Zeitschrift für Slawistik: Band 34, Heft 1 [Reprint 2021 ed.] 9783112597224, 9783112597217


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German Pages 328 [164] Year 1990

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Table of contents :
Aus Heinrich Koenigs ungedruckter Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus über die „Literarischen Bilder aus Rußland" (1837—1839)
Individuum und Gattung
Das Werk F. M. Dostoevskijs in der russischen demokratischen Kritik der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts
Ein Vergleich der Romane von Mihailo Lalić und Slavko Janevski
Die Erzählung und die Volkslieder von der Schlacht auf dem Amselfeld
L. P. Jakubinskijs Bedeutung für die Entwicklung der sowjetischen Sprachwissenschaft
Роль изоморфизма маркированности в структуре грамматических категорий
Die erste Übersetzung des mittelrussischen „Domostroj" ins moderne Russisch
Die Máriapócser Fassung der kirchenslawischen Grammatik des Arsenij Kocak aus den Jahren 1772—1778
Zur Unterschätzung der Onomatopöie in der slawischen Etymologie
Forschungen in der Deutschen Demokratischen Republik zur Geschichte der Slawistik
Die Beziehungen zwischen E. Berneker und M. Murko im Spiegel ihrer unveröffentlichten Briefe
Tagungsberichte
„A. Puškin und wir"
Buchbesprechungen
Aktuelle Probleme der Phraseologie
Сопоставительное изучение словообразования славянских языков
Die deadjektivische Wortbildung des Russischen
Morfematická strukturace sémantických obsahú
Einführung in das vergleichende Studium des deutschen und russischen Wortschatzes
Zur Interpretation russischer Nominalgruppen
The Scope of Slavic Aspect
W. A. Maciejowski i jego ,Piśmiennictwo polskie'.
A. Teodorov-Balan na univerzitĕ v Praze
Razprave o slovenskem jeziku
Literae Slavicae Medii Aevi
Гоголь. Иетория и современность
Kirche, Liturgie und Frömmigkeit im Schaffen Ton N. V. Gogol'
Serbska swajźba w Blotach. Die wendische (sorbische) Hochzeit im Spreewald
Der Briefwechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. Groeger über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen
Prignitz-Kataster 1686-1687
Inhalt
Recommend Papers

Zeitschrift für Slawistik: Band 34, Heft 1 [Reprint 2021 ed.]
 9783112597224, 9783112597217

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SLAWISTIK

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Band 34 • 1989

1 1

Akademie-Verlag • Berlin

ISSN 0044-3506

Z. Slaw., Berlin 34 (1989) 1, l - l b ü

ZEITSCHRIFT FÜR

SLAWISTIK B A N D 34

1989

HEFT 1

Herausgeber: Zentralinstitute für Literaturgeschichte und für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR REDAKTIONSBEIRAT R.Rüziöka (Vorsitzender), W.Smolik (Sekretär), W.Beitz, E.Dieckmann, G. Dudek, E. Eichler, D. Freydank, K . Gabka, W. Gladrow, E. Hexelschneider, A. Hiersche, G. Jäger, M. Jähnichen, K . Kasper, E.Kowalski, R . Lötzsch, P. Nowotny, L. Richter, G. Schaumann, H. Schuster-Sewc, I. Seehase, M. Wegner, H. Zikmurrd

REDAKTIONSKOLLEGIUM G. Ziegengeist (Chefredakteur), R. Eckert (Stellv. Chefredakteur), E. Donnert, K . Gutschmidt, H. Jünger, P. Kirchner (Wiss. Leiter d. Red.), U. Lehmann, L. Richter, R. Rüziöka, G. Schlimpert

AKADEMIE-VERLAG BERLIN

Die „Zeitschrift für Slawistik" ist das zentrale Fachorgan der Slawistik in der DDR. In ihr werden Sprachen und Literaturen, Folklore, Kulturgeschichte und Geschichte der slawischen Völker in Vergangenheit und Gegenwart untersucht. Spezialgebiete sind insbesondere die Sorabistik, die deutsch-slawischen Wechselbeziehungen auf den Gebieten der Sprache und der Literatur, die Namenforschung, die Geschichte der Slawistik und die Baltistik. — Tagungsberichte informieren über wichtige wissenschaftliche Konferenzen des In- und Auslandes. Rezensionen vermitteln einen guten Überblick über aktuelle Tendenzen und Entwicklungen in der internationalen slawistischen Forschung.

BEZUGSMÖGLICHKEITEN DER ZEITSCHRIFT Bestellungen sind zu richten — in der DDR an den Postzeitungsvertrieb unter Angabe der Kundennummer des Bestellenden oder an den Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3—4, DDR-1086 Berlin; — im sozialistischen Ausland an eine Buchhandlung für fremdsprachige Literatur oder an den zuständigen Postzeitungsvertrieb; — in der BRD und Berlin (West) an eine Buchhandlung oder an die Auslieferungsstelle KUNST UND WISSEN, Erich Bieber oHG, Postfach 102844, D-7000 Stuttgart 10; — in den übrigen westeuropäischen Ländern an eine Buchhandlung oder an die Auslieferungsstelle KUNST UND WISSEN, Erich Bieber GmbH, General Wille-Str. 4, CH-8002 Zürich; — im übrigen Ausland an den Internationalen Buch- und Zeitschriftenhandel; den Buchexport, Volkseigener Außenhandelsbetrieb der DDR, Postfach 160, DDR-7010 Leipzig; oder an den Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3—4, DDR-1086 Berlin.

Z E I T S C H R I F T F Ü R SLAWISTIK Herausgeber: Zentralinstitute für Literaturgeschichte und für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR. Verlag: Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3—4, DDR-1086 Berlin; Fernruf: 2236221 und 2236229; Telex-Nr. 114420; Bank: Staatsbank der DDR, Berlin, Kto.-Nr. 6836-26-20712. Chefredakteur: Prof. Dr. 6. Ziegengeist. Redaktion: Dr. P. Kirchner (Wiss. Leiter der Redaktion), W. Smolik (Stellv. wiss. Leiter), A.-O. Bartel, A. Richter, I. Smolik. Anschrift der Redaktion: Prenzlauer Promenade 149-152, DDR-1100 Berlin; Fernruf: 4797195. Veröffentlicht unter der Lizenznummer 1298 des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik. Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", DDR-7400 Altenburg. Erscheinungsweise: Die Zeitschrift für Slawistik erscheint jährlich in einem Band mit 6 Heften, Bezugspreis je Band 162,— DM zuzüglich Versandspesen. Preis je Heft 27,— DM. Der gültige Jahresbezugspreis für die DDR ist der Postzeitungsliste zu entnehmen. Bestellnummer dieses Heftes: 1044/34/1. Urheberrecht: Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf in irgendeiner Form — durch Fotokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren — ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache, übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into foreign languages). No part of this issue may be reproduced in any form, by photoprint, microfilm, or any other means, nor transmitted or translated into a machine language, without written permissions from the publisher. © 1989 by Akademie-Verlag Berlin. Printed in the German Democratic Republic. AN (EDV) 17421. 00900

Z. Slaw. 84 (1989) 1, 3 - 2 8

G. Z i e g e n g e i s t

Aus Heinrich Koenigs ungedruckter Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus über die „Literarischen Bilder aus Rußland" (1837—1839) Anhang: Ein anonymer Artikel MeVgunovs und Koenigs über russische Literatur in der „Allgemeinen Zeitung" vom Mai 1838 Mitte September 1837 erschien im Stuttgarter Cotta-Verlag das in Zusammenarbeit zwischen H. Koenig und N. A. Mel'gunov entstandene Buch „Literarische Bilder aus Rußland", 1 das in der deutschen Öffentlichkeit ein ungewöhnliches Echo fand. 2 Als einer der ersten Leser notierte Varnhagen von Ense tief beeindruckt in sein Tagebuch: „Melgunoffs Buch ist mir sehr lieb; eine neue Welt schließt sich mir auf! Diese Art der Zusammenfassung, wo Lebensumstände, Charakter und Dichtungsinhalt in aller Kürze vorkommen, ist sehr zeitmäßig und lebendig. So möchte man auch andre Literaturen, die englische, französische, italienische, deutsche, rasch übersehen können!" 3 Wenige Wochen später empfahl Eduard Duller 4 in seinem der jungdeutschen Bewegung nahestehenden Frankfurter Blatt „Phönix" das „treffliche Werk" als „das erste vollständige, charakteristische und lebendige Panorama der Geistesentwicklung in Rußland, mit historischer Basis, mit Perspektiven auf die nächste Zukunft", das nicht nur für Fachgelehrte interessant sei, „sondern auch hauptsächlich bei dem größern gebildeten Publikum durch die Plastik der Gruppen und Charaktere und durch die Eleganz der Form" Eingang finden werde. 5 Die lebhaften und kontroversen Debatten um Koenigs und Mel'gunovs Buch in der deutschen Presse erfuhren eine spektakuläre Zuspitzung, als der berüchtigte Petersburger Journalist Nikolaj Greö im Herbst 1838 in einem konservativen Hamburger Blatt das Wort ergriff und sich im Dienste des Zarismus einzumischen begann. E r gab unverblümt zu verstehen, daß das angeblich verleumderische „Libell" Koenigs und 1

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vgl. die Verlagsanzeige in: Intelligenzblatt zum Morgenblatt für gebildete Leser, 1837, Nr. 35 vom Sonnabend, 16. IX., S. 137. Aus der Rückschau zweier Jahrzehnte erinnerte sich Koenig in einer an versteckter Stelle publizierten autobiographischen Reminiszenz: „Melgunows Mitteilungen in diesem Buche waren damals ein Ereignis, eine Offenbarung über das literarische Leben in Rußland, als dasselbe für unser großes Publikum noch unter dem Horizonte lag." (H. K o e n i g , Ein Russe bei Immermann, in: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Hg. von K. G u t z k o w , N. F. V. Bd., Lpz. 1860, S. 301). Tagebucheintragung vom 12. September 1837, erstveröffentlicht in: Zg VI, Nr. 10 (vgl. die Abkürzungen am Schluß unseres Beitrags). Varnhagen würdigte ein Jahr später in seinem Puäkin-Aufsatz die Bedeutung des „trefflichen, zeitgemäßen" Buches von Koenig und Mel'gunov, das dem deutschen Lesepublikum zum erstenmal „den Reichtum der neusten russischen Literatur" vor Augen geführt habe (vgl. Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Bln., 1838, II. Bd., Nr. 61, Oktober, S. 484). Uber Eduard Duller (1809 — 1853) vgl. K. G l o s s y , Aus dem Vormärz, in: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft X (1900), S. 312—347; K. G o e d e k e , Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, XII. Bd., Dresden 2 1929, S. 221—225; Hessische Biographien, III. Bd., Darmstadt 1934, S. 9 1 - 9 6 . [E. D u l l e r , ] Literatur in Rußland, in: Phönix, Frankfurt a. M., 1837, Nr. 245 vom 17. X . , S. 9 7 7 - 9 8 0 .

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Z. Slaw. 34 (1989) 1

Mel'gunovs nicht in den russischen Buchhandel gelangen und auch nicht ins Russische übersetzt werden dürfe8. Die durch Greö eingeschleusten „verkappten Denunziationen" 7 wider Koenig und Mel'gunov, die sich gleichermaßen auch gegen Varnhagen von Ense richteten, lösten eine heftige öffentliche Auseinandersetzung über die „russische Literaturfrage" aus, die bis Anfang der 40er Jahre andauerte. Sie ist als ein Schlüsselvorgang in der deutsch-russischen Literaturkommunikation des Vormärz in ihrer zeitgeschichtlichen Dimension und in ihrer grenzübergreifenden Verflechtung noch bei weitem nicht aufgearbeitet worden.8 Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des aufsehenerregenden Buches von Koenig und Mel'gunov über die russische Literatur können wir der internationalen Fachforschung einen neuen gewichtigen Quellenbestand verfügbar machen. Es handelt sich um die im Cotta-Archiv Marbach ermittelte Korrespondenz Koenigs mit Georg Cotta und um die im Staatsarchiv Leipzig aufgefundenen Briefe Koenigs an Heinrich Brockhaus, die hier erstmalig mitgeteilt und kommentiert werden. Die Briefe 1—8 beleuchten die engagierten Bemühungen Koenigs um die Herausgabe der „Literarischen Bilder aus Rußland", die — nach Ablehnung durch Heinrich Brockhaus — Georg Cotta in seinen traditionsreichen Verlag übernahm. 9 Die begründenden Angebotsbriefe Koenigs an Heinrich Brockhaus (Br. I) 10 und anschließend an Georg Cotta (Br. 2 u. 4) ermöglichen einen tieferen Einblick in die Motivation seiner deutsch-russischen Mittlerschaft. Ende April 1837 wandte er sich mit den eindringlichen Worten an Cotta: „Die seither so sehr ignorierte russische Literatur fängt an, in Deutschland Interesse zu gewinnen, und es kömmt nur darauf an, daß solches auf die rechte Weise genährt werde." E r hob hervor, daß das eingereichte Werk hauptsächlich auf mündlichen Mitteilungen des befreundeten russischen Schriftstellers Nikolaj Mel'gunov beruht, „der mit seiner Literatur ganz vertraut ist, die lebenden russischen

vgl. den auszugsweisen Wiederabdruck des Artikels aus dem „Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten" vom 10. X . 1838 sowie den Nachweis der Verfasserschaft Grefes in: Zg VI, Textanhang 2. 7 Diese anklagende Formulierung gegen Greö gebrauchte Koenig in einem ungedruckten Brief vom 26. V. 1840 an Gustav Kühne. 8 Die Untersuchung E. Reißners erfaßt nur einen Bruchteil des zeitgenössischen Materials (vgl. E. R e i ß n e r , Deutschland und die russische Literatur 1800—1848, Bln. 1970, S. 146 — 162 u. 3 0 9 - 3 1 3 ) . • Über Georg Cotta, der nach dem Tode seines Vaters Johann Friedrich Cotta am 29. Dezember 1832 die Leitung des Verlages in Stuttgart übernahm, vgl. L. L o h r e r , Cotta. Geschichte eines Verlags 1659 — 1959, Stuttgart 1959, S. 96ff.; W. B e r g , Der poetische Verlag der J . G. Cotta'schen Buchhandlung unter Georg von Cotta (1833 — 1863). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur in den Jahren nach Goethes Tod, in: Archiv für Geschichte des Buch. wesens 2 (1960), S. 609—715; D. K u h n , Cotta und das 19. Jahrhundert. Aus der literarischen Arbeit eines Verlages ( = Marbacher Kataloge, Nr. 35), Marbach a. N. 1980; H. C r a m e r , Georg von Cotta (1796 — 1863) als Verleger, Frankfurt a. M. 1985. 10 Über das jahrzehntelange Wirken von Heinrich Brockhaus an der Spitze des Leipziger Verlages vgl. G. K l i t z k e , Zur gesellschaftlichen Stellung des Verlegers H. Brockhaus, insbesondere im Vormärz und in der Revolution von 1848/49. Ein Beitrag zu seiner Biographie, in: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens VI (1973), S. 9—52; über sein Interesse für die serbische Volkspoesie vgl. F. K r a u s e , Talvjs persönliche Kontakte zum Brockhaus-Verlag und ihre Vorbereitung der dritten Ausgabe der Vukschen „Volkslieder der Serben", in: ZfSl 28 (1983), S. 533 — 540; vgl. auch unseren Kommentar zu Br. 1. 6

G. ZIEGENGEIST, H. Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Dichter persönlich kennt und über unsere, die französische und englische Literatur so unterrichtet ist, daß er seine eigne russische mit dem rechten Maßstab zu messen versteht." Als vermittelnder „Dolmetsch" sah Koenig seine spezifische Aufgabe darin, dem Buch eine klare und leichte, möglichst anmutige und anziehende Darstellung zu geben. Sollte es doch dem größeren — auch ungebildeten — deutschen Publikum „eine durchaus unterhaltende Lektüre" gewähren und zugleich dem Kreis der Gelehrten „viele neue und lauter originale Notizen über das literarische Rußland" darbieten. Aus der Korrespondenz erfahren wir eine Fülle unbekannter Einzelheiten über die Verhandlungen zwischen Koenig und dem berühmten Stuttgarter Verleger bis hin zu der Festlegung der Auflagenhöhe von 1000 Exemplaren sowie des Buchpreises von 2,42 Gulden im Rahmen der internen Geschäftskalkulation (Br. 7A) und der Anweisung des bescheidenen Herausgeberhonorars von 350 Gulden (Br. 8)11. Cotta griff auch Koenigs Vorschlag auf, zu Werbezwecken Proben des Buches vorab zu publizieren. Er ließ die erste Hälfte der Schrift in einer gerafften Textfassung durch den zuständigen Redakteur E. Widenmann in den „Blättern zur Kunde der Literatur des Auslands" von Ende August bis Mitte September 1837 vorveröffentlichen (vgl. Br. 4, Anm. 9). Die Briefe 9—11 weisen die Spur zu einem bisher unbemerkt gebliebenen Artikel Mel'gunovs und Koenigs über die russische Literatur und Kunst des Jahres 1837, der Anfang Mai 1838 anonym in den Spalten der Cottaschen „Allgemeinen Zeitung" erschien12 und den wir im Anhang erstmalig wiederabdrucken. Der informationsträchtige Überblick in der damals einflußreichsten liberalen deutschen Tageszeitung13 bildet gleichsam die aktualisierte Fortsetzung der „Literarischen Bilder aus Rußland"14. Rezeptionsgeschichtliche Relevanz erhält diese Uberschau — nach Koenigs Auskunft an Cotta „in zweifacher Hinsicht ein Originalartikel" (Br. 10) — durch die einschneidende Korrektur in der Wertung und Würdigung von Puskins letztem Lebensjahrzehnt. In dem unmittelbar nach des Dichters tragischem Tod abgefaßten Kapitel ihres Buches

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Über die unterschiedliche Höhe der Herausgeber- und Autorenhonorare, die Cotta in der Regel nach Vollendung des Drucks an die Autoren anwies, vgl. H. C r a m e r , Georg von Cotta als Verleger, Frankfurt a. M. 1985, Sp. 1156 ff. Litterarische Mittheilungen aus Rußland, in: Allgemeine Zeitung, Augsburg, 1838, Außerordentliche Beilage Nr. 234—235 vom Donnerstag, 3. V., S. 933f., und Außerordentliche Beilage Nr. 236-237 vom Freitag, 4. V., S. 942 f. Zur Geschichte der „Allgemeinen Zeitung" vgl. E. Heyck 1898; über ihre gemäßigt-liberale Position im politischen Spannungsfeld und unter dem Zensurdruck der deutschen Länder im Vormärz vgl. zusammenfassend U. F u n k , Die Verfassungsfrage im Spiegel der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" von 1818 — 1848 ( = Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, Bd. 25), Berlin (West) 1977, S. 1 - 1 5 . Über den Rang der „Allgemeinen Zeitung" urteilte Varnhagen von Ense als jahrzehntelanger eifriger Mitarbeiter Anfang August 1827 in einem unveröffentlichten Brief an Johann Friedrich Cotta: „Der Reichthum der .Allgemeinen Zeitung' in seiner stets wachsenden Fülle setzt wahrhaft in Erstaunen, und ich glaube nicht, daß irgend ein anderes Blatt in materiellem und formellen Werthe mit diesem wetteifern darf." (Zitiert nach dem Original im Cotta-Archiv Marbach.) Gustav Kolb, der im März 1837 zum Chefredakteur der „Allgemeinen Zeitung" berufen worden war (vgl. Br. 11, Anm. 1), verwies in einer redaktionellen Anmerkung ausdrücklich auf den inhaltlichen Zusammenhang mit dem bei Cotta erschienenen Buch (vgl. den Textanhang).

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Z. Slaw. 84 (1989) 1

(LB, S. 135—153) hatten Mel'gunov und Koenig das Schaffen Puskins nach 1825 als politischen wie literarischen Niedergang gekennzeichnet. Ihre Kernaussage lautete: „Viel von seiner Popularität büßte Puschkin seit seiner Rückkehr aus der Verbannung ein, wo er sich von der eigentlich liberalen Richtung den mehr absolutistischen Tendenzen zubekannte. Sei es aus Dankbarkeit gegen den Kaiser, aus Befangenheit gegen seinen hohen Zensor, aus Lebensklugheit, oder aus gereifter Uberzeugung, was ihn von der Opposition abbrachte: soviel liegt wenigstens am Tage, daß die Hofsonne sein Talent nicht fruchtbar gemacht hat, und in den letzten zehn Jahren vor seinem Tode wenig für seinen Ruhm geschehen ist." (LB, S. 147) Gestützt auf die postumen Werkveröffentlichungen aus Puskins Nachlaß, gelangten Mel'gunov und Koenig ein Jahr später zu einer grundsätzlich anderen Sicht. In ihrem Artikel in der weitverbreiteten „Allgemeinen Zeitung" vom 3. Mai 183815 vermittelten sie der deutschen Leserschaft ein gewandeltes Bild der „Erbschaft eines großen Dichters" : „In der von dem unglücklichen Dichter selbst gestifteten und nun von Shukowsky, Fürst Wäsemsky und Fürst Odojewsky fortgesetzten Vierteljahrsschrift ,Der Zeitgenosse' sind Proben der bisher noch ungedruckten Sachen Puschkins mitgeteilt worden, die den Beweis liefern, daß des Dichters eminentes Talent noch keineswegs im Sinken war, vielmehr eine neue Richtung genommen hatte. Puschkin entäußerte sich in seinen Darstellungen mit jedem Tage mehr einer lyrisch-subjektiven Stimmung und gewann immer mehr Objektivität, Kraft des Plastischen und Reichtum der Formen. Ohne Zweifel war in diesem Dichter ein Talent erster Größe in Entwicklung begriffen — ein Dichter, der sich vielleicht mehr als einer der jetzt lebenden dem Goetheschen Höhepunkte genaht hätte, jener objektiven, bezeichnenden Darstellungsweise, in welcher die Teile sich harmonisch zu einem charakteristischen Ganzen abrunden. Puschkin hatte zum Erstaunen viel angelegt und angefangen, was nun unvollendet hinterblieben ist. Es finden sich erzählende, lyrische, satirische Gedichte, Novellen und Romane ... Nach solchen Proben weiß man erst den Verlust recht zu ermessen, den die russische Literatur mit Puschkins Tod erlitten hat, und sieht ein, wie mit Unrecht so mancher fürchtete, der Dichter habe sich überlebt, während er wahrscheinlich nur einen Übergang zu neuen Schöpfungen bestand." (vgl. den Textanhang) Mel'gunovs und Koenigs Überblicksartikel in der „Allgemeinen Zeitung" vom 3. Mai 1838 darf als ein neues charakteristisches Zeugnis für die noch ungenügend aufgehellten Wandlungen in der grenzüberschreitenden deutsch-russischen Puskin-Rezeption des Vormärz gelten, die im deutschsprachigen Kulturraum Mitteleuropas in Varnhagens Interpretation gipfelte.16 Die Briefe 12—16 gewähren erstmaligen Aufschluß über die intensiven Bemühungen Koenigs und Mel'gunovs um eine vollständige Neubearbeitung der „Literarischen Bilder aus Rußland" zwischen Herbst 1839 und Frühjahr 1840. Angesichts der lebhaften Resonanz in der deutschen Öffentlichkeit — das Buch habe viel Glück gemacht, betonte Koenig — erklärten sich sowohl Georg Cotta als auch Heinrich Brockhaus zur Übernahme der beabsichtigten Neuauflage bereit (vgl. Br. 12 u. 13). 15

Aus den im Cotta-Archiv Marbach aufbewahrten Druckauftragsbüchern geht hervor, daß die „Allgemeine Zeitung" im 2. Quartal 1838 in einer Auflage von 6800 Exemplaren erschienen ist. " vgl. dazu H . R a a b , Die Lyrik PuSkins in Deutschland (1820-1870), Bln. 1964, S. 48ff.; G. Carli, Zu Varnhagen von Enses Puäkin-Interpretation, in: ZfSl 33 (1988), S. 42 —48.

G. ZIEGENGEIST, H. Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Die Aussichten, dem namhaften Leipziger Verleger H. Brockhaus — für den sich Koenig nach manchem Ärger mit Cotta entschied —-in nicht allzu ferner Zeit „ein ganz neues Buch" über die russische Literatur zu liefern (Br. 13), schienen überaus günstig. Noch vor dem abermaligen Zusammentreffen mit Koenig Anfang September 1839 in Hanau hatte Mel'gunov während seines Aufenthalts in Moskau fast anderthalb Jahre im Kreise der ihm nahestehenden russischen Schriftsteller — von Vjazemskij, Sevyrev und Odoevskij bis zu Nadezdin und Georg Rosen — um unterstützende Mitarbeit geworben. 17 Auch in Hanau setzte Mel'gunov diese Aktivitäten unermüdlich fort. Am 2. Oktober 1839 informierte er Sevyrev in einem unveröffentlichten Brief: ,„H,onojiHeHHft 6y«eT MHoro. IlpocHji h npocHM oö 3TOM B MocKBe h B IleTepSypre." Am 20. Dezember 1839 wandte er sich brieflich an Petr V. Kireevskij und bat ihn um eine Gedankenskizze über die Eigenentwicklung der russischen Geschichte und den Nationalcharakter des russischen Volkes, die der Neuauflage des Buches als Vor- oder Nachwort beigefügt werden könnte. Mahnend ließ er seinen russischen Freund wissen: „Tenepb MM cßiipaeivt MaTepnajibi j s , j i h 2-ro H3flaHHH ,der Bilder' ... 9TO Sy^eT Tpya OÖIHHH, AJih npocBemeHHH HeMijeB HacieT P O C C H H . B h AOJIJKHH TaKwe nocoÖHTb HaM." 18 Doch die zuversichtlichen Hoffnungen, von denen noch Mel'gunovs Brief am 4. April 1840 an Varnhagen von Ense erfüllt war (vgl. Br. 16), sollten sich alsbald zerschlagen. Die erbetenen Verbesserungen und Ergänzungen aus dem Moskauer und Petersburger Freundeskreis trafen bis auf wenige Ausnahmen — u. a. von Nadezdin und G. Rosen — nicht ein. Deshalb vor allem gaben Mel'gunov und Koenig das gemeinsame Vorhaben einer Neubearbeitung der „Literarischen Bilder aus Rußland" schließlich auf. Anfang Oktober 1841 bedauerte Varnhagen in einem Brief an Neverov: „Von Koenigs Buch säumt noch immer die zweite Auflage, was sehr schade ist." (Zg I, Br. 3) *

Die Brieftexte 1 — 16 drucken wir im wesentlichen unverändert ab. 19 Zum leichteren Verständnis werden lediglich eine Reihe häufig vorkommender Abkürzungen stillschweigend ausgeschrieben (Verf. )Verfasser; M. )Melgunoff; Mspt. )Manuscript; russ. Lit.) russische Literatur) und die Titel erwähnter Bücher und Periodika in Anführungsstriche gesetzt. Die vorliegende Quellenpublikation ist das Ergebnis eines Forschungsaufenthalts im Deutschen Literaturarchiv Marbach a. N., dem das Cotta-Archiv als Stiftung der „Stuttgarter Zeitung" zugehört. An dieser Stelle möchte ich dem für das Cotta-Archiv zuständigen Kollegen Dr. Jochen M e y e r für die vielfältig gewährte Unterstützung und dem Direktor des Deutschen

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18 18

Seine feste Absicht zu einer grundlegenden Überarbeitung des Buches hatte Mel'gunov bereits im Frühjahr 1838 in der bisher nur bruchstückhaft edierten Korrespondenz mit A. A. Kraevskij in Petersburg und mit Ja. M. Neverov in Berlin bekundet. Das Zitat ist einem ungedruckten Brief Mel'gunovs vom 20. XII. 1839 aus Hanau an P. V. Kireevskij entnommen. Über die Schwierigkeiten bei der Entzifferung der Briefe Cottas bzw. der Kopien durch Schreiberhand sowie ihrer editorischen Wiedergabe vgl. Goethe und Cotta. Briefwechsel 1797 — 1832. Textkritische u. kommentierte Ausgabe. Hg. von D. K u h n , Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 316f.

Z. Slaw. 84 (Í989) 1

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Literaturarchivs, Kollegen Dr. Ulrich O t t , für die Veröffentlichungserlaubnis meinen herzlichen Dank aussprechen. Der Dank gilt gleichfalls dem Staatsarchiv Leipzig für die Genehmigung zum Abdruck der Briefe Koenigs an H. Brockhaus. Meiner Mitarbeiterin Antje K r e t e r danke ich für die sorgfältige Betreuung des Satzmanuskripts.

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Koenig an Heinrich Brockhaus in Leipzig Hanau, 23. III.1837

Eurer Wohlgeboren habe ich einen Antrag zu machen, der Ihnen vielleicht annehmlich scheint. Ein Russe aus Moskau, Literat und Schriftsteller, in seiner Literatur ganz zu Haus, mit den restlichen Literaturen genau bekannt, bringt diesen Winter an Gicht leidend unseres Arztes Kopp wegen hier zu,1 und hat sich, da ich ihm täglich mehrere Stunden widme, bisher ein Vergnügen daraus gemacht, mir Mittheilungen über die russische Literatur und besonders über Russische Schriftsteller zu geben, die für Deutschland berechnet und höchst interessant sind. An einer Reihe von Schriftstellern, theils einzeln theils in Gruppen, wird das Leben, die Persönlichkeit, die Schriften, der Einfluß derselben dargestellt. Es knüpfen sich Urtheile und Notizen an, die zum Theil in Rußland selbst nicht ausgesprochen sind oder werden können, so daß mein Freund glaubt, das Büchlein würde selbst dort viel Interesse finden. Es ist ein gründlicher, wahrheitliebender und ungemein unterrichteter Mann, und wirft im Geleit der Autoren scharfe Blicke auf die Entwicklung der russischen Literatur selbst. Da indeß die russische Sprache in Deutschland so gut wie gar nicht getrieben wird, so wird auf meinen Vorschlag hauptsächlich das Persönliche, Lebendige an die Spitze gestellt und das Literarische daran geknüpft, so daß die Leetüre für ein größeres Publikum interessant wird. Ich theile Ihnen auf besonderem Blatte den Grundriß mit, nach dem wir verfahren, und woraus Sie das Interesse einigermaßen schätzen können. Mein Antheil an der Schrift beschränkt sich auf die Darstellung und vielleicht auf einzelne kleine Reflexionen, wie sie einem Deutschen nah liegen. Dieser Darstellung suche ich alles Leichte, Durchsichtige und Anmuthige zu geben, was in meinen Kräften steht. Da der russische Freund nach seiner Wiederherstellung nach Paris und den Sommer in ein Bad geht, ehe er über den Herbst nach Rußland zurückkehrt, das Büchlein nicht nur fertig, sondern auch besprochen sehen möchte, damit er, wenn es nöthig wäre seine Mittheilungen vertreten und vertheidigen könne: so muß ich mich mit einem Verleger schon jetzt benehmen, ehe das Manuscript ganz fertig sein kann. Als Probe der Art und Darstellung mögen Sie den für Kühne beigeschloßnen Aufsatz Tonci betrachten,2 unter der Versicherung jedoch, daß die Mittheilungen über die eigentlich russischen Schriftsteller meist interessanter ausfallen. Ich wende mich nun zuerst an Sie nicht nur wegen unserer bisherigen Verbindung, sondern weil die in der Arbeit befangne Schrift für Sie noch einen zweiten Werth hat, indem Sie solche bei Fortsetzungen oder neuen Auflagen des Conversations-Lexikons benutzen können, da die russischen Artikel in diesem Werke bei weitem nicht auf gleicher Höhe mit den übrigen Artikeln stehen, wie denn mein Freund mit dem Hauptartikel über russische Literatur in der neusten Auflage, was die Urtheile, Zusammenstellung undtWürdigung der darin genannten Autoren betrifft, sehr unzufrieden ist.3

G.

ZIEGENGEIST,

H. Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Meine Anfrage ergeht nun an Sie, ob Sie ein Interesse am Verlag der beschriebenen Schrift, die in angemeßnem Format etwa 12 Bogen stark werden mag, nehmen wollen, und solche wenn sie fertig ist, gleich unter die Presse nehmen können. In diesem Falle sehe ich aber Ihren, meinem Freunde mitzutheilenden Bedingungen entgegen, die aber auch ein Honorar-Gebot, so günstig Sie es stellen können, umfassen müßte. Dagegen behalte ich in Ihrem Interesse vor, daß wenn Sie bei Übersendung des Manuscripts Ihre Erwartungen nicht befriedigt finden, sie solches schnell zurück geben und an nichts gebunden sein dürfen. Haben Sie die Güte, mich recht bald von Ihrer Entschließung in Kenntniß zu setzen4 und die Anlage mit den Briefchen Herrn Kühne zuzustellen2. Hochachtungsvoll und mit alter Gesinnung Ihr erg[ebenster] Hanau 23 März 1837. H. Koenig. Erstdruck nach Hs in: Staatsarchiv Leipzig, Korrespondenz des Verlages F. A. Brockhaus Leipzig, Nr. 259. Anmerkungen Koenig stand mit Heinrich Brockhaus (1804—1874), dem geschäftsführenden Inhaber des größten Leipziger Buch- und Presseverlages, bereits seit Anfang der 30er Jahre in Verbindung. Im Rahmen seines weitgespannten belletristischen Verlagsprogramms brachte Brockhaus — beginnend mit dem Roman „Die hohe Braut" (1833) — die damals vielgelesenen schriftstellerischen Werke Koenigs heraus (vgl. H. E. B r o c k haus, Die Firma F. A. Brockhaus von der Begründung bis zum hundertjährigen Jubiläum 1805-1905, Lpz. 1905, S. 116 u. 220). 1 Koenig stellt hier seinen russischen Freund und Mitautor N. A. Mel'gunov vor, der sich seit Herbst 1835 zur Behandlung eines Gichtleidens bei dem bekannten Arzt Johann Heinrich Kopp in Hanau aufhielt (vgl. Br. 2, Anm. 3). 2 Koenig informierte am gleichen Tage Gustav Kühne, den Chefredakteur der Leipziger „Zeitung für die elegante Welt", über die durch Brockhaus vermittelte Zusendung seines Artikels: „Sie erhalten, mein verehrter Herr, hiermit durch Hn. Brockhaus einen Aufsatz über einen merkwürdigen Mann, mit dessen Existenz und Art ich durch einen demselben befreundeten Russen bekannt geworden bin. Es schien mir interessant, diese Mittheilungen niederzuschreiben und den Fremdling — einen so schönen und liebenswürdigen Mann, in Ihre .Elegante Welt' einzuführen. Sehen Sie zu, ob Sie mein Interesse theilen und den Gast aufnehmen können." Erstdruck nach Hs in: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin (West). Handschriftenabteilung, Nachl. 141 (Slg. Adam), Kasten 66. Kühne nahm den von Koenig eingesandten Aufsatz über den russischen Maler I . M. Tonkov, der auf mündlichen Mitteilungen Mel'gunovs beruhte, einen Monat später in sein Leipziger Blatt auf; vgl. Tonci. Mitgetheilt von H. K o e n i g , in: Zeitung für die elegante Welt, 1837, Nr. 78 vom 22. IV., S. 309-311. 3 Zwei Jahre später warf Mel'gunov in einer anonymen Aufsatzfolge in den von H. Brockhaus redigierten „Blättern für Uterarische Unterhaltung" den Artikeln über russische Literatur in der 8. Auflage der „Allgemeinen deutschen Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexikon)", Bd. 1 — 12, Lpz. 1833—1837,

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und in dem ergänzenden vierbändigen „Conversations-Lexikon der Gegenwart" (Lpz. 1838ff.) des Brockhaus-Verlages Voreingenommenheit und Ungenauigkeit vor; vgl. [N. A. M e l ' g u n o v , ] Die russische Literatur und ihre gegenwärtigen Richtungen, in: Blätter für literarische Unterhaltung, 1840, Nr. 123 vom 2. V., S. 493 (überMel'gunovs Verfasserschaft vgl. Zg IV, A 3). Die gleiche Kritik an Brockhaus' „Conversations-Lexikon" äußerte Mel'gunov auch in seiner Streitschrift „McropHH oahoä K H H r w " (S. 6), die 1839 dem April-Heft der „OTenecTBeHHbie 3 a r r n c K n " beigefügt war (vgl. Zg IV, Br. 1, 4 u. 5). 4 H. Brockhaus lehnte Koenigs Angebot zur Übernahme der „Literarischen Bilder aus Rußland" in einem nicht überlieferten Antwortschreiben vom 31. März 1837 ab. Über die äußerst schwierige Verhandlungsführung mit Brockhaus berichtete Koenig aus eigener Erfahrung in einem späteren Brief vom 30. X I I . 1842 an Berthold Auerbach. Er wies warnend darauf hin, daß sich Brockhaus auf keine Verlagsübernahme einlasse, wenn ihm nicht das ganze Buchmanuskript und eine kalkulierbare Honorarforderung vorliege. (Der ungedruckte Brief Koenigs befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Nachl. Auerbach, unter der Signatur Z 3330/8). Hier sei erläuternd hinzugefügt, daß Heinrich Brockhaus pro Jahr annähernd 200 Verlagsanträge von deutschen und ausländischen Autoren zurückweisen mußte, da der Verlag jährlich nur etwa 30 Neuerscheinungen auf den Buchmarkt bringen konnte (vgl. H. E. B r o c k h a u s , Die Firma F. A. Brockhaus von der Begründung bis zum hundertjährigen Jubiläum 1805—1905, Lpz. 1905, S. 161).

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Koenig an Cotta in Stuttgart Hanau, Ende April 1837

Eurer Hochwohlgeboren beehre ich mich, um eine längst gewünschte literarische Verbindung zu versuchen eine Schrift zum etwaigen Verlag anzubieten, die vielleicht Ihre Zustimmung findet. Die seither so sehr ignorirte russische Literatur fängt an, in Deutschland Interesse zu gewinnen, und es kömmt nur darauf an, daß solches auf die rechte Weise genährt werde. Ich habe nun schon länger einige Verbindung mit russischen Literaten und selbst zum „Moskauschen Beobachter" im letzten Jahre Berichte über die deutsche Literatur geliefert.1 Dennoch hätte ich wenig Beruf gehabt, über russische Literatur zu schreiben. Allein Sie sehen schon auf dem Titel des beygefügten Manuscripts,2 daß ich nur als Herausgeber dieser — wie ich als solcher sagen darf — sehr interessanten Bilder auftrete. Seit dem vorigen Herbste hält sich nämlich ein jüngerer russischer Literat und Schriftsteller, um unsern Arzt Kopp für seine Gicht zu brauchen hier auf,3 ein Mann, der mit seiner Literatur ganz vertraut ist, die lebenden russischen Dichter persönlich kennt, und über unsere, die französische u. englische Literatur so unterrichtet ist, daß er seine eigne russische mit dem rechten Maßstab zu messen versteht. Von diesem rühren die Mittheilungen her, als deren Dolmetsch ich in dem Buch erscheine. Meine Sorge war es, hauptsächlich über die Persönlichkeit der Autoren Interessantes zu erfahren und durch die Personen mit ihren Werken bekannt zu werden. Zu diesen Bildern sind dann aber auch noch merkwürdige Skizzen über russische Zustände überhaupt gekommen, sofern solche Einfluß auf die Literatur und die Bildung gehabt haben.

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Sie werden schon in diesem Theil des Manuscripts sehr interessante Mittheilungen dieser Art finden, und andre enthält die Fortsetzung, z. B . über die sibirischen Zustände, über die Eigentümlichkeiten Kleinrußlands u. d. gl. Dann habe ich weiter an meinem Theil darauf gesehen, die Mittheilungen in einer klaren, leichten möglichst anziehenden Darstellung zu geben, um sie für das größere Publikum genießbar zu machen. Es soll den Gebildeten Unterhaltung, und den Kennern doch damit viel Neues geboten werden, Manches sogar, was selbst in Rußland wenigstens nicht öffentlich gesagt worden ist, wobei man aber alles Politische vermieden hat, indem mein russischer Freund hauptsächlich auch im Auge behält, daß das Buch in Bußland verbreitet werde, wo eine Stimme aus Deutschland über russische Literatur das größte Interesse finden muß. Mehr will ich nicht sagen, sondern Sie nur um recht baldige Einsicht des Manuscripts bitten, da der russische Autor dieses Buches solches vor seiner Heimkehr aus den Bädern gedruckt u. einigermaßen besprochen sehen möchte. Auch wünscht er es bei einer Reise nach Paris durch seine Verbindungen zur baldigen Kenntniß der dortigen Kritik zu bringen. Sollte Ihnen der Verlag des Buches anstehen, so beehren Sie mich bald mit einer gefälligen Erklärung. Lieb wäre mir's auch, wenn Sie mir für diesen Fall Ihre Bedingungen bezeichnen könnten, jedenfalls aber bemerkten, wie stark in einem gefälligen Format das Buch werden würde, zu welchem Sie die Hälfte des Manuscripts in Händen haben.2 Ich bemerke nur noch, daß die andre Hälfte — die Novellisten, die neusten dramatischen Dichter, die Kritiker und Journalisten der Russen bespricht und mit „Resultaten" schließt. In einigen Worten als Vorrede würde ich meine Stellung zu dem Buche und die lebenden Quellen meiner Mittheilungen, so weit es mir erlaubt wird, andeuten.4 Sollte Ihnen der Verlag nicht anstehen, so bäte ich um schleunige Nachricht und um die Gefälligkeit, das Manuscript zu meiner weitern Disposition zurück zu behalten. Baldgefälliger Antwort entgegen sehend verharre ich mit ausgezeichneter Hochachtung Eurer Hochwohlgeboren ergebenster H. Koenig Hanau April Finanzkammer Sekreta r 1837. Erstdruck nach Hs in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen Koenigs Angebotsbrief an Georg Cotta, der versehentlich kein Tagesdätum trägt, ist vermutlich zwischen dem 24. und 28. April 1837 aus Hanau abgesandt worden. 1 Durch Vermittlung Mel'gunovs hatte Koenig im Jahrgang 1836 des von Sevyrev maßgeblich beeinflußten Journals „ M O C K O B C K H Ü HaßjiioflaTejib" zwei umfängliche Überblicksartikel über die zeitgenössische deutsche Literatur veröffentlicht (vgl. OiepKH no HCTOpHH pyCCKOii HiypHajIHCTHKH H KpHTHKH, T. I, JI. 1950, S. 378; P. K). ^aHHJieBCKHit, „Mojio,naH TepMaHHH" H pyccKaa jiHTepaTypa, JI. 1969, S. 6 0 - 6 5 u. 1 1 0 - 1 1 2 ) . 2 Dem Brief an Cotta fügte Koenig die erste Hälfte des Manuskripts der „Literarischen Bilder aus Rußland" bis zum Kapitel „Dritte Dichtergruppe (Wenewitinow, Chomäkow, Benediktow)" bei (im Druck S. 1 — 196).

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3 Mel'gunov hatte sich im Herbst 1835 nach Hanau begeben, um sich — wie vor und nach ihm 2*kovskij, Vjazemskij, P. V. Kireevskij, N. M. Jazykov und Gogol' — von dem angesehenen Arzt Johann Heinrich Kopp behandeln zu lassen, und knüpfte dort enge freundschaftliche Beziehungen zu Koenig (vgl. H.-B. H ä r d e r , Aus dem Briefwechsel Heinrich Joseph Koenigs mit Korrespondenten in Bußland, in: Hanauer Geschichtsblätter 24 [1973], S. 205f.). Nach einer Sommerreise, die ihn auch zu Varnhagen von Ense in Berlin führte (vgl. Zg VI, Nr. 1), kehrte er im Herbst 1836 erneut nach Hanau zurück, wo er wenige Wochen nach Puikins tragischem Tod gemeinsam mit Koenig die Arbeit an dem Überblick zur russischen Literatur für ein breiteres deutsches Lesepublikum begann. 4 Die zweite Hälfte des Manuskripts (im Druck S. 199—354) und das „Vorwort" (S. I I I - I X ) schickte Koenig wenige Wochen später — am 15. Mai 1837 — an Cotta (vgl. Br. 4, Anm. 1). 3

Cotta an Koenig in Hanau Stuttgart, 10. V. 1837

Sr. Wohlgeboren Herrn H. Koenig Finanzkammersekretär in Hanau.

d. lOten May 1837.

Euer Wohlgeboren sehr verehrtes Schreiben vom v[origen] Monat haben wir dahin zu beantworten die Ehre, daß wir bereit sind, die „Literarischen Bilder aus Rußland" zu verlegen, wenn der Rest des Manuscriptes keinen politischen Anstand geben sollte, und die Honorarforderung billig seyn wird. Wollen Sie also die Gefälligkeit haben uns Letztere bekannt zu machen: allenfalls für ein Mittel Octavformat. So bald wir uns hierüber verständigt haben, kann der Druck beginnen. Unserer Ansicht nach kann ein nur sehr geringes Honorar gereicht werden, weil es uns scheint, daß ein großer Theil des Manuscriptes aus dem Russischen übersetzt ist. Daß dasselbe bekannt genug werden dürfte, wenn es in unserem Verlag erscheint und in unseren Journalen angezeigt wird, versteht sich von selbst. Erstdruck nach der handschriftlichen 4

Kopie in: Cotta-Archiv Marbach.

Koenig an Cotta in Stuttgart Hanau, 15. V. 1837

Es ist mir sehr angenehm, daß Sie die „Literarischen Bilder aus Rußland" zu verlegen geneigt sind. Über die Bedingungen werden wir uns, beiderseits billig, leicht verständigen. Zuerst werden Sie sich aus dem beigefügten Rest des Manuscriptes überzeugen, daß nirgends ein politischer Anstand gegeben ist; selbst kleine, in Deutschland passirende Seitenblicke sind um des russischen Verfassers willen weggeblieben, der im Vorwort genannt ist. 1 — Was das Buch im Ganzen angeht, so wird meine einfache Versicherung

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genügen, daß nicht eine Zeile aus dem Russischen übersetzt ist. Ich gebe diese Versicherung öffentlich in dem Vorwort, welches Sie gefällig lesen wollen.2 Nur die Geburtsund Sterbetage, Dienstbeförderungen u. d. gl. sind aus einem ganz unbedeutenden Handbuche über russische Literatur nachgeschlagen worden.3 Kritik u. Urtheil über die Schriftsteller, persönliche Schilderungen derselben und der russischen Zustände sind durchaus original und bezeugen den heimischen Kenner. Selbst die zwei Gedichte am Schluß des vorigen Manuscripts sind von mir übersetzt, indem mein russischer Freund mir die brieflich erhaltnen Originale wort- und zeilentreu deutsch oder französisch erklärte. Es besteht also kein Hinderniß, ein angemessnes Honorar zu bewirken. Hierzu bringe ich in Anschlag, daß das vorliegende Buch für die Gelehrten viele neue und lauter originale Notizen über das literarische Rußland mittheilt, in der Form aber eine durchaus unterhaltende Leetüre für ein großes auch ungelehrtes Publikum gewährt, daß das Buch ferner Bahn in jenen höhern Kreisen finden wird, wo man auf Alles achtet, was über Rußland gesagt wird, und daß endlich auf einen bedeutenden Absatz nach Rußland zu rechnen ist, wo einzelne Literaten schon von dem Erscheinen des Buches benachrichtigt sind. Hiernach werden Sie, da überdieß mein Name als Herausgeber von meinen Romanen her nicht unbekannt ist, gewiß einfe Foderung billig finden, die sich auf das gewöhnliche Honorar für Beiträge zu guten Journalen, für Unterhaltungsschriften etc. beschränkt. Dabei nehme ich den Umfang des Buches zu 20 Bogen an, wiewol es bei einigermaßen vortheilhaftem Druck eher mehr betragen dürfte,4 und beschränke mich dann nochmal auf 40 Friedrichsdor statt so viel Louisdorn (wofür ich mir aber für 50 Gulden Schriften Ihres Verlags erbitte). Sodann rechne ich auf 15 Frei Exemplare für mich und den russischen Verfasser. Die Ausstattung des Buches ist Ihre Sache, und ich habe nur den Wunsch, es möchte in der eleganten Art Ihrer belletristischen Artikel auf Velin mit Umschlag erscheinen. Sollten Sie es für gut finden, das Bach mit einem Dichterbildniß zu schmücken: so gibt das inliegende Zettelchen meines Freundes zwei russische Werke an, die mit Dershawins und Puschkins Bildnissen versehen sind. Es würde Ihnen bei Ihren Verbindungen leicht sein, Exemplare jener Bildnisse bei der Verlagshandlung in Petersburg zu erhalten, um darnach saubere Steindrucke machen zu lassen. Sollten Sie nur eins der Bildnisse geben wollen: so spricht für Dershawin der Umstand, daß dieses Bildnisses im Artikel des Buches über Dershawin gedacht ist, — für Puschkin aber das Interesse, das man bei seinem vor kurzem erfolgten tragischen Tod gefaßt hat. 5 Wegen des Drucks der russischen Namen bemerke ich noch, daß genau Acht gegeben werden muß, welche Namen mit sh u. welche mit sch geschrieben sind — Schewirew hat das harte, $Aukowsky das sanfte sch. Ferner habe ich- in dem beigefügten Manuscript und für die frühere Handschrift im Schlußverzeichniß auf den russischen Namen durch ein Strichlein (') die Sylbe bezeichnet, auf welcher bei der Aussprache der Ton liegt. Diese Bezeichnung kann auch durch einen Querstrich (-) geschehen, es ist aber nur einmal auf den Namen nöthig, da nämlich wo sie als Überschrift dienen.8 Der Druck kann, wie Sie bemerkten, alsbald beginnen, ich wünschte ihn, mit dem casu quo Steindruck, um deßwillen möglichst beschleunigt zu sehen, damit der russische Verfasser, der nach seinen Rheinbädern nach Moskau zurückkehrt, das Erscheinen des Buches noch in Deutschland erlebte.7 Aushängebogen wünschte ich demnächst mit' den wöchentlichen .Sendungen Ihrer Zeitblätter nach Frankfurt u. Hanau zu erhalten, um etwaige wesentliche Druckfehler anzeigen zu können.8

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Sollten Sie für gut finden, Proben des Buches in Ihren Blättern zu geben: so würden sich die beiden Gedichte am Schluß der vorigen Manuscript Sendung für das literarische „Ausland" eignen, mit der Bezeichnung: „Aus dem Russischen des Chomäkow (:Benediktow) von H. Koenig." Zu einer Mittheilung im „Morgenblatt" würde sich Wenewitinow durch seine interessante Persönlichkeit eignen.9 Indem ich mit der Kleinigkeit schließe, daß Sie im Falle des Drucks meinen Namen stets — H. Koenig — nicht H . König drucken möchten, erbitte ich mir recht baldige Nachricht über Ihren gefälligen Entschluß, da ich im Begriffe stehe, auf etliche Wochen nach Berlin zu gehen,10 und die Sache vorher im Gang wissen möchte. Ich verharre mit ausgezeichneter Hochachtung Hanau 15 Mai 1837. Ihr ergebenster H. Koenig. Erstdruck nach Hs in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen 1 Koenig übersandte mit diesem Brief an Cotta den restlichen Teil des Manuskripts der „Literarischen Bilder aus Rußland" (im Druck S. 199—354) sowie das vorangestellte eigene „Vorwort" (S. I I I — I X ) . 2 Im „Vorwort" versicherte Koenig gleich eingangs: „Das Buch ist keine Übersetzung aus dem Russischen, dessen ich nicht kundig bin, auch kein Zusammentrag aus andern Schriften, sondern ist aus mündlichen und brieflichen Mittheilungen russischer Literaten frisch weg in seine deutsche Haut hinein gewachsen." (LB, S. I I I ) 3 Mit dem „ganz unbedeutenden Handbuche" meint Koenig das kurz zuvor erschienene „Lehrbuch der russischen Literatur" von F. O t t o (Lpz.—Riga 1837), eine deutsche Bearbeitung des veralteten Abrisses von H. M. T p e i , O n u T K p a T K o ö HCTopHH pycCKoii j i H T e p a T y p H , CII6. 1822. 4 Der Umfang des Buches betrug im Druck insgesamt 23 Bogen ( X I I + 355 S.). 5 Über Koenigs Empfehlung, dem Buch die Porträts von Derzavin und Puskin beizugeben, vgl. die Folgebriefe 5 u. 6. 6 Die Betonung der russischen Schriftstellernamen wurde nur einmal im Inhaltsverzeichnis des Buches durch einen Querstrich gekennzeichnet (LB, S. X I — X I I ) . 7 Da Mel'gunov schon am 2. September 1837 von Hamburg aus die Rückreise nach Rußland antrat, gelangte das Buch erst mit monatelanger Verspätung im Frühjahr 1838 in seine Hände (vgl. Zg V I , Nr. 6 u. 7). 8 Auf der letzten Seite des Buches (S. 355) hat Koenig 7 Druckfehler angezeigt. 9 Auf Veranlassung Georg Cottas veröffentlichten die „Blätter zur Kunde der Literatur des Auslands" in 8 Folgen zwischen dem 23. August (Nr. 74) und dem 20. September (Nr. 83) 1837 die reichliche erste Hälfte von Koenigs und Mel'gunovs Buch. Für diesen Vorabdruck hatte der zuständige Redakteur Dr. Eduard Widenmann eine, verkürzte Textfassung der S. 1 — 193 hergestellt. Über E. Widenmann (1801 — 1854) als Redakteur Cottascher Periodika, der lebhaftes Interesse für russische Literatur hegte, die russische Sprache beherrschte und der 1840 mit Mel'gunov persönliche Bekanntschaft schloß, vgl. E. Heyck, 1898, S. 147. 10 Koenig begab sich 3 Wochen später — Anfang Juni 1837 — auf eine längere Sommerreise, die ihn nach Berlin zu Varnhagen von Ense, nach Leipzig zu Gustav Kühne sowie nach Dresden führte (vgl. Zg V I , Nr. 2 u. 3).

G.

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ZIEGENGEIST,

H. Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Cotta an Koenig in Hanau Stuttgart, 17. V. 1837

Euer Wohlgebohren verehrtes Schreiben vom 15. d. M. säumen wir nicht zu beantworten. Es geschieht hauptsächlich um in eine Geschäftsverbindung mit Ihnen zu treten, daß wir auf den Verlag der „Literarischen Bilder aus Rußland" eingehen, denn wir hoffen und wünschen, daß Sie auch an unseren Journalen, besonders dem „Morgenblatt", dem „Ausland" und dem „Literaturblatt" zu demselben theilnehmen möchten. Wir bieten Ihnen also 1. 30 Louisdor als Bausch und Bogen Honorar unter der Bedingung, die Schrift nach unserem Gefallen in Beziehung auf Format, immerhin aber anständigst und elegant drucken zu dürfen, und mit dem Druck alsbald zu beginnen. 2. Schriften unseres Verlages nach Ihrer Wahl und bis zum Werth von f 100. 3. Fünfzehen Frey Exemplare. In der Erwartung, daß Sie mit diesen Bedingungen einverstanden seyn werden, schreiben wir heute nach Petersburg, um die beyden Bilder Derschawin's und Puschkin's uns kommen zu lassen. Erhalten wir sie rechtzeitig, so werden wir sie dem Werke in Lithographie beygeben. Wir bitten alsbald um Ihre gefällige Antwort. Ihre Fingerzeige in Beziehung auf den Druck sollen bestens beachtet werden. Genehmigen Sie die Versicherung unsrer ausgezeichnetsten Hochachtung Stuttgart 17. V. 37. Sr Wohlgebohren Herrn FinanzkammerSecretär H. Koenig. Hanau. Erstdruck nach dem handschriftlichen Entwurf in: Cotta-Archiv Marbach. 6

Koenig an Cotta in Stuttgart Hanau, 19. V. 1837

P.P. Es ist mir sehr schmeichelhaft, daß Sie bei Übernahme der „Literarischen Bilder aus Rußland" meine künftige Verbindung mit Ihren Journalen berücksichtigen. Mit Vergnügen werde ich, was mir Passendes erwächst, diesen geschätzten Blättern zuwenden, weßhalb Sie mir gelegentlich die bei den Redactionen dieser Journale eingeführten Bedingungen bemerklich machen wollen. Vielleicht auch dürften wir uns wegen meines künftigen Romans einigen, auf welchen ich einiges Gewicht lege. Nur weil ich bei dem dermal zwischen uns liegenden Buche nicht als eigentlicher Verfasser, sondern nur als Vermittler auftrete, kann ich mich mit einem weniger angemessnen Honorar begnügen, weßhalb ich gleich keine überspannte Foderung gemacht hatte. Wollen Sie solche dennoch auf 30 Louisdor herabdrücken, so müssen Sie wenigstens noch die paar Gulden zulegen, die eine runde Summe von 350 f oder 200 Stück pr[eußische] Thaler ausmachen, wozu dann 100 f in Verlagsschriften und 15 Frei Exemplare kommen. Letztere bitte ich mir, falls Sie die Schrift roh versenden, sorgfältig geheftet mit ein-

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fächern buntem Umschlag aus. — Gewiß haben Sie einen Katalog oder Verzeichnisse Ihrer auch altern Verlagsartikel, den Sie mir dann gefälligst mit Gelegenheit durch die Fr. Königsche Buchhandlung dahier mittheilen wollen, um hiernach meine Bücherwahl treffen zu können. Über das baare Honorar wünsche ich bis zu Johannis verfügen zu können, wo hoffentlich auch der Druck des Buches ganz oder bald fertig sein wird1. Sollten, was sehr wünschenswerth wäre, die beiden Bilder beigegeben werden, so würde Dershawin sich zum Titel eignen, und Puschkin bei dem Artikel über ihn Platz fin% den.2 Schließlich eine Bitte des russischen Verfassers unserer Schrift. Unter den Kritikern bei dem Artikel Schewirew wird einer Rezension dieses Mannes über Goethes Helena gedacht. Goethe hat sich hierauf in seinem „Kunst und Alterthum" erklärt. Schewirew wünscht diese Erklärung zu erhalten, da er sie noch nicht kennt. Hier aber können wir jene Hefte nicht auftreiben und bitten daher um Mittheilung jener Goetheschen Erklärung, die in 1827 oder 1828 jener Zeitschrift enthalten sein muß.3 Die Beschleunigung des Drucks und mich selbst bestens empfehlend harre mit vorzüglicher Hochachtung H. Koenig. Hanau 19 Mai 1837. » Erstdruck nach Hs in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen Dieser Brief mit Koenigs finanziellen Forderungen wurde von Cotta als verbindlicher Vertrag angesehen (vgl. Br. 7). 1 Das Honorar von 350 Gulden, das Koenig bis zu Johannis ( = 24. Juni) zu erhalten wünschte, überwies ihm der Verlag am 27. Juni. Mit dem Druck des Buches wurde in Cottas Augsburger Officin jedoch erst Anfang Juli begonnen (vgl. Br. 8). 2 Cotta hielt sich bei der Ausstattung des Buches an Koenigs Empfehlung und brachte das Porträt Derzavins als Frontispiz und das Bildnis Puskins unmittelbar vor dem Kapitel über den russischen Nationaldichter (LB zwischen, S. 134 u. 135). 3 Im Kapitel über russische Kritiker (LB, S. 253—276) gingen Mel'gunov und Koenig auch auf Sevyrevs „thätigen Antheil" am „Mockobckhä böcthhk" in den Jahren 1827—1828 ein. Sie hoben dabei insbesondere die Bedeutung von Sevyrevs „Helena"Besprechung (1827) hervor: „Die interessanteste Arbeit dieser Art ist die Beurtheilung der damals eben erschienenen Helena von Goethe, welcher er metrisch übersetzte Proben dieses Gedichtes in jene? Zeitschrift mitgab. Von einem deutschen Literator in Moskau wurde diese Kritik übersetzt und Goethen zugesandt, der darauf in einem gehaltreichen Brief antwortete und des jungen russischen Kritikers in seinem ,Kunst und Alterthum' Erwähnung that." (LB, S. 257f.). Die im Brief an Cotta vorgebrachte Bitte Koenigs bezieht sich auf das 1828 erschienene 2. Heft des V I . Bandes der Zeitschrift „Ueber Kunst und Alterthum", in dem Goethe die Notiz „Helena in Edinburg, Paris und Moskau" veröffentlicht hatte (vgl. W A , Bd. 41/11, Weimar 1903, S. 358). Die hier berührten deutsch-russischen Rezeptionszusammenhänge sind in der einschlägigen neueren Forschungsliteratur des öfteren behandelt worden; vgl. zusammenfassend: C. ,D,yP HJ1HH > PyccKne nwcaTejiH y TeTe b BeiiMape, in: JlHTepaTyprioe Ha• cjieflCTBO, t. 4—6, M. 1932, S. 450—476; B. JKnpMyHCKHH, TeTe b pyccKoft JiHTepa-

G.

ZIEOENGEIST, H .

Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Type, JI. 1937, S. 166—177; G. Z i e g e n g e i s t , N. I . Borchardt und Varnhagen von Ense, in: ZfSl 8 (1963), S. 9 - 2 5 . Besondere Erwähnung verdient die durch seine russischen Freunde unterstützte Publikation von H. K o e n i g , Goethe in Rußland, in: Frankfurter Telegraph. N. F., 1837, Nr. 17, April, S. 1 2 9 - 1 3 1 .

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Obtta an Koenig in Hanau Stuttgart, 25. V. 1837

Wohlgeborner Herr. In Erwiderung Ihres verehrten Schreibens vom 19. Mai haben wir vor Allem unsere aufrichtige Freude über Ihre Willfährigkeit, an unsern Journalen Theil nehmen zu wollen, auszusprechen. In gleicher Beziehung erlauben wir uns, Einladung zur „Vierteljahrsschrift" beizulegen, und Sie zu bitten, diesem Unternehmen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Honorar-Bestimmungen betreffend, bemerken wir im Allgemeinen, daß die Beiträge für unsre Journale groß Druck mit f 33, klein Druck mit f 44 pr. Bogen honorirt werden. Mit ihren Bedingungen über die „Literarischen Bilder aus Rußland" sind wir nunmehr einverstanden und betrachten Ihren Brief als Vertrag. Das Manuscript haben wir bereits, von Ihren Wünschen über die Ausstattung begleitet, nach Augsburg in unsre Druckerei gesandt und unserer Seits gleichfalls Eile des Drucks empfohlen. Somit steht denn auch der Erhebung des Honorars bis Johannis nichts entgegen und kann Ihnen dasselbe seiner Zeit in Frankfurt angewiesen werden. Falls Sie jedoch hierin andere Wünsche hegen, so bitten wir um deren gefällige Mittheilung. Bezüglich Ihrer Wahl aus unseren Verlagsartikeln legen wir Catalog bei, so wie wir auch das von Ihnen verlangte Heft Goethe's „Ueber Kunst und Alterthum" beischließen. Erstdruck nach dem handschriftlichen

Entwurf in: Cotta-Archiv Marbach.

Anmerkungen Das Datum, das im Entwurf fehlt, ergibt sich aus dem handschriftlichen Verlagsvermerk über den Empfang (22. Mai) und die Antwort (25. Mai) auf der letzten Seite von Koenigs vorhergehendem Brief (Br. 6), den Cotta als verbindlichen Vertrag ablegen ließ. Ein gesonderter schriftlicher Kontrakt ist mit Koenig nicht abgeschlossen worden. In den „Druckerei-Kalkulationen" des Verlags für das Jahr 1837 findet sich ein Eintrag, den wir anschließend wiedergeben. 7A

Eintragung in Cottas „Druckerei-Kalkulationen"

des Jahres

„Bilder aus Rußland" von H. Koenig Mit Derschawin's und Puschkin's Bild. Bedingungen den 17. V. 37 angetragen: 1. 30 Louisdor Honorar. Wahl des Formates nach dem Gefallen der Buchhandlung, aber elegant; schleuniger Druck. 2

Z. Slawistik, B d . 34, H. 1

1837 Auflage: 1000 —

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2. Schriften des J . G. Cottaschen Verlages zum Werth von f 100. 3. Fünfzehen Frey Exemplare geheftet in Umschlag. Angenommen durch Schreiben vom 19. May, jedoch Statt der 30 Louisdor f 350 baar verlangt an Johanni zahlbar. 23 Bogen, 2 Lithographien. Kosten: f 350 Honorar 390 Druck, Papier 60 faux frais

Preiß: Ordin. f 2, 42 Rthlr. 1. 16

f 800 Erstdruck nach Hs in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen In den Geschäftsunterlagen des Verlags findet sich ferner ein am 2. August 1837 ausgefüllter Kalkulationsbogen mit der genauen Aufschlüsselung der Druck- und Papierkost.en von 390 f [ = Gulden], 8

Cotta an Koenig in Hanau Stuttgart, 27. VI. 1837

S. W. Herrn H. Koenig Finanzkammersekretär in Hanau. Euer Wohlgeboren

Stuttgart d. 27 J u n y 37.

beehren wir uns hiemit in einer Anweisung auf Gontardt & Söhne in Frankfurt a. M. f 350 Honorar zu übermachen, wobey wir Sie zugleich höflichst benachrichtigen, daß wir von den „Literarischen Bildern aus Rußland" Ihnen demnächst die ersten Aushängebogen zusenden werden. 1 Die beyden verlangten Artikel unseres Verlags werden wir bey der nächsten Expedition Ihrem Wunsche gemäß durch Fr. Koenig an Sie abgehen lassen. Sehr angenehm ist es uns Ihr Interesse für die „Vierteljahrsschrift" gewonnen zu haben, und wir wünschen recht bald von Ihnen mit einem Beytrag beehrt zu werden. Erstdruck nach der handschriftlichen Kopie in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen 1 Trotz der versprochenen Eile (vgl. Br. 7) wurde in Cottas eigener Augsburger Drukkerei erst Anfang Juli mit dem Satz der „Literarischen Bilder aus Rußland" begonnen. Als Koenig von seiner mehrwöchigen Reise nach Hanau zurückgekehrt war, schrieb er am 17. Juli enttäuscht an Varnhagen von Ense in Berlin: „Unser russisches oder eigentlich deutsches Buch über russische Literatur geht unter der Presse langsamer vorwärts, als ich anfangs dachte. Es sind erst 4 Druckbogen davon in meinen Händen. Hoffentlich wird es nun rascher gehn, da ihr Anfang einmal gemacht ist." (vgl. Zg VI, Nr. 3)

G. ZIEGENGEIST, H. Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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9 Koenig an Cotta in Stuttgart Hanau, 7. IV. 1838 [Auszug] Die so lange erwarteten Nachrichten von Herrn Melgunoff, dem Verfasser der „Literarischen Bilder aus Rußland", sind endlich eingetroffen. [.. .J1 Einen dieser Briefe theile ich Ihnen hierbei, der Dringlichkeit der Sache wegen im französischen Originale mit. Sie ersehen daraus, daß er die in Deutschland durch die gewöhnlichen Zeitschriften laut gewordnen günstigen Stimmen über unser gemeinschaftliches Buch wenig kennt, wogegen ihm aus einer andern Sphäre Mittheilungen geworden sind, die wo möglich noch mehr erfreuen u. hoffen lassen, als jene. Sie sehen ferner aus dem Briefe, daß er jetzt im Mittelpunkte des literarischen Rußlandes Notizen sammelt, die wenn solche mir demnächst zugekommen sein werden, nach genommener Rücksprache mit Ihnen entweder bei einer zweiten Auflage, oder zu andern öffentlichen Mittheilungen sehr angenehm sein werden. [...] Im Weitern hat mir Melgunoff in einem zweiten Briefe eine Übersicht über die russische Literatur u. Kunst des Jahres 1837 mitgetheilt, die ich für Ihre Zeitschrift über die Literatur des Auslandes zu einem interessanten Artikel bearbeiten und ehestens übersenden werde.2 Erstdruck nach Hs in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen 1 Mel'gunov war Anfang September 1837 von Hamburg aus nach Rußland zurückgekehrt (vgl. Br. 4, Anm. 7) und blieb bis zum Sommer 1839 in Moskau. 2 vgl. die Folgebriefe 10 u. 11.

10 Koenig an Cotta in Stuttgart Hanau, vermutlich: 18.—21. IV. 1838 [Auszug] Hierbei folgt nunmehr der von mir bereits angekündigte Artikel, den Sie hoffentlich entsprechend finden werden. Die positiven Mittheilungen sind von Herrn Melgunoff; die Anordnung derselben, die Übergänge, die Bilder und was zu einer für die Leser anziehenden Darstellung gehört, ist mein Antheil daran; so daß es in zweifacher Hinsicht ein Original-Artikel ist.1 — Rücksichtlich eines Theils der Mittheilungen und um meines russischen Freundes willen muß ich nur bitten, den Artikel nicht zu lange liegen zu lassen, sondern so schnell es thunlich ist abdrucken zu lassen. Ob dieß im literarischen „Auslande" oder geeigneten Falls in der „Allgemeinen Zeitung" geschehe, bleibt natürlich Ihnen überlassen.2 Nur wünsche ich demnächst einen Abdruck für Herrn Melgunoff zu erhalten, wobei Sie mir gefälligst bemerken könnten, mit welchem Betrag das Honorar gut geschrieben ist, damit ich gegen meinen Freund in Allem klar verfahren könne. Ich bleibe bis auf Weiteres mit vorzüglicher Hochachtung Erstdruck nach Hs in: Cotta-Archiv Marbach. 2*

H. Koenig.

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Anmerkungen Der undatierte Brief, mit dem Koenig auf ein Schreiben Cottas vom 11. April antwortete, ist vermutlich zwischen dem 18. und 21. April 1838 aus Hanau abgesandt worden. 1 Diese briefliche Erläuterung bietet authentischen Aufschluß über die gemeinsame Verfasserschaft Mel'gunovs und Koenigs an dem bisher in der Forschung unbemerkt gebliebenen Überblicksartikel über die russische Literatur und Kunst des Jahres 1837, den wir im Anhang erstmalig wiederabdrucken. 2 vgl. Br. 11.

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Cotta an Koenig in Hanau Stuttgart, 25. IV. 1838

Herrn H. Koenig in Hanau. E. W.

Stuttgart, 25. 4. 38

verehrte Mittheilung (ohne Datum) Hyperboreische Blätter überschrieben, haben wir erhalten. Wir werden nicht ermangeln, sie sogleich den Redactionen unserer Zeitschriften mitzutheilen, deren einer Sie gewiß willkommen seyn werden. 1 Für den Bogen des Formates unserer Zeitschriften bieten wir Ihnen f 50 (fünfzig), das höchste Honorar, was wir bei denselben zu zahlen pflegen, und was wir nur in der Hoffnung anbieten, daß uns durch Ihren Canal die Nachrichten des Herrn v. Melgunoff über Bußland auch ferner werden zugeschickt werden. Erstdruck nach der handschriftlichen Kopie in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen 1 Für die Übernahme des von Koenig eingesandten Artikels entschied sich Gustav Kolb, dem Cotta ein Jahr zuvor die Hauptredaktion der „Allgemeinen Zeitung" anvertraut hatte (vgl. E. Heyck 1898, S. llOff.) Er veröffentlichte den Artikel unter dem Titel „Literarische Mittheilungen aus Rußland" und mit direktem Verweis auf Koenigs und Mel'gunovs vorhergehendes Buch bereits am 3. und 4. Mai 1838 in den außerordentlichen Beilagen der Zeitung (vgl. den Textanhang).

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Cotta an Koenig in Hanau Stuttgart, 11. IX. 1839 [Auszug]

Euer Wohlgeboren sehr angenehmes Schreiben vom 6. d. M. haben wir zu empfangen die Ehre gehabt und beeilen uns dasselbe umgehend zu erwidern. 1 [...] In Betreff einer zweyten Auflage der „Literarischen Bilder" sind wir bereit eine solche zu übernehmen, obgleich wir über den bisherigen Absatz der ersten noch kein bestimmtes Resultat haben, da immer noch Exemplare ä Condition versendet werden müssen.

G. Zibgenobist, H. Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Rücksichtlich der Honorar Bedingungen werden Euer Wohlgeboren die bey zweyten Auflagen gewöhnlichen Ermäßigungen eintreten lassen, indem solche Unternehmungen bey der Unsicherheit des Absatzes immer gewagt sind. 2 Erstdruck nach der handschriftlichen Kopie in: Cotta-Archiv Marbach. Anmerkungen 1 Koenigs Brief vom 6. IX. 1838 mit dem Vorschlag zu einer zweiten Auflage der „Literarischen Bilder aus Rußland" ist im Cotta-Archiv nicht überliefert. 2 Unzufrieden mit Werbung und Vertrieb des Buches durch Cotta und zudem enttäuscht über die ungünstigen Honorarbedingungen, entschied sich Koenig, die beabsichtigte Neuauflage Brockhaus in Leipzig anzutragen (vgl. Br. 13). 13

Koenig an Brockhaus in Leipzig Hanau, 19. IX. 1839 [Auszug]

Mein russischer Freund, v. Melgunoff, jener, von welchem die Mittheilungen zu den „Literarischen Bildern aus Rußland" herrühren, ist wieder krank hier angekommen, und bringt den Winter hier zu.1 Sie wissen, daß jenes Buch viel Glück gemacht hat, und es würde ein noch größeres gemacht haben, wenn die Cottasche Buchhandlung sich den Vertrieb besser hätte angelegen sein lassen. Statt dessen war das Buch für die lebhafteste Nachfrage in Rußland nicht zu haben, und auch in andern Gegenden war es zu früh verschwunden, oder nicht zureichend angekommen. Dennoch ist Cotta bereit, eine zweite Auflage zu machen. 2 Es ist aber Melgunoffs und meine Absicht, lieber ein ganz neues Buch zu liefern. Hierzu hat Melgunoff in Rußland Notizen, Ergänzungen und Verbesserungen gesammelt, um aus dem ältern Buche ein vollständiges und befriedigendes Werk über die russische Literatur zu stellen. Es fragt sich, ob Sie zum Verlag eines solchen neuen Werkes geneigt wären, in welchem Falle ich Ihnen das Manuscript demnächst zuerst zur Einsicht senden würde, oder ob Ihnen das Unternehmen überhaupt nicht ansteht. Wie früh die Bearbeitung fertig werden kann, läßt sich noch nicht bestimmen, da Melgunoff noch weitere Mittheilungen eines Freundes, des Professors der russischen Literatur an der Universität zu Moskau, zu unserm Unternehmen erwartet. 3 Sie setzen mich wohl bei nächster Gelegenheit von Ihrer Ansicht über diesen Gegenstand in Kenntniß. [...] Ihr ergebenster H. Koenig. Erstdruck nach Hs in: Staatsarchiv Leipzig, Korrespondenz des Verlages F. A. Brockhaus Leipzig, Nr. 259. Anmerkungen 1 Mel'gunov hatte Rußland Mitte August 1839 verlassen und sich zu erneuter ärztlicher Behandlung nach Hanau begeben, wo er bis Ende Mai 1840 blieb. 2 vgl. Cottas zustimmende Antwort vom 11. I X . 1839 (Br. 12). 3 Gemeint ist Mel'gunovs enger Freund S. P. Sevyrev, der — ebenso wie Vjazemskij und G. Rosen — schon Monate zuvor Berichtigungen und Ergänzungen f ü r die ge-

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plante 2. Auflage des Buches zugesagt hatte (vgl. Mel'gunovs Brief vom 10./22. IV. 1839 an Neverov in: Zg IV, Br. 5). " Koenig, der Sevyrev im Sommer 1838 persönlich kennengelernt hatte (vgl. Zg I I I , Br. 3), schätzte den Moskauer Gelehrten sehr (vgl. H. K o e n i g , Die Russen in Deutschland, in: Der Freihafen, 1839, Nr. 4, S. 2 1 9 - 2 2 2 ) . 14

Koenig an Brockhaus Hanau, 11. X. 1839

in Leipzig [Auszug]

Eure Wohlgeboren erhalten hierbei einen Artikel, den zwar mein russischer Freund veranlaßt, der aber doch nicht eigentlich im russischen Interesse, sondern um der Wahrheit, wenigstens um einer Überzeugung willen verfaßt und hoffentlich für Ihre Zeitung nicht ohne Interesse ist. 1 [...] Es soll mich freuen, wenn wir uns zu einer tüchtigen Schrift über die russische Literatur vereinigen werden.2 Bis jetzt sieht Melgunoff noch weitern Mittheilungen russischer Literaten zum Gebrauch bei der Ausarbeitung entgegen, die daher noch nicht angefangen werden kann. Erstdruck nach Hs in: Staatsarchiv Leipzig, Korrespondenz des Verlages F . A. Brockhaus Leipzig, Nr. 259. Anmerkungen 1 Gemeint ist der von Mel'gunov entworfene und von Koenig bearbeitete Korrespondenzartikel über den „wahren Zustand der Dinge in Galizien", den Brockhaus anderthalb Wochen später anonym in die „Leipziger Allgemeine Zeitung" einrückte (1839, Nr. 294 vom 21. X . , S. 3433 f.). 2 Aus dieser Rückäußerung Koenigs wird ersichtlich, daß sich Heinrich Brockhaus in seinem — laut Verlagsvermerk am 29. I X . 1839 abgesandten — Antwortschreiben bereit erklärte, die Neuauflage der „Literarischen Bilder aus Rußland" zu übernehmen (vgl. dazu auch im folg. Mel'gunovs Brief vom 4. IV. 1840 an Varnhagen).

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Koenig an Brockhaus in Leipzig Hanau, 12. XII. 1839 [Auszug]

Über das Werk über die russische Literatur werde ich Ihnen seiner Zeit Mittheilung machen. Wir sehen noch der Einsendung von Beiträgen aus den besten Federn entgegen, und hoffen etwas Gutes zu liefern. 1 Einen kleinern Aufsatz über die russische Literatur der jüngsten Zeit hoffe ich in der Kürze für Ihre literarischen Blätter einzusenden. Mein russischer Freund ist eben unwohl, sonst hätte ich den Artikel gleich beigefügt.2 Erstdruck nach Hs in: Staatsarchiv Leipzig, Korrespondenz des Verlages F . A. Brockhaus Leipzig, Nr. 259.

G. ZIEGENGEIST, H . Koenigs Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus

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Anmerkungen 1 Mel'gunov warb damals von Hanau aus noch immer intensiv um die Mithilfe befreundeter russischer Schriftsteller. So wandte er sich in einem ungedruckten Brief vom 20. X I I . 1839 an P . V . Kireevskij mit der Bitte, eine Abhandlung über den Eigencharakter der russischen Geschichte und des russischen Volkes als Vor- oder Nachwort beizusteuern (vgl. oben unsere Einleitung). 2 Die Ausarbeitung des angekündigten Artikels über die russische Literatur der jüngsten Zeit durch Mel'gunov zog sich bis Anfang März 1840 hin. Bei der Übersendung des Manuskripts schrieb Koenig am 10. I I I . 1840 im Begleitbrief an H . Brockhaus: „Schon gegen Ende vorigen Jahres habe ich Ihnen den hier beigefügten Artikel über die neuste russische Literatur angekündigt, der durch Unterbrechungen, nachträgliche Ergänzungen und Correcturen sich bis jetzt verzögert hat. Sie werden diese Mittheilungen interessant für die ,Blätter für literarische Unterhaltung' finden. Dieselben rühren von Herrn v. Melgunoff her, der sich diesen Winter abermal hier aufhält. Indeß will derselbe wegen mancher Anfechtungen, die er in Rußland erfahren hat, nicht genannt sein, und auch ich möchte als Vermittler incognito bleiben." (Zitiert nach dem ungedruckten Original im Staatsarchiv Leipzig). Mel'gunovs umfänglicher Überblick erschien unter dem Titel „ D i e russische Literatur und ihre gegenwärtigen Richtungen" in mehreren Folgen zwischen dem 1. V . und dem 27. V I . 1840 in den von H . Brockhaus herausgegebenen „Blättern für literarische Unterhaltung''.

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Mel'gunov an Varnhagen von Ense in Berlin Hanau, 4. IV. 1840 [Auszug]

Koenig a conclu d'avance un arrangement avec Brockhaus, qui consent à publier notre livre. Je m'occupe en ce moment à rassembler les matériaux nécessaires; Chévireff, ainsi que plusieurs autres littérateurs m'en fournissent aussi, et j'ai lieu de penser que la 2 de édition, entièrement refondue, sera presque comme un nouvel ouvrage. Si dans un mois je réunis toutes les notices qui me furent promises et dont plusieurs me sont déjà arrivées, j'espère alors que le livre pourra paraître à la fin de cette année.1 Erstdruck nach Hs in: B J Krakow, Nachl. Varnhagen, K . 121. Übersetzung Koenig hat im voraus ein Übereinkommen mit Brockhaus getroffen, der bereit ist unser Buch zu veröffentlichen. Ich bin gerade damit beschäftigt, die erforderlichen Materialien zusammenzutragen; Sevyrev sowie mehrere andere Schriftsteller unterstützen mich dabei, und ich habe Grund zu der Annahme, daß die zweite, vollständig überarbeitete Auflage fast ein neues Werk sein wird. Wenn ich in einem Monat alle Beiträge beisammen habe, die mir versprochen wurden und von denen ich einige schon erhalten habe, hoffe ich, daß das Buch Ende des Jahres erscheinen kann.1

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Anmerkungen 1 Mel'gunovs Hoffnung, alle versprochenen Zuarbeiten aus dem Kreis der ihm befreundeten russischen Schriftsteller noch während seines Aufenthalts in Hanau zu erhalten, erfüllte sich nicht. Weder Sevyrev noch Vjazemskij, Kireevskij und 2ukovskij lieferten die erbetenen Zusätze. Dies war einer der Gründe, weshalb Mel'gunov und Koenig ihr Vorhaben einer Neufassung des Werkes über die russische Literatur nicht zu verwirklichen vermochten. Anhang [N. A. M e l ' g u n o v — H . K o e n i g ] Literarische Mitteilungen aus Rußland.* I. Verluste und neue Erscheinungen. Das Jahr 1837 ist als ein unglückliches für die russische Literatur und Kunst anzusehen. Der tragische Tod des im Duell gebliebenen Dichters Puschkin eröffnete das Jahr mit schlimmen Vorbedeutungen, und wirklich blieb es nicht bei dem beklagenswerten Einen Falle, der zehn andere aufwiegen konnte. Zwei bedeutende Autoren folgten im Spätjahre nach. Bestushew, der wegen seiner Teilnahme an der Empörung vom 14. Dezember 1825 an die Ufer des Jenissei verbannt und von da nach dem Kaukasus als Soldat versetzt, bereits wieder zum Offizier aufgestiegen und unter seinem in der Verbannung angenommenen Namen Marlinsky als Novellist berühmt geworden war, wurde in einem Gefecht mit den Tscherkessen von einer tödlichen Kugel getroffen. Der andre, den der Tod im September erreichte, war der älteste der lebenden russischen Literaten, der letzte aus der Periode Dershawins und Karamsins, der 76 Jahre alte Dmitriew. Zwar hatte er schon früh zu schreiben aufgehört und in den letzten Jahren gar nichts mehr herausgegeben; dennoch sah man den schönen, stattlichen Greis als ein ehrwürdiges Monument aus einer nun ganz entschwundenen literarischen Epoche an, aus jener Zeit, da er und Karamsin, sein Landsmann aus Simbirsk, beide Weltleute, beide schöne Geisier der Zeit, auf der Fährte der französischen Muster, das slawische Element der Sprache vollends auflösten und in Poesie und Prosa eine Sprache der eleganten Gesellschaft für die Lesewelt schufen. — Auch mehrere Künstler nahm dies unglückliche J a h r hinweg: die Maler Kiprensky, Orlowsky und Lebedew. Ersterer besonders durch schöne Porträts und Köpfe, der andere durch Genrebilder aus dem russischen Volksleben berühmt. Diesem russischen Carle Vernet hat der fürstliche Dichter Wäsemsky ein schönes, originelles Gedicht gewidmet. Jene Strophen „Zur Erinnerung an Orlowsky" können für das schönste lyrische Produkt dieses schmerzlichen Jahres gelten. Über diese noch lange Zeit unersetzlichen Verluste einige Beruhigung zu finden, sehen wir uns nach neuen literarischen Notabilitäten um. Unter den in den letzten zwei Jahren hervorgetretenen Dichtern zeichnet sich durch eigentümliches, unabhängiges Talent ein junger Husarenoffizier, namens Lermontow aus. Ein anderer, ein gewisser Huber, scheint deutscher Abkunft und hat jedenfalls mit einem echt deutschen Werke begonnen, mit Goethes „Faust" nämlich, den er mit entschiedenem Talent ins Russische übertragen hat. Noch spricht man sehr günstig von einem Grebenka, einem Kleinrussen, der in seiner heimatlichen Mundart Verse und Erzählungen mit frischer, kräftiger Gabe schreiben soll. Blicken wir nach neuen Produktionen schon bekannter jüngerer

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Schriftsteller, so fällt uns ein zweiter Band Gedichte von Benediktow in die Hände. Leider aber bleiben diese Gesänge mit wenig Ausnahmen weit hinter den Gedichten des ersten Bandes zurück, der, in zahlreichen Exemplaren gegen Ende 1835 erschienen, schon zu Anfang 1836 vergriffen war. Man hofft, die ungünstige Stimmung, in der diese neuern Gedichte entstanden sind, soll eine vorübergehende — und der junge Dichter weder durch die Wunden zweier mitgemachter Feldzüge erschöpft, noch durch die erhaltenen Ehrenzeichen erkaltet, sondern vielleicht nur von den vielen Akten im Finanzministerium, wo er arbeitet, etwas ermüdet sein. Möchte die Natur, auf deren immer sich verjüngende Erscheinungen seine Begeisterung sonst so gern gerichtet war, ihn bald wieder erfrischen und neu befiedern! Von den ältern Dichtern haben wir nur einer Übersetzung zu gedenken, nämlich Shukowskys metrischer Bearbeitung der „Undine" von Fouque. Diese zu Anfang vorigen Jahres herausgekommene Übersetzung ist so schön und glatt, wie man es nur von dem so ausgezeichneten Verskünstler Shukowsky erwarten kann; doch bleibt freilich so viel Kunst immer nur an ein fremdes Werk untergeordneten Ranges gewendet. — An derselben glatten Übersetzerhand treten wir die Erbschaft eines großen Dichters an. Shukowsky besorgt im Auftrag und auf Kosten des Kaisers eine Prachtausgabe der Werke Puschkins. Eben greift man mit Ungeduld nach den drei ersten, jüngst fertig gewordenen Bänden und erwartet die übrigen im Laufe des Monats Mai. In der von dem unglücklichen Dichter selbst gestifteten und nun von Shukowsky, Fürst Wäsemsky und Fürst Odojewsky fortgesetzten Vierteljahrsschrift „Der Zeitgenosse" sind Proben der bisher noch ungedruckten Sachen Puschkins mitgeteilt worden, die den Beweis liefern, daß des Dichters eminentes Talent noch keineswegs im Sinken war, vielmehr eine neue Richtung genommen hatte. Puschkin entäußerte sich in seinen Darstellungen mit jedem Tage mehr einer lyrisch-subjektiven Stimmung und gewanrj immer mehr Objektivität, Kraft des Plastischen und Reichtum der Formen. Ohne Zweifel war in diesem Dichter ein Talent erster Größe in Entwicklung begriffen — ein Dichter, der sich vielleicht mehr als einer der jetzt lebenden dem Goetheschen Höhepunkte genaht hätte, jener objektiven, bezeichnenden Darstellungsweise, in welcher die Teile sich harmonisch zu einem charakteristischen Ganzen abrunden. Puschkin hatte zum Erstaunen viel angelegt und angefangen, was nun unvollendet hinterblieben ist. Es finden sich erzählende, lyrische, satirische Gedichte, Novellen und Romane. Nur wenig davon ist fertig, das meiste bleibt Bruchstückwerk; denn wer möchte sich an die Vollendung dessen wagen, was von Puschkin entworfen ist? — Unter den fertig gewordenen und nach seinem Tode bereits erschienenen Sachen ist, neben manchen kleinen lyrischen Meisterstücken verschiedener Gattung, ein Gedicht zu rühmen, das unter der Überschrift „Der eherne Reiter" eine dramatische Episode aus der Zeit der Überschwemmung Petersburgs im Jahr 1824 zum Gegenstande hat; ferner eine Novelle in Prosa — „Die Hauptmannstochter" — aus der Zeitgeschichte Pugatschews. Das Gedicht zeichnet sich in seinem beschreibenden Teil aus. Die Novelle hat etwas eigen Objektives in der Behandlung, man möchte sagen etwas Walter Scottsches in Goethesche Formen veredelt. Auch von einem Bruchstück „Ägyptische Nächte" macht man viel Aufhebens. Es ist der Anfang eines Gedichts von echt poetischer Konzeption und mit Meisterhand entworfen. Nach solchen Proben weiß man erst den Verlust recht zu ermessen, den die russische Literatur mit Puschkins Tod erlitten hat, und sieht ein, wie mit Unrecht so mancher fürchtete, der Dichter habe sich überlebt, während er wahrscheinlich nur einen Übergang zu neuen Schöpfungen bestand.

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II. Jubelfeier. Krise. Erwartungen. Wenden wir uns von den verlornen Hoffnungen zu geborgnen Gewinnsten, von einem durch Hagel zerstörten Sommerfelde zu einem Erntefest. Die Zeitungen haben schon etwas davon gemeldet, wie die nun 50jährige schriftstellerische Wirksamkeit des unsterblichen Fabeldichters Krilow am 2. Februar (n. St.) d. J. — dem Geburtstage desselben — gefeiert worden. Es war auf eine Überraschung des edeln Greises abgesehen. Einer seiner Freunde lud ihn ganz einfach ins Engelhardsche Haus, wo die öffentlichen Bälle gegeben werden, zu Tische. Krilow kam ganz unbefangen zu einer Suppe, und denke man sich, mit welchem Staunen er, anstatt einige Freunde zu finden, sich von einer zahlreichen und glänzenden Gesellschaft empfangen und mit Glückwünschen umringt sah! Es war der Kern der Petersburger Literatur und Gesellschaft. Die Galerien des Saals sind von Frauen besetzt, und wohin nun der Greis tritt, fallen ihm Blumen und Kränze aus zarten Händen auf das Dichterhaupt. Der Minister des öffentlichen Unterrichts überreicht ihm unter einer feierlichen Rede im Namen des Kaisers, der damit seinen Anteil an dem Nationalfest betätigen will, die Insignien des Stanislausordens mit dem großen Stern. Zwei andere Reden von Shukowsky und dem Fürsten Odojewsky folgen. Fürst Wäsemsky stellt sich mit einem köstlichen Gedichte voll geistreicher Heiterkeit ein, in welchem er des Dichter erfabelten Ruhm für Rußland als eine kostbare Wahrheit in Anspruch nimmt. — Unter den hier zusammengewundenen lebenden Sträußen der Nationalliteratur Rußlands fehlte nur das bekannte welke Kleeblatt: Gretsch, Bulgarin und Senkowsky. Diese Herren hatten sich, wie es scheint, aus einem richtigen Instinkt von dem Fest ausgeschlossen. Doch wir wollen sie darum nicht übergehen; sie machen vielmehr den schicklichsten Übergang, um von einer literarischen Krise zu reden, die, nah bevorstehend, vielleicht schon in diesem Jahre zum Ausbruche kommt. — Die Apathie der meisten guten Literaten hat auf der einen Seite den tiefsten, auf der anderen Seite den höchsten Punkt erreicht. Die vier Journalisten, die jetzt das Wort führen, jene genannten drei nämlich und Polewoy, sind nun in Petersburg vereint. Die „Lesebibliothek" wird von Senkowsky, die „Nordische Biene" und der „Sohn des Vaterlandes" von Gretsch und Bulgarin gemeinschaftlich mit Polewoy redigiert, welcher letztere der eigentliche Redakteur beider Journale ist, wenn sie auch seinen Namen nicht an der Stirne tragen. So hat nun der Buchhändler Smirdin die eben geltenden Journalisten in seinem Geldbeutel eingefangen. Es kann nicht fehlen, von diesem Gipfel buchhändlerischen Betriebs muß es nun desto reißender abwärts gehen. Mag Smirdin immerhin, wie man behauptet, 20 bis 25 Buchhandlungen in den Hauptstädten des Reichs gegründet haben: der erste Gärungsstoff zu einer Krise liegt in der feindseligen Spannung zwischen seinen zwei Hauptwerkmeistern Senkowsky und Polewoy. Man versichert, Smirdin sei der anmaßlichen Forderungen und der ungeschliffenen Behandlungsweise dieses Senkowsky müde und habe Polewoy gewonnen, jenen in seinen Journalen zu stürzen. Senkowsky aber leistet den mit jedem Tag offneren und ungestümeren Angriffen Polewoys nachdrücklichen Widerstand. Noch sieht das Publikum diesen Hahnenkämpfen mit Vergnügen zu; einer der beiden rotkämmigen Streiter muß aber am Ende unterliegen. Dies Moment der Spannung zwischen zwei der Journalisten trifft nun zur Beschleunigung eines literarisch-chemischen Prozesses und unserer in Aussicht gestellten Krise mit einem Moment der Faulheit in den beiden andern Journalisten zusammen. Gretsch und Bulgarin sind nämlich reich und hierdurch lässig geworden. Sie treiben Literatur nur noch aus Liebhaberei, und ihr Einfluß wird

G.

ZIEGENGEIST, H .

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nach und nach, was er eigentlich stets hätte sein sollen, zu nichts. Also muß in einem bis zwei Jahren Smirdins literarisches Fabrikwesen zerfallen. Er bewaffnet ja in seiner eigenen Anstalt einen gegen den andern und setzt sie dergestalt wechselseitig herab. So vermindert sich mit jedem Tage die Zahl der alten Mitarbeiter. Den Journalen droht ein naher Sturz. Was wird alsdann aus der russischen Literatur werden? Seit einiger Zeit bemerkt man eine doppelte Wendung in der russischen Literatur. Einmal tritt die Prosa immer mehr an die Stelle der Poesie, und dann greifen historische Schriften, statistische Beschreibungen Bußlands, überhaupt ernste, positive Werke um sich und verdrängen die Romanliteratur und die frivolen Schreibereien. Manche wichtige Werke sind bereits in jüngster Zeit erschienen, und andere bereiten sich vor. So ist in diesem Augenblicke Pogodin mit einem großen, kritischen Werke über die älteste Periode der russischen Geschichte beschäftigt. — Die russischen Volkslieder werden gesammelt und füllen gewiß wenigstens zehn Oktavbände. — Die archäologische Kommission gibt ihre Arbeiten heraus, eine Menge auf die russische Geschichte bezüglicher Akten von großer Wichtigkeit. Ein Gleiches geschieht von der historischen Gesellschaft zu Moskau. — Von Schewirews Vorlesungen über die russische Literaturgeschichte, die mit großem Interesse gehört werden, ist eben die erste Vorlesung gedruckt worden. — Dabei geht aber die erzählende Poesie nicht ganz leer aus. Pawlow läßt drei Novellen drucken, in denen sein Talent einen mächtigeren Schwung nimmt als in den früheren, die schon eine allgemeine Aufmerksamkeit erregten. — Fürst Odojewsky wird unter dem Titel „Das Narrenhaus" eine Reihe Novellen herausgeben. — Durch zwei auch ins Deutsche übersetzte Romane, „Jury Miloslawsky, oder die Russen im J. 1612" und „Roslawlew, oder die Russen im J. 1812", ist Sagoshin in Deutschland schon bekannt. Es interessiert uns also, zu erfahren, daß nächstens ein neuer Roman von ihm erscheinen wird: „Der Versucher", kein eigentlich historischer, sondern aus der laufenden Zeit entnommener Gegenstand. Zu diesen Werken, auf die wir aufmerksam machen, gehört noch eins, vor welchem wir warnen. Deutsche Zeitschriften haben schon früher ein literarisches Unternehmen Bulgarins ausposaunt, „Rußland" betitelt. Wir begnügen uns zu sagen, daß dieses Werk von einigen jungen Leuten in Bulgarins Sold und unter dessen Etikette fabriziert worden ist. Wem es unter die Hände fällt, betrachte und verstoße es als ein Fabrikat von Bulgarin und Compagnie. — Wir schließen diese Mitteilungen mit einigen Worten über Musik. Die deutsche Geselligkeit und die Liebe zur deutschen Kunst haben in Moskau einen Singverein gegründet, in welchem nächstens Mendelssohns „Paulus" aufgeführt werden soll. — Noch mehr! Zu Tobolsk ist den 2. Januar in einem Konzert eine Ouvertüre von Reisinger, ferner die Ouvertüre aus den „Hugenotten" von Meyerbeer und ein und das andere Stück aus „Robert dem Teufel" ausgeführt worden. Muß das nicht auf die russische Musik wirken? In der Tat ist eine reinrussische Produktion von Glinka „Das Leben für den Zar" als eine herrliche Komposition auszuzeichnen, die in der dramatischen Musik Epoche machen wird. Die Zeitungen haben bereits gemeldet, mit welchem Effekte diese Oper in Petersburg aufgeführt worden ist. * Man bezieht sich wegen der hier genannten Schriftsteller auf „Literarische Bilder aus Rußland" — herausgegeben von H. Koenig. Stuttgart, J. G. Cotta'sche Buchhandlung 1837.

Erstmaliger Wiederabdruck nach dem anonym erschienenen Text in: Allgemeine Zeitung, Augsburg, 1838, Außerordentliche Beilage Nr. 234—235 vom

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Donnerstag, 3. V. und Außerordentliche Beilage Nr. 236—237 vom Freitag, 4. V., S. 942f. Die Verfasserschaft Mel'gunovs und Koenigs wird dokumentarisch durch die Korrespondenz zwischen Koenig und Cotta vom 7 . - 2 5 . April 1838 belegt (vgl. Br. 9—11). Auch im Redaktionsexemplar der „Allgemeinen Zeitung" ist Koenig durch handschriftlichen Vermerk als Einsender ausgewiesen. Wie aus den im Cotta-Archiv aufbewahrten Geschäftsbüchern hervorgeht, erhielt Koenig für den Artikel ein Honorar von 10 Gulden und 36 Kreuzern. Um die Lesbarkeit zu erleichtern, ist der Text von uns in Orthographie und Interpunktion vorsichtig modernisiert worden; die Umschrift der russischen Personennamen wurde nicht verändert. Alphabetisches Namensverzeichnis Künstler V. G. Benediktov A. A. Bestuzev-Marlinskij F. V. Bulgarin G. R. Derzavin I. I. Dmitriev M. I. Glinka E. P. Grebenka [TpeöiHKa] N. I. Greö E. I. Huber [r y 6ep] N. M. Karamzin 0 . M. Kiprenskij 1. A. Krylov M. I. Lebedev

der im Artikel erwähnten russischen Schriftsteller und M. Ju. Lermontov V. F. Odoevskij A. 0 . Orlovskij N. F. Pavlov M. P. Pogodin N . A. Polevoj A. S. Pulkin O.-Ju. I. Senkovskij S. P. Sevyrev A. F. Smirdin P. A. Vjazemskij M. N. Zagoskin V. A. 2ukovskij

Abkürzungen B J K r a k o w , N a c h l . V a r n h a g e n = Biblioteka Jagielloriska. Oddzial R^kopisöw, K r a k ö w . Depositum der D e u t s c h e n S t a a t s b i b l i o t h e k Berlin: V a r n h a g e n v o n Ensesche S a m m l u n g . Cotta-Archiv M a r b a c h = Schiller-Nationalmuseum. Deutsches L i t e r a t u r a r c h i v , C o t t a - A r c h i v ( S t i f t u n g der S t u t t g a r t e r Zeitung), M a r b a c h a. N . E . Heyck 1898 = E . H e y c k , Die Allgemeine Z e i t u n g 1798—1898. B e i t r ä g e zur Geschichte der d e u t s c h e n Presse, M ü n c h e n 1898. L B = Literarische Bilder a u s B u ß l a n d . H g . v o n H . K o e n i g . Mit d e n Bildnissen v o n D e r s h a w i n u n d P u s c h k i n , S t u t t g a r t u . T ü b i n g e n : J . G. C o t t a ' s c h e B u c h h a n d l u n g , 1837. Zg I = G. Ziegengeist, V a r n h a g e n v o n E n s e als V e r m i t t l e r russischer L i t e r a t u r im V o r m ä r z . Folge I : U n g e d r u c k t e Briefe V a r n h a g e n s u n d N e v e r o v s 1 8 3 7 - 1 8 4 1 , i n : ZfSl 29 (1984), S. 9 2 9 - 9 4 2 . Zg I I I = G. Ziegengeist, V a r n h a g e n v o n E n s e als V e r m i t t l e r russischer L i t e r a t u r im V o r m ä r z . Folge I I I : V a r n h a g e n s P u ä k i n - A u f s a t z im zeitgenössischen Urteil. U n b e k a n n t e Briefe aus den J a h r e n 1 8 3 8 - 1 8 3 9 , i n : ZfSl 32 (1987), S. 1 0 9 - 1 2 3 . Zg I V = G. Ziegengeist, V a r n h a g e n v o n E n s e als V e r m i t t l e r russischer L i t e r a t u r im V o r m ä r z . Folge I V : V a r n h a g e n u n d die „OTeiecTBeHHtte 3aimcKH". U n g e d r u c k t e Briefe v o n A. A. K r a e v s k i j , N . A. Mel'gunov, H . Solmar u n d V a r n h a g e n a u s d e m J a h r e 1839, i n : ZfSl 32 (1987), S. 1 6 5 - 1 8 6 . Zg V I = G. Ziegengeist, V a r n h a g e n v o n E n s e als V e r m i t t l e r russischer L i t e r a t u r im V o r m ä r z . Folge V I : V a r n h a g e n — Mel'gunov — N e v e r o v : eine deutsch-russische F r e u n d s c h a f t . Unged r u c k t e Quellen ( J u n i 1 8 3 6 - J u n i 1838), i n : ZfSl 33 (1988), S. 4 7 3 - 5 0 6 .

Z. Slaw. 84 (1989) 1, 29—43

G. S t o l p m a n n

Individuum und Gattung Zu Cingiz Ajtmatova Erzählung „Scheckiger Hund, der am Meer entlangläuft" „Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine G a t t u n g , seine W e s e n h e i t Gegenstand ist. Das Tier ist wohl sich als Individuum — darum hat es Selbstgefühl —, aber nicht als Gattung. . . . Das Tier hat daher nur ein einfaches, der Mensch ein zweifaches Leben: bei dem Tiere ist das innere Leben eins mit dem äußern — der Mensch hat ein inneres u n d äußeres Leben. Das innere Leben des Menschen ist das Leben des Menschen zu seiner Gattung, seinem Wesen." L. F e u e r b a c h 1 „Die bewußte Lebenstätigkeit unterscheidet den Menschen unmittelbar von der tierischen Lebenstätigkeit. Eben nur dadurch ist er ein Gattungswesen. Oder er ist nur ein bewußtes Wesen, d. h., sein eignes Leben ist ihm Gegenstand, eben weil er ein Gattungswesen ist. . . . Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens, d. h. eines Wesens, das sich zu der Gattung als seinem eignen Wesen oder zu sich als Gattungswesen verhält." K.Marx2 I

Daß Cingiz Ajtmatov mit seinem Roman „Der weiße Dampfer" in eine neue Schaffensperiode eingetreten ist, findet in seiner 1977 herausgebrachten Erzählung „Scheckiger Hund, der am Meer entlangläuft" seine nachdrückliche Bestätigung. Diese Feststellung zielt weniger darauf ab, als Besonderheit dieser Werke — wie schon oft geschehen — das ihnen eigentümliche spannungsvolle Zusammenspiel von Wirklichem und Mythischem, Legendärem und Märchenhaftem (als mehr oder weniger äußerlich leicht benennbaren Auffälligkeiten) hervorzuheben, sondern sie gründet sich vornehmlich auf die Beobachtung, daß Ajtmatov die für seine Dichtkunst neugewonnenen Elemente des Mythischen, Legendären und Märchenhaften in den Dienst einer philosophisch und geschichtlich vertieften Sicht und Durchleuchtung gegenwärtiger Wirklichkeit zu stellen wußte. Daraus vor allem bezieht die poetische Aura dieser Werke ihre bewegende und mitreißende Kraft. Und es wäre die Aufgabe weiterer Untersuchungen, eine Aufgabe,

1

2

L. F e u e r b a c h , Das Wesen des Christentums, Ausgabe in zwei Bänden, hg. v. W. S c h u f f e n h a u e r , Bln. 1956, Bd. I, S. 35f. K. M a r x , ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW, Ergänzungsband 1, Bln. 1968, S. 516f.

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der sich die vorliegenden Betrachtungen noch nicht zuwenden können, ob oder inwieweit Ajtmatov in seinem Werk „Der Tag zieht den Jahrhundertweg" diese neue Schaffenslinie fortsetzt und sich dabei vielleicht wiederum neue Möglichkeiten poetischer Wirklichkeitssicht erschließt. Im Unterschied zu allen anderen vorherigen Arbeiten Ajtmatovs bildet die stoffliche Basis für die Erzählung „Scheckiger Hund, der am Meer entlangläuft" nicht das Leben des kirgisischen Volkes. Auf den ersten Blick fällt das einfach nur als eine Erweiterung des Stofflichen im Schaffen Ajtmatovs auf. Die Erzählung bietet aber mehr an Neuem als nur das. Neben der Erweiterung des Stoffbereiches erschließt sich Ajtmatov in ihr auch neue Möglichkeiten zur Realisierung seines erklärten Bemühens, durch die künstlerische Prononcierung allgemeinmenschlicher Züge und Qualitäten zu tieferer philosophischer Verallgemeinerung vorzudringen. Die Anregung zu dieser Erzählung und die Grundzüge der Fabel verdankt Ajtmatov, wie er in einem Gespräch mitteilte3, dem Bericht des Schriftstellers Vladimir Sangi über ein Kindheitserlebnis. Vladimir Sangi, der erste Schriftsteller der Niwchen, einer kleinen Völkerschaft im Nordosten Sibiriens, war als siebenjähriger Junge mit drei Erwachsenen zur Jagd aufs Meer hinausgefahren, wo sie in dichten, undurchdringlichen Nebel gerieten und die Orientierung verloren. Erst nach zwei Tagen, als schon keiner mehr hoffte, die Gefahr lebend zu überstehen, wies — ein glücklicher Zufall — ein vorüberfliegender großer Vogel die Richtung zum rettenden Festland. Dies sind die wenigen, der Fabel zugrunde liegenden Fakten — aber was hat Ajtmatov daraus gemacht! Unter seiner Feder entfaltet sich diese Fabel zu einem Gleichnis von der Gattungsexistenz des Menschen. Auffällig ist, daß die in der Kunstwirklichkeit der Erzählung lebenden Menschen keine sozialökonomisch bedingten Widersprüche kennen. Auch das ist neu im Schaffen Ajtmatovs. Und eine oberflächliche Betrachtung könnte den Verzicht auf die Darstellung solcher Widersprüche für eine Abkehr des Autors von der Gegenwart mit ihren Problemen, für einen Rückzug aus der Aktualität künstlerischer Gestaltung halten. Die Aktualität eines literarischen Werkes kann aber auch auf andere Weise als in direkter Abbildung oder Darstellung gegenwärtiger Probleme gegeben sein. Bedeutungsvoller als der stoffliche ist in dieser Hinsicht immér der thematische Bereich. Vor allem aber ist Literatur mit dem, was sie e n t w i r f t , aktuell. Im Wirklichkeitsentwurf liegt das Hauptmoment ihrer Aktualität, d. h. ihres aktuellen Bezuges auf die Gegenwart, insofern sie damit gegenwärtig zur Lösung anstehende geschichtliche Aufgaben kenntlich macht. Die Erzählung ist nicht einfach nur das Abbild einer realen Begebenheit, so wie sie Ajtmatov von Vladimir Sangi erfahren hat. Als auf die Gegenwart bezogene künstlerische Aussage begriffen, gibt sie im historischen Gewand eines Geschehens unter Menschen, die in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts noch in urgesellschaftlichen Verhältnissen lebten, den Entwurf einer in Harmonie lebenden Menschengemeinschaft, für die keine sozialökonomisch bedingten Widersprüche existieren, sondern nur die immer gegebenen gattungsexistentiellen und von jedem Individuum stets aufs neue zu erlebenden, zu erleidenden und zu durchkämpfenden Widersprüche zwischen Mensch und Natur, Tradition und Novation, Leben und Tod. Wenn damit auch diese Erzählung

3

vgl. Die ganze komplizierte Welt einfangen. Gespräch mit Tschingis A i t m a t o w (Das Gespräch führte Irmtraud Gutschke), in: Sonntag 42/1977.

G. STOLPMANN, Individuum und Gattung bei ö. Ajtmatov

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wie alle früheren Arbeiten Ajtmatovs auf Gegenüberstellungen beruht, so sind diese hier von anderer Qualität. Hier begegnen wir nicht der für jene typischen k o n f r o n t a t i v e n Gegenüberstellung von Gut und Böse und von Altem und Neuem, wie auch im „Weißen Dampfer" (1970) und wiederum in den „Frühen Kranichen" (1975), sondern Gegensätzen, die vom Menschen als einem bewußten Gattungswesen, „das sich zu der Gattung als seinem eignen Wesen . . . verhält", um seiner eigenen ferneren Gattungsexistenz willeaals von ihm zu k o n v e r g i e r e n d e Gegensätze begriffen werden müssen. Die Konvergierung dieser Gegensätze hat immer stattgefunden, in den verschiedenen geschichtlichen Zeitläuften unterschiedlich, entsprechend den jeweils gegebenen historischen Bedingungen. Aber noch nie war wie in unserer Gegenwart von dieser auf jeder historischen Entwicklungsstufe neu zu lösenden Aufgabe die weitere Existenz der menschlichen Gattung in ihrer Gesamtheit abhängig. Daß die Wirkungsintentionen Ajtmatovs auf die Auseinandersetzung mit dieser Problematik gerichtet sind, hat er selbst in den folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: „Ich wollte, daß die Leser darüber nachdenken, daß sie Menschen sind und daß sie würdig für die Fortsetzung ihres Lebens auf der Erde kämpfen müssen." 4 Das in der Kunstwirklichkeit der Erzählung entworfene Bild einer in Harmonie lebenden Gemeinschaft von Menschen, für deren Handeln und Verhalten nur gattungswesentliche Widersprüche bestimmend sind, rückt als Gegenbild die in erschreckendem Gegensatz dazu stehende reale Lebenswirklichkeit der Menschheit unserer Tage ins Bewußtsein des Lesers. Die Selbstverständlichkeit, mit der jeder einzelne Akteur der Erzählung „sich . . . zu sich als Gattungswesen verhält", läßt den im Sinne Ajtmatovs nachdenkenden Leser das völlige Fehlen eines solchen den Menschen als Menschen charakterisierenden Gattungsbewußtseins bei jenen Vertretern der Menschheit als höchst bedrohlich empfinden, denen in der Verfolgung selbstsüchtiger Profit- und Machtinteressen weder bei der allmählichen Zerstörung der Natur noch bei dem Spiel mit dem Risiko der heute möglich gewordenen kurzfristigen Selbstvernichtung der Menschheit in einem Kernwaffenkrieg das Gewissen schlägt. Mit der Wahl eines Sujets, in dem die Darstellung bzw. unmittelbare Abbildung historisch näher bestimmbarer sozialökonomisch bedingter Widersprüche nicht deshalb erforderlich ist, um der Gestaltung Aktualität zu sichern, und daher fehlen und nicht als Mangel empfunden werden kann, hat sich Ajtmatov die Möglichkeit geschaffen, eine künstlerisch-philosophisch besonders profilierte Sicht auf das Verhältnis von Individuum und Gattung zu eröffnen und Grundfragen des Gattungsverhaltens der Individuen in parabolischer Überhöhung künstlerisch zur Diskussion zu stellen. — Die für das tiefere philosophische Verständnis des Verhältnisses von Individuum und Gattung entscheidenden Grundbestimmungen wurden von Ludwig Feuerbach und Karl Marx entwickelt. Als wesentlichen Unterschied des Menschen vom Tier kennzeichnet Feuerbach die Fähigkeit des menschlichen Individuums, sich die Gattung als sein eigenes menschliches Wesen zum Gegenstand des Bewußtseins machen zu können. Und er sagt, daß der Mensch im Unterschied zum Tier ein zweifaches Leben habe, ein äußeres und ein inneres, wovon das innere sein Leben im Verhältnis zur eigenen Gattung sei. Marx übernimmt diesen Gedanken von Feuerbach, führt ihn aber weiter, indem er als wesentliches Charakteristikum des Menschen als eines Gattungswesens dessen Fähigkeit

* ebd.

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zur Vergegenständlichung seiner menschlichen Wesenskräfte hervorhebt. Darüber hinaus betont Marx, damit ebenfalls über Feuerbach hinausgehend, die gesellschaftliche Bestimmtheit des Verhältnisses von Individuum und Gattung, und in dieser Hinsicht gelten ihm die Begriffe „menschlich" und „gesellschaftlich" als Synonyme. So definiert er mit Engels in der „Heiligen Familie" „das Gattungsbewußtsein und Gattungsverhalten des Menschen" als „die gesellschaftliche oder menschliche Beziehung des Menschen zum Menschen" 5 . Für Feuerbach realisiert sich das Verhältnis von Individuum und Gattung nur als geistig-psychischer Prozeß, als Bewußtseinstätigkeit, für Marx aber außerdem und hauptsächlich in der gesellschaftlich bedingten praktischen, sinnlich-gegenständlichen Lebenstätigkeit der Menschen. Nun ist zwar Ajtmatov ganz sicher nicht unmittelbar und zielgerichtet, etwa mit der Absicht, sie künstlerisch ins Bild zu setzen, von den hier skizzierten, durch Feuerbach und Marx gegebenen grundlegenden Bestimmungen des Verhältnisses von Individuum und Gattung ausgegangen, sondern, wie wir von ihm selbst wissen, von einer realen Begebenheit, doch die schöpferische Umsetzung dieser Begebenheit ins künstlerische Bild läßt keinen Zweifel daran, daß sie aus einer Sicht erfolgte, die den Auffassungen von Feuerbach und Marx entspricht. D e r G r u n d g e d a n k e d e r E r z ä h l u n g i s t d i e F r a g e n a c h d e m V e r h a l t e n d e s I n d i v i d u u m s zu s i c h a l s G a t t u n g s wesen. U n d dies sehen wir als den e n t s c h e i d e n d e n a k t u e l l e n B e z u g s p u n k t der Erzählung an. II „Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur." K. M a r x 6

Mensch und Natur Ajtmatov stellt die Fabel seiner Erzählung von vornherein in die weite Dimension tellurischer und gattungsgeschichtlicher Zusammenhänge. Eröffnet wird die Erzählung mit der personifizierenden Schilderung, wie sich „der uralte, unbändige Kampf der zwei Elemente", Land und Meer, ihr „Widerstreit seit dem Schöpfungsakt . . . im ewigen Zeitenlauf" 7 vollzieht. Und aus dem Gemälde des immerwährenden Kampfes der Naturgewalten läßt der Erzähler das Bild des Menschen hervortreten, der, inmitten des Widerstreits der Elemente stehend, diesen seine Existenz abringt und sich dabei als lernendes Wesen immer mehr unter allen Geschöpfen der Erde hervortut. Und wenn, in diese Darstellung eingeblendet und mit ihr verflochten, der Mythos von der Ente Luwr, der Mythos der Niwchen von der Entstehung der Erde, erzählt wird, so wird damit der eigentlichen Erzählung vom Schicksal der vier Niwchen ein symbolträchtiges Bild vorangestellt, das einen bestimmten Sinngehalt der Erzählung in mythologischer Verkleidung vorausbedeutet. Die drei älteren der vier Niwchen in ihrem Kajak sind, nachdem der Scheckige Hund ihren Blicken entschwunden ist und nachdem sich endlos-tödlicher 5 6 7

F. E n g e l s / K . M a r x , Die heilige Familie, in: MEW, Bd. 2, Bln. 1959, S. 41. K. M a r x , a. a. O., S. 516. Tsch. A i t m a t o w , Scheckiger Hund, der am Meer entlangläuft, in: Sinn und Form, Zweites und Drittes Heft 1978, S. 371.

G. STOLPMANN, Individuum und Gattung bei G. Ajtmatov

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Nebel über ihnen ausgebreitet hat, so allein mit ihrer Not um die Erhaltung jungen, werdenden Lebens wie vor Urzeiten die Ente Luwr, die nirgendwo in der grenzenlosen Weite des Meeres einen festen Ort finden konnte, um ein Nest zu bauen. Und so wie sich die Ente Luwr die Federn auszupft und sich damit der weiteren eigenen Lebensmögliohkeit beraubt, um das im Ei verborgene Leben zu retten, so geben die drei Älteren im Kajak, einer nach dem anderen, ihr Leben hin, um damit die einzige Chance für das Überleben des einen, des Jüngsten, zu erhalten. Die drei Männer gehen in den Tod um des Lebens willen. Darin liegt der unmittelbar aus der Situation und aus dem darauf bezogenen mythologischen Gleichnis zu erfassende Sinn ihrer Tat. Sie wird aber, in der künstlerischen Gestaltung durch Ajtmatov, selbst zum Gleichnis von weitreichenderer Bedeutung, als sie dem mythologischen Bild eingeschlossen sein kann. Wie es scheint, haben der alte Organ, Mylgun und Emraijin nur die Wahl, so oder so zu sterben. In Wahrheit aber stehen sie vor der Wahl, entweder über kurz oder lang einen kläglichen Tod zu e r l e i d e n , in den sie, als bloße Naturgeschöpfe vor der Herausforderung durch die Naturgewalten versagend, das junge Leben Kirisks mitreißen würden, oder aber mit Würde, in geistiger Freiheit, sich dem unausweichlichen Tod, seinen Zeitpunkt selbst bestimmend, zu s t e l l e n , damit der Allgewalt der Natur ihre menschliche Kraft und Größe entgegensetzend und sich dadurch der Natur, ihrer Schöpferin, als ebenbürtig erweisend. Daß der Mensch als Geschöpf der Natur von der Natur abhängig, ihren Gesetzen und ihrer Gewalt unterworfen ist, dieses Moment des Zusammenhangs von Mensch und Natur tritt in der äußeren Handlung der Erzählung zwar als bestimmend und entscheidend hervor, auf der Ebene des inneren Verhaltens und der geistigen Reflexion der Figuren aber werden solche Momente dieses Zusammenhangs besonders profiliert, die ihn in erster Linie nicht als ein natürlich, sondern als menschlich bestimmtes und vom Menschen zu bestimmendes Verhältnis begriffen wissen wollen. Zwar nimmt Ajtmatov der Natur nichts von ihrer für den Menschen schicksalhaften Größe und Gewalt, macht diese aber nicht deshalb sichtbar, um im Gegenüber die Nichtigkeit des Menschen zu suggerieren, sondern um an die Größe des Menschen zu erinnern, die sich besonders dort in Erscheinung setzt, wo dieser mit innerer Kraft und Wurde handelt und der Natur selbst als eine Naturmacht in geistiger Freiheit ebenbürtig gegenübertritt. Es ist vor allem die Figur des alten Organ, in der diese menschliche Größe in der Einheit von Denken und Handeln künstlerisch zur Anschauung gebracht wird. Die Gedanken von der Würde des Menschen und seiner Ebenbürtigkeit gegenüber der Natur werden von ihm gedacht. Und dabei wird ein zweiter wesentlicher Aspekt des Zusammenhangs von Mensch und Natur ins Blickfeld des Lesers gerückt: der Mensch lebt nicht nur im Kampf, sondern auch im Einvernehmen mit der Natur. In der Figur Organs wird das als eine sowohl in praktischer wie geistiger Hinsicht notwendige Bedingung menschlichen Naturverhältnisses sinnfällig gemacht. Im praktischen Handeln kommt das Einvernehmen Organs mit der Natur vor allem in zweierlei Hinsicht zur Geltung. Er gibt den anderen den für die spätere Rettung Kirisks entscheidenden, der Natur abgelauschten Rat, und er vollzieht als erster, das Beispiel gebend, die Tat der Hingabe des eigenen Lebens um der Erhaltung des Lebens willen. Im Einvernehmen und in Übereinstimmung mit der Natur zu handeln, heißt für den Menschen, die Gesetze der Natur zu erkennen und sie als gültige Gesetze auch für das menschliche Leben anzuerkennen und sie zur Grundlage des eigenen Handelns zu machen. Wenn der alte Organ den Jüngeren im Boot den Rat gibt, sie alle zusammen 3

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müßten „ständig die Luft beobachten und in sie hineinlauschen ..., ob da nicht unversehens eine Agukuk, eine Polareule, vorbeifliegt"8, die mit ihrem stets geraden Flug zwischen Insel und Festland den rettenden Weg aus dem tödlichen Nebel weisen könne, so ist damit zwar im konkreten Handlungsverlauf der Erzählung neben der Tatsache, daß Organ mit Rücksicht auf die anderen nichts mehr ißt und trinkt, eine weitere wichtige Vorbedingung für die spätere Rettung Kirisks geschaffen, die dadurch repräsentierte Bedeutung weist in ihrer Allgemeinheit aber weit über den konkreten Fall hinaus. Wird dabei noch bedacht, daß in dem eine allgemeinere Bedeutung tragenden konkreten Sinngefüge auch Mylguns ohnmächtige und unflätige als zwar verzweifelte, aber würdelose Beschimpfungen der Naturkräfte nicht funktionslos stehen, sondern diesem beziehungsvoll eingeordnet sind, so wird hier als sinnbildlich vermittelte Einsicht faßbar: Im Kampf mit der Natur kann der Mensch nicht bestehen, wenn er ihr zuwiderhandelt. Und weiter: Der Mensch kann seine Existenz zwar nur in stetem Kampf mit den blinden Naturgewalten behaupten, aber die Natur selbst, und das heißt : die genaue Kenntnis und Berücksichtigung der Naturnotwendigkeiten, weist auch den Weg aus der Bedrohung menschlicher Existenz. Ein Bedeutungsgehalt der Erzählung von höchster Aktualität! Auch die letzte Tat seines Lebens vollbringt Organ im Einvernehmen mit der Natur, durch sie zwar immer noch im Kampf mit ihr, aber nicht im Zwiespalt mit ihr etehend. Er, der noch im hohen Alter das Leben so sehr liebt, wie sich das in seinem Traum von der Großen Fischfrau ausdrückt, geht seinem Tod bewußt und gefaßt entgegen. Aber er tut das nicht in fatalistischer Schicksalsergebenheit. Indem er seinem Tod den Sinn eines Opfertodes gibt, unterwirft er sich zwar seinem Schicksal, aber dies in dem Bewußtsein, dadurch nicht nur in das eigene, sondern auch in das Schicksal der anderen tätig einzugreifen. Damit akzeptiert er nicht nur den Tod des Individuums als Lebensgesetz der Gattung, sondern h a n d h a b t es auch als solches. Das bezeugen seine an Emraijin gerichteten Worte: „Seinem Schicksal entrinnt keiner, dafür ist es das Schicksal, ob du dich ihm unterwirfst oder nicht. Wenn uns aber schon das Ende bevorsteht, kann einer das Schicksal beschleunigen, damit die andern Zeit gewinnen."9 Organ verkürzt sein Leben, um das der anderen zu verlängern und womöglich dadurch zu retten. Er verhält sich zu sich, wie das später auch Mylgun und Emraijin tun, als bewußtes Gattungswesen, was ihn befähigt zu wissen, „wozu seine Kraft und Würde auf der Schwelle vom Ende noch reichten"10. Diese innere Kraft und menschliche Würde, in der Erzählung betont hervorgehoben, bezieht Organ jedoch nicht nur aus dem Bewußtsein von sich als Gattungswesen, sondern auch noch aus einer anderen, nur dem Menschen eigenen Fähigkeit: seiner Fähigkeit zu träumen. Einen wichtigen Platz im inneren, geistig-psychischen Leben Organs nimmt sein Traum von der Großen Fischfrau ein. Mit ihm setzt er sich innerlich auf vielfältige Weise zur äußeren Welt in Beziehung. Daß dieser Traum vieldeutig auslegbar ist, dafür wird in der Erzählung selbst ein direkter Rezeptionsimpuls gegeben: „ J a , dieser Traum war der Weggefährte des Alten, er kam immer wieder, bescherte ihm Freude, Kummer und unirdische Seelenpein. Und jedesmal aufs neue überraschte er Organ durch seine Unausschöpfbarkeit, durch das Vieldeutige der Anspielungen, die seine unwahrscheinlichen Wandlungen 8 ebd., S. 418. • ebd., S. 618. » ebd., S. 421.

G . STOLPMANN,

Individuum und Gattung bei C. Ajtmatov

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und Sonderbarkeiten bargen:" 11 Kurz bevor Organ aus dem Lebe ngeht, sagt er zu Emraijin: „Habe immer von der Großen Fischfrau geträumt. Du wirst das nicht begreifen ... Ich will dorthin .. ," 12 Er will dorthin — mit diesen Worten begreift Organ, einer der möglichen Bedeutungen seines Traumes zufolge, das Meer als den Urgrund allen Lebens und sich selbst als ein aus diesem Element hervorgegangenes Naturwesen, dem es beschieden ist, zu seinem Ursprung zurückzukehren. III „ . . . die moderne Naturwissenschaft (hat) den Satz vom erfahrungsmäßigen Ursprung alles Denkinhalts in einer Weise erweitert, die seine alte metaphysische Begrenzung und Formulierung über den Haufen wirft. Indem sie die Vererbung erworbener Eigenschaften anerkennt, erweitert sie das Subjekt der Erfahrung vom Individuum auf die Gattung; es ist nicht mehr notwendig das einzelne Individuum, das erfahren haben muß, seine Einzelerfahrung kann bis auf einen gewissen Grad ersetzt werden durch die Resultate der Erfahrungen einer Reihe seiner Vorfahren." F. E n g e l s 1 3

Tradition und Novation So wie der Widerspruch zwischen Mensch und Natur das individuelle und Gattungsleben des Menschen hauptsächlich von außen her bestimmt, so findet dieses Leben von innen her eine seiner wesentlichen Bestimmungen in dem Widerspruch zwischen Tradition und Novation. Dabei liegt in den historischen Zeitläuften der Akzent einmal auf dieser, einmal auf jener Seite. In Zeiten revolutionären Umbruchs Hegt, dem Wesen dieses Prozesses gemäß, der Schwerpunkt auf der Umwandlung und Erneuerung des gesamten gesellschaftlichen Lebens und des Lebens der Individuen. Überkommene Traditionen, Gewohnheiten, Denk- und Verhaltensweisen werden kritisch überprüft, entweder beibehalten, verändert oder verworfen. Nicht immer wird dabei das, was der völligen Ablehnung verfällt, zu Recht verworfen. In Zeiten, in denen neugeschaffene gesellschaftliche Verhältnisse ein hohes Maß an Stabilität gewonnen haben und der weitere gesellschaftliche Fortschritt vor allem in der Entfaltung der Wesenszüge des Neuen besteht, erlangen oder besitzen die Elemente der Tradition, alter und neuentwickelter, wieder größeres Gewicht. In der Bewegung dieses allgemeinen Widerspruchs, der in seiner jeweiligen historischen Erscheinungsweise vom konkreten Entwicklungsstand der Produktionsverhältnisse abhängig ist, vollzieht sich die Höherentwicklung der menschlichen Gattung, und in ein so oder so akzentuiertes Verhältnis beider Seiten dieses Widerspruchs sieht sich, darin seinen Platz selbst bestimmend, das Individuum hineingestellt. Während in den früheren Werken Cingiz Ajtmatovs der Widerspruch zwischen Tradi11 la 13

3*

ebd., S. 388. ebd., S. 619. F . E n g e l s , Noten zum „Anti-Dühring", in: F . E n g e l s , Herrn Eugen DühringsUmwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring"), Bln. 1948, S. 459.

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tion und Novation immer in historisch-konkreter Ausprägung seiner b e i d e n Seiten innerhalb der künstlerischen Welt präsent ist, erscheint nun im „Scheckigen Hund . . . " in der parabolischen Gestaltung von Grundfragen menschlicher Gattungsexistenz nur die eine Seite, die Tradition im Sinne von Überlieferung und Brauch, in der unmittelbaren Darstellung. E s wäre irrig anzunehmen, daß es das einmal gewählte Sujet nicht hergäbe, auch die andere Seite des Widerspruchs mitzuerfassen, denn die Art und Weise, wie der gestaltlose Erzähler der Geschichte das Verhalten der Figuren, ihre Stellung in und zur Tradition, mit Kommentaren und direkten Uiteilen begleitet, gibt dem Ganzen den Charakter einer Polemik, die mit hintergründiger Aktualität auf den ganzen Widerspruch, auf das Verhältnis seiner beiden Seiten zueinander, zielt und eben dadurch auch die andere Seite in das Gedankenfeld des Lesers rückt. Die Figur, die in der Erzählung als erste näher vorgestellt wird, ist Organ, der älteste der vier Niwchen. Unmittelbar darauf folgt die Vorstellung Kirisks, des Jüngsten. Daß die Reihenfolge der Vorstellung nicht zufällig und nicht ohne Bedeutung ist, sondern als betonte Gegenüberstellung von Alter und Jugend begriffen sein will, wird auch durch die äußere Gegenübersetzung beider im Kajak kenntlich gemacht. Organ und Kirisk sind die beiden, die nicht nur altersmäßig am weitesten voneinander entfernt sind, sie sitzen auch zu Beginn der Ausfahrt am weitesten entfernt voneinander im Kajak, Organ auf der Heckbank, das Steuer führend, und Kirisk am anderen Ende des Bootes, am Bug. Diese betonte Gegenüberstellung von Alter und Jugend, von älterer und jüngerer Generation, lenkt die Aufmerksamkeit sogleich auf die Bedeutung des Unterschiedes, von dem das Verhältnis beider Seiten zueinander bestimmt ist. Doch dessen Kennzeichnung erfolgt nicht deshalb, um ihn als die Grundlage für ein anschließendes Hervortreten konfrontativer Momente zwischen beiden Seiten zu verdeutlichen. Zwar ist da zunächst die Rede von Organ als einem „mürrischen Alten", den nicht zu verdrießen Kirisk sich, „mit größter Mühe stillhaltend" 14 , bemüht, aber das ist die äußere Erscheinungsform anderer Zusammenhänge. Die am Anfang hervorgehobene Gegenüberstellung von Alter und Jugend, von älterer und jüngerer Generation, ist aus dem Kontext der ganzen Erzählung nicht anders zu verstehen als das Sichtbarmachen einer Aufgabe von gattungsexistentieller Bedeutung, der Aufgabe nämlich, den immer wieder auf natürliche Weise sich herstellenden Unterschied zwischen Alter und Jugend, wie er vor allem im Hinblick auf Erfahrung, Wissen und Können in Erscheinung tritt, zu konvergieren und auf dem Wege der Konvergenz aufzuheben. Diesem Zweck soll die Fahrt der Niwchen dienen. Kirisk befindet sich in gespannter Hochstimmung. „Diese Ausfahrt ins Meer wurde seinetwegen unternommen — er sollte das Jagdhandwerk erlernen." 15 Er war in das Alter gekommen, wo es galt, „ihn seetüchtig zu machen", was im allgemeinsten Sinne bedeutet, ihn lebenstüchtig zu machen. Dieser „hohen Pflicht der Älteren gegenüber den Jüngeren" 16 , wie es im Urteil des Erzählers heißt, unterziehen sich Organ als ClanÄltester und die beiden besten Jäger der, Sippe, Emraijin und Mylgun. Die Erfüllung dieser Pflicht wertet der Erzähler besonders nachdrücklich als Notwendigkeit gattungsgeschichtlicher Existenz des Menschen: „So mußte es.sein, so hielt man es von Ge-

14 15 16

C. A j t m a t o v , a. a. 0., S. 373. ebd. ebd., S. 374.

G. Stolfmann, Individuum und Gattung bei ö. Ajtmatov

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schlecht zu Geschlecht, von Glied zu Glied. Darauf beruhte das Leben." 17 Wird damit einerseits die Verantwortung der Älteren gegenüber den Jüngeren im Hinblick auf die Überlieferung von Gattungserfahrungen betont, so wird andererseits ein Aspekt der Tradition im Verhältnis der Jüngeren zu den Älteren mehrmals hervorgehoben, der in dem Worte Brauch seine Bezeichnung hat. An das Ende seiner Schilderung, wie eine erfolgreiche Heimkehr des jungen Jägers Kirisk von dessen Sippe gefeiert werden und wie sich dabei Emraijin vor allen anderen stolz als Vater dieses Sohnes bezeichnen würde, setzt der Erzähler die folgenden Feststellungen: „Auf See gibt es weder Vater noch Sohn, auf See sind alle gleich und ordnen sich dem Ältesten unter. Was der Älteste sagt, geschieht. Der Vater hat sich da nicht einzumischen. Und der Sohn hat sich nicht beim Vater zu beklagen. So ist es Brauch." 18 Daß es Ajtmatov nicht unterläuft, seinen Erzähler und seine Figur, die Figur Kirisks, nur als blinde, kritiklose Geschöpfe in der Annahme vorgefundener Normen vorzustellen, ist durch eine spätere Textpassage zu belegen, wo in erlebter Rede Urteil und Gedanken von Erzähler und Figur in eins zusammenfließen und wo die Frage nach dem Verhältnis der Generationen über die außergewöhnliche Situation der Meeresfahrt hinaus auf das ganze Leben ausgedehnt wird. Nachdem Kirisk die erste Robbenjagd miterlebt und zum erstenmal in seinem Leben wie ein echter Mann rohe Robbenleber bei der Jagd gegessen hatte, sitzt er im Boot, „bewunderte unwillkürlich die Jäger" und „machte sich Gedanken über jeden von ihnen ... Kirisk vermochte sich diese Menschen nicht anders vorzustellen. Der alte Organ mußte wohl immer, zu allen Zeiten, derselbe alte Mann gewesen sein . . . Wie denn sonst? War denn ein Leben denkbar ohne den Ältesten, ohne diesen allseits geachteten Mann?" 19 In dieser Reflexion verbindet sich mit der Betrachtung des alten Organ die Ahnung des jungen Kirisk und das Wissen des Erzählers von der Notwendigkeit des harmonisch zu gestaltenden gattungsgeschichtlichen Zusammenhangs der Generationen, und der kritische Blick, der hier eröffnet wird, richtet sich nicht gegen diesen gattungswesentlichen Zusammenhang, sondern gegen seine mögliche Gefährdung. An diesem Punkte des Nachdenkens, wie es sich Ajtmatov von seinen Lesern wünscht, angelangt, begreift man die der Erzählung in bezug auf den Widerspruch von Tradition und Novation innewohnende Polemik. Sie richtet sich gegen Auffassungen und Verhaltensweisen, von denen aus in unserer Gegenwart, unter den Bedingungen entfalteter sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse, nicht selten und zu häufig ohne Sinn für gattungswesentliche Zusammenhänge die Frage der Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu einseitig nur in ihrer negativen Erscheinungsform als unproduktive und charakterlose Anpassung diskutiert wird. Ajtmatov sieht in der Bewahrung überlieferter Bräuche und Normen, die menschlicher Würde und Sittlichkeit einen festen Rahmen geben, eine wichtige Aufgabe der Gegenwart. In einem Gespräch, das er mit Heinz Plavius führte, äußerte er sich besorgt über ein moralisch-sittliches Zurückbleiben der Menschheit hinter den Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution und stellt diese Besorgnis in den Zusammenhang seiner Meinung über das unterschiedliche sittliche Veihalten der älteren und jüngeren Generation: „Der alten Generation, wie ich sie noch aus meiner Kindheit 17

ebd., S. 375. ebd., S. 377. " ebd., S. 403. 18

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kenne, würde ich heute mehr vertrauen als meinen Zeitgenossen. Warum? Sie hatten sieh ihre Ganzheit stärker bewahrt, bei ihnen galt Gewissen, Reinheit noch etwas. Natürlich hatten sie ebenfalls ihre Probleme, ihre Fehler. Aber was sich jetzt abspielt, versetzt mich stärker in Unruhe."20 In seiner Erzählung signalisiert Ajtmatov diese Unruhe in den Gedanken Kirisks, die diesen bewegen, als Mylgun sich ungebärdig und ausfällig an seinen Vetter Emraijin wendet und ihn zu einem in ihrer verzweifelten Lage unsinnigen Tun auffordert: „Kirisk beschlich Unbehagen. Er schämte sich für Aki-Mylgun. Der hatte sich ungehörig benommen, immerhin war er jünger als der Vater. Da hatte sich also etwas gelockert oder war zerbrochen — in ihm, oder in dem, was sie jetzt darstellten, die vier Niwchen in einem Boot." 21 IV „Der Tod scheint als ein harter Sieg der Gattung über das bestimmte Individuum und ihrer Einheit zu widersprechen; aber das bestimmte Individuum ist nur ein bestimmtes Gattungswesen, als solches sterblich." K. Marx22

Leben und Tod Der alte Organ setzt sich, keine sozialen Nöte kennend, gedanklich sehr intensiv mit der größten Not des Menschen, der Todesnot auseinander. Not, oder mit dem philosophischen Begriff: Notwendigkeit, wird vom Menschen immer als ein Zwang begriffen, dem zu unterliegen er als unleidlich empfindet, unter dem er leidet und den er daher mit Leidenschaft zu überwinden bemüht ist. „Sinnlich sein ist leidend sein. Der Mensch als ein gegenständliches sinnliches Wesen ist daher ein leidendes und, weil sein Leiden empfindendes Wesen, ein leidenschaftliches Wesen."23 Die leidenschaftlichen Bestrebungen der Menschen waren und sind immer darauf gerichtet, sich von ihnen auferlegten Zwängen, gleich ob durch „äußerliche zufällige N o t " oder durch „innere notwendige Not" 24 auferlegt, zu befreien. Dem galten in der bisherigen Geschichte der Gattung ihre großen Träume und Sehnsüchte. Unter den Bedingungen der antagonistischen Klassengesellschaft dominierte dabei die Auseinandersetzung mit den Nöten, die sich aus sozialen Widersprüchen ergaben. Und zu den eigentlich menschlichen Nöten, den „inneren Nöten" des Individuums als eines bestimmten Gattungswesens, konnte sich der einzelne immer nur unter sozialhistorischer Zwanghaftigkeit verhalten. Ein wirklich freies, nur menschlich wesentlich bestimmtes Verhalten zu ihnen, für das beispielsweise der Tod als Erlösung aus dem irdischen Jammertal zu denken unmöglich ist, konnte sich kaum entfalten. Im Sozialismus, in der neuen Gesellschaft, in der die für die antagonistische Klassengesellschaft charakteristischen sozialen Nöte des Volkes überwunden sind, vermag sich der einzelne immer mehr in ein freies, wirklich menschlich bestimmtes Verhält-

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H. P i a v i u s , Gespräch mit Tschingis Aitmatow. Mensch und Welt in der Prosa der siebziger Jahre, in: Weimarer Beiträge, 11/1977, S. 48. Tsch. A i t m a t o w , a. a. 0., S. 415. K . M a r x , a. a. O., S. 539. ebd., S. 579. K. M a r x , Auszüge aus James Mills Buch „Elémens d'économie politique", in: M E W , Ergänzungsband 1, S. 463.

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STOLPMANN,

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nis zu jenen allgemeinen menschlichen Nöten zu versetzen, die nicht ä u ß e r l i c h e r sozialhistorischer Notwendigkeit, sondern der i n n e r e n Notwendigkeit der Gattungsentwicklung entspringen. Dabei gewinnt die Frage nach dem Sinn des Lebens eine neue Qualität. Zu leben ist um des Lebens, nicht um des Todes willen. Damit der einzelne nach dieser Maxime in rechter Weise zu handeln vermag, braucht er auch im Sozialismus „geistigen" Beistand, braucht er Lebenshilfe, bei der in die Frage nach dem Sinn des Lebens auch die Frage nach dem Sinn des Todes eingeschlossen ist, denn die Frage nach dem Sinn des Lebens kann für das sich menschlich zu sich verhaltende Individuum nicht unabhängig, lösgelöst von der Frage nach dem Sinn des Todes beantwortet werden. Die entscheidende Lebenshilfe der christlichen Religion besteht darin, Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Todes zu geben, eine jenseitsgerichtete Antwort, in der der Tod als seligmachende Erlösung aus dem irdischen Sündendasein begriffen wird und die Todesfurcht des Individuums durch Gottesfurcht paralysiert werden soll. Für einen diesseitigen, lebenszugewandten Menschen ist das keine akzeptable Antwort, er strebt nach Freiheit von jeglicher Furcht, nach einem furchtlosen Leben. Was aber macht heute derjenige im Bewußtsein, daß er sterben muß, wenn er, wie die Marxisten, überzeugter Atheist ist? Macht er sich den Gedanken an den Tod dadurch erträglich, daß er sich, wie in Ajtmatovs Erzählung Emraijin, mit dem Weiterleben in seinen Kindern tröstet? Findet er Halt im Glauben an seine geistige Fortexistenz im Leben der anderen Menschen, oder genügt es ihm zu wissen, daß er sich in der Sachenwelt vergegenständlicht hat, in der sich die Menschen nach ihm auch mit seiner Hinterlassenschaft wie mit ihm selbst umtun? Findet er, sofern er alt wird, Beruhigung in der Gewißheit, sein Leben gelebt zu haben, ein Leben, in dem nun nichts mehr kommen kann, was einem Menschen zu erleben möglich ist? Oder kann er darauf vertrauen, daß sich von einem gewissen Alter an Todesfurcht in Todessehnsucht wandelt, mit der er den Tod als die wohlverdiente große Ruhe nach den sinnerfüllt bestandenen Mühen, Beschwerlichkeiten und Leiden sinnlicher Existenz, vom Leben ermüdet, gelassen erwarten und vielleicht als erlösendes Wiedereinswerden mit der Natur empfinden wird ? Wo und von wem kann er hier auf der Suche nach Antwort Lebenshilfe erwarten? Hier sieht Ajtmatov eine besondere Möglichkeit und Verpflichtung der Literatur unserer Zeit. In seinem Gespräch mit Heinz Plavius äußerte er den Gedanken, daß die Auseinandersetzung mit bestimmten Fragen, die früher die Sache von Religion und Philosophie war, „heute mehr und mehr zu einer Kompetenz der Literatur und hier vor allem der Prosa" 25 werde. An gleicher Stelle vertritt er die Auffassung, daß das Tragische zum menschlichen Wesen gehöre. Und er sagte u. a. dazu: „Wir müssen davon ausgehen, daß das Leben neben Freuden, Bejahung und Optimismus immer auch die menschliche Tragödie in sich birgt ... Der Mensch wird geboren, nimmt seinen Lebensweg und muß ihn vollenden. Darin liegt die größte Tragik beschlossen, und wir haben nicht das Recht, das aus unserem Denken auszuschließen, obwohl wir uns darüber mit allem möglichen Zuspruch hinwegtrösten." 28 Die Erzählung „Scheckiger Hund, der am Meer entlang läuft"ist in hohem Maße künstlerischer Ausdruck dieser Auffassungen Ajtmatovs. Lebendige Gestalt erhalten sie vor allem in der Figur Organs, in dessen intensiven geistigen Auseinandersetzungen mit der

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H. P l a v i u s , Gespräch mit Tschingis Aitmatow, a. a. O., S. 21. ebd., S. 53.

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Frage nach dem Sinn von Leben und Tod und in seinem praktischen Verhalten dazu. Dabei spielen alle wesentlichen Momente einer Sinngebung von Leben und Tod eine Rolle, die dem Menschen, der sich nicht in religiösen Vorstellungen bewegt, zu denken möglich sind. In der ersten Berührung mit diesem Problemkreis innerhalb der Erzählung begegnen wir dem alten Organ als einem Menschen, der in der Vergegenständlichung seiner menschlichen Wesenskräfte zunächst Selbstgenuß empfindet : „Noch immer an seiner bereits erloschenen Pfeife ziehend, genoß der alte Organ die sichere Fahrt, gab sich einem Gefühl hin, als wäre er selbst das Boot ... Er war mit dem Boot zufrieden, sehr sogar, hatte er es doch selbst ausgestemmt und gehobelt; die Pappel hatten sie gemeinsam gefällt; . . . aber bearbeitet hatte er den Stamm allein — drei Sommer hatte er ihn getrocknet und behauen, und bereits damals war ihm klar gewesen: Das würde der beste Kajak, den er je gefertigt hatte." 2 7 In seinem Alter aber vermag er nicht in diesem Selbstgenuß zu verharren. Unwillkürlich stellt sich dabei der Gedanke an das herannahende Ende seines Lebens ein, sieht er sich in Todesnot versetzt: „Doch bei dieser Erinnerung beschlich ihn jäher Kummer. Wenn es nun sein letzter wäre? Er wollte noch eine Weile leben. Noch auf Fang hinausziehen ins Meer, noch ein paar Kajaks bauen, solange ihn Augenlicht und Fingerfertigkeit nicht im Stich ließen." 28 Aus dieser Todesnot, die ihn augenblicklich befiel, arbeitet er sich gewissermaßen heraus, indem er mit seinem Kajak eine große gedankliche Zwiesprache hält. In ihr wird der Wunsch lebendig, daß er über seinen Tod hinaus in seinem Kajak, den nachfolgenden Generationen dienend, noch lange weiterleben möge: „Auch wenn ich sterbe, du diene ihnen, wie du jetzt mir dienst. Und halte aus, Bruder K a j a k , bis auch dieser unser Sproß, der dort am Bug sitzt ..., herangewachsen ist und mit dir fährt nach nah und fern." 29 So einfach wie mit diesen Gedanken ist der aus dem Augenblick erwachten Todesnot zwar für diesen Augenblick, aber nicht schlechthin zu begegnen. Mit der Not des Todes sich auseinanderzusetzen, genügt dem Menschen, der nicht nur ein gegenständliches und sich vergegenständlichendes Wesen, sondern in seiner Vergegenständlichung vor allem in geistiges Wesen ist, nicht nur die Erkenntnis und Bestätigung seines mehr oder weniger kurzfristigen Weiterlebens in materiellen, gegenständlichen Werten, die er schuf — in seinen tiefsten menschlichen Wünschen und Sehnsüchten strebt er danach, das Bewußtsein von der Unendlichkeit und Unsterblichkeit des eigenen Ichs zu erlangen, was nichts anderes heißt, als sich des menschlichen Wesens bewußt zu werden, wie es in der konkreten Gestalt des Individuums lebendig ist. Daß die Unendlichkeit des menschlichen Wesens im B e w u ß t s e i n der endlichen Individuen gegeben ist, das hat Ludwig Feuerbach in den folgenden Sätzen zu bestimmen versucht: „ B e w u ß t s e i n im strengen oder eigentlichen Sinne und B e w u ß t s e i n d e s U n e n d l i c h e n i s t u n t r e n n b a r ; b e s c h r ä n k t e s Bewußtsein ist k e i n Bewußtsein; das Bewußtsein ist wesentlich allumfassender, unendlicher Natur. Das Bewußtsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewußtsein von der U n e n d l i c h k e i t d e s B e w u ß t s e i n s . Oder: im Bewußtsein des Unendlichen ist dem Bewußtsein die U n e n d l i c h k e i t des eignen Wesens Gegenstand."30 27 28 28 80

Tsch. A i t m a t o w , a. a. 0., S. 378. ebd. ebd., S. 379. L. F e u e r b a c h , a. a. O., S. 36f.

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Zur Höhe dieses Gedankens schwingt sich der alte Organ im erneuten Nachdenken über den Sinn von Leben und Tod auf: „Die Weite des Meeres beflügelte den alten Mann in seinen geheimsten Überlegungen ... Ihm war klar : Angesichts der unendlichen Weite ist der Mensch im Boot ein Nichts. Doch der Mensch denkt und erhebt sich so zur Größe von Meer und Himmel, behauptet sich angesichts der ewigen Elemente, wird den Welten in ihrer Tiefe und Höhe ebenbürtig. Darum ist der Mensch, solange er lebt, geistig so mächtig wie das Meer und so endlos wie der Himmel, denn seinem Denken sind keine Grenzen gesetzt. Stirbt er jedoch, wird ein anderer seine Gedanken weiterdenken, der folgende wieder weiter, und so geht es ohne Ende ... Dieses Bewußtsein bereitete dem Alten die bittere Wonne eines unannehmbaren Sichabfindens." 31 Hier erhebt sich Organ nicht nur geistig zur Größe und Unendlichkeit der Natur, sondern mit dem Gedanken an eine Fortexistenz im Denken und Weiterdenken des von ihm Gedachten durch alle nachfolgenden Generationen wird er sich auch der „Unendlichkeit des eignen Wesens" bewußt. Dem Kontext der ganzen Erzählung zufolge begreift er damit sein menschliches Weiterleben über seinen physischen Tod hinaus nicht als geistige Fortexistenz schlechthin, sondern als geistige Fortexistenz in der P r a x i s der Gattung. In der Übermittlung erworbener Gattungserfahrungen, bereichert durch eigene schöpferische Leistungen, liegt das Unvergängliche, Unsterbliche physisch begrenzter individueller menschlicher Existenz. In symbolischer Sinnbildlichkeit läßt dies der Schluß der Erzählung in einer durch ihre Einfachheit beeindruckenden Weise noch einmal aufscheinen. Kirisk treibt in dem von Organ gebauten Kajak dem rettenden Festlands, entgegen. Er konnte das Boot, sich beim Vorüberflug einer Polareule des Rates Organs erinnernd, mit letzter K r a f t in die durch den Vogelflug gewiesene Richtung steuern. Um àie eingeschlagene Richtung nicht wieder zu verlieren, orientiert er sich am Wind und an einem hell strahlenden Stern, dabei bemerkend, daß ihn auch die Wellen in die richtige Richtung tragen. Er folgt damit im praktischen Handeln den Erfahrungen, die er auf seiner ersten Meeresfahrt von den Älteren übermittelt bekam, und ist durch ihre Anwendung in der Lage, das in seiner Situation für seine Rettung einzig^Richtige zu tun. Die allgemeine Bedeutung dieses Sachverhalts macht er sich in seinem kindlichen Verständnis dadurch klar, daß er den jetzt als Helfer empfundenen Naturerscheinungen die Namen derer gibt, die ihm auch nach ihrem Tod dank der durch sie übermittelten Gattungserfahrungen noch beizustehen vermögen: Wind Organ, Stern Emraijin, AkiMylgun-Wellen. In seinen Überlegungen über die eigene Fortexistenz im bewußten Leben der nach ihm Kommenden begreift sich Organ in höchstem Maße als Gattungswesen, und wohl nur aus einem solchen Verständnis ist die Unsterblichkeit des Menschen als Unsterblichkeit des menschlichen Wesens geistig zu fassen. Dies zu denken, ist für den alten Mann eine Wonne. Aber diese Wonne ist bitter, denn Organ verkörpert das menschliche Wesen als Individuum, das als solches sterblich ist, und von dem, bei allem, was es denken kann, der Tod doch immer als harter Sieg der Gattung über das Individuum empfunden wird, mit dem sich abzufinden unannehmbar bleibt. Ausdruck dieses „unannehmbaren Sichabfindens" und zugleich des Bemühens, sich dennoch mit dem unentrinnbaren Tod auszusöhnen, ist Organs Traum von der Großen Fischfrau. In ihm wird eine Sehnsucht lebendig, die sich Organ nicht erklären kann: „Auf dem Meer durchlebte er die

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Tsch. A i t m a t o w , a. a. 0 . , S. 385.

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Geschichte seines ungewöhnlichen Traumes gleichsam von neuem und fragte sich, nüchtern überlegend, verwundert: ... was sollte in seinen Jahren diese Sehnsucht nach einer nichtexistierenden Fischfrau? Er machte sich Vorwürfe und mußte sich dennoch eingestehen: Ohne sie wäre er sich selbst schon zur Last — war er doch bereits gealtert, die Kräfte hatten nachgelassen und das Augenlicht, die Schönheit waren geschwunden, Zähne ausgefallen. Alles, wessen er sich einst rühmen durfte, schwand dahin, wurde zerstört, der Tod lauerte bereits, doch seine Brust ergab sich nicht, Wünsche lebten in ihr wie in der verflossenen Jugend — welche Not, daß die Seele nicht altert! Daher diese Gedanken, daher diese Träume, denn nur im Traum und in Gedanken fühlt sich der Mensch unsterblich und frei. In seinen Sehnsüchten schwingt er sich auf zum Himmel und taucht hinab in die Tiefe der Meere."32 W e l c h e N o t , d a ß d i e S e e l e nicht a l t e r t ! Läßt sich eine einfachere und zugleich tiefere Formulierung denken, in der das Unaussprechliche der Todesnot des alternden Menschen sagbar wird? In ihr erscheint, dem Entwurfscharakter der Erzählung gemäß, die Todesnot, wie sie keinem Menschen anders zu wünschen ist, als eine von äußerlicher Zufälligkeit freie Not, als freie Not des Menschen, als freie menschliche Not. Es ist dies nicht eine Not, um deren Überwindung der Mensch gegen den anderen Menschen kämpfen muß, sondern die er frei von allen anderen als nur menschlichen Rücksichten auf sich selbst zu erleiden und durchzustehen hat und aus der er sich nur, indem er sie außer mit dem Verstand auch psychisch bewältigt, in und zu menschlicher Freiheit herauszuarbeiten vermag. Die psychische Kraft zur Bewältigung der Todesnot findet der alte Organ in seinen Träumen und Sehnsüchten. Träume und Sehnsüchte gehören zusammen, und sie können, wie Ajtmatov am Beispiel Organs erkennen läßt, eine doppelte Funktion erfüllen. Einerseits sind die Träume des Menschen auf ein intensiveres Leben gerichtet — seine Träume sind die Form, in denen er seine über das reale Leben hinausgreifenden Sehnsüchte psychisch realisiert. Andererseits aber vermögen ihm Träume auch zur Quelle vermehrter psychischer Kraft zu werden, wenn er vom realen Leben besonderen Anforderungen unterworfen wird. Dieses zweite Moment führt uns die Erzählung nicht nur am Beispiel Organs vor. E s findet seinen konkreten Ausdruck auch im Traum Kirisks von der blauen Maus. Mit diesem Traum mobilisiert Kirisk in sich eine starke psychische Kraft, die er den unsäglichen Qualen des Durstes entgegensetzt: die Hoffnung. „Sehnsüchtig und kummervoll gingen seine Gedanken zur Mutter, die ihm die Hoffnung auf die durststillende blaue Maus eingeflößt hatte. ... Um nicht zu verzweifeln, begann er an jene blaue Maus zu denken, die ihm dereinst beigestanden, die ihn getränkt und geheilt hatte . . . Sie war nun seine einzige Hoffnung, sein Zauberwort gegen den Durst .. ," 33 Der Traum von der Großen Fischfrau war Organs Begleiter auf allen seinen Meeresfahrten gewesen. In ihm hatte er in der geistigen Erhebung über die Begrenztheit seiner individuellen Existenz aber nicht nur den „Rausch der Freiheit" 34 innerlich erlebt, sondern immer auch schon den untrennbaren Zusammenhang von Leben und Tod intuitiv erfaßt, denn sein leidenschaftliches Begehren nach Vereinigung mit der Großen Fischfrau war von dem „unstillbaren Wunsch" erfüllt, „in einem blitzartigen Augenblick die ganze Süße und die ganze Bitternis vom Beginn und vom Ende des Lebens zu 32 33 31

ebd., S. 392 f. ebd., S. 617f. ebd., S. 390.

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erfahren" 35 . In diesem Traum wird auf eine für Organ unerklärliche und nur ahnungsvoll zu begreifende Weise jene Todessehnsucht als Paralyse der Todesfurcht lebendig, von der Goethe in seinem Gedicht „Sehnsucht" spricht. Sagt es niemand, nur den Weisen, Weil die Menge gleich verhöhnet: Das Lebend'ge will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnet.

Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebannt, Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du Schmetterling verbrannt. Und solang' du das nicht hast, Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde. Organ hat dieses „Stirb und werde!" Und seine Sehnsucht nach Vereinigung mit der Großen Fischfrau drückt die Ahnung vom friedvollen Wiedereinswerden des Menschen mit seinem Ursprung, der Natur, aus. Und diese Ahnung befähigt ihn, der an der Schwelle zum Tode von sich sagen kann „Ich hab mein Leben g e l e b t . . . " , mit Ruhe und Gelassenheit auch zu sagen „Es ist Zeit" und „Ich will dorthin ,.." 3 6 . Die Lebenshilfe, die Ajtmatovs literarisch-künstlerische Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem Sinn des Lebens und des Todes geben kann, besteht sicher nicht so sehr darin, mögliche Antworten darauf zu geben, sondern wohl vielmehr darin, vorgeführt zu haben, wie sich das menschliche Individuum dadurch, daß es sich als Gattungswesen begreift, auch mit der größten Not des Menschen, der Todesnot, der Größe des Menschen eingedenk, mit Würde auseinanderzusetzen vermag. Und indem Ajtmatov die im Hinblick auf Leben und Tod aufgeworfenen Fragen eng verbindet mit der Erinnerung an menschliche Größe und Würde, bringt er das uralte und allgemeinste Wirkungsprinzip von Literatur zur Geltung: die Katharsis. 35 36

ebd. ebd., S. 619.

Z. Slaw. 34 (1989) 1, 4 4 - 5 8

J.Kohl

Das Werk F. M. Dostoevskijs in der russischen demokratischen Kritik der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts Die Erforschung der Geschichte der russischen Literatur hat seit jeher die Betrachtung der russischen Literaturkritik mit eingeschlossen. Letztere entwickelte sich zu einem eigenständigen Forschungsfeld, dessen Hauptaugenmerk vorrangig dem Erbe der revolutionär-demokratischen Kritik Mitte des 19. Jahrhunderts gilt 1 . Es fällt auf, daß der Volkstümlerkritik der 70er Jahre in ihrer Widersprüchlichkeit und politischen Einseitigkeit weniger Beachtung geschenkt wurde. Ein großer Teil des Textmaterials ist heute vielfach nur in den Zeitschriften dieser Zeit zugänglich, nachaufgelegt wurden nur die wichtigsten literaturkritischen Arbeiten der Volkstümler. Vorliegende Arbeit soll in erster Linie dem Materialstudium dienen und die Polemik zwischen Schriftsteller, seinem Werk und dem Kritiker in einem neuen Kontext verdeutlichen. Innere ökonomische und politische Widersprüche führten im Rußland der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts zur zweiten revolutionären Situation von 1879—1881. Das Land befand sich in einer Krise. Innerhalb des demokratischen Lagers entwickelte sich die Ideologie der Volkstümler zur führenden Strömung. Das zeigte sich in der Literaturkritik der führenden demokratischen Zeitschriften dieser Zeit wie „OTenecTBeHHHe 3anHCKH" und „/Jejio". An Hand der dort erschienenen kritischen Bewertungen des Werkes Dostoevskijs sollen im folgenden soziale, politische und ästhetische Positionen der Zeitschriften erkennbar werden. I m Kontext der politischen Diskussionen dieser Zeit widerspiegelt die Auseinandersetzung „ f ü r " und „wider" Dostoevskij die Aktualität und Brisanz seines Werkes. Die literaturkritischen Äußerungen der Volkstümler der 70er Jahre über die „BecH", den „riojjpocTOK" und die „BpaTbH KapaMa30BLi" sowie zum „^HeBHHK micaTejm" wirken über den Tod des Künstlers hinaus, bestimmen in großem Maße einseitige und Fehlurteile späterer Jahre. Nach dem Verbot des „ C O B P E M E H H H K " und des „PyccKoe CJIOBO" (im Zusammenhang mit der Karakozov-Affäre) gelang es Nekrasov, deren Traditionen in den „OTeiecTBeHHU6 3aimcKH" weiterzuführen. Diese stellten von 1868—1884 praktisch das Sprachorgan der Volkstümler dar. Nach Nekrasovs Tod 1877 leitete N . K . Michajlovskij den sog. kritischen (literaturkritischen) Teil der Zeitschrift. Außerdem publizierten demokratische Kritiker dieser Zeit in der Zeitschrift „ f l e j i o " , in der von 1866—1888 unter Leitung von G. E. Blagosvetlov die ehemaligen Mitarbeiter des „PyccKoe CJIOBO" wirkten. Hauptsächlich auf diese beiden Journale beschränkt sich die folgende Analyse. Für die Volkstümlerkritik der 70er Jahre bildeten die literaturkritischen Arbeiten der revolutionären Demokraten über Dostoevskijs Werk einen wichtigen Bezugspunkt. Anfang der 60er Jahre, mit der Herausgabe der „BpeMn" und dem Abdruck der „ Y H H JKeHHHe H ocKopßjieHHHe" (von Januar bis Juli 1861), entspann sich eine „Polemik der

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Zu verweisen ist hier auf den Überblick über russische und sowjetische Arbeiten zur „Geschichte der russischen Literaturkritik" in: K . S t ä d t k e , Ästhetisches Denken in Rußland, Berlin—Weimar 1978, S. 20—26 (s. Kap. „Russische Literaturkritik, Probleme und Darstellungsweisen").

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J. K o h l , Dostoevskij in der russischen demokratischen Kritik

Ideen" zwischen dem „CoBpeMeHHHK" und der Zeitschrift der Brüder Dostoevskij 2 . Seine literarischen und ästhetischen Positionen begründete F . M. Dostoevskij im Zyklus „ P h h CTaTeft o pyccKoft j i H T e p a T y p e " , in dessen zweitem Artikel „ R - H - 6 o b h B o n p o c 06 HCKyccTBe" 3 unter anderem auch ästhetische Prinzipien dargelegt wurden. Eine direkte Replik darauf war N . A . Dobroljubovs ,,3a6HTHe Jiraßii"4. Den Prinzipien der „realen K r i t i k " folgend, versuchte man, Dostoevskijs Werk nicht als Ausdruck subjektiver Ideen des Autors, sondern als Widerspiegelung realer gesellschaftlicher Prozesse zu verstehen. Literatur wurde danach beurteilt, wie sie den Forderungen des täglichen, in erster Linie gesellschaftlichen Lebens entsprach, inwieweit sie verschiedene revolutionäre Tendenzen unterstützte. Die soziale Bedeutung von Literatur und Kunst, ihre aktive Rolle bei der humanistischen Umgestaltung der Gesellschaft wurden in den Vordergrund literaturkritischer Betrachtungen gestellt. Analysiere man „YHHMieHHBie h ocKopÖJieHHue" vom Standpunkt der liberalen „ästhetischen" Kritik aus, so fände man, nach Meinung Dobroljubovs, viele Schwachpunkte (Einseitigkeit und Unbestimmtheit der Figuren, Wiederholungen in der sprachlichen Charakteristik, stereotype Ausdrucksmittel u. v. m.). Die Betrachtung jedoch der im Roman aufgeworfenen sozialkritischen Fragen und deren gesellschaftspolitischer Bedeutung zeige Dostoevskijs Platz in der „humanistischen" Literaturrichtung der 40er Jahre. Wenn es dem Künstler durch einfühlsame psychologische Analyse auch gelungen war, die Ursachen der „Sanftmut" und „Erbitterung" der „verschüchterten Menschen" aufzuzeigen, fehle es der humanistischen Philosophie Dostoevskijs jedoch an revolutionärer Perspektive, so der Kritiker. 1878 schrieb der „CoBpeMeHHHjt" resümierend über Dobroljubov: „ . . . b o B c e x C T a T t n x ßea HCKJHoiemiH ,E(o6pojiioGoB HBjiHeTCH KpHTHKOM-nySjiimucTOM, B e 3 « e o h CTaBHT Ha n e p B H i t n j i a H H H T e p e c H nettCTBHTejibH0CTH, a He

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BCe 9T0 3HaiHT TOBOpHTb 0 JKH3HH nO nOBOfly HCKyCCTBa" 5 .

Den Höhepunkt der demokratischen Literaturkritik der 60er Jahre stellte die tiefgründige und richtige Bewertung des „ H ^ h o t " durch Saltykov-Söedrin dar (in der Rezension von Omulevskijs Roman „Klar 3a rnaroM"). 1870/1871 arbeitete Dostoevskij an seinem neuen Roman „ B e c u " . In Briefen vom Frühjahr 1870 (an N . N . Strachov vorn 24. 3-/5. 4. 1870) und an A . N . Majkov vom 25. 3./6. 4. 1870) und den Entwürfen zum Werk wurde eindeutig die Tendenz des zukünftigen Roman-„Pamphlets" benannt. In dieser Zeit machte sich eine neue Etappe der schöpferischen Entwicklung Dostoevskijs bemerkbar. Die russische Befreiungsbewegung befand sich in den 60er Jahren in einer schwierigen Periode des Übergangs. Die Karakozov-Affäre, die Genfer Auftritte Bakunins 1867—1868, die Verstärkung Bakuninschen Gedankentums in der russischen revolutionären Emigration bewirkten bei Dostoevskij ein spezifisches Verständnis einer solchen gesellschaftlichen Erscheinung, wie der „Neöaevsöina". Zu den

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3 4 5

s. C. C. B o p m e B C K H i t , meapHH h ,H,0CT0eBCKHlt, M . 1956; B . H . K h p i i o t h h , ^oeroeBCKHü b 60-e roffhi, M . 1966; B . C. H e i a e B a , JKypHaji M . M . h d>. M . flocToeBCKHx „ B p e M H " 1861 no 1863, M. 1972; d i e s . , JKypHan M . M . ' h eKT « p y r o r o

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HHM OKOHiaHHeM B HM. II. MH. 1 . -ÜJ-M ( Ó O J L O M A , TLOJLSL) H HeCTaHflapTHHM OKOHHaHHeM -11 ( U M H U ) . T p e T H i i THn n a p a ^ n r M E i ( 0 :

0 ) o G i e ^ H H a e T HeHsiueHHeMBie c y m e c T B H T e j i b H b i e ,

TJiaBHHM OÓpaaOM 3aHMCTB0B&HHH H3 HHOCTpaHHBIX H3BIKOB ( Ó y p M C y a , MddaM, KjiaCCH(J)HKai(HH HHCJIOBHX OCHOB,

(JWIEKCHÍI H n o

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COOTHOineHHK)

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OCHOBH OKOHHaHHH

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cjienyiomHM 06pa30M. BbicoKOHacTOTHuíí n o j i i o c o 6 p a -

MapKHpoBaHHHM

KHH3b — KHH3bsi),


pi, sg = pi (CM. Taßjinny (15)) h conocTaBjieHwe xapaKTepHCTHK MapKnpoBâHHOCTH Ha cGMâHTHiGCKOM h (JopMajibHOM ypoBHHx HaeT cjieayjomyio KapTHHy. B HeMapKHpoBaHHOM ynoTpeßjieHHH napannrMH Tnna sg < pi (cmoA — cmojibi), HjiGHbt KOTopux Ha ceMaHTHiecKOM ypoBHe CBH3aHH oTHomeHneM [-¡- E ^ ] < [ — E/11, oÖHapyjKHBaioT o^HHaKOBoe (n30M0p$H0e) pacnojioweHHe ajieiweHTOB no CTeneHH cjiohíHOCTH, T. e. OHH 0praHH30BaHbI B COOTBGTCTBHH C npHHIÍHnOM KOHCTpyKIIHOHHOrO (AHarpaMMHoro). HKOHH3Ma3. Ilapa^HrMH THna sg > pi (ôoapuH — ôosipe), HMeiomne npHMo npoTHBonojiOHíHtie xapaKTepncTHKH MapKnpoBâHHOCTH na ceMaHTwjecKOM h «jtOpMajIbHOM y p O B H H X , K O H T p a H K O H H H H M . HeOAHHaKOBtlft C T a T y C B OTHOmeHHH C T e n e Heii HKOHH3Ma 3aHHMaiOT napa^Hrabi rana sg = pl. IlapaflHrMa nojjTHna 0 : 0 (manca — manca), KOTopoH CBoñcTBeHHa aciiMMeTpnH xapaKTepncTHK MapirapoBaHHocTH n s y x ypoBHeñ, ciHTaeTCH HeHKOHHHecKoñ. Ilapa^nrMa noflTHna ~ 0 : ~ 0 (napma — napmu) HM66T napajijiejibHue (ciiMMeTpHiHue) othoiuchiih MapKHpoBaimocTH Ha oöonx ypoBHHX: HGTOÎK^GCTBGHHOCTH OTHOUieHHH nO CTeneHH CJIOJKHOCTH Ha CeMaHTHieCKOM ypoBHe cooTBeTCTByeT HeTowaecTBeHHocTb KeHHH H, cjie^oBaTejibHo, HToroBan HeMapKHpoBaHHocTb. 3.4. 3 a K J i K ) i H T e j i b H H e

3aMeiaHHH

IIpefljiojKeHHaH KOMnjieKCHan TpexcTyneHiaTa« MeTOflHKa aHajiH3a MapKHpoBaHHOCTH cymecTBeHHO pacmnpneT HiianaaoH 3Toro noHHTHH no cpaBHeHHio c TpanHnnoHHHM noflxoflOM (c noaimuft IIpa/KCKOñ jiHHrBHCTHqecKOñ hikojih) , npn KOTopoM MapKHpoBaH3

4

B HacTOHmeö paôoTe HcnoJib3yeTCH TepMHHOjiorHH, npnHHTan CTopoHHHKaMH ecTecTBeHHoli rpaMMaTHKH (cm., Hanp., MaöepTanep 1981, Bypnejn» 1984b). B yKaaaHHbix npwMepax sg h pl BsaHMoaaMeHHeMti.

88

Z. Slaw. 34 (1989) 1

HocTb noHHMaeTCH Kan HBJieHHe TOJibKO oflHoro (ceMaHTHHecKoro) ypoBHH. B paMKax Tpa«HiiHOHHoro noflxoaa Teopneií oxBaTHBaeTCH He Becb HBHKOBOÜ MaTepnaji: npa pacCMOTpeHHH onno3Hi;HH sg : p i Kan 3KBHnojieHTHoñ (cp., Hanp., C P H 2 1983: 231—232) He npHHHMaiOTCH BO BHHMaHHe MapKHpoBaHHue 3HaieHHH oôenx tfiopM; ecjiH aia onno3hi^hh CHHTaeTCH npHBaTHBHOö (cp., Hanp., P r 1979: 308), TO HrHopnpyiOTCH MapKHpoBaHHue 3Ha*ieHHH p l . B 9T0M nocjieflHeM cjiynae 3HaieHHe Hecnemi(|)HKaiiHH KOJiHiecTBa ([zL E,3,]) y sg, BbiCTynaioiuee B cneqHajibHHx orpaHHHeHHHx KOHTeKCTax, HenpaBOMepHo B03B0HHTCH B paHr HHBapHaHTHoro ( = oßmero = KaTeropwajibHoro) sHaieHHH, H3 KOTOpOrO BHBOflHTCH OCTaJIbHHe SHaTOHHH ( [ + Efl,] H [ — Efl]) 9T0Ü (jiOpMbl (cp. HKOÖCOH 1971 [1957]: 148; M M C C P J I f l 1968: 1 5 3 - 1 5 4 ; GraHKeBHH 1983: 277). Ma BHmecKaaaHHoro cjie^yeT, MTO Bee TpH 3HaieHHH sg (a Tanate H pi) HBJIHIOTCH He3aBHCHMHMH ,npyr OT flpyra H CBnaaHbi Mewifly coöoü He Hepapxneft THna HHBapnaHT — BapnaHT, a OTHOUieHHHMH HeMapKHpOBaHHOCTH —

MapKHpOBaHHOCTH.

4. MapKupoeaHHOcmb nepiicßepuÜHUx cßopM Kameeopuu nucjia Cpe«N (JiopM MH. H. npocToe MH. I . (pi) npoTHBonocTaBJiaeTCH OCTAJITHHM (JtopMaM (pi C HHjieKcaMH) KaK HeMapraipoBaHHaH opMa MapKHpoBaHHHM (JjopinaM (CM. (1)). KANIFLAN H3 3THX nocjieflHHx HBjiHeTCH 6ojiee CJIOÎKHOÔ B (JiopMajibHOM oTHomeHHH no cpaBHeHHio c p i : pi 1 OTJiHiaeTCH OT p i HajiHiHeM cy, V, yjKropojj 1927, S. 232—259. Märiapöcs (ukr. MapinnoBi) ist ein Flecken (oppidum) im Komitat Szabolcs in Nordostungarn, vgl. E. F e n y e s , Magyarorszäg geographiai szötära, I I I , Pest 1851, S. 240. Das Kloster in Mariapöcs wurde 1749 neben der Kirche mit der wundertätigen Ikone der „tränenvergießenden Muttergottes" gegründet; vgl. E. L e n g y e l , A gör. kath. egyhäz Szabolcs värmegyeben, in: Magyarorszdg vdrmegyei es värosai, X V I I I , Budapest 1900, S. 349—352. Zur Gründungszeit gehörte das Kloster zur griechisch-katholischen Eparchie Mukaöevo (Munkäcs), in der der byzantinische Ritus und die kirchenslawische liturgische Sprache galten. Die Kirche in Mariapöcs hat den Bang einer basilica minor. Nach 1776 war Mariapöcs ein vielbesuchter Wallfahrtsort (zu Maria Himmelfahrt) und lange Zeit, bis 1919, ein religiöses und kulturelles Zentrum der Karpatoukrainer. Die Klosterbibliothek wurde 1760 begründet. Im Laufe der Zeit trugen die Mönche eine Bibliothek mittlerer Größe zusammen. Vor dem ersten Weltkrieg wies sie einen Bestand von 2883 Bänden auf (vgl. Magyar Minerva V, Budapest 1915, S. 385f.). Die Bibliothek wurde 1950 säkularisiert (vgl. Hatälyos jogszabalyok gyüjtemenye 1945 — 1948. I, Budapest 1960, S. 223). Die Überführung der Bestände aus dem Kloster in zentrale Bibliotheken erfolgte über Debrecen. 16 Handschriften verblieben dort und kamen zu den Beständen der Universitätsbibliothek Debrecen, wo sie 1973 katalogisiert wurden. Über das Schicksal der Bibliothek des Klosters Mariapöcs vgl. E. O j t o z i , Slawische Bücher in den Sammlungen der Universität in Debrecen bis 1850, in: Slavica, Debrecen 12 (1972), S. 161 — 167; dies., Kirchenslavische Bücher aus der Klosterbibliothek zu Mariapöcs, I.II, Debrecen 1977 — 1979. Eine ausführliche Beschreibung der gedruckten und handschriftlichen kyrillischen Bücher aus der Märiapocser Sammlung enthält: E . O j t o z i , A märiapöcsi bazilitak cirillbetüs könyvei. Kossut Lajos Tudomanyegyetem könyvtara, Debrecen 1982. Z. Slawistik, B d . 34, H . 1

98

Z. Slaw. 34 (1989) 1

Kurze paläographische Beschreibung des Denkmals Auf dem Titelblatt der Handschrift steht: TpaMMaTHKa pyccKaA ciipi^h npaBHJia H3B-femaTejiHaA h HacTaBHTGJiHaA w cjioßo-cjiojKeHiH cjioBa a s u K a cjiaBGHOKarw h j i h pSccKario b o nojiaS o6m8io, h oyTBepjKAeme bc^mt. CBoncTBGHHaroi H3tiKa CBoerto ö p a r i A M i hg t o i i k ) k i . htghIio h nncaHiK) H a n n a n e w e iTGHift h n H c a m f t paaSMGHiio, h o

TaKoatflG h JiaTHHCKaro H3HKa w6me BocnpiATar&i oyßoÖH'fciiieMS iioatiio h hsShghiio. BceixojiG3H,feitinaA h ÖJiaronoTpGÖH-feiimaA HOBocjioHtHinacA h cnncamacA tp8bojik>6igmt> GAHHarw HaÜMGHinara) öjiroHeCTHBbiMT. wraTEJieMT> KHH?khi;h CEA" in Gedichtform (S. 6—10), „MHO npsflHCJioBis" (S. 11—14), „rpaMMaTHKa pSccnaA, CHp-feib npaBHjia to CJIOBOCJIOJKEHÌH cjioßa H3BiKa pSccKarco. npejj/fl/Bspis rpaMMaTiiHscKoe co HaTSpirpaMMaTHKH h to EA pa3flijisHÌH" (S. 15—19); „HacTb nepBaA rpaMMaTHKH pSccKoft. to a)p0orpa$ÌH" (S. 29—31), „to cjioBaxi." (S. 32—38), „to npocoflin" (S. 39—42) ; „HacTt BTopaA rpaMMaraKH pSccKoft, KIHÌE ECTT. to ETiiMOJioriii, CH ECTT>/to/h3cji4«ob£ihìh lacTEH cjioßa" (S. 43—144), zu dem gehören: „rjiaBa nepBaA. to nepBoft nacTH cjioßa, rawe ECTT. De nomine, cnp-EHb to H M E H H " (S. 44—93), „rjiaBa BTopaA. to BTopoii iacTH cjioßa, MHte ECTT. De pronomine, ciip-feit, to 3aHMEHH HJIH B M 4 C T O H M E H Ì H " (S. 94—98), „FjiaBa T P E T A A . to TpETeft nacTH cjioßa, MJKE ECTT. D e verbo, cnp'kqb to r j i a r o j i i " (S. 99—130), „rjiaBa lETBEpTaA. to hetbeptoö l a c r a cjioßa, KÜKS ECTb De participio, cap^Hb to oynacTHOMT) HJIH npHnacTiii" (S. 131 —135, „PjiaBa nATaA. to n A T o i i nacTH cjioßa, kijke ECTT. De praepositione, c n p i i b to npe/a/jios-t HJIH npsflji05KeHÌH" (S. 136—138), „rjiaBa iueCTaA. to UIECTOÜ nacTH CJioBa, MJKE ECTT. De adverbio, cnp-feib to Hapinin HJIH npHrjiarojiamft" (S. 139—141), „rjiaBa cehmra. to csflMoß nacTH cjioßa, MJKE ECTT. De interjectione, c n p i i b to MEJKAOMETÌH HJIH B O B E P J K E H Ì H " (S. 142), „ r j i a B a t o c M a A . to t o c M o i t n a c T H cjioßa, KIJKS ECTT. De conjunctione, c n p i n b to C O Y ß I HJIH to COBOK S N J I E H I N " (S. 143—144), „HacTb T P E T A A RPAMMATHKH pSccKoit, MJKE ECTT. to CVHTA^H, c n p i i b to HHHHOMT. COHHHEHÌH HJIH cjio>KeHÌH NACTEH cjioßa" (S. 145—164) ; der dritte Teil besteht aus: „AjKjaBHT'E cjihtcLKTmheckìh" (S. 147—164), „McnojiHSHie rpaMMaTHiscKOE, to H S M ^ H e H m cjio?KSHÌft t o T p o K O M i s^jito n 0 J i s 3 H 0 E H ß j i a r o n o T p e ß H o s " (S. 165—170). E s folgt : ,,3aKJiK>HEHIE r p a M M a T H H E C K O E , c o A e p j K a m e s BT> C E 6 Ì I H H T . TEXHOJiorin, c n p i i b x8floSKHaroj co6ecÌAOBaHÌA to rpaMMaTHqt/n/to/tocMH nacTEXT. cjioßa. Ilo BonpocaMT. H toT B^TaMT. oynoTpEÖJiAEMarto" (S. 171 —172). Am Schluß der Handschrift steht das Inhaltsverzeichnis ,,torjiaBJIEHÌE Bsmeit, BO KHH3,t cefi; toSp-ÌvraiomHX'bCA" (S. 173). Die von I. A. Pan'kevyö in seiner Studie über die Mukaöevoer Fassung angeführten Bezeichnungen der Abschnitte und Unterabschnitte und die Hinweise auf die Seiten, die diese einnehmen, belegen überzeugend, daß die Mukaöevoer und die Màriapócser Fassung übereinstimmen oder fast völlig übereinstimmen 7 . E s gibt jedoch auch Unter6

vgl. A.

KpajiHi;KHIT,

ApceHHfi KoiiaK,

HOKTOP CBHTOTO 60R0CJI0BHH,

in: HayKOBHit

cßopHHK

H3AABAEMBIÖ JIHTEPATYPHHM OÖMECTBOM RAJNMKOPYOCKOTÖ MATHIIU, B . I , J I B B O B 1 8 6 6 , S . 7 6 . 7

7*

I. P a n ' k e v y ö verzichtete in seiner Studie über die Mukaöevoer Fassung auf eine paläographische Beschreibung des Denkmals, abgesehen von der lakonischen Bemerkung, daß die von ihm beschriebene Handschrift ein Format „neTBepTH apuyiueBCrk 2 3 x 1 8 , 5 cm" habe und daß sie in Schnellschrift geschrieben sei.

100

Z. Slaw. 84 (1989) 1

schiede. So steht z. B . das zweite Kapitel (die „Etymologie") in der Mukaöevoer Fassung auf S. 43—146, in der Märiapöcser Handschrift dagegen auf S. 43—144. Die erste Seite der eigentlichen Grammatik der Märiapöcser Handschrift (S. 15) stimmt mit dem Faksimile der entsprechenden Seite aus der Mukaöevoer Handschrift überein, das G. Gerovskij seinem Aufsatz über die Sprache Karpatorußlands beigegeben hat 8 . Man kann somit annehmen, daß die Mukaöevoer Fassung eine ziemlich genaue Abschrift der Mariapöcser ist; es kann aber auch das umgekehrte Verhältnis vorliegen. Auch die Mukaöevoer Fassung ist in Märiapöcs geschrieben worden und stammt wie die hier beschriebene Handschrift aus dem Zeitraum 1772—1778 9 . Die Abschrift ist möglicherweise wie folgt entstanden: Die Mariapöcser Fassung der Grammatik des Arsenij Kocak wird sich bereits um 1778 in der Klosterbibliothek befunden haben (allerdings weisen weder das Titelblatt noch andere Seiten der Handschrift eine Inventarnummer der Bibliothek auf) 10 . 1778 übersiedelten die Theologieschüler aus Märiapöcs in das Kloster nach Mukaöevo. Dorthin übersiedelte auch ihr Lehrer Arsenij Kocak 11 . Aber da es entsprechend den in den griechisch-katholischen Basilianerklöstern gültigen Regeln den Mönchen streng verboten war, Bücher aus einem Kloster in ein anderes zu bringen12 (es ist allerdings nicht bekannt, ob sich dieses Verbot auf eigene handschriftliche Bücher erstreckte), beschloß Arsenij Kocak, eine Abschrift von seinem Lehrbuch des Kirchenslawischen anzufertigen, das er in Mukaöevo brauchen würde. Vielleicht läßt sich die Entstehung der Kopie aber auch anders und einfacher erklären. Angesichts der bevorstehenden Abreise nach Mukaöevo mag Arsenij Kocak der Meinung gewesen sein, daß sein von den Schülern und Professoren so dringend benötigtes Lehrbuch „rpaMMaTHKa pyccKaA" auch in Märiapöcs vorhanden sein müßte, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Antonij (Andrej Fedoroviö) und mit I . Baziloviö die Klosterschule begründet hatte 13 . Gestützt auf die vorhandenen Fakten kann man jetzt von fünf bekannten Fassungen der Grammatik des Kirchenslawischen von Arsenij Kocak sprechen: 1. der Konspekt von Kräsny Brod von 1768 14 ; 2. die Mariapöcser Fassung von 1772—1778; 3. die Mukaöevoer Fassung von 1772—1778 (eine Abschrift der zuvor genannten Fassung oder umgekehrt); 4. der Konspekt von Imstiöevo von 1788 „rpaMMaTHKa pyccKaA HJIH naie psKiiiH CJIABEHCKAA HE COHÄA FL^THHCKAA; HO NAIE MTPOQECKAA C H P I I B HE H^TSMI., HO OTpOKOMT» H KTHOMAMT IipHJIHHSCTBSlOmaA, HS CdHaA, K1?KS nHCMEHa NPEFLJIARAETL

H HHTATH KpacHo A4TH HaoyiasTi, HO n a i s o>HaA caiwaA, KIJKE MTOMSA H nmusMaA .NOÖPI po38]vr&TH HacTaB«JiAeTTj, H0B0CJi0?KEHaA H cimcaHaA aa ÖST/C/BEHIEMT. H noBEJisHiEMt BCSITHIFTUIARO H npiTÖH-tiiiiiaro WTIJA IspM. IHOKCHTIA FLAHHJIOBIMT c . (OÖHTEJIH MMCTH-

8

9

10

11 12

vgl. G. G e r o v s k i j , Jazyk Podkarpatske Rusi, in: Öeskoslovenskä vlastiveda. D. I I I : Jazyk, Praha 1934, S. 491. Wie aus seiner Studie hervorgeht, kannte I. P a n ' k e v y ö die in Anm. 6 zitierte Arbeit von A. K r a l i c k i j über Arsenij Kocak nicht und wußte nicht, wann dieser in Märiapöcs gewirkt hat. Deshalb datiert er die Mukaöevoer Fassung anders. Die Bücher der Klosterbibliothek zu Märiapöcs erhielten gewöhnlich Inventarnummern, vgl. E. Ojtozi, A märiapöcsi bazilitäk cirillbetfis könyvei, S. 25. A. KpajiHUKHfi, op. cit., S. 67. vgl. [A. B. flyxHOBHH], IIpaBHJia qjma Cfaro BacmiHH Bejimtaro BO Yropmime . . . BO npaTqe cnncaHHa«, JIBBOB 1858, 73.1

13 11

vgl. E. Ojtozi, A märiapöcsi bazilitäk cirillbetüs könvei, S. 25. M. FlaHBKeBHi, op. cit., S. 234.

E. OJTOZI- — J. 0 . DZENDZELIVS'KYJ, Die Grammatik des Arsenij Kocak

101

5 Ha Fopi; ,ZI,3eKaHCKofi IrSMeHa npsflocToftHiitmaro ... IepM. ApceHiA KoijaKT. HCCB npo$. BO npEflpEHEHHoft WÖHTSOIH MMCTHI. p. 1788"15 und 5. niKOJia HJIH oyHHjiHiqe rpaMaTHKH pScnoii h nponinxi. MHoropaajiHiHuxi Ha8Kt h CBi^-femn cyrpoKO/M/ HA.TisHtamHXT. H MHoro KO npeScn^AHiio cji8jKaiuHXT>"16 Welcher Inhalt verband sich nun bei Arsenij Kocak mit dem Titel ,,FpaMMaTHKa HOBCKOÜ, HJKE

pyccKaA"?

In der Widmung und im Vorwort in Gedichtform verwendet der Verfasser die Bezeichnungen „pSccKift H3HKT>" und „CJIOBEHCKIFT H3HKT." synonym: ,,... npaBHJia « A U K A cjiaBeHCKarw HJIH pSccnaroj, „ . . . RPAMMARANS pSccKyio HJIH, ame H3BOJIHIIII, HAPQN CJIOBSHCKSIO", „ . . . noMHmjiAxi> RPAMMATHKS H4K8IO H NAUKA p8cCKarto HJIH AME H3BOJIHIHT. pernn H cjiaBSHCKarto . . . I;H6H HE MOJKHO CJIOWHTH" Mit der Bezeichnung „pSccnift NATIKT" meint Arsenij Kocak das Kirchenslawische, wenn er schreibt: ,,... A3MKT> Hann> pSccuiii ceft CTBIÜ . . . " , denn in dieser Sprache wird der Gottesdienst gehalten und deshalb steht sie „ H a n t HiMeijKiÄ H Ha/«/ oyropcKiit npeB3ATHÄ" (S. 7).

Ein solches Verständnis der Bezeichnung „pSccmft H3HKT>" spiegelt sich auch im Inhalt der Grammatik, in der dieselbe Sprache wie in der Grammatik M. Smotrickijs, nämlich das Kirchenslawische, beschrieben wird. Das W o r t „pSccKitt" schreibt Arsenij mal mit zwei, mal mit einem c: pSccKift, pScKiii. W i r meinen, daß der Verfasser es in derselben Bedeutung gebraucht, in der es bis heute (in den Varianten pyc'KHH, pyc'Kuii, pycKHft) in vielen Mundarten des südwestlichen ukrainischen Dialektgebietes bekannt ist — in der Bedeutung ,ukrainisch'. Folglieh hielt Arsenij Kocak das Kirchenslawische oder Slawische und das „Russische" (pSccmft, pScKift, d. h. das Karpatorussische (Karpatoukrainische) für e i n e Sprache17. Gleichzeitig hielt der Verfasser die geschriebene und volkssprachliche (mundartliche) Varietät dieser Sprache klar auseinander. So qualifizierte er die Wörter KatJwiA, CBHHA, ptuiA, XHMJIA, Kania, KOHTA, naHTOJiA eindeutig als „ n p o c T a Toniio C8TT>, a HE nncMEHHaA" (S. 81). Über die Formen sijiA, ÖLIJIA, KIOJIA, np8TA schreibt er: „IloHoÖH'i npocTa C8TT>. HHCMEHH^ 6O np0H3H0CATT>CA s-tjiie, ÖHJIÜE, KOJIIE, n p S T i e " (S. 81). Für wen und zu welchem Zweck hat Arsenij Kocak seine Grammatik verfaßt? In der zweiten Hälfte des 18. Jh. gab es allein in der Eparchie Mukaöevo außer der Klosterschule in Mariapöcs noch sieben weitere derartige Lehranstalten, und zwar in Mukaöevo, Maloe Bereznoe, Imstiöevo, Boronjavo (im heutigen Gebiet Zakarpat'e der U d S S R ) , in Kräsny Brod und Bukovä hora (heute in der OSSR) und in Bikstad (heute in der Ungarischen V R ) . Das Kirchenslawische war hier ein sehr wichtiges Unterrichts-

15 16

17

ebd. Einigen Aspekten der Sprache dieses Denkmals sind zwei Publikationen von I. A . D z e n d z e l i v s ' k y j gewidmet: 1. PyttomicHan rpaMMaTHKa ijepKOBHOCJiaBHHCKOro H3UKa BTopoft noiroBHHM X V I I I B. A . Koiiana KAK HCTOHHHK HCTOpiiiecKott JJHAJIEKTOJIORHH H HCTOPHH H3kma, in: CoBemaHHe no OÖIUHM BonpocaM «HajieKTOJiorHH H HCTOPHH H3UKA. TeaHCu AOKJiaaoB (flymaHße, 1 2 - 1 5 HonSpa 1979), M. 1979, S. 188—189, sowie 2. Tpa«NU,II M. CMOTpimbKoro B pyKonHCHiit rpaMaTHqi i(epK0BH0CJi0B'HHCbK0i MOBH A . Koi;aKa Apyroi IIOJIOBHHH X V I I I CT. (3araju.Ha xapaKTepHCTHKa, HEBI^MIMOBAHI TOCTHHII MOBH), in: CxiflHoaioB'HHCbKi rpaMaTHKH X V I - X V I I CT., KHIB 1982, S. 1 0 0 - 1 0 5 . Diese Auffassung teilen auch einige andere Autoren, insbes. M. L u ö k a j , vgl. den Titel seiner 1830 in B u d a erschienenen Grammatik „Grammatica slavo-ruthena: seu vetero-slavicae, et actu in montibus Carpaticis parvo-russicae, seu dialecti vigentis linguae".

102

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fach. Die allgemeinen Klosterregeln lauteten: „rjiaBHeftmeio Hie «oji/Khocthio yiHTeJieft (MaracTpoB) ecTb npeno^aBaTH TpaMMaTHKyCTapocjiaBHHCKy..., hto6h iohouim CBHmeHHoe niicaHiie, kphjiochhh KHHrn He tokmo iHTara, ho h pa3yMeTH npH3BHMaHBajiHcn" 18 .

Ein Lehrbuch des Kirchenslawischen wurde also dringend gebraucht. In der Ukraine, in Rußland und in Belorußland wurden bekanntlich allgemein das „rpaMMariKH cjiabehckha npaBHJiHoe cuHTarMa Meletij Smotrickijs oder seine gekürzten und bearbeiteten Ausgaben benutzt 1 9 . Gegenwärtig gibt es keine zuverlässigen Angaben darüber, daß in der Karpatoukraine im 17. und 18. J h . wenigstens ein Exemplar einer der drei Ausgaben dieser Grammatik (1619, 1648, 1721) oder ihrer bearbeiteten Fassungen vorhanden gewesen wäre. Zwar war dort die auf Veranlassung des Karlowitzer Erzbischofs Pavle Nenadovic f ü r die Bedürfnisse der Serben 1755 in Rimnic gedruckte Ausgabe der Grammatik Meletij Smotrickijs (ein Nachdruck der dritten, Moskauer Ausgabe von 1721) bekannt, es dürften aber nur sehr wenige Exemplare vorhanden gewesen sein. Der Mangel an einem dringend benötigten Lehrbuch war somit der Hauptgrund, warum sich Arsenij Kocak an die Abfassung seiner „rpaMMaTHKa pSccuaA" gemacht hat. In den Versen seines Vorwortes spricht er jedoch auch über das patriotische Motiv seines Unternehmens: ^aÖH H Haci) MrksepHHXT> PScHaKOBt,

He cSflHJiH Bei aKH cnpocTaKOBi» (S. 7) Es ist außerdem noch zu berücksichtigen, daß seinerzeit die Einfuhr von Büchern aus Rußland und aus der Ukraine verboten war. Der Bedarf an kyrillisch gedruckten liturgischen Büchern war jedoch ziemlich groß. I m J a h r e 1773 versammelten sich auf Geheiß der Kaiserin Maria Theresia die griechisch-katholischen Bischöfe Ungarns zu einer Beratung in Wien, um das Problem des Druckes derartiger Bücher im Habsburger Reich zu erörtern. An dieser Beratung nahm auch Arsenij Kocak teil; die Bischöfe schlugen ihn sogar als Zensor vor 20 . Es wurde auch die Meinung geäußert, daß auch andere Bücher, insbesondere Katechismen, „cjiOBapi h rpaMaTHKH pyctK-fe" notwendig seien 21 . Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Wunsch seine Wirkung auf Arsenij Kocak nicht verfehlt und ihn in seinem Entschluß bestärkt hat, seine Grammatik zu schreiben; es ist nicht ausgeschlossen, daß sich dieser Umstand auch im Titel der Grammatik reflektiert. In der Widmung schreibt Arsenij Kocak, daß seine Grammatik zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sei, für alle in der Karpatoukraine: Bcei(c)

T H ' f e Ä n i H M t H BC€nOHT6HH'i>IIIHMT>,

BcfeMi KHHroHiAMT., cdijeMi. h ßpariAMt, 18 19

vgl. [A. B. flyxHOBHi], üpaBHJia HHHa Graro BaciiMH BejiHKaro bo Yropmime ..., 23.1. TpaMMaTiKH mm imcMeHHHua KlstiKa cjioB8HCKarto TmaT&ji8MT> bt> KpaTbq-fe HB^aHa, Kpeiweiieq

1638; KpaTKoe ut TpaMMaTHHeCKarw xSAomecTBa BemiÄ coßpams, ko iia/i/yMeHiio b noji/i/ay

X0TAmHMT>

HB T O J l / t / K O

kob), TpaMMaTHKa

20

21

H8CTH,

HO H paaSlwfeTH K H H r t

pynoBoacTByiomaH

k

HTOJMaA, IIOHaeB 1773; AnOJIJIOC (A. BaftH 3 H K a , K a e B 1794,

no3HaHiio cnaBEHO-pocciÄCKaro

und weitere. vgl. M. L a c k o , Synodus episcoporum ritus byzantini catholicorum ex antiqua Hungaria Vindobonae A. 1773 celebrata, Roma 1975, 75. I. B. T a ^ n e r a , Harni; KyjitTypH-fe h ijepKOBH-fe cnpaBH Ha enwcKoncKHX Hapa^ax p. 1773 y B^ahì, in: ÜOÄKapnaTbCKa Pyct, III, YjKropo« 1926, S. 167.

E. OJTOZI — J. O. DZENDZELIVS'KYJ, Die Grammatik des Arsenij Kocak

103

Wl^eMT. aSxOBHHMT. BO Mip-fe cSlUHMT. COBOKSIIHO !Ke H MOHainecTßSiomHMT. He Toqiio ji86o-M8flpcTB8iomHMT>, ... ...

Ho ft noH3 iecTH TOKMO 3HaiomiiMT>. He TOIIK» iaKi. MaKOBHHaHi>M MaKOBHiaHOMt, H o Ä BCfeMt

KSÖHO

OyrpOpOCciAHOMT..

...

A3i> cMHpeHHHft HH»eno(A)nHcaHHHii Ceii Tp8fli> Moit nepB-feiiniiH

...

BaMi npnnnc8io H w H ^ H T O H C 8 M H H Me?KH paaJIHHHHMH M3H>iHHKaMH SSflSm« BHfl'fex'b rpaMMaTHwS He TOHiK) oyropcKSio, Ho no ceivn. TanosKe h H^MeiiKSio. Bc-fe oy6o A3hkh BT> Gvpoii'fe cSmiA OyB'fcfl'fcx'b s'fejio jiK)6oM8flpcTB8ioini (S. 6). Wahrscheinlich kannte Arsenij Kocak auch das Slowakische; man kann vermuten, daß er russische, tschechische und polnische linguistische Schriften benutzt hat. Die detaillierte Untersuchung des Inhalts, der Struktur, der Definitionen und des Beispielmaterials der Märiapocser Fassung der kirchenslawischen Grammatik des Arsenij Kocak führt zu dem Schluß, daß ihr vor allem folgende Quellen zugrunde liegen: 1. die lateinischen Grammatiken dieser Zeit, insbesondere des Emmanuel Alvar 24 , Philipp Melanchthons25 und möglicherweise auch des Donatus; 22

23

24

25

MaKOBHnaHi ist ein Bewohner der Landschaft MaKOBHija, wie das Gebiet nordwestlich von Preäov früher hieß. vgl. seine unlängst aufgefundene Handschrift „Lingua", in der der Verfasser die Verfahren der Wiedergabe der spezifischen grammatischen Züge des Hebräischen in der Vulgata betrachtet, s. dazu ß . 3,3eH«3ejiiBCbKHit, H0B03HaftseHÌ npaui ApceidH KoijaKa, in: flyKJiH, npaniiß 4/1980, S. 72. Emmanuelis Alvari... De institutione grammatica libri tres; E. A l v a r , Principia seu rudimenta grammatices, ex institutionibus Emmanuelis Alvari . /., Cassoviae 1748. Philippi Melanchthonis Grammatica latina, Lipsiae 1629, 1706.

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2. die Grammatik Meletij Smotrickijs, und zwar die Ausgabe Rimnic 1755 (vgl. dazu weiter oben); 3. die lebendige (mundartliche und geschriebene) ukrainische Sprache. Die Beziehung der Grammatik Arsenij Kocaks zur lateinischen Tradition äußert sich vornehmlich in der theoretischen Interpretation der sprachlichen Daten. Einige Belege dafür: a) Aus den Grammatiken von Alvar und Melanchthon stammen zahlreiche Definitionen grammatischer Begriffe. b) Wie in den lateinischen Grammatiken werden die Substantive entsprechend den Endungen des Gen. Sg. in fünf Deklinationen eingeteilt (bei Meletij Smotrickij sind es vier). Wie E. Alvar 26 gibt Arsenij Kocak eine zusammenfassende Tabelle der Endungen der Substantive aller fünf Deklinationen. c) Kocak unterscheidet vier Genera verbi —fl'tftCTBHTsjiHHft,Tspn-fejiHBBiii (oder Tep27 N I J I H B H H Ü ) , HHCAKÜH und MTJIARATEJIHHII — wie in den lateinischen Grammatiken . Smotrickij kennt dagegen fünf Genera verbi: «•¿HCTBHTs.iiHHft, CTpaAaTejiHHö, cpeaHifi, WTJIOJKHTEJIHHÜ und wßmift. d) Das Verb hat fünf Modi: CKaaaTeJiHu4 oder H3ABjiTejiHijft, noBsjiHTejiHHit, jKsjiaTejiHHft, coeflHHHTsjiHHft, HewKOHiaeMHft, vgl. im Lateinischen indicativus, imperati-

vus, optativus, conjunctivus, infinitivus. Bei Smotrickij gibt es sechs Modi: H3T>Ano^iHHHTejiHOe und Hsconpe^'i-

BHTejiHoe, noBeJiHTejiHoe, MOJIHTSJIHOS, C0CJiaraTEJiH0s, JIEHHOe.

e) Arsenij Kocak übernahm für seine Grammatik faktisch das lateinische System der Präterita; er unterscheidet MHMoineßiiiEe HECOBEPIIIEHHO, MHMOIHE^IIIES COBEPUIEHHO und vermerkt, daß auch MHMOIIIE^HIEE flpsBJis ECTB», E>KE H4ÜCTB!E HJIH Tcpn-feme HPEßJIE COBEPNISHHOS cKaaSsrb. Ho eis oy H A C I HE M Ö P ^ T A S C A , HE HMä, 6o pa3Harto wKOHHaHiA TOIIK) oy JIaTHHT>, p a a ß i peiemn P A J K J J A A X I , 6iAaxi> (S. 103); vgl. im Lateinischen praeteritum imperfectum, praeteritum perfectum, plusquamperfectum. Smotrickij kennt vier Formen des Präteritums: npexo^Amee, npemefliiiee, MHMOinsflmse u n d HenpsAijiHoe.

f) Das gesamte Syntaxkapitel, der sog. AjKjmBHTt CHHTaKTHiecKiä, folgt in der Darstellung der gekürzten Syntax des Lateinischen in Alvars Lehrbuch „Principia seu rudimenta grammatices . . . " In vielen Fällen hält sich Arsenij Kocak an die Reihenfolge der Darstellung in den lateinischen Grammatiken: a) Vor der Beschreibung der Konjugationen gibt er wie Alvar 28 das Paradigma des Verbs 6HTH. Smotrickij dagegen führt 6 H T H zusammen mit den anderen athematischen Verben nach den gewöhnlichen, den unpersönlichen und den gemischtkonjugierten Verben an; b) Die Darstellung des Verbs wird mit einem Abschnitt über die unpersönlichen Verben wie in den lateinischen Grammatiken 29 abgeschlossen; 26 27 28 28

E. A I v a r , Principia seu rudimenta . . . I, 5. vgl. Ph. M e l a n c h t h o n , op. cit., S. 125. vgl. E. A l v a r , De institutione . . . I, 46—50; d e r s . , Principia seu rudimenta . . . I, S. 38—49. ebd., Principia seu rudimenta . . . I, S. 141 — 144.

E . OJTOZI — J . O . D Z E N D Z F . U V S ' K Y J ,

Die Grammatik des Arsenij Kocak

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c) Wie bei E. Alvar 30 erscheinen die unveränderlichen Redeteile in dieser Abfolge: Präposition, Adverb, Interjektion, Konjunktion (bei Smotrickij: Adverb, Präposition, Konjunktion, Interjektion). Arsenij Kocak studierte an der Universität, wo die Unterrichtssprache Latein war. Diese Sprache war für ihn die Literatursprache, und es ist deshalb nicht verwunderlich, daß er in seiner kirchenslawischen Grammatik sich stets an die Tradition der lateinischen Grammatikschreibung anlehnt. Man darf aber auch vermuten, daß Kocak die Darstellung einiger Züge des Kirchenslawischen absichtlich an die Darstellung in den lateinischen Grammatiken angenähert hat, und zwar aus methodischen Gründen — um denjenigen, die Latein beherrschten, das Studium der kirchenslawischen Grammatik zu erleichtern 31 . Eine sehr wichtige Quelle für unsere Handschrift war die Grammatik Meletij Smotrickijs. Arsenij Kocak übernahm nicht nur viele originelle Erklärungen der sprachlichen Fakten, Beobachtungen, Verallgemeinerungen, Definitionen usw. des Patriarchen der ostslawischen Sprachwissenschaft, sondern auch eine beträchtliche Anzahl von Beispielen; stellenweise folgt Arsenij Kocak einfach Meletij Smotrickij. Einen großen Teil der Einleitung: „MHO npEflHCJioBie HHHOMT. H lüöpaaoMt PHTOPHHECKHMT> CO HSjKfl-FE H noTpeß'b rpaMMaTHHecKarto oynem" (S. 11 — 14) übernahm Kocak, wenn auch mit entsprechender Stilisierung, aus dem „IIpeflHCJiOBis JIK>6OM8APOM8 NITATEJIIO" der Rimnicer Ausgabe (1755) von Meletij Smotrickijs Grammatik. Auf vielen Seiten der Märiapöcser Handschrift, vor allem im Abschnitt über die Morphologie, fügte A. Kocak auf den Rändern oder zwischen den Zeilen zu seinen grammatischen Termini die entsprechenden Termini Meletij Smotrickijs als fakultativ hinzu. Mitunter entsteht der Eindruck, daß der Verfasser den bereits fertiggestellten Text eines Abschnittes oder Unterabschnittes mit der Grammatik Meletij Smotrickijs verglichen und entsprechende Verbesserungen angebracht hat. In Arsenij Kocaks Grammatik äußert sich stärker als in den bisher bekannten Grammatiken des Kirchenslawischen aus dem 16.—18. J h . der Einfluß der lebendigen (münd-

30 31

vgl. E. Alvar, De institutione ..., S. 193 — 199; ders., Principia seu rudimenta . . . I, S. 14 — 22. Sowohl in der Märiapöcser als auch in der Mukaöevoer Handschrift unterscheidet Arsenij Kocak zwei Konjugationen. Zur ersten gehören die Verben, die in der 2. P. Sg. Präs. die Endung -BIIIH (qHTasiiiH) aufweisen, zur zweiten die Verben mit der Endung -HIIIH (oynrnim). In der Passung „IIlKOJia HJIH oyHHjrame rpaMaTHKH pScKOÖ h nponiHX'b MHoropa3JiHHHHXt HaSm, H CB'J.fl'fcHiit coTTpoKo/M/HajisHtamHX'b" berücksichtigt er aber ein weiteres Merkmal — die Endung der 1. Pers. Sg. Präs. (in ihrer graphischen Gestalt -IO, -8). In die erste Konjugation werden hier die Verben eingeordnet, die in der 1. Pers. Sg. Präs. auf -io ausgehen und in der 2. Pers. Sg. Präs. die Endung -muH haben (JIK>6JIJO, JUOÖHIUH); zur zweiten Konjugation gehören die Verben auf -K> und -uiH (HaSnaio, HaSnsiuH); zur dritten die Verben auf -8 und -eiim (HT8, HTGIIIII) und zur v i e r t e n die V e r b e n auf - 8 u n d -HIIIH (CJIMIHS, CJIHIIIHIIIH). ES sei a n g e m e r k t , d a ß v o n allen bekannten Fassungen der Grammatik Arsenij Kocaks die „IIlKOJia HJIH oymuiHme rpaMaTHKH . . . "

nach Art der Darstellung, nach der Terminologie usw. der Grammatik Meletij Smotrickijs am nächsten steht, in der aber wie in der Märiapöcser und Mukaöevoer Handschrift zwei Konjugationen unterschieden werden (-SUIH, -HIIIH). Z U der Abweichung von der traditionellen Einteilung in zwei Konjugationen, die schon auf die Grammatik von Lavrentij Zizanij zurückgeht (1596), hat sich Arsenij Kocak entschlossen, um, wie er in einer Anmerkung schreibt, die Aneignung der Konjugation bei (parallelem) Erlernen des Kirchenslawischen und des Lateinischen zu erleichtern. Diese Angleichung ist natürlich nur äußerlich, rein quantitativ, denn die vier Konjugationen des Lateinischen werden nach ganz anderen Gesichtspunkten bestimmt.

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artlichen und geschriebenen) ukrainischen Sprache. Dieser Einfluß t r i t t sowohl in der Sprache des Autors als auch in den Paradigmen zutage. In den Paradigmen verzeichnet der Verfasser oft mundartliche Formen (an zweiter, recht häufig aber auch an erster Stelle) als fakultative neben den ursprünglichen kirchenslawischen Formen und gibt manchmal sogar, unter Verzicht auf die traditionellen kirchenslawischen Formen, nur diese ukrainischen Formen an. I n beiden Fällen verleiht der Verfasser den mundartlichen Erscheinungen eine qualitativ neue Funktion — den Status normativer Elemente des Kirchenslawischen. Alles das gibt uns einen gewissen Einblick sowohl in die Struktur der karpatoukrainischen Redaktion des Kirchenslawischen im 18. J h . als auch in den Zustand der transkarpatischen Mundarten des Ukrainischen in dieser Zeit. Im Vergleich zu den Normen des Kirchenslawischen des 16. und 17. J h . und der Kodifizierung Meletij Smotrickijs weist die Mariapöcser Handschrift einige Besonderheiten auf. Im Bereich des Substantivs sind es folgende: a) Bei den maskulinen Substantiven vom T y p nana wird als einzige Endung des Instr. Sg. die Endung -omi (et chmt. nanoM'b), die aus den Mundarten stammt 3 2 , angegeben; im Gen. PL wird neben der traditionellen Form nam> an erster Stelle auch die mundartliche Form nanwBi verzeichnet. b) Bei den Substantiven der maskulinen -o, -70-Stämme werden im D a t . Sg. neben der Endung -y durchgängig auch die Endungen -obh, -sbh angegeben (arrjiOBH, ctojiobh, isjiob4kobh, ijapsBH, xo^oTaeBH); im Nom. und Vok. PI. erscheinen neben i&jiob-bi;« 60311 und ,h8ch auch die volkssprachlichen Formen HejiOB-feKii, 6orH, ^8xh und sogar ßoroBe, jjSxobs u. a. Im Bereich des Adjektivs ist zu verzeichnen: a) Als Widerspiegelung der Kategorie des nichtbelebten Gegenstandes und des belebten Wesens im Akk. Sg. bzw. PL erscheinen neben den alten Formen des Akk. Nom. auch die neuen Formen des Akk.-Gen.; b) Im Gen. Sg. der femininen Adjektive sind neben den Endungen - h a , - h auch Formen auf -oh (-eii) belegt (ciiJibHoft, nocji-feaHeit)33; c) I m Instr. Sg. der Feminina begegnen neben der Form nocji'feflHEio auch die spezifischen südwestukrainischen Dialektismen nocji'&SHioB'b, nocJiiflHiftmoBi. u. a. Im Bereich des Verbs ist zu nennen: a) In der 2. Pers. Sg. Präs.-Fut. erscheint neben -uih fast immer auch die Endung -iiit. (paJKnaeiin., o y i H i i n > ) , in der 1. Pers. Pl. Präs.-Fut. kommen -mt> und -ms vor (pawflaeME,

OyHHMs).

b) I m Perfekt erscheinen folgende Formen: 1. Pers. Pl. — 6hjihcme, oyiHJiHCMecA; 2. Pers. Pl. — Ghjihcts, o y r a j m c T e c A . 82 33

34

vgl. ukr. mundartlich c CBOitiM c j i y r Ö M , r'a3«OM usw.; s. dazu I. IlaHbKeBHH, YitpaiHCbKi roBopn IliHKapnaTCBKoi Pyci i cyiuimHHx oßjiacTeft, Ilpara 1938, S. 211. Solche Formen sind in den ukrainischen transkarpatischen Mundarten westlich des Flusses Laborec verbreitet, vgl. I. I l a H b K e B H H , op. cit., S. 252; A. K y p i i M C b K H t t , ToBipKa c e n a H o B O c e j m i j H , C H H H C b K o r o p a ü O H y , in: Bulletin Vysok6 skoly ruskeho jazyka a literatury, V, Praha 1961, S. 76 und passim. vgl. ukr. mundartlich raapiji 6hm, rBapiji 6hc, rßapijm 6hcm@, rBapijii ÖHCTe u. ä.; vgl. auch I. BepxpaTCbKHö, 3Ha«o6H «jih ni3HaHHH yropcbKO-pycbKHx roßopiB, II, JlbBiB 1901, S. 96.

E. OJTOZI — J. O. DZBNDZELXVS'KYJ, Die Grammatik des Arsenij Kocak

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c) Die Konditionalformen lauten: W6HMT> oyrajn., -Jia, -JIO; WÖBICT. oyinjn>, -.na, -JIO ; TDÖHCME OyHHJIH, (I)6HCTS OyHHJIH34. d) Einige Formen des Imp. 1. Pers. PI. lauten: SSjjHMt und 68flMs3S; 68fliTe und68ATE usw. Auch in der Sprache des Autors sind Erscheinungen der lebendigen ukrainischen Sprache reichlich vertreten. a) Die Lautverbindungen NA, KU, XH: HaoyKH (S. 11), H-KIVIELTKBIII, oyropcKHH, pScKHM, PSCHAKH, cnpocTaKH (S. 7), no pScnti (S. 8), HE.nop'iiKbiH, naTpiApxbi, IIOJIAKH (S. 17), rpaMMaTHKH (S. 18, 145 u. a.), CTPOKH (S. 36), NPNNAAKH (S. 47), pScKuft, MHoru (S. 68), p8im (S. 69) usw. Diese Erscheinung ist fast überall in den ukrainischen Mundarten der Ostslowakei und der zentralen und nördlichen Rayons des Gebietes Zakarpat'e bezeugt36. b) Die Lautverbindungen UIH, ?KM : ÖOJIIUH H MSHIULI (S. 28), Hauihi (S. 17), IOHOUIH (S. 69), naflsHM (S. 58, 131, 152, 159, 160, 164 u. a.), KOOIHHM (S. 45), Haimon. (S. 172) usw. Diese mundartliche Besonderheit erscheint in den westlichen Mundarten Transkarpatiens (westlich des Flusses Latorica) und überall im Raum um Presov 37 . c) Ausfall des -T- in den Gruppen CTH, CTJI : BJiacHti (S. 27), macjiiiBbiü, macjiHB-iftimft, uiacjiHBmiit (S. 53). d) Übergang von e > o : noro (S. 8), BT> HaiuoMT. (S. 40), M8KaioBT> (S. 45). e) In Übereinstimmung mit der volkstümlichen Aussprache werden doppelte Konsonanten in Fremdwörtern und an der Morphemfuge gekürzt: « o MiJiiOHa (S. 31), RPAMATHKA (S. 48), HCKSCTBO (S. 12), HCKSCTBA (S. 13), CBOHCTBSHHXT. (S. 28), CMHpeHO (S. 19), CBOÜCTBSHO (S. 24), HANEPTAHUXT. (S. 42) usw. f ) Verlust des Genus beim Zahlwort „ z w e i " und Verwendung der Form flBa für alle drei Genera: «Ba B^mw (S. 57), «Ba nacm (S. 145). Diese Erscheinung findet man in der Umgebung von' Uzgorod, in den meisten Mundarten um Presov und in den ostslowakischen Mundarten38. In Denkmälern aus diesem Raum ist sie seit der Mitte des 18. Jh. zu belegen, z. B. in einer Schenkungseintragung in einem Oktoichos, der sich in der Kirche des Dorfes Nevickoe befand: «Ba M-fcpKbi OBect39 Aus dem Wortschatz sei angeführt: aisft wahrscheinlich' (S. 6), Gapate ,mehr' (S. 29), BapTSio 1. Person Singular Präsens von BapTyBaTH (S. 121), BopoÖejib ,Spatz' (S. 49), JJOFTKA ,Amme' (S. 48), sajr&ijiTii .empfehlen' (S. 9), aoBC-feMt .gänzlich' (S. 9), JIHCTT. ,Brief' (S. 167), M8III8 ,ich muß' (S. 166, 167), MSCHTT, ,er muß' (S. 166), MSC^JIH MATH ,mußten haben' (S. 8), KOUITSIO ,ich koste, probiere' (S. 121), MOJIKOMT> ,schweigend' (S. 166), oypAflH .Ämter, Würden' (S. 48), njiaTMTT> 3. Person Singular, iuiaTAT-b 3. Per-

35

36 37 38

39

vgl. ukr. mundartlich HecMe, i«Me, Be«M8, B03M8, pemvie, ryÖMe, xonMe, noKoeMe usw. nach I. BepxpaTCbKHit, op. cit., S. 92; vgl. auch I. IlaHbKeBmi, op. cit., S. 318, sowie A. KypHMCtKIlÖ, op. cit., S. 84. s. I. IlaHbKeBHi, op. cit., S. 68f. u. Karte 3. ebd., S. 66f. u. Karte 3. H. O. ^3eH«3ejiiBCbKHtt, CnocTepeHceHHH Ha» CHCTeMoio HHCJiiBHHKiß roßipoK 3aKapnaTcbKoi oßjiacTi, in: HayKOBi 3anHCKH [Y}«ropo«cbKoro «epmaBHoro yHißepcHTeTy], T. XIV. JliajieKTOJiorwHHii 36ipHHK, JlbBiB 1955, S. 11 u. Karte 2; vgl. auch I. BepxpaTCbKHit, op. cit., S. 84, sowie I. riaHbueBHH, op. cit., S. 292. I. IlaHbKeBHi, ÜOKpaiiHi sannen Ha ninKapnaTbCKHx qepnoBHHX KHnrax, h. I, in: HaynoBHÖ 3ÖipHHK T-Ba „üpocBiTa" B YrnropoH-k, VI, ymropoa 1929, S. 170.

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son Plural ,gilt, gelten'; HanpiiKJiaffL ,zum Beispiel' (S. 163 u . a . ) , cnpaßSio 1. Person Singular Präsens von cnpaBSßaTH (S. 121); TajiiAHt ,Italiener' (S. 46), (JtaMijiiA .Familie' (S. 45), l(h Fragepartikel (S. 7), L(i({ipoBaHHHft ,mit einer Zeichnung, einer Schnitzerei verziert' (S. 38), uiBar'epHHa ,Schwägerin' (S. 48). Besondere Beachtung verdient Arsenij Kocaks grammatische Terminologie. Einerseits verwendet er einige Dutzend eigener Termini, die in der Regel Lehnübersetzungen der entsprechenden lateinischen Termini sind; in dieser Hinsicht folgt er dem Beispiel der Verfasser der ersten polnischen und tschechischen Grammatiken. Andererseits aber mußte er auch seine Vorgänger Lavrentij Zizanij, Meletij Smotrickij und andere im Auge behalten, die bereits am Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. J h . ein ziemlich detailliertes und insgesamt ausreichendes System der grammatischen Terminologie geschaffen hatten, das in den 70er J a h r e n des 18. J h . schon eine feste 150jährige Tradition aufwies. Deshalb setzte Arsenij Kocak bei den Definitionen der grammatischen Begriffe zu seinen eigenen Termini zwischen die Zeilen oder auf die Ränder ala parallele Termini die traditionellen, aus Smotrickijs Grammatik (in der Rimnicer Fassung von 1755) stammenden Termini hinzu. Im Text der Grammatik verwendet er seine eigenen und die traditionellen Termini häufig promiscue. Die hier untersuchte Grammatik Arsenij Kocaks zeichnet sich gegenüber allen bisher bekannten kirchenslawischen Grammatiken des 16.—18. J h . durch eine große Zahl paralleler grammatischer Termini zur Bezeichnung ein und derselben Begriffe aus. Für ein Lehrbuch ist das einerseits natürlich keine besonders gute Lösung. Andererseits kann die Parallelität der Termini auch als eine gewisse Wechselwirkung oder Versuch der Zusammenführung der lateinischen und der slawischen, genauer gesagt, der ostslawischen, Traditionen betrachtet werden, die durch die realen Zustände in Märiapöcs und in der Karpatoukraine in dieser Zeit veranlaßt wurden. Zur Bezeichnung der einzelnen Redeteile verwendet Arsenij Kocak folgende Termini: Substantiv — hma cSmecTBeHHoe; Pronomen — 3 a H M A , vgl. auch poln. zaim% (1780)40, dt. Fürwort; Partizip — oyiacTHOe, vgl. auch apoln. (Mitte des 16. Jh.) ucz^stnild0-, alttsch. (1. Hälfte des 15. Jh.) uczasttenstwie*2; Präposition — n p e f l J i O H i s H i e Adverb — n p H r j i a r o J i a m e Interjektion — B O B e p j K e H i e Konjunktion — cobokSiuiehie. Für Neutrum verwendet Kocak als Grundterminus hhcaküi pofli> und sporadisch HHAKift poRi (offensichtlich ein Polonismus). Der Terminus hhcaküi (po«!.) ist feine Lehnübersetzung des Verfassers nach lat. neutrum (lat. ne-uter, vgl. ukr. dial. HHc'aKnft, HHc'aKtitt dass.); vgl. auch alttsch. (Anfang des 15. Jh.) nikaky, nikteraky ,ders.' 43 . Statt des traditionellen Terminus MHOHiecTBeHHoe hhcjio verwendet Arsenij Kocak 60JiuiecTBeHH0e hhcjio, das wohl unter Einfluß des ungarischen többes (szdm) dass. entstanden ist: Das Adjektiv többes ,größer' ist vom Adverb több ,mehr' abgeleitet, dem Komparativ des Adverbs sok ,viel'. 40 41 42 43

vgl. S. B. L i n d e , Slownik j^zyka polskiego, t. VI, Lwöw 1860, S. 765. A. K o r o n c z e w s k i , Polska terminologia gramatyczna, Wroclaw 1961, S. 11. vgl. V. F l a j S h a n s , Klaret a jeho druiina. I. Slovniky versovane, Praha 1926, S. 11. vgl. Staroöesky slovnik, II, sv. 7, Praha 1976, S. 935, 943.

E . OJTOZI — J. O. DZENDZELIVS'KYJ, D i e Grammatik des A r s e n i j K o c a k

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Zu den grammatischen Termini Arsenij Kocaks gehören auch: npeflHMA — lat. praenomen, NO^ATSJIHWFT (na^EHIT) ,Dativ', M4CTHTSJIHHH (naaewt) ,Lokativ', n e p c o H a J i H H ö , HsnepcoHaJiHHii (rjiarojn>) — lat. verbum personalis, Verbum impersonalis; TepnijiHBHuii, TepntjiHBbiii rjiaci .Passiv' 44 und viele andere. Die hier beschriebene Märiapöcser (wie auch die Mukaöevoer) Fassung der Grammatik des Arsenij Kocak ist zweifellos ein bemerkenswertes Denkmal der Entwicklung der Grammatikschreibuiig bei den karpatoukrainischen Gelehrten in der 2. Hälfte des 18. Jh. Arsenij Kocak nutzte weitgehend die seinerzeit verbreiteten lateinischen Grammatiken ( E . A l v a r , P h . M e l a n c h t h o n ) u n d d a s „ r p a M M a r i K H C-naBSHCKiiA npaBHJiHoe C u H T a r M a "

Meletij Smotrickijs, er schuf aber auch ein in mancher Hinsicht originelles Werk, das recht umfassend den Zustand der karpatoukrainischen Variante des Kirchenslawischen in der 2. Hälfte des 18. Jh. und die Einwirkung der gesprochenen Sprache auf das Kirchenslawische widerspiegelt. Da in der Handschrift die lokalen mundartlichen Besonderheiten relativ gut vertreten sind, ist das Denkmal auch eine wichtige Quelle für die historische ukrainische Dialektologie. Die Grammatik Arsenij Kocaks war als Lehrbuch gedacht, deshalb ist sie auch von gewissem Interesse für die Geschichte der Pädagogik. Übersetzt von K. Outschmidt

44

man beachte aber auch altpoln. ( M i t t e des 16. Jh.) cierpiqcy dass. ( v g l . A . K o r o n c z e w s k i , op. cit., S. 11), tschech. (18. Jh.) trpUlivy dass. ( v g l . P . D o l e i a l , G r a m m a t i c a s l a v o - b o h e m i c a , Bratislava 1746, J . P o r a k , Staräi öeskä lingvistickä terminologie, i n : Slavica Pragensia 17, 1977, S. 145 — 146); slovo trpici (in der tschechischen Fassung des Donatus v o n 1564); v g l . auch die heutigen grammatischen Termini für passivum: tschech. und slowak. trpnf/ rod, obersorb. cerpny rdd, serbokr. trpno stanje, slowen. trpni naöin, trpnik.

Z. Slaw. 34 (1989) i , 1 1 0 - 1 1 3

F. H i n z e

Zur Unterschätzung der Onomatopöie in der slawischen Etymologie Dargestellt am Beispiel von drplb. blinskävaitä/blinskänaicä keln' und Verwandtem

,Schaukel',

blinskät ¡schau-



Die Etymologie dieser beiden Wörter gilt zu Recht als bis dato unklar 1 . Seinerzeit hatte ich selber tastend deutsche H e r k u n f t angenommen 1 », was ich heute — aus unten zu erörternden Gründen — entschieden ablehne. Andererseits ist es aus semasiologischen und lautlichen Gründen zu bequem, drplb. blinskavai6ä an urslaw. *bliskavica .Blitz' 2 anzuknüpfen. Ich sehe das dravänopolabische Wort und seine Sippe jetzt als eine Ableitung von einer (balto)slawischen onomatopoetischen Wurzel an. Für das dravänopolabische Verbum blinskät .schaukeln' gehe ich von einer urslawischdialektalen Grundform *(5)blind-(4)bc-(3)k-(2)a-(l)ti dass. aus, woraus sich altdrplb. *blind-c-kat entwickelt hat und weiter, unter Verlust des klusilen Elements, spätdrplb. blinskät .schaukeln' entstanden ist. Da die Deutung der Anlautphonemfolgen schwierig ist, analysiere ich die angenommene Grundform rückläufig, vom Wortende aus: (l)-i(i) ist die Infinitivendung; (2)-o- Themavokal; (3)-k- Suffix zur Bildung slawischer lautnachahmender Verba wie in bulg. jiiöm-K-a-M (ce) .schaukle (mich)', mk. jiyji-K-a (ce) dass.; (4) -bc- ist Deminutivsuffix, das gelegentlich auch zur Bildung deminuierender Verben verwendet wird, vgl. bulg.-mk. ßpeuai« .ohne Ziel gehen, schlendern' ( Schwankendes' -s- ,Bummeln; Bummler, Herumtreiber' u. ä. vorhanden sind als für das Semantem ,Glocke(nklang)' o. ä. Die Lautfolge bl- + weiteres onomatopoetisches Segment -ind-H-ind- o. ä. ist außer im Dravänopolabischen in der direkten Bedeutung „schaukeln" nicht belegt. Aus diesem Grunde führe ich zuvörderst Belege für die nächststehende Phonemfolge aus dem am engsten benachbarten lechischen Idiom, dem Pomoranischen, an, wo diese Bedeutung reich bezeugt ist: pm. b-ind-a-c sq, .schaukeln', b-ind-öw-k-a .Schaukel', b-ind-öw-k-a dass., b-ind-öc-k-a dass., b-ind-l-a dass., b-ind-l-ev-k-a dass.6 Hieran reihen sich semantisch mühelos: poln. mundartlich b-ind-l-e (pl. tantum) .männliches Zeugungsorgan' (aus dem Kociewischen)7 sowie ebendaher poln. ma. b-ind-ul-a .kariczug'8. — Des weiteren setzt sich die onomatopoetische Sippe b-ind- nach Osten, im Ostslawischen, fort, vgl. br. ÖHHna m. und f. .Mensch mit dicken Lippen; Riese' (Nosoviö), br. 6iH.ua m. und f. ,Bettler(in)' 9 , br. ÖHHflaBÖKift ,HMeiomHÄ BBicyHyBiueecH Ha rna3y ßejibMo', br. 6HHFLÄJIHKT> m. ,Mensch mit Starauge; Medaille', br. ßiiHflact m. .Riese', br. 6HHA3IOräitaa m. und f. ,Müßiggänger, Faulenzer' (Nosoviö10), br. 6NH,H3ioräima ,müßiggehen, faulenzen', br. öhhhsiök m.,fauler Bengel, Schlingel', br. ÖHHflycL erwachsener Bengel, der faulenzt' (Nosoviö); ,sehr armer Kerl' (3 HapoflHaro cjioymKa, MiHCK 1975, S. 295), br. ÖHHFLTI 6HL(I, ,müßiggehen, faulenzen'11. Als Grundbedeutungen der belorussischen Wurzel könnte man „faulenzen, sich herumtreiben", „Bummler, Faulenzer" herausschälen, vgl. dt. bum! bummeln/Bummler; und selbst im Falle von br. ÖHHJJ-a-BOKÜi ließe sich die Grundbedeutung „Hänge-auge" herausarbeiten. — Weiter schließen sich

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6 7 8 9

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11

V e r f . , Deutscher Ablaut in der Stammbildung des Pomoranischen. Zur Bezeichnung von .Glokke' und .Schaukel'. Onomatopoetischer Ablaut in der Stammbildung des Pomoranischen und anderer slawischer Sprachen mit besonders engem Kontakt zum Deutschen, in: Beiträge zum deutsch-slawischen Sprachkontakt. Hg. von E. E i c h l e r , Berlin 1977 ( = Abh. der S A W zu Leipzig. Phil.-hist. Kl., Bd. 67, H . 2), S. 8 5 - 9 2 . vgl. H . H . B i e l f e l d t , Onomatopoetica im Sorbischen und Deutschen, in: ZfSl 27 (1982), S. 323: „Denn .Onomatopoetica' werden nicht nur Bezeichnungen akustischer Erscheinungen (lautnachahmende Schallwörter), sondern auch optischer und dynamischer Erscheinungen (Bewegungen) zugeordnet, man spricht z. B. von Synästhesie". L H 1221 = Sy. 1. 40; SGP 2, 218. 220; L 33; SGP 2, 220. Sy. 4, 275 = SGP 2, 219. G. P o b l o c k i , Slownik kaszubski .... Chelmno 1887, S. 149; SGP 2, 220. 3 HapoßHaro CJioyHiKa, MiHCK 1975, S. 295.

in derselben Bedeutung op. cit., S. 121; an die belorussischen Wörter schließen sich litauische an, vgl. binde, blndza .Faulenzer, Landstreicher, Vagabund; ein kurzes Kleidungsstück' — A . K u r s c h a t , Thesaurus linguae lituanicae 1. 304; bindzineti .müßig schlendern' — ebd. — sowie eine ganze Reihe weiterer zu dieser Sippe gehöriger Wörter, in: L K 2 1, S. 830—831. Falls nicht anders vermerkt, stammen alle Belege des Belorussischen aus Nosoviö 26.

112

Z. Slaw. 34 (1989) 1

noch an: ukr. ÖHHFLHTYK M . ,Faulenzer' und ÖHH^OÖKHH = 6JIHHAO6KHH ( S . O . ) 1 2 . In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß im Südpomoranischen belegtes, mit weichem p- anlautendes, etymologisch völlig verschiedenes pindel!, pindel, pindel!13 geeignet ist, als Onomatopoetikon zur Nachahmung des Klanges der (Sterbe)Glocke zu fungieren 14 . Die Bearbeiter des neuen SGP haben den spezifischen semantischen Zusammenhang von b-ind-el und p-ind-el! intuitiv erfaßt. Des weiteren zögere ich nicht, pm. b-inc-k-a m. und f. .schlapper, ungeschickter, plumper Kerl' 15 *b-indbc-k-a) zu unserer Sippe zu stellen. Zum Semantischen s. d. Mit abweichendem Anlaut, jedoch mit dem o. g. onomatopoetischen Segment konstruierte Wörter dieses Wortfeldes sind: (1.) pm z-ind-ov-a-c sq ,sich schaukeln' ~ pm. z-ind-dw-k-a ,Schaukel',pm. z-ind-a ,Mensch mit wiegendem Gang' 16 , (2.) poln. d-ynd-a-6 ,baumeln, hin- und herschwanken; schwingen, wiegen; läuten', slk. d-ynd-a-V ,baumeln', tsch. d-yn-d-a—ti ,schwanken', schles.-tsch. d-ynd-a-t' ,baumeln (von Früchten am Baum)', ukr. fl-HHfla-TH »schwätzen; mit den Beinen baumeln' 17 . Näher zu den o. g. dravänopolabischen Wörtern gehören ostslawische Verben und Nomina, wie br. bl-ynd-a-c' (ÖJitiH.naLtb) ,sich herumtreiben, umherirren', br. ÖJiäHflaijb dass.18, br. bl-ynd-a, bl-end-a ,Herumtreiber', ukr. ÖJi-HHß-a »Bettler; blinde Person', was kaum richtig als aus dt. Blinder ,blinder Mensch' hergeleitet, sondern zu Recht besser mit ukr. ÖJi-eHH-a-TH ,uiBeimHTH, njieHTaTH (schlendern)' zusammengestellt wird.19 Gegen die Annahme einer Entlehnung von br. ÖJiHHflaqb aus lett. blind-S-ti-es20 u. ä. sprechen 1. die unterschiedliche Bildeweise des slawischen und baltischen Verbums, 2. die Tatsache, daß das belorussische Verb nach den Gesetzen anderer lautnachahmender ostslawischer Verben gebildet worden ist 21 und 3. daß br. ÖJiHHflaijb eine Stütze im Dravänopolabischen besitzt. Als letztes ostslawisches Wort dieser abtönenden onomatopoetischen Phonemfolge mit der Bedeutung „bummeln" führe ich russ. mundartlich ÖJiÖHflaTb ,6jiyHtflaTb' an, neben dem sogar russ. ma. ßjlÖHflHTb ,xofliiTb 6ea jjejia, Sea/jeJibHHHaTb'22 belegt ist. Somit hätten wir — ähnlich wie bei slaw. dyn! dan! don! dun! und Ableitungen — die abtönenden onomatopoetischen Phonemfolgen bl-end-/bl-ind-jbl-ynd-/bl-ond- belegt. Daß 12 13 14 15 16 17

18 19

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21

22

B. ff. rpHHieHKO, CnoBapb yKpaHHCKaro H3HKa, T. 1—4, KHIB 1907 — 1909, Bd. 1, S. 66. Verf., Wörterbuch und Lautlehre der deutschen Lehnwörter im Pomoranischen (Kaschubischen), Berlin 1965, S. 370: aus dt. mundartlich pindel .Bündel'. So in Wiele - bei Sy 4, 275 = SGP 2, 219. LH 1221 = Sy. 1, 40; SGP 2, 21. LH 2067. Mit genauer Herkunftsangabe siehe bei V e r f . , A b l a u t . . . 88 (Anm. 4), wo noch die (ns.) d-un-dund (russ. mundartlich) d-on-d-Verben angegeben werden. — Anzuschließen ist auch os. d-un-d-a-c ,bummeln, schlendern' (so Herr Prof. Dr. S c h u s t e r - S e w c , schriftlich). 9THMajiariHHH cJioyHiK ßejiapycuait MOBH, MiHCK 1978, S. 362—363. ETHMOJioriiHHit CJioBHiK ynpaiHCbKoii MOBH, T. nepBHÜ: A — T , KHIB 1 9 8 2 , S. 2 0 9 .

weiter vergleicht sich zu unserer Sippe auch Baltisches: lett. bl-ind-a ,ein Unstätischer, der nirgends Stich hält', bl-an-d-a dass. usw. bei K. B ü g a , Rinktiniai raätai, t. 3, Vilnius 1961, S. 179. Z. B. ukr. ßji-eHß-a-TH, iHB-eH-fl-H-TH, ukr. mundartlich ÖJieHjjaTH und br. 6ji-3HA-a-i;b ,irren' sollen nach dem fiSUM 1, 207 aus einer polnischen Mundart stammen, in der es theoretisch ein *bl$dac gegeben haben müßte. Die Herleitung von ukr. mundartlich 6jieHp,aTM aus poln. bt^dzic, blqdzic (so R. R i c h a r d t bei ESBM, a. a. O., Fußnote 18) entbehrt jeder logischen Grundlage. Ich stelle das ukrainische Wort zu der slawischen lautnachahmenden Sippe b(l)-indllbl-ynd-llbl-end-.

CnoBapb pyccKHx Hapo^Hbix roBopoB. JI. 1968, S. 27.

F. HINZE, Zur Onomatopöie in der slawischen Etymologie

113

diese abtönende Reihe nicht vollständig sein kann, ist darin begründet, daß die Lautfolge blond-/blund- schon in urslawischer Zeit zu *blgd- geworden ist, die im Ostslawischen bekanntlich weiter blud- ergeben hat. Aus diesem Grunde sind Zweifel an der „Selbständigkeit" des Verbums russ. mundartlich ßjiÖHßaTB angebracht. Daß mit Labial anlautende Onomatopoetica durch einen Sonor — besonders in Anlautsreimen — verstärkt werden, kann man auch in anderen slawischen Sprachen beobachten. So steht tsch. ma. (mährisch) blinkat neben binkat ,umherlaufen', ferner tsch. mundartlich bl-im- neben bim ,zvuk zvonkü', tsch. cinky blinky podkovenky aus dem Lied „Ctyfi kone ve dvofe"23. Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich, daß neben dem onomatopoetischen Stamm blind- im Belorussischen der mit dem entsprechenden anderen Sonor, also -r-, in derselben Bedeutung auftritt: brind-, so br. brinda m. und f . , F a u l e n z e r ( i n ) ' , br. 6pHH«3iöJii>Ka f . ,1. noöpHKyniKa; 2. npHBecna K ontepejitio MeTaji-

jiHHecKa«' und schließlich analog br. brindy bic,2i.

Abkürzungen E S B M (s. Anm. 18). E S U M (s. Anm. 19). L = F. L o r e n t z , Pomoranisches Wörterbuch, Bd. I : A — P , Bln. 1958. L H = F. L o r e n t z , pomoranisches Wörterbuch, Bd. I I — V , fortgeführt von F. H i n z e ..., Bln. 1968 — 1973; L K 2 = Lietuviij kalbos iodynas, Vilnius 1941 ff. N o s o v i ö s. Anm. 24; SGP = Slownik gwar polskich, t. I I , z. 2 (5), opracowany prez Zaklad Dialektologii Instytuta J^zyka Polskiego P A N w Krakowie pod kierunkiem J. R e i c h a n a , Wroclaw—Warszawa—Krakow— Gdarisk, o. J. [1983].

24

V. M a c h e k , Etymologicky slovnik öeskeho jazyka, Praha 21968, S. 57, s. v. blinkati 1 und 2. H. HOCOBHH, CnoBapb 6-fejiopyccKaro Hap-fe^in, CII6. 1870, S. 34.

8

Z. Slawistik, B d . 34, H . 1

23

Z. Slaw. 34 (1989) 1, 1 1 4 - 1 1 7

W. Z e i l

Forschungen in der Deutschen Demokratischen Bepublik zur Geschichte der Slawistik Zur Tätigkeit der Kommission für Geschichte der Slawistik beim Nationalkomitee Slawisten der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1984 bis 1988

der

In der allseitigen Förderung der Forschungen in der DDR zur Geschichte der Slawistik sieht die Kommission für Geschichte der Slawistik beim Nationalkomitee der Slawisten der DDR (im folg. KGS) ihre wichtigste Funktion. Mit der Wahrnehmung dieser Funktion beteiligt sie sich an den wissenschaftsgeschichtlichen Forschungen. Im Berichtszeitraum nahmen ihre Mitglieder an nationalen und internationalen wissenschaftlichen Veranstaltungen zu Fragen der Geschichte und Kultur der slawischen Völker, der Geschichte der deutsch-slawischen Wissenschafts- und Kulturbeziehungen und der Geschichte der Slawistik teil, bereicherten die interdisziplinäre Diskussion in der DDR und im Ausland über theoretisch-methodologische Grundfragen und über Probleme der konkret-historischen Entwicklung der Slawistik und entfalteten wissenschaftsorganisatorische Aktivitäten. Mit zahlreichen eigenen wissenschaftlichen Beiträgen trugen sie zur Erschließung der Geschichte der Slawistik in Deutschland bis 1945 und in der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer internationalen Verbindungen bei1. Ihre enge Zusammenarbeit mit sorbischen und deutschen Historikern, Linguisten, Philologen, Literaturwissenschaftlern, Volkskundlern und Kulturwissenschaftlern an der Akademie der Wissenschaften der DDR und an Universitäten und Hochschulen der DDR sowie mit Wissenschaftseinrichtungen und Forschern des Auslandes, insbesondere ihr Zusammenwirken mit der von Akademiemitglied D. F. Markov (UdSSR) geleiteten Kommission für Geschichte der Slawistik beim Internationalen Slawistenkomitee (im folg. IKGS), hat dabei nach wie vor eine förderliche Rolle gespielt 2 . Die KGS war auf den Sitzungen der IKGS 1983 während des I X . Internationalen Slawistenkongresses in Kiev sowie 1985 in Smolenice und 1987 in Warschau vertreten, wobei die Sitzungen in Smolenice und in Warschau traditionsgemäß mit fachspezifischen Tagungen verknüpft waren, die tiefe Einblicke in die internationale Forschung zur Geschichte der Slawistik boten und Anregungen für weitere Studien gaben 3 .

1

2

3

vgl. Beiträge zur 5. Konferenz der Fachkommission Geschichte der slawischen Völker 1983 in Cottbus „Die slawischen Völker in der Epoche ihrer nationalen Wiedergeburt und ihre Nachbarschaft zu anderen Völkern", in: Letopis B 31 (1984); Beiträge zur internationalen wissenschaftlichen Konferenz „Jan Arnost Smoler und seine Zeit" 1984 in Bautzen, in: Letopis B 32 (1985); Beiträge zur Geschichte der Slawistik (Zur Erinnerung an Max Vasmer, Matija Murko und Edmund Schneeweis), in: ZfSl 31 (1986); Beiträge zum Kolloquium mit internationaler Beteiligung „Matija Murko (1861 — 1952)" 1986 in Leipzig, in: Wiss. Zs. der Karl-Marx-Univ. (GR) 36, 1987, H. 1; vgl. auch K. G u t s c h m i d t , — H. P o h r t — J . S c h u l t h e i s , Bibliographie slawistischer Publikationen aus der Deutschen Demokratischen Republik 1982—1986, Bln. 1988. vgl. auch H. H. B i e l f e l d t — W. Z e i l , Forschungen in der Deutschen Demokratischen Republik zur Geschichte der Slawistik. Zur Tätigkeit der Kommission für Geschichte der Slawistik beim Nationalkomitee der Slawisten der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1978 bis 1983, in: ZfSl 29 (1984), S. 7 7 7 - 7 8 1 . vgl. W. Z e i l , Aktuelle Probleme der Geschichte der Slawistik. Tagung in Smolenice 1985, in:

W. Z e i l , Forschungen zur Geschichte der Slawistik

115

Auf der Sitzung der IKGS in Smolenice wurden erste Gedanken über eine Bibliographie wissenschaftlicher Publikationen zur Geschichte der internationalen Slawistik ausgetauscht. Zu diesem von der sowjetischen Kommission f ü r Geschichte der Slawistik vorgeschlagenen, nützlichen Vorhaben, das nach den Sammelbänden zu theoretischmethodologischen Fragen der Geschichte der internationalen Slawistik und zu deren Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart 4 , zu denen die KGS Beiträge beisteuerte, die Mitglieder der I K G S wieder zu einer projektgebundenen kollektiven Zusammenarbeit vereinen soll, hat die KGS (insbesondere H . Pohrt) konzeptionelle Überlegungen und konkretes Material beigetragen. Auf der Sitzung in Warschau wurde ein Probeheft der Bibliographie vorgelegt und erörtert, das vom Institut für Slawistik und Balkanistik und vom Institut f ü r wissenschaftliche Information auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften in Moskau unter Beteiligung der Kommissionen für Geschichte der Slawistik beim Nationalkomitee der Slawisten der UdSSR, der ÖSSR und der D D R erarbeitet worden ist. Die K G S hat sich im Berichtszeitraum in erster Linie darum bemüht, die interdisziplinäre Diskussion über theoretisch-methodologische Probleme und über Fragen der konkreten Entwicklung der Slawistik wachzuhalten. Fortgeführt wurde der Meinungsaustausch über den Begriff der Slawistik anläßlich des Erscheinens des verdienstvollen Buches von M. Kudelka (Brno) „ 0 pojeti slavistiky. Vyvoj pfedstav o jejim predmetu a podstate" (Praha 1984), über die Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsetappen der Slawistik in Deutschland bis 1945, über ihre Vor- und Frühgeschichte, über ihre gesellschaftspolitischen und wissenschaftshistorischen Zusammenhänge, über ihr beziehungsgeschichtliches Umfeld, über ihre internationalen Kontakte, besonders über ihre slawischen Verbindungen, über die Positionen ihrer Vertreter sowie über ihre Funktionen und Leistungen. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Eingrenzung ihrer Aufgabe als Vermittler slawischer Kultur in Deutschland beigemessen, die von zahlreichen Forscherpersönlichkeiten, Kritikern, Publizisten, Übersetzern und Schriftstellern sowie Verlegern und Bibliothekaren wahrgenommen wurde. Die Arbeit an der Konzeption eines „Slawistenlexikons" und an ihrer Umsetzung gab den Mitgliedern der KGS und weiteren Wissenschaftlern der D D R die Möglichkeit zu umfassenden interdisziplinären Gesprächen über Wesen und Aufgaben der Slawistik in Deutschland bis 1945. Dieses zentrale Vorhaben der KGS, zu dem diese schon früher Vorarbeiten geleistet hatte und das in den letzten Jahren auf Initiative und unter Leitung von E. Eichler in ein reiferes Stadium der konzeptionellen Vorbereitung und der Realisierung getreten ist, geht von einem weiten Slawistikbegriff aus, mißt der Vermittlerfunktion der Slawistik in Deutschland große Bedeutung bei und erfaßt nicht nur die Vertreter der akademischen Slawistik, sondern auch führende Exponenten

4

ZfSl 32 (1987), S. 142 — 144; d e r s . , Tagung der Kommission für Geschichte der Slawistik beim Internationalen Slawistenkomitee. 30. 9.-2.10.1987 in Warschau, in: ZfSl 33 (1988), S. 760 bis 762; Aktuälne problémy dejin slavistiky. Materiäly zasadnutia Medzinärodnej komisie pre dejiny slavistiky. Smolenice, 11. —14. februàr 1985. Na vydanie pripravili V. M a t u l a a T . I v a n t y s y n o v à , Bratislava 1986; die Beiträge zur Tagung in Warschau werden von der Polnischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht. vgl. MeTOflonorHMecKHe npoßjieMH hctophh cji&bhcthkh, M. 1978; Studie z dejin svetovej slavistiky do polovice 19. storoöia, Bratislava 1978; Heropim Ha CJiaBHCTHKaTa o t npan Ha X I X h HaqaJiOTO Ha X X Ben, Co(f)HH 1981 ; Beiträge zur Geschichte der Slawistik in nichtslawischen Ländern, Wien 1985.

8*

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Z. Slaw. 34 (1989) 1

im außerakademischen Bereich, die bis 1945 in Deutschland gewirkt und sich mit der Geschichte, den Sprachen und den Kulturen slawischer Völker befaßt haben. Das Lexikonunternehmen, das ein Desiderat der Forschungen zur Geschichte der Slawistik erfüllen soll, bildete einen wesentlichen Bestandteil der Arbeit der K G S . Es hat deren Mitglieder mit wichtigen Fragestellungen konfrontiert, die in Zukunft weiter durchdacht werden müssen. Zu ihnen gehören der konkrete Anteil der deutschen Slawistik am wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt der internationalen Slawistik, ihre Wirkungsgeschichte, ihr Stellenwert in der deutschen Bildungs- und Kulturgeschichte sowie in der Geschichte der deutsch-slawischen Beziehungen, die immer ein Geben und Nehmen in dialektischem Prozeß sind5. Die am 14. Mai 1986 im Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur in Berlin veranstaltete Aussprache der Mehrheit der Mitarbeiter an dem „Slawistenlexikon" hat nicht nur das Interesse an diesem Vorhaben gezeigt, sondern auch wesentliche inhaltliche Probleme signalisiert. Die Ergebnisse der Arbeit an diesem Lexikon werden u. a. die Bedeutung der Slawistik im außerakademischen Bereich erkennen lassen, indem sie uns einen Einblick in das wissenschaftliche 'Wirken und in die Vermittlerleistung ihrer führenden Repräsentanten sowie bisher z. T. weniger bekannter oder unbekannter Vertreter gewähren. Sie werden damit die Material- und Erkenntnisgrundlage der Geschichte der Slawistik in Deutschland bis 1945 erheblich erweitern und der künftigen Forschung weitere Anregungen geben. Das gleiche Ziel haben sich auch die von der K G S veranstalteten wissenschaftlichen Kolloquien zur Geschichte der Slawistik gestellt. Auf der Tagesordnung des Kolloquiums, das am 18. April 1985 in Berlin stattfand, standen 15 Vorträge zu folgenden drei Schwerpunkten: 1. Geschichte der slawistischen Studien bis zur Etablierung und Institutionalisierung der Slawistik in Deutschland als moderne Wissenschaft in den 40er Jahren des 19. J h . ; 2. Entwicklung der Slawistik zwischen den beiden Weltkriegen; 3. Neubeginn der Slawistik nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus in der damaligen sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und ihre Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik 6 . Breit war das Spektrum der behandelten Themen. Es reichte von Nachrichten über Studien slawischer Sprachen in Deutschland 16.—18. J h . (K. H e n g s t ) und den Anfängen der Sorabistik in Deutschland (F. Metsk) über die Sprache der hallischen ostslawischen Drucke des 18. J h . (D. F r e y d a n k ) , Bemerkungen zur Erschließung der Altertümer in der Lausitz im 18. und 19. J h . ( J . K n e b e l ) und die Neugründung des slawistischen Lehrstuhls an der Universität Berlin 1873/74 (H. P o h r t ) bis zur Tätigkeit des Akademischen Vereins für lausitzische Geschichte und Sprache in Breslau 1838 bis 1849/50 (P. K u n z e ) und Franz Bopps Aussagen über das Balto-Slawische und dessen Stellung innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie (R. L ö t z s c h ) als erster Schwerpunkt; von Max Vasmers Wirken in Leipzig 1921 — 1925 (E. E i c h l e r — G. S c h r ö t e r ) über das slawistische Wirken von Ota Wicaz (F. S e n - S c h ö n ) bis zum Versuch einer Bestandsaufnahme und Leistungsbilanz der deutschen Slawistik zwischen den beiden Weltkriegen (W. Zeil) als zweiter Schwerpunkt; von dem Platz der altrussischen Lite-

5

6

vgl. E . W i n t e r , Aktuelle Bezüge der Geschichte der deutsch-slawischen Wissenschaftsbeziehungen, in: Russisch-deutsche Beziehungen von der Kiever Rus' bis zur Oktoberrevolution. Studien und Aufsätze, Bln. 1976, S. 108. Die Mehrheit der Beiträge erschien in Letopis B 33 (1986), S. 2—94.

W. ZEIL, Forschungen zur Geschichte der Slawistik

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ratur in der deutschen Slawistiktradition bis 1945 und in der DDR (K. M ü l l e r ) über die Entwicklung der Sorabistik in der DDR (M. K a s p e r ) , den Neubeginn der Slawistik an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin nach 1945 (L. Zeil) sowie die Neubestimmung der gesellschaftlichen Funktion der Slawistik und das Ringen um ihre Verwirklichung an der Universität Berlin im Rahmen der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung 1945/1946—1950 (R. T r i e s c h ) bis hin zu einigen Bemerkungen über Max Vasmers Tätigkeit in Berlin (F. K r a u s e ) als dritter Schwerpunkt. Die anregende Diskussion hat gezeigt, wie notwendig solche interdisziplinären wissenschaftsgeschichtlichen Veranstaltungen sind, die sich als wichtige Instrumente zur Förderung des Erkenntnisfortschritts auf diesem Gebiet gesellschaftswissenschaftlicher Forschung erweisen. Ein weiteres Kolloquium der KGS fand am 26. März 1987 in Berlin statt. Auf der Tagesordnung standen drei Referate zu den Themen: „Slawenkunde — Slawistik — deutschslawische Wechselseitigkeit" (C. Grau), „Jakub Xaver Ticin über seine obersorbische Grammatik ,Principia linguae wendicae' und über die Durchsetzung der in ihr kodifizierten Normen" (F. M i c h a l k ) und „Die deutsche Rußlandhistoriographie zur Zeit der Weimarer Republik" (G. V o i g t ) . Sie boten Einblick in wichtige Fragenkreise und Möglichkeiten zur Erörterung von Grundfragen der Geschichte der Slawistik in Deutschland, so der Bedeutung der Vor- und Frühgeschichte der Slawistik, der Anfänge und des Verlaufs der Genese der Slawistik als moderner Wissenschaft, des Stellenwertes der Slawistik in den Traditionen der deutsch-slawischen Wechselseitigkeit, der Rolle der Sorabistik in der Slawistik und des slawischen Anteils an der Entwicklung der Slawistik in Deutschland sowie der Bedeutung der Erforschung der Geschichte der slawischen Völker in der Slawistik als einem Komplex wissenschaftlicher Disziplinen, die sich mit der Geschichte, den Sprachen und den Kulturen der slawischen Völker befassen. Die KGS wird in Zukunft systematisch auf ihr Fernziel hinarbeiten: eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Slawistik in Deutschland bis zum Ende des zweiten Weltkrieges und in der Deutschen Demokratischen Republik — ein Kollektivwerk, das die Geschichte aller wichtigen Disziplinen der Slawistik in ihrem gesellschaftspolitischen und wissenschaftshistorischen Umfeld nachzeichnet, unter besonderer Berücksichtigung ihrer internationalen Zusammenhänge und des Anteils der Slawistik im akademischen und im außerakademischen Bereich an der Vermittlung slawischer Kultur, und das zugleich die nationale und die internationale Wirkungsgeschichte dieses Komplexes wissenschaftlicher Disziplinen erfaßt. Die Verwirklichung dieses anspruchsvollen Vorhabens wird über mehrere Zwischenstufen erfolgen — über neue Detailuntersuchungen, Problemstudien und Quelleneditionen sowie über weitere Diskussionen auf problemorientierten wissenschaftlichen Veranstaltungen. Die Ergebnisse dieses Kollektivwerkes werden in eine Gesamtdarstellung der Geschichte der internationalen Slawistik einfließen, auf die die IKGS in ihrer Arbeit orientiert.

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H. P o h r t

Die Beziehungen zwischen E. Berneker und M. Murko im Spiegel ihrer unveröffentlichten Briefe 1906-1927 Die folgenden Ausführungen über die Kontakte zwischen Erich Berneker und Matija Murko stützen sich im wesentlichen auf 40 Briefe, die Berneker von 1906 bis 1927 an Murko gerichtet hat 1 . Leider sind jedoch bisher die Gegenbriefe nicht zugänglich, da sie sich wahrscheinlich — wie andere Dokumente aus dem Nachlaß des deutschen Slawisten — noch im Privatbesitz der Familie Berneker befinden. Man darf davon ausgehen, daß die beiden Gelehrten den Briefwechsel erst 1906 begonnen haben, obwohl sie offensichtlich schon seit 1898 miteinander bekannt gewesen sind. Unbeantwortet bleibt leider einstweilen die Frage, warum der Briefwechsel 1927 abbricht. Die erhaltenen Briefe, aus denen im folgenden die wichtigsten Tatsachen mitgeteilt werden, sind in mehrfacher Hinsicht interessant. Sie zeigen zum einen, daß Murko u n d Berneker einander sehr geschätzt haben, und sie enthalten zum anderen viele wissenswerte Einzelheiten über die Entwicklung der Slawistik in Breslau (heute Wroclaw), München, Leipzig und Berlin l a . Berneker gehörte in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts zu den wenigen anerkannten Slawisten Deutschlands 2 . Er war durch A. Leskien und K . Brugmann in die Slawistik sowie Baltistik eingeführt worden und hielt sich nach der Promotion in Leipzig längere Zeit zu Studienzwecken in Bußland auf, wo er in Moskau Vorlesungen bei F. Fortunatov und anderen russischen Gelehrten hörte. Nach der Rückkehr habilitierte er sich 1899 *bei A. Brückner und lehrte einige Semester als Privatdozent an der Universität Berlin. I n den Jahren 1902 bis 1909 wirkte er als Indogermanist und Slawist in Prag 3 und hatte anschließend von 1909 bis 1911 die slawistische Professur in Breslau inne. 1911 übernahm Berneker den neugeschaffenen slawistischen Lehrstuhl an der Universität München, f ü r dessen Einrichtung sich der Byzantinist K . Krumbacher seit 1901 sehr eingesetzt hatte. Berneker ist dann bis zu seinem Tode 1937 in der bayerischen H a u p t stadt geblieben, obwohl er im Laufe der Jahre mehrfach Berufungen an andere Universitäten im In- und Ausland erhalten hatte. Murko h a t t e von 1880 bis 1885 in Wien Germanistik und Slawistik studiert und war noch ein Schüler von F. Miklosich 4 . I m J a h r e 1887 habilitierte er sich in Wien u n d lehrte von 1902 bis 1917 an der Universität Graz. Als Nachfolger A. Leskiens wirkte er von 1917 bis 1920 in Leipzig und war dann viele J a h r e als Slawist in Prag tätig. Die ersten zehn Schreiben aus den J a h r e n 1906 — 1909 stammen aus der Zeit, als Berneker ebenfalls in Prag lebte. Neben einer intensiven Lehrtätigkeit begann er damals die Vorarbeiten für 1

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Die Briefe E. B e r n e k e r s an M. Murko (I): 1 — 35 (1906 — 1920) werden aufbewahrt in der Universitätsbibliothek Ljubljana (Gl. M. Murko Korespondenca, Ms. 1119, 85); (II): 36—40 (1922 — 1927) sind vorhanden im Literarni archiv Närodniho muzea, P r a h a (Murko-Nachlaß); abgekürzt im folg.: B e r n e k e r , Briefe (I), (II). Beiden Einrichtungen danke ich f ü r die Bereitstellung von Fotokopien der Originalbriefe. vgl. zum Schaffen von M. Murko auch die Beiträge in: Wiss. Zs. d. Karl-Marx-Univ. Leipzig (GR) 36, 1987, S. 4 - 8 3 . vgl. H. H. B i e l f e l d t , Erich Berneker 1874-1937, in: ZfSl 19 (1974), S. 8 1 2 - 8 1 4 ; H . P o h r t , Neues über den deutschen Slawisten Erich Berneker, in ebd., 22 (1977), S. 149 — 155; H . W. S c h a l l e r , Erich Berneker als erster Slavist an der Universität München und in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: H. W. S c h a l l e r , Die Geschichte der Slavistik in Bayern, Neuried 1981, S. 133 — 155 u. a. Dem Vernehmen nach hat Zd. Simeöek (Brno) vier größere Beiträge über die deutschen Slawisten an der Universität Prag im 19. und 20. J a h r h u n d e r t zum Druck vorbereitet. In einem der Artikel wird auch über die Prager Zeit E. Bernekers gehandelt. vgl. M. M u r k o , Spomini, Ljubljana 1951; J . M a t l , Matthias Murko (1861-1952), in: Große Österreicher 13 (1959), S. 173 — 183; zu beachten sind auch die Beiträge über M. Murko in: ZfSl 31 (1986), H e f t 5. u. a.

H . EOHRT, E. Berneker und M. Murko

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sein Hauptwerk, das „Slavische etymologische Wörterbuch", dessen erste fünf Lieferungen er hier bereits vollenden konnte. Mehrfach erbat er in jenen J a h r e n von Murko Auskünfte über die E t y mologie einzelner Wörter, und an einer Stelle bedankte er sich ausdrücklich bei dem slowenischen Kollegen f ü r dessen Bereitschaft, die fertigen Teile des Wörterbuchs im Manuskript kritisch durchzusehen. Über das Ziel, das er sich mit dem W e r k stellte, sagt Berneker in einem Brief von 1907; >>••• Mein Ehrgeiz geht dahin, den slavischen Wortschatz correkt, accentuiert, mit eingehender Bedeutungsangabe zusammenzustellen; dann kurz, wenn möglich, eine etymologische Anknüpfung zu geben, u n d vor allem den Benutzer durch Literaturhinweise in den S t a n d zu setzen, zu finden, wo über das W o r t gehandelt i s t . . ," 5 Berneker spricht an der gleichen Stelle sehr anerkennend über F. Miklosich u n d dessen „Etymologisches Wörterbuch der slavischen Sprachen" (1883), das er sehr genau durchgearbeitet hatte. Nach Abschluß der ersten Lieferung bemühte sich der deutsche Slawist seit 1908 um eine strengere Auswahl des zu berücksichtigenden slawischen Wortschatzes: ,,... Leider m u ß ich — damit mir das Buch nicht über den Kopf wächst u n d zu große Dimensionen a n n i m m t — den aufzunehmenden Wortschatz s t a r k sieben , . . " 6 I n den Briefen an Murko spielt das Wörterbuch bis 1914, also bis zum Erscheinen des ersten Bandes des Werkes noch mehrfach eine Rolle. Unabhängig von vielen anerkennenden Rezensionen, die A. Brückner, V. Jagic, A. Meillet, J . Rozwadowski u n d andere geschrieben h a t t e n , scheint Berneker schon f r ü h e r n s t h a f t daran gezweifelt zu haben, daß er das Wörterbuch allein zu Ende f ü h r e n könne. Er war deshalb Murko sehr d a n k b a r f ü r eine wohlwollende Besprechung in der „Deutschen Literaturzeitung" 1914. Berneker schrieb am 1. J u l i 1914: „Der gestrige Tag war ein Pesttag f ü r mich, als ich Ihre Recension W o r t f ü r Wort u n d immer wieder las. Ich weiß gar nicht, wie ich I h n e n danken soll. Was ich erreicht u n d was ich nicht erreicht habe, noch niem a n d h a t es so fein, so geistvoll, so phsychologisch vertieft, so zart dargelegt. Ich war ganz ger ü h r t . Was Ihr Urteil f ü r mich bedeutet, das wissen Sie. N u n können Sie sich meine Freude vorstellen, als ich las, wie günstig es ausgefallen ist. Sie haben mir noch mehr gegeben als eine wohlwollende Recension. Sie haben mir L u s t u n d Freude gegeben am Werk selbst, die — ich gesteh es — gerade in den letzten Monaten infolge von Depressionen allerlei Art stark gesunken war. N u n will ich mit frischer K r a f t weiterarbeiten. N u n seh ich wieder Zweck u n d Ziel vor mir u n d das danke ich Ihnen . . . " ' Murko h a t t e in seiner ausführlichen Rezension Bernekers Publikation in eine Reihe m i t älteren bedeutenden Wörterbüchern der slawischen Sprachen gestellt u n d sich nach Würdigung von Miklosichs „Etymologischem Wörterbuch der slavischen Sprachen", das in vielem das Vorbild für Bernekers Werk wurde, sehr positiv über das „Slavische etymologische W ö r t e r b u c h " seines deutschen Briefpartners geäußert. I n der Besprechung Murkos heißt es u n t e r anderem: „ . . . Berneker geht über seinen Vorgänger (Miklosich — H. P.) auch weit hinaus. Vor allem entspricht sein Wörterbuch dem heutigen S t a n d der slavischen Lexikographie u n d Philologie sowie der vergleichenden Sprachwissenschaft, die gerade in den letzten 30 J a h r e n bedeutende Fortschritte gemacht h a t . . . " 8 Nach einigen Erläuterungen zum Aufbau des Wörterbuches u n d kritischen Bemerkungen spricht Murko zum Schluß von der Bedeutung des Werkes f ü r die weitere Erforschung der slawischen Sprachen: „ . . . Möge das mit großer Gelehrsamkeit, Gewissenhaftigkeit u n d Liebe geschriebene Werk schneller einem glücklichen E n d e entgegengehen, denn es ist berufen, zum Studium und Verständnis der slavischen Sprachen sehr viel beizutragen .. Die aus Murkos Worten sprechende Sorge, daß Berneker das Wörterbuch k a u m zu E n d e f ü h r e n werde, bestätigte sich dann leider später, da nach der Rezension des slowenischen Slawisten nur noch eine Lieferung des zweiten Bandes erschienen ist. Überraschen m u ß die Tatsache, daß Berneker in den Briefen aus der Prager Zeit k a u m über seine vielfältige Tätigkeit als Hochschullehrer spricht. N u r im November 1908 erwähnt er die Vorbereitung eines Kollegs über die Entwicklung der tschechischen Literatur, die ihn viel Mühe kostete 10 . I n dieser Zeit h a t Berneker aber mehrfach f ü r die Zusendung von Murkos neuen Veröffent-

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B e r n e k e r , Briefe (I): 1. 4. 1907. d e r s . , Briefe (I): 5. 7. 1908. d e r s . , Briefe (I): 1. 7. 1914. Deutsche Literaturzeitung 35 (1914), Sp. 1605 — 1620; Zitate: ebd., Sp. 1609. ebd., Sp. 1619. vgl. B e r n e k e r , Briefe (I): 29. 11. 1908.

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lichungen gedankt, die er alle mit großer Aufmerksamkeit durcharbeitete. In späterer Zeit hat Berneker die sieben Jahre in Prag als eine glückliche Periode seines Lebens bezeichnet. Nach 1909 hat Berneker Murko mehrfach über seine Arbeitsbedingungen als Slawist in Breslau berichtet, wohin er als Nachfolger W. Nehrings mit großen Erwartungen gegangen war. Noch vor seiner Übersiedlung schrieb Berneker am 5. Januar 1909 aus Prag an Murko: „ . . . Hoffentlich wird es mir in Breslau vergönnt sein, etwas Gutes für unsere Wissenschaft auszurichten ; bemühen will ich mich nach Kräften. Das preußische Ministerium hat mir die günstigsten Bedingungen gemacht, so dass ich sehr zufrieden sein kann. Die Stadt soll ja auch nicht übel sein .. , " u Einzelheiten seiner Tätigkeit als Slawist in Breslau teilte Berneker Murko allerdings erst 1911 mit, als er sich bereits entschlossen hatte, die Berufung als Ordinarius auf den neuen slawistischen Lehrstuhl in München anzunehmen. Murko hatte wohl damals die Absicht, Graz nach Möglichkeit zu verlassen und eventuell Nachfolger Bernekers in Breslau zu werden. Diese Tatsache begrüßte der deutsche Slawist und erklärte seine Bereitschaft, dem slawischen Kollegen jede gewünschte Auskunft zu geben: „ . . . Vor allem war ich natürlich sehr erfreut, zu hören, dass Sie den Gedanken an Breslau nicht von der Hand weisen. Selbstverständlich diene ich Ihnen schon jetzt, wenn Sie es wünschen, mit jeder Auskunft. Ich bitte nur zu fragen. Ich kann Ihnen nur versichern, dass ich es hier recht warm und behaglich gefunden habe; vor allen Dingen war das kollegiale Zusammenhalten in der Fakultät sehr erfreulich, so wie es sicher nicht überall in unseren Universitäten ist. Das slavische philologische Seminar bekommt eine Dotation (für Bücher) von 600 M. jährlich. Dazu erhält seit diesem Jahr die König.(liche) und Universitätsbibliothek 4000 M. jährlich Extradotation für slavische Literatur. Da läßt sich schon etwas machen .. ." 12 Bereits eine Woche später beschrieb Berneker dann Murko in einem weiteren Brief ausführlich die recht günstigen Bedingungen für die Tätigkeit als Slawist in Breslau zu jener Zeit; es heißt dort: „ . . . Dass die preuss.(ische) Regierung aus Breslau eine Centraistätte slavistischer Studien machen wolle, ist nur zum Teil zutreffend. Tatsache ist eben die besondere Bibliotheksdotation. Das hing so zusammen: seit Ostern 1910 wird von den Bibliothekbenutzern in Preussen eine Gebühr von 2,50 M.pro Semester erhoben. Der Erlös hiervon und eine Dotation des Ministeriums von, ich glaube, gleicher Höhe ist zur Aufbesserung des Etats der pr.(eussischen) Bibliotheken bestimmt. Dazu bekommen 4 Bibliotheken noch eine Extradotation von 4000 M. jährlich und zwar Bonn zur Anschaffung französischer, Göttingen englischer, Kiel skandinavischer u.(nd) Breslau slavischer Literatur . . . Diese Dotation wird von den Bibliotheken ganz selbständig verwaltet; natürlich wird aber jeder vernünftige Direktor — und nun gar unser hervorragender, herrlicher Milkau — den Fachprofessor ausgiebig heranziehen. Bisher haben wir eine besondere Aufmerksamkeit den Zeitschriften gewidmet: wir haben jetzt an 100 slav.(ische) Periodica. Im Südslav.(ischen) würden Sie natürlich viel vermissen — aber diese Lücken wären bald ausgefüllt. Was das Hörermaterial betrifft, so ist es — hierüber muß ich mich ganz offen äussern — an Qualität nicht ideal. Das Hauptkontingent stellen die Zöglinge des fürstbischöfl.(ichen) Konvictoriums, poln.(ische) oder mähr.(ische) Oberschlesier. Das sind aber sehr brave, fleissige Leute — aber eben keine Philologen. Hin und wieder will mal einer den Dr. phil. machen; dann auch aus slav. (ischer) Philologie. Jetzt hat eine Polin bei mir eine nicht üble Diss.(ertation) über a(lt)p.(olnische) Syntax gemacht 13 . Zwei, drei haben sich ein Thema geben lassen — voilà tout. Ich würde mich darüber grämen, wüsste ich nicht, dass es während der 40 Jahre Nehring gerade so war. Und zwei Jahre sind zu wenig, um daran etwas zu ändern: wenn das überhaupt, oder, bescheidener, mir überhaupt möglich gewesen wäre. Der Lehrauftrag enthält keinen Hinweis auf Bevorzugung des Polnischen. So habe ich denn hier auch nur während der 4 Semester einmal Altpolnisch, einmal Geschichte der pol.(nischen) Literatur gelesen und hatte für nächstes Semester Hist.(orische) Gr.(ammatik) des Poln.(ischen) angekündigt. Aber ich war mir darüber klar, — den Eindruck gewann schon Celakovsky blahé pamëti —, dass man doch wohl das Poln.(ische) hier zum Mittelpunkt machen müsse, wolle man Nutzen stiften und sich einen Kreis von Interessenten schaffen. Ich war auf dem besten Wege dazu, als mich München abrief . . . Das Seminar hat 600 M. Dotation 11 12 13

ders., Briefe (I): 5. 1. 1909. ders., Briefe (I): 8. 2. 1911. vgl. E. R a m b e r g , Beiträge zur altpolnischen Syntax aus dem Florentiner Psalter. Kap. 1—4, Breslau 1911 (Phil. Diss.).

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und gegen 4000 B(än)de. Am Reichsten ist es mit dem Polnischen bestellt, wo auch viele Belletristik vorhanden ist (was ich nicht fortgesetzt h a b e ; obwohl ich, wie Sie sehen würden, f ü r Literaturgeschichte sonst sehr gesorgt habe) . . . das Russ.(ische) u n d Cech.(ische) habe ich etwas ausgefüllt. F ü r das Südslav.(ische) h a t es noch nicht gereicht: da ist wenig da , . . " 1 4 Da Berneker aus den Briefen Murkos ersah, daß dieser gern nach Breslau k o m m e n würde, versuchte er eine Berufung des Bekannten als seinen Nachfolger zu ermöglichen. Als die philosophische F a k u l t ä t der Universität Breslau Berneker um R a t wegen geeigneter Gelehrter b a t , die seine Stelle einnehmen könnten, arbeitete er sehr ausführliche Vorschläge zur Neubesetzung des slawistischen Lehrstuhls aus, in denen er Murko, O. Broch u n d P . Diels als mögliche Kandidaten n a n n t e u n d ihre bisherigen wissenschaftlichen Leistungen sehr genau beschrieb. Seine Vorstellungen fanden wohl die Zustimmung der F a k u l t ä t — das Original weist keinerlei Korrekturen oder Ergänzungen auf — u n d bildeten dann die Grundlage f ü r ein offizielles Schreiben an den zuständigen Minister. Berneker empfahl an erster Stelle Murko als geeigneten Nachfolger u n d sagte über ihn in dem neun Seiten umfassenden Schriftstück unter a n d e r e m : ,,... Seit April 1902 ist er ordentlicher Professor der slavischen Philologie an der Universität Graz. Murkos Arbeiten, von denen hier n u r die wichtigsten genannt seien, haben ihm den Ruf eines der hervorragendsten Forscher auf dem Gebiet der slavischen Literaturgeschichte eingebracht . . . Wie die Literaturgeschichte, so v e r d a n k t auch die Volkskunde Murko wesentliche Förderung . . . Diese folkloristischen Leistungen würden Murko f ü r Breslau ganz besonders geeignet erscheinen lassen, wo unter F ü h r u n g der „Schlesischen Gesellschaft f ü r Volkskunde" diese Forschungen einem hohen Interesse begegnen. Aufsätze wie z. B. „ E r k l ä r u n g einiger grammatischer F o r m e n im Neuslovenischen (Arch. f. slav. Phil. 14, 1892) lassen erkennen, dass Murko auch ein sprachwissenschaftlich geschulter Grammatiker ist .. ." 15 Leider k a m die Berufung Murkos nach Breslau nicht zustande, da das preußische Kultusministerium wohl lieber einem deutschen Philologen den Vorzug geben wollte. So erhielt P. Diels 1911 die slawistische Professur in Breslau, die er dann mehrere J a h r z e h n t e innegehabt h a t . Berneker war über diese Entscheidung sehr erstaunt und drückte Murko gegenüber seine E n t t ä u s c h u n g darüber aus „ . . . D a ß das preußische Ministerium Sie nicht wegen Breslau angefragt h a t , h a t mich mit Unwillen erfüllt. Ich kann Ihnen nochmals (natürlich im Vertrauen) versichern, daß Sie primo loco mit allen E h r e n u n d wärmster, einschränkungsloser Charakteristik Ihrer wissenschaftlichen Leistungen vorgeschlagen waren; Ihre Unparteilichkeit, Ihre im besten Sinne voraussetzungslose Wissenschaft war besonders betont. An zweiter Stelle war Olaf Broch vorgeschlagen; Diels natürlich n u r tertio loco, als eine H o f f n u n g bezeichnet ,.." 1 6 Die nicht geglückte Berufung nach Breslau h a t jedoch die Freundschaft zwischen Murko und Berneker nicht belastet, wie der herzliche Ton ihrer Korrespondenz in den folgenden J a h r e n erkennen läßt. Nach der Übersiedlung nach München klagte Berneker in den Briefen mehrfach über die Schwierigkeit, geeignete Werke von Fachkollegen f ü r die durch ihn u n d A. Leskien herausgegebene Serie „ S a m m l u n g slavischer Lehr- u n d H a n d b ü c h e r " (1909ff.) zu bekommen. Eine große Freude bedeutete f ü r Berneker ein Besuch Murkos in München E n d e 1913, doch ist den Briefen leider nicht zu entnehmen, worüber die Gelehrten im einzelnen gesprochen haben. Auch während des Weltkrieges riß der schriftliche K o n t a k t zwischen den beiden Gelehrten nie ab, und mehrfach m u ß Murko 1914 — 1916 Berneker über seine wissenschaftliche Arbeit informiert haben. Besonders erwähnenswert ist ein langes Schreiben Bernekers vom April 1917, in dem er — einer Bitte Murkos folgend — über die Arbeit als Slawist in München berichtete. Murko h a t t e Berneker wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Vorbereitung seines berühmten Beitrages „Die slavische Philologie in Deutschland" (1917) 1 ' u m genaue Auskünfte über die Anfänge und die E n t wicklung der Slawistik in München gebeten, da er den Artikel n u r auf der Basis zuverlässiger

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B e r n e k e r , Briefe (I): 14. 2. 1911. Acta betreffend das Lehrfach der slavischen Sprachen und der Personalien des zu derselben gehörenden Dozenten, Okt. 1840—20. VI. 1932 (Uniwersytet Wroclaw, Archivum, F a c t . 17, vol. 1, k a r t a 105 — 110; Z i t a t : k a r t a 1 0 5 - 1 0 6 ) . B e r n e k e r , Briefe (I): 27. 6. 1911. vgl. M. M u r k o , Die slavische Philologie in Deutschland. Ein P r o g r a m m , i n : Internationale Monatsschrift f ü r Wissenschaft, K u n s t u n d Technik 12 (1917), Sp. 225—253; 2 9 5 - 3 2 0 .

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und umfassender Informationen über die Herausbildung der Slawistik in Deutschland bis zum Zeitpunkt seines Berichtes publizieren wollte. Die Grundlage für diese Publikation bildete jedoch die Antrittsvorlesung, die Murko bei seiner Berufung nach Leipzig am 19. Mai 1917 gehalten hatte. Berneker schrieb in dem Brief unter anderem: „ . . . Die Lehrkanzel in München wurde 1911 gegründet. Ich hielt in München einmal oder wiederholt folgende Vorlesungen: Altkirchenslavische, Litauische Grammatik, V(er)g.(leichende) Gr.(ammatik) d.(er) sl(avischen) Spr.(achen), H i s t o rische) Gr.(ammatik) d.(er) russ.(ischen) Sprache. Dazu die slav.(ischen) Völker und Sprachen als Einführung in die slav.(ische) Philologie; Gesch.(ichte) d.(er) r.(ussischen) Lit.(eratur) im 19. J(a)h.(rhundert); Geschichte der poln.(ischen) Literatur; slavische Volksdichtung. Im Seminar traktierte ich: A(lt)k(irchens)l.(avische) Übungen, Altruss.(ische) Nestorchronik, Igorlied, Polnisch, die russ.(ischen) Bylinen, s(erbo)kr.(oatische) Volksdichtung, Geschichte der Slavenapostel, Litauische und kleinruss.(ische) Übungen (Sevcenko). Dann habe ich auch öfters Russisch für Anfänger und für Fortgeschrittene gelesen. Die Hörerzahl war in diesen letzteren Kollegs vor dem Kriege um 30—40 Hörer; in den anderen Kollegien durchweg weniger. Im Seminar war die Höchstzahl der Teilnehmer 25. Die Zuhörer setzten sich — ausser in der russ.(ischen) Anfänger-Vorlesung — so zusammen, dass die Anzahl der Slaven die der Deutschen überwog. Ich hatte Sechen, Serben, Bulgaren, Polen, Ukrainer (seltener Russen), auch Amerikaner und Skandinavier. Promotionen hatte ich in den 4 Jahren bis 1915 3 ... Im Nebenfach eine ganze Anzahl, namentlich von Slaven, die im Hauptfach Deutsch hatten. Die deutschen Hörer zeigten vorwiegend Interesse für die Grammatik, sie waren zumeist von der Sprachwissenschaft ausgegangen. Für Literaturgeschichte waren, wie oft, mehr die Damen. Allgemein interessierte die slavische Volksdichtung, in der ich eine Übersicht gab und besonders ausführlich die russ.(ischen) Bylinen und die kroato-serb.(ischen) Volkslieder behandelte. Die deutschen Hörer beschränkten sich meist auf Altkirchenslavisch und Russisch, gingen beim Westund Südslavischen nicht mehr recht mit. Ich glaube, diese Verhältnisse gehören völlig der Geschichte an. Wir werden nach dem Krieg ganz neu anfangen und dabei damit rechnen können, daß der Krieg den Deutschen für die Welt des Ostens recht erst die Augen geöffnet hat .. ." 18 Der zitierte Brief zeigt sehr anschaulich, wie vielseitig die Lehrtätigkeit Bernekers besonders in den ersten Jahren seiner Münchener Zeit gewesen ist, als er ohne nennenswerte Unterstützung alle Teilgebiete seiner Disziplin in Vorlesungen, Übungen und Seminaren vertreten hat. Während der vielen Jahre des Wirkens in der bayerischen Hauptstadt erhielt Berneker, der im In- und Ausland als vielseitiger Philologe großes Ansehen genoß, mehrfach ehrenvolle Berufungen an andere Universitäten. Aus sehr unterschiedlichen Gründen lehnte er jedoch diese Angebote alle ab und blieb bis zu seinem Tode 1937 in München. Nach dem Tode A. Leskiens hatte beispielsweise die philosophische Fakultät der Universität Leipzig an erster Stelle Berneker als Nachfolger vorgeschlagen, da man wußte, daß Leskien schon 1909 seinen ehemaligen Schüler Berneker als fähigen Slawisten und Baltisten für den slawistischen Lehrstuhl in Breslau empfohlen hatte. Berneker konnte sich jedoch im ersten Weltkrieg überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen nicht entschließen, dem Ruf nach Sachsen Folge zu leisten. Er schrieb darüber 1919 an Murko: „ . . . Damit Sie nun — es bleibe im Vertrauen unter uns — genau wissen, warum ich damals Leipzig abgelehnt habe, so war der Hauptgrund die gänzlich ungewisse Lage. Ich stand bei der Marine, ich wußte, daß der Krieg noch lange dauern, nicht aber, ob ich zurückkommen würde. Da wäre dann meine Frau samt den Kindern zwischen zwei Stühlen gewesen. Ich blieb also hier für weniger, als man mir in Leipzig bot .. ." 19 Durch den Verzicht auf die Berufung nach Leipzig 1917 hoffte Berneker, bei den zuständigen Regierungsstellen Bayerns die Bewilligung zusätzlicher Geldmittel für seine Disziplin an der Universität München zu erreichen. Man machte ihm auch große Versprechungen für die Zukunft. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges verbesserten sich jedoch zunächst für Berneker die Arbeitsbedingungen überhaupt nicht, worüber er sehr enttäuscht war. Dazu sagte er in einem Brief aus jener Zeit: „ . . . Dafür stellte man mir hier (in München — H. P.) optima, fide das Lockbild einer slavischen Philologie gehoben durch ein Südosteuropa-Institut vor Augen20, an dem alle slavischen Sprachen durch 18

B e r n e k e r , Briefe (I): 28. 4. 1917. " vgl. ebd.: 31. 12. 1919.

H . POHRT, E . Berneker und M. Murko

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Lektoren vertreten sein sollten u n d ich als der Vertrauensmann der Universität im Direktorium sitzen sollte. Die Lektoren sollten meinem Seminar unterstellt sein, die w a h r h a f t skandalösen Bücherlücken der Staatsbibliothek in slavicis versprach m a n zu stopfen. So k a n n ich wirklich sagen, daß ich aus Idealismus blieb. U m Leipzig war mir nicht bange, weil ich richtig hoffte, dass Sie hingehen würden. Alle diese schönen Dinge sollten nach dem Frieden ins Werk gesetzt werden — s t a t t dessen k a m die Revolution u n d dieses ganze I n s t i t u t ist auf den St. Nimmerleinstag verschoben. E s heißt nach wie vor, ein paar Studenten Altbulgarisch, Russisch usw. einpauken .. ." 2 1 Der hier schon einige Male zitierte Brief Bernekers stellt offenbar die Antwort auf ein Schreiben Murkos dar, der nach zweijähriger Tätigkeit in Leipzig so e n t t ä u s c h t war, daß er die Absicht hatte, die S t a d t zu verlassen, und bei Berneker angefragt h a t t e , ob er nicht eventuell jetzt, also 1919, die slawistische Professur in der Leipziger Universität übernehmen wolle. Berneker war aus den oben genannten Gründen mit seiner Situation in München ebenfalls nicht zufrieden, so daß er zum damaligen Zeitpunkt überlegte, ob er nicht fortgehen solle. E r f ü r c h t e t e aber m i t Recht, daß ihn das sächsische Kultusministerium wegen seiner Absage von 1917 nicht nach Leipzig berufen werde: „ . . . Ich habe hier auch in München so schwere Zeiten erlebt, dass mich nichts mehr hier halten würde. E s ist mir vieles verleidet. Das alles ist vertraulich. Aber es ist auch theoretisch. Denn es ist ganz sicher, dass wenn Sie einmal gehen,, das Dresdner Ministerium, ja nicht einmal die F a k u l t ä t , auf mich zurückkommen würde. Meine H o f f n u n g ist, Sie haben Geduld u n d bleiben noch eine Weile. Als Brückner einmal unter besonders ehrenden Umständen, es sind wohl schon 20 J a h r e her, einen Ruf nach K r a k a u h a t t e , sagte er mir, er werde den Teufel t u n ; der P r o p h e t gelte nichts in seinem Vaterlande. U n d was Wahres ist d a r a n .. ." 22 Als Murko d a n n 1921 endgültig beschloß, nach P r a g zu gehen, u n d auf sein Hinwirken Berneker erneut die slawistische Professur in Leipzig angeboten wurde, lehnte der Münchener Slawist zum zweiten Male ab. So wurde der Weg f ü r die Berufung M. Vasmers frei, weil R . T r a u t m a n n , der zu dieser Zeit an der Universität Königsberg (heute: Kaliningrad) lehrte, ebenfalls nicht nach Leipzig k o m m e n wollte. Welche Gründe Bernekers Entscheidung im einzelnen bestimmt haben, ist schwer zu entscheiden. Aus den Briefen geht jedoch hervor, daß er nur sehr ungern mit W. Streitberg, der von München nach Leipzig gegangen war, an derselben Universität gewirkt hätte 2 3 . I n dem J a h r 1919 h a t t e Murko mehrfach Berneker um ein Urteil über Streitberg gebeten, der nach Leipzig berufen werden sollte. Damals h a t t e Berneker sich als einen engen F r e u n d Streitbergs bezeichnet u n d ihn als starke Persönlichkeit und feinen Menschen charakterisiert. E r s t unmittelbar nach dem Fortgang Streitbergs aus München muß es 1920 zwischen ihnen zu einem Zerwürfnis gekommen sein. Wahrscheinlich blieb Berneker aber in München, da er E n d e 1920 oder Anfang 1921 e r n s t h a f t an einem Nervenleiden e r k r a n k t war u n d an starken Depressionen litt. E r schrieb 1922 an Murko, daß die Erlebnisse des Krieges, starke Arbeitsbelastung sowie die anstrengende Tätigkeit als Dekan der philosophischen F a k u l t ä t 1919 — 1920 ihn so überfordert h a t t e n , daß er 1921 f ü r längere Zeit seine Vorlesungstätigkeit nicht ausüben konnte. I m J a h r 1922 wurde Berneker auch das Angebot unterbreitet, als Slawist an der Universität Wien zu lehren: „ . . . Augenblicklich unterhandelt Wien mit mir, und ich bin so unschlüssig, wie nur möglich. Die Entscheidung m u ß in den ersten Februarwochen fallen. Ich k ä m p f e einen schweren Kampf .. ." 24 Berneker verzichtete jedoch 1922 ähnlich wie 1908, als er Nachfolger von V. Jagic in Wien werden sollte, darauf, nach Österreich zu gehen. Er wollte sich offensichtlich wegen seines verringerten Leistungsvermögens nicht mehr an neue Arbeits- und Lebensbedingungen in einer ihm nur wenig v e r t r a u t e n S t a d t gewöhnen und versuchte, sich mit den Gegebenheiten in München, wo er sich trotz mancher Schwierigkeiten recht heimisch fühlte, abzufinden: „ . . . Das U n .

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H . W . S c h a l l e r , Aus der Geschichte der deutschen Südosteuropaforschung. Die Pläne f ü r ein Münchener Balkaninstitut im I . Weltkrieg, in: Südosteuropa-Mitteilungen 19 (1979), H . 1, S. 4 2 - 4 7 . vgl. Anm. 19, ebd. vgl. ebd. vgl. B e r n e k e r , Briefe (I): a) 7. 10. 1919; b) 3. 12. 1919. d e r s . , Briefe ( I I ) : 29. 1. 1922.

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glück ist hier der Mangel an Büchern und Literatur. Es fehlt hier nicht nur das Alte, das nicht mehr nachzuschaffen, sondern bald wird auch das Neue fehlen. Ich habe bei den massgebenden Behörden was die Person anbetrifft nicht zu klagen. Man erweist mir stets Achtung und Entgegenkommen. Aber ich darf mir nicht verhehlen, dass das nur der Person und nicht dem Fach und der Sache gilt. Man hält wohl im Gegenteil die slavische Philologie hier für eine höchst unwichtige Sache. Ich bin nun einmal da. Gut, mag er bleiben, er gehört nun einmal zum Bau, man hat sich an mich gewöhnt; man würde vielleicht auch meinen Weggang bedauern. Aber im Stillen fragen sich wohl die Behörden und Landboten: was soll eigentlich die ganze slavische Philologie? Sie ist ja kein Examensfach. Das ist das Zauberwort (obwohl ich z. B. in russ.(ischer) Lit(eratur) gesch.(ichte) über 70 Hörer hatte). Wer studiert das eigentlich? Was will und was soll man damit? "25

Noch im selben Jahr versuchte Murko Berneker ein zweites Mal für Prag zu interessieren, wo der deutsche Slawist schon zu Beginn des Jahrhunderts sieben Jahre gewirkt hatte. Doch Berneker lehnte auch diesen Vorschlag ab, da er bezweifelte, daß er als Deutscher in der jungen Tschechoslowakischen Republik mit Erfolg das Fach Slawistik vertreten könnte: „ . . . Ihre Frage wegen Prag setzt mich einigermassen in Verlegenheit... Es ist ja ganz klar, dass jetzt Prag die slavistische Arbeitsstätte wird und ich staune über all das Grosszügige, was schon geschehen und was noch im Werden ist. Aber ob ein deutscher Slavist nicht dort zwischen zwei Stühlen sässe? Selbst in den Jahren 1902 bis 1909 war meine Stellung nicht leicht und ich glaube, sie würde jetzt eher noch schwerer sein .. ."*6 In den Briefen aus den 1920er Jahren ist manchmal auch von Mitarbeitern und Schülern Bernekers die Rede. Es wird zum Beispiel deutlich, daß Berneker sich sehr um die wissenschaftliche Entwicklung seines Schülers G. Gesemann kümmerte 2 ', über dessen Habilitation er Murko 1920 berichtete: „ . . . Bei mir hat sich hier um Pfingsten Dr. Gerhard Gesemann habilitiert mit einer vorzüglichen Ausgabe und methodisch ergiebigen Einleitung zur Erlanger H(and)s.(chrift) s(erbo)kr.(oatischer) Lieder. Er war vor dem Kriege in Serbien und ist jetzt wieder dort, um zu sehen, ob nicht vielleicht die Belgrader Akademie sein opus druckt 28 . Colloquium und Probevorlesung waren glänzend. Ich hoffe, G.(esemann) wird sich weiter machen und dann auch der allgemeinen Slavistennot abhelfen können .. ," 29 Anschließend wirkte Gesemann zwei Semester neben Berneker als Slawist an der Universität München. In späteren Briefen bedankte sich Berneker ausdrücklich dafür, daß Murko dem jungen Gesemann in Prag half, als dieser dort 1922 die Lehrtätigkeit als Slawist aufnahm. Im Jahr 1924 erreichte Berneker dann von der Universität Berlin eine Anfrage, ob er den slawistischen Lehrstuhl von A. Brückner übernehmen wolle. Berneker, der nach Abschluß seines Studiums 1896 bis 1902 einige Jahre in Berlin als Slawist tätig gewesen war, schien zunächst gewillt, als Ordinarius und Direktor des geplanten „Slavischen Seminars" in die preußische Hauptstadt überzusiedeln. Er weilte 1924 sogar einige Tage in Berlin, um entsprechende Verhandlungen zu führen. Als er jedoch erkannte, daß ihm nicht ausreichende Gelder für den Aufbau des neuen Seminars zu Verfügung gestellt werden sollten, war er sehr enttäuscht und beschloß, weiterhin in München zu bleiben. Er berichtete Murko kurz darauf über seine Eindrücke in Berlin: „ . . . Im Sommer erhielt ich den Ruf nach Berlin als Nachfolger Brückners. Aber ich habe mich nicht entschliessen können, ihm zu folgen. Sie wissen schon von früher her, dass ich lieber in der Provinz der zweite bin als in Rom der erste. Persönliche und sachliche Bedenken wogen gleich stark. So wollte man mir z. B. für die Neugründung eines slav.(ischen) Seminars nur eine für die tatsächlichen Verhältnisse geradezu lächerliche Summe bewilligen (jetzt ist es mit dem i(n)d.(o)germanischen, ind.(ischen), iran.(ischen) und kelt.(ischen) Seminar vereint — also ein unhaltbarer Zu-

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vgl. Anm. 24, ebd. vgl. ebd. vgl. W. G e s e m a n n , Lebensabriß und Schriftenverzeichnis Gerhard Gesemanns, in: Germanoslavica. Geschichten aus dem Hinterhalt. Frankfurt/a. M. (usw.) 1979. S. 114—123; H . W . S c h a l l e r , Gerhard Gesemann als Slavist an der Universität München, in: Anzeiger für slavische Philologie 12 (1981), S. 171-176. vgl. G. G e s e m a n n , Erlangenski rukopis starih srpskohrvatskih narodnih pesama, in: Zbornik za istoriju, jezik i knjiievnost srpskog naroda. 1. Reihe, Bd. 12, Sremski Karlovci 1925. B e r n e k e r , Briefe (I): 15. 7. 1920.

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stand). Ich h a t t e ü b e r h a u p t den Eindruck, dass in Berlin das Seminar f ü r osteuropäische Geschichte u n d Landeskunde — dem auch alle Lektoren angegliedert sind! — den B a h m abgeschöpft h a t , so dass f ü r die eigentliche Philologie zu wenig übrig blieb. Dass mich auf Schritt und Tritt der K o n t r a s t zwischen dem heutigen Berlin u n d dem, das ich in den J a h r e n 1896—1902 k a n n t e u n d liebte, störte u n d wehmütig stimmte — das n u r nebenher ..." 3 0 Nach der Absage Bernekers wurde M. Vasmer berufen, der, von Leipzig kommend, 1925 als Slawist an der Universität Berlin zu lehren begann u n d Direktor des neubegründeten ,,Slavischen I n s t i t u t s " wurde 31 . Berneker erreichte durch die Absage der Berufung nach Berlin, daß er in München einen zusätzlichen Lehrauftrag f ü r baltische Philologie erhielt 32 , das „Slavische Seminar" besser ausgestattet u n d zusätzliche Mittel f ü r die Anschaffung v o n Slavica in der Bayerischen Staatsbibliothek bewilligt wurden. Dennoch war Berneker sehr bewußt, daß die Slawistik in München n u r sehr begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten h a t t e . An anderer Stelle äußerte sich Berneker sehr anerkennend über Murkos Bemühungen, P r a g seit 1921 als ein Zentrum der Slawistik weiter auszubauen. Besonders beglückwünschte der deutsche Slawist den B e k a n n t e n zur Begründung der Zeitschrift „Slavia", die 1922 zu erscheinen begann u n d sich unter der Redaktion von 0 . H u j e r u n d Murko schnell zu einem anerkannten Fachorgan entwickeln konnte. Berneker wußte aus eigener Erfahrung, welche Anstrengungen es kostete, eine solche Zeitschrift zu leiten, da er selbst 1922 die Herausgabe des 1876 begründeten „Archivs f ü r slavische Philologie" übernommen hatte, dessen letzte fünf Bände 1923 — 1929 u n t e r seiner Leitung erschienen sind. Die Leitung des „Archivs", das bis zum ersten Weltkrieg während mehrerer J a h r z e h n t e eine der führenden slawistischen Zeitschriften E u r o p a s gewesen war, bereitete Berneker viele Sorgen. Infolge des raschen Aufblühens der Slawistik in den slawischspraehigen Ländern, die 1918 ihre nationale Selbständigkeit wiedererlangt h a t t e n , war die Zahl ausländischer Mitarbeiter, die Beiträge lieferten, sehr viel kleiner geworden als sie vor dem Krieg war. Diese Tatsache und ökonomische Gründe zwangen den Verlag Reimer, die einzelnen Bände des „Archivs" m i t einer geringeren Seitenzahl erscheinen zu lassen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz war Berneker sehr bemüht, I n h a l t u n d Zielstellung des „Archivs" im Sinne seines Begründers V. Jagic zu erhalten, da er mit Recht glaubte, daß es n u r auf diese Weise gelingen könnte, einen Teil des früheren Ansehens der Zeitschrift zurückzugewinnen. Über die beabsichtigte Gestaltung des „Archivs f ü r slavische Philologie" unter den veränderten Bedingungen schrieb Berneker 1922 a n Murko: ,,... Das „ A r c h i v " wird ihr (der „ S l a v i a " — H.P.) keine Konkurrenz machen. Wir sind nur noch 18 Bogen stark und zahlen 50 M. Honorar f ü r den Bogen. Aber ich hielt es f ü r meine Pflicht, die Zeitschrift zu halten oder richtiger: zu versuchen, ob es möglich sein wird. Der Verlag bleibt der alte. E s heisst auch ausdrücklich ,begründet von V. J a g i c ' — ich will an die Tradition a n k n ü p f e n . Slaven sind als Mitarbeiter durchaus willkommen, wenn sie sich n u r einstellen. Am Charakter wird nur das geändert, was die Verhältnisse erfordern: auf 18 Bogen k a n n m a n natürlich nicht große Materialien bringen. Ich denke mir: gute Aufsätze, Besprechung der wichtigsten Neuerscheinungen, u n d eine Zeitschriftenschau. Philologie im gesamten Umfang, n u r Geschichte muss ich ausschliessen. Literaturgeschichte wird mit gepflegt, dazu noch die Baltistik. E s n ü t z t kein Programm — wir müssen sehen, wie alles sich entwickelt und was möglich ist. Auch ich denke mir ein freundschaftliches Verhältnis zu der ,Slavia', der Revue des E ' t u d e s Slaves, der Slavonic Review, dem Rocznik Slawistyczny usw. auf dem neutralen Boden der Wissenschaft. D a f ü r bürgt hoffentlich mein N a m e ; wenn es nicht möglich ist, so trete ich zurück . . . Also auf gutes gemeinsames Wirken! .. .' l33 Berneker versuchte zu erreichen, daß sich wie früher auch Fachkollegen aus den slawischen Ländern u n d Nordeuropa 3 4 als Mitarbeiter und Herausgeber am Archiv beteiligten: ,,... Sie wissen, dass mit dem neuen H e f t Miletiö mitzeichnet. Es ist das wohl die beste Widerlegung des Märchens, 3

» d e r s . , Briefe (II): 22. 9. 1924. vgl. die Beiträge über M. V a s m e r in: ZfSl 31 (1986), H e f t 5. 32 vgl. H . W. S c h a l l e r , Erich Berneker u n d die Baltische Philologie in Deutschland, in: ZfslPh 43 (1983), S. 1 7 5 - 1 8 4 . 33 B e r n e k e r , Briefe ( I I ) : 29. 1. 1922. 34 vgl. H . W. S c h a l l e r , Die skandinavische Slavistik u n d das .Archiv f ü r slavische Philologie', 33 in: Scando-Slavica 25 (1979), S. 1 0 5 - 1 1 8 . 31

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das mir einmal — von irgend einem aufgebracht — kolportiert wurde, dass das Archiv antislavisch sei. Welche Lächerlichkeit! Das von Jagic begründete Organ! H ä t t e ich das gewollt, so h ä t t e ich es nie übernommen .. ." 36 Wie dem Titelblatt des „Archivs" in dieser Zeit zu entnehmen ist, gelang es Berneker, ab 1922/1923 nach u n d nach ausländische Slawisten wie 0 . Broch, R . Ekblom, J . J . Mikkola, L. Miletiö u n d N. van Wijk als Mitherausgeber der Zeitschrift zu gewinnen. Während Berneker Verständnis f ü r die Gründung einer Zeitschrift wie die „ S l a v i a " h a t t e , empf a n d er die von Vasmer neu ins Leben gerufene „Zeitschrift f ü r slavische Philologie" als überflüssiges Konkurrenzunternehmen u n d war froh, daß Murko offenbar ebenfalls der Zeitschrift Vasmers nicht viel Sympathie entgegenbrachte: „ . . . E s ist mir eine Genugtuung, dass Sie, der Sie einen Einblick u n d eine E r f a h r u n g in Slavicis haben wie seit Jagic' Tode niemand sonst Vasmers Gründung so objektiv beurteilen. Weder Weidmann noch ich denken das Archiv aufzugeben, solange wir Stoff haben u n d es eine Mission erfüllen k a n n . Vasmers Gründung ist ein Konkurrenzunternehmen. E r schrieb mir ganz lapidar, er sei zu diesem Schritt gezwungen, da das ,Archiv' Gerullis als den Leipziger Slavisten bezeichnet!! E s geht dies auf meine Anmerkung S. 44. Ich führe da Gerullis ausdrücklich als den Mitherausgeber f ü r Baltisch ein. Da der Mann aber 1) offiziell Professor f ü r baltisch-slavische Sprachen ist, 2) der Nachfolger Scholvins ist, 3) z. B. Russisch liest, 4) Arbeiten über Weissrussisch u n t e r der Feder h a t , so war es doch wohl kein crimen causae majaestatis ihn als Slavisten zu bezeichnen . . . Übrigens wusste ich von der Gründung schon lange, ehe das Archiv-Heft heraus war. Es ist also wirklich n u r ,Gründungsfieber' des guten Vasmer, wie Sie richtig e r k a n n t haben. E r will sich offenbar einbilden, dass ich sein Gegner bin, u m sich selbst interessant zu machen. E s ist nicht der Fall. Ich habe garnichts gegen ihn. E r sollte nur wieder wirklich einmal etwas Slavistisches leisten .. ." 36 Wie diese Worte zeigen, war Berneker nicht n u r gegen die neue „Zeitschrift f ü r slavische Philologie", sondern verhielt sich auch recht kritisch gegenüber Vasmers slawistischem Wirken insgesamt. Unabhängig davon schätzte Berneker Vasmer als Menschen und half ihm sogar durch ein positives Gutachten, den slawistischen Lehrstuhl in Leipzig zu bekommen. Auch Vasmer bemühte sich um ein gutes Verhältnis zu Berneker und schätzte ihn trotz unterschiedlicher wissenschaftlicher Positionen als Gelehrten, wie sein ausführlicher Nekrolog aus Anlaß des Todes von Berneker 1937 beweist 37 . Abschließend darf gesagt werden, d a ß die ausgewerteten Briefe eine Fülle interessanter Einzelheiten über die Beziehungen zwischen Berneker und Murko enthalten u n d einen guten Einblick in wichtige Vorgänge der deutschen Slawistik während der ersten zwei J a h r z e h n t e des laufenden J a h r h u n d e r t s gewähren, ohne d a ß hier jede Einzelheit E r w ä h n u n g gefunden h a t . Höchstwahrscheinlich endete der Briefwechsel zwischen beiden Gelehrten tatsächlich schon zehn J a h r e vor dem überraschenden Tode Bernekers 1937. Der Münchener Slawist, der in der letzten Periode seines Lebens nachweislich aus gesundheitlichen Gründen die wissenschaftliche Tätigkeit stark einschränken mußte, h a t t e sicher nicht mehr die K r a f t , seinen ausgedehnten Briefwechsel früherer J a h r e mit den zahlreichen Fachkollegen, Freunden und Schülern fortzusetzen. Auffällig ist die Tatsache, daß Murko in seinen Lebenserinnerungen „Spomini" (1951) Berneker nur sehr beiläufig an wenigen Stellen nennt. Daraus darf aber k a u m geschlußfolgert werden, d a ß zwischen Murko u n d Berneker nach 1927 eine Verstimmung eingetreten sei, da Murko in dem Buch auch andere Persönlichkeiten ebenfalls n u r kurz erwähnt, mit denen er während seines Lebens recht lange und eng verbunden war. 35 36 37

B e r n e k e r , Briefe (II): 22. 9. 1924. vgl. Anm. 35, ebd. vgl. M. V a s m e r , Erich B e r n e k e r f , in: ZfslPh 14 (1937), S. 2 5 1 - 2 5 5 .

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Tagungsberichte I. S c h ä f e r

„A. Puäkin und wir" Am 12. Mai 1987 f a n d in Leipzig die literaturwissenschaftliche Arbeitstagung „Puäkin u n d wir" s t a t t . Anlaß dazu war der 150. Todestag des russischen Klassikers. Veranstalter war der Lehrstuhl „Russische L i t e r a t u r " des Bereiches Slawische Literaturen der Sektion Germanistik u n d Literaturwissenschaft an der Karl-Marx-Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Bezirksvorstand Leipzig der Gesellschaft f ü r Deutsch-Sowjetische F r e u n d s c h a f t . Die Tagung f ü h r t e slawistische Literaturwissenschaftler aus fast allen Universitäten u n d Hochschulen der D D R (darunter vier sowjetische Gastdozenten), Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der D D R u n d den Direktor einer Leipziger Schule, die den Namen A. S. Puäkins t r ä g t , zusammen. Als Gäste waren Studenten, Bibliothekare, Kulturfunktionäre der D S F , Mitarbeiter von Verlagen und Zeitschriften erschienen. Insgesamt wurden 29 Referate gehalten; 120 Personen n a h m e n an der Veranstaltung teil. Ziel der Zusammenkunft war es, neue Forschungsergebnisse der DDR-Slawisten sowie der ausländischen Referenten zu Werk u n d Leben Puäkins, zur Wirkung u n d A u f n a h m e seines künstlerischen Erbes sowie dessen Vermittlung an Hochschulen, Universitäten u n d allgemeinbildenden Schulen der D D R in Beziehung zu setzen. Ergebnisse u n d Tendenzen der internationalen PuäkinForschung, insbesondere der sowjetischen, wurden dabei berücksichtigt. Das P r o g r a m m wurde im Plenum sowie in drei Arbeitsgruppen durchgeführt. I n den Plenarreferaten wurden das Gesamtschaffen des Dichters, umfassende Themen sowie Aspekte der Bedeutung u n d Wirkung Puskins in der russischen und in der Weltliteratur erörtert. G. D u d e k (Leipzig) ging in seinem Beitrag „Zeitbedingtheit u n d Zeitlosigkeit in der Dichtung A. S. P u s k i n s " den Ursachen für die fast zwei J a h r h u n d e r t e überdauernde Ausstrahlung Puskins nach u n d belegte mit der Erörterung des Tragischen in „Evgenij Onegin" die Formationen übergreifende Momente, die „den ganzen Weg der Menschheit als gleichsam vorgreifliche Orientierung" (C. Träger) begleiten. — R . O p i t z (Leipzig) behandelte am Beispiel von „Boris Godunov", „Mednyj vsadnik", „Seena iz F a u s t a " und „ E v g e n i j Onegin" den K o n t r a s t bzw. die Allgegenwart der „freilich noch nicht in ein dialektisches Prinzip einmündenden Gegensätze" als durchgehendes Gestaltungsprinzip bei Puäkin. — N. T h u n (Berlin) bot die Analyse einer von J . Forssmann (seinerzeit Professor f ü r russische Literatur an der Leipziger Universität) 1949 f ü r den Sender Leipzig vorbereiteten, aber nicht ausgestrahlten Sendung „Puäkin u n d Goethe" und verdeutlichte mit der Rekonstruktion des Umfeldes, d a ß es „ u m Klassikrezeption schlechthin innerhalb der demokratischen Erneuerung Deutschlands u n d seiner K u l t u r " ging. — K . S t ä d t k e (Berlin) stellte in seinem Beitrag „Puäkin u n d Deutschland (Zu einem Problem der vergleichenden Kulturgeschichte)" die Unterschiede in Puäkins u n d Goethes kulturgeschichtlicher u n d ästhetischer Konzeption heraus, wobei das Einende darin deutlich wurde. Beide haben als klassische Nationaldichter in ihrem Land die Entwicklung der modernen Literatur u n d des ästhetischen Denkens „wenn nicht ausschließlich, so doch wesentlich konzeptualisiert". — Komparatistisch ging auch G. S e e h a s e (Leipzig) vor, der darlegte, d a ß es Puäkin bei „Graf N u l i n " nicht auf eine Parodie auf Shakespeares „The R a p e of Lucrece", sondern auf eine selbständige Bearbeitung desselben Stoffes a n k a m . — I. K l a g g e (Rostock) behandelte Puäkins U m g a n g m i t Folklore als ein weit in die Zuk u n f t weisendes Beispiel: indem er ihre ideologischen, künstlerischen u n d sprachlichen Potenzen komplex genutzt h a t , habe Puäkin ein Funktionsverständnis des literarischen Folklorismus begründet, das in seinen Grundzügen auch f ü r unsere Gegenwart noch Gültigkeit h a t . I n der Arbeitsgruppe „Puäkins Wirkung auf den literarischen P r o z e ß " wurde vor allem am Beispiel vergleichender Analysen die kontinuierliche und sich immer wieder neu zeigende Ausstrahlung Puskins auf die Entwicklung russischer und sowjetischer Autoren gezeigt — so im Werk L. Tolstojs (V. C h a b i n , Moskau/z. Z. Leipzig), V. Garsins (S. M o e g e l i n , Leipzig), A. Cechovs (I. L a k o v , Leipzig), B. Pasternaks (I. S c h ä f e r , Leipzig), B. P i l ' n j a k s (D. K a s s e k , Leipzig) u n d C. Ajtmatovs (A. L a t c h i n i a n , Leipzig). E. D e n i s o v a (Uljanovsk, z. Z. Güstrow) sprach zur Rolle des Friedensgedankens im Schaffen des Dichters, und P. R o l l b e r g (Leipzig) erhellte das in der Forschung wenig beachtete Kapitel der Beziehungen des Dichters zu dem erfolgreichen Diplomaten A. Goröakov. Zur Bedeutung Puäkins f ü r die DDR-Lyriker F. Berger und U. jierger äußerte sich

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H. S c h u l z e (Magdeburg). Der Schriftsteller H.-J. R o t h e r (Berlin) legte sein persönliches Verhältnis zu Puäkin dar und sah dessen Aktualität darin, daß es „noch heute den dichterischen Mut" anzufachen vermag, von „dem Kleinen und Großen frei zu sprechen, das unter der Haut brennt und Benennung verlangt". Die Arbeitsgruppe „Aspekte der Puäkin-Rezeption" orientierte zunächst auf die Bedeutung Puäkins für andere slawische Nationalliteraturen und seine bis heute produktive Wirkung auf deren Entwicklung. Diese Aspekte behandelten die auf präziser Textanalyse fußenden Vorträge „Puskins ,Evgenij Onegin' als erzählerischer Rückhalt in einem zeitgenössischen slowakischen Roman" von I. S e e h a s e (Leipzig) am Beispiel der Trilogie L . Balleks und „Puäkin und die bulgarische Prosa" von D. E n d l e r (Leipzig) am Beispiel I. Vazovs. H.-Ch. T r e p t e (Leipzig) charakterisierte Rezeptionsphasen auf J. Iwaszkiewicz' Weg zu Puskin. G. C a r l i (Berlin) ging Fragen der lang anhaltenden Wirkung von Varnhagen v. Enses Puäkin-Bild in Deutschland bis 1949 nach. P. B u c h a r k i n (Leningrad/z. Z. Rostock) strebte in seiner Interpretation der Tragödie „Mocart i Sal'eri" eine neue, die Gestalt Salieris stärker gewichtende Sicht an. J. M a l i s z e w s k i (CzQstochowa) wies die Katalysatorfunktion Mozarts und seiner Musik bei der Schaffung der kleinen Tragödien nach. K.-D. F i s c h e r (Erfurt) demonstrierte am Beispiel des Lenskij-Monologs aus P. Cajkovskijs Oper „Evgenij Onegin" die schwierige Interpretations- bzw. Rezeptionsgeschichte dieses Werkes in der DDR. Die Arbeitsgruppe „Puäkin in der gesellschaftlichen Praxis" ging insbesondere der Bedeutung Puäkins für unsere Jugend und der Aneignung und Wertung seines Schaffens an den Schulen, Hochschulen und Universitäten nach. K . D o r n a c h e r (Magdeburg) bot moderne Lesarten der Novelle „Vystrel", die als einziges Werk des Dichters in der POS behandelt wird. Auf die aktuelle Bedeutung der Puäkinschen Lyrik als Kinderlektüre verwies R. G r e g o r (Güstrow). Wie unter gegenwärtigen Rezeptionsbedingungen Interesse für das Erbe des russischen Dichters geweckt werden kann, demonstrierte U. K u h n k e (Potsdam) mit seiner Analyse der Reiseschilderungen. Einblicke in eine mustergültige komplexe Traditionspflege gewährte der Bericht des Direktors der Leipziger Puschkin-Schule L . O p i t z . Die Berliner Schülerin Ch. G e b h a r d t präsentierte Ergebnisse ihrer langjährigen Beschäftigung mit Puäkin und ging auf Probleme des Literaturunterrichts an Spezialoberschulen ein. A. P a v l o v (Leningrad, z. Z. Rostock) unterbreitete Ergebnisse einer soziologischen Befragung von Bürgern Rostocks über ihr Verhältnis zu Puäkin. E. H e x e l s c h n e i d e r (Leipzig) referierte über Publikationen und Aktivitäten aus Anlaß des Puäkin-Gedenkens 1987 in der BRD. Alle Beiträge dieser Arbeitsgruppe konstatierten, daß Persönlichkeit und Werk des russischen Nationaldichters in der Volksbildung und im kulturellen Leben der D D R nicht den wünschenswerten Platz einnehmen. Insgesamt machten die Referate und Diskussionen der Tagung Breite und Intensität, aber auch Lücken und Versäumnisse in der wissenschaftlichen Aneignung Puskins deutlich. Durch diese Zusammenkunft haben die verstreuten Aktivitäten auf dem Gebiet der Puäkin-Forschung in der D D R eine zentrierende Orientierung erhalten. Das ist weitgehend auch ein persönliches Verdienst G. Dudeks. — Der unter seiner Mitwirkung kürzlich im Kulturbund der D D R gegründete Arbeitskreis „ A . S. Puäkin" wird dazu beitragen, Erforschung und Verbreitung Puskins in der D D R zu fördern. Der Referate-Band der Tagung erscheint demnächst unter dem Titel „Alexander Puschkin in unserer Zeit" in der Reihe „Wissenschaftliche Beiträge der Karl-Marx-Universität Leipzig".

Z. glaw. 84 (1989) 1 , 1 2 9 - 1 6 0

Buchbesprechungen Aktuelle Probleme der Phraseologie. Symposium 2 7 . - 2 9 . 9. 1984 in Zürich. Hg. von H . B u r g e r u. R. Z e t t ( = Zürcher Germanistische Studien, Bd. 9). Verlag Peter Lang, Bern—Frankf u r t / M . - N e w York—Paris 1987, 321 S. I m September 1984 fand in Zürich ein internationales Symposium zu zentralen Problemen der Phraseologie statt, das mit einer Sitzung der Kommission f ü r slawische Phraseologie beim Internationalen Sl&wistenkomitee gekoppelt war 1 . Der Sammelband enthält 18 Beiträge, die sich in einen allgemeinen u n d in einen spezifisch slawistischen Teil gliedern. Sechs Beiträge behandeln Probleme der Pragmatik und Textverknüpfung von phraseologischen Einheiten (im folg. PE), zwei den spezifischen Zeichencharakter der PE, zwei gelten der Phraseographie u n d einer der historischen Phraseologie, sieben sind konfrontative phraseologische Studien. Das Beispielmaterial entstammt den Sprachen Deutsch, Schweizer Deutsch, Schwedisch, Ungarisch, Katalanisch, Lettisch, Russisch, Serbokroatisch, Slowenisch und Allgemeinslawisch. Einen breiten Raum nehmen die pragmatischen und textlinguistischen Beiträge ein, die zumeist aus der Feder der Schweizer Gastgeber stammen. H. B u r g e r (S. 11—28) zeigt im Anschluß an die Arbeit von W. Koller (Redensarten, Tübingen 1977) die Textfunktionen der Veranschaulichung und Argumentation bei P E mit Remotivierungstendenz in der Textsorte Kommentar in Presse, R u n d f u n k und Fernsehen sowie in Showsendungen und betont die Bedeutung der P E f ü r die Strukturierung dieser Texte, wobei ihnen meist eine Fokusstellung bei der Ausgestaltung der weiteren Sprechakte zukommt. Allerdings ist u. E. diese Funktion nicht an P E gebunden, sondern kann auch durch andere sprachliche Mittel, wie Wortmetapher, Vergleich, Schlüsselwort u. ä. zum Ausdruck kommen. A. H ä c k i - B u h o f e r (S. 59—78) untersucht Verstehens- u n d Erklärungsstrategien von P E bei Laien anhand einer vom Schweizer R u n d f u n k ausgestrahlten Sprachsendung f ü r Kinder, bei der es um laienhafte Erklärungen von P E biblischer H e r k u n f t mit Hilfe von Bibelzitaten geht. Sie schlußfolgert, daß die laienhafte Erklärungsstrategie im Gegensatz zur linguistischen keine strikte Trennung von synchronischer und diachronischer Betrachtung kennt, da der Laie unwillkürlich von der wörtlichen Bedeutung der P E , im gegebenen Fall von der betreffenden Bibelstelle ausgeht. Sinnvolle Sprachdidaktik müßte die Unterschiede zwischen heutiger Bedeutung und Verwendung einer P E und ihrem Ursprung stärker betonen. Man sollte aber u. E. die Fähigkeit der Laien zur Paraphrasierung phraseologischer Bedeutungen nicht unterschätzen und den besonderen didaktischen Zweck der betreffenden Rundfunksendung berücksichtigen. J . H ä u s e r m a n n (S. 79—96) analysiert die Verwendung von P E zur Formulierung der Argumentation anhand von Beispielen aus aufgezeichneten Rundfunk- und Fernsehdiskussionen und berücksichtigt auch die textbildenden Potenzen dieser P E , die in der Rede die Funktion von Schlußfolgerungen, Urteilen oder Bewertungen übernehmen u n d oft von modalen Ausdrücken (wie man sagt, es gibt die Redensart, wie es heißt usw.) begleitet werden. P. K ü h n (S. 121 — 137) versucht eine sprachhandlungstheoretische Beschreibung von P E , die über deren Zuweisung zu einzelnen Funktionsklassen hinausgeht, und veranschaulicht dies an einer Textstelle aus Carl Zuckmayers „ H a u p t m a n n von Köpenick" mit der P E „Das schlagense sich mal ausm K o p p ! " . Er postuliert die Berücksichtigung der Sprachhandlungssituation bei der lexikographischen Beschreibung von P E und bietet selbst eine solche sprachhandlungsorientierte Bedeutungsbeschreibung der genannten P E , wobei die grammatische Form (Imperativ oder Indikativ) jeweils verschiedene sprachpragmatische Bezüge repräsentiert. Er sieht darin die Komplexität der phraseologischen Bedeutung. Die lexikographische Erfassung und Beschreibung sprachpragmatischer Momente bereitet u. E. generell Schwierigkeiten und ist enorm platzaufwendig. Hierin unterscheidet sich die P E nicht von anderen sprachlichen Mitteln. — A. R u o f f (S. 187 — 200) behandelt Einschränkungsformeln in der südwestdeutschen Alltagssprache, d. h. Modalwörter, Modalphraseme oder Modalausdrücke (z. B. eigentlich, das heißt, glaube ich, meine ich, an und für sich, im allgemeinen, sozusagen). Die psychologischen Motivationen für den Gebrauch solcher Wendungen sind Höflichkeit, Bescheidenheit, Unsicherheit und Vorsicht. Ihre Funktion ist in erster Linie die Einschränkung der Aussage überhaupt, seltener eines bestimmten Teils der Aussage. Leider fehlt jeder Hinweis auf die Wort- und Phrasemklasse der Modalia. G. G r a c i a n o (S. 41—57) diskutiert 1

9

Die Beiträge des Phraseologie-Symposiums vom Oktober 1981 in Mannheim erschienen in: Phraseologie u n d ihre Aufgaben. Hg. von J . M a t e s i c , Heidelberg 1983; s. unsere Rez. in DLZ, 106 (1985), Sp. 129ff. Z. Slawistik, Bd. 34, H. 1

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Z. Slaw. 34 (1989) 1

die These, d a ß der multifaktorielle Gebrauch von P E durch einen Zeichenbegriff m i t n u r binärer Kausalbeziehung nicht e r f a ß t werden kann, u n d sieht in den P E „Superzeichen", d. h. abgeleitete Zeichen, die durch Iteration, Abstraktion, Konkretion, Modulation u n d Symbolisation gebildet werden. Wesentlich konkreter ist der Beitrag von I . I. ö e r n y ä e v a (S. 29—40) über die strukturelle Mehrgliedrigkeit sprachlicher Zeichen. Sie sieht die Ursache f ü r das Aufkommen mehrgliedriger Spracheinheiten in der Notwendigkeit, die Benennungsmittel der Sprache zu erweitern, u n d unterscheidet verschiedene Arten mehrgliedriger sprachlicher Zeichen. Die sekundäre Nomination (Bedeutungsübertragung) ist f ü r die Phraseologie v o n großer Bedeutung, so vor allem bei der Benennung psychischer Erscheinungen.'Sie geht auch auf die Entwicklung der deutschen P E ein u n d charakterisiert zwei sowjetische germanistische Arbeiten zur deutschen Phraseologie in der mittelhochdeutschen Predigtliteratur des Berthold von Regensburg u n d in der deutschen Barockliteratur des 17. J h . W . K o l l e r (S. 109 — 120) stellt Überlegungen zu einem deutschen Phraseologiewörterbuch f ü r den Fremdsprachenunterricht u n d die Übersetzungspraxis an, verlangt zu R e c h t ein normatives Herangehen an die Materie u n d stellt folgende Postulate an ein solches Wörterbuch: Auswertung eines umfangreichen Korpus von Belegen aus gesprochenen u n d geschriebenen Texten mit breiter Berücksichtigung der Pragmatik, Feststellung der Gebräuchlichkeit einer P E als Kriterium f ü r ihre Wichtigkeit, phraseographische Prinzipien f ü r die Bedeutungsdefinition in Form synonymer Lexeme oder Syntagmen, Angaben der Stilbereiche, Stilschichten u n d Gebrauchsbedingungen, zur syntaktischen Verknüpfbarkeit und Transformierbarkeit sowie die Äquivalenzangabe mit W a r n u n g vor „falschen F r e u n d e n " . Man vermißt ein Eingehen auf bereits gewonnene Erkenntnisse u n d Ergebnisse der zweisprachigen Phraseographie. K . M o r v a y (S. 139—150) berichtet von seinen Erfahrungen bei der Erarbeitung eines kleinen katalanischungarischen phraseologischen Wörterbuchs u n d erörtert Probleme der Auswahl u n d Darstellung der P E in diesem Wörterbuch. Ein kontrastives Arbeitsmodell f ü r die deutsche u n d ungarische Phraseologie entwirft R . H e s s k y (S. 97 — 108). E s handelt sich um einen Vergleich des phraseologischen Bestandes beider Sprachen auf der Basis der semantischen Äquivalenz bei gleicher denotativer Bedeutung unter Berücksichtigung der F a k t o r e n : wörtliche Bedeutung, struktureller Bau, syntaktische F u n k t i o n u n d Konnotationen. Das Ergebnis liegt inzwischen in F o r m einer Monographie vor 2 . J . M a t e s i c u n d J . P e t e r m a n n (S. 259 — 268) skizzieren die Problematik der arealen Phraseologie am Beispiel des Kroatischen, Russischen und Deutschen, wobei nach ihrer Erkenntnis das Kroatische hinsichtlich der Phraseologie eine größere Ähnlichkeit mit dem Deutschen als mit dem Russischen aufweist, was auf den engen räumlichen K o n t a k t u n d auf ähnliche politischgesellschaftliche und kulturelle Bedingungen zurückzuführen ist. Das Untersuchungsgebiet der arealen Methode kann differieren: das Verbreitungsgebiet einer Sprache bzw. zweier oder mehrerer geographisch benachbarter Sprachen, das Territorium eines Staates mit mehreren Nationalsprachen, ein größerer zusammenhängender K u l t u r r a u m , z. B. Europa, Mittelasien, Ostasien. Somit ist die areale Phraseologie einerseits eine Unterdisziplin der vergleichenden oder kontrastiven Phraseologie u n d andererseits eine Teildisziplin der Areallinguistik, die als übergeordnete Disziplin die Erscheinungen aller sprachlicher Ebenen untersucht, wobei sich f ü r die areale Phraseologie besondere Fragestellungen ergeben: der Komponentenbestand der P E , ihre Stabilität und Varianz, syntaktische Funktion, Äquivalenz, ihr autochthoner u n d entlehnter Bestand, ihre Nominationsbereiche. A. M e n a c (S. 269 — 290) erforscht Gemeinsamkeiten in der Phraseologie europäischer Sprachen (Kroatisch, Russisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch), wobei sie nationale u n d entlehnte, d. h. multi- u n d internationale, P E unterscheidet, die sie der F o r m nach in phonetische Wörter, d. h. Minimalphraseme, bestehend aus einem autosemantischen W o r t und einem oder mehreren Hilfswörtern (z. B. vor der Nase), in unabhängige u n d abhängige (koordinative und subordinative) Wortverbindungen u n d in Sätze gliedert. Sie behandelt ferner Erscheinungen der substitutiven Varianz und der elliptischen (quantitativen) Varianz, z. B. bei der Negation, bei Vergleichsphrasemen, ferner phraseologische Gruppierungen nach Antonymie, Homonymie u n d Synonymie, Subjekt-Objekt-Paare u n d Objekt-Reflexiv-Paare (z. B. jdm. den Hals brechen — sich den Hals brechen) u n d andere semantische Beziehungen (z. B. seinen Augen [seinen Ohren] nicht trauen) in ihren Widerspiegelungen in den genannten Sprachen, wodurch die große Ähnlichkeit des Phrasembestandes dieser Sprachen gezeigt werden soll. V. R ü k e - D r a v i i j a

R . H e s s k y , Phraseologie. Linguistische Grundfragen u n d kontrastives Modell deutsch ungarisch, Tübingen 1987; vgl. hierzu auch unsere Rezension in: Z P S K 42 (1989), S. 113 — 115.

K . G ü n t h e r , Aktuelle P r o b l e m e der Phraseologie

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(S. 169 — 186) vergleicht die lettische Phraseologie m i t der deutschen u n d schwedischen u n d k o n s t a t i e r t , d a ß die lettische Phraseologie s t ä r k e r m i t d e r d e u t s c h e n als m i t der schwedischen ü b e r e i n s t i m m t . E i n e große G r u p p e v o n P E ist allen drei S p r a c h e n gemeinsam. E s g i b t a u c h c h a r a k teristische Unterschiede, wie z. B. in bezug auf die H e r k u n f t der Bilder v o n P E . — so fehlen im L e t t i s c h e n weitgehend P E aus d e m Bilderbereich der S e e f a h r t u n d des H a n d e l s , wogegen viele P E bäuerliches Leben widerspiegeln — u n d in bezug auf b e s t i m m t e S t r u k t u r t y p e n , wie Zwillingsformeln, die im L e t t i s c h e n n i c h t so h ä u f i g sind wie im D e u t s c h e n oder Schwedischen. Sie g e h t auch auf die U r s a c h e n der K o n g r u e n z u n d Differenz der einzelnen Phraseologien ein, w ä g t a u t o c h t h o n e E n t s t e h u n g u n d E n t l e h n u n g gegeneinander a b u n d spricht v o n einer g e m e i n s a m e n europäischen Kulturphraseologie, deren Quellen im a n t i k e n , christlichen u n d literarischen E r b e ( a n t i k e Mythologie u n d D i c h t u n g , Bibel, Shakespeare, La F o n t a i n e , K r y l o v u . a.) liegen. M. L e o n i d o v a (S. 245 — 257) b e t r a c h t e t die f e s t e n Vergleiche im Bulgarischen, Russischen u n d D e u t s c h e n , resüm i e r t die verschiedenen, z. T. k o n t r ä r e n A u f f a s s u n g e n v o n der Phraseologizität der f e s t e n Vergleiche u n d stellt einige G r u p p e n v o n A d j e k t i v vergleichen (gesund, mager, dick, schön, stur, sanft, böse, listig wie . . . ) e i n a n d e r im Bulgarischen u n d Russischen gegenüber. Leider e r w ä h n t sie n i c h t die Arbeiten von M. K o s t o v zu den festen Vergleichen im Bulgarischen 3 . J . T o p o r i i i c (S. 291 bis 321) b e f a ß t sich m i t den f e s t e n Vergleichen im Slowenischen, gibt einen k u r z e n Ü b e r b l i c k über slowenische S p r i c h w ö r t e r s a m m l u n g e n , u n t e r s c h e i d e t zwischen W o r t - u n d A u s s a g e w e n d u n g — n a c h unserer Terminologie P h r a s e m u n d P h r a s e o t e x t e m — u n d analysiert d a n n die slowenischen Verbal- u n d Adjektivvergleiche m i t u m f a n g r e i c h e m Belegmaterial. I n d e n Bildern dieser Vergleiche spiegelt sich die slowenische B a u e r n w e l t in ihrer materiellen u n d geistigen D e t e r m i niertheit. H . - P . N a u m a n n (S. 151 — 168) u n t e r s u c h t in einem methodisch i n t e r e s s a n t e n B e i t r a g die unikalen K o m p o n e n t e n im Schwedischen, teilt sie in G r u n d m o r p h e m e u n d W o r t b i l d u n g s k o n s t r u k t i o n e n (Derivate u n d K o m p o s i t a ) ein, eruiert ihr V o r k o m m e n in u n m o t i v i e r t e n P E , in f e s t e n Vergleichen u n d in W o r t p a a r e n u n d stellt fest, d a ß es sich zumeist u m ursprüngliche S u b s t a n t i v e , A d j e k t i v e oder A d v e r b i e n h a n d e l t , w ä h r e n d Verben fehlen. E r geht a u c h auf morphologische u n d s y n t a k t i s c h e Anomalien in P E ein u n d u n t e r s u c h t die schwedisch-deutschen A q u i v a l e n z v e r h ä l t nisse bei P E m i t einer unikalen K o m p o n e n t e , von denen viele aus d e m Nieder- oder H o c h d e u t s c h e n ins Schwedische e n t l e h n t sind. W . E i s m a n n (S. 225—243) legt eine k o m p o n e n t e n t h e m a t i s c h e Studie m i t d e m Titel „Zeichenbausteine als Zeichen" vor, in welcher er P E a u s allen e u r o p ä i s c h e n Sprachen z u s a m m e n s t e l l t u n d a u s w e r t e t , die eine B u c h s t a b e n - oder L a u t b e n e n n u n g als P h r a s e m k o m p o n e n t e e n t h a l t e n , wie z. B. von A bis Z , o t aJibtfiM a o 0Mern'. D u r c h diese G e s a m t s c h a u gelingt es ihm, viele h e u t e u n m o t i v i e r t e P E historisch zu erklären. R . E c k e r t (S. 203 — 224) exemplifiziert in einer t i e f s c h ü r f e n d e n U n t e r s u c h u n g die H a u p t t e n d e n z e n der historischen E n t wicklung der Phraseologie a m Beispiel der Geschichte des P h r a s e m s BaJiHTb l iepea nem> Kojiony ,etw. u n o r d e n t l i c h oder schlecht m a c h e n ' . A n h a n d zahlreicher Beispiele zeigt er die verschiedenen V e r w e n d u n g e n der K e r n k o m p o n e n t e n nenii u n d Kojio^a als S u b s t a n t i v - , Verbal- u n d A d v e r b i a l p h r a s e m sowie als B i n o m e n in zeitgenössischen literarischen, in dialektalen u n d historischen Belegen. D a b e i bleibt die eigentliche Quelle f ü r die E n t s t e h u n g des P h r a s e m s im d u n k e l n , v o n d e m wir a n n e h m e n , d a ß es sich u m einen alten T e r m i n u s der Holzfäller oder Rodungssiedler h a n d e l t e : „ d e n S t a m m so fällen, d a ß er quer über den S t u b b e n fällt ( u n d n i c h t d a h i n t e r , wie es sein soll)". Wichtig sind die Schlußfolgerungen, die der Verf. f ü r die historische Phraseologieforschung z i e h t : die E i n b e z i e h u n g aller L e x e m v e r b i n d u n g e n m i t diesen W ö r t e r n bzw. K o m p o n e n t e n , die B e r ü c k sichtigung aller E x i s t e n z f o r m e n der Sprache, insbesondere der Dialekte, sowie der F a k t e n a u s v e r w a n d t e n oder b e n a c h b a r t e n Sprachen, eine e n t s p r e c h e n d e A u f b e r e i t u n g des historischen Belegmaterials, die B e a c h t u n g des ganzen semantischen Netzes, in dem sich die P E b e f i n d e t , d. h . ihrer synonymischen, a n t o n y m i s c h e n u n d sonstigen Beziehungen, u n d die A u s w e i t u n g der U n t e r suchung v o n der einzelnen P E auf die ganze phraseologische Gruppe. I n s g e s a m t e n t h ä l t der S a m m e l b a n d eine Reihe wertvoller, inhalts- u n d materialreicher B e i t r ä g e m i t einer z. T. neuen, noch wenig b e a r b e i t e t e n , T h e m a t i k u n d m i t interessanten Schlußfolgerungen. E r ist in O f f s e t d r u c k m i t einer g u t lesbaren Schrift a n g e f e r t i g t u n d zeichnet sich d u r c h eine übersichtliche u n d ansprechende, m i t u n t e r etwas verschwenderische G e s t a l t u n g aus. Leider h a b e n sich zahlreiche Schreibfehler eingeschlichen. S t ö r e n d sind im Inhaltsverzeichnis die falsche Anf ü h r u n g der Titel der Beiträge v o n R . E c k e r t u n d J . Toporisic. K. Günther 3

9*

s. Linguistische S t u d i e n A 95, Bln. 1982, S. 121 — 142, sowie A 120, Bln. 1984, S. 1 3 8 - 1 7 4 ; v g l . a u c h B . K i o B J i H e B a , YcToiiHHBHTe cpaBHeHHH b ßtJirapcKHH e3HK, CoiJimh 1986.

Z. Slaw. 34 (1989) 1

132 ConocTaBHTeJibHoe H3yqeHHe CJiOBooSpaaoBaHna

CJIBBAHCRHS H S M K O B .

MsflaTejitcTBO „Hayna",

MocKBa 1987, 272 S.

Im Dezember 1984 fand in Moskau ein internationales Symposium zur vergleichenden Erforschung der Wortbildung der slawischen Sprachen statt, über das auch in der „Zeitschrift für Slawistik" berichtet wurde 1 . 1987 erschien unter der Redaktion von 6 . P. N e ä ö i m e n k o , der seinerzeit die Organisation des Symposiums oblag, ein Sammelband, der eine repräsentative Auswahl von Beiträgen dieser wissenschaftlichen Veranstaltung enthält. Unter der Überschrift „OSmiie Bonpocu conocTaBHTejihiioro HayneHHH cJioßooöpaaoBaHHH" werden im ersten Teil des Bandes 20 Beiträge zusammengefaßt (S. 5—121), im zweiten Teil „MejKC H C T e M H o e c o n o c T a B J i e H H e " (S. 122—269) erfolgt eine weitere Untergliederung: Konfrontation nahverwandter Sprachen (17 Beiträge), Konfrontation nicht(nah)verwandter Sprachen (5), Vergleich von Literatursprache und Dialekten (6), wobei jedoch darauf verwiesen werden muß, daß Überlegungen allgemeiner Art in der Regel mit einem recht umfangreichen Material illustriert werden und die im zweiten Teil erfaßten Beiträge vielfach gleichfalls grundsätzliche Positionen zu Zielen und Methoden vergleichender Untersuchungen umreißen. Da ich in dem erwähnten Bericht über das Symposium bereits relativ ausführlich auf einzelne Beiträge, die auch in den Sammelband aufgenommen wurden, und auf die Diskussion eingegangen bin, lassen sich einzelne Wiederholungen bei der Besprechung des nun vorliegenden Materials nicht vermeiden. Es soll jedoch vor allem versucht werden, übergreifende Linien in der vergleichenden Erforschung der Wortbildung aufzuzeigen, die bei der Lektüre deutlich werden. 1. Der gegenwärtige Stand der Sprachkonfrontation ist auf dem Gebiet der Wortbildung durch eine außerordentliche Methodenvielfalt gekennzeichnet, die zum einen aus dem Beschreibungsgegenstand resultiert, zum anderen aus bestimmten Traditionen bei der Erforschung der Einzelsprachen sowie auch aus neueren Tendenzen in der Linguistik (z. B. Herstellung von Analogien zwischen Kategorien der Kasusgrammatik und Wortbildungskategorien — E. S. K u b r j a k o v a ) und die darüber hinaus vom Grad der Verwandtschaft der zu vergleichenden Sprachen, aber auch von der Zielstellung der Konfrontation bestimmt wird. Angesichts der Unterschiede zwischen den jeweils gewählten Methoden sind ungeachtet der umfassenden Beschreibung der Wortbildung zahlreicher Einzelsprachen die gewonnenen Erkenntnisse nicht direkt aufeinander beziehbar, so daß zum Zweck des Vergleichs methodologische und terminologische Einheitlichkeit hergestellt werden muß. Auf diese Problematik wird in zahlreichen Beiträgen verwiesen, u . a . von G. P. N e ä C i m e n k o , J u . B a l t o v a und M. K n a p p o v a . 2. Der vorliegende Sammelband spiegelt ein relativ ausgewogenes Verhältnis von onomasiologisch und von semasiologisch orientierten Konfrontationsmethoden wider. Beachtenswert erscheint mir die deutlichere Hervorhebung der Notwendigkeit einer wechselseitigen Ergänzung beider Betrachtungsweisen (z. B. bei V. S t r a k o v ä ) . 3. Sowohl die Beiträge, die sich vorrangig allgemeinen Problemen der Konfrontation zuwenden, als auch die Arbeiten, die Einzelfragen behandeln, machen deutlich, daß — zumindest für nahverwandte Sprachen — jede Einheit des Wortbildungssystems zum Gegenstand des Vergleichs werden kann: die Wortbildungsart, Wortbildungsaffixe, Wortbildungstypen (vgl. besonders V. V. L o p a t i n zu grundsätzlichen Fragen der Bevorzugung dieser Vergleichseinheit), aber auch größere Einheiten, wie das Wortbildungsparadigma (K. B u z d s s y o v ä u. a.) oder das „Wortbildungsnest" (A. N. T i c h o n o v , P. A. S o b o l e v a u. a.). * Unter der Konfrontation ausgewählter Wortbildungsarten und -typen nimmt die verbale Präfigierung den breitesten Raum ein. Den Vergleich genetisch verwandter Suffixe auf Systemebene verbinden z. B. O. G. R e v z i n a und Zd. N o v a k o v a mit dem Vergleich der Verwendung der korrespondierenden Derivate und berücksichtigen damit die bereits von V. Mathesius geforderte Zusammenführung von System- und Funktionsvergleich. Suffixe sind darüber hinaus Gegenstand einer Reihe von morphonologischen Untersuchungen verschiedener Slawinen, vor allem aus historisch-vergleichender Sicht (V. C. G u r g a n o v a , R. V. B u l a t o v a , V. A. D y b o u. a.). Dem engen Zusammenhang zwischen grammatischer und Wortbildungsbedeutung und der Polyfunktionalität bestimmter Morpheme in bezug auf Formen- und Wortbildung gehen die Ausfüh1

vgl. I. O h n h e i s e r , I n t e r n a t i o n a l e s S y m p o s i u m ,,ConocTaBHTeJii,Hoe H3yienne cJionoofjpaso-

BäHHH CJiaBHHCKHX H 3 M K O B " . Moskau, 4.-7.

Dezember 1984, in: ZfSl 31 (1986), S. 454—458.

I. O h n h e i s e r , Mayqemie cjioBooßpaaoBaHHH cji&bhhckhx h3hkob

133

rungen M. D o k u l i l s , J . B o s a k s und Zd. S k o u m a l o v a s nach. Auf Grund der Analyse der möglichen Strukturen des auf den Stamm folgenden Wortbildungsformans' (cTpyKTypa nocroCHOBHoro cJioBooöpaaoBaTejibHoro (JiopMaHTa) gelangt M. D o k u l i l zu dem Schluß, daß das Formans als unteilbares Ganzes zu betrachten sei, dessen Wortbildungs- und morphologische Komponenten sich in einem dialektischen Wechselverhältnis zueinander befinden. Die Zuordnung einer bestimmten sprachlichen Erscheinung zu der einen oder anderen Kategorie könne nicht immer als Disjunktion verstanden werden; oft liegen Alternationen, Konjunktionen oder andere Beziehungen vor. Aus diesem Blickwinkel erweisen sich D o k u l i l zufolge einige ungelöste Streitfragen und Widersprüche (z. B. die Bestimmung des stammbildenden Verbalsuffixes als grammatisches oder wortbildendes Morphem) und die Frage nach dem Status bestimmter erweiternder Elemente in der Struktur des Formans als mehr oder weniger überflüssig. 4. Eine Reihe von Beiträgen spiegelt eine komplexere Sicht auf die Wortbildung als Bestandteil der sprachlichen Nomination wider und stellt, ausgehend von der Benennungsfunktion und semantischen Invarianten, Beziehungen zwischen der Wortbildung und anderen Benennungsverfahren her, die sowohl innersprachliche als auch zwischensprachliche Erscheinungen der Variierung bzw. komplementärer Benennungsmöglichkeiten erklären. Die Konfrontationsbasis wie auch der Bereich der konfrontierten Einheiten wird auf diese Weise erweitert (vgl. z. B. die Beiträge von Z. M. V o l o c k a j a , R . S. M a n u ö a r j a n , V. M. N i k i t e v i c u. a.). 5. Größeres Interesse wird — auch im Zusammenhang mit den unter (4.) genannten Fragen — dem Anteil der Wortbildung an der semantischen Organisation des Lexikons, an der Gestaltung der Beziehungen im lexikalischen System sowie bestimmten Präferenzen bei der Nutzung einzelner Benennungsverfahren zur Befriedigung von Nominationsbedürfnissen bezüglich bestimmter Denotatsbereiche gewidmet. Hierzu gehören z. B. Untersuchungen zur terminologischen Wortbildung im Verhältnis zu anderen Verfahren der Terminibildung (J. J i r ä ö e k ) , aber auch Arbeiten zum Einfluß der wissenschaftlich-technischen Revolution auf die Internationalisierung der Lexik und einzelner Wortbildungsmittel, was sich zunehmend bei hybriden Bildungen in terminologischen Bereichen sowie bei Okkasionalismen in der Publizistik und auch in der Umgangssprache verfolgen läßt (vgl. O. M a r t i n c o v a u. a.). Das Verhältnis von Wortbildung und Wortschatz findet auch unter einem weiteren Aspekt größere Berücksichtigung: Mehrere Beiträge befassen sich mit der Wortbildungsaktivität ausgewählter lexikalisch-semantischer Gruppen unterschiedlicher Wortarten und gehen semantischen Ursachen der Ableitungsfähigkeit von Basiswörtern nach. So verweist I. S. I v a n o v a auf die unterschiedliche Aktivität von Adjektiven des Zentrums bzw. der Peripherie einer semantischen Gruppe, während sich Z. A. C h a r i t o n ö i k mit den in der Basissemantik gegebenen Voraussetzungen, z. B. für die Ableitung von Adjektiven in komparativer Bedeutung, beschäftigt. Auch die Untersuchung von Wortbildungsparadigmen gehört zum Themenkomplex „Lexikalische Semantik und Wortbildung". I. G. M i l o s l a v s k i j plädiert f ü r eine engere Verbindung von konfrontativer Lexikologie und konfrontativer Wortbildung. 6. Unter konfrontativem Aspekt werden intensiver funktionale und soziolinguistische Fragen der Wortbildung erörtert, d. h. die Differenzierung ihrer Potenzen in Abhängigkeit von bestimmten Kommunikationsbereichen und Funktionalstilen (vgl. z. B. Untersuchungen zur Wortbildung des Studentenjargons (J. N e k v a p i l ) , Anredeformen in der Umgangssprache (I. D u l e w i c z o w a ) ) . Ästhetische Funktionen der Wortbildung in belletristischen Texten werden im vorliegenden Sammelband jedoch nur am Rande berücksichtigt. 7. Die Beiträge zum Vergleich von Literatursprache und Dialekten bestätigen einen Aspekt, auf den u. a. G. P. NeSöimenko aufmerksam gemacht h a t t e : die Bedeutung dieses traditionellen Untersuchungsbereichs f ü r die Entwicklung von Methoden der zwischensprachlichen Konfrontation, für soziolinguistisch orientierte konfrontierende Arbeiten sowie f ü r die Sprachkontaktforschung auf dem Gebiet der Wortbildung und — im weiteren Sinne — der Benennungsbildung. Diese Zusammenhänge spiegeln sich u. a. in den Beobachtungen von J u . S. A z a r c h zum Verhältnis von zentralen und peripheren Dialekten zur Literatursprache oder auch bei der Behandlung von Fragen der sozial bedingten Motivationsrelevanz (O. I. B l i n o v a ) wider. 8. Die bisher betrachteten Tendenzen zeichnen sich nicht nur in konfrontativen synchronen Untersuchungen der Wortbildung der slawischen Gegenwartssprachen ab, sondern auch in historisch-vergleichenden Untersuchungen. Der Gegenstand vergleichender Analysen der historischen Wortbildung ist somit in einer Reihe von Beiträgen erweitert worden. Mehrfach wird hervor-

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gehoben, daß der Wortbildung f ü r etymologische Studien und für die typologische Differenzierung der slawischen Sprachen zunehmende Bedeutung beizumessen ist (V. V. I v a n o v , T. I. V e n dina). 9. Unter konfrontativem Aspekt werden nicht nur Zustände eines bestimmten Zeitabschnitts erfaßt, sondern auch Entwicklungstendenzen in der Wortbildung, z. B. von D. Sl o s a r - bezüglich der Erweiterung von Wortfamilien — und von A. E. S u p r u n . Letzterer hebt aus diachronischer Sicht insbesondere den engen Zusammenhang zwischen der Evolutionsfunktion der Wortbildung hinsichtlich der Entwicklung des Lexikons und ihrer klassifizierenden Funktion in bezug auf die Organisation des Wortschatzes hervor sowie die sich in der Wortbildung manifestierende Einheit von Evolutionsfunktion (für das Lexikon) und „konservierendem/reproduzierender Funktion (für die Bewahrung des grammatischen Baus einer Sprache), da die Wortbildungsmittel über relativ lange Zeiträume unverändert bleiben^ 10. Als bedeutsam erachte ich schließlich die von R. S. M a n u ö a r j a n genannten Fragen, die im Rahmen konfrontativer und typologischer Untersuchungen der Wortbildung, und speziell der Wortbildungssemantik, einer weiteren Klärung bedürfen: — Existieren onomasiologische Kategorien, die sprachlich vorwiegend durch Wortbildung manifestiert werden? Wie gestaltet sich das Verhältnis der Realisierung ein und derselben semantischen Beziehung zwischen onomasiologischer Basis und onomasiologischem Motiv durch wortbildende bzw. durch nichtwortbildende Mittel? — Existiert ein bestimmtes Inventar universeller Wortbildungsbedeutungen? — Existieren Wortbildungsbedeutungen, die f ü r einzelne Sprachen oder Sprachgruppen typisch sind? — Wie gestaltet sich das Verhältnis von Wortbildungsbedeutung u n d Wortbildungsverfahren? — Wie gestaltet sich das Verhältnis von Wortbildungsbedeutung und grammatischer Bedeutung in einzelnen Sprachen ? — Wie korrelieren Wortbildungsbeziehungen mit Besonderheiten des syntaktischen Baus einer Sprache ? Der vorliegende Sammelband vermittelt insgesamt einen informativen Überblick über Methoden des Sprachvergleichs auf dem Gebiet der Wortbildung, deren Anwendungsbereich nicht auf die nahverwandten slawischen Sprachen beschränkt bleibt. Zahlreiche Beiträge enthalten Anregungen sowohl f ü r weiterführende konfrontative Untersuchungen als auch f ü r Analysen der Wortbildung und des Wortschatzes der Einzelsprachen und bieten eine Fülle von Material, das die synchrone und diachrone Beschreibung fast aller Slawinen bereichert. I. Ohnheiser

J . K A L T W A S S E R , Die deadjektivische Wortbildung des Russischen. Versuch einer analytischsynthetisch-funktionellen Beschreibung ( = Slavistische Beiträge, Bd. 190). Verlag Otto Sagner, München 1986, 235 S. Fragen der Ableitungspotenz einzelner Wortarten u n d ausgewählter semantischer Gruppen sind bereits mehrfach Gegenstand von Untersuchungen zur (russischen) Wortbildung gewesen, wobei man sich den damit verbundenen Zusammenhängen semantischer, morphotaktischer und morphonologischer Art auf der Grundlage unterschiedlicher Konzepte genähert hat. Es sei u. a. auf Arbeiten E. A. Zemskajas und ihrer Schüler verwiesen, die in Anlehnung an K . Buzassyova den Begriff des Wortbildungsparadigmas als Gesamtheit der Koderivate der Basis einer bestimmten Wortart weiterentwickelten, vor allem unter semantischem Aspekt potentielle Paradigmen erstellten und den Ursachen für deren tatsächliche Belegung/Nichtbelegung nachgingen 1 . Das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit in den Derivationsbeziehungen, das Wirken bestimmter Regularitäten und Fragen der Prädiktabilität in der Wortbildung nehmen auch in der

1

vgl. dazu auch I. O h n h e i s e r , Wortbildung im Sprachvergleich Russisch — Deutsch. Li 1987, insbes. S. 15.

I. O h n h e i s e r , Die deadjektivische Wortbildung im Russischen

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vorliegenden Monographie einen breiten Raum ein. Einzelziele und Methoden unterscheiden sich jedoch von bisherigen Untersuchungen zur deadjektivischen Wortbildung des Russischen 2 . Verf. will den von ihm kritisch bewerteten „in sich häufig unzusammenhängenden Vorgehensweisen" in der Wortbildungsforschung ein „kohärentes Verfahren" entgegensetzen, eine „analytisch-synthetisch-funktionelle Methode", die für die slawische Formenbildung von W. Lehfeldt entwickelt wurde und die Verf. für die Wortbildung zu modifizieren beabsichtigt. Bei der Untersuchung der Möglichkeiten des Adjektivs, Ableitungen derselben Wortart oder anderer Wortarten zu bilden, soll gezeigt werden, über welche Ausdrucksmittel das Russische dazu verfügt, wie diese Mittel kombiniert werden und wie sie sich im Hinblick auf ihre funktionelle Belastung voneinander unterscheiden. In einem ersten „theoretisch-begriffskritischen Teil" (S. 7 — 73) geht es Verf. um die Erarbeitung eines kohärenten Begriffsapparats für die nachfolgende empirische Untersuchung. Zunächst werden zentrale Begriffe der Wortbildungslehre und ihre z. T. widersprüchlichen Definitionen geprüft und diskutiert — auf drei wollen wir uns für diese Besprechung beschränken. Der Begriff der Derivationsbeziehung wird als grundlegend angesehen, „da er in dem Sinne primär ist, daß sich aus ihm . . . alle notwendigen weiteren Begriffe entwickeln lassen" (S. 36). In Anlehnung an die von I. A. Mel'öuk ^1968) beschriebenen Relationen zwischen zwei Lexemen bezüglich ihrer Inhalts- und Ausdrucksseite bestimmt Verf. „echte Derivations- oder Wortbildungsbeziehungen", die zwischen zwei Lexemen dann bestehen, „wenn in bezug auf deren Stämme zwischen den Inhaltsseiten eine Inklusions-.und zwischen den Ausdrucksseiten eine Inklusions- oder eine Intersektionsrelation besteht" (S. 44). Eine kritische Betrachtung erfahren die bisherigen Versuche der Bestimmung der Derivationsrichtung, die auf unterschiedlichen (semantischen, formalen und/oder stilistischen) Kriterien basierten. Davon ausgehend, daß primäre Zeichen einer Sprache „pragmatisch frequenter" sind als sekundäre, betrachtet Verf. den Unterschied in der Vorkommenshäufigkeit (nach einschlägigen lexikographischen Quellen) von Wörtern mit derselben Wurzel als mögliches Kriterium der Bestimmung der Ableitungsrichtung. Als positiv bewertet er dabei den Umstand, „daß dieses Kriterium, im Gegensatz zu den üblicherweise verwendeten, für sich allein benutzt werden kann" (S. 59). Die Beispiele zur (vermeintlichen) Ableitungsrichtung Adjektiv Verb sindm. E . wenig überzeugend gewählt, auch die Anwendung einer Analogieinterpretation entsprechend der dominierenden Häufigkeitsverhältnisse scheint mir hier nicht zulässig. Nur quantitativ läßt sich die Frage der Ableitungsrichtung nicht grundsätzlich klären, zumal Verf. selbst einräumt, daß sich mit der Veränderung bestimmter Gebrauchshäufigkeiten dann zu verschiedenen Zeitpunkten für ein und dasselbe Wortbildungspaar unterschiedliche Interpretationen der Ableitungsrichtung ergeben könnten. Generell problematisch ist die Bestimmung der Derivationsrichtung bei Bildungen, die mit Entlehnungsprozessen und der Integration fremdsprachigen Wortgutes verbunden sind. Ausführlich werden schließlich die verschiedenen Definitionsversuche der Wortbildungsbedeutung (als Summe der Bedeutungen von Basis und Affix, als semantische Differenz zwischen Basiswort und abgeleitetem Wort oder als semantische Beziehung zwischen Basiswort und Derivat) und ihr Bezug zur affixalen Semantik erörtert. Verf. gelangt zu dem Schluß, dem m. E. zuzustimmen ist, daß es sich bei der Mehrzahl der Bestimmungen der Wortbildungsbedeutung um nichts anderes als um „verallgemeinerte Explikationen der nichtgrammatischen Bedeutungen der Derivate als ganzer" handelt (mit dieser Bestimmung operiert Verf. dann bei der empirischen Analyse). Die Inhalte eines abgeleiteten Wortes können einzelnen Ausdruckselementen nicht ein-eindeutig zugeordnet werden (S. 68). So wird auch in den nachfolgenden Untersuchungen das Affix „nicht mit irgendwelchen Inhalten korreliert". Als Funktion der Affixe betrachtet Verf. die „Umbildung geschlossener Konfigurationen von Inhaltselementen in andere, mit ihnen in bestimmter Weise korrelierenden Konfigurationen zu signalisieren" (S. 69).

2

vgl. z. B. Arbeiten M. A. Bakinas, die in dem sehr umfangreichen und die einschlägige Literatur im übrigen umfassend berücksichtigenden Literaturverzeichnis des Verf. nicht aufgeführt wer-

den: M. A. BaKHHa, MivieHa npHJiaraTejibHHe KaK npoHSBOflamHe ochobh coBpeMeimoro cjiobo0Öpa30BaHHH. — Pa3BHTHe cn0B006pa30BaHHH coBpeMeHHoro pyccKoro H3HKa, M. 1966; dies., OTaÄieKTHBHMe H0B00ßpa30BaHHH B H3RKe COBpeMeHHOit II033HH (aBTOpeifiepaT ÄOKTOpCKOit

«nee.), M. 1973.

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Z. Slaw. 34 (1989) 1

Insgesamt vermittelt der 1. Teil der Monographie einen informativen Überblick über einen wichtigen Entwicklungsabschnitt der Wortbildungstheorie, insbesondere in der sowjetischen Russistik, kritische Einwände gegenüber tradierten Begriffen werden allseitig argumentiert, die angebotenen Alternativen überzeugen jedoch nicht in jedem Fall (wie z. B. die Bestimmung der Ableitungsrichtung) oder enthalten mitunter keine grundlegend neuen Lösungen (z. B. bezüglich der Beschreibung der Wortbildungsbedeutung). Die Gliederung des empirischen Teils (S. 74—209) ergibt sich aus der gewählten analytisch-synthetisch-funktionellen Methode. Grundlage der empirischen Untersuchungen bildet ein klassifikatorischer Teil, in denen eine semantische Differenzierung der Adjektive sowie der deadjektivischen Ableitungen unterschiedlicher Wortarten a n h a n d der verallgemeinerten Explikationen der nichtgrammatischen Inhaltselemente erfolgt. Verf. gelangt zu fünf sog. Derivatemtypen (Derivatem = Basiswort): Einer semantisch nicht näher differenzierten ersten Gruppe primärer Adjektive (D-I) stehen in einer zweiten Gruppe (D-II) desubstantivische (präfixale, suffixale, präfixal-suffixale) Adjektive gegenüber, die insgesamt 29 Bedeutungsgruppen konstituieren. Die Bedeutungsbeschreibung entspricht vielfach der z. B. in der „ R u s s k a j a g r a m m a t i k a " (M. 1980) geläufigen, vgl. „ d e m mit dem ableitenden Substantiv Benannten eigen oder gehörig (dedov)"; die Interpretation der Ableitungsbeziehungen weicht jedoch z. T. von der genannten Grammatik ab (so scheint mir die von Verf. gewählte Interpretation von okololunnyj als desubstantivisch einsichtiger als die deadjektivische Interpretation, andere Belege sind weniger überzeugend). D - I I I erfaßt acht Gruppen deverbaler Adjektive, D-IV adjektivische Ableitungen aus Numeralia, D-V enthält fünf Gruppen zusammengesetzter Adjektive verschiedener Typen. Dieser Aufstellung schließt sich die Beschreibung der Bedeutungsgruppen deadjektivischer Substantive, Adjektive, Verben und Adverbien an, die gleichfalls an geläufige Bestimmungen a n k n ü p f t (z. B. Substantive mit der Bedeutung des Merkmalsträgers, 1. Gesamtheit dessen, was sich durch ein bestimmtes Merkmal auszeichnet, 2. J e m a n d (etwas), der (das) sich durch ein bestimmtes Merkmal auszeichnet, usw.). Im analytischen Teil (S. 88—96) werden die Mittel aufgeführt, die die nichtgrammatischen Inhaltselemente der deadjektivischen Wortbildung anzeigen, d. h. sämtliche an der deadjektivischen Wortbildung beteiligten Präfixe (P), Suffixe (S), Kombinationen von Präfix u n d Suffix (P U S), Suffix und Postfix (S U Po) (in einzelnen Fällen wird auf mögliche freie Varianz bzw. auf komplementäre Distribution von Affixen verwiesen), weiter alle möglichen morphonologischen Veränderungen (M) der Bezugsform (z. B. 16 mögliche Arten von Verkürzungen, 16 mögliche Arten der Erweiterung, 8 Vokalalternationen, diverse Konsonantenalternationen) und schließlich die Akzentverhältnisse (A). Der sich anschließende synthetische Teil (S. 97 — 209) zeigt auf, welche Typen von Basisadjektiven (vgl. S. 77 — 83) u n d welche der aufgelisteten Ausdrucksmittel (S. 88—96) bei der Ableitung deadjektivischer Derivate (in den S. 83—87 beschriebenen Bedeutungen) miteinander kombiniert werden können. Der Erfassung der tatsächlich realisierten Kombinationen legt Verf. den Nachweis in mindestens einem der einschlägigen ein- u n d zweisprachigen Wörterbücher zugrunde, diese Angaben werden durch „theoretisch m a x i m a l " mögliche u n d „theoretisch minimal mögliche" Kombinationen ergänzt. E s handelt sich bezüglich der realisierten Kombinationen — wie schon bei der Auflistung der Affixe usw. — gleichsam u m eine Bestandsaufnahme, die Faktoren, wie z. B. Produktivität, nicht berücksichtigt, der es auch nicht u m die Klärung von Ursachen, z. B. der semantischen Kompatibilität bzw. Inkompatibilität, geht. Auch Fragen der Wortbildungssynonymie werden explizit nicht berührt. Ein Beispiel soll das Vorgehen des Verf. veranschaulichen (S. 105): Deadjektivische Substantive mit der Bedeutung des Merkmalsträgers — 1. Untergruppe „Gesamtheit dessen, was sich durch ein bestimmtes Merkmal auszeichnet" 1. Aufzählung der Derivatemtypen u n d der jeweils miteinander kompatiblen Mittel zur Bildung von Substantiven mit dieser allgemeinen Explikation, 1.1. D-I, D-III/7, S/ a t ,in/, M 4 ., At.3.!.; 1.2. D-I, D - I I I / 1 , D - I I I / 7 , S/ os f/> M5.3., A 2 . 2 ., 2.3. a. (insgesamt sechs Suffixe). (Für 1.1. heißt das: Als Basen kommen nichtabgeleitete Adjektive vor sowie deverbale Adjektive in der Bedeutung „in einem Zustand befindlich, der als Resultat der mit dem ableitenden Verb benannten H a n d l u n g entstanden i s t " ; Suffix -atin-, Palatalitätsalternation, 1. Silbe des Suffixes ist akzentuiert.) E s folgt die differenzierte K o m b i n a t o r i k dieser Mittel, illustriert durch Belege mit Angaben zum Häufigkeitsnachweis, der — wie oben erwähnt — das Kriterium f ü r die Bestimmung der Ableitungsrichtung ist. Diese sich über 70 Seiten erstreckende, außerordentlich aufwendige Darstellungsweise ist f ü r

I. O h n h e i s e r , Morfematickä strukturaoe semantickych obsahü

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den Leser nicht leicht nachvollziehbar, da sie auf Grund der Abkürzungen bzw. Symbole der semantischen Gruppen der Basen, der morphonologischen Alternationen und der Akzentverhältnisse eine ständige Rückorientierung auf die entsprechenden Auflistungen erfordert. Der Nachvollzug der maximal- und minimal möglichen Kombinationen war mir mitunter nicht möglich; die Durchdringung der Darstellung setzt beim Benutzer in hohem Maße die Bereitschaft zur Identifikation mit der gewählten Methode voraus, deren letztendlicher Erkenntnisgewinn, der zweifellos in der Morphonologie anzusiedeln ist, sich mir nicht voll erschlossen hat. Die umrissenen Analyse- und Syntheseschritte dienen der schließlichen Ermittlung des „Grades der Verbundenheit", den die deadjektivische Derivation hinsichtlich der Beziehungen zwischen den einzelnen Ausdrucksmitteln — also zwischen Affixen, Alternationen und Akzentverhältnissen — aufweist, sowie der Aufdeckung möglicher „implikativer Beziehungen" (S. 173). 566 maximal möglichen und 206 minimal möglichen stehen 278 realisierte Kombinationen gegenüber — aus dem Verhältnis dieser Werte ermittelt Verf. einen W e r t des „Maßes der Verbundenheit" von 0,8. Aufgabe des letzten Kapitels des „Synthetischen Teils" ist es, in Form von Graphen die Beziehungen zwischen den einzelnen Ausdruckswerten zu kennzeichnen, die — so Verf. — im Russischen einen „recht hohen Grad an implikativen Regelhaftigkeiten" aufweisen, wobei fünf Typen prädiktiver Regeln unterschieden werden. Die 278 realisierten Kombinationen lassen sich hinsichtlich der unterschiedlichen Beziehungen zwischen den Ausdrucksmitteln (z. B . ' x prädiziert eindeutig y ' ; ' x prädiziert in Verbindung mit v eindeutig y ' u. a . ; vgl. S/ a t, ¡ n / = M 4 A1.3.1. — Suffix -atin- prädiziert in Verbindung mit Palatalitätsalternation der Bezugsform eindeutig die Akzentuierung des mehrsilbigen Suffixes auf der ersten Silbe) in 94 Graphen erfassen. Zum Ergebnis dieser Analyse sei Verf. selbst zitiert (S. 212): „Das interessanteste Ergebnis der Untersuchung bestand darin, daß dann, wenn man nur die Modelle (d. h. die Kombinationen der Ausdrucksmittel — I . O.) und nicht die Anzahl der nach ihnen gebildeten Realisierungen ins Auge f a ß t , nicht den Affixen, sondern den morphonologischen Alternationen die dominierende Rolle bei der Prädiktion von Wortbildungsmodellen (wiederum auf die Ausdrucksmittel bezogen — I . 0 . ) zufällt. Bezieht man jedoch die Anzahl der nach den jeweiligen Modellen gebildeten Lexeme ein und berücksichtigt außerdem, daß dann, wenn das Ausdrucksmittel aus der Klasse der Affixe festliegt, in der Regel eindeutige Rückschlüsse sowohl auf das abgeleitete Redeteil wie auch auf dessen allgemeine Explikation möglich sind, so kommt zweifelsfrei den Affixen die höhere identifikatorische und diskriminatorische Stärke zu." Abschließend werden die 94 Graphen mit den Derivatemtypen korreliert, wobei verständlicherweise nur diejenigen Typen (18 von 50) Berücksichtigung finden, die an der deadjektivischen Wortbildung beteiligt sind. Die entsprechende Übersicht gestattet weiterführende Aufschlüsse über die Aktivität bestimmter semantischer Gruppen — vor allem abgeleiteter Adjektive — im Hinblick auf die Ableitung verschiedener Wortarten und Bedeutungsgruppen. Die größte A k t i v i t ä t zeigen erwartungsgemäß primäre Adjektive, da diese jedoch nicht weiter differenziert werden, bleibt das semantische „ R a s t e r " hier zu grob. I n der Explikation dieser Beziehungen sah Verf. allerdings auch nicht das Anliegen seiner Untersuchung. Der Schwerpunkt lag zweifellos in der Klärung morphonologischer Zusammenhänge auf einer geschlossenen methodologischen Grundlage. I.

Ohnheiser

V. S T R A K O V Ä , Morfematickä. strukturace semantickych obsahü. Nästin derivaöni typologie ( = Linguistica X I V . ÖSAV. Ü s t a v pro jazyk öesky). P r a h a a Trinec 1986, 152 S. V. Strakovä h a t mit zahlreichen Studien einen beachtenswerten Beitrag zur Entwicklung der Wortbildungstheorie, der Methodologie der Wortbildungsanalyse sowie der Erforschung der Wortbildung des Russischen und Tschechischen geleistet. Die 1986 erschienene Monographie führt eine Reihe von Einzeluntersuchungen zusammen, bettet diese Synthese in den R a h m e n der sprachlichen Nomination ein und diskutiert die Eignung der vorgeschlagenen Methoden und gewonnenen Erkenntnisse für typologische Studien. Die sich insbesondere für nahverwandte Sprachen anbietende semasiologische Untersuchijngsund Vergleichsrichtung wird organisch mit der onomasiologischen Analyse verbunden, wobei Verf. originelle Wege beschreitet, die auch für die Konfrontation nichtnahverwandter Sprachen von Interesse sind. Einen breiten R a u m nehmen die Beziehungen zwischen S y n t a x und Semantik,

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insbesondere im verbalen Ableitungsbereich, sowie die Analyse der formalen Realisierung bestimmter semantischer Inhalte auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen einerseits u n d innerhalb der Wortbildung andererseits ein. Diese Zusammenhänge bilden vielfach Erklärungsansätze f ü r inner- und zwischensprachliche Kompensationen und Variierungen. Unter Bezug auf Teilbereiche der semantischen Analyse widmet Verf. im 2. Kap., „ S e m a n t i k und Typologie" (S. 16—49), besonderes Augenmerk der Wortbildungssemantik u n d bestimmt diese als Bedeutung, die an morphematische Elemente des Wortes gebunden ist u n d aus diesen hergeleitet werden kann. Sie spricht deshalb auch von Morphosemantik u n d präzisiert d a m i t von vornherein ihren S t a n d p u n k t , der sich von zahlreichen anderen Bestimmungen der Wortbildungsbedeutung, die nicht noch einmal im einzelnen erörtert werden, abhebt. Die Basis f ü r ein konsistentes Beschreibungs- u n d Erklärungsmodell sieht Verf. in der Ermittlung und Kombination semantischer Merkmale. Der E n t s t e h u n g neuer Bildungen liege die Auswahl, Hervorhebung u n d Umbewertung elementarer semantischer Elemente zugrunde. Die Bindung bestimmter Merkmale an Morpheme ist nach Strakovä jedoch nicht als Isomorphie von F o r m u n d Inhalt zu verstehen, bestimmten Morphemen kann eine ganze Konfiguration semantischer Merkmale zugeordnet werden. Verf. illustriert ihre Ausführungen a n h a n d des morphologischen Ausdrucks elementarer Bedeutungen in den slawischen Sprachen, auch im Vergleich mit nichtslawischen Sprachen, kennzeichnet Unterschiede u n d Präferenzen z. B. bezüglich der Explizitheit bzw. Implizitheit lokaler Bedeutungen, auch in verwandten Sprachen. Die Feststellung, daß die synchrone semantische Analyse einzelner Wortarten ohne die Berücksichtigung ihrer syntagmatischen/kombinatorischen Besonderheiten unvollständig sei, wird vor allem zum Einfluß der Valenz auf die Bedeutung deverbaler Derivate bzw. zum Verhältnis einzelner Derivationstypen (besonders der Präfigierung) zur Valenz in Beziehung gesetzt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Russischen u n d Tschechischen werden verdeutlicht, ergänzt durch Belege aus anderen Sprachen. Das 3. Kap., „Analytische Onomasiologie ( = Semasiologie)" (S. 50—60), stellt sich das Ziel, Prinzipien u n d Methoden der Analyse der semantischen S t r u k t u r der Derivate zu bestimmen. Verf. geht der Gliederung eines semantischen K o n t i n u u m s durch sprachliche Mittel wie auch der Verbindung semantischer Elemente in einer gemeinsamen Funktion u n d deren Interaktion innerhalb einzelner Strukturen (d. h. Derivate) sowie zwischen einzelnen sprachlichen Ebenen nach. Die semantische Analyse basiert auf der Annahme elementarer semantischer Merkmale, die wie folgt klassifiziert werden: 1. modifizierende Merkmale (z. B. kvantitativnost, emotivnost), 2. identifizierende Merkmale (komparativnost), 3. W o r t a r t m e r k m a l e (agentivnost, konkretivnost, kvalitativnost), 4. semantische Merkmale, die mit grammatischen Kategorien verbunden sind (z. B. personiönost, feminativnost, singulativnost; Modalitäts- u n d Temporalitätsmerkmale), 5. syntagmatische Merkmale (hier vor allem T r a n s i t i v i t ä t : Intransitivität), 6. pragmatische Merkmale (z. B. finalitnost). Schließlich werden 7. lexikalisch konkretisierende Merkmale aufgeführt, die in der Regel semantische Kategorien konstituieren (z. B. instrumentativnost, lokativnost) u n d die z. T. weiter differenziert werden können. Die Klassifizierung wird mit zahlreichen Belegen illustriert. Dieses Merkmalinventar bildet die Grundlage der K a p . 5 u n d 6. Das 4. Kap., „Synthetische (eigentliche) Onomasiologie" (S. 61 — 71), ist einigen übergreifenden Fragen u n d Beschreibungsprinzipien vorbehalten, insbesondere der Hierarchie in den Konfigurationen semantischer Merkmale. Besonderes Augenmerk gilt dem Problem der „Diffusion" semantischer Merkmale in den Wortbildungsbeziehungen (disperze, prolindni semantickych rysü, mitunter wird metaphorisch der Begriff „Osmose" verwendet). I n diesem Zusammenhang verweist Verf. u. a. darauf, daß einzelne semantische Merkmale nicht an eine W o r t a r t gebunden sind (z. B. AG und F I N in zvetäovat, zvetsovaci u n d zvötäoväk; AG und R E Z in zvetäit, zvetäeny und zvetsina) — unterschiedlich ist jedoch die Position dieser Merkmale in der Merkmalshierarchie einzelner W o r t a r t e n u n d Derivationstypen. Die Diffusion semantischer Merkmale spiegelt sich auch in der Korrelation zwischen der A k t a n t e n s t r u k t u r des Verbs u n d seinen möglichen Ableitungen wider. Die Applikation des Beschreibungsmodells, dem eine angemessene Erklärungspotenz zugeschrieben wird, erfolgt in den abschließenden Kapiteln nach einem einheitlichen Schema f ü r alle Ableitungsbezi^iungen: 1. Angabe der Gesamtheit der Konfigurationen semantischer Merkmale innerhalb eines Ableitungsbereichs (z. B. V de V ; A de S usw.), 2. Aufzeigen von Einzelkonfigurationen f ü r die entsprechenden Wortbildungskategorien, 3. Realisierungsstrukturen dieser Konfigurationen (Affixe, Belege).

I. OHNHEISER, Morfematickä strukturace semantickych obsahü

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K a p . 5 (S. 72 — 97) wendet sich den onomasiologischen Kategorien der Modifikation zu, also intrakategoriellen Wortbildungsbeziehungen. Dem o. a. Schema folgend, wird eine umfangreiche Materialbasis semantisch systematisiert, die Zuordnung ist in der Regel einsichtig u n d nachvollziehbar. I n einzelnen Fällen lassen sich Einwände geltend machen, so z. B. bezüglich der ausschließlichen Kombination von Deminuierung und positiver W e r t u n g (m. E. ist auch eine Kombination mit dem Merkmal P E J O R möglich) oder auch der A u f f ü h r u n g des Belegs kulaiestw u n t e r Kollektiva mit pejorativer W e r t u n g (mir scheint, daß das Merkmal W e r t u n g hier nicht auf der Ebene der Wortbildung, sondern der Wortverwendung bzw. der Wertung des Basiswortes in bestimmten K o n t e x t e n zu suchen ist — zumindest geht aus der Darstellung nicht hervor, inwieweit einzelne Merkmale der Basis oder dem Suffix zuzuschreiben sind; im Beleg soldateska ergibt sich die Wertung offensichtlich aus dem Suffix, im Beleg gnife spiegelt sich eine gewisse Präferenz der Verbindung des Suffixes mit Basen, die negativ konnotiert sind/sein können, wider). Hinsichtlich der Darstellung der modifizierten Adjektive erhebt sich die Frage, weshalb Präfigierungen nicht berücksichtigt wurden. Bei der deverbal-verbalen Ableitung nehmen Präfigierungen dagegen verständlicherweise den breitesten R a u m ein. Diese 20 Seiten umfassende Darstellung gehört m. E. zu den interessantesten Versuchen einer systematischen Beschreibung der verbalen Präfigierung, die im R a h m e n eines überschaubaren Inventars von Merkmalen die Vielfalt der semantischen Ausprägung der verbalen Modifizierung erhellt. Der Beschreibung der Merkmalkonfigurationen der lokalen, der temporalen und der quantifizierenden Modifizierung schließt Verf. eine außerordentlich heterogene Gruppe der sog. pragmatischen Modifizierung der Semantik des Ausgangsverbs an, die verschiedenste Spezifizierungen der Handlung in ihrer Beziehung zum handelnden Subjekt bzw. zum Objekt zum Ausdruck bringen (z. B. Effizienz u n d Überlegenheit bei der Ausführung einer H a n d l u n g u. v. a.). K a p . 6, das denjenigen onomasiologischen Kategorien gewidmet ist, die auf Ableitungsbeziehungen zwischen unterschiedlichen W o r t a r t e n basieren (S. 98 —112), behandelt zunächst die von Adjektiven u n d Substantiven abgeleiteten Verben sowie deverbale Adjektive, wobei hier eine enge Verbindung von semantischer u n d formaler Konfrontation der russischen u n d tschechischen Wortbildung durch die aufeinanderbezogene Darstellung der Affixe gewährleistet wird (tschechischen Verben mit dem Präfix z- z. B. können im Russischen äquivalente Bildungen mit den Präfixen o-, raz-, pro-, za-, u-, po-, s[o]- gegenüberstehen). Bei der Darstellung der desubstantivischen Adjektive ergibt sich die geläufige Differenzierung von Relativ- und Qualitätsadjektiven aus der unterschiedlichen Konfiguration semantischer Merkmale. Auf diese Weise wird eine Reihe von Qualitätsadjektiven, die mitunter als semantische Derivate von Relativadjektiven betrachtet werden — eine Lösung, die in jüngeren Publikationen u m s t r i t t e n ist — u n d die sich von Relativadjektiven durch das Merkmal KOJfflP(arativität) unterscheiden, gleichfalls als Ergebnis eines Wortbildungsprozesses angesehen. F ü r die semantische Differenzierung der Ableitungsmuster wird die Semantik der Basiswörter in unterschiedlichem U m f a n g berücksichtigt. I m Falle von ekzamenacionnaja (sessija) ist eine Zuordnung zu Adjektiven m i t temporaler u n d finaler Bedeutung m. E. nicht gerechtfertigt, das temporale Element resultiert hier aus der äußeren Verbindbarkeit. F ü r die deadjektivischen Substantive ergibt sich nach Verf. folgende Konfiguration: S de A ( \

, J0TKONKR (KVAL)

/ FEM / PERS ( X K O N K R ( 0 K V A L = ID) ( J0TFEM \j0fPERS L O K , MAT, . . .

Unklar bleibt die Zuordnung von Ableitungen aus Qualitätsadjektiven wie starik, werden doch u n t e r den Ableitungen aus primären Qualitätsadjektiven n u r Abstrakta berücksichtigt. Offen bleibt auch die Zuordnung der aus Relativadjektiven abgeleiteten A b s t r a k t a (wie vodnost' z. ]$.). Bei der Darstellung der interkategoriellen Wortbildung der Substantive weicht Verf. in zwei Fällen vom Kriterium der unterschiedlichen Wortartzugehörigkeit des motivierenden u n d des motivierten Wortes ab. Von übergreifenden semantischen Beziehungen ausgehend, schließt sie die sog. desubstantivischen Agentiva (wie betonSiik) in die Beschreibung der Personenbezeichnungen m i t dem Merkmal AG ein, aber auch die gewöhnlich der Modifikation zugeordnete Motion wird hier erfaßt (uiiteVnica, kolchoznica). Ich vermisse die Beschreibung einiger weiterer desubstantivischer Ableitungstypen (Abstrakta, Lokativa).

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Einige technische Mängel der Manuskriptgestaltung beeinträchtigen das Verständnis insgesamt nicht, nur vereinzelt kommt es zu Mißverständnissen (die im Inhaltsverzeichnis angegebenen Abschnitte 3.1.1., 3.1.1.1. erscheinen im Text nicht bzw. nur teilweise; die semantische Gesamtkonfiguration desubstantivischer Adjektive [S. 108] entspricht nicht den — m. E. korrekten — Einzelkonfiguration auf S. 109). Wie Verf. abschließend feststellt, bestätigen ihre Beobachtungen einmal mehr, daß ein abgeleitetes Wort der konzeptuellen Organisation der menschlichen Erfahrung dient und diese materiell fixiert. Für die Benennung werden pragmatisch relevante Beziehungen ausgewählt, die in Verbindung mit bestimmten formal repräsentierten Einheiten zu einer Typisierung semantischer Relationen führen und zugleich eine Voraussetzung für die Systematisierung sprachlicher Beziehungen darstellen. I. Ohnheiser

W. BIRKENMAIER, Einführung in das vergleichende Studium des deutschen und russischen Wortschatzes ( = Uni-Taschenbücher 1440). Francke Verlag, Tübingen 1987, 175 S. Birkenmaier h a t t e sich schon durch seine Habilitationsschrift 1 als Spezialist auf dem Gebiet des synchronen deutsch-russischen Sprachvergleichs ausgewiesen. Nun legt er seine Untersuchungen zum Vergleich des deutschen und russischen Wortschatzes vor, die er als Einführung f ü r die H a n d des Studierenden verstanden wissen will, „damit der Gebrauch russischer Wörter f ü r Deutsch Sprechende bewußter und zugleich leichter wird" (Vorwort). Das Buch gliedert sich in 13 Kapitel, die nacheinander verschiedene lexikalische Einzelfragen behandeln, welche f ü r die Darstellung von Kontrasten und auch Parallelen im Wortschatz beider Sprachen besonders relevant sind: I Außersprachlicher Bezug und Bedeutung, I I Lautliche Bezüge (Homonymie und Paronymie), I I I Wortfelder und ihre Lücken im Sprachvergleich, IV Semantische Wortklassen bei den Substantiven, V Bezugsadjektive als Wortklasse, VI Polysemie und Metonymie, V I I Deutsch-russische Metaphorik, V I I I Konversive, I X Antonyme, X Stilistische Differenzierung, X I Synonymie, X I I Verbum und Funktionsverbgefüge, X I I I Wortkombinationen. Wenn man versuchen wollte, f ü r diese Einzeldarstellungen das generelle Konzept des Verf. f ü r die konfrontative Deskription zu erfassen, so scheint mir folgendes charakteristisch zu sein: Es ist erfreulich, daß sich Verf. beim Vergleich nicht — wie immer noch in vielen f ü r Lehrzwecke gedachten konfrontativen Arbeiten — auf den Bezug zur außersprachlichen Realität beschränkt, daß er nicht nur konvergierende, divergierende, komplementäre, paraphrasierende oder andere zwischensprachliche Relationen konstatiert, sondern die Spezifik der Bedeutungsstruktur der sich gegenüberstehenden Wörter näher beleuchtet. Gegenstand seiner vergleichenden Beschreibung sind die semantischen Strukturierungen der Bezeichnungen, die sich aus den jeder Sprache eigenen Kodierungspotenzen ergeben. Wenn auch speziell der Wortschatz beider Sprachen Untersuchungsobjekt des Buches ist, so stößt Verf., besonders wenn es ihm um den Gebrauch der Wörter geht, auf paradigmatische und syntagmatische Fragestellungen. Morphologische Probleme, vorwiegend zur Aspektopposition, zur Pluralbildung, zur Komparation und zu Ausdrucksmöglichkeiten des Passivs, werden in mehreren Kapiteln angesprochen. I m Mittelpunkt der Kapitel zu den Funktionsverbgefügen und den Wortkombinationen stehen naturgemäß syntaktische Relationen, d. h. Fragen der Kompatibilität. Neben den paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungen werden auch epidigmatische Relationen in beiden Sprachen gegenüberstellend verfolgt. Die vielfältigen Möglichkeiten der Bedeutungsmodifizierung durch Wortbildungsverfahren im Russischen im Vergleich mit dem Deutschen werden vor allem in den Kapiteln zum Beziehungsadjektiv, zur Polysemie und Metonymie sowie zur deutsch-russischen Metaphorik behandelt. Verf. ist es gelungen, reiches und interessantes sprachliches Material f ü r die Konfrontation zusammenzustellen, das die Unterschiede und gegebenenfalls auch Gemeinsamkeiten in der Lexik 1

W. B i r k e n m a i e r , Artikelfunktionen in einer artikellosen Sprache. Studien zur nominalen Determination im Russischen ( = Forum slavicum, Bd. 34), München 1979. Siehe dazu auch meine Rezension in der ZfSl 26 (1981), S. 9 1 8 - 9 2 1 .

W. Gladrow, Zur Interpretation russischer Nominalgruppen

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beider Sprachen anschaulich belegt (Verf. führt in der Bibliographie ca. 75 Titel der schönen Literatur und ihre Übersetzungen an!). Für serielle Kontraste — und das ist für den Studierenden sehr nützlich — legt Verf. ganze Listen von systemhaften Äquivalenten vor. Alle vergleichenden Aussagen werden vom konkreten sprachlichen Material abgeleitet. Allerdings sollte man die in der Übersetzungsliteratur angebotenen Entsprechungen auch immer in ihrer Relativität bzw. Subjektivität sehen. So muß z. B. die russische Entsprechung für Adoptivkind durchaus nicht immer eine diversifizierende Paraphrasierung sein, wie die Übersetzung eines Textbeispiels und seine Interpretation auf S. 149 suggerieren, sondern kann auch n p H e M H u t t peöeHOK lauten. Ebenso finden wir schon bei L. Tolstoj „ . . . to 6hjio 6h oieHb xopomo . . . itoOm bh HteHHjmcb", also im Plural und im perfektiven Aspekt eine „abstrakte Bezeichnung" als Entsprechung für das deutsche heiraten, so daß entsprechende Feststellungen auf S. 148 zu relativieren wären. Die Schwierigkeiten beim Vergleich zweier Sprachen liegen ja gar nicht immer in erster Linie in den deutlichen Kontrasten, sondern in den Fällen, wo Unterschiede und Gemeinsamkeiten dicht nebeneinander sind. Wie die Kapitelüberschriften zeigen, hat Verf. das sprachliche Beispielmaterial nach bestimmten traditionellen lexikologischen Begriffen systematisiert. Dabei bezieht er in vielen Fällen geschickt sowjetische Einzeluntersuchungen mit ein, die er in gut gewählten Auszügen zitiert, ohne sich in polemische Diskussionen über die Definition von linguistischen Begriffen einzulassen. Dadurch wird der Charakter des Buches als einer Einführung in das vergleichende Wortschatzstudium gewahrt, und der Nutzer kann sich auf die aus dem konkreten Vergleich erkennbaren Probleme konzentrieren. Zur guten Lesbarkeit trägt auch der klare Stil des Verf. bei. Die relativ hohe Zahl von Druckfehlern — ich zähle ca. 20, insbesondere in bezug auf die kyrillisch gesetzten Beispiele — hätte sicher vermieden werden können. Das Buch wird bestimmt auf viele Interessenten stoßen, zu denen zum einen alle gehören, die ihre Sprachkenntnisse vertiefen und aus der bewußten Kenntnis über systemhafte Unterschiede im Wortschatz Sicherheit im Sprachgebrauch gewinnen wollen. Aber auch der Übersetzer wird dem Verf. (S. 65) zustimmen, „daß kontrastierende Lexikologie zu einer argumentierenden Übersetzungskritik beitragen kann". W. Gladrow CHR. HAUENSCHILD, Zur Interpretation russischer Nominalgruppen. Anaphorische Bezüge und thematische Strukturen im Satz und im Text ( = Slavistische Beiträge, Bd. 186), Verlag Otto Sagner, München 1985, I X + 391 S. Die Ausgangssituation für das wiederholte Aufgreifen der Thematik der nominalen Determination liegt für Verf. darin, daß „das Fehlen der Artikel im Russischen ein notorisches Problem der automatischen Übersetzung aus dieser Sprache ist" (S. VII). Daraus werden für das Buch zwei Hauptziele abgeleitet: einerseits die „Interpretation artikelloser Nominalgruppen in russischen Texten im Hinblick auf Definitheit oder Indefinitheit (oder Generizität)" und andererseits die „Entwicklung eines neuen Typs von linguistischen Regeln ..., der es erlaubt, relative Wahrscheinlichkeiten von bestimmten Interpretationen aufgrund des Zusammenwirkens verschiedener sprachlicher und nichtsprachlicher Informationen innerhalb . . . des Textverstehens zu beschreiben" (S. 2). Zur Realisierung dieser Zielstellung hat Verf. ihre Ausführungen in 3 Teile gegliedert. Im 1. Teil (Prolog, S. 1—45) sagt sie Einführendes zu Ziel, Methode, Textauswahl und theoretisehen Grundfragen, der 2. Teil (Katalog, S. 46—231) behandelt die relevanten Faktoren für die referenzidentische und indefinite Interpretation der russischen Nominalgruppen, der 3. Teil (Epilog, S. 232—282) zieht das Fazit und skizziert eine theoretische Deutung der vorgelegten Faktorenanalyse. Danach folgen das Literaturverzeichnis (S. 283 — 289) sowie der Anhang (Analog zum Katalog, S. 290—391), der im wesentlichen die der Analyse zugrunde gelegten Textbeispiele (aus zwei Nummern der Zeitschrift „Hoßoe BpeMH") enthält. Die eingangs genannten beiden Hauptziele werden von Verf. im Verlaufe der Darlegungen modifiziert und eingeschränkt. So interessiert sie sich in bezug auf das erste Ziel nicht für die Frage der „Artikelrekonstruktion" generell, also für die Lösung der Alternative, wann bei der Übersetzung aus dem Russischen der bzw. ein zu setzen ist, sondern nur für die Referenzidentität zweier aufeinanderfolgender Nominalgruppen mit identischem Kern als Voraussetzung für die definite Interpretation des Nomens bei seiner wiederholten Nennung. — Die zweite Zielstellung gilt nicht

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u n m i t t e l b a r der a u t o m a t i s c h e n Ü b e r s e t z u n g im engeren Sinne, impliziert aber als Vorhaben 1 , „ d e n Übersetzungsprozeß zu rekonstruieren u n d partiell auf einem R e c h n e r zu simulieren" (S. 14). Dieses H e r a n g e h e n ist f ü r d e n Leser sowohl v o n Vorteil als a u c h v o n Nachteil. E r wird einerseits m i t F r e u d e die E x a k t h e i t u n d Genauigkeit begrüßen, m i t der die R e g u l a r i t ä t e n des Vorhandenseins v o n R e f e r e n z i d e n t i t ä t u n d Definitheit formuliert werden. Andererseits wird der Leser a b e r d u r c h die A r t der Darstellung vielfach in die Rolle eines R e c h n e r s g e d r ä n g t u n d auf diese Weise gezwungen, eine sehr breite u n d sich in konzentrischen Kreisen wiederholende Diskussion v o n P r o b l e m e n zu verfolgen, die i h m inzwischen b e k a n n t sind bzw. die er als „ h u m a n e r N u t z e r " bereits v e r s t a n d e n h a t . Verf. h ä l t es jedoch, wie gesagt, f ü r zweckmäßig, „eine gewisse N a i v i t ä t so weit wie möglich zu bewahren, u m den Blick f ü r die F a k t e n n i c h t allzu sehr d u r c h alle möglichen Vorteile ü b e r deren Beschaffenheit verstellt zu h a b e n " (S. 158). Die wesentlichen Ergebnisse des Buches liegen m. E . in der Darstellung des Z u s a m m e n w i r k e n s verschiedener sprachlicher Gegebenheiten bei der I n t e r p r e t a t i o n der D e f i n i t h e i t / I n d e f i n i t h e i t einer N o m i n a l g r u p p e . D a s b e t r i f f t nicht so sehr das Zusammenspiel morphologischer, s y n t a k t i scher oder lexikalischer Ausdrucksmittel, als vielmehr die a n Oberflächengrößen wie S u b j e k t , G e n i t i v a t t r i b u t oder A d v e r b i a l b e s t i m m u n g ablesbare Korrelation b e s t i m m t e r s y n t a k t i s c h e r Faktoren. Zur Deskription u n d E r k l ä r u n g dieser Erscheinungen a r b e i t e t Verf. m i t zwei B e g r i f f s p a a r e n : der F a k t o r e n k u m u l a t i o n u n d -konkurrenz u n d m i t d e m Satz- u n d T e x t t h e m a . Die F a k t o r e n k u m u l a t i o n liegt d a n n vor, wenn verschiedene F a k t o r e n f ü r die gleiche I n t e r p r e t a t i o n sprechen (z. B. Anfangsposition, S u b j e k t f u n k t i o n u n d identische E r g ä n z u n g e n f ü r die Definitheit des N o m e n s beim zweit e n A u f t r e t e n ) . Die F a k t o r e n k o n k u r r e n z l ä ß t verschiedene I n t e r p r e t a t i o n e n zu, was in informativen T e x t e n , die eine kooperative Senderstrategie voraussetzen, — u n d n u r sie bilden die T e x t basis der U n t e r s u c h u n g — viel seltener der Fall ist. Mit den Begriffen Satz- u n d T e x t t h e m a werden Differenzierungen u n d Korrelationen in der t h e m a t i s c h e n S t r u k t u r i e r u n g beschrieben. Die T h e m a t i z i t ä t im Satz bezieht sich auf die Reihenfolge der K o n s t i t u e n t e n in der T h e m a - R h e m a S t r u k t u r , f ü r die Verf. keine Dichotomie, sondern eine skalare O r d n u n g a n s e t z t . Die T h e m a t i z i t ä t im T e x t dagegen e r f a ß t die T e x t t h e m e n m i t ihren hierarchischen u n d konzeptuellen Bezügen, woraus sich die jeweilige P r o m i n e n z eines T e x t t h e m a s ableitet. Der Z u s a m m e n h a n g zwischen T e x t t h e m e n u n d S a t z t h e m e n liegt — v e r e i n f a c h t gesagt — darin, d a ß erstere zu einer t h e m a t i s c h e n Position im Satz tendieren, während letztere T e x t t h e m e n sein können, aber n i c h t müssen. Vielmehr k a n n sich ein T h e m a f ü r den folgenden T e x t auch aus dem R h e m a eines Satzes oder aus d e r Beziehung zwischen T h e m a u n d R h e m a ergeben. T e x t t h e m a t i z i t ä t k a n n als e v i d e n z v e r s t ä r k e n d e r F a k t o r f ü r R e f e r e n z i d e n t i t ä t u n d Definitheit w i r k s a m werden, jedoch n i c h t u n a b h ä n g i g von anderen Bedingungen. Auf dieser Grundlage gelangt Verf. beispielsweise f ü r d a s S u b j e k t zu folgender (hier v e r k ü r z t wiedergegebenen) R e g e l : W e n n N P 2 S a t z s u b j e k t ist, nicht im Genitiv s t e h t , Anfangsposition aufweist, ergänzungslos ist u n d wenn der A b s t a n d zwischen N P j u n d N P 2 möglichst klein ist (wobei eine Satzgrenze dazwischen liegen soll) oder N P 2 ein (relativ) etabliertes T e x t t h e m a bezeichnet, d a n n sind N P j u n d N P 2 höchstwahrscheinlich referenzidentisch u n d N P 2 ist definit (S. 224). Wie das Beispiel zeigt, ist Verf. in ihrer F o r m u l i e r u n g der R e g u l a r i t ä t e n vorsichtig. Sie wird d a z u gezwungen, weil eindeutige Regeln f ü r einen Z u s a m m e n h a n g v o n D e f i n i t h e i t / I n d e f i n i t h e i t u n d Größen wie S u b j e k t , G e n i t i v a t t r i b u t usw. prinzipiell n i c h t gegeben werden k ö n n e n . Die Determination des N o m e n s in d e m von Verf. definierten Sinne ist eben eine E r s c h e i n u n g d e r k o m m u n i k a t i v e n Organisation v o n Ä u ß e r u n g e n u n d a n E i n h e i t e n des k o n s t r u k t i v e n S a t z a u f b a u s nicht zu binden. N u r u n t e r Berücksichtigung dieses A s p e k t s lassen sich, wie mir scheint, a k z e p t a b l e Lösungen f ü r die a u t o m a t i s c h e Ü b e r s e t z u n g d e r referentiell bedingten Artikelopposition — u n d das ist n u r ein Teil des Problems der „ A r t i k e l r e k o n s t r u k t i o n " — finden. W. Oladrow The Scope of Slavic Aspect. E d i t e d b y M. S. F l i e r a n d A. T i m b e r l a k e . ( = U C L A Slavic Studies, vol. 12). Slavica Publishers, I n c . Columbus, Ohio 1985, 295 S. Die beiden Slawisten Flier u n d Timberlake beschäftigen sich schon seit einigen J a h r e n m i t Themen, die die K a t e g o r i e A s p e k t betreffen bzw. miterfassen. N u n legen sie einen S a m m e l b a n d vor, der ausschließlich d e m V e r b a l a s p e k t g e w i d m e t ist. A b g e d r u c k t sind die z. T . ü b e r a r b e i t e t e n

B. BARTSCHAT, T h e Scope of Slavic Aspect

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Versionen v o n V o r t r ä g e n der K o n f e r e n z „ T h e Scope of Slavic A s p e c t " , die a n der U n i v e r s i t ä t v o n Kalifornien in Los Angeles im D e z e m b e r 1983 s t a t t g e f u n d e n h a t . 17 A u t o r e n , d a r u n t e r a u c h die beiden H e r a u s g e b e r selbst, befassen sich m i t den unterschiedlichsten Gesichtspunkten, die die K a t e g o r i e A s p e k t b e r ü h r e n . Flier u n d Timberlake o r d n e n die A r t i k e l in 8 Themenbereichen a n : Semantische U n t e r s u c h u n g e n a n P r ä f i x e n — A s p e k t u n d P r ä f i g i e r u n g — A s p e k t u n d L e x i k o n — A s p e k t u n d T e m p u s — A s p e k t u n d wiederholte Ereignisse — A s p e k t u n d P r a g m a t i k — A s p e k t u n d N a r r a t i o n — A s p e k t als g r a m m a t i s c h e Kategorie. E s war d a s e r k l ä r t e Ziel d e r K o n f e r e n z , möglichst viele Slawisten der U S A , die a n der K a t e g o r i e A s p e k t interessiert sind, zu einer Diskussionsrunde zu vereinen. Dabei war a n g e s t r e b t , a u c h einen B r ü c k e n s c h l a g von der A s p e k t f o r s c h u n g zu theoretischen P r o b l e m e n der allgemeinen Sprachwissenschaft zu versuchen. Der S a m m e l b a n d m a c h t deutlich, d a ß dies in unterschiedlichem Maße gelungen ist. J e d e m , der sich je m i t d e m Verb a l a s p e k t b e f a ß t h a t , ist die Vielschichtigkeit dieser K a t e g o r i e b e w u ß t , die morphologischer, syntaktischer, semantischer u n d pragmatischer E r k l ä r u n g e n b e d a r f . E s ist deshalb zu b e g r ü ß e n , d a ß all diesen G e s i c h t s p u n k t e n R e c h n u n g getragen wird. So f i n d e t a u c h jeder Slawist, der auf einem speziellen Gebiet der A s p e k t f o r s c h u n g a r b e i t e t , z u m i n d e s t einige Aufsätze zu seinem Themenkreis u n d a u ß e r d e m einen Überblick über weitere F o r s c h u n g s k o m p l e x e . Andererseits erweckt dieser S a m m e l b a n d insgesamt einen sehr heterogenen E i n d r u c k , u n d dies n i c h t n u r in bezug auf die T h e m a t i k , sondern a u c h auf die verwendeten Herangehensweisen, Methoden der Beschreibung. Arbeiten m i t A n s p r u c h auf theoretische D u r c h d r i n g u n g u n d E r k l ä r u n g stehen a n d e r e m i t überwiegend deskriptiv orientierter Zielstellung gegenüber. Diese allgemeinen B e m e r k u n g e n müssen m . E . an den A n f a n g d e r Rezension gestellt werden, die im folgenden eine Ü b e r s i c h t über die Einzelarbeiten g i b t ; d a b e i werden innerhalb der a c h t Themenbereiche b e w u ß t S c h w e r p u n k t e gesetzt. Der erste Bereich, „ S e m a n t i s c h e U n t e r s u c h u n g e n a n P r ä f i x e n " , u m f a ß t zwei Artikel. J u l e s F . L e v i n b e h a n d e l t in ,,A Systems M a t r i x Model a n d A s p e c t : N A ! " die möglichen B e d e u t u n g e n des P r ä f i x e s Ha-, die er als teilweise oder vollständig m o t i v i e r t a n s i e h t d u r c h die B e d e u t u n g der P r ä p o s i t i o n Ha. L a u r a A. J a n d a b e t r a c h t e t in „ T h e Meanings of R u s s i a n Verbal P r e f i x e s : Semantics a n d G r a m m a r " a m Beispiel des P r ä f i x e s 3a- T e i l b e d e u t u n g e n v o n P r ä f i x e n m i t ihrer „modifiziert s t r u k t u r a l i s t i s c h e n " Methode. D a r u n t e r v e r s t e h t sie, d a ß die B e d e u t u n g e n des P r ä f i x e s 3a- als lokale N e t z w e r k e g e f a ß t werden, als „kognitiver R a u m " , d e r eine, zwei oder drei Dimensionen aufweisen k a n n . Der zweite Bereich, „ A s p e k t u n d P r ä f i g i e r u n g " , ebenfalls d u r c h zwei Arbeiten v e r t r e t e n , schließt sich t h e m a t i s c h eng a n den ersten Bereich a n . Michael S. F l i e r s „ T h e Scope of Prefixal Delimitation in R u s s i a n " ü b e r die aspektuellen Besonderheiten der no- u n d npo- Verben m i t delimitativer B e d e u t u n g legt d e n S c h w e r p u n k t auf die Beziehung dieser P r ä f i x e zu d e m Teil der V e r b b e d e u t u n g , der in A n l e h n u n g a n die Klassifikation Vendlers (vgl. Z. V e n d l e r , „ V e r b s a n d T i m e s " , i n : Linguistics in P h i l o s o p h y 1957/67) in diesem S a m m e l b a n d als „lexikalischer A s p e k t " bezeichnet wird. P a m e l a R u s s e l l w i d m e t ihren Artikel „ A s p e c t u a l P r o p e r t i e s of t h e Russian Verbal P r e f i x Ha-" ebenfalls d e m P r ä f i x Ha-, im U n t e r s c h i e d zu Levin a b e r explizit d e m Bezug zur K a t e g o r i e A s p e k t . Sie stellt drei Thesen a u f : 1. Der „lexikalische A s p e k t " der m i t Ha- präfigierten Verben, genauer die E n t s c h e i d u n g d a r ü b e r , ob a c c o m p l i s h m e n t oder a c h i e v e m e n t (vgl. V e n d l e r a. a. O.) vorliegt, h ä n g t d a v o n a b , ob die B e d e u t u n g des präfigierten Verbs lokal oder quantifizierend ist; 2. V o m lexikalischen A s p e k t h ä n g t ab, ob ein sekundäres I m p e r f e k t i v u m gebildet werden k a n n ; 3. Der lexikalische A s p e k t ist f ü r die jeweilige Verbform n i c h t v o n v o r n h e r e i n fixiert, sondern k a n n d u r c h die Gegebenheiten des V e r b a l o b j e k t s v e r ä n d e r t werden. Diese drei Thesen, die semantische, morphologische u n d s y n t a k t i s c h e E i g e n s c h a f t e n des Verbs einbeziehen, also mehrere E b e n e n gleichzeitig ins Blickfeld rücken, ermöglichen Russell-eine eigene I n t e r p r e t a t i o n der Ha-Verben. Insbesondere die Einbeziehung der V e r b a r g u m e n t e ist aufschlußreich. Ob das O b j e k t effiziert oder affiziert, zählbar oder nicht, referentiell quantifiziert oder n i c h t ist, ob es insgesamt als Quantifizierung oder als O r t b e t r a c h t e t wird, entscheidet m i t ü b e r die V e r b b e d e u t u n g . Verf. u n t e r s u c h t n i c h t das S u b j e k t intransitiver Verben, v e r m u t e t d o r t jedoch ähnliche Z u s a m m e n h ä n g e . E i n Vergleich zwischen Englisch u n d Russisch l ä ß t sie U n s t i m m i g k e i t e n in der Klassenzuweisung auffinden. „ W r i t e a b o o k " wird allgemein als accomplishment angesehen, HaniicaTb KHnry als achiev e m e n t . D a dieser Unterschied in der alle Verbformen erfassenden Aspektopposition des russischen V e r b s b e g r ü n d e t ist, h ä l t Russell es f ü r notwendig, Vendlers Klassifikation f ü r A s p e k t s p r a c h e n zu verfeinern. Sie h a t keinen Gegenvorschlag (vgl. aber T i m b e r l a k e , weiter u n t e n ) , a b e r ihre Materialanalyse s t ü t z t diese A n n a h m e .

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Z. Slaw. 84 (1989) 1

Der dritte Bereich, „Aspect and the Lexicon", enthält drei Artikel. Sophia L u b e n s k y — „The Aspectual Properties of Verba Percipiendi" — betrachtet Defekte in der scheinbaren Aspektpaarigkeit bei vielen Verben der physischen Wahrnehmung und führt dies auf Besonderheiten in bezug auf die Aspektmerkmale sowohl der ipf. als auch der pf. verba percipiendi zurück. Johanna N i c h o l s untersucht in „Aspect and Inversion" Beziehungen zwischen den Kategorien Aspekt und Genus verbi. Da sie letzteres als kontextuell bedingt ansieht, bezieht sie neben Belebtheit und Agenscharakter des Subjekts und Objekts auch Tempus, Aspekt und „lexikalischen Aspekt" in die Beschreibung ein. Ihrer Überzeugung nach bestehen deutliche wechselseitige Abhängigkeiten zwischen diesen Faktoren, die zwar nicht deterministisch, wohl aber statistisch nachweisbar sind. Henry K u ö e r a erörtert in „Aspect in Negative Imperatives" die Relationen zwischen Aspekt, Modus und Negation anhand des Tschechischen. Beachtenswert ist an diesem Beitrag, daß Kuöera die Grammatiktheorie daraufhin prüft, in welchen Modulen die einzelnen Faktoren behandelt werden können, die bei der Bildung korrekter imperativischer Äußerungen zu berücksichtigen sind. Der vierte Bereich, „Aspect and Time", greift in Peter M e r r i l l s Arbeit „Aspect as Evaluation: The Case of Negation" zunächst wieder die Thematik der Negation auf. Jedoch wird der oft postulierte enge Bezug zwischen Negation und dem ipf. Aspekt in Frage gestellt und dafür Reichenbachs Tempusmodell (vgl. H. R e i c h e n b a c h , „Elements of Symbolic Logic" 1947), insbesondere sein Begriff der „Referenzzeit", herangezogen. In einem speziellen Abschnitt weist Merrill bereits auf die narrative Funktion des Aspekts (vgl. den siebenten Bereich dieses Sammelbandes) hin. Auch Alan T i m b e r l a k e , „Reichenbach and Russian Aspect", legt dieses Tempusmodell zugrunde. Er hält es für zu schwach, die Gegebenheiten in Aspektsprachen zu beschreiben, da in ihm der wechselseitige Bezug der Kategorien Tempus und Aspekt nicht durchgängig sichtbar gemacht werden kann. Wenn man E (Ereigniszeit) und R (Referenzzeit) bei Reichenbach als Ausgangspunkt nimmt, müssen die durative Funktion des ipf. Präteritums und die Aoristfunktion des pf. Präteritums gleich beschrieben werden: E ist in R enthalten. Als Lösung bietet Timberlake an, einen weiteren Begriff einzuführen,' nämlich P (Prädikatszeit) in bezug auf eine „inhärente Grenze"; pf. Präterita stehen nicht für Ereignisse, die irgendwie aufhören, sondern für solche, die dabei ihre inhärente Grenze erreichen. Verf. räumt ein, daß dieser Begriff in der Aspektforschung seit langem bekannt ist, neu sei aber die Verknüpfung von Reichenbachs Tempusmodell mit der Aspektsemantik. Im fünften Bereich, „Aspect and Repetitive Events", erörtern Eva E c k e r t („Aspect in Repetitive Contexts in Russian and Czech") und Grace E. F i e l d e r („Aspect and Modality in Bulgarian Subordinate Clauses") die Aspektwahl beim Ausdruck iterativer Situationen. Der sechste Bereich, „Aspect and Pragmatics", ist wiederum dem Einfluß der Negation gewidmet, diesmal unter dem Gesichtspunkt außersprachlicher Bedingungen des Aspektgebrauchs. Gilbert C. R a p p a p o r t („Aspect and Modality in Contexts of Negation") setzt für negierte modale Prädikate bei ipf. Verb eine deontische, bei pf. Verb eine epistemische Bedeutung an. Er stützt sich auf Untersuchungen pragmatischer Faktoren, wie sie die Konversationsprinzipien von Grice darstellen (vgl. H. P. G r i c e , „Logic and Conversation", in: Speech Acts (ed. P. Cole and J . L. M o r g a n ) . Syntax and Semantics, vol. 3, 1975). Denn: daß der pf. Aspekt bei Negation modaler Verben die Fähigkeit negiert, der ipf. Aspekt die Erlaubnis oder Notwendigkeit, läßt sich weder durch Aspekt noch durch Modalität erklären, sondern erst im Bereich der Pragmatik, durch Gegenüberstellung von Behauptung und Hintergrundimplikatur. Der pf. Aspekt behauptet die Grenze, impliziert einen Prozeß, der ipf. Aspekt behauptet dagegen den Prozeß, impliziert nichts. Diese Asymmetrie, die sich aus der asymmetrischen Aspektkorrelation erklärt, bildet die Grundlage für Rappaports Beobachtungen. Patricia R. C h a p u t („On the Question of Aspectual Selection in Denials") behandelt negierte Äußerungen und ihren Aspektausdruck ebenfalls unter Heranziehung von Präsuppositionen. Als Materialgrundlage wählt sie negierte pf. präteritale Antworten auf Entscheidungsfragen. Im siebenten Bereich, „Aspect and Narrative", wird in zwei Aufsätzen die textbildende Funktion des Aspekts betrachtet. Victor A. F r i e d m a n behandelt in „Aspectual Usage in Russian, Macedonian, and Bulgarian" die Unterschiede im Aspektgebrauch zwischen den drei im Titel genannten Sprachen, jedoch noch im Bereich komplexer Sätze. Catherine V. C h v a n y prüft russische narrative und nichtnarrative Texte auf das Vorkommen ipf. und pf. Verben in „Backgrounded Perfectives and Plot Line Imperfectives: Toward a Theory of Grounding in Text". Zur Einschätzung dieser Untersuchungen soll an dieser Stelle auf meinen Artikel „Aspekt und ,grounding' in russischen Texten" in ZPSK 40 (1987) 6 verwiesen werden.

R. Ergetowski, „Piámiennictwo polskie"

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Einen Platz am Rande nimmt der achte Bereich ein, überschrieben mit „Aspect as a Grammatical Category". Howard I. A r o n s o n beschäftigt sich in „Form, Function, and the ,Perfective' in Bulgarian" mit den Unterschieden zwischen ipf. Simplicia und sekundären Imperfektiva. Charles E. T o w n s e n d fragt in „Can Aspect Stand Prosperity?" nach dem allgemeinen Konsensus in bezug auf das Wesen des Aspekts. Dies ist nach allen bisher erörterten Problemen sicher nicht ganz überflüssig, aber als Ausklang eines Sammelbandes über die Kategorie Aspekt doch wohl eine unnötig pessimistische Frage. Die Herausgeber schwächen dann in ihrem Vorwort auch bewußt den Eindruck ab, den Townsends Artikel hervorrufen könnte. Bei aller Differenziertheit in den Ansichten der einzelnen Autoren wird doch deutlich, daß sich die Slawisten der USA auf bestimmte gemeinsame Positionen stützen. Es sind dies zum einen die Fakten, die J . F o r s y t h in „A Grammar of Aspect: Usage and Meaning in the Russian Verb" (1970) bereitstellt, zum anderen die Berücksichtigung des sogenannten „lexikalischen Aspekts", womit die Vendlersche Typologie der Verben bezeichnet wird, also die Klassifikation in Zustände, Prozesse, accomplishments (Resultate eines Zustandes oder einer Aktivität) und achievements (Endziele eines Prozesses). Die Ergebnisse der europäischen Slawistik werden zwar anhand ihrer namhaftesten Vertreter wie Maslov, Bondarko und einige andere hinzugezogen, insgesamt aber doch zu wenig beachtet. Trotz dieser und ähnlicher kritischen Bemerkungen ist der rezensierte Sammelband alles in allem eine wichtige Neuerscheinung auf dem Gebiet der Aspektforschung und verdient die Beachtung unserer Slawisten. B. Bartschat J . KAPUÖCIK, W. A. Maciejowski i jego ,Piámiennictwo polskie'. Migdzy bibliografía a historia literatury, Ksi^zka i Wiedza, Warszawa 1985, 306 S. + 4 unbeziff. S., 24 III. Bereits der Untertitel läßt auf den Inhalt des Buches schließen. Es geht um das Werk des bekannten Slawisten Waclaw Aleksander Maciejowski (1794—1883), das der polnischen Literatur gewidmet ist und nach den Intentionen seines Verfassers eine Literaturgeschichte werden sollte. Tatsächlich aber ist eine erweiterte — mit Anmerkungen versehene — Bibliographie entstanden. Kapuécik schildert Maciejowski in einer kurzen Biographie als Menschen und Gelehrten, der seine Bildung in Kraków, Wroclaw, Berlin und Göttingen erworben hatte, sich stark an der deutschen Wissenschaft orientierte und der im übrigen nicht immer einen makellosen Ruf genoß. Sein Wirken an einem Gymnasium, an der Universität in Warschau, seine Tätigkeit bei Gericht und in der Verwaltung des Königreichs Polen finden ebenso Berücksichtigung wie seine Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen. Besonders stark hebt der Verfasser den Einfluß J . S. Bandtkies, Professor an der JagiellonenUniversität, auf die Formung der Persönlichkeit Maciejowskis hervor. Er vernachlässigt dabei aber Lehrer wie L. Wachler, J . G. Schneider, K. A. Unterholzner, A. Böckh und F. A. Wolff, vor allem aber F. K. Savigny und K. F. Eichhorn, obwohl ihr Einfluß — wenn auch nicht auf die Interessen, so doch auf die Arbeitsmethode Maciejowskis — nicht unwesentlich war. Sehr große Aufmerksamkeit widmet Kapuécik der Bibliothek als dem Hauptinstrumentarium für die wissenschaftlichen Untersuchungen des Warschauer Professors. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die Bibliothek Maciejowskis erhalten geblieben ist und dieses Problem daher detailliert behandelt werden konnte. Nach der genannten umfangreichen Darstellung wendet sich der Verfasser inhaltlichen Fragen zu. Er erinnert zunächst an den Entwicklungsstand der polnischen Literaturwissenschaft vor Maciejowski. In der ersten Hälfte des 19. Jh. war Literaturgeschichte im wesentlichen Bibliographie und auch dies nur unvollkommen. Da monographische Darstellungen nicht vorhanden waren, konnte keine Synthese vorgenommen werden, und die darauf gerichteten Versuche erwiesen sich als verfrüht. Es fehlte eine Geschichte der polnischen Literatur, und so beabsichtigte Maciejowski, ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Piámiennictwo polskie" zu schreiben, um diese Lücke zu schließen. Er gab sein ehrgeiziges Vorhaben aber bald auf und ließ es bei einer beschreibenden Bibliographie mit Auszügen aus der Literatur bewenden, was für die damalige Zeit durchaus auch einen Erkenntniszuwachs bedeutete. Am Schluß des Buches zitiert der Verfasser Urteile von Zeitgenossen Maciejowskis zu seinem Werk sowie Äußerungen von Sachkundigen aus späterer Zeit darüber. Viele unterschätzten die Forschungsleistung des Warschauer Slawisten, und nur wenige — allen voran A. Brückner — ordneten Maciejowski objektiv den Gelehrten zu, die der Literaturwissenschaft von heute mit ihren Arbeiten den Weg gebahnt haben. 10

Z. Slawistik, Bd. 34, H . 1

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KapuScik hat sehr umfangreiches Archivmaterial aus Warschau, Kraköw und Wroclaw ausgewertet und die gesamte für diese Problematik relevante Literatur berücksichtigt. Er hat letzterer oft jedoch zu sehr vertraut, was am Beispiel des Buches von J . Bardach „W. A. Maciejowski i jego wspölczeäni", das von sachlichen Fehlern nicht frei ist, besonders offenbar wird. Eine kritischere Haltung hätte Kapuscik hier davor bewahren können, nicht immer begründete Feststellungen seines Vorgängers zu wiederholen. Das Buch ist mit zahlreichen Illustrationen ausgestattet, doch leider strotzen die Bildunterschriften vor groben Fehlern. So lesen wir unter einer Abbildung der Universität von Wroclaw, es handele sich um die Berliner Universität, dagegen steht unter dem Bild der Humboldt-Universität, es stelle das Kazimierz-Palais dar, und die Universität Warschau wird für die von Wroclaw ausgegeben. Der Anhang enthält eine Bibliographie der literaturgeschichtlichen Arbeiten Maciejowskis und ein Namensregister. (Unverständlicherweise fehlt darin der Name Böckh, obgleich er in jedem polnischen Lexikon zu finden ist.) Ein Mangel ist zweifellos das Fehlen von fremdsprachigen Resümees, die wegen der Bedeutung der in diesem Buch behandelten Persönlichkeit enthalten sein sollten. R. ErgetowsJci

TH. SYLLABA — S. HEÜMAN, A. Teodorov-Balan na unirerzitö y Praze. Univerzita Karlova, Praha 1987, 170 S., 12 Abb. Aleksandär Teodorov-Balan (1859—1959) zählte zu denjenigen Vertretern der bulgarischen Intelligenz, denen die Aufgabe zufiel, in dem von der Fremdherrschaft befreiten Bulgarien das Bildungswesen, die Wissenschaft und die Kultur auf neuen Grundlagen aufzubauen und ihrer weiteren Entwicklung den Weg zu bahnen. Er wurde als Sohn eines bulgarischen Bauern in Bessarabien geboren, das damals ein Teil Bußlands war. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Bolgrad, das seit dem Krimkrieg zu Bußland gehörte, studierte er von 1879 bis 1882 vor allem bei J a n Gebauer 1 und Martin Hattala an der Universität Prag slawische Philologie, nachdem er ein J a h r lang in Sofia als Gerichtsbeamter gearbeitet hatte, um sich das Geld für die Reise nach Prag zu verdienen. Gebauer, der die Begabung Teodorov-Balans erkannt hatte und sein wissenschaftliches Engagement und seinen Fleiß hoch schätzte, interessierte ihn für das Thema „Über den Laut b im Neubulgarischen", über das er seine Dissertation schrieb. Nach Absolvierung eines weiteren Studiums von drei Semestern an der Universität Leipzig bei August Leskien und Karl Brugman 1882 — 1884 promovierte Teodorov-Balan 1884 als erster ausländischer Studierender an der tschechischen Karl-Ferdinands-Universität Prag. E r war der erste Bulgare, der das Doktorat in slawischer Philologie erlangte. Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien begründete Teodorov-Balan gemeinsam mit Ljubomir Miletiö (1863 — 1937) und Benjo Conev (1863 — 1926) die moderne Bulgaristik. Fast 900 wissenschaftliche Publikationen dokumentieren nicht nur seinen Forscherfleiß, seinen Sinn für das Wesentliche in Literatur- und Sprachwissenschaft und seine wissenschaftlichen Interessen, die vorzugsweise der Linguistik und der bulgaristischen Literaturwissenschaft galten, sondern auch sein gesellschaftliches Engagement und sein bulgarisches Nationalbewußtsein. Bis 1924 leitete er den Lehrstuhl für bulgarische Literatur und für slawische Literaturen an der Historisch-Philologischen Fakultät der Universität Sofia. Er gehörte zu den führenden Vertretern der bulgarischen Wissenschaft, denen die slawische Philologie wesentliche Erkenntnisse und nachhaltige Impulse 1 verdankt. Teodorov-Balan blieb auch unter dem monarchofaschistischen Regime in Bulgarien seiner demokratischen Überzeugung treu, die im Präger tschechischen Milieu wurzelte, wie Theodor Syllaba und Sdva Herman feststellen (S. 13). Syllaba und Herman gewähren in ihrem Vorwort sowie in ihren Beiträgen über Teodorov-Balan als ersten ausländischen Doktor der Philosophie an der tschechischen Karls-Universität Prag 1

vgl. auch Th. S y l l a b a , J a n Gebauer na Praiske univerzite, Praha 1983; d e r s . , Prvni öesky vedecky seminar na Praiske univerzite (Gebauerüv slovansky seminär), in: Acta Universitatis Carolinae — Historia Universitatis Carolinae Pragensis 22 (1982), H. 1, S. 95 — 112.

W. ZEIL, A. Teodorov-Balan na univerzité v Praze

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bzw. über seine tschechisch geschriebene Dissertation „O zvuku b v nové bulharätine" auf der Grundlage reichen Quellenmaterials einen Einblick in das Leben und Werk Teodorov-Balans und bewerten aus profunder Kenntnis der Zusammenhänge der tschechischen und der bulgarischen Geschichte wie auch der Entwicklung der Wissenschaft und ihrer Institutionen seinen Beitrag zum Erkenntnisfortschritt. Das Thema ihrer Arbeit zwang sie, die Bedeutung der Universität Prag f ü r das Wirken Teodorov-Balans in den Mittelpunkt zu rücken. Auch unter diesem speziellen Aspekt h ä t t e man sich eine stärkere Einbettung ihrer sachkundigen, aufschlußreichen Ausführungen in die wissenschaftlichen Traditionen des befreiten Bulgariens u n d Böhmens sowie in die Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen den slawischen Völkern und in die Zusammenhänge der internationalen Entwicklung der Slawistik gewünscht. Damit soll der hohe Stellenwert des Studiums an der Universität Prag in der wissenschaftlichen Laufbahn Teodorov-Balans keineswegs in Frage gestellt werden. Der bulgarische Gelehrte schrieb darüber selbst cíen von den Verfassern zitierten bemerkenswerten Satz: „Co dobrého a pékného jsem píidal k základüm svého vychování z domova, toho jsem nabyl v Öechäch." TeodorovBalan erinnerte sich zeit seines Lebens gern an die Prager Universität und blieb mit ihren führenden Repräsentanten in Verbindung, verdankte er ihnen doch sein Interesse f ü r die Linguistik u n d für die slawische Philologie sowie die Erziehung zu strenger Disziplin, zu systematischem u n d exaktem Forschen und zur Verantwortung als Wissenschaftler. Petär Dinekov stellte mit Recht fest, Teodorov-Balan habe die besten Eigenschaften des tschechischen Volkes und seiner Intelligenz in sich aufgenommen — den Fleiß und die Akribie sowie die Kultur im Umgang mit den Menschen 2 . I n seinen Erinnerungen an die Studentenzeit, die in der vorliegenden Publikation auszugsweise abgedruckt wurden, geht*Teodorov-Balan ausführlich auf seine Prager Zeit ein. E r schildert sachlich die wissenschaftliche Atmosphäre in Prag und das Leben der slawischen Studenten, wobei er die Bedeutung der vielfältigen Formen slawischer Wechselseitigkeit besonders hervorhebt. Mit gleicher Sachlichkeit berichtet er über seine Studien in Leipzig, denen auch Syllaba in seinem Beitrag die gebührende Würdigung zuteil werden läßt 3 . Die Vorlesungen des Junggrammatikers Leskien über vergleichende Grammatik der slawischen Sprachen, über vergleichende Grammatik des Litauischen und des Slawischen sowie über Grammatik der altbulgarischen (kirchenslawischen) Sprache, seine Seminare zur Erklärung altserbischer u n d altkroatischer Sprachdenkmäler sowie alttschechischer Sprachdenkmäler mit grammatischer Einleitung, seine Übungen zur litauischen Grammatik und zur Übersetzung von Texten sowie zum Lesen und Erklären altserbischer Texte wie auch die Lehrveranstaltungen Brugmanns über vergleichende Grammatik der indoeuropäischen Sprachen gaben Teodorov-Balan nachhaltige Impulse. Syllaba stützt sich in seinem kenntnisreichen Beitrag auf die einschlägige Sekundärliteratur sowie auf das Quellenmaterial des Archivs der Karls-Universität Prag, des Literaturarchivs des Museums des tschechischen Schrifttums in Prag, vor allem des Nachlasses J a n Gebauers, des österreichischen Staatsarchivs Wien, Allgemeines Verwaltungsarchiv, und des Archivs der Karl-Marx-Universität Leipzig. Hermán analysiert Teodorov-Balans Dissertation unter Berücksichtigung ihrer Entstehungszeit und des heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes. E r gelangt zu der Schlußfolgerung, daß die Doktorarbeit das Ergebnis sorgfältiger theoretisch-methodologischer Vorbereitung und gründlichen Studiums der bulgarischen Sprache ist. Teodorov-Balan h a t in seiner Dissertation seine solide Erudition und sein selbständiges Urteil unter Beweis gestellt u n d auf Desiderata der bulgaristischen Sprachwissenschaft hingewiesen. Man kann dem zusammenfassenden Urteil Syllabas und Hefmans über die Verdienste Teodorov-Balans voll zustimmen: „ S v y m íivotem a dílem napsal akademik A. Teodorov-Balan vyznamnou kapitolu v déjinách bulharské filologie. Má své pevné misto v déjinách éesko-bulharskych védeckych a kulturních stykü a v historii prazské Univerzity Karlovy." (S. 15) Die Reproduktion der Dissertation, die Teodorov-Balan in tschechischer Sprache verfaßt hat, sowie der Nachdruck seines Beitrages über den Charakter der literarischen Tätigkeit im befreiten

2 3

II. /JimeKOB, A. TeoRopoB-EajiaH — ntpBHHT peKTop Ha Co^hückhh yHHBepcirreT, in: Ci.noCTaBHTejiHO e3HK03HaHHe 6 (1981), H. 1, S. 69. vgl. auch Th. S y l l a b a , Dopisy lipskych profesorü Leskiena a Wislicena ke sporu o pravost rukopisu královédvorského, in: Acta Universitatis Carolinae — Historia Universitatis Carolinae Pragensis 24 (1984), H. 2, S. 7 1 - 8 9 .

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Bulgarien, der 1883 im Slovansky sbornik erschien, und von H e f m a n ins Tschechische übersetzter Auszüge aus seinen bisher nicht veröffentlichten Erinnerungen an seine Prager und Leipziger Studenten jähre sind wertvolle Ergänzungen zu den Studien Syllabas u n d H e f m a n s . Man wünscht sich, daß dieser verdienstvollen Arbeit, die dem 100. J a h r e s t a g der E n t s t e h u n g des bulgarischen Hochschulwesens und der Freundschaft zwischen der Karls-Universität Prag u n d der Kliment-Ochridski-Universität Sofia gewidmet ist, weitere so solide wissenschafts- und beziehungsgeschichtliche Publikationen folgen. W. Zeil J . R I G L E R , Razprave o slovenskem jeziku, izbral in uredil F . J a k o p i n ( = Razprave in eseji, 30). Slovenska matica, L j u b l j a n a 1986, 240 S. Der zu besprechende B a n d ist eine postume E h r u n g f ü r J a k o b Rigler (1929 — 1985), dessen Lebensu n d Schaffensweg im J a h r e 1985 durch den Tod ein frühes, zu frühes Ende gesetzt wurde. E s ist n u r verständlich, daß es seinen Fach- u n d langjährigen Arbeitskollegen sowie seinen Freunden ein Bedürfnis gewesen ist, seiner auch auf diese Weise zu gedenken. I n den einleitenden Ausführungen zu dem auch äußerlich ansprechend aufgemachten B a n d zeichn e t der Herausgeber die Stationen des beruflichen Werdeganges von J . Rigler eindrucksvoll nach. Ins Gedächtnis gerufen wird seine Orientierung auf die Linguistik mit den Objektbereichen Slowenisch (und Russisch), wobei die Gebiete Dialektologie, Akzentologie u n d Sprachgeschichte das Zentrum bildeten; ständig präsent u n d aktiv war aber auch sein Interesse an Fragen der modernen slowenischen Schriftsprache. Gebührend wird schließlich darauf hingewiesen, d a ß das Wirken J . Riglers auch internationale Dimensionen h a t t e . Die von J.*Hafner zusammengestellte Bibliographie ist eine eindrucksvolle Dokumentation dazu. Sie enthält neunzig publizierte u n d sieben unveröffentlichte Positionen, darunter mehrere Monographien sowie umfängliche Abhandlungen in slowenischen u n d internationalen Fachorganen. Die Auswahl der sich anschließenden Nachdrucke von Arbeiten J . Riglers ist gezielt und repräsentativ; unschwer lassen sich die Komplexe wiedererkennen, die eingangs als Schwerpunkte in seinem Schaffen gekennzeichnet worden sind. U m es an einem Beispiel zu zeigen: Wenn insgesamt vier Arbeiten Riglers zur Sprache der slowenischen Protestanten aufgenommen worden sind, so ist das gewiß kein Zufall und auch nicht hinreichend damit begründet, daß als äußerer R a h m e n f ü r die Edition des Bandes das Gedenken a n den 400. Todestag von Primus T r u b a r vorgegeben war. Entscheidend war vielmehr die Stellig keit, die dieses Gebiet im Gesamtwerk J . Riglers einnimmt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang a n die These und die ausführliche philologische Beweisführung dazu, daß die Sprache von Primus T r u b a r nicht auf seinem Heimatdialekt basiert, sondern in die Gegend von L j u b l j a n a verweist, wodurch in der Fachwelt ein Umdenken ausgelöst wurde. — Ein ähnliches, genauer gesagt angemessenes Bild wird durch die abgedruckten Arbeiten zur Dialektologie u n d zur synchronischen u n d diachronischen Akzentologie vermittelt. Ein Gebiet, auf dem J a k o b Rigler vor allem seit den späten 60er u n d in den 70er J a h r e n eine herausragende Arbeit geleistet h a t — die synchronische einsprachige Lexikographie —, ist in diesem B a n d auch optisch weniger erkennbar. Nicht zufällig auch dieser Befund. Als Autor u n d Redakteur am Slovar slovenskega k n j i i n e g a jezika h a t Rigler an einem Kollektivwerk Anteil, das seine eigene oder, anders ausgedrückt, eine andere als f ü r diesen B a n d passende Spezies der Veröffentlichung vorsieht. Das h a t zur Folge, daß diese zweifellos bedeutsame K o m p o n e n t e seines Wirkens im vorliegenden B a n d unterrepräsentiert erscheinen muß. — Hinsichtlich dessen, was Ausgewogenheit u n d Abgerundetheit des Bildes von der Wissenschaftlerpersönlichkeit J a k o b Rigler ausmacht, sei hier eine weitere Anmerkung angefügt: Rez. h ä t t e es als Gewinn angesehen, wenn zu den slowenistischen Untersuchungen sensu stricto auch eine der slawistisch angelegten Arbeiten in diesen B a n d aufgenommen worden wäre. Alles in allem: Der vorliegende B a n d ist eine Würdigung, die — soweit das in dieser Form überh a u p t möglich ist — der Person und dem Werk J a k o b Riglers durchaus gerecht wird. Die Sammlung einer Reihe wichtiger Aufsätze aus seiner Feder in einem B a n d ist zudem ein praktischer Gewinn f ü r jeden Slowenisten und Slawisten und ü b t über seinen Informationswert hinaus eine stimulierende Wirkung aus. J a k o b Rigler war Slowenist aus Berufung. Auch das gehört zu dem Vermächtnis, das er uns hinterlassen h a t . B. Kunzmann-Müller

K.

GÜNTHER,

Literae Slavicae Medii Aevi

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Literae Slavicae Medii Aevi. Francisco Yenceslao MareS Sexagenario Oblatae. Hg. von J . R e i n h a r t . ( = Sagners Slavistische Sammlung, hg. von P. R e h d e r , Bd. 8). Verlag Otto Sagner, München 1985, 428 S. Die Festschrift ist dem tschechischen Slawisten und Philologen Frantiäek Väclav Mareä gewidmet, der bis 1968 in der ÖSSR als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ehemaligen Slovansky üstav, als Redakteur der „Slavia", als Mitarbeiter am Altslawischen Wörterbuch und anderen Projekten wirkte, seit 1969 als Professor für slawische Sprachwissenschaft an der Universität Wien tätig ist und sich vor allem um die Erforschung des Alt- und Kirchenslawischen in Sprache und Schrifttum sowie des Urslawischen verdient gemacht und die Traditionen eines Jagic fortgesetzt hat, wovon u. a. seine Anthologie of Church Slavonic Texts of Western (Czech) Origin (Slavische Propyläen, Bd. 127, München 1979) und viele andere Publikationen zeugen1. Die Festschrift enthält 40 Beiträge von Gelehrten aus der Republik Österreich und der ÖSSR (je 7), aus der UdSSR und der SFR Jugoslawien (je 5), aus der BRD, der VR Polen und den USA (je 4), aus der VR Bulgarien (3) und aus Israel (1). Sie hat thematisch einen geschlossenen Charakter. Die Beiträge betreffen einmal Fragen des alt- und kirchenslawischen Schrifttums, seiner Tradierung und Sprache, zum anderen sprachliche Probleme des Ur- und Gemeinslawischen bzw. der älteren Slawinen. I. D u j ö e v (S. 67—72) stellt Angaben zur Biographie des altbulgarischen Schriftstellers Johannes des Exarchen (etwa 850—930) auf Grund seiner wichtigsten Werke (Hexaemeron, Dialektik des Johannes von Damaskus) zusammen und nimmt an, daß er ebenso wie sein späterer Landesfürst Symeon seine Ausbildung in Byzanz erhielt und nach 890 Abt (Exarch) eines der beiden großen bulgarischen Klöster von Pliska (865) oder Preslav (893) war, wo er schon 893 als geübter Übersetzer aus dem Griechischen wirkte und neben Klemens von Ochrid zum bedeutendsten Vertreter der ersten Blütezeit der bulgarischen Kultur wurde. Da er den späteren Zaren Symeon in seiner Vorrede zum Hexaemeron noch als fcngza bezeichnet, muß er um 917/918 noch gelebt und gearbeitet haben. A. A. A l e k s e e v (S. 11—17) umreißt den Stand der Erforschung der ältesten slawischen Evangelienübersetzung. Dpr erste slawische Evangeliumtext war ein aus dem Griechischen übersetztes Aprakosevangelium, weshalb man die ältesten Texte mit dem griechischen Aprakos- und nicht mit dem griechischen Tetraevangelium vergleichen muß. Von den 4 680 überlieferten griechischen Evangelienhandschriften sind 1338 Aprakosevangelien, davon 60% vom kurzen, die anderen vom langen Typ. Von den 500 slawischen Evangelienhandschriften des I I . —15. J h . sind 50 kurze, 200 lange Aprakosevangelien und zehn Sonntagsaprakosevangelien. Zwischen den slawischen und den griechischen Aprakos- und Tetraevangelien gibt es verschiedene Beeinflussungsmöglichkeiten, was zu Textvarianten geführt hat, vor allem bei Einleitungsformeln, beim Pronominagebrauch und Synonymenschub, wobei die Aprakosvariante meist die ursprünglichere ist, was bei einem Versuch, den Text des ältesten slawischen Aprakosevangeliums zu rekonstruieren, berücksichtigt werden muß. M . A l t b a u e r (S. 19—29) beschreibt den altslawischen Cod. slav. Sinaiticum Nr. 39, wo auf 44 Blättern ein altrussisch-kirchenslawisches Praxapostulum enthalten ist, dessen Edition und sprachliche Analyse er vorbereitet, vergleicht eine der Perikopen (XII, 25—33) dieser Apostelgeschichte mit anderen Versionen und weist die besondere Redaktion des altslawischen Textes der Handschrift nach. A. E. N a u m o v (S. 231 bis 240) stellt Psalmenfragmente als alttestamentliche Zitate im Ostromir-Evangelium von 1056 zusammen, vergleicht sie mit den Textstellen anderer Evangelienhandschriften und demonstriert dabei seine Methode zur Erfassung und Beschreibung des kirchenslawischen Bibeltextes und der altslawischen Bibelhandschriften in einer Spezialkartei. O. A. K n j a z e v s k a j a (S. 157 —170) hebt die Bedeutung von fragmentarischen Handschriften für die Erforschung des alten Schrifttums hervor und beschreibt eine sechs Blätter umfassende altrussische Pergamenthandschrift (Cod. Kursk KO 20959), die ein liturgisches Fragment (Ustav) darstellt, im 12. Jh. im Novgoroder Gebiet abgeschrieben wurde und dem Ustav aus dem 12. —13. J h . der Novgoroder Sophienbibliothek (Cod. 1136) nahesteht, mit dem sie wahrscheinlich einmal ein Ganzes bildete. N. N. R o z o v (S. 307 — 313) untersucht Bedeutung und Tradition von Zusätzen und Anmerkungen russischer Buchschreiber des 11. —15. Jh., angefangen von der ältesten Eintragung des Upyr' Lichoj von 1047, über die Zusätze im Ostromir-Evangelium von 1056 und im Izbornik des Svjatoslav von 1

s. J . V i n t r , F. V. Mareä sexagenarius, nebst Schriftenverzeichnis, in: Wiener Slavistisches Jahrbuch 28 (1982), S. 145-168.

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1073 bis zu Bemerkungen der Schreiber von Handschriften des 15. Jh., wobei sich die anfänglich kurzen Bemerkungen in späterer Zeit zu echten Nachworten entwickeln, die sich in den russischen Frühdrucken des 16. und 17. J h . fortsetzen. G. B i r k f e l l n e r (S. 31—51) betrachtet die kirchenslawische apokryphe Literatur als Fortführung der byzantinischen apokryphen Literatur und nicht als volkstümliche nationale Antiliteratur. Einen besonderen Zweig bildet die bibliomantische Literatur, d. h. Buchweissagungen, zu der auch das sog. Gadanie Samuila gehört, das er nach einer 1646 geschriebenen, 1899 von M. I. Speranskij edierten Handschrift analysiert und kommentiert, wobei die Technik der Prophezeiung im Aufschlagen der jeweils linken Seite des Evangeliums oder des Psalters, im Ablesen des ersten Wortes der ersten bis vierten Zeile und im Anordnen der Zahlenwerte der Buchstaben in 16 Orakelzeichen besteht. Mehrere Beiträge sind Denkmälern des westkirchenslawischen Schrifttums gewidmet: H. B i r n b a u m (S. 53—65) umreißt in bewährt eindrucksvoller Manier die Problematik und den Umfang des westkirchenslawischen Schrifttums und betont die Rolle der lateinischen und althochdeutschen Komponente bei seiner Entstehung. Er unterwirft die Denkmäler, die in Mähren oder Böhmen entstanden sein sollen, einer kritischen Revision und setzt sich mit den Ansichten von H a m m , der einen extrem negativen Standpunkt einnimmt, und von Mareä, der positiv dazu steht, auseinander. Er warnt vor einer Überbewertung des Lokalisationsprinzips und plädiert f ü r den vorsichtigeren Begriff einer westkirchenslawischen Provenienz. V. K y a s (S. 179 — 183) untersucht die Bibelzitate in den Dialogen Gregors des Großen, deren altkirchenslawische Übersetzung in der zweiten Hälfte des 11. J h . in Böhmen entstand. In der Sprache der darin vorkommenden Bibelzitate macht sich der wachsende Einfluß des Alttschechischen bemerkbar, wobei K y a s eine frühe, mündlich tradierte alttschechische Evangelienübersetzung annimmt, was uns wenig wahrscheinlich erscheint. Der Textüberlieferung des gleichen Werkes, das auch „Römisches Paterikon" genannt wird, geht J . R e i n h a r t (S. 275—297) nach und konstatiert drei Versionen: Version A stellt die Übersetzung ins Altkirchenslawische mit archaischen, in die böhmische Periode weisenden Zügen dar, die nur in ostslawischen Handschriften aus dem 16. J h . bezeugt sind, die vermutlich auf einen Prototyp des 13. J h . zurückgehen und zu, denen auch die bisher wenig beachtete Handschrift aus dem Codex Öudovensis Nr. 20 (B1 294v—303v) zählt, deren textliche Besonderheiten er beschreibt. Von der Version A unterscheidet sich die gekürzte Prologversion C, während die Version B eine neue Übersetzung des Werkes ins Mittelbulgarische repräsentiert. V. T k a d l ö i k (S. 329—334) skizziert die Textgeschichte der Vita des hl. Wenzel (Vaclav), die in einer älteren, auf eine böhmische Vorlage zurückgehenden altrussischen Redaktion und in einer jüngeren kroatisch-glagolitischen Redaktion überliefert ist, und weist textliche Parallelen zur altkirchenslawischen Übersetzung von Gregors Dialogen nach, was den Schluß zuläßt, daß die Übersetzung der Dialoge und die Wenzel-Legende das Werk eines Verfassers sei, der in der 1. Hälfte des 10. J h . in Böhmen gelebt und Latein und Griechisch gekannt haben muß. A . A . T u r i l o v (S. 371—377) beschreibt eine bisher unbeachtete, aus dem 17. J h . stammende russisch-kirchenslawische Handschrift (GBL Cod. Vilan. Nr. 91) der Vita des hl. Wenzel u n d vergleicht sie mit der älteren, von Vostokov gefundenen und edierten Handschrift des 16. J h . (Cod. Rumjancov). Beide Handschriften gehören zum Bestand des Toriestvennik, einer Predigt- und Vitensammlung. Die neue Handschrift weist eine Reihe von unbedeutenden Textvarianten auf und bestätigt die Verbreitung dieser Redaktion des Werkes in Rußland seit dem 15. J h . G. W y t r z e n s (S. 425f.) betrachtet das kirchenslawische St. Wenzel-Offizium als ein frühes originalslawisches Denkmal der liturgischen Poesie, dessen syllabische Versstrukturen sich schwerlich rekonstruieren lassen, u n d f ü h r t zahlreiche Alliterationen, die sich um die Schlüsselbegriffe des Offiziums (svetb, pamqtb und prä,Licht', ,Gedenken', .Übermaß') ranken, als Beweis f ü r den artifiziellen Charakter des Werkes an. Auf das vieldiskutierte Problem der Datierung des Todes des hl. Wenzel (28. 9. 929 oder 935) geht R. T u r e k (S. 363—370) ein. Nach Darlegung des Forschungsstandes untersucht er den für die 2. Datierung wichtigen Text der Erwähnung von Wenzels Tod in der Sachsenchronik Widukinds von Corvey, analysiert die Verwendung des Temporaladverbs interea .inzwischen' bei Widukind und kommt zu dem Ergebnis, daß die betreffende Textstelle nicht als Beweis f ü r die Datierung von Wenzels Ermordung in das J a h r 935 gelten kann. L. M a t e j k a (S. 205—209) behandelt die Überlieferung der Legende vom hl. Veit (Vit), von der die älteste, wohl im 9. oder 10. J h . in Mähren entstandene Fassung in einer altrussischen Handschrift um 1200 im Codex Uspenskij und in einem Präger glagolitischen Fragment überliefert ist, während die zweite, jüngere Fassung im 13. —14. J h . bei den kroatischen Glagoliten entstand und f ü r das Breviarium bestimmt war und die dritte Fassung eine gekürzte Version der ersten Fassung f ü r den Prolog

K . GÜNTHER, Literae Slavicae Medii Aevi

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darstellt. Ch. H a n n i c k (S. 107 — 117) befaßt sich mit den zwei Blättern der sog. Prager glagolitischen Fragmente, resümiert die Forschungs- und Editionsgeschichte dieses wichtigen Denkmals, das im 11. J h . wahrscheinlich im Sazava-Kloster entstand u n d auf ein russisch-kirchenslawisches, kyrillisch geschriebenes liturgisches Werk zurückgeht. Das erste B l a t t e n t h ä l t zehn Exapostellaria f ü r verschiedene Feste des Osterzyklus u n d des Kirchenjahres, das ältere zweite B l a t t H y m n e n aus dem Offizium am Karfreitag nach byzantinischem Muster. Verf. würdigt die Handschrift als einen wertvollen frühen slawischen Rsflex der byzantinischen Hymnologie. J . V i n t r (S. 401—424) untersucht und ediert neu die alttschechischen Glossen zum lateinischen Psalter der Handschrift X I V D 13 des Nationalmuseums P r a g u n d stellt fest, daß die Glossen ursprünglich (im 13. Jh.) zu einem kommentierten Psalter gemacht u n d aus diesem in die Psalterhandschrift des 14. J h . übertragen wurden, was eine Berücksichtigung der damaligen lateinischen exegetischen Literatur erforderlich macht. P. T r o s t (S. 351—361) behandelt die 1482 niedergeschriebenen alttschechischen „Olmützer Erzählungen", eine Sammlung von 25 geistlichen Kurzgeschichten aus der spätmittelalterlichen religiösen Exemplaliteratur, u n d beschreibt den I n h a l t dieser Geschichten, die gattungsmäßig an der Grenze zwischen der mittelalterlichen religiösen Erbauungsliteratur und der neuen Renaissanceliteratur der Schwanke u n d Fazetien stehen, obwohl thematisch das mittelalterliche Element überwiegt. B. G r a b a r (S. 75—96) untersucht graphische und sprachliche Besonderheiten des aus dem 15. J h . stammenden, 1967 von H a m m edierten glagolitischen kommentierten Frasöic-Psalter vom byzantinischen Typ, der als ein wichtiges Denkmal des kroatisch-kirchenslawischen Schrifttums gilt. M. P a n t e l i c (S. 263—274) schreibt über melodische Archaismen in der Litanei des Osterzyklus in kroatisch-glagolitischen H a n d schriften. A. N a z o r (S. 241—252) erforscht das Vorkommen der kyrillischen Schrift in den H a n d schriften der kroatischen Glagoliten. B. V e l ö e v a (S. 399f.) bringt den glagolitischen Buchstaben (p mit Lautwert i mit der glagolitischen Majuskel v u n d dem griechischen Buchstaben v in Zusammenhang und erklärt die glagolitische Buchstabenfolge 90 (kyrillisch oy) als Kombination von gewendetem q> und o. J . T a n d a r i c (S. 321—327) untersucht die Entstehungsgeschichte u n d die Quellen des von D. A. Paröic 1893 herausgegebenen, in Kirchenslawisch abgefaßten Römischen Missale f ü r kirchliche Zwecke. D: T r i f u n o v i c (S. 347 — 350) charakterisiert die E n d zeit-Prophezeiung über die Migration der Serben a m E n d e des 17./Anfang des 18. J h . u n d ediert den kurzen Text. 15 Artikel sind sprachlichen Problemen gewidmet: H . G. L u n t (S. 185—204) resümiert die E t y mologie des Slawennamens, der sich bei einer Trennung in Wurzel u n d Suffix einer überzeugenden E r k l ä r u n g widersetzt, u n d interpretiert ihn unter Vorbehalt als substantiviertes Possessivadjektiv *slové>ih zu einem A d j e k t i v s t a m m *slovesn- (mit Wegfall von s u n d Längung von e) in der Bedeut u n g „ d e m Slowen (Ruhmreichen?) zugehörig". I n Anlehnung an Arbeiten von O. Pritsak erklärt er die relative Einheitlichkeit des Slawischen zur Zeit seiner ersten schriftlichen Fixierung als Auswirkung einer slawischen Koiné, die sich durch die Vereinigung (sog. pax) von Barbaren- u n d N o m a d e n s t ä m m e n in den Grenzlanden des römischen oder byzantinischen Reiches u n t e r den Awaren zwischen 500—750 herausbilden konnte, u n d f ü h r t die griechisch-lateinische Fremdbezeichnung *sklav- f ü r „Grenztruppen u n d -Siedlungen jenseits der D o n a u " auf ein turksprachiges W o r t mit der Bedeutung „bewachen, beschützen" zurück, aus dem mit slawischem Anlaut sldie ethnische Bezeichnung der Slawen entstehen konnte. Insgesamt ein Artikel mit kühnen, interessanten, aber auch zweifelhaften Hypothesen. Mit der Morphologie der slawischen Sprachen, besonders den Erscheinungen der Palatalisation, u n d ihrer Bedeutung f ü r die allgemeine Sprachwissenschaft befaßt sich J . H a m m (S. 97 — 106). G. H ö l z e r (S. 119 — 126) betrachtet die E n d u n g -y des slawischen Instr. PI. der harten o-Stämme, die aus idg. -öis entstanden sein soll, was lautgesetzlich slaw. -i ergeben m ü ß t e . Diese E n d u n g ist in älteren Texten des Serbokroatischen, selten auch des Slowenischen, Slowakischen und Russischen (im 16. —17. Jh.) belegt. I n den Pluralendungen (Nom., Akk., Instr.) wirkten Analogie- u n d Differenzierungstendenzen, die den ursprünglichen Zustand verwischten. Die H e r k u n f t der Instrumentalendung -y bleibt unklar. I . N é m e c (S. 253—261) geht den slawisch-baltischen Parallelen beim deverbativen F o r m a n s *-uljo-, slaw. -sib- nach, z. B. in kaieV „ H u s t e n " < aus *kas-^lb, vgl. lit. kosulys dass., u n d zeigt, d a ß dieses Suffix, das vermutlich durch Ausgliederung aus Onomatopoetika entstanden ist, im Westslawischen, besonders im Tschechischen, produktiv wurde u n d zu einer Reihe von deverbativen Bildungen geführt h a t , die auffallende Entsprechungen im Baltischen haben. F . K o p e ö n y (S. 171 — 178) erkennt onomatopoetischen (lallischen) Ursprung in einigen slawischen Verben des Sprechens, wie die Wurzel *rek-ti (-reib j -resti), das auf den Rülpslaut zurückgeht, der auch der

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Wurzel *w + Vokal + r> z - B. in den Verben oratb, revetb, rjuti zugrunde liegt; *mlv-iti mit onomatopoetischer Wurzel *m[lmi, wie in murmeln, murren u. a.; *gol-gol-a-ti, verwandt mit *gol-s-i> ,Stimme' und *kolkol-'b ,Glocke'; *govor-i-ti zu govor .dumpfer Lärm, Stimmengewirr', vgl. das dt. Murmelwort Rhabarber u. a. Nicht alle Verben des Sprechens lassen sich auf onomatopoetischer Grundlage erklären, wie z. B. tschech. povldat, pravit, dit, russ. CKa3aTb. V. N. T o p o r o v (S. 335—346) untersucht die wortartliche und semantische Ambiguität der urslawischen Wurzel *drz- (drbz-ldrbz-) ,kühn, dreist: wagen, sich erdreisten' und ihre Kollokabilität mit den Begriffen „Wort, Gedanke, T a t " und veranschaulicht ihren Reflex in Derivaten und Komposita des Slawischen, Griechischen und Altindischen. Im Mittelpunkt des Artikels von L. M o s z y ñ s k i ( S . 223 bis 230) stehen System und Bildungsweise der slawischen Benennungen der Wochentage, unter denen eine Entlehnung (sobota¡sobgta ,Samstag'), zwei Lehnübersetzungen (*nedölja ,Sonntag' nach dem Griechischen, *serda ,Mittwoch' nach dem Lateinischen) und vier Ableitungen sind („Montag" als der Tag nach dem Sonntag mit Präfix po- und verschiedenen Suffixen; „Dienstag, Donnerstag, Freitag" als der 2., 4. und 5. Tag, mit Suffixen von Zahlwörtern [CJrdinalia] abgeleitet). Das Ensemble der slawischen Wochentagsbezeichnungen ist nach seiner Ansicht die geniale Schöpfertat des Method, der es unter Auswahl sicher schon vorhandener Namen und in Anlehnung an den liturgischen Zyklus von Ostersonntag bis Pfingstsonntag schuf. St. U r b a ñ c z y k (S. 379 bis 383) gibt einen Überblick über die Wortbildung der altpolnischen Neutra (auf -o, -e, -e¿) nach Suffixen und nach semantischen Kategorien, darunter besonders Abstrakta auf -nie, -de, Deminutiva, Kollektiva, Orts- und Gerätebezeichnungen sowie Benennungen junger Lebewesen; wobei es sich insgesamt, verglichen mit der Wortbildung der Maskulina und Feminina, mit Ausnahme der Abstrakta um wenig oder nichtproduktive Ableitungen handelt. R.-P. R i t t e r (S. 299—305) betrachtet mit arealer Methode die Ableitungen mit dem Suffix -ina für Sprachbezeichnungen (iestina), eruiert als Kerngebiet das Tschechische, zeigt Parallelen im Ungarischen (magyarsäg), während sich solche Bildungen im orthodoxen slawischen Sprachgebiet der ost- und südslawischen Sprachen nicht nachweisen lassen, glaubt an eine Vermittlerrolle der Lingua latina, wobei die Bedeutungsentwicklung über „volkssprachliche Version einer lateinischen Vorlage" zu „Sprache" verlaufen sein könnte. G. H ü t t l - F o l t e r (S. 127—132) analysiert mit H3- präfigierte Verben und ihre substantivischen Ableitungen anhand der Belege in der Laurentiushandschrift der Nestorchronik, soweit es sich nicht um Verben der Bewegung oder um Verben der exhaustiven Aktionsart handelt, und kommt zu dem Ergebnis, das Wörter wie H3BecTHTH, H3rjiacHTH, HcnoBeflaTH, HCnpOCHTH, HCnMTaTH, HSßaBHTH, H36HTH, H3BOJIHTH, HCKyCHTH, HCIipaBHTH, IlCIJGJieTH U. a. als Kirchenslawismen zu werten sind. J. F e r r e l l (S. 73f.) erklärt die Endungsvarianz bei altrussischen Namen griechischen Ursprungs (/JaniiHJi, JJaHHHJio, J^aHHHJia) durch Diminutivformen auf -o, z. B. Marko, und durch Analogiewirkung von echt altrussischen Namen wie KypHJio, HypHJio, während die -o-Formen sekundär sind. J. R u s e k (S. 315—320) skizziert die Wortgeschichte des Balkanismus (bulg., skr., rumän., alb.) KaMHjia,Kamel' ( < griech. xa|xr)Xa, Augmentativ zux, das die gemeinslawische Bezeichnung des Kamels ist (aus got. ulbandus < griech. éX&pai;). A. M i n i e v a (S. 211—221) schreibt über die Konkurrenz zwischen Infinitiv und áa-Konstruktion in den ältesten kirchenslawischen Denkmälern im Vergleich zur griechischen Vorlage und schlußfolgert, daß die Polysemie des griechischen Infinitivs die slawischen Übersetzer zur sprachlichen Differenzierung zwang. R. K a t i é i ó (S. 133 — 141) erklärt die Sprachbezeichnung liburnice ,liburnisch' bei der Charakterisierung der Sprachenkenntnisse Kaiser Karls I V in der, Weltgeschichte', des Jacobus Philippus de Bergamo, erschienen 1506 in Venedig, als Kroatisch und aus der damaligen Sicht eines Italieners als Slawisch schlechthin, denn Karl I V sprach bezeugtermaßen nicht kroatisch, sondern tschechisch, und interpretiert verschiedene Belege für die Sprachenkenntnis und -politik Karls I V . H. K e i p e r t sieht in den Äußerungen des Nil Kurljatev zur zweiten Psalterübersetzung seines Lehrers Maxim Grek eine Polemik gegen den zweiten südslawischen Einfluß und wertet sie als ein frühes Dokument für übersetzungstheoretisches Denken und normatives Sprachbewußtsein im Rußland des 16. Jh. Angesichts dieser Tatsache wäre eine Übersetzung des betreffenden Textes wünschenswert gewesen, um diese sprachtheoretischen Reflexionen auch dem Nichtslawisten zugänglich zu machen. J. V a c h e k (S. 385 bis 398) behandelt konkrete Schwierigkeiten bei der Übersetzung der tschechischen Thesen der „Prager Schule" von 1929 ins Englische in den 70er und 80er Jahren. Wie diese knappe Übersicht über die Beiträge dieser Festschrift zeigt, erweist sie sich als eine wertvolle und inhaltsreiche Quelle neuer Erkenntnis über originär slawistische Themen. K. Günther

B. Seidel-Dreffke, Torojib. Mctophh h

coBpeMeimocTb

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ToroJib. Hctophh h eoBpeMeHHOCTb. K 175-JieTHio co ahh poM^ernin. Coct.: B. B. K o j k h h o b , E. H. OceTpoB, n . T. üajiaMapqyK. MaAaTejibCTBO CoBeTCKan Poccmh, MocKBa 1985, 496 S. Nach einem spürbaren Nachlassen der Gogol'-Forschung in den 60er und Anfang der 70er Jahre erlebte diese Ende der 70er und in den 80er Jahren einen neuen Aufschwung in der UdSSR. Dieser Vorgang steht sicher im Zusammenhang mit dem Gogol'-Jubiläum 1984, hat aber auch andere Gründe, die vor allem in der Vielfalt der Antworten liegen, die Gogol's Werk auf Fragen seiner Zeit hatte. Gogol's Werk ist nie einhellig gedeutet worden, er ist der „geheimnisvolle" Dichter, der uns immer wieder Rätsel aufgibt. Die Aufsatzsammlung macht den Versuch, Gogol' in historische Bezüge einzuordnen und die Aktualität seiner Fragestellungen erkennbar zu machen. Die Zahl der Aspekte, unter denen das Schaffen des Dichters betrachtet wird, ist so groß wie die Zahl der Autoren, die in die Sammlung aufgenommen wurden. Dennoch läßt sich eine gemeinsame Konzeption feststellen. Sehr prägnant charakterisierte diese V. V. K o i i n o v in seinem einleitenden Beitrag. Er weist darauf hin, daß der erstaunliche Radius sowie die Weitsicht von Gogol's künstlerischem Bewußtsein bis heute in der Forschung nicht genug beachtet wurden. Die besondere Größe Gogol's zeige sich nicht darin, daß sein Werk ein besonderer individueller Ausdruck allgemeiner sozialhistorischer Tendenzen sei. Die Individualität Gogol's selbst sei eine herausragende sozialhistorische Erscheinung, die nicht nur als Glied in der Entwicklung der Kunst, sondern der Menschheitsentwicklung überhaupt, als Glied in der Kette historischer Ereignisse anzusehen sei (S. 6). Methodologisch sei deshalb dem Sammelband die Aufgabe gestellt gewesen, sowohl den allgemeinen Ideengehalt des Werkes zu erfassen als auch den Sinn kleinster Details ins Licht zu rücken. Für alle Beiträge ist festzustellen, daß Gogol's Werk als eine Einheit betrachtet wird und kaum von einem Riß zwischen dem „frühen" und dem „späten" Gogol' die Rede ist. Außerdem sind die Analysen der zeitgenössischen Kritik zu Gogol' weitgehend in die Betrachtungen einbezogen, wobei die Rolle der demokratischen Kritik um Belinskij dominiert. Die verschiedenen Beiträge sind zu vier Abschnitten zusammengefaßt. Im ersten Abschnitt werden allgemeine Probleme des Gogol'schen Schaffens behandelt und sein Werk zur historischen Entwicklung der russischen und Weltliteratur in Bezug gesetzt. Nach einem einleitenden Beitrag über Gogol's Werk (V. R. Söerbina) stehen Beiträge, die Gogol's Verhältnis zu Vorgängern und Nachfolgern charakterisieren (S. V. Michalkov, B. I. Bursov, P. V. Palievskij, A. V. M i c h a j l o v , V. V. F e d o r o v , G. M. Friedländer). Hervorhebenswert scheint der Aufsatz „ r o r o j i b b C B o e f t j i H T e p a T y p H O f t anoxe" (A. V. M i c h a j l o v ) mit der These, daß Gogol' seine eigene Literaturepoche repräsentiere, die zu Ende ging, als der Realismus eine kühlere, skeptischere, eher analytische Sicht auf die Wirklichkeit herausbildete. Gogol' kennzeichne ein besonderes Verhältnis zur Wirklichkeit; er stelle das Ideal nicht der Wirklichkeit gegenüber, sondern suche dieses noch in den dunkelsten Tiefen derselben. Weiterhin bemerkt der Verfasser, daß Gogol' mit seiner geschichtlichen Epoche verwachsen sei, sein schöpferischer Geist aber sowohl Vergangenheit als auch Zukunft berühre. Das Interesse des Verfassers ruft der umstrittene, von V. G. Belinskij später sogar kategorisch abgelehnte Vergleich Gogol's mit Homer hervor. Wie Homer sei Gogol' eine Offenheit zum Sein, eine unendlich vertrauensvolle Haltung zu allem Existierenden als Element des Ganzen eigen. Michajlov stellt Gogol's Werk außerdem in die europäischen Literaturverhältnisse seiner Zeit und geht dabei besonders den Wirkungen deutscher Autoren auf Gogol' nach (E. T. A. Hoffmann), die dieser aber rasch überwand. S. G. Boßarov, Ju. V. Mann, V. M. Guminskij, A. P. Öudakov, N. N. Skatov, I. P. Zolotusskij, A. I. K a z i n c e v , N. A. Kazinceva geben im zweiten Teil der Sammlung eine Vielzahl von Werkinterpretationen (z. B.: „Hoc", „Tapac E y j i b ö a " , „PeBH3op", „OpaiiiHaH M e c T b " u. a.). Für jede dieser Analysen gilt, daß der Versuch eines erweiterten Zugangs gemacht wird und dabei veränderte Wertungen zustande kommen, die entweder als neuer positiver Zugriff zu sehen sind oder auch Widerspruch hervorrufen können. Hingewiesen sei auf den Beitrag „Abtop AByx iiobm" ( A . I. K a z i n c e v , N. A . Kazinceva). Hier wird das sonst als mißlungen angesehene und kaum beachtete Poem „Pam; KioxejibrapTeH" in einem neuen Licht betrachtet, werden objektive kulturgeschichtliche Gründe für seine seinerzeitige Ablehnung angeführt, die nicht etwa nur in der fehlenden Meisterschaft Gogol's zu sehen sind. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Poems sei die Epoche der „oprammecKaH KyjibTypa" (Puskin, Karamzin, 2ukovskij) vorbei gewesen. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts habe das Vordringen bürgerlicher Verhältnisse auch in die Literatur eine Kluft zwischen Autor

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u n d P u b l i k u m e n t s t e h e n lassen, das Interesse a n Personen u n d T y p e n , wie sie die L y r i k bisher beschrieb, sei verlorengegangen. Diese E n t w i c k l u n g h a b e a u c h d e n Ü b e r g a n g Gogol's von der L y r i k zur P r o s a determiniert, ohne d a ß jedoch dessen lyrische A u s d r u c k s f o r m völlig verschwand. Gogol' sei im G r u n d e Lyriker geblieben. Der dritte A b s c h n i t t e n t h ä l t eine Reihe gelungener Gegenüberstellungen von Gogol' u n d anderen Autoren der zeitgenössischen russischen L i t e r a t u r . E . I. O s e t r o v , V. I. G u s e v , V. I . S a c h a r o v , P. G. G o r e l o v , M. O. C u d a k o v a n e h m e n zu einzelnen P r o b l e m e n Stellung. Einiges scheint d a b e i aber doch zu weit gegriffen ( z . B . : direkter Textstellenvergleich des „ I g o r l i e d e s " m i t Gogol's Werken). — E i n e n b e a c h t e n s w e r t e n neuen G e s i c h t s p u n k t in die Gogol'-Bulgakov-Forschung bringt M. O. C u d a k o v a ein. Sie zeigt nicht n u r die literarische W i r k u n g Gogol's auf Bulgakov, sondern a u c h u n m i t t e l b a r e E i n w i r k u n g e n der Persönlichkeit Gogol's auf seinen Nachfolger. Bulgakovs „Meister"weise deutliche Beziehungen zu Gogol' a u f . Abschluß u n d Ausblick g i b t der vierte Teil des Buches m i t der A u f a r b e i t u n g neuer Ergebnisse v o n Archivalien (V. A. V o r o p a e v ) u n d einer Ü b e r s i c h t zu westeuropäischen G o g o l ' - I n t e r p r e t a t i o n e n (V. V. B i b i c h i n , R . A. G a l ' c e v a , I . B. R o d n j a n s k a j a ) . Hier wird klar, d a ß d a s Interesse a n Gogol's W e r k nicht n u r einen kleinen Kreis v o n L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t l e r n b e t r i f f t , sondern a u c h B e d e u t u n g f ü r allgemeine ideologische Polemiken h a t . — A n z u m e r k e n ist, d a ß die zu große Distanz zur Person Gogol's (die in der g e s a m t e n S a m m l u n g zu s p ü r e n ist), d a s noch u n g e n ü g e n d e Interesse a n seiner Schaffenspsychologie eine E i n e n g u n g b e d e u t e t u n d Nachteile s c h a f f t . Als n i c h t ausreichend e r l ä u t e r t erscheinen die „ B u ß p a H H u e MecTa H3 nepeiiHCKH c spyabHMH", deren I n t e r p r e t a t i o n einem erweiterten V e r s t ä n d n i s des Gogol'schen Werkes dienlich gewesen wäre. Dennoch ist diese B e i t r a g s s a m m l u n g ein weitreichender u n d e r n s t h a f t e r Versuch, Neues in die Diskussion einzubringen. A u f g e f o r d e r t wird z u m Dialog, u n d viele A n s a t z p u n k t e sind m a r k i e r t , u m Gogol's W e r k zuverlässiger u n d m i t e r h ö h t e n Ansprüchen zu erschließen. B.

Seidel-Dreffke

L. A M B E R G , Kirche, Liturgie und Frömmigkeit im Schaffen Ton N. V. Gogol' ( = Slavica Helvetica, B d . 24).Verlag P . L a n g AG, B e r n — F r a n k f u r t a. M . — N e w Y o r k — P a r i s 1986, 260 S. Eine kritische U n t e r s u c h u n g z u m T h e m a des Verf. ist ein seit längerem offenes Desiderat, a u c h wenn sie keineswegs erstmalig ist, wie S. 11 u n d U m s c h l a g t e x t a n g e b e n . P a u l E v d o k i m o v , Gogol et Dostoievsky ou la Descente a u x E n f e r s , P a r i s 1961 (Desclee De Brouwer) ist der religiösen P r o b l e m a t i k bei beiden D i c h t e r n u n d im gegenseitigen Vergleich nachgegangen. E s wäre interessant gewesen, A m b e r g s Urteil ü b e r diese Arbeit zu e r f a h r e n . I m Gegensatz zu einer gewissen religiösen E n t h u s i a s m i e r u n g E v d o k i m o v s bleibt A. seinem T h e m a gegenüber eher distanziert, was seiner Darstellung d u r c h a u s zugute k o m m t . I n der Einleitung (S. 10—23) gibt er R e c h e n s c h a f t über seine Arbeit u n d analysiert d a s Gogol'-Bild des 19. J a h r h u n d e r t s in der sowjetischen u n d deutschsprachigen F o r s c h u n g . I n der E n t f a l t u n g des Gegenstandes orientiert er sich n a c h d e n A u f e n t h a l t s o r t e n des D i c h t e r s : I . : U k r a i n e (S. 24—85), I I . : P e t e r s b u r g (S. 86 — 125), I I I . : R o m (S. 126—160, I V : R u s s l a n d (161—207), denen sich als H ö h e p u n k t des Ganzen V . : Die „Bet r a c h t u n g e n über die göttliche L i t u r g i e " (S. 208—252) sowie ein S c h l u ß w o r t u n d die reichhaltige Bibliographie anschließen. Ziel der U n t e r s u c h u n g „ist die möglichst vollständige E r f a s s u n g des religiösen u n d kirchlichen M o t i v s " (S. 22), d e r a r t , d a ß sie partienweise in eine M o t i v s t a t i s t i k einm ü n d e t , die aber n o t w e n d i g ist u n d d u r c h die der Leser sich h i n d u r c h a r b e i t e n m u ß . E r wird d a n n auch „erzählerische u n d semantische F u n k t i o n e n , Q u e r v e r b i n d u n g e n lind E n t w i c k l u n g e n " (ebendort) im G e s a m t w e r k Gogol's u n t e r d e m angegebenen G e n e r a l t h e m a v e r s t e h e n . A.s Absicht, Gogol's „künstlerisches u n d weltanschauliches Selbstverständnis a n einem seiner künstlerischen Motive gleichsam werk- u n d , a u t o r e n i m m a n e n t ' zu e r l ä u t e r n " (S. 21), h a t d e n Vorteil, problemu n f r u c h t b a r e I d e n t i f i k a t i o n e n zu u m g e h e n (wie sie n i c h t selten gerade bei religiösen W e r k i n t e r p r e t a t i o n e n a n z u t r e f f e n sind) u n d m i t Hilfe v o n negativen u n d a f f i r m a t i v e n Analogien zwischen intelligiblen P r o t o t y p e n u n d ihren fiktionalen Abbildern d e n I n t e n t i o n e n des D i c h t e r s zu e n t sprechen. N u r dort, wo sich die „ S t a t i s t i k " im I . u n d I I . Teil partienweise v e r d i c h t e t , e n t f e r n t sich der Verf. v o n seinen Zielen, u m m i t ihnen in Teil I I I , I V u n d V wieder ü b e r e i n z u s t i m m e n . I n diesem Z u s a m m e n h a n g bereitet das K a p i t e l „ D e r Historienmaler I v a n o v " (S. 156 —160) insofern

W.IZEIL, Serbska swajzba W Blotach

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eine leise Enttäuschung, als sich A. die Gelegenheit entgehen läßt, in dieser Begegnung eine der Wurzeln f ü r die religiöse Krise des Dichters aufzudecken. Alpatovs in diesem Zusammenhang zu nennendes Werk wird denn auch im Literaturverzeichnis angeführt, ohne es im erwähnten" Sinne ganz auszuschöpfen. I m Anschluß an F. v. Lilienfeld, wenn auch keineswegs in Abhängigkeit von. ihr, ist Teil V über Gogol's „Betrachtungen über die göttliche Liturgie" entworfen und ausgearbeitet. A.s Auffassung der „ .Betrachtungen' als Kontrast u n d Ergänzung zum künstlerischen W e r k " (S. 235—252) bestätigt m. E . überzeugend die Richtigkeit des Grundkonzeptes von den jeweils negativen und zugleich affirmativen Interpretationsmöglichkeiten „je zweier Realitätsebenen, einer sichtbaren, durch Anschauung direkt erfaßbaren, und einer unsichtbaren oder zumindest versteckten, welche Gegenstand hoffnungsvoller Erwartung und Ergebnis geistiger Anstrengung ist" (S. 235). Verf. kommt hier Florenskijs These vom „kultischen Handeln als Synthese der K ü n s t e " sehr nahe. — Auf die Frage, ob Gogol' das Werk seines bedeutenden Landsmanns Skovoroda gekannt hat, gibt A. keine Auskunft. Im Literaturverzeichnis fehlt: Wolfgang Kasack, Die Technik der Personendarstellung bei Nikolaj Vasilevic Gogol, Wiesbaden 1957. — Die Untersuchung Ambergs scheint mir allgemeiner Beachtung wert. Sie arbeitet nicht mit den üblichen traditionellen Affirmationen, sondern bevorzugt — um Niklas Luhmann zu zitieren — „eine distanziertere Begrifflichkeit, die auf Anschlüsse nach außen, auf vielseitige Verwendbarkeit der Begriffe und auf Import von Theorieerfahrungen aus anderen Gegenstandsbereichen Wert legt" (Punktion der Religion, Frankfurt/M. 1982, S. 10). Auch wenn Verf. dieser Intention nicht immer gerecht geworden ist, hinter ihn zurück dürfte eine religiöse Interpretation der Werke Gogol's (und nicht nur dieser) kaum noch möglich sein. K. Onasch

M, KQSYK, Serbska swajiba w Blotach. Die wendische (sorbische) Hochzeit im Spreewald. 2ywjenske tsojenja. Biographische Bilder (Auswahl tind Bearbeitung von Petä J a n a s ; deutsche Nachdichtung von Albert Wawrik; Biographische Bilder von Prido Metäk, deutsch von Lora Kowarjowa). Serbski wucabnikojski wustaw „Karlo J a n a k " , BudySyn 1986, 108 S.

Prido Metsk, aus dessen Feder die informativen „Biographischen Bilder" stammen, gehört zu den besten Kennern der niedersorbischen Literatur. Das hat er mit mehreren grundlegenden Publikationen bewiesen. Besondere Verdienste h a t er sich um die Erforschung von Leben und Werk des Klassikers der niedersorbischen Literatur Mato Kosyk (1853 — 1940) erworben 1 . I n ' d i e der vorliegenden Ausgabe beigefügten „Biographischen Bilder" sind Ergebnisse langer intensiver Kosyk-Studien eingeflossen, die F. Metsk mit profunder Kenntnis des historischen Umfeldes in weiten Zusammenhängen betrieben hat, deren Krönung eine umfassende Biographie des niedersorbischen Dichters und Patrioten Kosyk sein soll. Mit ihr würde Metäk, der wie' kein anderer für diese Aufgabe prädestiniert ist, ein Desiderat der Sorabistik erfüllen. Freilich wird ein solches Unternehmen dadurch erschwert, daß Kosyk von 1883 bis zu seinem Tode in den USA gelebt h a t und wo er auch als Dichter tätig gewesen ist, dem die K o n t a k t e zu seiner sorbischen Heimat u n d zu führenden Vertretern des sorbischen Geisteslebens zustatten kamen. In diesem Zusammenhang geht man wohl auch nicht fehl in der Annahme, daß uns noch nicht alle Dichtungen dieses Vertreters der niedersorbischen Literatur bekannt sind. Mit dem erstmals 1880 im Selbstverlag herausgegebenen Werk „Die wendische (sorbische) Hochzeit im Spreewald", das anläßlich des 40jährigen Bestehens des Sorbischen Instituts f ü r Lehrerbildung „Karlo J a n a k " in Bautzen in der vorliegenden gekürzten und bearbeiteten niedersorbisohen Fassung mit deutscher Nachdichtung und zahlreichen Illustrationen erschienen ist, h a t sich Kosyk einen Namen gemacht. Es ist in die Geschichte der niedersorbischen Literatur als einer ihrer Höhepunkte eingegangen. Kosyk hoffte zuversichtlich, wie er am 18. Februar 1880 Michal Hörnik mitteilte, diese große epische Dichtung „werde dem Volke gefallen, da sie den überwiegenden Teil jetziger Bräuche e n t h ä l t " (S. 90). Er hat sich nicht geirrt.

1

vgl. P. M S t S k , Kosyk, Mato, in: Nowy biografiski slownik k stawiznam a kulturje Serbow, BudySin 1984, S. 275—277 (mit weiterer Literatur).

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Z. Slaw. 34 (1989) 1

Aus Anlaß des 75. Geburtstages des Dichters 1928, der im Zeichen einer Kosyk-Renaissance stand, gedachte Mina Witkojc, Redakteurin der niedersorbischen Zeitschrift Casnik, Kosyks, „der u t s in seinem langen Leben mit den schönsten Geistesgaben beschenkte u n d noch in reichem Maße beschenkt, obgleich er n u n schon fast 45 J a h r e weit von uns entfernt lebt". Sie würdigte ihn als den größten niedersorbischen Dichter, dessen sorbische Dichtungen den Menschen sehr gefallen haben u n d Verbreitung fanden. Als sein schönstes Werk bezeichnete sie mit R e c h t sein Epos über die sorbische Hochzeit im Spreewald (S. 104). Der sorbische Wissenschaftler Krescan Bohuwer P f u i n a n n t e das Epos Kosyks ein „lebensvolles plastisches Abbild einer sorbischen Hochzeit in der Niederlausitz, das sich jeder vergleichbaren Schrift ebenbürtig zur Seite stellen k a n n " (S. 90). Auch die beiden deutschen Publizisten u n d Übersetzer Georg A d a m und Georg Sauerwein, die den Slawen, besonders den slawischen Minderheiten im deutschen Kaiserreich, sehr freundlich gesinnt waren, schätzten die Dichtung Kosyks hoch ein. Adam begeisterte sich f ü r diese „lieblichen, mit inniger W ä r m e ausgeführten Bildchen aus dem Leben der wendischen Bauern" 2 , u n d Sauerwein würdigte sie als einen sehr wertvollen Beitrag zur sorbischen Literatur. E r war davon überzeugt, daß Kosyk auf dem weiten Felde, das er beherrschte, „Großes vollbringen könnte, so Großes, daß es alles, was jetzt niedersorbisch geschrieben wird, in den Schatten stellen w ü r d e " (S. 90). Man kann der Meinung Metäks beipflichten, daß Kosyks Meisterwerk „Die wendische (sorbische) Hochzeit im Spreewald", dessen Druck der Dichter aus eigenen Ersparnissen finanziert h a t t e , „eine Enzyklopädie des sorbischen dörflichen Lebens" sei, „einen fortschrittlichen, weil auch kritischen Charakter u n d einen tiefen nationalen Gehalt" habe (S. 90). I n der T a t h a t es in der damaligen sorbischen Literatur nicht seinesgleichen gegeben. Die vorliegende reich illustrierte Ausgabe in niedersorbischer und deutscher Sprache ist sehr zu begrüßen. Sie wird dem Werk Kosyks neue Freunde gewinnen. I n den beigefügten „Biographischen Bildern" zeichnet Metäk ein anschauliches u n d beeindrukkendes Bild vom Leben Kosyks u n d von den ihn prägenden Einflüssen und würdigt das Werk des Dichters, aus dessen Feder auch die aus der sorbischen Literatur herausragende, unvergleichliche historische Trilogie „Der Sorben Heldenahnen Leiden u n d L o b " sowie Lyrik u n d Kurzepik stammen, in der Metäk „eine klare Abgrenzung sowohl zur n a t u r h a f t e n Einfachheit der Zejlerschen Lyrik als auch zum erhabenen Flug Öiäinskis in die Höhen des literarischen P a r n a ß " feststellt (S. 91). Besondere Verdienste um die Herausgabe der gesammelten Schriften Kosyks h a t sich Bogumil Swjela erworben, der 1924 in der von dem „Arbeitskreis sorbischer Schriftsteller" herausgebenen Editionsreihe „ D o m a swet" den zweiten B a n d der gesamten Werke Kosyks herausbrachte, deren erster B a n d f ü r das Epos über die sorbische Hochzeit im Spreewald reserviert war. Das P r o j e k t der Gesamtausgabe konnte in den J a h r e n 1929 und 1930 mit zwei Gedichtbänden weitergeführt werden. E s blieb aber unvollendet. Metäk weist auch auf den Anteil Kosyks an der nationalkulturellen Bewegung der Sorben in der Niederlausitz hin, die sich parallel zur jungsorbischen Bewegung in der Oberlausitz in der zweiten Hälfte der 70er J a h r e des 19. J h . entwickelte. Mehrere Abschnitte seiner „Biographischen Bilder" widmete Metäk dem Leben u n d Wirken Kosyks in den USA, von wo aus er K o n t a k t e zu seiner sorbischen H e i m a t unterhielt, die ihm Ansporn zu dichterischem Schaffen u n d Informationsquelle waren. Davon zeugen seine Briefe an Swjela aus den J a h r e n 1892 bis 1895. Die Liebe zu seinem Volk u n d zu seiner Heimat veranlaßten Kosyk, an eine Rückkehr in die Lausitz zu denken. Seine Hoffnung auf eine Rückwanderung erfüllte sich nicht. E r blieb und starb in Amerika. Metäk leuchtet auf wenigen Seiten aus profunder Kenntnis der Tatsachen u n d Zusammenhänge tief in das Leben u n d Schaffen des Dichters Kosyk hinein, dessen dichterisches Werk er dem Leser in seiner Bedeutung und Wirksamkeit näher bringt. Darüber hinaus m a c h t er ihn mit dem Menschen Kosyk bekannt, mit dem Pfarrer, dem F a r m e r , dem christlichen H u m a n i s t e n , dem F r e u n d der Indianer u n d dem sorbischen Patrioten, der, wie Mina Witkojc 1928 schrieb, „ i n der Ferne seine Heimat wert behalten" h a t (S. 104). Die Kosyk-Forschung, in deren Geschichte sich Metäk einen festen Platz gesichert hat, ist m i t dieser Ausgabe um eine Arbeit reicher, die sich an einen breiten Interessentenkreis wendet. W.

2

G. A d a m , Die wendische Renaissance, in: Das Litterarische Echo 2, 1900, Sp. 1558 — 1562.

Zeil

K . MÜLLER, O. Spengler und W. E . Groeger über russische Literatur

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Der Briefwechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. Groeger über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen. Herausgegeben von Xenia W e r n e r . Helmut Buske Verlag, Hamburg 1987, 119 S. u. zahlreiche Abb. Wolfgang Eduard Groeger (1882 — 1950) erwarb sich als Übersetzer u n d Nachdichter klassischer wie zeitgenössischer russischer Autoren und als Herausgeber zumeist russischer Literatur in den 20er wie 30er J a h r e n in Berlin, wo er sich, aus Moskau über Riga, seiner Geburtsstadt, kommend, im J a h r e 1920 niederließ, großes Ansehen 1 . Es sind allein etwa 50 Buchausgaben, in denen Groeger seine Übertragungen von Puäkin, Dostoevskij, A. Tolstoj, Siäkov, Kallinikov, ßrenburg, Ol'ga Forfi, Brjusov, Bal'mont sowie Bulgakov u. a. präsentiert. Beachtenswert bleibt seine Buchreihe „Die russische Revolution im Spiegel der Dichtung" 2 . Sein nachhaltiges Engagement f ü r die sowjetische Literatur veranlaßte die deutschen Faschisten, ihn aus dem deutschen Kulturleben zu verdrängen. U m die Mitte der 20er J a h r e entstanden seine deutschen Bylinen-Übertragungen, die eben jüngst erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt 3 , doch damals aus bisher unerforschten Gründen nicht gedruckt worden sind 4 . Es ist der Philosoph und Kulturhistoriker Oswald Spengler (1880 — 1936), der nicht nur für die Drucklegung der Groegerschen Bylinen-Übersetzungen bei Oscar Beck, dessen besonderer Gunst er sich erfreuen durfte, Fürsprache einlegte (am 17. November 1923 wurde mit der C. H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung ein entsprechender Vertrag geschlossen), sondern der im Gedankenaustausch mit dem Übersetzer neben anderen 5 auch dieses Projekt förderte. Der Briefwechsel zwischen Spengler und Groeger, der hier erstmals vorgelegt wird — ein Teil von Groegers unveröffentlichtem Nachlaß, in der bisher erschienenen Auswahl von Spenglers Korrespondenz nicht enthalten —, umfaßt 15 Briefe, davon 9 Briefe an Spengler sowie 6, zumeist kürzere, von Spengler an Groeger. Dem Briefwechsel ist ein ausführlicher, sehr aufschlußreicher Kommentar beigefügt. Das Bändchen enthält ferner 29 Abbildungen, darunter elf Illustrationen des Malers wie Bildhauers V. N. Masjutin (1884—1955) sowie ein Verzeichnis der Namen und literarischen Werke. Eingeleitet ist die Ausgabe durch eine Würdigung des Lebens und Schaffens Grögers sowie durch eine umsichtige Schilderung des Verhältnisses von Spengler zur russischen Kultur sowie seines Einflusses auf Russen (u. a. auf B. A. Pil'njak, O. E. Mandel'stam 6 , A. N. Tolstoj) zu Beginn der 20er Jahre. Vorliegendes Buch ist ein sehr interessanter Beitrag zur Wechselseitigkeit jener Zeit. K. Müller 1

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vgl. zudem bes. M. B a a d e in: ZfSl 9 (1964), S. 175 —195; X. W e r n e r in: Wiener Slavistisches Jahrbuch 30 (1984), S. 155 — 166; d i e s , in: Anzeiger für slavische Philologie 15/16 (1984/1985), S. 205—209; jüngst auch in: Russen in Berlin. Literatur — Malerei — Theater — Film. 1918 bis 1933. Hg. von F. M i e r a u , Lpz. 1987, S. 262, 578 und 582. Berlin seit 1925; in der Romanreihe sind bis 1932 erschienen: I. N a s c h i w i n , Rasputin; W. S c h i s c h k o w , Der schwarze Reiter; I. N a s c h i w i n , Stepan Rasin; O. F o r s c h , I n Stein gehüllt; Die Frau im heutigen R u ß l a n d ; Das Kind am Kreuz; Zwischen Gestern und Morgen; Zwei Frauen: Die Gräfin Tolstoi und Frau Dostojewski (Novellenbde.) (vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das J a h r 1932: 46, Berlin —Leipzig 1932, Sp. 460). IIja und der Räuber Nachtigall. Bylinen. Aus dem Russischen ausgewählt und nachgedichtet von W. E. G r ö g e r . Mit einem Nachwort von N. R a n d o w und X. W e r n e r , Lpz. 1986; vgl. dazu Rez. in: „Neue Zeit", Nr. 81 vom 6. April 1987 (43. Jg., Ausgabe A), S. 4. Möglicherweise war der neue Verlagsleiter Dr. Heinrich Beck, Sohn des 1924 verstorbenen Oscar Beck, solcher Thematik gegenüber weniger zugetan (vgl. S. 25). Spengler setzt sich bei Beck f ü r die Verlegung der von Gröger besorgten deutschen Übersetzung von N. B e r d j a e v s Werk „MwpocoaepijaHHe flocroeBCKoro" ein, das 1925 in München unter dem Titel „Die Weltanschauung Dostojewskijs" erschien. Stellenweise namentlich f ü h r t M a n d e l ' ä t a m Spengler in seinem Werk „Gespräch über D a n t e " (Deutsch von N. R a n d o w ) , Leipzig und Weimar 1984, a n ; vgl. dazu Rez. in: „Neue Zeit", Nr. 244 vom 15. Oktober 1984 (40. Jg., Ausgabe A), S. 4.

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Z. Slaw. 34 (1989) 1

Prignitz-Kataster 1686—1687. Hrsg. von W. Vogel ( = Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 92), Böhlau Verlag, Köln Wien 1985, 482 S. Es ist sehr zu begrüßen, daß mit dem Prignitz-Kataster von 1686/1687 eine weitere Quelle zur brandenburgischen Geschichte zugänglich gemacht wurde. Die 1925 gegründete Historische Kommission f ü r die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin h a t t e es sich zur Aufgabe gemacht, brandenburgische Landbücher in einer Reihe zu veröffentlichen. Es sind jedoch nur „Das Landregister der Herrschaft Sorau von 1381" (Bd. 1, 1936) und „Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375" (Bd. 2, 1940) erschienen, beide bearbeitet und herausgegeben von J . Schultze. Erst 1976 konnte das „Landbuch des Klosters Zinna 1471 — 1480 und 1566 — 1568" veröffentlicht werden, bearbeitet von W. Ribbe und J . Schultze. In diese Reihe stellt der Herausgeber auch das Prignitz-Kataster. Es ist insofern eine wichtige Quelle, da es für ein geschlossenes Gebiet im Nordosten Brandenburgs „Aufschluß über den wirtschaftlichen, sozialen und bevölkerungsmäßigen Zustand des Landes" nach der schweren Kriegs- und Nachkriegszeit bietet. „Mit seinen genauen Angaben über die Namen der Einwohner, ob besetzte, wüste, neubesiedelte oder mitgenutzte Hofstellen gewährt das Kataster gleichermaßen siedlungs- wie sprachgeschichtliche Aufschlüsse." Dieses Kataster diente dem Landesfürsten als Grundlage f ü r die Einziehung der Kontributionsgelder. Es besteht aus zwei Bänden mit jeweils kurzen Vorbemerkungen, aus denen hervorgeht, daß die Aufnahme nach einer Verordnung des Kurfürsten vom 29. Oktober 1685 erfolgte. Diese Aufnahme wurde in der Zeit von Mai 1686 bis Februar 1687 durchgeführt, und zwar von zwei Kommissionen, die in jeden der 7 prignitzschen Kreise gingen und in den Dörfern die Ältesten vereidigten und von ihnen Auskunft über die besetzten und wüsten Höfe, Hufen, Acker, Winter- und Sommeraussaat, Weiden, Viehzucht, Fischerei u. a. m. erhielten. Nach Überprüfung dieser Angaben wurde dann das Kataster angefertigt. ' Das Original wird im Geheimen Staatsarchiv aufbewahrt (Archivsignatur Pr. Br. Rep. 6A Nr. 2a, b ; eine Kopie liegt als Mikrofilm unter der gleichen Signatur im Staatsarchiv Potsdam); es besteht aus 2 Bänden. I m 1. Bd. sind die alten Kreise Perleberg, Pritzwalk, Wittstock/Zechlin erfaßt, in Bd. 2 Lenzen, Kyritz, Havelberg, Plattenburg. Die Seitenzählung beginnt f ü r jeden Kreis neu; so wurde durch die Veröffentlichung (mit fortlaufender Seitenzählung) die Quellenangabe erleichtert. Der Wiedergabe des Textes des Catastrum Revisorium sind vom Herausgeber ein Vorwort,^ eine Einleitung (S. 1 — 13) sowie Bemerkungen zur Textgestaltung (S. 13 — 14) und ein Abkürzungsverzeichnis (S. 14) vorangestellt. Sehr wichtig und hilfreich für den Zugang zum Kataster ist das am Schluß des Buches (S. 439—482) befindliche Register. In der Einleitung wird zuerst ein Überblick über die historische Situation der Prignitz im 17. J h . gegeben. Daran schließen sich Angaben über die Verwaltungsstruktur in dieser Zeit, wonach es in der Prignitz sieben Unterkreise (Distrikte) gab. Auf den mittelmärkischen Kreistagen wurden diese jedoch als geschlossener Kreis durch einen Kreisdirektor vertreten. Perleberg galt als H a u p t o r t der Prignitz. — Auch die Anlage des Katasters wird dargelegt, worauf die ausführliche Beschreibung der Handschrift mit einer kurzen Erläuterung des Aufbaus der für jeden Ort vorgenommenen Eintragungen folgt. Den Schluß der Einleitung bilden einige „Bemerkungen sprachlicher A r t " und „Beobachtungen inhaltlicher A r t " . Sie dienen dem besseren Verständnis der Orthographie und der im Kataster nicht immer eindeutig verwendeten Begriffe, wie Hüfner, Halbhüfner, Kossäten, Einlieger usw., sowie der hier auftauchenden Maßeinheiten. Auf die Bedeutung des Prignitz-Katasters für wirtschafts- und sozialgeschichtliche, auch genealogische Forschungen ist wiederholt hingewiesen worden 1 . I m folgenden soll gezeigt werden, daß das Kataster auch f ü r namenkundliche Untersuchungen reichhaltiges und aufschlußreiches Material bietet. Die zahlreichen dort aufgeführten Personen-, Orts-, Flur- und Gewässernamen werden häufig in der mundartlichen Form genannt, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß die Angaben vor Ort von Eingesessenen gemacht worden sind. Selbst die den Ortsbeschreibungen als Uberschrift vorangestellten Ortsnamen zeigen des öfteren eine der Mundart nahe Form, z. B. Schmoll für Schmolde (S. 174) mit Assimilation von ld > II und e-Apokope, die sich auch bei 1

J . A. B e n d i x e n , Verlagerung und Strukturwandel ländlicher Siedlungen, Kiel 1937, S. 18; J . S c h u l t z e , Die Prignitz. Aus der Geschichte einer märkischen Landschaft, Köln, Graz 1956, S. 2 0 9 - 2 1 2 .

S. Waubb, Prignitz-Kataster 1686—1687

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Fröhn (S. 214) f ü r Frehne (mit gerundetem e), bei Kleest (S. 55) f ü r Kleeste zeigt. Assimiliertes II < Id erscheint auch bei Ellenburg (S. 319) neben dem N a m e n der Eide als Elle (S. 286) sowie bei Kaltenhof, das als Kohlenhave (S. 114), Ktdlenhave (S. 123) genannt wird. Hier findet sich die auch sonst manchmal a u f t r e t e n d e Schreibung mit a f ü r im Mittelniederdeutschen in offener Silbe gedehntes o (p). Bei Wetzien (S. 69) f ü r Wertzin wird, dem Schwund des r vor stimmlosen Konson a n t e n in der Mundart entsprechend, kein r verzeichnet. Auch die Namensformen Mescho (S. 110) f ü r Mesekow, Sagst (S. 38) f ü r Sagast und Wotke (S. 333) f ü r Wutike geben die noch vor k u r z e m zu hörenden Mundartformen mesö, zggst u n d vötlc wieder. Interessant sind die Schreibungen der Ortsnamen Kolrep als Kohlreip (S. 157) u n d Porep als Poreip (S. 34) mit einem Diphthong. I n Porep wird auch ein Jochim Keijatz (Gf. altpolab. *KyjaS, zu *kyj ,Stock') aufgeführt. Es scheint sich u m dieselbe Person zu handeln, die bereits im Landreiterbericht von 1652 2 als „ J o c h i m Keynz, [?] daselbst bürtig, 30 J a h r " erwähnt wird. Der in diesen Namen enthaltene Diphthong läßt sich nicht aus der niederdeutschen M u n d a r t erklären. E r geht auf ein altpolabisches *y zurück, das in diesem Gebiet, ähnlich wie im Drawehnopolabischen, eine Diphthongierung erfahren h a t , was auf einen relativ langen Bestand der slawischen Sprache hinweist 3 . Bei der Betrachtung der im K a t a s t e r in einer Ortschaft aufgeführten Personennamen ist ein Vergleich mit dem oben erwähnten Landreiterbericht insofern interessant, als in diesem die H e r k u n f t der im Dreißigjährigen Krieg stark dezimierten Bewohner angegeben wird. Durch diesen Vergleich kann mit ziemlicher Sicherheit erschlossen werden, ob es sich u m einen einheimischen N a m e n — wie z. B. bei dem bereits erwähnten Jochim Keijatz — handelt oder nicht. Zu ihnen gehören auch die Personennamen slawischer H e r k u n f t wie Milatz, Kaiatz, Jänicke,'Jancke u. ä., ferner Schleveke und die zahlreichen Wendt. U n t e r den im K a t a s t e r aufgeführten Personennamen finden sich auch viele H e r k u n f t s n a m e n nach Orten, die in der Prignitz oder in ihrer unmittelbaren Nähe liegen, so z. B. Below, Bochin, Boddin, Bölzke, Breddin, Olinicke, Granzow, Halenbeck, Jabel, Struvensee, Kolebow. Sehr häufig ist auch der Name Kuhblank. Interessant ist das A u f t r e t e n der P N Nemer in Sadenbeck, Rump in Alt Krüssow, Budde u n d Tanke in Meyenburg, die in den Ortsnamen Niemerlang, Rumshagen, Buddenhagen u n d Tangendorf anzusetzen sind. Ein direkter Zusammenhang bleibt natürlich rein spekulativ. F ü r den Namenforscher ist von Bedeutung, daß neben den Namen bestehender Orte auch Wüstungsnamen Erwähnung finden, einmal, wenn die wüsten Feldmarken vom N a c h b a r o r t m i t bewirtschaftet wurden, oder auch, wenn der Name in einem Flurnamen weiterlebt. Z. B. e n t h ä l t der F l u r n a m e Sehlischer Acker, zu Pröttlin gehörig (S. 290), den N a m e n der Wüstung Sehlen, die noch einmal als „Holtz, Sehlen g e n a n d t " (S. 285) bei Krinitz erwähnt wird, was f ü r den späteren N a m e n des wiederaufgebauten Ortes Holdseelen aufschlußreich ist. U n t e r Reckenzin findet sich (S. 298) ein direkter Hinweis auf eine W ü s t u n g : „ h a t etwas L a n d von der wüesten Stelle oder F e l d m a r k Lehmkuel". Desgleichen werden die von Reckenthin aus (S. 207) bewirtschafteten Teile der wüsten Feldmark Klenzendorf ( „ a u f f m Klintzendorfschen" [Felde]) direkt aufgelistet. Auf die vom Herausgeber in der Einleitung erwähnten Schwierigkeiten beim E n t ziffern der Handschrift ist wohl zurückzuführen, daß die u n t e r Mertensdorf (S. 218) a u f g e f ü h r t e n N a m e n der Wüstungen Lübbersdorf u n d Silmersdorf (gelesen als Eipperstorf — besser Lipperstorf4 — u n d Söllnersdorf) nicht als solche im Register identifiziert worden sind. Man vermißt dort auch eine konsequente Differenzierung gleichnamiger Orte durch lokalisierende Zusätze, wie sie wohl bei Grabow bei Pritzwalk u n d Grabow bei Kyritz (S. 450), auch bei Buchholz bei Perleberg u n d bei Pritzwalk (S. 443) erscheint. Bei Lehmkuhl (S. 460) u n d Wolfsdorf (S. 481) ist eine Zuordnung der verschiedenen Erwähnungen nicht erfolgt. Die u n t e r Lehmkuhl aufgeführten Seitenzahlen 292 u n d 298 sind auf die Wüstung Lehmkuhl bei Lenzen und 376 sowie 415 auf LehmkuhlAnberg) bei Havelberg zu beziehen, desgleichen die u n t e r Wolfsdorf (Wolfersdorff, -torff) verzeichnete Seitenangabe 72 auf die W ü s t u n g Wolfsdorf bei Retzien u n d die Seiten 230 und 248 auf Wulfersdorf bei Wittstock. Anzumerken ist noch, daß die Gewässernamen Eide (Elle S. 286) u n d

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Die Prignitz u n d ihre Bevölkerung nach dem 30jährigen Kriege. Auf Grund des Landesvisitationsprotokolls von 1652 bearbeitet von J . S c h u l t z e , Perleberg 1928, S. 57. vgl. S. W a u e r , Reflexe der drawehnopolabischen Diphthonge in den N a m e n der Prignitz, i n : ZfSl 30 (1985), S. 8 4 5 - 8 5 0 . vgl. Historisches Ortslexikon von Brandenburg, Teil I Prignitz, bearbeitet von L. E n d e r s , Weimar 1970, S. 231.

S . WATJER, P r i g n i t z - K a t a s t e r 1686 — 1687

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Scheidtgraben (S. 428) im Register fehlen, durch welches dem Namenforscher ansonsten ein umfangreiches u n d mit großer Sorgfalt erfaßtes Orts-, Personen-, Flur- u n d Gewässernamenmaterial aus dem 17. J h . zugänglich gemacht wird. S. Wauer

A u t o r e n und Mitarbeiter dieses Heftes: BRIGITTE B A R T S C H A T , Dr. sc. phil.; Weißdornstr. 86, Leipzig, 7062. J O S Y P O L E K S I J O V Y C D Z E N D Z E L I V S ' K Y J , Dr. sc. phil., Professor; ul. G o r ' k o g o 3, kv. 3, SU-Uigorod. RAINER ECKERT, Dr. sc. phil., Professor; Murtzaner Ring 16, Berlin, 1140. R Y S Z A R D E R G E T O W S K I , Dr. sc. phil.; ul. Pabianicka Nr. 16/1, PL-53-339 Wroctaw. W O L F G A N G G L A D R O W , Dr. sc. phil.; Anton-Saefkow-Platz 11, Berlin, 1156. K U R T G Ü N T H E R , Dr. phil.; Scharnweberstr. 8 1 - 8 2 , Berlin, 1162. K A R L G U T S C H M I D T , Dr. sc. phil., o. Professor; Zingster Str. 35, Berlin, 1093. FRIEDHELM H I N Z E , Dr. phil.; Defreggerstr. 8, Berlin, 1193. R A D O M I R I V A N O V I C , Dr. phil. habil., Professor; Nehruova 242/II, YU-11070 Novi Beograd. V L A D I M I R DMITRIEVlC K L I M O N O W , Dr. phil.; Leipziger Str. 55, Berlin, 1080. J A N A K O H L , Dipl.-Phil.; Zingster Str. 66, Berlin, 1095. S A B I N E K U K A V I C A - K I R F E L , Dipl.-Phil.; Brace Popovic 10/5, YU-21000 Novi Sad. BÄRBEL K U N Z M A N N - M Ü L L E R , Dr. phil.; Dolgenseestr. 61, Berlin, 1136. K L A U S M Ü L L E R , Dr. phil. habil.; Achtermannstr. 51, Berlin, 1100. I N G E B O R G O H N H E I S E R , Dr. sc. phil., o. Professor; L.-Herrmann-Str. 16, Leipzig, 7050. ESZTER O J T O Z I , Dr. phil.; Universität Debrecen. KONRAD ONASCH, Halle, 4020.

Dr. theol. habil., Dr. h. c., Professor em.; Schleiermacharstr. 44,

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ZEITSCHRIFT FÜR SLAWISTIK BAND 34

1989

HEFT 1

Inhalt Z I E G E N G E I S T , G., Aus Heinrich Koenigs ungedruckter Korrespondenz mit Cotta und Brockhaus über die „Literarischen Bilder aus Rußland" (1837—1839) S T O L P M A N N , G., Individuum und Gattung. Zu Cingiz Ajtmatovs Erzählung „Scheckiger Hund, der am Meer entlangläuft" K O H L , J., Das Werk F. M. Dostoevskijs in der russischen demokratischen K r i t i k der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts I V A N O V l i , R., Ein Vergleich der Romane von Mihailo Lalic und Slavko Janevski REDJEP, J., Die Erzählung und die Volkslieder von der Schlacht auf dem Amselfeld E C K E R T , R., L. P. Jakubinskijs Bedeutung für die Entwicklung der sowjetischen Sprachwissenschaft KJ1MMOHOB, B. fl., Po/ib M30M0pcJ>M3Ma Map«w poBaH H O C T M BCTp/KType rpaMMaTMHecKMX KaTeropnü MÜLLER, K., Die erste Übersetzung des mittelrussischen „ D o m o s t r o j " ins moderne Russisch O J T O Z i , E. — J. O . D Z E N D Z E L I V S ' K Y J , Die Märiapöcser Fassung der kirchenslawischen Grammatik des Arsenij Kocak aus den Jahren 1772—1778 H I N Z E , F., Z u r Unterschätzung der Onomatopöie in der slawischen Etymologie Z E I L , W., Forschungen in der Deutschen Demokratischen Republik zur Geschichte der Slawistik P O H R T , H., Die Beziehungen zwischen E. Berneker und M. Murko im Spiegel ihrer unveröffentlichten Briefe TAGUNGSBERICHT S C H Ä F E R , I., „Puskin und w i r " BUCHBESPRECHUNGEN Aktuelle Probleme der Phraseologie ConocTaBMTenbHoe M3yMeHne cnoBoo6pa3c>BaHtf a cnaB«HCKMx «biKOB K A L T W A S S E R , J., Die deadjektivische Wortbildung des Russischen S T R A K O V Ä , V., Morfematickä strukturace semantickych obsahü BIRKENMAIER, W., Einführung in das vergleichende Studium des deutschen und russischen Wortschatzes H A U E N S C H I L D , C H . , Z u r Interpretation russischer Nominalgruppen The Scope of Slavic Aspect K A P U S C I K , J., W. A . Maciejowski i jego .Pismiennictwo polskie' S Y L L A B A , T H . - S. H E R M A N , A . Teodorov-Balan na univerzitS v Praze RIGLER, J., Razprave o slovenskem jeziku Literae Slavicae Medii Aevi Toronb. HcTOpMH W COBpeMeHHOCTb AMBERG, L., Kirche, Liturgie und Frömmigkeit im Schaffen von N. V. Gogol' K O S Y K , M„ Serbska swajzba w Blotach Der Briefwechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. G r ö g e r über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen Prignitz-Kataster 1686-1687 Zeitschrift für Slawistik is indexed in Current Contents/Arts & Humanities.

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