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German Pages 169 Year 1998
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 743
Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Stimmenverteilung im Bundesrat Von
Carsten Deecke
Duncker & Humblot · Berlin
CARSTEN DEECKE
Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Stimmenverteilung im Bundesrat
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 743
Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Stimmenverteilung im Bundesrat
Von
Carsten Deecke
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deecke, Carsten: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Stimmenverteilung im Bundesrat / von Carsten Deecke. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 743) Zugl.: Dresden, Techn. Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09358-5
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09358-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Der Bundesrat rückt immer dann besonders in das Blickfeld der Öffentlichkeit, wenn sich seine parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse von denen des Bundestages unterscheiden. Wenn diese unterschiedlichen Mehrheiten auch noch dazu führen, daß politische Willensbildungsprozesse verzögert oder gar vereitelt werden, kursiert schnell der Begriff des Bundesrates als „Blockadeinstrument". Einige bei der Entstehung der MehrheitsVerhältnisse im Bundesrat maßgebliche Faktoren zu untersuchen, ist Anliegen dieser Arbeit. Dabei stehen jedoch gerade nicht die politischen, sondern die verfassungsrechtlichen Aspekte im Vordergrund. Die Untersuchung wurde im Sommersemester 1997 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten im wesentlichen bis März 1997 berücksichtigt werden. Sehr herzlich danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hartmut Bauer, für die von Beginn an hervorragende Unterstützung und Förderung der Arbeit. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Dieter Wyduckel für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Detlef Czybulka, der das Drittgutachten angefertigt hat. Die Idee, das Thema der vorliegenden Untersuchung zu behandeln, verdanke ich einem Gespräch mit Herrn Heinz-Peter Zirbes. Von ihm habe ich zudem in zahlreichen weiteren Gesprächen wichtige Anregungen erhalten. Frau Anke Kosfeld hat mit Zuversicht und Geduld das Entstehen der Arbeit begleitet. Beiden gilt mein aufrichtiger Dank. Nicht zuletzt gebührt besonderer Dank meinen Eltern, die mich während der Anfertigung der Arbeit stets unterstützt haben.
Rostock, im August 1997 Carsten Deecke
Inhaltsübersicht Erster Teil Einführung und Problemaufriß § 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum I. Der hessische „Einwohner-Sprung" II. Bedeutung der Stimmenverteilung § 2 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als Rechtsproblem I. Die Staffelung der Stimmen in Art. 51 Abs. 2 GG II. Problemstellung
17 17 18 21 27 27 36
Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Beurteilung der Praxis der Stimmenverteilung 38 § 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff 38 I. Aussagen des Grundgesetzes 38 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis 92 § 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl 100 I. Aussagen des Grundgesetzes 100 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis 102 § 5 Das maßgebliche Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat.... 110 I. Aussagen des Grundgesetzes 112 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis 120 § 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung 126 I. Aussagen des Grundgesetzes 127 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Rechtsform 134 § 7 Vorschläge zur Lösung des Problems 141 I. Vermeidung der Nichtigkeitsfolge 142 II. Gesetzentwurf und Entwurf zur Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates 145 Dritter Teil Schluß
146
§8 Zusammenfassung und Ausblick I. Zusammenfassung in Thesen II. Ausblick
146 146 148
Literaturverzeichnis Anhang Sachwortregister
151 163 168
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einführung und Problemaufriß § 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum I. Der hessische „Einwohner-Sprung" II. Bedeutung der Stimmenverteilung 1. Ausübung der Mitwirkungsrechte 2. Einfluß auf Struktur des Bundesrates und Beschlußfassung § 2 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als Rechtsproblem I. Die Staffelung der Stimmen in Art. 51 Abs. 2 GG 1. Die Entwicklung bis zur deutschen Wiedervereinigung 2. Veränderungen im Zuge der Wiederherstellung der deutschen Einheit 3. Aktuelle Stimmenverteilung 4. Veränderungsnotwendigkeit bei Länderneugliederung II. Problemstellung
17 17 18 21 21 24 27 27 27 30 33 34 36
Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Beurteilung der Praxis der Stimmenverteilung
38
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff 38 I. Aussagen des Grundgesetzes 38 1. Methodologische Vorüberlegungen 38 2. Grammatische Auslegung 41 a) Allgemeiner Sprachgebrauch 41 b) Rechtsterminologie 43 aa) Definitionen in Rechtslexika 43 bb) Der Einwohnerbegriff im öffentlichen Recht 44 (1) Kommunalrecht 44 (a) Kommunalgesetzliche Regelungen 44 (b) Literatur zum Kommunalrecht 45 (2) Melderecht 46 cc) Der Wohnsitz im Zivilrecht 47 c) Zwischenergebnis 47 3. Systematische Auslegung 48 a) Stellung der Vorschrift im Grundgesetz 48 b) Regelungszusammenhang 49 aa) Die Verwendung des Einwohnerbegriffs in anderen Vorschriften des Grundgesetzes 49 (1) Der Einwohnerbegriff in Art. 29 GG 49 (2) Der Einwohnerbegriff in Art. 106 und 107 GG 51 (3) Zwischenergebnis 52
10
nsverzeichnis
bb) Abgrenzung zu verwandten Begriffen im Grundgesetz (1) Die Deutschen (2) Die Deutschen in den Ländern (3) Das deutsche Volk (4) Das Volk (a) Das Volk, bestehend aus den Deutschen (b) Das Volk als Aktivbürgerschaft (c) Lösung des Volksbegriffs von den Deutschen (d) Der Volksbegriff in Art. 21 Abs. 1 GG (5) Wahlberechtigte zum Bundestag (6) Wahlberechtigte der Länder (7) Zwischenergebnis cc) Sonstige Direktiven des Grundgesetzes (1) Direktiven des Grundsatzes der Volkssouveränität (a) Demokratische Legitimation des Bundesrates (aa) Funktionelle und institutionelle Legitimation (bb) Sachlich-inhaltliche Legitimation (cc) Organisatorisch-personelle Legitimation (dd) Das Legitimationsniveau (b) Die „Überlagerung" durch das Bundesstaatsprinzip (aa) Die Bundesratslösung (bb) Die repräsentierte Einheit (cc) Die Stimmenstaffelung (dd) Die Eigenarten des Stimmrechts im Bundesrat (ee) Nichtberücksichtigung von Ausländern bei der Besetzung anderer oberster Bundesorgane (c) Zwischenergebnis (2) Direktiven des Bundesstaatsprinzips (3) Direktiven des Grundsatzes der Bundestreue c) Zwischenergebnis 4. Historische Auslegung a) Verfassungsgeschichtliche Vorläufer b) Der Einwohnerbegriff im Parlamentarischen Rat 5. Teleologische Auslegung 6. Auslegungsergebnis II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis 1. Der Einwohnerbegriff in der Volkszählung a) Der Wohnbevölkerungsbegriff b) Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnung aa) Ursachen und Inhalt der veränderten Anknüpfung bb) Der statistisch als Einwohner erfaßte Personenkreis c) Verfassungsrechtliche Bewertung 2. Der Einwohnerbegriff in der Bevölkerungsfortschreibung 3. Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Praxis § 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl I. Aussagen des Grundgesetzes II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis 1. Volkszählung 2. Bevölkerungsfortschreibung
53 53 55 55 56 56 58 59 61 63 63 64 65 65 66 67 68 69 70 71 71 72 76 78 79 82 83 83 84 85 85 88 90 91 92 92 93 93 94 96 97 98 99 100 100 102 102 104
nsverzeichnis 3. Verhältnis von Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung 107 4. Problematik der Einwohnerstatistiken der DDR 108 5. Ergänzende und alternative statistische Methoden 109 6. Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Praxis 110 § 5 Das maßgebliche Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat.... 110 I. Aussagen des Grundgesetzes 112 1. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anpassung 112 a) Notwendigkeit einer zeitlichen Fixierung 112 b) Potentielle Zeitpunkte 112 2. Veröffentlichung 115 a) Aussagen des Grundgesetzes 115 b) Sonstige Veröffentlichungsvorschriften im Verfassungsrecht 117 3. Insbesondere: „Mäandrierende" Einwohnerzahlen 119 4. Zwischenergebnis 119 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis 120 1. Veränderung der Einwohnerzahlen 121 2. Neugliederung des Bundesgebietes 122 3. Veränderte Zusammensetzung im Anschluß an die Wiedervereinigung und die Neuregelung von Art. 51 Abs. 2 GG 123 4. Verfassungsrechtliche Würdigung 124 § 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung 126 I. Aussagen des Grundgesetzes 127 1. Institutionell-organisatorischer Gesetzesvorbehalt 127 2. Wesentlichkeitstheorie 127 a) Grundrechtsrelevanz 128 b) Grundrechtsunabhängiges Wesentlichkeitskriterium 128 3. Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates 130 a) Rechtsnatur und Verbindlichkeit der Geschäftsordnung 131 b) Verhältnis der Geschäftsordnung zu anderen Rechtsquellen 132 c) Reichweite des Selbstorganisationsrechtes 132 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Rechtsform 134 1. Der Einwohnerbegriff 134 a) Wesentlichkeit der Materie 134 b) Geschäftsordnungsautonomie 135 c) Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz 136 2. Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen 138 a) Wesentlichkeit der Materie 138 b) Geschäftsordnungsautonomie 139 3. Das Anpassungsverfahren im Bundesrat 140 4. Verfassungswidrigkeit der derzeitigen Rechtsform 141 § 7 Vorschläge zur Lösung des Problems 141 I. Vermeidung der Nichtigkeitsfolge 142 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Regelungsdefiziten 142 2. Die Konstellation bei den Regelungen des § 27 GOBR 144 a) Notwendigkeit der Ermittlung der Einwohnerzahlen 144 b) Erforderlichkeit einer Übergangsfrist 144 II. Gesetzentwurf und Entwurf zur Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates 145
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nsverzeichnis Dritter Teil
§ 8 Zusammenfassung und Ausblick I. Zusammenfassung in Thesen II. Ausblick
Schluß
146 146 146 148
Literaturverzeichnis Anhang Sachwortregister
151 163 168
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abi. Abs. a.F. AK-GG Anm. AO AöR Art. Aufl. B.-VG. BA BAG BauNVO BayGO BayLKrO BayMeldeG BayObLGZ BayVBl. BayVerf. BBauG Bd. BerlMeldeG BFH BGB BGBl. BGHZ BHO BK BrandGO BrandVerf. BR-Drs. BremMeldeG BStBl. BT-Drs. BVerfG
andere Auffassung am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz alte Fassung (Alternativ-)Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Bundesverfassungsgesetz (Verfassung der Bundesrepublik Österreich) Deutsche Bundesakte vom 8.6.1815 Bundesarbeitsgericht Baunutzungsverordnung Gemeindeordnung fur den Freistaat Bayern Landkreisordnung für den Freistaat Bayern Bayerisches Gesetz über das Meldewesen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgericht in Zivilsachen Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern Bundesbaugesetz Band Gesetz über das Meldewesen in Berlin Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Gemeindeordnung für das Land Brandenburg Verfassung des Landes Brandenburg Bundesratsdrucksache Gesetz über das Meldewesen der Freien Hansestadt Bremen Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht
14 BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BVFG BW BWahlG bzw. ca. CDU CSU dass. DB DDR ders. dies. DJZ Dok. DÖV Drs. DVB1. EG EGV ES VGH EU EuR Euratom V EUZBLG EV f. FDP ff. Fn. GBl. GG GGO II ggü. GO GOBR GVB1. HdbVerfR HessGO HessMeldeG
Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge Baden-Württemberg Bundeswahlgesetz beziehungsweise circa Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union dasselbe Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselben Deutsche Juristenzeitung Dokument Die öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaften Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungssammlung des Hessischen und des Württembergisch-Badischen Verwaltungsgerichtshofs Europäische Union Europarecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12.3.1993 Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 31.8.1990 folgende (Seite) Freie Demokratische Partei fortfolgende (Seiten) Fußnote Gesetzblatt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien gegenüber Gemeindeordnung; Geschäftsordnung Geschäftsordnung des Bundesrates Gesetz- und Verordnungsblatt Handbuch des Verfassungsrechts Hessische Gemeindeordnung Hessisches Meldegesetz
Abkürzungsverzeichnis HessVerf. h.M. HmbGVBl. HmbMeldeG Hrsg. HS HStR i.S.d. JöR JZ krit. KritV KrO KSVG Saarl. KV MV LKrO Maunz/Dürig MeldeG MRRG MV m.w.N. NdsGO NdsMeldeG NdsVBl. NdsVerf. n.F. NJW Nr. NVwZ NVwZ-RR NW 0. OVG Pari. Rat Kontrollratsgesetze RGBl, RhPf Rn. Rspr. RV S. SA
Verfassung des Landes Hessen herrschende Meinung Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Hamburgisches Meldegesetz Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristenzeitung kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kreisordnung Kommunalselbstverwaltungsgesetz des Saarlandes Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommein Landkreisordnung Grundgesetz, Kommentar, von Theodor Maunz, Günter Dürig u.a. Meldegesetz Melderechtsrahmengesetz Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Gemeindeordnung Niedersächsisches Meldegesetz Niedersächsische Verwaltungsblätter Niedersächsische Verfassung neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen oben Oberverwaltungsgericht Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv Sammlung der vom Alliierten Kontrollrat und der Arnerikanischen Militärregierung erlassenen Proklamationen, Gesetze, Verordnungen, Befehle, Direktiven Reichsgesetzblatt Rheinland-Pfalz Randnummer, -n Rechtsprechung Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871 Seite; Satz Sachsen-Anhalt
16 SaarlMeldeG Sachs.-AnhVerf. SächsGO SächsKrO SächsWahlG SchlH Slg. s.o. sog. SPD StenBer. BR StGH StWiss Stzg. ThürGO u.a. UNO US-Verfassung v. VB1BW VerwArch. VfGH VfSlg. VGH vgl. v. Münch v. Münch/Kunig Vorbem. VorlRG VVDStRL WRV z. z.B. ZG ZParl. ZRP
Abkürzungsverzeichnis Meldegesetz des Saarlandes Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen Landkreisordnung für den Freistaat Sachsen Gesetz über die Wahlen zum Sächsischen Landtag Schleswig-Holstein Sammlung siehe oben sogenannte, -er, -en Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stenographische Berichte des Bundesrates Staatsgerichtshof Staatswissenschaften und Staatspraxis Sitzung Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung und andere; unter anderem United Nations Organization Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika vom; von Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verwaltungs-Archiv Verfassungsgerichtshof der Bundesrepublik Österreich Erkenntnisse und Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes der Bundesrepublik Österreich Verwaltungsgerichtshof vergleiche Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von Ingo v. Münch Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von Ingo v. Münch u. Philip Kunig Vorbemerkung Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919 (Weimarer Reichsverfassung) zu zum Beispiel Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik
Wegen der übrigen Abkürzungen wird verwiesen auf: H. Kirchner, zeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin u.a. 1993.
AbkürzungsVer-
Erster Teil
Einführung und Problemaufriß § 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum Lange Zeit hat sich Art. 51 Abs. 2 GG, in dem die Stimmenstaffelung als Grundlage der Stimmenverteilung im Bundesrat grundgesetzlich normiert ist, jenseits des wissenschaftlichen Interesses in einem Dornröschenschlaf befunden. Dieser Zustand wurde nur in den siebziger Jahren durch die Diskussion über eine Reform der Stellung und Struktur des Bundesrates unterbrochen 1. Mit dem Schlußbericht der Enquête-Kommission2 und der darin enthaltenen Empfehlung, die Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG nicht zu verändern 3, verebbte das Interesse an der Vorschrift wieder. Erst im Umfeld der deutschen Wiedervereinigung und des verfassungspolitischen Streits über das zukünftige Gewicht der neuen Länder wurde die Debatte um die Stimmstaffelung im Bundesrat erneut aufgenommen 4. Nachdem Art. 51 Abs. 2 GG durch den Einigungsvertrag 5 modifiziert worden war, fiel die Regelung jedoch in ihren Dornröschenschlaf zurück 6.
1
Vgl. zu der damaligen Diskussion etwa H.-J. Schmidt, DÖV 1973, 469 ff. m.w.N.; W. A. Kewenig, Bundesrat undföderatives System im Lichte der Arbeiten der EnquêteKommission Verfassungsreform, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 453 ff.; mit einem Plädoyer für eine sofortige Änderung des Art. 51 Abs. 2 GG: E. Hein, Die demokratische Gemeinde 1972,103 ff. 2 Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform vom 9.12.1976 (BT-Drs. 7/5924). 3 BT-Drs. 7/5924, S. 100. 4 S.u. S. 30 ff. 5 Aufgrund des Einigungsvertrages wurde durch das Einigungsvertragsgesetz vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889 ff. (890)) die ursprüngliche Fassung des Art. 51 Abs. 2 GG geändert. 6 Zur Illustration sei nur auf neuere Kommentierungen in der Literatur verwiesen: So werden der Stimmenverteilung im Bundesrat von G. Robbers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 51 Rn. 12 oder Schmidt-Bleibtreu/A7em, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl., 1995, Art. 51 Rn. 1 jeweils gerade drei Zeilen und eine tabellarische Übersicht eingeräumt; etwas ausführlicher dagegen W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2,3. Aufl., 1995, Art. 50 Rn. 11, der die Thematik immerhin auf einer Seite behandelt. 2 Deecke
18
1. Teil: Einfuhrung und Problemaufriß I. Der hessische „Einwohner-Sprung 44
Diese „Ruhelage" änderte sich schlagartig, als Hessen im Januar 1996 mit 6.000.669 Einwohnern rund 5.000 Einwohner mehr als im Vormonat besitzen sollte. Wegen der Überschreitung der in Art. 51 Abs. 2 GG enthaltenen SechsMillionen-Grenze hatte dies eine zusätzliche Stimme Hessens im Bundesrat zur Folge, und zwar mit Auswirkungen auf die (partei)politischen Mehrheitsverhältnisse7: Während CDU/CSU und FDP im Bundestag die Mehrheit besaßen, dominierten nach dem „Einwohner-Sprung" SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Bundesrat mit einer Mehrheit, die durch die zusätzliche Stimme Hessens nicht mehr von Koalitionsvereinbarungen der SPD mit der FDP 8 oder der CDU 9 abhängig war 1 0 . Den von der CDU oder CSU alleine regierten Ländern 11 mit zusammen zehn Stimmen, den von Koalitionsregierungen der CDU und SPD regierten Ländern mit zusammen 20 Stimmen und dem von SPD und FDP geführten Rheinland-Pfalz mit vier Stimmen, also insgesamt 34 Stimmen, standen das von der SPD und der bundespolitisch nicht aktiven Statt-Partei beherrschte Hamburg 12 mit drei Stimmen und die von SPD alleine 13 oder zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen regierten Länder 14 mit zusammen 32 Stimmen, also ins-
7 Pressemitteilung des Bundesrates 5/96 vom 18.1.1996; vgl. auch Süddeutsche Zeitung vom 19.1.1996, S. 6; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.1.1996, S. 3. 8 In Rheinland-Pfalz wurde eine solche Koalitionsvereinbarung nach der Landtagswahl vom 21.4.1991 geschlossen (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 95). 9 In Baden-Württemberg wurde eine solche Koalitionsvereinbarung nach der Landtagswahl vom 5.4.1992 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 95), in Berlin nach der Senatswahl vom 22.10.1995, Bremen nach der Bürgerschaftswahl vom 14.5.1995, in Mecklenburg-Vorpommern nach der Landtagswahl vom 16.10.1994 und in Thüringen nach der Landtagswahl vom 16.10.1994 geschlossen (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 95). 10 Zu den Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Bundesrat von 1949 bis 1980 siehe Limberger, Die Kompetenzen des Bundesrates und ihre Inanspruchnahme, 1982, S. 143 ff. 11 Bayern nach den Landtagswahlen vom 25.9.1994 und Sachsen nach den Landtagswahlen vom 11.9.1994 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 95). 12 Vgl. den Kooperationsvertrag über eine Zusammenarbeit für die 15. Legislaturperiode der Hamburgischen Bürgerschaft 1993 bis 1997 (abgedruckt in: Link (Hrsg.), Jahrbuch für Politik, 1994, Bd. 2, S. 354 ff.) 13 Brandenburg nach der Landtagswahl vom 11.9.1994, Niedersachsen nach der Landtagswahl vom 13.3.1994, Saarland nach der Landtagswahl vom 16.10.1994 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 95) und Schleswig-Holstein nach der Landtagswahl vom 5.4.1992 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 95). 14 Hessen nach der Landtagswahl vom 19.2.1995, Nordrhein-Westfalen nach der Landtagswahl vom 14.5.1995 und Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl vom 26.6.1994 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 95).
§ 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum
19
gesamt die einfache Mehrheit im Bundesrat von 35 Stimmen, gegenüber. Die (partei)politischen Mehrheitsverhältnisse waren gekippt! Und: Die Machtverschiebungen wurde alsbald zum Anlaß genommen, die Rechtmäßigkeit der weiteren Stimme Hessens, das von einer Koalitionsregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geführt wurde, in Zweifel zu ziehen. Angriffspunkt war die zusätzliche Stimme Hessens, Angriffsziel die Wiederherstellung der „alten" Mehrheitsverhältnisse: Bei der Berechnung der Einwohnerzahlen der Länder werde in der bisherigen Praxis des Bundesrates nicht zwischen deutschen Staatsbürgern und Ausländern unterschieden. Dies sei „verfassungswidrig", da Ausländern bei Bundes- und Landtagswahlen kein Wahlrecht zustünde und ausländische Staatsangehörige deshalb konsequenterweise auch bei der Stimmenverteilung im Bundesrat nicht berücksichtigt werden dürften. Andernfalls leide dessen demokratische Legitimation. Aufgrund der nur knappen Überschreitung der Sechs-Millionen-Grenze stünde Hessen mit seiner Ausländerquote von mehr als 13% keine fünfte Stimme zu 1 5 . Diese Argumentation ist nicht ohne rechtliche Brisanz: Vergleicht man nämlich die Anteile der Ausländer an den Einwohnerzahlen in den verschiedenen Ländern, so fallen erhebliche Abweichungen auf: So beträgt etwa der Ausländeranteil in Hamburg mit 261.800 bei insgesamt 1.705.000 Einwohnern 15,35%, während in Thüringen bei 2.525.000 Einwohner nur 23.900 Ausländer gezählt werden, was einen Anteil von 0,95% ausmacht16. Die daran anknüpfende Problematik der Berücksichtigung der Ausländer bei der Stimmverteilung im Bundesrat wird noch anschaulicher, wenn man sich den über die Jahre stetig steigenden Anteil ausländischer Menschen in Deutschland vor Augen fuhrt. Lebten im Deutschen Reich von 1871 nur rund 207.000 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und damit im Vergleich mit den Deutschen nur 0,5%, so waren es 100 Jahre später mit 3,4 Millionen schon 5,6%; Ende 1993 lebten bereits 6.878.100 (8,46%) Ausländer in Deutschland17. Die Zahlen der ausländischen Menschen in Deutschland, die zum Teil feste Wurzeln in Deutschland haben und vollständig in die deutsche Bevölkerung integriert sind, und das Beispiel Hessens unterstreichen, wie wichtig nicht allein die normative Ausgestaltung der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG
15
So R. Scholz, in: WELT am SONNTAG vom 4.2.1996, S. 24; die Auffassung von R. Scholz ist auch wiedergegeben in: FOCUS vom 5.2.1996, S. 15; die Auffassung, daß der Einwohnerbegriff auf die Deutschen zu begrenzen sei, findet sich nunmehr ebenfalls bei T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 3 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996). 16 Zahlen von Ende 1994 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 48, 68). 17 Statistisches Bundesamt, Im Blickpunkt: Ausländische Bevölkerung in Deutschland, 1995, S. 8 f.
1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
20
ist, sondern welche Bedeutung dem Einwohnerbegriff als Berechnungsgrundlage der Stimmenzahl zukommt. Im Extremfall entscheidet schließlich ein einzelner Einwohner darüber, welche Anzahl an Stimmen ein Land im Bundesrat besitzt. Dabei ist zu bedenken, daß das Interesse der Länder auf möglichst viele Stimmen im Bundesrat gerichtet ist. Denn von der Stimmenzahl hängt nicht mehr und nicht weniger als der Einfluß jedes einzelnen Landes auf die „Geschäfte" des Bundes ab. Neben den materiellen Fragen zur Bestimmung der Einwohnereigenschaften stellen sich weitere, verfahrensrechtliche Probleme: Die Anzahl der Stimmen, die einem Land nach Art. 51 Abs. 2 GG zustehen, bemißt sich gemäß § 27 GOBR 1 8 nach den Ergebnissen der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung, sofern nicht die Ergebnisse einer amtlichen Volkszählung vorliegen. Indes hat sich der Bundesrat in der Vergangenheit schon über diese Verfahrensregelung zur Ermittlung der Einwohnerzahlen hinweggesetzt. A m 14.10.1977 beschloß er, daß sich die Zahl der Stimmen des Landes Berlin entgegen § 27 GOBR bis zur nächsten Volkszählung nicht nach der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung richten sollte, sondern nach der Volkszählung von 1970 19 . Dadurch konnte Berlin vier Stimmen behalten, obwohl es nach der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung eigentlich eine Stimme hätte verlieren müssen20. Grundlage für die Entscheidung des Bundesrates war § 48 GOBR, der im Einzelfall die Möglichkeit zur Abweichung von der Geschäftsordnung aufgrund einstimmigen Beschlusses eröffnet. Der Vorgang illustriert, daß nicht nur materiellrechtliche, sondern auch verfahrensrechtliche Aspekte unmittelbaren Einfluß auf die Stimmenverteilung im Bundesrat haben. Ein weiterer verfahrensrechtlicher Gesichtspunkt tritt ans Tageslicht, wenn man den bisherigen Umgang des Bundesrates mit Veränderungen der Stimmenzahlen betrachtet. Dabei fällt auf, daß es an amtlichen Veröffentlichungen, mit denen auf die jeweils aktuelle Entwicklung der Stimmenzahl hingewiesen wird, weitgehend fehlt 21 . Zumeist ist einzig die Begrüßung neuer Mitglieder im Plenum durch den Bundesratspräsidenten derjenige Publikationsakt, mit dem gerade stattgefundene Entwicklungen der Öffentlichkeit amtlich bekannt gemacht werden.
18
Der Bundesrat hat von der ihm in Art. 52 Abs. 3 S. 2 GG eingeräumten Geschäftsordnungsautonomie durch die GOBR v. 1.7.1966 (BGBl. I S. 437), in der Neufassung v. 26.11.1993 (BGBl. I S. 2007), zuletzt geändert am 25.11.1994 (BGBl. I S. 3736) Gebrauch gemacht. 19 StenBer. BR, S. 283. 20 Zi lier, Der Bundesrat, 7. Aufl., 1984, S. 48. 21 S.u. ausführlicher S. 120 ff.
§ 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum
21
A l l diese Merkwürdigkeiten sind Anlaß genug, Art. 51 Abs. 2 GG sowohl unter materiellrechtlichem als auch verfahrensrechtlichem Blickwinkel einer eingehenden verfassungsrechtlichen Analyse zu unterziehen.
Π . Bedeutung der Stimmenverteilung Die Stimmenverteilung und -berechnung im Bundesrat ist nicht nur ein theoretisches oder spezifisch einzelfallbezogenes Problem. Vielmehr verbergen sich hinter der im Vordergrund stehenden Thematik allgemeine verfassungsrechtliche Fragestellungen mit verfassungspolitischen Aspekten, die das Verhältnis zwischen Bund und Ländern betreffen. Ein Blick auf die Mitwirkungsrechte und Befugnisse des Bundesrates macht dies deutlich. 1. Ausübung der Mitwirkungsrechte Nach Art. 50 GG „wirken die Länder" durch den Bundesrat „bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit". Damit ist die Funktion des Bundesrates nur grundsätzlich umschrieben 22. Die Mitwirkungsrechte im einzelnen ergeben sich vielmehr aus den spezielleren Vorschriften des Grundgesetzes, so etwa fur die Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren in erster Linie aus Art. 76 und 77 GG. Der Bundesrat kann zunächst im Initiativbereich tätig werden: Nach Art. 76 Abs. 1 GG hat er das Recht, eigene Gesetzesvorlagen im Bundestag einzubringen 23 . Daneben ist er gemäß Art. 76 Abs. 1 und 2 GG berechtigt, zu Gesetzesvorlagen der Bundesregierung Stellung zu nehmen. In bereits laufenden Gesetzgebungsverfahren kann der Bundesrat die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen (Art. 77 Abs. 2 GG). Überdies kann er, je nachdem, ob es sich bei dem Gesetzesvorhaben um ein sog. Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz handelt, entweder durch Erteilung bzw. Versagung der Zustimmung gemäß Art. 77 Abs. 2a GG oder durch Einlegung des Einspruchs gemäß Art. 77 Abs. 3 GG Einfluß auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen. Er hat folglich in der einen oder anderen Weise immer beim Zustandekommen eines Gesetzes mitzuwirken 24 .
22 BVerfGE 1, 299 (311); G. Limberger, Die Kompetenzen des Bundesrates und ihre Inanspruchnahme, 1982, S. 15 f. 23 Dazu vgl. A. Jaumann, BayVBl. 1975, S. 489 ff. 24 BVerfGE 28, 66 (79).
1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
22
Die Fälle der Zustimmungsgesetze, die unabdingbar des Placets des Bundesrates bedürfen, sind abschließend im Grundgesetz geregelt 25. Das Grundgesetz ordnet eine Zustimmungsbedürftigkeit immer dann an, wenn der Interessenbereich der Länder besonders stark berührt wird 2 6 . Da allerdings die meisten Bundesgesetze in der einen oder anderen Weise Länderinteressen berühren, kann hieraus im Gegenzug kein allgemeines Kontrollrecht des Bundesrates abgeleitet werden 27 . Hervorzuheben ist für den Bereich der Gesetzgebung, daß der Bundesrat die stärkste Stellung bei den Zustimmungsgesetzen hat 28 . Hier tritt er in vollem Umfang als gleichberechtigtes Organ neben den Bundestag29. Nach der Konzeption des Grundgesetzes war die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes als Ausnahmefall gedacht. Der Anteil der als zustimmungsbedürftig ausgefertigten und verkündeten Gesetze stieg jedoch von ursprünglich 41,8% in der Wahlperiode 1949 bis 1953 und zwischenzeitlichen 60% in der Wahlperiode 1983 bis 1987 auf nunmehr durchschnittlich 52,2% 30 . Dies hat in erster Linie seine Ursache in Art. 84 Abs. 1 GG, da der Bund von seinem in dieser Vorschrift enthaltenen Recht, die Einrichtung von Behörden und das Verwaltungsverfahren mitzuregeln, verstärkt Gebrauch gemacht hat 31 . Für über
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Vgl. die Aufzählung bei J. Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 77 Rn. 13. 26 BVerfGE 37, 363 (381). 27 BVerfGE 37, 363 (381). 28 Zu den - erfolglosen - Bestrebungen, die Position des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren durch die Verfassungsreform von 1994 auszubauen, vgl. G. MüllerBrandeck-Bocquet, Die Verwaltung 1996, 143 (151 ff.). 29 HJ. Blanke, Jura 1995, 57 (61). Mit der Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren wird häufig die Frage nach dessen Eigenschaft als eine sog. 2. Kammer verknüpft, die das BVerfG im wesentlichen mit der Begründung verneint, daß der Bundesrat lediglich im Gesetzgebungsverfahren mitwirke und nicht gleichwertig mit der "ersten Kammer" Bundestag beteiligt sei (BVerfGE 37, 363 (380 f.)). Auch in der Literatur wird nicht bestritten, daß der Bundesrat keine 2. Kammer eines übergreifenden, einheitlichen Gesetzgebungsorgans ist (E. Friesenhahn, Die Rechtsentwicklung hinsichtlich der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen und Verordnungen des Bundes, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 251 ff. (253); D. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (191 f.); Vonderbeck, Der Bundesrat ein Teil des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland?, 1964, S. 110). Daneben wird der Bundesrat zum Teil als Organ sui generis im Rahmen eines Zweikammersystems (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 126), als faktische (D. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (191 f.)) oder nichtparlamentarische 2. Kammer ( Vonderbeck, Der Bundesrat - ein Teil des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland?, 1964, S. 110) qualifiziert. 30 Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 286 ff. 31 F. Ossenbühl, Zustimmung und Verantwortung beim Erlaß von Bundesgesetzen, in: Institut für Völkerrecht und Ausländisches Öffentliches Recht (Hrsg.), Festschrift für Hermann Jahrreiß, 1974, S. 161 ff. (162 f.); Ziller/Oschatz, Der Bundesrat, 9. Aufl., 1993, S. 36.
§ 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum
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63% aller Zustimmungsgesetze ist Art. 84 Abs. 1 GG kausal 32 . Dagegen hat der Bundesrat sein Einspruchsrecht in der Praxis nur selten genutzt. Von 1949 bis zum 19.7.1996 ist dies nur bei 33 von insgesamt 2350 Gesetzesvorlagen, die in dieser Zeit als Einspruchsgesetz beim Bundestag eingebracht wurden, geschehen33. Neben den Mitwirkungsrechten im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ist im Gesetzgebungsnotstand gemäß Art. 81 Abs. 2 GG die Zustimmung des Bundesrates für das Zustandekommen eines Gesetzes erforderlich. Im Verteidigungsfall richten sich dessen Rechte in einem vereinfachten Gesetzgebungsverfahren nach Art. 115d GG, soweit nicht der Gemeinsame Ausschuß nach Art. 115e Abs. 1, 53a GG tätig wird. Im Bereich der Verwaltung hat der Bundesrat einerseits die Möglichkeit, eigene Vollzugsmaßnahmen zu erlassen, etwa durch die Feststellung im sog. Mängelrügeverfahren, ob ein Land bei der Ausführung von Bundesgesetzen eine Rechtsverletzung begangen hat (Art. 84 Abs. 4 GG), durch Befugnisse im Haushaltsrecht (Art. 114 GG und §§ 10,114 BHO) und die Bestellung von Mitgliedern bestimmter staatlich oder staatlich beeinflußter Einrichtungen (§13 GOBR) 3 4 . Neben den eigenständigen Vollzugsmaßnahmen sind im Grundgesetz zahlreiche Beteiligungsrechte des Bundesrates an Handlungen anderer Verfassungsorgane vorgesehen. So besitzt der Bundesrat Zustimmungs- oder sogar Initiativrechte beim Erlaß von Rechtsverordnungen nach Art. 80 Abs. 2 GG 3 5 oder für die von der Bundesregierung zu erlassenden Verwaltungsvorschriften bei der landeseigenen Verwaltung (Art. 84 Abs. 2 GG), bei der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 Abs. 2 GG) und der Verwaltung durch Landesfinanzbehörden bzw. Gemeinden (Art. 108 Abs. 7 GG). Schließlich muß die Bundesregierung den Bundesrat über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden halten (Art. 53 S. 3 GG), und auf Verlangen des Bundesrates müssen die Mitglieder der Bundesregierung an den Verhandlungen des Bundesrates und seiner Ausschüsse teilnehmen (Art. 53 S. 1 GG) 36 .
32 P. Lerche, Zustimmungsgesetze, in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, S. 183 ff. (184). 33 Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 286 ff. 34 Z.B. des Rundfunk- und Verwaltungsrats der Anstalt des öffentlichen Rechts "Deutsche Welle", des Verwaltungsrats der Deutschen Genossenschaftsbank sowie des Vorstands und Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 265 ff.). 35 Vgl. dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 147 ff); Art. 119 GG; das Initiativrecht des Bundesrates beim Erlaß von Rechtsverordnungen wurde in Art. 80 Abs. 3 GG eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des GG vom 27.10.1994. 36 Auflistungen der Beteiligungsrechte des Bundesrates im Bereich der Verwaltung finden sich bei D. Blumenwitz, in: BK, Art. 50 Rn. 33 (Zweitbearbeitung 1987); T. Maunz/ R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 50 Rn. 22 (Bearbeitung Maunz 1982/Scholz 1996).
1. Teil: Einfuhrung und Problemaufriß
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Hinzu kommen Mitwirkungsrechte des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union 3 7 . Aus Art. 23 GG und dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union ergeben sich Informationsansprüche des Bundesrates sowie ein Recht zur Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung, wobei die Verbindlichkeit der Stellungnahme davon abhängig ist, wie stark die Länderinteressen berührt werden 38 . Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, ist der Bundesrat berechtigt, einen sog. Ländervertreter zu benennen, dem die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, zu übertragen ist (Art. 23 Abs. 6 GG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 S. 2 EUZBLG). Und schließlich stehen dem Bundesrat bei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof nach § 7 EUZBLG bestimmte Beteiligungsrechte zu. Allein dieser - nicht abschließende - Überblick über die Beteiligungsrechte des Bundesrates macht dessen herausgehobene Stellung als Verfassungsorgan des Bundes 39 in der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes deutlich 40 . Von der Verteilung der Stimmen im Bundesrat mit ihren Auswirkungen auf die Willensbildung und Abstimmungsergebnisse hängt ab, wie der Bundesrat seine Mitwirkungsrechte ausübt und welche inhaltliche Ausrichtung die getroffenen Entscheidungen erfahren 41. 2. Einfluß auf Struktur des Bundesrates und Beschlußfassung Die Stimmenverteilung nach Art. 51 Abs. 2 GG beeinflußt aber nicht nur die Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates nach außen gegenüber anderen Verfassungsorganen oder sonstigen Dritten, sondern auch die innere Struktur des Organs selber und das Verfahren der Beschlußfassung. Dies ergibt sich aus Art. 51 Abs. 2 GG.
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Vgl. dazu G.-B. Oschatz/H Risse, DÖV 1995, 437 ff.; Schede, Bundesrat und Europäische Union, 1994, S. 54 ff. 38 Hierzu und zum Folgenden V. Neßler, EuR 1994, 216 ff. (221 ff.). 39 BVerfGE 1, 299 (311); D. Posser, in: HdbVerfR, 2. Aufl., 1994, § 24 Rn. 13. 40 Zur Forderung eines Zurückdrängens der Kompetenzen des Bundesrates aufgrund der ungleichen demokratischen Legitimation im Vergleich zum Bundestag: R. Kipke, Recht und Politik 1978, 133 (135); F. Schäfer, Sondervotum zum Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 108 (109). 41 Nicht zuzustimmen ist Laufer, Dasföderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 102, der die formelle Stimmenverteilung in ihrer Bedeutung hinter das jeweilige parteipolitische Kräfteverhältnis zurücktreten lassen will; letzteres ist von der Stimmenverteilung gerade abhängig, da eine politische Machtkonzentration nicht nur mit der Anzahl der von einer bestimmten Partei dominierten Länder, sondern gerade mit der diesen Ländern im Bundesrat zustehenden Stimmenzahl zusammenhängt.
§ 1 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als aktuelles Politikum
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Der Verteilungsschlüssel betrifft primär die Abstimmungen im Plenum. Über die inhaltlichen Auswirkungen der Stimmenverteilung hinaus hat hier die Gesamtzahl der Stimmen im Bundesrat, die sich aus der Addition der nach Art. 51 Abs. 2 GG verteilten Stimmen ergibt, ferner zweifachen Einfluß auf die Beschlußfassung. Zum einen hängt von ihr ab, wann die bei Entscheidungen im Bundesrat erforderliche absolute Mehrheit erreicht ist. Die Notwendigkeit absoluter Mehrheit ergibt sich aus Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG, wonach mindestens die Mehrheit der Stimmen fur das Zustandekommen eines Beschlusses Voraussetzung ist 4 2 . Zum anderen ist die Beschlußfähigkeit des Bundesrates berührt, da gemäß Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG die Beschlußfähigkeit fehlt, wenn die geforderte Zahl der Stimmenmehrheit nicht mehr vertreten ist 43 . Art. 51 Abs. 2 GG betrifft abgesehen hiervon auch die Mitgliederzahl des Bundesrates, denn jedes Land kann nur so viele ordentliche Mitglieder 44 in den Bundesrat entsenden, wie es Stimmen hat (Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG) 4 5 . Die Zahl der ordentlichen Mitglieder des Bundesrates ist damit unmittelbar an die Anzahl der Stimmen der Länder in diesem Organ gebunden. Schließlich ist Art. 51 Abs. 2 GG für die auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 3a G G 4 6 durch §§45bff. GOBR eingerichtete Europakammer maßgebend. Diese
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Daneben enthält das Grundgesetz jedoch auch Regelungen, in denen die in Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG angegebene Mindestzahl an Stimmen überschritten werden muß. So ist etwa für die Präsidentenanklage (Art. 61 Abs. 1 S. 3 GG) oder die Zustimmung zu Änderungen des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 2 GG) eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen des Bundesrates erforderlich. 43 Jaiass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 52 Rn. 5; zur Deutung von Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG als Regelung der Beschlußfähigkeit und zur Praxis bis in die fünfziger Jahre vgl. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 17 ff. 44 Mitglieder des Bundesrates sind nach Art. 51 Abs. 1 GG die Mitglieder der Länderregierungen als Einzelpersonen (BVerfGE 8, 104 (120); D. Blumenwitz, in: BK, Art. 51 Rn. 1 (Zweitbearbeitung 1987); R. Scholz, Landesparlamente und Bundesrat, in: Börner (Hrsg.), Festschrift für Karl Carstens, 1984, S. 831 ff. (840); a.A. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 18, der die Länder als "wirkliche" Mitglieder des Bundesrat ansieht); da die Stimmen der Mitglieder eines Landes gem. Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG nur einheitlich abgegeben werden können, wird jedoch eine Annäherung an eine Mitgliedschaft der Länder bewirkt {Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 136; D. Blumenwitz, in: BK, Art. 51 Rn. 1 (Zweitbearbeitung 1987)). 45 Die ordentlichen Mitglieder können gem. Art. 51 Abs. 1 S. 2 GG durch andere Mitglieder ihrer Regierungen vertreten werden, die nach § 46 GOBR ebenfalls Mitglieder des Bundesrates i.S.d. Geschäftsordnung sind (sog. stellvertretende Bundesratsmitglieder); in der Praxis sind alle Mitglieder der Landesregierungen entweder als ordentliche Mitglieder oder Stellvertreter bestellt (Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 189 ff.). 46 Die Ermächtigung, eine Europakammer zu bilden, wurde in das Grundgesetz aufgenommen, nachdem wiederholt verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der bis dahin lediglich auf der Grundlage der damaligen Geschäftsordnung des Bundesrates
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1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
Kammer ist neben dem Plenum ein zweites Beschlußgremium 47, denn nach Art. 52 Abs. 3a S. 1 HS 2 GG gelten ihre Beschlüsse als Beschlüsse des Bundesrates. Die Arbeit der Europakammer hat daher im Gegensatz zur Tätigkeit der Ausschüsse im Sinne von Art. 52 Abs. 4 GG keinen lediglich vorbereitenden Charakter. Die Stimmenzahl verteilt sich wie im Plenum des Bundesrates, obwohl § 45b Abs. 2 GOBR vorsieht, daß jedes Land nur ein Mitglied oder stellvertretendes Mitglied des Bundesrates in die Europakammer entsendet. Das jeweilige Mitglied gibt dann entsprechend des von ihm vertretenen Landes die Stimmen gebündelt ab (vgl. § 45h GOBR). Dagegen gilt Art. 51 Abs. 2 GG nicht für die Ausschüsse48. Für die Ausschüsse stellt Art. 52 Abs. 4 GG die maßgebliche Regelung dar, die jedoch nicht auf Art. 51 Abs. 2 GG verweist. In die Ausschüsse, die als Hilfsorgane die Aufgabe haben, die Stellungnahmen und Beschlüsse des Plenums des Bundesrates vorzuberaten und vorzubereiten 49, entsendet jedes Land nach § 11 Abs. 2 GOBR jeweils einen der in Art. 52 Abs. 4 GG genannten Vertreter mit lediglich einer Stimme. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß mittelbar die Stimmenverteilung im Plenum Einfluß auf die Tätigkeit der Ausschüsse hat. Die Vorarbeiten der Ausschüsse würden teilweise entwertet, wenn diese Gremien nicht das zu erwartende Abstimmungsergebnis auf der Grundlage der Stimmenverteilung im Plenum im Auge behielten. Andernfalls würde sich die
(Änderung der GOBR vom 10.6.1988 (BGBl. I S. 857)) geschaffenen Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften (EG-Kammer) geäußert worden waren (//. J. Schütz, NJW 1989, 2160 ff.; J. A. Fr owein, Bundesrat, Länder und europäische Einigung, in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, S. 285 ff. (295 f.)). 47 W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2,3. Aufl., 1995, Art. 52 Rn. 12; während im Plenum zwischen 1987 und dem 14.7.1995 an 1115 Tagen Sitzungen stattfanden, tagte die Europakammer (bzw. bis 25.11.1993 die EG-Kammer) nur siebenmal. Von insgesamt 1844 Vorlagen aus der EG bzw. EU, die dem Bundesrat zwischen 1987 und dem 19.7.1996 zugeleitet wurden, behandelte die Europakammer bzw. die EG-Kammer lediglich 42 (Zahlen aus: Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S.290). Dieser Vergleich zeigt, daß die Europakammer eine eher geringe praktische Bedeutung besitzt. Dies ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß sie gem. § 45d Abs. 1 GOBR nur in Eilfällen oder bei zu wahrender Vertraulichkeit nach Zuweisung des Beratungsgegenstandes durch den Bundesratspräsidenten (§ 45d Abs. 4 GOBR) tätig wird. 48 Weniger mit der Stimmverteilung zusammenhängend, aber ebenfalls wie diese an die Einwohnerzahl der Länder geknüpft ist die Präsidentschaft entsprechend dem Königssteiner Abkommen der Ministerpräsidenten der Länder vom 30.8.1950 (teilweise wiedergegeben bei: Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, § 5 GO Rn. 7 f.), wonach der Bundesratspräsident in jährlichem Wechsel aus dem Kreis der Regierungschefs der Länder gewählt wird, beginnend mit dem Regierungschef des einwohnerreichsten Landes und anschließend in absteigender Reihenfolge die Regierungschefs der Länder mit der jeweils nächstkleineren Bevölkerungszahl. 49 T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 9 (Bearbeitung Maunz 1961/Scholz 1996).
§ Die Stimmenverteilung im Bundesrat als e s o l m
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Ausschußarbeit lediglich auf die Ermittlung der politischen Auffassungen beschränken und könnte keine wirkliche Beschlußvorbereitung sein. Eine solche Vorbereitung ist aber angesichts der Vielzahl der zu bearbeitenden Gegenstände50 und der regelmäßig nur 12 Sitzungen des Plenums im Jahr 51 unverzichtbar. Da es dennoch immer wieder zu Divergenzen zwischen Ausschußentscheidungen und Plenarbeschlüssen kommt, wird vereinzelt angeregt, in den Ausschüssen die Stimmen entsprechend dem Plenum des Bundesrates zu staffeln 52 .
§ 2 Die Stimmenverteilung im Bundesrat als Rechtsproblem Neben den bereits angesprochenen Punkten verbinden sich mit der grundgesetzlichen Ausgestaltung der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG weitere Aspekte. Die hierzu geführten Diskussionen und die Veränderungen der Stimmenstaffelung seit 1949 sollen an dieser Stelle aufgezeigt werden; auch wenn sich die rechtlich problematischen Fragen in erster Linie an die Einwohnerzahl, deren Ermittlung und Einfluß auf die Stimmenzahl im Bundesrat knüpfen, so ist nämlich doch die grundgesetzlich normierte Staffelung der Stimmen selbst für sich allein genommen rechtlich nicht ohne Brisanz.
I. Die Staffelung der Stimmen in Art. 51 Abs. 2 GG 1. Die Entwicklung bis zur deutschen Wiedervereinigung Nach der ursprünglichen Regelung in Art. 51 Abs. 2 GG standen jedem Land mindestens drei Stimmen und Ländern mit mehr als zwei Millionen Einwohnern vier sowie Ländern mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf Stimmen zu 5 3 . Bei den Stimmen Berlins bestand insofern eine Besonderheit. Da Groß-Berlin in Art. 23 a.F. GG als Land genannt war, in dem das Grundgesetz gilt, durfte (West-) Berlin nach Art. 144 Abs. 2 GG Vertreter in den Bundesrat entsenden. Aufgrund der Vorbehalte der Alliierten 54 waren die Berliner Mitglieder aber bei 50
Hinsichtlich der Mitwirkung bei der Gesetzgebung vgl. die Statistiken in: Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 284 ff. 51 Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 7. 52 Laufer, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 229 f. 53 Grundgesetz v. 23.5.1949 (BGBl. S. 1); zur Stimmenverteilung im Bundesrat ab der 1. Sitzung am 7.9.1949 (StenBer. BR, S. 1) vgl. Anhang I. 54 Vgl. das Schreiben der Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen vom 12.5.1949, wo unter Nr. 4 die Vorbehalte für Berlin ausgesprochen wurden (abgedruckt in: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (Hrsg.), Dokumente zur Berlin-Frage 1944-1966, Bd. 1, 4. Aufl., 1987, Dok. Nr. 94), und das hierin in Bezug genommene Memorandum vom 2.3.1949 (Dok. Nr. 84).
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1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
Akten der Ausübung von Bundesgewalt nicht stimmberechtigt 55. Damit reduzierte sich die Zahl der ausschlaggebenden Stimmen um den Berlin zustehenden Stimmenanteil. Erst im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung konnte das Land Berlin in der 615. Sitzung am 22.6.1990 56 erstmals uneingeschränkt sein Stimmrecht ausüben, nachdem durch Schreiben der Botschafter der drei Westalliierten an den Bundeskanzler vom 8.6.1990 der alliierte Stimmrechtsvorbehalt aufgehoben worden war 5 7 . Durch die Neugliederung der Länder mit der Bildung eines großen Südweststaates Baden-Württemberg aus Baden, Württemberg-Baden, und Württemberg-Hohenzollern 58, veränderte sich die Stimmenverteilung 1952 erstmals 59 und ein weiteres mal 1957 durch den Beitritt des Saarlandes zum Geltungsbereich des Grundgesetzes 60; die Staffelung in Art. 51 Abs. 2 GG wurde dabei aber nicht modifiziert. Danach blieben die Stimmenzahlen im Bundesrat bis zur 620. Sitzung am 27.10.199061 konstant, und auch die Regelung in Art. 51 Abs. 2 GG wurde bis 1990 nicht angetastet. Die Stimmenstaffelung des Grundgesetzes war in dieser Zeit jedoch nicht unumstritten. Seit 1969 wurde die Parteipolitisierung des Bundesrates kontrovers erörtert, nachdem sich in Bundestag und Bundesrat parteipolitisch unterschiedliche Mehrheiten gegenüberstanden62. Der Frage nach der Zulässigkeit einer derartigen Parteipolitisierung soll an dieser Stelle aufgrund der Vielzahl hierzu bereits vorliegender Veröffentlichungen 63 nicht erneut aufgegriffen werden. Als Ergebnis dieser Debatte ist jedoch festzuhalten, daß der verstärkte parteipolitische Einfluß zwischenzeitlich überwiegend verfassungsrechtlich akzeptiert ist 6 4 , obschon dem Bundesrat ursprünglich eine
55 Zu dem Sonderstatus von Berlin im Bundesrat: Dehner, Die Stellung Berlins im Bundesrat, 1987, S. 45 ff. 56 SteriBer. BR, S. 323. 57 BR-Drs. 430/90. 58 Vgl. hierzu Hennings, Der unerfüllte Verfassungsaufitrag, 1983, S. 65 ff. 59 Zur Stimmenverteilung im Bundesrat ab der 84. Sitzung am 9.5.1952 (StenBer. BR, S. 179) vgl. Anhang II. 60 Zu der Eingliederung des Saarlandes: Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 73 ff.; zur Stimmenverteilung vgl. Anhang II. 61 StenBer. BR, S. 541. 62 H. Laufer, Reform des Bundesrates?, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 395 ff. (400). 63 Z.B. R. Herzog, BayVBl. 1966, 181 ff.; H Laufer, ZParl. 1970, 318 ff.; F.K. Fromme, ZRP 1976, 201 ff.; H. Abromeit, ZParl. 1982, 462 ff.; H. H. Klein, DÖV 1971, 325 ff.; ders., AöR 108 (1983), 329 (358 ff.). 64 D. Blumenwitz, in: BK, Art. 50 Rn. 57 (Zweitbearbeitung 1987); W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 50 Rn. 6; D. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (191).
§ Die Stimmenverteilung im Bundesrat als
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eher staatspolitische Rolle zugedacht war 65 . Eine Grenze bildet dabei allerdings die Verfassungsorgantreue 66, die die Staatsorgane untereinander verpflichtet, ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen verantwortlich, gewissenhaft und autonom wahrzunehmen 67. Die politische Entwicklung wurde jedoch vereinzelt zum Anlaß genommen, eine Änderung der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG zu fordern 68 . Insbesondere die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen verlangte für ihr Land ein größeres Stimmengewicht, da es aufgrund der großen Bevölkerungszahl im Vergleich mit anderen Ländern unterrepräsentiert sei 69 . In der hierdurch entstanden Atmosphäre nahm die Enquête-Kommission Verfassungsreform ihre Arbeit auf. Sie hatte die Aufgabe zu prüfen, ob und inwieweit es erforderlich sei, das Grundgesetz den damaligen und voraussehbaren zukünftigen Erfordernissen - unter Wahrung seiner Grundprinzipien - anzupassen70. Die Kommission beschäftigte sich hinsichtlich einer Reform des Bundesrates71 intensiv mit der Stimmenstaffelung. In ihrem Schlußbericht vom 9.12.197672 kam sie allerdings zu dem Ergebnis, daß das bestehende Bundesratsmodell beibehalten werden sollte. Sie sah keine Notwendigkeit, den in Art. 51 Abs. 2 GG enthaltenen Kompromiß zwischen der gleichen Stimmenzahl aller Länder und der Zuerkennung einer Stimme für eine bestimmte Kopfzahl der Bevölkerung ohne Begrenzung der Stimmen eines Landes nach oben aufzugeben 73. Dies wäre nach Meinung der Kommission nur dann unerläßlich gewesen, wenn sich im Vergleich zu 1949 das Verhältnis der Länder untereinander und zum Bund, namentlich in ihrer Einwohnerzahl und der Grenzziehung, erheblich verändert hätte. Das sei jedoch nicht der Fall, und eine Neuregelung der Stimmenstaffelung ersetze bloß die Entscheidung des Grundgesetzgebers durch eine andere Wertung 74 . Allerdings war dieses Ergebnis in der Kommission nicht unumstritten, wie der Schlußbericht 75 und die Sonder-
65 Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes fur die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 56 f. 66 D. Blumenwitz, in: BK, Art. 50 Rn. 57 (Zweitbearbeitung 1987); D. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (191). 67 Stern,, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl., 1984, S. 134 f.; allgemein grundlegend zur Verfassungsorgantreue Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977. 68 E. Hein, Die demokratische Gemeinde 1972, 103 ff. 69 P. Schindler, ZParl. 1972, 148 (149). 70 BT-Drs. 7/5924, S. 4. 71 BT-Drs. 7/5924, S. 95 ff. 72 BT-Drs. 7/5924, S. 1. 73 BT-Drs. 7/5924, S. 100. 74 BT-Drs. 7/5924, S. 100. 75 Dies wird deutlich, wenn es heißt, daß die Änderung des Verteilungsschlüssels „gegen eine starke Minderheit abgelehnt" wurde (BT-Drs. 7/5924, S. 100).
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1. Teil: Einfuhrung und Problemaufriß
voten 76 zeigen. Insbesondere wurde für eine Repräsentation aller politischen Kräfte in den Ländern plädiert 77 , die sich letztlich jedoch nicht durchsetzen konnte. 2. Veränderungen im Zuge der Wiederherstellung
der deutschen Einheit
Erst aufgrund von Art. 4 Nr. 3 EV vom 31.8.1990 wurde durch das Einigungsvertragsgesetz die ursprüngliche Fassung von Art. 51 Abs. 2 GG mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 29.9.199078 modifiziert. Gleich blieb, daß jedes Land mindestens drei Stimmen besitzt. Nur die Verteilung darüber hinausgehender Stimmen wurde zu der derzeit geltenden Regelung abgewandelt. Für die neuen, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstandenen Länder 79 nahmen von der 621. Sitzung am 8.10.199080 bis zur 624. Sitzung am 9.11.1990 lediglich Landesbevollmächtigte mit beratender Stimme teil (Art. 43 EV) 8 1 . Erst von der Sitzung am 9.11.1990 an wirkten nach den Wahlen der Ministerpräsidenten Mitglieder der Landesregierungen aus den beigetretenen Ländern im Bundesrat mit. Die Stimmenanteile Baden-Württembergs, Bayerns, Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens waren zu diesem Zeitpunkt schon aufgrund des Inkrafttretens der Neuregelung in Art. 51 Abs. 2 GG jeweils um eine Stimme gestiegen82. Ein großes Land besitzt auch nach der Neufassung nicht mehr Stimmen als zwei kleine zusammen. Außerdem hatte die neue Staffelung - zumindest damals - zur Folge, daß sowohl die vier großen Länder mit ihren 24 Stimmen als auch die neuen Länder zusammen mit Berlin eine Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen innehatten, die 23 Stimmen betrug. Das Gewicht der zahlreichen kleineren Länder stieg gegenüber den wenigen bevölkerungsreichen Län-
76
Vgl. die Sondervoten von Schäfer, BT-Drs. 7/5924, S. 108 ff. und Jaeger , BT-Drs. 7/5924, S. 110 f. 77 Schäfer, BT-Drs. 7/5924, S. 108 (109). 78 Der Einigungsvertrag, das Einigungsvertragsgesetz sowie weitere Urkunden wurden am 28.9.1990 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (für den Bundesrat insbes. bedeutsam: BGBl. II S. 889 ff, (890)); am 29.9.1990 erfolgte die nach Art. 45 EV erforderliche Mitteilung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, daß die für die Einheit erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen vorlägen (vgl. Mitteilung im BGBl. II S. 1360), so daß der Einigungsvertrag am gleichen Tag in Kraft trat und die Wiedervereinigung am 3.10.1990 vollzogen werden konnte. 79 Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurden die fünf neuen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg als solche Länder der Bundesrepublik Deutschland, Art. 1 EV. 80 StenBer. BR, S. 543. 81 StenBer. BR, S. 617. 82 Zur Stimmenverteilung ab der 624 Sitzung am 9.11.1990 vgl. Anhang III.
§ Die Stimmenverteilung im Bundesrat als e s o l m
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dem. Hatten die großen Länder bis dahin 20 von 41 und somit fast die Hälfte der Stimmen, so reduzierte sich ihr Gewicht nun auf fast 1/3 der Stimmen. Begründet wurde die neue Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG damit, daß die bisherige Balance in der Stimmenverteilung zwischen großen, mittleren und kleinen Ländern erhalten bleiben solle 83 . Ein Überstimmen der größeren Länder mit Zweidrittelmehrheit sollte weiterhin verhindert werden 84 . Der jetzt in Art. 51 Abs. 2 GG getroffenen Stimmenstaffelung gingen im August 1990 im Bundesrat Diskussionen voraus, in denen sowohl Bayern 85 als auch Nordrhein-Westfalen 86 stärkere Abstufungen der Stimmenstaffelung vorschlugen, um so der von ihnen befürchteten Einbuße an Stimmengewicht der großen, bevölkerungsreichen Flächenstaaten entgegenzuwirken 87. Andernfalls - so das Argument - würde der im Parlamentarischen Rat 88 gefundene Kompromiß aufgegeben 89 und der Ausgleich zwischen der dem Bundesstaatsprinzip entsprechenden Gleichheit der Länder und der im Demokratieprinzip gegründeten angemessenen Repräsentanz der Landesbevölkerung würde zu Lasten des Demokratieprinzips gestört 90 . Der Bundesrat stimmte der bayerischen Initiative, die zugunsten NordrheinWestfalens modifiziert wurde 91 , zu 9 2 . In der Begründung des Bundesrates heißt es, der Bundesrat habe aufgrund der Zunahme der Zustimmungsgesetze zuneh-
83
Zu der Entwicklung und den Alternatiworschlägen, im Zusammenhang mit der Neuregelung in Art. 51 Abs. 2 GG: E. Busch, ZG 1990, 307 ff. 84 V. Busse, DÖV 1991, 345 (350); E. Klein, DÖV 1991, 569 (573); H. Weis, AöR 116 (1991), 1 (28); E. Busch, ZG 1990, 307 ff. 85 Der Bayerische Vorschlag, dem Baden-Württemberg und Hessen beitraten (H. Klatt, VerwArch. 82 (1991), 430 (437)), sah vor, daß alle Länder drei Stimmen haben sollten. Länder mit bis zu drei Millionen Einwohnern sollten vier, Länder mit bis zu fünf Millionen Einwohnern fünf, Länder mit bis zu sieben Millionen Einwohnern sechs und Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sieben Stimmen besitzen (BR-Drs. 551/90). 86 Nach dem nordrhein-westfâlischen Vorschlag sollte es für die Länder mit bis zu sieben Ländern bei der bisherigen Staffelung bleiben und nur die Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs, Länder mit mehr als 10 Millionen Einwohnern sieben und Länder mit mehr als 15 Millionen Einwohnern acht Stimmen erhalten; BR-Drs. 557/90. 87 H: Klatt, VerwArch. 82 (1991), 430 (437). 88 Zu den Diskussionen um den Bundesrat insgesamt: Κ Β. v. Doemming, JöR n.F. 1 (1951), 379 ff.; R. Morsey, Die Entstehung des Bundesrats im Parlamentarischen Rat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 63 ff.; D. Blumenwitz, in: BK, Vorbem. z. Art. 50-53, Rn. 20 ff (Zweitbearbeitung 1987). 89 BR-Drs. 551/90, S. 4. 90 BR-Drs. 557/90, S. 4. 91 Nordrhein-Westfalen sollte aufgrund seiner Bevölkerungszahl gegenüber den drei anderen großen Bundesländern einen Bonus von einer Stimme und damit insgesamt acht Stimmen erhalten (£. Busch, ZG 1990, 307 (316 f.)). 92 BR-Drs. 551/90 (Beschluß).
1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
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mend den Charakter einer zweiten Kammer gewonnen. Diesem Bedeutungszuwachs des Bundesrates müsse bei der Stimmenstaffelung mit einer stärker differenzierten Berücksichtigung der Einwohnerzahlen der Länder Rechnung getragen werden 93 . Ein Antrag des Saarlandes94, die Modifikation der Stimmenstaffelung auf einen Zeitpunkt nach Vollzug der Wiedervereinigung zu vertagen, wurde mit der Mehrheit der großen Länder abgelehnt95. Ebenso hatte ein Berliner Antrag 96 , die Bundesregierung zu bitten, den Gesetzesantrag dem Bundestag erst nach einer Stellungnahme der betroffenen künftigen neuen Länder zuzuleiten, keinen Erfolg 97 . Der Vorschlag des Bundesrates zur Neufassung der Stimmenstaffelung wurde allerdings in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zum Einigungsvertrag mit Zustimmung der DDR abgeschwächt und fand so schließlich Eingang in das Grundgesetz 98. In Anbetracht der jetzigen Lösung mit der rechnerisch geringstmöglichen Staffelung der Stimmen ist nicht auszuschließen, daß bei den Diskussionen im Bundesrat verfassungsrechtliche Assoziationen an die frühere Vormachtstellung Preußens im Bundesrat des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches mitgeschwungen haben 99 . Die neue Staffelung der Stimmen wurde jedoch auch scharf kritisiert. So sei die zusätzliche Stimme ab sieben Millionen Einwohnern ausschließlich eine Begünstigung der alten Länder, da die neuen Länder diese Zahlen nicht annähernd erreichten 100 . Obendrein sei die angestrebte Sperrminorität der großen Länder nicht vom Regelungszweck der Vorschrift umfaßt, denn dies hätte bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat keine Rolle gespielt 101 . Das werde dadurch deutlich, daß vor der Neuordnung im südwestdeutschen Bereich die drei großen Länder Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit zusammen 15 von 43 Stimmen ebenfalls keine Sperrminorität besessen hätten 102 . Außerdem wurde gegen das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Einwand der Verfassungswidrigkeit erhoben, weil die Neufassung des Art. 51 Abs. 2 GG nicht beitrittsbedingt oder -bezogen gewesen sei und deshalb nicht im Einigungsvertrag, den die zur Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften nur als ganzes billigen oder ablehnen konnten, hätte geregelt werden dürfen 103 . Aller-
93
BR-Drs. 551/90 (Beschluß), S. 3. BR-Drs. 551/3/90. 95 E. Busch, ZG 1990, 307 (315) Fn. 22. 96 BR-Drs. 551/4/90. 97 E. Busch, ZG 1990, 307 (315) Fn. 22. 98 H. Klatt, VerwArch. 82 (1991), 430 (438); vgl. Art. 4 Nr. 3 EV. 99 E. Busch, ZG 1990, 307 (318). 100 H. Meyer, KritV 76 (1993), 399 (414). 101 H. Meyer, KritV 76 (1993), 414 f.; E. Busch, ZG 1990, 307 (313). 102 H Meyer, KritV 76 (1993), 415. 103 Vgl. H. Meyer, KritV 76 (1993), 399,416 ff. 94
§ Die Stimmenverteilung im Bundesrat als e s o l m
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dings geht diese Kritik fehl, denn für den Einigungsvertrag hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß dieser seine Grundlage in Art. 23 S. 2 GG in Verbindung mit dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes finde 104. Bei dem Hinwirken auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit sei den Verfassungsorganen deshalb ein weiter Gestaltungsspielraum zugekommen, so daß die Bundesregierung beitrittsbezogene Änderungen des Grundgesetzes zum Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen machen konnte. Wenn die Veränderung der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG auch nicht von der DDR oder einem dritten Staat zur Bedingung der deutschen Einheit gemacht worden ist, so war sie jedoch wesentlich für die Akzeptanz in den alten, insbesondere den großen Ländern. Die Neuregelung der Stimmenstaffelung war deshalb eine unmittelbar notwendige Reaktion auf Änderungen der Verhältnisse, die durch den Beitritt der DDR ausgelöst worden waren 105 . Zudem konnte man die Forderung der großen Länder nach einer veränderten Stimmenstaffelung nicht einfach unberücksichtigt lassen. Selbst wenn die großen Länder aufgrund des Wiedervereinigungsgebots des Grundgesetzes nicht mit ihrer Sperrminorität die Zustimmung des Bundesrates zum Einigungsvertrag hätten verweigern dürfen, so bestand doch eine zeitliche Notwendigkeit, schnell zu handeln. Die Länder hätten aber das Ratifiziungsverfahren verzögern können, womit der gesamte Erfolg des Wiedervereinigungsprozesses in Frage gestellt worden wäre 106 . 3. Aktuelle Stimmenverteilung Durch den Stimmenzuwachs Hessens im Januar 1996 107 hat sich die Stimmenverteilung seit der 693. Sitzung am 9.2.1996 im Vergleich zu 1990 nunmehr geändert 108 . Die notwendige Stimmenzahl für die absolute Mehrheit ist mit 35 Stimmen unverändert geblieben. Die Zweidrittelmehrheit liegt ebenfalls weiterhin bei 46 Stimmen, doch haben die neuen Länder und Berlin mit ihren 23 Stimmen die Sperrminorität verloren. Die Sperrminorität der großen Länder mit ihren 24 Stimmen blieb dagegen erhalten. Der Stimmenzuwachs Hessens im Januar 1996 war die erste Veränderung in der Stimmenverteilung des Bundesrates in der Nachkriegszeit, die auf ein Überschreiten der in Art. 51 Abs. 2 GG aufgeführten Grenzen zurückzuführen ist. Alle vorangegangenen Bewegungen in den Stimmenzahlen waren auf Neugliederungen des Bundesgebietes bzw. das Hinzutreten weiterer Länder und damit
104
BVerfGE 82, 316 (320); 84, 90 (118). W. Schäuble, ZG 1990, 289 (302 f.). 106 Zur Gefahrdung der Wiedervereinigung durch Verzögerung der Ratifizierung des Einigungsvertrages vgl. auch BVerfGE 84, 90 (119). 107 Pressemitteilung des Bundesrates 5/96 vom 18.1.1996; Näheres dazu oben S. 18. 108 StenBer. BR, S. 1; zu der aktuellen Stimmenverteilung vgl. Anhang IV. 105
3 Deecke
34
1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
verbundenen Neuregelungen des Grundgesetzes zurückzuführen. Die flexible Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG kam damit erst nach über 45 Jahren des Bestehens des Grundgesetzes in der Praxis zur Anwendung. Dies zeigt, daß die Stimmenstaffelung trotz ihrer Anlage auf Veränderung so strukturiert ist, daß eine Kontinuität innerhalb des föderativen Organs gewährleistet ist. 4. Veränderungsnotwendigkeit
bei Länderneugliederung
Bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes hatte es Versuche gegeben, die von den Alliierten in ihren Besatzungszonen geschaffenen Ländergrenzen zu verändern 109 . Entsprechend spielte im Herrenchiemseer Konvent 1 1 0 sowie im Parlamentarischen Rat 1 1 1 die Frage der Neugliederung der Länder eine so große Rolle, daß sie später in der Regelung des Art. 29 G G 1 1 2 ihren Niederschlag fand. Zwar wurde nach der Bildung des Landes Baden-Württemberg und des Beitritts des Saarlandes in den fünfziger Jahren die Frage der Länderneugliederung immer wieder aufgeworfen 113 , doch blieb der territoriale Zuschnitt der Länder über diese beiden Anlässe hinaus unverändert. Die Neugliederung der Länder wurde erst im Zusammenhang mit dem deutschen Einigungsprozeß erneut ausführlich behandelt 1 1 4 und zog eine Änderung des Art. 29 GG sowie die Einfügung des Art. 118 a GG im Hinblick auf den Raum Berlin/Brandenburg nach sich 1 1 5 . I m Kontext mit den zu einer Neugliederung des Bundesgebietes geführten Debatten war und ist die Frage der Stimmenstaffelung im Bundesrat von wesentlicher Bedeutung. Es erscheint zweifelhaft, ob es bei einer Reduzierung der Zahl der Länder bei gleichzeitiger Schaffung etwa gleich großer Länder bei einer schematischen Änderung der zahlenmäßigen Zusammensetzung des Bun-
109 So der Auftrag der Alliierten an die Ministerpräsidenten in den Frankfurter Dokumenten vom 1.7.1948 (Frankfurter Dokument Nr. 2, in: Parl.Rat, Bd. 1,1975, S. 32 f.). 110 Parl.Rat, Bd. II, 1981, S. 518 f. 111 W! Matz, JöRn.F. 1 (1951), 269 ff. 112 Die Vorschrift wurde 1969 (Gesetz vom 19.8.1969 (BGBl. I S. 1241)), 1976 (Gesetz vom 23.8.1976 (BGBl. I S. 2381)) und letztmals 1994 (Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. IS. 3146)) geändert. 113 Vgl. Schäfer, Der Bundesrat, S. 41; zu der Diskussion in den siebziger Jahren etwa: G. Püttner, DÖV 1971, 540 ff.; W. Weber, DÖV 1974, 14 ff.; U. Scheuner, DÖV 1974, 16 ff., Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983; aus neuerer Zeit: W. Ernst, DVB1. 1991, 1024 ff.; Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995; Rutz, Die Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Länder, 1995. 114 H KlatU VerwArch. 82 (1991), 430 (447 ff.); Bundestag (Hrsg.), Bericht der Gemeinsame Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 43 ff.; hierzu: K. MeyerTeschendorf DÖV 1993, 889 ff. 115 Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I S. 3146).
§ Die Stimmenverteilung im Bundesrat als e s o l m
35
desrates bleiben kann 1 1 6 . Zu den in den siebziger Jahren erwogenen Lösungen 117 auf dem Gebiet der alten Länder wurde einerseits die Ansicht vertreten, die Länder seien nach einer Neugliederung und der damit verbundenen neuen Machtverteilung im Bundesstaat eher in der Lage, ihre Interessen gegenüber dem Bund geltend zu machen 118 . Damit sei eine erhöhte Gefahr verbunden, daß sich der Bundesrat bei parteipolitisch unterschiedlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu einem Blockadeinstrument entwickeln könne 119 . A u f der anderen Seite wurde auf die Gefahr einer Nivellierung zwischen Bundes- und Landespolitik hingewiesen, da neugeschaffene, größere Länder sich stärker an den Bund anglichen und spezifische Interessen begrenzter Gebiete viel weniger zur Geltung kämen 120 . Für die in Betracht gezogenen Lösungen wurden deshalb vereinzelt Änderungen der damaligen Fassung des Art. 51 Abs. 2 GG befürwortet 121 . Die Erwägungen aus den siebziger Jahren zur Neugliederung der Länder und zum Bundesrat haben heute jedoch nur noch begrenzten Aussagewert. Zwar können die grundsätzlichen Bedenken gegen die Schaffung größerer Länder auch heute noch Geltung beanspruchen. Doch dienen die Diskussionen der siebziger Jahre darüber hinaus nur als Hinweis darauf, daß bei einer zukünftigen Länderneugliederung die Stimmenstaffelung im Bundesrat zu beachten und gegebenenfalls zu ändern wäre. Im Vorfeld der Vereinigung Berlins und Brandenburgs wurden derartige Veränderungen - soweit ersichtlich - allerdings nicht angeregt. In diesem Zusammenhang erschien eine Modifikation der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG auch nicht angezeigt, da es sich hier nur um eine räumlich begrenzte Neugliederung gehandelt hätte. Mit ihr wäre das Machtverhältnis zwischen Bund und Ländern nicht derart grundlegend erschüttert worden, daß eine Revision der bisherigen Struktur erforderlich gewesen wäre. Die Staffelung in Art. 51 Abs. 2 GG hätte der Wahrung des Gesamtsystems und den neuen Gewichten ausreichend Rechnung getragen 122 . Nachdem die Vereinigung von Berlin und Bran-
116 Laufer, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 219 f.; ders., Der Bundesrat, 1972, S. 39; v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 51 Anm. 2 c). 117 Vgl. hierzu Sachverständigenkommission fiir die Neugliederung des Bundesgebietes, 1973, S. 126 ff.; Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 109 ff. 118 F. Scharpf Das Parlament Nr. 37 vom 15.9.1973, S. 10. 119 F. Scharpf Das Parlament Nr. 37 vom 15.9.1973, S. 10. 120 G. Püttner, DÖV 1971, 540 f. 121 F. Wagener, Neugliederung des Bundesgebietes und Bundesrat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 423 ff. (448); R. Hrbek, ZParl. 1972, 150 (160 f.). 122 Nach einer Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg hätte sich deren Stimmenzahl im Bundesrat von derzeit jeweils 4 voraussichtlich auf insgesamt 5 des neu entstandenen Landes verringert. Allerdings trifft diese Einschätzung nur zu, wenn Ausländer als Einwohner dabei berücksichtigt würden, denn in diesem Fall (nach dem derzeitigen Zahlenstand) hätten beide Länder zusammen knapp über 6 Millionen Einwohner.
36
1. Teil: Einfhrung und Problemaufriß
denburg nach den Volksentscheiden vom 5.5.1996 zumindest mittelfristig gescheitert ist, scheint eine weitreichende Neugliederung der Länder in absehbarer Zukunft wenig wahrscheinlich 123 . Hinzu kommt, daß trotz der politischen Willensbekundungen124 hinreichend konkrete Ansätze nicht ersichtlich sind 1 2 5 . Es soll deshalb das mit einer territorialen Neugestaltung verbundenen Problem, die Stimmenstaffelung im Bundesrat zu verändern, nicht weiter untersucht werden. Wichtig ist insoweit allerdings die Feststellung, daß bei einer Neugliederung des Bundesgebietes in größerem Umfang, eine Veränderung der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG unvermeidlich ist.
I I . Problemstellung Die dargestellten Entwicklungen und Probleme dürfen nicht den Blick auf die verfassungsrechtlichen Fragen verstellen, die darüber hinaus mit Art. 51 Abs. 2 GG verbunden sind. Der VerfassungsWortlaut in Art. 51 Abs. 2 GG ist zwar oberflächlich betrachtet eindeutig. Die Modalitäten für die Stimmenverteilung in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl mit Mindest- und Höchstwerten für die Anzahl der Stimmen scheinen geklärt. Doch läßt der Verfassungstext bei genauerer Betrachtung eine Vielzahl von Fragen offen. Das betrifft zunächst - erstens - den Einwohnerbegriff, also die Frage, wer eigentlich „Einwohner" im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG ist und an Hand welcher Kriterien die Einwohnereigenschaft zu bestimmen ist 1 2 6 . Es könnten als Einwohner ausschließlich Deutsche oder darüber hinaus Ausländer und Staatenlose gemeint sein. Voraussetzung für die Einwohnereigenschaft könnte daneben ein bestimmter Zeitfaktor, also die Dauer der Anwesenheit an einem Ort, oder eine besondere Art der „Verwurzelung" mit dem Aufenthaltsort sein. Im Gegensatz dazu könnte ein Einwohnerbegriff stehen, der die Zuordnung als lediglich formalen Akt begreift und der es dem Bund, den Ländern oder sogar dem Einzelnen überläßt, die Einwohnereigenschaft zu definieren.
Rechnete man dagegen die Ausländer heraus, hätte das neue Land Berlin-Brandenburg bei einer Einwohnerzahl von 5,5 Millionen lediglich 4 Stimmen im Bundesrat besessen. 123 Bereits vor dem Versuch einer Vereinigung Berlins und Brandenburgs eher zweifelnd W. Ernst, DVB1. 1991, 1024 (1030); ebenfalls skeptisch: Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 216 ff. 124 Laufer, Dasföderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 223 bezeichnet diese Willensbekundungen sogar als unseriös. 125 Vgl. aber die Vorschläge bei Rutz, Die Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Länder, 1995, S. 18 ff.; die Frage, wie lange die Bürger bereit sind, die „Kosten der Kleinheit" der Länder zu tragen, spricht P. Lutz, StWiss 1996, 137 (141 ff.) an. 126 Dazu §3.
§ Die Stimmenverteilung im Bundesrat als e s o l m
37
Zweitens ist der Problemkreis zu untersuchen, der an die Ermittlung der Einwohnerzahlen anknüpft 127 . Es geht also um das Verfahren, wie und von wem die Zahl der Einwohner verbindlich festgestellt werden soll. Auch hierzu sind dem Wortlaut der grundgesetzlichen Regelung keine Vorgaben zu entnehmen. Nach § 27 GOBR bemißt sich die Anzahl der Stimmen, die einem Land gemäß Art. 51 Abs. 2 GG zustehen, nach den Ergebnissen der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung, sofern nicht die Ergebnisse einer amtlichen Volkszählung vorliegen. Diesbezüglich ist zu untersuchen, wie diese Verfahren ausgestaltet sind und ob sie gegebenenfalls grundgesetzlichen Anforderungen an Genauigkeit und Periodizität genügen. Hinzu kommen - drittens - Fragen, die ebenfalls aus der bisherigen Verfassungspraxis resultieren und das Verfahren innerhalb des Bundesrates zur Anpassung der jeweiligen Stimmenzahl an die ermittelten Einwohnerzahlen betreffen 128 . Zweifelhaft ist etwa, auf welchen Zeitpunkt für die Wirksamkeit der Veränderungen im Bundesrat abzustellen ist und ob insofern eine besondere Form der Veröffentlichimg durch das Grundgesetz vorgegeben wird. Probleme können sich außerdem ergeben, wenn die Einwohnerzahl eines Landes über einen längeren Zeitraum um eine in Art. 51 Abs. 2 GG enthaltene Grenze „mäandriert". Bei solchen Schwankungen fragt sich, wie darauf zu reagieren ist. Es ist denkbar, daß entweder eine „Stichtagsregelung" helfen könnte oder die Stimmenzahl im Bundesrat dauernd - quasi von Sitzung zu Sitzung - überprüft und gegebenenfalls ständig angepaßt werden müßte. Ausdrücklich sieht das Grundgesetz hierzu nichts vor, so daß sich die Notwendigkeit der Auslegung und der Klärung von Zweifelsfragen aufdrängt. Da auch die Geschäftsordnung des Bundesrates hierzu keine Regelungen enthält ist von besonderem Interesse, wie seit Entstehung des Grundgesetzes im Bundesrat verfahren wurde und ob sich vielleicht eine Form der Staatspraxis gebildet hat, die mit den Anforderungen des Grundgesetzes im Einklang steht. Bereits hier deutet sich - viertens - das Dilemma an, daß mit ausdrücklichem Bezug auf die Stimmenverteilung im Bundesrat unterhalb der Ebene des Grundgesetzes nur die Regelung des § 27 GOBR existiert. Diese Vorschrift wird damit zum Dreh- und Angelpunkt für die inhaltliche Ausformung der in Art. 51 Abs. 2 GG angelegten Stimmenstaffelung. Hieraus resultiert, daß das Grundgesetz in wesentlichen Punkten durch eine Geschäftsordnungsregelung ausgelegt und interpretiert wird. Dieser Vorgang der Auslegung und Interpretation entfaltet unmittelbare Auswirkungen auf die Teilhaberechte der Länder im Bundesrat. Dies ist der Ansatz für die Frage, ob dieses Recht zur Auslegung und Interpretation wirklich dem Bundesrat selbst im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie zusteht, oder ob nicht der Gesetzgeber dazu berufen ist, die notwendigen Ausfuhrungsbestimmungen zu erlassen 129.
127 128 129
Dazu § 4. Dazu § 5. Dazu § 6.
Zweiter Teil
Verfassungsrechtliche Beurteilung der Praxis der Stimmenverteilung § 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff Art. 51 Abs. 2 GG enthält keine Legaldefinition, welche Personen unter den Begriff des Einwohners zu fassen sind1. Er bedarf deshalb einfachrechtlicher Konkretisierung. Daher ist zu klären, ob und gegebenenfalls welche grundgesetzlichen Anforderungen bei dieser Konkretisierung zu berücksichtigen sind und wie die Praxis etwaigen Direktiven des Grundgesetzes nachkommt. I. Aussagen des Grundgesetzes 1. Methodologische Vorüberlegungen Wo sich verfassungsrechtliche Fragen an Hand der Verfassung nicht definitiv entscheiden lassen, wird die Verfassungsinterpretation notwendig 2 . Das Bundesverfassungsgericht und mit ihm der Großteil der Literatur 3 folgt dabei im wesentlichen der klassisch-hermeneutischen Interpretationslehre an Hand der canones Grammatik, Systematik, Telos und Historie. Allerdings wird die Bedeutung der Verfassung als organisatorische und materiale Grundordnung des Staats- und Gemeinschaftslebens, ihr Rang und Einfluß auf die gesamte Rechtsordnung sowie die Eigenart der Verfassungsrechtssätze mit ihren häufig weiten, unbestimmten und unvollständigen Formulierungen 4 durch zum Teil
1
Zur fehlenden Eindeutigkeit des Einwohnerbegriffs im Grundgesetz vgl. auch T. Maunz/R. Herzog/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 29 Rn. 77 (Bearbeitung Maunz/Herzog 1977/Scholz 1996); zum Einwohnerbegriff des Art. 51 Abs. 2 GG: E. Hein, Die demokratische Gemeinde 1972, 103 (105). 2 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, § 2 Rn. 49. 3 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 123 ff. (125) m.w.N.; v. Münch, Staatsrecht I, 5. Aufl., 1993, Rn. 36 f.; C. Starck, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 164 Rn. 18 ff.; Stein, Staatsrecht, 15. Aufl., 1995, S. 36 ff.; zur Entwicklung und den Grundlagen des Methodenstreits in der Staatsrechtswissenschaft vgl. Wyduckel, lus Publicum, 1984, S. 289 ff. 4 Zu den Besonderheiten der Verfassungsnormen vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 127 ff.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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erhebliche Modifikationen dieser canones anerkannt: Danach soll der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Verfassungsgebers maßgebend sein, so wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschrift eingestellt ist 5 . Dabei werden die grammatische Auslegung an Hand des Wortlautes der Norm, die systematische Auslegung, die auf den Zusammenhang der Vorschriften abstellt, die teleologische Auslegung, die am Zweck der Regelung ansetzt, und schließlich die historische Auslegung, bei der die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte herangezogen werden 6, im Verhältnis gegenseitiger Ergänzung, gleichzeitig und nebeneinander angewandt7. Zusätzlich ist nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als Prinzip der Verfassungsinterpretation die Einheit der Verfassung zu wahren und infolgedessen sind alle Verfassungsnormen so auszulegen, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung vereinbar sind8. Außerdem seien der Maßstab der funktionellen Richtigkeit, wonach durch die Auslegung nicht die Verteilung der Funktionen zwischen den Organen verschoben werden dürfe 9, und die integrierende Wirkung, das heißt die einheitsstiftende und erhaltende Wirkung der Verfassung 10 , zu beachten. Eine faktische Bedeutung bei der Auslegung billigt das Bundesverfassungsgericht schließlich der Staatspraxis und damit dem Aspekt zu, wie eine Norm von den Beteiligten angewandt und verstanden wird 1 1 . Der Sinn einer Vorschrift soll sich also auch mit Hilfe ihrer bisherige Handhabung durch oberste Verfassungsorgane seit Inkrafttreten des Grundgesetzes erhellen 12 . Die Staatspraxis sei aber allenfalls Gegenstand, nicht Maßstab der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Akten der öffentlichen Gewalt 13 . Bei Zweifeln über den Sinn einer Norm sei es zwar geboten, der Staatspraxis Rechnung zu tragen, doch könne die Staatspraxis nicht die eindeutige oder durch Auslegung ermittelten Anforderungen einer Verfassungsnorm verdrängen 14. Dem dargestellten Vorgehen bei der Verfassungsinterpretation schließt sich ein Teil der Literatur nicht uneingeschränkt an 15 . Weil sich das Verfassungsrecht 5
BVerfGE 1, 299 (312); 62, 1 (45) m.w.N. BVerfGE 11, 126 (130); 35, 263 (278 f.). 7 BVerfGE 35, 263 (279). 8 BVerfGE 30, 1 (19) m.w.N. 9 BVerfGE 1, 97 (100 f.); 2,213 (224 f.); 4,219 (233 f.); 57, 295 (321). 10 Vgl. etwa BVerfGE 21, 312 (326); 42, 103 (117 f.). 11 Vgl. BVerfGE 26,281 (299); 62, 1 (38 f.). 12 BVerfGE 62, 1 (38). 13 BVerfG NJW 1995, 96 (99). 14 BVerfG NJW 1995, 96 (99); vgl. zur Bedeutung der Staatspraxis für die Auslegung auch Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 440 ff. 15 Vgl. allgemein zu den unterschiedlichen Methoden der Verfassungsauslegung etwa E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2089 ff.; C Siarck, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 164 Rn. 16 ff.; B. Schlink, Der Staat 19 (1980), 73 ff. 6
40
2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
qualitativ vom Gesetzesbegriff, wie ihn die klassische Methode voraussetze, unterscheide, wird die Verfassungsauslegung vereinzelt an einer Topik (sog. topisch-problemorientierte Methode 16 ) ausgerichtet. Die Topoi werden dabei an Hand leitender Gesichtspunkte der Verfassungsauslegung zusammengestellt17. Die Rechtsgüter und Grundsätze der Verfassung verlieren hierdurch den Charakter von Normen oder normativen Prinzipien und werden statt dessen zu Interpretationsgesichtspunkten18. Allerdings ist mit dieser Folge schon die Schwäche der Methode angesprochen: Durch die Bildung von Topoi wird die Normativität der Verfassung in Frage gestellt und zu bloßen Interpretationsgesichtspunkten degradiert 19. Dies kann in letzter Konsequenz zur vollständigen Auflösung der Verfassung als Norm führen 20 . Eine Art Mittelweg zwischen der Topik und der klassischen Auslegungsmethode an Hand von canones21 bilden Auslegungsverfahren, die Verfassungsinterpretation als Konkretisierung (hermeneutisch-konkretisierende Methode 22 ) verstehen 23. Die Konkretisierung soll im wesentlichen wie im topischen Verfahren vorgenommen werden, nur daß die Gesichtspunkte durch eine Orientierung auf das zu lösende Problem, eine sachgemäße Argumentation sowie die Beachtung bestimmter Prinzipien der Verfassungsinterpretation (Einheit der Verfassung, funktionelle Richtigkeit, normative Kraft der Verfassung) ermittelt würden 24 . Der Vorgang der Interpretation sei allerdings an etwas Gesetztes gebunden und finde deshalb seine Grenze dort, wo keine verbindliche Setzung der Verfassung vorhanden ist 25 . Mit dieser Eingrenzung stellt sich jedoch das Problem, daß die Auslegung einer Verfassungsnorm ja gerade erst bei deren Unbestimmtheit erforderlich wird, hier jedoch nach der dargestellten Methode bereits die Grenze der Interpretation erreicht sein soll und damit als Bindungselement der Auslegung versagt 26.
16
Vgl. v. Münch, Staatsrecht I, 5. Aufl., 1993, Rn. 39. H. Ehmke, VVDStRL 20, 53 (55); G. Struck, Topische Jurisprudenz, 1971; Müller, Juristische Methodik, 6. Aufl., 1995, S. 92 ff. 18 H. Ehmke, VVDStRL 20, 53 (70 f.). 19 Canaris , Systemdenken und Systembegriff in der Jursiprudenz, 1983; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 2. Aufl., 1991, S. 74 f. 20 Anschaulich hat dies P. Häberle, JZ 1975,297 ff. exemplarisch dargestellt. 21 C. Starck, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 164 Rn. 24; E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2095 ff.). 22 Vgl. v. Münch, Staatsrecht I, 5. Aufl., 1993, Rn. 39. 23 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, § 2 Rn. 60 ff; Müller, Juristische Methodik, 6. Aufl., 1995, S. 41 ff. 24 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, § 2 Rn. 60 ff.; Müller, Juristische Methodik, 6. Aufl., 1995, S. 147 ff., 277 ff. 25 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, § 2 Rn. 77. 26 E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2096). 17
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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Eine weitere Vorgehensweise wird als wirklichkeitswissenschaftlich orientiert bezeichnet27. Hierbei werden bei der Verfassungsinterpretation die soziale Funktion der Verfassung, die Bewußtseinslage der Bürger oder der soziale Wandel, so wie sie der Interpret versteht, zu den entscheidenden Bezugspunkten 28 . Durch die geschaffene Elastizität wird eine Anpassung der Verfassung an die Wirklichkeit angestrebt 29. Die Schattenseite dieser Methode ist, daß die Bezugspunkte nicht mehr die normativen Vorgaben der Verfassung, sondern eine Gesamtschau und -analyse der Wirklichkeit und sozialen Funktion der Verfassung ist 30 . Die weitere Untersuchung orientiert sich wegen der genannten Schwächen der anderen Methoden der Verfassungsinterpretation an dem modifizierten „klassischen" Verfahren mittels der grammatischen, der systematischen, der historischen und der teleologischen Auslegung, wie sie regelmäßig auch das Bundesverfassungsgericht praktiziert. 2. Grammatische Auslegung a) Allgemeiner Sprachgebrauch Nach der Bedeutung des Begriffs Einwohner im allgemeinen Sprachgebrauch 31 ist dieser eine männliche oder weibliche Person, die innerhalb von etwas, in etwas (Gebiet, Raum) wohnt 32 bzw. im wesentlichen anwesend ist 33 . In personeller Hinsicht kann damit aus dem Begriff Einwohner geschlossen werden, daß nur natürliche Personen gemeint sind. Juristische Personen werden im Gegensatz dazu im allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Einwohner bezeichnet. Das Wohnen kann als ein sachliches Element des Einwohnerbegriffs die Bedeutung besitzen, seine Wohnung oder seinen ständigen Wohnsitz zu haben. Es kann aber auch fur das vorübergehende Nutzen einer Unterkunft gebraucht werden 34 . Vom Wortsinn her kann sich „Wohnen" damit sowohl auf längere Zeiträume als auch auf kürzere Perioden (wie etwa „in einem Hotel wohnen") 27 Vgl. E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2094); C. Starck, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 164 Rn. 26. 28 C. Starck, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 164 Rn. 26. 29 Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl., 1994, S. 188 ff. 30 E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2095). 31 Zum Maßstab des allgemeinen Sprachgebrauchs bei der Auslegung des Wortlauts vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 1995, S. 141 ff. 32 Duden, Bd. 10, Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl., 1985, Stichwort: Einwohner. 33 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 7, 1973, Stichwort: Einwohner. 34 Duden, Bd. 10, Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl., 1985, Stichwort: wohnen.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
beziehen. Dagegen kann unter Wohnen nicht das bloße Besitzen einer Wohnung oder Unterkunft verstanden werden. Wer eine Wohnung nur besitzt, diese aber tatsächlich nicht nutzt, wird im allgemeinen Sprachgebrauch nicht als jemand bezeichnet, der in einer Wohnung wohnt. Die Nutzung einer Wohnung oder Unterkunft von gewisser Dauer ist deshalb Voraussetzung für das Wohnen. Die Silbe „ein" in Einwohner steht als andere Form für „ i n " 3 5 . Durch diese Vorsilbe wird eine gewisse Dauerhaftigkeit des Wohnens vermittelt. Ein sich nur kurzfristig an einem Ort befindender Hotel- oder Feriengast wird aus diesem Grund nicht zu den Einwohnern gezählt 36 . Der zusammengesetzte Begriff Einwohner in Art. 51 Abs. 2 GG setzt somit die nicht nur kurzfristige Nutzung einer Wohnung oder Unterkunft in einem bestimmten Gebiet voraus. U m ein kurzfristiges von einem langfristigen Wohnen abzugrenzen, ist freilich die Feststellung einer Bezugsgröße notwendig. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Der Urlauber, der mehrere Wochen an seinem Urlaubsort verbringt, wohnt unter Umständen langfristiger an einem Ort als der Wochenendpendler, der unter der Woche an dem einen und am Wochenende an einem anderen Ort eine Unterkunft nutzt. Für zwingende Direktiven, die die zeitliche Dauer des Wohnens betreffen, lassen sich indes verfassungsrechtlich keine genauen Vorgaben entnehmen. Es ist deshalb denkbar, auf das Kalenderjahr als Bezugsgröße abzustellen und hilfsweise soziale Bindungen wie etwa die Arbeitsstätte, den Aufenthalt der Familie oder den bisherigen Lebensmittelpunkt für eine Zuordnung heranzuziehen. Da der Einwohnerbegriff in Art. 51 Abs. 2 GG im sprachlichen Kontext mit den Ländern gebraucht wird, ergibt sich aus der Formulierung „... Länder mit... Einwohnern ...", daß es sich um Einwohner der Länder handeln muß. A n Hand des allgemeinen Sprachgebrauchs kann somit festgehalten werden, daß es sich bei einem Einwohner im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG um eine natürliche Person handeln muß, die in einem Land eine Unterkunft oder Wohnung für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum nutzt. Durch diese inhaltliche Bestimmung des Einwohnerbegriffs an Hand des allgemeinen Sprachgebrauchs fallen Obdachlose, die keine feste Wohnung oder Unterkunft besitzen aus dem Einwohnerbegriff heraus. Angesichts der hohen Zahl der Obdachlosen erscheint dies auf den ersten Blick nicht unproblematisch. Für Gesamtdeutschland wurden für das Jahr 1991 150.000 alleinstehende Wohnungslose errechnet, von denen40.000 auf der Straße und ca. 110.000 in Übernachtungsstätten
35
Duden, Bd. 7, Das Herkunftswörterbuch, 2. Aufl., 1989, Stichwort: in. So auch Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, 1862, Stichwort: Einwohner, die zwischen Einwohner und Bewohner unterscheiden, wobei der Begriff Einwohner für den „festangesessenen" verwendet würde und der Bewohner der „wechselnde wohner" sei. 36
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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die Nächte verbringen 37. Auf der anderen Seite läßt sich die Zahl der Obdachlosen, die auf der Straße leben, nur schwer feststellen, da die Fluktuation in diesem Bereich besonders groß ist 38 . Genaues Datenmaterial zur Anzahl und Struktur der Betroffenen ist nicht verfügbar und beruht auf Hochrechnungen der Ergebnisse einzelner Untersuchungen bzw. Schätzungen an Hand von Platzzahlen in Einrichtungen für Wohnungslose39. Nebenbei verändert sich die Zahl der Obdachlosen ständig aufgrund verschiedener Faktoren wie etwa den jahreszeitlichen Einflüssen und der wirtschaftlichen Situation. Die Bindung zu dem jeweiligen Gebiet, in dem sich Obdachlose aufhalten, ist ferner durch die einfachen Wanderungsmöglichkeiten innerhalb des Bundesgebietes gelockert. Das Herausfallen der Obdachlosen aus dem Einwohnerbegriff des Art. 51 Abs. 2 GG auf der Grundlage des allgemeinen Sprachgebrauchs ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich. b) Rechtsterminologie Der inhaltlichen Bestimmung des Einwohnerbegriffs könnte man ein Stück näher kommen, wenn für diesen Terminus ein allgemeiner juristischer Sprachgebrauch bestünde, mit dem sich eine eindeutige Auslegung sowie Kriterien der Einwohnereigenschaft verbinden. Für einen derartigen Sprachgebrauch könnten sich Anhaltspunkte aus den juristischen Fachwörterbüchern oder aus einfachgesetzlichen Vorschriften sowie aus deren Auslegung ergeben. aa) Definitionen in Rechtslexika In den Rechtslexika weichen die Definitionen des Einwohners zum Teil deutlich voneinander ab. Während noch Einigkeit darüber besteht, daß Einwohner ist, wer in einem Staat oder einer Gemeinde wohnt 40 , gehen die Ansichten im übrigen auseinander.
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Deutscher Gewerkschaftsbund und Paritätischer Wohlfahrtsverband (Hrsg.), Armut in Deutschland, 1994, S. 88. 38 Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit (BT-Drs. 13/5226, S. 10). Das Statistische Landesamt Nordrhein-Westfalen erfaßt als Obdachlose zum Beispiel nur die Personen, mit deren Unterbringung kommunale Ordnungsbehörden befaßt waren. Nichtseßhafte sowie aufgrund sozialhilferechtlicher Maßnahmen mit Wohnraum versorgte Haushalte werden dagegen nicht berücksichtigt (Pressemitteilung 15/97 des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen vom 20.2.1997). 39 Deutscher Gewerkschaftsbund und Paritätischer Wohlfahrtsverband (Hrsg.), Armut in Deutschland, 1994, S. 87 f.; Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit (BT-Drs. 13/5226, S. 10). 40 Deutsch-Deutsches Rechtswörterbuch, 1991, Stichwort: Einwohner; Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. I, 2. Aufl., 1992, Stichwort: Einwohner; Creifelds - Rechtswörterbuch, 13. Aufl., 1996, Stichwort: Einwohner.
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Einerseits soll als Wohnen ein tatsächlicher Zustand verstanden werden, weshalb es genüge, wenn die Person eine Wohnung unter Umständen innehabe, die darauf schließen lassen, daß sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird; auf die Dauer des Aufenthalts komme es dabei nicht an 41 . Genau entgegengesetzt wird nach anderer Definition dagegen als zeitliches Element der dauernde Aufenthalt in dem Gebiet eines Gemeinwesens (Staat, Gemeinde) als bestimmendes Kriterium der Einwohnereigenschaft betrachtet; wer sich demnach nur vorübergehend im Staatsgebiet aufhalte, sei nicht Einwohner 42 . Damit kristallisiert sich heraus, daß die juristischen Fach-Wörterbücher mit ihren voneinander abweichenden Definitionen nicht auf einen einheitlichen juristischen Sprachgebrauch schließen lassen. bb) Der Einwohnerbegriff im öffentlichen Recht Der Einwohnerbegriff spielt im öffentlichen Recht und hier insbesondere im Kommunalrecht, in dem allgemein zwischen Bürgern und Einwohnern differenziert wird 4 3 , sowie im Melderecht eine große Rolle 44 . Bei der Untersuchung der einfachgesetzlichen Definitionen darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, daß das Grundgesetz als höherrangiges Recht über dem einfachen Gesetzesrecht steht 45 . (1) Kommunalrecht (a) Kommunalgesetzliche Regelungen In den verschiedenen Kommunalgesetzen der Länder ist der Einwohnerbegriff allerdings unterschiedlich normiert. Dort, wo er gesetzlich umschrieben wird, ist entweder derjenige Einwohner, der in der Gemeinde wohnt 46 , der dort
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Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. I, 2. Aufl., 1992, Stichwort: Einwohner, das in den Stichworten sogar zwischen Einwohnern und Einwohnern im Kommunalrecht unterscheidet. 42 Creifelds - Rechtswörterbuch, 13. Aufl., 1996, Stichwort: Einwohner. 43 Vgl. §§ 10, 12 GO BW; Art. 15 BayGO; § 13 BrandGO; § 8 HessGO; § 13 KV MV; §§ 21 NdsGO; § 21 GO NW; §§ 18 KSVG Saarl.; §§ 10 Abs. 1, 15 Abs. 1 SächsGO; § 20 GO SA; § 10 ThürGO. 44 Vgl. aber auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Begriff des Wohnens i.S.d. BauNVO etwa in NVwZ 1996, 893 f. 45 Vgl. hierzu C Starck, in: HStR, Bd. VII, 1992, § 164 Rn. 1 ff. 46 § 10 Abs. 1 GO BW; § 13 Abs. 1 BrandGO; § 13 Abs. 1 KV MV; § 21 Abs. 1 GO NW; § 18 Abs. 1 KSVG Saarl.; § 10 Abs. 1 SächsGO; § 20 Abs. 1 GO SA; § 10 Abs. 1 ThürGO.
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seinen Wohnsitz hat 4 7 oder sich darüber hinaus dort ständig aufhält 48 . Teilweise fehlt es gänzlich an einer Legaldefinition 49 , so daß die Kriterien erst aus der negativen Abgrenzung zum Bürger folgen. Diese Differenzierung zwischen Bürgern und Einwohnern findet sich ebenfalls auf Kreisebene in einigen Kreisgesetzen50. Wesentliches Abgrenzungsmerkmal ist dabei die Wahlberechtigung der Bürger im Gegensatz zu den Einwohnern bei den Gemeindewahlen51. Zu einer Konkretisierung der an Hand des allgemeinen Sprachgebrauch gewonnenen Kriterien ist diese Abgrenzung von Bürgern und Einwohnern jedoch wenig dienlich. Soweit die kommunalgesetzlichen Regelungen positive Definitionen des Einwohnerbegriffs enthalten, läßt sich diesen entnehmen, daß das wichtigste Kriterium fur die Einwohnereigenschaft zwar das Wohnen in der Kommune ist. Doch wird vom Gesetzeswortlaut zum Teil außerdem auf den ständigen Aufenthalt in der Gemeinde abgestellt (vgl. etwa § 21 Abs. 1 NGO). Darüber hinaus bleibt der hier fur den Einwohner bestimmende Begriff des Wohnens bzw. des Innehaben eines Wohnsitzes weiterhin unbestimmt. Dies alles spricht, soweit es den Einwohnerbegriff betrifft, gegen einen einheitlichen juristischen Sprachgebrauch. (b) Literatur zum Kommunalrecht In der kommunalrechtlichen Literatur finden sich in der Folge der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen für den Einwohner und den Begriff des Wohnens voneinander abweichende Umschreibungen. Unter Einwohner wird zum Teil verstanden, wer nach objektiver Betrachtungsweise in der Gemeinde eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (sog. öffentlich-rechtlicher Wohnsitzbegriff) 52 . Dieser öffentlich-rechtliche Wohnsitzbegriff findet sich auch in § 8 AO.
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§ 8 Abs. 1 HessGO. § 21 Abs. 1 NdsGO. 49 BayGO. 50 Ausdrücklich: Art. 11 BayLKrO; §§ 20 ff. KrO NW; § 9 LKrO RhPf; §§ 9 ff. SächsKrO; § 14 KrO SA; §§ 16 a ff. KrO SchlH. 51 § 14 Abs. 1 GO BW; Art. 15 Abs. 2, 17 BayGO; § 13 Abs. 2 BrandGO; § 8 Abs. 2 HessGO; § 13 Abs. 2 KV MV; § 21 Abs. 2 NdsGO; § 21 Abs. 2 GO NW; § 14 GO RhPf; § 24 Abs. 1 KSVG Saarl.; §§ 15 Abs. 1, 16 SächsGO; § 21 Abs. 1 GO SA; §§ 16 a ff. SchlH GO; § 10 Abs. 2 ThürGO. 52 Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 1994, Rn. 578; ders., Deutsches Kommunalrecht, 1994, Rn. 526; BFH, BStBl. 1970 II 153 (155); 1979 II 335 (341); VGH Mannheim, VB1BW 1993, 225 (226). 48
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
Nach einer anderen Definition in der Literatur erlangt eine Person den Status des Einwohners nicht nur dadurch, daß sie im öffentlich-rechtlichen Sinne in einer Gemeinde wohnt, sondern schon dann, wenn sie sich in der Gemeinde ständig aufhält 53 . Weiterhin soll Einwohner sein, wer im Gemeindegebiet eine Wohnung besitzt, die er mindestens zeitweise tatsächlich nutzt 54 . Unabhängig von diesen Unterschieden ist es jedenfalls aufgrund der Anknüpfung an das Innehaben einer Wohnung nach dem kommunalrechtlichen Einwohnerbegriff möglich, in mehreren Gemeinden gleichzeitig Einwohner zu sein 55 , und mangels einschränkender Begriffsmerkmale können Ausländer oder Staatenlose die Einwohnereigenschaft in diesem Rechtssinne besitzen 56 . (2) Melderecht Daneben ist der Einwohnerbegriff im Melderecht von wesentlicher Bedeutung. In § 1 Abs. 1 MRRG ist vorgesehen, daß die für das Meldewesen zuständigen Behörden der Länder (Meldebehörden) die in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Einwohner zu registrieren haben. Als Einwohnern gelten diejenigen natürlichen Personen, die - gleichgültig ob es sich um Deutsche, Ausländer, Staatenlose oder Minderjährige handelt - eine Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Meldebehörde bezogen haben, dort also wohnhaft (vgl. § 1 Abs. 1 MRRG) geworden sind 57 . Hier reicht das bloße Innehaben einer Wohnung nicht aus, sondern die Wohnung muß auch bezogen werden. Das Beziehen einer Wohnung im melderechtlichen Sinne setzt voraus, daß die Wohnung tatsächlich - ständig oder vorübergehend - zum Wohnen, also zum Aufenthalt, Essen, Schlafen und ähnlichem genutzt wird 5 8 . Kein Beziehen liegt dagegen vor, wenn zum Beispiel jemand eine Wohnung leer stehen läßt 59 .
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O. Seewald, Kommunalrecht, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl., 1995, IRn. 141. 54 M. Schröder, Kommunalverfassungsrecht, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 1992, 5/1 Rn. 27; Stober, Kommunalrecht, 3. Aufl., 1996, S. 117. 55 M. Schröder, Kommunalverfassungsrecht, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 1992, 5/1 Rn. 27. 56 F. Ossenbühl, Die Rechtsstellung von Bürgern und Einwohnern, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., 1981, § 23, S. 380. 57 Medert/Süßmuth, Melderechtsrahmengesetz, 1986, § 1 Rn. 7; dies., Melderecht des Bundes und der Länder, § 1 MRRG Rn. 16 d. 58 Medert/Süßmuth, Melderechtsrahmengesetz, 1986, § 11 Rn. 5; dies., Melderecht des Bundes und der Länder, § 11 MRRG Rn. 2 b. 59 Medert/Süßmuth, Melderechtsrahmengesetz, 1986, § 11 Rn. 5; dies. Melderecht des Bundes und der Länder, § 11 MRRG Rn. 2 b.
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Damit stimmen der Wohnsitzbegriff im Kommunalrecht und im Melderecht weitgehend überein. cc) Der Wohnsitz im Zivilrecht Bei dem Aspekt des Wohnsitzes fallt auf, daß im Zivilrecht das Begründen eines Wohnsitzes in §§ 7, 8 BGB im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Wohnsitzbegriff subjektiv ausgestaltet ist. Nach § 7 Abs. 1 BGB wird der Wohnsitz durch das ständige Niederlassen an einem Ort begründet. Allein das tatsächliche Niederlassen reicht insoweit nicht aus, sondern hierzu ist eine eigene Unterkunft erforderlich 60 , und das Niederlassen muß mit dem rechtsgeschäftlichen Willen des Betroffenen geschehen, den Ort ständig zum Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse zu machen 61 . Der Wohnsitz in diesem Sinne ist damit gleichbedeutend mit dem räumlichen Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse einer Person 62 , der aber nach § 7 Abs. 2 BGB gleichzeitig an mehreren Orten bestehen kann. Aufgehoben wird der Wohnsitz nach § 7 Abs. 2 BGB, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. Der subjektive Ansatz des Zivihechts macht das Wohnen und das Begründen des Wohnsitzes somit vom Willen des Einzelnen abhängig. Damit unterscheidet er sich wesentlich von der objektiven Betrachtungsweise im öffentlichen Recht. Selbst wenn aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters des Grundgesetzes eine gewisse Vermutung fur einen öffentlich-rechtlichen Wohnsitzbegriff spricht, so ist interessant, daß das Bundesverfassungsgericht in einer frühen Entscheidung zum Bundeswahlrecht bei einer territorialen Anknüpfung des Wahlrechts gerade nicht auf einen objektiven Wohnsitzbegriff abgestellt hat, sondern die zivilrechtliche Regelung in den §§ 7 ff. BGB für ausschlaggebend hielt 6 3 . Durch die heutige Regelung in § 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG ist dieser Auslegung jedoch inzwischen der Boden entzogen worden. c) Zwischenergebnis Unabhängig von der Entscheidung für einen subjektiven oder objektiven Ansatz bei der Bestimmung des Wohnsitzes liegt jedenfalls nahe, daß die Annahme eines allgemeinen juristischen Sprachgebrauchs bereits an den unterschiedlichen Begriffen des Wohnens auf einfachgesetzlicher Ebene scheitern muß. Indes deutet die zum Teil ausdrückliche Einbeziehung von Ausländern 60
BayObLGZ 85, 158 (161). BGHZ 7, 105 (109 f.); H Heinrichs, in: Palandt, BGB-Kommentar, 56. Aufl., 1997, §7 Rn. 7. 62 BAG DB 85,2693; BayObLGZ 84, 289 (290 f.). 63 BVerfGE 5, 2 (8). 61
2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
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und Staatenlosen in den Einwohnerbegriff 64 darauf hin, daß dieser im juristischen Sprachgebrauch eher losgelöst von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen betrachtet wird. Damit stellt sich die grammatische Auslegung des Art. 51 Abs. 2 GG insgesamt als unbefriedigend dar. Es läßt sich nur ans Licht bringen, daß nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und als kleinster gemeinsamer Nenner im juristischen Sprachgebrauch unter dem Einwohner eine natürliche Person zu verstehen ist, die in einem Gemeinwesen wohnt. Ob allerdings das Wohnen mit der vorübergehenden oder dauernden Nutzung einer Wohnung, dem ständigen Aufenthalt bzw. dem Lebensmittelpunkt an einem Ort oder dem Willen des Einzelnen zur Begründung des Wohnsitzes zusammenhängt, bleibt offen. Eine gewisse territoriale Verbundenheit von zeitlicher Dauer erscheint jedenfalls erforderlich, auch wenn ein bestimmter Zeitrahmen verfassungsrechtlich nicht festgemacht werden kann. Über weitere, begrenzende Einwohnerkriterien wie etwa die Staatsangehörigkeit läßt sich durch die grammatische Auslegung nichts erfahren. 3. Systematische Auslegung Eine nähere Bestimmung des Einwohnerbegriffs könnte im Wege der systematischen Auslegung 65 zu erreichen sein. Dabei ist auf die Stellung der Vorschrift im Gesetz, den Regelungszusammenhang und allgemeine Prinzipien, die das betreffende Rechtsgebiet beherrschen, abzustellen66. a) Stellung der Vorschrift im Grundgesetz Die Stellung des Art. 51 GG im IV. Abschnitt des Grundgesetzes über den Bundesrat bietet keine konkreten Anhaltspunkte für die Auslegung des Einwohnerbegriffs. Die sachliche Zusammengehörigkeit der Vorschrift mit den Art. 50 bis 53 GG, in denen die grundsätzliche Funktion des Bundesrates 67 und zumindest teilweise dessen Struktur und Verfahrensabläufe 68 geregelt sind, ist insoweit unergiebig.
64
S.o. S. 46. Vgl. hierzu aus der Rspr. etwa BVerfGE 62,1 (38 ff.). 66 BVerfGE 62, 1 (38); 67, 100 (129 f.); Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 1995, S. 642; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 125 f. 67 S.o. S. 21 ff. 68 Die auf der Grundlage des Art. 52 Abs. 3 S. 2 GG erlassene Geschäftsordnung des Bundesrates ergänzt die Vorschriften des Grundgesetzes über die Organisation des Bundesrates und regelt das Verfahren und die inneren Angelegenheiten des Organs. 65
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b) Regelungszusammenhang Doch könnten andere Normen des Grundgesetzes, in die ebenfalls der Begriff „Einwohner" Eingang gefunden hat, weiterführende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Einwohnerbegriffs in Art. 51 Abs. 2 GG liefern. aa) Die Verwendung des Einwohnerbegriffs in anderen Vorschriften des Grundgesetzes Zunächst ist dazu ein Blick auf Art. 29 Abs. 4 und 7 GG sowie Art. 106 Abs. 5 und Art. 107 Abs. 1 GG zu werfen, in denen wie in Art. 51 Abs. 2 GG der Begriff des Einwohners gebraucht wird. Im Zweifel ist nämlich anzunehmen, daß das Gesetz sich eines einheitlichen Sprachgebrauchs bedienen w i l l 6 9 . (1) Der Einwohnerbegriff in Art. 29 GG Art. 29 Abs. 4 GG enthält Regelungen zur Bestimmung der Landeszugehörigkeit, wenn in einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens „eine Million Einwohner" hat, von einem Zehntel der in ihm zum Bundestag Wahlberechtigten durch Volksbegehren gefordert wird, für diesen Raum eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeizuführen. Die Einwohner bilden nach dieser Vorschrift einen Maßstab für die Größe und Bedeutung einer Region. Insoweit ist Art. 29 Abs. 4 GG mit Art. 51 Abs. 2 GG vergleichbar, weil in beiden Fällen die Einwohnerzahl als passiver Maßstab für das Gewicht eines bestimmten Gebietes dient. Als zahlenmäßige Größenordnung soll mit den Einwohnern in Art. 29 Abs. 4 GG die Wohnbevölkerung 70 erfaßt und nicht nur auf die Wahlberechtigten abgestellt werden 71 . Im übrigen soll der Begriff des Einwohners hier einer gewissen Konkretisierung durch das in Art. 29 Abs. 4 GG vorgesehene Bundesgesetz bedürfen 72, an der es bislang jedoch fehlt. Die auf der Grundlage des Art. 29 GG in seiner damaligen Fassung 73 ergangenen Vorschriften 74 enthalten zum Einwohnerbegriff indes einige Anhaltspunkte. 69
Zippelius, Juristische Methodenlehre, 6. Aufl., 1994, S. 49. W. Erbguth, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 29 Rn. 51. 71 P. Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 29 Rn. 39. 72 T. Maunz/R. Herzog/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 29 Rn. 77 (Bearbeitung Maunz/Herzog 1977/Scholz 1996). 73 S.o. S. 34 Fn. 112. 74 Gesetz über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG (G Artikel 29 Abs. 6) v. 30.7.1979 (BGBl. I S. 1317 ff.; 70
4 Deecke
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
Nach § 19 Abs. 2 G Art. 29 Abs. 6 sollen bei einer Initiative für ein Volksbegehren nur diejenigen Einwohner unterschriftsberechtigt sein, die nicht nur zum Bundestag wahlberechtigt sind, sondern die außerdem seit mindestens drei Monaten in dem Raum eine Wohnung, bei mehreren Wohnungen ihre Hauptwohnung, innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhalten. Daraus ist abzulesen, daß es über diesen Kreis hinaus Einwohner geben muß, die die genannten Merkmale gerade nicht erfüllen. Es muß einerseits Einwohner geben, die nicht wahlberechtigt sind, andererseits müssen Einwohner existieren, bei denen das zeitliche Erfordernis nicht gegeben ist. Andernfalls würde die Regelung keinen Sinn machen. § 19 G Artikel 29 Abs. 6 beschreibt folglich nur eine Teilmenge der zu den Einwohnern gehörenden Personen. Sie liefern zwar Indizien für die Bestimmung der Einwohnereigenschaft, indem sie territoriale Bezüge von gewisser Dauer fordern. Mangels abschließenden Charakters sind sie jedoch nicht geeignet, den Einwohnerbegriff über die bereits an Hand der grammatischen Auslegung ermittelten Ergebnisse hinaus weiter zu präzisieren. Art. 29 GG sieht in Abs. 7 S. 1 ergänzend vor, daß Änderungen des Gebietsbestandes der Länder durch Staatsverträge der beteiligten Länder oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen können, wenn das Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, nicht mehr als 50.000 Einwohner hat. Auch hier stellen die Einwohner den Maßstab für die Größe und Bedeutung einer Region dar. Die Gebietseinheiten, in denen die Einwohnerzahl maßgeblich ist, erstrecken sich entweder über mehrere Länder (Abs. 4), so daß ein Ballungsraum auf dem Gebiet eines Landes insoweit nicht in Betracht kommt 7 5 , oder umfassen nur den Teilbereich (Abs. 7) eines Landes. Art. 29 Abs. 4 GG ist damit zumindest zu entnehmen, daß bei einem zusammenhängenden Gebiet, das sich über mehrere Länder erstreckt, jeweils kein unterschiedlicher Einwohnerbegriff gelten kann. Andernfalls würde bei voneinander abweichenden Einwohnerkriterien in den betroffenen Ländern die Anknüpfung an den „sozio-ökonomischen Verflechtungsbereich" 76 in Frage gestellt, wenn bereits bei den Kriterien zu dessen Feststellung Unterschiede gemacht werden könnten. Dieses Zwischenergebnis wird durch die für erforderlich gehaltene bundesgesetzliche Ausgestaltung des Einwohnerbegriffs nach
Gesetz über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes (G Artikel 29 Abs. 7) v. 30.7.1979 (BGBl. I S. 1325 f.). 75 H.-U. Evers, in: BK, Art. 29 Rn. 62; P. Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art 29 Rn. 39; T. Maunz/R. Herzog/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 29 Rn. 76 (Bearbeitung Maunz/Herzog 1977/Scholz 1996). 76 W. Erbguth, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 29 Rn. 49.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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Art. 29 Abs. 4 GG gestützt. Denn die Zuweisung an den Bundesgesetzgeber legt ein einheitliches Verständnis des Einwohnerbegriffs nahe. Aus Art. 29 Abs. 4 und 7 GG lassen sich somit zwei Aspekte fur eine positive Bestimmung des Einwohnerbegriffs in Art. 51 Abs. 2 GG gewinnen. Einerseits wird wiederum die Anknüpfung an den Wohnsitz von gewisser Dauer deutlich. Anderseits wird indiziert, daß die Einwohnerqualität nach dem Verständnis des Grundgesetzes länderübergreifend einheitlich sein muß. (2) Der Einwohnerbegriff in Art. 106 und 107 GG Neben Art. 29 GG knüpfen finanzverfassungsrechtliche Regelungen an den Einwohnerbegriff an, nämlich Art. 106 Abs. 5. und Art. 107 Abs. 1 GG. Im einzelnen: Nach Art. 106 Abs. 5 S. 1 GG erhalten die Gemeinden einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer, der von den Ländern an ihre Gemeinden „auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner" weiterzuleiten ist. Die Einkommensteuerverteilung gemäß dieser Vorschrift wird vom Bundesverfassungsgericht als eine Verteilung an Hand des Kriteriums des Wohnsitzes 77 bzw. nach dem Wohnsitzprinzip 78 bezeichnet. Dieses Prinzip kommt auch in § 3 Gemeindefinanzreformgesetz, dem gemäß Art. 106 Abs. 5 S. 2 GG konkretisierenden Bundesgesetz, zum Ausdruck. Nach § 3 Abs. 1 Gemeindefinanzreformgesetz ist fur die Zurechnung der Steuerbeträge an die Gemeinden der in der Bundesstatistik zugrunde gelegte Wohnsitz der Steuerpflichtigen maßgebend. Abweichend hierzu wird in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auf den Anteil der Gemeinde an der durch Bevölkerungsstatistik des Statistischen Bundesamtes festgestellten Zahl der Einwohner des jeweiligen Landes (§ 3 Abs. 2 Gemeindefinanzreformgesetz) angeknüpft. Damit überlassen die gesetzlichen Regelungen zu Art. 106 Abs. 5 GG die Bestimmung der Einwohnereigenschaften in weitem Umfang der Bundesstatistik. Sogar die Frage des Wohnsitzes wird nicht unmittelbar am Melderecht „festgemacht", sondern verbleibt dem Statistischen Bundesamt zur inhaltlichen Ausfüllung 79 . Für verfassungsrechtliche Direktiven im Hinblick auf Art. 51 Abs. 2 GG bietet sich aus diesem Grund kein Ansatz. Gemäß Art. 107 Abs. 1 S. 4 HS 1 GG steht den einzelnen Ländern der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer „nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl" zu. Daneben normiert HS 2, daß durch Zustimmungsgesetz Ergänzungs77 78 79
BVerfGE 72, 330 (407). BVerfGE 86, 148 (243). Wie dies genau geschieht, darauf ist später zurückzukommen; s.u. S. 92 ff, 102 ff.
2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
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anteile für diejenigen Länder vorgesehen werden können, deren Einnahmen aus den Landessteuern und aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer, j e Einwohner" unter dem Durchschnitt der Länder liegen. Das Finanzausgleichsgesetz als einfachgesetzliche Regelung auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 1 S. 4 HS 2 GG sieht in seinem § 9 Abs. 1 vor, daß der Ausgleichsmeßzahl eines Landes die Einwohnerzahl (Wohnbevölkerung) zugrunde zu legen ist, die das Statistische Bundesamt am 30. Juni des Ausgleichsjahres festgestellt hat. Auch hier überläßt es der Gesetzgeber der Bundesstatistik, unter Berücksichtigung der Wohnbevölkerung den Begriff des Einwohners inhaltlich auszufüllen 80. Wie in Art. 51 Abs. 2 GG sind in den finanzverfassungsrechtlichen Normen die Einwohner der Länder maßgebend. Insoweit besteht eine Einheitlichkeit in der territorialen Anknüpfung. Zu einer weiteren Konkretisierung des Einwohnerbegriffs etwa für das Kriterium des Wohnsitzes können die Vorschriften aber nicht dienen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bieten sie darüber hinaus keinen Ansatz, eingrenzende und bestimmende Kriterien für die Einwohnereigenschaften abzuleiten. Interessant ist jedoch, daß der Gesetzgeber gerade in dem elementaren Bereich der Finanzverfassung der Bundesstatistik besondere Bedeutung bei der Bestimmung der Einwohnerkriterien einräumt. (3) Zwischenergebnis Die Analyse der Vorschriften des Grundgesetzes, die neben Art. 51 Abs. 2 GG den Einwohnerbegriff enthalten, liefert somit lediglich Hinweise, den Einwohnerbegriff länderübergreifend einheitlich zu verstehen sowie an den Wohnsitz der jeweiligen Person anzuknüpfen. Jedoch dürfen diese Hinweise nicht überbewertet werden, da das Auslegungsargument der Einheitlichkeit der Terminologie kein besonders großes Gewicht hat 81 ; denn das Gesetz hält sich nicht immer an das zugrundeliegende begriffliche System und manche Regelungen lassen sich hierin nicht oder nicht vollständig einordnen 82. Unter Umständen kann also dasselbe Wort in verschiedenen Verfassungsnormen eine unterschiedliche Bedeutung haben 83 . Auffallend ist aber, daß das Grundgesetz die Einwohner immer nur als passive Bezugsgröße bzw. Verteilungsschlüssel gebraucht. Dagegen verbinden sich mit der Einwohnereigenschaft keine unmittelbar eigenen Rechtspositionen der Einwohner selbst. Auf diese Weise dient der Einwohner im Grundgesetz primär als quantitatives Bestimmungskriterium für die Rechtspositionen anderer Rechtssubjekte.
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Dazu unten ausführlicher S. 92 ff. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 6. Aufl., 1994, S. 49. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 1995, S. 164. BVerfGE 6, 32 (38).
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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bb) Abgrenzung zu verwandten Begriffen im Grundgesetz Läßt der vergleichende Blick in die den Einwohnerbegriff enthaltenden Grundgesetzvorschriften viele Fragen offen, so könnte sich aus einer negativen Abgrenzung des Begriffs Einwohner von verwandten Begriffen im Grundgesetz Näheres ergeben. (1) Die Deutschen Das Grundgesetz weist nur für eine Personengruppe eine Art Legaldefinition auf. Sie findet sich in Art. 116 Abs. 1 GG, in dem der Begriff des Deutschen im Sinne des Grundgesetzes bestimmt wird. Zu den Deutschen gehören danach neben den Deutschen aufgrund der Staatsangehörigkeit die sog. Statusdeutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, nämlich Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit bzw. deren Ehegatten oder Abkömmlinge, die in Deutschland Aufnahme gefunden haben. Bei den Deutschen nach der 1. Alternative ist das Staatsangehörigkeitsrecht für die Gruppenzugehörigkeit von zentraler Bedeutung. Hierbei hat der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung desselben einen Spielraum, auf die Kriterien Einfluß zu nehmen und die Merkmale der deutschen Staatsangehörigkeit zu definieren 84 . Entsprechend sind die Voraussetzungen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im wesentlichen im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz festgelegt. Danach orientiert sich das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht am Abstammungs- und am Antragsprinzip, so daß die Staatsangehörigkeit durch Geburt, durch Legitimation, durch Annahme als Kind oder durch Einbürgerung kraft Verwaltungsakt erworben wird 8 5 . Damit jemand als Statusdeutscher nach der 2. Alternative eingestuft werden kann, nennt das Grundgesetz als wesentliche Voraussetzungen die Flüchtlingsbzw. Vertriebeneneigenschaft, die deutsche Volkszugehörigkeit sowie die Aufnahme in Deutschland. Diese Kriterien müssen entweder vom Betroffenen selbst, dem Ehegatten oder einem Vorfahren 86 erfüllt sein. Hinsichtlich der Flüchtlings- oder Vertriebeneneigenschaft und der Volkszugehörigkeit werden nach weit verbreiteter Auffassung die Definitionen im Gesetz über die Angele-
84 BVerfGE 83, 37 (52); Ziemske, Die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz, 1995, S. 209 ff.; das Grundgesetz weist in Art. 73 Nr. 2 dem Bund insoweit die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu. 85 R. Grawert, in: HStR, Bd. I, 1987, § 14 Rn. 36. 86 Unter den Abkömmlingen werden über die Kinder hinaus auch Enkel und weitere Nachkommen verstanden (BVerfGE NJW 1994, 2164 (2165) m.w.N.).
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genheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge 87 für maßgeblich gehalten88, die unter anderem bei den Vertriebenen auf den Wohnsitz vor der Flucht oder Vertreibung abstellen89. Die Aufnahme 90 gemäß Art. 116 Abs. 1 GG setzt voraus, daß der Betroffene mit seinem Zuzug einen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet erstrebt und aufgrund eines Tätigwerdens oder sonstigen Verhaltens der Behörden der Schluß berechtigt ist, daß ihm die Aufnahme nicht verweigert wird 9 1 . Auch Art. 116 Abs. 1 2. Alt. GG fordert damit zwar eine gewisse territoriale Verbundenheit für die Eigenschaft eines Statusdeutschen. Doch muß diese einerseits noch nicht besonders stark sein, da der Zuzug nur auf einen ständigen Aufenthalt gerichtet sein muß, ihn also gerade noch nicht voraussetzt. Andererseits ist über den bloßen Aufenthaltsort hinaus ein Verhalten der Behörden erforderlich. Aufgrund dieser Umstände wird man jedenfalls die Aufnahme in Art. 116 Abs. 1 2. Alt. GG nicht mit einer Einwohnerschaft gleichsetzen können. Art. 116 Abs. 1 GG selbst verbindet mit der Eigenschaft, Deutscher im Sinne des Grundgesetzes zu sein, keine weiteren Rechtsfolgen. Diese ergeben sich erst aus den anderen Vorschriften des Grundgesetzes, in denen auf den Begriff der Deutschen Bezug genommen wird. Versucht man in Relation zu den Deutschen gemäß Art. 116 Abs. 1 GG den Einwohnerbegriff aus Art. 51 Abs. 2 GG näher zu bestimmen, so fällt auf, daß der Einwohnerbegriff insoweit enger ist, als er die Zugehörigkeit zu den territorialen Einheiten der Länder fordert. Ob allerdings die Einwohner nur diejenigen Deutschen sind, die in den Ländern wohnen, oder ob insoweit der Begriff der Deutschen gemäß Art. 116 Abs. 1 GG von Belang ist, läßt sich nicht abschließend beurteilen. Der Einwohnerbegriff spricht jedenfalls für eine Vermutung, 87
§ 1 Abs. 1 enthält eine Legaldefinition des Vertriebenen, § 6 definiert die deutsche Volkszugehörigkeit. 88 BVerfGE 59,128 (150 ff.); ob das BVFG eine verbindliche Regelung der in Art. 116 Abs. 12. Alt. GG enthaltenen Begriffe enthält, ist umstr. (dafür z.B. BVerwGE 5,239 (244); 38,224 (226); H Hecker, in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl., 1983, Art. 116 Rn.9; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 1991, Art. 116 Rn. 17; dagegen etwa Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 116 Rn. 3; T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 116 Rn. 24 (Bearbeitung 1966); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/l, 1988, S. 599 m.w.N.). 89 Vgl. § 1 Abs. 1 BVFG. 90 Obwohl die Verwendung des Perfektes im Wortlaut der Vorschrift nahelegt, daß es sich um einen bereits abgeschlossenen Vorgang handelt, ist nach überwiegender Auffassung auch jetzt noch eine Aufnahme gem. Art. 116 Abs. 1 GG möglich (BVerfGE 17,224 (231); J. Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 116 Rn. 3 m.w.N.; a.A. H. Ridder, in: AK-GG, Bd. 1,2. Aufl., 1989, Art. 116 Rn. 8). 91 yarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 116Rn. 5a.
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daß die in Art. 116 Abs. 1 GG enthaltene Legaldefinition für die Einwohnereigenschaft im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG keine Bedeutung besitzt. (2) Die Deutschen in den Ländern In der Präambel 92 erwähnt das Grundgesetz neben dem deutschen Volk in Abs. 2 die Deutschen in den Ländern und schließt hieran eine Aufzählung der sechzehn Länder an, durch die das föderative Element betont werden soll 93 . Daß daneben über das ebenfalls in der Präambel genannte deutsche Volk hinausgehend eine besondere personelle und territoriale Anknüpfung hergestellt werden sollte, erscheint dagegen zweifelhaft. Vielmehr wird man die Formulierung so verstehen müssen, daß eine Brücke zwischen der Verfassungsgebung durch das deutsche Volk und dem Aufbau des Staates als Bundesstaat geschlagen werden sollte 94 . Nicht ersichtlich ist eine weitergehende, nähere Verbindung in der Präambel von den Deutschen mit den Ländern im Sinne einer Definition. Als Auslegungshilfe für den Einwohnerbegriff in Art. 51 Abs. 2 GG ist der in der Präambel gebrauchte Ausdruck der Deutschen in den Ländern deshalb ungeeignet. (3) Das deutsche Volk Ebenfalls in der Präambel sowie in Art. 1 Abs. 2, Art. 56, Art. 64 Abs. 2 und Art. 146 GG erwähnt das Grundgesetz das deutsche Volk. In der Präambel und Art. 146 GG kommt zum Ausdruck, daß das deutschen Volk Träger der verfassungsgebenden Gewalt ist und sich zur Volkssouveränität im Bereich der Verfassungsgebung bekennt 95 . Daneben bekennt es sich nach Art. 1 Abs. 2 GG zu den Menschenrechten. Gemäß Art. 56 bzw. Art. 64 Abs. 2 GG verpflichten sich der Bundespräsident sowie der Bundeskanzler und die Bundesminister, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen.
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Es ist anerkannt, daß die Präambel nicht nur politische Tragweite besitzt, sondern darüber hinaus auch rechtlichen Gehalt hat; insbesondere kann sie - wie in der vorliegenden Untersuchung - eine Rolle bei der Auslegung anderer Vorschriften des Grundgesetzes spielen (/. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl., 1992, Präambel Rn. 2 f.). 93 W. Schäuble, ZG 1990, 289 (303); zu den mit der Neufassung der Präambel in Folge der Wiedervereinigung verfolgten Zwecken vgl. auch Denkschrift zum Einigungsvertrag, BT-Drs. 11/7760, S. 355 (358). 94 T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Präambel Rn. 29 (Bearbeitung 1991). 95 Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Präambel Rn. 3; I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Bd. 1, 4. Aufl., 1992, Präambel Rn. 19.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
Die Zusammensetzung des deutschen Volkes richtet sich einerseits nach dem einfachgesetzlich ausgestalteten Staatsangehörigkeitsrecht. Andererseits gehören noch die sog. Statusdeutschen nach Art. 116 Abs. 1 GG zum deutschen Volk. Die Gruppe der Deutschen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG und das deutsche Volk sind somit identisch 96 . (4) Das Volk In Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2, Art. 21 Abs. 1 S. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG wird der Begriff des Volkes ohne das Adjektiv „deutsch" verwandt. (a) Das Volk, bestehend aus den Deutschen Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist als Ausdruck der Volkssouveränität unter dem Volk gemäß Art. 20 Abs. 2 GG das Staatsvolk zu verstehen, das von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichstehenden Personen gebildet wird 9 7 . Die Staatsangehörigkeit soll damit der wesentliche Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Volk sein 98 . Das ergebe sich insbesondere aus den Regelungen des Grundgesetzes, die einen Bezug zum Volk aufweisen und in denen vom deutschen Volk bzw. den Deutschen die Rede sei 99 . Zu diesen Regelungen gehörten die Präambel, wonach das Deutsche Volk sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt das Grundgesetz gegeben habe, die Gewährleistungen des Art. 33 Abs. 1 und 2 GG zugunsten der Deutschen, der Amtseid von Bundespräsident und den Mitgliedern der Bundesregierung nach Art. 56 bzw. Art. 64 Abs. 2 GG, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, sowie schließlich Art. 146 GG, der dem deutschen Volke die Entscheidung über eine das Grundgesetz zu gegebener Zeit ablösende Verfassung zuweise. Soweit durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG eine Vertretung des Volkes auch für die Länder, Kreise und Gemeinden vorgeschrieben wird, so handelt es sich nach dem Bundesverfassungsgericht hier ebenfalls - abgesehen von der territorialen Begrenzung - beim Volk ausschließlich um die Deutschen 100 . Schon der Wortlaut der Norm weise durch die Verwendung des Begriffs Volk einheitlich für Länder, Kreise und Gemeinden daraufhin, daß es sich hier gleichermaßen ausschließlich um die Deutschen handele, die das Volk bilden 96 Hinsichtlich der Bedeutung für den Einwohnerbegriff aus Art. 51 Abs. 2 GG ist deshalb auf die Ausführungen auf S. 54 zu verweisen. 97 BVerfGE 83, 37 (50 f.); 83, 60 (71). 98 BVerfGE 37, 217 (239); 83, 37 (51 f.). 99 Hierzu und zum folgenden: BVerfGE 83, 37 (51). 100 Hierzu und zum folgenden: BVerfGE 83, 37 (53).
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und dessen Vertretung wählen. Dies folge zusätzlich im Kontext der Homogenitätsklausel aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, da diese die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage dadurch gewährleiste, daß die Volkssouveränität ebenso wie auf Bundesebene in den Untergliederungen gelten solle. Die Vorschrift ordne deshalb Ländern, Kreisen und Gemeinden jeweils ein Volk als Legitimationssubjekt zu 1 0 1 . Das in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG erwähnte Volk bestehe somit aus den Deutschen, die in den Ländern, Kreisen und Gemeinden ansässig seien 102 ; für die personelle Zugehörigkeit sei nur die Wohnsitznahme im Hoheitsbereich maßgebend103. Die Literatur stimmt weitgehend dem Verständnis der Rechtsprechung zum Volksbegriff in Art. 20 Abs. 2 S. I 1 0 4 und Art. 28 Abs. 1 S. 2 G G 1 0 5 zu. Dabei wird neben der historischen 106 und systematischen Interpretation 107 besonders im Rahmen der teleologischen Auslegung die dauerhafte Beziehung des Staats-
101
BVerfGE 83, 37 (55). BVerfGE 83,60 (71). 103 Zu der Frage der Zugehörigkeit zum Landesvolk aufgrund der Erfüllung von zusätzlichen landesrechtlichen Aufenthaltserfordernissen (z.B. Art. 3 Abs. 1 BrandVerf.) und Staatsangehörigkeitsregelungen (z.B. Art. 6 BayVerf.): M. Herdegen, in: HStR, Bd. IV, 1990, § 97 Rn. 8; J. Isensee, in: HStR, Bd. IV, 1990, § 98 Rn. 49 f.; M. Sachs, AöR 108 (1983), 68 (69 ff.); Thedieck, Deutsche Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern, 1989, S. 140 ff. 104 A. Schink, DVB1. 1988, 417 (420 ff.) m.w.N.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 11 ff.; v. Münch, Staatsrecht I, 5. Aufl., 1993, Rn. 126; Schmidt-Bleibtreu/A7ew, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl., 1995, Art. 20 Rn. 8c; Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn. 21; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 26; vgl. zu der Entwicklung des Staatsvolksbegriffs S. Hobe, JZ 1994, 191 ff.; zu den abweichenden Ansichten s.u. S. 59 ff. 105 Schmidt-Bleibtreu/ÄT/ew, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl., 1995, Art. 28 Rn. 6; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 28 Rn. 23; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 28 Rn. 25; U. Karpen, NJW 1989, 1012 (1014 ff.); H.-H. Schild, DÖV 1985, 664 (670 ff.); H.-U. Erichsen, Jura 1988, 549 (550); vgl. auch S. Hobe, JZ 1994, 191 (193), der daraufhinweist, daß durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG de facto der Staatsvolkbegriff des Grundgesetzes eine Veränderung erfahren habe, da nicht mehr nur Deutschen die aktivbürgerlichen Rechte zustünden. 106 A. Schink, DVB1. 1988, 417 (420) verweist insoweit darauf, daß der Abg. Dr. Schmid im Parlamentarischen Rat gesagt habe, nach dem Satz "Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" sei die letzte irdische Quelle der Gewalt im Staate das konkrete lebende Volk, die Summe der jeweils lebenden einzelnen Deutschen (vgl. W. Matz, JöR n.F. 1 (1951), 198 f.); vgl. zur historischen Verbindung von Staatsangehörigkeit und Wahlrecht H. Quaritsch, DÖV 1983, 1 (5 ff.); H.-J. Papier, KritV 1987, 310 f. 107 F.E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1,4. Aufl., 1992, Art. 20 Rn. 31 ; Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer, 1976, S. 30 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 Anm. II Rn. 52 (Bearbeitung 1980); Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl., 1994, Teil 12.4. 102
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
angehörigen zum Staat betont 108 . Der Staatsangehörige sei von der Staatsgewalt viel stärker betroffen, da er sich dieser nicht so einfach wie etwa Ausländer entziehen könne 109 . Bei der Abgrenzung des Einwohnerbegriffs vom Volksbegriff können, wie bereits oben zu den Deutschen ausgeführt, einengend als Einwohner nur diejenigen Deutschen anzusehen sein, die tatsächlich in den Ländern wohnen. Oder es ist erweiternd der Kreis der Einwohner über die Deutschen hinaus auf alle Personen auszudehnen, die in den Ländern wohnen. Da nach der Auslegung von Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht die erste von beiden Deutungsmöglichkeiten zu einer weitgehenden Identität der Begriffe Einwohner und Volk führen würde (es wären jeweils die in den Ländern wohnenden bzw. ansässigen Deutschen erfaßt), spricht vieles für die zweite Variante. Bei ihr würde die unterschiedliche Begrifflichkeit in Art. 20 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 S. 2 zu Art. 51 Abs. 2 GG plausibel. Darauf deuten ferner die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hin, wenn es erklärt, der Begriff des Volkes in den Gemeinden und Kreisen erfasse nur deren deutsche Einwohner 1 1 0 . Das Gericht scheint also den Begriff des Einwohners weiter zu verstehen als den des Volkes. (b) Das Volk als Aktivbürgerschaft Anders als in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG wird der Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG - zum Teil ausdrücklich - enger verstanden als Aktivbürgerschaft 111 , der die staatsbürgerlichen Rechte in Form des Wahlrechts zustehen, also die Abstimmungsberechtigten des Volkes 1 1 2 . Damit beschreibe Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG die Gesamtheit der Staatsangehörigen als passive Legitimationseinheit und Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als aktive Wirkeinheit 113 . 108
Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn. 21; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 323 f. 109 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 323 f. 110 BVerfGE 83,37 (50). 111 Zu der Aktivbürgerschaft bzw. zum status activus vgl. aus der Rspr.: BVerfGE 8, 104 (113 f.); 68, 1 (87 f.); 83, 60 (71); 83,60 (71). 112 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 205 ff. m.w.N.; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 20 Rn. 19; F.E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl., Art. 20 Rn.31; v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1,2. Aufl., 1957, Art. 20 Anm. V 4 d; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980,1980, S. 24 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 Anm. II S. 34 Fn. 1 (Bearbeitung 1980). 113 W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 28 Rn. 25.
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In Abgrenzung zu diesem engeren Volksbegriff ergibt sich für den Einwohner entsprechend, daß es sich entweder um die in den jeweiligen Ländern wohnenden Aktivbürger oder losgelöst von der Aktivbürgerschaft um die in den Ländern wohnenden Personen handeln müßte. (c) Lösung des Volksbegriffs von den Deutschen Abweichend von der bundesverfassungsgerichtlichen Spruchpraxis wird in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten, daß der Volksbegriff von den Deutschen im Sinne des Grundgesetzes zu lösen sei 1 1 4 . Inländer und länger ansässige Ausländer seien auf nahezu allen Lebensgebieten von der staatlichen Hoheitsgewalt in gleichem Maße betroffen 115 . Zum Volk sollen deshalb ebenso diejenigen gehören, die auf Dauer ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben und dort in die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft eingebunden sind 1 1 6 . Daneben wird die Gleichsetzung von „Volk" und „deutschem Volk" für unzutreffend gehalten, weil es der gegliederten Struktur der deutschen Demokratie mit deren Grundpfeilern Föderalismus und Selbstverwaltung widerspreche 117 . Das Grundgesetz gehe von einem Aufbau der Demokratie von unten nach oben aus, wobei die meisten Amtsträger so nahe an der Basis wie möglich in ihr Amt berufen würden 118 . Art. 20 Abs. 2 GG enthalte deshalb kein Bekenntnis zur Volkssouveränität, wie es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Literatur angenommen werde, sondern ein Prinzip, mit dem Legitimationszusammenhänge zwischen den vielfältigen Formen des Volkes auf den unterschiedlichen Ebenen und der Staatsgewalt geschaffen würden. Dies folge überdies aus der ansonsten bestehenden Offenheit des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit, wie sie insbesondere in Art. 24 GG zum Ausdruck komme. Dies zeige, daß in Deutschland gerade nicht eine Staatsgewalt, die von den Deutschen ausginge, Geltung beanspruchen könne, sondern darüber hinaus auch externe Rechtsquellen Einfluß auf die inländische Rechtsordnung hätten. Schließlich sei der Zusammenhang der Demokratie mit der Menschenwürde und die auf Inhomogenität aufbauende Grundrechtsordnung zu berücksichtigen, die gleichberechtigte Bürger mit unterschiedlicher Sprache, Herkunft und Rasse erlaubt 119 .
114 H. Meyer, in: HStR, Bd. II, 1987, § 38 Rn. 5; M. Zuleeg, DVB1. 1974, 341 (349); ders., DVB1. 1983, 486 (492 f.); B.O. Bryde, JZ 1989, 257 (258 ff.); J. Roth, ZRP 1990, 82 (84 f.). 115 M. Zuleeg, DVB1. 1983,486 (492). 116 H. Meyer, in: HStR, Bd. II, 1987, § 38 Rn. 5. 117 B.O. Bryde, StWiss 1994, 305 (318). 118 B.O. Bryde, StWiss 1994, 319. 119 B.O. Bryde, StWiss 1994, 320 ff.
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In Abgrenzung zu einer Auslegung des Begriffs Volk, die auf die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft abstellt, würde sich für den Einwohner gemäß Art. 51 Abs. 2 GG folgendes ergeben: Der Einwohnerbegriff könnte so auszulegen sein, daß nur die Angehörigen der nach diesem Verständnis notwendigen Gemeinschaft hierin einzubeziehen sind. Alternativ könnten die Einwohner erweiternd als diejenigen Personen ausgelegt werden, die zwar in den Ländern wohnen, aber nicht in die Gemeinschaft eingebunden sind. Es wäre dann erforderlich, die Merkmale für eine derartige Lebens- und Schicksalsgemeinschaft genau zu definieren, um hier die notwendigen Abgrenzungen vornehmen zu können. Der von den Deutschen losgelöste Volksbegriff ist jedoch nicht überzeugend, da die Prämisse, Deutsche und Ausländer seien der Staatsgewalt in der gleichen Weise unterworfen, nicht zutrifft. Während die Deutschen sowohl von der Personal- als auch von der Gebietshoheit betroffen sind, unterliegen Ausländer und Staatenlose lediglich der Gebietshoheit. Ihnen bleibt die Möglichkeit, sich in das Heimatland oder einen anderen Staat zu begeben, um sich so der deutschen Staatsgewalt oder sonstigen unerwünschten Umständen in Deutschland zu entziehen 120 . Deutsche sind insofern schicksalhafter, geradezu „unentrinnbar" mit dem deutschen Staat „verstrickt" 121 . Soweit in dem Begriff des Volkes ein Legitimationsprinzip gesehen wird, ist den hierzu vertretenen Argumenten entgegenzuhalten, daß auch eine Beschränkung des Volkes auf die deutschen Staatsangehörigen der föderalen Gliederung und Selbstverwaltung gerecht wird. Durch die Differenzierung in jeweilige „Teilvölker", wie sie das Bundesverfassungsgericht 122 und die Literatur 123 vornehmen, wird diesen Faktoren ausreichend Rechnung getragen. In den Untergliederungen treten an die Stelle des deutschen Staatsvolkes die in dem territorial begrenzten Verband lebenden Deutschen als Legitimationssubjekt. Die Offenheit des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit steht dem auf die Deutschen begrenzten Volksbegriff ebenfalls nicht entgegen, da sich bereits die in Art. 24 GG getroffene Öffnung für nicht unmittelbar vom deutschen Volk getragene Systeme auf das Volk als Träger der Staatsgewalt zurückverfolgen läßt. Es besteht kein Widerspruch, da sich das Volk, das selbst gemäß der Präambel und Art. 146 GG Träger der verfassungsgebenden Gewalt ist, gerade durch Art. 24 GG dafür entschieden hat, sich derartigen Systemen und Regelungen einzuordnen. Es hat damit selbst die eigene Rechtsordnung zugunsten der unmittelbaren Geltung und Anwendung eines Rechts aus anderer Quelle geöffnet. Soweit der Zusammenhang mit der Menschenwürde angeführt 120
J. Isensee, HStR, Bd. I, 1987, § 13 Rn. 113. So J. Isensee, HStR, Bd. I, 1987, § 13 Rn. 113. 122 BVerfGE 83,37 (55). 123 M. Sachs, AöR 108 (1983), 68 (69 ff.); a.A. J. Isensee, HStR, Bd. IV, 1990, § 98 Rn. 45, der die Existenz von Teilvölkern verneint. 121
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wird, so ist zwar zuzugeben, daß die Demokratie der freien Selbstbestimmung aller am nächsten kommt und damit der Menschenwürde am weitesten Rechnung trägt. Doch korrespondiert das Recht zur demokratischen Mitwirkung mit der Verbindlichkeit der staatlichen Hoheitsgewalt. Aufgrund der insoweit lokkereren Bindungen von Ausländern wird man aus dem Zusammenhang mit der Menschenwürde keine Erweiterung des Volksbegriffs folgern können. Zu dem Argument der inhomogenen Grundrechtsordnung ist schließlich zu sagen, daß die Homogenität der rechtlichen Ausgestaltung allein kein Kriterium für die Anerkennung von Rechten sein kann. Innerhalb des Grundrechtskatalogs bestehen deutliche Abstufungen, soweit es die Berechtigung anbelangt. Neben den sog. Menschenrechten wie etwa Art. 2, 3, 4, 5, 14 Abs. 1 und 19 Abs. 4 GG, deren Rechtsinhaber nicht nur Deutsche sind, finden sich in zentralen Bereichen wie der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) sowie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Bürgerrechte, die Ausländern nicht zustehen 1 2 4 . Damit legt der Grundrechtskatalog mit seiner Differenzierung im persönlichen Geltungsbereich eher nahe, Deutsche und Ausländer wie in anderen Bereichen nicht immer gleich zu behandeln, sondern nach bereichsspezifisch verschiedenen Berechtigungen zu differenzieren. Aus den angeführten Gründen ist der Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG als die Deutschen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG zu verstehen 125 . (d) Der Volksbegriff in Art. 21 Abs. 1 GG Wenn in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG von der politischen Willensbildung des Volkes die Rede ist, so ist fraglich, ob damit das Volk gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und damit alle Deutschen erfaßt sind oder ob der nur auf die Aktivbürgerschaft begrenzte Begriff aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG oder ein gänzlich abweichender Begriff des Volkes gemeint ist. In Art. 21 Abs. 1 GG wird ausdrücklich anerkannt, daß die Willensbildung im Volk und auf staatlicher Ebene in einer steten Wechselwirkung zu sehen sind, die maßgeblich durch die Parteien mitgeformt werden muß 1 2 6 . Die Parteien ermöglichen durch ihre Tätigkeit wie der Bündelung von Interessen und der Formulierung von Zielen erst die Wahlen, in denen das aufgrund widersprüch124 Vgl. auch Art. 16 Abs. 1 u. 2, 20 Abs. 4, 33 Abs. 1 u. 2, 38 Abs. 1 u. 2 GG; zur Anwendung von Deutschen-Grundrechten auf EU-Bürger vgl. H. Bauer/W. Kahl, JZ 1995, 1077 ff. 125 Zur Bedeutung für den Einwohnerbegriff kann deshalb auf die Überlegungen zu den Deutschen auf S. 54 zurückgegriffen werden. 126 Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn. 57.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenverteilung
licher individueller Meinungen und Wünschen geprägte Volk die ihm nach Art. 20 Abs. 2 GG zustehende Staatsgewalt ausübt 127 . Parteien haben somit die Aufgabe eines Bindegliedes in der Legitimationskette zwischen Volk und politischer Führung 1 2 8 . Da aber nur die wahlberechtigten Mitglieder des deutschen Volkes in den Willensbildungsprozeß eingebunden sind, bezieht sich Art. 21 Abs. 1 GG nur auf diese. Art. 21 Abs. 1 GG meint als Volk somit die Aktivbürger 129 . Schließlich könnte allein im Hinblick auf das kommunale Wahlrecht von EGAusländern nach Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG der Volksbegriff in Art. 21 Abs. 1 GG weiter zu verstehen sein. Die verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG könnte sich nämlich ebenfalls auf die wahlberechtigten EGAusländer erstrecken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 130 findet jedoch auf kommunaler Ebene keine politische Willensbildung statt 131 , da die Gebietskörperschaften Träger von Verwaltungsaufgaben seien und politische Entscheidungen nur auf der staatlichen Ebene gefällt würden. Soweit eine Partei als sog. „Rathauspartei" nur auf kommunaler Ebene tätig wird, kann sie sich deshalb nicht auf das Parteienprivileg aus Art. 21 GG berufen. Es besteht daher keine Notwendigkeit, den Begriff des Volkes hier abweichend von Art. 20 Abs. 2 GG zu interpretieren. Nimmt die Partei dagegen auch bei Landtagsoder sogar Bundestagswahlen teil, kommt ihr einerseits Art. 21 GG zugute, andererseits sind hier jedoch die EU-Ausländer nicht aufgrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG wahlberechtigt, so daß kein Bedürfnis nach einer anderen Auslegung des Begriffs des Volkes besteht. Hinsichtlich des Kommunalwahlrechts der EUAusländer in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ist also festzustellen, daß damit nicht das Volk als Personengruppe, sondern nur der Kreis der Wahlberechtigten erweitert werden sollte. Allein durch die Einräumung des Wahlrechts auf kommunaler Ebene ist keine Erweiterung des Volksbegriffs in Art. 21 Abs. 1 GG erfolgt. Der Begriff des Volkes in Art. 21 Abs. 1 GG ist somit allein als Aktivbürgerschaft zu verstehen. Eine abweichende, eigenständige Definition des Volksbegriffs entbehrt dagegen der Grundlage 132 . 127
D. Grimm, in: HdbVerfR, 2. Aufl., 1994, § 14 Rn. 13; vgl. ebenda zu darüber hinausgehenden Funktionen der Parteien. 128 K. Hesse, VVDStRL 17, 11 (21). 129 Vgl. hierzu auch P. Kunig, in: HStR, Bd. II, 1987, § 33 Rn. 15. 130 BVerfGE 2, 1 (76); 6, 367 (372 f.); dem folgend auch T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 21 Rn. 20 (Bearbeitung 1960), da es nicht Aufgabe des BVerfG sei, aufgrund einer weiten Sicht des Parteienprivilegs aus Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG, dörfliche Parteipolitik zu kontrollieren (S. 11 Fn. 1). 131 BVerfGE 2, 1 (76); 6, 367 (372 f.); a.A. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, Rn. 168; v. Münch, Staatsrecht I, 5. Aufl., 1993, Rn. 198; J. Ipsen, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 21 Rn. 19 f. 132 Für die Abgrenzung zum Einwohnerbegriff ist aus diesem Grund auf die Darlegungen auf S. 54 Bezug zu nehmen.
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(5) Wahlberechtigte zum Bundestag Die Wahlberechtigten zum Bundestag stellen eine weitere Personengruppe dar, die das Grundgesetz in Art. 29 Abs. 4, 6 und 8 GG nennt. Die Vorschrift enthält, soweit von den Wahlberechtigten zum Bundestag die Rede ist, Regelungen über die Stimmenanzahl bzw. Mehrheiten bei Volksentscheiden, Volksbegehren und Volksbefragungen bei der vollständigen oder teilweisen Neugliederung der Länder 133 . Die Wahlberechtigung zum Bundestag folgt aus Art. 38 Abs. 2 GG. Dabei wird die grundsätzliche Bindung des Wahlrechts an die Seßhaftigkeit in Deutschland, wie es § 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG vorsieht, für zulässig gehalten 134 . Das Bundeswahlgesetz stellt hierzu auf das Innehaben einer Wohnung oder den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Da aber die Wahlberechtigung zum Bundestag nur nach der einfachgesetzlichen Ausgestaltung im Bundeswahlgesetz und nicht nach Art. 38 Abs. 2 GG eine territoriale Zuordnung erfährt und das Grundgesetz selbst neben der Zugehörigkeit zum deutschen Volk gemäß Art. 20 Abs. 2 GG nur ein bestimmtes Lebensalter erfordert, ist lediglich ein begrenzter Erkenntniswert mit dem Begriff des Wahlberechtigten gegenüber dem Einwohner nach Art. 51 Abs. 2 GG verbunden. Insoweit bleibt es bei den nicht abschließenden Erwägungen, die bereits bei der Personengruppe der Aktivbürger eine Rolle gespielt haben 135 , daß nämlich die Einwohner sich entweder auf den Kreis der Wahlberechtigten zum Bundestag beschränken oder über diesen hinausgehen. (6) Wahlberechtigte der Länder Schließlich kennt das Grundgesetz außer den Wahlberechtigten zum Bundestag auch die Wahlberechtigten der Länder, denn in Art. 118a GG nimmt es auf diese bei der Neugliederung des Gebiets, das derzeit die Länder Berlin und Brandenburg umfaßt, Bezug. Hierunter sind die Wahlberechtigten zu den Landesparlamenten und nicht die Wahlberechtigten zum Bundestag in den Ländern zu verstehen 136 . Dabei sind den Ländern zwar aufgrund der Homogenitätsklausel in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG bei der Ausgestaltung der Wahlberechtigung
133
S.o. S. 49 ff. BVerfGE 5, 2 (6); 36, 139 (142); 58, 202 (205). 135 S.o. S. 59. 136 Eine ausdrückliche Bestimmung des Kreises der an der Volksabstimmung über die Neugliederung zu beteiligenden Wahlberechtigten enthielt der nach Art. 118a GG am 27.4.1995 geschlossene Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes (GVB1. Brandenburg IS. 151; GVB1. Berlin S. 489; der Vertrag ist auch als Beilage zu LKV Heft 10/1995 abgedruckt) ebenso wie Art. 118a GG selbst jedoch nicht, so daß es den beiden Landesgesetzgebern überlassen blieb, den Kreis der Wahlberechtigten zu bestimmen; hierzu im folgenden ausführlicher. 134
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
Grenzen gezogen. Doch können sie durchaus voneinander abweichende landesrechtliche Vorschriften des Wahlrechts erlassen 137. Da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Landesebene wie auf Bundesebene die Staatsgewalt von den Deutschen ausgeht 138 , sind zunächst nur diese in den Ländern wahlberechtigt. Obendrein stellen die Wahlgesetze der Länder überwiegend entsprechend Art. 38 Abs. 2 GG und § 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG für das Wahlrecht auf die Vollendung des 18. Lebensjahrs 139 und den Wohnsitz bzw. die Seßhaftigkeit innerhalb des Wahlgebietes ab 1 4 0 . Zur Eingrenzung des Einwohnerbegriffs im Art. 51 Abs. 2 GG enthält die Vorschrift nur wenig Aussagekraft. Sie verdeutlicht allerdings den Zusammenhang von bundesstaatlichem Prinzip und Volkssouveränität, indem sie durch die Gegenüberstellung der Wahlberechtigten der Länder und der Wahlberechtigten zum Bundestag die Legitimationslinien auf Bundes- und Landesebene klarstellt. (7) Zwischenergebnis Nach alledem kann als Zwischenergebnis der bisherigen Überlegungen festgehalten werden, daß sich aus dem Vergleich des Einwohnerbegriffs mit anderen Begriffen des Grundgesetzes, die Personengruppen umschreiben, eine positive Definition nicht herleiten läßt. Aus der Verwendung des Einwohnerbegriffs in Art. 51 Abs. 2 GG ist aber in negativer Abgrenzung zu diesen Begriffen die Folgerung naheliegend, daß als Kriterium für die Bestimmung der Stimmenzahl im Bundesrat nicht eine Personengruppe herangezogen werden soll, deren Merkmale mit denen einer der anderen Gruppen identisch sind. Kurz gesagt: Wenn das Grundgesetz den Begriff „Einwohner" gebraucht, spricht vieles dagegen, daß dessen Inhalt etwa mit demjenigen der Begriffe „Volk" oder „deutsches Volk" übereinstimmt. Wenn nur die Deutschen berücksichtigt werden sollten, hätte es sich aufgedrängt, als Maßstab in Art. 51 Abs. 2 GG die Deutschen in den Ländern zu bezeichnen. Dies hat der Verfassungsgeber aber nicht getan. Der Wortwahl in Art. 51 Abs. 2 GG widerspräche es deshalb, die Zugehörigkeit zu den Deutschen oder einer anderen im Grundgesetz ausdrücklich aufgeführten Personengruppe als eine zwingende Direktive in den Einwohnerbegriff hineinlesen zu wollen.
137
BVerfG NVwZ 1993, 55 (56). BVerfGE 83, 37 (53); s.o. S. 56 ff. 139 Abweichend aber etwa hinsichtlich des passiven Wahlrechts erst ab Vollendung des 21. Lebensjahres Art. 14 Abs. 2 BayVerf; Art. 75 Abs. 2 HessVerf. 140 Vgl. Art. 8 NdsVerf.; Art. 42 Abs. 2 Sachs.-AnhVerf.; § 11 SächsWahlG. 138
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cc) Sonstige Direktiven des Grundgesetzes Angesichts dieses Ergebnisses ist zu untersuchen, ob sich nicht aus dem Bedeutungszusammenhang mit anderen Regelungen des Grundgesetzes Grenzen und Vorgaben für die Auslegung des Einwohnerbegriffs aus Art. 51 Abs. 2 GG ergeben. Bei der Auslegung einer Vorschrift sind logische Widersprüche zu vermeiden. Eine Norm ist nach Möglichkeit so auszulegen, daß sie sich nicht im Widerspruch zu anderen Normen befinden und die sachliche Übereinstimmung gewahrt bleibt 1 4 1 . A n dieser Stelle erlangen deswegen die allgemeinen Strukturprinzipien des Grundgesetzes besondere Bedeutung, die bereits vorgegebenen Wertungen, Grundentscheidungen, Grundsätze und Normen des Grundgesetzes erfassen 142. Da die Auslegung des Art. 51 Abs. 2 GG mit den Strukturprinzipien des Grundgesetzes in Einklang stehen muß, können sich umgekehrt daraus Vorgaben für die inhaltliche Ausfüllung des Einwohnerbegriffs ergeben. (1) Direktiven des Grundsatzes der Volkssouveränität Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Da es sich bei dem Volk nur um die Deutschen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG handelt 143 , sind Direktiven dieser Regelung zur Eingrenzung des Einwohnerbegriffs in Art. 51 Abs. 2 GG denkbar 144 . Die Vielzahl der Mitwirkungsrechte des Bundesrates in der Gesetzgebung, in der Verwaltung und in Angelegenheiten der Europäischen Union 1 4 5 machen ihn zu einem der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genannten besonderen Organe 146 . Es könnte deshalb notwendig sein, den Einwohnerbegriff in Art. 51 Abs. 2 GG einengend als die deutschen Einwohner der Länder zu verstehen, um so dem Demokratieprinzip und dem Gebot aus Art. 20 Abs. 2 GG in dem höchstmöglichen Maße Rechnung zu tragen. Allerdings darf bei der Beantwortung dieser Frage nicht ungeklärt bleiben, ob und in welchem Umfang in die Bundesratslösung mit der in Art. 51 Abs. 2 GG enthaltenen Stimmenstaffelung überhaupt das Demokratieprinzip Eingang 141
Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 1995, S. 146. BVerfGE 62,1 (38 f.). 143 S.o. S. 56 ff. 144 In diese Richtung argumentierend T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 3 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996). 145 S.o. S.21 ff. 146 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 Rn. 54. 142
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gefunden hat. Hätte sich der Verfassungsgeber mit den Eigenarten des Bundesrates im Bundesstaat nur für eine unvollständige Verwirklichung des Demokratieprinzips entschieden, ließe dies die Vermutung zu, daß auch bei der Auslegung des Einwohnerbegriffs keine gesteigerten Anforderungen zu stellen sind. (a) Demokratische Legitimation des Bundesrates Die besonderen Organe nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG stehen nicht, wie der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vielleicht nahelegen könnte, unabhängig neben den ebenfalls dort genannten Wahlen und Abstimmungen. Die Wahl des Parlaments stellt den Kernbestandteil demokratischer Ordnung dar 1 4 7 , der durch Art. 38 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 GG auch bei den Wahlen zu den Volksvertretungen in den Ländern gewährleistet wird, während die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG erwähnten Abstimmungen auf Bundesebene lediglich auf den Fall der Neugliederung des Bundesgebietes beschränkt sind 1 4 8 . Die Wahlen und Abstimmungen schaffen damit die Grundlegitimation des Staates149. Die besonderen Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechimg nehmen demgemäß ihre Machtbefugnisse nicht im eigenen, sondern im Interesse des Volkes wahr 1 5 0 und müssen sich deshalb auf die vom Volk ausgehende Staatsgewalt zurückführen lasen 151 . Diese demokratische Legitimation ist bei jedem amtlichen Handeln mit Entscheidungscharakter unerläßlich 152 . Für die konkrete Ausgestaltung der Legitimation enthält Art. 20 Abs. 2 GG zwar keine ausdrücklichen Direktiven, doch werden in Rechtsprechung 153 und Literatur 154 institutionelle, funktionelle, sachlich-inhaltliche und personelle Legitimation unterschieden, die nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern
147
Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, § 5 Rn. 145. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 20 Rn. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II Rn. 43 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 607; a.A. E. Stein, AK-GG, Bd. 1, 2. Aufl., 1989, Art. 20 Abs. 1-3 II Rn. 39; zu Art. 29 GG s.o. S. 49 ff. 149 Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, 1989, S. 68 f. 150 M Kriele, VVDStRL 29, 3 (60). 151 BVerfGE 47, 253 (275); 52, 95 (130); 77, 1 (40 f.); W. Schmitt Glaeser, VVDStRL 31, 179 (211); Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 162. 152 BVerfGE 83, 60 (72 ff.). 153 BVerfGE 49, 89 (125); 83, 60 (72). 154 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 14 ff.; Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 33 ff.; mit einer Unterscheidung von „materieller" und persönlicher Legitimation: R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II Rn. 46 ff. (Bearbeitung 1980). 148
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sich gegenseitig ergänzen 155. Der Bundesrat und im speziellen die Stimmenverteilung sind in diese Legitimationsstrukturen einzuordnen. (aa) Funktionelle und institutionelle Legitimation Als legitimiert werden die Legislative, die Exekutive und die Judikative als Funktion angesehen, da der Verfassungsgeber sie selbst im Grundgesetz konstituiert hat. Aus der funktionellen Legitimation folgt somit, daß nicht nur allein das unmittelbar vom Volk gewählte Parlament demokratisch legitimiert ist, sondern die beiden anderen Gewalten ebenso je für sich als demokratisch autorisierte Ausübung von Staatsgewalt anerkannt sind 156 . Es besteht also kein genereller Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt, der die Ausübung jeglicher staatlicher Gewalt dem Parlament überträgt 157 . Die institutionelle Legitimation in den jeweiligen Bereichen der Exekutive und Judikative geht, soweit sie durch den Verfassungsgeber geschaffen sind, hiermit einher 158 . Denn der Verfassungsgeber, also das deutsche V o l k 1 5 9 , hat sich mit den entsprechenden Regelungen des Grundgesetzes gerade für die Konstituierung derartiger Einrichtungen entschieden. Seine funktionelle und institutionelle Legitimation erhält der Bundesrat demzufolge dadurch, daß er vom Verfassungsgeber mit den ihm zustehenen Kompetenzen geschaffen wurde 160 . Dies gilt einerseits für den Bundesrat als Institution selbst. Andererseits ist davon auch seine interne Struktur, zu der die Regelung des Art. 51 Abs. 2 GG gehört, mitumfaßt. Der Verteilungsschlüssel ist insoweit demokratisch legitimiert 161 , als die Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG und die Anknüpfung der Stimmen an die Einwohnerzahlen durch den Verfassungsgeber vorgegeben wurden 162 .
155
W. Brohm, WDStRL 30,245 (270 Fn. 69). E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 15. 157 BVerfGE 49, 89 (125); 68, 1 (87). 158 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 15; zur institutionellen Legitimation der Exekutive vgl. E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (363). 159 S.o. S. 56 ff. 160 W. Steff ani, ZParl. 1976, 322 (325); W. Knies, DÖV 1977, 575 (578); R. Herzog, in: HStR, Bd. II, 1987, § 44 Rn. 26, der auf die Funktion des Bundesrates als Legalitätsreserve für den Fall des Gesetzgebungsnotstandes verweist. 161 Zu dem im Verteilungsschlüssel enthalten Kompromiß s.o. S. 29. 162 Zur Verbindung von Demokratie- und Bundesstaatsprinzip mit dem Rechtsstaatsprinzip im Zusammenhang mit dem Bundesrat vgl. H. H. Klein, Die Legitimation des Bundesrates, in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, S. 95 ff. (104). 156
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung (bb) Sachlich-inhaltliche Legitimation
Durch die funktionelle bzw. institutionelle Legitimation wird die konkrete Legitimation der jeweiligen Organwalter und ihres Handelns im zugewiesenen Funktionsbereich jedoch nicht entbehrlich. Sie ergänzt vielmehr die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation der staatlichen Organe 163 . Diese Legitimation muß sich sachlich-inhaltlich herleiten lassen, das heißt ihrem Inhalt nach muß die Ausübung der Staatsgewalt auf das Volk zurückzuführen sein 164 . Die mit der Ausübung betrauten Organe müssen sich daher für die Art und Weise der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegenüber dem Volk verantworten 165 . Eine derartige Verantwortlichkeit der Volksvertreter im Parlament besteht in dem periodisch wiederkehrenden Wahlakt als Sanktion für das parlamentarische Handeln 166 . Die Exekutive hat sich wiederum gegenüber der Volksvertretung zu verantworten, indem dem Volk ein effektiver Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt verbleiben muß 1 6 7 . Nur die Rechtsprechung spielt eine Sonderrolle, weil sie aufgrund ihrer Eigenart und unabhängigen Stellung keiner unmittelbar sanktionierten demokratischen Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament unterliegt. Die demokratische Legitimation der Judikative in sachlich-inhaltlicher Hinsicht ergibt sich hier aus der strengen Bindung an das Gesetz ohne eigene größere Gestaltungsspielräume 168. Die sachlich-inhaltliche Legitimation des Bundesrates ist aufgrund seiner besonderen Stellung als Verfassungs- und Gesetzgebungsorgan mit einer Besonderheit behaftet. Da der Bundesrat weder durch einen unmittelbaren Wahlakt für die Art der Ausübung der Staatsgewalt legitimiert oder sanktioniert wird, noch insoweit einer vollständigen Bindung an die Gesetze unterliegt, als er an deren Erlaß selbst beteiligt ist, ergibt sich eine inhaltliche Verantwortlichkeit für die Wahrnehmung seiner Kompetenzen nur mittelbar über die Landesregierungen und Landesparlamente bis hin zu den Wahlberechtigten in den Ländern 169 . Bei den Landtagswahlen spielen dementsprechend nicht nur die Mehrheiten im Landesparlament und die Regierungsbildung auf Landesebene eine politische Rolle, sondern zudem die Wahrnehmung der Länderinteressen
163
E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. 1,1987, § 22 Rn. 21. R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II Rn. 48 (Bearbeitung 1980); E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (357). 165 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl., 1984, S. 610; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 327 ff. 166 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl., 1984, S. 606. 167 BVerfGE 83, 60 (71 f.); 89, 155 (182). 168 M. Kriele, VVDStRL 29, 3 (64); M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 20 Rn. 27. 169 W. Knies, DÖV 1977, 575 (578). 164
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im Bundesrat und damit der inhaltlich Einfluß auf die Wahrnehmung der Kompetenzen des Bundesorgans 170. (cc) Organisatorisch-personelle Legitimation Schließlich muß vom Volk eine Legitimationskette zu den mit der Wahrnehmung staatlicher Angelegenheiten betrauten Amtswaltern führen 171 . Es gilt das „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter durch das Volk oder durch volksgewählte Organe" 172 . Für den Nachweis demokratischer Legitimation sind sowohl eine mittelbare als auch eine unmittelbare Berufung durch das Volk gleichermaßen zulässig; allerdings muß die Kette individueller Berufungsakte vom Volk als Inhaber der Staatsgewalt bis hin zu dem einzelnen Amtswalter lückenlos sein 173 . Daneben vermittelt die personelle Legitimation der Amtswalter dem Organ, in dem oder für das sie tätig sind, eine eigenständige demokratische Legitimation 174 . Unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation der Mitglieder des Bundesrates ergeben sich in personeller Hinsicht wenig Schwierigkeiten, solange man nicht eine unmittelbare demokratische Legitimation durch das Volk fordert 175 und solange man nur die einzelne Persönlichkeit betrachtet, die die Mitgliedschaft im Bundesrat erhält 176 . Das jeweilige Bundesratsmitglied ist jedenfalls insoweit mittelbar demokratisch legitimiert, als es von seiner Landesregierung gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG bestellt wurde, die ihrerseits durch die Einbindung in das parlamentarischen System der Länder ihre demokratische 170 D. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (192); Laufer, Dasföderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 100 f. 171 R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II Rn. 50 (Bearbeitung 1980); vgl. zur personellen demokratischen Legitimation auch BVerfGE 77, 1 (41). 172 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210; ders., in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II Rn. 53 (Bearbeitung 1980). 173 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210; krit. Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, 1989, S. 81 f., 90. 174 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 16. 175 Dies klingt an bei Neunreither, Der Bundesrat zwischen Politik und Verwaltung, 1959, S. 124 f., der der grundgesetzlichen Lösung zwar repräsentative Züge bescheinigt, aber einen Wahlakt als Grundlage der Bestellung repräsentativer Organe vorziehen würde. 176 Der Bundesrat setzt sich aus den Mitgliedern der Regierungen der Länder als Einzelpersonen und nicht aus den Ländern zusammen (BVerfGE 8, 104 (120); D. Blumenwitz, in: BK, Art. 51 Rn. 1 (Zweitbearbeitung 1987); R. Scholz, Landesparlamente und Bundesrat, in: Börner (Hrsg.), Festschrift für Karl Carstens, 1984, S. 831 ff. (840)); a.A. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 18; v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 50 Anm. III 1, S. 1013, die gegen den Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG die Länder als "wirkliche" Mitglieder des Bundesrates ansehen.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmen Verteilung
Legitimation erhält 177 . Dies gilt sowohl für die ordentlichen Mitglieder des Bundesrates als auch fur deren Stellvertreter. Denn die ordentlichen Bundesratsmitglieder können sich nach Art. 51 Abs. 1 S. 2 GG nur durch andere Mitglieder ihrer Landesregierung vertreten lassen. Es ist zwar umstritten, ob die Stellvertreter erst durch einen entsprechenden Beschluß ihrer Landesregierung bestellt werden 178 oder ob die Mitglieder der Landesregierung schon aufgrund ihrer Amtsstellung geborene, stellvertretende Bundesratsmitglieder sind 1 7 9 . Doch hat dieser Streit in der Praxis und für die hier zu beantwortende Frage keine Bedeutung: Alle Mitglieder der Landesregierungen sind entweder als ordentliche Mitglieder oder Stellvertreter bestellt 180 . Die Stellvertreter besitzen die gleichen Rechte und Pflichten wie die ordentlichen Mitglieder; dementsprechend stellt § 46 GOBR als Innenrecht klar, daß auch die Stellvertreter Mitglieder des Bundesrates und seiner Ausschüsse sind. (dd) Das Legitimationsniveau Damit das Gebot aus Art. 20 Abs. 2 GG, daß alle Gewalt vom Volk ausgehe, wirksam 1 8 1 umgesetzt wird, ist jeweils für die ausübenden Organe die Erreichung eines sich aus den verschiedenen Legitimationsstrukturen zusammenset-
177 Sojedenfalls die h.M.: Laufer, Der Bundesrat, 1972, S. 8 f.; ders., Dasföderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 100; H. H. Klein, Die Legitimation des Bundesrates und sein Verhältnis zu Landesparlamenten und Landesregierungen, in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, S. 95 ff. (102 ff.); W. Knies, DÖV 1977,575 (577 f.); Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 Rn.54ff. m.w.N.; T. Maunz/ R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 50 Rn. 8 (Bearbeitung Maunz 1982/Scholz 1996); a.A. jedoch mit eher politischen als rechtlichen Argumenten: Ellwein/Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., 1987, S. 299. 178 So W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 51 Rn. 6; D. Blumenwitz, in: BK, Art. 51 Rn. 11 (Zweitbearbeitung 1987); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 135; Scholl, Der Bundesrat in der deutschen Verfassungsentwicklung, 1982, S. 52; Κ Reuter, Der Bundesrat als Parlament der Länderregierungen, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 56 Rn. 16; ders., Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 45; Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 127 f. 179 T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 12 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996); ders., Die Rechtsstellung der Mandatsträger im Bundesrat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 193 ff. (200); Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 51 Rn. 2. 180 Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 189 ff. 181 Zum Erfordernis der effektiven Einflußmöglichkeit auf die Ausübung der Staatsgewalt vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 327.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
71
zenden Legitimationsniveaus notwendig 182 . Dieses Niveau ist jedoch weder für alle drei Gewalten noch innerhalb einer der Gewalten in einem festen Maß vorgegeben 183 . Es können sogar besondere verfassungsrechtliche Freistellungen Bedeutung gewinnen, durch die die normalen Legitimationszüge „verdünnt" werden 184 . Ansonsten stehen die Intensität der Akte der Staatsgewalt und das Erfordernis demokratischer Legitimation in einem Abhängigkeitsverhältnis. Je stärker der Gehalt des Aktes ist, um so größer sind die Anforderungen an die demokratische Legitimation 185 . Für den Bundesrat hat dies zur Folge, daß dessen demokratische Legitimation auf eine möglichst breite Basis gestellt werden muß, da er durch seine Funktion als Gesetzgebungsorgan und seine sonstigen Mitwirkungsrechte Akte von besonderer Reichweite ausüben kann. Allerdings könnten durch seine besondere Stellung und Ausgestaltung nach dem Grundgesetz spezielle verfassungsrechtliche Freistellungen Einfluß erlangen. (b) Die „Überlagerung" durch das Bundesstaatsprinzip Um die Wirkungen des Demokratieprinzips auf die Auslegung des Einwohnerbegriffs abschätzen zu können, ist neben der Einordnung des Bundesrates in die demokratischen Legitimationsstrukturen festzustellen, ob nicht durch den eigengearteten Charakter des Bundesrates die „Überlagerung" der Anforderungen des Demokratieprinzips durch das bundesstaatliche Prinzip zum Ausdruck kommt. (aa) Die Bundesratslösung Dafür liefert die Entstehungsgeschichte erste Anhaltspunkte: In den Beratungen im Herrenchiemseer Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat war die Ausgestaltung des föderativen Bundesorgans im Hinblick auf seine Mitglieder sehr streitig. Es konnte zunächst keine Einigkeit darüber erzielt werden, ob die Mitglieder dieses Organs aus weisungsgebundenen Mitgliedern der Landesregierungen (sog. Bundesratslösung) oder aus vom Volk oder den Landtagen unmittelbar gewählten Senatoren (sog. Senatslösung)
182 BVerfGE 83, 60 (72); 89, 155 (182); 91, 228 (244); E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (366); Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 328; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993 S. 329 ff. 183 E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (366 f.). 184 E.-W; Böckenförde, in: HStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 23; E. Schmidt-Aßmann, AöR 116(1991), 329 (366 f.). 185 E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (367).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
bestehen sollten 186 ; daneben wurden Mischformen beider Strukturen angeregt 1 8 7 . A m Ende haben sich bekanntlich die Verfechter des Bundesratssystems schließlich durchgesetzt. Daran kann abgelesen werden, daß sich der Verfassungsgeber mit der Bundesratslösung gegen eine besonders enge Anbindung an das Demokratieprinzip entschieden hat. Denn gerade von den Vertretern des Senatsprinzips wurde unter anderem 188 dessen erhöhte demokratische Legitimation herausgestellt, da die Bundesratslösung mit dem Einfluß der Ministerialbürokratie vom Grad der demokratischen Legitimation her hinter dem Senatsmodell zurückbliebe 189 . Ganz bewußt hatten im Gegenzug die Befürworter der Bundesratslösung angeführt, daß gerade die Länder als Rechtssubjekte in die Bildung des Bundeswillens einbezogen werden müßten 190 . Der Verfassungsgeber hat somit nicht die unter demokratischen Aspekten „reinste" Lösung gewählt und eine unmittelbare Legitimation der Mitglieder des Bundesrates durch Wahlen des Volkes oder doch zumindest der Landesparlamente vorgesehen. Vielmehr hat er das bundesstaatliche Element in der Struktur des Bundesrates gestärkt und die Einflußnahmemöglichkeiten der Länder selbst auf Bundesebene für gewichtiger erachtet. (bb) Die repräsentierte Einheit A n die Überlegungen zu den Konzeptionen des Bundesrats- oder Senatsmodells schließt sich unmittelbar eine Fragestellung an, die die durch den Bundesrat repräsentierten Rechtssubjekte zum Gegenstand hat: Wenn die Länder bzw. die Landesregierungen durch den Bundesrat repräsentiert würden, hätte dies eine weitere Hervorhebung des Bundesstaatsprinzips zur Folge. Auf der anderen Seite würde eine Repräsentation der „Landesvölker" eher den demokratischen Ansatz unterstreichen.
186 R. Morsey, Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 63 ff. (67); vgl. auch die alternativen Entwürfe für die Zusammensetzung eines Bundesrates bzw. Senats in Art. 66 und 67 des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs (abgedruckt in Pari.Rat, Bd. II, 1981, S. 592 ff.). 187 D. Blumenwitz, in: BK, Vorbem. z. Art. 50-53 Rn. 21 ff. (Zweitbearbeitung 1987). 188 Weitere Gründe waren etwa der Wunsch, einen der deutschen Politik bis dahin fremden Typ des älteren Staatsmannes zu schaffen, und die Gewaltenteilung zu sichern, indem ein aus Regierungsmitgliedern bestehendes Gremium nicht an der Gesetzgebung beteiligt werden sollte (K.B. v. Doeming, JöR n.F. 1 (1951), 380). 189 Vgl. die Darstellungen von K.B. v. Doeming, JöR n.F. 1 (1951), 380; D. Blumenwitz, in: BK, Vorbem. z. Art. 50-53 Rn. 22 (Zweitbearbeitung 1987). 190 Eine Auflistung der jeweiligen Argumente findet sich bei Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 Rn. 6 f.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
73
Um sich dem Problem der Repräsentation nähern zu können, bedarf es zunächst der kurzen Klärung, welche Inhalte sich in dem Begriff der Repräsentation verbergen. Dabei stößt man auf die Schwierigkeit, daß es an einem geklärten und allgemein anerkannten Repräsentationsbegriff fehlt 1 9 1 . Um gleichwohl die Repräsentation fruchtbar machen zu können, ist zumindest eine Abgrenzung von der Stellvertretung erforderlich. Der Charakter der Repräsentation unterscheidet sich von der Stellvertretung im wesentlichen durch das Fehlen eines Weisungsverhältnisses 192. Zwischen dem Repräsentanten und dem Repräsentierten besteht kein Rechtsverhältnis, kraft dessen der Repräsentierte durch Weisungen Einfluß auf das Handeln des Repräsentanten nehmen könnte. Dies wird etwa beim Bundestag durch die unabhängige Stellung seiner Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 GG deutlich. Dennoch werden die Willensäußerungen des Repräsentanten dem Repräsentierten zugerechnet, obwohl der jeweilige Wille voneinander abweichen kann 1 9 3 . Die Einflußnahmemöglichkeiten des Repräsentierten ist damit im Verhältnis zum Repräsentanten nur auf dessen Bestellungsakt beschränkt und im Vergleich zur Stellvertretung erheblich verkürzt. In der Literatur ist umstritten, ob der Bundesrat überhaupt ein Repräsentativorgan ist und - falls ja - wer durch ihn repräsentiert wird. Vereinzelt wird dem Bundesrat jede Repräsentationsfunktion abgesprochen 194 . Zur Begründung wird angeführt, daß die Bundesratsmitglieder aufgrund des Erfordernisses der einheitlichen Stimmabgabe aus Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG, der Weisungsgebundenheit195 und der Möglichkeit ihrer jederzeitigen Abberufung seitens der Landesregierungen (Art. 51 Abs. 1 GG) Einschränkun-
191
Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 Rn. 69; vgl. auch Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 14 ff. 192 R. Schneider/B. Dennewitz, in: BK, Art. 38 II Rn.23 (Zweitbearbeitung 1966); T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 38 Rn. 1 ff. (Bearbeitung 1991). 193 T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 38 Rn. 2. 194 Vonderbeck, Der Bundesrat - ein Teil des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland?, 1964, S. 77. 195 Zwar enthält das Grundgesetz unmittelbar keine Regelung über die Zulässigkeit eines Weisungsrechts der Landesregierungen gegenüber ihren Mitglieder im Bundesrat. Doch wird dieses aus dem Recht der Landesregierung, ihre Vertreter im Bundesrat zu bestellen und abzuberufen (BVerfGE 8, 104 (120)), der Entstehungsgeschichte (.Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 69), der Einheitlichkeit der Stimmabgabe gemäß Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG und dem Rückschluß aus Art. 53 a Abs. 1 S. 3, 77 Abs. 2 S. 3 GG (W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1991, Art. 51 Rn. 14) sowie der Formulierung in Art. 50 GG, daß die Länder im Bundesrat mitwirken (T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 16 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996), abgeleitet; a.A. G. Schnorr, AöR 76 (1950/51), 259 (282), der ein Weisungsrecht der landesgesetzlichen Regelung vorbehalten will.
2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
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gen unterlägen, die mit einer Repräsentation unvereinbar seien 196 . Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen. Der Bundesrat steht für ein oder mehrere Rechtssubjekte ein, dem oder denen dessen Entscheidungen zuzurechnen sind. Andernfalls müßte man den Bundesrat als isoliertes Entschließungsorgan qualifizieren. Andere sehen dagegen im Bund die repräsentierte Einheit 197 . Dies ergebe sich daraus, daß der Bundesrat in zahlreichen Fällen dem Bundestag gleichgeordnet sei. Dem Bundesrat sei deshalb neben dem Bundestag eine „sekundärzusätzliche" Repräsentation des Bundes zuzusprechen 198. Dies wird jedoch der Stellung des Bundesrates, durch den gerade die Länder im Bund mitwirken können, nicht gerecht. Zum Teil wird das Bundesvolk dem Bundesrat als von ihm repräsentierte Einheit zugeschrieben 199. Denn der Bundesrat stelle einen Teil der Staatsgewalt dar, die gemäß Art. 20 Abs. 2 GG vom Volk ausgehe. Andernfalls wäre die Volkssouveränität nicht vollständig und es bestünden unter Umständen aufgrund der bundesstaatlichen Struktur Deutschlands sogar zwei Souveräne im Staat, was ein Widerspruch in sich wäre, da die Souveräntität nicht teilbar sei 2 0 0 . Dies überzeugt jedoch nicht, denn das Bundesvolk hat im Bundestag sein Repräsentativorgan 201 und nicht im Bundesrat, der als föderatives Organ sich von den unitarischen Organen gerade abheben soll. Auch kann Volkssouveränität nicht ohne weiteres mit Repräsentation gleichgesetzt werden. Während die Repräsentation die Frage betrifft, wem die Entscheidungen eines Organs zugerechnet werden sollen, bezieht sich die Volkssouveränität auf das Problem, von wem die Ausübung der Staatsgewalt abgeleitet wird und wem gegenüber Verantwortlichkeiten bestehen. Die Ansätze sind somit bei Repräsentation und Souveränität unterschiedlich. Auch die Landesvölker werden vereinzelt als durch den Bundesrat repräsentierte Einheiten qualifiziert 202 . Der Bundesrat sei ein Repräsentativorgan wie
196
Vonderbeck, Der Bundesrat - ein Teil des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland?, 1964, S. 77. 197 Giese/Schunk, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 9. Aufl., 1976, Vorbem. Art. 50; so wohl auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 126, wenn er ausführt, der Bundesrat repräsentiere das Ganze, nicht die Teile. 198 Giese/Schunk, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 9. Aufl., 1976, Vorbem. Art. 50. 199 Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 86 f.; Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, 1954, S. 41 f. 200 Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 87. 201 Vgl. hierzu ausführlich R. Schneider/B. Bennewitz, in: BK, Art. 38 Anm. II (Zweitbearbeitung 1966). 202 G. Schnorr, AöR 76 ( 1950/51 ), 259 (282); T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 38 Rn.5 (Bearbeitung 1991); T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 3 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996).
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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der Bundestag, nur sei das repräsentierte Volk in anderer Weise gegliedert, so daß der Bundesrat das Volk als Volk der Länder repräsentiere 203. Betrachtet man die Rechtsnatur der Mitgliedschaft im Bundesrat und die Einschränkungen, die diese bei der Ausübung des Stimmrechts durch das Erfordernis der Einheitlichkeit der Stimmabgabe und der Weisungsgebundenheit erfährt, so wird man die Landesvölker jedoch nicht als durch den Bundesrat unmittelbar repräsentiert ansehen können. Die Einflußmöglichkeiten auf die Bundesratsmitglieder stehen den Landesregierungen und nicht den Landesparlamenten 204 oder den Landesvölkern 205 zu. Die Bundesratsmitglieder werden gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG durch die Regierungen der Länder bestellt und abberufen. Es wäre deshalb verfehlt, den Landesparlamenten oder den Landesvölkern das Stimmverhalten im Bundesrat zuzurechnen und sie als dort repräsentiert anzusehen. Repräsentanten der Landesvölker sind vielmehr die Landesparlamente, deren Mitglieder aufgrund von Wahlen durch die Landesvölker bestellt werden. Nur die Entscheidungen der Landesparlamente sind als Folge hieraus den Landesvölkern als dessen Entscheidungen zuzurechnen. Gegenüber all diesen Ansätzen ist es mit er ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung 206 und Literatur 207 vorzugswürdig, die Länder als die im Bundesrat repräsentierten Rechtssubjekte anzusehen. In ihm kommen schließlich die Länder, ihrerseits durch die Landesregierungen repräsentiert, unmittelbar zu Wort 2 0 8 . Man hat sich im Parlamentarischen Rat ausdrücklich gegen ein auf dem Gedanken der Repräsentanz des Landesstaatsvolkes beruhendes Senatsprinzip 203
T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 38 Rn. 5 (Bearbeitung 1991). 204 StGH BW, ESVGH 36, 161 (163); W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 51 Rn. 14; T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 18 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996); Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 51 Rn. 6; R. Scholz, Landesparlamente und Bundesrat, in: Börner (Hrsg.), Festschrift für Karl Carstens, 1984, S. 831 ff. (839 ff.); O. Kratzsch, DÖV 1975, 109 (111 f.); a.A. H.-W. Arndt, Anm. zu StGH BW, ESVGH 36, 161, VB1BW 1986,416 (418); v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 51 Anm. IV 3 b, S. 1029; differenzierend Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 138 f. 205 BVerfGE 8, 104 (120 f.); StGH BW, ESVGH 36, 161 (163); T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 18 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996). 206 BVerfGE 8, 104 (120). 207 V. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Vorbem. zum IV. Abschnitt Anm. III 2 f., S. 1004 f.; Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 63; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 733. 208 V. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Vorbem. zum IV. Abschnitt Anm. III 2 f., S. 1005; Schäfer, Der Bundesrat, 1955, S. 28.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
und für eine Bundesratslösung entschieden209. Genauer differenzierend kann man deshalb auch die Summe aller Länder als durch den Bundesrat „als Kollegium" repräsentiert annehmen 210 . Dies folgt daraus, daß die Landesregierungen zwar die Länder repräsentieren, jedoch nur mittelbar durch eine auf „Willenseinheit beruhende Verknüpfung" 211 mit den Bundesratsmitgliedern im Bundesrat handeln können 212 . Aufgrund des Weisungsrechts sowie der Einheitlichkeit der Stimmabgabe ist der Wille der Landesregierung als Wahrnehmung der Interessen des Landes und nicht des einzelnen Bundesratsmitglieds maßgeblich. Dies kommt auch in dem Bestellungsrecht der Landesregierungen für die Mitgliedschaft im Bundesrat nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG zum Ausdruck. Sind aber als repräsentierte Einheiten die Länder bzw. deren Gesamtheit festgestellt, so läßt sich hieraus für das Verhältnis von Demokratie- und Bundesstaatsprinzip im Zusammenhang mit der Stimmenverteilung im Bundesrat nur folgern, daß aus der Repräsentation nichts für eine streng demokratische Auslegung spricht. Die Länder, und nicht deren Völker wirken im Bundesrat mit und werden folgerichtig von ihm repräsentiert. Darin kommt abermals zum Ausdruck, daß das Demokratieprinzip partiell vom Bundesstaatsprinzip „überlagert" wird. (cc) Die Stimmenstaffelung Für diese „Überlagerung" liefert auch die Stimmenstaffelung des Art. 51 Abs. 2 GG ganz konkrete Anhaltspunkte: Aus der Staatsqualität der einzelnen Länder in der bundesstaatlichen Struktur des Grundgesetzes ergibt sich für diese untereinander grundsätzlich, daß sie gleichwertig sind 2 1 3 und daß sie deshalb nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen 214 . Bei einer streng bundesstaatlichen Betrachtungsweise müßten daher die Gliedstaaten im föderativen Organ des Gesamtstaates gleichberechtigt sein.
209 BVerfGE 8, 104 (120); vgl. zum Streit im Parlamentarischen Rat um eine Senatsoder Bundesratslösung KB. v. Doeming, JöR n.F. 1 (1951), 383 ff.; R. Morsey, Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 63 ff. (67 ff); s.o. S. 71 f. 210 Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 113; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 50 Rn. 69. 211 Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 111. 212 Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 113. 213 Dies ergibt sich zwar nicht aus Völkerrecht, sondern aus in der Sache übereinstimmendem Bundesstaatsrecht (BVerfGE 1, 14 (51); 34,216 (231); 36, 1 (24)). 214 Zu der historischen Entwicklung dieses Merkmals in Deutschland vgl. Behnke, Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaat, 1926, S. 52 ff.
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Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn sie dort jeweils den gleichen Stimmenanteil besäßen215. Ein möglichst enge Verknüpfung mit dem Demokratieprinzip 216 könnte dagegen durch eine angemessene Repräsentation der Länder entsprechend ihrer Größe und Bedeutung Berücksichtigung finden 217 . Hierzu würde sich eine möglichst genaue Orientierung an den Einwohnerzahlen der Länder anbieten, um so entweder eine Repräsentation der Landes Völker zu gewährleisten 218 oder wenigstens einen relativ genauen Maßstab für die politische Relevanz des jeweiligen Landes zu gewinnen. Legt man die Regelung in Art. 51 Abs. 2 GG mit ihrer Obergrenze von maximal sechs Stimmen für ein Land zugrunde, so kommt man jedoch auf der Basis der derzeitigen Bevölkerungsstatistiken zu dem Ergebnis, daß zum Bei-
215
Im Senat der USA gilt gemäß Art. 1 Section 3 der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (US-Verfassung) aufgrund der besonderen Betonung des bundesstaatlichen Charakters der Grundsatz „one land - one vote". Jeder Einzelstaat entsendet zwei Mitglieder in den Senat; dadurch sollen die Souveränitätsansprüche der kleinen Gliedstaaten vor hegemonialen Bestrebungen der großen Gliedstaaten geschützt werden. Dies führt im Extremfall dazu, daß Alaska im Senat das gleiche Gewicht hat wie Kalifornien, obwohl letzteres eine fast sechzigfach höhere Bevölkerungszahl besitzt (J. Annaheim, Die Gliedstaaten im amerikanischen Bundesstaat, 1990, S. 118 f.). Der Ständerat der Schweiz besteht nach Art. 80 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft dagegen aus 44 Abgeordneten der Kantone, wobei jeder Kanton zwei Abgeordnete, in den geteilten Kantonen jeder Landesteil einen Abgeordneten wählt. Dies hat in erster Linie verfassungsgeschichtliche Gründe, denn die Gleichheit der Kantone bildet einen „Grundsatz des schweizerischen Staatsrechts" (M Heger, Deutscher Bundesrat und Schweizer Ständerat, 1990, S.77 ff.). 216 Grundsätzlich gegen eine Übertragung dieses Prinzips auf die Regelung der Stimmenstaffelung im Bundesrat wohl Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 141, „weil die Bundesrats-Konstruktion im föderativen, nicht im demokratischen Prinzip ruht"; allerdings spricht Stern an anderer Stelle nur davon, daß der Bundesrat „in die Logik des demokratischen Prinzips ... schwer einzuordnen" sei (iStern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 123) und relativiert damit seine Aussage. Die Stimmenstaffelung im Bundesrat gänzlich dem Einfluß des Demokratieprinzips entziehen zu wollen, erscheint aber auch deshalb nicht zwingend, weil bei einer rein bundesstaatlichen Lösung die Gleichberechtigung der Länder im föderativen Organ nahe gelegen hätte. 217 Vgl. hierzu u.a. A. Pfitzer, Die Organisation des Bundesrates, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 173 ff. (177); H. Laufer, Reform des Bundesrates?, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 395 ff. (400); Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 55. 218 Vgl. zu dieser Frage S. 72 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
spiel ein Bundesratsmitglied aus Nordrhein-Westfalen fast 3 Mio. Einwohner 219 und ein Bundesratsmitglied aus Bremen weniger als 227.000 Einwohner 220 „vertritt". Die Staffelung in Art. 51 Abs. 2 GG ist damit von einer arithmetisch exakten Repräsentation der Länderbevölkerungen im Bundesrat an Hand der Bevölkerungszahlen weit entfernt. Bei der Betrachtung der bei der Vertretung der Länder im föderativen Organ widerstrebenden Prinzipien von Bundesstaat und Demokratie fällt auf, daß durch die in der Vorschrift enthaltene Grundentscheidung, jedem Land unabhängig von sonstigen Faktoren drei Stimmen zu geben, einerseits die den Bundesstaat prägende Einzelstaatlichkeit der Länder berücksichtigt wird. Außerdem führt die Begrenzung auf maximal sechs Stimmen dazu, daß nicht ein oder zwei größere Länder die übrigen im Bundesrat majorisieren können 221 . Andererseits wird durch die Verteilung zusätzlicher Stimmen in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl zumindest eine Annäherung an das Ideal einer genauen Orientierung an den Bevölkerungszahlen erreicht. Der vom Grundgesetz eingeschlagene Mittelweg zwischen den beiden Extremen, der sich in der Begrenzung auf maximal sechs Stimmen für ein einzelnes Land widerspiegelt, ist insoweit ein Kompromiß 222 , der aufgrund seiner Spezialität gegenüber den genannten allgemeinen Prinzipien als verfassungsrechtlich zulässig anerkannt ist 2 2 3 . Auch durch die Ausgestaltung der Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG hat damit der Verfassungsgeber eindeutig Position bezogen und das Demokratieprinzip durch das Bundesstaatsprinzip teilweise „überlagert". (dd) Die Eigenarten des Stimmrechts im Bundesrat Außerdem ist die Relativierung des einzelnen Stimmgewichts durch das Gebot der einheitlichen Stimmabgabe in Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG zu beachten. Ein Stimmensplitting oder auch nur Enthaltungen 224 einzelner Mitglieder eines Landes sind danach nicht zulässig. Werden die Stimmen dennoch uneinheitlich 219
Mit einer Bevölkerungszahl von fast 17,9 Mio. Einwohnern zum 31.3.1996 (aktuelle Daten nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes) besitzt Nordrhein-Westfalen sechs Stimmen im Bundesrat; vgl. Anhang IV. 220 Mit ca. 680 000 Einwohnern zum 31.3.1996 (aktuelle Daten nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes) ist Bremen mit 3 Stimmen im Bundesrat vertreten. 221 Laufer, Der Bundesrat, 1972, S. 10. 222 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 141; vgl. auch zu den Motiven im Parlamentarischen Rat K.B. v. Doeming, JöR n.F. 1 ( 1951 ), 3 83 ff. 223 R. Herzog,, in: HStR, Bd. II, 1987, §46 Rn. 1; Schlußbericht der EnquêteKommission Verfassungsreform v. 9.12.1976, BT-Drs. 7/5924, S. 100. 224 T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 27 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996); D. Blumenwitz, in: BK, Art. 51 Rn. 29 (Zweitbearbeitung 1987).
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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abgegeben, ist die Abstimmung des Landes ungültig 225 . Angesichts der durch diese Regelung erreichten Effekte ist fraglich, ob nicht hieraus eine Relativierung des Erfordernisses demokratischer Legitimation folgt. Die einzelne Stimme steht durch das Gebot einheitlicher Stimmabgabe weniger im Vordergrund als vielmehr die Gesamtstimmenzahl eines Landes. Es werden im Gegenteil durch diese Regelung die Mitglieder des Bundesrates als Einzelpersonen zurückgedrängt und die Vertretung des Länderwillens gestärkt. Hierin kommt erneut die Besonderheit des Bundesrates zum Ausdruck, in dem nach Art. 50 GG gerade die Länder als Rechtssubjekte auf Bundesebene mitwirken sollen 226 . Das Bundesstaatsprinzip wird wiederum in besonderer Weise unterstrichen. Allerdings ist der Vorschrift nur zu entnehmen, wie die Stimmabgabe eines Landes - nämlich einheitlich - erfolgen soll. (ee) Nichtberücksichtigung von Ausländern bei der Besetzung anderer oberster Bundesorgane Die Erkenntnis einer partiellen „Überlagerung" des Demokratieprinzips durch das bundesstaatliche Prinzip wird auch nicht etwa dadurch erschüttert, daß man die Nichtberücksichtigung von Ausländern bei der Besetzung anderer oberster Bundesorgane vergleichend anführt:
225 ]axass!Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 51 Rn.6; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2,3. Aufl., 1995, Art.51 Rn. 13,Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn.64; T. Maunz, Die Rechtsstellung der Mandatsträger im Bundesrat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 193 ff. (206); T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art.51 Rn.27 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996). Abzulehnen ist dagegen die Auffassung, daß den Mitgliedern noch die Möglichkeit gegeben werden soll, eine Weisung ihrer Landesregierung für die Simmabgabe einzuholen und die Abstimmung zu wiederholen (v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 51 Anm. III 4 b, S. 1024); denn dadurch würde einem einzelnen Land Gelegenheit gegeben, eine Abstimmung im Bundesrat zu verzögern (Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 64 Fn. 104) und außerdem verlangt das Grundgesetz nicht, daß alle Länder abstimmen, so daß bei Uneinheitlichkeit auf die Stimmen des betroffenen Landes verzichtet werden könnte (T. Maunz, Die Rechtsstellung der Mandatsträger im Bundesrat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 193 ff. (206)). Auch die Ansicht, bei einer uneinheitlichen Stimmabgabe sei die Stimme des Kabinettsvorsitzenden entscheidend (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 137 f.), verdient keine Zustimmung, da sie sich nicht aus Verfassungsrecht begründen läßt (W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art.51 Rn. 13). 226 Κ Lange, Die Legitimationskrise des Bundesrates, in: Wilke/Schulte (Hrsg.), Der Bundesrat, 1990, S. 226 ff. (233) m.w.N.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmen Verteilung
So werden zur Einteilung der Wahlkreise bei Bundestagswahlen die Bevölkerungszahlen zugrunde gelegt, wobei aber nach § 3 Abs. 2 BWahlG die Ausländer (§ 1 Abs. 2 Ausländergesetz) unberücksichtigt bleiben. Ebenso wird bei der Wahl des Bundespräsidenten nach Art. 54 Abs. 3 GG durch die Bundesversammlung verfahren. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung wird zwar die Zahl der jeweils durch die Länder zu wählenden Mitglieder der Bundesversammlung entsprechend der letzten amtlichen Bevölkerungszahl bestimmt. Doch bleiben auch hier die Ausländer im Sinne von § 1 Abs. 2 Ausländergesetz unberücksichtigt. Dies sind alle Personen, die nicht unter den Begriff der Deutschen nach Art. 116 Abs. 1 GG fallen. Die Ausländer bei der Wahlkreiseinteilung nicht einzubeziehen, wird mit dem demokratischen Sinn und Zweck der Bundestagswahl begründet 227 . Die Wahlkreiseinteilung sei ein wesentliches Organisationselement der Wahlen zur Volksvertretung. Mittels dieser werde festgelegt, wo es zur Vergabe von Mandaten komme, über die nur die deutschen Wahlberechtigten zu bestimmen hätten. Würden Ausländer berücksichtigt, obwohl sie nicht wahlberechtigt sind, erhielten Gebiete mit hohem Ausländeranteil mehr Wahlkreise, als ihnen eigentlich nach der Zahl der Wahlberechtigten zustehen 228 . Daraus könnten mehr Überhangmandate 229 resultieren als in den Gebieten mit geringem Ausländeranteil, was wiederum zu einem größeren Stimmgewicht der Wähler in ausländerreichen Regionen fuhren würde 2 30 . In Wahlkreisen mit hohem Ausländeranteil seien erheblich weniger Stimmen zum Gewinn des Wahlkreises erforderlich, woraus ein geringeres Gewicht der Stimme in Gebieten mit geringerer ausländischer Bevölkerung folge 2 3 1 . Schließlich mache sich die Ungleichheit der Wahlkreise bei der Grundmandatssperrklausel sowie bei dem Grundsatz der möglichst gleichmäßigen Repräsentation des Volkes durch die Wahlkreisabgeordneten bemerkbar 232 . Diese Folgen würden eine Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit aus Art. 38 Abs. 1 GG darstellen 233 . 227
J. Henkel, ZParl. 1974, 91 (109 ff.); Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl., 1994, § 3 Rn. 16 m.w.N. 228 Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl., 1994, § 3 Rn. 16 m.w.N. 229 §6 Abs. 5 S. 1 BWahlG; zur Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate vgl. BVerfGE 7, 63 (74 f.); 16, 130 (140 ff.); Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl., 1994, § 3 Rn. 16 m.w.N., § 6 Rn. 13 m.w.N.; zur neueren Diskussion über diese Frage etwa: H J. Papier, JZ 1996, 265 ff.; W. Schreckenberger, ZParl. 1995, 678 ff. 230 J. Linck., DÖV 1974,411 (412). 231 J. Linck, DÖV 1974,411 (412). 232 Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl., 1994, §3 Rn. 16. 233 Vgl. zur Wahlkreisgröße und Wahlrechtsgleichheit auch J. Ipsen/T. Koch, NdsVBl. 1996, 269 ff.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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Für die Bundestagswahlen ist diese Begründung überzeugend und zwingend. Im Gegensatz dazu führen aber Überlegungen zum Bundesrat nicht dazu, die Länder mit einem großen Anteil Ausländer als überrepräsentiert anzusehen, wenn diese Personengruppe unter den Einwohnerbegriff des Art. 51 Abs. 2 GG fiele. Während die Abgeordneten des Bundestages Repräsentanten des Bundesvolkes 2 3 4 sind, werden im Bundesrat gerade nicht die Landesvölker, sondern die Länder selbst repräsentiert 235. Es fehlt daher an einer vergleichbaren Situation, da sich die aus der unmittelbaren demokratischen Legitimation folgenden Grundsätze für die Wahl zum Bundestag nicht auf den insoweit nur mittelbar legitimierten Bundesrat übertragen lassen 236 . Bei der Ermittlung der Zahl der von den Landesparlamenten zu wählenden Mitglieder der Bundesversammlung werden die Ausländer gleichermaßen nicht berücksichtigt (§ 2 Abs. 1 S. 3 Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung) 237. Die Regelung wurde für notwendig gehalten, da der Bundespräsident das Staatsoberhaupt des deutschen Volkes sei. Des weiteren seien von der Bundesversammlung nur Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG wählbar 238 . Schließlich sollten mit der Nichtberücksichtigung der Ausländer Verzerrungen vermieden werden, die aufgrund der ungleichmäßigen Verteilung der Ausländer über das Bundesgebiet auftreten würden 239 . A u f den ersten Blick scheint zumindest das letzte Argument auf den Bundesrat übertragbar zu sein. Dadurch würden aber die Besonderheiten, die für die Bundesversammlung bestehen und hier eine Sonderregelung erforderlich machen, vernachlässigt. Der Bundespräsident soll als Staatsoberhaupt auf einer möglichst breiten Basis demokratisch legitimiert werden. Entsprechend sind in der Bundesversammlung neben den unmittelbar demokratisch legitimierten Mitgliedern des Bundestages nicht die Bundesratsmitglieder vertreten, sondern nach Art. 54 Abs. 3 GG werden die weiteren Mitglieder von den Landesparlamenten gewählt. Das Wahlrecht sowohl zum Bundestag als auch zu den Volksvertretungen der Länder steht aber nur den Deutschen zu 2 4 0 . Ausländer bleiben hierbei unberücksichtigt. Es ist deshalb konsequent, dies bei der Verteilung der von den Landesparlamenten zu wählenden Mitgliedern der Bundesversammlung fortzusetzen. Andernfalls käme es dazu, daß Länder mit hohem Auslän-
234
Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 37. S.o. S. 72 ff. 236 Deshalb ist die Argumentation auf der Grundlage des Art. 38 GG von T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 3 (Bearbeitung Maunz 1991 /Scholz 1996) nicht überzeugend. 237 Gesetz vom 24.6.1975 (BGBl. I S. 1593). 238 BT-Drs. 7/2873, S. 45. 239 BT-Drs. 7/2873, S. 45. 240 S.o. S. 56 ff. 235
6 Deecke
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
deranteil überproportional viele Mitglieder in die Bundesversammlung entsenden könnten. Dies liefe dem hohen demokratischen Legitimationsbedürfhis des Amtes des Bundespräsidenten zuwider. Beim Bundesrat besteht eine derartig enge Verknüpfung mit dem Volk als Souverän - wie bereits mehrfach betont - gerade nicht. Dies hat zur Folge, daß die Grundsätze für die Wahl des Bundespräsidenten nicht auf den Einwohnerbegriff in Art. 51 Abs. 2 GG anwendbar sind. (c) Zwischenergebnis Für die Auslegung des Einwohnerbegriffs lassen sich aus dem Grundsatz der Volkssouveränität im Rahmen des Demokratieprinzips zwar keine neuen Erkenntnisse mit dem Gehalt einer positiven Definition ableiten. Immerhin kann aber festgehalten werden, daß das Demokratieprinzip keine Einengung der Einwohner im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG auf Deutschen verlangt. Der Bundesrat hat zwar durch die grundgesetzlichen Regelungen eine starke Stellung neben dem unmittelbar demokratisch legitimierten Bundestag erhalten und es scheint sich deshalb eine größtmögliche demokratische Legitimation des Bundesrates Weise aufzudrängen. Jedoch ist der Bundesrat in funktioneller und institutioneller Hinsicht unmittelbar aufgrund der Schaffung durch den Verfassungsgeber und in sachlich-inhaltlicher sowie organisatorisch-personeller Hinsicht mittelbar demokratisch legitimiert. Diese Legitimationsbasis reicht für den Bundesrat aus. Die Besonderheiten des föderativen Bundesorgans im Bundesstaat unterstützen diese Einschätzung. Schon der Verfassungsgeber hat sich nämlich mit der von ihm in Art. 51 Abs. 2 GG festgelegten Stimmenstaffelung gegen eine streng demokratisch ausgeformte Verteilung der Stimmrechte im Bundesrat ausgesprochen. Die „Überlagerung" des demokratischen Elements bei den einzelnen Stimmen wird durch das Gebot der einheitlichen Stimmabgabe noch unterstrichen. Durch die Einordnung der Bundesratsmitglieder als Repräsentanten der Länder und des Bundesrates als Repräsentanten der Summe der Länder wird darüber hinaus das Erfordernis einer besonders strengen demokratischen Auslegung des Einwohnerbegriffs in Frage gestellt. Der Begriff des Einwohners ist somit aufgrund des Demokratieprinzips nicht zwingend auf die in den Ländern wohnenden Deutschen zu verengen 241 .
241 A.A. T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 51 Rn. 3 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996), die aber die Besonderheiten des Bundesrates, die der Verfassungsgeber eingerichtet hat, außer acht lassen und einseitig auf das Demokratieprinzip abstellen.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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(2) Direktiven des Bundesstaatsprinzips Das Bundesstaatsprinzip, welches in Art. 51 Abs. 2 GG auch seinen Niederschlag gefunden hat 2 4 2 , könnte bei der Bestimmung des Einwohnerbegriffs Gewicht erlangen, weil dessen Inhalt wesentlich für die Teilhabe der einzelnen Länder an der Willensbildung im Bund ist. Aus der im Bundesstaatsprinzip zum Ausdruck kommenden Eigenstaatlichkeit der Länder folgt deren formale Gleichwertigkeit. Zwar ebnet Art. 51 Abs. 2 GG dieses Prinzip bei der Verteilung der Bundesratsstimmen in gewissem Umfang ein 2 4 3 , doch bleibt eine Verpflichtung zu materieller Gleichbehandlung der Länder durch den Bund, das heißt einer möglichst gerechten Verteilung von Rechten und Pflichten bestehen 244 . Diesem Gebot wird nur eine bundeseinheitliche Handhabung 245 des Einwohnerbegriffs gerecht, da andernfalls die Wertung in Art. 51 Abs. 2 GG umgangen werden könnte. Dadurch bekämen einzelne Länder durch eine extensive Auslegung einen erhöhten Einfluß auf die Willensbildung im Gesamtstaat. Der Grundsatz der Gleichheit der Länder darf deshalb nicht über die ausdrückliche Bestimmung in Art. 51 Abs. 2 GG hinaus durch eine unterschiedliche Praxis bei der Bestimmung der Einwohnerzahlen weiter ausgehöhlt werden. (3) Direktiven des Grundsatzes der Bundestreue Daneben gewinnt der Grundsatz der Bundestreue Bedeutung, weil durch die Stimmenverteilung im Bundesrat nicht nur das Verhältnis der Länder zum Bund, sondern auch das Verhältnis der Länder untereinander betroffen ist und sich hier besondere Rücksichtnahmepflichten ergeben. Der Grundsatz der Bundestreue 246 verpflichtet sowohl den Bund gegenüber den Ländern als auch die Länder untereinander, auf die Interessen und Kompetenzsphären des jeweils anderen Rücksicht zu nehmen 247 . Der Bund und die Länder haben bei der Inanspruchnahme ihrer Rechte die Belange der anderen 242
S.o. S. 29, 76 ff. R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 IV Rn. 68 (Bearbeitung 1980); s.o. S. 76 ff. 244 R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 IV Rn. 68 (Bearbeitung 1980); s.o. S. 76 ff. 245 Das Problem der uneinheitlichen Bestimmung der Einwohnerzahlen in den Ländern und Kommunen stellte sich insbesondere vor und im Zuge der Neuregelung des Melderechts in den achtziger Jahren; s. dazu S. 93 ff. 246 Zur Problematik der Rechtsgrundlagen dieses Instituts und der normativen Rückführung des Grundsatzes der Bundestreue auf eine bundesstaatsspezifische Ausprägung von Treu und Glauben vgl. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 234 ff. 247 M. Bothe, in: AK-GG, Bd. 1, 2. Aufl., 1989, Art. 20 Abs. 1-3 I Rn. 39. 243
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmen Verteilung
Mitglieder in gebotenem Umfang zu beachten und dürfen nicht egoistisch auf die einseitige Durchsetzung eigener Rechtspositionen bestehen 248 . Das hieraus folgende Verbot mißbräuchlicher Rechtsausübung läßt sich unter anderem dahin konkretisieren, daß Rechte nur dann ausgeübt werden dürfen, wenn überwiegende Belange der anderen Mitglieder im Bundesstaat nicht entgegenstehen und die bundesstaatliche Ordnung nicht gravierend gestört werden 249 . Eine Majorisierung eines Landes in eigenen Angelegenheiten durch andere Länder ist daher untersagt 250 . Die Länder wirken durch den Bundesrat nicht nur aus Gründen gesamtstaatlicher Verantwortung und staatlicher Zugehörigkeit zum Bundesstaat mit, sondern sie bringen dort unter anderem ihre eigenen spezifischen Interessen zum Ausdruck 251 . Sie sind also auch in eigenen Angelegenheiten tätig. Die Möglichkeit zur individuellen Interessenwahrnehmung ist zwar schon durch die Stimmenstaffelung beschränkt. Das Mehrheitsprinzip im Bundesrat 252 fuhrt dazu, daß sich ein einzelnes Land mit seinen Interessen nicht immer durchsetzen kann. Die Partizipation an der Willensbildung würde aber noch weiter zurücktreten, wenn einzelne Länder aufgrund der Auslegung des Einwohnerbegriffs im Vergleich zu anderen Ländern zusätzliche Stimmen erhalten würden. Sie hätten dann ein Übergewicht, das im Grundgesetz keine Rechtfertigung mehr findet. Wer Einwohner ist und wer nicht, muß sich deshalb in allen Ländern gleich bestimmen, das heißt die Länder trifft insoweit eine Verpflichtung untereinander, soweit sie in die Ermittlung der Einwohnerzahlen eingebunden sind 2 5 3 , eine einheitliche Handhabung zu gewährleisten. c) Zwischenergebnis Damit läßt sich das Fazit ziehen, daß die Verwendung des Begriffs des Einwohners in Art. 51 Abs. 2 GG und nicht die ansonsten zur Beschreibung von Personengruppen im Grundgesetz gebrauchten Begriffe der Deutschen, des deutschen Volkes, des Volkes, der Wahlberechtigten zum Bundestag oder der Wahlberechtigten der Länder darauf schließen läßt, daß als Kriterium für die Stimmenverteilung gerade nicht eine mit diesen identische Gruppe erfaßt werden sollte. Die Wortwahl in Art. 51 Abs. 2 GG läßt eher die Folgerung zu, daß das Kriterium der Zugehörigkeit zu den Deutschen oder einer anderen im Grundgesetz aus-
248
Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 355. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 356 f. 250 BVerfGE 1, 299 (315); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 669 Fn. 149 m.w.N. 251 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl., 1984, S. 735. 252 S.o. S. 25 f. 253 S.u. S. 102 ff. 249
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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drücklich aufgeführten Personengruppe nicht in den Einwohnerbegriff hinein zu lesen ist. Aus dem Demokratieprinzip lassen sich für erne positive Definition des Einwohnerbegriffs keine neuen Erkenntnisse ableiten. Der Bundesrat ist in funktioneller und institutioneller Hinsicht unmittelbar aufgrund der Schaffung durch den Verfassungsgeber und in sachlich-inhaltlicher sowie organisatorischpersoneller Hinsicht mittelbar demokratisch legitimiert. Diese Legitimationsbasis ist für den Bundesrat ausreichend. Die eigengeartete Konstruktion des föderativen Bundesorgans wird unterstützt durch diesen Befund. Das Bundesstaatsprinzip und der Grundsatz der Bundestreue bestätigen den vergleichenden Blick in die Regelungen des Grundgesetzes, die wie Art. 51 Abs. 2 GG den Einwohnerbegriff verwenden. Danach ist eine für alle Länder einheitliche Handhabung des Begriffs Einwohner in Art. 51 Abs. 2 GG zwingend. Kurz und bündig formuliert ergibt sich aus der systematischen Auslegung, daß es aufgrund anderer Regelungen keine Notwendigkeit gibt, den Einwohnerbegriff in Art. 51 Abs. 2 GG auf die Deutschen zu begrenzen. Indes ist der Terminus bei der inhaltlichen Ausfüllung bundesweit einheitlich zu handhaben. 4. Historische Auslegung Weitere Hinweise für die Interpretation des Einwohnerbegriffs könnte die historische Auslegung liefern. Sowohl im Herrenchiemseer Verfassungskonvent als auch in den Beratungen des Parlamentarischen Rates spielten die geschichtlichen Vorläufer des Bundesrates eine besondere Rolle 2 5 4 . Denn das Prinzip einer gestaffelten Stimmenzahl in föderativen Organen hat in der deutschen Verfassungsgeschichte eine lange Tradition 2 5 5 . Deshalb könnten die historischen Regelungen Rückschlüsse auf die heutige Auslegung des Einwohnerbegriffs in Art. 51 Abs. 2 GG erlauben. a) Verfassungsgeschichtliche Vorläufer Die Bemessung der Stimmen im föderativen Organ erfolgte bis zum Ende des ersten Weltkrieges nicht mathematisch nach der Einwohnerzahl der Länder, 254
R. Morsey, Die Entstehung des Bundesrates im Parlamentarischen Rat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 63 ff. (66); T. Maunz, in: HStR, Bd. IV, 1990, § 95 Rn. 13. 255 Zu den Stellungen derföderativen Organe in der Verfassungsgeschichte vgl. H.U. Erichsen, Verfassungsrechtsgeschichtliche Prolegomena zur Bestimmung von Standort und Funktion des Bundesrates, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 9 ff.; T. Eschenburg, Bundesrat-ReichsratBundesrat, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 35 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
sondern nach einem geschichtlich begründeten Schlüssel, der bis auf den Deutschen Bund zurückgeht 256 . Bereits in der Deutschen Bundesakte 257 (BA) von 1815 war für den Deutschen Bund eine Regelung der Stimmenverteilung enthalten. Art. 6 BA sah für die Bundesversammlung (vielfach auch Bundestag genannt) im Plenum bei bestimmten Beschlüssen ein abgestuftes Stimmrecht mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Größe der einzelnen Bundesstaaten vor 2 5 8 . Ansonsten hatten im Engeren Rat 11 Staaten je eine Stimme, die übrigen kleineren Bundesglieder zusammen 6 Stimmen (Art. 4 BA). Nach der nicht in Kraft getretenen Frankfurter Reichsverfassung von 1849 sollte ein Staatenhaus zusammen mit einem direkt vom Volk gewählten Volkshaus den Reichstag bilden. Das Staatenhaus sollte aus 192 Vertretern der deutschen Staaten bestehen (§ 87 Frankfurter Reichsverfassung) und die Stimmen sollten sich nach einem festen Schlüssel unter den 39 Staaten aufteilen 259 . Im Norddeutschen Bund von 1867 wurde nach dessen Verfassung 260 die Bundesgesetzgebung durch den Bundesrat und den Reichstag mit seinen direkt gewählten Abgeordneten wahrgenommen. Art. 6 der Norddeutschen Bundesverfassung bestimmte, daß sich die Stimmführung nach Maßgabe der Vorschriften für das Plenum des ehemaligen Deutschen Bundes verteilten 261 , so daß der Bundesrat aus 43 Vertretern der Mitgliedsstaaten bestand 262 . 256
Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, 1928, S. 34; H. H. Lammers, Der Reichsrat, in: Wilke/Schulte (Hrsg.), Der Bundesrat, 1990, S. 65 ff. (67). 257 Abgedruckt bei Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl., 1978, S. 84 ff. 258 Österreich, Preußen, Sachsen, Bayern, Hannover und Württemberg besaßen je vier Stimmen, Baden, Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Holstein und Luxemburg je drei Stimmen, Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin und Nassau je zwei Stimmen, SachsenWeimar,-Gotha,-Coburg,-Meiningen,-Hildburghausen, Mecklenburg-Strelitz, HolsteinOldenburg, Anhalt-Dessau,-Bemburg,-Kothen, Schwarzburg-Sondershausen,-Rudolstadt, Hohenzollem-Hechingen, Liechtenstein, Hohenzollern-Sigmaringen, Waldeck, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg je eine Stimme. 259 Abgedruckt bei Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,3. Aufl., 1978, S. 375 ff. 260 Abgedruckt bei Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2,3. Aufl., 1986, S. 271 ff. 261 S.o. S. 86, insbesondere Fn. 258. 262 Preußen besaß siebzehn (die Stimmen der Staaten Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt zählten nach der Annexion 1866 (Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3,3. Aufl., 1988, S. 651) ebenfalls zu Preußen), Sachsen vier, Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig je zwei Stimmen sowie Hessen, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Oldenburg, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Bremen, Hamburg und Lübeck je eine Stimme.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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Die Vormacht Preußens setzte sich im Bundesrat der Verfassung des deutschen Reiches von 1871 263 fort. Lediglich die Stimmenzahl erhöhte sich insgesamt durch die hinzugekommenen Mitglieder 264 und einen Stimmenzuwachses Hessens265 auf insgesamt 58 Stimmen (vgl. Art. 6 RV). Die drei Stimmen Elsaß-Lothringens kamen 1911 hinzu 2 6 6 . Im Bundesrat des Bismarckschen Reiches waren die Stimmen wie zuvor nicht nach einem abstrakten Schlüssel verteilt, sondern in der Verfassung festgeschrieben. Die Form der Stimmenverteilung änderte sich erst, als nach Zusammenbruch der Monarchie am Ende des ersten Weltkrieges durch das Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt vom 10.2.1919 267 ein Staatenausschuß als vorläufige Ländervertretung geschaffen wurde 268 . Der Staatenausschuß war in das Verfahren der Verfassungsgebung eingeschaltet und mußte den Vorlagen der Reichsregierung, die diese in der verfassungsgebenden Nationalversammlung einbringen wollte, zustimmen (§ 2 Abs. 1 VorlRG). In ihm richtete sich gemäß § 2 Abs. 2 VorlRG die Stimmenzahl entsprechend der Bevölkerungsgröße des jeweiligen Freistaates nach einem besonderen, erstmalig abstrakten Berechnungsmodus. Jeder Freistaat hatte mindestens eine Stimme. Bei den größeren Freistaaten entfiel grundsätzlich auf eine Millionen Landeseinwohner eine zusätzliche Stimme. Dabei wurde ein Überschuß, der mindestens der Einwohnerzahl des kleinsten Freistaates gleichkam, einer vollen Million gleichgerechnet. Kein Freistaat durfte durch mehr als ein Drittel aller Stimmen vertreten sein. Damit nahm man Abschied von der historischen, in der Verfassung festgeschriebenen Stimmengewichtung; sie wurde durch ein „modernes Prinzip der Einflußverteilung" ersetzt, das sich „auf dem Verhältnis der Einwohnerzahl des Gliedstaates zum Ganzen aufbaut" 269 . Im Reichsrat der Weimarer Reichsverfassung von 19 1 9 2 7 0 richteten sich die Stimmenanteile der Länder in der ursprünglichen Fassung der Stimmenstaffe-
263
Abgedruckt bei Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2,3. Aufl., 1986, S. 384 ff. 264 Bayern sechs, Württemberg vier und Baden drei Stimmen. 265 Von einer auf drei Stimmen. 266 Eingefügt in Art. 6a RV durch Gesetz vom 31.5.1911 (RGBl. S. 225). 267 RGBl. I S. 169. 268 Diesem Staatenausschuß war bereits ein im Januar 1919 gebildeter (vorläufiger) Staatenausschuß vorangegangen, in dem jedes Land mit einer Stimme sowie die größeren Länder mit zwei oder mehr Stimmen vertreten waren (W. Jellinek, Insbesondere: Entstehung und Ausbau der Weimarer Reichsverfassung, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, 1930, § 12 S. 131), und der das Recht hatte, an den Vorarbeiten für einen Verfassungsentwurf teilzunehmen (Rose, Der Reichsrat der Weimarer Republik, 1964, S. 22 f.). 269 W. Apelt, DJZ 1919, 205; Zahlen nach W. Jellinek, JöR IX (1920), 1 (34 f.). 270 RGBl. IS. 1338.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
lung wie im Staatenausschuß nach der jeweiligen Einwohnerzahl. Danach besaß jedes Land eine Stimme, und bei den größeren Ländern entfiel auf eine Millionen Einwohner jeweils eine weitere Stimme, wobei allerdings kein Land mehr als zwei Fünftel aller Stimmen erhalten durfte (Art. 61 Abs. 1 WRV). Diese Regelung sollte ein Übergewicht Preußens, dessen Einwohnerzahl drei Fünftel aller Reichsbewohner betrug 271 , verhindern 272 . Durch Gesetz vom 24.3.1921 273 wurde Art. 61 Abs. 1 WRV geändert, so daß bei größeren Ländern auf 700.000 Einwohner eine Stimme entfiel und einem Überschuß von mindestens 350.000 Einwohnern 700.000 gleichgerechnet wurde. Aufgrund des Wortlauts des Art. 61 Abs. 1 WRV, der die Stimmenzahl im Reichsrat von der Zahl der Einwohner in den Ländern abhängig machte, wurden in der damaligen Praxis Ausländer und Staatenlose mit Wohnsitz in Deutschland in die Berechnung mit einbezogen274. Vereinzelt wurde dies zwar als „remedurbedürftig" angesehen, weil es dem „wesentlichen politischen Status der Bevölkerung des Deutschen Reiches" widerspreche 275 . Doch hatte der fuhrende Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung gegen die Regelung aber angesichts des Wortlauts keine rechtlichen Bedenken 276 . Dies ist deshalb bemerkenswert, da Art. 1 Abs. 2 WRV vorsah, daß nach der Weimarer Reichsverfassung die Staatsgewalt vom Volke ausging und damit ein Bekenntnis zur Volkssouveränität enthielt 277 . Mit Volk war hier die Gesamtheit aller politisch wahlberechtigten Deutschen, also die Aktivbürgerschaft des allgemeinen und gleichen Wahl- und Stimmrechts gemeint 278 . Damit ähnelte das Spannungsverhältnis zwischen der Volkssouveränität und der Stimmenzahl der Länder im föderativen Organ des Gesamtstaates demjenigen, wie es sich aus den Regelungen des Grundgesetzes ergibt. b) Der Einwohnerbegriff im Parlamentarischen Rat Neben der bereits erwähnten Auseinandersetzung im Parlamentarischen Rat über die Ausgestaltung des föderativen Organs im Wege eines Bundesrats271 272 273 274
Kröger, Einführung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte, 1988, S. 142. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., 1933, Art. 61 Anm. 3. RGBl. I S. 440. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., 1933, Art. 61 Anm. 2
S. 339. 275
C Bilfinger, Der Reichsrat, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, 1930, § 46 S. 555 f. 276 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., 1933, Art. 61 Anm. 2 S.339. 277 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., 1933, Art. 1 Anm. 2. 278 R. Thoma, Das Reich als Demokratie, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1,1930, § 16 S. 187.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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bzw. Senatsmodells279 sowie der Frage der Stimmenverteilung 280 ist von Interesse, ob und wie man sich mit dem Maßstab, der nach Art. 51 Abs. 2 GG nunmehr der Einwohner ist, für das politische Gewicht eines Landes auseinandergesetzt hat. Mit einem anderen Maßstab wie etwa dem Steueraufkommen oder der Wirtschaftskraft eines Landes hätte dessen politisches Gewicht sehr viel klarer zum Ausdruck kommen können. Hinsichtlich der Überlegungen im Parlamentarischen Rat muß allerdings bedacht werden, daß nach dem Weltkrieg in den vierziger Jahren der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland nicht absehbar war. Deshalb erschienen ökonomische Maßstäbe für die Stimmenzahl nicht praktikabel 281 . Darüber hinausgehende Erkenntnisse für den Einwohnerbegriff, die sich aus den Materialien des Parlamentarischen Rates gewinnen lassen, sind freilich gering. Mit dem Begriff des Einwohners hat sich der Parlamentarische Rat soweit ersichtlich - nicht explizit beschäftigt, sondern ihn stillschweigend vorausgesetzt. Die Übernahme von Formulierungen und Begriffen aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz, die an zahlreichen Stellen vorkommen, wurde im Parlamentarischen Rat jedoch in jedem Einzelfall eingehend beraten 2 8 2 . Mit der Anknüpfung an gleichlautende Begriffe sollten überwiegend aber nicht zwangsläufig - die durch die Rechtsprechung und Staatsrechtslehre umrissenen Inhalte gesichert werden 283 . Wenn deshalb vieles dafür spricht, daß sich die Beteiligten im Parlamentarischen Rat der bisherigen Auslegung des 279
S.o. S. 71 f. Die SPD beantragte im Parlamentarischen Rat zunächst eine gleiche Mitgliederzahl aller Länder unabhängig von sonstigen Faktoren (Drs. 300 v. 23.11.1948). Die CDU/CSU wollte dagegen eine Staffelung allein nach der Bevölkerungszahl ohne Begrenzung nach oben (Antrag v. 29.11.1948, 11. Stzg. des Hauptausschusses am 30.11.1948 (Drs. 511, Kurzprotokoll, S. 4)). Neben den bundesstaatlichen Aspekten (s.o. S. 76 ff.) lagen den verschiedenen Modellen Überlegungen der Parteien über ihre Vorrangstellung in den unterschiedlich bevölkerungsreichen Ländern und Stadtstaaten zugrunde, denn im Falle einer Wahlniederlage bei den ersten Bundestagswahlen wollte sich der jeweilige Verlierer den politischen Einfluß über den Bundesrat sichern (Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, 1971, S. 113). 281 Dies wird etwa aus dem Protokoll der 4. Sitzung des Organisations-Ausschusses v. 22.9.1948 (Drs. 97) deutlich, in der Dr. Lehr (CDU) auf die Anregung Runges (SPD), die ökonomische Leistungsfähigkeit für die Stimmenzahl im Bundesrat zugrunde zu legen, antwortete, daß künftig zwischen den Ländern große Lasten auszugleichen seien und daß daher die großen leistungsstarken Länder auch ein entsprechendes Gewicht im föderativen Organ haben müßten; er halte es aber für zu kompliziert, einen ökonomischen Schlüssel zugrunde zu legen. 282 M. Hilf in: HStR, Bd. VII, 1992, § 161 Rn. 19. 283 M. Hilf in: HStR, Bd. VII, 1992, § 161 Rn. 19 f. 280
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
Einwohnerbegriffs bewußt waren, kann diese Frage aber mangels ausreichender Nachweise in den Materialien nicht eindeutig beantwortet werden. Es finden sich nur wenige Hinweise, daß die Praxis während der Weimarer Republik und die Problematik der Auslegung des Einwohnerbegriffs zumindest einigen Teilnehmern des Herrenchiemseer Konvents bekannt gewesen ist. Hierzu gehört etwa die Anwort von Dr. Fecht auf die Frage, ob die Zahl der Stimmen eines Landes erhöht würde, wenn die Einwohnerzahl steige. Er wies insoweit bejahend auf die frühere Praxis hin 2 8 4 . 5. Teleologische Auslegung Für die Feststellung, den Einwohnerbegriff nicht nur auf die Deutschen zu begrenzen, liefert die teleologische Auslegung unterstützende Argumente. Der Art. 51 GG gestaltet die in Art. 50 GG enthaltene Grundsatzentscheidung fur eine föderatives Bundesorgan näher aus 285 . Art. 50 GG konkretisiert seinerseits das grundgesetzliche Bekenntnis zum Bundesstaat in Art. 20 Abs. 1 G G 2 8 6 . Damit dient Art. 51 GG und dessen Absatz 2 nicht (primär) der Verwirklichung des demokratischen Prinzips, sondern stellt eine konkrete Ausformung des Bundesstaatsprinzips dar: Die abgestufte Gleichheit der Länder im Bundesstaat. Dies ist ein weiteres deutliches Signal, daß das Demokratieprinzip im Zusammenhang mit der Stimmenverteilung im Bundesrat durch das Bundesstaatsprinzip „überlagert" wird. Letzteres steht im Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt auch des Art. 51 Abs. 2 GG im Vordergrund und spricht dafür, den Kreis der Einwohner im Sinne der Vorschrift nicht aus demokratischen Grundsätzen auf die Deutschen zwingend zu verengen. In Art. 51 Abs. 2 GG wird zudem die Stimmenverteilung eines obersten Bundesorgans mit dem Zweck geregelt, eine Proportionalität zwischen den Ländern herzustellen. Dabei wird an die Einwohnerzahl angeknüpft, um die Anzahl der Stimmen zwischen der Mindest- und Höchststimmenzahl zu bestimmen. Der Verfassungsgeber hat dabei auf die Einwohner abgestellt, um das Gewicht der Länder im Bundesverband zu bestimmen, obwohl auch andere Faktoren wie etwa die Flächengröße, Steuerkraft oder kulturelle und konfessionelle Verhältnisse als maßgebliche Faktoren denkbar gewesen wären 287 . Der Einwohnerbegriff ist somit nur eines von mehreren denkbaren Kriterien zur 284
Auszug aus dem Protokoll des Unterausschusses III, in: Pari.Rat, Bd. II, 1981, S. 289 Fn. 26; vgl. zur Praxis in der Weimarer Republik S. 87 f. 285 W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 50 Rn. 2. 286 W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 50 Rn. 1. 287 Vgl. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 55.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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Abstufung des Ländereinflusses auf Bundesebene. Daran wird deutlich, daß der Einwohner nur ein passiver Maßstab ist, dessen Ausgestaltung nicht unmittelbar etwa an das Demokratieprinzip angelehnt sein muß, soweit hierdurch kein Land benachteiligt wird. Die Anknüpfung an die Einwohner der Länder rückt deren territoriale Verbundenheit in den Vordergrund. Damit eine Person als Einwohner Maßstab für die Stimmen eines Landes sein kann, muß sie dem Land in einer bestimmten Art und Weise eindeutig - zum Beispiel durch den Wohnsitz - zuzuordnen sein. Wichtig ist jedenfalls, daß die im Grundgesetz vorgegebene Gewichtung und Wertentscheidung unterlaufen würde, wenn der Einwohnerbegriff dabei nicht für alle Länder identisch wäre. Es gäbe in diesem Fall keinen einheitlichen Maßstab, an Hand dessen die Stimmenverteilung vorgenommen werden könnte. 6. Auslegungsergebnis Als Auslegungsergebnis ist zu konstatieren, daß der Einwohnerbegriff durch das Grundgesetz nicht vollständig, sondern nur zum Teil determiniert ist: - Einwohner im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG können nur natürliche Personen sein, die in dem Land wohnen. - Das Wohnen, das die territoriale Verbindung mit dem Land herstellt, setzt zumindest die Nutzung einer Unterkunft oder Wohnung für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum voraus. - Verfassungsrechtliche Maßstäbe, wann eine lediglich kurzfristige Nutzung der Unterkunft oder Wohnung vorliegt, lassen sich nicht festmachen. Die Nutzung kann deshalb sowohl vorübergehend als auch dauernd erfolgen. Ebenso läßt das Grundgesetz offen, ob zum Wohnen der ständige Aufenthalt bzw. der Lebensmittelpunkt an einem Ort oder der Wille des Einzelnen zur Begründung des Wohnsitzes gehört. - Die Staatsangehörigkeit ist nach der grundgesetzlichen Konzeption bei der Bestimmung der Einwohner im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG keine zwingende Direktive. Das Grundgesetz verlangt nicht, als Einwohner nur die Deutschen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG oder die Wahlberechtigten zum Bundestag oder den Landesparlamenten anzuerkennen. - Zu beachten ist außerdem, daß die Einwohner in allen Länder gleich zu bestimmen sind. Aufgrund dieser Weite des Einwohnerbegriffs wird man einen Gestaltungsspielraum annehmen müssen, der zu einer inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs „Einwohner" unter Beachtung der aufgeführten Direktiven des Grundgesetzes zwingt.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung I I . Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis
Sind somit zumindest einige zwingende verfassungsrechtliche Merkmale des Einwohnerbegriffs bestimmt, stellt sich die Frage nach der Ausfüllung dieses Rahmens in der Staatspraxis. Dabei rücken die normativen Grundlagen außerhalb des Grundgesetzes ins Blickfeld, die bei der Bestimmung der Einwohner gegenwärtig Anwendung finden. Ansatzpunkt ist § 27 GOBR 2 8 8 , der vorsieht, daß die Ergebnisse der amtlichen Volkszählung und, wenn deren Ergebnisse nicht vorliegen, der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung maßgeblich für die Bemessung der Einwohnerzahlen sind. 1. Der Einwohnerbegriff
in der Volkszählung
Die amtliche Volkszählung ist damit gemäß § 27 GOBR das vorrangige Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen. Bei einer Volkszählung werden demographische, ökonomische und soziale Daten über alle Personen eines Landes oder eines genau bestimmten Gebietes zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Grundlage einer unmittelbaren, für diesen Zweck vorgenommenen Erhebung gesammelt, aufbereitet und veröffentlicht 289 . Nach dem zweiten Weltkrieg sind Volkszählungen in ganz Deutschland 1946 290 und später in der Bundesrepublik Deutschland 291 in den Jahren 1950, 1961, 1970 sowie zuletzt 1987 durchgeführt worden. Die Erhebungskriterien ergaben sich jeweils aus den Gesetzen, die die Volkszählung anordneten 292 . A n Hand dieser Kriterien und insbesondere deren Auswertung
288 Die Vorschrift wurde erst 1966 durch die Neufassung der Geschäftsordnung des Bundesrates eingefügt (BR-Drs. 211/66). Die Bevölkerungsfortschreibung galt spätestens seit Mitte der sechziger Jahre als zuverlässiges Mittel zur Feststellung der Einwohnerzahlen und wurde deshalb in die Geschäftsordnung des Bundesrates aufgenommen; bis dahin waren allein die Volkszählungen maßgeblich gewesen (vgl. Begründung zur Neufassung der Geschäftsordnung: BR-Drs. 211/66 S. 13 f.). 289 K. Horstmann, Volkszählung, in: v. Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 11, 1961, S. 412 ff. (412). 290 Volkszählung in der amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Besatzungszone sowie in Berlin aufgrund des Kontrollratsgesetzes Nr. 33 vom 20.7.1946 (abgedruckt in: Slg. Kontrollratsgesetze, Bd. 1, Nr. 33). 291 In der DDR gab es ebenfalls Volkszählungen in den Jahren 1950, 1964, 1971 und 1981 (Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 61). 292 Volkszählungsgesetz 1950 v. 27.7.1950 (BGBl. S. 335); Volkszählungsgesetz 1961 v. 13.4.1961 (BGBl. I S. 437); Volkszählungsgesetz 1970 v. 14.4.1969 (BGBl. I S. 292); Volkszählungsgesetz 1987 v. 8.11.1985 (BGBl. I S. 2078); das Volkszählungsgesetz 1981 scheiterte, da sich Bund und Länder nicht über die Verteilung der Kosten einigen konnten (Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 66); zum Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen s.u. S. 102 ff.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegrif
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und Berücksichtigung in der Statistik kann ermittelt werden, welchen Inhalt der EinwohnerbegrifF im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG bei Volkszählungen erhielt. a) Der Wohnbevölkerungsbegriff Seit der Volkszählung 1950 wurde bis zur Volkszählung 1970 einschließlich 293 die Einwohnerzahl in der Statistik der Bundesrepublik Deutschland bei Volkszählungen nach dem sog. Residenzprinzip mit Hilfe des sog. Wohnbevölkerungsbegriffs vorgenommen. Demzufolge gehörten Personen mit nur einem Wohnsitz zur Wohnbevölkerung der Gemeinde, in der sich diese Wohnung befand 294 . Personen mit mehr als einer Wohnung oder Unterkunft wurden zwecks Vermeidimg von Doppel- oder Mehrfachzählungen derjenigen Gemeinde zugeordnet, von der aus sie zur Arbeit oder Ausbildung gingen. Bei Personen, die weder berufstätig waren, noch sich in der Ausbildung befanden, war die Wohnung oder Unterkunft maßgebend, in der sie sich überwiegend befanden 295 . Die Verwendung des Wohnbevölkerungsbegriffs in der Statistik der Bundesrepublik Deutschland ging auf eine Festlegung des Bundeministers des Innern mit den Ländern aus dem Jahre 1950 zurück 296 . Der Wohnbevölkerungsbegriff 2 9 7 an sich ist sogar noch älter und wurde in Deutschland seit 1925 in der Statistik zugrunde gelegt 298 . b) Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnung Die statistische Zuordnung nach dem Wohnbevölkerungsbegriff wurde im Hinblick auf die für 1983 vorgesehene Volkszählung 299 und die Anpassung der
293
Der Wohnbevölkerungsbegriff wurde in der Statistik erst ab 1983 abgelöst (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 44). 294 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 44. 295 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 46. 296 S. Wimmer, Der Städtetag 1982, 644 (645, 648). 297 Zu unterscheiden ist der Wohnbevölkerungsbegriff von der sog. wohnberechtigten Bevölkerung, die ebenfalls statistisch erfaßt wird, aber nicht die Grundlage der amtlichen Einwohnerzahl bildet. Zur wohnberechtigten Bevölkerung zählen sämtliche mit Haupt- oder Nebenwohnung in einer Gemeinde gemeldeten Personen (S. Wimmer, Der Städtetag 1982, 644). 298 Κ Horstmann, Volkszählung, in: v. Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 11, 1961, S. 412 ff. (414). 299 § 2 Volkszählungsgesetz 1982 sollte die amtliche Statistik verpflichten, die Einwohner nach der Definition des § 12 MRRG zu erfassen (H. Kollmar/J. Weiler, Statistische Monatshefte Rheinland-Pfalz (Beilage) 9/1983,3 (7)); zum Volkszählungsgesetz 1983 und dessen Scheitern vgl. BVerfGE 65, 1 ff.; zur politischen Auseinandersetzung um das Volkszählungsgesetz 1983 vgl. Taeger, Die Volkszählung, 1983, S. 186 ff. m.w.N.;
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
Landesmeldegesetze an das 1980 erlassene Melderechtsrahmengesetz 300 seit dem Frühjahr 1983 geändert 301 . Der neue Begriff der Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnung kam damit erstmals bei der Volkszählung 1987 zur Anwendung. aa) Ursachen und Inhalt der veränderten Anknüpfung Triebfeder für die Änderung der statistischen Praxis war die Anknüpfung an das Melderecht, die sich insbesondere bei der Bevölkerungsfortschreibung auswirkt 302 . Bis zum Erlaß des Melderechtsrahmengesetzes fehlte es an einer bundeseinheitlichen Rahmenregelung für die Meldepflichten. Die in den Jahren 1959 und 1960 erlassenen Landesmeldegesetze orientierten sich lediglich an einem vom Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft der Länderinnenminister erarbeiteten Musterentwurf von 1957. Dementsprechend hatte bis zu diesem Zeitpunkt die Reichsmeldeordnung von 1938 303 als Grundlage für das Meldewesen gedient, soweit die Vorschriften noch den damaligen Verhältnissen entsprachen 304. Nach dem alten wie auch nach dem neuen Melderecht der Länder wurde und wird zwischen Haupt- und Nebenwohnung der Einwohner unterschieden 305. Als Einwohner werden im Melderecht damit alle natürlichen Personen verstanden, die eine Wohnung - unabhängig davon, ob Haupt- oder Nebenwohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Meldebehörde haben 306 . Im Gegensatz dazu war und ist auch heute noch alleiniger Anknüpfungspunkt für die Statistik der amtlichen Einwohnerzahl der Hauptwohnsitz 307 . Der melderechtliche Einwohnerbegriff und der Begriff des Einwohners in der Statistik sind also nicht identisch.
H. Schneider, VB1BW 1983, 225 ff; eine Bilanz zehn Jahre nach dem „Volkszählungsurteil" zieht S. Simitis, KritV 1994,121 ff. 300 Melderechtsrahmengesetz v. 16.8.1980 (BGBl. I S. 1429); § 12 MRRG besitzt aufgrund seiner Ausgestaltung abschließenden Charakter (Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, Vorbem. §§ 11-16 MRRG). 301 S Wimmer, DÖV 1984, 453 (455 f.); ders., Der Städtetag 1982, 644 (646); Statistische Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 44. 302 S.u. S. 98 ff. ,104 ff. 303 Reichsmeldeordnung vom 6.1.1938 (RGBl. I S. 13). 304 Medert/Süßmuth, Melderechtsrahmengesetz, 1986, Einführung Rn. 5 ff. 305 Vgl. § 1 Abs. 2 NdsMeldeG v. 30.4.1961 (GVB1. S. 123) sowie die Begründung zum Melderechtsrahmengesetz: BT-Drs. 8/3825, S. 20. 306 Diese Definition entspricht damit dem statistischen Begriff der wohnberechtigten Bevölkerung; zum Einwohner im Melderecht vgl. auch o. S. 46. 307 Medert/Süßmuth, Melderechtsrahmengesetz, 1986, § 12 Rn. 1; VGH München, BayVBl. 1995, 82 f.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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Probleme ergaben sich aus der damaligen melderechtlichen Regelung der Haupt- und Nebenwohnung deshalb, weil sie es dem Betroffenen wahlfrei überließ, seine Hauptwohnung zu bestimmen 308 . Dies führte aus unterschiedlichsten Motiven 3 0 9 zu Festlegungen, die den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entsprachen 310 und die aufgrund der Auswirkungen auf die Bevölkerungsstatistik als nicht mehr hinnehmbar angesehen wurden 311 . Das Melderechtsrahmengesetz definiert nunmehr in § 12 Abs. 2 den Begriff der Hauptwohnung neu. Danach ist die vorwiegend benutzte Wohnung eines Einwohners (im melderechtlichen Sinne) die Hauptwohnung. Die Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie lebt, ist die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie. In Zweifelsfällen ist die vorwiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt 3 1 2 . Dieser Neuregelung folgend, die in die Landesmeldegesetze trotz der nur zweijährigen Anpassungsfrist des Meldrechtsrahmengesetzes erst Anfang bis Mitte der achtziger Jahre Eingang fand 313 , wurde in der Statistik das bis dahin 308
Z.B. § 1 Abs. 2 NdsMeldeG v. 30.4.1961 (GVB1. S. 123): „Wer eine Wohnung bezieht, aber eine andere Wohnung beibehalten will, muß bei der Anmeldung erklären, welche Wohnung seine Hauptwohnung ist;...". 309 Für den Bürger können sich aus der Wahl der Hauptwohnung Vorteile in der KfzVersicherung (günstigere Tarife in bestimmten Regionen), steuerliche bzw. sonstige finanzielle Vergünstigungen (Zuschüsse für Familienheimfahrten oder Fahrten zum Arbeitsplatz) oder die Möglichkeit, das aktive oder passive Wahlrecht in einer anderen Gemeinde als der tatsächlichen Hauptwohnung auszuüben, ergeben (Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, § 12 MRRG Rn. 1). Die Kommunen streben möglichst hohe Einwohnerzahlen an, da sich etwa die Zuweisung der Finanzmittel der Länder an die Gemeinden, die Zahl der Ratsmitglieder und der Beigeordneten, die besoldungsmäßige Einstufung kommunaler Spitzenämter oder die Möglichkeit, Eigenbetriebe zu schaffen, nach der Einwohnerzahl bestimmen kann (H. Kollmar/J. Weiler, Statistische Monatshefte Rheinland-Pfalz (Beilage) 9/1983,3). 310 Vgl. dazu ausführlich und mit zahlreichen Beispielen für das Zustandekommen fehlerhafter Anmeldungen von Hauptwohnungen S. Wimmer, Der Städtetag 1982,644 ff. 311 Medert/Süßmuth, Melderechtsrahmengesetz, 1986, §12 Rn.2; BT-Drs. 8/3825, S. 20,30 f. 312 Die Regelung der Hauptwohnung in § 12 Abs. 2 MRRG hat später eine darüber hinausgehende Abweichung durch die Einfügung der Sätze 3 und 4 erfahren, wonach die Hauptwohnung eines minderjährigen Einwohners (wieder im melderechtlichen Sinne, s.o.) die vorwiegend benutzte Wohnung des Personensorgeberechtigten ist. Hauptwohnung eines Behinderten, der in einer Behinderteneinrichtung untergebracht ist, bleibt auf Antrag des Behinderten bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres ebenfalls die vorwiegend benutzte Wohnung des Personensorgeberechtigten. 313 MeldeG BW v. 11.4.1983 (GBl. S. 117); BayMeldeG v. 24.3.1983 (GVB1. S. 90); BerlMeldeG v. 26.2.1985 (GVB1. S.507); BremMeldeG v. 26.11.1985 (GBl. S. 1); HmbMeldeG v. 6.5.1986 (HmbGVBl. S. 81); HessMeldeG v. 14.6.1982 (GVB1.1 S. 126);
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmen Verteilung
geltende allgemeine Residenzprinzip durch ein sog. familiäres Residenzprinzip ersetzt 314 . Man spricht jetzt von der Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnung 315 . Bei den Personen, die innerhalb des Bundesgebietes nur eine Wohnung hatten, führte der Übergang zu dem neuen Bevölkerungsbegriff zu keiner neuen Zuordnung. Abweichungen ergaben sich nur für Personen mit mehreren Wohnungen 316 . In der Praxis unterscheidet sich die Definition im wesentlichen vom Wohnbevölkerungsbegriff dadurch, daß der verheiratete Wochenendpendler nicht mehr dem Ort, von dem er zu seiner Arbeit oder Ausbildung geht, sondern dem Ort seiner Familie zugerechnet wird 3 1 7 . Die Anlehnung an das Melderecht bei der Definition des Einwohners in der Volkszählung ist konsequent und sachgemäß, weil - wie bereits erwähnt - bei der darauf aufbauenden Bevölkerungsfortschreibung das Melderecht besonders zum Tragen kommt 3 1 8 . Mittels eines einheitlichen Begriffs in Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung werden Unstimmigkeiten zwischen den statistischen Methoden allein aufgrund voneinander abweichender statistischer Definitionen vermieden. bb) Der statistisch als Einwohner erfaßte Personenkreis Die Statistik greift auf der Grundlage der Regelung des Hauptwohnsitzes in § 12 MRRG für besondere Personengruppen sinngemäß auf die Differenzierungen in §§ 13 ff. MRRG zurück, um die Einwohnereigenschaft zu bestimmen. So werden etwa Personen in Untersuchungshaft, Patienten in Krankenhäusern, Personen mit einer weiteren Wohnung im Ausland und Soldaten auf Wehrübungen oder im Grundwehrdienst ihrer Wohngemeinde im Bundesgebiet zugerechnet 319 . Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit, Angehörige des Bundesgrenzschutzes und der Bereitschaftspolizei in Gemeinschaftsunterkünften sowie Strafgefangene und Dauerinsassen von Anstalten werden dagegen als Einwoh-
NdsMeldeG v. 2.7.1985 (GVB1. S. 192); MeldeG NW v. 13.7.1982; MeldeG RP v. 22.12.1982 (GVB1. S. 463); SaarlMeldeG v. 14.12.1982 (Abi. 1983 S. 25); MeldeG SH v. 4.6.1985 (GVB1. S. 158). 314 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 47. 315 Statistische Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 44; von diesem Begriff und dem Wohnbevölkerungsbegriff ist außerdem in der Statistik die wohnberechtigte Bevölkerung (sämtliche mit Haupt- und Nebenwohnung in einer Gemeinde gemeldeten Personen) zu unterscheiden, die aber bei der Bestimmung der Einwohnerzahl nicht herangezogen wird. 316 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung vom 25. Mai 1987, 1989, S. 8. 317 S. Wimmer, Der Städtetag 1982, 644 (646). 318 S.u. S. 98 ff. 319 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 47 f.
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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ner der jeweiligen Anstaltsgemeinde gezählt 320 . Ausländer, Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit werden zu den Einwohner gerechnet, solange sie im Bundesgebiet gemeldet sind und nicht den ausländischen Stationierungsstreitkräften oder ausländischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen angehören. Die Familienangehörigen der beiden letztgenannten Gruppen werden ebenfalls nicht als Einwohner in die Statistik aufgenommen 321 . Dies hat seine Ursache in der für diese Personen nicht bestehenden Meldepflicht (§14 MRRG) und den daraus resultierenden Unsicherheiten bei der zahlenmäßigen Bestimmung. c) Verfassungsrechtliche Bewertung Bei der Konkretisierung des Einwohnerbegriffs im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG wird somit ein statistisch und melderechtlich geprägter Begriff zugrunde gelegt. Die bei den Volkszählungen in der Bundesrepublik Deutschland verwendeten Kriterien zur Bestimmung der Einwohner sind dabei bisher unabhängig von der Zuordnung nach dem allgemeinen oder familiären Residenzprinzip bundesweit einheitlich angewandt worden. Unabhängig davon, ob der Wohnbevölkerungsbegriff oder der Begriff der Bevölkerung am Ort der Hauptwohnung maßgebend war, wurden nur diejenigen Personen gezählt, die einen territorialen Bezug zu den Ländern aufweisen. Einige Personen weisen diese Verbindung nur gelockert auf, wie etwa Arbeiter auf Montage oder Angehörige deutscher Auslandsvertretungen, die als Einwohner ihrer Wohngemeinde gezählt werden, wenn sie Wohnungen im Bundesgebiet und im Ausland besitzen 322 . Doch verfälscht deren regelmäßig nur vorübergehenden Abwesenheit von ihrer Wohngemeinde und dem Land, für das sie auch im Hinblick auf den Bundesrat gezählt wurden, nicht derart, daß eine andere Handhabung bei der Volkszählung zu verlangen ist. Soweit es sich um den Einwohnerbegriff in der Volkszählung handelt, bestehen unter Heranziehung der oben dargestellten grundgesetzlichen Vorgaben 323 materiell deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
320 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 47 f.; allerdings galt dies bei der Volkszählung 1987 nur, soweit die Betroffenen keine weitere Wohnung außerhalb der Einrichtung besaßen (§ 12 Abs. 4 Volkszählungsgesetz 1987); andernfalls wurden sie nur in ihrer Wohnung außerhalb gezählt (Statistische Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung vom 25. Mai 1987, 1989, S. 8). 321 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 44. 322 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 47 f. 323 S.o. S. 91 f. 7 Deecke
2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
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2. Der Einwohnerbegriff
in der Bevölkerungsfortschreibung
Die Bevölkerungsfortschreibung, die ihre Rechtsgrundlage im Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes 324 findet, wendet seit dem Frühjahr 1983 in Übereinstimmung mit der Volkszählung den Begriff der Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnung am 3 2 5 . Bis dahin war hier wie bei der Volkszählung der Wohnbevölkerungsbegriff maßgebend. Allerdings erfolgte die Anwendung des neuen Bevölkerungsbegriffs erst nach Umsetzung des Melderechtsrahmengesetzes in den Ländern, die sich über mehrere Jahre gestreckt - zu unterschiedlichen Zeitpunkten vollzog 3 2 6 . Ursache hierfür ist die Anknüpfung der Bevölkerungsfortschreibung an das Melderecht der Länder. Eine zentrale Steuerung mit Festlegung eines verbindlichen Zeitpunktes durch das Statistische Bundesamt fand nicht statt. Vielmehr stellten die Statistischen Landesämter den in der Fortschreibung zugrunde zu legenden Bevölkerungsbegriff jeweils erst mit der Einführung der jeweiligen neuen Landesmeldegesetze um. Ausschlaggebend für die verfassungsrechtlich äußerst prekäre Rechtslage war, daß die Bevölkerungsfortschreibung nach den Ergebnissen der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung und der Wanderungsstatistik vorgenommen wird. In der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung werden die Geburten und Sterbefällen erfaßt. Die Wanderungsstatistik dokumentiert die Zu- und Fortzüge nach den An- und Abmeldungen an Hand der Meldescheine (§§ 2 ff. Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes 327). Während bei der Volkszählung die melderechtliche Erfassimg der Hauptwohnung für die Einwohnerzahl unerheblich ist und nur die tatsächlichen Verhältnisse entscheiden, schlägt das Melderecht in der Bevölkerungsfortschreibung voll durch. Hieraus hat sich infolge der zeitlich uneinheitlichen Anpassung der Landesmeldegesetze an das Melderechtsrahmengesetz das Dilemma ergeben, das in den Länder vorübergehend
324
Gesetz vom 4.7.1957 (BGBl. IS. 694), in der Bekanntmachung der Neufassung vom 14.3.1980 (BGBl. IS. 308), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.3.1980 (BGBl. IS. 308). 325 Vgl. zu den positiven Folgen der Vereinheitlichung der Bevölkerungsbegriffe in Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung H. Kollmar/J. Weiler, Statistische Monatshefte Rheinland-Pfalz (Beilage) 9/1983, 3 (7). 326 Die früheste Umsetzung wurde in Hessen durch das Hessische Meldegesetz vom Juni 1982, die späteste in Hamburg durch das Hamburgische Meldegesetz vom Mai 1986 vorgenommen, s.o. S. 95 Fn. 313). 327 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes v. 14.3.1980 (BGBl. I S. 308 ff.).
§ 3 Der maßgebliche Einwohnerbegriff
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unterschiedliches Melderecht bestand mit der Folge voneinander abweichender Einwohnerbegriffe in der Bevölkerungsfortschreibung. Auch nach der Änderung des Melderechtsrahmengesetzes wurde in der Anfangszeit die Bestimmung des Hauptwohnsitzes in den Ländern sehr unterschiedlich vorgenommen. Die Regelung in § 12 Abs. 2 MRRG bzw. deren landesrechtlichen Entsprechungen bieten mit ihrer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe Raum fur differierende Auslegungsmöglichkeiten, von denen aufgrund befürchteter negativer Auswirkungen der neuen Définition unter anderem hinsichtlich des Wahlrechts bei Landtags- und Kommunalwahlen oder beim kommunalen Finanzausgleich in der Praxis reger Gebrauch gemacht wurde 3 2 8 . Insbesondere die Zuordnung von Studenten am Studien- oder dem Heimatort stellte dabei immer wieder eine Quelle des Konflikts dar 3 2 9 . Zwischenzeitlich kann gleichwohl von einer durch die Rechtsprechung 330 abgesicherten einheitlichen Verwaltungspraxis bei der Bestimmung der Hauptwohnung ausgegangen werden 331 . Über die Vergangenheit braucht aber nicht abschließend geurteilt zu werden, da zum einen die Umsetzung des Melderechtsrahmengesetzes in allen Ländern durch die Landesmeldegesetze zwischenzeitlich erfolgt ist und zum anderen die Rechtsprechung für die Rechtspraxis mittlerweile „rechtsvereinheitlichend" gewirkt hat. Wichtig ist allein die Feststellung, daß derzeit die Regelungen über die Haupt- und Nebenwohnung bundesweit übereinstimmend angewandt werden. 3. Verfassungsmäßigkeit
der derzeitigen Praxis
A u f der Grundlage dieser Beurteilung und der zwischenzeitlichen Identität des statistischen Einwohnerbegriffs in Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung stimmen die verfassungsrechtlichen Erwägungen zu den beiden statistischen Verfahren durchweg überein 332 . Der Einwohnerbegriff wird bundesweit einheitlich gehandhabt, so daß es zu keinen Verschiebungen bei der Stimmenverteilung kommt, die über die in Art. 51 Abs. 2 GG bereits enthaltene Wertung hinausgehen. Auch die territoriale Anknüpfung ist auf der Grundlage 328
Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, § 12 MRRG Rn. 15 ff.; dies., Melderechtsrahmengesetz, 1986, § 12 Rn. 6 ff. 329 M. Huff, BayVBl. 1984, 585 ff.; H Honnacker, BayVBl. 1984, 587 f. 330 BVerfG, DVB1. 1993, 601 (602); BVerwGE 89, 110 (112 ff.); BVerwG, NVwZ 1987, 976; DVB1. 1992, 305 (306 f.); VGH München, NVwZ-RR 1989, 365 (366 f.); BayVBl. 1985, 274f.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 193 f.; NVwZ-RR 1991, 359; NVwZ-RR 1992, 480f.; VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 357f.; OVG Münster, NVwZ 1989,1082; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1990,476 f.; StGH Bremen, DÖV 1994, 517 (518). 331 Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, § 12 MRRG Rn. 17 ff.; krit. M. Montag, NVwZ 1994, 142 (143 ff.). 332 Vgl. zur Volkszählung S. 97 f.
100
2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
der Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnung gewahrt. Materiellrechtliche Bedenken bestehen deshalb gegen den derzeit zur Anwendung kommenden Einwohnerbegriff nicht.
§ 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl Das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl in den Ländern ist deshalb von Interesse, weil von seiner Durchführung und Genauigkeit letztlich die Stimmenzahl im Bundesrat ebenso wie vom Einwohnerbegriff abhängt. Würden veraltete Daten zur Grundlage gemacht oder die Einwohnerzahlen nur mittels einer groben, überschlägigen Methode erhoben, so könnte dies unmittelbare Auswirkungen auf die Anzahl der Stimmen eines Landes im Bundesrat nach sich ziehen.
I. Aussagen des Grundgesetzes Das Grundgesetz enthält keine ausdrücklichen Regelungen über das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen. Um die vom Verfassungsgeber verfolgten Ziele erreichen zu können und damit die Länder tatsächlich entsprechend der Regelung des Art. 51 Abs. 2 GG im Bundesrat mitwirken lassen zu können, sind die Einwohnerzahlen so genau wie möglich zu ermitteln. Da die Zahl der Einwohner einem stetigen Wandel durch Geburten, Sterbefälle und Wanderungen in das Ausland und vom Ausland nach Deutschland sowie durch Bevölkerungsbewegungen innerhalb Deutschlands unterliegen, sind die Erhebungen auf einem möglichst aktuellen Stand zu halten. Verfassungsrechtliche Direktiven sind somit die größtmögliche Genauigkeit und größtmögliche Aktualität bei der Ermittlung der Einwohnerzahlen. Diese Anforderungen können auch auf das Rechtsstaatsprinzip 333 gestützt werden. Ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist die Meßbarkeit und Verläßlichkeit staatlichen Handelns, zu der wiederum konkretisierend das Prinzip der Rechtssicherheit gehört 334 . Dieses verlangt, daß das gesamte Staatshandeln vorhersehbar und damit zugleich berechenbar ist 3 3 5 . Ferner enthält das Rechts-
333
Zur Herleitung des Rechtsstaatsprinzips vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 779 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 VII Rn. 30 ff. (Bearbeitung 1980). 334 R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 VII Rn. 26. 335 R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 VII Rn. 26.
§ 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl
101
staatsprinzip den Grundsatz des Vorrangs der Verfassung, der besagt, daß sich kein staatlicher Akt mit dieser in Widerspruch setzen darf 336 . Eine Stimmenverteilung im Bundesrat, die sich nicht hinreichend genau an den tatsächlichen Einwohnerzahlen der Länder orientieren würde, hätte einerseits Unwägbarkeiten und Ungenauigkeiten zur Folge. Damit würde das staatliche Handeln unberechenbarer werden. Andererseits würde eine derartige Stimmenverteilung mit dem Rechtsstaatsprinzip im Widerspruch stehen, da sie sich gerade nicht an den nach Art. 51 Abs. 2 GG maßgeblichen Einwohnerzahlen orientierte. Insoweit sind die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips und die vom Verfassungsgeber verfolgten Ziele deckungsgleich. Die vom Bundesverfassungsgericht zur Wahlkreiseinteilung entwickelten Grundsätze zur Genauigkeit der Bevölkerungszahlen können bei der Betrachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben zur Ermittlung der Einwohnerzahlen im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG nur bedingt herangezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte unter anderem aufgrund der durch dauernde Veränderungen nicht immer konstanten Bevölkerungsverteilung eine äußerstenfalls zulässige Abweichung der Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise von 33 1/3% für zulässig erachtet 337 . In der Entscheidung ging es zur Sicherung der Wahlrechtsgleichheit primär um eine prozentuale Abweichung der Wahlkreise voneinander, wobei ein bestimmter Mittelwert vorhanden war. Eine gewisse Ungenauigkeit bei der Ermittlung der Bevölkerungsverteilung wurde als zulässig angesehen, jedoch nicht beziffert. Vielmehr wurde eine Abweichung der Wahlkreise voneinander auf der Grundlage der ermittelten Bevölkerungszahlen anerkannt. Zudem geht es bei den Einwohnerzahlen gemäß Art. 51 Abs. 2 GG nicht um die Abweichung von einem bestimmten Mittelwert, sondern es soll gerade das variable Verhältnis der Einwohnerzahlen der Länder zueinander zugrunde gelegt werden. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Zahl von 33 1/3% kann deshalb nicht als Maßstab für die Genauigkeit bei der Ermittlung der Einwohnerzahlen der Länder dienen 338 .
336
Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., 1995, Rn. 199. BVerfGE 16, 130(141). 338 Zur Wahrung der Wahlrechtsgleichheit durch ungefähr gleichen Zuschnitt der Wahlkreise vgl. auch o. S. 80 f. Aufgrund der Änderung des Bundeswahlgesetzes v. 15.11.1996 (BGBl. I S. 1712) wird ab der 15. Legislaturperiode die Zahl der Wahlkreise auf 299 reduziert und die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 15% nach oben oder unten abweichen; wenn die Abweichung bei mehr als 25% liegt, ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen. 337
1 0 2 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung I I . Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis Wie bei der Untersuchung des Einwohnerbegriffs ist § 27 GOBR der Ausgangspunkt, um die praktische Umsetzung der Forderungen nach Exaktheit und Periodizität bei der Ermittlung der Einwohnerzahlen zu analysieren. Die angewandten Verfahren sind die amtliche Volkszählung und die amtliche Bevölkerungsfortschreibung, die in einem Rangverhältnis zueinander stehen. Durch die deutsche Wiedervereinigung ist zusätzlich das Problem entstanden, daß mangels einer zwischenzeitlichen Volkszählung auch auf die Bevölkerungsstatistiken der DDR zurückgegriffen werden muß. Schließlich stellt sich die Frage, ob nicht über die Volkszählung und die Bevölkerungsfortschreibung hinaus weitere statistische Alternativen zur Bestimmung der Einwohnerzahlen existieren. 7. Volkszählung Bei den Volkszählungen wird an Hand von Erhebungs- und Hilfsmerkmalen, die sich aus den jeweiligen Volkszählungsgesetzen ergeben, eine statistische Auswertung vorgenommen. Die Merkmale werden von den Betroffenen erfragt, wobei die Anwort schriftlich oder mündlich gegenüber den Erhebungsbeauftragten abgegeben werden kann 3 3 9 . Für die Betroffenen besteht eine Auskunftspflicht, deren Nichtbeachtung eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Die Hilfsmerkmale dienen unter anderem dazu, fehlende oder unstimmige Antworten zu ergänzen bzw. zu berichtigen 340 . Durch entsprechende Fragestellungen werden in der Einwohnerzählung die Personen, die Wohnungen in mehreren Gemeinden haben, zugeordnet 341 . Wurden bei den Volkszählungen 1950, 1961 und 1970 die Fragestellungen noch auf den Wohnbevölkerungsbegriff ausgerichtet 342, so lag der Volkszählung 1987 der Begriff der Bevölkerung am Ort der alleinigen Wohnung bzw. der Hauptwohnimg zugrunde 343 . Und obwohl dieser Begriff maßgeblich war, wurden dennoch nicht die entsprechende Eintragung im Einwohnermelderegister als Kriterium herangezogen. Vielmehr waren die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend 344 .
339 340 341 342 343 344
Rinne, Wirtschaft- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 41. Rinne, Wirtschaft- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 41. S. Wimmer, Der Städtetag 1982, 644. S.o. S. 93 f. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung vom 25. Mai 1987,1989, S. 8. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung vom 25. Mai 1987, 1989, S. 6.
§ 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl
103
Organisatorisch läuft eine Volkszählung auf drei Ebenen ab 3 4 5 : Die Verwaltungen der Gemeinden und Kreise, die zum Teil eigene statistische Ämter eingerichtet haben, erheben zusammen mit den Statistischen Landesämtern die Daten. Letztere bereiten die Daten auf und stellen die jeweiligen Landesergebnisse fest. Danach faßt das Statistische Bundesamt diese zu einem Bundesergebnis zusammen. A u f einen Zählungsstichtag 346 bezogen kann so die Einwohnerzahl einigermaßen exakt ermittelt werden. Die Feststellung der statistischen Ergebnisse erfolgt grundsätzlich im Wege des schlicht-hoheitlichen Handelns 347 . Es lassen sich jedoch bei der Volkszählung Ungenauigkeiten nicht vermeiden, die durch fehlende oder falsche Angaben der zu erfassenden Personen entstehen. Insbesondere bei der letzten Volkszählung 1987 drohten unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken viele Personen, Auskünfte zu verweigern bzw. falsch abzugeben. Dies war Folge der heftigen öffentlichen Auseinandersetzung, die um das Volkszählungsgesetz 1983 geführt worden war 3 4 8 . Eine Begleituntersuchung zur Volkszählung 1987 ergab allerdings, daß nach eigenen Angaben 94,9% der Befragten den Fragebogen so gut wie möglich ausgefüllt und nur 3,2% einiges ausgelassen hätten. Von den restlichen Befragten sagten 1,5%, daß sie einiges unehrlich angegeben hätten, und nur 0,3% behaupteten, daß sie weitgehend falsch geantwortet hätten 349 . Aufgrund dieser nur geringen Unsicherheitsfaktoren und der Möglichkeit, die Einwohnerzahlen für einem genauen Termin bundesweit einheitlich feststellen zu können, ist die Volkszählung das präziseste Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen 350 . Ist auch die Genauigkeit der Volkszählung ein überzeugender Aspekt, so erweist sich die fehlende Periodizität der Durchführung als problematisch. Die UNO empfiehlt einen Abstand von 10 Jahren zwischen den Volkszählungen 351 . Mit der erhöhten Mobilität der Bevölkerung, den Erleichterungen im Zuge der europäischen Integration und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse in vielen Staaten der Erde sind starke Bevölkerungswanderungen insbesondere über die Grenzen Deutschlands entstanden. Die Zuzüge von dem
345
Vgl. zur Organisation der Bundesstatistik: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Das Arbeitsgebiet der Bundesstatistik, 1988, S. 11 ff. 346 13.9.1950, 6.6.1961, 27.5.1970 und zuletzt 25.5.1987 (vgl. die jeweiligen Volkszählungsgesetze). 347 VGH Kassel, NVwZ 1993,497 (498); H. Poppenhäger, NVwZ 1993,444(445 f.). 348 Vgl. die Nachweise o. S. 93 Fn. 299. 349 Scheuch/Gräf/Kühnel, Volkszählung, Volkszählungsprotest und Bürgerverhalten, 1989, S. 131. 350 Zum Ergebnis der Volkszählung vom 25.5.1987 vgl. Anhang V. 351 UNO (Hrsg.), Demographie Yearbook 1970, S. 3; vgl. auch den Nachweis bei Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 55.
1 0 4 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung Ausland nach Deutschland 352 waren von Ende der sechziger Jahre bis Mitte der siebziger Jahre relativ hoch (ca. 1 Mio./Jahr), hielten sich von da an bei ca. 500.000/Jahr mit einer Spitze um 1980 und stiegen ab Mitte der achtziger Jahre bis 1993 stark an bis auf über 1,2 Mio./Jahr, bevor sie 1994 wieder auf ca. 1 Mio./Jahr fielen 353. Dagegen bewegten sich die Fortzüge aus Deutschland relativ konstant zwischen 500.000 und 700.000/Jahr 354. In den Ländern sind die Einwohnerzahlen somit im Laufe der Zeit starken Veränderungen ausgesetzt, die eine Volkszählung nicht permanent aufzuzeigen vermag, da sie nur in mehr oder weniger langen Abständen durchgeführt wird. Die Stimmenzahlen im Bundesrat nur aufgrund alle 10 Jahre durchgeführter Volkszählungen zu bestimmen, reichte deshalb nicht aus. Dies wäre verfassungsrechtlich jedenfalls stark bedenklich. Hinzu kommt, daß sogar der 10Jahres-Rhythmus in Deutschland bisher nicht eingehalten wurde. Zwischen der Volkszählung 1970 und der darauf folgenden lagen immerhin 17 Jahre. Es ist ferner nicht abzusehen, wie sich angesichts eines erhöhten Datenschutzbewußtseins und der mit der fortschreitenden technologischen Entwicklung der Datenverarbeitung verbundenen Angst in der Bevölkerung, zu „gläsernen Menschen" zu werden, zukünftig Volkszählungen realisieren lassen 355 . 2. Bevölkerungsfortschreibung A u f die Probleme der Periodizität der Volkszählungen wurde bereits Mitte der sechziger Jahre reagiert. In der Neufassung des § 27 GOBR 3 5 6 wurde als nachrangige Alternative zur Ermittlung der Einwohnerzahlen neben die Volkszählung die amtliche Bevölkerungsfortschreibung gestellt. Der Bundesminister
352
Die Wanderungen innerhalb Deutschlands waren dagegen lange Zeit rückläufig. Sie vielen von ca. 1 Mio./Jahr 1965 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1967, S. 60) bis 1985 auf 640.000/Jahr (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1987, S. 80). Mit der deutschen Wiedervereinigung stieg die Zahl 1990 mit 841.100 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1992, S. 87) wieder deutlich an; zur Problematik der Bevölkerungsstatistiken der DDR s.u. S. 108 f. 353 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 80; als Wanderungen gelten jedes Beziehen einer Wohnung als alleinige Wohnung oder Hauptwohnung und jeder Auszug aus einer alleinigen Wohnung oder Hauptwohnung (Wohnungswechsel). Gäste in Beherbergungsstätten, Anstaltsinsassen und Besucher bei Verwandten oder Bekannten werden dementsprechend nur erfaßt, wenn ihr Aufenthalt gemäß der Meldepflicht von längerer Dauer ist. 354 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 80, 81. 355 Skeptisch auch: Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 69; K. Furmaniak, Computer und Recht 1987,254 ff. 356 Geschäftsordnung des Bundesrates v. 1.7.1966 (BGBl. I S. 437 ff.); vgl. auch die Begründung zum „Entwurf für eine Neufassung der Geschäftsordnung des Bundesrates" (BR-Drs. 211/66, S. 5).
§ 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl
105
des Inneren hatte zuvor auf Anfrage des Direktors des Bundesrates 357 mitgeteilt, daß die amtliche Bevölkerungsfortschreibung seiner Meinung nach einen hinreichenden Grad an Genauigkeit erlangt habe 358 . Diese Mitteilung und die Umstellung der Abstände zwischen den Volkszählungen entsprechend der UNO-Empfehlung auf 10 Jahre veranlaßten den Bundesrat, die Bevölkerungsfortschreibung der Feststellung der Stimmenzahl nach Art. 51 Abs. 2 GG zugrunde zu legen 359 . Offen ist jedoch angesichts der bei einer zukünftigen Volkszählung absehbaren Schwierigkeiten, ob die Bevölkerungsfortschreibung auf Dauer geeignet ist, eine hinreichend genaue Bemessungsgrundlage für die Stimmenzahl im Bundesrat zu liefern. Gemäß § 5 des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes wird die Fortschreibung auf der Grundlage der jeweils letzten allgemeinen Zählung der Bevölkerung nach den Ergebnissen der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung und der Wanderungsstatistik vorgenommen. In der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung werden unter Auswertung der Meldungen der Standesämter in monatlicher, vierteljährlicher und jährlicher Periodizität unter anderem die Geburten und Sterbefällen erfaßt 360 . In der Wanderungsstatistik werden die Zuund Fortzüge (Wohnungswechsel) innerhalb des Bundesgebietes (Binnenwanderung) und über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinweg (Außenwanderung) monatlich, vierteljährlich und jährlich aufbereitet, wobei die An- und Abmeldung nach den Meldescheinen der Einwohnermeldeämter maßgeblich ist 3 6 1 . Dieses ist heute 362 im Melderechtsrahmengesetz bzw. den Meldegesetzen der Länder geregelt. Die Bevölkerungsfortschreibung erfolgt insgesamt, indem zu der Bevölkerung am Monatsanfang die Zuzüge und die Lebendgeborenen während des Monats hinzugerechnet und die im Laufe des Monats stattgefundenen Fortzüge und Sterbefälle abgezogen werden 363 .
357 Der Direktor des Bundesrates leitet dessen Sekretariat und unterstützt den Bundesratspräsidenten bei der Führung seiner Amtsgeschäfte (A. Pfitzer, Die Organisation des Bundesrates, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 173 ff. (190)). 358 Das Schreiben des Bundesminister des Inneren ist abgedruckt in: BR-Drs. 211/66, S. 13 f. 359 Begründung zur Neufassung der Geschäftsordnung des Bundesrates, BR-Drs. 211/66, S. 14. 360 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Das Arbeitsgebiet der Bundesstatistik, 1988, S. 104. 361 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Das Arbeitsgebiet der Bundesstatistik, 1988, S. 104. 362 Zur Rechtslage bis Mitte der achtziger Jahre s.o. S. 94 ff. 363 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 81.
1 0 6 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung Wie die Volkszählung wird die Bevölkerungsfortschreibung organisatorisch auf drei Ebenen durchgeführt, das heißt die kommunalstatistischen Ämter, die Statistischen Landesämter und das Statistische Bundesamt arbeiten zusammen. Schon durch diese Organisationsstruktur kommt es zu zeitlichen Verzögerungen bei der Ermittlung der Einwohnerzahlen, da insbesondere in den kommunalstatistischen Ämter bei der Aufbereitung des Zahlenmaterials Rückstände entstehen. Regelmäßig geben deshalb die von den Statistischen Landesämtern festgestellten Einwohnerzahlen nur den Stand wieder, wie er mehrere Monate zuvor tatsächlich vorlag. Die Bevölkerungsfortschreibung ist darüber hinaus mit einer Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren belastet, auch wenn die zwischenzeitliche Automation der Einwohnerregister und deren qualitative Verbesserung die Genauigkeit der Fortschreibung erhöht hat. Langfristig kommt es zu einer deutlichen Abweichung der statistischen Zahlen von den tatsächlichen Verhältnissen. Zu den Fehlerquellen gehören zum Beispiel unterlassene Abmeldungen 364 oder unvollständige und unklare Angaben des Meldepflichtigen. Überdies ist das System der Einwohnerregister nicht lückenlos 365 . Ein Vergleich der Einwohnerzahlen der Bevölkerungsfortschreibung auf der Basis der Volkszählung 1970 mit den in der Volkszählung 1987 gewonnenen Zahlen ergab teilweise starke Abweichungen. So mußte die Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins um 2,2%, Bayerns um 1,2%, Hessens um 0,8%, Baden-Württembergs um 0,6% und Niedersachsens um 0,4% nach unten korrigiert werden. Dagegen waren die Zahlen in anderen Ländern zu niedrig angenommen und mußten hochgesetzt werden: (West-) Berlin um 7,0%, Hamburg um 1,6%, Saarland um 1,4%, Bremen um 1%, Rheinland-Pfalz um 0,7% und Nordrhein-Westfalen um 0,2% 3 6 6 . Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Bevölkerungsfortschreibung auf der Volkszählung von 1970 basierte, die den Wohnbevölkerungsbegriff als Maßstab hatte, während die Volkszählung 1987 auf den Begriff der Bevölkerung am Ort der alleinigen bzw. der Hauptwohnung abstellte. Die Zahlen sind deshalb nicht ohne weiteres vergleichbar. Die Bevölkerungsfortschreibung ist tendenziell eine fehlerhafte Methode. Sie alleine genügt dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der Genauigkeit der Ermittlung der Einwohnerzahlen nicht, wenn sie über einen längeren Zeitraum angewandt wird. Deshalb muß sie durch Volkszählungen in regelmäßigen Abständen, die sich an dem weltweit empfohlenen 10-Jahres Zeiträumen 367 orientieren sollten, auf eine gesicherte bevölkerungsstatistische Grundlage 364
Vgl. hierzu die Darstellung an Hand von Beispielen bei S. Wimmer, Der Städtetag 1982, 644. 365 V. d. Lippe, Wirtschaftsstatistik, 5. Aufl., 1996, S. 82. 366 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung vom 25. Mai 1987, 1989, S. 14. 367 So die UNO-Empfehlung (s.o. S. 103 Fn. 351).
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gestellt werden 368 . Allein aus dem Art. 51 Abs. 2 GG entspringenden Bedürfnis nach genauen Einwohnerzahlen ist somit eine Pflicht zu Volkszählungen zu entnehmen, solange statistische Alternativmethoden nicht ersichtlich sind 3 6 9 . Aufgrund der sich - nicht zuletzt durch den technologischen Fortschritt bedingten - ständigen Verbesserung und Genauigkeit der Bevölkerungsfortschreibung erscheint allerdings ein starres Festhalten an dem 10-Jahres-Rhythmus für Volkszählungen nicht zwingend, so daß auch nach Ablauf von mehr als zehn Jahren seit der letzten Volkszählung die Ermittlung der Einwohnerzahlen auf der Grundlage der Bevölkerungsfortschreibung verfassungsgemäß bleibt 3 7 0 . 3. Verhältnis von Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung Die Einwohnerzahlen werden nach § 27 GOBR durch Volkszählungen und erst wenn deren Ergebnisse nicht vorliegen durch die Bevölkerungsfortschreibung ermittelt. Die Volkszählung ist danach vorrangig. Dies wird aus verfassungsrechtlicher Sicht dem Bedürfnis nach größtmöglicher Genauigkeit auch am ehesten gerecht 371 . In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, daß diese Regelung nicht konsequent eingehalten wird. Aufgrund der nur eingeschränkten Verbindlichkeit der Geschäftsordnungsregelungen sind Abweichungen nicht nur theoretisch möglich, sondern sie werden sogar genutzt. In der 450. Sitzung des Bundesrates am 14.10.1977 stellte dessen Präsident fest, daß nach dem Ergebnis der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung die Einwohnerzahl des Landes Berlin unter die Zweimillionengrenze gesunken sei und deshalb klargestellt werden müsse, ob sich die Zahl seiner Stimmen im Bundesrat damit verändern solle. A u f seinen Vorschlag beschloß der Bundesrat nach § 48 GOBR 3 7 2 , daß sich die Anzahl der Stimmen des Landes Berlin im Bundesrat bis zur nächsten Bevölkerungszählung nach dem Ergebnis der Bevölkerungszählung vom 27.5.1970 bemessen solle und Berlin demgemäß durch vier Stimmen im Bundesrat vertreten sei 3 7 3 . Da das Ergebnis der Bevölkerungsfortschreibung - aus welchen Gründen auch immer 3 7 4 - nicht akzeptabel erschien,
368
So auch K. Furmaniak, Computer und Recht 1987,254 ff. Vgl. dazu S. 109 f. 370 Zu den Forschungsbemühungen der Statistik, Alternativen zur Volkszählung zu finden, sowie die Diskussionen um eine zukünftige Volkszählung vgl. die Berichte in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung 2000 - oder was sonst?, 1992. 371 Vgl. o. S. 104 ff. 372 § 48 GOBR: „Will der Bundesrat im einzelnen Fall von der Geschäftsordnung abweichen, so bedarf es eines einstimmigen Beschlusses." 373 StenBer. BR, S. 283. 374 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, § 27 GO Rn. 6, begründet die Abweichung von § 27 GOBR mit Zweifeln an der Genauigkeit der Bevölkerungsfortschrei369
1 0 8 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung wurde die länger zurückliegende Volkszählung als Grundlage herangezogen und im Bundesrat umgesetzt. Das Fehlen einer Auseinandersetzung oder einer Diskussion im Plenum zu dieser Frage dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Berlin zum damaligen Zeitpunkt nicht voll stimmberechtigt war und damit die politischen Folgen eher gering eingeschätzt wurden. Dennoch ist dem Vorgang zu entnehmen, daß der Bundesrat selbst die eigenen Vorgaben in seiner Geschäftsordnung für die Ermittlung der Einwohnerzahlen nicht als zwingend ansieht. Aus rechts- und bundesstaatlicher Sicht erscheint diese Praxis unzulässig, denn es wird eine willkürliche Veränderung der Stimmenzahlen im Bundesrat durch Einflußnahme auf das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen möglich 3 7 5 . U m hieraus entstehenden Streitfragen und Ungereimtheiten aus dem Weg zu gehen, ist es notwendig, eine verbindliche Regelung des Verhältnisses von Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung festzulegen, die insbesondere nicht durch den Bundesrat selbst außer Kraft gesetzt werden kann. Eine Lösung dieses Problems könnte in der Rechtsform der das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen anordnenden Vorschriften liegen 376 . 4. Problematik der Einwohnerstatistiken
der DDR
Nach der deutschen Wiedervereinigung mußten Bevölkerungszahlen für die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie für (Ost-)Berlin festgestellt werden. Dabei konnte auf die Bevölkerungsstatistiken der DDR zurückgegriffen werden, die in den Statistischen Jahrbüchern der DDR veröffentlicht worden waren. Auch in der DDR dienten die Volkszählungen (zuletzt 1981) als Ausgangsbasis für die Fortschreibung der Bevölkerung. In den Standesämtern und polizeilichen Meldestellen wurden die Daten erhoben und einheitlich im Zentralen Einwohnerregister Berlin-Biesdorf gespeichert 377. Das Datenverarbeitungszentrum des Statistischen Amtes der DDR bereitete die bevölkerungsstatistischen Daten zentral auf und stellte die Ergebnisse zusammen 378 . Allerdings waren die fortgeschrie-
bung; dem Sitzungsprotokoll des Bundesrates sind entsprechende Hinweise jedoch nicht zu entnehmen. 375 Es ist z.B. unter parteipolitischen Gesichtspunkten - zugegebenermaßen sehr theoretisch - denkbar, daß etwa die Α-Partei in allen Ländern die Regierung stellt. Um den bevorstehenden Wahlsieg der B-Partei im Land X zu unterlaufen faßt der Bundesrat einstimmig den Beschluß, bis zur nächsten Volkszählung die Bevölkerungsfortschreibung außer acht zu lassen, um so eine zusätzliche Stimme für das Land X zu verhindern. 376 Näheres dazu u. S. 126 ff. 377 H. Schulze, Bevölkerungsstatistik, in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Einführung der Bundesstatistik in den neuen Bundesländern, 1993, S. 152 ff. (153 ff.). 378 H Schulze, Bevölkerungsstatistik, in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Einführung der Bundesstatistik in den neuen Bundesländern, 1993, S. 156.
§ 4 Das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahl
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benen Einwohnerzahlen infolge unterlassener Abmeldungen bei Fortzügen aus der DDR, die insbesondere ab 1989 stark zunahmen, überhöht. Es wurde deshalb für die Fortschreibung ab dem 3.10.1990 zum gleichen Stichtag ein Abzug auf das frühere Zentrale Einwohnerregister vorgenommen 379 . Dies erscheint für einen Übergangszeitraum wegen der Besonderheiten der deutschen Wiedervereinigung verfassungsrechtlich vertretbar. Langfristig wird man jedoch zur Erlangung einheitlicher und hinreichend sicherer Daten um eine Volkszählung nicht umhin können. 5. Ergänzende und alternative statistische Methoden Das bevölkerungsstatistische Instrumentarium von Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung wird durch Statistiken wie die Ausländerstatistik nach dem Ausländerzentralregister ergänzt 380 . Dieses Register wird vom Bundesverwaltungsamt geführt und dokumentiert unter anderem die Zahl und regionale Verteilung der in Deutschland ansässigen Ausländer 381 . Es ist ein geeignetes Mittel zur Ergänzung der sonstigen statistischen Methoden. Außerdem wird neben der Volkszählung und der Bevölkerungsfortschreibung der sog. Mikrozensus durchgeführt. Dabei werden als Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens von 1% der Bevölkerung jeweils im April die entsprechenden Daten erfragt 382 . Es handelt sich um eine primäre Stichprobenstatistik, die im Vergleich mit der Volkszählung sehr viel häufiger stattfindet und ein wesentlich umfangreicheres Fragenprogramm aufweist 383 . Jedoch ist der Mikrozensus nicht in der Lage, großräumige Wanderungen der Bevölkerung und länderübergreifende Tendenzen sicher zu dokumentieren. Im übrigen gewinnt der Mikrozensus erst an Präzision, je kleiner der Auswahlbezirk ist 3 8 4 . Zu einer genauen Ermittlung der Einwohnerzahlen in den Ländern ist er deshalb ungeeignet 385 .
379
Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, S. 44. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Das Arbeitsgebiet der Bundesstatistik, 1988, S. 32. 381 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Ausländische Bevölkerung in Deutschland, 1995 S. 5. 382 Vgl. § 4 Mikrozensusgesetz v. 17.1.1996 (BGBl. I S. 34). 383 Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., 1996, S. 69. 384 V. d. Lippe, Wirtschaftsstatistik, 5. Aufl., 1996, S. 86. 385 Als Alternative zu Volkszählungen weist K. Furmaniak, Computer und Recht 1987, 254 ff. auf die Möglichkeit eines einheitlichen Personenkennzeichens in Verbindung mit einem Verbund zahlreicher Personenregister hin, schränkt sie aber im Hinblick auf das Volkszählungsurteil des BVerfG (s.o. S. 93 Fn. 299) ein, da dies den Datenschutz gefährden und zur Einführung eines Überwachungsstaates führen könnte. 380
1 1 0 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung 6. Verfassungsmäßigkeit
der derzeitigen Praxis
Es bleibt festzuhalten: Die derzeit angewandten Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen sind an sich verfassungsgemäß. Trotz einiger Unsicherheiten, die aus den Ungenauigkeiten der statistischen Verfahren erwachsen, sind die Volkszählungen im Zusammenspiel mit der Bevölkerungsfortschreibung hinreichend genau, um die Einwohnerzahlen der Länder zu ermitteln. U m jedoch auf Dauer die notwendige Genauigkeit beizubehalten und die in den nach der deutschen Wiedervereinigung hinzugekommenen Ländern noch aus Zeiten der DDR bestehenden Ungenauigkeiten abzustellen, ist es mit Blick auf den Bundesrat geboten, in den nächsten Jahren eine Volkszählung durchzuführen. Verfassungsrechtlich bedenklich erscheint dagegen der vom Bundesrat gewählte Weg, durch Beschluß das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen festzulegen und so mittelbar die Stimmenzahlen der Länder im Bundesrat zu steuern. Damit haftet dem Verfahren zur Stimmenermittlung ein unwägbarer Faktor an, der mit dem Rechtsstaatsprinzip und den darin enthaltenen Grundsätzen nur schwer zu vereinbaren ist.
§ 5 Das maßgebliche Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen i m Bundesrat Die ermittelten Einwohnerzahlen werden dem Bundesrat grundsätzlich vom Statistischen Bundesamt mitgeteilt, das die Zahlen der Statistischen Landesämter zusammenfaßt. Unmittelbar von den Statistischen Landesämtern läßt sich der Bundesrat allerdings dann informieren, wenn sich die Einwohnerzahl des betreffenden Landes in der Nähe der in Art. 51 Abs. 2 GG enthaltenen Grenzen bewegt 386 . I m Anschluß an die Ermittlung einer Veränderung der Einwohnerzahl eines Landes muß sich dies bei Über- bzw. Unterschreitung einer der in Art. 51 Abs. 2 GG ausgewiesenen „Schwellenwertzahlen" im Bundesrat in der Stimmenverteilung niederschlagen. Die Stimmenzahlen des betroffenen Landes sind dann nach oben oder unten anzupassen. Daß die Frage nach dem Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen an die ermittelten Einwohnerzahlen nicht verfassungsrechtlich bedeutungslos ist, zeigt ein Vergleich mit der Verfassung der Bundesrepublik Österreich, die mit dem Bundesrat ein ähnliches föderatives Organ auf Bundesebene vorsieht. Nach Art. 2 Abs. 1 B.-VG. ist Österreich ein Bundesstaat, der gemäß Abs. 2 der
386
Zur Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Stimmenzuwachs Hessens s.u. S. 121 ff.
§ 5 Maßgebliches Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat
111
Vorschrift aus neun selbständigen Ländern gebildet wird. Art. 34 B.-VG. enthält zudem eine mit Art. 51 Abs. 2 GG vergleichbare Vorschrift, wonach die Länder im Bundesrat als föderatives Organ Österreichs im Verhältnis zur Bürgerzahl vertreten sind. Jedem Land gebühren mindestens drei Mitglieder, und das Land mit der größten Bevölkerungszahl entsendet zwölf sowie jedes andere Land so viele Mitglieder, als es dem Verhältnis seiner Bürgerzahl zur erstangeführten Bürgerzahl, also der Zahl des bevölkerungsreichsten Landes, entspricht. Hierbei handelt es sich - wie beim Bundesrat des deutschen Grundgesetzes um einen politischen Kompromiß 387 . A u f der Grundlage dieser Regelung entsenden zur Zeit Niederösterreich zwölf, Wien elf, Oberösterreich elf, Steiermark zehn, Tirol fünf, Kärnten fünf, Salzburg vier, Vorarlberg drei und das Burgenland ebenfalls drei Mitglieder 388 . Anders als das Grundgesetz enthält das österreichische Bundesverfassungsgesetz normative Regelungen über das Verfahren bei der Anpassung der Stimmenzahlen innerhalb des Bundesrates. So sieht Art. 34 Abs. 3 B.-VG. vor, daß der Bundespräsident die Aufgabe hat, nach jeder allgemeinen Volkszählung die sich aus Art. 34 Abs. 2 B.-VG. ergebende Mitgliederzahl der einzelnen Länder festzusetzen. Entgegen dem Wortlaut handelt es sich dabei aber weniger um ein Festsetzen als um ein Feststellen, denn die zahlenmäßige Vertretung eines Landes folgt bereits unmittelbar aus dem Verteilungsschlüssel des Art. 34 Abs. 2 B.-VG. 3 8 9 . Rechtsgestaltende Wirkung kommt der Aufgabe des Bundespräsidenten jedoch insoweit zu, als nach § 2 Abs. 1 d) und § 4 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt die rechtsverbindliche Kraft der nach Art. 34 Abs. 3 B.-VG. gefaßten Entschließung erst nach Ablauf des Tages eintritt, an dem der Teil des Bundesgesetzblattes, das die Entschließung enthält, herausgegeben und versendet wird. Von diesem Zeitpunkt an muß der österreichische Bundesrat in seiner Zusammensetzung den Bestimmungen dieser Entschließung des Bundespräsidenten entsprechen 390. Andernfalls sind die Akte des Bundesrates verfassungswidrig. Die österreichische Regelung sensibilisiert dafür, daß das Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen innerhalb des föderativen Organs Bundesrat rechtlich nicht irrelevant sein kann, sondern zumindest bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen muß.
387 388 389 390
Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, S. 283; s.o. S. 29. Öhlinger, Verfassungsrecht, 1995, S. 111 Fn. 25. VfGH, VfSlg. Nr. 2514/179 (180 f.). VfGH, VfSlg. Nr. 2514/179 (180 f.).
1 1 2 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung I. Aussagen des Grundgesetzes Mangels ausdrücklicher Regelungen des Grundgesetzes in dem hier zu behandelnden Bereich verdienen bei der Frage nach grundgesetzlichen Direktiven namentlich drei Problemkreise besondere Hervorhebung. A u f der einen Seite betrifft dies die zeitliche Fixierung innerhalb des Verfahrens, also des maßgeblichen Zeitpunktes für die Wirksamkeit der Stimmenanpassung. A u f der anderen Seite ist die Notwendigkeit der Veröffentlichung derartiger Veränderungen zu untersuchen. Schließlich ist zu fragen, wie bei einem ständigen Wechsel der Einwohnerzahlen eines Landes vorzugehen ist und ob das Grundgesetz hierzu Aussagen enthält. 1. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anpassung a) Notwendigkeit einer zeitlichen Fixierung Das Erfordernis, einen maßgeblichen Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an die neue Stimmenverteilung im Bundesrat wirksam werden soll, ergibt sich aus der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Stimmenzahlen der Länder für die Beschlüsse des Bundesrates. Alle Entscheidungen des Bundesrates, die in einem Zeitraum getroffen würden, in der die Stimmenzahlen nicht den Einwohnerzahlen entsprechen, wären verfassungswidrig. Um den verfassungsrechtlichen Geboten nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu genügen ist es deshalb notwendig, den Zeitpunkt für die Veränderung der Stimmenzahlen zu fixieren. b) Potentielle Zeitpunkte Als Termin, auf den für die Stimmenverteilung abgestellt werden könnte, ist zunächst der Eintritt der tatsächlichen Veränderung der Einwohnerzahlen denkbar. Dies käme dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 2 GG am nächsten. Doch lassen sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ständig genau ermitteln. Sie können aufgrund der Unsicherheiten der statistischen Methoden und deren Periodizität meist erst rückwirkend mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, wenn etwa die Bevölkerungsfortschreibung aufgrund einer Volkszählung korrigiert wird. Aufgrund dieser Unsicherheiten können die tatsächlichen Verhältnisse nicht allem maßgeblich für den Zeitpunkt der Veränderung der Stimmenzahlen im Bundesrat sein. In der Verfassungspraxis ließe sich eine derartige Übereinstimmung von realen Verhältnissen und Statistik überhaupt nicht oder jedenfalls nicht ohne einen unverhältnismäßig hohen Aufwand an Geld-, Sach- und Personalmitteln realisieren. Eine immer auf dem denkbar aktuellsten Stand bleibende Statistik würde ferner eine weitreichende Überwachung und Erfassung der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Personen bedingen.
§ 5 Maßgebliches Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat
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Schon eher geeignet erscheint der Zeitpunkt, in dem die Statistischen Landesämter oder das Statistische Bundesamt die Einwohnerzahlen feststellen. Dies hätte den Vorteil weitgehend bundeseinheitlicher Ermittlungsgrundlagen und methoden. Allerdings besteht zu dem Zeitpunkt der Bestimmung durch die Statistikämter im Bundesrat noch keine Kenntnis über die Veränderungen der Einwohnerzahlen. Ein Bundesratsbeschluß, der zur gleichen Zeit gefaßt würde, in dem die Statistikbehörden eine neue Einwohnerzahl ermitteln, wäre konsequenterweise verfassungswidrig. Hiermit würde das Gegenteil des angestrebten Zwecks erreicht und das Bedürfnis nach einem möglichst Rechtssicherheit und -klarheit schaffenden Verfahren unterlaufen. Es bestünde immer dann, wenn sich die Einwohnerzahl eines oder mehrerer Länder in der Nähe der Staffelungsgrenzen des Art. 51 Abs. 2 GG bewegen würde, die Unsicherheit, ob die gefaßten Beschlüsse Bestand haben oder nicht. Allein die Ermittlung durch die Statistischen Landesämter oder das Statistische Bundesamt kann deshalb nicht den maßgeblichen Zeitpunkt für die Anpassimg der Stimmenzahl darstellen. Denkbar wäre auch, daß sich im Zeitpunkt der Mitteilung der Einwohnerzahlen an den Bundesrat die Stimmenzahl des jeweils betroffenen Landes wirksam verändert. Hierdurch würde zwar vermieden, daß der Bundesrat einen verfassungswidrigen Beschluß faßt. Doch schließt sich ein weiteres Problem an: Es würde an einem nach außen sichtbaren Publikationsakt fehlen. Vom Bürger wird die Ausübung von Staatsgewalt nur dann als rechtmäßig angesehen, wenn er in diese Vertrauen besitzt. Dieses Vertrauen entsteht durch Transparenz der Entscheidungen und des vorangegangenen Entscheidungsvorganges 391 . Für das Gesetzgebungsorgan Bundestag ist dies anerkannt und unter rechtlichen Gesichtspunkten behandelt worden 392 . Danach gehören zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen 393 unter anderem die Zugänglichkeit, Überschaubarkeit sowie Einsehbarkeit der getroffenen Entscheidungen 394 . Ebenso besteht für den Bundesrat aus Art. 20 GG die Verpflichtung, seine Entscheidungen für die Bevölkerung nachvollziehbar und deshalb trans-
391
So auch für das Gesetzgebungsverfahren H.-J. Mengel, ZRP 1984, 153 (155). Vgl. L. Kissler, Parlamentsöffentlichkeit: Transparenz und Artikulation, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 36 Rn. 5 m.w.N. 393 Zu den Tendenzen, etwa aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auch für das Verfahren innerhalb der Gesetzgebungsorgane normative Strukturen und grundgesetzliche Pflichten abzuleiten, vgl. F. Ossenbühl, in: HStR, Bd. III, 1988, § 63 Rn. 6 f.; H.-J. Mengel, ZRP 1984,153 ff.; krit. C. Gusy, ZRP 1985,291 ff.; die Relevanz der Staatsstmkturprinzipien wird auch im Bereich der Verwaltungsorganisation deutlich (W. Krebs, in: HStR, Bd. III, 1988, §69 Rn. 73 ff.). 394 L. Kissler, Parlamentsöffentlichkeit: Transparenz und Artikulation, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 36 Rn. 5. 392
8 Deecke
1 1 4 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung parent zu machen 395 . Diesen Anforderungen entspricht als spezielle Ausprägung der Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen des Bundesrates nach Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG. Mit dem Erfordernis der Transparenz korrespondiert eine Rechenschaftspflicht der Staatsorgane gegenüber dem sie beauftragenden Staatsvolk, die eingefordert werden kann 3 9 6 . Dieser Rechenschaftspflicht können die Staatsorgane nur dadurch nachkommen, daß sie ihre Entscheidungen nachvollziehbar und eindeutig fassen. Diese Kriterien werden nur dann erfüllt, wenn die Grundlagen der Beschlußfassung des jeweils handelnden Organs offen liegen und nachvollziehbar sind. Hiermit gehen ebenso Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und -klarheit einher. Es dürfen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der getroffenen Entscheidungen bestehen. Die Einsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit des Beschlusses wären aber, solange die Veränderung der Stimmenverteilung noch nicht publik gemacht worden ist, nicht gewährleistet. Die demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen an das Handeln des Staatsorgans Bundesrat würden nicht erfüllt. Die Kenntnis von der veränderten Stimmenzahl innerhalb des Bundesrates reicht aus diesen Gründen nicht aus. Vielmehr muß die Kenntnis von den Veränderungen derart publiziert werden, daß die Öffentlichkeit außerhalb des Bundesrates hiervon erfährt oder zumindest erfahren kann. Nur so kann die Akzeptanz der Entscheidungen des Bundesrates gewahrt bleiben. Die Publikation der Veränderung der Stimmenzahl müßte durch den Bundesrat unverzüglich nach Kenntniserlangung vorgenommen werden, um so die möglichst genaue Orientierung der Stimmenzahlen an den Einwohnerzahlen sicher zu stellen und keine Nachteile für das betroffene Land erwachsen zu lassen. Das Erfordernis der Festlegung eines maßgeblichen Zeitpunktes für die Anpassung der Stimmenzahlen und der Publikation der Veränderung bedingen sich somit gegenseitig. Als Mittelweg zwischen dem Bedürfnis nach einer exakten Orientierung an den tatsächlichen Verhältnissen und der Rechtsklarheit wird man deshalb als maßgeblichen Zeitpunkt für die Anpassung der Stimmenzahl an eine neu ermittelte Einwohnerzahl die Veröffentlichung dieser Veränderung durch den Bundesrat ansehen müssen. Diese Veröffentlichung muß der Bundesrat unverzüglich vornehmen, nachdem er von der Veränderung Kenntnis erlangt hat, um so die Rechtspositionen der Länder mit ihrem Anspruch auf eine den Einwohnerzahlen entsprechende Stimmenzahl und die ordnungsgemäße Besetzung des Bundesrates nicht zu gefährden.
395
Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 28; Pfitzer, 4. Aufl., 1995, S. 106. 3 9 6 P. Kirchhof, in: HStR, Bd. III, 1988, § 59 Rn. 189.
Der Bundesrat,
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2. Veröffentlichung Schon aus der Notwendigkeit der Bestimmung eines maßgeblichen Zeitpunktes für die Anpassung der Stimmenzahlen der Länder im Bundesrat folgt das Erfordernis der Veröffentlichung. Darüber hinaus könnte das Grundgesetz aber noch weitere, konkretisierende Anforderungen an den Publikationsakt stellen. Dabei ist von Interesse, wie im deutschen Verfassungsrecht die Veröffentlichimg von anderen Rechtsakten geregelt wird. a) Aussagen des Grundgesetzes Da es an ausdrücklichen Regelungen des Grundgesetzes für eine Veröffentlichung der Veränderungen fehlt, bleibt die Frage zu beantworten, ob sich aus allgemeinen Verfassungsgrundsätzen gewisse Mindestbedingungen ableiten lassen, die die Bekanntmachung determinieren. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip könnte sich das Erfordernis einer bestimmten Form der Veröffentlichung herleiten lassen 397 . Es ist dabei zunächst eine Bestandsaufnahme der zur Verfügung stehenden Publikationsorgane vorzunehmen, um sich von dieser Grundlage aus einer anschließende Zuordnung zu nähern. Das Grundgesetz selbst unterscheidet nur zwischen der Verkündung im Bundesgesetzblatt (Art. 82, 115a, 145 GG) und der nicht näher umschriebenen Veröffentlichung (Art. 129 GG). Das Bundesgesetzblatt ist damit das einzige von der Verfassung selbst vorausgesetzte Verkündungsorgan 398 . Es erscheint in drei Teile untergliedert. Im Teil I werden die Gesetze, vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen die wesentlichen oder dauernden Rechtsverordnungen, die Entscheidungen über die sachliche Zuständigkeit nach Art. 129 Abs. 1 GG, die Entscheidungsformeln des Bundesverfassungsgerichts nach §31 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, die Anordnungen und Erlasse des Bundespräsidenten, die Bekanntmachungen über innere Angelegenheiten des Bundestages und des Bundesrates sowie andere Bekanntmachungen, soweit es vorgeschrieben ist, veröffentlicht 399 . Teil I I des Bundesgesetzblattes enthält völkerrechtliche Vereinbarungen und - zwischenzeitlich durch die tatsächlichen Verhältnisse überholt - Verträge mit der DDR, die zu ihrer Inkraftsetzung oder Durchsetzung erlassenen Rechtsvorschriften sowie damit zusammenhängende Bekanntmachungen und Rechtsvorschriften auf dem Ge-
397 Zur Rückführung der Veröffentlichung staatlichen Handelns auf das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip vgl. R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 Anm. VII Rn. 59 (Bearbeitung 1980). 398 Vgl. hierzu v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 82 Anm. IV 4. 399 Vgl. die Auflistung in § 87 Abs. 1 GGO II.
1 1 6 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung biet des Zolltarifwesens 400 . Schließlich umfaßt das Bundesgesetzblatt I I I die Rechtsvorschriften, die bei der mit dem Stand 31.12.1963 abgeschlossenen Rechtsbereinigung als fortgeltendes Bundesrecht festgestellt worden sind 4 0 1 . Neben dem Bundesgesetzblatt existiert als weiteres Publikationsorgan der Bundesanzeiger. Hierbei handelt es sich um ein Verkündungsblatt, in dem Bekanntmachungen erfolgen, welche aufgrund von Gesetzen, Satzungen oder Verträgen zu veröffentlichen sind 4 0 2 . Der Bundesrat besitzt außerdem noch eigene Mittel der Publikation. Hierzu gehören die Drucksachen des Bundesrates, in die alle an den Bundesrat als Institution gerichteten Vorlagen umgedruckt werden 403 . Ferner stehen die Stenographischen Berichte zur Verfugung, die als Teil der amtlichen Berichterstattung die Öffentlichkeit herstellen 404 . Schließlich hat der Bundesrat die Möglichkeit, in nichtamtlichen Veröffentlichungen Informationen direkt an Presse, Rundfunk und Fernsehen zu geben 405 . Bei diesen Direktinformationen besteht jedoch keine Sicherheit, ob sie zutreffend an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Damit sind eine Vielzahl von Publikationswegen vorhanden. Es ist fraglich, ob verfassungsrechtlich eine bestimmte Art und Weise der Veröffentlichung vorgegeben ist. Insoweit könnten sich eventuell aus dem Rechtsstaatsprinzip bestimmte Vorgaben herleiten lassen. Für Rechtsnormen unterhalb der formellen Gesetze und Rechtsverordnungen hat das Bundesverfassungsgericht zu § 12 S. 3 BBauG entschieden, daß das Rechtsstaatsprinzip zwar eine Verkündung dieser Normen verlange, um der Öffentlichkeit die verläßliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht zu ermöglichen 406 . Doch ließen sich dem Rechtsstaatsprinzip keine bestimmten Aussagen dazu entnehmen, in welchen Fällen es ausreichen könne, die Rechtsnorm nicht in einem gedruckten Publikationsorgan zu veröffentlichen, sondern nur auf einer Dienststelle zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten 407 . Damit hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Form der Verkündung von Rechtsnormen zugebilligt, soweit das Grundgesetz keine besonderen Anforderungen stellt. Allerdings hat es dort eine verfassungsrechtliche Grenze gesehen, wo die Gefahr 400
Vgl. § 87 Abs. 2 GGO II. Vgl. § 87 Abs. 3 GGO II. 402 Vgl. § 87 Abs. 4 GGO und §§1,4 Abs. 2 Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen. 403 Zu den Bundesratsdrucksachen ausführlich vgl. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, §26 GO Rn. 37. 404 Vgl. ebenfalls Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, § 34 Rn. 1 ff. 405 Zur Arbeit der Pressestelle des Bundesrates vgl. Laufer, Dasföderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 110. 406 BVerfGE 65,283 (291). 407 BVerfGE 65, 283 (291). 401
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einer Verletzung schutzwürdiger Interessen liegt. Dies sei durch die Ausgestaltung des Verkündungsvorgangs zu vermeiden 408 . Überträgt man diese Grundsätze auf die Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat an die Einwohnerzahlen, so wird man hier mangels ausdrücklicher Direktiven im Grundgesetz einen relativ weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausformimg der Publikation annehmen können. Ein bestimmtes Veröffentlichungsorgan läßt sich nicht herleiten. In jedem Fall ist es aber notwendig, daß die Öffentlichkeit von der Veränderung Kenntnis nehmen kann und die mit der Stimmenzahl verbundenen Länderinteressen nicht gefährdet werden. Problematisch wäre es deshalb, allein mit einer Pressemitteilung, bei der man - zumindest theoretisch - nicht sicher von einer „Weiterleitung" ausgehen kann, das Publikationserfordernis wahren zu wollen. b) Sonstige Veröffentlichungsvorschriften im Verfassungsrecht Das Grundgesetz enthält in anderen Bereichen aber sehr wohl Vorschriften zur Veröffentlichung bestimmter Rechtsakte und deren hiervon abhängigen Wirksamkeit. Aus dem Stellenwert der betroffenen Materien könnte sich ein Maßstab ergeben, an dem ein Veröffentlichungserfordernis für die Stimmenzahlen im Bundesrat zu messen ist. So sieht Art. 82 Abs. 1 GG vor, daß Gesetze und - vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen - Rechtsverordnungen ebenso wie die Feststellung des Verteidigungsfalles gemäß Art. 115a Abs. 3 GG im Bundesgesetzblatt verkündet werden müssen. Auch das Grundgesetz bedurfte nach Art. 145 Abs. 3 GG der Verkündung im Bundesgesetzblatt. Verkündung bedeutet dabei die amtliche Bekanntgabe in dem dafür vorgeschriebenen Blatt 4 0 9 . Der Rechtsakt muß der Öffentlichkeit in der Weise bekannt gemacht werden, daß die Betroffenen sich verläßlich Kenntnis von dessen Inhalt verschaffen können 410 . Bei der Feststellung des Verteidigungsfalles und des dann einzuhaltenen Gesetzgebungsverfahrens ergeben sich aus den Art. 115a ff. GG zwar Besonderheiten für die Verkündung, doch können diese hier außer Betracht bleiben. Über die Verkündung hinaus sieht das Grundgesetz nur noch die Veröffentlichung von einer bestimmten Art von Rechtsakten vor. So müssen die Entscheidungen von Bundesregierung und Bundesrat über das Fortgelten von Ermächtigungen in vorkonstitutionellen Vorschriften gemäß Art. 129 Abs. 1 S. 2 2. HS GG veröffentlicht werden. Über die Form der Veröffentlichung sagt 408
BVerfGE 65, 283 (291). Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 82 Rn. 5. 410 BVerfGE 65,283 (291) m.w.N. 409
1 1 8 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung die Vorschrift nichts aus. Angesichts des Charakters der Entscheidung wird die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt fur angemessen gehalten 411 . Ansonsten hält sich das Grundgesetz mit Vorgaben für die Veröffentlichung bestimmter Handlungen der Verfassungsorgane zurück. Den genannten Vorschriften ist als Grundsatz zu entnehmen, daß das Grundgesetz ausdrücklich nur für die wichtigen Rechtshandlungen in Form der Verordnung und des Gesetzes bestimmte Kriterien für die Veröffentlichung aufstellt. Eine Ausnahme ist insoweit nur die Feststellung des Verteidigungsfalles. Art. 129 GG bezieht sich dagegen ebenfalls auf die Handlungsform des Gesetzes. Grundsätzlich schreibt damit das Grundgesetz nur bei bestimmten Handlungen mit einer über die beteiligten Verfassungsorgane hinausgehenden unmittelbaren Außenwirkung 412 die Publikation ausdrücklich vor. Dagegen werden keine präzisen Direktiven für die Veröffentlichung interner Vorgänge in den Verfassungsorganen statuiert. A u f einfachgesetzlicher Ebene besteht in Deutschland eine Regelung, die hier besonders hervorzuheben ist: Für die im Grundgesetz vorgesehene Bundesversammlung für die Wahl des Bundespräsidenten, in die die Länder entsprechend ihrer Bevölkerungszahlen Mitglieder entsenden413, hat die Bundesregierung die Zahl der von den einzelnen Landtagen zu wählenden Mitglieder im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen (§ 2 Abs. 1 S. 2 Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung). Damit sollte darauf reagiert werden, daß die Gesamtzahl der in den Ländern zu wählenden Mitglieder der Bundesversammlung von Fall zu Fall festgestellt werden muß und zwar zu einem möglichst spät gelegenen Zeitpunkt 414 . Dies zeigt, daß auch in Deutschland bei einer zahlenmäßig unterschiedlichen Teilhabe der Länder auf Bundesebene gesetzliche Verfahrensnormierungen bestehen. Dem deutschen Verfassungsrecht sind also derartige Strukturen nicht grundsätzlich fremd. Überdies wird durch die gesetzliche Regelung das Gewicht der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung bei einer variablen Partizipation der Länder verdeutlicht. Letztlich bleibt es jedoch bei dem bereits festgestellten Befund. Der Vergleich mit Rechtsakten ähnlicher Relevanz legt indes nahe, für die Veröffentlichung einer Veränderung der Stimmenzahl eines Landes auf das weit verbreitete Bundesgesetzblatt zurückzugreifen.
411 T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 129 Rn. 11 (Bearbeitung 1976). 412 Als Ausnahme können hier die Haushaltsgesetze gesehen werden. 413 S.o. S. 80. 414 Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung (BT-Drs. 3/358 S. 4).
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3. Insbesondere: „Mäandrierende"Einwohnerzahlen Zusätzlich stellt sich ein Problem, wenn die variable Partizipation der Länder im Bundesrat sich derart verwirklicht, daß die Einwohnerzahl eines Landes permanent um eine in Art. 51 Abs. 2 GG enthaltene Staffelungsgrenze für die Stimmenzahl pendelt. Hier wären zwei Alternativen denkbar: Entweder könnte man wie im Finanzausgleichgesetz415 Stichtage bei der Anknüpfung an die ermittelten Einwohnerzahlen festlegen und dementsprechend Veränderungen zwischen diesen Stichtagen unberücksichtigt lassen. Oder die Stimmenzahlen würden ständig an die Einwohnerzahlen angepaßt. Der Wortlaut von Art. 51 Abs. 2 GG gibt für eine Stichtagsregelung keine Anhaltspunkte. Es wird im Gegenteil die Stimmenzahl unmittelbar an die Einwohnerzahl gebunden. Die Vorschrift muß deshalb dahin verstanden werden, daß bei jeder festgestellten Veränderung der Einwohnerzahl die Anzahl der Stimmen des betroffenen Landes direkt anzupassen sind. Dies könnte im Extremfall dazu führen, daß die Stimmen eines Landes ständig variieren, mit allen verwaltungsorganisatorischen Folgen und Einflüssen auf die Beschlußfassung im Plenum und in der Europakammer. Eine Stichtagsregelung würde dagegen dazu führen, daß sich die Stimmenzahl eines Landes erheblich von den Direktiven des Art. 51 Abs. 2 GG entfernen könnte. Dies widerspräche dem insoweit relativ klaren Wortlaut der Norm. Im übrigen entfalten schon die statistischen Methoden eine Wirkung, die an eine Stichtagsregelung heranreicht. Denn die Periodizität der Bevölkerungsfortschreibung als fortlaufende statistische Grundlage birgt mit ihren monatlichen, vierteljährlichen und jährlichen Erhebungszeiträumen 416 faktisch den Effekt, daß nicht ununterbrochen die Einwohnerzahl um den Schwellenwert schwankt, sondern eine beschränkte Kontinuität aufweist. Eine über einen Monat hinausgehende „zeitnähere" Stimmenzahlfestlegung erscheint dagegen weder aus organisatorischen noch aus verfassungsrechtlichen Gründen gerechtfertigt. 4. Zwischenergebnis Als Mittelweg zwischen dem Bedürfnis nach einer exakten Orientierung an den tatsächlichen Verhältnissen und der Rechtsklarheit wird man als maßgeblichen Zeitpunkt für die Anpassung der Stimmenzahl an eine neu ermittelte Einwohnerzahl die Veröffentlichung dieser Veränderung durch den Bundesrat ansehen müssen. Diese Veröffentlichung muß der Bundesrat unverzüglich nach Kenntniserlangung von einer relevanten Veränderung der Einwohnerzahlen vornehmen, um so die Rechtspositionen der Länder und die ordnungsgemäße Besetzung des Bundesrates sicherzustellen. 415 416
S.o. S. 52. S.o. S. 105.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung
Im übrigen steht dem Bundesrat mangels ausdrücklicher Direktiven des Grundgesetzes ein relativ weiter Gestaltungsspielraum bei der Veröffentlichung der Veränderung zu. Ein bestimmtes Publikationsorgan läßt sich verfassungsrechtlich nicht herleiten. Bei Schwankungen der Einwohnerzahlen eines Landes über einen längeren Zeitraum um eine Staffelungsgrenze in Art. 51 Abs. 2 GG erscheint schließlich weder aus organisatorischen noch aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Stichtagsregelung gerechtfertigt. Vielmehr müßten die Stimmenverhältnisse im Bundesrat permanent an die tatsächlichen Verhältnisse angepaßt werden.
I I . Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Praxis Die Geschäftsordnung des Bundesrates enthält in § 23 Abs. 1 eine Regelung, die zumindest auf die Veröffentlichung zugeschnitten ist. Danach gibt der Präsident zu Beginn der Sitzung Änderungen in der Zusammensetzung des Bundesrates bekannt. Erkennt man den relativ weiten Gestaltungsspielraum des Bundesrates hinsichtlich der Publikation an, so reicht diese Art der Bekanntmachung aus. Insbesondere da sich im Anschluß an die Sitzungen die Vorgänge und Veränderungen aus dem Stenographischen Bericht des Bundesrates ersehen lassen. In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht der Bundesrat ergänzend ein Verzeichnis seiner ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder 417 . Im übrigen enthält der Stenographische Bericht nur ein Verzeichnis der im Plenum Anwesenden, aber kein Verzeichnis der Stimmenverteilung auf die Länder bzw. der vertretenen Mitglieder des Bundesrates, woraus die jeweils auf die Länder entfallende Stimmenzahl ableitbar wäre. Aus sonstigen Quellen kann man die Anzahl der Stimmen noch aus Pressemitteilungen 418 oder dem einmal jährlich vom Bundesrat herausgegebenen Handbuch des Bundesrates 419 entnehmen. Was die Praxis des Bundesrates im übrigen bei der Anpassung der Stimmenzahlen hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes der Anpassung an veränderte Einwohnerzahlen und der Veröffentlichung anbelangt, ist diese bislang als „informell" zu bezeichnen und verfassungsrechtlich bedenklich. Obwohl Art. 51 Abs. 2 GG als „Normalfall" die Über- oder Unterschreitung der in der Regelung enthaltenen Grenzen voraussetzt, ist in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland eine Modifikation der Stimmenverteilung im Bundesrat im wesentlichen durch die Neugliederung des Bundesgebietes bzw. die Neurege417
Zuletzt am 22.7.1996; davor am 9.11.1990 (Anlage 1 zum Stenographischen Bericht über die 624. Sitzung des Bundesrates). 418 Vgl. etwa die o. auf S. 18 erwähnte Pressemitteilung zur zusätzlichen Stimme Hessens, in der die Stimmen der anderen Länder nicht im Einzelnen erwähnt wurden. 419 Vgl. etwa Bundesrat (Hrsg), Handbuch des Bundesrates 1996/97, S. 188.
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lung des Art. 51 Abs. 2 GG im Zuge der Wiedervereinigung eingetreten. Der Umgang der Praxis mit diesen Ereignissen ist deshalb ebenfalls zu behandeln. 1. Veränderung der Einwohnerzahlen In dem ersten und bislang letzten Fall, in dem der Veränderung der Einwohnerzahl eines Landes eine Anpassimg der Stimmenzahlen im Bundesrat nachfolgte, teilte der Präsident des Bundesrates in der 693. Sitzung am 9.2.1996 im Plenum mit, daß das Land Hessen nach der jüngsten amtlichen Bevölkerungsfortschreibung mehr als sechs Millionenen Einwohner habe und deshalb über fünf Stimmen im Bundesrat verfüge 420 . Durch eine Pressemitteilung vom 18.1.1996 hatte der Bundesrat zuvor auf diesen Vorgang aufmerksam gemacht 421 . A n die Vertretungen der Länder beim Bund versandte der Direktor der Bundesrates zusätzlich Schreiben, in denen die Veränderung bekannt gemacht wurde 422 . Die Hessische Staatsregierung bestellte daraufhin schon am 30.1.1996 aufgrund des Stimmenzuwachses ein ordentliches weiteres Bundesratsmitglied 423 . Da Hessen bereits am 30.1.1996, also noch vor der Sitzung am 9.2.1996, ein weiteres ordentliches Mitglied bestellte, müßte zu diesem Zeitpunkt die Stimmenzahl Hessens im Bundesrat bereits der neuen Einwohnerzahl entsprochen haben. Das Recht, ordentliche Mitglieder zu bestellen, ist nämlich von der Anzahl der Stimmen des jeweiligen Landes abhängig. Nach Art. 51 Abs. 3 GG kann jedes Land nur so viele (ordentliche) Mitglieder entsenden, wie es Stimmen hat 4 2 4 . Durch den Bestellungsakt der Landesregierung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG, der nach herrschender Meinung in der Literatur konstitutive Wirkung besitzt 425 , wird die Mitgliedschaft im Bundesrat erworben. Aus der hier vertretenen Auffassung des Publikationserfordernisses für die 420
StenBer. BR, S. 1. S.o. S. 18; die Pressemitteilung erschien am gleichen Tag, an dem das Statistische Landesamt die neue Bevölkerungszahl festgestellt hatte. Möglich wurde dies dadurch, daß der Bundesrat bereits im Vorfeld des Stimmenzuwachses Hessens direkt den (telefonischen!) Kontakt mit dem Statistischen Landesamt in Wiesbaden aufgenommen hatte, da sich die Einwohnerzahl der Sechs-Millionen-Grenze näherte. 422 Von den Ländern und auch von der Bundesregierung wurde nach Auskunft der Bundesratsverwaltung aufgrund der politischen Bedeutung der gesamte Vorgang sowieso permanent beobachtet. 423 StenBer. BR, S. 1. 424 V. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 51 Anm. III 3. 425 Der Mitteilung an den Präsidenten des Bundesrates gem. § 1 GOBR und der Bekanntgabe im Plenum gem. § 23 Abs. 1 GOBR kommen dagegen nur deklaratorische Bedeutung zu (.Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn.41; vgl. auch Schäfer, Der Bundesrat, 1955, S.35; D. Blumenwitz, in: BK, Art.51 Rn. 10 (Zweitbearbeitung 1987); G. Robbers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art.51 Rn. 1; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 135 m.w.N). 421
1 2 2 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung Stimmenverteilung im Bundesrat 426 müßte also in folgender Reihenfolge vorgegangen werden: Erst nachdem die Veränderung der Stimmenzahlen veröffentlicht worden sind, um damit Wirksamkeit zu erlangen, können durch die Landesregierungen weitere ordentliche Bundesratsmitglieder bestellt werden. Unter dieser Prämisse müßte hier als Publikationsakt die vorangegangene Pressemitteilung vom 18.1.1996 herangezogen werden. Die Bekanntgabe im Plenum erfolgte nämlich erst nach der Bestellung durch die Hessische Staatsregierung. Eine anderweitige Veröffentlichung des Vorgangs durch den Bundesrat erfolgte in diesem zeitlichen Kontext nicht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht erscheint dies allerdings bedenklich, da es sich bei den Pressemitteilungen nicht um ein amtliches Publikationsorgan handelt. 2. Neugliederung des Bundesgebietes Ein ähnliches Bild informeller Vorgehensweise ergibt sich, wenn man die zweite Gruppe der Änderungen bei der Stimmenverteilung betrachtet: Nach der Neugliederung des Bundesgebietes im Südwesten 1952 begrüßte der Bundesratspräsident in der 84. Sitzung am 9.5.1952 die neuen Mitglieder im Plenum und teilte die durch das neue Bundesland veränderte Stimmenzahl im Bundesrat m i t 4 2 7 . Zu diesem Zeitpunkt waren die neuen Mitglieder bereits von der am 26.4.1952 ernannten vorläufigen Regierung des Südwestdeutschen Landes bestellt worden 428 . Ähnliches vollzog sich nach dem Beitritt des Saarlandes in der 170. Sitzung am 25.1.1957, in der der Bundesratspräsident die drei Mitglieder des Saarlandes begrüßte 429 . Auch hier wurden also die saarländischen Regierungsmitglieder bereits als Mitglieder des Bundesrates behandelt. Die Begrüßung der neuen Mitglieder stellte jeweils den Publikationsakt dar, indem die Plenumssitzungen des Bundesrates öffentlich stattfanden 430. Besondere, vorangegangene Veröffentlichungen des Bundesrates über die anstehenden Veränderungen gab es nicht.
426
S.o. S. 115 ff. StenBer. BR, S. 179. 428 StenBer. BR, S. 179. 429 StenBer. BR, S. 489 f. 430 Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG; vgl. Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 37 ff. 427
§ 5 Maßgebliches Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat
123
3. Veränderte Zusammensetzung im Anschluß an die Wiedervereinigung und die Neuregelung von Art. 51 Abs. 2 GG Als nach der deutschen Wiedervereinigung in der 621. Sitzung am 8.10.1990 erstmals die Landesbevollmächtigten431 der Länder Brandenburg, Mecklenburg·^Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen teilnahmen, wurde dies vom Bundesratspräsidenten im Plenum mitgeteilt 432 . Zusätzlich gab der Präsident des Bundesrates bekannt, daß vom Berliner Senat mit Wirkung vom 3.10.1990 ein weiteres ordentliches Mitglied des Bundesrates benannt worden sei 4 3 3 . Zu den Veränderungen der Stimmenverteilung aufgrund der Neuregelung in Art. 51 Abs. 2 G G 4 3 4 machte er keine Aussagen. Erst in der 622. Sitzung am 12.10.1990 kündigte der Bundesratspräsident an, daß sich die Zahl der Mitglieder, „wenn die Landtagswahlen übermorgen erfolgt sind, um 19 erhöhen" werde 435 . Man werde dann 68 Bundesratsmitglieder haben 436 . Woher die vier - im Vergleich zum Stand vor der deutschen Wiedervereinigung - weiteren Mitglieder, die nicht den Landesregierungen der neuen Länder angehörten, herkommen sollten, wurde nicht erwähnt, sondern als bekannt vorausgesetzt 437. Nachdem die Landesregierungen in den neuen Ländern ihr Amt übernommen hatten, wurde im Bundesrat in der 624. Sitzung am 9.11.1990 durch den Bundesratspräsidenten die Änderung der Zusammensetzung des Hauses bekanntgegeben438. Die Veröffentlichung der Veränderung der Stimmenzahlen der alten Länder und die Anzahl der Stimmen der hinzugekommenen Länder erfolgte im Plenum damit mittelbar und zudem unvollständig 439 durch die Begrüßung der neuen Mitglieder. 431
S.o. S. 30. StenBer. BR, S. 543. 433 StenBer. BR, S. 543; diese Bekanntmachung stand nicht in Verbindung mit einer Veränderung der Stimmenzahl Berlins, da diese auch nach der Neuregelung des Art. 51 Abs. 2 GG und dem Zusammenschluß von Ost- und West-Berlin gleich blieb. 434 Hierzu s.o. S. 30 ff. 435 StenBer. BR, S. 551. 436 StenBer. BR, S. 551. 437 Es handelte sich um die Mitglieder aus Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. 438 StenBer. BR, S. 617. 439 Für Brandenburg war zunächst nur der Ministerpräsident als Mitglied bestellt, so daß hieraus die auf Brandenburg entfallende Stimmenzahl nicht unmittelbar zu ersehen war; einige Länderregierungen bestellten zudem erst einige Zeit nach Herstellung der deutschen Einheit die ihnen rechtlich zustehenden weiteren ordentlichen Mitglieder: so BadenWürttemberg am 29.10.1990 und Niedersachsen am 23.10.1990 (StenBer. BR, S. 617ff. (653 f.)). Die den Ländern aufgrund der Stimmenzahl zustehende Höchstzahl der Mitglieder nicht voll auszuschöpfen wird überwiegend als zulässig angesehen (G. Robbers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 51 Rn.5; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 51 Rn. 18; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik 432
1 2 4 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung 4. Verfassungsrechtliche
Würdigung
Die genannten Vorgänge sind verfassungsrechtlich nicht unproblematisch: Die Begrüßung der hinzugekommenen Mitglieder und die Bekanntgabe der Veränderungen in der Zusammensetzung des Bundesrates setzen bereits die Mitgliedschaft der betroffenen Regierungsmitglieder voraus. Auf der anderen Seite wurden mangels vorangegangener Veröffentlichimg erstmals durch die Begrüßung durch den Bundesratspräsidenten von Seiten des Bundesrates aus die Veränderungen amtlich publiziert. Legte man nur die Bekanntgabe im Plenum als den maßgeblichen Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Stimmenveränderungen zugrunde, so wären die genannten Neubestellungen in den Jahren 1952, 1957, 1990 und 1996 zu früh und damit auf verfassungsrechtlich bedenklicher Basis erfolgt. Andererseits gingen sowohl den Neugliederungen des Bundesgebietes als auch der Neuregelung des Art. 51 Abs. 2 GG breite Diskussionen voraus 440 . Die Öffentlichkeit war also über die anstehenden Modifikationen informiert. Für den Stimmenzuwachs Hessens 1996 müßte dagegen auf die Pressemitteilung abgestellt werden. Die wiederholt informelle Staatspraxis im Bundesrat ist bislang - soweit ersichtlich - nicht kritisiert worden. Weder vom Bundesrat selbst noch von den Ländern wird sie in Frage gestellt. Die Staatspraxis kann zwar nicht die eindeutigen oder durch Auslegung ermittelten Anforderungen einer Verfassungsnorm verdrängen 441 . Doch kommt ihr in denjenigen Bereichen, die keine ausdrückliche Regelung gefunden haben und für die sich keine zwingenden Anforderungen aus höherrangigem Recht ergeben, rechtsbildende Kraft zu 4 4 2 . Eine besondere Form der Veröffentlichung bei Änderungen der Stimmenzahlen ist zwar verfassungsrechtlich nicht ableitbar 443 . Doch erscheint ein Vertrauen des Bundesrates auf die Kenntnis der Öffentlichkeit von derartige Vorgängen, wie dies anscheinend bei den Neugliederungen oder im Zusammenhang mit der deutschen Einheit vorausgesetzt worden ist, verfassungsrechtlich genauso
Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art.51 Rn.2; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art.51 Rn.4; a.A. T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art.51 Rn. 14 (Bearbeitung Maunz 1991/Scholz 1996); D. Blumenwitz, in: BK, Art.51 Rn. 10 (Zweitbearbeitung 1987)). Zwischenzeitlich wurden in Übereinstimmung mit der auch sonst üblichen Praxis alle Regierungsmitglieder der Länder zu ordentlichen oder stellvertretenden Mitgliedern der Länder bestellt, vgl. o. S. 25 Fn. 45. 440 Zur Bildung des Südweststaates vgl. den Nachweis o. S. 28 Fn. 58; zum Beitritt des Saarlandes vgl. den Nachweis o. S. 28 Fn. 60; die Kontroversen 1990 wurden u.a. in den Drucksachen des Bundesrates veröffentlicht, denen die zukünftigen Stimmenzahlen der neuen und alten Länder zu entnehmen waren. 441 BVerfG, DVB1. 1995, 96 (99). 442 BVerfG, DVB1. 1995, 96 (99). 443 S.o. S. 117.
§ 5 Maßgebliches Verfahren zur Anpassung der Stimmenzahlen im Bundesrat
125
bedenklich, wie eine Qualifizierung der Pressemitteilung als ein „quasi-amtliches" Publikationsorgan. Die Praxis des Bundesrates ist unter anderem wohl auf den besonderen Charakter des föderativen Organs zurückzufuhren, in dem in überwiegend sachlichem Klima zusammengearbeitet wird 4 4 4 . Im übrigen dürfte der Umstand, daß hier Vertreter der Länder mit ihrer Eigenstaatlichkeit und dem daraus abzuleitenden Bewußtsein aufeinander treffen, eine große Rolle spielen. Diese Gesichtspunkte vermögen die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Praxis des Bundesrates jedoch nicht zu zerstreuen. Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, daß es sich bei der Praxis des Bundesrates um einen eindeutigen Verfassungsverstoß handelt, so wäre auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Nichtigkeit der bisherigen Beschlüsse des Bundesrates dennoch nicht zwingend. Das Gericht sieht nur bei inhaltlichen Fehlern die Nichtigkeit der Entscheidung als regelmäßige Folge an; dagegen soll ein Verfahrensfehler nur dann zur Nichtigkeit fuhren, wenn er evident ist 4 4 5 . Neben diesem Gesichtspunkt ist für das Bundesverfassungsgericht bei ähnlichen Konstellationen der Gedanke der Rechtssicherheit tragend. So soll ein Zustand vermieden werden, der mit der Verfassungsordnung noch weniger in Einklang stünde als die Hinnahme der verfassungswidrigen Staatspraxis 446. Dies müßte aber angenommen werden, würde man die Beschlüsse des Bundesrates in der Vergangenheit aufgrund einer fehlerhaften Bestellung seiner Mitglieder ernsthaft in Frage stellen. Für die zukünftige Praxis ist zu fordern, daß der Bundesrat den Geboten des Grundgesetzes nach Transparenz gerechter werden muß. So würde das Verfahren durchschaubarer und nachvollziehbarer, wenn eine Änderung der Stimmenzahlen amtlich in einem geeigneten Verkündungsorgan bekanntgemacht würde. Die Öffentlichkeit würde bereits zu einem frühen Zeitpunkt hergestellt. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß die Stenographischen Berichte des Bundesrates keinen besonders großen Verbreitungsgrad haben. Gegenüber dem Bundesgesetzblatt besteht ein klares Defizit. Letzteres wird in großen Auflagen erstellt 447 und ist vielerorts zugänglich. Obendrein ist es als Publikationsorgan für die inneren Angelegenheiten des Bundesrates gerade vorgesehen 448. Es wäre deshalb auf dem Weg zu einem „Mehr" an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
444
Dieses besondere Klima wird immer wieder hervorgehoben; vgl. H Her les, Der Stil von Bundesrat und Bundestag, in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, 1989, S. 231 ff. 445 BVerfG, DVB1. 1995, 96 (100). 446 BVerfG, DVB1. 1995, 96 (100). 447 Nach Auskunft der Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft m.b.H. werden zur Zeit vom Bundesgesetzblatt Teil I jeweils 53.000 Exemplare und vom Bundesgesetzblatt Teil II 9.000 Exemplare gedruckt. 448 S.o. S. 115.
1 2 6 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung durch Transparenz sinnvoll, eine Veränderung der Stimmenzahlen im Bundesrat im Bundesgesetzblatt zu publizieren. Hieran anschließend könnten die Landesregierungen gegebenenfalls die ordentlichen Mitglieder bestellen bzw. abberufen, wenn die Stimmenzahl gesunken ist. Als Alternative für zukünftige Fälle wäre für die Einhaltung der verfassungsrechtlich gebotenen Reihenfolge von Veröffentlichungs- und Bestellungsakt auch denkbar, letzteren etwa aufschiebend bedingt an die Bekanntgabe der Änderung der Stimmenverteilung im Bundesrat durch dessen Präsidenten zu knüpfen. Hierdurch würden die aufgezeigten Probleme vermieden.
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung Wie erörtert, ist der Einwohnerbegriff in Art. 51 Abs. 2 GG auf Ausgestaltung angelegt. Es fehlt an ausdrücklichen Normierungen im Grundgesetz zur Ermittlung der Einwohnerzahlen und der Anpassimg der Stimmenzahlen im Bundesrat an zwischenzeitlich veränderte Einwohnerzahlen. Im Verlauf der Untersuchung hat sich gezeigt, daß sich die derzeitige Praxis bei der Ermittlung der Einwohnerzahlen allein an den Regelungen des § 27 GOBR orientiert und auf die Regelungen der Statistik oder des Melderechts zurückgreift. Bei § 27 GOBR besteht jedoch einerseits das Problem der Verbindlichkeit der Regelung, da - wie in der Praxis schon geschehen - ein Abweichen durch Beschluß des Bundesrates nach § 48 GOBR möglich ist. Die Frage, welche Einwohnerzahl maßgeblich ist, wird damit disponibel. Andererseits fehlt es im Bereich der Statistik an einer abschließenden, verbindlichen Regelung des maßgeblichen Einwohnerbegriffs. Zwar wurde das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen in Volkszählungsgesetzen und dem Gesetz zur Bevölkerungsfortschreibung normiert. Doch wurde der für die Statistik so wichtige Einwohnerbegriff in den gesetzlichen Regelungen ausgelassen. Die Praxis hat durch den Wechsel des statistischen Einwohnerbegriffs 1983 belegt, wie wenig verbindlich die statistische Definition des Einwohners ist, obwohl sie über den Bundesrat hinaus in zahlreichen Rechtsvorschriften bedeutsam ist 4 4 9 . Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, daß zumindest in der Bevölkerungsfortschreibung ein normativer Rückgriff auf melderechtliche Vorschriften genommen wird 4 5 0 . Für die Volkszählungen, die die Einwohner unabhängig von der Meldung der Hauptwohnung registrieren, gilt dies aber so nicht. Und schließlich fällt auf, daß mangels Normierung des Verfahrens zur Anpassung der Stimmenzahl im Bundesrat zahlreiche Probleme aufgeworfen werden. 449 Etwa in den Gemeindeordnungen, im Finanzausgleichsgesetz, im Kommunalwahlrecht oder in Besoldungsregelungen von Beamten. 450 S.o. S. 98 ff.
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
127
Angesichts der Tragweite der Einwohnerzahl für die Stimmenverteilung im Bundesrat und der hiervon abhängigen Kompetenzwahrnehmung eines Verfassungsorganes ist zweifelhaft, ob eine Geschäftsordnungsvorschrift wie der § 27 GOBR als normatives Fundament ausreichen kann. Vielmehr könnte der Gesetzgeber bestehend aus Bundesrat und Bundestag 451 aus verfassungsrechtlichen Gründen hinsichtlich der hier aufgeworfenen Fragen dazu verpflichtet sein, zu den angeschnittenen Bereichen ein formelles Gesetz zu erlassen.
I. Aussagen des Grundgesetzes Wann der Gesetzgeber eine Regelung in einem formellen Gesetz zu erlassen hat, ergibt sich aus den speziellen Regelungen des Grundgesetzes sowie den vom Bundesverfassungsgericht und von der Literatur entwickelten Grundsätzen. 1. Institutionell-organisatorischer
Gesetzesvorbehalt
Die Regelungskompetenz des Gesetzgebers folgt zunächst aus den Gesetzesvorbehalten des Grundgesetzes. Die sog. institutionell-organisatorische Gesetzesvorbehalte betreffen unter anderem die Ausgestaltung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Institutionen sowie die Bildung, Verfahrensweise und Verfassung von Staatsorganen (z.B. Art. 54 Abs. 7, 94 Abs. 2, 95 Abs. 3 S. 2 GG) 4 5 2 . Den Bundesrat betreffend ist gleichwohl keine derartige Ermächtigung in einem der speziellen Vorbehalte 453 des Grundgesetzes vorgesehen. 2. Wesentlichkeitstheorie Immerhin könnte sich aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der aufgeworfenen Fragen ergeben. Die genannten Prinzipien werden vom Bundesverfassungsgericht 454 und der Literatur 455 als Ausgangspunkt für die sog. Wesentlichkeitstheorie angeführt, 451 Zur Beteiligung des Bundesrates an der Gesetzgebung s.o. S. 21 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 V Rn.42 (Bearbeitung 1980) bezeichnet Bundestag und Bundesrat als Organe der Gesetzgebung „zur gesamten Hand". 452 Vgl. zur Typologie der Gesetzesvorbehalte: F. Ossenbühl, in: HStR, Bd. III, 1988, § 62 Rn. 26 ff. 453 Das Grundgesetz kennt keinen allgemeinen organisatorisch-institutionellen Gesetzesvorbehalt wie z.B. Art. 77 Abs. 1 BayVerf. 454 Vgl. BVerfGE 34,165 (192 f.); 45,400 (417 f.); 47,46 (78 f.); 58, 257 (269). 455 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 574 f. m.w.N.; Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn. 293 ff.; a.A. hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Begründung, aber mit dem gleichen Ergebnis Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 237 ff.
1 2 8 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung nach der die wesentlichen Entscheidungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst anzuordnen seien. Zur Bestimmung der „Wesentlichkeit" 456 einer Materie werden zwei Kriterien herangezogen, nämlich die Grundrechtsrelevanz und die Bedeutung der jeweiligen Angelegenheit für das Gemeinwesen. a) Grundrechtsrelevanz Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 457 und der Literat u r 4 5 8 ist eine Materie auf der Grundlage des Kriteriums der Grundrechtsrelevanz dann wesentlich, wenn staatliches Handeln intensiv im Grundrechtsbereich wirkt, den einzelnen also durchgreifend in seiner Grundrechtsausübung betrifft 459 . Charakteristisch für diese Grundrechtswesentlichkeit ist der Zuschnitt auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger 460 . b) Grundrechtsunabhängiges Wesentlichkeitskriterium Neben der Grundrechtsrelevanz wird als weiteres Kriterium zur Bestimmung der Wesentlichkeit ein allgemeiner, an der Bedeutung der Sache selbst für das Gemeinwesen orientierter Gesetzesvorbehalt unterschieden 461. Dazu werden die Begründungen des Bundesverfassungsgerichts angeführt, das in seiner Rechtsprechung die Grundrechtsrelevanz durch Zusätze wie „zumal", „ i n erster Linie", „insbesondere 4*462 oder „vor allem" 4 6 3 nur als einen wichtigen Gesichts-
456 Zur Kritik an der Unbestimmheit und Trennschärfe dieses Kriteriums vgl. BVerfGE 47, 46 (79); M. Kloepfer, JZ 1984, 685 (692 f.); W. Krebs, Jura 1979, 304 (308 f.); eine ausführliche Darstellung der Kritik findet sich aus neuerer Zeit bei Kopke, Rechtschreibreform und Verfassungsrecht, 1995, S. 164 ff., mit dem Ergebnis, daß die Wesentlichkeitsdoktrin heute aufgrund der weitgehenden Zustimmung der Literatur zu der Rechtsprechung des BVerfG als gesichert angesehen werden dürfe (Kopke, Rechtschreibreform und Verfassungsrecht, 1995, S. 177 m.w.N.). 457 Vgl. etwa BVerfGE 34, 165 (192 f.); 47, 46 (79); 57, 295 (320 f.); 80, 124 (132); 83 130 (142) m.w.N.; 84, 212 (226); 91, 148 (162). 458 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 238 ff.; vgl. auch die zahlreichen Nachweise bei M. Kloepfer, Wesentlichkeitstheorie als Begründung oder Grenze des Gesetzesvorbehalts, in: Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 187 ff. (189 Fn. 9). 459 BVerfGE 49, 89 (126 f.); Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn. 294. 460 BVerfGE 84, 212 (226). 461 F. Hufen, NJW 1991,1321 (1324); Schulte, Staat und Stiftung, 1989, S. 69; Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung des institutionellen Gesetzesvorbehalts, 1991, S. 215 f.; E. Baader, JZ 1992, 394 (395); H Bauer, DÖV 1983, 53 (55); E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Bd. I, 1987, § 24 Rn. 64 f. 462 BVerfGE 49, 89 (126 f.). 463 BVerfGE 80, 124 (132).
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
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punkt 4 6 4 für die Bestimmung von Wesentlichkeitsmerkmalen genannt habe 465 . Es wird deshalb angenommen, daß die politisch bedeutsamen Entscheidungen ohne Rücksicht auf ihren Regelungsgegenstand vom Parlament getroffen werden müssen 466 . Dies ist jedoch nicht unbestritten. So wird zum Teil ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt für wesentliche Fragen in Zweifel gezogen 467 . Nur im Rahmen der einschlägigen, speziellen Regelungen des Grundgesetzes, nicht aber isoliert, könne die Wesentlichkeitstheorie angewandt werden, so daß ein allgemeiner Parlamentsvorbehalt nicht existiere 468 . Es lassen sich indes gewichtige Gründe für eine Ausweitung des Gesetzesvorbehalts auf bestimmte, nicht grundrechtsrelevante Entscheidungen anführen. Angesichts der dogmatischen Wurzel der Wesentlichkeitstheorie in Rechtsstaats- und Demokratieprinzip wäre es inkonsequent, das Wesentlichkeitskriterium auf den ebenfalls nur schwer faßbaren Begriff der Grundrechtsrelevanz zu beschränken. Es ist nicht einzusehen, weshalb ein staatliches Handeln, das zwar die Grundrechte betrifft, jedoch unter Umständen nur relativ geringfügige Auswirkungen für den Bürger hat, durch den Gesetzgeber geregelt werden soll, während weitreichende Entscheidungen mit nur mittelbarer, aber sehr viel intensiverer Wirkung für den Einzelnen, nicht dem Gesetzesvorbehalt unterliegen sollen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Gesetzgeber auch außerhalb der grundgrechtsrelevanten Bereiche verpflichtet ist, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen 469 . Welche Entscheidungen so bedeutsam sind, daß sie vom Gesetzgeber getroffen werden müssen, hat das Bundesverfassungsgericht bislang - soweit ersichtlich - nicht konkretisiert. In der Literatur 470 werden Kriterien wie die Bedeut-
464
BVerfGE 47, 46 (79). Vgl. ebenfalls BVerfGE 40, 237 (249 f.); 77, 170 (230 f.); aus neuerer Zeit vgl. BVerfGE 90, 286 (381 ff.) zum Parlamentsvorbehalt beim Einsatz deutscher Streitkräfte, ohne dabei jedoch die Wesentlichkeitstheorie zu erwähnen; zu diesem Aspekt auch: N. Riedel, DÖV 1993, 994 (998); J. Kokott, DVB1. 1996, 937 (939). 466 F. Ossenbühl, in: HStR, Bd. III, 1988, § 62 Rn. 34. 467 Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 20 Rn. 35a. 468 Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 20 Rn. 35a. 469 Vgl. Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung des institutionellen Gesetzesvorbehalts, 1991, S. 51 ff. m.w.N. 470 Vgl. auch H. H. v. Arnim, DVB1. 1987, 1241 ff.; D. C Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, in: Zeidler/Maunz/Roellecke (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Faller, 1984, S. 111 ff. 465
9 Deecke
1 3 0 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung samkeit für das Gemeinwesen 471 , Langfristigkeit der Folgen 472 und Auswirkungsvielfalt 473 genannt. Daneben wird die politische Kontroverse als Merkmal der Wesentlichkeit angeführt 474 . Aufgrund der Schwierigkeit, festzustellen, wann eine bloße Diskussion über eine Frage in eine politische Kontroverse von dieser Bedeutung übergeht, kann dem Kriterium aber allenfalls indizierende Wirkung beigemessen werden 475 . Ebenso kann die Größe des Adressatenkreises bzw. der Umfang des Kreises der betroffenen Personen ein Indiz für die Wesentlichkeit sein 4 7 6 . Und schließlich ist primär der Gesetzgeber dazu berufen, die partielle Offenheit des Grundgesetzes zu konkretisieren 477 . Wenn also eine grundgesetzliche Regelung vorliegt, die offen, unvollständig und nicht abschließend ist, so indiziert dies die Geltung des Parlamentsvorbehalts 478. Das Kriterium der Wesentlichkeit stellt andererseits keinen Auslegungsgrundsatz dar, der die konkrete Kompetenzordnung überspielt 479 . Eine Materie kann infolgedessen dann nicht dem Kompetenzbereich der Legislative zugeordnet werden, wenn das Grundgesetz selbst eine anderweitige Kompetenzzuweisung vorsieht 480 . 3. Geschäftsordnungsautonomie
des Bundesrates
Eine solche Zuweisung könnte die Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates nach Art. 52 Abs. 3 S. 2 GG sein. Es ist Klarheit zu schaffen, ob die angesprochenen Punkte in den Bereich des Selbstorganisationsrechts des Bundesrates gehören und deshalb der Gesetzgebung entzogen sind. Dabei ist die weitere Besonderheit zu berücksichtigen, daß es sich beim Bundesrat selbst um ein Gesetzgebungsorgan handelt 481 . Die Abgrenzung bezieht sich somit nicht allein auf die Unterscheidung der Legislative von Exekutive oder Judikative. Vielmehr sind die oben genannten Kriterien für die Bestimmung der Wesentlichkeit unter diesem besonderen Aspekt zu würdigen. 471
F. Hufen, NJW 1991, 1321 (1324); Magiern, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 182 ff.; H.-W. Rengeling, NJW 1978, 2217 (2219); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 169 ff., der den Grundsatz der Proportionalität zwischen der Erzeugung einer Regelung im formellen Gesetzgebungsverfahren und deren Wichtigkeit hervorhebt. 472 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 252. 473 F. Hufen, NJW 1991, 1321 (1324). 474 G. Kisker, NJW 1977, 1313 (1318). 475 C.-E. Eberle, DÖV 1984,485 (487). 476 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 251. 477 BVerfGE 33, 125 (159); A. Bleckmann, DÖV 1983, 129 (133). 478 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 261. 479 BVerfGE 49, 89 (126); 68, 1 (108 f.). 480 BVerfGE 68,1 (109). 481 S.o. S. 21 ff.
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Eine Lösung für das Spannungsverhältnis zwischen dem Gesetzesvorbehalt im Verständnis der Wesentlichkeitstheorie und der Geschäftsordnungsautonomie könnte aus deren Rechtsnatur, ihrem Verhältnis zu anderen Rechtsquellen sowie aus dem durch die Geschäftsordnungsautonomie zugewiesenen Regelungsbereich folgen. a) Rechtsnatur und Verbindlichkeit der Geschäftsordnung Die rechtliche Qualifizierung von Parlamentsgeschäftsordnungen 482 ist bis heute umstritten 483 . Man wird aber mit der wohl herrschenden Meinung 4 8 4 in der Geschäftsordnung des Bundesrates eine autonome Satzung 485 sehen können. Darin kommt der wesentliche Punkt zum Ausdruck, daß der Bundesrat sich als Organ zur Regelung der inneren Angelegenheiten ein autonomes Recht gibt 4 8 6 . Als „organinternes" Recht bindet das Geschäftsordnungsrecht die ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates 487, die Beauftragten der Landesregierungen nach Art. 52 Abs. 4 GG sowie alle Mitglieder der Ausschüsse und sonstigen Unterorgane verbindlich 488 . Die Geltungsdauer der Ge-
482
Aufgrund ihrer Ähnlichkeiten dürfen die Geschäftsordnungen von Bundestag und Bundesrat insoweit gleich behandelt werden (v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 52 Anm. VI l.a); Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 33 m.w.N.). 483 Vgl. zu den verschiedenen Theorien allgemein: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 39 ff; aus neuerer Zeit: Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994; speziell zum Bundesrat: Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 35 ff., sowie die Nachweise bei Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 29. 484 W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 52 Rn. 8; Schäfer, Der Bundesrat, S. 42; T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 12 (Bearbeitung Maunz 1961/Scholz 1996); D. Blumenwitz, in: BK, Art. 52 Rn. 2 (Zweitbearbeitung 1987); v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl., 1964, Art. 52 Rn. VI l.a); für die Geschäftsordnung des Bundestages vgl. BVerfGE 1, 144 (148). 485 Der Begriff autonome Satzung wird immer wieder in Frage gestellt, da der Satzungscharakter den Selbstverwaltungskörperschaften vorbehalten sei (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 82 f.; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., 1995, Art. 52 Rn. 8); mit einer anderen Terminologie deshalb etwa Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 122 („Verfassungssatzung") oder Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 52 Fn. 60 („Innenrechtsnorm des Bundesrats"). 486 Vgl. Schäfer, Der Bundesrat, 1955, S. 42. 487 S.o. S. 25 Fn. 44. 488 D. Blumenwitz, in: BK, Art. 52 Rn. 3 (Zweitbearbeitung 1987); T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 14 (Bearbeitung Maunz 1961/Scholz 1996).
1 3 2 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung schäftsordnung ist zeitlich unbegrenzt, da der Fortbestand des Bundesrates nicht vom Ablauf von Legislaturperioden oder Amtszeiten abhängt. b) Verhältnis der Geschäftsordnung zu anderen Rechtsquellen In der Normenhierarchie steht die Geschäftsordnung unter dem Grundgesetz und den formellen Gesetzen489. Dieses Rangverhältnis hat jedoch nicht zur Folge, daß die Geschäftsordnungsregeln automatisch hinter jedes formelle Gesetz zurücktreten 490 . Das Grundgesetz ist durch eine organisatorische Gewaltenteilung geprägt, die grundsätzlich kein Hinübergreifen des Bundestages in den Kompetenzbereich des Bundesrates zuläßt 491 . Beide Verfassungsorgane sind funktional voneinander unabhängig 492 . Eine Gesetzesbestimmung, die sich auf den Regelungsbereich der Geschäftsordnung beziehen würde, wäre deshalb verfassungswidrig. Die Geschäftsordnungsermächtigung ist nicht lediglich eine subsidiäre Regelungskompetenz im Rahmen der Gesetze, sondern eine verfassungsunmittelbare Sachkompetenz493. Damit ist erneut der hier besonders interessierende Punkt der Reichweite des Selbstorganisationsrechts des Bundesrates angesprochen. c) Reichweite des Selbstorganisationsrechtes Zur Bestimmung der materiellen Grenzen der Geschäftsordnungsangelegenheiten kann aufgrund der insoweit bestehenden Vergleichbarkeit von Bundesrat und Bundestag 494 auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die für letzteren entwickelt wurden 495 . Zu den in den Geschäftsordnungen regelbaren Materien gehören danach der Geschäftsgang, die innere Organisation und die zur Gewährleistung beider
489
D. Blumenwitz, in: BK, Art. 52 Rn. 3; T. Maunz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 13; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 2,3. Aufl., 1995, Art. 52 Rn. 8 m.w.N.; a.A. Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 65 ff., da ein gegen die Geschäftsordnungsautonomie verstoßendes Gesetz nichtig wäre, so daß es zu keinen Kollisionsmöglichkeiten kommen könne. 490 G. Theodossis, JöR n.F. 44 (1996), 155 (162). 491 Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 67. 492 Sondervotum des Richters Böckenförde zu BVerfG NJW 1986, 907 ff., in: NJW 1986,913 (914). 493 Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 67; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 33. 494 S.o. S. 131 Fn. 482. 495 Zur weitgehenden inhaltlichen Entsprechung der Autonomie von Bundestag und Bundesrat vgl. auch T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 2 (Bearbeitung Maunz 1961/Scholz 1996).
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
133
erforderlichen Maßnahmen der Disziplin 4 9 6 . Die Geschäftsordnungen sollen die geordnete Funktionserfüllung im Staats- und Verfassungsleben sichern und das Verfahren für die Abwicklung der Geschäfte regeln 497 . Die Geschäftsordnungsautonomie garantiert somit das Recht des Organs, sich im Rahmen des Grundgesetzes selbst zu organisieren und zu verwalten 498 . Konkret umfaßt dies zum Beispiel die selbständige Bestellung der Unterorgane (Art. 52 Abs. 1 und 4 GG), die Bestimmung von Sitzungszeit und Sitzungsort (Art. 52 Abs. 2 GG) und die Regelung des vom Bundesrat zu beobachtenden Verfahrens 499 . Außerdem sind hierzu die Ordnungsgewalt des Vorsitzenden sowie Vorschriften über die Auslegung und Änderung der Geschäftsordnung zu zählen 500 . Die Geschäftsordnungsautonomie bezieht sich somit primär auf die inneren Angelegenheiten des jeweiligen Organs. Sie betrifft Außenstehende nur dann, soweit sie etwa den Disziplinarregeln der Geschäftsordnung unterliegen oder wenn sie in das Verfahren eingebunden sind und die Regelungen der Geschäftsordnung mit inhaltsgleichen Grundgesetznormen oder formellen Gesetzen im Einklang stehen 501 . Bei der Bestimmung der Regelungsmaterien, die der Geschäftsordnungsautonomie zuzurechnen sind, können ergänzend historische Gesichtspunkte von Bedeutung sein. So sprechen vergleichsweise beim Bundestag sowohl die Kontinuität des verfassungsrechtlichen Status als auch erne weitgehende Übereinstimmung des Wortlautes des grundgesetzlichen Zugeständnisses der Geschäftsordnungsautonomie (hier Art. 40 Abs. 1 GG) mit den einschlägigen früheren Regelungen in der Verfassimg des Deutschen Reichs von 1871 und der Weimarer Reichsverfassung dafür, daß diejenigen Regelungsgegenstände, die herkömmlich als autonome Geschäftsordnungsangelegenheiten gelten, prinzipiell auch vom Grundgesetz diesem Bereich zugewiesen werden 502 . Zur Entscheidung darüber, welcher Regeln es zu seiner Selbstorganisation und zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bedarf, ist dem mit Geschäftsordnungsautonomie ausgestatteten Organ ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt 503 .
496 BVerfGE 80, 188 (218 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 83; L. Kißler, JöRn.F. 26 (1977), 39 (44). 497 BVerfGE 1, 144(148). 498 Vgl. hierzu Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 64 ff; T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 1 (Bearbeitung Maunz 1961/Scholz 1996). 499 T. Maunz/R. Scholz, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 52 Rn. 2 (Bearbeitung Maunz 1961/Scholz 1996). 500 Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 28. 501 Vgl. auch Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, Art. 52 Rn. 30. 502 BVerfGE 44, 308 (314). 503 BVerfGE 80, 188 (220).
1 3 4 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung A n Vorgaben für die weitere Untersuchung bleiben damit: Die Regelungsmaterie muß eine mit den genannten Kriterien zu bestimmende Bedeutung für das Gemeinwesen besitzen. Da allerdings das Kriterium der Wesentlichkeit die konkrete Kompetenzordnung nicht überspielen darf, ist im Gegenzug zu fragen, ob die jeweilige Materie den Geschäftsgang des Bundesrates, dessen innere Organisation oder die zur Gewährleistung dieser beiden erforderlichen Maßnahmen der Disziplin betrifft.
I I . Verfassungsrechtliche Beurteilung der derzeitigen Rechtsform A n Hand der dargestellten Maßstäbe der Wesentlichkeitstheorie und der Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates sind die angesprochenen Problemkreise des maßgeblichen Einwohnerbegriffs, des Verfahrens zur Ermittlung der Einwohnerzahlen und des Anpassungsverfahrens der Stimmenzahl innerhalb des Bundesrates zu messen. 1. Der Einwohnerbegriff Durch die Bezugnahme in § 27 GOBR macht sich die Geschäftsordnung des Bundesrates den in der amtlichen Volkszählung und in der Bevölkerungsfortschreibung verwendeten Einwohnerbegriff mittelbar zu eigen. a) Wesentlichkeit der Materie Unter dem Aspekt der Grundrechtsrelevanz läßt sich die Wesentlichkeit des Einwohnerbegriffs freilich nur schwer bejahen, da durch ihn die Grundrechte der Bürger nicht unmittelbar tangiert werden. Allenfalls aus der Mitwirkung des Bundesrates in Gesetzgebung oder Verwaltung könnte eine mittelbare Beeinträchtigung der Grundrechte herzuleiten sein, wenn ein Rechtsakt in die Grundrechte der Bürger eingreifen würde. Die Regelung des Einwohnerbegriffs in Art. 51 Abs. 2 GG betrifft jedoch nicht das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, so wie es für die Anerkennung der Grundrechtswesentlichkeit 504 erforderlich wäre. Es wird dem Bürger weiterhin nichts ge- oder verboten, so daß es auch an einer intensiven Berührung der Grundrechtsausübung fehlt. Naheliegender erscheint deshalb der Ansatz, die Wesentlichkeit des Einwohnerbegriffs an dessen Bedeutung für das Gemeinwesen festzumachen. Sein Sinngehalt ist wichtig für die Stimmenverteilung im Bundesrat und damit für die Willensbildung innerhalb des Organs. Seine Entscheidungen sind schon deshalb aus 504
S. 128.
BVerfGE 84, 212 (226); Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn.294; s.o.
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
135
funktionalen Gesichtspunkten von besonderem Gewicht für das Gemeinwesen. Dies wird durch die zwischenzeitliche Entwicklung in der Gesetzgebung unterstrichen, nach der der Bundesrat in über 50% der Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Zustimmungsbedürftigkeit der Gesetze gleichberechtigt neben dem Bundestag steht 505 . Von der Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte ist überdies ein großer Adressatenkreis betroffen. Zum Teil äußert sich diese Betroffenheit nur mittelbar, da noch andere Organe wie etwa der Bundestag oder die Bundesregierung beteiligt sind. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß eine Vielzahl von Personen von den Gesetzen und Verordnungen betroffen sind, auf die der Bundesrat Einfluß nimmt. Die Entscheidungen des Bundesrates entfalten dabei häufig, je nach Gegenstand der Mitwirkung, langfristige Folgen. Ein weiteres wichtiges Indiz für die Wesentlichkeit der Materie ist, daß es sich um die inhaltliche Ausgestaltung eines partiell offenen Begriffs des Grundgesetzes handelt, zu dessen abschließender Konkretisierung primär der Gesetzgeber berufen ist 5 0 6 . Unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeit der Materie wäre deshalb der Gesetzgeber zuständig, den Einwohnerbegriff in einem formellen Gesetz zu definieren. b) Geschäftsordnungsautonomie Durch die mit dem Einwohnerbegriff verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Folgen werden nicht nur die Mitglieder des Bundesrates oder sonstige vom personellen Geltungsbereich der Geschäftsordnung umfaßte Personen 507 betroffen; überdies werden hiervon die Länder als Rechtssubjekte tangiert. Sie sind es, denen die Mitwirkungsrechte auf Bundesebene nach Art. 50 GG zustehen. Der Umfang der jeweiligen Teilhaberechte ist vom Einwohnerbegriff abhängig. Es geht deshalb nicht mehr allein um eine Frage der inneren Organisation des Bundesrates, sondern um die Partizipation der Länder im Bundesstaat. Der Bereich der Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates wird mit der Festlegung des Einwohnerbegriffs folglich überschritten. Da der Gesetzgeber selbst an das Grundgesetz gebunden ist und sich nur innerhalb einer verfassungsrechtlich zulässigen Auslegung bewegen darf, steht nicht zu befürchten, daß die Funktionen und die Struktur des Bundesrates als föderatives Organ durch das unitarische Organ Bundestag ausgehöhlt werden. Eine Regelung, die die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Auslegung des Einwohnerbegriffs mißachten würde, wäre wegen Verstoßes gegen Art. 51 Abs. 2 GG verfassungswidrig. 505
S.o. S. 22. 506 Allgemein zu den Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie zur Regelungsintensität vgl. etwa 2s. Baader, JZ 1992, 394 (399 ff.). 507 S.o. S. 131.
1 3 6 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung Vorstöße zu einer gesetzlichen Regelung des Einwohnerbegriffs hat es wenn auch nicht speziell auf den Bundesrat bezogen - bereits gegeben. So gab es Anregungen, das Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes zu novellieren und dort den Einwohnerbegriff festzuschreiben 508. Es wurden aber keine entsprechenden Regelungen erlassen. Allenfalls kann durch die Anknüpfung an das Melderecht nach § 4 dieses Gesetzes eine mittelbare gesetzliche Regelung angenommen werden, die aber letztlich doch von den Entscheidungen der Statistik über den maßgeblichen Einwohnerbegriff abhängig ist. Dadurch wird erneut deutlich, daß der teilweise offene Einwohnerbegriff des Art. 51 Abs. 2 GG durch den Gesetzgeber inhaltlich ausgefüllt werden muß. Die jetzige Regelung durch Bezugnahme auf die amtliche Volkszählung und amtliche Bevölkerungsfortschreibung in § 27 GOBR ist grundgesetzwidrig, da sie nicht von der Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates gedeckt ist. Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers und nicht die der Länderparlamente folgt mangels eines ausdrücklichen Kompetenztitels aus der Natur der Sache 509 , da nur eine bundesweit einheitliche Regelung des Einwohnerbegriffs die Gewähr für eine dem Art. 51 Abs. 2 GG entsprechende Handhabung in der Praxis der Stimmenverteilung eines Verfassungsorgans des Bundes bietet. c) Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz Als gesetzliche Regelungsalternativen kommen ein Einspruchs- oder ein Zustimmungsgesetz in Frage. Grundsätzlich sind die Fälle der Zustimmungsgesetze enumerativ im Grundgesetz genannt 510 . Der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, daß ein Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedürfe, wenn die Verfassung dies ausdrücklich bestimme oder „dahin zu interpretieren" sei 5 1 1 , ist keine Lockerung des Enumerationsprinzips zu entnehmen. In späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht nur in den im Grundgesetz ausdrücklich aufge508
(7).
H. Kollmar/J.
Weiler, Statistische Monatshefte Rheinland Pfalz (Beilage) 9/1983, 3
509 Eine ungeschriebene Kompetenz kraft Natur der Sache liegt vor, wenn es sich um „eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten" handelt, die ihrer Natur nach vom Bund und nur vom Bund geregelt werden können (BVerfGE 11, 89 (99) unter Hinweis auf G. Anschütz: Die Reichsaufsicht, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1,1930, § 32 S. 367). 510 BVerfGE 1, 76 (79); 37, 363 (381); vgl. die Kataloge bei F. Ossenbühl, AöR 99 (1974), 369 (373 ff); E. Friesenhahn, Die Rechtsentwicklung hinsichtlich der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen und Verordnungen des Bundes, in: Bundesrat (Hrsg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S. 251 ff. (262 ff.). 511 BVerfGE 28, 66 (79).
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
137
führten Fällen eine Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz für erforderlich gehalten 512 . Danach würde es sich bei der hier zu regelnden Materie nur um ein Einspruchsgesetz handeln, da eine Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. In der Literatur wird jedoch teilweise eine Zustimmungsbedürftigkeit „kraft Natur der Sache" angenommen, wenn der Bundesrat durch ein Gesetz in seiner eigenen Organisationskompetenz berührt wird 5 1 3 . Für diese Auffassung spreche, daß das Grundgesetz an allen Stellen die Zustimmungsbedürftigkeit vorsehe, an denen es um eine Kooperation oberster Bundesorgane und die damit verbundene Aufgabe eigener Organisationskompetenzen gehe 514 . Durch eine gesetzliche Regelung des Einwohnerbegriffs würde nicht nur die Organisationskompetenz des Bundesrates berührt, sondern die rechtlichen Wirkungen würden auch weit darüber hinaus die Partizipation der Länder auf Bundesebene berühren. Insofern wären die Kriterien für eine Kompetenz „kraft Natur der Sache" gegeben. Allerdings fällt bei genauerer Betrachtung der Regelungen im Grundgesetz auf, daß nach deren Konzeption nicht immer eine Zustimmungsbedürftigkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung vorgesehen ist, wenn die Partizipation der Länder auf Bundesebene betroffen ist. So bedarf weder das Bundesgesetz nach Art. 54 Abs. 7 GG, das die Wahl des Bundespräsidenten 515 regelt, noch ein Bundesgesetz zur Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates. Im letztgenannten Fall sind die Länder nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 GG lediglich zu hören. Selbst bei existentiellen Angelegenheiten der Länder ist somit nach dem Grundgesetz nicht zwingend eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Das Grundgesetz ordnet eine Zustimmungsbedürftigkeit zwar häufig dann an, wenn der Interessenbereich der Länder besonders stark berührt wird 5 1 6 . Da allerdings die meisten Bundesgesetze in der einen oder anderen Weise Länderinteressen tangieren, kann hieraus kein allgemeines Kontrollrecht des Bundesrates abgeleitet werden 517 . Eine Zustimmungsbedürftigkeit „kraft Natur der Sache" ist deshalb in jedem Fall zu verneinen 518 . Gegen diese Lösung kann schließlich nicht die gegenüber Zustimmungsgesetzen verminderte Einflußnahmemöglichkeit des Bundesrates eingewandt
512
Vgl. insbesondere BVerfGE 37, 363 (381). F. Hufen, NJW 1991, 1321 (1326). 514 F. Hufen, NJW 1991, 1321 (1326). 515 S o S 80 516 BVerfGE 1, 76 (79); 37,363 (381); 48, 127 (179). 517 BVerfGE 37, 363 (381). 518 Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1995, Art. 77 Rn. 4. 513
1 3 8 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung werden. Die unterschiedlichen Mehrheitserfordernisse zur Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates durch den Bundestag gemäß Art. 77 Abs. 4 GG gewährleisten 519 , daß der Bundestag aufgrund der Definition des Einwohnerbegriffs und der Auswahl des statistischen Verfahrens keinen mittelbaren Einfluß auf die Stimmenverteilung im Bundesrat erhält. Weiterhin ist - wie bereits erwähnt - auch der Bundestag an den Wortlaut des Art. 51 Abs. 2 GG gebunden, so daß eine hiervon abweichende Regelung in einem Einspruchsgesetz grundgesetzlich verboten ist. Für die gesetzliche Normierung des Einwohnerbegriffs ist deshalb die Form des Einspruchsgesetzes ausreichend. 2. Verfahren
zur Ermittlung der Einwohnerzahlen
Die dargestellten Überlegungen zum Einwohnerbegriff könnten über diesen Bereich hinaus auf das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen durchschlagen, da dieses in der Praxis mit dem Einwohnerbegriff eng verbunden ist 5 2 0 . Andererseits handelt es sich bei dem Einwohnerbegriff um eine materielle Regelung, während sich das Ermittlungsverfahren nur auf den formellen Bereich mit der Entscheidung bezieht, welche der zur Verfügung stehenden statistischen Methoden (Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung) zur Anwendung kommen und welche den Vorrang haben soll. Damit verbunden ist der Vorteil der Verbindlichkeit der Regelung, die bei einer gesetzlichen Normierung weiter ginge als bei der jetzigen Vorschrift in der Geschäftsordnung des Bundesrates 521. a) Wesentlichkeit der Materie Die Entscheidung für ein bestimmtes Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen erhält ihre für das Gemeinwesen erhebliche Bedeutung dadurch, daß aufgrund der Unzulänglichkeiten der statistischen Methoden Abweichungen von der verfassungsrechtlichen Vorgabe, die Stimmenzahlen möglichst genau an den Einwohnerzahlen zu orientieren, unvermeidlich sind 5 2 2 . Von diesen Abweichungen sind letztlich die Stimmenzahlen im Bundesrat betroffen, so daß 519 Vgl. zu den in Art. 77 Abs. 4 GG vorgesehenen Anforderungen ausführlicher D. Wyduckel, DÖV 1989, 181 (186 f.), der darauf verweist, daß bei einer mißlungenen Zurückweisung des Einspruchs durch den Bundestag, das Veto des Bundesrates absolut werden kann und das betreffende Gesetzesvorhaben scheitert (D. Wyduckel, DÖV 1989, ( 187)). 520 S.o.S. 102 ff. 521 Zur Veranschaulichung sei nochmals auf die insoweit inkonsequente (D. Blumen witz, in: BK, Art. 51 Rn. 2 (Zweitbearbeitung 1987)) Praxis des Bundesrates hingewiesen; s.o. S. 107 f. 522 Zu den Faktoren der Ungenauigkeiten von Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung s.o. S. 103 ff.
§ 6 Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
139
die Wesentlichkeit des Verfahrens zur Ermittlung der Einwohnerzahlen aus den bereits zum Einwohnerbegriff ausgeführten Gründen 523 auf der Hand liegt. Die Bedeutung dieses Verfahrens wird noch offenkundiger, wenn man historisch und verfassungsvergleichende Betrachtungen anstellt. In der Weimarer Republik hielt man das Verfahren für derart wichtig, daß es sogar auf Verfassungsebene geregelt wurde. Nach Art. 61 Abs. 3 WRV waren für die Stimmenzahl im Reichsrat die allgemeinen Volkszählungen maßgeblich. Entsprechendes gilt noch heute für den österreichischen Bundesrat nach Art. 34 Abs. 3 B.-VG 5 2 4 . b) Geschäftsordnungsautonomie Auch hier ist indes nicht auszuschließen, daß dem Gesetzgeber die Regelungsbefugnis aufgrund der Geschäftsordnungsautonomie und des lediglich formellen Charakters der Frage entzogen ist. Da das Verfahren zur Ermittlung der Stimmenzahlen wie die Definition des Einwohnerbegriffs unmittelbare Auswirkungen für das Gewicht der Länder im Bundesrat haben, wäre es nur konsequent, auch insoweit die Reichweite der Geschäftsordnungsautonomie zu verneinen. Dagegen könnte jedoch die historische Entwicklung angeführt werden. In der Weimarer Reichsverfassung war die Volkszählung als das maßgebliche Verfahren festgelegt. Entsprechend bezog sich das Selbstorganisationsrecht des Reichsrates gemäß Art. 66 Abs. 2 WRV nur auf dessen Geschäftsgang. Im Grundgesetz ist zwar ein bestimmtes Verfahren nicht mehr vorgesehen, doch ist vom Wortlaut her das Recht des Bundesrates weiter, wenn es in Art. 52 Abs. 2 S. 2 GG heißt: „Er gibt sich eine Geschäftsordnung". Diese Regelung hat die knappe Formulierung in Art. 26 S. 2 WRV, nach der sich der Reichstag eine Geschäftsordnung geben konnte, zum Vorbild. Eine Beschränkung auf den reinen Geschäftsgang ist in der grundgesetzlichen Vorschrift nicht enthalten. Man könnte deshalb annehmen, daß mit dem Verzicht auf die Verfahrensregelung im Grundgesetz insoweit die Erweiterung der Geschäftsordnungsautonomie korrespondiert. Allerdings griffe diese Argumentation zu kurz, denn das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen wird letztlich nicht von dem Einwohnerbegriff zu trennen sein. Für die Ergebnisse der Volkszählung und der Bevölkerungsfortschreibung ist wesentlich, welcher Einwohnerbegriff zugrunde zu legen ist. Die Durchführung der statistischen Verfahren, die aufgenommenen Merkmale und deren Auswertung hängen von dem Einwohnerbegriff ab. Es ist deshalb konsequent, die Regelungsbefugnis für den Einwohnerbegriff und das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen in eine Hand zu geben. Zusätzlich 523 524
S.o. S. 134 f. S.o. S. 110 f.
1 4 0 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung spricht die mit der Verbindlichkeit eines Gesetzes verbundene Rechtssicherheit und -klarheit gegen eine Regelung im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates. Dieser hätte es andernfalls in der Hand, durch eine Einflußnahme auf das Verfahren die Stimmenverteilung und damit mittelbar die Stimmenverteilung und Besetzung des Organs zu steuern. Eine derartige Möglichkeit geht über den Bereich des Selbstorganisationsrechtes hinaus, da hiervon die Mitwirkungsrechte der Länder unmittelbar betroffen sind. Das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen muß deshalb gesetzlich durch den Gesetzgeber (in der Form des Einspruchsgesetzes 525) geregelt werden. Dabei bietet es sich an, die insoweit nur aus formellen Gründen defizitäre Regelung in § 27 GOBR in die Regelungsform des Gesetzes zu überfuhren. 3. Das Anpassungsverfahren
im Bundesrat
Schließlich ist die Frage nach der Rechtsform für die Regelung des Verfahrens innerhalb des Bundesrates zur Anpassung der Stimmenzahlen an die Einwohnerzahlen zu stellen. Zwar handelt es sich bei dieser Frage um einen wesentlichen Punkt für das Gemeinwesen, da wiederum die Rahmenbedingungen für die Beschlüsse eines Verfassungsorgans betroffen sind. Doch geht es hier um eine rein innerorganisatorische Frage des Bundesrates. Nach der Ermittlung der Einwohnerzahlen stehen die auf die Länder jeweils entfallenden Stimmenzahlen aufgrund des Verteilungsschlüssels in Art. 51 Abs. 2 GG fest und sind durch Einflußnahme auf das Verfahren nicht mehr variabel. Um die geordnete Erfüllung der Funktionen des Bundesrates zu gewährleisten, müssen nur noch rein interne Maßnahmen getroffen werden, damit die Länder das ihnen zustehende Stimmrecht wirksam ausüben können. Die hierzu erforderlichen Entscheidungen und Handlungen sind daher dem Selbstorganistationsrecht des Bundesrates zuzurechnen. Insoweit kann man gegenüber dem Reichsrat der Weimarer Reichsverfassung ein weitergehendes Autonomierecht des Bundesrates annehmen. In Art. 61 Abs. 3 WRV war vorgesehen, daß die Stimmenzahl im Reichsrat nach jeder allgemeinen Volkszählung neu festgesetzt wird. Damit schrieb die Verfassung einen besonderen Akt innerhalb des föderativen Organs vor, nämlich die neue Festsetzung. Hieran fehlt es im Grundgesetz, so daß die Materie, soweit sie die Anpassung der Stimmenzahlen an die Einwohnerzahlen betrifft, dem Selbstorganisationsrecht des Bundesrates zuzuschreiben ist.
525
Insoweit kommen die Überlegungen zur Regelung des Einwohnerbegriffs erneut zum Tragen, s.o. S. 136 f.
§ 7 Vorschläge zur Lösung des Problems
141
Der Gesetzgeber ist somit nicht berufen, für diesen Bereich eine gesetzliche Regelungen zu erlassen. Um allerdings einen höheren Grad an Rechtssicherheit und -klarheit zu gewinnen 526 , ist eine normative Ergänzung etwa der Geschäftsordnung des Bundesrates wünschenswert, mit der das Verfahren des Bundesrates formalisiert und damit transparenter wird. Dies betrifft insbesondere die Veröffentlichung der veränderten Stimmenzahlen 527 . 4. Verfassungswidrigkeit
der derzeitigen Rechtsform
Wegen der Tragweite des Einwohnerbegriffs und des Verfahrens zur Ermittlung der Einwohnerzahlen für die Stimmenverteilung im Bundesrat für das Gemeinwesen, handelt es sich bei diesen Fragen um wesentliche Materien im Sinne der Wesentlichkeitstheorie. Denn die Länder werden als Rechtssubjekte berührt, indem sowohl der Einwohnerbegriff als auch der verfahrensrechtliche Teil den Umfang der Teilhaberechte der Länder im Bundesrat bestimmen. Daraus resultiert eine Überschreitung der Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates. Der Gesetzgeber ist aus diesen Gründen zum Erlaß einer entsprechenden gesetzlichen Regelung aufgefordert und die jetzige Regelung in § 27 GOBR ist grundgesetzwidrig. Die Regelung könnte in einem Einspruchsgesetz zu erfolgen, da eine Zustimmungsbedürftigkeit im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Beeinträchtigungen der Struktur des Bundesrates und der Ausübung seiner Rechte sind dadurch nicht zu befürchten. Auch der Bundestag ist an den Wortlaut des Art. 51 Abs. 2 GG und die sonstigen grundgesetzlichen Direktiven gebunden. Dagegen ist der Gesetzgeber nicht gefordert, das Verfahren der Anpassung der Stimmenzahlen an veränderte Einwohnerzahlen gesetzlich zu regeln. Ein erhöhter Grad an Rechtssicherheit und -klarheit würde indes durch eine normative Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates erreicht, mit der das Verfahren formalisiert und damit transparenter gestaltet werden könnte.
§ 7 Vorschläge zur Lösung des Problems Zur Lösung der dargestellten Schwierigkeiten sind die Folgen der Verfassungswidrigkeit des § 27 GOBR und die Möglichkeiten einer normativen Ausgestaltung der betroffenen Materien zu analysieren.
526
Zu der bisherigen zwar nicht verfassungswidrigen, aber doch „informellen" Praxis
S.O.S. 120 ff. 527
S.o. S. 115 ff.
1 4 2 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung I. Vermeidung der Nichtigkeitsfolge Soweit es um die Ermittlung der Einwohnerzahlen geht, ist die derzeitige Regelung in § 27 GOBR nicht durch die Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates gedeckt 528 , so daß dieser ohne eine entsprechende Zuständigkeitsregelung gehandelt hat. Rechtsfolge der Fehlerhaftigkeit einer Satzung - zu der in der speziellen Form der autonomen Satzung die Geschäftsordnung des Bundesrates gehört 529 ist grundsätzlich deren Nichtigkeit 530 . Dabei bezieht das Bundesverfassungsgericht die in seine Zuständigkeit fallende Nichtigerklärung nur auf die angegriffene Bestimmung, wenn nicht das Regelwerk als Einheit insgesamt nichtig ist 5 3 1 . Letzteres ist etwa der Fall, wenn die verbleibenden Bestimmungen keine selbständige Bedeutung haben oder wenn die verfassungswidrige Vorschrift Teil einer Gesamtregelung ist, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus 532 . Da § 27 GOBR mit seiner Regelung über die Anzahl der Stimmen im Bundesrat innerhalb der sonstigen Geschäftsordnungsvorschriften eine isolierte Stellung hat, ist nur dieser allein betroffen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Nichtigkeitsfolge für § 27 GOBR auch dann zwingend ist, wenn man die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu den Rechtsfolgen bei Unvereinbarkeit einer Regelung mit höherrangigem Recht auf das vorliegende Problem anwenden könnte. 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Regelungsdefiziten Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit in zahlreichen Entscheidungen keine Nichtigkeit untergesetzlicher Normen angenommen, die eine eigentlich vom Gesetzesvorbehalt erfaßte Materie regelten, sondern lediglich die Unvereinbarkeit der Regelung mit dem Grundgesetz festgestellt 533 . Der 528
S.o. S. 134 ff. S.o. S. 131 f. 530 F. Ossenbühl, in: HStR, Bd. III, 1988, § 66 Rn. 61; vgl. entsprechend auch § 78 BVerfGG mit der Nichtigkeit als Regelfolge (Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, Rn. 1162). 531 BVerfGE 57, 295 (334 f.); 73, 118 (151). 532 BVerfGE 57, 295 (334); Degenhart, Staatsrecht I, 12. Aufl., 1996, Rn 524; vgl. entsprechend die Regelung in § 31 Abs. 2 BVerfGG, die neben der Nichtigkeits- ausdrücklich auch die Unvereinbarerklärung durch das BVerfG nennt. 533 BVerfGE 33,1 (12f.); 40,276 (283); 41,251 (266 f.); 51,235 (290f.); vgl. auch F. Ossenbühl, in: HStR, Bd. III, 1988, § 65 Rn. 42 f.; ders., NJW 1986,2805 (2806 ff.); Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 155 ff. m.w.N; H. Maurer, Be529
§ 7 Vorschläge zur Lösung des Problems
143
Unterschied zur Nichtigkeit der Regelung besteht darin, daß die verfassungswidrige Norm zunächst bestehen bleibt; der Bestand der Norm also nicht berührt wird 5 3 4 . Wesentlich für die Unvereinbarerklärung ist der Umstand, daß das Grundgesetz selbst nicht ausdrücklich anordnet, daß eine verfassungswidrige Norm nichtig ist. Außerdem wäre die automatische Nichtigkeit mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen Verfassungsgericht und Normgeber nur schwer zu vereinbaren 535 . Das Bundesverfassungsgericht konstatiert bei der bloßen Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz zunächst, daß die betroffene Materie vom Gesetzesvorbehalt erfaßt würde und dementsprechend die Regelung durch förmliches Gesetz erfolgen müßte 536 . Regelmäßig darf im Anschluß einer Unvereinbarerklärung durch das Bundesverfassungsgericht die betroffene Norm bis zur Neuregelung von staatlichen Stellen nicht mehr angewandt werden 537 . Das Gericht trägt aber häufig dem Umstand, daß nicht sofort ein derartiges Gesetz geschaffen werden kann, ausnahmsweise durch die Anordnung einer Übergangszeit Rechnung, in der die als grundgesetzwidrig erkannten Vorschrift weiterhin als geltendes Recht anwendbar ist 5 3 8 . Es soll dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer rechtsförmigen Regelung gegeben werden 539 . Diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, daß durch den Wegfall der Handlungsgrundlagen ein Zustand geschaffen würde, der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als der bis dahin bestehende540. Es soll insbesondere die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen hierdurch sichergestellt werden 541 . Dem Gesetzgeber werden dabei nicht selten Übergangsfristen gesetzt, innerhalb derer die notwendigen Änderungen durchgeführt werden müssen 542 . Für die Dauer standskraft für Satzungen?, in: Püttner (Hrsg.), Festschrift für Otto Bachof, 1984, S. 215 ff; krit.ggü.der Rspr. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., 1991, § 20 Rn. 121 ff. 534 Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, 3. Aufl., 1994, Rn. 389. 535 Vgl. BVerfGE 61, 319 (354 f.); 82, 126 (154 f.); Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, Rn. 1159 ff.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., 1991, §20 Rn. 16 f.; Hein, Die Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht, 1988, S. 92 ff. m.w.N.; Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, S. 107 ff.; ders., JZ 1983, 41 ff.; kritisch Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, 3. Aufl., 1994, Rn. 366 ff. 536 BVerfGE 33, 1 (12 f.); 33, 303 (345 f.); 79, 245 (250). 537 BVerfGE 37,217 (261); 73,40 (101) m.w.N.; 82,126 (155); Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991,Rn. 1188ff.;tf.//^er,NJW 1982,257 (258). 538 BVerfGE 33, 303 (305); 37, 217 (218); 61, 319 (321); 72, 330 (333); 73, 40 (42); 83 130 ' 5 3 9 BVerfGE 33, 1 (12 f.); 33, 303 (347); 41, 251 (267); 51, 268 (288 ff.); 58, 257 (280 f.), 79, 245 (250) m.w.N. 540 BVerfGE 33, 303 (347); 41, 251 (256 f.); 48, 29 (37 f.); 56, 155 (161 f.); 61, 319 (356); 79, 245 (251); H Heußner, NJW 1982, 257 (258 f.). 541 BVerfGE 41, 251 (267); 79, 245 (251). 542 BVerfGE 81, 363 (384).
1 4 4 2 . Teil: Verfassungsrechtliche Beurteilung der Stimmenerteilung derartiger Fristen können zwar keine allgemein gültigen Maßstäbe aufgestellt werden 543 , doch soll der Zeitrahmen nicht mehr angemessen sein, wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung schuldhaft verzögert 544 . 2. Die Konstellation bei den Regelungen des §27 GOBR Möglicherweise lassen sich die dargestellten Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts auf die Rechtslage, wie sie sich aus § 27 GOBR ergibt, übertragen. a) Notwendigkeit der Ermittlung der Einwohnerzahlen Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Notwendigkeit, die Einwohnerzahlen der Länder fortlaufend zu ermitteln. Andernfalls könnte es zu derartigen Veränderungen der Einwohnerzahlen kommen, daß die Stimmenzahlen der betroffenen Länder im Bundesrat nicht mehr den Anforderungen des Art. 51 Abs. 2 GG entsprächen. Hierdurch würden die Interessen der Länder beeinträchtigt, die ihnen nach dem Grundgesetz zustehende Partizipationsrechte auf Bundesebene angemessen wahrnehmen zu können. Die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Verfassungsorgans Bundesrat und damit die verfassungsmäßige Wahrnehmung seiner Funktionen würde letztlich in Frage gestellt 545 , wenn die Regelungen des § 27 GOBR ab sofort für unanwendbar erklärt würden. Es ist deshalb angemessen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der übergangsweisen Aufrechterhaltung auf die bestehende Rechtslage zu übertragen. b) Erforderlichkeit einer Übergangsfrist Im übrigen muß darauf Rücksicht genommen werden, daß der Gesetzgeber aller Voraussicht nach einige Zeit benötigen wird, um eine entsprechende Regelung in einem formellen Gesetz vorzunehmen. Angesichts der nicht besonders komplexen Regelungsmaterie dürfte der Zeitraum hierfür freilich nicht zu lang bemessen sein, wenn auch ein genauer Maßstab für die Dauer der Übergangsfrist hier nicht entwickelt werden kann.
543 BVerfGE 51,268 (290); eine Darstellung der unterschiedlichen Fristsetzungen des Bundesverfassungserichts findet sich in BVerfGE 86,369 (379), ohne daß aber daraus für das hier zu behandelnde Problem konkrete Kriterien abgeleitet werden könnten. 544 BVerfGE 40, 276 (283); zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine zu großzügige Gewährung von Übergangsfristen vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 156 f. 545 Beschlüsse, die bei einer grundgesetzwidrigen Stimmenverteilung zustande kämen, wären ihrerseits verfassungswidrig.
§ 7 Vorschläge zur Lösung des Problems
145
Es kommt somit nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen in Betracht, übergangsweise weiter die Regelungen in der Geschäftsordnung des Bundesrates für die Ermittlung der Einwohnerzahlen gemäß Art. 51 Abs. 2 GG hinzunehmen.
I I . Gesetzentwurf und Entwurf zur Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates Bei der Lösung des dargestellten Problems der Rechtsförmigkeit durch eine gesetzliche Normierung erscheint es zur Vermeidung größerer Brüche sowie aufgrund der materiellen Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Regelung in § 27 GOBR zweckmäßig, sich am Wortlaut dieser Vorschrift zu orientieren. Man könnte deshalb an ein Gesetz folgenden Inhalts denken: „Gesetz über die Ermittlung der Einwohnerzahlen als Grundlage für die Stimmenzahlen der Länder im Bundesrat § 1 Die Anzahl der Stimmen, die einem Land nach Artikel 51 Abs. 2 des Grundgesetzes zusteht, bemißt sich nach den Ergebnissen der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung, sofern nicht die Ergebnisse einer amtlichen Volkszählung vorliegen. § 2 Als Einwohner gelten nur die Personen, die in dem Land ihre alleinige Wohnung oder Hauptwohnung nach § 12 Abs. 2 Melderechtsrahmengesetz innehaben. § 3 Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft." Außerdem ist an eine Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates zu denken, mit der das Defizit der Publikation 546 beseitigt würde. An die Stelle des bisherigen § 27 GOBR und ergänzend im Hinblick auf den Akt der Bestellung bzw. Abberufung von Mitglieder des Bundesrates nach Veränderungen der Stimmenzahl eines Landes könnten folgende Regelungen aufgenommen werden: „§ 27 (1) Soweit sich aufgrund der Ermittlung der Einwohnerzahlen nach § 1 des Gesetzes über die Ermittlung der Einwohnerzahlen als Grundlage für die Stimmenzahlen der Länder im Bundesrat die Anzahl der Stimmen eines Landes nach Art. 51 Abs. 2 des Grundgesetzes verändert, ist dies vom Bundesrat unverzüglich im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen. (2) Nach der Bekanntmachung der veränderten Anzahl der Stimmen eines Landes im Bundesgesetzblatt kann die Regierung eines Landes, dessen Stimmenzahl gestiegen ist, entsprechend der Veränderung ein oder mehrere zusätzliche Mitglieder im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 1 des Grundgesetzes bestellen. (3) Steht einem Land aufgrund der Veränderung zukünftig eine geringere Anzahl Stimmen zu, so muß die Regierung des betroffenen Landes entsprechend der Veränderung ein oder mehrere Mitglieder im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 1 des Grundgesetzes aus dem Bundesrat abberufen." 546
S.o. S. 120 ff.
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Dritter Teil
Schluß § 8 Zusammenfassung und Ausblick I. Zusammenfassung in Thesen Die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchung lassen sich thesenartig zusammenzufassen: Nur natürliche Personen können Einwohner im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG sein (S.41). Das Wohnen als territoriale Verbindung mit dem Land setzt zumindest die Nutzung einer Unterkunft oder Wohnung für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum voraus (S. 41 f.). Verfassungsrechtliche Maßstäbe, wann eine lediglich kurzfristige Nutzung der Unterkunft oder Wohnung vorliegt, sind dem Grundgesetz nicht zu entnehmen (S. 42). Die Staatsangehörigkeit ist nach der grundgesetzlichen Konzeption der „Überlagerung" des Demokratieprinzips durch das bundesstaatliche Prinzip bei der Bestimmung der Einwohner im Sinne von Art. 51 Abs. 2 GG keine zwingende Direktive (S. 65 ff.). Der Einwohnerbegriff ist aus bundesstaatlichen Aspekten und dem Regelungszweck des Art. 51 Abs. 2 GG in allen Länder übereinstimmend zu handhaben (S. 83 f., 83 f., 90 f.). Aufgrund der Weite des Einwohnerbegriffs läßt das Grundgesetz einen Gestaltungsspielraum, der eine inhaltliche Ausfüllung des Begriffs „Einwohner" erforderlich macht (S. 38 ff.; 91 f.). Der Einwohnerbegriff wird derzeit verfassungsgemäß in der Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung angewandt, so daß es zu keinen Verschiebungen bei der Stimmenverteilung kommt, die über die in Art. 51 Abs. 2 GG bereits enthaltene Weitung hinausgehen (S. 92 ff). Verfassungsrechtliche Maßstäbe für das Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen in den Ländern sind die größtmögliche Genauigkeit und die größtmögliche Aktualität (S. 100 ff.).
§ 8 Zusammenfassung und Ausblick
147
Die derzeit angewandten Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen Volkszählung und Bevölkerungsfortschreibung sind trotz einiger Unsicherheiten, die aus den Ungenauigkeiten der statistischen Verfahren erwachsen, hinreichend genau, um die Einwohnerzahlen der Länder zu ermitteln (S. 102 ff). Aufgrund der dem Bundesrat in seiner Geschäftsordnung eröffneten Möglichkeit, durch Beschluß das maßgebliche Verfahren zur Ermittlung der Einwohnerzahlen festzulegen und so mittelbar die Stimmenzahlen der Länder im Bundesrat zu steuern, haftet dem Verfahren zur Stimmenermittlung ein unwägbarer Faktor an, der mit dem Rechtsstaatsprinzip und den darin enthaltenen Grundsätzen nur schwer zu vereinbaren ist (S. 107 f.). Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Anpassung der Stimmenzahl an eine neu ermittelte Einwohnerzahl ist als Mittelweg zwischen dem Bedürfnis nach einer exakten Orientierung an den tatsächlichen Verhältnissen und der Rechtsklarheit die Veröffentlichung dieser Veränderung durch den Bundesrat anzusehen (S. 112 ff.). Die Veröffentlichung muß der Bundesrat unverzüglich nach Kenntniserlangung von einer relevanten Veränderung der Einwohnerzahlen vornehmen, um so die Rechtspositionen der Länder und die ordnungsgemäße Besetzung des Bundesrates sicherzustellen (S. 115 ff.). Ein bestimmtes Publikationsorgan läßt sich aufgrund eines weiten Gestaltungsspielraums verfassungsrechtlich nicht herleiten (S. 115 ff.). Bei Schwankungen der Einwohnerzahlen eines Landes über einen längeren Zeitraum um eine Staffelungsgrenze in Art. 51 Abs. 2 GG ist weder aus organisatorischen noch aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Stichtagsregelung gerechtfertigt; vielmehr müßten die Stimmenverhältnisse im Bundesrat permanent an die tatsächlichen Verhältnisse angepaßt werden (S. 119 f.). Die bisherige Praxis des Bundesrates, neue ordentliche Mitglieder zu bestellen, bevor der Bundesratspräsident Veränderungen der Stimmenverteilung im Bundesrat gemäß § 23 Abs. 1 GOBR bekannt gemacht hat, ist verfassungsrechtlich bedenklich (S. 120 ff.). Für die zukünftige Praxis ist erforderlich, daß der Bundesrat den Geboten des Grundgesetzes nach Transparenz gerechter werden muß und das Verfahren durchschaubarer und nachvollziehbarer macht, indem eine Änderung der Stimmenzahlen amtlich in einem geeigneten Verkündungsorgan bekanntgemacht wird. Hieran anschließend könnten die Landesregierungen gegebenenfalls die ordentlichen Mitglieder bestellen bzw. abberufen, wenn die Stimmenzahl gestiegen bzw. gesunken ist (S. 124 ff.). Wegen der Tragweite des Einwohnerbegriffs und des Verfahrens zur Ermittlung der Einwohnerzahlen für die Stimmenverteilung im Bundesrat für das Gemeinwesen, handelt es sich bei diesen Fragen um wesentliche Materien im Sinne
148
3. Teil: Schluß
der Wesentlichkeitstheorie, die aufgrund der Regelungsgegenstände nicht der Geschäftsordnungsautonomie des Bundesrates zuzuordnen sind. Der Gesetzgeber ist daher zum Erlaß einer entsprechenden gesetzlichen Regelung aufgefordert; die jetzige Regelung in § 27 GOBR ist verfassungswidrig (S. 134 f f , 145). Dagegen muß der Gesetzgeber das Verfahren der Anpassung der Stimmenzahlen an veränderte Einwohnerzahlen nicht gesetzlich regeln (S. 140 f.). Ein erhöhter Grad an Rechtssicherheit und -klarheit würde durch eine normative Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundesrates erreicht, mit der das Verfahren formalisiert und damit transparenter gestalten würde (S. 115 ff., 145). Es ist nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu den Regelungsdefiziten möglich, übergangsweise weiter die Regelungen in der Geschäftsordnung des Bundesrates für die Ermittlung der Einwohnerzahlen gemäß Art. 51 Abs. 2 GG hinzunehmen (S. 144 f.).
I I . Ausblick Aufgrund der großen Akzeptanz, die der Bundesrat des Grundgesetzes erfahren hat, steht fest, daß sich die Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG bis 1990 im großen und ganzen bewährt hat. Ob dies genauso für die neue, aufgrund des Einigungsvertrags veränderte Stimmenstaffelung gelten wird, muß sich erst noch erweisen. Nicht zuletzt wird diese Frage der Bundesstaatlichkeit Deutschlands von der Entwicklung der Lebensverhältnisse in den alten und neuen Ländern abhängen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind ein wesentlicher Faktor für Wanderungsbewegungen der Bevölkerung innerhalb des Bundesgebietes. So besitzen wirtschaftlich starke Regionen eine höhere Anziehungskraft als schwache Gebiete. In der Folge der ökonomisch ausgelösten Bevölkerungsbewegungen verlieren die weniger kräftigen Länder im Bundesstaat an Einfluß. Langfristig sind überdies Veränderungen mit dem Umzug des Parlaments, der Regierung und nun auch des Bundesrates1 von Bonn nach Berlin zu erwarten. Dies wird zu einer Aufwertung des Raumes Berlin - Brandenburg führen, der eine Aufwärtsentwicklung der Einwohnerzahlen dieses Gebietes nach sich ziehen könnte. In anderen Ländern bewegen sich die Einwohnerzahlen ebenfalls in Größenordnungen, die eine Veränderung der Stimmenverteilung in absehbarer Zeit nicht unwahrscheinlich machen. So liegt die Einwohnerzahl Mecklenburg-Vorpommerns nur relativ knapp unter der 2-Millionen-Grenze 2 . Hier sind mittelfristige Veränderungen im Bereich des Möglichen. 1 So der Beschluß des Bundesrates in seiner 702. Sitzung am 27.9.1996, doch nach Berlin umzuziehen (StenBer. BR, S. 427 (435)). 2 Mehr als 1,8 Mio. Einwohner zum 31.3.1996 (aktuelle Daten nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes).
§ 8 Zusammenfassung und Ausblick
149
Nicht zuletzt wohnt den rechtlichen Überlegungen zur Stimmenstaffelung in Art. 51 Abs. 2 GG ein europäischer Aspekt inne. A u f der Ebene der Europäischen Union existieren Verteilungsschlüssel für die Besetzung von Gremien bzw. für die Anzahl von Stimmen in einem Gremium. So sind die Zahlen der in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union zum Europäischen Parlament zu wählenden Abgeordneten unterschiedlich verteilt. Von den derzeit insgesamt 567 Sitzen im Europäischen Parlament besitzen Deutschland 99, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich je 87, Spanien 64, Niederlande 31, Belgien, Griechenland und Portugal je 25, Schweden 22, Österreich 21, Dänemark und Finnland je 16, Irland und Norwegen je 15 sowie Luxemburg sechs Sitze3. Diese Aufschlüsselung entspricht nur annähernd den Bevölkerungszahlen der genannten Staaten, denn bei Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse stünden Deutschland 137 Sitze zu 4 . In einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde deshalb bereits unterstrichen, daß es sich bei der Verteilung der Sitze im Europäischen Parlament um einen Kompromiß handele5. Dieser resultiere aus dem Grundsatz der formalen Gleichheit der Staaten unabhängig von der Einwohnerzahl - und dem Charakter der Europäischen Union als ein über die Summe der einzelnen Mitgliedstaaten hinausgehenden Staatenverbund6. Die Ähnlichkeiten mit den Erwägungen zur Stimmenstaffelung im Bundesrat 7 sind auffällig, auch wenn es sich bei dem Europäischen Parlament im Gegensatz zum Bundesrat um ein unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ handelt8. Bei einer fortschreitenden europäischen Integration und einer damit einhergehenden Stärkung des Europäischen Parlaments sind Überlegungen zu erwarten, die unter anderem die Sitzverteilung betreffen. Denn die derzeitige Disproportionalität der Sitzverteilung mit der hieraus folgenden Ungleichheit der Wahl zum Europäischen Parlament setzt der Übertragung von Legislativkompetenzen Grenzen 9. Um dieses Problem zu lösen, wäre eine denkbare Möglichkeit, daß man von der bisherigen Festschreibung der Anzahl der Sitze im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zu
3
Art. 138 Abs. EGV; auch für den Rat kommt bei bestimmten Materien, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, eine besondere Stimmenverteilung zur Anwendung, Art. 148 Abs. 2 EGV; schließlich bestimmen sich die Mitgliederzahlen im Wirtschaftsund Sozialausschuß sowie im Ausschuß der Regionen nach sog. ponderierte Schlüssel (Art. 194 Abs. 1 EGV, Art. 166 Abs. 1 EuratomV, Art. 198a Abs. 2 EGV). 4 H. Rupp y NJW 1995,2210 (2211). 5 BVerfG, NJW 1995,2216. 6 BVerfG, NJW 1995, 2216.; vgl. zur Problematik der Wahlrechtsgleichheit auch Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 1995, S. 69 ff. 7 S.o. S. 29, 76 ff. 8 Vergleichbare Entwicklungen sind auch für den Europäischen Rat nicht auszuschließen, womit eine noch größere Nähe zum Charakter des Bundesrates geschaffen würde. 9 Streinz, Europarecht, 3. Aufl., 1996, Rn. 307.
150
3. Teil: Schluß
einem abstrakten Verteilungsschlüssel wie in Art. 51 Abs. 2 GG übergeht 10 . Damit würde sich in Europa eine mit der deutschen Verfassungsgeschichte vergleichbare Entwicklung vollziehen und die Erfahrungen mit dem Bundesrat des Grundgesetzes könnten exemplarische Bedeutung gewinnen.
10 Zu Überlegungen hinsichtlich einer nach Bevölkerungszahlen zusammengesetzten Regionalkammer auf europäischer Ebene vgl. Dörnhof er, Regionen Europas, 1995, S. 260.
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Anhang Anhang I Land Bayern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen (West-) Berlin Hessen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Baden Bremen Hamburg Württemberg-Hohenzollern insgesamt:
Einwohnerzahl1 8.738.400 6.227.800 11.682.600 2.012.500 3.973.600 2.740.900 2.573.100 3.583.100 1.182.000 484.500 1.403.300 1.051.900 45.653.700
Stimmenzahl im Bundesrat 5 5 5 (4) 4 4 4 4 3 3 3 3, 43 (47)
1 Einwohnerzahlen vom 29.10.1946 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1952, S. 12).
164
Anhang Anhang Π
Land
Einwohnerzahl2
Baden-Württemberg Bayern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen (West-) Berlin Hessen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Bremen Hamburg insgesamt:
6.587.400 9.179.200 6.710.700 13.598.900 2.172.300 4.392.600 3.111.100 2.486.800 581.000 1.658.000 50.478.000
Stimmenzahl im Bundesrat 5 5 5 5 (4) 4 4 4 3 3 38 (42)
Nach dem Beitritt des Saarlandes 1957 zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erhielt dieses ab der 170. Sitzung am 25.1.1957 (StenBer. BR S. 489) drei Stimmen, so daß sich die Gesamtstimmenzahl auf 41 (45) erhöhte.
2
Einwohnerzahlen zum Jahresende 1951 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1953, S. 30).
Anhang
165
Anhang Π Ι Land
Einwohnerzahl3
Baden-Württemberg Bayern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Berlin Brandenburg Hessen Rheinland-Pfalz Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Bremen Hamburg Mecklenburg-Vorpommern Saarland insgesamt:
9.822.000 11.449.000 7.387.000 17.350.000 3.434.000 2.578.000 5.763.000 3.764.000 4.764.000 2.874.000 2.626.000 2.611.000 682.000 1.652.000 1.924.000 1.073.000 79.753.000
Stimmenzahl im Bundesrat 6 6 6 6 4 4 4 4 4 4 4 4 3 3 3 3 68
3 Einwohnerzahlen zum Jahresende 1990 (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996, S. 48).
Anhang
166
Anhang I V Land
Einwohnerzahl4
Baden-Württemberg Bayern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen Berlin Brandenburg Rheinland-Pfalz Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Bremen Hamburg Mecklenburg-Vorpommern Saarland insgesamt:
10.325.677 11.995.902 7.784.812 17.895.220 6.010.555 3.468.261 2.543.089 3.979.740 4.559.056 2.734.532 2.726.763 2.499.286 679.095 1.708.146 1.821.516 1.083.281 81.814.931
4
Stimmenzahl im Bundesrat 6 6 6 6 5 4 4 4 4 4 4 4 3 3 3 3 69
Einwohnerzahlen vom 31.3.1996 (Auskunft des Statistischen Bundesamtes).
Anhang
167
Anhang V Land Baden-Württemberg Bayern (West-) Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein insgesamt:
5
Einwohnerzahl5 9.286.400 10.902.600 2.012.700 660.100 1.592.700 5.507.800 7.162.100 16.711.800 3.630.800 1.055.700 2.554.200 61.077.000
Zahlen nach: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Volkszählung vom 25. Mai 1987, 1989, S. 13.
Sachwortregister Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Seiten. Aktivbürger 58 f., 61 f. Aufenthaltsdauer 44 ff. Ausländer 19, 59 ff., 79 ff., 97 Ausländerstatistik 109 Außenwanderung 105 Beschlußfähigkeit 25 Beschlußfassung 78 f. - im Plenum 25 - in den Ausschüssen 26 f. - in der Europakammer 25 f. Binnenwanderung 105 Bundesratsausschüsse 26 f. Bundesratsplenum 25 ff. Einigungsvertrag 30 ff. Europakammer 25 f. Gleichheit der Länder 31, 83 Grundrechtsrelevanz 128 f., 134 Hauptwohnung 93 ff., 98 ff. Kommunalstatistische Ämter 106 Kommunalwahlrecht 62 Landesbevollmächtigte 30 Landesregierungen 69 f., 75 Landeszugehörigkeit 49 f. Lebens- und Schicksalsgemeinschaft 59 f. Meldebehörde 46 Melderecht 46 f., 94 ff. Mikrozensus 109 Nebenwohnung 94
Neugliederung der Länder 34 ff. Obdachlose 42 f. Organisationskompetenz 136 ff. Parlamentarischer Rat 71 f., 85 ff., 88 ff. Parteipolitisierung 28 f. Repräsentativstatistik 109 Residenzprinzip 93, 96 Selbstorganisationsrecht 132 ff., 139 f. Senatsprinzip 71 f., 75 Sperrminorität 30 ff. Staatenlose 60, 97 Staatsangehörigkeit 53 f. Statistisches Bundesamt 51, 103, 106, 110 Statistisches Landesamt 103, 106, 110 Statusdeutsche 53 ff. Stichprobenstatistik 109 Stichtagsregelung 119 Stimmenstaffelung 27 ff., 76 ff. Verfassungsorgantreue 29 Volksabstimmungen 65 Volkssouveränität 56 ff., 74 Wahlberechtigte 49, 63 f. Weisungsverhältnis 73 Wohnbevölkerung 52, 93, 96 Wohnsitz 45 ff., 51 ff., 93 ff. Zählungsstichtag 103 Zentrales Einwohnerregister 109 Zustimmungsgesetz 22 f., 136 ff.