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German Pages 298 [300] Year 2014
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 323 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Christian Kalin
Verhaltensnorm und Kollisionsrecht Eine Studie zu den rechtsgeschäftlichen Auswirkungen der Korruption im internationalen Rechtsverkehr
Mohr Siebeck
Christian Kalin, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaften in Passau; seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau; seit 2014 Rechtsreferendar im OLG-Bezirk München.
Veröffentlicht mit finanzieller Unterstützung der Universität Passau. e-ISBN 978-3-16-153613-7 ISBN 978-3-16-153612-0 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau unter dem Titel „Korruption und Zivilrecht – Rechtsgeschäftliche Auswirkungen korruptionsbezogener Verhaltensnormen im internationalen Rechtsverkehr“ als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt zuallererst meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley), an dessen Lehrstuhl ich das Glück hatte, die letzten Jahre arbeiten zu dürfen. Für sein Interesse an meiner Arbeit, sein Vertrauen, seine Anteilnahme und Freundlichkeit bin ich zutiefst dankbar. Herzlich danke ich Herrn Professor Dr. Armin Engländer für seine Anmerkungen und die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich zudem Herrn Professor Dr. Dr. h. c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard), der die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts befürwortete. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich für ihre vielfältige Unterstützung, die ich während meiner Studien- und Promotionszeit erfahren durfte. Die Universität Passau hat die Veröffentlichung dieser Arbeit durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss gefördert. In Dankbarkeit gewidmet ist dieses Buch meiner Familie, die mich – nicht nur während der Entstehung der Arbeit – fortwährend unterstützt und ermutigt hat. Den größten Dank schulde ich meiner Frau Maria. Ohne ihre Hilfe hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Passau, im September 2014
Christian Kalin
Inhaltsverzeichnis Einleitung ...................................................................................................... 1
1. Kapitel
KORRUPTION UND IHRE AUSWIRKUNGEN A. Korruption und Reziprozität ................................................................... 5 B. Auswirkungen der Korruption ...............................................................12 C. Korruption und Rechtsgeschäft..............................................................15 I.
Einführung .....................................................................................15
II. Rechtsgeschäftliche Auswirkungen der Korruption – insbesondere nach deutschem Recht ...............................................16 1. Schmiergeldabrede ..................................................................17 2. Vermittlungsvertrag .................................................................23 3. Hauptvertrag............................................................................32 a) Kollusiver Missbrauch der Vertretungsmacht als Ausgangspunkt der Unwirksamkeit ..................................33 b) Verselbständigung des Unwirksamkeitsgrundes ...............34 c) Einflussmöglichkeiten des Prinzipals ...............................37 d) Stellungnahme ..................................................................40 aa) Verbotswidriges Verhalten als Unwirksamkeitsgrund ................................................40 bb) Potentielle Beeinflussung als Unwirksamkeitsgrund ................................................43 cc) Genehmigungsmöglichkeit und Schutzzweck des Verbots ......................................................................46 III. Zwischenergebnis ...........................................................................47
X
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel
KORRUPTION UND GESETZLICHES VERBOT A. Verhaltens- und Sanktionsnormen .........................................................50 B. Einheit der Rechtsordnung ....................................................................55 C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung ................61 I.
Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, §§ 331, 332 StGB ...............61 1. Handlungsalternativen .............................................................62 2. Vorteil und Unrechtsvereinbarung ...........................................64 3. Das Verhältnis von Vorteilsannahme und Bestechlichkeit .......68 4. Genehmigung und Sozialadäquanz ..........................................70 a) § 331 Abs. 3 StGB ............................................................70 b) Sozialadäquanz .................................................................73 II. Vorteilsgewährung und Bestechung, §§ 333, 334 StGB..................81 III. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB .....................................................................................83 D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl ..............96 I.
Grenzen legitimer Normsetzung .....................................................99 1. Weltrechtsprinzip und aktives Personalitätsprinzip ................ 100 2. Schutzprinzip und Territorialität ............................................ 103 3. Rechtsgut und Geltungsbereich ............................................. 106 a) Amtsträgerbezogene Korruptionsverbote ........................ 107 b) Wettbewerbsbezogene Korruptionsverbote ..................... 109 4. Zwischenergebnis .................................................................. 113 II. Bedeutung des internationalen Strafrechts .................................... 115 1.
Strafrechtliche Sanktionierung korruptionsbezogener Verhaltensnormverstöße ........................................................ 115 2. Einschränkung inländischer Verhaltensnormen ..................... 117 3. Sanktionierung ausländischer Verhaltensnormen ................... 120 III. Ausweitung von Straftatbeständen auf Taten mit Auslandsbezug ....................................................................... 126 1. IntBestG ................................................................................ 126 a) Sanktionsumfang ............................................................ 127 b) Verhaltensnorm .............................................................. 130 2. EUBestG ............................................................................... 133 3. § 299 Abs. 3 StGB ................................................................. 137
Inhaltsverzeichnis
XI
4.
Vergleichbare ausländische Regelungen ................................ 141 a) USA: Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) ................. 142 b) Vereinigtes Königreich: Bribery Act 2010 (BA) ............. 146 c) Ergebnis ......................................................................... 150 E. Schlussfolgerungen ............................................................................. 150 I.
Anknüpfung von Verhaltensnormen ............................................. 150 1. Anknüpfung an den potentiellen Erfolgsort ........................... 151 2. Anknüpfung an den Handlungsort ......................................... 154 3. Berufung von Verhaltensnormen des Amtsträgerstaates ........ 154 II. Bedenken gegen eine derartige Anknüpfung von Verhaltensnormen ........................................................................ 155 1. 2.
Alternative Anknüpfung von Verhaltensnormen als Belastung des Normadressaten ......................................... 155 Umgang mit widersprüchlichen Verhaltensanforderungen ..... 156
3. Kapitel
KORRUPTION UND EUROPÄISCHES KOLLISIONSRECHT A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht ............................ 159 I.
Deliktsrecht .................................................................................. 159
II. Vertragsrecht ................................................................................ 168 III. Schlussfolgerungen ...................................................................... 173 B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen ................ 175 I.
Verhaltens- als Eingriffsnormen – Art. 9 Abs. 1 Rom I ................ 175
II. Differenzierung von in- und ausländischen Eingriffsnormen ........ 177 1. Grundlagen der Differenzierung ............................................ 179 2. Ablehnung der Grundlagen .................................................... 182 a) Art. 9 Abs. 2 Rom I ........................................................ 183 b) Art. 9 Abs. 3 Rom I ........................................................ 183 3. Restrukturierung des Art. 9 Rom I ......................................... 186 III. Schlussfolgerungen ...................................................................... 191
XII
Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel
KORRUPTION UND SITTE A. Gute Sitten und „soziale“ Normen ....................................................... 197 I.
„Primäre“ Unverbindlichkeit ........................................................ 199
II. „Sekundäre“ Anwendung ............................................................. 201 B. Gute Sitten und rechtliche Wertungen ................................................. 205 I.
Gute Sitten und Rechtsfortbildung ................................................ 206
II. Korruptionsbezogene Rechtsnormschöpfung ................................ 208 1. Flankierende Nichtigkeitsanordnung ..................................... 208 2. Mangelnde Dispositionsbefugnis des Prinzipals .................... 209 C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten ............................... 210 I.
Allgemeines ................................................................................. 210
II. Sekundäre Sanktionierung korruptionsbezogener Verhaltensnormen ........................................................................ 213 1.
Anknüpfung von Verhaltensnormen des ausländischen Rechts ............................................................. 214 a) Art. 9 Abs. 3 Rom I ........................................................ 214 b) Mitgliedstaatliche Verhaltensnormen ............................. 220 2. Anknüpfung außerrechtlicher Verhaltensnormen ................... 223 a) Keine ausschließliche Berücksichtigung der „lex fori aequitatis“ ........................................................ 224 b) Unmaßgeblichkeit des Vertragsstatuts ............................ 227 c) Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 3 Rom I ..................... 229 3. Anknüpfung des Subsystems ................................................. 230 III. Exkurs: Sozialadäquanz ................................................................ 232 IV. Ergänzende Sanktionierung korruptionsbezogener Verhaltensnormen ........................................................................ 237 1. Anknüpfung .......................................................................... 237 2. Substitution ........................................................................... 238 D. Sitte und Geltung ................................................................................. 240 Ergebnisse und Schlussbetrachtungen ........................................................ 245 Literaturverzeichnis .................................................................................... 249 Verzeichnis der Festschriften ..................................................................... 273 Sachregister ................................................................................................ 277
Abkürzungsverzeichnis a. F. ABl. ABl. EG ABl. EU ABR Abs. Abschn. AcP ADHGB AEUV AG AGB AK-BGB Anh. Anm. APSR Ariz. J. Int'l & Comp. L. ARSP AT AU AWG BA BAG BB BBG BerDGesVölkR BG BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKR BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. c.
alte Fassung Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Archiv für Bürgerliches Recht Absatz, Absätze Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Alternativkommentar BGB Anhang Anmerkung American Political Science Review Arizona Journal of International & Comparative Law Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeiner Teil African Union Außenwirtschaftsgesetz Bribery Act (Vereinigtes Königreich) Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundestag Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise chapter
XIV C. A. C.pén. CCZ CFR CML Rev. CoL Cong. Corp. CPI Crim. Div. U.S. DOJ Crim. L.R. D. d. h. D.D.C. ders. DJT DJZ DR E.L.Rev. ebd. EGBGB EGStGB EGV Einf. Einl. Enf. Div. U.S. SEC Ergl. ErwGr. etc. ETS EU EUBestG
EuGH EuGVVO
EuIPR EurJLEcon EUV EuZW EVÜ EWiR F. Supp., F. Supp. 2d
Abkürzungsverzeichnis Court of Appeal Code pénal (Frankreich) Corporate Compliance Zeitschrift Common Frame of Reference Common Market Law Review Conflict of Laws Congress Corporation Corruption Perception Index Criminal Division of the U.S. Department of Justice Criminal Law Review Digesten das heißt United States District Court for the District of Columbia derselbe Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsches Recht European Law Review ebenda Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung Enforcement Division of the U.S. Securities and Exchange Commission Ergänzungslieferung Erwägungsgrund et cetera European Treaty Series Europäische Union Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften Europäischer Gerichtshof Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001, L 12, S. 1 ff. Kommentar zum europäischen Zivilprozess- und Kollisionsrecht European Journal of Law and Economics Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Federal Supplement, Second Series
Abkürzungsverzeichnis f., ff. FCPA FG Fn. FS g. S. GA GG GHN GK-UWG GMBl. GP GPR Gruchot GRUR GRURInt GRUR-RR GS h. M. H.R. Conf. Rep. HaagÜbkStV HC HdWE HdWW HL HOAI HRR Hrsg. i. e. S. i. V. m. ICC ICSID IHR insb. int. IntBestG
IntRDipl IPR IPRax ital. J. Priv. Int. L. J.O. algér. JbFSt
XV
folgend(e/er) Foreign Corrupt Practices Act (USA) Festgabe Fußnote(n) Festschrift gute(n) Sitten Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundgesetz Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union Großkommentar UWG Gemeinsames Ministerialblatt Gesetzgebungsperiode Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rechtsprechungs-Report Gedächtnisschrift herrschende Meinung House Conference Report Haager Übereinkommen über das auf Vertreterverträge und die Stellvertretung anwendbare Recht House of Commons (Vereinigtes Königreich) Handbuch der Wirtschaftsethik Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft House of Lords (Vereinigtes Königreich) Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber im engeren Sinne in Verbindung mit International Chamber of Commerce International Centre for Settlement of Investment Disputes Internationales Handelsrecht insbesondere international Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr Internationales Recht und Diplomatie Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts italienisch Journal of Private International Law Journal Officiel de la République Algérienne Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht
XVI JBl. JR Jura jurisPK-BGB JuS JW JZ K. B. Kap. KorrStrÄG L.Q.R. LA LB lit. LK LM m. E. m. V. a. (m.) w. N. MarkR MDR Mrd. MüKo MüKo-StGB MuW N. NJ NJOZ NJW NJW-RR NK-BGB NK-StGB Nr., No., n° NStZ NZWist OAS OECD ÖJZ OLG OLGE OLGR öst. öZÖR PIL port. PPP
Abkürzungsverzeichnis Juristische Blätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung juris PraxisKommentar BGB Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung The Law Reports: King’s Bench Division Kapitel Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz (Österreich) Law Quarterly Review liber amicorum Lehrbuch littera Leipziger Kommentar StGB Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung meines Erachtens mit Verweis auf (mit) weitere(n) Nachweisen Markenrecht Monatsschrift für Deutsches Recht Milliarde(n) Münchener Kommentar BGB Münchener Kommentar StGB Markenschutz und Wettbewerb Nigeria Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NomosKommentar BGB NomosKommentar StGB Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Organization of American States Organisation for Economic Co-operation and Development Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts OLG-Report österreichisch Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Private International Law portugiesisch Public Private Partnership
Abkürzungsverzeichnis Pub. L. PWW RabelsZ Ratsd. Rec. Rev. arb. Rev. crit. DIP RG RGBl. RgL RGRK RGSt RGZ RIW Rn. Rom I
Rom II
Rs. S. s., ss. S.D.N.Y. S.I. SchR scil. SdJZ Sess. SeuffArch SJZ Slg. Sp. span. SpStr. Stat. StGB StPO StraFo StrR StV StVO
XVII
Public Law Prütting/Wegen/Weinreich, Kommentar BGB Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Ratsdokument Recueil des cours Revue de l'arbitrage Revue critique de droit international privé Reichsgericht Reichsgesetzblatt Rechtsgeschäftslehre Reichsgerichtsrätekommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer(n) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008, L 177, S. 6 ff., berichtigt durch ABl. EU 2009, L 309, S. 87. Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007, L 199, S. 40 ff. Rechtssache Satz, Seite Section(s) United States District Court for the Southern District of New York Statutory Instrument Schuldrecht scilicet Süddeutsche Juristen-Zeitung Session J. A. Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Schweizerische Juristen-Zeitung Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes (und des Gerichts Erster Instanz) Spalte spanisch Spiegelstrich United States Statutes at Large Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum Strafrecht Strafverteidiger Straßenverkehrsordnung
XVIII subs., subss. syr. TVöD Tz. u. a. u. U. U.S., US, USA U.S.C. Übers. UK UK PGA UNCAC UNIDROIT UNO UNTS UWG v. v. Chr. VersR vgl. VO Vol. Vorb. VSWG WaffG WarnRspr.
Wash. & Lee L. Rev. West. Pol. Q. WettbR wistra WM WpHG WRP WStG WuB WuW Yale J. Int'l L. z. B. ZEuP ZRFG ZGS ZHR Ziff. ZInsO ZIP ZIS
Abkürzungsverzeichnis Subsection(s) syrisch Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Textziffer und andere, unter anderem unter Umständen United States of America United States Code Übersicht United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland United Kingdom Public General Act United Nations Convention against Corruption Institut international pour l’unification du droit privé United Nations Organisation United Nations Treaty Series Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von, versus vor Christus Versicherungsrecht vergleiche Verordnung Volume(s) Vorbemerkung Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Waffengesetz Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckt ist Washington and Lee Law Review The Western Political Quarterly Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (Wertpapiermitteilungen IV) Gesetz über den Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis Wehrstrafgesetz Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb The Yale Journal of International Law zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Risk, Fraud und Governance Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Ziffer(n) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik
Abkürzungsverzeichnis zit. ZÖR ZStW ZVglRWiss ZVR ZWeR
zitiert Zeitschrift für Öffentliches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
XIX
Einleitung Am 9. Dezember wird seit 2003 alljährlich der Internationale Tag gegen die Korruption begangen, „in order to raise awareness of corruption and of the role of the Convention in combating and preventing it“. 1 Die Etablierung dieses Tages, der dem Kampf gegen die Korruption gewidmet ist, ist Ausdruck für die weltweite Aufmerksamkeit, die diesem Phänomen zunehmend zuteilwird. Die durch Korruption verursachten Schäden sind immens, 2 die Erkenntnis der Notwendigkeit, ihr – auch über den rein nationalen Bereich hinaus – entgegenzuwirken, hat mittlerweile in einer Vielzahl internationaler Instrumente ihren Niederschlag gefunden.3 Genährt wird das Bewusstsein für die Problematik insbesondere durch „Korruptionsskandale“, welche mitunter eine enorme mediale Aufmerksamkeit erfahren. Verwiesen sei hier nur auf die Manipulation von Fußballspie-
1 Ziff. 7 der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 21.11.2003 (A/RES/58/4; Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption). 2 SCHNEIDER, Schattenwirtschaft und Korruption 2013, S. 12–13, schätzt den durch Korruption entstandenen volkswirtschaftlichen Schaden in Deutschland für das Jahr 2012 auf rund 160 Mrd. Euro. Hinsichtlich der Schadensentwicklung kommt den Werten des Corruption Perception Index (CPI 2013 abrufbar unter ), den TRANSPARENCY INTERNATIONAL alljährlich veröffentlicht, Indizwirkung zu. 3 UNO: Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003 („UNCAC“; UNTS Vol. 2346, No. 42146; deutsche Übersetzung [öst. BGBl. III Nr. 47/2006] abrufbar unter ). Europarat: Zivilrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats vom 4. November 1999 (ETS 174; deutsche Übersetzung abrufbar unter ); Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats vom 27. Januar 1999 (ETS 173; deutsche Übersetzung abrufbar unter ). OECD: Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997 (abgedruckt in BGBl. II 1998, S. 2329 ff.). OAS: Interamerikanisches Übereinkommen gegen Korruption vom 29. März 1996 (B-58; abrufbar unter ). AU: Übereinkommen der Afrikanischen Union zur Vorbeugung und Bekämpfung der Korruption vom 11. Juli 2003 (abrufbar unter ).
2
Einleitung
len, 4 die umfangreichen Schmiergeldzahlungen des Siemens-Konzerns 5 und die Machenschaften um den Bau der „Allianz Arena“6. Indes, auch die zunehmende Aufmerksamkeit, welche dem Thema Korruption zuteilgeworden ist, hat bis heute nicht dazu geführt, dem Phänomen scharfe Konturen zu verleihen. Freilich mangelt es nicht an Definitionen der Korruption, allein sie sind den jeweiligen Zwecken und Forschungsschwerpunkten der sie aufstellenden Wissenschaftsdisziplin angepasst. Ein einheitliches Begriffsverständnis ist nicht auszumachen, 7 zu unterschiedlich sind die hier versammelten Phänomene und Erkenntnisinteressen. Die Verhaltensforschung etwa versteht „Korruption als Perversion der Privilegien“. 8 Der politikwissenschaftliche Korruptionsbegriff ergänzt als Grund dieser Perversion das persönliche Gewinnstreben.9 Aus wirtschaftlicher Sicht bezeichnet der Begriff der Korruption eine bestimmte Art von Tauschgeschäft unter Normverstoß.10
4
BGH (15.12.2006), BGHSt 51, 165 (167) („Der Angeklagte […] gewann […] Schiedsrichter […] sowie […] Fußballspieler gegen Zahlung oder das Versprechen von erheblichen Geldbeträgen (zwischen 3 000 und 50 000 €) dazu, dass diese den Ausgang von Fußballspielen durch falsche Schiedsrichterentscheidungen oder unsportliche Spielzurückhaltung manipulieren.“); Der Spiegel, Nr. 11/2013, S. 112–113. 5 Vgl. dazu die Aufbereitung von WOLF, Die Siemens-Korruptionsaffäre – ein Überblick, in: Graeff/Schröder/Wolf (Hrsg.), Korruptionsfall Siemens, S. 9 ff.; BGH (29.08.2008), BGHSt 52, 323 (327–329). 6 BGH (09.08.2006), NJW 2006, 3290 (3290–3291); OLG MÜNCHEN (16.04.2007), OLGR München 2007 (496–498). 7 Zu diesem Ergebnis kommt auch GRIEGER, Einleitung, in: Graeff/Grieger (Hrsg.), Was ist Korruption?, S. 4. 8 ILLIES, Korruption im Lichte der Verhaltensforschung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 126 [Hervorhebung im Original]; vgl. auch ABELE, Korruption, in: Enderle/Homann/Honecker u. a. (Hrsg.), Lexikon der Wirtschaftsethik, S. 571 („normwidriges Verhalten eines Funktionsträgers“); ROGOW/LASSWELL, S. 132 („[V]iolations of the common interest for special advantage are corrupt.“). 9 NYE, APSR LXI (1967), S. 419 („Corruption is a behavior which deviates from the formal duties of a public role because of private-regarding (personal, close family, private clique) pecuniary or status gains; or violates rules against the exercise of certain types of private-regarding influence.“); SENTURIA, Corruption, political, in: Seligman (Hrsg.), Encyclopedia of the Social Sciences, S. 448 („Political corruption is the misuse of public power for private profit.“). Einen Überblick zu Definitionen der politischen Korruption m. w. N. bietet WOLF, in: Graeff/Grieger (Hrsg.), Was ist Korruption?, S. 118–121. 10 LAMBSDORFF, Transaktionskostenanalyse, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 57; SCHMIDT/GARSCHAGEN, Korruption, in: Albers/Born/Dürr u. a. (Hrsg.), HdWW IV, S. 565–566 (S. 566: „Tausch, Normverstoß, Mißbrauch einer Vertrauensstellung und Heimlichkeit sind also die konstitutiven Merkmale der Korruption.“); STREISSLER, Korruption und Wirtschaftsverfassung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 300.
Einleitung
3
Eine rechtliche Definition hat der Begriff der Korruption bislang hingegen nicht erfahren.11 Für eine Untersuchung der rechtsgeschäftlichen Folgen der Korruption, der Auswirkungen korruptiven Verhaltens auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften, bietet jedoch keine der hier angesprochenen Annäherungen an den Korruptionsbegriff einen belastbaren Ausgangspunkt. Sie sind so vage, beinhalten einen so großen Interpretationsspielraum und umfassen so unterschiedliche Erscheinungen,12 dass bereits fraglich ist, ob man überhaupt von einem Phänomen der Korruption sprechen sollte. Eine juristische Auseinandersetzung mit der Korruption erfordert daher stets eine Begrenzung auf bestimmte Teilaspekte dieses allzu umfangreichen Phänomens, da auf andere Weise keine konkreten, auf ihre Auswirkungen hin untersuchbaren Rechtsnormen identifiziert werden können, derer es für eine solche Auseinandersetzung zwingend bedarf. So soll auch hier nur auf „einen zentralen Unterfall der Korruption“ 13 Bezug genommen werden: die Zuwendung von (Vermögens-)Vorteilen an Entscheidungsträger. Auch ein solches Begriffsverständnis bedarf näherer Erläuterung und weiterer Einschränkungen. Zunächst soll daher die Funktionsweise der Korruption näher in den Blick genommen werden.
11
Insbesondere gegen eine abschließende Begriffsbestimmung anhand der korruptionsrelevanten Straftatbestände des StGB AHLF, Kriminalistik 1996, S. 154–156 (S. 156: „Der strafrechtliche Korruptionsbegriff faßt damit recht willkürlich höchst unterschiedliche Regelungsbereiche zusammen, ist in seinem Anwendungsbereich bei § 108e StGB fragmentarisch und kann insgesamt nur als Artefakt bezeichnet werden.“); vgl. auch WALTHER, Jura 2010, S. 511–512. – Aufnahme in die Überschrift des 22. Abschnitts des österreichischen StGB hat der Begriff der Korruption – freilich ohne nähere Präzisierung – durch das Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz 2012 – KorrStrÄG 2012 (öst. BGBl. I Nr. 61/2012) gefunden. 12 PRITZL/SCHNEIDER, Korruption, in: Korff/Baumgartner/Franz u. a. (Hrsg.), HdWE IV, S. 313–315, fassen unter dem Begriff der Korruption Bestechung, Erpressung, Unterschlagung, Veruntreuung und Patronage zusammen; ebenso NYE, APSR LXI (1967), S. 419; für Beispiele vgl. WOUTERS/RYNGAERT/CLOOTS, Corruption in International Law, S. 56–57. Ein vergleichbar extensiver Korruptionsbegriff findet sich auch bei ALATAS, Corruption, S. 1–3. 13 STREISSLER, Korruption und Wirtschaftsverfassung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 300 [Hervorhebung im Original].
1. Kapitel
Korruption und ihre Auswirkungen A. Korruption und Reziprozität Obwohl eine einheitliche Definition des Korruptionsbegriffs nicht existiert, ist es dennoch möglich, die Funktionsweise der Korruption zu beschreiben: Zuwendungen an Entscheidungsträger sollen deren Wohlwollen hinsichtlich der Belange und Interessen des Zuwendenden sichern. Entscheidungsträger wiederum nutzen ihre Machtposition, um sich für ihr Entgegenkommen entlohnen zu lassen. Beide Seiten verlassen sich dabei darauf, ihr Bemühen werde den anderen zu Erkenntlichkeiten bewegen, er werde sich also reziprok verhalten. Reziprozität scheint eine geradezu natürliche, dem Menschen gleichsam in die Wiege gelegte Verhaltensmaxime zu sein. 1 So selbstverständlich erscheint das Bedürfnis, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, dass lange Zeit Reziprozität als Inbegriff gerechten Verhaltens galt.2
1
Zu den evolutionsgeschichtlichen Vorteilen des „reziproken Altruismus“ LEAKEY/LEDie Menschen vom See, S. 129–133 (S. 132: „Die Spezies, deren einzelne Angehörigen sich dem Gebot der wechselseitigen Hilfeleistung unterwerfen, ist für eine evolutionäre Weiterentwicklung geeignet.“); RIDLEY, Biologie der Tugend, S. 149–177; zur psychologischen Funktionsweise der Reziprozität CIALDINI, Psychologie des Überzeugens5, S. 43–88. Das komplexe System von Gabe und Gegengabe in verschiedenen Kulturen wird etwa von MAUSS, Die Gabe3, S. 33–36 (S. 33: „Das, was in dem empfangenen […] Geschenk verpflichtet, kommt daher, daß die empfangene Sache nicht leblos ist. Selbst wenn der Geber sie abgetreten hat, ist sie noch ein Stück von ihm. Durch sie hat er Macht über den Empfänger […].“ S. 35: „[…E]twas von jemand annehmen heißt, etwas von seinem geistigen Wesen annehmen, von seiner Seele; es aufzubewahren wäre gefährlich […].“) und passim, beschrieben, ebenso dessen Fortwirken im römischen Recht (ebd., S. 121– 135). 2 Zur kulturellen Bedeutung des Reziprozitätsgedankens seit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend in Mesopotamien und Ägypten, der erst ab etwa 1500 v. Chr. einsetzenden Differenzierung von Geschenk und Schmiergeld und dem Stellenwert der Reziprozität in biblischen Schriften NOONAN, Bribes, S. 3–30. Kritisch bereits PLATON, Politeia, 331 c („Gerechtigkeit […] sei Wahrheit und Wiedergeben, was einer von einem empfangen hat?“). WIN,
6
1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
Die Verpflichtung zur Erwiderung einer erhaltenen Gabe dient dem Aufbau und der Stabilisierung längerfristiger, persönlicher Beziehungen. 3 Dabei hängt es vom Einzelfall ab, wie sich die Beziehung auf Grundlage von Gabe und Verpflichtung darstellt: Bis zur Erwiderung der Gabe gebührt dem Gläubiger Dank und Ehrerbietung, 4 kann sie nicht erwidert werden, so folgt mitunter die völlige Unterordnung des Schuldners.5 Wird der Empfänger einer Gabe damit dem Zuwendenden untergeordnet, so liegt es tatsächlich nicht fern, in einer nicht erwiderungsfähigen Zuwendung eine Beleidigung zu sehen.6
Wem eine Freundlichkeit erwiesen wird, der fühlt sich zu ebensolcher Erwiderung verpflichtet, wem Böses widerfährt, der meint, sich mit Recht rächen zu können. Erst eine Gesellschaft, die Werte wie Unparteilichkeit und Gleichheit kennt, muss sich an bestimmten reziproken Verbindungen stören, sei es, weil diese den Mittellosen, der das notwendige Vermögen zur Vorteilsgewährung nicht aufzubringen vermag, von sozialer Interaktion ausschließen, sei es aufgrund der Erkenntnis, dass bestimmte Arten von Reziprozität einem Gemeinwesen zu schaden imstande sind.7 Mag auch aus der Sicht zweier Personen Reziprozität eine brauchbare Handlungsmaxime sein, in einer komplexeren Gruppenstruktur, die von Arbeitsteilung geprägt ist, erweist sie sich in vielerlei Hinsicht als unzweckmäßig, ja als geradezu destruktiv.8 Diese miss-
3 HYLAND, Gifts, S. 18 („reciprocation takes place over time, and thus requires the parties to cultivate a relationship“). 4 MILLER, Speculum 61 (1986), S. 23; HYLAND, Gifts, S. 49 („Gifts […] establish hierarchy[.]“). 5 MAUSS, Die Gabe3, S. 101 („Die Sanktion der Erwiderungspflicht ist Schuldknechtschaft. […] Derjenige, der das Darlehen oder den Potlatsch nicht zurückzahlen kann, verliert seinen Rang und sogar den Status eines freien Mannes.“); MILLER, Speculum 61 (1986), S. 23–24. 6 Eine solche sah etwa das RG (17.06.1898), RGSt 31, 194 (194–195), – freilich mit anderer Begründung – im Inaussichtstellen einer Vergütung an einen Gerichtsvollzieher: „[D]urch die Inaussichtstellung eines Geschenks […wurde] zum Ausdruck gebracht […], daß der Angeklagte ihn für einen Mann halte, der geneigt sei, für eine in sein Amt einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Handlung Geschenke anzunehmen oder sich versprechen zu lassen, also etwas zu thun, was den Thatbestand des Amtsvergehens im Sinne des § 331 St.G.B’s erfüllen würde“. 7 RIDLEY, Biologie der Tugend, S. 176 („Das Geschenk kann zu einer Waffe werden, da es den anderen verpflichtet.“). Zu den negativen Folgen der Korruption S. 12 ff. 8 RG (02.10.1928), Gruchot 70, Nr. 41 (547) („Jedenfalls wird durch die heimliche Gewährung einer Vergütung die Gefahr hervorgerufen, daß der Beamte aus Dankbarkeit oder in der Hoffnung auf weitere Zuwendungen es mit der ihm obliegenden Prüfungspflicht weniger ernst nehmen wird, als wenn eine Zuwendung nicht erfolgt wäre.“); BAG (15.04.1970), BB 1970, 883 (884) („‚Schmiergelder‘ [hindern…] erfahrungsgemäß den ‚Geschmierten‘ in einer meist nicht näher mehr aufklärbaren Form daran […], die Interessen seines Auftraggebers mit der gebotenen Gründlichkeit und Zuverlässigkeit wahrzunehmen, und [führen] damit dazu […], daß der Geschmierte auch der Interessenvertreter desjenigen wird, der die Sonderprovision zahlt.“).
A. Korruption und Reziprozität
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billigte Form positiv9 reziproken Verhaltens ist es, welche wir als „Korruption“ bezeichnen.10 Wird die Korruption daher oftmals als der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen11 umschrieben, so liegt darin lediglich der Versuch, diejenigen reziproken Verbindungen zu beschreiben, die in einer Gesellschaft grundsätzlich als schädlich anzusehen sind. Dass diese Umschreibung der Korruption dabei in erster Linie den korrumpierten Vorteilsempfänger in den Blick nimmt, ist einerlei, bedeutet Reziprozität doch stets
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Korruption ist spezifisch mit der gegenseitigen Vorteilsgewährung verbunden, negative Reziprozität im Sinne gegenseitiger Schadenszufügung ist damit nicht vergleichbar. Bei der Vorteilsgewährung zur Abwendung bevorstehender Nachteile hingegen mag es vom Einzelfall abhängen, ob es sich hierbei um Korruption oder Erpressung handelt, vgl. dazu BINDING, BT II 2, S. 719–720: „Es ist der aktiven Bestechung wesentlich, daß ihr Urheber den Beamten sua sponte zur Pflichtwidrigkeit zu verleiten versucht. Sollte der Beamte selbst Jemanden nötigen, ihm für eine künftige Handlung Vorteile zu geben oder zu versprechen, so wäre er Erpresser und der Dritte sein Opfer, und es läge gewiß nicht im Willen des Gesetzes, letzteren, selbst wenn die Drohungen keinen Notstand bewirkt hätten, wegen Bestechung zu bestrafen". Zur Illustration, wie nahe sich der Austausch von Vorteilen und die Drohung mit dem Vorenthalten eines Vorteils stehen, vgl. OLG STUTTGART (25.11.1919), OLGE 40, 330 (331). 10 NOONAN, Bribes, S. 3 („Bribery is an act distinguished from other reciprocities only if it is socially identified and socially condemned. The exchange of favors with a powerholder is otherwise like other reciprocal transactions“); LAMBSDORFF, Guidance to anticorruption, in: Serra/Wantchekon (Hrsg.), New Advances in Experimental Research on Corruption, S. 281 („Reciprocity is at the center of behavioral approaches to human conduct and should be placed at the center for understanding corruption“). Freilich bleibt auch dies nur ein Ansatz zum Verständnis für die Funktionsweise der Korruption. Eine Vielzahl reziproker Beziehungen, man denke etwa nur an den Verkauf verbotener Drogen, werden durchaus missbilligt, ohne jedoch eine Form von Korruption zu sein; ebenso PRAGAL, Korruption innerhalb des privaten Sektors, S. 138; MEYER, Korruption aus privatrechtlicher Perspektive, in: Graeff/Grieger (Hrsg.), Was ist Korruption?, S. 72; vgl. auch STREISSLER, Korruption und Wirtschaftsverfassung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 302–303. Korrupt ist erst eine daran anschließende reziproke, der Vertuschung des verbotenen Tuns dienende Beziehung zu einer dritten Person, die mit der Durchsetzung und Ahndung des Verbots betraut ist (vgl. ebd., S. 302). 11 TRANSPARENCY INTERNATIONAL, Global Corruption Report 2009, S. 7; Schlussbericht der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten, BT-Drs. 14/9200, S. 136. Erfasst wird damit sowohl Korruption im öffentlichen wie im privaten Sektor. Vgl. zur sogenannten „öffentlichen“ oder „politischen“ Korruption im Sinne des Missbrauchs eines öffentlichen Amts zu privatem Nutzen SENTURIA, Corruption, political, in: Seligman (Hrsg.), Encyclopedia of the Social Sciences, S. 448– 449 („Political corruption is the misuse of public power for private profit. Not all acts which benefit the officeholder at the expense of the people are corrupt, else the term would include all taxation by an absolute monarch to provide accustomed luxuries for his family and court, all fees and dues paid by serfs to their feudal lords, all sacrifices and gifts given to the priestly class in theocracies.“).
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
ein Austauschverhältnis, das aus Sicht des einen wie des anderen Teils betrachtet werden kann, ohne den Gesamtzusammenhang aufzugeben. Freilich wird die Macht der Reziprozität mitunter auch in Zweifel gezogen. Im Hinblick auf manche gerichtliche Feststellung zu dieser Frage12 äußert etwa KLUG, es handele sich dabei um „eine psychologische These, die an Einfachheit nicht zu übertreffen ist“ und die „so besonders bedenklich“ sei, „weil die Gerichte von ihrer absoluten Richtigkeit ausgehen“.13 Ebenso könne die Zuwendung eines Vorteils „im Gegeneffekt zu einer Benachteiligung des Bestechenden“ führen oder gar vergessen werden.14 Diese Bedenken sind sicherlich nicht unberechtigt und verdienen insbesondere dann Beachtung, wenn die Strafwürdigkeit einer Bestechungshandlung in Frage steht. Geht es hingegen um die Frage, ob eine Bestechungshandlung verboten werden soll, so genügt dafür die Erfahrung, dass Zuwendungen regelmäßig eine Willensbeeinflussung beim Empfänger hervorrufen.15
Das Auftreten derart missbilligter Reziprozität ist weder auf bestimmte wirtschaftliche Gegebenheiten, wie sie etwa in Entwicklungsländern16 anzutreffen sind, noch auf bestimmte Wirtschaftssysteme 17 beschränkt. Korruption hat heute vielmehr – falls es je anders gewesen sein sollte – globale und damit auch internationale Bedeutung erreicht. Die einmütigen Äußerungen, in denen aufgrund der mit ihr verbundenen Gefahren für Marktwirtschaft, Demokratie und sozialen Frieden die unbedingte Bekämpfung der Korruption angemahnt wird, 18 vermögen daher keineswegs zu überraschen. Allein, diese Einmütigkeit trügt. Denn was mit dem Begriff der Korruption nicht umschrieben werden kann, ist, welche reziproken Beziehungen im Einzelnen aus 12 RG (31.08.1940), RGSt 74, 251 (256) („[S]elbst der beste Wille des Beamten, sich nicht beeinflussen zu lassen, [wäre] wirkungslos; ein Ereignis, wie es eine solche Vorteilsgewährung darstellt, läßt sich bei der Willensbildung niemals völlig ausschalten […].“) 13 KLUG, JZ 1960, S. 726. 14 KLUG, JZ 1960, S. 727. 15 SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 249 („[F]ew would deny a natural human predisposition in favor of those who have honored us with gifts in the past.“); dazu auch S. 66 bei Fn. 93. 16 RAESCHKE-KESSLER/GOTTWALD, FS Lüer 2008, S. 43 („Dort allerdings sind deren Folgen besonders schwer […].“). 17 Zu Korruption in Markt- und Planwirtschaft KRUG, Korruption in verschiedenen Wirtschaftssystemen, 1997. 18 Vgl. nur den Schlussbericht der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten, BT-Drs. 14/9200, S. 137 („Korruption untergräbt die Legitimität der Marktwirtschaft und der Demokratie, wenn diese nicht zum Wohle aller, sondern zum Nutzen weniger funktionieren.“) und die Präambel der UNCAC, UNTS Vol. 2349, S. 41, 145 (“threats posed by corruption to the stability and security of societies, undermining the institutions and values of democracy, ethical values and justice and jeopardizing sustainable development and the rule of law“) und des Zivilrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 4. November 1999, ETS 174 („corruption represents a major threat to the rule of law, democracy and human rights, fairness and social justice, hinders economic development and endangers the proper and fair functioning of market economies“).
A. Korruption und Reziprozität
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Sicht einer sozialen Gruppe als missbilligenswert zu gelten haben.19 Was die eine toleriert, mag die andere verdammen, eine Zuwendung mag in einem Staat 20 als sozialadäquat gelten, in einem anderen strafbar sein. 21 Nur die halbe Wahrheit ist es daher, wenn die Korruptionsbekämpfung als ein allen Staaten gemeinsames Ziel bezeichnet wird.22 Von positiver Reziprozität kann nur dort gesprochen werden, wo besondere, über das normale Maß hinausgehende Vorteile ausgetauscht werden.23 Die Zuwendung des Üblichen, vielleicht sogar dessen, worauf der Empfänger ohnehin ein Anrecht hat, ist nicht Ausdruck einer besonderen Erkenntlichkeit. Reziprozität kann in einem System von Mindestgarantien nur in Form einer Bevorzugung über das Übliche hinaus gedacht werden. Das grundsätzliche Gefährdungspotential der Korruption als einer missbilligenswerten reziproken Verbindung liegt demnach darin, dass sie den Korrumpeur in die Lage versetzt, sich überproportionale Vorteile zu verschaffen, Vorteile, die ihm üblicherweise nicht zugewendet würden oder zugewendet werden dürften. Korruption ermöglicht somit die Umgehung von Normen24. Gleichgültig, ob es etwa um die Einhaltung von Umweltschutzauflagen oder die Erlangung eines lukrativen Auftrags geht, durch Korruption kann der Korrumpeur sich gewissen, allgemeinen Regeln entziehen.25 Die Tatsache, dass Regeln ihre Befol19 Besonders deutlich SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 241 („The problem is not that some cultures embrace bribery and corruption – indeed, no culture appears to do so. Rather, the difficulty of blanket global rules and assessments rests in more subtle differences in particularized application of the generic anti-bribery norm […].“). 20 Der Staat ist insofern nur eine soziale Gruppe unter vielen; vgl. RAISER, Recht der AGB, S. 71–75. 21 Sehr kritisch gegenüber dem Verweis auf „kulturelle Eigenarten“ zur Legitimation der Korruption jedoch HEIMANN/MOHN, Die Rolle der Privatwirtschaft bei der Bekämpfung der internationalen Korruption, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 534–535. 22 ICSID (04.10.2006), Ziff. 157 [World Duty Free v. Kenya] („[T]his Tribunal is convinced that bribery is contrary to the international public policy of most, if not all, States or, to use another formula, to transnational public policy.“); ICC Schiedsspruch n° 5622 (19.08.1988), Rev. arb. 1993, 327 (334) [Hilmarton v. OTV] („idée de portée générale à respecter par tous les ordres juridiques désireux de lutter contre la corruption“); RAESCHKE-KESSLER/GOTTWALD, FS Lüer 2008, S. 46 („Der Kampf gegen Korruption gilt heute als Teil der universal anerkannten Werte […].“); anders hingegen zu Schmiergeld im geschäftlichen Verkehr noch SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 181 („noch keine in der Völkergemeinschaft bestehende Überzeugung“). 23 VOLK, Referat 61. DJT, S. L 43 („Korruption ist nun einmal ein Tausch von Vorteilen.“). 24 Der Begriff der Norm darf hier nicht zu eng im Sinne einer staatlichen Anordnung interpretiert werden, sondern muss weit im Sinne einer Verhaltensvorschrift verstanden werden, mag diese auf staatlicher, gesellschaftlicher oder moralischer Grundlage basieren. 25 ILLIES, Korruption im Lichte der Verhaltensforschung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 123, sieht dementsprechend in der Korruption „das eigenwillige
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
gung stets nur anordnen, nicht jedoch auch von sich aus sicherstellen können, dass es also (mindestens) eines Menschen bedarf, der ihre Einhaltung überwacht, gibt dem Betroffenen eine Möglichkeit an die Hand, dem Zwang der Einhaltung von Regeln dadurch zu entgehen, dass der über ihre Einhaltung Wachende durch das Versprechen oder Zuwenden persönlicher Vorteile dazu verleitet wird, diese Aufgabe zu vernachlässigen. Eine Verhaltensweise kann demnach dann als korrupt bezeichnet werden, wenn sie auf die Ausnutzung dieser auf dem Gedanken der Reziprozität fußenden, systemimmanenten Umgehungsmöglichkeit gerichtet ist. Korruption ist demnach der Verstoß gegen eine Art Metanorm, die es untersagt, die Notwendigkeit der Einhaltung von Normen mithilfe reziproker Beziehungen zu vermeiden.26 Die äußerste Grenze der Korruption ist erreicht, wo eine Feststellung von Regeln, an denen der Vorteilsempfänger sein Handeln auszurichten hat, nicht mehr möglich ist: „Wo es an gesicherten Regeln darüber fehlt, ob man Entscheidungen mit Vorteilen verknüpfen darf, gibt es den Bezugspunkt nicht, den ein solcher Tatbestand braucht“.27
Sind damit bereits die grundlegenden Aspekte zur Beschreibung des Phänomens der Korruption benannt, so ist das Recht insoweit vor eine dreifache Aufgabe gestellt: Die erste besteht darin, diejenigen reziproken Beziehungen zu benennen, die als korrupt, als schädlich, anzusehen sind.28 Zur Bewältigung dieser definitorischen Aufgabe bedient sich die Rechtsordnung dabei keineswegs allein eigener Maßstäbe. Insbesondere im Hinblick auf (mögliche) Korruptionsfälle mit Auslandsbezug zieht sie in großem Maße entsprechende ausländische Wertungen heran, darüber hinaus verbleiben weite Bereiche, in denen auf außerrechtliche Normstrukturen, die „guten Sitten“, Bezug genommen wird.29 In einem zweiten Schritt muss das Recht geeignete Instrumentarien zur Bekämpfung der Korruption, d. h. Mittel zur Unterbindung entsprechender reziproker Beziehungen, bereitstellen. Dabei zeigt sich, dass keineswegs allein die „klassischen“ strafrechtlichen Wege beschritten, son-
Außerkraftsetzen oder Nichtberücksichtigen des für eine bestimmte Gemeinschaft gültigen Standards“. 26 Darauf, dass durch die Etablierung einer solchen Metanorm zugleich neue Anreize zur Korrumpierung entstehen, verweist zu Recht HUNTINGTON, Modernization and Corruption, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 255 („The multiplication of laws thus multiplies the possibilities of corruption. […] Hence in a society where corruption is widespread the passage of strict laws against corruption serves only to multiply the opportunities for corruption.“). 27 VOLK, GS Zipf 1999, S. 428. 28 LAMBSDORFF, Guidance to anticorruption, in: Serra/Wantchekon (Hrsg.), New Advances in Experimental Research on Corruption, S. 296, sieht hierin einen „conflict between norms, those of reciprocity and those of justice”. 29 Zur Bedeutung des Verweises auf die guten Sitten unten S. 196 ff.
A. Korruption und Reziprozität
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dern vielmehr auch zivilrechtliche Mittel herangezogen werden.30 Wird auch mitunter die Fähigkeit des Rechts, diese präventive Funktion wirksam auszufüllen, in Zweifel gezogen,31 so gesellt sich zu dieser generellen Skepsis vor allem hinsichtlich von Korruptionsfällen mit Auslandsbezug das Phänomen, dass nur zu gern in der Fremde praktiziert wird, was Zuhause auf Widerstand stieße.32 Anerkanntermaßen existieren Länder, in denen nur korrupte Praktiken eine profitable Geschäftstätigkeit erlauben.33 Auf den Nutzen, den Korruption in dieser Hinsicht bieten kann, wird verständlicherweise nur ungern verzichtet, was dazu führt, dass ihre Existenz gerne als unumgänglich angesehen, ihre Sanktionierung als „blauäugig“34 abgetan wird. In den Fällen, in denen der Präventionsgedanke versagt, sieht sich das Recht sodann mit seiner dritten Aufgabe im Hinblick auf die Bewältigung der Korruption konfrontiert. Wo Korruption nicht unterbunden werden kann, hat das Recht für einen gerechten Interessenausgleich zwischen den von korrupten Verhaltensweisen betroffenen Parteien zu sorgen. Angesichts der Alltäglichkeit der Korruption und deren vermeintlicher Unvermeidbarkeit steht diese ausgleichende Funktion der Korruptionsprävention an Bedeutung nicht nach.
30 Vgl. etwa das von Deutschland bislang nicht ratifizierte Zivilrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats vom 4. November 1999 (S. 1 Fn. 3) mit Regelungen zu Schadensersatz und Vertragsnichtigkeit; KRAMER, Private International Law Responses to Corruption, S. 141 („Private International law […] in face of the reality of corruption cannot in all instances maintain its traditional role of ‚neutral mediator’.“). 31 MAYER-MALY, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 503 („Ohne eine Mobilisierung ethischer Potenzen bleibt […] alles Instrumentar der Korruptionsbekämpfung chancenlos.“), 506 („In die Wirksamkeit des Rechts als Mittel der Korruptionsbekämpfung dürfen nur bescheidene Erwartungen gesetzt werden.“). 32 HUNTINGTON, Modernization and Corruption, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 259 („foreigners have less scruples in violating the norms of the society“); vgl. auch ROSE-ACKERMAN, When is Corruption Harmful?, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 367. 33 BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (269) („Um derartige Geschäfte in N. abschließen zu können, sind Schmiergeldzahlungen an die einflußreichen Stellen im Lande erforderlich.“). 34 So KNAPP, RIW 1986, S. 1000 über die Entscheidung BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268, in der ein Vermittlungsvertrag, der die verbotene Bestechung ausländischer Amtsträger zum Gegenstand hatte, für sittenwidrig erklärt wurde. Treffend hingegen die Kritik bei NICHOLS, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 289, der gegen die (US-amerikanischen) Bedenken, eine effektive Bekämpfung der Auslandskorruption beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Unternehmen, einwendet: „United States companies would also be more competitive if they were allowed to beat any person who refused to award them contracts, or if they could kill their competitors“.
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
B. Auswirkungen der Korruption Begreift man die Korruption als Metanormverstoß, so bestehen ihre Auswirkungen zum einen in der Außerkraftsetzung der umgangenen Normen, zum anderen in einer spezifischen Vermögensbewegung. Wird Korruption überwiegend als etwas Negatives beschrieben, so liegt dies daran, dass den umgangenen Normen und Standards positive Wirkungen beigemessen werden, in den Fällen, in denen der Korruption positive Effekte zugeschrieben werden,35 bestehen diese in der Überwindung von als nachteilig empfundenen Gegebenheiten. Diese Differenzierung ist der Grund, weshalb gewissen Formen der Korruption im Allgemeinen mit Verständnis und (in strafrechtlicher Hinsicht) Sanktionslosigkeit begegnet wird. Dienen Zuwendungen an einen Entscheidungsträger dazu, diesen zur Pflichterfüllung zu bewegen, so werden solche „facilitation payments“36 zur Umgehung illegitimer Hindernisse strafrechtlich nicht verfolgt.37 Mit der Akzeptanz dieser Form von „defensive bribery“38 gehen jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten einher, die ihrerseits wieder Missbrauchspotential bieten, was etwa die Diskussion um die Einordnung sogenannter „Beschleunigungszah-
35 PRITZL/SCHNEIDER, Korruption, in: Korff/Baumgartner/Franz u. a. (Hrsg.), HdWE IV, S. 320 („In totalitären Gesellschaftssystemen mit einer zentral verwalteten Wirtschaft kann die Korruption zur Abmilderung der systembedingten Engpässe und zur Behebung der Unzulänglichkeiten des wirtschaftlichen und politischen Systems beitragen.“ [Hervorhebung im Original]); BAYLEY, 19 West. Pol. Q. (1966), S. 726–730 (S. 727: „There is a common assumption that corrupt acts produce effects worse than those which would have followed from an untainted decision. This assumption is only true to the extent that the government-established – or system-established – criteria for choice are better than those served by corruption.“); STREISSLER, Korruption und Wirtschaftsverfassung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 324–325 („effizienzerhöhend” in „zentrale[n] Planwirtschaften“); WOUTERS/RYNGAERT/CLOOTS, Corruption in International Law, S. 60 m. V. a. HUNTINGTON, Modernization and Corruption, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 255, der Korruption als ein Mittel gesellschaftlicher Modernisierung ansieht (S. 261: „Just as the corruption produced by the expansion of political participation helps to integrate new groups into the political system, so also the corruption produced by the expansion of governmental regulation may help stimulate economic development. Corruption may be one way of surmounting traditional laws or bureaucratic regulations which hamper economic expansion.“). 36 Vgl. dazu Art. 6 der ICC Rules on Combating Corruption (2011) (abrufbar unter ): „Facilitation payments are unofficial, improper, small payments made to a low level official to secure or expedite the performance of a routine or necessary action to which the payer of the facilitation payment is legally entitled“. 37 Dazu S. 129 bei Fn. 456. 38 ALATAS, Corruption, S. 3; vgl. auch FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 87 („[D]ie zahlende Gesellschaft suchte Schikanen und Boykott aus dem Weg zu gehen.“).
B. Auswirkungen der Korruption
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lungen“ belegt.39 Darüber, welche Umstände als illegitimes Hindernis anzusehen sind und anhand welchen Maßstabes darüber zu entscheiden ist, wird schwerlich Einigkeit zu erzielen sein. 40 Entscheidend kann deshalb keinesfalls sein, ob korruptivem Verhalten in bestimmten Situationen Verständnis entgegengebracht werden kann, dagegen also „kein grundsätzlicher Einwand zu erheben ist“41, sondern allein, ob das betreffende Verhalten rechtmäßig ist.
Die negativen Folgen der Korruption sind so vielfältig wie die Schutzzwecke der beeinträchtigten Normen und Standards. Dies gilt in erster Linie für die Korruption im öffentlichen Sektor, der in besonderem Maße mit der Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen assoziiert wird 42 und über ein sachlich praktisch unbegrenztes Aufgabengebiet verfügt. Es ist in erster Linie diese Art von Korruption, der ein demokratie- und staatsgefährdendes Potential zukommt, 43 da sie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit von Amtshandlungen zu erschüttern vermag.44 Staatliche Regeln dürfen nur dann auf allgemeine Akzeptanz hoffen, wenn sie grundsätzlich unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Normadressaten durchgesetzt werden.45 39 Dazu DANN, wistra 2008, S. 43–46 m. w. N.; TINKL, wistra 2006, S. 129–130. Der Phase 3 Report on Implementing the OECD Anti-bribery Convention in Germany (abrufbar unter ), S. 21 beklagt hier ein „knowledge vacuum“. 40 ROSE-ACKERMAN, When is Corruption Harmful?, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 366–369 („This argument raises the question of whether individuals and firms are obligated to obey only laws that they judge to be efficient and just. […] Should firms or individuals be able to defend against a charge of corruption with a showing that the law was unjust or inefficient? This would put a policy analytic burden on the law enforcement system that is ill-equipped to handle in practice and that it is illegitimate to impose on them in theory.“). 41 FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 87, über Schmiergelder an unterbezahlte Entscheidungsträger. 42 PRITZL/SCHNEIDER, Korruption, in: Korff/Baumgartner/Franz u. a. (Hrsg.), HdWE IV, S. 324 („Dieser Vertrauensbruch wiegt umso schwerer, als ein öffentliches Amt gerade mit der Verantwortung für das Gemeinwohl gerechtfertigt wird […].“). – Vgl. zur Kritik an der darin zum Ausdruck kommenden Unterschätzung des Missbrauchs privater Macht S. 92 Fn. 260. 43 Siehe für Nachweise S. 8 Fn. 18; vgl. auch VAHLENKAMP/KNAUSS, Korruption, S. 334. 44 Den Vertrauensschutz als Rechtsgut der §§ 331 ff. StGB ansehend BGH (25.07.1960), BGHSt 15, 88 (96–97); BGH (23.05.2002), BGHSt 47, 295 (303); BT-Drs. 13/5584, S. 16; Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 3; NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 13; RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 6; zur Diskussion um das Rechtsgut der Bestechungsdelikte vgl. S. 106 ff. – Derartige Folgen vermag freilich nicht ein einzelner korruptiver Akt, sondern erst eine Vielzahl solcher Akte in ihrer Gesamtheit auszulösen. 45 ROSE-ACKERMAN, When is Corruption Harmful?, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 361 („[A] policy of active tolerance [for bribes…] will make it difficult to create a state viewed as legitimate by its citizens“).
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
Im Hinblick auf die rechtsgeschäftlichen Folgen der Korruption kommt vor allem den Auswirkungen durch Korruption beeinflusster Auftragsvergaben besondere Bedeutung zu. Hier unterscheidet sich die Korruption im öffentlichen Sektor nicht grundlegend von derjenigen im privaten Sektor, obgleich für den Staat negative Auswirkungen Ersterer potentiell einen größeren Personenkreis zu beeinträchtigen geeignet sind als Letztere. Wer einen fremden Agenten korrumpiert, erhöht durch unzulässige Mittel die Wahrscheinlichkeit, dass ein ausstehender Auftrag ihm und nicht der Konkurrenz zuteilwird. Neben Preis und Leistung wird der private Vorteil des Agenten zu einem für die Auftragsvergabe relevanten Parameter. Dieser zusätzliche Parameter bewirkt, dass nunmehr auch solche Wettbewerber Aufträge erhalten können, die aufgrund überhöhter Preise oder mangelnder Qualität unter regulären Umständen verdrängt worden wären. 46 So kann es zu qualitativ minderwertigen Leistungen, erhöhten Projektkosten und mittelfristig zur Verdrängung nicht korrumpierender Wettbewerbsteilnehmer aus dem Markt kommen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Korruption nachfragebegründend wirkt und so nicht nur notwendige Projekte zu nachteiligen Konditionen, sondern darüber hinaus auch unnötige Projekte realisiert werden.47 Korruption vermag somit die Kosten eines bestimmten Geschäfts zu erhöhen und dadurch die Gewinne privater Unternehmen zu schmälern oder aufzuzehren und öffentliche Haushalte unnötig zu belasten.48 Dadurch wiederum entsteht die Notwendigkeit, verstärkt Einkünfte zu generieren, was letztlich Steuerund Preiserhöhungen oder Leistungskürzungen mit sich bringt49 und zur Abwälzung der Korruptionsfolgen auf die Allgemeinheit führt.50 Die Kosten, die der Korrumpeur für eine Schmiergeldzahlung aufzuwenden hat, können diese Effekte verstärken. Sie können in Form eines „Kick-back“ auf die Projektkosten aufgeschlagen werden und so dem Prinzipal in Rechnung gestellt werden oder aber auch den Gewinn des Korrumpeurs schmälern.51 Zudem können sie 46 PRITZL/SCHNEIDER, Korruption, in: Korff/Baumgartner/Franz u. a. (Hrsg.), HdWE IV, S. 321; FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 87. 47 PRITZL/SCHNEIDER, Korruption, in: Korff/Baumgartner/Franz u. a. (Hrsg.), HdWE IV, S. 322. 48 ROSE-ACKERMAN, When is Corruption Harmful?, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 361 („major impact on the government budget“). 49 SCHMIDT/GARSCHAGEN, Korruption, in: Albers/Born/Dürr u. a. (Hrsg.), HdWW IV, S. 571; zur eingeschränkten Bedeutung des Verbraucherschutzes im Rahmen des § 299 StGB KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 79–81. 50 Vgl. VAHLENKAMP/KNAUSS, Korruption, S. 333–334. 51 ROSE-ACKERMAN, When is Corruption Harmful?, in: Heidenheimer/Johnston (Hrsg.), Political Corruption3, S. 363, geht grundsätzlich von einer anteiligen Überwälzung auf den Prinzipal aus: „In general, the bribe will be extracted partly from returns that would otherwise flow to government and partly from the profits of the winning firm“. Dazu auch S. 36 mit Fn. 168.
C. Korruption und Rechtsgeschäft
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aufgrund der mit ihnen verbundenen Heimlichkeit relativ einfach der staatlichen Besteuerung entzogen werden.52 All diese negativen Aspekte sind dem Phänomen der Korruption in seiner Gesamtheit immanent. Ob und, wenn ja, welche negativen Folgen mit einem einzelnen korruptiven Akt verbunden sind, lässt sich hingegen wesentlich schwieriger, mitunter überhaupt nicht bestimmen. Er kann mit einer Verteuerung einer Transaktion für den Prinzipal einhergehen, mit der Übervorteilung eines Konkurrenten, mit der Reduzierung von Steuereinnahmen, er muss es jedoch nicht.53 Die negativen Folgen können sich kumulieren,54 ein Zusammentreffen ist hingegen keineswegs zwingend.55 Werden „korruptive Vereinbarungen“ als „volkswirtschaftlich schädlich“ angesehen, 56 so liegt darin zunächst eine Bewertung korruptiver Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit, der konkrete Einzelfall mag sich als weniger schädlich oder gar unschädlich erweisen. Der einzelne korruptive Akt wird daher allein aufgrund seiner potentiellen negativen Folgen missbilligt. Dies hat auch Auswirkungen auf die Behandlung von Rechtsgeschäften, die in Zusammenhang mit korruptiven Praktiken stehen.
C. Korruption und Rechtsgeschäft I.
Einführung
Widmet sich diese Untersuchung der Frage danach, welche Auswirkungen die Korruption auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften hat, so bedarf es zu Beginn einiger klarstellender Worte über ihren Ausgangspunkt. Das Recht reguliert „menschliche[s] Zusammenleben“ 57 innerhalb einer sozialen Gemeinschaft. Es bedient sich zu diesem Zweck zum einen der Aufstellung von Verhaltensnormen, die den Rechtsunterworfenen in einer durch den Tatbe52 PRITZL/SCHNEIDER, Korruption, in: Korff/Baumgartner/Franz u. a. (Hrsg.), HdWE IV, S. 321. 53 Zur Erlangung von Aufträgen zum Marktpreis durch Bestechungen STREISSLER, Korruption und Wirtschaftsverfassung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 308– 309; differenzierend hinsichtlich von Steuerausfällen und der Entnahme von Korruptionsgewinnen aus dem Wirtschaftskreislauf SCHMIDT/GARSCHAGEN, Korruption, in: Albers/Born/Dürr u. a. (Hrsg.), HdWW IV, S. 571–572. – Insbesondere die Annahme, Korruption sei stets und alleine mit einer Schädigung des Prinzipals verbunden, greift zu kurz (vgl. S. 43 bei Fn. 197). 54 Etwa indem ein Auftrag mithilfe von Schmiergeld akquiriert und preislich beeinflusst wird. 55 Vgl. NEUGEBAUER, Ökonomische Theorie der Korruption, S. 11–13. 56 LAMBSDORFF, Transaktionskostenanalyse, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 58. 57 ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 115, S. 196.
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
stand der Norm umrissenen Situation zu einem tatsächlichen Tun oder Unterlassen verpflichten58 und außerdem die Grundlage für eventuell an ein Zuwiderhandeln anknüpfende Sanktionen bilden.59 In dieses System kann auch die Korruption eingeordnet werden, indem man von denjenigen menschlichen Verhaltensweisen, die anhand der obengenannten Kriterien als „korrupt“ eingestuft werden könnten, diejenigen ausfindig macht, die auch gegen eine rechtliche Verhaltensnorm verstoßen. Unter den Begriff der Korruption im engeren Sinne wären dann nur diejenigen charakteristischen Verhaltensweisen zu fassen, die sich tatsächlich als verboten erweisen. Zum anderen gewährt das Recht in Form der Privatautonomie dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Beziehungen zu anderen in rechtsverbindlicher Weise selbstbestimmt zu gestalten.60 Die Frage nach den Auswirkungen der Korruption auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften ist damit einerseits eine spezielle Ausformung der allgemeinen Problematik der Auswirkungen rechtlicher Verbote auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften. Es ist die Frage danach, wann der Verstoß gegen ein korruptionsbezogenes Verbot, der im Zusammenhang mit einem Rechtsgeschäft steht, welches die Rechtsordnung üblicherweise als wirksam anzuerkennen pflegt, dazu führt, dass dieses Geschäft mit den üblichen, mit modifizierten oder unter Umständen auch überhaupt keinen Rechtswirkungen ausgestattet wird. Andererseits berührt die Fragestellung auch eine zweite Grenze der Privatautonomie, die „guten Sitten“, die im Hinblick auf die zivilrechtlichen Folgen der Korruption von zentraler Bedeutung sind. II. Rechtsgeschäftliche Auswirkungen der Korruption – insbesondere nach deutschem Recht Die rechtsgeschäftlichen Auswirkungen der Korruption lassen sich im Grundsatz auf ein Dreipersonenverhältnis reduzieren: Ein Korrumpeur wendet dem Agenten61 eines (potentiellen) Geschäftspartners (Prinzipal) Vorteile zu, um diesen zu einem dem Korrumpeur günstigen Verhalten bei Verhandlungen oder dem Abschluss eines Vertrags mit dem Prinzipal zu bewegen, wobei letztlich unerheblich ist, ob dieses Verhalten in der bloßen Beeinflussung des selbst rechtsgeschäftlich tätig werdenden Prinzipals oder im unmittelbaren Abschluss des Geschäfts als dessen Vertreter besteht. Falls dieses Verhältnis zwischen Korrumpeur und Agent als Rechtsgeschäft ausgestaltet 58 HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 24-25, 41-42; ISAY, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 3; THON, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 1–5. 59 Ausführlich zu Verhaltens- und Sanktionsnormen S. 50 ff. 60 Zur Privatautonomie im Allgemeinen FLUME, AT II3, S. 1–22 m. w. N. 61 Der Begriff Agent soll hier umfassend alle Vertrauensträger bezeichnen, unabhängig davon, ob es sich um einen Beamten, staatlich Bediensteten, gesetzlichen, organschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter oder einen Berater handelt.
C. Korruption und Rechtsgeschäft
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ist, so lässt sich dieses als Korruptions- oder Schmiergeldvereinbarung betiteln. Davon zu trennen ist das Verhältnis zwischen Korrumpeur und Prinzipal. Kommt es infolge der Bemühungen von Korrumpeur und Agent zum Abschluss eines Vertrags zwischen Korrumpeur und Prinzipal, so wird dieser in der Regel als Hauptvertrag bezeichnet. Dieses Dreipersonenverhältnis lässt sich durch den Einsatz von Vermittlern prinzipiell beliebig erweitern. Insbesondere die Anbahnung von Auslandsgeschäften wird oftmals einem landeskundigen Vermittler überlassen (Vermittlungsvertrag), der seinerseits wiederum aus den ihm vom Korrumpeur überlassenen oder zugesagten Mitteln Vorteilszuwendungen an den Agenten bestreitet.62 1.
Schmiergeldabrede
Rechtsgeschäftliche Schmiergeldabreden, welche eine gesetzlich verbotene Zuwendung von Vorteilen an einen Agenten zum Inhalt haben, sind – unabhängig davon, ob sie in Form einer Schenkung63, einer Provisionsvereinbarung64 oder eines ähnlichen Geschäfts65 getroffen werden – nach § 134 BGB nichtig.66 62
Eine Situationsanalyse findet sich bei PIEHL, Bestechungsgelder, S. 16–22. Beispielhaft sei der Fall BGH (14.12.1999), BGHZ 143, 283, genannt. 64 Vgl. BGH (27.03.1968), NJW 1968 (1572–1575); OLG KARLSRUHE (18.03.1999), BB 2000 (635 f.). 65 BGH (12.07.2001), NJW 2001, 3062 (3063) [Honorierung wertloser Beratertätigkeit]. – Das Gleiche muss auch für solche Verträge gelten, die nicht der Verschleierung der Vorteilszuwendung dienen, sondern deren Abschluss selbst die Vorteilszuwendung darstellt; vgl. RG (26.05.1939), HRR 1939 (Nr. 1492); RG (06.07.1942), DR 1943 (77); BGH (10.03.1983), BGHSt 31, 264 (280) [angemessen honorierte Nebentätigkeiten]. Auch hier soll ein Anspruch auf tatsächliche Vermögenszuwendungen entstehen, mag er auch durch die Erbringung eigener Arbeitsleistung des Agenten bedingt sein. Der von LÜDERSSEN, JZ 1997, S. 114–115, und SCHNEIDER, FS Seebode 2008, S. 347–349, geäußerten Kritik, ein in einem ausgeglichenen Äquivalenzverhältnis zu einer Privathandlung stehender Vorteil sei nicht zugleich für die Dienstausübung zugewendet, ist entgegenzuhalten, dass bereits das Bieten der Möglichkeit, eigene Arbeitskraft in einen unmittelbaren Vermögensvorteil „umwandeln“ zu können, grundsätzlich das gleiche „Gefühl des Verpflichtetseins“ (unten S. 64 ff.) auszulösen geeignet ist wie eine unentgeltliche Zuwendung. Wenn „damit faktisch alle Nebentätigkeiten, die mit der fachlichen Qualifikation […] im Zusammenhang stehen […], unter dem Verdacht der Vorteilsannahme stehen“ (ebd., S. 347–348; vgl. auch BGH (21.06.2007), NJW-RR 2007, 309 (310)), und ein Agent „[a]n der wirksamen Vereinbarung“ bestimmter Verträge „gehindert“ ist (BGH (14.12.1972), NJW 1973 (363)), so ist dies keine grundsätzlich abzulehnende Entwicklung. Abzulehnen ist daher auch der Versuch in BGH (26.03.1962), GRUR 1962 (466–468) [zu § 826 BGB], als Schmiergeld nur die Differenz zwischen dem Gesamtbetrag der Zuwendungen an den Agenten und dem Betrag anzuerkennen, dem Leistungen des Agenten im Rahmen einer Vermittlungstätigkeit für den Korrumpeur gegenüberstehen. 66 Staudinger2011/SACK/SEIBL, § 134 Rn. 295; MüKo6/ARMBRÜSTER, § 134 Rn. 59; SETHE, WM 1998, S. 2310–2312 [insb. zu § 299 StGB]; SCHLÜTER, ZRFG 2006, S. 101. 63
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Die Rechtsordnung reguliert äußerliches Verhalten der Menschen zueinander.67 Gesetzliche Verbote untersagen daher in erster Linie ein bestimmtes Verhalten68 und richten sich damit nur mittelbar gegen ein Rechtsgeschäft, das in einem bestimmten Zusammenhang zu diesem verbotenen Verhalten steht: „Wenn man die wegen ihres unsittlichen oder rechtswidrigen Inhalts ungültigen Rechtsgeschäfte als verbotene bezeichnet, so redet man nicht ganz genau, denn das Verbot trifft hier unmittelbar und zunächst nur die Erfüllungshandlung, z. B. die schimpfliche Dienstleistung und verneint die Verbindlichkeit zur Vornahme derselben.“69
Gilt es, zur Eindämmung der Korruption die Entstehung eines Gefühls des Verpflichtetseins bei bestimmten Personen, denen fremde Macht anvertraut ist, zu verhindern, und entsteht ein solches Gefühl grundsätzlich durch die Zuwendung bestimmter Vorteile, so kann die Rechtsordnung keinen in letzter Konsequenz mit staatlicher Hilfe durchsetzbaren Anspruch auf Vorteile gewähren, deren Zuwendung sie als gefährlich erkannt und daher verboten hat.70 Verwirklicht werden damit die Einheit und inhaltliche Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, mit denen es nicht vereinbar wäre, eine bestimmte Handlung einerseits gesetzlich zu untersagen und zugleich vertraglich zu gebieten.71 Da sich das Verbotsgesetz stets gegen ein bestimmtes Verhalten richtet, verstößt oftmals nur ein Teil des Rechtsgeschäfts gegen das gesetzliche Verbot. Im Falle einer Schmiergeldabrede betrifft dies zunächst das Leistungsversprechen des Korrumpeurs an den Agenten auf Zuwendung eines unzulässigen Vorteils, dem keine Gültigkeit zukommen kann, da der Agent den Vorteil nicht annehmen und der Korrumpeur sein Versprechen regelmä-
67 THON, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 2 („Impuls zu einem bestimmten Verhalten“); HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 41 („Die Rechtsnormen (Rechtssätze) sind insgesamt Verhaltensregeln.“ [Hervorhebung im Original]); KITZINGER, Aphorismen, S. 34 („Grundauffassung des Rechts, wonach Dieses nur das äußere Verhalten der Rechtsgenossen regelt“); NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 7–8. 68 LARENZ/WOLF, AT9, § 40 Rn. 2, 6; PIEHL, Bestechungsgelder, S. 48 mit Verweis aus DÖRNER, JuS 1987, S. 524 [zu § 823 Abs. 2 BGB]; vgl. auch BORK, AT3, Rn. 1103. 69 GEBHARD, Entwurf II, S. 161; vgl. auch KOHLER, ABR 5 (1891), S. 231 („Solche Verträge sind ungültig, wenn das gesetzliche Verbot sich auf den Rechtseffekt des Geschäftes mitbezieht, so daß der Rechtseffekt als der staatlichen oder gesellschaftlichen Ordnung widersprechend erscheint […].“); AMM, Gesetzesverstoß, S. 236 („Möglichkeit eines Zusammentreffens von Rechtsgeschäft und Delikt“ [Hervorhebung im Original]). 70 Hinweise darauf, dass die Rechtsordnung entsprechende Verbote enthält, liefern insbesondere die korruptionsbezogenen Straftatbestände der §§ 331 ff. und § 299 StGB; ausführlich dazu unten S. 61 ff. 71 GEBHARD, Entwurf II, S. 161 („Endlich würde die Rechtsordnung mit sich selbst in Widerspruch treten, falls sie einerseits selbst Befehle aufstellt, andererseits aber gestatten wollte, rechtsgeschäftliche Gegenbefehle zu erlassen.“); MEDICUS, AT10, Rn. 647; AMM, Gesetzesverstoß, S. 311; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 89; PAWLOWSKI, JZ 1970, S. 507–508; PETERS, JZ 1983, S. 922; BERG, Wirtschaftskorruption, S. 67 („Mittel zur Schaffung eines widerspruchsfreien Rechtsfolgensystems“).
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ßig 72 nicht einlösen darf. Ob ein nicht verbotswidriger Teil des Rechtsgeschäfts weiterhin Bestand hat, ist eine Frage, die grundsätzlich unabhängig von dem gesetzlichen Verbot zu beantworten ist und sich im deutschen Recht nach § 139 BGB richtet.73 Wo Zuwendungen eines Vorteils an einen Agenten nicht von gesetzlichen Verboten erfasst werden,74 werden sie in weitem Umfang als gegen die guten Sitten verstoßend angesehen.75 Die Gründe, welche dem Sittenwidrigkeitsurteil zugrunde liegen, sind dabei dieselben, die auch zur Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Verbote geführt haben:76 Vorteile und Vorteilsversprechungen vermögen den Empfänger dazu zu bewegen, den Zuwendenden seinerseits zu bevorteilen, was dann inakzeptabel ist, wenn der Empfänger bereits anderweitig zur Interessenvertretung berufen ist. Als sittenwidrig erscheint daher eine Zuwendung durch den Korrumpeur, wenn sie den Agenten „in die Gefahr gebracht hat, seiner Vertragspflicht, lediglich die Belange seines Auftraggebers wahrzunehmen, untreu zu werden.“ 77 Wird man auch regelmäßig von einer drohenden Vertragspflichtverletzung des Empfängers von Schmiergeldzahlungen ausgehen können und das Verschweigen solcher
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Vgl. zur früheren Rechtslage, welche die Vorteilsgewährung an Amsträger in weit geringerem Maß als die Vorteilsannahme untersagte, S. 81 Fn. 187. Zu Recht erachteten auch nach damaliger Rechtslage Schmiergeldabreden, deren Erfüllung allein auf Nehmerseite gegen ein Verbot verstießen, für nichtig CANARIS, Verbot, S. 24 m. w. N.; RGRK12/KRÜ3 GER-NIELAND/ZÖLLER, § 134 Rn. 15; FLUME, AT II , S. 345, der jedoch den seiner Ansicht nach grundsätzlich notwendigen Gesetzesverstoß auch des anderen Teils durch dessen „Kenntnis des Tatbestandes der strafbaren Handlung des Beamten“ substituiert. Zum beiderseitigen Verstoß gegen § 12 UWG a. F. (RGBl. 1909, S. 499, 502) bereits RG (06.11.1920), JW 1921, 338 (339). 73 Danach ist bei einer zweiseitig verpflichtenden Schmiergeldabrede – unabhängig davon, ob diese auch den Agenten zu einer rechtswidrigen Leistung verpflichtet – grundsätzlich deren Gesamtnichtigkeit anzunehmen, da eine Aufrechterhaltung als einseitig verpflichtendes Geschäft nicht in Frage kommt; vgl. LARENZ/WOLF, AT9, § 45 Rn. 17. 74 Im deutschen Recht betrifft dies insbesondere Zuwendungen außerhalb des Wettbewerbs; RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (49). 75 BGH (14.03.1991), NJW 1991, 1819 (1820); BGH (25.06.1986), ZIP 1986, 1254 (1255); BGH (14.12.1972), NJW 1973 (363); RG (20.09.1939), RGZ 161, 229 (233–234); vgl. auch KOCH, Schmiergeldbegriff, S. 124 („[D]ie Sittenwidrigkeit gegenüber dem Dritten [Prinzipal] innerhalb des Wettbewerbs [ist] kein entscheidendes Merkmal des Schmiergeldes.“). 76 Dementsprechend wird oftmals explizit auf den „Rechtsgedanken“ dieser gesetzlichen Verbote abgestellt; vgl. RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (52); RG (20.09.1939), RGZ 161, 229 (231) (vgl. S. 22 Fn. 89 f.); BGH (26.03.1962), GRUR 1962, 466 (467); BGH (25.06.1986), ZIP 1986, 1254 (1255) [alle zu § 12 UWG a. F.]. 77 RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (52); vgl. auch RG (01.06.1932), RGZ 136, 359 (360).
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Zahlungen ebenfalls als Vertragsverletzung einzuordnen haben, 78 so dürfen vertragliche Treuepflichten des Agenten dennoch nicht den Blick darauf verstellen, dass das Sittenwidrigkeitsurteil über Schmiergelder keineswegs in der bloßen Verleitung zu einem Vertragsbruch besteht. Auch soweit Schmiergeldzahlungen rein faktisches Vertrauen zu enttäuschen drohen, wo „[d]er Beratene […] als selbstverständlich voraus[setzt], daß sich sein Berater bei seinen Ratschlägen ausschließlich von sachlichen Gesichtspunkten leiten läßt“79, werden diese als sittenwidrig aufgefasst.80 Sittenwidrig ist die Enttäuschung von Vertrauen – der Vertrauensbruch –, sittenwidrig ist deshalb die Zuwendung eines Vorteils, der droht, einen solchen herbeizuführen.81 Für das Sittenwidrigkeitsurteil entscheidend ist daher allein 82 das Bestehen einer bestimmten tatsächlichen Vertrauensstellung des Agenten. Von entscheidender Bedeutung ist die genaue Untersuchung der Beschaffenheit der jeweiligen Vertrauensstellung. Nicht jede hat zur Folge, dass Zuwendungen von dritter Seite an den Agenten als sittenwidrig einzuordnen sind. Vielmehr muss das dem Agenten entgegengebrachte Vertrauen einen Stellenwert erreicht haben, der Zuwendungen schlechterdings nicht zulässt. An der Grenze zwischen vertrauensbeeinträchtigender Zuwendung und legitimem Gewinnstreben liegen etwa Rückvergütungen bei der Anlageberatung, die durch den Anbieter im Falle eines Geschäftsabschlusses mit dem investierenden Anleger an den vermittelnden 78
RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (49); zu Bestand und Reichweite entsprechender Offenbarungspflichten KLUTH/KRAUSKOPF, ZGS 2009, S. 401 ff.; VEIL, WM 2009, S. 2193 ff. 79 BGH (25.06.1986), ZIP 1986, 1254 (1255). 80 RG (08.06.1929), SeuffArch 83, Nr. 194 (325) [Vertrauensstellung als „männlicher Schützer und Berater“]; BGH (25.06.1986), ZIP 1986, 1254 (1255) [Beratung aus Gefälligkeit nach § 676 BGB a. F.]. 81 Deutlich WERNER, EWiR § 138 BGB 20/88, S. 967, 968 („Gewollt ist mit der Bestechung das sittenwidrige Verhalten des Beraters.“); Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 637 („Gefahr einer missbräuchlichen Ausnutzung einer Vertrauensstellung“ [Hervorhebung im Original]) m. w. N. – Hingegen bereits um einen Gesetzesverstoß handelt es sich in den Fällen, in denen vereinbart wird, „für die Begehung einer strafbaren Untreue ein Entgelt zu zahlen“. Für derartige Abreden bedarf es entgegen OLG HAMBURG (16.10.1969), MDR 1970 (47); DITTMAR, Mißbrauch der Vollmacht, S. 31, nicht des Rückgriffs auf § 138 BGB. Mögen auch Verträge, in deren Abschluss eine Untreue liegt, nicht nach § 134 BGB nichtig sein (CANARIS, Verbot, S. 23, 27), Verträge, die einen Anspruch auf Begehung einer Untreue begründen, sind es sicherlich. Dass darüber hinaus das Versprechen eines Vorteils, der die Begehung der verbotenen Handlung wahrscheinlicher macht, sittenwidrig sein mag (für ein weiteres Beispiel vgl. S. 26 bei Fn. 111), fällt dann nicht mehr ins Gewicht. 82 Lediglich von einer „Gleichstellung des Verstoßes gegen Anstandspflichten mit dem Verstoß gegen Rechtspflichten“ spricht hingegen KOCH, Schmiergeldbegriff, S. 76. – Die Sittenwidrigkeit der Enttäuschung tatsächlichen Vertrauens verdeutlicht, dass es sich bei den guten Sitten (auch) um ein vom Recht unabhängiges, in sich geschlossenes Normensystem handelt (dazu unten S. 73 ff., 197 ff.).
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Berater ausgeschüttet werden. 83 Hier mag sich der Berater je nach konkreter Situation solche Provisionen des Anbieters zwar zuwenden lassen dürfen, 84 er muss jedoch nach neuerer Rechtsprechung des BGH diese Zuwendungen gegenüber dem Anleger offenlegen, „damit der Kunde beurteilen kann, ob die Anlageempfehlung allein im Kundeninteresse nach den Kriterien anleger- und objektgerechter Beratung erfolgt ist, oder im Interesse der Bank, möglichst hohe Rückvergütungen zu erhalten“85. In solchen Fällen mag – letztlich aufgrund der Annahme, es bestehe nur eine Situation mäßigen Vertrauens zwischen Prinzipal und Agent – nicht bereits die Zuwendung selbst, sondern erst86 das spätere Unterlassen der Offenbarung dieser Zuwendung gegenüber dem Prinzipal sittenwidrig sein. Der einer Vorteilszuwendung innewohnenden Gefahr wird man jedoch grundsätzlich nicht gerecht, wenn man den Grund für ihre Missbilligung darin zu finden glaubt, dass sie dem Prinzipal gegenüber verheimlicht werden könnte. 87 Droht ein Vorteilsversprechen, den Agenten 83
Die Nähe zu den „Schmiergeldern“ betonen NITTEL/KNÖPFEL, BKR 2009, S. 412– 413 („An der Einordnung aller Arten von Zuwendungen im Zusammenhang mit Beratungsverträgen als ‚Schmiergelder‘ kann vor dem Hintergrund ihrer Eignung zur Aufhebung dieser Unbefangenheit und zur Begründung eines den Zweck des Beratungsvertrages gefährdenden Interessenkonflikts kein Zweifel bestehen.“); anders jedoch BGH (15.04.2010), NJW-RR 2010, 1064 (1065) („Wenn ein Anleger sich durch einen freien Anlageberater über eine Kapitalanlage, insbesondere einen Fonds beraten lässt, [sic] und selbst keine Provision für die Anlageberatung zahlt, so liegt es für den Kunden auf der Hand, dass der Anlageberater von der kapitalsuchenden Anlagegesellschaft Vertriebsprovisionen erhält […].“). Gesetzlich umschrieben wird dieser Konflikt im Wertpapierhandelsgesetz. § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG lautet: „Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist verpflichtet, sich um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen und vor Durchführung von Geschäften für Kunden diesen die allgemeine Art und Herkunft der Interessenkonflikte eindeutig darzulegen, […] um nach vernünftigem Ermessen das Risiko der Beeinträchtigung von Kundeninteressen zu vermeiden.“ § 31d Abs. 1 WpHG lautet: „Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen darf im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen keine Zuwendungen von Dritten annehmen […], es sei denn, 1. die Zuwendung ist darauf ausgelegt, die Qualität der für den Kunden erbrachten Dienstleistung zu verbessern und steht der ordnungsgemäßen Erbringung der Dienstleistung im Interesse des Kunden im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1 nicht entgegen und 2. Existenz, Art und Umfang der Zuwendung […] wird dem Kunden vor der Erbringung der Wertpapierdienstleistung oder Wertpapiernebendienstleistung in umfassender, zutreffender und verständlicher Weise deutlich offen gelegt“. 84 Bereits das Vorliegen eines Interessenkonflikts bestreitet EDELMANN, BB 2010, S. 1167, da bei marktüblichen Provisionen kein Produkt für den Agenten mit einem besonderen Vorteil verbunden sei und damit die Grundlage für einen Interessenkonflikt fehle. 85 BGH (19.12.2006), BGHZ 170, 226 (226–227). 86 Insofern die Zusammenhänge verkehrend Staudinger12/DILCHER, § 138 Rn. 54, der den „tatbestandsbegründende[n] Treubruch bereits in der Verheimlichung der Zuwendungsabrede gegenüber dem Arbeitgeber oder Auftraggeber“ sieht [Hervorhebung hinzugefügt]. 87 So jedoch BGH (23.10.1980), BGHZ 78, 263 (268) [Maklertätigkeit eines Steuerberaters]; Sachverhalt abgedruckt in NJW 1981, S. 399, wonach „der Beklagte durch das Provisionsversprechen der Klägerin in die Gefahr geriet, seine Mandanten nicht mehr unvoreingenommen zu beraten“ und „dem Vorwurf des Treubruchs nur dadurch entgehen [konnte], daß er den Mandanten […] seine Aussicht auf eine Provision von seiten der
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prinzipiell zu einer unzulässigen Erwiderung zu bewegen, so ist die Gefahr, er werde dieses verschweigen, ebenso groß, denn Schweigen und Erwiderung beruhen auf demselben Grund: Beider bedarf es, um den versprochenen Vorteil tatsächlich realisieren zu können.88 Wer einen zu einer reziproken Erwiderung Anlass gebenden Vorteil zuwendet, darf sich daher gerade nicht darauf verlassen, der Empfänger werde ihn pflichtgemäß offenbaren. So mag zwar eine Offenbarungspflicht mit der Zuwendung von Schmiergeldern einhergehen, der Grund für deren Sittenwidrigkeit ist der Verstoß gegen jene hingegen nicht.
Mitunter wird neben dem drohenden Vertrauensbruch des Agenten gegenüber seinem Prinzipal auch der Schutz von Mitbewerbern als Begründung für das Sittenwidrigkeitsurteil über bestimmte Zuwendungen herangezogen. 89 Von großer Bedeutung sind solche „Schutzbereichserweiterungen“ der Sittenwidrigkeit hingegen nicht, da in diesen Fällen vielmehr unmittelbar auf gesetzliche Verbote abgestellt werden kann.90 Keinesfalls darf aus solchen Ansätzen jedoch geschlossen werden, eine bestimmte Handlung könne gegenüber einer bestimmten Person sittenwidrig sein, im Verhältnis zu einer anderen jedoch nicht.91 Der Schutz einer bestimmten Person dient im Rahmen des verhaltensregulierenden Normensystems der guten Sitten als Grundlage für das Sittenwidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten. Dieses Urteil gilt dann jedoch – ebenso wie rechtliche Verhaltensnormen – umfassend.92
Voraussetzung einer sittenwidrigen Schmiergeldzahlung ist, dass sie der vom Korrumpeur angestrebten Bevorzugung durch den Agenten zeitlich voraus-
Klägerin offenbarte.“ Die Sittenwidrigkeit wurde schließlich verneint, da die Beklagte „durchaus davon ausgehen [konnte], der Beklagte werde seine Klienten […] pflichtgemäß […] unterrichten […]“. Ebenso WERNER, EWiR § 138 BGB 20/88, S. 967, 968 („Das Verheimlichen der Zuwendung ist damit der entscheidende Vorwurf[.]“) m. V. a. Staudinger12/DILCHER, § 138 Rn. 54. 88 Insofern treffend die Schilderung in BGH (19.06.1985), BGHZ 95, 81 (85–86); nach RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (54), ist die Geheimhaltung gar ein Bestandteil des „Schmiergeldvertrags“. 89 Deutlich etwa RG (20.09.1939), RGZ 161, 229 (233) [Beteiligung des Agenten an einem für den Prinzipal beauftragten Fuhrunternehmen]: „Die Tatumstände, die den Vertrag vom März 1934 sittenwidrig machten und die den Parteien bekannt sein mußten, sind aber die Gefährdung der Firma M. [Prinzipal] und der Mitbewerber des Beklagten [Korrumpeur] bei Erlangung von Beförderungsaufträgen, der Vertrauensbruch des Klägers [Agent] gegenüber seinem Geschäftsherrn durch die Annahme solcher Zuwendungen hinter seinem Rücken und die Mitwirkung des Beklagten bei einem solchen Vertrauensbruch.“ 90 Zu diesen Verboten ausführlich unten S. 61 ff. Auch bei RG (20.09.1939), RGZ 161, 229 handelt es sich um einen Fall, der eigentlich nach § 134 BGB i. V. m. § 12 UWG a. F. zu beurteilen gewesen wäre. 91 Eine solche Aufspaltung der Sittenwidrigkeit klingt etwa an bei KOCH, Schmiergeldbegriff, S. 123–127 („Sittenwidrigkeit gegenüber dem Dritten“). 92 Dazu unten S. 58 bei Fn. 46.
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geht.93 Nur dann kann bei diesem eine empfundene Verpflichtung gegenüber dem Korrumpeur und die Gefahr von dessen Bevorzugung entstehen.94 2.
Vermittlungsvertrag
Zweifel an der Wirksamkeit von Vermittlungsverträgen bestehen aus denselben Gründen, die auch zur Unwirksamkeit einer Schmiergeldvereinbarung führen können. Liegt dieser zugrunde, dass in bestimmten Situationen – auf gesetzlicher oder sittlicher Grundlage – gewisse Vorteile und dementsprechend Ansprüche auf diese nicht gewährt werden dürfen, so sind jene Zweifel angebracht, wenn eine Person beauftragt wird, solche Vorteile einem Dritten zuzuwenden. Auch eine vertragliche Verpflichtung zur Gewährung von Schmiergeldern an Dritte soll keinen Bestand haben.95 In Fällen, in denen die auf das Zustandekommen einer Schmiergeldabrede gerichtete Vereinbarung von Abreden über sonstige, nicht zu beanstandende Vermittlertätigkeiten getrennt werden kann, richtet sich die Wirksamkeit des Vermittlungsvertrags im Übrigen im deutschen Recht wiederum nach § 139 BGB.96 Eine Teilwirksamkeit kommt dementsprechend nicht in Betracht, sofern sich die Tätigkeit des Vermittlers in der Übermittlung von Schmiergeldern an den jeweiligen
93
BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990, 442 (443); SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 176 m. V. a. entsprechende Einschätzungen zu § 12 UWG a. F (insb. OLG DÜSSELDORF (10.05.1973), NJW 1974 (417); vgl. auch S. 95 bei Fn. 277). – Entsprechend nicht als Schmiergeldzahlung im herkömmlichen Sinne wurde in BGH (17.05.1988), NJW 1989 (26 f.), eine bei Abschluss des Hauptvertrags mit zehnprozentigem Preisaufschlag zustande gekommene Vereinbarung, welche einen Rückfluss des Aufschlags an die Mutter des Agenten vorsah. Dennoch ging das Gericht (ebd., S. 27) unter Berufung auf Entscheidungen in klassischen Schmiergeldfällen [RG (01.06.1932), RGZ 136, 359 (360); RG (20.09.1939), RGZ 161, 229 (233); BGH (25.06.1986), ZIP 1986 (1254 f.)] von der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung und deren Ausstrahlungswirkung auf den Hauptvertrag aus. Entgegen OLG KÖLN (13.02.1992), NJW-RR 1992, 623 (624); SETHE, WM 1998, S. 2312 und SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 27, kann diese Entscheidung daher nicht als Beleg für die Sittenwidrigkeit nachträglicher „Schmiergeldzahlungen“ dienen. 94 Daran ändert auch die Einsicht, dass eine nachträgliche „Schmiergeldzahlung“ als Reaktion auf eine Vorleistung des Agenten ebenso bedenklich sein kann, nichts (BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990, 442 (443); vgl. S. 63 bei Fn. 74). 95 Ein solcher Sachverhalt etwa lag der Entscheidung RG (02.10.1928), Gruchot 70, Nr. 41, zugrunde: „[D]ie Tätigkeit der Klägerin [sollte] nach dem Willen beider Parteien im wesentlichen dahin gehen […], den Gesandtschaftssekretär S. [Agent] durch Geldzuwendungen zu gewinnen […]“ (S. 546). „[E]ines der Mittel, die gerade die Klägerin nach dem Vertrag anwenden sollte, um den Abschluß zu sichern, war eben ein sittenwidriges“ (S. 548). 96 Vgl. insbesondere BGH (06.11.1985), NJW-RR 1986, 346 (348); siehe auch Soergel13/HEFERMEHL, § 138 Rn. 46.
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Agenten erschöpft 97 oder das weiterzuleitende Schmiergeld Bestandteil der vereinbarten Provision ist,98 da dann ein eventuell aufrechtzuerhaltender Teil des Rechtsgeschäfts in der Regel nicht ausgemacht werden kann. Als Grund für das Bemühen eines Vermittlers – insbesondere für Auslandsgeschäfte – wird angeführt, auf diese Weise könnten sich die korrumpierenden Unternehmen unerwünschten Sanktionen entziehen, insbesondere der Gefahr entgehen, von zukünftigen Auftragsvergaben im betreffenden Land ausgeschlossen oder wegen begangener Bestechungshandlungen strafrechtlich belangt zu werden.99 Um diese Risiken zu minimieren, läge es aus unternehmerischer Sicht nahe, in entsprechende Vermittlungs-, Beratungs- oder Maklerverträge keine – auch keine verdeckten – Anweisungen zur Weiterleitung von Schmiergeldern oder Anbahnung von Schmiergeldvereinbarungen aufzunehmen, eventuell den Einsatz solcher Mittel sogar ausdrücklich zu untersagen und es dem Vermittler zu überlassen „das ‚Notwendige‘ zu tun, um den Auftrag zu bekommen“100. Obwohl derartige vertragliche Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sicherlich auch einen wertvollen Beitrag dazu leisten können, eine Unternehmenskultur zu etablieren, die korruptive Verhaltensweisen nicht als legitimes Mittel zum Zweck betrachtet, sondern diesen ablehnend gegenübersteht,101 so bleibt dennoch die Gefahr bestehen, dass entsprechende Vertragsklauseln missbraucht werden, um die Verantwortung für dennoch erfolgte 97
BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (273) („ausschließliche oder hauptsächliche Aufgabe [des Vermittlers…], eine Schmiergeldvereinbarung mit dem zuständigen Beamten herbeizuführen“); kritisch hinsichtlich der Unsicherheiten bei der Bestimmung des Stellenwerts einer angestrebten Schmiergeldabrede für den Gesamtvertrag MüKo6/ROTH, § 652 Rn. 70. Vgl. zu dieser Entscheidung auch FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 86 ff.; KRÄMER, WuB IV A. § 138 BGB 2.85; KNAPP, RIW 1986, S. 999 ff. 98 KRÄMER, WuB IV A. § 138 BGB 2.85, S. 339; trotz eventueller weiterer „wertvolle[r] Tätigkeit“ des Vermittlers ohne weiteres von der Gesamtnichtigkeit des Vermittlungsvertrags ausgehend RG (02.10.1928), Gruchot 70, Nr. 41 (548); grundsätzlich ebenso AG OFFENBACH (20.02.1991), NJW-RR 1992, 1204 (1205). 99 BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (269); auf die Erpressbarkeit durch Konkurrenten hinweisend PIEHL, Bestechungsgelder, S. 21. Möglich bleibt freilich eine Strafbarkeit etwa nach deutschem Strafrecht wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Bestechung, vgl. dazu S. 133 bei Fn. 475 und S. 140 mit Fn. 517. 100 HEIMANN/MOHN, Die Rolle der Privatwirtschaft bei der Bekämpfung der internationalen Korruption, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 541. 101 Über entsprechende Vorschläge der Internationalen Handelskammer zur Eindämmung der Korruption durch unternehmerische Verhaltensstandards HEIMANN/MOHN, Die Rolle der Privatwirtschaft bei der Bekämpfung der internationalen Korruption, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 539–542; Art. 3 A. lit. b SpStr. 1 der ICC Rules on Combating Corruption (2011) (vgl. S. 12 Fn. 36) lautet: „An Enterprise should […] enter into a written agreement with the Third Party informing it of the Enterprise’s anti-corruption policies and committing it not to engage in any corrupt practice [.]“ [Hervorhebung hinzugefügt].
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Schmiergeldtransaktionen auf die beauftragten Mittelsmänner abzuwälzen und deren Auftraggeber vom Vorwurf der Korruption befreien zu können.
Eine im Vermittlungsvertrag zum Ausdruck kommende Ablehnung korruptiver Praktiken vermag daher keine verlässliche Auskunft darüber zu geben, ob dieser Vertrag unter dem Gesichtspunkt der Korruptionsprävention dennoch als gefährlich einzustufen ist. Auch in solchen Fällen stellt sich daher die Frage, ob der Vermittlungsvertrag – obwohl er keinen unmittelbaren inhaltlichen Bezug zu Schmiergeldern aufweist – gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt, weil bei seiner Erfüllung mit gewisser Wahrscheinlichkeit mit der Vornahme entsprechender verbotener Handlungen zu rechnen ist.102 Anders als bei einem unmittelbar auf eine verbotene Handlung gerichteten Rechtsgeschäft kann diese Wahrscheinlichkeit des Gesetzesverstoßes jedoch variieren. In Situationen, in denen die versprochene Vermittlungstätigkeit zwangsläufig den Einsatz verbotener Schmiergelder zur Folge hat,103 kann jedenfalls kein Anspruch auf sie bestehen.104 Allein, bereits die Bereitschaft, anzuerkennen, dass Schmiergelder mitunter unverzichtbar, „erforderlich“ sind, um überhaupt ein Geschäft zum Abschluss bringen zu können, zeigt, dass grundsätzlich auch solche Geschäfte von einem gesetzlichen Verbot erfasst werden können, deren Erfüllung auf legalem oder (einfacher auf) illegalem Wege durch die Zahlung von Schmiergeldern herbeigeführt werden kann. Die Aussage, der Einsatz von Schmiergeld sei in einem bestimmten Land unumgänglich, ist Ausdruck eines Erfahrungswerts und besagt lediglich, dass mit einer gewissen (unter Umständen sehr hohen) Wahrscheinlichkeit ein Vermittler wird auf dieses Mittel zurückgreifen müssen, um seine Arbeit erfolgreich tun zu können. Wie hoch aber die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge des Geschäfts zu einer verbotenen Handlung kommen wird, sein muss, um ein Geschäft im „Dunstkreis“ eines gesetzlichen Verbots als unwirksam betrachten zu können, ist eine Frage, die abstrakt nicht zu beantworten ist.105 Gegen die Annahme einer Unwirksamkeit solcher Geschäfte allein aufgrund eines mit ihnen potentiell verbundenen Gesetzesverstoßes spricht freilich, dass der privatautonome Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien dadurch stark eingeschränkt zu werden droht,106 da dem gesetzlichen Gebot über seinen eigentlichen Regelungsgehalt in Form eines Verhaltensbefehls hinaus 102 Zu solchen, „[w]egen ihrer Folgen verbotenen Rechtsgeschäfte[n]“ CANARIS, Verbot, S. 47–53 mit Beispielen und w. N. 103 Vgl. BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (269) (oben S. 11 Fn. 33). 104 Vgl. hierzu CANARIS, Verbot, S. 51–52 mit weiteren Beispielen. 105 Wenig gewonnen ist deshalb auch mit der Unterscheidung zwischen „Vorbereitungshandlung“, „Mittäterschaft“ und „Teilnahme“ an einem Gesetzesverstoß (CANARIS, Verbot, S. 48, 52), da diese Begriffe gerade der Umschreibung unterschiedlicher Gefahrenstufen dienen. 106 KÖHLER, JZ 2010, S. 772 („Denn sonst würde den Parteien die Möglichkeit genommen, einen bestimmten Erfolg auf rechtlich einwandfreie Weise zu erreichen.“).
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
Wirkung beigemessen wird. Diesen berechtigten Bedenken gilt es indes durch eine sorgsame Bestimmung des im Einzelfall notwendigen Grades der Wahrscheinlichkeit Rechnung zu tragen. Der grundsätzlichen Erkenntnis, dass die Rechtsordnung bestimmten Verhaltensbefehlen aufgrund ihrer Bedeutung solche „Fernwirkungen“ zumessen kann und tatsächlich zumisst und dass in gewissem Maße gerade auch den gegen Schmiergeldzahlungen gerichteten Verboten solche Wirkungen zukommen können, stehen sie jedoch nicht entgegen. 107 Es liegt daher durchaus nicht fern, Vermittlungsverträgen, denen aufgrund bestimmter „red flags“ 108 im Hinblick auf zukünftige korruptive Handlungen ein bestimmtes Gefahrenpotential zugeschrieben werden muss, nach § 138 BGB die Wirksamkeit zu versagen.109 Beispielhaft sei auf eine Entscheidung des BUNDESGERICHTSHOFS 110 verwiesen, wonach der Erwerb eines Radarwarngeräts wegen des daraufhin drohenden Gesetzesverstoßes sittenwidrig ist.111 Die Abgabe eines Radarwarngeräts an einen einsatzwilligen112 Käufer erhöht die Wahrscheinlichkeit des Gesetzesverstoßes, ebenso wie die Beauftragung eines kundigen Vermittlers eventuell den Einsatz von Schmiergeldern zu erhöhen vermag. 113 – 107
Anderer Ansicht CANARIS, Verbot, S. 55; KÖHLER, JZ 2010, S. 772–774; BGH (14.05.1998), NJW 1998, 2531 (2533) („naheliegend[er…] Verstoß gegen das Gebot der Trennung von redaktionellem und werbendem Teil im Medienbereich“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 108 Als „red flags“ werden Umstände bezeichnet, die ein erhöhtes Risiko für Schmiergeldzahlungen durch Vermittler anzeigen können. Zusammenstellungen solcher Umstände finden sich in Punkt VI der ICC Guidelines on Agents, Intermediaries and Other Third Parties 2010 („ICC-Guidelines“; abrufbar unter ) und bei Pieth/ Low/Cullen/ZERBES, Art. 1 S. 125–126; dazu auch ROTH, RIW 2010, S. 740. 109 Dazu unten S. 208 f. 110 BGH (23.02.2005), NJW 2005, 1490 (1491). 111 „Zwar untersagt § 23 Ib StVO nicht schon den Erwerb eines Radarwarngeräts, sondern erst dessen Betrieb oder betriebsbereites Mitführen im Kraftfahrzeug. Jedoch ist der Erwerb des Geräts eine unmittelbare Vorbereitungshandlung für dessen Betrieb, wenn das Gerät – wie im vorliegenden Fall – für den Betrieb im deutschen Straßenverkehr erworben wird. Deshalb ist bereits ein solcher Erwerb rechtlich zu missbilligen.“ § 23 Abs. 1b StVO lautet: „Dem Führer eines Kraftfahrzeuges ist es untersagt, ein technisches Gerät zu betreiben oder betriebsbereit mitzuführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören. Das gilt insbesondere für Geräte zur Störung oder Anzeige von Geschwindigkeitsmessungen (Radarwarn- oder Laserstörgeräte).“ Vgl. zur Problematik des Kaufs von Radarwarngeräte Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 669 m. w. N. 112 Der „auf eine Verwendung des Radarwarngeräts im Geltungsbereich der deutschen Straßenverkehrsordnung“ gerichtete „Vertragszweck“ ist insoweit allein ein objektives Indiz für die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Verbotsübertretung, kein subjektives Merkmal. 113 Vergleichbar liegt auch der Fall einer Darlehensgewährung zur Finanzierung eines „schwimmenden Bordells“ in BGH (15.03.1990), NJW-RR 1990, 750 (750) („Das dieser Strafnorm zugrundeliegende Unwerturteil bewirkt auch im zivilrechtlichen Bereich, daß
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Dass die Nichtigkeit des Kaufvertrags über ein Radarwarngerät auf § 138 Abs. 1 BGB und nicht auf § 134 BGB gestützt wurde, zeigt lediglich die Schwierigkeit, die Abgrenzung zwischen „Vorbereitung“ und „Teilnahme“, zwischen Verhaltensweisen, die selbst nicht verboten sind, jedoch mit gewisser Wahrscheinlichkeit zur Vornahme verbotenen Verhaltens führen werden und deshalb nicht Bestandteil eines wirksamen Rechtsgeschäfts sein sollen, und Verhaltensweisen, die bereits selbst von einem Verbot erfasst werden, präzise herauszuarbeiten.
Diesen schwierigen Abgrenzungen 114 und der Abwägung der Wahrscheinlichkeit, mit der ein an und für sich erlaubtes Verhalten ein verbotenes nach sich ziehen muss, um einen zu jenem verpflichtenden Vertrag als unwirksam ansehen zu können, entgeht man, wenn bereits solche nur potentiell gefährlichen Verhaltensweisen selbst unmittelbar untersagt werden. Entsprechende, im deutschen Recht bislang nicht umgesetzte Tatbestände,115 die schon den Einsatz von Vermittlern an sich – unabhängig von der konkreten Gefahr eines verbotenen Schmiergeldeinsatzes – untersagen, werden üblicherweise unter dem Begriff des „verbotenen Einflusshandels“116 zusammengefasst und sollen einer unerwünschten Einflussnahme bereits im Vorfeld entgegentreten.117 In der Vergangenheit wurden entsprechende ausländische Verbote verschiedentRechtsgeschäfte, die der Förderung solchermaßen strafbaren Tuns zu dienen bestimmt sind, als sittenwidrig angesehen werden müssen […].“). Sittenwidrig sind auch Vereinbarungen über die Übernahme von Bußgeldern oder Geldstrafen, wenn und weil sie die Wahrscheinlichkeit eines verbotenen Verhaltens erhöhen, dessen Vorbeugung die fragliche Sanktion zu dienen bestimmt ist; BAG (25.01.2001), NJW 2001, 1962 (1963) [Lenkzeitüberschreitung]; BGH (15.05.1990), NJW-RR 1990, 1521 (1522) [Freistellungsvereinbarung]. Ebenfalls auf die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des seinen Ausdruck in § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB findenden Verbots des Geheimnisverrats wird die Nichtigkeit der Abtretung einer anwaltlichen Honorarforderung in BGH (25.03.1993), BGHZ 122, 115 (118) („[E]in Verstoß gegen § 203 StGB [würde] aber nur dann entfallen, wenn hinsichtlich jeder einzelnen Tatsache, die die abtretenden Rechtsanwälte offenbart oder die zu offenbaren sie sich verpflichtet haben, feststünde, daß sie Gegenstand öffentlicher Erörterungen [und deshalb kein Geheimnis] gewesen sind.“ [Hervorhebung hinzugefügt]), gestützt. 114 So wäre es grundsätzlich auch denkbar, im obigen (Fn. 110 f.) Beispiel bereits die Weitergabe des Radarwarngeräts selbst als nach § 23 Abs. 1b StVO i. V. m. § 14 OWiG verboten anzusehen, wodurch der Kaufvertrag unmittelbar gegen ein gesetzliches Verbot verstieße. Zum gesetzlichen Verbot siehe S. 49 ff. 115 Dies bemängelt etwa ÜBERHOFEN , Korruption, S. 390. 116 Vgl. dazu ABANTO VÁSQUEZ, FS Tiedemann 2008, S. 913 ff.; ANDROULAKIS, Globalisierung, S. 454–457; SAYED, Corruption in international arbitration, S. 191–200 m. w. N. auf eine Vielzahl ausländischer Vorschriften. – Die strafrechtliche Untersuchung einer ungewöhnlichen, in Der Spiegel, Nr. 9/1997, geschilderten Fallkonstellation findet sich bei WITTIG, wistra 1998, S. 7 ff. 117 SAYED, Corruption in international arbitration, S. 195 („Such prohibitions are only enacted to prevent the occurrence of corruption right from the outset, by prohibiting actions, which may – but do not necessarily – harbor corruption.“ [Hervorhebung im Original]).
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lich als angemessen, ja „nachahmenswert“ betrachtet und mit ihnen kollidierende Vermittlungsverträge als unwirksam angesehen.118 Ein solch weitreichendes Verbot des Einflusshandels sieht etwa das syrische Recht vor, das es untersagt, Geld zu fordern oder anzunehmen, um sich etwa um eine staatliche Auftragserteilung zu bemühen. 119 Ein entsprechendes Verbot, Vermittler jeder Art in Bezug auf Geschäfte mit öffentlichen Stellen einzusetzen, enthielt bis zum Jahr 2003 auch das algerische Recht.120 Durch derartige Verbote des Einflusshandels in Form echter Vermittlungsverbote im Verkehr mit öffentlichen Auftraggebern kommt es zu einer „Vorverlagerung der Strafbarkeit in Bestechungsfällen“121, die völlig unabhängig ist von der Feststel118
OLG HAMBURG (08.02.1991), NJW 1992, 635 (636) („Der erkennende Senat hat keine Bedenken, [§ 347 syr. StGB…] anzuwenden. […E]s ist seit jeher das Ziel deutscher Gesetzgeber gewesen, und man hat sich dabei stets in Übereinstimmung mit allen billig und gerecht denkenden Rechtsgenossen befunden, die Entscheidungen der Träger öffentlicher Ämter von – sachfremden – Einflüssen Dritter freizuhalten. […] So betrachtet ist die […] syrische Regelung eher nachahmenswert denn wegen der Weite ihres Tatbestands zu mißbilligen.“). Die algerische loi 78-02 (Fn. 120) war Gegenstand der umfangreichen Streitsache Hilmarton gegen Omnium de Traitement et de Valorisation (eine ausführliche Darstellung findet sich bei SOLOMON, Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, S. 8–13) und in ICC Schiedsspruch n° 5622 (19.08.1988), Rev. arb. 1993, 327 (333–334) [Hilmarton v. OTV] wurde ausgeführt: „En effet, au niveau national, la plupart des Etats européens ont adopté une législation spéciale en matière de corruption […]. […] Il est ainsi unanimement reconnu que le trafic d’influence doit être sanctionné et ne mérite aucune protection juridique […]“. 119 Art. 347 syr. StGB lautet: „Wer eine Vergütung annimmt oder verlangt, ohne daß er die Berechtigung dazu hat, oder ein Versprechen dazu entgegennimmt, sei es für sich selbst oder für einen anderen, in der Absicht, eine öffentliche Anstellung, eine Arbeit, einen Werkvertrag, ein Projekt oder einen anderen Gewinn oder Vorteil vom Staat oder einer Stelle der öffentlichen Verwaltung zu verschaffen oder sich darum zu bemühen, oder in der Absicht, öffentliche Entscheidungen in irgendeiner Weise zu beeinflussen, der wird […] bestraft […].“ [Übersetzung nach OLG HAMBURG (08.02.1991), NJW 1992, 635 (636)]. 120 Loi n° 78-02 vom 11. Februar 1978 (J.O. algér. n° 7 1978, S. 114 ff.; abrufbar mithilfe der Suchfunktion unter ) lautet: „[…] Art. 9 – Le recours à tout intermédiaire et l’intervention de tout intermédiaire, directement ou indirectement, à l’occasion de la préparation, de la négociation, de la conclusion ou de l’exécution de tout marché ou contrat, sont formellement proscrits […]. Art. 10 – Par intermédiaire […] est entendue toute personne physique ou morale qui, à l’occasion de la préparation, de la négociation, de la conclusion ou de l’exécution d’un marché ou d’un contrat, perçoit ou tente de percevoir, directement ou indirectement, une rémunération ou avantage, de quelque nature qu’elle soit, en échange d’une intervention, de quelque nature quelle soit et sous quelque forme qu’elle s’execre, visant à favoriser la conclusion d’un marché ou contrat au profit de la partie non algérienne la rémunérant […].“ Diese Vorschrift wurde durch Art. 13 der loi n° 88-29 vom 19. Juli 1988 (J.O. algér. n° 29 1988, S. 800 ff.; abrufbar ebd.) in modifizierter Form fortgeführt und schließlich durch Art. 22 der ordonnance n° 03-04 vom 19. Juli 2003 (J.O. algér. n° 43 2003, S. 29 f.; abrufbar ebd.) aufgehoben. 121 OLG HAMBURG (08.02.1991), NJW 1992, 635 (636) [zum syrischen Recht].
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lung der Gefahr einer zukünftigen Bestechungshandlung oder einer anderen unerwünschten Einflussnahme. Tendenzen in diese Richtung weisen auch das spanische122 und das italienische123 Recht auf. Auch andere Staaten haben Straftatbestände gegen den Handel mit Einfluss auf Amtsträger im weiteren Sinne erlassen und verschiedene völkerrechtliche Verträge124 regen die Schaffung entsprechender Tatbestände an. In Art und Umfang unterscheiden sich diese jedoch ganz erheblich von den Vermittlungsverboten syrischer und algerischer Prägung. Das französische Recht125 etwa kennt mit Art. 432-11 Nr. 2 C.pén. eine Vorschrift, welche das Fordern oder Annehmen von Vorteilen durch Amtsträger für den Missbrauch von Einfluss auf Behördenentscheidungen unter Strafe stellt und damit weitgehend dem Art. 18 lit. b UNCAC entspricht. Art. 433-1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 C.pén. sieht die Strafbarkeit von 122 Art. 428, 429 span. StGB stellen die Einflussnahme eines Amtsträgers auf andere Amtsträger „unter Ausnutzung der Ausübung der Befugnisse seines Amtes oder irgendeiner anderen Situation, die sich aus seiner persönlichen oder hierarchischen Beziehung […] ergibt,“ bzw. einer Privatperson auf einen Amtsträger „unter Ausnutzung irgendeiner Situation, die sich ihrer persönlichen Beziehung […] ergibt,“ zur Erlangung einer Entscheidung, „die ihm [bzw. ihr] selbst oder einem Dritten unmittelbar oder mittelbar einen wirtschaftlichen Vorteil bringen kann“ unter Strafe (Übersetzung von HOFFMANN, Das spanische Strafgesetzbuch, S. 240–241). Art. 430 span. StGB ergänzt die Strafbarkeit der Forderung einer Zuwendung bzw. die Annahme einer solchen für solch verbotene Einflussnahme. 123 Art. 346 Abs. 1 ital. StGB lautet: „Wer unter Vortäuschung von Beziehungen zu einem Beamten oder einem Angestellten des öffentlichen Dienstes, der einen öffentlichen Dienst versieht, als Entgelt für seine Vermittlung bei dem Beamten oder Angestellten Geld oder einen anderen Vorteil für sich oder einen anderen annimmt, sich geben oder versprechen läßt, wird […] bestraft.“ (Übersetzung von RIZ, Das italienische Strafgesetzbuch, S. 253). Strafschärfend wirkt nach Art. 346 Abs. 2 ital. StGB das Vorgeben der Notwendigkeit einer Schmiergeldzuwendung, obgleich dies nicht als Qualifikationstatbestand angesehen wird; ABANTO VÁSQUEZ, FS Tiedemann 2008, S. 921 [auch zu Reformbestrebungen]. 124 Art. 18 UNCAC (vgl. S. 1 Fn. 3; zur deutschen Ratifikation siehe BT-Drs. 18/2138) lautet: „Jeder Vertragsstaat zieht in Erwägung, die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen zu treffen, um folgende Handlungen, wenn vorsätzlich begangen, als Straftat zu umschreiben: a) das unmittelbare oder mittelbare Versprechen, Anbieten oder Gewähren eines ungerechtfertigten Vorteils an einen Amtsträger oder eine andere Person als Gegenleistung dafür, dass der Amtsträger oder die Person seinen oder ihren tatsächlichen oder vermuteten Einfluss missbraucht, um von einer Verwaltung oder einer Behörde des Vertragsstaats einen ungerechtfertigten Vorteil für den ursprünglichen Veranlasser der Handlung oder eine andere Person zu erlangen; b) die unmittelbare oder mittelbare Forderung oder Annahme eines ungerechtfertigten Vorteils durch einen Amtsträger oder eine andere Person für sich selbst oder für eine andere Person als Gegenleistung dafür, dass der Amtsträger oder die Person seinen oder ihren tatsächlichen oder vermuteten Einfluss missbraucht, um von einer Verwaltung oder einer Behörde des Vertragsstaats einen ungerechtfertigten Vorteil zu erlangen.“; ähnlich Art. 12 des von Deutschland bislang nicht ratifizierten Strafrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 27. Januar 1999 (ETS 173; S. 1 Fn. 3). 125 Zum französischen Korruptionsstrafrecht BARTH, Frankreich, in: Eser/Überhofen/Huber (Hrsg.), Korruptionsbekämpfung durch Strafrecht, S. 99 ff.
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Personen vor, die durch das Offerieren entsprechender Vorteile Amtsträger zu solchem Missbrauch zu bewegen suchen oder auf deren Ersuchen einzugehen bereit sind, was den Vorgaben durch Art. 18 lit. a UNCAC gerecht wird. Darüber hinaus existiert mit Art. 4332 C.pén. eine Vorschrift, die auch Privatpersonen bei Strafe untersagt, Vorteile für den Missbrauch von Einfluss auf Behördenentscheidungen zu fordern oder anzunehmen. 126 Ähnliche Vorschriften existieren etwa in Portugal 127 und Österreich 128 . Obwohl diese Vorschriften – insbesondere soweit sie den Einflusshandel Privater zum Gegenstand haben – deutliche Berührungspunkte mit den einem Vermittler übertragenen Aufgaben aufweisen, verbieten sie keineswegs den Einsatz von Vermittlern an sich. Zu entscheiden ist nämlich stets, in welchen Fällen man eine zu befürchtende Einflussnahme als „missbräuchlich“ anzusehen hat. Ist dies insbesondere dann der Fall, wenn eine Einflussnahme durch die Zuwendung von Schmiergeld droht,129 so ist auch hier die oben dargestellte Prognoseentscheidung zu fällen.130 Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Vermittlungsverträgen, die über diejenigen hinausgehen, welche unter dem Einfluss „herkömmlicher“ Schmiergeldverbote zu verzeichnen sind, ergeben sich insoweit nicht. Droht hingegen eine andere Art „missbräuchlicher“ Einflussnahme, so werden die Schwierigkeiten zwar nicht geringer,131 jedoch handelt es sich dann nicht mehr um Einfluss, der speziell auf die Macht der 126 Art. 433-2 Abs. 1 C.pén. lautet: „[Es…] wird bestraft, wer zu irgendeinem Zeitpunkt direkt oder indirekt […] Vergünstigungen für sich selbst oder einen anderen fordert oder annimmt, um dafür seinen tatsächlichen oder vermeintlichen Einfluß zu mißbrauchen, um die Gewährung von […] begünstigenden Entscheidungen durch eine Behörde oder die öffentliche Verwaltung zu erwirken“ (Übersetzung von LÜDICKE, Das französische Strafgesetzbuch2, S. 345). Art. 433-2 Abs. 2 C.pén. ergänzt die Strafbarkeit des Zuwendenden. 127 Art. 335 port. StGB lautet: „(1) Wer selbst oder durch eine andere Person mit deren Einwilligung oder nachträglicher Genehmigung für sich oder einen Dritten einen Vermögensvorteil oder einen ideellen Vorteil oder sein Versprechen erbittet oder annimmt, um seinen tatsächlichen oder mutmaßlichen Einfluss auf eine öffentliche Dienststelle zu missbrauchen, wird bestraft: a) […] falls es Zweck der Tat ist, eine rechtswidrige günstige Entscheidung zu erwirken; b) […] falls es Zweck der Tat ist, eine rechtmäßige günstige Entscheidung zu erwirken. (2) Wer selbst oder durch eine andere Person mit deren Einwilligung oder nachträglicher Genehmigung den im vorhergehenden Absatz besagten Personen für den in Buchst. a) bezeichneten Zweck einen Vermögensvorteil oder einen sonstigen Vorteil gewährt oder verspricht , wird […] bestraft.“ (Übersetzung von FERNANDES, Das portugiesische Strafgesetzbuch, S. 240–241). 128 § 308 Abs. 1 öst. StGB (Verbotene Intervention) lautet: „Wer für sich oder einen Dritten dafür einen Vorteil fordert, annimmt oder sich versprechen lässt, dass er einen ungebührlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung eines Amtsträgers oder eines Schiedsrichters nehme, ist […] zu bestrafen“. 129 So etwa § 308 Abs. 4 öst. StGB: „Eine Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung eines Amtsträgers oder Schiedsrichters ist dann ungebührlich, wenn sie auf die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäfts abzielt oder mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines ungebührlichen Vorteils (§ 305 Abs. 4) für den Amtsträger oder für ihn an einen Dritten verbunden ist“. 130 Unrichtig ist es daher, wenn in OLG HAMBURG (08.02.1991), NJW 1992, 635 (636), angenommen wird, § 347 syr. StGB finde „im französischen Recht seine Entsprechung“. 131 Es kann selbstverständlich auf unüberschaubar vielerlei Weise „Einfluss“ auf Entscheidungsträger ausgeübt werden, Korruption ist nur eine der Möglichkeiten. Entsprechend unpräzise gestalten sich die Versuche, den Missbrauch von Einfluss handhabbar zu
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Reziprozität gestützt wird, und damit nicht mehr um eine spezifisch korrupte Einflussnahme im hier interessierenden Sinne.132
Aufgrund der erheblichen Unterschiede, die zwischen den verschiedenen nationalen Regelungen bestehen, verbieten sich pauschale Aussagen über „das“ Verbot des Einflusshandels. Im Hinblick auf Tatbestände, die dem französischen Recht nachgebildet sind, bleibt letztlich allein die Frage, ob eine strafrechtliche Sanktionierung entsprechenden Verhaltens sinnvoll ist. 133 Im Hinblick auf Tatbestände nach syrischem oder algerischem Vorbild hingegen ist zu entscheiden, ob der Vorbeugung gegen Korruption im öffentlichen Sektor tatsächlich ein Stellenwert beizumessen ist, der es gerechtfertigt erscheinen lässt, umfassend auch gewöhnliche und grundsätzlich begrüßenswerte Vermittlertätigkeiten zu verbieten. 134 Wenn der Organisationsgrad unserer Gesellschaft es notwendig macht, Dritten (im staatlichen wie im privatwirtschaftlichen Bereich) „Macht anzuvertrauen“, und es die gefahrlose Möglichkeit dazu insbesondere durch das Unterbinden von Korruption zu schützen
machen; vgl. nur die Ausführungen im Explanatory Report (abrufbar unter ) zu Art. 12 des Strafrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 27. Januar 1999 (ETS 173; oben S. 1 Fn. 3): „‚Improper’ influence must contain a corrupt intent by the influence peddler: acknowledged forms of lobbying do not fall under this notion.“ (Tz. 65); ebenso die Erläuterungen zum österreichischen Gesetzentwurf 1950/A, 24. GP, S. 10 (abrufbar unter ) zur Neufassung des § 308 öst. StGB: „Rechtmäßiges Lobbying bzw. auch die rechtmäßige Vertretung von Interessen eines Mandanten sollen in keinem Fall mit Strafe bedroht sein“. Siehe auch ABANTO VÁSQUEZ, FS Tiedemann 2008, S. 928–929. 132 Man stelle sich nur etwa Einflussnahmen durch Täuschung oder Drohung vor, die sicherlich missbräuchlich sind, aber nicht allein dadurch, dass sie für die Zuwendung von Vorteilen vorgenommen werden, zu korruptem Verhalten werden. Zudem wird wohl ein Großteil der Möglichkeiten zur Einflussnahme niemandem „anvertraut“ (S. 7 bei Fn. 11; vgl. auch JAQUES, Bestechungstatbestände, S. 126), auch dies widerspricht einer Einordung entsprechender Einflussnahmen als korrupt. 133 Dazu insbesondere ABANTO VÁSQUEZ, FS Tiedemann 2008, S. 926–932; ablehnend BT-Drs. 18/2138, S. 79. – Zur Differenzierung von strafrechtlicher Sanktionsnorm und gesetzlichem Verbot unten S. 50 ff. 134 Ablehnend BG (17.04.1990), Rev. arb. 1993, 315 (324), in der Streitsache Hilmarton gegen Omnium de Traitement et de Valorisation (vgl. S. 28 Fn. 118): „[E]lle [la norme algérienne] constitue une mesure prohibitive trop large, de nature protectionniste, destinée à assurer un monopole de l’Etat sur le commerce extérieur. Au regard du droit suisse, une telle norme […] ne peut passer, à défaut d’activités qui serait aussi qualifiées de douteuses en Suisse, passer, sur le plan éthique, avant les principes généraux et fondamentaux du droit liés à la liberté contractuelle“. Auf die kritische spanische Diskussion verweisend ABANTO VÁSQUEZ, FS Tiedemann 2008, S. 927 („Bestrafung eigentlich unschädlicher Verhaltensweisen“).
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gilt,135 so ist nicht recht einzusehen, weshalb zum Schutze der Übertragbarkeit von Aufgaben innerhalb der staatlichen Verwaltung die Übertragung an sich unbedenklicher Aufgaben im privatwirtschaftlichen Bereich vollständig untersagt werden sollte. Eine Einzelfallentscheidung anhand des konkreten Gefährdungspotentials der jeweiligen Vermittlungtätigkeit 136 ist insofern vorzugswürdig. 3.
Hauptvertrag
Im Gegensatz zu Schmiergeldabrede und Vermittlungsvertrag ist einem Hauptvertrag zwischen Korrumpeur und Prinzipal an sich niemals ein „Rechtseffekt“ 137 eigen, aufgrund dessen er in Widerspruch zur Rechtsordnung stünde. 138 Grundsätzlich handelt es sich bei einem Hauptvertrag um einen inhaltlich unbedenklichen Werk-, Dienst-, Kauf- oder sonstigen Vertrag. Was an der (vollumfänglichen) Wirksamkeit eines Hauptvertrags zweifeln lässt, ist daher allein die Tatsache, dass es im Verlauf seiner Anbahnung zu korruptivem Verhalten gekommen ist.139 Das REICHSGERICHT und ihm folgend der BUNDESGERICHTSHOF maßen die Wirksamkeit von Hauptverträgen ursprünglich allein an § 138 Abs. 1 BGB, wobei die folgenden Überlegungen nach wie vor als charakteristisch gelten dürfen: „In der Rechtsprechung des Reichsgerichts […] ist anerkannt, daß Vereinbarungen, welche Angestellte, Bevollmächtigte oder sonstige Vertreter einer Partei im Einverständnis mit dem Vertragsgegner zum eigenen Vorteil hinter dem Rücken des Geschäftsherrn und zu 135 JAQUES, Bestechungstatbestände, S. 85–91 (S. 89: „Vertrauen der Bürger in die Übertragbarkeit von öffentlichen Aufgaben“ [zu §§ 331 ff. StGB; Hervorhebung im Original]), 110–116 (S. 111: „In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist es aber unmöglich, alle Entscheidungen selbst zu treffen, was vor allem in (größeren) Betrieben offenbar wird. Insbesondere angesichts der immer internationaler werdenden Wirtschaftsbeziehungen muß der Schutz der wirtschaftlichen Betätigung auch die Möglichkeit der Delegation von Aufgaben vorsehen.“); HOMANN, Korruptionsbekämpfung, in: Reichmann/Schlaffke/Then (Hrsg.), Korruption in Staat und Wirtschaft, S. 35 („Die Zukunftsfähigkeit der modernen Gesellschaft hängt von der Voraussetzung ab, daß es Beauftragung, Delegation ohne Gefahr der Ausbeutung des Prinzipals gibt.“); ähnlich die Introduction der ICC-Guidelines (siehe S. 26 Fn. 108): „[…] ‘Third parties’ […] are an effective means of developing, expanding and maintaining an enterprise’s international business. Even very large businesses need in a globalised economy to have recourse to Third parties in order to allow them to reach all the areas and to market all the products and services they want to cover“. 136 Siehe S. 25 bei Fn. 102–109. 137 Nach KOHLER, ABR 5 (1891), S. 231, ist der Grund für die Unwirksamkeit des Hauptvertrags „die Art seines Zustandekommens“. 138 Betonend, dass weder der Abschluss noch der Inhalt von Hauptverträgen gegen das gesetzliche Verbot aus § 12 UWG a. F. bzw. § 299 StGB verstoßen, BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (360); vgl. aber auch unten S. 40 ff. 139 KOCH, Schmiergeldbegriff, S. 27–28.
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dessen Schaden treffen, nicht nur selbst als gegen die guten Sitten verstoßend nichtig sind, sondern auch das Hauptgeschäft als sittenwidrig erwirkt nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig machen können. Das Sittenwidrige liegt solchenfalls […] darin, daß sich der Angestellte in der ihm möglichen Einwirkung auf den Vertragsschluß oder, wenn es sich um einen Willensvertreter handelt, dieser Vertreter in seiner Willensentschließung für den Vertretenen durch eine zu diesem Zweck gemachte oder zugesagte Zuwendung der Gegenseite gegen den Willen und zum Schaden des Geschäftsherrn beeinflussen läßt, während dafür nach dem bestehenden Vertrauensverhältnis ausschließlich dessen Vorteil bestimmend sein darf. Der eigennützige Vertrauensmißbrauch auf der einen, seine Ausnutzung zum Nachteil des Vertragsgegners von der anderen Seite begründen die Nichtigkeit des so herbeigeführten Vertragsabschlusses nach § 138 Abs. 1 BGB.“140
Bemerkenswert an diesen Ausführungen ist zweierlei: zum einen die Tatsache, dass der Ausgangspunkt der Überlegungen zur Unwirksamkeit korruptiv zustande gekommener Hauptverträge, die Kollusion zwischen Vertreter und Geschäftspartner, noch deutlich erkennbar ist, zum anderen die bereits vollzogene, über den ursprünglichen Gedanken des kollusiven Missbrauchs der Vertretungsmacht hinausreichende Gleichstellung von Agenten mit allein „faktischem“ und solchen mit „rechtsgeschäftlichem“ Einfluss. a) Kollusiver Missbrauch der Vertretungsmacht als Ausgangspunkt der Unwirksamkeit Mit der konsequenten Trennung von „Stellvertretung“ und „Mandat“141 stellte sich für die Rechtswissenschaft die Frage, inwieweit Pflichtverletzungen im Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem noch Auswirkungen auf das Außenverhältnis zwischen Vertretenem und Geschäftspartner zugemessen werden konnten.142 Solche Auswirkungen wurden mitunter ausgeschlossen143 oder es erfolgte eine Differenzierung144 anhand verschiedener Arten der Vertretungsmacht. Breiter Konsens bestand aber hinsichtlich folgenden Gedankens: „[D]ie Vertretungsmacht ermächtigt nicht dazu, den Vertretenen dolos
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RG (01.06.1932), RGZ 136, 359 (360). Bezug auf diese Entscheidung nehmen etwa BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990, 442 (443); BGH (17.05.1988), NJW 1989, 26 (27) (vgl. S. 23 Fn. 93). 141 Wegweisend LABAND, ZHR 10 (1866), S. 203–214. 142 Abrisse der Entwicklung von Rechtsprechung und Literatur m. w. N. finden sich etwa bei DITTMAR, Mißbrauch der Vollmacht, S. 10–22, und BERGER, Mißbrauch der Vertretungsmacht, S. 14–21. 143 Motive IV, S. 1085–1086 = Mugdan IV, S. 575–576 [Arglist des Vormundes]; kritisch dazu KIPP, FG RG 1929, S. 273–274. 144 RG (14.06.1909), RGZ 71, 219 (222) („Bei der gewillkürten Vollmacht wäre es nicht gerechtfertigt, dem Vertretenen wegen Mißbrauchs der Vollmacht ein Anfechtungsrecht oder eine Einrede, gleichermaßen wie bei der gesetzlichen, nach außen unbeschränkbaren Vertretungsmacht […] nur im Falle einer Kollusion, eines wissentlichen Mitwirkens des Dritten zu vorsätzlicher Schädigung des Vertretenen einzuräumen […].“).
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
zu schädigen.“ 145 Zumindest das kollusive Zusammenwirken von Vertreter und Geschäftspartner zum Schaden des Prinzipals wurde daher als Grenze der Abstraktion anerkannt.146 Uneinigkeit bestand jedoch hinsichtlich der dogmatischen Einordnung der Kollusion (und des „einfachen“ Missbrauchs der Vertretungsmacht). Zur Diskussion standen etwa eine analoge Anwendung von § 181 BGB,147 ein Analogieschluss zu § 932 BGB,148 die Charakterisierung des seine Vertretungsmacht missbrauchenden Vertreters als „falsus procurator“149 und schließlich die weitgehend akzeptierte Lösung über § 138 BGB150. Dabei werden die hier in Frage stehenden Fälle der Korruption, in denen der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, als eine besondere Form solch kollusiven Zusammenwirkens eingeordnet.151 b)
Verselbständigung des Unwirksamkeitsgrundes
Die Behandlung von durch Schmiergelder erlangten bzw. manipulierten Hauptverträgen auf Grundlage des § 138 Abs. 1 BGB verselbständigte sich jedoch zunehmend. 152 Bereits im Jahr 1906 sah das REICHSGERICHT 153 das 145
KIPP, FG RG 1929, S. 286. Protokolle ADHGB III, S. 1005; WIELAND, Handelsrecht I, S. 358 [zur Prokura]; V. TUHR, AT II 2, S. 400; SCHOTT, AcP 171 (1971), S. 389. 147 HOENIGER, DJZ 15 (1910), Sp. 1348 („Das Selbstkontrahieren des Vertreters ist nur der hauptsächlichste und hervortretendste Fall des Interessenkonfliktes […].“); eingehend dazu FROTZ, Verkehrsschutz, S. 535–538. 148 DITTMAR, Mißbrauch der Vollmacht, S. 35–38. 149 KIPP, FG RG 1929, S. 287; zustimmend ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 215, S. 1166 Fn. 14; BERGER, Mißbrauch der Vertretungsmacht, S. 54 [„einfacher“ Missbrauch]. 150 BERGER, Mißbrauch der Vertretungsmacht, S. 27–31; KLAS, Kollusion, S. 31 [nicht ausreichen soll jedoch die bloße Kenntnis vom Missbrauch]; ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 215, S. 1125; FLUME, AT II3, S. 788 („[v]öllig unproblematisch“); SCHOTT, AcP 171 (1971), S. 389 („geklärt“); Staudinger2009/SCHILKEN, § 167 Rn. 93; LEIPOLD, BGB I7, § 24 Rn. 20; MEDICUS, AT10, Rn. 965–966; RÜTHERS/STADLER17, § 30 Rn. 65; BROX/WALKER, AT37, Rn. 580; BGH (30.01.2002), NJW 2002, 1497 (1498); MüKo6/SCHRAMM, § 164 Rn. 107. – In jüngerer Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, welche sich gegen eine dem Prinzipal aufgedrängte Nichtigkeit des Vertretergeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB wenden; SINGER, LM 1999 § 116 BGB Nr. 6, Bl. 1803; VEDDER, Missbrauch der Vertretungsmacht, S. 132–134; MOCK, JuS 2008, Rn. 486–487; BORK, AT3, Rn. 1575; WOLF/NEUNER, AT10, § 49 Rn. 107. 151 DITTMAR, Mißbrauch der Vollmacht, S. 31 („durch den Faktor der Entgeltlichkeit qualifizierte[r…] Sachverhalt“); BANK, Kollusion, S. 14 („Diese Art des Mißbrauchs der Vertretungsmacht ist zwar besonders häufig; untrennbar verbunden mit der Kollusion als solcher ist sie nicht.“); KLAS, Kollusion, S. 31; V. GIERKE/SANDROCK, Handels- und Wirtschaftsrecht I9, S. 355; RGRK6/OEGG, § 166 S. 288; RG (21.06.1909), WarnRspr. 1909, Nr. 481 (461); JOHN, FS Mühl 1981, S. 352; unlängst MüKo6/SCHRAMM, § 164 Rn. 107; Erman13/PALM/ARNOLD, § 138 Rn. 85; LEENEN, AT RgL, § 9 Rn. 108. 152 Vgl. ACKER/FROESCH/KAPPEL, BB 2007, S. 1510. 146
C. Korruption und Rechtsgeschäft
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Beruhen des Vertrags auf einer Schmiergeldzahlung als selbständigen Nichtigkeitsgrund „gemäß §§ 138, 139 BGB“ 154 neben dem kollusiven Zusammenwirken von Vertreter und Geschäftspartner an und in einer Entscheidung aus dem Jahr 1915 wurde angenommen, auch die Bestechung eines „Vertrauensmanne[s]“155 könne im Zusammenhang mit einer höchst unbilligen Vertragsgestaltung grundsätzlich die Sittenwidrigkeit eines Vertrags herbeiführen.156 Mit dieser Einbeziehung von Schmiergeld, das nicht an einen Stellvertreter geleistet wurde, geht einher, dass der Grund für die Sittenwidrigkeit von Hauptverträgen nicht im Missbrauch einer Vertretungsmacht liegen kann.157 Entsprechend wurde nur wenig später bereits formelhaft anerkannt, „daß der Abschluß eines Vertrags durch den Bevollmächtigten im Einverständnis mit dem Vertragsgegner zum Schaden des Vollmachtgebers als gegen die g. S. verstoßend und nichtig anzusehen ist, wenn der Bevollmächtigte dafür ein Geschenk erhält“158. Nicht mehr erkennbar ist der Tatbestand des kollusiven Missbrauchs der Vertretungsmacht in der neueren Rechtsprechung, die im Anschluss an die Rechtsprechung des REICHSGERICHTS 159 davon ausgeht, dass sich die Nichtigkeit einer Schmiergeldvereinbarung „auch auf den durch das Schmiergeld zustande gekommenen Hauptvertrag erstreckt“160, wenn eine 153 RG (26.10.1906), Das Recht 1906 (Sp. 1317 Nr. 3191). Noch in RG (08.06.1929), SeuffArch 83, Nr. 194 (325), wurde indessen eine „Sondervergütung“ an einen „männliche[n…] Schützer und Berater“ nicht als Grund für die Nichtigkeit des Hauptvertrags angesehen. 154 Vgl. dazu S. 42 Fn. 194. 155 Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesem gerade nicht um einen Vertreter handelte, da das Urteil eine weitere Person auf Seiten des Prinzipals ausdrücklich als „Vertreter“ bezeichnet. 156 RG (26.01.1915), RGZ 86, 146 (148). 157 Gegen die Anwendung des § 138 BGB in diesen Fällen spricht daher auch nicht mehr, für die Begründung der Sittenwidrigkeit eines Vertretergeschäfts müssten „Momente vorliegen, welche die Nichtigkeit auch dann bedingen würden, wenn die Vollmacht gar nicht mißbraucht worden wäre oder wenn der Vollmachtgeber in eigener Person gehandelt hätte“ (DITTMAR, Mißbrauch der Vollmacht, S. 30, mit Berufung auf KIPP, FG RG 1929, S. 287; vgl. auch BANK, Kollusion, S. 31–35; V. HAHN, ADHGB I, Art. 116 § 7) – ein Einwand, dem die (noch) h. M. zur Behandlung der Kollusion [vgl. S. 34 mit Fn. 150] nach wie vor ausgesetzt ist. 158 RG (26.03.1923), Das Recht 1923 (Sp. 241 Nr. 853); sowohl das Erfordernis der Schädigung des Prinzipals als auch der Verweis auf RG (21.06.1909), WarnRspr. 1909 (Nr. 481), dokumentieren den ursprünglichen Bezug zum kollusiven Missbrauch der Vertretungsmacht. 159 RG (01.06.1932), RGZ 136, 359 (siehe S. 33 bei Fn. 140). 160 BGH (04.11.1999), ZIP 2000, 123 (125); ähnlich BGH (17.05.1988), NJW 1989, 26 (27) („Das Sittenwidrige der kollusiven Absprache wirkt sich auch auf den Hauptvertrag aus […].“); der erste Leitsatz der Entscheidung in BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990 (442–444), spricht vom „Übergreifen der Nichtigkeit“.
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
für den Prinzipal nicht unerheblich nachteilige Gestaltung des Hauptvertrags festgestellt werden kann.161 Die Forderung nach einer in der Vertragsgestaltung zum Ausdruck kommenden Benachteiligung des Prinzipals entspringt dabei zum einen der Vorstellung, Anknüpfungspunkt für die Sittenwidrigkeit eines Vertrags könne stets nur dessen Inhalt, nicht jedoch die Art und Weise seines Zustandekommens sein,162 ist zum anderen jedoch die schlichte Übernahme eines Merkmals des ursprünglichen Kollusionstatbestands.163 Ob eine nachteilige Gestaltung vorliegt, bemisst sich dabei nicht auf Grundlage eines objektiven Vergleichs der Werte von Leistung und Gegenleistung,164 sondern danach, ob es ohne Einwirkung durch Schmiergeld zu einer für den Prinzipal vorteilhafteren Vertragsgestaltung gekommen wäre.165 Die genaueren Umstände, unter welchen von einer nachteiligen Vertragsgestaltung auszugehen sein soll, bleiben freilich im Dunkeln. Zwar sprach ursprünglich der Beweis des ersten Anscheins für eine nachteilige Vertragsgestaltung,166 insbesondere da angenommen werden könne, dass der Korrumpeur jedenfalls zu einer Erhöhung seiner vertraglichen Leistung um den Betrag des dem Agenten zugewendeten Schmiergelds bereit gewesen wäre.167 Nunmehr soll dies jedoch dann nicht gelten, wenn abgesehen von der Schmiergeldzahlung keinerlei Anzeichen für eine tatsächliche Benachteiligung angeführt werden können.168 Verschärft wird die Problematik noch dadurch, dass 161
BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (361); an dem Erfordernis einer nachteiligen Vertragsgestaltung (grundsätzlich zu Recht) zweifelnd hingegen RG (26.03.1923), Das Recht 1923 (Sp. 241 Nr. 853); RG (20.10.1930), RGZ 130, 131 (142) (vgl. dazu S. 43 bei Fn. 200). 162 BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (360–362); vgl. auch BANK, Kollusion, S. 34 („[Z]u dem subjektiv anstößigen Verhalten der Parteien bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts [muß] stets noch ein objektives, dem Rechtsgeschäft selbst innewohnendes Moment hinzukommen […], um die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts zu begründen.“). 163 Zum Schaden als Erfordernis der Kollusion ANSCHÜTZ/V. VÖLDERNDORFF, ADHGB, Art. 43 Anm. 3; KLAS, Kollusion, S. 16. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Kollusion werden aufgearbeitet von BERGER, Mißbrauch der Vertretungsmacht, S. 21– 27, und DITTMAR, Mißbrauch der Vollmacht, S. 18–22. 164 So hingegen noch die Entscheidung in RG (26.01.1915), RGZ 86, 146 (148), wo in Anlehnung an den Wuchertatbestand noch ein „höchst“ unbilliger Vertrag mit „auffälligem Mißverhältnis“ zwischen Preis und Leistung gefordert wurde. 165 RG (13.07.1939), HRR 1939, Nr. 1293 (2); RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (56). 166 RG (01.06.1932), RGZ 136, 359 (360–361). 167 RG (13.07.1939), HRR 1939, Nr. 1293 (2); RG (25.04.1932), SeuffArch 86, Nr. 152 (273) („Der Vollmachtgeber ist schon dadurch geschädigt, daß der Mehrbetrag, den der Gegner zu zahlen bereit war und gezahlt hat, nicht als Kaufpreis an ihn gelangt, sondern dem Bevollmächtigten zugeflossen ist.“); vgl. auch BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990, 442 (443); kritisch RG (22.09.1932), MuW 33, 136 (137). 168 BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (361–363) [Architektenhonorar nach HOAI a. F. (BGBl. 1991 I, S. 533 ff.)]. Diese Entscheidung widerspricht ausdrücklich der angesprochenen Einschätzung (Fn. 167), ein Nachteil bestehe jedenfalls in Höhe des Schmiergelds (S. 362: „Sie entspricht weder allgemeiner Erfahrung noch typischen Geschehensabläufen.“). Diese Kritik ist durchaus berechtigt, hält man sich vor Augen, dass nicht nach einer „grundsätzlich denkbaren“, sondern einer „tatsächlich wahrscheinlichen“ Besserstellung
C. Korruption und Rechtsgeschäft
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der persönlichen Einschätzung des Prinzipals über die Unausgewogenheit des Vertrags besondere Bedeutung zukommen soll, 169 was eine voraussehbare Entscheidung über die Nachteilhaftigkeit eines Hauptvertrags ganz erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.170
c)
Einflussmöglichkeiten des Prinzipals
Ein Ausweg aus den Schwierigkeiten, die sich bei der Entscheidung der Frage stellen, ob ein Hauptvertrag infolge einer Schmiergeldvereinbarung nachteilig für den Prinzipal ist, sah der BUNDESGERICHTSHOF darin, dass es der Feststellung einer nachteiligen Vertragsgestaltung jedenfalls dann nicht bedürfe, wenn der Prinzipal den Vertrag „im Nachhinein gebilligt hat“.171 Zudem sei in Fällen, in denen kein Nachteil des Prinzipals festzustellen sei, zu bedenken, dass es einem Vertreter grundsätzlich nicht gestattet sei, „ohne vorherige Information seines Geschäftsherrn“ unter dem Einfluss von Schmiergeldern Verträge mit dem Zuwendenden zu schließen, und dass ein dennoch geschlossener Vertrag nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht genehmigungsbedürftig sein könne.172 Damit erfolgte eine starke An-
des Prinzipals für den Fall fehlender Beeinflussung durch Schmiergeld zu fragen ist. Dann müssen jedoch Abschlüsse zum höheren wie zum niedrigeren Preis als grundsätzlich gleich wahrscheinlich angesehen werden, da durchaus zu erwarten ist, dass der Geschäftspartner zum niedrigsten Preis kontrahieren will und dies auch tun wird, so sich der Prinzipal darauf einlässt. Dass jener grundsätzlich bereit wäre, auch einen höheren Preis zu bezahlen, sollte dies notwendig werden, rechtfertigt daher nicht die Vermutung, dies würde auch regelmäßig geschehen. 169 BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (362). SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 115–116, schließt daraus, dass auch „ein immaterieller, ideeller Nachteil“ beachtlich sein müsse, und führt als Beispiel die Benennung eines unerwünschten Schlichters an. – Wer versucht, den Begriff des Nachteils zu definieren, steht vor denselben Schwierigkeiten, die sich bei der Definition des Vorteils auftun (vgl. dazu S. 66 bei Fn. 93). Rechtlich handhabbar wäre allein ein nach objektiven Kriterien bestimmter Begriff, für den die Rechtsprechung jedoch kaum Anhaltspunkte bietet. 170 Dies liegt nicht zuletzt daran, das eine solch persönliche Einschätzung gezwungenermaßen retrospektiver Natur ist und etwaige bedeutende Entwicklungen (allgemeiner Preisverfall, Angebotsverknappung etc.) mitberücksichtigen wird, wohingegen die Nichtigkeit eines Vertrags nach § 138 Abs. 1 BGB bereits mit seinem Abschluss feststehen muss. – Eben diese Möglichkeit, dass ein Geschäft „im Nachhinein vorteilhaft erscheint“, führt denn auch VEDDER, Missbrauch der Vertretungsmacht, S. 132–133, gegen die Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB an. 171 BGH (04.11.1999), ZIP 2000, 123 (125) („Die Nichtigkeit der Schmiergeldvereinbarung erstreckt sich auf den durch das Schmiergeld zustande gekommenen Hauptvertrag auch dann nicht, wenn der Vertretene das sittenwidrige Handeln des Vertreters im Nachhinein gebilligt hat (§ 177 BGB analog […]).“). 172 BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (363–364); BGH (16.01.2001), NJW 2001, 1065 (1067).
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1. Kapitel: Korruption und ihre Auswirkungen
näherung an die Stimmen, die bereits seit längerem die Entscheidung über die Wirksamkeit des Hauptvertrags dem Prinzipal überlassen wollten.173 Nach dieser Rechtsprechung konnte der Prinzipal nur dann nicht über die Wirksamkeit des Hauptvertrags entscheiden, wenn sich eine nachteilige Vertragsgestaltung nicht ausmachen ließ und der Prinzipal den Vertrag selbst abgeschlossen hatte.174 Diese Lücke schloss der BUNDESGERICHTSHOF jedoch wenig später, indem er feststellte, dass den Korrumpeur die Pflicht treffe, den Prinzipal über das versprochene oder gewährte Schmiergeld in Kenntnis zu setzen, und dass im Falle der Verletzung dieser Pflicht dem Prinzipal ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo zustehe,175 der wohl regelmäßig einen Anspruch auf Vertragsaufhebung zur Folge haben dürfte. 176 Dass der BUNDESGERICHTSHOF dabei tatsächlich zwischen Verträgen, die durch den korrumpierten Agenten, und solchen, die durch den Prinzipal selbst abgeschlossen wurden, zu differenzieren beabsichtigt, darf jedoch bezweifelt werden. Zum einen wurden für die Genehmigungsmöglichkeit Literaturstimmen angeführt, die keine solche Differenzierung vornehmen, ohne dass eine nur eingeschränkte Zustimmung kenntlich gemacht worden wäre.177 Zum anderen werden die Grundsätze der culpa in contrahendo durchaus nicht als einziges Instrumentarium für die Behandlung nicht nachteiliger, vom Prinzipal persönlich abgeschlossener Verträge in Betracht gezogen.178 Insofern ist anzunehmen, dass der Unwirksamkeit von Hauptverträgen – trotz der Vielzahl und Verschiedenheit der zu ihrer Begründung bemühten Mechanismen – ein einheitliches Prinzip zugrunde liegt.179
173 Ausdrücklich verwiesen wurde in BGH (04.11.1999), ZIP 2000, 123 (125), auf AKBGB/DAMM, § 138 Rn. 176; Staudinger13/SACK, § 138 Rn. 473; Erman9/BROX, § 138 Rn. 68; Palandt58/HEINRICHS, § 138 Rn. 63; zustimmend MüKo6/ARMBRÜSTER, § 138 Rn. 128; WOLF/NEUNER, AT10, § 46 Fn. 112. Auch BERG, Wirtschaftskorruption, S. 124– 132, begrüßt die Dispositionsbefugnis des Prinzipals, wendet sich jedoch gegen die analoge Anwendung des § 177 BGB, die „mit der Systematik des § 138 nicht in Einklang zu bringen ist“ (ebd., S. 128). Stattdessen soll dem Prinzipal in Fällen, in denen er selbst den Vertrag abschließt, ein Anfechtungsrecht nach § 123 BGB zustehen (dazu S. 46 bei Fn. 214); so bereits SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 178. Anklänge einer Genehmigungsmöglichkeit des Prinzipals finden sich bereits in RG (22.09.1932), MuW 33, 136 (138) („[E]s ist auch in diesem Falle dem Geschädigten [Prinzipal] unbenommen, von der Geltendmachung der Nichtigkeit abzusehen und Schadensersatz zu verlangen […].“). 174 Diese Differenzierung findet sich auch bei ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 215, S. 1166 Fn. 14, die in Fällen der Bestechung eines Vertreters § 177 BGB anwenden wollen, sich für Fälle der Bestechung sonstiger Agenten jedoch den Entscheidungen in RG (26.01.1915), RGZ 86, 146, und RG (26.10.1923), RGZ 107, 208, anschließen, welche von einer Anwendung des § 138 BGB auf derartige Fälle ausgehen. 175 BGH (16.01.2001), NJW 2001, 1065 (1067); dazu bereits BGH (14.03.1991), NJW 1991, 1819 (1819–1820), wo es jedoch nicht um einen Anspruch auf Vertragsaufhebung ging. 176 Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 643. 177 BGH (04.11.1999), ZIP 2000, 123 (125); die angeführte Literatur findet sich auf S. 38 in Fn. 173. 178 BGH (16.01.2001), NJW 2001, 1065 (1067) („zumindest“); anderer Ansicht Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 643. 179 Dazu sogleich S. 40 ff.
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Gegen die Möglichkeit des Prinzipals, den Hauptvertrag zu genehmigen, wurde eingewandt, die Sittenwidrigkeit eines im Wettbewerb zustande gekommenen Hauptvertrags resultiere nicht allein aus der mit ihm verbundenen Übervorteilung des Prinzipals, sondern auch aus der Schädigung von Mitbewerbern des Korrumpeurs.180 Zudem stehe zu befürchten, dass die Genehmigungsmöglichkeit des Prinzipals unbeteiligte Sicherungsgeber benachteilige.181 Diese gingen grundsätzlich davon aus, für eine ordnungsgemäß zustande gekommene Schuld einstehen zu müssen. Dass der gesicherte Hauptvertrag hingegen erst durch korruptive Mittel herbeigeführt worden sei, könne grundsätzlich als Indiz dafür dienen, dass tatsächlich ein erhöhtes Ausfallund damit Haftungsrisiko des Sicherungsgebers bestünde. Durch eine Genehmigung des Prinzipals würden diese erhöhten Risiken des Geschäfts, das ohne korruptive Beeinflussung wohl nicht geschlossen worden wäre, weitgehend auf den außenstehenden Sicherungsgeber verlagert. Auch gebiete die wirksame Abschreckung vor korruptem Gebaren eine der Dispositionsbefugnis des Prinzipals entzogene Nichtigkeitssanktion, 182 an180 SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 167–175 (S. 170: „Der Wettbewerber wird in seinem Anspruch auf einen lauteren Wettbewerb, z. B. konkretisiert in dem Anspruch auf ein faires Vergabeverfahren, verletzt und durch die Schmiergeldvereinbarung um die konkrete Aussicht auf einen wirtschaftlichen Gewinn gebracht.“); DERS., Unlauterer Wettbewerb, in: Schlüter/Hoffmann (Hrsg.), Jahrbuch ATL 2009, S. 301–307. 181 Dazu und zum Folgenden SETHE, WM 1998, S. 2314, 2318. 182 SETHE, WM 1998, S. 2313–2314 („Will man Korruption nachhaltig bekämpfen, ist es nur konsequent, sämtlichen in Zusammenhang mit Korruption stehenden Rechtsgeschäften die Wirksamkeit zu versagen. Demgegenüber müssen die Interessen des Geschäftsherrn zurücktreten.“); DERS., WuB IV A. § 138 BGB 1.00, S. 326–327; vgl. auch SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 218 („stärkste Abschreckungswirkung“). – Obgleich die mit der Unwirksamkeit von Hauptverträgen einhergehende Abschreckung nicht grundsätzlich in Zweifel zu ziehen ist, lassen sich dem Präventionsgedanken dennoch nur schwerlich eindeutige Hinweise auf „angemessene“ Rechtsfolgen korruptiver Verhaltensweisen entnehmen. Zu unterschiedlich sind die Einschätzungen hinsichtlich der Auswirkungen bestimmter (zivilrechtlicher) Rechtsfolgen auf die Einstellung der Beteiligten zu Schmiergeldzahlungen. NELL, EurJLEcon 27 (2009), S. 162–165, etwa geht davon aus, dass gerade die Wirksamkeit von Hauptverträgen einen wirksamen Beitrag zur Korruptionsbekämpfung leisten könne, da die Vertragspartner aus Sorge vor eventuellen Nachteilen durch die Unwirksamkeit des Vertrags davon abgehalten würden, korruptes Verhalten öffentlich zu machen. „This ultimately reduces the deterrent and preventive powers of criminal and civil law“ (ebd., S. 172). Ob der Korruptionsbekämpfung jedoch spezialpräventiv durch Androhung einer Unwirksamkeitssanktion oder generalpräventiv durch die abstrakte Erhöhung der Entdeckungsgefahr besser gedient ist, wird sich kaum feststellen lassen. Welcher Präventionsgesichtspunkt ausschlaggebend sein soll, bleibt eine rechtspolitische Entscheidung. Mit dem grundsätzlichen Ansatzpunkt des deutschen Rechts bei § 138 BGB überwiegt wohl der spezialpräventive Ansatz, der freilich durch die Annahme einer Genehmigungsmöglichkeit des Prinzipals ganz erheblich eingeschränkt wird. – Ähnliche Unsicherheiten bestehen hinsichtlich strafrechtlicher Sanktionen, die einerseits zwar erheb-
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sonsten wäre diesem gegenüber dem Vertragspartner ein Druckmittel in die Hand gegeben, für das der Prinzipal selbst bereit sein könnte, korruptem Verhalten seiner Agenten nicht wirksam entgegenzutreten oder dieses schlimmstenfalls sogar gezielt einzusetzen.183 d)
Stellungnahme
Die mit der Diskussion über die Wirksamkeit von Hauptverträgen verbundenen Interessen sind vielfältig und einem Kompromiss letztlich unzugänglich. Eine Lösung, welche alle Beteiligten zufriedenstellt und zudem als allgemein anerkannter Beitrag zur Korruptionsprävention gelten darf, existiert nicht. Umso wichtiger ist es, die Mechanismen, die der Beurteilung des Hauptvertrags zugrunde liegen, aufzuzeigen, denn erst dann kann mit deren Hilfe das rechtspolitisch gewünschte Ergebnis gezielt herbeigeführt werden. aa) Verbotswidriges Verhalten als Unwirksamkeitsgrund Soweit die Sittenwidrigkeit des Hauptvertrags davon abhängig gemacht wird, ob er eine dem Prinzipal nachteilige Gestaltung aufweist oder durch ihn außenstehende Wettbewerber geschädigt werden, 184 wird der Vertrag nur scheinbar einer inhaltlichen Kontrolle unterworfen. Die Feststellung, eine Vertragspartei stehe auf Grundlage eines Vertrags schlechter als sie hätte stehen können, wenn ihre Interessen gegenüber dem Vertragspartner angemessen zur Geltung gebracht worden wären, bietet grundsätzlich keinen Anlass, diesen Vertrag als inhaltlich sittenwidrig zu erachten. Ein Ungleichgewicht im Äquivalenzverhältnis führt regelmäßig nur in den Fällen des Wuchers185 und nur im Zusammenspiel mit der Ausnutzung der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Interessenwahrnehmung zur Sittenwidrigkeit eines Geschäfts. Wird hingegen ein (nur) nicht völlig unbedeutender Nachteil im Zusammenhang mit einer Schmiergeldabrede als für die Begründung der Sitliches Abschreckungspotential bieten, gleichzeitig jedoch aufgrund der mit ihnen verbundenen „Denunziationsdrohung“ (LAMBSDORFF, Transaktionskostenanalyse, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 79–83) zur Stabilisierung bereits etablierter korrupter Verbindungen beitragen können. 183 NELL, EurJLEcon 27 (2009), S. 165–167; SCHLÜTER/NELL, NJOZ 2008, S. 226–229; RAESCHKE-KESSLER/GOTTWALD, FS Lüer 2008, S. 48. – Keine Zustimmung verdient jedenfalls der ergänzende Gesichtspunkt, die Genehmigungsmöglichkeit sei zu versagen, da der Prinzipal sich gezwungen sehen könnte, sie wahrzunehmen (SETHE, WuB IV A. § 138 BGB 1.00, S. 326–327). Eine per se anerkennenswerte Gestaltungsmöglichkeit ist nicht deshalb abzulehnen, weil sie eventuell aufgrund zweifelhafter Motive genutzt werden könnte. 184 Vgl. S. 36 bei Fn. 161 und S. 39 bei Fn. 180. 185 Diesen Maßstab tatsächlich anlegend RG (26.01.1915), RGZ 86, 146 (148) (vgl. S. 36 Fn. 164).
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tenwidrigkeit ausreichend erachtet, so kommt darin zum Ausdruck, dass gerade nicht die Feststellung einer inhaltlichen Sittenwidrigkeit des Hauptvertrags im Zentrum der Betrachtungen steht, sondern die Frage danach, ob sich die befürchteten Folgen des Schmiergeldeinsatzes tatsächlich eingestellt haben:186 „Das Verbot des § 12 UWG […] erstreckt sich auch auf den Vorteilsgeber als Vertragspartner des Hauptvertrages, da erst durch den Hauptvertrag der von § 12 UWG mißbilligte Zweck der Bestechung, nämlich die unlautere Bevorzugung des Vorteilsgebers im Wettbewerb, verwirklicht werden soll. […] Sinn und Zweck des § 12 UWG ist es, im öffentlichen Interesse das Schmiergeldunwesen in jeglicher Form zu bekämpfen. Damit wäre es aber unvereinbar, lediglich die Schmiergeldvereinbarung selbst, jedoch nicht das damit bezweckte – regelmäßig den Geschäftsherrn schädigende und die Mitbewerber benachteiligende – Hauptgeschäft als nichtig anzusehen. Mißbilligt wird von § 12 UWG nicht nur die Schmiergeldabrede als solche, sondern die dadurch erreichte unlautere Bevorzugung des Schmierenden im Wettbewerb; das ist aber der Abschluß des Hauptvertrags; dieser ist – auch – das verbotswidrige Geschäft.“187
Zwar wird die Schlussfolgerung V. GAMMS, auch der Hauptvertrag verstoße gegen § 134 BGB und nicht allein gegen § 138 Abs. 1 BGB,188 überwiegend
186
REINHARDT, JW 1932, S. 339 („[M]an [legt] das Schwergewicht nicht auf den Inhalt des Vertrages als solchen sondern darauf […], daß die für den Geschäftsherrn nachteilige Gestaltung des Vertrages, sittenwidrig erwirkt ist.“ [Hervorhebungen im Original]); KÖRNER, GRUR 1968, S. 351 („[Es] ist davon auszugehen, daß die geschlossenen Verträge nur deshalb eine wettbewerbsrechtliche Betrachtung nahelegen, weil bei ihrem Zustandekommen eine wettbewerbswidrige Handlung mitgewirkt hat.“); deutlich auch KOCH, Schmiergeldbegriff, S. 201 Fn. 1 („[D]er Inhalt des Hauptvertrags ist für die Frage der Sittenwidrigkeit nicht entscheidend […].“), m. V. a. Schlegelberger4/SCHRÖDER, § 59 Rn. 42a, der jedoch seinerseits eine erkennbare Beeinflussung des Hauptvertrags als inhaltlichen Ansatzpunkt verlangt, und HOLLINDE, Angestelltenbestechung, S. 105–106, der nur bei Vertretergeschäften unabhängig von deren Inhalt § 138 BGB, im übrigen jedoch § 123 BGB (dazu S. 46 bei Fn. 214) zur Anwendung bringen will. – Für den Rekurs auf eine Schädigung von Wettbewerbern gilt nichts anderes: Ein Vertrag ist nicht bereits aufgrund der Identität eines Vertragspartners oder dadurch, dass eine bestimmte Person nicht Vertragspartner geworden ist, inhaltlich sittenwidrig. Sowohl innerhalb wie außerhalb des Wettbewerbs wird der Inhalt des Hauptvertrags lediglich aufgrund von dessen „Vorgeschichte“ als unerträglich empfunden. 187 V. GAMM, Wettbewerbsrecht5, Kap. 47 Rn. 31; vgl. auch SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 170 („Hauptverträge, die auf einer Bestechung im geschäftlichen Verkehr […] beruhen, [sind] sittenwidrig, da sie dazu dienen, den vom Straftäter angestrebten Erfolg zu verwirklichen“), 173 („Wenn aber der Hauptvertrag damit objektiver Ausdruck des subjektiven Tatbestandsmerkmals eines Straftatbestandes ist, prägt sein ‚Erfolgsunwert‘ als objektiver Umstand den Gesamtcharakter des Hauptvertrags.“). 188 V. GAMM, Wettbewerbsrecht5, Kap. 47 Rn. 31.
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abgelehnt. 189 Gleichwohl werden – unter Bezugnahme auf § 138 BGB – grundsätzlich dieselben Wertungen vorgenommen. Insofern ist das Bild der Erstreckung der Nichtigkeit einer Schmiergeldabrede 190 richtig gewählt, da gerade keine autonome inhaltliche Bewertung des Hauptvertrags vorgenommen wird. Unter einem anderen Blickwinkel jedoch ist dieser „Ausstrahlungswirkung“ 191 entgegenzutreten: Ein Rechtsgeschäft kann nur dann das Schicksal eines anderen teilen, wenn dieses tatsächlich vorgenommen wurde. Anzunehmen, Korrumpeur und Agent seien stets Parteien einer zwar unwirksamen aber dennoch rechtsgeschäftlich zu qualifizierenden Schmiergeldabrede, ist eine bloße Fiktion. 192 Auch für den Fall, dass es an einer solchen rechtsgeschäftlichen Schmiergeldabrede fehlt, dürften sich aber die Einschätzungen hinsichtlich der Wirksamkeit des Hauptvertrags kaum ändern,193 was ebenfalls belegt, dass der Grund für dessen Sittenwidrigkeit nicht in der Schmiergeldabrede, sondern in der verbotenen Schmiergeldzahlung zu suchen ist.194 189 BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (360–361) („Der gesetzliche Schutz des lauteren Wettbewerbs will zwar nicht nur Bestechungen unterbinden, sondern vor allem unlautere Verzerrungen des Wettbewerbs verhindern. Dieses Ziel ändert jedoch nichts daran, daß die Strafnorm sich auf Bestechung bezieht, nicht an daran sich etwa anschließende Vertragsschlüsse.“) [wie V. GAMM noch die Vorinstanz (ebd., S. 359)]; Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 639; SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 167; DERS., Unlauterer Wettbewerb, in: Schlüter/Hoffmann (Hrsg.), Jahrbuch ATL 2009, S. 300; HOLLINDE, Angestelltenbestechung, S. 105. 190 Oben S. 35 bei Fn. 160. 191 MüKo6/ARMBRÜSTER, § 138 Rn. 128 („Ausstrahlungswirkung der sittenwidrigen Schmiergeldabrede“). 192 „Recht oft sind Zuwendungsvereinbarungen lediglich außerrechtliche Übereinkünfte“ (KREJCI, Privatrechtliche Aspekte, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 549). Es dürfte oftmals erhebliche Schwierigkeiten bereiten, Belege für eine auch nur konkludente Willensübereinkunft zu finden. Die Besonderheit reziproker Beziehungen besteht gerade darin, dass sie über eine (in Aussicht gestellte) Zuwendung hinaus keine weiteren Voraussetzungen haben (vgl. S. 5 ff.), und es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass involvierte Personen mit einer Vorteilszuwendung verbundene Absichten und Wünsche zum eigenen Schutz unausgesprochen lassen, entsprechende Andeutungen vermeiden und sich voll und ganz auf die „Macht der Reziprozität“ verlassen. 193 Regelmäßig erfolgt im Rahmen der Diskussion über die Wirksamkeit eines Hauptvertrags daher auch keine Prüfung einer tatsächlichen Willensübereinkunft zwischen Agent und Korrumpeur. 194 Vgl. RG (08.06.1929), SeuffArch 83, Nr. 194 (325) („[D]ie Zusage solcher Sondervergütungen [ist] unter bestimmten Voraussetzungen geeignet […], das Kaufgeschäft als unsittliches zu kennzeichnen […].“). – Zurecht hat es sich daher auch nicht durchgesetzt, die Unwirksamkeit des Hauptvertrags durch § 139 BGB im Zusammenhang mit der Sittenwidrigkeit der Schmiergeldvereinbarung zu erklären; vgl. dazu BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990, 442 (443–444) m. w. N.; V. GAMM, Wettbewerbsrecht5, Kap. 47 Rn. 31; BAUMBACH/HEFERMEHL19, § 12 UWG Rn. 25 („kein einheitliches Geschäft“); SETHE, WM 1998, S. 2315; BERG, Wirtschaftskorruption, S. 91–92; für die Anwendbarkeit von
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Der Grund dafür, dass für die Bewertung der Wirksamkeit des Hauptvertrags überwiegend § 138 BGB und nicht § 134 BGB herangezogen wird, ist somit nicht darin zu suchen, dass hier grundsätzlich andere normative Wertungen angestellt würden als im Hinblick auf Schmiergeldabrede oder Vermittlungsvertrag. Die Unwirksamkeit aller drei Kategorien von Verträgen ist auf eine verbotene Schmiergeldzuwendung zurückzuführen. Der Grund dürfte vielmehr darin liegen, dass § 134 BGB in erster Linie mit der Aufrechterhaltung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung assoziiert wird, 195 und die Wirksamkeit eines Hauptvertrags keinen logischen, sondern allenfalls einen normativen Widerspruch hervorzurufen in der Lage ist. Ob man einen solchen jedoch im Rahmen des § 134 BGB oder mithilfe des § 138 BGB zu beseitigen sucht, ist letztlich nicht von Bedeutung. 196
bb) Potentielle Beeinflussung als Unwirksamkeitsgrund Mangels unmittelbar verbotswidrigen Rechtseffekts des Hauptvertrags ist die verbotene Schmiergeldzuwendung alleine keine hinreichende Bedingung für dessen Unwirksamkeit. Die zusätzliche Forderung nach einer Manifestation der Schmiergeldzuwendung im Vertragsinhalt und die Bemessung einer solchen anhand der Frage, ob unter von Schmiergeldern unbeeinträchtigten Umständen ein für den Prinzipal „vorteilhafteres“ Geschäft zustande gekommen wäre,197 erscheint jedoch auch unter dem Eindruck des zähen Ringens um die richtige Einordnung des kollusiven Missbrauchs der Vertretungsmacht 198 nicht konsequent. Die Befürchtung im Zentrum dieser Diskussion ist, dass die Abstraktion der Vollmacht von der inneren Pflichtenbindung des Vertreters gegenüber seinem Prinzipal zu einer Schädigung des Letzteren führen könnte. Dass eine solche – insbesondere wenn der subjektiven Einschätzung des Prinzipals erhebliche Bedeutung beizumessen ist199 – nicht erst in einer zu seinem Nachteil unausgewogenen Vertragsgestaltung, sondern bereits in der vertraglichen Bindung an sich liegen kann, wird dabei regelmäßig übersehen.200 § 139 BGB hingegen PASSARGE, ZInsO 2008, S. 939; zustimmend Staudinger2010/ROTH, § 139 Rn. 39. 195 Für Nachweise siehe S. 18 Fn. 71. 196 Zur Aufladung des § 138 BGB durch originär rechtliche Wertungen S. 205 f.; vgl. auch S. 26 bei Fn. 111. 197 Vgl. S. 36 bei Fn. 161. 198 Dazu S. 34 bei Fn. 147. 199 Oben S. 37 bei Fn. 169. 200 Richtig erkannt wird dies in RG (26.03.1923), Das Recht 1923 (Sp. 241 Nr. 853) („Als ein auf Vertrauensmißbrauch beruhendes und deshalb sittenwidriges Geschäft wird von besonderen Umständen abgesehen ein Vertragsschluß auch dann angesehen werden können, wenn von dem gezahlten Gesamtbetrag dem Vollmachtgeber ein an und für sich ausreichender Betrag zufließt, im übrigen aber das Zustandekommen des Vertrags darauf zurückzuführen ist, daß der Bevollmächtigte vom Vertragsgegner Schmiergelder bezogen hat.“); RG (20.10.1930), RGZ 130, 131 (142) („Regelmäßig wird die Nichtigkeit schon dann anzunehmen sein, wenn der Vertragsschluss auf dieses Geschenk zurückzuführen ist […].“); ebenso LARENZ, AT7, S. 443–444 („Das auf diese Weise zustandegekommene Geschäft ist nichtig, wenn sich der Angestellte oder Bevollmächtigte dadurch zum Ab-
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Wenn die Rechtsprechung nunmehr nur bei Anzeichen, die über die Tatsache, dass Schmiergeld geflossen ist, hinausgehen, von der Nachteiligkeit des Hauptvertrags ausgehen will,201 so ist dies Ausdruck des Umstands, dass es kaum möglich ist, festzustellen, ob geflossenes oder versprochenes Schmiergeld tatsächlich Einfluss auf den Hauptvertrag hatte. 202 Daraus jedoch zu schließen, der Hauptvertrag müsse mangels Nachteiligkeit für den Prinzipal wirksam sein, ist eine Verkürzung, die außer Acht lässt, dass Auswirkungen von Schmiergeld auf einen Hauptvertrag in vielerlei Gestalt denkbar sind. Ebenso könnte man daher allein aufgrund der Tatsache, dass überhaupt ein Vertrag mit einer korrumpierenden Partei zustande gekommen ist, vermuten, dies sei mangels anderer Anzeichen auf das Schmiergeld zurückzuführen, was zur Unwirksamkeit des Vertrags führen müsse.203 Als zweifelhaft muss daher auch die Einschätzung des OLG MÜNCHEN 204 gelten, wonach im Rahmen eines Auftrags, dessen Erhalt auf Informationen aus dem Vergabeverfahren beruht, die durch Schmiergelder erlangt wurden, lediglich die „Preisvereinbarung“ beeinträchtigt, der Vertrag im Übrigen jedoch als wirksam anzusehen ist.205 Die Zweifel hinsichtlich der Frage, ob der ausgehandelte Preis auch unter unbeeinflussten Wettbewerbsbedingungen zustande gekommen wäre, bestehen ebenso hinsichtlich des Abschlusses im Allgemeinen.
Geht man daher davon aus, dass Verträge, die in einem engen Zusammenhang zu Schmiergeldzahlungen stehen, 206 sittenwidrig und daher grundsätzschluß hat bestimmen lassen, so daß das Geschäft als ganzes auf dem sittenwidrigen Vorgehen der einen Partei beruht.“). 201 BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (361–363) (siehe S. 36 Fn. 168). 202 Zu den Schwierigkeiten von Mitbewerbern, zu beweisen, dass ohne das Schmiergeld sie und nicht der korrumpierende Konkurrent einen Auftrag erhalten hätten, MEYER, Combating Corruption, in: DERS., Civil Law Consequences of Corruption, S. 163 („It would be virtually impossible to adduce such evidence retrospectively to the satisfaction oft the judge, even if all the facts were known.“); AX/SCHNEIDER/SCHEFFEN, Rechtshandbuch Korruptionsbekämpfung2, Rn. 118. Allgemein zur Problematik des Beweises eines entgangenen Gewinns in Wettbewerbssituationen BGH (23.09.1982), NJW 1983, 442 (443–444); FLEISCHER, JZ 1999, S. 768–771 m. w. N.; Staudinger2005/SCHIEMANN, § 252 Rn. 20. 203 Ähnlich SCHLÜTER, Schmiergeldvereinbarung und Hauptvertrag, S. 171, der die geforderte Schädigung eines Dritten durch den Hauptvertrag dadurch als gegeben ansieht, „dass ein Wettbewerb nicht stattgefunden hat und der Wettbewerber trotz eines möglicherweise besseren Angebotes wegen der heimlichen Schmiergeldvereinbarung nie eine wirkliche Chance hatte sich im Wettbewerb durchzusetzen“ [Hervorhebungen hinzugefügt]. 204 OLG MÜNCHEN (16.04.2007), OLGR München 2007, 496 (498). 205 Kritisch aufgrund des mangelnden Abschreckungseffekts dieser Lösung MEYER, Combating Corruption, in: DERS., Civil Law Consequences of Corruption, S. 158. 206 Diesen Zusammenhang nur in Fällen einer für den Prinzipal nachteiligen Vertragsgestaltung als gegeben anzusehen, ist – wie gesehen – nicht ausreichend. Keine Beeinflussung des Hauptvertrags sind jedoch zum einen von Schmiergeldern zu erwarten, die erst nach Abschluss des Hauptvertrags versprochen bzw. gewährt wurden (BGH (10.01.1990), NJW-RR 1990, 442 (443)), zum anderen von solchen, die erst in so spätem Stadium der
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lich nichtig sind, so geschieht dies regelmäßig nicht deshalb, weil eine Beeinflussung des Geschäfts durch das Schmiergeld eindeutig feststellbar ist, sondern allein deshalb, weil eine solche höchst wahrscheinlich ist, selbst wenn deren Wirkungsweise im Einzelnen weder offensichtlich noch im Nachhinein nachvollziehbar sein mag. Dass die Auswirkungen einer Schmiergeldzahlung auf den Hauptvertrag oftmals nicht nachprüfbar sind, spricht jedoch nicht gegen die Annahme der Sittenwidrigkeit desselben. Vielmehr kann für diese bereits eine nicht völlig unbedeutende Wahrscheinlichkeit dafür ausreichen, dass sich eine verbotene bzw. sittenwidrige Schmiergeldzahlung in irgendeiner Form auf Zustandekommen oder Inhalt des Hauptvertrags ausgewirkt hat. 207 Die Rechtsordnung sieht mitunter zur Stärkung eines Verhaltensbefehls einen diesen flankierenden Bereich vor, welcher der privatautonomen Gestaltungsmöglichkeit entzogen ist. Dabei besteht hinsichtlich (möglicherweise) korruptiv beeinflusster Hauptverträge die Besonderheit, dass nicht die befürchtete Förderung von verbotenem Verhalten, sondern die befürchtete Beeinflussung durch verbotenes Verhalten Grund für die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ist.208 Dabei gilt es zu beachten, dass die Frage, ob ein solcher Bereich überhaupt existiert und wie weit er gegebenenfalls zu ziehen ist, einer allgemeingültigen Beantwortung nicht zugänglich ist. Anders etwa als im Hinblick auf die grundsätzlich akzeptierten „Fernwirkungen“ verbotener Schmiergeldzuwendungen wird im Wettbewerbsrecht üblicherweise davon ausgegangen, dass auf wettbewerbswidrigem Wege zustande gekommene Verträge wirksam sind,209 das Gleiche gilt im Hinblick auf Kartellrechtsverstöße210.
Vertragsanbahnung ins Auge gefasst werden, dass für „Erwiderungen“ seitens des Agenten kein Raum mehr bleibt (BGH (27.03.1968), NJW 1968, 1572 (1574): „[Es] kann nicht ohne nähere Begründung davon ausgegangen werden, daß ein zeitlich unmittelbar vor dem Abschluß des Alleinvertriebsvertrages liegende Provisionsversprechen dem Zweck der Bevorzugung der Beklagten vor Mitbewerbern gedient habe. […] Es liegen keine Umstände vor, aus denen geschlossen werden könnte, daß in diesem Zeitpunkt der Abschluß eines entsprechenden Vertrages mit einem Mitbewerber der Beklagten noch in Frage gekommen oder von den Beteiligten in Betracht gezogen worden wäre.“ [zu § 12 UWG a. F.; Hervorhebung im Original]). 207 Zu solchen, die Privatautonomie über die Grenzen des bloßen Verhaltensbefehls hinaus einschränkenden Wirkungen eines Verbots bereits S. 26 mit Fn. 113. 208 Vgl. Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 668 („Sittenwidrig nach § 138 sind auch Verträge, die der Vorbereitung, Förderung oder Ausnutzung von Straftaten dienen sollen, ohne dass das vereinbarte Handeln in Form von Täterschaft oder Teilnahme strafbar ist […].“ [Hervorhebung hinzugefügt]) m. w. N. 209 NORDEMANN, WettbR/MarkR11, Rn. 993–996; SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 176. 210 BGH (04.05.1956), NJW 1956 (1201) („unabsehbare und rechtlich kaum mehr zu beherrschende Folgen und Störungen des Wirtschaftslebens“); TOPEL, § 50: Zivilrechtliche Sanktionen, in: Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts2, Rn. 40; EMMERICH, Kartellrecht12, § 40 Rn. 28; jeweils m. w. N.
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cc) Genehmigungsmöglichkeit und Schutzzweck des Verbots Was bleibt ist die Frage, ob die von der Rechtsprechung angenommene Möglichkeit des Prinzipals, den Hauptvertrag zu genehmigen, sachgerecht ist. Die damit verbundene grundsätzliche Rückkehr zu den Vorstellungen KIPPS, die angemessene Rechtsfolge des kollusiven Missbrauchs der Vertretungsmacht sei die Genehmigungsbedürftigkeit des so zustande gekommenen Vertrags,211 beruht auf der Prämisse, dass der Grund für die Sittenwidrigkeit der Handlungsweisen von Agent und Korrumpeur (allein) im Vertrauensbruch gegenüber dem Prinzipal liege:212 „[D]ie Ausstrahlungswirkung der sittenwidrigen Schmiergeldabrede […] macht den Hauptvertrag […] unter dem Gesichtspunkt […] der Schädigung Dritter sittenwidrig. Dann sollte es aber dem Dritten (Vertretenen), der selbst nicht an der sittenwidrigen Grundabrede beteiligt war, möglich sein, dem Hauptvertrag durch sein Einverständnis den sittenwidrigen Charakter zu nehmen.“213 Dieselbe Überlegung liegt der Lösung über den mitunter herangezogenen § 123 BGB zugrunde. 214 Wenn der Korrumpeur dem Prinzipal verschweigt, dass er im Vorfeld des Vertragsschlusses dessen Agenten Schmiergeld zugewandt oder versprochen hat, so soll darin eine Täuschung liegen, welche es dem Prinzipal gestattet, den Hauptvertrag anzufechten.215 Auch hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Beeinflussung des Hauptvertrags durch Schmiergeld dann unbeachtlich ist, wenn der Prinzipal von ihr weiß und nicht gegen sie einschreitet, sie mit anderen Worten genehmigt.216 Dem liegt letztlich die Annahme zugrunde, dass eine Aufklärung des Prinzipals dem Schmiergeld seine Gefährlichkeit nimmt, weil bei einem Abschluss des Hauptvertrags trotz Kenntnis des Prinzipals vom Schmiergeld anzunehmen sei, dass dieser mit dessen Berücksichtigung durch den Agenten
211
KIPP, FG RG 1929, S. 287. RG (08.06.1929), SeuffArch 83, Nr. 194 (325) („Ihr [der Prinzipalin] Interesse, nicht das seine, hatte er wahrzunehmen. Statt dessen wirtschaftete er von dem in Aussicht genommenen Preise […] in seine eigene Tasche.“); OLG STUTTGART (25.11.1919), OLGE 40, 330 (330) („Einwilligung, dieses pflichtwidrige Verhalten […] zu unterstützen“). 213 MüKo6/ARMBRÜSTER, § 138 Rn. 128. 214 Dazu MEYER, Combating Corruption, in: DERS., Civil Law Consequences of Corruption, S. 157. 215 SETHE, WM 1998, S. 2315 m. w. N.; hingegen nur eine Pflicht des Agenten zur Aufklärung des Prinzipals, die zur Anfechtbarkeit nach § 123 Abs. 2 S. 1 BGB führt, annehmend RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (47–49); RG (26.10.1923), RGZ 107, 208 (211–212); zustimmend BAUMBACH/HEFERMEHL19, Übers. § 12 UWG Rn. 3. Nur selten sei anzunehmen, es fehle an der Kausalität des Irrtums für den Vertragsabschluss; RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (50). 216 Darauf, dass die Wahl des juristischen Instrumentariums durch das gewünschte Ergebnis, dem Prinzipal die Entscheidung über die Wirksamkeit des Hauptvertrags zu überlassen, motiviert ist, verweist bereits REINHARDT, JW 1932, S. 339. 212
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einverstanden und dieses Einverständnis ausreichend ist, um Zweifel an der Wirksamkeit des Hauptvertrags zu zerstreuen.217
Wenn und soweit sich die Unwirksamkeit eines Hauptvertrags allein auf die befürchtete Übervorteilung des Prinzipals zurückführen lässt, besteht im Falle einer privatautonomen Entscheidung des Prinzipals, der sich der vorangegangenen korruptiven Geschehnisse bewusst ist, zugunsten des Hauptvertrags in der Tat kein Anlass, an dessen Unwirksamkeit festzuhalten. Wurde hier jedoch festgestellt, dass der Grund für eine eventuelle Unwirksamkeit des Hauptvertrags in einer verbotenen Schmiergeldzuwendung an einen Agenten im Vorfeld des Vertragsschlusses und der damit verbundenen Sorge liegt, selbige könne den Vertragsschluss beeinflusst haben, so hängt das Schicksal des Hauptvertrags und insbesondere die Frage danach, welche Gestaltungsmöglichkeiten dem Prinzipal des korrumpierten Agenten diesbezüglich zukommen, vom jeweils einschlägigen „Schmiergeldverbot“ ab. Die sittenwidrige Hintergehung des Prinzipals ist jedoch keineswegs der einzige Grund, weshalb Schmiergeldzahlungen durch die Rechtsordnung missbilligt werden können. Mit der Korruption verbinden sich vielerlei andere Befürchtungen und negative Folgen 218 , die über das bloße Prinzipal-Agenten-Verhältnis hinausreichen. Aussagen über die Genehmigungsfähigkeit korruptiv beeinflusster Hauptverträge lassen sich daher ohne Berücksichtigung der Schutzzwecke, die durch das der Unwirksamkeit zugrunde liegende Schmiergeldverbot verfolgt werden, nicht treffen.219 III. Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass sich die Unwirksamkeit von Schmiergeldabreden, Vermittlungsverträgen und – anders als es die ganz unterschiedlichen dogmatischen Ansätze zunächst vermuten lassen – auch Hauptverträgen auf einen einheitlichen Grund zurückführen lässt: eine verbotene Schmiergeldzuwendung. Dies folgt für Schmiergeldabreden und manche Vermittlungsverträge unmittelbar aus ihrem verbotswidrigen Inhalt. Im Hinblick auf Hauptverträge 217 Dieselbe Wertung findet sich in BGH (06.05.1999), BGHZ 141, 357 (363–364), hinsichtlich der Begründung des Missbrauchs der Vertretungsmacht durch einen bestochenen Vertreter: „Ein Geschäftsführer ist im Zweifel ohne vorherige Information seines Geschäftsherrn nicht befugt, für diesen einen Vertrag mit dem Verhandlungspartner abzuschließen, der den Geschäftsführer gerade bestochen hat“ [Hervorhebung hinzugefügt]. – Zur Bedeutung der Zustimmung des Prinzipals zu einer „Schmiergeldzahlung“ an den Agenten S. 94 bei Fn. 267. 218 Zu diesen siehe S. 12 ff. 219 Für den „Kernbereich“ gesetzlicher Verbote, deren zivilrechtliche Rechtsfolgen über § 134 BGB vermittelt werden, ist die entscheidende Bedeutung deren Schutzzwecke anerkannt; vgl. KÖHLER, JZ 2010, S. 767–768; KÖRNER, GRUR 1968, S. 350; für weitere Nachweise siehe auch S. 195 Fn. 184. Zu den damit verbundenen Konsequenzen für die Einflussmöglichkeiten des Prinzipals auf die Wirksamkeit des Hauptvertrags siehe S. 209 f.
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und sonstige Vermittlungsverträge sind ergänzende normative Erwägungen darüber anzustellen, ob mit gewisser Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass Vertragsabschluss oder –inhalt durch die verbotene Zuwendung beeinflusst wurden (Hauptverträge) oder die Abwicklung des Vertrags zur Vornahme einer verbotenen Schmiergeldzuwendung führen wird (Vermittlungsverträge). Die Beurteilung der Wirksamkeit entsprechender Verträge hängt somit zunächst von der Existenz und Reichweite entsprechender Verbote der deutschen Rechtsordnung ab (Kap. 2 C; D I, II). Wo solche nicht eingreifen, stellt sich die Frage, inwieweit zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Schmiergeldzuwendungen eventuell bestehende ausländische Verbote heranzuziehen sind (Kap. 2 D II, III). Insbesondere gilt es zu klären, inwieweit dem nunmehr in weiten Teilen europäisierten Kollisionsrecht diesbezüglich Aussagen zu entnehmen sind (Kap. 3 A) und ob dieses die Berücksichtigung relevanter Verbote auf rechtsgeschäftlicher Ebene einschränkt (Kap. 3 B). Die im Hinblick auf Haupt- und Vermittlungsverträge (mitunter) notwendigen ergänzenden Wertungen gilt es sach- und kollisionsrechtlich richtig zu verorten (Kap. 4 B, C).
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Korruption und gesetzliches Verbot Die zivilrechtlichen Konsequenzen der Korruption können ohne Berücksichtigung anderer Rechtsgebiete, insbesondere des Strafrechts, nicht sinnvoll erfasst werden. Welche Verhaltensweisen von der Rechtsordnung schon als korrupt, welche noch als hinnehmbar angesehen werden, ergibt sich nicht zuletzt aus den Gesetzen, die entsprechendes Verhalten unter Strafe stellen. In den vergangenen Jahren wurde die Reichweite der deutschen korruptionsbezogenen Straftatbestände durch das IntBestG1, das EUBestG2 und die Einführung des § 299 Abs. 3 StGB3 in erheblicher Weise auf Auslandstaten ausgeweitet. Strafbar ist nunmehr nicht allein die Bestechung deutscher, sondern auch ausländischer Amtsträger; Bestechung im geschäftlichen Verkehr wird auch dann bestraft, wenn sie einen ausländischen Markt betrifft. Mitunter wird angenommen, dass die Erweiterung des Anwendungsbereichs deutschen Strafrechts die hohen Anforderungen, die bisher an die zivilrechtliche Beachtung entsprechender ausländischer Antikorruptionsvorschriften geknüpft wurden,4 nunmehr als weitgehend obsolet erscheinen lasse.5 Wo das deutsche Recht sich selbst gegen korrupte Praktiken im Ausland wendet, ist der Rekurs auf dortige Verbote unnötig. Die Ausdehnung deutscher Strafsanktionen auf 1 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung – IntBestG) vom 10. September 1998, BGBl. 1998 II, S. 2327. 2 Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz – EUBestG) vom 10. September 1998, BGBl. 1998 II, S. 2340. 3 Eingefügt durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro vom 22. August 2002, BGBl. 2002 I, S. 3387. 4 Gefordert wurde insbesondere die tatsächliche Durchsetzung des Verbots in seinem Ursprungsstaat; Staudinger13/SACK, § 138 Rn. 491; PIEHL, Bestechungsgelder, S. 64–67; SETHE, WM 1998, S. 2323; siehe auch S. 240 Fn. 268. 5 SETHE, WM 1998, S. 2323 Fn. 146.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Fälle der Auslandskorruption allein lässt jedoch keine unmittelbaren Rückschlüsse für das Zivilrecht zu. Von Bedeutung ist hier nicht, ob solche Praktiken nach deutschem Recht tatsächlich bestraft werden. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit das deutsche Recht entsprechende Verhaltensweisen verbietet und ob mit der Ausweitung der Strafbarkeit eine Ausweitung entsprechender Verbote einhergegangen ist. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.
A. Verhaltens- und Sanktionsnormen Wer ein Verbrechen begeht, verstößt nicht gegen das Strafgesetz, denn durch Erfüllung dessen Tatbestands hat er vielmehr „in Einklang damit gehandelt“.6 Aus dieser Feststellung zog BINDING den Schluss, dass das Strafgesetz eine Sanktionsnorm sei, deren Aufgabe darin bestehe, an den Verstoß gegen eine ihr vorgelagerte Verhaltensnorm eine Strafdrohung zu knüpfen. 7 Die primären Verhaltensnormen verpflichten den Rechtsunterworfenen in einer durch den Tatbestand der Norm umrissenen Situation, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen.8 An diesen Imperativen hat der Einzelne sein Verhalten auszurichten. Sie dienen damit einerseits diesem als Orientierung, 9 als Handlungsanleitung, und ermöglichen andererseits aus Sicht der Rechtsordnung die Differenzierung von rechtmäßigem und rechtswidrigem Verhalten.10 Rechtswidrig handelt derjenige, der einer Verhaltens-
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BINDING, Normen I4, S. 4. BINDING, Handbuch, S. 155 („Kein Verbrechen der Welt verstösst wider das Strafgesetz, nach dem es gestraft wird: jedes verletzt einen Rechtssatz, der von dem Strafgesetze fundamental verschieden ist, und der neuerdings als die ‚Norm‘ bezeichnet wird.”); vgl. auch ZITELMANN, IPR I, S. 47 Fn. 7. Zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm unterscheidet bereits BENTHAM, Of Laws in General, S. 134 („[T]he law may plainly enough be distinguished into two parts: the one serving to make known to you what the inclination of the legislator is: the other serving to make known to you what motive the legislator has furnished you with for complying with that inclination: the one addressed more particularly to your understanding; the other, to your will. The former of these parts may be termed the directive: the other, the sanctional or incitative.” [Hervorhebungen im Original]); vgl. dazu auch RENZIKOWSKI, FS Gössel 2002, S. 7–11. 8 THON, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 1–3; SCHWABE, Drittwirkung, S. 29; HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 24–25, 41–42. 9 RENZIKOWSKI, ARSP 87 (2001), S. 121. 10 Zur Unterscheidung von normwidrigem und rechtswidrigem Verhalten einerseits und normwidrigem aber aufgrund des Eingreifens eines besonderen Rechtsfertigungsgrundes dennoch rechtmäßigem Verhalten WELZEL, Strafrecht11, S. 50; RENZIKOWSKI, ARSP 87 (2001), S. 117–119 m. w. N. Zum Ausdruck gebracht wird damit lediglich ein besonderes Verhältnis von Regel und Ausnahme, in beiden Fällen verstößt das Verhalten aber gegen 7
A. Verhaltens- und Sanktionsnormen
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norm zuwiderhandelt. Ziel der Verhaltensnormen ist die Verhaltenssteuerung, 11 indem sie vom Normadressaten die unbedingte Befolgung des ihr innewohnenden Befehls verlangt. Denn obgleich sie allein keine Handhabe gegen eine eventuelle Zuwiderhandlung bietet, ist ihre Einhaltung nicht in das Belieben des Normadressaten gestellt. Durch Verhaltensnormen formt das Recht damit eine verbindliche und grundlegende Ordnung für das menschliche Zusammenleben innerhalb einer sozialen Gemeinschaft.12 Verhaltensnormen allein jedoch sind nicht in der Lage, menschliches Verhalten verlässlich zu regulieren. Dies wird erst durch die Etablierung von Anreizen zur Normbefolgung möglich. Die Rechtsordnung knüpft daher durch Sanktionsnormen an die Verletzung von Verhaltensnormen negative Folgen für denjenigen, der den Verhaltensanforderungen nicht nachkommt. Die Sanktionsdrohung hat in erster Linie motivierende Wirkung, indem sich der Adressat der Verhaltensnorm zur Vermeidung der Sanktion normkonform zu verhalten sucht. 13 Die tatsächliche Verhängung einer Sanktion infolge eines Normverstoßes vermag allein die motivierende Wirkung der Sanktionsdrohung gegen zukünftige Normverstöße zu verstärken.14 In ihrer Wirkungsweise unterscheiden sich Strafe und Korruption daher nicht wesentlich. Beide sollen durch das Setzen eines Anreizes einen anderen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen, wobei die Art des jeweiligen Anreizes – (die Ankündigung von) Strafe bzw. Vorteilsgewährung – auf der Erfahrung seiner Geeignetheit, die gewünschte Reaktion herbeizuführen, beruht. Beiden liegt das „Prinzip der Vergeltung“15 zugrunde. Die Notwendigkeit, Verhaltenspflichten durch Sanktionen zu untermauern, um ihre Befolgung sicherzustellen, dient als Haupteinwand gegen die Differenzierung von Verhaltensund Sanktionsnorm. Wenn es der Sanktionierung bedürfe, um den Einzelnen von unerwünschtem Verhalten abzuhalten, so sei die Etablierung einer der Sanktion vorgelagerten keine konkrete Verhaltensnorm. Die Rechtsordnung richtet hier wie dort kein Verbot an den Einzelnen. 11 WEINBERGER, Sanktion, in: Lenk (Hrsg.), Normenlogik, S. 91–92. 12 COING, Grundzüge der Rechtsphilosophie5, S. 279 („[D]as positive Recht [sollte] als Versuch aufgefasst werden […], eine gerechte und zweckmäßige soziale Ordnung auszuarbeiten.“). 13 WEINBERGER, Sanktion, in: Lenk (Hrsg.), Normenlogik, S. 92; BINDING, Handbuch, S. 380 („Nun ist die einzige Aufgabe der Normen die Rechtsgüterwelt gegen verderbliche Menschentat zu schützen, und die einzige Aufgabe der Strafgesetze die Autorität der Normen aufrechtzuhalten.“); POELZIG , Normdurchsetzung, S. 17 („Durch die Androhung von Sanktionen soll auf die Normadressaten durch gezielte Anreize eingewirkt werden, so dass diese zu einem pflichtgemäßen Handeln bereit sind.“); KELSEN, Reine Rechtslehre2, S. 34 („Daß mit dem als Sanktion fungierenden Zwangsakt dem davon Betroffenen ein Übel zugefügt wird, ist dahin zu verstehen, daß dieser Akt normalerweise von dem davon Betroffenen als Übel empfunden wird.“). 14 HOYER, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 59–60. 15 KELSEN, Reine Rechtslehre2, S. 26.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Pflicht schlicht unnötig. 16 Verhaltenssteuerung allein „durch den aversiven stimulus der Strafe“17 ist denkbar, bleibt aber – ebenso wie die Annahme einer Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm – ein Postulat.18 Ohne die Vorstellung verbindlicher Imperative, welche die Rechtsordnung an den Einzelnen richtet, ist Strafbarkeit jedoch ein bloßes Tauschgeschäft, das der Einzelne frei ist einzugehen.19 Diese Freiheit ist ihm indes nicht zuzugestehen. 20 Die Effektivität der Aufstellung bloßer Verhaltensnormen zu leugnen, unterschätzt die Autorität, die Menschen solchen Regeln zubilligen. 21 Auf die parallel
16 Eingehend HOYER, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 41–79 (S. 79: „Die bislang als ‚Rechtspflicht‘ bezeichnete Denkkategorie ist daher als überflüssig aus der Strafrechtsdogmatik zu verabschieden.“). Zur Rechtsordnung als „Zwangsordnung“ KEL2 SEN, Reine Rechtslehre , S. 26 („Wenn […] die Rechtsordnung ein Verhalten dadurch gebietet, daß sie für den Fall des gegenteiligen Verhaltens eine Sanktion als gesollt statuiert, kann man diese Sachlage in einem Satze beschreiben, der aussagt, daß im Falle eines bestimmten Verhaltens eine bestimmte Sanktion eintreten soll. […] Dabei ist zu beachten, daß mit ‚Geboten-‘ oder ‚Verboten‘-sein eines bestimmten Verhaltens nicht das Gesolltsein dieses Verhaltens oder seines Gegenteils, sondern das Gesollt-sein der Folge dieses Verhaltens, das ist: der Sanktion, gemeint ist.“), 34–45; SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („[…] Verhaltens- und Sanktionsnorm lassen sich in Wahrheit nicht trennen.“). 17 HAFFKE, Coimbra-Symposium 1995, S. 91. 18 MAURACH/GÖSSEL/ZIPF, AT 27, § 42 Rn. 9 („nicht weiter begründbare normtheoretische Fundierung“); HOERSTER, JZ 1989, S. 10 („keine vernünftige Alternative“). 19 Vgl. HOYER, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 46 („Die rechtlich angedrohte Sanktion nähme auch wie das bei einer Nötigung angedrohte Übel den Charakter eines zu entrichtenden ‚Preises‘, eines bloßen Entgelts für das betroffene Verhalten an.“). 20 ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 115, S. 203 („Das Recht […] will zwingen zunächst durch die Wucht seines Gebotes, wenn nötig und möglich auch durch andere Machtmittel.“). Eingehend zur Kritik an der Leugnung verbindlicher Verhaltensnormen RENZIKOWSKI, ARSP 87 (2001), S. 119–125; ENGLÄNDER, RW 2013, S. 193 ff.; ebenso VOGEL, Norm und Pflicht, S. 30 („[L]etztlich wäre die Rechtsordnung eine pflichtenlose Gewaltordnung und damit jeden normativen Sinnes beraubt.“). Dazu schon BINDING, Normen I4, S. 38–39. 21 NOONAN, Bribes, S. 25 („It is, however, a mistake to measure law only by the sanctions it imposes. Law is not solely addressed to the bad who must be coerced, but to the good who want to do right and to the puzzled or uninstructed who seek guidance. Without the teeth of sanctions, a rule, a norm, an ideal can both channel conduct and teach what the community expects.“); WEINBERGER, Sanktion, in: Lenk (Hrsg.), Normenlogik, S. 92 („Nachahmung, Gewöhnung, die Notwendigkeit und der dem Menschen als Gesellschaftswesen immanente Wunsch ‚mitzuspielen‘, tragen vielleicht mehr zur motivierenden Einwirkung sozialer Normen bei als Vergeltung.“); DAHRENDORF, Homo Sociologicus16, S. 64 („Zumindest für einige Rollen und Rollenerwartungen dürfen wir annehmen, daß es äußerer Instanzen nicht bedarf, um uns an die Verbindlichkeit sozialer Satzungen zu gemahnen. Die Tatsache sollte nicht leichtfertig als Gemeinplatz beiseite geschoben werden, daß die Gesellschaft unser Verhalten durch unser eigenes Gewissen auch dann noch richten kann, wenn es uns gelingt, Gesetz und Gerichte zu täuschen.“).
A. Verhaltens- und Sanktionsnormen
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gelagerte Frage, inwieweit einer nicht befolgten und nicht (effektiv) sanktionierten Norm die Rechtssatzqualität abzusprechen ist, soll an anderer Stelle eingegangen werden. 22
Aus strafrechtlicher Sicht ist selbstverständlich, dass nicht jeder Verstoß gegen eine Verhaltensnorm strafwürdig ist.23 Dem Strafgesetz kommt daher insbesondere die Aufgabe zu, diejenigen Verstöße auszuwählen, die mit einer Strafdrohung sanktioniert werden sollen, und eventuell weitere Voraussetzungen aufzustellen, von denen eine strafrechtliche Sanktionierung abhängen soll.24 Zu betonen gilt es, dass mit der Anerkennung von Verhaltensnormen, die sich von konkreten Sanktionen unterscheiden lassen, mit denen auf eventuelle Zuwiderhandlungen reagiert wird, keine abschließende Beurteilung über Funktionsweise und Zusammensetzung der Gesamtrechtsordnung verbunden ist. Dass es Verhaltensnormen gibt, bedeutet nicht etwa, dass es nur Verhaltensnormen gibt, wie es die „Imperativentheorie“ annimmt, nach deren Vorstellung die Rechtsordnung allein aus in verschiedenen Abhängigkeiten zueinander stehenden Imperativen bestehen soll.25 Wer einem Rechtssatz, der eine bloße Handlungsanweisung enthält und keine Vorkehrungen für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anweisung trifft, für unvollständig hält, lehnt weit mehr als nur die Existenz von Verhaltensnormen im hier postulierten Sinne ab, denn die Rechtsfolgen einer Vielzahl von Rechtssätzen 22
Dazu unten S. 240 ff. – Das Strafrecht als Sicherung der Verbindlichkeit des Rechts sieht OTT, Kontrolle der Wirtschaft, in: Rehbinder/Schelsky (Hrsg.), Zur Effektivität des Rechts, S. 357 („[E]s setzt per definitionem erst in dem Fall ein, in dem sich eine Rechtsnorm als ineffektiv erwiesen hat, dient also der Sicherung der Geltung des Rechts gegen seine eigene Unwirksamkeit im Sinne der kontrafaktischen Stabilisierung normativer Verhaltenserwartungen.“). 23 Zum Strafrecht als ultima ratio BVERFG (28.05.1993), BVerfGE 88, 203 (257–258) („Dem Strafrecht kommt seit jeher und auch unter den heutigen Gegebenheiten die Aufgabe zu, die Grundlagen eines geordneten Gemeinschaftslebens zu schützen. […] Das Strafrecht ist zwar nicht das primäre Mittel rechtlichen Schutzes, schon wegen seines am stärksten eingreifenden Charakters; seine Verwendung unterliegt daher den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit […]. Aber es wird als „ultima ratio“ dieses Schutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist.“ [Hervorhebung hinzugefügt]); BAUMANN/WEBER/MITSCH, AT11, § 3 Rn. 19 ff.; vgl. bereits BINDING, Normen I4, S. 225–229; ENGISCH, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 342 („Das Strafgesetz normiert in größerem Umfang als es straft.“). 24 BINDING, Normen I4, S. 188–189; als Unrecht hingegen nur diejenigen Handlungen ansehend, welche den Tatbestand eines Strafgesetzes zur Gänze erfüllen, Motive II, S. 726 = Mugdan II, S. 405. – Kritisch gegenüber dem Erfolgseintritt als verbreiteter Sanktionsvoraussetzung WELZEL, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 21: „[S]tärker noch als rationale Gründe wird wohl das irrationale Gefühl den Ausschlag gegeben haben, daß ‚alles nicht so schlimm war, wenn es noch einmal gut gegangen ist‘“. 25 Vgl. nur THON, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 8 („Das gesamte Recht einer Gemeinschaft ist nichts als ein Complex von Imperativen, welche insofern mit einander verknüpft und verbunden sind, als die Nichtbefolgung der einen für andere häufig die Voraussetzung des Befohlenen bildet.“ [im Original insgesamt hervorgehoben]); ENGISCH, Einführung11, S. 54–61 m. w. N.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
erschöpft sich in der Etablierung von Verhaltenspflichten – darunter auch klassische „Sanktionsnormen“ wie das Deliktsrecht, das an Verstöße gegen Verhaltensnormen Schadensersatzpflichten knüpft, wiederum ohne sicherstellen zu können, dass nunmehr diesen Pflichten nachgekommen wird.26 Sind somit einerseits auch „reine“ Verhaltenspflichten als Bestandteile des Rechts anzuerkennen, so gilt es andererseits festzuhalten, dass dennoch keineswegs jede rechtliche Verhaltenspflicht auch eine Verhaltensnorm im hier interessierenden Sinne ist. Die Rechtsordnung erkennt vielerlei „Pflichten“ an, ohne diese als derartige Verhaltensnormen auszugestalten. Viele gerade der privatrechtlichen Rechtssätze sind keine Verhaltensnormen in diesem Sinne. 27 Dies liegt nicht etwa daran, dass beispielsweise vertragliche Pflichten der Privatautonomie als einer eigenständigen, aber hierarchisch untergeordneten Rechtsquelle entstammten. Verhaltensnormen und obligatorische (relative) Pflichten sind gleichermaßen auf das objektive Recht zurückzuführen, 28 überschneiden sich mitunter sogar.29 Letztere sind zudem keineswegs von geringerer Bedeutung oder Durchsetzungs26 Einen Unterschied mag man freilich in einer potentiellen Klagbarkeit entsprechender Ansprüche sehen. Änderungen grundsätzlicher Art sind jedoch auch mit dieser nicht verbunden, da auch ein Gerichtsverfahren die Erfüllung der Pflicht nicht abschließend sicherstellen kann, mögen doch etwaige Beweisschwierigkeiten eine Verurteilung verhindern oder die Umsetzung eines Urteils mangels pfändbaren Vermögens scheitern. Die Existenz einer Rechtspflicht dürfte jedoch auch in solchen Fällen nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden (vgl. LARENZ, Methodenlehre6, S. 250–253). 27 So bereits BINDING, Handbuch, S. 157 Fn. 8 (S. 158: „[E]s [dürfte] doch nicht richtig sein, die obligatorische Gebundenheit des Schuldners […] als Gebundenheit durch Normen aufzufassen. Als Schuldner ist er privat-, nicht öffentlich-rechtlich gebunden.“); ZITELMANN, IPR II, S. 465–466 („Delikt im Sinne des internationalen Privatrechts ist demnach die gegen eine allgemeine Norm des Verhaltens vertoßende schuldhafte Schädigung eines Andern. Hieraus ergiebt sich die Abtrennung der Delikte von den Obligations- oder weiter Anspruchsverletzungen einerseits und andererseits von den mancherlei sonstigen Thatbeständen, die eine Schadensersatzpflicht ‚ex lege’ erzeugen.“); anderer Ansicht wohl WENGLER, IntRDipl 1956, S. 196 („[E]in […] allgemeiner Satz des privaten Vertragsrechts [läßt] beim Vorliegen des Tatbestandes der Willenseinigung über den obligatorischen Vertrag jedes im Vertrag als gesollt bezeichnete Verhalten der Parteien zu einem rechtlich gebotenen Verhalten werden […], bei dessen Nichtverwirklichung dem Verpflichteten Unrechtsfolgen drohen […].“); HOERSTER, JZ 1989, S. 11. 28 SCHWABE, Drittwirkung, S. 20 („[Es] sollte nicht zweifelhaft sein, daß auch der auf Vertrag beruhende Leistungsbefehl an den Schuldner nicht auf irgendeine Weise von der Privatautonomie herrührt, sondern nur ein Rechtsbefehl sein kann.“); NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 177 („Da das Recht seinem Wesen nach staatliche Zwangsordnung ist, muß es stets Staatswille sein […]. Privatwille kann nur soweit in Betracht kommen, als die staatliche Norm ihn berücksichtigt.“); V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 2 Rn. 76 („Privatpersonen überschätzen sich, wenn sie meinen, über originäre Rechtssetzungsgewalt zu verfügen.“); eingehend zu der Frage, ob Verträge jenseits staatlicher Rechtsordnungen existieren können, und dies verneinend REIMANN, Rechtsordnungsloser Vertrag, 1970 (S. 107: „Es gibt keine privatrechtlichen internationalen Handelsverträge außerhalb nationalen Rechts.“). 29 So können grundsätzlich relative Pflichten ohne weiteres zu Verhaltensnormen erhoben werden. Ein Anzeichen dafür ist insbesondere die strafrechtliche Sanktionierung entsprechender Pflichtverletzungen, wie sie etwa durch § 266 StGB erfolgt (zu diesem und
B. Einheit der Rechtsordnung
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kraft als Verhaltensnormen. 30 Gleichwohl sind relative Pflichten den Verhaltensnormen normenhierarchisch untergeordnet,31 was eine Bestätigung etwa in der Beobachtung findet, dass als Schutzgesetze32 im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB „Rechtspflichten aus Sonderverbindungen“ grundsätzlich nicht in Betracht kommen. 33 An relative Pflichten werden zudem nur geringe Anforderungen hinsichtlich ihrer Konsistenz gestellt. Wäre dies anders, so könnte man etwa kaum von der Wirksamkeit sich inhaltlich widersprechender Verträge (z. B. Doppelverkauf) ausgehen, entweder müsste der jüngere dem älteren weichen oder die widerstreitenden Pflichten müssten sich gegenseitig ihrer Wirksamkeit berauben.34 Mag somit der Einzelne durch privatautonome Gestaltung auch sich inhaltlich widersprechende Sonderverbindungen eingehen können, so muss hinsichtlich von Verhaltensanforderungen, welche die Rechtsordnung dem Einzelnen unabhängig von privatautonomen Entscheidungen auferlegt, sichergestellt werden, dass keine unauflösbaren Pflichtenkollisionen für den Normadressaten entstehen. Anders als relative Pflichten unterliegen Verhaltensnormen daher einem besonderen Konsistenzgebot.
B. Einheit der Rechtsordnung Obwohl zunächst in erster Linie durch die strafrechtliche Dogmatik rezipiert, ist die Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnorm keine genuin
weiteren Beispielen SCHMIEDEL, Deliktsobligationen I, S. 62–63). Zu untersuchen ist im Einzelfall freilich, ob tatsächlich eine ursprünglich relative Pflicht mit Strafe bewehrt wurde oder vielmehr eine eigenständige (ähnliche) Verhaltensnorm die Grundlage für eine strafrechtliche Sanktion bildet (vgl. dazu S. 85 bei Fn. 211). 30 NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 175 („Wenn die Rechtsordnung private Rechtsgeschäfte zuläßt, dann ermöglicht sie Einzelpersonen, durch ihren Willen Rechtspflichten und Berechtigungen zu schaffen, aufzuheben oder zu ändern […]. Die praktische Wirkung der privaten Rechtsgeschäfte ist daher ähnlich der Wirkung der staatlichen Rechtsnormen.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 31 RAISER, Recht der AGB, S. 68–70 (S. 69: „Auch der Vertrag […] ist eine […] partikuläre Ordnung [Hervorhebungen im Original]. […] Im Rang stehen sie als Ordnungen vergleichsweise beliebiger Gruppen von bloß partikulärer Zweckbestimmung unter der Rechtsordnung des Volkes.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 32 Bei diesen handelt es sich stets um Verhaltensnormen; vgl. nur DÖRNER, JuS 1987, S. 524–525; SCHMIEDEL, Deliktsobligationen I, S. 33–34; MAIER-REIMER, NJW 2007, S. 3158; Soergel13/SPICKHOFF, § 823 Rn. 194. 33 Ausführlich SCHMIEDEL, Deliktsobligationen I, S. 55–66 m. w. N., der zwischen Verhaltensnormen und relativen Plichten, zwischen „allgemeine[n] Verhaltenspflichten“ und „Pflichten in einer Sonderverbindung“ (ebd., S. 66) unterscheidet; vgl. auch MAIER-REIMER, NJW 2007, S. 3158; KREJCI, Privatrechtliche Aspekte, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 553–555. Anderer Ansicht DÖRNER, JR 1994, S. 11 („Die Nichteinhaltung dieser sonderverbindungsspezifischen Verhaltensanforderungen macht ein Verhalten aus der Sicht des deutschen Rechts rechtswidrig.“). 34 Zu sich widersprechenden Verhaltensbefehlen ENGISCH, Einführung11, S. 274–275 m. w. N.; vgl. auch CANARIS, Systemdenken2, S. 121–125.
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strafrechtliche Erscheinung.35 Darauf etwa, dass die Rechtsordnung Handlungen missbilligt, die zur Verletzung von Körper oder Gesundheit eines anderen führen, lässt sich nicht weniger aufgrund von § 823 Abs. 1 BGB als aufgrund von § 223 StGB schließen. Auch die Schadensersatzpflicht ist eine – diesmal zivilrechtliche – Sanktion für die Übertretung einer Verhaltensnorm, die den Normadressaten oftmals nicht weniger zu deren Einhaltung disziplinieren dürfte, als es die Strafandrohung vermag. Würde eine der beiden Sanktionsnormen aufgehoben, so bestünde dennoch kein Zweifel daran, dass die Rechtsordnung nach wie vor die Gesundheitsschädigung eines anderen untersagte.36 Denn wie ein Normverstoß sanktioniert wird, ob mit zivilrechtlichen, verwaltungsrechtlichen oder strafrechtlichen Mitteln, ist eine Frage, die sich unabhängig von der durch die Verhaltensnorm statuierten Pflicht stellt, und wird von der Bedeutung der Verhaltensnorm, den mit ihr verfolgten Interessen und Zweckmäßigkeitserwägungen abhängen. 37 Dass insbesondere zivilrechtliche Sanktionen wie die deliktische Schadensersatzpflicht in erster Linie einem gerechten Schadensausgleich und erst nachrangig der Motivation zur Normbefolgung dienen, 38 tut dem keinen Abbruch, da die Verfolgung
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Eine nur zögerliche Rezeption im Zivilrecht beklagt DÖRNER, JR 1994, S. 10 Fn. 32. Anderer Ansicht hingegen SCHUBERT, RIW 1987, S. 738, der davon ausgeht, erst derjenige, der einem Verbot zuwiderhandelt, das strafrechtlich oder durch das Recht der Ordnungswidrigkeiten bewehrt sei, handele rechtswidrig. 37 Vgl. SCHWABE, Drittwirkung, S. 37 („Bei geringem Eigeninteresse wird der Staat in den Sekundärnormen privatrechtliche Ansprüche verleihen, damit ein Privater die ihm günstige Primärnorm durchsetze. Bei starkem Eigeninteresse wird der Staat die Verwirklichung völlig seinen Behörden übertragen.“); MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 71 („rechtspolitische Entscheidungen über das Ob und Wie der Haftung“). 38 DEUTSCH, Fahrlässigkeit2, S. 83–84 („Diese privatrechtliche Folge [Schadensersatz] dient nicht so sehr der Sanktionierung der Norm, sondern zieht mehr die Folgerung aus dem durch die Normverletzung möglicherweise gestörten ‚Gleichgewicht der Güter‘.“); DERS., FS Wahl 1973, S. 341 („[D]ie Unrechtshaftung [ist] in erster Linie auf Schadensabnahme und erst in zweiter auf Prävention gerichtet.“); vgl. auch MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 74 Fn. 149; LARENZ, LB SchR I14, S. 422–425. – Mitunter mag es sich freilich auch genau umgekehrt verhalten und die Normbefolgung Hauptzweck einer zivilrechtlichen Sanktion sein; dazu POELZIG, ZVglRWiss 110 (2011), S. 400 („In diesem Sinne werden Privaten vor allem im europäischen Wettbewerbsrecht subjektive Rechte verliehen, nicht in erster Linie, um ihre individuellen Interessen zu schützen, sondern vor allem, um das objektive Unionsrecht effektiv durchzusetzen und so die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zu stärken.“), 401 („[…] deliktsrechtliche Ansprüche [dienen] im Wettbewerbsrecht in erster Linie der Normdurchsetzung […]“); siehe auch PETERS, JZ 1983, S. 919. Darauf, dass Schadensersatzpflichten die ihnen zugemessene verhaltenssteuernde Funktion allerdings nur bedingt ausfüllen können, wenn das Haftungsrisiko versicherbar ist, weist STEINDORFF, Einführung in das Wirtschaftsrecht2, S. 46, hin; zustimmend SIEHR, RabelsZ 52 (1988), S. 48–49. 36
B. Einheit der Rechtsordnung
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ergänzender Zwecke auch anderen Sanktionsnormen innewohnt.39 Bereits BINDING sah in den Verhaltensnormen keinen Bestandteil der Strafgesetze, die deren Verletzung sanktionieren.40 Obgleich es oftmals notwendig ist, die Verhaltensnormen durch Auslegung der Strafgesetze 41 zu ermitteln,42 da der Gesetzgeber (zumindest im Kernstrafrecht)43 auf eine ausdrückliche Normierung der diesen zugrunde liegenden Verhaltensnormen verzichtet hat, sind Verhaltens- und Sanktionsnorm dennoch nicht identisch. Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass oftmals auch aus einer zivilrechtlichen Haftungsanordnung auf die Existenz einer Verhaltensnorm geschlossen werden kann, ergibt sich lediglich die Frage, ob zwischen einer zivil- und einer strafrechtlichen Verhaltensnorm und damit zwischen zivilund strafrechtlichem Unrecht zu differenzieren ist, oder ob die Rechtsordnung nur einheitliche Verhaltensnormen kennt, auf die sich unterschiedliche Sanktionsnormen beziehen (können). Aufgeworfen ist damit die Frage nach der Einheit der Rechtsordnung. Eine in sich schlüssige Rechtsordnung kann ein Verhalten nicht gleichzeitig missbilligen und gutheißen. Ist der Grund für ein Rechtswidrigkeitsurteil über ein Verhalten der Verstoß gegen eine bestimmte Verhaltensnorm, mithin eines bestimmten Befehls durch die Rechtsordnung, so können nicht mehrere sich widersprechende Verhaltensnormen nebeneinander bestehen.44 Andernfalls wäre eine Verhaltenssteuerung durch die Rechtsordnung nicht möglich, das Recht böte dem Einzelnen keinen Ori39 Auch der Zweck einer strafrechtlichen Sanktion erschöpft sich nicht in ihrer abschreckenden Wirkung, sondern bezweckt außerdem etwa die Resozialisierung des Täters und den Schutz der Gesellschaft vor dem Täter. Vgl. im Einzelnen zu den Straftheorien JESCHECK/WEIGEND, AT5, S. 66–82; ROXIN, AT I4, § 3 Rn. 1–62. 40 BINDING, Handbuch, S. 162–164. 41 Die Besonderheit der Strafgesetze ist, dass ihnen grundsätzlich der Verstoß gegen eine Verhaltensnorm zugrunde liegen muss; vgl. ENGISCH, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 335 („[D]ie Strafandrohung ist […] die denkbar deutlichste Äußerung, daß ein Verhalten nicht sein soll[.]“); MAURACH/ZIPF, AT 18, § 19 Rn. 27 („Bestraft werden kann nur eine verbotene Handlung […].“); SATZGER, Europäisierung, S. 224–225. Ausnahmen sind allenfalls hinsichtlich des untauglichen Versuchs und der ähnlich gelagerten Fälle des mangelnden subjektiven Rechtfertigungselements denkbar; vgl. KITZINGER, Aphorismen, S. 34 m. w. N. („[S]o wäre es vielleicht möglich, den absolut untauglichen Versuch […] als unverbotenes, weder präventivem Einschreiten noch der Notwehr ausgesetztes und gleichwohl strafbares Verhalten anzusehen […].“); siehe auch HIRSCH, FS Roxin 2001, Rn. 716–726; WESSELS/BEULKE/SATZGER, AT43, Rn. 275–279; auch hier von verbotenem Verhalten ausgehend ROXIN, FS Jung 2007, S. 831–832 m. w. N. Zivilrechtliche Haftung – etwa in Form der Gefährdungshaftung – vermag hingegen auch an ein rechtmäßiges Verhalten anzuknüpfen; dazu MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 72–75. 42 VOGEL, Norm und Pflicht, S. 31. 43 Etwas anderes gilt für weite Teile des Nebenstrafrechts und etwa im Hinblick auf die Verkehrsregeln der StVO. Zu deren Orientierungsfunktion RENZIKOWSKI, ARSP 87 (2001), S. 121. 44 ENGISCH, Einführung11, S. 274–275; CANARIS, Systemdenken2, S. 121–125.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
entierungspunkt für sein Verhalten an.45 Die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens bedeutet daher stets dessen Missbilligung durch die gesamte Rechtsordnung.46 Dagegen wird teilweise eingewandt, in bestimmten Situationen könne ein Verhalten grundsätzlich rechtswidrig, aus strafrechtlicher Sicht aber dennoch gerechtfertigt sein.47 Die Annahme einer speziellen „Strafrechtswidrigkeit“ bedeutet jedoch nicht die Leugnung einer einheitlichen Verhaltensbewertung durch die Gesamtrechtsordnung. 48 Vielmehr soll die spezielle Strafrechtswidrigkeit der Grenzziehung „zwischen strafwürdigem Unrecht einerseits und rechtmäßigen oder zwar rechtswidrigen, aber nicht strafwürdigen Handlungen andererseits“ dienen,49 und wäre insofern nicht der hier interessierenden Norm-, sondern der strafrechtlichen Sanktionsebene zuzuordnen.50 Die Einheit der Rechtsordnung verlangt keineswegs auch eine Einheit der in verschiedenen Rechtsgebieten verwendeten Terminologie, so dass mit „Rechtmäßigkeit“ unter Umständen auch eine bloße „Sanktionslosigkeit“ gemeint sein kann.51
Eine solche „Einheit der Verhaltensnormen“ 52 ergibt sich zwanglos dann, wenn man diese nicht nur als von den ihnen beigeordneten Sanktionsnormen unabhängig, sondern vielmehr auch als keinem bestimmten Rechtsgebiet zugehörig betrachtet.53 Erst die Annahme, es gäbe strafrechtliche, zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Verhaltensnormen, ermöglicht die Vorstellung von rechtsgebietsspezifischen Verhaltensanforderungen. B INDING sah in
45
GÜNTHER, Strafrechtswidrigkeit, S. 99–100. LK11/HIRSCH, Vor § 32 Rn. 10 („Widerspruch zur Rechtsordnung im ganzen“); MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 67–71; SCHMIEDEL, Deliktsobligationen I, S. 69–70; WELZEL, Strafrecht11, S. 52 [zur Differenzierung von Rechtswidrigkeit und Unrecht]; anderer Ansicht hingegen DEUTSCH, FS Wahl 1973, S. 347. 47 GÜNTHER, Strafrechtswidrigkeit, S. 365 („Strafunrechtsausschluß ohne Auswirkungen auf die übrigen Rechtsgebiete“); ROXIN, AT I4, § 14 Rn. 31–37; JAKOBS, AT2, 11. Abschn. Rn. 6. 48 Einen solchen einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff erkennt vielmehr auch GÜNTHER, Strafrechtswidrigkeit, S. 99–100, an. Auch die Zweifel von KIRCHHOF, Rechtswidrigkeiten, 1978, wenden sich nicht gegen die Einheitlichkeit der Verhaltensbefehle (S. 9: „Das Bedürfnis nach Freiheit von der Staatsgewalt setzt eindeutige Verhaltensregeln voraus, deren Beachtung verläßlich vor staatlichen Einwirkungen schützt.“), sondern betonen vielmehr die Schwierigkeiten bei der Ermittlung dieser Befehle (S. 8: „Dieses Postulat darf nur nicht so mißverstanden werden, als könne die Wertung regelmäßig in einem einzigen Rechtssatz […] abgelesen werden.“). 49 GÜNTHER, Strafrechtswidrigkeit, S. 394. 50 Vgl. zu den Thesen GÜNTHERS und dem strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff LK12/RÖNNAU, Vor § 32 Rn. 20–26. 51 HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 91–92. 52 SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 48. 53 Vgl. RENZIKOWSKI, ARSP 87 (2001), S. 123 („für alle Rechtsgebiete einheitliche Verhaltensbewertung“). 46
B. Einheit der Rechtsordnung
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den Verhaltensnormen ausnahmslos Sätze des öffentlichen Rechts.54 Freilich wird mit einer solchen Feststellung allein unterstrichen, dass die Existenz eines Rechtssatzes letztendlich auf staatliche und damit öffentliche Autorität oder Anerkennung zurückzuführen ist, und mit einer Charakterisierung der Verhaltensnormen als öffentlich-rechtliche ist damit für ihre weitere Einordnung nichts gewonnen. Ein bloßes Ge- oder Verbot, ein den Einzelnen treffender Verhaltensbefehl, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, vermag für sich keine Auskunft darüber zu geben, welchem Rechtsgebiet es zuzuordnen ist.55 Die eingangs erwähnte Möglichkeit, sowohl aus § 823 Abs. 1 BGB wie auch aus § 223 StGB auf eine Verhaltensnorm zu schließen, die grundsätzlich die Vornahme solcher Handlungen verbietet, welche den Eintritt einer Gesundheitsverletzung bei einem anderen befürchten lassen,56 belegt, dass dieses Verbot weder als strafrechtlich noch als zivilrechtlich eingeordnet werden kann. 57 Eine entsprechende Differenzierung vermag erst im Hinblick auf die jeweiligen Sanktionsnormen getroffen werden.58 54 BINDING, Normen I4, S. 255; DERS., Handbuch, S. 164 („[Die Normen] sind, weil sich in ihnen stets die obrigkeitliche Gewalt als solche im Befehle an ihre Untergebenen als solche betätigt, allesamt selbständige Sätze des öffentlichen, aber nie des Straf-Rechts. Es gibt ebensowenig private als kriminelle Normen.“ [Hervorhebungen im Original]). 55 Ausführlich dazu SCHWABE, Drittwirkung, S. 31–38; DERS., NJW 1971, S. 915; SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 46–48; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 55 („[D]as Kartellverbot eines Staates, dessen Ein- und Ausfuhrverbote […] lassen sich pauschal, d. h. in toto, weder als solche des öffentlichen Rechts noch als solche des Privatrechts begreifen. Sie sind dieser Qualifikation vorgeordnet, weil sie in den Schoß der Einheit der Rechtsordnung gehören. […] Dasselbe gilt für die anderen sogenannten Verbots- und Eingriffsnormen.“). 56 Dazu, dass die Verhaltensnorm, um als Handlungsmaßstab dienen zu können, ein Verhalten unabhängig vom zukünftigen tatsächlichen Eintritt eines missbilligten Erfolgs ge- oder verbieten muss und sich daher auf Verhalten bezieht, das ein bestimmtes Risiko des Erfolgseintritts in sich birgt, WELZEL, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 20 („Der Handlungsunwert als solcher kann weder durch das Hinzutreten des Erfolgsunwertes gesteigert, noch durch dessen Ausbleiben gemindert werden.“); ENGISCH, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 339–343 m. w. N.; AST, Normentheorie, S. 25–31; SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 41–42; KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 575–576; MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 67–71; MÜLLER, Kausalzusammenhang, S. 22–24. 57 Dies gilt natürlich auch in den Fällen, in denen nur ein Rechtsgebiet entsprechende Sanktionsnormen bereithält. – HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 85, hingegen geht von rechtsgebietsspezifischen Verhaltensnormen mit Geltung für die gesamte Rechtsordnung aus; ebenso NOWAKOWSKI, JZ 1971, S. 637 („Die Verhaltensnorm ist eingebettet in die Gesamtheit der Rechtsordnung und gehört ihrem Inhalt nach einem ihrer Sachbereiche an.“). 58 LK11/HIRSCH, Vor § 32 Rn. 10 („Unterschiedlich nach Rechtsgebieten sind nur die Rechtsfolgen (Schadensersatz, Strafe usw.) und die Auswahl der Normverstöße, an welche die jeweilige Rechtsfolge anknüpfen soll.“); SCHWABE, NJW 1971, S. 915; V. BAR/MAN-
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Dem widerspricht nicht, dass die Entstehung bestimmter Verhaltensnormen mitunter auf rechtsgebietsspezifischem Instrumentarium, etwa einem Verwaltungsakt,59 beruht. Gleichwohl vermögen sie daraufhin im Falle des Zuwiderhandelns durch den Verpflichteten wiederum Ansatzpunkt für Sanktionen aus anderen Rechtsgebieten zu sein,60 was voraussetzt, dass auch derartige Verhaltensnormen rechtsgebietsunabhängig sind.
Dienen damit die Sanktionsnormen unterschiedlicher Rechtsgebiete in unterschiedlicher Weise der Durchsetzung der ihnen zugrunde liegenden Verhaltensnormen, so wird deutlich, dass die Strafgesetze nur scheinbar durch zivilrechtliche Vorschriften in Bezug genommen werden.61 Relevant ist in erster Linie die hinter dem Strafgesetz stehende Verhaltensnorm, deren zivilrechtliche Auswirkungen stehen in Frage. 62 Die Bedeutung der Strafgesetze liegt somit darin, dass sie verlässliche Hinweise auf die Existenz als solcher ungeschriebener Verhaltensnormen zu liefern vermögen. 63 Dies gilt selbstverständlich auch für Verhaltensnormen, welche der Entstehung gewisser reziproker – korrupter – Verbindungen vorbeugen sollen. Welche derartigen Verbote das deutsche Recht vorsieht, soll im Folgenden dargestellt werden.
IPR I2, Rn. 55. Zu einer einheitlichen Verhaltensnorm hinter § 123 BGB und § 263 StGB HAFFKE, Coimbra-Symposium 1995, S. 95; BORK, AT3, Rn. 1103; besonders deutlich noch § 103 Abs. 1 des ersten Entwurfs zum BGB: „Ist jemand zur Abgabe einer Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung oder durch Betrug bestimmt worden, so kann er die Willenserklärung anfechten.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Dass „der strafrechtliche Begriff (St. G. B. § 263) […] nicht ohne weiteres maßgebend [ist]“ (Motive I, S. 208 = Mugdan I, S. 467), stellt sicher, dass die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung nicht von speziell strafrechtlichen Sanktionsvoraussetzungen, insbesondere nicht dem Schadenseintritt, abhängt. 59 SCHMIEDEL, Deliktsobligationen I, S. 48–54 m. w. N. (S. 53: „Eigenart von Normen […], daß sie erst durch das Vorliegen eines entsprechenden Verwaltungsaktes in concreto etwas verbieten und daß nur der Inhalt der Auflage ergibt, was sie verbieten“ [Hervorhebung im Original]). 60 SCHMIEDEL, Deliktsobligationen I, S. 48–54 [zu § 823 Abs. 2 BGB]. 61 V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, Rn. 55 („regelmäßig verkürzende Ausdrucksweise“); vgl. S. 18 bei Fn. 69. 62 Eine Ausnahme stellt insofern § 823 Abs. 2 BGB dar, der sich auch – nämlich hinsichtlich des notwendigen Verschuldensmaßstabs – auf rechtsgebietsfremde Sanktionsnormen bezieht; dazu eingehend DÖRNER, JuS 1987, S. 524–525. 63 V. TUHR, AT II 2, S. 3 Fn. 14 („Eine strafbare Handlung ist stets unerlaubt, und zwar auch vom Standpunkt des Zivilrechts aus.“); oben S. 57 Fn. 41. KOWSKI,
C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung
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C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung Das deutsche Strafgesetzbuch enthält mehrere Tatbestände, die sich speziell gegen korruptives Gebaren wenden (§§ 331–337 und § 299 StGB)64. Umfang und Reichweite dieses differenzierten „Korruptionsstrafrechts“ 65 sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. I.
Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, §§ 331, 332 StGB
Die Vorschriften der §§ 331 Abs. 1 und 332 Abs. 1 StGB stellen das Fordern, Sichversprechenlassen und Annehmen eines Vorteils durch einen Amtsträger oder einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten für sich oder einen Dritten unter Strafe. 66 Im Rahmen der Vorteilsannahme genügt dabei das Streben nach einem Vorteil „für die Dienstausübung“ schlechthin, für die Bestechung muss der Vorteil als Gegenleistung für eine die Dienstpflicht verletzende Diensthandlung fungieren. Der Eintritt eines bestimmten Erfolgs ist hingegen keine Strafbarkeitsvoraussetzung. Der Verzicht auf einen tatbestandlichen Erfolg ist aus normtheoretischer Perspektive ohnehin einerlei, denn der Erfolgseintritt bestimmt nie über die Rechtswidrigkeit des tatbestandlichen Verhaltens.67 Andererseits ergeht die für das Rechtswidrigkeitsurteil entscheidende Verhaltensnorm stets – unabhängig davon, ob das sanktionierende Strafgesetz den Erfolgseintritt voraussetzt oder nicht – im Hinblick auf einen bestimmten Erfolg, dessen Eintritt das regulierte Verhalten herbeizuführen oder zu unterbinden geeignet erscheint. 68 Keine Verhaltensnorm existiert um ihrer selbst willen, stets geht es um die Unterbindung oder Beförderung eines
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Auch wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Sinne des § 298 StGB lassen sich als Machtmissbrauch zum eigenen Vorteil und damit als Korruption im weiteren Sinne begreifen. Es fehlt hier jedoch am Missbrauch der durch einen Prinzipal verschafften Macht, weshalb die Norm nicht im Spannungsfeld einer Prinzipal-Agenten-Verbindung steht und hier außer Betracht bleiben soll. Im Folgenden ebenfalls nicht erörtert werden Wähler- und Abgeordnetenbestechung nach § 108b und § 108e StGB. 65 Zum Begriff des Korruptionsstrafrechts WALTHER, Jura 2010, S. 511–512; AHLF, Kriminalistik 1996, S. 154–156. 66 Erfasst sind gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur deutsche Amtsträger („nach deutschem Recht“). Dasselbe gilt hinsichtlich der für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, eine entsprechende Klarstellung im Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB wurde jedoch für entbehrlich erachtet (siehe BT-Drs. 7/550, S. 211). – Da die vorliegende Arbeit insbesondere die Auswirkungen der Korruption auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften zum Gegenstand hat, sollen die Vorteilsnahme und Bestechlichkeit von Richtern und Schiedsrichtern (§§ 331 Abs. 2, 332 Abs. 2 StGB), die regelmäßig nicht mit Auftragsvergaben befasst sind, im Folgenden außer Betracht bleiben. 67 Vgl. S. 59 Fn. 56. 68 AST, Normentheorie, S. 27 („[I]n einem konsequent teleologischen Normensystem [muss] jedes verbotene oder gebotene Handeln verursachungsgeeignet sein […].“).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
bestimmten äußeren Zustands. 69 Alle Verbote sind daher ihrem Grunde nach „Gefährdungsverbote“70.
Die Straftatbestände der Vorteilsnahme und der Bestechlichkeit beugen der Entstehung korrupter Beziehungen, mithin einer besonderen Form der Reziprozität,71 vor. Um in den Entstehungsprozess solcher Beziehungen einzugreifen, erscheinen verschiedene Ansatzpunkte denkbar. Dem Agenten könnte etwa lediglich untersagt werden, auf die Zuwendung eines persönlichen Vorteils mit einer Bevorzugung des Zuwendenden zu reagieren. Die Gefahr der Nichtbeachtung durch den Agenten wäre freilich erheblich, denn nur schwer ist es möglich, einen einmal erlangten Vorteil bei einer Entscheidung unberücksichtigt zu lassen.72 Durch die §§ 331 Abs. 1 und 332 Abs. 1 StGB wird daher die Strafbarkeitsschwelle erheblich vorverlagert, dem Risiko frühzeitig entgegengetreten, indem bereits das Streben nach einem Vorteil, der zu reziprokem Verhalten Anlass geben könnte, unter Strafe gestellt wird. 1.
Handlungsalternativen
Die Annahme eines Vorteils birgt unmittelbar die Gefahr einer reziproken Erwiderung durch den Amtsträger. Einen entsprechenden Zusammenhang gibt es jedoch auch zu den übrigen Handlungsalternativen. Im Fordern eines Vorteils durch den Amtsträger muss objektiv zum Ausdruck kommen, dass er an einem Tausch – Vorteil gegen Dienstausübung bzw. pflichtwidrige Diensthandlung – interessiert ist,73 wodurch es bereits zur Anbahnung einer entsprechenden Beziehung kommt. Dem anderen Teil wird die Möglichkeit aufge69 Jeder Verhaltensnorm geht daher die Bewertung eines bestimmten Zustands als rechtlich erwünscht oder unerwünscht voraus; dazu HORN, Untersuchungen, S. 56–57; ROXIN, AT I4, § 10 Rn. 93; ENGISCH, Einführung11, S. 62–64 m. w. N.; MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 61 („Rechtsnormen ergehen jedenfalls nur deshalb, weil bestimmte Erfolge vom Gesetzgeber bzw. von der Rechtsordnung als erwünscht oder unerwünscht angesehen werden. Diese Erfolge sollen durch die Wirkung der Normen herbeigeführt oder vermieden werden.“), 87 Fn. 174 („Es gibt keinen rechtlichen ‚Selbstwert‘ des Verhaltens ohne Rücksicht auf den möglichen Erfolg.“). Verhaltensnorm und zugrunde liegende Bewertung verbindet KIRCHHOF, Rechtswidrigkeiten, S. 18–20, zu einem einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff. 70 Kann ein Verbot nicht von einem späteren Erfolg abhängen und ist der Grund für jedes Verbot die mögliche schädliche Folge der verbotenen Handlung, so soll hier nur letzteres betont werden. Die herkömmliche Unterscheidung von Verletzungsverboten, Gefährdungsverboten und Verboten schlechthin durch BINDING, Handbuch, S. 166–172 (ähnlich DEUTSCH, Haftungsrecht, S. 41–53, der zwischen Tatbestands-, Verhaltens- und Gefährdungsnormen differenziert), ist letztlich dem Umstand geschuldet, dass die durchgehende Formulierung aller Verhaltensnormen in Form bloßer Handlungsbeschreibungen undurchführbar wäre; dazu MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 86–89. 71 Vgl. oben S. 5 ff. 72 Siehe oben S. 5 ff. 73 LK12/SOWADA, § 331 Rn. 22 m. w. N.
C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung
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zeigt, sich durch Vorteilsgewährung eine bestimmte Form der Dienstausübung sichern zu können. Ähnliches gilt für das Sichversprechenlassen. Hier ergreift nicht der Amtsträger die Initiative, sondern er geht lediglich auf die des anderen Teils ein, indem er sich bereit erklärt, einen Vorteil für die Dienstausübung bzw. eine bestimmte pflichtwidrige Diensthandlung entgegenzunehmen. Es entsteht eine Situation, in der für beide Seiten aufgrund der Zusage der jeweils anderen Anreize bestehen, mit der Abwicklung des missbilligten Austauschs zu beginnen. Welcher der Beteiligten dabei in der Hoffnung auf eine reziproke Erwiderung in „Vorleistung“ tritt, ist für die Gefährlichkeit des Vorgangs einerlei. Obwohl BINDING noch davon ausging, Bestechung zu einer bereits vorgenommenen Amtshandlung sei „auch logisch“ undenkbar,74 beziehen sich die §§ 331, 332 StGB heute sowohl auf zukünftige wie auch auf vergangene Amtshandlungen.75 So unerwünscht die Zuwendung eines Vorteils an den Amtsträger wegen dessen damit einhergehenden Verpflichtetseins ist, so unerwünscht ist ebenfalls, dass der Amtsträger in Hoffnung auf eben eine solche Verpflichtung des anderen Teils eine diesem günstige Amtshandlung vornimmt. 76 BINDINGS Charakterisierung der Bestechungsdelikte als „Bestimmungsverbrechen“ 77 ist insofern nach wie vor zutreffend, wenn man den Reziprozitätsgedanken im Hinblick auf alle Beteiligten ernst nimmt.78
Die Handlungsalternativen der §§ 331, 332 StGB lassen sich dementsprechend als unterschiedliche Stufen einer „Vertragsabwicklung“ charakterisieren.79 Das Fordern stellt den Antrag auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung 80 , das Sichversprechenlassen die Annahme eines entsprechenden Antrags des anderen Teils dar. Bei der Entgegennahme eines Vorteils schließlich handelt es sich um die Annahme der (vereinbarten) Leistung, die letztendlich das als gefährlich erkannte Gefühl, die Erkenntlichkeit erwidern zu müssen, beim Amtsträger herbeizuführen vermag oder – im Falle einer vorangegangenen Amtshandlung – deren Handelbarkeit bestätigt.
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BINDING, BT II 2, S. 727; zur damaligen Fassung der §§ 331, 332 StGB S. 68 Fn. 107. NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 80; ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 27; RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 20. 76 Entsprechende Bedenken aufwerfend RG (29.10.1931), RGZ 134, 43 (51–52) [Provisionszahlung an Privatsekretär]. 77 BINDING, BT II 2, S. 727; ablehnend LK12/SOWADA, § 331 Rn. 67. 78 HEIMANN/MOHN, Die Rolle der Privatwirtschaft bei der Bekämpfung der internationalen Korruption, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 533 („Korruption bedarf immer zweier Parteien“). – Zu nachträglichen Vorteilszuwendungen S. 69 bei Fn. 115. 79 LK12/SOWADA, § 331 Rn. 21–30. 80 Dazu sogleich. 75
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
2.
Vorteil und Unrechtsvereinbarung
Der Vorteil muss demnach so beschaffen sein, dass er geeignet ist, ein Gefühl des Verpflichtetseins beim Amtsträger zu begründen. 81 Neben eine daraus resultierende allgemeine Geringfügigkeitsgrenze 82 tritt jedoch noch eine zweite, welche Vorteile, die nur zu Erwiderungen mit privaten Mitteln verpflichten, von solchen trennt, die zu dienstlichen Erwiderungen Anlass geben.83 Allein letzteres erregt Missfallen, denn weder soll reziprokes Verhalten von Amtsträgern umfänglich unterbunden werden, noch sollen diese völlig auf den Erhalt privater Vorteile verzichten müssen. Es sollen lediglich keine reziproken Beziehungen mithilfe von aus einer Dienststellung erwachsenden Einflussmöglichkeiten unterhalten werden. Diesen Zusammenhang zwischen Vorteil und dienstlicher Tätigkeit bezeichnet herkömmlicherweise das Erfordernis der sogenannten Unrechtsvereinbarung, wobei eine trennscharfe Grenzziehung zwischen den Merkmalen „Vorteil“ und „Unrechtsvereinbarung“ kaum möglich ist. Zum einen setzen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit das tatsächliche Zustandekommen einer Vereinbarung nicht voraus, die Strafbarkeit setzt bereits viel früher an.84 Zum anderen wird eine Unrechtsvereinbarung naturgemäß nur selten explizit geäußert, so dass die Gewichtigkeit des erstrebten oder erlangten Vorteils regelmäßig als Beleg für das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung dienen muss. Insoweit kommt es weniger auf eine tatsächliche Übereinkunft zwischen den Beteiligten als vielmehr auf die objektive Feststellung eines potentiellen Zusammenhangs an.85 Dies deckt 81
BGH (21.10.1985), BGHSt 33, 336 (339) („[…] daß zwischen Täter und Begünstigtem eine bestimmte personale Beziehung hergestellt werden oder bestehen muß, die im Hinblick auf den gewährten Vorteil zu einer wenn auch nur gefühlsmäßigen Verpflichtung des Empfängers, in der vom Bestechenden gewünschten Weise abzustimmen, führt oder führen kann“ [zu § 108b Abs. 1 StGB]); OLG CELLE (14.02.1948), SdJZ 1948, 685 (687) („‚Gefälligkeiten‘ sind also insoweit ‚Geschenke oder andere Vorteile‘ im Sinne der Bestechungsvorschriften […], als sie das Gefühl einer Verpflichtung für den Empfänger mit sich bringen können.“); zustimmend MAURACH, BT, S. 563; HIRSCH, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 288. 82 Eine allgemeingültige Grenze lässt sich freilich nicht festlegen. 83 Die Entgegennahme von Vorteilen für private Tätigkeiten ist nicht tatbestandsmäßig, dazu BGH (21.11.1961), GA 1962 (214 f.). Auf eben diese Unterscheidung zwischen Anlass zu privater und dienstlicher Erwiderung dürfte der Vorschlag von FISCHER61, § 331 Rn. 11f, zielen, einen immateriellen Vorteil dann nicht anzuerkennen, wenn er „sich quasi als emotionales Internum darstellt (Freude; Dankbarkeit; zwischenmenschliche ‚Bedeutung‘)“ [Hervorhebung im Original]. 84 Vgl. oben bei Fn. 79. 85 Für die Strafbarkeit des Forderns eines Vorteils braucht nach BGH (30.04.1957), BGHSt 10, 237 (241), „der Zusammenhang zwischen Vorteil und Amtshandlung von dem Aufgeforderten nicht nur nicht erkannt zu werden, sondern für ihn auch nicht erkennbar zu sein“; ebenso BGH (11.05.2006), NStZ 2006, 628 (629) („Die das Verlangen eines Vorteils objektiv zum Ausdruck bringende, d. h. von einem verständigen Betrachter in der
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sich mit dem Rechtsgut der §§ 331 ff. StGB, das (auch) im Vertrauen der Allgemeinheit auf die Unparteilichkeit von Amtshandlungen besteht.86 Vertrauen wird jedoch nicht erst dann erschüttert, wenn die an der Tat Beteiligten tatsächlich eine Unrechtsvereinbarung treffen, vielmehr kommt es darauf an, ob ein durchschnittlicher Dritter auf das Vorliegen einer solchen schließen würde. Die weitreichende Formulierung der Tatbestände birgt die Gefahr der Uferlosigkeit der Korruptionsdelikte. 87 Eine Einschränkung tut not, unerheblich ist aber letztlich, ob man dabei beim Vorteil ansetzt und einer „geringfügigen“ Zuwendung den Vorteilscharakter abspricht88 oder aus einem solchen Vorteil keine Unrechtsvereinbarung herleitet.89 Allenfalls mag man eine Unterscheidung danach treffen, dass eine Zuwendung, die generell ungeeignet ist, dem Empfänger ein Gefühl des Verpflichtetseins zu vermitteln, bereits nicht als Vorteil anerkannt wird, eine grundsätzlich geeignete, jedoch „sozialadäquate“90 Zuwendung hingegen nicht als Bestandteil einer Unrechtsvereinbarung eingeordnet wird. Um normative Erwägungen handelt es sich in beiden Fällen.
Entsprechend wird regelmäßig verlangt, dass der Vorteil eine objektiv messbare Besserstellung des Empfängers begründet. 91 Damit steht man freilich vor der Schwierigkeit, abstrakt bestimmen zu müssen, welche Form der Besserstellung geeignet ist, dem einzelnen Amtsträger ein „Gefühl der Verpflichtung“ zu vermitteln. Dies ist jedoch nicht zuletzt eine Frage individueller Vorstellungen und Befindlichkeiten. Was dem einen erstrebenswert scheint,
Situation des Angesprochenen so zu verstehende Erklärung des Amtsträgers muss zur Kenntnis des potenziellen Gebers gebracht werden […].“); BAUMANN, Problematik der Bestechungstatbestände, S. 21 („Freilich muß auch der objektive Beobachter, der alle Umstände der konkreten Situation kennt, die Erklärung des Beamten als Forderung begreifen. Ein rein subjektives Sichaufgefordertfühlen genügt keineswegs.“). 86 BGH (23.05.2002), BGHSt 47, 295 (303); BT-Drs. 13/5584, S. 16; für weitere Nachweise siehe S. 13 Fn. 44. 87 Vgl. nur KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 391; LK12/SOWADA, § 331 Rn. 76. 88 Hierzu zählt etwa die Diskussion über die Berücksichtigungsfähigkeit immaterieller Vorteile, vgl. dazu MüKo-StGB2/KORTE, § 331 Rn. 64–70; LK12/SOWADA, § 331 Rn. 36– 40. Strikt gegen die Berücksichtigung immaterieller Vorteile etwa GEERDS, Unrechtsgehalt, S. 64–67 m. w. N.; kritisch im Hinblick auf den Vorteilscharakter von „Ansehensmehrung und Steigerung der wissenschaftlichen Reputation“ auch BGH (23.05.2002), BGHSt 47, 295 (304–305), da man insoweit „den Bereich der objektiven Meßbarkeit oder Darstellbarkeit eines Vorteils verlassen und ins Unbestimmte abgleiten“ [Hervorhebung hinzugefügt] würde. 89 Bereits der Streit um den immateriellen Vorteil (Fn. 88) zeigt, dass der Vorteilsbegriff keineswegs so „naturalistisch“ geprägt ist, wie von KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 393; NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 63; SATZGER, ZStW 115 (2002), S. 475–476, angenommen. 90 Zur Sozialadäquanz unten S. 73 ff. 91 Vgl. für die h. M. nur LK12/SOWADA, § 331 Rn. 39 m. w. N.
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mag dem anderen vollkommen gleichgültig und daher kein Ansporn sein.92 Der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit wegen muss es jedoch bei einer objektiven Bewertung des Vorteils bleiben, was nicht bedeutet, dass gewisse typisierte, subjektive Besonderheiten unberücksichtigt bleiben müssen. 93 Gewisse Zuwendungen untersagt die Rechtsordnung wegen der ihnen typischerweise innewohnenden Gefahr, Abhängigkeiten beim Empfänger zu schaffen. Dass dabei Handlungen erfasst werden, die sich im Einzelfall als ungefährlich herausstellen, und solche übergangen werden, die sich ausnahmsweise als gefährlich erweisen können, liegt in der Natur der Sache. Schwierigkeiten ergeben sich hinsichtlich der ebenfalls erfassten Vorteile für Dritte.94 Obwohl die diesbezügliche Ausweitung der Tatbestände in erster Linie das Auffinden bloß mittelbarer Vorteile für den Amtsträger durch Zuwendungen an Dritte entbehrlich machen sollte,95 stellt sich hier nach wie vor die Frage, in welchen Fällen die Erwiderung einer solchen Zuwendung gerade aus Sicht des Amtsträgers geboten erscheint, mithin die gleiche Wirkung entfalten kann wie eine unmittelbare Zuwendung an den Amtsträger selbst. Nur dann besteht die Gefahr einer reziproken Beziehung zwischen Amtsträger und Zuwendendem, die es zu unterbinden gilt. Mit der Aussonderung fremdnützigen Verhaltens 96 zur Einschränkung des Tatbestands ist insoweit nichts zu gewinnen. 97 Auch altruistische Motive mögen dem Amtsträger so wichtig sein, dass er um ihretwillen bereit ist, in bestimmter Art und Weise Amtshandlungen vorzunehmen. In dieser Hinsicht erweist sich das herkömmliche Verständnis der Korruption als „eigennützige“ Tat als zu eng, gleichzei92
Für einen subjektivierten Vorteilsbegriff daher ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGEN2 , § 49 Rn. 25. 93 Die von BAUMANN, Problematik der Bestechungstatbestände, S. 16, beispielhaft genannte Fuhre Stalldung kann auch aufgrund eines objektivierten Vorteilsbegriffs von Fall zu Fall richtig eingeordnet werden. Ebenso kann (und muss) etwa der Wert des Vorteils in Relation zum Vermögen des Empfängers gesetzt werden; vgl. KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 395–396. 94 Eingefügt durch Art. 1 Nr. 5, 6 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997, BGBl. 1997, S. 2038, 2039. 95 KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 391; NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 48; LK12/SOWADA, § 331 Rn. 41. 96 KREY/HELLMANN/HEINRICH, BT I15, Rn. 669b („[A]us den von Haus aus eigennützigen Bestechungsdelikten unter Bruch mit ihrer Struktur schlechthin fremdnützige Straftaten zu machen, wäre […] ein grober Fehlgriff.“ [Hervorhebungen im Original]); KORTE, NStZ 1997, S. 515. Eine Abgrenzung von Eigen- und Staatsnützigkeit will DAUSTER, NStZ 1999, S. 66, vornehmen. 97 Kaum möglich erscheint eine sinnvolle Abgrenzung von altruistischem und egoistischem Handeln; Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 20. Eingehend gegen das Erfordernis der Eigennützigkeit schon RUDOLPHI, NJW 1982, S. 1419–1421; kritisch ebenfalls KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 391–392; NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 49–51; ARZT/ WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 24. DORF, BT
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tig bleibt es jedoch dabei, dass die früheren Abwägungen zur Bestimmung eines mittelbaren Eigenvorteils98 nun für die Bestimmung einer Unrechtsvereinbarung, einer ausreichenden Motivationslage für den Amtsträger, relevant werden.99 Nicht jede Zuwendung, erst recht nicht jede Zuwendung an Dritte ist geeignet, ein Gefühl des Verpflichtetseins zu begründen.100 Andererseits können auch Zuwendungen an bestimmte Dritte, insbesondere die Anstellungskörperschaft des Amtsträgers, nicht von vornherein als ungefährlich von der Strafbarkeit ausgenommen werden. Dies wäre nur dann folgerichtig, wenn die Bestechungsdelikte gerade auch den Schutz des staatlichen Prinzipals bezweckten, was hingegen nicht der Fall ist. Die Vermögensinteressen der staatlichen Anstellungskörperschaft des Amtsträgers sind kein Rechtsgut der Bestechungsdelikte.101 In der Feststellung der Strafbarkeit von Zuwendungen an den staatlichen Prinzipal liegt der wohl eklatanteste Unterschied zu den Korruptionsdelikten im privaten Verkehr. Anders als etwa einem privaten Unternehmer ist es dem Staat nur begrenzt oder aber überhaupt nicht gestattet, „selbstsüchtig“ zu handeln.102 Der Staat agiert nicht um seiner selbst willen, sondern hat in erster Linie Aufgaben des Gemeinwohls zu besorgen, was zwar nicht dazu führt, dass er sein Handeln nicht von Zuwendungen abhängig machen kann, 103 es ihm jedoch untersagt, von einzelnen Personen Sondervorteile für ein bestimmtes Tätigwerden entgegenzunehmen. 104 Dies unterscheidet ihn von einem gewöhnlichen Prinzipal im Privat98
BGH (21.10.1985), BGHSt 33, 336 (339–340) [Mittelbares Eigeninteresse von Vorstandsmitgliedern am Erhalt eines Vereinsheims]; BGH (03.12.1987), BGHSt 35, 128 (134–136) [Vorteil durch Erlangung von Geldern zur Weiterleitung an „Rathausparteien“]; BGH (21.11.1958), NJW 1959, 345 (346–347) [Finanzielle Unabhängigkeit der Freundin als Vorteil des künftigen Ehemanns]. 99 Zu Recht weist KORTE, NStZ 1997, S. 515, auf die Bedeutung der Unrechtsvereinbarung in diesen Fällen hin. Keineswegs muss dies jedoch bedeuten, dass es im Hinblick auf altruistische Vorteile regelmäßig an einer solchen fehlt. 100 BAUMANN, Problematik der Bestechungstatbestände, S. 17: „Vorteile für ‚jedermann‘ gibt es nicht“. 101 KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 392; MüKo-StGB2/KORTE, § 331 Rn. 5; FISCHER61, § 331 Rn. 2. Kritisch VOLK, Referat 61. DJT, S. L 42–L 43; DERS., GS Zipf 1999, S. 423; GÄNSSLE, NStZ 1999, S. 546–547; BGH (20.02.1981), BGHSt 30, 46 (48). 102 BGH (20.02.1981), BGHSt 30, 46 (49) („Angestellte im öffentlichen Dienst, die Bestechungslohn nehmen, führen dagegen kein fremdes Geschäft, das als ein solches ihres Dienstherrn auch nur vorstellbar wäre. Sie maßen sich nicht etwas an, was ihrem Dienstherrn vorbehalten wäre, sondern verletzen mit der Annahme von Bestechungslohn lediglich ihre eigenen Dienstpflichten.“). Zu Ausnahmen S. 92 mit Fn. 258–259. 103 Man denke nur an die staatliche Gebührenerhebung für bestimmte Amtshandlungen; vgl. VOGEL, FS Weber 2004, S. 402. 104 Bislang stand der Anstellungskörperschaft anders als einem privaten Arbeitgeber daher auch kein Anspruch gegen den Amtsträger auf Herausgabe des erlangten Vorteils zu; BGH (20.02.1981), BGHSt 30, 46 (48–49); BGH (12.07.2000), NStZ 2000, 589 (590). Zwar wurde mit § 71 Abs. 2 BBG (siehe S. 72 Fn. 131) zumindest im Hinblick auf Beamte ein Herausgabeanspruch des Dienstherrn geschaffen. Daraus ist jedoch nicht zu schließen,
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rechtsverkehr, dem grundsätzlich ein eigennütziges Vorgehen zugebilligt wird. 105 Von Vorteilen jedoch, die sich der Prinzipal selbst nicht zuwenden lassen kann, dürfen auch die Entscheidungen von dessen Agenten nicht beeinflusst werden.106
3.
Das Verhältnis von Vorteilsannahme und Bestechlichkeit
Ist damit das grundsätzliche Gefährdungspotential der im Rahmen der §§ 331, 332 StGB strafbaren Tathandlungen abgesteckt, stellt sich in der Folge die Frage nach dem Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander, insbesondere danach, ob ihnen eine einheitliche Verhaltensnorm zugrunde liegt. In der Vergangenheit wurde dies oftmals verneint,107 da sich die Tatbestandsmerkmale „ nicht pflichtwidrige Handlung“ und „Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht“ logisch ausschlössen.108 Heute jedoch wird ganz überwiegend in § 332 StGB eine Qualifikation des § 331 StGB gesehen109 und damit von einer einheitlichen Verhaltensnorm ausgegangen: Erlässt der Gesetzgeber zu das Verbot der Vorteilsnahme bestehe nunmehr auch im Vermögensinteresse des Dienstherrn. Das ergibt sich nicht zuletzt aus dem ausdrücklichen Vorrang des Verfalls, womit im Hinblick auf § 73 Abs. 1 S. 2 StGB nach wie vor die Verletzteneigenschaft des Dienstherrn zu verneinen ist. 105 Insoweit unterscheidet sich die Lage des Staates letztlich nicht von derjenigen einer juristischen Person, die gegenüber ihren Anteilseignern einem bestimmten Pflichtenregime unterliegt. Prinzipal ist letztlich nicht der Staat, sondern das Staatsvolk; vgl. dazu S. 90 bei Fn. 240. 106 Siehe dazu auch S. 91 bei Fn. 247–260. 107 BGH (21.11.1958), JZ 1959 (375); RG (06.05.1943), DR 1943 (757); ebenso BAUMANN, Problematik der Bestechungstatbestände, S. 8–10. Die Äußerungen ergingen jedoch auf Grundlage der §§ 331, 332 StGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 1876, RGBl. 1876, S. 39, 104. § 331 StGB a. F. lautete: „Ein Beamter, welcher für eine in sein Amt einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Handlung Geschenke oder andere Vortheile annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft.“ § 332 StGB a. F. lautete: „(1) Ein Beamter, welcher für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amtsoder Dienstpflicht enthält, Geschenke oder andere Vortheile annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, wird wegen Bestechung mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe ein“. 108 KAUFMANN, JZ 1959, S. 376; BGH (21.11.1958), JZ 1959 (375) („Dem § 331 StGB liegt das Verbot zugrunde, daß sich der Beamte für eine nicht pflichtwidrige Amtshandlung ein Entgelt zahlen läßt. Der § 332 StGB will pflichtwidrige Amtshandlungen verhindern.“). Als logisches „Aliud“ zur Pflichtgemäßheit bezeichnen denn auch ARZT/WEBER/HEIN2 RICH/HILGENDORF, BT , § 49 Rn. 19, die Pflichtwidrigkeit. 109 LK12/SOWADA, § 332 Rn. 1; Schönke/Schröder28/HEINE, § 332 Rn. 1; RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 2; ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 19; EISELE, BT I2, Rn. 1640. Bereits hinsichtlich der §§ 331, 332 StGB a. F. (Fn. 107) von Grundtatbestand und Qualifikation ausgehend MAURACH, BT, S. 564; GEERDS, Unrechtsgehalt, S. 68. Nach der Neufassung der Bestechungsdelikte durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974, BGBl. 1974, S. 469, 496 f., wurde auch in BGH (31.05.1983), NStZ 1984 (24 f.), § 332 StGB als Qualifikation des § 331 StGB anerkannt.
C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung
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einem Straftatbestand Privilegierungen oder Qualifikationen, so beziehen sich dennoch alle Straftatbestände auf die Verletzung einer einheitlichen Verhaltensnorm.110 Ihr Unrechtskern ist damit identisch, wenn auch durch ergänzende Merkmale eine Differenzierung erfolgt. Im Hinblick auf den Reziprozitätsgedanken steht hinter den §§ 331, 332 StGB insofern der einheitliche Schutzzweck, die Entstehung reziproker Verbindungen, in deren Abwicklung es zu pflichtwidrigen Amtshandlungen kommen kann, zu unterbinden.111 Sie markieren lediglich unterschiedliche Gefährdungsgrade. 112 Das Streben des Beamten nach persönlichen Vorteilen wird deshalb verboten, weil sie die Wahrscheinlichkeit der Vornahme pflichtwidriger Amtshandlungen erhöhen. Entweder wurde eine konkrete pflichtwidrige Diensthandlung schon in Aussicht genommen (§ 332 StGB) oder die Vorteilsgewährung lässt einen Gewöhnungseffekt befürchten, der den Beamten in Zukunft zur Vornahme pflichtwidriger Diensthandlungen motivieren kann (§ 331 StGB).113 Ein Gewöhnungseffekt hängt dabei nicht davon ab, ob ein Vorteil mit einer konkreten Diensthandlung verknüpft wird, es genügt vielmehr die allgemeine Erkenntnis, sich durch die Dienstausübung Vorteile verschaffen zu können. Diesem Gedanken trägt nunmehr die „gelockerte Unrechtsvereinbarung“ 114 des § 331 StGB Rechnung, die keinen Zusammenhang des Vorteils mit einer konkreten Diensthandlung mehr erfordert. Das Streben nach Vorteilen für rechtmäßige Amtshandlungen ist demnach ebenso bedenklich wie das Streben nach Vorteilen für bereits zurückliegende. Stets liegt darin eine Steigerung der Gefahr, dass der Amtsträger sich zukünftig bereit zeigen wird, für weitere Vorteile seine Amtspflichten zu missachten.115 Die §§ 331, 332 StGB beziehen sich somit auf dieselbe Verhaltensnorm, welche das Fordern, Sichversprechenlassen und Annehmen eines Vorteils im
110
BINDING, Normen I4, S. 190–194 („Gattungsdelikte“); WELZEL, Strafrecht11, S. 227; MAURACH/ZIPF, AT 18, § 20 Rn. 43. 111 Anderer Ansicht jedoch VOLK, Referat 61. DJT, S. L 47. 112 GEERDS, Unrechtsgehalt, S. 53–55. 113 BINDING, BT II 2, S. 731 („Die Annahme von Vorteilen für künftige erlaubte Amtshandlungen ist unendlich oft nur die Vorstufe für die passive Bestechung, und nur als solche hat sie § 331 unter Strafe gestellt.“); GEERDS, Unrechtsgehalt, S. 51–52 („Durch eine derartige Hinnahme von Vorteilen wird der Beamte erfahrungsgemäß daran gewöhnt, seine Amtsgewalt nicht nur für die Zwecke des Staates einzusetzen; es besteht also zumindest generell die Gefahr, daß […] der Beamte mit der Zeit auch dazu verleitet werden kann, aus diesem Grunde pflichtwidrige Diensthandlungen vorzunehmen.“); vgl. auch RG (02.10.1928), Gruchot 70, Nr. 41 (547) (siehe S. 6 Fn. 8). 114 Eingeführt durch Art. 1 Nr. 5 lit. a des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997, BGBl. 1997, S. 2038, 2039. 115 Zur nachträglichen Unrechtsvereinbarung ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, 2 BT , § 49 Rn. 27 („Niemand schmiert ein Rad, an dessen Umdrehung ihm nichts mehr liegt!“).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Bezug auf die Dienstausübung verbietet.116 Bei dem qualifizierenden Merkmal des Vorteils als Gegenleistung für eine konkrete, pflichtwidrige Diensthandlung handelt es sich nicht um ein Normwidrigkeits-, sondern lediglich um ein Strafbarkeitsmerkmal.117 Die strafrechtliche Unterscheidung zwischen Vorteilsannahme und Bestechlichkeit hat daher für das Zivilrecht keine Bedeutung. 4.
Genehmigung und Sozialadäquanz
a)
§ 331 Abs. 3 StGB
Die Annahme und das Sichversprechenlassen von Vorteilen ist nicht nach § 331 Abs. 1 StGB strafbar, wenn zuvor die Genehmigung der zuständigen Behörde eingeholt oder diese auf die nachträgliche Anzeige des Amtsträgers hin erteilt wurde. Mangels anderer konkreter Anhaltspunkte hängt die materielle Rechtmäßigkeit einer solchen Genehmigung davon ab, ob ausnahmsweise ein besonderes Interesse daran besteht, dass Amtsträger einen grundsätzlich missbilligten Vorteil nicht ablehnen.118 Die zuständige Behörde hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie aufgrund eines solchen besonderen Interesses die Vorteilsannahme genehmigt. 119 Insofern gilt hinsichtlich des Ausschlusses der Genehmigung der Bestechlichkeit und des Forderns von Vorteilen, dass es keine vorrangigen Interessen geben kann, die eine Genehmigung solcher Verhaltensweisen zu rechtfertigen vermögen.120
116
Vgl. auch HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 74 („Verbotsnormen weitgehend identisch“); anderer Ansicht GEERDS, Unrechtsgehalt, S. 55, der die Unterscheidung von abstrakter und konkreter Gefährdung auch auf die Ebene der Verhaltensnormen überträgt und die Existenz zweier Normen annimmt. 117 Zu den Begrifflichkeiten HAFFKE, Coimbra-Symposium 1995, S. 94–95; zur Abgrenzung von Normwidrigkeits- und Strafbarkeitsmerkmalen SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 40–45 m. w. N. 118 MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, BT II10, § 79 Rn. 27. Genannt werden regelmäßig Zuwendungen aus Dankbarkeit für eine Lebensrettung und „diplomatischer Courtoisie“; MAIWALD, JuS 1977, S. 355–357; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD , BT II10, § 79 Rn. 27; Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 46. 119 SATZGER, ZStW 115 (2002), S. 485: „[…] wenn nach Lage des Falles nicht zu befürchten ist, dass die Vorteilsnahme die objektive Amtsführung des Beamten beeinträchtigt oder den Eindruck seiner Befangenheit entstehen lassen könnte […]“. – Ausführlich zum der Behörde grundsätzlich zustehenden Ermessensspielraum HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 120–123. 120 Dazu eingehend HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 112–120; vgl. auch LK12/SOWADA, § 331. – Zu den Schwierigkeiten, die sich aus einer rechtswidrigen, jedoch (verwaltungsrechtlich) wirksamen Genehmigung ergeben können HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 130–156.
C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung
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Obwohl § 331 Abs. 3 StGB oftmals als Rechtfertigungsgrund bezeichnet wird,121 bei dem es sich um eine Begrenzung der dem § 331 StGB zugrunde liegenden Verhaltensnorm handelt, gilt dies allein hinsichtlich der vorherigen Genehmigung.122 Da stets bereits im Zeitpunkt des tatbestandlichen Verhaltens feststehen muss, ob dieses von der Rechtsordnung verboten wird oder nicht, 123 kann die Rechtswidrigkeit einer Vorteilsannahme nicht davon abhängen, ob die zuständige Behörde eine nachträgliche Genehmigung tatsächlich ausspricht. Entscheidend ist insofern allein die Genehmigungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tathandlung. Dabei ist hinsichtlich der Art der Genehmigungsfähigkeit weiter zu differenzieren: Eine unmittelbare Rechtfertigung kommt nur dann in Betracht, wenn die Behörde die Genehmigung wegen Ermessensreduzierung auf Null erteilen müsste.124 Dass der Amtsträger „mit einer späteren Genehmigung rechnen durfte“ 125 , die Behörde eine Genehmigung also rechtmäßigerweise aussprechen durfte und damit aufgrund der bisherigen Verwaltungspraxis grundsätzlich zu rechnen war,126 genügt hingegen nicht. Andernfalls wäre das Ermessen der Behörde, der es grundsätzlich frei steht, auch bislang toleriertes Verhalten nicht mehr hinzunehmen,127 über Gebühr eingeschränkt. Ebenso wie es für eine Behörde unzumutbar ist, rechtswidriges Verhalten zu genehmigen, 128 ist die Verweigerung der Genehmigung eines rechtmäßigen Verhaltens zur Änderung der Verwaltungspraxis für die Zukunft für den Amtsträger unzumutbar. Eine nachträgliche, rechtmäßige Genehmigung, deren Erteilung im Ermessen der Behörde stand, ist demnach kein Rechtfertigungsgrund, sondern lediglich ein Strafaufhebungsgrund.129
Wenn darauf hingewiesen wird, § 331 Abs. 3 StGB verweise für die Voraussetzungen, unter denen eine Genehmigung erteilt werden kann, auf die Befugnisse der genehmigenden Behörde130 und damit auf Vorschriften des öf-
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BGH (10.03.1983), BGHSt 31, 264 (285); KÜHL27, § 331 Rn. 14 („[D]ie ausdrückliche Billigung rechtswidriger Akte durch staatliche Behörden [würde] allgemeinen Rechtsgrundsätzen widersprechen“.); ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 36. 122 MAIWALD, JuS 1977, S. 355–357; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, BT II10, § 79 Rn. 27–29; RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 39–41; EISELE, BT I2, Rn. 1637. 123 MAIWALD, JuS 1977, S. 356 („[S]owohl als Bestimmungsnorm als auch als Bewertungsnorm verstanden muß eine rechtliche Regelung bereits zum Zeitpunkt des Täterhandelns die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des Geschehens klarstellen.“); RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 41; EISELE, BT I2, Rn. 1637; vgl. auch S. 59 Fn. 56. 124 So zu Recht MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, BT II10, § 79 Rn. 29. 125 MAIWALD, JuS 1977, S. 356. 126 Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 50; FISCHER61, § 331 Rn. 36. 127 ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 35 f. 128 MAIWALD, JuS 1977, S. 356 („[D]er Staat [kann] schwerlich rechtswidriges Handeln des Amtsträgers genehmigen“.); KÜHL27, § 331 Rn. 14 (oben Fn. 121). 129 Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 50; NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 135; RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 41; EISELE, BT I2, Rn. 1637. 130 Zu den jeweils zuständigen Behörden vgl. LK12/SOWADA, § 331 Rn. 109–110; MüKo-StGB2/KORTE, § 331 Rn. 161–164.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
fentlichen Dienstrechts,131 so kommt darin die Notwendigkeit zum Ausdruck, Dienst- und Strafrecht inhaltlich aufeinander abzustimmen, um Normwidersprüche zu vermeiden. Dienstrechtlich kann nicht etwa verboten sein, was strafrechtlich erlaubt ist, denn auch Rechtfertigungsgründe sind – wie die Verhaltensnormen, die sie begrenzen – der Differenzierung nach Rechtsgebieten vorgelagert. 132 Auch die teilweise abweichenden Formulierungen – einerseits hinsichtlich der nach dem StGB nicht gegebenen Möglichkeit zur Genehmigung des Forderns eines Vorteils und der Bestechlichkeit generell, andererseits hinsichtlich der nach § 331 Abs. 3 StGB vorgesehenen nachträglichen Genehmigung – ändern nichts daran, dass den gegen die Vorteilsnahme gerichteten dienstrechtlichen Vorschriften 133 dieselbe Verhaltensnorm zugrunde liegt wie den Straftatbeständen der §§ 331, 332 StGB.134 Rechtspolitisch fragwürdig bleibt freilich, weshalb es einer Behörde überlassen bleiben soll, eigenständig über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Vorteilen zu entscheiden,
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HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 88; Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 51; LK12/SOWADA, § 331 Rn. 111. – Relevant sind hier insbesondere § 71 BBG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz – DNeuG) vom 5. Februar 2009, BGBl. 2009, S. 160, 176 f. („Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen (1) Beamtinnen und Beamte dürfen, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen. Ausnahmen bedürfen der Zustimmung der obersten oder der letzten obersten Dienstbehörde. Die Befugnis zur Zustimmung kann auf andere Behörden übertragen werden. (2) Wer gegen das in Absatz 1 genannte Verbot verstößt, hat auf Verlangen das aufgrund des pflichtwidrigen Verhaltens Erlangte dem Dienstherrn herauszugeben, soweit nicht im Strafverfahren der Verfall angeordnet worden oder es auf andere Weise auf den Staat übergegangen ist. Für den Umfang des Herausgabeanspruchs gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend. Die Herausgabepflicht nach Satz 1 umfasst auch die Pflicht, dem Dienstherrn Auskunft über Art, Umfang und Verbleib des Erlangten zu geben.“) und § 3 Abs. 2 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13. September 2005, GMBl. 2006, S. 460, 462 („Die Beschäftigten dürfen von Dritten Belohnungen, Geschenke, Provisionen oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf ihre Tätigkeit nicht annehmen. Ausnahmen sind nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich. Werden den Beschäftigten derartige Vergünstigungen angeboten, haben sie dies dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen.“). Verweise auf weitere – insbesondere landesrechtliche – Vorschriften finden sich bei LK12/SOWADA, § 331 Rn. 109–110. 132 Siehe S. 59 bei Fn. 58. 133 Vgl. Fn. 131. 134 Eine deutliche Abweichung auf Sanktionsebene besteht zwischen § 71 BBG und den §§ 331, 332 StGB, da nur jene Vorschrift über die §§ 75, 77 BBG an die Vorteilsnahme nach Beendigung der Beamtenstellung Sanktionen knüpft. Strafrechtlich bleibt ein solches Verhalten hingegen sanktionsfrei; vgl. BGH (01.03.2004), NStZ 2004, 564 (564–565); LK12/SOWADA, § 331 Rn. 4.
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welche die Befolgung von Pflichten zu gefährden in der Lage sind, die nicht in erster Linie im Interesse dieser Behörde bestehen.
b)
Sozialadäquanz
Mit dem Begriff der Sozialadäquanz werden unterschiedliche Einschränkungen des Verbots der Vorteilsannahme, die dem Erfordernis einer Rechtfertigung nach § 331 Abs. 3 StGB vorgehen,135 bezeichnet.136 Soweit damit allein auf die Straflosigkeit geringfügiger Zuwendungen abgestellt wird,137 erweist sich der Begriff als unnötig, da solche Zuwendungen mangels Gefährdungspotentials ohnehin nicht verboten sind. 138 Zuwendungen, die aufgrund der oben angeführten Kriterien nicht zu einer Erwiderung in Form einer dienstlichen Betätigung Anlass geben können und damit rechtsgutsneutral sind, sind allgemein weder strafbar noch verboten.139 Überflüssig ist es daher, wenn als sozialadäquat insbesondere für das geschützte Rechtsgut „ungefährliche“ Verhaltensweisen angeführt werden. 140 Eine eigenständige Bedeutung kann der Sozialadäquanz daher nur in Bezug auf solche Zuwendungen zukommen, die sich eignen, beim Amtsträger ein Gefühl des Verpflichtetseins zu verursachen, und daher grundsätzlich verboten sind.
135 ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 35; EISELE, BT I2, Rn. 1637; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD , BT II10, § 79 Rn. 26. 136 Die Sozialadäquanz ist ein „allgemeines Prinzip, dessen Bedeutung sich nicht auf das Strafrecht beschränkt [sic] sondern die ganze Rechtsordnung erfaßt“ [BGH (18.02.1970), BGHSt 23, 226 (228)]. 137 ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 38 („geringfügig und daher sozialadäquat“); vgl. auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, BT II10, § 79 Rn. 25–26. 138 Ebenso KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 401; zweifelnd im Hinblick auf die Koppelung von Geringfügigkeit und Sozialadäquanz auch LK12/SOWADA, § 331 Rn. 74; einen hohen Wert in erster Linie als Beleg gegen die Sozialadäquanz anführend GEERDS, Unrechtsgehalt, S. 78; vgl. auch S. 64 bei Fn. 82. 139 Die Sozialadäquanz als Sammelbegriff für restriktive Tatbestandsauslegungen und damit neben einer Orientierung am Gesetzeszweck als überflüssig ansehend HIRSCH, ZStW 74 (1962), S. 134–135; DERS., Negative Tatbestandsmerkmale, S. 289; ebenso KIENAPFEL, Erlaubtes Risiko, S. 22 („Sammelbegriff für zahllose straffreie Verhaltensweisen“); RÖNNAU, JuS 2001, S. 313 („angesichts präziserer Instrumente […] ihre selbständige Bedeutung verloren“); ROXIN, FS Klug 1983, S. 312–313; kritisch auch DEUTSCH, Fahrlässigkeit2, S. 243–250. 140 So jedoch MüKo-StGB2/KORTE, § 331 Rn. 114; HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 71 („Handlungsweisen […], denen trotz gelungener Subsumtion unter den Wortlaut schon diese abstrakte Gefährlichkeit stets fehlt“); HIRSCH, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 285 („Hier wird das geschützte Rechtsgut, die Sauberkeit der Amtsführung, vielmehr infolge einer entstandenen Verkehrssitte überhaupt nicht berührt […].“); ZIPF, ZStW 82 (1970), S. 635 („Grundsätzlich liegt es so, daß die sozial anerkannten Verhaltensweisen gerade auf der Überzeugung beruhen, mit ihrer Einhaltung am besten Rechtsgutsverletzungen vorbeugen zu können.“).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Dass es sich bei der Sozialadäquanz nicht um eine Umschreibung für generell ungefährliche Verhaltensweisen handelt,141 zeigt sich bereits an den allseits als sozialadäquat anerkannten Weihnachts- oder Neujahrsgeschenken an Postboten und Müllwerker.142 Fallen zur Abholung bereitgestellte Mülltonnen wegen des Ausbleibens des sozialadäquaten Weihnachtsgeschenks öfter als gewöhnlich um,143 so zeigt sich hier, dass entsprechende Zuwendungen die Sorgfalt der Amtsausführung zu beeinflussen geeignet sind und nicht schon wegen ihrer generellen Unbedenklichkeit als erlaubt gelten können.144
WELZEL fasste ursprünglich „alle Betätigungen, in denen sich das Gemeinschaftsleben nach seiner geschichtlich bedingten Ordnung jeweilig vollzieht“, als sozialadäquat und daher als rechtlich nicht verboten auf. 145 Den Grund dafür sah er darin, dass die Beeinträchtigung eines Rechtsguts über die Rechtswidrigkeit des die Beeinträchtigung hervorrufenden Verhaltens allein noch nichts auszusagen vermöge, da „alles soziale Leben […] im Einsatz und Verbrauch von ‚Rechtsgütern‘“ bestehe. 146 Die Rechtsordnung schütze Rechtsgüter nicht vor Verletzungen, sondern nur vor „für ein sittlich-geordnetes Gemeinschaftsdasein Unverträglichen [sic]“ Einwirkungen.147 In Form dieser „geschichtlich bedingten Ordnung“148, der „Regeln der Höflichkeit und des sozialen Verkehrs“149 und der „Verkehrssitte“150 gewinnt die Sozialadäquanz über eine am Gesetzeszweck orientierte Auslegung der Straftatbestände hinaus eine eigenständige Bedeutung. Gemeint ist hier mehr als ein allgemeiner, schwer fassbarer Bagatellbereich, in dessen Grenzen Zuwendungen wegen ihrer allgemeinen Üblichkeit zu tolerieren sind. Die Sozialadäquanz selbst erlangt normativen Charakter, das rechtliche Verbot der Vorteilsan141
ENGISCH, FS DJT 1960, S. 417 Fn. 42 („[A]ls sozial adäquat [können] sowohl harmlose Handlungen wie auch wirklich riskante, aber als solche erlaubte Handlungen angesehen werden […].“). 142 Vgl. nur LK12/SOWADA, § 331 Rn. 73; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, BT II10, § 79 Rn. 25; ESER, FS Roxin 2001, S. 199; HIRSCH, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 288; HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 73. KLUG, FS Schmidt 1971, S. 263 bezeichnet die Annahme entsprechender Zuwendungen als „sozialkongruent“, da sie sozialethisch geboten, nicht bloß erlaubt sei; siehe auch S. 80 Fn. 180. 143 Beispiel von ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 35. 144 Freilich bleibt hier der Übergang von sozialadäquatem und völlig ungefährlichem Handeln fließend. 145 WELZEL, ZStW 58 (1938), S. 517; ähnlich DERS., Strafrecht11, S. 56 („Rahmen der ‚normalen‘, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“). 146 WELZEL, ZStW 58 (1938), S. 515; DERS., Strafrecht11, S. 57 („Die soziale Adäquanz bildet gewissermaßen die Folie zu den strafrechtlichen Tatbeständen: Sie ist der ihnen zugrundeliegende, von ihnen (stillschweigend) vorausgesetzte ‚Normal‘-Zustand sozialer Handlungsfreiheit.“). 147 WELZEL, ZStW 58 (1938), S. 516. 148 Vgl. bei Fn. 145. 149 LK12/SOWADA, § 331 Rn. 72. 150 OSTENDORF/CLAUSSEN, Korruption2, S. 35; LK12/SOWADA, § 331 Rn. 73; RENGIER, BT II13, § 60 Rn. 13.
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nahme wird aus Rücksicht auf deren Übereinstimmung mit sozialen Normen eingeschränkt.151 Ein struktueller Unterschied zwischen rechtlichen und sozialen Normen besteht nicht. Auch Letztere verlangen von ihrem Adressaten nicht etwa eine innerlich gute Gesinnung.152 Vielmehr handelt es sich auch bei sozialen Normen um Verhaltensnormen, die bestimmte äußere Verhaltensanforderungen an den Einzelnen stellen.153 Diese Fixierung sozialer wie rechtlicher Verhaltensnormen auf äußerliches Verhalten macht es unmöglich, rechtmäßiges von rechtswidrigem Verhalten anhand der Motivation des Handelnden zu trennen.154 Recht und Sitte unterziehen nicht die subjektiven Einstellungen der Akteure zu einer Tat einer Bewertung, sondern die Tat selbst und deren Gefährlichkeit für schutzbedürftige Güter.
Urheber sozialer Normen ist stets eine Gruppe von Menschen, „auf deren zusammengefaßten Willen die Vorschriften als ihre Quelle zurückgehen“.155 Dabei kommt es nicht auf eine irgendwie geartete Verfasstheit der jeweiligen Gruppe, sondern lediglich auf die Bestimmbarkeit ihrer Mitglieder an. 156 Ihren Ursprung hat die soziale Norm in einem gleichförmigen Verhalten der jeweiligen Gruppenmitglieder, setzt jedoch – um Verbindlichkeit zu erlangen – darüber hinaus voraus, dass die Mitglieder der sozialen Gruppe gegenseitig die Anpassung an das gewachsene Verhaltensmodell erwarten.157 Normadres151 ZIPF, ZStW 82 (1970), S. 639 („Sozialadäquates Verhalten ist dagegen ein solches, das mit den sozial anerkannten (nicht bloß tatsächlich geübten) Verhaltensnormen im Einklang steht.“); KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 397 („Die Einhaltung ungeschriebener gesellschaftlicher Regeln kann demnach das ‚erlaubte Risiko‘ mitbestimmen.“). 152 Zu einem entsprechenden Moralverständnis vgl. hingegen ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 115, S. 202; HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 68–70 („autonome Sittlichkeit“); HORN, Einführung5, Rn. 8. 153 HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 59; ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 115, S. 202; LARENZ, Grundsätzliches zu § 138 BGB, in: Erdsiek (Hrsg.), Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 105–106; PFENNINGER, Uebung und Ortsgebrauch, S. 17; Staudinger2003/SACK, § 138 Rn. 63 („[G]ute, dh gesollte Sitten sind objektive Verhaltensnormen.“); vgl. auch S. 198 Fn. 16. 154 Eine derartige Differenzierung vorschlagend jedoch SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 241–250; ähnlich SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 168 („Durch die damit verbundene Absicht […] unterscheiden sich die Geschenke von den Schmiergeldern.“ [Hervorhebungen im Original]). 155 NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 35; vgl. zudem HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 59 („untrennbar mit einer Menschengruppe verbunden“); PFENNINGER , Uebung und Ortsgebrauch, S. 7 („von einer gesellschaftlichen Organisation im Interesse der Gemeinschaft verlangt“). Eine allgemeingültige Sitte existiert demnach nicht, stets muss eine Auswahl der jeweils maßgeblichen Gruppenordnung getroffen werden (dazu S. 223 ff.). 156 NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 35–37. 157 KÖNIG, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Hirsch/Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie2, S. 36; NEUMEYER, ZÖR 11
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sat kann grundsätzlich – hierin unterscheiden sich Rechts- und Sozialordnung nicht158 – jedermann sein,159 solange eine höherrangige Ordnung nichts anderes vorschreibt. Eine andere Frage ist, ob eine über den Mitgliederbestand hinausreichende Adressierung (sozialer) Normen von fremden Ordnungen anerkannt wird. Kritik hat die Lehre von der Sozialadäquanz vor allem aufgrund der mit ihr verbundenen Unsicherheit hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs der sozialadäquaten und daher nicht verbotenen Handlungen erfahren.160 Dagegen ist einzuwenden, dass eine stattdessen vorzunehmende teleologische Auslegung und Begrenzung von Tatbestandsmerkmalen, die imstande sein soll, dasselbe Ergebnis zu erreichen, keineswegs einen einfacheren oder besser prognostizierbaren Lösungsansatz bietet. Die Ungenauigkeit, mit der (Straf-)Tatbestände formuliert werden (müssen), stellt die Auslegung vor keine geringere Schwierigkeit, als es das Auffinden einer entsprechenden Verkehrssitte tun würde.161 Angebracht ist die Kritik freilich hinsichtlich der teilweise willkürlich anmutenden Zusammenfassung unterschiedlicher Erscheinungen unter dem Begriff der Sozialadäquanz. Von der Sozialadäquanz zu unterscheiden ist insbesondere die Kategorie des „erlaubten Risikos“162. Diesem zuzuordnen sind gefährliche Handlungen, die nicht aufgrund der Einhaltung sozialer, sondern rechtlicher Verhaltensnormen von der Rechtsordnung gestattet werden.163 Darin liegt freilich nicht die Zubilligung eines „ein für alle Male […] positiven
(1931), S. 35 („Überzeugung von der Verbindlichkeit eines Verhaltens“). Ausführlich zu den Kriterien, anhand derer die Existenz sozialer Normen festzustellen und deren „Verbindlichkeitsintensität“ zu bemessen ist, LIMBACH, FS Hirsch 1968, S. 81–91; TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 68–79. Zu ermitteln, ob eine soziale Norm existiert, bleibt der empirischen Sozialforschung überlassen; dazu ebd., S. 118 und passim. 158 Zu den rechtlichen Verhaltensnormen ausführlich unten S. 99 ff. 159 Vgl. NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 36–38, 41 („Eine jede Sozialnorm, die über den Inhalt eines Verhaltens bestimmt, muß eine Grenznorm neben sich haben, die bestimmt, ob […] die eigene Vorschrift überhaupt Anwendung verlangt. […] Die wichtigste unter den Anknüpfungen, die für den Bereich der Sitte in Betracht kommen, ist in der persönlichen Zugehörigkeit zu einer Gruppe gegeben.“ [Hervorhebung hinzugefügt]); anderer Ansicht EHRLICH, Soziologie des Rechts4, S. 78–79. 160 WÜRTENBERGER, FS Rittler 1957, S. 129 („vom Standpunkt der Rechtsstaatlichkeit nicht gerechtfertigt“); KIENAPFEL, Erlaubtes Risiko, S. 20 („Gleichschaltung von festumrissener Ausnahmesituation (z. B. Notwehr) und gänzlich unbestimmter Normalsituation (erlaubtes Risiko)“); ROXIN, FS Klug 1983, S. 313 („nach vagen sozialethischen Vorstellungen“). 161 Vgl. insofern KLUG, FS Schmidt 1971, S. 251, 260. 162 Dazu insbesondere WELZEL, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 24–30. 163 Das Paradebeispiel bildet der Kraftfahrzeugverkehr; vgl. BGH (04.03.1957), BGHZ 24, 21 (26) („Indem die Rechtsordnung den gefahrvollen Verkehr zuläßt und den Teilnehmern an diesem Verkehr im einzelnen vorschreibt, wie sie ihr Verhalten einzurichten haben, spricht sie auch aus, daß sich ein Verhalten unter Beachtung dieser Vorschriften im Rahmen des Rechts hält. […] Es ist daher der Satz aufzustellen, daß bei verkehrsrichtigem (ordnungsgemäßem) Verhalten eines Teilnehmers am Straßen- oder Eisenbahnverkehr eine rechtswidrige Schädigung nicht vorliegt. Dahingestellt mag bleiben, ob es sich bei diesem Ergebnis um einen Sonderfall der Anwendung des Rechtsgedankens der sogenannten
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Wert[s]“164, vielmehr stellt die Rechtsordnung hier ein Verbot des risikobehafteten Verhaltens nur unter der Bedingung des Verstoßes gegen eine Vielzahl flankierender Verhaltensnormen auf.165
Ist damit die Frage nach den Auswirkungen der Kollision von Normen aus unterschiedlichen Normsystemen aufgeworfen, so sind insofern zwei Aspekte voneinander zu unterscheiden. Zum einen ist fraglich, ob rechtliche Verhaltensnormen überhaupt durch soziale Verhaltensnormen eingeschränkt werden können, zum anderen, in welcher Weise eine solche Einschränkung gegebenenfalls vor sich geht. Ausgangspunkt muss dabei sein, dass grundsätzlich jedes Normensystem autonom darüber befinden kann, welche Normen es als aus seiner Sicht 166 verbindlich anzusehen gewillt ist und wer durch diese sozialen Adäquanz handelt.“). Vgl. zur umfangreichen Diskussion, die durch diese Entscheidung ausgelöst wurde, WIETHÖLTER, Verkehrsrichtiges Verhalten, S. 5–14 und passim; NIPPERDEY, NJW 1957, S. 1777 ff.; LARENZ, FS Dölle 1963 I, S. 169 ff.; SCHMIDT, NJW 1958, S. 488 ff.; WEIMAR, JuS 1962, S. 133 ff.; STOLL, JZ 1958, S. 137 ff. Gegen die „Annahme, daß körperverletzendes, verkehrsrichtiges Verhalten rechtmäßig sei,“ wendet sich etwa DEUTSCH, Haftungsrecht, S. 198–200 m. w. N.; ebenso BOENNECKE, NJW 1960, S. 1188 f. 164 NOWAKOWSKI, ZStW 63 (1951), S. 330. 165 Erlaubtes Risiko und Sozialadäquanz sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Mechanismen zur Einschränkung von Verhaltensnormen; anderer Ansicht WELZEL, ZStW 58 (1938), S. 518 KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 397. In erster Linie um eine Frage des erlaubten Risikos handelt es sich nach hiesigem Verständnis etwa bei der Problematik der Beihilfe durch alltägliches oder berufstypisches Verhalten. Eine für Leben und Gesundheit gefährliche Handlung, etwa der Verkauf von Messern (OTTO, FS Lenckner 1998, S. 201– 202), wird mitunter von der Rechtsordnung aufgrund ihrer grundsätzlichen Erwünschtheit nicht verboten, solange gewisse risikomindernde Verhaltensregeln eingehalten werden. Zu diesen Regeln dürfte, entsprechend dem allgemeinen Gebot zur Vorsicht im Straßenverkehr gemäß § 1 StVO, auch gehören, in zumutbarer Weise eine Einschätzung vorzunehmen, ob im Einzelfall eine nicht zu tolerierende Risikoerhöhung gegeben ist. Wird dem nachgekommen, so ist auch die Vornahme der unerkannt erhöht gefährlichen Handlung rechtmäßig, geschieht dies nicht, so greift das bedingte Verbot ein. Ob sich daraus in der Folge eine Strafbarkeit wegen Beihilfe ergibt, bleibt der Sanktionsebene vorbehalten. Vgl. zum Problemkreis BAUMANN/WEBER/MITSCH, AT11, § 31 Rn. 32a ff.; OTTO, FS Lenckner 1998, S. 200–215; jeweils m. w. N. – Die hier geschilderte Einschränkung des Verbots deckt sich mit der Vorstellung, dass nicht allein der Grad der Gefährlichkeit eines Verhaltens, sondern auch die abstrakt menschenmögliche Erkennbarkeit dieser Gefährlichkeit über die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens entscheidet; dazu ENGISCH, FS DJT 1960, S. 416–417; MÜLLER, Kausalzusammenhang, S. 28, 31 („[O]bjektiv rechtsnormwidrig [ist] nur ein solches Verhalten, welches unter Berücksichtigung der für abstrakt menschliche Erkenntnis ex ante erkennbaren Umstände die objektive Möglichkeit der Vereitelung des in einer Norm gesetzten Zweckes erhöht […].“); ROXIN, FS Jung 2007, S. 829 ff. Zur Beziehung von subjektiven Kenntnissen und Normbefehl vgl. AST, Normentheorie, S. 29–31, 44–48 m. w. N.; stärker objektivierend BRAUN, NJW 1998, S. 941 ff. 166 NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 37 („Relativität allen Rechts, das nur vom Standpunkt eines bestimmten Staates aus als Recht gewertet werden kann“).
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Normen gebunden sein soll. Dies gilt ebenso für die Frage, ob (und gegebenenfalls welche) systemfremde Wertungen und Normen als verbindlich anzuerkennen sind.167 Eine nationale Rechtsordnung ist dabei keineswegs darauf beschränkt, Normen anderer Rechtsordnungen für in ihrer Sphäre verbindlich zu erklären, vielmehr kann sie ebenso bestimmten gesellschaftlichen (sozialen) Normen entsprechende Verbindlichkeit verleihen.168 Das grundsätzliche Bedenken gegen Rechtsnormen einschränkende soziale Verhaltensnormen liegt offenbar darin, dass der Gesetzgeber damit vermeintlich die endgültige Entscheidungsmöglichkeit über die Trennung von Recht und Unrecht verliert. 169 Diese Sorge ist hingegen unbegründet, solange die Rechtsordnung selbst darüber befindet, inwieweit soziale Verhaltensnormen von ihr anerkannt werden, solange sie also nicht unter einem generellen „sozialethischen“ Vorbehalt steht. 170 Es ist der Rechtsordnung vorbehalten, zu entscheiden, wann sie sich der Bewertung durch soziale Normen beugen und wann sie sich gegen diese wenden will,171 in welchen Fällen sie deren Bewertung Vorrang einräumt und wann sie soziale Normen unberücksichtigt lässt. Stets zu beachten ist „der erklärte Wille des Gesetzgebers […], einem bis
167 GEBHARD, Entwurf II, S. 159 („Dem Sittengesetze kann nur ein positiver Rechtssatz Bedeutung im Rechtsverkehre einräumen.“). 168 KLUG, FS Schmidt 1971, S. 251 („Bei Überpositivität handelt es sich zunächst um nichts weiter als die Charakterisierung einer Rangordnung zwischen verschiedenen Systemen von Direktiven. Die Frage nach dem jeweiligen Geltungsgrund – juristische oder moralische oder faktische Geltung – ist dabei offengelassen.“). 169 BYDLINSKI, ÖJZ 1955, S. 160 („WELZELS Lehre bedeutet, daß der Gesetzgeber die Korrektur seiner einmal getroffenen und in einem Rechtssatz niedergelegten Werturteile nicht sich selbst vorbehält, sondern der ‚Gesellschaft‘ oder gar einzelnen soziale [sic] Gruppen ohne alle Einschränkung überläßt, ja daß ein Verhalten seinen rechtlichen Unwert nicht aus einem Verstoß gegen einen Rechtssatz, sondern aus einem Verstoß gegen die ‚sittlichen Ordnungen‘ bezieht.“ [Hervorhebung im Original]). 170 Insofern besteht kein Unterschied zur Berücksichtigung ausländischen Rechts. Auch dieses wird kraft Anwendungsbefehls des inländischen, nicht des ausländischen Rechts angewandt; vgl. SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 94 („[W]ir […] sind [es], die mit unseren eigenen autonomen Kollisionsnormen dem fremden Gesetz seinen Anwendungsbereich – mit Wirkung für uns – zuschreiben.“). 171 ZIPF, ZStW 82 (1970), S. 637 („Das Prinzip der Sozialadäquanz ist subsidiär gegenüber der gesetzlichen Regelung.“); WELZEL, ZStW 58 (1938), S. 517 Fn. 38 („Hier bringt […die soziale Adäquanz] zum Bewußtsein, daß das gesetzlich normierte Recht stets in eine geschichtlich schon gestaltete Welt eintritt, deren Ordnungen es befestigt oder (in geschichtlich bewußter Tat) ändert und weiterführt, die es aber niemals voll erschöpfen kann, und daß es sich daher stets entweder unmittelbar auf sie beziehen muss (wie z. B. durch den Begriff der Verkehrsmäßigkeit) oder daß seine Begriffe wenigstens mittelbar ihren Bedeutungsgehalt aus der Beziehung auf sie miterhalten […].“ [Hervorhebungen hinzugefügt]); HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 45–46; ESER, FS Roxin 2001, S. 212.
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anhin sozial üblichen Verhalten gerade Einhalt zu gebieten, oder es bestimmten Kontrollen zu unterwerfen.“172 Die grundsätzliche Notwendigkeit, soziale Verhaltensnormen bei der rechtlichen Bewertung eines Verhaltens zu berücksichtigen, ergibt sich daraus, dass die Rechtsordnung nicht unabhängig von der gesellschaftlichen Ordnung existiert. Vielmehr baut sie auf dieser auf und gestaltet sie gleichzeitig weiter aus. 173 Die notwendige Abstrahierung rechtlicher Normen bringt deren Unvollständigkeit mit sich, die sich dadurch auftuenden Lücken werden durch einen Rückgriff auf soziale Normen geschlossen.174 Eine Beziehung zwischen Recht und Sitte setzt dabei nicht stets eine ausdrückliche Verweisung – wie etwa in § 138 BGB175 – voraus, sie besteht vielmehr auch dort, wo das Recht ausfüllungs- oder zumindest präzisierungsbedürftige Begriffe verwendet. 176 172
Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 29a. KLUG, FS Schmidt 1971, S. 261 („[D]ie Tatbestände [sind] der gesetzliche Niederschlag sozialethischer Prinzipien […].“); WELZEL, ZStW 58 (1938), S. 517 Fn. 38 (siehe Fn. 171); COING, Grundzüge der Rechtsphilosophie5, S. 279 („Das Recht enthält in seinen Regeln die sittliche Erfahrung vieler Generationen; in ihm sind die Entscheidungen niedergelegt, die gerecht und freiheitlich, zuverlässig und wahrhaftig gesonnene Menschen in Jahrhunderten für bestimmte Situationen des sozialen Lebens als richtig empfunden haben.“); KÖNIG, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Hirsch/ Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie2, S. 44–45 („[D]as Recht [ruht] gewissermaßen […] auf außerrechtlichen Normen, die ihm sowohl unter- wie übergeordnet sind, es mildern oder verschärfen können. Man kann auch sagen, daß kein Rechtsinstitut allein kraft rechtlicher Normen in der sozialen Wirklichkeit bestehen kann; sie bedürfen alle einer Ergänzung und Erweiterung durch außerrechtliche Normen.“); HIRSCH, JZ 1962, S. 333; EHRLICH, Soziologie des Rechts4, S. 58–61. Das Recht als Ersatz für andere soziale Ordnungen auffassend ALWART, Recht und Handlung, S. 147 („Eine Gesellschaft, die sich nicht auf der Grundlage einer als allgemeinverbindlich erlebten Religion oder Moral regulieren kann, statuiert ein apodiktisches Sollen für das Handeln eines bestimmten Personenkreises, eben des Rechtsstabs, um dem sozialen Leben – wenn schon der Glaube an höhere sittliche Autorität und die Furcht vor solchen Autoritäten fehlen – wenigstens auf diese Weise ein festes Gerüst (‚Rechtssicherheit‘ und formale ‚Gerechtigkeit‘) zu geben.“). Kritisch gegenüber den Einwirkungsmöglichkeiten des Rechts auf soziale Wertvorstellungen VOLK, Referat 61. DJT, S. L 36–L 37, m. V. a. NOACK, Korruption, S. 181 („[E]in im wesentlichen auf materiellen Werten aufgebautes soziales und politisches System wie das unsere [läßt] sich auf die Dauer nur durch immaterielle Werte stabilisieren […], die dieses System nicht aus sich selbst heraus hervorzubringen vermag.“). 174 HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 64 („In die offenen Räume des Gesetzes, die in den gesetzlichen Generalklauseln am sichtbarsten werden, wird hier die normative Kraft der Sittenregeln eingelassen, um die rechtliche Ordnung zu ergänzen.“ [Hervorhebung im Original]). 175 Siehe unten S. 197 ff. 176 Eine Gefahr sieht OTT, Kontrolle der Wirtschaft, in: Rehbinder/Schelsky (Hrsg.), Zur Effektivität des Rechts, S. 370–372, in der „Übernahme sozialer Normen in das Normativsystem des Rechts“. Angesichts des Schwindens einer intakten Sozialmoral sei eine 173
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Die rechtlichen Verhaltensnormen aus diesem Beziehungsgeflecht auszunehmen besteht kein Anlass.177 Dem Erfordernis, soziale Normen zu berücksichtigen, steht notwendigerweise erst recht derjenige gegenüber, der ohnehin nur in diesen echte Verhaltensnormen erblickt.178 Nicht recht einzusehen ist jedoch, weshalb ausgerechnet die Rechtsordnung als eines unter vielen normativen Ordnungssystemen die Besonderheit, keine Verhaltensnormen zu enthalten, aufweisen und damit der Möglichkeit beraubt sein sollte, systemfremden Normen durch Statuierung eigener, abweichender Verhaltensanforderungen entgegenzutreten. Es spricht nichts dagegen, ein bestimmtes Verhalten durch die „politische“ und die „gesellschaftliche“ Gemeinschaft zu regulieren.179
Unklar ist, wie die Verhaltensbewertung durch die sozialen Normen ausfallen muss, damit die Rechtsordnung ihre eigenen Verhaltensnormen zurückstellt. Teilweise wird als ausreichend angesehen, dass das fragliche Verhalten nicht von sozialen Normen verboten wird, 180 teilweise wird soziale Gebotenheit vorausgesetzt.181 Jedoch wird man auch hier davon ausgehen müssen, dass es der Rechtsordnung überlassen ist, welchen gesellschaftlichen Bewertungen sie sich öffnen will. Mag man auch etwa die Ablehnung eines angemessenen solche Übernahme Ausdruck „historisch überholter Ordnungskonzeptionen“ und führe zu einem „moralischen Vakuum“. 177 Vgl. KLUG, FS Schmidt 1971, S. 262 („[D]ie metajuristische Kontrolle unter dem Aspekt der Sozialkongruenz ist die strafrechtliche Ergänzung des in § 138 BGB für das Zivilrecht ausgesprochenen allgemeinen Grundsatzes der Kontroll- und Begrenzungsfunktion des Sittengesetzes.“). 178 Vgl. etwa ALWART, Recht und Handlung, S. 150 („Die Richter werden deshalb vom Gesetz zum Strafen angehalten, weil das besagte Verbot in der Gesellschaft lebendig ist und daher als solches von der Rechtsordnung schon vorausgesetzt werden kann.“); SCHMIDHÄUSER, Form und Gehalt, S. 45 („Dieses ‚du darfst nicht‘ geht in aller Regel – jedenfalls in den meisten Gesetzen des Kriminalstrafrechts (im Unterschied zum sog. Ordnungsstrafrecht) – der gesetzlichen Schilderung voran, als ein Verbot oder Gebot der Sozialethik […].“); kritisch dazu HOERSTER, JZ 1989, S. 10 ff.; DERS., JZ 1989, S. 425 ff. 179 Vgl. OERTMANN, Rechtsordnung, S. 20 Fn. 3; HOERSTER, JZ 1989, S. 11–12. – Gegen die Vorstellung, das Recht könne Verstöße gegen „ethische Normen“ sanktionieren, ohne dass diese selbst zu Rechtsnormen würden, wendet sich bereits BINDING, Normen I4, S. 56. 180 WELZEL, Strafrecht11, S. 56 („Sozialadäquates Verhalten ist keineswegs notwendig ein sozialvorbildliches Verhalten, sondern ein Verhalten im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit.“); ähnlich KLUG, FS Schmidt 1971, S. 262, der terminologisch jedoch zwischen sozial gebotenem („sozialkongruentem“) und sozial erlaubtem („sozialadäquatem“) Verhalten differenziert und jenes als Tatbestandsausschluss, dieses als Rechtfertigungsgrund ansieht. 181 ZIPF, ZStW 82 (1970), S. 646 („Die Sozialadäquanz […] schafft eine generelle Handlungspflicht, der jedermann unterworfen ist.“), 647 („[E]in von der Rechts- und Sozialordnung gebotenes Verhalten bedarf keiner Rechtfertigung […].“); Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 29a („aus Höflichkeit oder mit Rücksicht auf bestimmte soziale Regeln nicht zurückgewiesen werden können“ [Hervorhebung hinzugefügt]).
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Neujahrsgeschenks durch den Postboten als sozial verboten ansehen, das Anbieten eines solchen jedenfalls wird nur schwerlich als soziale Pflicht, durchaus aber als sozial erlaubt aufgefasst werden können. Aus dieser Einschränkung die Rechtswidrigkeit des Anbietens zu folgern, wäre unangemessen. Eine strenge Unterscheidung zwischen sozial gebotenem und sozial nicht verbotenem Verhalten kann nicht generell erfolgen und bleibt einer rechtlichen Differenzierung im Einzelfall vorbehalten. Zu den Differenzierungsmöglichkeiten der Rechtsordnung hinsichtlich der Berücksichtigung sozialer Normen gehört auch, diese vom Grad der Gefahr, die mit dem nach rechtlichen Maßstäben allein eigentlich verbotenen Verhalten verbunden sind, abhängig zu machen. Daraus erklärt sich, dass dem Gedanken der Sozialadäquanz hinsichtlich einer Strafbarkeit nach § 332 StGB im Allgemeinen keine Bedeutung beigemessen wird, 182 ebenso die nur für § 331 StGB, jedoch nicht für § 332 StGB vorgesehene Genehmigungsmöglichkeit. So wie der Grad der drohenden Gefahr über die Abgrenzung von verbotenem und erlaubtem Verhalten entscheidet, so entscheidet er hier zwischen bedingtem und unbedingtem Verbot. Auf die sozialen Normen welcher Gruppe bei der Beurteilung der Sozialadäquanz im Einzelfall abzustellen ist, wird an anderer Stelle zu erörtern sein.183
II. Vorteilsgewährung und Bestechung, §§ 333, 334 StGB Die §§ 333 Abs. 1 und 334 Abs. 1 StGB184 bilden gleichsam das spiegelbildliche Pendant zu Vorteilsannahme und Bestechlichkeit,185 indem sie es verbieten, einem Amtsträger einen Vorteil für sich oder einen Dritten für die Dienstausübung anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren.186 Der missbilligten Reziprozität allein durch Verhaltensanforderungen an den Amtsträger entgegenzutreten, böte dem Zuwendenden die Möglichkeit, gefahrlos die Gesetzestreue des Amtsträgers auf die Probe zu stellen.187 Bei § 334 Abs. 1 182
LK12/SOWADA, § 332 Rn. 1; MüKo-StGB2/KORTE, § 332 Rn. 37; ARZT/WE2 30, 35. („sozialrelevante Regelung kraft anerkannter Übung der beteiligten Kreise“ [Hervorhebung hinzugefügt]); KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 397 („im jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld“). Dazu unten S. 223 ff. 184 Außer Betracht bleiben auch hier die Vorteilsgewährung an bzw. Bestechung von Richtern und Schiedsrichtern (§§ 333 Abs. 2, 334 Abs. 2 StGB). 185 ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 42 f.; Schönke/Schröder28/ HEINE, § 333 Rn. 1. 186 Zu den Handlungsalternativen der §§ 333, 334 StGB als Gegenstücke zu denjenigen der §§ 331, 332 StGB LK12/SOWADA, § 333 Rn. 3–11 m. w. N. 187 Tatsächlich stellte § 333 Abs. 1 StGB in der Fassung des Art. 19 Nr. 187 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974, BGBl. 1974, S. 469, 496, die Vorteilsgewährung in weitaus geringerem Maße unter Strafe als die Vorteilsannahme („Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder BER/HEINRICH/HILGENDORF, BT , § 49 Rn. 183 ZIPF, ZStW 82 (1970), S. 637–638
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StGB handelt es sich um eine Qualifikation zu § 333 Abs. 1 StGB,188 auch hier ist von einer einheitlichen Verhaltensnorm hinsichtlich beider Straftatbestände auszugehen. 189 Obwohl im Unterschied zu den §§ 331, 332 StGB durch die §§ 333, 334 StGB auch die Vorteilsgewährung an Soldaten der Bundeswehr unter Strafe gestellt ist, besteht eine „Spiegelbildlichkeit“190 der Korruptionsdelikte auch auf strafrechtlicher Sanktionsebene, da Soldaten den Amtsträgern im Hinblick auf die §§ 331, 332 StGB durch § 48 WStG gleichgestellt werden.191 Im Hinblick auf die Rechtfertigungsmöglichkeit durch Genehmigung und die Beschränkung der Verbotsnormen durch das Prinzip der Sozialadäquanz gilt das in Bezug auf Vorteilsannahme und Bestechlichkeit Gesagte entsprechend.192 Die rechtfertigende Wirkung der Genehmigung (bzw. der Genehmigungsfähigkeit) der Vorteilsannahme durch den Amtsträger erstreckt sich auf die Vorteilsgewährung.193 Was die Sozialadäquanz anbelangt, so ist, da sich die Gefährlichkeit eines Vorteils danach bemisst, ob er den Amtsträger zu einer Erwiderung zu verpflichten geeignet ist, richtigerweise auf die Verhält-
einem Soldaten der Bundeswehr als Gegenleistung dafür, daß er eine in seinem Ermessen stehende Diensthandlung künftig vornehme, einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“). Begründet wurde dies damit, „daß in der Allgemeinheit die Anschauung, in der Gewährung eines Vorteils für eine ordnungsgemäße Handlung sei nichts Verfängliches, sondern nur ein Akt des Wohlwollens oder der Dankbarkeit zu erblicken, weit verbreitet ist, so daß es nicht verstanden würde, wenn man ein solches Verhalten allgemein unter Strafe stellen wollte“ (BT-Drs. 7/550, S. 274). Die weitgehende Angleichung an § 331 StGB erfolgte erst durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997, BGBl. 1997, S. 2038, 2039. Nach heutiger Rechtslage wäre daher etwa die in BGH (14.12.1999), BGHZ 143, 283 (287) noch als einseitiger Gesetzesverstoß aufgefasste Schenkung an einen Sparkassenangestellten als ein beiderseitiger anzusehen. 188 LK12/SOWADA, § 334 Rn. 1. 189 Vgl. zum entsprechenden Verhältnis zwischen § 331 Abs. 1 und § 332 Abs. 1 StGB oben S. 68 ff. 190 Vgl. LK12/SOWADA, § 333 Rn. 2. 191 § 48 Abs. 1 WStG lautet: „Für die Anwendung der Vorschriften des Strafgesetzbuches […] über Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (§§ 331, 332, 335 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 2, § 336) […] stehen Offiziere und Unteroffiziere den Amtsträgern und ihr Wehrdienst dem Amt gleich.“ § 48 Abs. 2 WStG, neu gefasst durch Art. 4 des Achtundvierzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 23. April 2014, BGBl. 2014, S. 410, 411, lautet: „Für die Anwendung der Vorschriften des Strafgesetzbuches über […] Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (§§ 331, 332, 335 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Absatz 2, § 336) […] stehen auch Mannschaften den Amtsträgern und ihr Wehrdienst dem Amt gleich“. 192 Dazu oben S. 70 ff. 193 Vgl. zu den damit verbundenen Fragen eingehend HARDTUNG, Erlaubte Vorteilsannahme, S. 233–236 [zu § 333 StGB a. F.]; LK12/SOWADA, § 333 Rn. 20–22.
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nisse und die Verkehrskreise des Amtsträgers abzustellen.194 Ein Vorteil darf grundsätzlich dann gewährt werden, wenn dem Amtsträger gestattet ist, einen solchen anzunehmen. Eine unterschiedliche Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung bleibt jedoch möglich, wo speziell dem Amtsträger durch die Rechtsordnung strengere Verhaltensvorgaben gemacht werden, als durch die maßgeblichen sozialen Normen. Hier kann sich der Vorteilsgeber auf die Sozialadäquanz seiner Handlung berufen, obwohl dem Vorteilsnehmer dieser Weg versperrt ist.195 III. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB Der nach dem Vorbild der §§ 331 ff. StGB geschaffene § 299 StGB 196 bedroht in zwei ebenfalls spiegelbildlich gefassten Straftatbeständen das Fordern (Anbieten), Sichversprechenlassen (Versprechen) und Annehmen (Gewähren) eines Vorteils als Gegenleistung für die unlautere Bevorzugung beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb mit Strafe und richtet sich damit gegen Korruption im wirtschaftlichen Bereich. Auch § 299 StGB beruht auf dem Gedanken, dass bestimmte Zuwendungen an einen Agenten (oder einen Dritten) bei diesem ein Gefühl des Verpflichtetseins gegenüber dem Zuwendenden hervorzurufen geeignet sind, und wendet sich gegen missbilligenswerte Formen positiver Reziprozität. Das im Zusammenhang mit den §§ 331, 332 StGB im Hinblick auf Vorteil und Unrechtsvereinbarung Gesagte gilt daher grundsätzlich auch im Rahmen des § 299 StGB.197 Vorgebeugt werden soll dem Streben nach bzw. dem Zuwenden von Vorteilen, welche die Gefahr in sich tragen, der Agent werde durch sie dazu veranlasst, im Gegenzug einen anderen in unlauterer Weise im Wettbewerb zu bevorzugen. Eines Erfolgseintritts in Form einer tatsächlichen Bevorzugung bedarf es hingegen auch hier nicht.
194 MüKo-StGB2/KORTE, § 333 Rn. 21 („Was sozial üblich ist, richtet sich grundsätzlich nach der Sphäre des Amtsträgers. Es kommt nicht darauf an, ob und ggf. in welchem Umfang die Gewährung von Vorteilen bei anderen Geschäften des Gebers, insbesondere im geschäftlichen Verkehr mit Privaten, sozial üblich ist.“). 195 LK12/SOWADA, § 333 Rn. 15; MüKo-StGB2/KORTE, § 333 Rn. 21 („So kann sich die ‚großzügige Spende‘ für die Kaffeekasse eines öffentlichen Krankenhauses als Dank für die gute Pflege oder die Prämie für den bei der Polizei oder Feuerwehr tätigen Lebensretter für den Geber als sozialadäquates Verhalten darstellen, auch wenn die Annahme der Vorteile dem Amtsträger aufgrund von Dienstvorschriften verboten ist.“). 196 Die Vorschrift wurde eingefügt durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997, BGBl. 1997, S. 2038; gleichzeitig wurde durch Art. 4 Nr. 1 desselben Gesetzes, BGBl. 1997, S. 2038, 2040, die Vorgängervorschrift, § 12 UWG, aufgehoben. Vgl. zum später durch Gesetz vom 22. August 2002 (oben S. 49 Fn. 3), BGBl. 2002 I, S. 3387, eingefügten Abs. 3 unten S. 137 ff. 197 LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 25, 29; vgl. oben S. 64 ff.
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Die Gefahr einer Bevorzugung im Wettbewerb setzt voraus, dass mit dem Bestehen einer zukünftigen Wettbewerbssituation zu rechnen ist, die grundsätzlich „dadurch gekennzeichnet [ist], dass der eine das zu gewinnen strebt, was ein anderer zu gleicher Zeit zu gewinnen strebt“198. Bevorzugung bedeutet daher stets Bevorzugung vor einem dadurch leer ausgehenden Mitbewerber.199 Wird daraus geschlossen, § 299 StGB erfasse nur Bevorzugungen im Wettbewerb von gewisser Endgültigkeit und sei daher nicht auf Bevorzugungen im Vorfeld einer Auftragsvergabe – insbesondere die Beschaffung von Informationen in einem Vergabeverfahren – anwendbar, 200 so ist eine derartige Einschränkung jedenfalls auf die Sanktionsebene zu begrenzen.201 Gerade Vorteilszuwendungen, die auf die Beeinflussung eines Vergabeverfahrens abzielen, sind für einen ordnungsgemäßen Wettbewerb besonders gefährlich und daher als verboten anzusehen.202 Ungefährlich und daher nicht erfasst sind Zuwendungen an „untergeordnete Hilfskräfte“203, die über keine Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen (oder Entscheidende)204 verfügen.205 Nicht dem Tatbestand unterfallen ferner Zuwendungen, welche die Benachteiligung von Konkurrenten von vornherein nicht befürchten lassen, sei es, weil der Geschäftsherr stets alle Bewerber zu befriedigen in der Lage
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Köhler/Bornkamm31/KÖHLER, Einl. UWG Rn. 1.1. Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 23; TIEDEMANN, Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 203; BÜRGER, wistra 2003, S. 133; PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 132–133; BGH (16.07.2004), BGHSt 49, 214 (228) („Bevorzugung […] bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus.“); wortgleich BGH (09.08.2006), NJW 2006, 3290 (3298). 200 ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 57 („Bei § 299 geht es um rechtsgeschäftliches Handeln bzw. die Einwirkung auf rechtsgeschäftliches Handeln. Tatsächliche Handlungen […] werden nicht erfasst.“); MüKo-StGB2/KRICK, § 299 Rn. 26; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 23; LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 33; NK-StGB4/ DANNECKER, § 299 Rn. 46; anderer Ansicht jedoch BGH (09.08.2006), NJW 2006, 3290 (3298). 201 Zur strafrechtlichen Erfassung derartiger Fälle über § 298 StGB und § 17 UWG etwa LK12/TIEDEMANN, § 298 Rn. 13–15 m. w. N.; KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 153–157. 202 Vgl. BGH (09.08.2006), NJW 2006, 3290 (3298) („Mithin handelt es sich um einen geradezu klassischen Fall der Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch eine Schmiergeldzahlung.“). 203 BÜRGER, wistra 2003, S. 131; ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 57 („Entscheidungskompetenz“). 204 Notwendig ist hier eine „Entscheidungsherrschaft kraft überlegenen Wissens“, die es dem Zuwendungsempfänger ermöglicht, „das Leistungsprinzip als Entscheidungsmaßstab durch den Maßstab des Vorteils zu ersetzen“ (KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 144). Vgl. auch LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 11. 205 LAMPE, Referat, S. 13 („Wer diesen Einfluß nicht besitzt – sei es daß sein Rat nicht gehört wird, sei es (dies scheint mir der wichtigere Fall) daß Vor- und Nachteile des Geschäfts ihn selbst treffen –, der ist im Sinne des Gesetzes unbestechlich.“). 199
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bleibt,206 weil es aufgrund eines Monopols207 keine Mitbewerber, d. h. „Gewerbetreibenden, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellen oder in den geschäftlichen Verkehr bringen“ 208 , gibt oder weil ein tatsächlicher Wettbewerb aufgrund einer bereits feststehenden Entscheidung des Auftraggebers nicht besteht.209 Ebenfalls als ungefährlich können sich solche Vorteile erweisen, deren Zuwendung bereits zur Kontaktaufnahme notwendig sind, ohne dass sie den Ausgang anschließender geschäftlicher Verhandlungen zu beeinflussen geeignet sind.210 Andererseits ist für eine Einflussmöglichkeit nicht von Bedeutung, ob ihr ein wirksamer Vertrag zugrunde liegt, so dass ein faktisches Angestellten- oder Beauftragtenverhältnis des Zuwendungsempfängers zum Geschäftsherrn genügt.211
Dass letztlich einem der Mitbewerber der Vorzug gegeben wird, ist Sinn und Zweck jedes Wettbewerbs und daher an und für sich unbedenklich.212 Entscheidend ist daher, dass es sich um eine unlautere Bevorzugung handelt. Anders als im Hinblick auf die §§ 332, 334 StGB lässt sich diese nicht unmittelbar anhand der Pflichtwidrigkeit der Handlung des bestochenen Agenten gegenüber dessen Prinzipal bestimmen.213 Die Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis zum Geschäftsherrn ist in erster Linie ein Merkmal der Untreue.214 Eine entsprechende Erweiterung sollte § 299 StGB zwar nach einem
206
Zu nicht unter § 299 StGB fallenden Fällen der Kreditvergabe NK-StGB4/DAN§ 299 Rn. 46b; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 23; TIEDEMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 916–917. 207 Dazu GERCKE/WOLLSCHLÄGER, wistra 2008, S. 7. 208 BGH (10.07.1957), BGHSt 10, 358 (368). 209 Dazu eingehend GERCKE/WOLLSCHLÄGER, wistra 2008, S. 8–10. 210 RÖNNAU, JZ 2007, S. 1086. Ebenfalls auf solche Fallkonstellationen bezieht sich die Kritik von KNAPP, RIW 1986, S. 1000 Fn. 5 („Bakschische sozusagen als Eintrittspreis“). 211 NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 21, 22; LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 11; BÜRGER, wistra 2003, S. 131; PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 133. – Vorausgesetzt wird regelmäßig, dass der Vorteilsempfänger zum Tatzeitpunkt die Agentenstellung bereits inne hat; TIEDEMANN, Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 201 m. w. N. Auf Ebene der Verhaltensnorm erscheint eine solche Einschränkung jedoch fraglich, ist doch die Beeinflussung einer konkret in Aussicht stehenden Einflussmöglichkeit nicht weniger bedenklich als die einer bereits bestehenden. 212 Köhler/Bornkamm31/KÖHLER, Einl. UWG Rn. 1.22 („Der Ausleseprozess […] liegt aber im Wesen des Wettbewerbs begründet, der der besseren Leistung zum Siege verhelfen will.“). 213 LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 40; NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 52; BÜRGER, wistra 2003, S. 133–134; VOLK, GS Zipf 1999, S. 426–427; HEINRICH, Amtsträgerbegriff, S. 604; FREYTAG, Das Verhältnis des § 12 U. W. G. zum Tatbestand der Untreue § 266 St. G. B., S. 12. Anderer Ansicht SZEBROWSKI, Kick-Back, S. 193 („‚Unlauter‘ bedeutet im Kontext der Bestechlichkeit daher ‚pflichtwidrig‘.“); JAQUES, Bestechungstatbestände, S. 96 („Bestechlichkeit [ist] eine Form der Pflichtverletzung gegenüber dem Geschäftsherrn“.). 214 VOLK, GS Zipf 1999, S. 426; DERS., Referat 61. DJT, S. L 46. NECKER,
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Gesetzentwurf aus dem Jahr 2007 erfahren, 215 eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs, gegen die sich § 299 StGB wendet,216 muss jedoch keineswegs mit einer Pflichtwidrigkeit gegenüber dem Prinzipal einhergehen.217 Im Verzicht auf das Merkmal der Pflichtwidrigkeit für die Frage nach der Unlauterkeit der Bevorzugung liegt jedoch keine inhaltliche Abweichung von den §§ 332, 334 StGB. Zwar wird dort darauf abgestellt, ob die (in Aussicht genommene) Diensthandlung des Amtsträgers pflichtwidrig ist, diesem Merkmal kommt jedoch bereits ein über das bloße Treuverhalten des Agenten gegenüber dem staatlichen Prinzipal hinausreichender, gleichsam objektiver Charakter zu: Pflichten, die Amtsträgern auferlegt werden, dienen – anders als die Pflichten eines Agenten in der Privatwirtschaft218 – gerade nicht allein den Interessen des staatlichen Prinzipals, vielmehr werden durch sie in erster Linie Interessen der Allgemeinheit durchgesetzt.219 Um diesen Allgemeingüterschutz auch in § 299 StGB zu verwirklichen, bedarf es dort des Rückgriffs auf Merkmale, die außerhalb der internen Pflichtenbindung des Agenten zu seinem Prinzipal liegen.
Dennoch setzt auch § 299 StGB zwingend einen drohenden „Regelverstoß“220, unter dem Vorteil und Bevorzugung ausgetauscht werden, voraus. An die Stelle der Pflichtwidrigkeit der Amtshandlung im Rahmen der §§ 331 ff. StGB tritt hier die Unsachlichkeit wettbewerbsrelevanter Entscheidungen. Eine Bevorzugung ist daher unlauter, wenn sie nicht auf „sachlichen Erwägungen“, sondern auf dem gewährten oder in Aussicht gestellten Vorteil beruht. 221 Entscheidend ist demnach, was eine sachliche Entscheidung aus215
BT-Drs. 16/6558, S. 5 f. Zur Schaffung eines Tatbestands, der Zuwendungen unter Strafe stellt, die den Agenten zur Verletzung von Pflichten gegenüber dem Geschäftsherrn motivieren, verpflichtet Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor vom 22. Juli 2003 (ABl. EU 2003, L 192, S. 54 f.). Da die insoweit nach Art. 2 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses zulässige, einschränkende Erklärung Deutschlands mit Ablauf des 22. Juli 2010 ihre Gültigkeit verloren hat (vgl. dazu den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 9 des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor vom 6. Juni 2011, KOM(2011) 309 endgültig, S. 5), genügt die gegenwärtige Fassung des § 299 StGB den europäischen Anforderungen nicht mehr; BT-Drs. 16/6558, S. 9; TIEDEMANN, Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 196a. Mit einer Anpassung des § 299 StGB ist indes vorerst nicht zu rechnen; BT-Drs. 18/2138, S. 79. 216 NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 4; BLESSING, § 53: Schmiergeldzahlungen, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht5, Rn. 54; GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 5; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 2; FISCHER61, § 299 Rn. 2. 217 Vgl. dazu PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 130; unten S. 89 Fn. 233. 218 Zutreffend insoweit VOLK, GS Zipf 1999, S. 426–427 („In die Sachlichkeit unternehmerischer Entscheidungen vertraut man nicht, und man sollte es auch nicht tun, weil die Sache, um die es in der Wirtschaft geht, der eigene Vorteil ist.“), der jedoch im Verzicht auf die Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis eine Abweichung zu den §§ 331 ff. StGB erblickt. 219 Dazu auch S. 67 bei Fn. 102. 220 VOLK, Referat 61. DJT, S. L 41. 221 GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 29; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 19 („Erhaltung der Sachgerechtigkeit, scil. gemessen an ‚freien‘ Wettbewerbsbedingungen“); NK-
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zeichnet. Im Hinblick darauf, dass es einem Geschäftsinhaber grundsätzlich gestattet ist, im Wettbewerb nach seinen Vorstellungen zu verfahren, insbesondere auf seinen eigenen Vorteil bedacht zu sein,222 muss als sachgerecht jede Entscheidung gelten, die dieser in seinem Interesse trifft.223 Eine unrichtige Bewertung eines Angebots durch ihn kann es insofern nicht geben. 224 Zwar ist auch die Befugnis des Geschäftsinhabers zu unsachlichem Handeln im Wettbewerb nicht grenzenlos,225 denn er kann in vielfacher Hinsicht wettbewerbswidrig handeln und sich dafür auch Vorteile zuwenden lassen. 226 Würde § 299 StGB sich jedoch auf diese Fälle erstrecken,227 so entstünde ein Tatbestand, der schlicht die Entgeltlichkeit beliebiger Wettbewerbsverstöße StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 53 („Eignung der Bevorzugung zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs und zur Schädigung der Mitbewerber“); VOLK, Referat 61. DJT, S. L 46 („gegen Regeln des Rechts und der Wettbewerbsmoral“); DÖLLING, Gutachten 61. DJT, S. C 87-C 88; BGH (13.05.1952), BGHSt 2, 396 (401) („nicht mehr rein sachlich, sondern unter dem Einfluß der empfangenen oder erwarteten Vorteile“); LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 42; DERS., Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 207. – Dass ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit entbehrlich erscheinen mag, weil die Regelwidrigkeit der drohenden Bevorzugung im Wettbewerb bereits bei der Frage nach der Gefährlichkeit des Vorteils (dazu GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 29; VOLK, Referat 61. DJT, S. L 39; KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 108) oder im Rahmen der Bevorzugung selbst (dazu LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 42) möglich ist, ändert nichts an der Bedeutung der Regelwidrigkeit, was VOLK, Referat 61. DJT, S. L 41, zurecht betont: „Auf das schlechthin zentrale Merkmal des Regelverstoßes kann man […] nicht verzichten“. 222 DÖLLING, Gutachten 61. DJT, S. C 87 („Der Geschäftsinhaber ist in der Entscheidung über den Bezug von Waren und gewerblichen Leistungen grundsätzlich frei. Er darf sich hierbei auch von unsachlichen Motiven leiten lassen.“); VOLK, GS Zipf 1999, S. 427 („[G]egenüber seinem Geschäftspartner ist der Selbständige bis zur Grenze des Wuchers frei.“); DERS., Referat 61. DJT, S. L 48; RENGIER, FS Tiedemann 2008, S. 839. 223 Dies gilt unabhängig davon, ob die Verwirklichung dieser Interessen als objektiv sinnvoll erscheint. 224 Sofern der Prinzipal also über eine lückenlose Informationsgrundlage verfügt, kann er nicht freiwillig gegen seine Interessen handeln; dazu KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 104; VEDDER, Missbrauch der Vertretungsmacht, S. 39 („Es ist aber nicht möglich, dass ein im eigenen Namen Handelnder vorsätzlich seinen selbstbestimmten Interessen zuwider handelt. Denn selbst wenn er beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts bewusst ein zuvor selbst definiertes Interesse missachtet, so liegt gerade in dieser Missachtung für den maßgeblichen Moment des Geschäftsabschlusses eine neue Definition seiner Interessen.“). 225 VOLK, Referat 61. DJT, S. L 48 („Er handelt nicht unsachlich, wenn er zu seinem Vorteil handelt, denn der Vorteil ist die Sache, um die es in der Wirtschaft geht. Er darf seine Leistungen verkaufen, wie er will, darf sich seine Entscheidungen abkaufen lassen zu beliebigem Preis – nur eines darf er nicht: die Regeln verletzen, die den Schutz des fairen Wettbewerbs bezwecken.“). 226 Eine Auswahl potentieller Beispiele findet sich bei LAMPE, Referat, S. 18. 227 Den Verzicht auf die Strafbarkeit des Geschäftsinhabers bemängeln etwa LAMPE, Referat, S. 16–22, und BÜRGER, wistra 2003, S. 134–135.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
zum Gegenstand hätte; verloren ginge damit das der Korruption immanente Merkmal des Missbrauchs anvertrauter Macht.228 Der Verzicht auf die Einbeziehung des Geschäftsherrn als solchen 229 in den Tatbestand des § 299 StGB beruht daher nicht etwa auf Schwierigkeiten, zu bestimmen, ob dieser sich unlauter verhalten hat,230 sondern darauf, dass es sich insofern nicht um korruptes, sondern um schlicht regelwidriges Verhalten handelt. Nicht von ungefähr nimmt der Geschäftsinhaber in den Fällen, in denen von einem korrupten Verhalten seinerseits ausgegangen wird, regelmäßig die Stellung eines Agenten gegenüber einem Dritten ein.231 Der Geschäftsinhaber handelt im Wettbewerb stets auf Grundlage des Leistungsprinzips und daher – unabhängig von der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens – jedenfalls nie korrupt.232 Auch für den Agenten gilt daher, dass seine Bevorzugung eines der Mitbewerber als sachlich gelten muss, wenn er diesen anhand des Leistungsprinzips ausgewählt hat. Anhand welcher Kriterien er die einzelnen Leistungen zu bewerten hat, ist dabei eine Frage des Innenverhältnisses zu seinem Prinzipal, ein entsprechender Verstoß eine solche der Untreue. Aber nur dass der Agent seine Wahl aufgrund eines Vergleichs der verschiedenen Angebote anhand des Leistungsprinzips vornimmt, ist bedeutsam für den Wettbewerb. Der Verquickung des Schutzes des Wettbewerbs mit dem der Interessen des Prinzipals liegt somit zugrunde, dass die Lauterkeit einer Bevorzugung einerseits zwar mit ihrer „Sachgerechtigkeit“ gleichgesetzt wird, dieser andererseits jedoch im Hinblick auf den 228 Korruption verlangt mehr als den Verstoß gegen eine beliebige Verhaltensnorm aufgrund eines persönlichen Vorteils; vgl. S. 7 Fn. 10. 229 Soweit der Geschäftsherr für einen fremden geschäftlichen Betrieb tätig wird, wird er in dieser Funktion als Beauftragter vom Tatbestand des § 299 StGB erfasst. Im Einzelnen zum Begriff des Angestellten und Beauftragten NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 19–23e; LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 11–19. 230 So jedoch GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 31; DÖLLING, Gutachten 61. DJT, S. C 87. Zur Kritik daran VOLK, Referat 61. DJT, S. L 49; DERS., GS Zipf 1999, S. 427. 231 VOLK, Referat 61. DJT, S. L 48 („Strafwürdig ist beispielsweise der Inhaber einer Firma, die beratend tätig ist (der geschmierte Anlageberater), der Chef eines Architekturbüros, das Bauleistungen vergibt, etc.“); DÖLLING, Gutachten 61. DJT, S. C 88 („Sinnvoll erscheint es, […] die aktive und passive Bestechung von Inhabern, Angestellten und Beauftragten solcher Betriebe in den Tatbestand aufzunehmen, deren Aufgabe in der Aufklärung und Beratung von Kunden besteht.“). – Gegen das Erfordernis eines Prinzipal-Agenten-Verhältnisses wendet sich BÜRGER, wistra 2003, S. 132–133. 232 Mit KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 99–112, 105, ist anzunehmen, dass § 299 StGB den Wettbewerb dagegen schützt, „dass das Leistungsprinzip als Entscheidungsmaßstab für die Bevorzugung durch einen anderen Maßstab, namentlich den des Vorteils, ersetzt oder zumindest ergänzt wird“ [Hervorhebung im Original]. – Entgegen der Annahme von RENGIER, FS Tiedemann 2008, S. 848, und VOLK, Referat 61. DJT, S. L 48 („[E]s gibt nur wenige Regeln, deren Verletzung den Geschäftsherrn strafbar machen kann.“), hätte die Einbeziehung des Geschäftsherrn in den Tatbestand des § 299 StGB daher nicht wenige, sondern überhaupt keine Folgen; vgl. KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 187–190.
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Agenten eine andere Bedeutung zukommt als im Hinblick auf den Prinzipal. Eine sachgerechte Entscheidung trifft der Agent, wenn sie wettbewerbsadäquat ist, 233 was hingegen sachgerecht für den Prinzipal bedeutet, bleibt weitestgehend dessen Gutdünken überlassen. Soll im Wettbewerb das Leistungsprinzip verwirklicht werden, so bedeutet dies, dass der Wettbewerber zwar kein Recht auf eine nach objektiven Gesichtspunkten sachgerechte Entscheidung hat, er sich aber darauf verlassen können muss, dass der entscheidende Agent zumindest nicht durch Vorteilszuwendungen zu einer unsachlichen, nicht am Leistungsprinzip orientierten Entscheidung verleitet wird. Wenn dennoch die Entscheidung eines Agenten oftmals dann als lauter bezeichnet wird, wenn sie in Erfüllung vertraglicher Pflichten im Innenverhältnis getroffen wird,234 so liegt das nicht daran, dass die Wettbewerbswidrigkeit der Entscheidung von dem Verstoß gegen solche Pflichten abhinge, sondern daran, dass der Wettbewerb so sehr mit dem Streben nach eigenem Vorteil verknüpft und dieses so selbstverständlich ist, dass regelmäßig nicht mit einer Abweichung der Interessen des Geschäftsherrn von denen des Wettbewerbs zu rechnen ist. 235 Die Wettbewerbswidrigkeit einer Entscheidung im hier geschilderten Sinne des Außerachtlassens des Leistungsprinzips hängt jedoch nicht davon ab, welche vertraglichen Vorgaben der Prinzipal seinen Angestellten und Beauftragten hinsichtlich der Verwirklichung seiner Interessen gemacht hat. Teilt etwa ein Agent die Einschätzung seines Prinzipals über die Kriterien eines „vorteilhaften“ Geschäfts nicht und schließt deshalb entgegen seiner internen Vorgaben mit einem anderen Bewerber ein ihm günstiger erscheinendes Geschäft ab, so liegt darin sicherlich eine Pflichtverletzung gegenüber dem Prinzipal, unsachlich im Sinne des § 299 StGB ist die Entscheidung hingegen nicht.236 Aus demselben Grund unterfallen auch Zuwendungen durch den – anhand der Vorstellungen des Prinzipals zu bestimmenden – „besten“ Bewerber unter § 299 StGB, denn auch ihnen wohnt die Gefahr der Umgehung des Leistungsprinzips inne. Dass letztlich mangels einer Pflichtverletzung im Innenverhältnis eine strafrechtliche Sanktion nicht unbedingt notwendig erscheinen mag,237 ändert nichts an der grundsätzlichen Widerrechtlichkeit der Zuwendung.
233
Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 19 („sachliche Richtigkeit der Entscheidung […], weil der Angestellte sich strikt an dem leistungsstärksten und preiswertesten Angebot orientiert“). 234 Siehe nur WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 394 („Die Unlauterkeit einer Entscheidung im Sinne des § 299 StGB beruht regelmäßig und typischerweise darauf, dass der Angestellte oder Beauftragte seine Entscheidung aus sachfremden eigennützigen Gründen trifft, statt (uneigennützig) an der Interessenlage zu entscheiden, die ihm seine vertraglichen Pflichten vorgeben.“). 235 Dies ist der Grund, weshalb im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung jüngerer Korruptionsfälle zunehmend die Untreue nach § 266 StGB in den Mittelpunkt gerückt ist (VOGEL, FS Weber 2004, S. 404–407). – Zwar hat nicht zwangsläufig „Untreue […] mit Korruption nichts zu tun“ (VOLK, Referat 61. DJT, S. L 37), richtig ist dies aber jedenfalls im Hinblick auf das Verbot des § 299 StGB. Zur Diskussion, ob es zur Bekämpfung der Korruption im geschäftlichen Verkehr über den Tatbestand der Untreue hinaus überhaupt der Schaffung weiterer Tatbestände bedurft hätte, schon FREYTAG, Das Verhältnis des § 12 U. W. G. zum Tatbestand der Untreue § 266 St. G. B., S. 2–3 m. w. N. 236 Eine Untreuestrafbarkeit mag in diesen Fällen am fehlenden Schadenseintritt scheitern. 237 Vgl. dazu LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 43 m. w. N.
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Die damit zwingend erforderliche Personenverschiedenheit von „Nachfrager“ und „Entscheidungsträger“238 führt auch dazu, dass von § 299 StGB Vorteile für einen Alleingesellschafter oder für eine alle Gesellschafter einer Gesellschaft umfassende Personenmehrheit nicht erfasst werden.239 Denn „[m]ittelbar und wirtschaftlich sind die Gesellschafter, auch bei juristischen Personen, Inhaber des Gesellschaftsvermögens, ‚mag auch als Vermögenssubjekt die juristische Person, die Gesellschaft als solche, dazwischengestellt sein.‘“240 Es fehlt insoweit an der typischen Gefährdungslage, denn der Prinzipal ist hier nicht die „corporate fiction“241, sondern der Vorteilsempfänger selbst.
Verboten sind demnach solche Vorteilszuwendungen an einen Agenten, welche die Gefahr der Beeinträchtigung einer sachlichen Entscheidung in sich bergen.242 Mitunter wird dabei zur Konkretisierung der Unlauterkeit auch auf das Merkmal der Sittenwidrigkeit abgestellt.243 Allerdings vermag ein diesbezüglicher Rückgriff auf soziale Normen zur Klärung der Frage nach der Reichweite des Tatbestands nichts beizutragen. 244 Selbst in den Fällen, in denen die einseitige Bevorzugung selbst sittenwidrig ist, ist daraus hinsichtlich ihres spezifisch korruptiven Charakters nichts abzuleiten, weshalb folgerichtig die Sittenwidrigkeit regelmäßig (entgegen dem Wortlaut der Vorschrift) nicht auf die Bevorzugung, sondern auf die Zuwendung oder Forderung eines Vorteils bezogen wird.245 Welche Zuwendungen an einen Agenten jedoch aus Sicht der Rechtsordnung die Gefahr in sich bergen, diesen bei einer Entscheidung zwischen Wettbewerbern unsachlich zu beeinflussen, und 238
KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 105. WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 389; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 7; NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 21 m. w. N. Anderer Ansicht BÜRGER, wistra 2003, S. 132; FISCHER61, § 299 Rn. 8a. 240 GRASMANN, System, Rn. 498 m. V. a. RG (12.05.1916), RGZ 88, 227 (228); ausführlich KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 180–182. 241 EHRENZWEIG, FS Vallindas 1976, S. 138. 242 Durch die Beeinflussung des Angestellten bzw. Beauftragten wird mittelbar eine unsachliche Wettbewerbsentscheidung des Prinzipals herbeigeführt; vgl. TIEDEMANN, Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 207a. Sinn des § 299 StGB ist damit in erster Linie das Bewahren der Wettbewerbssituation, die bestünde, wenn auf Seiten des Geschäftsinhabers keine beeinflussbare Mittelsperson auftreten würde. 243 Vgl. TIEDEMANN, Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 207; LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 41; BGH (17.12.1976), GRUR 1977, 619 (620); KOCH, Schmiergeldbegriff, S. 62–65 m. w. N. 244 Vgl. VOLK, Referat 61. DJT, S. L 50 („Was schließlich die Regeln der Wirtschaftsmoral angeht, sind sie meist, sofern überhaupt vorhanden, nicht fest und eindeutig genug.“). 245 V. GAMM, Wettbewerbsrecht5, Kap. 47 Rn. 17 („Jeder Versuch, im Wettbewerbskampf durch Bestechung eines fremden Angestellten die Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen, ist sittenwidrig.“), 18 („[D]ie Beschränkung des Tatbestands auf eine Bevorzugung in unlauterer Weise [dient] allein der Abgrenzung gegenüber ‚harmlosen Zuwendungen‘“.); ebenso GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 29. Ausdrücklich auf die Sittenwidrigkeit der Bevorzugung abstellen jedoch RG (14.05.1914), RGSt 48, 291 (292–293). Mitunter dient auch die Sittenwidrigkeit der Zuwendung als Beleg für die Sittenwidrigkeit der Bevorzugung, vgl. RG (19.11.1931), RGSt 66, 16 (17–18). 239
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welchen Grad diese Gefahr erreichen muss, damit die entsprechende Zuwendung verboten und eventuell mit Strafe bedroht werden muss, ist eine autonom rechtliche Frage. Soziale Normen begründen insofern nicht das rechtliche Verbot, sondern vermögen allein dessen Beschränkung nach den Grundsätzen der Sozialadäquanz zu bewirken.246 Mit der Missbilligung von Drittvorteilen durch § 299 StGB und dessen grundsätzlich wettbewerbsorientierter Schutzrichtung verbinden sich weitere Zweifelsfragen hinsichtlich der Stellung des Geschäftsherrn. Da es dem Geschäftsinhaber im Wettbewerb gestattet ist, eigennützige Entscheidungen zu treffen, ist es auch einem Agenten gestattet, Vorteile für den Geschäftsinhaber einzufordern und zu berücksichtigen. Ein Vorteil für den Geschäftsinhaber ist kein Drittvorteil im Sinne des § 299 StGB.247 Dies liegt nicht etwa an der „Selbstlosigkeit“ des Agentenverhaltens, 248 sondern daran, dass ein solcher Vorteil nicht geeignet ist, eine Entscheidung sachwidrig zu beeinflussen, 249 denn der Vorteil für den Prinzipal wird „schlicht neben Preis, Qualität etc. ein weiterer Leistungsparameter. […] Es ändert aber nichts daran, dass […] das Leistungsprinzip als Entscheidungsmaßstab für Bevorzugungen im Wettbewerb [nicht] durch einen anderen Entscheidungsmaßstab [ersetzt wird]“.250 Im Gegensatz zum Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs ist es dem Amtsträger verwehrt, Vorteile für seinen Prinzipal zu fordern oder anzunehmen, weil es auch diesem grundsätzlich nicht gestattet ist.251 Soweit hoheitliche Befugnisse betroffen sind, kommen diese dem Staat nicht um seiner selbst willen zu. Überschneidungen ergeben sich jedoch bei der „erwerbswirtschaftlich-fiskalischen“, nicht hoheitlichen252 Betätigung der öffentlichen Hand. Auch diese soll grundsätzlich unter den Amtsträgerbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB fallen,253 gleichzeitig jedoch als „geschäftlicher Betrieb“ auch vom Tatbestand des § 299 StGB erfasst sein.254 Ein entsprechender Drittvorteil kann aber nicht zugleich zulässig (§ 299 StGB) und verboten (§§ 331 ff. StGB) sein. Auch wenn man rein gewinnorientierte staatliche Betätigung nicht mehr als Aufgabe der öffentlichen Verwal-
246 Vgl. DÖLLING, Gutachten 61. DJT, S. C 87–C 88 („Das […] Merkmal ‚in unlauterer Weise‘ […] trägt zur Abgrenzung von sozialadäquaten Verhaltensweisen bei.“); zur Sozialadäquanz oben S. 73 ff. 247 Anderer Ansicht jedoch Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 12; LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 26; FISCHER61, § 299 Rn. 11a. 248 Vgl. dazu S. 66 bei Fn. 97. 249 NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 53a; WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 393– 394 („nicht unlauter, weil er keinen sachfremden, eigennützigen Interessen den Vorzug gibt“). 250 KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 169. 251 Siehe S. 67 bei Fn. 102. 252 PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 132 („Rein hoheitliches Handeln ist ausnahmslos kein geschäftlicher Verkehr“). 253 BT-Drs. 7/550, S. 209. 254 MüKo-StGB2/KRICK, § 299 Rn. 16; NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 26.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
tung ansieht, 255 bleibt eine Überschneidung möglich. Eine Abgrenzung zwischen den §§ 331 ff. StGB und § 299 StGB allein anhand des Amtsträgerbegriffs vorzunehmen, erscheint schwierig.256 Insbesondere hinsichtlich der grundsätzlich als Aufgabe der öffentlichen Verwaltung einzuordnenden Beschaffungstätigkeit öffentlicher Stellen257 kommt es zu Überschneidungen der Anwendungsbereiche. Hinsichtlich der Problematik der Drittvorteile muss eine Entscheidung letztlich danach erfolgen, inwieweit die fragliche staatliche Stelle sich tatsächlich gewinnorientiert verhalten darf.258 Wo der öffentlichen Hand gestattet ist, ihr Tun anhand ihres eigenen Vorteils auszurichten, ist dies auch ihren Bediensteten gestattet. Gerade im Rahmen der Beschaffung wird auch von der öffentlichen Hand wohl kaum mehr als ein Vorgehen anhand des Leistungsprinzips erwartet, so dass in diesen Fällen durch einen Vorteil an die Anstellungskörperschaft keine Gefahr einer Pflichtverletzung im Sinne der §§ 331 ff. StGB droht.259 Der Frage, in welchem Umfang dem Staat eine Privatisierung seiner Aufgaben und damit die Unterwerfung von Gemeinwohlbelangen unter Wettbewerbsbedingungen gestattet ist, kann hier nicht weiter nachgegangen werden.260
255 MüKo-StGB2/RADTKE, § 11 Rn. 71 m. w. N.; NOLTENSMEIER, PPP und Korruption, S. 75–76; KNAUER/KASPAR, GA 2005, S. 390. 256 So jedoch BLESSING, § 53: Schmiergeldzahlungen, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht5, Rn. 10, 68, 85; vgl. zur Diskussion LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 19. 257 MüKo-StGB2/RADTKE, § 11 Rn. 69 („Fehlerhafte, weil sachwidrige etwa durch Bestechung beeinflusste Beschaffung hat aber Auswirkungen auf die Ausübung von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung […].“). 258 Vgl. BGH (02.12.2005), BGHSt 50, 299 (307) („Angesichts der zunehmenden Schaffung wettbewerblicher Strukturen und der Öffnung auch zentraler Bereiche der Daseinsvorsorge für private Marktteilnehmer wie etwa beim Bahnverkehr […] oder bei der Energie- und Wasserversorgung spricht allerdings einiges dafür, daß privatrechtlich organisierte Gesellschaften der öffentlichen Hand, die auf solchen Märkten tätig werden, – wie andere (rein private) Marktteilnehmer auch – allein erwerbswirtschaftlich tätig sind […]. […V]on einer öffentlichen Aufgabe [kann] dann nicht (mehr) gesprochen werden, wenn der Hoheitsträger diesen Bereich aus der Hand gibt und ihre Erledigung einem privaten, marktwirtschaftlichen Unternehmen überläßt (Aufgabenprivatisierung im Gegensatz zur Organisationsprivatisierung) […]. Auch eine Gesellschaft in alleiniger staatlicher Inhaberschaft würde letztlich nur einen weiteren Wettbewerber auf einem Markt darstellen, der vom Staat eröffnet wurde und sich um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildet hat.“). 259 Dies liegt letztlich daran, dass sich in diesen Fällen das Vermögensinteresse der öffentlichen Hand mit den Interessen des Staatsvolks, des eigentlichen Prinzipals, deckt; vgl. S. 68 bei Fn. 105 und S. 90 bei 240. 260 Abgesehen von der Reichweite der im Einzelnen anzuwendenden Verbote unterscheiden sich die §§ 331 ff. StGB und § 299 StGB insbesondere auch im Strafmaß. Kritisch zu dem „Gefälle in den Strafdrohungen“ VOLK, Referat 61. DJT, S. L 44: „[Das Strafrecht] sollte […] manifestieren, daß Korruption ‚an sich‘ verwerflich und schädlich ist, in welcher Form und in welchem Bereich auch immer“. Eine Unterschätzung der Gefahren privater Machtkonzentration bemängeln HEINRICH, Amtsträgerbegriff, S. 595 („eine dem Staat vergleichbare Machtposition“); OTT, Kontrolle der Wirtschaft, in: Rehbinder/Schelsky (Hrsg.), Zur Effektivität des Rechts, S. 368–370 („Während bei der Beurteilung von Eingriffen, die auf öffentlicher Macht beruhen, die Prinzipien des Rechtsstaats
C. Korruptionsbezogene Verbote der deutschen Rechtsordnung
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Besonders umstritten ist, ob der Kenntnis des Geschäftsinhabers von Zuwendungen an seine Angestellten und Beauftragten oder seiner Mithilfe bei der Weiterleitung rechtfertigende Wirkung zukommt.261 Unter Verweis auf eine Entscheidung des REICHSGERICHTS 262 aus dem Jahr 1914 wurde bislang überwiegend davon ausgegangen, dass mangels Dispositionsbefugnis des Geschäftsherrn über die Sachlichkeit des Wettbewerbs weder dessen Kenntnis von den Zuwendungen an seine Angestellten oder Beauftragten noch dessen Einverständnis eine rechtfertigende Wirkung beigemessen werden kann. 263 Darin liegt jedoch ein grundsätzlicher Wertungswiderspruch: Eine durch einen persönlichen Vorteil motivierte Entscheidung des Geschäftsherrn selbst ist lauter, so dass fraglich ist, weshalb eine Entscheidung, die von einem mit Billigung des Geschäftsherrn einem anderen zugewandten Vorteil motiviert ist, unlauter sein sollte.264 Diesen Widerspruch durch Einbeziehung des Geschäftsherrn in die Strafdrohung des § 299 StGB zu beseitigen, ist nach dem oben Gesagten ausgeschlossen,265 eine Lösung letztlich nur über die Straflosigkeit des Agenten erreichbar. 266 Mit einer Billigung des Geschäftsherrn herangezogen werden, insbesondere das Verbot von Willkür, Unverhältnismäßigkeit und Übermaß des Eingriffs, werden Eingriffe auf der Basis privater Macht bis zur Grenze der Entmündigung und Entrechtung geduldet. Dem liegt die Prämisse zugrunde, daß wirtschaftliche Macht ‚nicht an sich schlecht‘ sei, wohl aber mißbraucht werden könne und insofern der Kontrolle bedarf.“). 261 WASSERMANN, GRUR 1931, S. 554 bezeichnet derartige Vorteile „als halb entschleierte oder ganzentschleierte Schmiergelder“. Eingehend zum entschleierten Schmiergeld KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 157–166. 262 RG (14.05.1914), RGSt 48, 291 (296) [Korkengeld]. 263 GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 52; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 30; BAUM19 61 BACH/HEFERMEHL , § 12 UWG Rn. 14; BÜRGER, wistra 2003, S. 134; FISCHER , § 299 Rn. 23; PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 138; PRAGAL, Korruption innerhalb des privaten Sektors, S. 167–170. 264 WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 386 („[D]ie herrschende Meinung [hat] bis heute keine vernünftige Erklärung dafür gefunden […], weshalb sich der Prinzipal selbst nicht strafbar macht, wenn er Zuwendungen Dritter entgegennimmt, während dessen Angestellte, die mit Billigung des Prinzipals das Gleiche tun, die Härte des Gesetzes treffen soll.“). 265 Auch eine Teilnehme des Geschäftsherrn an der Bestechlichkeit des Agenten bietet insofern keinen Ausweg; vgl. dazu WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 390; RENGIER, FS Tiedemann 2008, S. 838. 266 BLESSING, § 53: Schmiergeldzahlungen, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht5, Rn. 81 („Der Geschäftsherr macht sich […durch eine ausdrückliche Billigung] das unlautere Verhalten seines Angestellten zu eigen und verdrängt dadurch dessen Handlung.“); RENGIER, FS Tiedemann 2008, S. 839. Für die Straflosigkeit ebenso WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 393: „[D]a strafrechtliche Sanktionen als ultima ratio nicht alles erfassen und sanktionieren müssen, was dem privatrechtlichen Wettbewerbsschutz unterliegt, und da eine Deckungsgleichheit von zivilrechtlichem Verbotensein und strafrechtlicher Sanktion nicht – wie die Straflosigkeit des Geschäftsherrn belegt – Zielrichtung des Strafgesetzes ist, lässt sich mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
wird der Vorteil des Agenten zu einem Parameter, anhand dessen dieser die Wertigkeit der angebotenen Leistung bewerten darf. Insofern ist ein „entschleiertes Schmiergeld“ einem beliebigen Vorteil für den Geschäftsherrn selbst gleichzustellen und daher nicht unlauter.267 Anders verhält es sich freilich, wenn Angestellter oder Beauftragter gleichzeitig im Verhältnis zu einem Dritten als dessen Agent anzusehen sind. Hier ist die Befolgung des Leistungsprinzips unabhängig von einem Einverständnis des Geschäftsherrn gefährdet.268 Der Reichweite des Straftatbestands des § 299 StGB sind – verglichen mit den §§ 331 ff. StGB – erhebliche Grenzen gesetzt. Erfasst werden nur Vorteile für Agenten „geschäftlicher Betriebe“ im „geschäftlichen Verkehr“ für die Bevorzugung beim „Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen“. Das Merkmal der Geschäftlichkeit schließt hinsichtlich der Bestechlichkeit Agenten Privater 269 , hinsichtlich der Bestechung Privatpersonen 270 aus. 271 Zwar wird auch korruptes Verhalten dieser Personenkreise nicht geduldet, insoweit werden aber Sitten- und keine Gesetzesverstöße angenommen. 272 Mangels eine strafrechtlich erhebliche Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nur dann vorliegt, wenn die Annahme des Vorteils gegen oder wenigstens ohne Willen des Geschäftsherrn erfolgt.“ Eine Angleichung würde demnach jedoch allein auf Sanktionsebene, nicht aber auf Normebene stattfinden. Die entschleierte Zuwendung an den Agenten bliebe verboten, jedoch – parallel zur Straflosigkeit von Zuwendungen, die letztlich nicht zu einer sachwidrigen Entscheidung geführt haben (vgl. S. 89 bei Fn. 237) – in strafrechtlicher Hinsicht sanktionsfrei. 267 JAQUES, Bestechungstatbestände, S. 95 („Vorteil als Leistung des Dritten an den Prinzipal aufzufassen“). Entgegen WINKELBAUER, FS Weber 2004, S. 393 (Fn. 266), ist damit von der Rechtmäßigkeit entsprechenden Verhaltens auszugehen, nicht lediglich von seiner strafrechtlichen Sanktionsfreiheit. Gegen die Tatbestandsmäßigkeit entschleierter Schmiergelder auch KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 160–162. 268 Vgl. S. 88 Fn. 229. 269 Diese sind nicht für einen geschäftlichen Betrieb tätig; vgl. nur BAUMBACH/HEFER19 4 MEHL , § 12 Rn. 2; NK-StGB /DANNECKER, § 299 Rn. 24; BGH (13.05.1952), BGHSt 2, 396 (403) („Geschäftlich ist also, was nicht privat ist; privat aber ist, was sich im Bereich des einzelnen außerhalb von Erwerb und Berufsausübung abspielt (RGSt 66, 380, 384). Eine auf Dauer angelegte Unternehmung, die außerhalb des privaten Bereichs ihre wesensgemäßen Aufgaben dadurch vollzieht, daß sie durch Austausch von Leistungen und Gegenleistungen am Wirtschaftsleben teilnimmt, ist daher ein geschäftlicher Betrieb.“) 270 Diese nehmen als solche nicht am geschäftlichen Verkehr teil, der die „Förderung eines beliebigen Geschäftszwecks“ (BAUMBACH/HEFERMEHL19, Einl. UWG Rn. 208) voraussetzt; vgl. PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 131–132 („jede selbständige, wirtschaftliche Zwecke verfolgende Tätigkeit, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt“). 271 KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 195. 272 Für Beispiele siehe S. 20 Fn. 80. Die insoweit ausgeschlossenen Personen gehören nicht zu den „Normadressaten des Lauterkeitsrechts“ (GK-UWG/SCHÜNEMANN, Einl. Rn. D 165).
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einer Sanktionsnorm, die auf ein originär rechtliches Verbot Bezug nimmt, ist daher davon auszugehen, dass ein entsprechendes rechtliches Verbot nicht existiert.273 Mitunter wird zwar eine diesbezügliche Ausweitung der Strafbarkeit (und damit auch der Rechtswidrigkeit) gefordert,274 mangels hinreichender Bedeutung entsprechender Konstellationen jedoch überwiegend abgelehnt.275 Richtigerweise geht VOLK276 davon aus, dass „[v]on dem viel und zurecht beklagten Werteverfall abgesehen, […] das allgemeine moralische Unwerturteil über korruptes Verhalten um einiges weiter als unsere Strafdrohungen gegen Bestechung, Stimmenkauf, etc. [reicht]“. Allein hinzuzufügen bleibt, dass die Rechtsordnung – wohl aufgrund eines insoweit starken gesellschaftlichen Konsenses – sogar auf die Bereitstellung entsprechender eigener Verhaltensnormen verzichtet hat.
Eine weitere Einschränkung liegt darin, dass die Tathandlung stets auf eine zukünftige Bevorzugung gerichtet sein muss. Wo im Rahmen der §§ 331 ff. StGB einer pflichtwidrigen Diensthandlung bereits dadurch entgegengetreten wird, dass jegliche Vorteilszuwendungen im Zusammenhang mit der Dienstausübung untersagt werden, ist die Strafbarkeit nach § 299 StGB auf Situationen beschränkt, in denen eine konkrete wettbewerbswidrige Bevorzugung bereits in Aussicht steht. Die Struktur des § 299 StGB ist daher den §§ 332, 334 StGB vergleichbar, eine Vorverlagerung der Strafbarkeit gemäß §§ 331, 333 StGB findet sich hier nicht.277 Hinsichtlich der Korruption im Wettbewerb akzeptiert das Gesetz daher die Gefahr, die durch eine wettbewerbswidrige „Vorleistung“ des Agenten und eine langfristige Abhängigkeit durch Zuwendungen, die evtl. über einen längeren Zeitraum hinweg unabhängig
273 Damit soll keinesfalls die Existenz von leges imperfectae grundsätzlich in Zweifel gezogen werden, nichtsdestotrotz bedarf es zur Annahme eines gesetzlichen Verbots eines gewissen Anhaltspunkts, der hier nicht gegeben ist. 274 BAUMBACH/HEFERMEHL19, vor § 12 UWG Rn. 1 („[A]uch ein Wettbewerber, der den Angestellten oder Beauftragten eines nicht geschäftlichen Betriebs besticht, [ist strafwürdig]“.). Nach JAQUES, Bestechungstatbestände, S. 223–236, sollten sowohl das Geschäftlichkeits- wie auch das Wettbewerbserfordernis entfallen, da es eines umfassenden Schutzes gegen Pflichtverletzungen des Agenten gegenüber dem Prinzipal bedürfe; ebenso SZEBROWSKI, Kick-Back, S. 181 („Eingrenzung, die für den Charakter der Bestechlichkeit als Delikt des Vertrauensbruchs nicht von Bedeutung ist“). 275 DÖLLING, Gutachten 61. DJT, S. C 87 („kein dringendes kriminalpolitisches Bedürfnis“); KOEPSEL, Bestechlichkeit und Bestechung, S. 199 („[E]ine Erweiterung des Tatbestands […empfiehlt sich] wegen der geringen praktischen Relevanz bzw. der geringen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Wettbewerbs Privater nicht.“); BGH (13.05.1952), BGHSt 2, 396 (402–403). 276 VOLK, Referat 61. DJT, S. L 36. 277 Dazu ARZT/WEBER/HEINRICH/HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 59; NK-StGB4/DAN61 NECKER, § 299 Rn. 44; FISCHER , § 299 Rn. 13.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
von konkreten zukünftigen Bevorzugungen gewährt werden, drohen.278 Auch insofern ist davon auszugehen, dass keine entsprechenden rechtlichen Verbote existieren.279 Weit weniger einschneidend wirkt sich die Beschränkung auf Vorteile aus, die auf eine Bevorzugung beim „Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen“ abzielen. Die Begriffe sind grundsätzlich weit zu verstehen. „Bezug“ meint die gesamte Abwicklung eines Geschäfts unabhängig davon, welche Seite als Anbieter oder Abnehmer auftritt. 280 Die Begriffe „Waren“ und „gewerbliche Dienstleistungen“ erfassen grundsätzlich jede Art von vermögenswerten Gütern und Leistungen, 281 so dass es kaum zu relevanten Schutzbereichseinschränkungen kommt.282
Ist damit abgesteckt, wie ein Verhalten grundsätzlich beschaffen sein muss, um als Gefahr gelten zu können, gegen deren Verwirklichung sich die Verbote richten, welche die Grundlage für die strafrechtlichen Sanktionsnormen der §§ 331 ff. und 299 StGB bilden, so soll im Folgenden die Reichweite dieser Verbote, insbesondere hinsichtlich von Auslandstaten, untersucht werden.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl Verhaltensnormen unterliegen – wie alle Sachnormen einer Rechtsordnung – jenseits ihrer sachlichen Anwendungsvoraussetzungen weiteren Beschränkungen. Zum einen ist stets zu entscheiden, ob eine inländische Verhaltensnorm hinsichtlich der Beurteilung einer bestimmten Handlung kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen ist, zum anderen mag sie darüber hinaus weiteren materiell-rechtlichen Einschränkungen in räumlicher oder personel278
PFEIFFER, FS Gamm 1990, S. 136 („Ein Vorteil, der nur gelegentlich oder anläßlich einer Handlung des Vorteilnehmers und nicht für eine unlautere Bevorzugung angeboten, versprochen oder gewährt wird, dient nicht als Gegenleistung, vielmehr will sich hier der Vorteilgeber mit kleineren Aufmerksamkeiten nur das allgemeine Wohlwollen des Vorteilnehmers sichern.“). Für das Schließen dieser Strafbarkeitslücke etwa JAQUES, Bestechungstatbestände, S. 237. 279 Zur Frage, inwieweit in solchen Fällen zumindest die Sittenwidrigkeit entsprechender Zuwendungen angenommen werden kann, S. 23 Fn. 93. 280 MüKo-StGB2/KRICK, § 299 Rn. 26; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 22; FISCHER61, § 299 Rn. 14. 281 MüKo-StGB2/KRICK, § 299 Rn. 26 m. w. N.; ablehnend im Hinblick auf die Leistungen freier Berufe NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 54; kritisch hinsichtlich einer solchen Einschränkung VOGEL, FS Weber 2004, S. 405; PRAGAL, Korruption innerhalb des privaten Sektors, S. 201–202. 282 Zu insbesondere auf dem Gebiet der medizinischen Versorgung und im sportlichen Bereich liegenden Grenzfällen vgl. LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 32; NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 55a–55b, jeweils m. w. N.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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ler Hinsicht unterworfen sein und sich insofern inhaltlich nur auf Handlungen beziehen, die an einem bestimmten Ort oder durch bestimmte Personen vorgenommen werde.283 Sieht die Sachnorm einer bestimmten Rechtsordnung etwa vor, dass ihre Rechtsfolge nur innerhalb eines bestimmten räumlichen Bereichs eintreten soll,284 so kommt es in Fällen, in denen dieses räumliche Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt ist, zur Anwendung anderer Regelungen derselben Rechtsordnung285 oder, falls solche nicht vorhanden sind, der entsprechenden „Negativnorm“ 286, die schlicht besagt, dass die fragliche Rechtsfolge nicht eintritt.
Weisen die Verhaltensnormen einer Rechtsordnung entsprechende materiellrechtliche Schranken auf, so werden Handlungen außerhalb dieser räumlichen oder personellen Begrenzungen durch die fragliche Rechtsordnung nicht originär verboten. Ein Rechtswidrigkeitsurteil kann aus Sicht dieser Rechtsordnung dann allenfalls aufgrund eines entsprechenden ausländischen Verbots getroffen werden, das seinerseits wiederum kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen sein muss. Ausgangspunkt der bisherigen Untersuchungen war, dass aus der Existenz einer strafrechtlichen Sanktionsnorm geschlossen werden kann, dass die Rechtsordnung, der sie entstammt, ebenfalls eine korrespondierende Verhaltensnorm enthält, die das straftatbestandliche Verhalten verbietet, 287 wobei der Verhaltensbefehl der Rechtsordnung stets einheitlich erfolgt und keinem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen ist. 288 Stellt sich aus strafrechtlicher Perspektive jedoch stets die Frage, ob an eine bestimmte Handlung aus inländischer Sicht eine strafrechtliche Sanktion zu knüpfen ist, da an der Billigung dieser Handlung durch die Rechtsordnung aufgrund eines inländischen Straf283
Zur Abgrenzung kollisionsrechtlicher und sachrechtlicher „räumlicher Begrenzungen“ SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 58–64 (S. 61: „Bei einer Kollisionsnorm (IPR-Norm) ist Alternative der ausgesprochenen Verweisung die Sachregelung einer anderen (nationalen) Rechtsordnung. Bei einer Sachnorm mit lokaler Anknüpfung ist Alternative der ausgesprochenen Abgrenzung eine andere Sachregelung derselben Rechtsordnung.“ [im Original insgesamt hervorgehoben]). Freilich kann eine Norm ohne ihre kollisionsrechtliche Berufung unabhängig von ihrem materiellen Geltungsbereich keinerlei Rechtsfolge herbeiführen. 284 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 63, führt als Beispiel die Geschwindigkeitsbeschränkung innerhalb geschlossener Ortschaften nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO an. Zur räumlichen Beschränktheit von Verkehrsregeln auch LACKNER, JR 1968, S. 269 („[Es] kann ernstlich nicht bezweifelt werden, daß hier keine Ordnung für die Welt, sondern nur eine für die deutschen Straßen geschaffen werden sollte.“). 285 Im Beispiel aus Fn. 284 etwa eine Geschwindigkeitsbegrenzung nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO. 286 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 86–87. 287 Dazu, dass dabei Normwidrigkeits- und Strafbarkeitsmerkmale keineswegs völlig deckungsgleich sein müssen, S. 70 bei Fn. 117. 288 Dazu oben S. 55 ff.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
tatbestandes Zweifel bestehen, so bringt ein solcher strafrechtlicher Ansatz notwendigerweise eine gewisse Fokussierung auf die möglichen materiellrechtlichen Geltungsbereichsbeschränkungen inländischer Verhaltensnormen mit sich. Soll im Folgenden nunmehr der Rückschluss von der Sanktionsnorm auf die ihr zugrunde liegende Verhaltensnorm um den Aspekt erweitert werden, inwieweit auch dem Geltungsbereich der Sanktionsnorm Anhaltspunkte für den Geltungsbereich der entsprechenden Verhaltensnorm entnommen werden können, so wird entsprechend auch dabei zunächst zu untersuchen sein, inwieweit die korruptionsbezogenen Verbote der deutschen Rechtsordnung – jenseits der bereits aufgezeigten sachlichen Kriterien – materiellrechtliche Beschränkungen aufweisen, um im Anschluss daran zu klären, welche Bedeutung das deutsche Recht ausländischen korruptionsbezogenen Verboten beimisst. Nicht weiter nachgegangen werden soll hier dem in erster Linie terminologischen Streit um die Begriffe der Geltung, des Geltungsbereichs und der Anwendung einer Norm.289 Grundlage der folgenden Erörterungen soll schlicht die Annahme sein, dass es einer normgebenden Gemeinschaft (z. B. dem Staat) grundsätzlich selbst überlassen ist, ob ihre Verhaltensnormen sich nur an ihre Mitglieder (z. B. die Staatsbürger) richten oder sich etwa auf alle in einem bestimmten Territorium vorgenommenen oder sich potentiell in einem bestimmten Territorium auswirkenden oder schlicht auf alle Handlungen weltweit beziehen sollen. Auch hier gilt, dass aus Sicht einer normgebenden Gemeinschaft grundsätzlich jede denkbare Regelung in Kraft gesetzt werden kann. Eine andere Frage ist, ob sie aufgrund von Normen einer ihr übergeordneten Gemeinschaft 290 an der Setzung einer entsprechenden Norm gehindert ist und ob andere Gemeinschaften die Reichweite solch autonom gesetzter Normen wiederum für sich anzuerkennen bereit sind.
Nachzugehen ist daher im Folgenden insbesondere den Fragen, welche Grenzen das Völkerrecht der staatlichen Verhaltenssteuerung setzt und welche Aussagen dem internationalen Strafrecht291 und den Erweiterungen der strafrechtlichen Sanktionsdrohungen durch IntBestG, EUBestG und § 299 Abs. 3 StGB hinsichtlich des materiellen Geltungsbereichs der deutschen korruptionsbezogenen Verhaltensnormen und der Bedeutung entsprechender ausländischer Verbote entnommen werden können.
289
Vgl. dazu etwa ZITELMANN, FS Bergbohm 1919, S. 207 ff.; GUTZWILLER, FG Lampert 1925, S. 162 ff.; NOWAKOWSKI, öZÖR 1955, S. 10 ff.; SCHROEDER, GA 1968, S. 353 ff.; SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71–72; auch LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 222–225. 290 Zum völkerrechtlichen Interventionsverbot S. 99 bei Fn. 293–302. 291 Mit LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 105, ist danach zu fragen, „ob die Vorschriften des deutschen internationalen Strafrechts darauf abzielen, den Täter deswegen zu bestrafen, weil er sich im Ausland inländischen oder ausländischen Verboten oder Geboten zuwider verhalten hat“ [Hervorhebungen im Original].
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
I.
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Grenzen legitimer Normsetzung
Die Diskussion um den materiellen Geltungsbereich deutscher Verhaltensnormen wird in erster Linie im Rahmen der Auseinandersetzung über die Bedeutung der Regelungen des internationalen Strafrechts ausgetragen,292 ist letztlich jedoch auf die Kernfrage zurückzuführen, welchen Personen eine Gesellschaft legitimerweise Verhaltenspflichten auferlegen kann. Grenzen der staatlichen Normsetzungsbefugnis können sich insbesondere aus dem Völkerrecht ergeben. Dessen grundlegendstes Prinzip293, die staatliche Souveränität, besagt, dass ein Staat seine Hoheitsgewalt unabhängig von anderen Staaten ausübt.294 Da jedoch auch der souveräne Staat dem Völkerrecht unterworfen ist,295 welches wiederum allen Staaten gleichermaßen Souveränität zugesteht, 296 besteht stets eine gegenseitige Verpflichtung zur Achtung der Souveränität fremder Staaten.297 Notwendig ist insofern eine abwägende Abgrenzung der jeweiligen staatlichen „Handlungs- und Kompetenzsphären“298 zueinander. 299 Da sich die Souveränität eines Staates insbesondere auch in dessen umfassender Hoheitsgewalt über sein eigenes Staatsterritorium äußert, 300 die Etablierung von Verhaltensnormen mit extraterritorialem Geltungsbereich jedoch regelmäßig die unbeeinträchtigte Gestaltungsmöglichkeit fremder Staaten innerhalb ihres Territoriums in Frage stellt,301 ist die Erstreckung des materiellen Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen auf das Territorium ausländischer Staaten stets rechtfertigungsbedürftig. Not292
Dazu unten S. 115 ff. BLECKMANN, Völkerrecht, § 4 Rn. 164a („[D]ie gesamte Völkerrechtsordnung [ist] nur Ausdruck des einheitlichen Prinzips der äußeren Souveränität […].“). 294 IPSEN, Völkerrecht5, § 5 Rn. 8; DOEHRING, Völkerrecht2, Rn. 122 („Befehlsunabhängigkeit“); ZIEGENHAIN, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 24. 295 DAHM/DELBRÜCK/WOLFRUM, Völkerrecht I/12, S. 215; DOEHRING, Völkerrecht2, Rn. 122 („[E]ine Rechtsordnung ohne verpflichtenden Charakter ist eine contradictio in adjecto.“). 296 DAHM/DELBRÜCK/WOLFRUM, Völkerrecht I/12, S. 236 („Souveränität und Gleichheit […] sind geradezu dasselbe, von verschiedenen Seiten betrachtet.“). 297 Vgl. zum Souveränitätsgrundsatz und dem damit verbundenen Interventionsverbot aus strafrechtlicher Sicht MüKo-StGB2/AMBOS, Vorbemerkung zu den §§ 3–7 Rn. 9–16; NK-StGB4/BÖSE, Vor § 3 Rn. 12–14; Schönke/Schröder28/ESER, Vorbem. §§ 3–9 Rn. 9. 298 BLECKMANN, Völkerrecht, § 4 Rn. 169. 299 ZIEGENHAIN, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 36–53; SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 172. 300 DAHM/DELBRÜCK/WOLFRUM, Völkerrecht I/12, S. 316–318; IPSEN, Völkerrecht5, § 23 Rn. 66–69; DOEHRING, Völkerrecht2, Rn. 88, 808. Zum Territorialitätsprinzip siehe auch S. 103 mit Fn. 318. 301 SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („Die Beeinträchtigung der fremdstaatlichen Souveränität liegt […] bereits darin, daß es [das Inland] ohne hinreichenden Grund abweichende Verhaltensanforderungen für sie [im Ausland lebende Bürger] aufstellt.“); SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 171 („Entkräftung der einzelnen Normen“). 293
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
wendig ist eine hinreichend enge Verbindung des Staates zu dem extraterritorialen Verhalten, ein hinreichend schützenswertes Interesse,302 das den grundsätzlich aus der Souveränität fließenden Anspruch des ausländischen Staates auf ungestörte Ausübung seiner Gebietshoheit zu überwiegen geeignet ist. 1.
Weltrechtsprinzip und aktives Personalitätsprinzip
Am einen Ende des Spektrums möglicher Geltungsbereichsbeschränkungen von Verhaltensnormen steht die Annahme, der Staat bewerte anhand seiner Wertvorstellungen jedwedes Verhalten weltweit unabhängig davon, wo oder durch wen eine Handlung vorgenommen werde. 303 Das andere Ende des Spektrums wird markiert durch die Vorstellung, jede Gemeinschaft sei nur dazu berechtigt, ihren Angehörigen Verhaltenspflichten aufzuerlegen.304 Gestützt wird eine solch einschneidende Beschränkung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen auf den Reziprozitätsgedanken. Dieser liegt nicht nur der Funktionsweise der Korruption zugrunde,305 auf ihn lässt sich vielmehr auch die Herausbildung von Gruppenverbänden zurückführen, innerhalb derer überhaupt erst eine Normenbildung stattfinden kann. Menschen schließen sich in Gruppen zusammen, weil diese eine gemeinschaftliche Interes302 IPSEN, Völkerrecht5, § 23 Rn. 88–91 („genuine link“); EPPING, RIW 1991, S. 465– 466; WENGLER, IRuD 1972, S. 263; DOEHRING, Völkerrecht2, Rn. 94 („Inlandsbeziehung“). 303 SCHRÖDER, ZStW 61 (1942), S. 95–96 („[D]ie deutsche Strafrechtsordnung [gilt] über den Bereich der §§ 3 ff. hinaus als Bewertungsnorm aller menschlichen Handlung universell […]. Das Ergebnis dieser Bewertung ist die Feststellung ‚schuldhaft begangenes Unrecht‘. Diesem Urteil des deutschen Rechtes unterliegt jede Handlung der Welt: ihre Tatbestandsmäßigkeit bedeutet Widerrechtlichkeit.“); siehe auch BINDING, Handbuch, S. 374 („Den Umfang seiner Strafrechte bestimmt jeder souveräne Staat souverän. […] Möglich, dass der weitgespannte, vielleicht gegen Fremde gerichtete Strafanspruch bei fremden Staaten Anstoss erregt, möglich sogar, dass er zu völkerrechtlichen Konflikten führt. So lange aber der den Anspruch erhebende Staat nicht freiwillig oder gezwungen seinen Anspruch fallen lässt, existirt [sic] dieser für ihn zweifellos. […] Für die Bestimmung dieses Umfanges der Strafrechte ist maassgebend [sic] der Umfang, den der Staat seinen Normen erteilt.“ [Hervorhebungen im Original]); DERS., Normen I4, S. 226 („[D]as Geltungsgebiet der deutschen Normen [ist] keineswegs auf Deutschland beschränkt […].“). 304 EHRLICH, Soziologie des Rechts4, S. 78 („Gesellschaftliche Normen, sie mögen Rechtsnormen oder Normen anderer Art sein, gehen danach immer von einem Verbande aus, sie verpflichten nur die Angehörigen dieses Verbandes, und sie verpflichten sie nur den Angehörigen des Verbandes gegenüber. Nach außen wirken sie nicht. Wären diese Sätze im klassischen Altertum niedergeschrieben worden, sie hätten als eine jedermann von selbst einleuchtende Wahrheit keines weiteren Beweises bedurft. […] Gewiß ist meistens der Gast geheiligt, aber der Gast wird in dem Augenblicke, wo er über die Schwelle tritt, ins Haus aufgenommen, und oft genug hört der ihm gewährte Schutz in dem Augenblicke auf, wo er aus dem Haus hinaustritt.“). 305 Dazu oben S. 5 ff.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
101
sendurchsetzung ermöglichen und Garant für die Gewährung gegenseitigen Schutzes sind. Daraus mag man ableiten, dass eine Bindung des Einzelnen an die dessen Freiheit beschränkenden Verhaltensnormen der Gruppe legitimerweise nur dann erfolgen kann, wenn die Gruppe im Gegenzug den von ihr erwarteten Schutz gewährt.306 Mithilfe dieses Reziprozitätsgedankens lässt sich in gewissem Umfang auch eine Ausdehnung von Verhaltensvorgaben über den Kreis der eigenen Staatsangehörigen hinaus legitimieren. Jedem, der sich auf seinem Territorium aufhält, gewährt der Staat für die Zeit seines Aufenthalts ein gewisses Maß an Schutz, worauf sich wiederum ein Gehorsamsanspruch stützen lässt.307 Lücken tun sich jedoch insofern auf, als die reziproke Schutzgewährung innerhalb einer Gruppe allein zu rechtfertigen vermag, dem Einzelnen Angriffe auf den Schutzverband oder dessen Mitglieder zu untersagen.308 Eine Verpflichtung zur Achtung ausländischer Interessen lässt sich so nicht legitimieren, was dazu führt, dass eigenen Staatsangehörigen, die sich im Ausland aufhalten, – gestützt auf die Gewährung eines uneingeschränkten Rückkehrrechts ins Inland309 – nur Verhaltenspflichten in sehr begrenztem Umfang auferlegt werden können.310
Weder aufgrund des Prinzips der Weltgeltung inländischer Verhaltensnormen noch mithilfe des auf Reziprozität fußenden (erweiterten) aktiven Personalitätsprinzips indes lässt sich der materiell-rechtliche Geltungsbereich von Verhaltensnormen befriedigend bestimmen. Die Vorstellung der Weltgeltung von Verhaltensnormen lässt unberücksichtigt, dass der einzelne Staat nur einer unter vielen gleichartigen staatlichen Normgebern ist. Dass er sich an306 BÖCKENFÖRDE, FG Schmitt 1968, S. 426 („Dem Gehorsamsanspruch des Staates im Hinblick auf die Befolgung seiner Rechtsordnung entspricht der Anspruch des Staatsangehörigen auf Schutz und auf gleiche (verfassungsmäßige) Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten.“), 428 („[D]ie staatliche Herrschaftsgewalt und ihr Gehorsamsanspruch [finden] dort ihre Grenzen […], wo der Staat nicht mehr in der Lage ist, Schutz zu gewähren.“); PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 374; DERS., ZIS 2006, S. 284 („Nur demjenigen darf die Verpflichtung zur Wahrung der Ermöglichungsbedingungen fremder Freiheit auferlegt werden, dem die betreffende Ordnung auch seinerseits reale Freiheit vermittelt.“[Hervorhebung im Original]); ILLIES, Korruption im Lichte der Verhaltensforschung, in: Brünner (Hrsg.), Korruption und Kontrolle, S. 124–125 („Die Gruppe […] birgt den Einzelnen in sich wie eine Hülle, die zugleich schützt und beengt.“); PUTTLER, Unterwerfung unter fremdes Exportkontrollrecht, in: Mellinghoff/Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 334. 307 PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 374–375; DERS., ZIS 2006, S. 284. 308 PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 374 („[D]er Beschuldigte [muß] sich gerade gegen diese Rechtsordnung vergangen haben. Das hat er zum einen, wenn er das institutionelle Fundament angreift, dem die betreffende Rechtsordnung ihre reale Geltungskraft verdankt. Zum anderen ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn der Beschuldigte die Integritätsinteressen von Personen beeinträchtigt, die mit der Rechtsgemeinschaft des Täters in der gleichen, spezifisch engen Weise verbunden sind wie dieser selbst.“). 309 PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 377; DERS., ZIS 2006, S. 286 m. w. N. 310 Kritisch hinsichtlich des Reziprozitätsgedankens OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 730– 732.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
gesichts dessen dennoch dazu entschlossen haben soll, jedwedes Verhalten – unabhängig davon, in welcher Verbindung es zu ihm steht – zu bewerten und zu lenken, ist schlicht nicht anzunehmen und zudem völkerrechtlich unzulässig.311 Vielmehr ist aufgrund der Erkenntnis, dass die Beurteilung von Verhalten stets dem jeweiligen sozialen Kontext gerecht werden muss, zu folgern, dass Staaten hinsichtlich der Verhaltenslenkung zu einer gewissen zwischenstaatlichen „Arbeitsteilung“ 312 bereit sind und den Geltungsbereich ihrer Verhaltensnormen entsprechend beschränken. 313 Es gibt schlicht keinen nachvollziehbaren Grund dafür, weshalb ein Staat von jedermann verlangen sollte, sich stets entsprechend den Verhaltensnormen zu verhalten, die vor allem in Ansehung der im jeweiligen Staat herrschenden Umstände aufgestellt worden sind. Auch das Ziel jeder Verhaltensnorm, es dem Normadressaten zu ermöglichen, „sich von der Norm […] lenken zu lassen“314, lässt sich mit der Vorstellung der Weltgeltung von Verhaltensnormen daher nicht vereinbaren.
Ein Ansatz, der die Verhaltenssteuerung durch eine Gruppe nur dann zulassen will, wenn sie sich auf die Gedanken der Schutzgewährung und der Reziprozität zurückführen lässt, führt andererseits dazu, dass die Gruppe ihrer vorrangigen Aufgabe, dem gegenseitigen Schutz, nicht gerecht werden kann. Angriffe auf die Interessen der Gruppe oder ihrer Mitglieder drohen selbstverständlich nicht nur aus den Reihen der Gruppenmitglieder selbst.315 Dem daraus resultierenden praktischen Bedürfnis nach der Erstreckung von Ver-
311 OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 114 („unrealistisch und abstrus“); BÖSE, FS Maiwald 2010, S. 63 („[D]ie generelle Erstreckung der deutschen Verbotsnormen auf das Ausland [kann] nicht durch einen völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungspunkt legitimiert werden. […A]n der Festlegung von Regeln für ein Verhalten von Ausländern im Ausland [besteht] kein (deutsches) öffentliches Interesse […].“); siehe auch S. 99 bei Fn. 300–302. – Eine Zusammenstellung der gegen das Weltrechtsprinzip angeführten Argumente findet sich bei SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 167–193. 312 NEUMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 602 („Immerhin lässt sich vermuten, dass die Vorstellung einer beanspruchten Weltgeltung der Verhaltensnormen einer nationalen Strafrechtsordnung in einer Zeit, die durch die Tendenz zu einem gleichberechtigten Nebeneinander unterschiedlicher Rechtskulturen und Rechtsordnungen gekennzeichnet ist, auf Dauer nicht zu halten sein wird.“); BINDING, Handbuch, S. 379 („Princip der Arbeitsteilung“). 313 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 30 („Denn kein Staat kann so handeln, als bestünden die anderen Staaten nicht. Darum erläßt kein Staat Sachnormen für jeden Ort, ebensowenig wie er dies für alle Zeiten tut.“). 314 OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 124 („Die Art und Weise, wie der Täter vor der Tat in Beziehung zu der Norm tritt, die sein Tun strafrechtlich trifft, ist […] verschieden. Ist diese Beziehung zu der Norm nicht gegeben, erscheint die Ausdehnung dieser staatlichen Norm auf das Handeln des Menschen ungerecht, weil dieser durch sie ‚überfallen‘ wird.“). 315 PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 379; DERS., ZIS 2006, S. 287 (Fast jedes Rechtsgut […] kann sowohl von internen als auch von externen Angreifern beeinträchtigt werden […].“).
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
103
haltensnormen über den Kreis der eigenen Staatsangehörigen hinaus kann sich kein Staat verschließen.316 2.
Schutzprinzip und Territorialität
Ist somit jeder Staat gezwungen, den Geltungsbereich zumindest bestimmter Verhaltensnormen über den Kreis seiner Staatsangehörigen hinaus auszudehnen und ist er deshalb gehalten, eine entsprechende Geltungsbereichserweiterung grundsätzlich auch anderen Staaten zuzugestehen, die denselben Zwängen ausgesetzt sind wie er,317 so stellt sich umso dringender die Frage danach, auf welche Weise der Geltungsbereich staatlicher Verhaltensnormen im Hinblick auf das Nebeneinander einer Vielzahl staatlicher Normgeber zu begrenzen ist. Einen ersten Anhaltspunkt mag man dem allseits anerkannten und völkerrechtlich legitimierten Territorialitätsprinzip zu entnehmen versuchen. Jedem Staat soll es danach uneingeschränkt möglich sein, alle Handlungen, die auf seinem Territorium stattfinden, zu reglementieren. 318 Hinsichtlich des Gel316 NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 36–37 („[…] Wißbegierige, die erfahren möchten, wieso der Staat in der Lage sei, Fremde auf seinem Gebiet zu verpflichten, werden mit dem Märchen von der staatlichen ‚Gebietshoheit‘ beschwichtigt. Wer den Nebel solcher Worte wegbläst, der findet, daß der Staat mit der Inanspruchnahme einer Herrschaft über Fremde (einerlei,ob sie im Gebiet oder außerhalb desselben sich aufhalten) tatsächliche Gewalt übt und daß er vermöge der ihm von seinen Angehörigen zuerkannten Macht, Recht zu setzen, auch solche Herrschaft über Fremde zu rechtlicher Herrschaft gestalten kann.“). 317 ZIEGENHAIN, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 23 („[D]er Staatengleichheitssatz [verbietet es], daß Staaten für sich extraterritoriale Hoheitsbefugnisse in Anspruch nehmen, die weiter reichen, als sie völkerrechtlich der restlichen Staatengemeinschaft zustehen.“); NEUMEYER, ZStW 23 (1903), S. 437 („Die Anerkennung eines fremden Staates als Staat […] schließt die Anerkennung fremder Staatstätigkeit als gleichberechtigt der eignen in sich, und sie führt damit zu einer Zuständigkeitsverteilung, auf Grund derer die Thätigkeit eines jeden Staats in seinem Bereich Anerkennung findet.“). 318 OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 125 („Täter und strafrechtliche Norm [gemeint ist hier auch die Verhaltensnorm] haben im Rahmen des Territorialitätsprinzips die stärkste Beziehung zueinander, weil eine örtliche, persönliche oder sachliche Bezogenheit der Tat zu dem diese Norm setzenden und deren Geltungsbereich bestimmenden Staat besteht. Die auf dem der Souveränität des Staates unterstehenden Gebiet befindlichen Menschen und Rechtsgüter sind mit der örtlichen Norm so eng verknüpft, daß jedem auf dem Gebiet handelnden Täter deren Geltung für seine Tat offenbar ist.“); MAYER, JZ 1952, S. 611 („Die am Tatort jeweils geltende Norm geht den Normen anderer Staaten vor, denn die Norm ist am Geltungsort, [sic] ein wirklicher Befehl, an den sich der Normadressat zu halten hat.“); ZIEHER, Int. StrR, S. 76 („Die in der Regel bestehende enge Verbundenheit des Täters mit den sozialen und rechtlichen Verhältnissen am Tatort bietet […] eine relativ sichere Basis für adäquate Wertmaßstäbe und eine gerechte rechtliche Bewertung eines Verhaltens.“ [Hervorhebung hinzugefügt]); HOPT, FS Tübingen 1977, S. 313 („Der Ansatz beim Verhalten innerhalb des eigenen Staatsgebiets ist insgesamt noch am unproblematischsten.“ [Hervorhebung im Original]); KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 577 („Grundsätzlich
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
tungsbereichs inländischer Verhaltensnormen ist mit dieser Feststellung indes nur wenig gewonnen. So wie vom Staat zu schützende Interessen durch das Verhalten von Personen verletzt werden können, die ihm nicht angehören,319 so können Angriffe auf diese Interessen ihren Ausgang selbstverständlich auch jenseits der Grenze nehmen. Die Frage danach, inwieweit der Staat auf derartiges Verhalten durch eigene Verhaltensnormen einwirken darf, wird durch das Territorialitätsprinzip nicht gelöst, sondern nur verschoben. Zudem folgt aus der Möglichkeit des Staates zur aus seiner Sicht abschließenden Regulierung von Handlungen, die innerhalb seines Territoriums stattfinden, nicht etwa die Notwendigkeit, dies auch zu tun. Weshalb das Territorialitätsprinzip einem Staat etwa versagen sollte, sich aus freien Stücken ausländischer Normen zur Regulierung von im Inland vorgenommenen Handlungen zu bedienen, ist nicht ersichtlich.320 Anhaltspunkte für die Bestimmung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen sind dem Territorialitätsprinzip daher nicht zu entnehmen. Das Territorialitätsprinzip lässt sich – im Hinblick auf seinen geringen eigenständigen Aussagegehalt folgerichtig – auch lediglich als eine besondere Ausformung des allgemeinen Schutzprinzips deuten. 321 Dieses besagt indes nichts anderes, als dass Staaten ein legitimes Interesse daran haben können, autonome Verhaltensvorgaben jenseits ihres Territoriums zu etablieren, um ihnen bedeutsam erscheinende Güter angemessen schützen zu können, und dass andere Staaten in gewissen Umfang gehalten sind, dieses Interesse zu ist jedermann der Rechtsordnung jenes Landes unterworfen, in dem er sich aufhält[.]“); PUTTLER, Unterwerfung unter fremdes Exportkontrollrecht, in: Mellinghoff/Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 331 („Sofern es um Vorgänge innerhalb des eigenen Staatsgebiets geht, ist ein Staat grundsätzlich frei, diese Vorgänge nach seinem Gutdünken zu regeln.“); WENGLER, IPR, S. 421 („[Es] ist allerdings der Staat, auf dessen Gebiet die verbotene Handlung durch eine dort anwesende natürliche Person vorgenommen werden würde, sicher zum Erlaß solcher Verbote gegenüber dieser Person, gleich welchen Inhalt sie haben, und ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eigene Staatsangehörige, Ausländer oder Staatenlose handelt, befugt.“); vgl. auch S. 99 bei Fn. 300. 319 Siehe S. 102 mit Fn. 315. 320 Anderer Ansicht ZIEHER, Int. StrR, S. 76 („Die Tatsache, daß eine Handlung auf dem Staatsgebiet, einer der drei Säulen staatlicher Existenz, vorgenommen wird, ist zugleich Legitimation und Verpflichtung zur Bewertung des Verhaltens.“ [Hervorhebung hinzugefügt]); siehe auch FRANKENSTEIN, IPR II, S. 360, der hinsichtlich „der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ von der Existenz einer „Vorbehaltsklausel“ als „Auflehnung der Gebietshoheit gegen das Eindringen fremden Rechts“ ausgeht. 321 LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 108 („Das Territorialitätsprinzip stellt damit die klassische Form einer Sanktionierung von Angriffen auf die inländische Rechts- und Wertordnung dar.“ [Hervorhebung im Original]); BINDING, Handbuch, S. 391 („Vor allen anderen Staaten ist nun jedes Gemeinwesen berufen der inländischen Rechtsgüterwelt den vollsten Rechtsschutz zu gewähren. Dieser Gedanke liegt ja auch dem Territorialprincip zu Grunde, nur dass der Gesetzgeber das Unzureichende des von ihm gewährten Rechtsschutzes verkennt.“ [Hervorhebung im Original]).
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
105
akzeptieren, und insofern nicht in ihrem Anspruch auf Achtung ihrer Souveränität322 verletzt werden.323 Damit ist jedoch nur wieder der Ausgangspunkt der Überlegungen erreicht, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, die Regulierungstätigkeit der Staaten in gewissem Maße zu koordinieren. Konkrete Ordnungskriterien ergeben sich hieraus nicht.324 Wenig hilfreich ist insofern auch die Feststellung, jedem Staat obliege primär der Schutz inländischer Rechtsgüter,325 fehlt es doch wiederum an Merkmalen, die eine sichere Trennung in- und ausländischer Rechtsgüter ermöglichen würden.326 Ein Staat kann freilich durchaus gewillt sein, nicht nur „inländischen“, sondern auch „ausländischen“ Interessen einen gewissen rechtlichen Schutz zuteilwerden zu lassen. Das Schutzprinzip ist in erster Linie relevant um zu bestimmen, inwieweit es einem Staat zuzugestehen ist, eigennützige Normsetzung zu betreiben. Auf die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der altruistischen Regulierung der Korruption zum Schutz „ausländischer“ Interessen stellen, wird gesondert einzugehen sein.327
Mangels allgemeingültiger Kriterien, mithilfe derer eine legitime von einer unzulässigen Erstreckung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen auf Auslandstaten unterschieden werden kann, bleibt nur, anhand des mit einer bestimmten Verhaltensnorm verfolgten Schutzzwecks deren durch den Erlassstaat intendierten Geltungsbereich zu bestimmen. Im Anschluss muss durch eine Interessenabwägung festgestellt werden, ob dieser im Hinblick auf das vökerrechtliche Interventionsverbot stärker einzuschränken ist.328 322
Dazu bereits S. 99 bei Fn. 293–302. Vgl. zum Schutz- bzw. Auswirkungsprinzip etwa PUTTLER, Unterwerfung unter fremdes Exportkontrollrecht, in: Mellinghoff/Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 334–337; ZIEHER, Int. StrR, S. 78–79. 324 SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 205–210 m. w. N. 325 BINDING, Handbuch, S. 391 (siehe Fn. 321); HAFT/SCHWOERER, FS Weber 2004, S. 368–369; BASEDOW, RabelsZ 52 (1988), S. 26–27 („Das jeweilige Schutzgut der ordnungspolitischen Normen hat also seinen Schwerpunkt im Inland […].“); PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 362; DERS., ZIS 2006, S. 277 („Eine zentrale Rolle spielt in in diesem Kontext der völkerrechtliche Grundbegriff der Souveränität. Der einzelne Staat ist demnach nicht zum universellen Rechtsgüterschutz berufen; er hat sich vielmehr auf den strafrechtlichen Schutz jener Güter und Personen zu beschränken, die ihm kraft seiner Souveränität besonders verbunden sind.“). Zu einer Ausnahme S. 140 bei Fn. 517. 326 Zum Versuch der Abgrenzung in- und ausländischer Rechtsgüter anhand deren Träger MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 162–163; GOLOMBEK, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 13–14 m. w. N., unter anderem auch auf die berechtigte Kritik von ZIEHER, Int. StrR, S. 140 mit Fn. 201, der nicht nach „Nationalitätsgesichtspunkten“ unterscheiden und „stattdessen von einem durch die Rechtsordnung dieses oder jenen Staates ausgeprägten und geschützten Rechtsgut sprechen“ will. 327 Siehe S. 126 ff. 328 ZIEGENHAIN, RIW 1993, S. 900 („[D]ie Vereinbarkeit extraterritorialer Regelungsbefugnisse mit dem Völkerrecht [kann] nicht abstrakt, sondern nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden […].“); vgl. dazu S. 99 bei Fn. 295–299. 323
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Ergibt die Interessenabwägung, dass eine Erstreckung des Geltungsbereichs auf das Territorium ausländischer Staaten zulässig ist, so hat dies zur Folge, dass in ein und derselben Situation verschiedene Normgeber jeweils legitimerweise potentiell widersprüchliche Verhaltensanforderungen an den Einzelnen stellen können. Die Geltungsbereiche in- und ausländischer Verhaltensnormen überschneiden sich. Dass Staaten in gewissen Grenzen sich widersprechende Verhaltensanforderungen an eine bestimmte Person stellen, ist der „Relativität allen Rechts“ 329 geschuldet und lässt sich nicht vermeiden. „Es ist vielmehr zu betonen, daß es das Völkerrecht insbesondere mit der Anerkennung des Auswirkungsprinzips erst ermöglicht hat, daß […] Konflikte der Jurisdiktionen und Interessen entstehen.“330 Wie auf einen damit einhergehenden „Befehlsnotstand“331 des einzelnen Normadressaten zu reagieren ist, bleibt ebenfalls der einzelnen Rechtsordnung überlassen. – Derartige Konflikte von vornherein auszuschließen – etwa indem einem Staat die Regulierung von Verhaltensweisen, die außerhalb seines Territoriums stattfinden, verwehrt wird – ist ein Merkmal universalistisch begründeter Kollisionsrechtssysteme, die als Ausganspunkt das Völkerrecht als eine alle nationalen Rechte überlagernde Rechtsordnung wählen. So geht etwa ZITELMANN 332 davon aus, dass die Gebietshoheit eines Staates sich in zweierlei Prinzipien äußert, die gegeneinander abzuwägen sind und sich gegenseitig beschränken: Er unterscheidet die „Macht über das Gebiet“ von der „Macht auf dem Gebiet“333, wobei letztere dem Territorialitätsprinzip im hier vorgestellten Sinne entspricht, erstere hingegen als Schutzprinzip verstanden werden kann und sich gegen Auswirkungen auf dem eigenen Territorium wendet. ZITELMANNS Ansicht nach ist mal der einen, mal der anderen „Macht“ Vorrang einzuräumen und auf diese Weise bereits über die Einschränkung der staatlichen Regulierungskompetenz eine einheitliche, widerspruchsfreie Rechtslage herzustellen. Ein solcher Versuch, Widersprüche zwischen Verhaltensanforderungen verschiedener Staaten von vornherein zu unterbinden,334 muss indes aufgrund der Vielzahl legitimer Regelungsinteressen scheitern.
3.
Rechtsgut und Geltungsbereich
„Sonach ist Rechtsgut Alles, was selbst kein Recht doch in den Augen des Gesetzgebers als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist, an dessen unveränderter und ungestörter Erhaltung sie nach seiner Ansicht ein Interesse hat, und das er desshalb durch seine Nomen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt ist.“335
Durch ein Rechtsgut wird beschrieben, dass eine gewisse Situation im weitesten Sinne als von der Rechtsordnung erwünscht und in ihrem Bestand als schützenswert anerkannt ist. 336 Um diese Situation zu erhalten, sieht die 329
NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 37 (vgl. S. 77 Fn. 166). IMMENGA, FS Neumayer 1985, S. 327. 331 WENGLER, IPR, S. 427. 332 ZITELMANN, IPR I, S. 101–103. 333 ZITELMANN, IPR I, S. 102. 334 ZITELMANN, IPR I, S. 96–122. 335 BINDING, Normen I4, S. 353–355. 336 JAKOBS, AT2, 2. Abschn. Rn. 12 („Ein Gut ist ein positiv bewerteter Sachverhalt. Sachverhalt wird hierbei im weiten Sinne verstanden, so daß der Begriff nicht nur (körperliche und andere) Gegenstände umfaßt, sondern auch Zustände und Entwicklungen.“). 330
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
107
Rechtsordnung bestimmte Verhaltensnormen vor, deren Befolgung letztlich dem Erhalt des Rechtsguts zu dienen bestimmt sind. Verhaltensnormen und Rechtsgut bedingen sich insofern gegenseitig, als sich dem Rechtsgut Rückschlüsse auf den genauen Inhalt der Verhaltensnormen entnehmen lassen, die Existenz jener jedoch überhaupt erst auf die Existenz eines Rechtsguts schließen lässt.337 Die gesetzliche Bezugnahme auf ein Rechtsgut ist damit letztlich die Etablierung eines ganzen Bündels unterschiedlicher Verhaltensnormen.338 Im Folgenden ist daher der Frage nachzugehen, welche Hinweise den Rechtsgütern der korruptionsbezogenen Verhaltensnormen im Hinblick auf deren Geltungsbereich zu entnehmen sind. a)
Amtsträgerbezogene Korruptionsverbote
Die hinter den §§ 331, 332 StGB stehende Verhaltensnorm untersagt deutschen Amtsträgern das Fordern, Sichversprechenlassen und Annehmen eines Vorteils im Bezug auf ihre Dienstausübung, um der Gefahr rechtswidrigen Handelns der Amtsträger entgegenzuwirken. 339 Entsprechendes gilt für das Verbot der Vorteilsgewährung hinter den §§ 333, 334 StGB. Als Schutzgut wird regelmäßig ein ganzes Bündel unterschiedlicher Rechtsgüter genannt: „Lauterkeit des öffentlichen Dienstes“, 340 Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit,341 Unverfälschtheit des Staatswillens,342 „Funktionsfähigkeit des Staatsapparates“ 343 . Diese „Komplexität“ 344 resultiert daraus, dass die Rechtsordnung aus vielerlei Gründen Interesse daran haben muss, dass Amtsträger ihre Dienstpflichten beachten und keines der durch eine entsprechende Verhaltensnorm tatsächlich geschützten Interessen eindeutig im Vordergrund steht. Allen genannten Ansätzen gemein ist lediglich, dass der Rechtswidrig337
Vgl. NEUMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 606 („Rechtsgüter werden durch Normen konstituiert“). – Zur Wechselwirkung zwischen Norm und Rechtsgut DEUTSCH, Haftungsrecht, S. 13–15: „Die Rechtskreise der Einzelnen können auch dadurch abgegrenzt werden, daß nicht allein Verhalten verboten und damit reflektorisch Schutz gewährt wird, sondern daß umgekehrt einer Person ein gegenständlicher Bereich als frei und unverletzlich zugewiesen wird. […] Mit dem Wechsel des Ausgangspunktes – geschützter Bereich statt verbotenem Verhalten – ändert sich der Charakter der Norm. Da der Bereich dem Inhaber ausschließlich zugewiesen worden ist, sind alle Eingriffe, oder genauer alle gefährlichen Annäherungen an den Bereich verboten. […] Wie der Interessenschutz als Verbotsreflex gewährt wurde, so wird das Verbot als Schutzbereichsreflex statuiert“. 338 ENGISCH, Einführung11, S. 60 („[D]ie Gewährung subjektiver Rechte [ist] im Grunde eine façon de parler für eine besonders geartete Konstellation von Imperativen.“). 339 Siehe S. 69 bei Fn. 113. 340 BT-Drs. 7/550, S. 269. 341 Für Nachweise siehe S. 13 Fn. 44. 342 BT-Drs. 7/550, S. 269. 343 Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 3; FISCHER61, § 331 Rn. 2 („Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung“). 344 LK12/SOWADA, Vor § 331 Rn. 31; NK-StGB4/KUHLEN, § 331 Rn. 10.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
keit dienstlicher Handlungen weder zum Schutz unmittelbar staatlicher Interessen noch in erster Linie zum Schutze des von einer rechtswidrigen Entscheidung negativ Betroffenen entgegengewirkt wird. Der Staat als normgebende Gruppe ist darauf angewiesen, dass diejenigen, die in Vertretung für ihn auftreten, sich an die Regeln halten, die er sich selbst auferlegt hat. Dieses elementare Allgemeinrechtsgut, das der Notwendigkeit geschuldet ist, Individuen für die normsetzende Gruppe selbst handeln zu lassen, ist aus inländischer Sicht unabhängig davon schützenswert, wo ein deutscher Amtsträger als solcher tätig ist, ob eine Zuwendung im Inland oder im Ausland oder durch einen Inländer, Ausländer oder Staatenlosen vorgenommen wird. Intendiert sein kann daher allein ein räumlich unbeschränkter Geltungsbereich derjenigen Verhaltensnormen, die das Fordern (Anbieten), Sichversprechenlassen (Versprechen) und Annehmen (Gewähren) eines Vorteils durch oder gegenüber einem deutschen Amtsträger verbieten. In Anbetracht der Tatsache, dass jeder Staat in ähnlicher Weise auf regelkonformes Verhalten seiner Amtsträger angewiesen ist, dürfte eine derartige Geltungsbereichserweiterung auch im Hinblick auf das völkerrechtliche Interventionsgebot gerechtfertigt sein. Das Interesse ausländischer Staaten an der durch Zuwendungen unbeeinflussten Tätigkeit ihrer Amtsträger bedeutet indes keineswegs, dass sie deshalb das vergleichbare inländische Interesse teilen würden. Gerade die Korruption galt bis vor nicht allzu langer Zeit nur für das eigene Staatshandeln als Gefahr, wurde im Hinblick auf den Außenhandel hingegen geradezu als Chance aufgefasst. Das Schutzprinzip beruht insofern nicht notwendigerweise auf echter Interessensympathie innerhalb der Staatengemeinschaft, sondern darauf, dass man anderen Staaten notgedrungen zugestehen muss, bestimmte Güter zu schützen, weil man dies auch für sich selbst in Anspruch nehmen will.345 Obschon im Hinblick auf die Korruption nunmehr ein gewisser Paradigmenwechsel eingesetzt hat und sich viele Staaten auch gegen korruptives Verhalten gegenüber anderen Staaten wenden,346 so bleibt es dennoch dabei, dass Einschränkungen des Geltungsbereichs bestimmter Verhaltensnormen oftmals der Preisgabe des fraglichen Guts gleichkommen, da dem Ausland am Schutz inländischer Güter mitunter nur wenig gelegen ist.347
345
ZIEHER, Int. StrR, S. 78 („Nur solche [Rechtsgüter] sollen diesen besonderen Schutz genießen, von denen nicht zu erwarten ist, daß fremde Staaten zu deren Schutz in ausreichendem Maße verfolgend und strafend eintreten, bzw. bei denen u. U. sogar zu befürchten steht, daß ihre Verletzung gerade im Interesse fremder Staaten liegen kann.“). 346 Für entsprechende internationale Übereinkommen siehe S. 1 Fn. 3; zur deutschen Umsetzung deren Vorgaben S. 126 ff.; zu den entsprechenden Regelungen der USA und des Vereinigten Königreichs S. 141 ff. 347 MüKo-StGB2/AMBOS, § 7 Rn. 7 („kein Interesse“); OEHLER, FS Mezger 1954, S. 97 („ausländische öffentliche oder private Rechtsgüter […] zumeist recht uninteressant“).
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
b)
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Wettbewerbsbezogene Korruptionsverbote
Die durch § 299 StGB sanktionierten Verbote der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung im geschäftlichen Verkehr zielen auf den Schutz grundsätzlich anders strukturierter Rechtsgüter ab. Überwiegend wird der freie Wettbewerb selbst als Rechtsgut angesehen, 348 „das leitende Grundprinzip der deutschen Wirtschaftsverfassung“349. Werden daneben der Schutz der Mitbewerber 350 , des Geschäftsherrn 351 oder der Verbraucher 352 genannt, so sind damit diejenigen Personengruppen benannt, die in erster Linie von einem freien und unbeeinflussten Wettbewerb profitieren (können). Ob dabei der Schutz des Einzelnen eine bloße Reflexwirkung des Institutionenschutzes ist353 oder ob es sich beim Wettbewerb um die „Summe der Handlungsfreiheiten“ 354 der einzelnen Betroffenen handelt, ist dabei lediglich eine Frage des Blickwinkels. Die Rechtsordnung erkennt mit dem freien Wettbewerb die Möglichkeit wirtschaftlicher Betätigung in einer bestimmten Art und Weise als schutzwürdig an, weil dieser grundsätzlich geeignet ist, das „Leben der Rechtsgemeinschaft“ positiv zu unterstützen. 355 Da der Einzelne aber nur dann ein Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb hat, wenn sich dessen Möglichkeiten im Einzelfall zu seinen Gunsten auswirken, die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs durch die Rechtsordnung jedoch davon 348
GK-UWG/OTTO, § 12 Rn. 5 („Wettbewerb als Institution“); Schönke/Schröder /HEINE, § 299 Rn. 2 („Allgemeininteresse an ‚lauteren‘, also fairen Wettbewerbsbedingungen“); MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 161 („Institution ‚Wettbewerb‘ als Teil sozialer Marktwirtschaft“); LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 1; ARZT/WE2 61 BER/HEINRICH/HILGENDORF, BT , § 49 Rn. 51; FISCHER , § 299 Rn. 2. 349 LK12/TIEDEMANN, Vor § 298 Rn. 1. 350 TIEDEMANN, Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 197; BÜRGER, wistra 2003, S. 133; NK4 StGB /DANNECKER, § 299 Rn. 5; BGH (27.03.1968), NJW 1968, 1572 (1574); SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 172. 351 MüKo-StGB2/KRICK, § 299 Rn. 2; FISCHER61, § 299 Rn. 2; SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 172. Gegen die Einbeziehung der Schutzinteressen des Geschäftsherrn bereits S. 89 bei Fn. 234. 352 NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 5 („nur mittelbar geschützt“); LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 4; DERS., Wirtschaftsstrafrecht3, Rn. 197. 353 HEINRICH, Amtsträgerbegriff, S. 605 m. w. N. 354 NORDEMANN, WettbR/MarkR11, Rn. 3. 355 LK12/TIEDEMANN, Vor § 298 Rn. 1 („Der wirtschaftliche (Leistungs-)Wettbewerb […] gilt […] als Motor höchster ökonomischer Leistungsfähigkeit bei größtmöglicher Freiheitssicherung. Jedenfalls im Modell des polypolistischen Marktes lässt der Wettbewerb für den Verbraucher die günstigsten Preise entstehen, eröffnet den Nachfragern frei wählbare Alternativen und wirkt einer Vermachtung der Märkte entgegen […].“); HEINRICH, Amtsträgerbegriff, S. 605–606 („Dieses Funktionieren des wirtschaftlichen Wettbewerbs stellt […] eine Rahmenbedingung dar, die (auch) strafrechtlich zu schützen ist, um ein ordnungsgemäßes Zusammenleben im Rahmen der geltenden Wirtschaftsordnung zu gewährleisten.“). 28
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
unabhängig geschützt werden, steht auch hinsichtlich dieses Rechtsguts letztlich das Interesse der Allgemeinheit im Vordergrund.356 Der Begriff des Wettbewerbs beschreibt eine besondere Interaktionsmöglichkeit zwischen einer Vielzahl potentiell beteiligter Auftraggeber, Mitbewerber und Kunden, wobei der „Kampf um den Kunden“357 den Kristallisationspunkt des Geschehens markiert. Die hinter § 299 Abs. 1, 2 StGB stehenden Verbote sollen dabei verhindern, dass ein Agent dazu veranlasst wird, sich aufgrund eines (Dritt-)Vorteils bei seinen Entscheidungen nicht streng am Leistungsprinzip zu orientieren. Die Vielzahl der beteiligten Akteure bringt es mit sich, dass jede Wettbewerbssituation in mannigfaltiger Weise mit dem Ausland verknüpft sein kann und dennoch kann es nicht Aufgabe des deutschen Rechts sein, undifferenziert überall auf der Welt für freie Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.358 Für die Notwendigkeit einer Beschränkung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen spricht bereits der faktisch begrenzte Einfluss des deutschen Staates und die daraus resultierende Unmöglichkeit, weltweit eine Wettbewerbsordnung nach inländischem Vorbild zu etablieren.359 Vor allem aber die besondere Begründungsbedürftigkeit, die mit der Regulierung extraterritorialen Verhaltens einhergeht, 360 macht eine Grenzziehung zwischen dem von deutschen Verhaltensnormen geschützten „inländischen“ und dem von diesen grundsätzlich nicht erfassten „ausländischen“ Wettbewerb notwendig. In personeller Hinsicht sieht die Rechtsprechung den „inländischen“ Wettbewerb als betroffen an, wenn sich eine Handlung im Wettbewerb ausschließlich oder speziell gegen deutsche Mitbewerber richtet, mag diese Handlung auch einen ausländischen Markt betreffen. 361 Übertragen auf das Fordern 356
WOLLSCHLÄGER, StV 2010, S. 386 („Das genannte Individualinteresse ist – wenn überhaupt – aber allein mittelbar geschützt.“). 357 Godin/Hoth/V. GODIN, UWG Einf. Vorb. 1. 358 Zur Bedeutung des § 299 Abs. 3 StGB S. 137 ff. 359 Vgl. SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („Unmöglichkeit, seine Rechtsvorstellungen im Ausland durchzusetzen“). 360 Vgl. S. 99 bei Rn. 301. 361 BGH (29.08.2008), BGHSt 52, 323 (339–340) („Schmiergeldzahlungen im ausländischen Wettbewerb, durch die deutsche Mitbewerber nicht benachteiligt wurden, wurden […] nicht erfasst. […] Bestechungshandlungen, die sich ausschließlich gegen den ausländischen Wettbewerb richteten, [wurden] vom Schutzbereich der Vorschrift nicht erfasst […].“); BGH (20.12.1963), BGHZ 40, 391 (397) [Stahlexport] („Wettbewerb auf dem Auslandsmarkt […] ausschließlich zwischen inländischen Unternehmen […] oder […] Wettbewerbshandlungen […] speziell gegen inländische Mitbewerber“); darauf Bezug nehmend BGH (27.03.1968), NJW 1968, 1572 (1575) [Bierexport]. Obwohl sich die letztgenannten Entscheidungen mit der kollisionsrechtlichen Frage nach dem anwendbaren Wettbewerbsrecht befassen und diese von der Frage nach dem materiellen Geltungsbereich der anwendbaren inländischen Wettbewerbsvorschrift trennen (BGH (20.12.1963), BGHZ 40, 391 (400): „Ferner ist immer zu prüfen, ob die […] inländische Vorschrift nach ihrem
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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(Anbieten), Sichversprechenlassen (Versprechen) und Annehmen (Gewähren) eines Vorteils im Sinne des § 299 Abs. 1, 2 StGB bedeutet dies, dass die entsprechende Handlung verboten ist, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass zumindest in Zukunft ein inländischer Mitbewerber in die Wettbewerbssituation eintreten wird und gleichzeitig der Eintritt eines ausländischen Mitbewerbers mit eben dieser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Mit einem derart personell begrenzten Geltungsbereich inländischer Verhaltensnormen wird dem legitimen Interesse daran Rechnung getragen, Inländern die Teilnahme an einem durch Schmiergeldzahlungen unbeeinflussten Wettbewerb zu ermöglichen, ohne zugleich undifferenzierte Maßstäbe für den Wettbewerb auf Auslandsmärkten aufstellen zu müssen.362 Zur Feststellung personell „inländischen“ Wettbewerbs bedarf es freilich einer Definition des „inländischen“ Wettbewerbers. Im Hinblick auf juristische Personen und Personengesellschaften stellt sich also insoweit die Frage, welcher Inlandsbezug sie zu einem Inländer im wettbewerbsrechtlichen Sinne machen und damit im Wettbewerb auf Auslandsmärkten gegenüber anderen Inländern zur Beachtung inländischen Wettbewerbsrechts verpflichten kann. In Frage käme neben der herkömmlichen Entscheidung zwischen Sitz- und Gründungstheorie etwa auch ein inländischer Tätigkeitsschwerpunkt. Herkömmlicherweise wird insoweit auf einen Sitz bzw. eine Niederlassung im Inland abgestellt.363 Im Hinblick auf natürliche Personen gilt entsprechend, dass nicht allein ihre Staatsangehörigkeit ausschlaggebend sein kann, sondern ebenfalls an einen Tätigkeitsschwerpunkt anzuknüpfen ist, der sich etwa in einem inländischen Wohnsitz äußern kann.
Die Aufrechterhaltung einer entsprechenden personellen Einschränkung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen hinsichtlich von auf dem inländischen Markt stattfindendem Wettbewerb würde dem Schutzgut indes nicht gerecht werden. Regelmäßig ist damit zu rechnen, dass auch ausländiZweck etwa nur für den inländischen Wettbewerb Geltung beansprucht.“), fügen sie sich doch nahtlos in die Überlegungen über die Grenzen legitimer Verhaltensregulierung ein. Alle drei Entscheidungen beschäftigen sich daher nicht (ausschließlich) mit der Frage, inwieweit deutsche Wettbewerbsvorschriften Handlungen im ausländischen Wettbewerb erfassen, sondern (auch) mit der Frage, welche Handlungen auf Auslandsmärkten solche im „inländischen“ Wettbewerb sind. 362 Eine Regulierung des Verhaltens von Inländern in einer Wettbewerbssituation auf einem Auslandsmarkt, an der neben inländischen auch ausländische Mitbewerber teilhaben, wäre hingegen eine Überforderung für die inländischen Mitbewerber; vgl. RAAPE, IPR5, S. 579 m. w. N. Mit der Befreiung von deutschen Verhaltensanforderungen geht jedoch der Verlust des Schutzes durch Verhaltensanforderungen an die übrigen Wettbewerbsteilnehmer einher. Wer sich auf einen Auslandsmarkt begibt, kann nicht uneingeschränkt erwarten, den inländischen vergleichbare Wettbewerbsbedingungen vorzufinden. – Für eine Anwendbarkeit deutschen Wettbewerbsrechts auch in Fällen des „Behinderungswettbewerbs mit faktischer Inlandswirkung“ SPÄTGENS, GRUR 1980, S. 477–478. 363 Vgl. SPÄTGENS, GRUR 1980, S. 474; zum entsprechenden Inländerbegriff im Rahmen des § 7 Abs. 1 StGB JAKOBS, AT2, 5. Abschn. Rn. 18 m. w. N.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
sche Bewerber auf dem inländischen Markt tätig sind, was jedoch nicht dazu führen darf, dass hierbei niemals von „inländischem“ Wettbewerb gesprochen werden könnte. Wettbewerb soll sich auf dem inländischen Markt vielmehr stets nach dem Leistungsprinzip vollziehen, unabhängig davon, wer letztlich daran teilnimmt.364 In den Hintergrund tritt dann natürlich auch der tatsächliche Vornahmeort der Bestechungshandlung. Solange sie eine Gefährdung des Leistungsprinzips auf dem inländischen Markt darstellt, beeinträchtigt sie den geschützten Wettbewerb und wird insofern durch deutsche Verhaltensnormen verboten.365 Von grundlegender Bedeutung für die Reichweite der korruptionsbezogenen Verbote des § 299 Abs. 1, 2 StGB ist damit – soweit nicht eine personell inländische Wettbewerbssituation gegeben ist – der Begriff des inländischen Marktes. Herkömmlicherweise werden unter dem Begriff des Marktes die „wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern in Bezug auf ein bestimmtes Gut“366 verstanden. Als relevanter Inlandsbezug bietet sich insofern die territoriale Zuordnung der zukünftig zu erbringenden wesentlichen Leistung zum Inland an.367 In räumlicher Hinsicht findet Wettbewerb daher auf dem inländischen Markt statt, wenn der Auftrag, um den sich die Mitbewerber bemühen, im Inland
364
Eine Ausnahme und Beschränkung anhand personeller Merkmale wäre indes denkbar in Situationen, in denen ein deutsches Unternehmen einen Auftrag zu vergeben hat, zu dessen Ausführung ausschließlich ausländische Unternehmen befähigt sind. In diesem Fall wäre zu erwägen, den „inländischen“ Wettbewerb angesichts der Tatsche, dass abgesehen von dem inländischen Prinzipal, der bereits durch den Tatbestand der Untreue geschützt wird, keine inländischen Wettbewerber existieren, als nicht tangiert anzusehen. Dies wurde in BGH (04.06.1987), NJW 1988, 644 (645), jedoch zu Recht abgelehnt. Auch insofern ging es zwar um die Frage nach dem anwendbaren Wettbewerbsrecht, keine Zweifel bestanden jedoch daran, dass dieses jedenfalls Anforderungen für das Verhalten im Wettbewerb auf dem inländischen Markt aufstellt – unabhängig davon, ob im konkreten Fall inländische oder ausländische Mitbewerber aufeinandertreffen. Wäre der Wettbewerb auf dem Inlandsmarkt nicht derart umfassend geschützt, so wäre die Vorbildfunktion der entsprechenden Verhaltensnormen gefährdet (vgl. S. 114 bei Fn. 376). 365 Will man die Etablierung entsprechender korruptionsbezogener Verbote auf den Reziprozitätsgedanken zurückführen (siehe S. 101 bei Fn. 306), so mag man die staatliche Gegenleistung in der Ermöglichung der Teilnahme an einer dem Leistungsprinzip verpflichteten Auftragsvergabe erblicken. 366 GLOY, § 9, in: Gloy/Loschelder (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts3, Rn. 14; siehe auch MÖSCHEL, Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 94. – Vgl. zur Marktabgrenzung Köhler/Bornkamm31/KÖHLER, § 2 UWG Rn. 106–107; BEATER, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 2270–2274; BAUM, WuW 1980, S. 401 ff. 367 Vgl. BGH (30.04.1997), GRUR 1997, 934 (935) („Geschäftstätigkeit des werbenden Unternehmens“) [Immobilienvertrieb, zu § 3 UWG]. Dies deckt sich letztlich mit dem „Ort […], an dem wettbewerbliche Interessen der Mitbewerber aufeinandertreffen“ (BGH (04.06.1987), NJW 1988, 644 (645) [Fn. 364]), da der Auftrag zur Erbringung der zukünftigen Leistung, der grundsätzlich nur einem der Mitbewerber zufallen kann, das Ziel jedes Wettbewerbs darstellt.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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zu erfüllen ist.368 Der grenznah niedergelassene Handwerksbetrieb etwa, der seine Leistungen jenseits der Grenze anbietet, handelt auf dem ausländischen Markt, das Werben um deutsche Kunden durch französische Mineralwasserhersteller 369 findet auf dem inländischen Markt statt. Aus rechtspolitischer Sicht ist eine solche Zuordnung gerechtfertigt, da dem Staat ein Interesse daran zugebilligt werden muss, dass zumindest der Wettbewerb um im Inland zu erbringende Leistungen frei von korruptiven Eingriffen stattfindet.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass unabhängig davon, wo das Fordern (Anbieten), Sichversprechenlassen (Versprechen) und Annehmen (Gewähren) eines Vorteils letztlich stattfindet, die Missbilligung dieser Handlungen durch die deutsche Rechtsordnung allein aus der potentiellen Beeinflussung des „inländischen“ Wettbewerbs herrührt. Dabei ist jedoch das Merkmal des inländischen Wettbewerbs nicht als räumliche Geltungsbereichsbeschränkung der hinter § 299 Abs. 1, 2 BGB stehenden Verbote zu verstehen. Diese Verhaltensnormen gelten weltweit, sind aber über den notwendigen Bezug der verbotenen Handlung zum inländischen Wettbewerb inhaltlich hinreichend eng mit dem Inland verknüpft. 4.
Zwischenergebnis
Eine Bemessung des materiellen Geltungsbereichs der inländischen korruptionsbezogenen Verhaltensnormen anhand der mit diesen verfolgten Schutzzwecke führt zu einer räumlichen Entgrenzung des Geltungsbereichs. Dennoch kommt es durch diese Verhaltensnormen keineswegs zu einer universellen Bewertung menschlichen Verhaltens, vielmehr lassen sich dem Schutzzweck der Normen anstelle räumlicher Begrenzungen inhaltliche Geltungsbereichsbeschränkungen entnehmen. 370 Durch diese wird ein Inlandsbezug begründet, der die Setzung extraterritorial wirkender Verhaltensnormen in diesen Fällen zu rechtfertigen imstande ist.371 Freilich ist eine Geltungsbereichsbeschränkung allein anhand des geschützten Rechtsguts nicht immer möglich.372 Es gibt viele Güter, die aus inländischer Sicht zweifellos schutz368
Im Einzelfall mag die Grenzziehung auch hier schwierig sein, etwa wenn in verschiedenen Staaten Vorbereitungshandlungen notwendig sind, die eine Schwerpunktbildung notwendig machen, oder die Leistung in unkörperlichen Beratungstätigkeiten besteht. 369 BGH (04.06.1987), NJW 1988 (644–646). 370 Vgl. zur Beschränkung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen anhand der geschützten Rechtsgüter GOLOMBEK, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 54–55. 371 Zur Notwendigkeit einer Interessenabwägung im Hinblick auf das völkerrechtliche Interventionsverbot vgl. S. 99 bei Fn. 295–299. – Allgemein zu den insofern anerkannten Anknüpfungsmomenten NK-StGB4/BÖSE, Vor § 3 Rn. 15–33. 372 NEUMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 602 („Zwar kann man in Bezug auf einzelne Straftatbestände danach differenzieren, ob nach dem ‚tatbestandsimmanenten Schutzgut‘ im Ausland begangene Handlungen erfasst werden sollen; eine allgemeine Begrenzung der Reichweite der Verhaltensnormen ist mit diesem Kriterium aber weder beabsichtigt noch zu leisten.“); kritisch auch WENGLER, IPR, S. 423–424.
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würdig erscheinen, ohne dass stets angenommen werden kann, das inländische Recht schütze diese durch die Aufstellung eigener Verhaltensnormen. Der grundsätzlich „nach innen“ gerichtete Schutzauftrag des Staates erfährt etwa hinsichtlich „elementarer“ 373 Individualrechtsgüter eine deutliche Erweiterung. Deren Verletzung soll ohne Weiteres eine strafrechtliche Sanktionen nach deutschem Recht nach sich ziehen können. 374 Das Töten oder Bestehlen eines Menschen sei so lose mit den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten verknüpft und daher so leicht als Widerspruch zu den inländischen Wertvorstellungen identifizierbar,375 dass das Strafrecht seine Aufgabe, „eine Vorstellung von dem rechtlich mißbilligten Verhalten im Volke zu schaffen“376, nicht erfüllen könne, wenn ein Inländer für eine entsprechende Tat im Ausland im Inland nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das Inland würde zum „Verbrecherasyle“. 377 Aus diesem zweifellos bestehenden inländischen Schutzinteresse jedoch zu schließen, zumindest die dem Schutz dieser Individualrechtsgüter dienenden inländischen Verhaltensnormen müssten Weltgeltung besitzen, ist dennoch mehr als zweifelhaft. Unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsteilung und des Interventionsverbots liegt es näher, den Schutz elementarer Individualrechtsgüter im Ausland ausländischem Recht zu überlassen. Kein Staat steht diesen Rechtsgütern gleichgültig gegenüber.378 Warum es dennoch notwendig sein sollte, weltweit nach inländischen Maßstäben zu beurteilen, welche Gefahren für diese allgemein anerkannten Rechtsgütern im Einzelnen ein Verbot zur Folge haben sollen,379 ist auch im Hinblick auf die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit inländischer Vorstellungen im Ausland nicht recht einzusehen.380
373
HAFT/SCHWOERER, FS Weber 2004, S. 369 („Leben, Leib, Freiheit, Vermögen und Eigentum“). 374 Eingehend GOLOMBEK, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 22–27 m. w. N. 375 Vgl. SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 98 („Der Diebstahl bleibt Diebstahl, der Mord bleibt Mord, auch wenn das Delikt im Ausland begangen ist.“). 376 OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 729. 377 BINDING, Handbuch, S. 383. 378 Vgl. EHRLICH, Soziologie des Rechts4, S. 80 („Aber mit all diesen zeitlichen und örtlichen Beschränkungen ist die Achtung für Leben, Freiheit und Besitz jedes Menschen […] tatsächlich ein Grundsatz des lebenden Rechts geworden. In diesem bescheidenen Umfange ist die ganze Menschheit bereits ein großer Rechtsverband.“); OEHLER, FS Mezger 1954, S. 98 („Rechtsgüter […], die für die zivilisierten Rechtsstaaten einen gemeinsamen Rechtswert darstellen, wie z. B. Leib und Leben, Freiheit, Eigentum, Vermögen, Ehre, Sittlichkeit usw.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). – Es ist in erster Linie dieses fehlende staatliche Partikularinteresse, das die Individual- von den Allgemeinrechtsgütern unterscheidet. Eine solche Differenzierung hingegen grundsätzlich ablehnend BINDING, Normen I4, S. 358 („Das Rechtsgut ist stets Rechtsgut der Gesamtheit, mag es scheinbar noch so individuell sein.“), der insofern jedoch zu Unrecht das „Gesamtinteresse an der Regelung“ mit dem durch die Regelung geschützen Interesse gleichsetzt (NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 254–257 [zur Abgrenzung von öffentlichem und Privatrecht; Hervorhebung hinzugefügt]). 379 Dass insoweit keine vollkommene Einigkeit zwischen den Staaten herrscht, ist ebenso sicher wie der Konsens über die grundsätzliche Schutzwürdigkeit von Individualrechtsgütern. Damit ist jedoch auch der Vorstellung die Grundlage entzogen, in Bezug auf die Verletzung von Individualrechtsgütern sanktioniere das deutsche Strafrecht Verhaltensnormen internationalen Ursprungs. Vgl. zu diesem Ansatz BÖSE, FS Maiwald 2010, S. 71 Fn. 59 („[Bei] Taten […], über deren Bewertung als strafwürdiges Unrecht innerhalb der
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II. Bedeutung des internationalen Strafrechts Zweifel an einer solch weitreichenden Verhaltensbewertung anhand inländischer Maßstäbe bestehen jedoch im Hinblick auf die durch §§ 3–7 StGB mitunter wesentlich enger gezogenen Schranken des internationalen Strafrechts. Angesichts des begrenzten Anwendungsbereichs des deutschen Strafrechts steht zu befürchten, dass nur ein Bruchteil der verbotenen korruptiven Handlungen auch eine strafrechtliche Sanktion nach sich ziehen können. Im Folgenden ist daher der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen das internationale Strafrecht auf den Geltungsbereich deutscher Verhaltensnormen hat. 1. Strafrechtliche Sanktionierung korruptionsbezogener Verhaltensnormverstöße Der anhand der geschützten Rechtsgüter gefundene weite Geltungsbereich deutscher korruptionsbezogener Verhaltensnormen findet keine Entsprechung in den Bestimmungen des internationalen Strafrechts. Die §§ 3–7 StGB fassen den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts wesentlich enger. Gemäß § 3 StGB unterliegen zunächst alle Taten, „die im Inland begangen wurden“, dem deutschen Strafrecht, wobei der inländische Begehungsort nach § 9 Abs. 1 StGB sich grundsätzlich aus einem inländischen Handlungsoder Erfolgsort ergeben kann. Bei den Straftatbeständen der §§ 331 ff. und 299 StGB handelt es sich jedoch ausnahmslos um abstrakte Gefährdungsdelikte, 381 welche den Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs gerade nicht voraussetzen,382 so dass eine inländische Tat nur dann vorliegt, wenn sich der Handlungsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB im Inland befindet. Es kommt Staatengemeinschaft ein Konsens besteht […], ergibt sich die strafrechtliche Bewertungsnorm nicht aus der einzelnen staatlichen Rechtsordnung, sondern aus dem Völkerrecht und dem Konsens der Staatengemeinschaft […].“); NEUMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 601 („naturrechtliche oder supranationale Normen“); SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 16 („Normen [, die] sich unmittelbar und ohne das Medium des staatlichen Rechts an den einzelnen richten“). 380 Siehe auch S. 125 bei Fn. 431. 381 Vgl. zu § 299 StGB: MüKo-StGB2/KRICK, § 299 Rn. 2; Schönke/Schröder28/HEINE, § 299 Rn. 2; ausführlich MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 207–212; zu §§ 331 ff. StGB: MüKo-StGB2/KORTE, § 331 Rn. 10; LK12/SOWADA, Vor § 331 Rn. 39; FISCHER61, § 331 Rn. 2. Zur Diskussion um die Einordnung der §§ 332, 334 StGB als konkrete Gefährdungsdelikte (dafür etwa GEERDS, JR 1981, S. 302–303) LK12/SOWADA, Vor § 331 Rn. 39: „Richtig ist freilich, dass die den §§ 332 und 334 unterfallenden Taten […] einen gegenüber den §§ 331, 333 erhöhten Gefährlichkeitsgrad aufweisen […]. Dennoch macht die größere Intensität der Gefährlichkeit der Handlung aus abstrakten Gefährdungsdelikten keine konkrete.“ Vgl. dazu auch S. 69 bei Fn. 112. 382 MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 212–217; NK-StGB4/BÖSE, § 9 Rn. 11; Schönke/Schröder28/ESER, § 9 Rn. 6; vgl. zur Gegenansicht LK12/WERLE/JESSBERGER, § 9 Rn. 28–35.
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insoweit allein auf den Aufenthaltsort des Täters383 zum Zeitpunkt des Forderns (Anbietens), sich Versprechenlassens (Versprechens) und Annehmens (Gewährens) eines Vorteils an. 384 Liegt dieser im Ausland, so kommt die Anwendung deutschen Strafrechts nur unter den Voraussetzungen der §§ 5–7 StGB in Betracht. Vorteilsannahme und Bestechlichkeit nach §§ 331, 332 StGB unterfallen gemäß § 5 Nr. 12 und 13 StGB385 zum Schutze inländischer Rechtsgüter dem deutschen Strafrecht unabhängig von dem Ort, an dem der Täter gehandelt hat. Soweit § 299 StGB auf das Handeln von Amtsträgern anwendbar ist,386 unterfällt daher auch er dem § 5 StGB. Jeder Verstoß gegen die entsprechenden Verbote durch deutsche Amtsträger zieht daher grundsätzlich auch eine strafrechtliche Sanktion nach deutschem Recht nach sich. Darüber hinaus unterfällt nach Art. 1 § 2 Nr. 1 lit. a EUBestG387 auch die Bestechung durch einen Deutschen stets dem deutschen Strafrecht. § 7 Abs. 1 StGB setzt für die Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten voraus, dass diese gegen einen Deutschen begangen werden. Die Korruptionsdelikte bezwecken jedoch in erster Linie nicht den Individualschutz, sondern haben allgemeinschützenden Charakter, 388 so dass insofern keine Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten begründet werden kann.389 Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB sind jedoch die Auslandstaten Deutscher (unabhängig davon, ob die deutsche Staatsangehörigkeit vor oder nach der Tat erworben wurde) nach deutschem Strafrecht zu beurteilen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Tat am Tatort ebenfalls strafbar ist (oder keiner Strafgewalt unterliegt). Damit ergibt sich ein differenziertes Bild: Jeder Verstoß gegen die hinter den §§ 331, 332 StGB stehenden Verhaltensnormen zieht grundsätzlich auch eine strafrechtliche Sanktion nach sich. Für Verstöße gegen das Verbot der Vorteilsgewährung und gegen die korruptionsbezogenen Verbote im geschäftlichen Verkehr gilt dies hingegen nicht, sie werden nur strafrechtlich sanktioniert, wenn sie im Inland oder durch Deutsche vorgenommen wurden. Damit ist zumindest den strafrechtlichen Sanktionsnormen ein deutlich einge383
FISCHER61, § 9 Rn. 3; MüKo-StGB2/AMBOS, § 9 Rn. 8. Ebenso LINKE, Strafrecht und Steuerrecht, S. 74; MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 217. – Vgl. zum Streit über das Vorliegen eines Erfolgsorts im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten MüKo-StGB2/AMBOS, § 9 Rn. 27–35; MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 212–217. 385 § 5 Nr. 14 StGB bezieht sich hingegen nicht auf die Vorteilsannahme und Bestechung nach den §§ 333, 334 StGB; vgl. MüKo-StGB2/AMBOS, § 5 Rn. 37. 386 Siehe S. 91 Fn. 254–259. 387 BGBl. 1998 II, S. 2340 (vgl. S. 49 Fn. 2); dazu unten S. 133 ff. 388 Vgl. oben S. 107 ff. 389 RÖNNAU, JZ 2007, S. 1086 Fn. 15 m. w. N.; zustimmend WOLLSCHLÄGER, StV 2010, S. 387; vgl. auch MüKo-StGB2/AMBOS, § 7 Rn. 25. 384
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schränkter Anwendungsbereich zugewiesen. Fraglich ist, ob sich aus den eingeschränkten strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten auch Einschränkungen hinsichtlich der Reichweite der Verhaltensnormen selbst ergeben. 2.
Einschränkung inländischer Verhaltensnormen
Bis heute nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche Wirkung die §§ 3– 7 StGB auf den Geltungsbereich der hinter den Strafgesetzen stehenden Verhaltensnormen haben. Teilweise wird der Geltungsbereich der Verhaltensnormen als durch das internationale Strafrecht mitgeregelt angesehen,390 teilweise wird dieses als unrechtsneutral und damit als bedeutungslos für die Reichweite der Verhaltensnormen bezeichnet. 391 BINDING ging davon aus, dass jeder strafrechtlichen Sanktion der Verstoß gegen eine durch denselben Staat aufgestellte Verhaltensnorm zugrunde liegen müsse 392 und die Geltungsbereiche von Verhaltensbefehl und Sanktionsnorm weitgehend deckungsgleich sein müssten, um Ungleichheiten zu vermeiden.393 Die gegenwärtige Ausgestaltung des internationalen Strafrechts lässt jedoch eine autonome, inländische Verhaltensbewertung in allen Fällen, in denen deutsches Strafrecht Anwendung findet, bei gleichzeitigem Verzicht auf Verhaltensvorgaben jenseits dieses strafrechtlichen Anwendungsbereichs nicht zu. Soll in 390
BÖSE, FS Maiwald 2010, S. 64 („Anwendungsbereich der materiell-strafrechtlichen Bewertungs- und Verhaltensnorm“); PAWLIK, FS Schroeder 2006, S. 373 („mitkonstitutiv für den Bereich kriminellen Unrechts“); DERS., ZIS 2006, S. 283; NEUMANN, FS MüllerDietz 2001, S. 604 („Die Regeln des transnationalen Strafrechts sind vor die Klammer gezogene Bestandteile der strafrechtlichen Bewertungs- und Verhaltensnormen.“); grundsätzlich ebenso SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („Die Vorstellung, die Frage der Strafrechtsgeltung ließe sich […] von der der Unrechtsgeltung trennen, hat im übrigen keinen realen Gehalt.“), und ZIEHER, Int. StrR, S. 37–46, die jedoch im Einzelfall differenzieren wollen: „Es ist festzustellen, daß die §§ 3 bis 7 StGB sicherlich weder in ihrer Gesamtheit das eigentliche Unrecht einer Straftat mitbestimmen, noch als völlig unrechtsneutral bezeichnet werden können.“ (ebd., S. 48). 391 HENRICH, Passives Personalitätsprinzip, S. 156 („[D]ie Geltung des deutschen Strafrechts [ist] ein Umstand, der außerhalb von Unrecht und Schuld steht.“); SCHRÖDER, ZStW 61 (1942), S. 95–96; vgl. auch SCHROEDER, GA 1968, S. 355–356. 392 BINDING, Handbuch, S. 374 („Für die Bestimmung dieses Umfanges der Strafrechte [der staatlichen Strafansprüche] ist maassgebend [sic] der Umfang, den der Staat seinen Normen erteilt. Und zwar sowohl in negativem als im positiven Sinn. Denn strafen kann der Staat nur den, dem er Pflichten aufgelegt und der diese Pflichten verletzt hat.“ [Hervorhebungen im Origina]), 377–397 [zu den Prinzipien des internationalen Strafrechts]; ebenso von der strafrechtlichen Sanktionierung ausschließlich inländischer Verhaltensnormen ausgehend DÖRNER, FS Stoll 2001, S. 498; DERS., JR 1994, S. 10. 393 BINDING, Handbuch, S. 374 („[E]s [ist] zwar nicht unmöglich, aber – von wenigen dringenden Ausnahmen abgesehen – kaum gerecht, wenn der Kreis der Normgebundenen grösser ist als der Kreis der Delinquenten, die für das gleiche Delikt strafpflichtig erklärt werden. Deshalb fallen auch im positiven deutschen Strafrecht beide Kreise zusammen.“).
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allen Fällen, in denen die §§ 3–7 StGB die Geltung deutschen Strafrechts vorsehen, eine Verhaltensbewertung anhand deutscher Verhaltensnormen erfolgen, so ist dies nur möglich, wenn diesen Verhaltensnormen ein grundsätzlich universeller Geltungsbereich zugebilligt wird, jedwedes Verhalten weltweit also einer Bewertung durch deutsche Verhaltensnormen unterworfen wird. Dies ergibt sich letztlich aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wonach der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft nach Begehung einer Auslandstat zur Anwendung deutschen Strafrechts führt. Da der zukünftige Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ungewiss ist, müssten sich die entsprechenden deutschen Verhaltensnormen an jedermann richten, um eine entsprechende Grundlage für die eventuelle spätere Anwendung deutschen Strafrechts zu bieten. 394 Mit dieser unbeschränkten Verhaltensbewertung durch deutsche Normen einher ginge jedoch zwangsläufig, dass nur ein Bruchteil der Normadressaten im Falle einer Zuwiderhandlung auch tatsächlich strafrechtlich belangt werden könnte, da die Voraussetzungen der §§ 3–7 StGB in der Mehrzahl der Fälle nicht erfüllt wären.395 Daraus ergibt sich letztlich auch, dass die „Weltgeltung“ deutscher Verhaltensnormen und deren Begrenzung anhand der §§ 3 ff. StGB sich keineswegs alternativlos gegenüberstehen.396 Vielmehr ist den §§ 3 ff. StGB unter der Prämisse, durch deutsche Straftatbestände würden nur Verstöße gegen deutsche Verhaltensnormen sanktioniert, keine Einschränkung des Geltungsbereichs deutscher Verhaltensnormen zu entnehmen. Ebenso wenig ergibt sich aus der grundsätzlichen Ablehnung der universellen Verhaltensbewertung durch inländische Verhaltensnormen im Umkehrschluss eine Begrenzung des Geltungsbereichs deut-
394 Unter anderem auch dieses Merkmal nicht als unrechtscharakterisierend bezeichnend ZIEHER, Int. StrR, S. 50; ebenso SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 93; BÖSE, FS Maiwald 2010, S. 65, 77. 395 So die Vorstellung von SCHRÖDER, ZStW 61 (1942), S. 95–96 („[D]ie deutsche Strafrechtsordnung [gilt] über den Bereich der §§ 3 ff. hinaus als Bewertungsnorm aller menschlichen Handlung universell […]. Das Ergebnis dieser Bewertung ist die Feststellung ‚schuldhaft begangenes Unrecht‘. Diesem Urteil des deutschen Rechtes unterliegt jede Handlung der Welt: ihre Tatbestandsmäßigkeit bedeutet Widerrechtlichkeit. Dagegen legt sich die deutsche Rechtsordnung keine universelle Strafkompetenz zu. Es entsteht daher durch die negative Bewertung der Tat als Unrecht noch kein Strafanspruch des deutschen Reiches, sondern erst dadurch, daß überdies einer der Anknüpfungstatbestände der §§ 3 ff. erfüllt ist, die die Beziehung zum deutschen Reiche herstellen.“). 396 So jedoch explizit NEUMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 602 („Eine Zwischenposition, derzufolge den Bewertungs- bzw. Verhaltensnormen eine begrenzte, aber nicht durch die Geltungsregeln der Normen des transnationalen Strafrechts konstituierte Reichweite zuzuerkennen wäre, ist normtheoretisch nicht begründbar. Denn eine dritte Kategorie von Normen, die diese Begrenzung leisten könnte, steht nicht zur Verfügung“.); ähnlich BÖSE, FS Maiwald 2010, S. 69–70.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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scher Verhaltensnormen auf das Inland, 397 da das strikte Territorialitätsprinzip dem Schutzauftrag des Staates nicht gerecht zu werden vermag.398
Die vermeintlich enge Verknüpfung von internationalem Strafrecht und dem Geltungsbereich inländischer Verhaltensnormen beruht damit zum einen auf der Fehlvorstellung, mithilfe der Regelungen der §§ 3–7 StGB ließe sich eine deutliche Geltungsbereichseinschränkung für Verhaltensnormen bestimmen. Eine wohl noch wichtigere Rolle spielt jedoch die Vorstellung, dass Verhaltensnormen über das Strafrecht hinaus von nur untergeordneter Bedeutung seien. 399 Erlangen Verhaltensnormen nur dann Bedeutung, wenn aus ihrer Verletzung ein staatlicher Strafanspruch erwächst, so gibt es für „überschießende“ Verhaltensbefehle in der Tat keinerlei Bedürfnis. Begreift man die Verhaltensnormen hingegen als ein die gesamte Rechtsordnung durchwirkendes Phänomen,400 die strafrechtliche Sanktion nur als eine unter vielen denkbaren, so ist nicht einzusehen, weshalb ausgerechnet der Anwendungsbereich des Strafrechts über den Geltungsbereich von nicht rechtsgebietsspezifischen Verhaltensnormen bestimmen sollte.401 Auch die Annahme, zur Geltung einer Verhaltensnorm bedürfe es deren Sanktionierung,402 führt zu keinem anderen Ergebnis. Strafe ist keineswegs die einzig denkbare, nicht einmal in jedem Fall die abschreckendste oder schärfste Sanktion für einen Verhaltensnormverstoß. 403 Zivilrechtliche Ansprüche oder verwaltungsrechtliche Auflagen können dem Sanktionserfordernis ebenso gerecht werden wie die Verhängung einer Kriminalstrafe; bereits die Verkürzung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Form einer Beschränkung vertraglicher Bindungsmöglichkeiten mag genügen. 404 Der Verzicht auf Schaffung eines staatlichen Strafanspruchs ist damit keineswegs mit Sanktionslosigkeit gleichzusetzen.405 397
So jedoch LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 106; SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 266–268. 398 Oben S. 103 ff. 399 Vgl. etwa zur Ansicht BINDINGS S. 59 Fn. 54; SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („Es macht keinen Sinn, den Bestimmungs- und Bewertungsanspruch weiter zu erstrecken, als zur Erfüllung der strafrechtlichen Grundaufgaben erforderlich ist.“). 400 Dazu oben S. 55 ff. 401 Dies gilt ebenso für andere Rechtsgebiete, vgl. S. 159 ff. 402 SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („Die Tatsache, daß das Gesetz den Staatsorganen die Möglichkeit nimmt, auf die Verletzung der primären Norm strafrechtlich zu reagieren, bedeutet in der sozialen Wirklichkeit nichts anderes, als daß es auch die Geltung der Verhaltensnorm aufhebt. […] Wo eine Verhaltensnorm öffentlich und voraussehbar nicht mehr sanktioniert wird, hört sie auf zu bestehen.“); vgl. auch S. 52 bei Fn. 16, eingehend unten S. 240 ff. 403 Dazu S. 56 bei Fn. 37. 404 Vgl. schon GEBHARD, Entwurf II, S. 162 („Auch ohne daß an die Uebertretung der Gebote oder Verbote irgend welche Strafe geknüpft ist, behalten die reinen aus denselben zu entnehmenden Normen doch Bedeutung […] und die hauptsächliche Bedeutung liegt in der Nichtigkeit der pflichtwidrigen Willenserklärung.“). – Dies gilt es zu bedenken, ob-
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Dass es durch eine solche Betrachtungsweise in einer Vielzahl von Fällen tatsächlich zu einem Auseinanderfallen von „Normadressat“ und „Delinquent“ kommt,406 ist damit letztlich ein Phänomen, das weder mit dem Strafrecht noch mit Auslandssachverhalten spezifisch verbunden ist. Dass die Verletzung einer inländischen Verhaltensnorm durch einen Ausländer im Ausland keine strafrechtliche Sanktion nach sich zieht, ist eine ebenso „rechtspolitische Entscheidung“407 wie etwa diejenige, eine fahrlässige Sachbeschädigung nicht strafrechtlich, sondern allein zivilrechtlich zu sanktionieren, obwohl in beiden Fällen gegen dieselbe Verhaltensnorm verstoßen wird. Nicht jede Situation weist insofern dasselbe Sanktionsbedürfnis auf. Hinsichtlich einer sinnvollen Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen tritt damit der Schutzzweck der jeweiligen Norm in den Vordergrund.408 Der Gefahr der Uferlosigkeit inländischer Verhaltensnormen, die nicht durch die Grundsätze des internationalen Strafrechts begrenzt werden, wird bereits auf diesem Wege Rechnung getragen, denn eine wirklich umfassende „Weltgeltung“ von Verhaltensnormen lässt sich auch auf Grundlage des Schutzprinzips kaum begründen. 409 Eine allgemeine Begrenzung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen ist den §§ 3–7 StGB daher nicht zu entnehmen. Die deutsche Rechtsordnung kann ihre Verhaltensvorgaben auch auf Situationen jenseits des Anwendungsbereichs des deutschen Strafrechts erstrecken und wird dies – soweit es für eine angemessene Sicherung der geschützten Güter notwendig ist – auch tun. 3.
Sanktionierung ausländischer Verhaltensnormen
Mag auch das internationale Strafrecht dem Geltungsbereich inländischer Verhaltensnormen keine unmittelbaren Grenzen setzen, so bleibt es dennoch wohl Vorschriften wie § 134 BGB nicht „retrospektiv“ (HAFFKE, Coimbra-Symposium 1995, S. 92) auf bereits erfolgte Verhaltensnormverstöße gerichtet und damit strenggenommen keine Sanktionsnormen sind. Ihnen kommt dennoch „Präventionswirkung“ (CANARIS, Verbot, S. 19) und „abschreckende Wirkung“ (LINDACHER, AcP 173 (1973), S. 125 [zu § 138 BGB]) zu, wodurch sie in ihrer Funktion den Sanktionsnormen i. e. S ähneln. 405 Bereits die Einordnung des Strafrechts als ultima ratio widerspricht einem strengen Gleichlauf von Norm und strafrechtlicher Sanktion; vgl. dazu BVERFG (28.05.1993), BVerfGE 88, 203 (257–258) (oben S. 53 Fn. 23). Der Einschätzung von SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 (siehe Fn. 399), ist daher nicht zuzustimmen. 406 Die Bestechung eines deutschen Amtsträgers durch einen Ausländer im Ausland oder die Vorteilsannahme eines ausländischen Agenten eines inländischen Unternehmens im Ausland etwa wären aus deutscher Sicht aus Gründen des Rechtsgüterschutzes zu missbilligen, ziehen aber keine strafrechtliche Sanktion nach sich. 407 Vgl. MÜNZBERG, Verhalten und Erfolg, S. 71 (Siehe S. 56 Fn. 37). 408 Zum Schutzprinzip S. 103 ff. 409 Siehe S. 113 bei Fn. 372–380.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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dabei, dass der Erlass universeller Verhaltensnormen grundsätzlich unzulässig ist.410 Trotz des beschränkten Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen ist § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu entnehmen, dass grundsätzlich jedes Verhalten, unabhängig davon, wo oder durch wen es vorgenommen wurde, eine strafrechtliche Sanktion nach deutschem Recht nach sich ziehen kann, wenn der Täter nur zu irgendeinem Zeitpunkt die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Ein solch „potentiell universeller“ Strafanspruch des Staates ist mit der zugleich fehlenden Legitimation zu universeller Verhaltenslenkung nur dadurch zu vereinbaren, dass auch die Prämisse, jeder inländischen strafrechtlichen Sanktion müsse der Verstoß gegen eine inländische Verhaltensnorm zugrunde liegen,411 aufgegeben wird. Im Internationalen Privatrecht ist anerkannt, dass der Staat nicht für jeden Fall passende zivilrechtliche Regelungen bereitstellen muss, dass es vielmehr genügt, die entsprechenden Regelungen eines dem Fall näher stehenden Staates anzuwenden. Für Verhaltensnormen hat grundsätzlich nichts anderes zu gelten. Ist eine uneingeschränkte originäre Verhaltenssteuerung durch eigene Verhaltensnormen unangebracht, so bleibt es dennoch notwendig, dass der Staat jedwedes Verhalten, das seiner Bewertung bedarf, auch bewerten kann. Der einzige Ausweg besteht dann darin, sich die jeweilige ausländische Bewertung und die damit verbundene Verhaltensanweisung zu eigen zu machen.412 Geschähe dies nicht, würde die deutsche Rechtsordnung das fragliche Verhalten schlicht keiner Bewertung unterziehen, so käme dies faktisch dessen ausdrücklicher Erlaubnis gleich, da die Rechtswidrigkeit nicht festgestellt werden könnte.413 Dieses Ergebnis mag im Einzelfall erwünscht und gerechtfertigt sein, steht jedoch als Prinzip im Widerspruch zur Motivation für die Einschränkung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen, die nicht etwa darin begründet liegt, einen aus inländischer Sicht „rechtsfreien“ Raum
410 Zur Ablehnung eines umfassenden Weltrechtsprinzips bereits S. 99 bei Fn. 300–302 und S. 102 mit Fn. 311. 411 Für Nachweise siehe S. 117 Fn. 392. 412 Zur Zulässigkeit des Schutzes ausländischer Güter durch das Inland bereits BINDING, Handbuch, S. 395 („Es ist denkbar aber nicht wünschenswert, dass ein Staat sich auf den Schutz seiner Rechtsgüterwelt beschränke: jedenfalls ist es nur eine Ausdehnung dieser seiner ersten Aufgabe, wenn er den Schutz auch den ausländischen Rechtsgütern zuwendet. Erst an zweiter Stelle findet er sich dazu berufen. […] Daraus ergiebt sich die wichtige Folge, dass wo das Ausland kein Schutzbedürfniss empfindet, wo es Handlungen nicht verbietet, die im Inlande verboten sind, das ausländische Nichtverbot oder die ausländische Erlaubniss dem inländischen Verbote vorgeht, soweit es sich nicht um inländische Rechtsgüter handelt.“ [Hervorhebung im Original]); NOWAKOWSKI, JZ 1971, S. 634 („Ausländische Rechtsgüter in den Schutzbereich des inländischen Rechts einzubeziehen, ist weder völkerrechtlich noch staatsrechtlich verboten.“). 413 „[W]as nicht widerrechtlich ist, ist erlaubt“ (Motive II, S. 725–726 = Mugdan II, S. 405).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
außerhalb unseres eigenen Einflussbereichs zu schaffen,414 sondern die inhaltliche Ausgestaltung einer Rechtsordnung zu überlassen, die der jeweiligen Rechtsfrage näher steht. Die Berücksichtigung ausländischen Rechts auf Ebene der Verhaltensnormen ist daher nicht nur möglich415, sondern notwendig. Keineswegs würde die strafrechtliche Sanktionierung einer ausländischen Verhaltensnorm dabei ein Abrücken von dem Grundsatz bedeuten, dass „der Staat nur den [strafen kann], dem er Pflichten auferlegt und der diese Pflichten verletzt hat“416. Der Staat kann nicht ein Verhalten strafen, das aus seiner Sicht nicht verboten ist. Aus dieser Feststellung folgt jedoch nicht, dass es sich bei einem strafrechtlich sanktionierten Verbot um eine originär inländische Verhaltensnorm handeln muss.417 Pflichten vermag ein Staat auch zu schaffen, indem er eine ausländische Verbotsnorm für verbindlich erklärt, indem er die rational-sachliche ausländische Verhaltensnorm mit einem inländischen Imperativ versieht.418 Auch eine solche Pflicht ist zweifellos eine, die durch das Inland auferlegt worden ist, mag sie auch inhaltlich auf der Normsetzung eines ausländischen Staates beruhen.419 Es ist letztlich die inländische Rechtsordnung, aus deren Entscheidung sich die Verbindlichkeit der Verhaltensnorm als „Teil“420 der inländischen Rechtsordnung ergibt.
Einen Anhaltspunkt dafür, welcher Rechtsordnung aus deutscher Sicht überlassen bleiben soll, bestimmte Verhaltensweisen zu regulieren, vermag möglicherweise die Bezugnahme auf am ausländischen Tatort geltende Vorschriften durch § 7 StGB421 zu liefern. Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit wird 414
Daran kann auch aus inländischer Sicht kein Interesse bestehen: Zum einen besteht die Gefahr eines „Reimports“ missbilligter Verhaltensweisen, an die man sich im Ausland gewöhnt hat, ins Inland (ROHE, Geltungsgründe des Deliktsstatuts, S. 264–265), zum anderen darf nur derjenige Staat, der zumindest in gewissem Umfang ausländisches Recht zu schützen bereit ist, auf entsprechende Erwiderungen anderer Staaten hoffen. 415 NEUMANN, FS Müller-Dietz 2001, S. 599 („Dass eine Rechtsordnung beansprucht, die Verletzung eines strafrechtlichen Verbots einer ausländischen Rechtsordnung zu sanktionieren, ist selbstverständlich möglich und nicht ohne Beispiel.“). 416 BINDING, Handbuch, S. 374 [Hervorhebung im Original]. 417 Anderer Ansicht FORKEL, Umweltbelastungen, S. 146–147; wohl auch SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 104–105; zu Unrecht eine Verletzung fremder Souveränität befürchtend OEHLER, FS Mezger 1954, S. 99 („[D]er deutsche Gesetzgeber [kann] nicht Gehorsam gegenüber den ausländischen Normen verlangen […] – das wäre eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten fremder Souveränität.“). 418 Dazu eingehend SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 70–72 m. w. N.; WIETHÖLTER, Kollisionsnormen, S. 115–116 („[Es kommt] auf die inländische Stellungnahme, ihre Entscheidung über die Wirksamkeit ausländischen Rechts im Inland [an.]“). 419 Im Hinblick auf die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit – mögen freilich weitere Einschränkungen angezeigt sein. Insbesondere denkbar wäre, die Strafbarkeit des Verstoßes gegen eine ausländische Verhaltensnorm davon abhängig zu machen, ob die fragliche Handlung auch nach inländischen Maßstäben als rechtswidrig einzuordnen wäre. 420 Dazu S. 188 mit Fn. 148. 421 Die insoweit maßgebliche Stelle lautet: „wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist“. Darunter ist zu verstehen, dass die Tat nach dem Recht des Staates strafbar sein muss, auf dessen Territorium die Tat stattgefunden hat, NK-StGB4/BÖSE, § 7 Rn. 6; LK12/WER-
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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indes ganz unterschiedlich gedeutet. Zunächst könnte in ihr für Fälle, in denen keine entsprechende ausländische Regelung besteht, der Verzicht auf eine strafrechtliche Sanktion als Folge des Verstoßes gegen eine sich auch auf Auslandstaten beziehende deutsche Verhaltensnorm zu sehen sein, der die Bewertung der fraglichen Tat unberührt lässt. 422 Demgegenüber könnte das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit jedoch auch weitergehend als Hinweis darauf verstanden werden, dass die deutsche Rechtsordnung dem am Tatort geltenden Recht Bedeutung für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens beimisst, mithin, dass der Existenz einer entsprechenden Vorschrift des Tatortrechts auch Auswirkungen auf Ebene der Verhaltensnormen zuzubilligen sind. Dies wiederum kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Einerseits wäre denkbar, eine inländische Verhaltensnorm lediglich unter der Bedingung aufzustellen, dass das Verhalten auch durch das Tatortrecht verboten (und bestraft)423 wird.424 Andererseits könnte auf eine inländische Verhal-
LE/JESSBERGER, § 7 Rn. 13; SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 94 („Tatortrecht“). – Zum Begriff des Tatorts S. 115 mit Fn. 381–384. 422 SCHRÖDER, ZStW 61 (1942), S. 95–96 (vgl. S. 118 Fn. 395); MüKo-StGB2/AMBOS, § 7 Rn. 7 („[D]ie Prüfung der identischen Tatortnorm dient nur der Eröffnung der deutschen Strafgewalt, die selbst natürlich auf das deutsche Strafrecht zurückgreift.“); LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 118 („[D]er inländische Staat [will] einen Täter auf Grund des passiven Personalitätsprinzips also nur insoweit wegen einer Verletzung der inländischen Rechtsordnung strafrechtlich verfolgen […], als die Verhaltensweise des Delinquenten auch am Tatort strafrechtlich geahndet werden kann.“ [Hervorhebung im Original]); SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 137 („Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit ist demzufolge nur eine aus Gerechtigkeitsgründen eingefügte einschränkende Voraussetzung der Sanktionsnorm.“ [zu Art. 7 Abs. 1 StGB]). Einschränkungen der Verhaltensnormen ergäben sich in diesem Fall allein aus dem verfolgten Schutzzweck. 423 Schon BINDING, Handbuch, S. 395–396, sah im Rückgriff auf die Sanktionsebene lediglich eine Vereinfachung: „Oft ist es aber ausserordentlich schwer zu entscheiden, ob eine Handlung, die sich nach inländischer Auffassung als Rechtsgüterverletzung darstellt, im Auslande als solche erscheint, somit dort verboten ist. Und so greift man lieber auf das deutlichere Symptom [die Strafbarkeit] als auf den dunkleren Kern der Sache [zurück]“. 424 So NK-StGB4/BÖSE, § 7 Rn. 6 („Auf diese Weise nimmt der deutsche Gesetzgeber die Verbindlichkeit der deutschen Verhaltensnorm zurück, soweit deren Einhaltung v. dem Täter aufgrund der abweichenden, am Tatort geltenden Rechtsvorschriften nicht erwartet werden kann […].“) hinsichtlich § 7 Abs. 1 StGB; sich auf den gesamten § 7 StGB beziehend SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 92 („Zugleich strafrechts- und unrechtskonstitutiv sind in § 7 nur die Voraussetzung der fehlenden Strafgewalt und das Erfordernis einer identischen Norm. Beide berühren den Unrechtsvorwurf im Kern. […D]er Vorwurf an den Täter [geht] doch dahin, daß er sich gegen die Verhaltensnorm entschieden hat, obwohl diese auch durch das Tatortrecht vermittelt wurde.“ [Hervorhebung hinzugefügt]); ebenso BINDING, Handbuch, S. 395–396 („Die inländische Norm weicht, soweit ausgeführt, der ausländischen Erlaubniss, aber wo es kein ausländisches Recht giebt, will sie vom Inländer unbedingt befolgt sein.“).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
tensnorm völlig verzichtet werden und die Bewertung des fraglichen Verhaltens allein der ausländischen Verhaltensnorm überlassen werden.425 Die erstgenannte Funktion zumindest kommt dem Tatortrecht sicherlich zu. Ohne eine entsprechende Strafbarkeit am Tatort sieht auch das deutsche Recht keine strafrechtliche Sanktion vor.426 Eine darüber hinausgehende Deutung des Erfordernisses der Tatortstrafbarkeit als Ausdruck eines streng territorial ausgestalteten Anknüpfungssystems für Verhaltensnormen ist hingegen nicht möglich. Hinsichtlich des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen hat sich bereits gezeigt, dass das Territorialitätsprinzip allein nicht geeignet ist, dem Schutzauftrag des Staates gerecht zu werden.427 Auf kollisionsrechtlicher Ebene gilt insofern nichts anderes. Kann mit einem auf das inländische Territorium begrenzten Geltungsbereich der Schutzzweck der korruptionsbezogenen Verhaltensnormen des deutschen Rechts nicht verwirklicht werden, so trifft dies ebenso zu für eine kollisionsrechtliche Anknüpfung an den Handlungsort.428 Diese Überlegungen lassen sich ohne Weiteres auch auf die Berücksichtigung ausländischer Verhaltensnormen übertragen. Wenn sich der Staat beim Erlass inländischer Verhaltensnormen durch das Schutzprinzip leiten lässt, so ist anzunehmen, dass das Schutzprinzip auch das grundlegende Motiv hinter der Anwendung ausländischer Verhaltensnormen ist. Keineswegs ist der Staat verpflichtet, ausländische Verhaltensnormen für aus seiner Sicht verbindlich zu erklären. Entschließt er sich jedoch dazu, so ist anzunehmen, dass er auch 425
LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 139 („[D]as eingeschränkte aktive Personalitätsprinzip in § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB [beruht] wesentlich darauf […], daß der Deutsche im Ausland gegen ausländische Normen verstoßen hat, daß sein Verhalten also nach ausländischen Normen Unrecht darstellt […].“ [Hervorhebung im Original]), 146 („Das deutsche Strafrecht will die Handlungsweise des Ausländers in einem fremden Land nicht mit seinen, sondern den am Tatort gültigen Kriterien beurteilen.“ [zu § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB]); SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 137–141 [zu Art. 7 Abs. 2 StGB]. Auch NK-StGB4/BÖSE, § 7 Rn. 13 („[D]er Strafgrund liegt also in dem schuldhaften Verstoß gegen die ausländische Strafvorschrift.“ [zu Art. 7 Abs. 2 StGB]) ist dahin gehend zu verstehen, da stets nur gegen eine der Strafvorschrift zugrunde liegende Verhaltensnorm verstoßen werden kann (dazu S. 50 bei Fn. 7). – Ebenfalls hier einzuordnen sein dürfte die Vorstellung, bestraft werde wegen eines Verstoßes gegen inländische Verhaltensnormen, die aufgrund der Transformation ausländischer Normen entstanden sind; vgl. JAKOBS, AT2, 5. Abschn. Rn. 12 („Beim Stellvertretungsprinzip dient das deutsche Strafrecht nur als Transformationsregel für die fremdstaatliche identische Norm.“); dazu auch SCHOLTEN, Tatortstrafbarkeit, S. 72–73. 426 Vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen, welche die Tatortstrafbarkeit für das Entstehen eines deutschen Strafanspruchs erfüllen muss, MüKo-StGB2/AMBOS, § 7 Rn. 5–16 m. w. N. 427 Siehe S. 103 ff. 428 Zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung korruptionsbezogener Verhaltensnormen des deutschen Rechts S. 151 ff.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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dies nicht willkürlich, sondern zum Schutz ihm bedeutsam erscheinender Güter tut. Auch Gefahrenquellen für in keiner herausgehobenen Nähebeziehung zum Inland stehende („ausländische“) Güter sind indes nicht auf das Territorium einzelner Staaten begrenzt. Daher ist dem Territorialitätsprinzip auch im Hinblick auf die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen keine abschließende Anknüpfungsregel zu entnehmen. Erfreut sich die Anknüpfung von Verhaltensnormen an den Handlungsort dennoch ganz erheblicher Beliebtheit,429 so liegt der Grund dafür wohl in erster Linie in der zweifelhaften Vorstellung vom Territorialitätsprinzip als der grundlegenden (eventuell gar alleinigen) Legitimationsquelle jedweder Verhaltensbewertung.430 Die Unzulänglichkeit einer generellen Anknüpfung von Verhaltensnormen an den Handlungsort bedeutet freilich nicht, dass eine solche Anknüpfung generell zu verwerfen wäre. Insbesondere im Hinblick auf den Schutz allgemein anerkannter Individualrechtsgüter431 ist eine solche Anknüpfung durchaus zu erwägen.432 Das passive Personalitätsprinzip des § 7 Abs. 1 StGB bestünde dann nur aus Sorge, „daß ein Staat auf den strafrechtlichen Schutz der in ihm befindlichen Ausländer vielleicht nicht die genügende Sorgfalt verwendet“433 und wäre damit allein auf Sanktionsbene relevant.434
Es bleibt somit festzuhalten, dass den Regelungen des internationalen Strafrechts bei der Begrenzung des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen keine Bedeutung beizumessen ist. Im Zusammenhang damit, dass kein Staat dazu berechtigt ist, durch seine Verhaltensnormen universelle Verhaltensvorgaben zu etablieren, lässt sich dem internationalen Strafrecht jedoch entnehmen, dass auch an den Verstoß gegen ausländische Verhaltensnormen unter Umständen strafrechtliche Sanktionen geknüpft werden. Dies setzt voraus, dass die entsprechenden ausländischen Verhaltensnormen durch das deutsche Recht kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen wurden. Trotz der zentralen Bezugnahme des internationalen Strafrechts auf das Recht des Tatorts bietet das Territorialitätsprinzip keine allgemeingültige Anknüpfungsre429
Für Nachweise siehe S. 103 Fn. 318 und S. 160 Fn. 3. SCHRÖDER, ZStW 61 (1942), S. 73 Fn. 27 („Mit der gleichen Berechtigung könnte man aber auch das Recht des Landes, dem der ausländische Täter angehört oder das Recht des Staates, der die Tat als gegen eigene Güter gerichtet nach dem Schutzprinzip straft, für anwendbar erklären. Daß man gerade auf das Recht des Tatortes verfiel, dürfte seinen Grund in dem Glauben an das Territorialitätsprinzip als eine Art naturrechtliches Dogma haben.“). – Für Nachweise zum Territorialitätsprinzip siehe S. 103 Fn. 318. 431 Siehe S. 114 bei Fn. 373–380. 432 Vgl. etwa V. BAR, IPR II, Rn. 664, der im Hinblick auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine Anknüpfung an den Erfolgsort ablehnt, weil es dabei „um ein Bündel von Verhaltensnormen geht“ [Hervorhebung im Original]. 433 OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 127 [Hervorgebung hinzugefügt]. 434 Anderer Ansicht etwa LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 114–118, der das passive Personalitätsprinzip auf die „Verletzung von Normen, welche durch die inländische Rechtsordnung vorgegeben sind“ (ebd., S. 118), stützen will. 430
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
gel für ausländische Verhaltensnormen. Angemessene Anknüpfungen sind vielmehr im Hinblick auf die jeweilige Verhaltensnorm und deren Schutzzweck zu entwickeln. Der Frage nach der im deutschen Recht vorgesehenen Anknüpfung korruptionsbezogener Verhaltensnormen soll nunmehr nachgegangen werden. III. Ausweitung von Straftatbeständen auf Taten mit Auslandsbezug Zu einer Erweiterung des ursprünglich auf inländische Rechtsgüter beschränkten Schutzbereichs der §§ 331 ff. und 299 Abs. 1, 2 StGB ist es in jüngerer Zeit durch die Regelungen von IntBestG, EUBestG und des § 299 Abs. 3 StGB gekommen.435 Auch ausländische Rechtsordnungen haben entsprechende Erweiterungen vorgenommen. Welche Auswirkungen dies auf den Bestand inländischer und die Beachtlichkeit ausländischer korruptionsbezogener Verbote hat, soll im Folgenden untersucht werden. 1.
IntBestG436
Das IntBestG dient der Umsetzung des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997437 („OECD-Übereinkommen“). Dessen Art. 1 Abs. 1 verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, „jede Person mit Strafe zu bedrohen, die unmittelbar oder über Mittelspersonen einen ausländischen Amtsträger vorsätzlich, um im internationalen Geschäftsverkehr einen Auftrag oder einen sonstigen unbilligen Vorteil zu erlangen oder zu behalten, einen ungerechtfertigten geldwerten oder sonstigen Vorteil für diesen Amtsträger oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, damit der Amtsträger in Zusammenhang mit der Ausübung von Dienstpflichten eine Handlung vornimmt oder unterläßt.“ Zur Erfüllung dieser Verpflichtung werden durch Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG ausländische Amtsträger partiell den inländischen gleichgestellt: Auch die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers unterfällt danach § 334 StGB, soweit sie sich auf eine zukünftige Diensthandlung bezieht, um einen Auftrag oder einen unbilligen Vorteil im geschäftlichen Verkehr zu erreichen. Eine Erweiterung des Tatbestands der Bestechlichkeit nach § 332 StGB wurde durch das Übereinkommen nicht gefordert und daher durch das IntBestG auch nicht umgesetzt.
435
So GOLOMBEK, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 29–30, in Bezug auf IntBestG und EUBestG. 436 BGBl. 1998 II, S. 2327 (oben S. 49 Fn. 1). 437 Abgedruckt in BGBl. II 1998, S. 2329 ff.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
a)
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Sanktionsumfang
Strafrechtlich sanktioniert werden demnach allein solche Zuwendungen an ausländische Amtsträger438, denen nicht nur die Gefahr eines generellen Verpflichtetseins der Amtsträger anhaftet, sondern die bereits in einem konkreten Zusammenhang zu einer pflichtwidrigen Diensthandlung stehen, 439 obwohl der Wortlaut des Übereinkommens von Vorteilen „im Zusammenhang mit der Dienstausübung“ spricht und folgerichtig eigentlich auch der Straftatbestand des § 333 StGB auf Zuwendungen an ausländische Amtsträger zu erweitern gewesen wäre. 440 Die Zulässigkeit einer auf § 334 Abs. 1 StGB begrenzten Strafbarkeit ergibt sich jedoch aus Nr. 3 der Erläuterungen 441 zum OECDÜbereinkommen. Danach soll die Umsetzung des Übereinkommens durch eine Norm, die eine Pflichtwidrigkeit des Amtsträgers verlangt, möglich sein, „sofern davon ausgegangen werden kann, daß jeder Amtsträger bei der Entscheidungsfindung oder Ermessensausübung zur Unparteilichkeit verpflichtet ist und dies eine ‚autonome’ Begriffsbestimmung ist, die nicht den Nachweis des Rechts des Staates erfordert, dem der betreffende Amtsträger angehört“. Um auch bei Zuwendungen für zukünftige Diensthandlungen grundsätzlich eine Strafbarkeit nach §§ 332, 334 StGB zu ermöglichen, ist gemäß dem jeweiligen Abs. 3 von der geforderten Pflichtwidrigkeit der angestrebten Diensthandlung bereits dann auszugehen, wenn der Täter sich bereit zeigt bzw. den Amtsträger zu bestimmen versucht, bei der Handlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. 1) oder, soweit es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, sich durch den Vorteil beeinflussen zu lassen (Nr. 2). So wie im Rahmen des § 299 StGB der Vorteil so gestaltet sein muss, dass die Gefahr seiner Berücksichtigung bei der Entscheidung und damit des Außerkraftsetzens des Leistungsprinzips besteht, so ist hier eine gewisse „objektive Geeignetheit“442 erforderlich, dass der Amtsträger wegen des Vorteils seine Dienstpflichten missachtet (Nr. 1) oder den Vorteil in seine Ermessensentscheidung einfließen lässt und sie damit auf ein unzulässiges Entscheidungskriterium stützt (Nr. 2). Auch hier kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung unter allein sachlichen Gesichtspunkten hätte ebenso getroffen werden können,443 zumal Strafbarkeit und Verbot nicht davon abhängen, ob später überhaupt eine Diensthandlung vorge438
Der Begriff des Amtsträgers im Sinne von Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 StGB ist weder anhand der inländischen Vorstellung noch anhand der jeweiligen ausländischen Definition (so jedoch u. a. KRAUSE/VOGEL, RIW 1999, S. 492; ANDROULAKIS, Globalisierung, S. 405; unklar TINKL, wistra 2006, S. 126, 128) zu bestimmen. Vielmehr muss eine autonome Begriffsbestimmung anhand der Vorgaben des Übereinkommens erfolgen; BGH (29.08.2008), BGHSt 52, 323 (344–346); LK12/SOWADA, § 334 Rn. 3–4; PIETH, Bestechung ausländischer Beamter, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 347. Bedeutung hat dies jedoch allein für den Umfang der strafrechtlichen Sanktionsnorm, vgl. unten S. 130 ff. 439 Vgl. dazu S. 69 bei Fn. 113. 440 Vgl. GÄNSSLE, NStZ 1999, S. 543–544. 441 Abgedruckt in BT-Drs. 13/10428, S. 23 ff. 442 LK12/SOWADA, § 334 Rn. 10. 443 HENKEL, JZ 1960, S. 507; vgl. auch Nr. 4 der Erläuterungen (siehe Fn. 441).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
nommen wird. Auch die Pflichtwidrigkeit von Ermessensentscheidungen ausländischer Amtsträger und damit die Strafbarkeit nach § 334 Abs. 1 StGB dürfen nicht deshalb verneint werden, weil die Entscheidung nach dem für den Amtsträger entscheidenden ausländischen Recht als pflichtgemäß zu bewerten ist.444 Vielmehr ist nach Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 Abs. 3 Nr. 2 StGB bereits aufgrund der angestrebten Parteilichkeit des Amtsträgers durch den angebotenen, versprochenen oder gewährten Vorteil von der Pflichtwidrigkeit der erstrebten Diensthandlung im Sinne des § 334 Abs. 1 StGB auszugehen.445
Im Umkehrschluss genügt es den Vorgaben des Übereinkommens, dass die Strafbarkeit von Vorteilsgewährungen, die sich auf gebundene Entscheidungen beziehen, durch das ergänzende Merkmal der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung eingeschränkt wird. 446 Insoweit ist die Feststellung der Pflichtwidrigkeit anhand der für den Amtsträger verpflichtenden ausländischen Vorschriften 447 notwendig. Nicht nach deutschem Recht strafbar sind demnach allein Zuwendungen an ausländische Amtsträger für rechtmäßige gebundene 448 Diensthandlungen, also für solche, auf deren Vornahme der Zuwendende oder ein Dritter ohnehin einen Anspruch hat.
444
Obwohl sich damit die Notwendigkeit des Rückgriffs auf ausländische Vorschriften erübrigen soll (vgl. Nr. 3 der Erläuterungen [oben Fn. 441]), bleiben diese dennoch für die Frage relevant, ob dem ausländischen Amtsträger im konkreten Fall ein Ermessen zusteht. 445 KRAUSE/VOGEL, RIW 1999, S. 491, nennen als Beispiel die Wahl zwischen zwei „gleichqualifizierten Angeboten“. Ebenso für die Strafbarkeit in diesen Fällen unabhängig von einer objektiven Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung PELZ, StraFo 2000, S. 304; MüKo-StGB2/KORTE, § 334 Rn. 16; DANN, wistra 2008, S. 44; TASCHKE, StV 2001, S. 79; unentschieden LK12/SOWADA, § 334 Rn. 5; NK-StGB4/KUHLEN, § 334 Rn. 3d. Anderer Ansicht TINKL, wistra 2006, S. 129, derzufolge die Anwendung des § 334 Abs. 3 Nr. 2 StGB in diesen Fällen als „Strafrechtsimperialismus“ abzulehnen sei. Würde jedoch § 334 Abs. 3 Nr. 2 StGB im Rahmen des IntBestG nicht zur Anwendung gelangen, so wäre den Anforderungen des Übereinkommens nicht Genüge getan. 446 Insoweit beruft sich auch die Gesetzesbegründung zum IntBestG auf Nr. 3 der Erläuterungen (bei Fn. 441) zum OECD-Übereinkommen, BT-Drs. 13/10428, S. 6; vgl. auch PIETH, Kapitel 9, in: Dölling (Hrsg.), Handbuch der Korruptionsprävention, Rn. 35. 447 NK-StGB4/KUHLEN, § 334 Rn. 3d; LK12/SOWADA, § 334 Rn. 5; MüKo-StGB2/KORTE, § 334 Rn. 19. 448 Bei der hier vorgenommenen Differenzierung ist die Zuwendung eines Vorteils, die darauf abzielt, die Entstehung einer Ermessenssituation zu vermeiden, nicht vom Anwendungsbereich des IntBestG umfasst. Vgl. dazu das Beispiel bei GÄNSSLE, NStZ 1999, S. 545, der es als straffrei ansieht, wenn durch Zuwendungen an einen Amtsträger die schnelle Genehmigung einer Investition erreicht wird, bevor durch Angebote von Konkurrenten ein Entscheidungsspielraum für den Amtsträger entsteht. Straffrei bleibt ein solches Verhalten jedoch nur dann, wenn ein gebundener Anspruch auf die Genehmigung besteht. Kann der Amtsträger rechtmäßig die Genehmigung verweigern, so besteht auch hier eine Ermessenssituation, in der die Zuwendung von Vorteilen nach Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 Abs. 3 Nr. 2 StGB strafbar ist.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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Der durch Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 StGB neu geschaffene Straftatbestand 449 weist neben den Merkmalen der Amtsträgerbestechung auch solche des § 299 StGB auf: Ihm unterfallen nur Zuwendungen, durch die ein Auftrag oder ein unbilliger Vorteil im internationalen geschäftlichen Verkehr erreicht werden soll. Ziel des Übereinkommens soll es insbesondere sein, die durch Bestechung herbeigeführte Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen zu bekämpfen.450 Damit muss die Zuwendung einerseits in Verkürzung des § 334 StGB einen wettbewerblichen Bezug aufweisen, andererseits jedoch in Ausweitung der Voraussetzungen des § 299 StGB nicht auf eine unmittelbare Entscheidung zwischen Mitbewerbern gerichtet sein. 451 Zudem bezieht sich der Tatbestand – anders als § 299 StGB – auch auf hoheitliches Handeln.452 Schwierigkeiten bei der Auslegung des neugeschaffenen Straftatbestands bereitet die Frage nach dem Verhältnis zwischen Nr. 7 und Nr. 9 der Erläuterungen453. Einerseits soll es nach Nr. 7 für die Strafbarkeit ohne Bedeutung sein, welchen Wert Zuwendungen an den ausländischen Amtsträger haben, 454 ob sie „örtlichen Gepflogenheiten“ entsprechen, von dortigen Behörden geduldet werden oder im fraglichen Staat notwendig sind, um einen Auftrag zu erhalten.455 Andererseits sollen nach Nr. 9 zumindest „[k]leinere Zahlungen zur ‚Erleichterung‘“ nicht strafbar sein, auch wenn sie „in dem betreffenden anderen Staat im allgemeinen rechtswidrig“ sind, da solchen „schädlichen Erscheinungen“ eher durch „Programme zur guten Regierungsführung“ als durch eine „Kriminalisierung durch andere Staaten“ entgegengewirkt werden soll. Um einen Widerspruch zu Nr. 7 der Erläuterungen zu vermeiden, wird daher überwiegend davon ausgegangen, dass der Ausschluss der Strafbarkeit nach Nr. 9 der Erläuterungen sich lediglich auf Zuwendungen bezieht, welche die Vornahme rechtmäßiger, gebundener Entscheidungen sichern sollen, indem ein ausländischer Amtsträger durch sie zur Erfüllung seiner Pflichten motiviert wird.456 Betroffen ist 449
TINKL, wistra 2006, S. 126; Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 1d. Vgl. die Präambel des Übereinkommens (oben S. 126 Fn. 437); dazu auch TINKL, wistra 2006, S. 130–131; KRAUSE/VOGEL, RIW 1999, S. 491–492. 451 Ausreichend ist nach Nr. 5 der Erläuterungen (S. 127 Fn. 441) etwa der Erhalt einer „Betriebsgenehmigung für eine Fabrik“. Kritisch insofern TINKL, wistra 2006, S. 130–131, wegen der damit verbundenen „uferlose[n] Weite des Tatbestands“. Allerdings beruht diese Weite darauf, dass die Vorschriften des IntBestG über das Merkmal des geschäftlichen Verkehrs hinaus – anders als § 299 StGB – auf ein Wettbewerbserfordernis verzichten, und ist daher hinzunehmen; vgl. KORTE, wistra 1999, S. 87. 452 MüKo-StGB2/KORTE, § 334 Rn. 14; vgl. S. 91 bei Fn. 252. 453 Oben S. 127 Fn. 441. 454 Gemeint sein kann damit nur der Ausschluss fester Wertobergrenzen, denn auch hier gilt, dass der Vorteil geeignet sein muss, ein Gefühl des Verpflichtetseins beim Empfänger auszulösen; siehe S. 64 bei Fn. 81 und S. 65 bei 88. 455 Auch Zuwendungen zur „Umgehung hoch bürokratisierter und de facto bei entsprechenden Zahlungen nie beachteter Verfahrensvorschriften“ können entgegen TINKL, wistra 2006, S. 130, daher nicht von der Strafbarkeit ausgenommen werden. 456 LK12/SOWADA, § 334 Rn. 5; KORTE, wistra 1999, S. 87; DANN, wistra 2008, S. 43; TINKL, wistra 2006, S. 129–130; im Ergebnis ebenso PELZ, StraFo 2000, S. 304 („wenn die künftig vorzunehmende Diensthandlung mit den Pflichten des Amtsträgers im Einklang steht“). Anderer Ansicht GÄNSSLE, NStZ 1999, S. 545, der dies jedoch selbst als „unbe450
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
damit ein Bereich, der allein durch § 333 StGB abgedeckt würde, auf den sich die Vorschriften des IntBestG jedoch nicht beziehen.457
b)
Verhaltensnorm
Obwohl das Übereinkommen die „gemeinsam[e] Verantwortung“ 458 aller Staaten bei der Korruptionsbekämpfung betont, dient Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 StGB dem Schutz von Gütern, die in erster Linie mit dem Staat des bestochenen Amsträgers verknüpft sind.459 Die Legitimität einer autonomen Verhaltenssteuerung durch entsprechende inländische Verhaltensnormen erscheint daher zumindest im Hinblick auf Handlungen im Ausland sehr zweifelhaft.460 Entsprechend ist anzunehmen, dass durch Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 StGB der Verstoß gegen ausländische Verhaltensnormen sanktioniert wird. Eine Stütze findet dies insbesondere auch in Nr. 8 der Erläuterungen461: „Das Verhalten ist jedoch nicht strafbar, wenn nach den geschriebenen Gesetzen und sonstigen Vorschriften einschließlich der Rechtsprechung des Staates, dem der ausländische Amtsträger angehört, der Vorteil zulässig oder vorgeschrieben war.“
Soweit das Anbieten, Versprechen und Gewähren eines Vorteils an den ausländischen Amtsträger nach dem Recht des Staates, dessen Amtsträger er ist, „zulässig oder vorgeschrieben“, d. h. nicht verboten oder gar geboten ist, entfällt die Strafbarkeit nach deutschem Recht.462 Im Umkehrschluss setzt die
friedigend“ bezeichnet; NK-StGB4/KUHLEN, § 334 Rn. 3e („ansonsten [wäre] die erörterte Klausel funktionslos“). 457 Oben bei Fn. 448. Dies ist TASCHKE, StV 2001, S. 79, entgegenzuhalten, der davon ausgeht, im Gesetzestext finde sich für Ausnahmen gemäß Nr. 9 der Erläuterungen kein Anhaltspunkt; DANN, wistra 2008, S. 43. 458 BGBl. II 1998, S. 2329. 459 Zum entsprechenden Verbot von Zuwendungen an deutsche Amtsträger S. 107 f. – Trotz aller Bemühungen, die Korruption zu bekämpfen, kann von einem diesbezüglichen allgemeinen Konsens der Staaten, der für die Existenz eines internationalen Rechtsguts nötig wäre, nicht die Rede sein. Vgl. dazu auch S. 9 mit Fn. 19–22. 460 Siehe dazu S. 103 ff. – Aufgrund der geringen Anzahl an Vertragsstaaten muss auch ein Legitimationsversuch auf Grundlage des OECD-Übereinkommens scheitern; vgl. SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 253 („The signatory countries are outlawing extraterritorial bribes throughout the world, and not just in their own countries. While the remainder of the world has not agreed to this intrusion, they will nonetheless be subjected to it.“). 461 Oben S. 127 Fn. 441. 462 Der Annahme von SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 129, aus völkervertraglichen Verpflichtungen zur Bestrafung ergebe sich grundsätzlich auch eine Pflicht zum Erlass entsprechender Verhaltensnormen, kann jedenfalls hier nicht beigepflichtet werden, haben doch die Vertragsparteien selbst die Verpflichtung auf Fälle beschränkt, in denen der Staat, dem der Amtsträger angehört, ein Verbot vorsieht.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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Strafbarkeit ein entsprechendes Verbot nach ausländischem Recht voraus,463 wodurch auch die Bedeutung der Ausnahme von der Strafbarkeit nach Nr. 9 der Erläuterungen deutlicher wird: Ohne weiteres denkbar ist, dass Vorteilsgewährungen an Amtsträger vom jeweiligen ausländischen Staat ähnlich weitgehend untersagt werden, wie dies für inländische Amtsträger nach deutschem Recht der Fall ist. Obwohl also auch Zuwendungen für rechtmäßige Diensthandlungen aufgrund des damit einhergehenden Gewöhnungseffekts464 oftmals nach dem Recht des Staates, dem ein Amtsträger angehört, verboten sind, wird eine strafrechtliche Sanktionierung durch ausländische Staaten insoweit als unzweckmäßig empfunden. Die Besonderheit, die sich aus Nr. 8 der Erläuterungen hinsichtlich der Verhaltensbewertung zur Bestimmung der Strafbarkeit nach Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 StGB ergibt, ist nicht die grundsätzliche Verbindlichkeit ausländischer Verhaltensnormen und die strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen diese.465 Bemerkenswert ist vielmehr, dass es sich bei diesen nicht etwa um Verhaltensnormen des Tatortstaates handelt, sondern um diejenigen des Staates, dem der bestochene Amtsträger angehört. Dem widerspricht auch nicht, dass örtlichen Gegebenheiten nach Nr. 7 der Erläuterungen kein Einfluss auf die Strafbarkeit zugemessen werden soll. Bei den hier angesprochenen Punkten – Duldung durch Behörden, Notwendigkeit – handelt es sich um tatsächliche Gegebenheiten, 466 letztlich um die Frage danach, inwieweit das ausländische Verbot vor Ort tatsächlich befolgt wird und in welchem Maße die ausländischen Behörden eventuelle Verstöße sanktionieren. Dies unterstreicht den Rechtshilfecharakter des Übereinkommens, das letztlich nutzlos wäre, wenn die effektive Sanktionierung durch ausländische Staaten von einer effektiven Sanktionierung vor Ort abhinge. 467 Auch aus Art. 2 § 3 IntBestG, wonach die durch das IntBestG neugeschaffenen 463
Nicht zuzustimmen ist Pieth/Low/Cullen/ZERBES, Art. 1 S. 105, die Straflosigkeit lediglich in Fällen einer „express permission“ annehmen will. Der Verweis darauf, dass Korruption nunmehr weltweit verboten ist, genügt nicht, um eine solche Annahme zu rechtfertigen, da die Korruption – wie gesehen – kein festgefügter Begriff ist, sondern sich erst auf Grundlage der jeweils relevanten Normen bestimmen lässt. Andernfalls müsste man davon ausgehen, dass ausnahmslos jede Zuwendung an einen Amtsträger – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Erlaubnis – als verboten zu gelten habe. Ein solches Verbot wäre evident unzweckmäßig und keinem Staat könnte dessen Erlass unterstellt werden. – Zur parallel gelagerten Diskussion im US-amerikanischen Recht S. 144 mit Fn. 545. 464 Dazu S. 69 bei Fn. 113. 465 SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 73, hingegen will dem Art. 2 § 1 IntBestG eine neue inländische Verhaltensnorm entnehmen. 466 Zweifelhaft ist diese Einordnung lediglich hinsichtlich der „örtlichen Gepflogenheiten“, die auch als Hinweis auf örtliche Sozialnormen und damit als normatives Merkmal aufgefasst werden können (dazu S. 233 bei Fn. 226). Generell zum Einfluss gesellschaftlicher auf rechtliche Verhaltensnormen S. 73 ff. und S. 232 ff. 467 Vgl. TINKL, wistra 2006, S. 130.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Straftatbestände auf Auslandstaten deutscher Staatsbürger „unabhängig vom Recht des Tatorts“ Anwendung finden, ergibt sich kein Widerspruch. Nach der Gesetzesbegründung468 zu Art. 2 § 3 IntBestG sollen dadurch „auch Fälle erfaßt werden, in denen ein Deutscher einen ausländischen Amtsträger in einem anderen Staat als dem, dem der Amtsträger angehört […], besticht.“ Korrigiert wird hier demnach lediglich das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit des § 7 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB, das einer strafrechtlichen Sanktionierung immer dann entgegenstünde, wenn der Tatortstaat sich nicht zum Schutz ausländischer Staaten vor korruptivem Gebaren gegenüber deren Amtsträgern berufen sieht. Dennoch liegt im Verzicht auf die Tatortstrafbarkeit keine „Erweiterung des § 5“ StGB.469 Der Vergleich, den die Gesetzesbegründung zu § 5 Nr. 12–14 StGB zieht, beruht vielmehr auf dem Gedanken, dass so wie Taten von deutschen Amtsträgern und Taten gegen deutsche Amtsträger im Ausland durch das deutsche Strafrecht nunmehr auch Bestechungshandlungen gegenüber ausländischen Amtsträgern sanktioniert werden. Dem Staat, dessen Amtsträger bestochen wird, wird unausgesprochen zugebilligt, dass er derartige Taten, die nicht innerhalb seines Territoriums begangen werden, entsprechend dem deutschen § 5 StGB verbieten470 und strafrechtlich sanktionieren kann. Durch Art. 2 § 3 IntBestG wird diese Sanktionierung – im Hinblick auf Taten, die von Deutschen begangen werden – nachvollzogen.
Wesentlich zweifelhafter ist die Bedeutung ausländischer Verhaltensnormen jedoch in Fällen, in denen entsprechende Zuwendungen an ausländische Amtsträger im Inland erfolgen. Das Territorialitätsprinzip und die daraus hergeleiteten, grundsätzlich unbeschränkten Regelungsbefugnisse eines jeden Staates auf seinem Territorium471 führen nur allzu leicht zu der Vorstellung, dem Staat sei auch daran gelegen, diese Befugnisse ausnahmslos selbständig wahrzunehmen und ausländischen Regelungen auf seinem Territorium keinerlei Bedeutung beizumessen.472 Sicherlich steht es einem Staat zu, hinsichtlich der Bewertung und Regulierung von Handlungen, die auf seinem Territorium stattfinden, nur seine eigenen Normen für aus seiner Sicht verbindlich zu erklären.473 In Fällen wie dem hiesigen, in denen das Inland Rechtshilfe 468
BT-Drs. 13/10428, S. 7. So jedoch MüKo-StGB2/KORTE, § 334 Rn. 17. 470 Überwiegend wird davon ausgegangen, dass strafrechtliche Sanktionen unter Anwendung des § 5 StGB sich stets auf inländische Verhaltensnormen stützen müssen; vgl. dazu SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 121–122 m. w. N. 471 Dazu S. 99 bei Fn. 300 und S. 103 mit Fn. 318. 472 Die Vorstellung von einer solchen originären Verhaltensbewertung inländischer Handlungen und der Beachtlichkeit ausländischer Verhaltensnormen allein hinsichtlich im Ausland vorgenommener Handlungen findet sich etwa bei ZITELMANN, IPR II, S. 507–509 [zu Art. 12 EGBGB a. F. (vgl. S. 163 Fn. 22)]; siehe auch S. 104 Fn. 320. 473 Dazu bereits S. 103 mit Fn. 318, vgl. auch LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 107–109. Für ein Beispiel siehe S. 140 bei Fn. 517. 469
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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zum Schutz ausländischer Güter leisten will, besteht jedoch gerade kein Interesse daran, eine eigenständige Verhaltensbewertung gegenüber einer ausländischen durchzusetzen.474 Es besteht kein Anlass, gerade im Inland das durch den Staat, dem der ausländische Amtsträger angehört, etablierte Schutzniveau zu verändern. Anpassungen für Inlandstaten sind daher nicht vorzunehmen. Somit gelten vor allem auch für Bestechungen „über Mittelspersonen“, deren strafrechtliche Sanktionierung ebenfalls durch Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens verlangt wird, ausländische Verhaltensnormen. Von Relevanz dürften hier die mittelbare Täterschaft und die Anstiftung zur Bestechung sein, denen – ungeachtet der dogmatischen Unterschiede beider Beteiligungsformen – gemein ist, dass sich die Rechtswidrigkeit des jeweiligen Verhaltens aus der Gefahr ergibt, durch Mittlung einer anderen Person zur Herbeiführung eines rechtlich missbilligten Zustands beizutragen.475 In Fällen etwa, in denen sich deutsche Unternehmen ausländischer Mittelsmänner zur Bestechung ausländischer Amtsträger bedienen, 476 ergibt sich aus dem ausländischen Recht, ob eine im Inland stattfindende Beauftragung rechtswidrig ist. 477 Den Vorgaben des Übereinkommens wird ein solches Vorgehen gerecht, da mit der Rechtmäßigkeit der Vorteilszuwendung nach dem Recht des Staates, dem der Amtsträger angehört, zwangsläufig auch die Rechtmäßigkeit deren mittelbarer Verursachung feststeht.
2.
EUBestG478
Zeitgleich mit dem IntBestG wurde das EUBestG beschlossen, welches die Vorgaben des Protokolls479 aufgrund von Artikel K.3480 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen481 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften („Protokoll“) und des Übereinkommens 482 aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der 474
Vgl. BINDING, Handbuch, S. 395 (oben S. 121 Fn. 412). ROXIN, AT II, § 26 Rn. 9 („Schaffung eines unerlaubten Risikos“ [zur Teilnahme]); OERTMANN, AT2, § 134 S. 415 („[D]enn ist auch die erfolglose Anstiftung grundsätzlich nicht strafbar, so muß sie darum doch wohl überall als verboten erachtet werden.“ [Hervorhebungen im Original]). – Das Erfordernis einer rechtswidrigen Haupttat ist allein der strafrechtlichen Sanktionsnorm zuzuordnen, denn auch bei Teilnahmedelikten muss bereits im Zeitpunkt der Teilnahmehandlung deren Rechtswidrigkeit feststehen; vgl. SCHMIDHÄU2 SER, AT , Rn. 14/57 („[W]enn das Strafgesetz das Teilnehmerdelikt weitgehend von einer begangenen Haupttat abhängig macht, so hat das seinen Grund nur in der Strafwürdigkeit (nicht anders als der Erfolgseintritt beim Täterdelikt auch).“ [Hervorhebung im Original]). 476 Für Beispielsfälle siehe S. 23 Fn. 95–98. 477 Vgl. dazu LIEBELT, Internationales Strafrecht, S. 255–258. 478 BGBl. 1998 II, S. 2340 (oben S. 49 Fn. 2). 479 ABl. EG 1996, C 313, S. 2 ff.; abgedruckt auch in BGBl. II 1998, S. 2342 ff. 480 Der ursprüngliche Art. K.3 EUV (ABl. EG 1992, C 191, S. 61 f.) wurde hinsichtlich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mittlerweile in modifizierter Form in Art. 82 AEUV überführt. 481 ABl. EG 1995, C 316, S. 49 ff. 482 ABl. EG 1997, C 195, S. 2 ff. 475
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind („Übereinkommen“) in nationales Recht umsetzt. Das Protokoll hat nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 ausschließlich Amtsträgerkorruption durch oder gegenüber Gemeinschaftsbeamten und Amtsträgern der einzelnen Mitgliedstaaten zum Gegenstand, die zu finanziellen Nachteilen der Europäischen Gemeinschaften führen kann. Auf eine Übernahme dieser Einschränkung in das deutsche Recht wurde jedoch aufgrund der Vorgaben des Übereinkommens, welches „in umfassender Weise Bestechungshandlungen von und gegenüber Gemeinschaftsbeamten und Amtsträgern von Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfaßt“ 483 , bei der Umsetzung verzichtet. Einem deutschen Amtsträger wird nach Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG ein Amtsträger anderer Mitgliedstaaten „soweit seine Stellung einem Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches entspricht“ (lit. a), ein Gemeinschaftsbeamter 484 und ein Mitglied der Kommission und des Rechnungshofes (lit. b, c) gleichgestellt. Auch hier bezieht sich die Gleichstellung allein auf Zuwendungen für künftige Diensthandlungen, im Unterschied zum IntBestG erweitert das EUBestG neben dem Tatbestand der Bestechung (§ 334 StGB) jedoch auch den der Bestechlichkeit (§ 332 StGB). Trotz der Bezugnahme auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB bleibt stets der Rückgriff auf das Recht desjenigen Mitgliedstaates, dessen Amtsträger an der fraglichen Tat beteiligt ist, notwendig. Dem Amtsträgerbegriff des strafenden Staates kommt nach Protokoll (Art. 1 Nr. 1 lit. c) und Übereinkommen (Art. 1 lit. c) lediglich eine „Sperrwirkung“ zu. Wer nicht bereits nach dem Recht des Mitgliedstaates, dessen Amtsträger betroffen ist, als solcher einzustufen ist, dem kann diese Eigenschaft auch nicht aufgrund der Berücksichtigung deutscher Maßstäbe zugesprochen werden.485
Durch Art. 2 § 2 EUBestG werden die Regelungen des deutschen internationalen Strafrechts modifiziert: Sowohl die §§ 332, 334 StGB wie auch die §§ 332, 334 StGB i. V. m. Art. 2 § 1 Abs. 1 EUBestG sind auf Auslandstaten von Deutschen (Nr. 1 lit. a) und Ausländern, die deutsche Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Nr. 1 lit. b aa) oder Gemeinschaftsbeamte einer Einrichtung mit Sitz im Inland (Nr. 1 lit. b bb) sind, „unabhängig vom Recht des Tatorts“ anwendbar. Aufgegeben wird damit das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit nach § 7 StGB. 486 Ermöglicht wird dadurch – wie bereits im 483
Gesetzesbegründung zum EUBestG, BT-Drs. 13/10424, S. 6. Vgl. zur Definition des Gemeinschaftsbeamten Art. 1 Nr. 1 lit. b des Protokolls bzw. Art. 1 lit. b SpStr. 2 des Übereinkommens. 485 Dazu auch Punkt 1.4 des Erläuternden Berichts zu dem Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Dezember 1997 (ABl. EG 1998, C 11, S. 5, 6 f.). 486 Siehe dazu die Gesetzesbegründung zum EUBestG (BT-Drs. 13/10424, S. 6), nach der diese Vorschrift lediglich der Begründung der Gerichtsbarkeit, die von Art. 6 des 484
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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Rahmen des IntBestG487 – eine Bestrafung der jeweiligen Bestechungshandlungen, auch wenn sie in Staaten vorgenommen werden, in denen die Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder von Gemeinschaftsbeamten nicht unter Strafe stehen. Davon zu trennen ist – wie stets – die Frage, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnormen entstammen, deren Einhaltung durch die Strafdrohung sichergestellt werden soll. Bezüglich der Bestechlichkeit von Gemeinschaftsbeamten, auf die das Statut der Beamten der Europäischen Union488 Anwendung findet, wird durch Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. b i. V. m. § 332 StGB lediglich der Verstoß gegen die Verhaltensnorm des Art. 11 des Statuts 489 sanktioniert.490 Bei diesem handelt es sich um unmittelbar geltendes Unionsrecht, das keiner weiteren Umsetzung oder Ergänzung durch den nationalen Gesetzgeber bedarf.491 Soweit im Übrigen jedoch dem Unionsrecht keine unmittelbar geltenden Verhaltensnormen entnommen werden können, ist ausschlaggebend, ob durch die Vorschriften des EUBestG überwiegend mit dem Inland oder dem Ausland verknüpfte Interessen geschützt werden. 492 Sollen korruptive Handlungen von und gegenüber Gemeinschaftsbeamten unterbunden werden, so geschieht dies aus den gleichen Gründen, aus denen auch ein Nationalstaat Interesse an einer unbeeinflussten Dienstausübung seiner Repräsentanten hat.493 Auch die Europäische Union als Schöpfer einer neuen, unabhängigen Protokolls (oben Fn. 479) und Art. 7 des Übereinkommens (oben Fn. 482) gefordert wird, dient. 487 Oben S. 132 bei Fn. 468. 488 In seiner Ursprungsfassung in Kraft gesetzt durch Verordnung Nr. 31 (EWG), 11 (EAG) über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 18. Dezember 1961, ABl. EG 1962, P 45, S. 1385 ff.; eine konsolidierte (unverbindliche) Fassung ist abrufbar unter . 489 Dieser lautet: „Der Beamte darf ohne Zustimmung der Anstellungsbehörde weder von einer Regierung noch von einer anderen Stelle außerhalb seines Organs Titel, Orden, Ehrenzeichen, Vergünstigungen, Belohnungen und Geschenke oder Vergütungen irgendwelcher Art annehmen, außer für Dienste vor seiner Ernennung oder für Dienste während eines Sonderurlaubs zur Ableistung des Wehrdienstes oder anderer staatsbürgerlicher Dienste, sofern sie im Zusammenhang mit der Ableistung solcher Dienste gewährt werden“. 490 Zur Zulässigkeit der strafrechtlichen Sanktionierung von Verstößen gegen Verhaltensnormen des Unionsrechts SATZGER, Europäisierung, S. 210–212. 491 MANKOWSKI, CFR und Rechtswahl, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen, S. 412 („Recht der Gemeinschaft [ist] auch Recht jedes einzelnen Mitgliedstaats.“); zur unmittelbaren Geltung europäischer Verordnungen vgl. nur STREINZ, Europarecht9, Rn. 467–473; OPPERMANN/CLASSEN/NETTESHEIM, Europarecht5, § 9 Rn. 71 ff. 492 Siehe S. 103 ff. 493 Dazu oben S. 107 ff.
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Rechtsordnung 494 hat ein eigenes Interesse daran, dass ihre Repräsentanten sich pflichtgemäß verhalten. Da die Existenz der Europäischen Union jedoch auf die Hoheitsgewalt ihrer Mitgliedstaaten zurückzuführen ist, 495 ist die pflichtgemäße Dienstausübung von Gemeinschaftsbeamten zugleich als ein inländisches Interesse jedes Mitgliedstaates aufzufassen. Als ein solches wird es von jedem Mitgliedstaat durch die Aufstellung eigener Verhaltensnormen geschützt, so dass anzunehmen ist, dass Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. b i. V. m. §§ 332, 334 StGB den Verstoß gegen originär inländische Verhaltensnormen sanktionieren. Die Notwendigkeit der Schaffung neuer Verhaltensnormen ergibt sich nicht zuletzt auch aufgrund der Überlegung, dass – soweit originär europarechtliche Normen nicht existieren – keine primär für die Schaffung entsprechender Verhaltensnormen zuständige Rechtsordnung benannt werden kann. Mit einer bloßen Bezugnahme auf ausländische Verhaltensnormen wäre in diesem Fall den Vorgaben der Art. 2 Abs. 2 und 3 Abs. 2 des Protokolls und des Übereinkommens nicht Genüge getan. 496 Den Schwierigkeiten, die sich aus der parallelen Verhaltensbewertung durch mehrere Staaten ergeben können, wird auf der strafrechtlichen Sanktionsebene dadurch begegnet, dass die Gerichtsbarkeit der verschiedenen Mitgliedstaaten allein auf Grundlage des Territorialitäts- und Personalitätsprinzips zu begründen ist.497
Etwas anderes ist hingegen in Bezug auf die durch Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG erfassten Amtsträger anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzunehmen. Hier gilt das bereits zu den entsprechenden Passagen des IntBestG Gesagte.498 Obwohl ein besonderes Interesse innerhalb der Europäischen Union besteht, die Amtsträgerkorruption einzudämmen, bleibt es dabei, dass das pflichtgemäße Handeln von Amtsträgern in erster Linie im Interesse des jeweiligen Staates ist, der einer Person diesen Status zugebilligt hat. Die Verpflichtung aller Mitgliedstaaten zur strafrechtlichen Verfolgung 494
Zur Supranationalität des Unionsrechts EUGH (05.02.1963, Rs. 26/62), Slg. 1963, 7 (25) [Van Gend & Loos]; EUGH (15.07.1964, Rs. 6/64), Slg. 1964, 1259 (1269) [Costa/E.N.E.L.]; SCHWEITZER/HUMMER/OBWEXER, Europarecht, Rn. 152–162. 495 EUGH (15.07.1964, Rs. 6/64), Slg. 1964, 1259 (1269) [Costa/E.N.E.L.] („[D]enn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die […] mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist.“). 496 Die Vorschriften lauten: „Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß die in Absatz 1 genannten Handlungen Straftaten sind.“ Erforderlich ist hier nicht allein die Schaffung einer Sanktionsnorm für Verstöße gegen ausländische Verhaltensnormen, sondern bereits die Schaffung originärer Verhaltensnormen. 497 Dazu die Vorgaben des Art. 6 des Protokolls (oben S. 133 Fn. 479) und des Art. 7 des Übereinkommens (oben S. 133 Fn. 482). 498 Siehe S. 130 bei Fn. 459.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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von Bestechungsdelikten, die diesem Interesse zuwiderlaufen, ändert daran nichts. Insoweit hat auch das EUBestG „Rechtshilfecharakter“, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass sich deutsche Vorstellungen in Bezug auf den Amtsträgerberiff nicht gegen die Regelungen des Mitgliedstaates durchzusetzen vermögen, dessen Amtsträger an einer entsprechenden Tat beteiligt ist. 499 Auch für Bestechungshandlungen im Inland bleibt es – wie bereits hinsichtlich des IntBestG ausgeführt500 – bei der Maßgeblichkeit der jeweiligen ausländischen Verbote. 3.
§ 299 Abs. 3 StGB501
Durch die Einführung von § 299 Abs. 3 StGB sollte die Gemeinsame Maßnahme – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 502 umgesetzt werden. Nach deren Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 sollen Zuwendungen und Entgegennahmen von Vorteilen „im privaten Sektor“, welche die Empfänger anhalten, „unter Verletzung ihrer Pflichten“ 503 zu handeln, unter Strafe gestellt werden. Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 2 enthalten jeweils einen Hinweis auf eine mögliche Einschränkung504 der Strafbarkeit auf Handlungen, die eine „Verzerrung des Wettbewerbs, zumindest im gemeinsamen Markt“ befürchten lassen.505 § 299 Abs. 3 StGB 499
Dazu S. 134 bei Fn. 485. Siehe S. 133 bei Fn. 474. 501 BGBl. 2002 I, S. 3387 (oben S. 49 Fn. 3). 502 ABl. EG 1998, L 358, S. 2 ff. Die Gemeinsame Maßnahme wurde mittlerweile durch Art. 8 des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor vom 22. Juli 2003, ABl. EU 2003, L 192, S. 54 ff., aufgehoben, wobei die grundsätzlichen Verpflichtungen in den Rahmenbeschluss überführt wurden; vgl. jedoch Fn. 504 und S. 86 Fn. 215. 503 Der Begriff der Pflichtverletzung ist nach Art. 1 SpStr. 3 der Gemeinsamen Maßnahme weit und „gemäß dem einzelstaatlichen Recht zu verstehen“ und erfasst „zumindest jegliches treuwidrige Verhalten […], das eine Verletzung einer gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht bzw. einer beruflichen Vorschrift oder Weisung darstellt. 504 Der mittlerweile an die Stelle der Gemeinsamen Maßnahme getretene Rahmenbeschluss (oben Fn. 502) verzichtet zwar in seinem entsprechenden Art. 2 auf die ausdrückliche Normierung einer solchen Einschränkung. Dennoch ist seinem ErwGr. 1 zu entnehmen, dass er sich gegen „Bestechungen im privaten Sektor eines Mitgliedstaats“ richtet. Wäre die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung von über den gemeinsamen Markt hinausreichenden Straftatbeständen hinaus intendiert gewesen, wäre ein klarstellender Hinweis zu erwarten gewesen. 505 Enthält die Gemeinsame Maßnahme somit tatsächlich eine Verpflichtung zur Schaffung von Straftatbeständen, welche korruptives Verhalten erfassen, das nicht allein den inländischen Wettbewerb betrifft, so ist dies hinsichtlich der von der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/8998, S. 9, ebenfalls in Bezug genommenen Art. 7 und 8 des Strafrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 27. Januar 1999 (ETS 173; vgl. S. 29 500
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
setzt diese Vorgaben um, indem die Abs. 1 und 2 nunmehr auch „für Handlungen im ausländischen Wettbewerb“ gelten. Ganz überwiegend wird darin eine Erweiterung des Schutzbereichs des § 299 StGB auf jeglichen ausländischen Wettbewerb gesehen.506 Grundsätzlich nach deutschem Recht strafbar sind aufgrund des § 299 Abs. 3 StGB folglich die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr unabhängig davon, auf welchem Markt der Wettbewerb stattfindet, der durch das korruptive Verhalten beeinträchtigt zu werden droht. Nichtsdestotrotz gelten auch hier die Vorschriften des internationalen Strafrechts, Fn. 124) hingegen nicht der Fall. Der durch das Strafrechtsübereinkommen ebenfalls geforderten Strafbarkeit der Bestechung und Bestechlichkeit ausländischer Amtsträger sind eigenständige Artikel gewidmet (Art. 5, 6). Eine derart erweiterte Strafbarkeit wird als Besonderheit aufgefasst, was auch der vergleichsweise ausführlichen Begründung zu Art. 5 im Explanatory Report (siehe S. 30 Fn. 131) zum Übereinkommen zu entnehmen ist: „The criminalisation of corrupt behaviour occurring outside national territories finds its justification in the common interest of States to protect these interests. […] The message is clear: corruption is a serious criminal offence that could be prosecuted by all Contracting Parties and not only by the corrupt official’s own State” (Rn. 48, 49). Hinsichtlich der Korruption im privaten Sektor fehlt hingegen jeglicher Hinweis auf eine „unübliche“ Erweiterung der Strafbarkeit. Weder existiert ein entsprechender gesonderter Artikel noch finden sich entsprechende Hinweise im Explanatory Report. Betont wird dort vielmehr, dass die Strafbarkeit korrupter Handlungen im privaten Sektor per se eine Besonderheit darstellt: „Criminalising private corruption appeared as a pioneering but necessary effort to avoid gaps in a comprehensive strategy to combat corruption“ (Rn. 52). Wäre eine Ausweitung der Strafbarkeit auch zum Schutze ausländischer Güter intendiert, so wäre ein entsprechender Hinweis zu erwarten; vgl. auch HAFT/SCHWOERER, FS Weber 2004, S. 379. 506 NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 74; TIEDEMANN, FS Lampe 2003, S. 760; ANDROULAKIS, Globalisierung, S. 431; HEISS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 24. Die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/8998, S. 10, spricht insoweit von einer „Klärung“ des Anwendungsbereichs, da eine Erweiterung ebenso durch eine „maßnahmenkonforme“ Auslegung hätte erreicht werden können. Eine echte Ausweitung des Schutzbereichs ist jedoch bereits deshalb anzunehmen, weil grundsätzlich von einer Beschränkung auf den Schutz inländischer Güter auszugehen ist; BGH (17.12.1968), BGHSt 22, 282 (285) („[D]as deutsche Strafrecht [ist] als innerstaatliches Ordnungsrecht in erster Linie zum Schutze inländischer Belange berufen […].“). – Widersprüchlich sind hingegen die Ausführungen von HAFT/SCHWOERER , FS Weber 2004, S. 382–384, die in § 299 Abs. 3 StGB keine Schutzbereichserweiterung, sondern eine „Erweiterung des Handlungsortes i. S. d. §§ 3 ff. StGB“ und damit die Verwirklichung des „Weltrechtsprinzip[s]“ im Sinne des § 6 StGB (Ansätze dazu bereits bei NOWAKOWSKI, JZ 1971, S. 634, hinsichtlich der Amtsträgerbestechung: „Auch Güter der Allgemeinheit können für die zivilisierten Rechtsstaaten gemeinsam Rechtswerte sein; so z. B. die Sauberkeit der Amtsführung […].“) sehen. Wenn dies der Fall wäre, würde dies jedoch nicht dazu führen, dass es in Deutschland strafbar wäre, „[w]enn ein Afrikaner in Südamerika anlässlich einer Vergabe den koreanischen Auftraggeber ‚schmiert‘“. Dazu wäre die Einbeziehung des südamerikanischen bzw. koreanischen Wettbewerbs in den Schutzbereich des § 299 StGB notwendig, was nach HAFT/SCHWOERER aber gerade nicht der Fall sein soll.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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§§ 3 ff. StGB, so dass im Ausland vorgenommene Handlungen nur unter den Voraussetzungen des § 7 StGB zur inländischen Strafbarkeit führen können.507 Hinsichtlich der Verhaltensnormen, welche durch den nach § 299 Abs. 3 StGB erweiterten Straftatbestand flankiert werden, ist eine Besonderheit zu beachten. Durch die Art. 2 und 3 der Gemeinsamen Maßnahme vorgegeben wurde lediglich der Schutz des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes durch die Mitgliedstaaten.508 Soweit § 299 StGB darüber hinaus den Wettbewerb auf drittstaatlichen Märkten schützt, erfolgt dies nicht in Umsetzung europarechtlicher oder völkerrechtlicher509 Vorgaben.510 Hinsichtlich korruptiver Handlungen, die gegen drittstaatlichen Wettbewerb gerichtet sind und im Ausland stattfinden, besteht daher weder Anlass noch Berechtigung 511 , den Geltungsbereich deutscher Verhaltensnormen auszudehnen. Auch hier werden insoweit Verstöße gegen ausländische Verhaltensnormen sanktioniert, wobei anders als im Rahmen des IntBestG 512 eindeutige Hinweise darauf fehlen, welcher Rechtsordnung diese zu entnehmen sind. Geht man als Indiz von den Regelungen des internationalen Strafrechts aus, die hinsichtlich des § 299 Abs. 3 StGB – anders als die Neuregelungen durch IntBestG und EUBestG – keinen Verzicht auf das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit vorsehen,513 so ist naheliegend, dass auch hinsichtlich der zu sanktionierenden Verhaltensnormen grundsätzlich das Tatortrecht zur Anwendung gelangen soll. 514 Freilich ginge damit einher, dass § 299 Abs. 3 StGB weit hinter den Wirkungen zurückbliebe, die sein umfassender Wortlaut anzudeuten scheint. Mag der Strafbarkeit von korruptivem Verhalten im privatwirtschaftlichen Bereich heute auch nicht mehr der Ausnahmecharakter zukommen, der ihr noch vor einigen Jahren attestiert wurde,515 so gilt dies in erster Linie hinsichtlich des (jeweiligen) inländischen Wettbewerbs; der Schutz ausländischen Wettbewerbs vor solchen Handlungen ist weit weniger stark verbreitet. Dementsprechend selten wird ein ausländischer Staat korruptive Handlungen auf seinem Territorium verbieten, die sich nicht gegen seinen eigenen Wettbewerb richten, womit § 299 Abs. 3 StGB vor allem in Fällen 507
Ganz herrschende Meinung, vgl. nur NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 75; LK12/ TIEDEMANN, § 299 Rn. 65; FISCHER61, § 299 Rn. 2a; anderer Ansicht HAFT/SCHWOERER, FS Weber 2004, S. 382–383 (dazu Fn. 506). 508 Vgl. Fn. 504; ANDROULAKIS, Globalisierung, S. 429 Fn. 1509. 509 Dazu oben Fn. 505. 510 Ebenso WOLLSCHLÄGER, StV 2010, S. 388 („allenfalls empfohlen“). 511 Zum insoweit zu beachtenden Interventionsverbot S. 99 bei Fn. 293–302. 512 Vgl. oben S. 130 ff. 513 Oben Fn. 507. 514 Dazu ausführlich S. 120 ff. 515 Vgl. Rn. 52 des Explanatory Reports zum Strafrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats vom 27. Januar 1999 (oben Fn. 505).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
relevant wäre, in denen ausländischer Wettbewerb durch korruptives Verhalten im Wettbewerbsstaat gefährdet wird. Eben eine solch zurückhaltende Position gegenüber der Eindämmung ausländischer privatwirtschaftlicher Korruption dürfte jedoch am ehesten die Skepsis widerspiegeln, die nach wie vor der extraterritorialen Korruptionsbekämpfung entgegengebracht wird.516 Im Hinblick auf die früheren Erfahrungen mit IntBestG und EUBestG muss davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Einführung des § 299 Abs. 3 StGB eine ähnlich weitgehende Berücksichtigung des Rechts des Wettbewerbsstaates, wäre sie intendiert gewesen, eine deutlichere Kenntlichmachung erfahren hätte. Sanktioniert werden daher korruptionsbezogene Verhaltensnormen des Handlungsorts. – Andererseits ist der Schaffung des § 299 Abs. 3 StGB zu entnehmen, dass ausländischem Wettbewerb gegen korruptive Handlungen im Inland der gleiche Schutz zuteilwerden soll wie dem inländischen Wettbewerb. Dies setzt jedoch die Existenz entsprechender inländischer Verhaltensnormen voraus, welche – parallel zu den Verhaltensnormen zum Schutz des deutschen Wettbewerbs – solche Zuwendungen untersagen, die eine entsprechende Gefahr für irgendeinen ausländischen Wettbewerb bergen. Räumlich begrenzt sind diese Normen jedoch auf das inländische Territorium.517 Etwas anderes gilt jedoch, soweit der Wettbewerb eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union und damit der Binnenmarkt betroffen ist. Zwar ist auch hier denkbar, dass ein Mitgliedstaat originär allein seinen eigenen Markt durch Verbote schützt und zum Schutz des Binnenmarktes gegebenenfalls die Verhaltensnormen des Mitgliedstaates zur Bewertung von Bestechungshandlungen heranzieht, dessen Markt durch dortiges Verhalten konkret betroffen ist.518 Näher liegt es jedoch, die europarechtliche Vorgabe zum Schutz des Binnenmarktes vor korruptiven Verhaltensweisen als Grundlage für die Schaffung eines inländischen Rechtsguts anzusehen, das den gesamten Binnenmarkt, den alle Mitgliedstaaten zu schützen verpflichtet sind, erfasst.519 Bereits vor Einführung des § 299 Abs. 3 StGB wurde erwogen, den europäischen Binnenmarkt als Schutzgut des deutschen Strafrechts zu etablie-
516
Vgl. S. 11 bei Fn. 34 und S. 224 bei Fn. 175. Dies betrifft insbesondere auch Teilnahmehandlungen an im Ausland stattfindenden Haupttaten, zu den anders gelagerten Fällen der Amtsträgerkorruption S. 133 bei Fn. 475. – Entgegen WOLLSCHLÄGER, StV 2010, S. 388–389, kann die Rechtsordnung auch dann ausländische Güter innerhalb ihres Territoriums zu Rechtsgütern erklären, wenn der ausländische Staat selbst dies nicht tut. Zur Einschränkung der entsprechenden inländischen Verhaltensnormen nach dem Grundsatz der Sozialadäquanz S. 233 bei Fn. 228. 518 In diese Richtung gehen die Äußerungen von HAFT/SCHWOERER, FS Weber 2004, S. 379–380, wenn auch mit anderer Intention. 519 Vgl. zu den parallel gelagerten Erwägungen im Rahmen des EUBestG S. 135 bei Fn. 493. 517
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
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ren. 520 Da die Europäische Union nach Art. 3 Abs. 3 EUV die Errichtung eines Binnenmarktes als eine ihrer wichtigsten Aufgaben begreift und die Bekämpfung der „Bestechung [, die] das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes in Frage stellt“521, als zur Verwirklichung des Binnenmarktes unabdingbar ansieht, sind die Mitgliedstaaten ihrerseits zu einer möglichst effektiven Eindämmung der Korruption auf dem Binnenmarkt verpflichtet.522 Letztlich wird es dem Gedanken von einem einheitlichen Binnenmarkt nicht gerecht, diesen allein als Summe aller mitgliedstaatlichen Märkte aufzufassen. Es bedarf vielmehr einer einheitlichen Eindämmung von den Binnenmarkt betreffenden Bestechungshandlungen im geschäftlichen Verkehr, die letztlich allein durch ebenso einheitliche Verhaltensnormen erreicht werden kann. Solange das Unionsrecht selbst insoweit keine einheitlichen Normen vorgibt, werden Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr des Binnenmarktes in den Mitgliedstaaten jeweils durch originär inländische Verhaltensnormen verboten. Dass aus der Vielzahl von Verhaltensbewertungen, die von jedem einzelnen Mitgliedstaat autonom vorgenommen werden, konkurrierende Strafansprüche entstehen können, 523 steht dem nicht entgegen, ist dies doch ein Phänomen, das weder speziell den Binnenmarkt noch die Korruption betrifft, sondern grundsätzlich bei jeder strafrechtlichen Fallgestaltung mit Auslandsberührung auftreten kann.524 4.
Vergleichbare ausländische Regelungen
Nicht allein das deutsche Recht nimmt zunehmend auch korrupte Verhaltensweisen im Ausland in den Blick. Ein kurzer Vergleich soll daher sowohl zum US-amerikanischen Foreign Corrupt Practices Act (FCPA)525 aus dem 520
LK12/TIEDEMANN, § 299 Rn. 64; ablehnend RÖNNAU, JZ 2007, S. 1087–1088. Erwägungsgründe der Gemeinsamen Maßnahme, ABl. EG 1998, L 358, S. 2. 522 Vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV, auf dessen Vorgängervorschrift Art. 10 EUV a. F. LK12/ TIEDEMANN, § 299 Rn. 64, die Ausweitung des Schutzbereichs des § 299 StGB stützen wollte. 523 Dies führen HAFT/SCHWOERER, FS Weber 2004, S. 380 gegen eine Schutzbereichserweiterung an. 524 Vgl. zu diesem Problemfeld MüKo-StGB2/AMBOS, Vorbemerkung zu den §§ 3–7 Rn. 54–68; Schönke/Schröder28/ESER, Vorbem. §§ 3–9 Rn. 78; jeweils m. w. N. – Mangels vereinheitlichter europäischer Verhaltensnormen muss sich die Parallele zum Schutz des reinen Inlandswettbewerbs auf die räumliche Dimension beschränken. Nicht durch deutsche Verhaltensnormen geregelt werden kann der personell europäische Wettbewerb (vgl. S. 110 bei Fn. 361) auf dem Markt eines Drittstaates, da es insofern an einem für europäische Wettbewerber einheitlichen Verhaltensstandard fehlt. 525 Foreign Corrupt Practices Act of 1977, Pub. L. No. 95-213, 91 Stat. 1494–1500 (FCPA 1977); geändert durch die Foreign Corrupt Practices Act Amendments of 1988 (Amendments 1988), Pub. L. No. 100-418, 102 Stat. 1107, 1415–1425, und den International Anti-Bribery and Fair Competition Act of 1998 (Anti-Bribery Act 1998), Pub. L. No. 105-366, 112 Stat. 3302–3312; gegenwärtige Fassung (FCPA) 15 U.S.C. §§ 78m, 521
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Jahr 1977, der das Vorbild für die Bestimmungen des OECD-Übereinkommens 526 vom 17.12.1997 ist, 527 als auch zum vergleichsweise jungen, aber sehr weitreichenden britischen Bribery Act 2010 (Bribery Act, BA)528 gezogen werden. a)
USA: Foreign Corrupt Practices Act (FCPA)
Durch den FCPA 1977 wurde der Securities Exchange Act of 1934 529 zum einen um verschiedene Berichts- und Buchhaltungspflichten (s. 102), zum anderen um unmittelbar gegen die Korrumpierung ausländischer Amtsträger gerichtete Vorschriften (ss. 103, 104) ergänzt. Durch letztere wurde bestimmten Emittenten 530 von Wertpapieren, „Inlandsunternehmen“ 531 sowie deren Agenten untersagt, sich des US-amerikanischen 532 Postdiensts oder „jegliche[r] andere[r] Einrichtung des zwischenstaatlichen Handels“ zu bedienen, um direkte oder indirekte Schmiergeldzahlungen an ausländische Amtsträger oder Parteien zu fördern.533 Gesetzeswidrig sind dabei die Schmiergeldzah78dd-1, 78dd-2, 78dd-3, 78ff (2012). Eine inoffizielle deutsche Übersetzung ist abrufbar unter . 526 Oben S. 126 Fn. 437. 527 Zur geschichtlichen Entwicklung PIETH, Introduction, in: Pieth/Low/Cullen, S. 7–11 m. w. N. 528 UK PGA 2010 c. 23 (abrufbar unter ), in weiten Teilen (s. 19 BA) in Kraft gesetzt zum 1. Juli 2011 durch The Bribery Act 2010 (Commencement) Order 2011, S.I. 2011 No. 1418 (c. 54) (abrufbar unter ). 529 Pub. L. No. 291, 48 Stat. 881–909. 530 15 U.S.C. § 78dd-1 (a) (2012). Bei diesen kann es sich auch um ausländische Unternehmen handeln, es genügt die Börsennotierung in den USA. Nicht zuzustimmen ist WOUTERS/RYNGAERT/CLOOTS, Corruption in International Law, S. 70, die darin eine „variation on the territoriality principle“ sehen, „as it derives jurisdiction from listing stock on an exchange located in a specific territory“. Davon auszugehen, dass eine Handlung im Inland es ermöglicht, eine andere Handlung derselben Person im Ausland zu regulieren, überspannt das Territorialitätsprinzip. 531 15 U.S.C. § 78dd-2 (h) (1) (2012) lautet: „The term ‚domestic concern’ means (A) any individual who is a citizen, national, or resident of the United States; and (B) any corporation partnership, association joint-stock company, business trust, unincorporated organization, or sole proprietorship which has its principal place of business in the United States, or which is organized under the laws of a State of the United States or a territory, possession, or commonwealth of the United States“. 532 Siehe dazu S. 11 der als FCPA – A Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act (abrufbar unter ) veröffentlichten gemeinsamen Leitlinien der CRIM. DIV. U.S. DOJ und der ENF. DIV. U.S. SEC zum FCPA („FCPA Guide 2012“). 533 15 U.S.C. § 78dd-1 (a), § 78dd-2 (a) (2012) lauten:„It shall be unlawful […] to make use of the mails or any means or instrumentality of interstate commerce corruptly in fur-
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lungen selbst, der Verweis auf „mails or any means or instrumentality of interstate commerce“ dient lediglich der Etablierung einer (eher losen) Verbindung zum Territorium der USA; 534 auf einen US-amerikanischen Handlungsort kommt es insoweit nicht an. 535 Ausländische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz nicht in den USA haben, können dem FCPA als Agent eines erfassten Unternehmens unterworfen sein. 536 Durch den Anti-Bribery Act 1998537 wurden diese Regelungen noch in zweierlei Hinsicht deutlich erweitert: Zum einen ist nunmehr auch jede im Ausland stattfindende Handlung unabhängig von einer Nutzung US-amerikanischer Kommunikationsdienste zur Förderung von Schmiergeldzahlungen vom FCPA erfasst, wenn sie von einem Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten vorgenommen wird,538 zum anderen findet der FCPA nunmehr bei einem US-amerikanischen Handlungsort auch auf jede andere Person Anwendung.539 Die Änderungen durch den Anti-Bribery Act 1998 dienen damit letztlich der konsequenten Umsetzung des Territorialitäts- und des aktiven Personalitätsprinzips540 und sind im Vergleich zum deutschen Recht keine Besonderheit. Aus deutscher Sicht problematisch hingegen erscheint die Möglichkeit, ausländische Staatsangehörige für Auslandstaten allein auf der Grundlage von Verbindungen eines als Prinzipal fungierenden Unternehmens persönlich zu belangen.541
Hinsichtlich der Frage, ob sich die Regelungen des FCPA auf inländische oder ausländische Verhaltensnormen beziehen, haben die Amendments 1988 542 zu einer bedeutenden Wendung geführt. Eingefügt wurden durch diese unter anderem eine „affirmative defense“, wonach als „Einredung“543 anerkannt wird, therance of an offer, payment, promise to pay, or authorization of the payment of any money, or offer, gift, promise to give, or authorization of the giving of anything of value to (1) any foreign official […]“. 534 FCPA Guide 2012 (vgl. Fn. 532), S. 11 („Thus, placing a telephone call or sending an e-mail, text message, or fax from, to, or through the United States involves interstate commerce—as does sending a wire transfer from or to a U.S. bank or otherwise using the U.S. banking system, or traveling across state borders or internationally to or from the United States.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 535 FCPA Guide 2012 (vgl. Fn. 532), S. 11. 536 15 U.S.C. § 78dd-1 (a), § 78dd-2 (a) (2012): „any officer, director, employee, or agent […] or any stockholder thereof“; vgl. dazu Dooley v. United Technologies Corp., 803 F. Supp. 428, 438–439 (D.D.C. 1992). 537 Siehe S. 141 Fn. 525. 538 15 U.S.C. § 78dd-1 (g) (1), § 78dd-2 (i) (1) (2012). 539 15 U.S.C. § 78dd-3 (a) (2012). 540 Dazu S. 100 ff. 541 15 U.S.C. § 78dd-2 (g) (2) (2012); dazu WOUTERS/RYNGAERT/CLOOTS, Corruption in International Law, S. 59–61; NICHOLS, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 291. 542 Siehe S. 141 Fn. 525. 543 So die inoffizielle deutsche Übersetzung des FCPA (vgl. S. 141 Fn. 525).
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2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
„that the payment, gift, offer, or promise of anything of value that was made, was lawful under the written laws and regulations of the foreign official’s, political party’s, party official’s, or candidate’s country […].”544
Eine nach dem Recht des Staates, dem der korrumpierte Agent angehört, zulässige Zuwendung unterfällt daher nicht dem FCPA. Dem Zusatz, es müsse sich um das „geschriebene Recht“ handeln, ist dabei keine erhebliche Einschränkung zu entnehmen.545 Ausgeschlossen werden soll auch hier lediglich, dass „örtliche Gegebenheiten“546 zur Unbeachtlichkeit ausländischer Korruptionsverbote führen.547 Wie schon hinsichtlich des deutschen Rechts festgestellt, 548 enthält sich damit auch das US-amerikanische Recht einer Bewertung von potentiell korruptiven Verhaltensweisen und überlässt diese dem Staat, dessen Amtsträger betroffen ist.549 Hervorzuheben ist dabei, dass dies nicht nur für Auslandstaten, sondern unter Verzicht auf Ausnutzung der Territorialitätsmaxime ebenso für inländische Handlungen gilt.550 Im Umkehrschluss bedeutet dies freilich, dass durch das US-amerikanische Recht von 1977 bis 1988 korruptive Handlungen gegenüber ausländischen Amtsträgern auch bei
544
15 U.S.C. § 78dd-1 (c) (1), § 78dd-2 (c) (1) (2012); wortgleich auch 15 U.S.C. § 78dd-3 (c) (1) (2012) (vgl. dazu bei Fn. 550). Zu den praktisch identischen Vorgaben nach Nr. 8 der Erläuterungen zum OECD-Übereinkommen vom 21.11.1997, BGBl. II 1998, S. 2329 ff., S. 130 bei Fn. 461. 545 H.R. Conf. Rep. No. 100-567, 100th Cong., 2d Sess. 1988, S. 921–922 (S. 922: „normal rules of legal construction“); NICHOLS, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 291 („[T]he Foreign Corrupt Practices Act is poorly written.“); anderer Ansicht SALBU, 54 Wash. & Lee L. Rev. (1997), S. 280 („[A] defense requiring written authorization is unusable. The FCPA therefore criminalizes activities of U.S. companies abroad that are allowed under the host country’s own rules.“); RÜBENSTAHL, NZWiSt 2012, S. 407. 546 Zur vergleichbaren Nr. 7 der Erläuterungen zum OECD-Übereinkommen (vgl. Fn. 544) S. 131 bei Fn. 466. 547 LOW, US Perspective on Combating Bribery, in: Pieth/Low/Cullen, S. 521 („The ‚written laws’ requirement was chosen to ensure that only the law in a country, not its customary practices, could be the basis for this defence.“); FCPA Guide 2012 (vgl. S. 142 Fn. 532), S. 23 („[T]he fact that bribes may not be prosecuted under local law is insufficient to establish the defense.“). 548 Vgl. S. 120 ff. 549 Vgl. NICHOLS, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 299 („The prohibition of transnational bribery […] must make reference to local law, and in fact gives voice to that law by allowing for its enforcement in the home country of a bribe-giving businessperson.“); zwischen ausländischem Verbot und inländischer Sanktionierung differenzierend U.S. v. Kozeny, 582 F. Supp. 2d 535, 538–540 (S.D.N.Y. 2008); siehe auch PIEHL, Bestechungsgelder, S. 103 („Von den Moralvorstellungen im Empfängerland soll es abhängen, ob eine Zahlung verboten ist oder nicht.“). 550 Vgl. insb. 15 U.S.C. § 78dd-3 (c) (1) (2012). Zu entsprechenden Überlegungen im deutschen Recht S. 132 bei Fn. 471.
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
145
ausländischem Handlungsort durch originär inländische Verhaltensnormen verboten wurden, wenn die Nutzung inländischer Kommunikationswege zu befürchten war.551
Steht aufgrund des jeweils maßgeblichen Rechts die grundsätzliche Rechtswidrigkeit einer korruptiven Handlung fest, so treten die Rechtsfolgen des FCPA unter gewissen Umständen dennoch nicht ein. Dies betrifft zum einen „reasonable and bona fide expenditure[s]“, die zu Werbe- oder Präsentationszwecken oder zur Abwicklung eines bereits geschlossenen Vertrags getätigt werden, 552 zum anderen die sogenannten „facilitating or expediting payment[s]“553, die lediglich dafür sorgen sollen, dass ein ausländischer Amtsträger Diensthandlungen vornimmt, auf die der Zuwendende ohnehin einen Anspruch hat, oder dass bestimmte Verwaltungsprozesse beschleunigt werden.554 Soll beiden Ausnahmen neben der „local law defense“ ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleiben, so ist anzunehmen, dass es sich hierbei um Verhaltensweisen handelt, die grundsätzlich rechtswidrig sind, jedoch keiner US-amerikanischen Sanktionierung bedürfen.555
551
Die Bewertung einer Auslandstat musste auch hier – wie stets – bereits aufgrund der Prognose erfolgen, es werde höchst wahrscheinlich zur Nutzung solcher Kommunikationswege kommen. Insofern handelt es sich beim Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Nutzung lediglich um eine Beschränkung auf Sanktionsebene. 552 15 U.S.C. § 78dd-1 (c) (2), § 78dd-2 (c) (2), § 78dd-3 (c) (2) (2012). 553 15 U.S.C. § 78dd-1 (b), § 78dd-2 (b), § 78dd-3 (b) (2012). 554 Zu den Begrifflichkeiten (im Rahmen des OECD-Übereinkommens [oben Fn. 544]) DANN, wistra 2008, S. 41–42 („Erleichterungszahlungen […] setzen […] einen Anspruch auf Vornahme einer Diensthandlung voraus.“ [facilitating payments]), 43 [Beschleunigungszahlungen (expediting payments) können einer ordnungsgemäßen Beschleunigung dienen (und sind dann ebenfalls Erleichterungszahlungen), müssen dies jedoch nicht]. So wie im Rahmen des OECD-Übereinkommens weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass nur echte Erleichterungszahlungen sanktionslos sein sollen (siehe S. 129 Fn. 456), greifen auch die Ausnahmen nach dem FCPA nicht hinsichtlich von Zahlungen für Handlungen „within an official’s discretion“ (FCPA Guide 2012 [vgl. S. 142 Fn. 532], S. 25). 555 Zur entsprechenden Nr. 9 der Erläuterungen zum OECD-Übereinkommen (oben Fn. 544) S. 130 bei Fn. 462. Die Einordnung einer Zahlung als Erleichterungs- oder Beschleunigungszahlung kann dieser bereits deshalb den Makel der Rechtswidrigkeit nicht nehmen, da auch mit diesen Zahlungen (gezielt) Einfluss auf das Verhalten von Amtsträgern genommen werden soll und wird. Ihre mangelnde Sanktionswürdigkeit ergibt sich lediglich aus den (regelmäßig geringfügigen oder) kaum spürbaren Auswirkungen auf Dritte. Vgl. das Beispiel bei GANTZ, 14 Ariz. J. Int'l & Comp. L. (1997), S. 107–108, in dem ein identischer Betrag (20 $) in vergleichbaren Situationen (und damit mit vergleichbarem Gefahrenpotential) einmal als von der Ausnahme erfasst angesehen wird und einmal nicht.
146 b)
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Vereinigtes Königreich: Bribery Act 2010 (BA)
Durch den Bribery Act wurde das britische Korruptionsstrafrecht in einem Gesetz konzentriert.556 Erfasst werden gleichermaßen Korruptionshandlungen im öffentlichen und im privaten Sektor sowie Taten mit und ohne Auslandsbezug. Geschaffen wurden Tatbestände gegen aktive (s. 1 BA) und passive Bestechung (s. 2 BA), Bestechung ausländischer Amtsträger (s. 6 BA) und unzureichende Prävention innerhalb von Unternehmen (s. 7 BA). Die Bestechung ausländischer Amtsträger nach s. 6 BA dient in erster Linie der Umsetzung der Vorgaben durch das OECD-Übereinkommen vom 17.12.1997 557 . Bestraft wird, einem ausländischen Amtsträger direkt oder mittelbar einen Vorteil anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren, um ihn in seiner Dienstausübung zu beeinflussen und Vorteile im geschäftlichen Verkehr zu erlangen. Eine Bestechung liegt nach s. 6 (3) (b) BA jedoch nur vor, wenn der ausländische Amtsträger („F“) „is neither permitted nor required by the written law applicable to F to be influenced in F’s capacity as a foreign public official by the offer, promise or gift“.
Abzustellen ist dabei nach s. 6 (7) (c) BA auf das Recht des Staates, dessen Amtsträger der Vorteil zugewandt wird.558 Wie bereits hinsichtlich des FCPA festgestellt, 559 so sollte auch hier die Bezugnahme auf das „geschriebene Recht“ als Hinweis darauf verstanden werden, dass nicht etwa die bloße Üblichkeit oder die gesellschaftliche Akzeptanz von Schmiergeldzahlungen im Ausland einer Tatbestandsverwirklichung entgegenstehen.560 Auch in s. 6 BA findet sich eine konsequente Umsetzung des Rechtshilfegedankens des
556
Zur Aufhebung bislang existierender Bestimmungen vgl. s. 17 BA. Abgedruckt in BGBl. II 1998, S. 2329 ff. 558 Etwas anderes gilt nur, wenn die zu beeinflussende Dienstausübung selbst dem Recht des Vereinigten Königreichs unterliegt [s. 6 (7) (a)] oder es sich um den Amtsträger einer Internationalen Organisation handelt [s. 6 (7) (b)]. 559 Vgl. S. 144 mit Fn. 547. 560 Der Gesetzentwurf zum Bribery Act (Bribery – Draft Legislation, Cm 7570 (2008); abrufbar unter ) sah in s. 4 (4) noch einen Verweis auf „the law applicable to F“ vor. Der Bericht des JOINT COMMITTEE ON THE DRAFT BRIBERY BILL, Draft Bribery Bill – First Report of Session 2008-09 (Vol. I; 2009), HL 115-I, HC 430-I (abrufbar unter ), Tz. 64, schlug hingegen einen Verweis auf „the ‚written law’“ vor, um insbesondere die Berücksichtigung von „cultural norms“ (vgl. Tz. 54, 63) auszuschließen. Auch der Bericht der LAW COMMISSION, Reforming Bribery – Law Com No 313 (2008), Rn. 5.82–5.84 (abrufbar unter ), äußert sich entsprechend. 557
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
147
OECD-Übereinkommens, indem Verhaltensnormen des Amtsträgerstaates sanktioniert werden.561 Die Regulierung extraterritorialer Korruption durch den Bribery Act beschränkt sich jedoch nicht auf s. 6 BA. Auch die Grundtatbestände nach ss. 1, 2 BA erfassen grundsätzlich Auslandssachverhalte. Nach seiner s. 12 werden durch den Bribery Act alle Tathandlungen erfasst, die auf dem Territorium des Vereinigten Königreichs vorgenommen werden [subs. 1]. Darüber hinaus findet er Anwendung auf Auslandstaten von Personen, die eng mit dem Vereinigten Königreich verbunden sind [subs. 2 (c)], insbesondere also auf Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs und Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben [vgl. subs. 4].
Beide Tatbestände bauen auf der Verknüpfung von „advantage“ und „improper performance of a relevant function or activity“ durch den Vorteilsempfänger auf, wobei es nach s. 1 BA eine Straftat ist, einem Funktionsträger einen Vorteil anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren, und s. 2 BA das Fordern, Sichversprechenlassen und Annehmen eines Vorteils durch einen solchen Funktionsträger erfasst. Eine Differenzierung zwischen Korruption im öffentlichen und im privaten Sektor nimmt der Bribery Act nicht vor, entscheidend ist allein, dass der Vorteilsempfänger eine Vertrauensposition nach s. 3 BA bekleidet, welchem Bereich auch immer diese zuzuordnen sein mag.562 Entscheidend ist allein, dass „a reasonable person in the United Kingdom“563 gewisse Erwartungen daran stellt, wie eine solche Funktion auszufüllen ist.564 Unerheblich für die Anwendung der Tatbestände ist nach s. 3 (6) BA, ob die (potentiell) beeinflusste Funktion selbst irgendeine Verbindung zum Vereinigten Königreich aufweist oder im Vereinigten Königreich ausgeübt wird, der Schutzbereich des Bribery Act ist insofern unbegrenzt. 561
Entgegen WALTHER/ZIMMER, RIW 2011, S. 200, sollte nicht davon ausgegangen werden, mit der (unglücklich gewählten) Formulierung, es komme darauf an, ob es dem ausländischen Amtsträger erlaubt oder vorgeschrieben sei, sich beeinflussen zu lassen, seien abweichend vom FCPA (S. 144 bei Fn. 544) weitere Einschränkungen verbunden. Ob ein Amtsträger durch einen ihm zugewendeten Vorteil beeinflusst wird, kann mangels eines regulierbaren Verhaltens nicht verboten oder erlaubt werden. Erlaubt sein kann alleine die Zuwendung selbst, weil der Normgeber mit ihr keine missbilligenswerte Beeinflussung des Amtsträgers verbindet. 562 S. 3 (2) BA lautet: „The following functions and activities fall within this subsection – (a) any function of a public nature, (b) any activity connected with a business, (c) any activity performed in the course of a person’s employment, (d) any activity performed by or on behalf of a body of persons (whether corporate or unincorporate)”. 563 S. 5 (1) BA lautet: „For the purposes of section 3 and 4, the test of what is expected is a test of what a reasonable person in the United Kingdom would expect in relation to the performance of the type of function or activity concerned”. 564 S. 3 (3) BA („expected to perform in good faith“); s. 3 (4) BA („expected to perform it impertially“); s. 3 (5) BA („in a position of trust“).
148
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Die Bezugnahme des Bribery Act auf so schillernde Begriffe wie „expectation“, „good faith“ und „trust“ illustriert die Schwierigkeiten, denen sich jede Rechtsordnung im Hinblick auf die Regulierung der Korruption gegenübersieht. Notwendig ist es, diejenigen Machtstellungen zu benennen, deren Ausübung aufgrund der mit ihnen verbundenen Einflussmöglichkeiten von einem reziproken Leistungsaustausch freigehalten werden soll.565 Dass sich eine solche Entscheidung nicht allein anhand abstrakter Begriffe wie dem des „Amtsträgers“ oder „Angestellten“ treffen lässt, hat sich auch im deutschen Recht zur Genüge erwiesen und dazu geführt, dass die notwendigen Wertungen nunmehr innerhalb dieser gesetzlich vorgegeben Begrifflichkeiten vorgenommen werden.566 Wenn der Bribery Act auf die Benennung abstrakter Kategorien verzichtet und unmittelbar auf wertende Kategorien rekurriert, so liegt darin keine dem deutschen Recht unbekannte Vorgehensweise, sondern lediglich das Eingeständnis, dass eine abschließende gesetzliche Benennung der relevanten Machtstellungen undenkbar ist.
Ob ein ausländischer Vorteilsempfänger eine Funktion innehat, die eine auf Reziprozität basierende Beeinflussung durch Dritte als unerwünscht erscheinen lässt, ist aufgrund des „expectation test“ nach s. 5 (1) BA unter Anlegung britischer Maßstäbe zu entscheiden.567 Nur wenn es sich bei entsprechenden Funktionen im Vereinigten Königreich um besondere Vertrauensstellungen handelt, kommt eine Strafbarkeit nach dem Bribery Act in Betracht. Dennoch bildet die Verletzung britischer Vorstellungen (Verhaltensnormen) nicht den Unrechtskern der ss. 1, 2 BA, denn auch der „expectation test“ nach s. 5 (2) BA enthält einen Verweis auf ausländische Maßstäbe: „In deciding what such a person would expect in relation to the performance of a function or activity where the performance is not subject to the law of any part of the United Kingdom, any local custom or practice is to be disregarded unless it is permitted or required by the written law applicable to the country or territory concerned.”
Demnach bildet die originär britische Beurteilung lediglich eine absolute Obergrenze, jenseits derer auch eine eventuell strengere ausländische Einschätzung einer ausländischen Funktionsstellung nicht zu einer Strafbarkeit nach dem Bribery Act führen kann. 568 Ob in die Ausübung einer ausländischen Funktionsstellung in ausreichendem Maße Vertrauen gesetzt wird, die eine Beeinflussung durch Vorteilszuwendungen als unzulässig erscheinen lässt, bleibt jedoch eine Entscheidung ausländischen Rechts. Auch mit dieser Fokussierung auf die Frage nach dem Bestehen einer besonderen Vertrauensstellung unterscheidet sich der Ansatz des Bribery Act nur technisch von demjenigen 565
Vgl. oben S. 5 ff. Vgl. zu den Unzulänglichkeiten des Amtsträgerbegriffs ARZT/WEBER/HEINRICH/ HILGENDORF, BT2, § 49 Rn. 20–23. 567 Oben Fn. 563. 568 Bestätigung findet eine solche Sichtweise auch in s. 12 (2) (b) BA, wonach Auslandstaten nur dann dem Bribery Act unterfallen, „if […] a person’s acts or omissions done or made outside the United Kingdom would form part of such an offence if done or made in the United Kingdom”. 566
D. Materiell-rechtlicher Geltungsbereich und Anwendungsbefehl
149
des deutschen oder US-amerikanischen Rechts. Jede Rechtsordnung muss diejenigen Situationen benennen, in denen die Zuwendung persönlicher Vorteile an eine Person, die eine besondere Vertrauensstellung innehat, wegen der möglichen, missbilligenswerten Folgen einer solchen Zuwendung unzulässig sein soll. Ob man versucht, sich einer solchen Situationsbeschreibung zu nähern, indem man beim Begriff des Vorteils ansetzt, dessen Gefährlichkeit es im Einzelfall einzuschätzen gilt, oder ob man den Fokus seiner Betrachtungen auf die Identifizierung der Vertrauensstellungen legt, die unbeeinflusst von persönlichen Vorteilen ihres jeweiligen Inhabers ausgeübt werden sollen, ist einerlei. 569 Beide Herangehensweisen unterscheiden sich allein in ihrem Ausgangspunkt, nicht aber hinsichtlich der vorzunehmenden Wertungen oder gar des zu erreichenden Ziels, nämlich der Entscheidung darüber, ob in einer bestimmten Situation eine bestimmte Vorteilszuwendung erfolgen darf oder nicht.
Die prinzipielle Anerkennung ausländischer Maßstäbe bringt freilich die Schwierigkeit mit sich, entscheiden zu müssen, welcher ausländischen Rechtsordnung diese Maßstäbe zu entnehmen sind. Hinsichtlich der Bestechung und Bestechlichkeit ausländischer Amtsträger dürfte in Anlehnung an s. 6 (3) (b), (7) (c) BA anzunehmen sein, dass es sich insofern bei dem „written law applicable to the country or territory concerned“ um das Recht des Amtsträgerstaates handelt.570 Damit enthält der Bribery Act mit s. 1 und s. 6 zwei selbständige Tatbestände, die sich auf die Bestechung (auch) ausländischer Amtsträger beziehen und letztlich dasselbe verbotene Verhalten sanktionieren. 571 Bezweckt wurde mit Einführung des gesonderten Tatbestands nach s. 6 BA in erster Linie, die Schwierigkeiten zu umgehen, die sich im Rahmen von s. 1 (2) (b), (3) (b) BA beim Nachweis des subjektiven Tatbestands auf Sanktionsebene stellen können,572 nicht hingegen die Etablierung eines gänzlich anderen Bewertungsmaßstabs auf Normebene. 569
Vgl. dazu auch S. 20 bei Fn. 82. Mehr als die Bezugnahme auf das Recht des Amtsträgerstaats verlangt das OECDÜbereinkommen nicht (vgl. S. 130 ff.) und ein Übertreffen dieses Mindesterfordernisses ist nicht Ziel des Bribery Act: „[W]e were not proposing that the UK should go beyond the OECD minimum standard.“ (LAW COMMISSION, Law Com No 313 (2008), Rn. 5.83). 571 GENTLE, Crim. L.R., 2011, 2, S. 103 („[T]here does not appear to be any conduct caught by s. 6 that would not be caught by s. 1.“); SULLIVAN, Crim. L.R., 2011, 2, S. 94. 572 Dazu die offizielle Guidance about procedures which relevant commercial organisations can put into place to prevent persons associated with them from bribing (section 9 of the Bribery Act 2010), Rn. 23 („Guidance“; abrufbar unter ): „Such activity [the inducement of personal enrichment of foreign public officials] is very likely to involve conduct which amounts to ‚improper performance’ of a relevant function or activity to which section 1 applies, but, unlike section 1, section 6 does not require proof of it or an intention to induce it“. Vgl. auch Joint Prosecution Guidance of the Director of the Serious Fraud Office and the Director of Public Prosecutions („Joint Prosecution Guidance“; abrufbar unter ), S. 8 („Bribery of foreign public officials may also be prosecuted, in appropriate cases, 570
150
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Schwieriger gestaltet sich die Bestimmung des „country or territory concerned“ im Falle von Korruption im privaten Sektor. Darüber, ob es sich hierbei um einen Verweis auf das Recht des jeweiligen Handlungsortes handelt, oder vielmehr parallel die Verbote aller Staaten berufen werden, die ihren Wettbewerb potentiell bedroht sehen, geben weder der Bribery Act selbst noch die Materialien Auskunft.573 Als Indiz, das für eine Anknüpfung an den Handlungsort spricht, lässt sich lediglich anführen, dass der Bribery Act nicht auf korruptives Verhalten im geschäftlichen Verkehr beschränkt ist, sondern (grundsätzlich) auch Bestechung und Bestechlichkeit im rein privaten Bereich erfassen kann, 574 wo eine wettbewerbsorientierte Anknüpfung versagen müsste. Anders als der FCPA enthält der Bribery Act keine Regelung, die „facilitation payments“ von der Strafbarkeit ausnimmt. Ob solche Zahlungen eine Sanktion nach dem Bribery Act nach sich ziehen sollen, wird erst auf Ebene der Strafverfolgung entschieden.575
c)
Ergebnis
Die Anwendung und Sanktionierung ausländischer korruptionsbezogener Verhaltensnormen ist keine Besonderheit des deutschen Rechts. Vielmehr erkennen auch das US-amerikanische und das britische Recht an, dass Zuwendungen von Vorteilen an Personen in besonderen Vertrauensstellungen einer einheitlichen Beurteilung anhand inländischer Maßstäbe nicht zugänglich sind.
E. Schlussfolgerungen I.
Anknüpfung von Verhaltensnormen
Die Differenzierung von Verhaltens- und Sanktionsnormen, der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung und die materiell-rechtlichen Beschränkungen des Geltungsbereichs inländischer Verhaltensnormen führen bei der Behandlung der Korruption aus strafrechtlicher Sicht zu einem komplexen Zusammenunder section 1 […]. It should be noted, however, that under section 1 it will be necessary to prove the improper performance element.“); s. 6 hingegen als spezielleren Tatbestand bezeichnend DEISTER/GEIER, CCZ 2010, S. 13. 573 Deutlich wird lediglich, dass auch durch den Bribery Act nicht etwa der Verstoß gegen (vertraglich übernommene) Pflichten in einem Prinzipal-Agenten-Verhältnis sanktioniert wird; dazu LAW COMMISSION, Law Com No 313 (2008), Rn. 3.88–3.98. 574 DEISTER/GEIER, CCZ 2010, S. 13. 575 Vgl. dazu Guidance (oben Fn. 572), Rn. 26–32; Joint Prosecution Guidance (oben Fn. 572), S. 8–10; WALTHER/ZIMMER, RIW 2011, S. 201; DEISTER/GEIER/REW, CCZ 2011, S. 85.
E. Schlussfolgerungen
151
spiel von inländischen und ausländischen Verhaltensnormen. Die strafrechtliche Sanktionierung von Verhaltensnormen setzt deren kollisionsrechtliche Berufung als Verhaltensbefehl voraus, da es andernfalls an einem verbotenen Verhalten des Täters fehlt, das allein eine strafrechtliche Sanktion zu rechtfertigen vermag.576 Dabei ist diese Einsicht unter dem Blickwinkel der Sanktionierungsmöglichkeit nur ein Reflex des gewichtigeren Arguments, dass unter dem Gesichtspunkt einer sinnvollen Verhaltensregulierung jede Handlung im Voraus als erlaubt oder verboten benannt werden können muss577 und sich eine einmal gewonnene, diesbezügliche Einschätzung im Nachhinein nicht mehr ändern kann. Als ein die gesamte Rechtsordnung durchwirkendes Phänomen lassen sich Verhaltensnormen keinem spezifischen Rechtsgebiet zuordnen und unterliegen somit auch nicht deren speziellen Anwendungsvoraussetzungen, 578 ihre Geltung bzw. Anwendbarkeit 579 muss vielmehr stets unabhängig von einer speziellen Sanktion feststehen. All dies setzt die Existenz spezieller Kollisionsnormen voraus. Da diese bislang keine ausdrückliche gesetzliche Niederlegung erfahren haben, kann die gegenwärtige Ausgestaltung der ungeschriebenen Kollisionsnormen des deutschen Rechts für korruptionsspezifische Verhaltensnormen allein mithilfe von Rückschlüssen aus dem geltenden Strafrecht und einer kollisionsrechtlichen Interessenbewertung ermittelt werden.580 Nach den bisherigen Ausführungen gilt insoweit Folgendes: 1.
Anknüpfung an den potentiellen Erfolgsort
Korruptionsbezogene Verhaltensnormen sichern Güter, deren Schutz fragmentarisch bliebe, wenn die sie schützenden Verhaltensbefehle territorial beschränkt wären. Dies gilt es auch im Hinblick auf die Ausgestaltung der inländische korruptionsbezogene Verhaltensnormen berufenden Kollisionsnormen zu beachten.581 Auf eine Handlung muss stets dann ein deutsches 576
Oben S. 57 Fn. 41. KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 577. 578 Zur Einheit der Rechtsordnung siehe S. 55 ff.; dazu, dass die Regeln des internationalen Strafrechts sich nicht dazu eignen, über die Anwendung von Verhaltensnormen zu entscheiden S. 117 ff. – Eine rechtsgebietsspezifische Anknüpfung von Verhaltensnormen befürworten hingegen NOWAKOWSKI, JZ 1971, S. 637 (vgl. S. 59 Fn. 57); DERS., öZÖR 1955, S. 18; SCHNORR VON CAROLSFELD, Straftaten in Flugzeugen, Anm. 7 S. 20 f.; eine ausführliche Darstellung findet sich bei SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 142–155, 198– 199. 579 Vgl. SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71–72. 580 Allgemein zur Notwendigkeit kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung und den Kriterien, anhand derer diese zu erfolgen hat, SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 176– 184, 197–204; KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 316–318; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 93, 97– 100, 125. 581 Siehe insofern bereits S. 124 bei Fn. 428. 577
152
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Korruptionsverbot Anwendung finden, wenn durch diese eine Beeinträchtigung der durch das deutsche Verbot geschützten Rechtsgüter droht. Die Kollisionsnorm zur Berufung inländischer Verbote im Zusammenhang mit privatwirtschaftlicher Korruption folgt daher dem Prinzip der potentiellen Auswirkung.582 Da es sich beim Leistungswettbewerb um ein immaterielles Gut handelt, dessen territoriale Zuordnung nur normativ bestimmt werden kann, gilt es bei der Feststellung eines potentiell inländischen Erfolgsorts letztlich dieselben Erwägungen anzustellen, die auch auf Ebene des materiellen Rechts über die Grenze zwischen Verbot und Erlaubnis einer zu beurteilenden Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme entscheiden: Inländische Verhaltensnormen sind berufen, wenn mit gewisser Wahrscheinlichkeit mit der Verletzung inländischer Interessen zu rechnen ist.583
Mag eine derartige Anknüpfung auch mit gewissen Unsicherheiten belastet sein,584 so bleibt sie dennoch unumgänglich, soll der Staat seinem Schutzauftrag gerecht und sichergestellt werden, dass insbesondere auch Verhaltensnormen zur Anwendung gelangen, welche dem Schutz inländischer Güter vor Angriffen mit ausländischem Handlungsort zu dienen bestimmt sind. Eine „einfacherere“ – mangels Alternativen wohl territorial ausgerichtete – Anknüpfungsregel wäre aus Sicht des Schutzzwecks der berufenen Verhaltensnorm stets mit einer willkürlichen partiellen Preisgabe schützenswerter Interessen verbunden. Ähnliche Erwägungen liegen wohl auch der Ansicht 585 zugrunde, auf deliktsrechtliche Fragen müsse stets die lex fori angewandt werden, „da die auf Delicte bezüglichen Gesetze stets unter die zwingenden, streng positiven, zu rechnen“ seien,586 es sich beim Deliktsrecht also um ein dem Strafrecht verwandtes Rechtsgebiet handele.587 Ist beiden Rechtsge582
Vgl. KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 580–581 (S. 581: „Man kann daher wohl davon ausgehen, daß jeder Staat im Interesse des Schutzes seiner Bürger die Beachtung seiner Gebote und Verbote nicht nur den auf seinem Gebiet befindlichen Personen auferlegt, sondern auch jenen, die auf seinem Territorium Wirkungen hervorrufen.“). 583 Ähnliche Wertungen sind notwendig, um den deliktsrechtlich relevanten Erfolgsort im Hinblick auf reine Vermögensschäden (dazu EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 4 Rom II Rn. 40–44; Bamberger/Roth3/SPICKHOFF, Art. 40 EGBGB Rn. 23) oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen (siehe Staudinger2001/V. HOFFMANN, Art. 40 EGBGB Rn. 59– 63; insofern die Existenz eines Erfolgsorts ablehnend V. BAR, IPR II, Rn. 664) zu bestimmen. 584 Kritisch gegenüber dem Auswirkungsprinzip BASEDOW, RabelsZ 52 (1988), S. 24– 25 (S. 24: „So sehr das Auswirkungsprinzip als Kollisionsregel den Ordnungszwecken des sachrechtlichen Gesetzgebers entspricht, als Quelle der Rechtsunsicherheit ist es nach Möglichkeit in einzelne Konditionalprogramme aufzulösen, das heißt in Kollisionsnormen, die den handelnden Personen genau angeben, ob sie mit einem bestimmten Verhalten die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit deutschen Rechts erfüllen oder nicht.“). 585 V. WÄCHTER, AcP 25 (1842), S. 389–395; SAVIGNY, System VIII, S. 275–281. 586 SAVIGNY, System VIII, S. 278. 587 V. WÄCHTER, AcP 25 (1842), S. 392–393; SAVIGNY, System VIII, S. 280.
E. Schlussfolgerungen
153
bieten in erster Linie gemein, dass sie Verstöße gegen Verhaltensnormen sanktionieren,588 so sind es die inländischen Verhaltensnormen, deren stete Beachtung von einem inländischen Richter hier verlangt wird. Freilich liegt dies nicht daran, dass es sich um Verhaltensnormen der lex fori handelt – zum Zeitpunkt der Handlung stand diese noch nicht fest –, sondern daran, dass „das Recht des jetzt urtheilenden Richters“589 so wie jedes andere Recht auch kollisionsrechtlich sicherstellt, dass der Handelnde bereits zum Tatzeitpunkt seinen Verhaltensbefehlen unterliegt, wenn es dies aufgrund des Schutzprinzips für nötig erachtet. Diesen Ansatz auf das gesamte Deliktsrecht auszudehnen, mithin von der Rechtsordnung, die über die Rechtswidrigkeit einer Handlung gebietet, auf das Deliktsstatut, von der Verhaltens- auf die Sanktionsnormebene zu schließen, rückt zwar die Bedeutung der Verhaltensnorm ins rechte Licht,590 ist heute aber weder Grundlage des Straf- noch des Deliktsrechts.591 Die Erkenntnis freilich, dass jedenfalls der umgekehrte Schluss von dem auf die Sanktion anwendbaren auf das die Verhaltensnorm stellende Recht keine bedingungslose Gefolgschaft verdient, hat im Strafrecht wesentlich mehr Beachtung gefunden als im Deliktsrecht.592
Grundsätzlich denkbar und rechtspolitisch wünschenswert wäre ein allseitiger Ausbau dieser für inländische Verhaltensnormen gegen Korruption im privaten Sektor vorgesehenen Anknüpfung an den potentiellen Erfolgsort. Dazu ist es bislang jedoch nicht gekommen. 588
LÖWISCH, Deliktsschutz, S. 82. SAVIGNY, System VIII, S. 276. 590 Ein entsprechender Schluss – jedoch ausgehend vom Handlungsort – findet sich auch bei KOZIOL, ZVR 1980, S. 3, und GEBHARD, Entwurf I, S. 215 („Die bezüglichen Normen bezwecken, berechtigte Interessen vor unbefugten Eingriffen sicherzustellen, und dies wird nur erreicht, wenn jeder im Inlande sich Aufhaltende, sei er Staatsangehöriger oder Ausländer, denselben sich zu unterwerfen und sie zu beobachten gehalten wird. Das aber, was der eigene Staat als durch die Natur der Sache geboten für sich in Anspruch nimmt, muß er auch anderen Staaten für ihre Sphäre zugestehen.“). 591 Dies liegt jedoch weniger an einer grundsätzlich gewandelten Einschätzung der Bedeutung von Verhaltensnormen, als vielmehr an der Erkenntnis, dass bestimmte Rechtsfolgen Einflüssen unterliegen, die unabhängig davon sind, dass jenen auch Sanktionscharakter beizumessen ist: „Wenn die Vorstellung von der Zulässigkeit der Parteiautonomie im Internationalen Deliktsrecht dennoch zunächst überrascht, so mag das seine Ursache darin haben, daß ein deliktisches Verhalten bisweilen in der Verletzung von Gesetzen besteht, die nicht nur zum Schutze des einzelnen, sondern auch im öffentlichen Interesse erlassen sind. Die Anwendung derartiger Gesetze – man denke etwa an strafrechtliche Bestimmungen – ist im Regelfall gewiß der Parteidisposition entzogen. Die Verletzung eines strafrechtlichen Schutzgesetzes hat im Deliktsrecht jedoch nur als Tatbestandsvoraussetzung für den privatrechtlichen Schadensausgleich Bedeutung. Die Funktion des Deliktsrechts besteht nämlich vornehmlich darin, dem Betroffenen zivilrechtlichen Ersatz für erlittenen Schaden zu gewähren. Die Durchsetzung des privatrechtlichen Anspruchs steht aber auch bei Verletzung öffentlichrechtlicher Normen im Belieben des Verletzten. Eine kollisionsrechtliche Parteiautonomie kann deshalb ebenfalls anerkannt werden.“ (KROPHOLLER, RabelsZ 33 (1969), S. 640–641 [Hervorhebungen hinzugefügt]; ähnlich auch WENGLER, IPR, S. 435–436). 592 Dazu unten S. 159 ff. 589
154 2.
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
Anknüpfung an den Handlungsort
In Bezug auf ausländische Verhaltensnormen gegen privatwirtschaftliche Korruption gilt eine wesentlich restriktivere Anknüpfungsregel. 593 Berufen wird insoweit stets das Recht des Handlungsorts.594 Der ausländische Wettbewerb wird aus inländischer Sicht damit gegenwärtig nur fragmentarisch geschützt, da durch die Anknüpfung an den Handlungsort nicht zwangsläufig das Recht des Staates berufen wird, dessen Wettbewerb durch die zu beurteilende Handlung gefährdet wird. Der Schutz des ausländischen Wettbewerbs erfährt jedoch insoweit eine Erweiterung, als die Anknüpfung an den Handlungsort nicht notwendigerweise zur Folge hat, dass aus inländischer Sicht allein die originären Verhaltensnormen des Handlungsorts zur Anwendung gelangen. Ohne Weiteres denkbar ist, dass sich der ausländische Staat, in dem eine korruptive Handlung vorgenommen wird, ausländische Verbote gegen korruptives Verhalten im privatwirtschaftichen Bereich weitergehend zu eigen macht als dies das deutsche Recht gewillt ist zu tun. Es spricht in solchen Fällen nichts dagegen, einer entsprechende Weiterverweisung durch das Recht am Handlungsort zu folgen.
Hinsichtlich von Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr des europäischen Binnenmarktes bedeutet die Anknüpfung an den Handlungsort, dass neben die originäre Bewertung durch das deutsche Recht 595 diejenige des Mitgliedstaates am Handlungsort tritt.596 Wo diese nur eingeschränkte Berücksichtigung ausländischer Verhaltensnormen nach wie vor widerspiegelt, dass dem Problem der privatwirtschaftlichen Korruption lange Zeit nur wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht und geringe Bedeutung beigemessen wurde,597 ist es hinsichtlich der Korruption im öffentlichen Sektor mittlerweile zu einer völligen Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Verhaltensnormen gekommen. 3.
Berufung von Verhaltensnormen des Amtsträgerstaates
Über die Rechtswidrigkeit von Zuwendungen an einen Amtsträger entscheidet das Recht des Staates, dessen Amtsträger droht, beeinflusst zu werden.598 Anders als früher angenommen599 wird somit nunmehr auch von inländischen Unternehmern uneingeschränkt die Einhaltung ausländischer Korruptionsver593
Dazu oben S. 137 ff. Siehe dazu S. 139 bei Fn. 513–517. 595 Vgl. S. 140 bei Fn. 518–524. 596 Zu den Schwierigkeiten kumulativer Verhaltensbewertungen S. 156 f. 597 Vgl. dazu S. 92 Fn. 260 und S. 137 Fn. 505. 598 Siehe S. 130 ff, 133 ff. – Amtsträger der Europäischen Union sind kollisionsrechtlich wie inländische zu behandeln. Zwar käme neben der Berufung der inländischen Verhaltensnormen in Betracht, auch diejenigen des (mitgliedstaatlichen) Handlungsorts zu berufen. Da das inländische Recht diesbezüglich jedoch eine umfassende Regelung enthält, besteht für eine solche ergänzende Anknüpfung kein Anlass. – Zur Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen S. 220 ff. 599 Siehe BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (272). 594
E. Schlussfolgerungen
155
bote im öffentlichen Sektor verlangt. Im Hinblick auf eine Handlung, die zu Zuwendungen an Amtsträger unterschiedlicher Staaten führen können, – etwa die Beauftragung eines Vermittlers für die Auftragsakquise innerhalb einer ganzen Region – ist der Handelnde somit den Verhaltensnormen mehrerer Staaten zugleich ausgesetzt. Das deutsche Recht verlangt insofern von jedermann, jederzeit die auf Korruption im öffentlichen Sektor bezogenen Verhaltensnormen aller Staaten parallel zu beachten. Es handelt sich insofern nicht um eine Anknüpfung an den potentiellen Erfolgsort. Eine solche würde es notwendig machen, zu bestimmen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sein muss, mit der eine Handlung zur Verletzung von Interessen eines bestimmten Staates führt, um diesen Staat als potentiellen Erfolgsort anzuerkennen.600 In Bezug auf Verhaltensnormen gegen die Amtsträgerkorruption wird auf eine solche „Erheblichkeitsschwelle“ jedoch verzichtet. Damit ist – bis zur Grenze des ordre public – sichergestellt, dass auch solche ausländischen Verhaltensnormen zur Anwendung berufen werden, die Verbote bereits für Handlungen von wesentlich geringerer Gefährlichkeit für die Unparteilichkeit eines Amtsträgers vorsehen, als dies nach inländischen Vorstellungen zweckmäßig erscheint. Vermieden wird auf diese Weise, dass bereits auf kollisionsrechtlicher Ebene bestimmte ausländische Verhaltensnormen als „zu restriktiv“ von der Anwendung ausgeschlossen werden.
Erhebliche praktische Schwierigkeiten bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bestimmten Zuwendung sind dennoch regelmäßig nicht zu erwarten, werden doch die meisten Vermögensverschiebungen, mögen auch potentiell Verbindungen zu Amtsträgern verschiedener Staaten bestehen, einen erkennbaren Zusammenhang nur zu einer eng begrenzten Anzahl an Staaten aufweisen. II. Bedenken gegen eine derartige Anknüpfung von Verhaltensnormen Die vorgefundenen Anknüpfungsregeln für korruptionsbezogene Verhaltensnormen bergen die Gefahr in sich, parallel eine Vielzahl von Verhaltensnormen zur Anwendung zu bringen, was zum einen zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Normadressaten, zum anderen zu Normwidersprüchen führen kann. 1. Alternative Anknüpfung von Verhaltensnormen als Belastung des Normadressaten Mit der Zahl anwendbarer Verhaltensnormen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine gewisse Handlung als verboten erweist. Ein weitgehender Schutz ausländischer Güter durch Anwendung ausländischer Verhaltensnor600
Eben dies ist notwendig, wenn man die Anwendung einer ausländischen Verhaltensnorm davon abhängig macht, ob der Täter „– objektiv gesehen – überhaupt damit rechnen mußte, daß sein Verhalten dort Auswirkungen zeitigen werde“ (KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 581).
156
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
men schränkt die Freiheit der Normadressaten zunehmend ein. 601 Es geht daher jedenfalls nicht an, schlicht allen anwendungswilligen ausländischen Verhaltensnormen aus inländischer Sicht Verbindlichkeit beizumessen. 602 Gegen eine gezielte Anwendung bestimmter ausländischer Verhaltensnormen spricht dies hingegen nicht: Zum einen ist sie notwendig, um jenseits der den Verhaltensnormen inländischer Provenienz gesetzten Grenzen keinen aus inländischer Sicht rechtsfreien Raum entstehen zu lassen.603 Zum anderen ist das Phänomen, dass eine Handlung im Widerspruch zu einer Vielzahl von Verhaltensnormen stehen kann, keineswegs eines, das sich auf Fälle mit Auslandsberührung beschränkt. Auch dort, wo allein inländisches Recht zur Anwendung gelangt, kann sich ein Verhalten unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten als gefährlich erweisen und daher zum Schutz ganz unterschiedlicher Güter verboten sein.604 Insofern bestehen auch keine Bedenken, Handlungen durch die parallele Anwendung weitgehend ähnlicher ausländischer Verhaltensnormen zu untersagen. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass sich das Inland nicht des Schutzes ausländischer Güter annimmt, besteht ohnehin nicht.605 2.
Umgang mit widersprüchlichen Verhaltensanforderungen
Eine ganz anders gelagerte Schwierigkeit besteht darin, dass mit einer zunehmenden Zahl von anwendbaren Verhaltensnormen auch die Wahrscheinlichkeit von Normwidersprüchen steigt. Grobe Widersprüche werden sich in der Regel durch eine ordre public-Kontrolle beseitigen lassen. 606 Darüber 601 Vgl. (in anderem Zusammenhang) ENGISCH, Einführung11, S. 61 („Bei Neugewährung subjektiver Rechte […] nehmen die Imperative zwangsläufig zu.“). 602 Gegen einen solchen unilateralistischen Ansatz S. 183 ff.; siehe zudem WENGLER, IPR, S. 417 („Die Vorstellung, daß dann in einem Forumstaat […] jede gesetzliche Verhaltensregel zur Anwendung gebracht werden müsse, von welcher der gesetzgebende Urheber die Anwendung im heterogen verknüpften Bereich seinem eigenen Gericht vorschreibt, ist nirgendwo positives Recht. Sie würde bedeuten, daß die menschliche Freiheit im heterogen verknüpften Bereich wesentlich mehr Einschränkungen unterliegen würde, als dies in den homogen verknüpften Bereichen der Fall ist […].“ [Hervorhebung im Original]). 603 Vgl. S. 122 bei Fn. 415. 604 Man denke nur etwa an die Weitergabe einer Waffe, die wegen deren zu befürchtenden Einsatzes zugleich gegen die hinter den §§ 212, 223, 303 StGB (jeweils i. V. m. § 27 StGB) und hinter § 2 Abs. 3 i. V. m. § 51 Abs. 1 WaffG (BGBl. 2002 I, S. 3970 ff.) stehenden Verhaltensnormen verstoßen kann. Vgl. zu Parallelität und Identität von Verhaltensnormen auch DEUTSCH, Haftungsrecht, S. 51–52. 605 Vgl. S. 121 Fn. 412. 606 WENGLER, IPR, S. 434 („Ist das Verhalten im Inlandsrecht des Forumstaats frei, so wird das Verbotensein in einem alternativ berufenen ausländischen Recht leicht als krasse Abweichung empfunden, und der ausländische Rechtssatz deshalb nicht angewendet.“). Im Hinblick auf Verhaltensnormen kann der ordre public zum einen dann relevant werden, wenn eine ausländische Norm zum Schutz eines aus unserer Sicht nicht schützenswerten
E. Schlussfolgerungen
157
hinaus wird eine Vielzahl der potentiellen „Normkonflikte“ bereits dadurch vermieden, dass trotz gleichzeitiger kollisionsrechtlicher Berufung mehrerer Rechtsordnungen der Geltungsbereich deren jeweiliger Verhaltensnormen bereits inhaltlich auf Fälle beschränkt ist, die eine besonders starke Verbindung zum jeweiligen normgebenden Staat aufweisen („inländische Rechtsgüter“). Wo jedoch aus inländischer Sicht die Verhaltensnormen verschiedener Rechtsordnungen berufen werden und zu jeder Rechtsordnung eine Verbindung besteht, die eine jeweils originäre Verhaltensbewertung zu legitimieren vermag, gibt es grundsätzlich keinen Anlass, eine der Verhaltensnormen unberücksichtigt zu lassen. Bleibt eine Handlung in einem reinen Binnensachverhalt auch dann verboten, wenn sie nur im Hinblick auf eines von mehreren potentiell schutzwürdigen Gütern untersagt wird,607 so hat dies auch in Fällen mit Auslandsbezug zu gelten. Sollte also etwa das inländische Recht eine Vorteilszuwendung im „personell inländischen“ 608 Wettbewerb (noch) als zulässig ansehen, der ausländische Wettbewerbsstaat derartige Zuwendungen hingegen zum Schutz seines Wettbewerbs bereits verbieten, so ist das entsprechende Verhalten aus inländischer Sicht ohne weiteres als rechtswidrig zu bewerten.609 Dies gilt im Hinblick auf die korruptionsbezogenen Verbote auch in den Fällen, in denen inländisches und ausländisches Verbot dasselbe Rechtsgut schützen. Beim Schutz vor Korruption innerhalb der Europäischen Union stehen sich die inländische Verhaltensnorm gegen privatwirtschaftliche Korruption und die Verhaltensnorm des Mitgliedstaates, in dem sich der Handlungsort befindet, gegenüber. In Fällen, in denen die Bewertung eines bestimmten Verhaltens insofern unterschiedlich ausfällt, gebietet die Anerkennung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt als Rechtsgut auch hier grundsätzlich eine alternative Anknüpfung der Rechtswidrigkeit. Eine kumulative Anknüpfung würde den Binnenmarkt in der bloßen Zusammenfassung aller mitgliedstaatlichen Märkte aufgehen lassen.610
Die alternative Anknüpfung von Verhaltensnormen bedarf jedoch zumindest einer Korrektur. Mit WENGLER ist davon auszugehen, dass dort, wo sich Verbot und Gebot gegenüberstehen, stets der inländischen Einschätzung Vorrang einzuräumen ist. 611 Dies muss schon alleine deshalb gelten, weil eine Guts erlassen wurde, zum anderen dann, wenn eine Handlung aufgrund eines aus unserer Sicht inakzeptabel geringen Grades von Gefährlichkeit für das zu schützende Gut verboten wird (vgl. dazu S. 32 bei Fn. 136 [„Vermittlungsverbote“]). 607 WENGLER, FS Maridakis 1964 III, S. 376 („Ein Verbotsgesetz, welches selbst ein bestimmtes menschliches Verhalten nicht erfasst, enthält ja nicht etwa eine negative Bestimmung des Inhaltes, dass das von ihr erlaubte, d. h. von Verboten frei gelassene menschliche Verhalten keinesfalls durch eine andere Rechtsnorm verboten werden dürfe.“ [Hervorhebungen im Original]). 608 Siehe S. 110 bei Fn. 361–363. 609 Es kommt zu einer alternativen Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit einer Handlung; generell zum Umgang mit „Mehrfachanknüpfungen“ SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 204–209. 610 Dazu bereits S. 141 bei Fn. 522. 611 WENGLER, IPR, S. 434, der allerdings nur das Zusammentreffen eines inländischen Gebots mit einem ausländischen Verbot beschreibt.
158
2. Kapitel: Korruption und gesetzliches Verbot
gleichberechtigte Anwendung beider Normen zu deren beider Unwirksamkeit führen müsste. 612 Die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen soll jedoch für eine „passendere“ Verhaltenssteuerung sorgen, als sie durch originär inländische Verhaltensnormen erfolgen könnte, keinesfalls aber zu deren Aufgabe führen. Sind damit die Charakteristika des Kollisionsnormsystems für korruptionsbezogene Verhaltensnormen aufgezeigt, das sich aus der strafrechtlichen Behandlung der Korruption im deutschen Recht ableiten lässt, so bedarf es nunmehr einer näheren Untersuchung des Verhältnisses dieses inländischen Systems zum insbesondere durch die Rom I- und die Rom II-Verordnung geprägten europäischen Kollisionsrecht der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse.
612
Oben S. 55 Fn. 34.
3. Kapitel
Korruption und europäisches Kollisionsrecht Die grundlegende Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen hat bislang nicht nur im materiellen, sondern auch im Internationalen Privatrecht nur wenig Beachtung gefunden. Wo Eintritt oder Ausbleiben einer zivilrechtlichen Rechtsfolge von der Rechtswidrigkeit einer Handlung abhängt, wird der Verhaltensnormverstoß in der Regel als einfacher Bestandteil der zivilrechtlichen Hauptfrage aufgefasst, ohne die eigenständige Bedeutung von Verhaltensnormen als Instrument der Verhaltensteuerung jenseits einer konkreten zivilrechtlichen Rechtsfolge zu berücksichtigen. Dies wirft die Frage auf, wie sich das nunmehr in weiten Teilen europäische Internationale Privatrecht auf die hier herausgearbeiteten Kollisionsnormen für korruptionsbezogene Verhaltensnormen und deren rechtsgeschäftliche Sanktionierung auswirkt.
A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht Zivilrechtlich von besonderer Bedeutung sind Verstöße gegen Verhaltensnormen vor allem in zweierlei Hinsicht: als Grundlage der deliktischen Schadensersatzhaftung für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten und als Grenze der Privatautonomie im Hinblick auf vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten. Das internationale Delikts- und Vertragsrecht haben durch die Rom I- und die Rom II-Verordnung nunmehr eine europäische Kodifikation erfahren. Welche Bedeutung diese Kodifikationen für die Anknüpfung von Verhaltensnormen haben, soll im Folgenden untersucht werden. I.
Deliktsrecht
Im Deliktsrecht herrscht der Schluss von der zivilrechtlichen Sanktion auf die ihr zugrunde liegende Verhaltensnorm vor. Die Rechtswidrigkeit einer potentiell eine deliktische Haftung auslösenden Handlung wurde und wird nach wie vor ganz überwiegend als eine dem Deliktsstatut zuzuordnende Frage angesehen. 1 Die verschiedentlich geäußerten Bedenken 2 und Forderungen 1 TRUTMANN, Deliktsobligationen, S. 102–103 („Es ist selbstverständlich, daß das Deliktsstatut in erster Linie die Aufgabe hat, zu entscheiden, ob eine Handlung widerrechtlich
160
3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
nach der Berücksichtigung anderer Rechte3 vermochten sich nicht durchzusetzen. Zweifellos besteht ein enger Zusammenhang zwischen deliktischer Haftung und Rechtswidrigkeit, verleiht diese jener doch ein besonderes Maß an „rechtsethische[r] Überzeugungskraft“ 4 und dient die Vermeidung jener als einer unter diversen Anreizen, die durch das Rechtswidrigkeitsurteil gesteckten Grenzen der persönlichen Freiheit zu respektieren. Dennoch liegen den das Deliktsstatut bestimmenden Kollisionsnormen ganz überwiegend Praktikabilitäts- und Parteiinteressen zugrunde, wohingegen den Interessen, die mit einer effektiven Verhaltensteuerung verbunden sind, kaum Rechnung getragen wird: Die Möglichkeit einer (nachträglichen) Rechtswahl (Art. 14 Abs. 1 Rom II) und die Anknüpfung an einen zum Handlungszeitpunkt noch nicht feststehenden Erfolgsort (Art. 4 Abs. 1 Rom II), 5 die Maßgeblichkeit des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Täter und – zum Handlungszeitpunkt ebenfalls noch nicht unbedingt feststehenden – Opfer (Art. 4 Abs. 2 Rom II) und die potentielle Abhängigkeit von einem eventuell zwischen Täter und Opfer bestehenden Vertrag (Art. 4 Abs. 3 Rom II) sind ist.“); V. BAR, IPR II, Rn. 714; Erman13/HOHLOCH, Anh. Art. 42 - Art. 15 Rom II Rn. 4; KROPHOLLER, IPR6, S. 533; EuIPR/JAKOB/PICHT, Art. 15 Rom II Rn. 6; MüKo5/JUNKER, Art. 15 Rom II Rn. 8; Bamberger/Roth3/SPICKHOFF, Art. 15 Rom II Rn. 4; NKBGB/NORDMEIER, Art. 15 Rom II Rn. 5; KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 744. 2 Einen Überblick bietet BRANDT, Sonderanknüpfung, S. 22–30 m. w. N. 3 Grundsätzliche Qualfikation unter das Deliktsstatut, gesonderte Anknüpfung rechtsgebietsspezifischer Rechtfertigungsgründe: BERNITT, Vorfragen, S. 163–172; BÖHMER, Rechtfertigungsgründe, S. 18–25, passim; RABEL, CoL II2, S. 256–257. – Generelle Anknüpfung an den Handlungsort: DÖRNER, FS Stoll 2001, S. 498 („Im Ergebnis müssen damit die Verhaltensnormen des Handlungsortrechts als Rechtssätze herangezogen werden.“ [Hervorhebung im Original]); DERS., JR 1994, S. 10, der dem inländischen Recht zumindest eine ergänzende Funktion beimisst; WOLFF, IPR3, S. 165 („Auf das Recht des Erfolgsorts allein kann ein Deliktanspruch nicht gestützt werden; aber wenn nach dem Recht des Handlungorts eine unerlaubte Handlung vorliegt […], so kann der Geschädigte sich auch auf das Recht des Erfolgsorts berufen, um Ansprüche geltend zu machen, die er nach dem Recht des Handlungsorts nicht hätte […].“); KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 577 (siehe S. 103 Fn. 318), der jedoch allein die Normen des Erfolgsortsrechts anwenden will, wenn der Eintritt des Erfolgs vorhersehbar ist (ebd., S. 580–581); STOLL, Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten, S. 160 („Somit ist das Deliktsstatut auch dafür maßgebend, welche Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften der Schädiger zu beachten hatte und was aus der Übertretung solcher Normen haftungsrechtlich folgt. Diese Regel gibt nur dann zu Zweifeln Anlaß, wenn Deliktsstatut ausnahmsweise nicht das am Handlungsort geltende Recht ist.“); SCHWIMANN, JBl. 1960, S. 556; DERS., ZVR 1973, S. 375–376 m. w. N. [zum österreichischen Recht]. 4 CANARIS, VersR 2005, S. 578 („weil sie auf einem vorwerfbaren Fehlverhalten beruht“ [Hervorhebung im Original]). 5 Dazu, dass die Bewertung einer Handlung als rechtmäßig bzw. rechtswidrig bereits vor deren Vornahme feststehen muss, siehe S. 59 mit Fn. 56.
A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht
161
Beleg dafür, dass das Deliktsstatut in erster Linie dem Interesse eines gerechten Schadensausgleichs inter partes zu dienen bestimmt ist.6 Für eine primäre Verhaltenssteuerung im Sinne einer prospektiven Bestimmung der anzuwendenden Verhaltensnormen sind derartige Anknüpfungen hingegen nicht geeignet. Dieser offensichtlichen Schwäche des Deliktsstatuts wird bislang zu begegnen versucht, indem die Gegebenheiten am Handlungsort bei der Bewertung des potentiell haftungsbegründenden Verhaltens „berücksichtigt“ werden, eine Lösung, die gegenwärtig in Art. 17 Rom II niedergelegt ist. Art. 17 Rom II wird ganz überwiegend jedoch nicht als Kollisionsnorm angesehen,7 sondern als (eigentlich überflüssiger)8 Hinweis auf die Notwendigkeit, das durch Kollisionsnormen berufene Recht unter Berücksichtigung eines bestimmten Auslandssachverhalts – nämlich der Tatsache, dass die zu beurteilende Handlung in einem anderen Staat stattgefunden hat – anzuwenden.9 Obwohl damit ganz überwiegend von einer strengen Dichotomie zwischen deliktsrechtlich zu qualifizierenden, anzuwendenden Verhaltensnormen und dem Recht des Handlungsorts zu entnehmenden, nur faktisch zu berücksichtigenden 10 Verhaltensnormen ausgegangen wird, verschwimmen die Grenzen. Streng genommen müsste ein solches Vorgehen etwa bedeuten, dem Deliktsstatut zu entnehmen, dass ein für Leben und Gesundheit anderer Menschen gefährliches Verhalten verboten ist, jedoch aus einem am Handlungsort gelten6 Die allein im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem durch das Deliktsrecht hervorgerufenen Rechtsfolgen dienen daher auch als Begründung der im Lichte einer effektiven Verhaltenssteuerung fragwürdigen Privatautonomie im deliktischen Bereich; vgl. KADNER GRAZIANO, Int. Deliktsrecht, S. 30–32 m. w. N.; KROPHOLLER, RabelsZ 33 (1969), S. 640–641 (siehe S. 153 Fn. 591). 7 V. HEIN, FS Hoffmann 2011, S. 140–141; MüKo5/JUNKER, Art. 17 Rom II Rn. 2; EuIPR/JAKOB/PICHT, Art. 17 Rom II Rn. 2, 10; NK-BGB/LEHMANN, Art. 17 Rom II Rn. 4. – Dezidiert anderer Ansicht hingegen SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 211–269, die Art. 17 Rom II eine allgemeingültige Anknüpfungsregel für alle Verhaltensnormen entnehmen will: „Da Verhaltensnormen keinem bestimmten Rechtsgebiet zugehören, gilt die Regelung des Art. 17 Rom-II-VO für alle Verhaltensnormen.“ Ausnahmen sollen lediglich für Verhaltensnormen gelten, „die der staatlichen Selbstverteidigung dienen“ (ebd., S. 262–264). 8 Huber/BACH, Art. 17 Rom II Rn. 1 („would have gone without saying“). 9 Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II") der Kommission („Vorschlag Rom II“), KOM(2003) 427 endgültig, S. 28 („Es gilt, zwischen der Berücksichtigung fremden Rechts und seiner Anwendung zu unterscheiden: Das Gericht wendet ausschließlich das durch die Kollisionsnorm bezeichnete Recht an, muss aber fremdes Recht wie ein Sachverhaltselement berücksichtigen […].“); V. HOFFMANN/THORN, IPR9, § 11 Rn. 58; Staudinger12/V. HOFFMANN, Art. 38 EGBGB Rn. 154; PWW9/SCHAUB, Art. 17 Rom II Rn. 3; STOLL, Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten, S. 174. 10 Eine Rechtsnorm ist kein Faktum, sondern Ausdruck des Gestaltungswillens, den der Normgeber gebildet hat. Faktisch berücksichtigen kann man daher allein die Folgen, die durch die Umsetzung dieses Willens hervorgerufen werden.
162
3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
den Linksfahrgebot zu schließen, dass dort das Fahren auf der linken Straßenseite (unter der Voraussetzung der faktischen Beachtung11 dieses Gebots durch die ganz überwiegende Anzahl der Verkehrsteilnehmer) keine besondere Gefahr in sich birgt und deshalb durch das Deliktsstatut nicht verboten wird. Dem widerspricht es jedoch, wenn solche grundsätzlich nur faktisch zu berücksichtigende ausländische Verhaltensregeln als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB herangezogen werden.12 § 823 Abs. 2 BGB setzt eine anzuwendende Verhaltensnorm voraus. 13 Die inländische Verkehrsregel ist jedoch auf den ausländischen Straßenverkehr nicht anwendbar 14 und kann dementsprechend auch nicht unter Berücksichtigung bestimmter faktischer Gegebenheiten angewendet werden. 15 Einer bloß faktisch zu berücksichtigenden Regelung in einer solchen Situation normativen Schutzgesetzcharakter beizumessen ist nicht möglich16 und kann auch nicht mit sich ansonsten auftuenden „Schutzlücken“ gerechtfertigt werden.17
Die generelle18 Einbeziehung von Verhaltensnormen in das Deliktsstatut ist daher nicht interessengerecht. Zieht man zur Verdeutlichung das SCHU19 RIG’SCHE Bündelungsmodell heran, wonach mehrere „Element-Kollisionsnormen“, die jeweils nur einer einzelnen Sachnorm ihren Anwendungsbereich 11
STOLL, FS Lipstein 1980, S. 265 („Es kommt nicht einmal darauf an, ob jenen Regeln die Qualität von Rechtsnormen zukommt. Es genügt die tatsächliche Übung, die bewirkt, daß andere Verkehrsteilnehmer auf die Einhaltung der Regeln vertrauen dürfen.“); Staudinger12/V. HOFFMANN, Art. 38 EGBGB Rn. 154 („Unerheblich ist es, […] ob die Regeln Qualität von Rechtsnormen aufweisen […].“) Dabei ist das Vertrauen freilich keine Voraussetzung der Beachtlichkeit einer solchen „Regel“, sondern lediglich Ausdruck der Gleichförmigkeit des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer. 12 Bamberger/Roth3/SPICKHOFF, Art. 17 Rom II Rn. 6; DERS., Gesetzesverstoß und Haftung, S. 106–110; V. HOFFMANN, FS Henrich 2000, S. 287; V. HOFFMANN/THORN, IPR9, § 11 Rn. 58; zustimmend auch COESTER-WALTJEN/MÄSCH, Übungen4, S. 70 Fn. 48. 13 Ob man dabei annimmt, § 823 Abs. 2 BGB beziehe sich nur auf inländische Verhaltensnormen (STOLL, FS Lipstein 1980, S. 263; V. BAR, IPR II, Rn. 714 Fn. 402) und müsse somit analog angewendet werden (ZITELMANN, IPR II, S. 508–509), oder man als Schutzgesetz grundsätzlich jede aus Sicht der lex fori verbindliche Verhaltensnorm anerkennen will (DÖRNER, JR 1994, S. 10), ist letztlich einerlei. 14 DÖRNER, FS Stoll 2001, S. 498; vgl. auch S. 97 Fn. 284. 15 Dazu DÖRNER, JR 1994, S. 10. 16 So zu Recht V. BAR, IPR II, Rn. 714 Fn. 402. – Richtiger erscheint es freilich, ausländische Verkehrsregeln generell normativ und nicht faktisch zu berücksichtigen: „Wer sich im Ausland dem dort geltenden Verkehrssystem einfügt, […] handelt recht […].“ (LACKNER, JR 1968, S. 270). 17 So jedoch COESTER-WALTJEN/MÄSCH, Übungen4, S. 70 Fn. 48. DÖRNER, JR 1994, S. 9–10, will solchen Schutzlücken mit einer kollisionsrechtlichen Berufung der Verhaltensnormen am „Tatort“ entgegenwirken. 18 Zu einer möglichen Ausnahme hinsichtlich des Art. 6 Rom II sogleich S. 165 bei Fn. 32. 19 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 89–108; DERS., Lois d'application immédiate und Sonderanknüpfung, in: Holl/Klinke (Hrsg.), IPR, int. Wirtschaftsrecht, S. 61– 63; eine umfangreiche Darstellung m. w. N. findet sich bei MANKOWSKI, LA Schurig 2012, S. 159 ff.
A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht
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zuweisen, nur dann „vertikal“ zu einer Kollisionsnorm „gebündelt“ werden können, wenn die ihnen zugrunde liegenden kollisionsrechtlichen Interessen (weitgehend) identisch sind, 20 so fallen Verhaltensnormen aus der deliktischen Bündelung heraus, weil die durch diese implizierten kollisionsrechtlichen Interessen bei Schaffung des Bündels nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Steht damit fest, dass das Deliktsstatut grundsätzlich nicht über die Rechtswidrigkeit einer möglicherweise haftungsauslösenden Handlung zu befinden hat, so bleibt freilich dennoch denkbar, das Bestehen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs von einem hypothetischen Rechtswidrigkeitsurteil nach den Maßstäben des Deliktsstatuts abhängig zu machen.21 Durch eine ergänzende Berücksichtigung der „Verhaltensbewertung“ des Deliktsstatuts käme es zu einer einheitlichen Haftungsobergrenze, da es unabhängig davon, ob das fragliche Verhalten aus inländischer Sicht eventuell strenger bewerten ist, nicht zu einer deliktischen Haftung käme, wenn aus Sicht des Deliktsstatuts keine unerlaubte Handlung vorläge.22 Deutlich kritischer zu hinterfragen wäre es jedoch, auf eine erneute Anknüpfung der Vorfrage nach der Rechtswidrigkeit vollständig zu verzichten und in Fällen, in denen nach den Vorgaben des Deliktsstatuts eine unerlaubte Handlung vorliegt, die deliktische Haftung allein auf ein Rechtswidrigkeitsurteil nach dem Deliktsstatut zu stützen. Damit verbunden wäre ein erheblicher Eingriff in das materielle Deliktsrecht, für dessen Anwendung gleichsam fingiert würde, dass der potentiell Haftende sein Verhalten zum Handlungszeitpunkt an den Maßstäben des Deliktsstatuts auszurichten hatte. Dies geht weit über die dem Kollisionsrecht eigentlich zukommende, bloße Auswahlentscheidung hinaus. Wer jedoch Fragen der Rechtswidrigkeit uneingeschränkt dem Deliktsstatut unterstellen will,23 muss einen solchen Eingriff letztlich befürworten.24 Die deliktische Haftung wird dadurch in gewisser Weise von der Rechtswidrigkeit entkoppelt und der Gefährdungshaftung, die ebenfalls kein verbotenes Verhalten voraussetzt, angenähert. 25 – Mag durch eine solche
20
SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 103–104. Dafür wohl V. HOFFMANN, FS Henrich 2000, S. 288 („Ob Schadensersatz an die Verletzung inländisch [sic] Schutzgesetze geknüpft ist, hängt davon ab, ob die Sachnormen des Deliktsstatuts auf sie Bezug nehmen, nicht davon, ob die Gebote als solche Anwendung auf den in Rede stehenden Sachverhalt beanspruchen.“). 22 Umgekehrt eine ergänzende Prüfung anhand inländischer Maßstäbe sah Art. 12 EGBGB a. F. (RGBl. 1896, S. 604, 606) vor: „Aus einer im Auslande begangenen unerlaubten Handlung können gegen einen Deutschen nicht weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden, als nach den deutschen Gesetzen begründet sind“. Zu dieser Vorschrift Soergel11/LÜDERITZ, Art. 12 EGBGB Rn. 63–74 m. w. N.; ZITELMANN, IPR II, S. 503–510; WOLFF, IPR3, S. 164–168. 23 Für Nachweise zur herrschenden Meinung siehe S. 159 Fn. 1. 24 Vgl. WAGNER, IPRax 2006, S. 374 („Wer die Verhaltensforderungen des Deliktsrechts einhält, kann grundsätzlich darauf vertrauen, nicht mit Schadensersatzpflichten überzogen zu werden.“). – Anders lässt sich insbesondere die potentielle Haftungsfreiheit aufgrund nachträglicher Rechtswahl nicht erklären. 25 Dazu, dass hinsichtlich von deliktischen Haftungsfolgen nicht im gleichen Maße „Gewißheit“ über Verhaltensanforderungen bestehen muss wie hinsichtlich von strafrechtlichen Sanktionen, WENGLER, IPR, S. 433–434. 21
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
Vorgehensweise auch die „Einheit des Deliktsstatuts“ gewahrt,26 der europäische Entscheidungseinklang hergestellt sein, so wird dafür ein hoher Preis bezahlt. Völlig aufgegeben wird die dem Deliktsrecht eigentlich (auch) zukommende Sanktionsfunktion27 und mit ihr dessen „rechtsethische Überzeugungskraft“ 28. 29 Stattdessen wird ein neuer Verhaltensanreiz etabliert, von bestimmtem, (eventuell) unverbotenem Verhalten abzusehen, um Schadensersatzansprüchen zu entgehen, ohne dass es dafür aus inländischer Sicht einen Grund gäbe: Der von rechtlichen Sanktionen ausgehende Anreiz zu einem bestimmten Verhalten ist kein Selbstzweck, vielmehr soll durch ihn zu normkonformem Verhalten angehalten werden.30 Das Setzen von Anreizen, als solche unanwendbare Verhaltensnormen einzuhalten, ist schlicht überflüssig. All dies und zudem die Diskussion um den Schutzgesetzcharakter von eigentlich nur faktisch zu berücksichtigenden Verhaltensnormen des Handlungsorts im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB, die zeigt, dass eine abschließende Verhaltensbewertung durch das Deliktsstatut zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, sprechen dafür, die Rechtswidrigkeit ohne weiteres als selbständig anzuknüpfende Vorfrage im Rahmen des Deliktsstatuts zu behandeln. Art. 15 lit. a Rom II, wonach das Deliktsstatut für den „Grund“ der Haftung maßgebend sein soll, bezieht sich damit allein auf die Frage, ob (nur) verbotenes oder (auch) erlaubtes aber gefährliches Verhalten eine Haftung auszulösen vermag. Ob ein bestimmtes Verhalten rechtswidrig ist, ist de lege lata hingegen mithilfe vom Deliktsstatut unabhängiger Kollisionsnormen zu bestimmen.31
Bedenken an einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des Deliktsstatuts auf die Haftungsfolgen einer Handlung, deren eventuelle Rechtswidrigkeit anderweitig zu bestimmen ist, ergeben sich jedoch hinsichtlich Art. 6 Rom II. Die Wahl der Anknüpfung an den (potentiell) beeinträchtigten Markt für 26
BRANDT, Sonderanknüpfung, S. 30 („Würde man die Entscheidung darüber, welche Rechte und Güter gegen Eingriffe Dritter zu schützen sind, einer anderen Rechtsordnung überlassen, so würde der innere Zusammenhang des Haftungssystems zerstört. Aus diesen Gründen ist eine Sonderanknüpfung der Rechtswidrigkeit abzulehnen.“). 27 Oben S. 56 bei Fn. 38. Zum Verschuldenserfordernis als Beleg für den Sanktionscharakter der deliktischen Haftung POELZIG, Normdurchsetzung, S. 32 m. w. N. 28 CANARIS, VersR 2005, S. 578 (siehe S. 160 Fn. 4). 29 Haltbar erscheint ein solches Vorgehen allenfalls dann, wenn der Sanktionscharakter des Zivilrechts geleugnet und die präventive Wirkung deliktischer Haftung lediglich als „erwünschtes Nebenprodukt der Schadensersatzpflicht“ betrachtet wird (LARENZ, LB SchR I14, S. 423). Worin dann jedoch die Notwendigkeit bestehen soll, deliktische Schadensersatzansprüche überhaupt von der Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens abhängig zu machen, bleibt unklar. 30 Dazu S. 51 mit Fn. 13. 31 Es ist zuzugeben, dass mit dem Herauslösen der Rechtswidrigkeit aus dem Deliktsstatut und dem Rückgriff auf mitgliedstaatliche „Verhaltenskollisionsnormen“ für die Beantwortung dieser Vorfrage eine empfindliche Beeinträchtigung des europäischen Entscheidungseinklangs einhergeht. Dem kann auch nicht etwa durch die Herausbildung originär europäischer Kollisionsnormen mit zur Verhaltenssteuerung geeigneten Anknüpfungsmomenten abgeholfen werden, müssten sich diese doch innerhalb der Rom II-Verordnung verorten lassen. Deren eingeschränkter Anwendungsbereich lässt jedoch keinen Raum für die Anknüpfung rechtsgebietsunabhängiger Verhaltensnormen (dazu S. 168 bei Fn. 53).
A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht
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Wettbewerbsverstöße wurde ausdrücklich aufgrund marktregulierender Motive getroffen. 32 Im Vordergrund steht hier nicht der gerechte Schadensausgleich inter partes, sondern die Schaffung einer einheitlichen Wettbewerbsordnung durch das Marktortrecht, 33 das gerade auch für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Wettbewerbshandlung berufen sein soll.34 Dass insofern kein Raum für eine parteiautonome Bestimmung des Deliktsstatuts gewährt werde (Art. 6 Abs. 4 Rom II), sei „selbstverständlich“.35 Besonderes Unbehagen scheint hier gerade die Vorstellung zu bereiten, Haftungsfolgen und Bestimmung der Rechtswidrigkeit von Wettbewerbshandlungen könnten unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstellt werden.36 Als Konkretisierung der Anknüpfung an den Erfolgsort 37 unterliegt die Anknüpfung an den beeinträchtigten Markt denselben Bedenken wie diese.38 Möglich ist allein eine Anknüpfung an den potentiellen Erfolgsort.39 Insbesondere hinsichtlich zukünftiger Wettbewerbsbeziehungen müsste nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Rom II daher entschieden werden, wann anzunehmen ist, dass Wettbewerbsbeziehungen in einem Staat „wahrscheinlich“ beeinträchtigt werden, wie hoch also der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Wettbewerbsbeziehungen in einem Staat sein muss, damit dessen Verhaltensnormen zur Anwendung kommen. 40 Entsprechende Kriterien lassen sich dem Art. 6 Abs. 1 Rom II jedoch nicht entnehmen und
32 Vorschlag Rom II, KOM(2003) 427 endgültig, S. 18 („Das Wettbewerbsrecht stellt auf den Schutz eines Marktes ab und folgt damit einem makro-ökonomischen Ziel. Schadenersatzklagen sind rein akzessorisch und müssen von einem allgemeinen Urteil über das Funktionieren des Marktes abhängen.“). 33 EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 16 („Interesse jedes tangierten Staates […], die je eigenen ‚Marktspielregeln‘ durchzusetzen“); vgl. zum überindividuellen Schutzzweck des Wettbewerbsrechts KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 30–32 m. w. N.; siehe auch S. 56 Fn. 38. 34 MüKo5/DREXL, IntUnlWettbR Rn. 113. 35 WAGNER, IPRax 2008, S. 8. 36 „Merkwürdige Folgen“ etwa hätte nach BASEDOW, ZWeR 2006, S. 299, die Beurteilung deliktischer Ansprüche wegen Verstößen gegen europäisches Kartellrecht nach südafrikanischem Recht als dem Recht des Staates, in dem Schädiger und Geschädigter ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, „wenn das Verhalten der südafrikanischen Kartellmitglieder nach südafrikanischem Wettbewerbsrecht rechtmäßig war. Sie würden dann nach südafrikanischem Recht für Handlungen haften, die im Einklang mit dieser Rechtsordnung stehen.“ Zustimmend EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 12. 37 ErwGr. 21 Rom II („Präzisierung“); MüKo5/DREXL, IntUnlWettbR Rn. 134; EuIPR/ UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 3. 38 Es darf nicht bis zu einem eventuellen Erfolgseintritt Unklarheit über die Bewertung der den Erfolg auslösenden Handlung bestehen; vgl. S. 59 mit Fn. 56. 39 Zur auf dieses Moment abstellenden Anknüpfung deutscher korruptionsbezogener Verbote S. 151 ff. 40 Dazu bereits S. 155 mit Fn. 600.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
sind wohl auch nicht beabsichtigt. 41 Die einzige für die Anknüpfung von Verhaltensnormen geeignete Deutung der in Art. 6 Rom II niedergelegten Anknüpfungsregel wäre daher, dass – vergleichbar dem oben42 für die Amtsträgerkorruption gefundenen Ergebnis – die wettbewerbsrelevanten Verhaltensnormen aller Staaten parallel berufen werden. Hinsichtlich von Unterlassungsansprüchen wird tatsächlich die Durchsetzung der restriktivsten nationalen Regelung angenommen.43 Andererseits soll hinsichtlich von Schadensersatzansprüchen jede Rechtsordnung, deren Markt tatsächlich durch eine Wettbewerbshandlung beeinträchtigt wurde, mosaikartig über den Ersatz des auf diesem Markt erlittenen Schadens zu befinden haben.44 Dies führt jedoch zu einem zumindest fragwürdigen Ergebnis, denn einerseits wäre der Kollisionsnorm des Art. 6 Abs. 1 Rom II zu entnehmen, dass jedermann sein Verhalten stets an den wettbewerbsbezogenen Verhaltensnormen aller Staaten auszurichten habe, andererseits wäre ihr jedoch zugleich zu entnehmen, dass eine sich daraus eventuell ergebende Rechtswidrigkeit bei der Bestimmung von Schadensersatzansprüchen unbeachtlich ist, wenn nur das jeweilige Recht am Marktort von der Rechtsmäßigkeit der fraglichen Wettbewerbshandlung ausgeht.45
Einer solchen Anknüpfung von Verhaltensnormen widerspricht jedoch insbesondere Art. 6 Abs. 2 Rom II, der eine Durchbrechung der Marktortanknüpfung in Fällen vorsieht, in denen „ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers“ beeinträchtigt sind.46 In solchen Fällen soll es zur Anwendung des Art. 4 Rom II kommen, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass das deliktsrechtliche Instrumentarium in solchen Fällen wieder in erster Linie einem gerechten Interessenausgleich inter partes zu dienen bestimmt ist. Dass im Einzelfall die Auswirkungen einer Wettbewerbshandlung die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers deutlich schwerer beeinträchtigen 41
Vergleichbar ist eine solche Abwägung der Wahrscheinlichkeit mit der Frage, ob die Anwendung eines Marktortrechts von einer gewissen Intensität der dortigen Wettbewerbsbeeinträchtigung abhängt. Dies wird allgemein verneint; vgl. LÖFFLER, WRP 2001, S. 383; SACK, WRP 2008, S. 853–854; EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 38; Palandt73/THORN, Art. 6 Rom II Rn. 13 m. w. N. Dass ähnliche Wertungen auch in Bezug auf zukünftig eventuell eintretende Wettbewerbsbeeinträchtigungen notwendig sind, bleibt hingegen zumeist unbeachtet: SACK, WRP 2008, S. 852 („M.E. genügt jedoch für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche, dass sich die Internetwerbung in den betreffenden Ländern wettbewerblich auswirken kann.“ [Hervorhebung im Original]); EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 38 („Daher hat der Anbieter im Ergebnis die Wettbewerbsregeln all jener Rechtsordnungen zu beachten, in die er (potentiell) hineinwirkt.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]). 42 Siehe S. 154. 43 SACK, WRP 2008, S. 852; LINDACHER, GRURInt 2008, S. 455; kritisch WAGNER, IPRax 2006, S. 381; vgl. auch EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 35. 44 SACK, WRP 2008, S. 853; EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 35. 45 Vgl. zu derartigen Wertungen S. 163 bei Fn. 22. 46 Vgl. auch Vorschlag Rom II, KOM(2003) 427 endgültig, S. 18 („auf einen bestimmten Wettbewerber abzielt“); POELZIG, Normdurchsetzung, S. 548 („gezielt gegen einzelne Mitbewerber gerichtete Verstöße“).
A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht
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können als das Allgemeininteresse an einem funktionierenden Wettbewerb,47 ist selbstverständlich, ebenso, dass in solchen Fällen bei der Bestimmung des auf den deliktsrechtlichen Interessenausgleich anwendbaren Rechts stärker auf Parteiinteressen Rücksicht genommen werden kann als in anders gelagerten Fällen. Weshalb dies jedoch auch die Auswahl48 der Rechtsordnung betreffen sollte, die über die Bewertung eines solchen Verhaltens als rechtswidrig oder rechtmäßig zu entscheiden hat, ist damit jedoch keineswegs gesagt. Gerade an den Einschätzungen in Bezug auf die hier interessierenden Fälle der Bestechung zeigt sich, wie willkürlich eine solche kollisionsrechtliche Behandlung von Verhaltensnormen wäre. Nach Einschätzung der Kommission handelt es sich bei der Korruption um Fälle, die nach Art. 6 Abs. 2 Rom II behandelt werden sollten,49 obwohl dies dem überindividuellen Schutzzweck der entsprechenden Verhaltensnormen nicht gerecht wird. 50 Ebenso müssen Differenzierungen anhand der Motivation für die entsprechende Wettbewerbshandlung versagen.51 Auch hinsichtlich Art. 6 Rom II ist somit festzuhalten, dass ihm wie auch den übrigen das Deliktsstatut bestimmenden Kollisionsnormen keine Anhaltspunkte für die kollisionsrechtliche Behandlung von Verhaltensnormen zu entnehmen sind. 52 Abgesehen von der insoweit ungeeigneten inhaltlichen Ausgestaltung der Kollisionsnormen ist dies nicht zuletzt auch dem beschränkten Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung geschuldet. Die Entscheidung über die Anwendbarkeit von Verhaltensnormen einer Kollisi47
Gegen die Annahme, es gebe rein bilateral wirkende Wettbewerbsverstöße, insbesondere MüKo5/DREXL, IntUnlWettbR Rn. 142–147; vgl. auch EuIPR/UNBERATH/CZIUPKA, Art. 6 Rom II Rn. 43–44. 48 Dazu, dass auf materiell-rechtlicher Ebene eine anzunehmende besondere Betroffenheit eines bestimmten Wettbewerbers geeignet sein kann, das Rechtswidrigkeitsurteil zu beeinflussen, S. 110 mit Fn. 361–362. 49 Vorschlag Rom II, KOM(2003) 427 endgültig, S. 18; zustimmend WAGNER, IPRax 2006, S. 380. 50 Zum verfolgten Schutzzweck S. 106 ff. 51 Differenzierend anhand der Frage, ob die Bestechung erfolgt, „um diesem Unternehmen bewusst Nachteile zuzufügen“, MüKo5/DREXL, IntUnlWettbR Rn. 153. 52 Ebenso POELZIG, Normdurchsetzung, S. 545 („Aus der ordnungspolitischen Marktordnungsfunktion der marktregulierenden Verhaltensnormen resultieren eigene Anknüpfungsprinzipien, die ohne Rückischt auf das gemäß IPR berufene Statut zu beachten sind. Es besteht ein besonderes nationales Interesse an der Anwendung des eigenen Rechts, wenn der inländische Markt berührt ist.“). – Die besondere „Steuerungsfunktion der Haftung“ (WAGNER, IPRax 2008, S. 15) geht dadurch keineswegs verloren, sie wird lediglich auf das der deliktischen Haftung als Sanktion zukommende Maß beschränkt. Sichergestellt wird durch eine einheitliche Anknüpfung an den Marktort, dass allen Akteuren für Fehlverhalten dieselben Konsequenzen drohen. Dieser vereinheitlichten Sanktionsdrohung ist durchaus ein eigenständiger Wert beizumessen, der auch dann anzuerkennen ist, wenn nicht an alle Akteure auch dieselben Verhaltensanforderungen gestellt werden sollten.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
onsnorm zu überlassen, die lediglich auf „außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II) Anwendung findet, wird der rechtsgebietsübergreifenden Bedeutung der Verhaltensnormen nicht gerecht.53 In den Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung fallen damit allein die deliktsrechtlichen Folgen von Verstößen gegen anderweitig zu bestimmende Verhaltensnormen,54 ein Gleichlauf von Verhaltens- und Sanktionsnormen ist hier ebenso unangemessen wie im Strafrecht.55 II. Vertragsrecht Anders als dem Deliktsstatut wird dem Vertragsstatut üblicherweise keine Bedeutung bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit einer Handlung beigemessen. Es ist in ganz überwiegendem Maße mit dem Interessenausgleich inter partes innerhalb einer durch die Parteien freiwillig eingegangenen Sonderverbindung befasst. Die durch Verhaltensnormen zum Ausdruck gebrachten Anforderungen der staatlichen Gemeinschaft an das Verhalten des Einzelnen werden dadurch regelmäßig nicht beeinflusst, da sie lediglich tatsächliche, äußere Vorgänge erfassen und damit weder von der Existenz einer vertraglichen Sonderverbindung noch von einer bestimmten inhaltlichen Ausgestaltung einer solchen abhängen.56 Nicht zuletzt aufgrund des besonderen Gewichts, das der Parteiautonomie bei der Bestimmung des Vertragsstatuts eingeräumt wird, ist dieses zu einer sinnvollen Verhaltenssteuerung nicht in der Lage.57
53 Die Verhaltenssteuerung kann nicht davon abhängen, ob aus einem als missbilligenswert erkannten Verhalten eine Zivil- und Handelssache hervorgeht. – Keine Konsequenzen aus dem beschränkten Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung zieht hingegen SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 251. 54 Vgl. SACK, WRP 2008, S. 851 („Bei den strafbewehrten Tatbeständen betrifft die Rom II-VO allerdings nur den Bereich der Zivil- und Handelssachen.“). 55 Dazu oben S. 115 ff. 56 SCHULZE, Das öffentliche Recht im IPR, S. 106–111; für weitere Nachweise siehe S. 18 Fn. 67; zur korrespondierenden Differenzierung von Verhaltensnormen und Pflichten aus Sonderverbindungen S. 54 bei Fn. 27–34. – Nicht ausgeschlossen werden soll damit freilich die Möglichkeit, dass solche Pflichten zu Verhaltensnormen erhoben werden (vgl. S. 54 Fn. 29) oder Verhaltensnormen Wertungen aus bestimmten Sonderverbindungen in sich aufzunehmen bereit sein können und etwa bestimmte Rechte aus Sonderverbindungen dazu führen können, dass sich ein an sich gefährliches Verhalten in Ausübung eines solchen Rechts als nicht verboten herauszustellen vermag; vgl. auch S. 60 bei Fn. 59. 57 Die genuine Unabhängigkeit der staatlichen Verhaltensbewertung von privatautonomen, rechtsgeschäftlichen Parteivereinbarungen ist der Grund, weshalb Verhaltensnormen regelmäßig als Eingriffsnormen bezeichnet werden; V. HOFFMANN/THORN, IPR9, § 10 Rn. 93 („Eingriffsnormen sind etwa alle Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB.“); MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 1 („Auswirkungen öffentlich-rechtlicher Verbote auf internationale Schuldverhältnisse“); V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 120 („Eingriffs-
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So deutlich einerseits sein mag, dass Verhaltensnormen nicht dem Vertragsstatut zugeordnet werden können, so schwierig gestaltet sich andererseits die Beantwortung der Frage, auf welche Weise dann die Verhaltensnormen zu bestimmen sind, die sich auf einen Vertrag auswirken können. In rein inländischen Fallgestaltungen ist unzweifelhaft, dass ein Vertrag all denjenigen Einschränkungen unterliegt, welche die nationale Rechtsordnung vorhält. In Fällen mit Auslandsbezug hingegen ist man sorgsam darauf bedacht, allzu „störende staatliche Einflüße“ 58 fernzuhalten. Der Grund für diese Skepsis gegenüber staatlichen Einschränkungen „internationaler“ Verträge muss wohl darin gesehen werden, dass diese mitunter Verbindungen zu einer Vielzahl von Rechtsordnungen aufweisen, die, müssten sie alle bei der Beurteilung eines Vertrags Beachtung finden, in ihrer Gesamtheit ein so engmaschiges Netz aus Verhaltensvorgaben zu bilden drohten, dass kein nennenswerter Raum mehr für privatautonome Gestaltungen bliebe.59 Die „Schuldstatutstheorie“60 will diesem Bedenken dadurch Rechnung tragen, dass jeder Vertrag zunächst so zu behandeln ist, als handele es sich um einen reinen Inlandssachverhalt im Staat des Vertragsstatuts. 61 Erhalten werden soll damit vor allem die einfache normen sind ihrem Selbstverständnis nach Grenze, nicht Objekt der Privatautonomie.“); MüKo5/SONNENBERGER, Einl. IPR Rn. 37. Dazu näher unten S. 175 f. 58 SERICK, RabelsZ 18 (1953), S. 648; vgl. auch MANKOWSKI, RabelsZ 75 (2011), S. 679 („Freier Handel will möglichst frei sein von staatlichen Eingriffen“ [zu Art. 9 Abs. 3 Rom I]); VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 169 („Interesse des internationalen Geschäftsverkehrs nach Liberalisierung“); HEINI, BerDGesVölkR 22 (1982), S. 43–44 (S. 44: „Verfehlt ist es aber, staatliche Machtansprüche auf dem Boden des der Privatrechtsverwirklichung dienenden internationalen Privatrechts ausgleichen zu wollen.“). 59 MANN, Rec. 132 (1971), S. 159–160 („There would, moreover, be no limitation to rules of a prohibitive character.“ [gegen die Theorie der „Sonderanknüpfung“ nach WENGLER und ZWEIGERT; dazu S. 180 bei Fn. 114]); vgl. auch PIEHL, RIW 1988, S. 842– 843. Zu den britischen Bedenken gegen den weitreichenden Art. 8 Abs. 3 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005 („Vorschlag Rom I“), KOM(2005) 650 endgültig, DUTSON, L.Q.R. 122 (2006), S. 377–378 („[T]he confusion, uncertainty, expense and delay that the implementation of Art.8(3) could cause […] should not be underestimated. […] This could require a comprehensive identification and review of all potentially applicable foreign mandatory laws.“). 60 Ausführliche Darstellungen der Schuldstatutstheorie m. w. N. finden sich bei KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 123–131; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 279–285; SCHULZE, Das öffentliche Recht im IPR, S. 27–76; SCHUBERT, RIW 1987, S. 732–733; vgl. auch KREUZER, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 55–58. 61 Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 134 („[D]ie Rechtsordnung der lex causae ist als Ganze auf den Vertrag anwendbar und soll auf ihn so einwirken, wie sie auf eigene Verträge einwirken würde.“); LANDO/NIELSEN, CML Rev. 45 (2008), S. 1719 („[A] reference to a national law under the ordinary choice of law rules refers to all rules of the lex causae, including the internationally mandatory provisions, which, by definition, are important parts of the lex causae.“ [Hervorhebungen im Original]).
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rechtliche Handhabbarkeit vertraglicher Beziehungen, die bei einer Herauslösung bestimmter „Eingriffsnormen“ aus dem Vertragsstatut vermeintlich nicht gewährleistet wäre.62 Das Ergebnis ist vergleichbar mit den Folgen, die bei einer Einbeziehung der „Rechtswidrigkeit“ in das Deliktsstatut entstehen.63 Da rechtliche Verhaltensnormen nicht unter das Vertragsstatut qualifiziert werden können, würden durch die Schuldstatutstheorie mitunter Verhaltensnormen, die als solche64 überhaupt nicht zur Anwendung gelangen, Wirkungen auf Verträge zugeschrieben. Verträge könnten demnach unwirksam sein, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, dessen Anwendbarkeit auf den Fall lediglich fingiert wird, und wären wirksam, obwohl sie verbindlichen Verhaltensnormen widersprechen. Im Deliktsrecht kann eine solche „hypothetische Rechtswidrigkeit“ eventuell mit der (vorrangigen) Ausgleichsfunktion der deliktischen Schadensersatzansprüche gerechtfertigt werden,65 im Hinblick auf die Unwirksamkeit von Verträgen ist eine solche „Reservefunktion“, aufgrund derer die Verbindlichkeit von den Unwirksamkeitsgrund bildenden Verhaltensnormen generell unberücksichtigt bleiben könnte, indes nicht auszumachen.66 Obwohl die Schuldstatutstheorie daher heute zu Recht wohl überwiegend abgelehnt wird, 67 hat sich die konsequente Trennung von Verhaltensnorm und zivilrechtlicher Rechtsfolge dennoch bislang nicht vollumfänglich durchgesetzt. Dies betrifft insbesondere Vorschriften wie § 123 BGB. Der Anfechtungsmöglichkeit wegen Täuschung liegt dieselbe Verhaltensnorm zugrunde wie § 263 StGB,68 hinsichtlich der Drohung besteht eine Verbindung zur Nötigung nach § 240 StGB. Dass § 123 BGB als Sanktionsnorm ganz selbstverständlich dem Vertragsstatut zugeordnet wird, 69 ist aufgrund seiner Nähe zu Normen wie § 119 BGB, denen kein Verhaltensnormverstoß zugrunde liegt, und seiner Zielsetzung, ein durch Täuschung oder Drohung entstandenes Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien auszugleichen, durchaus legitim. Erfolgt diese Zuordnung jedoch, ohne der Frage Bedeutung beizumessen, welcher Rechtsordnung der zugrunde liegende Verhaltensbefehl zu entnehmen ist, und werden deshalb schlicht die Maßstäbe des Vertragsstatuts hinsicht-
62
MANN, Rec. 132 (1971), S. 159; Ferrari2/STAUDINGER, Art. 9 Rom I Rn. 44 („Unpraktikabilität“). 63 Dazu S. 163 bei Fn. 21–31. 64 Vgl. dazu auch S. 199 ff. 65 Dazu S. 164 mit Fn. 29. 66 Unverbindliche Verhaltensnormen können nur als ergänzende Grenze der Privatautonomie fungieren (dazu S. 201 ff.), sie können die Grenzen, die durch verbindliche Verhaltensnormen gesetzt werden, jedoch keinesfalls ersetzen. 67 EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 78; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 119–120; Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 646 („ganz überwiegend“); MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 43; SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 244–246; REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 341; KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 128–131; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 282– 285 m. w. N. 68 HAFFKE, Coimbra-Symposium 1995, S. 95 („Geschützt wird in Wahrheit nur eine Interaktionsform der Geschäftspartner untereinander, nämlich ein Mindestmaß an Redlichkeit und Aufrichtigkeit im geschäftlichen Umgang miteinander.“ [Hervorhebung im Original]); BORK, AT3, Rn. 1103; vgl. auch S. 59 Fn. 58. 69 Vgl. nur Bamberger/Roth3/SPICKHOFF, Art. 10 Rom I Rn. 5; Staudinger2011/HAUSMANN, Art. 10 Rom I Rn. 24 m. w. N.
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lich der Unzulässigkeit von Täuschung und Drohung herangezogen, so ist dies nichts anderes als eine unangebrachte, partielle Anerkennung der Schuldstatutstheorie.70
Die Bedenken gegen eine übermäßige Einschränkung der Privatautonomie infolge der Berücksichtigung von Verhaltensvorgaben einer unüberschaubaren Vielzahl von Rechtsordnungen sind im Grundsatz durchaus berechtigt. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, vertraglich statuiertes Recht hebe sich in besonderer Weise vom staatlichen Recht ab, stehe abseits von diesem und sei daher grundsätzlich gegen staatliche „Übergriffe“ zu schützen.71 Alle Verträge sind in stets gleicher Weise mit der Gesamtrechtsordnung verwoben. Ihre Rechtsfolgen treten allein deshalb ein, weil die Rechtsordnung ihnen diese Wirkungen zubilligt.72 Verträge mit Auslandsberührung weisen insofern keinerlei Besonderheiten auf, insbesondere die Maßgeblichkeit eines ausländischen Vertragsstatuts vermag an der grundlegenden Einbettung von Verträgen in die inländische Gesamtrechtsordnung nichts zu ändern.73 Die Parteiautonomie als Fortsetzung der Privatautonomie auf Ebene des Kollisionsrechts ermöglicht gerade keine „Entkoppelung“ des Vertrags von der inländischen Rechtsordnung, sondern führt allein zu einer partiellen Berücksichtigung ausländischer Vorstellungen über einen gerechten Interessenausgleich inter partes. Die Besonderheit von Situationen, die Bezüge zum Ausland aufweisen, liegt im Übrigen allein darin, dass das inländische Recht diese Bezüge 70
Auch die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Verhaltensweisen wie Täuschung oder Drohung kann nicht durch das Vertragsstatut getroffen werden, ist zum Handlungszeitpunkt doch regelmäßig noch unklar, ob durch diese überhaupt ein Vertragsschluss herbeigeführt werden und welchem Recht ein solcher Vertrag unterliegen wird. – Denkbar wäre freilich, die Anfechtung nach § 123 BGB derjenigen nach § 119 BGB anzugleichen und nicht von einem Verhaltensnormverstoß abhängig zu machen. Unklar bliebe dann jedoch, welchem Zweck das Tatbestandsmerkmal der „Widerrechtlichkeit“ dienen könnte. 71 Es handelt sich dabei um eine Fehlvorstellung, die der erheblichen Reichweite der von der Rechtsordnung zugelassenen privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten geschuldet ist: „Man hat daher seit jeher die Rechtsgeschäfte gelegentlich als ein Mittel der Rechtssetzung, der Schaffung von Rechtsgesetzen betrachtet […]. Wenn nun […] weite Gebiete der Verhältnisse zwischen Privatpersonen […] der Regelung durch Rechtsgeschäfte überlassen ist, so gewinnt diese Einrichtung eine praktische Bedeutung, die über jene der staatlichen Rechtsnormen weit hinausreicht. […] In diesem Sinne hat man das Privatrecht geradezu als eine Domäne der privaten Selbstgesetzgebung, der Privatautonomie, erklären können.“ (NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 175–176 [Hervorhebung im Original]). 72 Motive I, S. 126 = Mugdan I, S. 421 („Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]); SCHWABE, Drittwirkung, S. 16–22 m. w. N. (vgl. S. 54 bei Fn. 28). 73 Im Rahmen der Schuldstatutstheorie äußert sich dies nicht zuletzt in der unbedingten Beachtung von „Eingriffsnormen“ der lex fori. Vgl. zu dieser „Korrektur“ der Schuldstatutstheorie SCHULZE, Das öffentliche Recht im IPR, S. 39–45 m. w. N.; VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 170–172.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
zum Anlass nehmen kann, seine eigene „Gestalt“ zu verändern, indem es sich unter Umständen etwa ausländische Verhaltensnormen zu eigen macht. Um nichts anderes als eine Umschreibung dieser grundlegenden Verortung vertraglicher Rechtsfolgen innerhalb derjenigen Rechtsordnung, an welche die Vertragsparteien herantreten, um das privatautonom Vereinbarte mit staatlicher Rechtsmacht durchzusetzen, handelt es sich, wenn im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 EVÜ74 und dessen Umsetzung durch Art. 34 EGBGB a. F., wonach „die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln“ nicht berührt wird, bemerkt wird, es handele sich dabei lediglich um die „Klarstellung“ der Tatsache, dass es – abgesehen von den durch das EVÜ vereinheitlichten Kollisionsnormen – selbstverständlich bei der Beachtlichkeit der Regelungen der lex fori bleibt.75
Sind demnach den das Vertragsstatut bestimmenden Kollisionsnormen der Rom I-Verordnung keinerlei Anhaltspunkte hinsichtlich der Auswahl verbindlicher Verhaltensnormen zu entnehmen, so können sich solche Anhaltspunkte allenfalls aus Art. 9 Rom I ergeben. Allerdings spricht auch 76 hier bereits der auf „vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen“ (Art. 1 Abs. 1 Rom I) begrenzte Anwendungsbereich der Rom IVerordnung gegen eine Bedeutung ihrer Regelungen für die Berufung von Verhaltensnormen. Es ist schlicht nicht anzunehmen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Intention hatte, mit einer in ihrem Anwendungsbereich so stark eingeschränkten Regelung verbindliche Verhaltensanforderungen zu normieren. Auch der mit Art. 9 Rom I verfolgte Zweck muss insoweit allein auf rechtsgeschäftlicher Sanktionsebene gesucht werden. Der Regelung kommt Bedeutung hinsichtlich der Frage zu, ob einer durch eine anderweitig festgelegte Kollisionsnorm berufenen Verhaltensnorm Einfluss auf einen Vertrag zuzubilligen ist oder nicht.77 74
Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, BGBl. 1986 II, S. 810. Art. 7 Abs. 2 EVÜ lautet: „Dieses Übereinkommen berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichtes geltenden Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln“. 75 MÄSCH, Rechtswahlfreiheit, S. 131, 160 [unter Hinweis auf die Beratungen zum EVÜ]; KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 70–71; FETSCH, Eingriffsnormen, S. 62; MARTINY, ZEuP 1995, S. 83–84 („Der hier kodifizierte Grundsatz der Durchsetzung eigener zwingender Normen ist als solcher unbestritten, ja wohl selbstverständlich.“); MüKo4/MARTINY, Art. 34 EGBGB Rn. 125 („Kein Richter kann sich über die dem Wohl des eigenen Staates dienenden zwingenden Gesetze unter Berufung auf die Parteiautonomie hinwegsetzen.“); SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 233–234 (S. 234: „[V]ielleicht sollen hier nur die Vertragsstaaten dahin gehend beruhigt werden, daß in einem solchen Vorgehen keine Verletzung des Römischen Vertragsrechts-Übereinkommens liegt.“); zu Art. 9 Abs. 1 Rom I DERS., Symp. Kegel/Lüderitz 2014, S. 20 Fn. 78. 76 Zum Deliktsrecht S. 167 bei Fn. 52. 77 Dazu ausführlich S. 175 ff.
A. Verhaltensnormen im europäischen Kollisionsrecht
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Dem entspricht es, wenn die Regelungen des Art. 9 Rom I als „Öffnungsklauseln“78 aufgefasst werden, im Rahmen derer zunächst nationale Kollisionsnormen über die Berufung von Eingriffsnormen zu entscheiden haben. Erst wenn die Anwendung aufgrund des nationalen Kollisionsrechts feststeht, sollen die spezifischen Vorgaben des Art. 9 Rom I als nachgelagerte Einschränkung darüber befinden, ob die Wirkungen der fraglichen Regelung im Rahmen des Anwendungsbereichs der Rom I-Verordnung auch zu beachten sind.79
III. Schlussfolgerungen Die Regelungen des europäischen Kollisionsrechts treffen keine Aussage über die Anknüpfung von Verhaltensnormen. Dies ergibt sich sowohl aus der Ausgestaltung der europäischen Kollisionsnormen, deren Anknüpfungsregeln sich nicht für die Berufung von Verhaltensnormen eignen, als auch aus deren eingeschränktem Anwendungsbereich. Letzteres wiegt umso schwerer, als auch dem europäischen Kollisionsrecht insgesamt keine einheitlichen Grundsätze für den Umgang mit Verhaltensnormen entnommen werden können. Vielmehr lässt sich feststellen, dass die europäischen Kollisionsnormen, die üblicherweise als mit der Berufung von Verhaltensnormen befasst angesehen werden, in einer „merkwürdigen Diskrepanz“80 zueinander stehen: „Während Art. 6 Abs. 3 lit. a die Anwendung drittstaatlicher Kartellnormen vorschreibt, soweit auf ihre Verletzung deliktische Ansprüche gegründet werden können, soll es im internationalen (Schuld-)Vertragsrecht offensichtlich anders sein: Zum einen besteht anders als nach der Rom II-Verordnung keine Anwendungspflicht, zum anderen beschränkt sich die Möglichkeit der Berücksichtigung auf die Kartellrechtsnormen des Staates, in dem die maßgebliche Verpflichtung zu erfüllen ist. Diese Diskrepanzen machen wenig Sinn. Zum einen korrespondiert die Maßgeblichkeit des Rechts des Erfüllungsortes in keiner Weise mit den Anforderungen und Zielsetzungen des Auswirkungs- (Marktort-)prinzips; zum anderen lassen sich Sachverhalte denken, in denen ein Nichtigkeitseinwand und Schadensersatz wegen verbotenen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens zusammentreffen mögen; bei deliktischen Ansprüchen drittstaatliches Kartellrecht anzuwenden, hinsichtlich
78
SONNENBERGER, FS Kropholler 2008, S. 242–243; MüKo5/SONNENBERGER, Einl. IPR Rn. 48; Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 12; Reithmann/Martiny7/FREI3 TAG, 4. Teil Rn. 511, 561; Bamberger/Roth /SPICKHOFF, Art. 9 Rom I Rn. 1 („Offenheit, die es auszufüllen gilt“). 79 Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 511 m. w. N. Zu widersprechen ist jedoch dem Ansatz, im Hinblick auf ausländische Eingriffsnormen sei auf die Kollisionsnormen „des ausländischen Erlassstaates“ abzustellen. Auch hinsichtlich ausländischer Normen können aus inländischer Sicht allein inländische Kolllisionsnormen ausschlaggebend sein (siehe S. 183 f.). 80 ROTH, FS Kropholler 2008, S. 648 [zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 3 Rom II und Art. 9 Abs. 3 Rom I].
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
des Nichtigkeitseinwands aber zu ignorieren, erscheint grob widersprüchlich und unbedacht.“81
Eine sinnvolle und vor allem eindeutige Verhaltenssteuerung ist auf Grundlage solcher Widersprüche nicht möglich. Auch in seiner Gesamtheit ist das europäische Kollisionsrecht daher nicht zu einer kohärenten Berufung von Verhaltensnormen in der Lage.82 Geht man hingegen mit KÖHLER davon aus, innerhalb des Art. 9 Rom I seien originär europarechtliche, auf den Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung beschränkte Anwendungsbefehle für Eingriffsnormen zu entwickeln,83 so mag dies zu einem kohärenten System innerhalb des europäischen internationalen Vertragsrechts, womöglich innerhalb des gesamten europäischen Kollisionsrechts führen.84 In den Hintergrund tritt dabei jedoch die eigentliche Zielsetzung, die mit dem Erlass von Verhaltensnormen stets verbunden ist: die „bloße“ Verhaltenssteuerung. Verhaltensnormen allein als Tatbestandsmerkmal eines deliktischen Anspruchs oder als Grund für die Unwirksamkeit eines Vertrags zu begreifen, überbetont die Bedeutung von Sanktionen und vernachlässigt diejenige einheitlicher Verhaltensvorgaben.85
Unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob der Europäischen Union überhaupt die Kompetenz zukäme, Kollisionsnormen für die Berufung von Verhaltensnormen zur verbindlichen Verhaltensregulierung zu erlassen, 86 ist daher festzuhalten, dass es bislang jedenfalls nicht zu einem umfassenden87 Erlass solcher Kollisionsnormen gekommen ist. Die Berufung verbindlicher Verhaltensnormen ist somit nach wie vor Aufgabe des jeweiligen mitglied81 ROTH, FS Kropholler 2008, S. 648–649; DERS., FS Kühne 2009, S. 874–875 („Wertungswiderspruch […]. Hier weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut.“ [Hervorhebung im Original]). 82 Zudem bliebe auch im Falle der Beseitigung dieser Widersprüche die Bestimmung von Verhaltensnormen durch das europäische Kollisionsrecht bruchstückhaft und damit unzulänglich, solange das europäische Kollisionsrecht selbst Lücken aufweist, die durch einen Rückgriff auf mitgliedstaatliche Kollisionsnormen geschlossen werden müssen. 83 KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 103–127 [inländische Eingriffsnormen], 187–189 [ausländische Eingriffsnormen]; zustimmend SCHURIG, Symp. Kegel/Lüderitz 2014, S. 20 mit Fn. 83. 84 Die von ROTH, FS Kropholler 2008, S. 648–649 (siehe S. 174 bei Fn. 81), bemängelte Diskrepanz innerhalb des europäischen Kollisionsrechts etwa will KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 127–129; DERS., Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, in: Binder/Eichel (Hrsg.), Internationale Dimensionen des Wirtschaftsrechts, S. 210–211, 221– 222, durch eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 3 Rom II innerhalb des Art. 9 Rom I beseitigen. 85 Gegen entsprechende Tendenzen im Strafrecht bereits S. 52 bei Fn. 16. 86 Vgl. dazu SCHNEIDER, Verhaltensnorm, S. 253–255 m. w. N. 87 Eine Ausnahme muss für diejenigen Verhaltensnormen angenommen werden, die unmittelbar dem Europarecht entstammen. Hier ist davon auszugehen, dass das Europarecht selbst über den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl entscheidet. In welchen Fällen daher etwa Art. 11 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (vgl. S. 135 bei Fn. 489) zur Anwendung berufen wird, ist dem Europarecht zu entnehmen.
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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staatlichen Kollisionsrechts. Die im Rahmen des deutschen Rechts ermittelten Kollisionsnormen für korruptionsbezogene Verhaltensnormen werden durch das europäische Kollisionsrecht daher nicht modifiziert.
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen Steht es dem deutschen Recht demnach frei, in- und ausländische korruptionsbezogene Verbote in der oben88 aufgezeigten Weise kollisionsrechtlich zu berufen, so bleibt zu klären, inwieweit das europäische Kollisionsrecht in Form von Art. 9 Rom I Vorgaben hinsichtlich einer rechtsgeschäftlichen Sanktionierung dieser Verhaltensnormen beinhaltet. I.
Verhaltens- als Eingriffsnormen – Art. 9 Abs. 1 Rom I
Art. 9 Abs. 1 Rom I sieht erstmals eine Definition der Eingriffsnorm vor: „Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“
Diese – einer Entscheidung des EUROPÄISCHEN GERICHTSHOFS89 entnommene – Definition soll in erster Linie der einfacheren Unterscheidung von Eingriffsnormen und sonstigen zwingenden Vorschriften dienen. Insbesondere hinsichtlich verbraucherschützender Rechtsnormen bestanden erhebliche Unsicherheiten bei der Abgrenzung von Art. 5 und Art. 7 EVÜ,90 die durch eine Definition der Eingriffsnormen und deren Charakterisierung durch öffentliche Interessen erleichtert werden sollte. 91 Der Bezug auf öffentliche Interessen dient insofern als abgrenzendes Merkmal gegenüber denjenigen 88
Siehe S. 150 ff. EUGH (23.11.1999, Rs. C-369/96, C-376/96), Slg. 1999 I, 8498 (8512 Rn. 30) [Arblade/Leloup]. 90 Vgl. dazu ROTH, Koll. Reichert-Facilides 1995, S. 35 ff. 91 Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14.01.2003 („Grünbuch Rom I“), KOM(2002) 654 endgültig, S. 41 („In einem zukünftigen Instrument könnte deutlich gemacht werden, dass der Anwendungsbereich beider Artikel nicht identisch ist. Artikel 5 verweist auf das […] objektiv anwendbare Recht, dessen zwingende Schutzbestimmungen als innerstaatliches Recht einzuhalten sind. Dieser Artikel hat jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Anwendung etwaiger Eingriffsnormen im Sinne des Artikels 7, die internationale Geltung beanspruchen und so einen zusätzlichen Schutz bieten, wenn die räumlichen Voraussetzungen für ihre Anwendung gegeben sind.“). 89
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
Rechtsnormen, die bereits unter die „regulären“ Kollisionsnormen der Rom IVerordnung zu qualifizieren sind. Bei diesen handelt es sich jedoch keineswegs um Rechtsnormen, die schlicht „privaten“ Interessen dienen. Vielmehr geht es um Rechtsnormen, die nur einen eng begrenzten Ausschnitt der privaten Interessen, nämlich den Interessenausgleich zwischen den Vertragspartnern, regulieren. Die Unterscheidung von „privaten“ und „öffentlichen“ Interessen mag die unterschiedliche Zielsetzung von „gewöhnlichem“ Vertragsrecht und Eingriffsnormen verdeutlichen, gleichwohl bleibt sie nur eine unzureichende Umschreibung des zu lösenden Abgrenzungsproblems.92 Als Eingriffsnormen kommen allein solche Normen in Betracht, die nicht der Regulierung des Konflikts zwischen den Parteien als Vertragspartnern, sondern eben anderen Interessen dienen, mögen es private oder (typischerweise) öffentliche sein.93 Dieses weite Verständnis vom Begriff der öffentlichen Interessen in Art. 9 Abs. 1 Rom I spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass gerade Verhaltensnormen unabhängig davon, ob sie ein bestimmtes Verhalten wegen der mit diesem verbundenen Gefahren für ein Individuum untersagen oder ob die Abwehr gesamtgesellschaftlichen Schadens im Vordergrund steht, ohne weiteres zu den Eingriffsnormen gezählt werden.94 Der Grund dafür liegt jedoch nicht in einer (eventuellen) strafrechtlichen Sanktionierung, durch die ursprünglich private Interessen nunmehr „auch zum Gegenstand öffentlichen Interesses“ 95 werden, sondern allein darin, dass in beiden Fällen Interessen betroffen sind, die sich vom Interessenausgleich innerhalb einer schuldrechtlichen Sonderbeziehung grundlegend unterscheiden. Folgerichtig erfährt die Abgrenzung von privaten und öffentlichen Interessen vor allem in Bezug auf das Sonderprivatrecht besondere Aufmerksamkeit.96 Beim Ausgleich typischer Ungleichgewichte zwischen den Vertragspartnern liegen privater Interessenausgleich und „überindividuelle“ Schutzzwecke besonders nahe beieinander, weshalb eine sorgfältige Abgrenzung derjenigen Sachnormen, die den speziellen Kollisionsnormen der Rom I-Verordnung unterfallen, und denjenigen, die als Eingriffsnormen behandelt werden können, unumgänglich ist. Hinsichtlich von Verhaltensnormen stellen sich diese Abgrenzungsschwierigkeiten indes nicht.
92 Vgl. SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 234 („Daß sie [die Sachnormen] ganz oder teilweise zum ‚öffentlichrechtlichen‘, ‚ordnungsrelevanten‘ (oder ähnlich bezeichneten Bereich) gehören, ist nur Ausdruck für diese besondere Interessenlage.“ [zu Art. 34 EGBGB a. F.]); KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 23–25. 93 Vgl. RADTKE, ZVglRWiss 84 (1985), S. 328. 94 Oben S. 168 Fn. 57. 95 REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 335–336. Eine Strafdrohung belegt lediglich das öffentliche Interesse am Schutz bedeutender, nach wie vor rein privater Interessen; vgl. NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 254–257 (oben S. 114 Fn. 378). 96 Vgl. nur THORN, Eingriffsnormen, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Vorschlag Rom I, S. 132–135; EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 10–14; FREITAG, Zwingende Normen, in: Leible (Hrsg.), Grünbuch zum Int. Vertragsrecht, S. 177–179; ROTH, FS Kühne 2009, S. 866–868; MANKOWSKI, IHR 2008, S. 147; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 9–12.
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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(Korruptionsbezogene) Verhaltensnormen, die ausnahmslos nicht unter die Kollisionsnormen der Rom I-Verordnung qualifiziert werden können, 97 dienen den von Art. 9 Abs. 1 Rom I angesprochenen „öffentlichen“ Interessen. Zudem reguliert eine Verhaltensnorm äußeres menschliches Verhalten unabhängig davon, ob dieses in irgendeinem Zusammenhang mit einer vertraglichen Sonderbeziehung steht, so dass es sich bei ihr auch stets um eine „zwingende Vorschrift“ handelt, die „ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Verhaltensnormen entsprechen insofern stets den Vorgaben des Art. 9 Abs. 1 Rom I. II. Differenzierung von in- und ausländischen Eingriffsnormen Nach Art. 9 Abs. 2 und 3 Rom I wird „nach den Urhebern der Eingriffsnorm“ 98 differenziert. Im Hinblick darauf, dass das deutsche Recht sowohl inländische wie auch ausländische korruptionsbezogene Verhaltensnormen zur Anwendung beruft, stellt sich die Frage, inwiefern sich deshalb Unterschiede bei der rechtsgeschäftlichen Sanktionierung dieser Verbote ergeben. Sollte es aufgrund von Art. 9 Abs. 3 Rom I notwendig sein, ausländischen korruptionsbezogenen Verbotsnormen im Hinblick auf Rechtsgeschäfte nur in den dort aufgezeigten Grenzen99 „Wirkung zu verleihen“, so hätte dies erhebliche (und zum Teil paradoxe) Folgen:100 Weitgehend folgenlos erwiesen sich die Einschränkungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I lediglich in Bezug auf Schmiergeldabreden 101 und Vermittlungsverträge 102 im privatwirtschaftlichen Sektor. Als „Erfüllungsort“ dieser Verträge ist wohl jedenfalls103 der Ort anzusehen, an dem die „Bestechungshandlung“ vorgenommen werden soll. Ist dies der Staat, in dessen Wettbewerb durch die Bestechung ein Vorteil erzielt werden soll (was sehr oft der Fall sein wird), so könnten die berufenen Verbotsnormen des Wettbewerbsstaates berücksichtigt werden, denn sie verbieten die Erfüllungshandlungen von Schmiergeldvereinbarung und Vermittlungsvertrag, die „Bestechung“, und lassen diese „unrechtmäßig werden“. Soll die „Bestechung“ hingegen außerhalb des Wettbewerbsstaates stattfinden (treffen Korrumpeur und Agent sich also etwa in einem Drittstaat), so beruft das deutsche Recht schon auf Normebene die Verhaltensnormen des Wettbewerbsstaates nicht zur Anwen-
97
Dazu S. 168 ff. REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 337. 99 Relevant sind die Beschränkung auf die Normen des „Erfüllungsstaats“ und (im Hinblick auf Hauptverträge) die notwendige „Unrechtmäßigkeit der Erfüllung“. Hinsichtlich der in S. 2 genannten Abwägungskriterien dürfte jedoch die weitgehende strafrechtliche Verfolgbarkeit von Verstößen regelmäßig für eine „Wirkungsverleihung“ sprechen. 100 FREITAG, IPRax 2009, S. 115 („Mit der Annahme einer Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten indes erst […].“). 101 Dazu S. 17 ff. 102 Dazu S. 23 ff. 103 Näher zu den Merkmalen des Art. 9 Abs. 3 Rom I unten S. 214 ff. 98
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
dung. 104 Die Vorgaben von Art. 9 Abs. 3 Rom I verursachten insofern keine Nichtbeachtung zwingender Verhaltensnormen auf rechtsgeschäftlicher Sanktionsebene. Anders verhielte es sich hingegen in Bezug auf die Korrumpierung von Amtsträgern. Findet diese nicht im Amtsträgerstaat selbst statt, so bleibt sie zwar nach deutschem Recht verboten (und strafbar), wenn der Amtsträgerstaat sie verbietet,105 das Verbot könnte jedoch, da es nicht dem Recht des Erfüllungsorts entspringt, der Wirksamkeit des von Schmiergeldabrede oder Vermittlungsvertrag nicht entgegengehalten werden. Ein inländisches Gericht wäre im Falle eines Prozesses somit theoretisch gezwungen, zur Vornahme einer nach deutschem Recht verbotenen und strafbaren Schmiergeldzahlung zu verurteilen, was schlichtweg undenkbar ist.106 Im Hinblick auf Hauptverträge 107 hätte eine strenge Beachtung der Einschränkungen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I zur Folge, dass eine Beeinflussung solcher Verträge unter Verstoß gegen ausländische korruptionsbezogene Verbotsnormen niemals zu rechtsgeschäftlichen Konsequenzen führen könnte, weil diese Verbote niemals „die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen“ können. Bei Hauptverträgen handelt es sich regelmäßig um gewöhnliche erwerbswirtschaftliche Verträge, deren Erfüllungshandlungen jedenfalls nicht in der Zuwendung oder Entgegennahme von Schmiergeldzahlungen bestehen. Auswirkungen auf den Hauptvertrag könnten sich somit allein aus Verstößen gegen originär inländische Verhaltensnormen ergeben. Obgleich dieses Ergebnis nicht derart offensichtlich korrekturbedürftig ist wie dasjenige in Bezug auf Schmiergeldabreden und Vermittlungsverträge, bleibt dennoch die Frage, weshalb zwei gleichermaßen verbindliche Verhaltensnormen vergleichbaren Inhalts mit derart unterschiedlichen Rechtsfolgen versehen werden sollten.108
104
Siehe S. 139 f. Oben S. 130 ff, 133 ff. 106 Selbst für den Fall, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I in einer solchen Weise auszulegen sein sollte, muss davon ausgegangen werden, dass dies von den mitgliedstaatlichen Gerichten ignoriert würde (vgl. auch FREITAG, IPRax 2009, S. 116). Kein Gericht wird aufgrund eines Vertrags zu einem aus seiner Sicht verbotenen Verhalten verurteilen, nur weil die maßgebliche Verhaltensnorm einer fremden Rechtsordnung entstammt. Deutlich wahrscheinlicher ist, dass in einem solchen Fall die ausländische Herkunft der Verhaltensnorm schlicht geleugnet würde: „Es handelt sich hier um ein deutsches Verbotsgesetz.“ (MüKo5/SPELLENBERG, Art. 10 Rom I Rn. 140 (Fn. 280) [zu Art. 2 § 1 IntBestG i. V. m. § 334 StGB und § 299 StGB]). 107 Dazu S. 32 ff. 108 Auch eine – an einen Vorschlag von FREITAG, IPRax 2009, S. 116, angelehnte – Vorfrage nach dem Vorliegen einer verbotenen Schmiergeldabrede, auf welcher der Hauptvertrag beruht, vermag diesen Wertungswiderspruch nicht zu beseitigen: Zwar können ausländische korruptionsbezogene Verbote im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 Rom I einer Schmiergeldabrede wesentlich weitergehend entgegengehalten werden als einem Hauptvertrag, dennoch führt Art. 9 Abs. 3 Rom I auch hier bereits zu Wertungswidersprüchen. Zudem wurde bereits festgestellt (vgl. S. 42 bei Fn. 192), dass die Wirksamkeit von Hauptverträgen nicht durch eine vorhergegangene Schmiergeldabrede, sondern allenfalls durch verbotene Bestechungshandlungen selbst beeinträchtigt werden kann. 105
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
1.
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Grundlagen der Differenzierung
Die grundsätzliche Zulässigkeit der Anwendung von Eingriffsnormen der lex fori nach Art. 9 Abs. 2 Rom I fußt auf der Vorstellung, von inländischen Richtern könne die Nichtanwendung bestimmter Rechtsnormen nicht verlangt werden,109 weil es sich bei diesen um sogenannte lois d’application immédiate110 handele, um Rechtsnormen, für deren Anwendung es keines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls bedürfe und die daher unabhängig von jedwedem „Statut“ stets anzuwenden seien. 111 Nimmt man an, es gäbe solche unmittelbar anwendbaren Rechtsnormen, so ist es nur konsequent und notwendig, zwischen derartigen Rechtsnormen des eigenen Rechts und solchen ausländischer Provenienz zu unterscheiden. Denn unmittelbar anwendbares Recht ist allenfalls innerhalb der eigenen Rechtsordnung denkbar. Wenn auch ausländische Staaten bestimmte eigene Rechtsnormen für aus ihrer Sicht unmittelbar anwendbar erachten, so ist dies aus inländischer Sicht zunächst völlig bedeutungslos. Allein ein inländischer kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl kann zur Anwendung dieser (wie auch aller anderen) ausländischen Rechtsnormen führen.112 Auch wenn man die Vorstellung von der Existenz unmittelbar anwendbarer, vom Kollisionsrecht unbeeinflusster Sachnormen aufgibt und zugesteht, 109
MÄSCH, Rechtswahlfreiheit, S. 131 („dem internationalen Geltungswillen der Normen seines eigenen Landes habe der Richter selbstverständlich ohne Wertungsmöglichkeiten zu folgen“); SERICK, RabelsZ 18 (1953), S. 647 („Der Richter des Landes, welches das Gesetz erlassen hat, hat seine Vorschriften zweifellos zu respektieren und anzuwenden.“). 110 Der Begriff der lois d’application immédiate wurde geprägt durch FRANCESCAKIS, Renvoi, S. 11–16 („Elle [la jurisprudence] estime que les dispositions internes présentant ce caractère [de l’ordre public international] s’appliquent comme telles et immédiatement à toutes les situations considérées au regard du droit français. Leur mise en œuvre écarte de la sorte toute intervention d’une règle de conflit.“); DERS., Rev. crit. DIP 1966, S. 3 („Pour elle [la jurisprudence], en effet, tout se passe comme si il existait des lois françaises applicables immédiatement, en ce sens qu’elles se passent de l’intermédiaire du procédé des conflits de lois […].“ [Hervorhebungen im Original]). Detaillierte Darstellungen dieser Lehre finden sich etwa bei SCHWANDER, Ausnahmen von der gewöhnlichen Anknüpfung im IPR, S. 184–198, und VOSER, Lois d'application immédiate, S. 4–22. 111 Nach Angaben des Grünbuchs Rom I, KOM(2002) 654 endgültig, S. 40 („Die zwingenden Vorschriften des Artikel 7 […] haben einen anderen Charakter und kommen nur bei internationalen Sachverhalten zum Tragen. […] Diese Vorschriften weisen eine Besonderheit auf: Die Gericht[e] wenden sie von Amts wegen an, ohne zuvor anhand der nationalen Kollisionsnormen das anwendbare Recht zu bestimmen und zu prüfen, ob dessen Inhalt mit der im Gerichtsstaat geltenden Werteordnung unvereinbar ist.“), befassen sich Art. 7 EVÜ und entsprechend auch Art. 9 Rom I als dessen Nachfolger ihrer Konzeption nach mit lois d’application immédiate; vgl. auch MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 108; SCHURIG, Lois d'application immédiate und Sonderanknüpfung, in: Holl/Klinke (Hrsg.), IPR, int. Wirtschaftsrecht, S. 58, 75; HEINI, BerDGesVölkR 22 (1982), S. 39. 112 So bereits FRANCESCAKIS, Rev. crit. DIP 1966, S. 11–12, selbst.
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dass es sich bei den lois d’application immédiate nur um eine missverständliche Bezeichnung für solche Sachnormen handelt, die durch „besondere“ einseitige (zumindest jedoch noch nicht vollumfänglich allseitig „gebündelte“) Kollisionsnormen berufen werden,113 so bleibt die Differenzierung auch dann unerlässlich, wenn man mit der Lehre von der Sonderanknüpfung114 die Kollisionsnormen derjenigen Rechtsordnung für ausschlaggebend erachtet, der die fragliche materiell-rechtliche Norm entstammt. Den Ausgangspunkt der Lehre von der Sonderanknüpfung in- und ausländischen „zwingenden Rechts“ bildet die Kritik an den unzureichenden Ergebnissen, die durch die „korrigierte“ Schuldstatutstheorie115 erzielt werden. Wenn jedes Gericht die „international zwingenden“, „öffentlich-rechtlichen“, in das vertragliche Schuldverhältnis „eingreifenden“ Rechtsnormen des Schuldstatuts und der jeweiligen lex fori anwendet, so sind für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses von Staat zu Staat zwangsläufig unterschiedliche Rechtsnormen maßgeblich. Die Sonderanknüpfungslehre hingegen will einen möglichst weitreichenden internationalen Entscheidungseinklang verwirklichen:116 „[Es] bestehen im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Der eine Weg zur ‚Reform‘ der Rechtsprechung ist folgender: Die Rechtsprechung wendet den Grundsatz, daß das zwingende Recht dem Schuldstatut zu entnehmen ist, nicht nur gegenüber dem ausländischen, sondern auch gegenüber dem inländischen zwingenden Recht an. Der andere Weg hingegen geht dahin, daß die Rechtsprechung nicht nur den Anwendungsbereich des inländischen, sondern auch den des
113
V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 12 („Nichts anderes als die Frage nach einseitigen einzelnormbezogenen Kollisionsnormen ist auch die Suche nach sogenannten lois d’application immédiate. Denn bei richtiger Einordnung ist eine loi d’application immédiate eben nichts anderes als die Kombination von Sachnorm und auf sie bezogener einseitiger Kollisionsnorm.“ [Hervorhebung im Original]); NEUHAUS, Grundbegriffe2, S. 105–106; VOSER, Lois d'application immédiate, S. 125–127; KROPHOLLER, IPR6, S. 109–110; ZEPPENFELD, Allseitige Anknüpfung, S. 91; eingehend SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 317–322; mit dem Begriff die Kollisionsnorm selbst bezeichnend etwa BUCHER, Grundfragen, S. 105 („einseitige Kollisionsnormen“). Möglicherweise erkannte eine kollisionsrechtliche Komponente auch FRANCESCAKIS, Rev. crit. DIP 1966, S. 9 („Nos ‚lois‘ sont soumises, en effet, bel et bien à des règles de conflit et ne sont ‚immédiates‘ que par rapport au type de règles de conflits de lois considéré comme universel par la doctrine contemporaine.“), selbst an; dies bejahend BUCHER, Grundfragen, S. 104–105; ablehnend hingegen VOSER, Lois d'application immédiate, S. 20–21 m. w. N. 114 Für ausführliche Darstellungen (und Kritik) m. w. N. vgl. SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 322–330; DERS., Lois d'application immédiate und Sonderanknüpfung, in: Holl/Klinke (Hrsg.), IPR, int. Wirtschaftsrecht, S. 66–72; ZEPPENFELD, Allseitige Anknüpfung, S. 92–129; ERNE, Vertragsgültigkeit, S. 148–206; KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 131–137; SCHUBERT, RIW 1987, S. 734–735; FETSCH, Eingriffsnormen, S. 21–33. 115 Dazu S. 169 mit Fn. 60 und S. 171 mit Fn. 73. 116 ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 287–288 („Der Zweck, der angestrebt wird und als Prüfsatz über jeder kollisionsrechtlichen Überlegung stehen muß, ist einmal die internationale Entscheidungsharmonie, d. h. die ideale Kollisionsnorm muß so geformt sein, daß ein konkreter Fall vor jedem in der Welt möglicherweise zuständigen Gericht gleich entschieden wird.“); WENGLER, ZVglRWiss 54 (1941), S. 171.
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
181
ausländischen Rechts gesondert und ohne Rücksicht auf das Schuldstatut bestimmt.“ 117 Den ersten Weg einzuschlagen, würde bedeuten, den Schuldvertrag aus der Gesamtrechtsordnung zu lösen, 118 was nicht hinnehmbar ist und – wie sich aus Art. 9 Abs. 2 Rom I ergibt – auch nicht dem gegenwärtigen Recht entspricht. Soll demnach auch ausländisches Recht abseits des Schuldstatuts Berücksichtigung finden, so verlangt die Lehre von der Sonderanknüpfung zur Wahrung des internationalen Entscheidungseinklangs, ausländisches Recht seinem Anwendungswillen gemäß zu berücksichtigen, den kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl mithin dem Recht des jeweiligen Erlassstaates zu entnehmen. 119
Obgleich aus Sicht der Sonderanknüpfungslehre also der ausländische Anwendungsbefehl als ausschlaggebend für die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen betrachtet wird, wird diesem dennoch keineswegs dieselbe Verbindlichkeit zugestanden, von der hinsichtlich inländischer Kollisionsnormen ganz selbstverständlich ausgegangen wird. 120 Ein inländischer Anwendungsbefehl für inländische Eingriffsnormen ist ohne weiteres zu befolgen, ein ausländischer Anwendungsbefehl für ausländische Eingriffsnormen hingegen nur innerhalb von durch die lex fori gezogenen Grenzen.121 Andernfalls „lieferten wir uns fremder Willkür hilflos aus“122. Werden in- und ausländische Eingriffsnormen aber durch Kollisionsnormen berufen, deren Befolgung dem inländischen Richter nicht in stets gleicher Weise vorgeschrieben ist, so 117
WENGLER, ZVglRWiss 54 (1941), S. 171. Vgl. S. 171 mit Fn. 71. 119 ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 288 („[S]o würde der Gedanke der Entscheidungsharmonie offenbar dann vollkommen verwirklicht, wenn die Verbotsnorm in dem Umfang angewendet würde, in dem sie selbst angewendet werden will. Der ausländische Richter würde dann die Verbotsnorm in dem gleichen räumlichen Umfange beachten wie der Richter des Staates, dem die Verbotsnorm entstammt.“); WENGLER, ZVglRWiss 54 (1941), S. 181 („[S]o ist auch im Inland innerhalb gewisser […] Schranken der Geltungswille des fremden zwingenden Rechts anzuerkennen, damit die inländische Entscheidung tunlichst nicht von der Entscheidung des Gerichts des Staates, der die zwingende Bestimmung erlassen hat, abweicht.“). – Zur – entgegen der Sonderanknüpfungslehre – richtigerweise autonom zu treffenden kollisionsrechtlichen Entscheidung über die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen S. 183 ff. 120 VOSER, Lois d'application immédiate, S. 147 („aus Sicht des Forumstaates nicht die gleiche Befolgungspflicht“ [Hervorhebung im Original]); ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 288 („[Es] zeigt sich sofort die Notwendigkeit einer Einschränkung.“); WENGLER, ZVglRWiss 54 (1941), S. 185 („Notwendig ist nämlich zunächst, daß der fremde Staat, wenn sein zwingendes Recht auf ein Schuldverhältnis angewendet werden soll, eine wirklich enge Beziehung zu dem Rechtsgeschäft aufweist, die die ‚Rechtshilfe‘ der anderen Staaten bei der Durchsetzung dieses zwingenden Rechts rechtfertigt.“ [Hervorhebung im Original]). 121 Zu denkbaren Kriterien, anhand derer diese Grenzen näher definiert werden könnten, ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 288–301; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 106 m. w. N.; KREUZER, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 63–64 m. w. N. 122 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 326; SCHUBERT, RIW 1987, S. 745 („Gefühl des Ausgeliefertseins“). 118
182
3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
ist auch nach der Sonderanknüpfungslehre eine differenzierte Behandlung der Eingriffsnormen unumgänglich. 2.
Ablehnung der Grundlagen
Art. 9 Rom I lässt die Lehren von den lois d’application immédiate und der Sonderanknüpfung deutlich als seine gedanklichen Wurzeln erkennen. 123 Insofern ließe sich Art. 9 Abs. 2 Rom I als Bestätigung verstehen, dass unmittelbar anwendbares Sachrecht der lex fori stets beachtet werden darf, und die Vorgaben von Art. 9 Abs. 3 Rom I müssten als Versuch aufgefasst werden, die Grenzen zu konkretisieren, innerhalb derer sich ein eventuell bestehender ausländischer Anwendungsbefehl im Rahmen der Sonderanknüpfung entfalten kann.124 – Indes macht die Tatsache, dass ein Gesetzgeber bei der Ausformung einer Rechtsnorm von bestimmten Prämissen ausgegangen ist, diese Prämissen weder wahr noch rechtsverbindlich, solange die konkrete Fassung der Norm auch eine anderweitige Deutung zulässt.125 Vielmehr ist die neugeschaffene Rechtsnorm dann richtigerweise im Lichte des tatsächlich existierenden (kollisionsrechtlichen) Systems anzuwenden und auszulegen und in dieses zu integrieren,126 mag dies auch zur Folge haben, dass ihr eine andere Bedeutung beizumessen ist als diejenige, die ihr vom Normgeber ursprünglich zugedacht war.127 123 „Diese Regelung [Art. 9 Abs. 3 Rom I] erklärt sich daraus, dass das erkennende Gericht an forumfremde Eingriffsnormen a priori nicht gebunden ist, da diese vom kollisionsrechtlichen Verweisungsbefehl der Kollisionsnormen der Rom I-VO nicht umfasst werden […].“ (Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 650 [Hervorhebung hinzugefügt]). Dass ausländische Eingriffsnormen auch durch autonomes Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten zur Anwendung berufen sein könnten, scheint schlicht nicht in Erwägung gezogen worden zu sein. 124 Art. 9 Abs. 3 Rom I als Ausdruck der Sonderanknüpfungslehre ansehend etwa EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 80; Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 56, 121– 122; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 111; LEIBLE/LEHMANN, RIW 2008, S. 542; Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 651–652; ROTH, FS Kühne 2009, S. 866. 125 Anderer Ansicht wohl ROTH, Überblick – Kompetenzen – Grundfragen, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 12–13. 126 Vgl. zur Ablehnung der Figur der lois d’application immèdiate KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 105 („Auch der europäische Gesetzgeber kann diese zwingende rechtstheoretische Schlussfolgerung nicht ‚par ordre du mufti‘ aus den Angeln heben […].“). 127 Zur Auslegung von Gesetzen jenseits des gesetzgeberischen Willens BVERFG (14.02.1973), BVerfGE 34, 269 (288–289) (S. 288: „Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben.“); ENGISCH, Einführung11, S. 155–187; RÖHL/RÖHL, Allgemeine Rechtslehre3, S. 628–631 („Der Wille des Gesetzes“) m. V. a. RADBRUCH, Einführung in die Rechtswissenschaft12, S. 253–255 (S. 254: „Denn es ist die geheimnisvolle Kraft menschlichen Schaffens, seinen Schöpfungen eine tiefere Bedeutung mitzugeben, als der Schöpfer selbst ahnt.“); BINDING, Handbuch, S. 454–457; COING, Grundzüge der Rechtsphilosophie5,
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
a)
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Art. 9 Abs. 2 Rom I
Keinesfalls aufrechterhalten werden kann die Figur der lois d’application immédiate. Inländische Rechtsnormen, die ohne kollisionsrechtliche Auswahlentscheidung zur Anwendung gelangen, sind lediglich denkbar, wenn ausländischem Recht die Rechtsqualität abgesprochen wird. Nur dann stellt sich die Frage nach der maßgeblichen Rechtsordnung nicht, da die eigene zugleich auch die einzige Rechtsordnung ist. Da jedoch auch ausländischem Recht Rechtscharakter zukommt, gibt es keine (in- oder ausländische) Sachnorm, die ohne kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl angewendet werden kann.128 Daher bliebe Art. 9 Abs. 2 Rom I, legte man bei dessen Anwendung die Lehre von den lois d’application immédiate zugrunde, letztlich ohne jeglichen Anwendungsbereich, da unmittelbar anwendbare Sachnormen schlicht nicht existieren.
Art. 9 Abs. 2 Rom I lässt die Anwendung inländischer Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Rom I „unberührt“. Mag sich der europäische Gesetzgeber hier auch von dem Gedanken leiten haben lassen, es gäbe unmittelbar anwendbares Sachrecht, so schließt dennoch der Wortlaut beider Absätze keineswegs aus, dass sich die statutsunabhängige Bedeutung von Eingriffsnormen aus besonderen, auf diese bezogenen Kollisionsnormen ergeben kann. Art. 9 Abs. 2 Rom I lässt insofern nicht die Anwendung unmittelbar anwendbarer Sachnormen der lex fori, sondern vielmehr die von durch besondere Kollisionsnormen berufenen Sachnormen der lex fori unberührt. b)
Art. 9 Abs. 3 Rom I
Die Erscheinung der „Sonderanknüpfung“ im oben129 geschilderten Sinne ist – im Gegensatz zu den lois d’application immédiate – zwar methodisch nicht S. 263–264, 268–271; zweifelnd KAUSCH, FS Otte 2005, S. 165 ff. – Verliert der „Wille des Gesetzgebers“ auch üblicherweise erst mit der Zeit zunehmend an Bedeutung, so waren die Thesen von den lois d’application immédiate und der Sonderanknüpfung bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rom I-Verordnung „alt“. 128 Vgl. nur SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 51–57, 316–322; DERS., RabelsZ 54 (1990), S. 233–234; VOSER, Lois d'application immédiate, S. 91–93; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 6–8 m. w. N. – SCHUBERT, RIW 1987, S. 739–742, hingegen sieht nicht in der Anerkennung der Existenz fremden Rechts, sondern im „Gleichheitssatz in Verbindung mit der Grundentscheidung, daß ein Auslandsbezug gleichheitssatzrelevant ist“ (ebd., S. 742, unter Berufung auf LORENZ, Struktur des IPR, S. 56–69), die Grundlage des Kollisionsrechts. Dies mag zutreffend sein, hat aber lediglich Bedeutung für den Inhalt der kollisionsrechtlichen Entscheidung (vgl. SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 56). Allein die Existenz mehrerer Rechtsordnungen zwingt bereits dazu, eine Entscheidung über die Anwendung einer von ihnen zu treffen, mag diese auch stets zugunsten der eigenen Rechtsordnung ausfallen. 129 Siehe S. 180 bei Fn. 114.
184
3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
ausgeschlossen, verursacht jedoch einen unnötigen „Bruch“130 im kollisionsrechtlichen System und führt zu letztlich nicht befriedigend lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten. Grundsätzlich beruft das Kollisionsrecht in- wie ausländische Sachrechtsnormen, weil eine Abwägung international-privatrechtlicher Interessen ergeben hat, dass die Anwendung dieser Normen auf die zu beurteilende Situation „gerecht“ und angemessen ist. 131 Entscheidend ist dabei, dass die lex fori die Entscheidung darüber, welche Rechtsnormen angewandt werden sollen, üblicherweise autonom, eigenverantwortlich und anhand eigener „Überzeugungen“ trifft. 132 Diesem autonomistisch-multilateralistischen Ansatz indes setzt die Lehre von der Sonderanknüpfung in Bezug auf Eingriffsnormen ein unilateralistisches Konzept entgegen, indem die normative Entscheidung über die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen dem jeweiligen Erlassstaat übertragen wird.133 Der Ansatz der Sonderanknüpfungslehre beraubt das inländische Kollisionsrecht auf diese Weise zum einen einer seiner grundlegenden Aufgaben, nämlich seiner Auswahlfunktion, die nunmehr durch ausländisches Recht (beschränkt auf die jeweils eigenen Sachnormen) wahrgenommen wird.134 Da jedoch das gewohnte, multilateralistische System nicht etwa insgesamt durch ein System aus einseitigen Kollisionsnormen ersetzt wird, in dem das Kollisionsrecht jedes Staates nur für die Entscheidung über die Anwendbarkeit seines eigenen Sachrechts berufen sein soll, ist es zum anderen notwendig, zu beurteilen, ob eine konkrete Sachnorm dem uni- oder multilateralistischen Teilbereich des Kollisionsrechts zuzuord-
130
SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 236. SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71, 96–100; vgl. zur internationalprivatrechtlichen Interessenlehre auch KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 128–158; KEGEL, FS Lewald 1953, S. 259 ff. 132 „Sieht man die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit […] als spezifischen, aber integrierenden Teil der jedem Gesetzgeber vorgegebenen Rechtsidee, versteht sich die Entscheidung für das multilateralistische System von selbst“ (COESTER, ZVglRWiss 82 (1983), S. 8), denn andernfalls fehlt es an einer einheitlich konzeptionierten Gerechtigkeitsvorstellung; vgl. dazu auch SCHUBERT, RIW 1987, S. 741–742. 133 Neben das „klassische“, allseitig strukturierte Kollisionsrecht soll ein Bereich treten, der durch einseitige Kollisionsnormen geprägt ist (BASEDOW, RabelsZ 52 (1988), S. 8–13, 20–23). Die so angeknüpften inländischen „ordnungspolitischen Normen“ werden „durch die ‚freundliche Zulassung‘ ausländischer ordnungspolitischer Normen ergänzt“ (ebd., S. 38). Methodisch lässt sich dies durch auf ausländisches Kollisionsrecht gerichtete „Kollisionsgrundnormen“ (SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 73–77) erreichen, die „ungezielt“ auf alle ausländischen Kollisionsnormen verweisen, welche ihrerseits das ausländische materielle Eingriffsrecht berufen. 134 SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 236–237 („Er gibt […] die rechtspolitische Entscheidung aus der Hand […].“). 131
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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nen ist – eine Aufgabe, die sich mangels verlässlicher Abgrenzungskriterien kaum zufriedenstellend lösen lässt.135 Aufgrund dieser gravierenden Schwächen ist die Sonderanknüpfungslehre ebenfalls abzulehnen. Auch ausländisches Eingriffsrecht sollte – wie inländisches – allein deshalb Berücksichtigung finden, „weil dies eine inländische Kollisionsnorm anordnet“136. Indes wäre der Weg für eine solche „gesonderte Anknüpfung“ 137 ausländischen Eingriffsrechts versperrt, wenn Art. 9 Rom I nicht nur von der Idee einer „Sonderanknüpfung“ inspiriert wäre, sondern zugleich die unilateralistische Anknüpfung ausländischer Eingriffsnormen vorschriebe. Art. 9 Abs. 3 Rom I selbst gibt insofern jedoch keinen Aufschluss: Obwohl die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen ausdrücklich in das Ermessen138 des inländischen Rechtsanwenders gestellt wird, ist damit noch keine Entscheidung über den Stellenwert ausländischer Anwendungsbefehle getroffen. Im Rahmen eines unilateralistischen kollisionsrechtlichen Teilsystems ließe sich hierin ein Hinweis auf die nach wie vor autonom zu setzenden Grenzen erkennen, innerhalb derer allein der ausländische Anwendungsbefehl aus Sicht der lex fori Beachtung finden soll; unter Zugrundelegung eines multilateralistischen Ansatzes hingegen käme damit schlicht die Notwendigkeit zum Ausdruck, für die ausländische Eingriffsnorm einen passenden, inländischen Anwendungsbefehl zu entwickeln. Ein verpflichtendes Ansetzen beim ausländischen Anwendungsbefehl könnte sich daher allenfalls aus der Definition der Eingriffsnorm nach Art. 9 Abs. 1 Rom I ergeben. Dieser ist jedoch nur zu entnehmen, dass Eingriffsnormen insbesondere durch ihre erhebliche Bedeutung für den Erlassstaat charakterisiert werden. Nicht zum Ausdruck kommt hingegen, dass sie auch aufgrund des Anwendungsbefehls des Erlassstaates zur Anwendung gebracht werden sollen.139 Gangbar bleibt auch hier der vorzugswürdige Weg über einen auto135
SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 325–327; DERS., Lois d'application immédiate und Sonderanknüpfung, in: Holl/Klinke (Hrsg.), IPR, int. Wirtschaftsrecht, S. 68– 69; kritisch auch MANN, Rec. 132 (1971), S. 158 („What is it that renders a connexion sufficiently close?“). 136 MüKo4/MARTINY, Art. 34 EGBGB Rn. 135; PIEHL, RIW 1988, S. 843. 137 Zur begrifflichen Differenzierung von uni- und multilateralistischem Ansatz SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 322–323. 138 „Den Eingriffsnormen […] kann Wirkung verliehen werden […]“. 139 KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 198–201, weist besonders auf den im Vergleich zu Art. 7 Abs. 1 EVÜ veränderten Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 Rom I hin: Nach Art. 7 Abs. 1 konnte „zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt.“ Dieser explizite Verweis auf den ausländischen Anwendungsbefehl wurde in Art. 9 Abs. 1 Rom I aufgegeben. – Bereits gegen eine Einordnung des Art. 7 Abs. 1 EVÜ als Ausdruck eines unilateralistischen Systems COESTER, ZVglRWiss 82 (1983), S. 8–10.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
nomen, inländischen Anwendungsbefehl. Dass auch dieser nicht in der Lage sein kann, den materiell-rechtlichen Geltungsbereich einer berufenen, ausländischen Sachnorm zu erweitern, und diese daher nur auf „Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“, versteht sich von selbst.140 3.
Restrukturierung des Art. 9 Rom I
Sind damit die gesetzgeberischen Prämissen von der Existenz von lois d’application immédiate und der Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen, die bei der Schaffung von Art. 9 Rom I im Vordergrund standen, inhaltlich abzulehnen und rechtlich unverbindlich, so entfallen zugleich die Umstände, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, generell zwischen der kollisionsrechtlichen Berufung von Eingriffsnormen inländischer und ausländischer Herkunft zu unterscheiden. Notwendig ist vielmehr, die in Art. 9 Rom I enthaltenen Regelungen in ein multilateralistisches System, in dem aufgrund autonomer Interessenbewertung angemessene, inländische Anknüpfungsregeln für in- und ausländische Eingriffsnormen zu entwickeln sind, einzupassen. Die Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 2 Rom I soll es dem inländischen Rechtsanwender ermöglichen, sich bei der Beurteilung vertraglicher Rechtsbeziehungen nicht über inländisch-autonome, für ihn verbindliche Kollisionsnormen hinwegsetzen zu müssen, die unabhängig vom europäisch bestimmten Vertragsstatut inländische Sachnormen berufen.141 Die Pflicht des inländischen Rechtsanwenders, durch inländische Kollisionsnormen berufene Sachnormen anzuwenden, gilt indes unabhängig davon, welcher Rechtsordnung die verwiesenen Sachnormen entstammen. Wenn inländische Kollisionsnormen ausländisches Recht berufen, so ist es gerade ihre Aufgabe, dem inhaltlichen, „rationalen Element“ der fremden Sachnorm ein inländisches, „imperatives Element“ hinzuzufügen, welches der Sachnorm den Status aus inländischer Sicht verbindlichen Rechts verleiht.142 Die Herkunft des jeweiligen rationalen Elements ist für die Verbindlichkeit der berufenen Normen somit irrelevant, maßgeblich ist alleine der dem inländischen Recht entstammende Imperativ, der die ausländische Sachnorm „erst bei uns zu bindendem 140
SONNENBERGER, FS Kropholler 2008, S. 243 („Der Forumstaat […] legt selbst die Anwendungskriterien fest, was freilich nicht dahin missverstanden werden darf, dass er nach eigenem Ermessen die Anwendungsvoraussetzungen einer Eingriffsnorm erweitern kann.“). 141 Zur Selbstverständlichkeit dieses Anliegens, dessen ausdrücklicher Niederlegung es eigentlich nicht bedürfte, S. 172 mit Fn. 75. 142 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71–72; KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 73–74; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 175–176; SIEHR, RabelsZ 52 (1988), S. 84; SONNENBERGER, FS Rebmann 1989, S. 828.
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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Recht vervollständigt“143. Erkennt nun aber Art. 9 Abs. 2 Rom I die mit einer autonomen, inländischen Kollisionsnorm zur Berufung verbindlicher Verhaltensvorgaben für den inländischen Rechtsanwender verbundenen Zwänge an, so muss er dies konsequenterweise im Hinblick auf alle entsprechenden Kollisionsnormen tun. Es ist schlicht undenkbar, dass eine geltende Kollisionsnorm von niedrigerer Verbindlichkeit sein könnte als eine andere,144 die Gehorsamspflicht des inländischen Rechtsanwenders, das berufene (Eingriffs-)Recht anzuwenden, bleibt stets dieselbe. Notwendig wird damit eine grundsätzliche Gleichbehandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen von Art. 9 Rom I. Erreichen lässt sich dies auf zwei verschiedenen Wegen: Entweder kann man hinsichtlich der Einschränkungen, die Art. 9 Abs. 3 Rom I für die Beachtung ausländischen Eingriffsrechts vorsieht, von deren Unbeachtlichkeit ausgehen und eine „Sperrwirkung“ gegenüber inländischen Kollisionsnormen, die ausländisches Sachrecht jenseits der hier vermeintlich gezogenen Grenzen berufen, verneinen.145 Ebenso möglich ist es jedoch, auch in Bezug auf diese Normen Art. 9 143
SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72. Zur entsprechenden Problematik der gleichwertigen Verbindlichkeit aller Kollisionsnormen im Rahmen der Auseinandersetzung um die Vorfragenanknüpfung SCHURIG, FS Kegel 1987, S. 552–556, 587–588 m. w. N. (S. 556: „Ein Übergang zur abhängigen Vorfragenanknüpfung […] verlangt […] schlicht die Nichtanwendung positiv vorhandener – und damit doch wohl grundsätzlich bindender – Kollisionsnormen […]. Daß die Begründungslast bei den Befürwortern einer solchen Ansicht liegt, sollte sich auf dieser Grundlage von selbst verstehen.“). 145 So eingehend KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 265–273; RÜHL, FS Kropholler 2008, S. 206–207; SCHURIG, Symp. Kegel/Lüderitz 2014, S. 20; PWW9/REMIEN, Art. 9 Rom I Rn. 34–36; DERS., FS Hoffmann 2011, S. 343–344 [weite Auslegung des Erfüllungsorts und keine Beschränkung auf Verbotsnormen]; befürwortend auch MüKo5/SONNENBERGER, Einl. IPR Rn. 50; Erman13/HOHLOCH, Anh. II Art. 26 EGBGB – Art. 9 Rom I Rn. 27 („Nach dem Wortlaut […] will die Norm abschließend regeln […]. Indes zwingt ihr auf flexible Handhabung abgestellter Gesamtwortlaut nicht zu dieser Auslegung.“). – Eine strenge Sperrwirkung, die allein eine „rein faktische Berücksichtigung“ ausländischer Eingriffsnormen zulassen soll, entnehmen Art. 9 Abs. 3 Rom I hingegen Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 653; DERS., IPRax 2009, S. 115; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 114–117; MANKOWSKI, IHR 2008, S. 148; NK-BGB/DOEHNER, Art. 9 Rom I Rn. 52; Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 123–124 („Voraussetzung ist jedoch, dass die Norm – und damit der Erlassstaat – die Erfüllung sonst real verhindert.“ [Hervorhebungen im Original]); unentschlossen EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 61, 79; Palandt73/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 14. Ausländische Eingriffsnormen trotz der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I gegenüber einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung „auf der Ebene des Sachrechts“ berücksichtigen wollen Bamberger/Roth3/SPICKHOFF, Art. 9 Rom I Rn. 30; EINSELE, WM 2009, S. 296 („Unter welchen Voraussetzungen das anwendbare Vertragsrecht eine Leistung als sittenwidrig oder unmöglich ansieht, dürfte Rom I als kollisionsrechtliche Verordnung auch weder regeln wollen noch regeln können.“); zustimmend MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 113–114. 144
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
Abs. 2 Rom I als die maßgebliche Öffnungsklausel zu betrachten, wodurch es eines Rückgriffs auf Art. 9 Abs. 3 Rom I überhaupt nicht bedürfte. Die gegenwärtige Fassung von Art. 9 Rom I lässt eine entsprechende Deutung durchaus zu: Zwar ist Art. 9 Abs. 1 Rom I zunächst ein materiell-rechtliches Verständnis des Begriffs der Eingriffsnorm zu entnehmen. Der Grund dafür liegt jedoch in der – bereits abgelehnten146 – Lehre von den lois d’application immédiate, deren Grundprämisse es ist, dass Eingriffsnormen keines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls bedürfen und deshalb zwangsläufig eine rein materiell-rechtliche Erscheinung sein müssen. Erkennt man hingegen an, dass dem Begriff der Eingriffsnorm unausweichlich auch eine kollisionsrechtliche Komponente immanent ist, 147 so ist nicht recht einzusehen, weshalb die Zuordnung einer Eingriffsnorm zum „Recht des angerufenen Gerichts“ für die Belange des Art. 9 Abs. 2 Rom I allein anhand ihres rationalen, nicht aber ebenso gut anhand ihres imperativen Elements vorgenommen werden können sollte.148 Eine solche Lesart von Art. 9 Abs. 2 Rom I ist auch nicht etwa unvereinbar mit der Zwecksetzung der in Art. 9 Abs. 3 Rom I niedergelegten eingeschränkten Beachtlichkeit ausländischen Eingriffsrechts. Die Bedenken, die gegen den wesentlich weitergehenden Art. 8 Abs. 3 Vorschlag Rom I 149, seinen Vorgänger, Art. 7 Abs. 1 EVÜ150, und dessen vorgeschlagene Umsetzung durch Art. 34 Abs. 1 EGBGB151 vorgebracht wurden, richteten sich nicht so sehr grundsätzlich gegen einen weitergehenden Einfluss ausländischer Eingriffs146
Vgl. oben S. 183. Für Nachweise siehe S. 180 Fn. 113. 148 Dazu, dass zur Anwendung berufenes „ausländisches“ Recht gleichsam zwei Rechtsordnungen zugleich entstammt, SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72 Fn. 107 m. V. a. LÜDERITZ, RabelsZ 29 (1965), S. 429 („Von hier aus [aus Sicht des IPR] erscheint es nicht ausgeschlossen, daß eine Norm zwei – oder bei Weiterverweisung: noch mehr – gleichrangigen Rechtsquellen, inländischen wie ausländischen, entspringt.“); vgl. auch S. 122 bei Fn. 418. 149 Art. 8 Abs. 3 des Vorschlags Rom I (oben S. 169 Fn. 59) lautet: „Weist der Sachverhalt eine enge Verbindung zu einem anderen Staat auf, kann den Eingriffsnormen dieses Staates ebenfalls Wirkung verliehen werden. Bei der Entscheidung, ob diesen Normen Wirkung zu verleihen ist, berücksichtigt das Gericht Art und Zweck dieser Normen nach Maßgabe der Begriffsbestimmung in Absatz 1 sowie die Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung für das mit der betreffenden Eingriffsnorm verfolgte Ziel sowie für die Parteien ergeben würden“. 150 Dieser lautet: „Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieses Übereinkommens kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden“. 151 BT-Drs. 10/504, S. 14. 147
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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normen, sondern vor allem gegen die Unvorhersehbarkeit, mit der solche Normen nach den genannten Regelungen und auf Grundlage der Theorie von der Sonderanknüpfung Bedeutung gewinnen könnten.152 Entsprechend wurde Art. 9 Abs. 3 Rom I nicht in erster Linie seiner restriktiven Formulierung an sich wegen, sondern aufgrund der mit ihm gewonnenen Rechtssicherheit begrüßt.153 Die Parteien eines Vertrags sind sich aufgrund von Art. 9 Abs. 2 Rom I ohnehin bewusst, dass sie bestimmten zwingenden Vorschriften nicht entgehen können. Dass es sich dabei jedoch nur um zwingende Vorschriften des Forums, keinesfalls aber um solche, die das Forum „lediglich“ für sich als verbindlich erklärt hat, handeln kann, erwartet (zu Recht) niemand. 154 Die Notwendigkeit, dass die lex fori die 152 Zu Art. 7 EVÜ: Stellungnahme des BUNDESRATES, BT-Drs. 10/503, S. 83 („Die Bestimmung des Artikels 7 Abs. 1 des Übereinkommens hätte, wenn sie in innerstaatliches Recht transformiert werden müßte, eine nicht vertretbare Rechtsunsicherheit zur Folge, weil die Parteien die von der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe abhängige und im freien Ermessen des Richters stehende Anwendung von zwingenden Vorschriften eines anderen Staates nicht voraussehen können.“), BT-Drs. 10/504, S. 100; SCHURIG, Lois d'application immédiate und Sonderanknüpfung, in: Holl/Klinke (Hrsg.), IPR, int. Wirtschaftsrecht, S. 75–76 (S. 75: „Monument gesetzgeberischer Hilflosigkeit“); HEINI, BerDGesVölkR 22 (1982), S. 40–42 (S. 41: „non-rule“), der sich jedoch auch grundsätzlich gegen die Sonderanknüpfung ausländischen Eingriffsrechts ausspricht (ebd., S. 43–45); ebenfalls MANN, FS Beitzke 1979, S. 616–621 [zu Art. 7 des Vorentwurfs eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, RabelsZ 38 (1974), S. 211–219]; vgl. auch RADTKE, ZVglRWiss 84 (1985), S. 353– 354. Zu Art. 8 Abs. 3 des Entwurfs zur Rom I-Verordnung: THORN, Eingriffsnormen, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Vorschlag Rom I, S. 144–149 [S. 149: „so unbestimmt […], dass er in seiner jetzigen Fassung gestrichen werden sollte“]; Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the lew [sic] applicable to contractual obligations (Rome I) – Observations by the United Kingdom delegation vom 22. September 2006, Ratsd. 13035/06 ADD 4 (abrufbar unter ), Annex B, S. 18–21 (S. 18 Tz. 3: „Parties who are now able to predict the outcome of their contracts with a high degree certainty will no longer be able to do so.“); DICKINSON, J. Priv. Int. L. 3 (2007), S. 61–73; DUTSON, L.Q.R. 122 (2006), S. 376–379 (siehe S. 169 Fn. 59). 153 LEIBLE/LEHMANN, RIW 2008, S. 542 („Damit wird Rechtssicherheit hinzugewonnen. Die Parteien müssen nicht mehr mit der Anwendung zwingender Vorschriften eines xbeliebigen Staates rechnen, zu dem der Sachverhalt nach Ansicht des Gerichts eine enge Verbindung aufweist und der die Beachtung seines Rechts verlangt.“); MINISTRY OF JUSTICE (Vereinigtes Königreich), Rome I - Should the UK opt in?, Consultation Paper CP05/08 (abrufbar unter ), Tz. 75–81 (Tz. 80: „The Government’s initial assessment of Article 9(3) is that it represents a satisfactory outcome to the negotiations on this provision. Not only does it generally reflect the English law position in the light of the Ralli Bros [dazu S. 215 bei Fn. 122] decision […], it also constitutes an improvement in terms of legal certainty over the existing law.“); vgl. auch MANKOWSKI, RabelsZ 75 (2011), S. 685 („[…] Unsicherheit ist bekanntlich aus Sicht der City Gift.“). 154 Eine solche Erwartung kann nur haben, wer der Lehre von den lois d’application immédiate oder der Sonderanknüpfung folgt. – Darüber hinaus haben die Parteien ohnehin die Eingriffsnormen jedes potentiellen Forumstaats in Betracht zu ziehen (MANKOWSKI, RabelsZ 75 (2011), S. 681), wollen sie den Vertrag keinen Risiken aussetzen.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
ausländische Eingriffsnorm in ihrer Verbindlichkeit den inländischen Eingriffsnormen völlig gleichstellt, genügt dem Erfordernis der Rechtssicherheit, dessen Erfüllung es für das Passieren der Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 2 Rom I bedarf.155
Stellt sich die Grundannahme, bereits der Urheberschaft des rationalen Elements könne eine Aussage über die Verbindlichkeit der entsprechenden Rechtsnorm entnommen werden, als unzutreffend heraus, so sind gewisse Eingriffe in die Struktur einer Rechtsnorm, die auf dieser Grundannahme fußt, unumgänglich, um sie den tatsächlichen systematischen Gegebenheiten anzupassen. Die hier vorgeschlagene Gleichstellung kollisionsrechtlich berufener Eingriffsnormen in- und ausländischer Provenienz im Rahmen des Art. 9 Abs. 2 Rom I stellt jedoch einen Eingriff wesentlich geringerer Intensität dar als der Ansatz, den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Rom I schlicht keine Sperrwirkung beimessen zu wollen. Im Hinblick auf kollisionsrechtlich zur unmittelbaren Anwendung berufene Sachnormen ausländischer Herkunft ergeben sich zwar keine nennenswerten Unterschiede. Die Annahme, Art. 9 Abs. 3 Rom I enthalte keinerlei einschränkende Vorgaben, begnügt sich jedoch nicht damit, die fehlerhaften Prämissen des europäischen Gesetzgebers zu korrigieren, sie spricht Art. 9 Abs. 3 Rom I vielmehr jedwede normative Bedeutung ab. Einen derartigen Eingriff in das positive Recht vermag aber auch die Ablehnung der Theorien von den lois d’application immédiate und der Sonderanknüpfung nicht zu rechtfertigen.156 Dass Art. 9 Abs. 3 Rom I durchaus auch innerhalb eines streng autonomistisch-multilateralistisch strukturierten kollisionsrechtlichen Systems Bedeutung zukommt, wird noch zu zeigen sein.157 Relevant wird hier die bereits angedeutete158 Differenzierung zwischen normativer, faktischer und „materiell-rechtlicher“ Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen. Wenn eine faktische Berücksichtigung zugelassen wird, so ist dies nur konsequent, denn hier wird im Grunde nicht einer Norm Wirkung verliehen, sondern es werden rein tatsächliche Vorgänge, mögen sie durch Normen eines ausländischen Staates oder auf andere Weise motiviert sein, berücksichtigt. 159 Vor Tatsachen darf keine Rechtsordnung die Augen 155
Auch das Vereinigte Königreich, das sich maßgeblich für die Einschränkungen in Art. 9 Abs. 3 Rom I eingesetzt hat, sähe sich durch diese wohl nicht daran gehindert, die Wertungen des Bribery Act, die weitgehend auch auf ausländischen Verhaltensnormen beruhen (dazu oben S. 146 ff.), auch auf rechtsgeschäftlicher Ebene durchzusetzen. 156 Dass mit Art. 9 Abs. 3 Rom I gewisse Restriktionen bei der „Berücksichtigung“ ausländischer Eingriffsnormen verbunden sein müssen, ergibt sich bereits aufgrund dessen Tatbestands. Einer (weiteren) expliziten Feststellung der beschränkenden Wirkung einzelner Tatbestandsvoraussetzungen durch den europäischen Gesetzgeber bedarf es (wie auch hinsichtlich jeder anderen Rechtsnorm) entgegen KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 266 m. V. a. MüKo5/SONNENBERGER, Einl. IPR Rn. 50, nicht. 157 Siehe S. 214 ff., 229 f. 158 Vgl. S. 187 Fn. 145. 159 ZIMMER, IPRax 1993, S. 67–68; STOLL, Eingriffsnormen, S. 287–288; BEULKER, Eingriffsnormenproblematik, S. 12–13; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 175–180.
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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verschließen. 160 Eine andere Frage ist, inwieweit Art. 9 Abs. 3 Rom I einer normativen Berücksichtigung ausländischer Verhaltensnormen auf materiell-rechtlicher Ebene entgegensteht, insbesondere, ob die bislang praktizierte Berücksichtigung fremder Verbotsnormen über § 138 BGB einzuschränken ist.161 Eine solche Berücksichtigung über § 138 BGB „kommt einer Sonderanknüpfung jedenfalls in der Wirkung nahe“162 und beruht auf originär kollisionsrechtlichen Erwägungen, da die normativen Wertungen der ausländischen Norm aufgegriffen werden, nicht allein ihre tatsächlichen Auswirkungen. 163 Steht damit fest, dass es sich bei der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen der guten Sitten 164 um eine normative und damit um eine kollisionsrechtliche Fragestellung handelt, so darf nicht übersehen werden, dass auch die Normativität ausländischer Verhaltensnormen auf verschiedenerlei Wegen berücksichtigt werden kann. Fremde Verhaltensnormen können (und allein davon war bislang die Rede) zu aus inländischer Sicht verbindlichen Verhaltensbefehlen vervollständigt werden. Ebenso gut kann die inländische Rechtsordnung es jedoch bei der Unverbindlichkeit eines fremden Verhaltensbefehls an sich belassen, diesem aber dennoch sekundär dieselben Sanktionswirkungen zubilligen wie einem verbindlichen Verhaltensbefehl.165 Auch mit der grundsätzlichen Zuordnung jedweder normativen Berücksichtigung fremden Rechts zum Kollisionsrecht ist somit nicht unbedingt ein einheitliches Vorgehen verbunden, denn dass nicht beide aufgezeigten Methoden auf derselben Art von kollisionsrechtlichem Anwendungsbefehl beruhen, liegt auf der Hand. So wie erstere Methode mit Art. 9 Abs. 2 Rom I verbunden ist, mag im Hinblick auf zweitere Art. 9 Abs. 3 Rom I durchaus von Bedeutung sein.166
III. Schlussfolgerungen Innerhalb eines autonomistisch-multilateralistisch ausgerichteten Kollisionsrechts hat die Differenzierung zwischen in- und ausländischen Eingriffsnormen keine Berechtigung. Alle von der lex fori mit einem kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl versehenen (Verhaltens-)Normen sind für den inländi160
STOLL, Eingriffsnormen, S. 288 („Diese Fakten können schlechthin nicht ignoriert werden.“); VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 185–189. 161 Keine Einschränkung der Möglichkeit, ausländische Eingriffsnormen im Rahmen von § 138 BGB zu berücksichtigen, anerkennend etwa EINSELE, WM 2009, S. 296; anderer Ansicht Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 653; für jeweils weitere Nachweise siehe S. 187 Fn. 145. 162 PWW9/REMIEN, Art. 9 Rom I Rn. 37. 163 Eingehend SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 240–244; ZEPPENFELD, Allseitige Anknüpfung, S. 52–56; SCHUBERT, RIW 1987, S. 736–738; KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 79–83; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 180–185. 164 Innerhalb der guten Sitte nochmals zu differenzieren und eine Berücksichtigung im Rahmen von § 138 BGB als durch Art. 9 Abs. 3 Rom I gesperrt, eine Berücksichtigung im Rahmen des § 826 BGB hingegen als zulässig anzusehen, weil es sich dabei um eine „rein faktische“ handele (Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 653), erscheint jedenfalls wenig konsequent. Hier wie dort liegt eine normative Berücksichtigung vor. 165 So verstanden rücken ausländische Verhaltensnormen tatsächlich in die Nähe der guten Sitten und eine Berücksichtigung über § 138 BGB erscheint konsequent; vgl. SONNENBERGER, FS Rebmann 1989, S. 836, und ausführlich unten S. 197 ff. 166 Dazu S. 214 ff., 229 f.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
schen Rechtsanwender zwingend und in gleicher Weise anzuwenden. Diese undifferenzierte Gebundenheit des Rechtsanwenders an jedwede mit einem inländischen „imperativen Element“ versehene Rechtsnorm erkennt Art. 9 Abs. 2 Rom I an. Entgegen dieser Einschätzung wird verschiedentlich angenommen, auch Art. 9 Abs. 2 Rom I sehe als ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung für inländisches Eingriffsrecht die Notwendigkeit einer durch das europäische Recht näher zu definierenden Nähebeziehung des in Frage stehenden Schuldverhältnisses zur inländischen Rechtsordnung vor.167 Verhindert werden soll durch ein solches Erfordernis offenbar, dass Mitgliedstaaten ihren eigenen Sachnormen einen ungerechtfertigt breiten Anwendungsbereich verschaffen, indem sie bei der Aufstellung ihrer Kollisionsnormen auf einen ausreichenden Inlandsbezug verzichten. Ein solches ergänzendes Kriterium ist indes in Anbetracht der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 2 Rom I gerade den „Zwängen“ Rechnung tragen will, denen sich jeder Rechtsanwender aufgrund zwingender staatlicher Kollisionsnormen ausgesetzt sieht, 168 inkonsequent und zudem aufgrund der Existenz anderweitiger Kontrollmechanismen unnötig: Eine Beurteilung der in Frage stehenden inländischen Kollisionsnormen anhand höherrangigen Rechts erfolgt ohnehin 169 und eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs für Rechtsnormen, die bereits unter europäische Kollisionsnormen zu qualifizieren sind, scheitert an deren Anwendungsvorrang. 170 Veranlassung dafür, darüber hinaus innerhalb des europäischen Rechts ein weiteres einschränkendes Anwendungskriterium zu etablieren, besteht daher nicht.171 Vielmehr ist anzunehmen, dass das Europarecht gewillt ist, jedem Mitgliedstaat „das Vertrauen entgegenzubringen, daß er anwendungswillige Eingriffsnormen nur bei ausreichendem Inlandsbezug erläßt“172.
167 Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 81–86; Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 563–564; BITTERICH, GPR 2006, S. 165; MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 109, 122–124; vgl. auch KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 107–113. 168 Vgl. dazu S. 172 mit Fn. 75 und S. 179 mit Fn. 109. 169 SONNENBERGER, FS Kropholler 2008, S. 242; zustimmend jurisPK-BGB6/RINGE, Art. 9 Rom I Rn. 22. – Vgl. zu den völkerrechtlichen Vorgaben hinsichtlich von (korruptionsbezogenen) Verhaltensnormen S. 103 ff. 170 KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 112 („Will man die in den Rom-Verordnungen kodifizierten Kollisionsnormen nicht ad absurdum führen, so kann der nationale Anwendungsbefehl zumindest dann nicht befolgt werden, wenn dieser bereits von Seiten des europäischen IPR ausgesprochen worden ist.“). 171 Vgl. SONNENBERGER, FS Kropholler 2008, S. 242; hinsichtlich der Rechtslage vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung RADTKE, ZVglRWiss 84 (1985), S. 331; MANKOWSKI, RIW 1998, S. 290 (Fn. 39: „Art. 34 EGBGB würde einem inländischen Eingriffsgesetz selbst dann den Weg freisperren, wenn dieses ausdrücklich Anwendung auf jeden Fall unabhängig vom anwendbaren Recht und unabhängig vom Vorliegen eines Inlandbezuges erheischte. Ob ein solches Gesetz allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts (Erforderlichkeit von minimum contacts für die Inanspruchnahme von Regelungskompetenz) entspräche und damit nach Art. 25 GG höherrangigem Recht standhielte, steht auf einem anderen Blatt.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]). 172 RADTKE, ZVglRWiss 84 (1985), S. 331 [dazu, dass im Rahmen der Sonderanknüpfung dem ausländischen Anwendungsbefehl nicht das gleiche Vertrauen wie dem inländischen entgegengebracht wird].
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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In Bezug auf die hier in Frage stehenden, mit inländischen Anwendungsbefehlen versehenen, ausländischen korruptionsbezogenen Verbotsnormen erfolgt daher eine völlige Gleichstellung mit den entsprechenden inländischen Verboten. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich ihrer rechtsgeschäftlichen Auswirkungen. Für die Annahme etwa, § 134 BGB wirke nur im Zusammenhang mit inländischen Verbotsgesetzen, weil ausländische Verbotsgesetze keine Verbindlichkeit im Inland besäßen,173 gibt es daher nicht nur „keinen Grund“174, sie widerspricht vielmehr dem Befund, dass hier aus inländischer Sicht durch in- und ausländisches Recht gleichermaßen verbindliche Verhaltensbefehle erteilt werden.175 Letztlich bleibt jedoch die Entscheidung darüber, ob die rechtsgeschäftliche Sanktionierung eines ausländischen Verbots über § 134 BGB oder über § 138 BGB zu erfolgen hat, weitgehend ohne Belang. 176 Die Entscheidung über die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts aufgrund einer unmittelbar entgegenstehenden verbindlichen Verhaltensnorm wird nicht etwa erst durch eine „gemischt sachrechtlich/kollisionsrechtliche[…]“177 Norm getroffen, die zum einen aus dem zur Anwendung berufenen, keinerlei privatrechtliche Rechtsfolgen enthaltenden (ausländischen) Verbot und zum anderen aus einer (dem Vertragsstatut entstammenden) Nichtigkeitsanordnung besteht. Vielmehr steht bereits mit der Entscheidung der Rechtsordnung, verbindliche Verhaltensbefehle zu erteilen, fest, dass sie jedem Rechtsgeschäft, das inhaltlich widersprechende Verpflichtungen aufstellt, die Wirksamkeit versagen wird, und zwar ganz allein deshalb, weil es schlicht undenkbar ist, dass eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung inhaltlich derjenigen Rechtsordnung widerspricht, aus der allein sie ihre Rechtsverbindlichkeit herleitet.178 § 134 BGB 173
RG (03.10.1923), RGZ 108, 241 (243); RG (17.06.1939), RGZ 161, 296 (299) („Ausländische Verbote sind für den deutschen Richter nicht unbedingt maßgebend […].“); BGH (22.06.1972), BGHZ 59, 82 (85) („Eine Anwendung des § 134 BGB bei einem ausländischen Verbotsgesetz kommt nicht in Betracht, weil dieses im Inland unmittelbar keine Verbindlichkeit besitzt […].“); Staudinger2011/SACK/SEIBL, § 134 Rn. 48; FIKENT6 SCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 86; SCHNEIDER, JbFSt 1983/84, S. 179; KROPHOLLER, IPR , S. 505; PIEHL, Bestechungsgelder, S. 48–50. 174 SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 240 Fn. 113. 175 Eine Anwendung von § 134 BGB in Bezug auf ausländische Verbotsnormen zulassend, „wenn sie nach deutschem IPR (ausnahmsweise) für anwendbar erklärt werden“ MüKo6/ARMBRÜSTER, § 134 Rn. 40; NK-BGB2/LOOSCHELDERS, § 134 Rn. 40; ZIMMER, IPRax 1993, S. 69; vgl. auch MÜLBERT, IPRax 1986, S. 140–141 (S. 140: „Gleichrangigkeit des deutschen Rechts und der ausländischen Eingriffsnorm“). 176 Die grundlegende kollisionsrechtliche Entscheidung für oder gegen die Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts in den Vordergrund stellend SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 244 („ein grundlegender Unterschied besteht hier nicht“). 177 ZIMMER, IPRax 1993, S. 66; SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 243–244 („gemischte Norm“). 178 Zur Einheit der Rechtsordnung S. 55 ff.
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3. Kapitel: Korruption und europäisches Kollisionsrecht
ist insofern nicht mehr als ein Hinweis darauf, dass auch Verträge der Normenhierarchie179 unterworfen sind und höherrangigem Recht inhaltlich nicht widersprechen können, ohne ihre Wirksamkeit einzubüßen.180 Unerheblich ist insofern, welchem Recht das fragliche Rechtsgeschäft im Übrigen unterstellt ist. Selbst wenn man § 134 BGB als Bestandteil des Vertragsstatuts auffassen will, 181 so kann daraus keinesfalls folgen, dass eine vertragliche Verpflichtung, die einem aus inländischer Sicht verbindlichen Verbot zuwiderläuft, Rechtsverbindlichkeit erlangt. 182 Ob man diesem Gedanken dadurch Rechnung tragen will, dass § 134 BGB angewendet wird, auch wenn nicht das deutsche Recht Vertragsstatut ist, dass entsprechende Vorschriften des jeweiligen Vertragsstatuts bemüht werden oder dass ohne Umschweife das Verbot selbst als Nichtigkeitsgrund angegeben wird, ist letztlich einerlei. Für die Beurteilung von Schmiergeldabreden und Vermittlungsverträgen, die auf die Zuwendung von Schmiergeldern gerichtet sind, erübrigt es sich daher, aus Verstößen gegen ausländische Verbotsnormen etwa mittelbar einen Verstoß gegen die guten Sitten zu konstruieren183. Die gegen ein nach den obigen Kollisionsnormen berufenes, korruptionsbezogenes Verbot verstoßenden Teile derartiger Rechtsgeschäfte sind – ohne dass eine weitere Abwägung notwendig oder auch nur zulässig wäre – ohne weiteres aufgrund des Verbots nichtig.
Etwas anderes gilt hingegen in Bezug auf Hauptverträge und solche Vermittlungsverträge, deren Erfüllung nicht zwangsläufig mit der Vornahme verbotener Bestechungshandlungen einhergehen. Diesen Rechtsgeschäften fehlt es an einem unmittelbar verbotswidrigen Element, aufgrund dessen sich ihre Unwirksamkeit gleichsam „von selbst“ ergeben könnte. Rechtsgeschäftliche Sanktionen in Form der Nichtigkeit derartiger Geschäfte beruhen daher auf einer das bloße Verbot ergänzenden normativen Wertung. Sie ergeben sich nicht unmittelbar aus der jeweiligen Verhaltensnorm, sondern erst aufgrund eines konsequenten Fortdenkens der mit dieser verbundenen Intentionen und 179
Vgl. RAISER, Recht der AGB, S. 69 (oben S. 55 Fn. 31). § 134 BGB – insbesondere seines auf das jeweilige Verbotsgesetz rekurrierenden Vorbehalts wegen – für kaum bedeutsam erachtend etwa MEDICUS, AT10, Rn. 646; FLUME, AT II3, S. 341 („Die Vorschrift des § 134 BGB besagt in Wirklichkeit nichts. […] Was die Frage der Nichtigkeit anbetrifft, kommt es vielmehr jeweils ausschließlich auf das einzelne Verbotsgesetz an.“). 181 So etwa Staudinger2011/SACK/SEIBL, § 134 Rn. 47; Staudinger2011/HAUSMANN, Art. 10 Rom I Rn. 26; MüKo5/SPELLENBERG, Art. 10 Rom I Rn. 122; MANKOWSKI, RIW 1994, S. 690. 182 V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 89 („[D]er hinter § 134 BGB stehende Rechtsgedanke [muss] sachlich immer zum Zuge kommen […], wenn das jeweilige Rechtsgeschäft inhaltlich gegen ein deutsches gesetzliches Verbot verstößt.“). 183 Vgl. nur BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (271) („[D]as Fordern und Entgegennehmen von Bestechungsgeldern durch ausländische Amtsträger [ist] jedenfalls insoweit zu mißbilligen, als diese dadurch gegen die Rechtsordnung ihres Heimatlandes verstoßen.“). 180
B. Rechtsgeschäftliche Sanktionierung von Verhaltensnormen
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Schutzzwecke. 184 Erst durch diese ergänzende Wertung kommt es zu einer Verknüpfung von Verbot und Rechtsgeschäft, deren Regelungsbereiche sich ansonsten nicht berühren. Obgleich die Fortführung des Schutzzwecks des jeweiligen Verbots in erster Linie eine dem § 134 BGB zuzuordnende Vorgehensweise zu sein scheint, rechtsgeschäftliche Folgen korruptionsbezogener Verbote indes bislang überwiegend als eine § 138 BGB unterfallende Fragestellung aufgefasst wurden,185 so ändert dies nichts an der normativen Struktur der Vorgehensweise. Beide Generalklauseln können auf gesetzliche Verbote Bezug nehmen, beide erfordern ergänzende Wertungen, um zu einer angemessenen Rechtsfolge zu gelangen. Allein aufgrund der Tatsache, dass diese Wertungen in Bezug auf korruptive Handlungsweisen bislang ganz überwiegend im Rahmen des § 138 BGB vorgenommen wurden, sollen die damit verbundenen Fragen auch hier im Zusammenhang mit dem Verweis auf die „guten Sitten“ erörtert werden.186
184 BGH (23.09.1982), BGHZ 85, 39 (43); BGH (23.10.1980), BGHZ 78, 263 (265); MüKo6/ARMBRÜSTER, § 134 Rn. 41–42 Soergel13/HEFERMEHL, § 134 Rn. 14; FLUME, AT II3, S. 341; ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 215, S. 1154–1155, 1158–1160. 185 Dazu S. 32 ff. 186 Siehe S. 205 ff.
4. Kapitel
Korruption und Sitte Hinter dem schillernden Begriff der Sitte verbergen sich Erscheinungen ganz unterschiedlicher Natur. Der Rückgriff auf dieses Phänomen ist kein für die rechtliche Auseinandersetzung mit der Korruption charakteristisches Kennzeichen, eine Besonderheit mag man jedoch darin erkennen, dass für die Behandlung der Korruption jeder Erscheinungsform der Sitte Bedeutung zukommt. In Form der guten Sitten (§ 138 BGB) fungiert die Sitte zum einen als Verweis auf außerrechtliche (soziale) Verhaltensnormen,1 die – wie auch die gesetzlichen Verbote – als Grenze der Privatautonomie wirken und daher der Rechtswirksamkeit korruptiver Absprachen auch dort entgegen stehen können, wo Zuwendungen an Entscheidungsträger keinem gesetzlichen Verbot widersprechen.2 In Form der Sozialadäquanz sind diesen normativen Sitten mitunter aber auch Einschränkungen bestehender rechtlicher Verbote zu entnehmen.3 Gleichzeitig erfüllen die guten Sitten jedoch auch eine völlig andere Funktion,4 indem mit ihnen die Fortführung und Weiterentwicklung bereits bestehender Grundwertungen der Rechtsordnung und deren Verdichtung zu Grenzen der Privatautonomie bezeichnet wird. 5 Dieser Aspekt der guten Sitten 1
HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 53 („Sitte im engeren Sinn“); OERTMANN, Rechtsordnung, S. 25–29 („Sittenregel“); PFENNINGER, Uebung und Ortsgebrauch, S. 7–11; vgl. auch die Nachweise in Fn. 5; kritisch hingegen OTT, FS Raiser 1974, S. 412–417; AKBGB/DAMM, § 138 Rn. 6–12. 2 BGH (14.03.1991), NJW 1991, 1819 (1820); BGH (25.06.1986), ZIP 1986, 1254 (1255); BGH (14.12.1972), NJW 1973 (363); RG (20.09.1939), RGZ 161, 229 (233–234); vgl. S. 19 bei Fn. 74. 3 Dazu bereits oben S. 73 ff.; vgl. auch FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 87 unter b), die mit dem „über den Rand formaler Legalität“ hinausreichenden, „allgemein tolerierten Alltagsverhalten“ eben diesen Widerspruch zwischen rechtlicher und sozialer Verhaltensregel beschreiben. 4 MAYER-MALY, AcP 194 (1994), S. 172 („Die guten Sitten […] sind multifunktional.“). 5 LARENZ/WOLF, AT9, § 41 Rn. 12–16; LARENZ, Grundsätzliches zu § 138 BGB, in: Erdsiek (Hrsg.), Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 118 („Verweisung sowohl auf die […] ‚herrschende Moral‘, wie auch auf die ethisch begründeten Grundprinzipien und immanenten Wertungsmaßstäbe der Rechtsordnung selbst“); MüKo6/ARMBRÜSTER, § 138 Rn. 13 („Wechselwirkung zwischen außerrechtlichen Wertordnungen und rechtsimmanenten
A. Gute Sitten und „soziale“ Normen
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liegt etwa der Nichtigkeit von durch korruptives Verhalten beeinflussten Hauptverträgen zugrunde, in denen sich möglicherweise der Erfolg, den die korruptionsbezogenen Verbote zu verhindern bestimmt waren, manifestiert.6 (Gesetzliche) Verbote umgibt mitunter ein – meist dem Verstoß vorgelagerter, 7 unter Umständen (wie im Falle korruptiver Hauptverträge) aber auch nachgelagerter – Bereich, welcher, obgleich nicht durch einen unmittelbaren Verstoß gegen die zentrale Verhaltensnorm gekennzeichnet, der freien, privatautonomen Gestaltungsmöglichkeit entzogen ist. Schließlich kann mit Sitte auch lediglich ein innerhalb einer bestimmten Personengruppe weitverbreiteter, üblicher, jedoch nicht normativ wirkender Verhaltensgleichlauf bezeichnet werden.8 Für die Behandlung der Korruption von Bedeutung ist hier, inwiefern der Einwand trägt, eine andauernde, „allgemein üblich[e]“ und unsanktionierte Missachtung ausländischer korruptionsbezogener Verbote führe zu deren rechtlicher Unbeachtlichkeit.9
A. Gute Sitten und „soziale“ Normen „Wenn […] das Gesetz die Handlungen, welche den guten Sitten widersprechen, von den Vertragsgegenständen […] ausschliesst, so beruft es sich mit diesen einfachen Worten auf Regelsysteme, die verwickelter als das ganze Gesetzbuch […] sind.“10
Ursprünglich sah man in den guten Sitten eine Verweisung auf die „Sozialmoral“ als „Inbegriff der sittlichen Verhaltensanforderungen, die von der Sozietät an ihre Mitglieder gestellt werden“.11 Wie die Lehre von der SozialGrundsätzen“); BYDLINSKI, FS Gernhuber 1993, S. 830–834; LINDACHER, AcP 173 (1973), S. 125; Palandt73/ELLENBERGER, § 138 BGB Rn. 3–6; Bamberger/Roth3/WENDTLAND, § 138 Rn. 16–18.1; beide Funktionen bereits aufgreifend Staudinger11/RIEZLER/COING, § 138 Rn. 5. – Dass nicht etwa allein rechtliche Wertungen dem Sittenwidrigkeitsurteil zugrunde liegen, wird auch in BVERFG (15.01.1958), BVerfGE 7, 198 (215), anerkannt: „Diese Anschauungen sind geschichtlich wandelbar, können daher – in gewissen Grenzen – auch [Hervorhebung hinzugefügt] durch rechtliche [Hervorhebung im Original] Gebote und Verbote beeinflusst werden“. 6 Vgl. oben S. 40 ff., insbesondere bei Fn. 208. 7 Für Beispiele siehe S. 25 ff., insbesondere Fn. 113. 8 HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 53 („Gewohnheit der Gruppe“ [Hervorhebung im Original]); OERTMANN, Rechtsordnung, S. 25. 9 FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 87–88 m. V. a. HOPT, FS Tübingen 1977, S. 301–304. 10 KNAPP, Rechtsphilosophie, S. 227. 11 HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 71; vgl. auch HIRSCH, JZ 1962, S. 333 („[Es] handelt sich bei derartigen Generalklauseln um rechtlich bindende Verweisungen auf außerrechtliche (metajuristische) soziale Ordnungen […].“ [Hervorhebung im Original]); OERTMANN, Rechtsordnung, S. 22 („Anerkennung von ethischen ‚Kulturnormen’ für die rechtliche Beurteilung“); STEINBACH, DJZ 1899, S. 49 („[…] Gemeinschaften […] sind aber stets
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adäquanz 12 beruht die Einschränkung der Privatautonomie durch die guten Sitten zum einen auf der Erkenntnis, dass nicht der Rechtsordnung allein die Lenkung menschlichen Verhaltens überlassen ist, sondern diese vielmehr die vorgefundenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, weil sie „das soziale Leben nur teilweise regelt, regeln kann und regeln will“13. Zum anderen dient die Korrektur der Flexibilisierung 14 der Rechtsordnung durch Berücksichtigung eines wandelbaren Bewertungsmaßstabs und der Selbstkontrolle 15 der betroffenen Verkehrskreise. Verwiesen wird dabei auf soziale Verhaltensnormen, welche – ebenso wie rechtliche Verhaltensnormen – ein äußeres Verhalten wegen der mit ihm (oftmals) verbundenen schädlichen Folgen missbilligen.16 Gegen eine Rezeption sozialer Verhaltensnormen durch Verweise auf die guten Sitten wird der Verlust einheitlicher Bewertungsmaßstäbe durch gesellschaftliche Veränderungen angeführt, wodurch die Gesellschaft ihrer Fähigkeit zur „Selbstregulierung ihrer Konflikte“17 verlustig gegangen sei.18 Mag auch eine Diversifizierung gesellschaftlicher Vorstellungen stattgefunden haben und damit ein einheitlicher Bewertungsmaßstab durch die Gesellschaft partiell verlorengegangen sein, 19 bleibt es dennoch dabei, dass die Gesellgeneigt, eine Handlungsweise ihrer Mitglieder, welche gegen den Gesamtegoismus nach ihrer Ansicht verstößt, als Verletzung der ‚guten Sitten‘ aufzufassen.“); PETERS, JZ 1983, S. 922. KÖNIG, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Hirsch/Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie2, S. 43–44, spricht in diesem Zusammenhang vom „öffentliche[n] Moralbewußtsein einer Gesellschaft ([…] ‚morals‘ […])“. 12 Dazu oben S. 73 ff. 13 HIRSCH, JZ 1962, S. 333; HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 64 („[D]ie rechtliche Regelung der Sozialbezüge [kann] nicht bis in die letzte Einzelheit durchgeführt werden […].“); LARENZ/WOLF, AT9, § 41 Rn. 1 („Die in einer Gesellschaft vorherrschenden und sie prägenden grundlegenden Wertvorstellungen müssen deshalb in die Rechtsordnung integriert werden.“); vgl. für Nachweise auch S. 79 Fn. 173, 174. 14 REICH/WEGENER, JuS 1974, S. 563 [zu § 1 UWG]. 15 TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 52–56. 16 LARENZ, Grundsätzliches zu § 138 BGB, in: Erdsiek (Hrsg.), Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 105–106 („Die Gebote und Verbote der ‚herrschenden Moral‘ richten sich […] nicht anders als die Gebote und Verbote der Rechtsordnung in erster Linie auf ein äußeres Verhalten.“ [Hervorhebung im Original]); Soergel13/HEFERMEHL, § 138 Rn. 3; ZITELMANN, IPR I, S. 338 („Unsittlich kann in letzter Linie immer nur ein menschliches Verhalten sein[.]“); vgl. auch JELLINEK, Recht, Unrecht und Strafe, S. 27; dazu bereits S. 75 bei Fn. 153. 17 TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 56. 18 AK-BGB/DAMM, § 138 Rn. 8 („realitätsverleugnende Blickverengung auf das ‚staatstragende‘ Besitzbürgertum“) m. V. a. REICH/WEGENER, JuS 1974, S. 563 („[Der] Nachvollzug der sozialen Normen herrschender Geschäftsmoral war allerdings von vornherein irreal und von der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklung überholt.“). 19 BYDLINSKI, FS Gernhuber 1993, S. 831 („irreale Voraussetzung vollständigen Konsenses“). Dazu, dass das Fehlen eines vollständigen Konsenses kein Merkmal „pluralistischer“ Gesellschaften ist, S. 226 mit Fn. 185.
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schaft nach wie vor soziale Normen hervorbringt, die geeignet sind, als Einschränkung der Privatautonomie zu dienen. 20 Auch in einer „pluralistischen Gesellschaft“ existiert „Alltagsmoral“,21 die sich zu Verhaltensnormen verdichtet hat und deren Bestand durch soziologische Befunde nachgewiesen werden kann.22 Wäre dies anders, so wäre der Fortbestand der Gesellschaft selbst in Frage gestellt.23 Nach wie vor gilt daher, dass ein Rekurs der Rechtsordnung auf soziale Normen möglich und notwendig24 ist.
I.
„Primäre“ Unverbindlichkeit
Obwohl § 138 BGB somit auf soziale Verhaltensnormen verweist, an einen (potentiellen) Verstoß gegen diese eine Rechtsfolge knüpft und sie damit zu einer „sekundären Rechtsquelle“ 25 erhebt, besteht ganz überwiegend Einigkeit dahin gehend, dass die in Bezug genommenen sozialen Verhaltensnormen lediglich als eine Grenze der Privatautonomie dienen, nicht hingegen zu rechtlich verbindlichen Verhaltensbefehlen erklärt werden. 26 Nimmt man 20 WOLF/NEUNER, AT10, § 46 Rn. 14, etwa sehen hinsichtlich der „Geschäftsmoral“ nach wie vor einen „relativ breite[n…] Konsens“. 21 MAYER-MALY, JBl. 1991, S. 688–689; zustimmend BYDLINSKI, FS Gernhuber 1993, S. 831. 22 Zur Ermittlung sozialer Normen eingehend TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 79–90 m. w. N.; vgl. auch MAYER-MALY, AcP 194 (1994), S. 108–109 („Die Möglichkeit des Einsatzes von Demoskopie zur Ermittlung der guten Sitten ist anzuerkennen […].“) m. w. N. Von „[s]oziologische[r] Geltung“ sprechen Staudinger11/RIEZLER/COING, § 138 Rn. 5. 23 EHRLICH, Soziologie des Rechts4, S. 58 („Kein einziger der rechtlichen Verbände könnte allein durch Rechtsnormen bestehen, sie bedürfen fortwährend der Unterstützung außerrechtlicher Normen, die ihre Kraft verdoppeln und ergänzen.“); MAYER-MALY, AcP 194 (1994), S. 171 („jenes bescheidene Minimum an Wertvorstellungen, ohne das Sozietäten erfahrungsgemäß nicht auskommen können“); DERS., JuS 1986, S. 599 („Ohne ein Minimum an Konsens über Sachfragen kann eine Rechtsgemeinschaft nicht bestehen.“); RGRK12/KRÜGER-NIELAND/ZÖLLER, § 138 Rn. 19; KÖNIG, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Hirsch/Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie2, S. 44–45. 24 Mag es auch zu einer Diversifizierung sozialer Verhaltensnormen gekommen sein, so ist es dennoch bei der Unvollständigkeit der Rechtsordnung geblieben, die einen Rückgriff auf andere Bewertungsmaßstäbe nach wie vor notwendig erscheinen lässt. Mit der Diversifizierung geht daher lediglich ein verstärktes Auswahlproblem einher, nicht der Verzicht auf außerhalb der Rechtsordnung stehende Maßstäbe. 25 V. TUHR, AT II 2, S. 21. 26 GEBHARD, Entwurf II, S. 160 („Die Rechtsordnung leiht dem Sittengebote nicht eine positive Unterstützung, sondern hält nur die freie Bahn zum sittlichen Handeln für jedermann offen.“); V. TUHR, AT II 2, S. 21–22 („[A]us Tatsachen, die nur dem sittlichen Leben angehören, entstehen keine Rechte und Pflichten; dagegen kann bei Vorliegen einer Unsittlichkeit ein juristischer Tatbestand der Rechtswirkung ermangeln.“); WOLF/NEUNER, AT10, § 46 Rn. 1; MEDICUS, AT10, Rn. 680; HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 82; Bamberger/Roth3/WENDTLAND, § 138 Rn. 2.1. Anderer Ansicht jedoch wohl ENNECCERUS/NIP15 PERDEY, AT 1 , S. 203 („rechtlich unerlaubt“).
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
indes den Verweis auf die guten Sitten durch § 826 BGB in den Blick, so ändert sich das Meinungsbild: Hier wird oftmals davon ausgegangen, ein sittenwidriges Verhalten sei zugleich auch rechtswidrig. 27 Dies geschieht jedoch zum einen aufgrund der Vorstellung, der Begriff der guten Sitten sei ausschließlich durch rechtliche Erwägungen auszufüllen,28 zum anderen aufgrund eines erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitsbegriffs, der nicht in erster Linie auf dem Verstoß gegen eine Verhaltensnorm, sondern auf einer unerwünschten Schadenszufügung fußt,29 wobei vorsätzlich und sittenwidrig herbeigeführte Schädigungen allgemein als besonders unerträglich empfunden werden.30 Auch § 705 des ersten Entwurfs zum BGB stellt die „an sich erlaubte Handlung“ den rechtswidrigen Handlungen nur gleich, „wenn sie einem Anderen zum Schaden gereicht und ihre Vornahme gegen die guten Sitten verstößt“, erklärt sie jedoch nicht selbst für rechtswidrig.31 Ein vorsätzliches, sittenwidriges Verhalten, das einen Schaden nach sich zieht, soll demnach lediglich wie ein rechtswidriges einen deliktischen Schadensersatzanspruch begründen können. 32 Eine Erhebung sozialer zu rechtsverbindlichen 27 Staudinger2009/OECHSLER, § 826 Rn. 45; Soergel12/HÖNN/DÖNNEWEG, § 826 Rn. 12, jeweils m. w. N.; RG (03.05.1937), RGZ 155, 55 (59) („Es liegt gerade im Sinne des § 826 BGB., wie auch sein Wortlaut besagt, zwischen einem Verstoß gegen die guten Sitten und einem rechtswidrigen Verhalten keinen Unterschied zu machen […].“). 28 So etwa OTT, FS Raiser 1974, S. 412–417, auf den Staudinger2009/OECHSLER, § 826 Rn. 45, verweist; dagegen bereits S. 196 Fn. 5. Zur Bedeutung rechtlicher Wertungen bei der Bestimmung der guten Sitten siehe S. 205 ff. 29 Ein Überblick m. w. N. zur Diskussion um Erfolgs- und Handlungsunrecht findet sich etwa bei LARENZ, FS Dölle 1963 I, S. 169 ff. 30 PETERS, JZ 1983, S. 920 („[Es ist] die Intensität des Angriffs – Sittenwidrigkeit und Vorsatz werden gefordert! –, die jeglichen Zweifel an der Legitimität der Haftung verstummen läßt.“); vgl. auch RGRK12/STEFFEN, § 826 Rn. 32 („Der Verstoß gegen die guten Sitten zusammen mit dem Schädigungsvorsatz stellen ein Verhalten dar, das von der Haftungsnorm als rechtswidrig beurteilt wird.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]); LARENZ, FS Dölle 1963 I, S. 169 („Daß […] die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung eines anderen (§ 826 BGB) rechtswidrige Handlungen sind, steht außer Zweifel.“). 31 Vgl. auch Motive II, S. 726–727 = Mugdan II, S. 405–406 („Als widerrechtlich (Delikt) gilt hiernach auch die zwar kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte, aber illoyale, gegen die guten Sitten verstoßende Handlungsweise, wenn sie einem Anderen zum Schaden gereicht.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 32 PETERS, JZ 1983, S. 923 („Im deliktischen Bereich nimmt § 826 BGB in ähnlich umfassender Weise wie § 823 II BGB auf anderweitig gesetzte Maßstäbe Bezug; nur gehören diese – die guten Sitten – nicht dem rechtlichen, sondern dem außerrechtlichen Bereich an.“) – Entsprechend differenziert LÖWISCH, Deliktsschutz, S. 137–140, zwischen § 823 Abs. 1 BGB, der in Fällen rechtswidrigen Verleitens zum Vertragsbruch heranzuziehen sei, und § 826 BGB, der auf die „an sich erlaubte“ Verleitung „zur ordnungsgemäßen Vertragsauflösung“ anzuwenden sei, wenn diese ausnahmsweise gegen die guten Sitten verstoße (ebd., S. 140). – Vgl. zur Gleichstellung der Rechtsfolgen rechtswidrigen und (lediglich) sittenwidrigen Verhaltens im Rahmen des § 123 BGB OLG STUTTGART (25.11.1919),
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Verhaltensnormen ist hingegen auch hiermit nicht verbunden.33 Zu erwarten wäre ansonsten, dass ein solch pauschaler Verweis auf außerrechtliche Maßstäbe – wie auch an anderer Stelle34 – auf erheblichen Widerspruch stieße.35 II. „Sekundäre“ Anwendung Obgleich § 138 BGB also auf – von der Warte der inländischen Rechtsordnung aus – an sich unverbindliche Verhaltensnormen Bezug nimmt, werden diese – beschränkt auf die von § 138 BGB vorgesehene Rechtsfolge der Nichtigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen – in ihrer Wirkung rechtsverbindlichen Verhaltensbefehlen gleichgestellt. Für die Beurteilung eines Rechtsgeschäfts ist es im Ergebnis völlig unerheblich, ob es zu einer verbotenen oder einer zwar erlaubten aber im Sinne des § 138 BGB sittenwidrigen Handlung verpflichtet, – in beiden Fällen ist es gleichermaßen unwirksam. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit nach § 138 BGB tritt ein, weil eine fremde Normenordnung ein bestimmtes Verhalten verbietet. Es kommt trotz deren primärer Unverbindlichkeit zu einer normativen Berücksichtigung fremder Verhaltensnormen. Bei § 138 BGB handelt es sich insofern tatsächlich um eine gemischt materiell-kollisionsrechtliche Norm36, die auf Rechtsfolgenseite die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts anordnet und auf Tatbestandsseite den Verstoß gegen eine „primär unverbindliche“ Verhaltensnorm erfordert, die es zuerst aufgrund einer kollisionsrechtlichen Verweisung zu bestimmen gilt.37 Die Besonderheit dieser Kollisionsnorm besteht darin, dass sie nicht die – abgesehen vom ordre public-Vorbehalt – unbedingte Anwendung der verwiesenen Rechtsnorm befiehlt, OLGE 40, 330 (331) („[W]iderrechtlich ist auch eine in solcher Weise gegen die guten Sitten verstoßende Willensbeeinflussung.“). 33 OERTMANN, DJZ 1903, S. 326–328, der dies aus einem Vergleich von § 826 BGB mit § 226 BGB herleitet. 34 Oben S. 78 bei Fn. 169. 35 Vgl. OERTMANN, DJZ 1903, S. 327 („[D]as [hieße] mit anderen Worten, die Rechtsordnung hätte den Verstoß gegen die Ordnung der guten Sitten als solchen für rechtswidrig erklärt, die Sittenordnung selbst sozusagen zum Bestandteil der Rechtsordnung erhoben! Ein Ergebnis, aus inneren und äußeren Gründen gleich unmöglich […].“). 36 Vgl. ZIMMER, IPRax 1993, S. 66 (siehe S. 193 bei Fn. 177). 37 Gegen ein solches gemischt materiell-kollisionsrechtliches Konstrukt wendet sich KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 250–251 [zur englischen Entscheidung Ralli Bros. v. Compañia Naviera Sota y Aznar, [1920] 2 K. B. 287 (C. A.) (vgl. S. 215 bei Fn. 122)]. Es seien unbillige Ergebnisse zu befürchten, wenn etwa ein drittstaatliches Verbot zur Anwendung berufen werde und ein Verstoß gegen dieses mit der Nichtigkeit des in Frage stehenden Rechtsgeschäfts sanktioniert werde, auch wenn weder der Erlassstaat noch das Vertragsstatut eine derart eingreifende Rechtsfolge vorsehe. Dem ist entgegenzusetzen, dass ein unmittelbarer inhaltlicher Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen eine Verhaltensnorm auch in einer ausländischen Rechtsordnung stets zur Unwirksamkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts führen muss (vgl. S. 240 bei Fn. 266) und insofern keine abweichenden Wertungen zu befürchten sind.
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sondern dass sie deren Anwendung auf das rechtliche Subsystem des § 138 BGB beschränkt, dem sie entstammt.38 Dass es sich auch hierbei um eine echte Anwendung handelt, sollte nicht bezweifelt werden. 39 Dennoch geht dieser kollisionsrechtlichen Überlegung ausnahmsweise eine materiell-rechtliche voran: Eine kollisionsrechtliche Auswahl muss allein deshalb getroffen werden, weil auf materiell-rechtlicher Ebene entschieden wurde, primär unverbindliche Verhaltensnormen überhaupt als eine Grenze der Privatautonomie zu etablieren.40
Die mit der Berücksichtigung fremder Verhaltensnormen im Rahmen des § 138 BGB verfolgten Ziele können dabei ganz unterschiedlicher Natur sein. Mitunter mag der Beweggrund darin liegen, der verpflichteten Partei ersparen zu wollen, sich gegen die Vorgaben einer bestimmten fremden Normenordnung auflehnen zu müssen. Umgekehrt kann jedoch ebenso das Interesse des fremden Normgebers an der Befolgung seiner Verhaltensnormen in den Vordergrund gerückt werden. Mag das Inland sich auch nicht den fremden Verhaltensbefehl selbst zu eigen machen, so wird auf diese Weise dennoch die Entstehung vertraglicher Verpflichtungen, dem fremden Verbot zuwider zu handeln, unterbunden. Den Ausgangspunkt der Überlegungen können je nach Einzelfall Norminhalt41, Normgeber 42 oder auch schlicht die Effektivität der Normdurchsetzung 43 bilden. Keiner dieser 38 WENGLER, IntRDipl 1956, S. 203 („Die Anwendbarkeit des ausländischen Gesetzes kann durchaus auf bestimmte einzelne Zusammenhänge beschränkt sein […].“). – Naheliegend ist freilich, dass die Kollisionsnormen unterschiedlicher Subsysteme inhaltlich übereinstimmen. Die Verhaltensnormen, die im Rahmen von § 138 BGB zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften führen können, dürften sich insofern nicht von denjenigen unterscheiden, deren Verletzung nach § 826 BGB eine Schadensersatzpflicht auszulösen vermag. 39 Eine nicht anzuwendende Norm kann weder einen Gesetzes- noch einen Sittenverstoß begründen; ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 301. WENGLER, IntRDipl 1956, S. 194–198, unterscheidet insofern zwischen der Erzwingung eines Verhaltensbefehls – etwa durch die Etablierung abschreckender Sanktionen für den Fall des Zuwiderhandelns – und dessen bloßer Anwendung, die (lediglich) etwa das Entstehen inhaltlich entgegengesetzter Verpflichtungen hindert. 40 Auch wenn diese Entscheidung aufgrund der begrenzten originären Regulierungsmöglichkeiten der Rechtsordnung (siehe S. 198 bei Fn. 13) sicherlich sinnvoll ist, bleibt sie dennoch fakultativ. Denkbar ist ohne weiteres auch eine Rechtsordnung, die von Vertragsparteien lediglich die Einhaltung verbindlicher Verhaltensstandards fordert. 41 BGH (22.06.1972), BGHZ 59, 82 (85) („Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle“); BGH (21.12.1960), BGHZ 34, 169 (177) („Aufrechterhaltung des Friedens und der freiheitlichen Ordnung des Westens“); SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 240 („internationale Interessensympathie“); KROPHOLLER, IPR6, S. 507 („Interessen- oder Wertegleichklang“). 42 Vgl. zur Berücksichtigung von Verbotsnormen „befreundeter Staaten“ etwa die englische Entscheidung Foster v. Driscoll, [1929] 1 K. B. 470, 510 (C. A.) („[A] partnership formed for the main purpose of deriving profit from the commission of a criminal offence in a foreign and friendly country is illegal […]. The ground upon which I rest my judgement that such a partnership is illegal is that its recognition by our Courts would furnish a
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Ansätze sollte freilich völlig unbeeinflusst von den übrigen zum Tragen kommen. 44 Keinesfalls werden schlicht alle Normen eines „befreundeten“ Normgebers völlig unabhängig von ihrem Inhalt angewendet und auch in Bezug auf inhaltlich wohlwollend betrachtete Normen ist es nicht gleichgültig, wer sie geschaffen hat.45 Stets ist eine – wie üblich – komplexe Interessenabwägung notwendig, um die Entscheidung darüber treffen zu können, ob eine konkrete Verhaltensnorm im Rahmen des Subsystems der guten Sitten berücksichtigt werden soll.46 Im Unterschied zur kollisionsrechtlichen Berufung verbindlicher Verhaltensnormen ist für diese Interessenabwägung ein ganz erheblicher Gestaltungsspielraum eröffnet.47 Da es hier lediglich um die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts geht und nicht um konkrete Verhaltenslenkung, ist nicht dasselbe Maß an Eindeutigkeit und Beständigkeit erforderlich, dessen es für die Bestimmung von Verhaltensbefehlen bedarf.
Hat sich die Rechtsordnung erst dafür entschieden, primär unverbindliche Verhaltensnormen fremder Normgeber grundsätzlich als Grenze privatautojust cause for complaint by the United States Government against our Government […] and would be contrary to our obligation of international comity […].“ [Hervorhebungen hinzugefügt]), 521–522; dazu eingehend KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 259–268; siehe auch WENGLER, IntRDipl 1956, S. 192. Die Person des Normgebers ist auch bei der Diskussion um eine eventuelle Anwendungspflicht für Eingriffsnormen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein maßgebliches Element (dazu unten S. 220 ff.). 43 Soergel11/KEGEL, Vor Art. 7 EGBGB Rn. 396–398 (Rn. 396: „Ausländische politische und wirtschaftspolitische Vorschriften […] sind grundsätzlich dann und nur dann anzuwenden, wenn der ausländische Staat, der sie erlassen hat, die Macht besitzt, sie durchzusetzen […].“ [Hervorhebungen im Original]); KEGEL/SEIDL-HOHENVELDERN, FS Ferid 1978, S. 241–244 (S. 242: „Macht zu Recht“); DROBNIG, FS Neumayer 1985, S. 172 („Der im Eingriffsstaat geschaffene Rechtszustand wird aus Ordnungsinteressen respektiert […]. Zustimmung oder Abneigung des Forums gegenüber dem Eingriffsgesetz ist also unerheblich.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). Vgl. zu dieser „Machttheorie“ auch die Darstellungen bei KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 224–230 m. w. N.; ZEPPENFELD, Allseitige Anknüpfung, S. 84–89. 44 Es ist gerade die Negierung jeglicher Wertungsmöglichkeiten, welche die Machttheorie (Fn. 43) als Grundlage kollisionsrechtlicher Normenbildung ungeeignet erscheinen lässt. 45 Obwohl die deutsche Rechtsordnung nach BGH (22.06.1972), BGHZ 59, 82 (85), Sympathie für die „Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle“ hat, würde ein entsprechendes, ausländisches Ausfuhrverbot mit Weltgeltung dennoch nur in Bezug auf Ausfuhren aus dem Erlassstaat angewandt werden; SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 242; DERS., Lois d'application immédiate und Sonderanknüpfung, in: Holl/Klinke (Hrsg.), IPR, int. Wirtschaftsrecht, S. 74. 46 Gegenstand dieser Interessenabwägung ist dabei nicht allein, ob eine bestimmte ausländische Verhaltensnorm aus inländischer Sicht zur Anwendung berufen werden soll, sondern auch, auf welcher Ebene eine eventuelle Berücksichtigung zu erfolgen hat. Die primäre Berufung einer Verhaltensnorm als verbindlicher Verhaltensbefehl setzt dabei ein deutlich größeres Anwendungsinteresse voraus als die sekundäre Berufung als lediglich ergänzende Grenze der Privatautonomie. Als Beleg für die Existenz eines solchen gesteigerten Anwendungsinteresses dient – wie etwa im Hinblick auf korruptionsbezogene Verbote – insbesondere eine strafrechtliche Sanktionierung der entsprechenden Verhaltensnorm. 47 Zumindest dies ist den vagen „Anknüpfungskriterien“ zu entnehmen.
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nomer Gestaltungsmöglichkeiten anzuerkennen und dementsprechend niemanden aufgrund eines Rechtsgeschäfts zur Auflehnung gegen eine – im Einzelfall näher zu bestimmende – Normenordnung zu zwingen,48 so besteht kein Grund, diesen Ansatz auf soziale, außerrechtliche Normenordnungen zu begrenzen. Auch ausländisches 49 Recht kann Verhaltensvorgaben enthalten, die wir uns nicht unmittelbar zu eigen machen, die aber unter Wertungsgesichtspunkten ebenso als normative Grenze der Privatautonomie anerkannt werden sollten wie außerrechtliche Normen.50 Von nichts anderem geht auch die Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 3 Rom I aus: „It is clear that the mischief behind Article 9(3), in particular, is to prevent a contracting party from having to perform in a state where performance ist illegal.“51 Können demnach auch ausländische Rechtsnormen durch das hier skizzierte Subsystem in Bezug genommen werden, so geht es andererseits zu weit, den Rechtsbruch an sich als sittenwidrig aufzufassen.52 Gebrochen werden können nur anwendbare Rechtssätze, nicht das Recht als „Idee“, als theoretisches Konstrukt. Nimmt man hingegen eine Beschränkung vor und sieht die Aufgabe der Sittenwidrigkeitskontrolle darin, die „Autorität des Rechts gegen bewußten Rechtsbruch“ zu schützen, „sofern es sich um mit Grundüberzeugungen dieses Staates vereinbares Recht handelt“53, so liegt darin nicht mehr als eine Spielart der Sonderanknüpfungslehre54: „Die Eignung einer ausländischen Eingriffsnorm als Element der Sittenwidrigkeit ist also die Regel, ihre Ablehnung die einer Begründung bedürftige Ausnahme.“ 55 Dem ist, wie der Sonderanknüpfungslehre insgesamt, 56 nicht zu folgen. Notwendig ist vielmehr auch hier eine echte, autonome Auswahlentscheidung.
48 Besonders deutlich GEBHARD, Entwurf II, S. 160; für weitere Nachweise siehe S. 199 Fn. 26. 49 Hinsichtlich inländischer Verbote stellt sich diese Frage nach sekundärer, normativer Beachtlichkeit nicht, handelt es sich bei ihnen doch ohnehin bereits um primär zwingende Verhaltensbefehle. 50 SONNENBERGER, FS Rebmann 1989, S. 836 („Dabei ist zwar zunächst an außerrechtliche Normen gedacht. Es spricht aber kein plausibler Grund dagegen, Rechtsnormen, auch ausländische, in gleicher Weise wie Normen der allgemeinen Sozialmoral […] in den Wertungsrahmen von Treu und Glauben und der guten Sitten einzubeziehen […].“). 51 HARRIS, Mandatory Rules and Public Policy, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I regulation, S. 294; zustimmend HAUSER, Eingriffsnormen, S. 112. 52 FISCHER, Rechtswidrigkeit, S. 62–63, 88–89 (S. 88: „[J]ede vorsätzliche Auflehnung gegen Gesetz und Obrigkeit, wenn diese nur selbst nichts Unsittliches verlangen, [ist] unsittlich […].“); vgl. auch KOHLER, LB II 1, S. 95 („Heiligkeit des Staates“). 53 MANKOWSKI, RIW 1994, S. 690 m. V. a. ANDEREGG, Eingriffsnormen, S. 169–170. 54 Zu dieser bereits S. 180 bei Fn. 114. 55 ANDEREGG, Eingriffsnormen, S. 169. 56 Vgl. oben S. 183 f.
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B. Gute Sitten und rechtliche Wertungen Die guten Sitten werden nicht nur durch (primär unverbindliche) fremde Verhaltensnormen, sondern ebenso durch originär der inländischen Rechtsordnung entstammende Wertungen gespeist. 57 Der Verweis auf die guten Sitten dient der Umsetzung von „Rechts- und Grundwerte[n] des Gemeinschaftslebens“ 58 und ermöglicht damit die Begrenzung der Privatautonomie anhand „der Rechtsordnung immanente[r] Wertungsprinzipien“ 59 , derer es aus Gründen „der Selbstachtung des Rechts“60 bedarf.61 Tatsächlich werden die guten Sitten so zu einem Kristallisationspunkt für die „öffentliche Ordnung“62 im Sinne eines durch die Gesamtrechtsordnung vorgegebenen Wertekanons. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass dem Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung gewisse Grundüberzeugungen zu entnehmen sind, auch wenn sich diese noch nicht zu konkreten Rechtssätzen verdichtet haben soll-
57
Zur historischen Entwicklung des Verweises auf die guten Sitten TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 52–59; Soergel13/HEFERMEHL, § 138 Rn. 2; vgl. auch SIMITIS, ordre public, S. 3–21. 58 Soergel13/HEFERMEHL, § 138 Rn. 7; STAMMLER, Lehre von dem richtigen Rechte, S. 48 („Das Gebot, daß nicht gegen die guten Sitten verstoßen werden dürfe, bedeutet nur eine Anwendung der allgemeinen Möglichkeit, daß richtiges Recht als Norm des Urteilens genommen werden solle.“ [Hervorhebung im Original]). 59 LARENZ, Grundsätzliches zu § 138 BGB, in: Erdsiek (Hrsg.), Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 109. 60 LINDACHER, AcP 173 (1973), S. 134. 61 FLUME, AT II3, S. 366 („Man würde heute etwa sagen, ein Rechtsgeschäft sei nach § 138 nichtig, wenn es die Werte negiert, deren Verwirklichung nach geltender Rechtsüberzeugung der Rechtsordnung aufgegeben ist, so daß die rechtliche Anerkennung des diese Werte negierenden Geschäfts mit dem Sinn und der Aufgabe des Rechts unvereinbar ist.“). 62 SIMITIS, ordre public, S. 169 („§ 138 Abs. 1 BGB ist nunmehr so anzuwenden, als ob er lautete: Ein Rechtsgeschäft, das gegen den ordre public oder die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“) und passim; vgl. auch Bamberger/Roth3/WENDTLAND, § 138 Rn. 17; MüKo6/ARMBRÜSTER, § 138 Rn. 12 („Grundsätze, auf denen die verschiedenen Rechtsvorschriften beruhen“); TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 36–39.
206
4. Kapitel: Korruption und Sitte
ten.63 Entscheidender Einfluss kommt dabei auch grundgesetzlichen Wertungen zu.64 I.
Gute Sitten und Rechtsfortbildung
Die Betonung von „Prinzipien“ und „Wertungen“ der Rechtsordnung, die hinter dem rechtlich geprägten Ausschnitt der guten Sitten stehen sollen, verstellt den Blick darauf, dass die Rechtsordnung lediglich eine Umschreibung für die Gesamtheit der Rechtsnormen einer bestimmten Rechtsgemeinschaft ist. 65 Wird aus einer Mehrzahl von Rechtsnormen auf ein ihnen zugrunde liegendes Prinzip geschlossen und werden durch die Rechtsordnung zur Vervollkommnung der Umsetzung dieses Prinzips, das in den bislang vorhandenen Rechtsnormen nur eine bruchstückhafte Kodifizierung gefunden hat, die guten Sitten herangezogen, so dienen diese letztlich nur als Etikett für die Schaffung neuer Rechtsnormen: „[U]nter dem Stichwort der ‚Sittenwidrigkeit‘ [wird] eine vorsichtige und sachgerechte Gesetzesanalogie betrieben[.]“66 So wie sich Eingriffsnormen als „der noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts“67 bezeichnen lassen, so sind die guten Sitten in gewisser Weise der unfertige Teil des materiellen Rechts. Hier wie dort äußert sich diese „Unvollendetheit“ aber nicht etwa in der Abwesenheit von Nor63
Zu eng fasst daher PAWLOWSKI, AT7, Rn. 498b, den Verweis auf die guten Sitten: „Verträge, die gegen ausdrückliche [Hervorhebung im Original] gesetzliche Verbote verstoßen, sind nach § 134 zu beurteilen; Verträge, die gegen Verbote [Hervorhebung hinzugefügt] verstoßen, die im Wege der Analogie aus den übrigen gesetzlichen Vorschriften abgeleitet werden, sind nach § 138 zu beurteilen.“ Die wohl überwiegende Anzahl gesetzlicher Verbote ist nicht ausdrücklich normiert und unterfällt dennoch § 134 BGB, § 138 BGB wäre bei einem solchen Verständnis überflüssig. Ebenfalls „ungeschriebene rechtliche Maßstäbe“ in den Vordergrund rückend LEIPOLD, BGB I7, § 20 Rn. 19. 64 Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 53; WOLF/NEUNER, AT10, § 46 Rn. 13; MEDICUS, AT10, Rn. 680; FLUME, AT II3, S. 22; vgl. auch Planck4/FLAD, § 138 Anm. II („Ein Rechtsgeschäft, das gegen die großen Prinzipien des modernen Rechtes, insbesondere gegen die Prinzipien der persönlichen Freiheit, der Gewissensfreiheit, der Koalitionsfreiheit, der Gewerbefreiheit, der Freiheit in Ausübung des Wahlrechts usw. verstößt, ist immer auch als ein gegen die guten Sitten verstoßendes Rechtsgeschäft anzusehen.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 65 NAWIASKY, Allgemeine Rechtslehre, S. 14–16. 66 PAWLOWSKI, ARSP 1964, S. 504 [Hervorhebung hinzugefügt]; vgl. auch STAMMLER, Wesen des Rechts, in: Hinneberg (Hrsg.), Systematische Rechtswissenschaft2, S. 55 („Es wird also mit ‚Treu und Glauben‘ oder den ‚guten Sitten‘ usw. nicht ein mythisches ‚ethisches‘ Etwas bezeichnet, […] vielmehr besagen alle jene Ausdrücke nichts anderes als Rechtssätze. Sie gehören zu dem Inhalte eines bestimmten gesetzten Rechtes, sie stellen nur eine besondere Art dar, in der das letztere sich ausdrückt.“ [Hervorhebungen im Original]). 67 KAHN, Lehre vom ordre public, in: DERS., Abhandlungen zum IPR (Band I), S. 251 [im Original hervorgehoben].
B. Gute Sitten und rechtliche Wertungen
207
men,68 sondern vielmehr darin, dass Analyse und Strukturierung dieser Normen noch nicht den Grad erreicht haben, der den „fertigen Teil“ auszeichnet. Die Schaffung von Rechtsnormen abseits der detailliert vorgezeichneten Wege formeller Gesetzgebung wirft Fragen hinsichtlich ihrer Legitimität auf.69 Diesen Bedenken soll hier nicht weiter nachgegangen werden, nur Folgendes sei bemerkt: Daran, dass im Rahmen von Normen wie § 134 und § 138 BGB tatsächlich Rechtsfortbildung betrieben wird, kann kein Zweifel bestehen. Dass dies grundsätzlich auch zulässig ist, ergibt sich daraus, dass die Schaffung derartiger Generalklauseln weitgehend unnötig wäre, würden den in Bezug genommenen fremden Verhaltensnormen stets ohne weitere normative Wertung nur diejenigen Rechtsfolgen zugebilligt, die sich aus ihrer Stellung in der Normenhierarchie ergeben.70 Das Zivilrecht würde erstarren, wäre nur noch begrenzt zu inhaltlichen Anpassungen fähig und könnte seine Aufgabe damit nur noch begrenzt erfüllen.71 Bereits ein Blick auf die kollisionsrechtliche Dogmatik, welche der interessengerechten Herausbildung neuer Kollisionsnormen im Rahmen des bestehenden Systems mit gewisser Selbstverständlichkeit gegenübertritt,72 zeigt, dass eine systemgerecht ausgestaltete Rechtsfortbildung durch „Normschöpfung“ dem System nicht fremd ist. Weshalb dies nur für den kollisionsrechtlichen, nicht aber für den materiell-rechtlichen Bereich des Rechts gelten sollte, ist nicht einzusehen, verbindet doch beide Bereiche ein gemeinsamer Gerechtigkeitsgedanke. 73 Daher steht nicht generell die Möglichkeit zur Normschöpfung im Rahmen von Generalklauseln in Frage,74 sondern allein, ob im Einzelfall ihre Grenzen überschritten wurden.
Nichts anderes geschieht in den Fällen, in denen die guten Sitten herangezogen werden, um die Durchsetzung einer konkreten Einzelnorm zu unterstützen. So ist wohl dem Verbot, im Straßenverkehr Radarwarngeräte einzusetzen,75 kein Hinweis auf ein der Rechtsordnung immanentes „Wertungsprinzip“ zu entnehmen. Wird dennoch von der Nichtigkeit von Kaufverträgen über solche Geräte mit einsatzwilligen Käufern ausgegangen,76 so liegt darin schlicht die Anwendung einer ungeschriebenen Rechtsnorm, welche die Nichtigkeit von Geschäften anordnet, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu dem verbotenen Handeln führen werden.
68
Zur Notwendigkeit einer kollisionsrechtlichen Berufung jedweder Sachnorm S. 183 mit Fn. 128. 69 Dazu insb. TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 106–115 m. w. N. 70 Siehe S. 193 bei Fn. 178. 71 Den Verweis auf „Rechtsprinzipien“ als notwendig ansehend, um die Lückenlosigkeit der Rechtsordnung gewährleisten zu können, ESSER, Grundsatz und Norm3, S. 141–151. 72 Zur „‚Offenheit‘ des IPR-Systems“ (und „rechtlicher Systeme im allgemeinen“) SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 170–176, 180–181 m. w. N. 73 KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 145; SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 59–60. 74 MAYER-MALY, JZ 1981, S. 803 („im Grundsatz legitim“). 75 § 23 Abs. 1b StVO. 76 BGH (23.02.2005), NJW 2005, 1490 (1491) (siehe S. 26 Fn. 111).
208
4. Kapitel: Korruption und Sitte
II. Korruptionsbezogene Rechtsnormschöpfung 1.
Flankierende Nichtigkeitsanordnung
Ebenso verhält es sich mit der „Sittenwidrigkeit“ im Dunstkreis der korruptionsbezogenen Verhaltensnormen. Die Nichtigkeit von Vermittlungsverträgen, die nicht notwendigerweise zu unerlaubten Vorteilszuwendungen führen müssen,77 und von Hauptverträgen, die wahrscheinlich durch solche Zuwendungen beeinflusst wurden, 78 ist keine dogmatisch notwendige, 79 sondern vielmehr eine bewusst etablierte zivilrechtliche Rechtsfolge, und beruht daher auf der Anwendung impliziter Rechtsnormen, nicht auf der Umsetzung eines mehr oder weniger diffusen „rechtsethischen“ Wertekanons. Diese aus § 138 BGB herausgebildeten und insofern dem deutschen materiellen Recht zugehörigen Rechtsnormen lassen sich etwa folgendermaßen fassen:80 Ein Vertrag, dessen Ausführung wahrscheinlich dazu führt, dass ein Vorteil verbotenerweise angeboten, versprochen oder gewährt werden wird, ist nichtig. Ein Vertrag, der wahrscheinlich deshalb abgeschlossen oder inhaltlich beeinflusst wurde, weil vor seinem Abschluss verbotenerweise ein Vorteil angeboten, versprochen, gefordert, gewährt oder angenommen wurde, ist nichtig.81
Obgleich sich unmittelbar nur die Existenz der zweiten, auf Hauptverträge bezogenen Rechtsnorm anhand der bereits aufgezeigten 82 Entwicklungen in der deutschen Rechtsprechung nachvollziehen lässt, sollte dennoch auch die Existenz ersterer Norm nicht vorschnell verneint werden. Insbesondere die Aufgeschlossenheit gegenüber Verboten des Einflusshandels 83 zeigt, dass 77
Vgl. oben S. 25 ff. Dazu oben S. 40 ff. 79 Siehe S. 194 bei Fn. 180. 80 Ein Beispiel für eine aus § 138 BGB herausgebildete Rechtsnorm findet sich bei SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 243 [Aufladung des § 138 BGB mit ausländischen Verbotsgesetzen]; vgl. zudem WENGLER, IntRDipl 1956, S. 197. 81 Bestimmte Verträge – wie etwa von RAESCHKE-KESSLER/GOTTWALD, FS Lüer 2008, S. 47–48, hinsichtlich von Investitionsverträgen vorgeschlagen – aufgrund ihrer „Komplexität“ oder ihrer Bedeutung für die „Daseinsvorsorge der Bevölkerung“ aus dem Anwendungsbereich dieser Nichtigkeitsanordnung auszunehmen, besteht kein Anlass. Entscheidet sich die Rechtsordnung dafür, korruptive Einflussnahme bei der Auftragserlangung durch die Nichtigkeit des betroffenen Vertrags zu ahnden, weil diese grundsätzlich unterbunden werden soll, so wäre es widersprüchlich, diese Regel gerade in Bezug auf besonders „bedeutende“ Verträge nicht heranzuziehen. Gerade diese Verträge bieten einen erhöhten Anreiz zur Korruption und sollen zugleich von korruptiven Praktiken unbeeinflusst bleiben. Zudem bliebe die Schwierigkeit, bestimmen zu müssen, wann ein Vertag als „too big to fail“ einzustufen wäre. Da eine solche Frage nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann, ist eine entsprechende Einschränkung abzulehnen. 82 Vgl. S. 32 ff. 83 Dazu S. 28 mit Fn. 118 ff. 78
B. Gute Sitten und rechtliche Wertungen
209
dem deutschen Recht die Interessen an einer Vorverlagerung der Korruptionsprävention anhand einer Wahrscheinlichkeitsbewertung weder fremd noch gleichgültig sind. Wenn Entscheidungen wie die des OLG HAMBURG 84 , wonach ein Vermittlungsvertrag aufgrund eines ausländischen Verbots gegen den Einflusshandel für sittenwidrig und daher nichtig befunden wurde, entsprechende Verbote als „nachahmenswert“ bezeichnen, 85 so liegt darin bereits eine autonome Interessenbewertung, die als Grundlage für die Anerkennung einer inländischen Rechtsnorm nach obigem Vorbild zu dienen vermag. Die autonome Herausbildung einer entsprechenden Rechtsnorm im Rahmen des § 138 BGB ist einer pauschalen Übernahme ausländischer Verbote gegen den Einflusshandel vorzuziehen, wird dadurch doch eine Abwägungsmöglichkeit anhand der im Einzelfall drohenden Gefahr für die Vornahme korrupter Handlungen gewonnen.
2.
Mangelnde Dispositionsbefugnis des Prinzipals
Die rechtspolitische Entscheidung, potentiell korruptiv beeinflussten bzw. zu korruptem Verhalten veranlassenden Verträgen grundsätzlich die Wirksamkeit zu versagen, beruht auf der Annahme, auf diese Weise werde den Verboten, bestimmte Vorteile zu gewähren oder anzunehmen, am besten Rechnung getragen und ihre Einhaltung gefördert. 86 Korruptives Verhalten soll nicht durch die Rechtsverbindlichkeit der durch dieses erlangten Geschäftsabschlüssen „belohnt“ werden, zur Vornahme korrupter Handlungen soll kein rechtsgeschäftlicher Anreiz bestehen. Die Verbote wiederum bezwecken in erster Linie den Schutz der Allgemeinheit, das Funktionieren des Staatsapparats und die Sicherung des Wettbewerbs.87 Der Schutz des Prinzipals ist insofern eine bloße Reflexwirkung. Diesem eine Genehmigungsmöglichkeit im Hinblick auf Hauptverträge einzuräumen, hätte zwar nicht unmittelbar die Dispositionsbefugnis eines Einzelnen über ein Allgemeinrechtsgut zur Folge88 – an der Rechtswidrigkeit des korrupten Verhaltens selbst bestünde auch im Genehmigungsfall kein Zweifel. Es bedeutet aber nichtsdestotrotz einen erheblichen Wertungswiderspruch, wenn ein Einzelner über die Durchsetzung einer Maßnahme zu entscheiden hat, welche die Rechtsordnung als zum Schutz von Allgemeinrechtsgütern grundsätzlich notwendig erachtet. Dem Prinzipal stehen ohnehin bereits nicht unerhebliche Mittel zur Verfügung, Vermögenszuwendungen an seinen Agenten dem Anwendungsbereich der
84
OLG HAMBURG (08.02.1991), NJW 1992 (635 f.); siehe dazu S. 28 Fn. 118. OLG HAMBURG (08.02.1991), NJW 1992, 635 (636). 86 Vgl. zur Ambivalenz der Vertragsnichtigkeit im Hinblick auf die Korruptionsprävention S. 39 mit Fn. 182. 87 Zu den Schutzgütern der Korruptionsverbote S. 107 ff. 88 Vgl. dazu auch PUTTLER, Unterwerfung unter fremdes Exportkontrollrecht, in: Mellinghoff/Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 338–339. 85
210
4. Kapitel: Korruption und Sitte
Korruptionsverbote zu entziehen,89 ihm auch jenseits dieser Grenzen Dispositionsmöglichkeiten einzuräumen wäre widersprüchlich. Eine Genehmigungsmöglichkeit des Prinzipals ist daher abzulehnen.90 Die Rechtsordnung versagt Verträgen, die potentiell durch korruptive Zuwendungen beeinflusst wurden, umfassend die Wirksamkeit. Dem Prinzipal wird daher nicht nur die Genehmigung des Hauptvertrags zu verwehren sein, vielmehr kann auch durch dessen Neuvornahme – selbst auf Initiative des Prinzipals hin – kein wirksamer Vertrag entstehen, ist doch der Abschluss auch dieses Vertrags auf ähnliche Weise mit der verbotenen Schmiergeldzuwendung verknüpft wie der ursprüngliche Hauptvertrag.91 Erst ein Vertrag, dessen Inhalt und Zustandekommen nicht mehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf Korruption zurückzuführen ist, weil ihm eine neue, von der Schmiergeldzuwendung nicht mehr beeinträchtigte unternehmerische Entscheidung zugrunde liegt, unterfällt nicht mehr der Nichtigkeitsanordnung nach § 138 BGB.92
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten I.
Allgemeines
Die kontroverse sachrechtliche Auseinandersetzung um Inhalt und Struktur des § 138 BGB mit seinem Verweis auf die guten Sitten setzt sich auf kollisionsrechtlicher Ebene nicht fort. Trotz der vielschichtigen Erscheinungsformen der guten Sitten herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass § 138 BGB und die guten Sitten als Bestandteil des Vertragsstatuts einzuordnen seien.93 Begründet wird diese Zuordnung auf zweierlei Weise: Zum einen sei davon auszugehen, dass die guten Sitten „‚universalrechtliche‘ Rechtsprinzipien“ seien, von denen vermutet werden könne, „daß [ihnen] das ausländische Recht einen dem inländischen Recht gleichwertigen Schutz gewährt“, 94 wodurch eine Anwendung jenseits des Vertragsstatuts unnötig wäre. Zum 89 Vgl. zur Genehmigungsmöglichkeit nach § 331 Abs. 3 StGB S. 70 ff., zu den „entschleierten Schmiergeldern“ im Wettbewerb S. 93 bei Fn. 261–268. 90 Für Nachweise siehe S. 39 Fn. 180–183. 91 Durch die in erster Linie den Schutz von Allgemeinrechtsgütern bezweckenden korruptionsbezogenen Verbote wird somit nicht allein der Agent am wirksamen Abschluss bestimmter Verträge gehindert (vgl. S. 17 Fn. 65), sondern auch der Prinzipal. 92 Im Hinblick auf Folgeverträge zwischen Prinzipal und Korrumpeur ist daher entscheidend, ob es sich bei diesen um unabhängige Geschäfte oder aber um weitere „Hauptverträge“ handelt, die ebenso durch die verbotene Vorteilszuwendung beeinflusst sind wie der ursprüngliche Hauptvertrag; SETHE, WM 1998, S. 2315 mit Fn. 50. 93 KROPHOLLER, IPR6, S. 498; MANKOWSKI, RIW 1996, S. 10; Palandt73/THORN, Art. 10 Rom I Rn. 3; Erman13/HOHLOCH, Anh. II Art. 26 EGBGB – Art. 10 Rom I Rn. 7; Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 147; MüKo5/SPELLENBERG, Art. 10 Rom I Rn. 137–138 m. w. N.; NK-BGB/LEIBLE, Art. 10 Rom I Rn. 19; Bamberger/Roth3/SPICKHOFF, Art. 10 Rom I Rn. 5; SETHE, WM 1998, S. 2322. 94 V. HOFFMANN, IPRax 1989, S. 265–266.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
211
anderen wird angenommen, dass „durch einen sittenwidrigen Missbrauch der Privatautonomie (zB aufgrund von Wucher, Knebelung oder Übersicherung) […] vornehmlich Parteiinteressen betroffen“ seien,95 und § 138 BGB insofern aufgrund einer Schwerpunktbetrachtung dem Vertragsstatut zuzuordnen sei. Keiner dieser Begründungsansätze vermag indes eine solche (ausnahmslose) Zuordnung zum Vertragsstatut zu rechtfertigen. Der Annahme, die guten Sitten verwiesen auf einen universalen, weltweit einheitlichen Wertekanon, ist jedenfalls in ihrer Pauschalität abzulehnen. Selbst wenn es tatsächlich einheitlich anerkannte Werte geben sollte, so fehlt es jedenfalls an einem einheitlichen Weg, diese zu verwirklichen oder auch nur inhaltlich exakt zu umschreiben.96 Bereits das Zugeständnis, eine Auslandsberührung könne das Sittenwidrigkeitsurteil beeinflussen, 97 widerlegt die Prämisse von weltweit einheitlichen Standards. Zudem vermag ein solcher Ansatz keineswegs die Qualifikation der „rechtlichen Seite“ der guten Sitten unter das Vertragsstatut zu erklären, da hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung von Rechtsordnungen offensichtlich keine Einigkeit herrscht.98 Die Ansicht, dass die Sittenwidrigkeit überwiegend durch den Ausgleich von Parteiinteressen geprägt und deshalb dem Vertragsstatut zuzuordnen sei, erinnert an die Diskussion um die kollisionsrechtliche Behandlung des sogenannten „Sonderprivatrechts“, dem zugleich eine vertragliche Ausgleichsfunktion und sozialpolitische Bedeutung zugeschrieben wird.99 Verlangt man für eine Herauslösung entsprechender Vorschriften aus dem Vertragsstatut, dass sie „ausschließlich oder überwiegend einen überindividuellen Regelungszweck verfolgen“ 100 , und nimmt man hinsichtlich des § 138 BGB an, ihm komme überwiegend die Funktion eines Interessenausgleichs zwischen den Vertragspartnern zu, so ist die Verortung der guten Sitten im Vertragssta-
95 Staudinger2011/HAUSMANN, Art. 10 Rom I Rn. 28; vgl. auch Reithmann/Martiny7/MARTINY, 2. Teil Rn. 303 („Die Sittenwidrigkeit wegen Missbrauchs der Privatautonomie betrifft in erster Linie das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander […].“). 96 § 138 BGB setzt keine abstrakten Werte, sondern konkrete Normen um. Auch wenn verschiedene Normenordnungen mit ihren Vorschriften denselben Wert schützen und verwirklichen wollen, ist nicht damit zu rechnen, dass diese deshalb inhaltlich identisch sind. Treffend zur Korruptionsbekämpfung SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 241 (siehe S. 9 Fn. 19). 97 Vgl. nur etwa MüKo5/SPELLENBERG, Art. 10 Rom I Rn. 139–141; Staudinger2011/HAUSMANN, Art. 10 Rom I Rn. 29. 98 Selbst die „Fungibilität“ des Privatrechts (NEUHAUS, Grundbegriffe2, S. 33) ist eine „Schimäre“ (SCHURIG, RabelsZ 54 (1990), S. 230 m. w. N.). 99 BT-Drs. 10/504, S. 83 („z. B Mieterschutzvorschriften“); ausführlich zur Diskussion KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 134–148; KROPHOLLER, IPR6, S. 500–503; Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 568, 591–601. 100 Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 59 [Hervorhebung im Original] m. w. N.
212
4. Kapitel: Korruption und Sitte
tut scheinbar konsequent.101 Unbeachtet bleibt dabei jedoch, dass § 138 BGB sich von „herkömmlichen“ privatrechtlichen Vorschriften dadurch unterscheidet, dass es ihm an einem kohärenten Tatbestand mangelt. Der (vermeintlich) einheitliche Verweis auf die guten Sitten erfüllt eine Vielzahl von Aufgaben. Durch ihn werden einmal außerrechtliche Verhaltensnormen, ein andermal durch Rechtsfortbildung entstandene inländische Normen oder ausländisches Recht zum Kontrollmaßstab rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmöglichkeiten erklärt. § 138 BGB ist daher mehr Platzhalter für eine Vielzahl verschiedener Rechtsnormen als selbständige Rechtsnorm und entzieht sich dementsprechend einer einheitlichen Anknüpfung aufgrund einer wie auch immer gearteten Schwerpunktbildung. Für eine interessengerechte kollisionsrechtliche Anknüpfung des § 138 BGB bedarf es daher nicht einer, sondern einer Vielzahl einzelner „ElementKollisionsnormen“102, von denen jede einen anderen „Aspekt“ dieser uneinheitlich strukturierten Rechtsnorm zur Anwendung beruft. Dass sich all diese Element-Kollisionsnormen der vertragsrechtlichen „Bündelung“ zuordnen lassen, ist grundsätzlich denkbar, ergibt sich jedoch nicht bereits aus der „zufälligen“ 103 Existenz einer „einheitlichen“ Generalklausel, auf welche die Einzelregelungen zurückgeführt werden können, sondern muss für jeden Aspekt gesondert überprüft werden.104 Die guten Sitten allein als „allgemeine privatrechtliche Mißbrauchskontrolle“ zu verstehen, die sich lediglich „an den mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zielen, den Intentionen der Parteien 101 jurisPK-BGB6/RINGE, Art. 9 Rom I Rn. 13 („Beispielsweise dient die Generalklausel des § 138 BGB eher der Missbrauchskontrolle im Interesse der Parteien als dem öffentlichen Interesse und ist daher nicht als Eingriffsnorm einzustufen.“). 102 Zum SCHURIG’SCHEN Bündelungsmodell S. 162 mit Fn. 19. 103 Freilich ist die ausdrückliche Regelung jedes Einzelaspekts der guten Sitten keine realistische Option. Dennoch sollte eine notwendige Rationalisierungsmaßnahme wie die Schaffung einer Generalklausel kein ausschlaggebendes Argument für deren kollisionsrechtliche Behandlung sein. 104 Ebenfalls für eine differenzierte Anknüfung Soergel12/V. HOFFMANN, Art. 31 EGBGB Rn. 23–24 („Das Vertragsstatut hat darüber zu bestimmen, ob ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt. […] Wucher, Knebelungsverträge und Verbot der Übersicherung unterstehen dem Vertragsstatut. […] Problematisch sind die Einordnung von Schmiergeldzahlungen, die Ausnutzung von Monopolstellungen und Verstöße gegen berufsethische Anforderungen […]. Hier sind nicht nur Parteiinteressen betroffen, sondern auch Drittsowie öffentliche Interessen. Das Vertragsstatut ist ungeeignet, diese Interessen zur Durchsetzung zu bringen. Damit sind derartige Fragen dem Vertragsstatut entzogen.“). – Wenn auch eine pauschale Qualifikation der guten Sitten unter das Vertragsstatut abzulehnen ist, so sind sie – entgegen ZITELMANN, IPR I, S. 342 („Denn wenn unsere Rechtsanschauung überhaupt ein Rechtsgeschäft als sittlich verwerflich mißbilligt, so bleibt es sich gleich, ob an sich unsre oder eine fremde Rechtsordnung anwendbar ist.“), und V. BAR, IPR I, Rn. 265 („Denn ein deutsches Gericht kann schlecht einen Vertrag bestätigen, der nach deutscher Auffassung sittenwidrig ist.“) – auch nicht pauschal unabhängig von diesem zu beachten.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
213
und dem Kräfteverhältnis zwischen den Parteien [orientiert]“105, greift jedenfalls zu kurz.106 Keine grundlegenden Bedenken gegen eine derartige „Mosaikbetrachtung“ werden im Rahmen des § 134 BGB geäußert. Einerseits wird § 134 BGB als Bestandteil des Vertragsstatuts betrachtet,107 andererseits soll „§ 134 BGB immer zum Zug kommen […], wenn der jeweilige Kontrakt inhaltlich gegen ein deutsches gesetzliches Verbot verstößt“ 108. Zum Ausdruck kommt darin lediglich, dass maßgeblicher Anhaltspunkt für die Bestimmung der jeweils relevanten kollisionsrechtlichen Interessen, die über die Anknüpfung einer Rechtsnorm entscheiden, nicht § 134 BGB, sondern das jeweils durchgesetzte „gesetzliche Verbot“ ist.109 Insbesondere soweit es Aufgabe des § 138 BGB ist, grundlegende Wertungen der Rechtsordnung als Grenze der Privatautonomie zu etablieren, nähert er sich in Funktion und Bedeutung der Vorschrift des § 134 BGB an.110 Je enger jedoch der Funktionszusammenhang zwischen § 134 BGB und § 138 BGB, desto mehr muss sich auch die kollisionsrechtliche Behandlung der „guten Sitten“ derjenigen der „gesetzlichen Verbote“ annähern.
II. Sekundäre Sanktionierung korruptionsbezogener Verhaltensnormen Im Hinblick auf die rechtsgeschäftliche Sanktionierung fremder, unverbindlicher Verhaltensnormen sind zwei kollisionsrechtliche Entscheidungen zu treffen. Zum einen gilt es, diejenigen Verhaltensnormen zu bestimmen, die als Grenze der Privatautonomie dienen sollen, zum anderen muss entschieden werden, unter welchen Umständen das gemischt materiell-kollisionsrechtliche Subsystem des § 138 BGB überhaupt zur Anwendung gebracht wird.
105
MANKOWSKI, RIW 1996, S. 10–11. In der Vergangenheit wurde verschiedentlich angenommen, § 138 BGB sei eine über Art. 34 EGBGB a. F. unabhängig vom Vertragsstatut anzuwendende Eingriffsnorm, weshalb etwa Verträge über Teilzeitwohnrechte in Ferienanlagen unabhängig vom gewählten Recht wegen erheblicher Übervorteilung des Bewerbers (LG BERLIN (09.11.1994), NJWRR 1995, 754 (755)) oder „unlauterer“ Ausnutzung der „Urlaubsstimmung“ (LG DETMOLD (29.09.1994), IPRax 1995, 249 (251)) nach § 138 BGB nichtig seien. Die Kritik an dieser Einordnung (vgl. nur BGH (19.03.1997), BGHZ 135, 124 (139); MANKOWSKI, EWiR Art. 34 EGBGB 1/95, S. 453, 454) ist durchaus berechtigt, sollte jedoch auf die speziellen, hier in Frage stehenden Aspekte des wucherähnlichen Geschäfts und der Schaffung einer „psychologischen Zwangssituation“ beschränkt bleiben. Dass diese dem Vertragsstatut zuzurechnen sind, besagt indes nichts über die korruptionsrelevanten Facetten der guten Sitten. 107 MüKo5/SPELLENBERG, Art. 10 Rom I Rn. 122; für weitere Nachweise siehe S. 194 Fn. 181. 108 V. BAR, IPR I, Rn. 262 [Hervorhebung im Original]. 109 Dazu bereits S. 194 bei Fn. 180. 110 PAWLOWSKI, AT7, Rn. 498b („§ 138 […] als Ergänzung des § 134“); zustimmend AK-BGB/DAMM, § 134 Rn. 21; AK-BGB/DAMM, § 138 Rn. 26, 90; auf die Füllung von Lücken, die durch konkrete Verbotsnormen nicht geschlossen werden können, abstellend Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 2. 106
214 1.
4. Kapitel: Korruption und Sitte
Anknüpfung von Verhaltensnormen des ausländischen Rechts
Eine Berücksichtigung ausländischer korruptionsbezogener Verbote im Rahmen des auf § 138 BGB fußenden Subsystems dient der „Lückenfüllung“. Soweit ausländische Verhaltensnormen aus inländischer Sicht bereits zu verbindlichen Verhaltensbefehlen vervollständigt wurden, 111 können sich aus deren sekundärer Berücksichtigung im Rahmen von § 138 BGB für ein Rechtsgeschäft keine weitergehenden Rechtsfolgen ergeben.112 Relevant wäre allein eine darüber hinausgehende Berücksichtigung ausländischen Rechts, etwa indem im Hinblick auf korruptive Handlungen im privaten Sektor über die Anknüpfung an den Handlungsort hinaus Verhaltensnormen potentieller Erfolgsorte berufen würden.113 a)
Art. 9 Abs. 3 Rom I
Einer derart weitreichenden „Lückenfüllung“ steht indes Art. 9 Abs. 3 Rom I entgegen, dessen Vorgaben anhand der bereits dargestellten114 Systematik des Art. 9 Rom I auszulegen sind: „Den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.“
Die Unsicherheiten und Streitpunkte, die hinsichtlich der Interpretation von Art. 9 Abs. 3 Rom I bestehen, beruhen ganz wesentlich darauf, dass – sieht man ihn als einzig relevante Öffnungsklausel für Eingriffsnormen, deren rationale Elemente ausländischen Rechtsordnungen entstammen, an – die strenge Befolgung seines einschränkenden Wortlauts zu offensichtlich unerwünschten Ergebnissen führt. 115 Dies ist der Grund, weshalb mitunter zu begründen versucht wird, dass auch lediglich vertragsmodifizierende Vorschriften die Erfüllung des fraglichen Vertrags „unrechtmäßig werden las-
111
Zu den diesbezüglich relevanten Kollisionsnormen bereits oben S. 150 ff. Dass etwa nach BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (271), „das Fordern und Entgegennehmen von Bestechungsgeldern durch ausländische Amtsträger jedenfalls insoweit zu mißbilligen [ist], als diese dadurch gegen die Rechtsordnung ihres Heimatlandes verstoßen“, hat für die Frage nach der Wirksamkeit eines Vermittlungsvertrags keine weiteren Auswirkungen, da es sich auch aus inländischer Sicht aufgrund der entsprechenden ausländischen Verbote bereits um ein rechtswidriges Verhalten handelt. 113 Vgl. zu einer solchen Anknüpfung S. 151, S. 165 bei Fn. 39. 114 Dazu oben S. 186 ff. 115 Zu den Schwierigkeiten hinsichtlich korruptionsbezogener Verhaltensnormen bereits S. 177 bei Fn. 99. 112
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
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sen“ können116 und der Begriff des Staates, „in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“, möglichst weit auszulegen ist.117 Ordnet man hingegen nach der hier vertretenen Ansicht zur primären Anwendung berufene „ausländische“ Eingriffsnormen bereits der Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 2 Rom I zu, 118 so besteht kein Anlass, den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 Rom I künstlich zu erweitern. Vielmehr leistet er in diesem Fall in seiner wortgetreuen Fassung einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Privatautonomie. Die „Erfüllung“ eines Vertrags ist grundsätzlich nur dann „unrechtmäßig“, wenn der notwendigen Erfüllungshandlung eine verbindliche Verhaltensnorm entgegensteht. 119 Art. 9 Abs. 3 Rom I bezieht sich seinem Wortlaut nach daher allein auf Verhaltensnormen.120 Ein solches Verständnis kommt auch der regelmäßig121 als Vorbild für die Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 Rom I genannten englischen Entscheidung Ralli Bros.122 am nächsten: Abgewiesen wurde die Klage einer spanischen Gesellschaft auf Begleichung noch ausstehender Fracht aus einem Vertrag über den Transport von Jute nach Spanien. Da der vereinbarte, in Spanien zu bezahlende Preis pro Tonne die nach spanischem Recht zulässigen Höchstpreise überstieg, wurde der überschießende Teil der Vergütungsvereinbarung als unwirksam angesehen. Die strafbewehrte spanische Höchstpreisvorschrift, die den Zweck hatte, den Marktpreis für Jute niedrig zu halten,123 war dabei nicht lediglich auf eine inhaltliche Modifizierung entsprechender Frachtverträge gerichtet, sondern musste sich, um ihrer Zwecksetzung entsprechen zu können, gegen jegliche tatsächliche Vermögensaufwendung 116 PWW9/REMIEN, Art. 9 Rom I Rn. 36; Palandt73/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 12; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 211–215; hinsichtlich Höchst- und Mindestpreisvorschriften FREITAG, IPRax 2009, S. 112–113; EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 66–67; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 76–78. 117 PWW9/REMIEN, Art. 9 Rom I Rn. 34–35; DERS., FS Hoffmann 2011, S. 342–344 (S. 343: „Offenheit bei der Bestimmung des Erfüllungsortes“); EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 64. – Für weitere Nachweise zum Umgang mit den Einschränkungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I siehe S. 187 Fn. 145. 118 Vgl. oben S. 186 ff. 119 Dazu S. 17 ff. 120 Überlegungen, inwieweit sich die Bedeutung des Worts „unlawful“ – so die englische Sprachfassung der Rom I-Verordnung – von der des Worts „illegal“ unterscheidet, insbesondere ob damit auf strafrechtliche Tatbestände, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder bloße Nichtigkeitsanordnungen Bezug genommen wird (HAUSER, Eingriffsnormen, S. 74–76; HARRIS, Mandatory Rules and Public Policy, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I regulation, S. 321–322), sind wenig zielführend, beruhen doch letztlich alle diese „Symptome“ auf einem einheitlichen Verbot, dessen Berücksichtigung in Frage steht. 121 Siehe nur REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 343; MANKOWSKI, IHR 2008, S. 148; FREITAG, IPRax 2009, S. 112; KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 265; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 66–67. 122 Ralli Bros. v. Compañia Naviera Sota y Aznar, [1920] 2 K. B. 287 (C. A.); eine Darstellung der Entscheidung findet sich bei KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 5, 289–290. 123 Ralli Bros. v. Compañia Naviera Sota y Aznar, [1920] 2 K. B. 287, 298 (C. A.).
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
für Jute jenseits des zulässigen Höchstpreises richten. Insoweit handelte es sich um eine „echte“ Verhaltensnorm.124
Eine Beschränkung der Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 3 Rom I auf Verhaltensnormen ist indes auch unter wertenden Gesichtspunkten durchaus gerechtfertigt: Nur Verhaltensnormen, deren primäre Rechtsfolgen in an den Einzelnen gerichteten Verhaltensbefehlen bestehen, sind geeignet, auf ihre sekundären Wirkungen (etwa auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften) reduziert zu werden. Im Hinblick auf Rechtsnormen anderen Inhalts, etwa solche, die Ansprüche oder Gestaltungsrechte gewähren oder umgestalten, ist dies nicht möglich. Deren Rechtsfolgen können nicht die den Verhaltensnormen eigenen Fernwirkungen in der staatlichen Normenhierarchie entfalten, so dass sich die Frage nach deren bloß sekundärer Anwendung trotz primärer Unverbindlichkeit von vornherein nicht stellt. Hier bleibt der Rechtsordnung allein die Entscheidung, die vorgesehenen Rechtsfolgen eintreten zu lassen oder die entsprechende Rechtsnorm für unverbindlich zu erachten, ein „Mittelweg“ in Form einer lediglich partiellen Rechtsfolgenanerkennung steht ihr nicht offen. Gerade diese spezifische Eigenheit von Verhaltensnormen, auch nur hinsichtlich bestimmter Aspekte angewendet werden zu können, beeinhaltet jedoch eine besondere Gefahr für die Privatautonomie. Bedarf es für eine prospektive Verhaltensregulierung anhand ausländischer Verhaltensnormen eindeutiger und vorhersehbarer Kollisionsnormen, 125 so belassen „Anknüpfungskriterien“ wie die Interessensympathie 126 einen ganz erheblichen Spielraum für die sekundäre Anwendung ausländischer Verhaltensnormen im Einzelfall und bringen eine erhebliche Rechtsunsicherheit127 für die Vertragsparteien mit sich. Wenn Art. 9 Abs. 3 Rom I sich daher allein mit ausländischen Verhaltensnormen befasst, so liegt dies daran, dass gerade hinsichtlich dieser ein erhöhtes Regulierungsbedürfnis besteht.128 Insofern ist es auch kein „unerträglicher Wertungswiderspruch“, wenn die Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 3 Rom I etwa von „Vergütungshöchstgrenzen“, nicht aber von „Vergütungsuntergrenzen“ passiert werden kann.129 Wenn nur jene eine Verhaltensnorm beinhal124 Ebenso FREITAG, IPRax 2009, S. 112 (Fn. 37): „Verstöße gegen Leistungs- oder Entgeltobergrenzen [lassen] die Vertragserfüllung jedenfalls insoweit unrechtmäßig werden […], als zu viel geleistet wird“. 125 Siehe oben S. 150 f. 126 Dazu KÖHLER, Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, in: Binder/Eichel (Hrsg.), Internationale Dimensionen des Wirtschaftsrechts, S. 213–218; vgl. auch S. 202 mit Fn. 41. 127 Siehe S. 189 mit Fn. 152. 128 Auch HARRIS, Mandatory Rules and Public Policy, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I regulation, S. 322, sieht die Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 3 Rom I auf Verbotsnormen beschränkt. 129 Einen solchen nimmt hingegen FREITAG, IPRax 2009, S. 112–113, an; zustimmend HAUSER, Eingriffsnormen, S. 77; EuIPR/THORN, Art. 9 Rom I Rn. 67.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
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ten, diese hingegen nicht,130 so steht fest, dass allein jene einer bloß sekundären Anwendung zugänglich sind. Will der Forumstaat auch ausländische Mindestpreisvorschriften zur Anwendung bringen, so steht ihm dafür der Weg über die Öffnungsklausel des Art. 9 Abs. 2 Rom I offen, falls derartige Vorschriften nicht bereits unter die allgemeinen Kollisionsnormen der Rom I-Verordnung zu qualifizieren sind.
Der durch das gemischt materiell-kollisionsrechtliche Subsystem verursachte empfindliche Eingriff in die Privatautonomie geht einher mit einem – im Vergleich zu den bereits nach Art. 9 Abs. 2 Rom I anwendbaren Eingriffsnormen – reduzierten Eigeninteresse des Forumstaates an der Berücksichtigung der entsprechenden Verhaltensnormen.131 Der Forumstaat selbst hat entschieden, sich den ausländischen Verhaltensbefehl nicht vollständig zu eigen zu machen, sondern lediglich keine rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen mit Rechtskraft zu versehen, die zu dessen Verletzung zwingen würden.132 Über das mit der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften befasste Subsystem hinaus hat die ausländische Verhaltensnorm keine Bedeutung für den Forumstaat, ein Verzicht auf ihre sekundäre Anwendung würde weder die Einheit der Rechtsordnung gefährden noch anderweitig widersprüchliche Wertungen provozieren. Es sind die Leichtigkeit, mit der sich durch die bloß sekundäre Anwendung ausländischer Verhaltensnormen in die Privatautonomie eingreifen lässt, die damit für die Vertragsparteien verbundene Unvorhersehbarkeit und das gleichzeitig verringerte Eigeninteresse der lex fori an der Anwendung dieser Normen, die es aus Sicht des europäischen Kollisionsrechts gerechtfertigt erscheinen lassen, zum Schutz privatautonomer Gestaltungsmöglichkeiten133 engere Maßstäbe anzulegen als im Falle des Art. 9 Abs. 2 Rom I. 134 Der Rechtssicherheit 135 wegen sollen innerhalb des Subsystems nur Verhaltens130
Vgl. FREITAG, IPRax 2009, S. 112. Ein gewisses Eigeninteresse muss der Forumstaat selbstverständlich mit der Anwendung einer ausländischen Norm im Rahmen des Subsystems verbinden, andernfalls würde er von ihrer Anwendung absehen. Es ist aber lediglich ein mittelbares Interesse, das jedenfalls nicht die Befolgung der Norm zum Gegenstand hat; vgl. FREITAG, Zwingende Normen, in: Leible (Hrsg.), Grünbuch zum Int. Vertragsrecht, S. 187 („[D]er Forumstaat [hat] kein genuines Interesse an der Durchsetzung der grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Wertentscheidungen anderer Staaten.“ [Hervorhebung hinzugefügt]). 132 Treffend GEBHARD, Entwurf II, S. 160 (siehe S. 199 Fn. 26). 133 Zu den Bedenken gegen weitreichende staatliche Begrenzungen der Privatautonomie bereits S. 168 ff.; vgl. zur Zielsetzung des Art. 9 Abs. 3 Rom I ROTH, FS Kühne 2009, S. 877–878. 134 Dass die hier interessierende sekundäre Anwendung von Verhaltensnormen ausschließlich rechtsgeschäftliche Auswirkungen hat, hätte es auch ermöglicht, die damit zusammenhängenden kollisionsrechtlichen Fragen abschließend auf europäischer Ebene zu klären. Die in Art. 9 Abs. 3 Rom I realisierte beschränkte Öffnungsklausel für mitgliedstaatliche Kollisionsnormen zeugt insofern von einer gewissen Unentschlossenheit. 135 Siehe S. 189 mit Fn. 153. 131
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
normen „des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“, berücksichtigt werden. Wie dieser Erfüllungsort zu bestimmen ist, ist heftig umstritten,136 muss jedoch letztlich auf Grundlage von Sinn und Zweck einer nur eingeschränkten Beachtlichkeit ausländischer Verhaltensnormen ermittelt werden. Zu entscheiden ist daher, welches Verständnis vom Begriff des Erfüllungsorts als Anknüpfungsmoment so eindeutig und zugleich allgemein anerkannt ist, dass es auch unter dem Gesichtspunkt eines möglichst weitgehenden Schutzes der Privatautonomie für eine nur sekundäre Verhaltensnormanknüpfung nicht ausgeschlossen werden sollte. – Das einzige Kriterium, das diesen Anforderungen gerecht zu werden vermag, ist der Handlungsort. Nur ein eng verstandenes Territorialitätsprinzip ist so weitgehend als legitimes Anknüpfungsmoment für den Erlass (und die Anwendung) von Verhaltensnormen anerkannt,137 dass angenommen werden kann, auch das gegenüber Einschränkungen der Privatautonomie grundsätzlich kritisch eingestellte europäische Kollisionsrecht sehe eine Notwendigkeit dafür, den Mitgliedstaaten dessen Achtung auch dann zu ermöglichen, wenn dies mit einer weiteren Einschränkung der Privatautonomie verbunden sein sollte. 138 Für den Begriff des Erfüllungsorts im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 Rom I bedeutet dies Folgendes: (1) Der Erfüllungsort ist streng handlungsbezogen auszulegen. Verhaltensnormen, die nicht dem Recht am Handlungsort, sondern einem (potentiellen) Erfolgsortsrecht entstammen, sind nicht berücksichtigungsfähig.139 (2) Einen stets einheitlichen, für alle aus einem Vertrag resultierenden Pflichten maßgeblichen Erfüllungsort kann es auf Grundlage eines handlungsbezogenen Begriffsverständnisses nicht geben.140 Vielmehr ist hinsichtlich jeder einzelnen Verpflichtung danach zu fragen, wo sie der vertraglichen Vereinbarung gemäß zu erfüllen ist.141 Kann damit einem Vertrag auch möglicherweise eine 136
Eingehende Darstellungen der unterschiedlichen Ansätze finden sich bei KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 215–230; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 80–94. 137 Siehe nur MAYER, JZ 1952, S. 611; KOZIOL, FS Beitzke 1979, S. 577; OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 125; zu diesen und w. N. S. 103 Fn. 318. 138 MANN, FS Beitzke 1979, S. 608 („[N]iemand wird vom deutschen Recht zu einer Handlung gezwungen, die am vereinbarten Handlungsort gesetzwidrig ist.“). 139 Hingegen grundsätzlich nur auf den Erfolgsort abstellend PFEIFFER, EuZW 2008, S. 628; KINDLER, IPR des Wirtschaftsverkehrs, S. 69; Erfolgs- und Handlungsort gleichermaßen berücksichtigend PWW9/REMIEN, Art. 9 Rom I Rn. 34–35. 140 Keine Zustimmung verdient daher auch der von jurisPK-BGB6/RINGE, Art. 9 Rom I Rn. 26–27, propagierte Ansatz, den Begriff des Erfüllungsorts in Übereinstimmung mit den Vorgaben der EuGVVO auszulegen, wonach mitunter ein einheitlicher „Erfüllungsort“ für mehrere Verpflichtungen zu bestimmen ist (Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO). Ebenso ablehnend PWW9/REMIEN, Art. 9 Rom I Rn. 34; DERS., FS Hoffmann 2011, S. 343; Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 639–640; MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 116. 141 Ebenso LEIBLE/LEHMANN, RIW 2008, S. 543; FREITAG, IPRax 2009, S. 113–114; MANKOWSKI, IHR 2008, S. 148 – Bestimmt man den Erfüllungsort anhand der Parteiver-
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Vielzahl von Erfüllungsorten zugeordnet werden, so ergibt sich auf der anderen Seite eine inhaltliche Einschränkung dergestalt, dass jeder Rechtsordnung nur die auf innerhalb ihres Geltungsbereichs vorzunehmende Handlungen bezogenen Verhaltensnormen entnommen werden können. (3) Sollten der vertraglich vorgesehene Erfüllungsort und der Ort, an dem die Leistungshandlung später tatsächlich vorgenommen wurde, auseinanderfallen, so lässt Art. 9 Abs. 3 Rom I nur eine Berücksichtigung der Verhaltensnormen des tatsächlichen Handlungsorts zu.142 Bis zur Erfüllung des Vertrags ist allein der vertraglich vereinbarte Erfüllungsort maßgeblich. Verstößt der Vertrag inhaltlich gegen ein durch das Subsystem des § 138 BGB berufenes Verbot dieses Erfüllungsorts, so ist er unwirksam und aus ihm ergeben sich keinerlei Leistungsansprüche. Kommt es in der Folge dennoch zu einer Erfüllungshandlung, die – anders als vereinbart – in einem Staat vorgenommen wird, dessen Recht diese Handlung nicht verbietet, und wird dies durch den Gläubiger als Erfüllung des Vertrags angenommen, so besteht kein Grund mehr, dem nunmehr inhaltlich veränderten143 und nicht mehr auf die Vornahme einer „verbotenen“ Handlung gerichteten Vertrag die Wirksamkeit zu versagen. 144 Enthält der Vertrag hingegen keine Angaben darüber, ob und gegebenenfalls wo eine bestimmte Erfüllungshandlung vorzunehmen ist – etwa weil er allein zur Herbeiführung eines gewissen Erfolgs verpflichtet und dieser nicht nur durch eine ganz bestimmte Handlung herbeigeführt werden kann –, so ist nicht etwa im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu ermitteln, wo die Erfüllungshandlung nach dem Parteiwillen vorgenommen werden „soll“,145 um auf diese Weise eventuell einen verbotswidrigen Inhalt des Vertrags zu „konstruieren“.146 Vielmehr kann sich die Unwirksamkeit des Vertrags in einem solchen Fall allein aufgrund ergänzender normativer Wertungen ergeben, die eine Nichtigkeitssanktion bereits an einen bloß wahrscheinlichen Verbotsverstoß knüpfen.147
einbarung, so räumt man damit nicht etwa in widersprüchlicher Weise den Vertragsparteien die Macht ein, über die Anwendbarkeit von Normen mit überindividueller Schutzrichtung zu befinden (anderer Ansicht HAUSER, Eingriffsnormen, S. 90–91). Die Parteien entscheiden nicht über die Anwendung bestimmter Verhaltensnormen, sondern allein über den Inhalt der vertraglich vorgesehenen Verpflichtungen, der selbstverständlich feststehen muss, um entscheiden zu können, ob er von der Rechtsordnung missbilligt wird. 142 Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 645; KROLL-LUDWIGS, Parteiautonomie, S. 76; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 93. 143 Vgl. zur ähnlich gelagerten Frage der Annahme an Erfüllungs statt nach § 364 Abs. 1 BGB Staudinger2011/OLZEN , § 364 Rn. 7–10; Soergel13/SCHREIBER, § 364 Rn. 1–2. 144 Eine Verpflichtung aus Treu und Glauben, gegebenenfalls einen anderen Erfüllungsort zu vereinbaren, erwägt VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 187. 145 Dazu KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 248–249 m. w. N.; ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 295–296. 146 Vgl. HARRIS, Mandatory Rules and Public Policy, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I regulation, S. 317–318; BGH (08.06.1983), NJW 1983 (2873 f.) [Vereinbarung einer Ablieferung „frei N.“ beeinhaltet keine wegen fehlender Genehmigung nach § 10 AWG a. F. verbotene Einfuhr]. 147 Siehe bereits S. 25 ff., 206 ff.
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
Lässt Art. 9 Abs. 3 Rom I somit nur die Berücksichtigung von Verhaltensnormen des Rechts am vertraglich vereinbarten bzw. tatsächlichen Handlungsort zu, so hat dies zur Folge, dass im Rahmen des Subsystems des § 138 BGB eventuell weiterreichende Anknüpfungen ausländischer Verhaltensnormen sich nicht auf die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts auswirken können. Bleiben im Rahmen des § 138 BGB herangezogene korruptionsbezogene Verhaltensnormen des Handlungsorts folgenlos, weil diese aus deutscher Sicht stets bereits als primär beachtliche Verhaltensbefehle zur Anwendung berufen sind, so wäre die Berücksichtigung anderer ausländischer Verhaltensnormen, die potentiell zu einer weitergehenden Einschränkungen der Privatautonomie führen könnte, jedenfalls durch Art. 9 Abs. 3 Rom I gesperrt. b)
Mitgliedstaatliche Verhaltensnormen
Jenseits der engen Grenzen des Art. 9 Abs. 3 Rom I, in denen ausländische Verhaltensnormen im Rahmen des Subsystems des § 138 BGB berücksichtigt werden können, wird verschiedentlich – regelmäßig gestützt auf europäisches Primärrecht – angenommen, die Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien generell zur Anwendung zu bringen.148 „Durchaus denkbar ist […], daß dort, wo die gemeinsame Wirtschaftsintegration verschiedener Staaten einen so hohen Grad erreicht hat, daß eine gemeinsame oder wenigstens gleichgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik vorliegt, die gegenseitige Achtung der auf das gemeinsame Ziel der Staaten ausgerichteten Sondergesetze wirtschafts- und sozialpolitischer Natur bei internationalen Verträgen, die Wertbewegungen innerhalb der Integrationsstaaten zum Gegenstand haben, gefordert werden muß.“149
In Bezug auf die hier in Frage stehenden Verhaltensnormen könnte dies bedeuten, dass jeder Mitgliedstaat dafür Sorge zu tragen hätte, dass rechtsgeschäftliche Verpflichtungen, die einem mitgliedstaatlichen Verbot zuwiderlaufen, keine Wirksamkeit erlangen.150 148 ROTH, Überblick – Kompetenzen – Grundfragen, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 43–46; FREITAG, Zwingende Normen, in: Leible (Hrsg.), Grünbuch zum Int. Vertragsrecht, S. 184–186; FETSCH, Eingriffsnormen, S. 319–378; ARMBRÜSTER, VersR 2006, S. 4–5; KROLL-LUDWIGS, Parteiautonomie, S. 546–548; siehe auch KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 309–320, der die Anwendungspflicht jedoch aus der Annahme herleitet, (auch) die Anwendung von Eingriffsnormen ergebe sich aus originär europarechtlichen Kollisionsnormen. – Für Zusammenstellungen der vorgebrachten Ansätze vgl. ebd., S. 292–309; BEULKER, Eingriffsnormenproblematik, S. 135– 143. 149 VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 181. 150 Zur Diskussion steht allein die Berücksichtigung der Auswirkungen mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen auf rechtsgeschäftlicher Ebene (ROTH, Überblick – Kompetenzen – Grundfragen, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 45 [„in einem Zivilprozess“]; VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 181 [„bei internationalen Verträgen“]) und damit eine lediglich sekundäre Anwendung dieser Normen. Eine allge-
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Die Auswirkungen einer solchen Anwendungspflicht im Bereich der Korruption wären indes gering. Bereits primär zur Anwendung berufen werden alle mitgliedstaatlichen Verhaltensnormen, die korruptive Handlungen im öffentlichen Sektor untersagen,151 sowie auf den privaten Sektor gerichtete Korruptionsverbote des mitgliedstaatlichen Handlungsorts. 152 Von Relevanz wäre eine darüber hinausgehende Anwendungspflicht nur, wenn mit einer korruptiven Handlung eine gewisse Gefahr für den Binnenmarkt verbunden wäre, die ein Mitgliedstaat zum Anlass nähme, die entsprechende Handlung zu verbieten, wobei jedoch der von den zum Schutz des Binnenmarktes erlassenen Verhaltensnormen des Inlands153 oder des (europäischen) Handlungsorts geforderte Wahrscheinlichkeitsgrad nicht erreicht würde, so dass die Handlung aus inländischer Sicht als rechtmäßig zu bewerten wäre.
In erster Linie wird als Grundlage einer entsprechenden Anwendungspflicht der in Art. 4 Abs. 3 EUV (Art. 10 EGV a. F.) niedergelegte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit angesehen, der dazu führen soll, dass stets die Eingriffsnormen aller Mitgliedstaaten zu berücksichtigen seien, soweit sie nicht gegen europarechtliche Vorgaben, insbesondere die Grundfreiheiten, verstoßen.154 Obwohl nicht auszuschließen ist, dass sich die allgemeine Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten untereinander155 zu einer Pflicht, mitgliedstaatliches Eingriffsrecht anzuwenden, verdichten kann, so ist doch die Annahme einer generellen Anwendungspflicht nicht interessengerecht:156 Für eine solche Anwendungspflicht wird insbesondere angeführt, die nunmehr weitgehend auf europäischer Ebene 157 geregelte internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und deren Verpflichtung zur Anerkennung von in anderen meine Verpflichtung zur Übernahme mitgliedstaatlicher Verhaltensbefehle wäre ein massiver Eingriff in die Souveränität der Mitgliedstaaten (vgl. auch S. 132 bei Fn. 472), dessen Legitimation durch die europäischen Verträge zweifelhaft erscheint. 151 Oben S. 154. 152 Siehe S. 154. 153 Dazu S. 140 f. 154 FETSCH, Eingriffsnormen, S. 342–375; ROTH, FS Dauses 2014, S. 331–335; Reithmann/Martiny6/FREITAG, 4. Teil Rn. 469; ARMBRÜSTER, VersR 2006, S. 4–5. Eine ausführliche Darstellung der Diskussion findet sich bei GEIER, Anerkennungspflichten, S. 146–160. 155 Dazu, dass sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV auch horizontal zwischen den Mitgliedstaaten und nicht allein vertikal zwischen Mitgliedstaaten und Union Treuepflichten ergeben können, Calliess/Ruffert4/KAHL, Art. 4 EUV Rn. 111–115; GHN50/V. BOGDANDY/SCHILL, Art. 4 EUV Rn. 49, 87, jeweils mit Verweis auf EUGH (22.03.1983, Rs. 42/82), Slg. 1983, 1016 (1044 Rn. 36) [Kommission/Frankreich]; EUGH (11.06.1991, Rs. C-251/89), Slg. 1991 I, 2831 (2848 Rn. 57) [Athanasopoulos]; siehe auch GEIER, Anerkennungspflichten, S. 23–24, 30–32. 156 Ebenfalls ablehnend REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 340–341; KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 62–63; Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 538–541; V. BAR/MAN2 KOWSKI, IPR I , § 4 Rn. 117–118; HAUSER, Eingriffsnormen, S. 140–145; STOLL, Eingriffsnormen, S. 347–355. 157 Vor allem in Form der EuGVVO (oben S. 218 Fn. 140).
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Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen hätten zur Folge, dass den Mitgliedstaaten die Möglichkeit genommen werde, die eigenen Eingriffsnormen gemäß Art. 9 Abs. 2 Rom I zur Anwendung zu bringen.158 Mag dem auch so sein, 159 eine generelle, europarechtlich begründete Anwendungspflicht mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ergibt sich daraus dennoch nicht. Zu erwägen ist eine solche lediglich in den Fällen, in denen „vom Gemeinschaftsrecht anerkannte Allgemeininteressen“160 in Frage stehen. Auch hier gilt (noch?) 161 , dass nicht allein die Person des Normgebers, sondern (auch) Zweck und Inhalt der Rechtsnorm über deren Anknüpfung entscheiden.162
Nicht weil es sich bei ihnen um mitgliedstaatliches Recht handelt, sollen bestimmte Normen zur Anwendung kommen, sondern weil sie bestimmte, europarechtlich anerkannte Werte verkörpern. Bei der Eindämmung der Korruption auf dem europäischen Binnenmarkt handelt es sich zwar zweifellos um einen solchen gemeineuropäischen Belang. 163 Dieser hat jedoch bereits eine Umsetzung dergestalt erfahren, dass jede mitgliedstaatliche Rechtsordnung Verhaltensbefehle aufweist, die gegen auf den Binnenmarkt abzielende korruptive Handlungen gerichtet sind.164 Dass diese in ihrer Reichweite nicht völlig identisch sind, besagt keinesfalls, dass sich stets der unionsweit
158 ROTH, FS Immenga 2004, S. 346; FREITAG, Zwingende Normen, in: Leible (Hrsg.), Grünbuch zum Int. Vertragsrecht, S. 184–185. 159 Kritisch etwa KÖHLER, Eingriffsnormen, S. 307–308 („schlichte Folge der freiwilligen Übertragung nationaler Kompetenzen auf die EU, so dass aus dieser alleine schwerlich eine Kompensationspflicht hergeleitet werden kann“); Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 540 („gemeinschaftsrechtlich gewünscht“); HAUSER, Eingriffsnormen, S. 144 („vom europäischen Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, da es im Europäischen Zivilprozessrecht politisch gewollt ist, einen Zustand weitgehend unbedingter Anerkennung mitgliedstaatlicher Urteile herzustellen“). 160 ROTH, FS Immenga 2004, S. 346 [Hervorhebung im Original]; KROLL-LUDWIGS, Parteiautonomie, S. 548 („[Mitgliedstaatliche Eingriffsnormen] sind aber in besonderer Weise legitimiert, indem der betreffende Mitgliedstaat ein vom EU-Recht anerkanntes und noch nicht vergemeinschaftetes Allgemeininteresse in unionskonformer Weise vornimmt.“); vgl. REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 340–341 („So wird sich nur bei grundlegender Wertungskonvergenz eine klare Pflicht zur Beachtung einer autonomen Eingriffsnorm eines anderen Mitgliedstaats ergeben.“). 161 MüKo5/SONNENBERGER, Einl. IPR Rn. 203 („Zukunftsmusik“); DERS., IPRax 2003, S. 114 („Eine allgemeine Solidaritätspflicht der Mitgliedstaaten ist zwar nach wie vor verfrüht, mit der Herausbildung föderativer Elemente kann sich das aber ändern.“). 162 Siehe auch S. 202 mit Fn. 42 ff. 163 Dies belegen nicht zuletzt die europäischen Initiativen (dazu S. 133 bei Fn. 479), die zum Erlass des EUBestG geführt haben. 164 Dazu S. 140 bei Fn. 519.
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strengste durchsetzen müsste. 165 Dem europäischen Anliegen der Korruptionsbekämpfung ist bereits Genüge getan, wenn jeder Mitgliedstaat seine eigenen (den europäischen Vorgaben Rechnung tragenden) 166 Verbote anwendet, um den Binnenmarkt zu schützen. Einer darüber hinausgehenden Verpflichtung zur Berücksichtigung aller übrigen mitgliedstaatlichen Schutznormen bedarf es nicht – sie widerspräche vielmehr der sich aus Art. 9 Abs. 3 Rom I ergebenden Zielsetzung, die Privatautonomie auch innerhalb der Europäischen Union nicht mehr als notwendig einzuschränken.167 Für eine Pflicht zur Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ist daher nicht ausreichend, dass diese europarechtlich anerkannte Interessen schützen, vielmehr dürfen diese Interessen nicht bereits anderweitig ausreichend berücksichtigt worden sein. Jedenfalls im Hinblick auf den Schutz des Binnenmarktes vor korruptiver Einflussnahme liegen diese Voraussetzungen nicht vor. 2.
Anknüpfung außerrechtlicher Verhaltensnormen
Soweit § 138 BGB auf außerrechtliche Maßstäbe Bezug nimmt, wird darin ein Verweis auf die in Deutschland geltende Sozialordnung gesehen.168 Diese 165
Vgl. zum ähnlich gelagerten Problem der Anknüpfung von Eingriffsnormen, die durch eine überschießende Richtlinienumsetzung entstanden sind, REMIEN, FS Hoffmann 2011, S. 339–340. 166 Auch eine Pflicht zur Anwendung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen ist kein Garant dafür, dass europäischen Belangen ein ausreichender Schutz gewährt wird. Sollten also die jeweiligen inländischen Verhaltensnormen zum Schutz des Binnenmarktes vor korruptiver Einflussnahme kein ausreichendes Schutzniveau bieten, so bestünde aus europäischer Sicht diesbezüglich Handlungsbedarf, nicht hinsichtlich einer Aufweichung der Kriterien des Art. 9 Abs. 3 Rom I. 167 Vgl. V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 118 („Im Binnenmarkt sind nationale Beschränkungen abzubauen. Daß andere Mitgliedstaaten Beschränkungen anerkennen müßten, würde dem Binnenmarktansatz also zuwiderlaufen.“); Reithmann/Martiny7/FREITAG, 4. Teil Rn. 539 („[E]ine Verpflichtung zur Anwendung der Eingriffsnormen anderer Mitgliedstaaten [führte] letztlich zu einer gemeinschaftsweiten Kumulation sämtlicher Eingriffsnormen sämtlicher Mitgliedstaaten […], was das Anknüpfungssystem der Rom I-VO ebenso gänzlich inakzeptabel in Frage stellen würde wie die Grundfreiheiten.“). – Neben der Anwendungspflicht ist damit zugleich auch ein über Art. 9 Abs. 3 Rom I hinausgehendes Recht zur Berücksichtigung mitgliedstaatlicher korruptionsbezogener Verhaltensnormen ausgeschlossen. 168 MüKo6/ARMBRÜSTER, § 138 Rn. 16; Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 23; LOTMAR, Der unmoralische Vertrag, S. 95 („Also nicht vergangene, oder künftige, oder bloß theoretische Moral hat der Richter zum Maßstab zu nehmen, sondern die in seiner Zeit als Moral anerkannte und geübte, und zwar in seinem Land, in seinem Volk anerkannte und geübte.“); ENNECCERUS/NIPPERDEY, AT 215, S. 1164 („die heute geübte Rechtsmoral des deutschen Volkes“ [Hervorhebung im Original]). FISCHER, Rechtswidrigkeit, S. 80 („Die guten Sitten umfassen ferner nur die heute in Übung befindliche Volksmoral, nicht eine in der Vergangenheit geübte, nicht eine Zukunftsmoral, nicht eine heute bei fremden Völkern geltende Moral.“), beruft sich dafür auf D. 47, 10, 15, 6 („Derselbe sagt ferner:
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
Annahme, die zu begründen nur selten der Versuch unternommen wird, beruht indes auf Prämissen, welche die (heutige) Rechtslage nicht (mehr) zutreffend abbilden, und führt insbesondere im Zusammenspiel mit der angeblichen Notwendigkeit, § 138 BGB unter das Vertragsstatut zu qualifizieren,169 zu nicht sachgemäßen Ergebnissen. a)
Keine ausschließliche Berücksichtigung der „lex fori aequitatis“170
NEUMEYER sieht den Grund für die ausschließliche Bezugnahme auf die inländischen guten Sitten darin, dass diese „eine abweichende Ordnung in anderen Bereichen überhaupt nicht anerkennen“ würden, „Geltung schlechtweg“ beanspruchten und daher „eine Verweisung auf solche Vorschriften nur auf die sittlichen Anschauungen des eigenen Bereiches“ bezogen sein könne.171 Nach EHRENZWEIGS Theorie der „moral data“ kommt es stets zur Anwendung der „lex fori aequitatis“172, weil „der Richter durch seinen vom Inland geprägten Wertungshorizont nur seine eigenen Werte verwirklichen könne“173.174 Zu einer ähnlichen Einschätzung hinsichtlich der „Voreingenommenheit“ durch Anschauungen des jeweils eigenen Umfelds gelangt auch SALBU.175 Er leitet daraus jedoch nicht das Primat der eigenen sittlichen Anschauungen ab, sondern gelangt zur grundsätzlichen Ablehnung extraterritorial wirkender Regelungen gegen Korruption, insbesondere derjenigen des FCPA176. Die extraterritoriale Regulierung setze gemeinsame Wertvorstellungen den guten Sitten zuwider [Hervorhebung im Original], ist so zu verstehen: nicht jenen Dessen, der es gethan, sondern es ist im Allgemeinen ein Verstoss wider die guten Sitten dieses Staates [Hervorhebung hinzugefügt] zu verstehen.“ [Übersetzung von OTTO/SCHILLING/SINTENIS, Corpus iuris civilis IV, 1832]) und Art. 30 EGBGB in der bis 1986 geltenden Fassung (RGBl. 1896, S. 604, 609): „Die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ist ausgeschlossen, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde“. 169 Siehe dazu S. 210 ff. 170 EHRENZWEIG, FS Vallindas 1976, S. 135. 171 NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 56. 172 EHRENZWEIG, FS Vallindas 1976, S. 135. Zu EHRENZWEIGS Lehre von den „local“ und „moral data“ JAYME, GS Ehrenzweig 1976, S. 45–49; vgl. auch SIEHR, RabelsZ 34 (1970), S. 605–606. 173 So JAYME, GS Ehrenzweig 1976, S. 46, über die „Datum-Theorie“ EHRENZWEIGS. Das habe insbesondere auch zur Folge, dass Rechtsnormen ausländischer Herkunft, die auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen, ebenfalls nur im Lichte der inländischen Werteordnung ausgelegt würden (ebd., S. 46–48). 174 Die theoretische Möglichkeit zur Bezugnahme auf ausländische Werte will freilich auch EHRENZWEIG, PIL I, S. 77–82 (S. 82: „Conceivably, a conflict rule could refer to such foreign standards – but no such reference has been found.“), nicht völlig ausschließen. 175 SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 243 („Entering an unfamiliar cultural territory, we are tempted to assess behaviors through our own cultural lenses“). 176 Dazu oben S. 142 ff.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
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voraus, die hinsichtlich der Korruption zwar im Grundsatz, nicht hingegen im Einzelnen bestehe. 177 Die unterschiedlichen Einschätzungen, die hinsichtlich potentiell korrupten Verhaltens existieren, seien am besten vom jeweiligen Umfeld selbst zu bewerten, da es dem Außenstehenden insoweit an Verständnis für die kulturellen Eigenheiten fehle.178
Einem solchen Verständnis des Verweises auf die guten Sitten ist indes entgegenzutreten. Zunächst gilt es zu bedenken, dass Inhalt und Reichweite einer Verweisung allein durch die verweisende Ordnung bestimmt werden können und einem etwaigen Absolutheitsanspruch der verwiesenen Ordnung im Hinblick auf die Reichweite der Verweisung keine Bedeutung beizumessen ist, solange dies nicht durch die verweisende Ordnung selbst bestimmt wurde. Selbst wenn man dem Selbstverständnis der verwiesenen Normen Bedeutung zumessen will, so verfolgt die Sozialmoral gerade keinen Absolutheitsanspruch. Nicht die Vorstellungen einer „Hochethik“, die „für alle Menschen verbindlich sein wollen“179 werden als Maßstab herangezogen, 180 sondern vielmehr konkrete Verhaltensnormen „soziale[r] Ordnungen“, deren „zeitlich, räumlich, gegenständlich und persönlich abgrenzbarer Geltungs-, Anwendungs- und Wirkungsbereich“ zu beachten ist.181 Gesellschaften, die in erster Linie für das tägliche Zusammenleben relevante Verhaltensregeln entwickeln, tun dies stets (wenn auch wohl unbewusst) in der Überzeugung, dass andere Gesellschaften sich legitimerweise andere Regeln geben können.
Zudem kann ein Richter durchaus auch in Fällen ohne Auslandsbezug über soziale Normen von Gruppen zu befinden haben, denen er selbst nicht angehört, ohne dass er daran aufgrund seiner verinnerlichten sittlichen Werte gehindert wäre. § 138 BGB lässt zu, dass nicht nur Sitten einer „Gesellschaft 177
SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 227, 241 (vgl. S. 9 Fn. 19). Auch hier finden sich Anklänge, dass normative Wertungen nicht ohne weiteres über die sie tragende soziale Gruppe hinaus ausgedehnt werden können (S. 227: „[T]he so-called ‚global village’ has yet to develop into a single viable community that can be effectively subjected to a single set of extrinsically imposed rules.“); dazu S. 103 bei Fn. 316. 178 SALBU, 24 Yale J. Int'l L. (1999), S. 227–241 (S. 241: „[T]he assessment of practices against universal standards requires a true understanding of the nature of the practices within any given cultural context. Such practices must be viewed through the potentially obscuring lenses of an outside culture.“). 179 Ausführlich zu den verschiedenen Formen der „Sittlichkeit“ HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 67–77. 180 LARENZ, Grundsätzliches zu § 138 BGB, in: Erdsiek (Hrsg.), Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 105–107. Die Existenz einer solchen „absolute[n] d. h. allgemeine[n]“ Moral bestreitet Staudinger7/RIEZLER, § 138 Anm. I 2 a. 181 HIRSCH, JZ 1962, S. 333 [Hervorhebung hinzugefügt], geht dabei offenbar davon aus, dass nicht stets allein eine bestimmte Sozialordnung Ziel der Verweisung sein muss. Vgl. auch SACK, NJW 1985, S. 767–768 („[…] Pluralität teils übereinstimmender, teils sich widersprechender heteronomer Moralordnungen. […] Die von den Gerichten herangezogenen ethischen Normen sind daher in der Regel nicht Normen der Moral, sondern Normen einer Moral […].“ [Hervorhebungen im Original]).
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
im Ganzen“182 zur Beurteilung eines Rechtsgeschäfts herangezogen werden, sondern dass im Einzelfall auch auf die Sitten „der in Betracht kommenden beteiligten Kreise“183 abgestellt wird.184 Gesamtgesellschaftliche Erwartungen an das Verhalten einer Person ergeben sich ohnehin regelmäßig nur aus einer Synthese der Verhaltensvorgaben ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an diese Person.185 Erst aus einer Gesamtschau heraus lässt sich dann bestimmen, welche Verhaltensanforderungen „die Gesellschaft“ an den Einzelnen stellt. Ergeben sich aufgrund divergierender Gruppenvorstellungen widersprüchliche Anforderungen, so bedarf es einer wertenden Auswahl der aus Sicht der Rechtsordnung maßgeblichen gesellschaftlichen Kreise.186
Ein Richter kann kaum die Sitten eines jeden gesellschaftlichen Verkehrskreises verinnerlicht haben.187 Dass er dennoch auch die Sitten ihm fremder Verkehrskreise zur Grundlage einer Entscheidung machen kann, liegt daran, dass es sich auch hierbei um die Anwendung von Normen handelt, nicht um die Umsetzung eines mehr oder weniger diffusen Wertekanons. Weshalb es sich bei sozialen Verhaltensnormen ausländischer Provenienz anders verhalten, weshalb ausgerechnet soziale Normen allein durch „einseitige“188 Kollisionsnormen berufen werden sollten, ist nicht recht nachvollziehbar.189 Dass inländisches Recht auf die Gegebenheiten im Inland abgestimmt und in Fäl182
NK-BGB2/LOOSCHELDERS, § 138 Rn. 36. BGH (09.07.1953), BGHZ 10, 228 (232) („Kaufmannschaft“); BGH (08.02.1956), BGHZ 20, 43 (50) („Bankleute“); BAUMBACH/HEFERMEHL, WettbR9, Einl. UWG Rn. 55– 56. 184 „Diese sind vielmehr innerhalb dieser Kreise zu berücksichtigen, sofern sie nicht im Widerspruch zu den allgemeinen Wertvorstellungen stehen“ (RGRK12/KRÜGERNIELAND/ZÖLLER, § 138 Rn. 20). – Zu Normenhierarchien innerhalb sozialer Ordnungsgefüge siehe OERTMANN, Rechtsordnung, 396–397; NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 40–42; BAUMBACH/HEFERMEHL, WettbR9, Einl. UWG Rn. 57. 185 Zu den Erkenntnissen der soziologischen Rollentheorie, wonach jede gesellschaftliche Position einer potentiellen Vielzahl von Bezugsgruppen gegenübersteht, die jeweils (unterschiedliche, nicht notwendigerweise widersprüchliche) Verhaltensanforderungen („Rolle“) an den Inhaber der Position stellen, TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 85– 87 unter Bezugnahme auf DAHRENDORF, Homo Sociologicus16, S. 47–57. 186 Zur Auflösung von „Rollenkonflikten“ TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 87. 187 TEUBNER, Standards und Direktiven, S. 67–68 („Repräsentationsthese versagt“) m. w. N. 188 Der Begriff der einseitigen Kollisionsnorm darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Verweis auf die „eigenen“, inländischen Sitten bereits auf eine aus Sicht der Rechtsordnung fremde Normenordnung zielt. 189 Konsequenterweise vergleicht HIRSCH, JZ 1962, S. 333–334, § 138 BGB mit einer Kollisionsnorm, die auf ein ausländisches Recht verweist. – Die „beteiligten Verkehrskreise“ nicht ausschließlich im Inland sucht bereits RG (02.10.1928), Gruchot 70, Nr. 41 (547– 548): „Zweifellos verstieße sie [die Auffassung der Reparationslieferanten] aber gegen die Anschauung der Mitbeteiligten, der fremden Staaten und des Deutschen Reichs“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 183
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
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len mit Auslandsberührung eventuell anzupassen ist, ist hinreichend bekannt.190 Eine solche Anpassung an ausländische Gegebenheiten kann daher grundsätzlich auch darin bestehen, dass die Rechtsordnung die Wertungen ausländischer Sozialordnungen in sich aufnimmt.191 Gerade dies dürfte auch der flexibilisierenden Funktion der guten Sitten gerecht werden. 192 Die Schwierigkeiten, welche die Ermittlung entsprechender sozialer Normen mit sich bringt, müssen dabei im Einzelfall keineswegs diejenigen übersteigen, die mit der Einschätzung originär rechtlicher Wertungen ausländischer Herkunft einhergehen. b)
Unmaßgeblichkeit des Vertragsstatuts
Nicht die Unfähigkeit des Forums, ausländische Sozialnormen umzusetzen, sondern die Überzeugung, durch die Bestimmung des Vertragsstatuts bereits zum sozialen Schwerpunkt des in Frage stehenden Rechtsverhältnisses vorgedrungen zu sein, ist der zweite Grund, der – zusammen mit der Annahme, § 138 BGB sei dem Vertragsstatut zuzuordnen193 – zu einem vermeintlichen Primat der inländischen guten Sitten führt.194 Trifft diese Annahme zu, so ist es nur konsequent, dem Vertragsstatut die Entscheidung über die rechtliche Bedeutung sozialer Normen195 und gegebenenfalls diese selbst zu entnehmen, denn eine engere Verbindung zu einer anderen Sozialordnung kann es dann folgerichtig nicht geben. Das Vertragsstatut wird derartigen Anforderungen jedoch nicht gerecht, weil seine Aufgabe die Gewährleistung eines gerechten Interessenausgleichs inter partes ist und damit ebenfalls tangierte Dritt- und Allgemeininteressen Belange sind, die bei seiner Bestimmung keine Berücksichtigung finden. Insbesondere die Möglichkeit der Vertragsparteien, ein neutrales Recht als Vertragsstatut zu bestimmen, dient als Begründung dafür, 190
Auf diesem Gedanken basieren die Grundsätze des Auslandssachverhalts, der Substitution und der Anpassung; vgl. KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 59–67. 191 Dies geschieht bereits heute auf Umwegen, indem etwa „einem nach inländischer Anschauung begründeten Verstoß schwächere Wirkungen beigemessen werden, wenn der Vorgang sich in einem Lande auswirken soll, das ihn nicht beanstandet“ (NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 56); vgl. auch ZITELMANN, IPR I, S. 343. Dogmatisch handelt es sich dabei um eine Bezugnahme auf inländische Anschauungen über ausländische Gegebenheiten. Dass sich aber im Inland überhaupt eine solche Fremdensitte etabliert hat und sich diese darüber hinaus inhaltlich an die ausländischen Sitten anlehnt, bleibt bloße Vermutung. 192 Oben S. 198 bei Fn. 14. 193 Für Nachweise zur herrschenden Meinung siehe S. 210 Fn. 93. 194 VISCHER, FG Gerwig 1960, S. 167 („Der internationale Vertrag untersteht der Rechtsordnung, von dessen [sic] Sozialsphäre er am wesentlichsten überschattet ist, mit welcher er funktioniell am engsten verbunden ist […].“). Es ist dies letztlich nur eine Fortschreibung der Überlegungen von SAVIGNY, System VIII, S. 27–28, über die „natürliche“ Lage eines Rechtsverhältnisses. 195 Für Nachweise siehe S. 210 Fn. 93.
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
diesem nicht solche Rechtsnormen zuzuordnen, die übergeordnete Schutzinteressen verfolgen.196 Nichts anderes hat jedoch hinsichtlich der Begrenzung der Privatautonomie anhand gesellschaftlicher Verhaltensvorgaben zu gelten. Diese erfolgt ebenfalls nicht im Interesse der Parteien,197 sondern dient dem Erhalt gemeinsamer Wertvorstellungen, derer es für ein gedeihliches Zusammenleben bedarf. 198 Wenn „die Rechtsordnung das Beherrschtwerden der Personen durch den sittlichen Imperativ anerkennen“199 muss, weil sie selbst stets lückenhaft bleibt,200 so anerkennt sie damit Regeln, die „der Fürsorge des Gesellschaftsorganismus für sein Gedeihen“201 zu dienen bestimmt sind. Dieses Privileg nur einer – der „eigenen“ – Gesellschaftsordnung zu gewähren, ist ebenso unangemessen wie die ausschließliche Anwendung inländischen Rechts. Verfolgt der Verweis auf die guten Sitten also den Zweck einer Rückkopplung von Rechtsgeschäften an gesellschaftliche Gegebenheiten, so widerspricht es dieser Zielsetzung, als Maßstab eine Gesellschaftsordnung heranzuziehen, die – wie etwa im Falle der Wahl eines neutralen Rechts – von dem rechtsgeschäftlichen Geschehen nicht tangiert wird. 202 Auch im Kontext der „sozialen Kontrolle“ von Rechtsgeschäften gilt es somit, die Verhaltensnormen derjenigen gesellschaftlichen Ordnung heranzuziehen, zu der das vertraglich vereinbarte Verhalten den engsten Bezug hat. „Wenn es nun aber einen absolut gültigen Maßstab für eine ethische Bewertung menschlichen Handelns nicht gibt, so bleibt dem Richter, der im Gesetze dennoch angewiesen wird, eine solche Bewertung vorzunehmen und menschliches Handeln vom Standpunkte der guten Sitten aus zu beurteilen, nur der eine Weg: sich zu fragen, ob nach den jetzigen Anschauungen des sozialen Kreises, innerhalb welches das Handeln vor sich geht, in diesem Handeln ein Verstoß gegen die guten Sitten erblickt wird oder nicht.“203
196 KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 130; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 120; ZEPPENFELD, Allseitige Anknüpfung, S. 75–76. Gegen die Schuldstatutstheorie bereits S. 169 bei Fn. 60–67. 197 Dies ändert sich auch nicht, wenn man die Spannungen zwischen Rechtsgeschäft und Sitte aus Sicht der Vertragsparteien beschreibt und hervorhebt, zu vermeiden sei, „durch ein Rechtsgebot die Person in einen sittlichen Konflikt zu bringen“ (GEBHARD, Entwurf II, S. 160). 198 Siehe S. 199 mit Fn. 23. 199 GEBHARD, Entwurf II, S. 160. 200 Dazu S. 198 mit Fn. 13. 201 STEINBACH, DJZ 1899, S. 49 [Hervorhebung hinzugefügt]. 202 Vgl. NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 58 („Nicht selten besagt demgemäß das verweisende Gesetz selbst, auf welche von mehreren Ordnungen die Verweisung gehen soll. Wo das nicht geschehen ist, muß der Wille des Gesetzes ergründet werden. Die Antwort ergibt sich […] vornehmlich aus dem Zweck der Verweisung.“) Nichts anderes ist freilich mit dem geläufigeren Terminus der international-privatrechtlichen Interessen gemeint; vgl. dazu KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 128–158 m. w. N. 203 Staudinger7/RIEZLER, § 138 Anm. I 2 b [Hervorhebungen im Original].
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
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Soziale Verhaltenskontrolle findet regelmäßig dort statt, wo eine Handlung vorgenommen wird. Es ist die unmittelbare Umgebung, deren Zustimmung oder Missbilligung jeder Handelnde ausgesetzt ist. Richtiges Anknüpfungsmoment ist damit auch hier grundsätzlich der Handlungsort.204 Jenseits gesetzlicher Korruptionsverbote sind Schmiergeldvereinbarungen und Vermittlungsverträge daher nach § 138 BGB nichtig, wenn die Zuwendungen, zu denen sie verpflichten, am Ort ihrer Vornahme gegen soziale Verhaltensvorgaben verstoßen (würden). Da gesellschaftliche Verhaltensnormen – anders als staatliche – regelmäßig keiner streng territorial konstituierten Gemeinschaft entstammen, kann die Bestimmung der am jeweiligen Handlungsort geltenden Sitten nicht mit der Präzision staatlicher Grenziehung erfolgen. Gleichwohl sind auch gesellschaftliche Verbünde wohl regelmäßig regional geprägt, nur deshalb lässt sich überhaupt von „inländischen“ und „ausländischen“ Sitten sprechen.205 Bei einer Anknüpfung an den jeweiligen Handlungsort ist mit Schwierigkeiten daher wohl vor allem in „Grenzregionen“ zu rechnen, in denen sich eine „schleichende Wandlung“ gesellschaftlicher Anschauungen vollzieht. Diese Schwierigkeiten, die in solchen Fällen bei der Bestimmung gesellschaftlicher Anschauungen entstehen, unterscheiden sich jedoch allenfalls graduell von denjenigen, die ohnehin mit der stets notwendigen Bewertung und Abwägung von Verhaltenserwartungen unterschiedlichster Gruppen und Intensität einhergehen.206 Gegen eine Anknüpfung an den Handlungsort sprechen sie daher nicht.
c)
Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 3 Rom I
Zwar muss die sekundäre Berücksichtigung (sozialer) Verhaltensnormen grundsätzlich nicht bei der Anknüpfung an den Handlungsort ihr Bewenden haben – denkbar ist hier eine weitaus großzügigere Heranziehung der Wertungen potentieller „Erfolgsorte“.207 Allerdings stehen dem wohl, nicht anders als hinsichtlich fremder staatlicher Verhaltensnormen, die Beschränkungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I entgegen. Mag dieser sich seinem Wortlaut nach 204 Ebenso BÖHMER, Rechtfertigungsgründe, S. 138 („Sozialadäquat soll eine Handlung […] sein, wenn sie sich in der ‚geschichtlich gewordenen sozial-ethischen Ordnung‘ hält. Der Wert bzw. Unwert der Handlung wird demnach gemessen an den Wertbegriffen, die die Gemeinschaft aufgestellt hat und die in deren Lebensbereich allgemeinverbindlich sind. Welche Gesellschaft aber ist zur Beurteilung einer Tat nach ihren Wertbegriffen berufen? Die Frage stellen, heißt sie bereits beantworten. Denn es versteht sich von selbst, daß dies nur die Gemeinschaft sein kann, deren Belange durch die Handlung berührt werden; in deren Ordnung der Täter eingreift. In der Sprache des IPR bedeutet das, daß sich die Frage der Sozialadäquanz nach der Rechtsordnung des Handlungsortes richtet.“). 205 Vgl. S. 223 Fn. 168. 206 Siehe S. 226 mit Fn. 185, 186. 207 Man stelle sich nur vor, dem „Schützer und Berater seiner Angehörigen“ (RG (08.06.1929), SeuffArch 83, Nr. 194 (325); vgl. S. 20 Fn. 80) wird ein Vorteil während einer Auslandsreise zugewandt, wohingegen das Geschäft, das er beeinflussen soll, im Übrigen nur Bezüge zum Inland aufweist. Für die Geltung heimischer Sitten innerhalb einer Reisegesellschaft NEUMEYER, ZÖR 11 (1931), S. 39.
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
auch allein auf staatliche Verhaltensnormen beziehen, so kann der mit ihm intendierte Zweck, der Schutz rechtsgeschäftlicher Gestaltungsfreiheit vor übermäßigen staatlichen Eingriffen,208 doch nur sichergestellt werden, wenn auch die Heranziehung außerrechtlicher Verhaltensnormen den in Art. 9 Abs. 3 Rom I etablierten Beschränkungen unterworfen wird. Soll die Wirksamkeit eines Vertrags jenseits der durch die lex fori zur primären Anwendung berufenen und der am Handlungsort geltenden Verhaltensnormen nicht beeinträchtigt werden, so ist dieser Grundsatz auf Verhaltensvorgaben jeglichen Ursprungs zu erweitern, da andernfalls seine Aushöhlung drohte.209 Zwar sind die Wertungen der Rechts- und der Sittenordnung trotz erheblicher Wechselwirkungen210 nicht stets deckungsgleich,211 ist Letztere keine Abbildung Ersterer oder umgekehrt. Für den Schutz der Privatautonomie entscheidend ist jedoch nicht so sehr, welchen konkreten Inhalt staatliche Beschränkungen haben, sondern wie umfangreich diese sind. Die Mitgliedstaaten daran zu hindern, jenseits der Normen des Handlungsorts ausländisches Recht als Grenze der Privatautonomie zu etablieren, brächte keinerlei Erleichterung für die privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten potentieller Vertragsparteien mit sich, wenn diesen nicht zugleich auch die Last abgenommen würde, die Konformität ihrer Vereinbarungen mit einer Vielzahl von Sittenordnungen sicherstellen zu müssen.
Die Berücksichtigung sozialer Verhaltensnormen im Rahmen des Subsystems des § 138 BGB ist daher analog Art. 9 Abs. 3 Rom I auf solche des Handlungsorts zu beschränken. 3.
Anknüpfung des Subsystems
Steht damit fest, dass die Bezugnahme auf ausländisches Recht im Rahmen des § 138 BGB im Hinblick auf die Korruption keine Bedeutung hat und durch diesen außerrechtliche Verhaltensnormen des Handlungsorts zum Maßstab für rechtsgeschäftliche Vereinbarungen erklärt werden, so bleibt die Entscheidung nach der interessengerechten Anknüpfung des Subsystems selbst. Der Zweck, der durch die inländische Rechtsordnung mit der Einschränkung der Privatautonomie anhand primär unverbindlicher Verhaltensvorgaben verfolgt wird, ist nicht vorrangig der Interessenausgleich inter partes. (Fremde) Verhaltensnormen verlangen bestimmte Verhaltensweisen unabhängig 208
MANKOWSKI, RabelsZ 75 (2011), S. 679 (vgl. S. 169 Fn. 58). Dafür sprechen nicht zuletzt auch die Schwierigkeiten, die es bereiten kann, zwischen noch außerrechtlichen und schon dem Recht zugehörigen Verhaltensnormen zu unterscheiden. Vgl. dazu nur LARENZ, Grundsätzliches zu § 138 BGB, in: Erdsiek (Hrsg.), Juristen-Jahrbuch 1966/67, S. 109, 111, der die „Zahlung von ‚Schmiergeldern‘ an die Angestellten des Geschäftspartners“ als Verstoß gegen die „herrschende Moral“ ansieht, gleichzeitig jedoch als Grund der Sittenwidrigkeit des „Versprechen[s] von Schmiergeldern an Angestellte eines Konkurrenten“ „spezifisch rechtliche Erwägungen“ angibt. 210 Dazu HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 63–66. 211 MEDICUS, AT10, Rn. 679. 209
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
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von bestehenden oder künftigen schuldrechtlichen Sonderverbindungen.212 Es gibt keinen Grund, weshalb der Entschluss der inländischen Rechtsordnung, diese überindividuellen Wertungen als Grenze rechtsgeschäftlicher Gestaltungsfreiheit aufzugreifen, dazu führen sollte, das geschaffene Subsystem nunmehr insgesamt als Bestandteil des vertraglichen Interessenausgleichs zu begreifen. Das „Hinzufügen“ der zivilrechtlichen Nichtigkeitssanktion ist notwendig, um auf Ebene des Vertragsrechts verbindliche und primär unverbindliche Verhaltensnormen in ihrer Wirkung gleichzustellen, die in beiden Fällen verfolgten überindividuellen Interessen werden dadurch nicht modifiziert.213 Scheidet somit das Vertragsstatut als Standort des durch § 138 BGB verkörperten Subsystems aus, stellt sich die Frage nach einer anderweitigen angemessenen Anknüpfungsregel. Nimmt man die Zielsetzung des Verweises auf fremde Verhaltensnormen ernst, keine rechtsverbindliche Pflicht zur Vornahme von durch fremde Normenordnungen verbotenen Handlungen schaffen zu wollen – mag der Grund für die Berücksichtigung der jeweiligen Verhaltensnorm im Einzelfall in der Billigung ihrer Zielsetzung oder in der Motivation liegen, grundlegende gesellschaftliche Überzeugungen aufrechtzuerhalten –, so muss eine entsprechende Kontrolle von Verträgen in allen Situationen möglich sein, in denen in Frage steht, ob die deutsche Rechtsordnung vertraglich vereinbarte Pflichten als rechtsverbindlich erachten soll. 214 Interessengerechtes Anknüpfungsmoment ist daher das inländische Forum. Erkennt man an, dass unter dem Begriff der guten Sitten ganz unterschiedliche Instrumente zusammengefasst werden und dass nicht für alle Aspekte des § 138 BGB die Qualifikation unter das Vertragsstatut angemessen ist, so ist damit auch die Vorstellung einer uneingeschränkten Zuordnung des § 138 BGB zum ordre public215 in Frage gestellt.216 Die Bezugnahme auf fremde Verhaltensnormen lässt sich nicht mit den für den ordre public typischen inländischen Grundsätzen vergleichen, die je nach Stärke des Inlandsbezugs ihren Inhalt graduell verändern. 217 Nicht der konkrete Inhalt des Subsystems gehört zu den unveräußerlichen Grundsätzen des deutschen Rechts – er ist qualitativ wandelbar –, allein die grundsätzliche Inbezugnahme bestimmter Verhaltensnormen als Grenze der Privatau-
212
Vgl. S. 177. Dies gilt hier wie auch hinsichtlich des § 134 BGB, dessen privatrechtliche „Rechtsfolgenanordnung“ (dazu S. 194 bei Fn. 179) die ihm zugrunde liegenden Verhaltensnormen ebenfalls nicht zum Bestandteil des Vertragsstatuts machen. 214 Zur staatlichen Rechtsordnung als Quelle der Rechtsverbindlichkeit vertraglicher Vereinbarungen S. 54 mit Fn. 28 und S. 171 mit Fn. 72. 215 MANKOWSKI, RIW 1996, S. 10; MüKo5/SONNENBERGER, Art. 6 EGBGB Rn. 61–64. 216 SONNENBERGER, FS Rebmann 1989, S. 837 („Zwar wird § 138 BGB als Bestandteil der deutschen öffentlichen Ordnung verstanden. Ob darunter aber alle konkreten Ausformungen fallen, auch wenn sie sich auf Normen stützen, die nicht Basisregeln deutscher Sozialmoral sind, muß eher in Frage gestellt werden.“). 217 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 250, 265–266; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 7 Rn. 264. 213
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tonomie an sich ist ein solcher Grundsatz. Diesem wird jedoch in erster Linie dadurch Rechnung getragen, dass das Subsystem selbst als Eingriffsnorm ausgestaltet wird.
III. Exkurs: Sozialadäquanz Das Phänomen der Sozialadäquanz 218 , die Rücksichtnahme des Rechts auf Verhaltensnormen, die sich innerhalb einer Gesellschaft jenseits der Rechtsordnung gebildet haben, lässt sich mit Blick auf die Funktionsweise des § 138 BGB und seiner Bezugnahme auf fremde, primär unverbindliche Verhaltensnormen als verwandtes Konstrukt erfassen. Da die Rechtsordnung die endgültige Entscheidung über die Reichweite ihrer Verhaltensvorgaben autonom treffen muss,219 handelt es sich bei der Sozialadäquanz um ein Instrument, das innerhalb der jeweiligen rechtlichen Verhaltensnorm zu verorten ist. In ihr kann man daher ein dem § 138 BGB grundsätzlich vergleichbares, wenn auch wesentlich spezielleres Subsystem erkennen, welches in Form eines gemischt materiell-kollisionsrechtlichen Vorbehalts Bestandteil einer jeden rechtlichen Verhaltensnorm ist und eine normimmanente Einschränkung des durch diese ausgesprochenen Verhaltensbefehls bewirkt. Der grundsätzlich vorgesehene Verhaltensbefehl wird durch das Subsystem aufgehoben, wenn eine durch dieses zur Anwendung berufene soziale (Negativ-)Norm220 das in Frage stehende Verhalten vorschreibt bzw. nicht verbietet. Die notwendige Verortung der Sozialadäquanz innerhalb der jeweiligen Verhaltensnorm bringt es mit sich, dass dort, wo ausländische Verhaltensnormen angewandt werden, es allein diesen überlassen bleiben muss, inwieweit sie die Wertungen eines im Erlassstaat bestehenden „allgemeine[n…] Konsens[es]“ 221 über die Zulässigkeit bestimmter Zuwendungen zu berücksichtigen bereit sind. Keinesfalls kann bereits die Existenz eines solchen Konsenses an sich aus inländischer Sicht zur Unbeachtlichkeit des ausländischen Verbots führen.222 Ausländische Rechtsnormen unter einen generellen Vorbehalt ihrer sozialen Akzeptanz zu stellen, der für die inländische Rechtsordnung (zu Recht) vehement abgelehnt wird,223 besteht schlicht kein Grund.
218
Ausführlich dazu S. 73 ff. Siehe S. 78 mit Fn. 169–172. 220 Notwendig ist stets eine normativ wirkende Regel, bloße Verhaltensgleichförmigkeit genügt nicht; RÖNNAU, JZ 2007, S. 1086–1087 (S. 1087: „Andernfalls hätten […] wirtschaftliche Gepflogenheiten (und damit reine Faktizität) die Kraft, die zur Korruptionsbekämpfung aufgestellten Normen in ihrem Unrechtskern auszuhöhlen; die Strafnorm verlöre vollkommen ihre Steuerungsfunktion.“). – Vgl. zu Negativnormen S. 97 mit Fn. 286. 221 FIKENTSCHER/WAIBL, IPRax 1987, S. 87 (siehe auch S. 196 Fn. 3). 222 Ablehnend gegenüber einer tatbestandlichen Einschränkung des § 299 Abs. 3 StGB aufgrund der Ortsüblichkeit von Schmiergeldern etwa MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 231–233; kritisch auch FISCHER61, § 299 Rn. 2a. 223 Vgl. S. 78 mit Fn. 169–172. 219
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
233
Gegen einen solchen „von außen“ auferlegten Vorbehalt wendet sich auch Nr. 8 der Erläuterungen224 zum OECD-Übereinkommen225, wonach nur die Rechtmäßigkeit anhand ausländischer Maßstäbe gegen eine inländische Strafbarkeit angeführt werden kann. Ob das OECD-Übereinkommen darüber hinaus unter Berücksichtigung von Nr. 7 der Erläuterungen einen Rückgriff auf das Subsystem der Sozialadäquanz insgesamt verwehren soll, lässt sich anhand des Wortlauts226 nicht bestimmen. Unter Wertungsgesichtspunkten jedenfalls spricht nichts dagegen, Einschränkungen eines ausländischen Korruptionsverbots auf Grundlage der Sozialadäquanz anzuerkennen. Wer bereits die grundsätzliche Verhaltensbewertung einer ausländischen Rechtsordnung überlässt, hat keinen Grund, deren Einstellung zu sozialen Gegebenheiten außer Acht zu lassen. Da wir grundsätzlich bereit sind, in Bezug auf die Korruption auch ein geringeres ausländisches Schutzniveau zu akzeptieren, sollte dies auch für den Fall gelten, dass sich eine ausländische Verbotsnorm anhand sozialer Regeln selbst beschränkt. Tatsächlich wird dies freilich nur selten relevant sein, darf man doch grundsätzlich vermuten, dass Korruptionsverbote gerade in Ländern, die besonders stark von der Korruption betroffen sind – in denen also am ehesten mit gesellschaftlicher Billigung entsprechender Praktiken zu rechnen ist –, den Zweck haben, eben diesen Praktiken unmittelbar entgegenzuwirken,227 und dementsprechend nur sehr eingeschränkt soziale Normen im Rahmen der Sozialadäquanz berücksichtigen werden. Die Zielsetzung eines ausländischen Verbots, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, ist dann auch aus Sicht des inländischen Rechtsanwenders verbindlich und darf von diesem nicht durch einen Hinweis auf die „allgemeine Üblichkeit“ des „verbotenen“ Verhaltens konterkariert werden. Bestehen jedoch originär inländische Verhaltensnormen, die dem Schutz ausländischer Rechtsgüter zu dienen bestimmt sind,228 so ist es freilich denkbar, diese aufgrund von im betreffenden Staat bestehenden gesellschaftlichen Konventionen einzuschränken. Dennoch muss man sich auch hier die Frage stellen, weshalb die autonome inländische Verhaltensbewertung in höherem Maße von ausländischen sozialen Normen als von ausländischen Rechtsnormen beeinflusst werden sollte. Dem Gedanken der Rechtshilfe, der für weite Teile der Korruptionsgesetzgebung maßgeblich ist,229 wird ein solches Vorgehen jedenfalls nicht gerecht. Vielmehr sollte die Sozialadäquanz bestimmter Zuwendungen im Wettbewerbsstaat230 nur so weit zur Rücknahme des inländischen Verbots führen können, als das
224
Oben S. 127 mit Fn. 441 und S. 130 mit Fn. 461. Vgl. S. 126 Fn. 437. 226 Nr. 7 der Erläuterungen lautet: „Für die Strafbarkeit dieses Verhaltens ohne Bedeutung sind […] Erkenntnisse über die örtlichen Gepflogenheiten […].“ Ob damit nur eine rein faktische Übung im Erlassstaat oder auch eine normative Regelung angesprochen ist, lässt sich auch der englischen („local custom“; abrufbar unter ) und französischen Sprachfassung („usages locaux“; abrufbar unter ) nicht eindeutig entnehmen. 227 Vgl. Schönke/Schröder28/HEINE, § 331 Rn. 29a (siehe S. 79 bei Fn. 172). 228 Durch inländische Verhaltensnormen werden im Inland stattfindende korruptive Handlungen, die sich gegen den ausländischen Wettbewerb richten, untersagt (vgl. S. 140 bei Fn. 517). 229 Siehe dazu S. 130 ff. 230 Zur Anknüpfung innerhalb des Subsystems der Sozialadäquanz sogleich. 225
234
4. Kapitel: Korruption und Sitte
Recht des Wettbewerbsstaates sich selbst nicht gegen eben diese gesellschaftlichen Gepflogenheiten wendet.231
Ist es somit dem jeweiligen Normgeber überlassen, ob und in welchem Umfang er sozialen Verhaltenserwartungen Auswirkungen auf Umfang und Reichweite seiner gesetzlichen Verbote zubilligen will, so bleibt die Frage nach der durch inländische Korruptionsverbote in angemessener Weise in Bezug zu nehmenden Sozialordnung. Da das Subsystem der Sozialadäquanz unmittelbar die Verhaltenssteuerung betrifft, bedarf es auch hier einer bereits im Vorfeld einer Handlung eindeutigen Anknüpfung.232 Soweit inländische Korruptionsverbote vor der Beeinflussung inländischer Amtsträger schützen, ist für die Reichweite des Verbots maßgebend, welche Gefahren für die Unparteilichkeit von Amtsträgern der Gesetzgeber bereit ist hinzunehmen. Diese Wertung wird allenfalls durch inländische Sozialnormen beeinflusst, vor deren Hintergrund auch die Ausgestaltung des Verbots vorgenommen wurde. 233 Gründe für eine Berücksichtigung ausländischer Gepflogenheiten bei der Ausgestaltung eines inländischen Allgemeinrechtsguts bestehen hier regelmäßig nicht.234 Das Subsystem der Sozialadäquanz spricht insoweit lediglich „einseitige“ 235 Verweisungen auf die inländische Gesellschaftsordnung aus. Dasselbe gilt für den Schutz des inländischen Wettbewerbs, auch hier besteht kein Anlass, etwaige großzügigere ausländische Verhaltenserwartungen, die sich innerhalb einer fremden Wettbewerbsordnung entwickelt haben, als Korrektiv anzuerkennen. Anders verhält es sich in den Fällen, in denen inländische Verhaltensnormen ausländische Allgemeinrechtsgüter konstituieren. Im Hinblick auf die Korruption betrifft dies den Schutz des ausländischen Wettbewerbs vor korruptiven Handlungen im Inland. 236 Erreicht werden soll ein grundsätzlich gleichwertiger Schutz des in- und ausländischen Wettbewerbs. Den ausländischen Wettbewerb weitergehend vor korruptiven Vorteilszuwendungen zu schützen als den inländischen, besteht aus inländischer Sicht daher kein Anlass, so dass die Sozialadäquanz nach inländischen Maßstäben auch in Bezug
231
Vgl. dazu SETHE, WM 1998, S. 2323–2324 („Soweit das ernsthafte Bemühen des Staates zur Eindämmung der Korruption erkennbar ist, muß man dies berücksichtigen […].“). 232 Vgl. S. 150 f. 233 MüKo-StGB2/KORTE, § 333 Rn. 21 (siehe S. 83 Fn. 194). 234 Denkbar wäre allenfalls eine begrenzte Bezugnahme auf ausländische Maßstäbe etwa hinsichtlich „diplomatischer“ Geschenke. Näher liegt hier jedoch eine Einzelfallbetrachtung auf Grundlage der Genehmigungsmöglichkeit nach § 331 Abs. 3 StGB (oben S. 70 Fn. 118). 235 Siehe S. 226 Fn. 188. 236 Vgl. S. 140 bei Fn. 517.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
235
auf den ausländischen Wettbewerb anzuerkennen ist.237 Darüber hinaus muss das inländische Recht jedoch auch anerkennen, dass es einen fremden Wettbewerb schützt, der sich überwiegend unter dem Einfluss der Sozialordnung des Wettbewerbsstaates abspielt. Es ist diese Sozialordnung, die am engsten mit dem zu schützenden Wettbewerb verbunden ist und die deshalb auch durch das Subsystem der Sozialadäquanz berücksichtigt werden sollte.238 Hier, im Rahmen der Sozialadäquanz, kann das Auswirkungsprinzip, das aufgrund seiner retrospektiven Ausrichtung für die primäre Anknüpfung von Verhaltensnormen nur begrenzt nutzbar gemacht werden kann,239 ohne Schwierigkeiten herangezogen werden, da die grundlegende Entscheidung, welches Staates Interessen bei welcher Gefahrenlage geschützt werden sollen, bereits anhand der autonomen inländischen Maßstäbe getroffen wurde. Wird eine Zuwendung im Inland durch ein inländisches Verbot erfasst, weil es durch diese mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einem missbilligenswerten Eingriff in den Wettbewerb eines bestimmten ausländischen Staates kommen wird, so ist es ohne weiteres möglich, sozialadäquate Einschränkungen des Verbots anhand sozialer Normen des Wettbewerbsstaates vorzunehmen.240 Die Bestimmung der Sozialadäquanz anhand ausländischer Gepflogenheiten unterliegt jedoch gewissen Einschränkungen. Zum einen sollte nicht unbeachtet bleiben, wie die Rechtsordnung des Wettbewerbsstaates zu den betreffenden sozialen Normen steht.241 Dem Willen des ausländischen Rechts, bestehende korruptive Strukturen aufzubrechen, sollte Rechnung getragen werden. Zum anderen darf aber auch dort, wo der Wettbewerbsstaat selbst keine Maßnahmen ergriffen hat, um gegen weithin akzeptierte korrupte Praktiken vorzugehen, die inländische Verhaltensnorm nicht mithilfe eines Rückgriffs auf die Sozialadäquanz aufgezehrt werden. So wie auch hinsichtlich des Schutzes inländischer Rechtsgüter soziale Normen nur innerhalb eines be-
237 Voraussetzung ist freilich, dass die inländische Sozialordnung überhaupt Normen enthält, die sich auf den ausländischen Wettbewerb beziehen, was nicht selbstverständlich ist, wird das Inland sich doch in erster Linie mit dem Verhalten auf dem näherliegenden inländischen Markt auseinandersetzen. 238 Zugeständnisse an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten sind auch dem Umstand geschuldet, dass Verhaltensnormen „eines Staates […] so ausschließlich auf die Lebensweise und Lebensumstände der Bewohner in dem Staat zugeschnitten [sind], daß die Gesetze häufig gar nicht auf Auslandstaten passen“ (OEHLER, Int. Strafrecht2, Rn. 730). Dies gilt auch, wenn wie hier Inlandstaten gegen ausländische Rechtsgüter zu beurteilen sind. 239 Siehe dazu S. 59 mit Fn. 56, S. 151, S. 165 bei Fn. 39. 240 Es kommt somit zu einer alternativen, die Rechtsmäßigkeit der fraglichen Handlung favorisierenden Anknüpfung der Sozialadäquanz. Anderer Ansicht hingegen BÖHMER, Rechtfertigungsgründe, S. 139–141, der aus deliktsrechtlicher Sicht stattdessen eine alternative Anknüpfung zu Gunsten des Geschädigten vornehmen will. 241 Dazu soeben bei Fn. 228–230.
236
4. Kapitel: Korruption und Sitte
grenzten Toleranzbereichs Berücksichtigung finden,242 muss auch für Verhaltensnormen zum Schutz ausländischer Rechtsgüter gelten, dass die grundsätzliche gesetzgeberische Entscheidung, verhaltenssteuernd tätig zu werden, an sich nicht der gesellschaftlichen Billigung bedarf. Die inländische Norm wird daher auch den Wettbewerb in Staaten, in denen Vorteilszuwendungen an Entscheidungsträger allgemein gebilligt werden, in einem Maß vor den Gefahren solcher Zuwendungen schützen, das dem inländischen Niveau qualitativ grundsätzlich vergleichbar ist.243 Eine Sonderstellung nimmt die Beurteilung der Sozialadäquanz bei korruptiven Handlungen gegen den Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt ein, da hier ausländischer Wettbewerb als inländisches Rechtsgut geschützt wird.244 Denkbar wäre grundsätzlich, hier die spezifischen mitgliedstaatlichen Vorstellungen zu einer Art gesamteuropäischem Durchschnittsmaßstab für sozialadäquate Vorteilszuwendungen zu verbinden. 245 Allerdings wäre die Bestimmung eines solchen Maßstabs mit ganz erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden und daher nicht geeignet, verbotenes von sozialadäquatem Verhalten verlässlich abzugrenzen. 246 Auch innerhalb eines einheitlich gedachten Binnenmarktes sollte daher möglichst auf die sozialen Gegebenheiten des in erster Linie betroffenen „Teilmarktes“ abgestellt werden.247 Ein grundsätzlich einheitliches Schutzniveau auf dem Binnenmarkt wird dennoch dadurch gewährleistet, dass sich soziale Akzeptanz ohnehin nur innerhalb eines engen Toleranzbereichs auf die rechtliche Verhaltensnorm auswirken kann.
242 So entscheidet etwa der (durch die §§ 331 und 332 StGB repräsentierte) Grad der Gefahr, der mit einer grundsätzlich verbotenen Vorteilszuwendung verbunden ist, darüber, ob im Einzelfall deren Sozialadäquanz berücksichtigt werden kann (siehe S. 81 bei Fn. 182). 243 Insofern das Korrektiv der Sozialadäquanz insgesamt ablehnend MÖLDERS, Bestechung und Bestechlichkeit, S. 232; anderer Ansicht WOLLSCHLÄGER, StV 2010, S. 388– 389. 244 Dazu oben S. 140. 245 NK-StGB4/DANNECKER, § 299 Rn. 40a, möchte noch weitergehend, dass „Maßstäbe bestimmt werden, die international Geltung beanspruchen“, und somit alle Fälle erfassen, die unter § 299 StGB fallen können. Ungeachtet dessen, dass dadurch der Intention der Sozialadäquanz, eine Rückbindung an spezifische soziale Gegebenheiten zu erreichen, nicht nachgekommen werden könnte, scheitert dies jedoch bereits daran, dass § 299 StGB auf eine Vielzahl von (ausländischen) Verhaltensnormen Bezug nimmt, die jeweils ihre eigenen Vorstellungen von Sozialadäquanz umsetzen. 246 Die Sozialadäquanz ist daher auch zur Begrenzung originär europäischer Verhaltensnormen, die Vorteilszuwendungen an europäische Amtsträger untersagen (S. 135 mit Fn. 489), nur insoweit geeignet, als sich tatsächlich gesamteuropäische Verhaltenserwartungen feststellen lassen. 247 Nichts anderes gilt hinsichtlich deutlicher regionaler Unterschiede innerhalb eines Staates, die grundsätzlich ebenfalls berücksichtigt werden sollten.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
237
IV. Ergänzende Sanktionierung korruptionsbezogener Verhaltensnormen 1.
Anknüpfung
Wo unter Berufung auf die guten Sitten neue Rechtsnormen geschaffen werden, muss für jede einzelne eine angemessene Anknüpfungsregel gefunden werden. Je nach Zielrichtung mag dabei eine Qualifikation unter das Vertragsstatut oder eine gesonderte Anknüpfung angemessen sein. Hinsichtlich der hier 248 postulierten, korruptionsbezogenen Normschöpfungen ist dabei ausschlaggebend, dass sie inhaltlich unmittelbar an Verhaltensnormen anknüpfen, deren Wertungen über zu missbilligende Vorteilszuwendungen übernehmen und auf Verträge transponieren, die durch die Verhaltensnormen selbst nicht unmittelbar erfasst werden. Es handelt sich bei ihnen folglich um sehr spezielle Sanktionsnormen, die Zweck- und Zielsetzung der ihnen zugrunde liegenden Verhaltensnormen teilen.249 Auf kollisionsrechtlicher Ebene impliziert dies, dass die Sanktionsnormen ebenso wenig der lex causae zuzuordnen sind wie die Verhaltensnormen selbst. Damit ist nicht etwa entschieden, dass die eine Eingriffsnorm ergänzende Rechtsfolgenanordnung selbst stets Eingriffsnorm sein und derselben Rechtsordnung wie jene entnommen werden muss. 250 Für die Sanktionsnormen des Deliktsrechts wurde dies bereits festgestellt, 251 hier existieren besondere Interessen, deren Durchsetzung besondere Kollisionsnormen erfordert. Die Sanktionsnorm des § 123 BGB ist hingegen dem Vertragsstatut zuzuordnen, 252 so dass eine pauschale Zuordnung zivilrechtlicher Sanktionsnormen zu einem bestimmten Statut nicht möglich ist. Die Vorstellung, dass Eingriffsnormen überhaupt regelmäßig der Zuordnung einer ergänzenden zivilrechtlichen Rechtsfolgenanordnung bedürfen, beruht wohl ohnehin maßgeblich darauf, dass die eigenständige Bedeutung von Verhaltensnormen nur unzureichend wahrgenommen wird.
Wie die inländischen Korruptionsverbote selbst,253 deren Wertungen die Anordnung der Nichtigkeitssanktion aufnimmt und fortführt, verlangt § 138 BGB insoweit die unbedingte Anwendung vor einem deutschen Forum. 248
Siehe S. 208 f. Vgl. POELZIG, Normdurchsetzung, S. 26 („Die privatrechtlichen Instrumente zur Normdurchsetzung dienen damit der ratio legis der sanktionierten wirtschaftsrechtlichen Verhaltensnormen.“ [Hervorhebung im Original]). 250 Dafür etwa V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 111; Soergel12/V. HOFFMANN, Art. 31 EGBGB Rn. 21 („zB nachträgliche Genehmigung“); grds. auch Staudinger2011/MAGNUS, Art. 9 Rom I Rn. 87, 122; dagegen [lex causae] ZWEIGERT, RabelsZ 14 (1942), S. 300–301 (S. 300: „Vielmehr ist mit seiner [des Verbotsgesetzes] Einordnung in die Normen des Schuldstatuts alles getan, was zur Verwirklichung des Ziels der Entscheidungsharmonie notwendig ist.“); KREUZER, Ausländisches Wirtschaftsrecht, S. 95; differenzierend KUCKEIN, Eingriffsnormen, S. 149–150; unentschlossen WENGLER, FS Maridakis 1964 III, S. 349–350; MüKo5/MARTINY, Art. 9 Rom I Rn. 51–57. 251 Dazu S. 153 mit Fn. 590, 591. 252 Siehe S. 170 bei Fn. 69. 253 Oben S. 151. 249
238 2.
4. Kapitel: Korruption und Sitte
Substitution
Es bleibt jedoch die Frage, ob die mithilfe von § 138 BGB verwirklichte Nichtigkeitsanordnung tatbestandlich einen (potentiellen) Verstoß gegen originär inländische Verbote voraussetzt, auf deren Grundlage sie sich ursprünglich entwickelt hat, oder ob auch der Verstoß gegen ein aus inländischer Sicht verbindliches 254 Korruptionsverbot ausländischer Provenienz tatbestandlich sein kann. An der grundsätzlichen funktionellen Gleichwertigkeit von in- und ausländischem Institut, die Voraussetzung jeder Substitution ist, 255 kann im Hinblick auf korruptionsbezogene Verhaltensnormen kein Zweifel bestehen. Hier wie dort wird die Zuwendung bzw. Entgegennahme von Vorteilen verboten, weil man um die Unvoreingenommenheit des Empfängers fürchtet. Mögen sich in- und ausländische Verbote auch nicht stets in Reichweite und Umfang decken, so gleichen sie sich doch in Form und Zielsetzung so stark, dass eine Substitution möglich erscheint.256 Eine Substitution käme jedoch dann nicht in Betracht, wenn ein ausländisches Korruptionsverbot im Gegensatz zu den inländischen keinerlei Allgemeinrechtsschutz intendierte. Wäre ein solches Verbot ausnahmsweise 257 etwa ausschließlich auf den persönlichen Schutz des Prinzipals gerichtet, so müsste die funktionelle Gleichwertigkeit wohl verneint werden. Dabei ist zu beachten, dass allein der Rückgriff auf das Pflichtenverhältnis zwischen Agent und Prinzipal zur Umschreibung der vor korruptiver Einflussnahme zu schützenden Vertrauensstellungen durch eine Verbotsnorm258 noch nicht zur Ablehnung eines dieser (auch) zugrunde liegenden Allgemeinrechtsguts führen muss.259 Der Schluss von der Verletzung der Pflichten des Agenten im Innenverhältnis zum Prinzipal auf die allgemeine „Wettbewerbswidrigkeit“ des entsprechenden Verhaltens ist auch eine dem deutschen 254 Primär unverbindliche Verbotsnormen, die lediglich als sekundäre Schranke der Privatautonomie herangezogen werden, bedürfen von vornherein keiner weiteren Absicherung durch flankierende Nichtigkeitsanordnungen. Da die Rechtsordnung kein besonderes Interesse an ihrer Einhaltung hat, bedarf es auch nicht der Setzung ergänzender (zivilrechtlicher) Anreize zu normkonformem Verhalten. Die Rechtsordnung begnügt sich hier damit, keine Pflicht zur Vornahme des entsprechenden Verhaltens anzuerkennen. Dass § 826 BGB dennoch auch Verstöße gegen derartige Verbotsnormen mit einer zivilrechtlichen Sanktion versieht, liegt in seiner schadensausgleichenden Funktion begründet (vgl. S. 199 f.). 255 KROPHOLLER, IPR6, S. 232–233; V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 7 Rn. 243; MANSEL, FS Lorenz 1991, S. 696–700. 256 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ausländische Korruptionsverbote ohne weiteres als Grundlage für die Verhängung inländischer Kriminalstrafen herangezogen werden (vgl. S. 120 ff.). 257 Mit einem solchen auf bloßen Individualrechtsgüterschutz beschränkten Korruptionsverbot ist indes kaum zu rechnen, wird doch stets auch auf internationaler Ebene auf die gesamtgesellschaftlichen Gefahren der Korruption hingewiesen (vgl. S. 8 mit Fn. 18). 258 Vgl. zu den bislang nicht umgesetzten Änderungen des § 299 StGB S. 86 mit Fn. 215. 259 Anderer Ansicht WOLLSCHLÄGER, StV 2010, S. 389, der insofern allein den Prinzipal als geschützt ansieht.
C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung der guten Sitten
239
Recht nicht fremde Heuristik, die in der Regel auch dem Schutzbedürfnis des Wettbewerbs ausreichend Rechnung trägt.260 Wo dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, darf sie jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass durch das Verbot durchaus auch der Schutz von Allgemeinrechtsgütern intendiert sein kann.261
Zweifel an der Substituierbarkeit bestehen allein aufgrund der Erwägung, es solle jedem einzelnen Staat überlassen bleiben, zu entscheiden, ob es zur Durchsetzung seiner gesetzlichen Verbote ergänzender rechtsgeschäftlicher Auswirkungen bedarf.262 Ein solcher Grundsatz, wonach der Rechtsordnung, der ein Verbot entstammt, auch dessen zivilrechtliche Rechtsfolgen zu entnehmen seien, existiert tatsächlich jedoch nicht.263 Seine Annahme beruht auf der in ihrer Pauschalität unzutreffenden Prämisse, nicht ausländische Verhaltensvorgaben, sondern allein deren „zivilrechtliche[…] Reflexwirkungen“264 seien im Inland beachtlich. Träfe dies zu, so wäre in der Tat primär die eine zivilrechtliche Rechtsfolge bestimmende ausländische Rechtsnorm Gegenstand der kollisionsrechtlichen Anknüpfung – lediglich ergänzt um die fingierte Tatbestandsmäßigkeit der (an sich unbeachtlichen) ausländischen Verbotsnorm. Nicht aber Reflexwirkungen eines unbeachtlichen ausländischen Verbots stehen hier in Frage, sondern die Auswirkungen einer im Inland verbindlichen ausländischen Verhaltensnorm, für deren inländisches Pendant unsere Rechtsordnung bereits rechtsgeschäftliche Folgen anordnet. Zwischen dem Verstoß gegen die ausländische Verhaltensnorm und dem gegen die entsprechende inländische besteht aus inländischer Sicht kein qualitativer Unterschied, nicht einmal in strafrechtlicher Hinsicht. Die Bedeutung, die derartige verbindliche Verhaltensnormen für die Rechtsordnung haben, ist kaum vergleichbar mit dem Interesse, bloße zivilrechtliche Reflexe anderer ausländischer Verbote zu beachten. Es besteht hier eine wesentlich engere Verbindung zum Inland, die es gerechtfertigt erscheinen lässt, diese Normen in jeder Hinsicht – insbesondere auch in rechtsgeschäftlicher – den inländi260
Dazu S. 89 mit Fn. 233–237. Dieses Missverständnis hat wohl auch dazu geführt, die Benachteiligung des Prinzipals durch den Hauptvertrag (vgl. S. 32 ff.) nicht als Indiz, sondern als alleiniges, konstitutives Tatbestandsmerkmal für eine korruptive Einflussnahme auf den Vertrag anzuerkennen. – Eine Bezugnahme auf das Innenverhältnis zwischen Prinzipal und Agent durch eine Verhaltensnorm kann darüber hinaus bezwecken, auch Korruption gesetzlich zu verbieten, die außerhalb des Wettbewerbs stattfindet (vgl. BT-Drs. 16/6558, S. 13). Auch hier ist jedoch keinesfalls ausgeschlossen, dass ein solches Verbot auch dem Interesse der Allgemeinheit an der grundsätzlichen Eindämmung der Korruption zu dienen bestimmt ist und ihm insofern ein Allgemeinrechtsgut zugrunde liegt. 262 V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 111 („Wer eine Sonderanknüpfung befürwortet, sollte nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Er sollte vielmehr auch die zivilrechtlichen Eingriffsfolgen dem Recht des Erlaßstaates entnehmen, weil sie integraler Bestandteil der sonderangeknüpften Eingriffsnormen sind.“). 263 Dazu S. 237 bei Fn. 250–252. 264 V. BAR/MANKOWSKI, IPR I2, § 4 Rn. 111. 261
240
4. Kapitel: Korruption und Sitte
schen gleichzustellen. Wenn also die Nichtigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von der inländischen Rechtsordnung als adäquate Reaktion auf korruptives Gebaren angesehen wird, so sollte nicht entscheidend sein, auf Grundlage welcher Verhaltensnorm sich die Rechtswidrigkeit dieses Gebarens im Einzelfall ergibt. Die Übernahme rechtsgeschäftlicher Auswirkungen ausländischer Verbote ist angemessen, wenn es sich bei diesen aus inländischer Sicht tatsächlich um bloße Reflexwirkungen unanwendbarer Verhaltensvorgaben handelt. Wenn ausländische Verhaltensnormen hingegen unmittelbar angewendet werden, so ist es primär Aufgabe des inländischen Rechts, über die weiteren Auswirkungen zu befinden. Dieses kann selbstverständlich ergänzend die rechtsgeschäftlichen Rechtsfolgen, die im Erlassstaat vorgesehen sind, berufen, wenn dafür ein kollisionsrechtliches Interesse spricht. Wo jedoch bereits aufgrund des inländischen Rechts – wie hier – die Nichtigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte vorgesehen ist, hat dies keine weiteren Folgen. 265 Davon nicht betroffen ist die sekundäre Anwendung ausländischer Verhaltensnormen im Rahmen des § 138 BGB. Ein im Erlassstaat verbindliches gesetzliches Verbot hindert auch dort jedenfalls die Wirksamkeit inhaltlich widersprechender Rechtsgeschäfte. Divergierende rechtsgeschäftliche Auswirkungen einer Verhaltensnorm können sich nur dort ergeben, wo ein Rechtsgeschäft nicht bereits unmittelbar gegen diese verstößt, sondern erst aufgrund ergänzender normativer Überlegungen von diesem tangiert wird.266
D. Sitte und Geltung Als weiterer Grund gegen die Beachtlichkeit ausländischer Korruptionsverbote wurde in der Vergangenheit neben der gesellschaftlichen Billigung267 korruptiver Praktiken auch deren mangelnde Verfolgung seitens des Erlassstaates angeführt. 268 Obwohl nunmehr feststeht, dass eine effektive Sanktionierung 265
Insofern bestätigt sich die Annahme von REINHARDT, JW 1932, S. 339, ein Rückgriff auf die Institute des Missbrauchs der Vertretungsmacht oder der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erübrige sich dort, wo ein Hauptvertrag bereits nach § 138 BGB nichtig sei, auch für den Bereich der transnationalen Korruption. 266 Siehe auch S. 201 Fn. 37. 267 Zum Phänomen der Sozialadäquanz oben S. 73 ff., 232 ff. 268 Staudinger13/SACK, § 138 Rn. 491 („Soweit in einem ausländischen Staat ‚Schmiergeldzahlungen‘ von den staatlichen Behörden geduldet werden […], sollten […] bei der Anwendung von § 138 nicht die strengeren inländischen Maßstäbe angewendet werden […].“); zustimmend SETHE, WM 1998, S. 2323 („Die Zahlung eines ‚Schmiergelds‘ wird dann nicht für sittenwidrig gehalten, wenn […] das Verbot der Schmiergeldzahlung nur auf dem Papier besteht, weil derartige Zahlungen vor Ort üblich sind und von den Behörden geduldet werden.“). Verwiesen wird jeweils auf OLG HAMBURG (05.10.1979), ZIP 1980, 1088 (1090) („Hat aber der persische Staat selbst nicht für die Aufrechterhaltung seiner öffentlichen Ordnung gesorgt, so kann es nicht die Aufgabe der deutschen Gerichte sein, einem damals in Persien üblichen und aufgrund der dortigen Lage angebrachten Handeln wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public den Rechtsschutz zu versagen […].“);
D. Sitte und Geltung
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korruptiver Handlungen durch den Erlassstaat keine positive Voraussetzung für die Beachtlichkeit zur Anwendung berufener ausländischer Korruptionsverbote (mehr) ist,269 so bleibt die „Gleichgültigkeit“ der Behörden des Erlassstaates dennoch möglicherweise unter dem Aspekt der Geltung der fraglichen Verbotsnorm von Bedeutung.270 Mit dem Begriff der Geltung wird umschrieben, dass eine Norm Bestandteil einer bestimmten Rechtsordnung ist,271 dass es also eine bestimmte Gruppe von Menschen, einen Staat, gibt, welche diese Norm auf bestimmte Fälle als eigenes Recht272 anwendet.273 Die Notwendigkeit der Feststellung einer solch besonderen Verbindung zwischen potentiell anwendbarer „Regel“ und berufener Rechtsordnung besteht dabei unabhängig davon, ob man sie ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal einer jeden Kollisionsnorm anerkennt274 oder ihr lediglich als Aspekt der durch die Kollisionsnorm herbeigeführten „Maßgeblichkeit einer bestimmten Rechtsordnung“275 begegnet. Voraussetzung für die Beachtlichkeit der Rechtsnorm ob – was nach dem hier vertretenen Ansatz entscheidend wäre – die damalige persische Rechtsordnung ein einschlägiges Korruptionsverbot enthielt, geht aus der Entscheidung nicht hervor. 269 Zur insofern besonders bedeutsamen Nr. 7 der Erläuterungen (S. 127 Fn. 441) zum OECD-Übereinkommen S. 129 bei Fn. 455; Staudinger2011/SACK/FISCHINGER, § 138 Rn. 663 („Die geäußerten Bedenken müssen den normgewordenen Wertungen weichen, die im EUBestG und IntBestG zum Ausdruck kommen […].“); SETHE, WM 1998, S. 2323 Fn. 146 („Seit der jüngst erfolgten Verabschiedung des […IntBestG] kommt es bei der Bestechung ausländischer Amtsträger auf die effektive Durchsetzung des Verbots im Ausland allerdings nicht mehr an.“). 270 Eben diese sieht PIEHL, Bestechungsgelder, S. 64–67, im Hinblick auf „nur auf dem Papier“ existierende Korruptionsverbote als nicht gegeben an. 271 KELSEN, Reine Rechtslehre2, S. 196–197; SCHINKELS, Normsatzstruktur des IPR, S. 65–66 m. w. N. 272 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71 Fn. 103; WENGLER, IPR, S. 284 („das ‚ausländische‘ Recht in denjenigen Gesetzen zu sehen, die […] von den dortigen staatlichen Gerichten als ‚ihr‘ inländisches Recht zur Anwendung gebracht werden“). 273 Es ist eben diese Geltung, die Ansicht einer fremden Gruppe von Menschen, dass die fragliche Regel zu einem Interessenausgleich geeignet, dem sozialen Frieden dienlich und deshalb zu befolgen ist, die uns Beleg genug dafür ist, dass auch unsererseits ihre Anwendung für bestimmte Fälle grundsätzlich angemessen sein kann. Dies trifft auf rechtliche wie soziale Normen gleichermaßen zu und unterscheidet beide von „künstlichen“ Normenordnungen wie etwa den Principles of International Commercial Contracts (UNIDROIT; in der Fassung von 2010 abrufbar unter ) oder dem Draft Common Frame of Reference (mit Kommentierungen veröffentlicht in V. BAR/CLIVE, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, 2009). 274 So SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 87; KEGEL/SCHURIG, IPR9, S. 310– 313; ähnlich bereits KEGEL, FS Raape 1948, S. 25–27. 275 KROPHOLLER, IPR6, S. 105; ZITELMANN, IPR I, S. 205; V. HOFFMANN/THORN, IPR9, § 4 Rn. 3–4; WOLFF, IPR3, S. 85–86 (S. 85: „Hat der Richter ein bestimmtes ausländisches Recht anzuwenden, so hat er geltendes Recht anzuwenden.“ [Hervorhebung im Original]).
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
eines bestimmten ausländischen Staates aus inländischer Sicht ist somit stets, dass der jeweilige Staat diese mit einem imperativen Element, einem eigenen Anwendungsbefehl, versehen hat.276 Auch für korruptionsbezogene Verbote gilt daher, dass sie für den inländischen Rechtsanwender jedenfalls dann unbeachtlich sind, wenn sie bereits in ihrem Herkunftsstaat nicht gelten. Unentbehrliches, juristisches Element des Geltungsbegriffs ist der ordnungsgemäße Erlass der fraglichen Rechtsnorm im dafür vorgesehenen Verfahren und deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. 277 Ergänzt man ein soziologisches Element, indem man für die (Fort-)Geltung einer Rechtsnorm darüber hinaus verlangt, dass sie „bis zu einem gewissen Grade wirksam ist“278, dass sie also von einer gewissen Anzahl von Normadressaten tatsächlich befolgt und auf Verstöße gegen sie mit Sanktionen reagiert wird, 279 so ist mit der Voraussetzung der Geltung der ausländischen Verhaltensnorm tatsächlich ein Ansatzpunkt gegeben, weitgehend unbeachtete und unsanktionierte ausländische Korruptionsverbote trotz ihrer grundsätzlichen kollisionsrechtlichen Berufung auch aus inländischer Sicht für unanwendbar zu erachten. Dennoch sollte nicht vorschnell davon, dass in vielen Staaten Recht und Rechtswirklichkeit hinsichtlich der Ächtung korruptiver Praktiken eklatant auseinanderklaffen, geschlossen werden, die entsprechenden Verbote bräuchten nicht beachtet zu werden. Gerade in Fällen, in denen diese Diskrepanz im Erlassstaat des jeweiligen Verbots besteht, bedarf es dessen Anwendung durch ausländische Staaten und eben deshalb soll nach Nr. 7 der Erläuterungen280 zum OECD-Übereinkommen281 die Beachtung ausländischer Korruptionsverbote unabhängig von „Erkenntnisse[n] über die örtlichen Gepflogenheiten“ und der „Duldung derartiger Zahlungen durch örtliche Behörden“ erfolgen. Obwohl die Anwendung der ausländischen Verbote damit entkoppelt von den wesentlichen Elementen deren sozia-
276 SCHURIG, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 72 Fn. 105. – Nicht notwendig ist indes, dass der jeweilige Staat seine Rechtsnorm auch in dem konkreten Fall, für den das inländische Kollisionsrecht auf diese verweist, für maßgeblich erachtet. Es muss lediglich irgendeinen Fall geben, auf den dies zutrifft. Andernfalls etwa könnten niemals Sachnormverweisungen ausgesprochen werden (vgl. BEITZKE, FS Smend 1952, S. 11). 277 HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 550; RAISER, Rechtssoziologie6, S. 239–240; RÖHL, Rechtssoziologie, S. 243; SCHINKELS, Normsatzstruktur des IPR, S. 65–66; ZITELMANN, FS Bergbohm 1919, S. 212–213; ALEXY, Begriff und Geltung des Rechts2, S. 142–143. 278 KELSEN, Reine Rechtslehre2, S. 10; siehe auch HENKEL, Rechtsphilosophie2, S. 561– 562; RÖHL, JZ 1971, S. 579 („[E]ine realistische Rechtswissenschaft [kann] nicht daran vorbeigehen, wenn eine Norm sich als völlig unwirksam erweist, einen Zusammenhang zwischen Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit also nicht schlechthin verneinen.“). 279 RAISER, Rechtssoziologie6, S. 241–242; ALEXY, Begriff und Geltung des Rechts2, S. 139–141,142. 280 Oben S. 127 Fn. 441. 281 Siehe S. 126 Fn. 437.
D. Sitte und Geltung
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ler Wirksamkeit – der Verhaltensgeltung und der Sanktionsgeltung282 – erfolgen soll, bedeutet dies dennoch nicht, dass die Geltung ausländischer Verhaltensnormen, die infolge der Umsetzung des OECD-Übereinkommens zur Anwendung berufen werden, nunmehr allein anhand eines streng positivistisch-juristischen Geltungsbegriffs bestimmt werden müsste. Wäre dies anders, so müsste man in dieser Modifikation des Geltungsbegriffs wohl eine bemerkenswerte Besonderheit des OECD-Übereinkommens sehen, die deshalb auf die von diesem erfassten Verbote korruptiver Handlungen von und gegenüber Amtsträgern zu beschränken wäre. Die Folge wäre, dass zwar im Hinblick auf die Korruption im öffentlichen Sektor die fehlende tatsächliche Wirksamkeit ausländischer Verbote nicht zu deren Unbeachtlichkeit führen könnte, bezüglich der Korruption im privaten Sektor hingegen deutlich höhere Anforderungen für die Anerkennung der Geltung ausländischer Verbote gestellt werden könnten.
Nicht auf das als Geltungsvoraussetzung anerkannte Mindestmaß sozialer Wirksamkeit (ausländischer) Rechtsnormen wird hier verzichtet, lediglich seiner übereilten Ablehnung anhand pauschaler Angaben über die Häufigkeit und Gefahrlosigkeit korruptiver Handlungen im betreffenden Staat wird entgegengewirkt. Weder regelmäßige Verstöße gegen ein Korruptionsverbot283 noch dessen Außerachtlassen in einer höchstrichterlichen Entscheidung 284 können für sich genommen als ausreichender Beleg für die mangelnde Geltung eines Korruptionsverbots dienen. Insbesondere wird es den Besonderheiten der Korruption nicht gerecht, von Seiten der Behörden und Gerichte ein allzu deutliches Vorgehen gegen bereits etablierte korruptive Praktiken zu erwarten, sind sie doch gewissermaßen Normadressat und sanktionierende Instanz zugleich. Von Korruptionsverboten ist nachgerade zu erwarten, dass sie im Vergleich zu anderen Verboten eine verminderte soziale Wirksamkeit aufweisen, ist dem Phänomen der Korruption doch die Ermöglichung von Normumgehungen immanent.285 Will man (zu Recht) auch hinsichtlich ausländischer Korruptionsverbote nicht auf ein Mindestmaß an sozialer Wirksamkeit verzichten, so dürfen an diese keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden.286 Neben tatsächlicher Befolgung und staatlicher Sanktionierung sind daher auch weniger offensichtliche tatsächliche Wirkungen als Beleg der sozialen Wirksamkeit anzuerkennen. Als ausreichend kann man 282 Zu den Begrifflichkeiten RÖHL, Rechtssoziologie, S. 244; RAISER, Rechtssoziologie6, S. 241. 283 Vgl. etwa BGH (08.05.1985), BGHZ 94, 268 (269) (oben S. 11 Fn. 33). 284 PIEHL, Bestechungsgelder, S. 66, etwa sieht in der Zuerkennung eines Provisionsanspruchs aufgrund eines eigentlich gegen das algerische Verbot des Einflusshandels (dazu S. 28 mit Fn. 120) verstoßenden Vertrags durch algerische Gerichte einen Beleg für die mangelnde Geltung dieses Verbots. 285 Siehe dazu bereits S. 10 mit Fn. 26. 286 Dies ist keine Besonderheit der vom OECD-Übereinkommen erfassten Verbote, sondern trifft vielmehr auf alle korruptionsbezogenen Verhaltensnormen zu.
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4. Kapitel: Korruption und Sitte
etwa bereits ansehen, dass die Korruption vermehrt verheimlicht wird, Delinquenten entsprechende Praktiken aufwendiger zu verschleiern suchen. 287 Derartige Nuancen als ausländischer Rechtsanwender gleichsam „aus der Ferne“ zu erkennen, ist sicherlich mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden. Dies sollte jedoch im Zweifel nicht gegen, sondern für die Annahme der Geltung eines ausländischen Korruptionsverbots sprechen. Innerhalb des diffizilen Dreiecks gegenseitiger Beeinflussung aus Recht, sozialer Norm und tatsächlicher Übung, sollte dem Recht auch288 gegenüber Letzterer ein gewisses Primat eingeräumt werden: „Soll das Recht als Hebel des Soziallebens dienen, die gesellschaftliche Wirklichkeit beeinflussen und verbessern, so müssen nicht nur neue Rechtsnormen oft durch ein Stadium der Unwirksamkeit hindurchgehen. Auch ältere werden nicht selten auf hartnäckigen Widerstand stoßen. Es muß dem bewußten Werturteil des Rechtsstabs als dem zuständigen Organ der Gesellschaft überlassen bleiben, aus den mehr oder weniger wirkungslosen Normen jene herauszuheben und an ihnen als geltend festzuhalten, mit denen sich der Kampf um eine bessere Wirklichkeit lohnt.“289
287 RÖHL, JZ 1971, S. 577 („Die Wirkung einer Norm kann sich auch bloß darin äußern, daß Übertretungen verborgen gehalten werden.“); HEIMANN/MOHN, Die Rolle der Privatwirtschaft bei der Bekämpfung der internationalen Korruption, in: Pieth/Eigen (Hrsg.), Korruption im internationalen Geschäftsverkehr, S. 535 („Ein Geschenk kann in aller Öffentlichkeit angenommen werden; Bestechung dagegen muß verheimlicht werden.“). 288 Zur Verortung des Phänomens der Sozialadäquanz innerhalb gesetzlicher Verhaltensnormen S. 232 ff. 289 RÖHL, JZ 1971, S. 580.
Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Korruption ist eine missbilligte Form positiver Reziprozität. Entscheidungsträger, die bestimmte Vertrauensstellungen bekleiden – seien diese staatlicher oder privatwirtschaftlicher Natur –, sollen grundsätzlich nicht durch persönliche Vorteile in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst werden. Bestimmte Zuwendungen werden daher von der Rechtsordnung missbilligt, ihre Vorbzw. Entgegennahme verboten. An den Verstoß gegen ihre Verbote knüpft die Rechtsordnung zu deren Stützung und Bekräftigung Sanktionen, deren konkrete Art und Ausgestaltung von der Bedeutung des Verbots, dem geschützen Gut und eventuell weiteren, über die bloße Sanktionswirkung hinausgehenden Interessen bestimmt werden. Erst die konsequente Differenzierung von Verbot und Sanktion macht es möglich, die jeweiligen Besonderheiten und verfolgten Interessen präzise zu erfassen und angemessen zu berücksichtigen. Zu diesen Besonderheiten gehört insbesondere, dass ein Verhaltensbefehl – anders als eine Sanktionsnorm – stets universal ist und keinem speziellen Rechtsgebiet zugeordnet werden kann. Für das Kollisionsrecht bedeutet dies, dass Verbot und Sanktion grundsätzlich unabhängig voneinander anzuknüpfen sind. Insbesondere muss die Anwendbarkeit eines Verbots stets bereits ex ante feststehen, um verhaltenssteuernde Wirkung erzielen zu können – eine Notwendigkeit, der insbesondere auch die (europäischen) Kollisionsnormen zur Bestimmung des Delikts- und des Vertragsstatuts nicht gerecht werden. Mangels europäischer Kollisionsnormen, unter die Verhaltensnormen qualifiziert werden könnten, bleibt die Berufung von Verhaltensnormen grundsätzlich dem nationalen Kollisionsrecht vorbehalten. Anhand der in jüngerer Zeit erfolgten, ganz erheblichen Ausweitung der strafrechtlichen Sanktionierung korruptiver Verhaltensweisen mit Auslandsbezug lässt sich die Existenz eines differenzierten kollisionsrechtlichen Systems für die Berufung korruptionsbezogener Verhaltensnormen nachweisen. Die entsprechenden Verhaltensnormen des Inlands haben dabei in erster Linie die Aufgabe, inländische Allgemeinrechtsgüter – den Wettbewerb und die Objektivität von Amtsträgern – zu schützen, zum Schutz der entsprechenden ausländischen Rechtsgüter werden die Verhaltensnormen des Handlungsorts bzw. des jeweiligen Amtsträgerstaates als verbindliche Verhaltensvorgaben etabliert.
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Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
Mit der Entscheidung, in bestimmten Fällen ausländischem Recht die Differenzierung von Recht und Unrecht zu überlassen, geht einher, dass auch die Antwort auf die Frage, inwieweit ein staatliches Verbot gesellschaftliche Wertungen aufgreift oder diesen entgegenwirkt, diesem ausländischen Recht zu entnehmen ist. Ob bestimmte Zuwendungen sozialadäquat und deshalb erlaubt sind, ist der jeweils potentiell eingreifenden Verbotsnorm zu entnehmen. Die Sozialadäquanz ist eine verbotsimmanente Einschränkung, keine von außen an das Verbot herangetragene Bedingung für dessen Anwendung. In rechtsgeschäftlicher Hinsicht bedeutet jede für den inländischen Rechtsanwender verbindliche Verhaltensnorm eine absolute Grenze der Privatautonomie. Die Einheit der Rechtsordnung lässt es nicht zu, einen schuldrechtlichen Vertrag als wirksam zu betrachten, der zu einer verbotenen Handlung verpflichtet. Diese Zusammenhänge zwischen Verbot und Vertrag erkennt auch das mittlerweile unionsrechtlich bestimmte internationale Vertragsrecht an. Die (korruptionsbezogenen) Verhaltensnormen sind nicht mit dem Interessenausgleich der Vertragsparteien, sondern mit dem Schutz von Allgemeinrechtsgütern befasst, bei ihnen handelt es sich daher um Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Rom I. Den Verwerfungen, die es für die Mitgliedstaaten bedeuten würde, unter Umständen aufgrund eines Vertrags zu einer aus ihrer Sicht verbotenen Handlung verurteilen zu müssen, weil das fragliche Verbot einer Beurteilung des Vertrags nicht zugrunde gelegt werden dürfte, wird durch die ungehinderte Anwendbarkeit der „Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts“ nach Art. 9 Abs. 2 Rom I Rechnung getragen. Um unerträgliche Wertungswidersprüche zu vermeiden, sind jedoch auch im Inland verbindliche, ausländische Verhaltensnormen dieser Öffnungsklausel zuzuordnen, da ihre Unbeachtlichkeit aus zivilrechtlicher Sicht die mitgliedstaatlichen Gerichte vor dasselbe Dilemma stellen würde wie die Unbeachtlichkeit „eigener“ Verhaltensnormen. Da auch aus europäischer Sicht ein Interesse daran besteht, dass die Mitgliedstaaten sich nicht jeglicher Regulierung menschlichen Verhaltens jenseits ihrer Grenzen und ihres eigenen Rechtsgüterschutzes enthalten, darf das europäische Kollisionsrecht die durch die verbindliche Verhaltensregulierung anhand ausländischer Verhaltensnormen entstehenden Zwänge der Mitgliedstaaten nicht ignorieren. Dass durch die Beachtlichkeit von allgemein als störend, den Bedürfnissen des internationalen Handels nicht zuträglich und daher nicht zeitgemäß empfundenen Eingriffsnormen der europäische Entscheidungseinklang in Zivilsachen leidet, ist kein Umstand, der durch eine möglichst restriktive Handhabung von Art. 9 Rom I zu beseitigen versucht werden sollte. Die kritischen Einschätzungen gegenüber Eingriffsnormen resultieren aus der – mitunter wohl unbewussten – Fehlvorstellung, Verträge stünden gleichsam außerhalb der staatlichen Rechtsordnung und seien grundsätzlich unabhängig von dieser als Rechtsquelle beachtlich, weshalb allein durch die Vereinheitlichung vertragsrechtlicher (Kollisions-)Normen bereits ein innereuropäischer Entscheidungs-
Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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einklang in diesem Bereich erreicht werden könne. Da dies jedoch nicht zutrifft und Verträge stets nur innerhalb staatlicher Beschränkungen – insbesondere in Form von Verhaltensnormen – Rechtswirkungen entfalten können, kann (und muss) es erst auf der Grundlage einer umfänglich vereinheitlichten Rechtsordnung innerhalb der Europäischen Union zu einem vollkommenen Entscheidungseinklang auch in vertragsrechtlichen Fragen kommen. Bis dahin geht mit der Eigenstaatlichkeit der Unionsmitglieder und der damit grundsätzlich verbundenen Möglichkeit zu autonomer Verhaltensregulierung unweigerlich eine nicht unwesentliche Diversifizierung bei der Beurteilung vertraglicher Beziehungen einher, die es hinzunehmen gilt. Die vergleichsweise erheblichen Restriktionen, die Art. 9 Abs. 3 Rom I zum Schutz der Privatautonomie für die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen vorsieht, gelten daher nicht in Bezug auf aus inländischer Sicht verbindliche ausländische Verbote, sondern nur für primär unverbindliche Verhaltensnormen. Im deutschen Recht etwa werden durch § 138 BGB fremde staatliche wie auch außerstaatliche Verhaltensnormen als Schranke der Privatautonomie etabliert, ohne diese zugleich auch als verbindliche Verhaltensvorgaben anzuerkennen („sekundäre Anwendung“). Dadurch wird der Rechtsordnung zum einen ermöglicht, gesellschaftliche Wertungen und deren permanente Wandlungen aufzugreifen, um Lücken im System des rechtlichen Interessenausgleichs zu schließen. Zugleich kann auf diese Weise jedoch auch berechtigten und vom Inland geteilten Interessen ausländischer Staaten Rechnung getragen werden, indem – ohne dass man sich diese Interessen unmittelbar zu eigen machen müsste – zumindest keine diesen inhaltlich unmittelbar widersprechende Rechtsgeschäfte als wirksam angesehen werden. Den aus der bloß sekundären Anwendung von Verhaltensnormen resultierenden massiven Einschränkungen der Privatautonomie tritt nunmehr Art. 9 Abs. 3 Rom I entgegen, indem er nur die Berücksichtigung von am Handlungsort geltenden Verhaltensnormen zulässt. Diese im Vergleich zu Art. 9 Abs. 2 Rom I empfindliche Einschränkung der Beachtlichkeit mitgliedstaatlicher Kollisionsnormen rechtfertigt sich durch das erheblich geringere staatliche Interesse an der Durchsetzung primär unverbindlicher Normen. Soweit Verträge nicht unmittelbar einem primär verbindlichen oder sekundär beachtlichen korruptionsbezogenen Verbot widersprechen, bedarf es ergänzender normativer Wertungen, um aus (potentiellen) Verstößen gegen Verhaltensnormen Rechtsfolgen für diese Verträge herleiten zu können. Im deutschen Recht werden derartige Wertungen und aus diesen resultierende Normschöpfungen regelmäßig innerhalb des § 138 BGB vorgenommen, der im Hinblick auf die Korruption die Nichtigkeit von Hauptverträgen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit durch verbotene Zuwendungen beeinflusst wurden, und Vermittlungsverträgen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit zur Vornahme entsprechender Zuwendungen führen werden, anordnet. Eine Genehmigungsmöglichkeit des Prinzipals besteht nicht. Ob die korruptionsbezo-
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Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
genen Verbote dem deutschen Recht entstammen oder aber lediglich durch inländische Kollisionsnormen für primär verbindlich erklärt werden, ist dabei einerlei. Die durch § 138 BGB vorgesehenen Nichtigkeitssanktionen teilen den überindividuellen Schutzzweck der von ihnen in Bezug genommenen Korruptionsverbote. Es handelt sich bei ihnen daher um Aspekte der Generalklausel des § 138 BGB, die als Eingriffsnormen von deutschen Gerichten unabhängig vom jeweiligen Vertragsstatut stets anzuwenden sind. Dasselbe gilt für § 138 BGB, soweit er die sekundäre Anwendung fremder Verhaltensnormen anordnet.
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Verzeichnis der Festschriften
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ZWEIGERT, KONRAD: Nichterfüllung auf Grund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942), S. 283–307
Verzeichnis der Festschriften FS Beitzke 1979 FS Bergbohm 1919 Coimbra-Symposium 1995
FS Dauses 2014
FS DJT 1960
FS Dölle 1963 I
GS Ehrenzweig 1976 FS Ferid 1978
FS Gamm 1990 FS Gernhuber 1993
FG Gerwig 1960 FS Gössel 2002
Festschrift für Günther Beitzke zum 70. Geburtstag am 26. April 1979, hrsg. von OTTO SANDROCK, Berlin 1979 Festgabe der Bonner Juristischen Fakultät für Karl Bergbohm zum 70. Geburtstag, Bonn 1919, Nachdruck 1987 Bausteine des europäischen Strafrechts – Coimbra-Symposium für Claus Roxin, hrsg. von BERND SCHÜNEMANN und JORGE DE FIGUEIREDO DIAS, Köln 1995 Festschrift für Manfred A. Dauses zum 70. Geburtstag, hrsg. von DANIELA HEID, RÜDIGER STOTZ und ARSÈNE VERNY, München 2014 Hundert Jahre deutsches Rechtsleben – Festschrift zum hunderjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860– 1960 (Band I), hrsg. von ERNST VON CAEMMERER, ERNST FRIESENHAIN und RICHARD LANGE, Karlsruhe 1960 Vom deutschen zum europäischen Recht – Festschrift für Hans Dölle – Band I: Deutsches Privat- und Zivilprozessrecht, Rechtsvergleichung, hrsg. von ERNST VON CAEMMERER, ARTHUR NIKISCH und KONRAD ZWEIGERT, Tübingen 1963 Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, hrsg. von ERIK JAYME und GERHARD KEGEL, Heidelberg 1976 Konflikt und Ordnung – Festschrift für Murad Ferid zum 70. Geburtstag, hrsg. von ANDREAS HELDRICH, DIETER HENRICH und HANS JÜRGEN SONNENBERGER, München 1978 Festschrift für Otto-Friedrich Frhr. v. Gamm, hrsg. von WILLI ERDMANN, HANS-KURT MEES u. a., Köln 1990 Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag, hrsg. von HERMANN LANGE, KNUT WOLFGANG NÖRR und HARM PETER WESTERMANN, Tübingen 1993 Festgabe zum siebzigsten Geburtstag von Max Gerwig, hrsg. von Juristische Fakultät der Universität Basel, Basel 1960 Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag am 16. Oktober 2002, hrsg. von DIETER DÖLLING und VOLKER ERB, Heidelberg 2002
274 FS Henrich 2000
FS Hirsch 1968
FS Hoffmann 2011
FS Immenga 2004
FS Jung 2007
FS Kegel 1987
Symp. Kegel/Lüderitz 2014
FS Klug 1983
FS Kropholler 2008
FS Kühne 2009
FS Lampe 2003
FG Lampert 1925
FS Lenckner 1998
FS Lewald 1953
FS Lipstein 1980
Verzeichnis der Festschriften Festschrift für Dieter Henrich zum 70. Geburtstag – 1. Dezember 2000, hrsg. von PETER GOTTWALD, ERIK JAYME und DIETER SCHWAB, Bielefeld 2000 Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch – dargebracht von Mitgliedern der Juristischen Fakultät zum 65. Geburtstag, Berlin 1968 Grenzen überwinden – Prinzipien bewahren – Festschrift für Bernd von Hoffmann zum 70. Geburtstag am 28. Dezember 2011, hrsg. von HERBERT KRONKE und KARSTEN THORN, Bielefeld 2011 Wirtschafts- und Privatrecht im Spannungsfeld von Privatautonomie, Wettbewerb und Regulierung – Festschrift für Ulrich Immenga zum 70. Geburtstag, hrsg. von ANDREAS FUCHS, HANS-PETER SCHWINTOWSKI und DANIEL ZIMMER, München 2004 Festschrift für Heike Jung – Zum 65. Geburtstag am 23. April 2007, hrsg. von HEINZ MÜLLER-DIETZ, EGON MÜLLER u. a., Baden-Baden 2007 Festschrift für Gerhard Kegel – zum 75. Geburtstag 26. Juni 1987, hrsg. von HANS-JOACHIM MUSIELAK und KLAUS SCHURIG, Stuttgart 1987 Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert – Der Einfluss von Gerhard Kegel und Alexander Lüderitz auf das Kollisionsrecht, hrsg. von HEINZ-PETER MANSEL, Tübingen 2014 Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag – Band II: Strafrecht, Prozeßrecht, Kriminologie, Strafvollzugsrecht, hrsg. von GÜNTER KOHLMANN, Köln 1983 Die richtige Ordnung – Festschrift für Jan Kropholler zum 70. Geburtstag, hrsg. von DIETMAR BAETGE, JAN VON HEIN und MICHAEL VON HINDEN, Tübingen 2008 Festschrift für Gunther Kühne zum 70. Geburtstag, hrsg. von JÜRGEN F. BAUR, OTTO SANDROCK u. a., Frankfurt a. M. 2009 Jus humanum – Grundlagen des Rechts und Strafrecht – Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag, hrsg. von DIETER DÖLLING, Berlin 2003 Festgabe Ulrich Lampert zum sechzigsten Geburtstage am 12. Oktober 1925 – dargebracht von Kollegen und Schülern, Freiburg (Schweiz) 1925 Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, hrsg. von ALBIN ESER, ULRIKE SCHNITTENHELM und HERIBERT SCHUMANN, München 1998 Festschrift Hans Lewald – Bei Vollendung des vierzigsten Amtsjahres als ordentlicher Professor im Oktober 1953, Basel 1953 Multum non multa – Fetschrift für Kurt Lipstein aus Anlass seines 70. Geburtstages, hrsg. von PETER FEUERSTEIN und CLIVE PARRY, Heidelberg 1980
Verzeichnis der Festschriften FS Lorenz 1991
FS Lüer 2008 FS Maiwald 2010
FS Maridakis 1964 III FS Mezger 1954
FS Mühl 1981
FS Müller-Dietz 2001
FS Neumayer 1985
FS Otte 2005
FS Raape 1948 FS Raiser 1974
FS Rebmann 1989
Koll. Reichert-Facilides 1995
FG RG 1929
FS Rittler 1957
275
Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. von BERNHARD PFISTER und MICHAEL R. WILL, Tübingen 1991 Festschrift für Hans-Jochem Lüer zum 70. Geburtstag, hrsg. von WILHELM MOLL, München 2008 Gerechte Strafe und legitimes Strafrecht – Festschrift für Manfred Maiwald zum 75. Geburtstag, hrsg. von RENÉ BLOY, MARTIN BÖSE u. a., Berlin 2010 Eranion in honorem Georgii S. Maridakis – Volumen III, Athen 1964 Festschrift für Edmund Mezger – zum 70. Geburtstag 15.10.1953, hrsg. von KARL ENGISCH und REINHART MAURACH, München 1954 Festschrift für Otto Mühl – zum 70. Geburtstag – 10. Oktober 1981, hrsg. von JÜRGEN DAMRAU, ALFONS KRAFT und WALTHER FÜRST, Stuttgart u. a. 1981 Grundfragen staatlichen Strafens – Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag, hrsg. von GUIDO BRITZ, HEIKE JUNG u. a., München 2001 Festschrift für Karl H. Neumayer zum 65. Geburtstag, hrsg. von WERNER BARFUSS, BERNARD DUTOIT u. a., BadenBaden 1985 Gesetz, Recht, Rechtsgeschichte – Festschrift für Gerhard Otte zum 70. Geburtstag, hrsg. von WOLFGANG BAUMANN, HANS-JÜRGEN DICKHUTH-HARRACH und WOLFGANG MAROTZKE, München 2005 Festschrift für Leo Raape zu seinem siebzigsten Geburtstag 14. Juni 1948, hrsg. von HANS PETER IPSEN, Hamburg 1948 Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen – Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag, hrsg. von FRITZ BAUR, JOSEF ESSER u. a., Tübingen 1974 Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag, hrsg. von HEINZ EYRICH, WALTER ODERSKY und FRANZ JÜRGEN SÄCKER, München 1989 Internationales Verbraucherschutzrecht – Erfahrungen und Entwicklungen in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz – Referate und Diskussionsberichte des Kolloquiums zu Ehren von Fritz Reichert-Facilides, hrsg. von ANTON K. SCHNYDER, HELMUT HEISS und BERNHARD RUDISCH, Tübingen 1995 Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben – Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts (I. Oktober 1929) in 6 Bänden, hrsg. von OTTO SCHREIBER, Berlin 1929 Festschrift für Theodor Rittler – Zu seinem achtzigsten Geburtstag, hrsg. von SIEGFRIED HOHENLEITNER, LUDWIG LINDNER und FRIEDRICH NOWAKOWSKI, Innsbruck 1957
276 FS Roxin 2001
FS Schmidt 1971
FG Schmitt 1968
FS Schroeder 2006
LA Schurig 2012
FS Seebode 2008
FS Smend 1952
FS Stoll 2001
FS Tiedemann 2008
FS Tübingen 1977
FS Vallindas 1976 FS Wahl 1973
FS Weber 2004 GS Zipf 1999
Verzeichnis der Festschriften Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag am 15. Mai 2001, hrsg. von BERND SCHÜNEMANN, HANS ACHENBACH u. a., Berlin 2001 Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, hrsg. von PAUL BOCKELMANN und WILHELM GALLAS, Göttingen, 2. Aufl. 1971 Epirrhosis – Festgabe für Carl Schmitt, hrsg. von HANS BARION, ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE u. a., Berlin 1968 Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag, hrsg. von ANDREAS HOYER, HENNING ERNST MÜLLER u. a., Heidelberg 2006 Liber amicorum Klaus Schurig zum 70. Geburtstag, hrsg. von RALF MICHAELS und DENNIS SOLOMON, München 2012 Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag am 15. September 2008, hrsg. von HENDRIK SCHNEIDER, MICHAEL KAHLO u. a., Berlin 2008 Rechtsprobleme in Staat und Kirche – Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag, 15. Januar 1952, Göttingen 1952 Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, hrsg. von GERHARD HOHLOCH, RAINER FRANK und PETER SCHLECHTRIEM, Tübingen 2001 Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht – Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen; Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, hrsg. von ULRICH SIEBER, GERHARD DANNECKER u. a., Köln 2008 Tradition und Fortschritt im Recht – Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen 1977 von ihren gegenwärtigen Mitgliedern, hrsg. von JOACHIM GERNHUBER, Tübingen 1977 Akrothinia Petru G. Ballēnda, Thessaloniki 1976 Rechtswissenschaft und Gesetzgebung – Festschrift für Eduard Wahl zum 70. Geburtstag am 29. März 1973, hrsg. von KLAUS MÜLLER und HERMANN SOELL, Heidelberg 1973 Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag, hrsg. von BERND HEINRICH, Bielefeld 2004 Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, hrsg. von KARL HEINZ GÖSSEL und OTTO TRIFTERER, Heidelberg 1999
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Sachregister Allgemeinrechtsgut 108, 209, 210 Fn. 91, 234 f., 238 f., siehe auch Rechtsgut, Individualrechtsgut allseitiger Ausbau 153 Anfechtung 38 Fn. 173, 170–171, 240 Fn. 265 Anknüpfung – alternative 155–156, 157, 235 Fn. 240 – allseitige 153, 180, 184 Fn. 133 Anlageberatung 20–22, 88 Fn. 231 Anstiftung siehe Teilnahme Arbeitsteilung 6 – völkerrechtliche 102, 114 Befehlsnotstand 106 Beihilfe siehe Teilnahme – durch berufstypisches Verhalten 77 Fn. 165 Binnenmarkt 139, 140–141, 154, 157, 221, 222 f., 236 Bribery Act 142, 146–150, 190 Fn. 155 Bündelungsmodell 162 f., 212
‒ siehe Sonderanknüpfung Einheit der Rechtsordnung 55‒60, 150, 217 Entscheidungseinklang 164, 180 f. Erfolgsort 115 f., 160 – potentieller 151‒153, 155, 165, 214, 218 Erfüllungsort 173, 177 f., 187 Fn. 145, 215, 218–220 erlaubtes Risiko 77 EUBestG 49, 116, 133‒137 facilitation/expediting payments 12, 145, 150 Foreign Corrupt Practices Act 141–145, 224 Gebietshoheit siehe Interventionsverbot Gefährdungshaftung 57 Fn. 41, 163 Gefährdungsverbot 62 Generalklausel 195, 207, 212, 248 Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit 221 gute Sitten siehe Sitte
culpa in contrahendo 38 Datumtheorie 224 Deliktsstatut 153, 159‒168 Drittvorteil 66‒68, 91‒92 Einflusshandel 27‒32, 208 f. Eingriffsnormen ‒ Anwendungswille 181 – des Erfüllungsorts 218‒220 – faktische Berücksichtigung 190‒191 – in- und ausländische 177‒191 – Interessensympathie 202 f., 216 – mitgliedstaatliche 220‒223 ‒ siehe Öffnungsklausel
Handlungsort 116, 124 f., 140, 143, 145, 150, 152, 154, 157, 161, 221, 229 f., siehe auch Erfüllungsort Hauptvertrag 17, 32‒47, 178 – Dispositionsbefugnis des Prinzipals 37‒40, 93, 209‒210 – nachteilige Gestaltung 35–37, 40 f. – Neuvornahme 210 Imperativentheorie 53 Individualrechtsgut 114, 125, 238, siehe auch Rechtsgut, Allgemeinrechtsgut IntBestG 49, 126‒133
278
Sachregister
Internationales Strafrecht 99, 115‒126, 134 f., 139 Interventionsverbot 99–100, 105 f., 114, 122 Fn. 417
renvoi siehe Weiterverweisung Reziprozität 5‒11, 31, 62 f., 69, 81, 83, 148 ‒ und Geltungsbereich 100‒103
Kollusion 33–34, 35 f., 43, 46 Korruption – Auswirkungen 12‒15 – rechtsgeschäftliche Folgen 15‒48 – siehe Reziprozität
Sanktionsmodell 51‒53 Sanktionsnorm 50‒55, 59 f., 95, 97 f., 117 f., 119 f. Fn. 404, 153, 168, 170, 237 Schmiergeldabrede 17‒23, 41 ff., 46, 177 f., 194 Schuldstatutstheorie 169‒171 – „korrigierte“ 171 Fn. 73, 180 Schutzprinzip 103‒106, 108, 124, 153 Sicherungsgeber 39 Sitte – kollisionsrechtliche Anknüpfung 210‒232 – lex fori aequitatis 224 – primäre Unverbindlichkeit 199‒201 – Rechtsfortbildung 206‒209 – sekundäre Anwendung 201‒204 ‒ siehe Sozialadäquanz ‒ soziale Verhaltensnorm 197‒199 – Verkehrskreise siehe soziale Gruppe Sonderanknüpfung 180‒182, 183‒186, 189 ff., 204 Sonderverbindung 55, 168, 231 Souveränität siehe Interventionsverbot ‒ Europäische Union und Mitgliedstaaten 136 Fn. 495, 220 f. Fn. 150 Sozialadäquanz 73‒81, 83 ‒ kollisionsrechtliche Behandlung 232‒236 soziale Gruppe 9, 75 f., 82 f., 101, 102 f., 197 f., 225 f., 229 Statut der Beamten der Europäischen Union 135 Strafanspruch 119 f. Strafaufhebungsgrund 71 Substitution 227 Fn. 190, 238–240
Leistungsprinzip 88–90, 91–92, 110, 112, 127 local law defense 145 lois d’application immédiate 179–180, 182–183, 186, 188, 190 Markt 112‒113, 164 ff., siehe auch Binnenmarkt, Wettbewerb Metanorm 10 Missbrauch der Vertretungsmacht siehe Kollusion mittelbare Täterschaft 133 Multilateralismus 184 ff., 191 Negativnorm 97 Normenhierarchie 194, 207, 216 Öffnungsklausel 173, 186, 188, 190, 204, 214 f., 216 f. ordre public 155, 156, 201, 231 f. Personalitätsprinzip – aktives 100‒103, 143 – passives 125 Rechtfertigungsgrund 70 ff. Rechtsfortbildung siehe Sitte Rechtsgut 106–107, 157, siehe auch Allgemeinrechtsgut, Individualrechtsgut – der Bestechungsdelikte 13 Fn. 44, 65, 67, 107 f., 109 f., 126 – und Geltungsbereich 106–114 – in- und ausländisches 105, 121 Fn. 412, 140, 157, 236 – und Sozialadäquanz 73 f., 234, 236 Rechtshilfe 131, 132, 137, 146, 233 red flags 26
Tatort 116, 122‒126, 131 f., 134 f., 139 Teilnahme 25 Fn. 105, 27, 133, 140 Fn. 517 Territorialitätsprinzip 103‒106, 125 f., 132 f., 136, 143, 218
Sachregister ultima ratio 53, 93 f. Fn. 266, 120 Fn. 405 Unilateralismus 156, 184 f. Unrechtsvereinbarung 64‒68 Untreue 20 Fn. 81, 85 f., 89, 112 Fn. 364 Verhaltensnorm 50‒55 – als Eingriffsnorm 168 f. Fn. 57, 175‒ 177 ‒ siehe Einheit der Rechtsordnung – ergänzende Sanktionierung 45, 47 f., 208‒209 – Geltungsbereich 96‒141 – mitgliedstaatliche 220‒223 – siehe Sitte Vermittlungsverbot siehe Einflusshandel Vermittlungsvertrag 17, 23‒32, 177 f., 194 f., 208 f.
279
Vertragsstatut 168–173, 186, 193 ff., 210–213, 224, 227 f., 231 f., 237 Vertrauen/Vertrauensbruch 13, 16 Fn. 61, 19 ff., 33, 35, 43 f. Fn. 200, 46 f., 65, 107 f., 147 ff., 156, 192, 238 f. Vorfrage 187 Fn. 144 ‒ nach der Rechtswidrigkeit 163‒164 ‒ nach einer Schmiergeldabrede 178 Fn. 108 Weiterverweisung 154 Weltgeltung/Weltrechtsprinzip 100‒103, 114, 118 f., 120 f., 138 Fn. 506, 203 Fn. 45 Wettbewerb 39, 83 ff., 109‒113, 137 ff., 154, 157, 165 ff., 233 ff.