Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen [1 ed.] 9783428433131, 9783428033133


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Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen [1 ed.]
 9783428433131, 9783428033133

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 260

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen Von

Jost Pietzcker

Duncker & Humblot · Berlin

JOST P I E T Z C K E R Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen

Schriften zum Ö f f e n t l i c h e n Recht Band 260

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen

Von

Dr. Jost Pietzcker

DUNCKER

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 03313 2

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde i m SS 1974 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind, soweit möglich, bis Anfang September 1974 nachgetragen. Für die vielfältige Hilfe, die m i r bei dieser Arbeit gewährt wurde, habe ich mannigfachen Dank zu sagen. I n erster Linie gilt er Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Otto Bachof, der die Arbeit umfassend gefördert hat, und Herrn Prof. Dr. Günter Dürig, der durch manche Ratschläge und durch großzügige Freistellung von Dienstgeschäften wesentlich zu ihrem Entstehen beigetragen hat. Herr Dr. Gerhard Glück vom Deutschen Institut für Fernstudien gab kritische Hinweise zu dem Uberblick über die nichtjuristische Prüfungsforschung. Ohne die Hilfe von Frau Edelmann beim Tippen des Manuskriptes endlich wäre die Arbeit sicher noch nicht fertiggestellt. Ihnen möchte ich daher auch an dieser Stelle danken. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit i n seine Reihe „Schriften zum öffentlichen Recht". Tübingen, i m September 1974 Jost Pietzcker

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

I. Teil Zur Prüfungswirklichkeit I. Abschnitt: Übersicht über die Verbreitung

17

von Prüfungen

17

1. Kurzer historischer Überblick

17

II. Die heutige Verbreitung von Prüfungen in der BRD 1. Gesetzliche Anordnung der Prüfung 2. Prüfungen, die nicht kraft Gesetzes Voraussetzung der Berufsaufnahme sind 3. Prüfungen während der Ausbildung III. Begriffsbestimmungen und Kategorisierungsversuche 2. Abschnitt: Überblick über einige Aspekte nichtjuristischer suchungen zu Prüfungen

21 21 23 24 25

Unter-

I. Die verschiedenen Funktionen von Prüfungen 1. Gesellschaftliche Funktionen von Prüfungen 2. Pädagogische Funktionen von Prüfungen 3. Weitere Klassifizierungen II. Kritik an Prüfungen 1. Negative Aspekte einzelner Funktionen 2. Widersprüche zwischen einzelnen Funktionen 3. Mängel bei der Erfüllung einzelner Funktionen III. Insbesondere: Kritik an Leistungsmessung und -bewertung 1. Erläuterung einiger Fachbegriffe a) Gütekriterien b) Der Korrelationskoeffizient 2. Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu Messungs- und Bewertungsmängeln a) Mehrfachbewertung durch verschiedene Prüfer b) Mehrfachbewertung durch denselben Prüfer c) Gründe für die Abweichungen d) Speziell: die Bedeutung des Bezugssystems des Prüfers e) Unterschiede der Bewertung in regionaler und zeitlicher Hinsicht f) Einfluß der Prüfungsangst

28 29 29 32 33 34 34 34 36 38 38 38 39 40 40 45 46 48 49 50

8

nsverzeichnis

g) Prognostischer Wert von Prüfungen aa) Prognostischer Wert von Aufnahmeprüfungen bb) Externe Validität von Reifeprüfungen cc) Externe Validität von Universitätsprüfungen 3. Zusammenfassung IV. Vorschläge zur Verbesserung von Prüfungen 1. Bessere Erfassung der Leistung a) Vermehrung der Anzahl von Prüfungsaufgaben b) Vermehrung der Art der Aufgaben c) Zeitliche Streckung der Prüfung d) Zentralisierung der Prüfung e) Ersetzung herkömmlicher Prüfungen durch standardisierte Tests f) Verminderung des Grades der Endgültigkeit der Prüfung .. 2. Verbesserung der Bewertung a) Mehrfachkorrektur b) Festlegen von Bewertungsrichtlinien und Schulung von Prüfern c) Bewertung nach der Normalverteilung d) Mathematische Gesamtnotenberechnung e) Zentralisierung der Bewertung f) Prüfung mit standardisierten Tests 3. Entlastung der Prüfung von der Berechtigungswirkung 4. Abschaffung von Prüfungen

52 53 54 55 56 57 57 57 58 58 60 60 61 62 62 62 63 63 63 64 64 65

IL Teil Verfassungsrechtliche Anforderungen I. Abschnitt: Prüfungen und berufsbezogene

Grundrechte

I. Prüfungen als Grundrechtseingriffe II. Abgrenzung der Normbereiche dieser Grundrechte im Hinblick auf Prüfungen 1. Die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufes a) Prüfungen, welche die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte berühren b) Prüfungen, welche die Freiheit der Berufswahl berühren 2. Art. 33 I I GG 3. Art. 6 I I GG III. Rechtfertigung und Grenzen von Grundrechtseingriffen durch Prüfungen 1. Die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufs .. a) Die Einschränkbarkeit b) Die Form des Eingriffs c) Schutzgüter, die den Eingriff rechtfertigen d) Grenzen des Eingriffs 2. Art. 33 I I GG

66 70 70 72 72 73 75 77 78 78 78 78 79 80 82 86

nsverzeichnis IV. Geeignetheit von Prüfungen

86

V. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Ausgestaltung im einzelnen 1. Zulassungsvoraussetzungen a) Teilnahme an der Ausbildung b) Frist für die Meldung zur Prüfung c) Vorstrafenfreiheit 2. Durchführung der Prüfung a) Umfang der Prüfungsleistungen b) Anforderungshöhe c) Sanktionen bei Täuschungsversuchen und Ordnungsverstößen d) Wiederholung von Prüfungen e) Rücknahme der positiven Prüfungsentscheidung

87 87 88 90 91 92 92 92 95 97 101

2. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsgebotes gestaltung von Prüfungen

103

für die Aus-

I. Folgerungen aus der Ähnlichkeit von Prüfungsverfahren und Gerichtsverfahren 1. Die Forderung nach Unabhängigkeit der Prüfer a) Festlegungen des Prüfungsstoffes und des Bewertungsmaßstabes aa) Generelle Festlegungen bb) Festlegung im Einzelfall b) Zusammenwirken mehrerer Prüfer bei der Notenbildung (Gesamtnotenbildung; Bindung an Vornoten; Mitwirken nicht ausreichend Beteiligter) aa) Gesamtnotenbildung bb) Bindung an Vornoten cc) Vorkorrektur c) Einwirken der Aufsichts- und Widerspruchsbehörde d) Ver-Öffentlichung des Prüfungsverfahrens aa) Passive Teilnahme; Akteneinsicht bb) Aktive Teilnahme der Öffentlichkeit e) Die Prüfberechtigung 2. Die Forderung nach dem gesetzlichen Prüfer 3. Der Schutz vor dem befangenen Prüfer a) Der Befangenheitsbegriff im Prüfungsrecht b) Geltendmachung der Befangenheit 4. Die Forderung nach Kollegialentscheidungen II. Folgerungen aus dem Gebot des effektiven Gerichtsschutzes . . . . . . 1. Die Forderung nach Protokollierung des Prüfungsgesprächs .. 2. Die Forderung nach Begründung der Prüfungsentscheidung und nach Akteneinsicht a) Begründungspflicht b) Der Anspruch auf Einsicht in die Prüfungsakten

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10

nsverzeichnis

III. Folgerungen aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns und des Vertrauensschutzes 1. Die Pflicht zur Normierung des Prüfungswesens a) Notwendigkeit normativer Festlegung b) Form und Umfang der Normierung 2. Erhöhung der Voraussehbarkeit durch Offenlegung der Prüfungspraxis

149 149 149 153 155

3. Grenzen der Änderung von Prüfungsordnungen a) Verlängerung oder Verkürzung der Mindest- bzw. Höchstausbildungszeit b) Veränderung des Prüfungsinhaltes c) Änderung der Prüfungsform d) Änderung der Bewertungsregeln e) Änderung der Notendeflnition

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3. Abschnitt: Die Bedeutung von Art. 3 I GG für die Ausgestaltung von Prüfungen

162

I. Die verschiedenen Ausformungen des Gleichheitsgebotes im Prüfungsrecht

162

1. Rechtsanwendungsgleichheit

162

2. Willkürverbot und Chancengleichheit, Rechtsgleichheit (égalité en droit) und tatsächliche Gleichheit (égalité en fait)

163

II. Einzelne Folgerungen aus dem Chancengleichheitsgebot 1. Das Chancengleichheitsgebot im Rahmen eines konkreten Prüfungsverfahrens a) Unterschiede auf Seiten des Prüflings aa) Berücksichtigung kurzfristiger Beeinträchtigungen (Krankheit, Prüfungspsychose, besondere persönliche Umstände) bb) Berücksichtigung andauernder Beeinträchtigungen cc) Berücksichtigung der individuellen Eigenarten des Prüflings b) Ungleichheiten auf der Prüferseite aa) Ungleichheiten bei der Bewertung der Prüfungsleistungen bb) Sonstige Ungleichheiten auf Prüferseite c) Ungleichheiten im Verfahren aa) Ungleichheiten in den äußeren Prüfungsbedingungen (Zeit, Gruppengröße, Ruhe, Hilfsmittel) bb) Ungleichheiten durch Mißbrauchsmöglichkeiten d) Ungleichheiten, die durch die Korrektur von Rechtsverstößen hervorgerufen werden aa) Individualanspruch auf Korrektur von Verstößen gegen das Chancengleichheitsgebot bb) Art und Weise der Korrektur von Prüfungsfehlern

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nsverzeichnis 2. Das Gleichheitsgebot, bezogen auf verschiedene Prüfungsverfahren a) Zeitliche und räumliche Erstreckung des Gleichheitsgebotes bei verschiedenen Verfahren nach derselben Prüfungsordnung b) Erstreckung des Gleichheitsgebotes auf Prüfungen nach verschiedenen Prüfungsordnungen derselben normsetzenden Instanz, die zu derselben Berechtigung führen c) Erstreckung des Gleichheitsgebotes auf gleichartige Prüfungen nach Prüfungsordnungen mehrerer autonomer normsetzender Instanzen

190 191 195 196

4. Abschnitt: Nochmals: Die Eignung von Prüfungen

201

I. Hauptsächliche Mängel von Prüfungen

202

II. Verfassungsrechtlich geforderte Verbesserungen

202

1. Verwendung von standardisierten Leistungstests

203

2. Umwandlung punktueller in zeitlich gestreckte oder ausbildungsbegleitende Prüfungen

205

III. Verbleibende Zweifel an der Eignung Verzeichnis der zitierten speziell prüfungsrechtlichen Entscheidungen I. Bundesverwaltungsgericht

207

209 210

II. Verwaltungsgerichte der Länder

213

III. Bundesfinanzhof

220

IV. Bundesverfassungsgericht

220

Literaturverzeichnis

221

Quellensammlungen

232

Sachwortregister

233

Abkürzungsverzeichnis Α. Α., a. Α. ABl. AÖR AS

BÄO Bad.-Württ. VGH BaWüVBl. BayVBl. BayVerfGH BayVerfGH (nF), BayVGH (nF)

BayVGH BBG BBiG Bd. Bek. Beschl. BFH BFHE BNotO BRAO BRRG BRD BT BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE B-W DiplPO

anderer Auffassung Amtsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, ab Juni 1959 der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland Bundesärzteordnung vom 4.2.1970 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesbeamtengesetz i. d. F. vom 17.7.1971 Berufsbildungsgesetz vom 14. 8.1969 Band Bekanntmachung Beschluß Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Bundesnotarordnung vom 24.2.1961 Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. 8.1959 Beamtenrechtsrahmengesetz i. d. F. vom 17. 7.1969 Bundesrepublik Deutschland Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i. d. F. der Bek. vom 3.2.1971 Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Allgemeine Bestimmungen für Diplomprüfungsordnungen. Beschl. der K M K vom 12.3.1970

Abkürzungsverzeichnis DÖD DÖV DRiG DRiZ DUZ DVB1. ed. Entsch.OVG Berlin = ESVGH

et al. EVerwVerfG 1973 FGO G GewArch. GG GVG H. HandwO HessStGH HessVGH HochschG i. d. F. JAPO JurA JuS JZ KM KMK KSPO LBG LBO 1. Sp. LVG M. E., m.E. MPO

m. w. N.

IB

Der öffentliche Dienst Die öffentliche Verwaltung Deutsches Richtergesetz i. d. F. der Bek. vom 19.4.1972 Deutsche Richterzeitung Deutsche Universitätszeitung Deutsches Verwaltungsblatt editor, editors Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder etalii, und andere Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, Gesetzentwurf der Bundesregierung 1973, BT-Drucksache VII/910 Finanzgerichtsordnung vom 6.10.1965 Gesetz Gewerbearchiv Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5.1949 Gerichtsverfassungsgesetz i. d. F. vom 12.9.1950 Heft Handwerksordnung i. d. F. vom 28.12.1965 Staatsgerichtshof des Landes Hessen Hessischer Verwaltungsgerichtshof Hochschulgesetz in der Fassung Justizausbildungs- und Prüfungsordnung bzw. Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung Juristische Analysen Juristische Schulung Juristenzeitung Kultusminister, Kultusministerium Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankenschwestern, Krankenpfleger und Kinderkrankenschwestern vom 2. 8. 1966 Landesbeamtengesetz Landesbauordnung linke Spalte Landesverwaltungsgericht meines Erachtens Musterprüfungsordnung für die Durchführung von Abschlußprüfungen. Anlage 1 a zu den Beschlüssen des Bundesausschusses für Berufsbildung vom 24.8.1971 — Richtlinien gemäß § 41 BBiG mit weiteren Nachweisen

14

Abkürzungsverzeichnis

NF, nF NJW NZWehrr. Ο OVG OVGE

= = = = = =

Randnr. Randnrn. RdJB

= = =

ReifePO RPflG r. Sp. RWS SGG SKV SoldG SPE

= = = = = = = =

StPO UQ VerwArch. VerwRspr.

= = = =

VG VGH VO WDStRL

= = = =

VwGO WissR

= =

WRK ZBR ZfP Ziff. Zit. ZPO

= = = = = =

neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Wehrrecht Ordnung Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster und für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg Randnummer Randnummern Recht der Jugend und des Bildungswesens (1953—1964 Recht der Jugend, 1965—1967 Recht der Jugend vereinigt mit Recht und Wirtschaft der Schule; seit 1968 Recht der Jugend und des Bildungswesens) Reifeprüfungsordnung Rechtspflegergesetz vom 5.11.1969 rechte Spalte Recht und Wirtschaft der Schule Sozialgerichtsgesetz i. d. F. vom 23. 8.1958 Staats- und Kommunalverwaltung Soldatengesetz i. d. F. der Bek. vom 22.4.1969 Sammlung schul- und prüfungsrechtlicher Entscheidungen Strafprozeßordnung i. d. F. vom 17.9.1965 Universities Quarterly Verwaltungsarchiv Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland. Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung vom 21.1.1960 Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung Westdeutsche Rektorenkonferenz Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Pädagogik Ziffer Zitierweise Zivilprozeßordnung i. d. F. vom 12.9.1950

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, ein bislang von der Rechtswissenschaft vernachlässigtes Problem, nämlich die Gewährleistung einer möglichst zutreffenden Prüfungsentscheidung, zu untersuchen. Die i m juristischen Schrifttum und i n geringerem Maße auch i n der Rechtsprechung dominierende Frage nach der gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen w i r d i m folgenden ausgeklammert. Die Untersuchung richtet ihr Augenmerk statt dessen auf die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens i m Prüfungswesen u n d faßt die einschlägige Rechtsprechung und die nur verstreut vorliegende Literatur zusammen. Soweit sich Rechtsprechung und Literatur m i t Verfahrensfragen zu befassen hatten, erfolgte das allerdings häufig i n dem Sinne, daß lediglich die Bedeutung der Einhaltung des vorgegebenen Verfahrensrahmens gesehen wurde. Die sachliche Richtigkeit der Prüfungsentscheidung spielte dabei aus verschiedenen Gründen oft nur eine untergeordnete Rolle. Demgegenüber w i r d i n dieser Arbeit der Versuch' unternommen, die Beziehung zwischen der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens und der Gewährleistung einer möglichst sachrichtigen Prüfungsentscheidung i n den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. Z u diesem Zweck war es unumgänglich, nichtjuristische, d. h. pädagogische, psychologische und soziologische Prüfungsforschung einzubeziehen. Denn erst die Kenntnis von Mängeln und Schwierigkeiten, die mit Prüfungen zusammenhängen, erlaubt eine rechtliche Beurteilung der verschiedenen Prüfungsformen und Prüfungsmodifikationen. Daß der Überblick über diese Forschung m i t der Gefahr des Mißverständnisses aufgrund mangelnden Fachwissens behaftet ist, braucht nicht betont zu werden. Dennoch konnte auf ihn nicht verzichtet werden. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung von Prüfungen sind i m Grundgesetz nicht ausdrücklich normiert. I n einigen Landesverfassungen finden sich zwar einzelne Regelungen des Prüfungswesens; i m folgenden sollen aber nur die bundesverfassungsrechtlichen Rechtssätze herangezogen werden. Es handelt sich dabei i m wesentlichen u m die Grundrechte des A r t . 12 I und A r t . 3 1 GG sowie u m das Rechtsstaatsprinzip. Die i n diesen Normen festgelegten rechtlichen Gesichtspunkte überschneiden sich nicht selten. Das Übermaßverbot ist u. a. i n A r t . 12 GG und i m Rechtsstaatsprinzip enthalten, und die

16

Einleitung

Gleichheitsgesichtspunkte spielen schon bei der Auslegung von A r t . 12 GG eine Rolle. Deshalb lassen sich Überschneidungen und Wiederholungen nicht ganz vermeiden, zumal auch einzelne Sachverhaltskomplexe zugleich unter mehreren dieser rechtlichen Gesichtspunkte zu beurteilen sind. Die Ableitung konkreter Folgerungen für die Ausgestaltung von Prüfungen aus diesen Verfassungssätzen ist erheblichen Einschränkungen unterworfen. Das ist ebenso durch die große Unbestimmtheit mancher der einschlägigen Verfassungsgebote bedingt wie durch die Verschiedenheit, ja Widersprüchlichkeit der Funktionen, welche Prüfungen wahrnehmen sollen. Es kommt hinzu, daß die nichtjuristische Prüfungsforschung keineswegs immer eindeutige, i n rechtliche Forderungen ummünzbare Ergebnisse vorweist. Oft besteht nur i n der Einschätzung der Mängel Einigkeit, während die Abhilfemöglichkeiten sehr kontrovers beurteilt werden. Aus diesen Gründen ist die verfassungsrechtliche Bewertung häufig darauf beschränkt, höchstens die ungefähre Richtung der Veränderung anzugeben. Die Grenze zwischen Verfassungsrecht und Verfassungspolitik kann dabei nicht immer scharf gezogen werden. Es wäre aber schon ein nicht geringes Ergebnis, wenn wenigstens die Komplexität der zu beachtenden Faktoren deutlich würde, weil dann die verfassungsrechtliche Festschreibung einseitiger Maßnahmen verhindert wird. Der Bezug auf die Ausgestaltung von Prüfungen i m Titel der Arbeit soll deutlich machen, daß nur Fragen des Prüfungsverfahrens m i t ihrer Bedeutung für die Richtigkeit der Prüfungsentscheidung erörtert werden. Ein ebenfalls wichtiger Aspekt des Prüfungsrechts, nämlich die rechtliche Begrenzung der inhaltlichen Prüfungsanforderungen, mußte dagegen fast ganz ausgeklammert werden. Sie läßt sich nur i n geringem Maße generell bestimmen und berührt zudem andere Probleme als die hier angeschnittenen. Die Tatsache, daß sich die juristische Literatur zu Prüfungsfragen bisher primär m i t dem Rechtsschutz gegen Prüfungsentscheidungen befaßt hat und daß eine zusammenfassende Darstellung zu unserem Thema bislang fehlt, hat dazu gezwungen, viele Einzelfragen anzuschneiden, die oft nicht m i t der gewünschten Ausführlichkeit erörtert werden konnten. U m die Arbeit etwas zu entlasten, wurde deswegen auf eine eingehende Behandlung juristisch interessanter Fragen, die nicht speziell das Prüfungswesen betreffen — wie etwa die m i t der allgemeinen Diskussion u m das „besondere Gewaltverhältnis" zusammenhängende Frage nach der Rechtsnatur von Prüfungsordnungen oder von einzelnen Prüfungsentscheidungen —, zugunsten spezifisch prüfungsrechtlicher Probleme verzichtet.

I. T E I L

Z u r Prüfungswirklichkeit 1. Abschnitt

Übersicht über die Verbreitung von Prüfungen I. Kurzer historischer Überblick Es ist nicht notwendig, einen detaillierten historischen Überblick über die Entstehung und Zunahme von Prüfungen zu geben, um die heutige Bedeutung darzulegen. Einige geschichtliche Hinweise seien aber dennoch gestattet, die freilich nur unvollständig und punktuell sein können 1 . Das älteste durchgeformte und gesellschaftlich bedeutsame Prüfungswesen hatte sich i n China vor über 2000 Jahren herausgebildet und bestand dort bis zum Jahre 19052. Es diente der Auslese für den öffentlichen Dienst und hatte die Aufgabe, den Einfluß von Nepotismus und Beziehungen bei der Stellenvergabe zurückzudrängen und an deren Stelle die Tauglichkeit für das A m t treten zu lassen, womit auch die soziale Basis der Rekrutierung erweitert werden sollte 3 . Zu diesem Zweck wurde ein nach heutigen Begriffen streng „rechtsstaatliches" Prüfungsverfahren eingerichtet, das i n manchen Einzelheiten an die Ausgestaltung ζ. B. der süddeutschen juristischen Staatsexamina erinnert. „ Z u einer gewissen Zeit wurde der Name des Kandidaten weggelassen und durch eine Nummer ersetzt. I n einer anderen Periode kopierten Schreiber die Arbeiten der Kandidaten, so daß man sie nicht an der Handschrift erkennen konnte. Jede Arbeit wurde unabhängig voneinander von zwei Prüfern bewertet; ein dritter erhielt die versiegelten Noten, öffnete sie und brachte sie nötigenfalls i n Übereinstimmung 4 ." 1 Eine Übersicht über die Geschichte von Prüfungen findet sich bei Judges , S. 17 ff. Vgl. ferner die ausführlichen Abhandlungen zu Einzelgebieten, die unten FN 10—12 angegeben sind. 2 Brereton, S. 37; Judges , S. 18; Holmes und Lauwerys, S. 4f. 8 Holmes und Lauwerys, S.4f.; Judges , S. 18 f. 4 Holmes und Lauwerys, S. 4 (eigene Übersetzung). 2

Pietzcker

18

ί . Teil, 1. Abschn.: Übersicht über die Verbreitung von Prüfungen

Gegenüber den damals üblichen Verfahren der Ämtervergabe bedeutete das sicherlich eine wirkungsvolle Versachlichung der Staatsverwaltung. Doch führte der Kanon des Prüfungsstoffes und die Form der Prüfung zum Konservatismus h i n und brachte auch die soziale Öffnung nicht i n dem Ausmaß, wie man es bei der Betrachtung des Auswahlverfahrens vermuten könnte. Der Prüfungsstoff erstreckte sich auf Recht, Geschichte, die religiösen Gebräuche und auf das Studium der Klassiker; auf letzterem, d. h. auf der Lehre des Konfuzianismus lag der Schwerpunkt der Prüfung. Die Prüfung war somit i n erster Linie eine literarisch-ethische Prüfung und sicherte die Weitergabe der traditionellen kulturellen Wertemuster 5 . Das führte ebenso zu intellektuellem Konservatismus wie das Prüfungsverfahren: „Die Kandidaten mußten ausgewählte Passagen auswendig lernen u n d sie dann schriftlich kommentieren. Einfallsreichtum i m Denken, und i m Ausdruck wurde erwartet, aber nicht sehr gefördert, weil das den Prüfern weniger objektive Urteile abverlangt hätte. Traditionelle Aufsätze konnten mechanisch bewertet werden entsprechend festen Regeln®." Hier zeigt sich ein gewisser Zusammenhang zwischen gleichmäßiger, objektiver Bewertung und der Vernachlässigung wichtiger Fähigkeiten i n der Prüfung, der gelegentlich zu bemerken ist. Interessant ist übrigens die Parallele zu der i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England eingeführten Prüfung für den Senior C i v i l Service. Sie hatte den Zweck, das Auswahlsystem auf dem Wege der sozialen Öffnung zu verbessern. Die Prüfung lag aber weitgehend in den Händen von Leuten, die i n Oxford und Cambridge lehrten oder diesen Universitäten verbunden waren; auch orientierte sie sich inhaltlich an der philologisch-literarischen Ausbildung. Deshalb blieb die soziale Öffnung fast ganz aus7. Die ersten Prüfungen i n Europa — sieht man von der Antike ab — finden sich auf den Universitäten, wenngleich die Priesterweihen, an die die theologischen Fakultäten anknüpften, schon Vorformen von Prüfungen darstellten 8 . Die Universitätsprüfungen hatten zuerst nur die interne Wirkung, dem Erfolgreichen den Aufstieg innerhalb der K o r poration zu ermöglichen, ihn i n unterschiedlichem Umfang an der Lehre und dann auch selbst an Prüfungen zu beteiligen. Sie dienten also der Selbstrekrutierung der Korporationen. Die sich schon i m 13. Jahrhundert anbahnende gegenseitige Anerkennung der Universitätsgrade, die i m ius ubique docendi ihren Ausdruck findet, ist der erste Schritt zu 5

Holmes und Lauwerys, S. 5; Judges , S. 19. Holmes und Lauwerys, S. 5 (eigene Übersetzung). Judges, S. 19 meint: „ I t (sc. das Prüfungssystem) acted as a stabilizer of the membership of the power hierarchy, if not of the ethos of the whole political system." 7 Judges, S. 29; vgl. auch Brereton, S. 37. 8 Jastrow, S. 219. β

I. Kurzer historischer Überblick einer Außen Wirkung 9. Es erleichterte alsbald das Ergreifen mancher Berufe oder die Erlangung von Ämtern, wenn man akademische Grade besaß10. Z u m Teil waren sie auch rechtlich normierte Voraussetzung für gewisse Ämter, insbesondere, durch die Rezeption bedingt, bei Juristen 11 . I m Zeitalter des Absolutismus gewannen i n Deutschland das Studium und seine Abschlüsse für das Berufsleben immer stärkere Bedeutung. Schon i m 16. Jahrhundert finden sich bei den Juristenberufen Ansätze zu Staatsexima und staatlichem Vorbereitungsdienst 12 . I m 19. Jahrundert setzt sich dann für Juristen, Lehrer an höheren Schulen und Mediziner das System staatlicher Prüfungen, die auf dem Universitätsstudium aufbauen, durch 13 . „Überall, wo die öffentliche Gewalt für ihren Dienst oder für die Betreuung der Bevölkerung ordnungsgemäße Qualifikationen für erforderlich hält, hat sie ein eigenes Prüfungswesen eingesetzt 14 ." Wo ein eigenes, i m engen Sinne staatliches Prüfungswesen fehlt, w i r d der Universität eine entsprechende Funktion übertragen. Die von ihr verliehenen Zeugnisse gewinnen immer stärkere Bedeutung für die Berufswelt 1 5 , ebenso wie die neuen Abschlüsse der sich den Universitäten annähernden Technischen Hochschulen 16 . Die Schulzeugnisse, für deren Existenz sich i n Deutschland i m 16. Jahrhundert die ersten Hinweise finden 17, hatten lange Zeit eine sehr beschränkte Funktion: sie wurden nicht allgemein vergeben, sondern bescheinigten lediglich den Bedürftigen ihre Begabung oder ihren Fleiß, damit sie einen Freitisch, einen Freiplatz oder ein Stipendium erhielten 18 . I n den Jesuitenschulen dienten periodische Bewertungen allerdings schon der Anstachelung des Ehrgeizes 19 . Auch der Zugang zur Hochschule war bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht von einer 9

Kaufmann, Band I, S. 353, S. 367. Vgl. Kaufmann, Band i i , S. 268: „Wohl wurden die so vorbereiteten Gelehrten [d.h. nach dem Universitätsstudium] als Lehrer, Geistliche, Ärzte, Stadtschreiber, Richter usw. in mancherlei Ämter berufen und für solche Ämter auch schon vielfach gelehrte Vorbildung und der Besitz akademischer Grade gefordert." und ebd. S. 296: „Die Grade der Mediziner waren zugleich Zeugnisse, die zu der Behandlung von Kranken berechtigten." 11 Vgl. schon die Kammergerichtsordnung von 1495 in ihrem § 1. Hierzu genauer Goldschmidt, S. 142 ff., S. 158 ff. 12 Jastrow, S. 219. 18 s. die ausführliche Darstellung bei Jastrow, S. 220—222 und S.227; ferner Oppermann, KulturverwR, S. 107. 14 Jastrow, S. 222. 15 Jastrow, S. 229; Oppermann, KulturverwR, S. 106 f.; Reuhl, S.29—34. « Jastrow, S. 223. 17 Nachweise bei Dohse, S. 11. 18 Paulsen, Band II, S. 93 und 95; Dohse, S. 11. " Dohse, S. 32. 10

2*

20

ί . Teil, 1. Abschn.: Übersicht über die Verbreitung von Prüfungen

Reifeprüfung abhängig gewesen. Solche Prüfungen fanden zwar statt; hatten aber vorwiegend die Funktion, Begabte für Stipendien auszulesen oder die Zahl der Studierenden unterer Schichten zurückzudrängen 20 . I n Preußen wurde, nach Ansätzen i n den Jahren 1788 u n d 1812, erst i m Jahre 1834 das Bestehen der Reifeprüfung zur allgemeinen Voraussetzung für den Universitätsbesuch gemacht 21 . Zwar wurde i n Preußen 1788 die Reifeprüfung obligatorisch; aber auch wenn das Prüfungsergebnis die Note I I I erbrachte, was das Zeugnis der Undichtigkeit zum Studium bedeutete, konnte die Immatrikulation nicht versagt werden. Die verschiedenen Länder des Deutschen Bundes folgten allmählich dem preußischen Beispiel, wobei anfänglich nur für gewisse Studienfächer das Reifezeugnis erforderlich war 2 2 . Neben dem Reifezeugnis kam der mittleren Reife, wenn auch erst ziemlich spät, eine nicht geringe Bedeutung zu; deren Zeugnis w a r aber nicht immer von einer Abschlußprüfung abhängig 23 . Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts finden Prüfungen und Berechtigungen entsprechend der Industrialisierung und Verwissenschaftlichung und dem damit verbundenen Bedeutungszuwachses des allgemeinen und beruflichen Bildungswesens eine ständig wachsende Verbreitung und Bedeutungszunahme. Diese schnelle Entwicklung soll hier nicht nachgezeichnet 24 , sondern nur der jetzige Zustand i n der Bundesrepub l i k gekennzeichnet werden. Die Ubersicht w i r d vielleicht verdeutlichen, weshalb heute dem Ausbildungswesen und speziell den Prüfungen als den Mechanismen, die zu einem großen Teil über die „Lebenschancen" des Einzelnen entscheiden, größere Aufmerksamkeit geschenkt wird 2 5 .

20 Dohse, S. 14. Paulsen, Band II, S. 94 zitiert dazu aus einer hessischen Verordnung von 1721, wonach es den „Bürgern oder Bauern und herrschaftlichen Livreébedienten [untersagt ist], ihre Kinder von den gemeinen Hantierungen ab und zum Studieren oder zum Stande der sogenannten Honoratiorum zu erziehen, er habe denn vorher hinlängliche Atteste von deren Fähigkeiten beigebraòht und gnädigste Einwilligung dazu erhalten." 21 Paulsen, Band II, S. 289; Oppermann, KulturverwR, S. 66. Nach Dohmen, RWS 1961, 134 (138) wollte Wilhelm von Humboldt „als Chef der preußischen Unterrichtsverwaltungen mittels der Schulprüfungen die Geburts-, Standesund Patronatsvorrechte durch eine reine Bildungsauslese ersetzen/ 1 22 Dohse, S. 16. 23 Oppermann, KulturverwR, S. 56 f. 24 s. dazu die Übersicht über die Entwicklung des Bildungs- und Wissenschaftswesens bei Oppermann, KulturverwR, S. 40—118, die auch die Bedeutungszunahme von Prüfungen ersehen läßt. Ferner Bettermann/Goessl, S. 21 ff. zur Entwicklung im Schulwesen. 25 Vgl. nur die berühmte Kennzeichnung der Schule als „nahezu einzige soziale Dirigierungsstelle für Rang, Stellung und Lebens-Chancen des einzelnen in unserer Gesellschaft" bei Schelsky, S. 18.

II. Verbreitung von Prüfungen in der BRD

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Π . Die heutige Verbreitung von Prüfungen in der BRD Die meisten Berufe, insbesondere solche, die nicht nur ganz einfache Tätigkeiten zum Gegenstand haben, stehen faktisch oder kraft gesetzlicher Anordnung nur demjenigen offen, der — meist nach einer vorgeschriebenen Ausbildung — eine Prüfung abgelegt. Die nachfolgende Ubersicht kann allerdings wegen der Vielfalt von Berufen und Prüfunigen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. 1. Gesetzliche Anordnung der Prüfung Eine bedeutende Gruppe ist hier der öffentliche Dienst Laufbahnbeamter kann grundsätzlich nur derjenige werden, der die i n den Beamtengesetzen vorgeschriebenen Prüfungen — die Ausbildungsanforderungen werden i m folgenden nicht mehr gesondert erwähnt — bestanden hat; entsprechendes gilt für die Angestellten i m öffentlichen Dienst 2 5 * Nur für den einfachen Dienst greift das Gesetz lediglich auf Schulprüfungen zurück 88 , während die übrigen Laufbahnen eine nach dem Vorbereitungsdienst abzulegende besondere Staatsprüfung voraussetzen27. Ähnlich vielen anderen Prüfungsvorschriften ist eine Ausnahmemöglichkeit für Sonderfälle vorgesehen 28 , wobei allerdings i n solchen Ausnahmefällen wiederum eine Überprüfung der Befähigung vorgesehen ist 2 9 . Auch der Aufstieg i n eine höhere Laufbahn setzt meist eine Prüfung voraus 80 . Spezialgesetze für besondere Gruppen des öffentlichen Dienstes enthalten nähere Bestimmungen, wie i m Falle der Richter 31 , der Rechtspfleger 32 und der Soldaten 38 . Eine zweite Gruppe bilden die sogenannten „freien Berufe"**. Die verschiedenen ärztlichen Berufe 35 , der Beruf des Rechtsanwalts 36 , des Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23.2.1961, zuletzt geändert am 16. 2.1973, mit Anlage 1 a (Allgemeine Vergütungsordnung). *· § 16 BBG; § 13 Nr. 1 i.V.m. § 14 I I BRRG und ζ. B. §§ 19, 22 LBG B-W. 27 §§17 Nr. 3, 18 Nr. 3, 19 Nr. 2 und 4 BBG; §1411 BRRG (s. aber §14111 BRRG) und § 221 LBG B-W (und entsprechend § 14 I I I BRRG hier § 23 LBG B-W). 28 § 21 BBG; § 4 I I I BRRG und § 6 I I LBG B-W. § 21 S. 2 BBG; § 16 I BRRG und § 26 LBG B-W. 30 § 25 S. 2 BBG; § 12 I I I S. 2 BRRG und § 30 LBG B-W. 31 § 5 DRiG. » §2 RPflG. 33 §27 SoldG. 34 Dazu insgesamt Fleischmann, passim. 35 § 2 I, § 3 I Nr. 4 Bundesärzteordnung vom 4.2.1970 sowie die aufgrund § 4 BÄO ergangene Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 28.10.1970; §§ 11, 21 ZahnheilkundeG vom 31.3.1952 mit der VO vom 26.1.1955; §821,

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. Teil, 1. Abschn.: Übersicht über die Verbreitung von Prüfungen

Patentanwalts 37 , des Wirtschaftsprüfers 38 und des Steuerberaters und Steuerbevollmächtigten 39 sowie des Seelotsen 40 und Kapitäns 4 1 setzen eine meist ziemlich lange Ausbildung voraus, deren Erfolg durch Prüfungen ermittelt wird. Auch die Notare sind hier zu nennen 42 , wenngleich es zweifelhaft ist, ob sie zu den „freien Berufen" gehören 43 . Etwas anders ist die Lage beim Architekten. Die landesrechtlichen Regelungen machen nicht die Berufsaufnahme, wohl aber die Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Architekt" von einer Prüfung abhängig 44 . I m Zusammenhang m i t Normen, die gewisse Tätigkeiten den „Architekten" vorbehalten, bewirkt das einen ähnlichen Zwang, als wäre die Prüfung gesetzliche Voraussetzung der Berufsaufnahme 45 . Für eine Reihe weiterer Berufe, die nicht zu den „freien Berufen" zählen, ist ebenfalls gesetzlich ein m i t einer Prüfung abschließender Ausbildungsgang vorgeschrieben. Das gilt für manche Berufe auf dem Gebiet des Heilwesens wie den Krankenpfleger 46 , den Masseur, medizinischen Bademeister und Krankengymnasten 47 , den medizinisch-technischen 48 und pharmazeutisch-technischen Assistenten 49 und den Apotheker 5 0 . Ferner sind hier bestimmte Einzelhändler 51 und der Fahrlehrer 5 2 zu nennen. 41 Nr. 5 BTierärzteO vom 17.5.1965; § 61 HebammenG vom 21.12.1938 mit VO vom 25.3.1963. * § 4 BRAO mit Verweis auf 5 5 DRiG. 87 § 5 II, III, §§ 6—10 PatentanwaltsO vom 7.9.1966. 38 § 11 sowie §§ 5—14 Wirtschaftsprüfer vom 24.7.1961. 39 § 4 sowie §§ 5—8 SteuerberatungsG in der Fassung vom 11.8.1972. 4 ® §§9, 13, 14 SeelotsenG vom 13.10.1954. 41 § 2 I I SeemannsG vom 26.7.1957. « § 5 BNotO. « Vgl. BVerfGE 17, 371 (377) und Fleischmann, S. 95 und 97. 44 Es sind folgende Architekten- oder Architektenkammergesetze: BadenWürttemberg (v. 5.12.1955) §§ 2 I, 3; Bayern (vom 31.7.1970) §21; Bremen (vom 27.4.1971) §§31, 41b; Hamburg (vom 26.11.1965) §§21, II, 4; Hessen (vom 25.9.1968) §§ I I , 41 Nr. 1; Rheinland-Pfalz (vom 7.5.1963) g l i a — c ; Schleswig-Holstein (vom 12.1.1971) §§ 1I, II, 31 Nr. 1. 45 Vgl. dazu § 90 V LBO B-W und BVerfGE 28, 364 (374) sowie BVerwG DVBÌ. 1967, 150. ~ 4 β § 8 KrankenpflegeG vom 20.9.1965. 47 § 12 G über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom 21.12.1958 mit VÓ vom 7.12.1960. 48 §5 7 II, 9 I I MedTedinAssG vom 8.9.1971. 4 · §§ 21, 5 IIPharmTechnAssG vom 18.3.1968. M § 41 Nr. 5 BApothekerO vom 5.6.1968. 51 §§3 I I Nr. 1, 411 Einzelhandels G vom 5.8.1957; zur augenblicklichen Reichweite s. BVerfG DVB1. 1972, 922. Die Ungültigerklärung des allgemeinen Vorbildungserfordnernissés erfolgte in BVerfGE 19, 330. w § 4 FahrlehrerG vom 25.8.1969.

II. Verbreitung von Prüfungen in der BRD

23

Der Betrieb eines selbständigen Handwerks setzt nach. §§ 1 1 , 7 1 i.V.m. 491 HandwO das Bestehen der Gesellen- und Meisterprüfung voraus. Endlich sind die für die akademische Laufbahn erforderlichen Prüfungen, nämlich Promotion und Habilitation, zu erwähnen 53 , wobei auch hier wie meist Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen sind. 2. Prüflingen, die nicht kraft Gesetzes Voraussetzung der Berufsaufnahme sind Hierher gehören die von den Industrie- und Handelskammern abgenommenen Lehrabschlußprüfungen für Handel, Gewerbe und Industrie, die ihre Rechtsgrundlage früher n u r i n § 1 I I des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern fanden 54 ; inzwischen hat das Berufsbildungsgesetz 55 diesen Bereich — und auch den des Handwerks — neu oder eigentlich erstmalig geregelt. Von Bedeutung für unser Thema sind insbesondere die Vorschriften über die Anerkennung von Ausbildungsberufen und über die Prüfungen i n diesen Berufen 58 . Sie besagen nicht, daß nur diejenigen den betreffenden Beruf ausüben dürfen, die die Prüfung bestanden haben. Wohl aber ist das Prüfungszeugnis faktisch von großer Bedeutung für die Berufswahlmöglichkeiten 57 . Manche akademischen Grade wie i n gewissen Fächern die Promotion oder die durch Universitätsabschlüsse erworbenen Diplome 5 8 sind i n ähnlicher Weise für die Berufswahl von großer Bedeutung, ohne daß kraft Gesetzes nur Inhaber entsprechender Berechtigungen diese Berufe ergreifen könnten. Ein Beispiel hierfür ist das volkswirtschaftliche Diplom, das — ebenso wie früher die Promotion i n diesem Fach 59 — erst den Zugang zu vielen Berufen öffnet. 58 Vgl. die Hochschulgesetze der Länder, beispielsweise § 391 HochschG Ë-W; s. aber auch § 32 I HochschG B-W. Die Promotion ist meist nach der Habilitationsordnung Voraussetzung der Habilitation. Von einer Angabe der Regelungen in den einzelnen Ländern wird abgesehen, weil sich auf diesem Gebiet im Augenblick vieles im Fluß befindet. 54 G vom 18.12.1956. Vgl. dazu die Darstellung zur Prüfung bei Ipsen, S. 79 fï. 65 Vom 14.8.1969. w Insbesondere die §§ 25, 28, 34—43. 67 Der Anteil der Berufsschüler mit Lehrverhältnis an den berufsschulpflichtigen arbeitenden Jugendlichen belief sich 1967 auf 86 °/o. Vgl. Bericht der Bundesregierung und Materialien zur Lage der Nation, S. 195 (Nr. 447). s. auch Richter, Analyse, S. 56. 68 s. zu den Diplomen den Beschl. der K M K vom 12.3.1970 und die Beschlüsse zu einzelnen Ordnungen, abgedr. in der Beschlußsammlung unter Nr. 1915—1949. » Vgl. Jastrow, S. 226.

24

. Teil, 1. Abschn.: Übersicht über die Verbreitung von Prüfungen 3. Prüfungen während der Ausbildung

Die bisherige Übersicht erfaßte Prüfungen, die vor der Berufsaufnahme stehen. Davor ist aber meist eine mehr oder minder große A n zahl von Prüfungen abzulegen, die teils i n den Bereich der allgemeinbildenden Schulen, teils schon i n den der spezifischen Berufsausbildung fallen. Zwischenprüfungen i m Rahmen der Berufsausbildung finden sich bei vielen Hochschulstudiengängen 60 ; aber auch die Lehrlings- und Gesellenprüfung i m Handwerk 6 1 ist als Vorstufe zur Meisterprüfung eine Zwischenprüfung. I m Berufsbildungsgesetz ist vorgesehen, die Ausbildung i n Stufen zu zerlegen und Zwischenprüfungen abzuhalten 62 ; dabei w i r d daran gedacht, die Zwischenprüfungen auf den einzelnen Stufen gleichzeitig zu Ausbildungsabschlüssen zu machen 63 . Der Gegensatz von Zwischenprüfung und Endprüfung beginnt i n dem Maße seine klaren Konturen zu verlieren, wie starre, m i t einem einzigen Abschluß versehene Ausbildungsgänge aufgegliedert werden, so daß ein individuellerer — oder den Bedürfnissen der Gesellschaft besser angepaßter — Ausbildungsgang möglich ist. Endlich ist hier der große Bereiche der Schulprüfungen zu nennen, der die Rechtsprechung zum Prüfungsrecht am meisten beschäftigt hat, und von wo aus deshalb das Prüfungsrecht i n erster Linie rechtlich durchgearbeitet wurde. Die verschiedenen Abschlüsse der allgemeinbildenden Schulen — Hauptschulabschluß 64 , Realschulabschluß 65 und A b i t u r 6 8 — führten lange Zeit ziemlich starr, an den Laufbahnen des öffentlichen Dienstes orientiert 6 7 , jeweils zu bestimmten Berufsgruppen, wobei aber meist noch eine spezifische Berufsausbildung folgte. Daneben besteht eine Vielfalt stärker berufsbezogener Schulen 68 . I n neuerer Zeit ist die 60

Vgl. §§ 6—15 des Beschl. der K M K vom 12.3.1970 zur Vordiplomprüfung. §§ 31 ff. HandwO. «2 §§ 261 und 391 Ziff. 2 BBiG. 63 Zur Verbindung schulischer und beruflicher Berechtigungswirkung vgl. Oppermann, KulturverwR, S. 267 und etwa die Erwägungen, das Abitur stärker als Berufseingangsprüfung auszugestalten, die heute angestellt werden. 64 Der in B-W nicht mit einer Abschlußprüfung verbunden ist, sondern nur im Zeugnis der letzten Klasse besteht; vgl. ζ. B. Bek. des K M vom 21.7.1972, ABl. S. 1042. « s. für B-W die Bek. des K M vom 21.6.1967, ABl. S. 718 in der Fassung vom 28. 6.1972, ABl. S. 981. ββ Vgl. die Vereinbarung der Kultusminister der Länder vom 20.3.1969 über die Anerkennung von Reifezeugnissen und z.B. die ReifeprüfungsO B-W vom 18.7.1971, ABl. 1010, ber. S. 1300. β7 Deutscher Bildungsrat, S. 206. β8 Eine Übersicht hierüber bietet Klohe, S. 5. 61

III. Begriffsbestimmungen

25

rechtliche Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Ausbildungssträngen durch Vermehrung der Abschlüsse und ein vergrößertes A n gebot von sogenannten zweiten Bildungswegen erhöht worden, die das stufenweise Höhersteigen bis zur Fachhochschul- oder Hochschulreife auf neuen Wegen gestatten 69 . Sonderprüfungen für Begabte u. ä. gewähren Ausnahmemöglichkeiten außerhalb der normalen Ausbildungsgänge 70 . Schulprüfungen stehen nicht nur am Schluß der Schulausbildung. Die erste und bisher entscheidende Hürde ist vielmehr die Aufnahmeprüfung für die weiterführenden Schulen nach dem 4. Schuljahr, die inzwischen teilweise ihres punktuellen Charakters entkleidet wurde 7 1 . Während der Schulzeit finden kontinuierliche Kontrollen statt i n der Form jährlicher Versetzung. Sie sind zwar i m Vergleich zu den Schlußprüfungen wenig formalisiert; auch fehlt ihnen, da sie auf den Jahresleistungen beruhen, das Merkmal der Punktualität. Als lernbegleitende Kontrollen stellen sie aber doch eine Form der Prüfung dar, deren Rechtswirkung sich nicht prinzipiell von der der Abschlußprüfungen unterscheidet. A n dieser Übersicht läßt sich ablesen, welche Bedeutung Prüfungen für die Berufs- und damit Lebenschancen heute haben 72 . Sicherlich sind Prüfungen nicht das allein, vielleicht nicht einmal das i n erster Linie entscheidende Instrument der Auslese. Die Forschungen zur Benachteiligung von Unterschichtkindern haben gezeigt, daß weniger formelle, nicht i n Rechtsnormen gegossene Faktoren hier vieles präformieren 73 . Dennoch w i r d man den Einfluß der Prüfungen auf den Ausleseprozeß nicht gering veranschlagen dürfen. ΠΙ. Begriffsbestimmungen und Kategorisierungsversuche Wie die obige Ubersicht zeigt, sind einige Prüfungen kraft Gesetzes Voraussetzung für das Ergreifen eines Berufes oder die Fortsetzung einer Ausbildung oder für beides zusammen. Bei anderen fehlt eine 69

Vgl. die Beschlüsse der K M K zur Anerkennung weiterer Wege zur Erlangung der Hochschulreife, in der Beschlußsammlung unter Nr. 240—275 sowie die Darstellung im Bildungsbericht 70, S. 73. Ferner Oppermann, Bildung, S. 501—505 und Wolff , VerwR I I t § 101 III. 70 Vgl. Beschl. der K M K vom 22.4.1959 in der Fassung vom 12.3.1970 und für B-W die Bek. des K M vom 10.5.1960 in der Fassung vom 11.5.1970, ABl. S. 577. 71 Vgl. den Beschl. der K M K vom 8./9.12.1960 in der Fassung vom 23.2. 1966 sowie für B-W die Bek. des K M vom 31.7.1968, ABl. S. 1615. 72 Die wachsende Bedeutung des Berufes für die Lebensgestaltung hebt z.J3. Werner, DÖV 1958, 435 hervor. 73 * Vgl. die Übersicht bei Heymann/Stein, AöR Bd. 97 (1972), 185 (insbes. 196—202).

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. Teil, 1. Abschn.: Übersicht über die Verbreitung von Prüfungen

normative Verknüpfung zwischen Prüfung und Beruf oder weiterer Ausbildung; dort scheint sich die Rechtswirkung der Prüfung i n der Bescheinigung des erfolgreichen Bestehens oder des Nichtbestehens zu erschöpfen. Erst eine genauere Durchsicht der Bedeutung solcher Prüfungen i m Lichte einzelner Grundrechte w i r d diese Frage endgültig beantworten können. Prüfungen sind nach ihrer Stellung i m Ausbildungsgang Eingangs-, Zwischen- oder Abschlußprüfungen. Eine Abschlußprüfung kann zugleich die Funktion einer Eingangsprüfung wahrnehmen; deshalb ist diese Unterscheidung rechtlich wenig bedeutsam 74 . Nach Prüfungsarten unterteilt 7 5 kann man schriftliche, mündliche und praktische Prüfungsweisen unterscheiden, wobei die Grenzen fließend sind: die Anfertigung einer Ingenieurzeichnung kann man als schriftliche oder als praktische Prüfung, ein Planspiel als mündliche oder als praktische Prüfung bezeichnen. I n der Rechtsprechung tauchte vereinzelt der Unterschied von Prüfungen m i t Wettbewerbscharakter und solchen ohne diese Eigenschaft auf 76 . Rechtlich bedeutsamer ist die zeitliche Differenzierung der Prüfungsformen i n punktuelle und laufende oder ausbildungsbegleitende Prüfungen. Diese Unterscheidung berührt schon die Abgrenzung der Prüfungen von Kontrollen, die oft schon nicht mehr als Prüfungen bezeichnet werden. Unter Prüfungen versteht man herkömmlich i n gewisser Weise formalisierte Verfahren, i n denen eine Eigenschaft des Prüflings ermittelt wird. Der Prototyp sind die hochformalisierten punktuellen Abschlußprüfungen wie ζ. B. die Staatsexamina, die vor den freien Berufen und dem Staatsdienst stehen. Bei einer Reihe derartiger A b schlüsse sind für die Feststellung des Prüfungsergebnisses aber nicht nur die i n diesem formalen Verfahren bearbeiteten Aufgaben, sondern auch Leistungen, die während der Ausbildung erbracht und bewertet wurden, zu berücksichtigen 77 . Starke Bestrebungen gehen dahin, noch weitergehend die einmalige punktuelle Prüfung durch ausbildungsbegleitende Leistungskontrollen teilweise oder ganz zu ersetzen. Aus diesen Gründen geht es nicht an, i m folgenden nur die stark formalisierten punktuellen Prüfungen zu erörtern und zeitlich gedehnte Prüfungsformen auszuklammern. Es w i r d vielmehr zu untersuchen sein, inwieweit für beide Formen — die sich nicht eindeutig geprägt gegenüber74

So auch Baur, JZ 1952, 302 gegen Wolff, JZ 1951, 585. Vgl. die ausführliche Unterteilung und Aufzählung bei Bornemann, S. 22 ff. 7 « BVerwGE 16, 150; BayVerfGH η F 17 (II), 92 (93). 77 Vgl. ζ. B. die Ermächtigung in § 5 d DRiG, von der schon mehrere Bundesländer Gebrauch gemacht haben. Nach §911 ReifeprüfungsO B-W zählt die Jahresleistung der letzten Klasse im Abitur mit. 75

III. Begriffsbestimmungen

27

stehen, sondern i n vielfältigen Mischungen ineinander übergehen können — teilweise verschiedene Beurteilungskriterien gelten. Prüfungen i m Sinn dieser Arbeit sind also alle Verfahren zur Ermittlung bestimmter persönlicher Eigenschaften, die m i t einer rechtlich bedeutsamen Bekundung des Ergebnisses abschließen. Damit sind diejenigen Prüfungen ausgeschlossen, die nur der Selbstüberprüfung dienen, ohne rechtliche Wirkung zu entfalten. Ferner bleiben i m folgenden die dienstlichen Beurteilungen von Beamten außer Betracht.

2. Abschnitt

Überblick über einige Aspekte nichtjuristischer Untersuchungen zu Prüfungen Der Schwerpunkt der Beschäftigung m i t Prüfungen liegt bisher keineswegs auf juristischem, sondern auf pädagogischem und teils auch psychologischem Gebiet 1 . Einschlägige juristische Arbeiten haben diese Untersuchungen bisher fast gar nicht zur Kenntnis genommen, obwohl i n ihnen ausdrücklich oder implizit auf die verfassungsrechtliche Bedeutung der Ergebnisse hingewiesen wurde 2 . I n der vorliegenden Arbeit soll u. a. der Versuch unternommen werden, die Bedeutung dieser Forschungen für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Prüfungen zu ermitteln. Deshalb werden diese Ergebnisse i n einem notwendig kursorischen Überblick dargestellt. Der Überblick muß aus mehreren Gründen gerafft sein: zum einen liegt auf einigen Teilgebieten eine solche Fülle von Untersuchungen vor, daß eine erschöpfende Aufzählung und Auswertung zu umfangreich würde; zum anderen ist der Verf. auf diesem Gebiet Laie, so daß er manche Detailprobleme — und nicht n u r sie — gar nicht angemessen darstellen oder gar kritisieren könnte. Er ist deshalb weitgehend auf zusammenfassende Darstellungen von Fachleuten angewiesen. Durch Heranziehen möglichst vieler Sammelbände und zusammenfassender Untersuchungen soll i n gewissem Maße gewährleistet werden, daß keine wichtigen Aspekte oder Forschungsrichtungen ganz außer Acht gelassen werden. Eine weitere Einschränkung liegt darin, daß sich das Augenmerk nicht gleichmäßig auf das gesamte Feld der Prüfungsforschung richtet, sondern die Auswahl schon i m Hinblick auf mögliche juristische Fragestellungen erfolgt. Wenn hier versucht wird, einen Überblick über die Ergebnisse der Prüfungsforschung zu geben, heißt das nicht, daß n u r gesicherte, eindeutige Befunde aufgeführt würden. Das Bemühen ging i m Gegenteil dahin, auch Unklarheiten und divergierende Resultate mitzuteilen. Es handelt sich auch keineswegs überall u m gleichermaßen empirisch fun1

Ausführliche Literaturübersichten finden sich bei Dohse, S. 149 ff., Zielinski passim (vorwiegend ältere deutsche Literatur); Ingenkamp, Kommentar, S. 277 ff., Kvale, S. 241 ff. (neuere, auch ausländische Literatur). 2 z. B. Ingenkamp, Kommentar, S. 23, S. 220; Tent, S. 164 f., S. 171.

I. Ùie verschiedenen Funktionen von Prüfungen

29

dierte Folgerungen, vielmehr sind es oft nur durch Alltagserfahrungen gewonnene Einsichten oder Vermutungen. A u f sie zu verzichten hieße aber, wichtige, wenngleich weniger leicht meßbare Problembereiche von vornherein auszuklammern. I. Die verschiedenen Funktionen von Prüfungen Eine Beurteilung von Prüfungen — auch i n rechtlicher Hinsicht — ist erst möglich, wenn Klarheit darüber besteht, was m i t ihnen bezweckt wird. Vom juristischen Standpunkt aus mag das eindeutig erscheinen: der Auslese der Qualifizierten sollen sie dienen. Doch lehrt näheres Hinsehen, daß sich ihre Bedeutung nicht darin erschöpft. Lehrende stoßen i n ihrer Berufspraxis dauernd auf verschiedene Funktionen von Prüfungen und auf die Schwierigkeit, sie miteinander zu vereinbaren 3 . I m folgenden w i r d unter „Funktion" i n erster Linie die beabsichtigte Wirkung einer Prüfung verstanden. Oft ist aber nicht deutlich, welchem Zweck eine Prüfung dient, sei es, weil man sich darüber nicht i m klaren ist, oder weil man die erstrebte W i r k u n g nicht offiziell der Prüfung zuschreiben w i l l . Außerdem haben Prüfungen wie die meisten gesellschaftlichen Institutionen Nebenwirkungen, die nicht beabsichtigt sein mögen, deren Berücksichtigung aber für eine sinnvolle Diskussion über Nutzen und Nachteil von Prüfungen oder bestimmter Prüfungsmodalitäten unerläßlich ist. Deshalb werden auch diese Funktionen i m Sinne bloßer Wirkungen miterörtert. Es bietet sich an, die Funktionen i n vorwiegend gesellschaftliche 4 und vorwiegend pädagogische zu unterteilen. Nicht als ob die Pädagogik außerhalb der Gesellschaft stünde. Aber einige Funktionen sind doch deutlich auf den pädagogischen Prozeß des Lernens und der Bildung bezogen, während andere stärker die Gesellschaft betreffen, die den Absolventen Positionen zuweist. Gerade von Pädagogen w i r d nicht selten — oft i n zu starker Entgegensetzung gegen den gesellschaftlichen Bereich — die pädagogische Bedeutung von Prüfungen hervorgehoben 5 . 1. Gesellschaftliche Funktionen von Prüfungen a) Prüfungen sind ein Kontrollinstrument der Gesellschaft. I m Vordergrund steht die Kontrolle des Prüflings, seines Wissensstandes und »Vgl. Dohse, S.62ff.; Flechsig et al, S.17ff.; Flitner, S.534ff.; Huber, Sachkatalog, S. 18 ff.; Ingenkamp, Kommentar, S. 16 ff. 4 Im weiten, den staatlichen Bereich umfassenden Sinn. 6 z. B. Salzmann, S. 16; s. auch Jahoda, UQ 1966/67, 269 (270).

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I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

seiner Leistungsfähigkeit®. Die Funktion der Kontrolle kann aber auch i n der „Zensur" i m Sinne der Meinungskontrolle liegen — sei es, daß die Prüfung die Übernahme eines herrschenden Wertkanons, einer Ideologie sichert 7 , oder daß sie — ζ. B. durch eine bestimmte Fassung des Leistungsbegriffes — mehr oder weniger beabsichtigt den Zugang zu höheren Positionen einer bestimmten Sozialschicht vorbehält 8 . Weniger deutlich t r i t t zutage, daß m i t Prüfungen auch die Leistung des Lehrers und der Schule oder der Bildungsanstalt insgesamt kontrolliert werden kann 9 . So wurden i n England beispielsweise zeitweilig die Finanzzuweisungen an einzelne Schulen von den Examensergebnissen abhängig gemacht, und nach dem norwegischen Schulgesetz von 1809 hatte ein Rektor 20 Reichstaler Bußgeld zu bezahlen, wenn einer seiner Kandidaten i m Examen A r t i u m durchfiel 10 . Die schlechten Leistungen wurden also jedenfalls auch der Schule und nicht allein dem Schüler zugerechnet. Auch die heute verbreitete Teilnahme von Beamten der Schulverwaltung an Schulprüfungen w i r d unter anderem m i t diesem Gesichtspunkt erklärt 1 1 . Man kann sich vorstellen, wie ein Lehrer u m das Abschneiden seiner Abiturklasse bangt und eine Schule insgesamt den Abiturserfolg ihrer Schüler — ob zu Recht oder zu Unrecht — als Beweis ihrer Anstrengungen oder ihres Versagens ansieht. Auch insofern sind Prüfungen also vermutlich wirksame Kontrollinstrumente. b) I m Mittelpunkt der juristischen, nicht aber der pädagogischen Betrachtung steht meist die Funktion der Berechtigungsverleihung und der Auslese sowie der Plazierung 12 . Bestandene Prüfungen verleihen regelmäßig die Berechtigung, einen bestimmten Ausbildungsgang einzuschlagen oder einen Beruf zu ergreifen. Auch wo das nicht der Fall ist, w i r d das Bestehen beurkundet und damit oft faktisch eine bestimmte Berufswahl erleichtert. Die Berechtigung erhalten nur diejenigen, die sich qualifiziert haben, wobei als Qualifikationsmerkmal meist die Leistung auf einem bestimmten Gebiet gilt. Die Prüfung dient so regelmäßig der Auslese der Qualifizierteren aus einer größeren Bewerberzahl. Oft werden die Ausgelesenen noch i n eine Rangfolge gebracht, wobei der bessere Rang m i t « Dohse, S. 63. 7 Dazu insbes. Kvale, S. 127, S. 160ff.; Lautmann, Soziale Welt 1970/71, 360(364); auch Judges, S. 19. 8 Kuhlmann, S. 80; Judges, S. 29; Tent, S. 165, S. 171. • Flechsig et al, S. 24 f.; Dohse, S. 63. *· Kvale, S. 77. 11 Göller, S. 129 f. 12 Dazu Dohse, S. 621; Flechsig et al., S. 4; Sader, Prüfungen, S. 1; Undeutsch, S. 377.

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ie verschiedenen Funktionen von Prüfungen

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besseren Berufsaussichten verbunden ist. W i r d unter den Erfolgreichen weiter ausgelesen, wie zur Zeit bei der Hochschulzulassung i n numerus-clausus-Fächern, dann gewinnt der Rangplatz unmittelbar rechtliche Bedeutung; die Plazierung ist dann m i t einer besonderen Berechtigung verbunden. Daran zeigt sich deutlich der Zusammenhang dieser drei Funktionen. c) Eng m i t der Auslesefunktion verbunden ist die Schutzfunktion der Prüfung. Sozial gefährliche Tätigkeiten soll nur derjenige ausüben dürfen, der seine Befähigung hierfür nachgewiesen hat 1 3 . Das gilt i n gleicher Weise für die Fahrprüfung wie beispielsweise für das medizinische Staatsexamen. d) Ebenfalls i m Zusammenhang m i t der Auslese- und Plazierungsfunktion steht die Funktion von Prüfungen, Chancengleichheit herzustellen 14 . Von pädagogischer Seite w i r d diese Bedeutung von Prüfungen eher unterbewertet — wohl u. a. deswegen, weil sich beträchtliche Mängel bei der Erfüllung dieser Funktion zeigen —, doch erweist ein historischer Rückblick, daß die Einführung von Prüfungen oft gerade den Zweck hatte, die Zuteilung gehobener Positionen nicht mehr von Beziehungen und damit von der Zugehörigkeit zu einem Stande abhängig zu machen, sondern stattdessen Leistungskriterien heranzuziehen 15 ; zugleich stand dabei häufig das Bedürfnis i m Hintergrund, befähigte Leute m i t entsprechenden Aufgaben zu betrauen. Andererseits ist es denkbar, daß Prüfungen durch Herstellung nur scheinbarer Chancengleichheit der Verschleierung von Herrschaft dienen 16 . e) Dem Prüfungszeugnis soll man entnehmen können, was der I n haber gelernt hat, was er jetzt kann und was er künftig leisten wird. Insofern erfüllen Prüfungen eine Berichts- und Prognosefunktion 17. Die Gesellschaft benötigt diese Informationen, u m die Fähigkeiten des Be13 Flechsig et al, S. 18; Jahoda, UQ 1966/67, 269 (270), die darauf hinweist, daß die Untersuchungen im Juniheft 1967 von Universities Quarterly diesen Aspekt vielleicht zu wenig beachten. 14 Flechsig et al, S. 4; Ingenkamp, Kommentar, S. 13, S.37; Ingenkamp, Möglichkeiten, S.407; Judges, S. 19; Kvale, S. 57; Piéron, S. 40. 15 Ager, UQ 1966/67, 272(287); Brereton, S.37, der hinsichtlich der Einführung des Examens für manche Stellen im englischen Civil Service ausführt: „It was intended to do away with nepotism and all kinds of favouritism and corruption connected with civil service appointments." Nach Judges, S. 29, wurde dieses Ziel aber nicht erreicht, da sich die Prüfung an Oberschichtnormen klassischer Bildung orientierte. Auch Holmes und Lauwerys, S. 4 f. weisen darauf hin, daß das ähnlich neutral gedachte chinesische Prüfungswesen konservativ wirkte. Ebenso betonen Ingenkamp, Kommentar, S. 38 und Kvale, S. 56 f. die Bedeutung für die Chancengleichheit, aber auch die mangelhafte Verwirklichung, s. auch oben 1. Abschn. 1β Insbes. Kvale, S. 57 und S. 163 ff. m. w. N. betont diese Sicht. 17 Bahrdt, DUZ 1972, 536(542); Hotyat, S.358; Flechsig et al, S. 18; Flitner, ZfP 1966, 511 (535).

32

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

treffenden optimal einsetzen zu können. Die Prognose kann sich dabei auf verschiedene Bereiche, etwa auf die Eignung für einen bestimmten Beruf oder auf die Eignung zu wissenschaftlicher Betätigung beziehen. f) Lautmann hat aus soziologischer Sicht die Funktionen der Sanktion, der Machtausübung und der Normsetzung hervorgehoben 18 . Letztere — die nicht eigentlich eine gesellschaftliche Funktion darstellt — w i r d auch sonst oft hervorgehoben: die durch die Prüfung dem einzelnen zugewiesene Note w i r k t als Norm i n dem Sinne, daß sich der „Benotete" wie auch seine Mitmenschen nach dieser Note richten und ihr vorher vielleicht davon abweichendes Urteil der Note angleichen. Die Benotung hat also die W i r k u n g einer self-fulfilling prophecy 19 . 2. Pädagogische Funktionen von Prüfungen Prüfungen können pädagogische Bedeutung für den Prüfling wie für den Lehrenden haben; das gilt nicht nur für Prüfungen, die während der Ausbildungszeit abgehalten werden, sondern auch für Abschlußprüfungen. Einzelne dieser Funktionen lassen sich besonders deutlich an Schulprüfungen erkennen, doch gilt das meiste ähnlich für andere Prüfungen. a) Prüfungen während der Ausbildung ermöglichen es dem Lernenden, seinen Leistungsstand und den Erfolg seiner Bemühungen kennenzulernen, i h n durch Vergeich m i t den Noten der Mitschüler oder Kommilitonen besser einzuschätzen, und daran das weitere Lernen zu orientieren 20 . b) Beide A r t e n von Prüfungen können den Lernprozeß und den Unterrichtsstoff strukturieren: sowohl zeitlich dadurch, daß bestimmte Abschnitte markiert werden, als auch durch inhaltliche Gliederung des Stoffes, die sich i n den jeweiligen Klassenzielen oder Prüfungsordnungen manifestiert 21 . Auch die A r t des Lernens w i r d durch die Formen der Prüfung geprägt, weil sich der Unterricht an ihnen orientiert 2 2 . c) Große Bedeutung w i r d Prüfungen i m allgemeinen als Anreiz zum Lernen oder, weniger positiv formuliert, wenigstens als unverzichtbares Druckmittel i m Fortgang des Ausbildungsprozesses zugeschrieben 23 . 18

Lautmann, Soziale Welt 1970/71, 360 ff. Dazu z.B. Himmelweit, UQ 1966/67, 359 (360); Oppenheim et al, UQ 1966/67, 341 (347); Salzmann, S. 133. 20 Kvale, S. 76. 21 Cox, UQ 1966/67, 352(354); Huber, Reglementierung, S.86; Sader, Prüfungen, S.2. 22 Ingenkamp, Möglichkeiten, S. 408; Kvale, S. 44. 23 Dohse, S. 31 berichtet, daß Zeugnisse im 16. Jhdt. in Jesuitenschulen speziell zur Anstachelung des Ehrgeizes verwendet wurden, während sie später 19

I.

ie verschiedenen Funktionen von Prüfungen

33

Diese Funktionen finden sich entsprechend aus der Sicht des Lehrenden und Prüfenden. d) Er lernt durch die Prüfungsergebnisse die Leistungen der Prüflinge kennen und kann sie untereinander vergleichen und damit besser einschätzen. Er sieht zugleich die Schwierigkeiten beim einzelnen Schüler; das erlaubt es ihm, individuelle pädagogische Stützmaßnahmen zu ergreifen. e) Zugleich zeigen i h m die Ergebnisse den Erfolg seines Tuns und ermöglichen es, gegebenenfalls entsprechende Korrekturen an seinem Lehrverhalten vorzunehmen 24 . f) Der Anreiz- und Druckfunktion für den Schüler entspricht auf Seiten des Lehrenden die Prüfung als Disziplinierungsmittel. Er w i r d den Gehorsam oft wirksam durch den Hinweis auf die Bedeutung des Versetzungs- oder Abschlußzeugnisses u. ä. erzwingen 25 . 3. Weitere Klassifizierungen Diese Aufzählung von Funktionen ist nicht erschöpfend. Einzelne Aspekte lassen sich weiter untergliedern, und andere Unterteilungen und damit andere Akzentsetzungen sind möglich 26 . Der Übersichtlichkeit halber und als Vergleich sei die Systematisierung von Flechsig et al. hier noch angefügt 27 : Evaluation

Fremdevaluation

Qualifikationsnachweis

Beratung

Plazierungen/ • Selektion

Selbstevaluation

Lebensplanung Selbststeuerung von Lern-

Fremdevaluation

Kritik

Selbstevaluation

Vergleich

Reditfertigung

Verbesserung

in den Elementarschulen vorwiegend die Einhaltung der Schulbesuchspflicht sichern sollten. Vgl. auch Kvale, S. 69. 24 Vgl. Eckstein, Problematik, S. 49. 25 Ingenkamp, Kommentar, S. 27. 2β Vgl. ζ. B. die Zusammenstellung bei Ingenkamp, Möglichkeiten, S. 411 und ders., Kommentar, S. 16 ff. 27 Flechsig et al., S. 26. 3

Pietzcker

34

I. Teil, 2. Abschn.:. Überblick über nichtjuristische Untersuchungen I I . Kritik an Prüfungen 1. Negative Aspekte einzelner Funktionen

Bei fast allen der zuletzt dargestellten pädagogischen Funktionen lassen sich negative Nebeneffekte denken. Zum Teil kann man einfach die einzelnen Funktionen m i t negativem Akzent versehen: der Bericht, den die Prüfung über die Leistung gibt und der zur Selbsteinschätzung verhelfen soll, bezieht sich eben nur auf die Leistung. Dieser eine Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung verdrängt andere, ebenso wichtige Momente und gerät unangemessen i n den Vordergrund, wie vor allem Schulpädagogen befürchten 28 . Auch i m Rahmen der bloßen Leistungsmessung besteht die Gefahr, daß schwerer meßbare Fähigkeiten vernachlässigt werden 29 . Der Anreiz durch die Prüfung mag zur Folge haben, daß unter den Lernenden Konkurrenzhaltung anstatt Bereitschaft zu Kooperation 30 gefördert wird, und daß die Freude am Lernen erlischt oder nicht geweckt wird, daß also sekundäre Motivation Ansätze zu primärer Motivation verschüttet 31 . Endlich führt der Anreiz oder Druck bei bestimmtem Persönlichkeitshabitus, insbesondere bei sensibleren Menschen zu Lernhemmungen durch Prüfungsangst, die schon weit vor der Prüfung die Entwicklung beeinträchtigen kann 3 2 . Bekannt ist auch, daß schlechte Noten eine Mißerfolgsmotivation hervorrufen können, die den Betroffenen den Mißerfolg suchen lassen; auf den Aspekt der self-fulfilling prophecy- Wirkung wurde oben (2. Abschn., I. 1. f.) schon hingewiesen. Die Strukturierung des Lehrstoffs durch die Prüfung kann dazu führen, daß interessante Gebiete, auf die man stößt, nicht näher betrachtet werden, w e i l sie nicht i m Lehrplan — der auf die Prüfungsordnung abgestimmt ist — enthalten sind; Fragen hierzu werden von den Schülern gar nicht erst gestellt oder vom Lehrer abgebogen 33 . 2. Widersprüche zwischen einzelnen Funktionen Größere Schwierigkeiten treten auf, weil sich einzelne beabsichtigte Wirkungen nicht oder nur schlecht miteinander vereinbaren lassen. 28

Nachweise bei Dohse, S. 721 Salzmann, S. 18. 80 Cox, UQ 1966/67, 352 (355); Eckstein, Problematik, S.53; Kvale, S.71; Salzmann, S. 18 f. 81 Dohse, S. 86 m. w. N. und S. 92 mit Hinweisen auf schwedische Versuche, auf Schulzensuren zu verzichten. 82 Flechsig et al., S. 14; Salzmann, S. 19. 85 Dohse, S. 85 m. w. Ν.; Holmes und Lauwerys, S. 13; Wong, S. 363. 29

II. Kritik an Prüfungen

35

a) Die meist ziemlich selbstverständlich den Prüfungen abverlangte Leistung, den Stand des Wissens oder Könnens eines Prüflings zu ermitteln und damit zugleich seine künftige Leistungsfähigkeit vorauszusagen, w i r d nur sehr unvollkommen verwirklicht 3 4 . Daß ein Bericht über den Stand des Könnens i m Zeitpunkt der Prüfung auf andere Faktoren abstellen kann oder muß als eine Prognose, zeigt die einfache Überlegung, daß der Bericht, wie ihn herkömmliche Zeugnisurkunden geben, nicht den individuellen Zeitaufwand und die äußeren Umstände der Prüfungsvorbereitung berücksichtigt. Der begabtere Faule und der weniger begabte Fleißige können die gleiche Note erhalten, obwohl die Prognose ganz verschieden ausfallen mag, wenn etwa Umstände die Annahme nahelegen, daß der Begabtere später wachsendes Interesse und damit bessere Leistungen zeigen wird 8 5 . Bei der Prognosefunktion liegt eine Schwierigkeit darin, daß die Prüfung oft zugleich über die Berufseignung und über die Eignung für weitere wissenschaftliche Ausbildung Auskunft geben soll 86 . Damit ist das später zu erörternde Problem der Validität von Prüfungen berührt. Hier sei nur angemerkt, daß diese Verbindung zweier Prognoseaspekte zum Teil i m Interesse einer engen Verbindung von Wissenschaft und Praxis auch begrüßt wird 8 7 . b) A n dem Umstand, daß Prüfungen nicht nur die Leistungen der Prüflinge, sondern auch die der Lehrer oder der gesamten Bildungsinstitution spiegeln, läßt sich ein gravierender weiterer Widerspruch aufweisen. Die Berechtigungsfunktion und die Funktion der Herstellung von Chancengleichheit beruhen auf der Voraussetzung, daß der Prüfling für das Ergebnis der Prüfung verantwortlich ist und i h m deshalb die Folgen zugerechnet werden können. Gibt das Prüfungsergebnis aber zugleich Aufschluß über die Leistungsfähigkeit der Ausbildung, so bedeutet das, daß ihre Qualität i n das Ergebnis m i t einfließt und eine volle Zurechnung allein an den Prüfling nicht gerechtfertigt ist 3 8 . Die genannten Funktionen sind also insoweit beeinträchtigt, als 34 Dohse, S. 74 mit Hinweis auf eine Untersuchung, wonach zwischen Leistung und Leistungsdisposition keine direkte Proportionalität besteht; Holmes, S. 5; Ingenkamp, Möglichkeiten, S.412; Oppenheim et al., UQ 1966/67, 341 (343); Piéron, S. 75. 35 Vgl. Flitner, ZfP 1966, 511 (535). 39 Holmes und Lauwerys, S. 13. 37 z. B. Bahrdt, DUZ 1972, 536 (540); Reese, S. 15. 38 Kvale, S.77; Oppenheim et al., UQ 1966/67, 341 (345) weisen darauf hin, daß „the notion of individual reponsibility is typical for our culture at the present time [...] Only when the proportion of failures rises beyond about one-sixth do we begin to wonder whether something might be wrong with our own teaching. Likewise, it is extremely rare to find universities blaming high failure figures on their student selection procedures and even rarer to find failure blamed on poor advice to the student which led to the wrong choice

8*

36

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

das Prüfungsergebnis über den Rahmen einer Bildungsinstitution, eventuell schon einer Schulklasse o. ä. hinausreicht, wie es bei den meisten Prüfungen der Fall ist. c) Die pädagogischen Funktionen sind oft nur bedingt m i t den gesellschaftlichen zu vereinbaren, und an dieser Doppelbedeutung von Prüfungen, nämlich sowohl den Bildungsprozeß zu beeinflussen als auch die Anforderungen der „außerhalb" stehenden Gesellschaft zu erfüllen, entzündet sich hauptsächlich die Prüfungskritik aus pädagogischer Sicht. Inbesondere die Funktion, Berechtigungen zu verleihen und deshalb ohne Ansehen der Person den Leistungsstand zu messen, scheint m i t pädagogischen Erfordernissen zu kollidieren 3 9 . E i n wesentlicher Teil des Konflikts kann m i t den Gegensatzpaaren Absehen von Besonderheiten versus Eingehen auf individuelle Unterschiede, Distanz versus Nähe, Beurteilung versus Förderung beschrieben werden. Während die Prüfung höchstmögliche Neutralität und Objektivität zu verlangen scheint, u m der Berechtigungs- und Auslesefunktion gerecht zu werden, ist es das pädagogische Interesse, die individuellen Fähigkeiten zu fördern, nicht von allen dieselbe Leistung zu verlangen, sondern auf die Begabungsschwerpunkte des einzelnen einzugehen und, wenn sich Schwächen zeigen, helfend einzugreifen, statt distanziert zu urteilen 4 0 . Zensuren werden oft i n erzieherischer Absicht benutzt, indem sie als Warnzeichen schlechter oder als Aufmunterung besser als der Leistung angemessen festgesetzt werden 41 , obwohl die Berechtigungsfunktion derartige Rücksichten verbietet. Die Pflicht zur „objektiven" Beurteilung w i r d als Störung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses empfunden, die den ganzen Unterricht vergiften kann 4 2 . 3. Mängel bei der Erfüllung einzelner Funktionen Endlich richtet sich die K r i t i k auf die Tatsache, daß traditionelle Prüfungen die einzelnen Funktionen — von ihren Widersprüchen abgesehen — teilweise nur sehr unvollkommen wahrnehmen. of subject. In most of these matters we find again the notion of personal and individual responsibility." 89 Flechsig et al, S. 35 ziehen daraus die Konsequenz, daß angesichts der bestehenden Bedeutung der Auslese und Berechtigung die Prüfungen bei größtmöglicher Objektivität jedenfalls so beschaffen sein sollen, daß sie den Lernprozeß möglichst wenig behindern; vgl. auch Ingenkamp, Kommentar, S. 27; Kvale, S. 42, S. 74; Salzmann, S. 19, S. 58. 40 Cox, UQ 1966/67, 292(334); Höhn, Objektivierung, S. 82; ferner bei Judges, S. 28, das Zitat von R. A. C. Oliver, daß die „dual functions of educational systems — to educate and to assign people to roles — is a perennial source of difficulty." 41 Nachweise bei Dohse, S. 71; daß sich auch bei Abschlußprüfungen derartige Einflüsse finden, macht einen Teil der Kritik aus, Ingenkamp, Möglichkeiten, S. 412. 42 Dohse, S. 62 f. m. w. N.

II. Kritik an Prüfungen

37

a) Eng m i t dem Problem der Doppelfunktion von Bericht und Prognose hängt es zusammen, daß der Bericht selbst regelmäßig wenig aufschlußreich ist. A u f die K r i t i k Flitners, daß dem Bericht nicht die eigentlich wichtigen Umstände zu entnehmen sind, wurde schon soeben (unter 2 a) hingewiesen. Aber auch davon abgesehen erscheint es vielen Autoren als ein ganz unzureichender Versuch, i n einer einzigen Ziffer verschiedene Leistungsaspekte wie etwa Vollständigkeit des Wissens, gelungene Darstellung, phantasievolle Gedanken, systematisches Vorgehen und dergleichen (bzw. jeweils den Grad des Mangels daran) m i t teilen zu wollen 4 8 . Zudem gibt die Note keinen Aufschluß über das tatsächlich Gelernte, sondern nur über das meist sehr umfangreiche Gebiet, innerhalb dessen gelernt wurde 4 4 . b) Ähnlich entzündet sich die K r i t i k der Prognosefunktion — von wichtigen Aspekten abgesehen, die anschließend gesondert erörtert werden — daran, daß bei vielen Prüfungsformen an die zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt erbrachte Leistung weitreichende Folgen geknüpft werden 45 . c) Fast alle Funktionen der Prüfung hängen i n ihrer Wirksamkeit davon ab, daß die Grundfunktion, nämlich: das Wissen, die Leistung oder sonst eine Eigenschaft oder ein Verhalten des Prüflings zu ermitteln, angemessen erfüllt wird. Hier hat nun die pädagogische und psychologische Forschung am ausgiebigsten gearbeitet und gravierende Mängel aufgedeckt, die Prüfungen als ein für die meisten Aufgaben nur bedingt geeignetes Instrument erscheinen lassen. Lediglich die Funktionen der Stoffgliederung, vor allem aber des Anreizes oder Druckes, der Disziplinierung und der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Wertemuster oder Ideologien ist davon nicht berührt. Das hat zu der Vermutung geführt, daß hierin die eigentlichen und wirksamsten Funktionen von Prüfungen liegen 48 . Wegen ihrer Bedeutung auch für die rechtliche Beurteilung von Prüfungen werden die Forschungen zur Leistungsmessung durch Prüfungen anschließend gesondert und ausführlicher dargestellt.

48 Dohse, S. 55 m. w.N. zum Kampf für und gegen die Ziffernzensur; Eckstein, Problematik, S. 49 f.; Ingenkamp, Kommentar, S.40f.; Kvale, S.76. 44 Eckstein, Problematik, S. 50 und insbes. Reese, S. 15 mit Hinweis auf die US-Praxis. 45 Niblett, S. 278 unter Hinweis auf US-amerikanische Gewohnheiten: „there ist a powerful desire not to classify a man at one stage of his life in a way that might give him either a permanent privilege or a permanent handicap;" vgl. auch Salzmann, S. 138. 46 Kvale, S. 120 ff.; Lautmann, Soziale Welt 1970/71, 360 (insbes. 3741).

38

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen Ι Π . Insbesondere: Kritik an Leistungsmessung und -beWertung

Die meisten empirischen Arbeiten befassen sich m i t Fragen der Leistungsmessung und Leistungsbewertung. Das ist nicht zufällig so, denn diese Aspekte lassen sich ziemlich gut messen. Die Entwicklung der Testforschung und der Statistik haben die Möglichkeiten auf diesem Gebiet erheblich verbessert. 1. Erläuterung einiger Fadibegriffe a) Gütekriterien Zum besseren Verständnis der Darstellung ist es nötig, einige Begriffe der Testtheorie und der Statistik kurz zu erläutern. I m Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch gliedert die Testtheorie die „Brauchbarkeit" von Tests oder Prüfungen nach verschiedenen Aspekten auf, wobei aber wichtig ist, daß es sich nur u m verschiedene Aspekte derselben Sache handelt, die zudem nicht unabhängig voreinander sind. Die Aufgliederung kann ziemlich weit gehen und ist nicht immer einheitlich 47 . Für unsere Zwecke genügt folgende Dreiteilung: Eine Prüfung w i r d objektiv genannt, wenn die Ergebnisse unabhängig vom Untersucher sind 48 . I n dem Maße, wie ζ. B. zwei Prüfer zur selben Bewertung kommen oder derselbe Prüfer gleiche Leistungen gleich bewertet, ist die Prüfung i n diesem Sinne objektiv. Der zweite Aspekt betrifft die Reliabilität (Zuverlässigkeit) einer Prüfung. Man versteht darunter den Grad der Genauigkeit, m i t dem sie ein Merkmal mißt, und zwar gleichgültig, ob sie dieses Merkmal auch zu messen beansprucht 49 . Ein Test ist reliabel, wenn er bei einer Wiederholung — den darin liegenden Ubungseffekt ausgeschaltet — oder wenn die Anwendung eines parallelen Tests zu demselben Ergebnis führt 5 0 . Die Reliabilität einer Prüfung kann durch verschiedene Umstände beeinträchtigt werden. Beispielsweise erfaßt eine Prüfungsaufgabe vielleicht nur einen kleinen Ausschnitt aus dem zu prüfenden Gebiet, so daß eine Wiederholungsprüfung, die ebenfalls einen kleinen, zufällig dem Prüfling bekannten Ausschnitt betrifft, ein ganz anderes Ergebnis erbringt. Davon zu trennen ist die Frage der Validität (Gültigkeit) einer Prüfung. Sie zielt darauf, ob eine Prüfung das mißt, was sie messen soll 61 . « Vgl. Lienert, S. 14—16 m. w.N. 48 Lienert, S. 13. 4 · Lienert, S. 14. 50 Lienert, S. 15. 51 Lienert, S.14ff.

III. Kritik an Leistngsmessung und -bewertung

39

Die Validität ist z.B. beeinträchtigt, wenn eine Prüfung Kreativität messen soll, i n Wahrheit aber das Ergebnis von der Schnelligkeit abhängt, m i t der Gelerntes wiedergegeben wird. Eine Prüfung kann objektiv sein, aber nicht reliabel; oder sie ist sehr reliabel und zugleich völlig nicht-valide, so wenn i m eben genannten Beispiel die Schnelligkeit der Wiedergabe des Gelernten genau gemessen wird. Das Gegenteil gilt aber nicht: wenn eine Prüfung ζ. B. nicht objektiv oder nicht reliabel ist, kann sie auch nicht valide sein 52 . Schwankt ζ. B. der Beurteilungsmaßstab des Prüfers, dann w i r d eben nicht nur die gesuchte Leistung gemessen, sondern auch die Schwankung des Prüfers. b) Der Korrelationskoeffizient Das Maß der Übereinstimmung zweier Faktoren — sei es der Wiederholungsprüfung m i t der ersten Prüfung, der Bewertung derselben Arbeit durch verschiedene Prüfer, oder sei es die des Prüfungsziels m i t dem tatsächlich geprüften Faktor — gibt der m i t r bezeichnete Korrelationskoeffizient an 53 . Wenn eine Variable ganz von einem Merkmal abhängt, ist r = 1; bei völliger negativer Ubereinstimmung ist r = —1; bei unabhängigen Merkmalen ist r = 0. Zur Veranschaulichung diene folgendes Beispiel von Hofstätter 5 4 : Angenommen, unter 1000 Berufsanwärtern befinden sich 200 Geeignete, die durch eine Prüfung ermittelt werden sollen. Die Auslese durch Prüfungen m i t verschiedener Validität führt zu folgenden Ergebnissen: Tabelle 1 Ausleseèrgebnis

0,30

0,00

Eignung

+

+



Ausleseergebnis

E

NE

E

40 160 160

.

+

E

+

NE

0,50



E

66 134 134

0,70

+

+



+

+



E

NE

E

E

NE

E

88 112 112

112 88

88

Legende: N E = Nichteingestellte E « Eingestellte — = Nichteignung + « Eignung

Wenn man aufs Gerade wohl auswählt, erhält man also wahrscheinlich 40 Geeignete und 160 Nichtgeeignete; wählt man m i t einem Test 52 53

.54

Lienert, S. 40; siehe auch die graphische Darstellung bei Glück, S. 89. Zu weiteren Differenzierungen siehe Hofstätter, Art. „Statistik", S.280. Hofstätter, Art. „Tests", S.293 (leicht gekürzt vom Verf.).

40

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

aus, der eine Gültigkeit von r = 0,5 besitzt, w i r d man wahrscheinlich 88 Geeignete und 112 Nichtgeeignete heraussieben; auch bei einer Validität von 0,7 w i r d man noch 88 Geeignete abweisen. Wann ein Korrelationskoeffizient als ausreichend anzusehen ist, läßt sich nicht allgemein bestimmen, sondern hängt von den Ansprüchen ab, die man an die Auslese stellt. I m allgemeinen w i r d bei Tests mindestens eine Reliabilität von 0,8 verlangt, während man sich bezüglich der Validität meist m i t niedrigeren Werten u m 0,6 begnügen muß 5 5 . Diese Vorbemerkungen sollen dazu dienen, die nachfolgende Darstellung verständlicher zu machen und auf die wesentlichen Gesichtspunkte hinzuweisen. Die Untersuchungen sind allerdings oft nicht speziell auf diese verschiedenen Aspekte h i n angelegt. Deshalb kann auch die nachfolgende Übersicht nicht danach geliedert werden, sondern orientiert sich an anderen Gesichtspunkten. Es ist aber sinnvoll, sich jeweils zu fragen, ob Mängel der Validität, dazuhin solche der Reliabilität oder sogar der Objektivität vorliegen. Es werden anschließend vor allem die wesentlichen Ergebnisse zusammengefaßt. Einige Untersuchungen sollen aber doch ausführlicher dargestellt werden, u m Methode und Schlußfolgerungen plastischer zu machen. Eine detaillierte Wiedergabe einzelner Untersuchungen, die eine Überprüfung auf statistische und sonstige Stimmigkeit zuließe, verbot der Zweck dieser Arbeit. 2. Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu Messungs- und Bewertungsmängeln a) Mehrfachbewertung

durch verschiedene Prüfer

Bewertungsunterschiede zwischen verschiedenen Prüfern wurden schon früh festgestellt. Sie lassen sich relativ leicht ermitteln, indem man dieselbe Arbeit von mehreren Prüfern unabhängig voneinander beurteilen läßt. Dieser Weg ist oft beschritten worden, begünstigt wahrscheinlich durch Prüfungssysteme, in denen eine Arbeit von mehreren Korrektoren begutachtet wird 8 6 . U m unverfälschte Ergebnisse zu erhalten, ist allerdings nötig, daß die verschiedenen Korrektoren weder Noten noch Randbemerkungen u. ä. des anderen Korrektors kennen 57 . Insbesondere i n ausländischen Untersuchungen wurden auf diese Weise schon lange beträchtliche Bewertungsmängel festgestellt. Hartog und Rhodes berichten von einem vom Prüfungsausschuß der Universität Durham 1930 unternommenen Versuch, i n dem 48 Prüfungsarbeiten w

Vgl. Hofstätter, Art. „Tests", S. 292; Kvale, S. 26; Tent, S. 65, S. 140. s. das obige Zitat (1. Abschn. bei FN 4) zum Prüfungssystem in China. 57 Wenn das nicht garantiert ist, ist das Experiment untauglich, s. in diesem Zusammenhang auch die berechtigte Kritik Ingenkamps, Kommentar, S. 65 f. an Ulshöfer, der sich auf ein solches untaugliches Experiment stützt M

41

III. Kritik an Leistngsmessung und -bewertung

i n Englisch von 7 Prüfern unabhängig voneinander bewertet wurden 5 8 . Die Prüfer waren schon lange Mitglieder i n Prüfungsausschüssen „ u n d standen i n dem Ruf, besonders erfahrene und vertrauenswürdige Beurteiler zu sein" 59 . Der Korrektur lag ein von allen Prüfern akzeptiertes Bewertungsschema zugrunde. Es wurden verschiedene Prädikate vergeben und außerdem nach einer 100-Punkte-Skala benotet. Es ergab sich folgendes B i l d der unterschiedlichen Anforderungen® 0 . Tabelle 2

Prüfer

Nicht bestanden

bestanden

Mit Erfolg bestanden

Mit Auszeichnung bestanden

A

1

16

27

4

Β

0

2

34

12

C

7

30

11

0

D

0

9

36

3

E

5

16

27

0

F

2

7

37

2

G

19

12

17

0

Die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Punktzahl, die einem Prüfling zugewiesen wurde, beträgt Tabelle 3 30 Punktwerte und mehr

in 5 Fällen

20—29 Punkte

in 19 Fällen

10—19 Punkte

in 18 Fällen

unter 10 Punkte

in 6 Fällen

Von den 39 Prüflingen, die nach Auffassung eines oder mehrerer Beurteiler nicht bestanden hatten, wurden 25 von einem oder mehreren Prüfern das Prädikat „ m i t Erfolg bestanden", acht „ m i t besonderem Erfolg bestanden" und drei sogar „ m i t Auszeichnung bestanden" erM

Hartog und Rhodes, S. 81 ff. » Ebd. S. 81. 60 Ebd. S. 82.

42

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

teilt 8 1 . Eine entsprechende eigene Untersuchung von Hartog und Rhodes führte zu ähnlichen Ergebnissen 82 . I n Frankreich veranlaßte die französische Carnegie Commission eine Untersuchung des baccalauréat. Je 100 Kopien von Arbeiten i n verschiedenen Fächern, die i m Rahmen des baccalauréat angefertigt worden waren, wurden 6 Gruppen von je 5 Fachprüfern ausgegeben. Die Korrektur erfolgte unabhängig voneinander. Bei einer Skala von 20 Punkten kam es zu folgenden Abweichungen 88 : Tabelle 4 Abweichung ; in Punkten mittlere größte Philosophie

3,36

13

Französischer Aufsatz

3,29

12

Latein-Übersetzung

2,97

12

Englisch

2,24

9

Mathematik

2,05

9

Physik

1,88

8

Nach Bereinigung der Unterschiede i n der Strenge des Maßstabes ergäben sich je zwischen zwei Prüfern folgende Korrelationskoeffizienten der erteilten Punktzahlen 8 4 : Tabelle 5 Korrelationskoeffizient Streubreite Durchschnitt Philosophie

0,438

0,112—0,636

Französischer Aufsatz

0,580

0,370—0,760

Latein-Übersetzung

0,836

0,686—0,944

Englisch

0,780

0,601—0,916

Mathematik

0,882

0,843—0,943

Physik

0,843

0,794—0,902

« Ebd. S. 82. « Ebd. S. 85 if. » Piéron, S. 20. 64 Piéron , S. 22.

43

III. Kritik an Leistngsmessung und -bewertung

N u r die Ergebnisse i n Latein-Übersetzung, Mathematik und Physik sind also einigermaßen zufriedenstellend. Piéron bezieht sich anschließend zustimmend auf eine Untersuchung von 450 baccalauréat-Arbeiten, die durch eine Varianzanalyse herausfand, daß der Teil des Notenunterschiedes, der den Unterschieden der Kandidaten zuzurechnen ist, 1,2 von 3 Punkten beträgt, und der, der auf Unterschieden unter den Prüfern beruht, 1,8 von 3 Punkten: „pour prédire la note d'un candidat, i l vaut mieux connaître son examinateur que lui-même 6 5 !" Es zeigten sich i n der zuletzt dargestellten Untersuchung beträchtliche Unterschiede i n der Beurteilungsschwankung zwischen den einzelnen Fächern. Wie zu vermuten, ist die Beurteilerreliabilität i n den naturwissenschaftlichen Fächern größer als i n den geisteswissenschaftlichen, wenn auch Latein fast ebenso gute Werte erzielt. Starch und Elliot gingen schon 1913, nachdem sie vorher Versuche m i t Englischarbeiten angestellt hatten, dieser naheliegenden Vermutung nach 66 . Sie verschickten eine Abschlußprüfungsarbeit i n Mathematik, die an einer höheren Schule i n Wisconsin geschrieben wurde, fotokopiert an 180 Fachlehrer entsprechender Schulen. Es ergaben sich noch stärkere Unterschiede als bei der Englischarbeit. Bei 43 Schulen war die Grenzmarke für das Bestehen bei 70 Punkten. Es ergab sich dort folgende Verteilung der Zensuren 67 : Tabelle 6 Zahl der Schulen Punkte

" '

. 25

45

50

.* 55

60

'

. t

:

65

70

. . I 75

' 80

85

90

Auch Hartog und Rhodes konnten i n einer Untersuchung, die sich auf Universitäts-Mathematikprüfungen bezog, nur geringe Übereinstimmung feststellen 68 . Speziell m i t Divergenzen bei der Beurteilung mündlicher Leistungen haben sich ebenfalls Hartog und Rhodes beschäftigt 69 » 70 . Es handelte sich M

Piéron , S. 24. Starch und Elliot, S. 69 ff. β7 Ebd. S. 72. w Zitiert bei Cox, UQ 1966/67, 292 (297 f.). w Hartog und Rhodes, S. 142 ff. 70 Das ist allerdings genau genommen nicht eine mehrfache Bewertung derselben Leistung, da verschiedene Prüfungen derselben Prüflinge durch verschiedene Kommissionen nicht dieselbe Leistung zum Gegenständ haben. M

44

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

u m eine möglichst exakt simulierte 7 1 Eingangsprüfung für einen Zweig der öffentlichen Verwaltung i n England, bei der mehr die generelle Eignung der Anwärter — Leute m i t abgeschlossener Universitätsausbildung — denn spezifisch fachliche Qualitäten geprüft wurden. Die Prüfer waren alle i n leitender Position (Professoren, Leiter von Colleges etc.) und schon länger m i t diesen Prüfungen betraut. Es wurden zwei Ausschüsse gebildet, die dieselben 16 Kandidaten prüften, wobei höchstens 300 Punkte zu erreichen waren. Es ergab sich folgende Bewertung 7 2 : Tabelle 7 Ausschuß I Punktwerte

Ausschuß I I Punktwerte

Ausschuß I Rangfolge

1

120

212

15V*

11

2

260

190

1

13

3

130

175

14

2 7V«

Kandidat

Ausschuß I I Rangfolge

15V2

4

230

255

4

5

210

232

8V2

6

180

250

12

3

7

200

270

11

1

8

240

224

2

9

9

230

220

4

10

10

210

235

8V2

6

11

210

236

8V2

5

12

230

232

4

7V«

13

120

177

15V2

14

210

247

8V2

15

220

193

6

16

170

175

13

14 4 12 15V2

Der Korrelationökoeffizient zwischen den Bewertungen der beiden Ausschüsse beträgt r=0,41. Der Durchschnitt ist bei Ausschuß 1198, bei Ausschuß I I 220 Punkte 7 8 . 71 78 78

Vgl. diè Beschreibung der Versuchsanordnung, ebd. S. 142. Ebd. S. 146. Ebd. S. 147.

III. Kritik an Leistngsmessung und -bewertung

45

Das Ergebnis ist deshalb interessant, weil es bei dieser Prüfung stark auf den „allgemeinen Eindruck" vom Prüfling ankam, ein Moment, das oft zur Rechtfertigung mündlicher Prüfungen herangezogen wird. So überzeugt der einzelne Prüfer hier von der Richtigkeit seines Gefühls auch sein mag — das Ergebnis zeigt den hohen Grad an Beliebigkeit. Der persönliche Eindruck, dessen Bedeutung oft plausibel genug betont wird, ist also nicht unbedingt sehr zuverlässig 74 . Andere Untersuchungen führten zu der Folgerung, daß bei mündlichen Prüfungen wahrscheinlich noch größere Beurteilungsdivergenzen auftauchen als bei schriftlichen 75 . b) Mehrfachbewertung

durch denselben Prüfer

Auch dieses Experiment wurde mehrfach angestellt und führte zu fast ebenso großen Abweichungen, wie sie zwischen Korrekturen verschiedener Prüfer auftauchten. Bei seiner i m Jahre 1930 veröffentlichten Untersuchung hatte Eells 61 erfahrenen Lehrern je fünf Klassenarbeiten zur Korrektur gegeben, und zwar drei Arbeiten, die sich m i t derselben Geographiefrage, und zwei, die sich mit derselben Geschichtsfrage befaßten 76 . Den Lehrern wurden Instruktionen zur Bewertung gegeben. Höchstzahl waren 18 Punkte. Nach elf Wochen bewerteten sie die Arbeiten nochmals. Nur bei einer Arbeit — einer sehr schlechten Geographiearbeit — blieben 55 der 61 Lehrer bei ihrer ersten Note. Bei den übrigen vier Fragen lag der Korrelationskoeffizient bei 0,25; 0,51; 0,31; 0,39, bezogen auf die Erst- und Zweitkorrektur desselben Lehrers! Bei einer Arbeit stimmten i m ersten Durchgang 13 Lehrer i n der Benotung überein (10 Punkte), so daß man dies für die angemessene Note halten könnte. Beim zweiten Durchgang variierten sie i n der Einschätzung dieser Arbeit von 5 bis 15 Punkten 7 7 . Ähnliche Ergebnisse brachten Untersuchungen von Hartog und Rhodes 78 und eine Arbeit von Bull bezüglich Medizinprüfungen, wo sich eine Benotungs-Wiederbenotungskorrelation von r=0,28 ergab 79 .

74 Ingenkamp, Kommentar, S. 15 bezieht sich auf eine Untersuchung von Wilde, wonach „die erfahrenen Praktiker und Experten kein zutreffenderes Eindrucksurteil über Mitmenschen haben als Neulinge, sondern daß sie sich ihres Urteils nur sicherer sind.14 w Nachweise bei Cox, UQ 1966/67, 292 (306); vgl. auch Piéron, S. 118. 76 Eells, S. 117 ff. 77 Ebd. S. 120 f. 78 Hartog und Rhodes, S. 79 f. 78 Zitiert bei Cox, UQ 1966/67, 292 (299).

46

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen c) Gründe für die

Abweichungen

Die Gründe für solch große Bewertungsunterschiede liegen, was die Benotung durch verschiedene Prüfer angeht, sicher zum Teil i m unterschiedlichen Anforderungsniveau. Ein Prüfer zensiert generell strenger als ein anderer, was sich deutlich an der Tabelle 2 ablesen läßt. Doch bleiben auch nach Bereinigung solcher Unterschiede beträchtliche Divergenzen, wie die Tabelle 5 zeigt. Die Erklärung w i r d u.a. darin zu suchen sein, daß es, trotz ausgearbeiteter Lösungs- und Bewertungsrichtlinien, „unzählige Möglichkeiten [gibt] die Lösung auszuarbeiten einschließlich der Abfolge einzelner Schritte, der Anwendung von Lehrsätzen und von Definitionen, der Sauberkeit der Zeichnungen und vor allem der Beurteilung des relativen Wertes jeder einzelnen Darstellung oder Definition bei der Bewertung der gesamten Arbeit" 8 0 . Das berührt sich m i t der oben dargestellten, an der Ziffernzensur geäußerten Kritik81. I n einzelnen Arbeiten wurde der Versuch gemacht, sachwidrige Einflüsse, die sich i n den Verwertungsvorgang einschleichen, zu ermitteln. Hadley 82 kommt aufgrund einer ausgedehnten Studie an Schülern der 4., 5. und 6. Stufe i n Indiana zu der Folgerung, daß Sympathie des Lehrers für den Schüler und tatsächliche Leistung fast gleichermaßen die Note bestimmen, wobei die tatsächliche Leistung — m i t Schulleistungstests gemessen — nur gering m i t der Sympathie korrelierte 8 3 . Aufgrund mehrerer Arbeiten scheint Konsens darüber zu bestehen, daß Mädchen i m allgemeinen besser bewertet werden als Jungen 84 . I n einer i n Deutschland recht bekannt gewordenen Arbeit wies Weiss den Einfluß sozialer Vorurteile an Volksschulen nach 85 . Er verteilte zwei Aufsätze aus der 4. Klasse an zwei Gruppen von Lehrern dieser Stufe und gab den Aufsätzen folgenden Vorspann m i t : „Zwei Aufsätze aus der 4. Klasse einer Volksschule. Der erste stammt von einem sprachlich begabten Buben (Vater Redakteur bei einer großen Linzer Tageszeitung), der zweite von einem durchschnittlichen Schüler (beide Eltern berufstätig, liest gerne Schundhefte)". Den beiden Gruppen wurden dieselben Aufsätze, aber i n vertauschter Reihenfolge ausgegeben, so daß sich der Vorspann bei der zweiten Gruppe jeweils auf den anderen Aufsatz bezog. Die Korrektoren sollten Rechtschreiben, Stil und Inhalt beurteilen und eine Gesamtnote abgeben. Es ergab sich folgendes Bild: 80 81 81 88 84 85

Starch und Elliot, S. 73, bezüglich der Korrektur einer Mathematikarbeit. s. oben 2. Abschn., II. 3. bei FN 43. Hadley, S. 134 ff. Ebd. S. 139 f. Ingenkamp, Kommentar, S. 61 m. w. N. Weiss, S. 148 ff.

III. Kritik an Leistungsirtessting und -bewertuiig

47

Tabelle 8 Beurteilung der Aufsätze unter positiver bzw. negativer Beeinflussung positives negatives Vorurteil

Rschr. AM ·. 2,35

AM : 1,65

AM · 2,25

Gesamtnote AM : 2,08

A M : 2,83

Erstaunlich sind daran nicht so sehr die Beurteilungsunterschiede als solche — sie sind nach den referierten Untersuchungen zu erwarten — als vielmehr der deutliche Einfluß der sozialen Einschätzung auf die Benotung. Wieweit i m übrigen unsere Prüfungen· m i t daran beteiligt sind, daß Kinder aus unteren sozialen Schichten unterproportional an weiterführenden Bildungseinrichtungen vertreten sind 86 , ist nicht gesondert unw

Vgl. dazu ausführlich Tent, S. 142 ff.

48

. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

tersucht worden und läßt sich wohl nicht voll aufklären. Wesentlicher dafür ist sicherlich der Einfluß des Elternhauses und Hinternisse, die i m Bildungsprozeß selbst und nicht erst i n der Prüfung liegen 87 . Doch w i r d auch vermutet, daß die schulinternen Kriterien, die sich i n der Prüfung fortsetzen, nicht schichtenneutral sind, sondern Unterschichtkinder unangemessen benachteiligen 88 . d) Speziell: die Bedeutung des Bezugssystems des Prüfers Ingenkamp 89 hat speziell die Bedeutung des klasseninternen Bezugssystems für die Bewertung untersucht, indem er 37 sechste Klassen eines Westberliner Bezirks auf den Lehrplan abgestimmte und gut erprobte Rechen- und Rechtschreibetests beantworten ließ. I n den Schulzensuren unterschieden sich die Klassen nur wenig, die Verteilung war annähernd gleich. Die Testergebnisse sprachen aber für eine erhebliche Divergenz i n der Leistung. Aus einer Tabelle, i n der die Testpunkte m i t den entsprechenden Noten i n den jeweiligen Klassen verglichen werden, lassen sich die gewaltigen Unterschiede am besten ersehen 90 : Tabelle 9 Mittelwerte der Rohpunkte im H K I 8 bei verschiedenen Rechenzensuren

Roh

punkte

5Qj

•î f

40.

•2 .33-

35 3 30.

4M

25.

4 J4

J4

_M

20 Klasse 15

1 2 3 4 5 6 7 8 9 ©

11 12 13 14 15 1617 « 19 2021 2 2 2 3 2 4 2 5 2 6 2 7 2Ö29 3 0 3 1 3 2 33 34 35 3637

Kennziffer

87 88 89 90

Ingenkamp, Ingenkamp, Ingenkamp, Ingenkamp,

Möglichkeiten, S. 414 m. w. N. Möglichkeiten, S.414. Zensuren, S. 156 ff. Zensuren, S. 159.

49

II. Kritik an Listngsmessung und -bewertung

Dagegen zeigt es sich, daß innerhalb der einzelnen Klassen die Rangfolge der Schüler nach Zensur und nach Testergebnis sich ziemlich gut entsprechen 91 . Die subjektive Fehlerquelle, die insbesondere i n der Untersuchung von Eells (oben S. 45) zutage trat, scheint also bei Beurteilungen, die i m Laufe eines Jahres i n festem Klassenrahmen abgegeben werden, geringer zu sein 92 . Dagegen bestimmt das klasseninterne Bezugssystem offensichtlich das Anspruchsniveau 93 . Da das Berechtigungswesen, das auf Prüfungen basiert, die Vergleichbarkeit voraussetzt, schließt Ingenkamp aus dem Ergebnis: „Diese Ergebnisse besagen nicht mehr und nicht weniger, als daß für unser ganzes schulisches Berechtigungswesen keine sachliche Rechtfertigung besteht" 94 . e) Unterschiede der Bewertung in regionaler und zeitlicher Hinsicht Z u den Unterschieden zwischen verschiedenen Bewertungen einer Arbeit und zu den Schwankungen bei demselben Prüfer kommt als drittes, daß sich zeitliche und regionale Inkohärenzen i n der Bewertung feststellen lassen. Diese mögen ihrerseits wieder auf den ersten beiden Gründen beruhen, können aber auch allein auf Wandlungen des Anforderungsniveaus beruhen. Ohlsson 95 hat die Aufnahmeprüfungen für die Oberschule aus elf Prüfungsbezirken i n Nordrhein-Westfalen von 1959 herausgegriffen und sie 396 Schülern des 4. Schuljahres erneut gestellt. Dabei ergaben sich große Unterschiede i m Schwierigkeitsgrad der Prüfung i n den einzelnen Bezirken, wie aus folgender Tabelle zu ersehen ist 9 6 : Tabelle 10 Prozentsatz der 396 Schüler, die in Diktat und Rechenarbeit die Noten „ausreichend*4 oder besser erhielten Prüfungsbezirk e

/o

A

Β

C

D

E

F

G

H

I

Κ

L

5,3

19,2

20,9

21,9

22,7

26,1

32,1

33,7

36,8

38,7

55,2

« Ebd. S. 158. n Ähnlich Tent, S. 58. n Die Orientierung am Klassenmaßstab betonen auch Bacher, S. 96; Brere ton, S. 35; Vernon , S. 48. 94 Ingenkamp, Zensuren, S. 162. w Zitiert bei Undeutsch, S. 383 f. w Undeutsch, S. 384. 4

Pietzcker

50

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

Methodisch auf dieselbe Weise untersuchte Thomas 97 die zeitlichen Schwankungen i m Schwierigkeitsgrad der Aufnahmeprüfung. Die A r beiten aus den Jahren 1954—1959 aus zwei Kreisen i n Nordrhein-Westfalen wurden je 329 bzw. 226 Kindern erneut gestellt. Auch hier zeigten sich starke Schwankungen von Jahr zu Jahr 9 8 : Tabelle 11 Prozentsatz von 329 bzw. 226 Schülern, die in Diktat und Rechenarbeit die Noten „ausreichend" oder besser erhielten Jahr

1954

1955

1956

1957

1958

1959

%

46,8

46,8

46,5

43,2

46,8

33,1

Jahr

1954

1955

1956

1957

1958

1959

%

38,4

23,9

33,6

22,8

25,0

10,0

Insbesondere i m zweiten Bezirk stiegen also die Anforderungen von Jahr zu Jahr erheblich. Bei Ingenkamp 99 finden sich Hinweise auf Untersuchungen, wonach bei kleineren Gemeinden die Tendenz zu milderer Bewertung besteht, und daß bei den Abiturnoten ein Nord-Süd-Gefälle festzustellen ist 1 0 0 . f) Einfluß der Prüfungsangst Als eine Fehlerquelle bei der Ermittlung der zu beurteilenden Fähigkeiten w i r d oft der Einfluß der Prüfungsangst angesehen. Nun kann man zwar die Auffassung vertreten, daß es durchaus berechtigt ist, wenn i n der Prüfung auch die Fähigkeit, unter Streß etwas zu leisten, mitgeprüft w i r d und sich auf das Ergebnis auswirkt. Hierbei dürfte aber ein gewisses Maß nicht überschritten werden, d. h. die Fähigkeit, Angst zu ertragen, sollte nicht der maßgeblich das Ergebnis beeinflussende Faktor sein, und es müßte nach dem Zweck der Prüfungen i n den verschiedenen Fächern differenziert werden. Aus diesen Gründen ist es gerechtfertigt, grundsätzlich die Problematik der Prüfungsangst unter der hier gewählten Rubrik darzustellen. 97

Zitiert bei Undeutsch, S. 382 f. Vgl. dazu auch Tent, S. 60. Undeutsch, S. 383. 99 Ingenkamp, Kommentar, S. 152. 100 Darauf beruhen auch die Bemühungen, im Rahmen des Staatsvertrages

98

III. Kritik an Leistungsmessung und -bewertung

51

Moeller hat die Wirkungen der Prüfungsangst bei seiner Tätigkeit an der psychotherapeutischen Beratungsstelle der Universität Gießen erforscht, allerdings anscheinend an ziemlich wenigen Probanden 101 . Nach seinen Beobachtungen aktualisiert die Prüfung Ängste aus früheren Konflikten innerhalb der Familie, die nicht völlig bewältigt wurden, was zu Gedankenblock, Konzentrationsschwäche, Verlust des Überblicks, Neigung zu Zweifeln, Vergeßlichkeit und sogenanntem automatischen Denken führt 1 0 2 . Er zieht die Folgerung: „Es ist zu bezweifeln, ob unter diesen Bedingungen geistige Leistung i n Prüfungen — ganz zu schweigen von deren Beurteilung — überhaupt repräsentativ und vergleichbar sein kann. Die psychische W i r k u n g der Prüfungssituation hemmt gerade die intellektuellen Leistungen, die beurteilt werden sollten 1 0 8 ." Zu etwas anderen Ergebnissen kommt Fisch, der eine Untersuchung zur Leistungsmotivation bei näherrückendem Examen an 36 Studenten durchführte 104 . Danach nahm die Leistungsmotivierung — gerechnet von einjährigem Abstand bis zum Prüfungstag — signifikant zu. „Ein bevorstehendes Examen w i r k t als deutliches Stimulans für eine Leistungsorientierung; gleichzeitig stellt es eine Quelle sich allmählich verstärkender konflikthafter Erwartungen dar." Er hebt hervor, „daß es i m Hinblick auf das Examen auch ein erhebliches Maß an Erfolgszuversicht geben kann, dem ebenfalls eine aktivierende (,aufregende') Komponente zuzuordnen wäre" 1 0 5 . Wagner faßt einen einen Überblick über Untersuchungen der psychischen W i r k u n g von Streß folgendermaßen zusammen 106 : „Streß [ ] hat bei den betroffenen Personen mehr Leistungsmotivation angeregt, i n vielen Fällen aber Furcht, Selbstschutz- und Aggressionstendenzen gefördert und hat Selbstzweifel und Selbstunterschätzung bis hin zu Straferwartungen und Regressionstendenzen erzeugt. Die emotionale Reagibilität w i r d eingeengt, man ermüdet leichter. I m intellektuellen Bereich können bei Streß Auffassungsschärfe und Reaktionsgeschwindigkeit abnehmen ebenso wie die Leistungsgüte und oft auch die Leistungsmenge; stereotypes, rigides Denken t r i t t an die Stelle schöpferischen, flexibleren Denkens, das zur Entnahme von Anregungen aus der Umwelt befähigt. Diese Ergebnisse gelten i m besonüber die Vergabe von Studienplätzen vom 10.4.1973 Mittelwertunterschiede der verschiedenen Länder abzugleichen. 101 Moeller, Psychodynamik, S. 214. 101 Moeller, Prüfung, S. 28 ff. 103 Moeller, Prüfung, S. 33. 104 Fisch, S. 60 ff. 105 Fisch, S. 66. m Wagner, S. 177. 4·

52

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

deren Maße für mißerfolgsängstliche Personen; bei Erfolgszuversichtlichen können durch Streß u. U. erst die letzteren Reserven zu einer positiven Leistung mobilisiert werden." Die letzte Beobachtung scheint allgemein anerkannt zu sein 107 . Der Prüfungsdruck w i r k t also je nach Persönlichkeitsstruktur verschieden, entweder eher anspornend oder eher hemmend. Dadurch w i r d i m übrigen die W i r k u n g der Prüfung i m Sinne einer self-fulfilling prophecy noch verstärkt: Erfolge führen stärker zur Erfolgsmotivation. g) Prognostischer

Wert von Prüfungen

Die bisher angeführten Mängel beeinträchtigen natürlich alle den prognostischen Wert der Prüfungen. Manche Untersuchungen versuchten aber darüber hinaus, die Vorhersagefähigkeit von Prüfungen gesondert zu ermitteln. U m die Prognosetauglichkeit erforschen zu können, muß man wissen, was eine Prüfung ermitteln soll, und das ist zweifellos das schwierigste und komplexeste Problem von Prüfungen 1 0 8 . Allgemeine Kriterien wie Hochschulreife oder Eignung für einen Beruf sind so komplex, daß es schwer ist, sie als Prüfstein für die Validität einzelner Prüfungen zu verwenden. Für den Begriff der Berufseignung etwa hat Skowronek die Lage treffend folgendermaßen geschildert: „ I n der Tat erscheint es äußerst vernünftig und plausibel, Ausbildungsgänge und die damit verknüpften Überprüfungen ihrer Ergebnisse auf die beruflichen und allgemeinen gesellschaftlichen Anforderungssituationen, i n welche die Prüflinge eintreten sollen, zu beziehen. Die Schwierigkeit liegt nur i n der Realisierung dieses Modells. Bei der Komplexität und Wandelbarkeit unserer gesellschaftlichen Verhältnisse, andererseits bei der Divergenz von Interessenlagen gesellschaftlicher Gruppen, die für die Bestimmung des ,Berufserfolgs' der Hochschulabsolventen sehr entscheidend sein können, dürfte es kaum möglich sein, so stabile und sinnvolle Kriterien i n den professionellen ,Bewährungsfeldern' zu finden, die Hochschulprüfungen i m Sinne der Voraussagegültigkeit als valide erweisen 109 ." Etwas besser zu erfassen ist die prognostische Validität innerhalb eines Ausbildungssystems, indem man Aufnahmeprüfungs-Ergebnis m i t Oberschulerfolg oder A b i t u r m i t Hochschulerfolg vergleicht; damit hat sich die Mehrzahl der Untersuchungen befaßt. 107 Vgl. Eckstein, Problematik, S.48; Flechsig et al, S. 14 sowie jetzt Scheer/ Zenz, S. 51 u. 83; vgl. allgemein zum Problem der Prüfungsangst noch Cox, UQ 1966/67, 292 (332—334). 108 Vgl. dazu Cox, UQ 1966/67, 292 (293); Flechsig et al, S. 29 ff.; Ingenkamp, Kommentar, S. 220, der das Problem nur erwähnt; Kvale, S. 51, S. 53 und S. 145 ff.; Vernon, S. 43. 109 Skowronek, S. 75.

III. Kritik an Leistngsmessung und -bewertung

53

aa) Prognostischer Wert von Aufnahmeprüfungen A m häufigsten ist der prognostische Wert von Aufnahmeprüfungen nach dem 4. Grundschuljahr untersucht worden 1 1 0 . Die Ergebnisse führten m i t dazu, daß diese Prüfung i n vielen Staaten abgeschafft oder modifiziert wurde 1 1 1 . Die Befunde einiger deutscher Untersuchungen seien kurz mitgeteilt. Schnitze 112 hat die Entwicklung von mehr als 5000 Gymnasiasten des Aufnahmejahrgangs 1955/56 an 77 Schulen fast des gesamten Bundesgebiets untersucht. Aufgenommen wurden die Grundschulzeugnisse, die Grundschulgutachten, die Noten der Aufnahmeprüfung u n d die Versetzungszeugnisse der Gymnasien. Das K r i t e r i u m Schulerfolg war dreifach abgestuft: 1. Voller Erfolg (regelmäßige Versetzung); 2. Teilerfolg (ein- oder zweimalige Nichtversetzung, aber Verbleib an demselben Gymnasium); 3. kein Erfolg (Abgang eindeutig wegen mangelhafter Leistung). Die einzelnen Prädikatoren hatten folgende Korrelationskoeffizienten zum späteren Gymnasialerfolg 118 : Tabelle 12 Prädikator

Mediane von Validitätskoefflzienten nach 1 Jahr 12 Jahren 3 Jahren 4 Jahren 5 Jahren

Ν

Grundschulgutachten, Gesamturteil

0,19

0,22

0,24

0,28

0,25

4038

Letztes Grundschulzeugnis Deutsch Rechnen

0,18 0,16

0,23 0,21

0,27 0,26

0,29 0,28

0,31 0,28

3426 3422

Schriftliche Aufnahmeprüf. Diktat Aufsatz Rechnen Gesamturteil

0,20 0,16 0,17 0,22

0,23 0,21 0,18 0,28

0,25 0,24 0,20 0,33

0,28 0,25 0,23 0,35

0,26 0,26 0,23 0,33

3214 3214 3550 3214

A n gesicherten Ergebnissen hält Schnitze u. a. fest: Die Validität der einzelnen Prädiktoren streut stark zwischen den Bundesländern; sie ist niedrig selbst für die relativ besten Merkmale. Bis zum fünften Jahr 110 Vgl. den Überblick bei Ingenkamp, Kommentar, S. 210 ff., Undeutsch passim und Tent, S. 28. 111 Vgl. den Hinweis bei Ingenkamp, Kommentar, S. 24 f. und den Überblick über einige Prüfungssysteme bei Anweiler et al., passim. 112 Zitiert nach Tent, S. 35 f. 118 Bei Tent, S. 36.

54

I. Teil, 2. Abschn.:

berblick über nichtjuristische Untersuchungen

nach der Auslese versagen mindestens 30,8 °/o der Schüler völlig, und mindestens 17,4 °/o haben nur einen Teilerfolg. Von dem nach der A u f nahmeprüfung schlechtesten Drittel haben 30 bis 40 % einen vollen Schulerfolg; daher ist zu vermuten, daß sich unter den Abgelehnten Geeignete befinden. Die Bewertungsmaßstäbe sind trotz weitgehender organisatorischer Ubereinstimmung von Land zu Land sehr verschieden 114 . Zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt Undeutsch nach einer Übersicht über entsprechende Untersuchungen 115 . I n letzter Zeit hat sich Tent am ausführlichsten m i t der Auslese von Schülern für weiterführende Schulen beschäftigt. Er unterzog knapp 1000 Schüler i m 4. Schuljahr einem geeichten Schulleistungstest, hielt zugleich die Schulnoten fest, verfolgte die Entwicklung der Noten und nahm nach 3 Jahren nochmals einen entsprechenden Test vor. Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, daß er i m Gegensatz zu den sonstigen A r beiten auch den späteren Erfolg der nicht i n die Oberschule Aufgenommenen überprüfen und zugleich die Vorhersagemöglichkeit mittels des Tests erproben konnte. Er kam i m wesentlichen zu dem Ergebnis, daß Aufnahmeprüfungen keine ausreichende prognostische Validität haben, daß sich aber selbst m i t Hilfe sehr guter Tests zwischen Testergebnis und späterem Erfolg nur ein Validitätskoeffizient von r=0,5 erreichen läßt. Er schließt daraus, „daß eine Validität dieser Größenordnung — gemessen an der Bedeutsamkeit des sachlichen Problems — immer noch äußerst unbefriedigend ist. Schließlich ist damit nur die Hälfte der Gesamtvarianz aufgeklärt; das heißt, die späteren Schulleistungen sind nur zu 50 °/o durch das determiniert, was i n der Testleistung erfaßt wird 11 ®." Deshalb kommt er zu der Schlußfolgerung, daß eine derartige Auslese zu diesem Zeitpunkt sich nicht rechtfertigen läßt 1 1 7 . I n England ist die Auslese nach dem 11. Lebensjahr inzwischen stark verfeinert worden. Durch kumulative Anwendung von Intelligenztests, Schulleistungstests und skalierten Lehrergutachten (d. h. Maßstabsdifferenzen wurden ausgeglichen) ließ sich die Voraussagemöglichkeit auf kurze Sicht erheblich verbessern 118 . bb) Externe Validität von Reifeprüfungen Die externe Validität der Reifeprüfung ist nach den vorliegenden Ergebnissen, allerdings m i t Unterschieden i n den einzelnen Fächern, ebenfalls recht gering. 114 115 11β 117 118

So die Zusammenfassung bei Tent , S. â6. Undeutsch, S. 381 f. Tent, S. 133. Tent, S. 170. Nachweise bei Ingenkamp, Möglichkeiten, S.418; Tent, S. 38 ίΤ.

I I I . Kritik an Leistlingsmessung und -bewertung

55

Von Weingardt mitgeteilte Arbeiten, die die Durchschnittsnote i m Reifezeugnis m i t dem Erfolg i n der 1. Lehrerprüfung an Pädagogischen Hochschulen verglichen, kamen zu Korrelationen von r = 0,29 bis r = 0,49 119 . Die zuletzt genannte Korrelation läßt schon einen gewissen Voraussagewert erkennen, was nach Weingardt „ w o h l m i t darauf zurückzuführen [ist], daß das Prüfungsverfahren auf der höheren Schule und das Verfahren bei der ersten Lehrerprüfung ähnlich s i n d " 1 1 9 a . I n naturwissenschaftlichen Fächern ergaben sich i n anderen Arbeiten schlechtere Korrelationen, und zwar auch dann, wenn nicht die gesamten Reifezeugnisnoten, sondern nur die i n den verwandten Fächern herangezogen wurden 1 2 0 . Orlik hat examinierte Studenten i n zwei Gruppen eingeteilt, solche m i t besserem und solche m i t schlechterem. Examen, und hat von jeder Gruppe ein Reifezeugnisprofil hergestellt. Dabei ergaben sich interessante Zusammenhänge 121 . Das Reifezeugnisprofil der schlechten Examensgruppe liegt außer bei den Juristen keineswegs immer unter dem der guten Examensgruppe. Besonders ausgeprägt ist das bei den Medizinern, wo die schlechte Examensgruppe i n 4. von 8 Abiturfächern i m Durchschnitt über der guten Examensgruppe und i n den übrigen 4 Fächern nur ganz geringfügig darunter liegt. Der Durchschnitt der Reifeprüfungsnoten als solcher ist also jedenfalls kein zureichender Prädikator des Studienerfolgs. . I n neuerer Zeit haben einige Justizprüfungsämter die Examensnoten i m 1. Staatsexamen m i t ausgewählten Noten i m Reifezeugnis verglichen, doch fehlt bislang eine statistische Auswertung 1 2 2 . cc) Externe Validität von Universitätsprüfungen Untersuchungen zur externen Validität von Universitätsprüfungen oder Staatsexamina liegen kaum vor. Das ist wohl vor allem m i t den offensichtlichen, schon oben (S. 52) angedeuteten Schwierigkeiten zu erklären, den Berufserfolg klar zu definieren. Es ist auch evident, daß der Erfolg, i n Einkommen, Aufstieg oder ähnlichem gemessen, noch von vielen anderen Faktoren als der fachlichen Leistung abhängt. _ Kvale erwähnt diese Schwierigkeiten, verweist aber auf einige Untersuchungen, die meist zu einer Korrelation von r = 0 kommen 1 2 3 . 119

Weingardt, S. 434. Weingardt, S. 434. Daß Prüfungen vielleicht eher „Prüfungsfähigkeit" als Können messen, meint Kvale, S. 53. 110 Weingardt, S. 435. 121 Nach Flitner, ZfP 1966, 511 (527 ff.). 122 s. die Tabelle in JuS 1971, 220. Da die Gruppen jeweils nicht näher aufgeschlüsselt sind, muß offenbleiben, ob ein signifikanter Zusammenhang besteht. Die Tabelle täuscht also in dieser Form etwas vor, was sie nicht aussagen kann. 119a

56

I. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

Einige Arbeiten haben aber — auch für Berufe, die formell ohne „Prädikatsexamen" u. ä. offenstehen — schon einen signifikant höheren Prozentsatz von Akademikern m i t gutem Examen i n höheren Positionen nachgewiesen 124 . Undeutsch berichtet von einer Untersuchung von G. Just, i n der der Schulerfolg m i t dem Lebenserfolg verglichen wurde 1 2 5 . Dabei zeigte sich ein fachspezifischer Unterschied: während Hochschullehrer und Lehrer an höheren Schulen durchschnittlich gute Zeugnisse hatten, konnten Ärzte nur mittlere Durchschnitte vorweisen. Just schließt, daß dies auf der Affinität der Schulbildung und damit der Prüfung zu einem bestimmten, mehr sprachlich orientierten Begabungstyp beruht 1 2 6 . 3. Zusammenfassung Die K r i t i k an Leistuwgsmessung und Leistungsbewertung läßt sich demnach etwa so zusammenfassen: Bei den untersuchten Prüfungen zeigte es sich, daß das Ergebnis der Prüfung zu einem beträchtlichen Teil nicht von der Leistung des Prüflings, sondern von Umständen abhängt, die in der Person des Prüfers liegen. Ein und derselbe Prüfer schwankt — aus nicht i m einzelnen geklärten Gründen — i n der Einschätzung einer Arbeit i m Laufe der Zeit erheblich. Verschiedene Prüfer zeigen bei der Korrektur derselben Arbeit verschieden hohes Anforderungsniveau und unterschiedliche Streubreite i n der Notengebung, und sie wenden unterschiedliche Beurteilungskriterien an. Prüfungen fallen außerdem regional, i n verschiedenen Prüfungsbezirken, als auch zeitlich, i n verschiedenen Prüfungsterminen bei derselben Prüfungsinstanz, verschieden schwer aus. Gewisse einigermaßen konstante sachwidrige Einflüsse (Vorurteile) bei der Bewertung konnten nachgewiesen werden. Es zeigte sich, daß Prüfungen wenig voraussagefähig sind. Die herkömmlichen Aufnahmeprüfungen nach dem vierten Schuljahr messen nur i n sehr geringem Maß die für den künftigen Schulerfolg relevanten Fähigkeiten. Auch der Wert des Abiturs als Prognose für einen Studienerfolg ist — m i t Unterschieden i n den einzelnen Fächern und bei Selektion einzelner Noten — ziemlich begrenzt. Die Mehrzahl der mitgeteilten Untersuchungen bezieht sich auf Schulprüfungen, so daß zu fragen ist, wieweit die Ergebnisse auch bei Uni123 124 125 128

Kvale, S. 52. Nachweise auch bei Ingenkamp, Kommentar, S. 224 f. Kvale. S. 52. Undeutsch, S. 392. Undeutsch, S. 392 f.

IV. Verbesserungsvorschläge

57

versitätsprüfungen anzutreffen sind. Die Bewertungsmängel, welche auf Differenzen i m Maßstab, i n den Beurteilungskriterien und auf intraindividuelle Schwankungen zurückgehen, w i r d man gleichermaßen erwarten dürfen, ja wegen des i n einzelnen Wissenschaften oft weniger gesicherten Kanons von Prüfungswissen vielleicht noch i n größerem Maße. Der nachgewiesene Einfluß des Prüfers auf das Ergebnis ist nicht von der A r t der Prüfung abhängig, sofern es sich nur um traditionelle Prüfungen und nicht u m Tests handelt. Die Untersuchungen fanden i n verschiedenen Staaten m i t unterschiedlichen Prüfungssystemen — wie ζ. B. dem hochformalisierten französischen baccalauréat und den freieren, bei lokalen Stellen liegenden englischen Prüfungen — statt und brachten ähnliche Ergebnisse.

I V . Vorschlage zur Verbesserung von Prüfungen Angesichts dieses soweit ersichtlich i m wesentlichen einhellig anerkannten Befundes ist die Forderung nach Verbesserung herkömmlicher Prüfungsarten verständlich und die Zähigkeit, m i t der sich die als schlecht erkannten Prüfungsformen erhalten haben, erstaunlich 127 . Der nachfolgende Uberblick über die Diskussion der Verbesserung w i r d dieses Erstaunen aber i n gewissem Maße relativieren, weil sich zeigt, daß jedenfalls manche Mängel nur um den Preis der Beeinträchtigung anderer ebenfalls als wichtig angesehener Wirkungen beseitigt werden können. Die Veränderungsvorschläge setzen, der Bedeutung des Problems für fast alle Funktionen von Prüfungen entsprechend, meist bei Leistungsmessung und Leistungsbewertung an. Teilweise werden aber auch Prüfungen überhaupt i n Frage gestellt, selbst wenn sie oder gerade wenn sie verbessert würden 1 2 8 . I m folgenden können wieder nur die wichtigsten Anregungen und Argumente zusammengestellt werden; viele Detailvorschläge werden erst i m Zusammenhang m i t der rechtlichen Erörterung erwähnt werden. 1. Bessere Erfassung der Leistung a) Vermehrung

der Anzahl von Prüfungsaufgaben

Werden nur wenige Prüfungsaufgaben gestellt, ist die Gefahr groß, daß sie das Prüfungsgebiet nicht ausreichend repräsentieren, so daß zufällige Lücken oder Wissensschwerpunkte sich stark auf das Ergebnis 127 128

Über einige Gründe dafür vgl. Cox, UQ 1966/67, 292. Kvale, S. 232.

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I. Tel, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

auswirken. Dieser Einfluß des Zufalls kann durch Vermehrung der Aufgabenzahl vermindert werden 1 2 0 . Bei aufsatzähnlichen Aufgaben sind der Vermehrung der Anzahl allerdings Grenzen gesetzt 130 . Die Prüfung kann zu umfangreich werden und die Prüflinge zu sehr belasten; vor allem müssen solche Aufgaben individuell korrigiert werden, und eine zu große Belastung der Korrektoren w i r d sich nicht nur auf ihre sonstige Tätigkeit, sondern wahrscheinlich auch auf die Sorgfalt der K o r rektur auswirken. Bei standardisierten Aufgaben, die der Computer auswertet, entsteht dieses Problem nicht. b) Vermehrung

der Art der Aufgaben

Ein K r i t i k p u n k t an Prüfungen betrifft die Tatsache, daß bestimmte, für die spätere Tätigkeit, zu der die Prüfung qualifiziert, nicht immer wesentliche Fähigkeiten geprüft, wichtige dagegen vernachlässigt werden; meistens steht sprachliches Ausdrucksvermögen unangemessen weit i m Vordergrund 1 8 1 . Dieser Einseitigkeit kann mari durch Verwenden verschiedener Arten von Prüfungsaufgaben begegnen 132 . Praktische Aufgaben, i n denen der Prüfling die Beherrschung bestimmter Situationen zeigen kann, und Simulationen späterer Berufssituationen bieten sich ebenso an wie die Kombination verschiedener schriftlicher Prüfungsformen wie etwa Hausarbeit, Klausur, Tests m i t vielen kleinen Fragen etc. 138 . Je nach dem Zweck der Prüfung sind entsprechende Formen anzuwenden. Ein gewisser Nachteil mag bei manchen praktischen Aufgaben wie auch Hausarbeiten darin liegen, daß die Vergleichbarkeit der Leistungen der Mitprüflinge geringer wird, wenn nicht alle dieselbe Aufgabe bearbeiten. c) Zeitliche Streckung der Prüfung Die Stimmen, die eine zumindest partielle Ersetzung punktueller Prüfungen durch ausbildungsbegleitende Kontrollen befürworten, sind i n letzter Zeit zahlreich geworden 184 . Die Verteilung der Prüfung über den Ausbildungsprozeß ist wie kein anderes M i t t e l geeignet, die Rolle Cox, UQ 1966/67, 292; Vernon, S. 43; auch Ausschuß für Hochschuldidaktik, S. 58. Cox, UQ 1966/67, 292 (335). " ι Piéron, S. 60 für Frankreich; Ingenkamp, Kommentar, S. 172 f. 188 Ager und Weltman, UQ 1966/67, 272 (281); Flechsig et al., S. 41 ff.; Himmelweit, UQ 1966/67, 359 (364); Holmes, S. 12; Skowronek, S. 75; Tibbie, S. 353; Ausschuß für Hochschuldidaktik, S.58f. (4.4); Dohmen, RWS 1961, 134(177 ff.). 188 Vgl. für das juristische Examen die Vorschläge bei Flechsig et al, S. 37 f. 184 Eckstein, Problematik, S. 50 f. und dieselbe, Studienbegleitende Prüfungen, S. 68 ff.; Himmelweit, UQ 1966/67, 359(363); Flechsig et al., S. 12 ff.; Deutscher Bildungsrat* S.210; Skowronek, S.74ff.; Dohmen, RWS 1961, 134 (177); Sader et al, Fibel, S. 101; Ausschuß für Hochschuldidaktik, S. 59 t.

IV. Verbesserungsvorschläge

59

des Zufalles bei Prüfungen zu reduzieren und die Trennung i n Ausbildung und Examensvorbereitung aufzuheben. Man verspricht sich davon nicht nur eine Verminderung des Einflusses der Prüfungsangst und zufälliger Indispositionen, sondern auch, daß das Anhäufen des Wissensstoffes einem vertieften Eindringen weichen w i r d 1 3 5 u n d daß schon i m Unterricht eine stärkere Differenzierung nach den Interessen der Lernenden möglich ist, als wenn die uniforme Prüfung am Ende der Ausbildung steht 136 . Die Diskussion um Vor- und Nachteile solcher ausbildungsbegleitender Prüfungen ist aber noch nicht abgeschlossen. Wenn auch meist die Vorzüge stärker betont werden, so fehlen doch nicht die Hinweise auf folgende Schwierigkeiten: Nicht jeder Lernprozeß ist so beschaffen, daß man während seines Ablaufes sinnvoll prüfen könnte; wegen des engen Zusammenhangs des zu Beginn Gelernten m i t dem späteren Stoff kann sich eine Abschichtung verbieten 137 . Ist das Klassen- oder Studienziel relativ einheitlich, dann erscheint es u. U. nicht gerechtfertigt, Unterschiede i n der Bewegung auf dieses Ziel h i n zu bewerten, wenn am Ende derselbe Stand erreicht ist 1 3 8 . I n diesen Zusammenhang gehört die Beobachtung, daß bei Schulzeugnissen die mehr am Ende des Schuljahres liegenden Noten i n Klassenarbeiten stärker berücksichtigt werden 139 und i m A b i t u r auf jeden Fall das Anmeldezeugnis mitgezählt wird. Die Berücksichtigung von Leistungen, die während der Ausbildung erbracht wurden, beeinträchtigt vielleicht die Vergleichbarkeit der Ergebnisse 140 . Die Aufgaben sind nicht für alle gleich, und gewisse formale Sicherungen fallen wegen der geringen Formalisierung weg. Es w i r d auch bezweifelt, ob begleitende Prüfungen geeignet sind, den Prüfungsdruck zu vermindern. Der Druck, den die große Prüfung am Ende ausübt, fällt zwar weg, aber die Verteilung des Druckes auf die Ausbildung kann auch unangenehme Auswirkungen haben 141 . Nicht zuletzt ist es denkbar, daß sich begleitende Prüfungen auch schädlich auf die Ausbildung auswirken. Der Lehrende ist dauernd i n der Holle des Prüfenden; fast jeder Lehrvorgang gewinnt größere rechtliche Bedeutung, so daß der nötige Freiheitsraum und die Möglichkeit zu spon185

"Bahrdt, DUZ 1972, 536 (541). Eckstein, Studienbegleitende Prüfungen, S. 71. 187 Vgl. die Andeütung bei Flechsig et al., S. 12 f. 188 s. ζ. Β. Vogt, RWS 1962, 129 (131 f.). »· Dohse, S. 75. * 40 Mangelnde Gleichheit beklagen Bacher, S. 97; Holmes und Lauwerys, S. 8; Vernon , S. 44. Gegen diesen „scheinbaren" Mangel wendet sich Himmelweit, UQ 1966/67, 359 (365) und Kvale, S. 49, die stärker auf pädagogische als rechtliche Überlegungen abstellen. 141 Flechsig et al., S. 39, die deshalb vorschlagen, große Wahlfreiheit bei ausbildungsbegleitenden Prüfungen zu gewähren. 188

60

I. Tel, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

tanem, nicht voll abgesichertem Vorgehen eingeschränkt wird 1 4 2 . Zudem vergrößerte sich möglicherweise die Abhängigkeit vom jeweils Lehrenden, der zugleich prüft 1 4 3 . Endlich droht eine Verschulung des Studiums, die sicher nicht auf allen Gebieten zu begrüßen wäre 1 4 4 . Erst eine praktische Erprobung w i r d es erlauben, Vor- und Nachteile richtig abzuwägen. d) Zentralisierung

der Prüfung

Obwohl Unterschiede der Prüfungsanforderungen i n regionaler Hinsicht allgemein beklagt werden, w i r d doch kaum der Vorschlag gemacht, Prüfungen völlig zu zentralisieren. Damit würde nämlich die Individualisierung i m Unterricht verhindert und auch der Differenzierung der curricula entgegengewirkt 145 . Zudem wirken sich Unterschiede i m Unterricht dann stärker aus. e) Ersetzung herkömmlicher Prüfungen durch standardisierte Tests Die Anwendung von Tests erleichtert nicht nur die Auswertung und Bewertung, sondern kann auch dazu beitragen, Mängel beim Erfassen der Leistung zu vermeiden. Da die Zahl der Aufgaben sich stark vergrößern läßt, kann man die Fähigkeit auf einem Gebiet zuverlässiger erfassen als m i t herkömmlichen Prüfungen 146 . Die Aufstellung von Tests ist zwar mühsam und erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Fachleute 1 4 7 . Der geprüfte Test hat aber den Vorteil, daß die Schwierigkeit der Aufgabe viel zuverlässiger als bei herkömmlichen Prüfungsaufgaben feststeht und mißverständliche Fragen vermieden werden 1 4 8 . Subjektive Vorlieben werden durch die Beteiligung mehrerer verringert. Die Erarbeitung von Tests zwingt stärker dazu, daß man sich die Lernziele klarmacht und fördert so die Entwicklung von curricula 1 4 9 . Nicht zu vergessen ist auch, daß sie die Prüfer, wenn sie erstellt sind, wesentlich entlasten 150 . 142

Holmes und Lauwerys, S. 8; Skowronek, S. 77, weist darauf hin, daß der oben S. 36 erwähnte Rollenkonflikt sich damit ausdehnt. 148 Ager und Weltman, UQ 1966/67, 272 (280); Holmes und Lauwerys, S.8. 144 Huber, Reglementierung, S. 90. 145 Weingardt, S.441 spricht vom „Zentralabitur mit seiner zwanghaften Egalisierung" und empfiehlt stattdessen vermehrte Vergleiche mittels standardisierter Tests. 146 Ingenkamp, Möglichkeiten, S.416. 147 Ebd. S. 417; Sader, Prüfungen, S.6 hält sie bei kleinen Universitätsfächern für untragbaren Aufwand. 148 Ingenkamp, Möglichkeiten, S. 415. 149 Cox, UQ 1966/67, 292 (316); Ingenkamp, Möglichkeiten, S.417. 150 Cox, UQ 1966/67, 292 (318).

61

IV. Verbesserungsvorschlge

Unklar scheint noch zu sein, wieweit sich komplexere und nicht rein kognitive Fähigkeiten, insbesondere Kreativität, Fähigkeit zu konstruktivem Denken und zur Darstellung m i t standardisierten Leistungstests messen lassen. Es w i r d zwar betont, daß die neuere Entwicklung hier erhebliche Fortschritte gemacht hat 1 5 1 ; es ist auch nicht zu vergessen, daß man an herkömmlichen Prüfungen gerade die Vernachlässigung solcher Fähigkeiten kritisierte, so daß hier also nicht i n jedem Fall ein erreichter Vorteil preisgegeben würde 1 5 2 . Doch weist man andererseits auf die Gefahr hin, daß jedenfalls die bisher zur Verfügung stehenden und für den Lehrgebrauch ohne allzu große Schwierigkeiten handhabbaren Tests eher rezeptive Leistungen messen 153 . Man befürchtet insbesondere, daß die vielfach verwendeten Testformen, die das Anstreichen vorgegebener Lösungen oder das Hinschreiben nur weniger Sätze erfordern, sich ungewollt negativ auf das Lern verhalten auswirken: i n Anpassung an die Prüfung w i r d entsprechend gelernt, zusammenfassende und ein ganzes Gebiet darstellende Übungen werden verdrängt 1 5 4 . Viele Autoren plädieren deshalb dafür, standardisierte Tests nicht allein, sondern nur zusammen m i t verschiedenen herkömmlichen Prüfungsformen anzuwenden 155 . Negative Rückwirkungen auf den Unterricht ließen sich so durch Fortbestehen herkömmlicher Prüfungsformen vermeiden, während andererseits die Meßvorteile zu einer Überprüfung und Relativierung der herkömmlichen Prüfungen führen könnten. Dabei wäre je nach dem i n Frage stehenden Fach zu differenzieren. Wo es vorwiegend um abfragbares Wissen geht, müßten die Tests angewendet werden; i n anderen Bereichen, die ζ. B. mehr gestalterische Fähigkeiten erfordern, sollte ihre Anwendung eingeschränkt werden 156 . f) Verminderung

des Grades der Endgültigkeit

der Prüfung

Unter dieser Überschrift soll auf ein Bündel von Vorschlägen hingewiesen werden, die i n Anbetracht der mannigfachen und nicht völlig 151 Cox, UQ 1966/67, 292(311,314); Ingenkamp, Möglichkeiten, S.419; Rütter, S. 78 mit Beispielen. 152 Hotyat, S. 356; prononciert Salzmann, S. 18, S. 136. Bacher, S.99; Cox, UQ 1966/67, 292(323); Hotyat, S.357; Huber, Reglementierung, S. 91; ähnlich Reese, S. 13; Salzmann, S. 19; Ingenkamp, Möglichkeiten, S. 417, S. 421 weist darauf hin, daß es noch an einer genügenden Zahl von Lehrenden und Pädagogen mangelt, die damit umgehen können. 164 Cox, UQ 1966/67, 292(323); Kvale, S.47 weist noch auf den Aspekt der Unangreifbarkeit hin: „Bei einem autoritären Prüfer ist es im Grunde immer noch prinzipiell möglidi, seine Argumente vorzutragen. In TV-administrierten und Computer-evaluierten standardisierten Prüfungen wird es dagegen aussichtslos, zu diskutieren." 155 Nachweise für die Schule bei Dohse, S. 1081; Huber, Reglementierung, S. 91; Ingenkamp, Möglichkeiten, S. 423 ff.; Vernon, S. 49. 1M Flechsig et al., S. 11; Vernon, S. 49; vgl. auch Cox, UQ 1966/67, 292 (335); Ausschuß für Hochschuldidaktik, S. 58 (4.1,4.2).

62

. eil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

zu vermeidenden Mängel von Prüfungen deren Endgültigkeit etwas einschränken wollen. Zu nennen ist hier die Möglichkeit, insbesondere bei studienbegleitenden Prüfungen, aus der Menge der erbrachten Leistungen einige auszuwählen, die dann als Prüfungsleistungen, gelten 157 . Durch imbeschränkte Wiederholungsmöglichkeit soll der punktuellen Prüfung ein Teil ihres Schreckens genommen werden 1 5 8 ; wo diese Möglichkeit gewährt wurde, hielt sich der Anstieg der Zahl der Prüflinge offenbar i n Grenzen 169 . 2. Verbesserung der Bewertung a) Mehrfachkorrektur Unterschiede i m Maßstab der einzelnen Prüfer, aber auch auf individuellen Indispositionen der Prüfer beruhende Schwächen der Korrektur können durch mehrfache Korrektur bis zu einem gewissen Maße ausgeglichen werden 1 6 0 . Die Mehrfachkorrektur hat auch den Vorteil einer Kontrolle, die schon beim Erstkorrektor wegen des Bewußtseins der folgenden Zweitkorrektur zu größtmöglicher Sachlichkeit führen kann. Auch i m Mündlichen erfüllt die Teilnahme mehrerer Prüfer diese Zwecke, darüber hinaus sorgt sie aber auch für eine bessere Leistungserfassung. Trotzdem w i r d teilweise der Wert der Mehrfachkorrektur relativiert. Einesteils sieht man die Gefahr, daß damit individuelle Besonderheiten verwischt werden und gerade bei aus dem Rahmen fallenden Arbeiten durch extreme, sich gegenseitig relativierende Bewertungen diese Besonderheiten verdeckt werden 1 8 1 . Zum anderen w i r d betont, daß sich die Subjektivismen der verschiedenen Korrektoren nicht notwendig ausgleichen, sondern eventuell auch potenzieren. Für einen statistisch ausreichend gesicherten Ausgleich der verschiedenen Korrektoren wäre u. U. nicht nur eine Doppel-, sondern eine Vielfachbewertung nötig 1 6 2 , Hier setzt aber die Belastung der Prüfer eine Grenze 163 . b) Festlegen von Bewertungsrichtlinien

und Schulung von Prüfern

Eine andere Möglichkeit, die teilweise schon praktiziert wird, besteht i n der Aufstellung von Bewertungsrichtlinien — also nicht nur Muster157

ζ. B. Flechsig et al., S. 39. s. ζ. Β. Ausschuß für Hochschuldidaktik, S. 59 (5.2.1); Sader et al., Fibel, S. 106 f.; Eckstein, Problematik, S. 48. 159 Eckstein, Problematik, S.48. Einen Schritt weiter geht der Vorschlag, auch zur Notenverbesserung die unbeschränkte Wiederholung zuzulassen· 160 Bacher, S. 99; Vernon, S. 47 f. 161 So Cox, UQ 1966/67, 292 (303). 16* Piéron, S. 23 und S. 122 f. mit Nachweisen; man bräuchte danach z. B. in Englisch 28 Korrektoren und im Französischaufsatz 78. 168

V. Verbesserungsvorschläge lösungen — und weitergehend i n der Schulung von Prüfern. Über den Nutzen einer „Schulung" zum Zwecke des Bewußtmachens der i n die Bewertung einfließenden subjektiven Faktoren und damit ihrer besseren Kontrolle ist man sich einig 1 0 4 . Dagegen liegen bezüglich des Nutzens detaillierter Bewertungsrichtlinien unterschiedliche Erfahrungen vor. Teilweise fand man heraus, daß bei Aufsätzen eine schnelle Bewertung nach dem ersten Eindruck bessere Ergebnisse erbrachte als ein gründliches Vorgehen nach detaillierten Richtlinien 1 6 5 . Andere Untersuchungen erbrachten deutliche Verbesserungen der Korrektur, nachdem Richtlinien ausgegeben worden waren 1 6 6 . c) Bewertung

nach der Normalverteüung

Teilweise w i r d vorgeschlagen, die Unterschiede in regionaler und zeitlicher Hinsicht dadurch abzugleichen, daß eine Normalverteilung der Zeugnisse entsprechend der Gauss'schen Kurve angestrebt wird 1 6 7 . Eine Normalverteilung wäre aber nur i m großen Rahmen, etwa auf Landesebene, sinnvoll. A u f der Ebene einzelner Schulen oder gar Klassen w i r k t diese Maßnahme eher verfälschend 168 . Denn zwischen Klassen und auch noch zwischen Schulen oder Fachbereichen können erhebliche Unterschiede bestehen, und es finden sich auch nicht i n jeder kleineren Gruppe eine gleiche Anzahl guter, mittlerer und schlechter Leistungen. d) Mathematische

Gesamtnotenberechnung

Die mathematische Berechnung der Zeugnisse aus den verschiedenen Einzelleistungen kann naturgemäß die Bewertungsmängel nicht beheben. Solche Zahlenspiele werden eher als Verschleierung der bestehenden Mängel angesehen 169 . e) Zentralisierung

der Bewertung

Eine Zentralisierung der Bewertung scheitert bei herkömmlichen Prüfungen daran, daß i n den meisten Fällen wegen der großen Zahl von Prüfungsarbeiten eine Vielzahl von Korrektoren nebeneinander 188

Vgl. auch Eckstein, Problematik, S. 47. Ingenkamp, Kommentar, S. 62 f. m. w.N.; ders., Möglichkeiten, S.423; Kvale, S. 18, S. 33; Piéron, S. 167 mit dem Hinweis, daß die Korrektur ζ. B. beim zweitenmal in anderer Reihenfolge erfolgen sollte, da der Eindruck der vorhergehenden Arbeit nachwirkt. 185 Ingenkamp, Kommentar, S. 64; Vernon, S. 47; vgl. auch die Hinweise bei Cox, UQ 1966/67, 292 (304). 188 Nachweise bei Ingenkamp, Kommentar, S. 64; Piéron, S. 166 f. 187 Nachweise bei Dohse, S. 81 f. und Göller, S. 24 ff. 188 Eckstein, Problematik, S. 47; Kvale, S. 141, S. 177; Tent, S. 56. 188 Flitner, ZfP 1966, 511 (532); Ingenkamp, Kommentar, S.23. 184

64

. Teil, 2. Abschn.: Überblick über nichtjuristische Untersuchungen

tätig sein muß. Durch Schulung der Prüfer und durch Bewertungsrichtlinien kann aber i n gewissem Maße der Effekt einer Zentralisierung erreicht werden. Bei mündlichen Prüfungen w i r k t sich die Teilnahme eines ständigen Vorsitzenden wohl ähnlich zugunsten einer Vereinheitlichung aus. Prüfung

mit standardisierten

Tests

Bei standardisierten Tests würden die subjektiven Bewertungsunterschiede wegfallen, weil die Auswertung genau festgelegt ist. Die Subjektivität der Bewertung ist allerdings nicht völlig ausgeschaltet, sondern nur vereinheitlicht. Was als richtig oder falsch gilt, muß bei der Erarbeitung des Tests entschieden werden, ebenso die Frage, wie schwer ein Fehler jeweils wiegt 1 7 0 . Die Beteiligung mehrerer an der Aufstellung der Tests w i r k t hier jedoch i n Richtung auf eine Objektivierung. Die Bedenken gegen die Einführung oder alleinige Verwendung von Tests, die oben (2. Abschn., IV. 1. e) dargestellt wurden, sind an dieser Stelle ebenso zu berücksichtigen.

3. Entlastung der Prüfungen von der Berechtigungswirkung Nachdem herkömmliche Prüfungen nur beschränkt funktionstüchtig sind und sich nicht alle Mängel zufriedenstellend beseitigen lassen, bietet sich der Gedanke an, ihre Bedeutung für den einzelnen zu vermindern, indem man die damit verbundenen Rechtswirkungen beseitigt. Prüfungen sind dann nur noch Instrumente zur besseren Gestaltung des Lehr- und Lernprozesses; die externen Interessenten, die Arbeitskräfte suchen, können durch Eingangsprüfungen selbst die für sie Geeigneten auswählen, wie es ja heute schon auf vielen Gebieten, vor allem i n der Industrie, der Fall ist 1 7 1 . Einige Erfahrungen haben aber die Vermutung bestätigt, daß die Verlagerung von Prüfungen m i t Berechtigungsfunktion aus dem B i l dungsprozeß nach außen ihren Einfluß nicht mindert. Die Ausbildung orientiert sich unter dem Druck derer, die später einen Beruf ergreifen wollen, an den Anforderungen der externen Prüfung 1 7 2 , und die Ausbildungsstätte hat darauf dann gar keinen Einfluß mehr. Deshalb warnt man überwiegend vor einer solchen Lösung des Problems 173 .

no v g l . Vernon, S. 45. 171

In diese Richtung Wong, S. 366. Tyler, S. 342. 173 Huber, Reglementierung, S. 90; Ingenkamp, Kommentar, S. 27; Kvale, S. 65; Reese, S. 15. 172

ÎV. Verbesserungsvorschläge

65

4. Abschaffung von Prüfungen Diese Radikallösung w i r d selten erörtert 1 7 4 , u. a. wohl deswegen, weil die Aussichtslosigkeit des Vorschlages von vornherein abschreckt. Die wichtigsten pädagogischen Funktionen könnten sicher, teils sogar besser, von informellen Arbeiten und Tests erfüllt werden. Auch die A n reizfunktion von Prüfungen ist ja umstritten. Zweifelhaft ist aber, wie die Auslese-, Berechtigungs- und Schutzfunktion ohne jede A r t von Prüfungen zu gewährleisten sind. Solange es begehrtere Arbeitsplätze i n beschränkter Anzahl gibt, w i r d eine Auslese nötig sein; ob das Zufallsprinzip (Losziehen) überall vorteilhafter wäre, darf man bezweifeln. Und die Schutzfunktion könnte damit gar nicht erfüllt werden.

174

5

s. aber ζ. B. Lautmann, Soziale Welt 1970/71, 360 andeutungsweise.

Pietzcker

II. T E I L

Verfassungsrechtliche Anforderungen I m folgenden sollen die verfassungsrechtlichen Anforderungen konkretisiert werden, die sich aus dem Grundgesetz für die Ausgestaltung von Prüfungen ableiten lassen. Besondere Bestimmungen der Länderverfassungen, welche hierfür unmittelbar 1 oder mittelbar 2 von Bedeutung sind, bleiben dabei außer Betracht. I n der Einleitung wurde schon darauf hingewiesen, daß es sich i m wesentlichen um die drei großen Komplexe der berufsbezogenen Grundrechte, des Gleichheitsgrundrechts und des Rechtsstaatsprinzips handelt. Dieser an Normen orientierten Einteilung entsprechen i n großen Zügen die verschiedenen Aspekte der Sachproblematik. Fragen nach der Eignung der Prüfung und nach der Verhältnismäßigkeit ihrer jeweiligen Ausgestaltung fallen i n den Bereich der berufsbezogenen Grundrechte. Das Rechtsstaatsprinzip betrifft die mehr formalen Aspekte eines geordneten und deshalb berechenbaren Verfahrens und damit auch die Übertragung gewisser richterähnlicher Garantien auf das Prüfungsverfahren. Die Organisation von Prüfungen w i r d ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes relevant; zu den gleichsam absoluten Anforderungen, die sich aus den beiden ersten Normenkomplexen ergeben, t r i t t also die relative, d. h. auf die Mitprüflinge bezogene Forderung nach einer dem Gleichbehandlungsgebot gerecht werdenden Ausgestaltung hinzu. Überschneidungen, wie i n der Einleitung erwähnt, sind dennoch unvermeidbar. Inbesondere die Frage nach der Eignung von Prüfungen läßt sich nicht einem dieser Normenkomplexe allein zuordnen; denn nur dann, wenn das Prüfungsverfahren allen rechtlichen Anforderungen genügen kann, ist es ein geeignetes Mittel. Läßt sich beispielsweise keine ausreichende Gleichbehandlung gewährleisten, dann beeinflußt das auch das Urteil über die Eignung der Prüfung. Aus diesem Grund w i r d am Schluß der Arbeit die Eignung von Prüfungen gesondert erörtert. I n der Einleitung wurde ebenfalls schon die Gefahr erwähnt, aus den relativ unbestimmten verfassungsrechtlichen Geboten, die zu beachten 1 s. folgende Landesverfassungen: Baden-Württemberg (Art. 17 III); Rheinland-Pfalz (Art. 39 V); Saarland (Art. 33 III). 2 Bayern (Art. 128 II, 132); Bremen (Art. 31IV); Hessen (Art. 59 II); Nordrhein-Westfalen (Art. 1013); Rheinland-Pfalz (Art. 31); Saarland (Art. 27 V).

II. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen

67

sind, allzu konkrete Folgerungen für das Prüfungswesen zu ziehen. Diese Gefahr ist nicht zuletzt dadurch verursacht worden, daß i n vielen Fällen keine gesetzlichen Regelungen vorliegen und deshalb der Rückgriff auf die Verfassung naheliegt 3 , zumal viele Grundsätze, die früher als verwaltungsrechtlich angesehen wurden, heute i n der Verfassung verankert sind 4 . Damit könnte manches angesichts der beschriebenen Widersprüche und Unklarheiten i m Prüfungswesen keineswegs allein richtige, sondern allenfalls vertretbare rechtliche Postulat dem Gestaltungsbereich des Gesetzgebers entzogen und vorschnell verfassungsrechtlich festgeschrieben werden 5 . A u f der anderen Seite geht es nicht an, aus Angst vor unangemessener Konkretisierung die verfassungsrechtlichen Anforderungen außer Acht zu lassen. Beide gleichermaßen unzulänglichen Wege gilt es zu vermeiden. A n vielen Stellen ist das nur möglich, indem die von der Verfassung geforderte Tendenz angegeben wird, ohne daß alle Einzelheiten ebenso fixiert sind, oder indem nur negativ eine rechtliche Grenze aufgezeigt wird, die den Spielraum des Rechtsetzenden begrenzt. Unzweifelhaft sind auch manche Ausführungen eher verfassungspolitisch als verfassungsrechtlich zu verstehen. Der Umstand, daß i m folgenden sämtliche Prüfungen i n dem oben (I. Teil, 1. Abschn., I I I . a. E.) umschriebenen Sinne zugrundegelegt werden, ist gleichfalls nicht unproblematisch. Manche Besonderheiten einzelner Sachgebiete finden bei diesem Vorgehen vielleicht nicht die gebührende Beachtung, wenn auch versucht wird, jeweils wenigstens abstrakt die begrenzte sachliche Reichweite eines Grundsatzes aufzuzeigen. Es kommt hinzu, daß die eigene Erfahrung, die sich auf Schulprüfungen und die beiden juristischen Staatsexamina beschränkt, den unbewußten Hintergrund vieler Ausführungen bildet und deshalb manche Probleme vielleicht gar nicht oder anders gesehen werden, als es bei Kenntnis anderer Prüfungen der Fall wäre. Die Ausdehnung auf alle Prüfungen läßt sich nur m i t der Uberzeugung begründen, daß wesentliche Probleme identisch sind; manchmal erlaubt es auch erst der Vergleich m i t andersartigen Prüfungen, eine Frage hinreichend zu erörtern. Zur Veranschaulichung werden an den einschlägigen Stellen folgende Prüfungsordnungeini oder Rahmenvorschläge aus den verschiedenen Bereichen angeführt: die Reifeprüfungsordnung von Baden-Württemberg®, die Allgemeinen Bestimmungen für Diplomprüfungsordnungen, 8

s. aber die Versuche der Rechtsprechung, manche Grundsätze dem Gewohnheitsrecht zuzurechnen, ζ. B. BVerwGE 12, 359 (362). 4 s. dazu Bachof, VerfR II, Nr. 4 (S. 5 ff.). 5 Auf diese Gefahr weist eindringlich Richter, RdJB 1971, 131 ff. hin. 6 Ordnung der Reifeprüfung, Neufassimg vom 18.6.1971, ABl. S. 1010, ber. S. 1300. Künftig: ReifePO B-W. 5*

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II. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen

welche die Kultusministerkonferenz beschlossen hat 7 , die Juristenausbildungs- und -Prüfungsordnung von Baden-Württemberg 8 , die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankenschwestern etc.® und die Musterprüfungsordnung für Abschlußprüfungen nach dem BBiG 1 0 . A u f andere Prüfungsordnungen, insbesondere auf die neue und i n mancher Hinsicht interessante Approbationsordnung für Ärzte, 11 , w i r d nur gelegentlich verwiesen. Zum Schluß dieser Vorbemerkungen sei darauf hingewiesen, daß den nachfolgenden Ausführungen die Auffassung zugrunde liegt, alle Prüfungen i n dem genannten Sinne müßten m i t den jeweiligen verfassungsrechtlichen Anforderungen übereinstimmen. Die Meinung, nur Abschlußprüfungen oder jedenfalls nur die Gesamtprüfungsentscheidung, also etwa die Versetzungsentscheidung, seien rechtlich relevant, während manche Zwischenprüfungen oder die Einzelbewertungen grundsätzlich i m vorrechtlichen Bereich verblieben 12 , vermag nicht zu überzeugen 13 . Dabei kann hier dahinstehen, ob Zwischenentscheidungen und Einzelnoten selbständig anfechtbar sind 1 4 ; denn die Abgrenzung von Verwaltungsakt und unselbständigem Teil einer Regelung ist nicht m i t der Trennung von Rechtsakt und rechtlich irrelevantem A k t identisch. Auch wenn etwa die Einzelnote nicht selbständig anfechtbar sein sollte, ist sie rechtlich höchst bedeutsam. Das zeigt sich ganz deutlich i n den Fällen, wo die Gesamtnotenbildung nur ein rechnerischer Vorgang ist, die Einzelnoten also die Gesamtnote endgültig und allein bestimmen, gilt aber auch dann, wenn die Einzelnote nur Entscheidungsgrundlage ist, weil sie eben dadurch i n die Gesamtentscheidung m i t eingeht. Si7 Beschluß der K M K vom 12.3.1970, Beschlußsammlung Nr. 1910.1. Künftig: DiplPO. 8 Verordnung der Landesregierung über die Ausbildung und Prüfung der Juristen in der Fassung der Bekanntmachung vom 24.3.1972, GBl. S. 144. Künftig: JAPO B-W. 9 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankenschwestern, Krankenpfleger und Kinderkrankenschwestern vom 2. 8.1966, BGBl. I S. 462. Künftig: KSPO. 10 Musterprüfungsordnung für die Durchführung von Abschlußprüfungen, Anlage 1 a zu den Richtlinien für Prüfungsordnungen gemäß § 41 BBiG / § 38 HandwO, Beschlüsse des Bundesausschusses für Berufsbildung vom 9.6.1971; abgedruckt im Bundesarbeitsblatt 1971, S. 631. Künftig: MPO. 11 Approbationsordnung für Ärzte vom 28.10.1970, BGBl. I S. 1458. 12 Vgl. etwa Vie, NJW 1964, 939 f. 13 s. Menger, VerwArch Bd. 50 (1959), 271 ff (281) und VerwArch. Bd. 55 (1964), 376 ff. (387 f.); Czermak, NJW 1964, 939; Selmer, DÖV 1968, 342 (insb. 347). HessVGH DÖV 1969, 502; VG Berlin, abgedruckt bei Richter, Analyse, Nr. H 11. Vgl. auch etwa die rechtliche Bedeutung der Klassenarbeiten in OVG Münster OVGE 23, 171 und VG Würzburg RdJB 1972, 56. 14 Dazu HessVGH DÖV 1969, 502; VG Frankfurt JZ 1961, 65 und DVB1. 1972, 427 sowie OVG Lüneburg DÖV 1974, 67 und Oldiges, JurA 1970, 611 (613).

II. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen cherlich ist nicht jede Prüfung und erst recht nicht jede für die Prüfung erhebliche Teilentscheidung von gleichem rechtlichen Gewicht. Bei geringerer Bedeutung können also die verfassungsrechtlichen Anforderungen durchaus gemildert sein. Rechtsfrei ist aber kein Bestandteil einer Prüfung i n dem festgelegten Sinne. Von diesen Überlegungen ausgehend w i r d demnach i m folgenden das Prüfungsverfahren i n allen seinen Bestandteilen m i t der Verfassung i n Beziehung gesetzt. Daraus folgt zugleich auch, daß die Prüfungsordnungen, welche das Zustandekommen der Prüfungsentscheidung festlegen, insoweit allesamt Rechtscharakter i n dem Sinne haben, daß sie die Rechtssphäre von Personen betreffen, welche nicht völlig i n die staatliche Verwaltung eingegliedert sind 15 .

15 Die Rechtsprechung ist in dieser Frage, die die immer noch nicht völlig geklärte Problematik der Verwaltungsvorschriften und der Abgrenzung von Rechtssatz und Nichtrechtssatz berührt, sehr unsicher. S. ζ. B. BVerwG Buchholz Nr. 6 und Nr. 47 sowie Bad.-Württ. VGH SPE I I I F I I 11 (c), OVG Münster OVGE 22, 8 und Hess VGH DVB1. 1973, 277 (278). Prüfungsordnungen werden in der Literatur jetzt überwiegend als Rechtsvorschriften angesehen, s. (allgemein zu Verwaltungsvorschriften) die Übersicht bei Ossenbühl, S. 117— 152 und Klohe, S. 43—72 sowie (speziell zu Prüfungsvorschriften) Selmer, NJW 1967, 1435 und Becker, DÖV 1970, 730 ff. Zuletzt Feindt, DÖV 1973, 768 (773).

1. Abschnitt

Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte Als i n einem weiten Sinne berufsbezogene Grundrechte, die für die Beurteilung von Prüfungen herangezogen werden müssen, kommen in erster Linie A r t . 12 I GG m i t den beiden Grundrechten auf freie Wahl der Ausbildungsstätte und freie Berufswahl, daneben aber auch die Grundrechte des A r t . 33 I I G G l e und A r t . 6 I I GG i n Betracht.

I. Prüfungen als Grundrechtseingriffe Wenn i m folgenden die Zulässigkeit von Eingriffen i n die genannten Grundrechte durch Prüfungen näher betrachtet wird, so liegt dem die Annahme zugrunde, daß Prüfungen überhaupt Grundrechtseingriffe darstellen und nicht etwa bloß als staatliche Leistung verstanden werden können 17 . Die Fragwürdigkeit der Anwendung der Eingriffskategorie w i r d klar, wenn man den Zusammenhang von Ausbildung und Prüfung sieht. Die meisten Prüfungen sind Abschluß einer Ausbildung, die man kaum nur als Eingriff ansehen kann. Es t r i t t vielmehr das Moment der Teilhabe an staatlicher Leistung hervor, die für das berufliche Fortkommen des einzelnen vom größter Bedeutung ist. Man spricht nicht zu Unrecht von dem Genuß oder Privileg einer besseren Ausbildung, und es mutete seltsam an, wollte man die längere Ausbildung und schwerere Prüfung etwa bei akademischen Berufen gegenüber dem sofortigen Berufseintritt des ungelernten Arbeiters oder dem frühzeitigen des Lehrlings als stärkeren Grundrechtseingriff bewerten. Auch die Prüfung selbst, isoliert von der Ausbildung, stellt eine staatliche Leistung dar, nämlich eine Veranstaltung, die zu einer Bescheinigung des Wissenstandes u. ä. führt und eine Berechtigung verleiht. Darüber hinaus kann man sogar die Gliederung der Ausbildung durch den Prüfungskanon, die dem Lernenden ein sinnvolles Vorgehen ermöglichen kann, unter dem Leistungsaspekt betrachten. Dennoch kann 16

Art. 33 I I GG hat Grundrechtscharakter, vgl. Maunz in Maunz/Dürig/ Herzog, Art. 33, Randnr. 11 und 17 a. E. 17 Nur den Leistüngsaspekt sieht Klohe, S. 25 und S. 73; vgl. auch Hummel, S. 43.

I. Prüfungen als Grundrechtseingriffe

71

nach der Konzeption der Berufsgrundrechte des A r t . 121 GG hier nicht auf die Eingriffskategorie verzichtet werden 18 . Das zeigt sich deutlich am zuletzt genannten Beispiel der Berechtigungsverleihung. Dem ersten Anschein nach liegt darin eine Leistung. I n Wahrheit handelt es sich aber — jedenfalls für den Fall der Abschlußprüfung, die rechtssatzmäßige Voraussetzung der Berufsaufnahme ist, und der Prüfungen, die vor dem Zugang und der Fortsetzung einer Ausbildung stehen — u m eine Rechtsfigur, die dem Verbot m i t Erlaubnisvorbehalt entspricht. Durch die Sicherung einer grundrechtlichen Freiheit i n Art. 121 GG stellt sich das Prüfungsverfahren jedenfalls auch als Beschränkung dieser Freiheit dar 19 . Nun könnte man zwar versuchen, die Prüfung von dem A k t der Berufsaufnahme zu trennen und erst i n der der nichtbestandenen Prüfung folgenden Versagung der Berufszulassung den Eingriff zu sehen. Da die Versagung aber allein auf die Prüfung abstellt, ist deren Eingriffscharakter evident, da von ihrer Ausgestaltung das Ergebnis allein abhängt. I m übrigen ist die nachfolgende Fragestellung so begrenzt, daß die eigentliche Problematik des Eingriffsdenkens auf diesem Gebiet sich höchstens am Rande auswirkt. Denn das Ineinanderspielen von Eingriff und Leistung w i r d erst dann von größerer Bedeutung, wenn man die inhaltlichen Anforderungen in der Prüfung, den Prüfungsstoff, und die Vorbildungsvoraussetzungen m i t i n die Betrachtung einbezieht. A u f der einen Seite müßte man dann die ziemlich strengen Maßstäbe für subjektive Beschränkung der Berufswahlfreiheit und der Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte an Abitur, Staatsexamen, Lehrliiigsprüfung etc. anlegen und fragen, ob die jeweiligen Prüfungsinhalte zum Schutze eines wichtigen Gemeinschaftsgutes unter Berücksichtigung des Freiheitswertes des Grundrechts erforderlich sind. A u f der anderen Seite stünde die schon soeben angesprochene Bedeutung der Ausbildung für die Sozialchancen des einzelnen und die daraus folgende Befugnis, wenn nicht Pflicht des Staates, Ausbildungsgänge und entsprechende A b schlüsse zur Verfügung zu stellen, die dem einzelnen, insbesondere den bisher benachteiligten Schichten bessere Möglichkeiten bieten und die deshalb nicht zu kurz sein dürfen und nicht zu früh i n die Einbahnstraße einer engen berufsspezifischen Qualifikation führen dürfen 2 0 . Dennoch muß man fragen, ob sich nicht der einseitig Begabte, der das 18 Das Zusammenspiel von Eingriff und Leistung ist klar herausgearbeitet bei Hennecke, S.136 ff;, insb. S. 141—145; s. audi die Bemerkungen von Ehmke, VVDStRL H. 23 (1966), 277. 19 Den Eingriffscharakter hebt Loewe, JZ 1969, 381 (382) hervor; auch Oppermann, KulturverwR S. 267 und Schick, ZBR 1972, 300 (301) gehen offenbar davon aus, daß Prüfungen einen Eingriff darstellen. 20 Vgl. ζ. B. Bildungsbericht 1970, S. 18 f. und, wenn auch in fragwürdigem Zusammenhang, ΒVerfGE 13, 97 (118).

72

I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

A b i t u r m i t seinen breit gefächerten Anforderungen nicht besteht, vielleicht m i t Recht auf sein Grundrecht der Berufswahlfreiheit beruft, wenn er nicht zum Studium i n seinem Interessengebiet zugelassen wird 2 1 . Die Lösung dieser Fragen setzt die Zuordnung des Sozialstaatsprinzips und der i n A r t . 7 I zum Ausdruck gekommenen staatlichen Befugnis, das Ausbildungswesen zu organisieren und inhaltlich zu bestimmen, und der grundrechtlichen, jedenfalls auch freiheitsrechtlichen A b sicherung der A r t . 12 I und 6 I I GG voraus. Das Förderstufenurteil des BVerfG hat deutlich werden lassen, welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben 22 . Eine Klärung kann nicht i m Rahmen dieser Arbeit unternommen werden; die Problematik betrifft nicht nur Prüfungen, sondern die gesamte Organisation des Bildungswesens und w i r d deshalb hier ausgeklammert. Prüfungen werden also i m folgenden unter Außerachtlassen des Prüfungsinhaltes nur daraufhin untersucht, ob die Ausgestaltung des Verfahrens den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Insoweit ist es an sich unproblematisch, sie unter Eingriffsgesichtspunkten zu behandeln 23 , zumal auch dann, wenn mani den Leistungscharakter betont, v. a. die Geeignetheit ihrer jeweiligen Ausgestaltung ihre Bedeutung behält 24 . I I . Abgrenzung der Normbereiche dieser Grundrechte im Hinblick auf Prüfungen 1. Die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufes Wegen der engen Verzahnung von Ausbildung und Berufswahl, auf die verschiedentlich hingewiesen wurde 2 5 , mag es müßig erscheinen, den Normbereich dieser beiden Grundrechte voneinander abzugrenzen. Aus zwei Gründen empfiehlt sich dennoch ein solcher Versuch. Zum ersten ist es nicht selbstverständlich, daß alle Prüfungen jedenfalls unter eines dieser beiden Grundrechte fallen. Es kann etwa zweifelhaft erscheinen, ob die Abschlußprüfung einer Ausbildung, die nicht kraft Rechtssatzes Berufsvoraussetzung ist, überhaupt an A r t . 12 I GG zu messen ist 26 . Zum 21

Dazu die Andeutungen in BVerfGE 33,303 (349). " BVerfGE 34, 165. 23 BVerfGE 33, 303 (337) läßt die Frage offen, wendet aber die entsprechenden Kriterien an, weil es sich um notwendige Voraussetzungen für die Grundrechtsverwirklichung handelt. 24 Vgl. Ehmke, VVDStRL H. 23 (1966), 258; Geitmann, S. 165. 25 Bachof, GR I I I / l , S. 155 (252); Weber, RWS 1964, 33 ff.; Richter, Analyse, S. 58 f. sowie BVerfGE 33, 303 (3291). 2e Eher ablehnend ètwa HessVGH DVB1. 1973, 277 (278).

II. Normbereichsabgrenzung von Art. 12, Art. 33 I I und Art. 6 I I GG

73

anderen könnten die Schranken-Schranken beider Grundrechte divergieren. Gerade an diesem Punkt zeigt sich allerdings auch die Grenze eines solchen Abgrenzungsversuches; denn wegen des engen sachlichen Zusammenhangs beider Grundrechte werden die Schranken-Schranken für beide harmonisiert werden müssen. a) Prüfungen, welche die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte berühren Nach der Definition des BVerwG ist „als (allgemeine) Ausbildungsstätte eine Einrichtung anzusehen [ ], die ein Bewerber durchlaufen haben muß, um nach Ablegung der nur über diese Einrichtung erreichbaren Prüfung Berufe ergreifen oder öffentliche Ämter bekleiden zu können, welche die durch die Prüfung erlangte Qualifikation voraussetzen" 27 . Das ist i n zweierlei Hinsicht zu eng: die Qualifikation muß nicht nur auf der jeweiligen Stätte zu erlangen sein, wie die vielen Möglichkeiten, ζ. B. auf verschiedenartigen Ausbildungsstätten das Reifezeugnis zu erhalten, zeigen; und für den Beruf muß das Prüfungszertifikat nicht Rechtsvoraussetzung sein, denn beispielsweise die Hochschule ist auch dort Ausbildungssätte, wo das Schlußzeugnis — von der Hochschullehrerlaufbahn abgesehen — nicht rechtsnormative Berufsvoraussetzung ist 28 , ebenso wie die Lehrlingsausbildung i m nichthandwerklichen Bereich 29 . Umstritten ist, ob und welche allgemeinbildenden Schulen als Ausbildungsstätten anzusehen sind. Teils schließt man die allgemeinbildenden Schulen generell aus 30 , teils rechnet man sie insgesamt zu den AusbildungsstättenJ 31 , und manche differenzieren zwischen Pflichtschulen und anderen Schulen 32 . Nach der obigen Definition besteht kein Grund, die Schulen nicht als Ausbildungssätten i. S. des A r t . 121 GG anzusehen. Wer nicht eine weiterführende Schule besuchen darf, dem sind viele Berufsmöglichkeiten abgeschnitten; das gilt erst recht auf der untersten Stufe der Pflichtschulen, nämlich dem Zugang zur allgemeinen Volksschule statt zur Sonderschule. Auch verwischt sich der Unterschied zwi27

BVerwGE 16, 241 (243). Vgl. auch die Einschränkung in BVerwGE 16, 241 (246); Waibel, Rechtsprechung, S. 62 m. w. N.; Thieme, JZ 1959, 265 (266 r. Sp.). 29 Unstreitig, s. etwa Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S.253). 80 Abraham, Bonner Komm., Art. 12 Anm. I I 3 c; OVG Münster OVGE 12, 241 (246); OVG Lüneburg VerwRspr. 8, 399 (404) (Nr. 98). 81 Bachof, G R I I I / l , S. 155 (S.253); Brinkmann, Art. 12, Anm. I I b gamma; wohl auch Klohe, S. 13 und Thieme, JZ 1959, 265 (266) sowie Entsch. OVG Berlin Bd. 3, 146 (152 f.). 32 Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 12, Anm. Β 4; v. Mangoldt/Klein, Art. 12, Anm. I I I 4; Stein, Selbstenfaltung, S.39; wohl auch HessVGH ESVGH 4, 155 (157). Unentschieden BVerfGE 34, 165 (195) und OVG Hamburg DVB1. 1953, 506 (508). 28

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I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

sehen allgemeinbildenden und berufsspezifischen Schulen zunehmend. Deshalb sind alle Schulen als Ausbildungsstätten i. S. des A r t . 121 GG anzusehen. Unstreitig sind dagegen die Hochschulen, Fachschulen u. ä. und auch die privaten Betriebe, die Lehrlinge nach der Handwerksordnung oder dem Berufsbildungsgesetz ausbilden, als Ausbildungsstätten anzusehen 88 . Das gleiche gilt für Vorbereitungsdienste zum öffentlichen Dienst, wenn ihre Schlußprüfung zugleich Voraussetzung der Aufnahme privater Berufe ist wie ζ. B. das Zweite juristische Staatsexamen, und zwar ohne Rücksicht darauf, welches Ziel der einzelne Nutznießer jeweils anstrebt 34 . Zweifelhaft ist allerdings, welche Prüfungen innerhalb dieser Ausbildungsstätten das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte berühren, wobei hier noch offen bleiben muß, ob darin nur immanente Schranken sichtbar werden oder ob eine echte Einschränkung vorliegt. Zulassungsprüfungen — sei es i n der Form der Eingangsprüfung, sei es i n der des bloßen Verweises auf die Abschlußprüfung einer anderen Ausbildungsstätte — betreffen sicherlich dieses Grundrecht, da das Nichtbestehen die Nichtaufnahme i n die Ausbildungsstätte zur Folge hat und damit die Wahl dieser Stätte versagt 35 . Das gleiche muß für alle Zwischenprüfungen gelten, die zur Folge haben können, daß sich die Ausbildung verlängert, weil ein Abschnitt wiederholt werden muß, oder daß die Ausbildungsstätte zu verlassen ist 36 . Zum Inhalt des Rechts der freien Wahl der Ausbildungsstätte gehört es, die Ausbildungsstätte nicht nur am Beginn der Ausbildung zu wählen, sondern die Ausbildung fortzusetzen bis zu ihrem Ende, sie also auch zu beschließen. Dam i t ist zugleich geklärt, daß die Abschlußprüfungen das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte berühren 37 . Das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, weil diese Prüfungen sozusagen den Abgang von der Ausbildungsstätte vorbereiten; es ist aber nur eine konsequente 88

Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S. 253 f.). Hamann, ebd. (FN 32). Bachof, JZ 1958, 290; Maunz, in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 33, Randnr. 15. Unrichtig BayVGH BayVBl. 1957, 292 (293). Zur Frage, ob auch dann eine Ausbildungsstätte vorliegt, wenn zwar nur für den öffentlichen Dienst, aber auch den in einem anderen Bundesland ausgebildet wird, vgl. Bachof, VerfR 11, Nr. 112 (S. 113 f). 85 Brinkmann, Art. 12, Anm. I l e gamma; Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 12, Anm. Β 4. Ebenso wohl Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S. 254) trotz der Ausführungen aaO. S. 255 unten. Entsch. OVG Berlin Bd. 3, 146 (156). 86 Brinkmann, Art. 12, Anm. I l e gamma: „Das Ob erfaßt selbstverständlich auch die Beibehaltung und die Aufgabe [ . . . . ] einer Ausbildungsstätte. Die positive Wahl erstreckt sich nicht bloß auf die Ausbildungsaufnahme, vielmehr ebenso auf die nachfolgende Ausbildung." 87 Geck, S. 38; Reuhl, S.67; Fertig, DVB1. 1960, 881 (884); wohl auch Brinkmann, Art. 12 Anm. I l e gamma und Thieme, NJW 1954, 742 (743) und Scholler, BayVBl. 1972, 205 (206 1. Sp.j. Jetzt ebenso BVerwG NJW 1974, 573. 84

II. Normbereichsabgrenzung von Art. 12, Art. 33 I I und Art. 6 I I GG

75

Fortsetzung des vorher Gesagten. Zweimaliges Versagen i n der Reifeprüfung beispielsweise führt regelmäßig zum Ausschluß von der Prüfimg, ein nochmaliges Durchlaufen der Oberschule ist unmöglich, die Wahl der Ausbildungsstätte also insoweit betroffen. Dasselbe folgt in manchen Fällen aus der funktionalen Austauschbarkeit von Eingangsund Schlußprüfung, denn die Versagung etwa des Oberschulabschlusses schließt zugleich die T ü r zur Hochschule, betrifft also die Wahl dieser Ausbildungsstätte. Diesem Ergebnis liegt der Gedanke zugrunde, daß das Grundrecht nicht nur den Beginn der Ausbildung, sondern die gesamte Ausbildung, die wesentlich auf einen Abschluß hinzielt, umfaßt. I m einzelnen ist noch zweifelhaft, wieweit Promotion und Habilitation i n den Normbereich des Grundrechts auf freie Wahl der Ausbildungsstätte fallen. Die Habilitation, die zum A m t des Hochschullehrers führt, w i r d man ausnehmen können 3 8 ; dagegen erscheint es insbesondere für die Fächer, i n denen die Promotion üblicher Abschluß des Studiums ist 3 9 , nicht gerechtfertigt, sie etwa unter Berufung auf A r t . 5 I I I GG aus dem Bereich dieses Grundrechts auszunehmen 40 . A r t . 12 w i r d von A r t . 5 I I I GG nicht verdrängt; doch soll diese Sonderfrage hier nicht vertieft werden. I n den Normbereich der Wahl der Ausbildungsstätte fallen demnach alle Prüfungen, die vom Beginn bis zum Schluß der Ausbildung i n allgemeinen Ausbildungsstätten abgehalten werden* b) Prüfungen,

welche die Freiheit

der Berufswahl

berühren

Unzweifelhaft sind hier diejenigen Prüfungen zu nennen, die unmittelbar vor der Berufsaufnahme stehen und kraft Gesetzes Voraussetzung dafür sind 41 . Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich aber i n zweierlei Hinsicht; erstens zeitlich für die vorgelagerten Prüfungen, die sich fast immer finden, und zum zweiten bezüglich der Prüfungen, die zwar tatsächlich von großer Bedeutung für die Berufswahl sind, aber nicht kraft Rechtssatzes eine Berufsvoraussetzung darstellen. Was die zuletzt genannte Fallgruppe angeht, so ist die Berufswahlfreiheit insofern wohl nicht betroffen, als es um die — hier ausgeklammerten — Prüfungsanforderungen geht; mangels rechtlicher Verknüpfung m i t einem bestimmten Beruf lassen sich Prüfungsanforderungen 88

s. aber FN 37. Ferner OVG Koblenz VerwRspr. 25, Nr. 36. Wo sie kraft Rechtsnorm Berufsvoraussetzung ist, wie in manchen Ländern ζ. B. für Archivare, gilt sowieso Art. 121 GG. 40 Vgl. dazu die unterschiedlichen Stellungnahmen von Geck, S. 36—45 m. w. N. und Maunz, in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 12, Randnr. 111. Ferner Waibel, Rechtsprechung, S. 62; Waibel, WissR 1970, 260 (2641); Thieme, Hochschulrecht, S. 226 f. 41 Vgl. BVerfGE 7, 377 (4061); 13, 97 (107); 19, 330 (3401); 25, 236 (247). BVerwG Buchholz 421. ο Nr. 21; BVerwGE 38, 105 (107,1131). 89

76

I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

und Berufsanforderungen regelmäßig nicht vergleichen. Dagegen ist die Berufswahlfreiheit sehr wohl berührt, wenn ζ. B. die Zulassung zur Abschlußprüfung versagt w i r d und damit bestimmte Berufe faktisch nicht mehr zugänglich sind; wer nicht zur Lehrabschlußprüfung bei den Industrie- und Handelskammern zugelassen w i r d oder wessen Prüfung dort für nicht bestanden erklärt wird, sieht sehr deutlich, welche Berufschance ihm dadurch genommen wird. Wollte man hier nur auf die fehlende rechtsnormative Verknüpfung abstellen, würde man die Bedeutung des Grundrechts der freien Berufswahl i n ungerechtfertigter Weise reduzieren 42 . Erheblich schwieriger ist die Frage zu beantworten, inwieweit die verschiedenen, vor der Abschlußprüfung liegenden Prüfungen toährend der Ausbildung i n den Normbereich der Berufswahlfreiheit fallen. Nicht nur die Tatsache, daß eine Prüfung zugleich die Funktion einer Berufseingangs- und einer eine höhere Ausbildung ermöglichenden Prüfung wahrnehmen kann, spricht für die Einbeziehung in das Grundrecht der Berufswahlfreiheit. Weit wesentlicher ist die große Bedeutung, welche insbesondere den schulischen Prüfungen für die spätere Berufswahl zukommt 4 3 . Zwar ist etwa m i t dem Bestehen des Abiturs noch nicht positiv die Wahl eines bestimmten Berufes verbunden 44 . Der negative Fall, das Nichtbestehen, schließt aber viele Berufe, und zwar die begehrtesten, aus dem der Wahl offenstehenden Bereich aus. Demgegenüber geht der Hinweis des BVerfG i m Förderstufenurteil ins Leere, wonach wegen der großen Durchlässigkeit des Schulsystems die Berufswahlfreiheit noch nicht berührt sei 45 . Bislang ist die Durchlässigkeit noch relativ gering, und i m Normalfall bedeutet die Zuweisung zur Realschule statt zum Gymnasium immer noch eine Beschränkung der Berufswahl, nämlich den Ausschluß vieler Berufe. Dieser Normalfall ist hier entscheidend, weil man andernfalls unter Hinweis auf die Ausnahme- oder Außenseiterregelungen bei fast allen Berufsvoraussetzungen generell die Betroffenheit der Berufswahl durch Prüfungen verneinen könnte. A u f der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß eine solche Ausdehnung des Grundrechts zu dogmatischen Schwierigkeiten führt. Nicht 42 Vgl. jetzt BVerwG NJW 1974, 573. S. ferner die Betonung der Bedeutung des Grundrechts auch gegenüber mittelbaren Beeinträchtigungen in BVerfGE 13, 181 (185) sowie bei Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 12 Anm. A 4 und Richter, Analyse, S. 60. Unrichtig deshalb BayVGH BayVBl. 1957, 292 (294 1. Sp.). Allerdings ist zu berücksichtigen, daß auch das Grundrecht der freien Wahl der Ausbildungsstätte Schutz gewährt. 43 Werner, DÖV 1958, 433 (435); Weber, RWS 1964, 33 (39 f.); Krause, WissR 1970, 118 (132). Ferner BayVerfGH BayVBl. 1973, 350 (351) für das Erste juristische Staatsexamen. 44 Darauf stellt vor allem das OVG Berlin ab, Entsch. OVG Bd. 3, 146 (153). Vgl. auch Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S. 252). 45 BVerfGE 34, 165 (195).

II. Normbereichsabgrenzung von Art. 12, Art. 33 I I und Art. 6 I I GG

77

so gewichtig ist dabei der Einwand, daß die gesonderte Erwähnung der freien Wahl der Ausbildungsstätte bei dieser Auslegung unnötig sei; denn für die freie Wahl des Ortes bliebe eine selbständige Bedeutung erhalten, und es lassen sich auch sonst unnötige Wiederholungen finden. Aber die Anwendung der Grundsätze zur zulässigen Einschränkung der Berufswahl erweist sich bei diesen der Berufsaufnahme oft weit vorgelagerten Prüfungen als äußerst prekär 4 6 . Wie soll man sinnvoll erörtern, ob eine Schulprüfung zum Schutze der Bevölkerung vor Gefahren, die m i t der Berufsausübung verbunden sind, erforderlich ist, wenn diese Prüfung noch keinerlei spezifischen Bezug zu einem bestimmten Beruf aufweist? Es w i r d also nicht möglich sein, hier das Grundrecht der freien Wahl des Berufes neben dem der Wahl der Ausbildungsstätte gleichberechtigt anzuwenden m i t allen Konsequenzen für die Zulässigkeit subjektiver Anforderungen. Andererseits muß der enge Zusammenhang m i t und die große Bedeutung für die Berufswahl bei der Bestimmung der Einschränkbarkeit des Grundrechts auf freie Wahl der Ausbildungsstätte berücksichtigt werden 47 . Nähere Ausführungen dazu erübrigen sich hier, weil damit vor allem Fragen der inhaltlichen A n forderung i n Prüfungen berührt sind, die den eng gezogenen Rahmen dieser Arbeit überschreiten. I n den Normbereich der freien Berufswahl fallen also alle Prüfungen, die unmittelbar vor der Berufsaufnahme stehen, auch wenn sie gleichzeitig Berechtigungswirkung bezüglich einer weiteren Ausbildung haben. Bei den übrigen Prüfungen steht das Grundrecht der freien Wahl der Ausbildungsstätte i m Vordergrund, doch ist die Bedeutung der freien Berufswahl bei der Bestimmung der Einschränkbarkeit zu berücksichtigen. Dabei ist es unerheblich, ob die Berufsaufnahme kraft Rechtssatzes vom Bestehen der Prüfung abhängt oder ob die Prüfung nur tatsächlich für die Berufsaufnahme von entscheidender Bedeutung ist. 2. Art. 33 Π GG Die Reichweite des A r t . 33 I I GG i m Hinblick auf Prüfungen ergibt sich inzident schon aus den Ausführungen oben (II. Teil, 1. Abschn., II. l . a , bei F N 34). Prüfungen, die nur Voraussetzung des öffentlichen Dienstes oder eines öffentlichen Amtes sind, sind allein an Art. 33 I I GG zu messen; das gilt auch für Aufnahmeprüfungen i n Vorbereitungs46 Vgl. Weber, RWS 1964, 33 (41); Geck., S.22: „Man kann nicht schon die Regeln über die Aufnahme in eine Sexta unter dem Gesichtspunkt prüfen, daß der Schüler die Richterlaufbahn oder den Arztberuf anstrebt. Hier greift das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte ein. Die Grenzen sind fließend." 47 Dazu insbesondere BVerfGE 33, 303 (329 f., 337 f.).

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IÎ. Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene (Grundrechte

dienste, die lediglich zum öffentlichen Dienst führen 48 . Sind sie dagegen zugleich auch Vorbedingung für die Aufnahme eines privaten Berufes, ist daneben A r t . 12 I GG anzuwenden 49 . 3. Art. 6 Π GG Das elterliche Erziehungsrecht w i r d nicht nur durch den Inhalt der Prüfung berührt; auch die Tatsache, daß eine Schul wähl überhaupt von einer Prüfung abhängig gemacht w i r d oder daß die Prüfung möglicherweise ungeeignet ist, ist i m Hinblick auf das Elternrecht von Bedeutung 5 0 . Allerdings bietet dieses Grundrecht gegenüber Prüfungen keinen weitergehenden Schutz, als schon dem eigenen Grundrecht des Kindes aus A r t . 12 I GG zu entnehmen ist. Deshalb w i r d i m folgenden auf eine gesonderte Behandlung des A r t . 6 I I GG verzichtet. Dasselbe gilt, wenn man m i t Stein auf das Recht des Kindes auf freie Selbstentfaltung abstellt 5 1 . ΠΙ. Rechtfertigung und Grenzen von Grundrechtseingriffen durch Prüfungen 1. Die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufs Wegen des oben 52 erörterten Zusammenhangs beider Grundrechte geht auch die folgende Betrachtung so vor, daß sie beide Grundrechte gemeinsam zu erfassen sucht und nur dort, wo es nötig ist, die jeweiligen Besonderheiten herausstellt. a) Die Einschränkbarkeit Seit dem Apothekenurteil des BVerfG besteht Einigkeit darüber, daß sich der Regelungsvorbehalt wegen des sachlich engen Zusammenhangs nicht nur auf die Berufsausübung, sondern auch auf die Berufswahl erstreckt 53 . Dagegen bezieht man ihn teilweise nicht mehr auf die Frei48 Zu den Vorbereitungsdiensten der Länder, die auch die Berechtigimg für den öffentlichen Dienst in anderen Bundesländern verleihen, vgl. oben S. 74 FN 34. 49 Art. 33 I I behält in diesen Fällen u. U. noch eine selbständige Bedeutung für die Prüfung, s. Maunz, in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 33 Randnr. 13. 50 s. die umfangreiche Rechtsprechung zum Schulrecht, die hier kaum Art. 12 GG, sondern vorwiegend Art. 611 GG heranzieht: BVerwGE 5, 153; OVG Hamburg DVB1. 1953, 506; OVG Münster OVGE 6, 150. I n BVerwGE 5, 153 (157) werden subjektive Zulassungsvoraussetzungen im Rahmen des Art. 6 I I GG erörtert. 61 Nur für die Beurteilung der Prüfungsinhalte wären vom Ansatz Steins aus andere Ergebnisse zu erwarten, vgl. Stein, Selbstentfaltung, S. 64 f. 52 II. Teil, 1. Abschn., II. 1. vor a). 68 BVerfGE 7, 377 (400—403); vgl. die Übersicht bei Brinkmann, Art. 12 Anm. 12.

III. Hechtfertigung und Grenzen von Eingriffen durch Prüfungen

Id

heit der Wahl der Ausbildungsstätte 54 ; die mannigfach anzutreffenden Einschränkungen i n Form von Vorbildungsvoraussetzungen u. ä. faßt man dann als immanente Schranken auf 55 . Das kann dazu führen, daß das nicht einschränkbare Grundrecht weniger stark geschützt ist als dasjenige, das dem Regelungsvorbehalt unterliegt 5 6 . Das BVerfG hat nun i m numerus-clausus-Urteil i n konsequenter Fortsetzung der Ausführungen i m Apothekenurteil i m Falle eines engen Zusammenhangs von Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufes den Regelungsvorbehalt auch auf die Wahl der Ausbildungsstätte erstreckt 57 . Bei Prüfungen i m Rahmen der Ausbildung w i r d dieser enge Bezug immer vorliegen — d a die Ausbildungsstätte durch ihren Berufsbezug definiert ist, w i r d es überhaupt schwer fallen, Beispiele zu finden, i n denen ein solcher Zusammenhang fehlt —, der Regelungsvorbehalt des A r t . 1212 GG greift also auch hier ein. b) Die Form des Eingriffs Die Regelung muß nach A r t . 1212 GG auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Damit ist nicht nur die Frage nach der allgemeinen Deutung des Vorbehalts des Gesetzes gestellt 58 , sondern auch die Einwirkung der Hochschulautonomie und der staatlichen Schulaufsicht auf diese Problematik 5 9 sowie die Relevanz des Begriffs „Besonderes Gewaltverhältnis" 6 0 angesprochen. Das alles sind Fragen, die nicht nur das Prüfungswesen betreffen, sondern, wie die intensive und immer noch andauernde Diskussion zeigt, m i t den Grundfragen unseres Verfassungsrechts zusammenhängen. Sie können deshalb hier nicht ausführlicher behandelt werden. Das läßt sich umso eher rechtfertigen, als sie nicht die 54 Brinkmann, Art. 12 Anm. 12a; vgl. ferner Bachof, VerfR II, S. 112 m. w. N. und ausführlich in GR I I I / l , S. 155 (S. 255) mit dem Hinweis auf die Grenzen des Wortlauts. Bachof macht aber dort selbst die entscheidende Einschränkung: „Nur wenn und soweit Ausbildung und Berufstätigkeit Hand in Hand gehen — eine scharfe sachliche und zeitliche Grenzziehung ist nicht immer möglich —, können Regelungen der Berufsausübung auf die Wahl der Ausbildungsstätte zurückwirken". Ferner Thieme, JZ 1959, 265 (268). 55 Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S. 255). 56 Das zeigt sich gerade im Falle des numerus clausus an den Hochschulen; die Unterstellung unter den Regelungsvorbehalt, die das BVerfG vornimmt, verpflichtet die Länder zur Normierung und zugleich zur strikteren Beachtung der Verhältnismäßigkeit, vgl. BVerfGE 33, 303 (336 ff.). 57 BVerfGE 33, 303 (336 ff.), s. schon die entsprechende Anwendung der Stufentheorie in BVerwGE 7, 287 (288 f.). 58 Zuletzt zusammenfassend Hennecke, passim, insbesondere S. 105—162 und als wichtige Korrektur Ehmke, Diskussionsbeitrag, W D S t R L H. 23 (1966), 2571; s. auch W. Schmidt, S. 242—251, Stock, S. 205 ff. und BVerwG DÖV 1963, 474. 89 Heckel, Schulrecht und Schulpolitik, S. 52 ff.; Klòhe, S. 113—126. 80 Zuletzt, die bisherige h. M. stark modifizierend, BVerfGE 33, 1 und dazu Erichsen, VerwArch Bd. 63 (1972), 441 ff.; ferner Richter, BildungsVerfR, S. 207 ff.

80

I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

Frage nach der Ausgestaltung von Prüfungen betreffen, sondern nur die Rechtsform, i n der die Ausgestaltung zu erfolgen hat. Es ist aber festzuhalten, daß die Prüfungsordnungen unabhängig davon, ob und wieweit sie eine gesetzliche Grundlage benötigen, Rechtssätze darstellen 61 . c) Schutzgüter,

die den Eingriff

rechtfertigen

Prüfungen, welche persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten oder Kenntnisse ermitteln sollen, stellen nach h. L. 6 2 und Rechtsprechung 63 subjektive ZulassungsVoraussetzungen zum Beruf oder zum Beginn, zur Fortsetzung oder Beendigung der Ausbildung dar. I n der Sprache der Stufenitheorie ausgedrückt heißt das, daß der Eingriff dem Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter dienen muß und nicht außer Verhältnis zu diesem Zweck stehen darf 6 4 . Nach der modifizierten Stufentheorie ist diese Formel aber nur eine Richtlinie, die sich am Normalfall der Eingriffsintensität orientiert und die jeweils entsprechend der tatsächlichen Bedeutung des Eingriffs i m Einzelfall flexibel anzuwenden ist; wesentlicher als die starre Abgrenzung der Stufen ist die Verwirklichung des dahinter stehenden Gedankens der Verhältnismäßigkeit, den die Stufentheorie nicht ganz zureichend typisiert 6 5 . Die Gemeinschaftsgüter, welche den Eingriff rechtfertigen können, sind nicht völlig identisch für beide Grundrechte. Bei der Beschränkung der Berufsaufnahme durch vorgeschaltete Prüfungen steht der Schutz der Bevölkerung vor unfähigen Vertretern des Berufes i m Vordergrund 66 . Derselbe Gedanke ist es, wenn „eine leistungsfähige Rechtspflege" als Schutzgut genannt wird 8 7 . Dagegen sind es eher Gesichtspunkte des Konkurrenzschutzes, die i m Fall des großen Befähigungsnachweises i m Handwerk zur Anerkennung der „Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des Handwerks" als schutzwürdigem Gut i. S. des A r t . 12 I GG geführt haben 68 ; auf die Berechtigung dieses Schutzgutes soll nicht näher eingegangen werden 69 , da 61

s. oben II. Teil, vor 1. Abschn. vor FN 15. Vgl. Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 12 Anm.B5ccc; Maunz in Maunz/ Dürig/Herzog, Art. 12, Randnr. 45; Schick, ZBR 1972, 300 (301). Anders ohne Begründung Kaiisch, DVB1. 1967, 134 (137), der das Erfordernis des Reifezeugnisses als objektive Sperre ansieht. 68 Nachweise bei Leibholz/Rinck, Art. 12 Randnr. 9 und Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 12 Anm. Β 5 c cc. 64 BVerfGE 7, 377 (378). 65 In diesem Sinne schon früh Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S. 212 ff., insbesondere S. 216 ff.); vgl. auch ders., VerfR I l.Teil, A Nr. 31 (S.24) und 2. Teil, A Nr. 70, 71 (S. 142 ff.). ββ BVerfGE 7, 377 (407); 9, 338 (346); 19, 330 (338); 25, 236 (247). 67 BVerwGE 38, 105 (113 f.). 68 BVerfGE 13, 97 (98) Leits. 2. 69 s. dazu Bachof, VerfR I, 2. Teil, A Nr. 71 (S. 143 f.). 62

III.

echtfertigung und Grenzen on Eingriffen durch Prüfungen

es zur Rechtfertigung des Umfanges der Ausbildung und der inhaltlichen Prüfungsanforderungen herangezogen wurde und nicht generell die Zulässigkeit einer Prüfung i n Frage stand. Prüfungen, die i n den Normbereich der Wahl der Ausbildungsstätte fallen, lassen sich nur sehr beschränkt mit dem Schutz der Bevölkerung vor den m i t der Berufsausübung verbundenen Gefahren rechtfertigen, weil sich die Prüflinge eben noch i m Stadium der Ausbildung befinden und die „gefährliche" Tätigkeit noch nicht ausüben 70 . Stattdessen stellt hier der Ausbildungszweck das vorrangige Schutzgut dar 7 1 ; i n Prüfungen soll ermittelt werden, welche Anwärter die nötigen Eigenschaften mitbringen, u m ohne Behinderung des Ausbildungsbetriebes die Ausbildung beginnen oder fortsetzen zu können. Allerdings ist zu betonen, daß die Behinderung der Ausbildung durch weniger Geeignete umstritten ist 72 . Die Schlußprüfungen dagegen dienen nicht mehr der Sicherung einer funktionierenden Ausbildung. Die Tatsache, daß Schlußprüfungen abgehalten werden, muß sich aber gar nicht vor A r t . 12 I GG legitimieren, weil sie ausschließlich als staatliche Leistung zu betrachten ist. Lediglich die damit verbundenen negativen Akte, wie die Nichtzulassung, die Versagung des Zeugnisses oder die Erteilung einer zu schlechten Note, müssen sich wegen des oben (II. Teil, 1. A b schn., II. l.a). erörterten Eingriffscharakter s wieder an Art. 12 I GG messen lassen, doch spielen dabei nur die Gebote der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit eine Rolle; dasselbe gilt i m übrigen für die nur faktisch die Berufswahl berührenden Prüfungen (oben II. Teil, 1. Abschn., I I . 1. b.). Ein weiteres Schutzgut, dem Prüfungen dienen und das bisher kaum ausdrücklich als solches genannt wurde, könnte man i n der Gewährleistung von Chancengleichheit sehen 73 . Denn Prüfungen stehen gerade unter dem Anspruch, Gleichheit zu verwirklichen. Ohne schon hier auf die Frage der Eignung von Prüfungen für diese Aufgabe einzugehen, sei doch auf folgende Beschränkung hingewiesen: Prüfungsergebnisse determinieren nur einen — je nachdem mehr oder weniger großen 74 — Ausschnitt der Faktoren, die für die „Lebenschancen" entscheidend sind. Auch setzt dieser Hinweis auf die Chancengleichheit voraus, daß die durch Prüfungen vergebenen Positionen knapp sind. Das ist bei 70

Weber, RWS 1964, 33 (41). Vgl. Bachof, GR I I I / l , S. 155 (S. 254); Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 12, Anm. Β 4. s. auch BVerwGE 6, 13 (17); 7, 125 (136); 7, 287 (289, 292). 72 Tent , S. 21 sowie die Zusammenfassung S. 170 f. 73 Kurz erwähnt in BVerwGE 38, 105 (114); ferner Krause, WissR 1970, 118 (121): „[...] Ermittlungsverfahren [...], welches einzigartig geeignet ist, vergleichbare und verläßliche Ergebnisse zu gewährleisten." 74 Das extremste Beispiel von der Bedeutung der Prüfung ist wohl die Examensnote im Zweiten juristischen Staatsexamen für den Aufstieg im Landesdienst in Baden-Württemberg. 71

6

Pietzcker

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I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

den Ausbildungsstätten der Hochschulen und teilweise auch schon der Oberschulen der Fall, ebenso bei den Stellen des öffentlichen Dienstes. Selbst für die privaten Berufe gilt grundsätzlich dasselbe, obwohl dort nach der Konzeption des A r t . 12 I GG freie Konkurrenz herrscht und alle, sofern sie keine Gefahr für die Bevölkerung bilden, Zugang haben sollen. Denn Zeugnisse werden auch dort, jedenfalls bei abhängiger Arbeit, in gewissem Maße beachtet. Die sonstigen Funktionen von Prüfungen 75 lassen sich kaum als Schutzgüter i. S. von A r t . 121 GG verstehen. Die Anreizfunktion könnte hier allerdings verfassungsrechtlich bedeutsam sein — jedoch nur als zusätzliches Argument bei einer erforderlichen Abwägung, da sie vielleicht auch durch andere Mittel erfüllt werden könnte und deshalb nicht schon allein eine Prüfung m i t Rechtswirkung rechtfertigen kann. d) Grenzen des Eingriffs Wesentlich für die Fragestellung dieser Arbeit sind die Grenzen der von den genannten Schutzgütern legitimierten Eingriffe. Sie liegen i n erster Linie i n den Konkretisierungen des Übermaßverbotes, also i n dem Gebot der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs 76 » 77 . Diese drei Anforderungen stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern bilden eine Stufenleiter: nur das geeignete Mittel ist erforderlich, und wenn es erforderlich ist, kann es dennoch unverhältnismäßig sein. Die Betrachtung von Prüfungen weist aber auch auf eine gegenläufige Abhängigkeit zwischen Eignung und Erforderlichkeit hin 7 8 . Dort, wo eine Prüfung unverzichtbar ist, w i r d man auch bei Bedenken gegen den Grad der Eignung sie für erforderlich halten können, während i n Fällen, i n denen ein Verzicht auf eine förmliche Überprüfung eher möglich erscheint, an den Grad der Eignung höhere Anforderungen gestellt werden können. Andererseits und i n gewissem Widerspruch hierzu gilt der Grundsatz, daß die Prüfung umso geeigneter sein muß, je größer ihre rechtliche Bedeutung ist. Zweifelhaft ist die Geltungsintensität dieser Gebote. Generell kann man vorweg feststellen, daß es sich hier — weil die Ausgestaltung i n 75

Oben I. Teil, 2. Abschn., I. s. dazu vor allem Lerche, passim; ferner Scholler, BayVBl. 1972, 205 (208 FN 23). 77 Auch wenn man das Eingriffsdenken für den hier in Frage stehenden Bereich ablehnt, bleiben diese Grundsätze von Bedeutung. Denn dann handelt es sich zumindest um einen Anspruch auf Zuerkennung des der Leistung entsprechenden Zeugnisses, und das setzt die Eignung des Instruments Prüfung voraus. Und der Anspruch auf Teilhabe an der Ausbildung bei Erfüllen der Voraussetzungen verbietet übermäßige Anforderungen. 78 s. dazu Gentz, NJW 1968, 1600 (1603 r. Sp.). 78

ÎII. Rechtfertigung und Grenzen von Eingriffen durch Prüfungen

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Frage steht — um die Geltung dieser Gebote gegenüber der normsetzenden Instanz handelt. aa) Das BVerfG hat das Gebot der Geeignetheit des Eingriffs nicht immer m i t gleicher Schärfe vertreten. Insbesondere i n der Entscheidunig zum Absicherungsgesetz 79 stellt es nur noch darauf ab, ob der Eingriff zur Erreichung des Gesetzeszwecks schlechthin ungeeignet ist 8 0 , reduziert also das Gebot auf Anforderungen, die das Willkürverbot bestimmen 81 . Dem steht jedoch eine Reihe von Entscheidungen gegenüber, die deutlich die Beschränkung des Gesetzgebers durch dieses Gebot betonen und auch i n die Details gehen, um die Eignung konkret festzustellen 82 . A m eindringlichsten ist i m Apothekenurteil ausgesprochen worden, daß „sich das Gericht freilich nicht damit zufrieden geben [kann], daß [ . . . ] der freiheitsbeschränkemde Eingriff als M i t t e l zur Erreichung dieser Ziele nicht völlig ungeeignet erscheint" 83 , sondern daß es selbst die Beurteilung des Sachverhalts und der Wirkunigen des Gesetzeseingriffs vornehmen muß. Gerade i m Interesse des Grundrechtsschutzes erscheint das als eine unverzichtbare Forderung 84 , wobei hier dahinstehen mag, ob bei wirtschaftslenkenden Gesetzen ein etwas weiterer Maßstab anzulegen ist 8 5 . Nun hat das BVerfG allerdings i m Förderstufenurteil seine Zuständigkeit zur Überprüfung der pädagogischen Eignung eines bestimmten Schulsystems, nämlich der hessischen Ausgestaltung der Förderstufe, verneint 8 6 . Dabei handelt es sich aber nicht u m einen Eingriff nach herkömmlicher Auffassung, sondern um die umfassende Gestaltung eines komplexen Bereiches. Auch bezieht sich das BVerfG insoweit ausdrücklich nur auf die pädagogische Eignung, während es bei den Prüfungen um ihre Eignung als Ausleseimstrument zur Ermittlung subjektiver Zulassungsvoraussetzungen geht. Der Bezug zur Grundrechtssphäre des Einzelnen ist bei Prüfungen nach traditionellen Vorstellungen also viel enger. So hat denn auch das BVerwG ganz unproblematisch ausführlich die Eignung des Zweiten juristischen Staatsexamens erörtert 8 7 ; und i m 79 BVerfGE 30, 250; weitere Nachweise früherer Entscheidungen bei Kloepfer, NJW 1971, 1585 f. 80 BVerfGE 30, 250 (265). 81 Vgl. Kloepfer, NJW 1971, 1585 (1586). 82 BVerfGE 7, 377 (409, 411 f.); 9, 39 (57); 13, 97 (116); 19, 330 (337ff.). 88 BVerfGE 7, 377 (411 f.); mißverstanden von Gente, NJW 1968, 1600 (1603 FN 32). 84 Martens, VVDStRL H. 30 (1972), 7 (18) m. w. N. 85 Verneinend Kloepfer, NJW 1971, 1585 (1586). 86 BVerfGE 34, 165 (185), allerdings mit der Einschränkimg: „Es mag auch hier äußerste Grenzen geben, deren Überschreitung verfassungsrechtlich relevant wäre." 87 BVerwGE 38, 105 (114).

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I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

numerus-clausus-Urteil äußerst sich das BVerfG, ohne freilich konkrete Sanktionen anzukündigen, kritisch zu der Eignung der Abiturszeugnisse 88 . Die Struktur des Sachgebiets Prüfungen, vor allem der hier immer betonte Grundsatz der Chancengleichheit würden es auch verbieten, nur vom Willkürverbot i m herkömmlichem Sinne auszugehen. Prüfungen sind nur sinnvoll, wenn sie das zu Prüfende richtig ermitteln können, und nur dann können sie Chancengleichheit gewähren. Sind sie wenig geeignete Instrumente — etwa weil das Prüfungsergebnis mehr vom Prüfer als vom Prüfling abhängt —, dann handelt es sich auich nicht mehr u m subjektive Zulassungsvoraussetzungen; selbst insofern ist also die Eignung von unmittelbar rechtlicher Bedeutung. Dementsprechend w i r d i m folgenden das Gebot der Eignung als verfassungsrechtliches Erfordernis ohne Einschränkung auf Prüfungen angewendet. Wenn dennoch strikte Antworten nur begrenzt möglich sein werden, so liegt das an Schwierigkeiten des Messens und der Prognose; bei neuen Formen, die noch wenig erprobt sind, muß man deren wahrscheinliche Eignung schätzen; auch die Vor- und Nachteile bekannter und lange angewandter Prüfungsformen sind nicht immer leicht zu messen und zu bewerten; zudem läßt der Begriff der Eignung, auch wenn man ihn strikt faßt und nicht auf das Willkürverbot reduziert, doch noch einen Bewertungsspielraum frei, da man sich offenbar m i t gewissen Fehlerquoten abfinden muß 8 8 a . Wenn man die Eignung von Prüfungen untersucht, stößt man unvermeidlich auf Probleme der Gleichbehandlung. Die Forderung, daß die gesuchten Faktoren — wie Kenntnisse, Fähigkeiten etc. — zutreffend ermittelt werden, zielt zugleich auf die Gleichbehandlung der Geprüften 8 9 . Fließen Subjektivismen bei der Aufgabenstellung oder bei der Korrektur ein, dann w i r d Gleiches, nämlich die gleiche Leistung, ungleich behandelt. Diese Uberschneidung ist — neben anderen, noch zu erörternden Gründen (unten 1. Abschn., III.) — der Anlaß dafür, die Betrachtung der Geeignetheit von Prüfungen an den Schluß der Arbeit zu setzen, um an die Darlegunigen zur Gleichheitsproblematik anzuknüpfen. Soweit wie möglich w i r d der Aspekt der Gleichbehandlung bei A r t . 3 I GG behandelt, zumal es i m Rahmen des A r t . 121 GG grund88 BVerfGE 33, 303 (348 f.). Allerdings billigt es in BVerfG NJW 1974, 1127 (1129) dem Gesetzgeber bei der schwierigen Materie der gerechten Verteilung nach der Qualifikation einen zeitlichen Experimentierspielraum zu. 88a Verharmlosend, weil gar keine Prüfung der Eignung anstellend, BVerwG SPE I I I E I 11 (a): „ I m übrigen kann es natürlich nicht Aufgabe der Gerichte sein, neue Bewertungssysteme einzuführen." 89 Harnischfeger/Heimann, S. 44—46 bemängeln die Anwendung ungeeigneter Meßmethoden nur unter dem Aspekt des Art. 3 GG. Vgl. auch Hummel, S. 25.

III.

echtfertigung und Grenzen von Eingriffen durch Prüfungen

sätzlich u m die Möglichkeit der Gleichbehandlung bei Prüfungen geht, während sich aus A r t . 3 I GG die A n t w o r t ergeben muß, welchen Umfang der Gleichbehandlungsgrundsatz hier hat und welche konkreten Forderungen er nach sich zieht. bb) Das Gebot der Erforderlichkeit des Eingriffs läßt sich, soweit es auf die Erforderlichkeit von Prüfungen überhaupt zielt, auf dem hier i n Frage stehenden Gebiet weniger strikt fassen als das der Geeignetheit. Das hängt damit zusammen, daß sich die Eignung eines Instruments wenigstens i n gewissem Maß anhand der damit gemachten Erfahrungen beurteilen läßt, während die Beurteilung der Erforderlichkeit hier, nimmt man diese Forderung ernst, die empirische Erprobung von Alternativen voraussetzt, die sich aus praktischen Gründen oft verbieten wird 9 0 . A u f Ausführungen dazu, ob Prüfungen jeweils überhaupt erforderlich sind, w i r d deshalb an dieser Stelle verzichtet; sie sollen i m Schlußteil i m Zusammenhang m i t Überlegungen zur Eignung von Prüfungen nachgeholt werden. Erst bei Einzelfragen kann dieses Gebot größere Wirksamkeit entfalten. Die Einordnung von Prüfungen als subjektive Zulassungsvoraussetzungen führt dazu, daß an die Erforderlichkeit weniger strenge Anforderungen gestellt werden. I m Gegensatz zu objektiven Beschränkungen, wo „an den Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Freiheitsbeschränkung besonders strenge Anforderungen zu stellen sind", genügt es hier, wenn „die vorgeschriebenen subjektiven Voraussetzungen zu dem angestrebten Zweck der ordnungsmäßigen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen" 91 . Die Verbindung von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit t r i t t i n dieser Formulierung deutlich hervor; sie ist nicht zu beanstanden 92 . Das Gebot der Erforderlichkeit ist hier nämlich nicht so zu verstehen, daß von den geeigneten Mitteln nur das am wenigsten eingreifende anzuwenden ist, und daß der Gesetzgeber die „Beweislast" hat; sondern es bedeutet auf dieser Stufe nur negativ, daß der Eingriff nicht deutlich unnötig und deshalb außer Verhältnis zum angestrebten Zweck ist. Die Freiheit des Gesetzgebers ist hier größer als beim Gebot der Eignung. Aus dem Ge90

Es handelt sich also zugleich um ein Problem der Beweislast, vgl. Gentz, NJW 1968, 1600 (1606 r. Sp.). I m Sinne des Textes Brohm, W D S t R L H. 30 (1972), 245 (276): „Insofern müßten bei umfassenderen Gestaltungen in die Erforderlichkeitsprüfung die alternativen und variablen Zielsetzungen des gesamten Systems einbezogen werden. Damit aber verliert das Erforderlichkeitsprinzip für die Gesamtgestaltung jede Schärfe." 81 BVerfGE 7, 377 (408). 92 Gente, NJW 1968, 1600 (1604 1. Sp.) trennt scharf im Interesse einer Objektivierung des umfassenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Daß die Rechtsprechung 'diese Trennung nicht durchhält — vgl. etwa Hess VGH JZ 1970, 501 m. Anm. Loewe, JZ 1970, 503 —, zeigt wohl, daß sie bei der Beurteilung komplexer Sachverhalte nicht ausreichend ist.

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I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

sagten folgt, daß sich eine gesonderte Erörterung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i. e. Sinne erübrigt. Für ihn bleiben höchstens die Fälle übrig, i n denen eine übermäßige, unzumutbare Belastung festzustellen ist 95 . 2. Art. 33 Π GG Prüfungen, die vor dem Eintritt i n den Staatsdienst stehen, bedürfen zu ihrer Rechtfertigung keines besonderen „Schutzgutes". Vielmehr ist die Chancengleichheit, die A r t . 33 I I GG gewährleisten will, unmittelbare Rechtfertigung von Prüfungen. Wenn Eignung, Befähigung und Leistung 9 4 (allein) für den Zugang maßgeblich sein sollen, so w i r d dam i t Bezug genommen auf ein Verfahren zur Feststellung dieser K r i terien; das muß keine formalisierte Prüfung sein, doch ist diese zweifellos als solche durch A r t . 33 I I GG gerechtfertigt. Das Gebot der Eignung des Ausleseinstruments besteht hier i n gleicher Weise wie bei Art. 12 I GG; nur ein geeignetes Prüfungsverfahren kann die Eignung und Fähigkeit des Bewerbers feststellen. Die späteren Ausführungen zu diesem Punkt gelten also in gleicher Weise für Art. 33 I I GG, der nicht mehr besonders erwähnt wird. Dagegen spielt der Grundsatz der Erforderlichkeit kaum eine Rolle, weil die Prüfung, die den Zugang zu einem öffentlichen A m t behindert, nicht i n ein Freiheitsrecht des Bewerbers eingreift. Nur das allgemeine Übermaßverbot des Rechtsstaates gilt auch hier mit seiner — gemessen an der Grenze des Übermaßes bei sonstigen Grundrechtseinjgriffen — geringeren Intensität.

I V . Geeignetheit von Prüfungen Ob Prüfungen geeignet sind, läßt sich nicht abstrakt beantworten; daß Prüfungen i n der jetzigen Form beträchtliche Mängel aufweisen, zeigt die pädagogische Forschung. Man könnte sich zwar eine Rechtfertigung derart denken, daß Prüfungen schon deswegen geeignet seien zum Schutz der Gesellschaft, weil unter ihrem Druck alle Prüflinge lernen. Diese Begründung w i r d aber dem Erfordernis der Geeignetheit bei A r t . 121 GG, das i m Interesse des Grundrechtsschutzes aufgestellt ist, nicht gerecht; es wäre auch ein übermäßiger Eingriff, wenn m i t SOIT chen Mitteln, nämlich dem Ausschluß eventuell Geeigneter, dieser 93

Vgl. BVerfGE 7, 377 (406); 15, 226 (234); zu diesem Gesichtspunkt auch Gente, NJW 1968, 1600 (1603). 94 Die genaue Abgrenzung dieser Begriffe ist hier nicht erforderlich; die Begriffsbestimmungen schwanken, vgl. Maunz, in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 33 Randnr. 19; Hamann, in Hamann/Lenz, Art. 33 Anm. Β 2.

V. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im einzelnen

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Schutzzweck angestrebt würde. Deshalb ist die Eignung i n dem Sinne zu verstehen, daß individuell richtig beurteilt wird, wobei allerdings der Riditigkeitsanforderung durch die Verwirklichungsmöglichkeiten Grenzen gesetzt sind. Das bedeutet, daß i m folgenden, ausgehend vom Befund der empirischen Wissenschaften, der gravierende Mängel bei manchen Prüfungsformen zeigt, die verfassungsrechtlich notwendigen Verbesserungen herauszuschälen sind. Erst wenn die möglichen, unter Nutzen-Kostengesichtspunkten und unter Berücksichtigung sonstiger Verfassungswerte vertretbaren Verbesserungen umrissen sind, kann dann jeweils für die verschiedenen Prüfungen ihre Eignung als Ausleseinstrument bestimmt werden. Dabei w i r d man die Eignungsanforderungen nach der Bedeutung der Prüfung für die berufliche Entwicklung des Einzelnen i m weiteren Sinne abstufen müssen. Es ist also kaum möglich, an dieser Stelle Einzelfragen zur Eignung von Prüfungen zu erörtern. Das erscheint erst dann sinnvoll, wenn die sonstigen verfassungsrechtlichen Anforderungen i m einzelnen spezifiziert wurden und wenn insbesondere die Bedeutung von Art. 3 I GG für das Prüfungswesen klargestellt ist. Denn die Eignung bemißt sich eben auch danach, ob Prüfungen den sonstigen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden können. Wenn beispielsweise A r t . 3 I GG gar nicht die Gleichbehandlung der Prüflinge i n verschiedenen Bundesländern fordert, kann mani nicht von einem Mangel der Prüfungen in dieser Hinsicht sprechen 93 und folglich Zweifel an der Eignung von Prüfungen nicht auf eine solche Ungleichbehandlung stützen. Aus diesen Gründen w i r d die Erörterung der Eignung von Prüfungen hier abgebrochen und erst am Schluß der Arbeit wieder aufgenommen.

V. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Ausgestaltung im einzelnen 1. Zulassungsvoraussetzungen I n den meisten Prüfungsordnungen sind Voraussetzungen der Zulassung zur Prüfung normiert. Schließt die Prüfung an eine Ausbildung an, so kann man sich ihr meist nur unterziehen, wenn man die Ausbildung absolviert hat 9 6 . Auch w i r d die Zulassung gelegentlich davon 95

s. Podlech, AöR Bd. 95 (1970), 185 (219 ff.). z.B. §§5II, 5aI S. 1 DRiG; §361 Nr. 1 und §49 HandwO; §61 JAPO B-W; § 6 I I Nr. 3—5, IV und § 16 DiplPO; § 81 Nr. 1 MPO mit Ausnahmen in §911, I I I MPO; §71 KSPO. Zu der formalen Voraussetzung, daß die Prüfungsunterlagen rechtzeitig vorliegen müssen, s. BayVerfGH (nF) 20 (II), 213. Mit einer — weniger oft anzutreffenden — Mindestaltersgrenze mußte sich BayVGH SPE I I I Β I I I 1 auseinandersetzen und hat dabei das Problem w

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I . Teil, 1. Abschn.: Prüfungen und berufsbezogene Grundrechte

abhängig gemacht, daß man sich innerhalb einer bestimmten Frist zur Prüfung meldet 97 . Daneben finden sich charakterliche Voraussetzungen i n der Form, daß Verurteilungen wegen gewisser Straftaten nicht vorliegen dürfen 98 . Diese Voraussetzungen betreffen zwar nicht die Prüfung selbst, sondern nur die Zulassung; wegen des i n manchen Punkten engen sachlichen Zusammenhangs sollen sie aber kurz erörtert werden. a) Teilnahme an der Ausbildung Das Erfordernis der Teilnahme an einer vorhergehenden Ausbildung w i r f t zwei zusammenhängende Fragen auf, nämlich erstens, ob nicht auch Außenstehende (sog. Externe) an der Prüfung teilnehmen können; und zweitens, ob nicht die Ausbildungsdauer dem individuellen Leistungsfortschritt anzupassen ist, so daß eine vorzeitige Zulassung zur Prüfung gefordert werden kann. A u f diese Weise verlöre eine Pflicht, überhaupt an der Ausbildung teilzunehmen, etwas von ihrer Intensität. Beides scheint unproblematisch zu sein, wo die Prüfung i n die Ausbildung integriert ist. Wenn die punktuelle Prüfung aufgelöst w i r d zugunsten ausbildungsbegleitender Prüfungsleistungen, ist eine Teilnahme an der Prüfung ohne Teilnahme an der Ausbildung naturgemäß unmöglich; erstrecken sich die begleitenden Prüfungen über die ganze Ausbildung, erscheint auch eine vorzeitige Beendigung der Ausbildung schwierig. Es bleibt allenfalls die Möglichkeit, eine Externenprüfung einzurichten, die aber dann punktuell wäre. I n voller Schärfe stellt sich das Problem aber bei punktuellen Abschlußprüfungen, wie sie heute noch die Regel sind. A u f den ersten Blick scheint eine gewisse Ungereimtheit darin zu liegen, daß man nicht, wie es bei französischen concours gelegentlich der Fall ist, jeden zur Prüfung zuläßt, weil ja erst die Prüfung ermitteln soll, ob die Teilnehmer die erforderlichen Fähigkeiten aufweisen. Man muß dabei berücksichtigen, daß das Gebot der Teilnahme an der oft recht langen Ausbildung gelegentlich eine beträchtliche Eingriffsintensität aufweist 99 . Dem Einzelnen w i r d eine individuelle Ausbildung damit erschwert, und manchmal kann die Teilnahmepflicht, insbesondere wenn die Ausbildung Mängel hat und bessere Möglichkeiten zur durch eine großzügige Auslegung einer Ausnahmeklausel gelöst. Sehr fragwürdig dagegen die Billigung einer Mindestaltersrenze von 28 Jahren für die Meisterkochprüfung durch das VG Berlin, abgedruckt bei Richter, Analyse, Nr. H 44 (S. 579). 97 Etwa in § 7 12 (Sollvorschrift) und § 35 I I JAPO B-W. 98 § 35 IV i. V. m. § 24 I I I S. 1 JAPO B-W (Kann-Vorschrift) ; § 81 Nr. 2 KSPO i. V. m. § 3 Nr. 1 KrankenpflegeG vom 20. 9.1965. 99 Die Rechtsprechung hat sich damit m. E. nur unzureichend auseinandergesetzt; vgl. BVerfGE 13, 97 (119 f.) sowie die bei Richter, Analyse, unter Nr. H 41—44 abgedruckten Entscheidungen.

V. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im einzelnen

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Verfügung stehen, zur lästigen, das Lernziel keineswegs fördernden Pflicht werden. Dennoch lassen sich für dieses Erfordernis vertretbare Überlegungen anführen. Was die Pflicht angeht, überhaupt an der Ausbildung teilzunehmen, so ist das legitime Interesse des Staates zu berücksichtigen, die Ausbildung selbst i n der Hand zu behalten oder jedenfalls ausreichend überwachen zu können; allerdings zeigt das Beispiel der j u r i stischen Ausbildung m i t der oftmals großen Bedeutung privater Repetitoren eine Grenze dieses Mittels auf. Weiterhin berührt sich die Pflicht, an der Ausbildung teilzunehmen, m i t den Bestrebungen, punktuelle Abschlußprüfungen durch lernbegleitende Kontrollen zu ergänzen oder zu ersetzen. Gerade wenn man davon ausgeht, daß punktuelle Prüfungen nicht besonders reliabel und valide sind, liegt es nahe, die Teilnahme an der Ausbildung als zusätzliche notwendige Garantie für das Erreichen des Lernziels und als Gewährleistung eines gewissen Fundus an Erfahrung, Wissen und Fähigkeiten anzusehen 100 oder eben sogar die Prüfung über die ganze Ausbildung zu verteilen. Diese Überlegungen rechtfertigen es grundsätzlich, Externe von der Teilnahme an der punktuellen Prüfung auszuschließen 101 . I m Falle ausbildungsbegleitender Prüfungen kommt noch hinzu, daß kein Anspruch darauf besteht, für Externe ein anderes als das übliche Prüfungsverfahren zu schaffen 1010 . A l l e diese Argumente betreffen nicht die Frage, ob dann nicht wenigstens die Ausbildungsdauer flexibel sein muß. Sollen die oben genannten Ziele erreicht werden, w i r d man allerdings keine völlige Freiheit bei der Bestimmung der Ausbildungsdauer gewähren können; fraglich ist nur, ob starre und oft noch dazu relativ lange Ausbildungszeiten als Prüfungsvoraussetzung zulässig sind. I n vielen Prüfungsordnungen finden sich sehr niedrig angesetzte Mindestaus'bildungszeiten, 100 Das VG Hamburg rechtfertigt in einer Entscheidung, abgedr. bei Richter, Analyse, Nr. H 42, die Zulassungsvoraussetzung einer abgeschlossenen Ausbildung und längeren Berufspraxis pauschal mit „fachlichen Erfahrungen". Die genannte Überlegung mag dem zugrundeliegen, s. auch §37 HandwO, wo eine berufspraktische Zeit grundsätzlich der Ausbildung gleichgestellt wird. BVerwG NJW 1974, 573 hält es für unerheblich, ob eine Externenprüfung „mit den bildungspolitischen Vorstellungen des Gesetzgebers vereinbar ist". Bei numerus-clausus-Fächern hält Czermak, NJW 1974, 574 die Abhaltung von Externenprüfungen für unerläßlich, sofern die Prüfungsvorbereitung ohne förmliches Studium möglich ist. 101 Für ganz besonders gelagerte Fälle bestehen gelegentlich doch Ausnahmemöglichkeiten, s. z. B. §§ 16 i. V. m. 18 I I Nr. 5 ReifePO B-W, wo offenbar auch die Prüfung Externer, welche sich — nur — im Selbstunterricht vorbereitet haben, zugelassen wird. *