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German Pages 367 Year 2011
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 233
Die Verhaltensnorm im Internationalen Strafrecht Von
Anne Schneider
Duncker & Humblot · Berlin
ANNE SCHNEIDER
Die Verhaltensnorm im Internationalen Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 233
Die Verhaltensnorm im Internationalen Strafrecht Von
Anne Schneider
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Ulrich Stein, Münster
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D6 Alle Rechte vorbehalten © 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13542-4 (Print) ISBN 978-3-428-53542-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83542-3 (Print & E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Ihre Veröffentlichung wurde durch die Auszeichnung mit dem Harry-Westermann-Preis und einen Druckkostenzuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften gefördert, wofür ich den jeweiligen Kuratorien danken möchte. Mein herzlicher Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Professor Dr. Ulrich Stein. Er hat die Erstellung der Arbeit umfassend betreut und stand stets für Diskussionen meiner Thesen zur Verfügung. Während der Erstellung dieser Arbeit war ich außerdem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kriminalwissenschaften in seiner Abteilung tätig. Dabei hat er sich stets als freundlicher Chef erwiesen, dem es wichtig war, dass seinen Mitarbeitern genug Zeit zur Arbeit an der Dissertation zur Verfügung stand. Es ist daher auch sein Verdienst, dass ich die Arbeit in verhältnismäßig kurzer Zeit fertig stellen konnte. Für all dies möchte ich ihm an dieser Stelle danken. Herrn Professor Dr. Mark Deiters danke ich für verschiedene Anregungen, die dazu beigetragen haben, die Arbeit besser zu machen, sowie für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Großer Dank gebührt auch Dagmar Steimel, Patrick Seelheim und Friederike Steinbeck, die den Entwurf der Arbeit in verschiedenen Stadien Korrektur gelesen haben. Alle Doktoranden wissen, dass die Anfertigung einer Dissertation kein reiner Höhenflug ist, sondern dass es neben guten immer auch schlechte Tage gibt, an denen man das Gefühl hat, keinen Schritt voranzukommen. Wohl denjenigen, die Freunde und Familie haben, die sie in solchen Zeiten unterstützen! In diesem Sinne geht mein inniger Dank an Jost, Terje und Malte Schneider, Markus Piontek, Friederike Steinbeck sowie die übrigen Kollegen aus Raum 30 in der Alten UB. Münster, im Juni 2011
Anne Schneider
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Kapitel 1 Geltendes Recht als Ausgangspunkt
28
A. Ausschließliche Anwendung des deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
B. Geltung deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
Kapitel 2 Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
35
A. Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
B. Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
D. Die Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Kapitel 3 Präzisierung der Fragestellung
63
A. Die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
B. Die Auslegung einzelner Merkmale der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
C. Begrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
Kapitel 4 Die Definition von „Geltungsbereich“
66
A. Geltung und Anwendung der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
B. Der Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
10
Inhaltsübersicht
C. Der Geltungsbereich als Teil der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
Kapitel 5 Immanente Beschränkung des Geltungsbereichs
85
A. Beschränkungen des sachlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
B. Beschränkungen des persönlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
C. Beschränkungen des räumlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
D. Konsequenzen für die weitere Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
Kapitel 6 In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 92
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 C. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts 142 D. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des einschlägigen Rechtsgebiets . . . . 155 E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen . . . . 158 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Kapitel 7 Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
167
A. EG-rechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 B. Völkerrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 C. Staatsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Individualschutzrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 E. Normentheoretische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Inhaltsübersicht
11
Kapitel 8 Begrenzung anhand einzelner Rechtsgebiete
194
A. Begrenzung durch §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Begrenzung durch das jeweils einschlägige Rechtsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Die Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Kapitel 9 Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
201
A. Grenzen aus deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B. Grenzen aus Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 C. Grenzen aus supranationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 D. Vergleich mit der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Kapitel 10 Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
273
A. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 B. Beseitigung von Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . 276 D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 E. Verfassungsrechtliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm . . . . 300 G. Prüfungsreihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Kapitel 11 Zusammenfassung und Ausblick
333
A. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 B. Änderung des StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 C. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Kapitel 1 Geltendes Recht als Ausgangspunkt
28
A. Ausschließliche Anwendung des deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 29 29
B. Geltung deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 33
Kapitel 2 Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
35
A. Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
B. Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Merkmale der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verhaltenspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interpretation der Verhaltensnorm zur Ermittlung konkreter Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ex-ante-Betrachtung zur Bestimmung der Verhaltenspflicht . . . . . . . . . . 3. Perspektive für die Beurteilung der Verhaltenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auslegung der Rechtfertigungsgründe zur Ermittlung konkreter Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Androhung einer Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Sanktionsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich mit dem dreistufigen Verbrechensaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 39 40
D. Die Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
40 41 43 44 44 45 45 46
14
Inhaltsverzeichnis I. Autonome Auslegung von Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Erfolg als Merkmal der Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich mit der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Erscheinungsformen strafrechtlicher Akzessorietät nach Cornils . . . a) Indirekte Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stillschweigend verweisende Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausdrücklich verweisende Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fremdrechtsanwendung bei Blankettgesetzen und normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die drei Fallgruppen von Nowakowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bestimmung der verbotenen Handlung nach Neumeyer . . . . . . . . . . 5. Der Standort außerstrafrechtlicher Rechtssätze bei Liebelt . . . . . . . . . . . . 6. Berücksichtigung ausländischen Strafrechts in der Strafzumessung . . . . 7. Zivil- und strafrechtliche Vorfragen bei Wilhelmi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich mit der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 50 53 53 53 54 55 55
F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
55 56 57 58 58 60 60 61
Kapitel 3 Präzisierung der Fragestellung
63
A. Die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
B. Die Auslegung einzelner Merkmale der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
C. Begrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
Kapitel 4 Die Definition von „Geltungsbereich“
66
A. Geltung und Anwendung der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
B. Der Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zeitlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzter persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbegrenzter persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltung für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 69 70 72 73 74 74 76
Inhaltsverzeichnis
15
C. Der Geltungsbereich als Teil der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsbedingung und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltungsbereich und Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 78 81
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
Kapitel 5 Immanente Beschränkung des Geltungsbereichs
85
A. Beschränkungen des sachlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
B. Beschränkungen des persönlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
C. Beschränkungen des räumlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
D. Konsequenzen für die weitere Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
Kapitel 6 In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
91
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Die Argumentation Schröders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Übertragbarkeit von Schröders Ausführungen auf Verhaltensnormen . . . 94 2. Begründung der universellen Bewertungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Heutige Vertreter der universellen Geltung von Verhaltensnormen . . . . . . . . 96 1. §§ 3 ff. StGB als Einschränkung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . 98 III. Konsequenzen dieser Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Vielzahl von Kollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. In der Literatur auftauchende Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzung durch §§ 3 ff. StGB als Folge der Ablehnung weltweiter Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parallelität der Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rückschlüsse aus Prinzipien des Internationalen Strafrechts . . . . . . . . . . II. Widersprüchliche Ausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Geltungsbereich gem. §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anknüpfungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102 102 102 104 105 107 109 113 113
16
Inhaltsverzeichnis 2. Auslegung der §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) §§ 3 und 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmung des Geltungsbereichs in Abhängigkeit von § 9 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit der Ansicht von Liebelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 5 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regelung des sachlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Regelung des persönlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regelung des räumlichen Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 6 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geltung deutscher Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geltung ausländischer Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 7 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 7 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geltung deutscher Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geltung ausländischer Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Ansicht von Pawlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116 117
C. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts I. Die Argumentation Nowakowskis und Schnorr von Carolsfelds . . . . . . . . . . II. Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung von Zivil- und Öffentlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Internationale Privatrecht als Auswahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Anwendung des Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingrenzung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Geltungsbereich öffentlich-rechtlicher Verhaltensnormen . . . . . . III. Konsequenzen dieser Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herausforderungen für den Rechtsanwender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auswahl der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142 142 143 144 146 146 147 148 149 150 153 154 154 155
117 119 120 121 122 123 124 124 125 125 127 128 130 131 131 132 133 134 137 137 138 140 141
Inhaltsverzeichnis
17
D. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des einschlägigen Rechtsgebiets . . . . I. Die Ansicht Neumeyers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Geltungsbereich der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsequenzen dieser Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 155 156 157
E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen . . . . I. Die Ansicht Zitelmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ansicht H. Mayers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Ansicht Heymanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Ansicht Wenglers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konsequenzen der Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158 158 160 162 163 165
F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Kapitel 7 Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
167
A. EG-rechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Art. 54 SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 B. Völkerrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Souveränitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eingriff in die Souveränität anderer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 3 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169 170 170 172 173
C. Staatsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 23 GG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Aufgabe des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 175 176 177
D. Individualschutzrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit des Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schaffung von Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der klassische Eingriffsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der moderne Eingriffsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180 180 183 184 184 185 185 185 186 188 189
18
Inhaltsverzeichnis 1. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
E. Normentheoretische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Kapitel 8 Begrenzung anhand einzelner Rechtsgebiete
194
A. Begrenzung durch §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Begrenzung durch das jeweils einschlägige Rechtsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Die Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Einheit der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einheitliche Bestimmung des Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unzulässigkeit der rechtsgebietsabhängigen Geltungsbereichsbestimmung
197 197 198 199
Kapitel 9 Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
201
A. Grenzen aus deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. §§ 3 ff. StGB als allgemeine Geltungsbereichsregeln der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Geltungsbereichsregeln aus Zivil- oder Öffentlichem Recht . . III. Kumulation aller Geltungsbereichsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Überlappung aller Geltungsbereichsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 201 202 203 204 205
B. Grenzen aus Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Quellen völkerrechtlicher Geltungsbereichsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übereinstimmung staatlicher Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Aussage zu Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichung nationaler Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ansicht des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zur Völkerrechtswidrigkeit weltweiter Geltung . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205 205 206 206 207 208 209 210
C. Grenzen aus supranationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelung von Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legaldefinition in Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-VO . . .
210 211 211 212
Inhaltsverzeichnis b) Beispiel der Straßenverkehrsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . a) Berücksichtigung der Straßenverkehrsregeln im deutschen Recht . . . aa) In der Literatur vertretene Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normentheoretische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Vorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Vorschlag der Kommission von 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die erste Änderung durch das Europäische Parlament . . . . . (4) Der geänderte Vorschlag der Kommission von 2006 . . . . . . . (5) Der Gemeinsame Standpunkt des Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Innere Systematik der Rom-II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Völkerrechtliche Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Art. 7 HÜbkV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Art. 9 HÜbkP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Andere EG-Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) E-Commerce-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sinn und Zweck des Art. 17 Rom-II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Spannungsverhältnis zu Art. 4 ff. Rom-II-VO . . . . . . . . . . . . (3) Effektive Umsetzung des Zwecks des Art. 17 Rom-II-VO (a) Ex-ante-Ermittlung der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . (b) Vermeidung von Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Potentielle Einwände gegen diese Auslegung von Art. 17 Rom-II-VO . . . . . 1. Zivilrechtliche Natur des Art. 17 Rom-II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung nur bei zivilrechtlichen Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . b) Anwendung nur bei zivilrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendung nur im Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlende Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft . . . 3. Benachteiligung der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 213 214 215 215 216 217 218 219 219 220 222 224 224 225 226 226 229 229 231 232 233 233 235 239 240 240 242 243 244 246 249 250 250 251 251 252 253 253 253 256
20
Inhaltsverzeichnis 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhalt des Art. 17 Rom-II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung bei Verhaltenspflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltung „soweit angemessen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Angemessenheit der Verhaltensnormen des Handlungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unangemessenheit bei bestimmten Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbekannte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Staatliche Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unangemessenheit bei vorhersehbarem fremdem Erfolgsort . . . . . . . d) Unangemessenheit bei Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unangemessenheit bei souveränitätsfreiem Handlungsort . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 257 257 257 258 259 260 261 262 264 266 268 269
D. Vergleich mit der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 II. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Kapitel 10 Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
273
A. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 B. Beseitigung von Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . I. Beschränkung des Geltungsbereichs der Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . II. Anknüpfung an rechtsordnungsfremde Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 5 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. § 6 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. § 7 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 276 279 279 280 280 283 286 288
D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auswahlmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswahlvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Identität der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergleichbarkeit der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
288 289 289 290 291 291
Inhaltsverzeichnis 2. Kriterien zur Ermittlung der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz gleicher Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleiche Begehungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendung auf Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 293 293 294 295 297
E. Verfassungsrechtliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm . . . . I. Unterschiedliche Wertung durch Handlungs- und Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertung als rechtmäßig am Handlungsort, als rechtswidrig am Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung als rechtswidrig am Handlungsort, als rechtmäßig am Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Literatur vertretene Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Prozessuale Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Strafzumessungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Materiell-rechtliche Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzzweckzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verschiedenen Täterschaftsformen und die Strafsanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleichbarkeit der täterschaftlichen Verhaltensnormen . . . . . . . . . . c) Unterschiedliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bewertung als rechtmäßig am Ort des Verhaltens des Mittäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewertung als rechtswidrig am Ort des Verhaltens des Mittäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bewertung des Verhaltens des mittelbaren Täters als rechtmäßig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewertung des Verhaltens des mittelbaren Täters als rechtswidrig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelung der Teilnahme im Internationalen Strafrecht . . . . . . . . . . . .
300 300 301 302 303 304 304 305 306 307 307 309 311 311 312 312 312 314 314 314 316 317 318 318 319 320
22
Inhaltsverzeichnis b) Vergleichbarkeit der Teilnahmeverhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterschiedliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtswidrig handelnder Teilnehmer bei rechtmäßiger Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsgutsbezogene Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fremdverhaltensbezogene Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtmäßig handelnder Teilnehmer bei rechtswidriger Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Straftaten im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
G. Prüfungsreihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis von Geltung und Auslegung der Strafsanktionsnorm . . . . . . 1. Vorrang der Geltungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrang der Schutzbereichsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weiterer Gang der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verhaltenspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige Sanktionsvoraussetzungen und Geltung der Strafsanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320 321 321 322 323 323 324 324 325 327 327 328 328 329 329 330 330 331 331
Kapitel 11 Zusammenfassung und Ausblick
333
A. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 B. Änderung des StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 C. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Abkürzungsverzeichnis AEUV AmJCompL CJQ E 1962 ECRL
EuGVVO
EurBusLRev EurJIntL FAZ GA HÜbkP HÜbkV IntCompLQ JIBLR LissabonV
Ltd. MecklZRR RevCritDIP Rom-I-Verordnung
Rom-II-Verordnung
TLRev ZIS ZÖR
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union American Journal of Comparative Law Civil Justice Quarterly Entwurf eines Strafgesetzbuches, BT-Drs. IV/650 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen European Business Law Review European Journal of International Law Frankfurter Allgemeine Zeitung Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht The International Comparative Law Quarterly Journal of International Banking Law and Regulation Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft private limited company Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtswissenschaft Revue critique de droit international privé Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Tulane Law Review Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht
Im Übrigen wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Aufl., Berlin, 2008.
Einleitung Die fortschreitende Globalisierung stellt auch das Strafrecht vor neue Herausforderungen. Faktoren wie die Öffnung der Grenzen durch das Schengener Abkommen1 und die Vereinfachung der weltweiten Kommunikation durch das Internet haben dazu beigetragen, dass grenzüberschreitende Sachverhalte im Strafrecht zunehmend an Bedeutung gewinnen.2 Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass in der Literatur immer häufiger die Frage aufgeworfen wird, ob, und wenn ja inwieweit, ausländisches Recht im Rahmen des deutschen Strafrechts relevant werden kann. Dies wird unter dem Stichwort „Fremdrechtsanwendung“ diskutiert.3 Dabei bezieht sich der Ausdruck „fremd“ nicht auf außerstrafrechtliche Normen, sondern auf Normen einer ausländischen Rechtsordnung.4 Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Frage nach den Auswirkungen der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu der Problematik, welches Recht im Strafrecht auf Gesellschaften Anwendung findet. Der Europäische Gerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen5 klargestellt, dass Gesellschaften ausschließlich dem Recht des Staates unterliegen, in dem sie formell ansässig sind. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, inwieweit das Heimatrecht der Gesellschaften auch im Rahmen deutscher Straftatbestände – etwa bei der Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB – berücksichtigt werden muss.6 Von Inte1 In Deutschland in Kraft durch das Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 15. Juli 1993, BGBl. 1993 II, 1010 ff. 2 Darauf weist bereits Schultz hin, FS Grützner, S. 139 f. Siehe auch Böse/Meyer, ZIS 2011, 336; Eser, JZ 1993, 875; Hecker, ZIS 2011, 60. 3 Siehe hierzu Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 1 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 116 ff.; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 ff.; Mosiek, StV 2008, 94; Walter, JuS 2006, 870; Werle/Jeßberger in: LK12, vor § 3 Rn. 330 f. 4 In diesem Sinne verstehen „Fremdrechtsanwendung“ wohl Altenhain/Wietz, NZG 2008, 569 ff.; Ambos in: MüKo, StGB, § 7 Rn. 8; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 21. Siehe zu dieser Definition von „fremd“ auch Theiler, Fremdrechtsprinzip, S. 13. 5 EuGH, Urt. v. 09.03.1999 – „Centros“, Slg. 1999, I-1459 ff.; EuGH, Urt. v. 05.11. 2002 – „Überseering“, Slg. 2002, I-9919 ff.; EuGH, Urt. v. 30.09.2003 – „Inspire Art“, Slg. 2003, I-10155 ff. 6 Hierzu etwa Altenhain/Wietz, NZG 2008, 569 ff.; Hoffmann, S. 227 ff. in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen; Mosiek, StV 2008, 94 ff.; Rönnau, ZGR 2005, 832 ff.; Schlösser, wistra 2006, 81 ff.
26
Einleitung
resse ist dabei insbesondere die englische private limited company (abgekürzt ltd.)7.8 Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass dieses durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgedeckte Problem alles andere als neu ist. Dahinter steckt die grundsätzliche Frage, welches Recht zur Beurteilung eines Strafrechtsfalls heranzuziehen ist, insbesondere, ob nur deutsches oder auch ausländisches Recht für die Lösung eines Strafrechtsfalls relevant werden können. Es geht also um die Auslegung der deutschen Strafnormen. Die Klärung dieser Frage erfordert, wie noch zu zeigen sein wird, eine grundlegende Analyse der strafrechtlichen Geltungsbereichsregelungen. Welche Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu ziehen sind, ist daher letztendlich eine Frage der Auslegungsmethodik. Dies verdeutlicht, dass diese Fragestellung im Grundsatz losgelöst von grenzüberschreitenden Fällen behandelt werden muss. Häufig kann überhaupt erst durch Auslegung der Normen festgestellt werden, ob der Sachverhalt einen Bezug zum ausländischen Recht hat.9 Begeht z. B. ein Deutscher in Deutschland einen Diebstahl zum Nachteil eines anderen Deutschen, so ist auf den ersten Blick kein Auslandsbezug ersichtlich. Hat der Bestohlene die Sache jedoch bei einem Ferienaufenthalt auf Mallorca erworben, so könnten die Eigentumsverhältnisse an der Sache z. B. spanischem Recht unterliegen. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, wie das Merkmal „fremd“ auszulegen ist. Erst dessen Auslegung entscheidet darüber, ob auch ausländische Rechtsordnungen berücksichtigt werden müssen. Aus diesem Grund stellt sich die Frage nach der Methode der Auslegung, bevor entschieden werden kann, ob ein Bezug zu ausländischem Recht besteht. Es ist daher bedenklich, wenn Oehler feststellt: „Wenn ein Deutscher gegen einen Deutschen eine Vermögensstraftat begeht, bei der ein in Deutschland geschlossener Vertrag, etwa für die Eigentumsverhältnisse, eine Rolle spielt, dann entscheidet selbstverständlich das deutsche Recht über diesen außerstrafrechtlichen Begriff [. . .]“ 10. Es wird nicht ganz deutlich, ob Oehler in dieser Aussage einen Schuldvertrag oder einen dinglichen Vertrag meint. In beiden Fällen ist die Anwendung deutschen Rechts jedoch aus Sicht des Zivilrechts alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
7
Siehe Art. 59 Abs. 1 Companies Act 2006, c. 46. Siehe hierzu AG Stuttgart, Urt. v. 18.12.2007, wistra 2008, 226 ff. Vgl. auch Rönnau, ZGR 2005, 832 ff.; Schlösser, wistra 2006, 81 ff.; Schumann, wistra 2008, 229 ff. 9 Ebenso Sonnenberger in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 3 Rn. 8. Vgl. auch Rotsch, ZIS 2010, 169. 10 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 151d. 8
Einleitung
27
Im Zivilrecht wird das auf einen Schuldvertrag anwendbare Recht anhand ganz anderer Kriterien als derjenigen des Abschlussortes bestimmt. Gem. Art. 3 ff. Rom-I-VO11 entscheiden primär die Parteien durch Rechtswahl, welche Rechtsordnung Anwendung findet. Falls keine Rechtswahl vorliegt, findet in der Regel das Recht des Staates Anwendung, in dem die Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, die die charakteristische Leistung zu erbringen hat (Art. 4 Abs. 1 Rom-IVO).12 Zu Oehlers Zeiten war das Internationale Privatrecht der Schuldverträge zwar ungeschrieben, jedoch bestand Einigkeit darüber, dass es auch auf die zu erbringende Leistung ankam.13 Oehlers Beispiel enthält jedoch gar keine Angaben zu dem gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien oder der charakteristischen Leistung, sondern nur zu deren Staatsangehörigkeit. Aus der Perspektive des Zivilrechts ließen sich daher ohne nähere Informationen keine Aussagen über das auf den Schuldvertrag anwendbare Recht treffen. Die Eigentumsverhältnisse bestimmen sich gem. Art. 43 Abs. 1 EGBGB nach dem Recht des Staates, in dem sich eine Sache befindet. Dieser Grundsatz der lex rei sitae galt auch zu Oehlers Zeiten.14 Demzufolge ist der Ort des Abschlusses eines dinglichen Vertrages für die Frage, welches Recht die Eigentumsverhältnisse an der Sache regelt, völlig irrelevant. Wären demnach die Regelungen des Internationalen Privatrechts für die strafrechtliche Bewertung von Bedeutung, könnte es auch hier zu einer Anwendung fremden Rechts kommen. Dieses Beispiel zeigt, dass das Vorhandensein eines grenzüberschreitenden Bezugs davon abhängt, wie einzelne Merkmale ausgelegt werden. Im Folgenden soll daher durch Auslegung des geltenden Rechts ermittelt werden, ob und, wenn ja, inwieweit ausländische Rechtsnormen im deutschen Strafrecht heranzuziehen sind. Dabei wird ausschließlich das geltende Recht, die lex lata, zu Grunde gelegt, so dass auf die Vorschläge für Gesetzesänderungen15 nicht näher eingegangen wird.
11 Die sog. Rom-I-Verordnung (VO (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008, Abl. L 177/6) gilt ab dem 17.12.2009 für Verträge, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten haben (siehe Art. 1 Abs. 1, 29 Rom-I-VO). Ähnliche Bestimmungen sind in den Art. 27 ff. EGBGB enthalten, die vor dem 17.12.2009 für solche Fälle einschlägig waren. 12 Eine ähnliche Regelung findet sich in dem vor dem 17.12.2009 einschlägigen Art. 28 Abs. 1, 2 EGBGB. 13 Vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1986, NJW 1987, 1141 f. 14 Siehe Wendehorst in: MüKo, BGB4, Bd. 10, Art. 43 Rn. 3. 15 Z. B. von Altenhain/Wietz, NZG 2008, 572 f.
Kapitel 1
Geltendes Recht als Ausgangspunkt Soll der Ausgangspunkt der folgenden Arbeit das in Deutschland geltende Recht sein, ist es notwendig, zu erläutern, welches Recht in Deutschland gilt. Dabei soll die Problematik auf die Perspektive des Strafrechts beschränkt werden, genauer gesagt auf die Perspektive des strafrechtlichen Rechtsanwenders, d.h. des Strafrichters. Im Folgenden soll daher kurz dargestellt werden, welches Recht der Strafrichter anwendet.1
A. Ausschließliche Anwendung des deutschen Strafrechts Es ist ein geflügeltes Wort in der deutschen Strafrechtswissenschaft, dass der deutsche Richter nur deutsches Strafrecht anzuwenden habe.2 Hieraus zieht man die Konsequenz, dass die deutschen Strafgerichte bereits unzuständig sind, wenn deutsches Strafrecht nicht gilt, und ein Strafverfahren demzufolge eingestellt werden muss.3 Die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit und der Geltungsbereich des Strafrechts sollen somit deckungsgleich sein, so dass die Frage nach dem durch den Strafrichter anzuwendenden Recht mit der nach dem geltenden Recht identisch ist. Diese – im deutschen Strafrecht völlig herrschende4 – Auslegung beruht entscheidend auf der Annahme, dass durch deutsche Strafgerichte nur deutsches Strafrecht anzuwenden sei. Dabei wird jedoch nicht darauf eingegangen, woraus sich der Grundsatz der alleinigen Anwendung deutschen Strafrechts ergibt. Insbe-
1 Die Begriffe „Geltung“ und „Anwendung“ werden hier synonym verwendet. Siehe dazu unten Kap. 4 A., S. 66 ff. 2 Das ist, soweit ersichtlich, nahezu unbestritten. Siehe nur Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 63; Gribbohm in: LK11, Vor § 3 Rn. 3; Mankowski/Bock, JZ 2008, 558; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 595; Rönnau, ZGR 2005, 847; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 1; Schlösser, NZG 2008, 131; Schröder, ZStW 61 (1942), 72 Fn. 27; Weller, IPrax 2003, 209; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 8; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 292 f. Cornils weist darauf hin, dass dieser Grundsatz nicht nur in Deutschland, sondern nahezu weltweit gilt, S. 70 f. in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality. 3 BGH, Urt. v. 22.01.1986, BGHSt 34, 1, 3 f. 4 Siehe nur Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 2; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 7 ff.
A. Ausschließliche Anwendung des deutschen Strafrechts
29
sondere wird nicht herausgestellt, wo dieses Prinzip gesetzlich verankert ist. Im Folgenden soll daher die gesetzliche Grundlage dieses Prinzips erläutert werden.
I. Das Zivilverfahren Zum besseren Verständnis des Unterschieds zwischen gerichtlicher Zuständigkeit und Geltungsbereich des materiellen Rechts soll hier kurz auf das Zivilverfahren eingegangen werden, bei dem beides häufig auseinander fällt. Ein Zivilgericht eröffnet nur dann ein Verfahren, wenn es zuständig ist. Dabei muss stets auch die internationale Zuständigkeit gegeben sein, die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten problematisch sein kann.5 Die wichtigsten Regelungen der internationalen Zuständigkeit sind in der EuGVVO enthalten, andere finden sich jedoch auch an verschiedensten Stellen in der ZPO.6 Im Zweifel entscheiden die Regelungen der örtlichen Zuständigkeit auch über die internationale Zuständigkeit.7 Ist die Zuständigkeit des Zivilgerichts gegeben, kann die weitere Prüfung erfolgen. Dabei richten sich die Verfahrensregelungen nach allgemeiner Ansicht nach dem Recht des Staates, zu dem das Gericht gehört, d.h. nach der lex fori.8 Dagegen muss zur Klärung der Sachfrage erst mit Hilfe des Internationalen Privatrechts (Art. 3 ff. EGBGB) untersucht werden, welches materielle Recht Anwendung findet, bevor dieses dann zur Anwendung kommt. Im Zivilverfahren kann es daher vorkommen, dass das zuständige Gericht ein fremdes Zivilrecht anzuwenden hat.
II. Das Strafverfahren Im deutschen Recht gibt es weder in der StPO noch im GVG eine explizite Regelung der internationalen Zuständigkeit in Strafsachen.9 In § 13 GVG ist zwar geregelt, dass alle Strafsachen, für die keine besondere Zuständigkeit besteht, vor die ordentlichen Gerichte gehören. Ob damit jedoch alle Strafsachen weltweit oder nur solche nach deutschem Recht gemeint sind, lässt sich § 13 GVG nicht entnehmen. Im Zivilrecht kommt in Fällen, in denen eine Regelung der internationalen Zuständigkeit fehlt, eine entsprechende Anwendung der Regelungen über die ört5 Siehe zur internationalen Zuständigkeit etwa von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 30 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 35 f. 6 Siehe Kropholler, IPR, S. 573. 7 BGH, Urt. v. 27.06.1984, NJW 1985, 552. 8 Siehe von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 5 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 59. 9 Siehe zum Begriff der internationalen Zuständigkeit der Strafgerichte Mankowski/ Bock, JZ 2008, 555 ff.
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Kap. 1: Geltendes Recht als Ausgangspunkt
liche Zuständigkeit in Betracht.10 Im Strafverfahren ist dies jedoch nicht möglich.11 Die Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit der Strafgerichte finden sich in §§ 7 ff. StPO. Diese gelten gem. § 143 Abs. 1 GVG auch für die Staatsanwaltschaft. Gem. § 13a StPO kann der Bundesgerichtshof das örtlich zuständige Gericht bestimmen, wenn es im Geltungsbereich der StPO, d.h. im Bundesgebiet, kein zuständiges Gericht gibt. Bei Übertragung des § 13a StPO auf die internationale Zuständigkeit müsste dem Bundesgerichtshof danach das Recht zugestanden werden, die internationale Zuständigkeit eines Gerichts und damit der deutschen Gerichtsbarkeit insgesamt zu begründen. Es stünde somit vollends im Ermessen des Gerichts, ob es deutsche Gerichte für international zuständig hält oder nicht. Im Bereich der internationalen Zuständigkeit passen Ermessensvorschriften jedoch nicht, weil die internationale Zuständigkeit einen Eingriff in die Souveränität anderer Staaten darstellt, die durch das Verfahren berührt sind. Stünde die internationale Zuständigkeit im freien Ermessen des Gerichts, käme dies einer willkürlichen Regelung gleich, die völkerrechtlich nicht gerechtfertigt wäre.12 Zudem sollte die internationale Zuständigkeit in einem Rechtsstaat für den Einzelnen zumindest erkennbar sein.13 Aus diesen Gründen lassen sich die §§ 7 ff. StPO nicht als Regelungen der internationalen Zuständigkeit auffassen. Der Unterschied zwischen Zivil- und Strafverfahren im Bereich der internationalen Zuständigkeit lässt sich zumindest zum Teil dadurch erklären, dass die Verfahren auf unterschiedliche Weise initiiert werden. Während das Zivilverfahren durch Klageerhebung durch eine Partei beginnt (§ 253 Abs. 1 ZPO), muss im Strafverfahren die Staatsanwaltschaft öffentliche Klage erheben (§ 170 Abs. 1 StPO). Eine Strafanklage ist nur zulässig, wenn genügend Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Verurteilung erfolgen wird.14 Daran zeigt sich jedoch nur, dass der Gegenstand der Klage vom Gegenstand der künftigen gerichtlichen Entscheidung abhängt. Sollte das Gericht auch fremdes Strafrecht anwenden dürfen, könnte die Staatsanwaltschaft auch dann Klage erheben, wenn eine Verurteilung nur nach fremdem Strafrecht in Betracht kommt. Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft hängt somit von der Entscheidungszuständigkeit des Strafgerichts ab. Auf prozessualer Ebene lässt sich somit keine Begrenzung der Zuständigkeit des Richters auf das deutsche Strafrecht erkennen. Dies wird erst bei Betrachtung des materiellen Rechts deutlich. Die §§ 3–7 StGB regeln, wann deutsches Strafrecht gilt, gehen jedoch nicht darauf ein, welches Recht anzuwenden ist, wenn 10
Vgl. auch Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 44. So aber der Vorschlag von Mankowski/Bock, JZ 2008, 555 ff. 12 Siehe hierzu Kap. 7 B. I. 2., S. 172. 13 Auch Mankowski und Bock halten § 13a StPO für problematisch. Ihnen zufolge fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine materielle Grundlage für ein Strafverfahren fehlt, JZ 2008, 558. 14 Statt vieler Schmid in: KK, StPO, § 170 Rn. 3. 11
B. Geltung deutschen Strafrechts
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kein deutsches Strafrecht gilt. Im Gegensatz dazu regelt das Internationale Privatrecht positiv, welches Recht auf einen bestimmten Sachverhalt Anwendung findet, und dies kann sowohl deutsches als auch ausländisches Recht sein. Im Zivilrecht findet daher nur dann ausländisches Recht Anwendung, wenn das Internationale Privatrecht dies vorschreibt. Da es im Strafrecht keine entsprechende Regelung zur Anwendung ausländischen Rechts gibt, kann im Umkehrschluss nur deutsches Recht angewandt werden. Der Vergleich mit dem Internationalen Privatrecht zeigt, dass es im deutschen Recht eine ungeschriebene lex-fori-Regel gibt. Das zuständige Gericht wendet stets sein eigenes Rechtsanwendungsrecht an.15 Darüber kann ausländisches Recht zum Tragen kommen, wenn das nationale Rechtsanwendungsrecht dieses beruft.16 Dies ist im Strafrecht jedoch gem. §§ 3–7 StGB gerade nicht der Fall. Daher kann ein Strafgericht nur nach deutschem Strafrecht verurteilen.17 Da die internationale Zuständigkeit des Gerichts jedoch von dessen Entscheidungszuständigkeit abhängt, führt dies dazu, dass die deutschen Gerichte von vornherein nur dann zuständig sind, wenn auch deutsches Strafrecht gilt.18 Demzufolge sind die Gerichte nur dann zuständig, wenn auch deutsches Strafrecht Anwendung findet, so dass die Aussage, der deutsche Richter wende nur deutsches Strafrecht an, zutrifft.
B. Geltung deutschen Strafrechts Die Feststellung, dass der deutsche Richter ausschließlich deutsches Strafrecht anwendet, sagt noch nichts darüber aus, welche Normen vom Richter angewandt werden dürfen. Um dies entscheiden zu können, ist es notwendig, zu überlegen, was Strafrecht ist. Im Folgenden soll daher zunächst die Definition des Strafrechts erläutert werden, bevor auf den Geltungsbereich des Strafrechts eingegangen werden kann.
I. Der Begriff des Strafrechts Von praktischer Relevanz ist die Definition von Strafrecht vor allem im Rahmen des § 2 Abs. 3 StGB.19 Diese Vorschrift besagt, dass die Tat bei einer Ge15 E. Lorenz geht sogar davon aus, dass im Grundsatz auch das nationale Sachrecht gelten soll, wenn keine Verweisung durch das Rechtsanwendungsrecht vorliegt, FamRZ 1987, 647. 16 So auch Schlösser, wistra 2006, 88. Vgl. zum Zivilrecht Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 37 f. 17 Siehe auch Wegner, FS von Frank, Bd. 1, S. 130. 18 Siehe auch Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 8; Mankowski/Bock, JZ 2008, 558 f. m.w. N. 19 Darauf weist auch Cornils hin, Fremdrechtsanwendung, S. 51 ff.
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Kap. 1: Geltendes Recht als Ausgangspunkt
setzesänderung zwischen Beendigungs- und Entscheidungszeitpunkt nach dem mildesten Gesetz bestraft wird. Aus dem Zusammenhang mit § 2 Abs. 1, 2 StGB ergibt sich, dass mit „Gesetz“ Vorschriften gemeint sind, die Strafe androhen. Zu Strafrecht zählen daher alle Normen, die die Sanktion „Strafe“ vorsehen.20 Strafe wird gemeinhin als Zufügung eines Übels zur Vergeltung eines Übels definiert.21 Nach dieser Definition sind jedenfalls die im StGB vorgesehenen Geld- und Freiheitsstrafen als Strafen anzusehen. Insbesondere bei Blankettgesetzen stellt sich die Frage, ob § 2 Abs. 3 StGB auch bei einer Änderung der einem anderen Rechtsgebiet entspringenden Ausfüllungsnorm einschlägig sein könnte. Es ist daher zu überlegen, ob mit „Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB nur solche Vorschriften gemeint sind, die unmittelbar ein bestimmtes Verhalten mit Strafe bedrohen, oder ob auch Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten, die zur Ausfüllung des Tatbestands oder einzelner Merkmale herangezogen werden, von § 2 Abs. 3 StGB erfasst werden. Damit drängt sich die Frage auf, wie das Merkmal „Strafgesetz“ in § 2 Abs. 3 StGB zu definieren ist.22 Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung23 festgestellt, dass § 2 Abs. 3 StGB auch dann Anwendung findet, wenn sich die Ausfüllungsnormen von Blankettvorschriften ändern, und dabei explizit betont, dass es für die Frage, ob eine Gesetzesänderung eingetreten sei, auf den gesamten Rechtszustand ankomme.24 Der Begriff des (Straf-)Gesetzes ist daher in § 2 Abs. 3 StGB materiell-rechtlich auszulegen.25 Es ist folglich nur konsequent, den Begriff der Strafgesetze oder des Strafrechts generell materiell-rechtlich zu bestimmen. Demnach umfasst Strafrecht „[. . .] den Teil der Rechtsordnung, der die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie die einzelnen Merkmale des strafwürdigen Verhaltens festlegt, bestimmte Strafen androht und neben sonstigen Rechtsfolgen insbesondere Maßregeln der Besserung und Sicherung vorsieht [. . .]“ 26. Es kommt für die Zugehörigkeit zum Strafrecht daher nicht darauf an, ob eine Norm im StGB enthalten ist27 oder ob 20
So auch Nowakowski, ZÖR 1955, 18. Diese Definition geht zurück auf Grotius, Über das Recht des Krieges und Friedens, Bd. 2, S. 40. 22 Zu den verschiedenen Definitionen ausführlich Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 47 ff. 23 BGH, Urt. v. 8. Januar 1965, BGHSt 20, 177 ff. 24 BGH, Urt. v. 8. Januar 1965, BGHSt 20, 177, 181. 25 Allgemeine Ansicht, siehe nur Dannecker in: LK12, § 2 Rn. 83; Eser/Hecker in: Schönke/Schröder, § 2 Rn. 18; T. Fischer, StGB, § 2 Rn. 8; Rudolphi in: SK, § 2 Rn. 8 ff.; Schmitz in: MüKo StGB, Bd. 1, § 2 Rn. 10. 26 Wessels/Beulke, AT, Rn. 10. 27 So aber der früher vertretene sog. formelle Strafrechtsbegriff, siehe Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 52. 21
B. Geltung deutschen Strafrechts
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sie eine explizite Strafdrohung enthält, sondern einzig und allein darauf, ob sie in irgendeiner Weise für die Sanktion Strafe relevant ist. Nach dieser Definition können daher auch Normen anderer Rechtsgebiete Vorschriften des deutschen Strafrechts sein.
II. Der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts Dass eine derart weite Strafrechtsdefinition bei der Frage nach dem geltenden Recht nicht weiterhilft, zeigt sich insbesondere an den Geltungsbereichsregeln der §§ 3 ff. StGB. Die Bezeichnung dieser Vorschriften ist umstritten, parallel verwendet werden die Begriffe „Internationales Strafrecht“ 28, „Transnationales Strafrecht“ 29 und „Strafanwendungsrecht“ 30.31 Im Folgenden wird der Begriff „Internationales Strafrecht“, der sich trotz berechtigter Kritik32 eingebürgert hat, verwendet, um die Parallele zum Internationalen Privatrecht zu betonen. Die §§ 3 ff. StGB regeln die Voraussetzungen, unter denen deutsches Strafrecht gilt. Werden alle Normen, auf die zur Ausfüllung von Strafbarkeitsvoraussetzungen Bezug genommen wird, als Strafrecht angesehen, so wäre etwa der Geltungsbereich der Normen, die die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse regeln, welche z. B. im Rahmen des § 303 StGB relevant werden, oder der deutschen Straßenverkehrsnormen gleichfalls anhand der §§ 3 ff. StGB zu bestimmen. Konsequenterweise müsste diese Geltungsbereichsbestimmung dann jedoch auch in anderen Rechtsgebieten Gültigkeit haben, oder zumindest müsste eine abweichende Geltungsbereichsbestimmung in anderen Rechtsgebieten begründet werden.33 Deutlich werden diese Schwierigkeiten auch am Beispiel der Fremdrechtsanwendung. Nach der oben angeführten Strafrechtsdefinition wären auch ausländische Normen, die z. B. zur Ausfüllung normativer Tatbestandsmerkmale herangezogen werden, als Strafrecht anzusehen. Ob die Berücksichtigung solcher Normen zulässig ist, hängt dann davon ab, was als deutsches Strafrecht angesehen 28 Etwa Deiters, ZIS 2006, 473; Duesberg, JA 2008, 272; Neumann, FS MüllerDietz, S. 594 f.; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 31; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 5. Theiler bevorzugt den Ausdruck „internationales Strafrecht im engeren Sinne“, Fremdrechtsprinzip, S. 14. 29 Etwa Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 2; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 8; Kniebühler, Ne bis in idem, S. 67; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 595. 30 Etwa Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 1 ff.; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 1; Lackner, JR 1968, 268; Rotsch, ZIS 2006, 18; ders., ZIS 2010, 169; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 1; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 292. 31 Eser bevorzugt sogar den Ausdruck „territoriales und transnationales Strafanwendungsrecht“, Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 ff. Rn. 6. 32 Z. B. von Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 ff. Rn. 5 ff.; Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 1. 33 Siehe näher zum Geltungsbereich von Verhaltensnormen Kap. 4–9, S. 66 ff.
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Kap. 1: Geltendes Recht als Ausgangspunkt
wird: Sind davon alle Normen erfasst, die im Rahmen des deutschen Straftatbestands relevant werden, so wären auch die ausländischen Rechtssätze als deutsches Strafrecht zu klassifizieren. Sind hingegen nur Normen eines deutschen Normgebers davon erfasst, müsste die Geltung jeglichen fremden Rechts kategorisch ausgeschlossen werden. Bei der Fremdrechtsanwendung verlagert sich somit das Problem des geltenden Rechts von der Frage, was als „Strafrecht“ anzusehen ist, auf die Frage, wann eine strafrechtliche Norm als „deutsche“ anzusehen ist. Dieser kurze Überblick zeigt, dass die weite materielle Strafrechtsdefinition im Geltungsbereichsrecht nicht passt, mag sie auch ansonsten ihre Berechtigung haben. Welches Recht in strafrechtlichen Fällen gilt, muss daher mit Hilfe anderer Ansätze näher untersucht werden.
Kapitel 2
Verhaltensnormen und Sanktionsnormen Gelingt es nicht, über den Begriff des Strafrechts zu bestimmen, welche Merkmale mit Hilfe anderer Normen als der gerade anzuwendenden auszulegen sind, so kann dies möglicherweise mit Hilfe der Sanktion Strafe geschehen. Dazu ist es notwendig, ein bestimmtes normentheoretisches Konzept zu Grunde zu legen: die Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen. Normentheoretische Konstrukte sind, wie schon der Name sagt, theoretischer Natur. Dies bedeutet, dass sie nicht beweisbar sind. Zu Recht vergleicht Gössel ein normentheoretisches Fundament mit einem Axiom.1 Der Grad der Abstraktheit normentheoretischer Konstrukte führt dazu, dass es möglich ist, diese komplett in Frage zu stellen. So gibt es vereinzelt Stimmen, die die Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen ablehnen.2 Dass diese Unterscheidung dennoch zumindest im Strafrecht allgemein Anerkennung gefunden hat,3 liegt daran, dass sie sich bislang als leistungsfähig erwiesen hat.4 Letztendlich kann ein normentheoretisches Konzept allein keine Probleme des materiellen Strafrechts lösen, sondern allenfalls einen Rahmen zur Verfügung stellen, mit dessen Hilfe die Fragestellung präzisiert und eine methodische Erörterung erleichtert wird.5 Im Laufe der folgenden Untersuchung soll die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen zu Grunde gelegt werden.
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Maurach/Gössel/Zipf, AT, Bd. 2, § 42 Rn. 9. Ein Beispiel hierfür ist Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, 1997. Auch Henrich widerspricht der Normentheorie, allerdings ohne nähere Begründung, Das passive Personalitätsprinzip, S. 11 Fn. 11. Für weitere Nachweise siehe den Überblick bei J. Vogel, Norm und Pflicht, S. 30 ff. m.w. N., sowie Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 41 ff. und Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 49 Fn. 98. 3 Siehe nur Renzikowski, GA 2007, 561: „Allgemeingut der deutschen Strafrechtswissenschaft“. Ebenso Dörner, JR 1994, 10 Fn. 32. 4 Bemerkenswert sind etwa die Versuche, die Natur der Fahrlässigkeitsdelikte mit Hilfe der Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen zu erklären. Siehe dazu etwa Mikus, Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, 2002; U. Stein, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftaten, 1993. Siehe auch zum Fahrlässigkeitsdelikt Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 152 ff. 5 Renzikowski, FS Gössel, S. 13. Neumann behauptet sogar, die Probleme des internationalen Strafrechts ließen sich nur vor dem Hintergrund „eines adäquaten normtheoretischen Modells“ lösen, FS Müller-Dietz, S. 590, womit er offenbar die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen meint, FS Müller-Dietz, S. 600. 2
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
A. Verhaltensnormen Die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen wurde zumindest maßgeblich von Binding geprägt.6 Dieser erkannte, dass ein Täter nicht wegen eines Verstoßes gegen ein Strafgesetz bestraft wird, sondern weil er genau das getan hat, was das Strafgesetz für die Bestrafung voraussetzt, es also erfüllt.7 Daraus schloss Binding, dass es logisch vorrangige Normen geben müsse, die das entsprechende Verhalten verbieten. Für diese hatte Binding den Begriff der „Norm“ geprägt.8 In der heutigen Strafrechtsdogmatik wird der Begriff „Norm“ in einem übergeordneten Sinn für alle Rechtssätze verwendet; die von Binding als „Normen“ bezeichneten Verhaltensregeln werden „Verhaltensnormen“ genannt.9 Verhaltensnormen haben zwei Funktionen: eine Bewertungs- und eine Bestimmungsfunktion.10 Sie entscheiden zunächst, ob ein bestimmtes Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, und enthalten demnach die Wertung, ob es sich bei einem bestimmten Verhalten um Recht oder Unrecht handelt (Bewertungsfunktion). Aus der Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig folgt dann in einem zweiten Schritt die Aufforderung an den Adressaten, das rechtswidrige Verhalten zu unterlassen (Bestimmungsfunktion).11 Aus der Tatsache, dass Verhaltensnormen ein Verhalten als rechtmäßig oder rechtswidrig bewerten, folgt, dass Verhaltensnormen keine rein moralischen Normen, sondern Rechtsnormen sind.12 Dies bedeutet, dass sie stets einem rechtsetzenden Organ und somit einer Rechtsordnung zugeordnet werden können. Es gibt folglich deutsche, französische, aber auch EG-rechtliche und völkerrechtliche Verhaltensnormen. Jede Rechtsordnung hat demnach eigene Verhaltensnormen. Im Folgenden wird im Wesentlichen auf die deutsche Rechtsordnung Bezug genommen werden. Der Grundgedanke gilt als solcher jedoch auch in anderen Rechtsordnungen. Da Verhaltensnormen einen Eingriff in die Handlungsfreiheit der Adressaten darstellen, bedürfen sie einer Rechtfertigung. Diese findet sich darin, dass Verhaltensnormen dem Rechtsgüterschutz dienen und damit eine wichtige Aufgabe 6
Zur Herkunft dieses Konzepts siehe Renzikowski, FS Gössel, S. 3 ff. Binding, Normen, Bd. 1, S. 3 ff. 8 Normen, Bd. 1 und Hdb. d. Strafrechts, S. 155 ff. 9 Zu Bindings Normbegriff siehe Mikus, Verhaltensnorm, S. 21. 10 Siehe hierzu Ast, Normentheorie, S. 11; H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 99 f. m.w. N.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 121. Zum Verhältnis von Bestimmungs- und Bewertungsfunktion Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 62 ff. Speziell zum Strafrecht Jescheck/Weigend, S. 236 ff. m.w. N. 11 U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 67. 12 Auf den umstrittenen Rechtsbegriff soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Siehe hierzu exemplarisch Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 48 ff. 7
B. Sanktionsnormen
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des Staates erfüllen.13 Nur durch Handlungsver- und -gebote kann der Staat unmittelbar auf das Verhalten Einzelner einwirken. Die Verhaltensnormen dienen folglich dazu, die Waage zwischen der Freiheit Einzelner und den Rechten Anderer zu halten.14 In diesem Sinne kann das System der Verhaltensnormen durchaus als Pfeiler der freiheitlich demokratischen Grundordnung bezeichnet werden. Aus Verhaltensnormen erwachsen für den Einzelnen konkrete Verhaltenspflichten.15 Beispielsweise wird das generelle Verbot „Du sollst keinen Menschen töten“ in einer Situation, in der A mit gezogener Waffe vor B steht, zu einem konkreten: „Du, A, sollst B jetzt und hier nicht erschießen.“ In dieser Situation hat A demnach die konkrete Pflicht, es zu unterlassen, B zu erschießen. Tut er es dennoch, so verstößt er gegen die Verhaltenspflicht. Nur an solche Verhaltenspflichtverstöße können sich Sanktionsnormen knüpfen.16
B. Sanktionsnormen Sanktionsnormen sind abstrakte Regelungen, die für bestimmte Verhaltenspflichtverstöße Rechtsfolgen anordnen. Dabei können diese Rechtsfolgen, sog. Sanktionen, ganz unterschiedlicher Natur sein. Im Zivilrecht kommen als Sanktionen z. B. die Pflicht zum Schadensersatz oder Herausgabepflichten in Betracht,17 im Öffentlichen Recht etwa die Pflicht zur Duldung von Eingriffen. Im Strafrecht ist die angedrohte Sanktion stets eine Strafe. Ein und dasselbe Verhalten kann verschiedene Sanktionen nach sich ziehen.18 Beispielsweise wird die (vorsätzliche) Zerstörung einer fremden Sache gem. § 303 Abs. 1 StGB mit Geld- oder Freiheitsstrafe bestraft, führt jedoch gleichzeitig auch gem. § 823 Abs. 1 StGB zur Schadensersatzpflicht.19 Damit letztendlich eine Strafe verhängt werden kann, müssen die Voraussetzungen, die in der Sanktionsnorm enthalten sind, erfüllt sein. Zum einen legt die Sanktionsnorm fest, welche Verhaltenspflichtverletzungen sie mit einer Sanktion
13 Siehe nur Freund, AT, § 1 Rn. 6; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 54; Rahmlow, Äußerungen, S. 167; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 20; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 123. Siehe zum Rechtsgüterschutz als strafrechtliche Aufgabe zusammenfassend Deiters, Legalitätsprinzip, S. 62 ff. 14 So auch Freund, AT, § 1 Rn. 13. 15 Siehe hierzu Spendel, FS Weber, S. 6. Ausführlich Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 141 ff. 16 Kindhäuser bezeichnet daher als Grund für die strafrechtliche Haftung die „Desavouierung einer [Verhaltens-] Norm“, Gefährdung, S. 13. 17 A. A. Nawiasky, der nur Vollstreckungszwang und Strafe als Sanktionen ansieht, Allgemeine Rechtslehre, S. 12 f. 18 Dies verkennt Nietsch, Insiderrecht, S. 392 ff. 19 Vgl. auch Schwabe, NJW 1971, 915.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
bedroht.20 Dies ist im Strafrecht von besonderer Bedeutung, da das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vorschreibt, dass für den Einzelnen ersichtlich sein muss, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist.21 Zum anderen enthält die Sanktionsnorm typischerweise weitere Merkmale, die erfüllt sein müssen, damit die Verhaltenspflichtverletzung bestraft wird.22 Unter Umständen kommt auch die Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht. Maßregeln der Besserung und Sicherung können zusätzlich zu einer Strafe verhängt werden, jedoch auch, wenn die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe nicht erfüllt sind.23 Sie sind selbständige Sanktionen und daher Gegenstand eigener Sanktionsnormen. Aus §§ 61 ff. StGB ergibt sich jedoch, dass Maßregeln der Besserung und Sicherung nur für Verhalten verhängt werden können, das grundsätzlich mit Strafe bedroht ist. Eine Voraussetzung der Maßregelsanktionsnorm ist daher die Existenz einer Strafsanktionsnorm. Der Einfachheit halber soll im Folgenden nur auf Strafsanktionsnormen eingegangen werden, während Maßregelsanktionsnormen außer Betracht bleiben.
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen Nach diesem kurzen Überblick ist daher festzuhalten, dass Verhaltensnormen Regeln aufstellen, anhand derer der Einzelne sein Verhalten in der konkreten Situation ausrichten kann, während Sanktionsnormen konkrete Verhaltenspflichtverletzungen mit Sanktionen bedrohen. Wenn man die normentheoretische Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen akzeptiert, wäre es eigentlich nur logisch, auch bei der Struktur des Delikts zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen zu differenzieren. Diese Konsequenz wird jedoch von kaum jemandem gezogen.24 Stattdessen ist immer noch der sog. dreistufige Verbrechensaufbau vorherrschend, der das Delikt in die drei Stufen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld unterteilt.25 Diese Auftei20 Dies bezeichnet Lange als „Abstempelung als strafrechtlich relevant“, FS von Weber, S. 165. 21 BVerfG, Beschl. v. 22.06.1988, BVerfGE 78, 374, 382. 22 Siehe dazu Kap. 2 C. III., S. 45 f. 23 Dies ist z. B. der Fall, wenn der Täter gem. § 20 StGB schuldunfähig ist und deshalb nicht bestraft werden kann. Gem. § 63 StGB kommt auch in solchen Fällen eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht. 24 Dies beklagt auch Frisch, Vorsatz, S. 502 ff. Eine Ausnahme bildet U. Stein, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftaten, insbesondere § 8 (S. 343 ff.), der allerdings zwischen den Gliederungspunkten „Tatschuld“ und „Strafbedürftigkeit der Tatschuld“ differenziert. Die Verhaltenspflichtverletzung ist dabei ein Unterpunkt der Tatschuld. Auch bei Freund finden sich Ansätze eines so differenzierenden Prüfungsaufbaus, AT, Anhang 3 (S. 467). 25 Siehe dazu etwa Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 7 Rn. 1 ff. Der dreistufige Verbrechensaufbau wird in nahezu jeder Falllösung und allen Erörterungen in Lehrbüchern zu
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen
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lung ist jedoch nicht deckungsgleich mit der Differenzierung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen,26 so dass sich deren Inhalt nicht ohne weiteres aus dem herkömmlichen Verbrechensaufbau ableiten lässt. Da es jedoch zum Verständnis der folgenden Erörterungen notwendig ist, eine Vorstellung davon zu haben, was Inhalt der Verhaltens- und Sanktionsnormen ist, soll im Folgenden kurz darauf eingegangen werden. Zum besseren Verständnis wird jedoch die herkömmliche strafrechtliche Terminologie zu Grunde gelegt, und es sollen von dieser ausgehend der Inhalt der Verhaltens- und Sanktionsnormen erläutert werden. Konkret geht es darum, darzustellen, wie die Merkmale der Straftat im herkömmlichen dreistufigen Verbrechensaufbau in ein zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen differenzierendes System einzuordnen sind.
I. Merkmale der Straftat Bevor im Einzelnen auf Verhaltens- und Sanktionsnormen eingegangen wird, ist zu klären, was mit „Merkmalen einer Straftat“ gemeint ist. Das Wort „Merkmal“ bezeichnet generell Kennzeichen und Eigenschaften.27 Die Merkmale einer Straftat sind dementsprechend das, was die Straftat kennzeichnet und sie von anderen (Straf-)Taten unterscheidet. Da eine Straftat jedoch ein geistiges Konstrukt ist, das im Wortlaut des Gesetzes verankert ist, muss dasselbe für ihre Kennzeichen gelten. Auch die Merkmale einer Straftat sind demnach geistiger Natur, finden sich jedoch im Wortlaut des Gesetzes wieder. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, die Merkmale einer Straftat als „sprachliche Ausdrücke“ 28 zu bezeichnen. Kennzeichen einer Straftat sind alle Begebenheiten, die eine Identifikation der Tat als solcher ermöglichen. Dies sind die Voraussetzungen der Strafbarkeit. Merkmale der Straftat sind daher die Strafbarkeitsvoraussetzungen, die in der Regel in Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld unterteilt werden. Nur die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, die auch Strafbarkeitsvoraussetzungen und somit Merkmale der Straftat sind, lassen sich nach Ansicht einiger nicht einer dieser drei Stufen zuordnen.29
Grunde gelegt, so dass dessen Kenntnis hier als bekannt vorausgesetzt werden kann. Er ist auf die Terminologie des Gesetzes zurückzuführen. Zu der Frage, ob eine Trennung zwischen Verhalten und Erfolg in den gesetzlichen Tatbeständen sinnvoll wäre, Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 86 ff. 26 Frisch, Vorsatz, S. 503. Siehe auch das Schema bei U. Stein, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftaten, S. 344. Dazu sogleich unten Kap. 2 C. IV., S. 46. 27 Brockhaus, Bd. 12, S. 428. 28 Herberger, S. 128, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre. 29 Detailliert hierzu Roxin, AT, Bd. 1, § 23 Rn. 1 ff.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
Neben den Merkmalen, die die Identifikation und Abgrenzung der Tat ermöglichen, gibt es noch ein weiteres Kriterium, das die Straftat von anderen Taten abgrenzt: die angedrohte Rechtsfolge „Strafe“. Denn nur die Androhung einer Strafe unterscheidet den Straftatbestand von anderen Tatbeständen, etwa des Öffentlichen Rechts oder des Zivilrechts.30 Kennzeichen und damit Merkmal einer Straftat ist daher auch die Androhung von Strafe. Die Straftat wird folglich durch den Tatbestand im rechtstheoretischen Sinn, d.h. die Voraussetzungen der Strafbarkeit31, sowie die Androhung der Rechtsfolge Strafe gekennzeichnet. Rechtsfolgenbezogene Merkmale, wie z. B. die Kriterien der Strafzumessung, sind dagegen nicht mehr Kennzeichen oder Eigenschaften des Straftatbestandes.
II. Die Verhaltenspflichtverletzung Als nächstes stellt sich die Frage, welche dieser Merkmale Teil der Verhaltensnorm sind, was also als Inhalt der Verhaltensnorm anzusehen ist. Allerdings ist die Fragestellung so nicht genau genug. Verhaltensnormen regeln nur abstrakt, welche Handlungen ge- oder verboten sind. Strafe kann jedoch nur an konkrete Verhaltenspflichtverletzungen geknüpft werden. Gegenstand der Betrachtung muss daher nicht die abstrakte Verhaltensnorm, sondern die konkrete Verhaltenspflichtverletzung sein. 1. Interpretation der Verhaltensnorm zur Ermittlung konkreter Verhaltenspflichten Es ist Aufgabe der Sanktionsnorm, auszuwählen, auf welche Verhaltenspflichtverletzungen sie sich bezieht.32 Ob jedoch die Verletzung einer Verhaltenspflicht vorliegt, hängt davon ab, welche konkreten Verhaltenspflichten existieren. Dies wiederum ergibt sich durch Interpretation der entsprechenden Verhaltensnorm. Verbietet z. B. eine Verhaltensnorm die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, so müssen die Merkmale „fremd“, „Sache“ etc. ausgelegt werden, damit festgestellt werden kann, ob ein Täter im konkreten Fall einen bestimmten Gegenstand an sich nehmen darf. Die Interpretation der Verhaltensnorm entspricht daher in weiten Teilen dem, was ansonsten dem objektiven Tatbestand zugeordnet wird. Aus diesem Grund sind auch dieselben Auslegungsmethoden anzuwenden. Da die Verhaltensnormen im Kernstrafrecht33 im Rückschluss aus den gesetzlich 30 31 32
Roxin, AT, Bd. 1, § 1 Rn. 2. Engisch, FS Mezger, S. 130. Siehe dazu Kap. 2 B., S. 37 f. Zur Auswahlmethode Kap. 10 D., S. 288 ff.
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen
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festgehaltenen Sanktionsnormen gelesen werden, lassen sich auch die Verhaltensnormen durch Auslegung des Gesetzeswortlauts ermitteln. Dies gilt umso mehr, als der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG auch verlangt, dass die verbotenen Verhaltensweisen hinreichend bestimmt sind.34 Auch die historischen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethoden können auf Verhaltensnormen angewandt werden. Die Auslegung der Verhaltensnorm zur Ermittlung der konkreten Verhaltenspflichten entspricht daher in weiten Teilen der Auslegung des Gesetzes zur Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen. 2. Ex-ante-Betrachtung zur Bestimmung der Verhaltenspflicht Trotz der Parallelen zwischen der Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen und der Verhaltenspflicht sind der objektive Tatbestand des dreistufigen Verbrechensaufbaus und die Verhaltenspflichtverletzung nicht identisch. Es gibt vielmehr einen fundamentalen Unterschied, der durch die Funktion der Verhaltensnormen begründet ist. Verhaltensnormen sollen den Einzelnen zu einem Verhalten bestimmen, d.h. sie sollen es dem Einzelnen ermöglichen, sich rechtmäßig zu verhalten.35 Daraus folgt jedoch, dass die Bewertung eines Verhaltens als rechtmäßig oder rechtswidrig zum Verhaltenszeitpunkt feststehen muss. Die Bestimmung der Verhaltenspflicht muss daher auf Grund einer ex-ante-Betrachtung erfolgen.36 Dies hat zur Konsequenz, dass es für die Frage, ob eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt, irrelevant ist, ob ein Erfolg eingetreten ist oder nicht. Es kann keine Verhaltensnormen geben, die die Verursachung eines bestimmten Erfolgs verbieten, sondern nur solche, die ein Verhalten wegen der ihm innewohnenden Gefahr untersagen.37 Die dem § 212 StGB zu Grunde liegende Verhaltensnorm lautet demnach nicht „du sollst nicht den Tod eines anderen verursachen“, sondern „du sollst keine Handlung vornehmen, die mit einer gewissen Wahrschein-
33 Im Nebenstrafrecht finden sich dagegen häufig eine Auflistung von Verhaltensanordnungen sowie eine Strafvorschrift, die Verstöße gegen die Verhaltensanordnungen mit Strafe bedroht. Ein Beispiel hierfür ist § 24 StVG, der u. a. Verstöße gegen die StVO mit einem Bußgeld belegt. 34 Siehe dazu Mikus, Verhaltensnorm, S. 32 ff. 35 Siehe dazu oben Kap. 2 A., S. 36 f. 36 Fast einhellige Ansicht, siehe etwa: Ast, Normentheorie, S. 56 ff.; Freund, AT, § 2 Rn. 28 ff.; Frisch, Vorsatz, S. 76 f. und Verhalten, S. 71 f.; Gallas, FS Bockelmann, S. 165 f. Fn. 27; Heine, NJW 1990, 2431; Koziol, FS Beitzke, S. 576; Kuhlen, GA 1990, 480; Mikus, Verhaltensnorm, S. 28 ff.; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 64; Nowakowski, JBl. 1972, 23; Rahmlow, Äußerungen, S. 167 ff.; U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 68; ders., S. 236 in: Wolter (Hrsg.), Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts; ders., FS Küper, S. 617. Anders aber Kindhäuser, Gefährdung, S. 53; J. Vogel, Norm und Pflicht, S. 49 und S. 53 ff. 37 Siehe Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 3.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
lichkeit zum Tod einer anderen Person führt“.38 Die Verhaltenspflichtverletzung ist beim versuchten und vollendeten Delikt daher identisch.39 Für die systematische Einordnung folgt daraus, dass der tatbestandliche Erfolg, der im dreistufigen Verbrechensaufbau zum objektiven Tatbestand gehört, Teil der Sanktionsnorm ist.40 Bei der Frage der Zurechenbarkeit des Erfolgs zu dem Verhalten des Täters ist hingegen zu differenzieren. Üblicherweise geht es im Tatbestand bei dem Punkt „objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs“ um die Frage, ob der Täter ein rechtlich missbilligtes Risiko gesetzt hat, das sich in dem Erfolg realisiert hat.41 Entsprechend wird bei Fahrlässigkeitsdelikten erörtert, ob der Täter bei objektiver Erkennbarkeit der Umstände, aus denen sich die Sorgfaltspflicht ergibt, eine Sorgfaltspflicht verletzt hat und ob der Erfolgseintritt darauf beruht.42 Kommt es jedoch für die Verhaltenspflichtverletzung nicht auf den Erfolg an, kann auch die Frage, ob ein zukünftiger Erfolg auf der Verletzung beruht, für die Feststellung einer Verhaltenspflichtverletzung keine Rolle spielen.43 Der zweite Teil der Definitionen, die Realisierung des Risikos bzw. das Beruhen des Erfolgs auf der Sorgfaltspflichtverletzung, ist daher nicht Teil der Verhaltenspflichtverletzung. Anders verhält es sich mit dem ersten Teil der Definition. Hier geht es nicht um Umstände, die zum Verhaltenszeitpunkt in der Zukunft liegen, sondern die Prüfungspunkte „rechtlich missbilligtes Risiko“ bzw. „Sorgfaltspflichtverletzung bei Erkennbarkeit“ betreffen beide die Qualität des Verhaltens. Die Rechtsordnung verbietet ein Verhalten gerade, weil es das Risiko der Verletzung eines Rechtsguts beinhaltet.44 Sie hat daher gar keinen Anlass, wenn nicht sogar kein Recht, ein Verhalten zu untersagen, das kein Risiko für ein Rechtsgut beinhaltet bzw. nicht sorgfaltswidrig ist.45 Dieser Teil der (objektiven) Zurechenbarkeit und (objektiven) Fahrlässigkeit betrifft daher die Verhaltenspflichtverletzung.46
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Siehe hierzu auch die Formulierungsbeispiele bei Ast, Normentheorie, S. 29. Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 66; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 137 ff. Näher hierzu Gallas, FS Bockelmann, S. 158 ff. 40 Freund, AT, § 2 Rn. 46 ff. 41 So etwa T. Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 25; Frister, AT, Kap. 10 Rn. 1; Joecks, StGB, Vor § 13 Rn. 37; Kühl, AT, § 4 Rn. 43; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 14; Lenckner/Eisele in: Schönke/Schröder, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 92; Rudolphi in: SK6, Vor § 1 Rn. 57; Walter in: LK12, Vor § 13 Rn. 98. 42 Siehe Kudlich in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 15 Rn. 31. 43 Siehe hierzu auch Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 122 ff. 44 Nowakowski, JBl. 1972, 26. Siehe auch Ast, Normentheorie, S. 27 f. 45 Siehe zu Fällen erlaubten Risikos etwa Deiters, ZIS 2009, 306 ff. 46 Ebenso Frisch, Verhalten, S. 59 ff. 39
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen
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3. Perspektive für die Beurteilung der Verhaltenspflicht Während feststeht, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Verhaltenspflichten der Zeitpunkt des Verhaltens selber ist (ex-ante-Betrachtung), ist die maßgebliche Perspektive umstritten. Dies wird üblicherweise als Maßstabsproblem bezeichnet.47 Ungeklärt ist bislang, ob ein individualisierender Maßstab angelegt werden muss, d.h. ob die Verhaltenspflichten aus Sicht des konkreten Adressaten zu beurteilen sind, oder ob ein generalisierender Maßstab gilt, d.h. ob Inhalt und Ausmaß der Verhaltenspflichten aus Sicht eines fiktiven Dritten in der Position des Adressaten zu beurteilen sind.48 Wie bereits in der Terminologie zum Ausdruck kommt, legt die Lehre von der objektiven Zurechnung letzteres zu Grunde. Gleiches gilt für die „objektive Fahrlässigkeit“ im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts. Relevant wird die Diskrepanz zwischen den beiden Ansichten, wenn das Wissen des konkreten Adressaten nicht mit dem des sog. objektiven Beobachters übereinstimmt, sei es, weil der konkrete Adressat weniger weiß als ein fiktiver Dritter, sei es, weil der konkrete Adressat mehr weiß und deshalb Risiken erkennt, die der fiktive Dritte nicht sehen kann. Letzteres wird von der Lehre von der objektiven Zurechnung unter dem Stichwort „Sonderwissen“ diskutiert.49 Der Beurteilungsmaßstab hat insofern Einfluss auf den Inhalt der Verhaltenspflichten, als davon abhängt, inwieweit der subjektive Tatbestand Teil der Verhaltenspflichtverletzung ist. Wird nämlich ein generalisierter, objektiver Maßstab für die Beurteilung der Verhaltenspflicht zu Grunde gelegt, könnte mit Fug und Recht auf ein subjektives Element bei der Beurteilung der Verletzung verzichtet werden. Vorsatz wäre dann nur als Sanktionserfordernis anzusehen.50 Umgekehrt betrifft die sog. subjektive Fahrlässigkeit die individuellen Erkenntnisfähigkeiten und wäre somit bei einem subjektiven Maßstab möglicherweise Teil der Verhaltenspflichtverletzung. Das Problem soll an dieser Stelle nicht vertieft werden, weil für die folgenden Erörterungen nicht von spezifischer Bedeutung ist, welcher Maßstab angelegt wird. Im Folgenden wird an den Stellen, an denen es auf diese Frage ankommt, von einem individualisierten, subjektiven Maßstab zur Beurteilung von Verhaltensnormen ausgegangen.
47 Siehe Freund, AT, § 5 Rn. 22 ff.; Frisch, Vorsatz, S. 128 ff.; U. Stein, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftaten, S. 124 ff. 48 Hierzu Freund, § 5 Rn. 22 ff.; Rahmlow, Äußerungen, S. 169 ff.; U. Stein, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftaten, S. 186 ff. 49 Siehe z. B. Frisch, Vorsatz, S. 135; Walter in: LK12, Vor § 13 Rn. 90. Kritisch Freund, AT, § 5 Rn. 30. 50 In diese Richtung gehen die Überlegungen von Frisch, Vorsatz, S. 78 ff.; 128 ff.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
4. Auslegung der Rechtfertigungsgründe zur Ermittlung konkreter Verhaltenspflichten Eine konkrete Verhaltenspflicht kann sich nur aus dem Zusammenspiel der generellen Verbotsnormen mit den allgemeinen Rechtfertigungsgründen ergeben.51 Damit sind jene Rechtfertigungsgründe gemeint, die die Rechtswidrigkeit des Verhaltens als solchem ausschließen.52 Denkbar ist es, dass außerdem Normen existieren, die nur die Sanktionierung der Verhaltenspflichtverletzung mit einer Strafe untersagen. H.-L. Günther bezeichnet solche Normen als Strafunrechtsausschlussgründe.53 Als Normen, die nur eine Sanktionierung verbieten, sind Strafunrechtsausschlussgründe Teil der Sanktionsnorm und daher nicht bei der Ermittlung konkreter Verhaltenspflichten zu berücksichtigen. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass nicht nur Inhalt und Reichweite der Verhaltensnorm, sondern auch Inhalt und Reichweite der allgemeinen Rechtfertigungsgründe ausgelegt werden müssen, damit ein Verhalten als rechtmäßig oder rechtswidrig bewertet werden kann. Dabei ist nur von theoretischem Interesse, wie das Zusammenwirken von generellen Verhaltensnormen und allgemeinen Rechtfertigungsgründen ausgestaltet ist, ob also letztere die Verhaltensnormen beschränken oder ob diese von vornherein nur so weit reichen, wie es die allgemeinen Rechtfertigungsgründe gestatten.54 Im Ergebnis kann eine konkrete Verhaltenspflicht nur unter Berücksichtigung der allgemein als Rechtfertigungsgründe bezeichneten Normen angenommen werden, sofern diese zur Rechtmäßigkeit des Verhaltens innerhalb der gesamten Rechtsordnung führen.55 Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe sind daher im Rahmen der Verhaltenspflichtverletzung zu prüfen. 5. Androhung einer Sanktion Umstritten ist, ob auch die Androhung einer Sanktion, also die Existenz einer Sanktionsnorm, Teil der Verhaltensnorm ist.56 Dahinter steckt der Gedanke, dass eine Norm nur dann verhaltenssteuernd wirken kann, wenn es möglich ist, sie mit Zwang durchzusetzen. Dieser Gedanke führt zu grundlegenden Problemen der Normentheorie. Da im Folgenden jedoch nur Verhaltensnormen und -pflichten untersucht werden, deren Verletzung mit Strafe bedroht ist und die daher eine 51 Siehe hierzu auch Lange, FS von Weber, S. 162 ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 219 ff. 52 Siehe H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 83 ff. 53 H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 253 ff. Gegen die Annahme einer speziellen Strafrechtswidrigkeit Lange, FS von Weber, S. 166. 54 Siehe hierzu den Überblick bei Renzikowski, ARSP 87 (2001), 117 ff. 55 Eine Untersuchung der Rechtfertigungsgründe des StGB findet sich bei H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 301 ff. 56 Siehe hierzu J. Vogel, Norm und Pflicht, S. 36 f.
C. Der Inhalt von Verhaltens- und Sanktionsnormen
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Sanktionsandrohung beinhalten, braucht dieser Frage nicht weiter nachgegangen zu werden. 6. Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass zur Bestimmung der Verhaltenspflichtverletzung die Merkmale des objektiven Tatbestands herangezogen werden, die das Verhalten näher beschreiben und aus denen die Verhaltensnorm geschlossen wird. Auch ist zu überlegen, ob das Verhalten ein rechtlich missbilligtes Risiko darstellt. Maßgeblich ist der ex-ante-Zeitpunkt, wobei der Betrachtungsmaßstab umstritten ist. Inwieweit Merkmale des subjektiven Tatbestands Teil der Verhaltenspflichtverletzung sind, hängt zumindest zum Teil von der Beantwortung der Maßstabsfrage ab. Neben den verhaltensbezogenen Merkmalen des objektiven Tatbestands sind auch die Rechtfertigungsgründe für die Bestimmung der konkreten Verhaltenspflichtverletzung von Bedeutung und somit ein Teil von ihr.
III. Die Sanktionsvoraussetzungen Da alle Merkmale der Straftat Teil der Verhaltenspflichtverletzung oder (sonstige) Voraussetzungen der Strafsanktionsnorm sind, müssen alle die Merkmale, die nicht die Verhaltenspflichtverletzung ausmachen, Sanktionsvoraussetzungen sein. Das trifft insbesondere auf die Auswirkungen der Verhaltenspflichtverletzungen zu, aber auch auf den Prüfungspunkt der Schuld sowie sonstige Voraussetzungen, wie z. B. objektive Bedingungen der Strafbarkeit.57 Zu den bedeutendsten Sanktionsvoraussetzungen zählt der sog. tatbestandliche Erfolg.58 Viele Sanktionsnormen setzen zusätzlich zu der Verhaltenspflichtverletzung auch den tatsächlichen Eintritt einer solchen Verletzung des Rechtsguts voraus, wie sie durch die Verhaltensnorm vermieden werden sollte. Eine Bestrafung gem. § 212 StGB wegen vollendeten Totschlags kommt daher nur in Betracht, wenn tatsächlich ein Mensch gestorben ist, und eine gem. § 242 StGB wegen vollendeten Diebstahls nur, wenn die weggenommene Sache tatsächlich fremd war. Dass nur die Rechtsgutsverletzungen von der Sanktionsnorm erfasst werden, die auf der Verhaltenspflichtverletzung beruhen, wird durch das Kriterium der objektiven Zurechenbarkeit sichergestellt: Eine bestimmte Rechtsgutsverletzung erfüllt nur dann die Voraussetzungen der Sanktionsnorm, wenn sich in ihr das in 57 Siehe dazu Freund, AT, § 2 Rn. 43 ff.; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 78 ff. Allgemein zu objektiven Bedingungen der Strafbarkeit Krause, Jura 1980, 449; Satzger, Jura 2006, 108 ff. 58 Siehe hierzu näher Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 26 ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 128 ff.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
der Verhaltenspflicht liegende Risiko realisiert.59 Sanktionsvoraussetzung ist daher nicht einfach eine Rechtsgutsverletzung, sondern eine Rechtsgutsverletzung durch Realisierung des Risikos.
IV. Vergleich mit dem dreistufigen Verbrechensaufbau Beim Vergleich der Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen mit dem herkömmlichen dreistufigen Verbrechensaufbau ergibt sich, vereinfacht dargestellt, folgendes Bild: Die tatbestandliche Handlung sowie die meisten Merkmale des Tatbestands und der Rechtswidrigkeit sind Teil der Verhaltensnorm. Das gilt nach der hier vertretenen Ansicht auch für den Vorsatz und die sog. subjektive Erkennbarkeit, die im Rahmen der Fahrlässigkeit zu prüfen ist. Nicht zur Verhaltensnorm zählt hingegen der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs, die Kausalität sowie das objektive Beruhen des Erfolgs auf der Sorgfaltspflichtwidrigkeit der Handlung. Dies sind demnach Merkmale der Sanktionsnorm. Auch die Schuld und objektive Bedingungen der Strafbarkeit sind Teil der Sanktionsnorm. Das Gleiche gilt für besondere Absichten wie z. B. die Zueignungsabsicht in § 242 StGB.60
D. Die Einheit der Rechtsordnung Nach diesem Überblick zu Verhaltens- und Sanktionsnormen bleibt die Frage, inwieweit diese normentheoretische Konzeption dabei helfen soll, auszumachen, welche Strafbarkeitsvoraussetzungen nur mit Hilfe des deutschen Strafrechts ausgelegt werden können und bei welchen die Einbeziehung anderer Normen in Betracht kommt. Um dies beantworten zu können, ist es notwendig, ein weiteres Konzept zu erläutern: den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung. Dieser Gedanke beruht auf der Prämisse, dass eine Rechtsordnung mehr ist als nur die Summe ihrer verschiedenen Rechtsgebiete.61 Neben der Regelung einzelner Teilbereiche hat die Rechtsordnung insgesamt die Aufgabe, Existenzbedingungen der ihr unterworfenen Subjekte durch rechtliche Normierung zu gewährleisten und ein friedliches Zusammenleben aller in der Gemeinschaft zu ermöglichen.62 Diese Aufgabe kann sie jedoch nur erfüllen, wenn alle Teilbereiche der Rechtsordnung zu ihrer Verwirklichung beitragen. Alle Normen einer Rechtsord-
59 Siehe oben Fn. 89, S. 20. Näher dazu Ast, Normentheorie, S. 57 ff., insbesondere S. 62 ff. 60 So wohl Spendel, FS Weber, S. 12 f. 61 H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 90. 62 H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 90 m.w. N.
D. Die Einheit der Rechtsordnung
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nung sind daher letztendlich einem einheitlichen Ziel verpflichtet.63 Aus dieser einheitlichen Zielverfolgung resultiert die Einheit der Rechtsordnung.64 Die Bedeutung der Einheit der Rechtsordnung ist an anderer Stelle bereits ausführlich untersucht worden.65 Hier soll nur auf ein aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung resultierendes Prinzip eingegangen werden: die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung.66 Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung enthält zum einen eine Auslegungsregel. Normen sind so auszulegen, dass sie oder die in ihnen enthaltenen Wertungen einander möglichst nicht widersprechen.67 Unter Anwendung der auf von Savigny zurückgehenden Auslegungsmethoden68 ist dies Aufgabe der systematischen Auslegung.69 Zum anderen enthält der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit aber auch ein Gebot, vorhandene Widersprüche auszuräumen.70 Dies gilt jedenfalls in den Fällen der sog. Normwidersprüche, in denen die Rechtsordnung ein Verhalten „[. . .] zugleich als geboten und nicht geboten oder als verboten und nicht verboten oder gar als geboten und verboten [ansieht] [. . .]“ 71. Ein Beispiel dafür sind die Fälle der Pflichtenkollision, d.h. Fälle, in denen den Adressaten zwei Pflichten treffen, bei denen die Erfüllung der einen automatisch die Verletzung der anderen bedeutet.72 Die Rechtsordnung kann daher ein Verhalten nicht gleichzeitig als rechtmäßig und rechtswidrig bewerten.73 Der Grund hierfür liegt wiederum in der Aufgabe und Funktion einer Rechtsordnung. Diese kann die Sicherheit und Freiheit der Rechtssubjekte nur gewähr63
So auch H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 90 m.w. N. Seelmann geht einen Schritt weiter, indem er die in der Rechtsordnung existierenden Unterschiede auf die Verfolgung eines einheitlichen Ziels zurückführt, Seelmann, S. 98, in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts. 65 Grundlegend Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935. Siehe auch Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995; Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts, 1994. 66 Speziell hierzu Engisch, Einführung, S. 271 ff.; H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 94 ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 294. 67 Siehe Engisch, Einführung, S. 275 ff. 68 von Savigny, System, Bd. 1, S. 212 ff. 69 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 452. 70 Engisch, Einführung, S. 271; Baldus, Einheit der Rechtsordnung, S. 199 f. Dieses Postulat wird als die bedeutsamste Ausprägung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung bezeichnet, Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 452. Liver bezeichnet es sogar als „unbestreitbar“, FS Schultz, S. 108. Auch nach Zielinski ist ihm „uneingeschränkt zuzustimmen“, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 294. 71 Engisch, Einführung, S. 274. 72 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 51 ff.; Schmidt, S. 24 ff., in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts. Siehe auch ausführlich zu Normenkonflikten Ohler, Kollisionsordnung, S. 16 ff. 73 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 296. Ähnlich Heine, nach dem jedenfalls kein Verhalten mit Strafe bedroht werden kann, das die Rechtsordnung ansonsten ausdrücklich billigt, NJW 1990, 2426. 64
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
leisten, wenn ihre Normen ernstzunehmen sind. Dies setzt voraus, dass für den Einzelnen klar erkennbar ist, welches Verhalten ihm die Rechtsordnung abverlangt. Schafft die Rechtsordnung dagegen zwei widersprüchliche Verhaltensanordnungen, ergibt sich daraus kein eindeutiger Wille des Gesetzgebers74 und somit kein Imperativ, dessen Einhaltung dem Einzelnen möglich wäre.75 Aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgt daher jedenfalls, dass der Staat ein Verhalten nicht gleichzeitig als rechtmäßig und rechtswidrig ansehen kann. Die Bewertung eines Verhaltens als rechtmäßig oder rechtswidrig und die daraus resultierende Verhaltensanordnung sind jedoch Funktionen, die durch Verhaltensnormen geleistet werden.76 Dies bedeutet, dass das System der in einer Rechtsordnung enthaltenen Verhaltensnormen widerspruchsfrei sein muss. Was im Zivilrecht erlaubt ist, darf nicht im Straf- oder öffentlichen Recht verboten sein und umgekehrt.77 Aus der Einheit der Rechtsordnung folgt daher die Einheit der Verhaltensnormen.78 Wenn jedoch das System der Verhaltensnormen in der gesamten Rechtsordnung einheitlich sein muss, so bedeutet dies, dass die Verhaltensnormen nicht als „genuines Strafrecht“ oder „strafrechtsspezifisch“ bezeichnet werden können. Verhaltensnormen sind vielmehr rechtsgebietsunabhängig.79 Daraus folgt jedoch, dass Verhaltensnormen nicht nur aus Sicht des Strafrechts ausgelegt werden können, sondern dass die gesamte Rechtsordnung bei ihrer Auslegung zu berücksichtigen ist, also insbesondere auch die Vorschriften anderer Rechtsgebiete.80 Die Strafbarkeitsvoraussetzungen, die die Verhaltensnorm ausmachen, können daher nicht nur, sondern müssen ggf. mit Hilfe anderer Vorschriften als derjenigen, in der sie enthalten sind, ausgelegt werden. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich die methodische Frage, welcher Rechtsordnung Normen zu entnehmen sind,
74 Weinberger weist darauf hin, dass theoretisch gerade der Widerspruch dem Willen des Normsetzers entsprechen könnte, etwa, weil dieser Wert darauf legen könnte, den Adressaten der Normen zu verwirren, Rechtstheorie 1986, 31. In der Praxis wird dies jedoch kaum vorkommen (so auch Baldus, Einheit der Rechtsordnung, S. 200 Fn. 14). Jedenfalls für die im Zentrum der Untersuchung stehende deutsche Rechtsordnung ist von einem „vernünftigen“ Willen des Normsetzers auszugehen. 75 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 54 f. 76 Siehe oben Kap. 2 A., S. 36 f. 77 So auch Heine, NJW 1990, 2430. 78 Ebenso Renzikowski, ARSP 87 (2001), 123; U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 73 f. Vgl. auch Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 120 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 25. 79 So auch Schwabe, S. 104 f. in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts; ders., NJW 1971, 915; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 227. Anders z. B. Nowakowski, der die „erste Norm“ (Verhaltensnorm) je nach Rechtsgut anderen Rechtsgebieten zuschlagen will, ZÖR 1955, 18. Näher dazu unten Kap. 8, S. 194 ff. 80 Darauf, dass die Auslegung bestimmter Begriffe in Zivil- und Strafrecht gleich sein muss, weist bereits J. U. Schroeder hin, AcP 97 (1905), 364.
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht
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die zur Auslegung herangezogen werden, jedenfalls auf der Ebene der Verhaltensnormen stellt.
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht Steht demnach fest, dass die Verhaltensnormen rechtsgebietsunabhängig ausgelegt werden müssen und daher kein genuines Strafrecht darstellen, können allenfalls noch die Sanktionsnormen den Kernbereich des Strafrechts darstellen. Hierbei ist jedoch zu differenzieren. Da das Strafrecht als „[. . .] Summe aller Vorschriften, die Voraussetzungen oder Folgen eines mit Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung bedrohten Verhaltens regeln [. . .]“ 81, definiert wird, können überhaupt nur solche Sanktionsnormen Strafrecht sein, die als Sanktion eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorsehen. Normen, die bestimmte Verhaltenspflichtverstöße mit zivil- oder öffentlich-rechtlichen Sanktionen bedrohen, stellen daher kein Strafrecht dar.
I. Autonome Auslegung von Sanktionsnormen Übrig bleiben die Sanktionsnormen, die für Verhaltenspflichtverletzungen die Sanktion Strafe androhen, also Strafsanktionsnormen. Wie bereits erläutert, dient der Begriff der Strafe zur Abgrenzung des Rechtsgebiets Strafrecht.82 Es liegt daher nahe, diejenigen Normen als genuines Strafrecht anzusehen, die darüber entscheiden, welche Verhaltenspflichtverletzungen unter welchen Voraussetzungen mit Strafe bedroht sind. Denn während Verhaltensnormen generell dem Schutz von Rechtsgütern dienen,83 verfolgen die Sanktionsnormen mit der Auswahl der relevanten Verhaltenspflichtverletzungen und der Festlegung zusätzlicher Voraussetzungen unterschiedliche Zwecke. Wird daher anerkannt, dass das Strafrecht ein eigenständiges Rechtsgebiet ist, so kann das Strafrecht seine Funktion, den Schutz des Zusammenlebens der Menschen durch Androhung von Zwang zu sichern,84 nur durch die Sanktionsnormen ausüben. Die Strafsanktionsnormen dienen somit direkt der Verwirklichung der Ziele des Strafrechts. Aus diesem Grund ist es angebracht, die Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht zu bezeichnen. Demnach sind alle Merkmale der Sanktionsnormen autonom, d.h. ohne Rückgriff auf andere Rechtsnormen, auszulegen. Dies bedeutet, dass bei der Auslegung der Strafsanktionsnormen nicht auf Normen anderer Rechtsgebiete oder Rechtsordnungen Rücksicht genommen werden muss. Anders als Verhaltensnor81 82 83 84
Roxin, AT Bd. 1, § 1 Rn. 1. Siehe oben Kap. 1 B. I., S. 31 ff. Siehe oben Kap. 2 A., S. 36 f. Siehe dazu Jescheck/Weigend, AT, S. 2 ff.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
men müssen Sanktionsnormen gerade nicht einheitlich ausgelegt werden, so dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, die Strafsanktionsnormen von allen inund ausländischen Normen unabhängig auszugestalten. Umgekehrt folgt aus der Tatsache, dass Strafsanktionsnormen prinzipiell autonom auszulegen sind, nicht zwingend, dass diese auch unabhängig von in- und ausländischen Normen ausgelegt werden müssen. Der Gesetzgeber kann vielmehr durch ausdrücklichen Verweis die Berücksichtigung anderer Rechtsnormen anordnen. Ein Beispiel hierfür ist § 7 StGB, der jedenfalls die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen davon abhängig macht, dass die Tat am ausländischen Tatort nach dem dort geltenden Recht mit Strafe bedroht ist.85 Die Möglichkeit, bei der Auslegung der Strafsanktionsnormen auf fremde Rechtsgebiete oder Rechtsordnungen zu verweisen, stellt keinen Widerspruch zur grundsätzlichen Autonomie dieser Auslegung dar, sondern ist gerade deren Konsequenz. Denn Autonomie bedeutet auch, dass die Frage, ob fremdes Recht zu berücksichtigen ist, innerhalb des entsprechenden Rechtsgebiets eigenständig zu beantworten ist. Im Rahmen des deutschen Strafrechts sind solche Verweise allerdings kaum zu finden. Wie bereits erörtert, wenden deutsche Strafrichter nur deutsche Strafsanktionsnormen an, so dass eine Berücksichtigung ausländischer Strafsanktionsnormen – vom Fall des § 7 StGB abgesehen – ausscheidet.86 Auch verweisen die deutschen Strafsanktionsnormen weder auf das Internationale Privatrecht,87 noch explizit auf Zivil- oder Öffentliches Recht. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das geltende deutsche genuine Strafrecht unabhängig von fremden Normen auszulegen ist.
II. Der Erfolg als Merkmal der Sanktionsnorm Die Tatsache, dass Verhaltensnormen einheitlich, Strafsanktionsnormen aber autonom auszulegen sind, führt auf den ersten Blick zu überraschenden Ergebnissen. Wenn Verhaltensnormen mit Hilfe der gesamten Rechtsordnung und ggf. sogar mit Hilfe fremder Rechtsordnungen ausgelegt werden können, Strafsanktionsnormen aber nur mit Hilfe der Strafrechtsnormen der eigenen Rechtsordnung, bedeutet dies, dass die Auslegung der Verhaltens- und die Auslegung der Sanktionsnorm zu divergierenden Ergebnissen kommen können. Da der Gegenstand von Verhaltens- und Sanktionsnormen unterschiedlich ist, würde es in den meisten Fällen nicht zu Kollisionen kommen. Es gibt jedoch einen Punkt, in dem verschiedene Auslegungen in Verhaltens- und Sanktionsnormen zu Widersprüchen führen würden: den tatbestandlichen Erfolg. 85 86 87
Siehe zu § 7 StGB Kap. 6 B. IV. 2. d), S. 130. Siehe Kap. 1 A., S. 28 ff. So die Forderung de lege ferenda von Altenhain/Wietz, NZG 2008, 573.
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht
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Dies soll am Beispiel des § 212 StGB erläutert werden. Dem § 212 StGB liegt eine Verhaltensnorm zu Grunde, die das Töten eines anderen Menschen verbietet. Nun ist auch diese an und für sich simple Norm auslegungsfähig. So kann z. B. gefragt werden, ob ein Mensch ohne jegliche Hirnaktivität noch getötet werden kann oder ob ein Fötus bereits ein Mensch ist.88 Wenn jetzt die Rechtsordnung A Föten als Menschen ansieht und eine Abtreibung als Verstoß gegen diese Verhaltensnorm, so kann sich ggf. die Frage stellen, ob die Rechtsordnung B den Verstoß gegen diese Verhaltensnorm sanktioniert.89 Setzt die entsprechende Sanktionsnorm wie § 212 StGB den Tod eines Menschen voraus, und würde zur Auslegung dieser Voraussetzung auf die Rechtsordnung B zurückgegriffen werden, so könnte dieses Merkmal bei einer erfolgreichen Abtreibung z. B. dann verneint werden, wenn Rechtsordnung B Föten nicht als Menschen ansieht. Auf diese Weise könnten allerdings bestimmte Verhaltenspflichtverletzungen nie zum Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs führen.90 Ein solches Ergebnis wäre zumindest begründungsbedürftig. Dieses hypothetisch entwickelte Szenario beruht allerdings auf einer fehlerhaften Interpretation dessen, was im Rahmen der Sanktionsnorm als Erfolgseintritt anzusehen ist. In § 212 StGB wird nicht der Tod eines Menschen vorausgesetzt, sondern die Realisierung des durch die Verhaltensnorm verbotenen Risikos.91 Ein Erfolg im Sinne des § 212 StGB liegt daher nicht immer dann vor, wenn ein pflichtwidriges Verhalten den Tod eines Menschen verursacht. Verletzt der Täter beispielsweise das Opfer durch einen Messerstich lebensgefährlich und wird das Opfer auf dem Weg ins Krankenhaus vom Blitz erschlagen, scheidet eine Bestrafung des Täters wegen vollendeter Tötung nach allgemeiner Ansicht aus.92 Denn das Risiko, das sich hier verwirklicht – der Blitzschlag – resultiert nicht aus dem Messerstich des Täters. Genauso gut hätte das Opfer zufällig vom Blitz erschlagen werden können, das heißt völlig unabhängig vom Verhalten des Täters. Von einem „Erfolg“ im Sinne des § 212 StGB kann daher nur dann gesprochen werden, wenn zwischen dem Tod eines Menschen und dem Verhalten des Täters eine über den Kausalzusammenhang hinausgehende Beziehung besteht: Der Tod eines Menschen muss die Verwirklichung genau des Risikos darstellen, welches die Verhaltensnorm vermeiden will.93 Was für § 212 StGB gilt, lässt sich auf alle anderen Sanktionsnormen, die den Eintritt eines bestimmten Erfolgs voraussetzen (sog. Erfolgsdelikte), übertragen. 88
Siehe hierzu Nagel, Organtransplantation, S. 49 ff. Dies setzt allerdings voraus, dass Verhaltens- und Sanktionsnormen verschiedenen Rechtsordnungen entstammen. 90 Es ist allerdings möglich, dass für solche Fälle andere Sanktionsnormen vorgesehen werden, wie z. B. die §§ 218 ff. StGB. 91 Siehe oben Kap. 2 C. III., S. 45 f. 92 Beispiel nach Frister, AT, Kap. 10 Rn. 21. 93 Siehe Ast, Normentheorie, S. 59 ff. 89
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
Demnach ist bei allen Erfolgsdelikten erforderlich, dass der Erfolg das in der Verhaltensnorm enthaltene Risiko realisiert. Dies bedeutet, dass zur Beantwortung der Frage, ob ein Erfolg im Sinne der Strafsanktionsnorm eingetreten ist, stets zu überlegen ist, ob das tatsächliche Geschehen, das als Erfolg gewertet werden könnte (z. B. der Tod eines Menschen) auch eine Realisierung des in der Verhaltensnorm enthaltenen Risikos darstellt. Dazu muss jedoch analysiert werden, welches Risiko die Verhaltensnorm zu vermeiden sucht. Eine Verhaltensnorm verbietet bestimmte Verhaltensweisen, weil diese eine Gefahr für das von der Verhaltensnorm geschützte Rechtsgut darstellen. Wann ein Verhalten als riskant bewertet wird, hängt somit entscheidend davon ab, welches Rechtsgut durch die Verhaltensnorm geschützt werden soll. Dies wird durch Auslegung der Verhaltensnorm ermittelt, bei der auf Grund des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung auch fremde Normen heranzuziehen sind.94 Damit wird jedoch deutlich, dass der Erfolg als Merkmal der Sanktionsnorm und die Verhaltenspflichtverletzung eng miteinander verknüpft sind. Ob ein Erfolg vorliegt, hängt davon ab, ob sich das in der Verhaltenspflichtverletzung liegende Risiko verwirklicht hat. Dies hängt wiederum davon ab, welche Risiken die Verhaltensnorm verbietet, d.h. welches Rechtsgut die Verhaltensnorm schützen will. Demnach muss die Frage, ob ein Erfolg vorliegt, sich danach richten, welche Rechtsgutsverletzung die Verhaltensnorm verhindern wollte. Ob die Auswirkungen, die ein bestimmtes Verhalten hatte, einen Erfolg im Sinne der Sanktionsnorm darstellen, kann daher nur unter Rückgriff auf die entsprechende Verhaltensnorm geklärt werden. Der „Erfolg“ ist somit abhängig von der Verhaltensnorm. In dem oben erwähnten Beispielsfall zur Abtreibung muss bei Auslegung der Strafsanktionsnorm der Rechtsordnung B daher nicht gefragt werden, ob ein Mensch getötet wurde, sondern ob sich das in der Verhaltensnorm enthaltene Risiko realisiert hat. Dazu muss die der Rechtsordnung A entstammende Verhaltensnorm ausgelegt werden. Die Auslegung dieser fiktiven Norm ergibt, dass die entsprechende Verhaltensnorm Handlungen verbietet, die das (signifikante) Risiko eines Schwangerschaftsabbruch beinhalten. Da genau diese Folge eingetreten ist und auch ansonsten an der Zurechenbarkeit keine Zweifel bestehen, ist davon auszugehen, dass sich hier das in der Verhaltensnorm liegende Risiko realisiert hat. Der von der Sanktionsnorm der Rechtsordnung B vorausgesetzte Erfolg liegt somit vor. Obwohl die Strafsanktionsnorm autonom auszulegen ist, muss der Erfolg somit unter Rückgriff auf die Verhaltensnorm und das diese bestimmende Recht ausgelegt werden. Dieses Ergebnis ist Folge der Auslegung der Sanktionsnorm, die ein Verhalten deshalb (strenger)95 sanktioniert, weil genau die Folge eingetre94
Siehe oben Kap. 2 D., S. 46 ff. Einige Sanktionsnormen bestrafen die Verhaltenspflichtverletzungen unabhängig von deren Auswirkungen. Dies gilt z. B. für die Versuchsstrafbarkeit. 95
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht
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ten ist, die durch das Verhaltensge- oder -verbot verhindert werden sollte. Dies ist kein Widerspruch zu der Regel, dass die Sanktionsnormen autonom auszulegen sind, sondern die Konsequenz genau dieser Auslegung.
III. Vergleich mit der Literatur Bislang hat kaum jemand die Frage, inwieweit andere Normen zur Auslegung im Strafrecht herangezogen werden können, mit Hilfe der Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen diskutiert.96 Es gibt jedoch einige, die sich grundsätzlich mit der Problematik befasst haben, inwieweit fremdes Recht im Strafrecht zu berücksichtigen ist, und hierbei eigene Differenzierungen vorgenommen haben.97 Im Folgenden werden die bislang in der Literatur vorgeschlagenen Anknüpfungspunkte dargestellt und mit der These, fremde Normen könnten nur bei der Auslegung der Verhaltensnorm berücksichtigt werden, verglichen. Dabei soll untersucht werden, ob die in der Literatur entwickelten Konzepte mit der oben benannten These in Einklang stehen oder ob sie ihr widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs zu der hier vertretenen These müssten die Gründe dafür näher hinterfragt werden. 1. Die Erscheinungsformen strafrechtlicher Akzessorietät nach Cornils Cornils identifiziert drei Gruppen strafrechtlicher Akzessorietät, bei denen Fremdrechtsanwendung möglich sein soll: ausdrücklich verweisende Akzessorietät, stillschweigend verweisende Akzessorietät und indirekte Akzessorietät.98 a) Indirekte Akzessorietät Mit „indirekter Akzessorietät“ bezeichnet sie Merkmale, die nur unter Rückgriff auf außerstrafrechtliche Regelungen ausgelegt werden können, ohne dass eine Verweisung des Gesetzes erkennbar ist.99 Sie benutzt den Ausdruck „indi96 Einzig Nowakowski und Liebelt verweisen auf die normentheoretische Unterscheidung: Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 215 f.; Nowakowski, JZ 1971, 637. 97 Die jüngsten Darstellung stammen von Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 116 ff.; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 ff. und Mosiek, StV 2008, 94 ff. Hervorzuheben sind auch die grundlegenden Erläuterungen von Cornils, Fremdrechtsanwendung, 1978; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, 1978 und GA 1994, 20 ff.; Neumeyer, ZStW 23 (1903), 436 ff. und Nowakowski, JZ 1971, 633 ff. 98 Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 10 ff. Ihrer Terminologie folgt Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 130 ff. 99 Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 12.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
rekte Akzessorietät“ als Sammelbegriff für drei konkrete Fallgruppen: die objektive Sorgfaltspflicht bei Fahrlässigkeitsdelikten, die Garantenstellung beim Unterlassungsdelikt und den Ausschluss der Rechtswidrigkeit.100 Diese drei Merkmale sind jedoch entscheidend für die Frage, ob eine Verhaltenspflicht besteht. Ist eine Handlung gerechtfertigt, so ist sie nicht verboten, so dass keine konkrete Pflicht besteht, die Handlung zu unterlassen. Umgekehrt entsteht eine Handlungspflicht im Rahmen des § 13 StGB nur, wenn der Täter Garant für den Nichteintritt des Erfolges ist. Und auch beim Fahrlässigkeitsdelikt ist das Verhalten des Täters nur als rechtswidrig zu bewerten, wenn es sorgfaltswidrig ist. Die von Cornils als indirekte Akzessorietät bezeichneten Fälle der Fremdrechtsanwendung betreffen damit ausschließlich die Verhaltensnormen. b) Stillschweigend verweisende Akzessorietät Komplizierter gestaltet sich die Einordnung bei den Fällen der „stillschweigend verweisenden Akzessorietät“. So bezeichnet Cornils die Fälle, in denen der Tatbestand einer Norm Merkmale enthält, die inhaltlich von anderen Rechtsnormen abhängen.101 Die Erfüllung des Tatbestands des dreistufigen Verbrechensaufbaus, den Cornils hier stillschweigend zu Grunde legt,102 ist jedoch nicht deckungsgleich mit der Verletzung einer konkreten Verhaltenspflicht. So ist bei Erfolgsdelikten der Eintritt des Erfolgs ein Merkmal der Sanktionsnorm, gehört im dreistufigen Verbrechensaufbau aber zum Tatbestand. Allerdings hat die Auslegung der Sanktionsnormen ergeben, dass der Erfolg stets von der Verhaltenspflichtverletzung abhängig ist und daher inhaltlich von denselben Normen abhängt wie die Verhaltenspflichtverletzung.103 Demzufolge schlägt sich eine Abhängigkeit der Verhaltensnorm von fremden Rechtsnormen auch in der Definition der Erfolgsmerkmale nieder. Wenn daher ein Merkmal des Tatbestandes, das den Erfolg beschreibt, inhaltlich von anderen Rechtsnormen abhängt, so bedeutet dies, dass diese Normen das verbotene Verhalten näher beschreiben. Verboten ist dann ein Verhalten, weil es den durch die Normen konkretisierten Erfolg herbeiführen könnte. Sanktioniert wird die Verhaltenspflichtverletzung in einem solchen Fall – wie stets beim vollendeten Delikt – nur, wenn sich das in der Verhaltenspflichtverletzung enthaltene Risiko tatsächlich realisiert hat. Auch wenn daher ein Tatbestandsmerkmal den Erfolg beschreibt, beeinflusst dies zunächst die Verhaltensnorm und erst dadurch die Sanktionsvoraussetzung 100
Siehe dazu Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 26 ff. Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 11. 102 Dies ergibt sich u. a. daraus, dass alle Beispiele, die sie für einschlägig hält, nach dem dreistufigen Verbrechensaufbau im Tatbestand zu finden wären. Siehe Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 21 und 22 f. 103 Siehe oben Kap. 2 E. II., S. 50 ff. 101
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht
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„Erfolg“.104 Die Fälle stillschweigend verweisender Akzessorietät betreffen daher ebenfalls nur Merkmale der Verhaltensnorm. c) Ausdrücklich verweisende Akzessorietät Als Fälle „ausdrücklich verweisender Akzessorietät“ bezeichnet Cornils die sog. Blankettstrafgesetze, d.h. Normen, die eine Strafdrohung beinhalten und die zur Ausfüllung des Inhalts des Tatbestands auf andere Normen verweisen.105 An anderer Stelle präzisiert sie, dass damit Normen gemeint seien, die „[. . .] das an die Strafdrohung geknüpfte Verhaltensmuster näher [beschreiben] [. . .]“ 106. Damit formuliert Cornils das, was bereits bei den Fällen stillschweigend verweisender Akzessorietät dargestellt wurde: Alle Tatbestandsmerkmale konkretisieren das mit Strafe bedrohte Verhalten und somit die Verhaltensnorm. Dies gilt auch für Tatbestandsmerkmale, die ausschließlich den Erfolg näher beschreiben.107 Blankettstrafgesetze sind daher Normen, die zur Konkretisierung des verbotenen Verhaltens auf andere Normen verweisen. Auch die Fälle ausdrücklich verweisender Akzessorietät betreffen daher die Ebene der Verhaltensnormen. d) Ergebnis Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass Fremdrechtsanwendung nach Cornils nur bei Merkmalen möglich ist, die die Verhaltenspflichtverletzung ausmachen. Cornils’ Untersuchung widerspricht daher nicht der These, dass die Anwendung anderer Rechtsnormen nur bei Auslegung der Verhaltensnorm, nicht jedoch der Sanktionsnorm zulässig sei. An anderer Stelle bezeichnet Cornils diesen Vorgang sogar als Anwendung außerstrafrechtlicher Rechtssätze und stellt dies der Anwendung eigentlichen Strafrechts gegenüber.108 Dies zeigt, dass sie die oben angeführte Unterscheidung von genuinem Strafrecht (Strafsanktionsnormen) und Verhaltensnormen im Grundsatz nachvollzieht. 2. Fremdrechtsanwendung bei Blankettgesetzen und normativen Tatbestandsmerkmalen Während Cornils ihre Fallgruppen der Fremdrechtsanwendung als ,Akzessorietät‘ bezeichnet, verwenden andere Autoren bekanntere Begriffe und führen 104 Siehe hierzu das Beispiel bei Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 139 f. 105 Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 11. 106 Cornils, Fremdrechtsanwendung, S. 16. 107 Siehe oben Kap. 2 E. II., S. 50 ff. 108 „Extra penal statutory rules“ im Gegensatz zu „criminal law“, Cornils, S. 71 ff. in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
aus, Fremdrechtsanwendung komme einerseits bei Blankettgesetzen, andererseits bei normativen Tatbestandsmerkmalen in Betracht.109 Unter normativen Tatbestandsmerkmalen verstehen sie außerstrafrechtliche Rechtsbegriffe, die im strafrechtlichen Tatbestand vorausgesetzt werden.110 Auch bei diesen Autoren ist mangels näherer Angaben davon auszugehen, dass Tatbestand im Sinne des herrschenden dreistufigen Verbrechensaufbaus verstanden wird. Wie bereits erörtert wurde, prägen jedoch alle Tatbestandsmerkmale das verbotene Verhalten und haben somit Einfluss auf die Verhaltensnorm.111 Dies gilt sowohl, wenn zur Ausfüllung des gesamten Tatbestands auf andere Normen verwiesen wird, wie es bei Blankettnormen der Fall ist, als auch, wenn nur einzelne Merkmale mit Hilfe anderer Normen auszulegen sind. Erfolgt eine Fremdrechtsanwendung daher nur auf Tatbestandsebene, so hat dies wegen der Abhängigkeit des Erfolgs von der Verhaltensnorm nur Einfluss auf die Auslegung der Verhaltensnorm. Die Beschränkung der Fremdrechtsanwendung auf Blankettgesetze und normative Tatbestandsmerkmale steht daher ebenfalls im Einklang mit der These, eine Anwendung anderer Normen komme nur auf Ebene der Verhaltensnormen in Betracht. Dies wird besonders deutlich bei Altenhain und Wietz112 und Golombek113, die sich explizit auf Fremdrechtsanwendung bei Verhaltensnormen beziehen. 3. Die drei Fallgruppen von Nowakowski In seinem grundlegenden Aufsatz zu dem Thema, inwieweit ausländische Rechtssätze im Strafrecht Anwendung finden könnten, identifiziert Nowakowski drei Fallgruppen, bei denen eine Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt: bei der Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale, bei der Frage, ob ein Verhalten sozialadäquat ist oder ein missbilligtes Risiko für Rechtsgüter darstellt, und bei der Bestimmung der Rechtfertigungsgründe.114 Darin folgt ihm Krapp, die insbesondere auf Probleme im Zusammenhang mit Distanzdelikten hinweist.115 Distanzdelikte sind solche, bei denen Handlungs- und Erfolgsort in verschiedenen Staaten liegen und somit verschiedenen Rechtsordnungen unterfallen.116 109 Altenhain/Wietz, NZG 2008, 569 f.; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 f.; Mosiek, StV 2008, 97. Vgl. auch Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 63 ff. Golombek verwendet diese und Cornils’ Terminologie, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 130 ff. 110 Mosiek, StV 2008, 97 und Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 f. Letztere betrachten allerdings nur Fälle der Zivilrechtsakzessorietät und beziehen sich daher nur auf zivilrechtliche Begriffe. 111 Siehe oben Kap. 2 E. III. 1. b), S. 54 f. 112 Altenhain/Wietz, NZG 2008, 573. 113 Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 132 ff. 114 Nowakowski, JZ 1971, 633. 115 Krapp, Distanzdelikt, S. 83 ff.
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht
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Es wurde weiter oben bereits dargestellt, dass normative Tatbestandsmerkmale den Inhalt der relevanten Verhaltensnorm beeinflussen und daher zur Ebene der Verhaltensnorm zählen.117 Auch die Frage, ob ein Verhalten in der konkreten Situation noch sozialadäquat oder riskant und daher bereits verboten ist, ist entscheidend für die Bestimmung der Verhaltenspflichtverletzung und daher Teil der Auslegung der Verhaltensnorm.118 Gleiches gilt für die Rechtfertigungsgründe.119 Alle von Nowakowski gebildeten Fallgruppen betreffen daher die Verhaltensnormen. Das scheint auch Nowakowski selbst so zu sehen, indem er auf die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen hinweist und daraus die Folgerung zieht, es läge nahe, das internationale Strafrecht nur auf die Sanktionsnormen zu beziehen.120 Die Verhaltensnorm sei hingegen nicht „spezifisch strafrechtlicher Natur“ 121. Dadurch impliziert er, dass nur bei Sanktionsnormen eine zwingende Anwendung deutschen Rechts in Frage kommt – nicht jedoch bei Verhaltensnormen. 4. Die Bestimmung der verbotenen Handlung nach Neumeyer Auch Neumeyer unterscheidet bei der näheren Bestimmung der verbotenen Handlung zwischen Fällen, in denen die tatbestandsmäßige Handlung „[. . .] in ihren einzelnen Merkmalen auf fremde Gesetze [abstellt] [. . .]“ 122, und der Rechtswidrigkeit der Handlung als Ganzes.123 Dies entspricht den von Nowakowski angeführten Fallgruppen, mit dem Unterschied, dass Neumeyer die Frage der Sozialadäquanz der Handlung nicht gesondert aufführt. Das Urteil über die Rechtswidrigkeit der Handlung enthält jedoch gleichzeitig die Wertung darüber, ob ein bestimmtes Risiko noch sozialadäquat oder bereits rechtlich missbilligt ist. Sowohl die normativen Tatbestandsmerkmale als auch die Rechtswidrigkeit als solche betreffen die Verhaltensnorm und nicht die Sanktionsnorm.124 Auch Neumeyers Untersuchung stützt daher die These, eine Anwendung anderer Rechtsnormen als der des gerade berufenen deutschen Strafrechts komme nur bei den Verhaltensnormen in Betracht, nicht jedoch bei Sanktionsnormen. 116 117 118 119 120 121 122 123 124
Siehe hierzu etwa Koziol/Thiede, ZVglRWiss 106 (2007), 236. Siehe oben Kap. 2 E. III. 1. b), S. 54 f. Siehe oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 f. Siehe oben Kap. 2 C. II. 4., S. 44 f. Nowakowski, JZ 1971, 637. Nowakowski, JZ 1971, 637. Neumeyer, ZStW 23 (1903), 441. Neumeyer, ZStW 23 (1903), 441 f. Siehe oben Kap. 2 E. III. 1. b), S. 54 ff., und Kap. 2 C. II. 4., S. 44 f.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
5. Der Standort außerstrafrechtlicher Rechtssätze bei Liebelt Noch deutlicher unterstützt Liebelt diese These. Er verortet außerstrafrechtliche Rechtssätze – wie Neumeyer und Nowakowski vor ihm – in Tatbestand und Rechtswidrigkeit, also ebenfalls auf Ebene der Verhaltensnorm.125 Dazu schreibt er: „Erkennt man an, daß die Feststellung, ein Täter habe schuldhaft gehandelt, ein genuin strafrechtliches Urteil darstellt, so können außerstrafrechtliche Merkmale schlechterdings nur auf den Ebenen des Tatbestandes und der Rechtswidrigkeit ihren Sitz im strafrechtlichen Verbrechensaufbau haben.“ 126 Liebelt sieht daher ebenfalls einen Gegensatz zwischen der Schuld, die Merkmal der Sanktionsnorm ist, und Tatbestand und Rechtswidrigkeit, die Merkmale der Verhaltensnorm sind. Erstere ist seiner Ansicht nach genuines Strafrecht, während die anderen beiden Merkmale auch anhand nicht-strafrechtlicher Normen ausgelegt werden können. Genauso lautet das Ergebnis jedoch, wenn die Merkmale der Sanktionsnorm als genuines Strafrecht eingeordnet, die Verhaltensnormen jedoch einheitlich ausgelegt werden. Auch Liebelts Untersuchung stützt daher die oben benannte These. 6. Berücksichtigung ausländischen Strafrechts in der Strafzumessung Während die bisher Genannten sich durchweg mit der Frage befasst haben, inwieweit das strafrechtliche Verbot als solches von anderen Rechtsnormen abhängen kann, gibt es auch umgekehrt die Überlegung, ob die Tatsache, dass ein Ausländer an eine andere Rechtsordnung gewöhnt ist, als schuldschärfend oder -mildernd bei der Strafzumessung berücksichtigt werden kann. Auch wenn die Zumessung der Strafe kein Merkmal der Verhaltens- oder Sanktionsnorm127 und daher nicht Gegenstand dieser Abhandlung ist, so ist die Schuld sehr wohl Voraussetzung und Maßstab für die Sanktionierung und als solche Merkmal der Sanktionsnorm. Es bietet sich daher an, in diesem Zusammenhang auf die Idee der Berücksichtigung der Zugehörigkeit zu einem fremden Rechtskreis im Rahmen der Strafzumessung einzugehen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist ein Zeitungsartikel von F.-C. Schroeder, in dem dieser die Frage aufwirft, ob das ausländische Strafniveau bei der Strafzumessung berücksichtigt werden muss.128 Trotz der heftigen Reaktionen auf F.-C. Schroeders Artikel129 griff Grundmann dessen These auf und versuchte, sie 125
Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 154 ff. Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 154. 127 Zum Begriff der Merkmale siehe Kap. 2 C. I., S. 39 ff. 128 F.-C. Schroeder, FAZ v. 13.10.1983, S. 12. 129 Siehe Schueler, Die Zeit v. 10.08.1984, S. 8 und F.-C. Schroeder, Die Zeit v. 28.09.1984, S. 8 sowie die Beschlüsse des AG Regensburg v. 13.06.1984 – 2 Qs 73/84 (unveröffentlicht) und des LG Regensburg v. 27.07.1984, Rote Robe 1984, 140 ff. 126
E. Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht
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zu begründen.130 Ob F.-C. Schroeder und Grundmann mit ihrer These Recht haben, soll an dieser Stelle nicht weiter interessieren.131 Von Interesse ist vielmehr, wie Grundmann den Rückgriff auf die von ihm sog. Ausländereigenschaft legitimiert. Dazu bedient sich Grundmann einer Theorie des Internationalen Privatrechts und überträgt diese ins Strafrecht: die sog. Datumtheorie.132 Die Datumtheorie ist auf Ehrenzweig133 zurückzuführen, wurde aber erst durch Jayme134 in das deutsche Recht übertragen. Sie besagt – stark vereinfacht –, dass bestimmte Fakten, sog. „local data“, bei der Auslegung der Generalklauseln des anzuwendenden Rechts zu berücksichtigen seien.135 Entsprechend plädiert Grundmann für eine Berücksichtigung ausländischen Rechts im Rahmen der strafrechtlichen Generalklauseln.136 Ihm geht es daher nicht um eine Anwendung ausländischen Strafrechts, sondern um die Berücksichtigung ausländischen Strafrechts als Faktum (bzw. datum) bei der Auslegung von Generalklauseln.137 Die Ausländereigenschaft soll daher nur als Tatsache in die Wertung mit einfließen. Damit begründet die Datumtheorie jedoch keine rechtliche Besonderheit, sondern beschreibt ein tatsächliches Geschehen, das im Prinzip bei jeder Auslegung von Generalklauseln zu erfolgen hat. Nicht umsonst wird die Datumtheorie im Internationalen Privatrecht als überflüssig abgelehnt.138 Für das Strafrecht bedeutet dies, dass auf Ebene der Schuld und bei der Strafzumessung auch unter Zugrundelegung der Datumtheorie kein ausländisches Recht angewandt wird. Die Tatsache, dass eine Berücksichtigung ausländischen Rechts allenfalls auf diese Art und Weise diskutiert wird, spricht vielmehr dafür, dass bei Strafzumessung und Schuld eine Anwendung fremden Rechts generell nicht in Betracht gezogen wird. Dieses Ergebnis deckt sich wiederum mit der These, dass die Merkmale der Sanktionsnorm nur anhand deutschen Rechts auszulegen sind. Auch die Überlegungen zur Datumtheorie stützen daher die Annahme, dass die Sanktionsnorm ausschließlich autonom auszulegen ist.
130
Grundmann, NJW 1985, 1251 ff.; ders., NJW 1987, 2129 ff. Kritisch vor allem Nestler-Tremel, StV 1986, 83 ff.; ders., NJW 1986, 1408 ff. 132 Grundmann, NJW 1985, 1252 ff. Schon Liebelt zieht die Datumtheorie im Strafrecht heran, wenn auch in anderem Zusammenhang, Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 234 f. Fn. 36. 133 Siehe etwa Ehrenzweig, Private International Law, S. 83 ff. Siehe auch die Nachweise bei Jayme, GS Ehrenzweig, S. 39 Fn. 11. 134 Jayme, GS Ehrenzweig, S. 37 ff. 135 Siehe dazu Jayme, GS Ehrenzweig, S. 39 ff.; E. Lorenz, FamRZ 1987, 646 ff. 136 Grundmann, NJW 1985, 1253. 137 Grundmann, NJW 1987, 2130. 138 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 129; Sonnenberger in: MüKo BGB, Bd. 10, Einleitung IPR, Rn. 7, 620 ff. 131
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
7. Zivil- und strafrechtliche Vorfragen bei Wilhelmi Wilhelmi wiederum differenziert zwischen zivil- und strafrechtlichen Vorfragen. Knüpfe ein Straftatbestand an zivilrechtliche Merkmale an, müssten diese anhand des Zivilrechts ausgelegt werden.139 Demnach gelte auch das Internationale Privatrecht.140 Anders sei dies bei strafrechtlichen Vorfragen. Ausländisches Strafrecht sei im deutschen Recht nicht anzuwenden, könne aber mit Hilfe der Datumtheorie als Auslandssachverhalt berücksichtigt werden.141 Dies komme etwa bei der Frage nach der vorsätzlichen rechtswidrigen Tat eines anderen im Rahmen der §§ 26, 27 StGB, der Vortat bei der Hehlerei (§ 259 StGB), der Bewertung eines Angriffs als rechtswidrig im Rahmen des § 32 StGB und dem für das Fahrlässigkeitsdelikt geltenden Sorgfaltsmaßstab in Betracht.142 Der dahinterstehende Gedanke ist, dass im Strafrecht ein mehrseitiges Kollisionsrecht fehlt und die Anwendung ausländischen Strafrechts daher nach geltendem Recht unzulässig ist. Dies führt dazu, dass Wilhelmi die Anwendung ausländischen Rechts nur in sehr geringem Umfang zulässt, nämlich nur bei zivilrechtlichen Vorfragen, d.h. normativen Merkmalen, die mit Hilfe des Zivilrechts auszulegen sind. Solche normativen Merkmale kommen jedoch nur auf Ebene des Tatbestands oder bei Rechtfertigungsgründen vor, also nur im Rahmen der Verhaltensnorm.143 Dementsprechend befürwortet Wilhelmi eine Anwendung ausländischen Rechts nur auf Ebene der Verhaltensnorm, während sie ansonsten eine Anwendung ausländischen Rechts ablehnt. Auch die Ansicht Wilhelmis steht daher mit der hier vertretenen These im Einklang. 8. Ergebnis Die Untersuchung der zu diesem Problemkreis existierenden Literatur bestätigt die oben aufgestellte These, dass die Anwendung anderer Rechtsnormen nur bei Verhaltensnormen in Betracht kommt, nicht jedoch bei Sanktionsnormen. Die Anwendung fremder Rechtsnormen wird nur auf Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsebene vorgeschlagen, was nur die Verhaltensnorm beeinflusst. Umgekehrt vertritt niemand eine Anwendung fremden Rechts im Rahmen der Schuld oder bei der Strafzumessung. Im Ergebnis ist es daher mit den in der Literatur vertretenen Ansichten vereinbar, die Anwendung fremden Rechts grundsätzlich nur auf Ebene der Verhaltensnormen zuzulassen. 139
Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 25. Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 25 f. 141 Siehe Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 394 ff. 142 Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 394. 143 Wilhelmi bezieht sich sogar nur auf normative Merkmale im Tatbestand, Weltrechtsprinzip, S. 25. 140
F. Ergebnis
61
IV. Vergleich mit der Rechtsprechung Ein Blick auf die Rechtsprechung unterstützt die These, nur Verhaltensnormen, nicht jedoch Sanktionsnormen könnten mit Hilfe anderer Rechtsnormen ausgelegt werden. So wurde etwa diskutiert, ob § 283b Abs. 1 Nr. 1 StGB auch Buchführungspflichten erfasst, die nur durch ausländisches Recht begründet sind.144 Auch die Frage, inwieweit im Ausland begangene Verkehrsstraftaten nach deutschem Recht bestraft werden können, hat die Rechtsprechung oft beschäftigt.145 Andere Beispiele, bei denen die anwendbare Rechtsordnung diskutiert wurde, sind die Fremdheit der Sache bei der Unterschlagung146 sowie die Gültigkeit der Ehe im Rahmen des § 171 StGB147. Die Frage, ob der Rechtfertigungsgrund des § 127 Abs. 1 StPO für im Ausland begangene Taten eines Deutschen gilt, war ebenfalls bereits Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen.148 Die Liste der Beispiele lässt sich beliebig fortsetzen, worauf hier verzichtet werden soll. Allen benannten Entscheidungen ist gemein, dass die Frage, anhand welcher Rechtsordnung Merkmale auszulegen sind, nur auf Ebene des Tatbestandes und der Rechtswidrigkeit gestellt wurde. Auch in der Rechtsprechung gibt es, soweit ersichtlich, keine Überlegungen, die als Sanktionsvoraussetzungen bezeichneten Merkmale unter Anwendung anderer Rechtsnormen auszulegen. Es finden sich allenfalls Ansätze, ausländische Wertvorstellungen im Rahmen der Schuld zu berücksichtigen.149 Dies ist jedoch, wie bereits Grundmann betont hat,150 keine Anwendung ausländischer Rechtsnormen. Die These, nur auf Ebene der Verhaltensnormen könnten andere Normen zur Auslegung herangezogen werden, steht demnach auch im Einklang mit der Rechtsprechung.
F. Ergebnis Die vorangegangene Untersuchung ermöglicht eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands. Bei Differenzierung zwischen Verhaltens- und Sanktions144 OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.02.1985, NStZ 1985, 317 und AG Lörrach, Urt. v. 29.11.1984, NStZ 1985, 221. Vgl. auch AG Stuttgart, Urt. v. 18.12.2007, wistra 2008, 226. 145 Siehe nur BGH, Beschl. v. 26.07.1967, BGHSt 21, 277; BayObLG, Urt. v. 16.05.1972, NJW 1972, 1722. 146 OLG Schleswig, Beschl. v. 10.02.1989, NJW 1989, 3105. Siehe schon RG, Urt. v. 01.04.1895, RGSt 27, 135. 147 LG Hamburg, Urt. v. 10.01.1990, NStZ 1990, 280. 148 OLG Köln, Urt. v. 13.03.1973, MDR 1973, 688. 149 AG Grevenbroich, Beschl. v. 24.09.1982, NJW 1983, 528. 150 Grundmann, NJW 1987, 2130 ff.
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Kap. 2: Verhaltensnormen und Sanktionsnormen
normen ergibt sich, dass der Gedanke der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ein rechtsordnungsintern einheitliches Verhaltensnormsystem erfordert. Es ist daher notwendig, bei Auslegung der Verhaltensnormen alle Rechtsgebiete zu berücksichtigen. Im Gegensatz dazu enthalten die Sanktionsnormen die für das jeweilige Rechtsgebiet typischen Wertungen. Dies bedeutet, dass Sanktionsnormen autonom innerhalb des Rechtsgebiets auszulegen sind, zu dem sie gehören. Strafsanktionsnormen, d.h. Normen, die bestimmte Verhaltenspflichtverletzungen mit Strafe bedrohen, werden daher ausschließlich unter Rückgriff auf strafrechtliche Normen ausgelegt. Die Konsequenz davon ist, dass sich nur bei Verhaltensnormen die Frage stellen kann, welche Rechtsordnung zu ihrer Auslegung heranzuziehen ist. Bei Sanktionsnormen steht hingegen von vornherein fest, dass sie ausschließlich mit Hilfe der Rechtsordnung auszulegen sind, die sie erlassen hat. Deutsche Strafsanktionsnormen können daher nur mit Hilfe der deutschen Rechtsordnung und – auf Grund der Autonomie von Sanktionsnormen – nur mit Hilfe strafrechtlicher Normen der deutschen Rechtsordnung ausgelegt werden.151 Das Problem einer fehlenden Methode zur Bestimmung der Rechtsordnung, der sie zu entnehmen sind, stellt sich daher nur bei Verhaltens-, nicht jedoch bei Sanktionsnormen. Im Folgenden werden daher in diesem Zusammenhang alleine die Verhaltensnormen betrachtet.
151
Siehe dazu Kap. 2 E. I., S. 49.
Kapitel 3
Präzisierung der Fragestellung Die Beschränkung der Untersuchung auf Verhaltensnormen erlaubt es, den weiteren Verlauf der Untersuchung zu präzisieren. Erst hierdurch lässt sich nämlich erkennen, dass sich hinter dem hier angesprochenen Problem zwei Fragen verbergen, die unterschiedlicher Natur sind: die Frage, welche Verhaltensnorm im Strafrecht zu Grunde zu legen ist (dazu Abschnitt A.), und die Frage, inwieweit bestimmte Merkmale, die in einer Verhaltensnorm enthalten sind, mit Hilfe anderer Rechtsnormen ausgelegt werden können (dazu Abschnitt B.).
A. Die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm Wenn eine Sanktionsnorm das Töten eines Menschen unter Strafe stellt, so setzt sie die Existenz einer Norm voraus, die das Töten eines Menschen verbietet. Aus der Sanktionsnorm lässt sich daher auf die Existenz einer entsprechenden Verhaltensnorm schließen.1 Allerdings kennt nicht nur die deutsche Rechtsordnung ein Tötungsverbot, sondern das Töten anderer Menschen dürfte zumindest prinzipiell weltweit verboten sein. Ähnliches gilt für andere deutsche Verhaltensnormen, deren Verletzung mit Strafe bewehrt ist. In der Tat lässt sich für die meisten deutschen Verhaltensnormen in anderen Rechtsordnungen ein Pendant finden, so dass es eher Regel denn Ausnahme ist, wenn ein konkretes Verhalten eine Verletzung mehrerer Verhaltensnormen darstellen könnte. Auch ist es möglich, dass ein konkretes Verhalten von einer Rechtsordnung als Verhaltenspflichtverletzung, von einer anderen jedoch als rechtmäßig angesehen wird, dass also zwei Rechtsordnungen das Verhalten unterschiedlich bewerten. In solchen Fällen stellt sich die Frage, welche Verhaltensnorm der Sanktionsnorm zu Grunde liegt. Da Merkmal einer jeden Strafsanktionsnorm eine konkrete Verhaltenspflichtverletzung ist, muss sich die Sanktionsnorm stets auf eine konkrete Verhaltensnorm beziehen. Dies geschieht durch die inhaltliche Beschreibung des verbotenen Verhaltens. Existieren jedoch in verschiedenen Rechtsordnungen inhaltlich gleich lautende Verhaltensnormen, so dass aus ihnen gleiche Verhaltenspflichten erwachsen, so genügt die inhaltliche Beschreibung des Verhaltens nicht. Vielmehr muss auch präzisiert werden, welcher Rechtsordnung die 1
Siehe dazu oben Kap. 2 A., S. 36 f.
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Kap. 3: Präzisierung der Fragestellung
Verhaltensnorm zu entnehmen ist, deren Verletzung sanktioniert werden soll. Dies muss durch Auslegung der Sanktionsnorm ermittelt werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage, welche Verhaltensnormen gelten.2 Nur geltende Verhaltensnormen können einer Sanktionsnorm zu Grunde gelegt werden. Aus den Auswahlregeln kann sich daher auch die Geltung der Verhaltensnormen ergeben.3 Das Aufwerfen der Frage, welcher Rechtsordnung die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm zu entnehmen ist, impliziert, dass die Rechtsordnung, der die Verhaltensnorm entstammt, sich von derjenigen, der die Sanktionsnorm zu entnehmen ist, unterscheiden kann. Dies wird zumindest für Strafsanktionsnormen bestritten.4 Da Verhaltensnormen jedoch einheitlich auszulegen sind, muss deren Geltung unabhängig von der einschlägigen Sanktionsnorm festgestellt werden. Dementsprechend muss zuerst der Geltungsbereich der Verhaltensnormen ermittelt werden, bevor in einem zweiten Schritt die Auswirkungen auf die Sanktionsnormen zu erläutern sind.
B. Die Auslegung einzelner Merkmale der Verhaltensnorm Erst wenn feststeht, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnorm als Ganzes entnommen wird, kann sich die zweite Frage stellen, wie diese Rechtsordnung auszulegen ist. Häufig enthalten Verhaltensnormen nämlich Merkmale, die inhaltlich von anderen Normen geprägt sind. Hier stellt sich nun die Frage, ob diese Merkmale ausschließlich innerhalb der Rechtsordnung auszulegen sind, der die Verhaltensnorm entstammt, oder ob zur Auslegung einzelner Merkmale auch auf Normen anderer Rechtsordnungen zurückzugreifen ist.5 Da dies erheblich von der konkreten Rechtsordnung abhängt, die die Verhaltensnorm erschaffen hat, kann eine Erörterung nur rechtsordnungsintern erfolgen. Es gilt zunächst zu bestimmen, bei welchen Merkmalen eine Heranziehung anderer Normen grundsätzlich in Betracht kommt. Danach muss diskutiert werden, ob und in welchem Umfang deutsche Verhaltensnormen die Heranziehung anderer Normen zur Auslegung gestatten. Ein Sonderproblem ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit rechtskräftige Urteile bei der Auslegung der Verhaltensnormen zu berücksichtigen sind.
2 Auf den Zusammenhang zwischen Geltungsbereich und anwendbarem Recht weist auch Theiler hin, Fremdrechtsprinzip, S. 52 ff. 3 Siehe dazu sogleich Kap. 4 A., S. 66 ff. 4 Z. B. Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 374. 5 Vgl. auch Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 741.
C. Begrenzung der Untersuchung
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C. Begrenzung der Untersuchung Die Tatsache, dass die Frage nach der Berücksichtigung ausländischen Rechts im Strafrecht zu einer zweistufigen Problematik führt, verdeutlicht die Komplexität des Themas. Eine Behandlung beider Fragen in all ihren Facetten würde die Möglichkeiten dieser Abhandlung übersteigen. Es ist daher notwendig, die Erörterungen auf einen der beiden Problembereiche zu beschränken. Im Folgenden soll daher nur untersucht werden, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnormen zu entnehmen sind, die die Strafsanktionsnormen des StGB zu Grunde legen. Die Auswahl dieser Fragestellung hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Frage nach der Auswahl der zu Grunde zu legenden Verhaltensnorm logisch vorrangig vor derjenigen nach deren Auslegung. Es leuchtet ein, dass zunächst bestimmt werden muss, welche Verhaltensnorm auszulegen ist, bevor die Art und Weise der Auslegung näher beleuchtet werden kann. Zum anderen ist die Frage danach, an welche Verhaltensnorm eine Sanktionsnorm anknüpft, bisher nur selten erörtert worden.6 Hingegen gibt es – gerade auch aus neuerer Zeit – einige Darstellungen zur Berücksichtigung ausländischen Rechts bei der Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale. 7 Im Folgenden wird daher nur der unter Abschnitt A. aufgeworfenen Fragestellung nachgegangen werden.
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Näher dazu Kap. 6, S. 91 ff. Siehe etwa Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 116 ff.; Mankowski/ Bock, ZStW 120 (2008), 704 ff.; Mosiek, StV 2008, 94 ff. 7
Kapitel 4
Die Definition von „Geltungsbereich“ Um zu erörtern, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnorm zu entnehmen ist, an die die deutschen Strafsanktionsnormen knüpfen, ist zu überlegen, für welche Sachverhalte Verhaltensnormen überhaupt gelten. Denn die Frage, wie ein Konflikt zwischen den Verhaltensnormen verschiedener Rechtsordnungen zu lösen ist, kann sich nur stellen, wenn feststeht, dass ein und derselbe Sachverhalt verschiedenen Verhaltensnormen unterfällt. Je mehr Fälle von einer Verhaltensnorm erfasst werden, desto größer ist das Potential für Kollisionen mit Verhaltensnormen anderer Rechtsordnungen. Umgekehrt würde eine stark begrenzte Geltung von Verhaltensnormen die Anzahl der Kollisionsmöglichkeiten verringern. Die Untersuchung, welcher Rechtsordnung bei Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen die Verhaltensnormen zu entnehmen sind, kann daher nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen erfolgen. Die erste Frage ist daher die nach dem Geltungsbereich der Verhaltensnormen.
A. Geltung und Anwendung der Verhaltensnorm Es ist zunächst notwendig, zu definieren, was unter „Geltungsbereich“ zu verstehen ist. Viele der unterschiedlichen Aussagen zum Geltungsbereich des Strafrechts1 lassen sich darauf zurückführen, dass verschiedene Definitionen von Geltungsbereich zu Grunde gelegt werden.2 Auch entstehen Probleme, wenn nicht hinreichend zwischen dem Geltungsbereich von Verhaltens- und Sanktionsnormen differenziert wird.3 Im Folgenden soll daher definiert werden, was im Rahmen dieser Arbeit unter „Geltungsbereich“ verstanden wird. Der Begriff „Geltungsbereich“ setzt sich aus den beiden Termini „Geltung“ und „Bereich“ zusammen. Die Geltung einer Verhaltensnorm bezeichnet deren Verbindlichkeit,4 also die Maßgeblichkeit der sich aus der Verhaltensnorm ergebenen Verhaltensanforderung.5 Gemeint ist damit die Geltung im juristischen 1
Siehe das Beispiel von F.-C. Schroeder, GA 1968, 353 ff. Siehe etwa den Überblick zum Streit um die terminologische Einordnung der §§ 3 ff. StGB bei Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 56 ff. 3 Nowakowski, ZÖR 1955, 13 f. Siehe auch F.-C. Schroeder, GA 1968, 353 ff. 4 Zitelmann, FS Bergbohm, S. 221. 5 Larenz, Methodenlehre, S. 172. 2
A. Geltung und Anwendung der Verhaltensnorm
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Sinne, d.h. die rechtliche Verbindlichkeit der Verhaltensnorm, nicht jedoch die Geltung im faktischen Sinne, d.h. die Frage, ob die Norm tatsächlich befolgt wird.6 Auch ist die Geltung einer Norm von deren Anwendung zu unterscheiden.7 Die Anwendung einer Norm bezeichnet die Fälle, in denen die Norm der rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts tatsächlich zu Grunde gelegt wird.8 Dies setzt allerdings deren Geltung voraus.9 Häufig ist zu lesen, eine Norm gelte nur im Staatsgebiet, sei jedoch auch im Ausland anwendbar.10 Dahinter steckt ein anderes Verständnis von Geltung, als hier zu Grunde gelegt wird: Während jene „Geltung“ als generelle rechtliche Verbindlichkeit ansehen, ist hier mit „Geltung“ die Verbindlichkeit der Norm in einem konkreten Fall gemeint. Die unterschiedlichen Bezeichnungen lassen sich darauf zurückführen, dass der deutsche Gesetzgeber keine einheitliche Terminologie verwendet.11 Während die §§ 3 ff. StGB beispielsweise den räumlichen Geltungsbereich des Strafrechts und damit auch die „Geltung“ für Taten, die im Ausland begangen werden, regeln, bestimmen die Art. 3 ff. EGBGB das auf bestimmte Sachverhalte anzuwendende Recht.12 In beiden Fällen geht es jedoch darum, ob die Norm in einem konkreten Fall verbindlich ist oder nicht, d.h., ob Personen im Ausland Verhaltenspflichten auferlegt werden können.13 Dies zeigt sich auch daran, dass die §§ 3 ff. StGB häufig als „Strafanwendungsrecht“ bezeichnet werden.14 Die Unterschiede sind daher nur terminologischer Natur.15 Der in dieser Arbeit verwendete Geltungsbegriff entspricht daher dem der §§ 3 ff. StGB und ist deckungsgleich mit dem, was andere als „Anwendbarkeit“ der Verhaltensnorm bezeichnen.16
6 Siehe Larenz, Methodenlehre, S. 172 f. Zu dieser Unterscheidung auch Rüthers/ C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 334 ff. 7 So auch Gutzwiller, FS Lampert, S. 162 ff.; Ohler, Kollisionsordnung, S. 139 ff.; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 1 ff. 8 Gutzwiller, FS Lampert, S. 174. 9 Gutzwiller, FS Lampert, S. 162. Siehe auch Zitelmann, FS Bergbohm, S. 231. 10 So z. B. C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 28 f.; Ohler, Kollisionsordnung, S. 44 f., 140 ff.; ders., DVBl 2007, 1088; von Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 4 Rn. 68; Ziegenhain, RIW 1993, 898. 11 Darauf weist auch C. Linke hin, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 28 f. 12 Siehe auch die Beispiele bei Ohler, Kollisionsordnung, S. 140 f. 13 Siehe Ohler, Kollisionsordnung, S. 44. 14 Z. B. von Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 380. 15 Siehe auch Mankowski, der – auf Basis seiner Terminologie völlig zutreffend – das Wort „gilt“ in § 7 StGB durch „ist anwendbar“ ersetzen möchte, von Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 4 Rn. 70 Fn. 355. 16 Wie hier Rudolf, S. 9 f. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; Zitelmann, FS Bergbohm, S. 230 ff. Siehe auch Ambos, der beide Begriffe parallel verwendet, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 5.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Aus der Tatsache, dass Geltung im Strafrecht und Anwendbarkeit im Zivilrecht identisch sind, wird gefolgert, dass die Regeln des Internationalen Privatrechts, die das anwendbare Recht bestimmen, die zivilrechtlichen Geltungsbereichsregeln seien.17 Hieran zeigt sich die enge Verknüpfung zwischen der Geltung der Verhaltensnormen und der Auswahlfrage: Das Internationale Privatrecht wählt die Rechtsordnung aus, der die Normen zur Regelung eines konkreten Falles zu entnehmen sind. Dies setzt jedoch die Geltung dieser Normen voraus. Demnach bestimmt das Internationale Privatrecht, in welchen Fällen die eigenen Normen gelten und in welchen auf andere Rechtsordnungen zurückzugreifen ist. Dadurch wird ein Normenkonflikt von vornherein vermieden.18 Allerdings sind Sach- und Kollisionsnormen streng zu unterscheiden.19 So kann der Geltungsbereich einer Sachnorm z. B. nicht durch eine Kollisionsnorm erweitert werden. Treffender ist daher die Bezeichnung des Kollisionsrechts als Auswahlrecht. Bei der Ermittlung des Geltungsbereichs einer Norm sind daher sowohl materielle Geltungsbereichsregeln als auch die entsprechenden Kollisionsnormen zu berücksichtigen.
B. Der Geltungsbereich Mit „Bereich“ wird die Gesamtheit der Fälle bezeichnet, in denen die Norm gilt, d.h. rechtlich verbindlich ist. Der Geltungsbereich wird daher auch als Inhalt der Norm bezeichnet.20 Üblicherweise wird zwischen zeitlichen, personellen, sachlichen und räumlichen Bereichen unterschieden.21 Eine Norm gilt erst dann für einen bestimmten Sachverhalt, wenn sie diesen in zeitlicher, persönlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht erfasst. Der Geltungsbereich einer Norm umfasst den Bereich, in dem sich diese vier einzelnen Geltungsbereiche überschneiden. Zur Bestimmung des Geltungsbereichs einer Verhaltensnorm muss daher deren zeitlicher, persönlicher, sachlicher und räumlicher Geltungsbereich unterschieden und der Bereich bestimmt werden, auf den alle vier Aspekte zutreffen.
17 So ausdrücklich Habscheid, S. 47 in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; Nowakowski, JZ 1971, 634. 18 Siehe Ohler, Kollisionsordnung, S. 28 ff. 19 Ohler, Kollisionsordnung, S. 81 ff. 20 Thienel, FS Walter, S. 712. 21 Siehe etwa Ermacora, ZÖR 1953, 106 ff.; Gutzwiller, FS Lampert, S. 163; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 21 ff.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 222 f. mit weiteren Nachweisen; M. E. Mayer, AT, S. 58; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 85; Thienel, FS Walter, S. 712. Auf andere Unterscheidungsmöglichkeiten soll nicht weiter eingegangen werden.
B. Der Geltungsbereich
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I. Zeitlicher Geltungsbereich Der zeitliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm beschreibt den Zeitraum, in dem die Verhaltensnorm rechtliche Wirkungen entfaltet. Mit dem zeitlichen Geltungsbereich wird daher festgelegt, in welchem Zeitraum menschliches Verhalten an der Norm gemessen werden kann.22 Dabei kann die Norm eine zeitliche Begrenzung beinhalten. Ist dies nicht der Fall, so gilt die Norm zunächst einmal zeitlich unbegrenzt.23 Da Strafsanktionsnormen gem. Art. 103 Abs. 2 GG gesetzlich bestimmt sein müssen, entspricht der zeitliche Geltungsbereich von Strafsanktionsnormen dem von Gesetzen im Allgemeinen.24 So findet z. B. der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ Anwendung.25 Im Prinzip gelten dieselben Regeln auch für Verhaltensnormen.26 Es gibt jedoch einige Besonderheiten, die sich aus Natur und Funktion der Verhaltensnormen ergeben. Viele Gesetze, insbesondere die Strafgesetze, enthalten nicht unmittelbar die Verhaltensnormen, sondern Sanktionsnormen, aus denen im Rückschluss die Verhaltensnormen entnommen werden können. Wird daher ein solches Gesetz abgeschafft oder durch ein völlig anderes ersetzt, so bedeutet dies erst einmal nur, dass die Sanktionsnorm nicht länger gelten soll. Ob damit auch die Verhaltensnorm außer Kraft treten soll, bedarf gesonderter Prüfung. Denn allein aus der Tatsache, dass ein Verhalten nicht mehr strafbar ist, kann nicht unmittelbar geschlossen werden, dass es nunmehr erlaubt sein soll. Dies widerspräche der Funktion des Strafrechts als ultima ratio des Staates. Hier wird der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung wieder relevant. Da Verhaltensnormen innerhalb der ganzen Rechtsordnung einheitlich ausgelegt werden müssen, muss auch die gesamte Rechtsordnung herangezogen werden, um zu entscheiden, ob eine Verhaltensnorm aufgehoben wurde. Von einer Aufhebung der Verhaltensnorm lässt sich daher nur sprechen, wenn alle Vorschriften, die die Verhaltensnorm betreffen, geändert wurden. Dies kann am Beispiel der Sachbeschädigung illustriert werden. Würde § 303 StGB ersatzlos abgeschafft, dann wäre die Beschädigung einer fremden Sache nicht mehr mit Strafe bedroht (siehe § 303 Abs. 1 StGB). Es gäbe folglich keine 22 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 21. So auch Ermacora, ZÖR 1953, 111; Zitelmann, FS Bergbohm, S. 222. 23 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 22; Nowakowski, ZÖR 1955, 12. 24 Zum zeitlichen Geltungsbereich von Gesetzen siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 579 ff. Auf Sonderfälle weist Gutzwiller hin, FS Lampert, S. 163. Umfassend zur zeitlichen Geltung von Normen aus Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 88. 25 Siehe auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 580. 26 Zum zeitlichen Geltungsbereich von Verhaltens- und Sanktionsnormen siehe detailliert Thienel, FS Walter, S. 713 ff.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Strafsanktionsnorm mehr, die an die Verletzung der Pflicht anknüpft, keine Handlung vorsätzlich vorzunehmen, die zur Beschädigung einer fremden Sache führen könnte. Dies bedeutet aber nicht, dass die Vornahme einer solchen Handlung mit Abschaffung des § 303 StGB von der Rechtsordnung erlaubt wäre. Das wäre nur der Fall, wenn sich in der gesamten Rechtsordnung keine Hinweise auf ein entsprechendes Verbot finden lassen würden. Allerdings enthält § 823 Abs. 1 BGB u. a. eine Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz für die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung des Eigentums eines anderen. Aus § 823 Abs. 1 BGB kann daher auf das Vorhandensein einer Verhaltensnorm geschlossen werden, die vorsätzliche oder fahrlässige Handlungen untersagt, die zu der Verletzung von Eigentum führen können. Davon sind also auch Handlungen erfasst, die vorsätzlich zur Beschädigung einer fremden Sache führen könnten. Aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich somit ebenso wie aus § 303 StGB das Verbot, Handlungen vorzunehmen, die zur Beschädigung fremder Sachen führen könnten. Folglich würde die Abschaffung des § 303 StGB nicht zur Aufhebung dieses Verhaltensverbots führen, sondern nur eine Sanktion dieser Verhaltenspflichtverletzung beseitigen. Dieses Beispiel zeigt, dass bei Verhaltensnormen genau untersucht werden muss, ob diese noch zeitlich gelten. Eine etwaige Aufhebung oder ein „unmerkliches Aussterben“ 27 der Norm kann nur nach Untersuchung der gesamten Rechtsordnung angenommen werden. Die Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen unterliegt daher größeren praktischen Schwierigkeiten als die von Sanktionsnormen. In rechtlicher Hinsicht ergeben sich jedoch keine Besonderheiten. Es gelten daher die allgemeinen Regeln zur Geltung von Gesetzen.28
II. Sachlicher Geltungsbereich Der sachliche Geltungsbereich bezeichnet den Gegenstand der Verhaltensnorm, d.h. die Art des geforderten Verhalten.29 Er ist das zentrale Element in der Abgrenzung verschiedener Verhaltensnormen. Dies liegt daran, dass der sachliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm die konkreten Verhaltensanforderungen bezeichnet und somit das beschreibt, was gemeinhin als „Tathandlung“ bezeichnet wird.30 Ein großer Teil der Merkmale der Verhaltensnorm betrifft daher den sachlichen Geltungsbereich.31 27
So Gutzwiller, FS Lampert, S. 163. Siehe hierzu Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 579 ff. 29 Siehe Ermacora, ZÖR 1953, 115. 30 So Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 232. 31 Ähnlich Liebelt für „außerstrafrechtliche Merkmale“, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 232. 28
B. Der Geltungsbereich
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In den allermeisten Fällen ist es nicht besonders schwierig zu erkennen, ob ein bestimmtes Verhalten vom sachlichen Geltungsbereich einer Verhaltensnorm erfasst wird oder nicht. Schlägt etwa jemand vorsätzlich mit einem Knüppel auf die einem anderen gehörende Vase, so ist offensichtlich, dass dieses Verhalten nicht die §§ 164, 212, 263, 267 usw. StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen verletzt. Denn diese verbieten ganz andere Verhaltensweisen. Der Schlag mit dem Knüppel auf die Vase ist daher nicht vom sachlichen Geltungsbereich dieser Normen (und vieler anderer) erfasst. Aus diesem Grund wendet sich der Jurist von vornherein nur den Normen zu, deren sachlicher Geltungsbereich überhaupt einschlägig sein könnte – wie hier etwa der dem § 303 StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnorm. Bei der genauen Bestimmung des sachlichen Geltungsbereichs einer Norm stellen sich oftmals Probleme, wie einzelne Merkmale zu definieren sind. Dies ist die Folge der Abstraktheit der Verhaltensnormen.32 Ihre Kehrseite finden diese Definitionsprobleme bei der Anwendung der Norm auf einen konkreten Sachverhalt, wenn unter die Norm subsumiert werden muss. Hier zeigt sich, dass es deutliche Unterschiede zwischen dem sachlichen Geltungsbereich und dem Anwendungsbereich geben kann. Jedenfalls ist die Geltung der Norm für einen bestimmten Sachverhalt Voraussetzung ihrer Anwendung.33 Daher ist stets zuerst die Frage nach der korrekten Definition einzelner Merkmale der Verhaltensnorm zu stellen. Eine Verhaltensnorm mit unbegrenztem sachlichem Geltungsbereich ist kaum denkbar. Da der sachliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm das verbotene Verhalten von anderen Verhaltensweisen abgrenzt, müsste eine Norm mit unbegrenztem sachlichen Geltungsbereich unspezifisch alle Verhaltensweisen unter Strafe stellen. Eine solche Norm könnte jedoch auf Grund ihrer Weite keine sinnvollen Verhaltensvorgaben machen.34 Durch die Bewertung allen Verhaltens als rechtswidrig blieben dem Einzelnen keine rechtmäßigen Verhaltensalternativen, so dass der Einzelne zu keinem Verhalten bestimmt werden könnte. Eine derart weite Verhaltensnorm könnte daher ihren Zweck, Rechtsgüter anderer zu schützen, überhaupt nicht erfüllen. Demnach würde sie keinen legitimen Zweck verfolgen und wäre daher unverhältnismäßig. Je weiter daher der sachliche Geltungsbereich der Norm ist, desto weniger rechtmäßige Verhaltensmöglichkeiten verbleiben dem Einzelnen, und umso höher sind die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Norm. Der sachliche Geltungsbereich von Verhaltensnormen muss daher begrenzt sein. 32 Nach Gutzwiller ist dies Folge des „Wesens der juristischen Begriffe selbst“, womit dasselbe gemeint sein dürfte, FS Lampert, S. 163. 33 Gutzwiller, FS Lampert, S. 175. 34 Ähnlich auch Ermacora, ZÖR 1953, 118, der darauf abstellt, dass die Rechtsfolgen einer Norm ohne Bezeichnung der Rechtsbedingung nicht eintreten können.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst seltsam, wenn Kelsen von begrenztem und unbegrenztem sachlichem Geltungsbereich spricht.35 Er bezieht dies jedoch nicht auf den konkreten Geltungsbereich einer Norm, sondern auf den potentiellen. So ist es bestimmten Hoheitsträgern untersagt, Normen zu bestimmten Gegenständen zu erlassen, weil die Normsetzung insoweit anderen vorbehalten sind.36 Beispielsweise hat der Bund gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG die alleinige Gesetzgebungskompetenz für Normen zur Regelung der Staatsangehörigkeit im Bund. Würde jetzt eines der Bundesländer ein Gesetz zur Regelung der Staatsangehörigkeit im Bund erlassen, wäre dies nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz gedeckt, so dass die entsprechende Norm nichtig wäre. Den Bundesländern ist es demnach unmöglich, dieses Sachgebiet in gültiger bzw. geltender Weise zu regeln. Allerdings betrifft die Einschränkung in einem solchen Fall nicht nur den sachlichen Geltungsbereich der Norm, sondern ihre gesamte Geltung. Es ist sogar fraglich, ob eine nichtige Norm überhaupt noch eine Norm ist. Jedenfalls ist eine ungültige Norm nicht rechtlich verbindlich. Mit „sachlichem Geltungsbereich“ sind hier jedoch die Verhaltensweisen gemeint, die die Norm in rechtlich verbindlicher Weise fordert. Ihre rechtliche Verbindlichkeit wird daher vorausgesetzt. Demzufolge gilt das oben Gesagte, nämlich dass eine rechtlich verbindliche Norm zwangsläufig einen begrenzten sachlichen Geltungsbereich haben muss. Kelsen ist allerdings insoweit zuzustimmen, als die Frage des sachlichen Geltungsbereiches der Norm schon Einfluss auf deren Geltung haben kann.
III. Persönlicher Geltungsbereich Der persönliche Geltungsbereich einer Norm bezeichnet diejenigen Personen, die durch die Norm verpflichtet oder berechtigt werden sollen. Bei Verhaltensnormen sind dies diejenigen, deren Verhalten durch die Norm beeinflusst werden soll. Hierzu hat Kaufmann angemerkt, dass auch Normen, die nur das Verhalten eines bestimmten Personenkreises bestimmen wollen, grundsätzlich an alle adressiert seien.37 Denn es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine Person irgendwann einmal zu dem entsprechenden Personenkreis zählen werde.38 Eine Beschränkung des zu verpflichtenden Personenkreises sei daher erst bei Ermittlung der konkreten Verhaltenspflicht zu berücksichtigen.39 Aus diesem Grund müsse der Adressat der Norm auch nicht in der Lage sein, das Verhaltensgebot 35 36 37 38 39
Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 22. Siehe das Beispiel von Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 22 f. Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 133 f. So auch Jescheck/Weigend, S. 237 f. Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 133. Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 141 ff.
B. Der Geltungsbereich
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zu verstehen oder danach zu handeln, damit diese für ihn gelte.40 Dies sei erst bei der Frage relevant, ob den Einzelnen eine Verhaltenspflicht treffe.41 Es lässt sich darüber streiten, ob Kaufmanns Ansicht noch mit der verhaltensbestimmenden Funktion der Norm zu vereinbaren ist. Denn letztendlich wird sich nur an der Verhaltensnorm orientieren, wer sich auch von ihr betroffen fühlt. Für die Frage des persönlichen Geltungsbereichs spielt es keine Rolle, wer als Adressat der Norm angesehen wird. Da mit „Geltung“ die rechtliche Verbindlichkeit bezeichnet wird,42 kann mit „persönlicher Geltungsbereich“ nur der Personenkreis gemeint sein, den auf Grund der Norm Pflichten treffen können. Der persönliche Geltungsbereich bezeichnet daher diejenigen, für die sich aus der Norm konkrete Verhaltenspflichten ergeben können. 1. Begrenzter persönlicher Geltungsbereich Bei vielen Verhaltensnormen ist der persönliche Geltungsbereich begrenzt. So richten sich etwa die den §§ 331 ff. StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen zumindest zum Teil an Amtsträger. Aus der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB ergibt sich, dass damit nur Personen gemeint sind, die nach deutschem Recht in einem bestimmten Pflichtenverhältnis stehen. Allerdings erweitert Art. 2 § 1 Abs. 1 EUBestG43 den Adressatenkreis einiger dieser Verhaltensnormen auf bestimmte Beschäftigte der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft. Art. 2 § 1 Abs. 1 EUBestG ändert somit den persönlichen Geltungsbereich der in den §§ 332 ff. StGB enthaltenen Verhaltensnormen.44 Die auf den ersten Blick ähnlich aussehende Vorschrift des Art. 2 § 1 IntBestG45 erweitert hingegen nicht den Kreis der Adressaten der in § 334 StGB enthaltenen Verhaltensnorm, sondern verbietet weitere Verhaltensweisen.46 Aus ihr ergibt sich somit eine neue Verhaltensnorm.47
40
Siehe Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 121 ff. Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 126 ff. 42 Siehe oben Kap. 4 A., S. 66 ff. 43 Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, BGBl. 1998 II, S. 2340. 44 Vgl. hierzu auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 90 f. 45 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, BGBl. 1998 II, S. 2327. 46 So auch Tinkl, wistra 2006, 126. Zum Verhältnis von EUBestG und IntBestG Kempf, FS Richter II, S. 293 ff. 47 Die Frage, ob es sich hierbei um die Schaffung einer neuen Verhaltensnorm oder die Ausdehnung einer bereits vorhandenen handelt, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. 41
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Zur Begrenzung des persönlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen kommen verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht. Sie können etwa an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, an bestimmte familiäre Beziehungen oder an bestimmte Positionen wie z. B. die Stellung als Arbeitgeber. Auch einige der dem StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen beschränken den persönlichen Geltungsbereich auf verschiedene Weise.48 Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Inhalt der Verhaltensnorm auch hier durch Auslegung anhand der gesamten Rechtsordnung zu bestimmen ist. Begrenzt etwa eine Sanktionsnorm die Strafbarkeit auf „Amtsträger“, so kann dies bedeuten, dass sie an eine Verletzung von Verhaltenspflichten anknüpft, die speziell Amtsträger treffen. Ebenso ist es jedoch möglich, dass die Sanktionsnorm die Verletzung einer allgemeinen Verhaltenspflicht zu Grunde legt, diese allerdings nur dann mit Strafe bedroht, wenn der Täter Amtsträger ist. In diesem Fall wäre die Amtsträgereigenschaft Merkmal der Sanktionsnorm. 2. Unbegrenzter persönlicher Geltungsbereich Andere Verhaltensnormen enthalten gar keine nähere Bestimmung des Adressaten. Bei diesen Normen unterliegt der persönliche Geltungsbereich keiner Beschränkung und ist daher unbegrenzt.49 Allgemeine Verbote wie das dem § 212 StGB zu Grunde liegende Tötungsverbot gelten daher für jedermann.50 Dass diese Auslegung richtig ist, wird zumindest für das deutsche Recht niemand bestreiten. In anderen Rechtsordnungen ist dies jedoch keineswegs zwingend. Es wäre durchaus denkbar, dass ein Staat nur Verhaltensnormen schafft, die ausschließlich seine Angehörigen verpflichten sollen, jedoch niemanden sonst. In einem solchen Fall müsste ein allgemein formuliertes Tötungsverbot im Zusammenhang mit dieser Regel so ausgelegt werden, dass letztendlich eine auf Staatsangehörige begrenzte Verhaltensnorm anzunehmen sei. Ob eine Verhaltensnorm sich daher letztendlich an einen bestimmten oder unbestimmten Personenkreis richtet, ob also der persönliche Geltungsbereich einer Norm begrenzt oder unbestimmt ist, muss ebenfalls durch Auslegung ermittelt werden.51 3. Geltung für juristische Personen Selbst wenn die Auslegung der Verhaltensnorm, bei der die gesamte Rechtsordnung herangezogen werden muss,52 keine Beschränkung des persönlichen 48 Siehe dazu die Beispiele von Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 227 f. 49 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 23. 50 So auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 202; M. E. Mayer, AT, S. 94. 51 So auch Gutzwiller, FS Lampert, S. 163 f. 52 Siehe oben Kap. 2 D., S. 46 ff.
B. Der Geltungsbereich
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Geltungsbereichs ergeben hat, so beantwortet dies noch nicht die Frage, für wen die Verhaltensnorm gilt. Die Aussage, eine Verhaltensnorm richte sich an jedermann, ist nämlich konkretisierungsbedürftig. Einigkeit besteht darüber, dass eine Verhaltensnorm mit unbegrenztem persönlichem Geltungsbereich sich jedenfalls an alle Menschen richtet.53 Wenn jedoch Gutzwiller in diesem Zusammenhang schreibt, „[. . .] das Recht [wende] sich ausnahmslos an Personen [. . .]“ 54, so ist dies nicht dasselbe. „Personen“ sind nämlich sowohl natürliche Personen, d.h. Menschen, als auch juristische Personen. Der Ausdruck „Person“ ist somit ein Rechtsbegriff zur Erfassung von Menschen und bestimmten rechtlichen Konstrukten.55 Zu fragen ist daher, ob eine Verhaltensnorm mit unbegrenztem persönlichen Geltungsbereich auch juristische Personen verpflichtet. Dass diese Überlegung nicht rein theoretischer Natur ist, zeigt sich daran, dass viele Staaten eine Strafbarkeit juristischer Personen kennen. Beispielsweise existiert in England ein Straftatbestand der „Tötung durch Unternehmen“ (Corporate manslaughter).56 Aus normentheoretischer Perspektive stellt sich die Frage, an welche Verhaltenspflichtverletzung diese Sanktionsnorm anknüpft, genauer gesagt, an wessen Verhaltenspflichtverletzung. Dazu muss überlegt werden, ob Unternehmen überhaupt Verhaltensnormen treffen können. Unabhängig davon, was als Antwort auf diese Frage angesehen wird, ergibt sich aus der Natur eines normentheoretischen Konzepts, dass dieses Ergebnis allgemeine Gültigkeit haben muss. Entweder können Verhaltensnormen generell auch juristische Personen verpflichten, oder sie können es nicht. In letzterem Fall bedarf die Regelung aus section 1 Corporate Manslaughter and Corporate Homicide Act 200757 besonderer Rechtfertigung. Auch im deutschen Recht ist diese Frage von Bedeutung. Zwar kennt das deutsche Recht nach ganz herrschender Ansicht keine Unternehmensstrafbarkeit, d.h. keine an Unternehmen gerichtete Strafsanktionsnormen.58 Die seit längerem andauernde Diskussion, ob eine Strafbarkeit von Unternehmen per Gesetz eingeführt werden sollte und könnte und ob eine solche Sanktion noch als „Strafe“ zu bezeichnen wäre, würde jedoch durch das Ergebnis dieser Frage stark beeinflusst. 53 Siehe etwa Arm. Kaufmann, Normentheorie, S. 125; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 22 f.; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 53. 54 Gutzwiller, FS Lampert, S. 163. 55 Ermacora, ZÖR 1953, 112. 56 Dieser Straftatbestand wurde durch s. 1 des Corporate Manslaughter and Corporate Homicide Act 2007, c. 19, eingeführt, und ist seit dem 6. April 2008 in Kraft. 57 So wird der Act gem. s. 29 Corporate Manslaughter and Corporate Homicide Act 2007 zitiert. 58 Siehe dazu nur BGH, Urt. v. 27.10.1953, BGHSt 5, 28, 32; Heine in: Schönke/ Schröder, Vor §§ 25 ff., Rn. 119; Frister, AT, Kap. 3 Rn. 13; Hoffmann, S. 248 in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen; Jescheck/Weigend, S. 227; M. E. Mayer, AT, S. 95; Weber in: Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 13 Rn. 15.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Zudem können andere Sanktionen, z. B. solche zivilrechtlicher Natur, auch gegenüber juristischen Personen verhängt werden.59 Letztendlich geht es darum, was unter „Verhalten“ zu verstehen ist und ob danach juristischen Personen ein Verhalten möglich ist. Da diese Frage nicht ohne genaue Untersuchung des Verhaltensbegriffs und der Grundprinzipien des Strafrechts beantwortet werden kann, soll das Problem an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Es muss jedoch festgehalten werden, dass die auf den ersten Blick trügerisch simple Aussage, bestimmte Verhaltensnormen hätten einen unbegrenzten persönlichen Geltungsbereich, die Frage verschleiert, an welche Personen sich Verhaltensnormen überhaupt richten können. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kommt es auf dieses Problem jedoch nicht an. Im Folgenden soll daher der Einfachheit halber davon ausgegangen werden, dass Verhaltensnormen sich nur an natürliche Personen richten.
IV. Räumlicher Geltungsbereich Der räumliche Geltungsbereich60 einer Norm regelt, an welchen Orten sie Pflichten begründet. Bei der Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich von Verhaltensnormen geht es folglich darum, wo Verhaltenspflichtverletzungen erfasst werden sollen.61 Besteht die Verhaltenspflichtverletzung in aktivem Tun, so ist auf den Handlungsort abzustellen. Besteht die Verhaltenspflichtverletzung dagegen in einem Unterlassen, ist im Rahmen des räumlichen Geltungsbereichs der Ort relevant, an dem die Handlung vorzunehmen gewesen wäre.62 Die Definition des räumlichen Geltungsbereichs, die in dieser Arbeit zu Grunde gelegt wird, wird nicht von allen geteilt. Der Ausdruck „räumlicher Geltungsbereich“ wird vielmehr mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen verwendet.63 Der Grund dafür liegt zumindest zum Teil darin, dass nicht näher erläutert wird, auf welchen Geltungsbereich welcher Norm sich die Aussage bezieht.64 Auf die verschiedenen Definitionen soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden.
59 Siehe zum Zivilrecht Maier-Reimer, der juristische Personen auch als Adressaten von Verhaltensnormen anerkennt, NJW 2007, 3158 f. 60 Nicht ganz unberechtigt ist die Kritik, der Ausdruck „räumlicher Geltungsbereich“ sei ein Pleonasmus (so F.-C. Schroeder, GA 1968, 353). Diese stilistische Unschönheit kann jedoch angesichts der Anschaulichkeit dieses Begriffs hingenommen werden. 61 Ähnlich Nowakowski, ZÖR 1955, 16: „Ort des Verhaltens“. 62 Näher dazu Rotsch, ZIS 2010, 171 ff. 63 Siehe hierzu den Überblick bei F.-C. Schroeder, GA 1968, 353 ff. Dazu auch Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 20 ff. 64 So auch F.-C. Schroeder, GA 1968, 353 ff. Siehe ebenfalls das Beispiel von Nowakowski, ZÖR 1955, 17 f.
B. Der Geltungsbereich
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Eine andere Kuriosität ist das Verhältnis von persönlichem und räumlichem Geltungsbereich.65 Laut Gutzwiller ist das Merkmal, das Normen verschiedener Rechtsordnungen abgrenzt, grundsätzlich der persönliche Geltungsbereich.66 Er erkennt einen räumlichen Geltungsbereich überhaupt nur an, wenn die Norm an die Belegenheit von Sachen anknüpft.67 Ansonsten habe eine Norm nur einen persönlichen, zeitlichen und sachlichen Geltungsbereich.68 Eine Norm, die nur innerhalb von Stadtgrenzen gelte, gelte daher in Wahrheit für den Personenkreis, der sich in der Stadt aufhalte, und habe daher einen begrenzten persönlichen Geltungsbereich, aber keinen räumlichen.69 Der entgegengesetzten Ansicht nach knüpft der persönliche Geltungsbereich stets an den räumlichen an.70 Normen richten sich danach an alle, die sich in ihrem räumlichen Geltungsbereich aufhalten.71 Allerdings könnte der räumliche Geltungsbereich auf bestimmte Personenkreise ausgedehnt werden.72 Ein Beispiel hierfür sei die Landesbauordnung NRW, die alle Personen betreffe, die in NRW bauen wollten.73 Das Problem der These von Gutzwiller liegt darin, dass er die Unterscheidung zwischen begrenztem und unbegrenztem Geltungsbereich verkennt. Eine Norm mit begrenztem räumlichen Geltungsbereich bezieht sich nur auf Vorgänge in einem begrenzten Raum, eine mit unbegrenztem auf Vorgänge, wo immer sie sich ereignen können.74 Wenn daher eine Norm keinen örtlichen Bezug aufweist, so ist davon auszugehen, dass ihr räumlicher Geltungsbereich grundsätzlich unbegrenzt ist. Es ist jedoch unlogisch, gewissen Normen einen räumlichen Geltungsbereich zuzugestehen, anderen aber nicht.75 Es ist auch nicht überzeugend, den persönlichen Geltungsbereich aus dem räumlichen abzuleiten.76 In einem solchen Fall wäre der persönliche Geltungsbereich zwangsläufig begrenzt. Das Einschränkungskriterium wäre jedoch kein 65 Zum Verhältnis des räumlichen Geltungsbereichs zu zeitlichem und sachlichem siehe Ermacora, ZÖR 1953, 110. 66 Gutzwiller, FS Lampert, S. 170. 67 Gutzwiller, FS Lampert, S. 170. 68 Gutzwiller, FS Lampert, S. 170. 69 Gutzwiller, FS Lampert, S. 167. 70 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 96; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 582. 71 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 96; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 582. Binding bezeichnet allerdings genau denselben Fall als Beispiel für die Abhängigkeit des räumlichen vom persönlichen Geltungsbereich, Hdb. d. Strafrechts, Bd. 1, S. 381. 72 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 96. 73 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 582. 74 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 22. 75 So aber Gutzwiller, FS Lampert, S. 172. 76 So aber Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 582.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
in der Person begründetes, sondern ein örtlich begründetes, nämlich der Aufenthaltsort. Es wäre daher sachgerechter, dieses Kriterium beim räumlichen Geltungsbereich zu berücksichtigen. Damit ist der Kern des Problems erreicht. In vielen Fällen ist es möglich, persönliche Kriterien in räumliche umzuinterpretieren und umgekehrt.77 Die Unterscheidung der beiden Geltungsbereiche ist daher Sache der Auslegung.78 Diese wird allerdings dadurch erschwert, dass die Bedeutung des Begriffs Geltungsbereich je nach Verwendungszusammenhang schwankt.79 An dieser Stelle kann nicht näher auf die Auslegungsproblematik eingegangen werden. Wird wie hier der persönliche Geltungsbereich auf die Person des Handelnden bezogen, der räumliche dagegen auf den Ort des Verhaltens, dann gehört der Bereich, in dem gehandelt wurde, zum räumlichen Geltungsbereich, nicht zum persönlichen.80 In Gutzwillers Stadtbeispiel hätte die Norm daher einen begrenzten räumlichen Geltungsbereich, aber einen unbegrenzten persönlichen. Genau das Gleiche wäre in K. und H. C. Röhls Beispiel anzunehmen. Die folgenden Erörterungen gehen von diesen Definitionen aus und beziehen den räumlichen Geltungsbereich auf den Ort des Verhaltens.
C. Der Geltungsbereich als Teil der Verhaltensnorm Die Formulierung „Geltungsbereich der Norm“ impliziert, dass der Geltungsbereich zur Norm gehört, also Teil der Norm ist. Er muss daher auch an irgendeiner Stelle in der Norm verankert sein. Allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, wo der Geltungsbereich innerhalb der Norm einzuordnen ist.81
I. Rechtsbedingung und Rechtsfolge Jede Norm enthält eine Rechtsbedingung, Sollensanordnung und Rechtsfolge.82 Die Rechtsbedingung wird auch als „Tatbestand“ bezeichnet.83 Der Be77 Siehe die unterschiedlichen Auffassungen von Binding einerseits, Nawiasky und K. und H. C. Röhl andererseits in Fn. 71, S. 77. 78 Gutzwiller, FS Lampert, S. 174. 79 Siehe dazu Nowakowski, ZÖR 1955, 14 ff. 80 So auch Nowakowski, ZÖR 1955, 16. 81 Siehe den Überblick bei Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 222 ff. 82 Ermacora, ZÖR 1953, 103. Siehe auch Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 121 ff., der allerdings auch den Adressaten als Element der Norm benennt. Aus der Tatsache, dass eine Norm in weitere Elemente unterteilt werden kann, folgt zugleich, dass die Bezeichnung der Normen als „Elementarteilchen des Rechts“ nicht treffend ist (so aber Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 189). 83 Z. B. von Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 122.
C. Der Geltungsbereich als Teil der Verhaltensnorm
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griff „Tatbestand“ ist allerdings mehrdeutig und wird im Strafrecht üblicherweise in anderem Zusammenhang verwendet, nämlich zur Bezeichnung der ersten Stufe im dreistufigen Deliktsaufbau. Um Missverständnisse zu vermeiden, soll daher zur Bezeichnung der Elemente der Norm der Terminus „Rechtsbedingung“ verwendet werden. Fraglich ist, ob der Geltungsbereich Teil der Rechtsbedingung oder der Rechtsfolge der Verhaltensnorm ist.84 Ermacora definiert „Rechtsbedingung“ als Summe aller rechtlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge.85 Die Geltungsbereiche seien die konkrete Formulierung der Rechtsbedingung.86 Deshalb könne bei einer abstrakten Norm gar nicht von Geltungsbereichen gesprochen werden, sondern der Ausdruck „Geltungsbereiche“ müsse sich auf einen konkreten Rechtssatz beziehen.87 Als Rechtssatz bezeichnet Ermacora die Kombination von einer Norm und einem Imperativ, d.h. einem verhaltenssteuernden Befehl.88 Werden die Ausführungen Ermacoras auf Verhaltensnormen im oben bezeichneten Sinne89 bezogen, dann wird deutlich, dass Ermacora den Ausdruck Norm in einem engeren Sinn verwendet. Seiner Begriffsverwendung nach ist die Norm der Maßstab für das, was Recht ist.90 Die Norm hat daher nur eine Bewertungsfunktion.91 Erst in Kombination mit einem Imperativ kann die Norm Verhaltensanordnungen treffen und somit das Verhalten der Menschen bestimmen. Nach Ermacora haben daher nur Rechtssätze eine Bestimmungsfunktion.92 In dieser Abhandlung wird die Verhaltensnorm allerdings nicht nur als Bewertungsnorm betrachtet, sondern insbesondere als Bestimmungsnorm. Die Verhaltensnorm ist als Grundlage der Strafsanktionsnorm nur insoweit interessant, als sie konkrete Verhaltenspflichten begründen kann. Demnach ist die Verhaltensnorm ein Rechtssatz.93 Der Geltungsbereich der Verhaltensnorm beschreibt daher den Bereich, in dem aus der Norm konkrete Verhaltenspflichten erwachsen können. Nach dieser Definition ist der Geltungsbereich der Verhaltensnormen als Eigenschaft der von der Verhaltensnorm angeordneten Rechtsfolge einzuordnen. Rechtsfolge der Verhaltensnorm ist das Entstehen einer konkreten Verhaltenspflicht. Wenn mit „Geltungsbereich“ der Bereich beschrieben wird, in dem solche Pflichten entstehen, wird zugleich der Geltungsbereich der Rechtsfolge beschrieben. 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93
Siehe hierzu Ermacora, ZÖR 1953, 119; Nowakowski, ZÖR 1955, 10 ff. Ermacora, ZÖR 1953, 119. Ermacora, ZÖR 1953, 119. Ermacora, ZÖR 1953, 119. Ermacora, ZÖR 1953, 104. Kap. 2 A., S. 36 ff. Ermacora, ZÖR 1953, 103. Siehe dazu oben Kap. 2 A., S. 36 ff. Siehe dazu Kap. 2 A., S. 36 ff. Diesen Ausdruck verwendet auch Binding, Normen, Bd. 1, S. 157.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Dass die Rechtsbedingung und die Rechtsfolge verschiedene Geltungsbereiche haben können, hat Nowakowski ausgeführt.94 Eine Norm könne nur für bestimmte Voraussetzungen „gelten“, sie könne aber auch nur bestimmte Personen verpflichten.95 Nowakowski stellt heraus, dass der „Geltungsinhalt“ der Verhaltensnorm, d.h. der Geltungsbereich ihrer Rechtsfolge, dem Geltungsbereich der Sanktionsnorm entspricht.96 Nur eine Trennung der Geltungsbereiche von Rechtsbedingung und Rechtsfolge mache – in Kombination mit der Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen – eine genaue Untersuchung des Geltungsbereichs einer Norm möglich.97 Auf Basis dieser Differenzierung ordnet Liebelt Beschränkungen der deutschen Strafgerichtsbarkeit als Einschränkungen des Geltungsbereichs der Rechtsfolge einer Sanktionsnorm ein.98 Nowakowski zufolge gibt es daher keinen Geltungsbereich einer Norm, sondern nur den Geltungsbereich bzw. Geltungsinhalt von Teilen einer Norm. Bezieht man den Geltungsbereich auf die Sachverhalte, in denen konkrete Pflichten entstehen, und somit auf die Rechtsfolge, kann streng genommen gar nicht vom „Geltungsbereich der Verhaltensnorm“ gesprochen werden. Präziser wäre es, zwischen dem Geltungsbereich der Rechtsbedingung und dem der Rechtsfolge der Verhaltensnorm zu differenzieren. Allerdings ist fraglich, ob diese Differenzierung bei Verhaltensnormen notwendig ist. Da die Rechtsbedingung die Voraussetzungen regelt, aus denen sich die Rechtsfolge ergibt, kann der Geltungsbereich der Rechtsbedingung zwar weiter sein als der der Rechtsfolge, jedoch nicht enger. Wenn ein Sachverhalt jedoch von den Voraussetzungen einer Verhaltensnorm erfasst wird, sich daraus aber keine Rechtsfolge im Sinne einer konkreten Verhaltenspflicht ergibt, so wirkt die Verhaltensnorm nicht bestimmend. In diesen Fällen würde die Norm nur das verbotene Verhalten beschreiben und hätte rein deklaratorischen Charakter. Die Einbeziehung solcher Fälle in den Geltungsbereich der Rechtsbedingung der Verhaltensnorm ließe sich jedenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes rechtfertigen. Es ist daher anzunehmen, dass der Geltungsbereich der Rechtsbedingung der Verhaltensnorm in den meisten Fällen mit dem Geltungsbereich ihrer Rechtsfolge identisch sein wird. Die Problematik soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Wenn im Rahmen dieser Abhandlung vom „Geltungsbereich der Verhaltensnormen“ die Rede ist, so ist damit die Summe aller Sachverhalte gemeint, in denen aus der Verhaltensnorm konkrete Verhaltenspflichten erwachsen können. 94
Nowakowski, ZÖR 1955, 10 ff. Nowakowski, ZÖR 1955, 11. 96 Nowakowski, ZÖR 1955, 13. 97 Siehe die Beispiele bei Nowakowski, ZÖR 1955, 16 ff. 98 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 225. Zu Einschränkungen der Jurisdiktionsbefugnis siehe Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 40 ff. 95
C. Der Geltungsbereich als Teil der Verhaltensnorm
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II. Geltungsbereich und Vorsatz Die Feststellung, dass der Geltungsbereich der Verhaltensnorm Teil ihrer Rechtsfolge ist, ist gerade im Strafrecht von Bedeutung. Wenn der Geltungsbereich der Verhaltensnorm den Bereich umfasst, in dem konkrete Verhaltenspflichten entstehen können, bedeutet dies, dass der Geltungsbereich zugleich den Bereich umschreibt, in dem das Verhalten als rechtswidrig oder rechtmäßig bewertet wird.99 Die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens ist jedoch unabdingbare Voraussetzung für dessen Strafbarkeit. Deswegen muss jede Strafsanktionsnorm an eine Verhaltenspflichtverletzung knüpfen.100 Ob eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt, kann jedoch nur durch Untersuchung des Geltungsbereichs der einschlägigen Verhaltensnorm festgestellt werden. Erst der Geltungsbereich regelt, wer wo was wann nicht darf. Dabei legt der sachliche Geltungsbereich fest, welche Verhaltensweisen erfasst werden, der persönliche, an wen sich die Verhaltenspflicht richtet, und der räumliche, an welchem Ort Verhaltenspflichten entstehen sollen. Der zeitliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm bestimmt, innerhalb welchen Zeitraums sich aus der Verhaltensnorm konkrete Verhaltenspflichten ergeben. Dies zeigt, dass alle vier Aspekte des Geltungsbereichs notwendig sind, um eine konkrete Verhaltenspflicht zu begründen. Gäbe es beispielsweise keinen persönlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm, stünde nicht fest, wer durch die Verhaltensnorm verpflichtet werden solle. Dann könnte die Verhaltensnorm ihre Bestimmungsfunktion jedoch nicht erfüllen.101 Es ist demnach zwingend notwendig, dass die Verhaltensnorm einen persönlichen Geltungsbereich hat. Dieser mag begrenzt sein, er mag aber auch unbegrenzt sein. Im letzteren Fall würden dann alle Personen dem (unbegrenzten) persönlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm unterfallen. Was für den persönlichen Geltungsbereich gilt, lässt sich auf die anderen Geltungsbereiche übertragen. Sind demnach alle vier Geltungsbereiche notwendig, um eine konkrete Verhaltenspflicht zu begründen, stellt sich nunmehr die Frage, ob nicht auch alle Umstände, aus denen sich die Geltungsbereiche ergeben, vom Vorsatz umfasst sein müssen. Aus § 16 StGB ergibt sich, dass der Vorsatz sich auf alle Umstände beziehen muss, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Was mit dem „gesetzlichen Tatbestand“ gemeint ist, führt das Gesetz nicht näher aus. Der Begriff „Tatbestand“ ist keineswegs eindeutig.102 Im Zusammenhang mit § 16 StGB hat sich jedoch
99
Siehe auch Neumann, FS Müller-Dietz, S. 604. Siehe oben Kap. 2 C. III., S. 45 f. 101 Siehe hierzu bereits oben Kap. 4 B. II., S. 70 ff. 102 Siehe hierzu die verschiedenen Definitionen bei Engisch, FS Mezger, S. 130 ff. 100
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, dass Gegenstand des Vorsatzes alle Merkmale sind, die das Unrecht der Tat ausmachen.103 Kern des Unrechts ist im deutschen Strafrecht das rechtswidrige Verhalten des Täters, also das, was hier als Verhaltenspflichtverletzung bezeichnet wird.104 Demnach muss sich der Vorsatz gem. § 16 StGB grundsätzlich auf die Umstände beziehen, aus denen sich die konkrete Verhaltenspflicht ergibt. Diese Umstände sind, wie bereits dargelegt wurde, die vier Aspekte des Geltungsbereichs der Verhaltensnorm. Folglich müssen alle die Umstände, aus denen sich die Geltung der Verhaltensnormen ergibt, vom Vorsatz umfasst sein. Im Hinblick auf den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich ist diese Erkenntnis keineswegs neu. Seit jeher wird der Vorsatz auf die Merkmale erstreckt, die die Tathandlung und den Täter näher kennzeichnen.105 Es gibt jedoch keinen plausiblen Grund, warum dies nicht auch für den räumlichen Geltungsbereich gelten sollte, der für die Bewertung der Tat als rechtswidrig ebenso wichtig ist. Auch die Umstände, aus denen sich der räumliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm ergibt, müssen daher vom Vorsatz umfasst sein.106 Dem Grundsatz nach gelten diese Überlegungen in gleicher Weise für den zeitlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Umstand, aus dem sich die zeitliche Geltung der Verhaltensnorm ergibt, in aller Regel nur deren Existenz ist. Verhaltensnormen enthalten typischerweise keine nähere Bestimmung ihrer zeitlichen Geltung und erlöschen daher erst mit ihrer Aufhebung.107 Im Strafrecht werden die Verhaltensnormen jedoch den Strafsanktionsnormen entnommen, in denen aus deren Formulierungen Rückschlüsse auf das verbotene Verhalten gezogen werden. Solange eine einschlägige Strafsanktionsnorm existiert, muss es somit auch eine dazu passende Verhaltensnorm geben. Es kann daher gar nicht vorkommen, dass es keine in zeitlicher Hinsicht geltende Verhaltensnorm gibt, deren Verletzung sanktioniert werden soll. Demzufolge hängt der zeitliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm in den meisten Fällen ausschließlich davon ab, ob die Norm als solche überhaupt existiert oder nicht. Für die Frage, ob der Täter die Existenz der einschlägigen Verhaltensnorm kennen muss oder nicht, existiert jedoch in § 17 StGB eine Sonderregel. Gem. § 17 S. 1 StGB ist die Schuld des Täters ausgeschlossen, wenn dieser das Verbot nicht kannte und dieser Irrtum unvermeidbar war. Daraus lässt sich Siehe hierzu statt vieler Rudolphi in: SK7, § 16 Rn. 6 ff.; Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, §§ 15, 16 Rn. 9. 104 Siehe oben Kap. 2 C. IV., S. 46 f. 105 Siehe die Beispiele bei Rudolphi in: SK7, § 16 Rn. 7. 106 Ebenso Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 51; ders., FS Maiwald, S. 72; Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 105 f.; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 604 f.; wohl auch Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 13. 107 Siehe Kap. 4 B. I., S. 69. 103
D. Ergebnis
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schließen, dass die Kenntnis des Verbots nicht Gegenstand des Vorsatzes im Sinne des § 16 StGB sein kann. Dies führt dazu, dass es nur in wenigen Fällen dazu kommen wird, dass Umstände, die den zeitlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm ausmachen, für den Vorsatz von Bedeutung sind, nämlich nur, wenn die Verhaltensnorm ihre zeitliche Geltung von besonderen Umständen abhängig macht. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass – vom Sonderfall des zeitlichen Geltungsbereichs abgesehen – grundsätzlich alle Umstände, aus denen sich der Geltungsbereich der Verhaltensnorm ergibt, vom Vorsatz umfasst sein müssen. Diese Auslegung ist unabhängig davon, ob der Vorsatz als Merkmal der Verhaltens- oder der Sanktionsnorm eingeordnet wird.108 Welche Umstände den Geltungsbereich der deutschen Verhaltensnormen begründen, wird noch zu erläutern sein.109
D. Ergebnis Wenn im Folgenden vom Geltungsbereich der Verhaltensnormen die Rede ist, so sind damit alle Fälle gemeint, in denen aus den Verhaltensnormen konkrete Verhaltenspflichten erwachsen können. Der Geltungsbereich kann in vier Komponenten unterteilt werden: den zeitlichen, sachlichen, persönlichen und räumlichen Geltungsbereich. Der zeitliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm beschreibt den Zeitraum, in dem die Verhaltensnorm rechtliche Wirkungen entfaltet. Dagegen bezeichnet der sachliche Geltungsbereich den Gegenstand der Verhaltensnorm. Der persönliche Geltungsbereich beschreibt den Kreis derer, die die Verhaltensnorm trifft, während der räumliche Geltungsbereich festlegt, wo die Norm Verhaltensanforderungen aufstellt. Die folgenden Ausführungen werden sich teils auf den Geltungsbereich als Ganzen, teils auf einzelne seiner Komponenten beziehen. Dies liegt zum einen daran, dass eine Verhaltensnorm in allen Dimensionen für einen Sachverhalt gelten muss, um Anwendung zu finden. Zum anderen können die Geltungsbereiche voneinander beeinflusst werden.110 Es ist jedoch bereits erkennbar, dass der räumliche Geltungsbereich im Rahmen der Frage, welche Verhaltensnorm anzuwenden ist, eine wichtige Rolle spielen wird. Dagegen werden Fragen, die den zeitlichen Geltungsbereich betreffen, aus Gründen der Vereinfachung ausgeklammert werden. Im Folgenden wird daher stets unterstellt, dass die angesprochenen Verhaltensnormen zeitlich gelten.
108 109 110
Siehe oben Kap. 2 C. II. 3., S. 43 f. Siehe insbesondere zum räumlichen Geltungsbereich Kap. 6–9, S. 91 ff. Siehe Nowakowski, ZÖR 1955, 18 ff.
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Kap. 4: Die Definition von „Geltungsbereich‘‘
Der Geltungsbereich ist Teil der Rechtsfolge der Verhaltensnorm und somit konstitutiv für die Verhaltenspflicht. Die Umstände, aus denen sich die konkreten Verhaltenspflichten ergeben, sind daher aus strafrechtlicher Sicht Teil des Unrechts und müssen somit vom Vorsatz umfasst sein.
Kapitel 5
Immanente Beschränkung des Geltungsbereichs Die Erläuterung der verschiedenen Geltungsbereiche hat gezeigt, dass die Verhaltensnorm grundsätzlich selber regelt, welche Fälle sie erfasst, und zwar durch Beschränkungen der zeitlichen, sachlichen, persönlichen oder räumlichen Geltungsbereiche. Bei Anwendung einer Verhaltensnorm muss daher zuerst auf konkrete Bestimmungen des Geltungsbereichs geachtet werden. Diese sind als Spezialregeln gegenüber den allgemeinen Regeln vorrangig.1 Auch die dem StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen enthalten eine Vielzahl immanenter Beschränkungen.2
A. Beschränkungen des sachlichen Geltungsbereichs Alle Verhaltensnormen sind insoweit sachlich beschränkt, als sie stets ein bestimmtes Verhalten, das gegen bestimmte Rechtsgüter gerichtet ist, verbieten. Durch Auslegung können sich jedoch weitere immanente Beschränkungen ergeben.3 Ein Beispiel hierfür ist die Frage, ob ein Tatbestand nur inländische oder auch ausländische Rechtsgüter schützt.4 Dabei geht es darum, ob deutsche Verhaltensnormen auch ein Verhalten untersagen, das nur ein Risiko für Rechtsgüter ausländischer Staaten oder Personen beinhaltet. Im Grundsatz werden Individualrechtsgüter stets geschützt, unabhängig davon, wer Träger des Rechtsguts ist, während bei spezifisch staatlichen Rechtsgütern nur die des deutschen Staates geschützt 1 K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 357. Siehe auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 57. Zu Recht weist Forkel jedoch darauf hin, dass auch die Geltungsbereichsregeln die Auslegung der Straftatbestände beeinflussen können, Umweltbelastungen, S. 105 f. 2 Siehe die Beispiele von Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 ff. Rn. 33 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 112 ff.; Gribbohm in: LK11, Vor § 3 Rn. 166 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 4 ff.; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 141 ff. 3 Siehe die Beispiele bei Krapp, Distanzdelikt, S. 76 ff.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 228 ff. 4 Siehe hierzu ausführlich Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 22 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 48 ff.; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 17 ff.
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Kap. 5: Immanente Beschränkung des Geltungsbereichs
werden sollen.5 Im Einzelnen ist jedoch einiges unklar. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit EU- und EG-Rechtsgüter von deutschen Verhaltensnormen geschützt werden, bzw. ob deutsche Sanktionsnormen die Verletzung von EG-rechtlichen Verhaltenspflichten erfassen.6 Wenn ein Tatbestand nur bestimmte Rechtsgüter schützt, lässt sich daraus zunächst schließen, dass die Verhaltensweisen verboten sind, die ein Risiko für das geschützte Rechtsgut darstellen. Ob darüber hinaus auch Verhaltensweisen verboten sind, die sich gegen nicht strafrechtlich geschützte Rechtsgüter richten, kann allerdings wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung nur mit Hilfe der gesamten Rechtsordnung festgestellt werden. Es wäre daher verfehlt, aus der Tatsache, dass ein bestimmter Straftatbestand nur inländische Rechtsgüter schützt, auf die entsprechende Beschränkung der diesem zu Grunde liegenden Verhaltensnorm zu schließen.7 Abgesehen von dieser bei der Auslegung zu berücksichtigenden Besonderheit ist es jedoch prinzipiell möglich, dass nur Verhaltensweisen, die ein Risiko für bestimmte deutsche Rechtsgüter darstellen, verboten sind. Dieses sind immanente Beschränkungen des sachlichen Geltungsbereichs.
B. Beschränkungen des persönlichen Geltungsbereichs Verhaltensnormen können auch in persönlicher Hinsicht beschränkt sein, indem sie nur einen bestimmbaren Kreis von Personen verpflichten. Dies ist z. B. der Fall, wenn sie sich nur an Amtsträger oder nur an Deutsche richten.8 Weitere Beispiele für immanente Beschränkungen des persönlichen Geltungsbereichs einer Verhaltensnorm sind etwa die Stellung als Zeuge oder Sachverständiger (vgl. § 153 StGB), als Unfallbeteiligter (vgl. § 142 StGB) oder als Garant (vgl. § 13 StGB). Auch hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass die Beschränkung die Verhaltensnorm betreffen muss. Es muss demnach stets durch Auslegung der gesamten Rechtsordnung ermittelt werden, ob dies im konkreten Fall zutrifft oder ob eine im StGB genannte Einschränkung nur die Strafsanktionsnormen betrifft.
5 Vgl. hierzu Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 34 ff.; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 55 ff.; Jescheck, FS Maurach, S. 583; Krapp, Distanzdelikt, S. 80; Nietsch, Insiderrecht, S. 120 ff.; Rath, JA 2007, 34 f.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 6 Rn. 1; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 8 ff.; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 138 ff.; Vogler, FS Grützner, S. 150 f. 6 Siehe hierzu Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 7; Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 11; Vormbaum, Rechtsgüter, S. 94 ff. 7 Vgl. hierzu auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 54 f. 8 Siehe auch die Beispiele bei Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 227 f.
C. Beschränkungen des räumlichen Geltungsbereichs
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C. Beschränkungen des räumlichen Geltungsbereichs Außerdem gibt es Verhaltensnormen, die in ihrem räumlichen Geltungsbereich beschränkt sind.9 In den meisten Fällen wird eine immanente Beschränkung auf das Staatsterritorium vorliegen. Denkbar sind allerdings auch Verhaltensnormen, die nur in bestimmten Bundesländern oder Gemeinden gelten.10 Bei näherer Untersuchung zeigt sich, dass sehr viele Verhaltensnormen einen begrenzten räumlichen Geltungsbereich beinhalten.11 So gelten z. B. baurechtliche Vorschriften nur im Hoheitsgebiet des Staates, der sie erlassen hat. Der Souveränitätsgrundsatz verbietet den Staaten nämlich, Regelungen zu treffen, die unmittelbar das Territorium anderer Staaten betreffen.12 Hinzu kommt, dass es eine unbillige Härte für den Betroffenen sein dürfte, wenn dieser etwa eine Baugenehmigung nach deutschem Recht benötigte, um auf einem mexikanischen Grundstück bauen zu dürfen.13 Dieses bewusst plakative Beispiel zeigt, dass es im Einzelfall zu absurden Ergebnissen führen würde, wenn keine territoriale Beschränkung der entsprechenden Normen angenommen würde. Hier ergibt sich die Beschränkung aus der Natur der Sache.14 Ein weiteres Beispiel für Verhaltensnormen, die aus der Natur der Sache einen beschränkten räumlichen Geltungsbereich haben, sind die Straßenverkehrsvorschriften. Straßenverkehrsunfälle, die im Ausland stattgefunden haben, haben sowohl Zivil- als auch Strafgerichte beschäftigt.15 Im Ergebnis herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass stets die Verkehrsregeln des Tatortes zu Grunde zu legen sind.16 Es wäre auch grotesk, wenn ein Autofahrer in England das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO beachten müsste. 9 Siehe die Beispiele von Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 226; von Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 4 Rn. 63. Siehe auch Rudolf, S. 15 f. in: Habscheid/ Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. 10 Siehe auch Deiters, ZIS 2006, 478. 11 Siehe Nowakowski, JZ 1971, 635; Schröder, ZStW 61 (1942), 102 f. Dörner hält dies sogar für den Regelfall, FS Stoll, S. 498. 12 Ebenso Ohler, S. 146, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR. 13 Ähnlich Nowakowski, JZ 1971, 635. 14 BGH, Urt. v. 23.11.1971, BGHZ 57, 265, 268. Siehe auch Nowakowski, JZ 1971, 635. 15 Zivilrecht: Vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.11.1964, BGHZ 42, 385, 388; BGH, Urt. v. 23.11.1971, BGHZ 57, 265; BGH, Urt. v. 07.07.1992, BGHZ 119, 137, 140; weitere Beispiele bei Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 420 Fn. 4; Strafrecht: z. B. BGH, Beschl. v. 26.07.1967, BGHSt 21, 277 m. abl. Anm. Isenbeck, NJW 1968, 309; Lackner, JR 1968, 268 ff.; Oehler, JZ 1968, 191; dazu auch Nietsch, Insiderrecht, S. 138 ff.; BayObLG, Urt. v. 16.05.1972, NJW 1972, 1722. 16 Siehe Beitzke, RabelsZ 33 (1969), 231; Dörner, JR 1994, 9; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 144 f.; Heldrich in: Palandt68, Art. 40 EGBGB Rn. 8; von Hoffmann in: Staudinger, IPR, Vor Art. 40 Rn. 57 (2001); von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 58; Köthe, Parteiautonomie, S. 123 f.; Kropholler, IPR, S. 533; Lackner, JR
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Kap. 5: Immanente Beschränkung des Geltungsbereichs
Begründen lässt sich dieses Ergebnis damit, dass der Geltungsbereich der StVO von vornherein auf Straßen im deutschen Hoheitsgebiet beschränkt ist.17 Das Recht, im eigenen Staatsterritorium für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, ist Ausfluss der staatlichen Souveränität.18 Daher darf jeder Staat den Verkehr in seinem Territorium regeln. Diese Regelungen treffen jeden Verkehrsteilnehmer, unabhängig davon, ob dieser In- oder Ausländer ist.19 Typischerweise stellen Straßenverkehrsregeln ein in sich stimmiges und geschlossenes System von Verhaltensregeln dar, das keiner Ergänzung bedarf. Es gibt daher überhaupt keinen Grund für einen vernünftigen Gesetzgeber, zusätzlich die Geltung der deutschen Straßenverkehrsverhaltensnormen im Ausland anzuordnen, was zwangsläufig zu Normenkollisionen führen müsste.20 Zudem wäre eine Regelung des Verhaltens auf ausländischen Straßen ein gravierender Eingriff in die Souveränität des fremden Staates, der – weil er unnötig ist und die Gefahr widersprüchlicher Normbefehle birgt – völkerrechtlich kaum zu rechtfertigen wäre.21 Aus diesen Gründen gelten die deutschen Straßenverkehrsregeln nur auf deutschen Straßen.22 Der räumliche Geltungsbereich der Straßenverkehrsverhaltensnormen ist demnach auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränkt. Dörner kommt zu demselben Ergebnis, indem er die begrenzte Geltung der Straßenverkehrsregeln aus § 5 OWiG herleitet.23 Gem. § 5 OWiG können nur Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, die im Inland bzw. auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug, das die deutsche Flagge führen darf, begangen worden sind. Aus § 5 OWiG ergibt sich somit, unter welchen Voraussetzungen eine Ahndung stattfindet. „Ahndung“ ist jedoch im Ordnungswidrigkeitenrecht nur eine Spezialbezeichnung für Sanktionierung. In § 5 OWiG wird demnach eine Voraussetzung der Ordnungswidrigkeitssanktionsnorm geregelt, nämlich, dass die Ordnungswidrigkeit im Inland begangen worden sein muss. Aus der Aussage, dass nur Verhalten im Inland geahndet wird, folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass nur Verhalten im Inland verboten wird. Dies wird der Tatsache nicht gerecht, dass längst nicht alle Verhaltenspflichtverletzungen sank1968, 270; Leible/Engel, EuZW 2004, 16 Fn. 126; Rauscher, IPR, Rn. 1301; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 420 ff.; Stoll, FS Lipstein, S. 261; ders., S. 161 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten; Tomson, EuZW 2009, 207; Wengler, IRuD 1972, 273 Fn. 15; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 350. Siehe für Luftverkehrsregeln Cornils, S. 71 f. in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality. 17 Vgl. auch Lackner, JR 1968, 269. 18 Isenbeck, NJW 1968, 309. 19 So auch Oehler, JZ 1968, 191. 20 Oehler, JZ 1968, 191. 21 Ähnlich Vogler, FS Grützner, S. 151. 22 Ebenso Isenbeck, NJW 1968, 309; Nowakowski, JZ 1971, 635; Oehler, JZ 1968, 191; Stoll, S. 176 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachen. 23 Dörner, JR 1994, 10; ders., FS Stoll, S. 498.
C. Beschränkungen des räumlichen Geltungsbereichs
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tioniert werden. Auch § 5 OWiG legt eine Deutung als Geltungsbereichsbegrenzung für Verhaltensnormen nicht nahe: Gem. § 7 OWiG ist die Ordnungswidrigkeit sowohl dann zu ahnden, wenn im Inland gehandelt wurde, als auch dann, wenn nur der Erfolg im Inland eingetreten ist. Die Frage, welche Verhaltensnormen im letztgenannten Fall gelten, beantwortet § 5 OWiG jedoch nicht.24 Daher ist § 5 OWiG nicht als Begrenzung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen anzusehen, sondern als nähere Bestimmung der Sanktionsvoraussetzungen. Die immanente Beschränkung der Straßenverkehrsverhaltensnormen kann daher nur mit Rückgriff auf die Natur der Sache erklärt werden. Eine spannende Frage ist, ob sämtliche Straßenverkehrsverhaltensnormen eine solche immanente Beschränkung ihres räumlichen Geltungsbereichs aufweisen.25 Nach dem oben Gesagten dürfte feststehen, dass jedenfalls alle Straßenverkehrsverhaltensnormen mit territorialem Bezug auf das Hoheitsgebiet beschränkt sind.26 Es gibt jedoch Verhaltensanordnungen im Straßenverkehr, die keinen territorialen Bezug aufweisen, beispielsweise die Gurtanlegepflicht.27 Es wäre denkbar, dass diese Verhaltensnormen keine immanente Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs aufweisen und daher möglicherweise auch im Ausland gelten.28 Das Problem kann an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, verdient jedoch im Straßenverkehrsrecht Beachtung. Im Ergebnis stellen sich daher zumindest die territorial bezogenen Verhaltensnormen als typisches Beispiel für Verhaltensnormen dar, die von sich aus einen beschränkten räumlichen Geltungsbereich aufweisen. Gilt gem. §§ 3 ff. StGB zwar deutsches Strafrecht, aber auf Grund einer immanenten Beschränkung ihres Geltungsbereichs nicht die deutsche Verhaltensnorm, so kann die Strafsanktionsnorm allenfalls an die Verletzung ausländischer Verhaltenspflichten anknüpfen. Dies setzt jedoch voraus, dass auch die Verletzung ausländischer Verhaltenspflichten von der Sanktionsnorm erfasst werden soll.29
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Siehe zum Problem der Erfolgsabhängigkeit bereits oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff. Siehe dazu Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 437 ff. 26 So auch Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 439 ff. 27 Siehe auch die Beispiele bei Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 443. 28 Siehe hierzu aus der Perspektive des Internationalen Privatrechts Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 443 ff. Sieghörtner lehnt dies im Ergebnis unter Hinweis auf den Vertrauensgrundsatz ab. Im Strafrecht entspricht dies dem Gedanken, dass der Täter in einer solchen Situation die Geltung der deutschen Verhaltensnorm nicht kennen kann und ihm daher regelmäßig die Einsicht fehlen würde, Unrecht zu tun, so dass er im Verbotsirrtum handeln würde. 29 Dies ist gerade auch im Straßenverkehrsrecht problematisch. Siehe hierzu die umstrittene Entscheidung BGH, Beschl. v. 26.07.1967, BGHSt 21, 277 m. Anm. Isenbeck, NJW 1968, 309; Lackner, JR 1968, 268 ff.; Oehler, JZ 1968, 191. 25
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Kap. 5: Immanente Beschränkung des Geltungsbereichs
D. Konsequenzen für die weitere Erörterung Bereits dieser kurze Überblick hat gezeigt, dass es eine Vielzahl von Verhaltensnormen gibt, die von sich aus Beschränkungen aufweisen. Dadurch wird es jedoch äußerst schwierig, Aussagen über den Geltungsbereich von Verhaltensnormen im Allgemeinen zu machen.30 Wenn sich zwei Verhaltensnormen auf Grund ihrer immanenten Geltungsbereichsbeschränkungen nicht nur in sachlicher, sondern auch in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht komplett unterschieden, gäbe es nicht mehr genügend Gemeinsamkeiten, um eine gemeinsame Erläuterung zu rechtfertigen. Zudem bedürfte eine Norm, die ihren Geltungsbereich so präzise bestimmt, im Idealfall keiner weiteren Erläuterungen. Auf Grund der Vielzahl von immanenten Beschränkungen des Geltungsbereichs, die Verhaltensnormen beinhalten können und tatsächlich beinhalten, lassen sich daher keine allgemein gültigen positiven Aussagen zum Geltungsbereich von Verhaltensnormen treffen. Eine generelle Erläuterung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen kann folglich nur in der Weise erfolgen, dass erörtert wird, inwieweit Verhaltensnormen gelten, die keine explizite Beschränkung beinhalten.31 Damit wird zugleich der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen eine immanente Beschränkung überhaupt in Betracht kommt. Denn der Geltungsbereich einer Verhaltensnorm kann nicht auf Fälle begrenzt werden, die die Verhaltensnorm auch bei unbegrenztem Geltungsbereich nicht erfassen könnte. Im Folgenden wird daher nicht der Geltungsbereich von Verhaltensnormen erörtert werden, sondern nur die Grenzen ihres Geltungsbereichs.
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Ebenso Rudolf, S. 16 in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. Nawiasky bezieht sich deshalb explizit auf „die Geltungsgrenzen der Rechtsnormen“, Allgemeine Rechtslehre, S. 85 ff. Treffend ist auch die Bezeichnung der Geltungsbereichsvorschriften als Grenznormen, Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 104 ff. Hierzu auch Ohler, Kollisionsordnung, S. 15 m.w. N. in Fn. 5. 31
Kapitel 6
In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs Es wurde schon im Rahmen der Erläuterung der einzelnen Geltungsbereiche darauf hingewiesen, dass der sachliche Geltungsbereich einer Verhaltensnorm notwendigerweise begrenzt sein muss.1 Der zeitliche Geltungsbereich einer Verhaltensnorm kann dagegen unbegrenzt sein, auch wenn faktisch „[. . .] alle Gesetze vergänglich sind [. . .]“ 2. Die Norm gilt dann für einen unbestimmten Zeitraum.3 Auch der persönliche Geltungsbereich einer Verhaltensnorm kann unbegrenzt sein, indem er sich nicht an eine bestimmte Personengruppe wendet.4 Obwohl diese drei Geltungsbereiche nicht unproblematisch sind, soll im Folgenden der Schwerpunkt auf den räumlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm gelegt werden. An anderer Stelle wurde ausgeführt, dass eine Norm, die keine explizite Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs enthält, grundsätzlich unbegrenzt gelte.5 Tatsächlich ist dies jedoch nur der Fall, wenn der räumliche Geltungsbereich von Verhaltensnormen generell unbegrenzt ist. Sollte dagegen der räumliche Geltungsbereich ebenso wie der sachliche zwangsläufig eine Begrenzung beinhalten, so müsste diese Aussage dergestalt revidiert werden, dass Verhaltensnormen ohne explizite Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs so weit wie möglich gelten müssten. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, ob der räumliche Geltungsbereich einer Verhaltensnorm unbegrenzt ist, sofern sich aus der Norm keine explizite Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs ergibt, oder ob, und wenn ja wie, er begrenzt ist. Dies bedeutet, dass untersucht werden muss, wo Verhaltensnormen Verhaltenspflichten begründen können. Es stellt sich somit die Frage nach den Grenzen des räumlichen Geltungsbereichs der Verhaltensnormen.
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Siehe oben Kap. 4 B. II., S. 70 ff. Nowakowski, ZÖR 1955, 12. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 22. Siehe oben Kap. 4 B. III. 2., S. 74 f. Siehe oben Kap. 4 B. IV., S. 76 ff.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage nach dem Geltungsbereich von Verhaltensnormen kaum explizit behandelt worden.6 Es finden sich jedoch viele Quellen, in denen der Geltungsbereich des Strafrechts erläutert wird, ohne dass zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm differenziert wird.7 Teilweise lässt sich auch diesen Ausführungen eine Aussage zum Geltungsbereich von Verhaltensnormen entnehmen. Auch sind einige der dort getroffenen Erwägungen im vorliegenden Zusammenhang interessant. Im Folgenden werden daher auch solche Quellen mitberücksichtigt werden. Zur Frage nach den Grenzen des räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen werden verschiedene Positionen vertreten. Zunächst könnte von einem unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm ausgegangen werden.8 In Betracht kommt des Weiteren eine Beschränkung des Geltungsbereichs der Verhaltensnorm gem. §§ 3 ff. StGB.9 Auch könnte der Geltungsbereich der Verhaltensnormen durch Vorschriften verschiedener Rechtsgebiete begrenzt werden.10 Zu guter Letzt könnten die Grenzen des räumlichen Geltungsbereichs auch dem Völkerrecht entnommen werden.11
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich Die erste Ansicht, die näher untersucht werden soll, ist die, dass Verhaltensnormen einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben. Dabei ist im Folgenden davon auszugehen, dass die entsprechende Verhaltensnorm auch in zeitlicher und persönlicher Hinsicht unbegrenzt ist, so wie dies etwa momentan für 6 Eine Differenzierung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm in Zusammenhang mit den Geltungsvorschriften der §§ 3 ff. StGB findet sich überhaupt nur bei Binding, Hdb. d. Strafrechts, Bd. 1, S. 374; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 47 ff.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 215; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 589 ff.; Nowakowski, JZ 1971, 633 ff., insbesondere 637; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 361 ff. und ZIS 2006, 276 ff.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 89 ff.; F.-C. Schroeder, GA 1968, 353 ff. Ähnlich Schröder, der zwischen der Geltung des Strafrechts gem. §§ 3 ff. StGB und der Geltung des deutschen Rechts als Bewertungsnorm unterscheidet, ZStW 61 (1942), 88 ff. 7 Siehe T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 1 f.; Gribbohm in: LK11, Vor § 3 Rn. 140 ff.; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 2; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 4 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 160 ff.; Joecks, StGB, Vor § 3 Rn. 1; Kindhäuser, StGB, Vor §§ 3 ff. Rn. 1; Lackner/ Kühl, StGB, Vor §§ 3 ff. Rn. 9; Lemke in: AK, Vor § 3 Rn. 1; Sieber/Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, AT, Bd. 2, S. 151 ff.; Werle/ Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 4 ff. Hoyer ist allerdings zuzugestehen, dass er als Gegner dieses normentheoretischen Konzepts (siehe dazu Fn. 2, S. 35) keinen Grund hat, es im Rahmen der Kommentierung der §§ 3 ff. StGB zu Grunde zu legen. 8 Siehe dazu Kap. 6 A., S. 92 ff. 9 Siehe dazu Kap. 6 B., S. 102 ff. 10 Siehe dazu Kap. 6 C. und D., S. 142 ff. 11 Siehe dazu Kap. 6 E., S. 158 ff.
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich
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das aus § 212 StGB folgende Tötungsverbot der Fall ist. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auf eine Norm ohne immanente Beschränkungen.12 Unter einer Verhaltensnorm mit unbegrenztem räumlichem Geltungsbereich ist eine Verhaltensnorm zu verstehen, die weltweit Verhaltensanforderungen aufstellt und aus der sich daher weltweit Verhaltenspflichten ergeben.13 „Weltweit“ bedeutet dabei überall. D. h. die Verhaltensanforderungen gälten nicht nur auf der gesamten Landmasse der Erde, sondern auch auf allen Meeren sowie im Luftraum. Zudem ist nicht ersichtlich, warum eine weltweit bzw. überall geltende Verhaltensnorm sich auf den Planeten Erde beschränken sollte.14 Auch im Weltraum würden sich daher aus einer räumlich unbegrenzt geltenden Verhaltensnorm Pflichten ergeben, z. B. für Astronauten. Die Verhaltensnorm gälte auf dem Mond, auf dem Mars, in der Milchstraße und auch in der Andromedagalaxie, kurzum im gesamten Universum.
I. Die Argumentation Schröders Zu Recht wirft Schröder daher in seiner grundlegenden Abhandlung zur Teilnahme im internationalen Strafrecht die Frage auf, ob das deutsche Recht als Bewertungsnorm universelle Geltung habe.15 Unter Bewertungsnorm versteht er die Bestimmung, welches Verhalten als rechtswidrig anzusehen sei.16 Damit entspricht das, was Schröder als Bewertungsnorm bezeichnet, im Wesentlichen der Bewertungsfunktion der Verhaltensnorm.17 Allerdings spricht Schröder an anderer Stelle von der Feststellung des Charakters der Tat als „schuldhaftes Unrecht“ 18. Die Bewertung eines Verhaltens durch Verhaltensnormen enthält jedoch nur ein Urteil über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens und bezieht sich gerade nicht auf die Schuld.19 Auch enthält eine Verhaltensnorm über die Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig hinaus den Befehl, rechtswidriges Verhalten zu unterlassen, und hat demnach eine Bestimmungsfunktion.20 Angesichts dieser beiden Unterschiede zwischen Schröders Bewertungsnormen und den Verhaltensnormen stellt sich die Frage, ob sich die Ausführungen Schröders auf Verhaltensnormen übertragen lassen. 12
Siehe dazu oben Kap. 5, S. 85 ff. Daraus erklärt sich auch die Bezeichnung dieses Grundsatzes als „Weltrechtsprinzip“. Siehe Dörner, JR 1994, 11. 14 So aber Zieher, der auf „alle Ereignisse des Erdballs“ abstellt, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 37. Ebenso Oehler bezogen auf Strafnormen, die „die ganze Erde“ durchdringen könnten, FS Grützner, S. 112 und Internationales Strafrecht, Rn. 114. 15 Schröder, ZStW 61 (1942), 88. 16 Vgl. Schröder, ZStW 61 (1942), 87. 17 Siehe oben Kap. 2 A., S. 36 ff. 18 Schröder, ZStW 61 (1942), 87. 19 Siehe oben Kap. 2 C. IV., S. 46 ff. 20 Siehe oben Kap. 2 A., S. 36 ff. 13
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
1. Übertragbarkeit von Schröders Ausführungen auf Verhaltensnormen Schröder stellt die Frage, ob das Strafrecht universelle Bewertungsnormen enthalte, im Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Teilnahmekonstellation. Vereinfacht gesagt geht es um den Fall, dass die Haupttat gem. §§ 3 ff. StGB nicht dem deutschen Strafrecht unterfällt, die Teilnahmehandlung aber schon.21 Die Teilnahme ist jedoch akzessorisch, d.h. sie ist abhängig von der Tat eines anderen. Zu Schröders Zeiten war eine Voraussetzung der Teilnahme die strafbare Handlung eines anderen,22 nach jetzigem Recht genügt gem. §§ 26, 27 StGB die vorsätzliche rechtswidrige Tat eines anderen. Die Frage, der Schröder nachgeht, ist, ob die Haupttat die Voraussetzung „strafbare Handlung“ nach deutschem Recht erfüllt, obwohl deutsches Strafrecht gem. §§ 3 ff. StGB a. F. nicht anwendbar ist. Aus dieser Fragestellung heraus erklärt sich, warum Schröder auf die Bewertung der Tat als schuldhaftes Unrecht abstellt. Wenn die Bewertung der Haupttat als strafbare Handlung nach deutschem Recht Voraussetzung der Teilnahme ist, dann bedeutet dies, dass die Haupttat die Voraussetzungen des Tatbestands eines Strafgesetzes in rechtswidriger und schuldhafter Weise verwirklicht haben muss. Die Bewertung muss sich daher auch auf die Schuld beziehen. Nach geltendem Recht genügt allerdings eine vorsätzliche und rechtswidrige Tat, d.h. es genügt eine Verhaltenspflichtverletzung des Haupttäters. Die Überlegung, ob die deutschen Verhaltensnormen universell Pflichten begründen, führt daher nach geltendem Recht zu genau demselben Problem. Auch Schröder betont, dass die entscheidende Frage sei, ob das Strafrecht über den Bereich der §§ 3 ff. StGB hinaus überhaupt zur Bewertung von Verhalten herangezogen werden könne, nicht jedoch, in welchem Umfang.23 Da die Bewertung der Tat als schuldhaft nach geltendem Recht in diesem Zusammenhang irrelevant ist, lassen sich die Ergebnisse, die Schröder für Bewertungsnormen gewinnt, problemlos auf Verhaltensnormen übertragen.24 Aus der Ausgangsfragestellung als Teilnahmeproblem heraus erklärt sich auch, warum Schröder nicht auf die verhaltenssteuernde Funktion der Normen eingeht. 21 Schröder bezeichnete den Fall präziser als „inländische Teilnahme des Ausländers an ausländischer Haupttat des Ausländers“, ZStW 61 (1942), 78. Die Unterscheidung zwischen In- und Ausländern ist bedingt durch das 1942 geltende Recht, das deutsche Staatsangehörige gem. § 3 Abs. 1 StGB a. F. im In- und Ausland dem deutschen Strafrecht unterwarf, und soll hier nicht weiter interessieren (zum damals geltenden Recht siehe die Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6. Mai 1940, RGBl 1940 I, 754). 22 Siehe § 48 StGB a. F., RGBl 1871, S. 136. 23 Schröder, ZStW 61 (1942), 95 Fn. 72. 24 Auch Neumann geht davon aus, dass die Begriffe „Verhaltensnorm“ und „Bewertungsnorm“ in diesem Zusammenhang im wesentlichen gleichbedeutend verwendet werden, FS Müller-Dietz, S. 600 Fn. 56.
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich
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Ist die Tat Strafbarkeitsvoraussetzung der Teilnahme, dann geht es nur darum, ob das Geschehen der Haupttat als strafbare Handlung bzw. vorsätzliche rechtswidrige Tat bewertet wird. Inwieweit der Haupttäter darüber hinaus zu einem Verhalten bestimmt werden soll, ist für den Teilnehmer irrelevant. Für Schröder gab es daher keinen Anlass, auf die Bestimmungsfunktion der Normen einzugehen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass Schröder den Normen keine Bestimmungsfunktion beimisst. Auch hieraus ergibt sich daher kein Hindernis für die Übertragung von Schröders Ergebnissen auf Verhaltensnormen. 2. Begründung der universellen Bewertungsfunktion Auch Schröders Begründung der universellen Bewertungsfunktion ist dadurch geprägt, dass er seine Ausführungen ausschließlich auf die Teilnahme bezieht. Er untersucht zunächst die Möglichkeit, das Vorliegen einer strafbaren Handlung allein durch ausländisches Recht zu bestimmen, und lehnt dies ab.25 Die Teilnahme könne daher nur bestraft werden, wenn sie zu einer Haupttat geleistet worden sei, die nach deutschem Recht als „strafbare Handlung“ zu klassifizieren sei.26 Eine Abhängigkeit vom Tatortrecht sei nicht gegeben.27 Auf Basis dieser Argumentation stellt sich für Schröder die Wahl zwischen der universellen Geltung der strafrechtlichen Bewertungsnormen oder der Straflosigkeit der Teilnahme an Taten, die nicht der deutschen Strafgewalt unterliegen.28 Da der Staat allerdings die internationale Aufgabe habe, Verbrechen zu bekämpfen, müsse er Rechtsgüter schützen, selbst wenn er kein eigenes Interesse an deren Erhalt habe.29 Ein eigenes Interesse des Staates besteht, wenn gem. §§ 3 ff. StGB sein eigenes Strafrecht eingreift.30 Die Pflicht, Verbrechen zu bekämpfen, treffe vor allem den Aufenthaltsstaat, da dieser die günstigste strafrechtliche Reaktionsmöglichkeit habe und eine Auslieferung häufig – etwa auf Grund spezieller Auslieferungsverbote wie in Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG – nicht möglich sei.31 Schröder vergleicht die Teilnahme mit Distanzerfolgsdelikten und zieht den Schluss, dass die Teilnahme strafbar sein müsse, unabhängig davon, wo der Er25
Schröder, ZStW 61 (1942), 72 ff. Schröder, ZStW 61 (1942), 76 f. 27 Schröder, ZStW 61 (1942), 105 ff. 28 Schröder, ZStW 61 (1942), 89. 29 Schröder, ZStW 61 (1942), 91. 30 Der häufig in diesem Zusammenhang verwendete Ausdruck „Strafanspruch“ passt nicht, weil der Staat auf Grund des Legalitätsgrundsatzes nicht über die Strafbarkeit disponieren darf. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB ist der Staat daher grundsätzlich zur Bestrafung verpflichtet; allenfalls kommt eine Einstellung gem. § 153c StGB in Betracht. Siehe auch Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 12 Anm. 94 (S. 50). 31 Schröder, ZStW 61 (1942), 91. 26
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
folg (bzw. die Haupttat) eintrete.32 Die deutsche Rechtsordnung verbiete ein bestimmtes Verhalten schlechthin und müsse daher alle Handlungen mit dem gleichen Maßstab messen.33 Der Teilnehmer müsse daher für jede Rechtsgutsverletzung zur Verantwortung gezogen werden, die er irgendwo in der Welt verursache, wenn für die Teilnahmetat deutsches Strafrecht gelte.34 Dies ist aber nur möglich, wenn die Wertungen des deutschen Strafrechts alle Haupttaten weltweit erfassen. Es könne daher keinen „wertfreien Raum“ 35 geben, sondern die deutschen Normen müssten jedes menschliche Verhalten bewerten.36 Schröder stützt seine Argumentation daher im Wesentlichen auf die Parallelen zwischen Teilnahme und Distanzerfolgsdelikt. Ein umfassender Rechtsgüterschutz kann nur gewährleistet werden, wenn die Strafbarkeit des Verhaltens unabhängig davon ist, wo der Erfolg eintritt. Bei dem normalen Erfolgsdelikt bereitet dies keine Schwierigkeiten, da die strafrechtlichen Erfolgsmerkmale in aller Regel deskriptive Merkmale sind. Bei der Teilnahme ist der Erfolg jedoch die Tat eines anderen und erfordert somit eine rechtliche Bewertung. Die Unabhängigkeit vom Ort des Erfolgseintritts kann daher nur gewährleistet werden, wenn die rechtliche Bewertung weltweit die gleiche ist. Allein aus dieser Tatsache folgt daher laut Schröder die universelle Geltung der strafrechtlichen Bewertungsnormen.
II. Heutige Vertreter der universellen Geltung von Verhaltensnormen Auch wenn Schröders These zu einer anderen Zeit in Bezug auf inhaltlich anders lautende Normen zur Regelung des Geltungsbereichs des Strafrechts formuliert wurde, wird auch heute noch vertreten, dass Verhaltensnormen universelle Geltung hätten. Dies wird dann allerdings nicht explizit erwähnt, sondern stillschweigend vorausgesetzt.37 Im Gegensatz dazu wird die universelle Geltung von Sanktionsnormen fast einhellig für unzulässig gehalten, d. h. auch von denjenigen, die eine universelle Geltung der Verhaltensnormen befürworten.38
32
Schröder, ZStW 61 (1942), 92 f. Schröder, ZStW 61 (1942), 92. 34 Schröder, ZStW 61 (1942), 93. 35 Schröder, ZStW 61 (1942), 94. 36 Schröder, ZStW 61 (1942), 94. 37 So auch Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 361 und ZIS 2006, 276. 38 Siehe nur Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 10; von Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 70; Jescheck, IRuD 1954, 83; Krey, Strafanwendungsrecht, S. 22 ff.; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 19 ff. Anders aber Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 4, und wohl auch Joecks, StGB, Vor § 3 Rn. 1 ff. 33
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich
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1. §§ 3 ff. StGB als Einschränkung des Strafrechts Hoyer ordnet die §§ 3 ff. StGB als Meta-Normen ein, die den Geltungsbereich des materiellen Strafrechts einschränken.39 Als Meta-Normen seien die §§ 3 ff. StGB anderen Normen übergeordnet und somit logisch vorrangig.40 Sie seien daher nicht Teil des materiellen Strafrechts.41 Aus der Verwendung des Wortes „einschränken“ lässt sich schließen, dass Hoyer grundsätzlich von einer uneingeschränkten Geltung des materiellen Strafrechts ausgeht. Dabei umfasst das materielle Strafrecht sowohl Verhaltens- als auch Sanktionsnormen.42 Hoyer zufolge ist daher nicht nur eine universelle Geltung von Verhaltensnormen anzunehmen, sondern auch grundsätzlich von Sanktionsnormen. Letztere ist allerdings durch die §§ 3 ff. StGB beschränkt. Dass Hoyer von einer grenzenlosen Geltung von Verhaltensnormen ausgeht, zeigt sich auch bei der Erläuterung des Schutzbereichs der deutschen Straftatbestände. Die tatbestandsimmanenten Schranken seien „[. . .] zugleich die Grenzen, in denen sich die deutsche Strafrechtsordnung des Schutzes eines im Ausland befindlichen Tatobjekts annimmt [. . .]“ 43. In Bezug auf Verhaltensnormen bedeutet dies, dass die tatbestandsimmanenten Schranken, d.h. die sich aus der Verhaltensnorm selbst ergebenden Beschränkungen ihres Geltungsbereichs, die einzigen Schranken der Verhaltensnorm sind. Umgekehrt muss daraus geschlossen werden, dass es ansonsten keine Grenzen der Verhaltensnormen gibt, also dass diese daher universell gelten. In dieselbe Richtung geht Kühl. Er bezeichnet die §§ 3 ff. StGB zwar nicht als Meta-Normen, sondern als einseitige Kollisionsnormen, gibt aber auch an, dass die §§ 3 ff. StGB den Anwendungsbereich deutschen Strafrechts begrenzen.44 Diese Wortwahl spricht dafür, dass Kühl von der grundsätzlich universellen Geltung der Strafnormen ausgeht, zumal er die §§ 3 ff. StGB auch als objektive Bedingungen der Strafbarkeit einordnet.45 Auch Joecks ordnet die §§ 3 ff. StGB als Beschränkungen des Geltungsbereichs des Strafrechts ein und geht somit von einem grundsätzlich unbeschränkten Geltungsbereich aus.46 Seiner Ansicht nach wäre es sogar zulässig, wenn Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 4. Hierzu Neumann, FS Müller-Dietz, S. 598. 41 Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 4. 42 Zum Begriff des Strafrechts siehe Kap. 1 B. I., S. 31 f. 43 Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 32. 44 Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 ff. Rn. 1. Ebenso wohl Bremer, Strafbare InternetInhalte, S. 108. 45 Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 ff. Rn. 10. Zur Relevanz der Einordnung der §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit siehe sogleich unten Kap. 6 B. IV., S. 109. 46 Joecks, StGB, Vor § 3 Rn. 3. 39 40
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
auch problematisch, wenn der Gesetzgeber sich weltweit für Straftaten zuständig erklären würde.47 Wenn Joecks damit sogar einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich von Sanktionsnormen für möglich hält, so ist davon auszugehen, dass er dies erst recht für Verhaltensnormen annimmt. Die Einordnung der §§ 3 ff. StGB als geltungsbereichsbeschränkend oder -eingrenzend beinhaltet somit die stillschweigende Annahme eines grundsätzlich unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs. 2. §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit Die §§ 3 ff. StGB werden oft als objektive Bedingungen der Strafbarkeit bezeichnet.48 Objektive Bedingungen der Strafbarkeit sind jedoch Teil der Sanktionsnorm und nicht der Verhaltensnorm.49 Die Einordnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit besagt daher zugleich, dass die §§ 3 ff. StGB keine Relevanz für das Unrecht der Tat haben, also nicht Merkmal der Verhaltensnormen sind.50 Daher ist ein Irrtum über die §§ 3 ff. StGB unbeachtlich.51 Pawlik sowie Neumann ziehen daraus den Schluss, dass die Einordnung der §§ 3 ff. StGB als Merkmale der Sanktionsnorm die unbegrenzte Geltung der Verhaltensnorm voraussetze.52 Zwingend ist diese Schlussfolgerung allerdings nicht. Es ist durchaus denkbar, Verhaltensnormen auf andere Weise als durch die §§ 3 ff. StGB zu beschränken.53 Dann würden sich die §§ 3 ff. StGB auch nur auf die Sanktionsnorm beziehen, gleichzeitig hätte die Verhaltensnorm aber keine universelle Geltung. Allein aus der Tatsache, dass die §§ 3 ff. StGB als 47
Joecks, StGB, Vor § 3 Rn. 1. Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 ff. Rn. 79; Gribbohm in: LK11, Vor § 3 Rn. 148; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 2; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 3; von Heintschel-Heinegg in: von HeintschelHeinegg, StGB, § 3 Rn. 4; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 156 ff.; Jescheck, IRuD 1956, 93; Jescheck/Weigend, AT, S. 180; Kienle, Straftaten im Internet, S. 132; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 ff. Rn. 10; M. E. Mayer, AT, S. 91 i.V. m. 100; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 7; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 3; Walter, JuS 2006, 871; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 268; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 293. 49 Siehe oben Kap. 2 C. III., S. 45 f. 50 Zu diesem Zusammenhang Neumann, FS Müller-Dietz, S. 593 f. 51 BGHSt 27, 30, 34; Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 ff. Rn. 79; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 30; Jescheck/ Weigend, AT, S. 180; M. E. Mayer, AT, S. 91; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 3; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 452 ff. Hartmann sagt nur, dass sich der Vorsatz nicht auf die §§ 3 ff. StGB beziehen müsse, geht jedoch nicht auf den Verbotsirrtum ein, in: HK, § 3 Rn. 2. 52 Neumann, FS Müller-Dietz, S. 601; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 361 und ZIS 2006, 276. 53 Siehe dazu Kap. 6 C., D., E., S. 142 ff. Neumann lehnt dies allerdings ab, FS Müller-Dietz, S. 602. 48
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich
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objektive Bedingungen der Strafbarkeit eingeordnet werden, kann daher nicht zweifelsfrei geschlossen werden, dass den Verhaltensnormen universelle Geltung zugesprochen wird. Es ist allerdings davon auszugehen, dass diejenigen, die den Geltungsbereich anders als durch die §§ 3 ff. StGB beschränken wollen, dies erläutern oder doch zumindest erwähnen. Wenn daher die §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit eingeordnet werden, ohne dass eine weitere Einschränkung des „Unrechts“ der Tat, d.h. eine Einschränkung des Geltungsbereichs der Verhaltensnorm thematisiert wird, spricht eine starke Vermutung dafür, dass von einem unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich von Verhaltensnormen ausgegangen wird. Im Ergebnis sind daher diejenigen, die die §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit einordnen54 oder einen Irrtum über die §§ 3 ff. StGB als irrelevant ansehen,55 ohne die Einschränkung von Verhaltensnormen zu thematisieren, als stillschweigende Vertreter des unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen anzusehen. Insgesamt betrachtet fällt auf, dass es – abgesehen von Schröder – niemanden gibt, der explizit die universelle Geltung von Verhaltensnormen propagiert. Diejenigen, die offenbar stillschweigend davon ausgehen, sind zugleich diejenigen, die nicht zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen differenzieren.56 Ob diese Ansicht daher noch als „herrschende Meinung“ bezeichnet werden kann,57 ist zweifelhaft. Es handelt sich aber bei der Annahme eines weltweiten räumlichen Geltungsbereichs jedenfalls um eine immer noch zu Grunde gelegte Ansicht, die insbesondere auch von der Rechtsprechung favorisiert wird.
III. Konsequenzen dieser Ansicht Bei Annahme eines grundsätzlich unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen lassen sich daraus zum einen Rückschlüsse auf die Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB ziehen. Zum anderen hat die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs auch Auswirkungen auf die Frage, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnorm zu entnehmen ist, also auf die Auswahlfrage.58
54 Dazu zählen Gribbohm in: LK11, Vor § 3 Rn. 1 ff.; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 2; Jescheck/Weigend, AT, S. 180. Ebenso Kühl, der dies allerdings auch durch die Wortwahl „eingrenzen“ verdeutlicht, Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 ff. Rn. 10. 55 BGHSt 27, 30, 34; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 30; M. E. Mayer, AT, S. 91. 56 Siehe dazu oben Fn. 7, S. 92. 57 So Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 52 f.; Vogler, FS Grützner, S. 149; ihnen folgend Neumann, FS Müller-Dietz, S. 601. 58 Zum Zusammenhang zwischen Geltungsbereich und Auswahlmöglichkeiten siehe bereits Kap. 4 A., S. 66 ff.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
1. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB Eine wichtige Konsequenz der Annahme weltweiter Geltung, die die §§ 3 ff. StGB betrifft, wurde bereits angesprochen.59 Wird davon ausgegangen, dass Verhaltensnormen mit unbegrenztem zeitlichen und persönlichen Geltungsbereich auch einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die §§ 3 ff. StGB nicht den Geltungsbereich der Verhaltensnormen regeln. Denn obwohl die in den §§ 3 ff. StGB enthaltenen Regelungen sehr weitgehend sind,60 enthalten sie doch Beschränkungen, die nicht zu einem unbegrenzten zeitlichen, persönlichen und räumlichen Geltungsbereich passen. Die §§ 3 ff. StGB könnten sich daher nur auf die Strafsanktionsnormen beziehen. Dies hätte zur Folge, dass die Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig und damit als Unrecht unabhängig von den Regelungen der §§ 3 ff. StGB zu erfolgen hätte. Weder Unrechtsbewusstsein noch Vorsatz müssten sich daher auf die §§ 3 ff. StGB bzw. die nach diesen Regelungen erforderlichen Umstände beziehen. Die §§ 3 ff. StGB könnten daher nach dem dreistufigen Deliktsaufbau als objektive Bedingungen der Strafbarkeit eingeordnet werden. 2. Vielzahl von Kollisionen Von größerer Bedeutung sind im vorliegenden Zusammenhang die Konsequenzen, die die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs für die Frage hat, welche Verhaltensnorm im deutschen Strafrecht zu Grunde zu legen ist. Wird im Rahmen der deutschen Rechtsordnung davon ausgegangen, dass Verhaltensnormen einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben, wenn sich aus ihnen keine Begrenzung des räumlichen Geltungsbereichs ergibt, dann muss sich dieses Ergebnis grundsätzlich verallgemeinern lassen.61 In vielen Rechtsordnungen gibt es Verhaltensnormen, die keine Begrenzung des räumlichen oder persönlichen Geltungsbereichs beinhalten und deren sachlicher Geltungsbereich deckungsgleich mit dem von Verhaltensnormen anderer Rechtsordnungen ist. Ein Beispiel hierfür ist das sich aus § 212 StGB ergebende Verbot, vorsätzlich Handlungen vorzunehmen, die zum Tod eines Menschen führen können. Eine vergleichbare Verhaltensnorm liegt dem englischen Delikt „murder“ zu Grunde, 59
Kap. 6 A. II. 2., S. 98 ff. Schultz, GA 1966, 196 (zum Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962, BT-Drs. IV/ 650); Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 38. Siehe auch Eser in: Schönke/ Schröder, Vor §§ 3 ff. Rn. 29 „nicht gerade bescheidener Geltungsbereich“. 61 Auch Velten weist – allerdings in einem anderen Zusammenhang – auf diese Gegenseitigkeit hin, FS Rudolphi, S. 344. 60
A. Unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich
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wonach vorsätzliche Tötungen mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen sind.62 In einer Vielzahl von Fällen wären daher sowohl der zeitliche, persönliche und sachliche Geltungsbereich der Totschlagsverhaltensnorm als auch der der „murder“-Verhaltensnorm gegeben. Wird im deutschen Recht von einem unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich der Verhaltensnormen ausgegangen, gibt es keinen Grund, warum dies nicht auch grundsätzlich im englischen Recht gelten sollte. Denn normentheoretische Überlegungen gewinnen ihre Überzeugungskraft dadurch, dass sie allgemeingültig sind. So, wie die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen in allen Rechtsordnungen getroffen werden kann, müssen generelle Überlegungen zum Geltungsbereich von Verhaltensnormen in allen Rechtsordnungen gelten. Andernfalls dürfte Rechtsdogmatik nur innerhalb einer Rechtsordnung betrieben werden, was angesichts der fortschreitenden Globalisierung nicht mehr haltbar sein dürfte.63 Wenn jedoch sowohl der räumliche Geltungsbereich der englischen als auch der der deutschen Verhaltensnorm unbegrenzt ist, heißt das, dass ein und dieselbe Tat einen Verstoß gegen beide Verhaltensnormen darstellt. Die absichtliche Tötung eines Menschen64 wäre daher die Verletzung mindestens zweier Verhaltenspflichten: einer Pflicht, die sich aus der englischen Verhaltensnorm ergibt, und einer Pflicht, die sich aus der deutschen Verhaltensnorm ergibt. Da alle Rechtsordnungen die Tötung in irgendeiner Form unter Strafe stellen, würden vermutlich viele weitere Verhaltensnormen für den Sachverhalt gelten, so dass ein Verhalten tatsächlich eine Vielzahl von Verhaltenspflichten aus verschiedenen Rechtsordnungen verletzen würde. Die Folge der Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereiches von Verhaltensnormen wäre daher notwendigerweise eine Vielzahl von Kollisionen.65 Mit „Kollision“ wird der Konflikt zwischen mehreren Rechtsordnungen bezeichnet, die sich in einem bestimmten Fall für anwendbar erklären.66 Dabei resultiert der Konflikt schon daraus, dass mehrere Rechtsordnungen Anwendung finden wollen. Es muss daher nicht tatsächlich zu divergierenden rechtlichen Bewertungen kommen. Der Verpflichtete würde bei Annahme eines grundsätzlich unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs aller Verhaltensnormen durch sein Verhalten mehrere Verhaltenspflichten verletzen. Die entsprechende Sanktionsnorm (z. B. § 212 StGB) müsste dann in irgendeiner Form bestimmen, an welche der Verhaltenspflichtverletzungen sie die Sanktion knüpft, damit deutlich wird, wel62
Siehe zum englischen Recht z. B. Heaton, Criminal Law, S. 142 ff. Siehe dazu Neumann, FS Müller-Dietz, S. 589 f. 64 Diese ist jedenfalls eindeutig sowohl vom englischen „murder“ als auch vom deutschen Totschlag erfasst. 65 Siehe dazu auch Krapp, Distanzdelikt, S. 128 ff. 66 Siehe nur Kropholler, IPR, S. 103; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 34. 63
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
che Verhaltensnorm zur Ermittlung der konkreten Voraussetzungen auszulegen ist. Die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen erweitert daher die Auswahlmöglichkeiten der Sanktionsnorm.
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs Die zweite Ansicht, die untersucht werden soll, ist die, dass die §§ 3 ff. StGB auch den Geltungsbereich der Verhaltensnormen festlegen. Die Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen sind demnach diejenigen, die durch die §§ 3 ff. StGB vorgegeben sind. Da die §§ 3 ff. StGB jedoch nicht nur örtliche Anknüpfungspunkte verwenden, sondern auch persönliche (z. B. in § 7 Abs. 1 StGB) oder sachliche (z. B. in § 6 StGB), können die §§ 3 ff. StGB nicht ausschließlich auf den räumlichen Geltungsbereich der Verhaltensnormen bezogen werden.67 Die §§ 3 ff. StGB stellen dieser Ansicht nach vielmehr eine umfassende Regelung der Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen dar.
I. In der Literatur auftauchende Begründungsansätze Ein Blick auf die strafrechtliche Literatur zeigt, dass die Ansicht, die §§ 3 ff. StGB begrenzten nicht nur die Strafsanktions-, sondern auch die Verhaltensnormen, weit verbreitet ist. Dabei werden jedoch unterschiedliche Begründungen vorgetragen, die im Folgenden dargestellt werden sollen. 1. Begrenzung durch §§ 3 ff. StGB als Folge der Ablehnung weltweiter Geltung Werden die §§ 3 ff. StGB als die Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen aufgefasst, bedeutet dies zugleich eine Ablehnung des weltweiten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen. Denn entweder können die §§ 3 ff. StGB als Grenzen des Geltungsbereichs angesehen oder es kann von einem grundsätzlich unbegrenzten persönlichen und räumlichen Geltungsbereich ausgegangen werden. Die meisten, die die §§ 3 ff. StGB als Grenzen des Geltungsbereichs der deutschen Verhaltensnormen einordnen, haben sich daher zuvor mit der Theorie eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen auseinander gesetzt und diese abgelehnt.68 Unabhängig von den Argumenten, mit denen diese 67
Ähnlich Nowakowski, ZÖR 1955, 19. Böse, FS Maiwald, S. 62 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 47 ff., 79 ff.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 51 ff.; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 600 ff.; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 360 ff. und ZIS 2006, 275 ff.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 89 ff.; Vogler, FS Grützner, S. 149 ff.; Zieher, 68
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs
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Ablehnung begründet wird,69 wird jedoch oft allein aus der Tatsache, dass eine universelle Geltung der Verhaltensnormen abzulehnen sei, auf die Beschränkung durch die §§ 3 ff. StGB geschlossen.70 Neumann betont sogar explizit, dass „[. . .] eine Zwischenposition, derzufolge [sic] den [. . .] Verhaltensnormen eine begrenzte, aber nicht durch die Geltungsregeln der Normen des transnationalen Strafrechts konstituierte Reichweite zuzuerkennen wäre, [. . .] normtheoretisch nicht begründbar [. . .]“ 71 sei.72 Wird jedoch nur die Alternative zwischen weltweiter und durch §§ 3 ff. StGB beschränkter Geltung anerkannt, dann erübrigt sich nach Ablehnung der ersten Möglichkeit eine Begründung der zweiten. Dementsprechend lassen sich nur wenige Argumente dafür finden, warum ausgerechnet die §§ 3 ff. StGB zur Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen herangezogen werden sollen. Der Grund für die Heranziehung der §§ 3 ff. StGB zur Beschränkung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen dürfte darin liegen, dass die §§ 1–10 StGB mit der Überschrift „Geltungsbereich“ versehen sind. Wenn davon ausgegangen wird, dass Verhaltensnormen notwendigerweise begrenzt sein müssen, liegt es nahe, zur Begrenzung auf Vorschriften zurückzugreifen, die offensichtlich zur Beschränkung des Geltungsbereichs gedacht sind. Entsprechend schreibt Böse, der Regelungsgehalt der §§ 3 ff. StGB erstrecke „[. . .] sich nicht nur auf die Ermächtigung zur Verhängung von Strafe als Sanktions- bzw. Sekundärnorm, sondern auch auf das tatbestandliche Verbot als Verhaltens- bzw. Primärnorm [. . .]“ 73. Die §§ 3 ff. StGB sollen demnach nicht nur den Geltungsbereich der Sanktionsnormen festlegen, sondern auch die Sachverhalte aufzählen, in denen das deutsche Strafrecht ein Verhalten bewertet und den Adressaten zu rechtmäßigem Verhalten zu bestimmen versucht.74 Aus normentheoretischer Perspektive lässt sich für dieses Ergebnis anführen, dass dem deutschen Strafrecht nur Ver-
Das sog. Internationale Strafrecht, S. 33 ff. So auch Oehler, der allerdings nur kurz auf die Theorie der weltweiten Geltung eingeht, FS Grützner, S. 116 ff. und Internationales Strafrecht, Rn. 123 ff. Jescheck bezieht erst die §§ 3 ff. StGB auf Verhaltensnormen und setzt sich dann mit der Theorie der weltweiten Geltung auseinander, IRuD 1956, 76 ff. Nur indirekt zur weltweiten Geltung Schultz, FS von Weber, S. 310 ff. 69 Dazu ausführlich unten Kap. 7, S. 167 ff. 70 Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 9; § 9 Rn. 20; ders., FS Maiwald, S. 62 ff.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 102 ff.; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 602 ff.; Oehler, FS Grützner, S. 116 ff. und Internationales Strafrecht, Rn. 123 ff.; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 373 ff. und ZIS 2006, 283 ff.; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 99 f.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 91 ff.; so im Grundsatz auch Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 37 ff. In anderer Reihenfolge, aber auch ohne Begründung Jescheck, IRuD 1956, 76. Wohl auch Vogler, FS Grützner, S. 155 ff. 71 Neumann, FS Müller-Dietz, S. 602. 72 Näher zu dieser Ansicht Kap. 8 A., S. 194 ff. 73 Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 9. 74 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 37 f.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
haltensnormen zu Grunde lägen, die auch mit strafrechtlichen Sanktionen durchgesetzt werden könnten.75 Schultz begründet dasselbe Ergebnis aus der Perspektive des Täters. Ihm zufolge kann der Staat den Täter nur dann seinen Geboten, d.h. Verhaltensnormen, unterwerfen, wenn zwischen Staat und Täter eine Beziehung besteht.76 Damit impliziert er, dass die weltweite Erstreckung von Verhaltensnormen ohne Anknüpfungspunkt unzulässig ist. Eine entsprechende Beziehung ergibt sich aus bestimmten – allerdings nicht allen – Prinzipien des internationalen Strafrechts.77 Die Prinzipien des internationalen Strafrechts, die im deutschen Recht in den §§ 3 ff. StGB verwirklicht sind, liefern danach die Beziehung des Täters zum Staat und entscheiden folglich über die Geltung der deutschen Verhaltensnormen. Die §§ 3 ff. StGB regeln daher nicht nur den Geltungsbereich von Sanktions-, sondern auch von Verhaltensnormen. 2. Parallelität der Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen Der Gedanke, dass die §§ 3 ff. StGB nicht nur den Geltungsbereich der Sanktionsnormen, sondern auch den der Verhaltensnormen bestimmen, ist nicht neu. Schon Binding geht davon aus, dass der Geltungsbereich von Verhaltens- und Sanktionsnormen identisch ist.78 Zwar bestimmt nach Binding jeder souveräne Staat selbst den Umfang seiner Strafrechte und Normen.79 Danach wäre es also durchaus zulässig, wenn der Staat eine universelle Geltung von Verhaltens- und Sanktionsnormen anordnen würde. Bindings Auffassung nach sollten die Geltungsbereiche von Verhaltensund Sanktionsnormen allerdings nicht auseinanderfallen: Einerseits dürfe der Staat nur die Verletzung eigener Verhaltenspflichten strafen, andererseits sei es ungerecht, wenn die Verhaltensnorm mehr Personen binden würde, als von der Sanktionsnorm erfasst würden.80 Nach Binding soll daher die Bestrafung auf Grund der Verletzung einer Verhaltenspflicht einer anderen Rechtsordnung unzulässig sein. Gleichzeitig hält er die Ungleichbehandlung zweier Gruppen von Verpflichteten – derjenigen, deren Verhaltenspflichtverletzungen mit Strafe sanktioniert sind, und derjenigen, deren Verhaltenspflichtverletzungen nicht mit Strafe 75 Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 11 Fn. 11. Henrich ist allerdings kein eindeutiger Vertreter dieser Ansicht, siehe Kap. 6 B. II., S. 107 ff. 76 Schultz, FS von Weber, S. 311. 77 Schultz, FS von Weber, S. 311 ff. Näher zu Schultz’ Ansicht unten Kap. 6 B. IV. 2. c) bb), S. 127 ff. 78 Binding, Hdb. d. Strafrechts, Bd. 1, S. 374. Er verwendet allerdings die Terminologie „Normen“ und „Strafgesetze“. 79 Binding, Hdb. d. Strafrechts, Bd. 1, S. 374. 80 Binding, Hdb. d. Strafrechts, Bd. 1, S. 374.
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs
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bedroht sind – für ungerecht. Und so kommt Binding zu dem Schluss, dass „[. . .] auch im positiven deutschen Strafrecht beide Kreise zusammen [fallen] [. . .]“ 81. Zwar bezieht sich Bindings Aussage naturgemäß nur auf das zu seiner Zeit geltende Strafrecht. Seine Überlegungen lassen sich jedoch problemlos auf das heutige Recht übertragen, das in dieser Hinsicht nicht präziser formuliert ist. Auf Basis seiner Argumente82 kann auch für das heutige Recht der Schluss gezogen werden, die §§ 3 ff. StGB seien Begrenzungen des Geltungsbereichs von Verhaltens- und Sanktionsnormen. In der Tat wird der Auffassung Bindings der Sache nach auch heute noch gefolgt. So liegt der Gedanke, dass die §§ 3 ff. StGB auch den Geltungsbereich der Verhaltensnorm begrenzen, auch Lemkes Ausführungen zu Grunde, die §§ 3 ff. StGB seien „konstitutiver Teil der primären Rechtsnorm“ 83. In diesem Sinne wird auch F.-C. Schroeders Aussage zu verstehen sein, der Begriff des Geltungsbereichs werde im Strafrecht allgemein auf die Geltung der primären Norm, d.h. der Verhaltensnorm, bezogen.84 Denn dies bedeutet implizit, dass auch die §§ 3 ff. StGB auf die primäre Norm bezogen sind. Die Parallele zu Binding wird dadurch noch deutlicher, dass F.-C. Schroeder kaum Grenzen des räumlichen Geltungsbereichs anerkennt und somit die weltweite Ausdehnung der Verhaltensnormen wohl im Grundsatz für zulässig hält.85 3. Rückschlüsse aus Prinzipien des Internationalen Strafrechts Einige Autoren äußern sich weder explizit zur Unzulässigkeit der weltweiten Geltung von Verhaltensnormen, noch weisen sie auf die Parallelität der Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen hin. Allerdings analysieren sie die den §§ 3 ff. StGB zu Grunde liegenden Prinzipien und differenzieren davon ausgehend zwischen der Störung der eigenen und der Störung fremder Gesellschaftsordnungen. Deutlich tritt dies bei Jakobs zu Tage.86 Besteht die Legitimation der Strafe darin, dass die Ordnung des strafenden Staates gestört ist, gelten die Verhaltensnormen des strafenden Staates, besteht sie darin, die Störung einer fremden Ord81
Binding, Hdb. d. Strafrechts, Bd. 1, S. 374. Bindings Argumentationsweise bedient sich beispielsweise Schultz, FS von Weber, S. 311 Fn. 21. 83 Lemke in: NK2, Vor § 3 Rn. 1. Vgl. auch Rogall in: KK, OWiG, § 5 Rn. 2 zum Ordnungswidrigkeitenrecht. Den Terminus „konstitutiver Teil der primären Norm“ verwenden auch Ambos und Eser, Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3; Eser in: Schönke/Schröder, Vor § 3 ff. Rn. 6. Ihre Ausführungen sind jedoch insgesamt widersprüchlich, siehe dazu sogleich Kap. 6 B. II., S. 107 ff. 84 F.-C. Schroeder, GA 1968, 354. 85 F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81 ff. 86 Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12. 82
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
nung zu bestrafen, gelten die fremden Verhaltensnormen.87 Ob die eigene oder die fremde Rechtsordnung gestört ist, bestimmt sich danach, auf welchen Prinzipien die entsprechende Vorschrift der §§ 3 ff. StGB beruht. Nach Jakobs lassen die §§ 3 ff. StGB demnach Rückschlüsse auf die Verhaltensnormen zu. Dies ist jedoch in dieser Form nur möglich, wenn die §§ 3 ff. StGB auch die Geltung der Verhaltensnormen beeinflussen. Aus diesem Grund ist auch Jakobs der Gruppe derer zuzurechnen, die den §§ 3 ff. StGB eine Begrenzung der Verhaltensnormen entnehmen wollen.88 Eine ähnliche Methode wie Jakobs verwendet Deiters. Er unterscheidet für das geltende Recht zwischen gesellschaftsinterner und -externer Strafrechtsanwendung.89 Dabei soll bei gesellschaftsinterner Strafrechtsanwendung die Verletzung eigener Normen bestraft werden.90 In Fällen gesellschaftsexterner Strafrechtsanwendung soll dagegen eine Bestrafung nur auf Grund von stellvertretender Strafrechtspflege oder fiktiver stellvertretender Strafrechtspflege möglich sein.91 Im erstgenannten Fall gelten fremde, im letztgenannten eigene Verhaltensnormen, da in Fällen fiktiver stellvertretender Strafrechtspflege die Tat am Tatort gerade nicht mit Strafe bedroht ist.92 Ob die Anwendung des Strafrechts gesellschaftsintern oder gesellschaftsextern ist, wird ebenfalls durch Analyse der Prinzipien des Internationalen Strafrechts ermittelt.93 Auch Deiters spricht daher den §§ 3 ff. StGB mitsamt den darin enthaltenen Prinzipien die Funktion zu, über die Geltung der Verhaltensnorm zu entscheiden. Allerdings könnten Zweifel daran bestehen, ob Deiters tatsächlich die Geltung der §§ 3 ff. StGB für Verhaltensnormen vertritt. Er führt nämlich zu der Frage, ob britische Behörden einen Engländer ausliefern würden, dessen Verhalten nach deutschem Recht den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen würde, nach englischem Recht aber erlaubt sei, aus: „Mit Recht könnten sie [die britischen Behörden] dabei auf die Selbstverständlichkeit verweisen, dass sich das in England zulässige Verhalten allein am Maßstab der britischen und nicht ergänzend auch noch am Maßstab der deutschen Strafgesetze bemisst.“ 94 Dies klingt, als halte Deiters es für eine Selbstverständlichkeit, dass ausschließlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten. Eine solche Deutung würde jedoch in eklatantem Widerspruch zu dem stehen, was Deiters in seiner zeitgleich erschienenen Monographie vertreten hat. Darin 87
Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12. Welcher Art diese Begrenzung ist, wird weiter unten erläutert, siehe Kap. 6 B. IV., S. 113 ff. 89 Deiters, Legalitätsprinzip, S. 86 ff. 90 Vgl. Deiters, Legalitätsprinzip, S. 97 ff. 91 Deiters, Legalitätsprinzip, S. 88 ff. 92 Deiters, Legalitätsprinzip, S. 96. 93 Deiters, Legalitätsprinzip, S. 86 ff. 94 Deiters, ZIS 2006, 478. 88
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs
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geht er davon aus, dass die deutschen Verbote in bestimmten Fällen auch im Ausland gelten.95 Außerdem hätte diese Ansicht signifikante Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen, auf die Deiters im Folgenden überhaupt nicht eingeht.96 Zudem erscheint es angesichts der vielen verschiedenen Ansichten, die in Bezug auf den Geltungsbereich von Verhaltensnormen vertreten werden, als gewagt, eine bestimmte Auslegung als „Selbstverständlichkeit“ zu bezeichnen.97 Diese Umstände legen den Schluss nahe, dass diese Aussage Deiters’98 nicht als neue Theorie zum Geltungsbereich von Verhaltensnormen aufgefasst werden kann. Gemeint ist wohl nur, dass es aus Sicht der britischen Behörden verständlich wäre, wenn diese die Auslieferung mit dem Hinweis auf ihre abweichenden Verhaltensvorstellungen verweigern würden. Die Aussage dient demnach nur der Verdeutlichung des Problems abweichender Bewertungen des Verhaltens. Auch Deiters entnimmt letztendlich den §§ 3 ff. StGB Grundsätze zum Geltungsbereich der Verhaltensnormen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Ansicht, die §§ 3 ff. StGB seien Begrenzungen des Geltungsbereichs der Verhaltens- und der Sanktionsnormen, in der Strafrechtsliteratur weit verbreitet ist.99
II. Widersprüchliche Ausführungen Bei manchen Autoren finden sich allerdings widersprüchliche Angaben.100 So schreiben Werle/Jeßberger101 und Henrich102 zunächst, die §§ 3 ff. StGB begründeten den Anspruch des Staates, bestimmte Sachverhalte einer Bewertung zu unterziehen. Ein solcher „Bewertungsanspruch“ bezieht sich jedoch auf die Bewertung des Verhaltens und erfüllt somit die Funktion der Verhaltensnorm.103 Die §§ 3 ff. StGB bewerten demnach erst ein bestimmtes Verhalten als Unrecht und bestimmen dadurch den Geltungsbereich der Verhaltensnormen. An anderer Stelle ordnen Werle/Jeßberger und Henrich jedoch die §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit und damit als unrechtsneutral ein.104 Das kann 95
Siehe etwa Deiters, Legalitätsprinzip, S. 100 ff. Siehe dazu Kap. 10, S. 273 ff. 97 Zu den verschiedenen Ansichten siehe oben Kap. 6 A., B., S. 92 ff., sowie die folgenden Ausführungen. 98 Deiters, ZIS 2006, 478. 99 So auch Rogall in: KK, OWiG, § 5 Rn. 2: „herrschende Meinung im Strafrecht“. 100 Darauf weist bereits Pawlik hin, FS F.-C. Schroeder, S. 361 Fn. 26 und ZIS 2006, 276 Fn. 26. Ebenso Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 51 f. 101 Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 4. 102 Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 9 ff. 103 Siehe Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 21 ff., insbesondere S. 37 ff. 104 Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 156 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 268. 96
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aber nur der Fall sein, wenn die §§ 3 ff. StGB nicht den Geltungsbereich der Verhaltensnormen begrenzen, also gerade nicht den Bereich abgrenzen, in dem der Staat ein Verhalten als Recht oder Unrecht bewerten kann. Die Ausführungen von Werle/Jeßberger und Henrich sind daher in sich widersprüchlich. Der Widerspruch ließe sich lösen, wenn der Bewertungsanspruch des deutschen Staates in einem anderen Sinn verstanden würde. Bezieht sich nämlich der Bewertungsanspruch nicht auf die Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig, sondern ausschließlich auf die Bewertung als strafbar, dann könnten die §§ 3 ff. StGB als „Strafbarkeitsbewertungsanspruchsbegrenzungen“ und somit als Teil der Sanktionsnorm aufgefasst werden. Dann wären die §§ 3 ff. StGB folgerichtig objektive Bedingungen der Strafbarkeit. In diese Richtung scheint zunächst Henrich zu tendieren, wenn er von der „Bewertung, ob der Täter eine Straftat begangen hat“ 105 spricht. Dann bezeichnet er die §§ 3 ff. StGB jedoch als „konstitutiven Teil der das strafbare Unrecht festlegenden primären Strafrechtsnorm“ 106, d.h. als unrechtsbewertende Merkmale. Mithin bezieht Henrich den Bewertungsanspruch des Staates nicht ausschließlich auf die Strafbarkeit, sondern auch auf das Unrecht. Demzufolge lässt sich der Widerspruch in seinen Ausführungen nicht auflösen. Derselbe Widerspruch findet sich bei Ambos107 und Eser108.109 Beide ordnen die §§ 3 ff. StGB ebenfalls als „konstitutiven Teil der primären Strafnorm“ 110, d.h. als konstitutiven Teil der Verhaltensnorm ein, bezeichnen sie aber gleichzeitig als objektive Bedingungen der Strafbarkeit.111 Ambos betont sogar, dass aus dem einen nicht das andere folge, ohne dies allerdings näher zu begründen.112 Eine eindeutige Stellungnahme lässt sich ihren Ausführungen daher ebenfalls nicht entnehmen. Das Gleiche gilt für Jescheck, der die §§ 3 ff. StGB einerseits explizit auf Verhaltensnormen bezieht, andererseits allerdings das Geltungsbereichsrecht als objektive Bedingungen der Strafbarkeit einordnet.113 All diesen Autoren ist gemein, dass sie im Grundsatz ebenfalls eine Begrenzung der Verhaltensnormen durch §§ 3 ff. StGB annehmen. Vor diesem Hintergrund lässt sich diese Ansicht in der Tat als „herrschende Meinung“ bezeich105
Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 11. Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 11 f. 107 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3; ders., Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 9. 108 Eser in: Schönke/Schröder, Vor § 3 ff. Rn. 6, 79. 109 So auch Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 361 Fn. 26 und ZIS 2006, 276 Fn. 26. 110 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3; ders., Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 9; Eser in: Schönke/Schröder, Vor § 3 ff. Rn. 6. 111 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3; ders., Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 9; Eser in: Schönke/Schröder, Vor § 3 ff. Rn. 6, 79. 112 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 ff. Rn. 3. 113 Jescheck, IRuD 1956, 93. 106
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nen.114 Umso erstaunlicher ist es, dass die Merkmale der §§ 3 ff. StGB ohne nähere Erläuterung als objektive Bedingungen der Strafbarkeit aufgefasst werden.115 Ansätze einer Begründung liefert nur Jescheck, der schreibt, die Geltungsbereichsregelungen seien „rechtstechnisch Bedingung der Strafbarkeit“ 116. Diese Aussage ist allerdings missverständlich. Wenn mit „Bedingung der Strafbarkeit“ die Strafbarkeitsvoraussetzungen gemeint sind, so umfasst die Aussage Merkmale der Verhaltens- und Sanktionsnorm. Alle Merkmale der Verhaltensnorm müssen jedoch vom Vorsatz umfasst sein, so dass die Begründung dann keine wäre. Falls der Ausdruck „Bedingung der Strafbarkeit“ jedoch nur auf die Strafsanktionsnorm bezogen sein sollte, negiert Jeschecks Aussage seine vorherige Einordnung der §§ 3 ff. StGB als Begrenzung der Verhaltensnorm. Auch Jescheck ist daher der Vorwurf der Widersprüchlichkeit zu machen. Im Ergebnis lässt sich den Aussagen dieser Autoren daher trotz vermeintlicher Eindeutigkeit keine widerspruchsfreie Stellungnahme entnehmen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Einordnung der §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit nicht näher begründet wird. So wirken die Aussagen nicht konsequent durchdacht.
III. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB Wie oben bereits angeklungen ist, können die §§ 3 ff. StGB dieser Ansicht nach keine objektiven Bedingungen der Strafbarkeit sein. Werden die §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen aufgefasst, bedeutet dies vielmehr, dass die §§ 3 ff. StGB mitbestimmen, was als das Unrecht der Tat bewertet wird.117 Demzufolge führt ein Irrtum über eines der Merkmale, aus denen sich die Geltung deutschen Strafrechts ergibt, gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB zum Ausschluss des Vorsatzes.118 Kennt der Täter zwar alle Umstände, weiß er jedoch nicht, dass deshalb deutsche Verhaltensnormen gelten, so befindet er sich im Verbotsirrtum gem. § 17 StGB.119 114 So Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 51; Rogall in: KK, OWiG, § 5 Rn. 2. 115 Auch Golombek weist auf diese Inkonsequenz hin, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 51. 116 Jescheck, IRuD 1956, 93. 117 Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 51; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 604. 118 Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 51; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 52; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 605; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 373 Fn. 85 und ZIS 2006, 283 f. Fn. 85. Differenzierend Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 13. Im Grundsatz so auch Oehler, FS Grützner, S. 116 f. und Internationales Strafrecht, Rn. 124. 119 Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 52; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 605 ff. Siehe zu den dogmatischen Hintergründen des Verbotsirrtums ausführlich Baumann, AcP 155 (1956), 495 ff.
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Zu demselben Ergebnis kommt Schmitz. Sie ordnet allerdings die §§ 3 ff. StGB nicht als Merkmale des objektiven Tatbestands ein, sondern als unechte objektive Bedingungen der Strafbarkeit.120 Diese müssten auch in das geltende Schuldstrafrecht eingegliedert werden.121 Demnach bezieht Schmitz den Verbotsirrtum122 und wohl auch den Vorsatz123 auf die §§ 3 ff. StGB. Eine andere Auffassung vertreten Zieher und Scholten. Im Gegensatz zu den oben124 benannten Autoren begründen sie diese jedoch ausführlich, was eine Auseinandersetzung mit deren Argumentation ermöglicht. Zieher differenziert zwischen den Merkmalen der §§ 3 ff. StGB, die das deliktische Verhalten näher bestimmen, und den neutral formulierten Merkmalen.125 Nur erstere seien Teil des objektiven Tatbestands, letztere dagegen nicht.126 Zu den unrechtsneutralen Merkmalen, und damit objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, zählt er diejenigen der §§ 3 und 4 StGB sowie die Merkmale der §§ 5 und 6 StGB, die den räumlichen Geltungsbereich pauschal erweitern.127 Dagegen sollen die Merkmale, die direkt das deliktische Verhalten betreffen, Tatbestandsmerkmale i. S. d. § 16 StGB sein.128 Davon ausgehend ordnet Scholten die Merkmale des § 7 StGB samt und sonders als objektive Bedingungen der Strafbarkeit ein, auf die sich der Vorsatz nicht zu beziehen habe.129 Allerdings hält er nicht alle Merkmale des § 7 StGB für unrechtsneutral, sondern einige, nämlich das Erfordernis der identischen Norm und die Voraussetzung der fehlenden Strafgewalt, für unrechtskonstitutiv.130 Im Gegensatz zu Zieher sind nach Scholten daher auch unrechtskonstitutive Merkmale objektive Bedingungen der Strafbarkeit.131 Dies begründet er damit, dass diese Merkmale nur das Rechtswidrigkeitsurteil beträfen.132 Allerdings sind auch die Rechtfertigungsgründe Merkmale der Verhaltensnorm.133 Merkmale des § 7 StGB, die das Rechtswidrigkeitsurteil betreffen, sind 120
Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 315 ff. Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 316. 122 Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 316 f. 123 Vgl. Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 315. 124 Kap. 6 B. II., S. 107 ff. 125 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 49 ff. 126 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 53 ff. 127 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 50 f. 128 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 51 f. 129 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 93 ff. 130 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 93 ff. 131 Dies ähnelt der Ansicht von Schmitz, die den Verbotsirrtum allerdings auf die §§ 3 ff. StGB bezieht, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 316 f. 132 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 93 ff. 133 Siehe oben Kap. 2 C. II. 4., S. 44 f. 121
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs
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daher gleichfalls Teil der Verhaltensnorm und somit unrechtskonstitutiv.134 Wird die Verhaltenspflichtverletzung aus der Perspektive des Adressaten bestimmt,135 muss sich der Vorsatz jedoch auf alle Merkmale der Verhaltensnorm beziehen, also auch auf diejenigen, die nur die Rechtswidrigkeit des Verhaltens betreffen. Dies deckt sich mit dem herkömmlichen dreistufigen Verbrechensaufbau insoweit, als nach allgemeiner Ansicht bei den Rechtfertigungsgründen auch ein subjektiver Tatbestand gegeben sein muss.136 Es lässt sich darüber streiten, ob § 16 Abs. 1 StGB hier direkt oder analog angewandt wird; der Sache nach unterscheidet sich der subjektive Tatbestand der Rechtfertigungstatbestände nicht von dem des Deliktstatbestands. Auch wenn die Merkmale des § 7 StGB auf Ebene der Rechtswidrigkeit eingeordnet werden, müssen diese daher vom Vorsatz erfasst sein.137 Scholtens Differenzierung überzeugt demnach nicht. Wenn es demnach nicht überzeugend ist, Merkmale zwar als unrechtskonstitutiv zu bezeichnen, aber nicht den Vorsatz auf sie zu beziehen, stellt sich als nächste Frage, ob bestimmte Merkmale der §§ 3 ff. StGB unrechtsneutrale objektive Bedingungen der Strafbarkeit sein können. Nach Scholten und Zieher sollen die §§ 3 ff. StGB zwar den strafrechtlichen Bewertungsanspruch festlegen, gleichzeitig jedoch nur zum Teil das Unrecht der Tat konstituieren.138 Dabei verkennen sie allerdings, dass die Bewertung der Tat die Bewertung als Recht oder Unrecht bedeutet.139 Die Grenzen des Bewertungsanspruchs sind demnach zugleich die Grenzen dessen, was nach deutschem Recht Unrecht ist. Deswegen ist es nicht überzeugend, einige der Begrenzungen des Geltungsbereichs als unrechtsneutral zu bezeichnen.140 Zieher weist selbst auf diesen Zusammenhang hin: „Da Nicht-Bewertetes aber auch nicht als Unrecht angesehen werden kann, folgt daraus zugleich auch, dass das Nicht-Vorliegen dieser Faktoren im Einzelfall nicht nur die Nicht-Geltung des deutschen Strafrechts bewirkt, sondern auch das Nicht-Vorliegen von Unrecht [. . .]“ 141. Davon ausgehend hätte Zieher konsequenterweise entweder alle Regelungen der §§ 3 ff. StGB als unrechtskonstitutiv einordnen oder bei einigen der §§ 3 ff. StGB einen unbegrenzten Geltungsbe134
Insoweit ist Scholten zuzustimmen, Tatortstrafbarkeit, S. 97 ff. Siehe oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff. 136 Siehe hierzu etwa Gallas, FS Bockelmann, S. 172; Roxin, AT, Bd. 1, § 14 Rn. 94 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 145 ff. 137 Dies zeigt sich auch daran, dass oftmals umstritten ist, ob die Rechtswidrigkeit der Handlung im Tatbestand oder in der Rechtswidrigkeit zu prüfen ist, z. B. bei § 123 StGB. Siehe hierzu Rudolphi/U. Stein in: SK7, § 123 Rn. 38. 138 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 91 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 45 ff. 139 Siehe auch Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 361 f. Fn. 26 und ZIS 2006, 276 Fn. 26. 140 Auf diesen Wertungswiderspruch weist im Grundsatz auch Henrich hin, Das passive Personalitätsprinzip, S. 157. 141 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 52. 135
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
reich der zu Grunde liegenden Verhaltensnormen annehmen müssen. Da er weder das eine noch das andere getan hat, sind seine Ausführungen widersprüchlich. Das gleiche gilt für Scholten, der Zieher hierin folgt.142 Hinzu kommt, dass Zieher keine tauglichen Kriterien entwickelt, um die Abgrenzung von neutralen und verhaltensspezifischen Merkmalen zu gewährleisten.143 So sollen die Regelungen des § 5 Nr. 12–14 StGB144, die Taten von bzw. gegen Amtsträger erfassen, unrechtskonstitutiv sein, § 7 StGB, der Taten von bzw. gegen Deutsche erfasst, dagegen unrechtsneutral.145 Immerhin liegt beiden Regelungen der Gedanke zu Grunde, dass Taten von und gegen bestimmte Gruppen vom deutschen Strafrecht bewertet werden sollen, andere hingegen nicht. Ähnliches gilt für § 3 StGB: Wenn die Geltung deutschen Strafrechts im Inland unrechtsneutral ist,146 dann müsste dies z. B. auch im Rahmen des § 80a StGB gelten, der nur Taten „im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes“ erfasst. Denn da der Begriff des „räumlichen Geltungsbereichs des StGB“ durch den des Inlands ersetzt werden kann,147 ist der Geltungsbereich des § 80a StGB identisch mit dem durch § 3 StGB festgelegten. Zieher scheint jedoch detaillierte, auf einen Tatbestand bezogene Geltungsbereichsregelungen als unrechtskonstitutiv anzusehen.148 Letztendlich ist es jedoch nur eine stilistische Entscheidung des Gesetzgebers, ob er Geltungsbereichsregelungen innerhalb der einzelnen Tatbestände vorsieht oder ob er sie insgesamt im allgemeinen Teil des StGB regelt. Daher hätte er den Regelungsgehalt der §§ 3 ff. StGB auch durch Geltungsbereichsregelungen der einzelnen Tatbestände erfassen können. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber bestimmte Regelungen pauschal für alle Tatbestände trifft, ist folglich nicht aussagekräftig. Diese Beispiele zeigen, dass eine Unterscheidung zwischen unrechtsrelevanten und unrechtsneutralen Merkmalen der Geltungsbereichsregelung weder theoretisch noch praktisch durchführbar ist. Werden daher die §§ 3 ff. StGB als Regelungen des Geltungsbereiches von Verhaltensnormen aufgefasst, muss sich auch der Vorsatz auf die Umstände beziehen, aus denen sich die Geltung deutscher
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Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 91 ff., insbesondere Fn. 61. Scholten beschränkt sich von vornherein auf § 7 StGB, weshalb er keine allgemeinen Kriterien aufstellt, Tatortstrafbarkeit, S. 93 ff. 144 Zu Ziehers Zeiten noch § 5 Nr. 11–13 StGB. 145 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 50 ff. 146 So Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 50. 147 T. Fischer, Vor §§ 3 Rn. 12; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 6; Jescheck/Weigend, AT, S. 182; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 5; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 42; Werle/ Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 323. Generell zum Begriff des räumlichen Geltungsbereichs F.-C. Schroeder, GA 1968, 354 ff. 148 Vgl. Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 48 zu § 5 Nr. 7 StGB a. F. (jetzt § 5 Nr. 10 StGB). 143
B. §§ 3 ff. StGB als Begrenzungen des Geltungsbereichs
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Verhaltensnormen ergibt. Der Sache nach erkennt dies auch Schmitz.149 Warum sie die Merkmale der §§ 3 ff. StGB weiterhin als objektive Bedingungen der Strafbarkeit einordnet, bleibt unklar. Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht ersichtlich. Die Einordnung der §§ 3 ff. StGB als Tatbestandsmerkmale verhindert nicht, dass im Einzelfall der Vorsatz auf die klassischen Tatbestandsmerkmale beschränkt ist, wenn nämlich die Geltungsbereichsnorm keine zusätzlichen Merkmale vorsieht. Die Erfüllung des Tatbestands bedingt hier zugleich die Geltung der Verhaltensnormen.150 Zu Recht spricht Zieher daher von einer Doppelfunktion der Tatbestandserfüllung.151 Im Grundsatz sind jedoch alle Umstände, aus denen sich die Geltung deutscher Verhaltensnormen ergibt, unrechtskonstitutiv, so dass sich der Vorsatz auf sie beziehen muss.
IV. Der Geltungsbereich gem. §§ 3 ff. StGB Unter der Annahme, dass die §§ 3 ff. StGB den Geltungsbereich der Verhaltensnormen bestimmen, ist die nächste Frage, wie die §§ 3 ff. StGB dies tun. Der Geltungsbereich der Verhaltensnormen muss daher durch Auslegung der §§ 3 ff. StGB ermittelt werden. Schon auf den ersten Blick auf die einschlägige Literatur zeigt sich, dass aus den §§ 3 ff. StGB ganz unterschiedliche Schlüsse zum Geltungsbereich der Verhaltensnormen gezogen werden.152 Dies liegt häufig daran, dass Uneinigkeit darüber herrscht, welche Prinzipien mit der gesetzlichen Regelung verwirklicht worden sind. Die Regeln über den Geltungsbereich des Strafrechts basieren auf verschiedenen, völkerrechtlich verankerten Prinzipien, die unterschiedlich gerechtfertigt werden. Bevor daher der Geltungsbereich der Verhaltensnormen anhand der §§ 3 ff. StGB bestimmt werden kann, müssen kurz die völkerrechtlichen Anknüpfungsprinzipien erläutert werden. 1. Die Anknüpfungsprinzipien Die völkerrechtlichen Anknüpfungsprinzipien enthalten die Anknüpfungspunkte, auf Grund derer die Anwendung staatlichen Strafrechts möglich ist.153 149
Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 315 ff. Das ist z. B. bei § 6 Nr. 2–8 StGB der Fall. Siehe dazu unten Kap. 6 B. IV. 2. b, c), S. 121 ff. 151 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 50 f. 152 Siehe dazu unten Kap. 6 B. V. 2., S. 116 ff. 153 Siehe im Überblick Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 25 ff.; ders., Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 2 ff.; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 15 ff.; Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 109 f.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 11 ff.; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Germann, SchwZStR 69 (1954), 242 ff.; Hartmann in: 150
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
Sie werden in der strafrechtlichen Literatur häufig als Prinzipien des Internationalen Strafrechts bezeichnet. Da dieselben Anknüpfungsprinzipien jedoch auch im Zivil- und sonstigen Öffentlichen Recht von Bedeutung sind, ist die Bezeichnung als strafrechtliche Prinzipien irreführend. Das Territorialitätsprinzip gestattet es dem Staat, alle Taten zu strafen, die in seinem Hoheitsgebiet begangen wurden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers.154 Ergänzt wird dies durch das Flaggenprinzip, das das Strafrecht des Staates auf Taten erstreckt, die auf Schiffen oder Luftfahrzeugen begangen wurden, welche zu dem Staat gehören.155 Das Staatsschutz- oder Realprinzip erlaubt dem Staat, alle Taten zu bestrafen, die sich gegen seine eigenen staatlichen Rechtsgüter richten.156 Davon ist zumindest der Kernbereich der staatlichen Interessen, also Sicherheit, territoriale HK, § 3 Rn. 3; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 19 ff.; Hilgendorf/Frank/ Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 220 ff.; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 9 ff.; Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 6 ff.; Jescheck, IRuD 1956,78 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 167 ff.; Kienle, Straftaten im Internet, S. 28 ff.; Kniebühler, Ne bis in idem, S. 64 ff.; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 7 ff. und in: AK, Vor § 3 Rn. 5 ff.; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 97; Nuvolone, ZStW 66 (1954), 546 f.; Ohler, Kollisionsordnung, S. 331 ff.; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 117 ff.; Rath, JA 2007, 29 ff.; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 32 ff.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 3 ff.; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 5; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 130 ff.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 36 ff.; Schönke, FS Mezger, S. 105 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 5 ff.; Vogler, FS Grützner, S. 155 ff.; ders., FS Maurach, S. 596 ff.; Walter, JuS 2006, 870 ff. und 967 ff.; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 13 ff.; Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 7 Rn. 36 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 216 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 75 ff.; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 295 ff. Nur bezogen auf das deutsche Recht Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 64 ff.; Kindhäuser, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 64 ff. Aus der älteren Literatur siehe etwa Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 382 ff.; M. E. Mayer, AT, S. 71 ff. 154 Siehe zum Territorialitätsprinzip Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 25 ff.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 12; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 220 ff.; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 9; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 9 und in: AK, Vor § 3 Rn. 6; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 222 ff. Grundlegend auch Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 35 ff.; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 13 ff. 155 Näher zum Flaggenprinzip Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 34; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 14; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 10 und in: AK, Vor § 3 Rn. 7; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 224. Zum Verhältnis von Flaggen- und Territorialitätsprinzip etwa Deiters, Legalitätsprinzip, S. 103 f. 156 Näher zum Staatsschutzprinzip Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 40 f.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 16 f.; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 12 und in: AK, Vor § 3 Rn. 9; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 225 ff.
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Integrität sowie politische Unabhängigkeit, umfasst.157 Eng verwandt mit dem Staatsschutzprinzip ist das sog. passive Personalitätsprinzip, nach dem der Staat Taten gegen seine Angehörigen unter Strafe stellen kann.158 Das Pendant zum passiven Personalitätsprinzip ist das aktive Personalitätsprinzip, nach dem der Staat alle Taten unter Strafe stellt, die seine Angehörigen irgendwo auf der Welt begehen.159 Dagegen besagt das Universalitäts- oder auch Weltrechtsprinzip, dass der Staat Taten, die gegen bestimmte Rechtsgüter gerichtet sind, weltweit unter Strafe stellen darf.160 Dabei muss es sich allerdings um Rechtsgüter handeln, an denen ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht.161 Beim Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege wird der Staat in Vertretung eines anderen Staates tätig.162 Er wendet sein eigenes Strafrecht an, wenn eine vorrangig zuständige ausländische Strafjustiz aus rechtlichen oder tatsächWerle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 226. Siehe zum passiven Personalitätsprinzip Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 42 ff.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 18; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 25 ff.; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 11; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 12 und in: AK, Vor § 3 Rn. 9; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 228 ff. 159 Näher zum aktiven Personalitätsprinzip Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 35 ff.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 15; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 11 und in: AK, Vor § 3 Rn. 8; Oehler, FS Mezger, S. 83 ff.; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 175 ff.; Werle/ Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 232 ff. 160 Siehe zum Universalitätsprinzip Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 47 ff.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 19 f.; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 13; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 13 ff. und in: AK, Vor § 3 Rn. 10 f.; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 20 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 237 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 61 ff. Krit. M. E. Mayer, AT, S. 77. 161 Vgl. Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 47; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 48; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 237 f. „gemeinsames Interesse der Staatengemeinschaft“; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2 „Interesse der ganzen Menschheit“; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 19; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 13; Kienle, Straftaten im Internet, S. 33; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 13 und in: AK, Vor § 3 Rn. 10 „gemeinsame, in allen Kulturstaaten anerkannte Rechtsgüter“; ähnlich auch Kniebühler, Ne bis in idem, S. 67; Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 226; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 12 „übernationale Kulturgüter“. 162 Zum Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege siehe Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 58 ff.; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 21; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Hartmann in: HK, § 3 Rn. 3; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 12; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 16 f. und in: AK, Vor § 3 Rn. 11; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 9 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 248 ff. 157 158
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lichen Gründen an der Durchsetzung ihres Strafrechts gehindert ist.163 Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege führt somit nur zu einer abgeleiteten Strafgewalt.164 Es gibt noch eine Reihe weiterer Anknüpfungsprinzipien.165 Die oben benannten sind jedoch diejenigen, die im Wesentlichen in den §§ 3 ff. StGB verwirklicht sind und deren grundsätzliche Existenz unumstritten ist. Auf die Darstellung anderer Prinzipien soll daher verzichtet werden. Werden die verschiedenen Prinzipien miteinander verglichen, zeigt sich, dass diese sich auf zwei Grundgedanken zurückführen lassen: den des Selbstschutzes des Staates und den der internationalen Solidarität.166 Dabei dienen das Territorialitätsprinzip, das Staatsschutzprinzip und das passive Personalitätsprinzip dem Selbstschutz des Staates, während das Universalitätsprinzip, das aktive Personalitätsprinzip und das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege auf dem Gedanken der internationalen Solidarität beruhen.167 Bei der Auslegung der §§ 3 ff. StGB muss daher auch berücksichtigt werden, durch welchen dieser Grundgedanken die Regeln der §§ 3 ff. StGB gerechtfertigt sind.168 2. Auslegung der §§ 3 ff. StGB Nachdem die den §§ 3 ff. StGB zu Grunde liegenden Prinzipien im Überblick dargestellt wurden, können die konkreten Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen durch Auslegung der §§ 3 ff. StGB ermittelt werden. 163
T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3. Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 58; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 37 f.; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 248. 165 Siehe die Erläuterungen bei Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, Vor §§ 3 Rn. 28, 61; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 2; Lemke in: NK2, Vor §§ 3 Rn. 18 und in: AK, Vor § 3 Rn. 12; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 250 ff. 166 Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 27 f.; Forkel, Umweltbelastungen, S. 26; Jung, JZ 1979, 331; Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 63; Krapp, Distanzdelikt, S. 131; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 107 ff. und GA 1994, 34; Nietsch, Insiderrecht, S. 112; Oehler, FS Grützner, S. 115 und Internationales Strafrecht, S. 133 ff.; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 362 ff. und ZIS 2006, 277 ff.; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 113 f.; Schröder, JZ 1968, 241 f.; Vogler, FS Maurach, S. 602 f.; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 14; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 217; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 91 ff. Wohl auch Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12. Schultz zufolge ist nur der Gedanke der internationalen Solidarität zur Begründung des Internationalen Strafrechts geeignet, FS von Weber, S. 309 f. 167 Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 27 f.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 107 ff.; Nietsch, Insiderrecht, S. 112; Oehler, FS Grützner, S. 115 ff. und Internationales Strafrecht, Rn. 122 ff. Vgl. auch Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 118. 168 Kritisch aber Pawlik, der zur Auslegung der §§ 3 ff. StGB die Straftheorien heranziehen will, FS F.-C. Schroeder, S. 369 ff. und ZIS 2006, 281 ff. 164
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a) §§ 3 und 4 StGB Gem. § 3 StGB gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Inland begangen werden. Mit „Inland“ ist das deutsche Hoheitsgebiet gemeint.169 In § 3 StGB wird demnach das Territorialitätsprinzip verwirklicht. Dieses wird dadurch gerechtfertigt, dass es eine offenkundige Beziehung zwischen den in einem Staatsgebiet befindlichen Rechtsgütern und dem Staat selbst gibt.170 Das Territorialitätsprinzip ist somit unmittelbar Ausfluss der staatlichen Souveränität. Eine ähnliche Regelung enthält § 4 StGB. Danach gilt das deutsche Strafrecht auch für Taten, die auf Schiffen oder Luftfahrzeugen begangen werden, die die deutsche Bundesflagge oder das Staatsangehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland führen dürfen.171 Solche Schiffe oder Luftfahrzeuge unterliegen – wie das Staatsgebiet – der deutschen Souveränität.172 Die Auslegungsergebnisse zu § 3 StGB lassen sich daher auf § 4 StGB übertragen.173 Wenn im Folgenden von § 3 StGB die Rede ist, gilt dies stets entsprechend für § 4 StGB. aa) Bestimmung des Geltungsbereichs in Abhängigkeit von § 9 Abs. 1 StGB Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Inland (§ 3 StGB) bzw. auf bestimmten deutschen Schiffen oder Luftfahrzeugen (§ 4 StGB) begangen werden. Was mit Begehungsort gemeint ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Var. 1, 2 StGB.174 Danach ist eine Tat an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder hätte handeln müssen – d.h. dem Ort der Verhaltenspflichtverletzung. Auf Verhaltensnormen bezogen bedeutet dies, dass die deutschen Verhaltensnormen für alle Verhaltenspflichtverletzungen gelten, die im Inland begangen werden. Der räumliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm umfasst daher jedenfalls das Staatsterritorium. Allerdings ist gem. § 9 Abs. 1 Var. 3, 4 StGB eine Tat auch an dem Ort begangen, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder eintreten 169 Böse in: NK3, § 3 Rn. 3; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 12. Siehe auch Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 3 Rn. 6. 170 Oehler, FS Grützner, S. 117 und Internationales Strafrecht, Rn. 125. 171 Näher zu den berechtigten Schiffen und Luftfahrzeugen Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, § 4 Rn. 3 ff. 172 Dadurch werden die Schiffe und Luftfahrzeuge jedoch nicht Teil des Inlands. Vgl. hierzu – im Zusammenhang mit § 10 StPO – BGH, Beschl. v. 07.04.2009, BGHSt 53, 265. 173 So auch Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 108 Fn. 338; Schultz, GA 1966, 198. 174 Zum Zusammenspiel der beiden Regelungen Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 380 ff.
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soll (sog. Ubiquitätsprinzip)175. In Verbindung mit § 3 StGB ist das deutsche Strafrecht daher anwendbar, wenn der Erfolg auf deutschem Staatsgebiet eingetreten ist.176 Der Bezug dieser Regelung auf Verhaltensnormen ist allerdings problematisch. Da der Adressat bereits zum Zeitpunkt des Verhaltens erkennen können muss, ob sein Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist,177 muss zu diesem Zeitpunkt schon feststehen, ob die Verhaltensnorm gilt. Der sog. tatbestandliche Erfolg stellt jedoch die Realisierung des in der Verhaltenspflichtverletzung bestehenden Risikos dar178 und setzt somit die Geltung einer Verhaltensnorm voraus. Es ist daher nicht möglich, aus dem Erfolgseintritt Rückschlüsse auf die Geltung der Verhaltensnormen zu ziehen.179 Allerdings gilt deutsches Strafrecht gem. §§ 9 Abs. 1 Var. 4 i.V. m. 3 StGB auch dann, wenn der Täter sich vorgestellt hat, dass der Erfolg im deutschen Staatsterritorium eintreten werde. Dieser Teil des § 9 Abs. 1 StGB lässt sich auch auf Verhaltensnormen übertragen. Deutsche Verhaltensnormen gelten danach dann, wenn der Täter sich vorstellte, dass sich die Gefahr aus seiner Verhaltenspflichtverletzung im deutschen Staatsgebiet realisieren würde.180 In vielen Fällen werden durch diese Interpretation die Geltungsbereiche der Verhaltensnorm und der Sanktionsnorm zusammen fallen. Probleme tauchen allerdings auf, wenn die Vorstellung des Täters von der Realität abweicht. Dies ist zunächst der Fall, wenn der Täter über den Erfolgsort irrt. Denkt etwa der in Frankreich handelnde (oder unterlassende) Täter, der Erfolg werde in Italien eintreten, so gilt für sein Verhalten nach dem oben gesagten gem. § 9 Abs. 1 StGB nicht die deutsche Verhaltensnorm. Wenn der Erfolg jedoch tatsächlich in Deutschland eintritt, gilt gem. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB die deutsche Strafsanktionsnorm. 175 Siehe hierzu etwa Ambos/Ruegenberg in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 9 Rn. 4 ff.; Böse in: NK3, § 9 Rn. 2; Eser in: Schönke/Schröder, § 9 Rn. 3; T. Fischer, StGB, § 9 Rn. 2 ff.; Hartmann in: HK, § 9 Rn. 2 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 16 ff.; Hoyer in: SK6, § 9 Rn. 2 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 178; Kindhäuser, § 9 Rn. 2 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 9 Rn. 1 ff.; Lemke in: NK2, § 9 Rn. 4 ff. und in: AK, § 9 Rn. 4 ff.; Rotsch, ZIS 2006, 18 ff.; ders., ZIS 2010, 170 f.; Walter, JuS 2006, 871 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, § 9 Rn. 3 ff. Kritisch Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 21; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 375 f. und ZIS 2006, 285; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. Ausführlich Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 110 ff.; Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 75 ff.; Kienle, Straftaten im Internet, S. 86 ff. 176 Siehe zum Erfolgsbegriff in diesem Zusammenhang Velten, FS Rudolphi, S. 333 ff. 177 Siehe dazu oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff. 178 Dazu oben Kap. 2 C. III., S. 45 f. 179 In eine ähnliche Richtung geht die Kritik von Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 375 f. und ZIS 2006, 283. Siehe auch Germann, SchwZStR 69 (1954), 243 ff.; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 65; Wengler, IRuD 1972, 265 ff. 180 Ebenso Deiters, Legalitätsprinzip, S. 101. Vgl. auch Böse, der bei Vorsatzdelikten Vorsatz im Hinblick auf den Erfolgsort verlangt, Böse in: NK3, § 9 Rn. 15.
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Derselbe Effekt tritt auf, wenn der Täter sich überhaupt keine Vorstellung darüber macht, wo der Erfolg eintreten könnte. Dies ist der Fall, wenn der Täter den Erfolgseintritt nicht für möglich hält – also in den Fällen fahrlässiger Erfolgsherbeiführung. Der fahrlässig handelnde Täter hat typischerweise überhaupt keine Vorstellung davon, dass ein Erfolg eintreten könnte, so dass die Geltung der deutschen Verhaltensnorm nicht über § 9 Abs. 1 Var. 4 StGB begründet werden kann.181 Handelt der Fahrlässigkeitstäter im Ausland, gelten daher für sein Verhalten gem. § 3 StGB nicht die deutschen Verhaltensnormen.182 Tritt der Erfolg jedoch auf deutschem Staatsgebiet ein, gilt gem. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB wiederum die deutsche Strafsanktionsnorm. Wenn § 3 StGB daher ernsthaft als Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen aufgefasst wird, gilt die deutsche Verhaltensnorm gem. § 3 StGB für alle Verhaltensweisen auf deutschem Staatsgebiet sowie für jedes Verhalten, das nach Vorstellung des Verhaltenden einen Erfolg auf deutschem Staatsgebiet herbeiführen soll. Entsprechend würden die deutschen Verhaltensnormen gem. § 4 StGB für jedes Verhalten auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen gelten, außerdem für jedes Verhalten, das nach Vorstellung des Verhaltenden einen Erfolg auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen herbeiführen sollte. bb) Vergleich mit der Ansicht von Liebelt Die Literatur hat bislang weitgehend auf eine genaue Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen gem. §§ 3 ff. StGB verzichtet. Einzig Liebelt äußert sich zum Geltungsbereich gem. §§ 3, 4 StGB.183 Allerdings stellt er dar, dass § 3 StGB die Verletzung der deutschen Verhaltensnorm ahnde,184 und schließt daraus, „[. . .] dem heimischen Kriminalrecht [komme] somit auch weiterhin eine universelle Bewertungsfunktion menschlichen Verhaltens zu [. . .]“ 185. Soweit daher die §§ 3 ff. StGB deutsche Verhaltensnormen zu Grunde legen, sollen diese nach Liebelt universell gelten.186 Dies ist insoweit erstaunlich, als Liebelt den §§ 3 ff. StGB Einfluss auf die Konkretisierung des strafrechtlichen Unrechts zuschreibt.187 Seinen Ausführungen zufolge scheint sich dieser Einfluss in der Auswahl der entsprechenden Ver181 Anders Böse, der Fahrlässigkeit im Hinblick auf den Erfolgsort genügen lässt, Böse in: NK3, § 9 Rn. 15. 182 Dies verkennt Kienle, weil er nicht zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen differenziert, Straftaten im Internet, S. 138 f. 183 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 107 ff. und GA 1994, 34 f. 184 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 107 ff. 185 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 148. 186 So deutlich Liebelt, GA 1994, 35. 187 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 147.
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haltensnorm zu erschöpfen, bei Anwendbarkeit der deutschen Verhaltensnorm jedoch nicht die Bestimmung des Umfangs der Verhaltensnorm zu erfassen. Vielmehr wird bei grundsätzlicher Geltung der deutschen Verhaltensnorm die Handlung des Täters „[. . .] fiktiv ins Inland verlegt [. . .]“ 188. Konsequenterweise ordnet Liebelt die §§ 3–7 Abs. 1 StGB, die seiner Ansicht nach deutsche Verhaltensnormen zu Grunde legen, als Strafanwendungsrecht ein,189 § 7 Abs. 2 StGB hingegen als Geltungsbereichsregelung.190 Die Unterscheidung zwischen § 7 Abs. 2 StGB und den §§ 3–7 Abs. 1 StGB in Bezug auf die Bestimmung des Geltungsbereichs überzeugt allerdings nicht.191 Zuvor hat Liebelt durch Untersuchung der §§ 3 ff. StGB herausgearbeitet, dass nur § 7 Abs. 2 StGB ausländische Verhaltensnormen zu Grunde legt.192 Daraus zieht er den Schluss, dass das deutsche Strafrecht keine universelle, sondern nur eine lokale Bewertungsfunktion habe, dass also die deutschen Verhaltensnormen keinen universellen Geltungsbereich hätten.193 Konsequenterweise muss dies jedoch nicht nur für § 7 Abs. 2 StGB gelten, sondern auch für die den §§ 3–7 Abs. 1 StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen. Denn wird der These von der universellen Geltung von Verhaltensnormen grundsätzlich eine Absage erteilt, bedeutet dies zugleich, dass Verhaltensnormen in irgendeiner Form begrenzt sein müssen.194 Nicht überzeugend ist es daher, die Begrenzung auf ausländische Normen aus § 7 Abs. 2 StGB herzuleiten, bei inländischen Normen dagegen pauschal auf einer unbegrenzten Geltung der Verhaltensnormen zu beharren. Wird bei ausländischen Verhaltensnormen § 7 Abs. 2 StGB angewendet, muss auch die Begrenzung inländischer Verhaltensnormen an den §§ 3 ff. StGB gemessen werden. In den Fällen der §§ 5, 6 StGB mag die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs unter Umständen begründet sein. Der Wortlaut der §§ 3, 4 StGB lässt eine solche Auslegung jedoch nicht zu. Liebelts Ansicht ist daher abzulehnen. cc) Ergebnis Werden daher die §§ 3 ff. StGB als Beschränkungen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen aufgefasst, muss der Geltungsbereich durch Auslegung der einzelnen Vorschriften gewonnen werden. Die Auslegung der §§ 3 und 4 StGB ergibt in Kombination mit § 9 Abs. 1 StGB die Geltung der deutschen Verhal188 189 190 191 192 193
Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 237. Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 148. Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 151. Kritisch auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 128 f. Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 107 ff., insbes. 123 ff. Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 142 ff. und GA 1994,
34 ff. 194
So auch Neumann, FS Müller-Dietz, S. 602.
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tensnormen für jedes Verhalten, das im Inland oder auf deutschen Schiffen oder Luftfahrzeugen stattfindet. Insoweit umfasst der räumliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm daher das Staatsterritorium sowie dem Staat angehörige Schiffe und Luftfahrzeuge. Außerdem gilt die deutsche Verhaltensnorm immer, wenn der Verhaltende sich vorstellt, das seinem Verhalten innewohnende Risiko werde sich auf deutschem Staatsgebiet oder deutschen Schiffen oder Luftfahrzeugen realisieren. In diesem Fall bewirken Territorial- und Flaggenprinzip die Geltung der deutschen Verhaltensnorm außerhalb des Staatsterritoriums bzw. der deutschen Schiffe und Luftfahrzeuge. Schon aus §§ 3 und 4 StGB ergibt sich daher ein über die Staatsgrenzen ausgedehnter Geltungsbereich. b) § 5 StGB In § 5 StGB wird die Geltung deutschen Strafrechts für Taten geregelt, die im Ausland begangen werden.195 Der Rückgriff auf §§ 5 ff. StGB ist daher nur notwendig, wenn der Geltungsbereich der entsprechenden Normen nicht gem. §§ 3, 4 StGB begründet werden kann. Stellt der Täter sich zum Zeitpunkt des Verhaltens vor, das diesem Verhalten innewohnende Risiko werde sich im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland realisieren, so gilt die deutsche Verhaltensnorm bereits gem. § 3 StGB. Dies wird z. B. häufig der Fall sein, wenn der Täter die den §§ 81 ff. StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen verletzt.196 In diesem Fall kommt es auf die Regelung des § 5 Nr. 2 StGB nicht an; der Geltungsbereich ist doppelt begründet. In anderen Fällen bewirkt § 5 StGB jedoch eine erhebliche Erweiterung des Geltungsbereichs.197 Der Gesetzgeber verfolgt mit § 5 StGB die Intention, bestimmte nationale Interessen unabhängig vom Tatortrecht zu schützen.198 Dabei geht es nicht nur darum, dass Taten unter Strafe gestellt werden sollen, weil sie am ausländischen Tatort möglicherweise nicht strafbar sind.199 Der Schutz dieser Interessen soll vielmehr völlig unabhängig von ausländischen Rechtsordnungen erfolgen.200
195 Siehe in diesem Zusammenhang zu § 5 StGB Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 109 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 103 ff. 196 Vgl. auch Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 81. 197 Hartmann in: HK, § 5 Rn. 1; Hoyer in: SK6, § 5 Rn. 1; Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 1. Sehr kritisch Ambos, der die Vorschrift teilweise für völkerrechtswidrig hält, in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 10 f. 198 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 7; Böse in: NK3, § 5 Rn. 1; Eser in: Schönke/Schröder, § 5 Rn. 1; Hoyer in: SK6, § 5 Rn. 1; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 305. 199 So aber Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 4. 200 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 9; Hoyer in: SK6, § 5 Rn. 1. Vgl. auch BT-Drs. V/4095 S. 4 ff. Kritisch Forkel, der die Strafbarkeit von Handlungen im Aus-
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Dies bedeutet jedoch, dass die Interessen auch unabhängig von ausländischen Verhaltensnormen geschützt werden sollen. Im Ergebnis herrscht daher Einigkeit darüber, dass § 5 StGB keine ausländischen Verhaltensnormen zu Grunde legt.201 Folglich muss § 5 StGB nicht nur den Geltungsbereich der Sanktionsnorm, sondern auch den der Verhaltensnorm betreffen. aa) Regelung des sachlichen Geltungsbereichs Bei näherer Betrachtung des § 5 StGB zeigt sich, dass dessen Regelungen auf unterschiedlichen Prinzipien beruhen und den Geltungsbereich der Verhaltensnormen daher in unterschiedlicher Weise beschränken.202 Die Regelungen des § 5 Nr. 1, 2, 3 lit. b, 4, 5 lit. a, 10, 14 und 14 lit. a203 StGB sind Ausprägungen des Staatsschutzprinzips.204 Die Verletzung der eigenen staatlichen Interessen soll weltweit geahndet werden, um die Sicherheit des Staates zu gewährleisten. Da ausländische Rechtsordnungen keinen Anlass haben, Verhaltensnormen zum Schutz spezieller Interessen des deutschen Staates zu erlassen, kann dies nur durch die Festlegung eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs der deutschen Verhaltensnormen gewährleistet werden. Die Verhaltensnormen, auf die § 5 StGB in Nr. 1, 2, 3 lit. b, 4, 5 lit. a, 10, 14 und 14 lit. a Var. 2 explizit Bezug nimmt, sind daher nur in ihrem sachlichen Geltungsbereich beschränkt.205 Auch den anderen Regelungen des § 5 StGB ist, mit Ausnahme von Nr. 11206, gemein, dass sie keine Begrenzungen des räumlichen Geltungsbereichs beinhalten. Einige basieren auf dem passiven Personalitätsprinzip und postulieren demland zum Schutz inländischer Rechtsgüter für ungeeignet hält, Umweltbelastungen, S. 90 f. 201 Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 113; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 140 f. So auch Nowakowski, der die §§ 3 ff. StGB grundsätzlich allerdings nicht auf Verhaltensnormen anwenden will, JZ 1971, 637. Näher zu seiner Ansicht Kap. 6 C., S. 142 ff. 202 Siehe dazu ausführlich Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 103 ff. 203 § 5 Nr. 14 lit. a StGB ist allerdings nur in der Form der passiven Abgeordnetenbestechung reine Ausprägung des Staatsschutzprinzips, vgl. Eser in: Schönke/Schröder, § 5 Rn. 5. A. A. (passives Personalitätsprinzip) Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 1. 204 Vgl. Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 1; Eser in: Schönke/Schröder, § 5 Rn. 1; T. Fischer, StGB, § 5 Rn. 1; Hartmann in: HK, § 5 Rn. 1; Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 16; Jescheck/Weigend, AT, S. 172 f.; Joecks, StGB, Vor §§ 3 Rn. 6; Kindhäuser, StGB, § 5 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, § 5 Rn. 1; Lemke in: NK2, § 5 Rn. 2 und AK, § 5 Rn. 2; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 109 ff.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 66; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 5 Rn. 1; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 18; Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 9; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 103 ff. 205 Eine besondere Begrenzung des sachlichen Geltungsbereichs findet sich auch in § 5 Nr. 12 StGB. 206 Siehe dazu unten Kap. 6 B. IV. 2. b) cc), S. 124 f.
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nach die weltweite Geltung von Verhaltensnormen, die den Schutz deutscher Staatsangehöriger (Nr. 6, 8 lit. a) oder deutscher Unternehmen (Nr. 7)207 bezwecken. Das passive Personalitätsprinzip liegt auch den Vorschriften zu Grunde, die den Schutz davon abhängig machen, dass der Betroffene seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (Nr. 6, 6 lit. a) bzw. die Lebensgrundlage (so zusätzlich zur deutschen Staatsangehörigkeit Nr. 8 lit. a) im Inland hat.208 Auch hier ist die Intention des Gesetzgebers zu erkennen, diejenigen zu schützen, für die der Staat verantwortlich ist. Solche Beschränkungen, die den Kreis derer einschränken, die durch Verhaltensnormen geschützt werden sollen, sind Begrenzungen des sachlichen Geltungsbereichs der Verhaltensnormen. Aus normentheoretischer Perspektive stellt sich die Frage, ob durch Regelungen, die an das passive Personalitätsprinzip anknüpfen, eine neue Verhaltensnorm entsteht, so dass es im Ergebnis zwei ähnliche Verhaltensnormen gibt, oder ob nur eine Verhaltensnorm mit differenziertem Geltungsbereich vorliegt. Da diese Frage keine praktischen Auswirkungen hat, soll darauf nicht näher eingegangen werden. bb) Regelung des persönlichen Geltungsbereichs Andere Regelungen des § 5 StGB basieren hingegen auf dem aktiven Personalitätsprinzip und erstrecken die Geltung bestimmter Verhaltensnormen auf alle Taten, die von deutschen Staatsangehörigen (Nr. 3 lit. a, 5 lit. b, 8, 9, 11a, 12, 14a Var. 1, 15) oder Amtsträgern im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Nr. 12, 13) begangen werden. Teilweise wird zusätzlich verlangt, dass der Täter seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat (Nr. 3 lit. a, 5 lit. b, 8 lit. a, 9). Der missverständliche Begriff „räumlicher Geltungsbereich des Gesetzes“ ist ein Synonym für das Inland.209 Alle Regelungen, die auf dem aktiven Personalitätsprinzip basieren, stellen Begrenzungen des persönlichen Geltungsbereichs der Verhaltensnormen dar. Zum Teil entspringen diese Regelungen der Intention des Gesetzgebers, Umgehungen des deutschen Strafrechts entgegenzuwirken.210 Das gilt insbesondere für § 5 Nr. 8 lit. a, 9 StGB. Durch die weltweite Bindung des Staatsangehörigen an die eigene Verhaltensordnung wollte der deutsche Gesetzgeber „Straftattourismus“ verhindern.211 Andere Regelungen erklären sich eher aus der dem Staat 207
So auch Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 1. Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 5 Rn. 1. 209 Siehe zum Begriff des „räumlichen Geltungsbereichs des Gesetzes“ ausführlich F.-C. Schroeder, GA 1968, 354 ff. 210 Jescheck/Weigend, AT, S. 173; Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 4. Siehe auch BT-Drs. V/4095, S. 5 f. 211 Rath, JA 2007, 30. Der Einwand von Schultz, dieses Argument greife faktisch nur bei Sittlichkeitsverbrechen, weil schwerere Straftaten in aller Regel auch am Tatortstaat 208
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besonders nahen Position der Amtsträger (Nr. 12, 13).212 Generell wird das aktive Personalitätsprinzip mittlerweile kritisch betrachtet.213 cc) Regelung des räumlichen Geltungsbereichs § 5 Nr. 11 StGB legt die Geltung deutschen Strafrechts und damit deutscher Verhaltensnormen für bestimmte Umweltstraftaten fest, die im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone begangen werden. Die ausschließliche Wirtschaftszone ist ein durch Art. 55 SeeRÜbk214 bestimmter Bereich des Meeres jenseits des Küstenmeers.215 Während § 3 StGB daher die Geltung der Verhaltensnormen im Inland, d.h. einschließlich des Küstenmeeres,216 festlegt, erweitert § 5 Nr. 11 StGB dies für Umwelttaten nahtlos um den Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone.217 Damit enthält § 5 Nr. 11 StGB als einzige der Regelungen in § 5 StGB eine Begrenzung des räumlichen Geltungsbereichs der in Bezug genommenen Verhaltensnormen. dd) Ergebnis Nicht alle Regelungen der §§ 5 ff. StGB lassen sich auf denselben Anknüpfungspunkt zurückführen. Teilweise sind verschiedene Prinzipien in Bezug auf ein und denselben Tatbestand kumulativ verwirklicht (Nr. 8 lit. a, 12). Bei § 5 Nr. 14a StGB wird alternativ an das aktive Personalitätsprinzip oder das Staatsschutzprinzip angeknüpft. Auch unterscheidet sich die Reichweite der einzelnen Regelungen des § 5 StGB erheblich. Während sich einige Vorschriften auf einen einzelnen Tatbestand und damit auf eine Verhaltensnorm konzentrieren, bestimmen andere die Geltung des deutschen Strafrechts für ganze Gruppen von Straftaten (Nr. 12–14).218 Dementsprechend ist die Regelung des § 5 StGB insgesamt unübersichtlich.219 Sie weist eine Vielzahl von Bestimmungen auf, die mal den sachlichen, persönlichen oder räumlichen Geltungsbereich betreffen. Die meisten der Regelungen verboten seien, ist allerdings berechtigt, GA 1966, 200. Ebenfalls kritisch Deiters, Legalitätsprinzip, S. 107; Vogler, FS Grützner, S. 157 ff. 212 Siehe hierzu Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 122 ff. 213 Oehler, FS Grützner, S. 122 ff. und Internationales Strafrecht, Rn. 139 ff.; Schultz, GA 1966, 200. Völkerrechtswidrig ist es allerdings nicht, Oehler, FS Mezger, S. 88 ff. 214 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II, S. 1799). 215 Näher dazu Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 55 ff. 216 Siehe Werle/Jeßberger in: LK12, § 3 Rn. 41 ff. 217 Siehe auch Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 16. 218 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 122 ff. 219 So auch Jescheck/Weigend, AT, S. 173; Werle/Jeßberger in: LK12, § 5 Rn. 7.
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sind jedoch so speziell, dass sie nur sehr wenige Verhaltensnormen betreffen und daher der Sache nach eher als immanente Geltungsbereichsbeschränkungen angesehen werden müssten.220 Daher lassen sich durch Auslegung des § 5 StGB – anders als bei §§ 3, 4 StGB – auch keine generellen Aussagen zum positiven Geltungsbereich der Verhaltensnormen treffen. c) § 6 StGB In § 6 StGB ist die Geltung des deutschen Strafrechts für bestimmte Taten geregelt, die sich gegen international geschützte Rechtsgüter richten.221 Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 1 VStGB.222 Dem Wortlaut nach ließe sich annehmen, mit international geschützten Rechtsgütern seien solche gemeint, die von allen Staaten als schützenswert anerkannt werden oder die aus der Staatengemeinschaft als solcher resultieren.223 Die Auflistung der betroffenen Tatbestände zeigt jedoch, dass eine solche Auslegung nicht haltbar ist: Es fehlen sowohl elementare und allgemein anerkannte Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit als auch spezifisch internationale wie die internationale Sicherheit.224 Die in § 6 StGB getroffene Auswahl beruht vielmehr auf zwischenstaatlichen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten.225 aa) Geltung deutscher Verhaltensnormen Wird § 6 StGB als Bestimmung über den Geltungsbereich von Verhaltensnormen aufgefasst, so stellt sich auch hier zunächst die Frage, ob § 6 StGB die Strafbarkeit an die Verletzung fremder Verhaltensnormen knüpft oder ob er den Geltungsbereich der eigenen Verhaltensnormen ausdehnt. Soweit ersichtlich geht die einschlägige Literatur davon aus, dass § 6 StGB auch den Geltungsbereich der inländischen Verhaltensnormen regelt.226 Zur Begründung wird dabei auf den 220
Siehe dazu oben Kap. 5, S. 85 ff. Ausführlich zu § 6 StGB Wang, Der universale Strafanspruch, S. 127 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 114 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 142 ff. Siehe in Bezug auf Verhaltensnormen auch Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 120 ff.; dens., GA 1994, 35. 222 Siehe dazu Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 138 ff. 223 Werle/Jeßberger in: LK12, § 6 Rn. 3. Siehe auch Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 6 Rn. 3; ders., Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 92. 224 Werle/Jeßberger in: LK12, § 6 Rn. 3; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 8. 225 Eser in: Schönke/Schröder, § 6 Rn. 1; von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 6 Rn. 1; Kindhäuser, StGB, § 6 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, § 6 Rn. 1; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 33; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 75. 226 Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 121 f.; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 118; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 398 f.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 51. Auch Oehler kommt für 221
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Wortlaut der Vorschrift abgestellt, die „unabhängig vom Recht des Tatorts“ gelten soll.227 Das deutsche Strafrecht verwende daher seine eigene Unrechtsdefinition. Da § 6 StGB jedoch zumindest zu einem großen Teil auf dem Universalitätsprinzip beruht, unterstellt das Strafrecht nach Ansicht Jakobs damit, dass überall die gleiche Unrechtsdefinition herrsche.228 Die Konsequenz dieser Ansicht ist, dass die in § 6 StGB zu Grunde gelegten Verhaltensnormen überall gelten müssen. Aus § 6 StGB ergibt sich demnach, dass die in Nr. 2–4, 6–8 StGB bezeichneten Verhaltensnormen einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben. Dasselbe gilt im Prinzip für § 6 Nr. 5 StGB. Diese Vorschrift bezieht sich allerdings nicht auf konkrete Taten, sondern auf alle Verhaltensnormen, die den Vertrieb von Betäubungsmitteln untersagen.229 Etwas anderes gilt für die Regelung des § 6 Nr. 9 StGB. Der § 6 Nr. 9 StGB stellt eine Generalklausel dar, die die Geltung deutschen Strafrechts für Taten anordnet, zu deren Verfolgung die Bundesrepublik Deutschland auf Grund völkerrechtlicher Verträge verpflichtet ist. Der Gesetzgeber wollte dadurch seine völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen, ohne gezwungenermaßen § 6 StGB gesetzlich erweitern zu müssen.230 Dem Wortlaut nach ergibt sich aus § 6 Nr. 9 StGB ein unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich von Verhaltensnormen, sobald diese in irgendeiner Form aus völkerrechtlichen Verträgen resultieren.231 Eine derart weite Auslegung ist jedoch völkerrechtlich bedenklich232 und auch nicht erforderlich, um die Intention des Gesetzgebers zu erfüllen. Die Vorschrift des § 6 Nr. 9 StGB ist daher teleologisch dergestalt zu reduzieren, dass das deutsche Strafrecht (und damit die deutschen Verhaltensnormen) gilt, soweit Taten auf Grund von allgemein verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommen zu verfolgen sind.233 Dabei ist zu beachten, dass die gem. Art. 103 Abs. 2 GG erforderdas geltende Recht zu diesem Ergebnis, obwohl er aus Gerechtigkeitsgründen bei den meisten Delikten für das zusätzliche Erfordernis der Tatortstrafbarkeit plädiert, FS Grützner, S. 125 f. und Internationales Strafrecht, Rn. 149. Für die wenigen Delikte, die dem Weltrechtsprinzip unterfallen sollten, lehnt Oehler jedoch das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit ab, Internationales Strafrecht, Rn. 903. 227 So Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 122. 228 Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12. 229 Näher hierzu Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 124 ff. 230 Vgl. Eser in: Schönke/Schröder, § 6 Rn. 10; Hartmann in: HK, § 6 Rn. 1; Hoyer in: SK6, § 6 Rn. 4; Kienle, Straftaten im Internet, S. 34; Rath, JA 2007, 31; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 76; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 145; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 133. 231 Werle/Jeßberger in: LK12, § 6 Rn. 109. 232 Werle/Jeßberger in: LK12, § 6 Rn. 109 ff. 233 Ebenso Werle/Jeßberger in: LK12, § 6 Rn. 109 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 166 ff. Vgl. auch Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 147 Fn. 65. A. A. T. Fischer, der § 6 Nr. 9 StGB nur dann eingreifen lassen will, wenn der völkerrechtliche Vertrag auf dem Universalitätsprinzip beruht, StGB, § 6 Rn. 9.
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liche gesetzliche Bestimmtheit der Strafbarkeit erst nach Ratifikation des völkerrechtlichen Abkommens eintritt, obwohl völkerrechtliche Verträge bereits mit Unterzeichnung für den Staat verbindlich werden.234 Der Geltungsbereich der zu Grunde gelegten Verhaltensnormen bestimmt sich folglich nach den entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen. Diese können jedoch auch Begrenzungen des zeitlichen, sachlichen oder persönlichen Geltungsbereichs beinhalten. Während § 6 Nr. 2–8 StGB daher reine Regelungen des räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen darstellen, können gem. § 6 Nr. 9 StGB alle Facetten des Geltungsbereichs betroffen werden. bb) Geltung ausländischer Verhaltensnormen Die Auslegung, dass § 6 StGB deutsche Verhaltensnormen zu Grunde legt, ist allerdings nicht zwingend. Die Vorschrift beruht zumindest teilweise auf dem Universalitätsprinzip, welches Ausdruck der internationalen Solidarität der Staaten ist.235 Es ließe sich daher durchaus vertreten, es sei in ganz besonderem Maße Ausdruck der Solidarität, wenn der Staat die Verletzung fremder Verhaltensnormen sanktioniere.236 Dann wäre § 6 StGB keine Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen, sondern würde sich nur auf Sanktionsnormen beziehen.237 In Bezug auf Verhaltensnormen ließe sich § 6 StGB allenfalls eine negative Geltungsbereichsregelung entnehmen. In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von Schultz, die sich allerdings nicht auf § 6 StGB, sondern generell auf das Internationale Strafrecht beziehen.238 Seiner Ansicht nach ist eine rechtliche Beziehung zwischen Täter und Staat erforderlich, damit die Gebote des Staates den Täter treffen.239 Eine solche Beziehung wird jedoch nicht durch Prinzipien begründet, die auf dem Gedanken der internationalen Solidarität beruhen.240 Diese Prinzipien sind daher ungeeignet, den Geltungsbereich der Verhaltensnormen zu erweitern. 234 Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 20; Rath, JA 2007, 31; wohl auch Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 6 Rn. 19; ders., Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 111; Böse in: NK3, § 6 Rn. 17; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 50; Hoyer in: SK6, § 6 Rn. 4; Kindhäuser, StGB, § 6 Rn. 3; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 76; Walter, JuS 2006, 968. A. A. T. Fischer, StGB, § 6 Rn. 9; Lemke in: AK, § 6 Rn. 12. Siehe zum Bestimmtheitsgrundsatz im Hinblick auf § 6 Nr. 9 StGB auch Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 106 f. 235 Siehe oben Kap. 6 B. V. 1., S. 113 ff. Siehe auch Samson in: SK3, § 6 Rn. 1. 236 So Forkel, Umweltbelastungen, S. 112. Dann stellt sich jedoch die Frage, welche fremde Verhaltensnorm gelten soll, d.h. nach welchen Kriterien diese Verhaltensnorm auszuwählen ist. 237 Wang zufolge kann daher der Gedanke der internationalen Solidarität das Weltrechtsprinzip nicht rechtfertigen, Der universale Strafanspruch, S. 71. 238 Schultz, FS von Weber, S. 305 ff. 239 Schultz, FS von Weber, S. 311 f. 240 Schultz, FS von Weber, S. 312.
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Konsequenterweise fasst Schultz die auf solchen Prinzipien fußenden Vorschriften als Regelungen über die gerichtliche Zuständigkeit auf, die durch eine Norm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts ergänzt werden müssten.241 Eine solche Konstruktion ist mit der Situation im Internationalen Privatrecht vergleichbar.242 Werden die Ausführungen von Schultz auf § 6 StGB übertragen, kann § 6 StGB demnach weder die Anwendung der deutschen Verhaltensnormen noch der deutschen Sanktionsnormen begründen. Vorschriften, die auf dem Grundsatz der internationalen Solidarität beruhen, wären daher nicht Ausprägungen des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege,243 sondern hätten gar keinen materiellen Gehalt. cc) Stellungnahme Es ist wichtig, zwei Fragen auseinander zu halten: wie das geltende Recht (lex lata) beschaffen ist und wie das zukünftige Recht (lex ferenda) auszusehen hätte. An dieser Stelle geht es darum, ob § 6 StGB deutsche oder ausländische Normen zu Grunde legt. Es geht folglich um die Auslegung des geltenden Rechts. Daher soll hier nicht darauf eingegangen werden, ob eine Änderung des § 6 StGB de lege ferenda, etwa die zusätzliche Berücksichtigung des Tatortrechts,244 wünschenswert wäre. Nach dem Wortlaut von § 6 StGB soll deutsches Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts gelten. Dies scheint im ersten Augenblick dafür zu sprechen, dass § 6 StGB deutsche Verhaltensnormen zu Grunde legt. Die genaue Aussage des § 6 StGB hängt jedoch davon ab, was unter dem Tatortrecht verstanden wird. So könnten damit etwa nur die Sanktionsnormen des Tatortes gemeint sein.245 Selbst wenn § 6 StGB ein umfassendes Verbot der Berücksichtigung der Rechtsordnung des Tatortstaates aussprechen würde, kann daraus nicht zwangsläufig auf die Einschlägigkeit der deutschen Verhaltensnormen geschlossen werden. Denn § 6 StGB sagt nichts darüber, ob Verhaltensnormen anderer Rechtsordnungen als der des Tatortstaates gelten. Es wäre z. B. denkbar, dass § 6 StGB die Verhaltensnormen der Rechtsordnung zu Grunde legt, der der Betroffene angehört. Der Wortlaut alleine ist daher nicht hilfreich. Hingegen ist bei der Auslegung auf die Intention des Gesetzgebers abzustellen, die sich in der Auswahl der geschützten Delikte widerspiegelt. Dabei steht der Gedanke im Vordergrund, die Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, bestimmte Taten unter Strafe zu stellen, zu erfüllen.246 Deutlich ist diese Inten241
Schultz, FS von Weber, S. 312 f. So auch Schultz, FS von Weber, S. 313. Siehe hierzu Kap. 1 A. I., S. 29. 243 So aber Oehler, FS Grützner, S. 119 Fn. 27. 244 So die Forderung von Oehler, FS Grützner, S. 126 und Internationales Strafrecht, Rn. 149; Schultz, GA 1966, 199 f. 245 Siehe Nowakowski, JZ 1971, 633. 242
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tion an der Generalklausel des § 6 Nr. 9 StGB zu erkennen, die das deutsche Strafrecht auf Taten erstreckt, zu deren Verfolgung die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verpflichtet ist. Verpflichtet sich der deutsche Staat jedoch durch einen völkerrechtlichen Vertrag zur Bestrafung bestimmter Taten, so muss er diese Verpflichtung so gut wie möglich erfüllen. Wenn er die Bestrafung von Verhaltensnormen abhängig macht, über deren Existenz und Inhalt er nicht entscheiden kann, birgt dies die Gefahr, dass diese fremden Verhaltensnormen nicht den Anforderungen des völkerrechtlichen Vertrags entsprechen. Im Regelfall wird sich aus völkerrechtlichen Verträgen daher nicht nur die Pflicht zur Sanktionierung ergeben, sondern auch die Pflicht, entsprechende Verhaltensweisen zu verbieten.247 Demzufolge beziehen sich die Regelungen des § 6 StGB auch auf die Verhaltensnormen. Letztendlich erklärt sich die Notwendigkeit des § 6 StGB daraus, dass die relevanten Rechtsgüter nicht in jeder Rechtsordnung gleich gut geschützt werden. Hintergrund der Regelung ist vielmehr gerade ein Misstrauen gegenüber anderen Staaten, insbesondere gegenüber dem Tatortstaat.248 Da der Staat nicht darauf vertrauen kann, dass der Schutz der relevanten Rechtsgüter in anderen Staaten erfolgen wird, zwingt ihn die Solidarität mit anderen Staaten zu einer weiten Regelung des Geltungsbereichs.249 Die internationale Solidarität besteht daher nur mit Staaten, die dieselben Rechtsgüter schützen. Dies erhöht gleichzeitig den Schutz der besagten Rechtsgüter innerhalb der eigenen Rechtsordnung.250 Werden jedoch die internationalen Interessen als eigene staatliche Rechtsgüter angesehen, so lässt sich entgegen Schultz eine Beziehung zum Staat annehmen. Damit bleiben zwar Fragen offen, nämlich erstens, ob die Beziehung im Einzelfall hinreichend erkennbar ist, und zweitens, welche Konsequenzen es hat, wenn der Täter die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht kennt. Es bestehen jedoch keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Regelung des § 6 StGB.251 Böse in: NK3, § 6 Rn. 17. Vgl. auch Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 16. Wang weist jedoch darauf hin, dass eine solche Pflicht nur gegenüber den Staaten besteht, die ebenfalls den völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet haben, und die Geltung der Verhaltensnormen daher nur diesen gegenüber gerechtfertigt ist, Der universale Strafanspruch, S. 87 ff. 248 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 83. Laut Deiters wird im Fall der Säumnis des Tatortstaates eine Tatortstrafbarkeit fingiert, Legalitätsprinzip, S. 94 f. 249 Pawlik sieht dies nicht als Ausprägung der internationalen Solidarität, sondern der individuellen Verantwortlichkeit der Staaten an, FS F.-C. Schroeder, S. 365 und ZIS 2006, 279. 250 Zutreffend Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 83 „Gedanke vorbeugenden Selbstschutzes“. Ähnlich Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 122 und GA 1994, 35 „abstrakte Gefährdung des inländischen Normgefüges“. 251 Ob die Regelung im Einzelfall über die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland hinausgeschossen und die Regelung somit völkerrechts246 247
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Im Ergebnis folgt daher aus der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 6 StGB, die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen, dass die Vorschrift auch den Geltungsbereich der deutschen Verhaltensnormen ausdehnt und die Strafbarkeit nicht an die Verletzung fremder Verhaltensnormen anknüpft. Die in § 6 Nr. 2–8 StGB benannten Verhaltensnormen haben daher einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich, während sich der Geltungsbereich der Verhaltensnormen aus völkerrechtlichen Verträgen gem. § 6 Nr. 9 StGB nach dem jeweiligen Vertrag richtet. d) § 7 StGB Im Gegensatz zu §§ 5, 6 StGB macht § 7 StGB die Strafbarkeit nach deutschem Recht stets davon abhängig, dass die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Gem. § 7 StGB entsteht daher nur dann eine Strafpflicht, wenn der deutsche Staat sich damit nicht in Widerspruch zum Tatortstaat begibt. Voraussetzung für das Eingreifen der deutschen Sanktionsnorm ist daher in allen Fällen des § 7 StGB, in denen der Tatort einer Strafgewalt untersteht, jedenfalls die negative Bewertung der Tat durch den Tatortstaat, d.h. die Tat muss zumindest eine Verletzung der Verhaltenspflichten des Tatortstaates darstellen. Welche anderen Voraussetzungen sich aus dem Erfordernis der Strafdrohung durch den Tatortstaat ergeben, ist für die Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen anhand des § 7 StGB irrelevant, so dass auf eine nähere Erläuterung verzichtet wird.252 Damit stellt sich jedoch hier in noch größerem Maße als bei § 6 StGB die Frage, ob § 7 StGB von der Verletzung der deutschen Verhaltensnorm ausgeht, also ob über die Verletzung der Verhaltensnorm des Tatortstaates hinaus noch eine weitere Verhaltenspflichtverletzung Voraussetzung der Sanktionsnorm ist, oder ob die Verhaltenspflichtverletzung nach dem Recht des Tatortstaates die nach deutschem Recht ersetzt. Vereinfacht gesagt stellt sich die Frage, welche Verhaltenspflichtverletzung § 7 StGB sanktioniert: die Verletzung deutscher oder die ausländischer Verhaltensnormen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Tatort überhaupt einem Staat zuzuordnen ist. Unterliegt der Tatort keiner Staatsgewalt, dann kann eine Bestrafung gem. § 7 widrig ist, kann hier nicht weiter erörtert werden. Siehe hierzu Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 142 ff. 252 Siehe hierzu etwa Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 5 ff.; Cornils, S. 73 ff. in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality; Eser in: Schönke/Schröder, § 7 Rn. 7 ff., 23; ders., JZ 1993, 875 ff.; T. Fischer, StGB, § 7 Rn. 7; Hartmann in: HK, § 7 Rn. 5 ff.; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 79 ff.; Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 4 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 7 Rn. 2; Lemke in: NK2, § 7 Rn. 3 ff. und AK, § 7 Rn. 4 ff.; Neumeyer, ZStW 23 (1905), 448 ff.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 88 ff.; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 7 Rn. 17 ff.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 125 ff.; ders., NStZ 1994, 266 ff.; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 21 ff.
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StGB nur dadurch begründet werden, dass der deutsche Staat seine Verhaltensnormen auf den Tatort erstreckt. Für diese Fälle enthält § 7 StGB demnach eine Geltungsbereichsregelung.253 Es ist daher irreführend, wenn Kienle davon spricht, dass der deutsche Staat in diesem Fall „stellvertretend“ die Funktion des Trägers der Gebietshoheit wahrnimmt.254 Da niemand die Hoheitsgewalt über dieses Gebiet hat, kann auch niemand vertreten werden. Der Ausdruck „stellvertretend“ passt demnach nicht. aa) § 7 Abs. 1 StGB Gem. § 7 Abs. 1 StGB gilt das deutsche Strafrecht für alle Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden. Der Begriff des Deutschen ist in Art. 116 Abs. 1 GG legal definiert und gilt mangels anderweitiger Regelungen auch im Rahmen des StGB.255 Juristische Personen sind daher nicht erfasst.256 Inlandstaten gegen Deutsche werden bereits von §§ 3, 4 StGB erfasst, woraus sich die Beschränkung auf das Ausland ergibt. (1) Geltung deutscher Verhaltensnormen Wird § 7 Abs. 1 StGB als Regelung des Geltungsbereichs deutscher Verhaltensnormen aufgefasst, so legt § 7 Abs. 1 StGB die weltweite Geltung der Verhaltensnormen fest, während diese gleichzeitig sachlich auf deutsche Rechtsgutsträger beschränkt werden.257 Dies würde dazu führen, dass deutsche Staatsangehörige durch die deutschen Verhaltensnormen weltweit vor jeglicher Form von Angriffen geschützt wären. Der Sache nach würde der Staat daher weltweit Verhaltensweisen verbieten, durch die deutsche Staatsangehörige in irgendeiner 253 Vgl. hierzu Neumeyer, ZStW 23 (1903), 453; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 9. 254 Kienle, Straftaten im Internet, S. 37. 255 Siehe Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 19 ff.; ders., Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 46; Böse in: NK3, § 7 Rn. 3; Eser in: Schönke/Schröder, Vor §§ 3 Rn. 53 ff.; T. Fischer, StGB, § 7 Rn. 2a f.; Hartmann in: HK, § 7 Rn. 4; von HeintschelHeinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 7 Rn. 3; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 110 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 182; Lackner/Kühl, Vor §§ 3 Rn. 7; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 81 ff.; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 7 Rn. 3; Walter, JuS 2006, 967; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 55 ff. 256 AG Bremen, Beschl. v. 30.09.2004, NStZ-RR 2005, 87 f.; T. Fischer, StGB, § 7 Rn. 4; Hartmann in: HK, § 7 Rn. 4; von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 7 Rn. 3; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 108 ff.; Lackner/ Kühl, StGB, § 7 Rn. 3; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 7 Rn. 4; Walter, JuS 2006, 968; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 62 ff.; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 302. A. A. Böse in: NK3, § 7 Rn. 4; wohl auch Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 18; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 16. 257 So Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 114 ff. und GA 1994, 34 f.
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Form zu Schaden kommen könnten. Demnach wäre § 7 Abs. 1 StGB eine reine Ausprägung des passiven Personalitätsprinzips.258 Angesichts der Vielzahl von Individualgütern, die durch die im StGB verankerten Verhaltensnormen geschützt werden, würde dadurch eine erhebliche Zahl von Verhaltensnormen im Ausland gelten. Die Regelung der Tatortstrafbarkeit würde dementsprechend nicht das Erfordernis einer deutschen Verhaltenspflichtverletzung ersetzen. Sie wäre vielmehr Ausfluss der Erwägung, dass es gerecht sei, den Täter straflos zu stellen, wenn die Tat nach dem Recht des Tatortes kein Unrecht ist.259 Dementsprechend wäre sie nicht logisch notwendig, sondern Ausfluss einer politischen Entscheidung des Gesetzgebers.260 (2) Geltung ausländischer Verhaltensnormen Die Gegenposition wird wiederum von Schultz vertreten.261 Davon ausgehend, dass eine rechtliche Beziehung zwischen Staat und Täter erforderlich sei, damit die Verhaltensnormen des ersten den zweiten verpflichten könnten, verneint Schultz eine solche Beziehung beim passiven Personalitätsprinzip, da die Beziehung zum Staat hier einzig an die Nationalität des Opfers geknüpft werde.262 Schultz’ Ansicht nach darf der Staat in solchen Fällen zwar die Tat verfolgen, jedoch müsse das anwendbare Strafrecht separat festgelegt werden.263 Die deutsche Regelung in § 7 Abs. 1 StGB hält er entsprechend für zu weit, allerdings nicht schlechthin für rechtswidrig.264 Letzteres ergibt sich daraus, dass er Vorschläge zur Eingrenzung der Vorschrift macht, die teilweise auch übernommen worden sind.265 Nach Schultz ist das passive Personalitätsprinzip daher nur als Zuständigkeitsregelung denkbar. 258 So Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 1; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 20, § 7 Rn. 2; Eser in: Schönke/Schröder, § 7 Rn. 1; T. Fischer, StGB, § 7 Rn. 1; Hartmann in: HK, § 7 Rn. 1; von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 7 vor Rn. 1; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 36 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 7 Rn. 1; Lemke in: NK2, § 7 Rn. 2 und AK, § 7 Rn. 2; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 15 f.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 80; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 21; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 8; wohl auch Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 68. Differenzierend Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 2 ff.; wohl auch Wegner, FS Frank I, S. 148 f. 259 Böse in: NK3, § 7 Rn. 6; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 114 ff.; Oehler, FS Grützner, S. 119 und Internationales Strafrecht, Rn. 128. Satzger bezeichnet das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit als Korrektiv, Europäisches Strafrecht, Rn. 80. 260 Siehe Oehler, FS Grützner, S. 119 und Internationales Strafrecht, Rn. 129. 261 Siehe schon oben Kap. 6 B. IV. 2. c) bb), S. 127 f. 262 Schultz, FS von Weber, S. 311 ff. 263 Schultz, FS von Weber, S. 312 f. 264 Schultz, GA 1966, 201 f. zum E 1962. 265 Schultz, GA 1966, 200.
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Zwar hat die radikale Ansicht von Schultz kaum Anhänger gefunden.266 Ein gewisses Unbehagen wegen des weiten Geltungsbereichs der deutschen Verhaltensnormen gem. § 7 Abs. 1 StGB zeigt sich jedoch darin, dass oftmals dessen Nähe zum Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege betont267 oder § 7 Abs. 1 StGB gar als Ausprägung dieses Prinzips verstanden wird.268 Bei dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege wird der Staat jedoch ausschließlich als Vertreter eines anderen Staates tätig, so dass er in diesem Fall auch die Verletzung fremder Verhaltenspflichten ahndet.269 Wenn § 7 Abs. 1 StGB daher als Ausprägung des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege angesehen wird, deutet dies darauf hin, dass auch hier eine Verletzung fremder Verhaltenspflichten geahndet werden soll.270 Gleiches gilt in den Fällen, in denen die Abhängigkeit der Strafbarkeit nach dem passiven Personalitätsprinzip von der Tatortstrafbarkeit gefordert wird. Wird die Tatortstrafbarkeit nicht nur für rechtspolitisch wünschenswert, sondern für völkerrechtlich notwendig gehalten,271 spricht dies ebenfalls dafür, dass hier allenfalls die Verletzung ausländischer Verhaltenspflichten bestraft werden kann. (3) Die Ansicht von Pawlik In jüngerer Zeit hat Pawlik den Gedanken von Schultz aufgegriffen. Seiner Ansicht nach kann die Rechtsordnung grundsätzlich nur den verpflichten, dem sie auch Freiheiten gewährt.272 Dies bedingt eine Differenzierung zwischen Angreifern aus dem Inneren der Gemeinschaft und aus dem Äußeren.273 Ersteren bietet die Rechtsordnung Schutz und verlangt dementsprechend Gehorsam,274 bei letz-
266 Ihm folgt jedoch im Wesentlichen Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 419 ff. 267 Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 18; Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 2 ff. 268 Deiters, Legalitätsprinzip, S. 92; Jescheck/Weigend, AT, S. 174. 269 Näher dazu unten Kap. 6 B. IV. 2. d) cc), S. 140. 270 Schon Neumeyer sieht in dem Verweis auf das Tatortrecht eine Anweisung, die materielle Rechtswidrigkeit im Hinblick auf die Gemeinschädlichkeit des Verhaltens anhand des Tatortrechts zu bestimmen, ZStW 23 (1903), 448 ff. Die Handlung muss seiner Ansicht nach jedoch stets auch durch die Rechtsordnung verboten sein, der die Strafsanktionsnorm entstammt, ZStW 23 (1903), 448. 271 Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 71 f.; Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 418; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 123; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 135; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 18. 272 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 374 und ZIS 2006, 284. Vgl. auch Doehring, Der Staat 1965, 272 ff. 273 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 379 ff. und ZIS 2006, 287 ff. 274 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 374 f. und ZIS 2006, 284. Siehe hierzu auch Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 98 f.; ders., Königsteiner Kreis 1967, 90; ders., FS Schmitt, Bd. 2, S. 426 ff.
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teren ist dies nicht der Fall. Auf Grund dieses Unterschieds qualifiziert Pawlik die Regelung des § 7 Abs. 1 StGB als Gefahrenabwehrrecht und damit nicht als Strafrecht.275 Demnach regelt § 7 Abs. 1 StGB nicht den Geltungsbereich der Strafsanktionsnormen, sondern bestimmt die Anwendbarkeit des StGB zum Zwecke der Gefahrenabwehr.276 Gefahrenabwehr setzt allerdings voraus, dass überhaupt eine Gefahr für Rechtsgüter vorliegt. Eine solche ist gegeben, wenn die Verhaltensnormen, mit denen der Staat seine Rechtsgüter schützt, missachtet werden.277 Nur, wenn die Abschreckung durch die Verhaltensanforderung nicht gelungen ist, kommt die Verhängung einer präventiven Zwangsmaßnahme in Betracht.278 Im Ergebnis bedeutet dies, dass § 7 Abs. 1 StGB auch nach Pawliks Ansicht an die Verletzung eigener Verhaltenspflichten anknüpft und damit den Geltungsbereich der Verhaltensnormen bestimmt. § 7 Abs. 1 StGB erfüllt somit zwei Funktionen: Er legt den Geltungsbereich der Verhaltensnormen fest, die deutsche Staatsbürger schützen, und er bestimmt, in welchen Fällen präventive Zwangsmaßnahmen verhängt werden dürfen.279 Die Verhängung von Strafen kommt dagegen gem. § 7 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, weil Ausländern kein sozialethischer Vorwurf gemacht werden könne.280 Während Schultz daher sowohl bei Verhaltens- als auch bei Sanktionsnormen eine rechtliche Beziehung des Täters zum Staat voraussetzt, verlangt Pawlik eine solche Beziehung nur bei Strafsanktionsnormen. Folglich vertritt Pawlik nicht, § 7 Abs. 1 StGB lege ausländische Verhaltensnormen zu Grunde. Seine Ausführungen betreffen vielmehr ausschließlich die Sanktionsnorm. (4) Stellungnahme Auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 StGB kommt es letztendlich darauf an, welche Intention der Gesetzgeber mit der Vorschrift verfolgt. Dabei sorgen aller-
275 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 380 ff. und ZIS 2006, 288. Ebenso Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 4 Rn. 19 „Maßnahmen der Selbstverteidigung“; Velten, FS Rudolphi, S. 344 „Verteidigung“. 276 Vor diesem Hintergrund ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Strafnormen gegenüber Ausländern problematisch. Hier wird wohl – ähnlich wie bei Maßregeln der Besserung und Sicherung – der Begriff des Strafrechts in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG so auszulegen sein, dass auch solche Verteidigungsmaßnahmen davon erfasst sind. Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.02.2004, BVerfGE 109, 190, 212 f. 277 Siehe Bekker, Theorie des Strafrechts, S. 192 f. 278 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 380 f. und ZIS 2006, 288. 279 Nach Ansicht von Pawlik ist die Vorschrift als Grundlage der Verhängung von Zwangsmaßnahmen allerdings viel zu weit, FS F.-C. Schroeder, S. 381 f. und ZIS 2006, 289. 280 Siehe Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 19.
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dings die Entwicklungen im Europarecht dafür, dass § 7 Abs. 1 StGB in besonderem Maße auf dem Prüfstand steht. Gem. Art. 18 Abs. 1 AEUV281 (ex Art. 12 Abs. 1 EGV) ist den Mitgliedstaaten jede Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit verboten. Dieses allgemein formulierte Diskriminierungsverbot ist in Verbindung mit der durch den Maastrichter-Vertrag282 eingeführten Unionsbürgerschaft zu sehen.283 Vor dem Hintergrund dieses Diskriminierungsverbotes müssen Regelungen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, gesondert auf ihre Vereinbarkeit mit dem Europarecht geprüft werden.284 Auf den ersten Blick ist es in der Tat nicht einzusehen, warum der deutsche Staat ein Verhalten, das gegen Deutsche gerichtet ist, weltweit verbieten sollte, nicht jedoch ein Verhalten, das sich gegen Unionsbürger richtet. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass den deutschen Staatsangehörigen Pflichten auferlegt werden, die die Unionsbürger nicht treffen (z. B. die Wehrpflicht in § 1 Abs. 1 WpflG). Die stärkere Verpflichtung korrespondiert mit größeren Rechten der Staatsangehörigen.285 Der sachliche Grund für eine Bevorzugung der deutschen Staatsangehörigen durch § 7 Abs. 1 StGB liegt demnach darin, dass der Staat durch eine solche Regelung die erhöhten Schutzpflichten erfüllt, die er gegenüber seinen Angehörigen hat.286 Die Regelung des § 7 Abs. 1 StGB ist demnach europarechtlich unbedenklich.287 281 Die Artikelangaben beziehen sich auf die konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft (EGV), der nunmehr „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ heißt (siehe Art. 2 1) LissabonV). Die konsolidierte Fassung ist abgedruckt in Abl. 2008 C 115, S. 47 ff. 282 Vertrag über die Europäische Union vom 29. Juli 1992, Abl. 1992 C 191, S. 1 ff. 283 Siehe hierzu etwa Haratsch/König/Pechstein, Europarecht, Rn. 723 ff.; Herdegen, Europarecht, § 12 Rn. 1 ff.; Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 17 Rn. 1 ff.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 96. 284 So auch Böse/Meyer, ZIS 2011, 342. Im Internationalen Privatrecht und Internationalen Verwaltungsrecht wird dieses Problem ebenfalls diskutiert, siehe etwa C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 229 ff.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 125 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 258 f. 285 Ähnlich Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 374 ff. und ZIS 2006, 284; Velten, FS Rudolphi, S. 344. Auch Henrich begründet das passive Personalitätsprinzip mit der Nähebeziehung des Staates zu seinen Angehörigen, Das passive Personalitätsprinzip, S. 187 f. 286 Vogler erkennt solche Schutzpflichten allerdings nur für Amtsträger und Soldaten an, FS Maurach, S. 605 Fn. 55. Richtig ist, dass Amtsträger und Soldaten in höherem Maße vom Staat verpflichtet werden und daher größeren Schutzes bedürfen. Allerdings unterliegt jeder Staatsangehörige mehr Pflichten als Nicht-Staatsangehörige, so dass sie diesen gegenüber größeren Schutzes bedürfen. Siehe allgemein zur Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Angehörigen Baier, GA 2001, 437 ff. 287 Zweifel bei Böse/Meyer, ZIS 2011, 342. Eine darüber hinausgehende Frage ist, ob der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, seine Angehörigen mit Mitteln des Strafrechts zu schützen. Hierzu ablehnend Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 60 ff.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
Folglich ist § 7 Abs. 1 StGB Ausfluss der Schutzpflicht, die der Staat gegenüber seinen Angehörigen hat.288 Seiner Verpflichtung, den Bürger zu schützen, kommt der Staat aber primär durch die Aufstellung entsprechender Verhaltensnormen nach. Diese üben die Funktion des Rechtsgüterschutzes aus.289 Mit Hilfe von Sanktionsnormen kann der Staat hingegen nur nach Verletzung der Bürger eingreifen und allenfalls darauf hoffen, dass die Strafe präventiv wirkt. Auch kann der Staat sich nicht darauf verlassen, dass fremde Staaten entsprechende Verhaltensnormen erlassen.290 Wird § 7 Abs. 1 StGB daher als Ausprägung des Schutzgrundsatzes angesehen, so muss sich § 7 Abs. 1 StGB auch auf die Verhaltensnormen beziehen. Diese Auslegung führt allerdings zu einem weiten Geltungsbereich von Verhaltensnormen. Der Effekt wird jedoch durch die Tatsache aufgefangen, dass § 7 Abs. 1 StGB das Unrecht der Tat konstituiert. Demnach sind alle Umstände, aus denen sich die Geltung der deutschen Verhaltensnorm ergibt, Teil der Verhaltensnorm. Ein Irrtum über das Vorliegen dieser Umstände lässt daher gem. § 16 Abs. 1 StGB den Vorsatz entfallen.291 Weiß der Täter daher nicht, dass das Opfer Deutscher ist, dann fehlt ihm die Kenntnis eines Merkmals der geltenden Verhaltensnorm und er handelt im Ergebnis ohne Vorsatz.292 Die Kenntnis, dass das Opfer Ausländer ist, reicht hingegen nicht, sondern der Täter muss es zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass das Opfer die deutsche Staatsangehörigkeit hat.293 Kennt der Täter hingegen die Staatsangehörigkeit des Opfers, weiß er aber nicht, dass deshalb auch die deutschen Verhaltensnormen gelten, so fehlt ihm die Einsicht, nach deutschem Recht Unrecht zu tun, so dass er gem. § 17 StGB im Verbotsirrtum handelt.294 Durch diese Auslegung wird der tatsächliche Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 StGB erheblich eingeschränkt.295 288 So auch Eser in: Schönke/Schröder, § 7 Rn. 1; T. Fischer, StGB, § 7 Rn. 1; Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 18 „Schutzprinzip“; Jescheck/Weigend, AT, S. 174; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 80; „Individualschutzprinzip“; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 101 ff. Zu demselben Ergebnis kommt nach Erläuterung der Gesetzgebungsgeschichte Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 44 ff. Er hält das Prinzip allerdings für ungeeignet, den Schutz der Staatsbürger zu gewährleisten und bescheinigt ihm daher nur symbolischen Charakter, Das passive Personalitätsprinzip, S. 149 ff., insbesondere S. 164 f. 289 Siehe dazu oben Kap. 2 A., S. 36 ff. 290 Vgl. Oehler, FS Grützner, S. 118 und Internationales Strafrecht, Rn. 127. 291 Neumann, FS Müller-Dietz, S. 605. 292 Böse in: NK3, § 7 Rn. 10; ders., FS Maiwald, S. 74 ff. So auch Neumann für die Kenntnis des Begehungsortes, FS Müller-Dietz, S. 605. 293 Siehe auch Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 151. Anders Oehler, FS Grützner, S. 118 f. und Internationales Strafrecht, Rn. 127. 294 Neumann, FS Müller-Dietz, S. 605 ff. 295 Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 156 ff. Henrich weist allerdings darauf hin, dass die Bedeutung des § 7 Abs. 1 StGB in der Rechtspraxis generell gering gewesen ist, Das passive Personalitätsprinzip, S. 118 ff.
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Wird dieses Verständnis der §§ 3 ff. StGB zu Grunde gelegt, dann ist der Einwand von Schultz, der Täter habe keine Beziehung zum verbietenden Staat, weitgehend entkräftet.296 Weiß der Täter, dass er einen Deutschen angreift, dann liegt für ihn die Überlegung nahe, dass deutsche Normen dies verbieten.297 Insoweit ist ähnlich wie beim Staatsschutzprinzip der Bezug des Täters zu der Verhaltensnorm darin zu sehen, dass die Verhaltensnorm spezifisch staatliche Güter schützt. Eine ganz andere Frage ist, ob dieser Bezug ausreicht, um den Täter für die Verletzung der Verhaltensnorm mit einer Sanktion belegen zu dürfen. Das kann hier nicht weiter erörtert werden. Im Ergebnis erweitert § 7 Abs. 1 StGB daher den Geltungsbereich der Verhaltensnormen. Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit ist demzufolge nur eine aus Gerechtigkeitsgründen eingefügte einschränkende Voraussetzung der Sanktionsnorm. bb) § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB Gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB gilt das deutsche Strafrecht für andere Taten, wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist. Zum Begriff des Deutschen gilt das oben Gesagte entsprechend; auch hier ist daher die Definition des Art. 116 Abs. 1 GG einschlägig.298 Die Verwendung des Ausdrucks „für andere Taten“ bedeutet, dass § 7 Abs. 1 StGB vorrangig anzuwenden ist, § 7 Abs. 2 StGB mithin nur Fälle erfasst, die nicht schon durch § 7 Abs. 1 StGB abgedeckt sind.299 Der § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB enthält somit zwei verschiedene Varianten, zwischen denen differenziert werden muss. (1) § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB Gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB gilt das deutsche Strafrecht, wenn der Täter nach der Tat Deutscher geworden ist. Auf die Verhaltensnormen bezogen würde dies bedeuten, dass die Geltung der deutschen Verhaltensnorm zeitlich nach der Verhaltenspflichtverletzung festgelegt würde. Eine solche Auslegung ist jedoch mit der Funktion der Verhaltensnormen unvereinbar. Die Verhaltensnorm soll aus Gründen des Rechtsgüterschutzes bestimmte gefährliche Verhaltensweisen als rechtswidrig bewerten und verbieten. Daraus folgt, dass zum Zeitpunkt des Verhaltens klar sein muss, welche Anforderungen die Norm an das Verhalten stellt.300 Dies ist jedoch nur möglich, wenn zu diesem Zeitpunkt feststeht, welche Verhaltensnormen gelten. Eine rückwirkende Geltung von Verhaltensnormen kann es daher nicht geben. 296 297 298 299 300
So auch Böse, FS Maiwald, S. 76. So auch Oehler, FS Grützner, S. 118 f. und Internationales Strafrecht, Rn. 127. Siehe oben Kap. 6 B. IV. 2. d) aa), S. 131 ff. Siehe hierzu Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 68 ff. Ebenso Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 46.
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Daher kann § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB allenfalls den Geltungsbereich der deutschen Sanktionsnormen regeln,301 nicht jedoch den der Verhaltensnormen.302 Soweit demnach gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB deutsches Strafrecht Anwendung findet, muss dieses zwangsläufig an die Verletzung ausländischer Verhaltenspflichten anknüpfen. (2) § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB Hingegen knüpft § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB die Geltung des deutschen Strafrechts an die deutsche Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Tat. Daher wäre es denkbar, § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB als Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen zu verstehen. Dies würde faktisch bedeuten, dass die deutschen Staatsangehörigen alle Verhaltensnormen des deutschen Staates immer und überall beachten müssten.303 Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit wäre demnach Voraussetzung der Sanktionsnorm. Daher wäre § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB die Verwirklichung des aktiven Personalitätsgrundsatzes – allerdings in eingeschränkter Form.304 Das alte Recht ordnete in § 3 Abs. 1 StGB a. F. die Geltung deutschen Strafrechts für deutsche Staatsangehörige unabhängig vom Begehungsort an und war somit eine reine Ausprägung des Personalitätsprinzips. Der dahinter stehende Gedanke war der, dass der deutsche Staatsbürger eine Treuepflicht gegenüber seinem Heimatstaat hat, die ihn zwingt, dessen Ge- und Verbote zu befolgen.305 Die neuere Lehre lehnt das Konzept einer solchen Treuepflicht allerdings ab.306 Die Gefährlichkeit eines Verhaltens für ein Rechtsgut besteht unabhängig davon, ob der Täter dadurch seine Treuepflicht verletzt. Besteht die Funktion von Verhaltensnormen darin, Rechtsgüter zu schützen, so kann die erweiterte Geltung von Verhaltensnormen nicht mit einer besonderen Treuepflicht begründet werden. 301 Die Regelung wird auch so für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten, Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 26; Böse in: NK3, § 7 Rn. 12; ders., FS Maiwald, S. 65; Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 175; Lackner/Kühl, StGB, § 7 Rn. 4; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 7 Rn. 10. Siehe hierzu auch Rath, JA 2007, 32. 302 So auch Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 93. Vgl. auch Wegner, FS von Frank, Bd. 1, S. 131. 303 So die Ansicht von Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 108 ff. 304 So auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 60 f.; Niemöller, NStZ 1993, 172. 305 Siehe zum alten Recht Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 59 ff.; Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 7 Rn. 38. Zur Bedeutung der Pflicht in der NS-Zeit Spendel, FS Weber, S. 4 ff. 306 Grundlegend Oehler, FS Mezger, S. 97 ff. Siehe auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 40; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 18; Deiters, Legalitätsprinzip, S. 106; Gallas, ZStW 80 (1968), 13 ff.; Oehler, FS Grützner, S. 122 ff. und Internationales Strafrecht, Rn. 139 ff.; Pottmeyer, NStZ 1992, 60; Schröder, JZ 1968, 241 ff. Kritisch ebenfalls Theiler, Fremdrechtsprinzip, S. 56 ff.
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Letztendlich kann vom Standpunkt der Rechtsgutslehre nur der Gedanke überzeugen, dass bestimmte Rechtsgüter umfassend vor Angriffen durch Deutsche geschützt werden sollen.307 Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber die Rechtsgüter, deren Beachtung ihm besonders wichtig ist, bereits in §§ 5, 6 und 7 Abs. 1 StGB dem deutschen Strafrecht unterworfen. In § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB kann es daher nur noch um Fälle gehen, in denen Deutsche ausländische Rechtsgüter gefährden.308 In diesem Fall könnte jedoch „[. . .] konsequenterweise die Forderung erhoben werden, dass die strafrechtliche Ahndung qualitativ und quantitativ auf der Bewertung aufzubauen habe, die das ausländische Tatortrecht vornimmt [. . .]“ 309. Schröder sieht diese Folge dadurch versperrt, dass der deutsche Richter daran gehindert sei, ausländisches Strafrecht anzuwenden.310 Liebelt weist hingegen darauf hin, dass die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen weiterhin möglich sei.311 Dies entspricht auch der hier vorgenommenen Unterscheidung, nach der nur die Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht mit Hilfe deutschen Rechts ausgelegt werden müssen.312 Im Ergebnis zieht Liebelt daher aus der Schutzfunktion des § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB für ausländische Güter die Konsequenz, dass die Verhaltensnormen dem ausländischen Tatortrecht zu entnehmen seien.313 Dieses Ergebnis wird durch die Berücksichtigung der Regelung des Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG gestützt. Danach ist die Auslieferung Deutscher grundsätzlich verboten.314 Eine Ausnahme gilt gem. Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG nur für Mitgliedstaaten der Europäischen Union und internationale Gerichtshöfe.315 Hat daher ein deutscher Staatsangehöriger im Ausland Straftaten begangen, ist der deutsche Staat von Verfassungs wegen daran gehindert, diesen auszuliefern.316 Wenn der Staat nicht zum Asyl für deutsche Straftäter werden will, muss er somit auf anderem Wege eine Bestrafung sicherstellen.317 Insoweit ist § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1
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Oehler, FS Mezger, S. 98. Siehe Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 113. So schon zum alten Recht Schröder, JZ 1968, 242 ff. 309 Schröder, JZ 1968, 243. 310 Schröder, JZ 1968, 243. 311 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 214 ff. 312 Siehe oben Kap. 2 E., S. 49 ff. 313 Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 123 ff. und GA 1994, 35. 314 Ausführlich zur Auslieferung Baier, GA 2001, 427 ff.; Schultz, FS Grützner, S. 138 ff. Siehe hierzu auch Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 7 Rn. 53 ff. 315 Siehe hierzu Baier, GA 2001, 441 ff. 316 Für die Ausdehnung des Auslieferungsverbots auf Unionsbürger Baier, GA 2001, 445 f. 317 Vgl. hierzu Jescheck, IRuD 1956, 89 ff. 308
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StGB die Konsequenz des Auslieferungsverbots.318 Dieser Gedanke erklärt auch die Erstreckung deutschen Strafrechts auf diejenigen, die nach der Tat Deutsche geworden sind.319 Daher dient § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB dem Schutz ausländischer Rechtsgüter in der Weise, dass er die Strafbarkeit nach deutschem Recht festlegt, wenn eine Auslieferung an den betroffenen ausländischen Staat nicht möglich ist. So verstanden ähnelt § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege.320 Folglich knüpft § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB an die Verletzung ausländischer Verhaltenspflichten an, nämlich derjenigen des Tatortes. Demzufolge regelt § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB nicht den Geltungsbereich der deutschen Verhaltensnormen, sondern allenfalls der Sanktionsnormen. Im Ergebnis enthält § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB daher keine Geltungsbereichsregelungen für deutsche Verhaltensnormen. cc) § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB Gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB gilt das deutsche Strafrecht auch, wenn der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen ist und trotz grundsätzlicher Zulässigkeit der Auslieferung nicht ausgeliefert wird. Nach fast allgemeiner Ansicht verwirklicht § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege, d.h. der deutsche Staat handelt in diesem Fall als Vertreter eines anderen Staates.321 318 Ebenso Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 44; Schröder, JZ 1968, 242; Schönke, FS Mezger, S. 111; Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 7 Rn. 64; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 300 f. Siehe auch von Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 71. 319 Siehe oben Kap. 6 B. IV. 2. d) bb) (1), S. 137. 320 So Böse in: NK3, § 7 Rn. 12; Deiters, Legalitätsprinzip, S. 108; Frister, AT, Kap. 5 Rn. 19; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 97 ff.; Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 10; Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 19; Lackner/Kühl, StGB, § 7 Rn. 1; Lemke in: NK2, § 7 Rn. 2 und AK, § 7 Rn. 2; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 139 ff. und GA 1994, 35; Nietsch, Insiderrecht, S. 172; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 23; wohl auch Jescheck, IRuD 1956, 89 ff. Für eine Abschaffung des aktiven Personalitätsgrundsatzes und Ersetzung durch das Prinzip der stellvertetenden Strafrechtspflege Vogler, FS Maurach, S. 604 f. 321 Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 1; ders., Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 118; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 28, § 7 Rn. 11; Deiters, Legalitätsprinzip, S. 88; Eser in: Schönke/Schröder, § 7 Rn. 1; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 69; Hartmann in: HK, § 7 Rn. 1; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 53; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 97 ff.; Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 12; Jescheck/ Weigend, AT, S. 175; Joecks, StGB, § 7; Kindhäuser, StGB, § 7 Rn. 9; Lemke in: NK2, § 7 Rn. 2 und AK, § 7 Rn. 2; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 142 ff. und GA 1994, 35; Poenig, Haftung es Linkanbieters, S. 125; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 80; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 7 Rn. 11; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 23; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 18 f.; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 5; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 69; Zöller, Terrorismusstraf-
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Schon aus der Subsidiarität des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Auslieferung ergibt sich, dass die Strafpflicht des deutschen Staates hier nachrangig ist. Der Grund dafür liegt darin, dass der deutsche Staat hier nur für einen anderen Staat einspringt und ansonsten kein eigenes Interesse an der Bestrafung des Täters hat.322 Demzufolge sind im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch nicht die deutschen Verhaltensnormen konstitutiv für das Unrecht der Tat, sondern die der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung. Dass diese Auslegung richtig ist, zeigt sich auch daran, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB typischerweise nicht zur Tatzeit vorhergesehen werden können.323 Der Täter kann zum Zeitpunkt des verbotenen Verhaltens nicht wissen, ob später ein Auslieferungsantrag gestellt werden wird oder ob eine Auslieferung durchführbar sein würde. Wäre § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB jedoch eine Regelung des Geltungsbereichs deutscher Verhaltensnormen, dann müssten die in § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB genannten Umstände auch vom Vorsatz umfasst sein. Daher knüpft § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB an ausländische Verhaltensnormen an.324 Dementsprechend regelt § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht den Geltungsbereich von Verhaltensnormen, sondern allenfalls den der Sanktionsnormen.325 3. Ergebnis Die Aussage, der Geltungsbereich der Verhaltensnormen sei anhand der §§ 3 ff. StGB zu bestimmen, bedeutet nicht, dass jeder der §§ 3–7 StGB als Geltungsbereichsregelung aufzufassen ist. Vielmehr ist zu differenzieren: Die §§ 3, 4, 5, 6 und 7 Abs. 1 StGB knüpfen die Strafbarkeit an deutsche Verhaltensnormen und regeln somit zugleich den Geltungsbereich der Verhaltensnormen. Hingegen legen § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB keine deutschen Verhaltensnormen zu
recht, S. 311. Siehe auch den Bericht des Sonderausschusses „Strafrecht“ über die Beratung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 – BT-Drs. IV/650, S. 18. A. A. Scholten, der durch § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch innerstaatliche Interessen geschützt sieht, Tatortstrafbarkeit, S. 119 ff.; ders., NStZ 1994, 267 ff. Deiters hält dies jedoch nur für einen Nebeneffekt, Legalitätsprinzip, S. 89. Gegen stellvertretende Strafrechtspflege auch Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 27 ff., insbesondere S. 102 f. 322 Auch Pappas sieht kein anderes Interesse an einer Strafverfolgung, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 179 ff. Da sie § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht als Regelung stellvertretender Strafrechtspflege ansieht, kommt sie folgerichtig zu dessen Völkerrechtswidrigkeit, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 192 ff. 323 Scholten ordnet die Merkmale des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB daher als Voraussetzungen der Sanktionsnorm ein, Tatortstrafbarkeit, S. 93. 324 Ebenso Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 12; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 142 ff. Wohl auch Cornils, S. 79 ff. in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality, 1989; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 187. A. A. Scholten, NStZ 1994, 268. 325 A. A. Schultz, FS von Weber, S. 312 f. „nur Gerichtshoheit“.
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Grunde und sind daher keine Regelungen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen.326 Dementsprechend sind nur die §§ 3–7 Abs. 1 StGB Teile der Verhaltensnorm, so dass sich der Vorsatz grundsätzlich nur auf diese Vorschriften beziehen muss.327 Hingegen ist § 7 Abs. 2 StGB eine Regelung anderer Art und insoweit nicht konstitutiver Teil der Verhaltensnorm.
C. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts Während die Vertreter der vorherigen Ansicht den Geltungsbereich der Verhaltensnormen durch strafrechtliche Vorschriften, nämlich die §§ 3 ff. StGB, beschränken wollen, vertreten Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld die These, dass der Geltungsbereich der Verhaltensnormen durch Vorschriften des Ziviloder Öffentlichen Rechts beschränkt sei.328
I. Die Argumentation Nowakowskis und Schnorr von Carolsfelds Nowakowski beschäftigt sich mit der Frage, welcher Rechtsordnung außerstrafrechtliche Rechtssätze zu entnehmen sind.329 Zur Konkretisierung des Ausdrucks „außerstrafrechtliche Rechtssätze“ nennt Nowakowski drei Beispiele, in denen auf außerstrafrechtliche Rechtssätze zurückgegriffen wird: bei normativen Tatbestandsmerkmalen, bei der Frage, ob ein Verhalten sozialadäquat ist, sowie bei den Rechtfertigungsgründen.330 Er kommt zu dem Ergebnis, dass die §§ 3 ff. StGB ausschließlich den Geltungsbereich des Strafrechts regeln und dass bei außerstrafrechtlichen Rechtssätzen deren jeweiliger Geltungsbereich entscheidend sei.331 Sodann geht Nowakowski auf die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen ein. Er stellt dabei heraus, dass die Verhaltensnorm nicht „spezifisch strafrechtlicher Natur“ 332 sei. Folgerichtig wendet er die §§ 3 ff. 326 Diese Differenzierung entspricht der von Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 147 ff. 327 Siehe oben Kap. 4 C. II., S. 81 ff. 328 Nowakowski, JZ 1971, 637; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 20 ff.). 329 Nowakowski, JZ 1971, 633 ff. 330 Siehe dazu oben Kap. 2 E. III. 3., S. 56 f. 331 Nowakowski, JZ 1971, 637. 332 Nowakowski, JZ 1971, 637. Ebenso Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 20 ff.).
C. Begrenzung anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts
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StGB nur auf die strafrechtlichen Sanktionsnormen an.333 Dagegen sei die Verhaltensnorm „[. . .] eingebettet in die Gesamtheit der Rechtsordnung und [gehöre] ihrem Inhalt nach einem ihrer Sachbereiche an [. . .]“ 334. Nowakowski zufolge gehören Verhaltensnormen daher zu einem bestimmten Gebiet der Rechtsordnung. An anderer Stelle wird dies noch deutlicher: „Die erste Norm335 gehört nie dem Strafrecht an, sondern je nach dem Rechtsgut dem Familienrecht, dem Staats- oder Verwaltungsrecht usw.“ 336 Ganz ähnlich formuliert dies Schnorr von Carolsfeld: Die Verhaltensnormen seien „[. . .] entweder allgemeine, primär nur öffentlich-rechtliche Anordnungen, also verwaltungsrechtliche Gebote [. . .] oder etwa Vorschriften des privaten und des übrigen öffentlichen Rechts [. . .]“ 337. Nach Ansicht der beiden gehört eine Verhaltensnorm daher immer zu einem konkreten Rechtsgebiet. Für die Bestimmung des Geltungsbereichs ist demnach zu differenzieren: Gehört die Verhaltensnorm zum Zivilrecht, so wird der Geltungsbereich durch die Regeln des Internationalen Privatrechts bestimmt, gehört die Verhaltensnorm zum Öffentlichen Recht, so gelten die entsprechenden öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsbestimmungen.338 Der Geltungsbereich der Verhaltensnorm ist demnach davon abhängig, welchem Rechtsgebiet sie zuzuordnen ist.
II. Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen Zur Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen ist es nach dieser Ansicht zunächst notwendig, zu ermitteln, welchem Rechtsgebiet eine Verhaltensnorm zuzuordnen ist. Die Ausnahme hiervon sind Verhaltensnormen, die umfassende immanente Geltungsbereichsbeschränkungen beinhalten.339 Denn wenn sich ihr Geltungsbereich eindeutig aus der Norm selbst ergibt, erübrigt sich ein Rückgriff auf die allgemeinen Geltungsbereichsregelungen des Zivil- und Öffentlichen Rechts.340 Andernfalls ist es jedoch notwendig, die Verhaltensnorm einem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen. Dies geschieht in mehreren Schritten.
333
Nowakowski, JZ 1971, 637. Nowakowski, JZ 1971, 637. 335 Damit meint er die Verhaltensnorm, siehe Nowakowski, ZÖR 1955, 13. 336 Nowakowski, ZÖR 1955, 18. 337 Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). 338 Nowakowski, JZ 1971, 637; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 20 ff.). 339 Siehe hierzu Nowakowski, JZ 1971, 634 ff.; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 20 f.). 340 Siehe oben Kap. 5, S. 85 ff. 334
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
1. Abgrenzung von Zivil- und Öffentlichem Recht Als erstes ist zu entscheiden, ob die Verhaltensnorm zivil- oder öffentlichrechtlich ist.341 Der Grund dafür ist, dass sich die Geltungsbereichsregelungen des Zivil- und Öffentlichen Rechts stark unterscheiden. Die Abgrenzung ist daher zur Ermittlung der einschlägigen Geltungsbereichsnorm notwendig.342 Wie die Zuordnung einer Norm zu Öffentlichem Recht und Zivilrecht vorzunehmen ist, ist seit langem umstritten.343 Im Wesentlichen sind hierzu drei Theorien entwickelt worden: die Interessentheorie, die Subordinationstheorie und die modifizierte Subjektstheorie, die meist kumulativ angewandt werden.344 Die Interessentheorie unterscheidet danach, welche Interessen die Norm schützt. Handelt es sich um Allgemeininteressen, soll die Norm dem Öffentlichen Recht angehören, handelt es sich um Privatinteressen, dem Privatrecht.345 Die Anwendung der Interessentheorie auf Verhaltensnormen ist jedoch insoweit problematisch, als alle Verhaltensnormen dem Rechtsgüterschutz dienen und daher grundsätzlich dasselbe Interesse verfolgen, nämlich Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten. Das Schutzobjekt der Verhaltensnormen ist damit das Gemeinwohl, das an der Erhaltung der Rechtsgüter interessiert ist.346 In Betracht kommt folglich nur eine Differenzierung anhand der geschützten Rechtsgüter, die im Einzelfall problematisch sein kann.347 Sehr häufig werden nämlich sowohl öffentlich-rechtliche als auch zivilrechtliche Interessen von ein und derselben Norm geschützt. Aus diesem Grund wird die Interessentheorie heutzutage nicht mehr vertreten.348 Nach der Subordinationstheorie ist eine Norm öffentlich-rechtlich, wenn sie durch ein Verhältnis der Über- und Unterordnung gekennzeichnet ist.349 Das Zi341 Diese Unterscheidung nimmt auch Lagodny vor, allerdings nicht im Zusammenhang mit den Geltungsbereichsnormen, Schranken, S. 87 ff. Vgl. hierzu auch Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 274 ff.; Schwabe, S. 103 f. in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts; ders., NJW 1971, 915. 342 Buschbaum weist – in anderem Zusammenhang – darauf hin, dass bereits hier die Frage aufzuwerfen ist, welche Rechtsordnung über diese Zuordnung entscheidet, Anspruchspräklusion, S. 129. 343 Das Problem tritt v. a. im Zusammenhang mit der Frage auf, ob eine öffentlichrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vorliegt. Ausführliche Streitdarstellungen finden sich daher in Lehrbüchern und Kommentaren zum Verwaltungsprozessrecht. 344 Siehe hierzu statt vieler Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11 Rn. 13 ff.; Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 5 ff. Kritisch Leisner, JZ 2006, 869 ff. 345 Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 6. 346 Neumeyer, ZStW 23 (1903), 442. 347 Nawiasky hält dies allerdings nicht für unmöglich, Allgemeine Rechtslehre, S. 295 f. 348 Siehe auch Schwabe, S. 104 in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts. 349 Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 7.
C. Begrenzung anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts
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vilrecht zeichnet sich hingegen durch prinzipielle Gleichordnung aus.350 Auch diese Theorie bereitet bei der Anwendung auf Verhaltensnormen Probleme. Aus Verhaltensnormen ergeben sich konkrete Verhaltenspflichten, d.h. einseitige Verpflichtungen des entsprechenden Adressaten. Es ist daher nicht ohne weiteres ersichtlich, inwieweit hier eine Gleichordnung verschiedener Beteiligter anzunehmen ist. Vielmehr zeigt sich ein Über-Unterordnungsverhältnis darin, dass jemand Verhaltensbefehle erteilt, die ein anderer zu befolgen hat.351 Demnach wären jedoch alle Verhaltensnormen öffentlich-rechtlich, was von Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld so nicht gemeint war.352 Hieran zeigt sich die grundsätzliche Schwierigkeit der Subordinationstheorie, die darin besteht, dass es Über- und Unterordnungsverhältnisse nicht nur im Öffentlichen Recht, sondern auch im Zivilrecht gibt.353 Die Abgrenzung anhand dieses Kriteriums bereitet daher massive Probleme.354 Die modifizierte Subjektstheorie ordnet eine Norm hingegen dann dem Öffentlichen Recht zu, wenn sie sich ausschließlich an den Staat oder einen sonstigen Träger von Hoheitsgewalt wendet.355 Träger von Hoheitsgewalt ist, wer durch besondere Rechtssätze zur Ausübung spezifischer Gewalt ermächtigt ist.356 Solche Rechtssätze bilden jedoch das Öffentliche Recht, so dass die modifizierte Subjektstheorie zirkulär ist.357 Wird die Theorie trotzdem auf Verhaltensnormen angewendet, muss festgehalten werden, dass die strafrechtlichen Sanktionen ausschließlich Privatpersonen treffen können.358 Dementsprechend richten sich die ihnen zu Grunde liegenden Verhaltensnormen auch an Privatpersonen und nicht an den Staat. Eine Ausnahme bilden die den §§ 331 und 332 StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnormen, die sich an Amtsträger in Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit richten. Nach der modifizierten Subjektstheorie wären diese Verhaltensnormen daher öffentlich-rechtlicher, alle anderen hier relevanten Verhaltensnormen jedoch zivilrechtlicher Natur. Dieses Ergebnis führt jedoch zu einer sehr weitgehenden Einordnung der Verhaltensnormen als zivilrechtlich und macht daher eine sinnvolle Differenzierung zwischen öffentlichrechtlichen und zivilrechtlichen Verhaltensnormen unmöglich. Zudem entspricht
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Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11 Rn. 16. Vgl. auch Schwabe, S. 104 in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts. 352 Vgl. deren Verweise auf das Internationale Privatrecht, Nowakowski, JZ 1971, 637; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). 353 Siehe Leisner, JZ 2006, 873 ff. 354 Vgl. Leisner, JZ 2006, 873 ff.; Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 7. 355 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11 Rn. 17. 356 Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 8. 357 Leisner, JZ 2006, 871; Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 8. 358 Nach herrschender Ansicht sogar nur natürliche Personen, siehe dazu oben Kap. 4 B. III. 3., S. 74 f. 351
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
es ebenfalls nicht dem von Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld Vorgeschlagenen.359 Im Ergebnis kann daher einzig die Interessentheorie eine Zuordnung der Verhaltensnormen zu Zivil- und Öffentlichem Recht, wie sie von Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld gefordert wird, gewährleisten.360 Angesichts der generellen Einwände gegen diese Theorie361 ist jedoch fraglich, ob durch sie im Einzelfall sachgerechte Lösungen gewonnen werden können. 2. Zivilrechtliche Verhaltensnormen Wurde eine Verhaltensnorm als zivilrechtlich eingeordnet, muss in einem nächsten Schritt der Geltungsbereich der Verhaltensnorm anhand der zivilrechtlichen Geltungsbereichsvorschriften ermittelt werden. Sowohl Nowakowski als auch Schnorr von Carolsfeld verweisen hierfür auf das Internationale Privatrecht.362 Soweit in neuerer Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit wirtschaftsrechtlichen Fragen, ohne nähere Begründung von der Existenz zivilrechtlicher Verhaltensnormen ausgegangen wird, werden ebenfalls die Regeln des Internationalen Privatrechts herangezogen.363 Dies macht jedoch nur Sinn, wenn das Internationale Privatrecht das zivilrechtliche Geltungsbereichsrecht ist.364 a) Das Internationale Privatrecht als Auswahlrecht Schon aus dem Wortlaut des Art. 3 EGBGB ergibt sich, dass die Regelungen des Internationalen Privatrechts für Verhaltens- und Sanktionsnormen privatrechtlicher Natur gleichermaßen gelten.365 Aufgabe des Internationalen Privatrechts ist es, zu bestimmen, welches Recht Anwendung findet, d. h. welcher Rechtsordnung die Normen zu entnehmen sind, die einen bestimmten Sachverhalt regeln. Durch den allgemeinen Verweis auf das anzuwendende Recht wird – anders als im Strafrecht – deutlich, dass damit nicht nur die zivilrechtlichen 359 Nowakowski, JZ 1971, 637; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 20 f.). Siehe insbesondere die Erläuterungen zum Tötungsverbot bei Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). 360 Ebenso wohl Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 296 ff. A. A. Schwabe, dem zufolge keine der Theorien auf Verhaltensnormen zutrifft, NJW 1971, 915. 361 Siehe hierzu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11 Rn. 15 ff.; Leisner, JZ 2006, 872; Ziekow in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 67 Rn. 6. 362 Nowakowski, JZ 1971, 637; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). 363 So etwa Altenhain/Wietz, NZG 2008, 573. 364 Davon geht explizit Nowakowski aus, JZ 1971, 634. 365 Dies galt schon für Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB in der bis zum 11.01.2009 gültigen Fassung, der von der anwendbaren Rechtsordnung sprach.
C. Begrenzung anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts
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Sanktionsnormen gemeint sind.366 Auch in der Literatur ist, soweit ersichtlich, stets davon ausgegangen worden, dass das Internationale Privatrecht auch die Anwendung der Verhaltensnormen regelt.367 Das deutsche Internationale Privatrecht betrifft demnach Verhaltens- und Sanktionsnormen. Gem. der Legaldefinition in Art. 3 EGBGB gehören zum Internationalen Privatrecht Vorschriften, die bestimmen, welches Recht anzuwenden ist.368 Da die Kollisionsnormen im deutschen Internationalen Privatrecht nicht nur die Anwendbarkeit der eigenen Rechtsordnung regeln, sondern gem. Art. 3 EGBGB bestimmen, welche Rechtsordnung anzuwenden ist (sog. allseitige Kollisionsnormen)369, lässt sich mit Hilfe des Internationalen Privatrechts eindeutig festlegen, welche Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Die einer bestimmten Sanktionsnorm zu Grunde zu legende Verhaltensnorm könnte daher mit Hilfe des Internationalen Privatrechts eindeutig bestimmt werden, unabhängig davon, ob die deutschen Verhaltensnormen nur in den Grenzen des Internationalen Privatrechts gelten, oder ob sie weltweite Geltung erlangt haben. Im Ergebnis stellen Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld daher bei zivilrechtlichen Verhaltensnormen zu Recht auf das Internationale Privatrecht ab. b) Die Anwendung des Internationalen Privatrechts Die Ermittlung der einschlägigen Verhaltensnorm anhand des Internationalen Privatrechts unterscheidet sich nicht von der Ermittlung der einschlägigen Sanktionsnorm. Sie folgt demnach den allgemeinen Regeln des Internationalen Privatrechts. An dieser Stelle soll nur auf einige wesentliche Punkte hingewiesen werden, während für eine nähere Darstellung des Internationalen Privatrechts auf die einschlägige Literatur verwiesen wird.370 Das deutsche Internationale Privatrecht ist in Art. 3 ff. EGBGB geregelt. Ergänzt wird dies jedoch durch eine Vielzahl von bi- oder multilateralen völkerrechtlichen Abkommen, die gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB Vorrang haben.371 Außerdem gibt es eine Reihe von EG-Rechtsakten, die im Internationalen Privatrecht von Bedeutung sind und gegenüber dem deutschen Recht und evtl. Staatsverträ366 Dem Wortlaut nach ist auch das Öffentliche Recht oder Strafrecht nicht ausgeschlossen, vgl. Sonnenberger in: MüKo, BGB4, Bd. 10, Art. 3 Rn. 6. 367 Es ist allerdings strittig, ob Verhaltensnormen den allgemeinen Anknüpfungsregeln unterliegen oder gesondert anzuknüpfen sind. Siehe dazu Kap. 9 C. I. 2. a), S. 215 ff. 368 Zu Anwendung und Geltung siehe oben Kap. 4 A., S. 66 ff. 369 Kropholler, IPR, S. 106. 370 Z. B. auf Junker, Internationales Privatrecht, 1998; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004; Kropholler, Internationales Privatrecht, 2006; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 2007; Rauscher, Internationales Privatrecht, 2009. 371 Siehe die Beispiele bei von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 42 ff.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
gen vorrangig anzuwenden sind (siehe Art. 3 Nr. 1 EGBGB). Hier sind besonders die sog. Rom-I-372 und Rom-II-Verordnungen373 zu nennen, die Kollisionsnormen zur Regelung des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts enthalten. Bei der Ermittlung der einschlägigen Verhaltensnorm sind daher all diese Regelungen zu berücksichtigen. Soll die einschlägige Verhaltensnorm für einen konkreten Sachverhalt mit Hilfe des Internationalen Privatrechts ermittelt werden, so muss zunächst die passende Kollisionsnorm gefunden werden. Jede Kollisionsnorm enthält einen Begriff, der die Sachverhalte umschreibt, auf die die Kollisionsnorm Anwendung findet (sog. Anknüpfungsgegenstand), und das Kriterium, anhand dessen die anwendbare Rechtsordnung ausgewählt wird (Anknüpfungspunkt).374 Um die einschlägige Verhaltensnorm zu ermitteln, muss daher die Kollisionsnorm gefunden werden, deren Anknüpfungsgegenstand den zu beurteilenden Sachverhalt umfasst. Dieser Vorgang wird im Internationalen Privatrecht als Qualifikation bezeichnet.375 Es ist daher nicht damit getan, zu entscheiden, ob eine Verhaltensnorm dem Zivil- oder dem Öffentlichen Recht angehört,376 sondern der Rechtsanwender muss die Norm auch als güterrechtlich (Art. 15 EGBGB), deliktsrechtlich (RomII-VO), sachenrechtlich (Art. 43 ff. EGBGB) etc. qualifizieren, bevor er über deren Geltung für den konkreten Strafrechtsfall entscheiden kann. Schon hieran zeigt sich, dass die Ansicht Nowakowskis und Schnorr von Carolsfelds zu einer größeren Herausforderung der Strafverfolgungsorgane führt. 3. Öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen Wurde eine Verhaltensnorm dem Öffentlichen Recht zugeordnet, muss der Geltungsbereich dieser Norm anhand der öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsvorschriften ermittelt werden.377 Das ist nur konsequent und in der Theorie problemlos nachvollziehbar. Die praktische Ermittlung des Geltungsbereichs öffentlich-rechtlicher Normen bereitet jedoch Schwierigkeiten.
372 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Abl. 2008 L 177, S. 6 (im Folgenden „Rom-I-VO“). 373 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), Abl. 2007 L 199, S. 40 (im Folgenden „Rom-II-VO“). 374 Siehe hierzu etwa von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 1. 375 Siehe hierzu von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 1 ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 327 ff.; Kropholler, IPR, S. 113 ff.; Rauscher, IPR, Rn. 433 ff. 376 Siehe dazu oben Kap. 6 C. II. 1., S. 144 ff. 377 So Nowakowski, JZ 1971, 637; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21).
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Das öffentlich-rechtliche Geltungsbereichsrecht fristet bislang „nur ein Schattendasein“ 378. Es gibt weder eine Kodifikation der öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsregeln, noch kann dieses Gebiet als wissenschaftlich und methodisch durchdrungen angesehen werden.379 Insbesondere fehlt es an einer allgemeinen Systematisierung des Geltungsbereichsrechts.380 Die fortschreitende Vereinheitlichung des Öffentlichen Rechts durch die Europäische Union hat ebenfalls dazu beigetragen, dass Fragen nach der Abgrenzung des Geltungsbereichs nationalen Öffentlichen Rechts in den Hintergrund getreten sind.381 Hinzu kommt, dass der Bereich des Öffentlichen Rechts sehr umfangreich und inhomogen ist.382 Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht nötig, das gesamte öffentlichrechtliche Geltungsbereichsrecht zu erläutern. Vielmehr ist die Problematik bereits dadurch begrenzt, dass nur der Geltungsbereich von Verhaltensnormen ermittelt werden soll. a) Eingrenzung der Problematik Verhaltensnormen legen fest, welches Verhalten rechtmäßig ist, und verpflichten die ihr Unterworfenen zu rechtmäßigem Verhalten. Sie richten sich demnach nur an Personen, nicht jedoch an staatliche Einrichtungen. Folglich müssen all jene Vorschriften des Öffentlichen Rechts, die den Staat zu Eingriffen ermächtigen, nicht berücksichtigt werden. Deshalb können die Regelungen zum Geltungsbereich der Verhaltensnormen auch nicht den behördlichen Zuständigkeitsregeln entnommen werden.383 Das gleiche gilt für Vorschriften des Öffentlichen Rechts, die den Staat zu einer bestimmten Leistung verpflichten.384 Zum einen können aus solchen Vorschriften keine Verhaltenspflichten erwachsen, deren Verletzung mit strafrechtlichen Sanktionen geahndet werden kann. Zum anderen steht durch die Bezeichnung des verpflichteten Staates und der Anspruchsvoraussetzungen der Geltungsbereich der entsprechenden Normen eindeutig fest, so dass solche Normen bereits immanent in ihrem Geltungsbereich beschränkt sind.385 378
K. Vogel, AöR 84 (1959), 54 f. Buschbaum, Anspruchspräklusion, S. 123; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 19 f. Nach Ansicht von Ohler kann das öffentliche Kollisionsrecht in methodischer Hinsicht viel vom Internationalen Privatrecht lernen, Kollisionsordnung, S. 131 ff.; ders., S. 150 in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR. 380 Nietsch, Insiderrecht, S. 145 ff. Matscher hält eine allgemeine Systematisierung sogar für unmöglich, FS Beitzke, S. 648 f. 381 Ausführlich zum Verhältnis von Europarecht und Internationalem Verwaltungsrecht jedoch C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, 2001. 382 Matscher, FS Beitzke, S. 641 ff. Siehe auch K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 358. 383 Dazu von Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 4 Rn. 66. 384 Siehe auch Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 107 f. 385 Siehe Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 108. 379
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
Darüber hinaus können öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten auch durch Verwaltungsakte entstehen. Es ist Teil des Wesens des Verwaltungsakts, dass dieser Rechtswirkung für Einzelne entfaltet (vgl. § 35 S. 1 VwVfG). Wenn ein Verwaltungsakt daher ein bestimmtes Verhalten verlangt oder verbietet, statuiert er damit Verhaltenspflichten. Auch an die Verletzung solcher Verhaltenspflichten können Strafsanktionsnormen anknüpfen. Dies ist z. B. der Fall in § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VereinsG, der bestimmte Handlungen entgegen einem Vereinsverbot unter Strafe stellt.386 Verwaltungsakte richten sich jedoch auf Grund ihrer Natur als Einzelfallmaßnahme stets an einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis (vgl. § 35 S. 2 VwVfG) und enthalten eine konkrete Regelung. Dementsprechend ist die Zahl der aus Verwaltungsakten erwachsenden Verhaltenspflichten naturgemäß begrenzt, ein Geltungsbereichsproblem stellt sich daher nicht. Verwaltungsakte sind als konkret-individuelle Regelungen keine abstrakt-generellen Verhaltensnormen.387 Problematisch ist hingegen, inwieweit ausländische Verwaltungsakte und die daraus resultierenden Verhaltenspflichten im deutschen Recht anerkannt werden.388 Dies betrifft jedoch nicht den Geltungsbereich deutscher Verhaltensnormen und kann daher an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. b) Der Geltungsbereich öffentlich-rechtlicher Verhaltensnormen Das deutsche Öffentliche Recht regelt seinen Geltungsbereich einseitig, d. h. ohne ihn von anderen Rechtsordnungen abzugrenzen. Es ist daher kein allseitiges Kollisionsrecht wie das Internationale Privatrecht. Für das geltende nationale Recht ist das insoweit nahezu unbestritten.389 Diskutiert wird jedoch, ob es möglich ist, ein öffentliches allseitiges Kollisionsrecht zu schaffen.390 Darauf kann allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. 386 Siehe ausführlich hierzu Rütters, Strafrechtliche Absicherung des Verbots eines Vereins, S. 25 ff. 387 Siehe auch K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 3. 388 Siehe hierzu Forkel, Umweltbelastungen, S. 46 ff.; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 28 ff., 131 ff.; Matscher, FS Beitzke, S. 644 ff., in Anlehnung an Biscottini, Diritto amministrativo internazionale, Bd. 1 1964, Bd. 2 1966; Ohler, Kollisionsordnung, S. 50 ff. 389 Siehe nur von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 59 m.w. N. in Fn. 269; Forkel, Umweltbelastungen, S. 40 ff.; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 121 ff.; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 115 ff.; Ohler, Kollisionsordnung, S. 33 ff.; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 194 ff.; wohl auch Nietsch, Insiderrecht, S. 145 ff. 390 Siehe dazu etwa Matscher, FS Beitzke, S. 641 ff.; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 128 ff.; Ohler, Kollisionsordnung, S. 33 ff.; ders., S. 131 ff. in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR; Rudolf, S. 40 f. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; Zweigert, S. 137 ff. in 50 Jahre Institut für Internationales Recht.
C. Begrenzung anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts
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Die Einseitigkeit der öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsregeln verdeutlicht die Parallelität von Strafrecht und Öffentlichem Recht.391 Das ist kaum verwunderlich, da das genuine Strafrecht, d.h. die Strafsanktionsnormen, nach allen oben angeführten Abgrenzungstheorien392 eindeutig dem Öffentlichen Recht zuzuordnen und somit als Teil des Öffentlichen Rechts anzusehen ist. Während das Strafrecht jedoch eine eng begrenzte Spezialmaterie ist, erscheint das restliche Öffentliche Recht fast uferlos. Entsprechend findet sich der Großteil der strafrechtlichen Regelungen mitsamt den Geltungsbereichsregeln im StGB, während es keine ähnlich kompakte Kodifikation des restlichen Öffentlichen Rechts gibt. Der Geltungsbereich öffentlich-rechtlicher Vorschriften kann daher nur durch Auslegung der Vorschriften des einschlägigen Rechtsgebiets ermittelt werden.393 Für den Rechtsanwender bedeutet dies, dass eine Norm des Öffentlichen Rechts stets einem bestimmten Gebiet zugeschlagen werden muss, bevor ihr Geltungsbereich ermittelt werden kann. Das entspricht der Sache nach der Qualifikation, die im Internationalen Privatrecht eine große Rolle spielt, so dass die international-privatrechtlichen Methoden hier Anwendung finden.394 Daher sind auch öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen zu qualifizieren. Die Qualifikation ist jedoch insofern einfacher, als nach geltendem Recht nur die Zugehörigkeit zu einem Rechtsgebiet innerhalb der deutschen Rechtsordnung in Frage kommt.395 Ist die Qualifikation geglückt, kann der Geltungsbereich der Verhaltensnorm oftmals aus Wortlaut oder Sinn und Zweck der entsprechenden Vorschriften genommen werden.396 Häufig sollen öffentlich-rechtliche Vorschriften nur auf dem Staatsgebiet gelten.397 Dann handelt es sich jedoch nach der hier verwendeten Terminologie um immanente Beschränkungen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen. In der Tat ist es möglich, dass öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen auf Grund der für das Öffentliche Recht charakteristischen Beziehung zum Staat häufiger immanente Beschränkungen aufweisen als zivilrechtliche Verhaltensnormen. Trotzdem gibt es öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen, die keine immanente Beschränkung des Geltungsbereichs aufweisen.398 Als Beispiel hier391 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 68. Zum Verhältnis von Internationalem Strafrecht und Internationalem Verwaltungsrecht siehe auch Forkel, Umweltbelastungen, S. 64 ff. 392 Kap. 6 C. II. 1., S. 144 ff. 393 So auch C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 119; Nietsch, Insiderrecht, S. 150 f.; Nowakowski, JZ 1971, 635. 394 Ebenso Ohler, Kollisionsordnung, S. 133 ff.; ders., S. 150 in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR. 395 Siehe hierzu von Bar/Mankowski, IPR, Bd. 1, § 4 Rn. 67. Siehe auch K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 325 ff. 396 So zutreffend Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). 397 So Forkel, Umweltbelastungen, S. 50 f.; Nietsch, Insiderrecht, S. 150 f. 398 K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 6.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
für nennt Schnorr von Carolsfeld das Tötungsverbot.399 Ein anderes Beispiel sind die Umweltgesetze400 und das Insiderrecht401. Bei diesen Verhaltensnormen stellt sich daher immer noch die Frage nach den Grenzen des Geltungsbereichs. Nach Schnorr von Carolsfeld muss die Abgrenzung in solchen Fällen anhand der Schranken erfolgen, die das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip setzt.402 Zur Wahrung des Souveränitätsprinzips soll es jedoch nach allgemeiner Ansicht genügen, dass ein sinnvoller Anknüpfungspunkt zum Recht des Staates besteht, aus dem die Norm stammt.403 Dieses Kriterium ist äußerst vage, so dass die Herleitung fester Grenzen aus dem Souveränitätsprinzip schwierig ist. Entsprechend drückt sich Schnorr von Carolsfeld vorsichtig aus: Jedenfalls sei es zulässig, wenn ein Staat seinen Verhaltensnormen alle in seinem Gebiet befindlichen Personen unterwerfe und wenn er seine eigenen Angehörigen weltweit binde.404 Er vertritt somit das Territorialitäts- und das aktive Personalitätsprinzip. Allerdings können bereits diese beiden Regeln zu einem Konflikt führen, wenn nämlich die Verhaltensnormen des Heimatstaates denen des Aufenthaltsstaates widersprechen.405 Letztendlich zeigt sich, dass die öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsregeln zwar in vielen Fällen zu eindeutigen Ergebnissen führen, in manchen Fällen jedoch versagen. Gerade die „allgemeinen, primär nur öffentlich-rechtlichen An-
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Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). Forkel, Umweltbelastungen, S. 44. 401 Siehe dazu Nietsch, Insiderrecht, S. 150 ff. 402 Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). 403 Ganz herrschende Meinung, siehe nur BGH, Urt. v. 20.10.1976, BGHSt 27, 30, 32; BGH, Urt. v. 08.04.1987, BGHSt 34, 334, 336; BGH, Beschl. v. 26.03.2009, BGHSt 53, 238, 254; Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 6; Boister, EurJIntL 14 (2003), 964; Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 108; Doehring, Der Staat 1965, 265; Forkel, Umweltbelastungen, S. 23; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 9; von HeintschelHeinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 3 Rn. 2; Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 234; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 17 ff. m.w. N.; Holthausen, NJW 1992, 214; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rn. 9; Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 62 f.; Kienle, Straftaten im Internet, S. 143 m.w. N.; Krey, Strafanwendungsrecht, S. 22 f.; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 95 ff.; Ohler, Kollisionsordnung, S. 347; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 81 ff.; Pottmeyer, NStZ 1992, 58 f.; Rudolf, S. 22 ff. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 2; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 4; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 128 ff.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 59 ff.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 103; T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 606; Velten, FS Rudolphi, S. 341; Walter, JuS 2006, 871; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 80 f.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 89; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 295. 404 Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21); ders., FS von der Heydte, S. 586. 405 Jescheck, IRuD 1956, 84. Jescheck betrachtet einen solchen Widerspruch als Eingriff in die staatliche Souveränität, IRuD 1956, 84. 400
C. Begrenzung anhand des Zivil- und Öffentlichen Rechts
153
ordnungen“ 406 wie das Tötungsverbot lassen sich nicht in den Griff bekommen. Grund dafür ist, dass es keine allgemein gültige Kodifikation der öffentlichrechtlichen Geltungsbereichsregeln gibt. Die Bestimmung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen anhand der Geltungsbereichsregeln des Zivil- und Öffentlichen Rechts, wie sie Schnorr von Carolsfeld und Nowakowski vertreten, führt daher zu der nächsten Frage, auf welche Weise der Geltungsbereich der Vorschriften des Öffentlichen Rechts zu bestimmen ist, wenn sich den Normen durch Auslegung keine Geltungsbereichsregeln entnehmen lassen. K. Vogel verweist für diesen Fall auf die Grundentscheidung der Bundesrepublik Deutschland für eine internationale Zusammenarbeit und plädiert für eine darauf gestützte Geltungsbereichsbestimmung.407 Die Auswirkungen dieser Grundkonzeption sind jedoch seiner Ansicht nach je nach Art der öffentlichrechtlichen Normen unterschiedlich.408 Auch nach der Konzeption K. Vogels müsste die Verhaltensnorm daher erst einer der Fallgruppen zugeordnet und somit qualifiziert werden.409 Die meisten der Verhaltensnormen dürften in die Kategorie der Normen, die der Erhaltung von Rechtsgütern dienen, fallen.410 In diesem Fall gebietet nach K. Vogel die internationale Solidarität einen möglichst weitgehenden Schutz fremder Rechtsgüter.411 Dies würde für die Annahme eines weltweiten Geltungsbereichs der Verhaltensnormen sprechen. Da K. Vogel nicht zwischen Verhaltens- und Verwaltungssanktionsnormen differenziert, kann darauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Fest steht jedenfalls, dass die Bestimmung des Geltungsbereichs öffentlich-rechtlicher Verhaltensnormen auch nach der Konzeption K. Vogels alles andere als einfach ist.
III. Konsequenzen dieser Auffassung Zu guter Letzt stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Thesen Nowakowskis und Schnorr von Carolsfelds auf die Auswahl der zu Grunde zu legenden Verhaltensnorm haben.
406
Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 416 f. 408 Siehe K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 418 ff. 409 Siehe die Auflistung bei K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 407. 410 K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 407. Nicht davon erfasst sind jedoch z. B. die Straßenverkehrsregeln, K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 407. 411 K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 418 ff. 407
154
Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
1. Herausforderungen für den Rechtsanwender Zunächst ist festzuhalten, dass die Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnorm nach der oben erörterten Ansicht den Anwender der Norm vor eine große Herausforderung stellt. Dieser muss die Verhaltensnorm erst dem Ziviloder Öffentlichen Recht zuordnen, was, wie gezeigt wurde, durchaus problematisch sein kann. Danach muss er die Norm qualifizieren, um sie einer bestimmten Kollisionsnorm bzw. einem bestimmten Teilbereich des Öffentlichen Rechts zuordnen zu können. Zu guter Letzt kann er dann endlich den Geltungsbereich der Verhaltensnorm festlegen. Diese dreischrittige Prüfung darf zwar von einem ausgebildeten Juristen, wie z. B. einem Richter, erwartet werden. Die Grenzen des Geltungsbereichs einer Verhaltensnorm müssen jedoch auch für deren Adressaten erkennbar sein (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG). Dies liegt daran, dass der Adressat sein Verhalten nur an der Norm orientieren kann, wenn er deren Geltung kennt. Im Strafrecht wird dies dadurch berücksichtigt, dass der Täter gem. § 17 S. 1 StGB die Möglichkeit zur Einsicht haben muss, Unrecht zu tun, also in der Lage sein muss, zu erkennen, dass er durch sein Verhalten Verhaltenspflichten verletzt, damit eine strafrechtliche Sanktionierung möglich ist. Die Qualifikation der Verhaltensnorm ist daher für jeden Adressaten von Bedeutung. 2. Die Auswahl der Verhaltensnorm Sobald es jedoch gelungen ist, die Verhaltensnorm einem Rechtsgebiet zuzuordnen, ist die Auswahl der Rechtsordnung, aus der die Verhaltensnorm zu entnehmen ist, vorgezeichnet. Es gelten die Kollisions- und Geltungsbereichsnormen des entsprechenden Rechtsgebiets. Für zivilrechtliche Verhaltensnormen ist demnach das Internationale Privatrecht einschlägig. Da jedoch gem. Art. 3 EGBGB durch die Vorschriften des Internationalen Privatrechts bestimmt wird, welche Rechtsordnung Anwendung findet, entscheiden die Normen des Internationalen Privatrechts nicht nur über die Anwendbarkeit oder Geltung der deutschen Verhaltensnormen, sondern wählen zugleich aus, welche Verhaltensnorm anstelle der deutschen Anwendung findet. Bei zivilrechtlichen Verhaltensfragen ist die Auswahlfrage daher nicht mehr problematisch. Anders ist dies bei öffentlich-rechtlichen Verhaltensnormen. Da das deutsche Recht nur den Geltungsbereich der eigenen Verhaltensnormen festlegt und im Öffentlichen Recht keine zweiseitigen Kollisionsnormen kennt, entscheiden die Geltungsbereichsregeln nur über die Geltung deutscher Verhaltensnormen. Hier stellt sich daher stets die Frage, welche Verhaltensnorm zu Grunde zu legen ist, sofern mehrere gelten. Bei öffentlich-rechtlichen Verhaltensnormen existiert daher ein Auswahlproblem.
D. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des einschlägigen Rechtsgebiets 155
3. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB Wenn die Grenzen der Verhaltensnormen mit Hilfe zivil- und öffentlich-rechtlicher Vorschriften festgelegt werden müssen, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die §§ 3 ff. StGB keinen Einfluss auf den Geltungsbereich von Verhaltensnormen haben. Der Ausdruck „das deutsche Strafrecht gilt“ bezieht sich daher nur auf die deutschen Strafsanktionsnormen.412 Folglich sind die §§ 3 ff. StGB objektive Bedingungen der Strafbarkeit, auf die sich der Vorsatz nicht beziehen muss. Dagegen sind die Umstände, aus denen sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt – also je nach Einordnung der Verhaltensnorm als zivil- oder öffentlich-rechtlich die Anknüpfungspunkte des Internationalen Privatrechts oder die Umstände, auf die die Geltungsbereichsvorschriften des Öffentlichen Rechts Bezug nehmen – Teil der Verhaltensnorm. Sie müssen demzufolge vom Vorsatz umfasst sein.
D. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des einschlägigen Rechtsgebiets Während Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld die Verhaltensnormen entweder dem Zivil- oder dem Öffentlichen Recht zuordnen wollen, vertritt Neumeyer die Ansicht, der Geltungsbereich der Verhaltensnormen sei teils dem Zivil-, teils dem Öffentlichen, teils aber auch dem Strafrecht zu entnehmen.
I. Die Ansicht Neumeyers Neumeyer geht im Grundsatz davon aus, dass der strafende Staat über die Rechtswidrigkeit von Handlungen entscheide.413 Allerdings könne dieser die Rechtswidrigkeit einer Handlung vollständig von ihrer Rechtswidrigkeit auf einem anderen Gebiet abhängig machen. In diesem Fall müsse die Rechtsordnung aufgesucht werden, die materiell darüber entscheide. Diese sei mit Hilfe des Internationalen Privat- und Verwaltungsrechts auszuwählen.414 Neumeyer konstruiert daher eine Verweisung des strafenden Staates auf die einschlägige Rechtsordnung durch die entsprechenden Kollisions- bzw. Geltungsbereichsnormen. Auch Neumeyer hält daher das Internationale Privat- und Verwaltungsrecht für maßgeblich zur Bestimmung des Geltungsbereichs der verbotenen Handlung, d.h. der Verhaltensnorm. Anders als bei Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld soll jedoch nicht bei allen Verhaltensnormen der Geltungsbereich mit Hilfe des 412 413 414
Nowakowski, JZ 1971, 637. Neumeyer, ZStW 23 (1903), 444. Neumeyer, ZStW 23 (1903), 445.
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
Zivil- und Öffentlichen Rechts bestimmt werden, sondern nur bei Handlungen, bei denen die Rechtswidrigkeit „[. . .] von der Zulässigkeit der Handlung nach dem für das beteiligte Sonderinteresse maßgebenden Recht [abhängt].“ 415 Die Regelungen des Zivilrechts sind dementsprechend einschlägig, wenn spezifisch zivilrechtliche Interessen, die Regelungen des Öffentlichen Rechts hingegen, soweit spezifisch öffentlich-rechtliche Interessen geschützt werden sollen. In allen anderen Fällen wird die Rechtswidrigkeit der Handlung der Strafdrohung selber entnommen.416 Nach Neumeyer gibt es daher drei Arten von Verhaltensnormen: zivilrechtliche, öffentlich-rechtliche und strafrechtliche. Die Rechtsordnung, der sie zu entnehmen sind, ist mit Hilfe der entsprechenden Geltungsbereichsregeln des Internationalen Privat-, Verwaltungs- oder Strafrechts zu ermitteln.417 Eine ähnliche Ansicht vertritt Nietsch, der zwischen Kriminalstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht differenziert.418 Während auf strafrechtliche Verbote die §§ 3 ff. StGB anzuwenden seien, müsse der Geltungsbereich öffentlich-rechtlicher Verbote mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsrecht bestimmt werden.419 Da Nietsch seine Ausführungen auf die Frage bezieht, ob § 14 WpHG strafrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist,420 geht er naturgemäß nicht darauf ein, ob auch zivilrechtliche Verbote existieren. Es ist jedoch anzunehmen, dass er neben öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Verboten auch zivilrechtliche anerkennt, die dann entsprechend mit Hilfe des Internationalen Privatrechts auszulegen wären. Demnach vertritt auch Nietsch die Auffassung, dass Verhaltensnormen anhand der Geltungsbereichsregeln des jeweils einschlägigen Rechtsgebiets auszulegen seien.
II. Der Geltungsbereich der Verhaltensnormen Soll daher auf diese Weise der Geltungsbereich der Verhaltensnormen bestimmt werden, muss die Verhaltensnorm zunächst einem Rechtsgebiet zugeordnet werden. Dabei ist die Verhaltensnorm im Zweifel strafrechtlicher Natur: Lässt sich die Norm nicht dem Zivil- oder Öffentlichen Recht zuordnen, so greifen die Geltungsbereichsregeln des Strafrechts.421 415
Neumeyer, ZStW 23 (1903), 443. Neumeyer, ZStW 23 (1903), 448. 417 Dies vertritt wohl auch Cornils, die ihre Ausführungen jedoch nur auf die Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale im Rahmen der deutschen Verhaltensnormen bezieht, Fremdrechtsanwendung, S. 71 ff. 418 Nietsch, Insiderrecht, S. 143 ff. 419 Siehe hierzu Nietsch, Insiderrecht, S. 137 ff. 420 Nietsch, Insiderrecht, S. 99 ff. 421 Vgl. Neumeyer, ZStW 23 (1903), 443. 416
D. Begrenzung des Geltungsbereichs anhand des einschlägigen Rechtsgebiets 157
Die Zuordnung selber soll davon abhängen, ob der Tatbestand „[. . .] an künstliche Schöpfungen der Rechtsordnung anknüpft [. . .]“ 422. Es geht also darum, ob das geschützte Interesse einem anderen Rechtsgebiet entstammt. Damit legt Neumeyer die Interessentheorie zur Abgrenzung von Zivil- und Öffentlichem Recht zu Grunde, die in der Tat als einzige geeignet ist, bei Verhaltensnormen zu akzeptablen Ergebnissen zu führen.423 Indizien für die Zuordnung einer Verhaltensnorm zu einem speziellen Rechtsgebiet sollen die selbständige Formulierung eines Sachverhaltes sowie die Verwendung des Wortes „rechtswidrig“ im Tatbestand sein.424 Außerdem ist der Geltungsbereich der Verhaltensnormen stets dem Rechtsgebiet zu entnehmen, aus dem einschlägige Rechtfertigungsgründe stammen.425 Trotz dieser Erläuterungen ist die Frage nach der Einordnung von Verhaltensnormen nicht einfach zu beantworten. Wurde das einschlägige Rechtsgebiet ermittelt, gelten die entsprechenden Geltungsbereichsregeln. Für zivilrechtliche Verhaltensnormen gilt demnach das Internationale Privatrecht426, für öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen gelten die öffentlich-rechtlichen Geltungsbereichsregeln427, für strafrechtliche Verhaltensnormen gelten die §§ 3 ff. StGB428.
III. Konsequenzen dieser Auffassung Die Auswirkungen dieser Ansicht sind denjenigen der Ansicht von Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld ähnlich, so dass auf die dazu gegebenen Erläuterungen verwiesen werden kann:429 Auch die Ansicht von Neumeyer verpflichtet den Rechtsanwender zur Qualifikation der Verhaltensnorm und stellt daher eine Herausforderung dar.430 Zudem stellt sich bei Einordnung der Verhaltensnorm als zivilrechtlich auf Grund der Natur des Internationalen Privatrechts als Kollisionsrecht kein Auswahlproblem mehr, wohl aber bei Einordnung der Verhaltensnorm als öffentlich- oder strafrechtlich. Die Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB hängt hingegen davon ab, welcher Art die Verhaltensnorm ist. Handelt es sich um eine strafrechtliche Verhaltensnorm, bestimmen die §§ 3 ff. StGB deren Geltungsbereich, so dass sie unrechtskonstitutiv 422
Neumeyer, ZStW 23 (1903), 443. Siehe oben Kap. 6 C. II. 1., S. 144 ff. 424 Neumeyer, ZStW 23 (1903), 443. 425 Neumeyer, ZStW 23 (1903), 443 f. 426 Siehe oben Kap. 6 C. II. 2., S. 146 ff. 427 Siehe oben Kap. 6 C. II. 3., S. 148 ff. 428 Siehe oben Kap. 6 B. IV., S. 113 ff. 429 Siehe oben Kap. 6 C. III., S. 153 ff. 430 Siehe zur Abgrenzung von Straf- und Öffentlichem Recht auch Nietsch, Insiderrecht, S. 100 ff. 423
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Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
sind und sich der Vorsatz auf die Merkmale der §§ 3 ff. StGB beziehen muss. Bei zivil- und öffentlich-rechtlichen Verhaltensnormen sind die §§ 3 ff. StGB hingegen keine Geltungsbereichsregeln, so dass sie nicht unrechtskonstitutiv sind und ihre Merkmale daher nicht vom Vorsatz umfasst sein müssen. Ebenso wie die Ansichten von Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld führt die Ansicht Neumeyers zu Kollisionen mit Verhaltensnormen anderer Rechtsordnungen. Diesem Problem versucht Neumeyer dadurch zu begegnen, dass die Strafbarkeit bei Verhalten im Ausland in großem Umfang von der Strafbarkeit am Tatort abhängig gemacht wird.431 Die Tatortstrafbarkeit ist jedoch – wie bei § 7 StGB – nur eine Voraussetzung der Strafsanktionsnorm und beeinflusst nicht die Geltung der deutschen Verhaltensnormen.
E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen Während die bislang vorgeschlagenen Eingrenzungskriterien von konkreten Rechtsgebieten ausgingen und deren Geltungsbereichsnormen auf Verhaltensnormen anwenden wollten, gibt es auch Vorschläge, die Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen anhand des Völkerrechts zu entwickeln.432 Diese Vorschläge stimmen zwar grundsätzlich darin überein, dass es völkerrechtliche Grenzen gibt, Art und Umfang dieser Grenzen werden jedoch höchst unterschiedlich festgelegt. Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen illustriert werden.
I. Die Ansicht Zitelmanns In seinem Lehrbuch zum Internationalen Privatrecht geht Zitelmann der Frage nach, ob das Völkerrecht eine eindeutige Abgrenzung der Herrschaftsbereiche der Staaten gewährleistet.433 Dabei entspricht der Herrschaftsbereich des Staats dem Geltungsbereich seines Rechts.434 Zwar beabsichtigt Zitelmann, mit Hilfe des Völkerrechts eine allgemeine Theorie des Internationalen Privatrechts zu entwickeln, und bezieht daher seine Erläuterungen nur auf das Internationale Privatrecht.435 In diesem Zusammenhang geht er allerdings auf die sich aus dem Völkerrecht ergebenden Grenzen des Herrschaftsbereiches ein. Diese müssen jedoch allgemeine Gültigkeit haben. Zu Recht betont Zitelmann daher die Unabhängig431
Neumeyer, ZStW 23 (1903), 448 ff. H. Mayer, JZ 1952, 609 ff.; Wengler, IRuD 1972, 263 ff.; ders., JZ 1977, 257 ff.; Zitelmann, FS Bergbohm, S. 207 ff.; ders., IPR, Bd. 1, S. 71 ff. 433 Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 71 ff. 434 Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 121 f. 435 Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 80 f. und 28 f. 432
E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen 159
keit dieser Erörterungen vom Privatrecht.436 Zitelmann erörtert im Folgenden die sich aus dem Völkerrecht ergebenden Grenzen der Rechtsordnung, die auch auf Verhaltensnormen Anwendung finden. Ausgangspunkt von Zitelmanns Erörterungen ist der völkerrechtliche Souveränitätsgrundsatz.437 Aus ihm folgert er, dass die Herrschaftsbereiche der Staaten nach zwei Kriterien abgegrenzt seien: nach dem Staatsgebiet und den dem Staate angehörenden Personen.438 Das entspricht der allgemeinen Ansicht im Völkerrecht, nach der Gebiets- und Personalhoheit Ausprägungen des Souveränitätsgrundsatzes sind.439 Die Herrschaft des Staates über seine Personen beinhaltet zum einen das Recht, ihnen Befehle zu erteilen, und somit das Recht, die Staatsangehörigen durch Verhaltensnormen zu verpflichten.440 Zum anderen folgt daraus das Recht, Verhaltensweisen, die die Staatsangehörigen unmittelbar betreffen, zu untersagen.441 Allerdings ist die von Zitelmann 1897 gewählte Formulierung, die Person komme als „[. . .] Objekt, an dem der Staat unmittelbar handeln [dürfe] [. . .]“ 442, in Betracht, aus heutiger Perspektive unglücklich. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG garantiert den Schutz der Menschenwürde. Diese ist verletzt, wenn der Mensch zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht wird (sog. Objektformel).443 Es wäre seltsam, wenn das, was Ausfluss der völkerrechtlichen Herrschaft über die Staatsangehörigen ist, nach deutschem Recht stets ein Eingriff in die Menschenwürde wäre. In Wahrheit verwenden Zitelmann und das Bundesverfassungsgericht das Wort „Objekt“ in verschiedener Bedeutung: Im Zusammenhang mit der Menschenwürdegarantie soll dadurch ausgedrückt werden, dass die Behandlung durch den Staat besonders verächtlich ist.444 Zitelmann wollte hingegen durch die Verwendung des Wortes „Objekt“ nur deutlich machen, dass die Person hier nicht als Adressat von Verhaltensbefehlen, also als Subjekt staatlicher Herrschaft gemeint ist. Er verwendet die Begriffe Subjekt und Objekt daher nur zur Unterscheidung des aktiven und passiven Personalitätsprinzips.445 436
Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 78. Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 79 ff. 438 Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 82. In diese Richtung gehen auch die Überlegungen Schnorr von Carolsfelds, allerdings nur, soweit keine speziellen Geltungsbereichsnormen einschlägig sind, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). Siehe auch dens., FS von der Heydte, S. 577 ff. 439 Siehe Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 101; T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 510 ff. 440 Siehe Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 86. 441 Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 86. 442 Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 86. 443 Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 16.7.1969, BVerfGE 27, 1, 6; BVerfG, Urt. v. 15.12.1970, BVerfGE 30, 1, 39 ff.; BVerfG, Urt. v. 21.06.1977, BVerfGE 45, 187, 228. 444 BVerfG, Urt. v. 15.12.1970, BVerfGE 30, 1, 25 ff. 445 Siehe dazu oben Kap. 6 B. IV. 1., S. 113 ff. 437
160
Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
Die Gebietsherrschaft beinhaltet einerseits die Herrschaft des Staates auf seinem Gebiet.446 Daraus resultiert das Recht des Staates, auf seinem Gebiet umfassende Verhaltensvorschriften zu machen.447 Der Staat kann somit alle auf seinem Gebiet befindlichen Personen seinen Gesetzen unterwerfen. Andererseits bedeutet Gebietsherrschaft auch, dass der Staat die Herrschaft über sein Gebiet hat, d.h. dass er alle Einwirkungen auf sein Gebiet untersagen kann.448 In moderner Terminologie bedeutet dies, dass der Staat Verhaltensweisen verbieten darf, die einen Erfolg im Staatsgebiet herbeiführen. Da die Geltung einer Verhaltensnorm jedoch bereits zum Verhaltenszeitpunkt feststehen muss, können auf diesem Weg nur Verhaltensweisen verboten werden, bei denen der Täter einen Erfolg im Gebiet des Staates ernsthaft für möglich hält.449 Das, was Zitelmann als Gebietshoheit bezeichnet, entspricht demnach dem Territorialitätsprinzip. Die Ausübung staatlicher Macht ist daher nur in diesem Rahmen zulässig. Wenn der gesetzgebende Staat es daher unterlässt, den Geltungsbereich seiner Normen festzulegen, dann gilt „[. . .] als selbstverständlich mitgedacht, dass der Geltungsbereich des Gesetzes gleich dem staatsrechtlich-völkerrechtlichen Machtbereich des Staates sein solle [. . .]“ 450. Das aktive und passive Personalitätsprinzip sowie das Territorialitätsprinzip stellen somit die Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen dar.
II. Die Ansicht H. Mayers Auch H. Mayer geht in seinen Erläuterungen vom völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatz aus. Dabei steht für ihn der Grundsatz der wechselseitigen Achtung der territorialen Souveränität im Vordergrund.451 Diesen sieht er bereits dann als verletzt an, wenn ein Staat die Beachtung seiner Verhaltensnormen auf fremdem Hoheitsgebiet fordert und deren Verletzung bestraft.452 Entsprechend folgt für ihn aus dem Souveränitätsgrundsatz die grundsätzliche Maßgeblichkeit der lex loci.453 Diese theoretischen Überlegungen untermauert H. Mayer mit einigen Beispielen aus dem Internationalen Strafrecht anderer Staaten, die nahezu alle das Terri-
446 447 448 449 450 451 452 453
Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 90 ff. Siehe auch ders., FS Bergbohm, S. 224 ff. Siehe Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 91. Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 93 ff. Siehe dazu oben Kap. 6 B. IV. 2. a) aa), S. 117 ff. Zitelmann, FS Bergbohm, S. 229. H. Mayer, JZ 1952, 610. H. Mayer, JZ 1952, 610. H. Mayer, JZ 1952, 610.
E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen 161
torialitätsprinzip als Ausgangspunkt nehmen.454 Daraus folgert er, dass die Übereinstimmung der Rechte verschiedener Staaten einer gemeinsamen Überzeugung entspringe und daher Völkergewohnheitsrecht sei.455 Die Mindestanforderungen des Völkergewohnheitsrecht sind laut H. Mayer: Vorrang der Tatortnorm, Vorrang der Verfolgung durch den Heimatstaat und Durchbrechung dieser Grundsätze nur aus Gründen der staatlichen Selbstverteidigung.456 Nach Ansicht H. Mayers sind daher Regelungen, die auf dem Personalitätsoder Staatsschutzprinzip beruhen, nur völkerrechtskonform, wenn der Tatortnorm der Vorrang eingeräumt wird.457 H. Mayer präzisiert allerdings nicht, ob er mit „Tatortnorm“ die Verhaltensnorm des Begehungs- oder des Erfolgsortes meint oder ob er den Begriff – ganz im Sinne des Ubiquitätsprinzips – auf beides bezieht. Die Unabhängigkeit der Verhaltensnorm vom Tatort ist einzig dann völkerrechtskonform, wenn der Staat in seiner Existenz oder verfassungsmäßigen Ordnung angegriffen wird.458 Auch soll eine Verurteilung von Ausländern nur dann zulässig sein, wenn sie nicht schon durch den Heimatstaat vorgenommen wird.459 Hier bleibt allerdings unklar, ob der Staat, wenn eine Verfolgung durch den Heimatstaat unterbleibt, sein eigenes Strafrecht oder das des Heimatstaates anwenden muss. Je nachdem, wie der Grundsatz interpretiert wird, ist er als Ausfluss des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege oder als Zuständigkeitsregel anzusehen. Im Allgemeinen wird der Ne-bis-in-idem-Grundsatz, der den Ausführungen H. Mayers zu Grunde liegt, eher als Zuständigkeitsregelung eingeordnet (vgl. etwa Art. 54 SDÜ; Art. 20 ICC-Statut). Unabhängig davon hat dies jedoch in beiden Fällen keinen Einfluss auf die Geltung der Verhaltensnormen, wie sich aus der Trennung der Ausführungen zur Normgeltung und zur Subsidiarität der Strafverfolgung ergibt.460 Daher spielt der Gedanke der Subsidiarität der Verfolgung gegenüber dem Heimatstaat im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. Nach den Ausführungen H. Mayers ist die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm daher grundsätzlich dem Tatortrecht zu entnehmen. Nur aus Gründen legitimer Selbstverteidigung darf ein Staat seine Verhaltensnormen auf Auslandstaten erstrecken. 454 H. Mayer, JZ 1952, 610 f. Dies bestätigt ein aktueller Vergleich der Länder. Siehe Sieber/Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, AT, Bd. 2, S. 151–349; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 76 ff. Zu H. Mayers Zeiten galt im deutschen Recht allerdings gem. § 3 Abs. 1 StGB a. F. das aktive Personalitätsprinzip. 455 H. Mayer, JZ 1952, 611. 456 H. Mayer, JZ 1952, 611. 457 H. Mayer, JZ 1952, 611. 458 H. Mayer, JZ 1952, 611. 459 H. Mayer, JZ 1952, 611. 460 H. Mayer, JZ 1952, 611. Siehe zum Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege bereits oben Kap. 6 B. IV. 2. d) cc), S. 140 ff.
162
Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
III. Die Ansicht Heymanns Auch Heymann stellt in seiner Arbeit zum Territorialitätsprinzip 461 grundsätzliche Erörterungen dazu an, welcher Rechtsordnung die Bewertung einer Handlung als rechtswidrig zu entnehmen ist. Allerdings ist Heymann kein Vertreter der Normentheorie, so dass seine Ausführungen teilweise über das hinausgehen, was aus der Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm resultiert.462 So soll die Rechtsordnung, die über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens entscheidet, auch die Grenze des Strafmaßes liefern.463 Für die Frage nach dem Geltungsbereich von Verhaltensnormen ist es jedoch ohne Belang, ob die Rechtsordnung, der die Verhaltensnorm zu entnehmen ist, auch über andere Merkmale entscheidet. Heymanns Überlegungen zur Rechtswidrigkeit betreffen daher die Verhaltensnormen. Dagegen sind seine Überlegungen zur Schuld – abgesehen von denen zum Vorsatz464 – für die Frage nach dem Geltungsbereich von Verhaltensnormen irrelevant.465 Die Kernthese von Heymann ist, dass die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens von der Rechtsordnung bestimmt wird, in der der Erfolg eintritt.466 Dies begründet er damit, dass eine Handlung nur verboten sei, damit bestimmte Wirkungen – nämlich solche, die schädlich für ein Rechtsgut sind – nicht auftreten.467 Dieses Verständnis gilt im Grundsatz auch heute: Ein Verhalten wird als rechtswidrig bewertet, weil es eine Gefahr für ein Rechtsgut darstellt. Auf Verhaltensnormen übertragen würde aus Heymanns These folgen, dass ausschließlich die Verhaltensnormen des Erfolgsortes anzuwenden seien. Wie bereits erläutert, kann die einschlägige Verhaltensnorm jedoch nicht zeitlich nach der Verhaltenspflichtverletzung ermittelt werden, sondern muss logischerweise zum Zeitpunkt des Verhaltens feststehen. Diese Problem erkennt auch Heymann und führt aus: „Das Land des Erfolges ist eine Tatsache, von der die objektive Rechtswidrigkeit der Handlung abhängt. Jede solche Tatsache aber ist ein Tatumstand im Sinne des [§ 16 StGB]. Das Land des Erfolgs muss somit vom Vorsatze umfasst sein.“ 468 Dementsprechend gilt die Verhaltensnorm des Landes, in dem der Erfolg nach Vorstellung des Täters eintreten soll.
461
Heymann, Territorialitätsprinzip und Distanzdelikt, 1914. Vgl. Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 74 ff. 463 Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 73 ff. 464 In der früheren Lehre war es üblich, den Vorsatz als Teil der Schuld anzusehen (siehe Roxin, AT, Bd. 1, § 7 Rn. 15). Nach dem hier zu Grunde gelegten Aufbau ist der Vorsatz jedoch Teil der Verhaltensnorm, siehe oben Kap. 2 C. II. 3., S. 43 f. 465 Siehe hierzu Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 103 ff. 466 Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 63 ff. 467 Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 59. 468 Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 105. 462
E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen 163
Heymann geht jedoch über das Territorialitätsprinzip hinaus, indem er feststellt, dass der Ort des Erfolgseintritts nur ein „Symptom“ für den einschlägigen Kulturkreis und damit die einschlägige Rechtsordnung ist.469 Die Schädlichkeit eines Verhaltens für einen bestimmten Staat kann sich jedoch auch aus anderen Faktoren ergeben: wenn der Verletzte diesem Staat angehört oder wenn der Staat selbst oder eine zu ihm gehörende juristische Person verletzt ist.470 Konsequenterweise müsste der Täter in diesem Fall allerdings auch den Umstand kennen, dass das Opfer dem Staat angehört. Im Ergebnis erkennt Heymann daher das Territorialitätsprinzip, das Staatsschutzprinzip und das passive Personalitätsprinzip als potentielle Grundlagen für die Geltung von Verhaltensnormen an. Demnach müssten die deutschen Verhaltensnormen weltweit für Verhaltensweisen gelten, die gegen deutsche Staatsangehörige, juristische Personen oder den deutschen Staat gerichtet sind. Außerdem würden deutsche Verhaltensnormen stets gelten, wenn der Täter es für möglich hält, dass der Erfolg in Deutschland eintritt. Nach Heymann soll es allerdings genügen, wenn der Täter an ein anderes Erfolgsland gedacht hat, in dem der Erfolg ebenfalls unter Strafe steht.471 Damit kennt der Täter jedoch nicht den Umstand, aus dem sich die Geltung der deutschen Verhaltensnorm ergibt, so dass diese nicht für ihn gilt. Dagegen gilt die Verhaltensnorm des Staates, in dem der Täter den Erfolg vorausgesehen hat. Die deutsche Strafsanktionsnorm kann allerdings auch an die Verletzung dieser Verhaltensnorm anknüpfen, so dass Heymanns Aussage im Ergebnis richtig ist.
IV. Die Ansicht Wenglers In seinem gleichnamigen Aufsatz befasst sich Wengler ausführlich mit den „völkerrechtlichen Schranken der Gebietshoheit“ 472. Auf die Personalhoheit geht er hingegen nicht näher ein, so dass seine Ausführungen nicht als vollständige Bestimmung der völkerrechtlichen Schranken der Geltung von Verhaltensnormen gewertet werden können. Nichtsdestoweniger sind Wenglers Erkenntnisse zu den völkerrechtlichen Schranken der Gebietshoheit im vorliegenden Zusammenhang von Interesse und sollen daher dargestellt werden. Zunächst stellt Wengler fest, dass es unzweifelhaft sei, dass ein Staat Verhalten auf seinem Staatsgebiet zum Gegenstand von Ver- und Geboten machen könne.473 In der Tat bestehen gegen die völkerrechtliche Zulässigkeit der Regelung des Verhaltens auf dem eigenen Staatsgebiet keine Bedenken. Aus diesem 469
Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 91. Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 131 f. Siehe auch ders., Territorialitätsprinzip, S. 93 f. 471 Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 106. 472 Wengler, IRuD 1972, 263 ff. 473 Wengler, IRuD 1972, 263. 470
164
Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
Grund konzentriert sich Wengler im Folgenden auf die zweite Ausprägung des Territorialitätsprinzips, nämlich die Frage, ob der Staat ein im Ausland stattfindendes Verhalten ver- oder gebieten kann, wenn dieses sich auf das Staatsgebiet auswirkt.474 Im Grundsatz bejaht Wengler die Möglichkeit, auch solches im Ausland stattfindendes Verhalten zu regulieren.475 Im Bereich der strafrechtlichen Sanktionen ist diese Möglichkeit seiner Ansicht nach jedoch eingeschränkt: Zum einen dürfe ein Staat nicht Handlungen im Ausland gebieten, zum anderen müsse der Erfolgsort zumindest vorhersehbar sein.476 Außerdem folge aus dem Völkerrecht der Grundsatz, dass eine „[. . .] von den meisten Staaten erlaubte (oder gar gebotene) Handlungsweise nicht ohne weiteres von einem Staat allein unter Anknüpfung an den inländischen Wirkungsort verboten werden darf, weil dieser die bei ihm eingetretene Wirkung missbilligt [. . .]“ 477. An anderer Stelle bezeichnet Wengler dieses Prinzip als „gesicherte völkerrechtliche Rechtsüberzeugung“ 478. Insoweit ist der Staat des Erfolgsortes gegenüber dem des Handlungsortes benachteiligt.479 Im Folgenden konkretisiert Wengler diese Überlegungen durch Beispiele. So soll der Staat des Erfolgsorts ein Verhalten verbieten können, wenn der Staat des Handlungsortes das Verhalten nur dann verbietet, wenn es Wirkungen im Inland zeigt.480 Dieselben Prinzipien gelten auch für Verhalten auf hoher See, wobei dabei stets das Flaggenprinzip zu beachten ist.481 Der Staat des potentiellen Erfolgsortes kann nur dann ein Verhalten im Ausland verbieten, wenn der Staat des Handlungsortes nicht eingreift.482 Zudem hat er das Recht, den Erlass entsprechender Vorschriften zu verlangen.483 Außerdem könne der Staat des Erfolgsortes durch Regelungen innerhalb seines Staatsgebiets erreichen, dass seine Vorschriften auch im Ausland befolgt werden. So kann er beispielsweise die Nutzung seiner Binnengewässer von der Einhaltung bestimmter Sicherheitsvorschriften abhängig machen.484 Dabei sind jedoch das völkerrechtliche Missbrauchsverbot485 sowie die durch die EG-Grundfreiheiten gesetzten Schranken zu beachten.
474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485
Wengler, IRuD 1972, 263 ff. Wengler, IRuD 1972, 265. Wengler, IRuD 1972, 265. Wengler, IRuD 1972, 266 (Hervorhebungen im Original). Wengler, JZ 1977, 258. So auch Wengler, IRuD 1972, 278. Wengler, IRuD 1972, 267. Wengler, IRuD 1972, 268 ff. Wengler, IRuD 1972, 274 f. Siehe auch ders., JZ 1977, 258. Wengler, IRuD 1972, 274. Beispiel nach Wengler, IRuD 1972, 277. Wengler, IRuD 1972, 277 f.
E. Völkerrechtliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen 165
Im Ergebnis zeigt sich, dass nach Wengler primär der Staat des Handlungsortes zum Erlass von Verhaltensnormen zuständig ist und dass der Staat des Erfolgsortes erst in zweiter Linie befugt ist, das Verhalten von Ausländern im Ausland zu regeln, sofern es sich in seinem Territorium auswirkt. Zumindest bei territorial bezogenen Regelungen wie Bauvorschriften oder Straßenverkehrsregeln soll der Staat des Handlungsortes auch Vorrang vor dem Staat haben, dem der Betroffene angehört.486
V. Konsequenzen der Auffassungen Allen Ansichten ist gemein, dass sie von allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen ausgehen und so den Geltungsbereich der Verhaltensnormen bestimmen wollen. Allerdings zeigt sich, dass H. Mayer zu den restriktivsten, Heymann aber immerhin zu restriktiveren Ergebnissen kommt als Zitelmann. Wengler leitet hingegen eine Fülle detaillierter Regelungen aus Völkerrecht ab. Hier zeigt sich das Problem, dass der Umfang völkerrechtlicher Grundsätze unbestimmt ist.487 Die Ermittlung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen anhand des Völkerrechts ist dadurch deutlich erschwert. Hinzu kommt, dass keine der Ansichten eine konfliktfreie Abgrenzung der staatlichen Verhaltensnormen ermöglicht. Vielmehr werden in vielen Fällen territorial und personal begründete Verhaltensnormen kollidieren.488 Daher besteht auch nach dieser Ansicht die Notwendigkeit, eine Auswahl unter mehreren geltenden Verhaltensnormen zu treffen.489 Auch nach Ansicht von H. Mayer, der im Grundsatz stets eine Auswahl zu Gunsten der Tatortnorm annimmt, kann es zu Normenkollisionen kommen, wenn ein anderer Staat als der des Tatortes das Verhalten aus Gründen der staatlichen Selbstverteidigung unter Strafe stellt.490 Eine weitere Konsequenz der Abgrenzung anhand allgemeiner Regeln ist, dass Geltungsbereichsnormen wie die der §§ 3 ff. StGB für die Ermittlung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen keine Rolle spielen. Die Umstände der §§ 3 ff. StGB müssen daher nicht vom Vorsatz umfasst sein, wohl jedoch die der allgemeinen Abgrenzungsregeln.491 Allen vier Ansichten nach wären daher die Geltungsbereichsregelungen der einzelnen Rechtsgebiete irrelevant.
486
Wengler, IRuD 1972, 273. Siehe hierzu F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81 ff. 488 Darauf weist auch Nuvolone hin, ZStW 66 (1954), 567. 489 Siehe hierzu Zitelmann, IPR, Bd. 1, S. 96 ff. Siehe auch C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 100 ff.; Wengler, IRuD 1972, 273. 490 Vgl. H. Mayer, JZ 1952, 611. 491 Vgl. Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 105 ff. 487
166
Kap. 6: In der Literatur vertretene Grenzen des Geltungsbereichs
F. Ergebnis Der Überblick über die in der Literatur vertretenen Ansichten zur Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen zeigt, dass sehr verschiedene Ansichten vertreten werden, die einander zum Teil widersprechen. Eine einheitliche Meinung lässt sich nicht ermitteln. Bei genauer Betrachtung der verschiedenen Ansichten, die zur Frage des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen vertreten werden, zeigt sich, dass diese in drei große Gruppen gegliedert werden können. Zuallererst muss zwischen der Ansicht, dass Verhaltensnormen einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich hätten,492 und der, dass der Geltungsbereich von Verhaltensnormen begrenzt sei,493 unterschieden werden. Des Weiteren lassen sich die Ansichten, die zur Begrenzung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen vertreten werden, in solche unterteilen, die die Begrenzung anhand der Vorschriften eines bestimmten Rechtsgebiets vornehmen wollen,494 und solche, die die Regeln zur Begrenzung allgemeinen Grundsätzen entnehmen möchten.495 Im Folgenden soll daher in dieser Reihenfolge zu den einzelnen Ansichten Stellung genommen werden. Im Rahmen dieser drei Obergruppen wird auf die oben dargelegten Unterschiede eingegangen werden.
492 493 494 495
Siehe oben Kap. 6 A., S. 92 ff. Siehe oben Kap. 6 B.–E., S. 102 ff. Siehe oben Kap. 6 B., C., D., S. 102 ff. Siehe oben Kap. 6 E., S. 158 ff.
Kapitel 7
Weltweite Geltung von Verhaltensnormen Die Ansicht, dass die deutschen Verhaltensnormen einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben, d. h. weltweit gelten, ist unter denen, die sich näher mit dem Thema beschäftigt haben, fast durchweg auf Ablehnung gestoßen.1 Hierfür wird eine Vielzahl von Argumenten angeführt. Dabei ist es notwendig, sich klar zu machen, was „weltweite Geltung“ bzw. ein „unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich“ bedeutet: die Geltung deutscher Verhaltensnormen für Sachverhalte, die überhaupt keinen Bezug zum deutschen Staat haben, sowie die Geltung der Verhaltensnormen in Fällen, in denen keine deutschen Sanktionsnormen gelten.
A. EG-rechtliche Perspektive Die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen könnte zunächst gegen EG-Recht verstoßen. In Betracht kommt ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV2 (ex Art. 10 Abs. 2 EGV)3 sowie gegen Art. 54 SDÜ4.
I. Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV Gem. Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Europäischen Union gefährden können. Zu diesen Zielen zählen, wie die Herkunft des Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV aus Art. 10 Abs. 2 EGV zeigt, auch die im früheren EG-Vertrag genannten Ziele. Falls die weltweite Geltung von Verhaltensnormen daher die Ziele des EG-Vertrags gefährden würde, ergäbe sich aus Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV eine Pflicht zur Begrenzung der Geltung der eigenen Verhaltensnormen.
1 Eine Ausnahme bilden die Vertreter dieser Ansicht sowie F.-C. Schroeder, der allenfalls demokratische Schranken der Strafgesetze anerkennt, NJW 1969, 81 ff. 2 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union, Abl. 2008 C 115, S. 13 ff. 3 So Scholten, allerdings in Bezug auf die Strafgewalt generell, Tatortstrafbarkeit, S. 63 ff. 4 Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 295 ff. In eine ähnliche Richtung gingen schon – vor Inkrafttreten des SDÜ – die Überlegungen von Schorn, JR 1964, 206.
168
Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
Scholten sieht in der weltweiten Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens eine Gefahr für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die durch Art. 45 AEUV (ex Art. 39 EGV) gewährleistet ist.5 Die Gefahr der Strafverfolgung für ein im Heimatland geschehenes Verhalten, das dort erlaubt sei, stelle ein faktisches Einreisehindernis dar.6 Die Ausdehnung der Strafgewalt über das Territorium hinaus müsse sich daher auch an den Grundfreiheiten messen lassen. Demzufolge kann die Ausdehnung der Strafgewalt nur unter den in Art. 45 Abs. 3 AEUV bezeichneten Voraussetzungen – wenn sie der „öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“ 7 oder zwingenden Gründen des Allgemeininteresses8 dient – gerechtfertigt werden. Es ist anzunehmen, dass die weltweite Geltung von Strafnormen, d.h. die Geltung für Sachverhalte ohne jeden Bezug zum strafenden Staat, nach Ansicht Scholtens als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu bewerten wäre. Fraglich ist allerdings, ob dies auch für die weltweite Geltung von Verhaltensnormen gilt. Scholten stützt seine Argumentation entscheidend darauf, dass die Gefahr einer Strafverfolgung durch den Aufnahmestaat ein faktisches Einreisehindernis darstellt.9 Tatsächliche Strafverfolgung ist jedoch wesentlich belastender als die bloße unterschiedliche Bewertung eines Verhaltens durch den Aufnahmestaat. Es ist daher nicht anzunehmen, dass die Tatsache, dass der Aufnahmestaat eine bestimmte vergangene Handlung als rechtswidrig bewertet, ohne daran Sanktionen zu knüpfen, Arbeitnehmer von der Einreise in einen bestimmten Staat abhalten würde. Aus diesem Grund ist die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen für sich genommen nicht als Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit anzusehen. Der Einwand Scholtens greift für Verhaltensnormen daher nicht.
II. Art. 54 SDÜ Das Schengener Durchführungsübereinkommen regelt Einzelheiten zur Öffnung der Grenzen der sog. Schengen-Staaten. Art. 54 SDÜ betrifft dabei das Verbot der Doppelbestrafung. Auch eine erneute Strafverfolgung ist untersagt.10
5 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 64. Siehe näher zur Arbeitnehmerfreizügigkeit Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 853 ff.; Nettesheim in: Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, § 28. Ähnlich für die Niederlassungsfreiheit Hoffmann, S. 245 ff. in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen. 6 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 64 f. 7 Trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts genügt es wohl, wenn die Maßnahme eines dieser Ziele verfolgt. 8 EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – „Bosman“, Slg. 1995, Siehe I-4921, 5071. 9 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 64 f. 10 Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 297.
B. Völkerrechtliche Perspektive
169
Die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen führt zu einer erhöhten Zahl von Normenkollisionen. Allein die Tatsache, dass verschiedene Verhaltensnormen kollidieren, stellt jedoch keinen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung dar. In jedem Fall ist ein behördliches Tätigwerden erforderlich, damit der Ne-bis-in-idem-Grundsatz eingreifen kann. Aus diesem Grund kann die weltweite Geltung von Verhaltensnormen für sich genommen nicht gegen den Ne-bis-in-idem-Grundsatz verstoßen. Folglich liegt kein Verstoß gegen Art. 54 SDÜ vor.
B. Völkerrechtliche Perspektive Die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen könnte jedoch gegen Völkerrecht verstoßen. Mittlerweile ist anerkannt, dass das Völkerrecht eine eigene Rechtsordnung darstellt.11 Das Verhältnis des Völkerrechts zum deutschen Recht wird in Art. 25 GG geregelt. Gem. Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts.12 Sie gehen den einfachen Gesetzen vor.13 Ein Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts stellt zugleich einen Verstoß gegen Art. 25 GG dar.14 Dies wurde in der früheren Rechtsprechung bestritten.15 Danach sollte eine Norm grundsätzlich trotz Unvereinbarkeit mit dem Völkerrecht mit Art. 25 GG vereinbar sein.16 Unklar blieb dabei, wann von einer Unvereinbarkeit mit Art. 25 GG ausgegangen werden musste. Mittlerweile hat der Bundesgerichtshof jedoch klar gestellt, dass bei der Geltung deutschen Strafrechts für Auslandstaten fraglich ist, ob dies „[. . .] wegen eines Verstoßes gegen Art. 25 GG verfassungswidrig [. . .]“ 17 ist. Ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts ist somit nach Ansicht der Rechtsprechung ein Verfassungsverstoß.18 Da jedoch gem. Art. 25 GG ausschließlich die völkerrechtlichen Wertungen relevant sind, sollen in diesem Zusammenhang nur die völkerrechtlichen Grundsätze untersucht werden.
11
Siehe hierzu Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 289 f. Siehe hierzu Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 71 ff. 13 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rn. 14. 14 Vgl. hierzu Hofmann, ZaöRV 49 (1989), 41 ff. 15 BGH, Urt. v. 20.10.1976, BGHSt 27, 30, 31 f. So auch Holthausen, NJW 1992, 214 Fn. 2. 16 BGH, Urt. v. 20.10.1976, BGHSt 27, 30, 31 f. 17 BGH, Beschl. v. 26.03.2009 – StB 20/08, Rn. 17 (Beschluss ohne entsprechende Rn. abgedruckt in BGHSt 53, 238). Der Bundesgerichtshof fasst an dieser Stelle zwar die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. zusammen, distanziert sich jedoch im Folgenden nicht von der Aussage. 18 Ebenso wohl Hofmann, ZaöRV 49 (1989), 48. 12
170
Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
I. Der Souveränitätsgrundsatz Ein immer wiederkehrender Einwand gegen die weltweite Geltung von Verhaltensnormen ist, dass eine solche weltweite Geltung der deutschen Verhaltensnormen einen unzulässigen Eingriff in die Souveränität anderer Staaten darstellen und somit das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip verletzen würde.19 Das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip ist unstreitig eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG.20 Ein Verstoß gegen das Souveränitätsprinzip wäre daher als Verfassungsverstoß zu bewerten. Andere diskutieren dasselbe Problem nicht als möglichen Souveränitätsverstoß, sondern unter dem Stichwort des völkerrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots.21 Damit meinen sie den Missbrauch der staatlichen Rechtsetzungsgewalt. Dieser Missbrauch besteht darin, dass Staaten Fälle regeln, die keinen Bezug zu ihrer eigenen Rechtsordnung haben, und dadurch die Souveränität anderer Staaten verletzen. Der Unterschied ist daher nur terminologischer Natur. 1. Eingriff in die Souveränität anderer Staaten Souveränität bedeutet Unabhängigkeit vom Willen anderer.22 Dementsprechend übt ein souveräner Staat seine Hoheitsgewalt unabhängig von anderen Staaten aus.23 Da jeder Staat souverän ist und das Völkerrecht mittlerweile von der grundsätzlichen Gleichheit aller Staaten ausgeht, folgt jedoch aus dem Souveränitätsprinzip das Gebot, die Souveränität anderer Staaten zu achten.24 Aus diesem Grund ist im Völkerrecht die Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates verboten.25 Dies ist im Grundsatz auch unbestritten. 19 Jescheck, IRuD 1956, 77 f.; Neumann, FS Müller-Dietz, S. 602 ff.; Oehler, FS Grützner, S. 110 ff. und Internationales Strafrecht, Rn. 111; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 92; Schnorr von Carolsfeld, FS von der Heydte, S. 577 ff. Im Grundsatz auch F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81. Siehe auch H. Mayer, der allerdings die Geltung deutscher Verhaltensnormen und die Bestrafung des Ungehorsams als Souveränitätsverletzung ansieht, JZ 1952, 610; Schorn, JR 1964, 206. 20 Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 5; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 14; Pottmeyer, NStZ 1992, 58; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 89; Ziegenhain, RIW 1993, 898. Siehe auch BGH, Beschl. v. 26.03.2009, BGHSt 53, 238, 253 f. 21 Kienle, Straftaten im Internet, S. 143 ff.; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 103 f. Ablehnend Rudolf, S. 19 ff. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. 22 T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 510. 23 T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 522. 24 Vgl. Hailbronner/Kau in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 83; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 103; T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 522. 25 BGH, Beschl. v. 26.03.2009, BGHSt 53, 238, 253 f.; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 12; Hailbronner/Kau in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 83; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 9; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 15 ff.; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 77; Poenig, Haftung des Link-
B. Völkerrechtliche Perspektive
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Die Gegner der weltweiten Geltung von Verhaltensnormen weisen darauf hin, dass die Annahme einer grundsätzlich unbegrenzten Geltung von Verhaltensnormen dazu führen würde, dass jeder verpflichtet wäre, die deutschen Verhaltensnormen zu beachten.26 Schon das Aufstellen von weltweit zu beachtenden Verhaltensanforderungen stellt jedoch eine Beeinträchtigung der Gebiets- und Personalhoheit anderer Staaten dar.27 Daraus kann gefolgert werden, dass die weltweite Geltung von Verhaltensnormen eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten darstellen würde.28 Dagegen ließe sich allenfalls einwenden, dass eine Verhaltensnorm, deren Verletzung von keiner Sanktion bedroht sei, keine Einwirkung auf fremdes Staatsgebiet und damit keine Beeinträchtigung der Souveränität anderer Staaten sei.29 Eine solche Argumentation verkennt jedoch die Funktion der Verhaltensnormen als Bestimmungsnorm. Mit Hilfe der Verhaltensnormen soll die Verletzung von Rechtsgütern verhindert werden. Gelten jedoch verschiedene Verhaltensnormen, so kann der Adressat nicht erkennen, an welcher Verhaltensnorm er sich orientieren muss. Dies ist besonders deutlich in Fällen widersprüchlicher Verhaltensnormen. Jedoch wird der Adressat auch bei kleineren Abweichungen unsicher sein, welcher Norm er zu folgen hat. Gelten mehrere verschiedene Verhaltensnormen, so kann der Adressat der einen nur auf Kosten der anderen folgen. Hinzu kommt, dass die aus der Verschiedenheit der Verhaltensnormen resultierende Verwirrung das Risiko rechtswidrigen Verhaltens des Adressaten – aus Sicht einer oder mehrerer Normen – erhöht. Daher führt die Konkurrenz mehrerer Verhaltensnormen zu einer Entkräftung der einzelnen Normen und stellt aus diesem Grund auch eine Beeinträchtigung der Regelungshoheit der entsprechenden Staaten dar. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die weltweite Geltung von Verhaltensnormen einen Eingriff in die Souveränität der Staaten darstellt. Aus dem Souveränitätsgrundsatz ergeben sich daher nicht nur Grenzen für die Geltung der Strafsanktionsnormen, sondern auch der Verhaltensnormen. anbieters, S. 193; Pottmeyer, NStZ 1992, 58; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 58 f.; T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 631 ff.; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 74 ff.; Ziegenhain, RIW 1993, 898. 26 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 92. 27 Jescheck, IRuD 1956, 84; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 78; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 92; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 80. Siehe auch Pottmeyer, NStZ 1992, 58. Vgl. auch Hoffmann, S. 245 f. in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen. 28 So Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 81; Neumann, FS MüllerDietz, S. 603; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 78; Velten, FS Rudolphi, S. 341. Siehe auch Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 221. 29 So die ältere Literatur, siehe die Nachweise bei F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81. Zu diesem Problem ausführlich Wang, Der universale Strafanspruch, S. 76 ff.
172
Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
2. Rechtfertigung Dieser Eingriff könnte jedoch gerechtfertigt sein. Aus dem Souveränitätsgrundsatz folgt nämlich auch das Recht des Staates, Einwirkungen auf sein Territorium zu verbieten und seine Angehörigen zu schützen.30 Dies erfordert häufig die Geltung der eigenen Verhaltensnormen über die territorialen Grenzen des Staates hinaus. Dass die Verhaltensnormen eines Staates daher auch außerhalb des Staatsgebietes Bindungswirkung haben können, wird – zumindest aus Sicht des Völkerrechts – nicht bestritten.31 Eine Rechtfertigung des Eingriffs in die Souveränität anderer Staaten ist daher grundsätzlich möglich. Zu diesem Zweck müssen die Souveränitätsrechte beider Staaten gegeneinander abgewogen werden.32 In welchen Grenzen das Völkerrecht die Geltung von Verhaltensnormen gestattet, ist jedoch weniger klar. Darauf wird später noch eingegangen werden.33 Jedenfalls wird irgendein Bezug des zu regelnden Sachverhaltes zu dem Staat, dessen Verhaltensnormen gelten sollen, verlangt werden können.34 Eine Orientierung bieten die Prinzipien des Internationalen Strafrechts.35 Ein Verstoß gegen den Souveränitätsgrundsatz wird daher „[. . .] wohl immer dann vorliegen, wenn die Anknüpfung aufgrund der völkerrechtlich anerkannten Prinzipien lediglich zufällig und willkürlich erscheint [. . .]“ 36.37 Die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen bedeutet, dass die deutschen Verhaltensnormen auch in Fällen gelten, die keinen Bezug zur deutschen Rechtsordnung aufweisen.38 Ohne einen solchen Bezug lässt sich der Eingriff in die Souveränität anderer Staaten, etwa der 30
Siehe Wengler, IRuD 1972, 263 ff. So auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 80; Jescheck, IRuD 1956, 77; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 79 f.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 87 f.; Ziegenhain, RIW 1993, 898; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 294 f. 32 Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 9; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 79 ff.; Ziegenhain, RIW 1993, 899. 33 Siehe unten Kap. 9 B., S. 205 ff. 34 Siehe die in Fn. 403, S. 152, genannten. Vgl. auch die Übersicht bei F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81 f. 35 BGH, Beschl. v. 26.03.2009, BGHSt 53, 238, 254; Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 7; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 11; Kienle, Straftaten im Internet, S. 144; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, S. 13; Pottmeyer, NStZ 1992, 59. Vgl. auch Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 104 ff. Kritisch jedoch Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 60 f. Siehe generell zu den Prinzipien oben Kap. 6 B. V. 1., S. 113 ff. Wilhelmi weist allerdings darauf hin, dass diese Prinzipien nicht ohne weiteres auf zivilrechtliche Sachverhalte übertragen werden dürfen, Weltrechtsprinzip, S. 237 f. 36 Kienle, Straftaten im Internet, S. 145 f. 37 Siehe zu dem Willkürkriterium auch Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 241 ff. 38 Siehe oben Kap. 6 A., S. 92 ff. 31
B. Völkerrechtliche Perspektive
173
des Tatortstaates oder des Staates, dem der Täter angehört, nicht rechtfertigen.39 Folglich stellt die Geltung deutscher Verhaltensnormen in diesen Fällen eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten des fremden Staates dar.40 Demzufolge verbietet der Souveränitätsgrundsatz die weltweite Geltung innerstaatlicher Verhaltensnormen.
II. Art. 3 EMRK Diskutiert wird des Weiteren, ob die weltweite Erstreckung der Verhaltensnormen gegen Art. 3 EMRK verstößt.41 Die sog. Europäische Menschenrechtskonvention42 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde und daher für diese verbindlich ist. Allerdings steht Völkerrecht grundsätzlich auf der Stufe eines einfachen Gesetzes. Nur die in Art. 25 GG angeführten allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind im deutschen Recht mit Verfassungsrang ausgestattet. Bei dem Folterverbot des Art. 3 EMRK wird jedoch davon ausgegangen werden können, dass dieses einen allgemeinen Völkerrechtsgrundsatz oder Völkergewohnheitsrecht darstellt.43 Art. 3 EMRK verbietet neben Folter auch unmenschliche oder erniedrigende Strafe. Damit ist Art. 3 EMRK Ausprägung der Menschenwürde. Ziegenhain argumentiert, es sei menschenunwürdig, wenn der Einzelne einem unlösbaren Normenkonflikt ausgesetzt sei.44 Dies komme zumindest dann in Betracht, wenn eine Bestrafung unabhängig vom Recht des Tatortes stattfinden würde.45 Schorn sieht hingegen eine menschenunwürdige Behandlung darin, dass der Angeklagte zwei Strafverfahren über sich ergehen lassen muss, die ihn belasten.46 Er sieht also die mit dem zweifachen Verfahren verbundene Aufregung und Demütigung als Erniedrigung im Sinne des Art. 3 EMRK an. Die Frage, ob Art. 3 EMRK der Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen entgegensteht, lässt sich nur bejahen, wenn der Ansicht Ziegenhains gefolgt wird. Die weltweite Geltung von Verhaltensnormen führt für sich genom-
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Vgl. Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 268. Böse, FS Maiwald, S. 63 f. Vgl. auch Herdegen, ZaöRV 47 (1987), 235. 41 So Schorn, JR 1964, 206; Ziegenhain, RIW 1993, 904. In Bezug auf Strafgewalt Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 292 ff. 42 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11. 1950, in Deutschland in Kraft durch das Gesetz über die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 07.08.1952, BGBl. 1952 II, S. 685. 43 Näher dazu Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 293 f. So auch Schorn, JR 1964, 206. 44 Ziegenhain, RIW 1993, 904. 45 Ziegenhain, RIW 1993, 904. 46 Schorn, JR 1964, 206. 40
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
men gerade nicht zur Doppelbestrafung,47 so dass die von Schorn angeführte erniedrigende Wirkung in dieser Konstellation nicht eintreten kann.48 Es stellt sich daher nur die Frage, ob die Tatsache eines Normenkonflikts für sich genommen bereits unmenschlich oder erniedrigend ist. Art. 3 EMRK verbietet einen der schwerwiegendsten Verstöße gegen die Menschenrechte, nämlich die Folter. Aus der Tatsache, dass unmenschliche und erniedrigende Behandlung in demselben Satz wie Folter genannt werden, lässt sich schließen, dass auch damit besonders schwerwiegende Verstöße gemeint sind.49 Eine solche Schwere erreicht die Existenz eines Normenkonflikts jedoch nicht. Solange keine Reaktion in Form einer Bestrafung erfolgt, ist ein Normenkonflikt in tatsächlicher Hinsicht wenig belastend. Im Gegensatz dazu ist Folter von Beginn an ein massiver Eingriff in die physische oder psychische Integrität. Selbst wenn ein Normenkonflikt zu einer doppelten Bestrafung führen würde, ist dies nicht zwangsläufig als erniedrigend oder unmenschlich anzusehen. Auch das lässt sich nicht pauschal für jede Form der Bestrafung bejahen.50 Jedenfalls wenn der Normenkonflikt keine Auswirkungen hat, kann eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch den Konflikt nicht angenommen werden. Die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen verstößt daher nicht gegen Art. 3 EMRK.
C. Staatsrechtliche Perspektive Neben der Überlegung, dass die Annahme eines weltweiten Geltungsbereichs von Verhaltensnormen einen Eingriff in die Souveränität anderer Staaten bedeuten würde, gibt es auch die Möglichkeit einer Begrenzung des Staates durch sein eigenes Recht. Solche staatsrechtlichen Grenzen können sich insbesondere aus der Verfassung ergeben. Aus dem Grundgesetz lassen sich zwei Arten von staatsrechtlichen Schranken ablesen: solche, die aus dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger resultieren, und solche, die sich aus sonstigen Gründen ergeben. Nur letztere sollen unter dem Punkt „staatsrechtliche Perspektive“ behandelt werden, auf die anderen wird hingegen später eingegangen werden.51
47
Siehe Kap. 7 A. II., S. 168. Im Übrigen dürften solche Fälle wohl nicht unter das Folterverbot des Art. 3 EMRK fallen, sondern von dem Ne-bis-in-idem-Grundsatz in Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK erfasst werden, das Deutschland allerdings bislang nicht ratifiziert hat. 49 Siehe auch Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 294. 50 So auch Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 294 f. 51 Dies entspricht der Einteilung von F.-C. Schroeder in staatsrechtliche und rechtsstaatliche Schranken, NJW 1969, 83. 48
C. Staatsrechtliche Perspektive
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I. Art. 23 GG a. F. In der älteren Literatur finden sich im Zusammenhang mit der Frage nach der weltweiten Geltung von Verhaltensnormen gelegentlich Verweise auf Art. 23 GG a. F.52 In seiner früheren Fassung enthielt Art. 23 GG a. F. eine Aufzählung der Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung und postulierte die Geltung des Grundgesetzes nur für diese Staaten. Nach der Wiedervereinigung wurde die Regelung aufgehoben.53 Die Gedanken, die hinter der Überlegung stehen, aus Art. 23 GG a. F. Grenzen der Verhaltensnormen zu ziehen, hat Böckenförde ausgeführt. Er folgerte aus der beschränkten Geltung des Grundgesetzes in Art. 23 GG a. F., dass die Bundesrepublik Deutschland nur im Gebiet ihrer Bundesländer Hoheitsgewalt ausüben dürfe.54 Dementsprechend sah er die Staatsgewalt auf das Gebiet und die Angehörigen der Bundesrepublik Deutschland beschränkt und forderte, diese Auslegung im Rahmen der §§ 3 ff. StGB zu Grunde zu legen.55 Dabei ging es ihm darum, die sog. Identitätstheorie abzulehnen, nach der „Deutschland“ das Gebiet der Bundesrepublik sowie der Deutschen Demokratischen Republik und „Deutsche“ sowohl Bürger der Bundesrepublik als auch der Deutschen Demokratischen Republik sein sollten.56 Die Deutsche Demokratische Republik durfte daher nach Ansicht Böckenfördes im Sinne der §§ 3 ff. StGB nicht als Inland angesehen werden.57 Auf heutige Verhältnisse übertragen folgt aus Böckenfördes Überlegungen, dass der vereinte deutsche Staat die Hoheitsgewalt über das deutsche Staatsgebiet und die deutschen Staatsangehörigen hat.58 Dies entspricht der mittlerweile in der Präambel des Grundgesetzes enthaltenen Aussage, das Grundgesetz gelte „für das gesamte Deutsche Volk“. Da Böckenförde jedoch nur von der „Hoheitsgewalt der Gerichte“ 59 spricht, lassen sich seine Ausführungen nicht auf Verhaltensnormen übertragen. Sie können allenfalls Sanktionsnormen betreffen.60 Ar52 Krey, Strafanwendungsrecht, S. 28; Rudolf, S. 12 ff. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 83; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 146 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 68. 53 Art. 4 Nr. 2 Einigungsvertrag vom 31.08.1990 (BGBl. 1990 II, S. 889). 54 Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 96; ders., Königsteiner Kreis 1967, 89. 55 Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 96. Ebenso Doehring, Der Staat 1965, 264 ff. 56 Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 96. Siehe auch ders., FS Schmitt, Bd. 2, S. 423 ff. Zu den Konsequenzen für das Strafrecht Doehring, Der Staat 1965, 259 ff. 57 Böckenförde, Königsteiner Kreis 1967, 90. Auch Rudolf bezieht Art. 23 GG a. F. richtigerweise auf den Inlandsbegriff, S. 13 f. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. 58 Siehe dazu oben Kap. 6 E., S. 158. 59 Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 96. 60 So auch F.-C. Schroeder, NJW 1969, 83; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 68.
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
gumente gegen die weltweite Geltung von Verhaltensnormen können seinen Ausführungen hingegen nicht entnommen werden.61
II. Die Aufgabe des Staates Überzeugender ist der Ansatz, die Begrenzung der Verhaltensnormen aus der Aufgabe des Strafrechts herzuleiten.62 Das Strafrecht soll bestimmte Rechtsgüter vor Angriffen durch andere Personen schützen.63 Dies geschieht allerdings nur mittelbar, durch die Sanktion der Verletzung von sich aus Verhaltensnormen ergebenden Verhaltenspflichten.64 Dadurch soll das System der Verhaltensnormen bestätigt werden. Demnach dient das Strafrecht der Wahrung der deutschen Rechtsordnung und dem innerstaatlichen Erhalt des Rechtsfriedens.65 Die Friedenssicherung ist jedoch ganz allgemein Aufgabe des Staates.66 Dementsprechend ist das Strafrecht nur eine Ausprägung der allgemeinen staatlichen Aufgaben, so dass Überlegungen zur Aufgabe des Strafrechts auf die Aufgabe des Staates zurückgeführt werden können. Nun ist die Aufgabe eines Staates jedoch nicht, den Weltfrieden zu sichern, sondern innerhalb seiner Grenzen für Rechtsfrieden zu sorgen.67 Dies folgt notwendig aus der territorialen Begrenzung des Staates.68 Aus diesem Grund ist der in der Präambel des Grundgesetzes postulierte Wille, dem Frieden der Welt zu dienen, eher als Wunsch denn als Staatszielbestimmung zu verstehen. Tatsächlich kann der deutsche Staat, auch als „gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa“ 69, nicht den Weltfrieden garantieren, weil er seine Hoheitsgewalt nicht weltweit ausüben kann. Dementsprechend dienen alle staatlichen Regelungen letztendlich dem Zweck, die Rechtsordnung des Staates zu erhalten und zu schützen.70 Daraus erklärt sich auch, dass die Besonderheiten anderer Rechtsordnungen in den allermeisten staatlichen Regeln nicht berücksichtigt werden.71 61
Ablehnend auch Forkel, Umweltbelastungen, S. 28; Rudolf, S. 12 ff. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 288 f.; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 146 ff. 62 Vgl. Oehler, FS Grützner, S. 112 f. und Internationales Strafrecht, Rn. 115; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 35 ff. 63 Oehler, FS Grützner, S. 112 und Internationales Strafrecht, Rn. 115. 64 Arm. Kaufmann, Aufgabe des Strafrechts, S. 20. Siehe auch Deiters, Legalitätsprinzip, S. 61 ff. 65 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 92. 66 Arm. Kaufmann, Aufgabe des Strafrechts, S. 5. 67 Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 56. 68 Siehe hierzu auch Deiters, Legalitätsprinzip, S. 98 ff. 69 Präambel zum Grundgesetz. 70 Vgl. Oehler, FS Grützner, S. 112 und Internationales Strafrecht, Rn. 115; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 92. 71 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 36.
C. Staatsrechtliche Perspektive
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Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen über das hinausgeht, was zur Erfüllung dieser staatlichen Aufgabe notwendig ist.72 Wo die Rechtsordnung eines Staates durch ein Verhalten nicht gefährdet wird, ist eine Bewertung dieses Verhaltens und eine Bestimmung zu rechtmäßigem Verhalten nicht notwendig. Es entspricht daher dem „Gebot weiser Selbstbeschränkung“ 73 bzw. zeigt „Einsicht“ 74, wenn der Staat auf die weltweite Geltung seiner Verhaltensnormen verzichtet. Im Ergebnis lässt sich folglich festhalten, dass ein vernünftiger Staat seine Normen nur so weit erstreckt, wie es zur Erfüllung seiner staatlichen Aufgabe notwendig ist. Es ist daher davon auszugehen, dass dies auch für die Bundesrepublik Deutschland gilt. Hinzu kommt, dass die Zuständigkeit des Staates zum Schutz der Rechtsordnung fremder Staaten fraglich ist. Aus der beschränkten Befriedungsfunktion der Rechtsordnung folgt demnach die grundsätzliche Begrenzung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen.
III. Das Demokratieprinzip Ein weiterer Einwand gegen die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen ist, dass einer solchen Verhaltensnorm die demokratische Legitimation fehlen würde. Dieser Einwand ist auf Böckenförde75 zurückzuführen und wurde von F.-C. Schroeder76 und jüngst K. Günther77 und Bremer78 aufgegriffen. Das Demokratieprinzip ist in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankert. Danach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Daraus folgt u. a., dass Gesetze demokratisch legitimiert sein müssen. Dies gilt gerade auch für Strafnormen. F.-C. Schroeder weist darauf hin, dass Ausländer keine Möglichkeit hätten, an der Schaffung von Strafvorschriften mitzuwirken, und folgert daraus, dass diese Normen ihnen gegenüber nicht legitimiert seien.79 Diese Argumentation lässt sich grundsätzlich auch auf Verhaltensnormen übertragen, die, soweit sie mit Strafe sanktioniert werden können, samt und sonders geschriebenem Recht entstammen.
72
So auch Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 96 ff. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 86. 74 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 38. 75 Böckenförde, FS Schmitt, Bd. 2 S. 428. Siehe schon Böckenförde, Königsteiner Kreis 1967, 89 ff. 76 F.-C. Schroeder, NJW 1969, 85. 77 K. Günther, Schuld, S. 245 ff. 78 Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 226. 79 F.-C. Schroeder, NJW 1969, 85. Ihm folgt Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 226. 73
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
Es lässt sich in der Tat nicht leugnen, dass Ausländer keinen rechtlichen80 Einfluss auf deutsche Verhaltensnormen haben.81 Die Konsequenz wäre das „[. . .] Zurückweichen des Strafgesetzes gegenüber Tätern, die von der demokratischen Mitwirkung bei seinem Zustandekommen ausgeschlossen sind [. . .]“ 82. Im Umkehrschluss soll hingegen der Schutz der Demokratie in weitem Umfang die Verhängung von Sanktionen auch gegen ausländische Täter rechtfertigen können.83 Eine strafrechtliche Verpflichtung von Ausländern ist jedoch nach dieser Ansicht mangels demokratischer Legitimation nicht möglich. Fraglich ist jedoch, ob nach dieser Ansicht auch die Verpflichtung von Ausländern durch Verhaltensnormen unzulässig ist. In diese Richtung deuten die Ausführungen F.-C. Schroeders, der sich auf die primäre Norm bezieht.84 Dagegen beschränkt Böckenförde seine Fragestellung auf die Befugnis zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit.85 Seiner Ansicht nach ist die Hoheitsgewalt des Staates auf seinen Hoheitsbereich beschränkt, so dass Staatsgewalt nur gegenüber Staatsangehörigen und im Staatsterritorium geübt werden darf.86 Indem Böckenförde jedoch Strafgewalt und Strafgerichtsbarkeit gleichsetzt, wird deutlich, dass er seine Ausführungen auf Sanktionen bezieht.87 Eine ähnliche Ansicht vertritt K. Günther, der eine Korrespondenz zwischen der Möglichkeit der Teilnahme am demokratischen Verfahren und der Normbefolgungspflicht sieht. Er bezieht seine Ausführungen auf die Schuld.88 Nur unter bestimmten Voraussetzungen könne dem Täter die Verletzung der Norm vorgehalten werden.89 Diese Voraussetzungen sind die Möglichkeit der kritischen Stellungnahme zu eigenen und fremden Äußerungen und Handlungen, die durch die Teilnahmemöglichkeit an demokratischen Verfahren ausgedrückt wird.90 Nach Ansicht K. Günthers ist daher nur der strafrechtliche Vorwurf an die Pflichtenstellung des Staatsbürgers gekoppelt. Demzufolge wird auch nur die Sanktionsnorm durch demokratische Verfahren begrenzt, nicht jedoch die Verhaltensnorm.
80 In tatsächlicher Hinsicht können Ausländer beträchtlichen Einfluss haben, z. B. als Lobbyisten. Das hat aber nichts mit dem Demokratieprinzip zu tun. 81 So auch Wang, Der universale Strafanspruch, S. 110. 82 F.-C. Schroeder, NJW 1969, 85. 83 F.-C. Schroeder, NJW 1969, 85. 84 F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81 ff. 85 Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 95. 86 Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 96. 87 Vgl. auch Böckenförde, Königsteiner Kreis 1967, 90. 88 K. Günther, Schuld, S. 253 ff. 89 K. Günther, Schuld, S. 255. 90 K. Günther, Schuld, S. 245 ff.
C. Staatsrechtliche Perspektive
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Auch Pawlik lehnt die strafrechtliche Verpflichtung von Ausländern im Grundsatz ab, wenn auch aus anderen Gründen.91 Dabei stützt er sich auf den Grundsatz der Reziprozität von Pflicht und Schutz.92 Allerdings schließt dies seiner Ansicht nach ebenfalls nur die Strafsanktionsnorm aus, betrifft also nicht die Geltung der Verhaltensnormen.93 Auch nach Ansicht Pawliks ist dieses Argument daher nicht auf Verhaltensnormen übertragbar. Im Zusammenhang mit der Regelung des Strafrechts durch die Europäische Union vertritt auch Schünemann, dass „[. . .] das demokratische Prinzip dem Bürger garantiert, dass er grundsätzlich nur nach denjenigen Strafgesetzen als Feind der Gesellschaft eingesperrt wird, an deren Entstehung er als Aktivbürger selbst mitwirken konnte [. . .]“ 94. Die Strafgesetze, nach denen jemand eingesperrt wird, sind jedoch die Strafsanktionsnormen. Schünemanns Aussage bezieht sich daher gleichfalls nicht auf Verhaltensnormen. Nach Oehler wiederum sollen Mängel der demokratischen Legitimation bei Ausländern durch den Gedanken der Souveränität ausgeglichen werden.95 Seiner Ansicht nach ergeben sich daher letztendlich gar keine Schranken aus dem Demokratieprinzip. Wang zufolge ist das Problem kein innerstaatliches, sondern ein völkerrechtliches.96 Auch er hält demnach das Demokratieprinzip im Ergebnis nicht für einschlägig. Der Blick auf die einschlägige Literatur zeigt folglich, dass die allermeisten, die die demokratische Legitimation des Strafrechts gegenüber Ausländern anzweifeln, dies auf die Strafsanktionsnorm beziehen. Einzig F.-C. Schroeder scheint anderer Ansicht zu sein, ohne allerdings die praktischen Konsequenzen dieser Ansicht zu erörtern.97 Wird nämlich die demokratische Legitimation der Verhaltensnormen durch die Adressaten verlangt, dürfte konsequenterweise ausschließlich das Verhalten Deutscher gesteuert werden.98 Alle nicht wahlberechtigten Ausländer müssten demnach die deutschen Verhaltensnormen nicht beachten, auch wenn sie sich auf deutschem Staatsgebiet befänden. Das gleiche würde für noch nicht wahlberechtigte deutsche Jugendliche gelten.99 Damit würde die 91 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 374 und ZIS 2006, 284. Nach Ansicht von Pawlik ist nicht die demokratische Legitimation, sondern die faktische Unterworfenheit unter eine Rechtsordnung entscheidend, FS F.-C. Schroeder, S. 374 Fn. 86 und ZIS 2006, 284 Fn. 86. 92 Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 374 und ZIS 2006, 284. Ebenso Böckenförde, Rechtsauffassung, S. 98 f.; K. Günther, Schuld, S. 248 ff. 93 Siehe oben Kap. 6 B. IV. 2. d) aa) (3), S. 133 f. 94 Schünemann, ZRP 2003, 188. Hierzu Deiters, ZRP 2003, 359 ff. 95 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 157 ff. 96 Wang, Der universale Strafanspruch, S. 111. 97 Siehe F.-C. Schroeder, NJW 1969, 85. 98 Siehe auch Deiters, Legalitätsprinzip, S. 100. 99 Vgl. auch Deiters, ZRP 2003, 360.
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
Gebietshoheit als Ausprägung des völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatzes unterlaufen. Zu Recht weist Forkel darauf hin, dass ein Staat seinen Schutz nicht von denen abhängig machen kann, gegen die er sich schützen will.100 Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Beschränkung der staatlichen Verhaltensnormen auf Staatsangehörige von niemandem vertreten wird.101 Im Übrigen beruht der Gedanke, ein Staat könne nur das Verhalten seiner Angehörigen steuern, auf einer falschen Interpretation des Demokratieprinzips. Selbst wenn die Schaffung von Verhaltensnormen als Ausübung von Staatsgewalt angesehen wird, was auf Grund deren zwanglosen Charakters zumindest begründungsbedürftig ist, folgt aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nur, dass diese Verhaltensnormen auf das Volk zurückgeführt werden können müssen.102 Mit „Volk“ ist jedoch nach herrschender Ansicht das deutsche Volk gemeint, d.h. alle Staatsangehörigen.103 Die Gegenposition versteht darunter die Bevölkerung des Staatsterritoriums.104 Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass ein im Ausland lebender Ausländer nicht Teil des Volkes im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ist. Demnach verlangt Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG auch keine Legitimation der deutschen Staatsgewalt durch solche Ausländer. Das Demokratieprinzip verbietet es somit nicht, das Verhalten fremder Staatsangehöriger zu regeln, sondern besagt nur, dass auch solche Regelungen auf das Staatsvolk zurückgeführt werden müssen. Folglich lassen sich aus dem Demokratieprinzip keine Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen ableiten.105
D. Individualschutzrechtliche Perspektive Weitere Einwände gegen die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen ergeben sich im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem Individuum und dem Staat.
I. Die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit des Verhaltens Ein Einwand gegen die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen wurde zuerst von Germann aufgeworfen. Dieser 100
Forkel, Umweltbelastungen, S. 31. F.-C. Schroeders Ausführungen sind zu vorsichtig formuliert, als dass daraus eine eindeutige Stellungnahme zu erkennen wäre, NJW 1969, 85. 102 Sodan in: Sodan/Ziekow, Öffentliches Recht, § 6 Rn. 2. 103 BVerfG, Urt. v. 31.10.1990, BVerfGE 83, 37, 51. 104 Ausführlich hierzu Hobe, JZ 1994, 191 ff. Siehe auch Bryde, JZ 1989, 257 ff. 105 Eine andere Frage ist die bereits angesprochene, ob das Sanktionsmerkmal der Schuld eine besondere Beziehung zum strafenden Staat voraussetzt. Siehe hierzu Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 357 ff. und ZIS 2006, 274 ff. 101
D. Individualschutzrechtliche Perspektive
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geht von dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Grundsatz „nullum crimen sine lege“ aus und versucht, hieraus rechtsstaatliche Grenzen des Geltungsbereichs des Strafrechts zu entwickeln.106 Aus dem Grundsatz folge auch die Notwendigkeit einer Beschränkung der Strafbarkeit in Zeit und Raum. Der Täter solle daher nicht bestraft werden können, wenn die Tat am Begehungsort nicht strafbar sei, weil „[. . .] das Bewusstsein von Recht und Unrecht und insbesondere des strafbaren Unrechts in erster Linie von der Umwelt abhängt, in welcher man lebt, und jeder verpflichtet werden kann, sich der dort geltenden Rechtsordnung einzufügen [. . .]“ 107. Die Umwelt werde jedoch in der heutigen Zeit territorial bestimmt.108 Aus dem Gesetzlichkeitsprinzip folgt daher laut Germann die Notwendigkeit der Vorhersehbarkeit der Strafe.109 Aus heutiger Perspektive erscheint die Einordnung dieses Aspekts als Unterfall des Gesetzlichkeitsprinzips seltsam. Zwar ist es richtig, dass Art. 103 Abs. 2 GG die Bestimmtheit des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen verlangt und eine rückwirkende Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs genauso verbietet wie die des zeitlichen Geltungsbereichs.110 Germann bezieht sich jedoch auf eine Situation, in der an der Geltung der deutschen Verhaltensnorm unter Gesetzlichkeitsaspekten kein Zweifel besteht. Das Problem besteht vielmehr darin, dass dasselbe Verhalten am Begehungsort erlaubt ist und der Täter daher die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen kann.111 Diese Fragestellung betrifft nach heutigem Verständnis jedoch das Schuldprinzip.112 Das Schuldprinzip besagt, dass der Täter nur dann bestraft werden kann, wenn ihm sein Verhalten zum Vorwurf gemacht werden kann.113 Dies ist der Fall, wenn dem Täter rechtmäßiges Verhalten möglich war. Das setzt jedoch voraus, dass der Täter Kenntnis davon haben konnte, Unrecht zu tun.114 Diese Kenntnis kann fehlen, wenn der Täter „[. . .] die Verbotsnorm nicht kennt oder verkennt [. . .]“ 115. Mittlerweile kommt dieser Grundsatz in § 17 StGB zum Ausdruck, nach dem unvermeidbare Verbotsirrtümer zum Ausschluss der Schuld führen. 106
Germann, SchwZStr 69 (1954), 239 ff. Germann, SchwZStr 69 (1954), 240. 108 Germann, SchwZStr 69 (1954), 240. 109 Germann, SchwZStr 69 (1954), 240 ff. Ebenso Doehring, Der Staat 1965, 268 ff.; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 113. 110 Siehe Germann, SchwZStr 69 (1954), 240 f. 111 Germann, SchwZStr 69 (1954), 240. Doehring spricht daher von einer vergleichbaren Interessenlage, Der Staat 1965, 269. 112 So auch F.-C. Schroeder, NJW 1969, 84. Siehe auch Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 65 f. 113 Allgemeine Ansicht, statt vieler Frister, AT, Kap. 3 Rn. 2. 114 Grundlegend BGH, Beschl. d. Großen Senats für Strafsachen vom 18.03.1952, BGHSt 2, 194, 200 ff. 115 BGH, Beschl. d. Großen Senats für Strafsachen vom 18.03.1952, BGHSt 2, 194, 201. 107
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
Die von Germann aufgezeigte Situation, in der die deutschen Verhaltensnormen verbieten, was am Tatort erlaubt ist, lässt sich daher mit Hilfe des geltenden Rechts lösen. Fehlt dem Täter auf Grund der Erlaubnis am Tatort die Fähigkeit zur Erkenntnis, Unrecht zu tun, kann er gem. § 17 StGB nicht bestraft werden.116 Das Problem liegt vielmehr darin, dass die §§ 3 ff. StGB bei Annahme weltweiter Geltung der Verhaltensnormen unrechtsneutral und daher für die Frage, ob ein Verbotsirrtum vorliegt, irrelevant sind.117 Bezeichnenderweise gleichen Germanns Vorschläge zur Berücksichtigung der rechtsstaatlichen Schranken den Ergebnissen, zu denen man kommt, wenn die §§ 3 ff. StGB als Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen angesehen werden.118 Dementsprechend können die von Germann postulierten rechtsstaatlichen Schranken dadurch berücksichtigt werden, dass die §§ 3 ff. StGB als Regelungen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen angesehen werden. Letztendlich plädiert Germann daher für die Unrechtsrelevanz der §§ 3 ff. StGB. Eine Analogie zu Art. 103 Abs. 2 GG, wie Doehring in diesem Zusammenhang vorgeschlagen hat,119 ist dagegen unnötig. Germanns Argumentation lässt sich daher folgendermaßen zusammenfassen: Das Gesetzlichkeitsprinzip (bzw. aus heutiger Sicht das Schuldprinzip) fordert die Kenntnis der Verwirklichung von Unrecht. Weiß der Täter nicht, dass deutsches Recht gilt, kann er auch nicht danach handeln. Die Verhaltensgebote können daher nur gelten, wenn der Adressat die Möglichkeit hat, deren Geltung zu kennen. Dies ist bei weltweiter Geltung jedoch nicht der Fall. Folglich muss der Geltungsbereich der Verhaltensnormen begrenzt sein. Diese Argumentation scheint auf den ersten Blick überzeugend. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sie vom Ergebnis her geführt wird. Der Täter soll nicht bestraft werden, wenn er nicht wissen konnte, dass sein Verhalten rechtswidrig ist. Weil § 17 StGB den Ausschluss der Strafbarkeit bei fehlendem Unrechtsbewusstsein nur in engen Grenzen ermöglicht, wird bereits der Geltungsbereich der Verhaltensnormen eingeschränkt. Dieses Ergebnis ist jedoch keinesfalls zwingend.120 Es wäre ebenfalls möglich, durch entsprechende Auslegung des § 17 StGB oder durch Schaffung eines neuen Sanktionsausschlussgrundes zu der gleichen Konsequenz zu kommen. Da die Einschränkung der Sanktionsmöglichkeit für den Täter günstig ist, steht Art. 103 Abs. 2 GG dem nicht entgegen. 116 Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 19.05.1999, BGHSt 45, 97 ff.; Neumann, FS MüllerDietz, S. 592 ff.; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 84 f. 117 Siehe oben Kap. 6 A. III. 1., S. 100 ff. Dazu BGH, Urt. v. 19.05.1999, BGHSt 45, 97 ff. 118 Vgl. Germann, SchwZStr 69 (1954), 242 ff. und Kap. 6 B. IV., S. 113 ff. 119 Doehring, Der Staat 1965, 269 f. 120 Ablehnend auch Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 70. Siehe ebenfalls Wang, Der universale Strafanspruch, S. 118.
D. Individualschutzrechtliche Perspektive
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Die Begrenzung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen ist daher nur ein möglicher Weg, um das von Germann erwünschte Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund bedarf es näherer Begründung, warum gerade dieser Weg zu wählen ist. Bei Germann fehlt eine solche jedoch, so dass sein Argument auf Basis des heute geltenden Rechts nicht durchgreift. Im Ergebnis lässt sich daher allein aus der Unmöglichkeit der Erkennbarkeit der Verhaltensnorm kein Argument gegen die weltweite Geltung von Verhaltensnormen bilden.121
II. Schaffung von Normenkollisionen Es wurde bereits festgestellt, dass die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen der deutschen Rechtsordnung logischerweise bedeuten muss, dass auch die Verhaltensnormen anderer Rechtsordnungen einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben.122 Die Folge davon wäre, dass stets die Verhaltensnormen aller denkbaren Rechtsordnungen gelten würden. Als Konsequenz würde eine Unzahl von Normenkollisionen auftreten. Letztendlich kann dadurch die missliche Lage entstehen, dass der Täter einerseits zur Handlung, andererseits zum Unterlassen verpflichtet ist. Mögen diese Fälle auch nur selten auftreten,123 so vermag Bindings lapidare Aussage, im Falle einer Normenkollision gebe es „[. . .] eine Ursache des Notstandes mehr auf der Welt [. . .]“ 124, nicht zu überzeugen. Denn § 34 StGB setzt eine Gefahr für Rechtsgüter voraus. Die Gefahr der Verletzung von Verhaltenspflichten anderer Staaten stellt daher keine Notstandslage dar.125 Das gleiche Problem tritt beim entschuldigenden Notstand gem. § 35 StGB auf. Daher wird im Regelfall nur ein Rückgriff auf gesetzlich nicht geregelte Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe möglich sein.126 Ob und inwieweit solche ungeregelten Gründe für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit oder der Sanktionierbarkeit eines Verhaltens existieren, ist jedoch für den einzelnen nicht leicht erkennbar. Dies führt zu der Frage, ob der Staat verpflichtet ist, eindeutige Regelungen zur Lösung von Kollisionen zu entwickeln. Innerhalb der eigenen Rechtsordnung wird dies auf Grund des Gedankens der Einheit der Rechtsordnung bejaht werden müssen. Ob eine darüber hinausgehende Pflicht, Kollisionen mit anderen Rechtsordnungen zu vermeiden, existiert, ist hingegen zweifelhaft.127 121 Ebenso Forkel, Umweltbelastungen, S. 29. Auch nach Wang liegt kein unmittelbarer Verstoß vor, Der universale Strafanspruch, S. 114. 122 Siehe oben Kap. 6 A. III. 2., S. 98 ff. 123 So z. B. Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 376; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 84 f. 124 Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 376 Fn. 17. 125 Vgl. F.-C. Schroeder zum entschuldigenden Notstand, NJW 1969, 84. 126 Siehe hierzu Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 70 ff. 127 Ohler hält dies für eine Überforderung des Gesetzgebers, Kollisionsordnung, S. 348.
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
Selbst bei Bejahung einer solchen Pflicht stellt dies jedoch kein Problem des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen dar. Denn unter dem Aspekt der Vermeidung von Normenkollisionen ist ein unbegrenzter räumlicher Geltungsbereich von Verhaltensnormen nicht zu beanstanden, sofern eindeutige Regeln existieren, welcher Verhaltensnorm der Vorzug gebührt. Letztendlich entstehen Normenkollisionen im Sinne von widerstreitenden Verpflichtungen nur unter zwei Voraussetzungen: bei sich überschneidenden Geltungsbereichen der Verhaltensnormen und gleichzeitigem Fehlen von Kollisionsregeln. Daher kann die Tatsache, dass Verhaltensnormen weltweit gelten, für sich genommen nicht als Auslöser von Normenkollisionen angesehen werden. Auch dieser Einwand greift daher im Ergebnis nicht durch.
III. Art. 2 Abs. 1 GG Zudem könnte sich ein Einwand gegen die weltweite Geltung von Verhaltensnormen aus Art. 2 Abs. 1 GG ergeben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber speziellen Freiheitsrechten zurücktritt.128 Wenn z. B. eine Verhaltensnorm das Betreten einer Kirche verbieten würde, wäre zwar auch Art. 2 Abs. 1 GG tangiert, primär jedoch Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Die Grundrechtsverletzung würde daher anhand von Art. 4 GG gemessen werden. Der Einfachheit halber soll hier jedoch nur auf den bei allen Verhaltensnormen berührten Art. 2 Abs. 1 GG eingegangen werden.129 1. Schutzbereich Art. 2 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Einzelnen, zu tun und zu lassen, was er will.130 Dies wird als „allgemeine Handlungsfreiheit“ bezeichnet, obwohl der Begriff „allgemeine Verhaltensfreiheit“ akkurater ist.131 Dies gilt, wie sich aus dem Wort „jeder“ ergibt, für In- und Ausländer gleichermaßen. Die Verhaltensnorm ver- oder gebietet jedoch bestimmte Verhaltensweisen. Der sachliche und persönliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG ist daher durch jede Verhaltensnorm berührt.
128 Epping, Grundrechte, Rn. 567 ff.; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 2; Kunig in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, Art. 2 Rn. 12; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 387. 129 So auch Lagodny, Schranken, S. 90. 130 Siehe nur Epping, Grundrechte, Rn. 536; Kunig in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, Art. 2 Rn. 12; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 386; Sachs, Grundrechte, Kap. B 2 Rn. 3 ff. Diese weite Auslegung ist absolut herrschend und soll daher hier nicht hinterfragt werden. Krit. aber Duttge, NJW 1997, 3353 ff. mit Erwiderung Lindner, NJW 1998, 1208 und Schnapp, NJW 1996, 960. 131 Sachs, Grundrechte, Kap. B 2 Rn. 5.
D. Individualschutzrechtliche Perspektive
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Fraglich ist, ob auch der räumliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG betroffen ist. Dahinter steckt die grundsätzliche Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich der Grundrechte, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.132 Der Einfachheit halber wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Grundrechte jedenfalls überall dort gelten, wo ein Handeln der deutschen Staatsgewalt Wirkungen zeigt.133 Dies ist, wie sogleich zu zeigen sein wird, bei weltweiter Geltung von Verhaltensnormen auch weltweit der Fall. 2. Eingriff Fraglich ist allerdings, ob die weltweite Geltung von Verhaltensnormen einen Eingriff in diesen Schutzbereich darstellt. Wann dies der Fall ist, ist umstritten. a) Der klassische Eingriffsbegriff Nach dem sog. klassischen Eingriffsbegriff liegt ein Grundrechtseingriff dann vor, wenn eine staatliche Maßnahme final und unmittelbar wirkt, rechtliche Wirkung hat und mit Zwang durchgesetzt werden kann.134 Verhaltensnormen sind wie alle Rechtsnormen staatliche Maßnahmen im Sinne der Grundrechtslehre. Die ersten drei Kriterien sind bei Verhaltensnormen ebenfalls erfüllt: Diese bezwecken die Beeinträchtigung der Verhaltensfreiheit (Finalität), wirken in aller Regel unmittelbar und haben mit der Bewertung des Verhaltens als rechtswidrig auch unmittelbare Folgen.135 Allerdings gilt eine Verhaltensnorm mit unbegrenztem räumlichen Geltungsbereich auch für Sachverhalte, die von keiner deutschen Sanktionsnorm erfasst werden. In einem solchen Fall wäre das Verhalten zwar nach deutschem Recht verboten, das Verbot könnte jedoch nicht mit Zwang durchgesetzt werden. Dies sind genau die Fälle, die als problematisch angesehen werden müssen. In einem solchen Fall fehlt der Verhaltensnorm jedoch die Durchsetzbarkeit mit Zwangsmitteln und damit die Imperativität. Verhaltensnormen stellen daher keinen klassischen Eingriff dar. b) Der moderne Eingriffsbegriff Der klassische Eingriffsbegriff wird jedoch allgemein als zu eng abgelehnt und ist durch den sog. modernen Eingriffsbegriff ersetzt worden. Dabei wenden sich die Argumente u. a. gegen das Kriterium der Imperativität, das an dieser Stelle
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Siehe hierzu ausführlich Ohler, Kollisionsordnung, S. 277 ff. Ohler, Kollisionsordnung, S. 286 m.w. N. 134 BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002, BVerfGE 105, 279, 300. 135 Vgl. zum Eingriffsbegriff Epping, Grundrechte, Rn. 378; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 251 ff. 133
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
als einziges relevant ist. Würden die Grundrechte nur vor mit Zwang bewehrten Maßnahmen schützen, wäre der Einflussbereich der Grundrechte gering. Die dem Staat zuzurechnende Tötung oder Freiheitsberaubung könnte dann nicht als Grundrechtseingriff angesehen werden.136 Damit wären die Grundrechte jedoch ihres Sinnes beraubt.137 Daher müssen auch nicht-imperative Maßnahmen von den Grundrechten erfasst werden. Nach dem modernen Eingriffsbegriff stellt jede Verkürzung des Schutzbereiches einen Grundrechtseingriff dar.138 Wird diese Eingriffsdefinition im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG zu Grunde gelegt, muss nur überlegt werden, ob die Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig auch dann eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs darstellt, wenn keine Sanktion daran anknüpft. Dies ließe sich mit dem Argument ablehnen, dass die reine Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig keine nennenswerte Beeinträchtigung der Verhaltensfreiheit darstellt, wenn der Einzelne bei rechtswidrigem Verhalten keine Sanktion zu erwarten hat. Eine solche Argumentation greift jedoch zu kurz. Zum einen kann es Situationen geben, in denen Sanktionen u. a. an die Bewertung eines Verhaltens anknüpfen. Beispielsweise setzt der Rechtfertigungsgrund der Notwehr einen rechtswidrigen Angriff voraus.139 Zum anderen sollen Verhaltensnormen auch gerade zu rechtmäßigem Verhalten führen. Dementsprechend ist ein Einfluss der Verhaltensnorm auf den Einzelnen geradezu intendiert. Zielt eine staatliche Maßnahme jedoch genau auf die Beeinträchtigung des Schutzbereichs eines Grundrechts ab, so muss sie sich an diesem Grundrecht messen lassen.140 Nach dem modernen Eingriffsbegriff läge daher durch jede Verhaltensnorm ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG vor.141 c) Stellungnahme Je nachdem, welcher Eingriffsbegriff zu Grunde gelegt wird, führt dies im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG zu unterschiedlichen Ergebnissen. Grundsätzlich wird der klassische Eingriffsbegriff von der Grundrechtslehre als zu eng abgelehnt.142 Dementsprechend gilt bei anderen Grundrechten unstrit-
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Gusy, NJW 2000, 983. Gusy, NJW 2000, 983. 138 Siehe zum modernen Eingriffsbegriff nur Epping, Grundrechte, Rn. 557; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 253. 139 Siehe das Beispiel bei Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht, S. 40. 140 Siehe Epping, Grundrechte, Rn. 383; Gusy, NJW 2000, 983 m.w. N. 141 Davon geht offenbar auch Lagodny aus, der den Eingriff nicht weiter problematisiert, Schranken, S. 85. Vgl. auch Ast, Normentheorie, S. 26; Böse in: NK3, § 6 Rn. 4; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 258; Sachs, Grundrechte, Kap. B 2 Rn. 21. 142 Siehe Epping, Grundrechte, Rn. 379 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 252. 137
D. Individualschutzrechtliche Perspektive
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tig der moderne Eingriffsbegriff. Einzig bei Art. 2 Abs. 1 GG werden Bedenken erhoben: Auf Grund des weiten Schutzbereiches von Art. 2 Abs. 1 GG wäre jedes staatliche Verhalten ein Eingriff, was zu einer starken Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des Staates führen würde.143 Dieser müsste nämlich sein Staatshandeln stets verfassungsrechtlich rechtfertigen können und insbesondere die grundrechtlichen Schranken-Schranken wie den Gesetzesvorbehalt144 beachten.145 Allerdings ist es nicht überzeugend, die Eingriffsdefinition je nach Grundrecht zu verändern. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass teilweise schon eine Begrenzung des Schutzbereiches gefordert wird.146 Dies zeigt sich gerade auch am Beispiel der Verhaltensnormen. Alle Verhaltensnormen sind der Struktur nach gleich, weil alle Verhaltensnormen bestimmte Verhaltensweisen als rechtmäßig bzw. rechtswidrig bewerten. Hat das Verhalten jedoch einen Bezug zu einem spezielleren Grundrecht,147 so gilt unstrittig der moderne Eingriffsbegriff, so dass die Verhaltensnorm einen Grundrechtseingriff darstellen würde. Lässt sich jedoch kein Bezug zu einem spezielleren Grundrecht feststellen, wäre dieselbe Regelung bei Geltung des klassischen Eingriffsbegriffs nicht als Grundrechtseingriff anzusehen. Eine solche Ungleichbehandlung funktional gleicher Regelungen ist jedoch nicht gerechtfertigt. Hinzu kommt, dass die Konsequenzen der Ablehnung eines Grundrechtseingriffs nicht tragbar wären. Dies erklärt sich daraus, dass auch eine nicht mit Sanktionen bedrohte Verhaltensanordnung Auswirkungen auf das Verhalten der Bürger haben kann und auch haben soll. In einer idealen Gesellschaft wären Sanktionen überflüssig, weil jeder die Verhaltensnormen befolgen würde. Auch dann müsste es jedoch möglich sein, die Verhaltensnormen, die der Einzelne zu beachten hat, dahingehend überprüfen zu lassen, ob sie die persönliche Freiheit nicht zu sehr beschränken. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Verhaltensnormen selbst in subjektive Rechte eingreifen. Andernfalls müsste der Adressat der Verhaltensnorm erst seine Verhaltenspflichten verletzen, um eine Sanktion zu provozieren, damit ein Eingriff in seine Grundrechte anzunehmen wäre und er die Möglichkeit hätte, die Verhaltensnorm rechtlich überprüfen zu lassen. Die Verletzung einer Verhaltensnorm ist jedoch gleichbedeutend mit der Verletzung fremder Rechtsgüter. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass der Staat die Verletzung von Rechtsgütern anderer zur Voraussetzung von Rechtsschutz machen will. Dieses Ergebnis wird vermieden, wenn bereits ein Grundrechtseingriff durch die Verhaltensnorm selbst bejaht wird. 143
Hierzu Epping, Grundrechte, Rn. 558; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 402 ff. Siehe im Überblick hierzu Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 263 ff. 145 Siehe als Beispiel für die hiermit verbundenen Probleme BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002, BVerfGE 105, 252 ff. 146 So z. B. Duttge, NJW 1997, 3353 ff. 147 Siehe die Beispiele bei Lagodny, Schranken, S. 89 f. 144
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
Im Ergebnis greifen demnach alle Verhaltensnormen in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG ein und bedürfen daher einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. 3. Rechtfertigung Gem. Art. 2 Abs. 1 GG kann die allgemeine Verhaltensfreiheit durch Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung sowie Sittengesetze eingeschränkt werden. Das Bundesverfassungsgericht versteht unter der verfassungsmäßigen Ordnung „[. . .] die allgemeine Rechtsordnung, die die materiellen und formellen Normen der Verfassung zu beachten hat [. . .]“ 148, d.h. alle verfassungskonformen Rechtsnormen. Damit unterwirft sie Art. 2 Abs. 1 GG einem umfassenden Gesetzesvorbehalt.149 Dies ist notwendige Konsequenz der weiten Schutzbereichsauslegung als allgemeine Verhaltensfreiheit.150 Dementsprechend ist eine Verhaltensnorm dann gerechtfertigt, wenn sie sich aus einem einfachen Gesetz ergibt und keine der Schranken-Schranken eingreift. Bei Verhaltensnormen ist insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip von Bedeutung.151 Danach muss eine staatliche Maßnahme einem legitimen Zweck dienen und zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.152 Wie bereits gesagt, bedeutet die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen, dass diese auch für Sachverhalte gelten, die keinen Bezug zum deutschen Staat haben, und dass sie auch gelten, wenn Verhaltenspflichtverletzungen vom deutschen Staat nicht sanktioniert werden. Dieser Hintergrund ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten. Der Zweck, den Verhaltensnormen verfolgen, ist Rechtsgüterschutz. Die Legitimität dieses Zwecks hängt daher davon ab, welche Rechtsgüter durch die Verhaltensnorm geschützt werden sollen. Bei den allermeisten mit Strafe bewehrten Verhaltensnormen dürfte die Legitimität des durch sie verfolgten Zwecks jedoch gegeben sein.153 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Verhaltensnorm weltweit gilt.154 148
BVerfG, Urt. v. 16.01.1957, BVerfGE 6, 32, 38. Epping, Grundrechte, Rn. 561; Sachs, Grundrechte, Kap. B 2 Rn. 31. 150 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 408. 151 Hierzu ausführlich Lagodny, Schranken, S. 137 ff. Vgl. auch Ast, Normentheorie, S. 26; Ohler, Kollisionsordnung, S. 348 ff. 152 Allgemeine Ansicht, statt vieler Epping, Grundrechte, Rn. 47; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 289 ff.; Sachs, Grundreche, Kap. A 10 Rn. 35. 153 Zweifelhaft ist dies z. B. bei der § 173 StGB zu Grunde liegenden Verhaltensnorm. Siehe aber BVerfG, Beschl. v. 26.02.2008, BVerfGE 120, 224. 154 A. A. Böse, der ein öffentliches Interesse an der weltweiten Geltung von Verhaltensnormen verneint, FS Maiwald, S. 63 f. Zweifelnd auch Böse/Meyer, ZIS 2011, 338 f. 149
D. Individualschutzrechtliche Perspektive
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Allerdings muss die Verhaltensnorm auch geeignet sein, den Zweck zu erreichen, d.h. sie muss der Zweckerreichung dienlich sein.155 Hier wird relevant, was oben bereits erörtert wurde: Die Aufgabe des Staates, Rechtsfrieden zu sichern, wird durch die weltweite Geltung der Verhaltensnormen nicht gefördert. Dies ist jedoch der Gedanke hinter allem Rechtsgüterschutz. Hinzu kommt, dass die Eignung einer sanktionslosen Verhaltensnorm, zu rechtmäßigem Verhalten zu bestimmen, an und für sich schon fraglich ist. Dahinter steckt zum einen die grundsätzliche Fragestellung, ob Recht die Durchsetzbarkeit mittels Zwang bedeutet.156 Zum anderen kann in Fällen, in denen der Sachverhalt keinen Bezug zum deutschen Staat aufweist, nicht davon ausgegangen werden, dass irgendjemand die Verhaltensnorm kennt. Eine unbekannte Verhaltensnorm hat jedoch keine verhaltensbestimmende Wirkung und kann daher keinen Rechtsgüterschutz bewirken.157 Hier wird der Gedanke der Erkennbarkeit wieder relevant: Zwar ist die Nicht-Erkennbarkeit der Verhaltensnorm für den Einzelnen auf Grund der Regelung des § 17 StGB keine unzumutbare Belastung, aber die vorhersehbare Nicht-Erkennbarkeit der Verhaltensnorm sorgt dafür, dass sie sich letztendlich nicht zum Rechtsgüterschutz eignet.158 Demzufolge ist eine Verhaltensnorm mit unbegrenztem räumlichen Geltungsbereich ein unverhältnismäßiger Eingriff in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG.
IV. Art. 3 Abs. 1 GG Die Frage, ob die weltweite Geltung von Verhaltensnormen mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, ist bislang so nicht erörtert worden.159 Das ist angesichts der Tatsache verwunderlich, dass bereits Binding darauf hingewiesen hat, es sei ungerecht, wenn der Adressatenkreis der Verhaltensnorm größer als der der Sanktionsnorm sei.160 Zu Bindings Zeiten gab es allerdings kein den Art. 1– 19 GG vergleichbares Grundsrechtssystem, so dass er naturgemäß keine grundrechtsdogmatischen Überlegungen anstellen konnte. Im Lichte des Bonner Grundgesetzes könnte seine Bemerkung jedoch als Hinweis auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG interpretiert werden. Gem. Art. 3 Abs. 1 GG ist es verboten, „[. . .] 155
BVerfG, Beschl. v. 09.03.1971, BVerfGE 30, 250, 262 f. Siehe dazu Kap. 7 E., S. 192. 157 Siehe auch Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 96. 158 So auch Forkel, Umweltbelastungen, S. 167 f. 159 Siehe aber generell zu grundrechtlichen Schranken der Verhaltensnormen Lagodny, Schranken, S. 77 ff. Zu Art. 3 GG im Steuerrecht in diesem Zusammenhang K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 354 f. Zu Art. 3 GG in Zusammenhang mit dem Verhältnis zur Deutschen Demokratischen Republik Doehring, Der Staat 1965, 271 ff. 160 Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 374. 156
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
wesentlich Gleiches [. . .] ungleich oder wesentlich Ungleiches [. . .] gleich zu behandeln [. . .]“ 161, wenn diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist. Es sind demnach zwei Dinge zu prüfen: ob die weltweite Geltung von Verhaltensnormen eine Ungleichbehandlung darstellt und ggf. ob diese gerechtfertigt ist. 1. Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Dies ist der Fall, wenn in tatbestandlich wesentlich gleichen Fällen verschiedene Rechtsfolgen eintreten.162 Zur Entscheidung, ob zwei Fälle wesentlich gleich, d.h. vergleichbar sind, werden Vergleichsgruppen gebildet. Hier geht es insgesamt um die Gruppe der Adressaten einer bestimmten deutschen Verhaltensnorm. Das sind bei Annahme weltweiter Geltung der Verhaltensnorm alle, deren Verhalten vom persönlichen, sachlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm erfasst wird. Die Gruppe der Adressaten der Verhaltensnorm lässt sich weiter unterteilen in diejenigen, deren Verhaltenspflichtverletzungen sanktioniert werden, und die, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Differenzierungskriterien sind daher die in §§ 3 ff. StGB genannten Kriterien. Da diese Kriterien ganz unterschiedlicher Art sind, müssten die Vergleichsgruppen eigentlich anhand einzelner Kriterien gebildet werden. Im Falle des § 3 StGB wäre daher zwischen denen zu differenzieren, die in Deutschland handeln, und denen, bei denen dies nicht der Fall ist. Bei § 7 Abs. 1 StGB wäre hingegen danach zu differenzieren, ob das Opfer Deutscher ist oder nicht, bei § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB nach der Staatsangehörigkeit des Täters. In allen diesen Fällen würde daher de facto auf unterschiedliche Ungleichbehandlungen abgestellt. Da die Rechtfertigung jedoch parallel verläuft, können diese verschiedenen Ungleichbehandlungen gemeinsam untersucht werden. Anders ist dies bei §§ 5, 6 StGB. Diese Normen ordnen die weltweite Sanktionierung bestimmter Verhaltenspflichtverletzungen an. Findet jedoch keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Adressaten einer Verhaltensnorm statt, so passen diese Fälle nicht unter den oben gebildeten Oberbegriff. Im Folgenden sollen daher nur die Differenzierungskriterien der §§ 3, 4 und 7 StGB zusammen erläutert werden. Die so gebildeten Vergleichsgruppen sind insoweit wesentlich gleich, als alle in ihnen enthaltenen Personen an die Verhaltensnorm gebunden sind und grundsätzlich durch sie verpflichtet werden können. Der Einfachheit halber kann die Prüfung sogar auf die Personen konkretisiert werden, die die aus der Verhaltens161 162
BVerfG, Urt. v. 23.10.1951, BVerfGE 1, 14, 52. Siehe Epping, Grundrechte, Rn. 768; Sachs, Grundrechte, Kap. B 3 Rn. 10.
D. Individualschutzrechtliche Perspektive
191
norm resultierenden Verhaltenspflichten verletzt haben. Innerhalb dieses Kreises wird anhand eines bestimmten Kriteriums, z. B. der Staatsangehörigkeit oder des Verhaltensorts, differenziert, woran sich andere Rechtsfolgen, nämlich die Strafsanktion, knüpfen. Demzufolge liegt eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem durch den deutschen Staat vor. 2. Rechtfertigung Diese Ungleichbehandlung könnte jedoch gerechtfertigt sein. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn ein sachlicher Grund für die Differenzierung vorliegt und die Ungleichbehandlung verhältnismäßig ist.163 Bei weniger schwerwiegenden Ungleichbehandlungen soll jedoch das Vorliegen eines sachlichen Grundes genügen.164 Nun ist es generell nicht leicht zu sagen, warum das deutsche Strafrecht bestimmte Verhaltenspflichtverletzungen unter Strafe stellt, andere hingegen nicht. Auch die Gründe, warum die §§ 3 ff. StGB so lauten, wie sie es tun, und nicht anders, sind nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Der Grund, warum es überhaupt eine Begrenzung des Geltungsbereichs der Strafsanktionsnormen gibt, ist jedoch bekannt: Das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip verbietet die unbeschränkte Geltung des Strafrechts.165 Die Differenzierung beruht daher darauf, dass die weltweite Sanktionierung völkerrechtswidrig wäre. Daraus auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Unbegrenztheit der Verhaltensnormen zu schließen, wäre jedoch vorschnell. Wie die obigen Erläuterungen ergeben, ist auch die weltweite Geltung von Verhaltensnormen völkerrechtswidrig.166 Die potentielle Völkerrechtswidrigkeit der Sanktion kann jedoch nicht als sachlicher Grund dafür genommen werden, eine völkerrechtswidrige Bindung an Verhaltensnormen zu rechtfertigen. Daraus ergibt sich vielmehr nur, dass eine Gleichbehandlung nicht durch unbegrenzte Ausdehnung des Geltungsbereichs der Sanktionsnorm erfolgen kann. Die Völkerrechtswidrigkeit einer weitergehenden Sanktion ist daher zwar ein sachlicher Grund für die Beschränkung der Sanktionsnorm, aber kein sachlicher Grund für die Geltung der Verhaltensnorm trotz fehlender Sanktionsmöglichkeit. Weitere Differenzierungsgründe als die völkerrechtlichen Schranken der Sanktionsnorm sind nicht ersichtlich. Es gibt, um es auf den Punkt zu bringen, keinen Grund, warum der Staat Verhaltensnormen schaffen sollte, deren Verletzung er 163 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 782 ff.; Gubelt in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, Art. 3 Rn. 14; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 17 ff.; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 3 Rn. 17; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 438 ff. 164 BVerfG, Beschl. v. 26.01.1993, BVerfGE 88, 87, 96 f. 165 Siehe dazu bereits oben Kap. 6, S. 91 f. 166 Siehe oben Kap. 7 B., S. 169 ff.
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Kap. 7: Weltweite Geltung von Verhaltensnormen
nicht sanktioniert und die an und für sich schon völkerrechtswidrig sind.167 Auch die Völkerrechtswidrigkeit knüpft daran an, dass es keinen sachlichen Grund des Staates für diese Regelung gibt. Demzufolge ist die Ungleichbehandlung derjenigen, deren Verhaltenspflichtverletzungen sanktioniert werden können, und derjenigen, bei denen das nicht der Fall ist, nicht gerechtfertigt. Da die weltweite Ausdehnung des Geltungsbereichs der Sanktionsnormen mit dem Völkerrecht nicht vereinbar wäre, kann die Ungleichbehandlung nur dadurch behoben werden, dass auch die Verhaltensnorm anhand derselben Kriterien eingeschränkt wird. Die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen stellt daher einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.
E. Normentheoretische Perspektive Die Konsequenz der Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen ist, dass diese auch gelten, wenn keine Sanktionsnorm einschlägig ist. Aus normentheoretischer Perspektive stellt sich jedoch die Frage, ob eine Verhaltensnorm, deren Verletzung nicht sanktioniert wird, überhaupt noch als Norm angesehen werden kann. Dies führt zu einer der Grundfragen der Rechtstheorie, nämlich der, ob nur das Recht ist, was mit Zwang durchgesetzt werden kann.168 Dahinter steckt die komplexe Fragestellung, was überhaupt unter „Recht“ zu verstehen ist. Leider ist es nicht möglich, im Rahmen dieser Abhandlung den Rechtsbegriff zu erläutern oder der Frage nach der Abhängigkeit von Recht und Zwang nachzugehen. Ob eine Norm daher nur soweit existiert, wie das durch sie verbotene Verhalten sanktioniert wird, muss hier offen bleiben. Immerhin lässt sich sagen, dass die Bestimmungsfunktion der Verhaltensnorm deutlich schwächer ist, wenn eine Verletzung nicht sanktioniert werden kann. Insoweit ist es vertretbar zu sagen, dass die Geltung der Norm in der sozialen Wirklichkeit aufgehoben wird.169 Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sich eine solche Norm nicht zum Rechtsgüterschutz eignet und daher einen unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine Verhaltensfreiheit darstellt.170 Ob der Norm darüber hinaus die Rechtsqualität abgesprochen werden muss, soll hingegen an dieser Stelle offen bleiben.
167
Ähnlich Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 83. Vgl. etwa Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 9 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 190. 169 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 92. 170 Siehe oben Kap. 7 C. III. 3., S. 188 ff. 168
F. Ergebnis
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F. Ergebnis Die Annahme, dass Verhaltensnormen weltweit gelten bzw. einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich haben, begegnet demnach im Ergebnis gravierenden Einwänden. Die Geltung von Verhaltensnormen in Fällen, die keinen Bezug zur deutschen Rechtsordnung haben, stellt einen Eingriff in die völkerrechtliche Souveränität anderer Staaten dar. Zudem dient sie nicht der Erfüllung staatlicher Aufgaben, so dass die Zuständigkeit des Staates zur Schaffung solcher Normen fraglich ist. Aus diesem Grund ist die Verpflichtung des Einzelnen durch Verhaltensnormen, deren Verletzung nicht von einer Sanktion welcher Art auch immer bedroht ist, ein ungerechtfertigter Eingriff in die jedem zukommende allgemeine Verhaltensfreiheit. Darin liegt außerdem eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Zudem ist zweifelhaft, ob ein nicht-sanktioniertes Verhaltensgebot überhaupt Recht ist. Die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs von Verhaltensnormen ist daher im Ergebnis nicht überzeugend. Dies führt allerdings, wie Schröder richtig bemerkt hat, zu erheblichen Wertungswidersprüchen, falls ausländisches Strafrecht außer Acht gelassen werden muss.171 Schröder geht davon aus, dass auf Grund des Grundsatzes, der deutsche Richter habe nur deutsches Strafrecht anzuwenden, die Anwendung ausländischen Rechts nicht in Betracht komme.172 Es wurde jedoch bereits dargelegt, dass nur die Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht anzusehen sind, so dass eine Anwendung ausländischen Rechts auf Ebene der Verhaltensnormen sehr wohl in Betracht kommt.173 Damit entbehren jedoch die weiteren Argumente Schröders für die universelle Geltung der Bewertungsnormen174 jeder Grundlage. Angesichts der oben angeführten Einwände gegen die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen kann diese Theorie daher nicht überzeugen. Im Ergebnis verstößt die Annahme eines unbegrenzten räumlichen Geltungsbereichs deutscher Verhaltensnormen sowohl gegen Völkerrecht als auch gegen deutsches Verfassungsrecht. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass das Völkerrecht und das Grundgesetz die Begrenzung der Verhaltensnormen gebieten. Im Folgenden sollen daher die Grenzen der Verhaltensnormen erarbeitet werden.
171 172 173 174
Siehe oben Kap. 6 A. I. 2., S. 95 ff. Schröder, ZStW 61 (1942), 72 ff. Kap. 2 D., E., S. 46 ff. Siehe dazu oben Kap. 6 A. I. 2., S. 95 ff.
Kapitel 8
Begrenzung anhand einzelner Rechtsgebiete Eine Vielzahl von Autoren wollen die Grenzen der Verhaltensnormen durch die Geltungsbereichsnormen einzelner Rechtsgebiete ermitteln.1 Dabei lassen sich die Ansichten danach unterscheiden, welchem Rechtsgebiet die Geltungsbereichsregeln zu entnehmen sind. Die einen beziehen die Geltungsbereichsregeln der §§ 3 ff. StGB auch auf die von den Strafsanktionsnormen in Bezug genommenen Verhaltensnormen und bestimmen den Geltungsbereich der Verhaltensnormen daher anhand strafrechtlicher Vorschriften.2 Andere differenzieren hingegen nach Art der Vorschriften, so dass eine Qualifikation der Verhaltensnorm als zivil-, öffentlich- oder gar strafrechtlich nötig ist.3 All diesen Ansichten ist jedoch gemein, dass sie die von den Strafsanktionsnormen in Bezug genommenen Verhaltensnormen einem bestimmten Rechtsgebiet zuordnen und dann dessen Geltungsbereichsvorschriften anwenden. Auf Grund dieser Gemeinsamkeit können die verschiedenen Ansichten zusammen erörtert werden.
A. Begrenzung durch §§ 3 ff. StGB Der überwiegende Teil derjenigen, die die Verhaltensnormen mit Hilfe der Regeln eines Rechtsgebiets begrenzen wollen, bezieht die §§ 3 ff. StGB auch auf die den Strafsanktionsnormen zu Grunde liegenden Verhaltensnormen und wendet somit die strafrechtlichen Geltungsbereichsregeln an. Das ist ganz konsequent, wenn „Strafrecht“ im Rahmen der §§ 3 ff. StGB materiell-rechtlich definiert wird. Danach umfasst Strafrecht „[. . .] den Teil der Rechtsordnung, der die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie die einzelnen Merkmale des strafwürdigen Verhaltens festlegt, bestimmte Strafen androht und neben sonstigen Rechtsfolgen insbesondere Maßregeln der Besserung und Sicherung vorsieht [. . .]“ 4. Da die Verhaltenspflichtverletzung eine Strafbarkeitsvoraussetzung ist, ist auch die Verhaltensnorm nach dem materiellen Strafrechtsbegriff Teil des Strafrechts. Wird „Strafrecht“ in den §§ 3 ff. StGB daher in diesem
1 2 3 4
Siehe dazu oben Kap. 6 B., C., D., S. 102 ff. Siehe oben Kap. 6 B., S. 102 ff. Siehe oben Kap. 6 C., D., S. 142 ff. Wessels/Beulke, AT, Rn. 10.
B. Begrenzung durch das jeweils einschlägige Rechtsgebiet
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umfassenden Sinn verstanden, müssen konsequenterweise auch die Grenzen der Verhaltensnormen anhand der §§ 3 ff. StGB bestimmt werden. Beim Versuch, die Grenzen der Verhaltensnormen anhand der §§ 3 ff. StGB festzulegen, treten jedoch Schwierigkeiten auf. Einige der in den §§ 3–7 StGB enthaltenen Regelungen passen nicht auf Verhaltensnormen. Bei anderen ist umstritten, ob sie an deutsche oder an ausländische Verhaltensnormen anknüpfen. So liegt es z. B. bei § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB als Ausprägung des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege nahe, dass nicht die Verletzung deutscher Verhaltensnormen sanktioniert werden soll.5 Trotzdem wird diese Konsequenz so von kaum jemandem gezogen.6 Dieses Beispiel zeigt, dass selbst unter denen, die den Geltungsbereich durch die §§ 3 ff. StGB begrenzen wollen, keine Einigkeit darüber besteht, wie der Geltungsbereich der Verhaltensnormen letztendlich verläuft. Die praktische Handhabung dieser Ansicht bereitet demnach Schwierigkeiten.
B. Begrenzung durch das jeweils einschlägige Rechtsgebiet Es stellt sich daher die Frage, ob die anderen Ansichten zu eindeutigeren Ergebnissen führen. Diese beruhen auf der Vorstellung, dass die Verhaltensnorm einem bestimmten Rechtsgebiet zugeordnet werden muss und deren Geltungsbereich nachher anhand der einschlägigen Regeln zu bestimmen ist. Nach Nowakowski und Schnorr von Carolsfeld kommen nur Gebiete des Zivil- und Öffentlichen Rechts in Frage.7 Währenddessen sind nach Neumeyer zwar vorrangig diese Rechtsgebiete, im Zweifelsfall jedoch die strafrechtlichen Geltungsbereichsregeln einschlägig.8 Allen ist gemein, dass die Verhaltensnorm zunächst einem bestimmten Rechtsgebiet zugeordnet werden muss. Dass das tatsächlich große Probleme bereiten kann, wurde bereits dargestellt.9 Sowohl die Abgrenzung von Zivil- und Öffentlichem Recht als auch die Qualifikation der Verhaltensnorm innerhalb dieser Rechtsgebiete kann sehr kompliziert sein. Dass Neumeyer neben zivil- und öffentlich-rechtlichen auch strafrechtliche Verhaltensnormen anerkennt, mag im
5 Siehe oben Kap. 6 B. IV. 2. d) cc), S. 140 f. Scholten zweifelt jedoch an der Maßgeblichkeit des Stellvertretungsgedankens, Tatortstrafbarkeit, S. 124. 6 Eine Ausnahme bildet Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 142 ff. 7 Siehe oben Kap. 6 C. I., S. 142 f. 8 Siehe oben Kap. 6 D. I., S. 155 f. 9 Siehe oben Kap. 6 C. II. 1., S. 144 f., und III. 1., S. 154. Im EG-Recht verliert die Unterscheidung von Zivil- und Öffentlichem Recht daher an Bedeutung, Grundmann, RabelsZ 67 (2003), 289 f.
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Kap. 8: Begrenzung anhand einzelner Rechtsgebiete
Einzelfall die Einordnung erleichtern, ändert jedoch nichts daran, dass stets eine Zuordnung der Verhaltensnorm zu einem bestimmten Rechtsgebiet erfolgen muss. Dies lässt sich am Beispiel des Tötungsverbots verdeutlichen. Die deutsche Rechtsordnung kennt eine Verhaltensnorm, die Verhaltensweisen verbietet, die ein gewisses Risiko für den Tod eines anderen Menschen beinhalten. Um den Geltungsbereich dieser Verhaltensnorm bestimmen zu können, müsste die Norm dieser Ansicht nach einem der Rechtsgebiete zugeordnet werden. Nach Schnorr von Carolsfeld ist das Tötungsverbot eine allgemeine öffentlich-rechtliche Anordnung.10 Zwingend ist diese Auslegung jedoch nicht. Da ausschließlich ein Individualrechtsgut verletzt wird und sich an die rechtswidrige Tötung auch Schadensersatzpflichten knüpfen, könnte der Geltungsbereich der Verhaltensnorm auch anhand der einschlägigen Regelung des Internationalen Privatrechts, d.h. Art. 4 Rom-II-VO, bestimmet werden. Neumeyer würde das Tötungsverbot hingegen wohl als „[. . .] Thatbestand [sic], der der Beschreibung unmittelbar zugänglich ist [. . .]“ 11 bezeichnen und demzufolge als strafrechtliche Verhaltensnorm einordnen.12 Schon hierbei ist daher zweifelhaft, welchem Rechtsgebiet die Verhaltensnorm zuzuordnen wäre. Die Annahme, dass die Zuordnung auch bei anderen Verhaltensnormen problematisch sein könnte, ist daher nicht allzu gewagt.13 Dabei ist zu bedenken, dass der Adressat der Verhaltensnorm diese nur beachten kann, wenn er um ihre Geltung weiß. Kennt er die Geltung der Verhaltensnorm für diesen Fall nicht, so hat er keinen Grund, sein Verhalten an der Verhaltensnorm zu orientieren. Die Verhaltensnorm wäre daher überhaupt nicht dazu geeignet, die Adressaten zu rechtmäßigem Verhalten zu motivieren, und könnte demnach nicht ihre Bestimmungsfunktion erfüllen. Aus diesem Grund ist es zumindest zweckmäßig, wenn nicht gar geboten, dass der Adressat nachvollziehen kann, wie der Geltungsbereich der Verhaltensnormen ausgestaltet ist.14 Dies bedeutet aber, dass der Adressat in der Lage sein muss, die Zuordnung der Norm zu einem Rechtsgebiet nachzuvollziehen. Eine stark umstrittene Geltungsbereichsregelung ist daher aus Verhaltenssteuerungsaspekten bedenklich. Auch diese Ansicht begegnet in der Praxis daher erheblichen Schwierigkeiten. 10
Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 7 (S. 21). Neumeyer, ZStW 23 (1903), 443. Ganz ähnlich ist die Beschreibung von Rütters, § 212 StGB sei „[. . .] aus sich heraus verständlich und [weise] keinerlei Bezug zu anderen Rechtsgebieten [. . .]“ auf, Strafrechtliche Absicherung des Verbots eines Vereins, S. 33. 12 Diesen Weg wählt er zumindest für den Tatbestand der „Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen“, auf den sich das obige Zitat bezieht, Neumeyer, ZStW 23 (1903), 442 f. 13 Z. B. im Insiderrecht, siehe Nietsch, Insiderrecht, S. 49 ff., insbesondere S. 99 ff. 14 Siehe auch Nietsch, Insiderrecht, S. 126 f. 11
C. Die Einheit der Rechtsordnung
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C. Die Einheit der Rechtsordnung Die Untersuchung der Ergebnisse der verschiedenen Ansichten zeigt, dass diese in der Praxis nicht zu eindeutigen Ergebnissen führen. Der Grund dafür liegt darin, dass bereits ihr theoretischer Ausgangspunkt verfehlt ist. Allen drei oben benannten Ansichten liegt der Gedanke zu Grunde, dass Verhaltensnormen einem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen sind. Nowakowski, Schnorr von Carolsfeld und Neumeyer sagen dies explizit. Aber auch diejenigen, die den Geltungsbereich der Verhaltensnormen anhand der §§ 3 ff. StGB festlegen, geben damit implizit zu verstehen, dass die vom StGB in Bezug genommenen Verhaltensnormen strafrechtlicher Natur sind. Schon die Tatsache, dass die einen die Verhaltensnormen als Strafrecht, die anderen jedoch als Zivil- oder Öffentliches Recht einordnen, lässt stutzen. Während die einen eine andere Begrenzung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen als durch die §§ 3 ff. StGB für normentheoretisch nicht begründbar halten,15 beharren die anderen darauf, dass die Verhaltensnorm „[. . .] überhaupt nichts mit spezifisch strafrechtlichen Fragen zu tun [. . .]“ 16 habe. Wer hat nun Recht?
I. Die Einheit der Verhaltensnormen Um dies beantworten zu können, ist es notwendig, sich auf das zurück zu besinnen, was zu Anfang der Untersuchung gesagt wurde. Dort ging es um die Frage, ob der Grundsatz, der deutsche Richter habe nur deutsches Strafrecht anzuwenden, eine Berücksichtigung ausländischen Rechts ausschließt. Dabei wurde herausgearbeitet, dass nur die Strafsanktionsnormen als genuines Strafrecht anzusehen sind, die Verhaltensnormen hingegen in der gesamten Rechtsordnung einheitlich auszulegen sind.17 Der Grund dafür liegt darin, dass die Rechtsordnung ihre Aufgabe, einen Raum der Freiheit und Sicherheit zu schaffen, nur erfüllen kann, wenn sie in sich nicht widersprüchlich ist. Das System der Verhaltensnormen muss innerhalb einer Rechtsordnung daher kohärent sein. Es gibt folglich kein zivil-, straf- und öffentlich-rechtliches Tötungsverbot, sondern nur eine Verhaltensnorm, die Verhaltensweisen untersagt, die riskant für das Leben eines anderen Menschen sind. Zu Recht schreibt Mankowski, die Kartellverbote seien der Qualifikation vorgeordnet, „[. . .] weil sie in den Schoß der Einheit der Rechtsordnung gehören [. . .]“ 18. Was für Kartellverbote gilt, lässt 15 16 17 18
So Neumann, FS Müller-Dietz, S. 602. Lagodny, Schranken, S. 137. Siehe oben Kap. 2 D., S. 46 ff. von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 55.
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Kap. 8: Begrenzung anhand einzelner Rechtsgebiete
sich auf alle Verbote und damit auf alle Verhaltensnormen übertragen.19 Eine Qualifikation von Verhaltensnormen ist somit unmöglich.20 Die Sanktionen können hingegen verschiedenen Rechtsgebieten entstammen.21 Es ist daher festzuhalten, dass nur die Sanktionsnormen einem bestimmten Rechtsgebiet angehören, die Verhaltensnormen hingegen einheitlich auszulegen sind.
II. Einheitliche Bestimmung des Geltungsbereichs Wenn Verhaltensnormen daher grundsätzlich einheitlich auszulegen sind, gibt es keinen Grund, nicht auch den Geltungsbereich der Verhaltensnormen einheitlich zu bestimmen. Das Konzept einer einheitlichen Verhaltensordnung würde vielmehr unterlaufen, wenn sich, je nachdem, welche Sanktion infrage steht, der Geltungsbereich der Normen unterscheiden würde. Denn dann würde möglicherweise aus zivilrechtlicher Sicht nicht als rechtmäßig oder rechtswidrig bewertet, was aus strafrechtlicher Sicht erlaubt ist. Dies kann an folgendem Beispiel illustriert werden: Der in Frankreich lebende 19-jährige Franzose F schläft in einem Pariser Hotel mit der in Deutschland lebenden 14-jährigen Deutschen D. Klagt D vor Gericht auf Schadensersatz wegen der Verletzung ihres Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung, so richtet sich ihr Anspruch gem. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO nach französischem Recht. Gem. Art. 15 lit. a Rom-II-VO regelt das anwendbare Recht auch den Grund der Haftung, d.h. den haftungsbegründenden Tatbestand. In dem gebildeten Fall beruht die Haftung des F jedoch darauf, dass er eine Verhaltenspflicht verletzt hat, so dass auch die Verhaltensnormen dem französischen Recht zu entnehmen sind.22 Dies entspricht der im Internationalen Privatrecht vorherrschenden Konzeption.23 Art. 227-25 des französischen Code pénal stellt bestimmte sexuelle Handlungen Volljähriger unter Strafe, nämlich solche von Personen über 18 Jahren an Minderjährigen unter 16, unabhängig davon, ob der Minderjährige eingewilligt hat. Dementsprechend existiert im französischen Recht eine Verhaltensnorm, die solche sexuellen Handlungen verbietet. Im Rahmen der Schadensersatzklage gelten für den vorliegenden Fall die französischen Verhaltensnormen, so dass das Verhalten des F nach französischem Recht als verboten anzusehen ist. Es ist anzunehmen, dass D daher gem. Art. 1382 Code civil Schadensersatz geltend machen könnte, sofern sie einen Schaden erlitten hat.
19 So auch von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 55. Siehe zum Kapitalmarktrecht die Darstellung bei Nietsch, Insiderrecht, S. 161 ff. 20 Schwabe, S. 104 in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts; ders., NJW 1971, 915. 21 Schwabe, S. 107 in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts; ders., NJW 1971, 915. 22 Auf die Regelung des Art. 17 Rom-II-VO kommt es nicht an, so dass der Streit um dessen Rechtsnatur hier irrelevant ist. Näher dazu unten Kap. 9 C. I., S. 211 ff. 23 Siehe dazu oben Kap. 6 C. II. 2. a), S. 146 ff.
C. Die Einheit der Rechtsordnung
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Allerdings könnte der Sachverhalt nach deutschem Recht auch eine sexuelle Nötigung der D in einem besonders schweren Fall im Sinne des § 177 Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB darstellen. Gem. § 7 Abs. 1 StGB findet, da D Deutsche ist, deutsches Strafrecht Anwendung. Für diese Tat gelten im Rahmen des Strafrechts auch die deutschen Verhaltensnormen.24 Hat D jedoch in die sexuelle Handlung eingewilligt, ist die Tat nach deutschem Recht nicht strafbar, da sexueller Missbrauch von Kindern nur bei Unter-14-Jährigen angenommen wird (§§ 176 ff. StGB). Auf Grund des Rechtes des Kindes auf sexuelle Selbstbestimmung ist sogar davon auszugehen, dass einvernehmlicher Geschlechtsverkehr ab 14 erlaubt ist. Ein deutsches Gericht würde F daher im Falle einer Einwilligung der D mangels Verhaltenspflichtverletzung freisprechen. In diesem Fall gilt aus strafrechtlicher Sicht die deutsche Verhaltensnorm, aus zivilrechtlicher Sicht jedoch nicht. Damit gerät der Normadressat jedoch in die unmögliche Lage, dass er sich auf die (strafrechtliche) Erlaubnis des deutschen Staates nicht verlassen kann. Jede zivilrechtliche Klage vor dem deutschen Gericht würde nämlich zu den französischen Verhaltensnormen führen. Gem. Art. 5 Nr. 4 EuGVVO i.V. m. §§ 403 ff. StPO könnte D ihren Schadensersatzanspruch sogar im Strafverfahren vor dem deutschen Strafgericht geltend machen. Dies setzt allerdings voraus, dass gegen F in Deutschland Anklage erhoben wird und sich erst während der Hauptverhandlung herausstellt, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich geschehen ist. In einem solchen Fall müsste das Gericht jedoch ein und dasselbe Verhalten als strafrechtlich erlaubt und zivilrechtlich verboten ansehen. Dieser Widerspruch resultiert zwar daraus, dass zwei verschiedene Rechtsordnungen das Verhalten des F beurteilen. Aber allein die Tatsache, dass die Geltungsbereichsregeln des Straf- und Zivilrechts unterschiedlich sind, macht es möglich, dass verschiedene Rechtsordnungen ein und dasselbe Verhalten beurteilen. Daher führt die Annahme je nach Rechtsgebiet unterschiedlicher Geltungsbereiche zu erhöhten Normenkollisionen. Demzufolge ist der Geltungsbereich der Verhaltensnormen einheitlich zu bestimmen.
III. Unzulässigkeit der rechtsgebietsabhängigen Geltungsbereichsbestimmung Die Folge davon ist, dass alle Ansichten, die den Geltungsbereich der Verhaltensnormen mit Hilfe allgemeiner Geltungsbereichsregeln bestimmter Rechtsgebiete bestimmen wollen, nicht überzeugen. Da das System der Verhaltensnormen einheitlich zu bestimmen und auszulegen ist, ist es normentheoretisch nicht begründbar, den Geltungsbereich der Verhaltensnormen von dem Rechtsgebiet ab24
Siehe oben Kap. 6 B. IV. 2. d) aa), S. 131 ff.
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Kap. 8: Begrenzung anhand einzelner Rechtsgebiete
hängig zu machen, dem die Sanktionsnorm angehört. Das ist jedoch nach Ansicht jener erforderlich, die die Verhaltensnorm als öffentlich-rechtlich oder zivilrechtlich qualfizieren möchten. Deutlich wird dies bei Lagodny. Bei dem Versuch, zivil- und öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen zu unterscheiden, versäumt er es, Abgrenzungskriterien zu benennen.25 Der einzige Unterschied, den er feststellt, ist, dass öffentlichrechtliche Verhaltensnormen stets Teil der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze seien.26 Dies betrifft jedoch polizeiliche Eingriffsermächtigungen, die selber Sanktionen der Verhaltenspflichtverletzungen darstellen. Als Abgrenzungskriterium sind sie daher nicht geeignet. Auch Lagodny scheint damit eher die Konsequenzen der Differenzierung aufzeigen zu wollen. Das ändert jedoch nichts daran, dass es an Abgrenzungskriterien fehlt. Dies unterstützt die oben aufgestellte These, dass die Zuordnung der Verhaltensnormen zu einem Rechtsgebiet nur schwer möglich ist.27 Es ist zudem nicht plausibel, von zivilrechtlichen Verhaltensvorschriften zu sprechen, die mit öffentlich-rechtlichen deckungsgleich seien.28 Aus der Tatsache, dass die Vorschriften deckungsgleich sind, folgt zugleich die Unmöglichkeit einer Differenzierung. Das Beispiel Lagodnys bestätigt, dass es nicht möglich ist, eine Zuordnung einzelner Verhaltensnormen zu einem bestimmten Rechtsgebiet vorzunehmen. Aus diesem Grund sind die Ansichten, die eine Qualifikation der Verhaltensnormen voraussetzen, abzulehnen.29 Die Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen können nicht von der Zuordnung einzelner Verhaltensnormen zu verschiedenen Rechtsgebieten abhängen. Vielmehr muss der Geltungsbereich der Verhaltensnormen einheitlich bestimmt werden. Ähnlich führt Wengler aus: „Insoweit Privatrecht und Strafrecht Steuerungen menschlichen Verhaltens [. . .] sind, kann die völkerrechtliche Befugnis der Staaten zur Steuerung selbst kaum grundsätzlich verschieden sein.“ 30 Auch hinter dieser Aussage steckt die Überlegung, dass die in allen Rechtsgebieten auftauchenden verhaltenssteuernden Elemente einheitlich auszulegen sind. Allerdings wird noch zu diskutieren sein, ob die Grenzen der Befugnis zur Verhaltensnormsetzung tatsächlich – so wie von Wengler vertreten31 – dem Völkerrecht entstammen. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, wie der Geltungsbereich der Verhaltensnormen einheitlich zu bestimmen ist.
25 26 27 28 29 30 31
Lagodny, Schranken, S. 87 ff. Lagodny, Schranken, S. 88. Kap. 8 B., S. 195 ff. Lagodny, Schranken, S. 88. Das sind die in Kap. 6 B., C. und D., S. 102 ff., genannten. Wengler, IRuD 1972, 265 Fn. 4a. Wengler, IRuD 1972, 263 ff.; ders., JZ 1977, 257 ff.
Kapitel 9
Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs Ist es daher nicht möglich, die Verhaltensnormen einzelnen Rechtsgebieten zuzuordnen, so müssen allgemeine Regelungen des Geltungsbereichs gefunden werden. Dabei ist zunächst zu fragen, ob das deutsche Recht als sachnächstes Recht Regeln enthält, die als allgemeine Geltungsbereichsregeln von Verhaltensnormen aufgefasst werden können. Ist dies nicht der Fall, so soll versucht werden, anderen Rechtsordnungen allgemeine Geltungsbereichsregeln zu entnehmen. Dabei kommt einerseits Völkerrecht, andererseits supranationales Recht in Betracht, weil beide Rechtsordnungen neben dem nationalen Recht in Deutschland verbindlich sind.
A. Grenzen aus deutschem Recht Das deutsche Recht kennt keine Vorschrift, die den Geltungsbereich der Verhaltensnormen allgemein regelt. Tatsächlich taucht der Begriff „Verhaltensnorm“ überhaupt nicht im Zusammenhang mit Geltungsbereichsregeln auf. Aus der deutschen Rechtsordnung können daher nur auf Basis vorhandener Geltungsbereichsregeln Grenzen der Geltung der Verhaltensnormen entwickelt werden.
I. §§ 3 ff. StGB als allgemeine Geltungsbereichsregeln der Verhaltensnormen Zunächst kommt es in Betracht, die §§ 3 ff. StGB als Geltungsbereichsregelung aller Verhaltensnormen anzusehen, die mit der Sanktion Strafe bedroht sind.1 Dies ist insbesondere dann möglich, wenn die Sanktionsdrohung als Teil der Verhaltensnorm angesehen wird.2 Damit gäbe es zwar immer noch keine allgemeinen Geltungsbereichsregelungen. Zumindest ließe sich jedoch die Frage beantworten, welche Verhaltensnormen den Strafsanktionsnormen zu Grunde zu legen sind.
1 2
So der Gedanke von Henrich, Das passive Personalitätsprinzip, S. 11 Fn. 11. Siehe oben Kap. 2 C. II. 5., S. 44.
202
Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und damit der Einheit der Verhaltensnormen folgt allerdings, dass diese Auslegung überall für die Verhaltensnorm gelten muss. Auch bei der Frage, ob auf Grund der Verletzung einer Verhaltenspflicht, die mit Strafe bedroht ist, ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch besteht, müssten dann die durch die §§ 3 ff. StGB bestimmten Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen berücksichtigt werden.3 Eine solche Auslegung ist zwar grundsätzlich möglich. Es ist jedoch nicht besonders wahrscheinlich, dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Weder der Wortlaut noch die systematische Stellung der §§ 3 ff. StGB deuten darauf hin, dass diese als allgemeine Regelung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen anzusehen sein sollen. Hinzu kommt, dass die §§ 3 ff. StGB nur bedingt zur Regelung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen geeignet sind.4 So müsste aus § 7 Abs. 1 StGB gefolgert werden, dass Taten gegen Ausländer von der deutschen Rechtsordnung nicht als Unrecht bewertet werden, wofür es keinen legitimen Grund gibt.5 Insbesondere an § 7 Abs. 2 StGB zeigt sich, dass diese Vorschrift nicht den Geltungsbereich von Verhaltensnormen regeln soll.6 Es kann daher nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, die zur Regelung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen nur unzureichend geeigneten §§ 3 ff. StGB als allgemeine Geltungsbereichsregelungen für mit Strafe bewehrte Verhaltensnormen anzusehen und ihre Schwächen dadurch zu vervielfachen.
II. Allgemeine Geltungsbereichsregeln aus Zivil- oder Öffentlichem Recht Entsprechendes gilt für das Internationale Privatrecht. Schon auf Grund der häufig vorhandenen Möglichkeit einer nachträglichen Rechtswahl7 eignen sich viele der Regelungen nicht besonders gut zur Bestimmung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen. Zudem beziehen sich die Regelungen des Internationalen Privatrechts der Sache nach bereits auf Privatrechtsverhältnisse, so dass sich etwa für „Vortäuschen einer Straftat“ (§ 145d StGB) keine einschlägige Kollisionsnorm finden ließe. Eine Verallgemeinerung der Regelungen des Internationalen Privatrechts kommt daher ebenfalls nicht in Betracht. Mangels allgemeiner Kodifikation der Geltungsbereichsregeln lässt sich für das restliche Öffentliche Recht dasselbe sagen. Da die öffentlich-rechtlichen Gel3 Anders Henrich, der jedoch die Normentheorie als solche ablehnt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 11 Fn. 11. 4 Vgl. Kap. 6 B. IV., S. 113 ff. 5 So Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 93 f. 6 Siehe oben Kap. 6 B. IV. 2. d) bb), cc), S. 137 ff. 7 Z. B. in Art. 14 Abs. 1 lit. a Rom-II-VO. Hierzu näher Heiss/Loacker, JBl. 2007, 622 ff.; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 5 ff.; Köthe, Parteiautonomie, S. 48 f.
A. Grenzen aus deutschem Recht
203
tungsbereichsregeln von vornherein auf bestimmte Gebiete beschränkt sind, kann nicht von der allgemeinen Geltung dieser Regeln für alle Verhaltensnormen ausgegangen werden. Es ist daher nicht möglich, die Geltungsbereichsregeln eines Rechtsgebietes auf alle Verhaltensnormen zu beziehen.8
III. Kumulation aller Geltungsbereichsregeln Eine weitere Möglichkeit, die Grenzen des Geltungsbereichs der deutschen Rechtsordnung zu entnehmen, besteht darin, den Geltungsbereich der Verhaltensnormen durch Kumulation der einzelnen Geltungsbereichsregeln zu ermitteln. Dazu müsste zunächst der Geltungsbereich der einzelnen Rechtsgebiete, also des Zivil-, Straf- und Öffentlichen Rechts, ermittelt werden. Die Verhaltensnormen gelten dann, sobald der Geltungsbereich eines dieser Rechtsgebiete betroffen ist. Demzufolge würde die Verhaltensnorm nur dann nicht gelten, wenn sich weder aus den Geltungsbereichsregeln des Zivilrechts noch des Strafrechts oder Öffentlichen Rechts die Geltung deutschen Rechts ergeben würde. Der Unterschied zu den soeben abgelehnten Möglichkeiten zur Ermittlung der Grenzen der Verhaltensnormen besteht darin, dass hier nicht die Geltungsbereichsnormen eines Rechtsgebiets, sondern aller Rechtsgebiete herangezogen werden, um die Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen zu ermitteln. Daher stimmt diese Ansicht stärker mit der oben entwickelten Grundannahme überein, dass auch der Geltungsbereich der Verhaltensnormen mit Hilfe der gesamten Rechtsordnung zu ermitteln sei.9 Insoweit kommt eine solche Auslegung eher in Betracht als die Verallgemeinerung rechtsgebietsspezifischer Geltungsbereichsregeln. Allerdings sind die praktischen Probleme, die mit der Durchführung dieser Ansicht verbunden sind, enorm. Zur Ermittlung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen müssten die Geltungsbereichsregeln nicht nur eines, sondern aller drei Rechtsgebiete angewandt werden. Es wäre also stets eine dreifache Prüfung erforderlich. Hinzu kommt, dass, wie bereits festgestellt wurde, die Geltungsbereichsregeln häufig nicht besonders gut auf Verhaltensnormen passen.10 Wenn jedoch bereits die Ermittlung des Geltungsbereichs anhand der Regeln eines Rechtsgebiets kompliziert ist, dann werden diese Probleme nicht dadurch behoben, dass zusätzlich andere komplizierte Geltungsbereichsregeln gelten. Das Gegenteil ist der Fall: Dadurch, dass mehrere, sich möglicherweise widersprechende oder zumindest in einigen Punkten nicht übereinstimmende Regelungssysteme 8 Dies wird auch, soweit ersichtlich, von niemandem vertreten. Auch die unter Kap. 6 B., S. 102, Genannten beziehen sich nur auf die vom StGB in Bezug genommenen Verhaltensnormen. 9 Siehe Kap. 8 C. II., S. 198 ff. 10 Siehe oben Kap. 8 B., S. 195 ff.
204
Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
gelten, wird deren Auslegung schwieriger. Die Geltung dreier Geltungsbereichssysteme läuft daher auf eine Verdreifachung der Anwendungsprobleme hinaus. Fehlen jedoch klare Geltungsbereichsregeln, ist es für den Einzelnen oft nicht erkennbar, dass eine bestimmte Verhaltensnorm gilt, so dass es ihm demzufolge auch nicht möglich ist, die aus dieser Verhaltensnorm resultierenden Anforderungen zu beachten. Aus diesem Grund ist die Ermittlung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen durch Kumulation aller Geltungsbereichsregeln nicht praktikabel. Diese Lösung ist daher abzulehnen.
IV. Überlappung aller Geltungsbereichsregeln Nachdem die Ermittlung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen durch Kumulation aller Geltungsbereichsregeln nicht zu praktikablen Ergebnissen geführt hat, käme es in Betracht, den Geltungsbereich der Verhaltensnormen mit dem Bereich gleichzusetzen, für den sowohl Zivil- und Strafrecht als auch Öffentliches Recht gelten. Der Geltungsbereich wäre somit der Bereich, in dem sich die Geltungsbereichsregeln aller Rechtsgebiete überlappen. Auch hierfür müssten alle Geltungsbereichsregeln gekannt und geprüft werden. Bereits ohne detaillierte Prüfung lässt sich jedoch erkennen, dass eine solche Eingrenzung auf die territoriale Beschränkung der Verhaltensnormen hinausläuft. Das eigene Territorium ist der einzige Bereich, in dem die Geltung der Verhaltensnormen eines Staates unbestritten ist.11 Gerade im Öffentlichen Recht gibt es jedoch Normen, deren Geltung von vornherein auf das deutsche Staatsterritorium beschränkt sind.12 Die Suche nach dem gemeinsamen Geltungsbereich würde daher einen Geltungsbereich ergeben, der an den räumlichen Grenzen des Staatsterritoriums endet. Es gibt jedoch einen guten Grund, der gegen die Annahme spricht, dass die deutschen Verhaltensnormen nur innerhalb der Staatsgrenzen gelten. Da die deutschen Strafsanktionsnormen gem. §§ 3 ff. StGB auch Handlungen im Ausland erfassen, müssten in einem solchen Fall stets die Verhaltensnormen des Auslands zu Grunde gelegt werden. Das Ausland hat jedoch keinen Grund, etwa die Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen Deutschland oder Hochverrat am deutschen Staat (siehe § 5 Nr. 1, 2 StGB) unter Strafe zu stellen.13 Es ist daher nicht anzunehmen, dass es in anderen Staaten entsprechende Normen gibt. Dann würden jedoch viele der Staatsschutznormen leer laufen und wären überflüssig. Es widerspricht demnach der Systematik des deutschen Rechts, wenn dieses so ausgelegt 11
Siehe auch Oehler, FS Grützner, S. 114. Als Beispiel können wiederum die Baurechtsvorschriften dienen. 13 von Hippel weist zutreffend daraufhin, dass dies Aufgabe des Staates ist, um dessen Schutz es geht, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 71. 12
B. Grenzen aus Völkerrecht
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wird, dass der Geltungsbereich der Verhaltensnormen auf das Staatsgebiet begrenzt ist.14 Eine solche Auslegung ist daher im Ergebnis abzulehnen.15
V. Ergebnis Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass sich dem deutschen Recht durch Auslegung keine Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen entnehmen lassen. Weder kommt die Verallgemeinerung der rechtsgebietsspezifischen Geltungsbereichsregeln in Betracht, noch kann der Geltungsbereich der Verhaltensnormen mit Hilfe aller Geltungsbereichsregeln gemeinsam bestimmt werden. Andere Kriterien zur Ermittlung der Grenzen der Verhaltensnormen sind in der deutschen Rechtsordnung in der Tat nicht vorhanden.16 Im Ergebnis können der deutschen Rechtsordnung daher nicht die Grenzen der Verhaltensnormen entnommen werden.
B. Grenzen aus Völkerrecht Möglicherweise könnten die Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen dem Völkerrecht entnommen werden. Dies entspricht dem Ansatz von Zitelmann, H. Mayer, Heymann und Wengler, die im Grundsatz übereinstimmen, bei der Auslegung des Völkerrechts allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.17
I. Die Quellen völkerrechtlicher Geltungsbereichsregeln Ein völkerrechtlicher Vertrag, dem die Grenzen des Geltungsbereichs staatlicher Verhaltensnormen entnommen werden könnten, existiert nicht. Völkerrechtliche Grenzen der Staatsgewalt können sich daher nur aus Völkergewohnheitsrecht oder völkerrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben.18 Völkergewohnheitsrecht setzt eine allgemeine zwischenstaatliche Übung sowie die Überzeugung, das entsprechende Verhalten sei rechtlich geboten, voraus.19 Völ14 Aus diesem Grund nimmt auch Nowakowski die auf dem Realschutzprinzip beruhenden Vorschriften von seiner Theorie aus, JZ 1971, 637. 15 Sie wird auch, soweit ersichtlich, von niemandem vertreten. Ablehend auch Rudolf, S. 14 f. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 148 f. Vgl. auch Bekker, Theorie des Strafrechts, S. 176 ff. 16 Insoweit ist Neumann zuzustimmen, FS Müller-Dietz, S. 602. 17 Siehe oben Kap. 6 E., S. 158 ff. 18 Rudolf, S. 18 in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. Auch Forkel geht von Völkergewohnheitsrecht aus, Umweltbelastungen, S. 24 f. 19 Dencker, ZIS 2008, 299; Kunig in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 131 ff.; T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 124.
206
Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
kerrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze sind hingegen bedeutsame Grundsätze der nationalen Rechtsordnungen, die sich auf den zwischenstaatlichen Bereich übertragen lassen.20 Da solche allgemeinen Rechtsgrundsätze meist nicht sehr präzise sind, sind sie gegenüber Völkergewohnheitsrecht subsidiär.21 Sowohl Völkergewohnheitsrecht als auch allgemeine Rechtsgrundsätze beruhen demnach auf der Annahme einer Übereinstimmung verschiedener Rechtsordnungen. Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen können sich daher nur dann aus Völkergewohnheitsrecht ergeben, wenn wiederholt in tatsächlichen Fällen die gleichen Grenzen gezogen wurden und die Staaten diese Grenzziehung zudem als verpflichtend ansehen. Allgemeine Rechtsgrundsätze können dagegen nur angenommen werden, wenn ein Vergleich einzelner Rechtsordnungen ein grundlegendes Prinzip ergibt. Beide setzen daher die in mehreren Staaten übereinstimmende Grenzziehung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen voraus. Aus diesem Grund kann die Frage nach der Rechtsquelle der völkerrechtlichen Geltungsbereichsregeln zurückgestellt werden, bis geklärt ist, ob eine Übereinstimmung staatlicher Rechtsordnungen vorliegt.
II. Übereinstimmung staatlicher Rechtsordnungen Der Versuch, durch den Vergleich mehrerer Rechtsordnungen allgemein gültige Geltungsbereichsregelungen für Verhaltensnormen zu ermitteln, gestaltet sich jedoch in der Praxis schwierig. Dafür gibt es mehrere Gründe. 1. Keine Aussage zu Verhaltensnormen Zum einen liegt dies daran, dass die meisten Rechtsordnungen, ähnlich wie die deutsche, keine explizite Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen treffen. Oft wird im Internationalen Strafrecht nicht zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen unterschieden.22 Dies deutet darauf hin, dass das Problem der völkerrechtlichen Grenzen von Verhaltensnormen bislang keine große Rolle gespielt hat.23 Auch die Rechtsprechung hatte es stets mit Fällen zu tun, in denen es tatsächlich zu einer Sanktionierung gekommen ist.24 Allerdings ist die Sank20 T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 161. Siehe auch Kunig in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 159 ff. 21 T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 165. 22 Z. B. enthält das rechtsvergleichende Werk von Sieber und Cornils keine Ausführungen zum Geltungsbereich von Verhaltensnormen, sondern nur zum Geltungsbereich des Strafrechts. Siehe Sieber/Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, AT, Bd. 2, S. 151 ff. 23 Es ist jedoch bekannt. Siehe z. B. Wengler, IRuD 1972, 263 ff. 24 Siehe z. B. den bekannten Lotus-Fall: StIGH, Urt. v. 07.09.1927, StIGHE 5, 73 ff. Siehe auch BGH, Urt. v. 20.10.1976, BGHSt 27, 30 ff.
B. Grenzen aus Völkerrecht
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tion meist die Folge der Erstreckung der staatseigenen Verhaltensnorm, so dass sich die gegen die Sanktionsnorm erhobenen Einwände im Wesentlichen auch auf die Verhaltensnorm übertragen lassen. 2. Abweichung nationaler Regelungen Gewichtiger ist ein anderer Einwand. Ein Blick auf die nationalen Geltungsbereichsregelungen zeigt, dass diese zum Teil erheblich voneinander abweichen.25 Eine Vielzahl verschiedener Prinzipien liegen den nationalen Regelungen zu Grunde.26 Einzig das Territorialitätsprinzip scheint weltweit anerkannt zu sein.27 Auch hierbei ist jedoch umstritten, inwieweit Handlungs- und Erfolgsort für den Geltungsbereich von Verhaltensnormen von Bedeutung sind.28 Selbst wenn von der weltweiten Anerkennung des Territorialitätsprinzips ausgegangen wird, ist die Schlussfolgerung H. Mayers, nur das Territorialitätsprinzip sei völkerrechtlich gerechtfertigt,29 falsch.30 Grundpfeiler der völkerrechtlichen Souveränität ist neben der Gebietshoheit auch die Personalhoheit.31 Ob und inwieweit die Personalhoheit die Geltung staatlicher Verhaltensnormen erlaubt, wird jedoch kontrovers beurteilt.32 Eine Vielzahl verschiedener Geltungsbereichsregeln, die sich auf Gebiets- und Personalhoheit zurückführen lassen, sind denkbar. Die verschiedenen Anknüpfungsprinzipien führen demnach zwangsläufig zu Normenkollisionen. In den nationalen Rechtsordnungen finden sich jedoch bislang keine einheitlichen Regeln darüber, wie solche Konflikte zu lösen sind. Auch das Völkerrecht
25 Siehe hierzu Sieber/Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, AT, Bd. 2, S. 151 ff. Zum aktiven Personalitätsprinzip Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 242 ff. 26 Zu den einzelnen Prinzipien siehe oben Kap. 6 B. IV. 1., S. 113 ff. 27 Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 4; Oehler, FS Grützner, S. 117 und Internationales Strafrecht, Rn. 125. Siehe auch Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 152 ff.; K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 101 ff.; Vormbaum, Rechtsgüter, S. 16. 28 Vgl. hierzu Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 53 ff. einerseits, Wengler, IRuD 1972, 263 ff. andererseits. Siehe auch Kniebühler, Ne bis in idem, S. 71 f. 29 Siehe oben Kap. 6 E. II., S. 160 ff. 30 Ebenfalls ablehnend Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 5; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 119 ff.; Schönke, FS Mezger, S. 110 f. 31 Hailbronner/Kau in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 77 ff.; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 100 f.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 111; T. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 534 ff. 32 Siehe den rechtsvergleichenden Überblick zum passiven Personalitätsprinzip bei Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 662 ff., zum aktiven Personalitätsprinzip bei Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 242 ff.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
hat noch keine eindeutigen Regeln entwickelt.33 Aus diesem Grund lässt sich keine Übereinstimmung der Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen innerhalb verschiedener Rechtsordnungen feststellen.34 Die Ermittlung konkreter Grenzen aus dem Völkerrecht ist daher nicht eindeutig durchführbar. Dies zeigt sich auch daran, dass die in der deutschen Literatur tatsächlich aus dem Völkerrecht entwickelten Grenzen erheblich voneinander abweichen.35 3. Ansicht des Bundesgerichtshofs Dieses Ergebnis wird durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt. Der Bundesgerichtshof hatte kürzlich zu entscheiden, ob § 35 AWG mit Art. 25 GG in Verbindung mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu vereinbaren ist.36 § 35 AWG erstreckt den Geltungsbereich des Straftatbestands des § 34 AWG auf alle von Deutschen begangene Taten, unabhängig vom Handlungsort, und ist somit eine Ausprägung des aktiven Personalitätsprinzips. Der Bundesgerichtshof bejahte die Völkerrechtmäßigkeit des § 35 AWG. Zum Problem der Normenkollision heißt es in der Begründung: „Die bei der Regelung von Auslandssachverhalten entstehende Kollision von Territorialitätsprinzip und Personalitätsprinzip ist [. . .] in dem Sinne zu lösen, dass die Staatsangehörigkeit des Normadressaten als ausreichende Verknüpfung zu dem normierten Auslandstatbestand anzusehen ist [. . .]“ 37.38 Dies klingt auf den ersten Blick so, als wolle der Bundesgerichtshof der Personalhoheit stets Vorrang vor der Gebietshoheit einräumen. Da der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang der Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit des § 35 AWG nachgeht, müsste dies dann als allgemeine völkerrechtliche Kollisionsregel zu verstehen sein. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof den Vorrang der Personalvor der Gebietshoheit als allgemeines völkerrechtliches Prinzip anwenden wollte. 33 Siehe hierzu Bär, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 10 ff.; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 33; Böse/Meyer, ZIS 2011, 338; Frister, AT, Kap. 5 Rn. 10; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 103; Ohler, Kollisionsordnung, S. 339 ff.; Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 625. Auch das von Schweisfurth angeführte Nachbarrecht bietet keine eindeutigen Abgrenzungskriterien, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 120 ff. Siehe aber den Versuch einer Lösung bei Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 262 ff. Für eine Rangfolge der Anknüpfungsprinzipien Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 326 ff. 34 BGH, Urt. v. 20.10.1976, BGHSt 27, 30 ff. Ebenso Bruns, ZaöRV 1 (1929), 51; Doehring, Der Staat 1965, 265; Ohler, Kollisionsordnung, S. 330 ff.; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81 f. Skeptisch auch Forkel, Umweltbelastungen, S. 41 ff. Siehe zum aktiven Personalitätsprinzip auch Pottmeyer, NStZ 1992, 60 f.; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 260 f. 35 Siehe oben Kap. 6 E., S. 158 ff. 36 BGH, Beschl. v. 26.03.2009, BGHSt 53, 238, 253 f. 37 BGH, Beschl. v. 26.03.2009, BGHSt 53, 238, 254. 38 Damit folgt der Bundesgerichtshof fast wörtlich Holthausen, NJW 1992, 215.
B. Grenzen aus Völkerrecht
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Bei näherer Betrachtung zeigt sich auch, dass dies der Aussage nicht zu entnehmen ist. Kennzeichnend für eine Normenkollision ist gerade, dass verschiedene Rechtsordnungen bei einem bestimmten Sachverhalt ausreichende Anknüpfungen zu ihrem eigenen Recht sehen. Die Feststellung, die Staatsangehörigkeit des Normadressaten genüge als Anknüpfungspunkt, sagt daher noch nichts darüber, wie Kollisionen aus Sicht des Völkerrechts zu lösen sind, d.h. ob die Staatsangehörigkeit einen stärkeren Anknüpfungspunkt als etwa der Handlungsort bietet. Dies kann nur aus Sicht des deutschen Rechts bejaht werden. Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs ist daher nur zu entnehmen, dass § 35 AWG von völkerrechtlichen Prinzipien gedeckt ist, nicht jedoch, wie Konflikte zwischen zwei völkerrechtlichen Prinzipien aufzulösen sind. Dies zeigt wiederum, dass dem Staat durch das Völkerrecht ein weiter Ermessenspielraum eingeräumt ist, in welchem Umfang sein Recht gelten soll, selbst wenn es dadurch zu Normenkollisionen kommt.39 4. Verhältnis zur Völkerrechtswidrigkeit weltweiter Geltung Dieses Ergebnis scheint auf den ersten Blick im Widerspruch dazu zu stehen, dass die weltweite Geltung von Verhaltensnormen gegen den völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatz verstößt.40 Ist dies der Fall, so müssten sich eigentlich im Umkehrschluss aus dem Souveränitätsgrundsatz die Grenzen entnehmen lassen, innerhalb derer Verhaltensnormen gelten dürfen. Jedoch beruht die Annahme einer Verletzung des völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatzes darauf, dass bei weltweiter Geltung der Verhaltensnormen in einigen Fällen definitiv kein Bezug zur deutschen Rechtsordnung zu erkennen ist.41 Ab wann jedoch von einem ausreichenden Bezug zu dem Staat gesprochen werden kann, dem das Verbot entstammt, ist damit noch nicht geklärt. Sandrock formuliert anschaulich, es gebe eine „weiße Zone“, in der Rechtsetzung völkerrechtlich erlaubt, eine „schwarze Zone“, in der sie verboten sei und eine ganz erhebliche „graue Zone“, in der die völkerrechtliche Rechtsetzungsbefugnis zweifelhaft sei.42 Laut Ziegenhain kommen nur Einzelfalllösungen in Betracht.43 Dies zeigt sich auch daran, dass die Lösung von Kollisionen verschiedener Rechtsordnungen aus völkerrechtlicher Perspektive völlig ungeklärt ist.44
39 So auch Bär, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 15 ff.; Krey, Strafanwendungsrecht, S. 22 f.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kap. Rn. 177. 40 Kap. 7 B., S. 169 ff. 41 Siehe oben Kap. 7 B. I. 2., S. 172 f. 42 Sandrock, S. 90 in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. 43 Ziegenhain, RIW 1993, 900. 44 Siehe zur völkerrechtlichen Zulässigkeit dieser Konkurrenz von Anknüpfungspunkten Lauterbach, Teilnahme, S. 46 ff.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Die Tatsache, dass die unbegrenzte Geltung von Verhaltensnormen völkerrechtswidrig ist, bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass dem Völkerrecht auch konkrete Grenzen der Verhaltensnormen zu entnehmen sind. Die Aussage des Bundesgerichtshofs, es fehle „[. . .] an eindeutigen völkerrechtlichen Maßstäben für das Gewicht solcher Gründe und das Ausmaß der durch sie bewirkten Normsetzungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers [. . .]“ 45, besitzt daher immer noch Gültigkeit.46
III. Ergebnis Im Ergebnis können dem Völkerrecht daher keine konkreten Grenzen der Verhaltensnormen entnommen werden. Zwar verbietet das Völkerrecht eine allzu weite Ausdehnung der eigenen staatlichen Verhaltensnormen.47 Das Ermessen der einzelnen Staaten bei der Ausgestaltung ihres Geltungsbereichsrechts ist jedoch so groß, dass es keine hinreichende Übereinstimmung für die Annahme völkerrechtlicher Grenzen gibt.48 Die oben angeführten Ansichten49 sind daher allesamt abzulehnen.
C. Grenzen aus supranationalem Recht Können die Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen demnach weder deutschem noch Völkerrecht entnommen werden, so bleibt zu überlegen, ob sich die Grenzen des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen aus supranationalem Recht ermitteln lassen.50 Damit ist das Recht der Europäischen Union und der ihr angehörigen Institutionen gemeint.51 Dieses ist gegenüber nationalem Recht vorrangig anzuwenden.52 Da das deutsche Recht jedoch keine allgemeine 45
BGH, Urt. v. 20.10.1976, BGHSt 27, 30, 32. Ebenso Habscheid, der das Kriterium einer genügend engen Beziehung als „zutreffend, aber noch zu unbestimmt“ verwirft, S. 54 in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. Siehe auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsordnung, S. 73; C. Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, S. 103; Nietsch, Insiderrecht, S. 111, 154; Ohler, Kollisionsordnung, S. 6; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 59 ff.; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 91. 47 Siehe oben Kap. 7 B., S. 169 ff. 48 Ebenso Rudolf, S. 18 ff. in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen; F.-C. Schroeder, NJW 1969, 81 ff. Siehe auch K. Vogel, Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 416. 49 Kap. 6 E., S. 158 ff. 50 Schon Neumann verweist auf supranationale Normen, allerdings ohne dies näher zu erläutern, FS Müller-Dietz, S. 601 f. 51 Zum Begriff der Supranationalität siehe Haratsch/König/Pechstein, Europarecht, Rn. 60; Herdegen, Europarecht, § 5 Rn. 9 ff.; Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 14 f. 52 Siehe hierzu etwa Herdegen, Europarecht, § 10 Rn. 1 ff.; Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 11 Rn. 1 ff. 46
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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Geltungsbereichsregelung für Verhaltensnormen enthält, tritt zumindest in Bezug auf allgemein formulierte Vorschriften kein Normenkonflikt auf, falls sich supranationale Geltungsbereichsregeln ermitteln lassen.
I. Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung Eine solche Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen könnte sich aus Art. 17 Rom-II-VO ergeben. Die Rom-II-Verordnung ist eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft und seit dem 11. Januar 2009 in Kraft. Sie enthält Kollisionsnormen zur Ermittlung des auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts und ist damit Teil des Internationalen Privatrechts. Art. 17 Rom-II-VO lautet in seiner deutschen Fassung: Sicherheits- und Verhaltensregeln Bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, sind faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.
Art. 17 Rom-II-VO regelt demzufolge die Berücksichtigung von Sicherheitsund Verhaltensregeln in Fällen deliktischer Haftung. Da Art. 17 Rom-II-VO gem. Art. 3 Rom-II-VO universell anzuwenden ist, gilt Art. 17 Rom-II-VO nicht nur, wenn das haftungsbegründende Ereignis in einem Mitgliedsstaat stattgefunden hat, sondern auch, wenn dies in einem Staat geschehen ist, in dem die Rom-IIVerordnung nicht anwendbar ist. Art. 17 Rom-II-VO stellt somit für das deutsche Recht eine umfassende Regelung der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln dar. Fraglich ist allerdings, ob Art. 17 Rom-II-VO als allgemeine Geltungsbereichsregelung für Verhaltensnormen aufgefasst werden kann. Dies setzt zweierlei voraus. Erstens muss Art. 17 Rom-II-VO überhaupt Verhaltensnormen betreffen. Und zweitens muss Art. 17 Rom-II-VO auch die Geltung der Verhaltensnormen regeln. 1. Regelung von Verhaltensnormen Die Überschrift des Art. 17 Rom-II-VO lautet „Sicherheits- und Verhaltensregeln“. Dementsprechend geht es in der Vorschrift um die Berücksichtigung genau dieser Regeln. Die Interpretation des Art. 17 Rom-II-VO als allgemeine Geltungsbereichsregelung für Verhaltensnormen setzt daher voraus, dass von den in Art. 17 Rom-II-VO benannten Sicherheits- und Verhaltensregeln auch Verhaltensnormen erfasst werden. Zweifel könnten bestehen, weil Art. 17 Rom-II-VO von Verhaltensregeln und nicht von -normen spricht.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
a) Legaldefinition in Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-VO Der Begriff der Sicherheits- und Verhaltensregeln ist in Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung legal definiert. Danach handelt es sich bei Sicherheits- und Verhaltensregeln um alle Vorschriften, die in Zusammenhang mit Sicherheit und Verhalten stehen. Diese Definition ist an und für sich nicht besonders hilfreich.53 Es versteht sich von selbst, dass Sicherheits- und Verhaltensregeln etwas mit Sicherheit und Verhalten zu tun haben. Die schwierige Frage ist jedoch, wann eine Vorschrift in Zusammenhang mit Sicherheit und Verhalten steht. Es ließe sich z. B. durchaus vertreten, dass jede Sanktion der Sicherheit – nämlich der Rechtssicherheit – dient. Jedenfalls die zivilrechtlichen Sanktionsnormen können jedoch nicht von Art. 17 Rom-II-VO erfasst werden, weil sonst die gesamte restliche Regelung der Verordnung überflüssig wäre. Mit „Sicherheitsregeln“ muss daher etwas anderes gemeint sein. Auch ist nicht klar, wodurch sich Sicherheits- von Verhaltensregeln unterscheiden und ob es überhaupt einen Unterschied zwischen den beiden Regelungen gibt. Eine präzisere Definition hätte hier zur Klarstellung beigetragen. Im Hinblick auf Verhaltensnormen hilft die Definition jedoch weiter. Wenn Verhaltensregeln alle Vorschriften sind, die in Zusammenhang mit Verhalten stehen, müssen davon jedenfalls Verhaltensnormen erfasst sein, die offenkundig ausschließlich in Zusammenhang mit Verhalten stehen.54 Dies gilt jedenfalls, soweit die Verhaltensnormen ihren Niederschlag in Rechtsvorschriften gefunden haben und somit als „Vorschrift“ bezeichnet werden können.55 Das ist zumindest bei allen für das Strafrecht relevanten Verhaltensnormen der Fall.56 Demzufolge umfasst der Begriff „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ jedenfalls auch Verhaltensnormen.57 Dies entspricht der Verwendung der Begriffe in der deutschen Rechtsprechung, die uneinheitlich mal von Verhaltensnormen, mal von Verhaltensregeln spricht.58 Gestützt wird diese Interpretation durch den Vergleich mit anderen Sprachfassungen. Der verbindliche Wortlaut der EG-Vorschriften ergibt sich aus dem Amtsblatt der Europäischen Union. Allerdings hat die Europäische Union 23
53 Kritisch auch Buschbaum, Anspruchspräklusion, S. 217; Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 11. 54 Zu Verhaltensnormen siehe oben Kap. 2 A., S. 36 ff. 55 Siehe hierzu Lagodny, Schranken, S. 79. Weitergehend Junker, der auch durch die Rechtsprechung geschaffene Regeln von Art. 17 Rom-II-VO erfasst sieht, Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 10. Noch weiter Dickinson (non-legally binding conventional standards of behaviour), The Rome II Regulation, Rn. 15.32. 56 Lagodny, Schranken, S. 79. 57 Vgl. auch Buschbaum, Anspruchspräklusion, S. 217. 58 Siehe die Nachweise bei Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 421.
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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Amtssprachen.59 Gem. Art. 4 EWG-VO Nr. 1/195860 sind Verordnungen in allen Amtssprachen zu veröffentlichen, so dass es 23 verbindliche Versionen der RomII-Verordnung gibt. Eine akkurate Analyse des Wortlauts der Verordnung müsste sich daher auf alle 23 Fassungen beziehen. In der Praxis wird sich jedoch niemand finden lassen, der in der Lage ist, Rechtstexte in allen 23 Amtssprachen der Europäischen Union zu verstehen.61 Hier sind der Auslegung daher in tatsächlicher Hinsicht Schranken gesetzt. Im Folgenden kann nur auf die deutsche, englische, französische und spanische Version der Rom-II-Verordnung eingegangen werden. In der englischen Version der Rom-II-Verordnung heißen die Sicherheits- und Verhaltensregeln „rules of safety and conduct“. Das Wort „rule“ kann jedoch ebensogut „Regel“ wie „Norm“ heißen.62 Gleiches gilt für die französische Variante „règles de sécurité et de comportement“. Noch deutlicher ist die spanische Fassung der Rom-II-Verordnung, in der die Sicherheits- und Verhaltensregeln als „normas de seguridad y comportamiento“ bezeichnet werden, in der also explizit der Ausdruck „Norm“ verwendet wird. Die im Deutschen gewählte Bezeichnung der entsprechenden Normen als Sicherheits- und Verkehrsregeln anstelle von -normen scheint daher eher dem Zufall geschuldet zu sein, als eine besondere Bedeutung zu haben. b) Beispiel der Straßenverkehrsregeln Dass die Sicherheits- und Verhaltensregeln im Sinne des Art. 17 Rom-II-VO zumindest auch Verhaltensnormen umfassen, zeigt sich auch an dem in Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung genannten Beispiel. Gem. Nr. 34 der Erwägungsgründe sind Sicherheits- und Verhaltensregeln alle Vorschriften, die in Zusammenhang mit Sicherheit und Verhalten stehen, einschließlich der Straßenverkehrssicherheit. Was mit „Vorschriften, die in Zusammenhang mit Straßenverkehrssicherheit stehen“ gemeint ist, wird bei einem Blick auf die anderssprachigen Versionen der Rom-II-Verordnung deutlich. Anstelle von „Straßenverkehrssicherheit“ verwendet die englische Fassung den Ausdruck 59 Die Amtssprachen der Europäischen Union werden in Art. 1 Verordnung Nr. 1/ 1958 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Abl. 1958 B 17, S. 385, aufgeführt. Die gültige Fassung ist die, die dieser durch Art. 1 Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung einiger Verordnungen, Beschlüsse und Entscheidungen [. . .] anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, Abl. 2006 L 363, S. 1, erhalten hat. 60 Wiederum in der durch Art. 1 EG-VO Nr. 1791/2006 geprägten Fassung. 61 Siehe zu den Problemen auch Classen in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 6 Rn. 12 ff. 62 Z. B. übersetzt W. Lorenz – in einem anderen Zusammenhang – „rules of conduct and safety“ als „Verhaltensnormen und Sicherheitsstandards“, RabelsZ 37 (1973), 349.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
„road safety rules“, also Straßenverkehrssicherheitsregeln. Auch die französische Fassung spricht von „règles en matière de sécurité routière“ und somit ebenfalls von Straßenverkehrssicherheitsregeln. Das Gleiche gilt für den spanischen Ausdruck „las [normas] de seguridad vial“. Vor diesem Hintergrund wäre es besser gewesen, wenn die deutsche Fassung ebenfalls von „Straßenverkehrssicherheitsregeln“ gesprochen hätte. Als „Straßenverkehrssicherheitsregeln“ sind jedoch jedenfalls die allermeisten der Straßenverkehrsregeln anzusehen. Denn das, was üblicherweise als „Straßenverkehrsregeln“ bezeichnet wird, also die in der Straßenverkehrsordnung enthaltenen Verhaltensvorschriften für Verkehrsteilnehmer, dient der Sicherheit des Straßenverkehrs und seiner Teilnehmer. Unter Sicherheits- und Verhaltensregeln sind daher auch die Straßenverkehrsregeln zu verstehen.63 Straßenverkehrsregeln geben jedoch Vorgaben für das Verhalten im Straßenverkehr und sind somit Verhaltensnormen.64 Durch den Verweis auf die Straßenverkehrsregeln wird daher verdeutlicht, dass mit Sicherheits- und Verhaltensregeln zumindest auch die Verhaltensnormen gemeint sind. Da Art. 17 Rom-II-VO ohne nähere Einschränkung von „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ spricht, sind damit alle Verhaltensnormen gemeint.65 Eine Einschränkung auf „ortsgebundene Verhaltensregeln“ oder ähnliches kommt daher nicht in Betracht.66 Art. 17 Rom-II-VO enthält somit eine allgemeine Regelung aller Verhaltensnormen. 2. Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen Die Feststellung, dass Art. 17 Rom-II-VO Verhaltensnormen betrifft, genügt jedoch nicht, um diesen als allgemeine Geltungsbereichsregelung anzusehen. Fraglich ist vielmehr, ob Art. 17 Rom-II-VO den Geltungsbereich der Verhaltensnormen regelt.67 Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig, den theoretischen Hintergrund der Berücksichtigung von Verhaltensnormen zu beleuchten.
63 So offenbar auch Junker, JZ 2008, 177; Rauscher, IPR, Rn. 1317; Spickhoff in: Bamberger/Roth, BGB, Art. 42 EGBGB Rn. 118. 64 Siehe bereits oben Kap. 5 C., S. 87 ff. So auch Spickhoff in: Bamberger/Roth, BGB, Art. 42 EGBGB Rn. 118. 65 So auch Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 12; Nagel, Organtransplantation, S. 87 ff.; Ofner, ZfRV 2008, 17; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 1; G. Wagner, IPRax 2008, 6. 66 So lautete der Vorschlag für eine Änderung des Art. 17 Rom-II-VO der Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 43 f. 67 Im Hinblick auf Art. 17 Rom-II-VO stellt, soweit ersichtlich, nur Symeonides dieselbe Frage, AmJCompL 56 (2008), 212 ff.
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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a) Berücksichtigung der Straßenverkehrsregeln im deutschen Recht Die Frage, wie lokale Verhaltensnormen im Rahmen des Deliktsrechts Bedeutung erlangen können, war vor Inkrafttreten der Rom-II-Verordnung in Deutschland umstritten. Diskutiert wurde dies vor allem am Beispiel der Straßenverkehrsregeln. Im Ergebnis herrscht Einigkeit darüber, dass die Verkehrsregeln des Tatortes stets zu beachten sind.68 Die dogmatische Begründung dieses Ergebnisses ist jedoch stark umstritten. Da Art. 17 Rom-II-VO dieselbe Fragestellung betrifft, lassen sich die im deutschen Recht vertretenen Positionen und Argumente ohne weiteres auf die EG-rechtliche Ebene übertragen. aa) In der Literatur vertretene Ansichten Im Wesentlichen werden im deutschen Recht zur Methode der Berücksichtigung von Straßenverkehrsverhaltensnormen drei Ansichten vertreten. Vorgeschlagen wird zum einen eine kollisionsrechtliche Lösung. Die Vertreter dieser Lösung plädieren für eine Sonderanknüpfung der Verhaltensnormen.69 Danach unterliegen Verhaltensnormen grundsätzlich nicht dem Deliktstatut, sondern gehorchen eigenen, separaten Kollisionsnormen. Dies führt zu einer Spaltung des Deliktstatuts.70 Sobald eine Norm eine Verhaltenspflichtverletzung voraussetzt, was jedenfalls im Bereich der Verschuldenshaftung im Deliktsrecht der Fall ist, müsste als Vorfrage geklärt werden, welchem Recht die einschlägigen Verhaltensnormen zu entnehmen sind.71 Der herrschenden Gegenansicht nach sind die Straßenverkehrsverhaltensnormen hingegen nicht als Rechtsnormen anzuwenden, sondern bei der Auslegung des Sachrechts als Tatsachen zu berücksichtigen.72 Dies geht zurück auf die von Ehrenzweig begründete Datumtheorie, nach der bestimmte örtliche Tatsachen im Rahmen des materiellen Rechts zu berücksichtigen sind.73 Die Berücksichtigung 68
Siehe oben Fn. 16, S. 87. Dörner, JR 1994, 9 ff.; ders., FS Stoll, S. 496 ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 59 f.; wohl auch Becker, Sonderanknüpfung, S. 188 ff.; Kropholler, JZ 1971, 694; G. Wagner, IPrax 2008, 5. So für Verkehrsverhaltensnormen auch Spickhoff in: Bamberger/Roth, BGB, Art. 40 Rn. 13. Ihm zufolge soll die Bewertung der Tat als rechtswidrig jedoch dem Deliktstatut entnommen werden. Den darin befindliche Widerspruch löst Spickhoff leider nicht auf, Spickhoff in: Bamberger/Roth, BGB, Art. 40 Rn. 13 f. 70 Dörner, FS Stoll, S. 497. 71 Siehe Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 436. 72 Freigang, Grundstücksimmissionen, S. 150 ff.; Hohloch in: Erman, Art. 40 Rn. 43; Junker in: MüKo, BGB4, Bd. 10, Art. 40 Rn. 205; Looschelders, IPR, Art. 40 Rn. 16; Kropholler, IPR, S. 533; Stoll, FS Lipstein, S. 263 ff.; ders., S. 174 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten; Stone, EuLF 2004, 217; von Hoffmann/ Thorn, IPR, § 11 Rn. 58; von Hoffmann in: Staudinger, IPR, vor Art. 40 Rn. 57 ff. (2001); Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 351; wohl auch Sonnenberger in: MüKo4, BGB, Bd. 10, Einleitung Rn. 621. Allgemeiner Wengler, RevCritDIP 55 (1966), 194 ff. 73 Siehe zur Datumtheorie bereits Kap. 2 E. III. 6., S. 58 ff. 69
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
lokaler Verhaltensregeln wäre daher nur die Anpassung des anzuwendenden Sachrechts an einen Auslandssachverhalt.74 Gewissermaßen zwischen diesen beiden Positionen steht die Ansicht, nach der die Verhaltensnormen des Unfallortes die des Deliktstatuts substituieren sollen.75 Bei der Substitution wird eine in einer Sachnorm enthaltene deutsche Rechtserscheinung durch eine fremde ersetzt; ob und wie weit dies möglich ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.76 Die Substitution spielt sich folglich ebenfalls auf sachrechtlicher Ebene ab, schreibt jedoch nicht zwingend die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsache vor. bb) Normentheoretische Implikationen Der Streit um die dogmatische Begründung der Heranziehung der Straßenverkehrsregeln wäre für die Ausgangsfrage, ob Art. 17 Rom-II-VO den Geltungsbereich von Verhaltensnormen regelt, irrelevant, wenn er nicht auch normentheoretische Bedeutung hätte. Die normentheoretischen Implikationen haben insbesondere Stoll und Dörner herausgearbeitet.77 Die Sonderanknüpfung der Verhaltensnormen bedeutet, dass über eine – im deutschen Recht früher ungeschriebene, jetzt aus Art. 17 Rom-IIVO resultierende – Kollisionsnorm fremde Verhaltensnormen zur Anwendung berufen würden. Die Verhaltensnormen des Handlungsortes würden somit als Rechtsnorm berufen.78 Damit würde Art. 17 Rom-II-VO die Geltung von Verhaltensnormen regeln, so dass mit Hilfe des Art. 17 Rom-II-VO die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm zu bestimmen wäre. Auch die Substitutionslösung führt dazu, dass ausschließlich die fremden Verhaltensnormen gelten, so dass auch nach dieser Ansicht die Geltung der Verhaltensnormen geregelt wäre.79 Werden dagegen die Verhaltensnormen des Handlungsortes als Tatsachen berücksichtigt, so bedeutet dies, dass die Verhaltensnormen gerade nicht als Rechtsnorm gelten. Die Verhaltensanordnung, an die die Sanktionsnorm anknüpft, muss in einem solchen Fall der Rechtsordnung entnommen werden, aus der die Sanktionsnorm stammt. Dies führt jedenfalls dann zu Problemen, wenn die maßgebli74
von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 58. Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 435 ff. Siehe auch Dörner, FS Stoll, S. 498. 76 Sonnenberger in: MüKo, BGB4, Bd. 10, Einleitung, Rn. 614. 77 Dörner, JR 1994, 9 ff.; ders., FS Stoll, S. 496 ff.; Stoll, FS Lipstein, S. 260 ff.; ders., S. 171 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. 78 Dörner, FS Stoll, S. 497. 79 Insoweit ist Sieghörtner zuzustimmen, wenn er sagt, die Ergebnisse zwischen Substitution und Sonderanknüpfung unterschieden sich nicht, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 436. 75
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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chen Verhaltensnormen des Deliktstatuts Auslandssachverhalte gar nicht erfassen wollen.80 Auch hier können die Straßenverkehrsregeln als Beispiel dienen, die auf deutsche Straßen beschränkt sind.81 In einem solchen Fall soll die Verhaltensanordnung aus dem allgemeinen Gebot, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu üben, resultieren, welches durch die örtlichen Vorschriften konkretisiert wird.82 Wenn die örtliche Verhaltensnorm daher nur als Tatsache berücksichtigt wird, bedeutet dies, dass die geltende Verhaltensnorm derselben Rechtsordnung entstammt, der auch die Sanktionsnorm zu entnehmen ist. Bezogen auf Art. 17 Rom-II-VO heißt das, dass dieser nicht die Geltung der Verhaltensnormen regelt, sondern nur die Berücksichtigung „als Tatsache“ festlegt. Dementsprechend gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Art. 17 Rom-IIVO regelt die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsachen und damit nicht deren Geltung, oder Art. 17 Rom-II-VO regelt die rechtliche Verbindlichkeit der lokalen Verhaltensnormen und damit deren Geltungsbereich. b) Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO Welche der beiden Alternativen zutrifft, ist durch Auslegung des Art. 17 RomII-VO zu ermitteln. Als EG-Verordnung gilt die Rom-II-Verordnung gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV (ex Art. 249 Abs. 2 EGV) allgemein und unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. EG-Verordnungen entsprechen demnach in Wirkung und Struktur deutschen Gesetzen.83 Aus diesem Grund lassen sich die für die Auslegung von Gesetzen entwickelten Methoden auf EG-Verordnungen übertragen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei EG-Verordnungen um Recht einer supranationalen Rechtsordnung handelt, das nicht nur für die deutsche Rechtsordnung konzipiert wurde. Bei der Auslegung EG-rechtlicher Vorschriften muss dies berücksichtigt werden.84 Eine wesentliche Rolle spielen auch der Sinn und Zweck der Vorschrift und insbesondere die Effektivität des Gemeinschaftsrechts, der sog. effet utile.85 Im Folgenden soll durch Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden ermittelt werden, ob Art. 17 Rom-II-VO den Geltungsbereich der Sicherheits- und Verhaltensregeln regelt.
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Dörner, FS Stoll, S. 498. Kap. 5 C., S. 87 ff. 82 Stoll, FS Lipstein, S. 264; Stoll, S. 174 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. 83 Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 35. 84 Siehe hierzu Brödermann, NJW 2010, 810; Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Vor Art. 1 Rom-II-VO Rn. 31; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Vorbemerkungen, Rn. 4; von Westphalen, AnwBl 2008, 1 ff. 85 Siehe hierzu von Westphalen, AnwBl 2008, 5. 81
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
aa) Grammatische Auslegung Der erste Zugriff zum Inhalt einer Vorschrift geschieht immer über den Wortlaut. Dies liegt daran, dass Rechtsvorschriften in der heutigen Zeit stets durch Worte kommuniziert werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei der grammatischen Auslegung von EG-Vorschriften alle 23 verschiedenen Sprachfassungen so gut wie möglich zu berücksichtigen sind.86 Auch im Folgenden sollen daher neben der deutschen auch die englische, französische und spanische Fassung berücksichtigt werden. Gem. Art. 17 Rom-II-VO sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln „faktisch“ zu berücksichtigen. Diese Formulierung ist in der deutschen Sprache ansonsten kaum gebräuchlich und erschließt sich in ihrer Bedeutung daher auf den ersten Blick nicht.87 Was mit „faktischer Berücksichtigung“ gemeint ist, wird erst beim Vergleich der deutschen Formulierung mit der anderer Sprachen deutlich. Die entsprechende Passage lautet im Englischen „account shall be taken, as a matter of fact [. . .] of the rules of safety and conduct“, im Französischen „il est tenu compte, en tant qu’élément de fait [. . .] des règles de sécurité et de comportement“ und im Spanischen „habrán de tenerse en cuenta, como una cuestión de hecho [. . .] las normas de seguridad y comportamiento“. In den drei anderen Fassungen wird deutlich, dass die Sicherheits- und Verhaltensregeln als Tatsache zu berücksichtigen sind. Das ist zwar auch eine Bedeutung des Adjektivs „faktisch“. Trotzdem wäre aus wünschenswert gewesen, wenn die Rom-II-Verordnung in ihrer deutschen Fassung das Wort „faktisch“ durch das in der Rechtssprache gebräuchlichere „als Tatsache“ ersetzt hätte.88 Unabhängig davon ist jedoch festzuhalten, dass faktische Berücksichtigung, bzw. die Berücksichtigung einer Norm als Tatsache, in sprachlicher Hinsicht nicht gleichbedeutend ist mit Geltung einer Norm.89 Während „Geltung“ die rechtliche Verbindlichkeit einer Norm beschreibt, deutet der Ausdruck „faktische Berücksichtigung“ darauf hin, dass die Norm in diesem Zusammenhang gerade nicht als Recht herangezogen werden soll. Soll eine Norm nur als Tatsache berücksichtigt werden, bedeutet dies, dass nicht ihre rechtliche Bindungswirkung entscheidend ist, sondern nur ihre tatsächliche Existenz. Andernfalls hätte der EG-Verordnungsgeber sich dafür entscheiden können, in Art. 17 Rom-II-VO die Geltung bzw. Anwendung90 der Sicherheits- und Verhaltensregeln festzulegen. 86
Siehe oben Kap. 9 C. I. 1. a), S. 212 ff. Dörner verwendet allerdings denselben Ausdruck, JR 1994, 10. 88 So lautete noch die Formulierung der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments und des Rates nach der ersten Lesung, TA(2005), 284. Auch Freigang hält diese Übersetzung für zutreffender, Grundstücksimmissionen, S. 265. 89 Auf diesen Unterschied weist in anderem Zusammenhang bereits Krapp hin, Distanzdelikt, S. 144. 90 Zur Gleichbedeutung von Geltung und Anwendung in diesem Zusammenhang siehe Kap. 4 A., S. 66 ff. 87
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Dass der Begriff der „Berücksichtigung“ in Art. 17 Rom-II-VO bewusst gewählt ist, zeigt sich bei einem Vergleich mit der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Rom-II-VO. Im Gegensatz zu Art. 17 Rom-II-VO spricht diese vom „Anwenden“ des entsprechenden Rechts (Art. 4 Abs. 1, 3 Rom-II-VO). Terminologische Unterschiede finden sich auch in anderen Sprachfassungen: Die englische verwendet die Verben „to apply“ (Art. 4 Abs. 2, 3 Rom-II-VO)91 und „to take account of“ (Art. 17 Rom-II-VO), die französische „appliquer“ (Art. 4 Abs. 2, 3 Rom-II-VO)92 und „tenir compte de“ (Art. 17 Rom-II-VO) und die spanische „aplicarse“ (Art. 4 Abs. 2, 3 Rom-II-VO)93 und „tenerse en cuenta“ (Art. 17 Rom-II-VO). Es ist daher davon auszugehen, dass der Wortlaut des Art. 17 RomII-VO sich bewusst von dem der allgemeinen Kollisionsnorm unterscheidet. Dies spricht dafür, dass Art. 17 Rom-II-VO nicht die Geltung der Verhaltensnormen regelt, sondern deren Berücksichtigung als Tatsache. bb) Historische Auslegung Bei der historischen Auslegung soll der Wille des Normgebers ermittelt werden.94 Dabei ist die Entstehungsgeschichte der Norm zu berücksichtigen. Da Art. 17 Rom-II-VO die erste Vorschrift ihrer Art von supranationalem Rang ist, kann nicht auf Vorgängernormen zurückgegriffen werden. Allerdings wurde der jetzige Art. 17 Rom-II-VO mehrfach verändert, bis er in der in der Rom-II-Verordnung enthaltenen Fassung verabschiedet wurde. Ein Blick auf frühere Versionen des Art. 17 Rom-II-VO könnte daher Aufschluss darüber geben, ob die Vorschrift die Geltung der Verhaltensnormen regeln soll. (1) Der Vorentwurf Am 3. Mai 2002 veröffentlichte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften einen Vorentwurf zur späteren Rom-II-Verordnung, der nur in englischer Sprache vorliegt.95 Schon früher hatte es Bestrebungen gegeben, das Internationale Deliktsrecht zu vereinheitlichen,96 so dass der Vorentwurf nur den Abschluss eines über 30 Jahre dauernden Prozesses darstellte.97 In diesem Vorentwurf befand sich mit Art. 13 bereits eine Vorschrift über Verhaltensnormen. 91
Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO verwendet das entsprechende Adjektiv „applicable“. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO verwendet das entsprechende Adjektiv „applicable“. 93 Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO verwendet das entsprechende Adjektiv „aplicable“. 94 Siehe hierzu Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Vor Art. 1 Rom-II-VO Rn. 32. 95 Kommission, Vorentwurf Rom II. Eine nicht-amtliche Übersetzung findet sich in Leible (Hrsg.), Bedeutung des Internationalen Privatrechts, S. 181 ff. 96 Siehe hierzu etwa KOM(2003) 427, S. 2 ff. 97 Siehe zu früheren Projekten etwa Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 2 ff. 92
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Art. 13 des Vorentwurfes Rom II lautet: Art. 13 – Rules of conduct and safety Whatever may be the applicable law, in determining liability account shall be taken of the rules of conduct and safety which were in force at the place and time of the act giving rise to non-contractual liability.98
Die Resonanz des Vorentwurfes in der Öffentlichkeit war sehr groß und es gingen dazu über 80 Stellungnahmen ein.99 Teilweise stammten die Beiträge aus der akademischen Welt, teilweise von namhaften Wirtschaftsunternehmen wie z. B. amazon.com.100 Die Kommission fasste die Stellungnahmen in einem weiteren Dokument zusammen.101 Zu Art. 13 des Vorentwurfes führt die Kommission aus, dass dieser von einigen Beiträgen als Möglichkeit angesehen wurde, einen Ausgleich zwischen den Interessen des Schädigers und des Geschädigten herbeizuführen. Während die Grundregel aus Art. 3 des Vorentwurfes eher den Geschädigten begünstigt, sei durch die Berücksichtigung lokaler Normen sichergestellt, dass der Schädiger nur für vorhersehbare Schäden hafte.102 In anderen Beiträgen wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Regelung des Art. 13 zu Verwirrung darüber führen könnte, welches Recht letztendlich anzuwenden sei.103 (2) Der Vorschlag der Kommission von 2003 2003 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) vor.104 Dieser enthielt eine veränderte Version des Art. 13: Art. 13 – Sicherheits- und Verhaltensregeln Unabhängig vom anzuwendenden Recht sind bei der Feststellung der Haftung die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort und zum Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses zu berücksichtigen.
Geändert wurde nur der Bezugspunkt für die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln: Während der Vorentwurf vom „act giving rise to non-contractual liability“, also von der Begründung des außervertraglichen Schuldverhältnisses, sprach, verwendet der Verordnungsvorschlag den Ausdruck 98 Zu Deutsch: „Unabhängig vom anzuwendenden Recht sind bei der Festlegung der Haftung die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort und zum Zeitpunkt der Begründung des außervertraglichen Schuldverhältnisses zu berücksichtigen.“ (Übersetzung aus Leible (Hrsg.), Bedeutung des Internationalen Privatrechts, S. 185). 99 Kommission, Beiträge Rom II. 100 Vgl. die Liste in Kommission, Beiträge Rom II. 101 Kommission, Beiträge Rom II. 102 Kommission, Beiträge Rom II. 103 Kommission, Beiträge Rom II. So insbesondere Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 43 f. 104 KOM(2003) 427 endgültig.
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„event giving rise to the damage“ bzw. „[Eintritt des] schädigenden Ereignisses“. Trotz dieser Änderung bleibt jedoch unklar, worauf sich Art. 13 des Vorschlags bezieht.105 Das schädigende Ereignis kann nämlich sowohl das Verhalten als auch die Rechtsgutsverletzung sein, weil nach der im deutschen Recht üblichen Differenzierung der Schaden aus der Rechtsgutsverletzung resultiert, die ihrerseits auf einem Fehlverhalten beruht.106 Paralleles lässt sich für die englische Fassung des Vorschlags sagen.107 Auch die französische Fassung ist nicht präziser. Danach ist der relevante Bezugspunkt „la survenance du fait générateur du dommage“, also der Eintritt des den Schaden erzeugenden Ereignisses. Hierfür kommt ebenfalls das Verhalten oder die Rechtsgutsverletzung in Betracht. Noch ungenauer ist die spanische Fassung des Verordnungsvorschlags: Danach kommt es auf Ort und Zeitpunkt des „hecho que genera la responsabilidad extracontractual“ an, also auf Ort und Zeitpunkt des Tatbestands, aus dem sich die außervertragliche Haftung ergibt. Ob damit das Verhalten oder die Rechtsgutsverletzung oder der Schaden gemeint ist, lässt sich dem Wortlaut als solchem nicht entnehmen. Deutlicher wird dies beim Rückgriff auf die Erläuterungen zu Art. 13 des Vorschlags.108 Danach soll Art. 13 die Feststellung zu Grunde liegen, dass der Schädiger die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Landes zu beachten hat, in dem er handelt. Der Zusatz „in dem er handelt“ findet sich zwar nicht in der deutschen Fassung, jedoch in der englischen („in which he operates“), französischen („dans lequel il agit“) und spanischen („en el cual actúa“). Es dürfte sich daher um ein redaktionelles Versehen handeln. Dieses Versehen erklärt jedoch z. B. die Aussage Frickes, es gelte das „Recht des Schadenseintrittsortes“ 109. Dasselbe ergibt sich aus einem Vergleich der in Art. 13 des Vorschlags verwendeten Terminologie mit Art. 3 des Vorschlags.110 Danach ist im Grundsatz das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, nicht jedoch das des Staates, in dem das schädigende Ereignis eintritt oder in dem die indirekten Schadensfolgen festzustellen sind. Bei Übertragung dieses Dreiklangs auf die in Deutschland übliche Terminologie entspricht das schädigende Ereignis dem Verhalten, der Schaden der Rechtsgutsverletzung und die indirekten Schadensfolgen 105 Kritisch auch Dickinson, EurBusLRev 13 (2002), 374; G. Wagner, IPRax 2006, 376; von Hein, ZVglRWiss 102 (2003), 543. 106 Siehe auch Stoll, S. 170 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. 107 Siehe Symeonides, FS Jayme, S. 940 f. 108 KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. 109 Fricke, VersR 2005, 738. Unverständlich ist hingegen, wieso Leible und Engel die „Begründung des außervertraglichen Schuldverhältnisses“ als Bezugspunkt des Art. 13 des Vorschlags wählen, EuZW 2004, 16. Diese für den Vorentwurf Rom II passende Übersetzung (vgl. Leible (Hrsg.), Bedeutung des Internationalen Privatrechts, S. 185) ist mit dem Wortlaut des tatsächlichen Vorschlags nicht mehr zu vereinbaren. 110 Vgl. hierzu Symeonides, FS Jayme, S. 940 f.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
dem Schaden im Sinne unseres Deliktsrechts.111 Die Regelung des Art. 13 macht daher nur Sinn, wenn sie sich nicht auf den Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung bezieht. Daher stellt Art. 13 des Vorschlags – im Gegensatz zur Regelung in Art. 3 des Vorschlags112 – nicht auf den Ort und Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung, sondern den des zur Rechtsgutsverletzung führenden Verhaltens ab.113 Dies unterstreicht, dass Art. 13 des Vorschlags in der Tat Verhaltensnormen betrifft, da bei Verhaltensnormen der tatsächliche Erfolgsort stets unbeachtlich ist.114 (3) Die erste Änderung durch das Europäische Parlament Vor der ersten Lesung des Vorschlags der Kommission ersuchte das Parlament den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme und bat um Berichte des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wies darauf hin, dass aus Art. 13 des Vorschlags zumindest in einigen Sprachfassungen nicht eindeutig hervorgehe, dass die Normen des Handlungsortes anzuwenden seien, und forderte die Kommission zur eindeutigen Formulierung des Art. 13 auf.115 Angesichts des oben Gesagten muss diese Kritik als berechtigt angesehen werden, so dass die Aufforderung gut nachvollziehbar ist. Auch der Rechtsausschuss schlug eine Änderung des Art. 13 vor. Nach dem Änderungsantrag 45 des Berichts des Rechtsausschusses116 sollten die Sicherheits- und Verhaltensregeln wie ein Sachverhaltselement zu berücksichtigen sein, sofern dies angemessen sei.117 In seiner legislativen Entschließung nach Abschluss der ersten Lesung griff das Europäische Parlament diesen Änderungsvorschlag auf und formulierte in dem früheren Art. 13, dem jetzigen Art. 15, Sicherheits- und Verhaltensregeln seien, soweit angemessen, als Tatsache zu berücksichtigen.118 Auf den ersten Blick ist die abweichende Formulierung verwunderlich. Ein Blick auf die englische Fassung der entsprechenden Dokumente 111 Ebenso Heiss/Loacker, JBl. 2007, 624 m.w. N.; Symeonides, FS Jayme, S. 940; G. Wagner, IPRax 2008, 4. Siehe auch Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 265 f. 112 Jetzt Art. 4 Rom-II-VO. 113 Huber und Bach weisen allerdings darauf hin, dass die gleiche Formulierung in der EuGVVO so ausgelegt wird, dass sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort umfasst sind. Zu Recht kritisieren sie dies als widersprüchlich, IPRax 2005, 76. 114 Siehe oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff. 115 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, 409. Plenartagung am 2. und 3. Juni 2004, Abl. 2004 C 241, S. 6. 116 Bericht des Rechtsausschusses vom 27.06.2005, A6-0211/2005. 117 Bericht des Rechtsaussschusses, A6-0211/2005, S. 33 f. Zustimmend Sonnentag, der die Klarstellung begrüßt, ZVglRWiss 2006, 310 Fn. 275. 118 Legislative Entschließung, TA(2005), 284. Siehe auch den Hinweis in Abl. 2006 C 157/E 370.
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zeigt jedoch, dass diese sich nicht unterscheiden. In beiden Dokumenten findet sich der Ausdruck „as a matter of fact and in so far as is appropriate“. Die Unterschiede der deutschen Fassung sind daher nur übersetzungsbedingt und haben keine Bedeutung. Der Blick auf die englische Formulierung verrät zugleich die große Bedeutung des Änderungsvorschlags. Denn dieselbe Formulierung, „as a matter of fact and in so far as is appropriate“, findet sich auch in der englischen Fassung von Art. 17 Rom-II-VO. Die deutsche Fassung des Art. 17 Rom-II-VO enthält mit dem Ausdruck „faktisch und soweit angemessen“ somit eine dritte Übersetzung des englischen Wortlautes. Leider ist die letzte, verbindlich gewordene Übersetzung die schlechteste.119 In seiner Begründung der Änderung verweist der Rechtsaussschuss knapp auf die Erwägungen der Kommission zu Art. 13, die sich auch im Wortlaut der Vorschrift niederschlagen sollten.120 Die Kommission hatte in etwas kryptischer Weise ausgeführt:121 „Es gilt, zwischen der Berücksichtigung fremden Rechts und seiner Anwendung zu unterscheiden: Das Gericht wendet ausschließlich das durch die Kollisionsnorm bezeichnete Recht an, muss aber fremdes Recht wie ein Sachverhaltselement berücksichtigen [. . .]“ 122. Dies verdeutlicht, dass die „faktische Berücksichtigung“ bzw. „Berücksichtigung als Tatsache“ von Verhaltensnormen ganz bewusst als Gegenstück zur Anwendung des durch die Kollisionsnorm berufenen Rechts aufgefasst werden soll. Die Einschränkung der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln auf Fälle, in denen dies angemessen ist, ist nach Ansicht des Rechtsausschusses darauf zurückzuführen, dass die örtlichen Regelungen nicht in allen Fällen von Bedeutung seien.123 Als Beispiel nennt der Rechtsausschuss auf der einen Seite Verkehrsunfälle, auf der anderen Verletzungen des lauteren Wettbewerbs.124 Wann die lokalen Vorschriften von Bedeutung seien und deren Berücksichtigung damit zulässig sei, erläutern jedoch weder der Rechtsausschuss, noch das Parlament. Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres geht in seiner Stellungnahme gar nicht auf Art. 13 ein, so dass auch hier keine Aufklärung zu finden ist. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Einführung des Ausdrucks „faktisch und soweit angemessen“ in Art. 17 Rom-II-VO auf den Bericht des Rechtsausschusses zurückzuführen sind, dort jedoch nur knapp begründet wurden. 119
Siehe dazu bereits oben Kap. 9 C. I. 2. b) aa), S. 218 ff. Bericht des Rechtsaussschusses, A6-0211/2005, S. 34. 121 Als „cryptic“ bezeichnet auch Symeonides die entsprechende Passage, FS Jayme, S. 943. 122 KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. 123 Bericht des Rechtsaussschusses, A6-0211/2005, S. 34. 124 Bericht des Rechtsaussschusses, A6-0211/2005, S. 34. 120
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
(4) Der geänderte Vorschlag der Kommission von 2006 Als Folge der umfangreichen Änderungsvorschläge des Parlaments legte die Kommission 2006 einen geänderten Vorschlag zur Rom-II-Verordnung vor.125 Darin stimmte sie der Änderung des Art. 13 des alten Vorschlags nach Maßgabe des Vorschlags des Parlaments vorbehaltlos zu.126 Der ehemalige Art. 13 ist nach neuer Nummerierung Art. 14 des geänderten Vorschlags.127 Eine speziell auf Art. 13 des alten Vorschlags bezogene Begründung lieferte die Kommission nicht. Zu einer Gruppe von Änderungen, zu denen auch der Änderungsvorschlag 45, der Art. 13 betrifft, gehört, führt die Kommission jedoch aus, diese würden „[. . .] entweder zur Verständlichkeit des Textes beitragen, bestimmte Detailfragen klären oder für die Umsetzung des ersten Verordnungsvorschlags nützliche Zusätze enthalten [. . .]“ 128. Damit bestätigt die Kommission, dass die vom Europäischen Parlament vorgenommene Interpretation der Art und Weise der Berücksichtigung lokaler Verhaltensnormen – nämlich als Tatsache – korrekt ist. Gleichzeitig billigt sie die Einschränkung des früheren Art. 13 auf die Anwendung lokaler Verhaltensnormen „soweit angemessen“. Die Anregung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, Art. 13 präziser zu formulieren, wurde nicht aufgenommen, obwohl sich die Kommission grundsätzlich auf dessen Stellungnahme bezieht.129 Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht ersichtlich. (5) Der Gemeinsame Standpunkt des Rates Gem. dem in Art. 294 AEUV (ex Art. 251 EGV) niedergelegten Verfahren legte der Rat im September 2006 einen Gemeinsamen Standpunkt fest.130 Die darin enthaltene Variante des Art. 17 entspricht wortwörtlich Art. 17 Rom-IIVO.131 Obwohl das Rechtsetzungsverfahren der Rom-II-Verordnung insgesamt noch lange nicht abgeschlossen war, enthält der Gemeinsame Standpunkt des Rates somit die letzte Änderung des späteren Art. 17 Rom-II-VO. Zu der Umformulierung des Art. 14 des geänderten Kommissionsvorschlags in Art. 17 des Gemeinsamen Standpunktes führt der Rat nur wenig aus. Der Änderungsvorschlag 45 des Europäischen Parlaments, auf dem auch der jetzige Art. 17 Rom-II-VO inhaltlich beruht, wird an zwei Stellen der Begründung des Gemein125
KOM(2006) 83 endgültig. KOM(2006) 83 endgültig, S. 2. 127 KOM(2006) 83 endgültig, S. 21. 128 KOM(2006) 83 endgültig, S. 2. 129 KOM(2006) 83 endgültig, S. 2 Fn. 2. 130 Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 25.09.2006, Abl. 2006 C 289 E, S. 68. 131 Siehe Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 25.09.2006, Abl. 2006 C 289 E, S. 74 und den Text auf S. 211. 126
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samen Standpunktes angeführt: unter „vollständig übernommene Abänderungen“ und unter „inhaltlich übernommene Abänderungen“.132 Letztere sind solche, die inhaltlich annehmbar sind, jedoch der Umformulierung bedürfen. Da der Änderungsvorschlag des Parlaments nicht wörtlich übernommen wurde, ist die Einordnung des Änderungsvorschlags 45 als inhaltlich übernommene Abänderung korrekt. Bei der gleichzeitigen Einordnung als vollständig übernommene Abänderung handelt es sich folglich um ein Versehen. Im weiteren Rechtsetzungsverfahren wurde Art. 17 Rom-II-VO nicht mehr thematisiert, so dass sich daraus keine für die historische Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO relevanten Schlüsse ziehen lassen. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf eine weitere Darstellung des Rechtsetzungsverfahrens verzichtet.133 (6) Ergebnis Bei Betrachtung der Änderungen des jetzigen Art. 17 Rom-II-VO im Rechtsetzungsverfahren ist zweierlei festzuhalten. Zum einen zeigt das Rechtsetzungsverfahren deutlich, dass es im Rahmen des Art. 17 Rom-II-VO ausschließlich auf die Verhaltensregeln des Handlungsortes ankommt, nicht auf die des Ortes der Rechtsgutsverletzung, d.h. des Erfolgs. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass mit Sicherheits- und Verhaltensregeln auch Verhaltensnormen gemeint sind, da die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm stets zum Zeitpunkt des Verhaltens feststehen muss.134 Zum anderen ergibt die Analyse der Rechtsetzungsmaterialien, dass der Ausdruck „faktische Berücksichtigung“ bewusst gewählt wurde, um den Unterschied zur „Anwendung“ eines bestimmten Rechts zu verdeutlichen.135 Der Gedanke, dass Sicherheits- und Verhaltensregeln nur als Tatsachen gelten sollten, war dem Europäischen Parlament sogar so wichtig, dass es dies explizit im Text der Vorschrift erwähnt sehen wollte.136 Mangels Änderung des entsprechenden Inhalts im folgenden Verfahren ist davon auszugehen, dass der bloßen Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln als Tatsache von allen Seiten zugestimmt wurde. Die historische Auslegung bestätigt daher auch in dieser Hinsicht die grammatische, nach der die unterschiedliche Wortwahl auf eine unterschiedliche Bedeutung hinweist.137 132
Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 25.09.2006, Abl. 2006 C 289 E, S. 77. Siehe hierzu etwa Freigang, Grundstücksimmissionen, S. 196 ff.; Heiss/Loacker, JBl 2007, 614 ff.; Köthe, Parteiautonomie, S. 28 ff.; Symeonides, AmJCompL 56 (2008), 177 f. 134 Siehe dazu oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff. 135 So deutlich KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. Siehe auch Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 3; Symeonides, AmJCompL 56 (2008), 212 f. 136 Vgl. Bericht des Rechtsaussschusses, A6-0211/2005, S. 34. 137 Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. b) aa), S. 218 ff. 133
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cc) Systematische Auslegung Bei der systematischen Auslegung ist zum einen die innere Struktur der RomII-Verordnung zu berücksichtigen, zum anderen sind die mit der Rom-II-Verordnung verwandten anderen EG-Rechtsakte in die Auslegung einzubeziehen.138 Auch internationale Verträge, die in der Rom-II-Verordnung berücksichtigt wurden, sind bei der systematischen Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO heranzuziehen. (1) Innere Systematik der Rom-II-VO Art. 17 Rom-II-VO befindet sich in Kapitel V der Verordnung und zählt demnach zu den sog. „gemeinsamen Vorschriften“. Diese Einordnung verdeutlicht, dass es sich bei Art. 17 Rom-II-VO nicht um eine Kollisionsnorm handelt. Damit wird der Kontrast von Art. 17 Rom-II-VO zu den Kollisionsnormen der Art. 4 ff. Rom-II-VO herausgestellt, auf den bereits die unterschiedliche Wortwahl hinweist.139 Art. 17 Rom-II-VO ist daher keine Kollisionsnorm im Sinne der Art. 4 ff. Rom-II-VO. Mit der Anknüpfung an die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes stellt sich Art. 17 Rom-II-VO vielmehr als Ausnahme zur allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Rom-II-VO dar. Daran knüpft sich die nächste Frage, was Art. 17 Rom-II-VO regelt. Der Wortlaut sowie die Entstehungsgeschichte sprechen dafür, dass Art. 17 Rom-II-VO nicht die Geltung, sondern nur die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsache vorschreibt. Fraglich ist jedoch, ob diese Auslegung mit der Systematik des Art. 17 Rom-II-VO zu vereinbaren ist. Die Stellung dieser Vorschriften in Kapitel V der Verordnung deutet zugleich darauf hin, dass diese Vorschriften sich auf alle zuvor genannten Normen, also die Artikel 1–14 Rom-II-VO beziehen. Bei vielen der in Kapitel V genannten Vorschriften ergibt sich dies auch aus dem Wortlaut (z. B. bei Art. 15, 16, 22 Rom-II-VO). Im Fall des Art. 17 Rom-II-VO bedeutet dies, dass dieser nicht nur bei unerlaubten Handlungen zu berücksichtigen ist, sondern auch bei ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 10 Rom-II-VO), Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom-II-VO)140, Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 RomII-VO) sowie im Falle der Rechtswahl (Art. 14 Rom-II-VO). Eine Abbedingung der Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes durch Wahl eines an-
Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Vor Art. 1 Rom-II-VO Rn. 33. Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. b) aa), S. 218 ff. 140 Junker weist allerdings darauf hin, dass der Wortlaut des Art. 17 Rom-II-VO („haftungsbegründendes Ereignis“) nicht auf die Geschäftsführung ohne Auftrag passt, Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 7 f. 138 139
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deren Rechts ist daher nicht möglich.141 Dieses Ergebnis wird durch die Nähe von Art. 17 Rom-II-VO zu Art. 16 Rom-II-VO gestützt, der die Anwendung international zwingender Normen regelt und ebenfalls nicht dispositiv ist. Dass die Sicherheits- und Verhaltensregeln nicht abbedungen werden können, leuchtet ganz besonders im Fall der Straßenverkehrsregeln ein. Diese werden in Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung explizit als Beispiel für Sicherheits- und Verhaltensregeln genannt. Es wäre seltsam, wenn durch die nachträgliche Wahl des englischen Rechts für einen Unfall auf deutschen Straßen das Fahren auf der rechten Seite einer deutschen Straße rechtswidrig würde oder umgekehrt das Fahren auf der linken Seite einer deutschen Straße durch Wahl englischen Rechts rechtmäßig wäre. Genau dieses Ergebnis könnte jedoch eintreten, wenn die Verhaltensnormen des Handlungsortes auch in prozessualer Hinsicht nur als Tatsache, nicht als Rechtsnorm berücksichtigt werden. In den meisten Zivilprozessordnungen muss der Richter das Recht kennen, während Tatsachen von den Parteien beigebracht werden müssen.142 Wenn Sicherheits- und Verhaltensregeln nur als Tatsachen zu berücksichtigen sind, könnte ihre Wirkung dadurch unterlaufen werden, dass eine Partei sich im Zivilprozess gar nicht auf die am Handlungsort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln beruft. Die Relevanz der Verhaltensnormen würde dann davon abhängen, dass die Parteien diese im Zivilprozess beibringen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu der Bedeutung, die Art. 17 Rom-II-VO auf Grund seiner Stellung als „gemeinsame Vorschrift“, die nicht durch Rechtswahl abbedungen werden kann, zukommen müsste.143 Hinzu kommt, dass es – zumindest im deutschen Recht – in der Regel Sache des Geschädigten ist, die Rechtsgutsverletzung durch rechtswidriges Verhalten zu beweisen. Dieser müsste bei der Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsachen demnach den Beweis über den Inhalt der Verhaltensnormen des Handlungsortes führen.144 Eine solche Belastung verträgt sich schlecht damit, dass die Rom-II-Verordnung ansonsten durch die Anknüpfung an den Erfolgsort eher den Geschädigten begünstigt.145 Zwar soll Art. 17 Rom-II-VO einem angemessenen Interessenausgleich dienen.146 Ob dies jedoch durch eine Verschlechterung der Position des Geschädigten im Zivilprozess geschehen sollte, ist zweifelhaft. Im Rechtsetzungsverfahren wurde dieses Problem im Zusammenhang mit Art. 17 141 Ebenso Köthe, Parteiautonomie, S. 124; Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 14 Rom-II-VO Rn. 47; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 2. 142 Siehe A. Staudinger, SVR 2005, S. 444. 143 Siehe auch Rühl, RabelsZ 71 (2007), 583 f. 144 Vgl. auch A. Staudinger, SVR 2005, 449. 145 Die Anknüpfung an den Erfolgsort entspricht dem Interesse des Verletzten, nach dem Standard seiner Umwelt geschützt zu werden, siehe Kegel/Schurig, IPR, S. 723. 146 Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Rom-II-VO nicht diskutiert. Im deutschen Recht mehren sich Stimmen, die die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln zumindest in prozessualer Hinsicht als Rechtsanwendung ansehen wollen.147 Die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsachen führt daher in Verbindung mit einer Prozessordnung wie der deutschen dazu, dass die Parteien frei über die Geltung der Verhaltensnormen disponieren können, obwohl das im Wortlaut der Verordnung so nicht angelegt ist. Die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsache ist in prozessualer Hinsicht nicht mit deren zwingender Stellung zu vereinbaren. Diesem Problem könnte Abhilfe verschafft werden, indem die Berücksichtigung der Verhaltensnormen gem. Art. 17 Rom-II-VO – entgegen dessen Wortlaut – als Rechtsanwendung bzw. -geltung angesehen würde. Allerdings gibt es Rechtsordnungen, in denen alles fremde Recht nur als Tatsache gilt und entsprechend im Zivilprozess zu beweisen ist.148 Aus der Perspektive einer solchen Rechtsordnung ist Art. 17 Rom-II-VO kein Fremdkörper, sondern nur eine Ausprägung des Normalfalls. Die Anordnung des Art. 17 Rom-IIVO, Verhaltensnormen als Tatsachen zu berücksichtigen, ist ganz natürlich. Auch das nach Art. 4 ff. Rom-II-VO anzuwendende Recht ist dann als Tatsache zu berücksichtigen, wie überhaupt alles Recht, das nicht dem der lex fori entspricht, also dem Recht des Staates, dessen Gericht zur Entscheidung berufen ist. „Anwendung“ und „Berücksichtigung als Tatsache“ sind somit synonym. Dies zeigt sich z. B. daran, dass Hartley wie selbstverständlich im Zusammenhang mit Art. 17 Rom-II-VO das Verb „to apply“, also anwenden, verwendet.149 Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens zeigt sich, dass die Einordnung des Art. 17 Rom-II-VO nicht zwingend Einfluss auf dessen prozessuale Stellung haben muss. Auch die Auslegung von Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung würde aus Sicht etwa des englischen Rechts, das fremdes Recht nur als Tatsache berücksichtigt,150 nichts daran ändern, dass die Darlegungslast der fremden Rechtsordnung bei den Parteien läge. Aus diesem Grund lassen sich nachteilige Konsequenzen, die in prozessualer Hinsicht aus der Einordnung der Verhaltensnormen als Tatsachen resultieren, nicht als Argument für die materielle Bewertung von Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung verwenden.151 147 Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 32; A. Staudinger, SVR 2005, 443 ff.; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 2; von Hein, VersR 2007, 446. So auch Symeonides, AmJCompL 56 (2008), 211 ff. 148 Z. B. im englischen Recht, siehe Petch, JIBLR 21 (2006), 517; Tomson, EuZW 2009, 208. Siehe rechtsvergleichend Hartley, IntCompLQ 45 (1996), 271 ff.; R. Stürner, FS Weber, S. 589 ff. 149 Hartley, IntCompLQ 57 (2008), 900. 150 Siehe dazu Hartley, IntCompLQ 45 (1996), 282 ff. 151 Auch Hartley hält die Einordnung als Tatsache oder Recht in prozessualer Hinsicht für zweitrangig, IntCompLQ 45 (1996), 272.
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Vielmehr verdeutlicht dies, dass Divergenzen in den einschlägigen Zivilprozessordnungen Einfluss auf die effektive Wirkung der Verordnung haben könnten und deshalb eine Regelung über den Beweis fremden Rechts wünschenswert gewesen wäre. Die Kommission hatte einen entsprechenden Vorschlag des Parlaments, nach dem die Gerichte das anwendbare Recht stets von Amts wegen zu ermitteln hätten, mit der Begründung abgelehnt, die meisten Mitgliedstaaten seien mangels effizienter Strukturen nicht dazu in der Lage, eine solche Vorschrift anzuwenden.152 Um die Effektivität der Rom-II-Verordnung zu sichern, dürfte eine einheitliche Regelung über den Beweis forumfremden Rechts jedoch von Nöten sein.153 Die Kommission hat immerhin angekündigt, spätestens 2013 eine entsprechende Untersuchung vorzulegen.154 Zweitens zeigt das Beispiel der englischen Rechtsordnung, nach der fremdes Recht stets als Tatsache zu berücksichtigen ist, dass die Benennung eines Vorgangs nicht über dessen Rechtsnatur entscheidet. Inhaltliche Unterschiede können nicht allein daraus resultieren, dass das, was in Deutschland Rechtsanwendung genannt wird, in England als „Anwendung als Tatsache“ bezeichnet wird. Entsprechend muss auch im Rahmen des Art. 17 Rom-II-VO darauf abgestellt werden, welche inhaltliche Aussage die Regelung trifft. (2) Völkerrechtliche Abkommen Art. 17 Rom-II-VO beruht auf entsprechenden Vorschriften in völkerrechtlichen Abkommen, nämlich auf Art. 7 des Haager Übereinkommens über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht155 und auf Art. 9 des Haager Übereinkommens über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht156.157 Bei der Auslegung von Art. 17 Rom-II-VO muss daher auf diese Normen zurückgegriffen werden. (a) Art. 7 HÜbkV Art. 7 HÜbkV lautet in der englischen Originalfassung, die neben der französischen verbindlich ist: 152 KOM(2006) 83 endgültig, S. 7 f. Rechtspolitisch ist es jedoch bedenklich, wenn die Bürde, die die Mitgliedstaaten nicht leisten könnten, letzten Endes den Parteien auferlegt wird. 153 So auch Illmer, CJQ 28 (2009), 258 f.; ders., RabelsZ 73 (2009), 304 f. 154 Erklärung der Kommission zur Behandlung ausländischen Rechts, Abl. 2007 L 199, S. 49. 155 Vom 4. Mai 1971, im Folgenden HÜbkV. Siehe generell zum HÜbkV Beitzke, RabelsZ 33 (1969), 204 ff. 156 Vom 2. Oktober 1973, im Folgenden HÜbkP. Siehe generell zum HÜbkP W. Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 317 ff. 157 Siehe KOM(2003) 427 endgültig, S. 28.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Article 7 Whatever may be the applicable law, in determining liability account shall be taken of rules relating to the control and safety of traffic which were in force at the place and time of the accident.
Die von Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam akzeptierte deutsche Übersetzung des Art. 7 HÜbkV lautet: Artikel 7 Unabhängig von dem anzuwendenden Recht sind bei der Bestimmung der Haftung die am Ort und zur Zeit des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften zu berücksichtigen.
Sowohl an der englischen Fassung als auch der deutschen Übersetzung ist deutlich zu erkennen, dass Art. 17 Rom-II-VO zum Teil wörtlich auf Art. 7 HÜbkV beruht.158 Insbesondere verwendet Art. 7 HÜbkV ebenfalls den Ausdruck „berücksichtigen“ anstelle von „anwenden“. Ein Blick auf die Erläuterungen zum Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht zeigt noch größere Parallelen des Art. 7 HÜbkV zu Art. 17 Rom-II-VO. In Nr. 6 der Erläuterungen zu Art. 7 HÜbkV ist explizit niedergelegt, dass die Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften des Unfallortes nur „data“ bzw. ein „donné de fait“, also Tatsachen, seien.159 Auch die Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften sind daher nur „als Tatsache“ zu berücksichtigen. Der Vergleich mit Art. 7 HÜbkV stützt daher die bereits durch Wortlaut und die Entstehungsgeschichte nahegelegte Annahme, dass Art. 17 Rom-II-VO gerade nicht die Geltung der Sicherheits- und Verhaltensregeln als Rechtsnormen, sondern nur als Tatsache festlegen wollte. Allerdings entspricht der Unfallort nicht unbedingt dem Handlungsort.160 Des Weiteren verhelfen die Erläuterungen zu Art. 7 HÜbkV zu einem besseren Verständnis davon, was mit „berücksichtigen“ gemeint ist. Danach soll die Berücksichtigung der Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften des Unfallortes nicht bedeuten, dass diese exklusiv seien.161 Vielmehr könnten die Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften in abgestufter Weise relevant werden.162 Die in den Erläuterungen genannten Beispiele zeigen, was damit gemeint ist: Es soll grundsätzlich im Ermessen des Richters stehen, ob er die Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften des Unfallortes oder des Deliktsstatuts anwendet.163 Dabei scheinen einige Regeln zwingend, andere hingegen fakultativ zu sein.164 Trotz der sich aus dem 158 159 160 161 162 163
Darauf weist auch Ofner hin, ZfRV 2008, 16 Fn. 37. Essén, Rapport, S. 211 [19]. So zu Recht Beitzke, RabelsZ 33 (1969), 218 ff. Essén, Rapport, S. 211 [19]. Essén, Rapport, S. 211 [19]. Nr. 6 der Erläuterungen zu Art. 7, Essén, Rapport, S. 211 f. [19 f.].
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Wortlaut ergebenden Pflicht, die Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften des Unfallortes zu berücksichtigen, bleibt die Feststellung der tatsächlichen Relevanz der Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften dem Richter überlassen.165 Art. 7 HÜbkV räumt dem Richter daher einen weiten Ermessensspielraum ein. (b) Art. 9 HÜbkP Diese Ergebnisse werden nur teilweise durch den Vergleich mit Art. 9 HÜbkP bestätigt. Dieser lautet in der englischen Fassung, die neben der französischen verbindlich ist: Article 9 The application of Articles 4, 5 and 6 shall not preclude consideration being given to the rules of conduct and safety prevailing in the State where the product was introduced into the market.166
Zu Deutsch heißt dies: Artikel 9 Die Anwendung der Artikel 4, 5 und 6 schließt die Berücksichtigung der Verhaltensund Sicherheitsregeln nicht aus, die in dem Staat in Kraft sind, in dem das Produkt in den Markt eingeführt wurde.167
Auch hier taucht wieder der Begriff der „Berücksichtigung“ – im Englischen „consideration“ und im Französischen „considération“ – auf, der sich auch in Art. 17 Rom-II-VO findet, und auch hier bildet Art. 9 HÜbkP einen Kontrast zu den „echten“ Kollisionsnormen der Art. 4 ff. HÜbkP, die von „application“, d.h. Anwendung sprechen. Die durch den Wortlaut des Art. 17 Rom-II-VO ausgedrückte Differenzierung zwischen dem anzuwendenden Recht und den zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln findet sich demnach in beiden Haager Übereinkommen wieder. Dies stützt die These, dass Art. 17 RomII-VO bewusst nicht von „Anwendung“ spricht, um den Unterschied zu den eigentlichen Kollisionsnormen herauszustreichen. Anders als bei Art. 7 HÜbkV finden sich jedoch in den Erläuterungen zu Art. 9 HÜbkP keine Hinweise darauf, dass die in Art. 9 HÜbkP angesprochenen Verkehrs- und Sicherheitsregeln als Tatsache zu berücksichtigen sind.168 Viel164 Nr. 6 der Erläuterungen zu Art. 7, Essén, Rapport, S. 211 f. [19 f.]. Dazu auch Stoll, S. 167 ff. in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. 165 So auch Beitzke, RabelsZ 33 (1969), 231 f.; Sieghörtner, Straßenverkehrsunfallrecht, S. 429. 166 Die französische Fassung spricht hingegen nur von „règles de sécurité“, also von Sicherheitsregeln. Ein inhaltlicher Unterschied ist damit wohl nicht gemeint. Siehe dazu auch die Erläuterungen von W. Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 350 Fn. 108. 167 Übersetzung durch Verfasserin. 168 Vgl. Reese, Report, S. 268 f. (24 f.).
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
mehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich von der Anwendung der Verhaltensund Sicherheitsregeln gesprochen: „[. . .] the court would be free to apply [. . .] the rules of conduct and safety [. . .]“ 169. Auch in der gleichfalls verbindlichen französischen Fassung findet sich der Ausdruck „application des règles [de sécurité]“.170 Die Berücksichtigung der Regeln des Ortes des Inverkehrbringens gem. Art. 9 HÜbkP kann daher durch Anwendung dieser Regeln geschehen.171 Dies führt zu der Frage, was genau mit „Berücksichtigung“ im Sinne des Art. 9 HÜbkP gemeint ist. Laut den Erläuterungen ermächtigt der Artikel das Gericht, verpflichtet es aber nicht, die Verhaltens- und Sicherheitsregeln des Ortes des Inverkehrbringens zu berücksichtigen.172 Dies bedeutet, wie das in den Erläuterungen angegebene Beispiel belegt, dass das Gericht nach seinem Ermessen entweder die Verhaltens- und Sicherheitsregeln dieses Ortes oder die des Erfolgsortes anwenden kann.173 Das Wort „berücksichtigen“ bedeutet daher nicht, dass diese Regeln zwingend anzuwenden sind, sondern sind Ausdruck eines großen richterlichen Ermessens bei der Frage, ob die Regeln des Ortes des Inverkehrbringens zu Grunde zu legen sind. Insoweit stimmen die Erläuterungen zu Art. 9 HÜbkP mit denen zu Art. 7 HÜbkV überein. Der Unterschied liegt darin, dass Art. 7 HÜbkV einige Vorgaben dazu enthielt, welche Regeln des Handlungsortes zu beachten sind, während Art. 9 HÜbkP diese Entscheidung vollständig dem Richter überlässt. (c) Ergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sowohl Art. 7 HÜbkV als auch Art. 9 HÜbkP den Ausdruck „berücksichtigen“ verwenden, der auch in Art. 17 Rom-IIVO auftaucht. Die Art der Berücksichtigung ist jedoch in beiden Vorschriften sehr unterschiedlich: Während die Regeln des Unfallortes in Art. 7 HÜbkV als Tatsache berücksichtigt werden sollen, sind die Regeln gem. Art. 9 HÜbkP anzuwenden, d.h. als Rechtsnorm zu berücksichtigen. Art. 9 HÜbkP deutet daher darauf hin, dass die Frage, ob Art. 17 Rom-II-VO den Geltungsbereich der Verhaltensnormen regelt, positiv zu beantworten ist, Art. 7 HÜbkV spricht jedoch eher für die gegenteilige Auslegung. Beiden Vorschriften ist gemein, dass die Entscheidung, ob die Regeln des Unfallortes bzw. des Ortes des Inverkehrbringens zu berücksichtigen sind, dem 169
Reese, Report, S. 268. Reese, Report, S. 268. 171 So auch Symeonides, FS Jayme, S. 943; ders., AmJCompL 56 (2008), 212 Fn. 175. A. A. W. Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 351. 172 Reese, Report, S. 268. 173 Reese, Report, S. 268. Nach Ansicht von Stoll soll sogar die Anwendung der Vorschriften dritter Staaten zulässig sein, S. 170 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. 170
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Richter überlassen bleibt, obwohl der Wortlaut eine Pflicht zur Beachtung dieser Regeln nahe legt. Angesichts der Wurzeln, die Art. 17 Rom-II-VO in Art. 7 HÜbkV und Art. 9 HÜbkV hat, stellt sich die Frage, ob auch Art. 17 Rom-II-VO es dem richterlichen Ermessen überlässt, ob die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes zu berücksichtigen sind. Darauf wird bei der Ermittlung des Inhalts des Art. 17 Rom-II-VO noch zurückzukommen sein. (3) Andere EG-Rechtsakte Neben den völkerrechtlichen Verträgen, auf denen Art. 17 Rom-II-VO beruht, sind auch sonstige EG-Rechtsakte im Rahmen der systematischen Auslegung heranzuziehen. An erster Stelle ist die Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen174 (EuGVVO) zu nennen. Daneben sind jedoch auch die ab 17. Dezember 2009 geltende sog. Rom-I-Verordnung175 sowie materielles Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen.176 Da die Rom-I-Verordnung jedoch keine Vorschriften über Verhaltensregeln enthält, lassen sich ihr keine systematischen Argumente entnehmen.177 Ein Vergleich mit dem gesamten restlichen EG-Recht ist aber ein nicht zu bewältigendes Unterfangen. Daher soll neben der EuGVVO nur auf die sog. E-Commerce-Richtlinie 178 (ECRL) eingegangen werden. (a) EuGVVO Aus Nr. 7 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung lässt sich explizit entnehmen, dass die Rom-II-Verordnung mit der EuGVVO in Einklang stehen soll. Angesichts der Tatsache, dass die Rom-II-Verordnung im Bereich der unerlaubten Handlungen das sog. forum shopping, also die Anklage vor dem zuständigen Gericht, das das materiell günstigste Recht anwenden wird, verhindern möchte, ist dies auch sinnvoll.179 Dieses Ziel würde z. B. unterlaufen, wenn die EuGVVO
174
Abl. 2001 L 12, S. 1 ff. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Abl. 2008 L 177, S. 6 ff. 176 Vgl. Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Vor Art. 1 Rom-II-VO Rn. 33. 177 Siehe zu Rom I und Rom II die Übersicht bei Kindler/Klemann, IPRax 2008, 365 f. 178 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), Abl. 2000 L 178, S. 1 ff. 179 Nr. 6 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung. Siehe zum weiterhin möglichen forum shopping bei Verkehrsunfällen aber Nugel, NJW-Spezial 2010, 9. 175
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und die Rom-II-Verordnung unterschiedliche Definitionen von „unerlaubter Handlung“ verwenden würden. Gem. Art. 2 Abs. 1 EuGVVO ist der allgemeine Gerichtsstand das Land, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ergibt sich jedoch ein besonderer Gerichtsstand für unerlaubte Handlungen. Danach kann, vereinfacht gesagt, auch vor dem Gericht des Ortes geklagt werden, an dem das „schädigende Ereignis“ eingetreten ist. Dass diese Formulierung zweideutig ist und sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort meinen kann, wurde bereits an anderer Stelle erläutert.180 Ein Blick in die anderen Sprachfassungen hilft nicht weiter: Weder der englische Ausdruck „harmful event“, noch der französische „le fait dommageable“ oder der spanische „el hecho dañoso“ weisen eindeutig auf den Handlungs- oder Erfolgsort hin. Aus diesem Grund ist es mittlerweile anerkannt, dass gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sowohl die Gerichte des Handlungsals auch die des Erfolgsortes für Klagen aus unerlaubten Handlungen zuständig sind.181 Damit wäre es denkbar, dass drei verschiedene Gerichtsstände, nämlich der Ort des Wohnsitzes des Beklagten, der Handlungs- und der Erfolgsort, gegeben sind.182 Im Gegensatz zur EuGVVO stellt Art. 4 Rom-II-VO nur auf den Erfolgsort ab.183 Auch wenn bei einem Distanzdelikt daher Klage vor dem Gericht des Handlungsortes erhoben wird, ist nach der Rom-II-Verordnung das Recht des Staates anwendbar, in dem der Erfolg eingetreten ist. Das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht und Privatrecht stehen daher nicht miteinander in Einklang.184 Anders wäre dies jedoch, wenn Art. 17 Rom-II-VO als Rechtsgeltungsregel anzusehen wäre. In einem solchen Fall wäre Deliktstatut grundsätzlich das Recht des Erfolgsortes, für die Verhaltensnormen würde jedoch das Recht des Handlungsortes gelten. Das Deliktstatut wäre daher gespalten. Dieser Vorgang wird im Ausland „dépeçage“ 185 genannt, im Deutschen ist der Ausdruck „Sonderanknüpfung von Teilfragen“ gebräuchlicher.186 Bezogen auf die Parallelen der 180
Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. b) bb) (2), S. 220 f. Grundlegend – bezogen auf das EuGVÜ – EuGH, Urt. v. 30.11.1976 – „Mines de Potasse d’Alsace“, Slg. 1976, 1735 ff. Siehe auch Illmer, RabelsZ 73 (2009), 306 f.; Kienle, Straftaten im Internet, S. 119 ff.; Koziol/Thiede, ZVglRWiss 106 (2007), 244; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 227 ff. m.w. N. 182 Koziol und Thiede weisen jedoch darauf hin, dass der Wohnsitz des Beklagten im Deliktsrecht eher dem des Handlungsortes als dem des Erfolgsortes entspricht, ZVglRWiss 106 (2007), 244. 183 Auf diesen Widerspruch weist auch Handig hin, GRUR Int 2008, 27. Ebenso von Hein, RabelsZ 73 (2009), 470; Ofner, ZfRV 2008, 16. 184 So auch Heiss/Loacker, JBl. 2007, 624 Fn. 134; Koziol/Thiede, ZVglRWiss 106 (2007), 244; M. Stürner/Weller, IPRax 2006, 391. 185 So in diesem Zusammenhang etwa Symeonides, FS Jayme, S. 939 ff. 186 Vgl. Kropholler, IPR, S. 130 ff. 181
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Rom-II-Verordnung zur EuGVVO liegt der Vorteil einer Spaltung des Deliktstatuts darin, dass somit bei der unerlaubten Handlung sowohl das Recht des Handlungs- als auch des Erfolgsortes von Bedeutung wären. Das Wahlrecht in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO würde es dann dem Kläger erlauben, zu entscheiden, ob das Gericht auf die Verhaltens- oder die Sanktionsnorm sein Heimatrecht (lex fori) anzuwenden hat. Dies kann von Bedeutung sein, wenn fremdes Recht im Verfahren von den Parteien bewiesen werden muss, Heimatrecht jedoch nicht.187 Ist dies der Fall, so würde der Gerichtsstand des Handlungsortes v. a. dann gewählt werden, wenn der Beweis der Verhaltenspflichtverletzung schwierig zu führen ist. Sind dagegen Aspekte wie z. B. Höhe und Umfang des Schadensersatzes problematisch, böte sich die Erhebung der Klage am Erfolgsort an, weil dessen lex fori über diese Fragen entscheiden würde.188 Dagegen führt die Annahme, Art. 17 Rom-II-VO regle nicht die Rechtsgeltung der Verhaltensnormen, dazu, dass nur das Recht des Erfolgsortes relevant ist.189 In einem solchen Fall ist der Kläger gut beraten, wenn er die Klage auch am Erfolgsort erhebt, da er so ggf. eine teure und schwierige Beweisführung vermeiden kann. Dies könnte dazu führen, dass der Gerichtsstand des Handlungsortes in Zukunft leer läuft. Es zeigt sich daher, dass die alleinige Relevanz des Erfolgsortes nach der Rom-II-Verordnung zu einer Entwertung des besonderen Gerichtsstands des Handlungsortes gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO führen könnte. Durch die Doppelrelevanz sowohl des Handlungs- als auch des Erfolgsortes könnte dies vermieden werden. Die Differenzen zwischen EuGVVO und Rom-II-Verordnung und das erklärte Ziel eines Einklangs beider Verordnungen sprechen daher dafür, dem Recht des Handlungsortes eine stärkere Stellung einzuräumen, als dies vom Wortlaut angedeutet wird. Ein anderes Problem ist, dass die unterschiedlichen Beweisregeln zu einer Variante des forum shoppings einladen, bei der dort Klage erhoben werden könnte, wo die für den Kläger günstigsten Beweisregeln herrschen. Eine Vorschrift über den Nachweis fremden Rechts hätte hier Abhilfe schaffen können. Diesem Problem kann jedoch hier nicht weiter nachgegangen werden. (b) E-Commerce-Richtlinie Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Vergleich mit der E-CommerceRichtlinie zur Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO beitragen kann. Aus Art. 3 187 Eine solche Regelung ist in Europa durchaus verbreitet. Zu verschiedenen europäischen Rechtsordnungen siehe den Überblick bei Hartley, IntCompLQ 45 (1996), 271 ff. 188 Rühl zweifelt allerdings daran, dass die Parteien die möglichen Kosten der Rechtsermittlung mit einkalkulieren, RabelsZ 71 (2007), 579 ff. 189 Etwas anderes kann sich aus den Spezialregeln der Art. 5 ff. Rom-II-VO ergeben.
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Abs. 1 ECRL resultiert die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die Anbieter bestimmter Dienste die innerstaatlichen Vorschriften im koordinierten Bereich beachten. Der „koordinierte Bereich“ sind gem. Art. 2 lit. h ECRL alle in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen, also ein sehr weitgehender Bereich. Gem. Art. 3 Abs. 2 ECRL sind jedoch alle Maßnahmen verboten, die die Dienstleistungsfreiheit aus Gründen, die in den koordinierten Bereich fallen, einschränken. Demnach folgt aus Art. 3 ECRL, dass es grundsätzlich – nämlich im gesamten koordinierten Bereich – ausreicht, wenn der Dienstleistungsanbieter den Rechtsanforderungen des Niederlassungsstaats genügt, unabhängig davon, ob dies auch am Ort des Empfangs der Dienstleistung rechtmäßig ist. Dieser Grundsatz wird als Herkunftslandprinzip bezeichnet.190 Die Rechtsnatur des Art. 3 ECRL ist umstritten.191 Dabei geht es in dem Streit primär darum, ob Art. 3 ECRL eine Kollisionsnorm darstellt, die das Sachrecht des Herkunftslandes beruft,192 oder ob Art. 3 ECRL erst auf Sachnormebene anzuwenden ist.193 Die Befürworter der kollisionsrechtlichen Einordnung weisen darauf hin, dass Art. 3 ECRL bei Anwendung des regulären Kollisionsrechts stark entwertet würde.194 Dieses beruft üblicherweise das Recht des Staates, auf dessen Markt die Dienstleistung gehandelt wird, also das des Erfolgsortes.195 Das entspricht auch der Regelung in Art. 6 Rom-II-VO. Die Gegner der kollisionsrechtlichen Einordnung stützen sich hingegen auf Art. 1 Abs. 4 ECRL, wonach die Richtlinie keine zusätzlichen Regeln im Bereich des Internationalen Privatrechts schaffen soll.196 Danach resultiert aus Art. 3 ECRL nur eine materielle 190 Siehe nur Leible/Lehmann, RIW 2007, 721; Ohly, GRUR Int 2001, 899 f.; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 97 ff. Siehe allgemein zum Herkunftslandprinzip Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 16.04 ff. 191 Siehe dazu die ausführliche Darstellung von Fezer/Koos in: Staudinger, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 547 ff. (2006). Siehe auch Baetzgen, Internationales Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, Rn. 700 ff.; Ehrich, Irreführende Werbung, S. 147 ff.; Ohly, GRUR Int 2001, 900 ff.; Spindler, RabelsZ 66 (2002), 644 ff., jeweils m.w. N. 192 Heldrich in: Palandt68, Art. 40 EGBGB Rn. 11; Illmer, RabelsZ 73 (2009), 310; wohl auch Dethloff, JZ 2000, 180 f.; Kozyris, AmJCompL 56 (2008), 497. Nach Grundmann ist die E-Commerce-Richtlinie Teil eines eigenständigen Binnenmarktkollisionsrechts, RabelsZ 67 (2003), 293 ff. 193 Baetzgen, Internationales Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, Rn. 714 ff.; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 16.13 f.; Dickinson, EurBusLRev 13 (2002), 380 f.; Ehrich, Irreführende Werbung, S. 147 ff.; Fezer/Koos in: Staudinger, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 561 (2006); Looschelders, IPR, Art. 40 Rn. 99 f.; Ohly, GRUR Int. 2001, 902 ff.; Pfeiffer/Weller in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, Vor Art. 40 Rn. 10 ff.; wohl auch Hoeren, MMR 1999, 194 f.; Spindler, MMRBeilage 2000, 9 f.; ders., RabelsZ 66 (2002), 644 ff. 194 Siehe etwa Heldrich in: Palandt68, Art. 40 EGBGB Rn. 11. 195 Siehe Mankowski, GRUR Int 1999, 909 ff. 196 Z. B. Ehrich, Irreführende Werbung, S. 150 ff.; Hoeren, MMR 1999, 194.
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Beschränkung. Regeln, die den freien Verkehr von Dienstleistungen der Informationsgesellschaft aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen, stellen somit eine ungerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. Letzteres ist überzeugend. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des Art. 1 Abs. 4 ECRL, der gegen die Einordnung des Art. 3 ECRL als Kollisionsnorm spricht, kommt eine Einordnung als Kollisionsnorm nur dann in Betracht, wenn andere Deutungen keinen Sinn ergeben oder nicht mit dem telos der Richtlinie übereinstimmen.197 Dem Ziel der Richtlinie, grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr sicherzustellen (vgl. Art. 1 Abs. 1 ECRL), kann jedoch auch entsprochen werden, wenn Art. 3 ECRL als sachrechtliche Beschränkung angesehen wird.198 Daher enthält Art. 3 ECRL eine Begrenzung des materiellen Rechts. Tatsächlich führt dies jedoch zu einer weitgehenden Entwertung des kollisionsrechtlich berufenen Marktortrechtes, so dass die Unterschiede zur kollisionsrechtlichen Einordnung im Ergebnis nicht sehr groß sind.199 Durch das Inkrafttreten der Rom-II-Verordnung ergibt sich das weitere Problem, in welchem Verhältnis die E-Commerce-Richtlinie zur Rom-II-Verordnung steht. Gem. Art. 27 Rom-II-VO bleiben spezielle Kollisionsnormen, die in anderen Gemeinschaftsrechtsakten geregelt sind, unberührt. Diese Regelung bezieht sich jedoch nur auf Kollisionsnormen, nicht auf Prinzipien, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sicherstellen sollen.200 Dementsprechend ist Art. 27 Rom-II-VO nur auf Art. 3 ECRL anwendbar, wenn dieser als Kollisionsnorm angesehen wird. Wird diese Einordnung jedoch abgelehnt, was im Hinblick auf den entgegengesetzten Wortlaut nahe liegt, so stellt sich die Frage, wie Art. 3 ECRL berücksichtigt werden kann. Dass die Verordnung zum Verhältnis der Rom-II-Verordnung zum Herkunftslandprinzip schweigt, ist vor dem Hintergrund dieser Unklarheiten bedauerlich.201 In den ursprünglichen Materialien war zumindest der Vorschlag einer Norm zu finden, die das Verhältnis der Rom-II-Verordnung zu den „Bestimmungen zur Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes“ regeln sollte.202 Diese war allerdings wenig erhellend.203 Die Kommission lehnte die Vorschrift mit der Begründung ab, eine solch detaillierte Regelung sei nicht 197
So auch Ehrich, Irreführende Werbung, S. 150. Siehe hierzu auch Fezer/Koos in: Staudinger, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 561 (2006). 199 Buchner, GRUR Int 2005, 1009. 200 Siehe auch Heiss/Loacker, JBl 2007, 617. 201 Siehe Buchner, GRUR Int 2005, 1009 ff.; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 16.15; Handig, GRUR Int 2008, 30; von Hein, TLRev 82 (2008), 1702. Kritisch auch Schmittmann, AfP 2003, 124. 202 Siehe z. B. KOM(2006) 83 endgültig, S. 15. 203 Kritisch dazu Dickinson, EurBusLRev 13 (2002), 380 f. 198
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
länger erforderlich.204 Sie ging demnach davon aus, dass die in der Rom-II-Verordnung enthaltenen Instrumente auch dem Herkunftslandprinzip genügen könnten. Mittlerweile findet sich in Nr. 35 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung der – an sich selbstverständliche – Hinweis, dass das durch die Verordnung berufene Sachrecht nicht die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs beschränken sollte. Wie dies dogmatisch umzusetzen ist, sagt die Verordnung jedoch nicht. Weder Art. 4 Rom-II-VO noch die spezielle Kollisionsnorm des Art. 6 RomII-VO enthalten Regelungen zur Berücksichtigung des Herkunftslandprinzips. Dieses kann daher allenfalls über die gemeinsamen Vorschriften berücksichtigt werden, von denen nur Art. 16 Rom-II-VO und Art. 17 Rom-II-VO in Betracht kommen. Art. 16 Rom-II-VO gestattet die Anwendung international zwingender Normen der lex fori. Eine Berücksichtigung des Art. 3 ECRL über Art. 16 RomII-VO wäre daher möglich, wenn die nationalen Umsetzungsgesetze der Richtlinie als international zwingend angesehen würden.205 Allerdings kann die RomII-Verordnung auch zur Anwendung des Rechts eines Staates führen, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist (siehe Art. 3 Rom-II-VO). Ein solcher Staat wird die E-Commerce-Richtlinie naturgemäß nicht umgesetzt haben, so dass in einem solchen Fall die Regelung des Art. 3 ECRL und damit die Effektivität des Herkunftslandprinzips unterlaufen würde. Zu besseren Ergebnissen führt die Berücksichtigung des Herkunftslandprinzips im Rahmen des Art. 17 Rom-II-VO. Danach sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Ortes des haftungsbegründenden Ereignisses, soweit angemessen, zu berücksichtigen. Bei einem Anbieter elektronischer Dienste im Sinne der ECommerce-Richtlinie ist der Ort des haftungsbegründenden Ereignisses jedoch zumeist gleichbedeutend mit dem Ort der Niederlassung. Unter Berücksichtigung des Art. 3 ECRL ist Art. 17 Rom-II-VO dann so auszulegen, dass die Berücksichtigung der Verhaltensregeln, die den koordinierten Bereich der E-CommerceRichtlinie betreffen, stets angemessen ist. Eine Frage der Auslegung des Art. 3 ECRL ist, ob dies nur angemessen ist, wenn die Regelungen des Herkunftlandes günstiger sind, oder ob auch strengere Vorschriften zu beachten sind.206 Dem Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL könnte im Grundsatz jedenfalls dadurch Rechnung getragen werden, dass gem. Art. 17 Rom-II-VO nur die Sicherheitsund Verhaltensregeln des Herkunftslandes berücksichtigt werden. Allerdings sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln gem. Art. 17 Rom-II-VO nur als Tatsache zu berücksichtigen. Gem. Art. 3 ECRL ist hingegen ausschließlich das Recht des Herkunftslandes für die Betroffenen maßgeblich.207 Ergeben 204
KOM(2007) 126 endgültig, S. 6. So offenbar Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 16.35. 206 Siehe hierzu Fezer/Koos in: Staudinger, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 559 (2006). 207 Buchner, GRUR Int 2005, 1009 f. 205
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sich die rechtlich verbindlichen Verhaltensanforderungen jedoch ausschließlich aus dem Recht des Herkunftstaates, so bedeutet dies, dass die Verhaltensnormen des Herkunftstaates gelten.208 Eine Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO, die mit der E-Commerce-Richtlinie konform ist, muss daher in den einschlägigen Fällen die Geltung der Verhaltensnormen des Herkunftslandes anordnen. Es zeigt sich somit, dass die Unklarheiten, die mit Art. 3 ECRL verbunden sind, nicht auf die Rom-II-VO durchschlagen müssen. Wird Art. 17 Rom-II-VO im Wege richtlinienkonformer Auslegung als Geltungsbereichsregelung aufgefasst, kann dadurch die Geltung der Verhaltensnormen des Herkunftslandes begründet werden. Art. 17 Rom-II-VO hätte demnach die Funktion einer Verhaltensnormkollisionsnorm, während die Sanktionsnorm den Kollisionsnormen der Art. 4 ff. Rom-II-VO unterfallen würde. Eine solche Sonderanknüpfung der Verhaltensnormen im E-Commerce wäre eine salomonische Lösung des Streits um die Einordnung des Art. 3 ECRL: Zwar wäre Art. 3 ECRL selbst keine Kollisionsnorm, in Verbindung mit Art. 17 Rom-II-VO würde er jedoch zu einer Kollisionsnorm für Verhaltensnormen. Eine solche Lösung ist jedoch nur möglich, wenn Art. 17 Rom-II-VO die Geltung der Verhaltensnormen regelt. Der Vergleich der Rom-II-Verordnung mit der E-Commerce-Richtlinie zeigt demnach, dass sich die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung besser mit bereits existierenden Gemeinschaftsrechtsakten verträgt. Gerade durch die flexible Formulierung des Art. 17 Rom-II-VO ist dieser geeignet, Regelungen in anderen Gemeinschaftsrechtsakten Geltung zu verschaffen, die ansonsten in Konflikt zur Rom-II-Verordnung stehen würden. Eine Einordnung der Verhaltensnormen als Tatsachen würde dagegen z. B. im Fall der E-Commerce-Richtlinie dem zwingenden Charakter der EG-rechtlichen Vorschriften nicht gerecht. (4) Ergebnis Der Versuch, Art. 17 Rom-II-VO systematisch auszulegen, hat zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Bei Betrachtung der inneren Systematik der Rom-IIVerordnung wird zunächst das Ergebnis der grammatischen und historischen Auslegung gestützt, dass nämlich Art. 17 Rom-II-VO nicht die Anwendung von Rechtsnormen regeln soll. Allerdings zeigt sich schon hierbei, dass die Einordnung der Verhaltensregeln als Tatsache im Hinblick auf die in den meisten Verfahrensordnungen geltende Beibringungsmaxime zu Problemen führen könnte. Dies spricht jedoch eher für die Einführung einer einheitlichen Beweisregel für fremdes Recht. Zudem zeigt der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen, dass die Benennung eines Phänomens nicht unbedingt etwas über seine rechtliche Natur aussagt. 208
Zur Definition von Geltung siehe oben Kap. 4 A., S. 66 ff.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Hingegen führt der Vergleich mit den völkerrechtlichen Abkommen, auf denen Art. 17 Rom-II-VO basiert, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während Art. 7 HÜbkV gleichfalls nur von der Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsache ausgeht, wird in den Erläuterungen zu Art. 9 HÜbkP von der Anwendung, d.h. Geltung, der entsprechenden Normen gesprochen. Beide Normen gestehen dem Richter zudem großes Ermessen zu. Beim Vergleich der Rom-II-Verordnung mit der EuGVVO fällt auf, dass die EuGVVO im Gegensatz zur Rom-II-Verordnung auch an den Handlungsort anknüpft. Diese Diskrepanz der beiden Kodifikationen deutet darauf hin, dass der Handlungsort auch im Rahmen der Rom-II-Verordnung von Bedeutung sein muss. Durch Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO, der als einzige Norm an den Handlungsort anknüpft, als Geltungsbereichsregelung würde dies erreicht werden. Zudem könnte dadurch das umstrittene Verhältnis der Rom-II-Verordnung zu Art. 3 ECRL geklärt werden. Art. 3 ECRL wäre dann im Rahmen der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO dergestalt heranzuziehen, dass die Verhaltensnormen des Herkunftslandes für die Anbieter von elektronischen Dienstleistungen verpflichtend wären, ansonsten jedoch das nach Art. 4 ff. Rom-II-VO anzuwendende Recht entscheiden würde. Es zeigt sich demnach, dass die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsache zwar im Hinblick auf die Rom-II-Verordnung alleine konsistent ist, im Zusammenhang mit anderen Gemeinschaftsrechtsakten jedoch einen Fremdkörper darstellt. Im Gegensatz zu Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 17 Rom-II-VO legt die Systematik der EG-Rechtsordnung es daher eher nahe, Art. 17 Rom-II-VO auf die Geltung von Verhaltensnormen zu beziehen. dd) Teleologische Auslegung Angesichts der divergierenden Ergebnisse kommt der teleologischen Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO besondere Bedeutung zu. Dabei sind sowohl die Ziele, die mit der Rom-II-Verordnung insgesamt verfolgt werden, als auch die hinter Art. 17 Rom-II-VO stehende Intention zu berücksichtigen. (1) Sinn und Zweck des Art. 17 Rom-II-VO Die Rom-II-Verordnung soll den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbar machen und dadurch der Rechtssicherheit dienen.209 Dazu muss ein angemessener Interessenausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem gefunden werden, was mit der Maßgeblichkeit des Rechts des Erfolgsorts grundsätzlich der 209 Nr. 6 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung. Zu den Vorteilen Europäischen Kollisionsrechts siehe generell Kreuzer, RabelsZ 70 (2006), 78 ff.
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Fall sein soll.210 An dieser Stelle kommt Art. 17 Rom-II-VO ins Spiel: Damit ein angemessener Interessenausgleich gewahrt bleibt, müssen die Sicherheits- und Verhaltensregeln, die am Handlungsort gelten, selbst dann beachtet werden, wenn das anwendbare Recht das eines anderen Staates ist.211 Während die Anwendung des Rechtes des Erfolgsortes daher grundsätzlich zu einem angemessenen Interessenausgleich führt, ist es dennoch geboten, auf die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes Rücksicht zu nehmen. Hinter dieser Regelung steckt die Tatsache, dass die Interessen des Handelnden und des Verletzten entgegengesetzt sind. Während der Handelnde sich auf die am Handlungsort geltenden Normen verlassen möchte, will der Verletzte, dass sich Höhe und Umfang des Schadensersatzes an seinem Umfeld orientieren.212 Nach dieser Differenzierung kommt das Abstellen auf den Erfolgsort in Art. 4 ff. Rom-II-VO eher dem Verletzten entgegen. Art. 17 Rom-II-VO soll hingegen den Interessen des Handelnden dienen.213 Aus diesem Grund legt Art. 17 Rom-II-VO nur fest, welche Verhaltensnormen für die Person gelten, deren Haftung geltend gemacht wird, d.h. die ein Rechtsgut eines anderen verletzt hat, nicht jedoch die für den Verletzten geltenden Verhaltensregeln.214 Allerdings können die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes auch zu Lasten des Handelnden berücksichtigt werden, nicht nur zu seinen Gunsten.215 Art. 17 Rom-II-VO trägt demnach zwar dadurch zu einem angemessenen Interessenausgleich bei, dass er die Interessen des Handelnden weiter in den Vordergrund stellt. Dabei kommt es jedoch nicht auf das konkrete Interesse des Handelnden an, das für ihn günstigste Ergebnis zu erreichen. Vielmehr wird seinen Interessen dadurch gedient, dass er sich nur an den Regeln des Handlungsortes zu orientieren hat. Dabei stehen zwei Aspekte im Vordergrund. Zum einen garantiert die Maßgeblichkeit des Rechtes des Handlungsortes, dass bereits zum Verhaltenszeitpunkt feststeht, welche Verhaltensnormen anzuwenden sind.216 Nur, wenn dies eindeutig feststeht, kann die Verhaltensnorm ihre verhaltenssteuernde Funktion entfalten.217 Zum anderen trägt dies der Tatsache Rechnung, dass jedermann die Rechtsordnung des Landes zu achten hat, in dem er sich aufhält.218 Das 210
Nr. 16 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung. Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung. 212 Siehe Leible/Engel, EuZW 2004, 10 f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 723. 213 Siehe KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. Vgl. auch KOM(2006) 83, S. 4. 214 Siehe auch Heiss/Loacker, JBl 2007, 637. 215 Grundlegend Symeonides, FS Jayme, S. 943 ff.; ders., AmJCompL 56 (2008), 214 f.; ihm folgend Kozyris, AmJCompL 56 (2008), 483. 216 Koziol, FS Beitzke, S. 577; Kreuzer, S. 306 in: Dolzer (Hrsg.), Umweltschutz. 217 Auf den Zusammenhang zwischen verhaltenssteuernder Funktion des Deliktsrechts und Handlungsort weist auch Thorn hin, von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 23. Siehe ebenfalls Nagel, Organtransplantation, S. 54 ff.; Koziol/Thiede, ZVglRWiss 106 (2007), 242; Symeonides, FS Jayme, S. 942; G. Wagner, IPRax 2008, 5. 218 Koziol, FS Beitzke, S. 577 f. So auch KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. 211
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ist der unumstrittene Kern des aus der völkerrechtlichen Gebietshoheit resultierenden Territorialitätsprinzips.219 Art. 17 Rom-II-VO soll demnach zur Berücksichtigung von Verhaltensnormkollisionen beitragen.220 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Art. 17 Rom-II-VO dem Interesse des Handelnden dienen soll. Dessen Interesse besteht darin, sein Verhalten an das seines Handlungsumfelds anpassen zu dürfen, ohne dadurch rechtswidrig zu handeln.221 (2) Spannungsverhältnis zu Art. 4 ff. Rom-II-VO Angesichts der Tatsache, dass Art. 17 Rom-II-VO den Interessen des Handelnden dient, während Art. 4 ff. Rom-II-VO die Interessen des Geschädigten vor Augen hat, wird deutlich, dass beide Vorschriften notwendigerweise in einem Spannungsverhältnis stehen müssen. Je größer der Geltungsbereich des Art. 17 Rom-II-VO ist, desto stärker wird zwangsläufig die Anknüpfungsregel des Art. 4 ff. Rom-II-VO relativiert.222 Trotz der grundsätzlichen Anknüpfung an den Erfolgsort könnten daher die niedrigeren Anforderungen des Handlungsortes „durch die Hintertür“ des Art. 17 Rom-II-VO Anwendung finden.223 Die Tatsache, dass Art. 17 Rom-II-VO eine Ausnahme zur allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 ff. Rom-II-VO darstellt, ist bei der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO von großer Bedeutung. Dadurch lassen sich Unterschiede in der Formulierung und systematischen Stellung zwischen Art. 17 und Art. 4 Rom-II-VO erklären. Auch wird deutlich, dass eine Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO, die den Anwendungsbereich des Art. 4 Rom-II-VO in keiner Weise betrifft, nicht vorgenommen werden kann und so auch nicht intendiert wurde. Die Erkenntnis, dass Art. 4 und Art. 17 Rom-II-VO gegensätzlichen Interessen dienen, legitimiert daher eine Einschränkung des Geltungsbereichs auf Kosten der Art. 4 ff. Rom-IIVO. Angesichts dessen ist es auf den ersten Blick verwunderlich, dass Art. 17 RomII-VO im Rechtsetzungsverfahren verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden hat.224 Auf Grund ihrer grundlegenden Bedeutung hätte die Vorschrift besser in 219
So auch Wengler, IRuD 1972, 263. So auch Hamburg Group on Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 44. 221 Ähnlich schon Stoll, S. 173 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. Siehe auch G. Wagner, IPrax 2008, 5. 222 Kritisch daher Hamburg Group on Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 43 f. 223 So Symeonides, FS Jayme, S. 944. Golombek spricht von einer „Aushöhlung“ der Erfolgsortregel, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 150. 224 Symeonides bezeichnet Art. 13 des Kommissionsvorschlags sogar als „least prominent exception“, also als am wenigsten hervorstechende Ausnahme, FS Jayme, S. 941. 220
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die Nähe von Art. 4 Rom-II-VO gepasst.225 Der Grund dafür ist, dass Art. 17 Rom-II-VO einen Rechtsgedanken enthält, der – nicht nur in der deutschen Rechtsordnung – im Internationalen Privatrecht allgemein anerkannt ist.226 Daher war schon frühzeitig eine Art. 17 Rom-II-VO entsprechende Regel gefordert worden.227 Allerdings geht Art. 17 Rom-II-VO, der alle Verhaltensnormen betrifft, weit über das hinaus, was – zumindest in Deutschland – allgemeiner Konsens war, nämlich die Berücksichtigung der örtlichen Straßenverkehrsregeln. Art. 17 Rom-II-VO stellt daher eine allgemeine Ausnahme für alle grenzüberschreitende Delikte dar.228 (3) Effektive Umsetzung des Zwecks des Art. 17 Rom-II-VO Nachdem feststeht, dass Art. 17 Rom-II-VO den Interessen des Handelnden dienen soll und dadurch zwangsläufig in Konflikt zu Art. 4 ff. Rom-II-VO gerät, ist zu überlegen, wodurch die Zwecke des Art. 17 Rom-II-VO besser umgesetzt werden können: ob durch die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsache oder deren Geltung als Rechtsnormen. Die bisherige Auslegung hat ergeben, dass Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 17 Rom-II-VO eindeutig darauf hinweisen, dass die Verhaltensnormen nur als Tatsachen berücksichtigt werden müssen, während sich systematische Argumente für beide Auslegungen finden lassen. Dass Art. 17 Rom-II-VO nur die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsachen regelt, entspricht auch der einhelligen Ansicht in der Literatur.229 Im Folgenden soll daher überprüft werden, ob die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsachen die Zwecke der Rom-II-Verordnung effektiv umsetzt. Die normentheoretische Bedeutung dieser Einordnung wurde bereits erläutert.230 Wesentlich ist danach, dass die Verhaltensnorm der Rechtsordnung entstammt, der auch die Sanktionsnorm zu entnehmen ist. Durch Auslegung ist zu 225
Siehe Leible/Lehmann, RIW 2007, 725. So etwa Junker, NJW 2007, 3681; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 1; G. Wagner, IPRax 2008, 5. Siehe auch KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. 227 R. Wagner, EuZW 1999, 714. 228 Symeonides, FS Jayme, S. 941. 229 Explizit formuliert bei Buschbaum, Anspruchspräklusion, S. 216; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 15.33; Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 22; Leible/Lehmann, RIW 2007, 725; Nagel, Organtransplantation, S. 87; Stone, EuLF 2004, 217 (zu Art. 13 des Kommissionsvorschlags); Symeonides, AmJCompL 56 (2008), 211 ff.; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 2; unklar bei G. Wagner, der einerseits von Sonderanknüpfung, andererseits von Berücksichtigung als „local data“ spricht, IPRax 2008, 5 und Golombek, die einerseits von „Tatsachenelement“, andererseits von „Anwendung“ des Rechts des Handlungsortes spricht, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 150. 230 Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. a) bb), S. 216 ff. 226
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ermitteln, inwieweit Auslandssachverhalte von der Verhaltensnorm erfasst werden. Im deutschen Recht gilt das Gebot, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, das auch die Beachtung ausländischer Verhaltenspflichten erfassen soll.231 (a) Ex-ante-Ermittlung der Verhaltensnorm Ein wichtiger Grund für die Berücksichtigung der Verhaltensnormen des Handlungsortes ist die Überlegung, dass Verhaltensnormen nur dann ihre verhaltenssteuernde Funktion erfüllen können, wenn ihre Geltung zum Verhaltenszeitpunkt bereits feststeht.232 Dies ist jedenfalls der Fall, wenn das Recht des Handlungsortes gilt.233 Werden die Verhaltensnormen des Handlungsortes jedoch nur als Tatsachen berücksichtigt, bedeutet dies, dass die Verhaltensnormen der Rechtsordnung zu entnehmen sind, aus der die Sanktionsnorm stammt. Häufig ist jedoch zum Verhaltenszeitpunkt nicht vorhersehbar, welche Sanktionsnorm einschlägig sein wird. Hängt die Geltung der Sanktionsnorm davon ab, wo der Erfolg eingetreten ist, so steht dies zum Verhaltenszeitpunkt nicht fest. Die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm kann daher nicht vom Erfolgseintritt abhängen.234 Allenfalls können die Normen des Ortes gelten, an dem der Erfolgseintritt aus Sicht des Adressaten der Verhaltensnorm möglich ist.235 Stellt die Sanktionsnorm, wie z. B. in § 7 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB, darauf ab, dass der Täter nach der Tat die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hat, gilt das gleiche: Auch hier würde sich die zu Grunde zu legende Sanktionsnorm erst nachträglich ergeben. Aus normentheoretischer Perspektive ist die These, die Verhaltensnorm entstamme immer derselben Rechtsordnung wie die Sanktionsnorm, daher nur zu halten, wenn bereits zum Zeitpunkt des Verhaltens feststeht, welcher Rechtsordnung die Sanktionsnorm zu entnehmen ist. Das schließt z. B. die Geltung der Verhaltensnormen des zufälligen Erfolgsortes aus. Wenn jedoch die Verhaltensnormen des späteren Erfolgsortes zum Zeitpunkt des Verhaltens nicht feststehen und daher nicht gelten und die Verhaltensnormen des Handlungsortes gleichzeitig nicht als Rechtsnormen, sondern nur als Tatsachen zu berücksichtigen sind, dann führt dies dazu, dass in bestimmten Fällen gar keine Verhaltensnorm gilt.
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Siehe hierzu Stoll, FS Lipstein, S. 264 ff. Darauf weist in diesem Zusammenhang auch G. Wagner hin, IPRax 2006, 374 f. Ebenso Leible/Lehmann, RIW 2007, 725. 233 Siehe auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 23; Fuchs, S. 116, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept. So auch Dethloff für das Recht des Herkunftslandes, JZ 2000, 182. 234 Siehe dazu bereits oben Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff. 235 So auch G. Wagner, IPRax 2006, 377. Generell Koziol, FS Beitzke, S. 580 f. 232
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Dies kann anhand des folgenden Beispiels illustriert werden: Der in Paris lebende H schickt eine Briefbombe an den in England lebenden G. Dieser macht, ohne dass H dies weiß, Urlaub in Deutschland, erhält den ihm nachgesandten Brief dort und wird beim Öffnen verletzt.236 Gem. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO gelten in diesem Fall die deutschen Deliktssanktionsnormen, gem. § 3 StGB die deutschen Strafsanktionsnormen. Wenn Art. 17 Rom-II-VO nicht die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes regelt, sondern nur deren Berücksichtigung als Tatsache, gelten grundsätzlich die Verhaltensnormen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnormen entstammen. Das wären in diesem Fall die deutschen Verhaltensnormen. Zum Zeitpunkt des riskanten Verhaltens war es für H jedoch nicht absehbar, dass der Erfolg in Deutschland eintreten würde. Er hatte daher keine Veranlassung, sein Verhalten an den deutschen Verhaltensnormen zu orientieren. Dementsprechend galten die deutschen Verhaltensnormen nicht. Folgerichtig liegt auch keine Verletzung deutscher Verhaltenspflichten vor, an die die Sanktionsnormen knüpfen könnten. In einem solchen Fall gilt daher das deutsche Gebot, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu achten, nicht. Wären demnach die Verhaltensnormen ausschließlich der Rechtsordnung zu entnehmen, der die Sanktionsnorm entstammt, gäbe es in diesem Fall keine Möglichkeit, eine Verhaltenspflichtverletzung anzunehmen. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Sanktionsnorm nicht eingreifen könnte. Dadurch würde jedoch die Effektivität der Rom-II-VO deutlich verringert: In allen Fällen, in denen der Erfolgsort für den Handelnden nicht vorhersehbar ist, könnten die Sanktionsnormen des Erfolgsortes mangels Verhaltenspflichtverletzung nicht angewandt werden. Da nach der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 ff. Rom-II-VO im Grundsatz die Rechtsordnung des Erfolgsortes berufen ist, könnte in den Fällen des zufälligen Erfolgsortes nicht auf eine andere Rechtsordnung ausgewichen werden. Eine engere Verbindung zum Recht des Handlungsortes ließe sich nämlich wohl nicht mit Hinweis auf die ansonsten unanwendbare Verhaltensnorm begründen. Im Ergebnis wäre eine zivilrechtliche Sanktionierung daher nicht möglich. Damit würde die Rom-IIVerordnung in einer erheblichen Zahl von Fällen zur Sanktionslosigkeit führen. Dieses Problem wurde im Rechtsetzungsverfahren überhaupt nicht diskutiert. Das mag daran liegen, dass die Binding’sche Normentheorie im Zivilrecht nur wenig rezipiert wurde.237 Es ist jedoch anzunehmen, dass die Rom-II-Verordnung nicht in einer großen Zahl von Fällen leer laufen und dadurch eine deliktische Haftung unmöglich machen sollte. Dieses Ergebnis lässt sich vermeiden, wenn die Verhaltensnormen des Handlungsortes nicht nur als Tatsachen, sondern als Rechtsnormen herangezogen werden. In dem oben gebildeten Beispielsfall wäre H dann gem. Art. 17 Rom-II-VO an die französischen Verhaltensnormen 236 237
Beispiel nach von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 25. Dies beklagt auch Dörner, JR 1994, 10 Fn. 32.
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gebunden. Da die Geltung der französischen Verhaltensnormen zum Zeitpunkt des Verhaltens feststand und H demnach die Möglichkeit hatte, sein Verhalten an diesen Normen zu orientieren, bestehen aus normentheoretischer Perspektive keine Bedenken gegen die Anwendung der französischen Verhaltensnormen. Auch das französische Recht verbietet das Versenden von Briefbomben, so dass H die französischen Verhaltenspflichten verletzt hat. Im Rahmen der deutschen Zivil- (beispielsweise § 823 Abs. 1 BGB) und Strafsanktionsnormen (beispielsweise §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) könnte dann die Verletzung französischer Verhaltenspflichten zu Grunde gelegt werden. Um der Rom-II-Verordnung effektive Geltung zu verschaffen, ist es demnach in bestimmten Fällen notwendig, auf andere Verhaltensnormen als die der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt, zurückzugreifen.238 Eine solche Abweichung vom Deliktstatut lässt sich nur über Art. 17 Rom-II-VO rechtfertigen. Dazu ist es jedoch notwendig, Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung für die Verhaltensnormen des Handlungsortes anzusehen. Aus der Notwendigkeit, dass die Verhaltensnorm bereits zum Verhaltenszeitpunkt feststehen muss, folgt somit, dass Art. 17 Rom-II-VO zumindest in bestimmten Fällen auch die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes regelt und damit eine Geltungsbereichsregelung darstellt. (b) Vermeidung von Normenkollisionen Der zweite wichtige Zweck, den Art. 17 Rom-II-VO verfolgt, ist die Berücksichtigung der Tatsache, dass jeder verpflichtet ist, die Verhaltensnormen des Landes zu befolgen, in dem er handelt.239 Im Zusammenhang mit Umweltschäden führt die Kommission aus, dass die Beachtung der Sicherheits- und Verhaltensnormen des Handlungsortes bei der Haftung zu berücksichtigen sei.240 Dadurch wird deutlich, dass Art. 17 Rom-II-VO auch der Vermeidung von Normenkonflikten dient. Würde Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung aufgefasst, hätte dies zur Folge, dass nahezu ausschließlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten würden. Es gäbe daher keinen Normenkonflikt, so dass diese Auslegung Normenkollisionen völlig vermeiden würde. Durch die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung könnte der Zweck des Art. 17 Rom-IIVO, Normenkonflikten Rechnung zu tragen, daher erfüllt werden.
238 Das übersieht G. Wagner, wenn er die Anknüpfung an den Handlungsort unter Verhaltenssteuerungsgesichtspunkten für kontraproduktiv hält, IPRax 2006, 376 f. 239 KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. Siehe hierzu auch Koziol/Thiede, ZVglRWiss 106 (2007), 242. 240 KOM(2003) 427 endgültig, S. 22. So schon Kreuzer, S. 305 ff. in: Dolzer (Hrsg.), Umweltrecht.
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Wird Art. 17 Rom-II-VO nicht als Geltungsbereichsregelung aufgefasst, richtet sich die Geltung der Verhaltensnorm nach derjenigen der Sanktionsnorm. Dadurch kann ein Konflikt mit den Normen des Handlungsortes entstehen, die in jedem Fall zu beachten sind.241 Zudem können Konflikte entstehen, wenn Sanktionsnormen verschiedener Rechtsordnungen einschlägig sind. Ist in dem oben angeführten Beispiel242 der Verletzte G Deutscher und findet das Ganze in Österreich statt, dann unterliegen die zivilrechtlichen Sanktionen gem. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO österreichischem Recht. Gleichzeitig finden gem. § 7 Abs. 1 StGB die deutschen Strafsanktionsnormen Anwendung. In diesem Fall würden demnach sowohl französische als auch deutsche und österreichische Verhaltensnormen gelten. Allerdings folgt aus der Geltung verschiedener Verhaltensnormen nur dann ein Konflikt, wenn diese unterschiedliche Anforderungen enthalten. Gem. dem Wortlaut des Art. 17 Rom-II-VO sind jedoch die Verhaltensnormen des Handlungsortes als Tatsache zu berücksichtigen. Es wurde bereits erläutert, wie dies zu geschehen hätte, nämlich durch Annahme einer allgemeinen Sorgfaltspflicht, die durch die Verhaltensnormen des Handlungsortes konkretisiert wird. Das führt dazu, dass – z. B. im Fall der Straßenverkehrsdelikte – kein Unterschied zwischen den Pflichten besteht, die aus den Verhaltensnormen des Handlungsortes resultieren, und denen, die sich aus den Verhaltensnormen des Sanktionsstatuts ergeben, die unter Berücksichtigung der Verhaltensnormen des Handlungsortes auszulegen sind. Im Beispielsfall wären dann sowohl die deutschen als auch die österreichischen Verhaltensnormen unter Berücksichtigung der französischen auszulegen, so dass es im Ergebnis keine widersprüchlichen Verhaltenspflichten geben würde. Auch bei Berücksichtigung der Verhaltensnormen des Handlungsortes als Tatsache käme es daher nicht zu Normenkollisionen. Dieses Beispiel zeigt, dass sich die mit Hilfe beider normentheoretischen Konstruktionen gewonnenen Ergebnisse nicht unterscheiden. Der Grund dafür wird deutlich, wenn beachtet wird, auf welche Art und Weise die Berücksichtigung der Verhaltensnormen des Handlungsortes als Tatsache erreicht wird, nämlich im Wege der Konkretisierung eines allgemeinen Sorgfaltsgebots. In einem solchen Fall enthält die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm das Gebot, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten.243 Welche Sorgfalt im Verkehr erforderlich ist, muss jedoch näher konkretisiert werden. Soweit der entsprechende Lebensbereich geregelt ist, geschieht diese Konkretisierung durch die Verhaltensnormen, die im maßgeblichen Verkehrskreis gelten.244 Maßgeblich ist immer der Verkehrskreis, in dem die sorgfältige Handlung zu erfolgen hat, also der des 241 242 243 244
Siehe KOM(2003) 427 endgültig, S. 28. Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. b) dd) (3) (a), S. 244 ff. Stoll, FS Lipstein, S. 264. Vgl. hierzu Mikus, Verhaltensnorm, S. 66 ff.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Handlungsortes. Ohne Rückgriff auf die Situation zum Verhaltenszeitpunkt und am Verhaltensort lässt sich daher überhaupt nicht bestimmen, welches Verhalten erforderlich war. Demzufolge können sich aus dem Gebot, sorgfaltspflichtgemäß zu handeln, ohne Rückgriff auf die Situation am Handlungsort keine konkreten Verhaltenspflichten ergeben. Damit hat die Verhaltensnorm, die die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erfordert, Blankettcharakter. Dies gilt zumindest, soweit sich am Handlungsort konkrete Verhaltenspflichten aus Rechtsnormen ergeben.245 Solche Rechtsnormen müssen zur Auslegung des allgemeinen Gebots sorgfältigen Handelns herangezogen werden.246 In diesem Fall ergibt sich die konkrete Verhaltenspflicht jedoch nicht aus dem allgemeinen Sorgfaltsgebot, sondern aus den am Handlungsort geltenden Verhaltensnormen. Erwachsen die konkreten Verhaltenspflichten aus diesen Normen, dann bedeutet dies, dass es die Verhaltensnormen des Handlungsortes sind, die die rechtlich verbindlichen Vorgaben machen. Damit werden die Verhaltensnormen des Handlungsortes der Sache nach zwangsläufig als Rechtsnormen berücksichtigt.247 Die Annahme, die Verhaltensnormen des Handlungsortes könnten als Tatsachen berücksichtigt werden, stellt sich somit letztendlich als Fiktion dar.248 Anders ist dies, wenn das Recht des Handlungsortes keine konkreten Verhaltensvorgaben macht, sondern für diesen Lebensbereich – wie die Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt – nur allgemeine Sorgfaltsgebote enthält.249 In einem solchen Fall ergibt sich die konkrete Verhaltenspflicht im Zusammenspiel von allgemeinem Sorgfaltsgebot und den konkreten Umständen am Verhaltensort, also wirklich aus Tatsachen.250 Dabei kommt es nicht darauf an, ob das allgemeine Sorgfaltsgebot der Rechtsordnung des Handlungsortes zu entnehmen ist oder der, der die Sanktionsnorm entstammt. In aller Regel werden beide Rechtsordnungen entsprechende Verhaltensnormen enthalten. Die Ergebnisse sind dementsprechend identisch. In diesem Fall wäre es daher möglich, die rechtlich verbindliche Verhaltensanordnung nur der Rechtsordnung zu entnehmen, der die Sanktionsnorm entstammt. Demnach zeigt sich, dass die Ansicht, die Verhaltensnormen des Handlungsortes seien nur als Tatsachen zu berücksichtigen, zwar ebenfalls nicht zu Normen245
Siehe hierzu Mikus, Verhaltensnorm, S. 66 ff. So auch Mikus, Verhaltensnorm, S. 132 f. 247 Siehe auch Neumeyer, der bei der Frage, ob fremdes Verwaltungsrecht als Tatsache zu berücksichtigen ist, zum selben Ergebnis kommt, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 190 ff. 248 So allgemein zur Anwendung ausländischen Rechts als Tatsache Zajtay, S. 194 ff. in: MPI (Hrsg.), Anwendung ausländischen Rechts. 249 Dies ist häufig der Fall, siehe die Beispiele bei Mikus, Verhaltensnorm, S. 134 ff. 250 Ausführlich hierzu Mikus, Verhaltensnorm, S. 134 ff. 246
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konflikten führt. Der Grund dafür ist jedoch, dass die stattdessen maßgebliche Verhaltensnorm des Sanktionsstatuts in einem Teil der Fälle nur als eine Art Blankettvorschrift auf die Verhaltensnormen des Handlungsortes verweist. Über Umwege kommen somit doch die Verhaltensnormen des Handlungsortes zur Anwendung.251 Anders ist dies nur, wenn auch die Verhaltensnormen des Handlungsortes stark konkretisierungsbedürftig sind. (c) Ergebnis Wie die obigen Erläuterungen ergeben haben, werden die Verhaltensnormen des Handlungsortes in vielen Fällen nicht als Tatsachen, sondern als Rechtsnormen berücksichtigt. Dies gilt z. B. auch im Fall der Straßenverkehrsregeln, bei denen sich die Theorie, die Normen seien nur als Tatsachen zu berücksichtigen, zumindest im deutschen Recht beharrlich hält.252 Die Bezeichnung dieses Vorgangs als Berücksichtigung von Tatsachen ändert nichts daran, dass der Sache nach über eine Blankettverhaltensnorm die Verhaltensnormen des Tatortes berufen werden. Dies bestätigt sich am Beispiel des § 823 Abs. 2 BGB, der eine Sanktion an den Verstoß gegen ein Schutzgesetz, d.h. die Verletzung einer Verhaltenspflicht, knüpft.253 Soweit inländische Verhaltensnormen nicht gelten, weil sie, wie die Straßenverkehrsregeln, Verhalten im Ausland nicht erfassen, müssen im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB ausländische Verhaltensnormen zu Grunde gelegt werden.254 Eine Berücksichtigung der ausländischen Verhaltensnormen als Tatsachen wäre jedoch nur dann möglich, wenn eine deutsche Verhaltensnorm konstruiert werden könnte, die die Beachtung der Verhaltensnormen des Handlungsortes vorschreibt.255 Eine solche Norm wäre jedoch keine Verhaltensnorm mehr, sondern eine Kollisionsnorm, die für Verhaltensnormen das Recht des Handlungsortes beruft. In diesem Fall versagt demnach die These, Verhaltensnormen könnten als Tatsachen berücksichtigt werden, ganz offensichtlich.256 Hinzu kommt, dass in bestimmten Fällen die Regelungen der Art. 4 ff. RomII-VO nur dann effektiv Anwendung finden können, wenn die Verhaltensnormen 251 So wohl auch Golombek, die allerdings nicht präzisiert, ob sie von einer Anwendung des Rechts des Handlungsortes als Tatsache oder als Rechtsnorm ausgeht, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 150. 252 Siehe die Nachweise oben Kap. 9 C. I. 2. a) aa), S. 215 ff. 253 Näher zum Begriff des Schutzgesetzes Maier-Reimer, NJW 2007, 3158 f. 254 Dörner, JR 1994, 10. Das sieht im Grundsatz auch Stoll ein, S. 174 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. Dies setzt jedoch voraus, dass § 823 Abs. 2 BGB überhaupt an ausländische Schutzgesetze anknüpft. Siehe hierzu Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 348 ff. 255 Vgl. auch die Kritik von Dörner, JR 1994, 10 Fn. 36. 256 Ebenso Dörner, JR 1994, 10.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
des Handlungsortes als Rechtsnormen berufen werden. Andernfalls könnten viele deliktische Handlungen in der Europäischen Union überhaupt nicht sanktioniert werden, was die Wirksamkeit und Effektivität der Rom-II-Verordnung stark beeinträchtigen würde. Aus diesem Grund gebieten es Sinn und Zweck der Rom-IIVerordnung im Allgemeinen und des Art. 17 Rom-II-VO im Besonderen, Art. 17 Rom-II-VO als Sonderanknüpfung der Verhaltensnormen und somit als eigene Verhaltensnormkollisionsnorm anzusehen. c) Ergebnis Als Ergebnis der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO ist somit festzuhalten, dass Wortlaut und Entstehungsgeschichte zwar dafür sprechen, dass die Verhaltensnormen des Handlungsortes gem. Art. 17 Rom-II-VO nur als Tatsachen berücksichtigt werden sollen. Dafür spricht auch der Vergleich mit Art. 7 HÜbkV. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Berücksichtigung von Normen als Tatsachen grundsätzlich nicht überzeugend ist und auf eine Fiktion hinausläuft. Im Falle der Rom-II-Verordnung führt die Verneinung der Rechtsnormqualität der Verhaltensnormen des Handlungsortes zudem zu einer weitgehenden Entwertung der Rom-II-Verordnung in Fällen, in denen der Erfolgsort nicht vorhersehbar war. Aus diesem Grund ist Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung anzusehen. Diese Einordnung hat zudem den Vorteil, dass das in verschiedenen EG-Verordnungen festgeschriebene Herkunftslandprinzip gut damit vereinbar ist. Wird das Herkunftsland als Handlungsort angesehen, genügt eine Beachtung der Verhaltensnormen des Handlungsortes, um jede deliktische Haftung auszuschließen. Art. 17 Rom-II-VO legt fest, welche Verhaltensnorm Anwendung findet. Da Verhaltensnormen keinem bestimmten Rechtsgebiet zugehören, gilt die Regelung des Art. 17 Rom-II-VO für alle Verhaltensnormen. Dies bedeutet, dass z. B. auch das zivilrechtliche Mitverschulden dem Recht des Handlungsortes unterliegt.257 Art. 17 Rom-II-VO ist demnach in allen Rechtsgebieten zu beachten. Art. 17 Rom-II-VO regelt demzufolge ganz grundlegend die Grenzen der Verhaltensnormen.
II. Potentielle Einwände gegen diese Auslegung von Art. 17 Rom-II-VO Wird Art. 17 Rom-II-VO als allgemeine Regelung zur Bestimmung der zu Grunde zu legenden Verhaltensnorm aufgefasst, führt dies dazu, dass Art. 17 257 So lautete die Forderung von G. Wagner, IPRax 2008, 6. Für eine solche Auslegung de lege lata ebenfalls Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 15.34; Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 25.
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Rom-II-VO in allen Rechtsgebieten zu beachten ist. Art. 17 Rom-II-VO hat somit größere Bedeutung als die gesamte restliche Rom-II-Verordnung. Angesichts dessen ist anzunehmen, dass die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO als allgemeine Regelung zur Bestimmung der anwendbaren Verhaltensnorm auf Widerstand stoßen könnte. Im Folgenden sollen daher schon im vorhinein mögliche Einwände untersucht werden, die gegen diese Auslegung angeführt werden könnten. 1. Zivilrechtliche Natur des Art. 17 Rom-II-VO Ein naheliegender Einwand gegen die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO als allgemeine Geltungsbereichsregel ist, dass die Rom-II-Verordnung insgesamt dem Zivilrecht angehört. Gem. Art. 1 Abs. 1 Rom-II-VO gilt die Rom-II-Verordnung für grenzüberschreitende außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, nicht jedoch für z. B. verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Wird Art. 17 Rom-II-VO jedoch auf alle Verhaltensnormen bezogen, erlangt Art. 17 Rom-II-VO zwangsläufig auch in verwaltungs- oder strafrechtlichen Angelegenheiten Bedeutung. Fraglich ist, ob eine solche Auslegung dem Sinn des Art. 17 Rom-II-VO widerspräche. a) Anwendung nur bei zivilrechtlichen Verhaltensnormen Zunächst ließe sich vertreten, dass Art. 17 Rom-II-VO so auszulegen sei, dass nur zivilrechtliche Verhaltensnormen davon erfasst wären. Das legt der Wortlaut des Art. 17 Rom-II-VO jedoch nicht nahe, in dem ganz allgemein von Sicherheits- und Verhaltensregeln die Rede ist. Zudem verweist Nr. 34 der Erwägungsgründe zur Rom-II-VO explizit auf die Straßenverkehrsregeln als Beispiel für Sicherheits- und Verhaltensregeln im Sinne des Art. 17 Rom-II-VO. Soweit Verhaltensnormen überhaupt qualifiziert werden, müssten die Straßenverkehrsregeln jedoch wohl als öffentlich-rechtlich eingeordnet werden, nicht als zivilrechtlich.258 Die Ansicht, Art. 17 Rom-II-VO betreffe nur zivilrechtliche Verhaltensnormen, ist daher schon aus diesem Grund nicht zu halten.259 Hinzu kommt, dass die Annahme, Art. 17 Rom-II-VO betreffe nur bestimmte Arten von Verhaltensnormen, bereits vom Ansatz her verfehlt ist. Dies setzt nämlich voraus, dass sich Verhaltensnormen einem bestimmten Rechtsgebiet zuordnen lassen. Wie die obigen Ausführungen jedoch gezeigt haben, sind Verhaltens258
Ebenso Becker, Sonderanknüpfung, S. 103. Auch Buschbaum bezieht Art. 17 Rom-II-VO auf öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen, Anspruchspräklusion, S. 100. Ebenso Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 10. Nach Golombek ist der strafrechtliche Fahrlässigkeitsmaßstab Art. 17 Rom-II-VO zu entnehmen, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 150. 259
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
normen in der ganzen Rechtsordnung einheitlich auszulegen.260 Dementsprechend ist es nicht möglich, die Verhaltensnormen einem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen. Art. 17 Rom-II-VO kann daher nur alle Verhaltensnormen betreffen oder gar keine, nicht jedoch nur zivilrechtliche Verhaltensnormen. b) Anwendung nur bei zivilrechtlichen Sanktionen Selbst wenn Art. 17 Rom-II-VO auf alle Verhaltensnormen bezogen wird, ließe sich vertreten, dass Art. 17 Rom-II-VO nur dann anzuwenden sei, wenn zivilrechtliche Sanktionen verhängt werden sollten. Hierfür findet sich eine gewisse Stütze im Wortlaut des Art. 17 Rom-II-VO, der die Berücksichtigung, d.h. die Geltung, der Verhaltensnormen des Handlungsortes „bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird“, vorschreibt. Daraus könnte geschlossen werden, dass Art. 17 Rom-II-VO nur dann eingreifen soll, wenn es um die Beurteilung des Verhaltens zum Zwecke zivilrechtlicher Haftung geht. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass der Wortlaut des Art. 17 RomII-VO nicht eindeutig ist. Zwar deutet der in der deutschen Fassung verwendete Ausdruck „Haftung“, der hauptsächlich im Zivilrecht gebraucht wird, darauf hin, dass es nur um die Bewertung des Verhaltens im Rahmen zivilrechtlicher Sanktionen geht. Die im französischen und spanischen gebrauchten Ausdrücke „responsabilité“ und „responsabilidad“ werden jedoch nicht zwangsläufig mit „Haftung“ übersetzt, sondern bedeuten „Verantwortung“. Sie werden sowohl im Rahmen strafrechtlicher als auch zivilrechtlicher Verantwortung verwendet. Das gleiche gilt für das im Englischen verwendete Adjektiv „liable“. Demzufolge ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 17 Rom-II-VO keine Begrenzung auf Fälle der Anwendung zivilrechtlicher Sanktionen. Im Übrigen wäre eine solche Begrenzung auch nicht sachgerecht. Wenn Art. 17 Rom-II-VO die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm nur für die Fälle auswählen würde, in denen die Sanktionsnorm dem Zivilrecht angehört, dann würde das im Ergebnis dazu führen, dass ein und dasselbe Verhalten aus zivil-, straf- und öffentlich-rechtlicher Sicht unterschiedlich zu beurteilen wäre. Dies führt jedoch zu überflüssigen Normenkollisionen.261 Zudem ist es unter dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeit der Verhaltensnormen misslich, wenn deren Geltung ausschließlich von der Sanktionsnorm abhängt. Dies führt zu Problemen, wenn die Sanktionsnorm erst nach dem Verhaltenszeitpunkt bestimmt wird.
260 261
Kap. 8 C., S. 197 ff. Siehe oben Kap. 8 C. II., S. 198 ff.
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c) Anwendung nur im Zivilverfahren Allenfalls ließe sich überlegen, ob die Rom-II-Verordnung insgesamt nur in Zivilverfahren Anwendung finden soll. Da es in Zivilverfahren jedoch stets um die Verhängung zivilrechtlicher Sanktionen geht, läuft dies letztendlich gleichfalls auf eine Beschränkung des Art. 17 Rom-II-VO auf zivilrechtliche Sanktionen hinaus. Zudem erteilt Nr. 8 der Erwägungsgründe zur Rom-II-Verordnung einer solchen Auslegung eine klare Absage. Danach ist die Rom-II-Verordnung unabhängig von der Art des angerufenen Gerichts anwendbar. Sie gilt demnach gerade nicht nur vor Zivilgerichten, sondern kann in jedem Verfahren Anwendung finden. Auch Art. 17 Rom-II-VO kann daher grundsätzlich in jedem Verfahren zur Geltung gelangen. d) Ergebnis Die Tatsache, dass die Rom-II-Verordnung hauptsächlich das Kollisionsrecht der unerlaubten Handlungen des Zivilrechts enthält, steht demnach einer darüber hinausgehenden Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO nicht entgegen. Art. 17 RomII-VO kann daher trotz der zivilrechtlichen Natur der Rom-II-Verordnung insgesamt als allgemeine Geltungsbereichsregelung aller Verhaltensnormen in allen Verfahren angesehen werden. 2. Fehlende Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft Angesichts der Tatsache, dass Art. 17 Rom-II-VO als allgemeine Geltungsbereichsregelung auch im Strafrecht großen Einfluss hat, könnte möglicherweise der Einwand erhoben werden, der Europäischen Gemeinschaft fehle für eine solch weitgehende Regelung die Rechtsetzungskompetenz. Art. 17 Rom-II-VO basiert auf Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV (früher Art. 61 i.V. m. 65 lit. b EGV), nach dem die Gemeinschaft im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen die Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen fördern kann. Wie bereits erläutert, kann daraus keine Beschränkung der Rechtsetzungskompetenz auf „zivilrechtliche Verhaltensnormen“ folgen. Es stellt sich daher nur die Frage, ob die Europäische Gemeinschaft die Kompetenz zur allgemeinen Regelung der Geltung von Verhaltensnormen hat, oder ob diese den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Problematisch könnte sein, dass eine allgemeine Geltungsbereichsregelung von Verhaltensnormen auch im Strafrecht von Relevanz ist. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rom-II-Verordnung hatte die Europäische Gemeinschaft nach allgemeiner Ansicht keine Kompetenz zur Schaffung
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
supranationaler Straftatbestände.262 Allerdings wurde das nationale Strafrecht bereits damals erheblich durch europarechtliche Regelungen beeinflusst.263 So konnten in Richtlinien enthaltene Vorgaben beispielsweise durch Strafrechtsnormen umgesetzt werden, so dass der Straftatbestand richtlinienkonform auszulegen war.264 Zudem war überwiegend anerkannt, dass die Europäische Gemeinschaft das Recht hatte, auch auf dem Gebiet des Strafrechts durch Anweisungen an die Mitgliedstaaten auf Rechtsangleichung hinzuwirken, wenn auch der Umfang dieser Anweisungskompetenz umstritten ist.265 Durch das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags266 am 1. Dezember 2009 geht die Europäische Gemeinschaft in die Europäische Union über, die damit die Rechtsnachfolge der Europäischen Gemeinschaft antritt (vgl. Art. 2 2) a) LissabonV). Die Rechte der Europäischen Gemeinschaft stehen somit der Europäischen Union zu. Zudem sieht der Lissabon-Vertrag eine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union im Bereich des Strafrechts vor (siehe Art. 83 AEUV, eingeführt durch Art. 2 67) LissabonV).267 Ab dem 1. Dezember 2009 hat die Europäische Union somit wesentlich erweiterte Strafrechtsetzungskompetenzen und kann daher das nationale Strafrecht weitgehend beeinflussen.268 Da die Rom-II-Verordnung jedoch vor dem Lissabon-Vertrag in Kraft getreten ist, ist zur Beantwortung der Frage, ob die hier vertretene weite Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO mit der Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft vereinbar ist, auf die frühere Rechtslage abzustellen. Aus diesem Grund wird im Folgenden weiterhin von „Europäischer Gemeinschaft“ und nicht von „Europäischer Union“ die Rede sein.
262 Siehe nur Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 187; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 67 ff.; Nietsch, Insiderrecht, S. 60; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 20; ders., CR 2001, 115; Schlösser, NZG 2008, 127; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 24; Vogel in: Sieber/Brüner/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 1 ff.; Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT § 7 Rn. 84; Zöller, ZIS 2009, 342, jeweils m.w. N. 263 Siehe hierzu den Überblick bei Tiedemann, NJW 1993, 23 ff. Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 13 ff.; Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 187 ff.; Hoffmann, S. 241 ff. in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen; Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, § 7 Rn. 85 ff. 264 Siehe etwa die Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, Abl. 2005 L 309, S. 15 ff., die beispielsweise bei der Auslegung des § 261 StGB zu berücksichtigen ist. 265 Siehe hierzu nur die Diskussion bei Hecker, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 2 ff. 266 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Abl. 2007 C 306, S. 1 ff. (im Folgenden „LissabonV“). 267 Hierzu näher Satzger, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 18 ff. 268 Zu Recht spricht Satzger daher von einem „Durchbruch für ein Europäisches Strafrecht“, Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 27.
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Jedenfalls hatte die Europäische Gemeinschaft bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rom-II-Verordnung beträchtlichen Einfluss auf das Strafsanktionsrecht. Wirkte sich jedoch das EG-Recht sogar auf die Strafsanktionsnormen aus, die seit jeher als „Bastion der nationalen Souveränität“ 269 angesehen wird, dann muss es erst recht zulässig sein, dass die Europäische Gemeinschaft die rechtsgebietsunabhängigen Verhaltensnormen beeinflusst.270 Tatsächlich beruht die Konzeption der Europäischen Gemeinschaft wesentlich darauf, dass diese verbindliche Verhaltensvorgaben machen darf. Es wäre nicht plausibel, wie die Europäische Gemeinschaft etwa die Freiheit des Warenverkehrs gewährleisten sollte, ohne Verhaltensvorgaben zu machen. Entsprechend sind gem. Art. 34 f. AEUV (ex Art. 28 f. EGV) mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen verboten. Eine EG-rechtliche Modifikation der nationalen Verhaltensnormen sowie die Schaffung eigener supranationaler Verhaltensnormen sind demnach auch dann zulässig, wenn Verstöße gegen diese Verhaltensnormen mit Strafsanktionen belegt werden können.271 Tiedemann bringt dies auf den Punkt: „Das Fehlen einer strafrechtlichen Richtlinienkompetenz der Gemeinschaft betrifft [. . .] nur die Sanktionsdrohungen.“ 272 Hat die Europäische Gemeinschaft demnach grundsätzlich das Recht, Verhaltensnormen zu setzen und nationale Verhaltensnormen zu modifizieren, so steht es ihr auch zu, festzulegen, welche nationale Verhaltensnorm gilt. In aller Regel ist eine Kollisionsregelung ein schonenderer Eingriff in die nationalen Rechtsordnungen als eine vollständige Harmonisierung durch die Europäische Gemeinschaft.273 Dies gilt zumindest, solange die entsprechende Regelung, wie Art. 17 Rom-II-VO, überhaupt von den Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft gedeckt ist.274 Dementsprechend hat die Europäische Gemeinschaft die Rechtsetzungskompetenz für eine allgemeine Geltungsbereichsregelung im Stil des Art. 17 Rom-II-VO.275
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Satzger, CR 2001, 109. Siehe auch Zöller, ZIS 2009, 340. Auch Golombek wendet Art. 17 Rom-II-VO zur Bestimmung des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsmaßstabs an, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 150. 271 Ebenso Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 39. Siehe auch Satzger in: Sieber/Brüner/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 42. 272 Tiedemann, NJW 1993, 26. 273 So auch Ohler, Kollisionsordnung, S. 6. 274 Siehe Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 7 Rn. 87. Vgl. auch die Ausführungen Spindlers zur strafrechtlichen Bedeutung der E-Commerce-Richtlinie, RabelsZ 66 (2002), 681 ff. Siehe auch ders., MMR-Beilage 2000, 19; NJW 2002, 926. Zu dieser Frage ebenfalls Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 100 ff. 275 Nach Handig ergibt sich aus Art. 61 EGV a. F. sogar die Kompetenz zur Schaffung strafrechtlicher Kollisionsnormen, GRUR Int 2008, 25. 270
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3. Benachteiligung der Betroffenen Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Art. 17 Rom-II-VO den Interessen des Handelnden entgegenkommt. Wird Art. 17 Rom-II-VO so ausgelegt, dass grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten, könnten dadurch unter Umständen die Interessen des Geschädigten oder des strafenden Staates zu kurz kommen. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn sich jemand, der beabsichtigt, die Rechtsgüter anderer zu verletzen, dazu in ein Land begibt, in dem ein sehr niedriger Verhaltensstandard herrscht und in dem er durch das Verhalten keine Verhaltenspflichten verletzt. Dieser Einwand ist an und für sich durchaus berechtigt. Immerhin hat die Angst davor, in anderen Ländern keine vergleichbaren Verbote zu finden, den deutschen Gesetzgeber veranlasst, in §§ 5, 6 StGB die weltweite Geltung bestimmter Sanktionsnormen vorzuschreiben.276 Fraglich ist allerdings, ob daraus geschlossen werden kann, dass Art. 17 Rom-II-VO nicht den Geltungsbereich der Verhaltensnormen regeln sollte. Die Bedenken, die gegen die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO als Geltungsbereichsregelung erhoben werden könnten, resultieren daraus, dass die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes nicht in allen Fällen angebracht ist.277 Diesen Bedenken kann jedoch nicht dadurch entsprochen werden, dass statt von der Geltung von der faktischen Berücksichtigung der Verhaltensnormen ausgegangen wird. Es geht nämlich nicht um die Frage, ob die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten, sondern wann sie zu berücksichtigen sind, egal, ob als Rechtsnorm oder als Tatsache. Der Einwand, dass auch die Interessen anderer Betroffener zu berücksichtigen seien, betrifft daher nicht die Frage, ob Art. 17 Rom-II-VO den Geltungsbereich der Verhaltensnormen regelt, sondern in welchem Umfang. Dies ist demnach bei der inhaltlichen Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO zu berücksichtigen. 4. Ergebnis Von den oben angeführten Einwänden greift daher im Ergebnis keiner durch. Es bleibt folglich dabei, dass Art. 17 Rom-II-VO die Geltung aller Verhaltensnormen der EG-Mitgliedstaaten regelt. Nachdem im Grundsatz feststeht, dass Art. 17 Rom-II-VO die einheitliche Geltung der Verhaltensnormen regelt, bleibt die Frage, welche Verhaltensnormen gelten.
276 Ein weiteres Beispiel ist laut Kempf § 129b StGB, FS Richter II, S. 284 ff. Dagegen Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 331 ff. 277 Siehe dazu bereits Kap. 9 A. IV., S. 204 ff.
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III. Inhalt des Art. 17 Rom-II-VO Gem. Art. 17 Rom-II-VO sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes „faktisch und soweit angemessen“ zu berücksichtigen. Die obige Auslegung hat gezeigt, dass das Wort „faktisch“ entgegen der Intention der Kommission nicht dazu führt, dass die Verhaltensnormen nur als Tatsachen zu berücksichtigen sind, sondern dass diese trotzdem als Rechtsnormen gelten. Dementsprechend kann die Anordnung, die Sicherheits- und Verhaltensregeln seien als Tatsache zu berücksichtigen, nur prozessuale Bedeutung haben.278 Für die weitere Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO ist der Ausdruck „faktisch“ hingegen irrelevant und wird daher im Folgenden nicht berücksichtigt. 1. Geltung bei Verhaltenspflichtverletzungen Art. 17 Rom-II-VO regelt ausschließlich den Geltungsbereich von Verhaltensnormen. Demzufolge wird Art. 17 Rom-II-VO nur relevant, wenn die Beurteilung eines Verhaltens in Frage steht, was der Fall ist, wenn eine Sanktionsnorm an Verhaltenspflichtverletzungen anknüpft. Sanktionen, die verhaltenspflichtunabhängig eingreifen, bedürfen des Art. 17 Rom-II-VO nicht.279 Beispiele für solche Sanktionen sind etwa die Duldungspflicht des Nicht-Störers im Polizeirecht und die zivilrechtliche Gefährdungshaftung.280 In diesen Fällen gelten ausschließlich die Geltungsbereichsregeln des jeweiligen Rechtsgebiets. 2. Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes Die aus Art. 17 Rom-II-VO resultierende Grundregel ist, dass die Verhaltensnormen gelten, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft waren. Der Ort des haftungsbegründenden Ereignisses ist der Handlungsort, also der Ort, an dem das schädigende Verhalten stattgefunden hat.281 In aller Regel dürfte dieser leicht festzustellen sein.282 Probleme können jedoch auftauchen, wenn das maßgebliche Verhalten in mehreren Staaten stattfindet.283 278
Dazu bereits oben Kap. 9 C. I. 2. b) cc) (1), S. 226 ff. Darauf weist auch Dickinson hin, The Rome II Regulation, Rn. 15.33. 280 Stoll wirft hinsichtlich letzterer allerdings die Frage auf, ob diese nicht auch dem Recht des Handlungsortes unterstellt werden müsste, S. 172 in: von Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten. Das mag rechtspolitisch richtig sein, fällt jedoch nicht in den Regelungsbereich des Art. 17 Rom-II-VO. Vgl. auch Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 72 ff. 281 Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. b) bb) (2), S. 220 ff. Siehe näher zum Handlungsbegriff aus Sicht des deutschen Strafrechts Heinrich, FS Weber, S. 93 ff. 282 So auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 27. 283 Siehe die Beispiele von Heinrich, FS Weber, S. 93 ff.; Rath, JA 2007, 27; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 12 f., 17. 279
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Hier muss das Europarecht Maßstäbe entwickeln, anhand derer der maßgebliche Handlungsort ermittelt werden kann. Der Hinweis auf den „Ort des ursächlichen Geschehens“ 284 hilft nicht weiter, weil bei einer gestreckten Handlung alle Handlungsteile ursächlich sind. Eine weitere Schwierigkeit tritt auf, wenn der Handlungsort keinem Staat angehört.285 Dies wird insbesondere relevant bei Handlungen, die auf hoher See oder in Flugzeugen begangen werden. Auch hierfür muss durch Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO eine passable Lösung gefunden werden. In Betracht käme z. B. ein Rückgriff auf das völkerrechtliche Flaggenprinzip.286 Lässt sich auch so der Handlungsort keiner Rechtsordnung zuschlagen, spricht dies für die Unangemessenheit der Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes.287 Auch führt die Abhängigkeit vom Recht des Handlungsortes zu Problemen, wenn nicht festgestellt werden kann, an welchem Ort gehandelt wurde.288 In diesem Fall könnte allenfalls im Wege der Wahlfeststellung alternativ wegen der einen oder der anderen Verhaltenspflichtverletzung verurteilt werden.289 Dies setzt jedoch voraus, dass das betreffende Verhalten in allen in Betracht kommenden Rechtsordnungen eine Verhaltenspflichtverletzung darstellt und dass die deutschen Strafsanktionsnormen eine Wahlfeststellung zwischen der Verletzung von Verhaltenspflichten verschiedener Rechtsordnungen gestattet. Trotz dieser vereinzelt auftretenden Schwierigkeiten dürfte es in den allermeisten Fällen möglich sein, den Handlungsort eindeutig zu bestimmen, so dass entsprechend auch die geltende Verhaltensnorm eindeutig feststehen würde. 3. Geltung „soweit angemessen“ Die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten „soweit angemessen“. Die gleiche Einschränkung findet sich auch in den anderen Sprachfassungen: im Englischen „in so far as is appropriate“, im Französischen „pour autant que de besoin“ und im Spanischen „en la medida que sea procedente“. Durch diese Einschränkung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Verhaltensnormen des Handlungsortes nicht in jedem Fall von Bedeutung sein können.290 284 So die Definition in EuGH, Urt. v. 30.11.1976 – „Mines de Potasse d’Alsace“, Slg. 1976, 1735, 1746. 285 So schon Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 383; Theiler, Fremdrechtsprinzip, S. 53. 286 Siehe dazu oben Kap. 6 B. IV. 1., S. 113 ff. Siehe auch Wengler, IRuD 1972, 268 ff. 287 Näher dazu sogleich Kap. 9 C. III. 3. e), S. 268 ff. 288 Darauf weist bereits Binding hin, Hdb. d. Strafrechts, S. 383. Siehe auch Bekker, Theorie des Strafrechts, S. 176. 289 Arzt lehnt eine Wahlfeststellung jedoch zumindest im Bereich des Internationalen Strafrechts ab, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 424 Fn. 12. 290 Bericht des Rechtsaussschusses, A6-0211/2005, S. 34.
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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Allerdings ist die Formulierung, die Verhaltensnormen seien „soweit angemessen“ zu berücksichtigen, alles andere als eindeutig. Denn es drängt sich sofort die Frage auf, wann die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes angemessen sein soll. Art. 17 Rom-II-VO bietet hierzu keine weitere Hilfestellung. Daraus ließe sich schließen, dass es im Ermessen des Gerichts steht, inwieweit die Verhaltensnormen des Handlungsortes zu berücksichtigen sind.291 Diese Auslegung wird durch den Vergleich mit Art. 7 HÜbkV und Art. 9 HÜbkP gestützt; in diesen beiden Vorschriften ist das Ermessen des Richters von großer Bedeutung.292 Allerdings ist es aus normentheoretischer Sicht nicht überzeugend, von einem umfassenden Ermessen des Richters auszugehen. Wenn es völlig der Entscheidung des Richters überlassen wäre, ob und inwieweit die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten, wäre es für den Adressaten nicht vorhersehbar, an welchen Normen er sein Verhalten auszurichten hätte.293 Dies gilt unabhängig davon, ob die Verhaltensnormen des Handlungsortes als Rechtsnorm oder nur als Auslandssachverhalt berücksichtigt werden. In beiden Fällen müsste für den Adressaten der Verhaltensnormen erkennbar sein, an welchen Normen er sein Verhalten auszurichten hat, damit er die Möglichkeit hat, diese zu beachten. Es muss daher bereits zum Zeitpunkt des Verhaltens feststehen, ob die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten. Alles andere würde zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen.294 Daraus folgt die Notwendigkeit, Art. 17 Rom-IIVO so auszulegen, dass eindeutig feststellbar ist, welche Verhaltensnormen gelten. Es muss folglich ermittelt werden, wann die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes angemessen ist und wann nicht. a) Grundsätzliche Angemessenheit der Verhaltensnormen des Handlungsortes Dabei ist es hilfreich, sich zu verdeutlichen, ob die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes die Regelanknüpfung darstellt, von der in Einzelfällen abgewichen werden kann, oder ob umgekehrt die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes eine Ausnahmeerscheinung ist. Ob Art. 17 Rom-II-VO die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes als Regel statuiert, von der nur in Ausnahmefällen abgewichen werden darf, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Die Anordnung, die Sicherheits- und Verhaltensregeln seien soweit angemessen zu berücksichtigen, kann in beiderlei Hinsicht gedeutet werden. 291 So Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 15.33; Freigang, Grundstücksimmissionen, S. 266. 292 Siehe oben Kap. 9 C. I. 2. b) cc) (2), S. 229 ff. 293 Vgl. auch Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 27. 294 Siehe auch Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 43 f.
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Klarer wird dies jedoch bei Betrachtung der Alternative zur Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes. Mangels anderweitiger Anordnung in Art. 17 Rom-II-VO ist davon auszugehen, dass in einem solchen Fall die Verhaltensnorm derselben Rechtsordnung zu entnehmen ist, der die Sanktionsnorm angehört. An ein und dieselbe Verhaltenspflichtverletzung können jedoch sowohl zivilrechtliche als auch öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Sanktionsnormen anknüpfen, die nach den für sie geltenden Geltungsbereichsregeln verschiedenen Rechtsordnungen entstammen können. Demnach wäre ein Verhalten möglicherweise unterschiedlich zu bewerten, je nachdem, welche Sanktion eintreten solle.295 Der Handelnde sähe sich dann verschiedenen Verhaltensanforderungen ausgesetzt und wüsste nicht, welche er zu befolgen hätte. Damit wäre den Interessen des Handelnden nicht gedient. Hinzu kommt, dass die Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm zu entnehmen ist, zum Zeitpunkt des Verhaltens häufig nicht feststeht.296 In diesem Fall ist daher die Geltung der Verhaltensnormen des Sanktionsstatuts zwangsläufig unangemessen. All dies spricht dafür, dass grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten sollen und nur in Ausnahmefällen, wenn die Geltung der Normen des Handlungsortes unangemessen ist, auf andere Normen zurückgegriffen werden muss. Im Zweifel ist daher davon auszugehen, dass die Verhaltensnormen des Handlungsortes zu Grunde zu legen sind. Nur, wenn dies ausnahmsweise unangemessen ist, kann von dieser Regel abgewichen werden. Im Folgenden sollen daher Fallgruppen ermittelt werden, in denen die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes unangemessen wäre. b) Unangemessenheit bei bestimmten Rechtsgütern Ausgangspunkt der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO muss die Überlegung sein, dass Art. 17 Rom-II-VO den Handelnden vor Normenkonflikten bewahren und das geltende Recht vorhersehbar machen soll. Der erstgenannte Gedanke entfällt jedoch, wenn überhaupt kein Normenkonflikt vorliegt. Dazu sind zwei Konstellationen denkbar: Erstens könnten das Recht des Handlungsortes und das Recht des Sanktionsstatuts identisch sein. In einem solchen Fall wäre es egal, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnorm zu entnehmen wäre. Entsprechend kann die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes jedoch nicht als unangemessen bezeichnet werden, so dass es keinen Grund gibt, von der Grundregel der Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes abzuweichen.
295 296
Siehe dazu bereits oben Kap. 8 C. II., S. 198 ff. Siehe bereits oben Kap. 9 C. I. 2. b) dd) (3) (a), S. 244 ff.
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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Zweitens könnte eine der Rechtsordnungen Verhaltensnormen enthalten, die es in der anderen überhaupt nicht gibt. Das ist nicht schon der Fall, wenn Verhaltensnormen stark voneinander abweichen und daher in der einen Rechtsordnung erlaubt ist, was die andere verbietet. So etwas wäre ein klassischer Fall einer Verhaltenspflichtkollision. Von der Nicht-Existenz einer Verhaltensnorm kann hingegen nur ausgegangen werden, wenn das in der einen Rechtsordnung geschützte Rechtsgut in der anderen überhaupt nicht anerkannt ist.297 aa) Unbekannte Rechtsgüter Kennt das Recht des Handlungsortes ein Rechtsgut, dessen Verletzung oder Gefährdung sanktioniert werden soll, nicht, dann würde die Sanktionsnorm mangels einschlägiger Verhaltenspflichtverletzung leer laufen. Dies würde zu einer weitgehenden Entwertung der Sanktionsnorm führen. Diese könnte auch nicht durch Verweis auf einen etwaigen Normenkonflikt des Adressaten der Verhaltensnorm gerechtfertigt werden, da der Leerlauf der Sanktionsnorm gerade darauf beruht, dass es keine identische Norm in der Rechtsordnung des Handlungsortes gibt. In einem solchen Fall wäre es daher unangemessen, von der Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes auszugehen. Die Feststellung, ob ein Rechtsgut am Handlungsort bekannt ist oder nicht, bereitet jedoch Schwierigkeiten. So werden Individualrechtsgüter wie Leben oder Freiheit zwar in der Regel auch am Handlungsort bekannt sein. Bei staatlichen Rechtsgütern ist dies jedoch bereits zweifelhaft. So soll § 153 StGB beispielsweise nach verbreiteter Ansicht nur deutsche Stellen erfassen und somit nur die deutsche Rechtspflege schützen.298 Unterstellt, dies gilt auch für die entsprechende deutsche Verhaltensnorm, stellt sich bei einer im Ausland erfolgten Falschaussage die Frage, ob das durch die Verhaltensnorm geschützte Rechtsgut dort bekannt ist.299 Zwar gibt es in den allermeisten ausländischen Staaten ebenfalls Falschaussageverbote. Es ist jedoch durchaus möglich, dass diese ebenfalls auf inländische Gerichte beschränkt sind. In einem solchen Fall ist demnach zweifelhaft, ob das von der deutschen Verhaltensnorm geschützte Rechtsgut am Handlungsort als bekannt anzusehen ist, weil die Rechtspflege als solche dort auch geschützt ist, oder als nicht anerkannt, weil dort nicht die deutsche Rechtspflege geschützt wird. Im ersteren Fall würden die ausländischen Verhaltensnormen gelten, im letzteren die deutschen. Die Geltung der deutschen Verhaltensnormen hinge somit vom
297
Siehe hierzu Ohler, Kollisionsordnung, S. 110 f. Siehe hierzu Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 74 ff. 299 Diese Fallkonstellation kann im Fall der kommissarischen Vernehmung gem. § 223 StPO relevant werden. Siehe hierzu Gmel in: KK, StPO, § 223 Rn. 24 f. 298
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Rechtsgutsbegriff ab. Dieser ist jedoch seit langem umstritten und eignet sich daher nicht zu einer konkreten Grenzziehung.300 Dies kann am Beispiel der sog. „Auschwitzlüge“ verdeutlicht werden. In der einschlägigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs301 hatte ein Australier den Holocaust geleugnet, was den Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt. Handlungsort war dabei Australien, so dass gem. Art. 17 Rom-II-VO grundsätzlich die australischen Verhaltensnormen Anwendung finden würden. Die Geltung der deutschen Verhaltensnormen wäre nach dem oben Gesagten nur möglich, wenn das von § 130 Abs. 3 StGB in Bezug genommene und durch die entsprechende Verhaltensnorm geschützte Rechtsgut in Australien unbekannt wäre. Werden Ehre und Menschenwürde sowie der öffentliche Friede als durch die Verhaltensnorm geschützte Rechtsgüter angesehen,302 müssten diese auch in Australien als bekannt angesehen werden. Denn es ist anzunehmen, dass auch Australien grundsätzlich die Ehre und Menschenwürde Einzelner und den öffentlichen Frieden im Staat schützt. In dem Auschwitzlügen-Fall fiel das betreffende Verhalten allerdings nach australischer Auffassung unter die Meinungsfreiheit. Wird das Rechtsgut jedoch näher konkretisiert, etwa dergestalt, dass nur die Ehre der deutschen Juden und der deutsche öffentliche Friede erfasst sind, wären diese Rechtsgüter wohl nach australischem Recht als unbekannt anzusehen, so dass die deutschen Verhaltensnormen subsidiär gelten würden. Da die durch eine Verhaltensnorm geschützten Rechtsgüter höchst selten eindeutig benannt werden, wäre damit die Geltung der deutschen Verhaltensnorm völlig ins Belieben des Rechtsanwenders gestellt. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann dies jedoch nicht hingenommen werden. Das Kriterium, ob ein Rechtsgut am Handlungsort bekannt oder unbekannt ist, ist daher als zu unbestimmt abzulehnen. bb) Staatliche Rechtsgüter Allerdings gibt es Rechtsgüter, deren Schutz nur einem einzigen Staat obliegt.303 Das sind spezifisch staatliche Rechtsgüter wie z. B. der Bestand des Staates als solchem, der Schutz der staatlichen Grundordnung und der Staatsgeheimnisse. Solche Rechtsgüter können nur effektiv geschützt werden, wenn die Geltung der entsprechenden Verhaltensnormen auf das Ausland ausgedehnt wird.
300 Vgl. dazu die Beispiele bei Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 137 ff. Allgemein zum Rechtsgutsbegriff Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 10 ff. 301 Siehe BGH, Urt. v. 12.12.2000, BGHSt 46, 212. Hierzu etwa Deiters, ZRP 2003, 360 f.; Heinrich, FS Weber, S. 96 ff.; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 180 ff.; Velten, FS Rudolphi, S. 330 ff., jeweils m.w. N. 302 Rudolphi/Stein in: SK7, § 130 Rn. 1b. 303 Siehe dazu bereits oben, Kap. 9 A. IV., S. 204.
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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Dies lässt sich am Beispiel des Landesverrats (§ 94 StGB) verdeutlichen. Gem. § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist es verboten, ein deutsches Staatsgeheimnis einer fremden Macht mitzuteilen. Nun lässt sich etwa folgender Fall bilden: Der chinesische Spion C hat ein deutsches Staatsgeheimnis herausgefunden. Er reist nach China und teilt das Staatsgeheimnis dort seinen Vorgesetzten mit. Aufgrund seiner erfolgreichen Tätigkeit wird C von den chinesischen Behörden befördert. Hier ist das Verhalten des C am Handlungsort erlaubt und vermutlich sogar geboten. Bei Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes hätte der deutsche Staat somit keine Möglichkeit, seine Geheimnisse wirksam zu schützen. Umgekehrt wären auch deutsche Spione vor anderen Staaten sicher, wenn sie deren staatliche Geheimnisse in Deutschland den deutschen Behörden mitteilten. In solchen Fällen, in denen ein Staat direkt in seiner Existenz betroffen wird, ist die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes demnach als unangemessen anzusehen.304 Es bleibt die Frage, wie solche spezifisch staatlichen Rechtsgüter von sonstigen Rechtsgütern abzugrenzen sind.305 Hierbei bietet sich ein Rückgriff auf das Völkerrecht an: Danach darf der Staat die Verhaltensnormen auf das Ausland erstrecken, die nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts dem staatlichen Selbstschutz dienen.306 Demnach muss durch Vergleich der nationalen Rechtsordnungen ermittelt werden, welche Verhaltensweisen diese übereinstimmend als legitime staatliche Selbstverteidigung ansehen. Dies wird bei einem Kernbereich von Delikten leicht festgestellt werden können (Bsp. Hochverrat), bei anderen jedoch schwieriger, beispielsweise bei Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§§ 123–145d StGB).307 Im Zweifelsfall muss durch Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO ermittelt werden, ob die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes angemessen oder unangemessen ist. Da es sich bei Art. 17 Rom-II-VO um EG-Recht handelt, entscheidet über dessen Auslegung gem. Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV (ex Art. 234 Abs. 1 lit. b i.V. m. 68 EGV) in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof.308 Im Ergebnis ist die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes daher nur dann als unangemessen anzusehen, wenn das Verhalten spezifisch staatliche Rechtsgüter bedroht. Oder, anders ausgedrückt: Verhaltensnormen, die der staat304
Siehe hierzu bereits H. Mayer, JZ 1952, 611. Darauf weisen auch Böse und Meyer hin, ZIS 2011, 342 f. 306 Siehe zu den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts Kap. 9 B. I., S. 205. Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Strafbarkeit von Spionage Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, § 5 Rn. 14. 307 Die Annahme staatlicher Selbstverteidigung liegt bei § 123 StGB fern, bei § 129a StGB jedoch wesentlich näher. 308 So auch Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Vor Art. 1 Rom-II-VO Rn. 29. 305
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
lichen Selbstverteidigung dienen, haben einen unbegrenzten räumlichen Geltungsbereich.309 Dabei ist allerdings zu beachten, dass – zumindest bei strafrechtlichen Sanktionen – auch in diesen Fällen der Umstand, aus dem sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt, bekannt oder zumindest erkennbar sein muss. Beruht die Geltung einer Verhaltensnorm darauf, dass ein bestimmtes, nur einem Staat zuzuordnendes Rechtsgut geschützt ist, so muss dieser Umstand bei Vorsatzdelikten vom Vorsatz umfasst sein.310 Dies wird jedoch bei Verhaltensnormen, die spezifisch staatliche Rechtsgüter schützen, regelmäßig angenommen werden können. c) Unangemessenheit bei vorhersehbarem fremdem Erfolgsort Als nächstes stellt sich die Frage, ob die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes unangemessen ist, wenn der Erfolg in einem anderen Land eintritt. Eine solche Einschränkung macht allerdings nur Sinn, wenn alternativ das Recht des Erfolgsortes berufen wird. Art. 17 Rom-II-VO enthält jedoch keine Angaben dazu, welche Rechtsordnung an Stelle der des Handlungsortes Geltung erlangen soll. Daher richtet sich die Geltung der Verhaltensnorm im Falle der Unangemessenheit der Verhaltensnormen des Handlungsortes nach der Geltung der Sanktionsnorm. Vorschläge311, nach denen alternativ zum Recht des Handlungsortes das des Erfolgsortes berufen werden können soll, beruhen daher implizit auf der Annahme, dass in jeder Rechtsordnung Sanktionsnormen existieren, die die Verletzung von Rechtsgütern sanktionieren, die sich im Staatsgebiet befinden. Solche Regelungen finden sich in der Tat zumindest im in Deutschland geltenden Zivil(z. B. Art. 4 Rom-II-VO) und Strafrecht (§ 3 StGB), so dass die Annahme berechtigt zu sein scheint. Allerdings kommt eine Anwendung der Verhaltensnormen des Erfolgsortes nur in Betracht, wenn der Erfolgsort zum Zeitpunkt des Verhaltens bereits bekannt war. Es kann daher nur um die Geltung der Verhaltensnormen des Ortes gehen, an dem der Adressat der Verhaltensnorm den Erfolgseintritt für möglich hält.312 Dass ein Staat in der Lage sein muss, Verhalten zu verbieten, das auf seinem Staatsgebiet Auswirkungen zeigt, ist auf den ersten Blick einleuchtend.313 Hin309
Vgl. auch Nowakowski, JZ 1971, 637. Zu diesem Zusammenhang siehe oben Kap. 4 C. II., S. 81 ff. Vgl. hierzu auch Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 70. 311 So z. B. G. Wagner, IPRax 2008, 5. 312 Siehe dazu oben Kap. 6 B. IV. 2. a) aa), S. 117 ff. 313 Remien hält dies allerdings für eine versteckte Diskriminierung, weil Erfolgsort oftmals der Heimatstaat sei, siehe den Diskussionsbericht bei M. Stürner/Weller, IPRax 2006, 391. 310
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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tergrund ist auch hier das Territorialitätsprinzip, welches Ausprägung der völkerrechtlichen Souveränität über das Staatsgebiet ist.314 An der Diskussion zu § 9 Abs. 1 StGB, der eine Ausprägung des Territorialitätsprinzip ist, zeigt sich jedoch die Kehrseite eines so weit verstandenden Territorialitätsprinzips.315 Dieses führt zu einer enormen Ausdehnung der deutschen Verhaltensnormen und fördert somit Normenkollisionen. Dabei ist zu bedenken, dass es in vielen Fällen keinen Unterschied macht, ob die Verhaltensnormen des Handlungs- oder des potentiellen Erfolgsortes zu Grunde zu legen sind. Soll der Erfolg auch in dem Land eintreten, in dem das Verhalten des Täters stattgefunden hat, führen beide Anknüpfungspunkte zu demselben Ergebnis. In einem solchen Fall kann daher die Berücksichtigung der Verhaltensnormen des Handlungsortes nicht unangemessen sein. Selbst wenn der Erfolg in einem anderen Staat eintreten soll, führt dies nicht zwangsläufig zu widersprüchlichen Ergebnissen. Solange ein Verhalten in beiden Rechtsordnungen gleich bewertet wird, kommt es ebenfalls nicht darauf an, welcher Rechtsordnung die Verhaltensnorm zu entnehmen ist, so dass auch in diesem Fall die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes nicht als unangemessen anzusehen ist.316 Die Frage, ob die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes unangemessen ist, wenn der Täter den Erfolgseintritt im Ausland für möglich hält, ist daher nur von Bedeutung, wenn die Bewertung des Verhaltens durch die Verhaltensnormen des Handlungsortes und des Erfolgsortes unterschiedlich ist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Rechtsordnung des Handlungsortes überhaupt einschlägig ist. Bei dem Schutz spezifisch staatlicher Rechtsgüter ist die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes unangemessen.317 Nur bei Einschlägigkeit des Rechts des Handlungsortes und unterschiedlicher Bewertung liegt ein klassischer Normenkonflikt vor. In allen anderen Fällen führt die Anwendung der Verhaltensnormen des Handlungsortes zu dem gleichen Ergebnis wie die der Verhaltensnormen des Erfolgsortes und damit zu ebenso angemessenen Ergebnissen. Letztendlich läuft die Fragestellung daher auf den Konflikt zwischen zwei Ausprägungen der Gebietshoheit hinaus, dem Recht, das Verhalten auf dem eigenen Territorium zu regeln, und dem Recht, das eigene Territorium vor Eingriffen von außerhalb zu schützen. Die Ausübung der Gebietshoheit des einen Staates ist zugleich ein Eingriff in die Gebietshoheit des anderen. Ein solcher Konflikt kann 314
Siehe zum Souveränitätsprinzip oben Kap. 7 B., S. 169 ff. Kritisch zu § 9 Abs. 1 StGB etwa Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 21 f.; Krapp, Distanzdelikt, S. 81 ff.; Pawlik, FS F.-C. Schroeder, S. 375 f. und ZIS 2006, 285; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. 316 Vgl. auch Forkel, Umweltbelastungen, S. 86. 317 Siehe Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff. 315
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
auf verschiedene Arten gelöst werden.318 So kann dem Ort des möglichen Erfolgseintritts Vorrang eingeräumt werden.319 Umgekehrt kann auch das Recht des Handlungsortes als vorrangig angesehen werden.320 Auch könnte dem Täter auferlegt werden, ein Verhalten schon dann zu unterlassen, wenn eine der beiden Rechtsordnungen es verbietet, oder umgekehrt ein Verbot nur dann angenommen werden, wenn beide Rechtsordnungen ein solches aussprechen. Bedenkt man, dass gem. Art. 4 Rom-II-VO grundsätzlich die Zivilsanktionsnormen des Erfolgsortes gelten und dass Art. 17 Rom-II-VO für Verhaltensnormen eine Ausnahme von diesem Grundsatz statuiert, wird deutlich, dass dieser Konflikt bei Entstehung des Art. 17 Rom-II-VO bekannt gewesen sein muss. Die Tatsache, dass Art. 17 Rom-II-VO trotzdem die Berücksichtigung der Verhaltensnormen des Handlungsortes anordnet, verdeutlicht, dass der oben angeführte Normenkonflikt im supranationalen Recht zu Gunsten des Rechts des Handlungsortes entschieden wird.321 Gestützt wird diese Auslegung durch die Überlegung, dass die Verhaltensnormen des Handlungsortes in aller Regel vom Täter eher beachtet werden als die des in einem anderen Staat belegenen Erfolgsortes, weil der Täter am Handlungsort unmittelbar staatlichen Sanktionen ausgesetzt ist.322 Die faktische verhaltenssteuernde Wirkung ist daher deutlich größer, wenn die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten.323 Demzufolge hat die Rechtsordnung des Erfolgsortes keinen Einfluss auf die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm. Auch beim Auseinanderfallen von Verhaltens- und Erfolgsort ist die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes daher angemessen. d) Unangemessenheit bei Sonderverbindung Fraglich ist zudem, ob die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes unangemessen ist, wenn zwischen Handelndem und Verletztem eine Sonderver318
Siehe hierzu auch Koziol/Thiede, ZVglRWiss 106 (2007), 241 ff. So etwa von Hein, ZVglRWiss 102 (2003), 543 ff.; Koziol, FS Beitzke, S. 581; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 266 f., insbesondere Fn. 73; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 3; G. Wagner, IPRax 2008, 5. Siehe auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 148 ff. 320 Deiters, ZRP 2003, 361; ders., Legalitätsprinzip, S. 101 f.; wohl auch Fuchs, S. 116, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept; Velten, FS Rudolphi, S. 345. In Bezug auf das Umwelthaftungsrecht ebenfalls Kreuzer, S. 305 ff. in: Dolzer (Hrsg.), Umweltschutz. In diese Richtung gehen ebenfalls die Überlegungen von Stoll, der allerdings die Anwendung strengerer Vorschriften des Sanktionsstatuts für möglich hält, FS Lipstein, S. 266. 321 Ebenso wohl Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 150. Vgl. auch KOM(2003) 427 endgültig, S. 22. 322 Forkel, Umweltbelastungen, S. 84 ff. 323 So Forkel, Umweltbelastungen, S. 84 f. 319
C. Grenzen aus supranationalem Recht
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bindung besteht. Dies ist hauptsächlich der Fall, wenn beide durch einen Vertrag verbunden sind, aber auch, wenn z. B. ein familienrechtliches Verhältnis zwischen beiden Beteiligten besteht. In einem solchen Fall sollen die Verhaltensnormen dann der Rechtsordnung entstammen, deren Recht die Sonderverbindung untersteht.324 Das ist im Zweifel weder das Recht des Handlungsortes, noch das Recht, dem die Sanktionsnorm entstammt. Ein Beispiel ist der Fall, dass eine Gruppe von Personen eine Weltreise macht und eine von ihnen, ein ausgebildeter Arzt, einen anderen medizinisch versorgt.325 Nach Nagel soll in diesem Fall nicht das Recht des Handlungsortes, sondern das des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsortes der Reisegruppe gelten, und zwar unabhängig davon, ob die Behandlung auf vertraglicher Basis erfolgt oder nicht.326 Grund dafür sei, dass die Beteiligten in diesem Fall darauf vertrauen würden, dass die Verhaltensnormen des gemeinsamen Rechts Geltung hätten.327 Im Falle einer rechtlichen Sonderverbindung wie einem Vertrag lässt sich dies noch einsehen. Nach Abschluss eines Schuldverhältnisses gelten zwischen den Beteiligten besondere Pflichten. Diese werden auch als „relative Verhaltensvorschriften“ 328 bezeichnet, weil sie nur in einer bestimmten Relation, nämlich der Sonderverbindung, gelten. Treffend ist daher auch die Differenzierung zwischen allgemeinen und besonderen Verhaltenspflichten.329 Da die konkrete Verhaltenspflicht immer das Bestehen einer Sonderverbindung voraussetzt, muss als Vorfrage geklärt werden, welches Recht auf die Sonderverbindung Anwendung findet. Diesem Recht unterliegen dann auch die aus der Sonderverbindung stammenden Verhaltenspflichten. Dies setzt allerdings voraus, dass die entsprechende Sanktionsnorm auch die Verletzung relativer Verhaltenspflichten erfasst.330 Ob die relativen Verhaltenspflichten dann die allgemeinen ersetzen oder nur ergänzen, ist damit jedoch noch nicht gesagt. Eine Ersetzung der Verhaltenspflichten des Handlungsortes durch die der Sonderverbindung wäre dann auch zwingend erforderlich, wenn das Recht der Sonderverbindung einen geringeren Sorgfaltsmaßstab vorsähe. Erlaubt die Rechtsordnung, die das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern regelt, etwa die Züchtigung des Kindes, so dürften Siehe Nagel, Organtransplantation, S. 89; Thorn in: Palandt70, (IPR) Rom II, Art. 17 Rn. 5; wohl auch Junker in: MüKo, BGB5, Bd. 10, Art. 17 Rom-II-VO Rn. 30. 325 Beispiel nach Nagel, Organtransplantation, S. 89. 326 Nagel, Organtransplantation, S. 89. 327 Nagel, Organtransplantation, S. 89. 328 Lagodny, Schranken, S. 88. 329 Nagel, Organtransplantation, S. 89. 330 Das ist bei Straf- und Verwaltungssanktionsnormen alles andere als selbstverständlich und auch bei Zivilsanktionsnormen nicht zwingend. Z. B. wird bei § 823 Abs. 2 BGB die Geltung relativer vertraglicher Verhaltenspflichten abgelehnt, MaierReimer, NJW 2007, 3158. 324
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deutsche Behörden auch dann nicht einschreiten, wenn die Eltern ihr Kind bei einem Urlaub in Deutschland schlagen.331 Das Gleiche müsste für Tötungen gelten, die in dem die Sonderverbindung behandelnden Recht etwa aus Gründen der Ehre gerechtfertigt sind. Der Staat wäre somit verpflichtet, Verhaltensweisen zu dulden, die zu verhindern er ggf. sogar grundrechtlich verpflichtet ist. Hieran zeigt sich, dass eine umfassende Ersetzung der allgemeinen Verhaltenspflichten durch relative mit dem Interesse des Staates, über sein Territorium zu bestimmen, unvereinbar ist. Es muss daher im Einzelfall durch Auslegung der Sanktionsnorm ermittelt werden, ob eventuell bestehende relative Verhaltenspflichten die allgemeinen des Handlungsortes ersetzen. Auch hier gilt jedoch der Grundsatz, dass zwingende Verhaltensvorgaben der Rechtsordnung des Handlungsortes gem. Art. 17 Rom-II-VO nicht disponibel sind. Wenn schon Verhaltenspflichten aus rechtlich geregelten Sonderverbindungen die des Handlungsortes nicht ersetzen, sondern allenfalls – d.h. soweit es die Sanktionsnorm erlaubt – ergänzen können, so folgt daraus, dass Verhaltenspflichten aus ungeregelten Verbindungen erst recht nicht von Bedeutung sein können. Behandelt der Arzt in dem oben angeführten Beispiel daher aus reiner Gefälligkeit, so gelten für ihn nur die Verhaltensnormen des Handlungsortes.332 Im Ergebnis ist daher die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes auch dann nicht unangemessen, wenn zwischen Handelndem und Verletztem eine Sonderbeziehung besteht. e) Unangemessenheit bei souveränitätsfreiem Handlungsort Zu guter Letzt liegt ein Fall von Unangemessenheit vor, wenn der Handlungsort gar keiner Staatsgewalt unterliegt. In diesem Fall gibt es am Handlungsort keine Verhaltensnormen. Da das von der Sanktionsnorm in Bezug genommene Rechtsgut überhaupt nicht am Handlungsort geschützt wird, würde die Sanktionsnorm ins Leere gehen, wenn gem. Art. 17 Rom-II-VO das Recht des Handlungsortes anzuwenden wäre. Daher sind die Verhaltensnormen der Rechtsordnung zu entnehmen, der die Sanktionsnorm entstammt. Faktisch führt dies dazu, dass an Orten, die gar keiner Staatsgewalt unterliegen, Verhaltensnormen jeder beliebigen Rechtsordnung gelten können. In solchen souveränitätsfreien Räumen kann es daher auch nach hier vertretenen These zu Normenkonflikten kommen. Abgemildert werden diese jedoch dadurch, dass die geltende Verhaltensnorm auch in einem solchen Fall erkennbar sein muss. Der Adressat muss demnach die Umstände kennen können, aus denen sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt, 331 Nach deutschem Recht sind körperliche Bestrafungen gem. § 1631 Abs. 2 S. 2 BGB unzulässig, so dass entsprechende Handlungen als strafbare Körperverletzungen zu qualifizieren wären. 332 Anders Nagel, Organtransplantation, S. 89.
D. Vergleich mit der Literatur
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d.h. er muss erstens wissen können, dass der Ort, an dem er handelt, keiner Staatsgewalt unterliegt, und zweitens, dass sein Verhalten von einer Sanktionsnorm der Rechtsordnung erfasst wird, der die Verhaltensnorm entstammt. Trotz dieser Einschränkungen bleibt es eine Tatsache, dass der Adressat in einer solchen Situation ggf. verschiedenen Verhaltensanforderungen ausgesetzt ist. Hier könnte eine europaweite Regelung Abhilfe schaffen, die beispielsweise die Verhaltensnormen des Staates berufen könnte, dem der Adressat angehört. Nach geltendem Recht lässt sich dieser Normenkonflikt jedoch kaum vermeiden. Allerdings dürfte die Zahl der Verhaltenspflichtverletzungen in staatsfreiem Gebiet eher gering sein. 4. Ergebnis Aus Art. 17 Rom-II-VO ergibt sich daher im Ergebnis folgende Regel: Grundsätzlich gelten stets die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Nur in Fällen staatlicher Selbstverteidigung kann auf die Verhaltensnormen des Sanktionsstatuts zurückgegriffen werden. Unterliegt der Handlungsort keiner Staatsgewalt, gelten die Verhaltensnormen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt. Auch in diesen Fällen muss der Täter jedoch den Umstand kennen können, aus dem sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt, d.h. er muss das geschützte, spezifisch staatliche Rechtsgut bzw. die Souveränitätsfreiheit des Handlungsortes und die Einschlägigkeit der Sanktionsnorm kennen können.
D. Vergleich mit der Literatur Abschließend sollen diese durch Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO gewonnenen Ergebnisse mit den in der Literatur vertretenen Ansichten verglichen werden. Dabei soll sowohl auf das geltende Recht als auch auf Reformvorschläge eingegangen werden.
I. De lege lata Die in der Literatur vertretenen Vorschläge, wie der Geltungsbereich der Verhaltensnormen zu ermitteln sei, wurden in Kapitel 6 zusammengefasst. Auf sie wurde im Rahmen der Erörterung immer wieder zurückgegriffen, so dass hier eine kurze Wiederholung der bereits gefundenen Ergebnisse genügt. Die Ansicht, der Geltungsbereich der Verhaltensnormen sei unbegrenzt, ist mit Völkerrecht und deutschem Verfassungsrecht unvereinbar.333 Sie steht in starkem 333
Kap. 7, S. 167 ff.
270
Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
Kontrast zu der hier vertretenen These, der Geltungsbereich sei anhand des Art. 17 Rom-II-VO zu ermitteln. Gleichfalls unvereinbar mit der hier vertretenen These ist der Gedanke, Verhaltensnormen könnten durch Qualifikation einem bestimmten Rechtsgebiet zugeordnet und deren Geltungsbereich anhand der Geltungsbereichsregeln dieses Rechtsgebiets ermittelt werden.334 Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung verlangt eine einheitliche Bestimmung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen. Diese ist jedoch nicht gewährleistet, wenn aus ein und derselben Verhaltensnorm, je nachdem, welche Sanktionsnorm an sie anknüpft, unterschiedliche Verhaltenspflichten erwachsen. Von den in der Literatur vertretenen Ansichten können daher nur diejenigen im Ansatz überzeugen, die dem Völkerrecht einheitliche Geltungsbereichsgrenzen entnehmen wollen. Nicht von ungefähr ähneln die durch Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO ermittelten Regeln im Ergebnis dem, was H. Mayer und Wengler bereits früher vorgeschlagen haben.335 Dagegen sind deutliche Unterschiede zu den Ansichten Zitelmanns und Heymanns erkennbar: Die Ansicht Zitelmanns ist wesentlich weiter und naturgemäß unschärfer als die hier vertretene These, während Heymann mit der alleinigen Maßgeblichkeit des Rechts des vorhersehbaren Erfolgsortes genau die Gegenposition zu der hier vertretenen These vertritt. Auch bei diesen ähnlichen Ansichten zeigen sich jedoch Unterschiede. So geht H. Mayer allgemein vom Vorrang des Tatortrechts aus, ohne zwischen Handlungs- und Erfolgsort zu differenzieren.336 Nach der hier vertretenen Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO gelten jedoch im Grundsatz nur die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Wengler hält hingegen zwar den Staat des Handlungsortes für primär zuständig, erkennt jedoch prinzipiell auch ein Recht des Staates des vorhersehbaren Erfolgsortes zur Regelung des Verhaltens an.337 Hierin unterscheiden sich seine Ausführungen von der hier vertretenen These.338 Zudem geht Wengler überhaupt nicht auf das Verhältnis von Personal- und Gebietshoheit ein, so dass unklar ist, ob Wengler Staaten gleichfalls das Recht zugestehen würde, das Verhalten von und gegen ihre Angehörigen weltweit zu regeln.
334
Kap. 8, S. 194 ff. H. Mayer, JZ 1952, 609 ff.; Wengler, IRuD 1972, 263 ff. Siehe dazu Kap. 6 E., S. 158 ff. 336 H. Mayer, JZ 1952, 611. Er trifft zudem eine Zuständigkeitsregelung. Näher dazu oben Kap. 6 E., S. 158 ff. 337 Wengler, IRuD 1972, 265. 338 Siehe Kap. 9 C. III. 3. c), S. 264 ff. 335
D. Vergleich mit der Literatur
271
Der größte Unterschied zwischen der hier vertretenen These und den Ansichten, die eine völkerrechtliche Begrenzung annehmen, liegt in der rechtlichen Qualität der Regelungen. Während die Vertreter jener ihre Überlegungen nur – wie gezeigt wurde, zu Unrecht339 – als Völkergewohnheitsrecht ansehen konnten, um ihnen rechtliche Verbindlichkeit zu verleihen, stützt sich die hier vertretene These auf die Auslegung einer EG-Verordnung. Diese ist als supranationales Recht unmittelbar gültig und allgemein verbindlich, ohne dass ein Vertrag zwischen den Staaten oder eine allgemeine Übereinstimmung der nationalen Regelungen vorliegen müsste. Zudem kann bei Zweifeln über die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO der Europäische Gerichtshof angerufen werden, der eine verbindliche Entscheidung fällen und diese auch mit Zwang durchsetzen kann. Dadurch wird das Manko des Völkerrechts, dessen mangelnde Verbindlichkeit, effektiv beseitigt. Auch bietet eine Verordnung größere Rechtssicherheit für den Einzelnen als die ungeschriebenen allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts oder das gleichfalls ungeschriebene Völkergewohnheitsrecht.
II. De lege ferenda Unter den bislang erfolgten Vorschlägen für eine Reform des Strafrechts findet sich keiner, nach dem explizit die Verhaltensnormen grundsätzlich dem Recht des Handlungsortes entnommen werden sollen. Der Gedanke, das Recht des Handlungsortes als allein oder zumindest hauptsächlich maßgebliches heranzuziehen, taucht im Strafrecht de lege ferenda jedoch häufiger auf. So schlägt Deiters vor, die Anwendung der jeweiligen Strafrechtsordnungen „[. . .] entsprechend dem Tatortprinzip auf Inlandstaten zu beschränken [. . .]“ 340. Als Anknüpfungspunkt könne entweder der Erfolgs- oder der Handlungsort gewählt werden, im Hinblick auf die verhaltensregelnde Funktion des Strafrechts sei es jedoch sinnvoller, das Strafrecht des Staates anzuwenden, in dem das möglicherweise strafbare Verhalten stattgefunden hat.341 Deiters zufolge soll demnach die Geltung der Strafsanktionsnormen de lege ferenda auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Gegner im Staatsgebiet gehandelt hat. Da Deiters nicht zwischen dem Geltungsbereich von Verhaltens- und Strafsanktionsnormen differenziert,342 die §§ 3 ff. StGB jedoch auch auf Verhaltensnormen bezieht,343 ist davon auszugehen, dass seiner These nach auch die Geltung der Verhaltensnormen auf das Inland beschränkt werden soll. Demnach 339
Kap. 9 B., S. 205 ff. Deiters, ZRP 2003, 361. Siehe auch Deiters, ZIS 2006, 478. 341 Deiters, ZRP 2003, 361. 342 Siehe Deiters, ZRP 2003, 361; ders., ZIS 2006, 478; ders., Legalitätsprinzip, S. 80 ff. 343 Siehe oben Kap. 6 B. I. 3., S. 105 ff. 340
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Kap. 9: Einheitliche Ermittlung der Grenzen des Geltungsbereichs
gleicht die Regelung, die Deiters de lege ferenda fordert, dem, was durch Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO de lege lata ermittelt wurde. Allerdings lässt Art. 17 Rom-II-VO Raum für eine weitergehende Geltung der Verhaltensnormen zum Schutz besonderer Rechtsgüter, während eine entsprechende Regelung in Deiters’ Konzept fehlt. Auch Fuchs plädiert für eine Änderung des materiellen Strafrechts. Seine Lösung erster Wahl wäre es zwar, sowohl die Zuständigkeit als auch die Geltung der Strafsanktionsnormen von der Staatsangehörigkeit abhängig zu machen.344 Seiner Ansicht nach ist jedoch die Maßgeblichkeit des Rechts des Handlungsortes so stark im traditionellen Rechtsdenken verwurzelt, dass andere Modelle wohl keine Anhänger finden könnten.345 Er schlägt daher pragmatisch vor, alle Strafsanktionsnormen von der Strafbarkeit am Handlungsort abhängig zu machen und das Strafmaß durch die Strafdrohung am Handlungsort zu begrenzen.346 Auch Fuchs stellt daher im Ergebnis unter Hinweis auf ein „überkommenes Souveränitätsdenken“ 347 maßgeblich auf das Recht des Handlungsortes ab. Diese beiden Beispiele zeigen, dass das Recht des Handlungsortes in der deutschen Strafrechtswissenschaft von besonderer Bedeutung ist. Dies korrespondiert damit, dass das Tatortrecht allgemein für besonders bedeutsam gehalten wird, auch wenn oftmals nicht zwischen Handlungs- und Erfolgsort differenziert wird.348
344 345 346 347 348
Fuchs, S. 114 f., in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept. Fuchs, S. 115, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept. Fuchs, S. 115, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept. Fuchs, S. 115, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept. Vgl. Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 393 ff.
Kapitel 10
Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen Die These, dass gem. Art. 17 Rom-II-VO grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten, ist von fundamentaler Bedeutung für die Auslegung der Sanktionsnormen im deutschen Recht. Dies gilt nicht nur für die Strafsanktionsnormen, sondern auch für alle anderen Sanktionsnormen, die von Verhaltenspflichtverletzungen abhängig sind. Zudem ist Art. 17 Rom-II-VO als EG-Vorschrift nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen Europas von Bedeutung. Die oben aufgestellte These wirkt sich daher auch in anderen Rechtsordnungen aus. Aus diesem Grund ist eine genaue Analyse all ihrer Konsequenzen an dieser Stelle nicht möglich. Im Folgenden sollen daher im Wesentlichen die Auswirkungen dieser These auf die deutschen Strafsanktionsnormen näher beleuchtet werden.
A. Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB Die erste Feststellung ist an und für sich banal: Wenn gem. Art. 17 Rom-II-VO grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten, so folgt daraus im Umkehrschluss, dass die §§ 3 ff. StGB nicht den Geltungsbereich der Verhaltensnormen regeln. Sie sind demnach keine Merkmale der Verhaltensnorm und daher nicht unrechtskonstitutiv.1 Dies hat zur Konsequenz, dass ein Irrtum über die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen gem. §§ 3 ff. StGB kein „Verbots“-Irrtum im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Ob dem Täter das Unrecht seines Handelns bewusst ist, hängt nicht von seiner Kenntnis der Regeln der §§ 3 ff. StGB ab. Die §§ 3 ff. StGB sind vielmehr weder im Rahmen des § 16 StGB, noch im Rahmen des § 17 StGB relevant. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, die §§ 3 ff. StGB als objektive Bedingungen der Strafbarkeit einzuordnen.2 Eine andere Frage ist, ob die unvermeidbare Unkenntnis der Strafbarkeit eines Verhaltens ebenfalls zur Straflosigkeit führen sollte. Dies wird mit dem Argument vertreten, dass Wort „Unrecht“ in § 17 StGB beziehe sich nur auf strafbares Unrecht, so dass mit „Unrechtsbewusstsein“ auch das Bewusstsein der Strafbar1 2
Siehe zu diesem Zusammenhang bereits oben Kap. 6 A. II. 2., S. 98 ff. So die wohl herrschende Meinung, siehe Kap. 6 A. II. 2. Fn. 395, S. 85.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
keit gemeint sei.3 Durch diese Interpretation des § 17 StGB wird der Norm eine Doppelfunktion zugeschrieben: einmal bezogen auf die Kenntnis der Verhaltensnorm, ein anderes Mal bezogen auf die Kenntnis der Strafsanktionsnorm. Dogmatisch bereitet eine solche doppelte Relevanz keine besonderen Schwierigkeiten. Ob § 17 StGB auch das Bewusstsein der Strafbarkeit eines Verhaltens verlangt, hängt von dessen Auslegung ab. Diese Fragestellung kann hier jedoch nicht weiter vertieft werden.4 Festzuhalten ist jedenfalls, dass die §§ 3 ff. StGB als Merkmale der Strafsanktionsnorm anzusehen sind und daher nach der in dieser Abhandlung angewandten Terminologie als unrechtsneutrale objektive Bedingungen der Strafbarkeit einzuordnen sind.
B. Beseitigung von Normenkollisionen Wenn ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt das Recht mehrerer Staaten berührt, führt dies zu Problemen, weil verschiedene Rechtsordnungen die Strafgewalt für sich beanspruchen können. Für den Täter heißt dies, dass er der Gefahr einer doppelten Strafverfolgung und sogar doppelter strafrechtlicher Verurteilung ausgesetzt ist.5 Selbst wenn es nicht zu einem doppelten (oder mehrfachen) Strafverfahren kommt, ist der Täter zumindest einem Normenkonflikt ausgesetzt.6 Dies könnte zu der misslichen Situation führen, dass das Recht des einen Staates ein Verhalten verlangt, welches im anderen Staat verboten wird.7 Der Betroffene steht dann vor dem Dilemma, dass er zwangsläufig eine der Pflichten verletzen muss und sich demnach nicht vollkommen rechtmäßig verhalten kann. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, werden verschiedene Lösungen vertreten.8 Diese setzen sowohl im prozessualen als auch im materiellen Recht an. So wird in prozessualer Hinsicht beispielsweise vorgeschlagen, eine EU-weite Zuständigkeitsordnung für grenzüberschreitende Strafverfahren zu schaffen, nach der das Strafverfahren nur einem – dann allein zuständigen – Staat zugeordnet wird.9 Dieser soll sein eigenes Strafrecht auf die Tat anwenden.10 Diskutiert wird
3
Siehe etwa Laubenthal/Baier, GA 2000, 207. Siehe hierzu etwa die Darstellung bei Rudolphi in: SK6, § 17 Rn. 3 ff. 5 Siehe hierzu etwa Biehler, ZStW 116 (2004), 261; Kempf, FS Richter II, S. 297 f.; R. Linke, FS Grützner, S. 85 f.; Tinkl, wistra 2006, 127; Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 624 f.; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 314 ff. 6 So etwa Kempf, FS Richter II, S. 297 f. 7 Siehe hierzu das Beispiel bei Valerius, NStZ 2008, 124 f. 8 Siehe hierzu ausführlich Kniebühler, Ne bis in idem, S. 70 ff.; R. Linke, FS Grützner, S. 86 ff. 9 Siehe hierzu den Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, abgedruckt in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept, S. 1–60. Vgl. 4
B. Beseitigung von Normenkollisionen
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auch die Ausweitung des Ne-bis-in-idem-Grundsatzes im zwischenstaatlichen Bereich, nach dem eine doppelte Bestrafung wegen derselben Tat unzulässig ist.11 Flankiert werden solche Vorschläge von dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen.12 Auf Ebene des materiellen Rechts reichen die Vorschläge von der Eingrenzung des nationalen Strafanwendungsrechts13 über die Schaffung einer strafrechtlichen Kollisionsrechtsordnung, die die Anwendung fremden Strafrechts erlaubt,14 bis hin zum Entwurf überstaatlicher Strafvorschriften15. Dabei fällt auf, dass sich alle diese Vorschläge auf künftiges Recht beziehen, d.h. dass alle eine Rechtsänderung voraussetzen. Häufig steht dabei die Vereinheitlichung des materiellen Rechts durch die Europäische Union im Vordergrund. Die hier vertretene These setzt beim geltenden Recht an. Dadurch, dass in aller Regel nur eine einzige Verhaltensnorm gilt, wird die Zahl der Normenkonflikte drastisch verringert. Selbst wenn auf einen Sachverhalt verschiedene Strafsanktionsnormen Anwendung finden, können diese nur an ein und dieselbe Verhaltenspflichtverletzung anknüpfen. Dadurch werden die Interessen des Betroffenen besser gewahrt, als dies bisher der Fall ist. Eine doppelte Strafverfolgung und Verurteilung ist dadurch jedoch nicht ausgeschlossen. So kann es durchaus dazu kommen, dass zwei (oder mehr) Staaten ein und dieselbe Verhaltenspflichtverletzung mit Strafe bedrohen und parallele Verfahren einleiten. Hier bleibt daher noch Raum für Rechtsänderungen, so dass die oben diskutierten Vorschläge weiterhin von großer Bedeutung für die künftige Entwicklung der Strafrechtsdogmatik sind.16 Die hier vertretene These beseitigt daher nur Verhaltensnormkollisionen, nicht jedoch solche von Sanktionsnormen.
des Weiteren Hecker, ZIS 2011, 62 f.; Lagodny, Strafgewaltskonflikte, S. 98 ff.; Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 624 ff. 10 Siehe hierzu Fuchs, S. 113 ff., in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept. 11 Siehe hierzu den Bericht von Biehler, ZStW 116 (2004), 256 ff., sowie Biehler/ Kniebühler/Lelieur-Fischer/S. Stein (Hrsg.), Freiburg Proposal; Kniebühler, Ne bis in idem, S. 80 ff.; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 323. In diese Richtung auch Nietsch, Insiderrecht, S. 286 ff. 12 Siehe hierzu Fuchs, ZStW 116 (2004), 368; Schünemann, ZRP 2003, 186. 13 Böse/Meyer, ZIS 2011, 336 ff. Laut Deiters soll dies durch europäische Regelungen geschehen, ZRP 2003, 361 f. 14 Deiters, ZIS 2006, 477 ff. 15 Etwa durch völkerrechtliche Verträge. Siehe hierzu Boister, EurJIntL 14 (2003), 953 ff. Siehe zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union DelmasMarty/Vervaele (Hrsg.), Corpus Juris, 2000. 16 Vgl. hierzu auch den Vorschlag eines stufenweisen Vorgehens von Kniebühler, Ne bis in idem, S. 436.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen Gelten gem. Art. 17 Rom-II-VO grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes, so bedeutet dies, dass der Geltungsbereich von Verhaltens- und Sanktionsnorm – zumindest im deutschen Recht – in aller Regel nicht deckungsgleich ist. So richtet sich der Geltungsbereich der strafrechtlichen Sanktionsnormen nach den §§ 3 ff. StGB, der der zivilrechtlichen Sanktionsnormen nach den Regeln des Internationalen Privatrechts und der der öffentlich-rechtlichen Sanktionsnormen nach den entsprechenden öffentlich-rechtlichen Regeln.17 Meist wird der so ermittelte Geltungsbereich der Sanktionsnormen nicht dem mit Hilfe des Art. 17 Rom-II-VO ermittelten der Verhaltensnormen entsprechen. Dabei ist der Geltungsbereich der Strafsanktionsnormen in aller Regel weiter als der der Verhaltensnormen. Es kommt daher vor, dass die deutschen Strafsanktionsnormen gelten, nicht jedoch die deutschen Verhaltensnormen. Fraglich ist nunmehr, welche Schlüsse daraus für die Strafsanktionsnormen zu ziehen sind. Grundsätzlich kommen de lege lata zwei Möglichkeiten in Betracht. Zum einen kann der Geltungsbereich der Strafsanktionsnorm an den der rechtsordnungseigenen Verhaltensnorm angepasst werden, so dass beide letztendlich derselben Rechtsordnung entstammen. Zum anderen kann die Strafsanktionsnorm an rechtsordnungsfremde Verhaltensnormen anknüpfen, so dass beide verschiedenen Rechtsordnungen zu entnehmen sind. Im Folgenden soll untersucht werden, welcher dieser Lösungen der Vorzug gebührt.
I. Beschränkung des Geltungsbereichs der Sanktionsnormen Bei Beschränkung der Geltung der Sanktionsnormen des deutschen Staates auf den Bereich, in dem gem. Art. 17 Rom-II-VO die deutschen Verhaltensnormen gelten, könnten die deutschen Sanktionsnormen nur eingreifen, wenn das zu sanktionierende Verhalten auf deutschem Staatsgebiet stattgefunden hat. Die §§ 3 ff. StGB wären somit obsolet. Schon daran zeigt sich, dass eine solche Beschränkung des Geltungsbereichs der Sanktionsnormen Bedenken begegnet. In der Tat macht eine solche Beschränkung nur dann einen Sinn, wenn die Möglichkeit verneint wird, einer deutschen Sanktionsnorm ausländische Verhaltensnormen zu Grunde zu legen. Dies hatte Binding mit dem Argument vertreten, ein Staat könne nur bestrafen, wem er Pflichten auferlegt habe.18 Gleichzeitig ging Binding jedoch davon aus, dass der Staat seine Verhaltens- und Sank17 18
Vgl. hierzu Kap. 6 B. IV., S. 113 ff., und C. II., S. 143 ff. Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 374. Ebenso Neumeyer, ZStW 23 (1903), 448.
C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen 277
tionsnormen beliebig weit ausdehnen könnte, dass es also keine Grenzen der Verpflichtungsmöglichkeit gebe.19 Seiner Ansicht nach konnte der Staat daher ohne weiteres parallele Geltungsbereiche für Verhaltens- und Sanktionsnormen festlegen. Nach der hier vertretenen These ist dies jedoch gerade nicht möglich. Vielmehr wird der Geltungsbereich der Verhaltensnormen durch supranationale Vorschriften festgelegt, auf die der einzelne Staat nur wenig Einfluss hat. Die argumentativen Grundvoraussetzungen Bindings liegen daher nicht mehr vor, so dass sein Argument sich nicht ohne weiteres auf die aktuelle Situation übertragen lässt. Dass das Strafrecht sich seit Bindings Zeiten weiter entwickelt hat, zeigt sich auch am Beispiel Schröders. Im Rahmen seines Aufsatzes zur Teilnahme im Internationalen Strafrecht geht Schröder u. a. der Frage nach, ob die Bewertung der Haupttat als rechtswidrig (bzw. strafbar)20 durch das ausländische Recht die Strafbarkeit der inländischen Teilnahme begründen kann.21 Er verneint dies für das zu seiner Zeit geltende Recht, führt jedoch aus: „Das ausländische Recht könnte daher, wenn überhaupt, für die Bewertung des rechtlichen Charakters der Haupttat nur dann Bedeutung erlangen, wenn das deutsche Recht als das für den deutschen Richter allein verbindliche ihm eine derartige Aufgabe zugewiesen und damit seine Normen mit der Autorität des deutschen Gesetzgebers ausgestattet hätte. Dazu würde eine ausdrückliche Anweisung des deutschen Gesetzes erforderlich sein.“ 22 Schröder hält demnach die Bewertung durch ausländisches Recht, d.h. die Geltung ausländischer Verhaltensnormen für möglich, wenn eine entsprechende, verbindliche Anweisung vorliegt.23 Zu Schröders Zeiten konnte eine solche Anweisung nur durch den deutschen Gesetzgeber erfolgen, mittlerweile können jedoch auch EG-Normen verbindliche Regelungen enthalten. Demnach würde Schröder einen Verweis auf ausländische Verhaltensnormen, der durch eine EGVerordnung wie die Rom-II-Verordnung erfolgt, wohl für zulässig halten. In eine ähnliche Richtung geht die Argumentation von Forkel. Er diskutiert, ob eine Anwendung ausländischen Rechts, etwa die Anwendung ausländischer Sorgfaltsmaßstäbe, im geltenden Strafrecht zulässig sei.24 Dies verneint er aus zwei Gründen: Zum einen würde die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen die Entscheidung des deutschen Strafgesetzgebers für überterritoriale Geltung bestimmter Tatbestände – etwa in §§ 5, 6 StGB – negieren. Zum anderen gebe es 19
Binding, Hdb. d. Strafrechts, S. 374. Zum Inhalt des Bewertungsanspruchs bei Schröder siehe oben Kap. 6 A. I. 1., S. 94 ff. 21 Schröder, ZStW 61 (1942), 72 ff. 22 Schröder, ZStW 61 (1942), 73. 23 Ebenso Rudolf, S. 37, in: Habscheid/Rudolf (Hrsg.), Territoriale Grenzen. 24 Forkel, Umweltbelastungen, S. 116 ff. 20
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
keinen Grund für die Heranziehung ausländischer Verhaltensnormen.25 Aus der Tatsache, dass er zwei auf das geltende Strafrecht bezogene Argumente bringt, lässt sich jedoch schließen, dass Forkel die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen nach Rechtsänderung grundsätzlich für möglich hält. Nach der hier vertretenen These ist davon auszugehen, dass die deutschen Verhaltensnormen gem. Art. 17 Rom-II-VO nur auf deutschem Staatsgebiet gelten. Dann liegt der Grund für die Heranziehung ausländischer Verhaltensnormen auf der Hand: Dies sind nämlich die einzigen Verhaltensnormen, die bei einem im Ausland stattfindenden Verhalten in Betracht kommen. Auch das Argument, dadurch werde die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers unterlaufen, greift im Ergebnis nicht. Art. 17 Rom-II-VO ist Teil einer EG-Verordnung und steht somit über dem deutschen Gesetz. Dies ist Folge der Supranationalität des EG-Rechts, die der deutsche Gesetzgeber in Art. 23 GG anerkannt hat. Aus diesem Grund müssen die deutschen Strafsanktionsnormen an Art. 17 Rom-II-VO angepasst werden, nicht umgekehrt. Die Einwände Forkels lassen sich somit nicht auf die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen gem. Art. 17 Rom-II-VO übertragen. Auch Lackner stellt sich auf den Standpunkt, dass nach geltendem Strafrecht Blanketttatbestand und blankettausfüllende Norm beide der deutschen Rechtsordnung zu entnehmen seien.26 Für die Straßenverkehrsdelikte der StVO zieht er daraus die Konsequenz, dass eine Strafbarkeit nur bei Begehung der Tat im Inland möglich ist.27 Zu den daraus resultierenden, teilweise misslichen Folgen führt er aus, dass es Sache des Gesetzgebers sei, diesen durch eine Rechtsänderung Abhilfe zu verschaffen.28 Auch Lackner hält die Geltung ausländischer Rechtsnormen daher nicht per se für unmöglich, sondern nur nach einer Rechtsänderung. Greift jedoch Bindings Einwand, der Staat dürfe nur strafen, wo er verpflichtet, im modernen Strafrecht nicht durch, lassen sich keine weiteren Gründe finden, die die Beschränkung der deutschen Strafsanktionsnormen auf die Verletzung deutscher Verhaltenspflichten rechtfertigen. Angesichts der Tatsache, dass die §§ 3 ff. StGB explizit den Geltungsbereich der Strafsanktionsnormen regeln, bedürfte es besonderer Gründe, um eine weitergehende Beschränkung der Strafsanktionsnormen anzunehmen. Solche sind jedoch nicht ersichtlich. Folglich ist diese Ansicht abzulehnen.
25 26 27 28
Forkel, Umweltbelastungen, S. 124 ff. Lackner, JR 1968, 268 f. Lackner, JR 1968, 270. Lackner, JR 1968, 269.
C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen 279
II. Anknüpfung an rechtsordnungsfremde Verhaltensnormen Demzufolge können die deutschen Sanktionsnormen auch an Verhaltensnormen anderer Rechtsordnungen anknüpfen. Dies ist in allen Fällen notwendig, in denen zwar die deutschen Strafsanktionsnormen gelten, Art. 17 Rom-II-VO jedoch zu einer ausländischen Verhaltensnorm führt. Zu beachten ist dabei, dass es im Rahmen der Anknüpfung einzig auf die Verhaltensnorm der fremden Rechtsordnung ankommt. Ob der Verstoß gegen die ausländische Verhaltensnorm in der ausländischen Rechtsordnung ebenfalls mit Strafsanktionsnormen bewehrt ist, spielt hingegen keine Rolle.29 Die deutsche Strafsanktionsnorm kann daher grundsätzlich auch an eine ausländische Verhaltensnorm anknüpfen, deren Verletzung in der ausländischen Rechtsordnung nur mit zivil- oder öffentlich-rechtlichen Sanktionen geahndet wird. Im Folgenden soll dargestellt werden, in welchen Fällen die deutschen Strafsanktionsnormen an rechtsordnungsfremde Verhaltensnormen anknüpfen müssen. Dabei wird der Einfachheit halber davon ausgegangen, dass die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen gem. §§ 3 ff. StGB europa-, völkerrechts- und verfassungskonform ist. 1. § 3 StGB Gem. § 3 StGB gelten die deutschen Strafsanktionsnormen für Taten, die im Inland begangen werden. Eine Tat ist jedoch gem. § 9 Abs. 1 StGB sowohl am Handlungsort begangen als auch am Erfolgsort und dem Ort des mutmaßlichen Erfolgseintritts.30 Daher gelten die deutschen Strafsanktionsnormen auch, wenn nur der Erfolg einer Handlung in Deutschland eintritt oder eintreten sollte. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes. In fast allen Fällen, in denen nur der Erfolg im Inland eintritt, gilt daher gem. § 3 StGB die deutsche Strafsanktionsnorm, gem. Art. 17 Rom-IIVO aber die ausländische Verhaltensnorm. Eine Ausnahme gilt nur für die Fälle staatlicher Selbstverteidigung.31 Nötigt beispielsweise der in Schweden lebende Täter per Telefon das deutsche Bundesverfassungsgericht zu einem bestimmten Urteil, so gilt gem. § 3 StGB die deutsche Strafsanktionsnorm des § 105 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Gem. Art. 17 Rom-II-VO würde grundsätzlich die schwedische Verhaltensnorm gelten. Allerdings dient die § 105 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu Grunde liegende Verhaltensnorm der staatlichen Selbstverteidigung, weil dadurch die Organe des Staates vor unlauterer Einflussnahme geschützt werden sollen. Entspre29 Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Strafsanktionsnorm ihre Geltung – wie § 7 StGB – explizit von der Strafbarkeit am Tatort abhängig macht. 30 Siehe dazu bereits Kap. 6 B. IV. 2. a) aa), S. 117 ff. 31 Siehe Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 f.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
chend ist die Geltung der Verhaltensnorm des Handlungsortes nicht angemessen.32 Es gelten daher für diese Strafsanktionsnorm die deutschen Verhaltensnormen. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: Handelt der Täter im Inland, gelten gem. § 3 StGB sowohl die deutschen Verhaltens- als auch die deutschen Strafsanktionsnormen. Handelt der Täter im Ausland, gelten in der Regel ausländische Verhaltensnormen, es sei denn, es handelt sich um einen Fall staatlicher Selbstverteidigung, bei dem der Erfolg in Deutschland eintritt. Bei Handlungen im Ausland kann – von den Fällen staatlicher Selbstverteidigung abgesehen – die deutsche Strafsanktionsnorm daher nur an eine ausländische Verhaltensnorm knüpfen.33 2. § 4 StGB Etwas komplizierter ist die Sachlage im Fall des § 4 StGB. § 4 StGB regelt, vereinfacht gesagt, die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen für Taten, die auf Schiffen und Luftfahrzeugen begangen wurden, die berechtigt sind, die deutsche Flagge zu führen. Hingegen gelten gem. Art. 17 Rom-II-VO die Verhaltensnormen, die an dem Handlungsort in Kraft waren. Welche Verhaltensnormen auf einem Schiff auf hoher See in Kraft sind, lässt sich Art. 17 Rom-II-VO jedoch nicht entnehmen.34 Hier bietet es sich an, das völkerrechtliche Flaggenprinzip heranzuziehen und das Schiff der Souveränität des Flaggenstaates zuzuschlagen. Wird diesem Gedanken gefolgt, so gelten die Verhaltensnormen des Flaggenstaates für alle Handlungen, die auf dem Schiff begangen wurden. Sie gelten jedoch – insoweit parallel zu § 3 StGB – nicht, wenn nur der Erfolg auf dem Schiff eintritt. Wird z. B. ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff von einem in Frankreich registrierten Flugzeug bombardiert, so gelten gem. § 4 StGB die deutschen Strafsanktionsnormen. Gem. Art. 17 Rom-II-VO in Verbindung mit dem Flaggenprinzip müssten jedoch für die Crew des Flugzeugs die französischen Verhaltensnormen gelten. Auch bei § 4 StGB kann es daher zu einer Divergenz zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen kommen. 3. § 5 StGB In § 5 StGB wird die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen für bestimmte Taten geregelt, die im Ausland begangen werden. § 5 StGB erweitert somit die Geltung der darin aufgezählten Strafsanktionsnormen über die Fälle 32
Siehe dazu Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 f. Zu den Problemen bei unterschiedlicher Bewertung an Handlungs- und Erfolgsort siehe Kap. 9 C. III. 3. c), S. 264 sowie Kap. 10 F. I., S. 300. 34 Siehe dazu bereits oben Kap. 9 C. III. 2., S. 257 ff. 33
C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen 281
der §§ 3 und 4 StGB hinaus auf alle im Ausland begangenen Taten. Dies bedeutet, dass die in § 5 StGB aufgeführten Strafsanktionsnormen auch dann gelten, wenn der Täter im Ausland gehandelt hat. Da gem. Art. 17 Rom-II-VO grundsätzlich nur dann deutsche Verhaltensnormen gelten, wenn das entsprechende Verhalten in Deutschland stattgefunden hat, führt die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Strafsanktionsnormen in § 5 StGB in vielen Fällen dazu, dass Verhaltens- und Sanktionsnorm verschiedenen Rechtsordnungen entstammen. Schon die Bezeichnung des § 5 StGB als „Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter“ zeigt, dass die Norm primär nationale Interessen schützen soll. Entsprechend betreffen viele der in § 5 StGB aufgeführten Straftaten spezifisch staatliche Rechtsgüter. Diese werden in aller Regel in anderen Staaten nicht geschützt, so dass die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes oftmals nicht angemessen ist.35 In solchen Fällen gelten daher gem. Art. 17 Rom-II-VO die deutschen Verhaltensnormen, so dass keine Diskrepanz zwischen Verhaltensund Sanktionsnorm vorliegt. Wie bereits erörtert, kommt es bei der Einordnung, ob eine von einer Sanktionsnorm in Bezug genommene Verhaltensnorm der staatlichen Selbstverteidigung dient, darauf an, ob diese Verhaltensnorm nach allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts als staatliche Selbstverteidigung anzusehen wäre.36 Naturgemäß ist eine solche Einordnung schwierig zu treffen, so dass diese an dieser Stelle nur angerissen werden kann. Danach sind die in § 5 Nr. 1–5 StGB zu Grunde gelegten Verhaltensnormen relativ eindeutig als Fälle staatlicher Selbstverteidigung einzuordnen. Denn Straftaten wie Hochverrat stellen geradezu den klassischen Fall der staatlichen Selbstverteidigung dar. Auch wird der Fall der Abgeordnetenbestechung (§ 5 Nr. 14a StGB) als staatliche Selbstverteidigung zu klassifizieren sein. Außerdem sind wohl auch Taten, die gegen deutsche Amtsträger bzw. ihnen gleichgestellte Personen und die deutsche Gerichtsbarkeit gerichtet sind (§ 5 Nr. 10, 14 StGB) nach völkerrechtlichen Grundsätzen als staatliche Selbstverteidigung anzusehen. In all diesen Fällen ist demnach gem. Art. 17 Rom-II-VO die Geltung der Verhaltensnorm des Handlungsortes unangemessen; es gilt stattdessen die deutsche Verhaltensnorm. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in den übrigen in § 5 StGB aufgeführten Fällen gem. Art. 17 Rom-II-VO die Verhaltensnorm des Handlungsortes gilt. Da § 5 StGB gegenüber § 3 StGB nur dann von eigenständiger Bedeutung ist, wenn das Verhalten, an das die Strafbarkeit knüpft, im Ausland stattgefunden hat, bedeutet dies, dass in den übrigen Fällen des § 5 StGB die deutsche Sanktionsnorm, aber eine ausländische Verhaltensnorm gilt. In diesen Fällen muss die 35 36
Siehe dazu oben Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff. Siehe dazu oben Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
deutsche Sanktionsnorm daher an eine rechtsordnungsfremde Verhaltensnorm knüpfen. Allerdings verfolgt der deutsche Gesetzgeber mit § 5 StGB die Intention, bestimmte Verhaltensweisen unabhängig vom Tatortrecht unter Strafe zu stellen.37 Insbesondere soll vermieden werden, dass die deutschen Gesetze dadurch umgangen werden, dass der Tatort ins Ausland verlegt wird. Aus diesem Grund ordnet § 5 StGB die weltweite Geltung von Strafsanktionsnormen an, die bestimmte Individualrechtsgüter wie die sexuelle Selbstbestimmung schützen, sofern der Täter Deutscher ist und/oder seine Lebensgrundlage in Deutschland hat. So soll nach dem gesetzgeberischen Konzept gem. § 5 Nr. 9 StGB der Schwangerschaftsabbruch durch einen in Deutschland lebenden deutschen Arzt auch dann gem. § 218 StGB sanktioniert werden, wenn dieser im Ausland vorgenommen wurde und das Verhalten im Ausland erlaubt war.38 Nach der hier vertretenen These findet in einem solchen Fall jedoch gem. Art. 17 Rom-II-VO die ausländische Verhaltensnorm Anwendung. Im Ausland ist das Verhalten erlaubt. Somit liegt keine Verhaltenspflichtverletzung vor. Die deutsche Strafsanktionsnorm geht für diesen Fall daher ins Leere. Was exemplarisch für § 5 Nr. 9 StGB erläutert wurde, gilt für alle Fälle, die nicht der staatlichen Selbstverteidigung zugerechnet werden können, also für § 5 Nr. 6–9, 11–13 StGB. In diesen Fällen wird § 5 StGB nach der hier vertretenen These weitgehend funktionslos. Es ist offensichtlich, dass dies nicht der gesetzgeberischen Konzeption entspricht. Nicht umsonst lehnen die Vertreter in der Literatur, die die Grenzen der Verhaltensnormen anhand von §§ 3 ff. StGB bestimmen wollen,39 bei § 5 StGB eine Berücksichtigung ausländischer Verhaltensnormen ab.40 Allerdings beruht die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes nach der hier vertretenen These auf Art. 17 Rom-II-VO und somit auf einer EG-Verordnung. EG-Verordnungen sind gegenüber dem nationalen Recht vorrangig anzuwenden.41 Die in Art. 17 Rom-II-VO angeordnete Geltung der Verhaltensnorm des Handlungsortes setzt sich somit auch dann durch, wenn dies der Konzeption des deutschen Gesetzgebers widerspricht. Da es sich bei Art. 17 Rom-II-VO um EG-Recht handelt, kann § 5 StGB auch nicht bei der Auslegung der Norm berücksichtigt werden. Europarecht ist stets autonom auszulegen.42 Das bedeutet, dass bei der Auslegung einer EG-Verord37
Siehe Kap. 6 B. IV. 2. b), S. 121 f. Damit soll gerade auch die Tätigkeit grenznah lebender Ärzte geregelt werden, Hoyer in: SK6, § 5 Rn. 24. 39 Kap. 6 B., S. 102 ff. 40 Siehe Fn. 201, S. 122. 41 Siehe hierzu etwa Haratsch/König/Pechstein, Europarecht, Rn. 60; Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 86. 42 Siehe zur Auslegung des Europarechts Kap. 9 C. I. 2. b), S. 217 ff. 38
C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen 283
nung nicht auf Rechtsnormen eines einzelnen Mitgliedstaates zurückgegriffen werden kann. Das deutsche Internationale Strafrecht ist somit für die Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO ohne Bedeutung. Im Ergebnis führt dies dazu, dass § 5 StGB eines Großteils seiner Anwendungsfälle beraubt wird. Diese – aus Sicht des deutschen Gesetzgebers harte – Konsequenz ist die Folge davon, dass das Europarecht im Allgemeinen und Art. 17 Rom-II-VO im Besonderen eine Anerkennung fremder Bewertungsmaßstäbe fördert, auch wenn diese von denen der eigenen Rechtsordnung abweichen. Dem deutschen Gesetzgeber wird daher nichts anderes übrig bleiben, als z. B. in den Fällen des Schwangerschaftsabbruchs die abweichende Wertung des fremden Staates zu akzeptieren. 4. § 6 StGB Gem. § 6 StGB gelten bestimmte deutschen Strafsanktionsnormen weltweit. Da die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen für Inlandstaten bereits von § 3 StGB erfasst wird, wird § 6 StGB ausschließlich bei Taten relevant, bei denen der Täter nicht in Deutschland handelt. Dann gelten gem. Art. 17 Rom-II-VO aber die Verhaltensnormen des Handlungsortes, d.h. die jeweiligen ausländischen Verhaltensnormen. Anders als bei § 5 StGB können auch keine der von § 6 StGB in Bezug genommenen Verhaltensnormen dem Bereich der staatlichen Selbstverteidigung zugeordnet werden, was gem. Art. 17 Rom-II-VO die deutschen Verhaltensnormen eingreifen lassen würde.43 Delikte wie Verbreitung pornographischer Schriften (§ 6 Nr. 6 StGB) oder unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln (§ 6 Nr. 5 StGB) gefährden nicht die Existenz des Staates, sondern allein Individualrechtsgüter. Die Geltung der Verhaltensnorm des Handlungsortes ist daher nicht als unangemessen anzusehen. Dies hat zur Folge, dass § 6 StGB zwar die weltweite Geltung der Strafsanktionsnormen anordnet, diese aber bei im Ausland stattfindenden Verhalten an ausländische Verhaltensnormen anknüpfen. Dies ist insbesondere dann bedenklich, wenn die weltweite Geltung der Strafsanktionsnorm angeordnet wurde, um bestimmte völkerrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Denn wie bereits erläutert wurde, beinhaltet eine völkerrechtliche Pflicht, zu bestrafen, gleichzeitig auch die Pflicht, das zu bestrafende Verhalten zu verbieten.44 Ist es dem Staat aber nicht möglich, ein solches Verbot zu erlassen, ist er gezwungen, sich völkerrechtswidrig zu verhalten. Allerdings sind die Konsequenzen der in dieser Arbeit vertretenen These nicht so gravierend, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Dies kann am Bei43 44
Zu dieser Ausnahme Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262. Kap. 6 B. IV. 2. c) cc), S. 128 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
spiel des § 1 VStGB erläutert werden, der die weltweite Geltung der Straftaten gegen das Völkerrecht anordnet und somit eine Parallelvorschrift zu § 6 StGB ist. Gem. § 1 VStGB gelten die in §§ 6 ff. VStGB genannten Strafsanktionsnormen weltweit. Bei den §§ 6 ff. VStGB handelt es sich trotz ihres völkerrechtlichen Inhalts um deutsche Gesetze, die ihrer Struktur nach denen des StGB gleichen. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten hingegen die Verhaltensnormen des Handlungsortes, da die §§ 6 ff. StGB jedenfalls nicht der einzelstaatlichen Selbstverteidigung dienen. Begeht ein Täter daher im Kongo Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gilt gem. § 1 VStGB zwar die deutsche Strafsanktionsnorm des § 7 VStGB, aber gem. Art. 17 Rom-II-VO die kongolesische Verhaltensnorm. Allerdings entstammt die § 7 VStGB zu Grunde liegende Verhaltensnorm nicht irgendeinem nationalen Recht, sondern dem Völkerrecht.45 Bei den Völkerrechtsverbrechen handelt es sich um völkergewohnheitsrechtlich entwickelte Straftatbestände und somit um zwingendes Völkerrecht.46 Das Verbot, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen, ist daher weltweit gültig und verbindlich. Nur deshalb kann ein Verhalten selbst dann als Völkerrechtsverbrechen geahndet werden, wenn es am Handlungsort erlaubt war.47 Diese völkerrechtliche Verhaltensnorm gilt somit auch an einem ausländischen Handlungsort, so dass die deutsche Strafsanktionsnorm stets an die völkerrechtliche Verhaltensnorm knüpfen kann. Was exemplarisch für die Völkerrechtsverbrechen dargestellt wurde, kann für alle Fälle verallgemeinert werden, in denen das Völkerrecht an den Einzelnen gerichtete verbindliche Verhaltensvorgaben macht.48 In diesen Fällen knüpft § 6 StGB nicht an die nationalrechtliche Verhaltensnorm des Handlungsortes, sondern an die vorrangige völkerrechtliche Verhaltensnorm.49 Außerdem können in den Fällen des § 6 StGB auch europarechtliche Verhaltensnormen eine Rolle spielen. So beruht § 146 StGB beispielsweise zum Teil auf einem EU-Rahmenbeschluss50; § 264 StGB umfasst auch EG-Subventionen (§ 264 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 StGB). In diesen Fällen ist es durchaus denkbar, dass die Strafsanktionsnorm an eine europarechtliche Verhaltensnorm knüpft.51 Eine solche wäre zumindest in allen EU-Mitgliedstaaten rechtsverbindlich, so dass ein 45
Siehe auch Böse/Meyer, ZIS 2011, 343. Siehe hierzu Ambos, Internationales Strafrecht, § 5 Rn. 5 ff. Vgl. auch Wang, Der universale Strafanspruch, S. 148 ff. 47 Ausgangspunkt für die Entwicklung von Völkerrechtsverbrechen war gerade die Massenvernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten. Siehe hierzu Ambos, Internationales Strafrecht, § 6 Rn. 3. 48 Zu der Frage, inwieweit Individuen Völkerrechtssubjekte sein können, Herdegen, Völkerrecht, § 12 Rn. 1 ff. 49 In diese Richtung auch Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 187. 50 Siehe zur Entstehungsgeschichte Rudolphi/Stein in: SK7, Vor § 146 Rn. 1. 51 Siehe zu europarechtlichen Verhaltensnormen Kap. 9 C. II. 2., S. 255 f. 46
C. Unterschiedliche Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnormen 285
Verhalten, das in einem anderen Mitgliedsstaat stattfindet, von dieser europarechtlichen Verhaltensnorm umfasst wäre. Zudem stellt sich bei europarechtlichen Verhaltensnormen die Frage, ob deren Geltung durch Art. 17 Rom-II-VO beeinflusst würde. Man stelle sich vor, die Europäische Union würde explizit weltweit die Herstellung bestimmter Giftstoffe verbieten und dieses Verbot sanktionieren. Nun stellt der Täter die Giftstoffe in einem Land her, das dieses Verhalten erlaubt. Bei Anwendung von Art. 17 RomII-VO wäre das Verhalten des Täters nach dem Recht des Handlungsortes als rechtmäßig zu bewerten, so dass die EU-Sanktionsnorm keine Anwendung finden würde. Die weltweit geltende Verhaltensnorm, die die Herstellung der Giftstoffe untersagt, ist jedoch auch Teil des Europarechts und hat somit den gleichen Rang wie Art. 17 Rom-II-VO. Es wäre daher zu klären, in welchem Verhältnis diese Verhaltensnorm zu Art. 17 Rom-II-VO steht. Diese Beispiele zeigen, dass das Zusammenspiel von Verhaltens- und Sanktionsnorm bei denen von § 6 StGB in Bezug genommenen Fällen sehr komplex ist und eine sorgfältige Analyse des Völker- und Europarechts voraussetzt.52 Diese kann hier nicht vorgenommen werden. Festzuhalten ist erstens, dass völkerrechtlich verbindliche Verhaltensnormen weltweit, also auch am ausländischen Handlungsort, gelten und zweitens, dass europarechtliche Verhaltensnormen ggf. nicht der Regelung des Art. 17 Rom-II-VO unterfallen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der deutsche Staat einen Großteil seiner völker- und europarechtlichen Verpflichtungen trotz der Regelung des Art. 17 Rom-II-VO erfüllen kann. Problematisch bleiben im Rahmen des § 6 StGB allein die Fälle, in denen sich der deutsche Staat durch völkerrechtlichen Vertrag zum Verbot und zur Sanktionierung bestimmter Verhaltensweisen im Ausland verpflichtet hat, diese Verhaltensvorgabe aber kein zwingendes Völkerrecht ist. Nach der hier vertretenen These hat der Staat keine Möglichkeit, das Verhalten im Ausland zu bestimmen.53 Ihm wäre es daher nicht möglich, eine solche Verpflichtung zu erfüllen. Infolgedessen wäre der Staat somit gezwungen, sich völkerrechtswidrig zu verhalten. Eine solche Folge mag misslich sein. Es ist jedoch keineswegs unüblich, dass ein Staat eine völkerrechtliche Verpflichtung eingeht, die er nicht erfüllen kann. Dies ist die Konsequenz der auch im Völkerrecht herrschenden Vertragsfreiheit. Dennoch sollte der deutsche Staat grundsätzlich die ihm durch Europarecht gesetzten Grenzen respektieren. Letztendlich wird es daher notwendig sein, dass der deutsche Gesetzgeber die Regelung des § 6 StGB de lege ferenda auf europäische und völkerrechtliche Verhaltensnormen beschränkt. 52 Siehe zur völkerrechtlichen Seite etwa Wang, Der universale Strafanspruch, S. 127 ff. 53 Zu den Ausnahmen siehe Kap. 9 C. III. 3. b), S. 260 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
5. § 7 StGB Wie §§ 5 und 6 StGB bezieht sich auch § 7 StGB ausschließlich auf Taten, die im Ausland begangen worden sind, d.h. solche, bei denen sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort im Ausland liegen. Bei Eingreifen des § 7 StGB werden daher gem. Art. 17 Rom-II-VO im Regelfall ausländische Verhaltensnormen zu Grunde liegen. Voraussetzung für das Eingreifen von § 7 StGB ist, dass die Tat entweder am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Die genaue Bedeutung des Erfordernisses der Tatortstrafbarkeit ist umstritten.54 Jedenfalls folgt daraus, dass das Verhalten auch durch eine Verhaltensnorm der Rechtsordnung des Tatortes verboten sein muss. Im Unterschied zu §§ 5 und 6 StGB wird daher hier das Eingreifen der Strafsanktionsnorm explizit vom Vorliegen einer Verhaltenspflichtverletzung nach fremdem Recht abhängig gemacht. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich allerdings, dass nicht nur die Verhaltenspflichtverletzung nach fremdem Recht erforderlich ist, sondern dass darüber hinaus zumindest das Vorliegen einer einschlägigen Strafsanktionsnorm verlangt wird. Tatort ist der Ort, an dem die Tat begangen wird.55 Gem. § 9 Abs. 1 StGB ist die Tat sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort begangen, so dass beide Orte als „Tatort“ im Sinne des § 7 StGB anzusehen sind. Wenn Handlungs- und Erfolgsort derselben Rechtsordnung unterfallen, bereitet die Anwendung der in dieser Arbeit vertretenen These auf § 7 StGB keine Schwierigkeiten. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Gem. § 7 StGB gelten die deutschen Sanktionsnormen nur dann, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist. Dazu muss nach Tatortrecht jedenfalls eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegen, an die eine Strafsanktionsnorm knüpft. Bewertet das Recht des Handlungsortes ein Verhalten daher als erlaubt und liegt somit keine Verhaltenspflichtverletzung vor, gilt gem. § 7 StGB auch die deutsche Strafsanktionsnorm nicht. Die Wertungen der beiden Normen laufen parallel, so dass die gem. § 7 StGB geltende Strafsanktionsnorm in dieser Konstellation nicht in Leere laufen kann. Komplizierter wird es bei Distanzdelikten. Auch hier gilt gem. Art. 17 Rom-IIVO die Verhaltensnorm des Handlungsortes. Im Rahmen des § 7 StGB kommt es aber auf das Recht des Tatortes an. Die Problematik kann anhand eines Beispielfalls verdeutlicht werden: Der deutsche Täter schüttet in Belgien mit Verletzungsvorsatz gesundheitsschädliche Stoffe in die Maas. In den Niederlanden er-
54 Siehe ausführlich Eser, JZ 1993, 875 ff.; Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 128 ff., jeweils m.w. N. 55 Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 13.
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krankt jemand daran. Hat sich der Täter gem. §§ 223, 224 I Nr. 1 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht? Gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB gilt die deutsche Strafsanktionsnorm, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist. Tatort ist gem. § 9 Abs. 1 StGB sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, also im Beispielsfall Belgien und die Niederlande. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten jedoch die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Ist das Verhalten des Täters daher in Belgien erlaubt, liegt keine Verhaltenspflichtverletzung vor, an die die Strafsanktionsnorm knüpfen könnte. In diesem Fall wäre die Tat auch nicht am Handlungsort mit Strafe bedroht. Sie könnte aber am Erfolgsort, den Niederlanden, mit Strafe bedroht sein. Dann stellt sich die Frage, ob die Tat im Rahmen des § 7 StGB an Handlungs- und Erfolgsort mit Strafe bedroht sein muss, oder ob es genügt, wenn die Tat nach einem der beiden Rechte mit Strafe bedroht ist.56 Folgt man mit der Rechtsprechung letzterem, würde die deutsche Strafsanktionsnorm gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB grundsätzlich gelten, könnte aber mangels Verhaltenspflichtverletzung nicht zur Anwendung kommen. Nur in diesem Fall würde § 7 StGB ins Leere gehen. Einfacher ist es wiederum, wenn der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Da mit Tatort sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort gemeint sind, werden von dieser Konstellation nur Fälle erfasst, in denen weder der Handlungs- noch der Erfolgsort einer Strafgewalt unterliegt. In diesem Fall gibt es kein Recht des Handlungsortes, so dass diesem auch keine Verhaltensnormen entnommen werden können.57 Demzufolge ist nur ein Rückgriff auf das Recht des Staates, dem die Sanktionsnorm entstammt, möglich.58 Daraus folgt, dass in einem solchen Fall sowohl die Verhaltens- als auch die Sanktionsnorm dem deutschen Recht entnommen werden, so dass keine Diskrepanz zwischen verschiedenen Rechtsordnungen existiert. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass § 7 StGB sich verhältnismäßig problemlos mit der in dieser Arbeit vertretenen These vereinbaren lässt. Durch das in § 7 StGB enthaltene Erfordernis der Tatortstrafbarkeit wird ein weitgehender Gleichlauf der Wertungen von Verhaltens- und Strafsanktionsnorm erreicht. Einzig bei Auslandsdistanzdelikten kann es in bestimmten Konstellationen dazu kommen, dass die deutsche Strafsanktionsnorm zwar gem. § 7 StGB Anwendung finden würde, nach dem Recht des Handlungsortes aber keine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt.
Für letzteres BGH, Beschl. v. 17.05.1991, NJW 1991, 3104; Böse in: NK3, § 7 Rn. 6. 57 Neumeyer, ZStW 23 (1903), 453. 58 Siehe dazu oben Kap. 9 C. III. 3. e), S. 268 ff. 56
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
6. Ergebnis Die obige Analyse hat gezeigt, dass auf Basis der hier vertretenen These das Auseinanderfallen des Rechts der Verhaltens- und Strafsanktionsnorm eher die Regel denn die Ausnahme ist. Insbesondere in den Fällen der §§ 6 und 7 StGB, aber in weiten Teilen auch bei §§ 3, 4 und 5 StGB entstammt die Strafsanktionsnorm dem deutschen Recht, die Verhaltensnorm aber ausländischem. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum das deutsche Strafrecht überhaupt den Verstoß gegen ausländische Verhaltensnormen sanktionieren sollte.59 Hierfür ließe sich möglicherweise der Gedanke fruchtbar machen, bestimmte ausländische Verhaltenspflichtverletzungen würden die Normgeltung im Inland erschüttern, deshalb müsse der inländische Staat darauf reagieren.60 Außerdem wäre zu erwägen, ob der Staat eine Verletzung der Verhaltensnormen eines anderen Staaten aus Solidarität zu diesem sanktionieren dürfte.61 Dennoch drängt sich im Licht der hier vertretenen These die Frage auf, ob der Geltungsbereich der deutschen Strafsanktionsnormen nicht viel zu weit ist. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die deutschen Strafsanktionsnormen nach der hier vertretenen These ins Leere gehen würden. Zudem ist zu bedenken, dass die Anknüpfung an rechtsordnungsfremde Verhaltensnormen in einem wesentlich geringeren Umfang notwendig wäre, wenn der Geltungsbereich der deutschen Strafsanktionsnormen stärker eingeschränkt wäre.62 Es wäre ein mutiger Schritt in Richtung eines vereinten Europas, wenn die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich ihrer nationalen Strafsanktionsnormen stärker begrenzen würden. Bis eine solche Eingrenzung erfolgt, besteht in fast allen grenzüberschreitenden Fällen das Problem, das Verhaltens- und Strafsanktionsnorm verschiedenen Rechtsordnungen entstammen. In einem nächsten Schritt ist daher zu überlegen, wie eine solche Kombination zweier Normen funktioniert.
D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm Jede Strafsanktionsnorm knüpft zwangsläufig an eine Verhaltenspflichtverletzung. Von einigen wird sogar das von den Sanktionsnormen geschützte Rechts59
Forkel, Umweltbelastungen, S. 120. Ähnlich Forkel, der allerdings auf die Geltung inländischer Verhaltensnormen abstellt, Umweltbelastungen, S. 139 ff. 61 Siehe Deiters, ZIS 2006, 478. 62 Siehe beispielsweise den Vorschlag von Deiters, nur die Strafsanktionsnormen des Handlungsortes anzuwenden, ZRP 2003, 361. Damit wären die Geltungsbereiche von Verhaltens- und Strafsanktionsnormen weitgehend angeglichen. Ähnlich Schramm und Hinderer für den Tatbestand der Untreue zum Nachteil ausländischer Gesellschaften, ZIS 2010, 498. 60
D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm
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gut in der Bestätigung der Verhaltensnormen gesehen.63 Dagegen dienen Verhaltensnormen dem Rechtsgüterschutz.64 Dies zeigt, dass es sich bei Verhaltens- und Sanktionsnormen um zwei eigenständige Normen handelt, die erst in irgendeiner Form miteinander verknüpft werden müssen. Dies geschieht dadurch, dass die Sanktionsnorm die einschlägige Verhaltensnorm auswählt.
I. Die Auswahlmethode Schon aus dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG folgt, dass die Sanktionsnorm genau festlegen muss, welche Verhaltenspflichtverletzung sie zu Grunde legt. Anders ausgedrückt muss ein Straftatbestand zu erkennen geben, an welches Fehlverhalten die Sanktion „Strafe“ geknüpft wird. Beispielsweise stellt § 223 Abs. 1 StGB es unter Strafe, eine andere Person körperlich zu misshandeln oder an der Gesundheit zu schädigen. Die Formulierung „Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt“, die in § 223 StGB zu finden ist, verdeutlicht, dass diese Sanktionsnorm an das Verbot, Menschen körperlich zu verletzen, anknüpft. 1. Methodengleichheit Der Rückschluss von der Sanktionsnorm auf die Verhaltensnorm wird im deutschen Strafrecht so selbstverständlich vorgenommen, dass die Methode kaum hinterfragt wird. Ein Grund dafür ist, dass viele Verhaltensnormen ungeschrieben sind und ausschließlich durch Rückschluss aus Sanktionsnormen gewonnen werden können. Da Verhaltensnormen jedoch in der ganzen Rechtsordnung einheitlich auszulegen sind,65 können sie auch in diesem Fall nicht nur aus einer, sondern müssen aus verschiedenen Sanktionsnormen gewonnen werden. Es ist daher nicht anzunehmen, dass die entsprechenden Verhaltensverbote völlig deckungsgleich mit dem sind, was von den Strafsanktionsnormen erfasst wird. Demzufolge klafft auch der sachliche Geltungsbereich von Verhaltens- und Sanktionsnormen im deutschen Recht auseinander. Daraus ergibt sich, dass bei jeder Sanktionsnorm die einschlägige Verhaltensnorm ausgewählt werden muss. Die Frage nach den Kriterien, anhand derer dies zu geschehen hat, stellt sich daher nicht nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, sondern auch in Fällen, in denen sowohl deutsche Verhaltensnormen als auch deutsche Strafsanktionsnormen gelten. Demzufolge lässt sich die Methode, die zur Ermittlung der einschlägigen deutschen Verhaltensnorm angewandt wird,
63 64 65
Z. B. von Freund, AT, § 1 Rn. 7 ff. Siehe oben Kap. 2 A., S. 36 ff. Kap. 2 D., S. 46 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
auf die Fälle übertragen, in denen es um die Ermittlung der einschlägigen ausländischen Verhaltensnorm geht. 2. Auswahlvorgang Bei Betrachtung der deutschen Strafsanktionsnormen ist festzustellen, dass die Auswahl der zu Grunde zu legenden Verhaltensnorm auf verhältnismäßig simple Weise erfolgt. Üblicherweise enthält die Sanktionsnorm eine Beschreibung des Verhaltens, das die Sanktion auslöst.66 Das entspricht dem sachlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm.67 Auch lässt sich der Strafsanktionsnorm in aller Regel entnehmen, wessen Verhaltenspflichtverletzungen mit Strafe bedroht sind, d.h. auch der persönliche Geltungsbereich der Verhaltensnorm ist in der Strafsanktionsnorm enthalten. Dies kann wieder am Beispiel des § 223 StGB erläutert werden. Die Sanktionsnorm des § 223 StGB spezifiziert durch die Formulierung „eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit schädigt“, dass sie an eine Verhaltensnorm anknüpft, die die Vornahme von Handlungen verbietet, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer Körperverletzung führen könnten.68 Das Wort „wer“ in § 223 Abs. 1 StGB drückt aus, dass jede natürliche Person Adressat der Verhaltensnorm sein soll.69 Damit ist die Zahl der in Betracht kommenden Verhaltensnormen schon stark eingeengt. Aussagen zum zeitlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm, an die sie anknüpft, lassen sich der Sanktionsnorm des § 223 StGB hingegen nicht entnehmen. Hier wird jedoch im Hinblick auf § 2 Abs. 1 StGB die Geltung zum Zeitpunkt des Verhaltens verlangt werden können. Der räumliche Geltungsbereich der Verhaltensnormen richtet sich nach der hier vertretenen These nach Art. 17 Rom-II-VO, so dass sich eine nähere Bestimmung durch die Sanktionsnorm erübrigt. Allerdings kann die Strafsanktionsnorm Verhalten auf bestimmtem Gebiet von der Strafbarkeit ausschließen. Die Strafsanktionsnorm bestimmt demnach die Verhaltensnorm, an deren Verletzung sie anknüpft, indem sie deren Geltungsbereich definiert. Folglich bestimmt die Strafsanktionsnorm, welche Verhaltensnorm in sachlicher und persönlicher – und, gem. § 2 Abs. 1 StGB, auch in zeitlicher – Hinsicht in Frage kommt, während Art. 17 Rom-II-VO darüber entscheidet, welcher Rechtsordnung die entsprechende Verhaltensnorm zu entnehmen ist. 66 Auf die Notwendigkeit einer solchen Definition weist auch Dencker hin, ZIS 2008, 298 f. 67 Siehe zu diesem Begriff oben Kap. 4 B. II., S. 70 ff. 68 Zur Struktur von Verhaltensnormen siehe Kap. 2 C., S. 38 ff. 69 Juristische Personen werden nach herrschender Auslegung nicht von den Strafsanktionsnormen erfasst. Siehe hierzu Kap. 4 B. III. 3., S. 74 ff.
D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm
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II. Die Identität der Verhaltensnormen Was in der Theorie simpel klingt, kann in der Praxis jedoch zu erheblichen Problemen führen. Die Annahme, die deutsche Verhaltensnorm ließe sich einfach durch eine ausländische ersetzen, beruht auf der Prämisse, dass ausländische Verhaltensnormen den deutschen gleichen. Zwar mögen einige ausländische Verhaltensnormen den deutschen sehr ähneln, der Großteil von ihnen wird sich jedoch mehr oder weniger von den deutschen unterscheiden.70 Aus diesem Grund wird keine völlige Identität der Verhaltensnormen verlangt werden können.71 Ab wann lässt sich jedoch von hinreichender Verhaltensnormidentität sprechen? 1. Vergleichbarkeit der Verhaltensnormen In der Literatur wurden diese Fragen bislang insbesondere im Zusammenhang mit § 7 StGB besprochen.72 § 7 StGB ordnet in bestimmten Fällen die Strafbarkeit nach deutschem Recht an, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist.73 Diskutiert wird, wie dieses Erfordernis der Tatortstrafbarkeit auszulegen ist. Dabei tritt eine Vielzahl von Problemen auf, auf die im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht näher eingegangen werden kann.74 U. a. stellt sich jedoch die Frage, ob es ausreicht, dass die Tat unter irgendeinem Gesichtspunkt mit Strafe bedroht ist,75 oder ob es sich um eine vergleichbare Tat handeln muss.76 70
Laut Nietsch hat die fortschreitende Rechtsangleichung auf europäischer Ebene zu einer weitgehenden Vereinheitlichung der Verhaltensnormen geführt, Insiderrecht, S. 136 f. Unklar ist, ob er dies in Bezug auf das Insiderstrafrecht oder das gesamte Strafrecht meint. In letzterem Fall erscheint seine Ansicht arg optimistisch. Ebenso für das Gesellschaftsrecht Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 66. 71 So auch Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 131. 72 Sie stellen sich jedoch auch bei der Rechtshilfe. Siehe dazu Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 30 ff. 73 Siehe zu § 7 StGB oben Kap. 6 B. V. 2. d), S. 130 ff. 74 Siehe dazu ausführlich Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 125 ff. 75 BGH, Urt. v. 29.02.1952, BGHSt 2, 160, 161; BGH, Urt. v. 23.10.1996, BGHSt 42, 275, 277; Ambos in: MüKo, StGB, Bd. 1, § 7 Rn. 6; ders., Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 49; Cornils, S. 73 in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality; T. Fischer, StGB, § 7 Rn. 7; Gribbohm in: LK11, § 7 Rn. 22 ff.; von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 7 Rn. 2; Lackner/Kühl, StGB, § 7 Rn. 2; Niemöller, NStZ 1993, 172 f.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 89; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 7 Rn. 18; Theiler, Fremdrechtsprinzip, S. 22; Werle/Jeßberger in: LK12, § 7 Rn. 30 ff. 76 Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 421 ff.; Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 4; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 242; Nietsch, Insiderrecht, S. 135 ff.; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 151a; Rath, JA 2007, 33; Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 19 (S. 29), S. 13 Anm. 114 (S. 54); Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 134 ff. Siehe auch Deiters, Legalitätsprinzip, S. 109 f. Differenzierend – irgendein Gesichtspunkt bei Abs. 1, Vergleichbarkeit bei Abs. 2 – Böse in: NK3, § 7 Rn. 14.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Allerdings lässt sich diese Fragestellung nicht eins zu eins auf die Frage nach der Identität der Verhaltensnormen übertragen. Während es im Rahmen des § 7 StGB um die Auslegung eines Merkmals dieser Strafsanktionsnorm geht, stellt sich im vorliegenden Zusammenhang die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine deutsche Verhaltensnorm durch eine ausländische ersetzt werden kann. Es liegt auf der Hand, dass nicht irgendeine Verhaltenspflichtverletzung den Ansprüchen der Strafsanktionsnorm genügt, sondern dass die deutsche und die ausländische Verhaltensnorm vergleichbar sein müssen.77 Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden:78 Im Staat B ist der Verkauf vieler Betäubungsmittel erlaubt, allerdings herrschen strenge Ladenschlussgesetze. Im Staat C ist dies umgekehrt. A verkauft in B unter Verstoß gegen die dortigen Ladenschlussgesetze – aber im Einklang mit dessen Betäubungsmittelrecht – Betäubungsmittel. Im Staat C wäre dieses Verhalten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu bestrafen, nicht jedoch nach dem Ladenschlussgesetz. Die im Staat C einschlägige Strafsanktionsnorm könnte in etwa lauten: „Wer – in einer näher spezifizierten rechtswidrigen Weise – Betäubungsmittel verkauft, wird – auf eine näher spezifizierte Art – bestraft.“ Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass die Sanktion an die Verletzung des Verbots, Betäubungsmittel zu verkaufen, anknüpft. Das ist jedoch nicht dasselbe wie das Verbot, nach Ladenschluss keine Waren zu verkaufen. Da im Strafrecht der Wortlaut die Grenze der Auslegung bildet, muss die ausländische Verhaltensnorm, die die inländische ersetzt, unter den Wortlaut der Strafsanktionsnorm passen. Das geht jedoch nur, wenn die Verhaltensnormen vergleichbar sind. Aus diesem Grund genügt es in Bezug auf Verhaltensnormen nicht, wenn nur irgendeine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt. Zu demselben Ergebnis kommen Altenhain und Wietz.79 Davon ausgehend, dass das Internationale Privatrecht das Strafrecht – insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts – maßgeblich beeinflusst, schlagen sie eine Gesetzesänderung vor, durch die diese Fremdrechtsanwendung im StGB festgehalten werden soll.80 Der in diesem Zusammenhang allein interessierende § 14a Abs. 3 StGB lautet: „Sofern durch das Internationale Privatrecht fremde Rechtsordnungen zur Bestimmung von Verhaltensanforderungen im Inland (§§ 3, 4) berufen sind und diese über die Strafbarkeit entscheiden, ist durch rechtsvergleichende Bewertung zu prüfen, ob es entsprechende Pflichten im deutschen Recht gibt. Ist dies nicht der Fall, ist eine Strafbarkeit ausgeschlossen. Finden sich entsprechende Pflichten, darf die Bestrafung 77 Ebenso Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 422; Böse in: NK3, § 7 Rn. 14. Vgl. bereits Heymann, Territorialitätsprinzip, S. 106. 78 Beispiel nach Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 423. 79 Altenhain/Wietz, NZG 2008, 572 f. 80 Altenhain/Wietz, NZG 2008, 570 ff.
D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm
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wegen Fremdrechtsverletzungen nicht schärfer sein als im Fall des Verstoßes gegen vergleichbares deutsches Recht.“ 81
Nach Altenhain und Wietz muss daher in den Fällen, in denen die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm einer fremden Rechtsordnung entstammt, mit Hilfe einer rechtsvergleichenden Bewertung geprüft werden, ob im deutschen Recht eine entsprechende Verhaltensnorm existiert. Findet sich keine Entsprechung, kann die Strafsanktionsnorm nicht an die ausländische Verhaltenspflichtverletzung anknüpfen. Auch dass die Bestrafung wegen einer Verletzung ausländischen Rechts nicht schärfer sein darf als wegen inländischem, entspricht der in dieser Arbeit vertretenen These. Danach richtet sich die Bestrafung auch bei Zugrundelegung einer ausländischen Verhaltensnorm stets und ausschließlich nach der Strafsanktionsnorm. Auch nach Altenhain und Wietz ist daher eine Entsprechung der Verhaltensnormen bzw. die Vergleichbarkeit der Verhaltensnormen erforderlich. Diese soll durch rechtsvergleichende Bewertung (vermutlich durch den Rechtsanwender, d.h. in der Regel durch Staatsanwalt und Richter) geprüft werden. Unter welchen Voraussetzungen zwei Verhaltensnormen einander entsprechen, führen Altenhain und Wietz jedoch nicht aus.82 2. Kriterien zur Ermittlung der Vergleichbarkeit Steht damit fest, dass die Vergleichbarkeit der Verhaltensnormen gewährleistet sein muss, stellt sich als nächstes die Frage, wann in- und ausländische Verhaltensnormen vergleichbar sind. In der Literatur wurden bereits einige Kriterien zur Feststellung der Vergleichbarkeit von Normen entwickelt. Im Folgenden sollen diese Kriterien näher erörtert werden. a) Schutz gleicher Rechtsgüter Als einer der ersten hat Schnorr von Carolsfeld Überlegungen zur Vergleichbarkeit von Taten angestellt.83 Nach ihm „[. . .] kann es nicht genügen, wenn die Tat am Tatort unter irgendeinem Gesichtspunkt mit Strafe bedroht ist, vielmehr muss es sich um eine aus dem Gedanken gleichen Güterschutzes entsprungene Strafe handeln [. . .]“ 84. Als zentrales Element sieht Schnorr von Carolsfeld demnach die Vergleichbarkeit der betroffenen Rechtsgüter. Zwei Verhaltensnormen sind somit vergleichbar, wenn sie die gleichen Rechtsgüter schützen. 81
Altenhain/Wietz, NZG 2008, 573. Vgl. Altenhain/Wietz, NZG 2008, 572 f. 83 Darauf weist auch Scholten hin, Tatortstrafbarkeit, S. 133. 84 Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 8 Anm. 19 (S. 29). Siehe auch Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, S. 13 Anm. 114 (S. 54). 82
294
Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Der Gedanke des Schutzes gleicher Rechtsgüter als Grundlage der Vergleichbarkeit ist immer wieder aufgegriffen worden. So verlangt etwa Liebelt in Bezug auf § 7 StGB, dass ein ausländischer Tatbestand die gleiche Schutzrichtung wie ein inländischer haben müsse.85 Dieselbe Formulierung findet sich bei Hoyer86, Rath87 und Böse88. Alle drei gehen zwar nicht näher darauf ein, was unter „gleicher Schutzrichtung“ zu verstehen ist, aber es ist anzunehmen, dass damit gemeint ist, dass beide Normen dem Schutz gleicher Rechtsgüter dienen müssen. Auch nach Arzt setzt Normidentität voraus, „[. . .] dass die Verbotsnormen vergleichbare Rechtsgedanken verfolgen, also insbesondere (nicht gleiche, aber) vergleichbare Rechtsgüter [. . .] schützen [. . .]“ 89. Demnach stellt auch Arzt den Rechtsgüterschutzgedanken in den Mittelpunkt. Darin folgt ihm Scholten.90 Insgesamt lässt sich daher sagen, dass der Gedanke, die Annahme von Normidentität setze (zumindest) Gleichheit des geschützten Rechtsguts voraus, in der Literatur einhellig anerkannt ist.91 b) Gleiche Begehungsart Oehler weist auf einen weiteren Aspekt der Vergleichbarkeit hin. Ihm zufolge genügt es, wenn die einzelnen Merkmale der Tat nach dem Tatortrecht eine mit Strafe bedrohte Handlung darstellen.92 Dies klingt für sich betrachtet so, als reiche es aus, wenn die Tat unter irgendeinem Gesichtspunkt mit Strafe bedroht sei. Dass dies nicht in Oehlers Sinne ist, zeigt jedoch ein von ihm gebrachtes Beispiel: „Sieht aber das einheimische Recht in der Tat eine versuchte Tötung, das fremde Recht aber nur einen strafbaren unerlaubten Gebrauch einer Waffe, so wäre die Voraussetzung der lex loci nicht erfüllt, weil die einzelnen Merkmale der Tötungshandlung von dem Tatortrecht in der Zusammenfassung strafrechtlich nicht erfasst werden.“ 93 Damit bezieht sich Oehler wohl auf einen Fall, in dem der Täter jemanden mit Hilfe einer Waffe zu töten versucht. Seiner Ansicht nach müssen alle Merkmale der Handlung zusammen am Tatort einen Straftatbestand erfüllen, damit von Vergleichbarkeit die Rede sein kann. In dem Beispielsfall setzt die Tötungshand85
Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 242. Hoyer in: SK6, § 7 Rn. 4. 87 Rath, JA 2007, 33. 88 Böse in: NK3, § 7 Rn. 14. 89 Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 425. 90 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 136. 91 Oehler äußert sich zwar nicht direkt zu dieser Frage. Aus seinen anderen Ausführungen folgt jedoch, dass auch das durch beide Normen geschützte Rechtsgut gleich sein muss, Internationales Strafrecht, Rn. 151a. Siehe dazu sogleich unter b). 92 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 151a. 93 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 151a. 86
D. Auswahl der einschlägigen Verhaltensnorm
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lung u. a. Tötungsvorsatz voraus. Für die ausländische Strafsanktionsnorm des unerlaubten Waffengebrauchs ist es jedoch egal, ob der Täter mit Tötungsvorsatz gehandelt hat oder nicht. Demzufolge knüpft die ausländische Sanktionsnorm nicht an alle Merkmale, an die die inländische anknüpft, so dass nach Oehler die Vergleichbarkeit abzulehnen wäre. Damit wird jedoch deutlich, dass nicht nur das geschützte Rechtsgut, sondern darüber hinaus auch die Art der Begehung eine Rolle spielt. Ganz ähnlich führt Arzt aus, die Identität der Normen müsse sich auf das „spezifische Unrecht“ beziehen.94 Dieses besteht laut Arzt aus dem geschützten Rechtsgut sowie der Art des Angriffs.95 Damit zwei Verbotsnormen vergleichbar sind, müssen sie demnach „[. . .] vergleichbare Rechtsgüter vor vergleichbaren Angriffen schützen [. . .]“ 96.97 Scholten führt diesen Gedanken weiter. Er weist darauf hin, dass im Rahmen des § 7 StGB die „Tat“ am Tatort mit Strafe bedroht sein müsse.98 „Tat“ sei jedoch nicht im prozessualen Sinne zu verstehen, sondern im materiellen. Dementsprechend sei mit „Tat“ nur das konkrete Verhalten gemeint, an das die Strafdrohung knüpfe.99 Dieses müsse im Ausland auch inhaltlich ähnlich bewertet werden wie im Inland.100 Das bedeutet, dass das Geschehen, an das sich der strafrechtliche Vorwurf im Inland knüpft, inhaltlich dem Geschehen entsprechen muss, das dem strafrechtlichen Vorwurf des Auslands zu Grunde liegt.101 Auch hier findet sich demnach der Gedanke, das nicht nur das geschützte Rechtsgut, sondern auch die Art der Begehung für Annahme der Normidentität vergleichbar sein muss. c) Anwendung auf Verhaltensnormen Bei der Zusammenfassung dieser beiden Kriterien zeigt sich, dass zwei Aspekte für die Annahme von Vergleichbarkeit relevant sind: zum einen die Identität der geschützten Rechtsgüter, zum anderen eine vergleichbare Art der Begehung. Bei Übertragung dieser Aspekte auf Verhaltensnormen folgt daraus, dass eine in- und eine ausländische Verhaltensnorm vergleichbar sind, wenn sie erstens dasselbe Rechtsgut schützen und zweitens ein inhaltlich ähnliches Verhalten verbieten. 94
Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 424. Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 425. 96 Arzt, FS zum schweizerischen Juristentag, S. 425. 97 Ebenso Böse in: NK3, § 7 Rn. 14. 98 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 136. 99 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 127. 100 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 136. 101 Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 136. 95
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Beide Kriterien überzeugen. Da Verhaltensnormen ausschließlich dem Rechtsgüterschutz dienen,102 ist das geschützte Rechtsgut von zentraler Bedeutung für die Auswahl der verbotenen Verhaltensweisen. Das Unrecht des Verhaltens liegt gerade darin begründet, dass ein Risiko für ein Rechtsgut geschaffen wird. Das geschützte Rechtsgut stellt somit das wichtigste Merkmal zur Unterscheidung verschiedener Verhaltensnormen dar. Aus diesem Grund ist die Identität der Rechtsgüter zwingend erforderlich. Häufig ist jedoch nicht jedes Verhalten, das ein Risiko für ein bestimmtes Rechtsgut darstellt, verboten. Dies mag bei besonders wichtigen Rechtsgütern wie dem Leben der Fall sein. Im deutschen Recht ist jedoch z. B. nicht jedes Verhalten verboten, das das Vermögen anderer Personen schädigt. Ansonsten wäre jeder günstige Vertragsschluss rechtswidrig. Nur bestimmte Arten der Vermögensschädigung werden von der Rechtsordnung untersagt, beispielsweise die Vermögensschädigung durch Täuschung (vgl. § 263 Abs. 1 StGB). Entsprechend ist häufig nur eine bestimmte Art und Weise der Begehung verboten. In diesen Fällen ist somit die Art der Begehung unrechtskonstitutiv. Deshalb ist es notwendig, auch die Begehungsart in den Vergleich der Verhaltensnormen mit einzubeziehen. Letztendlich ergeben sich diese Kriterien daraus, dass die Strafsanktionsnorm den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich der Verhaltensnorm regelt, an die sie knüpft. Auch eine ausländische Verhaltensnorm muss sich darunter subsumieren lassen.103 Demnach muss bei beiden Verhaltensnormen zwingend dasselbe Rechtsgut betroffen sein. Soweit die Strafsanktionsnorm konkrete Angaben zur Art der Verhaltenspflichtverletzung macht, müssen diese gleichfalls sowohl bei der inländischen als auch bei der ausländischen Verhaltensnorm erfüllt sein. Daraus folgt, dass Abweichungen der Verhaltensnormen nur soweit zulässig sind, wie es sich mit dem Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbaren lässt.104 Der Wortlaut der Strafsanktionsnorm bildet somit nicht nur die Grenze der Auslegung der inländischen Verhaltensnorm, sondern entscheidet auch darüber, inwieweit vergleichbare ausländische Verhaltensnormen von der inländischen abweichen dürfen.
102
Siehe oben Kap. 2 A., S. 36 ff. Siehe oben Kap. 10 D. I. 2., S. 290 ff. 104 Ebenso in Bezug auf gesellschaftsrechtliche Strafsanktionsnormen Hoffmann, S. 249 in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen; Rönnau, ZGR 2005, 839; Schlösser, wistra 2006, 84. 103
E. Verfassungsrechtliche Einwände
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d) Ergebnis Im Ergebnis bedeutet dies, dass ausländische Verhaltensnormen drei Kriterien erfüllen müssen, damit sie die inländische Verhaltensnorm als Voraussetzung der Strafsanktionsnorm ersetzen können. Sie müssen: 1. das gleiche Rechtsgut schützen, 2. die gleiche Begehungsart verbieten, sofern nur bestimmte riskante Verhaltensweisen verboten sind und 3. auch ansonsten mit dem Wortlaut der Strafsanktionsnorm, die die ihr zu Grunde liegende Verhaltensnorm näher beschreibt, vereinbar sein. Sonstige Abweichungen sind jedoch grundsätzlich möglich. So ist es z. B. nicht notwendig, dass ein Verhalten im Ausland genauso wie im Inland als Versuch oder Vollendung oder als Tun oder Unterlassen gewertet wird.105 Es ist Aufgabe des Rechtsanwenders, anhand dieser Kriterien zu entscheiden, ob im Einzelfall die ausländische Verhaltensnorm die deutsche ersetzen kann.
E. Verfassungsrechtliche Einwände Nachdem näher erläutert wurde, wie die Anknüpfung der Strafsanktionsnorm an eine ausländische Verhaltensnorm funktioniert, kann auf die Frage eingegangen werden, ob diese Anknüpfung an ausländische Verhaltensnormen mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar ist. Fraglich ist insbesondere die Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz sowie dem Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG. 1. Bestimmtheitsgrundsatz Gem. Art. 103 Abs. 2 GG muss die Strafbarkeit einer Tat gesetzlich bestimmt sein, damit eine Bestrafung möglich ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Strafsanktionsnorm als auch die Verhaltensnorm, d.h. es muss auch bestimmt sein, welches Verhalten verboten ist.106 Demnach ist zu erörtern, ob den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genüge getan wird, wenn gem. Art. 17 RomII-VO ausländische Verhaltensnormen gelten. Diese Problematik wird insbesondere dann kontrovers diskutiert, wenn deutsche Blankettstrafsanktionsnormen zur Ausfüllung auf EG-Rechtsakte verweisen.107 Diese Normen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Beschreibung des 105
Siehe Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 136 f. Siehe Kunig in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 103 Rn. 31; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 64 ff. 107 Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 27; Altenhain/Wietz, NZG 2008, 572; Mosiek, StV 2008, 97 f.; Nolte in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 106
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
verbotenen Verhaltens nicht im Straftatbestand enthalten ist.108 In den allermeisten Fällen, in denen nach der hier vertretenen These ausländische Verhaltensnormen mit inländischen Strafsanktionsnormen kombiniert werden, stellt sich jedoch nicht dasselbe Problem.109 Die meisten deutschen Strafsanktionsnormen beschreiben auch das verbotene Verhalten und machen somit genaue Angaben, welche Verhaltensnormen ihnen zu Grunde liegen. Beispielsweise ergibt sich eindeutig aus § 303 StGB, dass jedes vorsätzliche Verhalten, durch das eine fremde Sache beschädigt oder zerstört wird, mit Strafe bedroht ist. Nur an solche Verhaltenspflichtverletzungen kann die deutsche Strafsanktionsnorm knüpfen. Es kommt daher nicht darauf an, welcher Rechtsordnung die konkrete Verhaltensnorm entstammt, sondern dass die Sanktionsnorm genau verdeutlicht, an welche Verhaltenspflichtverletzungen sie die Strafe knüpft.110 Dass diese Auslegung richtig ist, zeigt sich auch beim Vergleich mit dem deutschen Recht. Im Normalfall werden auch die deutschen Verhaltensnormen durch Auslegung der deutschen Sanktionsnormen ermittelt, indem z. B. von der Existenz eines Straftatbestands auf die Existenz eines diesem vorgeschalteten Verbots geschlossen wird.111 Solange die Strafsanktionsnorm selbst genügend Informationen zum verbotenen Verhalten enthält, wird dies auch allgemein als mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar angesehen, obwohl die entsprechende Verhaltensnorm nicht einmal gesetzlich festgeschrieben ist. Letztendlich lässt sich daher die Problematik der Blankettgesetze nicht auf die Anwendung ausländischer Verhaltensnormen übertragen. Solange die Strafsanktionsnorm das verbotene Verhalten hinreichend bestimmt, ist die Geltung ausländischer Verhaltensnormen nicht weiter problematisch. Allerdings sollte genau feststehen, welche Verhaltensnorm gilt, damit der Einzelne sein Verhalten daran orientieren kann.112 Aus diesem Grund muss auch die Regelung des Art. 17 Rom-II-VO, die als eine europäische Kollisionsnorm für Verhaltensnormen fungiert, hinreichend bestimmt sein.
Rn. 154a; Rönnau, ZGR 2005, 848 ff.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 65 ff. Zu § 266 StGB siehe Hoffmann, S. 257 ff. in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen. Siehe allgemein zu Blankettgesetzen Rotsch, ZIS 2006, 27. 108 Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 58. 109 Zu Recht wird daher zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettgesetzen unterschieden, siehe Rönnau, ZGR 2005, 848 f. 110 Ähnlich Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 67; Hoffmann, S. 248 ff. in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 716 f. 111 Siehe oben Kap. 2 C. II. 1., S. 40 ff. 112 Zu dieser Funktion des Bestimmtheitsgebots etwa Nolte in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 Rn. 140. Auch Ambos verweist darauf, dass dem Einzelnen die Rechtsauffindung zumutbar sein muss, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 29.
E. Verfassungsrechtliche Einwände
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Dies ergibt sich jedenfalls aus dem europäischen Bestimmtheitsgebot, das vom Europäischen Gerichtshof als allgemeiner Grundsatz des EG-Rechts anerkannt wurde.113 Danach dürfte Art. 17 Rom-II-VO, der relativ eindeutig die Verhaltensnormen des Handlungsortes beruft, wohl hinreichend bestimmt sein. Inwieweit Art. 17 Rom-II-VO darüber hinaus am deutschen Verfassungsrecht zu messen ist und was die Rechtsfolgen davon sind, wenn die Regelung des Art. 17 Rom-II-VO mit dem Grundgesetz unvereinbar wäre, kann daher dahinstehen.114 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Geltung ausländischer Verhaltensnormen im deutschen Strafrecht für sich genommen keinen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz darstellt.115 In Einzelfällen, z. B. bei Blankettstrafsanktionsnormen, mag dies anders sein. Dies ist dann jedoch eine Auswirkung der Blankettproblematik und stellt daher keinen generellen Einwand gegen die Anwendung ausländischen Rechts dar. 2. Gesetzlichkeitsprinzip Eng verwandt mit dem Bestimmtheitsgrundsatz ist das Erfordernis einer gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit. Der Gesetzgeber soll danach selbst durch ein Parlamentsgesetz darüber entscheiden, was strafbar ist.116 Fraglich ist, ob dieser Grundsatz gewahrt ist, wenn die maßgebliche Verhaltensnorm ausländischem Recht entnommen wird.117 Auch diese Fragestellung wird hauptsächlich im Bereich der Blankettgesetze diskutiert. Verweist eine Strafsanktionsnorm zur Festlegung der Strafsanktionsvoraussetzungen auf eine außerparlamentarische Vorschrift, ist fraglich, ob dies dem aus Art. 103 Abs. 2 StGB resultierenden Gesetzesvorbehalt entspricht.118 Dies ist jedoch eine andere Frage als die nach der Zulässigkeit der Anwendung ausländischer Verhaltensnormen. Die Verhaltensnormen, auf die sich die Strafsanktionsnormen beziehen, sind als solche in der Regel nicht explizit formuliert und müssen durch Auslegung insbesondere des StGB ermittelt werden. Diese gesetzgeberische Technik, Verhaltensnormen implizit mitzuregeln, ist älter als das Grundgesetz und war zu dessen Entstehungszeitpunkt bekannt und anerkannt. Es ist daher nicht anzunehmen, 113 Vgl. zum strafrechtlichen Rückwirkungsverbot EuGH, Urt. v. 10.07.1984 – „Regina/Kirk“, Slg. 1984, 2689, 2718. 114 Siehe zu den Problemen im Überblick Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 11 Rn. 15 ff. 115 So auch Mosiek, StV 2008, 98: „per se nicht verfassungswidrig“. Vgl. auch Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 405. 116 Siehe hierzu etwa Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 49. 117 Siehe hierzu auch Deiters, ZIS 2006, 478 f. 118 Hierzu etwa Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 28 f.; Altenhain/Wietz, NZG 2008, 572; Mosiek, StV 2008, 98 f.; Rönnau, ZGR 2005, 849 f.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
dass Art. 103 Abs. 2 GG die Verschriftlichung aller Verhaltensnormen verlangt.119 Ansonsten wäre das gesamte StGB verfassungswidrig. Vielmehr muss Art. 103 Abs. 2 GG so zu verstehen sein, dass die in der Strafsanktionsnorm selbst enthaltende Definition des verbotenen Verhaltens, an das die Sanktion geknüpft werden soll, dem Gesetzlichkeitsprinzip genügt.120 Daher entstammt bei Anwendung ausländischer Verhaltensnormen letztendlich die Unrechtsdefinition zwar ausländischem Recht. Allerdings entscheidet auch hier der nationale Gesetzgeber durch die Formulierung seiner Strafsanktionsnorm darüber, was er als zu bestrafendes Unrecht anerkennt.121 Konsequenterweise kann die Verletzung ausländischer Verhaltenspflichten daher nur dann bestraft werden, wenn diese mit den inländischen vergleichbar sind.122 Wird diese Voraussetzung beachtet, bedeutet dies, dass letztendlich die Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers bei Erlass der Strafsanktionsnorm darüber entscheidet, was bestraft wird.123 Das Gesetzlichkeitsprinzip ist somit gewahrt.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltensund inländischer Sanktionsnorm Erst wenn feststeht, welcher Rechtsordnung gem. Art. 17 Rom-II-VO die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm zu entnehmen ist, und wenn diese anhand der oben aufgeführten Kriterien124 ausgewählt wurde, kann in einem nächsten Schritt festgestellt werden, ob sich der Betroffene strafbar gemacht hat. Dies funktioniert im Prinzip ebenso wie die Prüfung der Strafbarkeit bei Geltung deutscher Verhaltens- und Sanktionsnormen. Allerdings können sich Probleme daraus ergeben, dass die Verhaltens- und Sanktionsnorm verschiedenen Rechtsordnungen entstammen.
I. Unterschiedliche Wertung durch Handlungs- und Erfolgsort Ein Problem tritt auf, wenn ein Verhalten am Handlungs- und Erfolgsort unterschiedlich bewertet wird, nämlich einerseits als rechtmäßig, andererseits als 119 Siehe auch Münzberg, der den Grundsatz „nullum crimen sine lege“ nicht auf Verhaltensnormen bezieht, Verhalten und Erfolg, S. 94. 120 In diese Richtung wohl auch Rönnau, der seine Erörterungen absichtlich auf Blankettgesetze beschränkt, ZGR 2005, 855 ff. 121 Ähnlich auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 30. 122 Siehe oben Kap. 10 D. II. 1., S. 291 ff. 123 A. A. Altenhain/Wietz, die den Parlamentsvorbehalt durch den Ermessensspielraum bei der richterlichen Wertung verletzt sehen, NZG 2008, 572. 124 Kap. 10 D., S. 288 ff.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 301
rechtswidrig.125 Hierbei lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden: Bewertung als rechtmäßig am Handlungsort, aber als rechtswidrig am Erfolgsort sowie der umgekehrte Fall der Bewertung als rechtswidrig am Handlungsort, aber als rechtmäßig am Erfolgsort.126 Zu beachten ist jedoch, dass weder die Rechtsordnung des Handlungs- noch des Erfolgsortes mit derjenigen übereinstimmen muss, der die Sanktionsnorm entstammt, d.h. in den hier betrachteten Konstellationen der deutschen Rechtsordnung. Angesichts der weiten Regelung in §§ 5–7 StGB ist dies dort sogar eher unwahrscheinlich.127 Es ist daher gut möglich, dass ein Fall drei (oder mehr) Rechtsordnungen tangiert. Völlig unproblematisch sind die Fälle, in denen ein Verhalten nach deutschem Recht gar nicht strafbar ist.128 Greift keine deutsche Strafsanktionsnorm, so scheidet eine Strafbarkeit nach deutschem Recht in jedem Fall aus, da nach geltendem Recht die Anwendung fremder Strafsanktionsnormen ausgeschlossen ist.129 Im Folgenden sollen daher nur Fälle betrachtet werden, in denen eine deutsche Strafsanktionsnorm einschlägig ist. 1. Bewertung als rechtmäßig am Handlungsort, als rechtswidrig am Erfolgsort Wird ein bestimmtes Verhalten am Handlungsort als rechtmäßig angesehen, führt dies in den allermeisten Fällen zur Straflosigkeit. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten im Regelfall die Verhaltensnormen des Handlungsortes, so dass die Bewertung durch das Recht des Handlungsortes über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens entscheidet. In diesem Fall läge daher keine Verhaltenspflichtverletzung vor. Eine Strafbarkeit könnte nur dann in Betracht kommen, wenn ausnahmsweise nicht die Verhaltensnormen des Handlungsortes gelten. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn das Rechtsgut, auf das die Strafsanktionsnorm Bezug nimmt, spezifisch staatlicher Natur ist.130 Dann gelten die Verhaltensnormen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt. Allerdings muss in einem solchen Fall verstärkt darauf geachtet werden, ob das von der deutschen Strafsanktionsnorm verlangte (potentielle) Unrechtsbewusstsein (§ 17 StGB) vorhanden ist.
125 So auch Deiters, ZRP 2003, 360 f.; Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 22; Krapp, Distanzdelikt, S. 81. Vgl. auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 135 ff. 126 Siehe zu solchen Fällen bereits Krapp, Distanzdelikt, S. 116 ff. 127 Vgl. Kap. 10 C. II., S. 279 ff. 128 Krapp, Distanzdelikt, S. 81. Siehe auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 142. 129 Siehe oben Kap. 2 E. I., S. 49 ff. 130 Siehe Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff.
302
Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Jedenfalls ist die Bewertung durch das Recht des Erfolgsortes irrelevant.131 Dies ist aus Sicht des Staates, in dem der Erfolg eintritt, misslich, da dieser dann im konkreten Fall die Verletzung seiner Rechtsgüter aus dem Ausland nicht unterbinden kann. Diskutabel ist, ob der andere Staat unter Umständen völkerrechtlich verpflichtet ist, auf Verlangen eines Nachbarstaates bestimmte Verhaltensweisen zu verbieten. Dies kann jedoch allenfalls in extremen Fällen angenommen werden. In den allermeisten Fällen wird die andere Bewertung am Handlungsort jedoch sachlich begründet sein. Die staatliche Solidarität und die Achtung der Souveränität des anderen Staates gebieten es dann, die abweichende Bewertung hinzunehmen.132 Dies ist gerade das Wesen des Territorialitätsgrundsatzes.133 2. Bewertung als rechtswidrig am Handlungsort, als rechtmäßig am Erfolgsort Problematischer ist der Fall, wenn ein Verhalten am Verhaltensort als rechtswidrig bewertet wird, der tatbestandliche Erfolg134 jedoch in einem anderen Land eintritt, in dem diese Art der Erfolgsverursachung als rechtmäßig angesehen wird.135 Als Beispiel kann der Fall dienen, dass jemand aus Deutschland pornographische Schriften an einen sich im Ausland aufhaltenden 17-Jährigen schickt.136 In diesem Fall gelten gem. Art. 17 Rom-II-VO die deutschen Verhaltens-, gem. § 3 StGB die deutschen Strafsanktionsnormen. Der Täter hätte sich daher gem. § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Verbreitung pornographischer Schriften strafbar gemacht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es nicht darauf an, ob die Verbreitung pornographischer Schriften an 17-Jährige am Wohnort des Opfers ebenfalls verboten oder vielleicht sogar explizit erlaubt ist. In der Literatur wird dieses Ergebnis – zu Recht – als unbefriedigend angesehen.137 Grund dafür ist, dass die Strafbarkeit in diesen Fällen gerade nicht mit
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Siehe dazu bereits Kap. 9 C. III. 3. c), S. 264 ff. Siehe auch Deiters, ZRP 2003, 361. 133 So zu Recht Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 398 Fn. 70. 134 Obermüller weist zu Recht darauf hin, dass in einem solchen Fall kaum von „Erfolg“ gesprochen werden kann, weil gerade keine Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung vorliegen kann, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 157. Der Einfachheit halber wird der Ausdruck „Erfolg“ im Folgenden jedoch beibehalten. 135 So auch Heinrich, FS Weber, S. 93. 136 Beispiel nach Krapp, Distanzdelikt, S. 117. Weitere Beispiele etwa bei Krapp, Distanzdelikt, S. 116 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 153 ff. 137 Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 146; Jescheck/Weigend, AT, S. 164; Jung, JZ 1979, 328 ff.; Krapp, Distanzdelikt, S. 81 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 151 ff.; Samson in: SK3, § 9 Rn. 15 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. 132
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 303
dem Schutz des Rechtsguts begründet werden kann, das verletzt ist.138 Demnach bedarf es jedoch besonderer Begründung, worin das Unrecht des zu bestrafenden Verhaltens liegt. Es werden verschiedene Vorschläge zur Eingrenzung der Strafbarkeit in diesen Fällen vertreten.139 Im Folgenden sollen diese Lösungen kurz dargestellt und auf ihre Vereinbarkeit mit der in dieser Arbeit vertretenen These überprüft werden. a) In der Literatur vertretene Lösungen Laut Samson muss in diesen Fällen der Rechtsgedanke des § 3 Abs. 2 StGB a. F. herangezogen werden.140 Danach galt in bestimmten Fällen das deutsche Strafrecht nicht, wenn die Tat „[. . .] wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort kein strafwürdiges Unrecht [. . .]“ 141 war.142 Werden unter Tatort sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort verstanden, ist diese Voraussetzung stets gegeben, wenn das Verhalten an einem der beiden Orte als rechtmäßig eingestuft wird. In den vorliegenden Fällen würde diese Ansicht daher stets zur Straflosigkeit führen. Andere schlagen eine Änderung des § 9 Abs. 1 StGB vor.143 Danach soll die Strafbarkeit bei Handlung im Inland und Erfolgseintritt im Ausland davon abhängen, dass die Tat auch am Ort des Erfolgseintritts mit Strafe bedroht ist.144 Dies solle jedoch nicht in den Fällen gelten, in denen gem. §§ 5, 6 und 7 StGB deutsches Strafrecht auf Handlungen im Ausland Anwendung finden würde.145 Es wird ebenfalls vertreten, dass in solchen Fällen § 23 Abs. 2 StGB analog anzuwenden sei.146 Da das Erfolgsunrecht der Tat aus deutscher Sicht nicht vorläge, könne nur das Handlungsunrecht bestraft werden.147 Dies entspreche der 138
Siehe hierzu Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. Die Vorschläge, die sich speziell auf die Strafbarkeit von Internettaten beziehen, sollen an dieser Stelle außen vor bleiben. Siehe zu Internetstraftaten Kap. 10 F. IV., S. 325 ff. 140 Samson in: SK3, § 9 Rn. 20. Ihm folgen Jakobs, AT, 5. Abschnitt Rn. 22; Jescheck/Weigend, AT, S. 164; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. Vgl. auch Nowakowski, JZ 1971, 637 f.; Schröder, ZStW 61 (1942), 116 ff. 141 § 3 Abs. 2 StGB in der Fassung des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953, BGBl. 1953 I, 735. 142 Siehe näher zu § 3 Abs. 2 StGB a. F. etwa Kielwein, GA 1954, 216 ff.; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 36 ff.; Schröder, ZStW 61 (1942), 112 Fn. 98. 143 Jung, JZ 1979, 331 f.; Krapp, Distanzdelikt, S. 142 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 164 f. 144 So Krapp, Distanzdelikt, S. 143. 145 Jung, JZ 1979, 332; Krapp, Distanzdelikt, S. 145; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 164. 146 Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 406 f. 147 Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 405. 139
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Konstellation der Versuchsstrafbarkeit, so dass die hierfür vorgesehene Milderungsmöglichkeit entsprechend anzuwenden sei.148 Diskutiert wird auch eine Lösung durch analoge Anwendung des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO. Dieser erlaubt es der Staatsanwaltschaft, von der Verfolgung einer Tat abzusehen, die ein Teilnehmer im Inland begangen hat, wenn die Haupttat im Ausland begangen wurde. Aufgrund der Vergleichbarkeit des Distanzdelikts mit der Teilnahme müsse § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO auch auf die hier besprochene Konstellation angewandt werden.149 b) Stellungnahme Bei Betrachtung der in der Literatur vertretenen Lösungen zeigt sich, dass diese auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Unterscheiden lassen sich eine prozessuale Lösung, eine auf Strafzumessungsebene und zwei materiell-rechtliche. aa) Prozessuale Lösung Die letztgenannte prozessuale Lösung ist aus mehreren Gründen nicht überzeugend. Gem. § 153c Abs. 1 Nr. 1 StGB steht es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ob sie von der Verfolgung der Tat absieht. Es fehlen jedoch genaue Richtlinien, wie die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen auszuüben hat.150 Die einschlägige Regelung des Nr. 94 RiStBV enthält nur sehr allgemeine und vage Hinweise. Die mit einer Ermessensentscheidung stets verbundene Rechtsunsicherheit kann jedoch nicht hingenommen werden, wenn es um die Frage geht, ob ein Verhalten als materielles Unrecht zu bewerten ist.151 Hinzu kommt, dass es fraglich ist, ob die Voraussetzungen für eine Analogie, also Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage, wirklich vorliegen.152 Obermüller hat hierzu angeführt, eine Analogie zu § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO sei mit dem Wortlaut der Vorschrift unvereinbar.153 Dabei verkennt er jedoch, dass die Annahme einer Analogie eine Regelungslücke voraussetzt und es somit gerade Voraussetzung ist, dass der Fall, der mit Hilfe einer Analogie gelöst werden
148
Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 405 f. Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 179 f.; Jescheck, IRuD 1956, 94; Jescheck/Weigend, AT, S. 164; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. 150 Krapp, Distanzdelikt, S. 165. Vgl. auch Schultz, GA 1966, 197. 151 In diesem Sinne Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 162 f. Auch diejenigen, die eine Analogie zu § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO befürworten, halten dies in der vorliegenden Konstellation in der Regel nicht für ausreichend, Jescheck/Weigend, AT, S. 164; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 4 Rn. 11. 152 Siehe allgemein zur Analogie etwa Rüthers/C. Fischer, Rechtstheorie, Rn. 878 ff. 153 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 162. 149
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 305
soll, nicht unter den Wortlaut irgendeiner Norm subsumiert werden kann. Sein Argument greift somit nicht. Allerdings führt der Hinweis auf den Wortlaut des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO weiter. Die Vorschrift behandelt explizit den Fall der Inlandsteilnahme an einer ausländischen Haupttat. Sie korrespondiert daher mit der Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB.154 Die Technik des Gesetzgebers ist somit klar: Auf der materiellen Ebene soll eine Strafbarkeit angeordnet werden, die dann in Einzelfällen auf prozessualer Ebene durchbrochen werden kann.155 Während die Konstellation der inländischen Teilnahme an einer ausländischen Haupttat jedoch im Gesetzgebungsverfahren als problematisch anerkannt war, wurde der Fall der unterschiedlichen Wertung an Handlungs- und Erfolgsort nicht näher erörtert.156 Es lässt sich daher nicht annehmen, dass die Technik des Gesetzgebers, über § 9 StGB eine weitgehende Strafbarkeit zu begründen und diese dann gem. § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO einzuschränken, auf das Problem der rechtmäßigen Bewertung am Erfolgsort übertragen werden sollte.157 Aus Gründen der Rechtssicherheit liegt hier vielmehr eine materiell-rechtliche Lösung nahe. bb) Strafzumessungslösung Im Hinblick auf die Strafzumessungslösung ergeben sich ähnliche Bedenken wie bei der prozessualen Lösung. Gem. § 23 Abs. 2 StGB steht es im Ermessen des Richters, ob er die Strafe mildert. Auch hier fehlt es jedoch an Kriterien für die Ermessensausübung, so dass auch diese Lösung unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bedenklich ist. Zudem ist auch hier fraglich, ob die Voraussetzungen einer Analogie, d.h. insbesondere eine vergleichbare Interessenlage, gegeben sind. Während das verbotene Verhalten beim Versuch auf ein tatsächlich von der Rechtsordnung geschütztes Rechtsgut zielt, ist in den Fällen einer rechtmäßigen Bewertung am Erfolgsort eine Rechtsgutsverletzung von vornherein ausgeschlossen.158 Da ein Verhalten jedoch stets im Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsgut als gefährlich eingestuft und demzufolge verboten ist, muss die Frage aufgeworfen werden, ob ein Verhalten in dieser Konstellation überhaupt als verboten angesehen werden kann.159
154 Darauf weist auch Jung hin, JZ 1979, 329 f. Siehe ebenfalls Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 162. 155 Jung, JZ 1979, 330. 156 Siehe hierzu Krapp, Distanzdelikt, S. 58 ff. 157 Ablehnend auch Krapp, Distanzdelikt, S. 130. 158 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 157. 159 So zutreffend Jung, JZ 1979, 329; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 157 f.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Die analoge Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB impliziert, dass auch in diesen Fällen eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt und das Verhalten somit als Unrecht gewertet wird. Genau das ist jedoch zweifelhaft, wenn die Erfolgsherbeiführung am Eintrittsort gestattet ist. Im Übrigen ist der Versuch gem. § 23 Abs. 1 StGB nur strafbar, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, d.h. die Tat im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist (§ 12 Abs. 1 StGB), oder wenn die Versuchsstrafbarkeit gesetzlich angeordnet ist. Bei Bejahung der funktionellen Gleichheit des rechtmäßigen Erfolgseintritts mit der Versuchsstrafbarkeit müssten auch die Grenzen des § 23 Abs. 1 StGB analog angewandt werden.160 Da die Konstellation des rechtmäßigen Erfolgseintritts am ehesten dem untauglichen Versuch gleicht,161 gilt Gleiches für § 23 Abs. 3 StGB. Beim Versuch der analogen Anwendung des § 23 Abs. 3 StGB zeigt sich jedoch, dass die Konstellationen gerade nicht vergleichbar sind. Gem. § 23 Abs. 3 StGB kommt ein Absehen von Strafe in Betracht, wenn der Täter aus grobem Unverstand verkannt hat, dass die Tat nicht zur Vollendung führen konnte. In den hier relevanten Fällen kann es jedoch durchaus vorkommen, dass der Täter gerade handelt, weil er die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens am Erfolgsort kennt. So könnte in dem oben gebildeten Beispielsfall162 der Täter gerade deshalb pornographische Schriften ins Ausland versenden, weil dies dort gestattet ist. Von „grobem Unverstand“ lässt sich in einer solchen Konstellation jedoch kaum sprechen, obwohl eine „Vollendung“ offensichtlich nicht in Betracht kommt. Die Lösung auf der Strafzumessungsebene wird demnach der Frage, inwieweit in solchen Fällen strafbares Unrecht vorliegt, nicht gerecht. Demzufolge muss zur Lösung der Fälle unterschiedlicher Bewertung in der hier relevanten Konstellation auf das sonstige materielle Recht zurückgegriffen werden. cc) Materiell-rechtliche Lösungen Als materielle Lösung wurde vorgeschlagen, § 3 Abs. 2 StGB a. F. analog bzw. dessen Rechtsgedanken anzuwenden. Allerdings wurde § 3 Abs. 2 StGB a. F. zu seiner Zeit wegen seiner unbestimmten Formulierung „strafwürdiges Unrecht“ und des weitgehenden Ermessens des Richters als verfassungswidrig angesehen.163 Dies führte 1975 zum ersatzlosen Wegfall des § 3 Abs. 2 StGB a. F.164 Angesichts dieser klaren Absage an die Regelung des § 3 Abs. 2 StGB a. F. durch den Gesetzgeber sollte die Vorschrift im geltenden Recht nicht mehr – we160 161 162 163 164
Ebenso Böse in: NK3, § 9 Rn. 21. So auch Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 156. Kap. 10 F. I. 2., S. 302 f. Jescheck, IRuD 1956, 84; Kielwein, GA 1954, 217 ff. Krapp, Distanzdelikt, S. 130.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 307
der im Wege der Analogie noch als Rechtsgedanke – herangezogen werden.165 Hinzu kommt, dass diese ursprünglich als Ausnahme zum aktiven Personalitätsprinzip konzipierte Regelung nicht ohne weiteres auf das Territorialitätsprinzip passt.166 Von den in der Literatur verbreiteten Vorschlägen ist daher einzig der einer Erweiterung des § 9 StGB geeignet, das Problem der rechtmäßigen Bewertung am Erfolgsort zu lösen. Der Nachteil einer solchen Lösung de lege ferenda ist jedoch, dass das Problem de lege lata weiter besteht. Angesichts der Tatsache, dass erste Änderungsvorschläge bereits 1977 erfolgten,167 bis jetzt jedoch nicht vom Gesetzgeber aufgegriffen wurden, ist es umso notwendiger, den Bedenken gegen die Strafbarkeit in solchen Konstellationen auf Basis des geltenden Rechts Rechnung zu tragen. Der Vorschlag einer Änderung des § 9 StGB hilft dabei nicht weiter. c) Eigener Lösungsvorschlag Im Folgenden soll auf Basis der Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen eine materiell-rechtliche Lösung dieser Problemkonstellation gefunden werden. Kennzeichnend für die hier angesprochene Konstellation ist, dass ein Verhalten am Handlungsort als rechtswidrig, am Erfolgsort jedoch als rechtmäßig bewertet wird. Aus Sicht des gem. Art. 17 Rom-II-VO anzuwendenden Rechts des Handlungsortes läge somit grundsätzlich eine Verhaltenspflichtverletzung vor. aa) Schutzzweckzusammenhang Zunächst stellt sich die Frage, ob in solchen Fällen wegen vollendeten Delikts bestraft werden kann. In aller Regel ist der Eintritt eines Erfolgs Merkmal der Strafsanktionsnorm und somit Strafbarkeitsvoraussetzung. Wenn das entsprechende Verhalten am Erfolgsort als rechtmäßig betrachtet wird, ist fraglich, ob überhaupt ein Erfolg im Sinne der jeweiligen Strafsanktionsnorm vorliegt. Allerdings wird der Erfolg als Rechtsgutsverletzung definiert, in der sich das in der Verhaltenspflicht liegende Risiko realisiert.168 Es reicht daher nicht irgendeine Rechtsgutsverletzung, sondern sie muss auf der Verhaltenspflichtverletzung beruhen. Was als Erfolg anzusehen ist, ist daher stets in Abhängigkeit von der 165 So auch Böse in: NK3, § 9 Rn. 22; Jung, JZ 1979, 331; Krapp, Distanzdelikt, S. 164; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 250; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 163. Gegen eine analoge Anwendung – aber für die Heranziehung des Rechtsgedankens – Samson in: SK3, § 9 Rn. 16. 166 Jung, JZ 1979, 331. 167 Bei Krapp, Distanzdelikt, S. 143 ff. 168 Siehe dazu bereits oben Kap. 2 C. III., S. 45 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Verhaltensnorm zu bestimmen.169 Aus diesem Grund gelten für die Bestimmung des Erfolgs auch die Wertungen der Verhaltensnorm.170 Daher kann nicht einfach das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung verneint werden.171 Dies mag aus der Perspektive des Rechts des Erfolgsorts zutreffen, aus Perspektive des maßgeblichen Rechts des Handlungsortes aber nicht. Nach Bejahung des Vorliegens einer Rechtsgutsverletzung ist in einem nächsten Schritt zu fragen, ob diese auf dem Verhalten des Täters beruht. Dies sind Fragen, die im Allgemeinen unter dem Stichwort der „objektiven Zurechenbarkeit“ diskutiert werden.172 Eine Voraussetzung für die Zurechenbarkeit des Erfolgs ist der sog. Schutzzweckzusammenhang, wonach sich im Erfolg genau das Risiko realisieren muss, dessen Eintritt nach dem Schutzzweck der einschlägigen Norm vermieden werden soll.173 Der Schutzzweckzusammenhang liegt demnach nicht vor, wenn der Erfolg im konkreten Fall auf einem rechtlich gebilligten Weg eingetreten ist.174 Bei Anwendung dieser Fragestellung auf die Konstellation abweichender Bewertungen ist zu erörtern, ob die Verhaltensnorm des Handlungsortes auch die Herbeiführung von Erfolgen verhindern sollte, die am Ort des Erfolgseintritts als rechtmäßig angesehen werden. Verhaltensnormen dienen grundsätzlich dem Rechtsgüterschutz. Wird jedoch die Rechtsgutsverletzung dort, wo sie geschieht, gar nicht als solche angesehen, bedarf das verletzte Rechtsgut keines Schutzes durch die Rechtsordnung des Handlungsortes.175 Die anderslautende Bewertung durch die Rechtsordnung des Handlungsortes könnte sogar als unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten der Rechtsordnung des Erfolgsortes angesehen werden. Aus diesem Grund sind Erfolge, die vom Recht des Erfolgsortes als rechtmäßig bewertet werden, nicht als rechtlich missbilligt anzusehen und somit nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Diese Erfolge können dem Täter daher nicht zugerechnet werden. Daraus folgt, dass in solchen Fällen eine Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts nicht möglich ist. Etwas anderes gilt nur, wenn sich im Einzelfall durch Auslegung der Verhaltensnorm ergibt, dass diese Erfolge gerade auch im Widerspruch zur Wertung des Erfolgsortes verhindern soll. Dies wird jedoch haupt-
169
Siehe oben Kap. 2 E. II., S. 50 ff. Siehe oben Kap. 2 E. II., S. 50 ff. 171 In diese Richtung aber Jung, JZ 1979, 329; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 157. Vgl. auch Frisch, Verhalten, S. 526. Wie hier Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 172 f. 172 Siehe hierzu Kap. 2 C. II. 2., S. 41 ff., und III., S. 45 ff. 173 Kühl, AT, § 4 Rn. 74. Siehe auch Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 122 ff. Kritisch zum Begriff des Schutzzweckzusammenhangs Frisch, Verhalten, S. 80 ff. 174 Frister, AT, Kap. 10 Rn. 20. 175 Siehe auch Jung, JZ 1979, 329. 170
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 309
sächlich bei Staatsschutzdelikten in Betracht kommen. Ansonsten kann allenfalls Versuchsstrafbarkeit angenommen werden. bb) Versuchsstrafbarkeit Liegt kein zurechenbarer Taterfolg vor, so kommt eine Strafbarkeit wegen versuchten Delikts in Betracht. Dies ergibt sich bereits aus den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. § 23 StGB, der die Strafbarkeit des versuchten Delikts regelt, findet somit direkt Anwendung, der Rückgriff auf eine Analogie ist überflüssig.176 Dementsprechend gelten jedoch auch die Grenzen des § 23 Abs. 1 StGB. Dies bedeutet, dass nur bei Verbrechen oder bei besonderer gesetzlicher Anordnung eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht zu ziehen ist. Daher kommt nach der hier vertretenen Lösung etwa die Bestrafung fahrlässiger Taten bei rechtmäßiger Bewertung durch das Recht des Erfolgsortes nicht in Betracht. Hierdurch unterscheidet sich diese von der von Miller und Rackow vorgeschlagenen Analogie zu § 23 Abs. 2 StGB.177 Dieser findet ebenfalls direkte Anwendung. Allerdings bleibt auch nach dieser Lösung das Problem bestehen, dass dann ein Verhalten unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 StGB als Versuch bestraft werden könnte, obwohl es überhaupt nicht zu einer zurechenbaren Rechtsgutsverletzung führen kann. Jung weist darauf hin, dass bei einem Versuch normalerweise immerhin eine Gefahr für das konkrete Rechtsgut bestehe, während das in dieser Konstellation gerade nicht der Fall sei.178 Auch Obermüller hält in einem solchen Fall Handlungsunrecht für nicht gegeben, so dass eine Versuchsstrafbarkeit abzulehnen sei.179 Dahinter steckt der richtige Gedanke, dass aus einer Verhaltensnorm nur Pflichten zur Verhinderung der Erfolgseintritte resultieren, die von ihrem Schutzzweck umfasst sind. Es kann demnach im Grunde keine Verhaltenspflicht geben, die darauf gerichtet ist, einen Erfolgseintritt zu verhindern, der nicht vom Schutzzweck der Verhaltensnorm umfasst ist. Diesen Bedenken kann jedoch mit Hilfe der Versuchsdogmatik Rechnung getragen werden. Gem. § 22 StGB setzt der Versuch eine „Vorstellung von der Tat“ voraus, d.h. der Täter muss Vorsatz in Bezug auf alle Merkmale haben, die den objektiven Tatbestand des Delikts ausmachen, sowie alle sonstigen Merkmale des subjektiven Tatbestands verwirklichen (Tatentschluss).180 Er muss sich daher 176 So aber Miller/Rackow in Bezug auf § 23 Abs. 2 StGB, ZStW 117 (2005), 405 ff. 177 Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 403 ff. 178 Jung, JZ 1979, 329. Ebenso Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 156. 179 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 157 f. 180 Allgemeine Ansicht, siehe nur Frister, AT, Kap. 23 Rn. 14.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Umstände vorstellen, die den objektiven Tatbestand der Tat verwirklichen. Stellt der Täter sich jedoch vor, dass der Erfolg in einem Land eintreten werde, in dem die Verursachung solcher Erfolge erlaubt ist, hat er ein Geschehen vor Auge, bei dem der Erfolg seinem Verhalten nicht zuzurechnen wäre.181 In einer solchen Konstellation liegt daher kein Vorsatz und somit auch kein Tatentschluss vor. Wird die übliche Versuchsterminologie auf diese Konstellation angewandt, so ähnelt dieser Fall am ehesten dem irrealen Versuch.182 Darunter wird der Versuch des Täters verstanden, einen Erfolg durch übernatürliche Kräfte herbeizuführen.183 Solche Versuche werden nach ganz herrschender Ansicht zu Recht als straflos angesehen.184 Versucht jemand, einen anderen Menschen mit einem Todesfluch oder durch Zauberei zu töten, bleibt er daher straflos. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene ohne erkennbaren Grund tatsächlich stirbt. Die Rechtsordnung erkennt in einem solchen Fall keinen Zusammenhang zwischen Verhalten und Erfolg an, so dass der Erfolg dem Handelnden nicht zugerechnet wird.185 Entsprechendes gilt im Falle der Versuchsstrafbarkeit: Stellt der Täter sich Umstände vor, die aus Sicht der Rechtsordnung keine zurechenbare Erfolgsverursachung darstellen, liegt in Bezug auf das vollendete Delikt kein Vorsatz vor.186 Ganz ähnlich liegt der Fall, wenn das Verhalten am Erfolgsort als rechtmäßig bewertet wird, am Handlungsort hingegen als rechtswidrig. Wie oben gezeigt wurde, kann der Erfolg auch in diesem Fall nicht dem Verhalten des Einzelnen zugerechnet werden. Entsprechend kommt jedoch auch eine Strafbarkeit wegen Versuchs nicht in Betracht, wenn der Täter sich Umstände vorstellt, die keinen zurechenbaren Erfolg ergeben. Demzufolge kann eine Strafbarkeit wegen Versuchs nur dann angenommen werden, wenn der Täter sich den Erfolgseintritt in einem Land vorstellt, in dem sein Verhalten ebenfalls als rechtswidrig bewertet würde, d.h. wenn seine Vorstellung von der Realität – rechtmäßige Bewertung am Erfolgsort – abweicht. In dieser Konstellation ist das Verhalten des Täters jedoch auch geeignet, eine Rechtsgutsverletzung hervorzurufen, so dass die Strafbarkeit in einem solchen 181
Siehe oben Kap. 10 F. I. 2. c) aa), S. 307 ff. Kritisch zu dieser Terminologie jedoch Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 26 Rn. 32 ff. 183 Frister, AT, Kap. 23 Rn. 22. 184 Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 26 Rn. 37; T. Fischer, StGB, § 23 Rn. 9; Frister, AT, Kap. 23 Rn. 22; Kühl, AT, § 15 Rn. 93; Rudolphi in: SK, § 22 Rn. 34 f. 185 Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 26 Rn. 36; Herzberg in: MüKo, StGB, § 22 Rn. 87. Im Einzelfall kann jedoch auch die obj. Zurechenbarkeit bejaht werden, etwa dann, wenn der Betroffene aus Angst vor der Wirkung des Fluchs einen Herzinfarkt erleidet und daran stirbt. 186 Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 26 Rn. 37. 182
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 311
Fall nicht bedenklich erscheint. Ansonsten ist die Strafbarkeit bei sauberer Anwendung der Versuchsdogmatik hingegen zu verneinen. d) Ergebnis Wird ein Verhalten am Handlungsort als rechtswidrig, am Erfolgsort hingegen als rechtmäßig angesehen, gelten – wie ansonsten auch – die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Die Tatsache, dass das Verhalten am Erfolgsort als rechtmäßig bewertet wird, ist jedoch im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit zu berücksichtigen. Beim vollendeten Delikt scheitert eine Zurechnung in aller Regel am Schutzzweckzusammenhang. Dies schließt jedoch die Strafbarkeit wegen Versuchs nicht aus. Allerdings fehlt beim versuchten Delikt entsprechend oftmals der Vorsatz bezüglich der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolgs, so dass der Tatentschluss zu verneinen ist. Daher kann eine Strafbarkeit bei dergestalt abweichender Bewertung an Handlungs- und Erfolgsort nur in zwei Konstellationen angenommen werden: erstens, wenn die Verhaltensnorm des Handlungsortes ausnahmsweise auch Rechtsgüter entgegen der Wertung im betroffenen Staat schützen will,187 und zweitens, wenn der Täter sich den Eintritt des Erfolgs in einem Land vorstellt, in dem sein Verhalten ebenfalls als rechtswidrig bewertet würde.188 Im erstgenannten Fall könnte – angenommen, die sonstigen Voraussetzungen liegen vor – wegen Vollendung bestraft werden, im letztgenannten wegen Versuchs.
II. Beteiligung Die Beteiligung an einer Tat ist bei grenzüberschreitenden Sachverhalten besonders problematisch.189 Der Grund dafür ist, dass solche Fragestellungen an der Schnittstelle zwischen zwei Problemkomplexen liegen, nämlich der Frage nach Rechtsnatur und Ausgestaltung der Beteiligung sowie des Internationalen Strafrechts. Eine befriedigende Lösung kann daher nur erreicht werden, wenn sowohl Beteiligungsdogmatik als auch die des Internationalen Strafrechts berücksichtigt werden.190 An dieser Stelle können diese Fragen daher nur angerissen werden.
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Siehe dazu oben Kap. 10 F. I. 2. c) aa), S. 307 ff. Siehe dazu oben Kap. 10 F. I. 2. c) bb), S. 309 ff. 189 Das gilt insbesondere für die Teilnahme, siehe hierzu z. B. Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 379 ff. Vgl. auch Lauterbach, Teilnahme, S. 27 ff.; Wegner, FS von Frank, Bd. 1, S. 142 ff. 190 Ebenso Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 393 f. 188
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
1. Täterschaft Für die Täterschaft gelten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten keine Besonderheiten. Demzufolge ist gem. Art. 17 Rom-II-VO die Verhaltensnorm des Handlungsortes anzuwenden, während die Geltung der Strafsanktionsnormen sich nach den §§ 3 ff. StGB richtet. a) Die verschiedenen Täterschaftsformen und die Strafsanktionsnormen Es herrscht Einigkeit darüber, dass die §§ 3 ff. StGB alle Formen der Täterschaft im Sinne des § 25 StGB erfassen. Demzufolge kommt es sowohl in Fällen der unmittelbaren Täterschaft als auch bei mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft zu unterschiedlichen Geltungsbereichen von Strafsanktions- und Verhaltensnormen.191 Darüber hinaus sollen bei Mittäterschaft nicht nur die einzelnen Handlungen, sondern auch die Handlungsorte zugerechnet werden können.192 Bei Mittäterschaft existiert somit ein zusätzlicher Begehungsort an dem Ort, an dem der Mittäter gehandelt hat. Dasselbe Problem tritt bei mittelbarer Täterschaft auf, wenn dem mittelbaren Täter die Handlung des Tatmittlers als eigene zugerechnet werden soll.193 Der Geltungsbereich der Strafsanktionsnormen ist für Mittäter und mittelbare Täter danach sogar noch weiter als für den unmittelbaren Täter, so dass ein Auseinanderfallen von Verhaltens- und Sanktionsnorm noch häufiger vorkommt. Daraus folgt, dass es auch bei Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft in vielen Fällen notwendig ist, eine vergleichbare ausländische Verhaltensnorm zu ermitteln, die der inländischen Strafsanktionsnorm zu Grunde gelegt werden kann. b) Vergleichbarkeit der täterschaftlichen Verhaltensnormen Die Vergleichbarkeit zweier Verhaltensnormen setzt voraus, dass diese das gleiche Rechtsgut schützen, die gleiche Begehungsart betreffen und auch ansonsten mit dem Wortlaut der Strafsanktionsnorm übereinstimmen.194 Allerdings werden im deutschen Recht ganz verschiedene Verhaltensweisen als Täterschaft bewertet. So ist z. B. die Erteilung eines Befehls an Soldaten durch Mitglieder des nationalen Verteidigungsrats der Deutschen Demokratischen Republik, Grenzflüchtlinge zu erschießen, ebenso als Totschlag gewertet worden195 wie z. B. ein gezielter Messerstich ins Herz durch einen Einzeltäter. Angesichts dieser 191
Siehe oben Kap. 10 C. II., S. 279 ff. BGH, Urt. v. 04.12.1992, BGHSt 39, 88 ff. Näher dazu unten Kap. 10 F. II. 1. c) aa), S. 314. 193 Siehe hierzu kritisch Heinrich, FS Weber, S. 106 f. 194 Siehe oben Kap. 10 D. II. 2., S. 293 ff. 195 BGH, Urt. v. 26.07.1994, BGHSt 40, 218 ff. 192
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 313
doch nicht unerheblichen Differenzen stellt sich die Frage, ob die genaue Form der Täterschaft irrelevant ist.196 Diese Fragestellung führt zu grundlegenden Problemen der Normentheorie. Um entscheiden zu können, ob die Täterschaftsform Einfluss auf die Vergleichbarkeit zweier Verhaltensnormen aus verschiedenen Rechtsordnungen hat, muss zunächst überlegt werden, ob die Täterschaftsform innerhalb der deutschen Rechtsordnung relevant ist. Gilt für alle Täter dieselbe Verhaltensnorm? Worin unterscheiden sich – wenn überhaupt – die Verhaltenspflichtverletzungen der mittelbaren Täter und Mittäter von der des unmittelbaren Täters? Und was ist der Unterschied zur Teilnahme, falls es überhaupt einen solchen gibt? Diese Beispiele verdeutlichen, wie sehr das Internationale Strafrecht von der sonstigen Strafrechtsdogmatik, wie hier der Beteiligungsdogmatik, abhängt. Die Frage nach der Verhaltensnorm bei Täterschaft und Teilnahme ist im Strafrecht bisher kaum behandelt worden.197 Hinzu kommt, dass Verhaltensnormen selbstverständlich auch in Bezug auf Täterschaft und Teilnahme in der ganzen Rechtsordnung einheitlich ausgelegt werden müssen.198 Sollten unterschiedliche Verhaltensnormen für Täter und Teilnehmer gelten, müssten sich diese auch im Zivil- und im Öffentlichen Recht finden lassen. Daher kann die Natur der Beteiligungsverhaltensnormen nur nach Analyse der gesamten Rechtsordnung bestimmt werden. Immerhin lassen sich aus der Tatsache, dass der Vergleich von Verhaltensnormen verschiedener Rechtsordnungen möglich sein muss, gewisse Rückschlüsse ziehen. Das Beteiligungssystem ist in jedem Staat anders ausgestaltet. So herrscht beispielsweise im norwegischen Strafrecht ein Einheitstätersystem, bei dem jeder Straftatbestand selbst darüber entscheidet, inwieweit die Mitwirkung an einer Tat strafbar ist.199 Ein norwegischer Strafrechtler würde daher wohl allenfalls zwischen Täterverhaltensnormen und Mitwirkungsverhaltensnormen differenzieren. Dies zeigt, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass die im deutschen Strafrecht getroffenen Unterscheidungen der einzelnen Täterschaftsformen so in einer anderen Rechtsordnung auftauchen. Dies lässt vermuten, dass auf Verhaltensnormebene gar nicht oder jedenfalls in weniger diffiziler Weise zwischen verschiedenen „Täterschaftsformen“ 200 unterschieden wird. Aus diesem Grund 196
So offenbar Scholten, Tatortstrafbarkeit, S. 136 f. Siehe aber ausführlich U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 221 ff.; Frisch, Verhalten, S. 230 ff. Freund scheint von einer einheitlichen Verhaltensnorm für Täter und Teilnehmer auszugehen, AT, § 2 Rn. 82. 198 Ebenso U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 257 f. Siehe dazu auch oben Kap. 2 D., S. 46 ff. 199 Siehe hierzu Schöberl, Einheitstäterschaft, S. 69 ff. Zum norwegischen Beteiligungsrecht Andenæs, Alminnelig strafferett, S. 323 ff. 200 Der Begriff der Täterschaft entstammt dem Strafrecht und ist zur Beschreibung der Verhaltensnormebene genau genommen ungeeignet. 197
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
scheint es vertretbar zu sein, auf Verhaltensnormebene nicht zwischen den verschiedenen Täterschaftsformen zu differenzieren. Vergleichbarkeit zweier Verhaltensnormen lässt sich daher annehmen, wenn die oben bezeichneten Kriterien vorliegen.201 c) Unterschiedliche Bewertung Wenn mittelbarer Täter und Tatmittler bzw. zwei (oder mehr) Mittäter in ein und demselben Land handeln, lässt sich mit Hilfe des oben aufgeführten verhältnismäßig einfach ermitteln, ob eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt und ob diese unter die Strafsanktionsnorm subsumiert werden kann. Probleme können jedoch entstehen, wenn mittelbarer Täter und Tatmittler oder einzelne Mittäter in verschiedenen Ländern handeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Handlungen von den jeweils einschlägigen Rechtsordnungen unterschiedlich bewertet werden, nämlich einmal als rechtswidrig, ein anderes Mal als rechtmäßig. aa) Mittäterschaft Gem. § 25 Abs. 2 StGB liegt Mittäterschaft vor, wenn mehrere eine Tat gemeinschaftlich begehen. In Bezug auf das Internationale Strafrecht lassen sich zwei problematische Fälle unterscheiden, nämlich einerseits die Konstellation, dass das Verhalten des Mittäters am Handlungsort als rechtmäßig bewertet wird, andererseits der Fall, dass das Verhalten des Mittäters als rechtswidrig bewertet wird. Dabei wird der Einfachheit halber von der Konstellation ausgegangen, in der der andere Mittäter zugleich unmittelbarer Täter ist, so dass sich für jenen ein Rückgriff auf die Konstellation der Mittäterschaft erübrigt. Auch sollen nur die Fälle betrachtet werden, in denen die Bewertung des Verhaltens der Mittäter unterschiedlich ist. Ist das Verhalten der Mittäter durch beide relevante Rechtsordnungen verboten, scheint die Bestrafung der Mittäter unbedenklich. Ist es in beiden Rechtsordnungen erlaubt, fehlt es hingegen in jedem Fall an einer Verhaltenspflichtverletzung. Nur bei unterschiedlicher Bewertung ergeben sich Probleme. (1) Bewertung als rechtmäßig am Ort des Verhaltens des Mittäters Das kann für die Mittäterschaft mit Hilfe eines Beispiels verdeutlicht werden:202 Wissenschaftler A führt in Deutschland ein Forschungsprojekt an embryonalen Stammzellen durch, ohne die dafür erforderliche Genehmigung zu besitzen. Zu seinem internationalen Forschungsteam gehört auch der Kollege B in 201 202
Kap. 10 D. II., S. 291 ff. Abgewandelt nach Valerius, NStZ 2008, 123.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 315
Großbritannien, der dort selbst Untersuchungen an embryonalen Stammzellen vornimmt und durch seinen wissenschaftlichen Rat wesentlich in das deutsche Projekt eingebunden ist. In Großbritannien ist die Stammzellforschung erlaubt,203 während in Deutschland die Verwendung embryonaler Stammzellen im Inland ohne Genehmigung verboten und strafbar ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 StZG).204 Das Verhalten des A wäre somit am Verhaltensort (Deutschland) rechtswidrig, das Verhalten des B jedoch an seinem Verhaltensort (Großbritannien) rechtmäßig. Werden A und B als Mittäter aufgefasst, was bei enger wissenschaftlicher Zusammenarbeit nahe liegt,205 liegt ein Fall unterschiedlicher Bewertung bei Mittäterschaft vor. Auch hier gilt gem. Art. 17 Rom-II-VO für jeden die Verhaltensnorm des Handlungsortes. Auf den ersten Blick müsste danach das Verhalten des B als rechtmäßig eingeordnet werden, so dass diesem keine Verhaltenspflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden könnte. Hingegen wäre das Verhalten des A unter Zugrundelegung der deutschen Verhaltensnormen als rechtswidrig zu bewerten.206 Allerdings werden bei der Mittäterschaft die Handlungen der anderen Mittäter dem Einzelnen zugerechnet.207 Entsprechend sollen nach herrschender Ansicht im Rahmen der §§ 3, 9 StGB auch die Handlungsorte zugerechnet werden.208 Dann käme es jedoch auch in Betracht, bei Mittäterschaft die Verhaltenspflichtverletzungen wechselseitig zuzurechnen. Jeder Mittäter hätte daher die Verhaltenspflichtverletzungen der anderen zu vertreten. Eine Haftung für fremdes Fehlverhalten ist jedoch mit dem Grundkonzept unseres Strafrechts nicht vereinbar, so dass nur eine Haftung für eigenes Verhalten in Betracht kommt.209 Auch die Mittäterschaft muss daher an eine eigene Verhaltenspflichtverletzung anknüpfen. 203
Valerius, NStZ 2008, 122 Fn. 5. Die jetzige Fassung des § 13 StZG geht auf das Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes vom 14. August 2008 zurück, BGBl. 2008 I, S. 1708. Nach der früheren Fassung war die Verwendung von Stammzellen auch im Ausland verboten, was zu einer bedenklichen Ausdehnung der Strafbarkeit geführt hat. Siehe hierzu etwa Schwarz, MedR 2003, 158 ff.; Valerius, NStZ 2008, 121 ff. 205 Ebenso Valerius, NStZ 2008, 123. 206 So die Lösung von Valerius, NStZ 2008, 123. 207 Siehe statt vieler nur Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 29 Rn. 77. 208 Siehe etwa Ambos/Ruegenberg in: MüKo, StGB, § 9 Rn. 10; Böse in: NK3, § 9 Rn. 5; Eser in: Schönke/Schröder, § 9 Rn. 4; von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 9 Rn. 7; Rath, JA 2007, 26 f.; Rotsch, ZIS 2006, 20; ders., ZIS 2010, 172 f.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 19 m.w. N.; ders. in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, § 9 Rn. 10; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 296. A. A. Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 17; Heinrich, FS Weber, S. 107 f.; Hoyer in: SK6, § 9 Rn. 5; Valerius, NStZ 2008, 122 ff. 209 U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 313. 204
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Im obigen Beispielsfall wäre das Verhalten des B nach den gem. Art. 17 RomII-VO einschlägigen Verhaltensnormen jedoch rechtmäßig. Eine Verhaltenspflichtverletzung ließe sich daher nur dann begründen, wenn die deutschen Verhaltensnormen auch in Großbritannien gelten würden. Dies ist jedoch in der Regel gerade nicht der Fall.210 Eine Geltung der deutschen Verhaltensnormen zum Embryonenschutz käme nur dann in Betracht, wenn die entsprechenden Verhaltensnormen der staatlichen Selbstverteidigung dienen würden.211 Das Stammzellengesetz soll die Menschenwürde und das Recht auf Leben der Embryonen schützen.212 Es dient demnach nicht der staatlichen Selbstverteidigung. Die Ausnahme zu Art. 17 Rom-II-VO findet daher keine Anwendung. Im Beispielsfall gelten daher für B ausschließlich die britischen Verhaltensnormen, so dass eine Verhaltenspflichtverletzung seinerseits nicht vorliegt.213 Er könnte daher nicht als Mittäter bestraft werden. A ist hingegen als unmittelbarer Täter zu bestrafen. (2) Bewertung als rechtswidrig am Ort des Verhaltens des Mittäters Doch auch wenn das Verhalten eines Mittäters grundsätzlich als rechtswidrig bewertet wird, können Probleme auftauchen. Dies soll ebenfalls mit Hilfe eines Beispiels verdeutlicht werden:214 A und B verabreden telefonisch, ihrem sexuell unerfahrenen 17-jährigen Bekannten C pornographische Schriften zu schicken. A, der sich in Deutschland befindet, gibt B detaillierte Anweisungen, welche Magazine er zu kaufen hat, und teilt ihm die Adresse des Bekannten mit. B kauft nach Anweisung des A eine pornographische Zeitschrift und schickt sie an die von A angegebene Adresse, die sich ebenfalls in Deutschland befindet. In dem Land, in dem B sich aufhält, ist der Versand von pornographischen Schriften an 17-Jährige erlaubt. Nach dem oben Gesagten ist deutlich, dass B keine Verhaltenspflichtverletzung vorgeworfen werden kann, so dass dieser sich nicht strafbar gemacht hat. Fraglich ist jedoch, ob A sich in diesem Fall gem. §§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB wegen Verbreitung pornographischer Schriften in Mittäterschaft strafbar gemacht haben könnte. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten für A’s Verhalten die deutschen Verhaltensnormen, nach denen die Verbreitung pornographischer Schriften verboten ist. Unterstellt, der Beitrag des A genügt für die Annahme von Mittäterschaft, scheint auf den ersten Blick der Annahme einer Verhaltenspflichtverletzung nichts entgegenzustehen. 210 Siehe dazu ausführlich Kap. 9, S. 201 ff. A. A. Lauterbach, der die Beteiligung an einer in Deutschland begangenen Tat ausreichen lässt, um deutsche Verhaltensnormen auf den Mittäter zu erstrecken, Teilnahme, S. 41 f. 211 Siehe zu dieser Ausnahme oben Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff. 212 So Schwarz, MedR 2003, 159. 213 Im Ergebnis ebenso Valerius, NStZ 2008, 123. 214 Angelehnt an Krapp, Distanzdelikt, S. 117.
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Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch hier die Bestimmung der Verhaltenspflichtverletzung des A problematisch ist. Immerhin beruht die Erfüllung des Tatbestands des § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch wesentlich auf dem Verhalten des B, das an seinem Handlungsort erlaubt ist. Die Mittäterschaft kann daher nur durch Zurechnung rechtmäßigen Verhaltens begründet werden. Ob trotzdem eine Verhaltenspflichtverletzung des A bejaht werden kann, hängt von der genauen Ausgestaltung der mittäterschaftlichen Verhaltensnorm ab. Verbietet diese nur bestimmte gefährliche Verhaltensweisen ohne Rücksicht auf das Verhalten anderer, steht der Annahme einer Verhaltenspflichtverletzung nichts entgegen.215 Ist hingegen die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens der anderen Mittäter in irgendeiner Form Merkmal der mittäterschaftlichen Verhaltensnorm,216 dann würde die Rechtmäßigkeit des Handelns des B auf A zurückschlagen, so dass im Ergebnis auch A keine Verhaltenspflichtverletzung vorzuwerfen wäre. Die Lösung der Fälle unterschiedlicher Bewertung des Verhaltens von Mittätern hängt somit davon ab, wie die für Mittäter geltende Verhaltensnorm ausgestaltet ist. Insoweit bewahrheitet sich die Aussage Jungs, dass „[. . .] gerade „im Rechtsanwendungsrecht“ die Systemfragen des jeweiligen Rechtsgebiets zum Schwur kommen [. . .]“ 217. Hier wäre eine Systematisierung des Beteiligungsrechts erforderlich, um im Bereich des Internationalen Strafrechts zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Angesichts der Komplexität des Beteiligungsrechts kann darauf jedoch im Rahmen der vorliegenden Abhandlung nicht eingegangen werden. Aus diesem Grund muss die Frage offen bleiben. bb) Mittelbare Täterschaft Ähnliche Probleme wie bei der Mittäterschaft ergeben sich bei der mittelbaren Täterschaft. Die mittelbare Täterschaft ist gem. § 25 Abs. 2 StGB dadurch gekennzeichnet, dass jemand „durch einen anderen“ handelt. Notwendigerweise sind bei der mittelbaren Täterschaft daher mindestens zwei Personen auf Täterseite beteiligt.218 Entsprechend müssen auch die für mittelbare Täter geltenden Verhaltensnormen berücksichtigen, dass die Gefährlichkeit des Verhaltens des mittelbaren Täters hier vom Verhalten des Tatmittlers abhängt.219 Handeln mittelbarer Täter und Tatmittler in verschiedenen Staaten, kann es ebenfalls zu der Konstellation kommen, dass deren Handlungen unterschiedlich
215 So wohl Valerius, NStZ 2008, 123. Im Ergebnis so auch Lauterbach, nach dem die Verhaltensnorm für beide Mittäter gilt, Teilnahme, S. 41 f. 216 In diese Richtung wohl U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 322. 217 Jung, JZ 1979, 326. 218 Möglich wäre jedoch auch eine Kombination verschiedener Täterschaftsformen, etwa eine mittäterschaftliche Begehung mittelbarer Täterschaft o. ä. 219 Näher dazu U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 283 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
bewertet werden. Im Folgenden sollen auch nur die Fälle abweichender Bewertung näher betrachtet werden. (1) Bewertung des Verhaltens des mittelbaren Täters als rechtmäßig Die erste Konstellation ist der Fall, dass das Verhalten des Tatmittlers als rechtswidrig zu bewerten wäre, während das Verhalten des mittelbaren Täters als rechtmäßig gilt. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass bei mittelbarer Täterschaft nur selten eine Verhaltenspflichtverletzung des Tatmittlers vorliegen wird. Die mittelbare Täterschaft wird gerade auch dann angenommen, wenn der Tatmittler nicht selbst zur Verantwortung gezogen werden kann.220 Davon sind u. a. auch die Fälle erfasst, in denen der Tatmittler schon – aus welchen Gründen auch immer – keine Verhaltenspflichten verletzt.221 Daher kann der Anknüpfungspunkt nicht eine tatsächliche Verhaltenspflichtverletzung des Tatmittlers sein. Eine rechtswidrige Bewertung des Verhaltens des Tatmittlers liegt vielmehr dann vor, wenn das Verhalten auch dann als pflichtwidrig zu bewerten wäre, wenn der Tatmittler alle Umstände kennen würde. Die Dogmatik der mittelbaren Täterschaft kann an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Dies ist jedoch auch nicht notwendig. Wird ein Verhalten am Handlungsort als rechtmäßig bewertet, liegt keine Verhaltenspflichtverletzung vor, an die die Sanktionsnorm gem. Art. 17 Rom-II-VO anknüpfen könnte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Verhalten Auswirkungen zeigt, die in einer anderen Rechtsordnung als rechtswidrig angesehen werden. Insofern ist diese Konstellation mit derjenigen vergleichbar, in der Handlungs- und Erfolgsort auseinander fallen und das Verhalten am Handlungsort als rechtmäßig, am Erfolgsort als rechtswidrig bewertet wird.222 Eine Verhaltenspflichtverletzung liegt somit nicht vor, so dass eine Strafbarkeit nicht in Betracht kommt. (2) Bewertung des Verhaltens des mittelbaren Täters als rechtswidrig Problematischer ist der Fall, wenn der mittelbare Täter sich nach dem Recht seines Handlungsortes rechtswidrig verhält, das Verhalten des Tatmittlers jedoch auch dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn dieser den gleichen Kenntnisstand wie der mittelbare Täter hätte. Auch dies kann an einem Beispiel illustriert werden: A plant einen Campingurlaub in Norwegen. Noch in Deutschland erklärt B ihm den Weg zu einem besonders geeigneten umzäunten Seegrundstück, das dem E gehört. Dabei behaup-
220 221 222
Siehe nur Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 30 ff. Siehe näher dazu U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 283 ff. Siehe oben Kap. 10 F. I. 1., S. 301 ff.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 319
tet B, E sei damit einverstanden, wenn A dort zelte. Tatsächlich weiß E jedoch nichts davon. A zeltet eine Nacht auf dem Grundstück des E. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten für das Verhalten des A die norwegischen Verhaltensnormen, für das Verhalten des B die deutschen. In Norwegen ist das Zelten auf privaten Grundstücken für kurze Zeit auch ohne Zustimmung des Besitzers erlaubt.223 A hat somit keine Verhaltenspflichten verletzt. Auf seine irrige Vorstellung, E habe zugestimmt, kommt es folglich nicht an. Nach deutschem Recht wäre das Verhalten des A hingegen als Verletzung des Hausrechts des E und somit – hätte A Kenntnis von der fehlenden Einwilligung – als pflichtwidrig anzusehen. B könnte sich daher gem. §§ 123, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Hausfriedensbruch in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben.224 B hätte folglich nach deutschem Recht seine mittelbar-täterschaftliche Verhaltenspflicht verletzt, obwohl das Verhalten des Tatmittlers am Handlungsort erlaubt ist. Dieses Ergebnis erscheint unbefriedigend. Dazu kommt es jedoch nur, wenn die mittelbar-täterschaftliche Verhaltensnorm keine Rücksicht darauf nimmt, wie das Verhalten des Tatmittlers am Tatort bewertet wird. Inwieweit dieses Problem relevant wird, hängt daher ebenfalls von der genauen Ausgestaltung der Verhaltensnorm bei mittelbarer Täterschaft ab und ist daher eine Frage der Beteiligungslehre. Falls in einem Fall wie dem vorliegenden nicht schon eine Verhaltenspflichtverletzung des mittelbaren Täters verneint wird, bietet es sich an, die Grundsätze zu übertragen, die für den Fall entwickelt wurden, dass bei einem Distanzdelikt das Verhalten am Erfolgsort als rechtmäßig angesehen wird.225 Danach kommt in einem solchen Fall allenfalls eine Strafbarkeit wegen Versuchs in mittelbarer Täterschaft in Betracht. 2. Teilnahme Ähnliche Probleme wie bei der Täterschaft tauchen bei der Teilnahme auf. Unter Teilnahme sind gem. der Legaldefinition in § 28 Abs. 1 StGB sowohl Anstiftung als auch Beihilfe zu verstehen. Beiden Beteiligungsformen ist gemein, dass die vorsätzliche rechtswidrige Tat eines anderen Voraussetzung für die Strafbarkeit ist (vgl. §§ 26, 27 StGB).
223 § 9 Lov om friluftslivet vom 28.06.1957, abrufbar unter http://www.lovdata.no/ all/hl-19570628-016.html (letzter Zugriff am 21. Juni 2011). 224 Nach h. M. ist bei Hausfriedensbruch mittelbare Täterschaft möglich. Siehe hierzu nur Lenckner/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, § 123 Rn. 35. 225 Siehe dazu oben Kap. 10 F. I. 2., S. 302 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
a) Regelung der Teilnahme im Internationalen Strafrecht Die gem. §§ 3 ff. StGB einschlägigen Sanktionsnormen erfassen sowohl Täterschaft als auch Teilnahme.226 Bei den in §§ 5 und 6 StGB genannten Taten sind daher stets sowohl Täter als auch Teilnehmer strafbar, sofern die sonstigen Voraussetzungen zutreffen. Gleiches gilt im Fall des § 7 StGB.227 Auch hier muss jedoch der betroffene Teilnehmer die Voraussetzungen selbst erfüllen, d.h. die Geltung des deutschen Strafrechts für den Teilnehmer hängt nicht von der Geltung deutschen Strafrechts für den Täter ab. Allerdings enthält § 9 Abs. 2 S. 1 StGB eine Sonderregel für den Begehungsort der Teilnahme, die im Fall des § 3 StGB relevant wird. Danach ist die Teilnahme sowohl an dem Ort begangen, an dem die Teilnahmehandlung vorgenommen wurde, als auch an dem, an dem die Tat begangen wurde (vgl. § 9 Abs. 1 StGB).228 Dadurch gibt es im Bereich der Teilnahme zehn verschiedene Varianten, in denen die deutsche Strafsanktionsnorm gem. § 3 StGB Anwendung findet.229 Demzufolge kommt es bei der Teilnahme noch häufiger als bei der Täterschaft dazu, dass die deutschen Strafsanktionsnormen gelten, obwohl gem. Art. 17 Rom-II-VO ausländische Verhaltensnormen Anwendung finden. b) Vergleichbarkeit der Teilnahmeverhaltensnormen Findet das Verhalten des Teilnehmers im Ausland statt, gelten die entsprechenden ausländischen Verhaltensnormen gem. Art. 17 Rom-II-VO auch dann, wenn die deutschen Strafsanktionsnormen Anwendung finden. In diesem Fall stellt sich somit ebenfalls die Frage, ob ausländische Verhaltensnorm und inländische Teilnahmeverhaltensnorm vergleichbar sind. Allerdings zeigen sich hier dieselben Schwierigkeiten, die schon bei der Frage nach der Vergleichbarkeit täterschaftlicher Verhaltensnormen diskutiert wurden.230 Sind zwei Verhaltenspflichtverletzungen vergleichbar, wenn die eine als Täterschaft, die andere als Teilnahme eingeordnet wird? Worin liegt der Unterschied zwischen Täter- und Teilnehmerverhaltensnormen, falls es überhaupt ei226 Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 25 f.; Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 54; Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 380 ff.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 9; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 3 Rn. 2; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 320; a. A. von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 3 Rn. 6. 227 Zweifel allerdings bei Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 5 Rn. 9. 228 Siehe zu den §§ 3, 9 StGB auch oben Kap. 6 B. IV. 2. a) aa), S. 117 ff. 229 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 359. Siehe hierzu die Auflistung bei Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), 386 f. 230 Siehe oben Kap. 10 F. II. 1. b), S. 312 ff.
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nen gibt? Wie verhalten sich restriktives Tätersystem und Einheitstäterschaft auf Verhaltensnormebene zueinander? Die Liste der Probleme ließe sich beliebig erweitern. Auch hier stößt das Internationale Strafrecht daher an seine Grenzen. Um Aussagen darüber treffen zu können, ob die Form der Beteiligung, d.h. Täterschaft oder Teilnahme, für die Vergleichbarkeit von Verhaltensnormen von Bedeutung ist, müsste zunächst ermittelt werden, was genau das Kennzeichen der Täter- und Teilnehmerverhaltensnormen ist. Bei der Teilnahme ist hierbei von besonderer Bedeutung, ob die Haupttat Merkmal der Verhaltensnorm ist, weil dieses Merkmal bei der für unmittelbare Täter geltenden Verhaltensnorm gerade nicht vorliegen wird. c) Unterschiedliche Bewertung Diese Probleme zeigen sich am deutlichsten, wenn die Bewertung des Teilnahmeverhaltens und des Verhaltens des Haupttäters unterschiedlich ist.231 Auch hierbei lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden, nämlich die des rechtmäßig handelnden Teilnehmers an einer rechtswidrigen Haupttat und der umgekehrte Fall des rechtswidrig handelnden Teilnehmers an einer rechtmäßigen Haupttat. aa) Rechtswidrig handelnder Teilnehmer bei rechtmäßiger Haupttat Ein klassisch problematischer Fall der Teilnahme im Internationalen Strafrecht ist die Konstellation, dass der Teilnehmer in einem Staat handelt, in dem sein Verhalten als rechtswidrig bewertet wird, die Haupttat jedoch am Handlungsort des Haupttäters als erlaubt gilt.232 Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:233 A erstattet in Deutschland telefonisch Anzeige bei der kalifornischen Polizei wegen eines dort geschehenen Mordes. Auf Grund der Angaben des A wird der Täter gefasst und im Einklang mit kalifornischem Recht zur Todesstrafe verurteilt, die auch vollstreckt wird. Die Haupttäter haben nach kalifornischem Recht keine Verhaltenspflichtverletzung begangen. Fraglich ist jedoch, ob A sich als Teilnehmer eines Tötungsdelikts strafbar gemacht hat. Gem. § 9 Abs. 2 S. 2 StGB findet deutsches Strafrecht auch dann auf die Teilnahme Anwendung, wenn die Haupttat am Tatort nicht mit Strafe bedroht ist, 231 Handeln beide rechtmäßig, kommt eine Strafbarkeit nicht in Betracht, handeln beide rechtswidrig, ist eine Strafbarkeit hingegen – das Vorliegen sonstiger Merkmale der Strafsanktionsnorm vorausgesetzt – unproblematisch gegeben. 232 Siehe hierzu Schröder, ZStW 61 (1942), 107 f. 233 Nach Krapp, Distanzdelikt, S. 155 f.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
sofern der Teilnehmer in Deutschland gehandelt hat. Diese viel diskutierte234 Regelung betrifft jedoch wie die restlichen §§ 3 ff. StGB nur die Strafsanktionsnormen und sagt nichts darüber aus, welche Verhaltensnormen gelten. Sie stellt lediglich klar, dass kein Hindernis für die Geltung der Strafsanktionsnormen besteht. Eine andere Frage ist jedoch, ob A eine Verhaltenspflichtverletzung begangen hat. Dies hängt wiederum davon ab, wie die für Teilnehmer geltende Verhaltensnorm ausgestaltet ist. Dabei kommen zwei grundsätzliche Varianten in Betracht: (1) Rechtsgutsbezogene Verhaltensnorm Entweder ist ein bestimmtes Teilnahmeverhalten verboten, weil auch dadurch das entsprechende Rechtsgut gefährdet wird, unabhängig davon, ob und wenn ja auf welche Weise andere dazwischentreten. Dann müsste das in §§ 26, 27 StGB genannte Erfordernis einer „vorsätzlichen rechtswidrigen Tat eines anderen“ als Merkmal der Sanktionsnorm eingeordnet werden, das keine Auswirkungen auf die Ebene der Verhaltensnorm hätte.235 A könnte danach eine Verhaltenspflichtverletzung vorgeworfen werden, ohne dass es auf die Bewertung der Haupttat am Tatort ankommt. Das Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat eines anderen wäre jedoch Merkmal der Sanktionsnorm und somit eine weitere Strafbarkeitsvoraussetzung. Diese wäre jedoch als genuines Strafrecht nur anhand des deutschen Rechts auszulegen.236 Es wäre daher allein dem deutschen Gesetzgeber überlassen, ob bei der Auslegung dieses Begriffs das Tatortrecht eine Rolle spielen soll. Hier wird die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB relevant: Da danach die Geltung des deutschen Strafrechts unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort sein soll, ließe sich durchaus vertreten, dass die deutschen Sanktionsnormen völlig unabhängig vom Tatortrecht ausgelegt werden sollen.237 Diskutabel wäre es jedoch, die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen nicht von der Strafbarkeit, aber von der Verhaltenspflichtwidrigkeit am Tatort abhängig zu machen.238
234 Jung, JZ 1979, 325 ff.; Krapp, Distanzdelikt, S. 146 ff.; Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 250 ff. Siehe zum Problem der Teilnahme allgemein Schröder, ZStW 61 (1942), 57 ff. 235 So wohl Böse in: NK3, § 9 Rn. 21; Freund, AT, § 10 Rn. 10 ff.; Wegner, FS von Frank, Bd. 1, S. 144 f. Siehe hierzu auch Schröder, ZStW 61 (1942), 101 f.; Frisch, Verhalten, S. 301 ff., insbesondere S. 373 Fn. 536 „Strafbarkeitsfiguren“. 236 Siehe oben Kap. 2 E. I., S. 49 ff. 237 So die wohl h. M., siehe etwa Ambos/Ruegenberg in: MüKo, StGB, § 9 Rn. 40 f.; Eser in: Schönke/Schröder, StGB, § 9 Rn. 14. Kritisch Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 360. 238 So Liebelt, Einfluss ausserstrafrechtlicher Rechtssätze, S. 255 ff.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 323
(2) Fremdverhaltensbezogene Verhaltensnorm Oder ein Teilnahmeverhalten ist verboten, weil es einen anderen dazu motiviert bzw. dabei unterstützt, eine Verhaltenspflichtverletzung zu begehen. Die Teilnehmerverhaltensnorm wäre in diesem Fall von der negativen Bewertung des Verhaltens eines anderen abhängig.239 Welche Bewertung des Verhaltens bei Auslandstaten zu Grunde zu legen ist, müsste durch Auslegung der Verhaltensnorm ermittelt werden. Diese Auslegung müsste rechtsgebietsübergreifend erfolgen.240 Welche Verhaltensnormen im Ausland gelten, wird jedoch für das deutsche Recht von Art. 17 Rom-II-VO bestimmt.241 Dies sind in aller Regel die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Demnach wäre die deutsche Verhaltensnorm von der Bewertung des Verhaltens des Haupttäters am Handlungsort abhängig. Im vorliegenden Beispielsfall wäre die Bewertung des Verhaltens des A demnach davon abhängig, wie das Verhalten des Gerichts in Kalifornien bewertet wird. Da die Tat dort rechtmäßig war, kann das Verhalten des A nicht als Unterstützung einer fremden Verhaltenspflichtverletzung angesehen werden und wäre daher erlaubt. Dieser Ansicht nach ist daher die Teilnehmerverhaltensnorm akzessorisch. (3) Ergebnis Der kurze Überblick zeigt, dass es gerade auch für die Lösung der Fälle unterschiedlicher Bewertung entscheidend darauf ankommt, wie die Verhaltensnorm ausgestaltet ist. Als vorläufiges Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass Aussagen zur Teilnahme im Internationalen Strafrecht nur getroffen werden können, wenn sowohl die Dogmatik des Internationalen Strafrechts als auch die der Teilnahme berücksichtigt werden. Insbesondere ist die Frage von Bedeutung, was das verbotene Verhalten der Teilnahme ist, d.h. wie die für Teilnehmer geltende Verhaltensnorm ausgestaltet ist. Da dazu ausführliche Untersuchungen zu Rechtsnatur und Strafgrund der Teilnahme nötig sind, kann darauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Hier besteht jedoch grundsätzlich noch Erörterungsbedarf.
239 So U. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 241 ff.; wohl auch Deiters, ZIS 2009, 306 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 180; Lauterbach, Teilnahme, S. 35 ff.; Schröder, ZStW 61 (1942), 101 f. 240 Siehe Kap. 2 D., S. 46 ff. 241 Kap. 9 C., S. 210 ff.
324
Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
bb) Rechtmäßig handelnder Teilnehmer bei rechtswidriger Haupttat Ist das Verhalten des Teilnehmers am Handlungsort als rechtmäßig anzusehen, so stellen sich dieselben Probleme. Unter der Annahme, dass die Teilnehmerverhaltensnorm vollkommen von der Bewertung der Haupttat abhängig ist, wäre die Unterstützung der Haupttat stets verhaltenspflichtwidrig, unabhängig davon, wie die Haupttat nach dem Recht des Handlungsortes des Teilnehmers zu bewerten ist.242 Diesem Ergebnis ließe sich dadurch entgegen steuern, dass sowohl die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Haupttäters nach dem Recht des Ortes der Haupttat verlangt wird, als auch die Pflichtwidrigkeit nach dem Recht des Ortes des Teilnahmeverhaltens.243 Im vorliegenden Beispielsfall läge dann – da das Verhalten des Teilnehmers am Handlungsort als rechtmäßig angesehen wird – keine Verhaltenspflichtverletzung vor. Wird die Teilnehmerverhaltensnorm jedoch als unabhängig von der Bewertung der Haupttat angesehen, liegt im vorliegenden Fall – d.h. bei Bewertung als rechtmäßig am Handlungsort des Teilnehmers – keine Verhaltenspflichtverletzung vor, an die die Strafbarkeit knüpfen könnte. Auch in dieser Konstellation ist daher die Struktur der Teilnahmeverhaltensnorm für die Strafbarkeit entscheidend.
III. Rechtswidrigkeit Entstammen Verhaltensnorm und Strafsanktionsnorm verschiedenen Rechtsordnungen, so hat dies zur Folge, dass Tatbestand und Rechtswidrigkeit eine andere rechtliche Wertung aufweisen als die Rechtsordnung, der die Strafsanktionsnorm entstammt. Dies kann dazu führen, dass in einem konkreten Fall nach dem maßgeblichen fremden Recht eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt, während dasselbe Verhalten aus Sicht der Strafsanktionsnorm als pflichtgemäß anzusehen wäre.244 Dies wird jedoch nur dann problematisch, wenn die Verhaltenspflichtverletzung trotz dieser Abweichung unter die Strafsanktionsnorm subsumiert werden kann. Ansonsten fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit der Verhaltenspflichtverletzungen.245 Die mit unterschiedlicher Bewertung von Verhaltens- und Sanktionsnorm verbundenen Probleme sind daher nur in bestimmten Konstellationen vorhanden. 242 Gegen eine vollständige Abhängigkeit vom Tatortrecht Schröder, ZStW 61 (1942), 72 ff. 243 Zu dieser Konstellation Schröder, ZStW 61 (1942), 78 ff. 244 Darauf weist auch Oehler hin, Internationales Strafrecht, Rn. 745. 245 Dazu oben Kap. 10 D. II., S. 291 ff.
F. Zusammenspiel ausländischer Verhaltens- und inländischer Sanktionsnorm 325
Tritt jedoch eine derart unterschiedliche Bewertung auf, so muss diese im Grundsatz als typische Folge der unterschiedlichen Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnorm hingenommen werden. Allerdings sind auf Ebene der Verhaltensnorm nur die allgemeinen Rechtfertigungsgründe relevant, so dass nur diese der fremden Rechtsordnung zu entnehmen sind. Es bleibt jedem Staat unbenommen, die entsprechenden Sanktionsnormen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die den Rechtfertigungsgründen gleichen. So wird auch für das Strafrecht vertreten, dass es bestimmte Strafunrechtsausschlussgründe gebe, die das Eingreifen der Strafsanktionsnorm verhindern würden.246 Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, ob die im StGB geregelten Rechtfertigungsgründe – insbesondere §§ 32 und 34 StGB – nicht nur als Ausprägungen allgemeiner Rechtfertigungsgründe verstanden werden sollten,247 sondern ob sie auch das Eingreifen der Strafsanktionsnorm verhindern sollten. Den Rechtfertigungsgründen würde somit eine Doppelfunktion zukommen: Einerseits wären sie allgemeine Rechtfertigungsgründe im deutschen Verhaltensnormsystem, andererseits wären sie Strafunrechtsausschlussgründe. Ob eine solche Auslegung der §§ 32 und 34 StGB möglich ist, bedarf weiterer Untersuchung. Sie findet jedoch eine gewisse Stütze darin, dass z. B. die Notwehr sowohl in § 227 BGB als auch in § 32 StGB geregelt ist. Eine solch doppelte Regelung wäre überflüssig, wenn es sich nur um einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund handeln würde.248 Daher liegt die Vermutung nahe, dass § 227 BGB und § 32 StGB eine zusätzliche Funktion zukommen soll. Das Thema kann an dieser Stelle jedoch nicht weiter vertieft werden.
IV. Straftaten im Internet Die Frage, inwieweit Straftaten, die mittels des Internets begangen werden, dem deutschen Strafrecht unterfallen, hat in letzter Zeit die deutsche Strafrechtswissenschaft erheblich beschäftigt.249 Da Internetseiten problemlos weltweit abgerufen werden können, liegt in jedem Land ein potentieller Erfolgsort. Umstritten ist ebenfalls, wo der Handlungsort bei Internetstraftaten liegt, insbesondere, inwieweit der Standort des Internetproviders relevant wird. Die traditionellen territorialen Anknüpfungspunkte, Handlungs- und Erfolgsort, passen somit bei Internetstraftaten nicht.250
246
H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 258. So Lange, FS von Weber, S. 166; Schwabe, S. 105 in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts. 248 So in der Tat Lange, FS von Weber, S. 166. 249 Siehe dazu etwa folgende Monographien: Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, 2002; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 2005; Kappel, Ubiquitätsprinzip, 2007; Kienle, Straftaten im Internet, 1998. 247
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Wird jedoch die in dieser Arbeit vertretene These zu Grunde gelegt, ist das Problem zumindest aus Perspektive der Täter weitestgehend entschärft. Gem. Art. 17 Rom-II-VO muss der Täter nur die Verhaltensnormen des Staates beachten, in dem er handelt. Knüpft die Strafbarkeit daher etwa an die Veröffentlichung bestimmter Daten im Internet an, ist auf den Ort des Fehlverhaltens abzustellen, d.h. auf den Ort, an dem der Täter körperlich anwesend war, als er die Veröffentlichung veranlasst hat.251 Ist das betreffende Verhalten dort erlaubt, ist eine Verhaltenspflichtverletzung abzulehnen, so dass eine Strafbarkeit des Täters in keinem Staat in Betracht kommt. Bei echten Erfolgsdelikten sind zudem die bereits entwickelten Kriterien anzuwenden.252 Dieses Ergebnis ist nicht unproblematisch. Zum einen fördert eine solche Auslegung forum shopping, weil Straftäter dann in der Lage sind, sich ein Land mit niedrigen Verhaltensanforderungen auszusuchen und von dort ihre Internetseiten zu betreiben.253 Dieser Gefahr könnte nur durch die Entwicklung weltweiter Standards entgegen gewirkt werden.254 Zum anderen besteht nach der hier vertretenen These in bestimmten Fällen auch dann die Möglichkeit einer Verhaltenspflichtverletzung, wenn das Verhalten am Handlungsort erlaubt ist, nämlich dann, wenn dadurch spezifisch staatliche Rechtsgüter betroffen werden.255 Im sog. „Auschwitzlügenfall“ des Bundesgerichtshofs256 wäre demnach zu überlegen, ob die Abwehr nationalsozialistischen Gedankenguts vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte von so elementarer Bedeutung ist, dass die entsprechenden Verbote als staatliche Selbstverteidigung zu klassifizieren sind. Eine solche Auslegung scheint angesichts „[. . .] des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht 250 Zu den Problemen im Zusammenhang mit dem Territorialprinzip etwa Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 19 f.; Böse in: NK3, § 9 Rn. 14; Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 110 ff.; Cornils, JZ 1999, 394 ff.; Duesberg, JA 2008, 272 f.; Heinrich, FS Weber, S. 98 ff.; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 230 ff.; Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 105 ff.; Kienle, Straftaten im Internet, S. 86 ff.; Lagodny, JZ 2001, 1200; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 143 ff.; Rath, JA 2007, 28 f.; Sieber, NJW 1999, 2066 ff.; Velten, FS Rudolphi, S. 331 ff.; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 433 ff. 251 Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 113; Heinrich, FS Weber, S. 104; Poenig, Haftung des Linkanbieters, S. 134; Sieber, NJW 1999, 2070. Siehe hierzu auch Duesberg, JA 2008, 274; Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 108 ff. Cornils erkennt bei Internettaten mehrere Handlungsorte an, JZ 1999, 296 f. 252 Kap. 10 F. I., S. 300 ff. 253 Duesberg, JA 2008, 273; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 235. 254 So etwa der Vorschlag von Kappel, Ubiquitätsprinzip, S. 222 ff. Skeptisch jedoch Bremer, Strafbare Internet-Inhalte, S. 176 ff. 255 Siehe oben Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff. 256 BGH, Urt. v. 12.12.2000, BGHSt 46, 212.
G. Prüfungsreihenfolge
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hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland [. . .]“ 257 möglich zu sein. Da es weltweit jedoch keine Fälle gibt, die mit dem Holocaust vergleichbar sind, kann der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen in diesem Fall nicht weiterführen.258 Hier besteht ein Auslegungsproblem, mit dem sich der Europäische Gerichtshof früher oder später zu befassen haben wird. Gerade in Fällen, in denen Verhaltensnormen aus Gründen der Selbstverteidigung auch im Ausland gelten, ist allerdings besonders darauf zu achten, ob der für die Annahme einer Verhaltenspflichtverletzung notwendige Vorsatz vorliegt oder ob der Täter einem (unvermeidbaren) Verbotsirrtum unterliegt.
V. Ergebnis Der Überblick über verschiedene Einzelprobleme des Internationalen Strafrechts hat gezeigt, dass die hier vertretene These durchaus geeignet ist, diese Schwierigkeiten zu lösen. Die damit verbundene neue Perspektive beim Blick auf das Internationale Strafrecht verdeutlicht jedoch, dass die sonstige Strafrechtsdogmatik in einigen Bereichen weiterer Überlegungen bedarf. So kann insbesondere die Problematik der Beteiligung im Internationalen Strafrecht nicht ohne gründliche Untersuchung der Beteiligungsverhaltensnormen gelöst werden. Auch die neuen Herausforderungen, vor die das Internet die Strafrechtsdogmatik und insbesondere das Internationale Strafrecht stellt, lassen sich nicht vollständig mit Hilfe dieser Theorie bewältigen. Hier besteht noch weiterer Diskussionsbedarf.
G. Prüfungsreihenfolge Die Trennung der Geltungsbereiche von Verhaltens- und Sanktionsnorm hat zur Folge, dass die Prüfung grenzüberschreitender Sachverhalte deutlich erschwert wird. Im Folgenden soll daher kurz erläutert werden, wie die oben erläuterten theoretischen Grundsätze bei der Prüfung eines konkreten Falls anzuwenden sind. Ausgangspunkt der Prüfung der Strafbarkeit einer Person ist stets die Sanktionsnorm. Die strafrechtliche Prüfung beginnt mit einem entsprechenden Obersatz, beispielsweise: „A könnte sich gem. § 223 StGB wegen Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem er . . .“.259 Damit eine Strafbarkeit in Betracht kommt, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: 257 258 259
BVerfG, Beschl. v. 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08, Rn. 64. Siehe zu diesem Kriterium Kap. 9 C. III. 3. b) bb), S. 262 ff. Siehe hierzu etwa Freund, AT, Anhang 2, S. 461.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
– Die Strafsanktionsnorm muss gelten.260 – Es muss eine Verhaltenspflichtverletzung nach dem gem. Art. 17 Rom-II-VO einschlägigen Recht vorliegen, auf die die Strafsanktionsnorm sich bezieht. – Die sonstigen Sanktionsvoraussetzungen müssen vorliegen. Dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist unbestritten.261 Fraglich ist jedoch, in welcher Reihenfolge sie zu prüfen sind.
I. Das Verhältnis von Geltung und Auslegung der Strafsanktionsnorm Die Prüfungsreihenfolge ist umstritten. Dabei dreht sich der Streit um die Frage, ob erst die Geltung der Strafsanktionsnormen anhand der §§ 3 ff. StGB festzustellen ist und dann darauf eingegangen werden muss, ob der Schutzbereich der Norm auch ausländische Rechtsgüter erfasst, oder ob umgekehrt die Frage nach dem Schutzbereich der Normen logisch vorrangig ist. Anders ausgedrückt geht es darum, ob die Auslegung der Strafsanktionsnorm oder deren Geltung vorrangig zu untersuchen ist. 1. Vorrang der Geltungsprüfung Die Vertreter des Vorrangs der Prüfung der Geltung deutschen Strafrechts262 begründen dies damit, dass der deutsche Staat nur dann ein Recht zur Auslegung der Norm hinsichtlich ihres Schutzbereichs hat, wenn sein Strafrecht überhaupt gilt.263 Eine weitere Prüfung erübrige sich, wenn deutsches Strafrecht gar nicht gelte.
260 Selbstverständlich muss die Strafsanktionsnorm auch verfassungsgemäß sein, damit sie die Strafbarkeit einer Person begründen kann. Davon wird im Folgenden ausgegangen. 261 Die allermeisten verwenden jedoch die übliche Terminologie und sagen, dass Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld sowie sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen und die Geltung des deutschen Strafrechts gegeben sein müssen. Siehe zu den Unterschieden zwischen der herkömmlichen Terminologie und der hier verwendeten Kap. 2 C. IV., S. 46 ff. 262 von Heintschel-Heinegg in: von Heintschel-Heinegg, StGB, § 3 Rn. 10 ff.; Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 31; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 141 f.; Rath, JA 2006, 435 ff.; ders., JA 2007, 34; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 3 Rn. 9; Satzger in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 7; F.-C. Schroeder, NJW 1990, 1406; Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 273; wohl auch Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 293. 263 Siehe hierzu Satzger, Europäisches Strafrecht, § 3 Rn. 9; Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, Vor §§ 3–7 Rn. 7.
G. Prüfungsreihenfolge
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Dies verdeutlichen auch die prozessualen Konsequenzen: Gilt deutsches Strafrecht nicht, so ist die deutsche Gerichtsbarkeit nicht zuständig, so dass das Verfahren einzustellen wäre.264 Auch dabei komme es nicht auf die Auslegung der Strafsanktionsnorm an. Aus diesen Gründen müsse die Geltung der Strafsanktionsnormen zuerst geprüft werden. 2. Vorrang der Schutzbereichsprüfung Die Vertreter der vorrangigen Auslegung der Strafsanktionsnorm265 weisen hingegen darauf hin, dass zunächst ermittelt werden müsse, ob es sich um eine „Tat“ handle.266 Dafür sei es jedoch notwendig, den deutschen Straftatbestand auszulegen. Demnach läge bereits keine Tat vor, wenn etwa das verletzte Rechtsgut von dem deutschen Tatbestand nicht geschützt sei, so dass die §§ 3 ff. StGB nicht mehr eingreifen könnten.267 3. Stellungnahme Auf den ersten Blick leuchtet es ein, die Geltung der Strafsanktionsnorm zu prüfen, bevor diese näher ausgelegt werden wird. Gilt nicht einmal die Strafsanktionsnorm, kann in der Tat auf eine weitere Prüfung des Falls verzichtet werden. Fraglich ist allerdings, ob die Geltung der Strafsanktionsnormen überhaupt ohne Rückgriff auf deren Auslegung beurteilt werden kann. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die §§ 3 ff. StGB eine Subsumtion unter die Strafsanktionsnorm erfordern. Beispielsweise gilt gem. § 7 Abs. 1 StGB die deutsche Strafsanktionsnorm für Taten, die gegen einen Deutschen begangen werden. Dies setzt demnach voraus, dass der Verletzte Deutscher ist. Wer durch eine Tat verletzt ist, kann jedoch nur festgestellt werden, wenn klar ist, um welche Tat es sich handelt. Gleiches gilt im Falle des § 3 StGB: Eine Tat ist gem. § 9 Abs. 1 StGB auch im Inland begangen, wenn dort der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist. Die Feststellung, ob dies der Fall ist, setzt jedoch voraus, dass feststeht, was der zum Tatbestand gehörende Erfolg ist. Dies lässt sich jedoch nur durch Auslegung des entsprechenden Tatbestands ermitteln.
Hoyer in: SK6, Vor § 3 Rn. 31; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 141; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 3 Rn. 9. 265 Böse in: NK3, Vor § 3 Rn. 55; ders., FS Maiwald, S. 68; T. Fischer, StGB, Vor §§ 3 Rn. 4; Lackner/Kühl, StGB, Vor §§ 3 Rn. 9; Lemke in: NK2, Vor § 3 Rn. 27; Nietsch, Insiderrecht, S. 121; Nowakowski, JZ 1971, 633 f.; Walter, JuS 2006, 870; Wang, Der universale Strafanspruch, S. 10. Wohl auch Baier, GA 2001, 435; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 46 f. 266 Walter, JuS 2006, 870 Fn. 1. 267 Siehe Gribbohm in: LK11, Vor § 3 Rn. 161. 264
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Die Prüfung der Geltung deutschen Strafrechts könnte nur dann unabhängig von der Auslegung der Strafsanktionsnorm erfolgen, wenn im Rahmen der §§ 3 ff. StGB eine Definition von „Tat“ maßgeblich wäre, die von der materiellen Bewertung eines Verhaltens unabhängig ist. Demnach müsste unter „Tat“ etwa der gesamte Lebenssachverhalt verstanden werden, dessen strafrechtliche Bewertung in Frage steht.268 Eine solche, vom materiellen Recht losgelöste Definition von Tat ist jedoch mit den §§ 3 ff. StGB nicht vereinbar. Gem. der §§ 5 und 6 StGB gilt das deutsche Strafrecht für bestimmte im Ausland begangene Taten. Diese Taten werden anhand des Paragraphen des StGB benannt, in dem sie geregelt sind. Demnach ist „Tat“ in diesem Zusammenhang in einem materiell-rechtlichen Sinne zu verstehen.269 Ein weiteres Beispiel ist der schon benannte § 9 Abs. 1 StGB, wonach eine Tat auch am Erfolgsort begangen ist.270 „Erfolg“ ist ein auf einen bestimmten Tatbestand bezogener Fachbegriff. Lebenssachverhalte können zwar die Verletzung einer Person oder die Beschädigung einer Sache betreffen, aber keinen Erfolg.271 Diese Beispiele zeigen, dass die Geltungsbereichsvorschriften der §§ 3 ff. StGB jedenfalls nicht völlig losgelöst von der Auslegung der Strafsanktionsnorm angewandt werden können. Dann sollte dieser Tatsache auch im Prüfungsaufbau Rechnung getragen werden, so dass inzidente oder doppelte Prüfungen so weit wie möglich vermieden werden können. Es empfiehlt sich daher nicht, mit der Prüfung der Geltungsbereichsnormen der §§ 3 ff. StGB zu beginnen.
II. Weiterer Gang der Prüfung Der erste Schritt einer Prüfung muss demnach die Auslegung der Strafsanktionsnorm sein. Dabei ist durch Auslegung zu ermitteln, an welche Verhaltenspflichtverletzung die Sanktionsnorm anknüpft. In diesem Zusammenhang wird relevant, ob die Sanktionsnorm nur an die Gefährdung inländischer Rechtsgüter anknüpft, oder ob auch ausländische Rechtsgüter von ihr erfasst werden. 1. Die Verhaltenspflichtverletzung Sind durch Auslegung die Voraussetzungen ermittelt worden, die die zu Grunde zu legende Verhaltensnorm zu erfüllen hat, kann in einem nächsten 268 So Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 141; Satzger in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, § 3 Rn. 2. Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 23. 269 Siehe auch Rotsch, ZIS 2010, 168. 270 So auch Rotsch, ZIS 2006, 18. 271 Ambos plädiert daher für eine unterschiedliche Auslegung von Tat, Internationales Strafrecht, § 1 Rn. 23 f. Differenzierend auch Werle/Jeßberger in: LK12, Vor § 3 Rn. 315 ff.
G. Prüfungsreihenfolge
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Schritt geprüft werden, ob eine Verhaltenspflichtverletzung vorliegt. Hierfür muss zunächst ermittelt werden, welche Verhaltensnorm gilt. Gem. Art. 17 Rom-II-VO ist dies grundsätzlich die Verhaltensnorm des Landes, in dem das zu betrachtende Verhalten stattgefunden hat. Da das Verhalten, dessen Strafbarkeit geprüft werden soll, bereits im Obersatz benannt worden ist, muss an dieser Stelle nur noch ermittelt werden, wo dieses Verhalten stattgefunden hat. Dies wird in aller Regel unproblematisch festzustellen sein, so dass die Ermittlung der geltenden Verhaltensnorm keine großen Schwierigkeiten bereitet. Hierin unterscheiden sich die Geltungsbereichsregeln der Verhaltensnorm von denen der Sanktionsnorm. Steht fest, welche Verhaltensnorm gilt, ist ggf. zu prüfen, ob diese Verhaltensnorm mit derjenigen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt, vergleichbar ist.272 Erst wenn dies bejaht wird, kann durch Auslegung der Verhaltensnorm ermittelt werden, ob eine für die jeweilige Sanktionsnorm relevante Verhaltenspflichtverletzung vorliegt. 2. Sonstige Sanktionsvoraussetzungen und Geltung der Strafsanktionsnorm Wenn das Vorliegen einer Verhaltenspflichtverletzung bejaht wurde, sind als nächstes die sonstigen Sanktionsvoraussetzungen zu prüfen. Als erstes ist dabei der tatbestandliche Erfolg zu nennen, sofern die Strafsanktionsnorm einen solchen voraussetzt.273 Nach der Bejahung des tatbestandlichen Erfolgs liegen alle Voraussetzungen vor, um auch die Geltung der Strafsanktionsnorm prüfen zu können, ohne dass inzidente Fragen geklärt werden müssen. Es bietet sich daher an, an dieser Stelle auf die Geltung der deutschen Strafsanktionsnormen gem. §§ 3 ff. StGB einzugehen. Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der übrigen Sanktionsmerkmale wie z. B. der Schuld oder der sonstigen objektiven Bedingungen der Strafbarkeit.
III. Prüfungsschema Aus den obigen Überlegungen ergibt sich im Groben folgendes Prüfungsschema:
272 273
Siehe Kap. 10 D. II., S. 291 ff. Siehe hierzu Kap. 2 C. III., S. 45 ff., und Kap. 2 E. II., S. 50 ff.
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Kap. 10: Konsequenzen für die Strafsanktionsnormen
Benennung der zu prüfenden Sanktionsnorm sowie des zu prüfenden Verhaltens im Obersatz I. Verhaltensunrecht 1. Auslegung der Sanktionsnorm zur Ermittlung der einschlägigen Verhaltensnorm 2. Verhaltenspflichtverletzung: a) Ermittlung der geltenden Verhaltensnorm gem. Art. 17 Rom-II-VO b) Vergleichbarkeit der Verhaltensnorm c) Verletzung einer konkreten Verhaltenspflicht II. Sanktionsvoraussetzungen 1. Zurechenbarer Erfolg 2. Geltung der Sanktionsnorm 3. Übrige Sanktionsvoraussetzungen
Kapitel 11
Zusammenfassung und Ausblick Im Folgenden sollen die Ergebnisse der vorliegenden Abhandlung zusammengefasst und ein Ausblick auf künftige Entwicklungen gegeben werden. Dazu werden zunächst die hier aufgestellten Thesen wiedergegeben. Daran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob eine Änderung des StGB empfehlenswert ist und wie diese ggf. ausgestaltet sein müsste. Im Anschluss erfolgt ein Ausblick auf künftige Entwicklungsmöglichkeiten.
A. Thesen Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Strafrichter wenden nur deutsches Strafrecht an. Eine Verweisung auf ausländisches Strafrecht ist – anders als im Internationalen Privatrecht – im deutschen Recht nicht vorgesehen. Im Bereich des Internationalen Strafrechts ist zwischen Verhaltensnormen und Sanktionsnormen zu differenzieren. Für Verhaltensnormen gilt der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, d.h. sie müssen in der gesamten Rechtsordnung einheitlich ausgelegt werden. Sanktionsnormen sind hingegen in jedem Rechtsgebiet autonom auszulegen. Bei Strafrechtsfällen kommt daher eine Anwendung ausländischen Rechts nur auf Ebene der Verhaltensnormen in Betracht. Dabei sind zwei Fragen zu unterscheiden: die Frage, an welche Verhaltensnorm eine Strafsanktionsnorm anknüpft, und die Frage, wie deutsche Verhaltensnormen auszulegen sind. Nur der ersten Frage wird in dieser Arbeit nachgegangen. Entscheidend hierfür ist die Frage nach dem Geltungsbereich deutscher Verhaltensnormen. Es kann zwischen zeitlichem, sachlichem, persönlichem und räumlichem Geltungsbereich unterschieden werden. Der Geltungsbereich ist Teil der Verhaltenspflicht, so dass der Vorsatz sich auch auf die Umstände beziehen muss, aus denen sich die Verhaltenspflicht ergibt. Viele deutsche Verhaltensnormen weisen immanente Beschränkungen ihres Geltungsbereichs auf, die als Spezialregeln vorrangig sind. Fraglich ist jedoch, was die Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen sind. Die Annahme weltweiter Geltung von Verhaltensnormen verstößt sowohl gegen Völkerrecht als auch gegen deutsches Verfassungsrecht und ist daher abzu-
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Kap. 11: Zusammenfassung und Ausblick
lehnen. Deutsche Verhaltensnormen müssen folglich zwangsläufig einen begrenzten Geltungsbereich aufweisen. Aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgt, dass auch der Geltungsbereich von Verhaltensnormen einheitlich bestimmt werden muss. Eine Begrenzung anhand der Geltungsbereichsregeln der jeweiligen Sanktionsnormen kommt daher nicht in Betracht. Im deutschen Recht finden sich keine allgemeinen Regeln zur Begrenzung des Geltungsbereichs der Verhaltensnormen. Auch dem Völkerrecht lassen sich keine konkreten Regelungen entnehmen. Im EG-Recht gibt es jedoch die Regelung des Art. 17 Rom-II-VO, wonach die Verhaltensnormen des Handlungsortes zu berücksichtigen sind. Entgegen dem Wortlaut regelt Art. 17 Rom-II-VO nicht nur die Berücksichtigung der Verhaltensnormen als Tatsachen, sondern auch deren Geltung als Rechtsnormen. Gem. Art. 17 Rom-II-VO gelten grundsätzlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Nur, wenn die Verhaltensnormen der staatlichen Selbstverteidigung dienen, gelten alternativ die Verhaltensnormen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt. Welche Verhaltensnormen hiervon erfasst sind, ist durch Rückgriff auf allgemeine Grundsätze des Völkerrechts zu bestimmen. Die deutschen Strafsanktionsnormen können somit nur dann sinnvoll angewandt werden, wenn sie auch an ausländische Verhaltensnormen anknüpfen. Welche in- oder ausländische Verhaltensnorm einer Strafsanktionsnorm zu Grunde liegt, ergibt sich aus der Beschreibung des verbotenen Verhaltens, die die Sanktionsnorm enthält. Demnach muss die ausländische Verhaltensnorm jedenfalls das gleiche Rechtsgut wie die inländische schützen und eine gleiche Begehungsart verbieten. Bei unterschiedlicher Bewertung der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens an Handlungs- und Erfolgsort ist zu differenzieren. Ist das Verhalten am Handlungsort erlaubt, kommt in aller Regel eine Strafbarkeit mangels Verhaltenspflichtverletzung nicht in Betracht. Ist das Verhalten hingegen am Handlungsort verboten, am Erfolgsort jedoch erlaubt, so fehlt es am Schutzzweckzusammenhang. In Betracht kommt allenfalls eine Strafbarkeit wegen Versuchs, die jedoch in vielen Fällen daran scheitern wird, dass der Vorsatz im Hinblick auf die objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs zu dem Verhalten fehlen wird. Die genauen Auswirkungen auf die Beteiligung bei grenzüberschreitenden Fällen hängen von der Struktur der Beteiligungsverhaltensnormen ab und müssen an dieser Stelle offen bleiben. Zu diskutieren bleibt außerdem, ob die im StGB aufgeführten Rechtfertigungsgründe sowohl die allgemeine Rechtswidrigkeit als auch das spezifische Strafunrecht ausschließen und somit auf Ebene der Verhaltens- und der Sanktionsnorm geprüft werden müssen.
B. Änderung des StGB?
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Im Bereich der Internetstrafbarkeit führt die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes zu einer weitgehenden Entschärfung der Kollisionsproblematik. Auch hier bleibt jedoch Raum für weitere Erörterungen.
B. Änderung des StGB? Wie gezeigt wurde, führt die in dieser Abhandlung aufgestellte These, dass in aller Regel die Verhaltensnormen des Handlungsortes heranzuziehen seien, zu signifikanten Veränderungen der strafrechtlichen Prüfung und hat somit erhebliche Konsequenzen für die Strafrechtsdogmatik.1 Aus diesem Grund ist zu überlegen, ob es sinnvoll wäre, eine entsprechende Änderung des StGB herbeizuführen. Zuallererst ist festzuhalten, dass eine Änderung des StGB nicht notwendig ist, damit im Rahmen eines Strafrechtsfalls die Verhaltensnormen des Handlungsortes herangezogen werden können. Die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes beruht nach der hier vertretenen These auf einer Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO.2 Gem. Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV (ex Art. 249 Abs. 2 S. 2 EGV) sind EG-Verordnungen wie die Rom-II-Verordnung allgemein verbindlich und gelten unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Einer Umsetzung bedarf es daher gerade nicht.3 Da EG-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat,4 wäre sogar eine entgegenstehende Regelung des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen im deutschen Recht unbeachtlich. Wie bereits erörtert wurde, existiert jedoch bislang im deutschen Recht gar keine Bestimmung der Grenzen des Geltungsbereichs von Verhaltensnormen.5 In jedem Fall ist Art. 17 Rom-II-VO auch ohne Änderung des StGB im Strafrecht zu beachten, so dass eine Gesetzesänderung nicht notwendig ist. Allerdings könnte eine Gesetzesänderung dennoch sinnvoll sein. Andernfalls müssten die in dieser Arbeit erläuterten gedanklichen Schritte von jedem Rechtsanwender bei der Prüfung von Strafrechtsfällen durchgeführt werden. Im Klartext bedeutet dies, dass Staatsanwaltschaft und Strafrichter bei jedem Strafrechtsfall die Frage aufwerfen müssten, welche Verhaltensnorm gilt und wonach dies bestimmt werden kann. Zumindest in den Fällen, in denen gem. Art. 17 Rom-II-VO eine ausländische Verhaltensnorm anzuwenden ist, müssten diese gedanklichen Schritte im Urteil erläutert werden. All dies könnte durch eine Änderung des 1
Siehe Kap. 10, S. 273 ff. Siehe Kap. 9 C., S. 210 ff. 3 Allgemeine Ansicht, siehe nur Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 89. 4 Siehe hierzu etwa Haratsch/König/Pechstein, Europarecht, Rn. 60; Nettesheim in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 86. 5 Siehe Kap. 9 A., S. 201 ff. 2
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Kap. 11: Zusammenfassung und Ausblick
StGB vereinfacht werden. Hinzu kommt, dass eine Änderung des StGB am ehesten sicherstellt, dass alle Strafrechtsfälle in dieser Hinsicht gleich behandelt werden. Demnach ist eine Änderung des StGB, wenn auch nicht notwendig, so doch zumindest wünschenswert. Es bleibt die Frage nach der genauen Ausgestaltung dieser Regelung. In Betracht käme zunächst eine Regelung, die die Ergebnisse der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO wiedergibt, etwa: § 7a StGB – Verhaltensnormen (1) Es gelten ausschließlich die Verhaltensnormen des Handlungsortes. Dient die von der Sanktionsnorm in Bezug genommene Verhaltensnorm nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen der staatlichen Selbstverteidigung, gelten stattdessen die Verhaltensnormen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt. (2) Der Vorsatz im Sinne des § 16 bezieht sich auch auf die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt.
Dabei enthält Abs. 1 das Ergebnis der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO.6 Abs. 2 stellt hingegen klar, dass die Umstände, aus denen sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt, ebenfalls vom Vorsatz umfasst sein müssen.7 Aus der Tatsache, dass eine entsprechende Regel für die den §§ 3 ff. StGB zu Grunde liegenden Umstände fehlt, kann zudem geschlossen werden, dass sich der Vorsatz auf diese gerade nicht beziehen muss.8 Problematisch ist an dieser Regelung jedoch, dass sich aus ihr nicht ergibt, dass deren Inhalt letztendlich auf eine EG-Verordnung zurückzuführen ist. Dadurch könnten Zweifel daran entstehen, dass die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes letztendlich allein auf Art. 17 Rom-II-VO beruht. Aus diesem Grund sind reine Wiedergaben des Inhalts von EG-Verordnungen in nationalen Gesetzen grundsätzlich unzulässig.9 Eine Änderung des StGB müsste daher erkennen lassen, dass es sich bei der Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes um eine EG-rechtliche Regelung handelt und die Norm im StGB daher nur klarstellende Wirkung haben kann. Empfehlenswert ist daher etwa folgende Regelung: § 7a StGB – Verhaltensnormen (1) Art. 17 Rom-II-VO gilt auch im Strafrecht. Danach gelten soweit angemessen die Verhaltensnormen des Handlungsortes. (2) Die Geltung der Verhaltensnormen des Handlungsortes ist unangemessen, wenn die von der Sanktionsnorm in Bezug genommene Verhaltensnorm nach allgemeinen 6
Siehe Kap. 9 C. III., S. 257 ff. Siehe Kap. 4 C. II., S. 81 ff. 8 Siehe Kap. 10 A., S. 273 ff. 9 EuGH, Urt. v. 07.02.1973 – „Kommission/Italien“, Slg. 1973, 101, 113. Siehe auch Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 57. 7
C. Ausblick
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völkerrechtlichen Grundsätzen der staatlichen Selbstverteidigung gilt. Stattdessen gelten dann die Verhaltensnormen der Rechtsordnung, der die Sanktionsnorm entstammt. Die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte ist zu berücksichtigen. (3) Der Vorsatz im Sinne des § 16 bezieht sich auch auf die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Geltung der Verhaltensnorm ergibt.
Der deutliche Verweis auf Art. 17 Rom-II-VO sowie das Bezugswort „danach“ in § 7a Abs. 1 S. 2 StGB sollen verdeutlichen, dass die autonome Auslegung der Rom-II-Verordnung auch im Strafrecht zu berücksichtigen ist. Abs. 2 enthält das Ergebnis der Auslegung des Art. 17 Rom-II-VO, um die Rechtsanwendung zu erleichtern, ergänzt um einen Hinweis auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte. Abs. 3 dient, wie bereits erläutert wurde, der Klarstellung.
C. Ausblick Insgesamt betrachtet zeigt sich, dass ausländisches Recht im Strafrecht von großer Relevanz ist. Sobald die Tat an ein Verhalten anknüpft, das im Ausland stattgefunden hat, sind gem. Art. 17 Rom-II-VO die ausländischen Verhaltensnormen anzuwenden. Diese müssen dann so ausgelegt werden wie in der Rechtsordnung, der sie entstammen. Unter Rückgriff auf die übliche strafrechtliche Terminologie lässt sich demnach sagen, dass in einem solchen Fall Tatbestand und Rechtswidrigkeit anhand ausländischen Rechts auszulegen sind. In einem zweiten Schritt ist nunmehr zu klären, inwieweit ausländische Rechtsnormen bei der Auslegung der deutschen Verhaltensnormen relevant werden können. Unterschlägt der Director einer Limited in Deutschland Vermögen der Gesellschaft,10 gelten gem. Art. 17 Rom-II-VO grundsätzlich die deutschen Verhaltensnormen.11 Im deutschen Recht hängen die konkreten Pflichten jeweils vom Gesellschaftsstatut ab. Es wäre daher durchaus denkbar, einen Verweis der deutschen Verhaltensnormen auf das nach den Regeln des Internationalen Privatrechts für die Gesellschaft maßgebliche Recht – also hier das englische – anzunehmen.12 In ähnlicher Weise könnte bei normativen Tatbestandsmerkmalen die
10 Siehe zu einem solchen Fall BGH, Urt. v. 13.04.2010, wistra 2010, 268 ff. Vgl. auch – allerdings in Bezug auf eine Ltd. & Co. KG – AG Stuttgart, Urt. v. 18.12.2007, wistra 2008, 226 ff. 11 Denkbar wäre es auch, die Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit als Spezialkollisionsnormen auch für Verhaltensnormen anzusehen. Dann wäre Art. 17 Rom-II-VO gar nicht anzuwenden, sondern es gälten gem. Art. 49, 53 AEUV (ex Art. 43, 48 EGV) direkt die Verhaltensnormen des Gründungsortes. 12 So die h. M. in der Literatur, siehe etwa Hoffmann, S. 252 in: Sandrock (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen; Rönnau, ZGR 2005, 846 f.; Schlösser, NZG 2008, 131; Schramm/Hinderer, ZIS 2010, 497; Schumann, wistra 2008, 230; wohl auch Altenhain/Wietz, NZG 2008, 570 f.
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Kap. 11: Zusammenfassung und Ausblick
Anwendung ausländischen Rechts gemäß den Regeln des Internationalen Privat-, Öffentlichen und Strafrechts erwogen werden.13 Diese Beispiele zeigen, dass die Feststellung, welcher Rechtsordnung eine Verhaltensnorm zu entnehmen ist, noch keine abschließende Aussage darüber erlaubt, inwieweit bei einem Sachverhalt, auf den deutsches Strafrecht Anwendung findet, ausländisches Recht zu berücksichtigen ist. Dies ist der Auslegung durch die jeweilige Rechtsordnung überlassen. In Bezug auf die deutsche Rechtsordnung werden daher in Zukunft Untersuchungen zur Auslegung deutscher Verhaltensnormen nötig sein. Gleichzeitig bietet sich eine vertiefte Überprüfung der hier vertretenen These an. Zum einen sollten die Konsequenzen für die Prüfung der Strafsanktionsnormen näher erläutert werden, die hier in einigen Bereichen nur angerissen werden konnten.14 Zum anderen müssten die Konsequenzen für die Sanktionsnormen des Zivil- und Öffentlichen Rechts ebenfalls näher erläutert werden, was im Rahmen dieser Abhandlung nicht möglich war. Außerdem führt die mit der hier vertretenen These einhergehende vermehrte Fremdrechtsanwendung dazu, dass dem Richter regelmäßig Kenntnisse fremden Rechts abverlangt werden.15 Es bleibt abzuwarten, ob das geltende Straf-, Zivilund Verwaltungsprozessrecht für diese Herausforderung gewappnet ist.16 Auch hierfür muss jedoch auf künftige Untersuchungen verwiesen werden. Die vorliegende Arbeit stellt somit nur einen ersten Schritt auf dem Weg zu der vollständigen Dogmatisierung des Geltungsbereichsrechts der Verhaltensnormen dar.
13
So z. B. der Vorschlag von Neumeyer, ZStW 23 (1903), 438 ff. Siehe etwa Kap. 10 F., S. 300 ff. 15 Siehe hierzu auch Mosiek, StV 2008, 100; Schramm/Hinderer, ZIS 2010, 499; Wilhelmi, Weltrechtsprinzip, S. 403 ff. 16 Vgl. hierzu auch die Ausführungen Deiters’ zum Legalitätsprinzip, Legalitätsprinzip, insbesondere S. 195 ff. Siehe auch die Kritik von Wengler an der mangelnden Bedeutung des Internationalen Privatrechts in der juristischen Ausbildung, NJW 1981, 2618. 14
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Sachwortverzeichnis aktives Personalitätsprinzip 115, 123 Akzessorietät – ausdrücklich verweisende 53, 55 – der Teilnahme 94, 323 – indirekte 53–54 – stillschweigend verweisende 53–55 allgemeine Handlungsfreiheit 184, 192– 193 Amtsträger 73–74, 86, 112, 123–124, 145, 281 Analogieverbot 296 Anknüpfungsgegenstand 148 Anknüpfungspunkt 148, 152, 155 Anwendung 67 Anwendungsvorrang 282, 335 Auschwitzlüge 262, 326 Auslandstat 286 Auslegung – autonome 49–50 – grammatische 218 – historische 219 – supranationalen Rechts 217 – systematische 226 – teleologische 240 – von Strafsanktionsnormen 49–50 – von Verhaltensnormen 40 Auslieferungsverbot 95, 140 Auswahlrecht 68, 146 Begehungsart 294, 296–297 Begehungsort 117, 279, 286, 312, 320, 329 Berücksichtigung als Tatsache 219, 223, 228, 245
Bestimmtheitsgrundsatz 38, 41, 127, 289, 297–299 Blankettgesetze 32, 55–56, 248–249, 278, 297–299 Datumtheorie 59–60, 215 Demokratieprinzip 177, 179–180 Deutscher 131, 137 Diskriminierungsverbot 135 Distanzdelikte 56, 95–96, 234, 286–287, 304, 319 dreistufiger Verbrechensaufbau 38–39, 41–42, 46, 54, 56, 111 effet utile 217 Eingriff 171, 174 – in die Gebietshoheit 185 – in Grundrechte 185–186 – klassischer Begriff 185 – moderner Begriff 185–186 Einheit der Rechtsordnung 46–48, 52, 69, 86, 183, 197, 202, 270, 333–334 Erfolg, tatbestandlicher – Auslegung 51–52, 54–56, 329 – Definition 330 – Einordnung 41–42, 45–46, 54 – Ex-post-Betrachtung 244 – Fahrlässigkeit 119 – Prüfungsstandort 331 – Vorsatz 118, 162–163 Erfolgsdelikt 51, 326 Erfolgsort – Definition 225 – Gerichtsstand nach der EuGVVO 234 – Internetstraftaten 325 – Irrtum 118
364
Sachwortverzeichnis
– Sanktionsvoraussetzung 279 – souveränitätsfreier 287 – zufälliger 244–245, 250
– souveränitätsfreier 258, 268, 287 – unbekannter 258 Herkunftslandprinzip 236–238, 250
Fahrlässigkeitsdelikt 42–43, 46, 54, 60, 119 Flaggenprinzip 114, 258, 280 forum shopping 233, 235, 326 Fremdrechtsanwendung 25, 33–34, 53– 56, 292, 338
Inland 117, 123 Interessentheorie 144, 146, 157 Internationales Privatrecht 33, 59, 68, 128, 146–148, 151, 154–158, 196, 198, 202, 211, 236, 243, 276, 333, 337 Internetstraftaten 325–327, 335
Gebietshoheit 131, 160, 163, 171, 179, 207–208, 242, 265, 270 Gefährdungshaftung 257 Gefahrenabwehr 134 Geltung 66–67 Geltungsbereich – Definition 66 – der Verhaltensnorm 91 – immanente Beschränkung 85–87, 89– 90 – persönlicher 72 – Prüfungsstandort 327 – räumlicher 76 – sachlicher 70 – universeller 92 – zeitlicher 69 Gesetzesvorbehalt 187–188, 299 Gesetzlichkeitsprinzip 181–182, 297, 299–300 Gleichheitsgrundsatz 189 haftungsbegründendes Ereignis 257 Handlungsort – auf hoher See 280 – Definition 257–258 – Gerichtsstand nach der EuGVVO 234– 235, 240 – gestreckte Handlung 258 – Internetstraftaten 325–326 – Mittäterschaft 312, 315 – mittelbare Täterschaft 318–319
juristische Personen 74–75, 131, 163 Kollisionsrecht 60, 68, 150, 157, 215, 236–237, 253, 275 lex fori 29, 228, 235, 238 Maßregel der Besserung und Sicherung 38, 49 Menschenwürde 159, 173, 262, 316 Merkmal – Begriff 39 – der Strafsanktionsnorm 45 – der Verhaltensnorm 40, 48 Mitverschulden 250 ne bis in idem 161, 169, 275 Niederlassungsfreiheit 168 Normenkollision 88, 165, 169, 183–184, 199, 207–209, 246–247, 252, 265, 274 Notstand 183 Notwehr 186, 325 objektive Bedingungen der Strafbarkeit 39, 45–46, 97–100, 107–111, 113, 155, 273–274, 331 objektive Zurechenbarkeit 42–43, 45, 52, 308, 310–311, 334 passives Personalitätsprinzip 115, 122, 132 Personalhoheit 159, 163, 171, 207–208 Pflichtenkollision 47
Sachwortverzeichnis Qualifikation 151, 154, 157, 194–195, 197–198, 200, 270 räumlicher Geltungsbereich des Gesetzes 123 Rechtfertigungsgründe – allgemeine 44, 325 – Doppelfunktion 325, 334 – rechtsgebietsabhängige 157 – strafrechtliche 44, 325 Rechtsbedingung 78–80 Rechtsfolge 78–81 Rechtsfrieden 176, 189 Rechtsgüter – individuelle 261 – international geschützte 125, 129 – Schutz 188–189, 293–294 – staatliche 261–262, 326 – unbekannte 261–262 Rechtsmissbrauchsverbot 170 Rechtswidrigkeit 44, 46, 54, 57–58, 81, 110–111, 155–156, 162, 180–181, 301, 324, 334, 337 Sanktionsnorm – Auslegung 49–50 – Begriff 37 – Maßregeln der Besserung und Sicherung 38 – öffentlich-rechtliche 37 – Rechtsetzungskompetenz 253–255 – strafrechtliche 37, 45, 49 – Voraussetzungen 37, 45–46, 61, 89, 328, 331–332 – zivilrechtliche 37, 146, 212, 245, 252, 276 schädigendes Ereignis 220–221, 234 Schuld 45–46, 58–61, 93–94, 162, 178, 331 Schuldprinzip 181–182 Schutzzweckzusammenhang 307–308, 311, 334 Sicherheits- und Verhaltensregeln 211– 214, 217, 226
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Sonderanknüpfung 215–216, 234, 239, 250 Sonderverbindung 266–268 Sonderwissen 43 Souveränitätsgrundsatz 87, 159–160, 170–173, 180, 191, 209 staatliche Selbstverteidigung 263, 281, 326 Staatsschutzprinzip 114, 122 stellvertretende Strafrechtspflege, Prinzip der 115–116, 133 Strafe 32–33, 35, 37, 40, 44, 49, 289 Strafrecht – Begriff 31–32 – Geltungsbereich 33 – genuines 48–50, 58, 139, 193, 197, 322 Strafunrechtsausschlussgründe 44, 325 Strafzumessung 40, 58–60, 305–306 Straßenverkehrsregeln 33, 87–89, 165, 213–217, 227, 243, 249, 251 subjektive Merkmale, besondere 46 Subjektstheorie, modifizierte 144–145 Subordinationstheorie 144–145 Täterschaft – Mittäter 312–317 – mittelbare 312–314, 317–319 – unmittelbare 312–314, 316, 321 Tatbegriff 295, 329–330 Tatentschluss 309–311 Tatort 286–287, 303 Tatortstrafbarkeit 50, 130, 132–133, 137–138, 158, 286–287, 291, 295 Teilnahme 93–96, 277, 304–305, 313, 319–324 Territorialitätsprinzip 114, 117, 160, 162–164, 207, 242, 265, 307 Ubiquitätsprinzip 118, 161 Ungleichbehandlung 104, 187, 190–193 Unionsbürgerschaft 135 Universalitätsprinzip 115, 126–127
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Sachwortverzeichnis
Verbotsirrtum 82, 109–110, 136, 181– 182, 327 Verhältnismäßigkeitsprinzip 188 Verhaltensnorm – Auslegung 40, 48, 64–65, 74, 78, 83, 85–86 – Auswahl 289–290 – Begriff 36 – Bestimmungsfunktion 36, 79, 81, 93, 95, 192, 196 – Bewertungsfunktion 36, 79, 93, 95, 119–120 – Identität 291–292 – öffentlich-rechtliche 145, 148, 151, 155–157, 200, 251 – strafrechtliche 156–157, 195–196 – Teilnahme 322–324 – zivilrechtliche 146, 151, 154, 156– 157, 251–253 Verhaltenspflicht – allgemeine 267–268 – Ex-ante-Betrachtung 41, 43, 45, 244 – Maßstab 43, 45 – relative 267–268 – Verletzung 37, 40–42 Verschuldenshaftung 215
Versuch 297, 305–306, 309–311, 319, 334 Versuch, irrealer 310 Versuch, untauglicher 306 Verwaltungsakt 150 Völkergewohnheitsrecht 161, 173, 205– 206, 271, 284 völkerrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze 205–206 Vorfrage 60, 215, 267 Vorsatz – Einordnung 43, 46, 83 – Gegenstand 81–84, 100, 109–113, 141–142, 155, 158, 162, 165, 264, 333, 336 – Irrtum 109, 118, 136, 327 Wahlfeststellung 258 Weltfrieden 176 Wirtschaftszone, deutsche ausschließliche 124 Zuständigkeit, internationale – Strafgericht 29 – Zivilgericht 29