latente Variable, wohingegen ein mehrdimensionales Modell mehrere latente Variablen enthält (Hartig & Jude, 2007). Bei dieser Herangehensweise werden mithilfe von Faktorenanalysen die Interkorrelationen zwischen den einzelnen Aufgaben geprüft. Zeigen Items hohe korrelative Zusammenhänge, werden jene zu einer Dimension zusammengefasst und es wird davon ausgegangen, dass die in einer Dimension vertretenen Items das gleiche Merkmal messen. Geringe korrelative Zusammenhänge führen zur Annahme, dass die Items unterschiedliche Merkmale repräsentieren (Hartig & Klieme, 2006). Inwieweit eine spezifische Kompetenz differenziert werden kann und soll, bedarf nicht nur einer empirischen Prüfung, sondern ist auch eine Frage der Zweckmäßigkeit (Hartig & Klieme, 2006). Beispielsweise konnten in Prenzel et al. (2004) für die Kompetenzbereiche (Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften und Problemlösen) hohe Interkorrelationen (zwischen .77 und .89) dokumentiert werden. Trotz dieser starken Zusammenhänge zeigten die Ergebnisse, dass eine getrennte Analyse der Dimensionen sinnvoller zu sein scheint, als das Zusammenfassen der Kompetenzbereiche. In diesem Fall können bei differenzierter Betrachtung der Fähigkeiten wertvollere Erkenntnisse berichtet werden, als wenn keine Trennung der Subdimensionen stattfindet. Eine detaillierte Differenzierung ermöglicht eine konkrete inhaltliche Beschreibung der unterschiedlichen Kompetenzausprägungen und ist für die empirische Bildungsforschung in hohen Grad aufschlussreich (Hartig & Klieme, 2006). Voraussetzung für diese Art differenzierter Analysen ist jedoch, dass eine ausreichende Menge von Informationen, also Items, in den jeweiligen Dimensionen vorliegen, um das angenommene Merkmal abbilden zu können. Bisher konzentriert sich die Strukturmodellierung in der Berufsbildungsforschung, bezogen auf die drei übergeordneten Dimensionen der beruflichen Handlungskompetenz (Fach-, Personal- und Sozialkompetenz), auf die Subdimension Fachkompetenz. Es erfolgt im Forschungskontext der Berufsbildung eine empirische Analyse der Kompetenzausprägungen der berufsfachlichen Kompetenzen. In diesem Kontext wird geprüft, ob die bestehenden Dimensionen in weitere Subdimensionen ausdifferenziert werden können (Nickolaus, 2011). Erste Untersuchungen im beruflichen Segment deuten auf mehrere Dimensionen der berufsfachlichen Kompetenzen hin (Gschwendtner, 2011; Abele, 2014; Nickolaus & Seeber, 2013; Rosendahl & Stracka, 2011b; Winther & Achtenhagen, 2009). Die Existenz der potenziellen Subdimensionen scheinen von mehreren Faktoren abhängig zu sein. Je nach Domäne können differente Ergebnisse berichtet werden. Im Folgenden werden
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
im Überblick die bisherigen Befunde im beruflichen Segment bezogen auf berufsfachliche Kompetenzausprägungen vorgestellt.
3.1.1
Ausgewählte Befunde zur Dimensionalität berufsfachlicher Kompetenzen
Wie bereits in Abschnitt 2.4.3 im Zusammenhang mit der eigenen Begriffsdefinition für die vorliegende Arbeit skizziert, wird bei der Fachkompetenz von einer zweidimensionalen Struktur ausgegangen. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die berufsfachlichen Kompetenzen zum einen in das berufsfachliche Wissen (Fachwissen) und zum anderen in die berufsfachlichen Fertigkeiten (das Anwenden des Fachwissens in wechselnden, problemhaltigen Situationen) unterteilt werden kann. Die Erfassung dieser zwei Dimensionen berufsfachlicher Kompetenzen erfolgen anhand von Wissenstests und Arbeitsproben. Im Forschungskontext der kaufmännischen und gewerblich-technischen Berufsbildung wird die Differenzierung der zwei Dimensionen domänenübergreifend empirisch bestätigt. Außerdem scheint dieses Ergebnis über die gesamte Ausbildungszeit haltbar zu sein (Geißel, 2008; Gschwendtner, 2008; Gschwendtner et al., 2009; Gschwendtner, 2011; Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Nickolaus, 2011; Seeber & Nickolaus, 2010; Winther & Achtenhagen, 2009; Winther, 2010). Obwohl für diese Subdimensionen meist hohe Korrelationen berichtet werden können, lassen sich die zwei Facetten als eigenständige Kompetenzdimensionen modellieren (z. B. Gschwendtner et al., 2010). Für den technischen Bereich unterstellen Nickolaus, Gschwendtner und Abele (2011) sogar die manuelle Fertigkeit als eine dritte Facette der Fachkompetenz, wobei die Befundlage dazu noch nicht ausgereift ist. Aufgrund der zahlreichen Studien, die eine getrennte Analyse von Fachwissen und berufsfachlicher Fertigkeiten zulassen, erfolgt in dem Forschungsfeld sowohl die Bildung theoretischer Modelle als auch die Instrumentenentwicklung auf Basis der zwei übergeordneten Subdimensionen (berufsfachliches Wissen und berufsfachliche Fertigkeiten) (Nickolaus, 2011). Eine weitere Ausdifferenzierung berufsfachlicher Kompetenzen wird anhand von Wissensbereichen vorgenommen. In diesem Zusammenhang liegen mehrere Studien vor, die eine Trennung der Fachkompetenz in Orientierung an den kognitionspsychologischen Merkmalen des deklarativen vs. prozeduralen Wissens untersuchen. Jedoch wird in mehreren Domänen diese Annahme empirisch nicht bestätigt. Somit kann von einer klaren Trennung dieser zwei Wissensbereiche (prozedurales und deklaratives Wissen) nicht ausgegangen werden. Hierzu vermutet Nickolaus (2011), dass dies auf die Operationalisierung des prozeduralen Wissens zurückzuführen ist, da diese Dimension im berufsfachlichen Bereich deklaratives Wissen einschließt und eine differenzierte Erfassung dadurch erschwert. Es liegt lediglich eine Untersuchung vor, die Gegenteiliges dokumentiert (Pittich, 2013). Stattdessen scheint es erwartungskonform, dass vor allem für das berufsfachliche Wissen, Ausdifferenzierungen entlang von Inhaltsbereichen strukurrelevant werden. In Anbetracht der angeführten Untersuchungen kann hier für das Fachwissen, je nach Berufsgrup-
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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pe und Ausbildungsphase, im Ausbildungsverlauf sowohl mit Verschmelzungs- als auch mit Ausdifferenzierungsprozessen gerechnet werden (z. B. Gschwendtner et al., 2010; Petsch et al., 2015; Atik & Nickolaus, 2016b). Die empirische Untersuchung dieser Arbeit konzentriert sich bei der Analyse berufsfachlicher Kompetenz ausschließlich auf die Dimension Fachkompetenz (siehe Abschnitt 2.4.3). Aus diesem Grund beschränkt sich die Darstellung der ausgewählten Befunde zur Strukturprüfung auf diese Teilkompetenz. Zur Prüfung der Dimensionalität des berufsfachlichen Wissens wird der Ansatz verfolgt, dass Anforderungsbereiche in Abhängigkeit der curricularen Inhalte bestehen. Es wird davon ausgegangen, dass das Fachwissen in Inhaltsbereiche differenziert werden kann, die im Rahmen der Ausbildung gelehrt werden (z. B. Gschwendtner, 2011; Nickolaus, Geißel, Abele et al., 2011). So können in mehreren Studien domänenspezifisch weitere Ausdifferenzierungs- und Verschmelzungsprozesse in den einzelnen Ausbildungsphasen dokumentiert werden. Der Prozess dieser detaillierten Ausdifferenzierung erfolgt in mehreren Berufsgruppen entlang der Inhaltsbereiche (Nickolaus et al., 2016). Im Folgenden werden ausgewählte Studien berichtet, die curricular repräsentierte Inhalte der Teilfacette Fachwissen prüfen. In den ersten Studien im beruflichen Segment zur Dimensionalität erfolgte die Überprüfung der berufsfachlichen Kompetenzstruktur durch die Analyse der Korrelationen zwischen den potenziellen Subdimensionen (Nickolaus et al., 2005). In den nachfolgenden Untersuchungen durch Seeber (2008), Winther und Achtenhagen (2009), Rosendahl und Stracka (2011b), Gschwendtner (2011), Nickolaus und Seeber (2013), Schmidt et al. (2014), Abele (2014), Petsch et al. (2015) und Atik und Nickolaus (2016b) werden elaboriertere Analysen durchgeführt, die sowohl im gewerblich-technischen als auch im kaufmännischen Bereich Aussagen zu Kompetenzausprägungen zulassen. Im kaufmännischen Bereich konzentrieren sich die Studien hauptsächlich auf die stark besetzten Berufsgruppen (Bürokaufleute, Industriekaufleute, Bankkaufleute). In diesem Forschungsfeld wird die Strukturprüfung auf Grundlage von zwei Unterscheidungen vorgenommen. Zum einen erfolgt die Differenzierung von kaufmännischen Kompetenzen nach Geschäftsvorfällen (Winther & Achtenhagen, 2009), zum anderen auf Basis fachwissenschaftlicher Kategorien (Seeber, 2008). Für den Ausbildungsberuf Bürokaufleute wird die Strukturmodellierung anhand von fachwissenschaftlichen Kategorien geprüft. Seeber (2008) dokumentiert bezogen auf das Fachwissen ein zweidimensionales Modell. Die Prüfung zeigt empirisch trennbare Kompetenzfacetten, die sich zum einen in die Dimension (1) betriebs- und volkswirtschaftliche und zum anderen in die Dimension (2) rechtliche Aspekte und Rechnungswesen aufspalten lassen. Im Gegensatz zum Ausbildungsberuf Bürokaufleute wird die Beschreibung der Kompetenzfacetten in der Berufsgruppe der Industriekaufleute auf Basis von Fallstudien beziehungsweise Geschäftsvorfällen vorgenommen. Für diesen Ausbildungsberuf liegen Analysen zu der Zweidimensionalität der berufsfachlichen Kompetenz vor. Winther und Achtenhagen (2009) bestätigten für die berufsfachlilchen Kompe-
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
tenzen die zwei Dimensionen: der handlungsbasierten Kompetenz und der „verstehensbasierten“ Kompetenz. Diese Subdimensionen sind mit dem berufsfachlichen Wissen und berufsfachlichen Fertigkeit aus dem gewerblich-technischen Bereich vergleichbar. Zudem dokumentieren die Autoren für den Ausbildungsberuf Bürokaufleute eine weitere Ausdifferenzierung in ein dreidimensionales Modell, mit den Inhaltsbereichen „procedural, interpretative und conceptual“. Die zwei Subdimensionen procedural und interpretativ bilden die handlungsbasierte Kompetenz ab, die anhand beruflicher Simulationsaufgaben operationalisiert wird. Für die „verstehensbasierte“ Kompetenz wird die Dimension „conceptual“ angeführt (Winther & Achtenhagen, 2009). Des Weiteren zeigen im kaufmännischen Bereich Rosendahl und Stracka (2011b) in ihrer Untersuchung, dass sich für die Bankkaufleute am Ende der Ausbildung eine zweidimensionale Struktur des berufsfachlichen Wissens ausdifferenzieren lässt. Im Rahmen dieser Studie werden die Subdimensionen (1) allgemeinwirtschaftliche und (2) bankwirtschaftliche Kompetenz als empirisch trennbare Kompetenzen bestätigt. Zudem befassen sich die Autoren mit den methodischen Verfahren zur Prüfung der Dimensionalität. In diesem Zusammenhang werden devianzstatistische Analysen mit konfirmatorische Faktorenanalysen verglichen. Ersteres prüft welches Modell (beispielsweise ein oder zweidimensionales Modell) besser auf die Datenstruktur passt. Stattdessen wird bei der konfirmatorischen Faktorenanalyse generell die Passung des Modells analysiert (Rosendahl & Stracka, 2011b). Im gewerblich-technischen Bereich liegen für den Fachbereich Metall- und Elektrotechnik mehrere Untersuchungen vor, die eine Analyse der curricularen Inhaltsstruktur im Rahmen der Ausbildung durchführen. Für die Berufsgruppen werden die Strukturen auch zu unterschiedlichen Messzeitpunkten geprüft. Für die Kraftfahrzeugmechatroniker/in berichten Gschwendtner et al. (2010) zu Beginn der Ausbildung für das berufsfachliche Wissen eine zweidimensionale Struktur, mit den Wissensformen fahrzeugmechanisches und elektrotechnisches Fachwissen. Diese Struktur wird jedoch am Ende des ersten Ausbildungsjahres empirisch nicht mehr bestätigt. Als Ursache vermuten die Autoren die curricular bedingten Lernprozesse, mit welchen eine Verschmelzung der zwei Dimensionen einhergeht (Gschwendtner et al., 2010). Im Unterschied daran bestätigen Schmidt et al. (2014) für die Kraftfahrzeugmechatroniker/in zu Beginn des zweiten Lehrjahres, dass ein mehrdimensionales Modell für das Fachwissen besser auf die Daten passt als ein eindimensionales Modell. Die Befundlage am Ende des ersten Ausbildungsjahres zeigt sich damit als eher uneinheitlich. Weitere Analysen, die am Ende der gesamten Ausbildungszeit durchgeführt wurden, dokumentieren entgegen den Befunden aus dem ersten Ausbildungsjahr, dass eine mehrdimensionale Struktur unterstellt werden kann. Dieses Ergebnis wird empirisch mehrfach bestätigt. Gschwendtner (2011) berichtet z. B. anhand einer konfirmatorischen Modellprüfung gegen Ende der Ausbildung, dass sich das berufsfachliche Wissen in eine fünf- bzw. sechsdimensionale Kompetenzstruktur aufspannen lässt. Die inhaltliche Subdimensionierung für den Ausbildungsberuf Kraftfahrzeugmechatroniker/in ist dort wie folgt: (1) Service, (2) Motor, (3) Motormanagement, (4) Start-Strom-Beleuchtungsanlage, (5) Kraftübertragung und (6) Fahrwerk.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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Ein ähnliches Ergebnis bezogen auf die Entwicklung der Kompetenzstruktur im Verlauf der Ausbildung liegt für den Ausbildungsberuf Elektroniker/in für Energieund Gebäudetechnik13 vor. Wie bereits für die Berufsgruppe der Kraftfahrzeugmechatroniker/in weist am Ende der Grundbildung das eindimensionale Modell den besseren Modellfit auf (Nickolaus, Geißel, Abele et al., 2011). Gegen Ende der gesamten Ausbildung verändert sich die Struktur dahingehend, dass ein dreidimensionales Modell gestützt wird. Somit wird, bezogen auf die komplette Ausbildungsdauer, ebenfalls eine Veränderung in der Kompetenzstruktur dokumentiert. Während am Ende der Grundstufe keine Ausdifferenzierungen des berufsfachlichen Wissens entlang von curricularen Inhalten vorliegt, wird am Ende des dritten Ausbildungsjahres eine Mehrdimensionalität für das berufsfachliche Wissen empirisch gestützt (Geißel, 2008; Nickolaus, Geißel, Abele et al., 2011). Sobald die fachspezifischen Fertigkeiten (fachspezifischen Problemlösefähigkeiten) berücksichtigt werden, kann für beide Fachbereiche (Elektrotechnik und Metalltechnik) die übergeordnete zweidimensionale Struktur von berufsfachlichem Wissen (Fachwissen) und fachspezifischen Fertigkeiten (Problemlösefähigkeiten) empirisch gestützt werden (Gschwendtner et al., 2010). In diesem Kontext wird zum Teil auch für die Problemlösefähigkeiten von weiteren Ausdifferenzierungen ausgegangen. Hierzu konnte beispielsweise Walker et al. (2015) für Elektroniker/in eine zweidimensionale Struktur (konstruktiver und analytischer Aspekte) dokumentieren. Jedoch liegen wenige Befunde vor, die bezogen auf die Problemlösefähigkeiten diese Trennung bestätigten. Im Gegensatz zu den (kognitiv) „starken Ausbildungsberufen“ im gewerblichtechnischen Bereich, wird für den Beruf zum Anlagenmechaniker/in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik,14 in den hauptsächlich kognitiv „leistungsschwache“ Jugendliche einmünden, von Atik und Nickolaus (2016b) im Anschluss an Güzel (2014) bereits am Ende der Grundstufe eine mehrdimensionale Struktur des Fachwissens bestätigt. Die Untersuchungen zeigen zu Beginn der Ausbildung im Berufsfeld der Anlagenmechaniker/in eine eindimensionale Struktur für das berufsfachliche Wissen auf, die im Verlauf des ersten Ausbildungsjahrs einer Ausdifferenzierung in vier curriculare Inhaltsbereiche unterliegt. Das vierdimensionale Modell besteht aus den Subdimensionen (1) technische und mathematische Grundlagen, (2) Fertigung und Montage, (3) Werkstoffkunde und (4) technische Kommunikation. Dieses Ergebnis wird durch die geringen latenten Korrelationen zwischen den (potentiellen) Subdimensionen bestätigt. Insgesamt zeigt der Modell-Vergleichstest jedoch geringe Devianzunterschiede zwischen dem vier- und eindimensionalen Modell. Da die Unterschiede, dennoch signifikant sind, wird das vierdimensionale Modell am Ende des ersten Ausbildungsjahres für den Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in gestützt (Atik & Nickolaus, 2016b). Weitere Untersuchungen im gewerblich-technischen Bereich erfolgen für die Bautechnik. Bünning (2008) setzte sich mit dem Ausbildungsberuf Zimmerer/in 13 14
Im Folgenden wird zur besseren Lesbarkeit der Ausbildungsberuf Elektroniker/in für Energieund Gebäudetechnik abgekürzt und unter Elektroniker/in angeführt. Im Folgenden wird zur besseren Lesbarkeit der Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik abgekürzt und unter Anlagenmechaniker/in angeführt.
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
auseinander. Die übergeordnete Zweidimensionalität (Fachwissen und die berufsfachliche Problemlösefähigkeit) wird auch für diese Berufsgruppe angenommen, jedoch liegen keine belastbaren Aussagen zur weiteren Ausdifferenzierung der zwei Kompetenzbereiche vor (Bünning, 2008). In den darauffolgenden Analysen im Fachbereich Bautechnik15 wird das berufsfachliche Wissen in den Ausbildungsberufen Maurer/in, Fliesenleger/in und Stuckateur/in und Zimmerer/in erstmals auf eine Mehrdimensionalität geprüft. Jedoch erfolgt die Differenzierung des berufsfachlichen Wissens nicht wie in anderen Ausbildungsberufen im gewerblich-technischen Bereich auf Grundlage der curricularen Inhalte (Lernfelder). Die Arbeitsgruppe Petsch et al. (2015) prüft im berufsfeldübergreifend angelegten Grundbildungsjahr vielmehr eine drei- beziehungsweise vierdimensionale Struktur anhand der alten Fächerstrukturen. Die drei Dimensionen orientieren sich entlang der Inhaltsbereiche (Fachkunde, Fachzeichnen, Fachrechnen), während die vierte Subdimension, das berufsfachliche Problemlösen, eine Kombination von mindestens zwei der drei Fächerstrukturen voraussetzt. Die Untersuchung kann eine vierdimensionale Struktur empirisch stützen. Die Subdimensionen weisen hohe Korrelationen auf, was, von den Autoren vermutet, auf das Lernfeldkonzept zurückzuführen ist. Trotz dieser starken Zusammenhänge wird deutlich, dass es sich um eigenständige Dimensionen handelt, die für die Bewältigung fachlicher Aufgaben kombiniert eingebracht werden müssen. Auch im Rahmen dieser Untersuchung werden die zwei übergeordneten Subdimensionen, die berufsfachliche Problemlösefähigkeit und das berufsfachliche Wissen, als eigenständige Dimensionen ausgewiesen (Petsch et al., 2015). Zudem untersuchen Norwig et al. (2017) die Kompetenzstruktur für den Ausbildungsberuf Zimmerer/in am Ende der Fachstufe. Die Autoren berichten, dass die dreidimensionale Struktur, die bereits in den Analysen zum Grundbildungsjahr identifiziert wurde, auch am Ende der Fachstufe die curricular verankerte Fachstruktur (Fachkunde, Fachzeichnen, Fachrechnen) des berufsfachlichen Wissens stützt (Petsch et al., 2015). Angesichts der oben skizzierten Befundlage bleibt festzuhalten, dass in den Domänen zwar in Teilen der beruflichen Ausbildung sich ähnliche Strukturen abbilden lassen, jedoch diese aufgrund von unterschiedlichen Instrumenten oder theoretischen Grundannahmen zu den Kompetenzfacetten noch nicht hinreichend geklärt sind (Nickolaus, 2011). Generell ist der Vergleich der Befunde aus den einzelnen Ausbildungsberufen mit Vorsicht vorzunehmen, da, wie am Beispiel der Bautechnik gezeigt, für die Generierung der Subdimensionen bezogen auf das Fachwissen unterschiedliche Kriterien herangezogen werden. Nachdem eine Differenzierung anhand der kognitionspsychologischen Merkmale empirisch nicht bestätigt werden kann, konzentrieren 15
Im Rahmen eines DFG geförderten Projektes (N1606/7-1) erfolgen Kompetenzmodellierung und Kompetenzentwicklung in der bautechnischen Berufsgrundbildung. Es wurden die Ausbildungsberufe Maurer/in, Fliesenleger/in und Stuckateur/in und Zimmerer/in im Berufsgrundbildungsjahr untersucht. Der Ausbildungsberuf Zimmerer/in diente als Referenzgruppe und stellt die „leistungsstarken“ Auszubildenden dar.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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sich die Studien hauptsächlich auf die Ausdifferenzierung der inhaltlichen Merkmale. In diesem Zusammenhang unterscheiden sich die Herangehensweisen. Teils beziehen sich die unterstellten Subdimensionen auf curricular bedingte Inhalte (z. B. Elektroniker/in), teils auf die Tätigkeitsstruktur des Berufsfeldes (z. B. Kraftfahrzeugmechatroniker/in) oder auch auf die ursprünglich gelehrten Fächerstrukturen (Bautechnik: Fachkunde, Fachzeichnen, Fachrechnen). Insgesamt kann eine Ausdifferenzierung der Fachkompetenz in die Subdimensionen berufsfachliches Wissen und berufsfachliche Fertigkeiten domänenübergreifend bestätigt werden (z. B. Elektrotechniker/in, Kraftfahrzeugmechatroniker/in, Industriekaufleute) (im Überblick Nickolaus & Seeber, 2013). Die vorgestellten Befunde zu inhaltlichen Differenzierungen des Fachwissens lassen einen direkten Vergleich für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in nicht ohne Weiteres zu. Dies ist begründet, durch die teilweise unterschiedlichen Definitionen der angenommenen Subdimensionen. Zudem scheint der Aufbau sowie die Struktur der Lerninhalte der einzelnen Ausbildungsberufe für Dimensionalität relevant zu werden. Außerdem unterscheiden sich die Ergebnisse zu Strukturprüfungen in Bezug auf die Ausbildungsphasen. Es wird deutlich, dass je nach Messzeitpunkt, die Prüfung der Dimensionalität verschiedene Entwicklungsprozesse, bezogen auf das berufsfachliche Wissen, aufzeigen kann. Die Untersuchungen, die vor allem am Ende der Ausbildung erfolgen, bestätigen überwiegend eine Ausdifferenzierung des berufsachlichen Wissens in Teilkompetenzen (Gschwendtner, 2011; Abele, 2014; Nickolaus & Seeber, 2013; Rosendahl & Stracka, 2011b; Winther & Achtenhagen, 2009). Bei der Analyse berufsfachlicher Kompetenzen sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Erfassung und Prüfung der Kompetenzausprägungen mit dem Anspruch der Reliabilität und Validität kollidieren kann (Abschnitt 2.3.5.3). Die Herausforderung bei der Strukturmodellierung liegt darin, für die potenziellen Subdimensionen genügend Items bereitzustellen und diese in einer angemessenen Testzeit einzusetzen. Dieser Anspruch wird verschärft, sobald neben dem berufsachlichen Wissen auch die berufsfachlichen Fertigkeiten erfasst werden, da aufgrund hoher Testzeiten, beispielsweise bedingt durch computersimulierte Operationalisierungen, die Itemzahlen für die potenziellen Subdimensionen nochmals eingeschränkt werden. In den bisherigen Studien wird dies bereits bei der Prüfung der Kompetenzstruktur des berufsfachlichen Wissens deutlich. So schränken die begrenzte Testzeiten die Anzahl an Items in den einzelnen Subdimensionen ein und beeinflussen die Reliabilität damit tendenziell negativ. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang bedeutsam wird, ist, dass mehrere Einflussmerkmale für die Kompetenzstrukturen bedeutsam werden können. Beispielsweise können neben den meist berücksichtigten Merkmalen, wie Motivation, Qualitätsmerkmale des Unterrichts oder sprachliche Herausforderungen, die spezifischen Gewichtungen der angenommenen Ausbildungsinhalte für die Kompetenzausprägungen erklärungsrelevant werden. Aus theoretischer Sicht werden zwar die im Curriculum festgeschriebenen Inhalte des Fachwissens geprüft, jedoch wird die Strukturprüfung aufgrund von Diskrepanzen zwischen den intendierten Ausbildungsinhalten und den tatsächlich realisierten erschwert (Nickolaus, 2011).
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
3.1.2
Einblick in die Niveaumodellierung
Wie bereits in Abschnitt 3.1 erklärt, erfolgt im Rahmen der vorgelegten Arbeit keine Niveaumodellierung, weshalb lediglich ein kurzer Einblick zum Verständnis gegeben wird. Zudem sollen die Ergebnisse aus dieser empirischen Untersuchung bezüglich der ausstehenden Analysen von Niveaumodellen für den Fachbereich Farbtechnik am Ende der Arbeit diskutiert werden. In der Berufsbildungsforschung wird durch Kompetenzniveaumodelle Klarheit darüber geschaffen, wie die Bewältigung von spezifischen Anforderungen anhand unterschiedlicher Kompetenzlevels gelingt. Im Gegensatz zur Intelligenzforschung, in der der IQ-Wert keine präzise Aussage zur Bewältigung bestimmter Anforderungen im realen Leben bereitstellen kann, beschreiben die erreichten Kompetenzniveaus die notwendigen Fähigkeiten zum Lösen einer Aufgabe (Hartig & Klieme, 2006). So werden durch Kompetenzniveaumodelle die erfassten Kompetenzen kriteriumsorientiert analysiert und beschrieben. Für diese Analysen werden die Skalen der Fähigkeiten bezogen auf die Items in Abschnitte unterteilt, die durch die einzelnen Niveaus eine Darstellung der Leistungen der Individuen in Bezug auf konkrete Anforderungen zulassen. Die Beschreibung der Kompetenzniveaus erfolgt anhand der Anforderungen, die durch die Items abgebildet werden. Hierfür werden die Aufgabenschwierigkeiten in Zusammenhang mit den dafür erforderlichen Kompetenzen beziehungsweise den beruflichen Kompetenzen der Personen gesetzt. Letztendlich können Aussagen zu den Lösungswahrscheinlichkeiten zu den einzelnen Items als auch zu den erreichten Leistungswerten der Personen, bezogen auf die Aufgabenschwierigkeiten, generiert werden (Hartig & Klieme, 2006). Für die Modellierung von Niveaus werden im Forschungskontext der Berufsbildung hauptsächlich zwei Verfahren eingesetzt. Zum einen kursiert der Ansatz im Anschluss an Beaton und Allen (1992), nach welchem die kritischen Schwellen bestimmt werden, die die Leistungsniveaus benennen. Zum anderen gibt es die Theorie von Hartig (2007), in der eine regressionsanalytische Bestimmung der Itemschwierigkeitsmerkmale auf Grundlage einer vorherigen theoretischen Überlegung zu den Schwierigkeitsmerkmalen stattfindet. Allgemein kann die bisherige Befundlage zur Niveaumodellierung so beschrieben werden, dass domänenübergreifend erhebliche Diskrepanzen zwischen den curricularen Ansprüchen und den erreichten Kompetenzniveaus bestehen (im Überblick Nickolaus & Seeber, 2013). Bezogen auf die schwierigkeitsbestimmenden Merkmale, ergibt sich ein differenziertes Bild. Dazu führt Nickolaus (2011) auf, dass sich unter anderem in bisherigen Untersuchungen die kognitiven Modellierungsanforderungen empirisch als schwierigkeitsrelevant zeigen. In diesem Kontext werden einzelne Stufen der Bloomschen Taxonomie sowie Komplexitätsausprägungen angeführt, die z. B. durch relevante Komponenten und deren Vernetzung erfasst wurden. Weiterhin werden Merkmale wie Vertrautheit, curriculare Gewichtung der Aufgabeninhalte, Anzahl an Lösungsschritten, mathematische Anforderungen, Aufgabenformate sowie die kognitionspsychologischen Merkmale des prozeduralen und deklarativen Wissens für die Einstufung der Schwierigkeiten bedeutsam. Empirisch noch nicht bestätigt sind die Einflüsse von Positionseffekten der Items, die im Rahmen der Testunterlagen zum
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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Einsatz kommen. Eine der zentralen Herausforderungen für den Forschungsprozess zu den Schwierigkeitsmerkmalen ist die Einhaltung des Validitätsanspruchs, der mit der Entwicklung der Aufgaben verbunden ist, jedoch mit dem Anspruch, die schwierigkeitsbestimmenden Merkmale systematisch zu variieren, häufig kollidiert. Die momentan vorliegenden Erkenntnisse zeigen, dass in den erforschten Domänen im gewerblich-technischen Bereich einzelne Schwierigkeitsmerkmale mehrfach nachgewiesen werden können (Nickolaus, 2011). Da es sich im Fachbereich der Farbtechnik um den ersten Einsatz von Instrumenten zur Erfassung der Fachkompetenz handelt und bisher auch keinerlei Informationen zu den Kompetenzständen der Auszubildenden existieren, wird im Rahmen dieser Arbeit auf eine Niveaumodellierung verzichtet. Es erscheint sinnvoller, zunächst reliable Instrumente sowie Aussagen zur Entwicklung und Kompetenzerklärung der Maler/in und Lackierer/in bereitzustellen, um anschließend die Instrumente dahingehend zu optimieren, dass letztendlich eine Analyse der Kompetenzlevels erfolgen kann. Demnach sollen die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit im Hinblick auf eine Niveaumodellierung für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in gesichtet werden, um nützliche Erkenntnisse zur Umsetzung von zukünftigen Untersuchungen zu gewinnen.
3.2
VERSTÄNDNIS ZU ENTWICKLUNGSPROZESSEN BERUFSFACHLICHER KOMPETENZEN
Wie mehrfach angeführt, verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, sowohl ein Entwicklungs- als auch ein Erklärungsmodell für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in zu generieren. Im Anschluss an die empirischen Untersuchungen sollen erste Aussagen zur Kompetenzentwicklung für dieses Berufsfeld stattfinden. Weiterhin wird angestrebt, in Bezug auf die Stichprobe die relevanten Einflussfaktoren zu analysieren und letztendlich den Kompetenzstand am Ende der Grundstufe vorherzusagen. Differenzierung zwischen Entwicklungs- und Erklärungsmodellen Wie bereits in Abschnitt 3.1 dargestellt, wird im Forschungskontext der Berufsbildung häufig von drei Forschungsfragen ausgegangen. Neben der Struktur- und Niveaumodellierung ist eine weitere Komponente in der Kompetenzmodellierung die Analyse von Entwicklungsmodellen. Die Durchsicht der bisherigen Untersuchungen in diesem Forschungsfeld macht allerdings deutlich, dass in den meisten Studien von Entwicklungsmodellen gesprochen wird, bei näherer Betrachtung jedoch meist Erklärungsmodelle berichtet werden. Zwar können Erklärungsmodelle Informationen zur Leistungsentwicklung liefern, es ist allerdings fraglich, diese als solche zu bezeichnen, da genau genommen keine Aussagen zur Entwicklungsdynamik bereitgestellt werden. In den Studien wird durch die Erklärungsmodelle nicht die fachspezifische Kompetenzentwicklung aufgezeigt, sondern eine Erklärung des Leistungsstandes, der sich auf einen vermuteten Entwicklungsprozess zu
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
einem bestimmten Zeitpunkt während der Ausbildung bezieht. Letztendlich werden so Ergebnisse der Erklärungsmodelle als Entwicklungsprozesse interpretiert. Um die Aussagen zwischen Entwicklungsdynamik und der Erklärung des Leistungsstandes der Auszubildenden am Ende des ersten Ausbildungsjahres differenzieren zu können, wird im Folgenden für die eigene Untersuchung zwischen Erklärungsund Entwicklungsmodellen unterschieden. In diesem Zusammenhang werden in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf Entwicklungsmodelle Befunde vorgestellt, die durch längsschnittliche Modellierungen der beruflichen Kompetenzen Informationen über die Leistungsveränderung zu unterschiedlichen Messzeitpunkten aufzeigen. Dies kann durch eine Verlinkung der Messinstrumente mithilfe von Ankeritems oder durch den Einsatz identischer Instrumente erfolgen. Während Entwicklungsmodelle Informationen über die Veränderung der Leistungsstände, bezogen auf das berufsfachliche Wissen liefern, wird durch Erklärungsmodelle aufgezeigt, welche Prädiktoren wirksam werden, um den Kompetenzstand zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Ausbildung vorherzusagen. In den meisten Untersuchungen im Bereich der Berufsbildungsforschung wird der Leistungsstand am Ende der Grundstufe oder der gesamten Ausbildungszeit anhand von Regressions- oder Strukturgleichungsmodellen untersucht. Domänenübergreifend liegen für die berufliche Bildung einige Befunde vor, die in Form von Erklärungsmodellen Erkenntnisse zu Einflüssen wichtiger Determinanten zu unterschiedlichen Messzeitpunkten im Rahmen der Ausbildung bereitstellen. Im Gegensatz dazu sind erst seit Kurzem wenige Untersuchungen zu elaborierten Entwicklungsmodellen verfügbar. Überlegungen zur Akteursgruppe Bevor die vorhandenen Befunde zu Entwicklungs und Erklärungsmodellen im beruflichen Forschungskontext dargestellt werden, erfolgen zunächst Überlegungen zur Heterogenität, die für die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen relevant scheint. Die Auseinandersetzung mit der Thematik wird durch die Besonderheiten der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Akteursgruppe begründet. In diesem Zusammenhang wird zum einen angeführt, dass für die Entwicklungsprozesse berufsfachlicher Kompetenzen nicht nur die (Leistungs-) Heterogenität bedeutsam werden kann, sondern z. B. auch heterogene Ausprägungen in den soziokulturellen Merkmalen einen Einfluss auf die Wissensentwicklung haben können. Dieser Teil des Kapitels soll verdeutlichen, dass mehrere Einflussmerkmale für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung berücksichtigt werden sollten. In diesem Zuge ist vor allem im „leistungsschwachen“ Bereich mit negativen Effekten zu rechnen, die durch die Häufung ungünstiger Merkmale nachteilige Entwicklungen erzeugen können. Im Anschluss daran wird mit Blick auf die Implikationen der Heterogenität (der untersuchten Akteursgruppe) auf die ausgewählten Befunde zur Kompetenzentwicklung und elaborierten Erklärungsmodellen aus dem Forschungskontext der beruflichen Bildung eingegangen.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
3.2.1
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Implikationen der Heterogenität für die Kompetenzentwicklung
In Abschnitt 2.4 wurde bei der Betrachtung des Prozesses des Wissenserwerbs deutlich, dass die äußeren Bedingungen in hohem Grade von Bedeutung sind. Fortmüller (1997) spricht von Umweltreizen, die Einfluss auf die Konstruktion eines sensorischen Gedächtnisses nehmen. Folgt man diesem Gedanken, ist der Prozess der Entwicklung von Wissensstrukturen sowohl von inneren als auch äußeren Faktoren abhängig. So wäre zu erwarten, dass sich bei Individuen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in verschiedenen Kontexten differenzielle Entwicklungsprozesse vollziehen können. In diesem Kontext kann auch angenommen werden, dass durch das Ausmaß der Heterogenität einer Lerngruppe (negative) Kompositionseffekte hervorgerufen werden können. Es ist davon auszugehen, dass diese den Wirkungsgrad auf die Wissensentwicklung stärker verändern, als wenn eine homogene Zusammensetzung von Personenmerkmalen vorliegt. Diese Annahme gilt vor allem dann, wenn das Bildungssystem den Einfluss ungünstiger Merkmale, die für die Entwicklung von Jugendlichen relevant werden können, nicht ausgleichen kann. Im Rahmen dieser Arbeit werden unter Kompositionseffekten, die Effekte verstanden, die durch die Zusammensetzung der Schülerschaft hervorgerufen werden. Diese Kompositionseffekte können beispielsweise durch die Charakteristika der Berufsgruppe (z. B. ungünstige kognitive Eingangsvoraussetzungen) ausgelöst werden, die wiederum Einfluss auf die Selektionsmechanismen nehmen oder durch die Bedingungen in der Ausbildung (beispielsweise wahrgenommene Qualitätsmerkmale des Unterrichts) verstärkt werden können. Je nach Berufsfeld und damit einer ausgewählten Gruppe von Jugendlichen, kann erwartet werden, dass die individuellen Merkmale in Kombination mit den Gruppenzusammensetzungen und den institutionellen Bedingungen dazu führen, dass verschiedene Komponenten auf das komplexe Gefüge der Kompetenzentwicklung Einfluss nehmen. In der bisherigen empirischen Berufsbildungsforschung existieren zwar Befunde, die domänenübergreifende Aussagen zulassen, jedoch beziehen sich diese nur auf einzelne Berufsgruppen. Sobald Ausbildungsberufe betrachtet werden, die deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der relevanten Merkmale für die Kompetenzentwicklung aufweisen, kann vermutet werden, dass die bestehende Befundlage zur Kompetenzentwicklung nicht ohne Weiteres übertragbar ist. Daher scheint es sinnvoll, dass jeder Ausbildungsberuf, bezogen auf die Einflussfaktoren und ihre Effekte, differenziell analysiert wird. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit die gegebenen Voraussetzungen in der Berufsgruppe der Maler/in und Lackierer/in die Kompetenzentwicklungen beeinflussen und ob die Aussagen mit den Erkenntnissen zu den bisher untersuchten Ausbildungsberufen vergleichbar sind.
3.2.1.1
Ausgangslage für die Akteursgruppe
Leistungsheterogenität Im Rahmen dieser Arbeit wird eine Domäne untersucht, in die, im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen, hauptsächlich Jugendliche mit ungünstigen kognitiven
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
Eingangsvoraussetzungen einmünden. Bestätigt wird diese Vermutung durch die ersten Analysen zu diesem Berufsfeld. Nickolaus und Atik (2016) berichten für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in auffällige Ausprägungen in der kognitiven Grundfähigkeit. Für dieses Merkmal wird in der untersuchten Berufsgruppe ein hoher Anteil von Jugendlichen bestimmt, deren kognitive Grundfähigkeit unter dem Populationsmittel16 liegt. Die Analysen dokumentieren für die Auszubildenden einen mittleren IQ-Wert von ca. 86 bei einer Standardabweichung von 13.8 (Nickolaus & Atik, 2016). Diese Zahlen zeigen, dass für ca. die Hälfte der Jugendlichen ein IQ-Wert gemessen wird, der unterdurchschnittlich ist und auf eine Lernbehinderung hindeutet. Gleichzeitig sind Auszubildende vertreten, die einen IQ-Wert von < 115 erzielen. Es wird deutlich, dass in den Lerngruppen Jugendliche zusammen geschult werden, die durch ihre kognitiven Voraussetzungen unterschiedlichen Förderbedarf benötigen. Gestützt wird diese Annahme durch eine Schweizer Längsschnittstudie, die sich mit überdurchschnittlicher Begabung im Berufsbildungssystem befasst (Stamm, 2006). Während in Deutschland, bezogen auf die Verteilung der kognitiven Eingangsvoraussetzungen, keine Vergleiche über mehrere Berufsgruppen existieren, zeigt Stamm (2006) für die Schweiz, dass überdurchschnittlich begabte Jugendliche (gemessen am IQ) in allen Berufsfeldern anzutreffen sind. Im Rahmen der Studie werden verschiedene Berufe aus dem gewerblich-technischen als auch kaufmännischen Segment analysiert. Die Spannweite und somit die Heterogenität ist besonders im Baugewerbe (Malerei) auffällig (Stamm, 2006). Zudem wird die Heterogenität der kognitiven Merkmale durch die Schulabschlüsse in diesem Segment verstärkt. Im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in dominieren zwei formale Schulabschlüsse. Mehr als die Hälfte der Auszubildenden mündet mit einem Hauptschulabschluss (66 %) und ca. 27 % mit einer mittleren Reife in die Ausbildung ein. Die restlichen Jugendlichen verfügen entweder über keinen formaler Schulabschluss oder eine Hochschulreife (Nickolaus & Atik, 2016). Vor diesem Hintergrund können weitere heterogene Ausprägungen in anderen kognitiven Merkmalen wie beispielsweise in den Basiskompetenzen erwartet werden. In diesem Kontext wird die Frage gestellt, inwieweit eine stark ausgeprägte (Leistungs-) Heterogenität Einfluss auf die Wissensentwicklung der Auszubildenden hat. Heterogenität soziokultureller Merkmale Zwar liegt der Fokus dieser Arbeit bei der Untersuchung berufsfachlicher Kompetenz auf den Leistungsmerkmalen, jedoch können durch die Besonderheit der Stichprobe weitere Einflussfaktoren bedeutsam werden. Diese Vermutung wird zum Beispiel durch die PISA-Untersuchungen gestützt. Bereits im Zuge der ersten PISAStudie wurden Disparitäten zwischen sozialer Herkunft und dem Kompetenzerwerb berichtet (Müller & Ehmke, 2016). Dieser Befund lässt die Annahme zu, dass vor allem in der untersuchten Berufsgruppe soziokulturelle Merkmale für die Wissensentwicklung der Jugendlichen bedeutsam sein können. Dies wird gestützt durch die 16
Es wird von einem Intelligenzquotient im Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 ausgegangen.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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ersten Analysen, die für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in durchgeführt wurden. Nickolaus und Atik (2016) berichten einen Migrationshintergrund von ca. 46 %, gemessen an der Muttersprache. Im Rahmen einer experimentellen Studie wird der Einfluss des Migrationshintergrundes auf das Rekrutierungsverhalten der Betriebe, speziell im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in, analysiert. Es wird eine systematische Benachteiligung beim Übergang an der ersten Schwelle für Jugendliche mit Migrationshintergrund im Vergleich zu jenen ohne Migrationshintergrund dokumentiert (Nemetz, 2017). Weitere soziokulturelle Hintergrundmerkmale der Jugendlichen zeigen ebenfalls hohe Unterschiede auf. Dies wird beispielsweise für den elterlichen Bildungsstatus bestätigt (Nickolaus & Atik, 2016). Zusammengefasst könnte, wie in den PISA-Studien berichtetet, die soziale Herkunft für den Kompetenzerwerb in diesem Ausbildungsberuf relevant werden. Inklusionsgedanke Mit Blick auf die Heterogenität, ausgelöst durch kognitive als auch nicht-kognitive Merkmale, unterscheidet sich der Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in von den bisher untersuchten Berufsgruppen im gewerblich-technischen Bereich (z. B. Kraftfahrzeugmechatroniker/in). Teilweise war es aufgrund von Varianzeinschränkungen in den betrachteten Ausbildungsberufen nicht möglich, die oben angeführten Merkmale auf ihren Einfluss bezogen auf die berufsfachliche Kompetenz zu analysieren. Vermutlich sind in „leistungsstarken“ Ausbildungsberufen die Selektionsmechanismen stärker als in den „leistungsschwachen“ Segmenten. In diesem Zusammenhang könnte für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in die Umsetzung der Forderung der UNESCO als erfolgreich interpretiert werden.17 Das Ziel ist es dort, ein inklusives Bildungssystem zu erschaffen. Somit soll die Zugänglichkeit in das System für das Individuum unabhängig von seinen Merkmalen sein. Es wird angestrebt, dass „jedem“ die Möglichkeit gegeben werden sollte, an allen Angeboten des Bildungssystems teilhaben zu können und bei Bedarf eine individuelle Förderung zu erfahren. In diesem Zusammenhang kann mit Blick auf die Charakteristika der Maler/in und Lackierer/in davon ausgegangen werden, dass diese Berufsgruppe sich hauptsächlich aus Jugendlichen zusammensetzt, die, auch wenn keine körperlichen Behinderungen vorliegen, durch ungünstige kognitive sowie nicht-kognitive Merkmale (z. B. soziokulturelle Hintergrundmerkmale) im Gegensatz zu anderen Domänen als benachteiligt eingestuft werden können. Durch die angeführten Implikationen der heterogenen Zusammensetzung unterschiedlicher Merkmale wird jedoch auch relevant, inwieweit es gelingt, diese Jugendlichen, die aufgrund ihrer ungünstigen Voraussetzungen nicht ausgeschlossen werden, individuell zu fördern. Vor allem, wenn beachtet wird, dass in der Debatte zur Inklusion der Fokus darin liegt, nicht das Individuum an die bestehenden Institutionen anzupassen, sondern eine Angleichung 17
Die UNESCO postuliert mit dem Bezug auf die Kommission 2014 das Recht des Menschen auf Bildung, indem davon ausgegangen wird, dass unabhängig, ob mit oder ohne Behinderung, jedem das Recht zu einer gemeinsamen Bildungsteilhabe eingeräumt werden muss (Deutsche UNESCO-Kommission e.V, 2014).
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der Institutionen an das Individuum vorzunehmen. Diese Anpassung der Institution an das Individuum soll erfolgen, indem auf die spezifischen Voraussetzungen und die Belange des Lernenden eingegangen wird (Enggruber & Ulrich, 2016).18 Umgang mit Heterogenität Die dargestellten Überlegungen zeigen, dass der Umgang mit Heterogenität, verschiedene Implikationen zur Folge haben kann. Wenn das Ziel darin besteht, allen Schülern/innen auf einen gewissen Leistungsstand oder Mindeststandard am Ende der Ausbildung zu bringen, müsste sich der Fokus vermutlich eher auf die Förderung der „Leistungsschwächeren“ richten. Demzufolge wäre die Leistungsegalisierung, also die Homogenisierung, anzustreben. Die Anstrengung wäre ein gezielter Ausgleich und somit eine Annäherung der Auszubildenden in ihren Leistungsniveaus. Ist jedoch das übergeordnete Ziel, dass jeder Jugendliche, bezogen auf das Potenzial, das ihm zur Verfügung steht, eine individuelle Förderung erfährt, um das Maximum an Lernfortschritt zu erreichen, dann hat dies zur Folge, dass die anfängliche Leistungsheterogenität unverändert bleibt oder sogar mit einer Verstärkung der (Leistungs-) Unterschiede zu rechnen ist. Die individuelle Förderung kann zum einen die Verstärkung oder Beibehaltung der Kluft zwischen „Leistungsschwachen“ und „Leistungsstarken“ in ihren Leistungen hervorrufen, zum anderen zu einer Leistungsegalisierung und somit zu einer Benachteiligung einer der Gruppen führen. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass die „Leistungsstarken“ gebremst oder eine eingeschränkte Förderung der „Leistungsschwachen“ akzeptiert werden müsste. In diesem Zusammenhang wird interessant, wie die Entwicklungschancen von Jugendlichen mit unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen sind. Im beruflichen Segment werden in einzelnen Ausbildungsberufen, aufgrund von (Leistungs-) Heterogenität in den Eingangsvoraussetzungen, leistungsdifferenzierte Unterrichtsmaterialien entwickelt und eingesetzt, mit dem Ziel, lernschwache Auszubildende dahingehend zu unterstützen, dass letztendlich die Ausbildungsreife erreicht wird. Infolge der besonders stark ausgeprägten Heterogenität in der Berufsbildung, liegt der Fokus im Rahmen dieser Handlungskonzepte außerdem auf 18
Das Wort Behinderung wird durch die UNESCO als soziale Kategorie verstanden, „die alle Formen möglicher Behinderungen von sozialer Partizipation und gesellschaftlicher Teilhabe einschließt “(Enggruber & Ulrich, 2016, S. 59 f.). Es ist unumstritten, dass die Forderung, den Zugang in die Berufsausbildung für alle gleichermaßen zu ermöglichen, bezogen auf das duale System unmöglich scheint. Da der Zugang in eine Berufsausbildung durch die Unternehmen bestimmt wird. Aufgrund dieser privatrechtlichen Vertragsbasen ist diese Zielsetzung nicht auf das duale System übertragbar. In diesem Kontext zeigen Euler und Severing (2014) auf, dass jährlich mit 50.000 Schüler/innen zu rechnen ist, die das allgemeinbildende Schulsystem absolvieren und zu einer Gruppe von Jugendlichen mit Benachteiligungen zählen, die trotz ihres Interesses an einer Ausbildung keinen Ausbildungsplatz erhalten. Diese Zahlen machen deutlich, dass das Vorhaben, niemanden aufgrund seiner Benachteiligung separat zu beschulen, vor allem in den beruflichen Schulen, nicht ohne Weiteres realisierbar ist. Hier werden aufgrund der ungünstigen Merkmale der Jugendlichen ausbildungsmarktbedingte Selektionsmechanismen ausgelöst. Diese führen zum Ausschluss der Gruppe, indem die Jugendlichen keine oder stark eingeschränkte Möglichkeiten auf einen Ausbildungsplatz haben (Enggruber & Ulrich, 2016).
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der individuellen Förderung, was bedeutet, dass nicht nur die „leistungsschwachen“ Auszubildenden eine Unterstützung erfahren, sondern auch die „leistungsstarken“ Jugendlichen gefördert werden sollen. Vermutet wird, dass die bestehenden Defizite, vor allem ausgelöst durch ungünstige kognitive Eingangsvoraussetzungen, oder fehlendes strategisches Vorgehen, bei der Bewältigung von Problemlöseaufgaben sowie unterstellte geringe Motivationsausprägungen, dazu führen, dass die Maßnahmen nicht zuletzt auf die Förderung dieser Fähigkeiten abzielen. Jedoch scheinen die Zielvorstellungen solcher Interventionsmaßnahmen nicht immer erreichbar zu sein. So dokumentieren beispielsweise Norwig et al. (2010), Petsch et al. (2011) und Zinn et al. (2015), dass es nicht ohne Weiteres gelingt, durch die Interventionsmaßnahmen gleichermaßen Effekte für die Entwicklung von allen Leistungsgruppen zu erzielen (Abschnitt 3.2.2). Diese Befunde können als Hinweis gedeutet werden, dass hier weitere Heterogenitätsmerkmale relevant sein könnten. So wäre interessant, ob innerhalb der selektierten Berufe auch Herkunftseffekte nachweisbar sind. In diesem Zusammenhang wird im Rahmen dieser Arbeit, im Gegensatz zum üblichen Sprachgebrauch, unter Chancengleichheit die gegebenenfalls unterschiedlichen Entwicklungschancen von Leistungsgruppen adressiert. Insgesamt wird durch den Exkurs deutlich, dass die Charakteristika der Maler/in und Lackierer/in eine Auseinandersetzung mit möglichen negativen Effekten auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung begründet. So werden neben Leistungsmerkmalen auch die soziokulturellen Merkmale, bezogen auf die Entwicklung des berufsfachlichen Wissens, relevant, da davon ausgegangen wird, dass durch die bestehende Heterogenität in diesen Merkmalen, Einflüsse auf den Leistungszuwachs wahrscheinlicher werden. In diesem Zusammenhang wird vermutet, dass es vor allem im „leistungsschwachen“ Segment es zu einer Häufung von ungünstigen Merkmalen kommt und diese für die Jugendlichen Nachteile in ihrer Wissensentwicklung auslösen. In diesem Zuge wird Heterogenität nicht nur bezogen auf die Leistungen analysiert, sondern auch hinsichtlich der sozialen Herkunftskategorien. Eine Analyse der kulturellen Heterogenität der Auszubildenden ist im Rahmen dieser vorliegenden Untersuchung allerdings nicht zu leisten. Deshalb werden im Folgenden neben der heterogenen Ausprägung von Leistungsmerkmalen partiell soziokulturelle Merkmale berücksichtigt. In diesem Zusammenhang werden potenziell relevante Einflussfaktoren für das berufsfachlichen Kompetenzen im Überblick referiert (folgt in Abschnitt 3.2.3). Dies erfolgt anhand der Differenzierung zwischen kognitiven und nicht-kognitiven Determinanten für die berufsfachlichen Kompetenzen in der Berufsbildungsforschung. Die Auseinandersetzung mit den Einflussmerkmalen auf die Wissensentwicklung im Verlauf der Ausbildung erfolgt zum einen bezogen auf die Gesamtgruppe und zum anderen im Hinblick auf die Entwicklungschancen der unterschiedlichen Leistungsgruppen. Grund hierfür sind die Überlegungen, dass einerseits eine Verringerung der Leistungsunterschiede angestrebt wird, (alle auf einen bestimmten Mindest-Wissensstand mit dem Abschluss der Ausbildung zu bringen), und andererseits das Ziel verfolgt wird, dass die Auszubildenden eine optimale und individu-
50
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elle Förderung erfahren. So soll in der vorliegenden Arbeit eine Analyse stattfinden, die sich mit den Entwicklungsdynamiken und den diversen erklärungsrelevanten Determinanten in den Leistungsgruppen auseinandersetzt.
3.2.2
Ausgewählte Befunde zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung
Im Anschluss an die skizzierte Unterscheidung zwischen Erklärungs- und Entwicklungsmodellen (Abschnitt 3.2) wird im Folgenden zunächst auf die vorhandenen Befunde zu Entwicklungsmodellen und anschließend zu Erklärungsmodellen im Forschungskontext der beruflichen Bildung eingegangen. Um das zentrale Ziel der Berufsbildung zu überprüfen, nämlich einen systematischen Kompetenzentwicklungsprozess zu stimulieren, muss eine Erfassung der Wissensveränderungen stattfinden. Diese Entwicklung zu „messen“ und zu interpretieren, birgt jedoch methodische Herausforderungen, die in der Berufsbildungsforschung noch nicht befriedigend bewältigt werden. Die Items, die zu mehreren Messzeitpunkten zum Einsatz kommen, müssen für eine längsschnittliche Modellierung den Skalierungsanforderungen genügen. Zudem wird der methodische Anspruch durch die Notwendigkeit des Einsatzes von Items mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden erhöht. Im Rahmen der Berufsbildungsforschung existieren wenig elaborierte Entwicklungsmodelle, die Informationen über eine Leistungsveränderung bereitstellen. Es handelt sich um einen Bereich, der noch großen Forschungsbedarf aufweist und wenige Aussagen zu Kompetenzentwicklungen in den einzelnen Berufsgruppen anbietet. Die Defizite beziehen sich nicht nur auf die empirische Befundlage, sondern auch auf die theoretisch-konzeptionelle Ausdifferenzierung. Übergreifend müssen die Wechselwirkungen der individuellen, institutionellen sowie systematischen Ebenen in den Analysen beachtet werden (Seeber & Nickolaus, 2010). Die ersten (neueren) Aufschlüsse über die Entwicklung der berufsfachlichen Kompetenzen erfolgen meines Erachtens im Rahmen von Interventionsstudien im „leistungsschwachen“ Segment (Norwig et al., 2010; Petsch et al., 2011; Petsch et al., 2015; Zinn et al., 2015). Die Studie zum berufsbezogenen Strategietraining BEST19 , befasst sich mit der Erprobung und Weiterentwicklung des Trainings, um den Berufseinstieg von Berufsschüler/innen im ersten Ausbildungsjahr im Fachbereich der Bautechnik zu verbessern. Im Anschluss erfolgt im Projekt FIAM20 , mit Bezug auf BEST, eine Adaption der Intervention für die Metalltechnik. In den Studien FIAM und BEST wird das berufsfachliche Wissen zu mehreren Zeitpunkten erfasst, um 19
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Die Interventionsstudie „Förderung schwächerer Auszubildender in der bautechnischen Grundbildung“ ist ein Projekt im Programm Bildungsforschung der Landesstiftung BadenWürttemberg. Die Interventionsstudie „Förderung lernschwacher Auszubildender in der Metalltechnik“ befasst sich mit der Entwicklung und Evaluation eines berufsbezogenen Strategietrainings für den metalltechnischen Unterricht an berufsbildenden Schulen. Durchgeführt im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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die Effektstärken bezogen auf die Leistungszuwächse während der Grundstufe aufzuzeigen. Zwar werden mittels der Ergebnisse erste Vermutungen zu den Leistungsentwicklungen formuliert, jedoch erfolgt zur Untersuchung der Kompetenzentwicklungen keine längsschnittliche Modellierung. Die Beschreibung der Leistungsentwicklung wird in den Interventionsstudien auf Grundlage der erreichten Mittelwerte sowie der Streuungsmaße aufgezeigt. Mit dieser methodischen Herangehensweise können im Rahmen von BEST durch das individuelle Fördertraining für unterschiedliche Leistungsgruppen positive Effekte dokumentiert werden (Norwig et al., 2010; Nickolaus et al., 2014). Ebenso bestätigt die Studie FIAM für den metalltechnischen Bereich sowohl in den Kontroll- als auch in den Experimtentalgruppen substanzielle Zuwächse im Fachwissen (Zinn et al., 2014). In der Berufsbildungsforschung existieren deutlich mehr Aussagen zur Leistungsentwicklung in den Basiskompetenzen. Im Rahmen der ULME-Studie konnten bezogen auf die Entwicklung der Basiskompetenzen für die teilqualifizierende Berufsfachschule mit unterschiedlichen Profilen zum Teil sehr differente Kompetenzzuwächse dokumentiert werden. So variieren die Entwicklungen in Mathematik, Lesen und Englisch je nach Profilzugehörigkeit. Erwartungskornform konnte die Studie beispielsweise für Jugendliche aus den technischen Profilen höhere Kompetenzzuwächse im mathematischen Bereich dokumentieren als im hauswirtschaftlichen Bereich. Während für die Metalltechnik, bezogen auf die mathematischen Fähigkeiten, eine Effektstärke von Cohens d = 1.49 berichtet wird, zeigt sich die Entwicklung im Bereich des Sozialwesens mit einem d = .40 deutlich schwächer. Trotz der Unterschiede können in allen Segmenten durchgängig substanzielle Entwicklungen gemessen werden (Lehmann et al., 2006). Inzwischen können aktuellere Untersuchungen zum Übergangssystem für das Bundesland Baden-Württemberg nur schwache, jedoch signifikante Zuwächse in den Basiskompetenzen (Mathematik d = 0.108, Lesen d = .204) dokumentieren (Behrendt et al., 2017). Dieses Ergebnis stützt die früheren Studien, die das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) untersuchten. Für das Übergangssystem liegen überwiegend Befunde vor, die eine weitgehende Stagnation der Entwicklung der Lesekompetenzen berichten. In diesem Kontext erfolgten Interventionsstudien zur Förderung der Lesekompetenzen in unterschiedlichen Ausbildungsberufen, die allerdings nur schwache Effekte aufzeigen (Petsch et al., 2014; Ziegler & Gschwendtner, 2010). Abgesehen von den ersten Abschätzungen der berufsfachlichen Kompetenzentwicklungen in Interventionsstudien, können frühere Untersuchungen keine genauen Informationen über die Leistungsdynamik des berufsfachlichen Wissens im gewerblichtechnischen Bereich bereitstellen. Aktuellere Studien befassen sich erstmals sowohl theoretisch als auch methodisch mit dieser Thematik. Im Rahmen einer Untersuchung zum Berufssegment der Anlagenmechaniker/in (Handwerk) erfolgen Analysen zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung, auf Basis einer längsschnittlichen Modellierung. Die Skalierung erfolgt anhand von Ankeritems, die zu beiden Messzeitpunkten eingesetzt wurden. Atik und Nickolaus (2016b) berichten für den Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in hochsignifikante (t(173) = 13.08, p ≤ .001)
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
Veränderungen im ersten Ausbildungsjahr. So wird, bezogen auf die Gesamtgruppe, eine Effektstärke von Cohens d = .94 dokumentiert. Weiterhin haben Behrendt et al. (2017), im Rahmen ihrer Untersuchung im Übergangssystem, neben den Basiskompetenzen das Fachwissen für das Berufseinstiegsjahr längsschnittlich modelliert. Die Autoren berichten sowohl für den hauswirtschaftlichen (Cohens d = .0069) als auch für den metalltechnischen (Cohens d = .088) Bereich sehr schwache Entwicklungen. Dieser Befund konnte durch eine weitere Studie für das Berufseinstiegsjahr (Metalltechnik) mit einer längsschnittlichen Analyse bestätigt werden. Berichtet werden dort ebenfalls geringe Entwicklungsdynamiken von Cohens d = .1 (Atik & Nickolaus, 2017). In diesem Zusammenhang erfolgte eine weitere Analyse, in der die Autoren einen Vergleich der Jugendlichen aus der Berufsfachschule und dem Berufseinstiegsjahr vornahmen. So können nach einer Parallelisierung der Leistungsgruppen deutliche Entwicklungsunterschiede zwischen den Institutionen empirisch bestätigt werden. Während die einjährige Berufsfachschule mit Cohens d = 1.26 substanzielle Zugewinne im Bereich des Fachwissens aufweist, stagnieren die Jugendlichen aus dem Berufseinstiegsjahr weitgehend (Cohens d = .1) in ihrer Entwicklung (Atik & Nickolaus, 2017). Im Gegensatz zum gewerblich-technischen Bereich werden im kaufmännischen Bereich auch Entwicklungsprozesse in Bezug auf Subdimensionen dokumentiert. So zeigen Rosendahl und Stracka (2011b) in einer Untersuchung zur Kompetenzentwicklung von Bankkaufleuten für zwei Dimensionen eine substanzielle Veränderung im Laufe der Berufsausbildung auf. Die Autoren verankern, nach einer Prüfung der Stabilität der Ankeritems, die verbleibenden Itemparameter und dokumentieren die Entwicklungen in den Dimensionen bankwirtschaftliche und allgemeinwirtschaftliche Kompetenz. Im Rahmen der Studie können für beide Kompetenzdimensionen signifikante Leistungsdynamiken gemessen werden (Rosendahl & Stracka, 2011b). Bezogen auf das Berufsfeld, das im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird, liegen mit den erhobenen Daten im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in ausschließlich erste Abschätzungen zur Kompetenzentwicklung vor, die anhand einer klassischen Auswertung erfolgten. So dokumentieren Nickolaus und Atik (2016), auf Basis der Lösungsquoten, einen signifikanten mittleren Effekt von Cohens d = .5. Dieses Ergebnis sollte jedoch mit Vorsicht interpretiert werden, da sich die Entwicklungsaussagen auf lediglich 11 (Anker-) Items beziehen. Diese Items wurden zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens zu Beginn (Eingangstest) als auch am Ende des ersten Ausbildungsjahres (Abschlusstest) eingesetzt. Die Informationen durch die anderen Items konnten aufgrund der Messung zu nur einem Messzeitpunkt für die Analyse des Leistungszuwachses mit diesem methodischen Ansatz nicht genutzt werden.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
3.2.2.1
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Berufsfachliche Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Leistungssegmenten
Mit den angeführten Überlegungen in Abschnitt 3.2.1, die sich mit den Implikationen der Heterogenität für die Kompetenzentwicklung befassen, wird die Frage gestellt, inwieweit die (Leistungs-) Heterogenität im beruflichen Bildungssystem, vor allem in dem hier untersuchten Klientel, Einfluss auf die Wissensentwicklung der unterschiedliche Leistungsgruppen hat. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Umgang mit der Heterogenität ein zentrales Thema ist, da die kognitiven und basalen Kompetenzunterschiede der Auszubildenden für die Lehrkräfte bei der Wissensvermittlung eine große Herausforderung darstellen. Vorliegende Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Defizite, mit denen die Jugendlichen in die beruflichen Schulen einmünden, nur schwer auszugleichen sind und die Entwicklungsverläufe sogar negativ beeinflussen (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Dies zeigt sich beispielsweise durch die Befunde, die dokumentieren, dass die Schwächen in den Basiskompetenzen (z. B. enorme Probleme im Prozent- und Bruchrechnen oder geringe Lesekompetenzen) nicht ohne Weiteres kompensiert werden können. In der Regel gehen mit diesen Defiziten in den Basiskompetenzen deutliche Nachteile für die Aneignung der berufsfachlichen Kompetenzen einher (Norwig et al., 2010; Nickolaus et al., 2014). Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt, aufgrund der spärlichen Befundlage zur Kompetenzentwicklung von Leistungssegmenten im beruflichen Bereich und den ungünstigen Eingangsvoraussetzungen im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in, eine Analyse zu den unterschiedlichen Leistungsgruppen. Im Folgenden wird der Forschungsstand zur Entwicklung von Leistungsgruppen im beruflichen Segment berichtet. In diesem Kontext werden Studien angeführt, in denen sowohl Entwicklungen von Leistungsgruppen (ohne Fördermaßnahmen) untersucht wurden, als auch explizite Förderungen zum Einsatz kamen und auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden. Hierbei liegt der Fokus nicht auf den eingesetzten Interventionsmaßnahmen, sondern auf den Kompetenzentwicklungen in den unterschiedlichen Leistungssegmenten. Die ausgewählten empirischen Untersuchungen sollen Hinweise zu den denkbaren Entwicklungsdynamiken der Leistungsgruppen im Berufsfeld Maler/in und Lackierer/in liefern. Analysen in Leistungsgruppen mit Fördermaßnahmen Bei der Sichtung der Literatur wird deutlich, dass vor allem in den letzten Jahren, bezogen auf „leistungsschwache“ Ausbildungsberufe, ein hohes Interesse an Interventionsstudien bestand. Das zentrale Ziel der eingesetzten Maßnahmen war es, alle Leistungssegmente zu fördern. In diesem Kontext wird meistens die berufsfachliche Kompetenzentwicklung der Leistungsgruppen untersucht. In den Studien BEST und FIAM, aktuell auch im Rahmen des Projekts LEBUS21 , wird mithilfe von Stra-
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Das Projekt „Lehrerbildung an berufsbildenden Schulen“ wird in mehrere Teilprojekte untergliedert. Das berufsbezogene Strategietraining bezieht sich auf das Teilprojekt 2 und untersucht den Fachbereich der Farbtechnik (PAINT-painters individual training) und Elektrotechnik.
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
tegieschulungen versucht eine gezielte individuelle Förderung zu implementieren. Dazu entwickelte Materialien sollen das untere, mittlere und obere Leistungssegment individuell im Lernprozess und der Strategieanwendung stützen (Nickolaus et al., 2014; Zinn et al., 2014; Universität Stuttgart, 2017). Durch das Strategietraining soll im Regel- oder Stützunterricht die Kompetenz- und Motivationsentwicklung in der Berufsausbildung verbessert werden. Jedoch zeigen die Interventionsstudien, dass es aufgrund der heterogenen Zusammensetzung nur partiell gelingt sowohl die Auszubildenden individuell zu fördern als auch eine Annäherung der Gruppen in ihren Leistungen zu erreichen. Die Herausforderung liegt darin, die Auszubildenden auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen und gleichzeitig jeden auf individueller Ebene optimal zu schulen. In diesem Zusammenhang steht neben der Förderung der „Leistungsschwachen“, die „Leistungsstarken“ nicht zu vernachlässigen im Fokus. Mit dem Ziel, in allen Leistungssegmenten einen Wissenszuwachs zu erreichen, wurde im Baubereich die individuelle Förderung zunächst gezielt in Kleingruppenkontexten durchgeführt. Durch das Strategietraining kann für die Experimentalim Gegensatz zur Kontrollgruppe ein Treatmenteffekt mittlerer Stärke aufgezeigt werden (Nickolaus et al., 2014). Im Rahmen dieser Untersuchung wird berichtet, dass durch die Ausdifferenzierung der Experimentalgruppe anhand der kognitiven Grundfähigkeit unterschiedliche Entwicklungen der Leistungsgruppen zustande kommen. Durch die Intervention gelingt es sowohl für die Auszubildenden mit kognitiv ungünstigeren Voraussetzungen als auch für die „Leistungsstarken“ signifikante positive Effekte zu erzielen. Einzig für das mittlere Leistungssegment sind die Veränderungen nicht signifikant, sofern die Gruppierung nach dem IQ vorgenommen wird. Insgesamt konnte das Leistungsniveau in den unterschiedlichen Leistungsgruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe substanziell gehoben werden, auch wenn damit keine Aufhebung der Leistungsunterschiede einhergeht. Interessant ist, dass sich mit dem Follow up die Entwicklungsaussagen in den Gruppen verändern. Nach Abschluss der Intervention kann lediglich für die kognitiv starken Auszubildenden eine überdurchschnittliche Leistungsentwicklung verzeichnet werden, während hingegen bei der kognitiv schwachen Gruppe eine Stagnation im Wissensaufbau eintritt. Zusammengefasst bedeutet das, dass die Strategieschulung nur bei den Leistungsstärkeren einen nachhaltigen Effekt zeigt. Somit wird nach Abschluss der Intervention ein signifikanter Schereneffekt bestätigt (Nickolaus et al., 2014). Die Förderung einzelner Leistungsgruppen wird ebenfalls in den Befunden von FIAM dokumentiert. Die Analysen in der Metalltechnik bestätigen für die zwei Leistungsgruppen (Bildung der Subgruppen durch den IQ), dass sowohl die „leistungsschwachen“ als auch die „leistungsstarken“ Auszubildenden von dem angewandten Strategietraining in Bezug auf ihre Kompetenzentwicklung in der Grundstufe im Vergleich zur Kontrollgruppe profitieren (Wyrwal et al., 2016). Wie bereits in der Untersuchung im Bausegment (BEST) bleiben in dieser Studie die Abstände zwischen den Leistungsgruppen gleich. Die gemessenen Leistungsentwicklung in der FIAM-Studie werden jedoch durch Güzel (2017) nicht bestätigt. Güzel (2017) prüft, inwieweit sich der Effekt von unterschiedlichen Fördermaßnahmen bezogen auf das Fachwissen bei Anlagenmecha-
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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niker/in unterscheidet. Hierzu wird der im wissenschaftlichen Kontext entwickelte Ansatz zur Kompetenzförderung (FIAM) mit einer Förderung an der beruflichen Schule verglichen, die im Rahmen des Stützunterrichts stattfindet und seitens der Lehrer entwickelt und durchgeführt wird. Die ersten Reanalysen dokumentieren keine signifikanten Treatmenteffekte in den Lernsettings der FIAM-Studie. Ob die Gründe für diesen widersprüchlichen Befund im Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in auf Stichproben- oder Methodeneffekte zurückzuführen sind, ist noch nicht abschließend diskutiert (Güzel, 2017). Eine weitere Adaption des berufsbezogenen Strategietrainings (BEST) erfolgt im schulischen Kontext. Im Projekt KomNwT22 wurden die Interessen und Kompetenzen im NwT-Unterricht untersucht. Im Rahme der Studie wurde im NwTUnterricht zum Themenfeld Elektronik und elektronische Grundschaltungen das kombinierte Strategietraining eingesetzt (Pape, 2017). Der Vergleich zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe zeigt Vorteile für die Jugendlichen, die an der Intervention teilgenommen haben. Allerdings ist die Effektstärke von d = .2 nicht bedeutsam. Interessant sind die Analysen bezogen auf die Leistungsgruppen in den Experimental- und Kontrollgruppen. Es scheint, dass in der Experimentalgruppe die Entwicklungsdynamik sowohl für die „leistungsstarken“ als auch für die „leistungsschwachen“ Jugendlichen fast identisch ist. Im Gegensatz dazu wird in der Kontrollgruppe lediglich für die „Leistungsschwachen“ eine starke Dynamik dokumentiert. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse sollte jedoch beachtet werden, dass sich die Befundlage auf eine geringe Stichprobe stützt (Pape, 2017). Dies deutet auf eine parallele Entwicklung der Leistungssegmente in der Experimentalgruppe hin. Jedoch zeigt sich bei genauerer Betrachtung im Zusammenhang mit den Kontrollgruppen, dass sich lediglich Vorteile der Intervention in Bezug auf das obere Leistungssegment ergeben. Die angeführten Interventionsstudien dokumentieren mögliche Wege, um mit der Heterogenität in Lerngruppen umzugehen. In den Interventionsstudien wird eine Förderung aller Leistungssegmente gezielt angestrebt. Die Ergebnisse aus den Studien zeigen divergierende Entwicklungsverläufe von „leistungsschwachen“ und „leistungsstarken“ Jugendlichen auf, die auch partiell in Lernkontexten ohne explizite Strategieförderung bestätigt werden. Im Folgenden werden ausgewählte Befunde zu Vergleichen von Leistungsgruppen ohne Fördermaßnahmen berichtet. Analysen in Leistungsgruppen ohne besondere Fördermaßnahmen Bereits frühere Arbeiten, die die Leistungsdynamiken von unterschiedlichen Leistungsgruppen vergleichen, zeigen divergente Kompetenzentwicklungen auf. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich die Arbeitsgruppe Nickolaus und Ziegler (2005) mit der Wissensentwicklung und den Lernproblemen „leistungsschwächerer“ Auszubildender im Berufsfeld der Elektroinstallateur/in. Aufgrund der hohen prognos22
Das Projekt wurde von der Vector Stiftung gefördert und hatte das Ziel für Unterrichtspraxis und die didaktische Ausbildung von NwT-Lehrkräften grundlegende Erkenntnisse zur Unterrichtsgestaltung und deren Effekte auf die Interessen- und Kompetenzentwicklung zu gewinnen.
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
tischen Qualität des Vorwissens, erfolgt die Differenzierung der Leistungsgruppen anhand deren Eingangsvoraussetzungen im Vorwissen. Die Autoren dokumentieren zwar für beide Gruppen deutliche Leistungsdynamiken, bezogen auf die Fachtests im ersten Ausbildungsjahr, jedoch zeigt sich in detaillierteren Analysen, dass es sich bei den positiven Entwicklungen der unteren Leistungsgruppe hauptsächlich um Reproduktion und nicht um tieferes vernetztes Wissen handelt. Letztendlich wird durch die Untersuchung deutlich, dass sich der Rückstand im Vorwissen als Nachteil für die „Leistungsschwachen“ bestätigt und im Laufe der Berufsschulzeit nicht ohne Weiteres aufzuheben ist. Interessant ist, dass zumindest die Berufsmotivation, die berufliche Aspiration sowie die identifizierte Motivation bei der unteren Leistungsgruppe tendenziell positiver zu bewerten ist, als bei der „leistungsstarken“ Gruppe. Leider nimmt zugleich die wahrgenommene Überforderung im Unterricht bei den „Leistungsschwachen“ zu und deutet auf Leistungsprobleme hin (Nickolaus & Ziegler, 2005). Die in der Bautechnik dokumentierten parallelen Entwicklungen in den unterschiedlichen Leistungsgruppen während der Intervention (Norwig et al., 2010; Petsch et al., 2011) werden durch eine Untersuchung im Ausbildungsberuf Kraftfahrzeugmechatroniker/in gestützt. In diesem Zusammenhang betrachtet Abele (2014) Leistungsgruppen bezogen auf ihre kognitive Grundfähigkeit und dokumentiert hierzu an einem Datensatz von Kraftfahrzeugmechatroniker/in eher parallele Entwicklungsverläufe für die unterschiedlichen Leistungsgruppen. Erwartungswidrig tritt auch in dieser Studie kein Matthäus-Effekt auf, die „Leistungsstärkeren“ erfahren, gemessen an der kognitiven Grundfähigkeit, keine günstigere Entwicklung als die „Leistungsschwächere“ (Abele, 2014). Im Rahmen der Untersuchung von Atik und Nickolaus (2016b) werden, wie bereits zu den Ergebnissen zur Kompetenzentwicklung dargestellt, für die Berufsgruppe Anlagenmechaniker/in in Bezug auf die Grundstufe substanzielle Kompetenzzuwächse (Cohens d = .94) empirisch bestätigt. Die Autoren können bei der Analyse der Leistungsgruppen zu den zwei Messzeitpunkte eine starke Homogenisierung der Stichprobe dokumentieren. Die Ergebnisse bestätigen, insbesondere für die als „leistungsschwach“ identifizierte Gruppe (Personenfähigkeiten (WLE) zur Eingangstestung) deutlich stärkere Leistungsentwicklungen im Vergleich zur „leistungsstarken“ Gruppe („Leistungsschwächere“ d = 1.96, „Leistungsstarke“ d = .69). Die zunächst positive Entwicklung für das untere Segment, zeigt bei genauerer Betrachtung zudem, dass die „Leistungsschwächeren“, trotz ihrer günstigeren Entwicklungsverläufe, schlussendlich nicht den Leistungsstand der oberen Leistungsgruppe zu Beginn der Ausbildung erzielen. Dieser Befund macht deutlich, dass die Unterschiede zwischen den Leistungsgruppen zu stark sind, als dass sich auch durch einen enormen Leistungszuwachs im unteren Segment die Kluft zwischen den zwei Gruppen wesentlich verringern lässt (Atik & Nickolaus, 2016b). Ein ähnliches Verhalten kann für die Leistungsgruppen im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in erwartet werden. Erste Ergebnisse zu dieser Berufsgruppe deuten auf unterschiedliche Kompetenzentwicklungen in den Leistungsgruppen hin (Differenzierung anhand Eingangsvoraussetzungen). Der Leistungszuwachs, berechnet anhand der klassischen Testtheorie und erfasst über die Ankeritems, doku-
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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mentiert enorme Unterschiede in den Dynamiken innerhalb der Gruppen. Während die „Leistungsschwachen“ mit Cohens d = 1.16 einen deutlichen Kompetenzzuwachs erfahren, scheint es, dass die „Leistungsstarken“ in ihrer Entwicklung stagnieren. Für die „leistungsstärkere“ Gruppe, bestimmt durch einen Mediansplit des Summenscores der Ankeritems im Eingangstest, wird eine Effektstärke von lediglich d = .11 erzielt (Nickolaus & Atik, 2016). Diese Aussagen beziehen sich lediglich auf die wenigen Ankeritems, die im Rahmen der ersten Analysen zur Kompetenzentwicklung zur Verfügung standen. Die wenigen Befunde in diesem Forschungskontext zeigen, dass bei der Unterteilung in die Leistungsgruppen auf unterschiedliche Kriterien zurückgegriffen wird. Dadurch ist ein Vergleich der angeführten Ergebnisse aus den Studien mit Vorsicht durchzuführen. Beispielsweise wird die Unterscheidung zwischen dem unteren und oberen Leistungssegment bei Atik und Nickolaus (2016b), Nickolaus und Atik (2016) und Nickolaus und Ziegler (2005) anhand der Eingangsvoraussetzungen im berufsspezifischen Vorwissen vorgenommen, während in den anderen Untersuchungen die Aufteilung der Leistungsgruppen mit Blick auf die kognitive Grundfähigkeit stattfindet (Abele, 2014; Norwig et al., 2010; Petsch et al., 2011). Diese unterschiedlichen Vorgehensweisen könnten einen Einfluss auf die inkonsistente Ergebnislage haben. In diesem Kontext liegen durch bisherigen Studien in der Berufsbildungsforschung keine Analysen vor.
3.2.3
Relevante Determinanten für die berufsfachlichen Kompetenzen
Die im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Ergebnisse zeigen, dass bisher nur wenig Befunde zu längsschnittlichen Analysen der berufsfachlichen Kompetenzentwicklung vorliegen. Insgesamt zeichnet sich ab, dass es nicht ohne Weiteres gelingt, den Wissenszuwachs mit fortlaufender Ausbildungszeit zu steigern. Naheliegenderweise lassen Studien, die eine Stagnation in der Leistungsentwicklung von Jugendlichen aufzeigen, die Kritik aufkommen, dass die Zeit in der beruflichen Schule sowie das Potenzial der Schülerschaft nicht sinnvoll genutzt wird. Um diesen Zustand zu verändern und geeignete pädagogische Handlungsprogramme zu generieren, müssen die relevanten Einflussfaktoren auf den Wissenserwerb identifiziert werden. Erkenntnisse aus elaborierten Erklärungsmodellen können dazu beitragen, zielorientierter bei der Entwicklung von Fördermaßnahmen vorzugehen und einen optimalen Leistungszuwachs zu realisieren. In diesem Zusammenhang hat die Kompetenzdiagnostik das Ziel, die Merkmale, die auf die Wissensentwicklung Einfluss nehmen, zu identifizieren und auf ihre Wirkungskraft zu untersuchen. Bei der Analyse der Einflüsse von Determinanten auf ein bestimmtes Leistungsmerkmal sollte beachtet werden, dass es sich in der Regel um ein Zusammenspiel von mehreren Einflussfaktoren handelt, die partiell zugleich Wechselwirkungen aufweisen können.
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
In Abschnitt 3.2.1 wurde diskutiert, inwieweit Heterogenität einen Einfluss auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung von Auszubildenden haben könnte. Die besonders ungünstigen Eingangsvoraussetzungen in „leistungsschwachen“ Segmenten, bedingt durch die Leistungsmerkmale und die soziokulturellen Hintergründe der Auszubildenden, lassen zwei Annahmen zu. Zum einen wird vermutet, dass das „leistungsschwache“ Segment eine Häufung ungünstiger Merkmale begünstigt, die Nachteile in der Wissensentwicklung auslösen können. Zum anderen wird aufgrund der Heterogenität in diesem Bereich angenommen, dass Determinanten für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung relevant werden können, denen in den bisher untersuchten Ausbildungsberufen aufgrund eingeschränkter Varianzen keine Einflusskraft zugesprochen wurde. Es ist davon auszugehen, dass nach einer leistungsbezogenen Homogenisierung durch das dreigliedrige Schulsystem mit dem Einmünden in die beruflichen Schulen eine (gewisse) Durchmischung stattfindet. Im Gegensatz zum allgemeinbildenden Schulbereich ist im beruflichen Bildungssystem bedingt durch Selektionsmechanismen wie beispielsweise durch die Arbeitsmarktsituation, mit einer stark heterogenen Zusammensetzung relevanter Merkmale für die Kompetenzentwicklung zu rechnen. Die Schulleistungsstudien (Bsp. TIMSS, PISA) berichten, dass die institutionellen Einflüsse bezogen auf die Leistungsunterschiede der Jugendlichen bedeutsam werden (Köller, 2013). Diese Merkmale erzielen jedoch im Vergleich zu den individuellen Determinanten geringere Effekte. Zwischen den individuellen Merkmalen kann in kognitive und nicht-kognitive Merkmale unterschieden werden (z. B. Intelligenz vs. Motivation). Es ist beispielsweise anzunehmen, dass in Ausbildungsberufen, in die, bezogen auf die formalen Schulabschlüsse, überwiegend „leistungsschwache“ Jugendliche einmünden (z. B. Maurer/in, Fliesenleger/in, Stuckateur/in), die Basiskompetenzen sowie die kognitive Grundfähigkeit besonders heterogene Ausprägungen erwarten lassen. Im Vergleich dazu liegen in Ausbildungsberufen in denen stärker selektiert wird (z. B. Zimmerer/in), bezogen auf die kognitiven Eingangsvoraussetzungen, homogenere Gruppen vor (Petsch et al., 2015). Die Durchsicht der bisherigen Studien, die sich mit dem Einfluss von ausgewählten Determinanten auf die Entwicklung der berufsfachlichen Kompetenzen auseinandersetzen, dokumentiert, dass im Rahmen der beruflichen Bildung mehrere Konstrukte relevant werden. Hierzu gehören vor allem individuelle Merkmale sowie Prozessmerkmale, die auf den Output (Fachkompetenz) wirken können (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Der bisherige Forschungsstand lässt vermuten, dass nicht nur ein Bündel aus ungünstigen kognitiven Determinanten, wie z. B. eine geringere kognitive Grundfähigkeit, niedrige formale Schulabschlüsse oder auch erhebliche Defizite in den Basiskompetenzen, sondern auch nicht-kognitive Einflussfaktoren für die Kompetenzentwicklung relevant werden können. Es ist anzunehmen, dass ein Zusammenspiel der Determinanten durch Wechselwirkungen Auswirkungen auf die Leistung hervorrufen. Aus diesem Grund sollten z. B. auch die soziokulturellen Hintergrundmerkmale wie die Schichtzugehörigkeit, der Bildungsstatus der Eltern und sprachliche Hintergründe des Elternhauses als mögliche negative Moderatoren für die Leistungsentwicklung der Jugendlichen nicht außer Acht gelassen werden (vgl. z. B.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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Nickolaus et al., 2018). In diesem Zusammenhang wird beispielsweise der Migrationshintergrund, der Defizite in der Sprachentwicklung begünstigen kann, für die Wissensentwicklung analysiert. Vor allem wenn die zu untersuchende Stichprobe besonders durch diese Merkmale geprägt zu sein scheint. Für die vorliegende Arbeit können nicht alle potenziellen Einflussfaktoren berücksichtigt werden, daher erfolgt die Vorstellung ausgewählter Determinanten, die im Forschungskontext der Berufsbildung im Zusammenhang mit den berufsfachlichen Kompetenzen empirisch untersucht wurden. Die Merkmale werden in zwei Kategorien unterschieden und als kognitive und nicht-kognitive Determinanten in kurzer Form skizziert. Elaborierte Erklärungsmodellen werden anschließend in Abschnitt 3.2.4 dargestellt. In diesem Kontext liegen für einzelne Berufsgruppen Modelle vor, die sowohl zum Abschluss der Grundstufe als auch am Ende der gesamten Ausbildungszeit die Fachkompetenz erklären. Die vorgelegte Befundlage soll verdeutlichen, inwieweit durch heterogene Zusammensetzungen und lerngruppenrelevante Determinanten der Wissenszuwachs beeinflusst werden kann.
3.2.3.1
Kognitive Determinanten
Kognitive Grundfähigkeit Einer der erklärungsstärksten kognitiven Determinanten für berufsfachlichen Kompetenzen ist die kognitive Grundfähigkeit,23 für die in den einschlägigen Studien zur Berufsbildungsforschung eine hohe prädiktive Kraft empirisch bestätigt wird. Abele (2014) hat sich mit dem Einfluss der Intelligenz auf das berufsfachliche Wissen intensiv befasst und konnte zeigen, dass es sich um eine wichtige Determinante für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung handelt. Der Autor geht davon aus, dass dieser Befund auf fast alle Ausbildungsberufe im gewerblich-technischen Bereich übertragbar ist. Dies gilt sowohl für Berufsgruppen mit weniger komplexen als auch mit hoch komplexen Anforderungen (Abele, 2014). Im Rahmen seiner Arbeit stellt Abele (2014) ein Modell zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung auf, indem er im Rückgriff auf die Arbeiten von Cattel und Ackermann die Unterschiede sowie die Entwicklung fluider und kristalliner Intelligenz näher untersucht. Nach der Investmenttheorie (Catell, 1987) und PPIKTheorie (Ackermann, 1996) wird ein Rückgang der fluiden und ein Zuwachs der kristallinen Intelligenz durch die Faktoren Alter und Erfahrung vorhergesagt (Abele, 2014). Die Relevanz und der offensichtlich nicht unbedeutende Einfluss der kognitiven Grundfähigkeit auf das Fachwissen wird durch eine detaillierte Analyse im metalltechnischen Segment (Kraftfahrzeugmechatroniker/in) ebenfalls dokumentiert. Zudem kann empirisch bestätigt werden, dass vor allem das techni-
23
Im Rahmen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wird die Intelligenz anhand des Culture Fair Intelligence Test (CFT) erfasst. Die Analysen zwischen der kognitiven Grundfähigkeit und berufsfachlichen Kompetenzen beziehen sich auf die fluide Intelligenz. Weitere Ausführungen hierzu Abele (2014).
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
sche Vorwissen24 die höchste Erklärungskraft für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung erzielt. Diese wird als Facette der kristallinen Intelligenz verstanden, die wiederum als Produkt der fluiden Intelligenz und der investierten Anstrengungsbereitschaft interpretiert und differenziert wird (Abele, 2014). Überraschend sind die Analysen von Abele (2014), die sich mit dem Wissenszuwachs von intelligenteren und weniger intelligenten Auszubildenden auseinandersetzten. Es zeigt sich erwartungswidrig keine größeren Lernzuwächse bei den intelligenteren als bei den weniger intelligenten Jugendlichen. Auf dieses Phänomen der sich parallel entwickelnden Leistungsgruppen wurde bereits in Abschnitt 3.2.4.1 eingegangen. Im Überblick stützten die bisherigen Befunde im gewerblich-technischen Bereich die hier berichtete Relevanz der Intelligenz für die berufsfachlichen Kompetenzen. Die zentrale Rolle dieser Determinante wird u. a. durch die hohen Zusammenhänge zwischen der Intelligenz und dem berufsfachlichen Wissen deutlich. Für die bisher untersuchten Ausbildungsberufe im gewerblich-technischen Bereich werden durchgehend mittlere Korrelationen von ca. r = .30 - .50 berichtet (Lehmann et al., 2006; Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Gschwendtner, 2008; Nitzschke et al., 2011). Die Studien im Forschungskontext der Berufsbildung referieren den Einfluss der fluiden Intelligenz in elaborierten Erkläungsmodellen und zeigen, dass die kognitive Grundfähigkeit teils als direkter Pfad oder aber auch auf indirektem Weg über andere Variablen als einer der stärksten Einflussfaktoren auf das berufsfachliche Wissen wirkt. Zudem wird berichtet, dass sobald kein direkter Effekt auf das Fachwissen nachzuweisen ist, in den meisten Fällen eine hohe Erklärungskraft über das berufsspezifische Vorwissen mit Beginn der Ausbildung dokumentiert werden kann, das wiederum prädiktive Kraft für die weitere Kompetenzentwicklung entfaltet. Dieser Befund wird z. B. in Studien aus der Bautechnik und Elektro- sowie Metalltechnik durch ältere als auch aktuellere Untersuchungen bestätigt (z. B. Petsch et al., 2015; Nickolaus et al., 2012; Atik & Nickolaus, 2016b).
24
Das technische Vorwissen ist in der Arbeit von Abele (2014) gleichzusetzen mit dem berufsspezifischen Vorwissen, dass in der vorliegenden Arbeit untersucht wird.
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Basiskompetenzen Weitere Determinanten, die in den bisherigen Studien zur beruflichen Kompetenzforschung Beachtung fanden, sind die Basiskompetenzen.25 Im Anschluss an die ernüchternden Befunde aus den PISA-Studien haben die (sprachlichen und mathematischen) Basiskompetenzen an Aufmerksamkeit gewonnen (z. B. Artelt et al., 2001; Prenzel et al., 2004; Reiss et al., 2016). Mit den Erkenntnissen, dass ein erheblicher Anteil an Jugendlichen das allgemeinbildende Schulsystem mit Defiziten in den Basiskompetenzen verlässt und in das berufliche Bildungssystem einmündet, erfahren die Fähigkeiten in Mathematik sowie im Lesen für die Berufsbildungsforschung einen hohen Bedeutungszuwachs. Vor allem die „leistungsschwachen“ Gruppen, hauptsächlich besetzt durch Jugendliche mit einem Hauptschulabschluss, wiesen enorme Defizite in ihren Basiskompetenzen auf und werden in den Ergebnissen der PISA-Studien überwiegend in die unteren Kompetenzstufen eingeordnet (Reiss et al., 2016). Bisherige Untersuchungen, sowohl im gewerblich-technischen als auch im kaufmännischen Bereich setzten sich mit dem Einfluss der Basiskompetenzen auf die Entwicklung der Fachkompetenz auseinander (Nickolaus, Geißel & Gschwendtner, 2008; Seeber, 2007; Seeber, 2008; Nickolaus & Norwig, 2009). Es ist anzunehmen, dass der größte Anteil der „leistungsschwachen“ Jugendlichen in Bezug auf die Basiskompetenzen (überwiegend mit Hauptschulabschluss) in die handwerklich geprägten Ausbildungsberufe einmündet und somit in diesem Segment von einer Risikogruppe auszugehen ist (Nickolaus & Atik, 2016; Petsch et al., 2015). Infolgedessen analysieren einschlägige Studien im berufsbildenden Bereich die Relevanz der Basiskompetenzen (mathematische sowie sprachliche Fähigkeiten) zur Prognose der berufsfachlichen Kompetenzentwicklung. Es wird teilweise durch die Basiskompetenzen eine ähnlich hohe Varianzaufklärung wie durch die kognitive Grundfähigkeit berichtet. Vereinzelt werden höhere Erklärungsanteile durch die mathematischen und sprachlichen Basiskompetenzen dokumentiert als durch die Intelligenz (Nickolaus, Geißel, Abele et al., 2011; Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Nickolaus, Maier et al., 2015; Nickolaus et al., 2018; Seeber, 2008; Güzel, 2017). Die ersten Studien in der Berufsbildung, die Aufschluss über die Bedeutung der Basiskompetenzen im Zusammenhang mit weiteren kognitiven Merkmalen geben, sind allerdings die ULME-Studien. In der Hamburger Untersuchung (ULME)
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In der vorliegenden Arbeit wird für den Begriff „Basiskompetenzen“ folgende Definition angenommen: Die Basiskompetenzen umfassen die mathematischen und sprachlichen Kompetenzen, die die Jugendlichen am Ende der allgemeinbildenden Schulen besitzen. Es wird davon ausgegangen, dass diese erlernten Fähigkeiten mit Abschluss der jeweiligen Schulform einen Mindeststand erreichen und dauerhaft zur Verfügung stehen, um eigenständig Alltagssituationen zu bewältigen. Zudem soll durch die Basiskompetenzen die aktive gesellschaftliche Teilhabe als mündiger Bürger gewährleistet werden. Letztendlich sind die Basiskompetenzen relevant für einen erfolgreichen Ausbildungsbeginn und die anschließende berufliche Tätigkeit (Drücke-Noe et al., 2011).
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
erfolgten mehrere Teilstudien,26 die die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten sowie die mathematischen und sprachlichen Basiskompetenzen und sozialen Hintergrundmerkmale in Zusammenhang mit der fachlichen Kompetenz im Längsschnitt analysierten. Die Studien berichten Ergebnisse zu den kognitiven, metakognitiven und motivationalen Merkmalen zu Beginn der Berufsausbildung, am Ende der zweijährigen Ausbildung und schließlich am Ende des dritten Jahres der Ausbildung. Hoffmann und Lehmann (2007) dokumentieren in ausgewählten Berufsgruppen aus dem gewerblich-technischen Bereich die mathematischen Fähigkeiten als besonders erklärungsrelevant für die berufsfachlichen Leistungen. Ähnliches wird für die sprachlichen Fähigkeiten (Lesen) berichtet, die z. B. im Umgang mit Texten und Tabellen Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang werden starke Einflüsse auf den Aufbau von berufsfachlicher Kompetenz bestätigt. Insgesamt werden durch diese Komponenten bis zu 55 % Varianzaufklärung für das Fachwissen erzielt (Hoffmann & Lehmann, 2007). Der Blick auf ausgewählte Ausbildungsberufe im gewerblich-technischen Bereich bestätigt die oben angeführte Bedeutung der Basiskompetenzen. Nickolaus und Ziegler (2005) berichten für den Elektrobereich ebenfalls eine hohe Relevanz der mathematischen Fähigkeiten. Außerdem zeigen die Autoren, dass vor allem für „leistungsschwache“ Jugendliche die mathematischen Defizite nur schwierig zu überwinden sind und negative Effekte auf die Fachkompetenzentwicklung zur Folge haben. Die hohe prädiktive Kraft der Basiskompetenzen wird auch in weiteren Untersuchungen bestätigt. So fließen die Basiskompetenzen neben dem berufsspezifischen Vorwissen mit als stärkste Prädiktoren in verschiedene Erklärungsmodelle ein (Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Nickolaus et al., 2009). Beispielsweise wird bei Gschwendtner (2011) der substanzielle Einfluss der Basiskompetenzen auch auf indirektem Wege beobachtet. Während die mathematischen Kompetenzen zu Beginn der Ausbildung noch als stärkster Prädiktor wirken, verlieren diese allerdings im Verlauf der Ausbildung an Erklärungskraft und es bleibt lediglich das Leseverständnis signifikant. Am Ende der Ausbildung erzielt mit Einbezug des berufsspezifischen Vorwissens jedoch auch die Lesekompetenz keine signifikante Erklärungskraft. Dieser Befund lässt auf einen indirekten Einfluss der Basiskompetenzen schließen, die sich am Ende der Ausbildungszeit über das berufsspezifische Vorwissen bemerkbar machen (Gschwendtner, 2011). In einer aktuelleren Studie in der Metalltechnik wird die mathematische Basiskompetenz neben dem berufsspezifischen Vorwissen als zweitstärkster Prädiktor besonders erklärungsrelevant für das Fachwissen am Ende der Grundstufe (Güzel, 2017).
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Die ULME-Studien befassen sich mit den Berufsschulen sowie den Berufsfachschulen und untersuchen die Leistungen, Motivationen und Einstellungen der Jugendlichen. In den Teilstudien werden wie folgt unterteilt: ULME I Untersuchung der Leistungen, Motivation und Einstellungen zu Beginn der beruflichen Ausbildung, ULME II Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler in den Abschlussklassen der teilqualifizierenden Berufsfachschulen, ULME III Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler in den Abschlussklassen der Berufsschulen.
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Berufsspezifisches Vorwissen Wie sich bereits in Bezug auf die kognitive Grundfähigkeit und die Basiskompetenzen herauskristallisiert hat, wird das berufsspezifische Vorwissen für die Erklärung der berufsfachlichen Kompetenzen in hohem Grad bedeutsam. Unter diesem kognitiven Einflussfaktor wird im gewerblich-technischen Bereich das berufsspezifische Vorwissen gefasst. Dieses Wissen wird, wie in Abschnitt 2.4.3 erklärt, im Rahmen der allgemeinbildenden Schulen gelehrt und weist einen direkten inhaltlichen Zusammenhang mit dem berufsspezifischen Fachwissen auf. In diesem Fall wird dokumentiert, dass durch überdurchschnittliches Vorwissen Defizite in der allgemeinen Intelligenz kompensiert werden können. Gleichzeitgig wird bestätigt, dass durch eine hohe kognitive Grundfähigkeit ein Ausgleich von mangelndem Vorwissens nicht möglich ist (Verweis Stern, 2001; in Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008). Für den Berufsbildungsbereich existieren mehrere Studien, die sich intensiv mit der Relevanz des berufsspezifischen Vorwissens für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung im Rahmen der Ausbildung auseinandersetzen. Die Zusammenhänge zwischen dem berufsspezifischen Vorwissen und der Fachkompetenz sind deutlich höher als bei der Intelligenz. So liegen für eine Reihe von Ausbildungsberufen sowohl im gewerblich-technischen als auch im kaufmännischen Bereich Studien vor, in welchen das berufsspezifische Vorwissen mit den Basiskompetenzen sowie dem IQ zur Erklärung für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung herangezogen wird (vgl. z. B. Atik & Nickolaus, 2016b; Abele, 2014; Nickolaus et al., 2012; Nickolaus, Geißel, Abele et al., 2011; Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Nickolaus, Maier et al., 2015; Seifried, 2008; Nickolaus et al., 2010). Insgesamt wird durch die kognitiven Determinanten domänenübergreifend ein direkter und starker Einfluss auf die berufsfachlichen Kompetenzen bestätigt. In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass sobald das berufsspezifische Vorwissen berücksichtigt wird, die kognitive Grundfähigkeit sowie die mathematischen und sprachlichen Basiskompetenzen in der Regel eine geringere oder nur indirekte Erklärungskraft für die berufliche Fachkompetenz aufzeigen. In den bisherigen Untersuchungen im Forschungskontext der Berufsbildung ist diese Determinante folglich domänenübergreifend als stärkste Einflussgröße auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung einzuordnen (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Schulleistungen aus dem allgemeinbildenden Bereich Weitere Variablen, die in die Analysen zur Erklärung der berufsfachlichen Kompetenzen einbezogen wurden und Zusammenhänge aufzeigen, sind die schulischen Leistungen aus dem allgemeinbildenden Bereich. Ein Prädiktor ist z. B. der erreichte formale Schulabschluss der Jugendlichen. In aller Regel ist dieses Merkmal mit der kognitiven Grundfähigkeit, den mathematischen und sprachlichen Basiskompetenzen sowie dem berufsspezifischen Vorwissen assoziiert und verliert daher an Erklärungskraft, sobald die anderen kognitiven Merkmale zur Erklärung der Fachkompetenz einbezogen werden (z. B. Atik & Nickolaus, 2016b). Dennoch sollte die Wirkung dieser Determinanten nicht unterschätzt und in den Analysen berücksichtigt werden, da je nach Ausbildungsberuf, auch bei Kontrolle der kognitiven Merkmale darüber Varianzanteile erklärt werden können (Abschnitt 3.2.1). Beispiels-
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weise können in diesem Zusammenhang arbeitsmarktabhängige Selektionseffekte zu Varianzeinschränkungen führen. Weitere Indikatoren, die Aufschluss über den Schulerfolg geben, sind wie etwa die Informationen zu Klassenwiederholungen oder die Schulnoten. In diesem Kontext wird bestätigt, dass mittlere Schulnoten prognostisch valide für die Wissensentwicklung im Rahmen der Ausbildung sind. Dieses Ergebnis wird für ausgewählte Berufsgruppen aus dem kaufmännischen als auch dem gewerblich-technischen Bereich dokumentiert (Nickolaus & Abele, 2010; Cramer et al., 2011). Der Sachverhalt von Klassenwiederholungen wird beispielsweise für den Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in im Erklärungsmodell für die Fachkompetenz berücksichtigt und scheint für die Wissensentwicklung bedeutsam (Atik & Nickolaus, 2016b). In diesem Kontext kann vermutet werden, dass die angeführten Indikatoren aufgrund von Varianzeinschränkungen lediglich in „leistungsschwachen“ Segmenten relevant werden. Außerdem sollte beachtet werden, dass beispielsweise schlechte schulische Leistungen nicht unbedingt auf kognitive Schwächen zurückzuführen sind, sondern auch durch ungünstige motivationale oder soziokulturelle Einflüsse begünstigt werden. Zudem sind vor allem Schulnoten kritisch zu betrachten, da die Objektivität der Lehrenden bei der Beurteilung von Schülern/innen fraglich ist. In diesem Zusammenhang ist zu erwarten, dass die Vergleichbarkeit von Schulnoten über die Schulabschlüsse nur bedingt möglich ist.27
3.2.3.2
Nicht-kognitive Determinanten
Wie bereits zu Beginn (Abschnitt 3.2.3) erwähnt, werden neben den kognitiven Merkmalen ebenso nicht-kognitive Determinanten für die Zusammensetzung der Schülerschaft und deren Leistungsentwicklung in den beruflichen Schulen bedeutsam. So wird nicht nur die Heterogenität in Bezug auf die Leistungsmerkmale, sondern auch bezogen auf die soziokulturellen sowie die motivationalen Bedingungen analysiert. Zudem kommen zu den individuellen Komponenten die institutionellen Merkmale hinzu. Im Folgenden werden vereinzelt auch Merkmale angeführt, die in der vorliegenden Untersuchung nicht berücksichtigt werden. Mit diesem Vorgehen soll zum einen deutlich werden, wie vielfältig die Einflussfaktoren für die Kompetenzentwicklung sind. Zum anderen kann so aufgrund von erwartbar schwachen Effekten ein Ausschluss einzelner Merkmale begründet werden. Ausbildungsmerkmale Bisherige Untersuchungen lassen vermuten, dass die Ausbildungsmerkmale für die Entwicklung von berufsfachlichen Kompetenzen bedeutsam werden. In diesem Zu-
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Im Vergleich zu anderen Ländern zeigen sich in Deutschland enorm hohe Leistungsunterschiede, die abhängig von den Schulen und Schulformen sind, mit diesem Merkmal werden in den internationalen Leistungsstudien bis zu 66 % der Varianz erklärt (Werning, 2010; zitiert Schleicher, 2008).
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sammenhang werden z. B. die Ausbildungsformen28 (Teilzeit- vs. Vollzeitschulisch) für die Entwicklung der Lernenden untersucht. Außerdem wird die Methodenwahl beziehungsweise das Lehr-Lernarrangement für die Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung beleuchtet. Ausbildungsformen Im Rahmen der beruflichen Bildung werden hauptsächlich zwei Formen der Berufsausbildung angeboten: a) die Ausbildung in Teilzeit- und b) jene in Vollzeitbeschulung. Nickolaus et al. (2009) zeigen, dass im Hinblick auf die Ausbildungsform im Gegensatz zu den kognitiven Prädiktoren mit schwachen Effekten für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung zu rechnen ist. Insgesamt liegen wenig Studien zum Einfluss der Ausbildungsform auf die Kompetenzentwicklung vor. Frühere Untersuchungen dokumentieren zum Teil klare Vorteile in der Teilzeitbeschulung (Höhn, 1983), aber ebenso bestätigen Studien vorteilhafte Entwicklungen in der Vollzeitvariante (z. B. Münch et al., 1976; Bunk, 1989). In den vorliegenden Untersuchungen im gewerblich-technischen Bereich (Fachbereich Elektro- und Metalltechnik) werden divergente Befunde berichtet. So werden bei Elektroinstallateur/in vorteilhaftere Entwicklungen im deklarativen und prozeduralen Wissen für die vollzeitschulische Berufsgrundbildungsform gegenüber der Teilzeitvariante dokumentiert. In den Regressionsanalysen zur Wissensentwicklung erzielt die Ausbildungsform (zum Zwischentest) nach dem Vorwissen an zweiter Stelle den höchsten Erklärungswert (Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008). Währenddessen berichtet Knöll (2007) für die Elektroinstallateur/in bei Kontrolle der kognitiven Grundfähigkeit keine signifikanten Unterschiede für die Ausbildungsform. Zudem zeigen sich Differenzen bedingt durch Selektionsprozesse, welche z. B. im Fachbereich Kraftfahrzeugtechnik deutlich werden. Hier lassen sich große Unterschiede bezogen auf die kognitiven Eingangsvoraussetzungen in den vollzeitschulischen und dualen Varianten bestätigen. Insgesamt kann für den Elektrobereich dokumentiert werden, dass in schlechteren Arbeitsmarktsituationen deutlich mehr „Leistungsschwache“ in die vollzeitschulische Ausbildung einmünden als in die Teilzeitvariante und diese Schulform in diesen Phasen auch im Hinblick auf den Kompetenzerwerb nachteilig einzustufen ist (Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008). In einer aktuelleren Untersuchung werden Effekte durch die Ausbildungsformen bezogen auf die berufsfachlichen Kompetenzentwicklungen berichtet. So werden für den Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in signifikante Unterschiede zugunsten der vollzeitschulischen Ausbildung dokumentiert (Güzel, 2017). Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich je nach Kompetenzaspekt im industriellen und handwerklichen Bereich unterschiedliche Ausbildungsformen als vorteilhaft erweisen. Wobei in diesem Zusammenhang weitere Determinanten relevant scheinen. Es wird beispielsweise berichtet, dass Jugendliche mit höheren, 28
Im Rahmen dieser Arbeit wird unter den Begriffen Ausbildungsform und Organisationsform die Unterscheidung zwischen der dualen Ausbildung und der vollzeitschulischen Ausbildung verstanden.
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allgemeinen Schulabschlüssen in ihrer Leistungsentwicklung weniger von Ausbildungsformen beeinflusst werden, als Jugendliche mit niedrigen formalen Schulabschlüssen. Jugendliche mit einem Realschulabschluss sowie jene mit einer Hochschulreife profitieren von systematischen Ausbildungsformen, im Gegensatz zu Hauptschülern (Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008). Die Zuordnungen in teil- und vollzeitschulische Ausbildung scheinen für den Kompetenzstand am Ende der Grundstufe im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in zunächst relevant zu sein. Es werden zwar in dieser Berufsgruppe Effekte gemessen, jedoch sind diese eher schwach. Aufgrund der unterschiedlichen Gruppengrößen (Teilzeit vs. Vollzeit) sind die vorliegenden Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren. Letztendlich liegen für den Befund hauptsächlich Daten von Jugendlichen vor, die in vollzeitschulischer und nicht in dualer Form ihre Ausbildung absolvierten. Somit kann vermutet werden, dass die Ergebnisse durch die ungleichmäßige Gruppenverteilung beeinflusst sind (Atik, 2017). Insgesamt liegen wenig Studien zu diesem Merkmal vor, zudem scheint, dass die Befundlage zum Einfluss durch die Ausbildungsform nicht konsistent ist und je nach Domäne unterschiedlich ausfällt. Methodenwahl der Lehr-Lernarrangements Eine weitere Determinante, die bezogen auf die Ausbildungsmerkmale im gewerblichtechnischen Bereich untersucht wurde, ist die Ausbildungsmethode. In diesem Zusammenhang werden die Lehr-Lernarrangements für den Kompetenzerwerb in der beruflichen Bildung in den Blick genommen.29 In diesem Zuge beschäftigen sich mehrere Studien in der Berufsbildungsforschung mit der Grundannahme, dass handlungsorientierter Unterricht mit selbstgesteuertem Lernen im Vergleich zu direktiven Lehr-Lernarrangements positivere Effekte auf die Kompetenz- und Motivationsentwicklung vermuten lassen (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). In diesem Zusammenhang war das Ziel der einschlägigen didaktischen Reformen, durch die handlungsorientierten Vermittlungsmethoden auf die Motivations- und Leistungsentwicklung einen positiven Einfluss zu nehmen, indem der Lernende unter anderem durch höhere Autonomie bessere Lernerfolge und Lernergebnisse erzielen sollte. Weiterhin sollten soziale sowie methodische Kompetenzen gefördert werden, um Probleme, die im beruflichen Kontext entstehen, selbstständig lösen zu können (Nickolaus, 2010).30 In diesem Zusammenhang belegen Untersuchungen, dass kognitiv starke Jugendliche von handlungsorientierten Lehr-Lernarrangements eher profitieren, dies jedoch nicht für kognitiv schwache Auszubildenden gilt. So
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Mit der Einführung des handlungsorientierten Unterrichts konnte in den 1990er Jahren der Frage nachgegangen werden, inwieweit Effekte durch methodische Entscheidungen bestätigt werden. Der handlungsorientierte Unterricht wurde durch selbstgesteuertes Lernen und vollständige Handlungen gekennzeichnet. Studien aus dem allgemeinbildenden Schulbereich verfolgten das Ziel eine vorteilhaftere Entwicklung des prozeduralen Wissens durch handlungsorientierte Erarbeitungsformen. Jedoch liegen ebenfalls Studien vor, dass die Wechselwirkungen von Personenmerkmalen mit Lehrformen einen beachtlichen Einfluss auf die Lernergebnisse haben.
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werden für „leistungsschwache“ Jugendliche vielmehr positive Entwicklungen bei direktiven Unterrichtsformen berichtet (Nickolaus, 2010). Im Forschungskontext der Berufsbildung können beispielsweise für die Grundbildung der Elektroniker/in keine Vorteile durch handlungsorientierten Unterricht bestätigt werden. Es wird jedoch vermutet, dass „leistungsschwächere“ Jugendliche eher von einer Förderung der Basiskompetenzen als von spezifischen methodischen Arrangements profitieren (Nickolaus, 2010). Im Baubereich lassen sich in der Fachstufe (gemeint sind die Ausbildungsjahre nach der Grundstufe) deutliche Entwicklungsvorteile selbstgesteuerten Lernens aufzeigen (Bünning, 2008; Wülker, 2004). Dabei werden zum Teil auch starke ATIEffekte dokumentiert, da für die kognitiv starken Jugendlichen Vorteile und für die kognitiv Schwachen eher negative Effekte mit einkalkuliert werden müssen (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Für den kaufmännischen Bereich liegen Studien vor, die deutliche Leistungsvorteile durch handlungsorientierten Unterricht dokumentieren (Bendorf, 2002; Seifried & Sembill, 2010). Aber auch hier ist die Befundlage nicht eindeutig. Einzelne Untersuchungen berichten, dass keine Effekte der methodischen Arrangements für die Kompetenzentwicklung bestehen (Neef, 2008) und je nach Kompetenzaspekt unterschiedliche Lehr-Lernarrangements vorteilhaft sind (Stark et al., 1996; Nickolaus, 2010). Durch die angeführten Befunde kann domänenübergreifend bestätigt werden, dass durch die Methodenwahl Effekte erzielt werden, diese jedoch bei Einbezug weiterer Determinanten eher gering ausfallen. Außerdem zeigt die Wahl der Methode weniger Einfluss auf die Kompetenzentwicklung als die Qualität der Umsetzung der jeweiligen Methoden. Nickolaus (2010) empfiehlt, in Anbetracht der Befunde die Aufmerksamkeit mehr auf die Umsetzungsqualität der methodischen Arrangements zu lenken als auf die Methode selbst. Zusammengefasst zeigen sich sowohl für die Ausbildungsform als auch für die eingesetzten Methoden widersprüchliche Ergebnisse. Es scheint, dass partiell Einflüsse der angeführten Determinanten bestehen, diese jedoch von weiteren Merkmale beeinflusst werden. Die Effekte durch die Ausbildungsqualität sind relativ schwach und hauptsächlich indirekt bedeutsam, auch wenn partiell direkt wirkende Einflüsse auf das Fachwissen dokumentiert werden können (Nickolaus et al., 2005; Gschwendtner et al., 2010). Individuelle Merkmale Der kurze Einblick in die bisherige Forschung in Bezug auf die Effekte durch die Ausbildungsform und die Lehr-Lernarrangements lässt keine eindeutigen Aussagen zur Wirkungskraft auf die Kompetenzentwicklung zu. Jedoch sind im Anschluss an die Erkenntnisse zu den Ausbildungsmerkmalen die Qualitätsmerkmale des Unterrichts bedeutsam. In diesem Zuge rücken die motivationalen Merkmale in den Vordergrund und werden wie bereits die kognitiven Merkmale und die institutionellen Bedingungen als nicht-kognitive, individuelle Determinanten, bezogen auf die berufsfachlichen Kompetenzen, in den Blick genommen. In einem Teil der Studien
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im Forschungskontext der Berufsbildung werden Ausschnitte der sozialen Hintergründe der Jugendlichen im Zusammenhang mit den berufsfachlichen Kompetenzen analysiert, da diese Determinanten einen Einfluss auf die Leistungen vermuten lassen. Motivation und Qualitätsmerkmale des Unterrichts Im Anschluss an die Interessen- und Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Prenzel et al., 1996) wird angenommen, dass auch die Motivation leistungsrelevant wird und von den jeweiligen Umgebungsbedingungen sowie der individuellen Verarbeitung abhängig ist. Beide Konstrukte, die Motivationsausprägungen sowie die Qualitätsmerkmale des Unterrichts, werden über Selbsteinschätzungen der Auszubildenden erfragt. Es wird angenommen, dass die individuell wahrgenommenen Umgebungsbedingungen das Lerninteresse der Auszubildenden (mit)bestimmen. In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Qualitätsmerkmale zum Teil als emotionaler Mediator interpretiert. Demnach werden Merkmale relevant wie: die Relevanz des schulischen Lehrstoffs, die Instruktionsklarheit, das inhaltliche Interesse der Lehrperson sowie die Adaptivität des Unterrichts (Erlebnisqualität: Kompetenzerleben, Autonomieerlebnis und die soziale Einbindung) (Nickolaus et al., 2010). In den meisten einschlägigen Untersuchungen wird allerdings deutlich, dass bei Einbezug der kognitiven Determinanten die Motivationsausprägungen sowie die Qualitätsmerkmale des Unterrichts schwache Prädiktoren für die Leistungsentwicklung sind. Es werden in nur vereinzelt Studien für diese Determinanten direkte Effekte auf das Fachwissen berichtet (Nickolaus et al., 2010; Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Überwiegend wird in den Erklärungsmodellen aufgezeigt, dass die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts bei Einbezug der kognitiven Eingangsvoraussetzungen lediglich indirekt über die Motivation prädiktiv werden (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Es ist verschiedentlich bestätigt, dass die Motivation und die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts stark assoziiert sind (z. B. Meier et al., 2015). In den untersuchten Berufen aus dem gewerblichtechnischen Bereich werden die Motivationsentwicklung und die Qualitätsmerkmale wie Relevanzzuschreibung, Kompetenzerleben, angemessene Anforderungsniveaus sowie Klarheit und Autonomie für die berufsfachlichen Kompetenzen bedeutsam (Nickolaus, 2010). Bei Betrachtung der Forschungslage in Bezug auf die Qualitätsmerkmale des Unterrichts kommt vor allem die Überforderung in den Blick, die nicht nur über die Motivation sondern zum Teil auch direkt für die Leistungsentwicklung relevant wird (Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Insgesamt erscheint es sinnvoll, beide Konstrukte zu untersuchen, um Aussagen über ihre Erklärungskraft liefern zu können. Zudem ist interessant, dass die Ergebnisse für diese Merkmale teilweise je nach Ausbildungsberuf, unterschiedlich ausfallen. Vermutlich sind weniger attraktive Ausbildungsberufe, beispielsweise Berufe, die von Jugendlichen gewählt werden aufgrund fehlender Alternativen auch nicht besonders förderlich für die Motivationsausprägungen. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang betrachtet wird, ist die Bedeutung kognitiver Determinanten in Bezug auf die motivationalen Merkmale. Es wird dokumentiert, dass
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Jugendliche mit einer höheren Intelligenz oder mit einem größeren Vorwissen Entwicklungsvorteile gegenüber jenen haben, die die gleiche Anstrengungsbereitschaft zeigen (Behrendt et al., 2017). In diesem Kontext wird in den meisten Studien unter anderem die Investmenttheorie von Catell (1987) angeführt, in der davon ausgegangen wird, dass bei der Operationalisierung von leistungsbezogenen Daten generell die Motivation als Traitkomponente implizit mitwirkt. Diese Annahme lässt den Anspruch der ausschließlichen Erfassung von kognitiven Leistungsdispositionen nicht zu und sensibilisiert dahingehend, dass die motivationalen Bedingungen in Zusammenhang mit den Leistungsdaten stehen (Nickolaus & Seeber, 2013). In diesem Zuge wird davon ausgegangen, dass die geringeren Varianzaufklärungen, die mit den motivation- und unterrichtsbezogenen Merkmale erzielt werden, durch die einbezogenen kognitiven Determinanten beeinflusst sind. Bei der Interpretation der Befunde sowohl zu Motivationsausprägungen als auch zu wahrgenommen Qualitätsmerkmalen des Unterrichts sollte beachtet werden, dass die Erfassung der Merkmale hauptsächlich über die Zuschreibungen der Auszubildenden erfolgen und sich somit auf Selbsteinschätzungen beruhen. Zudem wird bei der Motivation in Lernprozessen zwischen zwei Komponenten differenziert. Zum einen kann die Motivation als trait- und zum anderen als stateKomponente erfasst werden. Ersteres wird als überdauernde Motivation definiert, währenddessen die state-Komponente als Momentaufnahme interpretiert wird (Winther, 2005). Die Implikation bei der Erfassung dieser Komponenten werden im kaufmännischen Bereich diskutiert. Rausch et al. (2010) setzten sich mit den empirischen Zugängen zu emotional-affektiven Konstrukten auseinander. Der Fokus liegt auf der zeitlichen Erhebung emotionaler Wahrnehmungsinhalte durch Selbstauskünfte. So wird deutlich, dass bei solch retrospektiven Befragungen zu emotionalaffektiven Konstrukten prozessnahe Befragungszeitpunkt und mehrere Messwiederholungen relevant sind. Bisher sind diese nicht-kognitiven Merkmale im Forschungskontext der Berufsbildung wenig berücksichtigt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Merkmale für die Kompetenzforschung bedeutsam sind, auch wenn nicht immer wie bei den kognitiven Determinanten starke direkte Einflüsse dokumentiert werden. Dies wird in aktuelleren Studien diskutiert. Beispielsweise setzten sich Rausch et al. (2015) mit der Relevanz und Berücksichtigung der emotional-motivationalen Komponenten bei der Förderung und Diagnose der Problemlösekompetenzen auseinander. Die Autoren erfassen mithilfe Erlebnisstichproben Merkmale wie Emotion und Motivation. Auf diesem Wege sollen die Probleme bei der Operationalisierung dieser nicht-kognitiven Merkmale reduziert werden. Soziokulturelle Hintergrundmerkmale Wie bereits in Abschnitt 3.2.1 beschrieben, sind soziale Herkunftseffekte für den Kompetenzerwerb vor allem durch die PISA-Studien wieder stark in den Fokus gerückt worden. Das Ziel in diesen Studien war unter anderem, die Herkunftseffekte auf die Kompetenzentwicklung, die Schulleistungen sowie die Bildungsentscheidungen empirisch zu analysieren (Müller & Ehmke, 2016). Die PISA-Befunde
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liefern damit Erkenntnisse zu den sozialen Disparitäten der Bildungsteilhabe. Im Rahmen dieser Studien wird die familiäre Herkunft der Jugendlichen erfasst, um die Einflüsse der damit verbundenen ökonomischen, sozialen und kulturellen Ausstattungen zu untersuchen. Die Erfassung der sozialen Herkunft kann über mehrere Dimensionen erfolgen: sozioökonomischer Status der Eltern (Highest SocioEconomic Status, HISEI), ökonomischer, sozialer und kultureller Status (Economic, Social and Cultural Stuts, ESCS) des Elternhauses (Müller & Ehmke, 2016). In den Analysen von Prenzel et al. (2004) und Baumert et al. (2006) werden zwischen den Kompetenzen und der sozialen Herkunft die stärksten Zusammenhänge aufgezeigt. Die darauffolgenden Erhebungsrunden (PISA 2006, 2009, 2012) weisen eine Abnahme dieser Korrelationen nach. Jedoch existieren, trotz des Rückgangs der sozialen Disparitäten, weiterhin Unterschiede aufgrund des sozialen Hintergrundes. Die Befunde aus der PISA-Studie 2015 lassen darauf schließen, dass es im Vergleich zu den Jahren zuvor zumindest in Teilen gelingt, den Einfluss der sozialen Herkunft auf den Kompetenzerwerb partiell zu kompensieren. Gleichzeitig werden jedoch deutliche Unterschiede in den Lesekompetenzen der Jugendlichen dokumentiert, die durch den Berufsabschluss der Eltern mitbestimmt sind (Müller & Ehmke, 2016). Insgesamt zeigen die PISA-Studien mit den Jahren eine Abnahme der Herkunftsunterschiede (im Hinblick auf die soziale Schichtzugehörigkeit) in den Kompetenzen der Jugendlichen. Gleichzeitig wird jedoch, aufgrund der immer noch bestehenden sozialen Ungleichheiten, seitens der Bildungspolitik weiterhin eine Verringerung der sozialen Disparitäten angestrebt. Zum einen gemessen an der Bildungsteilhabe und zum anderen im Bereich des Kompetenzerwerbs (Müller & Ehmke, 2016). Die vorliegenden Befunde lassen aufgrund der Bedeutung der sozialen Merkmale für die schulischen Leistungen vermuten, dass vor allem in den Ausbildungsberufen, in die hauptsächlich Jugendliche mit ungünstigeren soziokulturellen Merkmalen einmünden, der Wissensaufbau für die berufliche Kompetenz eher gering ausfallen könnte. Um die Zusammenhänge mit den kognitiven Determinanten zu untersuchen und letztendlich zu prüfen, inwieweit diese Merkmale auf die Kompetenzentwicklung in der Ausbildung Einfluss nehmen, werden im Rahmen der Berufsbildungsforschung die sozialen Hintergrundmerkmale partiell erfasst. Die begrenzten Testzeiten und die (nahe liegende) Konzentration auf die kognitiven Komponenten schränken die Messungen bezogen auf die sozialen Kategorien ein. Somit werden im Berufsbildungskontext bisher lediglich vereinzelte (elementare) Hintergrundmerkmale der Personen erfragt und analysiert. In diesem Zusammenhang wird z. B. der Bildungsstatus der Eltern untersucht. Atik und Nickolaus (2017) zeigen in unterschiedlichen institutionellen Kontexten, dass beispielsweise der Buchbesitz des Elternhauses, als häufig genutzter Indikator für das kulturelle Kapital, mit „steigender“ Schulform zunimmt. Migrationshintergrund Aufgrund der kulturell-sprachlichen Heterogenität in deutschen Schulen wird der Migrationshintergrund der Jugendlichen bezogen auf die Disparitäten in der Bil-
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dungsteilhabe berücksichtigt. Es ist davon auszugehen Rauch et al. (2016, so), dass zumindest unter vergleichbaren Lebens- und Lernumwelten keine Disparitäten im Erwerb von Kompetenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund bestehen. Bereits vor der ersten PISA-Studie konnten allerdings eine geringere Bildungsteilhabe sowie niedrigere Bildungsabschlüsse für Jugendliche mit Migrationshintergrund im Vergleich zu jenen ohne Migrationshintergrund vermutet werden. Die Befunde in PISA (2000) bestätigen die Bildungsungerechtigkeit durch bestehende Disparitäten in den Kompetenzen zwischen den Gruppen (mit Migrationshintergrund/ohne Migrationshintergrund (Artelt et al., 2001). Die Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund geringere Kompetenzen aufweisen, wobei mit steigender Generation31 die festgestellten Disparitäten abnehmen. Für die Ergebnisse im Bereich Lesen sowie in der Mathematikfähigkeit werden im Verlauf der PISA-Studien Reduktionen in den Unterschieden zwischen den Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund berichtet (Klieme et al., 2010; Prenzel et al., 2013). Folge dieser Befundlage sind Fördermaßnahmen und weitere Untersuchungen, die im Rahmen von PISA eine Trendanalyse bezogen auf die Basiskompetenzen der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund ermöglichen. So kann anhand der signifikanten Verbesserung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein positiver Trend in den Lese- und Mathematikkompetenzen verzeichnet werden (Rauch et al., 2016). Im Gegensatz dazu zeigen die aktuellen Ergebnisse in PISA, dass bezogen auf die naturwissenschaftlichen Kompetenzen in den zwei Gruppen (mit und ohne Migrationshintergrund) hohe Unterschiede bestehen (Rauch et al., 2016). Dieser Befund könnte für den Ausbildungsverlauf der Jugendlichen vor allem im gewerblichtechnischen Bereich bedeutsam werden. Zudem wird durch die Analysen des Merkmales aufgezeigt, dass Familien mit Migrationshintergrund häufig geringere sozioökonomische und kulturelle Ressourcen besitzen als jene ohne Migrationshintergrund. Die einschlägigen Befunde weisen auf eine Kettenreaktion hin, die ausgelöst durch sprachliche Defizite im Erwerb von weiteren Kompetenzbereichen Nachteile hervorrufen (Rauch et al., 2016). Die Relevanz dieser Determinante wird durch die Zahlen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund verdeutlicht. Der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat sich in PISA 2015 seit PISA 2006 fast verdoppelt. Diese Veränderung führt zu einer Verstärkung der Probleme aufgrund der zunehmenden herkunftslandbezogenen Heterogenität (Reiss et al., 2016). Für den Berufsbildungsbereich ist in einzelnen Domänen mit weitaus höheren Anteilen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auszugehen. Besonders auffällig sind die Zahlen im Übergangssystem. In diesen Schulformen wird der höchste Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund verzeichnet (Kenner & Nickolaus, 2017). Es ist zu vermuten, 31
Mit steigender Generation ist die fortlaufende Generation bezogen auf den Migrationshintergrund gemeint. Die erste Generation bildet in diesem Zusammenhang jene der Familie, für die als erste ein Migrationshintergrund bestätigt wurde.
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dass durch die berichteten starken Disparitäten im sozioökonomischen Status für Jugendliche mit Migrationshintergrund in der beruflichen Bildung von einer Benachteiligung dieser Gruppe auszugehen ist. In diesem Zusammenhang zeigen differenzierte Analysen nach Herkunftsländern deutliche Unterschiede in den erzielten schulischen Kompetenzen aufgrund der zu Hause genutzten Sprache und der sozialen Herkunft (Gebhardt et al., 2013). Erste Erkenntnisse im Rahmen der Berufsbildung berichten die ULME-Studien. In ausgewählten Berufen wird dort für Jugendliche mit Migrationshintergrund ein niedrigerer sozio-ökonomischer Status als für jene ohne Migrationshintergrund gemessen (Lehmann et al., 2006). Der Forschungsstand bestätigt ebenso, dass die unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen, bezogen auf die Jugendlichen mit Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund, zum einen auf den Erhalt eines Ausbildungsplatzes und zum anderen auf die Kompetenzentwicklung Einfluss haben. In den ULME-Studien werden beispielsweise für die Berufsfachschule (BFS) beträchtliche Leistungsdifferenzen in den Kompetenzentwicklungen aufgrund des Migrationshintergrundes dokumentiert. Die ungünstigeren Lernstände, gemessen am Beispiel des Leseverständnisses von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, werden in mehreren Studien bestätigt (z. B. Baumert et al., 2006; Prenzel et al., 2004). Gestützt werden diese Ergebnisse durch die LAU-Längsschnittuntersuchung, die sich mit den Aspekten der Lernausgangslage und der Lernentwicklung in unterschiedlichen Klassenstufen beschäftigt (Lehmann et al., 2006). Insgesamt zeigt sich, dass die Problematik einerseits bereits mit der Einmündung in die Ausbildung existiert und andererseits die bestehenden Leistungsunterschiede im Verlauf der Ausbildung verstärkt werden (Lehmann et al., 2006). In aktuelleren Studien im gewerblich-technischen Bereich wird der Migrationshintergrund ebenfalls partiell berücksichtigt. Grund hierfür ist, dass zum einen die „leistungsschwachen“ Gruppen in den letzten Dekaden vermehrt in den Fokus getreten sind und zum anderen, dass vor allem im beruflichen Segment „leistungsschwache“ Berufsgruppen im Vergleich zu den „leistungsstärkeren“ einen höheren Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufweisen. Nickolaus et al. (2018) analysierten Kompetenzentwicklungen in einem Experimental- und Kontrollgruppendesign unter Kontrolle der Schulformen im Übergangssystem. Die Autoren vergleichen dabei bisherige Maßnahmen (VAB, BEJ, 2BFS) mit zwei neuen Schulmodellen (AVdual, BFPE), die unter anderem eine spezielle Förderung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund anstreben. Die Analysen belegen, dass der Migrationshintergrund einen Einfluss auf die gemessenen Leistungszuwächse hat. Jugendliche mit Migrationshintergrund münden in das Übergangssystem in allen Fächern (berufsfachliche Kompetenzen in Metalltechnik und Hauswirtschaft, Basiskompetenzen in Mathematik und Lesen) mit schlechteren Leistungen ein als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Zudem können für alle Kompetenzbereiche, abgesehen von Mathematik, für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund unterdurchschnittliche Entwicklungen gemessen werden (Nickolaus et al., 2018). Die Befunde verdeutlichen, dass die bestehenden Leistungsdefizite aufgrund des Migrationshintergrundes auch mit Fördermaßnahmen im Übergangs-
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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system nicht ohne Weiteres ausgeglichen werden können, oder trotz individueller Förderung weiterhin bestehen bleiben (Nickolaus et al., 2018). Übergreifend wird die Operationalisierung des Migrationshintergrundes zur Prüfung des Einflusses auf die Leistungsentwicklung in der beruflichen Bildung relevant. In diesem Zusammenhang stehen unterschiedliche Indikatoren zu Erfassung dieses Merkmals zur Verfügung.32 In den bisherigen Untersuchungen im beruflichen Bereich wird der Migrationshintergrund über die Muttersprache (zu Hause gesprochene Sprache) erfasst. Dieses Vorgehen wird auch durch die PISA 2006 Ergebnisse gestützt. Es werden zwischen der zu Hause gesprochenen Sprache und den Lesekompetenzen Zusammenhänge ermittelt. Die Ergebnisse dokumentieren, dass Jugendliche, die zu Hause hauptsächlich ihre Herkunftssprache sprechen, signifikante Nachteile in den Lesekompetenzen gegenüber jenen haben, die trotz eines Migrationshintergrundes hauptsächlich die deutsche Sprache verwenden (Prenzel et al., 2008). In den Analysen der Daten aus PISA (2012) konnte allerdings kein Effekt der Herkunftssprache bestätigt werden. Die Nachteile, bezogen auf die sprachlichen Kompetenzen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, werden jedoch für den Kompetenzerwerb und die Bildungsteilhabe deutlich (Kempert et al., 2016). Zusammenfassend wird dem Merkmal Migrationshintergrund, welches meist in Zusammenhang mit weiteren soziodemografischen Merkmalen steht, vor allem im „leistungsschwachen“ Segment eine bedeutende Rolle zugesprochen. In diesem Kontext wird angenommen, dass die sprachlichen Defizite, die durch den Migrationshintergrund genauer die Daheim gesprochene Sprache ausgelöst werden, über die Basiskompetenzen Erklärungskraft für die berufsfachlichen Kompetenzen bekommen. So kann der Migrationshintergrund sowohl als Schnittstelle zu den kognitiven (sprachliche Defizite) als auch nicht-kognitiven Merkmalen gesehen werden. Beispielsweise können Zusammenhänge mit den sozialen Hintergrundmerkmalen wie der Schichtzugehörigkeit oder dem Bildungshintergrund der Eltern erwartet werden. Der höhere Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund in „leistungsschwachen“ Berufen stützt die Annahme, dass eine Häufung von ungünstigen kognitiven als auch nicht kognitiven Merkmalen die Wissensentwicklung negativ beeinflussen kann. Im Rückblick auf den Abschnitt 3.2.1.1, indem mögliche Implikationen der Heterogenität beschrieben werden, erscheint es besonders sinnvoll, auf die sprachlichen und kulturellen Ausprägungen der Jugendlichen bei empirischen Untersuchungen im „leistungsschwachen“ Segment näher einzugehen. Gleichzeitig können Studi32
Ein möglicher Indikator ist die Staatsbürgerschaft, wobei hier je nach Generation eher damit gerechnet werden muss, dass die meisten trotz ihres Migrationshintergrundes eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Weiterhin kann die Muttersprache (zu Hause gesprochene Sprache) erfragt werden. Eine weitere Information, die Aufschluss über einen möglichen Migrationshintergrund gibt, ist das Geburtsland der Eltern oder auch der Jugendlichen selbst. Die allgemeine Definition für einen Migrationshintergrund laut dem Statistischen Bundesamt sowie die Erfassung des Merkmales im Rahmen dieser Arbeit wird in Abschnitt 5.5.2.2 näher erläutert.
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
en, die den Jugendlichen mit Migrationshintergrund Nachteile zusprechen, die Gefahr einer Stigmatisierung bergen. Daher sollte darauf geachtet werden, dass beispielsweise bei dem Merkmal Migrationshintergrund (Muttersprache) vor allem in der Kompetenzforschung als Indikator für die sprachlichen Fähigkeiten eine klare Definition erfolgt und bereits bei der Datenerhebung dementsprechend behandelt wird.33
3.2.4
Ausgewählte Befunde zu elaborierten Erklärungsmodellen
Im Anschluss an die vorgestellten kognitiven und nicht-kognitiven Determinanten (Abschnitt 3.2.3) erfolgt ein Überblick zu elaborierten Erklärungsmodellen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Verlauf der Ausbildung unter Berücksichtigung der relevanten Determinanten den Einfluss auf die berufsfachlichen Kompetenzen analysieren. Bislang wurden in einigen Berufsgruppen Modelle zur Prognose der berufsfachlichen Kompetenzen generiert. In den vorgelegten Untersuchungen zum Ausbildungsberuf Kraftfahrzeugtechniker/in erfolgt z. B. die Prognose für die berufsfachlichen Kompetenzen sowohl am Ende der Grundstufe als auch mit Abschluss der gesamten Ausbildungszeit. Die elaborierten Erklärungsmodelle erzielen Varianzaufklärungen, die am Ende des ersten Ausbildungsjahres bei ca. 48 % und am Ende des dritten Ausbildungsjahres bei ca. 42 % liegen (Nickolaus et al., 2012). In den Modellen wird deutlich, dass das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres mit einem direkten Pfad das Fachwissen am Ende der Ausbildung beeinflusst. In diesem Zusammenhang wird für die Kraftfahrzeugmechatroniker/in dokumentiert, dass die kognitive Grundfähigkeit, die Basiskompetenzen, das Berufsinteresse sowie die Motivation indirekte Effekte über das berufsrelevante Vorwissen haben und somit einen bedeutsamen Beitrag zur Varianzaufklärung beitragen (Nickolaus et al., 2012). Für den Ausbildungsberuf Elektrotechniker/in können vergleichbare Varianzaufklärungen berichtet werden. Nickolaus et al. (2012) bestätigen z. B. am Ende des ersten Ausbildungsjahres Varianzaufklärungen von ca. 46 % und ca. 51 % am Ende des dritten Lehrjahres. Für diesen Ausbildungsberuf scheinen ähnliche Einflussmerkmale wie im Bereich der Kraftfahrzeugtechniker/in auf das Fachwissen zu wirken. Unterschiede zeigen sich einzig bezogen auf die kognitive Grundfähigkeit, die nicht nur indirekt, sondern auch direkt für die Leistung zum Ausbildungsende bedeutsam wird. Sowohl für die Kraftfahrzeugmechatroniker/in als auch für die Elektroniker/in werden den motivationalen Merkmalen geringe Effekte zugesprochen. Dieses Ergebnis interpretieren die Autoren unter Berücksichtigung der
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Jugendliche mit nicht ausreichenden Sprachfähigkeiten für die Bearbeitung der Instrumente zur Erfassung der berufsfachlichen Kompetenzen sollten aus den Analysen ausgeschlossen werden. Ansonsten kann eine eindeutige Erfassung der berufsfachlichen Kompetenzen nicht gewährleistet werden, da eingeschränkte Lesefähigkeiten eine Verzerrung der Kompetenzaussagen begünstigen würden.
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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Traitkomponente der Motivation (Nickolaus et al., 2012; van Waveren & Nickolaus, 2016). Ähnliches wird für den Ausbildungsberuf Mechatroniker/in berichtet. Die kognitiven Determinanten tragen auch hier einen bedeutsamen Beitrag zur Erklärung des berufsfachlichen Wissens bei. Nickolaus, Maier et al. (2015) zeigen, dass zur Zwischenprüfung durch die kognitiven Voraussetzungen und die Motivation im Kontext von Betrieb und Schule eine Varianzaufklärung von 66 % erreicht wird. Zwar gelingt es im Gegensatz zu anderen Ausbildungsberufen, den Einfluss der Motivation durch einen direkten Pfad empirisch einzubinden, jedoch leisten die kognitiven Komponenten die höhere Erklärungskraft (Nickolaus, Maier et al., 2015; Nickolaus, Abele & Albus, 2015). Im Vergleich zur Elektro- und Metalltechnik können für den Fachbereich der Bautechnik deutlich höhere Varianzaufklärungen dokumentiert werden. Petsch et al. (2015) untersuchten die Ausbildungsberufe Maurer/in, Fliesenleger/in, Stuckateur/in und Zimmerer/in in der Grundstufe. Die Autoren können für dieses Feld ein Erklärungsmodell mit außergewöhnlich hoher Varianzaufklärung (92 %) für das Fachwissen am Ende der Grundstufe generieren. Vor allem die kognitive Grundfähigkeit erbringt dort einen beachtlichen Beitrag zu Erklärung des Fachwissens am Ende der Grundstufe. So wirkt der IQ sowohl direkt als auch indirekt über die mathematische Basiskompetenz und das berufsspezifische Vorwissen. Als zweitstärkster Prädiktor wird das berufsspezifische Vorwissen bedeutsam, gefolgt von den mathematischen und sprachlichen Basiskompetenzen (Petsch et al., 2015). Der Einfluss der motivationalen Merkmale sowie der wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts kann in der vorliegenden Untersuchung aufgrund der hohen Abhängigkeiten von berufsspezifischen Vorwissen nicht als zusätzliches Erklärungsmoment integriert werden. Die Autoren vermuten hier, dass die Motivation bereits als Traitkomponente in der zu erklärenden Variable und dem Vorwissen beinhaltet ist. Die überraschend große Erklärungskraft wird zunächst mit der hohen Varianz der Eingangsvoraussetzungen der Schülerschaft erklärt, da neben den „leistungsschwachen“ Maurer/in, Fliesenleger/in und Stuckateur/in auch die im Vergleich „leistungsstarken“ Zimmerer/in berücksichtigt werden. Die differenzierte Betrachtung der Ausbildungsberufe zeigt jedoch, dass die Erklärungskraft für die Maurer/in, Fliesenleger/in und Stuckateur/in für das erreichte Fachwissen am Ende der Grundstufe nur in geringem Maße sinkt. So wird für den „leistungsstarken“ Ausbildungsberuf Zimmerer/in noch eine Varianzaufklärung von ca. 86 % dokumentiert. Als weitere Erklärung für die hohen Varianzaufklärungen vermuten die Autoren die sehr allgemein gehaltene berufsfeldbreite Grundbildung, durch die eine Aufgabenpalette vorliegt, deren Bearbeitung vermutlich durch allgemeines Wissen begünstigt wird (Petsch et al., 2015). Für den eher „leistungsschwachen“ Bereich in der Metalltechnik (Anlagenmechaniker/in) können anhand eines hierarchisch aufgebauten Regressionsmodells sowohl soziale Hintergrundfaktoren als auch kognitive Einflussfaktoren sowie die Motivation und die Qualitätsmerkmale des Unterrichts als potenzielle Einflussfaktoren für das Fachwissen am Ende der Grundstufe dokumentiert werden. Bei Einbezug der angeführten Merkmale wird eine Varianzaufklärung von 33.5 % erzielt. Erwar-
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
tungskonform leisten die kognitiven Merkmale, insbesondere das berufsspezifische Vorwissen, gefolgt von der kognitiven Grundfähigkeit, die höchste Erklärungskraft. Jedoch wird durch die schrittweise durchgeführte Regressionsanalyse deutlich, dass Merkmale wie der formale Schulabschluss und die Mathematiknote bis zum Einbezug der stärksten Prädiktoren noch signifikante Werte erzielen. Zudem ist auffällig, dass die motivationalen Bedingungen bereits im zweiten Modell (von insgesamt fünf Modellen), in dem die kognitiven Eingangsvoraussetzungen lediglich über den formalen Schulabschluss sowie die Zeugnisnoten wirken, nicht mehr bedeutsam sind. Außerdem bleiben die Zusammenhänge zwischen den Motivationsausprägungen und der berufsfachlichen Kompetenzen aus. So können keine signifikanten Korrelationen bestätigt werden (Atik & Nickolaus, 2016b). Im Anschluss daran kann Güzel (2017) mit einer erweiterten Stichprobe für die Anlagenmechaniker/in ein Regressionsmodell generieren, in dem sich die Varianzaufklärung auf 49 % erhöht. Güzel (2017) nimmt in die Analysen zusätzlich die Mathematikleistungen auf, operationalisiert anhand eines Mathematiktests. Im Gegensatz zu der vorangegangenen Studie (Atik & Nickolaus, 2016b) verändern sich die Ergebnisse deutlich. Im finalen Modell wird die Mathematikleistung, nach dem berufsspezifischem Vorwissen, als zweitstärkster Prädiktor bestätigt und leistet somit einen höheren Beitrag zur Prognose des Fachwissens als der IQ. Zudem verbleiben die Qualitätsmerkmale des Unterrichts sowie der Migrationshintergrund, wenn auch nur mit geringen signifikanten Anteilen, im finalen Modell. Weiterhin wird die Ausbildungsform (Teilzeit- vs. Vollzeitschulisch) für das erzielte Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres bedeutsam und lässt Raum für weitere Analysen (Güzel, 2017). Weitere Untersuchungen im gewerblich-technischen Bereich erfolgten im Übergangssystem (Fachrichtung Metalltechnik). In den Erklärungsmodellen zum berufsfachlichen Wissen wird bestätigt, dass dem institutionellen Kontext wesentliche Bedeutung zukommt. Atik und Nickolaus (2017) können beim Vergleich von Jugendlichen aus dem Berufseinstiegsjahr und der Berufsfachschule in der Metalltechnik empirisch zeigen, dass die institutionelle Zugehörigkeit einen höheren Anteil an Varianzaufklärung erzielt als die kognitive Grundfähigkeit. Schlussendlich kann das Fachwissen am Ende des Schuljahres durch das berufsspezifische Vorwissen, der Schulform (Berufseinstiegsjahr und Berufsfachschule) und der kognitiven Grundfähigkeit mit einer Varianzaufklärung von 53 % vorhergesagt werden. Zudem können im Rahmen der Untersuchung die Überforderung und die Klassenwiederholung als tendenziell bedeutsam berichtet werden. In diesem Zusammenhang wird die ausbleibende Erklärungskraft der Motivation, wie in anderen Studien, damit erklärt, dass dieses Merkmal bereits durch das berufsspezifische Vorwissen indirekt auf das Fachwissen wirkt. Zudem wird im Übergangssystem davon ausgegangen, dass bei dieser „leistungsschwachen“ Schülerschaft vor dem Einmünden in die Maßnahmen Motivationsprobleme im allgemeinbildenden Schulsystem existierten (Atik & Nickolaus, 2017). Für den kaufmännischen Bereich werden ähnliche Befunde berichtet. Die im Rahmen der ULME-Studien durchgeführten Analysen bestätigten für die einbezogenen Berufsgruppen aus dem kaufmännischen Bereich die hohe Relevanz der
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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(bereichsunspezifischen) kognitiven Eingangsvoraussetzungen für die beruflichen Leistungen am Ende der Ausbildung. Rosendahl und Stracka (2011a) erzielen eine Varianzaufklärung von 36 % durch die Basiskompetenzen und die kognitive Grundfähigkeit. Mit Einbezug des berufsspezifischen Vorwissens fällt im kaufmännischen Bereich die Varianzaufklärung für das Fachwissen etwas geringer aus als im gewerblich-technischen Bereich. Jedoch zeichnet sich bezogen auf die Bedeutung des Vorwissens ein ähnliches Bild ab (Rosendahl & Stracka, 2011a). Beispielsweise wird die Fachkompetenz im Ausbildungsberuf Bankkaufleute hauptsächlich durch das berufsspezifische Vorwissen, gefolgt von der kognitiven Grundfähigkeit und den Basiskompetenzen (Leseverständnis) erklärt. Die Varianzaufklärung für dieses Berufsfeld liegt bei 26 % (Seifried, 2008; Nickolaus et al., 2010). Insgesamt kann für den kaufmännischen Bereich empirisch bestätigt werden, dass die wirtschaftlichen Kompetenzen die höchsten Zusammenhänge mit den kognitiven Eingangsmerkmalen zeigen. Für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, konnten Nickolaus und Atik (2016) ebenfalls ein hierarchisches Regressionsmodell erstellen, in dem die Varianz des Fachwissens am Ende der Grundstufe zu ca. 45% erklärt wird (Nickolaus & Atik, 2016). Wie bereits in den anderen Untersuchungen leisten die kognitiven Merkmale einen hohen Beitrag zur Erklärung des Fachwissens. So werden in diesem Berufssegment das berufsspezifische Vorwissen, die Basiskompetenzen (operationalisiert über die Zeugnisnoten in Deutsch und Mathematik), der erreichte formale Schulabschluss und die kognitive Grundfähigkeit bedeutsam. Bei dieser Berufsgruppe fällt jedoch der Anteil an erklärter Varianz durch die Intelligenz im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen deutlich geringer aus. Bemerkenswert in den Analysen ist der starke Einfluss der Deutschnote sowie der Migrationshintergrund (gemessen an der Muttersprache). Im finalen Modell werden diese Determinanten mit dem berufsspezifischen Vorwissen als bedeutsamste Einflussfaktoren dokumentiert. Dieses Ergebnis wird von den Autoren so interpretiert, dass sich die sprachlichen Defizite über die Prädiktoren Migrationshintergrund (Muttersprache), Deutschnote und Schulabschluss bemerkbar machen (Nickolaus & Atik, 2016). Zusammengefasst kann durch die Ergebnisse festgehalten werden, dass domänenübergreifend überwiegend die kognitiven Merkmale für das berufsfachliche Wissen bedeutsam werden. Das berufsspezifische Vorwissen, die kognitive Grundfähigkeiten und die mathematischen sowie sprachlichen Basiskompetenzen können als zentrale Determinanten angeführt werden (gewerblich technischer Bereich vgl. z. B. Abele (2014), Nickolaus et al. (2010), Nickolaus, Geißel, Abele et al. (2011), Nickolaus et al. (2012) und Meier et al. (2015), kaufmännischer Bereich z. B. Rosendahl und Stracka (2011b)). Zudem wird berichtet, dass die Motivation sowie die Qualitätsmerkmale des Unterrichts, die über Zuschreibungen der Lernenden erfasst werden, weniger relevant für das Fachwissen scheinen. Während für die kognitiven Merkmale hohe Erklärungskraft auf das Fachwissen belegt wird (Petsch et al., 2015; Nickolaus, 2011), liefern die motivationalen Merkmale bisher geringere Er-
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
klärungsbeiträge. In diesem Zusammenhang wird von indirekten Effekten der motivationalen Merkmale ausgegangen (Petsch et al., 2015). Weitere Komponenten, die nur marginale Einflüsse dokumentieren lassen oder für die sich ausschließlich indirekte Effekte zeigen, sind die Qualitätsmerkmale des Unterrichts sowie die methodischen Entscheidungen. Bisher gibt es noch relativ wenig Aussagen zu den curricularen Schwerpunktsetzungen. Diese scheinen jedoch für das Fachwissen relevant zu sein, wie die Untersuchung von Gschwendtner (2011) zu Kraftfahrzeugmechatroniker/in zeigt. Bestätigt wird die Annahme durch Studien im Ausbildungsberuf Mechatroniker/in und Elektroniker/in für Automatisierungstechnik (Nickolaus, Maier et al., 2015; van Waveren & Nickolaus, 2016).
3.2.4.1
Relevante Determinanten zur Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Leistungssegmenten
In Abschnitt 3.2.4 wird die hohe prognostische Kraft der kognitiven Merkmale für die berufsfachlichen Kompetenzen deutlich. Gleichzeitig werden nicht-kognitiven Determinanten hauptsächlich indirekte Effekte zugesprochen. Die Überlegungen zu Implikationen der Heterogenität (Abschnitt 3.2.1) sowie die ausgewählten Befunde zu den nicht-kognitiven Merkmalen rechtfertigen meines Erachtens, vor allem in „leistungsschwachen“ Ausbildungsberufen, die Analyse dieser Determinanten. Die Korrelationen zwischen den Leistungsmerkmalen und den soziokulturellen Merkmalen geben Hinweise auf indirekte Effekte und erklären die eher geringen oder sogar ausbleibenden direkten Effekte auf das Fachwissen. Zudem kann vermutet werden, dass die schwachen Effekte der nicht-kognitiven Merkmale mit der Zusammensetzung der untersuchten Ausbildungsberufe einhergehen. In diesem Zusammenhang ist vor allem aufgrund von Selektionseffekten mit eingeschränktem Varianzen bei Merkmalen wie der sozialen Herkunft zu rechnen. Diese Vermutung wird durch einzelne vorliegende Studien zu den „leistungsschwachen“ Segmenten gestützt (z. B. Atik & Nickolaus, 2016b). Zudem scheint, dass in unattraktiven Berufsgruppen beispielsweise ungünstige kognitive Eingangsvoraussetzungen (z. B. unzureichend entwickelte Basiskompetenzen) oder geringere Motivationsausprägungen stärkere Entwicklungsprobleme in den beruflichen Kompetenzen erwartet werden können (siehe Abschnitt 3.2.4.1). Die Ergebnisse zu den aktuelleren Studien im Übergangssystem bestätigen diese Annahme (Nickolaus et al., 2018). Diese Bereiche im Berufsbildungssystem sind von sehr heterogenen Gruppenzusammensetzungen bestimmt, die zudem durch die Häufung von ungünstig ausgeprägten Merkmalen für den Wissenserwerb unterdurchschnittliche Entwicklungen erwarten lassen (Petsch et al., 2015; Atik & Nickolaus, 2016b). Aus den angeführten Gründen (Abschnitt 3.2.1) und den berichteten Befunden erscheint es sinnvoll, im Zuge der Generierung von Aussagen zur Kompetenzentwicklung bei solch heterogenen und „leistungsschwachen“ Schülerschaften mögliche Kompositionseffekte genauer zu betrachten und gegebenenfalls die Ergebnisse bezogen auf verschiedene Subgruppen zu prüfen. Aufgrund der großen Hete-
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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rogenität im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in kann mit Einflüssen auf Entwicklungsaussagen innerhalb der unterschiedlichen Leistungsgruppen gerechnet werden. Letztendlich ist es derzeit nicht genau vorherzusagen, ob und inwieweit Kompositionseffekte wirken und dadurch Entwicklungsaussagen beeinflusst werden. In Abschnitt 3.2.4.1 wurden Studien aus dem Forschungskontext der Berufsbildung berichtet, die sich mit Entwicklungen in unterschiedlichen Leistungsgruppen auseinandersetzen. Insgesamt zeigt die Sichtung des Forschungsstandes, dass die Befundlage dünn ausfällt und die meisten Studien in Interventionsmaßnahmen die Gruppenunterschiede betrachten. Im Anschluss an die dargestellten Ergebnisse (Abschnitt 3.2.4) scheint es zunächst plausibel, dass günstigere kognitive Voraussetzungen positivere Leistungsentwicklungen erwarten lassen. Aufgrund der hohen Bedeutung der kognitiven Eingangsvoraussetzungen für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung liegt der Gedanken nahe, dass im Ausbildungsverlauf eher Matthäus-Effekte als Angleichungen unterschiedlicher Leistungsgruppen beobachtet werden können. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass in der beruflichen Ausbildung die erwarteten Matthäus-Effekte teilweise ausbleiben. Es lassen sich stattdessen zum Teil umgekehrte Kompensationseffekte (starke Entwicklung des unteren Leistungssegments, schwache Entwicklung des oberen Leistungssegments) dokumentieren (siehe Abschnitt 3.2.4.1). Da in der Berufsbildungsforschung keine Befunde in Bezug auf die Erklärungen für die unterschiedlichen Leistungsdynamiken in den Leistungsgruppen existieren, werden im Folgenden ausgewählte Ergebnisse aus dem allgemeinbildenden Bereich referiert. Die berichteten Befunde aus dem berufsbildenden Forschungskontext, die eine vorteilhaftere Entwicklungen der unteren Leistungsgruppen zeigen, werden mit Ergebnissen aus dem allgemeinbildenden Bereich gestützt und dokumentieren ebenfalls, dass nicht immer von einer sich vergrößernden Leistungsschere auszugehen ist. In diesem Zusammenhang betrachten mehrere Studien aus dem allgemeinbildenden Forschungsbereich ausgewählte Einflussfaktoren, um die Gruppeneffekte zu erklären. Mit dieser Herangehensweise wird untersucht, welche der Leistungsgruppen (unteres Leistungssegment und oberes Leistungssegment) Vorteile und welche Nachteile bezogen auf die Kompetenzentwicklung erfahren. Vor dem Hintergrund, dass die vorliegende Arbeit die Analyse aller potenziellen Einflussfaktoren nicht zulässt, werden im Folgenden nur Befunde zu ausgewählten Determinanten vorgestellt, die im Rahmen der empirischen Untersuchung erfasst wurden und relevant für die Entwicklungsdynamik in den unterschiedlichen Leistungsgruppen sein könnten. Die Analyse der Kompetenzentwicklungen unterschiedlicher Leistungsgruppen führte längst in früheren Studien zu einer Auseinandersetzung damit, ob und inwieweit es gelingt, gleiche Entwicklungschancen für unterschiedliche Leistungsgruppen zu gewährleisten. Bereits frühere Untersuchungen deuten auf Benachteiligungen einzelner Gruppen hin. Treiber und Weinert (1985) zeigen in ihren Studien mit Hauptschülern/innen, dass in Klassen, in denen ein Leistungsausgleich dokumentiert wird, dies nicht auf überproportionale Leistungssteigerungen der „Leistungs-
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schwachen“ zurückzuführen ist, sondern durch die Verschlechterung der „Leistungsstarken“ erklärt wird. Ähnliches wird für den gymnasial Bereich berichtet Baumert et al. (1986). Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass eine Annäherung der Leistungsgruppen meistens mit Nachteilen für die „leistungsstarke“ Gruppe einhergeht. Für die Erklärung solcher Entwicklungsprozesse in unterschiedlichen Leistungsgruppen werden zwei Argumentationsstränge verfolgt. Mit Blick auf das Selbstkonzept, wird zunächst auf Bezugsgruppeneffekte und anschließend den Big-FishLittle-Pond-Effect eingegangen. Zudem werden ausgewählte soziokulturelle Determinanten, die ebenfalls für die Leistungsdynamik in den Leistungsgruppen bedeutsam scheinen, angeführt. Das Selbstkonzept als Determinante für die Leistungsentwicklung Ein Vergleich von Schülern/innen untereinander führt dazu, dass Gruppenzusammensetzungen in den Vordergrund rücken und die nicht-kognitiven Merkmale wie beispielsweise die Selbstwahrnehmung der Jugendlichen analysiert werden. Es existieren einzelne Studien, die aufzeigen, dass bezogen auf die Leistungen soziale Vergleiche stattfinden, die für die Selbstkonzeptentwicklung relevant werden. Diese werden auch Bezugsgruppeneffekte oder Referenzgruppeneffekte genannt. Diese sozialen Vergleiche beginnen bereits in der Primarstufe. Eine Untersuchung bei Grundschülern dokumentiert, Dickhäuser und Galfe (Vergleich 2004), dass sich die meisten Schüler/innen mit den „Leistungsstärkeren“ aus der Klasse vergleichen. Dies führt einerseits zu einer ungünstigeren Wahrnehmung des eigenen Selbstkonzeptes, andererseits kann jedoch ein positiver Effekt bezogen auf die zukünftige Anstrengungsbereitschaft und Motivation erwartet werden. Köller (2004) bestätigt diese Annahme für die Sekundarstufe und zeigt, dass Jugendliche eher einen Aufwärtsvergleich vornehmen als sich mit ähnlich Leistungsfähigen zu vergleichen. Der Anteil von Jugendlichen, die einen Abwärtsvergleich wählten, ist dagegen sehr gering (Klauer & Leutner, 2012). Es existieren jedoch auch Studien, in denen trotz eines Aufwärtsvergleiches schlechtere Schulleistungen hervorgerufen werden. Die Theorie Byrne (1996), zitiert nach Köller (2004), vertritt die Annahme, dass ein niedriges akademisches Selbstkonzept auch niedrige Schulleistungen bedingt. Dies zeigte sich in „leistungsstarken“ Gruppen, in welchen ein Aufwärtsvergleich wahrscheinlicher ist und somit eine negative Selbstwahrnehmung einen negativen Einfluss auf die Wissensentwicklung hat (Köller, 2004). Dieser Befund wird nach Köller (2004) auch durch Marsh et al. (2000) bestätigt. Hier zeigt sich ein Effekt, der durch die Leistungsgruppierung von „Starken“ in bestimmten Schulen hervorgerufen wird (Köller, 2004). Es wird unter anderem untersucht, inwieweit die Wissensentwicklung vom Selbstkonzept abhängt, das wiederum von Bezugsgruppeneffekten beeinflusst scheint. In diesem Zusammenhang wird der Begriff Big-Fish-Little-Pond-Effect verwendet. Geprägt von Marsh (1987) und Marsh (2005) erklärt er die Selbstwahrnehmung eines großen Fisches in einem kleinen Teich und die eines kleinen Fisches in einem großen Teich (Klauer & Leutner, 2012). Per Definition im schulischen Kontext heißt das, dass die Selbstwahrnehmungen von zwei Individuen mit identischen Leistungsniveaus je nach Gruppenzugehörigkeit, unterschiedlich ausfällt (Köller, 2004). Dagegen ar-
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gumentiert Blanton et al. (1999) (nach Darstellung von Köller), dass es im „leistungsstarken“ Segment trotz dieser Aufwärtsvergleiche zu einem positiven Effekt kommen kann, der durch die Zusammensetzung der Gruppe entsteht und leistungsfördernd wirkt (Köller, 2004). Es scheint, dass von zwei möglichen Auswirkungen auf die Leistungen ausgegangen werden kann. Insgesamt bestätigen die ausgewählten einschlägigen Befunde, dass zwischen dem akademischen Selbstkonzept und den Leistungen ein Zusammenhang erwartet werden kann. Es wird davon ausgegangen, dass dieser nicht nur einseitig wirkt, also nicht nur ein Effekt der Leistung auf das Selbstkonzept gemessen wird, sondern auch das Selbstkonzept einen Einfluss auf die Leistungen der Jugendlichen hat. Je nach Gruppenzusammensetzung scheint, dass durch Aufwärtsvergleiche eine höhere Anstrengungsbereitschaft ausgelöst und damit eine bessere Leistung erbracht werden kann. Was wiederum bedeutet, dass durch leistungsabhängige Merkmale leistungsunabhängige Merkmale wie das Selbstkonzept beeinflusst werden und diese über motivationale Merkmale Einfluss auf die Leistungsentwicklung nehmen können. Die Annahme von Blanton et al. (1999) (nach Darstellung von Köller), begründet trotz dieser Aufwärtsvergleiche einen positiven Effekt auf die Leistungen, der durch die Zusammensetzung der Gruppe entsteht und leistungsfördernd wirkt. Diese Vermutung stützt sich auf Analysen im „leistungsstarken“ Segment, jedoch könnte diese Theorie eine Erklärung für die Kompensationseffekte im „leistungsschwachen“ Segment sein. Zudem dokumentieren die berichteten Befunde, dass trotz der stärkeren Leistungsdynamik im unteren Leistungssegment die Kluft zwischen den unterschiedlichen Leistungsgruppen bestehen bleibt beziehungsweise verstärkt werden. Soziokultureller Hintergrund als Determinante für die Leistungsentwicklung Die PISA-Untersuchungen berichten, dass während der Schulzeit neben der Leistungsstreuung auch die Unterschiede in den sozialen Hintergrundmerkmalen zunehmen. Erklärt werden diese Schereneffekt zum Teil über die Schulformen in der Sekundarschule. Auch bei gleichen kognitiven Eingangsbedingungen werden für Jugendliche mit ungünstigen soziokulturellen Hintergrundmerkmalen unterschiedliche Leistungsentwicklungen dokumentiert (Reiss et al., 2016). Es kann angenommen werden, dass diese Schereneffekte bereits in der Primarstufe ausgelöst werden. Die Studie von Ditton und Krüsken (2009) bestätigt beispielsweise bei Grundschülern/innen Schereneffekte bezogen auf die sozialen Merkmale. Durch die Befunde wird deutlich, dass der Leistungszuwachs mit dem höheren Bildungsstatus der Familie zusammenhängt und somit die Kinder aus Familien mit niedrigem Bildungsstatus am Ende einen niedrigeren Leistungsstand erreichen als jene, deren Familien einen höheren Bildungsstatus aufweisen. Die untersuchten Leistungsgruppen zeigen, dass die Gruppe der „Leistungsschwachen“ hauptsächlich von Kindern mit sozial niedrigerem Status dominiert wird, während sich die obere Leistungsgruppe aus Kindern mit hohem familiären Status zusammensetzt. Überraschend ist, dass trotz der ungünstigen Voraussetzungen der Schüler/innen in der unteren Leistungsgruppe stärkere Entwicklungen in den Fähigkeiten
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Mathematik als auch Lesen bestätigt und somit von einem Ausgleich der zu Beginn bestehenden Leistungsunterschiede ausgegangen werden kann. Allerdings bleiben die Leistungsrangreihen stabil und die „Leistungsschwachen“ erreichen am Ende der Grundschulzeit zum Teil nicht annähernd das Eingangsniveau der oberen Leistungsgruppen zu Beginn. Zusammengefasst wird trotz der positiven Entwicklung des unteren Leistungssegments die Leistungsheterogenität nicht aufgehoben, da die Leistungsrangreihung unverändert bleibt. Auch die Herkunftseffekte sind fortdauernd, es zeigen sich sogar Zuwächse der Differenzen bei gleichen kognitiven Eingangsvoraussetzungen (Ditton & Krüsken, 2009). Die aufgezeigte Kluft zwischen den Leistungsgruppen wird durch das deutsche Schulsystem verstärkt. In vielen Bundesländern beginnt bereits mit dem Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe die Leistungsgruppierung. Das dreigliedrige Schulsystem schafft leistungshomogene Gruppen, indem auf Grundlage der kognitiven Fähigkeiten die Jugendlichen den Schulformen zugeteilt werden (Köller, 2004). Der erworbene formale Schulabschluss, mit dem die Jugendlichen in die beruflichen Schulen einmünden, hat einen Einfluss auf die dort erlernte berufsfachlichen Kompetenzen. Diese Annahme wird beispielsweise im Berufsfeld der Anlagenmechaniker/in dokumentiert (Atik & Nickolaus, 2016b). Die Unterschiede aufgrund des erreichten Schulabschlusses wurden bereits in früheren Untersuchungen deutlich. Im Rahmen der BIJU-Studie (Baumert & Köller, 1998; Hosenfeld et al., 1999) gewonnene Erkenntnisse belegen, dass die Schulform einen Einfluss auf die Leistungsentwicklung der Jugendlichen hat. Es wird bei Kontrolle unterschiedlicher Variablen wie dem Vorwissen bei Jugendlichen im Gymnasium ein signifikant höherer Leistungszuwachs nachgewiesen als bei jenen, die in die Real- oder Hauptschule einmünden. Die Analysen zwischen Real- und Hauptschule bestätigen ebenfalls die angenommenen Unterschiede der Schulformen bezogen auf die Wissensentwicklung (Köller, 2004). Die angeführten Befunde konzentrieren sich überwiegend auf den allgemeinbildenden Schulbereich und nicht auf die Berufsbildung, trotz dessen können die Ergebnisse für die Berufsausbildung bedeutsam werden und für die Analysen unterschiedlicher Leistungsgruppen sensibilisieren. Durch die besonders heterogenen Zusammensetzungen der Schülerschaft im eher „leistungsschwachen“ Berufssegment können die durch soziale Vergleiche entstehenden Einflüsse auf das Selbstkonzept und die Motivation der Auszubildenden Auswirkungen auf die individuelle Wissensentwicklung haben. Der Ausschnitt aus dem allgemeinbildenden Bereich lässt vermuten, dass sowohl Leistungsheterogenität als auch soziale Heterogenität eine hohe Relevanz für die Entwicklungschancen von unterschiedlichen Leistungsgruppen haben. Das Ausmaß der Heterogenität bei der Zusammensetzung der Klasse scheint bedeutsam für die individuellen Entwicklungen zu sein. Beispielsweise wird referiert, dass „Leistungsschwache“ Nachteile in leistungshomogenen Lerngruppen haben (Schümer et al., 2004). Parallel können positive Effekte durch die Förderung der „Leistungsschwachen“ in heterogenen Lerngruppen berichtet werden, während die Lerneffekte der „Leistungsstarken“ in homogeneren Gruppen stärker ausfallen. Außerdem
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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kann im Vergleich bestätigt werden, dass der Nachteil für die „Leistungsstarken“ durch heterogene Gruppen nicht besonders hoch ausfällt gegenüber den Vorteilen, die für die „Leistungsschwachen“ dokumentiert werden. Die Relevanz der Gruppenzusammensetzung wird auch in der Integrationsforschung deutlich. In diesem Zusammenhang sollte der Fokus so gelegt werden, dass neben der Förderung der „Leistungsschwachen“, der Lernprozess von „Leistungsstarken“ nicht negativ beeinflusst wird. Die Befundlage lässt vermuten, dass ein gewisses Maß an Stabilität in der Zusammensetzung solcher heterogener Lerngruppen gewährleistet werden sollte, um die optimale Förderung beider Leistungsgruppen zu erreichen (Schümer et al., 2004). Insgesamt deuten die Ergebnisse auf große Herausforderungen bei der Wissensvermittlung in heterogenen Lerngruppen hin. Die angeführten Befunde in Abschnitt 3.2.4.1 überraschen zunächst mit Kompensationseffekten, das heißt, dem Ausbleiben des Matthäus Effekts, jedoch lassen sich die stärkeren Lernzuwächse bei den „Leistungsschwächeren“ im Gegensatz zu den „Leistungsstärkeren“ durch die Ergebnisse aus dem allgemeinen Bereich möglicherweise erklären. Ein anfangs stärkerer Wissenszuwachs für die (kognitive oder sozial) schwächere Gruppe scheint kein Einzelphänomen zu sein. Dies wird durch die vorgestellten Arbeiten im gewerblich-technischen Bereich bestätigt (Abschnitt 3.2.4.1). Die Effekte durch das Gruppenzusammensetzung könnten einen Einfluss auf das Selbstkonzept und die Motivation haben und diese Befundlage begründen, dass schlussendlich die Leistungsheterogenität im Laufe der Ausbildung bezogen auf die Gesamtgruppe nicht abnimmt und trotz der starken Entwicklungen der unteren Leistungsgruppe diese Gruppe im Gegensatz zu den Starken am Ende immer noch deutlich schwächer ist.
3.3
ZUSAMMENFASSUNG
Das Kapitel 3 gibt einen Überblick zur Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen. In diesem Zusammenhang wird der einschlägige Forschungsstand referiert. Die bisherigen Studien, die sich mit der differenzierten Analyse der Kompetenzausprägungen auseinandersetzten, bestätigen für die berufsfachlichen Kompetenzen domänenübergreifend, das berufsfachliche Wissen (Fachwissen) und die berufsfachlichen Fertigkeiten (das Anwenden des Fachwissens in wechselnden, problemhaltigen Situationen) empirisch als eigenständige Dimensionen. Zudem erfolgt in mehreren Studien die Prüfung einer weiteren Ausdifferenzierung der Dimension berufsfachlichen Wissens. Hierfür wird der Ansatz verfolgt, dass Anforderungsbereiche in Abhängigkeit der curricularen Inhalte bestehen. Diese Ausdifferenzierungen entlang von Inhaltsbereichen werden in den meisten Ausbildungsberufen strukturrelevant. Zusammengefasst kann für das berufsfachliche Wissen in Anbetracht der angeführten Untersuchungen je nach Berufsgruppe und Ausbildungsphase sowohl mit Verschmelzungs- als auch mit Ausdifferenzierungsprozessen im Ausbildungsverlauf gerechnet werden. In Abschnitt 3.2 erfolgte zum Verständnis der Entwicklungsprozesse berufsfachlicher Kompetenzen eine Auseinandersetzung mit Implikationen zur Hetero-
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3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
genität für die Kompetenzentwicklung. So wurden mit Blick auf die Besonderheiten der Adressaten zwei Herausforderungen diskutiert. Die erste Schwierigkeit ist die Heterogenität im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in, die sich sowohl auf die Leistungen als auch die soziokulturellen Hintergründe bezieht. In diesem Zusammenhang wird darauf eingegangen, welche Merkmale für die Prognose der Fachkompetenz zu berücksichtigen sind, die in den bisher untersuchten Ausbildungsberufen aufgrund eingeschränkter Varianzen zum Teil nicht analysiert werden konnten. Die zweite Problematik entsteht durch die zuvor berichtete Heterogenität, die mit unterschiedlichen Leistungsgruppen einhergeht und somit gegebenenfalls die Entwicklungschancen dieser Gruppen beeinflusst. Die wenigen Befunde zu den elaborierten Entwicklungsmodellen (Abschnitt 3.2.2) machen deutlich, dass ein hoher Forschungsbedarf besteht. Es liegen wenige längsschnittliche Analysen vor, die Informationen über eine Leistungsveränderung bereitstellen. Insgesamt können anhand von bisherigen Effektstärken durchweg positive Leistungszuwächse in den bisher untersuchten Bereichen dokumentiert werden. Lediglich in einzelnen Maßnahmen aus dem Übergangssystem sind die Entwicklungszuwächse nicht befriedigend. In den Interventionsstudien werden ebenfalls positive Effekte berichtet. Auch bezogen auf die Erklärungsmodelle für die berufsfachlichen Leistungen (Entwicklungen) stößt die Kompetenzforschung an ihre Grenzen. Studien in denen alle potenziellen Erklärungsfaktoren berücksichtigt werden, sind nur sehr schwer zu realisieren. Daher wäre es erstrebenswert, in künftigen Studien groß angelegte Untersuchungen durchzuführen, in denen sukzessive Erweiterungen durch relevante Determinanten erfolgen. Die vorgestellten Befunde aus der Berufsbildungsforschung zeigen, dass domänenübergreifend überwiegend die kognitiven Merkmale für das berufsfachliche Wissen bedeutsam werden. Das berufsspezifische Vorwissen, die kognitive Grundfähigkeiten und die mathematischen und sprachlichen Basiskompetenzen können als zentrale Determinanten angeführt werden (sowohl gewerblich-technischen als auch im kaufmännischen Bereich). Zudem wird berichtet, dass die Motivation sowie die Qualitätsmerkmale des Unterrichts, die über Zuschreibungen der Lernenden erfasst werden, weniger relevant für das Fachwissen scheinen. In diesem Zusammenhang wird angenommen, dass motivationale Merkmale bereits über die kognitiven Leistungsdaten wirken. Der Einfluss durch soziokulturelle Merkmale ist nur partiell im Forschungskontext der Berufsbildung bestätigt. Aktuelle Studien im Übergangssystem lenken die Aufmerksamkeit erneut auf einzelne soziokulturelle Merkmale (z. B. dem Migrationshintergrund) und dokumentieren deren Bedeutung für die Kompetenzentwicklung, die bereits in früheren Studien im allgemeinbildenden (z. B. PISA) und beruflichen Segment (z. B. ULME) berichtet wurde. Die Befundlage zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Leistungsgruppen bezieht sich im beruflichen Bereich hauptsächlich auf Interventionsstudien. Lediglich aktuelle Untersuchungen geben einen Einblick in Entwicklungsverläufe der Leistungsgruppen im beruflichen Segment. Es liegen Befunde vor, die sowohl parallele Entwicklungen als auch Schereneffekte oder Kompensationseffekte dokumentieren. Insgesamt scheint es jedoch, dass die Vorteile durch
3. Kapitel Diagnostik und Modellierung berufsfachlicher Kompetenzen
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Schereneffekte, die aufgrund der hohen Bedeutung der kognitiven Eingangsvoraussetzungen für die „Leistungsstarken“ erwartet werden, in Ausbildungsberufen mit kognitiven Schwachen ausbleiben. So werden in den untersuchten Bereichen stattdessen deutlich höhere Leistungszuwächse in den unteren Leistungsgruppen berichtet. Zu diesem Phänomen liegen keine vertiefenden Untersuchungen in der Berufsbildungsforschung vor. Die fehlende Forschung im beruflichen Bereich für die Erklärung der Kompensationseffekte führt dazu, dass einzelne Studien aus dem allgemeinbildenden Bereich betrachtet werden. In diesem Zusammenhang zeigen die ausgewählten Befunde, dass beispielsweise das Selbstkonzept eine Erklärung für die Entwicklungsdynamiken in den unterschiedlichen Leistungsgruppen sein könnte. Verschiedentlich wird berichtet, dass zwischen dem akademischen Selbstkonzept und den Leistungen ein Zusammenhang besteht. So wird davon ausgegangen, dass je nach Gruppenzusammensetzung Aufwärtsvergleiche stattfinden, die zu einer höheren Anstrengungsbereitschaft führen und die Leistungsentwicklung positiv beeinflussen. Insgesamt zeigt der Forschungsstand im beruflichen Bereich, dass bei domänenübergreifenden Aussagen bezüglich der Kompetenzstruktur, Kompetenzentwicklung oder für die Erklärung des berufsfachlichen Wissens darauf geachtet werden sollte, dass die Befundlage neben Gemeinsamkeiten über die Domänen hinweg ebenso Divergenzen aufweist. Es werden sowohl Übereinstimmungen wie beispielsweise die zentrale prädiktive Kraft der kognitiven Determinanten auf das Fachwissen als auch widersprüchliche Befunde dokumentiert.In diesem Zusammenhang kann die Frage gestellt werden, ob ein Vergleich hinsichtlich der unterschiedlichen Berufsgruppen überhaupt ohne Weiteres möglich ist. Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen scheint die Zusammensetzung aus individuellen Merkmale der Schülerschaft sowie den Anforderungen in den einzelnen Domänen für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung von großer Bedeutung zu sein. Bisher erfolgen Aussagen über einzelne Berufsgruppen, die sich in ihren Voraussetzungen und den Anforderungen ihrer jeweiligen Ausbildung deutlich unterscheiden. Zum Teil ist schon bei einer Eingrenzung auf eine Domäne die Heterogenität der Eingangsvoraussetzungen der Schülerschaft so groß, dass sich Aussagen über ein Berufsfeld, zum Beispiel hinsichtlich der Kompetenzentwicklung, als problematisch erweisen können.
KAPITEL 4 ZIELE UND HYPOTHESEN DER EMPIRISCHEN STUDIE Zielsetzung und zentrale Forschungsfragen Die Berufsbildungsforschung kann einige Aussagen zur Kompetenzentwicklung und -erklärung in einzelnen Ausbildungsberufen bereitstellen. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass die bisherigen Befunde aus dem gewerblich-technischen Bereich eingeschränkte Generalisierungsmöglichkeiten zulassen. Die Sichtung des bestehenden Forschungsstandes erweckt den Eindruck, dass trotz der teils domänenübergreifenden Befunde jeder Bereich mit Besonderheiten und dadurch eigenen Herausforderungen konfrontiert ist. Neben institutionellen Einflüssen scheinen für die Kompetenzentwicklung Merkmale der Schülerschaft, aber auch die unterschiedlichen Anforderungen des Ausbildungsberufes relevant zu werden. Im Anschluss an die theoretischen Überlegungen und den skizzierten Forschungsstand steht im empirischen Teil der Arbeit das Ziel im Vordergrund für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in Daten zur Kompetenzmessung bereitzustellen, die helfen, das Berufssegment besser einzuordnen und die vorgestellten Forschungslücken für dieses Feld zu verringern. Die Kompositionseffekte, die für die Berufsgruppe der Maler/in und Lackierer/in angenommen werden, unterscheiden die Gruppe beispielsweise von den bisher ausführlich untersuchten Ausbildungsberufen (Kraftfahrzeugmechatroniker/in, Elektrotechniker/in) im technischen Bereich. Vergleichbar sind eher die Stichproben aus den Studien, die bezogen auf die kognitiven Fähigkeiten mit ähnlich ungünstigen Voraussetzungen in die Ausbildung einmünden. Jedoch zeigt die Befundlage im „leistungsschwachen“ Segment teilweise uneinheitliche Ergebnisse auf. Dadurch ist es schwierig für das Berufsfeld der Maler/in und Lackierer/in, für das bisher noch keine elaborierten Untersuchungen erfolgten, begründete Vermutungen über die Entwicklung sowie die Erklärung zum berufsfachlichen Wissen zu generieren. Die Auszubildenden im Berufsfeld Maler/in und Lackierer/in werden aufgrund der bisherigen Befunde im Vergleich zu anderen Domänen als kognitiv schwach eingeordnet (vgl. z. B. Nickolaus & Atik, 2016). Dies wird durch die Liste gestützt, die die Maler/in und Lackierer/in zu den zehn am stärksten besetzen Ausbildungsberufen im Jahr 2016 zählt, die einen neu abgeschlossenen Ausbildungsvertrag ohne einen Hauptschulabschluss aufweisen. Zudem gehört die Berufsgruppe auch aktuell zu den Ausbildungsberufen mit den höchsten Vertragslösungsquoten und erreicht, im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen, überdurchschnittliche Abbruchquoten (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2018). Die Schülerschaft ist geprägt von ungünstigen Zusammensetzungen der sozialen Hintergrundmerkmale sowie der kognitiven Eingangsvoraussetzungen für die Kompetenzentwicklung. Die-
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4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
se Bedingungen schaffen für dieses Berufssegment eine schwierigere Ausgangslage mit Blick auf eine positive Leistungsentwicklung. Im Anschluss an den bestehenden Forschungsstand liegt der Gedanke nahe, dass in diesem Kontext die Einlösung der angestrebten Chancengleichheit (gleiche Entwicklungschancen in den Leistungsgruppen) lediglich unter erschwerten Bedingungen stattfinden kann. So stehen nicht nur Lehrkräfte, sondern auch die Auszubildenden vor großen Herausforderungen bei der Bewältigung der Anforderungen im Rahmen ihrer Ausbildung. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht darin, Aussagen zu generieren, die nicht ausschließlich aus wissenschaftlicher Perspektive wichtige Erkenntnisse liefern, sondern ebenfalls für die Praxis verwertbare Informationen zur Verfügung stellen, sodass darauf aufbauend pädagogische Handlungskonzepte entstehen oder weiterentwickelt werden können, die auf die Klientel angepasst sind. Angestrebt wird die Berufsgruppe bezogen auf ihre Kompetenzstände einzuordnen, um die Problematiken, die beim Kompetenzaufbau hervorgerufen werden, zu identifizieren und transparent darzustellen, so dass im Anschluss daran gezieltere Maßnahmen implementiert werden können. Einzelne Studien befassen sich ebenfalls mit Ausbildungsberufen, die durch die Einmündung kognitiv schwacher Jugendlicher gekennzeichneten sind. Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen bieten zwar Ansatzpunkte zur Entwicklung von Hypothesen, jedoch führt, die in der Forschung teils unstimmige Befundlage auch dazu, dass für das vorliegende Berufssegment widersprüchliche Befunde erwartet werden können. Um das zentrale Ziel dieser Arbeit einzulösen, nämlich Aussagen zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung und -erklärung für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in bereitzustellen, sind zunächst sensitive Instrumente erforderlich, mit welchen die Kompetenzstände und deren Entwicklung zuverlässig diagnostiziert werden können. Die Entwicklung und Erprobung dieser Instrumente stellt damit eine notwendige Bedingung zur Einlösung des übergeordneten Zieles dar.
4.1
ERFASSUNG BERUFSFACHLICHEN WISSENS
Güte der eingesetzten Instrumente Zur Generierung von Aussagen zur Leistungsentwicklung einer Gruppe müssen Instrumente vorliegen, die die erforderlichen Gütekriterien erfüllen. Die Überprüfung des Kompetenzzuwachses sowie die Identifikation von Einflussfaktoren, bezogen auf die fachlichen Leistungen, kann nur gewährleistet werden, wenn die eingesetzten Testelemente zur Operationalisierung der berufsfachlichen Kompetenzen den Gütekriterien quantitativer empirischer Untersuchungen genügen. Die Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens für das Berufsfeld Maler/in und Lackierer/in wurden im Auftrag des Netzwerks Bildungsforschung im Rahmen des Projekts „Die Entwicklung fachlicher Kompetenzen im Übergangssystem und der dualen Ausbildung in ausgewählten Berufen“ entwickelt und eingesetzt. Wie im Forschungsstand vorgestellt, erfolgten die ersten Analysen ledig-
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
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lich auf klassischer Basis (siehe Abschnitt 3.2.2). Die Skalierung des Eingangsund Abschlusstests stehen noch aus und werden in der vorliegenden Arbeit geleistet. Vorgesehen ist die Prüfung der zwei Instrumente bezogen auf ihre Güte. Die querschnittlichen Skalierungen beider Testelemente dienen als Grundlage für die weiteren Analysen, die eine Überprüfung der Sensitivität der Instrumente für die Erfassung berufsfachlicher Kompetenzentwicklung zulassen. Entsprechend soll im Rahmen der vorliegenden empirischen Untersuchung folgende Forschungsfrage beantwortet werden: Frage 1: Kann das berufsfachliche Wissen von Maler/in und Lackierer/in zu Beginn und am Ende der Grundstufe mit den eingesetzten Instrumenten reliabel erfasst werden? Um die Frage 1 zu beantworten, werden zwei Hypothesen (1.1, 1.2) aufgestellt, die anhand der Skalierung die Güte der zwei Fachtests (zu Beginn und am Ende der Grundstufe) betreffen. H1.1: Der Eingangstest, zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (überwiegend berufsspezifisches Vorwissen), das zu Beginn der Grundstufe bei Maler/in und Lackierer/in administriert wurde, erreicht gemessen an den Kriterien der Reliabilität, auch bei einer auf der Item-Response-Theorie basierenden Skalierung, eine akzeptable Güte. H1.2: Der Abschlusstest, der am Ende der Grundstufe zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (überwiegend berufsspezifisches Fachwissen) bei Maler/in und Lackierer/in administriert wurde, erreicht gemessen an den Kriterien der Reliabilität, auch bei einer auf der Item-Response-Theorie basierenden Skalierung, eine akzeptable Güte. Die Instrumentenentwicklung erfolgte wie in anderen Berufen im gewerblich-technischen Bereich, anhand der Ausbildungsinhalte aus den Rahmenlehrplänen. Die Inhalte beziehen sich auf das berufsspezifische Vorwissen sowie die fachspezifischen curricularen Inhalte aus dem ersten Ausbildungsjahr und wurden mit Unterstützungen von Experten entwickelt. Bei den Expertenratings stand die (inhaltliche) Validität der Tests im Vordergrund. So wird für die eingesetzten Instrumente eine valide Erfassung der Inhalte des ersten Ausbildungsjahres angenommen. Anhand der Pilotierungsergebnisse (5.5.1) erfolgten die Analysen bezogen auf die Schwierigkeiten und Trennschärfen der Items. Die Annahme in Hypothesen 1.1 und 1.2, dass die Instrumente reliabel sind, stützt sich auf die guten bis befriedigenden Reliabilitätswerte, die bereits durch die Voranalysen im Rahmen des Projekts auf Basis der klassischen Testtheorie bestätigt wurden. So konnte für den Eingangstest für Cronbachs Alpha ein Wert von .68 (t1) und für den Abschlusstest von .80 (t2) erzielt werden (Nickolaus & Atik, 2016). Aufgrund der bisherigen Ergebnisse wird davon ausgegangen, dass beide Instrumentarien den Kompetenzstand sowohl zu Be-
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4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
ginn als auch am Ende des ersten Ausbildungsjahres auch mit der Item-ResponseTheorie gut abbilden lassen und dementsprechend eine gute Güte erreichen.
4.2
DIMENSIONALITÄT BERUFSFACHLICHEN WISSENS
Dimensionalität in der Abschlusstestung Für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in liegen aufgrund der Vernachlässigung der Berufsgruppe und der geringen Stichprobe im Rahmen des Projektkontextes noch keine Analysen der Kompetenzausprägungen in Bezug auf das berufsfachliche Wissen vor. Die ausstehende Dimensionalitätsprüfung für dieses Berufsfeld erfolgt durch die vorliegende Arbeit. Im Fokus steht die Frage, welche Strukturen für das erfasste berufsfachliche Wissen im Rahmen der Grundstufe sich am Ende des ersten Ausbildungsjahres abbilden lassen. In diesem Zusammenhang wird geprüft, inwieweit inhaltlichen Differenzierung der Kompetenzen mit Abschluss der Grundstufe vorliegen. Der Forschungsstand macht deutlich (Abschnitt 3.1.1), dass durch die Arbeiten in den letzten Jahren für unterschiedliche Domänen in der Berufsbildungsforschung Instrumente konstruiert werden konnten, die Informationen über die Fachkompetenzstrukturen bereitstellen. Bemerkenswert sind die Ausdifferenzierungs- oder Verschmelzungsprozesse der angenommenen inhaltlichen Dimensionen, die je nach Domäne und Messzeitpunkt (Ende Grundstufe vs. Ausbildungsende) berichtet werden. Auffällig ist, dass sich die Analysen in Bezug auf die theoretischen Überlegungen zur Bestimmung der Subdimensionen unterscheiden. Während die Dimensionen des berufsfachlichen Wissens für die Grundstufe Bautechnik angenommen auf Basis der alten Fächerstrukturen (Fachzeichnen, Fachrechnen, Fachwissen) geprüft und bestätigt wird (Petsch et al., 2015), erfolgt die Differenzierung des Fachwissens im Fachbereich der Elektro- und Metalltechnik anhand der curricularen Inhalte (Atik & Nickolaus, 2016b; Gschwendtner, 2011; Nickolaus, Geißel, Abele et al., 2011). Eine Modellierung in Bezug auf die alten Fächerstrukturen, wie in der Bautechnik, ist im Berufsfeld der Maler/in und Lackierer/in nicht realisierbar, da die Dimension des Fachzeichnens im Vergleich zu den Subdimensionen Fachrechnen und Fachwissen für dieses Berufsfeld weniger relevant scheint. Stattdessen ist für den Fachbereich der Farbtechnik ähnlich wie in der Elektro- und Metalltechnik von einer Unterteilung in curricular bedingte Themenfelder auszugehen. Die Kriterien zur Bestimmung dieser Inhaltsbereiche erfolgt für die Maler/in und Lackierer/in durch die Unterstützung der Lehrkräfte. Da für diesen Ausbildungsberuf noch keinerlei Informationen zur Kompetenzstruktur vorliegen, soll an dieser Stelle eine Prüfung der Homogenität der eingesetzten Items anhand der im Curriculum festgelegten Themenfelder stattfinden. Die Struktur des zu erfassenden Konstruktes ist vor allem für weitere Untersuchungen bezogen auf die Leistungsentwicklung relevant. Die längsschnittlichen Analysen setzten voraus, dass ein und dieselbe Dimension vorliegt, die während der Grundstufe gegebenenfalls eine Veränderung erfährt. Im Folgenden soll daher geprüft werden, ob sich die angenommenen Subdimensionen,
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
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die sich auf die Lernfelder des ersten Ausbildungsjahres beziehen, bis am Ende der Grundstufe empirisch als Teilelemente des Fachwissens bestätigen lassen oder ob in der Grundbildung der Maler/in und Lackierer/in von einem homogenen fachbezogenen Wissen ausgegangen werden kann. So wird folgende Fragestellung formuliert: Frage 2: Erweisen sich, bei der Ausbildung der beruflichen Kompetenzen, die inhaltlichen Strukturen des Curriculums am Ende des ersten Ausbildungsjahres als strukturrelevant oder kann auch am Ende der Grundstufe noch von einem eindimensionalen Konstrukt ausgegangen werden? Die Hypothese zwei überprüft, ob Kompetenzstrukturen existieren, die aus dem Lehrplan des ersten Ausbildungsjahres der Maler/in und Lackierer/in hervorgehen. H2: Das berufsfachliche Wissen der Maler/in und Lackierer/in erweist sich, bezogen auf die curricularen Inhalte am Ende des ersten Ausbildungsjahres, als eindimensional. Im Hinblick auf die Fachwissenstruktur am Ende der Grundstufe der Maler/in und Lackierer/in ist basierend auf der Literaturanalyse (Abschnitt 3.1.1) zu erwarten, dass noch keine Ausdifferenzierung in Subdimensionen entlang von curricularen Inhalten stattfindet, sondern von einer eindimensionalen Struktur ausgegangen werden kann. Die vergleichbaren Berufssegmente, bezogen auf die Komplexität der Anforderungen in der Ausbildung wie im Fachbereich Metalltechnik (Anlagenmechaniker/in) oder der Bautechnik (Fliesenleger/in, Stuckateur/in) weisen nach den vorgenommenen Modellierungen am Ende der Grundstufe zum Teil mehrdimensionale Strukturen des Fachwissens aus (Atik & Nickolaus, 2016b; Petsch et al., 2015). Für den Vergleich der Dimensionalitätsprüfungen sollten die Analysen aus den einzelnen Ausbildungsberufen näher betrachtet werden. Für den „leistungsschwachen“ Bereich der Metalltechnik (Anlagenmechaniker/in) wird zwar am Ende der Grundstufe eine inhaltliche Differenzierung des Fachwissens bestätigt, jedoch sind die Ergebnisse des Modell-Vergleichstests nicht eindeutig. So ist das vierdimensionale Modell im Vergleich zum eindimensionalen Modell signifikant besser, aber aufgrund der geringen Devianzunterschiede ist eine eindimensionale Struktur nicht ausgeschlossen (Atik & Nickolaus, 2016b). Im Baubereich beziehen sich die Aussagen zur Dimensionalität auf Analysen, die nicht anhand der curricularen Inhalte erfolgten, sondern anhand der alten Fächerstrukturen. Somit ist eine Vergleichbarkeit im Fachbereich der Farbtechnik nur bedingt möglich (Petsch et al., 2015). Zudem zeigen die Analysen im Baubereich, dass zwar Ausdifferenzierungen vorliegen aber diese gleichzeitig hohen Korrelationen zwischen den einzelnen Subdimensionen aufzeigen. Außerdem sind die curricularen Inhalte in der Grundstufe Bautechnik, im Vergleich zur Farbtechnik differenzierter aufgebaut. Für die Lernfelder in der Grundstufe im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in werden deutliche Überschneidungen in den Inhaltsbereichen erwartet. Daher wird für dieses Berufsfeld ein eher homogener Aufbau der Inhalte angenommen. Teilweise werden die
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4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
intendierten curricularen Inhalte im Laufe des ersten Ausbildungsjahres aufeinander aufbauend gelehrt (siehe Abschnitt 5.5.1.2). Die Inhalte orientieren sich an den einzelnen Arbeitsschritten und zeigen durch die Benennungen der Lernfelder die inhaltlichen Bezüge auf (Untergrund vorbereiten, Objekt herstellen, Objekt gestalten). Die Analyse der Rahmenlehrpläne verdeutlicht, dass die Themen zum Teil als einzelne inhaltliche Elemente definiert werden können aber zugleich bereits gelehrte Inhalte voraussetzen. Zudem werden die Inhaltsbereiche aus den einzelnen Lernfeldern im Laufe des ersten Ausbildungsjahres in anderen Kontexten wiederholt. Folglich wird im Rahmen dieser Arbeit für den Fachbereich der Farbtechnik eine Prüfung der Strukturen anhand der curricularen Inhalte durchgeführt und durch die angeführten Gründe eine eindimensionale Struktur erwartet.
4.3
BERUFSFACHLICHE KOMPETENZENTWICKLUNG
Sensitivität der Instrumente zur Erfassung der Kompetenzentwicklung Im Anschluss an die Vorarbeiten zur Kompetenzentwicklung im gewerblich-technischen Bereich sollen erstmals Aussagen zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in im ersten Ausbildungsjahr generiert werden. Es wird angestrebt, durch die Verankerung der entwickelten Instrumente (Eingangs- und Abschlusstest) eine längsschnittliche Modellierung vorzunehmen und somit die Entwicklungsverläufe aufzuzeigen. Diese statistische Methode kam im gewerblich-technischen Bereich bisher nur in wenigen Arbeiten zum Einsatz und bedingt, dass die Instrumente neben guten Reliabilität auch eine Stabilität in der Verankerung aufweisen. Lediglich so können mit diesem Vorgehen Erkenntnisse über die Leistungsveränderungen bereitgestellt werden. Daher wird für die Analysen der zu untersuchenden Gruppe die Fragestellung verfolgt: Frage 3.1: Können anhand der genutzten Instrumente Kompetenzentwicklungen beobachtet werden? Die Frage 3.1 setzt sich mit den zwei Instrumenten und deren Voraussetzungen auseinander, die zur Erfassung der Kompetenzentwicklung notwendig sind. So wird die folgende Hypothese generiert: H3.1.1: Die entwickelten Tests zur Operationalisierung des berufsfachlichen Wissens im ersten Ausbildungsjahr bei Maler/in und Lackierer/in, erweist sich als sensitiv für die Erfassung von Kompetenzentwicklungen. Diese Erwartung ist getragen von den in anderen Studien berichteten Kompetenzentwicklungen, die durch sensitive Instrumente berichtet sind. So erfolgte die Testentwicklung für die vorliegende Berufsgruppe, wie in den bisherigen Studien im gewerblich-technischen Bereich, auf Basis von Testaufgaben, die die gelehrten Inhalte abdecken und Varianzen in den Schwierigkeiten der Aufgaben bestätigen. Dies wird auch durch die Unterstützung von Experten gewährleistet. Die Instru-
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
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mente wurden mit den Hinweisen der Lehrkräfte entwickelt und durch curricular valide Aufgaben verlinkt. Bereits für das Übergangssystems mit dem Schwerpunkt Metalltechnik konnten in unterschiedlichen institutionellen Kontexten (Berufsfachschule, Berufseinstiegsjahr) durch vergleichbare (angenommene) theoretische und methodische Herangehensweisen sensitive Tests eingesetzt werden, um die berufsfachliche Kompetenzentwicklung aufzuzeigen (Atik & Nickolaus, 2016b; Atik & Nickolaus, 2017).
4.3.1
Berufsfachliche Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr
Bezogen auf die Entwicklungsaussagen im Rahmen der Ausbildung wird durch den berichteten Forschungsstand (Abschnitt 3.2.2) deutlich, dass die Befundlage nicht einheitlich ist. Es zeigen sich in den bisher durchgeführten längsschnittlichen Analysen bezogen auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung sowohl Stagnation als auch substanzielle Zuwächse im gewerblich-technischen Bereich. Daran anschließend wird für die Maler/in und Lackierer/in folgende Frage formuliert: Frage 3.2: Wie verläuft die berufsfachliche Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr im Berufssegment der Maler/in und Lackierer/in und lassen sich am Ende der Grundstufe substanzielle Kompetenzzuwächse aufzeigen? Im Anschluss an die Hypothese 3.1.1, in der davon ausgegangen wird, dass durch die eingesetzten Fachtests die Kompetenzentwicklung der Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr abgebildet werden kann, wird in Bezug auf Fragestellung 3.2 die Hypothese 3.2.1 aufgestellt und ein substanzieller Kompetenzzuwachs erwartet. H3.2.1: Am Ende des ersten Ausbildungsjahres können im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in substantielle Kompetenzzuwächse (Cohens d = > .5) aufgezeigt werden. Sofern die Sensitivität der eingesetzten Instrumente zur Beobachtung von Entwicklungen bestätigt wird, kann basierend auf dem jetzigen Forschungsstand für Maler/in und Lackierer/in, in Bezug auf ihre Leistungsentwicklung in der Grundstufe, von signifikanten Kompetenzzuwächsen ausgegangen werden. Zudem wird vermutet, dass die Kompetenzzuwächse ähnlich ausfallen wie in den Domänen mit vergleichbar „leistungsschwachen“ Auszubildenden (z. B. Ergebnisse Metall- und Bautechnik) (Atik & Nickolaus, 2016b; Norwig et al., 2010). In diesen Arbeiten werden substanzielle Leistungsentwicklungen im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres empirisch bestätigt. Zudem wird diese Annahme durch die ersten Ergebnisse in der Farbtechnik getragen, die im Rahmen des Projektes „Die Entwicklung fachlicher Kompetenzen im Übergangssystem und der dualen Ausbildung in ausgewählten Berufen“ entstanden sind (Nickolaus & Atik, 2016). Die Auswertung, die anhand der klassischen Testtheorie durchgeführt wurde, erfolgte auf Grundlage der Ankeritems. Das bedeutet zwar, dass für die Berechnungen eine geringere
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4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
Menge an Informationen (Items) genutzt wurde und somit die Reliabilität litt, jedoch konnten trotz dieser Einschränkungen erste Aussagen über die Kompetenzveränderungen getroffen werden. Diese Analysen dokumentieren auf Basis eines Mittelwertvergleichs zwischen den zwei Messzeitpunkten für die Auszubildenden einen signifikanten Kompetenzzuwachs (d = .50) (Nickolaus & Atik, 2016). Dieser Befund stützt die Vermutung, dass auf Basis einer längsschnittlichen Skalierung signifikante Entwicklungen innerhalb des ersten Ausbildungsjahres erwartet werden können.
4.3.2
Berufsfachliche Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen
Im Anschluss an den Exkurs zur (Leistungs-) Heterogenität kristallisieren sich im folgenden zwei Fragestellungen heraus. Zunächst soll überprüft werden, ob für die Berufsgruppe unterschiedliche Leistungsgruppen existieren. Im Anschluss wird analysiert, inwieweit die Entwicklungsaussagen, die auf Basis der Gesamtgruppe entstehen, für alle Leistungsgruppen haltbar sind. Wie im Forschungsstand (Abschnitt 3.2.4.1) skizziert, existieren Befunde zu einzelnen Berufsgruppen, die unterschiedlich starke Kompetenzzuwächse bei unterschiedlichen Leistungsgruppen dokumentieren. Die bisherigen Voranalysen für die Maler/in und Lackierer/in erfolgten zwar mit eingeschränkten methodischen Verfahren, lassen jedoch vermuten, dass ähnliche Befunde in dieser Berufsgruppe zu erwarten sind (Nickolaus & Atik, 2016). Daher soll anhand der längsschnittlichen Skalierung geprüft werden, ob tatsächlich von verschiedenen Leistungsdynamiken der „leistungsstarken“ beziehungsweise der „leistungsschwachen“ Auszubildenden auszugehen ist. Zudem wird analysiert, welche Implikationen mit unterschiedlichen Leistungsdynamiken in den Gruppen einhergehen. Im Zuge dessen lautet die Forschungsfrage: Frage 3.3: Können für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in Leistungsgruppen identifiziert werden, die im Rahmen des ersten Ausbildungsjahres unterschiedliche Kompetenzzuwächse erfahren? Nach der Annahme in Hypothese 3.2 ist von Kompetenzzuwächsen bezogen auf das berufliche Wissen in der untersuchten Stichprobe auszugehen. Im Weiteren wird in Frage 3.3 nach der Existenz von unterschiedlichen Leistungsgruppen gefragt. Es werden zwei Hypothesen (3.3.1 und 3.3.2) generiert:
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
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H3.3.1: Für die Maler/in und Lackierer/in wird in der Grundstufe ein unterschiedlicher Kompetenzzuwachs der „Leistungsstarken“ beziehungsweise der „Leistungsschwachen“ bestätigt, der dazu führt, dass im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres in dieser Berufsgruppe die Leistungsheterogenität geringer wird. H3.3.2: Der partielle Ausgleich der Leistungsunterschiede geht einher mit einer geringeren Entwicklungsdynamik der „Leistungsstarken“, im Vergleich zu den „Leistungsschwachen“. Mit der Prüfung der Hypothese 3.3.4 sollen Informationen gewonnen werden, die eine Einschätzung zulassen, inwieweit es gelingt im Rahmen des ersten Ausbildungsjahres alle Auszubildenden in ihrer Entwicklung zu fördern. Zu erwarten ist, dass die Leistungsannäherung auf Kosten der „Leistungsstarken“ erfolgt, was so interpretiert werden kann, dass sich deren Potenziale suboptimal entfalten und sie in ihren Entwicklungschancen restringiert werden. Diese Annahme wird durch den berichteten Forschungsstand gestützt (Abschnitt 3.2.2). Die vorgestellten Studien zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Leistungsgruppen zeigen zwar ein eher uneinheitliches Bild auf. Zum Teil können jedoch in den Untersuchungen mit einer ähnlich „leistungsschwachen“ Klientel und dem Einsatz von vergleichbaren methodischen Verfahren, die vermuteten Kompensationseffekte gestützt werden. So konnten beispielsweise in der Untersuchung zum Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker/in deutliche Unterschiede in den Leistungsdynamiken festgestellt werden, die zugunsten der unteren Leistungsgruppe ausfallen (Effektstärke: obere Leistungsgruppe d = .69, untere Leistungsgruppe d = 1.96) (Atik & Nickolaus, 2016b). So können höhere Effekte bezogen auf den Leistungszuwachs der beruflichen Kompetenzen für „leistungsschwache“ Auszubildende, im Gegensatz zu den „leistungsstarken“ Auszubildenden bestätigt werden. Die Voranalysen im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in mit den Daten im Rahmen des Projektes deuten auf unterschiedliche Leistungsentwicklungen innerhalb der Stichprobe hin (Nickolaus & Atik, 2016). Die Ergebnisse zeigen Vorteile zugunsten des unteren Leistungsbereichs auf. Da die Einschätzungen lediglich auf den Ankeritems basieren, soll im Rahmen dieser empirischen Untersuchung überprüft werden, ob sich dieser Befund auch bei Einbezug aller vorliegenden Leistungsindikatoren bestätigen lässt.
4.4
ELABORIERTES ERKLÄRUNGSMODELL ZUM BERUFSFACHLICHEN WISSEN
In der gewerblich-technischen Ausbildung geben mehrere Befunde Aufschluss darüber, welche Bedingungen bezogen auf den Wissensaufbau für die Auszubildenden relevant sind (Abschnitt 3.2.4). Je mehr Erkenntnisse über diesen Prozess existieren, desto besser können Fördermaßnahmen für Jugendliche generiert werden. Diese Annahme wird gestützt durch die seit einigen Jahren in der Berufsbildungsforschung immer häufiger durchgeführten Interventionsstudien, die anhand von ge-
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4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
zielten Maßnahmen den Ursachen für eine suboptimale Leistungsentwicklung entgegenwirken sollen. Für eine planmäßige Förderung der Kompetenzentwicklung ist eine ausreichende Menge an Informationen über die Klientel sowie relevante Prädiktoren für die Entwicklung des berufsfachlichen Wissens notwendig. Durch die Bestimmung der wichtigsten Einflussfaktoren auf das Fachwissen können weitere Schritte zur Förderung in der Ausbildung vorgegangen werden. So ist folglich neben den Aussagen zur Kompetenzentwicklung auch die Generierung von Erklärungsmodellen für das berufsfachliche Wissen notwendig. In dieser Arbeit soll daher der Einfluss von bedeutsamen Prädiktoren auf das Fachwissen am Ende der Grundstufe untersucht werden. Angestrebt wird, die Zusammenhänge zwischen (nicht kognitiven und kognitiven) Determinanten sowie deren Bedeutung für das berufsfachliche Wissen zu analysieren. Für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in existieren bisher keine elaborierten Erklärungsmodelle, die die potenziellen Einflussfaktoren näher betrachten. Daher wird im Folgenden die übergeordnete Forschungsfrage aufgestellt: Frage 4: Welche Prädiktoren haben im ersten Ausbildungsjahr einen Einfluss auf das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in? Um die Frage 4 zu beantworten, werden vier Hypothesen formuliert. Zur empirischen Überprüfung werden im Folgenden dementsprechend vier Kategorien gebildet, die die unterschiedlichen Prädiktoren berücksichtigen, welche jeweils in ihrer Zusammensetzung einen Einfluss auf das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres erwarten lassen. Durch diese Herangehensweise werden teilweise Prädiktoren für die Analysen mehrmals verwendet. Zum einen, weil die Zuordnung von einzelnen Merkmalen in mehr als nur einer Kategorie möglich ist und zum anderen kann so in Bezug auf die formulierten Fragestellungen eine zweckmäßige Untersuchung stattfinden. Die Deutschnote wird beispielsweise sowohl für die Analyse der kognitiven Eingangsvoraussetzungen als auch der sprachlichen Komponenten berücksichtigt. So werden einzelne Prädiktoren in unterschiedlichen Kontexten näher betrachtet, um mögliche Wechselwirkungen zu prüfen. Schlussendlich sollen die einzelnen Analyseebenen genügend Erkenntnisse liefern, um ein finales Erklärungsmodell zu generieren und eine Antwort auf die übergeordnete Fragestellung 4 geben zu können. Zur Strukturierung der einzelnen Analyseschritte werden im folgenden vier Hypothesen aufgestellt, die nacheinander geprüft werden. Die Hypothesen schließen nicht alle Determinanten ein, die im Rahmen der empirischen Untersuchung betrachtet werden. Zum Teil werden weitere erfasste Merkmale zur Prüfung der Annahmen als zusätzliche Indikatoren verwendet. Ziel ist, es am Ende ein elaboriertes Strukturgleichungsmodell zu formulieren. So kann schlussendlich die Frage 4 mit Rückgriff auf die Ergebnisse in den einzelnen Analyseschritten beantwortet werden.
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
4.4.1
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Einflüsse kognitiver Eingangsvoraussetzungen und sprachlicher Fähigkeiten
Einflüsse kognitiver Eingangsvoraussetzungen Zunächst erfolgt eine Untersuchung der Effekte durch Indikatoren, die Informationen zu den kognitiven Eingangsvoraussetzungen der Jugendlichen liefern. Hierfür werden jene Determinanten in die Analysen aufgenommen, die für die vorliegende Stichprobe erfasst wurden (kognitive Grundfähigkeit, berufsspezifische Vorwissen (t1), formaler Schulabschluss, Basiskompetenzen: gemessen durch die Mathematikund Deutschnote, Klassenwiederholung). Mit diesem Vorgehen werden die Effekte durch die kognitiven Eingangsvoraussetzungen auf das Fachwissen untersucht. Hierfür wird folgende Hypothese aufgestellt: H4.1: Die kognitiven Eingangsvoraussetzungen, wie die kognitive Grundfähigkeit, der formale Schulabschluss, die Basiskompetenzen (Zeugnisnoten), die Klassenwiederholung als auch das berufsspezifische Vorwissen zeigen sich im Gegensatz zu den nicht kognitiven Determinanten als stärkste Prädiktoren für das Fachwissen der Maler/in und Lackierer/in am Ende des ersten Ausbildungsjahres, wobei dem berufsspezifischen Vorwissen (t1) der höchste Anteil an Erklärungskraft zugesprochen wird. Die in der formulierten Hypothese unterstellte Bedeutung der kognitiven Determinanten für die Erklärung des Fachwissens stützt sich auf die bisherigen Befunde im gewerbliche-technischen Forschungsfeld. In den vorgestellten Studien (Abschnitt 3.2.3.1) wird die hohe Erklärungskraft der kognitiven Determinanten, mit besonders großem Gewicht des berufsspezifischen Vorwissens, domänenübergreifend bestätigt. Mit diesem Wissen werden bedeutende Effekte durch das Vorwissen auf das Fachwissen im Fachbereich der Farbtechnik erwartet. Zudem wird ebenfalls ein Einfluss durch die kognitive Grundfähigkeit vermutet, die partiell auffällige Werte für diesen Ausbildungsberuf bestätigen lässt (Abschnitt 3.2.1.1). Dazu kommen die niedrigen formalen Schulabschlüsse, die in diesem Berufsfeld dominieren und ebenso auf Schwächen in den Basiskompetenzen schließen lassen. Insgesamt wird erwartet, dass, wie in Hypothese 4.1 formuliert, die genannten Determinanten, aufgrund der (ungünstigen) Ausprägungen in der vorliegenden Berufsgruppe, einen (negativen) Einfluss auf das Fachwissen am Ende der Grundstufe haben. Einflüsse sprachlicher Kompetenzen Aufgrund der Charakteristika der vorliegenden Stichprobe wird von sprachlichen Einflüssen auf das berufsfachliche Wissen ausgegangen (Abschnitt 3.2.1.1). Im Anschluss wird daher geprüft, wie sich Jugendliche, die zu Hause nur Deutsch sprechen im Vergleich zu jenen entwickeln, die eine weitere Sprache als Deutsch oder sogar nur eine andere Sprache sprechen. Da in diesem Kontext davon ausgegangen wird, dass der Migrationshintergrund (Muttersprache) einen groben Indikator für die Sprachfähigkeiten darstellt, werden weitere Indikatoren gesondert betrachtet, für die unterstellt wird, dass das Sprachvermögen der Jugendlichen abgeschätzt
98
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
werden kann (Sprachverhalten, Deutschnote, kulturelles Kapital). Es wird folgende Hypothese formuliert: H4.2: Die Auszubildenden, deren Muttersprache Deutsch ist, schneiden am Ende der Grundstufe im berufsfachlichen Wissen besser ab als jene, die neben Deutsch eine weitere Sprache oder nur eine andere Sprache als Deutsch zu Hause sprechen. Die Besonderheit der Berufsgruppe Maler/in und Lackierer/in liegt in einem auffällig hohen Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund (45.6 %) und dem damit vermutlich verstärkten Einfluss der Sprache. Da im Rahmen dieser Arbeit kein Lesetest eingesetzt werden konnte, wird der Migrationshintergrund der Jugendlichen als Indikator für die sprachlichen Fähigkeiten herangezogen. Ein möglicher Indikator für die sprachlichen Fähigkeiten wird bereits durch die Hypothese 4.1 aufgegriffen (Deutschnote). Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Interpretation der Noten (siehe Abschnitt 3.2.3.1) werden hier weitere Merkmale geprüft. Im gewerblichtechnischen Bereich liegen bisher einige Studien vor, die den Einfluss der Basiskompetenzen (Lesen) auf das Fachwissen untersuchen und bestätigen konnten. Der Migrationshintergrund (Muttersprache) wurde im gewerblich-technischen Segment nur in wenigen Bereichen analysiert. Die Befunde aus dem allgemeinbildenden Bereich dokumentieren Effekte durch den Migrationshintergrund (Abschnitt 3.2.3.2). Die Ergebnisse bestätigen, durch differenzierte Analysen nach Herkunftsländern, deutliche Unterschiede in den erzielten schulischen Kompetenzen aufgrund der zu Hause gesprochenen Sprache und der sozialen Herkunft (Gebhardt et al., 2013). Einzelne Studien aus dem beruflichen Segment stützen die Annahme, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund einen Nachteil in ihrer Entwicklung der berufsfachlichen Kompetenzen erfahren. Dokumentiert werden sprachlichen Nachteile für Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Beispiel bei Nickolaus et al. (2018).
4.4.2
Einflüsse soziokultureller Merkmale sowie wahrgenommener Motivation und Unterrichtsqualität
Einflüsse soziokultureller Merkmale Im Folgenden wird in Hypothese 4.3 der Einfluss durch soziokulturelle Hintergrundmerkmale der Auszubildenden auf das Fachwissen unterstellt. Diese beziehen sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auf den beruflichen und schulischen Abschluss der Eltern. H4.3: Neben den kognitiven Determinanten besitzen die soziokulturellen Merkmale für das berufsfachliche Wissen am Ende der Grundstufe Erklärungskraft. Für Jugendliche aus Familien mit niedrigerem Bildungsstatus wird ein negativer Einfluss auf das berufsfachliche Wissen erwartet. Somit wird angenommen, dass der Berufs- und Bildungsstatus der Eltern die berufsfachliche Kompetenzentwicklung bei Kontrolle kognitiver Merkmale beeinflusst.
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
99
Bei Hypothese 4.3 wird angenommen, dass soziale Herkunftseffekte einen Einfluss auf den Kompetenzerwerb im Rahmen der Ausbildung haben. So werden in diesem Zusammenhang soziale Disparitäten in der Bildungsteilhabe erwartet, die durch den soziokulturellen Status des Elternhauses gemessen werden. Diese Vermutung wird aufgrund der in Abschnitt 3.2.3.2 vorgestellten Befunde (PISA-Studien) angenommen. Die Studien bestätigen zwar eine Abnahme der Herkunftsunterschiede (im Hinblick auf die soziale Schichtzugehörigkeit) in den Kompetenzen der Jugendlichen, jedoch können immer noch bestehende soziale Ungleichheiten dokumentiert werden (Müller & Ehmke, 2016). Im gewerblich-technischen Bereich liegen keine Erklärungsmodelle vor in denen der soziokulturelle Status des Elternhauses einen Effekt auf das Fachwissen erzielt. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass in wenig Studien dieses Merkmal Berücksichtigung fand. Die deskriptiven Analysen, die überwiegend ungünstige Merkmalsausprägungen für die Maler/in und Lackierer/in dokumentieren, stützten die Annahme, dass in diesem Berufsfeld Effekte bestehen könnten. Es werden wie in der Hypothese 4.3 formuliert die kognitiven Merkmale kontrolliert. Dies wird begründet, durch die im Forschungsstand deutlich starken Einflüsse dieser Determinanten. Zusätzlich wird als weiterer Indikator für den elterlichen Bildungsstatus das kulturelle Kapital untersucht. Einflüsse der Motivation und der wahrgenommenen Unterrichtsqualität Zuletzt erfolgt eine Analyse der Motivationsausprägungen und der wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts in Bezug auf das berufsfachliche Wissen. Es wird mit Blick auf den bisherigen Forschungsstand im gewerblich-technischem Segment folgende Hypothese formuliert: H4.4: Die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts werden für die Motivationsausprägungen bei Kontrolle des Vorwissens bedeutsam, jedoch nicht für die Erklärung des Fachwissens. Aufgrund der existierenden Literatur wird für die Berufsgruppe der Maler/in und Lackierer/in kein hoher Anteil an Varianzaufklärung durch die Motivation oder die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts erwartet (Abschnitt 3.2.4). Diese Annahme beruht darauf, dass es nur in wenigen Studien gelingt für die Motivation und die wahrgenommenen Unterrichtsmerkmale bei Kontrolle des Vorwissens signifikante Einflüsse nachzuweisen. Bestätigt werden allerdings unterschiedlich hohe Erklärungsbeiträge der wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts für die Motivation der Auszubildenden. Aufgrund dessen, dass im allgemeinbildenden Bereich weitere Merkmale in diesem Kontext Berücksichtigung finden, werden bei der Prüfung der Hypothese 4.4 mehrere Konstrukte in Bezug auf das berufsfachliche Wissen analysiert. Zum einen wird das Selbstkonzept in den Fächern Mathematik/Naturwissenschaften und Deutsch untersucht und zum anderen wird die emotionale Befindlichkeit sowie die wahrgenommene Disziplin im Unterricht näher betrachtet, mit der Annahme, dass die einschlägigen Einschätzungen auf die Fähigkeiten in den Basiskompetenzen sowie auf die motivationalen Merkmale Einfluss nehmen und somit indirekt auf das berufsfachliche Wissen wirken.
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4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
4.4.3
Relevante Determinanten für das berufsfachliche Wissen in unterschiedlichen Leistungssegmenten
In Hypothesen 3.3.1 und 3.3.2 zur Existenz von unterschiedlichen Leistungsgruppen und deren (divergente) Kompetenzentwicklungen, wird vermutet, dass ein Leistungsausgleich stattfindet. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Homogenisierung zugunsten der unteren Leistungsgruppe ausfällt, was bedeutet, dass Jugendliche aus der oberen Leistungsgruppe eine Benachteiligung erfahren. Diese ähnelt, so die Vermutung, dem Befund aus der Metalltechnik, in dem für das untere Segment deutliche Vorteile berichtet werden (Atik & Nickolaus, 2017). Falls diese Annahme bestätigt wird, stellt sich die Frage, warum die „Leistungsschwachen“ mit geringeren Eingangsvoraussetzungen, Entwicklungsvorteile erfahren und somit dem Matthäus-Effekt zuwiderlaufen. Aus diesem Grund zielt die Fragestellung darauf ab, einen Beitrag zur Erklärung dieser gegebenenfalls unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken zu erbringen. Da im beruflichen Kontext bisher noch keine Analysen zum Einfluss des Selbstkonzeptes beziehungsweise der Bezugsgruppeneffekte auf die unterschiedlichen Kompetenzstände in Leistungsgruppen erfolgten, wird auf die Befundlage aus dem allgemeinbildenden Forschungsbereich zurückgegriffen und das Selbstkonzept zur Erklärung der Leistungsdynamiken herangezogen. Im Anschluss daran wird folgende Fragestellung aufgestellt: Frage 5: Hat das Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch und/oder Mathematik/ Naturwissenschaften einen Einfluss auf die Entwicklungsdynamik des berufsfachlichen Wissens in den unterschiedlichen Leistungsgruppen? Die Beantwortung der Fragestellung 5 erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden die Zusammenhänge zwischen den erfassten Fähigkeitsselbstkonzepten und dem berufsfachlichen Wissen sowie der Motivation in den unterschiedlichen Leistungsgruppen untersucht. Im nächsten Schritt erfolgen Gruppenvergleiche, durch die die Unterschiede in den Gruppen hinsichtlich der berufsfachlichen Kompetenzstände zu Beginn und am Ende der Grundstufe, den Fähigkeitsselbstkonzepten und den Motivationsausprägungen analysiert werden. Abschließend werden für die jeweiligen Leistungsgruppen Erklärungsmodelle gerechnet, um die Effekte des Selbstkonzeptes auf die Kompetenzentwicklung in den Leistungsgruppen zu prüfen. In diesem Zusammenhang wird folgende Hypothese aufgestellt: H5: Das Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch und/oder Mathematik/ Naturwissenschaften hat einen Einfluss auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung in den unterschiedlichen Leistungsgruppen. Jugendliche in der „leistungsschwachen“ Gruppe, (gemessen an den Eingangsvoraussetzungen), erzielen höhere Leistungen im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres, als die „leistungsstarken“ Auszubildenden. Da diese trotz eines niedrigeren Selbstkonzeptes aufgrund von Aufwärtsvergleichen eine höhere Anstrengungsbereitschaft (Motivation) aufweisen, werden
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
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höhere Entwicklungsdynamiken erzielt als bei jenen, die in der „leistungsstarken“ Gruppe sind. Die Formulierung der Hypothese 5 rekurriert auf die Ergebnisse der Studien aus dem allgemeinbildenden Bereich. So wird aufgezeigt, dass durch soziale Vergleiche Einflüsse auf das Selbstkonzept und die Motivation der Auszubildenden entstehen können und diese bedeutsamen Auswirkungen auf die individuelle Wissensentwicklung haben können (Köller, 2004). Die Annahme von Blanton et al. (1999) (nach Darstellung von Köller), begründet, dass trotz Aufwärtsvergleiche, ein positiver Effekt auf die Leistungen erfolgt, der durch die Zusammensetzung der Gruppe hervorkommt und leistungsfördernd wirkt. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass durch den Aufwärtsvergleich der Auszubildenden der Leistungsstand in den beruflichen Kompetenzen sich erhöht und dies zu einer positiveren Entwicklung führt. Erklärt wird dies über die Anstrengungsbereitschaft (Motivation) der Jugendlichen. Zudem dokumentieren die berichteten Befunde, dass trotz der stärkeren Leistungsdynamik im unteren Leistungssegment die Kluft zwischen den unterschiedlichen Leistungsgruppen bestehen bleibt, beziehungsweise verstärken. Begründet wird dieser Befundlage durch soziokulturelle Hintergrundmerkmale, die als Determinante für die Leistungsentwicklung bedeutsam werden.
4.5
ZUSAMMENFASSUNG
Die in diesem Kapitel formulierten Hypothesen sollen zur Schließung der existierenden Kenntnislücken im gewerblich-technischen Bereich bezogen auf den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in beitragen. Mit der Beantwortung der ersten Fragestellung soll eine Basis für die Untersuchung des berufsfachlichen Wissens in diesem Segment erbracht werden. Anhand der ersten Skalierungen im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in, werden mit den Hypothesen 1.1 und 1.2 die eingesetzten Instrumente auf ihre Güte überprüft und lassen Aussagen zum Kompetenzstand zu Beginn sowie am Ende der Grundstufe im Fachbereich der Farbtechnik zu. Im Anschluss wird die Hypothese 2 aufgestellt, durch die der Abschlusstest einer Strukturprüfung unterzogen wird, um erste Aussagen über die Dimensionalität des erfassten berufsfachlichen Wissens für die Maler/in und Lackierer/in bereitzustellen. Mit den Ergebnissen aus den Hypothesen 1.1 und 1.2 wird die Fragestellung 3.1 formuliert, in der die Sensitivität der eingesetzten Instrumente zur Erfassung der berufsfachlichen Kompetenzentwicklung aufgegriffen wird (Hypothese 3.1.1). In diesem Zuge wird in Hypothesen 3.2.1 ein substanzieller Kompetenzzuwachs im Laufe des ersten Ausbildungsjahres erwartet. Aufgrund der spezifischen Zusammensetzung der zu untersuchenden Berufsgruppe, wird von verschiedenen Leistungsgruppen ausgegangen, für die ein unterschiedlicher Kompetenzzuwachs erwartet wird (Hypothesen 3.3.1), durch den die Leistungsheterogenität geringer wird. Der parti-
102
4. Kapitel Ziele und Hypothesen der empirischen Studie
elle Ausgleich der Leistungsunterschiede wird (Hypothese 3.3.2) durch eine geringe Entwicklungsdynamik der „Leistungsstarken“ vermutet. Mit der Fragestellung 4 eine Analyse der Prädiktoren angestrebt, die einen Einfluss auf das berufsfachliche Wissen haben. In diesem Zusammenhang werden mit Hypothese 4.1 die kognitiven Eingangsvoraussetzungen, insbesondere das berufsspezifische Vorwissen, untersucht. Anhand der Hypothese 4.2 rücken Indikatoren zur Sprachfähigkeit in den Vordergrund und werden vor allem in Bezug auf den Migrationshintergrund (Muttersprache) analysiert. Zudem werden die Herkunftseffekte bezogen auf das berufsfachliche Wissen betrachtet (Hypothese 4.3). Im letzten Schritt wird mit Hypothese 4.4 angenommen, dass die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts sowie die Motivationsausprägungen keinen Einfluss auf das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres haben. Abschließend werden mit der formulierten Hypothese 5 für die vermutlich ausbleibenden Matthäus-Effekte, bezogen auf die Leistungsdynamiken in den unterschiedlichen Leistungsgruppen, Einflüsse durch das Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch und/oder Mathematik/Naturwissenschaften erwartet. In diesem Zusammenhang wird sowohl von unterschiedlichen Motivationsausprägungen als auch Selbstkonzepten in den Leistungsgruppen ausgegangen. Anhand der formulierten Hypothesen und deren empirischen Überprüfungen sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit Erkenntnisse zur Kompetenzentwicklung und -erklärung gewonnen werden, um mit jenen in anderen Berufsgruppen zu vergleichen und somit die Ergebnisse für diesen Ausbildungsberuf in der bisherigen Forschung einzuordnen. Von der Erfüllung dieses Anspruches ist abhängig, ob und wie weit die Wissenschaft der Berufsbildungspolitik und -praxis Informationen zur Verfügung stellen kann, um evidenzorientiert vorzugehen.
KAPITEL 5 METHODIK Dieser Teil der Arbeit dient dazu, die Untersuchungsdurchführung näher zu beschreiben. Vorgestellt wird das Forschungsdesign mit den jeweiligen Messzeitpunkten und den eingesetzten Instrumentarien. Das Kapitel ist in sieben Abschnitte gegliedert. Die ersten vier Teile befassen sich mit der Herkunft der Daten sowie dem Untersuchungsdesign. Außerdem wird die Berufsgruppe charakterisiert und die Stichprobe für die empirische Untersuchung beschrieben.34 Die im Anschluss vorgestellten deskriptiven Werte beziehen sich auf den Datensatz nach der Datenbereinigung, Datenaufbereitung sowie nach der Codierung der fehlenden Werte. Im zweiten Teil des Kapitels wird (Abschnitt 5.5) die Realisierung der Untersuchung anhand der eingesetzten Instrumente ausgeführt. Es werden zunächst die zwei Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens vorgestellt. Anschließend wird auf die Konstrukte eingegangen, die im ersten Ausbildungsjahr der Maler/in und Lackierer/in erfasst wurden und für die ein Einfluss auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung unterstellt wird. Am Ende des Kapitels (Abschnitt 5.6) wird die statistische Vorgehensweise beschrieben. In diesem Zusammenhang wird der Umgang mit fehlenden Werten sowie die eingesetzten methodischen Verfahren für die unterschiedlichen empirischen Überprüfungen detailliert erläutert. Im letzten Teil des Kapitels erfolgt eine Zusammenfassung zur Durchführung der vorliegenden Untersuchung.
5.1
DATENHERKUNFT
Für die Überprüfung der Hypothesen wird auf zwei Datensätze zurückgegriffen. Die Hälfte der Daten stammt aus dem Projekt „Die Entwicklung fachlicher Kompetenzen im Übergangssystem und der dualen Ausbildung in ausgewählten Berufen“, das im Rahmen des Netzwerks Bildungsforschung erhoben und von der Baden-Württemberg-Stiftung finanziert wurde. Zielsetzung des Projektes war die Entwicklung von Fachtests für unterschiedliche institutionelle Kontexte, durch die erste Aussagen zum berufsfachlichen Wissen in den jeweiligen Domänen ermöglicht werden sollten. Für die Berufsgruppe der Maler/in und Lackierer/in wurden in diesem Rahmen erstmals Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens
34
Die in diesem Kapitel vorgestellten deskriptiven Daten zur Stichprobenbeschreibung beziehen sich auf die gesamte Stichprobe. So werden unabhängig davon, ob Probanden nur zu einem oder zu beiden Messzeitpunkten anwesend waren, alle Daten die vorliegen in die Analysen einbezogen.
104
5. Kapitel Methodik
zu Beginn sowie am Ende der Grundstufe generiert. Zudem konnten, wie schon im Forschungsstand beschrieben (Abschnitt 3.2.2), auf Basis der klassischen Testtheorie erste Aussagen über die Kompetenzentwicklung getroffen werden. Dies erfolgte durch Mittelwertevergleiche, anhand der Ankeritems zu den zwei Messzeitpunkten. Parallel zu der Datenerhebung im Projekt wurden für die vorliegende Dissertation in Eigenleistung weitere Auszubildenden sowie Konstrukte hinzugenommen, die aus theoretischer Sicht für die Erklärung des berufsfachlichen Wissens am Ende der Grundstufe relevant scheinen. Durch das Zusammenlegen der Projekt- und Dissertationsdaten konnte eine doppelte Belastung der Schulen vermieden und die letztendliche Stichprobe für die Untersuchung deutlich erweitert werden. Die erzielte Stichprobengröße lässt nicht nur verlässlichere Aussagen zu, sondern ermöglicht zudem eine vorteilhaftere methodische Verfahrensweise. Die Rahmenbedingungen für die Operationalisierung der Daten waren in beiden Stichproben identisch. Die zusätzlich eingesetzten Instrumente für die vorliegende Arbeit wurden in der Gesamtgruppe gleichermaßen administriert, so, dass die zwei Datensätze zusammengefügt und als ein Datensatz betrachtet werden konnten. Im Weiteren wird daher für die Überprüfung der Hypothesen von einem einzigen Datenpool ausgegangen. Um am Ende der Grundstufe Entwicklungsaussagen zum berufsfachlichen Wissen im Berufsfeld der Maler/in und Lackierer/in generieren zu können, ist die empirische Untersuchung in einem längsschnittlichen Design angelegt. Die aus dieser Arbeit gewonnenen Aussagen beziehen sich auf den Untersuchungszeitraum des ersten Ausbildungsjahres (2013-2014) für Auszubildende in der einjährigen Berufsfachschule und der dualen Berufsausbildung im Bundesland Baden-Württemberg.
5.2
UNTERSUCHUNGSDESIGN
Insgesamt kamen in der untersuchten Stichprobe vier Instrumente zum Einsatz. Erfasst wurden sowohl die kognitiven als auch die nicht kognitiven potenziellen Determinanten. Wie in der Abbildung 5.1 skizziert, wurden drei Feldzugänge realisiert. Zunächst erfolgte im Juli am Ende des Schuljahres 2012/2013 die Pilotierung der Instrumente für die Erfassung des berufsfachlichen Wissens. Die zwei Haupterhebungstermine wurden im anschließenden Schuljahr 2013/2014 mit Beginn und Abschluss des ersten Ausbildungsjahres im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in durchgeführt. In diesem Zuge wurden zwei Tests zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens verwendet. Zum ersten Messzeitpunkt wurde der Eingangstest (ET) zu Beginn der Ausbildung und zum zweiten Erhebungszeitpunkt am Ende der Grundstufe der Abschlusstest (AT) administriert. Mit Ausnahme der Instrumente zur Erfassung berufsfachlichen Wissens konnte für die anderen Konstrukte auf bereits bestehende Instrumentarien zurückgegriffen werden. In der nachstehenden Abbildung 5.1 ist das Forschungsdesign in seinem zeitlichen Ablauf mit den jeweiligen Erhebungsterminen sowie den eingesetzten Instrumentarien zusammengefasst dargestellt.
105
5. Kapitel Methodik
JULI 2013
Pilotierung Items Fachkompetenz
SEPT.-OKT. 2013 (t1)
JUNI-JULI 2014 (t2)
Eingangstest (ET) Fachkompetenz
Abschlusstest (AT) Fachkompetenz
überwiegend berufsfachliches Vorwissen + curriculare Anforderungen 1. Ausbildungsjahr
berufsfachliches Vorwissen + überwiegend curriculare Anforderungen 1. Ausbildungsjahr (Lernfelder 1-4)
Soziodemografische Hintergründe, motivationale und unterrichtsbezogene Merkmale
Kognitive Grundfähigkeit
1. Ausbildungsjahr Berufsfachschule / Duales System Malerinnen/Lackiererinnen
Abbildung 5.1: Untersuchungsdesign
Der Feldzugang für die Erfassung der Daten zum ersten Messzeitpunkt (t1) fand von Mitte September bis Mitte Oktober im Jahr 2013 (16.09.13 - 15.10.13) statt. Für den Einsatz der Instrumente stand ein Erhebungstag mit zwei Unterrichtseinheiten à 45 Minuten zur Verfügung. Parallel zum Eingangstest (ET) wurden mit einem weiteren Instrumentarium Konstrukte erfasst, die für das berufsfachliche Wissen, ausgehend vom bisherigen Forschungsstand, als relevant einzustufen sind. So erfolgte neben der Operationalisierung der Kompetenzen, die Erfassung soziodemografischer Hintergrundmerkmale, sowie motivationaler und unterrichtsbezogener Merkmale im Berufsschulunterricht. Der Abschlusstest (AT) zum zweiten Messzeitpunkt (t2) sollte zum spätmöglichsten Zeitpunkt stattfinden, damit alle Klassen die Themengebiete der vier Lernfelder aus dem ersten Lehrjahr weitestgehend abgeschlossen hatten. Zudem grenzten die Pfingstferien vom 10.06.2014 bis 21.06.2014 den Erhebungszeitraum ein. Die Erfassung der Konstrukte zum zweiten Messzeitpunkt (t2) begrenzte sich auf den Zeitraum von Juni bis Juli (23.06.14 - 21.07.14). Auch für den zweiten Erhebungszeitraum konnten die vorgesehenen Instrumente an einem Schultag mit zwei Unterrichtseinheiten (à 45 min) eingesetzt werden. Außerdem wurde zum Zeitpunkt des Abschlusstests die kognitive Grundfähigkeit erfasst.35
5.3
ORGANISATIONSFORM UND CHARAKTERISTIKA
Die Ausbildungsverordnung zur Berufsausbildung Maler/in und Lackierer/in wurde erstmals 1975 als Stufenausbildung erlassen. Seit 2003 existiert eine Neuordnung, in der ein zweistufiges Modell abgebildet wird. In der ersten Stufe können Auszubildende nach dem zweiten Lehrjahr durch eine Qualifikationsprüfung den Berufsabschluss zum Bauten- und Objektbeschichter erlangen. Die darauf aufbauende zweite Stufe führt mit dem Absolvieren des dritten Lehrjahres zum Ausbildungsbe35
Die in der Abbildung dargestellten Symbole wurden in Anlehnung an: Paint brush icon on white backround black paint vector image erstellt, https://www.vectorstock.com/royalty-freevector/paint-brush-icon-on-white-background-black-paint-vector-21511075.
106
5. Kapitel Methodik
ruf Maler/in und Lackierer/in. Zudem können die Auszubildenden im Rahmen der Ausbildung zwischen den Themenfeldern Gestaltung und Instandhaltung, Bautenund Korrosionsschutz, Kirchenmalerei und Denkmalpflege wählen und sich somit in diesem Berufszweig spezialisieren (Bundesinstitut für Berufsbildung, n.d.). Die Inhalte, die im ersten Ausbildungsjahr gelehrt werden, basieren auf den curricularen Vorgaben für das Berufsgrundbildungsjahr der Farbtechnik und Raumgestaltung gemäß der BGJ-Anrechnungsverordnung. Weiterhin kann im Rahmen der Ausbildung unter Maler/in und Lackierer/in, speziell Fahrzeuglackierer/in, unterschieden werden. Nach der Grundstufe kann mit der Wahl zur Ausbildung als Fahrzeuglackierer/in eine eher industrielle anstatt handwerkliche Ausbildung angestrebt. In der vorliegen Arbeit werden Daten aus dem Grundbildungsjahr der Farbtechnik erfasst, daher wird aufgrund der identischen Beschulung der zwei Berufszweige bei den Analysen zwischen den Maler/in und Lackierer/in nicht unterschieden. Ein weiterer zu beachtender Aspekt ist die Ausbildungsform. Es besteht die Möglichkeit die Berufsausbildung Maler/in und Lackierer/in in unterschiedlichen institutionellen Kontexten zu absolvieren. Zum einen kann die Ausbildung innerhalb des dualen Systems in drei Jahren mit den zwei Lernorten (Schule und Betrieb) erfolgen, wobei die Inhalte an der Schule im Blockunterricht gelehrt werden. Zum anderen kann die Ausbildung (partiell) im Rahmen des Übergangssystems stattfinden. In diesem Fall münden die Jugendlichen in die Berufsfachschule ein, die in einer ein- oder zweijährigen Form angeboten wird. Mit dieser Schulform wird den Jugendlichen die Chance geboten im Anschluss in das duale System zu wechseln, um ihre Ausbildung dort abzuschließen (Bundesagentur für Arbeit, n.d.). Die Wichtigkeit der Berufsgruppe für den Berufsbildungsbereich wird durch die Berufsbildungsstatistiken deutlich. Der Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in steht auf der Rangliste an siebter Stelle der zehn Berufe, die von Auszubildenden mit einem Hauptschulabschluss gewählt werden (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015).36 Laut Bundesinstitut für Berufsbildung lag im Jahr 2013 der Anteil an Jugendlichen mit Hauptschulabschluss im Berufsfeld der Maler/in und Lackierer/in bei 71.8 %. Bei Jugendlichen ohne einen formalen Schulabschluss liegt die Berufsgruppe auf dem fünften Platz der am stärksten besetzten Ausbildungsberufe (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015). Die Zahlen verdeutlichen, dass in diesen Beruf hauptsächlich Jugendliche mit einem niedrigen formalen Schulabschluss einmünden. Der überdurchschnittlich hohe Anteil an Jugendlichen mit einem Hauptschulabschluss lässt auf eine Gruppe schließen, die geringe Leistung in den Basiskompetenzen vorweist. Ein Indiz für bestehenden Handlungsbedarf in diesem Berufsfeld ist zudem die auffällige Abbruchquote. Die Vertragsauflösungen liegen im Handwerk (generell) deutlich höher als in der Industrie. Die vorzeitige Vertragslösungsquote betrug im Jahr 2013 bundesweit 33.6 % (Baden-Württemberg 36
Die berichteten Zahlen stammen aus dem Datenreport 2015 und beziehen sich auf das Berichtsjahr 2013, in dem die Datenerhebung für die vorliegende Arbeit erfolgte.
5. Kapitel Methodik
107
27.9 %) während im Bereich Industrie- und Handel ein Wert von 21.6 % für den Bund (18.1 % Baden-Württemberg) verzeichnet wurde. Für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in wurde bundesweit eine Vertragslösungsquote von 41.7 % (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015), in Baden-Württemberg von 36.5 % berichtet (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2013c). Somit wurde vor allem innerhalb des Handwerks eine überdurchschnittlich hohe Lösungsquoten dokumentiert (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015). Eine Anschlussstudie, die mit den in dieser Arbeit verwendeten Daten den Ausbildungsabbruch der Maler/in und Lackierer/in untersucht, bestätigt die Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung und dokumentiert für die erfassten Schulen in Baden-Württemberg eine Abbruchquote im ersten Lehrjahr von 34.8 % (Atik & Nickolaus, 2016a).
5.4 5.4.1
STICHPROBE Stichprobenziehung
Im Folgenden wird auf die Auswahl der Stichprobe für die vorliegende empirische Untersuchung eingegangen. Sowohl im Rahmen des Projektes als auch der Dissertation konnte keine Vollerhebung stattfinden. Zudem konnte die Stichprobenziehung aus pragmatischen Gründen nicht über ein Zufallsprinzip erfolgen. Ausschlaggebend für die Teilnahme waren die Kapazität sowie die Kooperationsbereitschaft der Schulen. Aufgrund der starken Testbelastung und der kleinen Klassengrößen haben sich einzelne Schulen gegen eine Teilnahme ausgesprochen. Insgesamt gab es im Erhebungsjahr 2013 ca. 7000 Auszubildende in Deutschland, die einen Neuvertrag im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in abschlossen. Davon befanden sich 867 Jugendliche im ersten Ausbildungsjahr in Baden-Württemberg (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2013b). Nach einer umfangreichen Schulakquise im Frühjahr 2013 konnten, für die vorliegende Untersuchung der Grundstufe in der Farbtechnik, Schulen aus den Regierungspräsidien Stuttgart, Karlsruhe, Tübingen und Ravensburg gewonnen werden. Letztendlich gelang es ca. 40 % aller Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr in Baden-Württemberg aus dem Schuljahr 2013/2014 aufzunehmen. Aufgrund dessen, dass es sich um eine Gelegenheitsstichprobe handelt, sind nur eingeschränkt generalisierende Aussagen möglich. Es bestehen allerdings keine Hinweise auf systemische Verzerrungen.
5.4.2
Stichprobenbeschreibung
Die Stichprobe für diese Arbeit umfasst 9 Schulen mit 17 Klassen und stellt für die empirischen Analysen eine Datenbasis von insgesamt 341 Auszubildenden bereit. So liegen zum ersten Messzeitpunkt (Beginn des ersten Ausbildungsjahres) Daten von 299 und zum zweiten Erhebungszeitpunkt (Ende des ersten Ausbildungsjahres) von 238 Auszubildenden vor. Im reinen Längsschnitt verringert sich die Zahl der Probanden nochmals auf 196 Auszubildende. Grund für die starke Verringerung der
108
5. Kapitel Methodik
Stichprobe sind zum einen die hohen Abbruchquoten im ersten Lehrjahr, die wie bereits berichtet bei ca. 34.8 % liegt (Atik & Nickolaus, 2016a) und zum anderen das Fehlen von Auszubildenden zu einem der beiden Messzeitpunkte. In Tabelle 5.1 sind die Stichprobencharakteristika im Überblick dargestellt. Tabelle 5.1: Stichprobenzusammensetzung
Stichprobencharakteristika Ausbildungsberuf
Ausprägung Prozent Maler/in 86.4 % Lackierer/in 13.6 % Organisationsform Vollzeit 76.2 % Teilzeit (dual) 23.8 % Geschlecht Männlich 85.1 % Weiblich 14.9 % Allgemeinbildender Schulabschluss kein Abschluss 4.2 % Hauptschule 69.6 % Realschule 25.7 % Studienberechtigung 0.6 % Migrationshintergrund (Muttersprache) Deutsch 54.4 % Deutsch und Andere 27.4 % nur Andere 18.2 % Die Stichprobenbeschreibung bezieht jene Probanden ein, die zu zwei Messzeitpunkten (t1) und (t2) anwesend waren. Gesamtstichprobe beträgt N = 341.
N 291 46 260 81 251 44 14 233 86 2 161 81 54
Wie bereits bei der Organisationsform für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in in Abschnitt 5.3 beschrieben, wird im Rahmen der Ausbildung zwischen zwei Berufsgruppen unterschieden. Der Anteil der Maler/in liegt bei 86.4 %, jener der Lackierer/in bei 13.6 % (Tabelle 5.1). Die Stichprobe beinhaltet sowohl Jugendliche aus der einjährigen Berufsfachschule als auch aus dem dualen System. Der größere Anteil mit ca. 76 % setzt sich aus Jugendlichen zusammen, die ihre Ausbildung im vollzeitschulischen Kontext (Berufsfachschule) durchlaufen. Im Mittel sind die Jugendlichen beim Einmünden in die Ausbildung 17.9 Jahre alt (Min. 15, Max. 32 (N 339)). Wie in der Baubranche zu erwarten, dominiert der Anteil an männlichen Auszubildenden mit 85.1 % (zum Vergleich Bundesinstitut für Berufsbildung, 2013a). Die Angaben aus dem BIBB Datenreport 2015 (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015) zum formalen Schulabschluss können für die vorliegende Stichprobe bestätigt werden. Mehr als die Hälfte der Auszubildenden in der Gruppe verfügt über einen Hauptschulabschluss (69.6 %). Lediglich 25.7 % gaben an einen Realabschluss erworben zu haben und nur .6 % besitzen eine Hochschulzugangsberechtigung. Außerdem kann für 4.2 % der Jugendlichen, laut eigener Angabe kein formalen Schulabschluss dokumentiert werden (siehe Tabelle 5.1). Weiterhin wird in Tabelle 5.1 gezeigt, dass 45.6 % der untersuchten Gruppe, gemessen an der Muttersprache, einen Migrationshintergrund aufweist. Dieses Merkmal wurde im Rahmen der Untersuchung mit mehreren Indikatoren operationalisiert und wird bei der Beschreibung der Instrumente (Abschnitt 5.5.2) näher erläutert.
5. Kapitel Methodik
109
Im Weiteren konnte insgesamt für 226 Auszubildende die kognitive Grundfähigkeit erfasst werden. Mit einer mittleren kognitiven Grundfähigkeit37 von 86.1 und einer Standardabweichung von 13.84 %, gemessen mit dem CFT 20-R (Weiß, 2006), liegen die Maler/in und Lackierer/in deutlich unter dem Populationsdurchschnitt (IQ = 100) und können zu den kognitiv schwächeren Auszubildenden im gewerblich-technischen Ausbildungsbereich zugeordnet werden.
5.5
INSTRUMENTARIEN
Wie bereits zu Beginn des Kapitels angeführt, werden in diesem Abschnitt die eingesetzten Instrumentarien vorgestellt. Da die Instrumentenentwicklung zur Kompetenzerfassung kein zentraler Bestandteil dieser Arbeit ist, wird im Folgenden nicht im Detail auf die Aufgabenentwicklung eingegangen. Es werden jedoch die Überlegungen vorgestellt, die mit Blick auf die Erfassung berufsfachlichen Wissens von Bedeutung sind. In diesem Zuge werden die klassischen Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität in kurzer Form angesprochen, um im späteren Verlauf der Arbeit die Problematiken, die mit der Erfassung von Kompetenzen einhergehen, diskutieren zu können. Zunächst erfolgt eine Zusammenfassung des Eingangstests, des Abschlusstests und der verwendeten (Anker) Items, durch die eine Verlinkung der zwei Instrumente möglich wird. Nachfolgend werden zwei zusätzlich eingesetzte Instrumente vorgestellt, die der Erklärung des Fachwissens dienen. In diesem Kontext wird das Instrument zur Erfassung der kognitiven Grundfähigkeit sowie der Fragebogen zu den personenbezogenen Daten (z. B. soziodemografischer Hintergrund, Motivationsausprägungen) vorgestellt.
5.5.1
Erfassung berufsfachlichen Wissens 5.5.1.1
Zielgruppe
Die im Projektkontext entwickelten Items zur Messung des berufsfachlichen Wissens wurden unter Berücksichtigung der Zielgruppe konstruiert. Wie mit der Charakteristika der Berufsgruppe und der Stichprobenbeschreibung skizziert (siehe Abschnitt 5.4.2), sind die Jugendlichen vor allem durch erhebliche Schwächen in ihren Eingangsvoraussetzungen gekennzeichnet (überwiegend niedrige formale Schulabschlüsse, Schwächen in den Basiskompetenzen, im Mittel unterdurchschnittliche kognitive Grundfähigkeit). Weiterhin sind bei den Auszubildenden Motivationsproblemen nicht auszuschließen, die vermutlich bei „leistungsschwachen“ Schülerschaften durch Misserfolge hervorgerufen werden. Um negativen Testmotivatio37
Im Folgenden wird zur Vereinfachung der Lesbarkeit die kognitive Grundfähigkeit mit IQ abgekürzt.
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5. Kapitel Methodik
nen entgegenzuwirken und die möglichen sprachlichen Defizite der Stichprobe zu berücksichtigen, wurden die Aufgaben in einem angemessenen Umfang gestaltet. Da davon auszugehen ist, dass mit einem eingeschränkten Wortschatz schwache Leistungen in den Lesefähigkeiten einhergehen, wurden die Aufgabentexte ohne Fremdwörter und in kurzer Form mit einer einfachen Sprache formuliert. So sollten die Kompetenzen soweit es möglich war unabhängig von sprachlichen Fähigkeiten gemessen werden.
5.5.1.2
Curriculare Analyse
Die Instrumentenentwicklung erfolgte auf Grundlage der im ersten Ausbildungsjahr gelehrten Lernfelder in der Grundbildung (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2003). In Tabelle 5.2 werden die Inhaltsbereiche der vier Lernfelder für die Grundstufe der Maler/in und Lackierer/in aufgelistet. Die Lernfelder 1 und 2 befassen sich mit der Bearbeitung von metallischen und nichtmetallischen Untergründen. Lernfeld 3 beinhaltet die Herstellung von Oberflächen und Objekten und Lernfeld 4 deren Gestaltung. Die Lernfelder 1, 2 und 4 haben einen ähnlichen Umfang (60 bis 80 Stunden) (vgl. Tabelle 5.2). Lediglich Lernfeld 3 liegt mit einem Zeitrichtwert von 100 Unterrichtsstunden etwas höher als die anderen Lernfelder (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2003). Tabelle 5.2: Curriculum erstes Ausbildungsjahr der Farbtechnik Lernfelder Lernfeld 1
Lernfeld 2
Lernfeld 3
Lernfeld 4
Inhalte Zeitrichtwert Untergrundmängel, Reinigungs- und Entrostungsverfahren, 60 Stunden Chemische und physikalische Bedingungen, Merkblätter, Technische Richtlinien und Normen, Bedienungsanleitungen, Applikationsverfahren, Abdeckarbeiten, Gefahrstoffverordnung, Ordnung am Arbeitsplatz, Materialbedarf Merkblätter, Technische Richtlinien und Normen, 80 Stunden Chemische und physikalische Bedingungen, baustellenübliche Prüfungen, Oberflächenvorbehandlungsverfahren, Applikationsverfahren, Gefahrstoffverordnung, Unfallverhütungsvorschriften, Ordnung am Arbeitsplatz, Bedienungsanleitung, Leitern und Gerüste, Teamarbeit, Arbeits- und Geschäftsprozesse Bauteile, Energieversorgung, Montageteile, Prüfverfahren, 100 Stunden Entschichtungsverfahren, Applikationsverfahren, Leitern und Gerüste, Entwurfstechniken, Merkblätter, Technische Richtlinien und Normen, Unfallverhütungsvorschriften, Flächen-, Mengen-, Kostenberechnung Licht und Farbe, Farbenlehre, Gestaltungselemente, Skizzen, 80 Stunden Räumliche Darstellungen, Schrift, Flächen-, Kosten-, Mengenberechnung, Präsentationstechnik, Software Die Inhalte sowie die Zeitrichtwerte beziehen sich auf das erste Ausbildungsjahr (Grundstufe) des Ausbildungsberufes Maler/in und Lackierer/in.
Mit dem Rahmenlehrplan des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg (KMK-Beschluss 2003) und den gängigsten Lehrbüchern für dieses Berufsfeld in Baden-Württemberg, wurde gemeinsam mit den Lehrkräften ein Itempool generiert, der die zentralen Themengebiete des Grundbildungsjahres in der Farbtechnik abdeckt. Eine inhaltliche Prüfung mach deutlich, dass die Lernfelder
5. Kapitel Methodik
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große Überschneidungen aufweisen. Um die Anforderungen in den jeweiligen Bereichen durch die Instrumente in einer effizienten Form abzudecken, wurden mit der fachlichen Expertise der Lehrkräfte die Inhalte der vier Lernfelder in Themenund Aufgabenfelder untergliedert. Das Ziel war es, potenzielle Subdimensionen zu generieren, die unterschiedliches Wissen für die Ausbildung im ersten Ausbildungsjahr abbilden. Wie in Abschnitt 2.4.3 dargestellt, sollen die Leistungstests zum einen berufsspezifischen Vorwissen und zum anderen berufsspezifisches Fachwissen erfassen. Ersteres wird zwar in den berufsspezifischen Kontext eingebettet, ist jedoch ohne das Vorwissen aus dem allgemeinbildenden Schulen nicht abgedeckt. Aus diesem Grund wurde die erste potenzielle Subdimension als Grundlagenwissen festgelegt. Diese Dimension bezieht Inhalte aus den vier Lernfeldern ein. So ist beispielsweise der Zeit- und Materialbedarf sowie die Mengen- und Kostenberechnung ohne das Vorwissen aus der vorangegangenen Schulzeit nicht zu bewältigen. Als zweite Dimension wurde die Bearbeitung von metallischen und nichtmetallischen Untergründen postuliert. Das zu erwartende Wissen in diesem Bereich bezieht sich auf die Inhalte der ersten zwei Lernfelder, in denen die Auszubildenden die Beschaffenheit der unterschiedlichen Materialien kennenlernen. Die dritte Dimension umfasst das Wissen zur Herstellung von Oberflächen und Objekten. In diesem Kontext wird beispielsweise Wissen zu Tapeten, Pinsel und Beschichtungen gelehrt. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Inhalte aus dem Lernfeld 3. Die vierte potenzielle Dimension setzt sich mit der Gestaltung von Oberflächen auseinander. Diese Dimension deckt die Themenfelder Farb- und Lichtlehre sowie Schrift und Isometrie ab. Die Inhaltsbereiche im Rahmenlehrplan lassen in den Lernfeldern zum Teil Wiederholungen zu, jedoch sind trotz der Überschneidungen auch klare in sich geschlossene Arbeitsschritte erkennbar (vgl. Tabelle 5.2). Die angenommenen Subdimensionen gehen von einzelnen Wissenselementen aus, die teilweise aufeinander aufbauend gelehrt oder bereits von den Jugendlichen beherrscht werden.
5.5.1.3
Gütekriterien
Damit die eingesetzten Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens den Ansprüchen der Validität gerecht werden, wurden für die curricularen Analysen die Experten aus dem schulischen Bereich hinzugezogen. Diese wirkten bei der Entwicklung sowie der finalen Auswahl der Items aktiv mit. Als Experten standen jeweils eine Lehrkraft aus dem Berufstheorie- und eine aus dem Praxisunterricht zur Verfügung. Mit dem entwickelten Itempool erfolgte ein Expertenrating bezogen auf die Relevanz, den Bekanntheitsgrad, die Lösungswahrscheinlichkeit und die Lehrplanpassung der Aufgaben. Zudem hatten die Experten bei der Auswahl der Items sowie deren Zuordnung in die Lernfelder Mitspracherecht. Letztendlich konnte sichergestellt werden, dass für die Validität der Instrumente die schulische und die wissenschaftliche Einschätzung bezogen auf das Curriculum des Grundbildungsjahres in der Farbtechnik berücksichtigt wurde. Die Items für die finalen Testelemente wurden auf Basis der Pilotierungsergebnisse und der Expertenratings aus dem entstandenen Itempool ausgewählt, um eine hohe Varianz in den Schwie-
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5. Kapitel Methodik
rigkeitsmerkmalen zu erzielen und sowohl den unteren als auch oberen Leistungsbereich abzudecken. Das übergeordnete Ziel war es für die Instrumente eine hohe Güte zu erreichen und Aussagen zum Kompetenzstand der Auszubildenden zu generieren. Zudem erfolgte die Testentwicklung mit Blick auf eine differenzierte Analyse der Kompetenzausprägungen im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres. Es wurden zwar Schwierigkeitsmerkmale berücksichtigt, jedoch lag der Fokus nicht darauf mit den eingesetzten Aufgaben eine Niveaudifferenzierung vorzunehmen. Um die Testobjektivität zu gewährleisten, wurden die Testdurchführung und die Auswertung weitestgehend standardisiert. Neben dem Einsatz von geschulten und qualifizierten Testleitern, wurde anhand eines standardisierten Testleiterskripts die Durchführungsobjektivität gesichert. Für die Auswertungsobjektivität wurde zur Erstellung der Codiervorschriften die Musterlösung mit mehreren Korrekturdurchläufen von den Experten geprüft und bewertet. Während die Codierung der geschlossenen Antwortformate eindeutig war, wurden für die offenen Aufgabenformate mithilfe der Experten ausführliche Dokumentationen mit präzisen Formulierungen ausgearbeitet. So sollte letztendlich die Interpretationsobjektivität für die erfassten Daten gewährleistet werden. Zur Sicherung der Testreliabilität erfolgte, wie bereits im Untersuchungsdesign (Abbildung 5.1) vorgestellt, vorab eine Pilotierung, die im Juli 2013 in zwei Klassen durchgeführt wurde. Ziel war es, einen größtmöglichen Pool an funktionierenden Items zu erhalten. Hierfür wurden zwei Instrumente im Multi-Matrix-Design mit je 31 beziehungsweise 32 Aufgaben eingesetzt. Es wurden die Inhaltsbereiche aus den Lernfeldern 1-4 abgedeckt und in einer Testzeit von 80 Minuten administriert. Neben der Sicherung einer hohen Reliabilität, sollte eine Batterie an Items erprobt werden, um bezogen auf die Leistungsniveaus der Schülerschaft erste Erkenntnisse zu gewinnen und im Anschluss die finalen Instrumente zusammenzustellen. Mit den Pilotierungsergebnissen wurden mit Unterstützung der Experten teilweise Items optimiert, eliminiert oder unverändert übernommen. Dieser Durchlauf führte, trotz der kleinen Stichprobe, dazu, dass erste Anhaltspunkte bezogen auf die Güte, sowie die Bearbeitungszeiten bereitgestellt werden konnten.
5.5.1.4
Beschreibung der Erhebungsdurchführung
Mit den Erkenntnissen aus der Pilotierung wurden Informationen gesammelt, die bei der Operationalisierung des berufsfachlichen Wissens eine Anpassung der Instrumente auf die Stichprobe erlauben. Wie bereits die Stichprobenbeschreibung verdeutlicht, ist die Eignung der Instrumente sowohl bezogen auf die Testzeiten als auch die Testmotivation von großer Bedeutung. Aus diesem Grund durften die Testzeiten nicht überdimensioniert werden, da sonst die Gefahr bestand, dass aus Motivationsgründen die Bearbeitung nicht in wünschenswerter Weise erfolgt. Die eingeschränkt zur Verfügung stehende Testzeit führte dazu, dass die zwei anderen Instrumente, der CFT 20-R sowie der Fragebogen zu den Personendaten, getrennt voneinander eingesetzt wurden. Infolgedessen wurde, um die zumutbaren Testzeiten nicht zu überschreiten, zu jedem Messzeitpunkt ein Fachtest mit jeweils
5. Kapitel Methodik
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einem weiteren Instrumentarium administriert. Wie in der Abbildung 5.1 dargestellt, erfolgte die Befragung zu den sozioökonomisch/motivationalen Merkmalen vor dem Einsatz des Fachtests am ersten Messzeitpunkt (t1) mit einer Bearbeitungszeit von ca. 20 Minuten. Die Durchführung der Datenerhebung zum zweiten Messzeitpunkt (t2) war strukturidentisch. Da bei der fluiden Intelligenz von einem stabilen Konstrukt ausgegangen werden kann, welches sich über die Zeit nicht mehr verändern sollte, wurde das Instrument zum zweiten Erhebungszeitpunkt (t2) eingesetzt. Wie bereits zum ersten Messzeitpunkt konnte mit diesem Vorgehen zunächst in einer Testzeit von ca. 20 Minuten die kognitive Grundfähigkeit der Auszubildenden diagnostiziert und anschließend der Fachtest durchgeführt werden. Für die Diagnose der kognitiven Grundfähigkeit erfolgte vorab eine Instruktion durch Beispielaufgaben für die Bearbeitung der einzelnen Testteile. Im Anschluss an die Instrumente zur Erfassung der sozioökonomisch/motivationalen Merkmalen (t1) und dem CFT 20-R (t2), die jeweils mit ca. 20 Minuten angesetzt wurden, folgten die Tests zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens. Hierfür stand den Jugendlichen eine Bearbeitungszeit von ca. 45 Minuten zur Verfügung. Um die Konzentration der Auszubildenden nicht zu stören, wurde mit der Bearbeitung der einzelnen Testelemente gemeinsam begonnen und abgeschlossen. Dies sollte vor allem einer frühzeitigen Abgabe der Tests vorbeugen, ausgelöst durch motivational bedingte Momente. Zu beiden Erhebungsterminen wurden zwischen den Instrumenten kleine Pausen eingeräumt, um den gemeinsamen Start des nächsten Tests zu gewährleisten. Die Sinnhaftigkeit der Erhebung wurde verdeutlicht, indem vor der Erfassung der Daten die Jugendlichen über die Zielsetzung der Studie informiert wurden. Die Instruktionen waren durch das Testleiterskript vorgegeben und wurden von den Testleitern abgelesen. Alle eingesetzten Instrumente wurden im Papier-BleistiftFormat gestaltet. Die Bearbeitung der Tests basierte auf selbstständigem Arbeiten durch die Auszubildenden. Die Testleiter wurden durch das Skript aufgefordert, in den abschließenden Minuten die Auszubildenden auf die verbleibende Zeit aufmerksam zu machen und die Testbearbeitung in der vorgegebenen Zeit zu beenden. Alle Jugendlichen hatten dieselbe Bearbeitungszeit zur Verfügung. Die Teilnahme an der Untersuchung war für die Jugendlichen freiwillig. Bei Minderjährigen wurden die Erziehungsberechtigten vorab über die Studie unterrichtet und Einverständniserklärungen eingeholt. Die Daten, der an der Untersuchung teilnehmenden Probanden, wurden vollständig anonymisiert.
5.5.1.5
Instrumente zur Erfassung berufsfachlicher Kompetenzentwicklung
Da eines der zentralen Ziele der vorliegenden Arbeit die Generierung von Aussagen zur Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr ist, wurden Messungen zu zwei Messzeitpunkten angestrebt. Hierzu wurden zwei Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens eingesetzt, welche die in Abschnitt 2.4.3 beschriebenen zwei Formen von berufsfachlicher Kompetenz (berufsspezifische Vorwissen, berufsspezifisches Fachwissen) beschreiben. Die zwei Instrumente zu den zwei Erhebungsterminen sind nicht identisch. Jedoch liegen partielle Überschneidungen in
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5. Kapitel Methodik
den Itempools zu den zwei Messzeitpunkten vor. Durch den Einsatz unterschiedlicher Testelemente wird das methodische Vorgehen zur Analyse der Kompetenzentwicklung durch verschiedene Herausforderungen angereichert. Es wäre zwar denkbar gewesen, identische Tests zu Beginn und am Ende des Schuljahres einzusetzen und so eine längsschnittliche Entwicklung in einer einfacheren methodischen Herangehensweise aufzuzeigen. Problematisch an diesem Vorgehen wäre jedoch gewesen, dass mit hohen Boden- und Deckeneffekten zum einen der zwei Messzeitpunkte zu rechnen ist. Aufgrund dessen wurden zwei unterschiedliche Messinstrumente gewählt, die den Kompetenzstand adäquat zum Beginn und am Ende des Grundbildungsjahres abbilden. Die Entwicklung der zwei Instrumente erfolgte in Anlehnung an die curricularen Vorgaben, die bereits in Tabelle 5.2 vorgestellt wurden. Die Instrumente unterscheiden sich dahingehend, dass die getesteten Inhalte im Schwierigkeitsgrad variieren. Der Eingangstest am Anfang des ersten Ausbildungsjahres enthält einerseits Items zur Operationalisierung des allgemeinen berufsspezifischen Vorwissens, wie es in den Curricula der Haupt- und Realschule abgesichert ist und andererseits Aufgaben aus den vier Lernfeldern aus der Grundstufe der Farbtechnik, für die anzunehmen ist, dass sie auch auf der Basis des Vorwissens (partiell) bearbeitbar sind. Dagegen wurde der Abschlusstest so konstruiert, dass die Inhalte des ersten Ausbildungsjahres weitgehend abgedeckt sind. Mit diesem Vorgehen sollte weder eine Unter- noch Überforderung der Jugendlichen stattfinden und somit Boden- und Deckeneffekten entgegengewirkt werden. Da es bei zwei unabhängigen, voneinander skalierten Instrumenten nicht möglich ist, Aussagen zur Leistungsdynamik zu generieren, erfolgt eine längsschnittliche Modellierung, in der die Informationen aus beiden Tests berücksichtigt wird. Um die erreichten Kompetenzstände in Bezug zueinander zu setzten, müssen die Instrumente in einer Metrik dargestellt werden. Aus diesem Grund wird eine Verlinkung der zwei Instrumente mithilfe von Ankeritems vorgenommen. Ankeritems sind in diesem Fall Items, die sowohl zum ersten als auch zum zweiten Messzeitpunkt identisch gestellt wurden. Mit einer Fixierung der Informationen (Ankeritems) werden der Eingangs- und der Abschlusstests nochmals gemeinsam skaliert. Durch dieses Design wird gewährleistet, dass der Itemverlust, der bei gleichen Instrumenten zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch Boden- oder Deckeffekte auftritt, minimiert wird und somit genügend Informationen bestehen bleiben. Weiterhin wird auf Basis der identischen Items zu beiden Messzeitpunkten eine Modellschätzung über alle Items durchgeführt, durch die es gelingt, basierend auf allen Items Entwicklungsaussagen zu generieren. Im Gegensatz zur Pilotierung fiel die Entscheidung in der Hauptuntersuchung gegen ein Multi-Matrix-Design. Dies sollten die Einschränkungen durch fehlende Werte verringern und einer Verringerung der Stichprobe entgegenwirken. In beiden Instrumenten kamen zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens mehrere Aufgabenformate zum Einsatz. Die Items mit offenen Aufgabenformaten waren mit Kurzantworten oder als Ergänzungsaufgaben zu bearbeiten. Die geschlossenen Formate bestanden zum einen aus Einfachauswahlaufgaben, bei denen aus mehreren Antworten nur eine gültige gewählt werden sollten. Zum anderen kamen Zuordnungsaufgaben zum Einsatz, für die die zusammengehörige Bezeichnung angege-
5. Kapitel Methodik
115
ben werden sollten. Eine sinnvolle und gleichmäßige Verteilung der Aufgabenformate sollte die Ratewahrscheinlichkeit bei geschlossenen Aufgaben verringern und die Bearbeitungsmotivation bei offenen Aufgaben begünstigen. Um Positionseffekten auszuschließen und das Abschreiben der Jugendlichen zu verhindern, wurde zu beiden Messzeitpunkten ein Rotationsdesign verwendet. Der Eingangstest (t1) wurde durch vier Testhefte erprobt. Da bei der Abschlusstestung eine geringere Fallzahl zu erwarten war, wurden bei zum zweiten Messzeitpunkt lediglich zwei Testinstrumente rotierend eingesetzt. Im Folgenden werden die zwei Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (Eingangs- und Abschlusstest) näher beschrieben. In diesem Zusammenhang werden Beispielaufgaben aus den Testelementen vorgestellt. Zudem werden die Lösungsquoten aus der bestehenden klassischen Auswertung Atik und Nickolaus (2016a) zu den einzelnen Aufgaben berichtet, um einen Eindruck von den Leistungsständen der angegebenen Auszubildenden zu ermöglichen.
5.5.1.6
Eingangstest – Erfassung berufsfachlichen Wissens zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres
Wie bereits zum Forschungsstand skizziert, ist im gewerblich-technischen Bereich die Bedeutung des berufsspezifischen Vorwissens für die Kompetenzentwicklung beträchtlich (Abschnitt 3.2.4). Demzufolge ist davon auszugehen, dass der Wissenserwerb während der Ausbildung bei ungünstigen Ausprägungen des Vorwissens nachhaltig beeinträchtigt wird und sich bestehende Wissenslücken im Laufe der Ausbildung gegebenenfalls vergrößern. Diese Annahme und die Befürchtungen eines hohen Verlusts an Items durch Bodeneffekte führten dazu, dass für das Instrument zu Beginn der Ausbildung der Schwerpunkt auf die Erfassung von Kompetenzen gelegt wurde, die bereits im Rahmen des allgemeinbildenden Schulsystems erworben werden sollten oder zumindest teilweise auf Basis des Vorwissens zu bearbeiten waren. In diesem Kontext dürften die Basiskompetenzen, wie beispielsweise die mathematischen Fähigkeiten, bedeutsam werden. Aufbauend auf dem vorhandenen Wissen werden mathematische Anforderungen wie Mengen-, Flächen- oder Kostenberechnungen in den Berufskontext eingebettet und die korrespondierenden Fähigkeiten erfasst. Im Rahmen der vorangegangenen Projektarbeit erfolgte eine klassische Auswertung. Der Eingangstest zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres wurde mit dem Reliabilitätsmaß in Form von Cronbachs Alpha betrachtet. In Anlehnung an Eid et al. (2011) wird eine zufriedenstellende Güte von .68 (N 296) dokumentiert. Somit sind auch gute Werte für die Reliabilität, die auf Basis der Item-Response-Theorie berechnet werden, zu erwarten. Für die geplante Skalierung des Eingangstests im Rahmen dieser Arbeit stehen insgesamt 24 Aufgaben (25 Items) zur Verfügung. Da zum ersten Messzeitpunkt überwiegend Items zur Erfassung des berufsspezifischen Vorwissens eingesetzt wurden, liegen in diesem Test weniger Aufgaben als im Abschlusstest vor, die spezifische Inhalte aus den Lernfeldern abbilden und ohne vorhandenes berufsspezifisches Vorwissen lösbar sind. Aufgrund der gewählten Inhalte im Eingangstest
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5. Kapitel Methodik
wird von einer eindimensionalen Struktur ausgegangen. Mit diesem Testzuschnitt wird erwartet, dass die Jugendlichen beim Start des Grundbildungsjahres das berufsspezifische Fachwissen aus dem ersten Lehrjahr noch nicht beherrschen. Die Kompetenzerfassung zum ersten Messzeitpunkt erfolgt mit 13 Items in einem geschlossenen (Einfach- und Mehrfachauswahlaufgaben, Zuordnungsaufgaben) und mit 12 Items in einem offenen Aufgabenformat. Im Folgenden sind zwei Beispielaufgaben aus dem Eingangstest wiedergegeben, wovon die erste Aufgabe (Abbildung 5.2) das berufsspezifischen Vorwissens erfasst. In der Aufgabe werden die Basiskompetenzen (mathematische Fähigkeiten) eingebettet in den beruflichen Kontext gestellt. Die zweite Aufgabe erfragt (Abbildung 5.3) fachspezifisches Wissen aus dem Lernfeld 1/2, das im Rahmen des ersten Ausbildungsjahres gelehrt wird. Die Lösungsquoten, die für beide Aufgaben berichtet werden, beziehen sich auf das korrekte Lösen der gesamten Aufgabe. Zwar konnten Teilpunkte erzielt werden, jedoch wird in diesem Zusammenhang darauf nicht eingegangen. Die Lösungsquote für die erste Beispielaufgabe (Abbildung 5.2) verdeutlicht, dass diese Aufgabe als schwer für die Auszubildenden einzuordnen ist. Eine korrekte Bearbeitung der Aufgabe erfolgt von ca. 33 % (N 296) der Jugendlichen, obwohl Wissen abgefragt wird, welches bereits in der allgemeinbildenden Schule vermittelt wurde. Lediglich 1/3 der Auszubildenden ist in der Lage zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres in dem gestellten beruflichen Kontext den Dreisatz richtig anzuwenden.
Abbildung 5.2: Eingangstest Aufgabe 14
Die zweite Aufgabe in der Abbildung 5.3 erzielt zu Beginn der Ausbildung mit einer Stichprobe von N 296 eine Lösungsquote von 58 %. Somit können im Mittel über die Hälfte der Jugendlichen die Zuordnung der Eisenmetalle und Nichteisen-
5. Kapitel Methodik
117
metalle korrekt durchführen. Laut Curriculum des ersten Ausbildungsjahres soll die Vermittlung dieser Inhalte in den ersten zwei Lernfeldern (metallische und nichtmetallische Untergründe) durchgenommen werden. Jedoch zeigen die Ergebnisse, dass mehr als die Hälfte der Auszubildenden bereits zu Beginn der Ausbildung über dieses (Vor) Wissen verfügt. In diesem Zusammenhang muss bei der Interpretation der Lösungsquote beachtet werden, dass die Aufgabe durch die vorgegebenen Antwortalternativen vereinfacht wurde.
Abbildung 5.3: Eingangstest Aufgabe 6
5.5.1.7
Abschlusstest – Erfassung berufsfachlichen Wissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres
Der Abschlusstest wurde mit dem Ziel generiert, neben dem berufsspezifischen Vorwissen das berufsspezifische Fachwissen abzubilden, das im Laufe des Grundbildungsjahres erlernt werden soll. Ziel war es Aussagen über die Entwicklung des berufsfachlichen Wissens bereitzustellen. In diesem Zusammenhang wurde angestrebt, die curricularen Inhalte aus den vier Lernfeldern abzubilden. Durch die Kooperation mit den Experten sollte ein Instrument entstehen, das die relevanten Inhaltsbereiche berücksichtigt und zudem den unterschiedlichen Leistungsbereichen gerecht wird. Das Instrument umfasst (theoretisch) vier Dimensionen und basiert sowohl auf den curricularen Schwerpunkten als auch auf den vorab unterteilten Themenfeldern. Insgesamt konnten, mit Einschränkung der zur Verfügung stehenden geringen Testzeiten, die Lernfeldbereiche gleichermaßen abgedeckt werden. Wie bereits für den Eingangstest erfolgte auch für den Abschlusstest eine klassische Auswertung im Projektkontext. Dabei wird für das Instrument am Ende der Grundstufe ein deutlich besseres Reliabilitätsmaß von Cronbachs α .81 (N 220) als
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5. Kapitel Methodik
für den Eingangstest berechnet. Der Abschlusstest besteht aus insgesamt 33 Aufgaben (38 Items), wovon 13 Items in einem geschlossenen und 25 Items in einem offenen Format den Auszubildenden vorgelegt wurden. Wie bereits in Kapitel 4 in der Hypothese H2 formuliert, wir im Abschlusstest die inhaltliche Struktur geprüft. Die Annahme der Mehrdimensionalität des Testelements erfolgt auf Basis von Experteneinschätzungen. Die Entwicklung des Testelements sowie die Annahmen für die potenziellen Subdimensionen basieren auf den curricularen Inhalten und bilden somit die Grundlage für die Strukturprüfung. Mit dem Fokus, die Instrumente so zu generieren, um die curricularen Inhaltsbereiche als mögliche Dimensionen zu prüfen, sind weitere Analysen nur begrenzt möglich. Die zwei Beispielaufgaben in Abbildungen 5.4 und 5.5 veranschaulichen das erfasste berufsfachliche Wissen am Ende der Grundstufe. In der ersten Beispielaufgabe (siehe Abbildung 5.4) werden Anforderungen gestellt, wie sie beim Lesen von technischen Merkblättern und der Bestimmung von Materialmengen im Berufsfeld Maler/in und Lackierer/in typisch sind. Für die Bearbeitung der Aufgabe müssen die Auszubildenden aus dem technischen Merkblatt die notwendigen Informationen entnehmen und für die Berechnung des Decklacks verwenden. Die Aufgabe wurde von insgesamt 220 Jugendlichen bearbeitet und von ca. 21 % (partiell) gelöst. Betrachtet man die Teilanforderungen der Aufgaben, kann für die erste Anforderung (die notwendige Information zur Berechnung des Decklacks aus dem technischen Datenblatt entnehmen) eine Lösungsquote von 62 % dokumentiert werden, wohingegen der zweite Schritt (Berechnung) lediglich von 18 % durchgeführt wurde. Die korrekte Bearbeitung der Gesamtaufgabe, die richtige Zahl aus dem Datenblatt entnehmen und mit dieser richtig gerechnet, gelingt nur 16 % der Auszubildenden. Die zweite Beispielaufgabe in Abbildung 5.5 erfragt Fachwissen, welches laut Curriculum im Laufe des ersten Ausbildungsjahres durchgenommen werden sollte. Die Auszubildenden sollen die Problematik beschreiben, die bei der Beschichtung von Holz mit einer zu hohen Holzfeuchte aufkommt. Diese Aufgabe wurde von ca. 76 % Jugendlichen korrekt gelöst und kann somit als eher leichte Aufgabe eingestuft werden.
5.5.1.8
Verankerung der zwei Tests zum berufsfachlichen Wissen (Ankeritems)
Wie bereits erläutert, existieren für die Verlinkung in beiden Instrumenten Items, die in identischer Form eingesetzt wurden. Für die weiteren Ausführungen der Arbeit werden die Items, die sowohl im Eingangs- als auch im Abschlusstest operationalisiert wurden, als potenzielle Ankeritems bezeichnet. Jene Items die lediglich zum ersten oder zweiten Messzeitpunkt zum Einsatz kamen, werden als ZusatzitemsET oder Zusatzitems-AT gekennzeichnet. Die Verlinkung der zwei Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens erfolgt mit insgesamt 12 Items. Da bisher noch keine Analysen bezüglich der Auswahl von Ankeritems existieren, wurden diese Items basierend auf den Ergebnissen aus der Pilotierung und dem Eingangs-
5. Kapitel Methodik
Abbildung 5.4: Abschlusstest Aufgabe 18
Abbildung 5.5: Abschlusstest Aufgabe 12
119
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5. Kapitel Methodik
test gewählt. Die verankerten Items erzielen in den Voranalysen gute Trennschärfen und variieren in ihrem Schwierigkeitsgrad. Das Kriterium der hohen Varianz, bezogen auf den Schwierigkeitsgrad der Ankeritems, ist für die Verlinkung von großer Bedeutung, da sich das finale Modell, das beide Instrumente auf einer Metrik darstellt, für die Schätzung der Zusatzitems aus dem Eingangs- und Abschlusstest auf die Ankeritems bezieht. Das heißt, je stärker die Verankerung für die unterschiedlichen Leistungsbereiche ist, desto genauer kann das gesamte Konstrukt geschätzt werden. In Tabelle 5.3 werden die Ankerpaare aus dem Eingangs- und Abschlusstest aufgelistet und dem berufsspezifischen Vorwissen sowie dem berufsspezifischen Fachwissen zugeordnet. Die Zuweisung der 12 potenziellen Ankeritems (14 aufgrund der Kategorien) ist nicht eindeutig. Teilweise ist sowohl berufsspezifisches Vorwissen als auch das neu erlernte berufsspezifische Fachwissen aus dem ersten Ausbildungsjahr notwendig, um die Aufgaben zu lösen. Insgesamt ist die Verteilung jedoch gleichmäßig. Es werden 6 Items (1, 3, 4, 5, 7, 8) identifiziert, die als Repräsentanten des Vorwissens interpretiert werden und 10 Items (2, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 11, 12), die dem Wissen aus dem beruflichen Curriculum zugeordnet werden. Es zeigt sich vor allem für das berufsspezifische Fachwissen, dass Items vorliegen, die für die Bearbeitung der Aufgabe berufsspezifische Vorwissen voraussetzen (z. B. siehe Abbildung 5.4). Tabelle 5.3: Zuordnung der Ankeritems
Ankerpaare ET und AT berufsspezifische Vorwissen berufsspezifisches Fachwissen 1 - ET1/AT15 x 2 - ET2/AT2 x 3 - ET3.1/AT30.1 x x 4 - ET3.2/AT30.2 x x 5 - ET4/AT23 x x 6 - ET7/AT17 x 7 - ET8/AT5 x 8 - ET10/AT6 x x 9 - ET18.1/AT28.1 x 10 - ET18.2/AT28.2 x 11 - ET21a/AT11a x 12 - ET21b/ AT11b x Ankerpaare: Items die sowohl im Eingangs- als auch Abschlusstest identische eingesetzt wurden.
Im Folgenden werden zwei Beispielaufgaben aus dem Eingangs- und Abschlusstest vorgestellt, die als Ankeritems eingesetzt wurden. Berichtet werden zu den zwei Aufgaben die Lösungsquoten sowohl zum ersten als auch zum zweiten Messzeitpunkt. Die Lösungsquoten für die dargestellten Aufgaben (Abbildung 5.6, 5.7) beziehen sich auf die korrekte Bearbeitung der gesamten Aufgabe. Die berichteten Werte lassen erste Aussagen zu den Wissenszuwächsen der Auszubildenden zu.
5. Kapitel Methodik
121
Diese Ergebnisse, die im Rahmen der klassischen Auswertung errechnet wurden, beziehen sich auf jene Probanden, die zu beiden Messzeitpunkten (Eingangs- und Abschlusstestung) anwesend waren. Für beide Aufgaben liegen Daten von insgesamt 183 Auszubildenden vor. Die erste Aufgabe in Abbildung 5.6 kann als Repräsentant der Items für die Erfassung des berufsspezifischen Vorwissens interpretiert werden. Es handelt sich hierbei um das Thema Maßstab, das in unterschiedlichen Domänen (nochmals) vermittelt wird. Bei diesem Wissen kann vermutet werden, dass die Jugendlichen bereits in anderen Lernkontexten, ob im schulischen oder privaten Bereich, mit der Thematik in Berührung kamen. Die Lösungsquoten zu den einzelnen Messzeitpunkten verdeutlichen, dass knapp die Hälfte der Auszubildenden (ca. 42 %) mit diesem Wissen in das Grundbildungsjahr einmündet. Die Lösungsquote beim Abschlusstest zeigt einen erheblichen Wissenszuwachs. Schließlich können am Ende des ersten Lehrjahres 75 % der Auszubildenden die Aufgabe 5.6 korrekt lösen.
Abbildung 5.6: Eingang- und Abschlusstest: Ankeritem 17
Die Aufgabe in Abbildung 5.7 repräsentiert berufsspezifisches Wissen aus dem Bausegment. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Inhalt (Begrifflichkeit der dargestellten Werkzeuge) nur in ausgewählten Berufsgruppen gelehrt wird. Die korrekte Bearbeitung durch einige Auszubildende lassen annehmen, dass bereits zu Beginn der Ausbildung einige Jugendliche diese Werkzeuge kennen. Mit den Lösungsquoten wird ein deutlicher Wissenszuwachs im Verlauf der Grundstufe verzeichnet. Die Werte steigen von Eingangstest zum Abschlusstest um ca. 30 % (Eingangstestung LQ ca. 40 %; Abschlusstest LQ ca. 70 %).
5.5.2
Erfassung relevanter Determinanten für das berufsfachliche Wissen
Die in diesem Abschnitt berichteten deskriptiven Werte basieren auf dem Datensatz nach der Datenbereinigung- sowie Aufbereitung. Zudem wurde die Codierung der Missings vorgenommen. Das genauere Vorgehen wird in Abschnitt 5.6 erläutert.
122
5. Kapitel Methodik
Abbildung 5.7: Eingang- und Abschlusstest: Ankeritem 2
Im Folgenden wird die Erfassung der Determinanten zur Erklärung des Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres im Fachbereich der Farbtechnik beschrieben.
5.5.2.1
Kognitiven Eingangsvoraussetzungen
Kognitive Grundfähigkeit - CFT 20-R Die Erfassung der Intelligenz wurde anhand des Culture Fair Intelligence Test CFT 20-R diagnostiziert (Weiß, 2006). Das Instrument besteht aus Testaufgaben, die sprach- und kulturfair sind. Mit dem Einsatz des Instrumentes soll hauptsächlich eine Benachteiligung der Personen mit schlechten Deutschkenntnissen ausgeschlossen werden. Der CFT 20-R setzt sich aus zwei Teilen mit je 4 Untertests zusammen. Aus testökonomischen Gründen und vor dem Hintergrund, dass die Probanden nicht übertestet werden sollen, wurde lediglich der erste Testteil mit insgesamt 56 Items administriert, dieser besteht aus Reihenfortsetzungen, Klassifikationen, Matrizen und topologischen Schlussfolgerungen. Der IQ-Wert wird auf Basis der Umrechnungstabelle des CFT 20-R mit dem Alter der Probanden und den erreichten Testergebnissen errechnet. Die Analysen zwischen dem IQ und dem berufsfachlichen Wissen beziehen sich auf die fluide Intelligenz. Für die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Berufsgruppe liegt der erreichte Mittelwert für die erfasste Stichprobe von 226 Auszubildenden (M 86.07, SD 13.84 (N 226)) deutlich unter dem normierten Durchschnittswert von 100 Punkten (siehe Abschnitt 5.4.2). Die große Spannweite der gemessenen IQ Werte zwischen 60-120 bestätigt, wie in Abschnitt 3.2.1.1 skizziert, dass es sich hierbei um eine eher heterogene Gruppe handelt.38
38
Probanden mit einem IQ-Wert < 60 wurden für die Analyse nicht berücksichtigt. Dies betraf insgesamt sechs Auszubildende. Nähere Erläuterungen zu diesem Vorgehen erfolgen in Abschnitt 6.1.
5. Kapitel Methodik
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Basiskompetenzen In der vorliegenden Untersuchung wurden die Informationen zu den Basiskompetenzen (Mathematik- und Lesekompetenz) anhand der Zeugnisnoten aus der vorhergegangenen Schulform erfasst. Wünschenswert wäre die Operationalisierung der Mathematik- und Lesefähigkeiten über geeignete Tests gewesen, jedoch war dies im Rahmen der Studie nicht zu leisten. Bei den Zeugnisnoten handelt es sich um Indikatoren, die zur Verzerrung der Ergebnisse führen können. Aufgrund der Zusammensetzung der Stichprobe, die hauptsächlich zwei Gruppen abbildet (Jugendliche mit Haupt- und Realschulabschluss (siehe 5.1), sollten die verschiedenen formalen Schulabschlüsse bei der Interpretation der Noten berücksichtigt werden. So kann beispielsweise nach Schulart die Gewichtung der Noten unterschiedlich ausfallen. Eine Note 2 aus der Hauptschule muss nicht identisch mit einer 2 aus der Realschule sein. Zudem ist fraglich, ob durch die Zeugnisnoten tatsächlich die Fähigkeiten abgebildet werden können, die hier bewertet werden sollen. Die Implikationen die mit diesem Indikator einhergehen wurden bereits in Abschnitt 3.2.3.1, mit Blick auf den Forschungsstand, ausführlich diskutiert. Da jedoch keine weiteren Informationen zu den Basiskompetenzen vorliegen und die Noten in Mathematik und Deutsch zumindest einen groben Anhaltspunkt zu den Eingangsvoraussetzungen der Jugendlichen liefern, werden die Zeugnisnoten für die Analysen genutzt. Um die sprachlichen Fähigkeiten genauer zu analysieren wurde zusätzlich eine Skala zur Erfassung des Sprachverhaltens eingesetzt, die im Rahmen des Projektes IBIS39 . Hierbei handelt es sich um ein Konstrukt, das Aufschluss über die Sprachroutine der Jugendlichen gibt. So wird mit einer fünfstufigen Likertskala (1 = nie, 2 = fast nie, 3 = 1-2 Mal im Monat, 4 = 1-2 Mal in der Woche, 5 = jeden Tag oder fast jeden Tag) erfragt wie oft und in welcher Form die Auszubildenden ihre Lesefähigkeiten im Alltag einsetzen. Dieser Indikator wird zusätzlich zu den Zeugnisnoten genutzt, um die Auswirkungen der Sprachkompetenzen auf das berufsfachliche Wissen zu analysieren. Die interne Konsistenz der Skalen zu den kognitiven Eingangsvoraussetzungen werden in Form von Cronbachs Alpha betrachtet. Zusätzlich werden die Mittelwerte und Streuungen der Skalen berichtet (siehe Tabelle 5.4). Die von den Auszubildenden angegebenen Zeugnisnoten in den Fächern Mathematik und Deutsch wurden mit 1 = sehr gut bis 6 = unzureichend erfasst und werden ohne Umcodierung in der Tabelle 5.4 wiedergegeben. Insgesamt kann berichtet werden, dass die Jugendlichen im Durchschnitt sowohl in den mathematischen (M 3.54, SD .86) als auch in den sprachlichen (M 3.20, SD. 73) Fähigkeiten schlechter als die Note 3 (befriedigend) vorweisen. Zudem werden geringe Standabweichungen dokumentiert. Das Sprachverhalten, das in der ursprünglichen Skala durch das Leseverhalten bezogen auf (1) Zeitungen, (2) Zeitschriften (z. B. Girl, Kicker, PC-Games, Musikzeitschriften), (3) Comics, Fotostorys oder Mangas, (4) Bücher, (5) Facebook, SMS, E-Mail und (6) Internetartikel erfragt wurde, wurde nach den ersten statistischen sowie inhaltlichen Analysen auf drei Items reduziert. Dies führt zwar zu der eher unbefriedigenden Reliabilität (.388) der Skala zum Sprachverhalten, scheint jedoch für die Erfassung 39
Das Projekt Individuelle Bildungsverläufe im Übergangssystem wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert und untersuchte die Wechselwirkung von individuellen und sozialen Merkmalen und institutionellen Bedingungen.
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5. Kapitel Methodik
des Konstruktes sinnvoller zu sein. Eine differenzierte Betrachtung der übrigen drei Items zeigt, dass die Jugendlichen öfter Internetartikel lesen (M 3.72, SD 1.34, N (275)) als Bücher (M 2.17, SD 1.14, N (271)) oder Zeitungen (M 2.75, SD 1.22, N (284)). In Tabelle 5.4 wird der Wert für die gesamte Skala zum Sprachverhalten angegeben. Tabelle 5.4: Kognitive Grundfähigkeit, Basiskompetenzen, Sprachverhalten: Mittelwerte und Standardabweichungen, Interne Konsistenz
Kognitive Eingangsvoraussetzungen Items N M SD Cronbachs α IQ 56 226 86.07 13.84 .824 (235) Basiskompetenzen (1) Mathematiknote 1 270 3.54 .862 (2) Deutschnote 1 270 3.20 .731 (3) Sprachverhalten 3 292 2.92 .879 .388 (260) Basiskompetenzen: Zeugnisnoten im Fach Deutsch und Mathematik. Sprachverhalten (Likertskala): nach univariaten Varianzanalysen lediglich 3 Items berücksichtigt. Wie oft lesen Sie in Ihrer Freizeit - (1) Zeitung? (2) Bücher? (3) Internetartikel?
5.5.2.2 Motivation und wahrgenommene Qualitätsmerkmale (im Unterricht), weitere personenbezogener Konstrukte und soziokulturelle Merkmale Selbstkonzept, Motivation und Qualitätsmerkmale des Unterrichts Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden ergänzend zur Projektarbeit weitere Konstrukte erfasst, um die Zusammenhänge des berufsfachlichen Wissens und der Selbstwahrnehmung der Auszubildenden untersuchen zu können. In diesem Kontext wurde die Skala zur emotionalen Befindlichkeit im Unterricht in Anlehnung an Seifried und Sembill (2005) eingesetzt. Zudem wurde das fachspezifische Fähigkeitsselbstkonzept für das Fach Deutsch in Anlehnung an die DESI-Studie Wagner et al. (2009) operationalisiert. Die Messung des Selbstkonzeptes für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich erfolgte in einer Adaption an Kunter et al. (2002). Weiterhin beinhaltete das Instrument Skalen zur Erfassung der Motivationsausprägungen, sowie der Qualitätsmerkmale des Unterrichts. Im Anschluss an Prenzel et al. (1996) wurden die Motivation der Auszubildenden mit insgesamt neun Items erfasst. Die Skala wird in drei Bereiche differenziert und beinhaltet Informationen zur Amotivation, intrinsische und identifizierte Motivation der Jugendlichen, die sich auf den Unterricht der letzten Wochen beziehen. Die angeführten Motivationsausprägungen werden mit jeweils drei Items abgebildet. Die Einschätzungen der wahrgenommenen Unterrichtsqualität bezog sich ebenfalls auf die letzten Wochen in der Schule und wurde anhand von Items zur Überforderung, dem Kompetenzerleben, der inhaltlichen Relevanz und der Kompetenzunterstützung mit je drei Items in die Untersuchung aufgenommen. Zudem erfolgte eine Erfassung der Disziplin im Klassenzimmer, die vor allem durch die Zeitverschwendung und Disziplin als Aspekte der Unterrichtsführung erfasst wurde. Die Skala wurde mit
5. Kapitel Methodik
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sechs Items verwendet, die im Rahmen der PISA-Studien (z. B. 2000, 2003, 2009, 2012, 2015) zum Einsatz kamen (Mang et al., 2019). Die angeführten Konstrukte wurden anhand von vier- bis fünfstufigen Likertskalen erhoben. Es handelt sich hierbei um Skalen, die bereits in anderen Studien mehrfach eingesetzt und erprobt wurden. Daher wird im Folgenden nicht näher auf die einzelnen Items eingegangen. Tabelle 5.5 zeigt einen Überblick zu der Skalenreliabilität, sowie den deskriptiven Werten der angeführten Konstrukte. Insgesamt werden zufriedenstellende Reliabilitäten erzielt. Bis auf die Amotivation (α .657) können für die Konstrukte durchgehend Reliabilitätswerte von < .7 berichtet und somit von einer guten Testgüte ausgegangen werden (Eid et al., 2011). Für die Verständlichkeit und Einheitlichkeit wurden negativ gestellte Items umgepolt. So ist beispielsweise für die Amotivation und die Überforderung der Wert 1 als positiv dargestellt. Ähnlich wurde bei den Konstrukten zum Fähigkeitsselbstkonzept und der Disziplin im Unterricht vorgegangen. In diesem Zusammenhang zeigen sich, für die Interpretation der Ergebnisse, erwartungskonforme Aussagen. In Tabelle 5.5 werden zunächst die Werte für das Fähigkeitsselbstkonzept, die emotionale Befindlichkeit und die Informationen zu den Fähigkeitsselbstkonzepten in den Fächern Deutsch und Mathematik/Naturwissenschaften berichtet. Die Skala zur emotionalen Befindlichkeit erzielt trotz der geringen Itemzahl (2) ein zufriedenstellendes Cronbachs α von .772. Zudem deutet der MW 3.19 (SD .630) auf einer vierstufigen Likertskala darauf hin, dass sich die Auszubildenden ernst genommen und gut fühlen. Für die Erfassung des Selbstkonzeptes sowohl im mathematischnaturwissenschaftlichen Bereich als auch im Fach Deutsch wird eine gute Reliabilität erzielt (α .860, .921). Die Interpretation der Ergebnisse zum Selbstkonzept muss unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Likertskalen erfolgen, da für das Fach Deutsch eine fünfstufige und für den mathematischen-naturwissenschaftlichen Bereich eine vierstufige Likertskala zum Einsatz kam. Zudem wird das Fähigkeitsselbstkonzept in den mathematischen-naturwissenschaftlichen Fächern zum einen mit der gesamten Skala berechnet und ausgegeben (M 2.69, SD .662) und zum anderen differenziert nach globalem und sozialem Bereich. Die Einschätzungen der Jugendlichen sind in beiden Fächern ähnlich zu bewerten (siehe Tabelle 5.5). Die geringen Unterschiede zwischen dem globalen und dem sozialen Selbstkonzept zeigen, dass sich die Jugendlichen in ihren Fähigkeiten in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern in Bezug auf ihre Mitschüler/innen im Durchschnitt geringfügig besser einordnen (FSK Mathe sozial: M 2.76, SD .855) als ohne den Vergleich mit den Mitschülern/innen (FSK Mathe global: M 2.68, SD .662). Für das Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch bezieht sich lediglich 1 von 6 Items auf die eigene Leistung im Vergleich zu den Mitschülern/innen. So wird bei der Frage, ob man selber etwas mehr Zeit für Aufgaben in Deutsch als die Mitschüler/innen braucht, der M 2.27 (SD 1.130) berichtet.40 In Tabelle 5.5 wird der Wert für die Gesamtskala (M 3.64, SD .717) angegeben und zeigt, dass insgesamt die Selbsteinschätzung der Jugendlichen für ihre Fähigkeiten im Fach Deutsch im 40
Der angegebene Mittelwert erfolgt nach der Umpolung des Items und berücksichtigt insgesamt 209 Probanden.
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5. Kapitel Methodik
Mittel eher positiver als im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich ausfällt (FSK Mathe gesamt M 2.69; FSK Deutsch M 3.64). Die Motivation in den letzten Unterrichtswochen wird anhand einer vierstufigen Skala erfasst. Es werden (siehe Tabelle 5.5) Cronbachs α Werte von ca. .9 erreicht. Lediglich die Amotivation liegt bei α ca. .70. Die Mittelwerte der drei Ausprägungen (Amotivation, identifizierte Motivation, intrinsische Motivation) deuten auf eine eher positive Motivation zu Beginn der Ausbildung hin. Vor allem bezogen auf die identifizierte Motivation kann eine hohe Relevanz der Lerninhalte gemessen werden (M 4.31, SD .721). Aber auch der erzielte Mittelwert (M 3.48, SD .898) zur intrinsischen Motivation bestätigt, dass die Jugendlichen die gelehrten Inhalte als spannend und interessant einstufen. Außerdem geben die Auszubildenden an, dass sie im Unterricht der letzten Wochen nie bis selten keine Lust hatten etwas zu tun, sich versuchten zu drücken oder ihnen alles egal war (Amotivation M 1.69, SD .768, umgepolt). Für die Qualitätsmerkmale des Unterrichts wird ebenfalls durchgehend eine Reliabiltät von α ca. .80 erzielt. Die Disziplin im Unterricht wurde mit fünf Stufen erfasst und lässt zu Beginn der Ausbildung auf keine Probleme im Unterricht schließen (M 3.48, SD .839). Die Skala beinhaltet Items, die darauf schließen lassen, dass in den ersten Schulwochen die Autorität des Lehrers vonseiten der Auszubildenden nicht infrage gestellt und die Unterrichtszeit effektiv und ohne Störungen genutzt wurde. Die wahrgenommene Unterrichtsqualität, die mit einer vierstufigen Likertskala erfasst wurde und sich auf die Kompetenzen der Auszubildenden und den Unterrichtsstoff im Rahmen der Ausbildung bezieht, kann als positiv interpretiert werden. Es scheint, dass die Auszubildenden die Inhalte des Unterrichts als relevant (M 3.08, SD .777) und das Kompetenzerleben als eher gut einschätzen (M 3.09, SD .657). Zudem empfinden die Auszubildenden den Unterricht als wenig oder gar nicht überfordernd (M 1.61, SD .621, umgepolt). Lediglich die Kompetenzunterstützung (M 2.40, SD .805) durch die Lehrkraft wird als nicht besonders positiv wahrgenommen (vgl. Tabelle 5.5). An dieser Stelle muss nochmals beachtet werden, dass die nicht kognitiven Determinanten wie bereits in Abschnitt 5.2 skizziert (siehe Abbildung 5.1) nur zu Beginn der Ausbildung erfasst wurden. Somit ist nicht auszuschließen, dass sich dieses eher positive Bild im Verlauf des Ausbildungsjahres verändern könnte.41
5.5.2.3
Weitere personenbezogener Konstrukte und sozioökonomische Merkmale
Außer den angeführten Konstrukten in Tabelle 5.5 wurden zusätzlich personenbezogene Hintergrundmerkmale erhoben. Wie bereits in der Stichprobenbeschreibung in Abschnitt 5.4.2 näher erläutert, wurden Angaben zum Alter, dem Geschlecht 41
Aufgrund des listenweise Ausschlusses bei den Berechnungen werden unterschiedliche N angeführt. Daher beziehen sich die in den Tabellen angegebenen Werte zum einen auf die Berechnungen der Mittelwerte und zum anderen auf die Reliabilität angegeben.
5. Kapitel Methodik
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Tabelle 5.5: Fähigkeitsselbstkonzept, Motivation, Qualitätsmerkmale des Unterrichts: Mittelwerte und Standardabweichungen, Interne Konsistenz
Konstrukt Items N M SD Cronbachs α Selbstkonzept Emotionale Befindlichkeit 2 294 3.19 .630 .772 (287) FSK Mathe gesamt1 10 290 2.69 .662 .921 (245) FSK Mathe global1 8 290 2.68 .662 .909 (249) FSK Mathe sozial1 2 285 2.76 .855 .757 (277) FSK Deutsch 6 291 3.64 .717 .860 (282) Motivation Amotivation 3 293 1.69 .768 .657 (287) Identifizierte Motivation 3 293 4.31 .721 .854 (289) Intrinsische Motivation 3 291 3.48 .898 .882 (284) Qualitätsmerkmale des Unterrichts Disziplin im Unterricht 6 292 3.48 .839 .836 (280) Überforderung 3 283 1.61 .621 .816 (278) Kompetenzerleben 3 285 3.09 .657 .782 (278) Relevanz der Inhalte 3 285 3.08 .777 .843 (277) Kompetenzunterstützung 3 282 2.40 .805 .781 (273) Merkmale erfasst über Selbsteinschätzungen der Auszubildenden zum ersten Messzeitpunkt 1 = Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Mathematik/Naturwissenschaften differenziert in gesamt = alle Items zusammengefasst, global = Items, die auf die Person bezogen sind sozial = Items, die sich auf einen Vergleich mit den Mitschülern beziehen
und dem Migrationshintergrund der Jugendlichen erfragt (vgl. Tabelle 5.1). Weiterhin liegen Informationen zur Bildungshistorie (Klassenwiederholungen, frühere Berufsausbildungen) und der beruflichen Aspiration der Auszubildenden vor. Zudem beinhaltete der Fragebogen Items zum Bildungsstatus der Eltern. Im Folgenden werden diese Merkmale näher beschrieben. Migrationshintergrund Wie bereits in Abschnitt 5.5.2.2 erläutert, wurde der Migrationshintergrund der Jugendlichen über vier Indikatoren erfasst. Die in der Stichprobenbeschreibung berichteten Zahlen beziehen sich lediglich auf die im Elternhaus primär gesprochene Sprache. Laut Statistischem Bundesamt besteht ein Migrationshintergrund, wenn (1) die Person nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland geboren wurde und 1950 oder später zugewandert ist und/oder (2) die Person keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder eingebürgert wurde. Darüber hinaus haben (3) Deutsche einen Migrationshintergrund, wenn ein Elternteil der Person mindestens eine der unter (1) oder (2) genannten Bedingungen erfüllt (Statistisches Bundesamt, n.d.). Im Rahmen dieser Untersuchung wurde sowohl das Geburtsland der Jugendlichen als auch das der Eltern erfragt. Zusätzlich sollten die Auszubildenden ihre Staatsangehörigkeit angeben. Die deskriptiven Werte zum Migrationshintergrund (Tabelle 5.6), erfasst über die Variablen Geburtsland und Staatsangehörigkeit und Muttersprache der Jugendlichen, zeigen ähnliche Werte. Bei Betrachtung dieser Indikatoren wird ersichtlich, dass ca. 80-90 % der Auszubildenden keinen Migrati-
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5. Kapitel Methodik
onshintergrund aufweisen. Die Interpretation verändern sich, wenn das Geburtsland der Eltern (48.5 %) oder die Daheim gesprochene Sprache (54.4 %) berechnet wird. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Indikatoren Geburtsland sowie die Staatsangehörigkeit der Jugendlichen nicht ausreichend sind um festzustellen, ob ein Migrationshintergrund vorliegt. Vermutlich ist dies darauf zurückzuführen, dass es sich hierbei hauptsächlich um die 3. oder 4. Generation handelt, die in Deutschland geboren ist und meistens auch über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügt. So erscheint es sinnvoller, das Geburtsland der Eltern oder die zu Hause gesprochene Sprache in die Analysen einzubeziehen. Nach den Überlegungen im theoretischen Teil der Arbeit (Abschnitt 3.2.3.2) bezogen auf die sprachlichen Defizite, die mit einem Migrationshintergrund einhergehen können, muss nun entschieden werden welcher der Indikatoren für die Analysen herangezogen wird. In den deskriptiven Auswertungen erzielen die Indikatoren Muttersprache und Geburtsland der Eltern vergleichbare Werte (siehe Tabelle 5.6). Zudem werden insbesondere durch das Kriterium der sprachlichen Fähigkeiten engere Assoziationen zu den Leistungsmerkmalen erwartet. Aufgrund dessen wird für die folgende empirische Untersuchung lediglich der Indikator Muttersprache berücksichtigt. Diese Variable wurde mit drei Ausprägungen erfasst und zeigt, dass ca. 55 % daheim nur Deutsch sprechen. Dagegen geben ca. 28 % an, dass sie zweisprachig (deutsch und eine andere Sprache) leben. Überraschend ist, dass ca. 18 % daheim die deutsche Sprache nicht benutzten (Tabelle 5.6). Tabelle 5.6: Migrationshintergrund erfasst über Eltern- und Kindgeneration
Indikatoren Migrationshintergrund (1) Geburtsland Auszubildende
Ausprägung Prozent N Deutschland 88.5 % (253) Anderes Land 11.5 % (33) Gesamt 100 % (286) (2) Staatsangehörigkeit Deutsch 78.2 % (229) Andere 21.8 % (64) Gesamt 100 % (293) (3) Geburtsland Eltern Deutschland 48.5 % (143) Anderes Land 51.5 % (152) Gesamt 100 % (295) (4) Muttersprache Deutsch 54.4 % (161) Deutsch und andere 27.4 % (81) Nur andere 18.2 % (54) Gesamt 100 % (296) Geburtsland Eltern: sobald nur ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist, wird von einem Migrationshintergrund ausgegangen.
Der Migrationshintergrund, erfasst über die Muttersprache, wird in der vorliegenden empirischen Untersuchung als Indikator für die die Sprachfähigkeit berücksichtigt. Bei der Interpretation der Ergebnisse wird jedoch darauf geachtet, dass dieses Merkmal weitere Kategorien enthalten kann. So könnten durch den Migrationshintergrund, vor allem im „leistungsschwachen“ Segment, auch Unterstützungsmaßnahmen des Elternhauses sowie kulturellen und traditionellen Werten eine Be-
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deutung zukommen. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass systematische Diskriminierung, aufgrund des bestehenden Migrationshintergrundes, in der Bildungsteilhabe bestehen. So wäre dieses Merkmale auch als soziale Kategorie zu prüfen. Bildungshistorie der Auszubildenden Um die Stichprobe und ihre Charakteristika besser einordnen zu können, wurden außerdem Merkmale erfasst, die Aufschluss über die Bildungshistorie der Jugendlichen geben. Aufgrund der Annahme, dass diese Merkmale mit den Leistungsmerkmalen Zusammenhänge aufweisen, werden die begonnenen und dann abgebrochene Berufsausbildungen sowie Klassenwiederholungen42 in der bisherigen Schullaufbahn erfragt. Zudem wird die berufliche Aspiration erfasst, indem die Auszubildenden nach ihrem Wunschberuf gefragt werden. Die in Tabelle 5.7 berichteten Werte zum schulischen/beruflichen Hintergrund bestätigten die bisherigen Aussagen, dass die Berufsgruppe durch (Leistungs)Probleme geprägt ist. Insgesamt gaben fast die Hälfte (ca. 46 %) der Jugendlichen an, dass sie bereits einmal (37.3 %) oder mehr als einmal (8.6 %) sitzen geblieben sind. Auffällig ist auch, dass 20 % schon eine Berufsausbildung begonnen hatten. Bei der Frage, ob die Ausbildung abgeschlossen wurde, antworteten von den 20 % lediglich 10.3 % mit ja. Interessant ist auch die gemessene berufliche Aspiration der Auszubildenden, ca. 70 % gaben den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in als Wunschberuf an. Tabelle 5.7: Bildungshistorie der Auszubildenden
Bildungshistorie Klassenwiederholungen
Ausprägungen Prozent nein 54.1 % ja 45.9 % Gesamt 100 % Frühere Berufsausbildung nein 77.1 % ja 19.6 % Gesamt 100 % Frühere Berufsausbildung abgeschlossen nein 90.0 % ja 10.0 % Gesamt 100 % Berufliche Aspiration (Wunschberuf) nein 30.8 % ja 69.2 % Gesamt 100 % Variable Klassenwiederholung dichotomisiert: Die Ausprägungen einmal oder mehrmals sitzen geblieben, wurden zusammengefasst.
N (158) (134) (292) (225) (67) (292) (108) (12) (120) (86) (193) (279)
Bildungsstatus der Eltern Mit der Erfassung der soziokulturellen Merkmale, insbesondere dem Bildungsstatus 42
Das Merkmal wurde schulformspezifisch erhoben. Es ist nicht auszuschließen, dass auch Klassenwiederholungen im Rahmen der Berufsbildung erfasst wurden. Die Autoren gehen hauptsächlich Informationen zu Klassenwiederholungen im Bereich der allgemeinbildenden Schulen aus.
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5. Kapitel Methodik
der Eltern, soll der Einfluss der soziokulturellen Hintergründe auf die Leistungen der Jugendlichen überprüft werden. In diesem Zusammenhang wurde der Schulund Berufsabschluss der Eltern erhoben. Die Fragen nach dem Schulabschluss und dem Berufsabschluss der Eltern wurden bezogen auf beide Elternteile gestellt. Für die Berechnungen wurde der Abschluss des Elternteils gewählt, der die höchste Ausprägung aufzeigte. Zusätzlich wurde das kulturelle Kapital „des Elternhauses“ erfragt. Die Jugendlichen sollten in diesem Zusammenhang die Anzahl der Bücher im Elternhaus angeben, vielmehr an dem Ort an dem sie aufgewachsen sind. Die Angaben der Auszubildenden zum Schulabschluss der Eltern dokumentieren, dass die meisten Eltern eine mittlere Reife (39.8 %) vorweisen können. Aber auch einen Hauptschulabschluss mit ca. 30 % oder sogar eine Studienberechtigung mit über 20 % scheint in dieser Gruppe keine Seltenheit zu sein. Lediglich 6.6 % gaben an, dass ihre Eltern keinen Schulabschluss43 erworben haben (vgl. Tabelle 5.8). Die Ergebnisse zum Berufsabschluss der Eltern (Tabelle 5.8) sind weniger gleichverteilt. Aufgrund von unterbesetzten Kategorien wurde die Variable Berufsabschluss der Eltern in drei Auswahlmöglichkeiten zusammengefasst: (1) keine Berufsausbildung, (2) Berufsausbildung, (3) mehr als eine Berufsausbildung.44 Die Gruppe deren Eltern oder Elternteil eine Berufsausbildung hat, dominiert deutlich mit ca. 62 %. Während dagegen ca. 12 % der Jugendlichen angeben, dass ihre Eltern keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, bestätigen 25.8 %, dass mindestens einer der Elternteile sogar mehr als nur eine Berufsausbildung vorweisen kann. Die Skala zum kulturellen Kapital (Buchbesitz) kam mit sechs Ausprägungen zum Einsatz: (1) 0 bis 10, (2) 101 bis 200, (3) 11 bis 50, (4) 201 bis 500, (5) 51 bis 100, (6) 501 oder mehr. Es geben 66 % der Jugendlichen an, dass dort, wo sie aufgewachsen sind weniger als 50 Bücher existierten. Insgesamt zeig sich, dass je höher die Anzahl des Buchbesitzes sind, desto geringer werden die Häufigkeiten (Tabelle 5.8).
5.6 5.6.1
STATISTISCHES VORGEHEN Umgang mit fehlenden Werten
Wie bereits in Abschnitt 5.4.2 angeführt, wurde eine hohe Schwundquote für den Längsschnitt verzeichnet. Aus unterschiedlichen Gründen konnte nicht jeder Jugendliche zu beiden Messzeitpunkten die Tests bearbeiten. Neben krankheitsbedingten Ausfällen gab es eine hohe Vertragslösungsquote. Weiterhin wurden teilweise auch Instrumente nicht vollständig oder nicht gewissenhaft bearbeitet und
43 44
Die Variable Schulabschluss der Eltern wurde, bezogen auf die Ausprägung kein Abschluss und Förder-, Sonderschule, für die Berechnungen zusammengefasst. Die Verteilung vor der Zusammenfassung: keine Berufsausbildung (12.3 %), Berufsausbildung (61.9 %), Meister/Techniker (17.4 %), Fachhochschule/Universität (8.1 %), Promotion (.4 %) (N 236).
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Tabelle 5.8: Bildungsstatus der Eltern und kulturelles Kapital
Elternhaus Schulabschluss der Eltern
Ausprägungen Prozent N kein Abschluss 6.6 % (16) Hauptschule 30.3 % (73) Realschule 39.8 % (96) Studienberechtigung 23.2 % (56) Gesamt 100 % (241) Berufsabschluss der Eltern keine Berufsausbildung 12.3 % (29) Berufsausbildung 61.9 % (146) mehr als Berufsausbildung 25.8 % (61) Gesamt 100 % (236) Kulturelles Kapital Buchbesitz 0 bis 10 31.1 % (88) Buchbesitz 11 bis 50 34.6 % (98) Buchbesitz 51 bis 100 15.5 % (44) Buchbesitz 101 bis 200 12.0 % (34) Buchbesitz 101 bis 200 3.5 % (10) Buchbesitz 501 oder mehr 3.2 % (9) Gesamt 100 % (283) Schulabschluss/Berufsabschluss: aufgelistet ist der Abschluss des Elternteils mit der höchsten Ausprägung.
waren deshalb für die Auswertungen nicht verwertbar. Somit variieren die Fallzahlen zu den einzelnen Messzeitpunkten und den Testelementen. Für die längsschnittlichen Analysen ist der Umgang mit den fehlenden Werten relevant. Hierfür wird im Folgenden das Vorgehen, bezogen auf die Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens anhand von zwei Kriterien begründet: (1) Powertests: Es wird für die weiteren Schritte der Annahme gefolgt, dass die Instrumente, die zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens zum Einsatz kamen, als Powertests Moosbrugger und Kelava (vgl. z. B. 2012) konzipiert wurden. Das bedeutet, dass die zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit der Instrumente für die Probanden keine Hürde darstellen sollte. Diese Annahme wird durch die Ergebnisse gestützt, die in den Voranalysen im Rahmen der Pilotierung berichteten werden. Die Analysen von Atik und Nickolaus (2016a) zeigen, dass die Häufigkeiten der fehlenden Werte bezogen auf das Rotationsdesign in beiden Instrumenten für alle Testelemente unverändert bleiben. Die Bearbeitungsquote für die Items, die am Ende des Instrumentes zum Einsatz kamen, sind ähnlich hoch, wie bei jenen Items, die am Anfang vorgelegt wurden. So kann anhand der Betrachtung der Aufgabenbearbeitung der einzelnen Testelemente (für Eingangs- und Abschlusstest) ausgeschlossen werden, dass im hinteren Teil der Tests, die Probanden weniger Aufgaben aufgrund von geringer Zeit lösen konnten. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass jene Auszubildenden, die eine hohe Anzahl an fehlenden Werten aufzeigen, entweder aus motivationalen Gründen oder durch mangelndes Wissen die Items nicht bearbeiten konnten. Zudem deuten die erzielten mittleren Testschwierigkeiten daraufhin, dass die Instrumente sowohl zur Eingangs- als auch zur Abschlusstestung in ihren Anforderungen auf die Stichprobe passen (mittlere Lösungsquote: Eingangstest 43.7 %, Abschlusstest 47.1 %) (Atik & Nickolaus, 2016a).
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(2) Erfassung von Leistungsdaten: Der zweite Aspekt, der für den Umgang mit fehlenden Werten relevant wird, ist, dass es sich bei der Erfassung von berufsfachlichem Wissen, um die Operationalisierung von Leistungsdaten handelt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann von einer Kompetenzmessung ausgegangen werden kann. Eine eindeutige Vorgehensweise mit fehlenden Werten bezogen auf Leistungsdaten ist in der Literatur der Berufsbildungsforschung nicht festgeschrieben. Ob mit den eingesetzten Instrumenten ausschließlich die Kompetenzen erfasst werden oder aber auch, wie oben beschrieben, die Testmotivation einen Einfluss auf die Ergebnisse nimmt, kann nicht sicher abgeschätzt werden. Daher finden Analysen statt, die anhand des Bearbeitungsverhaltens der Probanden eine bessere Einschätzung zulassen. Wie bereits beschrieben, wurden die Items rotierend eingesetzt. Die Untersuchung auf der Itemebene deutet darauf hin, dass nicht die Position, sondern die Inhalte der Aufgaben für die Bearbeitungsquote entscheidend wird. Die Analysen zeigen, dass Items, die das fachspezifische mathematische Wissen der Jugendlichen erfassen, unabhängig von ihrer Position im Test, eine geringere Bearbeitung erfahren als jene Aufgaben ohne mathematische Anforderungen. Die Lösungsquoten dokumentieren, dass die fachlichen Aufgaben mit mathematischen Anforderungen bezogen auf die Struktur und den Umfang im Gegensatz zu den Aufgaben ohne mathematische Anforderungen als komplexer einzustufen sind. Zur Generierung von Kompetenzaussagen bedarf es einer ausreichenden Menge an Informationen, andernfalls ist von einer ungenauen Kompetenzschätzung auszugehen. Mit diesen Überlegungen wird für die Untersuchung bestimmt, dass zur Beschreibung des zu untersuchenden Konstruktes eine gewisse Anzahl an Informationen vorliegen muss, um letztendlich zuverlässige Aussagen zu den Fähigkeiten der Auszubildenden generieren zu können. Aus diesem Grund wird ein Grenzwert an bearbeiteten Aufgaben sowohl für die Eingangs- als auch die Abschlusstestung angenommen und somit bereits vor der Skalierung entschieden, wann damit zu rechnen ist, dass es sich bei fehlenden Werten nicht um Hinweise auf fehlende Kompetenzen, sondern anderweitige Beweggründe für die nicht Bearbeitung von Aufgaben handelt. Im Anschluss an diese Überlegungen und Voranalysen wird für die Auswertung beider Instrumente eine Drop Out Grenze festgelegt, mit der bestimmt wird, wie viel Informationen vorliegen müssen, um Aussagen zu den erfassten Kompetenzen bereitstellen zu können. Das genauere Vorgehen wird im empirischen Teil in Abschnitt 6.1 zur Datenaufbereitung näher erläutert.
5.6.2
Auswertung
Für die vorliegende empirische Arbeit werden zwei Statistikprogramme verwendet. Zum einen erfolgen die (manuelle) Dateneingabe und Datenbereinigung sowie die deskriptiven Analysen, T-Tests, Korrelationsanalysen, einfaktorielle Varianzanalysen und die Berechnungen der (hierarchischen) Regressionsmodelle anhand der Software Statistical Package for the Social Sciences von IBM (IBM SPSS Statistics for Windows, 2013). Außerdem wird die erste Umcodierung der Items sowie beispielsweise die Wertung der geschlossenen Aufgabenformate (Ein- und Mehr-
5. Kapitel Methodik
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fachauswahlaufgaben, Zuordnungsaufgaben) ebenfalls in SPSS vorgenommen. Anschließend werden die Daten in eine csv-Datei (comma separated value) exportiert und für weitere Analysen in R importiert (R Core Team, 2017). Die querschnittliche sowie die längsschnittliche IRT-Skalierung wird mit dem Paket TAM Robitzsch et al. (2018), die DIF-Analyse zur Überprüfung der potentiellen Ankeritems für die Verlinkung der zwei Messzeitpunkte mit difR Magis et al. (2015) gerechnet. Die Skalierungen sowie die grafischen Darstellungen erfolgen mit angepassten Analyseskripten in R (Behrendt, 2017). Für die Strutkurmodellierung kommt das Paket lavaan Rosseel (2012) und für die Dimensionalitätsprüfung das Pakets sirt Robitzsch (2018) zum Einsatz. Zum Umgang mit fehlenden Werten im finalen Erklärungsmodell wird das Full-Information-Maximum-Likelihood-Verfahren (FIML) genutzt (Leonhart, 2013). Für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Modellvergleiche wird aufgrund der geringen Stichprobengröße und der Sensitivität des Likelihood-Ratio-Tests, auf die Informationskriterien zurückgegriffen. Nach der Argumentation von Burnham und Anderson (2004) werden bei einem Verhältnis von Personen- und Parameterzahl < 40 nicht die standardmäßigen Informationskriterien wie z. B. AIC und BIC sondern die AICc und AIC3 Werte präferiert. Diese Vorgehensweise erfolgt in der Arbeit zum einen bei der Prüfung der Kompetenzstrukturen im Abschlusstest (Abschnitt 6.3) und zum anderen für den Vergleich der längschnittlichen Skalierung mit Ankeritems und ohne Ankeritems (Abschnitt 6.4). Die empirische Überprüfung der formulierten Hypothesen erfolgt wie im Kapitel 4 skizziert in vier Teilschritten. Im Folgenden wird in kurzer Form auf die einzelnen Ergebnisbereiche sowie die jeweiligen methodischen Verfahren eingegangen. Das für die Analysen der Kompetenzdaten zugrunde liegende Konzept beruht auf der Prämisse der probabilistischen Testtheorie. So werden im ersten Teilziel, zur Prüfung der Güte der eingesetzten zwei Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens, beide Testelemente jeweils mithilfe der Methoden der ItemResponse-Theorie skaliert (Robitzsch et al., 2018). Hierzu wird das Partial-CreditModel (Multidimensionales Items Response Model) verwendet. Die Modellierung des Eingangs- als auch der Abschlusstests erfolgt zunächst unabhängig voneinander und ermöglicht somit Aussagen über die Reliabilität der Instrumente. Mit dem zweiten Teilziel werden in der empirischen Untersuchung die Ergebnisse zur Strukturmodellierung bezogen auf den Abschlusstest berichtet. Das Fachwissen wird zum einen als eindimensionales und zum anderen als vierdimensionales Modell gerechnet. Die angenommene Mehrdimensionalität des Fachwissens erfolgt entlang von fachsystematisch strukturierten Inhaltsbereichen, die am Ende des ersten Ausbildungsjahres administriert wurden. Anhand eines Modellvergleichs werden die zwei Modelle gegenübergestellt. Für den Prüfprozess werden, wie oben beschrieben, die Informationskriterien (AICc, AIC3) herangezogen (Burnham & Anderson, 2004). Um schwerwiegende statistische Fehler auszuschließen, erfolgt im Weiteren eine zusätzliche Prüfung. Der Abschlusstest wird einer Homogenitätsprüfung unterzogen (Yen, 1984; Chen & Thissen, 1997).
134
5. Kapitel Methodik
Im nächsten Schritt (Teilziel 3) finden Analysen zur Kompetenzentwicklung der Jugendlichen statt. Da in der Item-Response-Theorie fehlende Werte kein Problem für die Schätzungen des Längsschnittmodells darstellen, werden alle verfügbaren Probanden einbezogen, die zu einem der zwei Messzeitpunkte teilnahmen. Die längsschnittliche Skalierung erfolgt auf Basis der vorab durchgeführten querschnittlichen Analysen der zwei Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (aus Teilziel 1). Hierfür wird zunächst eine Modellschätzung ohne die Fixierung der Ankeritems (Modell ohne Ankeritems) berechnet. Im nächsten Schritt erfolgt die Berechnung eines weiteren Modells (Modell mit Ankeritems), das zusätzlich zur Verlinkung der Probanden, die Schwierigkeiten der Items berücksichtigt, die zu beiden Messezeitpunkten zum Einsatz kamen. Das Modell mit den Ankeritems beruht auf der Grundannahme des Andersen-Modells und hat das Ziel, die zwei separat gerechneten Querschnitte (Skalierung Eingangs- und Abschlusstest) auf einer Metrik darzustellen, um die berufsfachliche Kompetenzentwicklung zwischen den zwei Messzeitpunkten zu interpretieren (Paek et al., 2014). Dieses Vorgehen setzt eine DIF-Analyse (Differential Item Functioning) voraus, durch die eine Prüfung der potenziellen Ankeritems über die Zeit erfolgt (Grisay et al., 2009). Die Items, die keinen DIF aufweisen und somit für die Verknüpfung der Skalen von Eingangs- und Abschlusstest infrage kommen, werden unter Verwendung des Andersen-Modells in ihren Itemschwierigkeiten gleichgesetzt. Mit Abschluss der Skalierung erfolgt der Modellvergleich (Modell mit Ankeritems vs. Modell ohne Ankeritems). Für die Analysen der Entwicklungsaussagen werden jene Probanden betrachtet, die zu beiden Messzeitpunkten teilgenommen haben. Mit der längsschnittlichen Skalierung gelingt es, die erreichten Kompetenzstände zu Beginn und am Ende der Grundstufe zu einander in Beziehung zu setzten und erste Aussagen über die Kompetenzentwicklung im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in generieren. So wird in Abschnitt 6.4.4 unterschieden zwischen den Ergebnissen aus dem quasi und dem echten Längsschnitt. Im Weiteren werden unterschiedliche Leistungsgruppen, die anhand der Personenfähigkeit zum ersten Messzeitpunkt bestimmt werden, in Bezug auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung untersucht. Die Aussagen zu Kompetenzentwicklungen sowohl in der Gesamt- als auch in den Leistungsgruppen werden durch Cohens d ermittelt und über Effektstärken interpretiert (Cohen, 1992). Im letzten Teil der empirischen Untersuchung (Abschnitt 6.5) werden zur Klärung der Forschungsfrage mehrere Analyseschritte durchgeführt, die es ermöglichen das erworbene Fachwissen am Ende der Grundstufe zu erklären. Zur Untersuchung der Zusammenhänge zwischen dem berufsfachlichen Wissen und den erfassten kognitiven und nicht kognitiven Determinanten erfolgen zunächst Korrelationsanalysen in SPSS. Anhand der Erkenntnisse welche Prädiktoren Einfluss aufeinander nehmen, werden im Anschluss hierarchische Regressionsmodelle zur Erklärung des Fachwissens am Ende, teilweise auch zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres gerechnet. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine schrittweise Analyse der Einflüsse der einzelnen Merkmale auf das berufsfachliche Wissen. So wird einerseits aufgrund der Stichprobengröße kein unnötiger Fallausschluss für das finale
5. Kapitel Methodik
135
Erklärungsmodell in Kauf genommen und andererseits eine detaillierte Analyse der potenziellen Einflussfaktoren durchgeführt, um Assoziationen zu untersuchen und zu interpretieren, die unter Einfluss von anderen Determinanten an Kraft verlieren. Abschließend werden jene Determinanten, die aus theoretischer Sicht und den Voranalysen einen relevanten Beitrag zur Erklärung des Fachwissens leisten in R importiert und bei der Generierung des Strukturgleichungsmodells berücksichtigt (Rosseel, 2012). Aufgrund der geringen Stichprobengröße wird für das finale Modell das Full-Information-Maximum-Likelihood-Verfahren (FIML) genutzt (Leonhart, 2013). Mit dieser Methode wird keine Imputation von Daten vorgenommen. Es werden lediglich die interessierenden Parameter für die Stichprobe geschätzt. Anhand des Full-Information-Maximum-Likelihood-Verfahrens (FIML) werden die Standardfehler für die geschätzten Parameter ermittelt. Diese werden genutzt, um die fehlenden Werte für die Analysen verwenden zu können (Leonhart, 2013). Im Anschluss erfolgt eine Analyse, bezogen auf die Leistungsgruppen, um die bedeutsame Determinanten auf ihren Einfluss für die Gruppenunterschiede zu prüfen und die Leistungsdynamiken zu untersuchen.
5.7
ZUSAMMENFASSUNG
Die vorgestellten methodischen Überlegungen und Verfahren sollen einerseits Transparenz bezogen auf die umgesetzten Schritte herstellen und andererseits zeigen, dass elementare Überlegungen mit Blick auf die Charakteristika der Stichprobe vorab bedacht wurden und sowohl bei der Testentwicklung als auch bei der Umsetzung der Untersuchung Berücksichtigung fanden. Das Einlösen der Zielsetzung, erste Erkenntnisse in Bezug auf das berufsfachliche Wissen zu einem bisher nicht untersuchten Ausbildungsberuf bereitzustellen, birgt Schwierigkeiten, die mit der gewählten Vorgehensweise auf eine elegante Art und Weise angegangen werden soll. Die Herausforderungen gehen zum einen mit theoretischen sowie methodischen Aspekten der Kompetenzmessung einher und zum anderen sind sie bedingt durch die Zusammensetzung der kognitiven sowie nicht kognitiven Merkmale der Schülerschaft. Auch die eingeschränkten Testzeiten restringierten die Datengewinnung und damit die anschließenden Analysen. Trotz der Beschränkungen ist es gelungen, wesentliche der theoretisch als bedeutsam unterstellten Variablen in die Untersuchung miteinbeziehen. Zudem wird angestrebt, dass neben der adäquaten Durchführung der Untersuchung auch die angewandte Methodik dem aktuellen Stand der Berufsbildungsforschung entspricht.
KAPITEL 6 EMPIRISCHER TEIL In den folgenden Abschnitten werden die im Kapitel 4 formulierten Forschungsfragen und Hypothesen empirisch überprüft. Die Ergebnisdarstellung erfolgt entlang der in vier Teilzielen implizit enthaltenen Struktur (Abschnitte 6.2, 6.3, 6.4, 6.5). Dabei sollen zunächst die Instrumentarien zur Operationalisierung des berufsfachlichen Wissens, bezogen auf ihre Güte und Struktur, untersucht (Teilziel 1 und 2) werden, um anschließend die Sensitivität im Hinblick auf die Erfassung der Kompetenzentwicklung zu überprüfen. Im nächsten Schritt (Teilziel 3) wird die Fragestellung in den Blick genommen, die sich mit der Kompetenzentwicklung im Berufssegment der Maler/in und Lackierer/in auseinandersetzt. Der letzte Ergebnisteil (Teilziel 4) befasst sich mit den potenziellen Einflussfaktoren auf das berufsfachliche Wissen am Ende der Grundstufe. Ziel ist es, ein elaboriertes Strukturgleichungsmodell zu formulieren, um den Kompetenzstand am Ende des ersten Ausbildungsjahres im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in vorherzusagen. Es soll deutlich werden, welche Einflussfaktoren die Entwicklung der Jugendlichen (positiv) beeinflussen. Zudem werden sowohl bei der Analyse der Kompetenzzuwächse als auch der Einflussfaktoren für das berufsfachliche Wissen die unterschiedlichen Leistungsgruppen untersucht. Vor der Hypothesenprüfung werden die Überlegungen bezogen auf die Datenaufbereitung, vor allem das Vorgehen zum Umgang mit fehlenden Werten, näher erläutert.
6.1
DATENAUFBEREITUNG
Im Methodenteil (Abschnitt 5.6) wurde ausführlich beschrieben, dass aufgrund der fehlenden Werte entschieden werden muss, welche Probanden in die Analysen einbezogen werden. Im Folgenden wird der Umgang mit diesen Fällen erläutert. Zunächst erfolgt dies für die Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens und anschließend für die weiteren Konstrukte, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Instrumente zur Erfassung berufsfachlichen Wissens Wie bereits in Abschnitt 5.6.1 dargestellt, wird im Rahmen dieser Arbeit davon ausgegangen, dass zum einen die Erfassung der berufsfachlichen Leistungen über Powertests erfolgt und zum anderen zur Generierung von Leistungsaussagen eine gewisse Menge an Informationen notwendig ist (siehe Abschnitt 5.6.1). Hierzu wird zwischen nicht bearbeiteten Aufgaben aufgrund von fehlenden Kompetenzen oder anderweitigen Gründen differenziert. Ein Beispiel hierfür sind motivationale Pro-
138
6. Kapitel Empirischer Teil
bleme. Da über das Bearbeitungsverhalten der Auszubildenden keine Informationsgrundlagen vorliegen, ist nicht eindeutig, ob ein fehlender Wert als nicht gekonnt (0) oder als nicht bearbeitet (99) codiert werden soll. Aufgrund dessen wurde die Struktur der Fachtests genauer betrachtet. Beide Fachtests beinhalten Aufgaben, die sich auf die Inhalte der allgemeinbildenden Schulen beziehen (ca. 50 % der Items, vgl. Tabelle 5.3). Die Hälfte der Items kann das berufsspezifische Vorwissen abbilden. Hierbei handelt es sich um Wissen, das partiell fundamentales Wissen aus der vorangegangenen Schulzeit einschließt und den Jugendlichen bereits bekannt sein müsste. Diese Vermutung wird zum einen durch die Ergebnisse der Pilotierung und zum anderen durch die klassische Auswertung im Rahmen des Projekts getragen (Atik & Nickolaus, 2016a). Im Anschluss an diese Überlegungen wird für jene Probanden, die mehr als die Hälfte der vorgelegten Items nicht bearbeitet haben, angenommen, dass keine Kompetenzerfassung erfolgen konnte (Codierung 99). Begründet wird dies mit nicht ausreichenden Informationen für die Generierung von Leistungsaussagen. Es wird anhand der Prüfung der Häufigkeiten der fehlenden Werte in den Tests unterschieden zwischen Auszubildenden, für die die Aufgaben durch unzureichende Kompetenzen nicht lösbar sind (99 missings = 0 falsch) und jenen, die aus anderen Gründen (beispielsweise aus motivationalen Gründe) fehlende Werte aufweisen (99 missings = 99, nicht bearbeitet). Bei dieser Annahme werden jene Jugendlichen, die nicht über genügend Deutschkenntnisse verfügen, bereits vor der Dateneingabe eliminiert. Die Entscheidung, eine Drop-out-Grenze (Bearbeitbarkeit: mindesten 50 %) für die Tests zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens festzulegen, wird durch die folgenden Voranalysen bestätigt. Sowohl für den Eingangs- als auch den Abschlusstest, wird eine geringe Anzahl an Probanden dokumentiert, die weniger als die Hälfte der Aufgaben bearbeitet haben. Im Eingangstest betrifft dies lediglich 2 von 299 Probanden, die 13 von insgesamt 25 Items im Test nicht bearbeiteten. Für den Abschlusstest werden von 238 Auszubildenden 13 identifiziert, die die Grenze von 18 Items (Gesamt 35 Items) überschritten und nicht genügend Informationen zur Kompetenzschätzung vorweisen. Somit werden für die Skalierungen aus den Daten des Eingangstests 2 und aus dem Abschlusstest 13 Probanden eliminiert. Die restlichen fehlenden Werte werden umcodiert (99 = nicht bearbeitet in 0 = falsch) und damit davon ausgegangen, dass bei nicht Lösen von Aufgaben, fehlendes Wissen, also nicht ausreichende Kompetenzen vorliegen. Kognitive Grundfähigkeit Ähnlich verhält es sich mit den erfassten Daten zur kognitiven Grundfähigkeit. Es muss entschieden werden, ab wann die gemessenen Informationen nicht mehr zuverlässig sind. Wie in Abschnitt 5.4.2 beschrieben, wird im Rahmen dieser Untersuchung bei 226 Auszubildenden ein mittlerer IQ-Wert (M 86.07) gemessen. Dieser liegt deutlich unter dem normierten Durchschnittswert von 100 Punkten und zeigt
6. Kapitel Empirischer Teil
139
eine Streuung von SD 13.84 auf.45 Innerhalb der untersuchten Gruppe wird ein maximaler IQ-Wert von 120 gemessen. Im unteren Bereich werden vereinzelt Werte < 60 dokumentiert. Während der maximal erreichte Wert als nicht unwahrscheinlich eingestuft werden kann, ist der niedrigste Wert als eher kritisch zu interpretieren. Insgesamt wird bei 6 Probanden ein IQ-Werte unter < 60 bestätigt. Bei diesen enorm niedrigen IQ-Werten wird vermutet, dass motivationale Momente, sprachliche Defizite oder Missverständnisse bei der Instruktion Grund für das Ergebnis sein könnten. Somit wird für dieses Konstrukt ebenfalls eine Drop-out-Grenze festgelegt. Um das Risiko eines falschen Messwertes (für den IQ) zu reduzieren, wird der IQ-Wert von jenen Probanden gelöscht, die einen Wert von < 60 erzielen. Die anderen Informationen zu diesen Auszubildenden verbleiben für die folgenden Analysen im Datensatz. Für die finalen Auswertungen liegen nach der Bereinigung der Daten Informationen von 226 Auszubildenden über den CFT 20-R vor. Weitere Konstrukte Für die Befragungselemente, zur Erfassung der nicht-kognitiven Determinanten (z. B. Motivation, wahrgenommene Qualitätsmerkmale des Unterrichts, Fähigkeitsselbstkonzept) erfolgt die Zusammenfassung der Informationen für die einzelnen Skalen mit der Bedingung, dass mehr als die Hälfte der Items pro Skala beantwortet wurden. Beispielsweise wird die Amotivation, über drei Items abgebildet, indem für jede Person der Index berechnet wird. Nach der Prüfung der Daten wird der Index nur bei jenen gebildet, die im Beispiel der Amotivation mindestens für zwei der drei Items Informationen vorliegen haben. Dieses Vorgehen soll dem entgegenwirken, dass Aussagen bei zu geringen Informationsmengen generiert werden und somit eine Verzerrung der Ergebnisse hervorrufen. Für die eigentliche Auswertung, wird der Datensatz nach der Prüfung auf Eingabefehler, der Umcodierung von fehlenden Werten, der Wertung der Ein- und Mehrfachauswahlaufgaben sowie der Zuordnungsaufgaben genutzt. Zudem ist in diesem finalen Datensatz, nach der Prüfung der Drop-Out-Grenzen, die Eliminierung der Ausreißer bereits erfolgt.46
6.2
TEILZIEL 1 – ERFASSUNG DES BERUFSFACHLICHEN WISSENS
In diesem Abschnitt wird überprüft, inwieweit die eingesetzten Instrumente, zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres, das berufsfachliche Wissen reliabel messen. Zur Erinnerung werden hier die übergeordnete Forschungsfrage sowie die zwei dazugehörigen Hypothesen erneut angeführt.
45 46
Die hier berichteten Werte für die kognitive Grundfähigkeit sind nach der Datenbereinigung und der Eliminierung der Ausreißer berechnet worden. Für die Tabellendarstellungen werden aufgrund der besseren Lesbarkeit folgende Abkürzungen verwendet: berufsspezifisches Vorwissen (t1) = Vorwissen (t1), berufsspezifisches Fachwissen (t2) = Fachwissen (t2), Allgemein bildender Schulabschluss = Schulabschluss, Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch = FSK Deutsch, Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Mathematik/Naturwissenschaften = FSK Mathe.
140
6. Kapitel Empirischer Teil
Frage 1: Kann das berufsfachliche Wissen von Maler/in und Lackierer/in zu Beginn und am Ende der Grundstufe mit den eingesetzten Instrumenten reliabel erfasst werden? H1.1: Der Eingangstest, zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (überwiegend berufsspezifisches Vorwissen), das zu Beginn der Grundstufe bei Maler/in und Lackierer/in administriert wurde, erreicht gemessen an den Kriterien der Reliabilität, auch bei einer auf der Item-Response-Theorie basierenden Skalierung, eine akzeptable Güte. H1.2: Der Abschlusstest, der am Ende der Grundstufe zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (überwiegend berufsspezifisches Fachwissen) bei Maler/in und Lackierer/in administriert wurde, erreicht gemessen an den Kriterien der Reliabilität, auch bei einer auf der Item-Response-Theorie basierenden Skalierung, eine akzeptable Güte. Für die nachfolgenden Analysen werden beide Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens auf Basis der Item-Response-Theorie skaliert. Im ersten Teilabschnitt erfolgt die Schätzung und Ergebnisdarstellung für den Eingangstest, der zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres (t1) administriert wurde. Im zweiten Teil des Abschnittes wird das Modell für den Abschlusstest berechnet, der das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres (t2) abbildet.
6.2.1
Kompetenzstand zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres 6.2.1.1
Skalierung des Eingangstests
Der Eingangstest umfasst insgesamt 25 Items (24 Aufgaben) durch die hauptsächlich das berufsspezifische Vorwissen, aber partiell ebenso berufsspezifisches Fachwissen aus dem Grundbildungsjahr, erfasst wurde (Abschnitt 5.5.1). Das Instrument beinhaltet sowohl polytome, als auch dichotome Items. Für die querschnittliche Skalierung des Instrumentes, zum ersten Messzeitpunkt, wird unter Einbezug von 297 Probanden, ein eindimensionales Partial-Credit-Modell gerechnet. Wie bereits in Abschnitt 6.1 berichtet, werden 2 Probanden aufgrund der Drop-out Grenze aus der Skalierung ausgeschlossen. Die Beurteilung der Items, nach der eindimensionalen Skalierung, erfolgt hauptsächlich über die Item-Fit-Werte (Wilson, 2005). Zudem werden die relativen Häufigkeiten auf Boden- und Deckeneffekte (Lösungsquoten < 5 % oder > 95 %) (vgl. Moosbrugger & Kelava, 2012) und die Trennschärfen überprüft (> .3 %) (Fisseni, 1990).
6. Kapitel Empirischer Teil
6.2.1.2
141
Modellwerte im Eingangstest
Mit Abschluss der Skalierung wird für das Testelement, zu Beginn der Grundstufe bei Maler/in und Lackierer/in, ein Instrument mit 11 zweistufigen und 13 dichotomen Items vorgelegt. Mit den verbleibenden 24 Items wird für den Eingangstest mit dem finalen Modell, trotz des ersten Einsatzes, eine akzeptable EAP-Reliabilität .74 und WLE-Reliabilität .72 erreicht (Lienert & Raatz, 1998). Der SRMR-Wert (absolutes Maß der Modellgüte) von .06 bestätigt eine zufriedenstellende bis gute Anpassungsgüte (Hu & Bentler, 1999). Die Varianz der Personenfähigkeitsschätzer (WLE) beträgt .365 und deutet auf eine heterogene Schülerschaft hin. Zur Überprüfung der Eignung der Items werden die Item-Fit-Werte beurteilt. Die Infits befinden sich in einem Intervall von .82 bis 1.12. Die Outfits zeigen Werte zwischen .88 und 1.10 auf. Um von akzeptablen Fit-Werten auszugehen, sollten die Werte nach Wilson (2005) innerhalb der Grenzwerte von .75 bis 1.33 liegen. Das hier geschätzte finale Modell für den Eingangstest dokumentiert sowohl für die Infit- als auch für die Outfit-Werte keine Grenzüberschreitungen. Nach der Skalierung muss lediglich ein Item (Item 12), aufgrund einer Trennschärfe von .05 aus dem Modell eliminiert werden.
6.2.1.3
Aussagen zur Verteilung der Probanden und zu den Schwierigkeiten der Items im Eingangstest
Die Wrightmap zum Eingangstest ist in Abbildung 6.1 dargestellt. Zu sehen ist, die Verteilung der Personenfähigkeiten (auf der linken Seite), die in Bezug auf die Items und ihren Schwierigkeiten (auf der rechten Seite) skizziert werden. Zudem werden in der Abbildung 6.1 die Items in detaillierter Form dargestellt. Um diesen Detaillierungsgrad zu erreichen, werden die einzelnen Stufen der polytomen Items, in ihren steigenden Schwierigkeiten (Kat1, Kat2 usw.) abgebildet. Falls ein Item aus mehreren Stufen besteht, ist für das Item (auf der Linie) mehr als ein Punkt gezeichnet. Für die mehrstufigen Items wird ersichtlich, dass die Steigungen in den Stufen deutliche Unterschiede messen und somit eine höhere Personenfähigkeit notwendig wird, um die gestellten Anforderungen zu bewältigen. Die Verteilung der Personenfähigkeiten zum ersten Messzeitpunkt deutet auf eine Normalverteilung hin und dokumentiert eine mittlere Testschwierigkeit von -.14 (SD .60) (Abbildung 6.1). Dieser Wert liegt wenig unter 0 und wird als gut passendes Verhältnis zwischen den Itemsschwierigkeiten und den Personenfähigkeiten interpretiert. Bei Betrachtung der Leistungsbereiche ist zu erkennen, dass das mittlere Leistungsfeld (Logit ca. 1 bis -1), indem sich die meisten Probanden befinden, die meisten Items enthalten. Bezogen auf das untere Segment (Logit < -1) ist der Test ebenfalls geeignet. So ist es möglich mit den eingesetzten Items, die hauptsächlich das berufsspezifische Vorwissen abbilden, vor allem im „leistungsschwachen“ Bereich hinreichend Informationen zu erfassen. Lediglich im oberen Leistungsbe-
142
6. Kapitel Empirischer Teil
Abbildung 6.1: WrightMap zum Eingangstest
reich (Logit > 1) wäre eine höhere Anzahl an Items, zur besseren Abschätzung der Personenfähigkeiten, sinnvoll. An dieser Stelle wird deutlich, dass vereinzelt Probanden existieren, die Personenfähigkeiten > 2 erreichen, jedoch in diesem Feld keine Items zum Einsatz kamen. Insgesamt zeigen die Verteilungen der Personenfähigkeiten und der Itemschwierigkeiten in Abbildung 6.1, dass das Instrument zur Analyse des berufsfachlichen Wissens für die Stichprobe geeignet ist.
6.2.2
Kompetenzstand am Ende des ersten Ausbildungsjahres 6.2.2.1
Skalierung des Abschlusstests
Der Abschlusstest, der am Ende des ersten Ausbildungsjahres zum Einsatz kam, umfasst 35 Items (33 Aufgaben). Im Gegensatz zum Eingangstest wird zum zweiten Messzeitpunkt der Fokus auf die Erfassung des berufsspezifischen Fachwissens in Anlehnung an das Curriculum der Grundstufe in der Farbtechnik gelegt (Abschnitt 5.5.1.2). Identisch zum Eingangstest wird zur Schätzung am Ende des ersten Ausbildungsjahres für den Abschlusstest zunächst eine eindimensionale Skalierung mit einem Partial-Credit-Modell durchgeführt. Die Aussagen zum Testelement basieren auf den Daten von 225 Probanden und beinhalten ebenfalls polytome, als auch dichotome Items. Für diesen Test existieren 13 Drop-outs, die aus der Skalierung aus-
6. Kapitel Empirischer Teil
143
geschlossen werden. Für die Optimierung des Abschlusstests werden die gleichen Kriterien wie bei der Skalierung der Eingangstestung berücksichtigt. So erfolgt eine Durchsicht der Lösungsquoten (Boden- und Deckeneffekte), der Trennschärfen sowie der Fit-Werte.
6.2.2.2
Modellwerte im Abschlusstest
Nach der Schätzung des Abschlusstests wird anhand von 33 Items (11 zweistufige, 3 dreistufige und 19 dichotome) zum zweiten Messzeitpunkt eine deutlich höhere Reliabilität als zum ersten Messzeitpunkt erreicht. Das finale Modell erzielt sowohl für die EAP- als auch den WLE-Reliabilität Werte > .8 (.83; .82). Dieses Modell wird in Anlehnung an Lienert und Raatz (1998) für das Gesamtergebnis des Messinstruments positiv interpretiert. Mit einem SRMR von .07 wird auch von einer guten Anpassungsgüte des Testelements am Ende der Grundstufe ausgegangen (Hu & Bentler, 1999). Die Varianz der WLE-Personenfähigkeitsschätzer liegt bei .413.
6.2.2.3
Aussagen zur Verteilung der Probanden und zu den Schwierigkeiten der Items im Abschlusstest
In der Abbildung 6.2 wird die Wrightmap für den Abschlusstest mit der Verteilung der Personenfähigkeiten (auf der linken Seite), in Bezug auf die Items und ihren Schwierigkeiten (auf der rechten Seite) abgebildet. Die Stufenabstände der polytomen Items zeigen, dass mit steigender Kategorie höhere Fähigkeiten notwendig werden, um die Aufgaben korrekt zu bearbeiten. Bei der Analyse der Verteilung der Personenfähigkeiten im Abschlusstest, bestätigt sich eine Normalverteilung am Ende der Grundstufe (Abbildung 6.2). Diese ist im Gegensatz zur Verteilung der Personenfähigkeiten im Eingangstest (vgl. Abbildung 6.2) eher schmäler. Die mittlere Testschwierigkeit für den Abschlusstest beträgt -.03 (SD .642). Somit ist auch dieses Instrument zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens zum zweiten Messzeitpunkt für die Probanden als geeignet zu beurteilen. Zudem ist in der Abbildung 6.2 ersichtlich, dass das Instrument hauptsächlich Items beinhaltet, die in ihren Schwierigkeiten zur Schätzung des stark besetzten mittleren Leistungssegments (Logit ca. 1 bis -1) dienen. Ebenso können aber auch für den nicht so dicht besetzten unteren und oberen Bereich (Logit 1) genügend Iteminformationen gesichert werden. Durch die Informationen zur Verteilung der Personenfähigkeiten und der Itemschwierigkeiten in Abbildung 6.1 wird deutlich, dass das Instrument zur Analyse des berufsfachlichen Wissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres für die untersuchte Stichprobe geeignet ist.
144
6. Kapitel Empirischer Teil
Abbildung 6.2: WrightMap zum Abschlusstest
6.2.3
Zusammenfassung
In Tabelle 6.1 werden die in Abschnitt 6.2 erzielten Ergebnisse zusammengefasst. Insgesamt können für beide Instrumente, (Eingangs- und Abschlusstest) zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens in der Grundstufe der Maler/in und Lackierer/in, akzeptable bis gute Modellgüten bestätigt werden. Die eingesetzten Instrumente, sowohl zu Beginn als auch am Ende des ersten Ausbildungsjahres, eignen sich zur Generierung von reliablen Aussagen zur Kompetenzerfassung. Tabelle 6.1: Skalierungsergebnisse der Eingangs- und Abschlusstestung
Modell Eingangstest Abschlusstest
N 297 225
Itemzahl 24 33
6.2.3.1
EAP/PV .74 .83
WLE/PV .72 .82
Infit/Outfit .82-1.12 .80-1.22
SRMR .06 .07
Eingangstest
Die Skalierungsergebnisse zum ersten Messzeitpunkt (t1) lassen mit 297 Probanden und 24 Items ein stabiles Modell, mit einer dementsprechend zufriedenstellenden Modellgüte (EAP/PV .74, WLE/PV .72, SRMR .06), sowie guten Fit-Werten
6. Kapitel Empirischer Teil
145
(Infits: .82 bis 1.12, Outfits: .88 und 1.10) dokumentieren (siehe Tabelle 6.1). Zudem gelingt es, mit dem Testelement die Fähigkeiten der „leistungsschwachen“ als auch der „leistungsstarken“ Auszubildenden abzubilden. Das Instrument könnte für das obere Leistungssegment dahingehend optimiert werden, dass mehr Items mit höherer Schwierigkeit zur Verfügung gestellt werden (siehe Abbildung 6.1). Mit den dargestellten Ergebnissen wird die Hypothese H1.1 gestützt: „Der Eingangstest, zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (überwiegend berufsspezifisches Vorwissen), das zu Beginn der Grundstufe bei Maler/in und Lackierer/in administriert wurde, erreicht gemessen an den Kriterien der Reliabilität, auch bei einer auf der Item-Response-Theorie basierenden Skalierung, eine akzeptable Güte“. Auf Grundlage dieser Ergebnisse findet eine erste Abschätzung, in Bezug auf den Leistungsstand zu Beginn des ersten Ausbildungsjahres in der Farbtechnik statt.
6.2.3.2
Abschlusstest
Am Ende der Grundstufe wird ebenfalls durch die Skalierungsergebnisse zum zweiten Messzeitpunkt (t2), mit 225 Probanden und 33 Items, ein erfolgreiches Instrument zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens bestätigt. Sowohl für die Modellgüte als auch für die Fit-Werte (EAP/PV .83, WLE/PV .82, SRMR .07, Infits: .80 bis 1.22, Outfits: .88 bis 1.14) werden gute Ergebnisse dokumentiert (siehe Tabelle 6.1). So gelingt es anhand der Skalierung ersten Aussagen zum erzielten Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres zu generieren. Zudem wird deutlich, dass die unterschiedlichen Leistungssegmente mit dem Instrument abgebildet werden können. Im Anschluss kann die Hypothese „H1.2: Der Abschlusstest, der am Ende der Grundstufe zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens (überwiegend berufsspezifisches Fachwissen) bei Maler/in und Lackierer/in administriert wurde, erreicht gemessen an den Kriterien der Reliabilität, auch bei einer auf der Item-ResponseTheorie basierenden Skalierung, eine akzeptable Güte“ bestätigt werden. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl der Eingangs- als auch der Abschlusstest die Voraussetzungen für die weiteren Analysen erfüllen. Im nächsten Schritt (Teilziel 2) erfolgt auf Basis der querschnittlichen Skalierung des Abschlusstests eine Strukturprüfung, um mögliche Kompetenzfacetten am Ende des Grundbildungsjahres zu differenzieren. Anschließend bilden die Testelemente (Eingangs- und Abschlusstest), mit den in diesem Abschnitt dargestellten Ergebnisse, die Grundlage für die Längsschnittskalierung, die eine Analyse der Kompetenzentwicklung (Teilziel 3) im Berufssegment der Maler/in und Lackierer/in zulässt.
6.3
TEILZIEL 2 – PRÜFUNG DER KOMPETENZSTRUKTUR
Dieser Abschnitt trägt dazu bei, erste Erkenntnisse über die inhaltliche Struktur des berufsfachlichen Wissens am Ende der Grundstufe in der Farbtechnik zu liefern. Zur Erinnerung wird die Fragestellung sowie die Hypothese nochmals eingefügt.
146
6. Kapitel Empirischer Teil
Frage 2: Erweisen sich bei der Ausbildung der beruflichen Kompetenzen die inhaltlichen Strukturen des Curriculums am Ende des ersten Ausbildungsjahres als strukturrelevant oder kann auch am Ende der Grundstufe noch von einem eindimensionalen Konstrukt ausgegangen werden? H2: Das berufsfachliche Wissen der Maler/in und Lackierer/in erweist sich, bezogen auf die curricularen Inhalte am Ende des ersten Ausbildungsjahres, als eindimensional. Im nächsten Schritt erfolgt die Analyse der Kompetenzausprägungen am Ende des ersten Ausbildungsjahres im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in. Der Abschlusstest wird auf seine inhaltliche Struktur geprüft, die durch das Curriculum bestimmt ist. Anhand eines Modellvergleichs wird zunächst ein eindimensionales und anschließend ein vierdimensionales Modell auf die Passung der Daten untersucht.
6.3.1
Kompetenzstruktur am Ende des ersten Ausbildungsjahres
Bei der Entwicklung der zwei Instrumente war die Theorie leitend, dass sich für das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres keine Ausdifferenzierung in Subdimensionen entlang von Inhaltsbereichen bestätigen lässt. In der Hypothese 2 wird dementsprechend für den Abschlusstest eine eindimensionale Struktur unterstellt. Um diese Annahme zu überprüfen, wurden mit Einschätzungen von Experten die curricular relevanten und in sich geschlossenen Inhaltsbereiche aus der Grundstufe als Vorlage für die Testentwicklung berücksichtigt (Abschnitt 5.5.1). Für den Prüfprozess werden zwei Modell (ein- und vierdimensional) gegenübergestellt. Das vierdimensionale Modell wird durch die folgenden potenziellen Subdimensionen aufgespannt: (1) übergeordnetes Wissen (Grundlagen: integratives Wissen zu den Lernfeldern), (2) metallische und nichtmetallische Untergründe bearbeiten, (3) Oberflächen und Objekte herstellen und (4) Oberflächen gestalten. In Tabelle 6.2 werden für die potenziellen vier Subdimensionen die Itemzahlen, EAP/PV und WLE/PV Reliabilität sowie die Korrelationen berichtet. Die Verteilung der 33 Items auf die einzelnen Dimensionen fallen hierbei unterschiedlich aus. Während die dritte Dimension ((3)Oberflächen und Objekte herstellen) mit 10 Items die meisten Informationen zur Verfügung stellt, werden der zweiten ((2) metallische und nichtmetallische Untergründe bearbeiten) und vierten ((4) Oberflächen gestalten) Dimension jeweils 9 und 8 Items zugeordnet. Lediglich der ersten Dimension ((1) übergeordnetes Wissen (Grundlagen)) werden deutlich weniger Items zugesprochen (6 Items) (siehe Tabelle 6.2). Im Einzelnen können, trotz der geringen Itemzahlen, akzeptable Reliabilität für die unterschiedlichen potenziellen Subdimensionen erreicht werden (Lienert & Raatz, 1998). Die erste Dimension weist mit .73 die niedrigste und die zweite Dimension mit .80 die höchste EAP-Reliabilität auf. Die EAP-Reliabilität für die dritte
147
6. Kapitel Empirischer Teil
und vierte Dimension liegen in einem akzeptablen Bereich (.76, .75). Lediglich die WLE/PV-Reliabilität fallen teilweise sehr niedrig aus (WLE/PV .40-.60) und sind somit optimierungsbedürftig. Aufgrund der geringen Itemzahl, ist die erste Dimension mit .40, in ihrer Messgenauigkeit unbefriedigend (Tabelle 6.2). Zudem werden in Tabelle 6.2 die Korrelationen zwischen den vier Subdimensionen wiedergegeben. Insgesamt können überwiegend hohe latente Korrelationen (.80 bis .86) zwischen den (potenziellen) Dimensionen berichtet werden. Dieses Ergebnis lässt zum Teil begründete Zweifel aufkommen, dass durch eine Modellprüfung eine vierdimensionale Struktur bestätigt werden kann. Es scheint, dass die angenommenen vier Dimensionen relativ stark miteinander assoziiert sind. Tabelle 6.2: (Potenzielle) Subdimensionen: Korrelationen und Reliabilität
Subdimensionen
Itemzahl 6 9
EAP/PV WLE/PV
(2)
(3)
(1) Übergeordnetes Wissen (Grundlagen) .73 .40 (2) Metallische/Nichtmetallische Untergründe .80 .60 0.83 bearbeiten (3) Oberflächen und Objekte herstellen 10 .76 .48 .80 .92 (4) Oberflächen gestalten 8 .75 .48 .86 .86 Die linearen Zusammenhänge werden alle mit einer Pearson-Korrelation berechnet. (N = 225)
(4)
.83
Zur Prüfung der Modelle erfolgt, wie in Abschnitt 5.6.2 beschrieben, der Modellvergleich. Für die Gegenüberstellung der zwei Modelle werden die Informationskriterien AICc und AIC 3 herangezogen. Die in Tabelle 6.3 dargestellten Werte, zeigen für das eindimensionale Modell 51 und für das vierdimensionale Modell 60 geschätzte Parameter. Zudem werden sehr geringe Devianzunterschiede, für das ein- und das vierdimensionale Modell (1-dim. 10710.16 vs. 4-dim. 10687.66), berichtet. Es zeigt sich, dass auch die Unterschiede, bezogen auf den AICc und den AIC3, relativ gering ausfallen. Das eindimensionale Modell (AICc 10842.82) erzielt im Gegensatz zum mehrdimensionalen Modell (AICc 10852.29) den günstigeren Wert. Ähnlich verhält sich der Abstand zwischen dem AIC3 (1-dim. 10863.16, 4-dim. 10867.66). Es wird dokumentiert, dass bezogen auf die Informationskriterien (AICc, AIC3), das eindimensionale Modell zu präferieren ist (siehe Tabelle 6.3). Tabelle 6.3: Modellvergleich eindimensionales - vs. vierdimensionales Modell
Modell 1-dim. Modell 4-dim. Modell
Devianz Geschätzte Parameter 10710.16 51 10687.66 60 Das verwendete N = 225.
AICc 10842.82 10852.29
AIC3 10863.16 10867.66
148
6. Kapitel Empirischer Teil
Auf den ersten Blick scheint das eindimensionale Modell im Gegensatz zum vierdimensionalen Modell besser zu passen (siehe Tabelle 6.3). Jedoch kann aufgrund der geringen Unterschiede zwischen den Modellen, auch das mehrdimensionale Modell in Betracht gezogen werden. Das vorliegende Ergebnis lässt vermuten, dass die ausbleibenden Ausdiffernzierungsprozesse, möglicherweise zu dem geprüften Zeitpunkt nicht zu identifizieren sind und im Verlauf der Ausbildung diese noch stattfinden könnten.
6.3.1.1
Homogenitätsprüfung
Um sicher zu stellen, dass für die folgenden Analysen die Annahme einer eindimensionalen Struktur keinen schwerwiegenden statistischen Fehler hervorruft, erfolgt im Weiteren eine zusätzliche Prüfung. Dieses Vorgehen wird vor allem damit begründet, dass für die geplante längsschnittliche Skalierung vorausgesetzt wird, dass sich die Strukturen beider Tests identisch verhalten. Um mit den nächsten Analysen fortfahren zu können, wird untersucht, ob die Annahme einer eindimensionalen Struktur des Abschlusstests tatsächlich haltbar ist. Geprüft wird, inwieweit eine stochastische Abhängigkeit der Items vorliegt, da bei Abhängigkeiten, die Fachtests lediglich bezogen auf die identischen Dimensionen eine Verlinkung erfahren dürften. Dies erfolgt mithilfe einer Homogenitätsprüfung, die besagt, dass sobald der angenommene Grenzwert (.30) überschritten wird, stochastische Abhängigkeiten zwischen den Items vorliegen (Yen, 1984; Chen & Thissen, 1997). Im Folgenden wird aufgrund der Vollständigkeit sowohl für den Eingangs- als auch für den Abschlusstest die Homogenität der Items geprüft. Die MADaQ3 Statistik bestätigt die Eindimensionalität des Eingangstests. So wird durch einen maxaQ3-Wert von .24 (Grenzwert < .30) dokumentiert, dass keine auffälligen stochastischen Abhängigkeiten zwischen den eingesetzten Items vorliegen. Der Wert bei der Homogenitätsprüfung, bezogen auf die Items im Abschlusstest, liegt im Vergleich zum Eingangstest nur leicht höher (.27), zeigt aber keine Überschreitung des Grenzwertes (< .30) auf. Eine detailliertere Analyse der Items be˙ aufweisen (Item 12, Item 14 / Item 27, Item stätigt, dass 3 Itempaare Werte > 20 28 / Item 32 und Item 33). Die Abhängigkeiten dieser Items liegen bei Werten von .27, .23 und .24. Somit befindet sich lediglich ein Itempaar mit geringem Abstand unter dem Grenzwert (< .30). Eine zusätzliche inhaltliche Prüfung der dargestellten Itempaare, spricht allerdings gegen eine bedenkliche Homogenität.
6.3.2
Zusammenfassung
Mit der Hypothese 2 wurde angenommen, dass sich das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres als eindimensional erweist. Der Modellvergleich deutet zwar auf eine mögliche Ausdifferenzierung des Fachwissens, bezogen auf die curricularen Inhalte am Ende des ersten Ausbildungsjahres, hin (geringe Unterschie-
6. Kapitel Empirischer Teil
149
de zwischen den Modellen siehe Tabelle 6.3), jedoch bestätigen die Informationskriterien und die hohen latenten Korrelationen zwischen den Subdimensionen, das eindimensionale Modell. Ebenso stützen die Ergebnisse durch die Prüfung der stochastischen Abhängigkeiten, die Annahme, dass ein homogenes Verhalten der Items vorliegt (Abschnitt 6.3.1). Hiermit wird die Hypothese 2 anhand der oben berichteten Ergebnisse gestützt: „Das berufsfachliche Wissen der Maler/in und Lackierer/in erweist sich, bezogen auf die curricularen Inhalte am Ende des ersten Ausbildungsjahres, als eindimensional“. Es wird davon ausgegangen, dass sich im ersten Ausbildungsjahr der Maler/in und Lackierer/in (noch) keine Ausdifferenzierung des Fachwissens, entlang der curricularen Inhaltsbereiche, vollzogen hat. Die Befunde lassen somit für die weiteren Analysen eine Eindimensionalität des Abschlusstests annehmen.
6.4
TEILZIEL 3 – BERUFSFACHLICHE KOMPETENZENTWICKLUNG
Im Folgenden werden zur Erleichterung der Nachvollziehbarkeit die Forschungsfragen und die jeweiligen Hypothesen wiederholt. Die Fragen 3.1-3.3 befassen sich mit der berufsfachlichen Kompetenzentwicklung in der Farbtechnik im ersten Ausbildungsjahr. Frage 3.1: Können anhand der genutzten Instrumente Kompetenzentwicklungen beobachtet werden? H3.1.1: Die entwickelten Tests zur Operationalisierung des berufsfachlichen Wissens im ersten Ausbildungsjahr bei Maler/in und Lackierer/in, erweist sich als sensitiv für die Erfassung von Kompetenzentwicklungen. Frage 3.2: Wie verläuft die berufsfachliche Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr im Berufssegment der Maler/in und Lackierer/in und lassen sich am Ende der Grundstufe substanzielle Kompetenzzuwächse aufzeigen? H3.2.1: Am Ende des ersten Ausbildungsjahres können im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in substanzielle Kompetenzzuwächse (Cohens d = > .5) aufgezeigt werden. Frage 3.3: Können für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in Leistungsgruppen identifiziert werden, die im Rahmen des ersten Ausbildungsjahres unterschiedliche Kompetenzzuwächse erfahren? H3.3.1: Für die Maler/in und Lackierer/in wird in der Grundstufe ein unterschiedlicher Kompetenzzuwachs der „Leistungsstarken“ beziehungsweise der „Leistungsschwachen“ bestätigt, der dazu führt, dass im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres in dieser Berufsgruppe die Leistungsheterogenität geringer wird.
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6. Kapitel Empirischer Teil
H3.3.2: Der partielle Ausgleich der Leistungsunterschiede geht einher mit einer geringeren Entwicklungsdynamik der „Leistungsstarken“, im Vergleich zu den „Leistungsschwachen“. Die drei Fragen werden in diesem Abschnitt entlang der vier Hypothesen (H3.1.1, H3.1.2.1, H3.3.1, H3.3.2) untersucht. Zunächst wird die Forschungsfrage 3.1, die sich mit der Sensitivität der Instrumente zur Erfassung von Kompetenzentwicklungen auseinandersetzt, beantwortet. In diesem Zusammenhang erfolgt die Prüfung der Hypothese 3.1.1, die im Anschluss an die Ergebnisse aus den querschnittlichen Analysen ermittelt wird. Die Analysen beziehen sich hierfür auf die Grundannahme des Andersen-Modells. Folglich werden die entsprechenden Voraussetzungen zur Verlinkung der zwei Instrumentarien anhand des Raju‘s Chi-Square-Tests auf DIF geprüft, um anschließend die finale längsschnittliche Modellschätzung durchzuführen. Die aus dem Abschnitt 6.2 resultierenden Befunde dienen als Ausgangsbasis für die Prüfung der Hypothese 3.2.1. Es werden die angenommenen substanziellen Leistungsdynamiken der Auszubildenden im vorliegenden Berufssegment analysiert. Hierfür wird das Partial-Credit-Model (Multidimensionales Item Response Model) genutzt. Demnach werden die zwei unterschiedlichen Modelle (mit Ankeritems, ohne Ankeritems) berechnet und anschließend mithilfe eines Modellvergleichstests gegenübergestellt. Für die Analyse der Leistungsdynamik im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres werden die Effekte aus dem quasi und dem reinen Längsschnitt durch Cohens d ermittelt und anhand von Effektstärken interpretiert. Zuletzt wird die dritte Forschungsfrage (3.3), die sich mit der Existenz und den Folgen von unterschiedlichen Leistungsgruppen, bezogen auf das berufsfachliche Wissen auseinandersetzt, ausführlich behandelt. In diesem Kontext wird anhand der Hypothese 3.3.1 geprüft, ob für die angenommenen Leistungsgruppen verschiedene Kompetenzdynamiken beobachtet werden können. Mit der Hypothese 3.3.2 wird anschließend untersucht, inwieweit der Ausgleich der Leistungsunterschiede auf die geringere Entwicklung der „Leistungsstarken“, gemessen an den berufsfachlichen Eingangsvoraussetzungen, zurückzuführen ist. Die Zuordnungen der Leistungsgruppen erfolgen mithilfe Median- und Terzilsplit. Der Vergleich zwischen den Gruppenunterschieden wird ebenfalls über die Effektstärken vorgenommen (Cohens d).
6.4.1
Voraussetzungen für den Längsschnitt 6.4.1.1
Ankeritems
Die bisherigen Analysen der Instrumente, zum ersten und zweiten Messzeitpunkt, erfolgten unabhängig voneinander. Die Ergebnisse dokumentierten, wie im Teilziel 1 (Abschnitt 6.2) skizziert, zufriedenstellende bis gute Reliablität. Für die längsschnittliche Modellierung verbleiben nach der eindimensionalen Querschnittskalierung aus dem Eingangstest (t1) 24 und aus dem Abschlusstest (t2) 33 Items.
6. Kapitel Empirischer Teil
151
Diese Items aus den zwei Querschnitten dienen als Grundlage für die Berechnung des Längsschnittmodells. Wie bereits in Abschnitt 5.6.2 beschrieben, wird für die längsschnittliche Analyse das Andersen-Modell verwendet. Hierfür wird von der Grundannahme ausgegangen, dass sich die Items aus dem gemeinsamen Itempool (potenzielle Ankeritems), der zwei Instrumentarien, zu beiden Messzeitpunkten in ihren Schwierigkeiten gleich verhalten. Dadurch gelingt es, beide Instrumente und somit die erreichten Kompetenzstände der Auszubildenden auf einer Metrik abzubilden und Aussagen zur Kompetenzveränderung zu generieren.
6.4.1.2
DIF-Analyse
Um sicherzustellen, dass die Annahmen des Andersen-Modells nicht verletzt wird, erfolgt im ersten Schritt eine DIF-Analyse. Diese überprüft die Eignung der 12 potenziellen Ankeritems, die in beiden Testungen in identischer Form eingesetzt werden. So können nach der Andersen-Theorie, für die Verankerung der zwei Testelemente, nur folgende Items verwendet werden, die (1) in ihren Schwierigkeiten sinken, d. h. zum Abschlusstest eine höhere Lösungsquote erreichen als zum Eingangstest. (2) Die bezogen auf ihre Schwierigkeiten, in der Reihenfolge zu beiden Messzeitpunkten gleichbleiben. Dies bedeutet, dass Items, die zum ersten Messzeitpunkt zu den Items mit den höchsten Schwierigkeiten gehören und auch zum zweiten Messzeitpunkt in diesen Itempool eingeordnet werden müssen. Die Toleranzbereiche der akzeptablen Ankeritems werden anhand des Raju‘s Chi-SquareTests ermittelt (Clark, 2013). Sowohl für die DIF-Prüfung, als auch für die Verlinkung der zwei Instrumentarien, müssen die potenziellen Ankeritems, in beiden Tests die gleiche Codierung erfahren. Die Zusatzitems aus den zwei Querschnitten verbleiben in ihrer ursprünglichen Kodierung. Es stellt sich die Frage, ob die Umcodierung der potenziellen Ankeritems auf Grundlage der Berechnung aus dem Eingangs- oder Abschlusstest erfolgen soll. Das zentrale Ziel der Arbeit besteht darin, das erreichte Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahrs mithilfe der Informationen aus der Eingangstestung zu prognostizieren. Dies bedeutet, dass das Vorwissen zur Erklärung als Kovariate dient und somit im Folgenden die Abschlusstestung als Vorlage für die Umcodierung der potenziellen Ankeritems genutzt wird. Deshalb werden vor der DIF-Prüfung die potenziellen Ankeritems aus dem Eingangstest identisch zum Abschlusstest (um)kodiert. Anschließend werden die 12 identisch codierten Items in ihren Schwierigkeiten miteinander verglichen und somit auf DIF überprüft. In der Abbildung 6.3 werden die potenziellen Ankeritems dargestellt. Die gestrichelten Linien bestimmen die Toleranzgrenzen für die DIF-Prüfung (ca. -2 bis 2). Die Items ET13 / AT30 (Kat. 2), ET8 / AT5 (Kat. 1) und ET4 / AT23 (Kat. 1), die sich im Raju‘s Chi-Square-Test oberhalb der Grenzen > 2 verorten lassen und die zwei Items ET2 / AT2 (Kat. 1) und ET21a / AT11a (Kat. 1), die sich unterhalb der Grenzen < -2 befinden, liegen außerhalb der Grenzwerte und deuten auf DIF hin. Somit verbleiben nach der DIFAnalyse, der potenziellen 12 Informationen, noch 6 Items in einem akzeptablen
152
6. Kapitel Empirischer Teil
Bereich (innerhalb der Toleranzgrenzen -2 bis 2). Diese weisen keinen signifikanten DIF-Wert auf. Die Items, die nicht im Toleranzbereich liegen verstoßen gegen die Grundannahme des Andersen-Modells und sind somit für die längsschnittliche Berechnung als Anker nicht geeignet. Diese Items werden für die weiteren Analysen wieder in die ursprüngliche Codierung aus der Eingangstestung überführt und dienen für die längsschnittliche Skalierung als Zusatzitems.
Abbildung 6.3: Unterschiede in den Schwierigkeiten der Ankeritems
6.4.1.3
Überlegungen zum Andersen-Modell und den Voraussetzungen von Ankeritems
Da bisher nur wenige längsschnittliche Modellierungen im Anschluss an Andersens Theorie im Hinblick auf die Analyse der Kompetenzentwicklung im gewerblichtechnischen Bereich existieren, liegen bezogen auf die Kriterien für Ankeritems keine Informationen vor. Aus diesem Grund wird mit der folgenden Abbildung 6.4, die Entwicklung der potenziellen Ankeritems zu den zwei Messzeitpunkten näher betrachtet. Auf der linken Seite wird die Verteilung der Personenfähigkeiten zum Eingangstest (ET) und auf der rechten Seite die Verteilung der Personenverteilung zum Abschlusstest (AT) skizziert. Im mittleren Bereich der Grafik werden die potenziellen Ankeritems mit ihren Schwierigkeiten auf der Logit-Skala abgebildet. Es stellt sich die Frage, worin sich die Items, die DIF aufweisen (in der Grafik mit einer geringeren Linienstärke) von jenen, die keinen DIF aufzeigen (mit einer höheren Linienstärke) unterscheiden (Abbildung 6.4). Es wird deutlich, dass Items, die die DIF-Analyse nicht „überleben“ in ihrem Verhalten vom ersten (t1) zum zweiten (t2) Messzeitpunkt im Gegensatz zu den Ankeritems variieren. So erfahren die drei Items (ET13 / AT30 (Kat. 2), ET8 / AT5 (Kat. 1), ET4 / AT23 (Kat. 1)), die sich im Raju‘s Chi-Square-Test im oberen Bereich (> 2) abbilden lassen (Abbildung 6.3), im Gegensatz zu den anderen Ankeritems eine starke Entwicklung. Dies führt zur Veränderung in ihren Schwierigkeiten. Die zwei Items (ET2 / AT2 (Kat. 1), ET21a / AT11a (Kat. 1)), die sich unterhalb der Toleranzgrenze (< -2) einordnen, erfüllen das Kriterium der steigenden Lösungs-
6. Kapitel Empirischer Teil
153
quote nicht. Durch die Abbildung 6.3 wird auch grafisch deutlich, dass diese Items mindestens bei einem der zwei Kriterien des Andersen-Modells, ((1) Beibehaltung der Schwierigkeit in Bezug zu den anderen Items und (2) sinkende Schwierigkeit) nicht gewährleisten können.
Abbildung 6.4: Entwicklung der Ankeritems
Es scheint, dass die Entwicklungsdynamik der Ankeritems für die Verlinkung der Instrumente ein ausschlaggebendes Kriterium ist. Sobald Items eine zu große Dynamik erfahren, wird ein DIF unumgänglich, da die Rangreihung verändert wird (Items: ET13/AT30 (Kat. 2), ET8/AT5 (Kat. 1), ET4/AT23 (Kat. 1)). Bei der längsschnittlichen Modellschätzung steht dieser Befund dahingehend, dass auf einen stabilen und gleichmäßigen Informationsgehalt zugegriffen werden muss. Nach der Andersens Theorie ist die Dynamik der Items ET2/AT2 (Kat. 1) und ET21a/AT11a (Kat. 1) nicht möglich (Abbildung 6.4). Das Ergebnis wäre für diese Items so zu interpretieren: Dass für die Jugendlichen im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres die Fähigkeiten, Aufgaben zu lösen, zwar zu Beginn des Schuljahres besteht, am Ende der Grundstufe jedoch nicht mehr vorhanden ist. Eine inhaltliche Überprüfung der zwei Items zeigt, dass es sich bei dem Item ET2/AT2 (Kat. 1) um eine Mehrfachauswahlaufgabe handelt. In diesem Zusammenhang können motivationale Schwierigkeiten in der Stichprobe erwartet werden, die eine Begründung für die eher unwahrscheinliche (negative) Entwicklung der Lösungsquote vermuten lassen. In diesem Fall wäre es sinnvoll, zur Prüfung der Ratewahrscheinlichkeit eine Analyse der Distraktoren durchzuführen. Bei dem Item ET21a/AT11a (Kat. 1) handelt
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6. Kapitel Empirischer Teil
es sich um eine offene Aufgabe, die deklaratives Wissen abbildet. In diesem Fall ist die gemessene Entwicklung eher schwierig zu erklären. Überlegungen im Hinblick auf die Verteilung der Ankeritems, bezogen auf die zwei Bereiche berufsspezifisches Vorwissen und berufsspezifisches Fachwissen, erfolgten bereits in Abschnitt 5.5.1.8. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zuordnungen der insgesamt 12 potenziellen Ankeritems, auch wenn bei einzelnen Items eine eindeutige Zuweisung in die Bereiche berufsspezifischen Vorwissens oder berufsspezifisches Fachwissen nicht eindeutig ist, eine gleichmäßige Verteilung dokumentieren. Die Tabelle 6.4 wird im Folgenden nochmals angeführt und jene Items, die keinen DIF aufweisen und somit als Ankeritems dienen, werden hellgrau hinterlegt. Insgesamt können nach der längsschnittlichen Modellschätzung 5 Ankerpaare (Nr. 1, 6, 8, 9, 12) gelistet werden. Tabelle 6.4: Zuordnung der Ankeritems
Ankerpaare ET und AT berufsspezifische Vorwissen berufsspezifisches Fachwissen 1 - ET1/AT15 x 2 - ET2/AT2 x 3 - ET3.1/AT30.1 x x 4 - ET3.2/AT30.2 x x 5 - ET4/AT23 x x 6 - ET7/AT17 x 7 - ET8/AT5 x 8 - ET10/AT6 x x 9 - ET18.1/AT28.1 x 10 - ET18.2/AT28.2 x 11 - ET21a/AT11a x 12 - ET21b/AT11b x Die Itempaare, die hellgrau hinterlegt sind weisen nach Raju keinen DIF auf und dienen zur Verankerung.
Die Analysen der potenziellen Ankeritems lassen, bezogen auf die zwei Kriterien des Andersen-Modells: (1) Beibehaltung der Schwierigkeit in Bezug zu den anderen Items und (2) sinkende Schwierigkeit), unterschiedliche Interpretationen zu. Es scheint weniger problematisch, dass Items, die geringe oder keine Entwicklung aufzeigen, aus der Verankerung zu lösen. Das Kriterium, die Schwierigkeiten der Ankeritems, in Bezug zu den anderen Items, beizubehalten, ist kritischer zu betrachten und wird im Diskussionsteil dieser Arbeit angeführt.
6.4.2
Modellprüfung
Um die in Hypothese 3.1.1 angenommene Sensitivität der eingesetzten Instrumente zur Erfassung der Kompetenzzuwächse zu prüfen und die in Hypothese 3.1.2 formulierten substanziellen Leistungszuwächse im ersten Ausbildungsjahr abzubilden, sind reliable Messungen des berufsfachlichen Wissens notwendig. Sobald zwei In-
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6. Kapitel Empirischer Teil
strumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens mit akzeptabler Reliabilität vorliegen, können letztendlich Aussagen zur Kompetenzentwicklung generiert werden. Im Anschluss erfolgt die Berechnung des längsschnittlichen Modells, das sich auf die DIF-Prüfung der potenziellen Ankeritems (siehe Abbildung 6.3) bezieht. Die längsschnittliche Skalierung basiert somit auf den verbleibenden 6 Ankeritems und verlinkt die Informationen aus dem Eingangstest zu Beginn der Grundstufe mit den Informationen aus dem Abschlusstest am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Für die längsschnittliche Skalierung wird das Modell bestimmt, indem die Schätzung der Personenfähigkeiten, anhand aller Items und Probanden aus dem Eingangsund Abschlusstest, erfolgt. Zudem werden die Varianzen, sowie die Kovarianzen der beiden Tests geschätzt. Für die Verlinkung werden die Aufgabenschwierigkeiten der 6 Ankeritems fixiert, beziehungsweise bei der Anordnung auf der Schwierigkeitsskala zu beiden Messzeitpunkten gleichgesetzt. Die Berechnung des längsschnittlichen Modells erfolgt anhand des Partial-CreditModels (Multidimensionales Item Response Model). Es werden zwei Modelle für den Modellvergleich gegenübergestellt. Zum einen das Modell ohne Verankerung, welches alle Items aus beiden Instrumenten berücksichtigt, und keine Verlinkung über die Ankeritems vornimmt. Zum anderen das Modell mit Verankerung, in dem die 6 Ankeritems in ihren Schwierigkeiten fixiert werden. Die Passung der zwei Modelle, bezogen auf die Daten, ist von mehreren Kriterien abhängig. Wie bei der Prüfung der Kompetenzstruktur (Abschnitt 6.3.1) geschehen und in Abschnitt 5.6.2 erklärt, wird wegen der Stichprobengröße und der Anzahl an Parametern der AIC3 für den Prüfprozess berücksichtigt. In Tabelle 6.5 werden zunächst die Informationen für das Modell mit der Verankerung durch die 6 Ankeritems (Andersen-Modell) angeführt und anschließend die Ergebnisse für das Modell ohne Verankerung dargestellt. Das Modell mit Ankeritems weist, im Gegensatz zum Modell ohne Verankerung einen höheren Wert bei der Devianz auf (20878 vs. 20862.37). Für das längsschnittliche Modell mit Ankern, werden 81 und für das ohne Anker 86 Parameter geschätzt. Der Vergleich beider AIC3-Werte, zeigt für das erste Modell (Modell mit Verankerung: 21121) einen höheren Wert als für das zweite Modell (ohne Verankerung: 21120.37). Der Unterschied in den AIC3-Werten, beider Modelle ist sehr gering, sodass kein eindeutiges Ergebnis vorliegt. Tabelle 6.5: Modellvergleich: Modell mit Verankerung vs. Modell ohne Verankerung.
Modell Modell mit Verankerung Modell ohne Verankerung
Devianz 20878 20862.37
Geschätzte Parameter 81 86
AIC3 21121 21120.37
Da es sich hierbei um den ersten Einsatz von Instrumenten zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens für diesen Ausbildungsberuf handelt, scheint eine Optimierung erforderlich, um ein stabileres Modell zu erzielen. Auch wenn die vorliegenden Er-
156
6. Kapitel Empirischer Teil
gebnisse teilweise widersprüchlich sind, sprechen die Befunde nicht eindeutig gegen das längsschnittliche Modell. Daher werden im Folgenden, auf Basis des finalen Modells mit der Verankerung, erste Abschätzungen zur Kompetenzentwicklung der Auszubildenden in diesem Berufsfeld generiert und vorgestellt.
6.4.3
Längsschnittskalierung
Für die längsschnittliche Analyse stehen Daten aus dem Eingangs- und Abschlusstest, von jeweils 297 und 225 Probanden, zur Verfügung. Insgesamt kann das Modell mit der Andersen-Methode für 336 Auszubildende geschätzt werden. Dabei erfolgen die Aussagen über die Leistungsentwicklungen zum einen unter Berücksichtigung aller Probanden (quasi Längsschnitt) und zum anderen anhand der reinen Längsschnittdaten (N 186). Die Skalierung, die mittels des Andersen-Modells berechnet wird, beinhaltete insgesamt 57 Items (24 Items aus dem Eingang- und 33 aus dem Abschlusstest, zusätzlich 6 Ankeritems aus beiden Instrumenten). Letztendlich verbleiben nach der Skalierung 34 dichotome und 23 polytome Items im finalen Modell. Für diese Items werden nach Prüfung der Boden- und Deckeneffekte sowie der Trennschärfen keine weitere Modifizierung notwendig. Die Fit-Werte liegen für die Infits zwischen .89-1.15 und für die Outfits bei .70-1.27. Nach Wilson (2005) befinden sich die Fit-Werte, mit Ausnahme eines Items, innerhalb der Grenzwerte (.75 bis 1.33). Das Item, mit dem Outfit-Wert von .70, beeinflusst das Modell nicht. Aufgrund dessen verbleibt das Item im Modell. Die EAP-Reliabilität zu den zwei Messzeitpunkten liegen bei .74 und .72, für die Personenfähigkeitsschätzer (WLE) werden Werte von .72 (erste Dimension) und .82 (zweite Dimension) erreicht. Insgesamt kann für das Gesamtergebnis von akzeptablen bis guten Werten ausgegangen werden (Lienert & Raatz, 1998). Für den SRMR wird ein Wert von .06 dokumentiert, dieser bestätigt eine gute Anpassungsgüte für das finale Längsschnittmodell (Hu & Bentler, 1999). In Abbildung 6.5 werden zunächst die Verteilungen der Personenfähigkeiten und die der Items mit ihren Schwierigkeiten für beide Messzeitpunkte skizziert. Auf der linken Seite in der Abbildung 6.5 sind die Verteilungen der Personenfähigkeiten im Eingangs- (ET) und Abschlusstest (AT) ersichtlich. Die Informationen in der Abbildung werden auf Basis der Fixierung der mittleren Leistungen im Eingangstest (Logit = 0) positioniert. Auf der x-Achse werden die Itembezeichnungen ausgegeben (x-Achse: linke Hälfte = Items aus ET, rechte Hälfte = Items aus AT). Insgesamt sind die Varianzen, bezogen auf die Schwierigkeiten der Items, gut verteilt. Der mittlere Bereich, in dem sich die meisten Auszubildenden befinden, wird zu beiden Messzeitpunkten mit ausreichend Informationen (Items) abgedeckt (siehe Abbildung 6.5). Zudem wird deutlich, dass während der Eingangstest eher die Fähigkeiten des unteren Segments abbildet, kann durch den Abschlusstest eine höhere Varianz in den Itemschwierigkeiten im oberen Leistungssegment erzielt werden. Dieses Ergebnis deutete sich bereits in den Befunden zu den zwei Querschnitten an
6. Kapitel Empirischer Teil
157
Abbildung 6.5: WrightMap: Eingangs- und Abschlusstest
(Abschnitt 6.2.3). Die Verteilungen der Personenfähigkeiten und die Anordnungen der Items in beiden Tests weisen Eigenschaften einer Normalverteilung auf. Zudem zeigt die Abbildung 6.5 eine Dynamik in den Leistungen vom ersten zum zweiten Messpunkt.
6.4.4
Aussagen zur Kompetenzentwicklung der Gesamtgruppe
Das vorgestellte Längsschnittmodell ermöglicht erste Aussagen zur Kompetenzentwicklung der Maler/in und Lackierer/in im ersten Ausbildungsjahr. Neben den angeführten Werten zur Modellgüte (Abschnitt 6.4.3), können aus dem Modell Informationen zur Veränderung der Leistungen der Auszubildenden entnommen werden. Wie bereits oben erklärt, wird unterschieden zwischen dem quasi und dem echten Längsschnitt. Die bisherigen Ergebnisse beziehen sich auf die längsschnittliche Analyse aller Probanden, die zu einem der zwei Messzeitpunkte oder zu beiden Messungen anwesend waren. Im Folgenden werden sowohl die Entwicklungsaussagen mit den Daten aus dem quasi Längsschnitt wiedergegeben, als auch jene aus dem reinen Längsschnitt. Schließlich werden die Entwicklungsverläufe aus beiden Längsschnitten nachvollzogen und die Effekte verglichen. Im Gegensatz zur vorherigen Abbildung 6.5 zeigt die Abbildung 6.6 das finale Modell mit detaillierten Informationen zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung. Auf der linken Seite werden die Verteilungen der Personenfähigkeiten vom Eingangs- und Abschlusstest gegenübergestellt. Die Verbindungslinien zwischen
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6. Kapitel Empirischer Teil
den Messergebnissen im Eingangs- und Abschlusstest illustrieren die von den einzelnen Probanden vollzogenen Entwicklungen innerhalb des ersten Ausbildungsjahres. Die dargestellten Entwicklungsverläufe repräsentieren lediglich die echten Längsschnittprobanden (N 186). Rechts in der Abbildung erfolgt eine Differenzierung nach Items, indem die Verteilung der Schwierigkeiten der Items in einzelne Abschnitte eingeteilt und skizziert wird. Die zwei äußeren Itemgruppen (Items ET und Items AT) demonstrieren zum einen jene Items, die nur zum ersten Messzeitpunkt (ET) zum Einsatz kamen und zum anderen jene, die zum zweiten Messzeitpunkt (AT) bearbeitet wurden. Die in der Mitte abgebildeten Items (Items Anker) dienen zur Verlinkung der zwei Messzeitpunkte.
Abbildung 6.6: WrightMap: Entwicklungsverläufe im ersten Ausbildungsjahr
Wie bereits in Abbildung 6.5 beschrieben, können durch die Instrumente die Fähigkeiten der „leistungsschwachen“ als auch den „leistungsstarken“ Auszubildenden aufgezeigt werden. Weiterhin wird durch die Abbildung (6.6) ersichtlich, dass die Anzahl an Items, die zu beiden Messzeitpunkten eingesetzt und als Verankerung verwendet werden, gering ist (6 Anker). Jedoch zeigt sich ebenfalls, dass es trotz diesen wenigen Informationen gelingt eine zufriedenstellende Varianz in den Schwierigkeiten zu erreichen. Durch die Verteilung der sechs Ankeritems, stehen für die unterschiedlichen Leistungsbereiche Informationen zur Schätzung bereit.
6. Kapitel Empirischer Teil
6.4.4.1
159
Quasi Längsschnitt
Für den ersten Messzeitpunkt zeigt der quasi Längsschnitt mit allen Probanden (N 336) einen Mittelwert von -.02 und eine Standardabweichung von .70. Zum zweiten Erhebungszeitpunkt erhöht sich der Mittelwert auf .44 und die Standardabweichung bleibt nahezu unverändert (SD .72). Dieses Ergebnis lässt, bezogen auf die Verteilung der Gesamtgruppe, die Interpretation zu, dass die Unterschiede in den Leistungen von der Eingangs- zur Abschlusstestung weitgehend gleichbleiben. Jedoch scheint eine Entwicklungsdynamik ins Positive stattzufinden. Bei Prüfung der Korrelation zwischen den zwei Dimensionen (t1 und t2) wird ein signifikant hoher Zusammenhang von .78 dokumentiert. Dieser Wert macht deutlich, dass nur von geringen Positionierungseffekten auszugehen ist. Der Befund ist ein Indiz für eine eingeschränkte Chance der Jugendlichen, sich im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres in der Rangordnung von „Leistungsschwachen“ zu „Leistungsschwachen“ zu entwickeln. Die angenommene Veränderung der Leistungen von der Eingangszur Abschlusstestung wird in der Abbildung 6.6 auf der Logit-Skala ersichtlich. Es wird, bezogen auf die dargestellten Entwicklungsverläufe für die Gesamtgruppe, eine Logit-Steigerung von .39 bestätigt. Diese Dynamik zwischen den zwei Messzeitpunkten kann nach Cohen (1992) als starker Effekt interpretiert werden (d = .60***).
6.4.4.2
Reiner Längsschnitt
Ähnlich verhält es sich im reinen Längsschnitt. Die dargestellten Entwicklungen der Längsschnittprobanden anhand der Verbindungslinien vom ersten Messzeitpunkt (ET) zum zweiten Messzeitpunkt (AT) (siehe Abbildung 6.6) lassen für die Jugendlichen einen positiven Leistungszuwachs erwarten. Die Überprüfung der LogitSteigerung sowie der Mittelwerte (Eingangstest M .06, SD .64; Abschlusstest M .44, SD .70) für diese Gruppe stützten die Annahme und berichten signifikante Unterschiede zwischen den erzielten Leistungen zu Beginn und am Ende der Grundstufe. Letztendlich kann für die 186 Auszubildenden, die zu beiden Messzeitpunkten die zwei Instrumente bearbeitet haben, eine Effektstärke von d = .57 bestätigt werden. Bei genauerer Betrachtung sind in der Abbildung 6.6 auch negative oder sehr schwache positive Entwicklungsverläufe zu erkennen. So existieren zum Teil Verbindungslinien, die vom Eingangs- zum Abschlusstest keine Veränderungen oder negative Steigungen aufzeigen. Dieses Ergebnis deutet auf eine Verschlechterung oder Stagnation der Auszubildenden in ihren Kompetenzen während der Grundstufe hin. Um das Ausmaß dieser eher negativen Dynamik festzustellen, wird in der Abbildung 6.7 die oben beschriebene Entwicklung zu den zwei Messzeitpunkten nochmals in einem Streudiagramm mit den Probanden aus dem reinen Längsschnitt dargestellt. Die Verteilungen der Auszubildenden zu den jeweiligen Messzeitpunkten werden durch die Streuungen auf der x- und der y-Achse abgebildet. Die Leistungsverteilung bezieht sich auf die zuvor beschriebene Logit-Skala (siehe Abbildung 6.6).
160
6. Kapitel Empirischer Teil
Die x-Achse gibt die Streuung der Personenfähigkeiten zum Eingangstest wieder. Während die y-Achse die erreichten Personenfähigkeiten für den Abschlusstest abbildet, der am Ende des ersten Ausbildungsjahres administriert wurde. Die Punkte illustrieren die Probanden in ihren Fähigkeiten zu den einzelnen Messzeitpunkten und verdichten sich mit steigender Anzahl. Auszubildende unterhalb der eingezeichneten Winkelhalbierenden zeigen eine negative Dynamik in ihren Entwicklungen, während für jene oberhalb der Geraden positive Entwicklungen berichtet werden.
Abbildung 6.7: Streudiagramm: Entwicklungsdynamik im ersten Ausbildungsjahr
Insgesamt befinden sich die meisten Probanden oberhalb der Winkelhalbierenden und bestätigten die berichtete Effektstärke (d = .57). Vereinzelt liegen Probanden unterhalb der Geraden und erreichen somit geringere Leistungen im Abschlusstest als im Eingangstest. Bei diesen negativen Entwicklungsverläufen handelt es sich eher um eine Minderheit. Detailliertere Analysen bezogen auf die unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der Gesamtgruppe werden im nächsten Abschnitt anhand von unterschiedlichen Leistungsgruppen vorgenommen. Die Gegenüberstellung der zwei Längsschnitte (quasi vs. reinem) erfolgt zum Vergleich anhand der berechneten Cohens d Werte. Für beide Modelle werden signifikante und ähnlich hohe Werte von ca. d = .60 erzielt. Dieser Befund bestätigt die Annahme, dass sich die eingesetzten Instrumentarien als sensitiv zur Erfassung von
6. Kapitel Empirischer Teil
161
Kompetenzzuwächsen erweisen (Hypothese 3.1.1) und wie in Hypothese 3.1.2 formuliert, auch ein substanzieller Kompetenzzuwachs (d > .5) im ersten Ausbildungsjahr der Maler/in und Lackierer/in dokumentiert wird. Zusammenfassend können mit den dargestellten Ergebnissen beide Hypothese gestützt werden.
6.4.5
Aussagen zur Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Leistungsgruppen
Im Folgenden werden letztendlich Analysen zur Kompetenzentwicklung in den unterschiedlichen Leistungsgruppen durchgeführt. Es werden zur Erinnerung die Fragestellung sowie die zwei Hypothesen nochmals eingefügt. Frage 3.3: Können für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in Leistungsgruppen identifiziert werden, die im Rahmen des ersten Ausbildungsjahres unterschiedliche Kompetenzzuwächse erfahren? H3.3.1: Für die Maler/in und Lackierer/in wird in der Grundstufe ein unterschiedlicher Kompetenzzuwachs der „Leistungsstarken“ beziehungsweise der „Leistungsschwachen“ bestätigt, der dazu führt, dass im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres in dieser Berufsgruppe die Leistungsheterogenität geringer wird. H3.3.2: Der partielle Ausgleich der Leistungsunterschiede geht einher mit einer geringeren Entwicklungsdynamik der „Leistungsstarken“, im Vergleich zu den „Leistungsschwachen“.
6.4.5.1
Kompetenzstände sowie Leistungsdynamiken innerhalb der Leistungsgruppen
Wie bereits im Theorieteil zur Heterogenität in Abschnitt 3.2.1 skizziert, stellt sich nun die Frage, ob Kompositionseffekte Auswirkungen auf die Entwicklungsdynamiken innerhalb der Leistungsgruppen haben. In diesem Zusammenhang wird geprüft, inwieweit die vorgestellten substanziellen Kompetenzzuwächse für alle Leistungsbereiche bestätigt werden können und somit, wie in Hypothese 3.3.1 angenommen, durch unterschiedliche Leistungsdynamiken eine Verringerung der Leistungsheterogenität erwartbar ist. Die Voranalysen für den Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in, die auf Basis der klassischen Testtheorie erfolgten und sich lediglich auf die Ankeritems konzentrierten, zeigen zwar eindeutige Entwicklungsvorteile für das untere Leistungssegment, jedoch gibt dieser Befund keine Garantie dafür, dass im Anschluss an das längsschnittliche Modell dieses Ergebnis bestätigt werden kann, da es sich nur auf die Informationen der Anker (Items) stützt. Daher erfolgt im Weiteren die Überprüfung der Hypothesen 3.3.1 und 3.3.2 auf Basis des längsschnittlichen Modells, welches in Abschnitt 6.4.3 mithilfe aller Items berechnet wurde. Bei genauerer Inspektion der Entwicklungsverläufe der Auszubildenden,
162
6. Kapitel Empirischer Teil
die in Abbildung 6.6 illustriert werden, wird deutlich, dass die Veränderungen, die die Probanden erleben sowohl durch starke und schwache als auch partiell stagnierende Werte der Leistungen gekennzeichnet sind. Dies ist ebenso in der Abbildung 6.7 ersichtlich, hier wird die Annahme gestützt, dass unterschiedliche Leistungsgruppen existieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es Auszubildende gibt, die im Laufe des ersten Ausbildungsjahres deutliche Unterschiede in ihren berufsfachlichen Kompetenzentwicklungen vorweisen. Gleichzeitig liegen Informationen zu Auszubildenden vor, die keine Entwicklungen, bezogen auf ihr berufsfachliches Wissen, erfahren. Diese Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Ergebnisse aus dem reinen Längsschnitt. Im Folgenden werden zunächst die Leistungsgruppen bestimmt, um anschließend die Kompetenzstände und Entwicklungsverläufe der unterschiedlichen Gruppen aufzuzeigen und miteinander zu vergleichen. Für die Zuteilung in die Leistungsgruppen erfolgt sowohl ein Mediansplit als auch ein Terzilsplit. Anschließend werden die Ergebnisse aus beiden Vorgehensweisen gegenübergestellt, um letztendlich eine Entscheidung für eine der beiden Verfahren zu treffen.
6.4.5.2
Gruppenzuteilung und Kompetenzstände anhand eines Mediansplits
Gruppenzuteilung Zur Überprüfung der Hypothesen 3.3.1 und 3.3.2 wird zunächst für die Unterteilung der Stichprobe in Leistungsgruppen die Gruppenzuweisung auf Basis der WLE/PV Werte der Probanden ermittelt. Hierfür werden nur jene Probanden berücksichtigt, die im reinen Längsschnitt vorkommen, das heißt für die zu beiden Messzeitpunkten Personenfähigkeiten (WLE/PV t1, WLE/PV t2) zur Verfügung stehen. Zunächst wird aufgrund der hohen Bedeutung des Vorwissens der Median der Personenfähigkeit zum ersten Messzeitpunkt (WLE/PV t1) berechnet (Median der Gesamtgruppe .0437). Anschließend erfolgt die Differenzierung der Leistungsgruppen anhand des Mediansplits. So wird die Gruppe der „leistungsschwachen“ Probanden mit den Personenfähigkeitswerten (t1) < .0437 und die Gruppe der „leistungsstarken“ durch die Probanden mit den Werten (t1) > .0473 bestimmt. Insgesamt können 12 Probanden identifiziert werden, deren Personenfähigkeit exakt dem Median entspricht. Jene 12 Auszubildende, die sich auf dem festgelegten Grenzwert ((t1) .0437) befinden, werden zunächst in die untere und anschließend in die obere Leistungsgruppe zugewiesen, um danach die Auswirkungen zu überprüfen. Anhand der Ergebnisse in Tabelle 6.6 fällt die Entscheidung, mit welcher Zuteilung die folgenden Gruppenanalysen durchgeführt werden. Während in der Variante 1 die 12 Probanden mit der Personenfähigkeit gleich dem Median der unteren Leistungsgruppe zugeordnet werden, erfolgt in der Variante 2 die Zuweisung der 12 Probanden in die obere Leistungsgruppe. Die Gegenübergenstellung der zwei Varianten wird mithilfe eines Signifikanztests bezogen auf die erreichten mittleren Fähigkeiten zu den zwei Messzeitpunkten durchgeführt. Die Prüfung findet zunächst für die „Leistungsschwachen“ und anschließend für die „Leistungsstarken“ statt.
163
6. Kapitel Empirischer Teil
Die erzielten Kompetenzstände zu beiden Messzeitpunkte lassen in beiden Leistungsgruppen keine signifikanten Unterschiede (untere Leistungsgruppe p = .233, p = .515, obere Leistungsgruppe p = .209, p = .801), bezogen auf die Gruppenzuteilung, erkennen. Daher erfolgt der Mediansplit, aufgrund der Gruppengrößen, wie in Variante 2. Das heißt, die (12) Probanden, die sich auf dem Median befindenden werden in die obere Leistungsgruppe zugeordnet. Mit diesem Vorgehen entstehen ähnlich große Gruppen für die weiteren Analysen: „Leistungsschwache“ (N 88) und „Leistungsstarke“ (N 98) (siehe Tabelle 6.6). Tabelle 6.6: Mediansplit: Zuteilung der Leistungsgruppen
Gruppenzuteilung N ET M (SD) Untere Leistungsgruppen Variante 1 untere Leistungsgruppen (N = 100) -.428 (SD .377) Variante 2 untere Leistungsgruppe (N = 88) -.493 (SD .357) p .233 Obere Leistungsgruppen Variante 1 obere Leistungsgruppen (N = 86) .621 (SD .365) Variante 2 obere Leistungsgruppe (N = 98) .550 (SD .391) p .209 Variante 1 = mit 12 Probanden auf (t1) .0437, Variante 2 = ohne 12 Probanden auf (t1) .0437.
AT M (SD) .149 (SD .644) .088 (SD .638) .515 .778 (SD .612) .756 (SD .601) .801
In Tabelle 6.6 wird ersichtlich, dass zwischen den zwei Leistungsgruppen deutliche Abstände bezogen auf die erzielten Kompetenzstände dokumentiert werden.47 Während die als „leistungsschwach“ identifizierten Auszubildenden (N 88) zu Beginn der Ausbildung im Mittel auf der Logit-Skala einen Wert von M -.493 (SD .357) erreichen, kann für die „Leistungsstarken“ (N 98) ein Kompetenzstand von M .550 (SD .391) dokumentiert werden. Zum zweiten Messzeitpunkt, am Ende der Grundstufe verhält es sich ähnlich. Die obere Leistungsgruppe erreicht im Abschlusstest einen Mittelwert von M .756 (SD .601) und ist somit deutlich stärker in ihren Leistungen als das untere Leistungssegment mit M .088 (SD .638). Da durch die Probanden, die auf dem Median liegen eine Verzerrung der Ergebnisse verursacht werden könnte und das Ausschließen von diesen Probanden das N verringern würde, soll im Anschluss geprüft werden, inwieweit diese Gruppe das Ergebnis beeinflusst. Hierfür wird im Folgenden ein Terzilsplit vorgenommen. Mit diesem Vorgehen soll schlussendlich nochmals überprüft werden, ob sich die Aussagen bezogen auf die Leistungsgruppen mit Blick auf die mittlere Leistungsgruppe verändern (Mediansplit vs. Terzilsplit).
47
Im Folgenden werden aufgrund der Ergebnisse aus dem Signifikanztest, nur noch die Zahlen aus der Variante 2 in Tabelle 6.6 betrachtet.
164
6. Kapitel Empirischer Teil
6.4.5.3
Gruppenzuteilung und Kompetenzstände anhand eines Terzilsplit
Für die Analysen anhand des Terzilsplits werden drei Gruppen mit je 62 Probanden gebildet. Wie bereits beim Mediansplit werden die mittleren Personenfähigkeiten und Standardabweichungen für die Gruppen (untere, mittlere, obere Leistungsgruppe) berechnet. Es zeichnet sich durch den Terzilsplit ein ähnliches Bild ab, wie für den Mediansplit (Tabelle 6.6). Die in Tabelle 6.7 dargestellten Ergebnisse dokumentieren unterschiedliche Kompetenzstände für die drei Leistungsgruppen. Sowohl zum ersten als auch zum zweiten Messzeitpunkt wird die Heterogenität zwischen den „Leistungsstarken“ und „Leistungsschwachen“ durch die Mittelwerte deutlich (Eingangstestung: obere Leistungsgruppe M .772 (SD .318), untere Leistungsgruppe M -.657 (SD .296); Abschlusstestung: obere Leistungsgruppe M .904 (SD .599), untere Leistungsgruppe M -.005 (SD .629)). Die mittlere Leistungsgruppe erzielt in der Eingangstestung einen mittleren Logit-Wert von M .056 (SD .160) und in der Abschlusstestung von M .420 (SD .566). Tabelle 6.7: Terzilsplit: Zuteilung der Leistungsgruppen
Leistungsgruppen Terzilsplit (1) Untere Leistungsgruppe (N = 62) (2) Mittlere Leistungsgruppe (N = 62) (3) Obere Leistungsgruppe (N = 62)
6.4.5.4
ET M (SD)
AT M (SD)
-.657 (SD .296) .056 (SD .160) .772 (SD .318)
-.005 (SD .629) .420 (SD .566) .904 (SD .599)
Kompetenzentwicklungen in den unterschiedlichen Leistungsgruppen
Im Folgenden werden die berichteten Kompetenzstände aus den Tabellen 6.6 und 6.7 grafisch dargestellt, um die Entwicklungen der unterschiedlichen Gruppen nachzuvollziehen. Zunächst erfolgt die Darstellung der Kompetenzentwicklung in den zwei Leistungsgruppen, die durch den Mediansplit bestimmt wurden. Die in Tabelle 6.6 berichteten Mittelwerte werden in der Abbildung 6.8 wiedergegeben. Auf der x-Achse werden die zwei Messzeitpunkte (Eingangs- und Abschlusstestung) verortet. Die yAchse gibt die durchschnittlichen berufsfachlichen Leistungen (Logit-Werte) an. Die Entwicklungen der zwei Gruppen illustrieren eindeutige Differenzen in den Kompetenzständen zu beiden Messzeitpunkten. Wie bereits oben berichtet, liegen die Jugendlichen in ihren Testleistungen deutlich auseinander (siehe Tabelle 6.6). Die Analyse zeigt für die zwei Gruppen auch unterschiedliche Leistungszuwächse im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres. Der Unterschied in den erreichten Leistungen der Gruppen fällt zum zweiten Messzeitpunkt geringer aus, als noch zum ersten Messzeitpunkt. Zu beiden Messzeitpunkten wird für die Gruppe der „leistungsstarken“ Auszubildenden zwar ein höherer Mittelwert der Personenfähigkeiten im Vergleich zu der Gruppe der „Leistungsschwachen“ dokumentiert, jedoch
6. Kapitel Empirischer Teil
165
unterscheiden sich die Entwicklungsdynamiken erheblich (Abbildung 6.8). Dieses Ergebnis wird durch die Effektstärken deutlich. So resultiert bei Nutzung des Mediansplits für die „Leistungsstarken“ ein Cohens d = .41 während für die „Leistungsschwachen“ ein d = 1.12 erreicht wird. Zusammengefasst näheren sich die zwei Leistungsgruppen im Verlauf der Grundstufe in ihren Kompetenzen an. Doch trotz der stärkeren Entwicklungsdynamik der „leistungsschwachen“ Auszubildenden, erreichen jene am Ende des ersten Ausbildungsjahres nicht einmal den Anfangsstand der oberen Leistungsgruppe (untere Leistungsgruppe AT M .088 vs. obere Leistungsgruppe ET M .55). In der Abbildung 6.8 wird der Abstand zwischen den zwei Leistungsgruppen nach einem Ausbildungsjahr deutlich. Die abgebildeten Mittelwerte entsprechen den mittleren Logit-Werten der unterschiedlichen Leistungsgruppen. Wie bereits beschrieben erfolgt die Gruppenzuteilung anhand des Mediansplits der Personenfähigkeit zum Eingangstest (.0473 = „Leistungsstarke“).
Abbildung 6.8: Mediansplit: Entwicklungsdynamik in den Leistungsgruppen
Im Folgenden werden in Abbildung 6.9 die Entwicklungen der Leistungsgruppen nach dem Terzilsplit dargestellt. Die Werte beziehen sich auf die in Tabelle 6.7 berichteten Kompetenzstände der drei Leistungsgruppen. Die x-Achse legt, wie bereits zum Mediansplit, die zwei Messzeitpunkte fest und die y-Achse gibt die Informationen über die erzielten durchschnittlichen Werte der berufsfachlichen Leistungen (Logit-Werte) der drei Gruppen an. Für skizzierten drei Leistungsgruppen können deutliche Unterschiede in den Leistungszuwächsen im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres gemessen werden. Die untere Leistungsgruppe weist die größte Steigung zwischen Eingangs- und Abschlusstestung auf, gefolgt von der mittleren Leistungsgruppen. Die geringste Dynamik wird für die obere Leistungsgruppe dokumentiert (Tabelle 6.9). So fallen die Effektstärken, berechnet nach Cohens d, erwartungskonform aus. Für die untere Leistungsgruppe wird ein starker Effekt von
166
6. Kapitel Empirischer Teil
d = 1.33 gemessen. Die mittlere Gruppe weist einen Effekt von d = .88 auf. Im Vergleich dazu wird für die obere Leistungsgruppe lediglich eine geringe Effektstärke von d = .28 berichtet.
Abbildung 6.9: Terzilsplit: Entwicklungsdynamik in den Leistungsgruppen
6.4.5.5
Zusammenfassung und Vergleich Median- vs. Terzielsplit
Die Tabelle 6.8 stellt die oben berichteten Ergebnisse zu den erreichten Kompetenzständen in den unterschiedlichen Leistungsgruppen noch mal im Überblick dar. Insgesamt können bezogen auf die eingesetzten Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Wissens sowohl zum Beginn als auch am Ende der Grundstufe geringere Kompetenzstände für die untere Leistungsgruppe als für die obere Leistungsgruppe dokumentiert werden. So erzielen die „Leistungsstarken“ bei der Verwendung des Median- und beim Einsatz des Terzilsplits, höhere Testwerte in beiden Messzeitpunkten. Der Vergleich der Effektstärken (Cohens d) zeigt, dass die erreichten Kompetenzstände in den Tests keinen Rückschluss auf die Leistungsentwicklung der Gesamtgruppe zulassen. Trotz der deutlich geringeren Testwerte der „Leistungsschwachen“ im Gegensatz zu den „Leistungsstarken“, ist die Effektstärke und somit die Entwicklungsdynamik der unteren Leistungsgruppe stärker als die in der oberen Leistungsgruppe. Der Unterschied in der Entwicklung (untere Leistungsgruppe d = 1.12 vs. obere Leistungsgruppe d = .41) wird auch mit dem durchgeführten Terzilsplit bestätigt. Die Aussagen zur Leistungsdynamik der unteren und oberen Leistungsbereiche verhalten sich ähnlich wie in den Analysen im Anschluss an den Mediansplit. Im Terzil betrachtet, schneidet die obere Leistungsgruppe schlechter ab, da die mittlere Gruppe einen starken Effekt aufweist (d = .88). Insgesamt erzielt die untere Leistungsgruppe (d = 1.33), sowohl zugeteilt durch den Median als auch durch den Terzilsplit, einen deutlich stärkeren Effekt als die obere Leistungsgruppe (d = .28) (Tabelle6.8).
167
6. Kapitel Empirischer Teil
Tabelle 6.8: Vergleich der Leistungsgruppen: Mediansplit vs. Terzilsplit
Leistungsgruppen Mediansplit (1) Untere Leistungsgruppe (N = 88) (2) Obere Leistungsgruppe (N = 98) Terzilsplit (1) Untere Leistungsgruppe (N = 62) (2) Mittlere Leistungsgruppe (N = 62) (3) Obere Leistungsgruppe (N = 62)
ET M (SD)
AT M (SD)
Cohens d
-.493 (SD .357) .550 (SD .391)
.756 (SD .601) .088 (SD .638)
1.12 .41
-.657 (SD .296) .056 (SD .160) .772 (SD .318)
-.005 (SD .629) .420 (SD .566) .904 (SD .599)
.1.33 .88 .28
Aufgrund dessen, dass die Entwicklungsaussagen zu den unterschiedlichen Leistungsgruppen sich nicht ändern, also die „Leistungsschwachen“ trotz der geringeren Testleistungen in beiden Instrumenten stärkere Entwicklungen im Verlauf des Grundbildungsjahres im Vergleich zu den „Leistungsstarken“ aufweisen, erfolgen die weiteren Analysen anhand der Gruppenzuweisung mithilfe des Mediansplits. Somit wird die Gruppengröße nicht weiter reduziert. Im Folgenden wird ein zusätzlicher Vergleich der zwei Leistungsgruppen anhand ihrer kognitiven Grundfähigkeit vorgenommen. Damit können die größeren Einflussfaktoren kontrolliert werden. Es werden die Daten zu den kognitiven Grundfähigkeiten in den Gruppen gegenübergestellt. Da die Leistungsgruppen zunächst anhand der Fachleistungen gebildet wurden, werden zusätzlich die mittleren Werte für die kognitive Grundfähigkeit berücksichtigt, um auszuschließen, dass die deutlich stärkere Entwicklung der „Leistungsschwachen“ durch einen höheren IQ-Wert zustande kommt. Andernfalls würde dies bedeuteten, dass gegebenenfalls aufgrund spezifischer sozialer Bedingungen im Vorfeld dieser Prädiktor noch nicht beziehungsweise weniger beim Aufbau des Vorwissens wirksam wurde. Mit den unterschiedlichen Leistungsgruppen, die anhand des Medians gebildet wurden, wird der durchschnittliche Wert für die kognitive Grundfähigkeit berechnet. Die Prüfung zeigt, dass die untere Leistungsgruppe im eingesetzten IQ-Test im Mittel 82.68 (SD 13.19) Punkte erreicht, während die Jugendlichen in der oberen Leistungsgruppe mit 89.43 (SD 13.96) kognitiv stärker sind. Damit scheinen andere Faktoren Einfluss auf die unterschiedlichen Kompetenzzuwächse der „leistungsschwachen“ Auszubildenden zu haben. Die formulierten Hypothesen werden im Folgenden geprüft. Die in Hypothese 3.3.1 getroffene Annahme, dass es zu unterschiedlichen Kompetenzzuwächsen in den Leistungsgruppen kommt und dies zu einer geringer werdenden Leistungsheterogenität im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres führt, kann durch die Effektstärken der Gruppen bestätigt werden. Zusammenfassend kann anhand der bereits berichteten Ergebnisse, eine Homogenisierung und somit die Abnahme der Leistungsheterogenität im Verlauf der Grundbildung, bezogen auf die Fachleistungen, dokumentiert werden. Die erzielten Cohens d Werte in den Leistungsgruppen (siehe Tabelle 6.8) verdeutlichen, dass der Ausgleich der Leistungsunterschiede in den Gruppen
168
6. Kapitel Empirischer Teil
auf Kosten der „leistungsstarken“ Auszubildenden erfolgt. Damit wird die Hypothese 3.3.2 bestätigt, in der von einem partiellen Ausgleich der Leistungsunterschiede, durch eine geringere Entwicklungsdynamik der „Leistungsstarken“, ausgegangen wird. Zu berücksichtigen ist, dass bei der Interpretation dieser Befunde, die Homogenisierung zwar zugunsten der „Leistungsschwachen“ stattfindet und dies als positives Ergebnis gedeutet werden kann, jedoch die bestehenden Leistungsdifferenzen der Gruppen am Ende des ersten Ausbildungsjahres einen bemerkenswert hohen Unterschied zwischen oberen und unteren Leistungssegment erkennen lassen.
6.4.6
Zusammenfassung
Die in Abschnitt 6.4 durchgeführten Analysen zeigen, dass die vorliegenden Instrumente sich als sensitiv, für die Erfassung und Prüfung der berufsfachlichen Kompetenzentwicklung im ersten Ausbildungsjahr der Maler/in und Lackierer/in, erweisen. Es gelingt mit den eingesetzten Instrumentarien (Eingangs- und Abschlusstest durch Ankeritems), die erfassten Kompetenzen auf einer Metrik abzubilden und erste Aussagen zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung zu generieren. Insgesamt kann sowohl für den quasi Längsschnitt, mit allen Probanden in der Skalierung, als auch für den reinen Längsschnitt, ausschließlich mit den Auszubildenden die zu beiden Messzeitpunkten anwesend waren, ein substanzieller Leistungszuwachs (d >.5) bestätigt werden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Leistungsgruppen zeigen die Analysen, dass Leistungsdifferenzen zwischen den „Leistungsschwachen“ und „Leistungsstarken“ bestehen bleiben. Die Kernaussagen, bezogen auf die Kompetenzstände sowie auf die Leistungsdynamiken, unabhängig davon, ob die Leistungsgruppen anhand des Mediansplits (zwei Gruppen) oder durch einen Terzilsplit erfolgen, sind letztendlich identisch. Die Ergebnisse (Abschnitt 6.4.5) belegen eine stärkere Entwicklungsdynamik für die „leistungsschwachen“ Auszubildenden. So fallen die aufgezeigten Kompetenzzuwächse in der unteren Leistungsgruppe im Gegensatz zur oberen Leistungsgruppe überdurchschnittlich hoch aus. Die Unterschiede zwischen den Leistungsgruppen, bezogen auf die Entwicklungsverläufe, sind signifikant. Der Befund steht zwar im Kontrast zu Catell (1987) Investmenttheorie, kann aber als verschiedentlich berichtetes Phänomen in ähnlich „leistungsschwachen“ Bereichen, vor allem in vergleichbaren Domänen, bestätigt werden (Abschnitt 3.2.4.1). Insgesamt wird eine Homogenisierung berichtet, die einen sinkenden Leistungsunterschied zwischen den Gruppen im Verlauf des Grundbildungsjahres deutlich macht. Die Ergebnisse bekräftigen die Annahme, dass für dieses Segment von einer Leistungsannährung auszugehen ist. Trotz der Leistungsannhärung scheint folgende Interpretation angemessen: Trotz starker Zuwächse in der unteren Leistungsgruppe fallen die Unterschiede in den Kompetenzständen zwischen den Leistungsgruppen hoch aus. Daher ist die zunächst positive Befundlage, für die Auszubildenden im unteren Leistungsbereich, nicht nur positiv zu bewerten. Zudem sind im Vergleich der
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169
zwei Leistungsgruppen, die Entwicklungen im oberen Leistungssegment nicht zufriedenstellend.
6.5 TEILZIEL 4 – GENERIERUNG EINES ERKLÄRUNGSMODELLS FÜR DAS FACHWISSEN AM ENDE DES ERSTEN AUSBILDUNGSJAHRES Dieser Abschnitt fokussiert die Generierung eines Erklärungsmodells zur Analyse des Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Im Anschluss an den vorherrschenden Forschungsstand werden jene Variablen, die einen Einfluss auf die Fachkompetenzentwicklung vermuten lassen, im Modell berücksichtigt. Das Ziel der Analysen liegt darin, folgende Frage zu beantworten: Frage 4: Welche Prädiktoren haben im ersten Ausbildungsjahr einen Einfluss auf das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres im Ausbildungsberuf Maler/in und Lackierer/in? In diesem Zusammenhang werden mehrere Hypothesen geprüft (4.1 - 4.4), die im Anschluss zur Erinnerung nochmals formuliert werden. H4.1: Die kognitiven Eingangsvoraussetzungen, wie die kognitive Grundfähigkeit, der formale Schulabschluss, die Basiskompetenzen (Zeugnisnoten), die Klassenwiederholung als auch das berufsspezifische Vorwissen zeigen sich im Gegensatz zu den nicht kognitiven Determinanten als stärkste Prädiktoren für das Fachwissen der Maler/in und Lackierer/in am Ende des ersten Ausbildungsjahres, wobei dem berufsspezifischen Vorwissen (t1) der höchste Anteil an Erklärungskraft zugesprochen wird. H4.2: Die Auszubildenden, deren Muttersprache Deutsch ist, schneiden am Ende der Grundstufe im berufsfachlichen Wissen besser ab als jene, die neben Deutsch eine weitere Sprache oder nur eine andere Sprache als Deutsch zu Hause sprechen. H4.3: Neben den kognitiven Determinanten besitzen die soziokulturellen Merkmale für das berufsfachliche Wissen am Ende der Grundstufe Erklärungskraft. Für Jugendliche aus Familien mit niedrigerem Bildungsstatus wird ein negativer Einfluss auf das berufsfachliche Wissen erwartet. Somit wird angenommen, dass der Berufs- und Bildungsstatus der Eltern die berufsfachliche Kompetenzentwicklung bei Kontrolle kognitiver Merkmale beeinflusst. H4.4: Die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts werden für die Motivationsausprägungen bei Kontrolle des Vorwissens bedeutsam, jedoch nicht für die Erklärung des Fachwissens. Zur Einlösung des Teilziels 4 werden die Hypothesen 4.1-4.4 in einer dreistufigen Analyse geprüft: Es werden (1) Korrelationen zwischen den Determinanten und
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6. Kapitel Empirischer Teil
dem berufsfachlichen Wissen gerechnet, zudem (2) Regressionsmodelle generiert und (3) ein Strukturgleichungsmodell aufgestellt. Die schrittweise Analyse zwischen der Determinanten soll es ermöglichen, dass am Ende der Auswertung bei Kontrolle erklärungsrelevanter Variablen weitere potenzielle Einflussfaktoren einbezogen werden. Dabei kann mit kleinen Stichproben ein stabiles Erklärungsmodell für das Fachwissen gerechnet werden. Angestrebt wird ein elaboriertes Strukturgleichungsmodell zur Erklärung des Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres, durch das sowohl direkte als auch indirekte Effekte aufgezeigt werden können. Dafür werden die Zusammenhänge zwischen den ausgewählten Determinanten und dem berufsfachlichen Wissen näher betrachtet. Hierbei werden die verschiedenen Wechselwirkungen der Konstrukte untereinander berücksichtigt. Die Analysen erfolgen in der Reihenfolge der inhaltlichen Ausrichtungen der Hypothesen. Zunächst werden die kognitiven Determinanten (IQ, Vorwissen, formaler Schulabschluss, Noten, Klassenwiederholung), anschließend die sprachlichen Komponenten (Muttersprache, Deutschnote, Sprachverhalten, kulturelles Kapital), sowie die soziokulturellen Hintergrundmerkmale (Bildungsstatus der Eltern, kulturelles Kapital) und letztlich die motivationalen Merkmale, die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts sowie das Fähigkeitsselbstkonzept untersucht. Im nächsten Schritt wird mittels Regressionsanalysen die Erklärungskraft der einzelnen Konstrukte analysiert, um im Anschluss mit den gewonnenen Erkenntnisse das Strukturgleichungsmodell formulieren zu können. Das finale Modell soll dazu dienen, die zentralen Ergebnisse, bezogen auf die Kompetenzentwicklung der Maler/in und Lackierer/in, in gebündelter Form zu beschreiben und die vermuteten indirekten Effekte transparent darzulegen.
6.5.1
Zusammenhänge zwischen den Determinanten und dem berufsfachlichen Wissen
Im Folgenden werden die Korrelationskoeffizienten der erfassten Prädiktoren berechnet. Hierbei werden die Zusammenhänge der kognitiven und nicht kognitiven Determinanten, vor allem in Bezug auf das berufsfachliche Wissen, untersucht. Dafür werden die anhand der querschnittlichen Skalierungen geschätzten Personenfähigkeiten (WLE/PV) genutzt. Die Analysen beziehen sich auf die Personenfähigkeiten aus dem Eingangs- und dem Abschlusstest. Die anderen Determinanten werden auf ihre Ausprägungen, wie bereits in Abschnitt 5.5.2 ausgeführt, in die Analysen aufgenommen. Vereinzelt werden Determinanten, aufgrund von unterbesetzten Kategorien, umcodiert. Teilweise zeigen sich bei diesen Variablen bei einer Varianzanalyse, keine signifikanten Unterschiede zwischen den Ausprägungen und
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171
führen ebenfalls zu einer Reduzierung der Stufen. Im Folgenden werden die latenten Korrelationen zwischen den erfassten Konstrukten dargestellt.48
6.5.1.1
Kognitive Eingangsvoraussetzungen
Als kognitive Determinanten werden die kognitiven Grundfähigkeiten und die schulischen Leistungen (der formale Schulabschluss, die Basiskompetenzen gemessen an der Deutsch- und Mathematiknote und die Informationen zur Klassenwiederholung) berücksichtigt. Die deskriptiven Werte für den formalen Schulabschluss zeigen, dass es sich bei der Stichprobe, bei Betrachtung der Verteilungen, hauptsächlich um zwei Gruppen handelt. Diese beschreiben zum einen Jugendliche mit einem Hauptschulabschluss und zum anderen mit einer mittleren Reife (vgl. im Methodikteil Tabelle 5.1: keinen Abschluss 4.2 % Hauptschulabschluss 69.3 %, Realschulabschluss 25 %, Abitur/Fachabitur 0.6 %, Sonstige 0.9 %). Aufgrund der eingeschränkten Varianz, wird die Variable in dichotomisierter Form berücksichtigt (höchstens Hauptschulabschluss = 0, mindestens Realschulabschluss = 1). Dieses Vorgehen wird durch eine univariate Varianzanalyse bestätigt. Die Leistungsbeurteilungen in Form der Zeugnisnoten werden unverändert in die Berechnungen einbezogen und sind mit 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend codiert. Die Information, ob die Jugendlichen schon einmal oder mehrmals sitzen geblieben sind, wird als dichotome Variable aufgenommen (Klassenwiederholung ja = 1, nein = 0) (vgl. Tabelle 5.7). Die Bedeutung der kognitiven Determinanten für die weiteren Leistungsdaten, werden durch die hohen Korrelationskoeffizienten in Tabelle 6.9 deutlich. Die linearen Zusammenhänge zwischen den kognitiven Determinanten, sind weitestgehend erwartungskonform. Das berufsspezifische Vorwissen (t1) ist am engsten mit dem Fachwissen (t2) am Ende des ersten Ausbildungsjahres assoziiert r = .570. Die kognitive Grundfähigkeit und der formale Schulabschluss, hängen am zweitstärksten mit dem Fachwissen (t2) zusammen (r = .454-.452). Der IQ sowie der formale Schulabschluss lassen, in Bezug auf das berufsspezifische Vorwissen (t1), ebenfalls hohe Korrelationen erkennen (r = .321-.335). Zwischen dem IQ und dem formalen Schulabschluss, besteht eine deutliche Assoziation (r = .406). Sowohl für die Mathematiknote als auch die Deutschnote können, wenn im Vergleich zu den anderen berichteten kognitiven Determinanten, geringere Zusammenhänge als auch signifikante Werte, in Bezug auf das berufsfachliche Wissen, dokumentiert werden. Die Deutschnote ist mit r = -.152 und r = -.158 enger mit den Leistungen in der Eingangs- und Abschlusstestung assoziiert, als die Mathematiknote mit r = -.141, -.125. Erwähnenswert ist der geringe Zusammenhang der Note im Fach Deutsch 48
Für die im Anschluss berichteten Tabellen werden aufgrund der besseren Lesbarkeit folgende Abkürzungen verwendet: berufsspezifisches Vorwissen (t1) = Vorwissen (t1), berufsspezifisches Fachwissen (t2) = Fachwissen (t2), Allgemein bildender Schulabschluss = Schulabschluss, Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch = FSK Deutsch, Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Mathematik/Naturwissenschaften = FSK Mahte.
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und dem IQ (r = .033). Im Gegensatz dazu wird zwischen der Mathematiknote und dem IQ ein höherer signifikanter Zusammenhang (r = -.154) ermittelt (Tabelle 6.9). Die erfassten Noten korrelieren untereinander mit r = .273. Die Information über eine Klassenwiederholung in der bisherigen Schullaufbahn der Jugendlichen, zeigt signifikante Zusammenhänge mit den beruflichen Kompetenzen und scheint mehr Einfluss auf das Fachwissen zum zweiten Messzeitpunkt als auf das gemessene Vorwissen zu Beginn der Ausbildung zu haben (r = -.214 vs. r = -.168). Tabelle 6.9: Korrelationen zwischen den kognitiven Determinanten und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres
Konstrukte (1) (2) (3) (4) (5) (6) (1) Fachwissen (t2) (2) Vorwissen (t1) .570***1 (3) IQ .454***1 .321***1 (4) Schulabschluss .452***1 .335***1 .406***1 (5) Deutschnote -.152*2 -.158**2 -.0332 -.1103 (6) Mathematiknote -.141.2 -.125* 2 -.154*2 .0453 .273***3 (7) Klassenwiederholung -.214**1 -.168**1 -.0281 -.1064 .161.3 .159.3 1 2 3 Die linearen Zusammenhänge werden mit = Pearson, = Spearman, = Gamma, 4 = Phi -Korrelation berechnet. Signifikanzniveaus: ∗ ∗ ∗ ≤ 0.1 % ∗∗ ≤ 1 % ∗ ≤ 5 % . ≤ 10 % nicht signifikante Regressionskoeffizienten werden nicht gekennzeichnet
Übergreifend ist mit den dargestellten Werten in Tabelle 6.9 folgendes Ergebnis festzustellen. Die Zusammenhänge zwischen dem Fachwissen (t2) am Ende der Grundstufe und dem berufsspezifischen Vorwissen (t1), sowie dem IQ und dem formalen Schulabschluss sind deutlich stärker als die Zusammenhänge zwischen dem Fachwissen (t2) und den Noten, sowie der Information zur Klassenwiederholung. Zudem weisen das berufsspezifische Vorwissen, der IQ sowie der Schulabschluss relativ hohe Assoziationen mit dem Fachwissen (t2) auf. Erwartungswidrig ist teilweise das Verhältnis zwischen dem IQ und den Noten. Ähnliches wird bezogen auf die berufsfachlichen Kompetenzen dokumentiert. Für die Noten werden nur geringe Zusammenhänge berichtet. Die Interpretation der Einflüsse durch die Noten ist zum Teil durch die in Abschnitt 6.5.1.1 angesprochene Vergleichsproblematik der Noten von Haupt- und Realschule schwierig (Abschnitt 6.5.1.1). Zudem müssen Varianzeinschränkungen berücksichtigt werden.
6.5.1.2
Sprachliche Fähigkeiten
Um den Einfluss der sprachlichen Fähigkeiten der Jugendlichen auf das Fachwissen (t2) zu untersuchen, werden im Folgenden aus den erfassten Konstrukten die Muttersprache, die Deutschnote, das Sprachverhalten und das kulturelle Kapital
6. Kapitel Empirischer Teil
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(Buchbesitz), im Zusammenhang mit dem berufsfachlichen Wissen zum ersten und zweiten Messzeitpunkt, näher betrachtet. Die Berücksichtigung der Variable Migrationshintergrund (Muttersprache) wird mit der Annahme, dass es sich hierbei um einen Indikator für die sprachliche Kompetenz handelt, begründet. Wie bereits in Abschnitt 5.5.2.2 erläutert, wurde die Muttersprache mit der zu Hause gesprochenen Sprache erfragt (nur Deutsch = 0, Deutsch und eine andere Sprache = 1, nur eine andere Sprache = 2). Mittels einer Varianzanalyse, bezogen auf die Fachkompetenz (t2), unterscheiden sich die Probanden, die zu Hause nur Deutsch sprechen, signifikant von jenen, die Deutsch und eine andere Sprache, sowie nur eine andere Sprache sprechen. Es zeigen sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen jenen, die zu Hause eine andere Sprache in Kombination mit Deutsch oder nur eine andere Sprache verwenden. Bezogen auf das Vorwissen (t1), lassen sich jedoch für alle drei Gruppen signifikante Unterschiede dokumentieren. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die sprachlichen Differenzen in den zwei Kategorien (1 = Deutsch und andere Sprache, 2 = nur eine andere Sprache), im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres, kompensiert werden und die zu Beginn aufgezeigten Unterschiede am Ende des Schuljahres nicht mehr relevant sind. So kann nach einem Jahr, bezogen auf die fachlichen Kompetenzen, nur zwischen den Auszubildenden, die zu Hause nur Deutsch oder nicht nur Deutsch sprechen unterschieden werden. Mit Bezug auf die Ergebnisse aus den Varianzanalysen wird die Variable umcodiert und mit nur zwei Ausprägungen in das Modell aufgenommen (Migrationshintergrund: Muttersprache Deutsch = 0, Muttersprache nicht Deutsch = 1). Für das kulturelle Kapital (Buchbesitz) ist ebenfalls nach einer Analyse der Daten, die Zusammenfassung der fünf Kategorien sinnvoll (Abschnitt 5.5.2.2). Damit wird die Variable in dichotomer Form, für die weiteren Analysen, berücksichtigt (0 = weniger als 50 Bücher, 1 = mehr als 50 Bücher). Das Konstrukt zum Sprachverhalten verbleibt in der ursprünglichen Codierung, wie in Abschnitt 5.5.2.2 beschrieben. So wird das Sprachverhalten nach einer univariaten Varianzanalyse lediglich mit 3 Items berücksichtigt (Leseverhalten (Likertskala): (1) Zeitungen, (2) Bücher, (3) Internetartikel). In Tabelle 6.10 wird ersichtlich, dass das berufsspezifischen Vorwissen (t1) und das Fachwissen (t2) am stärksten mit der Muttersprache assoziieren (r = - .294, -.361). Die Note im Fach Deutsch wird in diesem Kontext, aufgrund der Vollständigkeit, erneut aufgenommen (r = -1.52, -1.58). Mit Blick auf das Sprachverhalten der Jugendlichen und ihrem kulturellen Kapital, werden ebenfalls signifikante Zusammenhänge mit dem berufsfachlichen Wissen dokumentiert (Tabelle 6.10). Für das kulturelle Kapital wird bezogen auf das Fachwissen (t2) eine starke signifikante Assoziation berichtet (r = .273). Dagegen korreliert das Sprachverhalten sowohl mit dem Vorwissen (t1) als auch dem Fachwissen (t2), mit geringen Zusammenhängen (r = .186 - .166). Die Bedeutung der Muttersprache in Zusammenhang mit den anderen sprachlichen Determinanten wird in Tabelle 6.10 deutlich. So ist die Deutschnote (r = .254) als auch der Buchbesitz (r = -.242) mit der zu Hause gesprochenen Sprache asso-
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6. Kapitel Empirischer Teil
ziiert. Es können für die Jugendlichen, die als Muttersprache Deutsch angaben, im Vergleich zu jenen, die mit einer anderen Sprache aufwachsen, bessere Noten im Fach Deutsch und ein höheres kulturelles Kapital bestätigt werden. Interessant ist der ausbleibende Zusammenhang des Sprachverhaltens der Jugendlichen. Bezogen auf dieses Merkmal werden weder Zusammenhänge mit der Muttersprache noch mit der Deutschnote bestätigt. Im Gegensatz dazu zeigt sich eine hohe Assoziation von r = .295 zwischen dem Sprachverhalten und dem kulturellen Kapital. Tabelle 6.10: Korrelationen zwischen sprachlichen Komponenten und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres
Konstrukte (1) (2) (3) (4) (5) (1) Fachwissen (t2) (2) Vorwissen (t1) .570***1 (3) Muttersprache -.316***1 -.294***1 (4) Sprachverhalten .186*1 .166**1 -.0361 (5) Deutschnote -.152*2 -.158**2 .254**3 -.0412 (6) Kulturelles Kapital .273***1 .101.1 -.242***4 .295***1 -.0533 Die linearen Zusammenhänge werden mit 1 = Pearson, 2 = Spearman, 3 = Gamma, 4 = Phi -Korrelation berechnet. Signifikanzniveaus: ∗ ∗ ∗ ≤ 0.1 % ∗∗ ≤ 1 % ∗ ≤ 5 % . ≤ 10 % nicht signifikante Regressionskoeffizienten werden nicht gekennzeichnet
Die in Tabelle 6.10 berichteten Zusammenhänge verdeutlichen, dass die sprachlichen Fähigkeiten der Jugendlichen einen Einfluss auf das berufsfachliche Wissen haben. Die Ergebnisse dieser Analysen bestätigen, dass hier der Migrationshintergrund, operationalisiert durch die Muttersprache, vermutlich aufgrund sprachlicher Defizite für die fachlichen Kompetenzen eine bedeutende Rolle spielt. Detaillierte Analysen für das kulturelle Kapital bestätigten signifikante Zusammenhänge bezogen auf den IQ (.284***) und den formalen Schulabschluss (.245***). Die Variable Sprachverhalten korreliert schwach mit dem formalen Schulabschluss (.147*). Bezogen auf den IQ bleiben signifikante Zusammenhänge aus. Anhand der referierten Befunde wird deutlich, dass die Variable Sprachverhalten und kulturelles Kapital für die berufsfachlichen Leistungen nicht unbedeutend sind, obwohl die Assoziationen im Gegensatz zu den kognitiven Determinanten relativ schwach sind. Aufgrund der berichteten Assoziationen kann angenommen werden, dass die Effekte bereits über die kognitiven Determinanten indirekt wirken und daher die direkten Zusammenhänge teilweise ausbleiben.
6.5.1.3
Soziokulturelle Hintergründe
Im Hinblick auf die soziokulturellen Hintergrundmerkmale der Auszubildenden wurden drei Variablen erfragt. Wie bereits in Abschnitt 5.5.2.3 berichtet, wird mit
6. Kapitel Empirischer Teil
175
dem Berufs- und Schulabschluss der Eltern der Bildungsstatus berücksichtigt. Zusätzlich wird das kulturelles Kapital als Indikator aufgenommen. In Tabelle 6.11 werden die angeführten Merkmale (Schulabschluss der Eltern, Berufsabschluss der Eltern, kulturelles Kapital) zur Überprüfung der Zusammenhänge zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und dem berufsfachlichen Wissen untersucht. Die in Tabelle 6.11 berichtete Werte beziehen sich sowohl für den Berufsabschluss als auch für den Schulabschluss der Eltern auf mehrere Ausprägungen (Berufsabschluss: 0 = keine Berufsausbildung, 1 = berufliche Ausbildung, 2 = mehr als berufliche Ausbildung; Schulabschluss: 0 = kein Abschluss, 1 = Hauptschulabschluss, 2 = Realschulabschluss, 3 = Studienberechtigung). Nur das kulturelle Kapital wird wie bereits in Abschnitt 6.5.1.2 in dichotomisierter Form in die Berechnungen aufgenommen (0 = weniger als 50 Bücher, 1 = mehr als 50 Bücher). Die Ergebnisse aus der Tabelle 6.11 zeigen, dass die Zusammenhänge zwischen dem Fachwissen (t2) und den potenziellen Determinanten ausbleiben. Es wird lediglich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Berufsabschluss der Eltern und dem Vorwissen (t1) nachgewiesen (r = .186). Signifikante Wert bleiben für den Schulabschluss der Eltern dem Vorwissen (t1) aus. Somit existieren keine Zusammenhänge zwischen dem Schulabschluss der Eltern den berufsfachlichen Leistungen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Jedoch zeigt sich, dass die Indikatoren für die soziokulturellen Hintergründe untereinander stark korrelieren. Der Schulabschluss und der Berufsabschluss der Eltern korrelieren hoch mit r = .578. Bezogen auf das kulturelle Kapital werden ebenfalls signifikante Assoziationen dokumentiert (r = .229, r = .387). Tabelle 6.11: Korrelation zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres
Konstrukte (1) (2) (3) (4) (1) Fachwissen (t2) (2) Vorwissen (t1) .570***1 (3) Schulabschluss der Eltern .0802 .0822 (4) Berufsabschluss der Eltern .1112 .186**2 .578***3 (5) Kulturelles Kapital .273***1 .101.1 .229*3 .387**3 Die linearen Zusammenhänge werden mit 1 = Pearson, 2 = Spearman, 3 = Gamma, 4 = Phi -Korrelation berechnet. Signifikanzniveaus: ∗ ∗ ∗ ≤ 0.1 % ∗∗ ≤ 1 % ∗ ≤ 5 % . ≤ 10 % nicht signifikante Regressionskoeffizienten werden nicht gekennzeichnet
Durch die Analyse der Determinanten kann, trotz der ausbleibenden Effekte auf das Fachwissen (t2), auf eine soziale Ungleichheit geschlossen werden. Zum einen hat der Berufsabschluss der Eltern, einen Einfluss auf das Vorwissen (t1) der Jugendlichen zu Beginn der Ausbildung. Zum anderen ist das kulturelle Kapital, das für die sprachlichen Kompetenzen eine hohe Relevanz aufwies, mit dem beruflichen sowie schulischen Abschluss der Eltern assoziiert.
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6. Kapitel Empirischer Teil
6.5.1.4
Motivationsausgprägungen, Qualitätsmerkmale des Unterrichts, Fähigkeitsselbstkonzept
Im Folgenden werden in Tabelle 6.12 die Einflussmerkmale wie die Motivationsausgprägungen, die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts sowie das Fähigkeitsselbstkonzept in Bezug auf die fachlichen Leistungen analysiert. Nach dem bisherigen Forschungsstand (Abschnitt 3.2.4) werden in den meisten Studien mit diesen Merkmalen geringe Erklärungskräfte erzielt. Dabei werden die Merkmale über die Selbstwahrnehmung der Auszubildenden erfasst. Nach Voranalysen zur Generierung einschlägiger Messmodelle können die einzelnen Merkmale der Konstrukte Motivation und die Qualitätsmerkmale des Unterrichts nicht zusammengefasst werden (kein g-faktor) und müssen daher im Einzelnen in ihren Zusammenhängen mit den Leistungsmerkmalen analysiert werden. Die Motivation wird durch die Amotivation, die identifizierte und die intrinsische Motivation abgebildet. Die Qualitätsmerkmale des Unterrichts werden differenziert in Überforderung, Kompetenzerleben, Relevanzzuschreibung und wahrgenommene Kompetenzunterstützung. Zudem werden die emotionale Befindlichkeit sowie die Disziplin im Unterricht als Indikatoren für die Unterrichtsqualität mit in die Analysen aufgenommen. Außerdem wird des Fähigkeitsselbstkonzeptes der Jugendlichen untersucht, differenziert nach den Kompetenzbereichen Mathematik/Naturwissenschaften und Deutsch. Für die folgenden Berechnungen erfolgt keine Umcodierung der Variablen. Somit verbleiben die Variablen in ihrer ursprünglichen Codierung (siehe Abschnitt 5.5.2.2). In Tabelle 6.12 werden nacheinander die Qualitätsmerkmale im Unterricht (Überforderung, Kompetenzerleben, Relevanzzuschreibung, Kompetenzunterstütztung), anschließend die emotionale Befindlichkeit und die wahrgenommene Disziplin im Unterricht und die drei Motivationsausprägungen dargestellt. Schließlich werden die Zusammenhänge in Bezug auf das Fähigkeitsselbstkonzept aufgezeigt. Von den einbezogenen Qualitätsmerkmalen des Unterrichts weisen bis auf die Kompetenzunterstützung alle Merkmale signifikante Zusammenhänge mit dem Fachwissen (t2) auf. So werden für die Überforderung und die Relevanzzuschreibung r = < .20 bestätigt. Das Kompetenzerleben korreliert mit r = .162 mit dem Fachwissen (t2). Die Zusammenhänge zwischen den Qualitätsmerkmalen und dem Vorwissen (t1) erreichen ähnliche Größenordnungen (ca. r = < .20). Die emotionale Befindlichkeit sowie die Disziplin im Unterricht, sind nicht mit den fachlichen Leistungen assoziiert. Ein Blick auf die Motivation der Auszubildenden zeigt, dass lediglich die identifizierte Motivation und die Amotivation mit dem Vorwissen (t1) signifikante Korrelationen erzielen. Für die identifizierte Motivation ist ein stärkerer Zusammenhang (r = .179) zu verzeichnen als für die Amotivation (r = -.100). Zu Beginn der Ausbildung zeigt das mathematische/naturwissenschaftliche Fähigkeitsselbstkonzept sowie das in Deutsch nur geringe Zusammenhängen mit dem Vorwissen (t1) (r = .135, .145). Für die Leistungen am Ende des ersten Ausbildungsjahres, kann für das wahrgenommene Fähigkeitsselbstkonzept in Deutsch eine Korrelation von r = .19 bestätigt werden, während für das mathematische/naturwissenschaftliche Fähigkeitsselbstkonzept die Zusammenhänge ausbleiben.
Konstrukte (1) Fachwissen (t2) (2) Vorwissen (t1) (3) Überforderung (4) Kompetenzerleben (5) Relevanzzuschreibung (6) Kompetenzunterstützung (7) Emotionale Befindlichkeit (8) Disziplin im Unterricht (9) Amotivaion (10) Identifizierte Motivation (11) Intrinsische Motivation (12) FSK Deutsch (13) FSK Mathe
(2)
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(10)
-.252*** .244*** -.451*** .211*** -.166** .379*** .103. .016 .217*** .272*** -.003 -.029 .173** .152** .148* .006 -.259*** .092. .116* -.014 .030 -.100. .285*** -.209*** -.139* -.069 -.174** -.272*** .179** -.177** .306*** .400*** .259*** .154** .226*** -.456*** .010 -.131* .273*** .421*** .442*** .147* .077 -.270*** .532*** .135* -.372*** .396*** .157** .235*** .139* .188*** -.070 .193*** .145* -.289*** .279*** .161** .057 .259*** .147* -.125* .127* Die linearen Zusammenhänge werden alle mit einer Pearson-Korrelation berechnet. Signifikanzniveaus: ∗ ∗ ∗ ≤ 0.1 % ∗∗ ≤ 1 % ∗ ≤ 5 % . ≤ 10 %, nicht signifikante Regressionskoeffizienten werden nicht gekennzeichnet
.570*** -.209** .162* .217** -.008 -.023 -.008 -.071 .101 .068 .191** .041
(1)
.202*** .033
(11)
.129*
(12)
Tabelle 6.12: Korrelationen zwischen Motivation sowie Qualitätsmerkmalen des Unterrichts und dem berufsfachlichen Wissen zu Beginn und am Ende des ersten Ausbildungsjahres
6. Kapitel Empirischer Teil
177
178
6. Kapitel Empirischer Teil
Insgesamt ist anhand der Korrelationskoeffizienten in Tabelle 6.12 zu erkennen, dass die Qualitätsmerkmale des Unterrichts mit den berufsfachlichen Leistungen assoziiert sind. Diese Korrelationskoeffizienten weisen im Vergleich zu den berichteten kognitiven und sprachlichen Determinanten jedoch geringere Zusammenhänge auf. Für das Konstrukt Motivation ist nur die identifizierte Motivation für die berufsfachichen Kompetenzen zu Beginn der Grundstufe erwähnenswert. Aus Tabelle 6.12 wird deutlich, dass die Motivationsmerkmale mit den Qualitätsmerkmalen des Unterrichts teilweise stark zusammenhängen (r = .131-.442). Somit kann ein indirekter Effekt auf die Leistungsdaten angenommen werden. Im Weiteren können signifikante Zusammenhänge für die drei relevant werdenden Qualitätsmerkmale des Unterrichts (Überforderung, Kompetenzerleben, Relevanzzuschreibung) mit den berufsfachlichen Leistungen, dem formalen Schulabschluss (bis zu .284***) und der Deutschnote (bis zu .179***) nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis zeigt, dass die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale des Unterrichts, bereits über die kognitiven Determinanten, indirekte Wirkung auf das berufsfachliche Wissen haben.
6.5.1.5
Zusammenfassung der Korrelationsanalysen
Die Analysen zu den Korrelationen, stützen die in der Hypothese 4.1 formulierte Annahme, dass die kognitiven Eingangsvoraussetzungen eine hohe Relevanz für das berufsfachliche Wissen haben und sich das Vorwissen als stärkster Prädiktor für die Erklärung der berufsfachlichen Leistungen im ersten Lehrjahr bestätigen dürfte. Zudem lassen die Zusammenhänge zwischen dem Fachwissen und den sprachlichen Merkmalen vermuten, dass, wie in Hypothese 4.2 unterstellt, die untersuchte Stichprobe mit sprachlichen Defiziten belastet ist und somit die Muttersprache einen Einfluss auf das berufsfachliche Wissen hat. Hinzu kommt, dass die in der Hypothese 4.3 zur sozialen Ungleichheit berichteten Ergebnisse, die zum Teil durch den Bildungsstatus der Eltern dokumentiert werden, weitere Analysen nahelegen. Die in Hypothese 4.4 dargestellten Zusammenhänge zu den motivationalen Bedingungen, lassen sich nicht stützen. In diesem Kontext wird bereits bei der Analyse der Zusammenhänge deutlich, dass die motivationalen Komponenten im Gegensatz zu den anderen Prädiktoren nur einen geringen Einfluss auf die fachlichen Leistungen haben. Es kann wie erwartet, gezeigt werden, dass die Motivation über die Qualitätsmerkmale des Unterrichts bedeutsam wird. Aufgrund der kleinen Stichprobe und der dadurch entstehenden statistischen Grenzen, werden nur die Determinanten weiter berücksichtigt, für die bereits Zusammenhänge dokumentiert werden konnten. So erfolgen die weiteren Analysen bezogen auf die kognitiven Merkmale, die sprachlichen Kompetenzen sowie die ausgewählten sozialen Hintergründe mit Berücksichtigung der dokumentierten signifikanten Assoziationen. Mit der Reduzierung der Prädiktoren, ist zugleich der Vorteil verbunden, dass die Stichprobengröße durch fehlende Werte bei einzelnen Variablen nicht weiter verringert wird und somit die Stabilität der gerechneten Erklärungsmodelle, sowie die Zuverlässigkeit der Werte gewährleistet werden kann.
6. Kapitel Empirischer Teil
6.5.2
179
Regressionsmodelle
Bereits durch die oben skizzierten Ergebnisse zu den Korrelationen zwischen den potenziellen Determinanten und dem Fachwissen kann ein starker Einfluss der einzelnen Merkmale angenommen werden. Inwieweit die berücksichtigen Determinanten das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres prognostizieren und ins finale Strukturgleichungsmodell aufgenommen werden, wird im Anschluss erarbeitet. Es werden die aus der Theorie als relevant beschriebenen Variablen mit Berücksichtigung der Voranalysen in Abschnitt 6.5.1, anhand einer linearer Regression näher untersucht. Die Regressionsanalysen werden schrittweise durchgeführt, dadurch sollen die Unterschiede in den erzielten Varianzaufklärungen, durch die operationalisierten Merkmale detaillierter betrachtet werden. Im Folgenden werden die (hierarchischen) Erklärungsmodelle vorgestellt.49
6.5.2.1
Kognitive Eingangsvoraussetzungen
Die Relevanz der kognitiven Determinanten für das berufsfachliche Wissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres steht nach den Analysen (Abschnitt 6.5.1.1) außer Frage. Um diese Einflüsse differenzierter zu betrachten und Aussagen über den Anteil der Varianzaufklärung von einzelnen Einflussgrößen aufzuzeigen, werden mehrere Modelle berechnet. Im ersten Modell wird überprüft, inwieweit die anderen kognitiven Merkmale noch weitere Erklärungsmomente erbringen, wenn das Vorwissen kontrolliert wird. Berücksichtigt werden die Variablen, die aus theoretischer Sicht die stärksten Beiträge zur Varianzaufklärung erwarten lassen und für die auch in den Voranalysen der höchste Zusammenhang erzielt wurde. Im Folgenden wird das berechnete hierarchische Regressionsmodell dargestellt (Tabelle 6.13). Dieses beinhaltet insgesamt fünf einzelne Modelle, in denen mit der Hinzunahme der einzelnen Variablen (kognitive Grundfähigkeit, formaler Schulabschluss, Deutsch- und Mathematiknote, Klassenwiederholung) die Änderung der Varianzaufklärung dokumentiert wird. Die in Tabelle 6.13 dargestellten Ergebnisse zeigen, dass durch das Vorwissen (t1) der Jugendlichen bereits ein hoher Anteil an Varianzaufklärung mit ca. 33 % erbracht wird. Die anderen Merkmale erzielen für die Erklärung des Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres, unter Kontrolle des Vorwissens, lediglich Werte kleiner 10 % (Änderungen in R2 ca. .05-.02). Dabei wird ersichtlich, dass nur für die Mathematiknote keine Signifikanz berichtet wird (Tabelle 6.13) und ein zusätzlicher Beitrag, zur Erklärung des Fachwissens, ausbleibt. Während durch das Vorwissen 49
Für die folgenden Regressionsmodelle erfolgte zum einen die Kolliniaritätsprüfung, die für die Toleranz durchgängig Werte > 0.25 und für die VIF (Varianz-Inflations-Faktor) < 5 dokumentieren (Urban & Mayerl, 2011). Die Überprüfung der Existenz partieller Korrelationen, die eventuell als Störvariablen die Ergebnisse beeinflussen könnten, indem eine Scheinkorrelation zwischen den Determinanten besteht, wird für keines der hier berechneten Modelle bestätigt. Zudem wurde die Durbin-Watson-Statistik, die keine Werte außerhalb des Indifferenzbereichs zulässt, ebenfalls geprüft (Schendera, 2014).
180
6. Kapitel Empirischer Teil
Tabelle 6.13: Regressionsmodell zum Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres: Kognitive Determinanten
Modell 1 .581***
Modell 2 .500*** .250***
Modell 3 .449*** .195** .179*
Modell 4 .423*** .192** .167* -.174**
Modell 5 .421*** .188** .172* -.163* -.030
(1) Vorwissen (t1) (2) IQ (3) Schulabschluss (4) Deutschnote (5) Mathematiknote (6) Klassenwiederholung R2 .334 .386 .407 .433 .430 Multiple lineare Regression: standardisierte Regressionskoeffizienten R2 : Anteil an erklärter Varianz der abhängigen Variablen (adjustiert). Die Kolliniaritätsdiagnose erbringt für die Toleranz durchgängig Werte >.25, VIF (Varianz-Inflations-Faktor) .25, VIF (Varianz-Inflations-Faktor) .25, VIF (Varianz-Inflations-Faktor) %.0473). In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die zwei Leistungsgruppen unterschiedliche Kompetenzentwicklungen erfahren. Im Zuge der Hypothesenprüfung zu H3.1-3.2 in Abschnitt 6.4 kann zudem bestätigt werden, dass die „leistungsstarken“ Ausbildenden, gemessen anhand den Eingangsvoraussetzungen (Vorwissen (t1)), geringere Entwicklungsdynamiken erreichen als jene, die in die untere Leistungsgruppe eingeordnet werden. Im Folgenden wird mit den Ergebnissen aus Abschnitt 6.4 auf die unterschiedlichen Leistungsgruppen eingegangen, um dieses Phänomen zu erklären. Die Gruppenzuordnung erfolgte anhand der Informationen aus der längsschnittlichen Modellierung, daher werden die Aussagen über die Kompetenzstände zu den zwei Messzeitpunkten ebenfalls aus dem Längsschnittmodell entnommen (WLE/PV (t1), WLE/PV (t2)). Zudem wird für die Analysen das Selbstkonzept im Fach Deutsch und Mathematik/Naturwissenschaften herangezogen. Da das Selbstkonzept und die Motivationausprägungen lediglich zum ersten Erhebungszeitpunkt vorliegen, können keine Entwicklungsaussagen, bezogen auf diese potenziellen Prädikatoren, getroffen werden. Die Aussagen beziehen sich somit auf den Beginn des Grundbildungsjahres. Wie bereits in den vorangegangenen Analysen (Abschnitt 6.5.1.4) beschrieben, wurden das Fähigkeitsselbstkonzept sowie die Motivation anhand von vier- und fünfstufiger Likertskalen operationalisiert. Die im Nachgang berichteten Analysen beziehen sich auf den reinen Längsschnitt und betrachten somit die Ausprägungen der 186 Auszubildenden, für die aus dem Eingangs- und Abschlusstest Daten vorliegen. Im Weiteren erfolgen zunächst die Korrelationsanalysen, bezogen auf die berufsfachlichen Kompetenzstände, das Fähigkeitsselbstkonzept sowie die Motivation. Anschließend werden mithilfe des T-Tests die Unterschiede hinsichtlich der berücksichtigten Prädiktoren (Vorwissen (t1), Fachwissen (t2), Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch und Mathematik/Naturwissenschaften, Motivation) analysiert, um schließlich anhand linearer Regressionen den Einfluss des Fähigkeitsselbstkonzeptes auf die Kompetenzentwicklung in den zwei Leistungsgruppen zu erklären. Für die folgenden Analysen sollte beachtet werden, dass bereits durch die Gruppenaufteilungen (Mediansplit) Varianzeinschränkungen bestehen.
6.5.5.1
Korrelationsanalysen des berufsfachlichen Wissens, der Fähigkeitsselbstkonzepte und der Motivation
Zur Veranschaulichung der Zusammenhänge zwischen dem Selbstkonzept, den berufsfachlichen Kompetenzständen sowie den Motivationsausprägungen in den zwei
6. Kapitel Empirischer Teil
191
Leistungsgruppen werden die Korrelationen für jede Leistungsgruppe separat berechnet und dargestellt. Zunächst werden die Zusammenhänge der Determinanten für die „leistungsschwachen“ Jugendlichen beschrieben, anschließend werden die Ergebnisse der Korrelationen in der „leistungsstarken“ Gruppe skizziert. Das mathematische/naturwissenschaftliche Selbstkonzept wird sowohl in Form der gesamten Skala (FSK Mathe gesamt) als auch differenziert in den Ausprägungen FSK Mathe global und sozial in die Berechnung aufgenommen. Diese Unterscheidung wurde bereits in Abschnitt 5.5.2.2 im Detail erläutert und gibt für die durchgeführte Analyse Aufschluss darüber, inwieweit die sozialen Vergleiche bei der Selbsteinschätzung eine Rolle spielen. Zudem werden aufgrund der Annahme, dass durch Aufwärtsvergleiche trotz niedrigerem Selbstkonzept eine höhere Anstrengungsbereitschaft (Motivation) vorliegt und dadurch ein Einfluss auf die Leistungen besteht, die motivationalen Merkmale in Form der Amotivation, der identifizierten und der intrinsischen Motivation in die Analysen der Hypothese 5 aufgenommen. Die Tabelle 6.16 bezieht sich auf die untere Leistungsgruppe und zeigt die Korrelationen zwischen dem berufsfachlichen Wissen und dem Fähigkeitsselbstkonzept sowie der Motivation auf. Es wird ersichtlich, dass der höchste Korrelationskoeffizient zwischen dem Vorwissen (t1) und dem Fachwissen (t2) erzielt wird (r = .403). Erwähnenswert ist der signifikante Zusammenhang zwischen dem Vorwissen (t1) und dem Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch. So wird zwischen dem Vorwissen (t1) und den Einschätzungen der Jugendlichen zu ihren Fähigkeiten in Deutsch eine Assoziation von r = .219 gemessen. Im Gegensatz dazu bleiben die Korrelationen zwischen dem mathematischen/naturwissenschaftlichen Fähigkeitsselbstkonzept und dem Vorwissen (t1) aus. Weiterhin werden signifikante Zusammenhänge zwischen den Motivationsausprägungen und dem Vorwissen (t1) berichtet. Sowohl die Amotivation als auch die identifizierte Motivation assoziieren mit dem Vorwissen (t1) (r = -.242; r = .289). Lediglich die intrinsische Motivation korreliert nicht mit dem berufsfachlichen Wissen (t1) zu Beginn der Grundstufe. Interessant sind die ausbleibenden Zusammenhänge zwischen dem Fachwissen (t2) und den angeführten Determinanten. Hier können keine signifikanten Werte berichtet werden. Hervorzuheben sind die Zusammenhänge zwischen den Selbstkonzepten (in Deutsch und Mathematik) und den Motivationsausprägungen. Sowohl die identifizierte als auch die intrinsische Motivation assoziieren mit dem Selbstkonzept in Deutsch (r = .266, r = .338). Ähnlich verhält es sich mit den Einschätzungen zu den Fähigkeiten in Mathematik (global) und der intrinsischen Motivation (r = .227). Erwartungskonform zeigen sich die linearen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Motivationsausprägungen (r = -.371; r = -.533; r = .474) und zwischen den differenziert betrachteten Skalen zum Fähigkeitsselbstkonzept in Mathematik (FSK gesamt, sozial, global: r = .887; r = .989; r = .810) (siehe Tabelle 6.16). Die Tabelle 6.17 bezieht sich auf die obere Leistungsgruppe und bestätigt, wie bereits bei den „Leistungsschwachen“ ebenfalls einen signifikanten Zusammenhang (r = .333) zwischen dem Vorwissen (t1) und dem Fachwissen (t2). Interessant ist, dass weder das Selbstkonzept (Deutsch und Mathematik) noch die motivationalen Merk-
192
6. Kapitel Empirischer Teil
Tabelle 6.16: Korrelationen zwischen dem berufsfachlichen Wissen, den Fähigkeitsselbstkonzepten und der Motivation: „Leistungsschwache“
Konstrukte (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (1) Vorwissen (t1) (2) Fachwissen (t2) .403** (3) FSK Deutsch .219* .096 (4) FSK Mathe gesamt -.044 -.070 .180. (5) FSK Mathe sozial -.086 -.060 .177. .887*** (6) FSK Mathe global -.032 -.072 .170 .989*** .810*** (7) Amotivaion -.242* -.038 -.133 -.052 -.071 -.042 (8) Identifizierte Motivation .163 .162 .266* .158 .161 .149 -.533*** (9) Intrinsische Motivation .289** .140 .338** .198. .075 .227* -.371*** Die linearen Zusammenhänge werden alle mit einer Pearson-Korrelation berechnet. Signifikanzniveaus: ∗ ∗ ∗ ≤ 0.1 % ∗∗ ≤ 1 % ∗ ≤ 5 % . ≤ 10 % nicht signifikante Regressionskoeffizienten werden nicht gekennzeichnet Es wurden 88 Probanden aus der Gruppe:„leistungsschwache“ Auszubildende berücksichtigt.
(8)
.474***
male mit den berufsfachlichen Leistungen korrelieren. Für die Einschätzungen der Fähigkeiten in Deutsch wird ein signifikanter Zusammenhang mit der intrinsischen Motivation bestätigt (r = .241). Zudem ist das Fähigkeitsselbstkonzept in Mathematik (gesamt, global) mit der Amotivation assoziiert (FSK Mathe gesamt: r = -.210, FSK Mathe global: r = -.208). Sowohl für die unterschiedlichen Skalen zur Erfassung des Selbstkonzeptes in Mathematik als auch zu den Motivationsausprägungen untereinander sind erwartungskonforme signifikante Zusammenhänge zu berichten (siehe Tabelle 6.17). Tabelle 6.17: Korrelationen zwischen dem berufsfachlichen Wissen, dem Fähigkeitsselbstkonzepten und der Motivation: „Leistungsstarke“
Konstrukte (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (1) Vorwissen (t1) (2) Fachwissen (t2) .333*** (3) FSK Deutsch .067 .148 (4) FSK Mathe gesamt -.107 -.010 .017 (5) FSK Mathe sozial -.119 -.019 -.061 .821*** (6) FSK Mathe global -.095 -.006 .041 .983*** .701*** (7) Amotivation -.077 -.081 .016 -.210** -.162 -.208* (8) Identifizierte Motivation .140 -.046 .183. -.021* -.078 -.002 -.302** (9) Intrinsische Motivation .151 .047 .241* .068 -.065 .107 -.188. Die linearen Zusammenhänge werden alle mit einer Pearson-Korrelation berechnet. Signifikanzniveaus: ∗ ∗ ∗ ≤ 0.1 % ∗∗ ≤ 1 % ∗ ≤ 5 % . ≤ 10 % nicht signifikante Regressionskoeffizienten werden nicht gekennzeichnet Es wurden 98 Probanden aus der Gruppe:„leistungsstarke“ Auszubildende berücksichtigt.
(8)
.637***
Übergreifend ist mit den dargestellten Ergebnissen in den Tabellen 6.16 und 6.17 festzustellen, dass lediglich in der Gruppe der „Leistungsschwachen“ Zusammenhänge zwischen dem Selbstkonzept und den berufsfachlichen Leistungen (Vorwissen (t1)) bestehen. Im Gegensatz dazu bleiben Korrelationen zwischen den berufsfachlichen Leistungen und dem Fähigkeitsselbstkonzept im Fach Deutsch und Mathematik in der Gruppe der „Leistungsstarken“ aus. Auffällig ist der Zusammenhang zwischen dem Fähigkeitsselbstkonzept in Deutsch und dem Vorwissen (t1) in der Gruppe der leistungsschwächeren Auszubildenden (r = .219). Während für
6. Kapitel Empirischer Teil
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die „Leistungsstarken“ keine Korrelation zwischen den berufsfachlichen Leistungen und den Motivationen dokumentiert werden, kann für die „Leistungsschwachen“ berichtet werden, dass sowohl für die Amotivation (r = -.242) als auch für die identifizierte Motivation (r = .289) Assoziationen mit dem Vorwissen (t1) bestehen. Für das Selbstkonzept in Deutsch können in beiden Leistungsgruppen Zusammenhänge mit den Motivationen bestätigt werden. Die intrinsische Motivation assoziiert sowohl bei den „leistungsstarken“ als auch den „leistungsschwachen“ Auszubildenden mit dem Selbstkonzept in Deutsch (r = .241; r = .338). Zudem wird für die untere Leistungsgruppe ein signifikanter Zusammenhang zwischen der identifizierten Motivation und den Einschätzungen der Fähigkeiten in Deutsch (r = .266) erzielt. Das mathematische/naturwissenschaftliche Fähigkeitsselbstkonzept korreliert bei den „Leistungsschwachen“ mit der intrinsischen Motivation (r = .227) und bei den „Leistungsstarken“ mit der Amotivation (ca. r = -.2).
6.5.5.2
Gruppenvergleiche
Im nächsten Schritt erfolgt ein Gruppenvergleich, durch den die zwei Leistungsgruppen, hinsichtlich der ausgewählten Determinanten, näher betrachtet werden. In Tabelle 6.18 werden die Mittelwerte und Standardabweichungen für die berufsfachlichen Leistungen, das Fähigkeitsselbstkonzept zu den zwei fachspezifischen Bereichen sowie die motivationalen Ausprägungen wiedergegeben. In der zweiten Spalte der Tabelle werden zunächst die Ergebnisse für die gesamte Stichprobe aus dem reinen Längsschnitt dargestellt, die lediglich als Referenz für die Leistungsgruppen dienen. In den darauffolgenden Spalten werden die Werte für die „leistungsschwachen“ und „leistungsstarken“ Auszubildenden in differenzierter Form angeführt. Zudem erfolgt in der letzten Spalte der Gruppenvergleich durch den TTest. Die in Abschnitt 6.4.5 berichteten Unterschiede in den Leistungsgruppen in Bezug auf die berufsfachlichen Leistungen52 werden in Tabelle 6.18 nochmals skizziert. Während die „leistungsschwachen“ Auszubildenden im Grundbildungsjahr berufsfachliche Leistungen von (t1) M -.469 (SD .350), (t2) M -.335 (SD .628) erzielen, liegen die „Leistungsstarken“ deutlich höher in ihren Kompetenzständen ((tq) M .572 (SD .394), (t2) M .305 (SD .596)). Die Unterschiede zwischen den Kompetenzständen in den Leistungsgruppen sind hoch signifikant (p