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German Pages 569 [570] Year 2007
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 77
Die Zulässigkeit von Immissionen im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht Von Daniel Couzinet
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
DANIEL COUZINET
Die Zulässigkeit von Immissionen im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenf itsch sämtlich in Tübingen
Band 77
Die Zulässigkeit von Immissionen im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht Verfassungsrechtliche Vorgaben an das vom Einzelnen hinzunehmende Immissionsmaß und einfach-rechtliche Ausgestaltung im Bundes-Immissionsschutzgesetz
Von Daniel Couzinet
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2005 / 2006 als Dissertation angenommen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-12374-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005 / 2006 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden noch bis zur Fertigstellung des Manuskripts August 2006 eingearbeitet. An erster Stelle gebührt Dank meinem Doktorvater, Prof. Dr. Karl-Hermann Kästner, der die Entstehung der Arbeit stets mit großem Interesse begleitet und gefördert hat. Ein ganz besonderer Dank gilt auch meinem verehrten akademischen Lehrer, Prof. Dr. Dr. h.c. Hans von Mangoldt, an dessen Lehrstuhl ich nicht nur viereinhalb Jahre arbeiten durfte, sondern der auch innerhalb kürzester Zeit die Mühen der Zweitbegutachtung auf sich genommen hat. Die KonradAdenauer-Stiftung e. V. hat die Entstehung dieser Arbeit durch Gewährung eines großzügigen Promotionsstipendiums maßgeblich ermöglicht; auch ihr gilt herzlicher Dank. Dank auch Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum für die Aufnahme dieser Arbeit in die von ihm federführend betreute Schriftenreihe. Zu danken habe ich ferner den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls von Mangoldt, namentlich Frau Isabelle Bergmeier, Dr. Frank Raue (jetzt Berlin) und Herrn Martin Röhm für die stete Bereitschaft zur Diskussion und konstruktiven Kritik. Dank schließlich allen, die in der „Endphase“ zum Abschluß dieser Arbeit beigetragen haben; erwähnen möchte ich an dieser Stelle nur Dres. Stefanie und Ulrich Denzel, Stuttgart. Zu guter Letzt gilt mein Dank der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, die die Arbeit mit dem Promotionspreis 2006 ausgezeichnet hat. Leutenbach, August 2006
Daniel Couzinet
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Einleitung ..............................................................................................................
29
1. Teil
Grundlagen A. Zulässigkeit von Immissionen.............................................................................
33
I. Regelungsmodelle der Zulässigkeit von Immissionen.................................
34
II. Immissionsbegriff und Immissionswirkungen .............................................
34
1. Begriff der „Immission“ .........................................................................
35
2. Immissionswirkungen.............................................................................
35
a) Luftschadstoffe ..................................................................................
35
aa) Luftschadstoffe, die dem Wirkungsschwellenkonzept folgen ....
36
bb) Schadstoffe, die nicht dem Wirkungsschwellenkonzept folgen .
37
b) Geräusche (Lärm) ..............................................................................
38
B. Verlauf der Untersuchung...................................................................................
39
2. Teil
Verfassungsrechtliche Vorgaben A. Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Betrachtung ............................................
40
I. Inhaltliche Vorgaben ...................................................................................
41
II. Vorgaben strukturell-modaler Art ...............................................................
41
1. Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema............................................
41
8
Inhaltsverzeichnis 2. Einschlägige Grundrechtsfunktionen......................................................
42
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht .................................................................
45
I. Begriff und Herleitung staatlicher Schutzpflichten......................................
45
1. Art. 1 I 2 GG als Grundlage staatlicher Schutzpflichten.........................
46
2. Objektiv-rechtlicher Gehalt der Grundrechte..........................................
47
II. Staatliche Schutzpflicht als eigenständige Kategorie...................................
50
1. Bisherige Ansätze einer abwehrrechtlichen Konstruktion ......................
50
a) Staatliche Genehmigung der Drittbeeinträchtigung...........................
51
aa) Bedeutung des Eingriffsbegriffs.................................................
51
bb) Zurechnung bei präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ....
53
b) Duldungspflicht des Drittbetroffenen ................................................
54
aa) Ansicht von Jürgen Schwabe und Dietrich Murswiek................
54
bb) Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Duldungspflicht ......................................................................................... .
55
cc) Eingriffsqualität spezieller Duldungspflichten ...........................
57
2. Übergreifender Ansatz über einfach-rechtliche Erlaubnisnormen ..........
58
a) Eingriffsqualität einfach-rechtlicher Erlaubnisnormen ......................
58
aa) Elementare Funktionsweise grundrechtlicher Abwehrrechte .....
59
bb) Mögliche Konstellationen bei Hinwegdenken einfach- rechtlicher Erlaubnisnormen ...................................................... ........
60
b) Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 12 I GG .........................
61
aa) (Kein) Grundrecht auf Umweltverschmutzung?.........................
62
bb) Zwischenergebnis.......................................................................
65
c) Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG?..........................
65
aa) Immissionsverursachung als geschützte Eigentumsnutzung ......
65
bb) Grundaporie: Eigentum nach Gesetz oder Gesetz nach Eigentum? ...........................................................................................
67
cc) Dogmatische Konzeption des BVerfG .......................................
69
(1) Darstellung des Eigentumsmodells des BVerfG ..................
69
(2) Kritische Würdigung............................................................
71
(a) Bedeutung der Institutsgarantie .....................................
72
(b) Konsequenzen für Immissionsverursachungsbefugnis...
75
dd) Abweichende Konzeption von Otto Depenheuer .......................
77
ee) Konsequenzen ............................................................................
79
Inhaltsverzeichnis
9
d) Subsidiär: Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 2 I GG..........
80
3. Konsequenzen für abwehrrechtliche Konstruktion.................................
81
4. Ergebniskorrektur durch verfassungsimmanente Schranken?.................
84
a) Verfassungsimmanente Beschränkung der Verursachungsbefugnis ..
85
b) Gesetzesvorbehalt auch bei verfassungsimmanenten Schranken .......
86
aa) Diskussion im Rahmen vorbehaltloser Grundrechte ..................
86
bb) Übertragung auf vorliegend relevante Grundrechte ...................
89
c) Staatsziel Umweltschutz als verfassungsimmanente Schranke ..........
90
d) Scheinbar und tatsächlich abweichende Rechtsprechung ..................
91
aa) Gentechnik-Beschluß des HessVGH..........................................
91
bb) Fangschaltungs-Beschluß des BVerfG.......................................
93
cc) „Warnungs“-Entscheidungen des BVerfG .................................
95
5. Ergebnis..................................................................................................
96
III. Dogmatische Struktur staatlicher Schutzpflichten .......................................
98
1. Konzeption des BVerfG .........................................................................
98
a) Entscheidungen mit Ausnahme der zweiten Abtreibungs-Entscheidung ..................................................................................... .............
100
aa) Einstufige Lösung des BVerfG ..................................................
100
bb) Bedeutung des „Evidenz“-Kriteriums ........................................
101
cc) Zwischenergebnis.......................................................................
103
b) Zweite Abtreibungs-Entscheidung (BVerfGE 88, 203).....................
103
c) Plädoyer für eine ausdifferenzierte Dogmatik staatlicher Schutzpflichten .............................................................................................
104
2. Eigene Lösung ........................................................................................
105
a) Außentheoretische Struktur staatlicher Schutzpflichten ....................
106
aa) Gegenstand der schutzrechtlichen prima facie-Position .............
106
(1) Ansatz von Martin Borowski ...............................................
106
(2) Eigener Ansatz .....................................................................
107
bb) Konsequenzen ............................................................................
108
b) Schutzrechtlicher Gesetzesvorbehalt .................................................
109
aa) Schutzrechtlicher „Eingriff“ als Bezugspunkt............................
109
bb) Geltung verschiedener Gesetzesvorbehalte ................................
110
(1) Gesetzesvorbehalte der „störenden“ Grundrechte................
111
(2) Ungeschriebener Gesetzesvorbehalt kraft „Wesentlichkeit“
111
10
Inhaltsverzeichnis (3) Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte ..........
112
cc) Normative Begründung gesetzgeberischer Spielräume ..............
114
c) Kollisionslösung durch Verhältnismäßigkeit und praktische Konkordanz ....................................................................................... .......
115
aa) Untermaßverbot zwischen Kongruenz- und Divergenzthese......
115
bb) Eigenständige Konzeption von Über- und Untermaßverbot.......
116
(1) Eigenständige Funktion des Übermaßverbots ......................
116
(2) Eigenständige Funktion des Untermaßverbots.....................
117
cc) Konsequenzen ............................................................................
119
(1) Inhaltliche Determination allein durch Kollisionsmodell ....
119
(2) Ergänzende Determination durch legislative Zwecksetzungen................................................................... ...............
120
3. Folgerungen............................................................................................
122
IV. Abgrenzung hoheitlicher und privater Immissionsverursachung.................
123
1. Ansatz über Grundrechtsbindung und -berechtigung .............................
124
a) Grundrechtsbindung und -berechtigung bei unmittelbarem Staatshandeln..................................................................................... .........
124
b) Grundrechtsbindung und -berechtigung bei privaten Rechtssubjekten ................................................................................. .....................
125
2. Bedeutung für Abgrenzung ,,Abwehrrecht – staatliche Schutzpflicht “..
126
a) Staat als Emittent ...............................................................................
127
b) Juristische Person des Privatrechts als Emittent ................................
127
aa) Problemlösung anhand Grundrechtsbindung und -berechtigung ...........................................................................................
127
bb) Problemlösung anhand staatlicher Ingerenzmöglichkeiten ........
128
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG ..............
129
I. Schutzbereich ..............................................................................................
130
1. Schutzgüter „Leben“ und „körperliche Unversehrtheit“.........................
130
a) Negativabgrenzung: Gesundheitsbegriff der WHO ...........................
130
b) Schutz der körperlichen Integrität......................................................
131
aa) „Versehrung“ als körperlich-gegenständliche Einwirkung ........
131
bb) Erweiterung des Begriffs der „Einwirkung“...............................
132
cc) Funktionelles Verständnis der körperlichen „Integrität“............
134
c) „Gesundheit“ als Schutzgut ...............................................................
135
Inhaltsverzeichnis
11
aa) „Gesundheit“ kein eigenständiges Schutzgut .............................
135
bb) „Gesundheit“ als folgenbezogenes Kriterium.............................
136
cc) Problematik psychischer Folgewirkungen..................................
138
2. Keine Beschränkung auf durchschnittliche Empfindlichkeit..................
139
a) Herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur ...................
140
b) Problematik der h. M. und abweichende Lösungsansätze .................
142
aa) Arbeiten von Reinhard Wulfhorst und Monika Böhm ...............
142
bb) Aufzugreifende Ansätze .............................................................
143
3. Besonderheiten bei Schutzfunktion des Art. 2 II 1 GG ..........................
145
II. Eingriff ........................................................................................................
145
1. Eingriff beim Abwehrrecht aus Art. 2 II 1 GG .......................................
145
2. Erfordernis einer „Erheblichkeitsschwelle“............................................
146
3. Besonderheiten bei staatlicher Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG ............
147
4. Eingriff im Bereich der Grundrechtsgefährdung ....................................
148
a) Problemaufriß und Streitstand ...........................................................
148
b) Problemlösung ausgehend von Immissionswirkungen ......................
150
aa) Ungewißheiten im Bereich der Wirkungsschwellen...................
150
(1) Ungewißheit und Gefahrenverdacht.....................................
151
(2) Ungewißheit und unterschiedliche Empfindlichkeiten.........
152
(3) Erstreckung des Art. 2 II 1 GG auf gesamten Risikobereich ....................................................................... ..............
153
(a) Gebot effektiven Grundrechtsschutzes...........................
153
(b) Schwierigkeit der Bestimmung „hinreichender“ Wahrscheinlichkeit .................................................................
154
bb) Immissionen außerhalb des Wirkungsschwellenkonzepts..........
155
(1) Individual- und Kollektivrisiko............................................
156
(2) Konsequenzen......................................................................
157
c) „Restrisiko“ als Grenze verfassungsrechtlichen Schutzes..................
159
5. Nichtvorliegen eines Eingriffs in Ausnahmefällen .................................
160
III. Eingriffsrechtfertigung.................................................................................
162
1. Eingriffsrechtfertigung und einfach-rechtliche Ausgestaltung................
162
a) Immissionen unterhalb der Gefahrenschwelle ...................................
163
b) Berücksichtigung unterschiedlicher individueller Empfindlichkeiten ............................................................................. ........................
163
aa) Konsequenzen für untergesetzliche Umweltstandards ...............
164
12
Inhaltsverzeichnis bb) Konsequenzen für gesetzliche Grundpflichten...........................
165
c) Bedeutung der Nichtzitierung des Art. 2 II 1 GG im BImSchG ........
166
2. Materielle Eingriffsrechtfertigung durch Gemeinwohlbelange...............
168
a) Eingriffslegitimierende Gemeinwohlbelange.....................................
168
aa) Ausgestaltung durch das BImSchG............................................
169
bb) Zwecksetzungsproblematik auf Ebene der Rechtsanwendung ...
170
(1) Insbesondere Versorgungssicherheit....................................
172
(2) Insbesondere Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen ......
172
b) Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Art. 2 II 1 GG .......................
173
aa) Schutzgut „Leben“ .....................................................................
174
bb) Schutzgut „körperliche Unversehrtheit“.....................................
178
3. Tripolare schutzrechtliche Eingriffsrechtfertigung .................................
180
a) Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) .............................................................
181
aa) Drei-Stufen-Theorie, Verhältnismäßigkeit und Typisierungsbefugnis ................................................................. ....................
182
bb) Zulässigkeit von Typisierungen innerhalb des Art. 12 GG ........
184
(1) Schutzbereichsspezifische Differenzierungsvorgaben .........
184
(2) „Vertikale“ Typisierungsbefugnis aus Art. 12 GG...............
185
(3) „Horizontale“ Typisierungsbefugnis aus Art. 3 I GG...........
186
cc) Konsequenzen für Kollisionsverhalten des Art. 12 GG .............
189
b) Eigentumsgarantie (Art. 14 GG)........................................................
191
aa) Abgrenzung zu Art. 12 GG ........................................................
191
bb) Inhalts- und Schrankenbestimmung oder Enteignung? ..............
192
cc) Maßstab immissionsbeschränkender Anforderungen .................
198
(1) Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG....................................
198
(2) Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG .....................................
199
dd) Konsequenzen für Kollisionsverhalten des Art. 14 GG .............
202
c) Subsidiär: Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) ....................
203
4. Berücksichtigung unterschiedlicher Empfindlichkeiten .........................
203
a) „Vertikale“ Typisierungsrechtfertigung am Maßstab des Art. 2 II 1 GG .................................................................................... .................
204
b) „Horizontale“ Typisierungsrechtfertigung am Maßstab des Art. 3 I GG.....................................................................................................
205
aa) Betreibergrundrechte als Typisierungsrechtfertigung.................
206
bb) Allgemeininteressen als Typisierungsrechtfertigung..................
207
cc) Verwaltungspraktikabilität als Typisierungsrechtfertigung........
207
Inhaltsverzeichnis
13
c) Zwischenergebnis ..............................................................................
210
5. Formelle Voraussetzungen der Eingriffsrechtfertigung ..........................
210
a) Abwehrrechtliche Funktion des Gesetzesvorbehalts (Art. 2 II 3 GG).................................................................................. ..................
210
aa) Ebene der gesetzlichen Grundpflichten......................................
211
(1) Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Abwägung .................................................................................
212
(2) Bestimmtheit der gesetzlichen Grundpflichten ....................
216
(a) Zusammenhang zur Kontrolldichte-Problematik ...........
216
(b) Überformung durch Wesentlichkeitslehre .....................
218
(c) Konsequenzen................................................................
219
(3) Sonderfall krebsverursachende Immissionen .......................
221
bb) Untergesetzliche Umweltstandards in Rechtsverordnungen.......
222
(1) Art. 2 II 3 GG: Eingriff „nur auf Grund eines Gesetzes“ .....
222
(2) Überformung durch Wesentlichkeitslehre............................
223
(3) Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers.....................
224
cc) Sonderfall: Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften .........
227
(1) Außenwirkung von Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften ...................................................... .........................
228
(a) „Antizipierte Sachverständigengutachten“ ....................
228
(b) „Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften“........
229
(c) Begründungsansatz über „normative Ermächtigungslehre“ ..................................................... ........................
229
(2) Schrankeneigenschaft von Verwaltungsvorschriften ...........
233
b) Gesetzesvorbehalt(e) bei staatlicher Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG .................................................................................... .................
235
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG...........................................................................
235
I. Vorüberlegungen .........................................................................................
236
1. Staatliche Schutzpflicht aus Art. 14 GG? ...............................................
236
2. Kreis der aus Art. 14 GG berechtigten Grundrechtsträger ......................
240
II. Schutzbereich des Art. 14 GG .....................................................................
241
1. Eigentumsnutzung als einschlägiger Schutzgegenstand .........................
242
a) Ausgangspunkt: Wohnnutzung als empfindlichste Nutzungsart........
242
aa) Nutzungsbefugnisse und Bauplanungsrecht...............................
244
14
Inhaltsverzeichnis bb) Bestandsgarantie als Maßstab?...................................................
246
cc) Baufreiheit und Art. 14 I 1 GG...................................................
247
dd) Schutzbereichsbeschränkung durch Situationsgebundenheit? ...
248
b) Zwischenergebnis ..............................................................................
251
2. Problematik besonderer Empfindlichkeiten............................................
252
a) Besondere Empfindlichkeit der Eigentumsnutzung als solcher .........
252
b) Besondere Empfindlichkeit der eigentumsnutzenden Personen ........
253
aa) Objektiver Maßstab als verfassungsmäßige Inhaltsbestimmung
253
bb) Besonderheiten von Geräuschimmissionen................................
255
III. Eingriff ........................................................................................................
257
1. Gegenstand und Bezugspunkt des Eingriffs ...........................................
257
a) Hoheitlich verursachte Immissionen..................................................
257
b) Privat verursachte Immissionen .........................................................
259
2. Eingriffswirkung: Beschränkung der Grundstücksnutzung ....................
261
a) Sonderfall: Unzumutbarkeit nach Art. 2 II 1 GG...............................
261
aa) Berücksichtigung überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten ....
262
bb) Mittelbare Erweiterung des Immissionsschutzes aus Art. 14 GG.................................................................................. ............
262
b) Normalfall: Rein eigentumsbezogene Nutzungseinbußen .................
263
aa) Besonderheiten hinsichtlich einschlägiger Immissionsarten ......
263
bb) Störung des Wohn- und Sozialverhaltens als influenzierte Wirkung .....................................................................................
264
c) Wertminderung als Eingriffswirkung ................................................
265
3. Konsequenzen für „gebietsadäquate Immissionsniveaus“ ......................
266
IV. Eingriffsrechtfertigung.................................................................................
269
1. Inhalts- und Schrankenbestimmung oder Enteignung?...........................
269
a) Abgrenzung .......................................................................................
269
b) Bedeutung sog. Enteignungsschwellen im Immissionsschutzrecht ...
271
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung ......
272
a) Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG ...................................................
273
aa) Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen .............................
273
bb) Berücksichtigung kollidierender Grundrechte............................
275
cc) Art, Ausmaß und Dauer der Immission......................................
275
dd) Sozialer Bezug und konkretes Grundstück als Maßstab.............
276
Inhaltsverzeichnis
15
b) Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG..................................................
279
3. Formelle Rechtmäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung ........
280
V. Verhältnis zum Immissionsschutz aus Art. 2 II 1 GG..................................
280
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG ........................................................
281
I. Art. 2 I GG als Abwehrrecht........................................................................
281
1. Schutzbereich .........................................................................................
281
a) Art. 2 I GG als allgemeine Handlungsfreiheit....................................
281
aa) Art. 2 I GG als allgemeine Nachteils- bzw. Eingriffsfreiheit?....
282
bb) Insbesondere: Schutz überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten ..........................................................................................
284
b) Art. 2 I GG und allgemeines Persönlichkeitsrecht.............................
285
aa) Immissionsbelastung und Schutz der „persönlichen Integrität“ bb) Zwischenergebnis.......................................................................
285 288
2. Eingriff ...................................................................................................
288
a) Faktische Eingriffe in objektive Handlungsmöglichkeiten ................
289
b) Faktische Eingriffe auf Motivationsebene .........................................
289
II. Art. 2 I GG als Schutzrecht..........................................................................
290
F. Zusammenfassung zum 2. Teil............................................................................
291
I. Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit.......................
292
II. Wertende Berücksichtigung emittentenseitiger Belange..............................
292
III. Problematik „atypischer“ Fälle ....................................................................
293
3. Teil
Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen A. Grundpflichten der §§ 5, 22 BImSchG ...............................................................
295
I. Bedeutung der immissionsbezogenen Grundpflichten.................................
295
II. Bedeutung der IVU-Richtlinie.....................................................................
296
16
Inhaltsverzeichnis III. Akzeptor- und quellenbezogene Immissionssteuerung................................
298
1. Unterschiede von akzeptor- und quellenbezogener Immissionssteuerung .............................................................................. ..........................
298
2. Insbesondere „Umweltqualitätsziele“ .....................................................
300
IV. Dreistufiges Prüfungsschema nach Petersen................................................
301
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ ................................................
302
I. Abgrenzung „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“........................
303
1. Ausgangspunkt: Negativabgrenzung zu „Gefahr“ bzw. „Schaden“........
304
a) Gefahrenbegriff des BImSchG...........................................................
304
b) Suche nach „schadensfähigen“ Rechtsgütern ....................................
305
aa) Bedeutung der Schutzgüter des § 1 I BImSchG .........................
305
bb) Bedeutung von „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ ..............
306
2. Konsequenzen für Abgrenzung ..............................................................
308
a) Schutz des „Menschen“ .....................................................................
308
b) Verbleibender Bereich der „Nachteile“ .............................................
310
II. Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG ............................................................
311
1. Relationalität als grundlegendes Strukturmerkmal .................................
312
2. Bestimmung der Gefahrenschwelle ........................................................
313
a) Bestimmung der Gefahrenschwelle im Einzelfall ..............................
314
aa) Bestimmung der Gefahrenschwelle durch Abwägung................
314
(1) Abwägende Berücksichtigung auch emittentenseitiger Belange?...................................................................................
314
(2) Mögliche Konsequenzen für Gefahrenbegriff......................
316
bb) Situation im allgemeinen Polizeirecht........................................
317
cc) Situation im Immissionsschutzrecht...........................................
318
(1) Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG.........................
319
(2) Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG ......................
319
(3) Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG.................
319
dd) Konsequenzen für Bestimmung der Gefahrenschwelle ..............
320
(1) Prüfungsfolge für Vorliegen einer „Gefahr“ ........................
321
(2) Zusätzliche Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen?..
322
(3) Sonderfall: Gefahrenschwelle bei hoheitlichen Anlagen .....
323
b) Normative Konkretisierung der Gefahrenschwelle ............................
324
Inhaltsverzeichnis III. Relationelle Struktur des „geeignet, ... herbeizuführen“..............................
17 326
1. Bisherige Auslegungen des „geeignet, ... herbeizuführen“.....................
327
2. Stellungnahme ........................................................................................
328
a) Maßgeblichkeit der Umstände des konkreten Falles..........................
329
b) Bedeutung der räumlichen Dimension von Immissionskonflikten ....
330
c) Kein Widerspruch zum Eignungsbegriff des § 4 I 1 BImSchG .........
331
d) Konsequenzen....................................................................................
331
aa) Abgrenzung zur abstrakten Gefahr.............................................
332
bb) Durchschnittsbetrachtung beim Akzeptor „Mensch“ .................
334
IV. „Erheblichkeit“ beim Gesundheitsschutz.....................................................
336
1. „Erheblichkeit“ von Gesundheitsschäden oder Gesundheitsgefahren?...
336
2. Erheblichkeitsthese und „durchschnittliche“ Empfindlichkeit ...............
337
a) Zusammenhang zwischen Erheblichkeits- und Empfindlichkeitsthese...................................................................................................
337
b) Lösungsmöglichkeiten .......................................................................
339
aa) Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Ebene der Risikosteuerung....
339
bb) Lösung auf Ebene der Risikoerkenntnis.....................................
340
cc) Lösung über Vorsorgepflicht .....................................................
340
c) Eigene Lösung ...................................................................................
341
3. Gefahrenbestimmung über rechtssatzmäßige Umweltstandards .............
342
V. „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen ....................................
342
1. Meinungsstand in Rspr. und Lit. ............................................................
342
a) Abwägungsgeprägter Erheblichkeitsbegriff.......................................
342
aa) Ansicht von Ernst Kutscheidt.....................................................
343
bb) Ansicht von Hans D. Jarass........................................................
344
b) Quantitativ-tatsächlicher Erheblichkeitsbegriff .................................
344
aa) Ansicht von Hans-Joachim Koch und Claus Dieter Classen ......
344
bb) Weitere Kritik.............................................................................
345
c) Rechtsprechung des BVerwG............................................................
346
2. Kritische Würdigung und eigene Lösung ...............................................
348
a) Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs................................................
349
aa) Wortlautauslegung .....................................................................
349
bb) Historische und teleologische Auslegung ..................................
350
cc) Systematische Auslegung...........................................................
352
18
Inhaltsverzeichnis (1) Abschichtung zu § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG .............................
352
(a) Konfliktlösung durch die §§ 50 BImSchG, 8 I BauNVO...............................................................................
353
(b) Konsequenzen für Erheblichkeitsbegriff........................
354
(2) Abschichtung zu § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ...........................
355
(a) „Näheprinzip“ als Grund des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ..
356
(b) Konsequenzen für Erheblichkeitsbegriff........................
357
b) Insbesondere „Sozialadäquanz“.........................................................
358
aa) Sozialadäquanz als empirisch-faktischer Tatbestand..................
359
(1) Erheblichkeitsbegriff als „Transformationsnorm“................
360
(2) „Verständiger Durchschnittsmensch“ als Ausweg? .............
361
bb) Sozialadäquanz als normativer Tatbestand.................................
362
(1) Gebietsspezifische Sozialadäquanz......................................
362
(2) Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus...
365
(3) Bedeutung des spezifischen Gemeinwohlnutzens................
366
cc) Zwischenergebnis zur Sozialadäquanz.......................................
366
c) Sonderfälle des gebietsadäquaten Immissionsniveaus .......................
367
aa) Nicht beplanter Innenbereich (§ 34 I, II BauGB).......................
367
bb) Außenbereich (§ 35 BauGB)......................................................
369
d) Tatsächliche und plangegebene Vorbelastungen und Mittelwertbildung ...................................................................................................
371
3. Zusammenfassung: „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen
374
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ...............................................................
375
I. Tatbestand der Risikozurechnung................................................................
375
II. Tatbestand der Risikosteuerung...................................................................
376
1. Relativierung durch relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab .............
377
a) Nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG hinzunehmende Beeinträchtigungen ...
378
aa) Situation im allgemeinen Polizeirecht........................................
378
bb) Konsequenzen für hinzunehmendes Maß an Beeinträchtigungen .................................................................... .........................
379
(1) Emissions- und Immissionsprognose ...................................
380
(2) Wirkungsprognose bei Wirkungsschwellenkonzept ............
380
cc) Sonderfall: Krebsverursachende Immissionen ........................... 382
Inhaltsverzeichnis
19
(1) Vorliegen einer „Gefahr“ i. S. des § 3 I BImSchG...............
382
(2) Regelungsansätze des geltenden Rechts...............................
383
(3) Eigener Lösungsansatz.........................................................
386
(a) Ansatz über Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko ..........
386
(b) Bewertung......................................................................
388
(c) Möglichkeit weiterer akzeptorbezogener Ansätze .........
390
b) Notwendigkeit einer wertenden Korrektur des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG? ................................................................................................
391
2. Relativierung durch Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? ............................
392
a) Verfassungsrechtlicher Geltungsgrund ..............................................
393
b) Gleichbehandlung zu nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen........
393
aa) Rechtfertigung für Unterscheidung beider Anlagentypen ..........
394
bb) Bedeutung der §§ 50 BImSchG und § 8 I BauNVO ..................
395
c) Integration überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten ......................
396
3. Zusammenfassung ..................................................................................
396
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG .............................................................
397
I. Tatbestand der Vorsorgepflicht ...................................................................
397
1. Bedeutung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen..............
397
2. Konsequenzen für Tatbestand der Vorsorgepflicht ................................
399
a) Modifikationen innerhalb des dreistufigen Grundpflichtenmodells ..
399
aa) Insbesondere bezüglich Risikozurechnung ................................
400
bb) Insbesondere bezüglich Risikosteuerung ...................................
401
b) Zur Bestimmung eines „Vorsorgetatbestands“ ..................................
401
c) Funktionen der Vorsorgepflicht.........................................................
402
aa) Risikobezogene Vorsorge ..........................................................
402
(1) Ungewißheit im Rahmen der Wirkungsprognose.................
402
(2) Abkehr von konkreter Betrachtung ......................................
403
(3) Fernwirkungsproblematik ....................................................
404
(4) Mittel der risikobezogenen Vorsorge...................................
404
bb) Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik...................
405
cc) Raum- bzw. ressourcenbezogene Vorsorge................................
406
II. Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht ..................................................
407
1. Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ...................................
407
20
Inhaltsverzeichnis a) Problemkonstellationen der Verhältnismäßigkeit ..............................
407
aa) „Interne“ und „externe“ Verhältnismäßigkeitsprüfung ..............
407
bb) „Große“ und „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung..................
408
cc) Aufgeworfene Fragen und Fortgang der Untersuchung .............
408
b) Inhaltliche Determinanten der Verhältnismäßigkeitsprüfung ............
410
aa) Inhaltliche Determination auf Emittentenseite ...........................
410
(1) Abgrenzung der einschlägigen Grundrechte ........................
410
(2) Inhaltliche Determination durch Art. 12 GG........................
411
bb) Determination auf Betroffenenseite durch Art. 2 II 1 GG ..........
412
2. Konsequenzen für Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht ...............
413
a) Bei generell-abstrakter Konkretisierung (Konzeptierung) .................
413
aa) Risikobezogene Vorsorge ..........................................................
414
bb) „Freiraum“-Funktion..................................................................
415
cc) Fernwirkungsproblematik (Schadstofferntransport)...................
415
dd) Zwischenergebnis.......................................................................
416
b) Bei einzelfallbezogener Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG......
417
aa) „Stand der Technik“ als partiell-genereller Vorsorgestandard ...
417
bb) Nichttechnische Vorsorgemaßnahmen .......................................
418
c) Verfassungsrechtliche „Konkordanzfunktion“ der Vorsorgepflicht ..
419
d) Sonderfall: Krebsverursachende Immissionen ..................................
420
3. Zusammenfassung ..................................................................................
421
III. Vorsorgepflicht bei erheblichen Nachteilen und Belästigungen..................
421
1. Abweichende Funktion(en) der Vorsorgepflicht ....................................
422
a) Emissionsminderung soweit als tatsächlich und rechtlich möglich ...
422
b) Eingrenzendes Korrektiv der spezifischen Vorsorgebedürftigkeit.....
423
2. Abgrenzung zur „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen.....
424
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen ...................................
425
I. Tatbestand der Risikoerkenntnis und Risikozurechnung.............................
426
II. Tatbestand der Risikosteuerung...................................................................
426
1. Vermeidungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG.................................
427
2. Bestimmung des Mindestmaßes nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG..............
428
a) Mindestmaß bei Anlagen mit Grundrechtsberechtigung....................
430
Inhaltsverzeichnis
21
aa) Privatwirtschaftliche Anlagen ....................................................
430
(1) Berücksichtigung individueller wirtschaftlicher Belange ....
430
(2) Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen.......................
431
bb) Sonderfall des kirchlichen Glockenläutens ................................
431
b) Mindestmaß bei hoheitlichen Anlagen ..............................................
432
aa) Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Bestimmung des Mindestmaßes .........................................................................................
433
(1) Bestimmung der Eingriffszwecke ........................................
433
(a) Spezialgesetzliche „Gemeinwohldefinitionen“ ..............
434
(b) Gemeinwohlnutzen in sonstigen Fällen .........................
435
(2) Maßstäbe der Konfliktlösung...............................................
436
bb) Berücksichtigung auch wirtschaftlicher Aspekte?......................
437
c) Minderungspflicht und Rücksichtnahmegebot des § 15 BauNVO ....
438
3. Zusammenfassung ..................................................................................
440
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten ................................................
440
I. Bedeutung für die Zulässigkeit von Immissionen........................................
441
II. Bestandsschutz als eingriffslimitierender Gesichtspunkt.............................
443
1. Begriff und Arten des Bestandsschutzes.................................................
443
a) Passiver Bestandsschutz ....................................................................
443
b) Aktiver bzw. überwirkender Bestandsschutz .....................................
444
2. Geltungsgrund des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes...................
444
3. Bezugspunkt des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes......................
446
a) Anlagengenehmigung kein „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG.......
446
b) Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb .................................
447
c) Konkretes Anlageneigentum und anlagenübergreifender Ansatz ......
448
4. Verfassungsrechtlicher Maßstab des Bestandsschutzes ..........................
449
a) Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG als Maßstab..............................
450
aa) Sonderfall der Altanlagen...........................................................
450
bb) Regelfall: Neuanlagen ................................................................
451
(1) Eingriff durch Einzelakt bei latenter Grundpflichtenbelastung? ...................................................................................
452
(2) Eingriff bei Verschärfung untergesetzlicher Umweltstandards.....................................................................................
453
b) Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG als Maßstab ...............................
454
22
Inhaltsverzeichnis aa) Allgemeiner verfassungsrechtlicher Maßstab.............................
454
bb) Kompetenzielle Problematik ......................................................
455
cc) Konkretes Eigentumsobjekt als Maßstab ...................................
456
dd) Zwischenergebnis.......................................................................
457
III. Einfach-gesetzliche Ausgestaltung im BImSchG ........................................
458
1. Genehmigungsbedürftige Anlagen (§ 17 BImSchG) ..............................
458
a) Durchsetzung der Abwehrpflicht („Schutzanordnungen“) ................
458
b) Durchsetzung der Vorsorgepflicht („Vorsorgeanordnungen“) ..........
460
aa) Konkretisierung unmittelbar aus § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG ...........
460
(1) Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 17 II BImSchG...............
462
(2) Verbleibende Bedeutung des § 17 I 1 BImSchG .................
464
bb) Vorsorgeanordnungen bei untergesetzlicher Konkretisierung ...
466
2. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen (§§ 24, 25 II BImSchG)..........
467
IV. Zusammenfassung .......................................................................................
468
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards.......................................
468
I. Konkretisierungsfunktion rechtssatzmäßiger Umweltstandards ..................
470
1. Wertender Charakter der Umweltstandardsetzung..................................
470
2. Konkretisierungsprogramme der einzelnen Ermächtigungsgrundlagen..
472
a) Umweltstandards aufgrund § 7 BImSchG .........................................
473
aa) Konkretisierung von Abwehr- und Vorsorgepflicht...................
473
bb) Abschließender Charakter entsprechender Umweltstandards.....
474
b) Umweltstandards aufgrund § 23 BImSchG .......................................
475
aa) Konkretisierung der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG? ....
475
(1) § 23 BImSchG kein selbständiger Tatbestand......................
476
(2) Minderungspflicht als neuralgischer Punkt..........................
479
bb) Abschließender Charakter entsprechender Umweltstandards.....
480
c) Umweltstandards aufgrund § 48 BImSchG .......................................
483
d) Umweltstandards aufgrund § 48a BImSchG......................................
485
3. Wertungsbefugnis bei Setzung von Umweltstandards............................
487
a) Konkretisierung der Gefahrenschwelle bei Leben und Gesundheit ...
488
aa) Bereich des Wirkungsschwellenkonzepts...................................
488
(1) Bekannte Wirkungsschwellen ..............................................
488
Inhaltsverzeichnis
23
(a) „Übersetzungsmodell“ bei bekannten Wirkungsschwellen? .....................................................................
489
(b) „Wertungsmodell“ bei Schadenstragungspflichten........
489
(aa) Schadenstragungspflicht verfassungswidrig..........
490
(bb) Schadenstragungspflicht aufgrund Rechtsverordnung ......................................................................
490
(cc) Schadenstragungspflicht aufgrund Verwaltungsvorschrift...............................................................
4 92
(2) Konkretisierung der Gefahrenschwelle im eigentlichen Sinne ....................................................................................
493
(a) Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften ...........
494
(b) Rechtsverordnungen ......................................................
494
bb) Konkretisierung außerhalb des Wirkungsschwellenkonzepts.....
495
b) Konkretisierung der Vorsorgepflicht .................................................
497
aa) Konkretisierung des Standes der Technik ..................................
497
bb) Definition normativer Vorsorgeziele..........................................
498
c) Erheblichkeitsschwelle bei Nachteilen und Belästigungen................
498
aa) Wertende Aspekte beim gebietsadäquaten Immissionsniveau....
499
(1) Festsetzung in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften ...................................................... .........................
499
(2) Festsetzung in Rechtsverordnungen.....................................
499
bb) Gebietsadäquates Immissionsniveau und Summationsproblematik...........................................................................................
502
II. Konsequenzen für die Bestimmung „atypischer“ Fälle ...............................
506
1. Umweltstandards in Form von Rechtsverordnungen ..............................
508
2. Umweltstandards in Form von Verwaltungsvorschriften .......................
509
a) „Überholung“ durch neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik......................................................................................................
509
b) Vorbehalt des atypischen Falles ........................................................
510
Zusammenfassung...............................................................................................
512
Literaturverzeichnis ...........................................................................................
517
Sachwortverzeichnis ..........................................................................................
556
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
a. A. / A. A. ABlEG Abs. Abschn. abw. AcP a. E. a. F. AllgVerwR Alt. Anm. AöR ARSP Art. Aufl. BAT BATNEEC BauR BayVBl. BayVGH BB BeckOK BerlinerKomm-BauGB BerlinerKomm-GG BGBl. BGH BGHZ BImSchR BK BR-Drs. Bsp. BT-Drs. BVerfG BVerfGE
anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt(e) abweichend(e) Archiv der civilistischen Praxis (Zeitschrift) am Ende alte Fassung Allgemeines Verwaltungsrecht Alternative Anmerkung Archiv des Öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitschrift) Artikel Auflage best available techniques best available techniques not entailing exessive costs Baurecht (Zeitschrift) Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Beck’scher Online-Kommentar Schlichter / Stich (Hrsg.): Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch Friauf / Höfling (Hrsg.): Berliner Kommentar zum Grundgesetz Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesimmissionsschutzrecht Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundesrats-Drucksache Beispiel Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Abkürzungsverzeichnis BVerwG BVerwGE BVT bzw. dB(A) ders. d. h. dies. DIN Diss. DÖV DVBl. ebd. EG EGV Einl. etc. EU EUDUR EuGH EuGRZ EurUP EWG f. Fe-ES ff. FG Fn. FS GBl. geänd. gem. GewArch GG-MitarbeiterKomm GK-BImSchG GMBl. GS HbStR
25
Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Beste verfügbare Techniken beziehungsweise Dezibel (A-bewertet) derselbe das heißt dieselbe / dieselben Deutsches Institut für Normung e. V. Dissertation Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) ebenda Europäische Gemeinschaft(en) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung et cetera Europäische Union Rengeling (Hrsg.): Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Zeitschrift) Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Feldhaus (Hrsg.): Bundesimmissionsschutzrecht (Entscheidungssammlung) fortfolgende Festgabe Fußnote Festschrift Gesetzblatt geändert gemäß Gewerbearchiv (Zeitschrift) Umbach / Clemens (Hrsg.): Mitarbeiterkommentar und Handbuch zum Grundgesetz Koch / Scheuing / Pache (Hrsg.): Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz Gemeinsames Ministerialblatt Großer Senat Isensee / Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
26 HbVerfR HdbUR Hervorh. HessVGH HGR h. M. Hrsg. / hrsg. HwbUR i. e. S. insbes. i. S. i. V. m. IVU-RL i. w. S. JURA JuS JZ Kap. LAI Lit. lit. LKV mg Nachw. n. F. NJOZ NJW Nr. NuR NVwZ NVwZ-RR o. ä. ÖffBauR OVG PrOVG RL Rn. Rspr. s.
Abkürzungsverzeichnis Benda u. a. (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Himmelmann u. a. (Hrsg.): Handbuch des Umweltrechts Hervorhebung Hessischer Verwaltungsgerichtshof Merten / Papier (Hrsg.): Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa herrschende Meinung Herausgeber / herausgegeben Kimminich u. a. (Hrsg.): Handwörterbuch des Umweltrechts im engeren Sinne insbesondere im Sinne in Verbindung mit Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung im weiteren Sinne Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Länderausschuß für Immissionsschutz Literatur Buchstabe Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Milligramm Nachweis(e) neue Fassung Neue juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer / Nummern Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) oder ähnliche(s) Öffentliches Baurecht Oberverwaltungsgericht Preußisches Oberverwaltungsgericht Richtlinie Randnummer / Randziffer Rechtsprechung siehe
Abkürzungsverzeichnis S. s. o. sog. Sp. StaatsHR StaatsR st. Rspr. TA u. u. a. UGB-AT UmweltR UPR Urt. UTR u. U. UVP UVP-RL v. VBlBW VDI Verf. VerwArch VG VGH vgl. VO VVDStRL WHO WiVerw WRV z. B. ZG ZStW ZUR
Seite(n) / Satz siehe oben sogenannte(r / s) Spalte Staatshaftungsrecht Staatsrecht ständige Rechtsprechung Technische Anleitung und und andere(s); unter anderem Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil (Professorenentwurf) Umweltrecht Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) Urteil Umwelt- und Technikrecht (Schriftenreihe) unter Umständen Umweltverträglichkeitsprüfung Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung von / vom Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zeitschrift) Verein Deutscher Ingenieure Verfasser Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Umweltrecht
27
Einleitung Einleitung
Gegenstand dieser Arbeit ist die Zulässigkeit von Immissionen im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht. Darunter soll dasjenige Maß an (anlagenbezogener) Immissionsbelastung zu verstehen sein, das der Einzelne von Rechts wegen hinzunehmen hat. Zu dessen Bestimmung hält das Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG1 – verschiedene Regelungen bereit, die in unterschiedlicher Weise den Konflikt zwischen dem Verursachungsinteresse von Anlagenbetreibern und Allgemeinheit und dem Verschonungsinteresse der Betroffenen steuern2. Im Mittelpunkt des BImSchG steht in seinem Zweiten Teil (§§ 4-31a BImSchG) der anlagenbezogene Immissionsschutz, d. h. Anforderungen an Errichtung und Betrieb von Anlagen3. Das Anlagenrecht bildet dabei den „klassischen“, aus der Gewerbeordnung übernommenen Kern des Immissionsschutzrechts4 und wird ergänzt durch den produkt-, verkehrs- und gebietsbezogenen Immissionsschutz (§§ 32-37, 38-43 und 44-47a BImSchG). Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf den anlagenbezogenen Immissionsschutz, was nicht ausschließt, einzelne Ergebnisse auf andere Bereiche zu übertragen. Zweck des BImSchG ist es nach § 1 I BImSchG, Mensch und Umwelt vor „schädlichen Umwelteinwirkungen“, insbesondere vor Luftverunreinigungen und Geräuschen (vgl. § 3 II BImSchG), die deren Hauptanwendungsfall bilden, zu „schützen“, ferner dem „Entstehen“ von schädlichen Umwelteinwirkungen „vorzubeugen“. § 3 I BImSchG enthält eine Legaldefinition5 des Begriffs der „schädlichen Umwelteinwirkungen“; diese sind „Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizufüh___________ 1
Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002 (BGBl. I, 3830, geänd. durch Art. 68 des 3. VwVerfÄndG v. 21. 8. 2002, BGBl. I, 3322/ 3341; Art. 41 d. 8. ZustAnpVO v. 25. 11. 2003, BGBl. I, 2304 / 2308; Art. 7 G v. 6. 1. 2004, BGBl. I, 2 / 15; Art. 2 G v. 8. 7. 2004, BGBl. I, 1578 / 1590 und Art. 2 G v. 22. 12. 2004, BGBl. I, 3704 / 3708). 2 Zu dieser Konfliktsituation H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 185; zu den Zielkonflikten des Umweltrechts Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 7 ff. 3 Zum Anlagenbegriff umfassend Henkel, S. 28 ff. 4 Zur Herkunft des BImSchG aus der Gewerbeordnung Feldhaus, Bilanz, S. 9 ff. 5 Zu § 3 I BImSchG als Legaldefinition H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 1.
30
Einleitung
ren“. Der Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ ist dabei ein „Zentralbegriff“6 des BImSchG, da er in einem komplexen Zusammenspiel mit anderen Bestimmungen das hinzunehmende Immissionsmaß bestimmt; er wird daher auch im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Die Zulässigkeit von Immissionen weist zugleich eine verfassungsrechtliche Dimension auf, da die Immissionsbetroffenen sich insbesondere auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG und den Schutz ihres Eigentums nach Art. 14 GG berufen können. Dem stehen bei hoheitlich verursachten Immissionen öffentliche Interessen bzw. Gemeinwohlbelange, bei grundrechtsberechtigten privaten Emittenten zusätzlich deren Grundrechte, insbesondere aus Art. 12 GG und wiederum Art. 14 GG gegenüber. Zentrale Frage ist stets, welches Maß an Immissionen die Betroffenen hinzunehmen und die Emittenten einzuhalten haben. Sofern das BImSchG oder seine untergesetzlichen Konkretisierungen hierüber eine Aussage trifft, muß diese den genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Es soll in dieser Arbeit daher schwerpunktmäßig darum gehen, diese Maßstabsfunktion des Verfassungsrechts gegenüber dem einfachen Recht zu entfalten und aufzuzeigen, inwieweit das BImSchG und seine untergesetzlichen Konkretisierungen einer verfassungskonformen Auslegung bedürfen. Die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Betrachtung wird dadurch verstärkt, daß die Auslegung des geltenden Immissionsschutzrechts durch Rspr. und Lit. an entscheidenden Stellen Unklarheiten aufweist. Hier sind folgende Punkte zu nennen, die zugleich Schwerpunktfragen dieser Arbeit sind: – Zunächst wird zur Bestimmung des zulässigen Immissionsmaßes auf eine „durchschnittliche Empfindlichkeit“ der betroffenen Rechtsgüter abgestellt, ohne daß dies näher begründet würde .7 Hieran ist nicht nur problematisch, daß einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung Schutz bereits im Ansatz versagt wird, sondern es ist insbesondere fraglich, inwieweit diese Maßstabsverengung mit den Grundrechten, vor allem Art. 2 II 1 GG, zu vereinbaren ist. ___________ 6
H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 1; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 11. So die ganz herrschende Rspr.; vgl. nur BVerwGE 68, 62 (67) – Kirchliches Glokkenläuten (erhebliche „Belästigung“); 79, 254 (261) – Feueralarmsirene (offengelassen, ob bereits Gesundheitsschutz berührt); 88, 210 (216) – Truppenübungsplatz (Beeinträchtigung der Gesundheit durch Lärm); 101, 157 (162) – Sperrzeitverkürzung (erhebliche „Belästigung“); 109, 314 (324) – Sportplatz (erhebliche „Belästigung“, aber auch auf mögliche Gesundheitsbeeinträchtigungen bezogen): Danach bestimmt sich die Zulässigkeit einer Immission ausgehend vom normalen, durchschnittlichen Bestand an Rechtsgütern und nicht am Maßstab solcher Personen oder Sachen, die in besonderer, überdurchschnittlicher Weise empfindlich gegenüber der Immission sind. Die Rspr. wendet diesen Grundsatz sowohl auf den Gesundheitsschutz als auch auf den unterhalb der Schadensschwelle angesiedelten Schutz vor „Nachteilen“ und „Belästigungen“ an. 7
Einleitung
31
– Für die Bestimmung der „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen gen i. S. des § 3 I BImSchG besteht zwar weitgehend Einigkeit, daß eine wertende Betrachtung vorzunehmen ist8; nicht eindeutig geklärt ist jedoch, welche Gesichtspunkte, insbesondere an wirtschaftlichen Belangen der Emittenten zu berücksichtigen sind. Diese Problematik ist im größeren Kontext der nach wie vor nicht abschließend geklärten Frage zu sehen, welche Wertungen in die Bestimmung des zulässigen Immissionsmaßes einfließen dürfen. Geklärt werden soll daher allgemein, was bei der Bestimmung der Zulässigkeit einer Immission an welcher Stelle wie abzuwägen ist. – Es existiert eine Vielzahl untergesetzlicher Regelwerke, die sog. Umweltstandards, insbesondere Grenzwerte o. ä. enthalten (etwa TA Luft 2002 [Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft] 9, TA Lärm 1998 [Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm]10, 18. BImSchV [Sportanlagenlärmschutzverord nung]11). Diesen wird einerseits eine möglichst abschließende und den Rückgriff auf die Gesetzesebene ausschließende Bedeutung beigemessen, andererseits ihr Anwendungsbereich jedoch für Verwaltungsvorschriften nach §48 BImSchG auf „typische Fälle“ begrenzt, ohne daß hinreichend geklärt wäre, wann ein Sachverhalt „atypisch“ ist12. ___________ 8 Nach überwiegender Ansicht in Rspr. und Lit. wird „Erheblichkeit” gleichgesetzt mit „Unzumutbarkeit“; vgl. nur BVerwGE 50, 49 (55) – Tunnelofen; 68, 62 (67) – Kirchliches Glockenläuten; 69, 37 (43)– Heidelberger Fernheizwerk; 79, 254 (260) – Feueralarmsirene; 81, 197 (200) – Tegelsbarg; 90, 163 (165 f.) – Kirchturmuhr; weitere Nachw. bei Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13 ff. 9 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz v. 24. 7. 2002 (GMBl. S. 511). 10 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz v. 26. 8. 1998 (GMBl. S. 503). 11 VO v. 18. 7. 1991 (BGBl. I, 1588 / 1790). 12 So betont die Rspr. einerseits für als Rechtsverordnung ergangenen Umweltstandards den abschließenden Charakter der Grenzwerte in beide Richtungen, d. h. sowohl bezüglich der Feststellung, daß unterhalb der Grenzwerte noch keine schädlichen Immissionen vorliegen, als auch, daß oberhalb schädliche Immissionen grundsätzlich vorliegen (so für die 18. BImSchV BVerwGE 109, 246 [249]; 109, 314 [319]; NVwZ 1995, 993 [993]; aus der Lit. Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 18d. – Demgegenüber wird den auf § 48 BImSchG beruhenden Umweltstandards als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften ebenfalls grundsätzliche Bindungswirkung für die Gerichte zugesprochen (BVerwGE 114, 342 [344]; 110, 216 [218]; NVwZ-RR 1996, 498 [499]; NVwZ 1995, 994 [994]; aus der Lit. an dieser Stelle nur Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 42 ff.; Ch. Müller, S. 35, 52 ff.; dazu ausführlich unten 2. Teil S. 228 ff.), jedoch wird diese Bindungswirkung im gleichen Atemzug zurückgenommen für das Vorliegen eines atypischen Falles (BVerwG, NVwZ 1997, 497 [499]; NVwZ 1995, 994 [996]; ferner bereits BVerwGE 55, 250 [261] – Kraftwerk Voerde; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 638 [641]; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357 [358]; einschränkend VGH Baden-Württ., NVwZ 1995, 292 [294 f.]). – Aus der Lit. Kloepfer, UmweltR3, § 14 Rn. 74; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 98; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 4 / 32; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 19i; Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 53; ders.,
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Einleitung
In dieser Arbeit soll gezeigt werden, daß diese Unklarheiten im Kern auf der unzureichenden Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben beruhen. Ziel ist daher, für die Frage, was der Einzelne an Immissionen zulässigerweise hinzunehmen hat, eine Konzeption zu entwickeln, die sowohl den Vorgaben des Verfassungsrechts gerecht wird als auch in die Systematik des einfachen Rechts integriert werden kann. Dabei wird sich ergeben, daß die bisherigen Ergebnisse zu einem großen Teil aufrecht erhalten werden können, diese jedoch verfassungsrechtlich auf tragfähigere Begründungen zu stellen sind. In zweiter Linie sollen demgegenüber – wo nötig – die bestehenden Interpretationen in die eine oder andere Richtung korrigiert werden. Insbesondere sollen die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen entwickelt werden, den Betroffenen immissionsmäßige Beeinträchtigungen und Risiken solcher Beeinträchtigungen („Immissionstragungspflichten“) aufzuerlegen. Die Arbeit beschränkt sich thematisch auf Luftschadstoffe und Geräusche (Lärm), während Immissionen durch elektromagnetische Felder aufgrund der spezifischen Problematik im rechtstatsächlichen Bereich nicht im einzelnen behandelt werden13. Sofern die nachfolgend gewonnenen Erkenntnisse auch auf Immissionen durch elektromagnetische Felder angewendet werden können, liegt dies daran, daß diesen in verfassungsrechtlicher Hinsicht vergleichbare Konfliktlagen zugrundeliegen. Ausgeklammert werden ferner alle Fragen, die mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) vom 8. 7. 200414 und den dadurch bedingten Novellierungen des BImSchG zusammenhängen.
___________ JuS 1999, 105 (111); Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48 Rn. 52; Jochum, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 48 Rn. 12; Gusy, Rechtsetzung, S. 194; ders., NVwZ 1995, 105 (111); Ch. Müller, S. 95 f.; a. A. Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 1, der die „Atypizität“ nicht auf Verwaltungsvorschriften beschränkt. 13 Dazu Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13e; Determann, NVwZ 1997, 647 ff.; Kremser, NVwZ 1995, 851 ff.; Kutscheidt, NJW 1997, 2481 ff.; Kirchberg, NVwZ 1998, 375 ff.; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG, NJW 1997, 2509 f. (dazu Determann, NJW 1997, 2501 ff.); NJW 2002, 1638 ff.; NVwZ-RR 2005, 227 ff. 14 BGBl. I, 1578.
1. Teil:
Grundlagen A. Zulässigkeit von Immissionen Der Begriff der „Zulässigkeit“ einer Immission ist zwar kein Rechtsbegriff des BImSchG, soll in dieser Arbeit gleichwohl als Synonym verwendet werden für dasjenige Maß an Immissionsbelastung, das der Einzelne von Rechts wegen hinzunehmen hat. Dieser Begriff der „Zulässigkeit“ ist nicht identisch mit dem der „Schädlichkeit“ als Teil der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ nach § 3 I BImSchG1, denn er dient nicht dazu, das Tatbestandsmerkmal der „Umwelteinwirkung“ um das Merkmal der „Schädlichkeit“ zu qualifizieren, sondern reicht über § 3 I BImSchG hinaus und bezeichnet das Gesamtergebnis der von Rechts wegen hinzunehmenden Immissionsverursachung. Ein solcher Begriff der „Zulässigkeit“ ist insofern gerechtfertigt, als – was nachfolgend zu zeigen ist – das vom Einzelnen hinzunehmende Immissionsmaß nicht allein über den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG bestimmt wird, sondern dies erst über die sog. Grundpflichten der §§ 5 I 1 und 22 I 1 BImSchG geschieht. Deren zentrales Tatbestandsmerkmal ist zwar jeweils der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG. Da diese Vorschriften jedoch weitere einschränkende oder erweiternde Tatbestandsmerkmale enthalten, markiert das Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG nicht notwendig die Schwelle zwischen zulässiger und unzulässiger Immissionen, so daß sowohl Immissionen trotz „Schädlichkeit“ i. S. des § 3 I BImSchG zulässig als auch Immissionen trotz fehlender „Schädlichkeit“ i. S. des § 3 I BImSchG unzulässig sein können. Die Einzelheiten dieser Vorschriften werden im 3. Teil dargestellt. Die Fragestellung der „Zulässigkeit“ einer Immission ist damit ergebnis- und rechtsfolgenbezogen, womit gleichzeitig die gebotene Kompatibilität zum Verfassungsrecht hergestellt wird, da sich das Nichtvorliegen einer Grundrechtsverletzung und damit eine grundrechtlich zulässige Immissionsverursachung stets danach richtet, was das einfache Recht durch zulässige Schrankenziehung im Gesamtergebnis als hinzunehmend deklariert, unabhängig davon, wie dieses Urteil einfach-rechtlich entsteht. ___________ 1
Vgl. dazu H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 14.
34
1. Teil: Grundlagen
I. Regelungsmodelle der Zulässigkeit von Immissionen Das BImSchG kennt zwei Regelungsmodelle, nach denen die Zulässigkeit einer Immission zu bestimmen ist und die zugleich zwei grundlegenden Regelungstypen des Umweltrechts entsprechen: Auf der einen Seite stehen „offene“ Gesetze mit vielen unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln2, die weder in qualitativer noch quantitativer Hinsicht eine eindeutige und abschließende Regelung des gebotenen Maßes an Umweltschutz treffen. Auf der anderen Seite stehen untergesetzliche Regelwerke, die durch technische Standards, Meßverfahren und Grenz- und Richtwerte präzise Aussagen über die einzuhaltenden Anforderungen treffen und damit die unbestimmten Rechtsbegriffe der Gesetzesebene in exakte quantitative Größen umsetzen3. Dahinter steht die Vorstellung, daß der parlamentarische Gesetzgeber darauf verzichten darf, die zum Schutz der Umwelt erforderlichen Regelungen in vollem Umfang selbst zu treffen und es statt dessen dem untergesetzlichen Normgeber überlassen kann, die Standards im einzelnen festzulegen. Es sind daher für die vorliegende Fragestellung folgende Vorschriftengruppen zu betrachten: Erstens die sog. Grund- oder Betreiberpflichten der bereits genannten §§ 5 I 1 und 22 I 1 BImSchG, ferner diejenigen Vorschriften, die zu rechtssatzmäßiger Konkretisierung dieser Grundpflichten durch untergesetzliche Umweltstandards ermächtigen, und schließlich die §§ 17, 24, 25 BImSchG, die der nachträglichen Durchsetzung der Grundpflichten dienen und diese zugleich modifizieren.
II. Immissionsbegriff und Immissionswirkungen Im folgenden sollen – gleichsam „vor die Klammer gezogen“ – zwei für den Fortgang der Arbeit wichtige Punkte erörtert werden, nämlich erstens der Immissionsbegriff des § 3 II BImSchG und zweitens die Wirkungsweise von Immissionen, deren Berücksichtigung erforderlich ist, um in den nachfolgenden ___________ 2 Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 71 ff.; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 1 ff.; Wolf, UmweltR, Rn. 38; Bönker, Umweltstandards, S. 10. – Zu diesem „Bestimmtheitsdefizit“ unten 2. Teil S. 218 ff. 3 Zu diesen zwei Regelungstypen Wolf, UmweltR, Rn. 38 ff.; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 4; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 189 ff.; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 12 ff.; Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 72. – Bezüglich dieser Werte existiert ein uneinheitlicher Sprachgebrauch, der gebräuchlichste dürfte derjenige der „Umweltstandards“ sein (so Akademie der Wissenschaften, Umweltstandards, S. 4, 17; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 4; ferner Bönker, Umweltstandards, S. 8 ff.; Jarass, NJW 1987, 1225 [1225]); zur Grenzwertkonzeption allgemein Spannowsky, NVwZ 1995, 845 ff.
A. Zulässigkeit von Immissionen
35
Darstellungen nicht Gefahr zu laufen, an den spezifischen naturwissenschaftlich-technischen Problemen des Immissionsschutzes „vorbeizuschreiben“.
1. Begriff der „Immission“ Immissionen sind nach der Legaldefinition des § 3 II BImSchG „auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen“. Entscheidend für den Begriff der Immission im Gegensatz zu dem der Emission (vgl. § 3 III BImSchG), der die von einer Anlage ausgehenden Umwelteinwirkungen erfaßt, ist demnach zweierlei, nämlich die Einwirkung auf bestimmte Schutzgüter und die Maßgeblichkeit der einwirkenden Gesamtbelastung: Für die Frage, ob an einem Ort Immissionen vorliegen, ist zu fragen, ob dort Einwirkungen auf bestimmte Schutzgüter erfolgen, ungeachtet dessen, woher diese stammen4. Unter „Einwirkung“ ist dabei das Auftreffen der Immission auf den in § 3 II BImSchG genannten Einwirkungsobjekten zu verstehen5. Daraus folgt zweitens, daß es auf die Gesamtheit aller Immissionen ankommt, die an einem bestimmten Ort einwirken6. Mit dem Begriff der Immission werden daher nicht die Immissionsbeiträge einzelner Anlagen bezeichnet, sondern die „Immissionsverhältnisse an einem Einwirkungsort“7.
2. Immissionswirkungen a) Luftschadstoffe Bei der Wirkung von Luftschadstoffen ist zu unterscheiden zwischen Luftschadstoffen, für die sog. Wirkungsschwellen angegeben werden können und solchen, für die dies nicht geschehen kann.
___________ 4 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 30; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 16; Herrmann / Wagner, NuR 2005, 20 (21 f.). 5 Jarass, DVBl. 1983, 725 (726). 6 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 19; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 67. – Dies ist in jüngster Zeit vor allem bezüglich der Gesamtlärmbewertung relevant geworden; dazu Dolde, Gesamtlärmbewertung, S. 452; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 71; ders., FS Feldhaus, S. 218 ff.; ders., NVwZ 2000, 490 (493); Feldhaus, UTR 21 (1993), S. 33 f.; ders., Lärmschutz, S. 182. – Dazu unten 3. Teil S. 502 ff. 7 So prägnant H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 30 (Hervorh. im Original).
36
1. Teil: Grundlagen
aa) Luftschadstoffe, die dem Wirkungsschwellenkonzept folgen Das Wirkungsschwellenkonzept geht davon aus, daß für einen Schadstoff hinsichtlich der Aufnahme in den menschlichen Körper bestimmte Dosen („Schwellenwerte“) angegeben werden können, unterhalb derer eine Schädigungswirkung nicht zu erwarten ist8. Versieht man diese Schwellenwerte mit einem Sicherheitszuschlag, erhält man Immissionsgrenzwerte, die allgemeingültig die Grenze zwischen Schädigung und Nichtschädigung umschreiben. Das Wirkungsschwellenkonzept ist jedoch nur zur Beschreibung der Wirkungen eines Teils der bekannten Luftschadstoffe tauglich und im übrigen ein „Idealtypus“, der folgende Schwächen aufweist: Zunächst betrachtet das Wirkungsschwellenkonzept regelmäßig nur die monokausale Beziehung zwischen einem Schadstoff und einer Wirkung9; tatsächlich sind viele Schädigungswirkungen aber das Produkt einer Kombination aus verschiedenen Schadstoffen (sog. additive und synergistische Wirkungen)10. Diese sind aber nur teilweise bekannt, weshalb jede Wirkungsschwelle unter dem Vorbehalt steht, daß es im Zusammenwirken mit anderen Stoffen zu bislang unbekannten Wirkungen kommen kann. Zweitens kann auch ein bekannter Schadstoff abhängig von der Dosis unterschiedliche Wirkungen zeigen11; dieses Argument wiegt rechtlich jedoch schwach, da das Recht eine bestimmte Wirkung als maßgeblich definieren kann12. Drittens wird bei der Ermittlung konkreter Wirkungsschwellen regelmäßig die biologische Variabilität der Betroffenen ausgeblendet13 und ein „Durchschnittsmensch“ zum Maßstab genommen14, ___________ 8 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 188; Winter, Einführung, S. 10 f.; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 105. – Winter hat den Argumentationsablauf bei Festsetzung von Immissionsgrenzwerten auf Grundlage des Wirkungsschwellenkonzepts idealtypisch wie folgt beschrieben: Auf einer ersten Stufe verbietet das Recht Belastungen, welche die Gesundheit schädigen; auf einer zweiten Stufe gibt die Naturwissenschaft an, von welcher Dosis an Krankheitssymptome auftreten; auf der dritten Stufe schließlich wird diese Dosis zum Grenzwert gemacht (Winter, Einführung, S. 9; Grimme/ Kortenkamp, S. 10; Schmölling, S. 75 ff.). – Die Naturwissenschaften unterscheiden ferner die Begriffe des „no effect levels“ (NEL), d. h. derjenigen Dosis, bei der kein nachteiliger Effekt (Wirkung) mehr eintritt (Grimme / Faust / Altenburger, S. 37) und des „no observed (bzw. observable) effect level“ (NOEL), bei dem die zu erzielende Wirkung („effect“) von einer bestimmten Beobachtungs- oder Meßmethode abhängig gemacht wird. 9 Zum Wirkungsbegriff Hansmann, FS Sendler, S. 290. 10 Beyersmann, Stoffkombinationen, S. 65 ff.; ferner Grimme / Faust / Altenburger, S. 47 f.; Grimme / Altenburger / Bödeker / Faust, S. 142 ff.; aus rechtlicher Sicht Rehbinder, FS Kutscheidt, S. 275 ff.; dort S. 276 f. zur Typologie möglicher Kombinationswirkungen; ferner Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 31. 11 Beyersmann, Grundlagen, S. 32 f.; ferner Winter, Einführung, S. 10 f. 12 Ähnlich Beyersmann, Grundlagen, S. 33. 13 Winter, Einführung, S. 11; ders., Anforderungen, S. 130; Grimme / Altenburger / Bödeker / Faust, S. 140 ff.
A. Zulässigkeit von Immissionen
37
womit das Postulat der durchschnittlichen Empfindlichkeit im Sinne der ersten Schwerpunktfrage seine Entsprechung in der Praxis der Naturwissenschaften findet. Damit verlieren aber auch bekannte Wirkungsschwellen ihre Aussagekraft, wenn sie auf Personen übertragen werden, die vom Durchschnitt abweichen, was nur dann unbedenklich ist, wenn diese Durchschnittsbetrachtung auch rechtlich maßgeblich ist.
bb) Schadstoffe, die nicht dem Wirkungsschwellenkonzept folgen Weiterhin existieren Luftschadstoffe, für welche Wirkungsschwellen von vornherein nicht angegeben werden können und bei denen bereits kleinste Dosen zu Schädigungswirkungen führen können. Wichtigster Fall sind krebsverursachende Luftschadstoffe, bei denen jede noch so geringe Immission ein statistisches Schädigungsrisiko begründet15 (sog. stochastische Dosis-Wirkungs-Beziehungen16). Gleichzeitig kann aber selbst dann, wenn ein Mensch tatsächlich an Krebs erkrankt ist, regelmäßig keine Kausalität zwischen dieser Erkrankung und einer bestimmten Immissionsbelastung nachgewiesen werden, da Krebserkrankungen eine multikausale Entstehungsstruktur aufweisen17. Kann somit zwar keine Aussage darüber getroffen werden, ob eine bestimmte Anlage einen konkreten Krankheitsfall verursachen wird, so folgt doch aus der grundsätzlichen Zulassung krebsverursachender Immissionen bezogen auf das Kollektiv eine statistische Häufigkeit einzelner, mit Sicherheit eintretender Erkrankungsfälle, und es kann die absolute Anzahl derjenigen Krebserkrankungen, die auf Luftschadstoffe zurückzuführen sind, abgeschätzt werden18. Dem entspricht bezüglich einer konkreten Immission ein „hypothetisches“, d. h. errechnetes Risiko für schädigende Wirkungen19. ___________ 14
Ausführlich Böhm, Normmensch, S. 47 ff. Koepfer, S. 47 f.; Beyersmann, Grundbegriffe, S. 31; Falke, S. 179; Böhm, Normmensch, S. 37 ff.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 363; Hansmann, FS Feldhaus, S. 199 f.; Breuer, Bewertung, S. 164 ff.; aus naturwissenschaftlicher Sicht Neumann, Bundesgesundheitsblatt 2006, 665 ff., 818 ff., 911 ff.; Kühling, ZUR 1994, 112 f. 16 Reich, S. 119; Osius, S. 49 ff.; Breuer, Bewertung, S. 165. 17 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 388; Breuer, Bewertung, S. 164. 18 Es wurde Anfang der neunziger Jahre davon ausgegangen, daß etwa 2 % der Krebsfälle auf Luftschadstoffe zurückzuführen sind (Böhm, Normmensch, S. 38 f. mit Fn. 95 unter Bezugnahme auf den Länderausschuß für Immissionsschutz [LAI]; ebenso H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 5; zu einem Vergleich mit US-amerikanischen Zahlen, die deutlich niedriger liegen, Böhm, Normmensch, S. 49). Zu konkreten Zahlen vgl. einerseits Hansmann, FS Feldhaus, S. 199 mit Fn. 1 (in absoluten Zahlen jährlich mehrere 100 Menschen betroffen), andererseits Böhm, TA-Luft, S. 164 mit Fn. 15: Weit mehr als 3.000 Todesfälle. 19 Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 151; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 363 ff., 385 ff. 15
38
1. Teil: Grundlagen
b) Geräusche (Lärm) Während Geräusche bzw. Schall auf objektivier- und meßbaren physikalischen Vorgängen beruhen, nämlich der Verbreitung von Schallwellen in bestimmten Medien20, enthält der Begriff des „Lärms“ eine Wertung, indem als Lärm diejenigen Geräusche bezeichnet werden, die entweder schädigende Wirkung zeigen oder zumindest als störend empfunden werden21; letzteres hängt zudem nicht allein von objektivierbaren Faktoren ab22. Bezüglich der objektivierbaren schädigenden Wirkungen entspricht es heute gesicherter Erkenntnis, daß ab einer bestimmten Lautstärke mit gesundheitlichen Schäden zu rechnen ist, etwa Hörschäden23. Unterhalb dieser Schwelle entfaltet Lärm seine Wirkung demgegenüber in psychischer und sozialer Hinsicht, d. h. als störender Faktor für das soziale Wohlbefinden, indem Gefühle der Unlust und des Unwohlseins erzeugt werden, die sich in Änderungen des Wohn- und Sozialverhaltens äußern24. Neben diesen Konstellationen „manifester“ Lärmwirkungen, in denen regelmäßig eine Kausalbeziehung zwischen Lärmexposition und schädigender bzw. störender Wirkung festgestellt werden kann, weisen Geräuschimmissionen eine weitere Beeinträchtigungsdimension auf, die im Bereich des Risikos für die menschliche Gesundheit angesiedelt ist: So ist ebenfalls medizinisch gesichert, daß Lärm bei längerfristiger Exposition zur Entstehung von Herz- und Kreislauferkrankungen einschließlich Bluthochdruck und Herzinfarkt beitragen kann25. Ist Lärm damit einerseits ein Risikofaktor für die genannten Erkrankungen, kann doch andererseits – vergleichbar den krebsverursachenden Luftschadstoffen – zwischen tatsächlicher Erkrankung und konkreter Lärmexposition regelmäßig ein Kausalzusammenhang nicht nachgewiesen werden, da auch die genannten Erkrankungen eine multikausale Entstehungsstruktur aufweisen26. ___________ 20
Dazu Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 25. H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 55 Rn. 3. 22 Art und Ausmaß der Beeinträchtigung hängen nicht allein von der (objektivierbaren) Schallintensität (Schalldruck) ab, sondern auch von subjektiven nichtakustischen Einflußgrößen (sog. Moderatoren), insbesondere der individuellen Disposition und persönlichen Eigenschaften wie emotionaler Bezug zur Lärmquelle und subjektives Lärmbewältigungsvermögen (Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 25; Krell, S. 63; Michler, Rechtsprobleme, S. 72; Dolde, Gesamtlärmbewertung, S. 467 f.; Kürer, S. 25); zur Lärmwirkungsforschung allgemein H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 55 Rn. 6 ff.; ferner Ortscheid / Wende, ZUR 2002, 185 ff. 23 Dies wird ab einer Schalleistung von 85 dB(A) angenommen (G. Jansen, S. 11 f.). 24 Dazu aus Sicht des Verkehrslärmschutzes Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, Vor §§ 38-43 Rn. 29. 25 G. Jansen, S. 13; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, Vor §§ 38-43, Rn. 27 mit Nachw. aus dem medizinischen Schrifttum; ferner Hermann, S. 58 ff., 68 ff.; H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 55 Rn. 7. 26 Dazu G. Jansen, S. 13. 21
B. Verlauf der Untersuchung
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B. Verlauf der Untersuchung Zunächst werden im 2. Teil die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Zulässigkeit von Immissionen entwickelt; dabei ergibt sich folgender Aufbau: Abschnitt A. behandelt „vor die Klammer gezogen“, welche Erkenntnisse allgemein aus einer verfassungsrechtlichen Betrachtung gewonnen werden können. Abschnitt B. ist strukturellen Fragen der staatlichen Schutzpflicht in Abgrenzung zur Grundrechtsfunktion des Abwehrrechts gewidmet; hier soll dargelegt werden, daß beide Grundrechtsfunktionen demselben Bauplan folgen und denselben Beschränkungsmöglichkeiten unterliegen. Abschnitte C. bis E. entwickeln die inhaltlichen Vorgaben für den Schutz vor Immissionen, die sich aus den thematisch einschlägigen Grundrechten ergeben, nämlich dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG (C.), dem Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 GG (D.) und subsidiär der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG (E.). Abschließend erfolgt unter F. eine kurze Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Erkenntnisse im Hinblick auf die drei Schwerpunktfragen.
Im 3. Teil werden dann die einfach-rechtlichen Regelungen zur Zulässigkeit von Immissionen dargestellt, wobei ein Schwerpunkt auf der Frage liegen wird, inwieweit diese den im 2. Teil erarbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Hierbei wird auf die drei Schwerpunktfragen – Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit, wertende Berücksichtigung schutzmindernder, insbesondere emittentenseitiger Belange und Problematik der „atypischen“ Fälle – im jeweiligen Zusammenhang eingegangen: Abschnitt A. enthält – ebenfalls vor die Klammer gezogen – allgemeine Ausführungen zum System der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten. Abschnitt B. ist dem Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ nach § 3 I BImSchG gewidmet, der als „Zentralbegriff“ des BImSchG wesentliche Vorgaben für die auf ihm tatbestandlich aufbauenden immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten enthält. Abschnitte C. bis E. behandeln – sofern für die Frage der Zulässigkeit von Immissionen relevant – die einzelnen immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten, nämlich die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG (C.), die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG (D.) und die Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen nach § 22 I 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG (E.). Unter F. wird der Sonderfall nachträglicher Anordnungen betrachtet, in dem die unter C. bis E. dargestellten Grundpflichten eine spezifische Modifizierung erfahren. Abschnitt G. schließlich ist speziellen Fragen vorbehalten, die sich bei Bestimmung des zulässigen Immissionsmaßes über rechtssatzmäßige Umweltstandards stellen.
Abschließend erfolgt eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.
2. Teil:
Verfassungsrechtliche Vorgaben A. Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Betrachtung Wenn in diesem 2. Teil betrachtet wird, welche Aussagen dem Grundgesetz für die Frage des zulässigen Immissionsmaßes entnommen werden können, werden damit zugleich die verfassungsrechtlichen Maßstäbe abgesteckt, denen die im 3. Teil darzustellenden einfach-rechtlichen Regelungen als „normatives Konfliktschlichtungsprogramm“1 gerecht werden müssen. Mittel zur Übertragung dieser Maßstäbe in das einfache Recht ist die verfassungskonforme Auslegung, die gebietet, von mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes nur solche zu wählen, die mit der Verfassung im Einklang stehen2. Dies darf nicht dahin verstanden werden, daß das Verfassungsrecht eine abschließende Lösung des Konflikts zwischen Immissionsverursachern und Immissionsbetroffenen enthalte, welche im Wege der Verfassungsauslegung nur aufgedeckt werden muß. Ein solches Verständnis würde die eigenständige Rolle des einfachen Rechts negieren, welche darin angelegt ist, daß die Grundrechte (vgl. Art. 2 II 3 GG) dem Gesetzgeber die Möglichkeit geben, den auf Schutzbereichsebene gewährten Schutz im übergeordneten Allgemein- oder Individualinteresse zu beschränken. Damit wird das hinzunehmende Maß an Immissionen in einem wechselseitigen Ergänzungsverhältnis von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht bestimmt, in dem der Gesetzgeber Ziele verfolgen darf, die abschließend dem einfachen Recht zu entnehmen sind. Somit kann die Maßstabsfunktion des Verfassungsrechts für das einfache Recht3 nur darin bestehen, den inhaltlichen Rahmen im Sinne von Grenzen zu bestimmen, in denen sich das grundrechtsbeschränkende einfache Recht bewegen muß4.
___________ 1
Ausdruck nach Schmidt-Preuß, S. 8, 247 ff. BVerfGE 19, 1 (5); 30, 129 (148); 32, 373 (383 f.); 49, 148 (157); 69, 1 (55); aus der Lit. nur Stern, in: Stern III / 2, S. 1147 ff.; Hesse, Grundzüge20, Rn. 79 ff. 3 Zur „Maßstabsfunktion“ Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 316 unter Berufung auf die Lüth-Entscheidung BVerfGE 7, 198 (205); dazu H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 96; Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 69). 4 Prägnant dazu Storost, NVwZ 2004, 257 (258). 2
A. Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Betrachtung
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I. Inhaltliche Vorgaben Die Schutzbereiche der einschlägigen Grundrechte geben der nachfolgend darzustellenden verfassungsrechtlichen Prüfung mit den verfassungsrechtlichen Schutzgütern zuallererst die elementaren inhaltlichen Determinanten vor, die entweder – so Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG, das Grundeigentum der Immissionsbetroffenen nach Art. 14 GG und (subsidiär) die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG – in ihrer Integrität vor Immissionen zu schützen sind oder aber gegenläufig hierzu Rechtspositionen der Emittenten begründen, die für Immissionsverursachung streiten (so insbesondere die Artt. 12 und 14 GG, ferner wiederum – subsidiär – Art. 2 I GG). Die inhaltlichen Maßstäbe dieser Grundrechte werden in den nachfolgenden Abschnitten im einzelnen und an gegebener Stelle entwickelt.
II. Vorgaben strukturell-modaler Art 1. Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema Neben diesen inhaltlichen Vorgaben sind die Erkenntnisse aus einer verfassungsrechtlichen Betrachtung primär strukturell-modaler Art, indem die Grundrechte für die Frage, ob eine einfach-rechtliche Immissionstragungspflicht verfassungsmäßig ist, ein bestimmtes prozedural abgeschichtetes Vorgehen verlangen, in welchem die einfach-rechtliche Lösung bestimmten Wertungsinstanzen standhalten muß. So ist die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte fest mit dem Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema verbunden, welches nicht nur Hilfsmittel rechtstechnischer Art ist, sondern dem auch materieller Gehalt zukommt, da es die Argumentation in eine bestimmte Struktur zwingt und eine Vorentscheidung darüber trifft, welche Argumente an welcher Stelle zueinander in Beziehung zu setzen sind5. Das Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema liefert nachfolgende Prüfungsstruktur, wobei zu beachten ist, daß die angebotenen Aufbauschemata sich zwar teilweise terminologisch unterscheiden, in der Sache jedoch weitgehend Einigkeit besteht6: ___________ 5
H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 120. So auch Borowski, S. 183 Fn. 5. – Zu Aufbauschemata vgl. Bleckmann II4, § 12 Rn. 6 ff.; Pieroth / Schlink21, Rn. 346; Maurer, StaatsR I4, § 9 Rn. 43; zur dogmatischen Funktion des Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schemas Holoubek, Bauelemente, S. 61 ff.; Stern, FS BVerfG II, S. 1 ff. – Wenn demgegenüber teilweise ein zweistufiger Aufbau vertreten wird, der Schutzbereich und Eingriff zusammenfaßt (Clemens, in: GGMitarbeiterKomm, Vor Art. 2 ff. Rn. 51 ff.; von Arnauld, Freiheitsrechte, S. 90 f.), so ist daran zutreffend, daß das Vorliegen eines Eingriffs zuallererst nach der Schutzrichtung des Schutzbereichs zu bestimmen ist im Sinne der Frage: „Vor was schützt der Schutzbereich?“ (so Clemens, in: GG-MitarbeiterKomm, Vor Art. 2 ff. Rn. 62 f.). – Ein abwei6
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben I. Schutzbereich II. Eingriff in Schutzbereich III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
Der auch materielle Gehalt dieses Schemas folgt daraus, daß staatliche Maßnahmen, die im Sinne der Stufen I. und II. einen Eingriff darstellen, auf Stufe III. einer umfassenden Rechtfertigung zu unterziehen sind, nicht hingegen solche Maßnahmen, die bereits nicht in den Schutzbereich fallen. Hierbei stellt die Eingriffsrechtfertigung das „Einfallstor“ für eigenständige, nicht ausschließlich verfassungsrechtlich determinierte Konfliktlösungen durch das einfache Recht dar, so daß hier die einfach-rechtliche Konfliktlösung den im folgenden darzustellenden „Verarbeitungsregeln“ zu unterwerfen ist.
2. Einschlägige Grundrechtsfunktionen Weiterhin muß nach den Grundrechtsfunktionen des Abwehrrechts und der staatlichen Schutzpflicht differenziert werden, da Immissionen in der heutigen Industriegesellschaft nicht allein und nicht vorrangig vom Staat, sondern von Privaten, insbesondere Industrie- und Gewerbebetrieben verursacht werden. Hierbei ist das dargestellte Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema lediglich für das Abwehrrecht anerkannt, während die staatliche Schutzpflicht überwiegend einstufig konstruiert wird7, d. h. gerade kein Modell zur Anwendung kommt, bei dem ein auf einer ersten Stufe zu „weit“ gefaßter Schutzbereich auf Schrankenebene wieder beschränkt wird. In einem solchen Modell, in dem die Schutzbereiche von vornherein so bestimmt werden, daß Kollisionen mit anderen Schutzgütern bereits tatbestandlich ausgeschlossen sind („Präformationsmodell“8), ist eine Beschränkung der staatlichen Schutzpflicht weder erforderlich noch möglich, da diese und korrespondierende Rechte auf Schutz9 von vornherein nur in ihrem definitiven Umfang gewährt sind. ___________ chendes Schema hat jüngst Böckenförde vorgelegt (Der Staat 42 [2003], 165 [174 ff.]), der zwischen (1.) Sach- und Lebensbereich, (2.) Gewährleistungsinhalt und (3.) Eingriff und Schranken des Grundrechts unterscheiden möchte. 7 Für einstufige Konstruktion Sachs, in: Stern III / 2, S. 389 ff.; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 34; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 328; differenzierend Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 87; für mehrstufige Konstruktion E. Klein, NJW 1989, 1633 (1638); Dietlein, Schutzpflichten, S. 116 f.; Pietrzak, JuS 1994, 748 (751); Reuber, S. 105, 124; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (360). 8 Begriff nach G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 27 und passim. 9 Ob neben der staatlichen Schutzpflicht zugleich subjektive Rechte auf Schutz existieren, ist umstritten; bejahend Robbers, S. 135 ff., 188 ff.; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1637); H. H. Klein, DVBl. 1994, 489 (493 f.); Unruh, S. 58 ff., 90; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 183 f.; Pietrzak, JuS 1994, 748 (752); Alexy, Theorie, S. 411 ff.; Borowski, S. 241 ff.; G. Hermes, S. 208 ff.; Dirnberger, S. 169 ff.; Hermann, S. 95 ff.; einschrän-
A. Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Betrachtung
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Mit dieser Unterscheidung sind grundsätzliche Fragen der Struktur rechtlicher Gewährleistungen angesprochen, die mit den Stichworten der „Außen-“ und „Innentheorie“ umschrieben werden10: Nach der Außentheorie gibt es zwei Gegenstände eines Rechts, das unbeschränkt auf einer ersten Stufe gewährte prima facie-Recht11 und die Schranken dieses Rechts, die auf einer zweiten Stufe von „außen“ an dieses herangetragen werden und es zum „definitiven“ Recht machen12. Diesem Modell entspricht das Schutzbereich-Eingriff-SchrankenSchema13. Demgegenüber besteht ein Recht nach der Innentheorie von vornherein mit seinem „definitiven“ Inhalt, so daß eine nachfolgende Beschränkung weder notwendig noch möglich ist14. Hier ist es Aufgabe der Rechtsanwendung, diesen definitiven Gehalt zu bestimmen. Entscheidender Nachteil aller innentheoretischen Modelle ist, daß allein durch Auslegung die jeweiligen Schutzbereiche regelmäßig nicht ohne Rationalitätsverlust so bestimmt werden können, daß Überschneidungen mit konfligierenden Schutzgütern bereits im Ansatz vermieden werden15. Insofern könnte ei___________ kend Dietlein, Schutzpflichten, S. 133 ff., 173 ff. – Das BVerfG hat sich zur Existenz grundrechtlicher Schutzrechte nicht ausdrücklich geäußert, bejaht aber die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden, mit denen die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht durch den Gesetzgeber geltend gemacht wird, woraus geschlossen wird, das BVerfG erkenne an, daß in der Verletzung der objektiven Schutzpflicht zugleich die Verletzung eines subjektiven Rechts liege (grundlegend BVerfGE 77, 170 [214] – C-Waffen; dazu Möstl, DÖV 1998, 1029 [1032]). 10 Alexy, Theorie, S. 250 ff.; Borowski, S. 29 ff.; von Arnauld, Schranken, S. 15 ff. 11 Zum Begriff Borowski, S. 27 mit Nachw. zur Herkunft des Begriffs in Fn. 1; in der Sache ebenso mit abweichender Terminologie Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 25 ff.; Huster, Rechte, S. 78. 12 Grundlegend Alexy, Theorie, S. 250 ff.; ferner Borowski, S. 24 ff., 99 ff.; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 45; von Arnauld, Schranken, S. 15 ff., 38 ff. 13 Borowski, S. 30; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 25 ff. 14 Alexy, Theorie, S. 250 f.; Borowski, S. 31 f. 15 So exemplarisch das BVerfG im Fall des Sprayers von Zürich ([Vorprüfungsausschuß], NJW 1984, 1293 ff.): „Art. 5 III 1 GG anerkennt und verbürgt für den Geltungsbereich des Grundgesetzes ein individuelles Freiheitsrecht, sich künstlerisch zu betätigen, Kunstwerke darzubieten und zu verbreiten ... Diese Gewährleistung hat das Grundgesetz mit keinem Vorbehalt versehen; ihre Reichweite erstreckt sich aber von vorneherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung ... Überdies enthält das Eigentumsgrundrecht gleichfalls eine Verbürgung von Freiheit; nach den vom Grundgesetz getroffenen Wertungen steht es nicht prinzipiell hinter der Freiheit der Kunst zurück“ (NJW 1984, 1294; Hervorh. vom Verf.). – Hier verfährt das BVerfG zwar formal im innentheoretischen Sinne, indem bereits auf Schutzbereichsebene der definitive Umfang der Kunstfreiheit bestimmt wird. Die Begründung erfolgt aber mit einem außentheoretischen Argument, nämlich mit kollidierenden Grundrechten, die verfassungsimmanente Schranken der Kunstfreiheit sind. Ferner zeigt der Hinweis auf die Wertigkeiten von Kunst- und Eigentumsfreiheit, daß das Gericht im innentheoretischen Gewande implizit ein weiteres außentheoretisches Instrument anwendet, ohne dieses offenzulegen, nämlich die Abwägung zwischen kollidierenden Grundrechten.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ne innentheoretische Konzeption staatlicher Schutzpflichten nicht nur ein darstellungstechnischer, sondern auch ein dogmatischer Mangel sein, wenn dadurch die staatliche Schutzpflicht in den hier vorliegenden tripolaren Beeinträchtigungskonstellationen16, die durch eine Kollision gegenläufiger Grundrechte von Emittenten und Betroffenen gekennzeichnet sind, gehindert würde, diese Kollision in möglichst rationaler Weise zu verarbeiten. Ließe sich hingegen nachweisen, daß Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht derselben Struktur folgen und damit identischen „Verarbeitungsregeln“ unterliegen, so hätte dies für einfach-rechtliche Vorschriften des Immissionsschutzrechts, die Grundrechtsbeschränkungen ohne Differenzierung zwischen Schutz- und Abwehrfunktion normieren17, eine entscheidende Vereinfachung in der Handhabung der maßstäblichen Verfassungsnormen zur Folge: Trifft nämlich das einfache Recht einheitliche Regelungen über ein hinzunehmendes Immissionsmaß, so gilt dieses sowohl für hoheitliche als auch für private grundrechtsberechtigte Emittenten und damit für die Betroffenengrundrechte sowohl in ihrer abwehrrechtlichen als auch schutzrechtlichen Funktion. Wollte hierbei der Gesetzgeber aufgrund eines Gemeinwohlbelangs – etwa Förderung einer bestimmten Industrie – eine besondere Immissionstragungspflicht begründen, müßte dies beim Abwehrrecht durch Schaffung einer Grundrechtsschranke – etwa auf Grundlage des Art. 2 II 3 GG – geschehen, die bestimmten formellen und materiellen Anforderungen gerecht werden muß. Bei unterschiedlicher Konstruktion von Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht wäre aber nicht gewährleistet, daß derselbe Gemeinwohlbelang auch dort den individuellen Immissionsschutz beschränken kann, wo Grundrechtsschutz über die staatliche Schutzpflicht zu gewähren ist. Folge wäre, daß der Gesetzgeber tendenziell „zweigleisig“ fahren müßte und möglicherweise an zweierlei Maß mit unterschiedlicher Methode gemessen würde. Bei struktureller Identität zwischen Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht hingegen müßte der Gesetzgeber im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht lediglich zusätzlich die Grundrechte des privaten Störers berücksichtigen. Nachfolgend B. soll daher zunächst die These verifiziert werden, daß auch die staatliche Schutzpflicht dem Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema folgt und strukturell denselben Beschränkungsmöglichkeiten unterliegt wie das Abwehrrecht.
___________ 16 17
Zu diesem Ausdruck Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), S. 71. Dazu P. M. Huber, S. 57 f.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht Nach dem liberalen Grundrechtsverständnis begründen die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat18, und es stellt ungeachtet weiterer Grundrechtsfunktionen und -theorien diese negatorische Grundrechtsfunktion den gemeinsamen Nenner aller Grundrechte dar19. Voraussetzung der Aktivierung der Grundrechte als Abwehrrechte ist jedoch stets, daß die Beeinträchtigung als Grundrechtseingriff dem Staat zugerechnet werden kann. Diese Zurechnung, die bei privaten Industrie- und Gewerbebetrieben nicht ohne weiteres möglich erscheint, ist damit Angelpunkt der Abgrenzung zur staatlichen Schutzpflicht. Wenn im folgenden ein strukturelles Modell staatlicher Schutzpflichten entwickelt wird, so kann es sich – schon allein angesichts der Fülle der in jüngster Zeit erschienen Arbeiten20 – nur um einen fragmentarischen Ansatz handeln, der beschränkt ist auf die Fragestellung, inwieweit das bestehende Immissionsschutzrecht, sofern es den Schutz Dritter vor nicht dem Staat zurechenbaren Immissionen beschränkt, auch an der Schutzfunktion der Betroffenengrundrechte gerechtfertigt werden kann. Damit wird insbesondere nicht der Anspruch auf ein allgemeingültiges, alle Formen staatlicher Schutzverpflichtung erfassendes Modell erhoben.
I. Begriff und Herleitung staatlicher Schutzpflichten Nach der Lehre von der staatlichen Schutzpflicht gebieten die Grundrechte dem Staat nicht nur, selbst rechtswidrige Eingriffe zu unterlassen, sondern sich auch „schützend und fördernd“ vor die grundrechtlichen Schutzgüter zu „stellen“ und diese vor „rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewah___________ 18 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (204 f.) – Lüth; seither ständige Rspr., vgl. BVerfGE 21, 362 (369); 50, 290 (336 f.) – Mitbestimmung; 61, 82 (100 f.) – Sasbach; aus der Lit. Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 11, 21 f.; Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 42; von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 16. 19 von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 16; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 11; Sachs, VerfR II, A 3 Rn. 21; Hesse, in: HbVerfR2, § 5 Rn. 15; zum Gesamten ferner Schlink, EuGRZ 1984, 457 ff. 20 Isensee, Sicherheit (1983); Murswiek, Verantwortung (1985); G. Hermes, Grundrecht (1987); Robbers, Sicherheit (1987); Dietlein, Schutzpflichten (1992); Unruh, Dogmatik (1996); Holoubek, Gewährleistungspflichten (1997); Jaeckel, Schutzpflichten (2001); Szczekalla, Schutzpflichten (2002); Streuer, Verpflichtungen (2002); Krings, Schutzansprüche (2003); Poscher, Abwehrrechte (2003); Mayer, Untermaß (2005); ferner Dolderer, S. 177 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte S. 228 ff.; Th. Koch, S. 355 ff.; Calliess, Umweltstaat, S. 253 ff., 373 ff.; Borowski, S. 237 ff.; Dirnberger, S. 63 ff., 119 ff.; Steiff, S. 396 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ren“21. Diese Ansicht, die ausdrücklich erstmals 1975 in der ersten AbtreibungsEntscheidung ausgesprochen wurde22, kann heute als ganz herrschend bezeichnet werden23. Dabei wurde die staatliche Schutzpflicht in Rspr. und Lit. zwar fast ausschließlich am Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG erörtert24; dennoch wird in der Schutzpflicht überwiegend eine allgemeine Grundrechtsfunktion gesehen, welche auf alle Grundrechte anwendbar ist25. Ob dies auch für die Grundrechte der Artt. 14 und 2 I GG gilt, wird noch zu erörtern sein. Zur dogmatischen Begründung staatlicher Schutzpflichten lassen sich folgende Ansätze ausmachen:
1. Art. 1 I 2 GG als Grundlage staatlicher Schutzpflichten Zunächst begründete das BVerfG die staatliche Schutzpflicht für das werdende Leben mit der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 I 2 GG26. Dieser Argumentationsstrang wurde jedoch nicht konsequent durchgehalten, da Art. 1 I 2 GG nicht in allen einschlägigen Entscheidungen genannt wird27. Eine Präzisierung findet dieser Ansatz in der zweiten Ab___________ 21 Grundlegend BVerfGE 39, 1 (41 f.) – Abtreibung I; ebenso 46, 160 (164) – Schleyer; 49, 24 (53) – Kontaktsperre; 49, 89 (141 f.) – Kalkar I; 53, 30 (57) – Mülheim-Kärlich; 56, 54 (73 ff.) – Fluglärm; 77, 170 (214, 229) – C-Waffen; 77, 381 (402 f.) – Gorleben; 79, 174 (201 f.) – Verkehrslärm; 88, 203 (251) – Abtreibung II. – Aus der Lit. von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 22; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 54 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 76; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 77 ff.; Dietlein, Schutzpflichten, S. 34 ff., 51 ff., 70 ff.; Alexy, Theorie, S. 410 ff.; E. Klein, NJW 1989, 1633 ff.; H. H. Klein, DVBl. 1994, 489 ff.; Unruh, S. 26 ff.; Robbers, S. 121 ff.; G. Hermes, S. 187 ff.; Dirnberger, S. 119 ff. 22 BVerfG v. 25. 2. 1975, BVerfGE 39, 1 (41 ff.). 23 Kritisch neuerdings jedoch Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 135 ff. 24 BVerfGE 39, 1 ff. – Abtreibung I; 46, 160 ff. – Schleyer; 49, 89 ff. – Kalkar I; 53, 30 ff. – Mülheim-Kärlich; 56, 54 ff. – Fluglärm; 77, 170 ff. – C-Waffen; 77, 381 ff. – Gorleben; 79, 174 ff. – Verkehrslärm; 88, 203 ff. – Abtreibung II; NJW 1995, 2343 ff. – Alkoholgrenzwerte; NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1997, 2509 ff. – Trafo-Station; NJW 1998, 975 f. – Cassini-Mission; NJW 1998, 2961 – Nichtraucherschutz; NVwZ 2000, 309 ff. – Strahlenschutz DDR; NJW 2002, 1638 ff. – Mobilfunk. 25 Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 35; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 25; H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 104; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 86; Wahl, in: HGR I, § 19 Rn. 7; Unruh, S. 75; Jaeckel, S. 62 f.; Szczekalla, S. 335 ff.; Pietrzak, JuS 1994, 748 (748). – Das BVerfG hat eine Schutzpflicht auch für Art. 14 und 2 I GG für möglich gehalten ([Vorprüfungsausschuß], NJW 1983, 2931 [2932]); NJW 1998, 3264 (3265); ebenso für Art. 12 I GG (BVerfGE 92, 26 [46 f.] – Seeschiffahrtsregister). 26 BVerfGE 39, 1 (41) – Abtreibung I. 27 Dazu Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 80, der das Argument aus Art. 1 I GG als „Geburtshelferdienst“ bezeichnet; diese Einschätzung aus dem Jahr 1992 ist allerdings durch die zweite Abtreibungs-Entscheidung aus dem Jahr 1993 überholt, in der das Argument aus Art. 1 I 2 GG ausdrücklich herangezogen wird. – Eine Begründung aus Art.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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treibungs-Entscheidung, wo das BVerfG als Grund der staatlichen Schutzpflicht Art. 1 I GG nennt, während sich Gegenstand und Maß des Schutzes aus Art. 2 II 1 GG ergäben28. In der Lit. ist zurecht darauf hingewiesen worden, daß dieser Ansatz die Schutzpflichtenlehre allein nicht trägt, da der hierdurch begründete Schutz allein den Menschenwürdekern des jeweiligen Grundrechts umfassen könnte. Folge wäre eine Restriktion auf diesen zudem nur schwer bestimmbaren Menschenwürdekern29.
2. Objektiv-rechtlicher Gehalt der Grundrechte Als zweite Begründung tritt von Anfang an hinzu der objektiv-rechtliche Gehalt der Grundrechte bzw. die Grundrechte als objektive Wertordnung: „(D)ie Grundrechtsnormen (enthalten) nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt …“30.
Die „objektiv-rechtlichen“ Grundrechtsgehalte können heute als „fester Bestandteil der Grundrechtsdogmatik“ gelten31 und bedürfen im folgenden keiner detaillierten Erörterung. Festzuhalten ist nur, daß diesem Begründungsansatz die „dualistische“ Konzeption zugrundeliegt, daß den Grundrechten neben der abwehrrechtlichen im Sinne einer „Verstärkung der Geltungskraft“32 weitere Funktionen zukommen. Die objektive Wertordnung bzw. später der objektivrechtliche Gehalt33 dienen dem BVerfG gerade dazu, solche weiteren Grund___________ 1 I 2 GG findet sich ferner in BVerfGE 46, 160 (164) – Schleyer; 49, 24 (53) – Kontaktsperre; 49, 89 (141 f.) – Kalkar I; 88, 203 (251) – Abtreibung II; NJW 1995, 2343 f. – Alkoholgrenzwerte; NJW 1996, 651 – Ozon; nicht ausdrücklich genannt wird Art. 1 I 2 GG zwar in BVerfGE 53, 30 (57) – Mülheim-Kärlich; 77, 170 (214) – C-Waffen; 77, 381 (402 f.) – Gorleben; NJW 1998, 2961 – Nichtraucherschutz, jedoch wird hier die erstgenannte Rspr. befürwortend zitiert. – Kein Hinweis auf diese Rspr. findet sich demgegenüber in BVerfGE 79, 174 (201 f.) – Verkehrslärm; NJW 1997, 2509 ff. – TrafoStation; NJW 1998, 975 f. – Cassini-Mission. 28 BVerfGE 88, 203 (251) – Abtreibung II. 29 Erichsen, JURA 1997, 85 (86); Alexy, Theorie, S. 413; Jaeckel, S. 47; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 326 mit Fn. 164; ferner G. Hermes, S. 138 ff., 144; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1635); Dirnberger, S. 147. 30 BVerfGE 39, 1 (41 f.) – Abtreibung I. 31 So Stern, in: Stern III / 1, S. 907; zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten im einzelnen Dolderer (2000), passim; H. Dreier, Dimensionen, passim. 32 So BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 33 Die spezifisch wertbezogene Argumentation des BVerfG ist seit dem Mitbestimmungs-Urteil von 1979 (BVerfGE 50, 290 ff.) zugunsten der Rede von „objektiven Prinzipien“, „objektiv-rechtlichen Gehalten“ und „Elementen objektiver Ordnung“ zu-
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
rechtsfunktionen zu begründen34. Dahinter steht die Erkenntnis, daß ein Grundrechtsschutz allein gegenüber staatlichen Eingriffen angesichts der tatsächlichen Gefährdungslagen unzureichend wäre. Voraussetzung weiterer Wirkdimensionen ist jedoch stets die gedankliche Abstrahierung der grundrechtlichen Schutzgüter35 bzw. die Erkenntnis, daß Leben und körperliche Unversehrtheit Rechtsgüter sind, die ihren verfassungsrechtlichen Geltungsgrund auch dann nicht verlieren, wenn sie nicht vom Staat beeinträchtigt werden36. Es ist das Verdienst der Lehre von den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, das dogmatische Rüstzeug für diese Abstrahierung geliefert zu haben. Daher ist die objektiv-rechtliche Grundrechtsfunktion keine „eigentliche“ Wirkfunktion, sondern methodische Grundlage, weitere Wirkfunktionen zu entwickeln, und die objektiv-rechtliche Grundrechtsfunktion ist offen, sich mit weiteren Begründungsansätzen zu verbinden und diesen die grundrechtliche Fundierung zu geben. Ein solcher (weiterer) Ansatz ist die (teleologische) Überlegung, daß die Grundrechtsbindung nach Art. 1 III GG nicht nur Bindung an den negatorischen Gehalt der Grundrechte meint, sondern umfassender Bindung an die grundrechtlichen Schutzgüter37. Diese realisiert sich bei Bedrohung durch Dritte jedoch gerade durch Gewährung staatlichen Schutzes. Zugleich kann hierin das Ergebnis eines Verfassungswandels dahin gesehen werden38, daß ein rein negatorisches Freiheitsverständnis umfassende grundrechtliche Freiheit heute nicht (mehr) gewährleisten kann. Die Sichtweise grundrechtlicher Schutzgüter als „Werte“ hat Alexy aufgegriffen und in die grundrechtstheoretische Kategorie der Prinzipien überführt. Grundlegend ist danach die Unterscheidung von Normen als „Regeln“ und „Prinzipien“39: Während Regeln eine strikte Anordnung von Rechtsfolgen enthielten und im Kollisionsfall auf eine Kollisionslösung durch Grundsätze wie „lex posterior derogat legi priori“ angewiesen seien, seien Prinzipien Optimie___________ rückgetreten; zu dieser Entwicklung Wahl, in: HGR I, § 19 Rn. 8 ff.; zu den verschiedenen Formulierungen ferner Jarass, FS BVerfG II, S. 37. 34 Bleckmann II4, § 11 Rn. 153 f.; Wahl, in: HGR I, § 19 Rn. 5. 35 Dietlein, Schutzpflichten, S. 63; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1636). 36 Vgl. Jaeckel, S. 33 mit dem Hinweis, daß die Wortwahl einzelner Grundrechtsgewährleistungen, insbesondere Art. 2 II 1 GG, sprachlich neutral auf den Schutz eines Rechtsguts bezogen und nicht auf Beeinträchtigungen durch den Staat beschränkt ist. 37 Stern, in: Stern III / 1, S. 948; Erichsen, JURA 1997, 85 (86); Jaeckel, S. 53. 38 Dazu Krings, S. 150 ff., 158 ff. 39 Alexy, Theorie, S. 71 ff., 104 ff., 125 ff.; diese Unterscheidung geht zurück auf Ronald Dworkin (Taking Rights Seriously, 2. Aufl. 1978; hier zitiert nach der deutschen Übersetzung [1990], S. 54 ff.), der zwischen „rules“ und „principles“ unterscheidet. – Zur neueren Diskussion Borowski, S. 61 ff., 76 ff.; Sieckmann, Regelmodelle, S. 52 ff. und passim; Raabe, Grundrechte, S. 176 ff.; abweichend Rossen, S. 41 ff.; Penski, JZ 1989, 105 ff. – Grundlegende Kritik an der Prinzipientheorie bei Poscher, S. 75 ff.; Jestaedt, S. 222 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 223 ff.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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rungsgebote, die in unterschiedlichem Maße erfüllt sein können40. Im Kollisionsfall zweier Prinzipien müßten beide relativ auf die bestehenden rechtlichen und faktischen Möglichkeiten optimiert, d. h. zu je größtmöglicher Geltung gebracht werden, was der Herstellung praktischer Konkordanz entspricht41. Mittel hierzu sei einmal die einzelfallbezogene Abwägung, wie sie im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthalten sei, welcher nach Alexy unmittelbar aus dem Prinzipiencharakter der Grundrechte folgt42, und zweitens die Bildung bedingter Vorrangrelationen, d. h. der Aussage, unter den Bedingungen des Einzelfalles gehe das Prinzip A dem Prinzip B vor43. Die Bedeutung des Alexy’schen Prinzipienmodells für die vorliegende Fragestellung ergibt sich daraus, daß Alexy dieses selbst als Fortführung der von „fragwürdigen ... Annahmen gereinigte(n) Werttheorie“ versteht44 und den Prinzipiencharakter den grundrechtlichen Schutzgütern als solchen zuspricht45. Wenn auch allein mit der Prinzipientheorie Rechtsfälle nicht gelöst werden können, kann diese doch als „analytische Folie“46 für die nachfolgenden Überlegungen zur Struktur staatlicher Schutzpflichten herangezogen werden. Damit vermag die Prinzipientheorie als „Strukturtheorie anderweitig noch zu begründende inhaltliche Gewährleistungen der Freiheitsgrundrechte analytisch sachgerecht zu verarbeiten“47 und stützt zudem die These von der unmittelbaren Kollisionsfähigkeit grundrechtlicher Schutzgüter48. ___________ 40
Alexy, Theorie, S. 75; Stern, in: Stern III / 1, S. 501 f.; Raabe, Grundrechte, S. 177 ff.; auf Schutzrechte bezogen W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 271 f. 41 Grundlegend Hesse, Grundzüge20, Rn. 72; dazu unten S. 64 Fn. 110. 42 Alexy, Theorie, S. 100 ff. 43 Alexy, Theorie, S. 79 ff.; ferner die Darstellung bei Borowski, S. 70 ff. 44 Alexy, Theorie, S. 136; ders., Der Staat 29 (1990), 49 (55). 45 So Alexy, Theorie, S. 253 f. 46 So H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 79. 47 So die Einschätzung von W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 227. 48 In der Lit. findet sich ferner ein dritter staatstheoretischer und verfassungsgeschichtlicher Ansatz, der die staatliche Schutzpflicht als Korrelat des Verzichts des Einzelnen auf seine Selbstschutzrechte sieht, die ihm im vorstaatlichen Zustand zugestanden haben und deren er sich mit dem Übergang zum staatlichen Zustand zugunsten des staatlichen Gewaltmonopols entledigt habe (so vor allem Isensee, Sicherheit, S. 17 ff. und passim; ferner Dietlein, Schutzpflichten, S. 21 ff.; G. Hermes, S. 148 ff.; Robbers, S. 27 ff.). Daraus folge als Kompensation die den modernen Staat überhaupt erst legitimierende Aufgabe, die Bürger vor inneren und äußeren Gefahren zu schützen. Daneben wird als verfassungsgeschichtliches Argument vorgebracht, daß der Gedanke der staatlichen Schutzpflicht seit der frühen Neuzeit und dem Beginn der Verfassungskodifikationen Gemeingut aller kontinental-europäischen und amerikanischen Verfassungen sei (Nachw. bei Isensee, Sicherheit, S. 12 ff.; ferner Stern, in: Stern III / 1, S. 932 f.). Dieser Aspekt sei zwar in der spezifisch deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts zugunsten einer einseitigen Fokussierung auf den abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte in den Hintergrund getreten (dazu Dirnberger, S. 131 ff.; G. Hermes, S.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
II. Staatliche Schutzpflicht als eigenständige Kategorie 1. Bisherige Ansätze einer abwehrrechtlichen Konstruktion Demgegenüber wird die Unterscheidung von Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht von einer vor allem von Schwabe49 und Murswiek50 vertretenen Ansicht grundsätzlich in Frage gestellt und durch eine einheitliche Anwendung des Abwehrrechts ersetzt. Ansatzpunkt ist der Versuch, die von privaten Dritten ausgehende Beeinträchtigung dem Staat so zuzurechnen, daß diese als abwehrrechtlicher Grundrechtseingriff erscheint. Die Ansätze für eine abwehrrechtliche Konstruktion der staatlichen Schutzpflicht lassen sich im Anschluß an Dirnberger wie folgt systematisieren51: – Zunächst kann als Ansatzpunkt eine vom Staat erteilte Genehmigung dienen, die einem Dritten die Vornahme beeinträchtigender Handlungen gestattet; in Betracht kommen hier in erster Linie die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 13 BImSchG und die Baugenehmigung für solche Anlagen, die zumindest einer Baugenehmigungspflicht unterliegen. – Auch kann angesetzt werden an der Duldungspflicht, wonach der Bürger ver pflichtet ist, drittbeeinträchtigende Handlungen ohne Gegenwehr hinzunehmen, wenn diese dem Dritten gestattet sind52. – Schließlich kann allgemein daran angesetzt werden, daß der Staat Normen bereitstellt, nach denen sich die Zulässigkeit des beeinträchtigenden Drittverhaltens ungeachtet der obigen Zurechnungsgründe beurteilt und die als staatliche Grund rechtseingriffe qualifiziert werden könnten.
Die Möglichkeit einer abwehrrechtlichen Konstruktion der staatlichen Schutzpflicht ist von zentraler Bedeutung für die vorliegende Fragestellung, da bejahendenfalls bei der Prüfung konkreter Immissionstragungspflichten nicht mehr zwischen staatlich und privat verursachten Immissionen differenziert werden müßte. Damit wäre das Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema ohne weiteres auf alle Immissionsverursachungen anwendbar und es existierte eine einheitliche Beschränkungsmöglichkeit für die Grundrechte der Betroffenen. Wenn im folgenden die genannten Ansätze im einzelnen betrachtet werden, muß auf eine Differenzierung hingewiesen werden, die in der bisherigen Dis___________ 178 ff.), aber niemals aufgegeben worden, so daß die „Entdeckung“ der staatlichen Schutzpflicht in Wahrheit eine „Wiederaktualisierung“ und „Ausfaltung des ursprünglichen Sinngehalts“ der Grundrechte sei (so Robbers, S. 121; ebenso Dirnberger, S. 124; Isensee, Sicherheit, S. 33). 49 Schwabe, Grundrechtsdogmatik2, S. 213 ff. 50 Murswiek, Verantwortung, S. 61 ff., 88 ff., 102 ff. – Eine abwehrrechtliche Lösung vertreten in jüngster Zeit auch Szczekalla, S. 404 ff.; Th. Koch, S. 375 ff. und Poscher, S. 153 ff.; differenzierend Holoubek, Gewährleistungspflichten, S. 251 ff. 51 Im Anschluß an Dirnberger, S. 83 ff. 52 Dies ist der eigentliche Ansatz von Schwabe und Murswiek.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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kussion überwiegend nicht gesehen wurde, nämlich das erkenntnismäßige Ziel einer abwehrrechtlichen Konstruktion staatlicher Schutzpflichten. Diese kann einmal darauf abzielen, bereits den Geltungsgrund staatlicher Schutzpflichten abwehrrechtlich zu erklären, oder aber lediglich in konstruktiver Hinsicht bezwecken, bei grundsätzlicher Anerkennung als eigenständiger Grundrechtsfunktion diese denselben rechtstechnischen „Verarbeitungsregeln“ wie dem Abwehrrecht zu unterwerfen53.
a) Staatliche Genehmigung der Drittbeeinträchtigung aa) Bedeutung des Eingriffsbegriffs Nach einem Teil der Lit. soll zunächst eine staatliche Genehmigung des beeinträchtigenden Verhaltens Dritter zu dessen Zurechnung an den Staat führen54. In formaler Hinsicht kann sich diese Auffassung darauf stützen, daß sich der Rechtsschutz in diesem Fall nicht gegen den privaten Störer richtet, sondern als Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO gegen den Staat mit dem Ziel der Aufhebung der staatlichen Genehmigung. Insofern scheint es, als bemühe der Betroffene hier seine Abwehrrechte unmittelbar gegen den Staat. Wenn demgegenüber argumentiert wird, die tatsächliche Belastung des Betroffenen gehe nicht von der Genehmigung, sondern von dem genehmigten Drittverhalten aus, so greift dies insofern zu kurz, als es der heute vertretene moderne Eingriffsbegriff zuläßt, nicht nur die eigentliche Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter zu erfassen, sondern auch in deren Vorstadium angesiedelte Maßnahmen. Dies zeigt sich an den „Warnungs“-Fällen, die Initialzündung für die Herausbildung des mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffs55 waren56. Hier ging die ___________ 53
Im Ansatz ähnlich Holoubek, Gewährleistungspflichten, S. 251 ff., der zwischen der „rechtstechnischen Konstruktion“ und dem „Inhalt“ grundrechtlicher Schutzpflichten unterscheidet; diese Unterscheidung ist mit der hier vorgenommenen allerdings nicht deckungsgleich, da Holoubek die „rechtstechnische Konstruktion“ ausdrücklich auf den hier so bezeichneten abwehrrechtlichen Geltungsgrund der staatlichen Schutzpflicht bezieht und insofern eine weitgehende Zurechnung privaten Handelns an den Staat vornimmt (S. 253 und passim). 54 A. Roth, S. 150 ff.; W. Roth, S. 342 ff., 348 ff.; Lawrence, S. 74 f.; Schwabe, NVwZ 1983, 523 (524 f.); ferner für den Sonderfall des Atomrechts H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 310 f.; ders., Atomenergie, S. 61. 55 Nach dem „klassischen“ Eingriffsbegriff liegt ein Eingriff vor, wenn die Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter durch den Staat final und nicht bloß als unbeabsichtigte Folge, unmittelbar und nicht als mittelbare, durch freie autonome Entscheidung eines Dritten vermittelte Folge des Staatshandelns, als Rechtsakt mit rechtlicher und nicht bloß faktischer Wirkung erfolgt und mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchgesetzt wird (dazu nur Pieroth / Schlink21, Rn. 238 f.; Gallwas, S. 21 f.; LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 42 ff.; zur historischen Entwicklung Sachs, in: Stern III / 2, S. 82 ff.; Sachs, JuS 1995, 303 f.; Bethge, VVDStRL 57 [1998], S. 38 f.). – Die-
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
unmittelbar beeinträchtigende Wirkung nicht bereits von der staatlichen Warnung aus, sondern von dem intendierten Verhalten Dritter, so daß zwischen das staatliche Verhalten und die beeinträchtigende Wirkung ein grundrechtlich nicht gebundenes Verhalten trat. Da für die „Warnungs“-Fälle die Eingriffsqualität des staatlichen Verhaltens anerkannt ist, stellt sich die Frage der Übertragbarkeit auf die Genehmigungskonstellation. Zwei Lösungswege sind denkbar: Zunächst könnte man beim Begriff des mittelbar-faktischen Eingriffs ansetzen und versuchen, unter dessen Merkmale auch die staatliche Genehmigung drittbeeinträchtigenden Verhaltens zu subsumieren; ergäbe sich danach das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs, wäre die Frage zugunsten der abwehrrechtlichen Lösung entschieden. Für dieses Vorgehen könnte sprechen, daß es hier nicht um die Bewertung des beeinträchtigenden privaten Verhaltens geht, sondern um die Qualifizierung staatlichen Verhaltens als staatlicher Grundrechtseingriff57. Der Weg einer Subsumtion unter den erweiterten Eingriffsbegriff sieht sich jedoch dem Einwand ausgesetzt, daß dessen Voraussetzungen von einem allgemein akzeptierten Verständnis noch weit entfernt sind58. Zudem zeigt die überwiegend an Fallgruppen orientierte Konkretisierung dieser Merkmale, daß es nicht möglich sein dürfte, mit bloßer Begriffsexplikation allgemeingültige Kriterien zu entwickeln. Insofern muß einem Zirkelschluß vorgebeugt werden: Während für den „klassischen“ Eingriffsbegriff der Satz gilt, daß aus dessen Reichweite auf die Zurechenbarkeit einer Beeinträchtigung an den Staat geschlossen werden kann, gilt dies für den modernen Eingriffsbegriff gerade in umgekehrter Hinsicht: Kann ein drittbeeinträchtigendes Verhalten dem Staat zugerechnet werden, so kann auch ein Eingriff bejaht werden; kann hingegen ___________ sem „klassischen“ Eingriffsbegriff wird seit etwa 20 Jahren ein „moderner“ Eingriffsbegriff gegenübergestellt (zur Entwicklung Weber-Dürler, VVDStRL 57 [1998], S. 74 f.), ohne daß dieser jedoch klare tatbestandliche Strukturen erhalten hätte; als Auswahl aus der Lit. Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), S. 85 ff.; Bleckmann II4, § 12 Rn. 42 ff.; Bleckmann / Eckhoff, DVBl. 1988, 373 ff.; Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 106 ff.; Eckhoff, S. 173 ff.; A. Roth, S. 202 ff.; W. Roth, passim. 56 Bei den „Warnungs“-Fällen sind zwei Konstellationen zu unterscheiden, nämlich die direkte staatliche Warnung, bei welcher der Staat selbst die Warnung ausspricht; dazu BVerfGE 105, 252 ff. – Glykol; 105, 279 ff. – Osho-Bewegung; ferner Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff.; H.-J. Cremer, JuS 2003, 747 ff.; BVerwG, NJW 1991, 1770 ff. – Daneben hatte die Rspr. über Fälle indirekter staatlicher Warnung zu entscheiden, in denen die Warnung von einem Dritten ausging, der vom Staat hierzu veranlaßt wurde (BVerwGE 90, 112 ff.; OVG Münster, NVwZ 1991, 174 ff. – Osho-Bewegung; dazu Heintschel v. Heinegg / Schäfer, DVBl. 1991, 1341 ff.; Discher, JuS 1993, 463 ff.). 57 Zutreffend Dietlein, Schutzpflichten, S. 92; auf Zurechnung stellen demgegenüber ab Calliess, Umweltstaat, S. 423; Szczekalla, S. 407. 58 Die Diskussion kreist im wesentlichen um die Kriterien der Finalität, Unmittelbarkeit und Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung (Weber-Dürler, VVDStRL 57 [1998], S. 85), was hier nicht vertieft werden kann.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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eine Zurechnung nicht erfolgen, so müssen die Merkmale des Eingriffsbegriffs so gefaßt werden, daß in diesem Fall ein Eingriff zu verneinen ist. Diesem Ansatz könnte entgegengehalten werden, daß damit die Problematik vom Eingriffsbegriff in den Begriff der Zurechnung verlagert werde, der nicht weniger klar sei als der erstgenannte. Dem ist zu entgegnen, daß es der Zurechnungsbegriff erlaubt, umfassend aus dem jeweiligen Regelungsbereich bereichsspezifische Kriterien zu gewinnen, die einer abstrakten Deduktion allgemeingültiger Kriterien überlegen sind. Hierzu soll nachfolgend die staatliche Genehmigung in Gestalt der sog. Kontrollerlaubnis betrachtet werden:
bb) Zurechnung bei präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Der Regelfall staatlicher Genehmigung, das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, stellt gerade keine Erweiterung der Handlungsbefugnisse des Dritten dar, sondern ist ein primär verfahrensrechtliches Instrument staatlicher Kontrolle59. Präventive Genehmigungsvorbehalte dienen dazu, Maßnahmen der Gefahrenabwehr von der weniger effektiven Ebene nachträglichen Einschreitens in das präventive Stadium vorzuverlagern60 und können regelungstechnisch zugunsten nachträglicher Kontroll- und Eingriffsbefugnisse vollständig hinweg gedacht werden, ohne daß sich an der materiellen Rechtslage etwas änderte. Eine solche rein „regelungstechnische Formenwahl“61 kann daher nicht über die Zurechnungsfrage entscheiden. Weitere Aspekte sollen am Beispiel der Baugenehmigung aufgezeigt werden: Da jedenfalls im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften Baufreiheit besteht62, wird diese nicht erst durch die Baugenehmigung begründet, sondern zunächst beschränkt, indem das Vorhaben vorläufig gestoppt und einer Kontrolle unterzogen wird. Ergibt diese die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften, hat der Bürger einen Anspruch auf Genehmigung63. Damit reicht die Genehmigungswirkung beim präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt niemals weiter als der Geltungsbereich der geprüften gesetzlichen Vorschriften; die Erlaubnis zum fraglichen Drittverhalten ist daher nicht Ergebnis der verfahrensrechtlichen Eröffnungskontrolle, sondern derjenigen zu prüfenden Vorschriften, die den Anspruch auf das Verhalten bzw. Vorhaben gewähren. Im übrigen ist die Abgrenzung genehmigungspflichtiger und nicht genehmigungspflichtiger Vorhaben re___________ 59
Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 1 Rn. 36 f.; Maurer, AllgVerwR16, § 9 Rn. 51. So treffend Dietlein, Schutzpflichten, S. 93. 61 So Dirnberger, S. 86. 62 Zur Frage, inwieweit die Baufreiheit bereits aus Art. 14 GG folgt, unten S. 244 ff. 63 Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 1 Rn. 37; Maurer, AllgVerwR16, § 9 Rn. 52. 60
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gelmäßig rein dezisionistisch64, so daß es schwer einzusehen ist, die Funktionsweise grundrechtlicher Normen davon abhängig zu machen, ob eine bauliche Anlage höher oder niedriger als 4 Meter ist65. Eine Kontrollerlaubnis kann daher keine zum Abwehrrecht führende Zurechnung begründen66, sondern ist vielmehr selbst Ausdruck staatlicher Schutzgewährung, da eine präventive Kontrolle den Schutz Drittbetroffener gegenüber einem repressiven Kontrollsystem verstärkt67. Damit verlagert sich die Problematik auf die Frage, ob eine abwehrrechtliche Konstruktion auf diejenigen staatlichen Normen gestützt werden kann, die den inhaltlichen Maßstab der Genehmigung bilden und deren Einhaltung gesichert werden soll.
b) Duldungspflicht des Drittbetroffenen aa) Ansicht von Jürgen Schwabe und Dietrich Murswiek Nach einem weiteren Ansatz folgt aus dem staatlichen Gebot, die von privaten Tätigkeiten ausgehenden Beeinträchtigung zu dulden68, daß die herkömmlich der Schutzpflicht zugeordneten Fälle bereits vom „normalen“ Abwehrgehalt der Grundrechte erfaßt seien. Der Unterschied zum Ansatz über eine erteilte staatliche Genehmigung liegt darin, daß hier nicht auf eine Erlaubnis des Drittstörers abgestellt wird, sondern auf die Duldungspflicht der Drittbetroffenen, die unabhängig von einer erteilten Erlaubnis gilt. So soll nach Schwabe das, was „nicht verboten ist, ... nicht nur erlaubt, sondern auch von dem, der durch das Nichtverbotene nachteilig betroffen wird, hinzunehmen und zu dulden (sein)“69. Diese Duldungspflicht ergebe sich, wenn ___________ 64 Vgl. in baurechtlicher Hinsicht für Baden-Württ. Nr. 3 des Anhangs zu § 50 I Landesbauordnung (LBO): Gewächshäuser bis 4 m Höhe einerseits (verfahrensfrei), über 4 m Höhe andererseits (genehmigungspflichtig). 65 Siehe dazu das Beispiel in der vorher. Fn.; ähnliches Beispiel bei Jaeckel, S. 75. 66 Dietlein, Schutzpflichten, S. 92 ff.; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 184 f.; Dirnberger, S. 85 ff.; G. Hermes, S. 88; Berger, S. 138. 67 Anders möglicherweise beim repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt: Hier erklärt der Staat ein Verhalten grundsätzlich für verboten, so daß der Bürger einen Anspruch auf dessen Genehmigung gerade nicht hat (Maurer, AllgVerwR16, § 9 Rn. 55); insofern stellt die Genehmigung eine Erweiterung des Rechtskreises des Bürgers dar, was eine Zurechnung möglich erscheinen läßt (so Eckhoff, S. 301; G. Hermes, S. 86). 68 Schwabe, Grundrechtsdogmatik2, S. 213 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 65 f.; ähnlicher Ansatz in jüngster Zeit bei Szczekalla, S. 409 ff., insbes. 420 ff., der das Konzept einer geschlossenen Grundrechtsordnung entwickelt, in der jedes Verhalten entweder im Sinne einer Erlaubnis oder eines Verbots geregelt ist und jeder Erlaubnisnorm ein „potentieller“ (abwehrrechtlicher) Grundrechtseingriff entspricht. 69 Schwabe, Grundrechtsdogmatik2, S. 213.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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sie nicht ausdrücklich normiert sei, jedenfalls aus dem allgemeinen Gewaltverbot, das der Staat seinen Bürgern auferlege und sich im weitgehenden Ausschluß von Selbsthilferechten manifestiere70. Der Staat beteilige sich „durch rechtliche Regelung, gerichtlichen Ausspruch und vollstreckenden Zugriff“ an jeder privaten Verletzungshandlung und müsse sich diese zurechnen lassen71. Wenn der Staat daher die zulässige Immissionsverursachung regele, so greife er zugleich auch in die Grundrechte der Immissionsbetroffenen ein, denn diese würden verpflichtet, Immissionen unterhalb der zulässigen Grenze zu dulden72. Insofern sei eine Kategorie staatlicher Schutzpflichten weitgehend überflüssig, da diese Fälle bereits abwehrrechtlich erfaßt seien73. Weitergehend will Murswiek neben der „primären“, auf Beseitigung der Erlaubnis zur privaten Grundrechtsbeeinträchtigung gerichteten Schutzpflicht als „sekundäre“ Schutzpflicht auch die Durchsetzung und Bewehrung der Verbote drittbeeinträchtigenden Verhaltens abwehrrechtlich erfassen74.
bb) Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Duldungspflicht Diese Ansicht hat in der Lit. – teils berechtigt, teils unberechtigt – überwiegend Ablehnung und Kritik erfahren, wobei die neuere Lit. eine differenzierte Bewertung erkennen läßt75. Auszugehen ist von dem Befund, daß weder Schwabe noch Murswiek eine Zurechnungstheorie begründen wollen, sondern an eine bestimmte Gestaltung der staatlichen Rechtsordnung anknüpfen und diese mit den Kategorien des Abwehrrechts erfassen wollen76. Insofern geht der von Alexy vorgebrachte Einwand, daß danach jede nicht verbotene Handlung und damit auch die „private Einladung zu einem Essen“ dem Staat zuzurechnen sei, an der Sache vorbei77, da es auf das staatliche Handeln ankommt, d. h. die aus der Gesamtheit des staatlichen Rechts folgende Erlaubnis, eine solche Ein___________ 70 Murswiek, Verantwortung, S. 92; zu einem allgemeinen „Vorbehalt der Friedlichkeit“ Isensee, FS Sendler, S. 39 ff. 71 Schwabe, Grundrechtsdogmatik2, S. 213. 72 Murswiek, Verantwortung, S. 301; ders., NVwZ 1986, 611 (612); ferner Langer, NVwZ 1987, S. 195 ff. 73 Schwabe, Grundrechtsdogmatik2, S. 219 ff. – Allerdings erkennt auch Schwabe Konstellationen an, die sich einer abwehrrechtlichen Erfassung verschließen, nämlich die staatliche Durchsetzung entsprechender Verbotsnormen, den Anspruch auf polizeiliches Einschreiten und die Sanktionierung entsprechender Verbote (Schwabe, Grundrechtsdogmatik2, S. 219 ff.). 74 Murswiek, Verantwortung, S. 112 ff.; ähnlich Szczekalla, S. 401 ff. 75 So Dietlein, Schutzpflichten, S. 38 ff.; Alexy, Theorie, S. 417 ff.; Robbers, S. 128 ff.; G. Hermes, S. 93 ff. 76 A. A. (abwehrrechtlicher Ansatz als Zurechnungstheorie) Alexy, Theorie, S. 417. 77 So Alexy, Theorie, S. 417.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ladung auszusprechen, und seitens der Eingeladenen die Nichtexistenz eines Gebotes, derartigen Einladungen Folge leisten zu müssen. Da sich die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit gegenüber einem privaten Verhalten allein in den deontischen Grundmodalitäten verhalten kann – d. h. dem Gebot, dem Verbot und der Erlaubnis78 –, kann jegliches Verhalten nicht nur entweder allein verboten oder erlaubt sein, wobei es im letztgenannten Fall zusätzlich geboten sein kann – tertium non datur79 –, sondern dieses Verhalten wird von der Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit auch lückenlos erfaßt. Problematisch ist allerdings, daß diese Verbote bzw. Erlaubnisse innerhalb einer gestuften Rechtsordnung nicht nur auf verschiedenen Normhierarchieebenen angesiedelt sind, sondern Erlaubnisse auch lediglich konkludent aus der Abwesenheit entsprechender Verbote zu gewinnen sein können. Letzteres gilt insbesondere angesichts des durch Art. 2 I GG gewährten lückenlosen Grundrechtsschutzes, weshalb unter dem Grundgesetz jegliches Verhalten, das nicht verboten ist, notwendig erlaubt ist80. Enthält das einfache Recht eine ausdrückliche Erlaubnis für ein Verhalten – etwa die Verursachung von Immissionen bis zum Grenzwert x –, das die allgemeine verfassungsrechtliche und lediglich aus der Abwesenheit von Verbotsnormen folgende „schwache“ Erlaubnis im Wege der Spezialität verdrängt, so korreliert dieser Erlaubnis notwendig eine Duldungspflicht der hiervon Betroffenen, da ansonsten die Erlaubnis ihren Zweck, ein Recht auf Ausübung des Verhaltens zu gewähren, nicht erfüllen könnte und die Rechtsordnung selbstwidersprüchlich würde. Diese „spezielle“, aus speziellen Erlaubnissätzen folgende Duldungspflicht versagt jedoch, wenn das einfache Recht derartige Erlaubnissätze nicht enthält. In diesem Fall kommt eine – gleichsam subsidiäre – „allgemeine“ Duldungspflicht zur Anwendung, die aus dem grundsätzlichen Verbot der Selbsthilfe folgt. Dieses wiederum folgt daraus, daß Maßnahmen der Selbsthilfe – etwa die Zerstörung einer emittierenden Anlage – den Tatbestand straf- oder zivilrechtlicher Verbotsnormen erfüllen81 und korrelierende Dispensnormen wie Notwehr, Notstand, Selbsthilfe o. ä. regelmäßig nicht greifen. Diese allgemeine Duldungspflicht ist jedoch für eine abwehrrechtliche Konstruktion staatlicher Schutzpflichten unergiebig, da das allgemeine Selbsthilfeverbot keine inhaltliche Aussage über die Zulässigkeit der privaten Beeinträchtigung trifft und ei___________ 78 Zur deontischen Logik („Logik des Sollens“) mit Nachw. aus dem wissenschaftstheoretischem Schrifttum Alexy, Theorie, S. 182 ff., insbes. S. 184 zum „deontischen Quadrat“; ebenso mit Grafik Szczekalla, S. 1153. 79 Szczekalla, S. 423. 80 Dies wird auch als rechtsstaatliches Verteilungsprinzip bezeichnet; zum Begriff C. Schmitt, S. 125 f.; ferner Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (556); Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 7; Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 11; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467). 81 Vgl. bezogen auf den eigenmächtigen Abbruch einer emittierenden Anlage durch den Nachbarn nur § 303 StGB einerseits, §§ 823, 1004 BGB andererseits.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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nem anderen Zweck dient als spezielle Duldungspflichten. So gilt das allgemeine Selbsthilfeverbot sowohl gegenüber erlaubten als auch ausdrücklich verbotenen privaten Beeinträchtigungen82, was am Beispiel des staatlichen Vollstreckungsmonopols im Zivilprozeß deutlich wird: Hier ist eine private „Vollstreckung“ auch dann verboten, wenn dem Gläubiger evidentermaßen ein Anspruch gegen den Schuldner zusteht, der Staat dem Schuldner also ausdrücklich ein Gebot auferlegt hat und der Schuldner dieses gleichwohl offenkundig rechtswidrig mißachtet. Das allgemeine Verbot der Selbsthilfe stellt daher nicht das Korrelat zur Erlaubnis bestimmter Verhaltensweisen Privater dar, sondern will die Durchsetzung jeglicher materiellen Rechtslage beim Staat monopolisieren. Dahinter steht staatstheoretisch der Verzicht des Einzelnen auf seine Selbstschutzrechte im Rahmen des Übergangs vom vorstaatlichen – „anarchischen“ – zum staatlichen Zustand83, und in praktischer Hinsicht die Erkenntnis, daß die Anwendung von Zwang und körperlicher Gewalt einer kontrollierten Steuerung und Anwendung durch besonders ausgebildete Organe bedarf. Die allgemeine Duldungspflicht ist daher als lediglich rechtstechnisches Mittel zur Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols nicht zur Ableitung von Aussagen über die Existenz einer eigenständigen staatlichen Schutzpflicht geeignet.
cc) Eingriffsqualität spezieller Duldungspflichten Demgegenüber stellen die speziellen Duldungspflichten das notwendige Korrelat solcher Normen des einfachen Rechts dar, die dem Einzelnen die Erlaubnis zu einem bestimmten drittbeeinträchtigenden Verhalten geben. Daher kommt einfach-rechtlichen Erlaubnisnormen neben der begünstigenden Wirkung für den Adressaten zugleich die belastende Wirkung für Drittbetroffene zu, das erlaubte Verhalten in jedem Fall dulden zu müssen. Hieran zeigt sich zugleich die unterschiedliche Zweckrichtung beider Duldungspflichten: Während die allgemeine Duldungspflicht allein der Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols dient, ist der Zweck der speziellen Duldungspflichten akzessorisch zu den Zwecken der Erlaubnisnormen84. Damit fokussiert sich der Ansatzpunkt auf die Schaffung einfach-rechtlicher Erlaubnisnormen, was zugleich die übergreifende Klammer für die bislang erörterten Ansätze bildet, und entscheidende Frage ist, ob einfach-rechtliche Erlaubnisnormen auch gegenüber denjenigen, die nicht Adressat der Erlaubnis, sondern allein der speziellen Duldungspflicht sind, als staatliche Grundrechtseingriffe die Grundrechte der Duldungspflichtigen abwehrrechtlich aktivieren. ___________ 82
So auch Dirnberger, S. 93 f.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 187. Dazu oben S. 49 Fn. 48. 84 Ebenso W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 173. 83
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
2. Übergreifender Ansatz über einfach-rechtliche Erlaubnisnormen a) Eingriffsqualität einfach-rechtlicher Erlaubnisnormen Im Anschluß an Murswiek hat Isensee am Beispiel der Grenzwertsetzung die These formuliert, daß der Staat dann, wenn er für einen Schadstoff x einen Grenzwert y als zulässige Immissionsverursachung festsetze, nicht nur in die Freiheit des Verursachers eingreife, sondern auch in die Grundrechte der Drittbetroffenen, für welche die Pflicht begründet würde, diese Immissionsbelastung „hinzunehmen“85, was nach den bisherigen Ausführungen als „spezielle“ Duldungspflicht zu qualifizieren ist. Da jeder für zulässig erklärten Immissionsverursachung eine solche Immissionstragungspflicht korrespondiert86, könnte in der Tat aufgrund der umfassenden Normierung zulässiger Immissionsverursachung ein einheitlicher abwehrrechtlicher Ansatz greifen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß die Immissionsverursachung – d. h. die „Ausnutzung“ des Grenzwerts – regelmäßig durch einen Privaten erfolgt, der nicht an Grundrechte gebunden ist, denn Bezugspunkt des Eingriffs ist nicht der private „Übergriff“87, sondern der Akt staatlicher Normsetzung. Fraglich ist daher, ob bereits das Gesetz selbst als Grundrechtseingriff gesehen werden kann. Hierfür könnte sprechen, daß die Grundpflichten des BImSchG, durch die Immissionstragungspflichten im wesentlichen begründet werden (vgl. §§ 5 I 1, 22 I 1 BImSchG), sich unmittelbar pflichtenbegründend bei Emittenten und Betroffenen auswirken88. Daß auch einem belastenden Gesetz Eingriffsqualität zukommen kann, folgt im übrigen bereits aus Art. 1 III GG, der alle Gewalten an die Grundrechte bindet und davon ausgeht, daß auch der Gesetzgeber zu Grundrechtseingriffen fähig ist89. Da Normen, die eine bestimmte Immissionsverursachung erlauben, dem Einzelnen normativ und in imperativer Form die belastende Verhaltenspflicht auferlegen, Maßnahmen der Selbsthilfe nicht mehr ausüben zu dürfen, liegen die Voraussetzungen eines Grund___________ 85
Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 118; Murswiek, NVwZ 1986, 611 f.; ders., Verantwortung, S. 66 f. 86 Zu dieser „doppelseitigen“ Wirkung Dietlein, Schutzpflichten, S. 40. 87 Zum Begriff Krings, S. 26 f. 88 Zum selbstexekutiven Charakter der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten unten 3. Teil S. 295 ff.; insofern liegt hier eine andere Ausgangslage vor als in den üblicherweise zum Eingriffscharakter von Gesetzen diskutierten Fällen, da hier die konkrete Pflichtigkeit bereits auf generell-abstrakter Ebene begründet wird (Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 1; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 8 f.) und konkretisierende Einzelakte lediglich der Durchsetzbarkeit dienen (so auch Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 10; Petersen, S. 31). 89 Zur Eingriffsqualität den Einzelnen belastender Gesetze Poscher, S. 165; Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 102; Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 13; Pieroth/ Schlink 21, Rn. 207; Sachs, in: Stern III / 2, S. 126.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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rechtseingriffs auch vor90, so daß es auf die Zurechnung des beeinträchtigenden privaten Verhaltens an den Staat gar nicht mehr ankommt. Auf dieser Grundlage scheint in der Tat eine abwehrrechtliche Konstruktion staatlicher Schutzpflichten möglich, und es müßte jede einfach-rechtliche Erlaubnisnorm auch gegenüber den Drittbetroffenen abwehrrechtlich gerechtfertigt werden. Damit wäre zugleich die These der strukturellen Identität von Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht nachgewiesen, da gegenüber privatem Verhalten, das sich im Rahmen entsprechender Erlaubnisnormen hält, eine eigenständige Kategorie staatlicher Schutzpflichten gar nicht existierte. Indes ist diese Konstruktion, die in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Renaissance erfahren hat91, aus nachfolgenden Gründen abzulehnen:
aa) Elementare Funktionsweise grundrechtlicher Abwehrrechte Das Abwehrrecht beruht auf einem im Grunde simplen „Mechanismus“: Auf Schutzbereichsebene wird zunächst ein Schutzgut in umfassender Weise gewährleistet (prima facie-Schutz). Wird ein das Schutzgut beeinträchtigendes staatliches Verhalten als Grundrechtseingriff identifiziert, so ist dieser einer Rechtfertigung zu unterziehen, welche den definitiven Grundrechtsschutz ergibt. Scheitert diese, steht als Rechtsfolge fest, daß genau dasjenige staatliche Verhalten zu unterlassen ist, welches als Grundrechtseingriff identifiziert wurde. Geht von dem staatlichen Verhalten bereits jetzt eine belastende Wirkung aus, besteht die Rechtsfolge in der Kassation des Eingriffsaktes92. Das Simple besteht nun darin, daß der ursprüngliche Zustand des Schutzguts im Regelfall allein dadurch hergestellt wird, daß der Eingriffsakt beseitigt wird, so daß das Schutzgut in seinem ursprünglichen Zustand wieder auflebt93. ___________ 90
Zu den Merkmalen des Eingriffsbegriffs oben S. 51 Fn. 55. – Vgl. ferner Dolderer, S. 188, wonach dann, wenn der Staat eine Entscheidung über die Abgrenzung kollidierender Freiheitssphären trifft, insbesondere das Merkmal der Finalität vorliege, da vom Gesetzgeber gerade diese Konfliktlösung gewollt sei. Gerade dieses Merkmal spielt in der neueren Diskussion um den erweiterten Eingriffsbegriff eine zentrale Rolle (WeberDürler, VVDStRL 57 [1998], S. 85 f.; von Arnauld, Schranken, S. 94 f.). 91 Szczekalla, S. 404 ff.; Th. Koch, S. 375 ff.; Poscher, S. 153 ff. 92 Zu dieser Rechtsfolge des Abwehrrechts Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 75 f.; Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 42; Bleckmann II4, § 11 Rn. 21; Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (558). – An diese Rechtsfolge der Primärebene können sich auf der Sekundär- und Tertiärebene Rechtsfolgen anschließen, die nicht auf Unterlassung, sondern auf positives Tun gerichtet sind, etwa Ansprüche auf Folgenbeseitigung und Schadensersatz (dazu Sachs, in: Stern III / 1, S. 671 ff.; W. Roth, S. 85 ff.). 93 So prägnant Th. Koch, S. 382: „Folge eines unzulässigen Eingriffs in ein Abwehrrecht ist prinzipiell seine Negation, nicht eine irgendwie bestimmte Kompensation“; vgl. ferner Mayer, S. 145 f.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Entscheidende Frage ist, ob dieser Mechanismus auf tripolare schutzrechtliche Rechtsverhältnisse übertragen werden kann. Hierzu ist zu klären, was Gegenstand der Kassation wäre, wollte man einfach-rechtliche Erlaubnisnormen als Eingriffe in die Grundrechte der Drittbetroffenen erfassen. Zu denken ist zunächst an die spezielle Duldungspflicht. Würde jedoch diese isoliert aufgehoben, würde die allgemeine Duldungspflicht wieder aufleben. Würde man auch diese aufheben, würde dies zwar zum Aufleben der natürlichen Selbsthilferechte der Drittbetroffenen führen, Ergebnis wäre jedoch – von der Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols ganz abgesehen – ein Selbstwiderspruch der Rechtsordnung94, da einerseits Drittbeeinträchtigungen erlaubt wären, andererseits Betroffene diese rechtmäßig unterbinden könnten. Gegenstand der Kassation kann damit allein die Erlaubnisnorm inklusive spezieller Duldungspflicht sein. Dadurch könnte dem Rechtsschutzanliegen der Drittbetroffenen jedoch nur dann entsprochen werden, wenn nach der Kassation das Maß zulässiger Drittbeeinträchtigung geringer ist als vor der Kassation. Daher dürfen an Stelle der kassierten Erlaubnisnormen nicht andere Normen oder Normkomplexe treten, nach denen dieselben oder sogar weitergehende Störungsbefugnisse zulässig sind. Im folgenden soll betrachtet werden, welche Immissionsverursachungsbefugnisse sich ergeben, wenn man sämtliche einschlägigen einfach-rechtlichen Erlaubnisnormen hinwegdenkt95.
bb) Mögliche Konstellationen bei Hinwegdenken einfach-rechtlicher Erlaubnisnormen Folgende Konstellationen sind hierbei denkbar, denen gemeinsam ist, daß sich eine Immissionsverursachungsbefugnis dann nur verfassungsrechtlich aus den Grundrechten der Emittenten ergeben kann: – Erstens könnte die einfach-rechtliche Immissionsverursachungsbefugnis über über die verfassungsrechtliche hinausgehen. In diesem Fall bestünden keine Bedenken, die Erlaubnisnormen insoweit als Grundrechtseingriff zu erfassen, als bei deren Kassation ein Zustand eintreten würde, in dem weniger Immissionen verursacht werden dürfen als nach der Erlaubnisnorm. Existierte schließlich überhaupt keine verfassungsrechtliche Immissionsverursachungs-
___________ 94
Murswiek, Verantwortung, S. 109; Th. Koch, S. 384 f. Hierbei soll der Sonderfall ausgeblendet werden, daß ein einfach-rechtlicher Grenzwert nur erhöht oder gesenkt wird, da zu klären ist, wie sich das gesamte einfache Recht gegenüber vorrangigen Immissionsverursachungsbefugnissen verhält. Insbesondere sollen Regelungen wie §§ 1004, 906 ff. BGB ausgeblendet werden, welche bei Fehlen öffentlich-rechtlicher Erlaubnisnormen zur Anwendung kämen. 95
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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befugnis, wären einfach-rechtliche Erlaubnisnormen schlechthin konstitutiv für die Beeinträchtigung Dritter96. – Zweitens könnten einfach-rechtliche Erlaubnisnormen eine weitergehende verfassungsrechtliche Immissionsverursachungsbefugnis beschränken. In diesem Fall würde diese bei Kassation der einfach-rechtlichen Erlaubnisnormen wieder aufleben, und es wäre ein Mehr an Beeinträchtigung hinzunehmen. – Drittens ist denkbar, daß einfach-rechtliche und verfassungsrechtliche Immissionsverursachungsbefugnis kongruent sind. In diesem Fall wäre das einfache Recht wiederum nicht konstitutiv für die Beeinträchtigung Dritter, und ei ne Kassation der Erlaubnisnorm würde die Belastungssituation der Drittbetrof fenen nicht verbessern, jedoch auch nicht verschlechtern. Nachfolgend ist zu klären, ob und in welchem Umfang eine solche grundrechtliche Befugnis zur Verursachung drittbeeinträchtigender Immissionen („verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis“) existiert, wozu die Grundrechte der Artt. 12, 14 und 2 I GG zu betrachten sind.
b) Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 12 I GG Beruf i. S. des Art. 12 I 1 GG ist jede in selbständiger oder unselbständiger Stellung ausgeübte Tätigkeit, die auf Dauer berechnet ist und der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dient97. Hierunter fällt jede gewerbliche Betätigung, die zur Verursachung von Immissionen führt, gleichgültig, ob sie von einer natürlichen oder juristischen Person ausgeübt wird98. Insofern umfaßt Art. 12 GG die Gewerbe- und Unternehmerfreiheit99 mit den „Unterfreiheiten“ der Dispositions-, Investitions- und Produktionsfreiheit, die jeweils dem Schutz der freien unternehmerischen Entscheidung dienen100. ___________ 96
So auch Dirnberger, S. 88; G. Hermes, S. 82. BVerfGE 50, 290 (362) – Mitbestimmung; ebenso bereits 7, 377 (397 f.) – Apothekenurteil; ferner Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 8; Pieroth / Schlink21, Rn. 810 ff., die zusätzlich auf das „Erlaubt-Sein“ abstellen (ablehnend Jarass, in: J / P8, Art. 12 Rn. 7; Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 36 ff.). Richtigerweise ist hierauf zu verzichten, da ein „Hinausdefinieren“ bestimmter Tätigkeiten aus dem Schutzbereich die gebotene Eingriffsrechtfertigung verhindert und dem Gesetzgeber die Möglichkeit geben würde, durch Schaffung gesetzlicher Verbote an der Eingriffsrechtfertigung vorbei den effektiven Schutz des Art. 12 I GG zu beschränken (ebenso Breuer, in: HbStR VI, § 147 Rn. 44; Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 36). 98 Zur Grundrechtsträgerschaft Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 6. 99 Calliess, Umweltstaat, S. 266; BVerfGE 50, 290 (363) – Mitbestimmung. 100 Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Abs. 1 Rn. 68; Calliess, Umweltstaat, S. 266 f.; Ossenbühl, AöR 115 (1990), 1 (18 ff.). 97
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Während in der ersten Konstellation eine abwehrrechtliche Konstruktion der Grundrechte Drittbetroffener jedenfalls insoweit möglich erscheint, als eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis nicht existiert, beruht die „neuralgische“ zweite Konstellation darauf, daß es einen Bereich nach Art. 12 I GG zulässiger Immissionsverursachung gibt, der zugleich den Schutzbereich der Betroffenengrundrechte berührt bzw. rechtstechnisch gesprochen: eine Grundrechtskollision zwischen Art. 12 I GG und den Grundrechten der Drittbetroffenen besteht. Unter einer Grundrechtskollision ist nach gängiger Definition zu verstehen, daß verschiedene Grundrechtsträger gleiche oder verschiedene Grundrechte mit der Folge gegenseitiger Freiheitsbeeinträchtigung für sich in Anspruch nehmen101, oder anders formuliert: daß die Grundrechtsausübung des einen auf Kosten der Grundrechtsausübung des anderen geht102. Eine solche Kollision ist in tatsächlicher Hinsicht ohne weiteres vorstellbar, wenn man die Abgase eines Industrieunternehmens betrachtet, die in der Nachbarschaft zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. In rechtlicher Hinsicht wäre dies jedoch dann keine Kollision von Grundrechten, wenn man die betroffenen Schutzbereiche so definiert, daß einer oder beiden Seiten im „überlappenden“ Bereich bereits tatbestandlich der Grundrechtsschutz verwehrt wird. In einem solchen Modell gäbe es keine Immissionsverursachung, welche etwa die Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG beeinträchtigen würde und zugleich von Art. 12 I GG geschützt wäre; denkt man hier einfach-rechtliche Erlaubnisnormen hinweg, verbliebe im Sinne der ersten Konstellation gerade keine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis.
aa) (Kein) Grundrecht auf Umweltverschmutzung? Entsprechend soll nach einer Auffassung die Verursachung von Immissionen bereits deshalb nicht von Art. 12 GG geschützt sein, weil die Nutzung knapper Umweltgüter nicht Gegenstand grundrechtlicher Freiheit sei, oder schlagwortartig: es kein „(Grund-) Recht auf Umweltverschmutzung“ gebe103. Diese Auffas___________ 101 So Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 1 f.; Bleckmann II4, § 14 Rn. 1; ähnlich Sachs, VerfR II, A 9 Rn. 52; Jarass, in: J / P8, Vorb. vor Art. 1 Rn. 45; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 1 Rn. 319 ff.; Stern, in: Stern III / 2, S. 603 ff., 629 f.; ferner Rüfner, FG BVerfG II, S. 453 f.; Fohmann, EuGRZ 1985, 49 (49 f.). 102 von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 44; Martins, S. 40. 103 So dezidiert Murswiek, Verantwortung, S. 245 ff.; ders., in: HbStR V, § 112 Rn. 67, 83 mit teilhaberechtlicher Konzeption der Nutzung „freier“ Umweltgüter; ähnlich im Ansatz für Art. 5 III GG Lorenz, FS Lerche, S. 270 ff. – Auf derselben Ebene liegt die Ansicht, daß Tätigkeiten, die mit nachteiligen Folgen für Grundrechtsgüter Dritter verbunden sind, grundrechtlich allgemein nicht geschützt seien (Suhr, VVDStRL 38 [1980], S. 351 f. [Diskussionsbeitrag]; Isensee, Sicherheit, S. 44; zu Art. 14 GG ferner Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 66 [Stichwort „Umweltschutz“]). – Zur Diskussion Dirnberger, S. 89 f.; Lühle, S. 49 ff.; Voßkuhle, S. 344 ff.; Steiff, S. 388 ff.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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sung ist abzulehnen, da Art. 12 I 1 GG keine Grundlage für eine derartige Ausgrenzung liefert, vielmehr eine Vielzahl traditioneller Berufe, die zwangsläufig Geräusche, Abgase o. ä. verursachen und an deren Einbeziehung in Art. 12 GG aufgrund der hergebrachten Berufsbilder nicht gezweifelt werden kann, ansonsten aus dem Schutz herausfielen. Auch bestehen im Hinblick auf die Nutzung der Ressource Luft zwischen einem Großkraftwerk und dem hämmernden Schreinermeister, dessen Grundrechtsschutz aus Art. 12 GG unbestritten sein dürfte, nur graduelle Unterschiede. Schließlich zeigt die historische Entwicklung, daß kaum ein Bereich der heutigen Industrie jemals ohne Nutzung eines Umweltmediums ausgekommen ist. Allgemeiner entspricht dem die Erkenntnis, daß die Inanspruchnahme von Umweltgütern für viele Arten der Freiheitsausübung Voraussetzung ist. Würde man diese pauschal aus dem Schutzbereich der Freiheitsrechte ausklammern, würde der Anwendungsbereich grundrechtlicher Freiheit drastisch reduziert104. Dem berechtigten Anliegen, eine unbegrenzte Nutzung von Umweltgütern zu verhindern, kann vielmehr auf der Schrankenebene Rechnung getragen werden. Dazu ist jedoch nach Art. 12 I 2 GG eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die sich der üblichen Eingriffsrechtfertigung unterziehen muß105. Weshalb dieser freiheitsschützende Mechanismus gerade bei der Nutzung von Umweltgütern nicht zur Anwendung kommen soll, ist nicht einzusehen. Damit ist der Betrieb eines Kraftwerks mit „qualmenden Schloten“ genauso Berufsausübung wie der Betrieb jedes anderen Gewerbes106. Daraus folgt für das Kollisionsverhalten der Betroffenengrundrechte mit der Berufsfreiheit der Emittenten ein überschießender Gehalt der betroffenen Schutzbereiche107, da die Immissionsverursachung sowohl den Schutzbereich des Art. 12 I GG als auch der Betroffenengrundrechte – etwa Art. 2 II 1 GG – berührt. Von einem solchen überschießenden Gehalt des Art. 12 I GG geht auch das BVerfG in seinem Waldschadens-Beschluß vom 26. 5. 1998 aus: „Die Nutzung von Kraftwerken, Industrieanlagen, Hausfeuerungsanlagen und Kraftfahrzeugen ... gehört dem Bereich der grundrechtlich gewährleisteten Freiheiten der Bürger an. Die ‚staatliche Zulassung‘ dieser Nutzungen läßt nur die den grundrechtlichen Freiheiten bis zur Feststellung der Rechtmäßigkeit gesetzte vorläufige Sperre entfallen, erweitert jedoch als solche nicht den Rechtskreis der privaten Nutzer ... Soweit eine staatliche Präventivkontrolle nicht vorgesehen ist, steht der Rechtsausübung grundsätzlich nichts im Wege, es sei denn, daß betroffene Dritte mit Erfolg Abwehrrechte geltend machen können. Das gilt auch hinsichtlich der Inanspruchnahme von Luft ...“108.
___________ 104
So zutreffend Lühle, Beschränkungen, S. 50. G. Hermes, S. 248 f.; Dirnberger, S. 89 f.; ablehnend auch Voßkuhle, S. 345 f. 106 Ebenso Preu, JZ 1991, 265 (266); ferner von Arnauld, Schranken, S. 78 ff. 107 Steiff, S. 390 f. 108 BVerfG, NJW 1998, 3264 (3265) – Hervorh. vom Verf. 105
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Für die Richtigkeit dieser Konzeption sprechen ferner allgemeine methodische Erwägungen: So wird die vorliegende Problematik unter dem Stichwort der „engen“ oder „weiten Tatbestandstheorie“ erörtert und vorgebracht, daß nur eine tendenziell weite Fassung grundrechtlicher Schutzbereiche sicherstelle, daß Wertungen zur Verkürzung des effektiven Grundrechtsschutzes nicht außerhalb der Eingriffsrechtfertigung eingebracht werden, die allein eine rationale Entscheidung gewährleiste109. Inhaltlich kann jede Grundrechtskollision in unterschiedliche Richtungen aufgelöst werden, indem entweder das eine Grundrecht völlig hinter das jeweils andere zurücktritt oder aber gemäß dem Grundsatz der praktischen Konkordanz eine jeweils nur teilweise Verwirklichung herbeigeführt wird110. Demgegenüber sieht sich eine Kollisionslösung durch Schutzbereichspräformation entweder gezwungen, auf diese differenzierten Mechanismen zu verzichten und eine „Alles-oder-Nichts“-Lösung herbeizuführen, welche der Vielgestaltigkeit möglicher Konfliktlagen nicht gerecht wird, oder aber un-
___________ 109
Alexy, Theorie, S. 280 ff., 290 ff.; Borowski, S. 204 ff., 208); abweichend Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 171 ff., 175 f., der die „evidente Verletzung von Grundrechtsgütern des anderen, insbesondere durch private Gewalt“ aus dem Schutzbereich der Grundrechte ausgrenzen möchte, zugleich aber eine Ausnahme für „nicht-manifeste Übergriffe“ macht, die er etwa in „mittelbaren Schädigungen“ durch Immissionen verwirklicht sieht (Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 180). 110 Nach der von Konrad Hesse geprägten Figur der praktischen Konkordanz sind verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter im Kollisionsfall dahingehend zu optimieren, daß „beiden Gütern ... Grenzen gezogen werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können“, wobei Maßstab die Verhältnismäßigkeit sei (Hesse, Grundzüge20, Rn. 72; ferner Stern, in: Stern III / 2, S. 625 ff.; von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 47; ähnlich Lerche, Übermaß, S. 152 f.; ders., in: HbStR V, § 122 Rn. 5 f. – Aus der Rspr. BVerfGE 83, 130 [143, 146 f.] – Mutzenbacher; 85, 1 [16]; 90, 241 [248 f.]; kritisch Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 141). – Klärungsbedürftig ist das Verhältnis von praktischer Konkordanz und Verhältnismäßigkeit: Der Zusammenhang beider Rechtsfiguren wird zunächst von Hesse in obigem Zitat selbst betont, wonach „Maßstab“ der Herstellung praktischer Konkordanz die Verhältnismäßigkeit sei (Hesse, Grundzüge20, Rn. 72). Daher ist Verhältnismäßigkeit notwendige Bedingung praktischer Konkordanz. Fraglich ist jedoch, ob auch umgekehrt Verhältnismäßigkeit zwingend praktische Konkordanz voraussetzt. Dies ist zu verneinen, da beide Rechtsfiguren einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben: So ergibt sich der Schlüssel zum Verständnis der praktischen Konkordanz aus deren Herleitung aus der Einheit der Verfassung (Hesse, Grundzüge20, Rn. 71; ferner Clérico, S. 217 f.; Dechsling, S. 58). Danach geht es um die Kollision verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter, d. h. solcher, die auf derselben Ebene angesiedelt sind. Entsprechend bezeichnet Hesse den Vorgang der Optimierung als Herstellung einer „Relation zweier variabler Größen“ und nicht einer Relation zwischen einem „konstanten ‚Zweck‘ und einem oder mehreren variablen ‚Mitteln‘“ (Hesse, Grundzüge20, Rn. 72 [Hervorh. vom Verf.]; dazu Lerche, in: HbStR V, § 122 Rn. 17). Demgegenüber geht es bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung darum, einen feststehenden und vom Normgeber definierten Zweck im Hinblick auf das eingesetzte Mittel an einem höherrangigen Maßstab zu messen und gegebenenfalls in toto zu verwerfen (Lerche, in: HbStR V, § 122 Rn. 17).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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ter dem Etikett der Schutzbereichsbestimmung diejenigen Wertungen vorzunehmen, die systematisch der Eingriffsrechtfertigung zuzurechnen sind111.
bb) Zwischenergebnis Damit folgt aus der Berufsfreiheit der Anlagenbetreiber eine prima facie unbeschränkte verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis, und es sind einfach-rechtliche Erlaubnisnormen, die ein Immissionsmaß als definitiv zulässiges festsetzen, stets auch Eingriffe in dieses Grundrecht, da sie den Betreibern partiell die Freiheit nehmen, ihren erwerbswirtschaftlichen Zielen so nachzukommen, wie es freier unternehmerischer Entscheidung entspräche112. Dies gilt auch dann, wenn die Festsetzungen nicht zu wirtschaftlichen Mehrbelastungen oder gar zur Unrentabilität der Anlage führen.
c) Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG? Eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis könnte sich ferner aus Art. 14 GG ergeben.
aa) Immissionsverursachung als geschützte Eigentumsnutzung Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG soll dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen113; die Eigentumsgarantie steht insofern in engem Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit114. Geschützt ist nach h. M. nicht nur der tatsächliche und rechtliche Bestand der Ei___________ 111 Dazu, daß eine weite Tatbestandstheorie als „Konstruktionstheorie“ keine inhaltlichen Aussagen impliziert, Alexy, Theorie, S. 278 ff.; Borowski, S. 205 (ebd. S. 44 ff. zum Begriff der Konstruktionstheorie). – Im übrigen ist eine tatbestandliche Präformation mit der Gefahr behaftet, durch einseitige Fokussierung auf den Akt der Beeinträchtigung stets dasjenige Grundrecht zu bevorteilen, welches faktisch „Adressat“ der Störung ist, was zu einer potentiellen Benachteiligung solcher Grundrechte führt, die nicht die Integrität eines Zustands schützen, sondern ein Verhalten im sozialen Raum. 112 Da entsprechende Erlaubnisnormen darauf gerichtet sind, eine bestimmte Art der Berufsausübung herbeizuführen, bedarf es aufgrund der finalen Intention auch keiner Prüfung der berufsregelnden Tendenz (ebenso Trute, Vorsorgestrukturen, S. 267; zu diesem Kriterium allgemein Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 72 ff.; Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 42; Jarass, in: J / P8, Art. 12 Rn. 12). 113 BVerfGE 30, 292 (334); 68, 193 (222); 79, 292 (303 f.); 83, 201 (208); 91, 294 (307); 101, 54 (75). 114 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 1; W. Leisner, Privateigentum, S. 3 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gentumsposition in der Hand des Eigentümers gegenüber staatlicher Minderung115, sondern auch deren Nutzung und Verwendung116. Letzteres ist zwingend, wenn man das verfassungsrechtliche Eigentum durch das Strukturmerkmal der „Privatnützigkeit“ gekennzeichnet sieht117, da dieses bereits dem Wortsinn nach auf Nutzungsbefugnisse hindeutet118. Diese Nutzungsdimension ist auch für die Frage nach einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis einschlägig, da Immissionen allein Folge der planmäßigen Nutzung von Anlagen als Eigentumsobjekte sind. An dieser Stelle kann dabei noch offen bleiben, ob das „Eigentum“ in der erteilten Genehmigung, dem Sacheigentum an der „Anlage“ i. S. des § 3 V BImSchG oder im eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, in dessen Rahmen die Anlage betrieben wird, zu sehen ist; hierauf ist zurückzukommen119. Da der nutzungsbezogene Schutzgehalt des Art. 14 GG stets an bestimmten (eigentumsbezogenen) Verhaltensweisen anknüpft, ist ferner zu klären, ob entsprechende Verhaltensweisen nicht bereits abschließend von den Verhaltensfreiheitsrechten erfaßt sind. Diese Abgrenzung wird von der h. M. dahin vorgenommen, daß lediglich die Nutzung von Grund- und Unternehmenseigentum dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen soll, nicht hingegen die Nutzung beweglichen Sacheigentums120. Begründet wird dies mit einer „Schwerpunktbetrachtung“, wonach die besonders enge Beziehung zur persönlichen Freiheit dazu führe, daß etwa die Nutzung eines Kraftfahrzeugs nicht als Eigentumsnutzung erscheine, sondern als „Freiheitsausübung schlechthin“121. Eine solche Abgrenzung ist in der Tat notwendig: Zwar spricht Art. 14 II 2 GG, wonach ausdrücklich auch der „Gebrauch“ des Eigentums der Sozialpflichtigkeit unterworfen ist, dafür, grundsätzlich die Nutzung jeglichen Eigentums dem Schutz des Art. 14 ___________ 115
Sog. Bestandsgarantie; BVerfGE 24, 367 (397 f.); 42, 263 (294); 58, 300 (351); 83, 201 (212); 100, 226 (245); aus der Lit. Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 210 ff.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 31; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 10; Böhmer, NJW 1988, 2561 (2563); M. Appel, Eigentum, S. 22 ff. 116 Vgl. nur BVerfGE 79, 292 (304); 83, 201 (208); 88, 366 (377); Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 68; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 216; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 41; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 19; Dolde, FG BVerwG, S. 308; umfassende Diskussion bei M. Appel, NuR 2005, 427 ff. 117 Neben der „Privatnützigkeit“ werden auch die „grundsätzliche Verfügungsbefugnis“ und der „grundsätzliche Bestand von Eigentumsobjekten“ genannt; vgl. BVerfGE 24, 367 (390); 31, 229 (240 f.); 83, 201 (208); aus der Lit. nur Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 29; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 126. 118 Zum Begriff der Privatnützigkeit Hösch, Eigentum, S. 54. 119 Dazu unten 3. Teil S. 444 ff. 120 Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 13; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 83. 121 So Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 13.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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GG zu unterstellen122. Allerdings würde dies zu einer Hypertrophie des Art. 14 GG gegenüber den sonstigen Freiheitsrechten führen, da selbst das „Reiten im Walde“123 Nutzung des Sacheigentums am Pferd sein könnte124. Es erscheint jedoch nicht angemessen, diese Abgrenzung starr durch Gegenüberstellung der Nutzung von Grund- und Unternehmenseigentum einerseits und beweglichem Sacheigentum andererseits vorzunehmen. Vorzugswürdig ist vielmehr der Vorschlag von Sachs, von Art. 14 GG nur Nutzungen mit wirtschaftlichem oder vermögensmäßigem Bezug umfaßt zu sehen125, zumal das BVerfG als Funktion der Eigentumsgarantie gerade benannt hat, dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern. Da aber die Nutzung von emittierenden Anlagen regelmäßig zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken erfolgt, ist sie jedenfalls auch Art. 14 GG zuzuordnen126.
bb) Grundaporie: Eigentum nach Gesetz oder Gesetz nach Eigentum? Die Annahme einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG erweist sich jedoch als problematisch, wenn man mit der h. M. davon ausgeht, daß der „Inhalt“ des Eigentums aufgrund Art. 14 I 2 GG überhaupt erst durch das einfache Recht bestimmt wird127, so daß der Schluß naheliegen könnte, eine Nutzungsbefugnis falle erst dann unter Art. 14 I GG, wenn sie konstitutiv durch das einfache Recht eröffnet wird. Damit wird die Grundaporie der Interpretation des Art. 14 GG durch das BVerfG aufgeworfen128, die ihre deutlichste Ausprägung in den beiden nachfolgenden Passagen aus dem Naßauskiesungsbeschluß gefunden hat: „Welche Befugnisse einem Eigentümer in einem bestimmten Zeitpunkt konkret zustehen, ergibt sich vielmehr aus der Zusammenschau aller in diesem Zeitpunkt geltenden, die Eigentümerstellung regelnden gesetzlichen Vorschriften. Ergibt sich
___________ 122 Insofern enthält die Eigentumsgarantie zugleich Elemente einer natürlichen Handlungsfreiheit (Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 83). 123 In Anlehnung an BVerfGE 80, 137 ff. 124 Weitere Beispiele bei Sachs, VerfR II, B 14 Rn. 14. 125 Sachs, VerfR II, B 14 Rn. 14. 126 Im übrigen weist die Nutzung von „Anlagen“ i. S. des § 3 V BImSchG von den Anlagen nach Nr. 2 abgesehen auch einen spezifischen Grundstücksbezug auf. 127 Grundlegend BVerfGE 58, 300 (336) – Naßauskiesung; weitere Nachw. bei Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 132 f.; aus der Lit. Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 25 f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 4, 11; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 21; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 44; Schoch, JURA 1989, 113 (117); Rozek, S. 25 ff.; M. Appel, Eigentum, S. 88 ff.; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 214. 128 Dazu W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 115 ff.; Jestaedt, S. 30; Baur, NJW 1982, 1734 (1735); Depenheuer, FS Leisner, S. 283: „elementare Widersprüchlichkeiten und Aporien“; ebenso ders., Eigentumsbegriff, S. 31; ders., Entwicklungslinien, S. 159; ähnlich Lubberger, S. 248 ff.; W. Leisner, in: HbStR VI, § 149 Rn. 54 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben hierbei, daß der Eigentümer eine bestimmte Befugnis nicht hat, so gehört diese nicht zu seinem Eigentumsrecht ... Aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze, die den Inhalt des Eigentums bestimmen, ergeben sich somit Gegenstand und Umfang des durch Art. 14 I 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes ...“129 „Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen werden. Aus Normen des einfachen Rechts, die im Range unter der Verfassung stehen, kann weder der Begriff des Eigentums im verfassungsrechtlichen Sinne abgeleitet noch kann aus der privatrechtlichen Rechtsstellung der Umfang der Gewährleistung des konkreten Eigentums bestimmt werden ...“130
Die zweite Aussage könnte als Absage an ein rein innentheoretisches Modell verstanden werden, wonach sich die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung darauf beschränkte, im Sinne einer „Transformationsnorm“131 die Gesamtheit der einfach-rechtlichen Vorschriften in einen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff zu transformieren. Ein solches Modell hätte einen notwendigen und permanenten Gleichlauf von einfach- und verfassungsrechtlichem Eigentumsbegriff und damit einen totalen Ausfall der Maßstabsfunktion des Verfassungsrechts zur Folge. Um diese Maßstabsfunktion, die bereits von Art. 1 III GG gefordert wird, zu entfalten, bedarf es notwendig eines Modells, in dem getrennt wird zwischen höherrangigen verfassungsrechtlichen Maßstabsnormen und solchen einfach-rechtlichen Normen, die Gegenstand der Prüfung anhand dieser Normen sind. Ein solches notwendig außentheoretisches Modell setzt aber zwingend einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab voraus; ob ein solcher in der Eigentumskonzeption des BVerfG zu finden ist, ist im folgenden zu klären. Gesucht wird mit anderen Worten eine außentheoretische Konzeption des Art. 14 GG, aus der Aussagen über die Existenz einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis auch aus Art. 14 I 1 GG gewonnen werden können. Wenn nachfolgend die dogmatische Struktur des Art. 14 GG in einer Ausführlichkeit erörtert wird, die nicht allein dieser Frage geschuldet ist, so deshalb, weil Art. 14 GG auch relevant wird als Grundrecht der Immissionsbetroffenen (nachfolgend D.) und für den Bestandsschutz im Rahmen nachträglicher Anordnungen (dazu 3. Teil F.); insofern soll im folgenden eine allgemeine Konzeption entwickelt werden, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit zurückgegriffen werden kann.
___________ 129
BVerfGE 58, 300 (336). BVerfGE 58, 300 (335). 131 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 32. 130
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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cc) Dogmatische Konzeption des BVerfG (1) Darstellung des Eigentumsmodells des BVerfG Zunächst soll die Konzeption des BVerfG betrachtet und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. In methodischer Hinsicht ist vorauszuschicken, daß die Entwicklung geschlossener und kohärenter dogmatischer Konzepte nicht primäre Aufgabe des BVerfG als Gericht ist, sondern die Entscheidung konkreter Rechtsfälle. Dogmatische Konzepte können aus der Rechtsprechung des BVerfG daher nur interpretativ durch die Rechtswissenschaft aus der Zusammenschau einer Vielzahl einzelner Entscheidungen gewonnen werden132. Daß gerade zur Dogmatik des Art. 14 GG ein solches Konzept erschlossen werden kann, hat in jüngster Zeit Markus Appel nachdrücklich dargelegt133, dessen Darstellung im folgenden zugrundegelegt wird. Danach bestimmt das BVerfG den konkreten Umfang der Eigentümerbefugnisse in einer Zwei-Schritt-Prüfung, die von einem spezifischen Zusammenwirken von Verfassungs- und einfachem Recht gekennzeichnet ist und einen möglichen Ansatz zur Auflösung der geschilderten Aporie liefert134: Auf einer ersten Stufe wendet das BVerfG strikt den Grundsatz an, daß Gegenstand der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG nur einfach-gesetzlich zugewiesene Rechte sein können135. Diese „Gesetzesabhängigkeit“ der Bestandsgarantie folgt für das BVerfG aus einer konsequenten Anwendung des Art. 14 I 2 GG, was besonders klar im ersten der beiden Zitate oben bb) zum Ausdruck kommt136. Danach besteht die Bestandsgarantie aus der Gesamtheit von Befugnissen und Berechtigungen, die dem Grundrechtsträger durch die Gesamtheit des einfachen Rechts zu einem bestimmten Zeitpunkt in Ansehung eines Eigentumsgegenstandes zugewiesen sind. Diesen Grundsatz wendet das BVerfG neben der rechtlichen Zu___________ 132 Vgl. hierzu als „Leitentscheidungen“ insbesondere BVerfGE 52, 1 ff. – Kleingarten; 56, 249 ff. – Dürkheimer Gondelbahn; 58, 137 ff. – Pflichtexemplar; 58, 300 ff. – Naßauskiesung; 100, 226 ff. – Rheinland-pfälzisches Denkmalschutzgesetz. 133 M. Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums (2004). – Kritisch zu dieser Konzeption Cornils, S. 253 ff. und öfter, der die Notwendigkeit eines verfassungsunmittelbaren Gehalts des Art. 14 I 1 GG betont. 134 Zu dieser Zwei-Schritt-Prüfung M. Appel, Eigentum, S. 25 ff.; ders., NuR 2005, 427 (427 ff.); Appel bezieht sich hierbei auf die Arbeiten von Ramsauer (Beeinträchtigungen [1980]), Schwerdtfeger (Struktur [1983]), Wendt (Eigentum [1985]), Manssen (Privatrechtsgestaltung [1994]), Lee (Eigentumsgarantie [1994]), Melchinger (Eigentumsdogmatik [1994]), Glos (Schutz [1998]), Rozek (Unterscheidung [1998]), Jestaedt (Grundrechtsentfaltung [1999]) und Grochtmann (Art. 14 GG [2000]). 135 Vgl. neben dem Naßauskiesungsbeschluß BVerfGE 20, 31 (34); 24, 367 (396); 28, 119 (142); 37, 132 (141); 68, 193 (222); 74, 129 (148); 78, 205 (211); 87, 1 (42); 102, 197 (211); 105, 252 (277). 136 Dazu oben S. 67 f.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ordnung des Eigentumsgegenstandes auch auf dessen Nutzung an137, so daß von Art. 14 I 1 GG geschützte Befugnisse nicht weiter reichen können als durch das einfache Recht zugewiesen. Liegt in diesem Sinne ein einfach-gesetzlich zugewiesenes Recht vor, prüft das BVerfG in einem zweiten Schritt, ob es sich hierbei um „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG handelt. Erst auf dieser Qualifizierungsstufe kommt der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff zur Anwendung, dessen Anforderungen das BVerfG im Gegensatz zur ersten Stufe allein aus der Verfassung gewinnt. Hierzu hat das BVerfG unmittelbar aus Art. 14 GG strukturelle Vorgaben („Eigentumsprinzipien“) gewonnen, nämlich Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis138, ferner für öffentlich-rechtliche Eigentumspositionen Eigenleistung und Existenzsicherung. Auf dieser zweiten Stufe werden somit Verfassungsrecht und einfaches Recht in einer Weise zusammengeführt, die beiden eine spezifische Funktion zuweist und die geschilderte Aporie auflöst: Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff hat nicht die Aufgabe, verfassungsunmittelbar Eigentumsrechte oder -befugnisse zu begründen, sondern allein, einfachrechtlich begründete Rechte und Befugnisse als „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG zu qualifizieren139. ___________ 137 M. Appel, NuR 2005, 427 (429 f.); ders., Eigentum, S. 139 ff.; Appel nennt dort S. 144 mehrere Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 81, 29 [33] – Eigenbedarfskündigung; 88, 366 [377] – Tierzuchtgesetz; 98, 17 [35] – Sachenrechtliches Moratorium), die bei isolierter Betrachtung dahin verstanden werden könnten, als gehe hier das BVerfG von verfassungsunmittelbaren Nutzungsbefugnissen aus Art. 14 I 1 GG aus (für derartige Nutzungsbefugnisse Lubberger, S. 252 ff.; mit eingehender Begründung neuerdings Raue, S. 107 ff.; ähnlich Ossenbühl, FS Leisner, S. 690 f.; W. Leisner, BB 1992, 73 ff.; Sproll, in: Detterbeck u. a., StaatsHR, § 14 Rn. 34; nicht eindeutig Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 41; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 8; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 19). M. Appel (Eigentum, S. 144 ff.; NuR 2005, 427 [430]) weist jedoch nach, daß das BVerfG in den zitierten Stellen lediglich den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff skizziert und gerade keine Aussage über verfassungsunmittelbare Nutzungsbefugnisse trifft. Einem solchen Verständnis stünde auch der Naßauskiesungsbeschluß entgegen, in welchem das BVerfG die Befugnis zur Naßauskiesung gerade deshalb als nicht von Art. 14 I 1 GG geschützt sah, weil das WHG „Eingriffe in das Grundwasser prinzipiell vom Inhalt des Grundeigentums aus(schließe)“ (BVerfGE 58, 300 [337 – Hervorh. vom Verf.]). 138 BVerfGE 24, 367 (390); 26, 215 (222); 31, 229 (240 f.); 37, 132 (140); 42, 263 (294); 52, 1 (30); 83, 201 (208); 98, 17 (35); 101, 54 (74 f.); zur „Privatnützigkeit“ und „grundsätzlichen Verfügungsbefugnis“ im einzelnen M. Appel, Eigentum, S. 42 ff.; zu diesen „eigentumsqualifizierenden“ Strukturmerkmalen aus der Lit. Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 64 ff.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 216 ff., 265 ff.; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 71; ferner Depenheuer, FS Leisner, S. 298; Waschull, S. 299 ff.; Schönfeld, S. 94. 139 M. Appel, Eigentum, S. 32 ff., 77 ff.; ders., NuR 2005, 427 (428). – Kritisch zu einer (bloßen) Qualifikationsfunktion des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs Cornils, S. 287 ff.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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Da in diesem Modell konkrete Eigentümerrechte und -befugnisse allein aus einfachem Recht folgen können, wäre eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG nicht zu begründen.
(2) Kritische Würdigung Das Modell des BVerfG ist damit zwar geeignet, die Gesetzesabhängigkeit des Eigentums mit einer eigenständigen Maßstabswirkung des Verfassungsrechts in Gestalt des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs zu vereinbaren. Letzterer hat jedoch eine grundsätzlich andere Funktion als verfassungsrechtliche prima facie-Positionen im Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema der Freiheitsrechte, da er allein zur Bestimmung der Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 14 I 1 GG dient. Dieses Modell kommt daher zum „Schwur“, wenn man betrachtet, wie Beschränkungen des gegenwärtig vorhandenen Bestandes an Eigentumsrechten und -befugnissen verarbeitet werden, etwa wenn „neues“ Recht Nutzungsbefugnisse entzieht, die nach „altem“ Recht gegeben waren. Hier werden einerseits für die Zukunft Neudefinitionen des „Inhalts“ entsprechender Eigentumspositionen vorgenommen140, andererseits aber auch gegenwärtig vorhandene Eigentumspositionen in einer Weise beschränkt, die einer abwehrrechtlichen Rekonstruktion zugänglich ist141. Hier stellt sich folgendes Problem: Nimmt man die Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG zum Maßstab, d. h. die Gesamtheit derjenigen Gesetze, die im Zeitpunkt der Vornahme der Neubestimmung den Inhalt des Eigentums bestimmen, so gelangt man zu einem grundsätzlich relativen Charakter des abwehrrechtlichen Maßstabs, da dieser sich mit jeder Neubestimmung verschiebt: Was nämlich im Rahmen der jetzigen Neubestimmung noch Gegenstand der Prüfung ist, würde im Rahmen einer zukünftigen Neubestimmung zum neuen Maßstab. Da der verfassungsrechtliche Maßstab danach in einer variablen Transformation der Gesamtheit des zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen einfachen Rechts bestünde, führt ein solches Verständnis zum Ausfall der Maßstabsfunktion des Verfassungsrechts, zumal die Eingriffstiefe beschränken___________ 140
Vgl. M. Appel, Eigentum, S. 179 f. Zum abwehrrechtlichen Charakter der Bestandsgarantie Lubberger, S. 218 f., 253; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 4, 74. – Damit wird zugleich eine plausible Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. des Art. 14 I 2 GG möglich: Sofern für die Zukunft eine Neudefinition der Eigentumsposition vorgenommen wird, liegt eine Inhaltsbestimmung vor, während bei gleichzeitiger Beschränkung gegenwärtig vorhandener Eigentumspositionen – dies dürfte angesichts der umfassenden einfach-rechtlichen Eigentumsordnung der Regelfall sein – zugleich eine Schrankenziehung erfolgt (so Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 73 ff.; Ehlers, VVDStRL 51 [1992], S. 225; Lee, S. 91; Pieroth / Schlink21, Rn. 920; Sachs, VerfR II, B 14 Rn. 25; Rozek, S. 59 f.; Thormann, S. 136 ff.; M. Appel, Eigentum, S. 271 f.). 141
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
der Neubestimmungen nicht adäquat erfaßt werden kann: Wird nämlich die elfte Neubestimmung allein an derjenigen Rechtslage gemessen, die sich aus zehn vorausgegangenen Inhaltsbestimmungen ergibt, so kann die elfte Neubestimmung zwar eine nur geringe Beschränkung vorhandener Eigentumsrechte zur Folge haben; nicht erfaßt wird jedoch, daß möglicherweise alle Neubestimmungen zusammen zu einer gravierenden Beschränkung führen142. Der verfassungsunmittelbare Eigentumsbegriff erlaubt mit anderen Worten nicht die umfassende Prüfung einer bestimmten „Momentaufnahme“ vorhandener Eigentumsrechte auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Auch die Bestandsgarantie ist hierzu ungeeignet, da sie nur zum Zuge kommt, wenn der gegenwärtige Bestand nachteilig verändert wird. Eine solche umfassende Prüfung wird vom BVerfG jedoch selbst impliziert, wenn es die inhaltsbestimmende Funktion der „Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze“ zuspricht143, was voraussetzt, daß es einen verfassungsrechtlichen Maßstab hierfür auch tatsächlich gibt. Existiert aber eine solche weitere verfassungsunmittelbare „Eigentumsposition“, könnte dieser möglicherweise die gesuchte verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis entnommen werden.
(a) Bedeutung der Institutsgarantie Eine solche Position könnte in der Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG gesehen werden144. Herkömmlich wird die Institutsgarantie als äußerste Grenze der gesetzgeberischen Gestaltungsbefugnis verstanden, die sicherstellen soll, daß das verbleibende Eigentum diesen Namen überhaupt (noch) verdient145. Die Institutsgarantie verbietet nach einer gängigen Formulierung, solche Bereiche der Privatrechtsordnung zu entziehen, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören146. Danach zielt die Institutsgarantie auf einen änderungsresistenten Kernbestand an eigen___________ 142 Dies wird gesehen von Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 49 („Summeneffekte“); ähnlich Cornils, S. 263 f. 143 So BVerfGE 58, 300 (336). 144 Zur Institutsgarantie grundlegend M. Wolff, FG Kahl IV, S. 6; zur Entwicklung Hösch, Eigentum, S. 59 ff.; ferner Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 11 ff.; Wendt, Eigentum, S. 183 ff.; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 125; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 47; M. Appel, Eigentum, S. 206 ff.; von Brünneck, S. 315 ff.; Thormann, S. 126 ff.; Eschenbach, S. 578 ff.; aus der Rspr. BVerfGE 24, 367 (389 f.); 31, 275 (291); 50, 290 (339); 51, 193 (217); 81, 12 (17). 145 BVerfGE 24, 367 (389); Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 83; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 222 ff.; W. Leisner, in: HbStR VI, § 149 Rn. 15 („innerste Verteidigungslinie“). 146 BVerfGE 24, 367 (389); ferner 58, 300 (339) – Naßauskiesung.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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tumsrechtlichen Normen des einfachen Rechts147 und entspricht einer absolut verstandenen Wesensgehaltsgarantie148. Damit stellt sich die weitere Frage, inwieweit die Institutsgarantie auf konkret betroffene Eigentumsobjekte bezogen ist. Grundsätzlich ist eine Abstraktion auf ein überindividuelles „Institut“ denkbar, welches selbst dann nicht berührt ist, wenn ein konkretes Eigentumsobjekt im Einzelfall jegliche Privatnützigkeit verliert. Dies entspricht jedoch nicht der Auffassung des BVerfG, welches die Institutsgarantie wiederholt anhand konkreter Eigentumsobjekte geprüft hat149, und dessen Verständnis insofern als konkret-absolut bezeichnet werden kann. Demgegenüber existieren Ansätze, dieses Verständnis zu einem funktionalen bzw. modalen weiterzuentwickeln150, bei dem es nicht um einen bestimmten Bestand an Normen geht, sondern um strukturelle Direktiven bzw. Eigentumsprinzipien, denen der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung jeglichen Eigentums gerecht werden muß. Diese Direktiven sind zwar notwendig abstrakt, können aber sowohl auf alle Formen der Eigentumsbeschränkung als auch der Eigentumskonstituierung angewendet werden. Als solche Direktiven werden dieselben genannt, die das BVerfG als Strukturmerkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs heranzieht, nämlich Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis, ferner der grundsätzliche Bestand von Eigentumsobjekten151. Die Berechtigung einer solchermaßen modifizierten Institutsgarantie hängt davon ab, welche systematische Funktion ihr heute noch zukommen kann: Die Figur der Institutsgarantie ist zunächst nur auf dem Hintergrund der Weimarer Auffassung verständlich, wonach der Gesetzgeber nicht an die Grundrechte gebunden war und die Institutsgarantie gegenüber dem Gesetzgeber einen Kernbestand an Regelungen sichern sollte, auf die das private Eigentum angewiesen war152. Diese Auffassung ist durch Art. 1 III GG überholt und eine entsprechende Begründung der Institutsgarantie nicht mehr aufrechtzuerhalten153. Eine eigenständige Funktion könnte der Institutsgarantie heute jedoch im Rahmen der inhaltlichen Determination der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG zukommen, die über die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG erfolgt154, welche rechtstechnisches Medium für eigentumsbeschränkende ___________ 147
Dazu Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 11; ferner Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 83. 148 Vgl. Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 127: „letzte Grenze für den Gesetzgeber“. 149 Dazu Sachs, VerfR II, B 14 Rn. 35. 150 Zum folgenden Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 11, 60. 151 Dazu oben S. 70 Fn. 138. 152 Grundlegend M. Wolff, FG Kahl IV, S. 6. 153 Kritisch Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 4; zurückhaltend auch Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 222 ff. 154 Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 59 f., 67 f.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 251; aus der Rspr. BVerfGE 37, 132 (140 f.); 50, 290 (340 f.);
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
öffentliche Interessen ist. Da diese einen strukturell äquivalenten Gegenpol der Abwägung voraussetzt155, dem die Bestandsgarantie aufgrund ihrer Gesetzesabhängigkeit nicht nachkommen kann, muß es insofern eine weitere verfassungsunmittelbare „Eigentumsposition“ geben. Da das Abwägungsmodell, das der h. M. mit der allgemein postulierten Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugrundeliegt156, an beiden Enden ein variables Maß benötigt, verbietet sich für die gesuchte Eigentumsposition jedenfalls ein absolutes Verständnis, wie es der engsten Fassung der Institutsgarantie zugrundeliegt, da ansonsten der inhaltsbestimmende Gesetzgeber stets bis an diese Grenze gehen könnte, ohne daß es einer abwägenden Bestimmung des zulässigen Ausmaßes an sozialpflichtiger Bindung bedürfte. Damit muß die gesuchte Eigentumsposition folgende Merkmale aufweisen: Erstens muß sie verfassungsautonom sein, d. h. sie darf inhaltlich nicht abhängig sein von demjenigen einfachen Recht, das zu einem bestimmten Zeitpunkt den Inhalt des Eigentums bestimmt. Zweitens muß sie abwägungsfähig sein, d. h. sie muß als Gegenpol der Sozialpflichtigkeit dieser in ihrer Normstruktur entsprechen. Drittens muß der Bezug auf das konkrete Eigentumsobjekt gewahrt sein, da allein dieses Gegenstand der auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Inhaltsbestimmung ist. Viertens schließlich darf sie nicht in der Vorgabe eines konkreten Eigentumsinhalts bestehen, sondern allein in strukturellen Direktiven bzw. Eigentumsprinzipien157, denen das zu prüfende inhaltsbestimmende Recht nach Maßgabe der Abwägung des Art. 14 I 2, II GG gerecht werden muß. Als derartige Eigentumsprinzipien können dabei dieselben benannt werden, die den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff bestimmen, nämlich Privatnützigkeit, grundsätzliche Verfügungsbefugnis und grundsätzlicher Bestand von Eigentumsobjekten158. Da diese Vorgaben sich ohne weiteres mit der funktional-modal fortentwikkelten Institutsgarantie vereinbaren lassen, besteht kein Hinderungsgrund, diese neben dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff als weitere verfassungsunmittelbare Eigentumsposition anzuerkennen, der die Aufgabe zukommt, dem inhaltsbestimmenden Gesetzgeber den inhaltlichen Maßstab verfassungsmäßiger Inhaltsbestimmungen vorzugeben, der nicht identisch ist mit der Bestands___________ 52, 1 (29 f.); zum Komplementärverhältnis der Artt. 14 I 1, 14 I 2 und 14 II GG ferner M. Appel, Eigentum, S. 200; Böhmer, NJW 1988, 2561 (2572). 155 Ebenso M. Appel, Eigentum, S. 210. 156 BVerfGE 49, 382 (400); 50, 290 (341); 52, 1 (29 f.); 55, 249 (258); 58, 137 (147 f.); 58, 300 (346 ff.); 70, 191 (200 f.); 72, 66 (77 f.); 79, 174 (198); 100, 226 (240 f.); 102, 1 (16 f.). – Aus der Lit. Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 38 f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 62 f.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 324 ff.; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 127; Hesse, Grundzüge20, Rn. 448; Sachs, VerfR II, B 14 Rn. 36; Pieroth / Schlink21, Rn. 929; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 133; M. Appel, Eigentum, S. 208 ff.; Thormann, S. 211 ff. 157 Dazu Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 37 ff.; Jestaedt, S. 33. 158 Dazu oben S. 70 Fn. 138.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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garantie des Art. 14 I 1 GG159. Hiermit kann der Institutsgarantie auch heute noch eine eigenständige Funktion zugewiesen und verhindert werden, daß diese als Rechtsfigur obsolet wird160.
(b) Konsequenzen für Immissionsverursachungsbefugnis Damit kommt den Eigentumsprinzipien der Institutsgarantie dieselbe Funktion zu wie den prima facie-Gehalten der Schutzbereiche der übrigen Freiheitsrechte: Während die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG Medium zur Aufnahme aller eigentumsbeschränkenden Rechte, Interessen und Gemeinwohlbelange ist, streitet die Institutsgarantie in der Abwägung des Art. 14 I 2 GG ebenso wie die prima facie-Schutzbereiche für ein Maximum an Eigentümerfreiheit. Davon ist grundsätzlich auch eine zunächst unbeschränkte Immissionsverursachungsbefugnis umfaßt, da „Privatnützigkeit“ bereits dem Wortsinn nach auf eine umfassende und damit auch Immissionsverursachung einschließende Nut___________ 159 Ebenso M. Appel, Eigentum, S. 212 ff.; dagegen vertreten ein von der Institutsgarantie gelöstes Abwägungsmodell Thormann, S. 128, 138 ff.; Bryde, in: v. Münch / Ku5 nig I , Art. 14 Rn. 32 f. – Abweichend auch das BVerfG, das trotz grundsätzlicher Anerkennung der Institutsgarantie diese regelmäßig nicht als Gegenpol der Sozialpflichtigkeit benennt, sondern bei unterschiedlicher Terminologie unmittelbar an Art. 14 I 1 GG anknüpft; so lautet eine gängige Formulierung, der Gesetzgeber, der Inhalt und Schranken des Eigentums bestimme, habe dabei „sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 I 1 GG als auch der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ... Rechnung zu tragen“ (Hervorh. vom Verf.); so oder ähnlich BVerfGE 37, 132 (140 f.); 38, 348 (370), 52, 1 (29); 58, 137 (147 f.); 58, 300 (338); 68, 361 (367 f.); 70, 191 (200); 71, 230 (246 f.); 95, 64 (84); 101, 239 (259 ff.); 102, 1 (16 f.); NJW 1990, 241 (242); NJW 1990, 825; NVwZ 1991, 358; NJW 1998, 3559 (3559); NJW 2000, 798 (799) (weitere Formulierungen bei M. Appel, Eigentum, S. 210 f.); demgegenüber findet die Institutsgarantie bereits zahlenmäßig nur untergeordnete Erwähnung und wird in einer Weise beschrieben, die auf das oben abgelehnte absolute Verständnis hinausläuft (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1783 [1784]: Die Institutsgarantie gewährleiste einen „Grundbestand von Normen, der gegeben sein muß, um das Recht als ‚Privateigentum‘ bezeichnen zu können“; ebenso BVerfGE 31, 229 [241]; 24, 367 [389]). – Entsprechend wird in der Lit. als Gegenpol zu Art. 14 II GG teilweise auf die „grundsätzliche Anerkennung des Privateigentums“ abgestellt (Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 251; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 75; ähnlich Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 50; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 117 ff.). 160 Denkbar bliebe eine weitere Funktion der Institutsgarantie als absolute Grenze der Abwägung (in diese Richtung Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 224; Ehlers, VVDStRL 51 [1992], S. 216; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 515; weitere Nachw. bei M. Appel, Eigentum, S. 212). Ein solches Verständnis ist aufgrund der relationellen Struktur der Abwägung nach Art. 14 I 2 GG jedoch abzulehnen, da erstens unklar ist, in welchem Umfang ein solcher „Mindestschutz“ zu gewähren ist und zweitens bei einem zu weit gefaßten Mindestschutz die Gefahr bestünde, daß sich selbst hochrangige Gemeinschafts- bzw. Grundrechtsgüter nicht mehr gegen Art. 14 I 1 GG durchsetzen können.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
zungsbefugnis hindeutet161. Gleichwohl folgt hieraus keine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis vergleichbar Art. 12 GG162, da die Institutsgarantie nicht dazu dient, verfassungsunmittelbar Eigentumsinhalte und -befugnisse zu begründen – dies ist allein Aufgabe der Bestandsgarantie163 –, sondern einzig, dem Gesetzgeber inhaltliche Direktiven der Inhaltsbestimmung vorzugeben. Ein anderes folgt auch nicht aus Art. 14 II GG als inhaltlichem Gegenpol der Institutsgarantie164: Zwar wird für diesen teilweise eine „Außenwirkung“, d. h. eine unmittelbare Pflichtigkeit des Eigentümers vertreten165. Diese Auffassung ist indes abzulehnen, da Art. 14 II GG keinen unmittelbar subsumtionsfähigen Tatbestand enthält166, sondern nur Prinzipien, die notwendig einer Abwägung nach Maßgabe des Art. 14 I 2 GG bedürfen. Diese ist jedoch nach Art. 14 I 2 GG allein dem Gesetzgeber zugewiesen, dem insofern eine Prärogative für die Definition eigentumsbeschränkender Interessen zukommt167. Würde die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG aus dieser Abwägung herausgerissen, liefe sie – von fehlender Bestimmtheit ganz abgesehen – Gefahr, inhaltlich verabsolutiert zu werden und ein Übermaß an Sozialpflichtigkeit zu begründen168. Aufgrund ihrer spiegelbildlichen Funktion zu Art. 14 II GG kann aber auch die Institutsgarantie Außenwirkung nicht entfalten und eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis nicht begründen. ___________ 161 Zum Begriff der Privatnützigkeit Hösch, Eigentum, S. 54; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 68; M. Appel, Eigentum, S. 42 ff. – Im übrigen führt der Prinzipiencharakter der Privatnützigkeit zur Unterscheidung einer prima facieund definitiven Privatnützigkeit, da diese notwendig mit einem überschießenden Gehalt in die Abwägung des Art. 14 I 2 GG eingestellt werden muß und das definitive Maß an Privatnützigkeit stets das Ergebnis einer Abwägung mit den Belangen der Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG ist. 162 Dazu oben S. 61 ff. 163 Dazu oben S. 69 ff. 164 Zur Funktion des Art. 14 II GG Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 59 f., 67 ff.; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 42; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 218; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 306; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 251, 511; Hesse, Grundzüge20, Rn. 448; aus der Rspr. BVerfGE 37, 132 (140 f.); 50, 290 (340 f.); 52, 1 (29 f.). 165 Bejahend Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 69; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 90 f.; Kimminich, in: BonnerKomm-GG, Art. 14 Rn. 154 ff. (August 1992); Breuer, Bodennutzung, S. 42 f. – Ablehnend Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 306; Rozek, S. 67 ff.; Thormann, S. 134 f.; M. Appel, Eigentum, S. 235 ff.; Hösch, Eigentum, S. 199 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 201 f.; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 169. 166 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 218. 167 Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 515. 168 Im übrigen wird auch von den Befürwortern einer unmittelbaren Anwendung zugestanden, daß diese als lex imperfecta gegenüber dem Eigentümer nicht erzwingbar sei (so Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 69).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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dd) Abweichende Konzeption von Otto Depenheuer Im folgenden soll die abweichende Konzeption des grundrechtlichen Eigentumsschutzes von Depenheuer betrachtet und kritisch gewürdigt werden, auf deren Grundlage die Annahme einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG möglich wäre. Depenheuer wendet sich dezidiert gegen die Gesetzesabhängigkeit der Bestandsgarantie auf Schutzbereichsebene und erhebt den Vorwurf, diese führe die grundgesetzliche Eigentumsdogmatik in „elementare Widersprüchlichkeiten und Aporien“169. Um diesen zu entgehen, konstruiert Depenheuer den Eigentumsschutz nach Art. 14 I 1 GG konsequent außentheoretisch nach dem Vorbild der anderen Freiheitsrechte und postuliert einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff, der „als Eckpunkt der Abwägung von Eigentümerinteressen und Gemeinschaftsbelangen nicht identisch mit dem sein (könne), der als Ergebnis der Abwägung zum Inhalt der gesetzlichen Inhaltsbestimmung wird“170. Gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen müßten daher stets als von außen kommende und nachträgliche Beschränkung eines dem Gesetzgeber vorgegebenen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs angesehen werden171. Dessen „inhaltlichen Selbstand“ stellt Depenheuer dadurch her, daß er ihn gleichsetzt mit dem Eigentumsbegriff, den das Grundgesetz 1949 in seiner bürgerlich-rechtlichen Gestalt vorgefunden und rezipiert habe172. Damit knüpft Depenheuer zwar auch an einen einfach-rechtlichen Eigentumsbegriff an, dieser wird jedoch in statischer Gestalt unmittelbar zum verfassungsrechtlichen Maßstab gemacht. Insofern habe der Verfassungsgeber „aus der Vielzahl theoretisch denkbarer Eigentumskonkretisierungen ... einen bestimmten Typus von Eigentum verfassungskräftig zum Leitbild gesetzlicher Konkretisierungen erhoben“ und die Verfassung mußte „Eigentum nicht neu erfinden, sondern fand es als ausgeformtes Rechtsinstitut in seinen prägenden Strukturen im bürgerlichen Recht des Jahres 1949 vor und konnte daran anknüpfen“173. Dieses werde durch das bürgerliche Sach- und Grundeigentum geprägt, das durch „privatnützig zugewiesene umfassende Herrschafts- und Verfügungsbefugnis“ gekennzeichnet sei. Dies finde normativ seinen Ausdruck insbesondere in § 903 Satz 1 BGB, wonach der Eigentümer „mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von ___________ 169 Depenheuer, FS Leisner, S. 283; ders., Eigentumsbegriff, S. 31 ff.; ders., in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 42 ff.; ders., Entwicklungslinien, S. 159. 170 Depenheuer, FS Leisner, S. 288 (Hervorh. im Original). 171 Depenheuer, FS Leisner, S. 289; ders., in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 45; ders., Entwicklungslinien, S. 164 f. 172 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 33; ders., FS Leisner, S. 291 f.; ders., Entwicklungslinien, S. 166 f. 173 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 32.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
jeder Einwirkung ausschließen“ kann174. Damit könnte aus diesem Modell unproblematisch auch eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis hergeleitet werden175. Auch wenn Depenheuer hiermit ein schlüssiges Modell entwickelt, das Ernst macht mit der verfassungsrechtlichen Maßstabswirkung des Art. 14 I 1 GG und dessen außentheoretischer Struktur, so ist es doch aus zwei Gründen abzulehnen: So wurde oben gezeigt, daß auch das BVerfG von einem funktionsfähigen außentheoretischen Modell ausgeht, in welchem das Verfassungsrecht eine eigenständige Maßstabswirkung entfaltet, nämlich sogar doppelt über verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff und fortentwickelte Institutsgarantie, weshalb die von Depenheuer erhobenen Vorwürfe der „Widersprüchlichkeiten und Aporien“ im Ergebnis unberechtigt sind. Sein Modell hat daher allein den Vorzug der Einfachheit, da Art. 14 GG damit zum „normalen“ Abwehrrecht würde176. Es ist angesichts des Wortlauts des Art. 14 I 2 GG, wonach nicht nur die „Schranken“, sondern zuallererst der „Inhalt“ des Eigentums durch Gesetz bestimmt werden, jedoch sehr fraglich, ob sich Art. 14 GG ohne weiteres in das herkömmliche abwehrrechtliche Verständnis pressen läßt, da keine anderen Grundrechte – auch nicht diejenigen, denen ein sog. normgeprägter Schutzbereich zugesprochen wird177 – über eine vergleichbare Klausel verfügen. Dafür, daß der Verfassungsgeber Art. 14 GG insofern bewußt anders konstruiert hat spricht folgendes: Die Nutzung von Grundeigentum, das dem Verfassungsgeber paradigmatisch vor Augen stand, weist gegenüber anderen Freiheitsrechten die Besonderheit auf, daß hier regelmäßig – gerade das Umweltrecht liefert eine Fülle an Beispielen – zugleich Rechte bzw. Interessen Dritter berührt werden. Jaschinski hat zutreffend ausgeführt, daß bei den übrigen Freiheitsrechten eine relativ große individuelle Freiheit regelmäßig sozial unschädlich und meist sogar erwünscht ist178, so daß eine Beschränkung im übergeordneten Allgemein- und Individualinteresse nur ausnahmsweise erforderlich ist. Beim Eigentum kehrt sich dieses Verhältnis jedoch um, da hier die genannte Konfliktlage bereits im Normalfall ___________ 174 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 33; gegen eine solche Sicht Böhmer, NJW 1988, 2561 (2571). 175 Dies entspricht der Auffassung, die auch Nutzungsbefugnisse unmittelbar aus Art. 14 I 1 GG ableiten möchte (so Lubberger, S. 252 ff.; Ossenbühl, FS Leisner, S. 690 f.). 176 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 45 ff., 226 f.; ebenso jetzt auch Raue, S. 107 ff., der diesbezüglich vom Schutz „natürlicher Handlungsmöglichkeiten“ durch Art. 14 I 1 GG spricht. 177 Dazu Sachs, VerfR II, A 8 Rn. 4; Pieroth / Schlink21, Rn. 209 ff.; Lerche, in: HbStR V, § 121 Rn. 38 ff. 178 Jaschinski, S. 144 f. mit dem Beispiel der Meinungs- und Versammlungsfreiheit; dem folgend M. Appel, Eigentum, S. 92.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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besteht179. Daher spricht viel dafür, daß der Verfassungsgeber durch die Einbeziehung der Inhaltsbestimmungsbefugnis in Art. 14 I 2 GG dem Rechnung tragen und Art. 14 GG bewußt anders konstruieren wollte. Nimmt man daher den Wortlaut des Art. 14 I 2 GG Ernst, der gleichrangig Inhalts- und Schrankenbestimmung nennt, so ist das Modell Depenheuers abzulehnen180.
ee) Konsequenzen Damit muß die Existenz einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG verneint werden. Gleichwohl können aus Art. 14 GG Rückschlüsse für eine abwehrrechtliche Konstruktion staatlicher Schutzpflichten gewonnen werden, wenn man § 903 Satz 1 BGB zum Ausgangspunkt der Überlegung nimmt, da auch das inhaltsbestimmende einfache Recht auf einer logischen Stufenfolge beruht: Da der Gesetzgeber mit § 903 Satz 1 BGB auf einer ersten Stufe181 gleichsam eine Generalklausel geschaffen hat, die in ihrem prima facie-Gehalt in optimaler Weise den Eigentumsprinzipien der Institutsgarantie entspricht, erscheint jede weitere beschränkende Regelung auf nachfolgenden Stufen als Beschränkung der Eigentümerbefugnisse des § 903 Satz 1 BGB182. Einziger Unterschied zum oben verworfenen Modell Depenheuers ist, daß dieser unbeschränkte prima facie-Gehalt keinen Verfassungsrang hat, sondern allein auf der Entscheidung des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers beruht. Indes ist dieser Unterschied für das vorliegende Gedankenexperiment nicht ausschlaggebend: Denkt man nämlich alle eigentumsbeschränkenden Normen des einfachen Rechts hinweg, so bliebe als Norm der ersten Stufe immer noch § 903 Satz 1 BGB bestehen, der dann zum alleinigen „Inhalt“ der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG würde. Daß § 903 Satz 1 BGB auch in der Lage ist, eine prima facie unbeschränkte Immissionsverursachungsbefugnis zu begründen, wurde bereits dargestellt. ___________ 179
Jaschinski, S. 144 f.; ebenso M. Appel, Eigentum, S. 92. Im übrigen wäre es widersprüchlich, die Gesetzesabhängigkeit zwar grundsätzlich anzuerkennen, jedoch die Eigentumsnutzung hiervon auszunehmen, da sich das „Konfliktpotential“ des Eigentums regelmäßig erst an der Nutzung entzündet (so zutreffend M. Appel, Eigentum, S. 148; ders., NuR 2005, 427 [431 f.]). 181 Ein solches „Stufenmodell“ klingt auch an bei Burgi, NVwZ 1994, 527 (530 f.). 182 Diese ist in § 903 Satz 1 BGB selbst angelegt, wonach die Eigentümerbefugnisse nur soweit reichen, als nicht „das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen“. Während in der 1. Alt. eine gesetzliche Beschränkungsmöglichkeit geschaffen wird, scheint die 2. Alt. („Rechte Dritter“) eine immanente Beschränkung der Eigentümerbefugnisse zu enthalten. Indes sollen unter „Rechte Dritter“ im wesentlichen nur (beschränkte) dingliche Rechte bzw. Rechte aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis verstanden werden (vgl. nur Fritzsche, in: Bamberger, BGB II, § 903 Rn. 65), so daß Art. 2 II 1 GG hierfür ausscheidet; zur Bedeutung des § 903 BGB im vorliegenden Kontext ferner Böhmer, NJW 1988, 2561 (2568 f.); M. Appel, NuR 2005, 427 (432). 180
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Damit kann festgehalten werden, daß aus Art. 14 GG im Gegensatz zu Art. 12 GG jedenfalls keine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis hergeleitet werden kann. Gleichwohl folgt aus Art. 14 I 1 GG im Zusammenspiel mit § 903 Satz 1 BGB eine prima facie unbeschränkte einfach-rechtliche Immissionsverursachungsbefugnis, die der verfassungsunmittelbaren aus Art. 12 GG funktional entspricht und im folgenden als verfassungsmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis bezeichnet werden soll.
d) Subsidiär: Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 2 I GG Erfolgt schließlich die Immissionsverursachung durch Private nicht zu gewerblichen Zwecken, so kommt vorbehaltlich weiterer Grundrechte – etwa Art. 5 III GG bei einer Forschungseinrichtung – Art. 2 I GG als subsidiäres Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit zum Tragen183. Da dieses mit der „verfassungsmäßigen Ordnung“ unter einer denkbar weiten Schranke steht184, besteht keine Notwendigkeit, bereits den Schutzbereich wertend um solche drittbeeinträchtigende Verhaltensweisen zu verengen, die mit Immissionsverursachung verbunden sind. Insofern enthält auch Art. 2 I GG eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis. Ein anderes könnte jedoch aus den „Rechten anderer“ folgen, die in der „Schrankentrias“ des Art. 2 I Halbsatz 2 GG als weitere Schranke genannt sind. Von der herrschenden Auffassung wird dieser Schranke gegenüber der „verfassungsmäßigen Ordnung“ kein eigenständiger Anwendungsbereich zugesprochen, da „Rechte anderer“ nur insoweit bestünden, als sie von der verfassungsmäßigen objektiven Rechtsordnung gewährt seien185. Dies ist zwar ohne weiteres zutreffend für solche Rechte, die unterhalb der Verfassungsebene begründet werden. Indes ist ein solches Verständnis nicht zwingend, da „Rechte anderer“ auch Grundrechte Dritter sein können186 bzw. präziser: kollidierende grund___________ 183
Grundlegend BVerfGE 6, 32 ff. – Elfes; 80, 137 (157) – Reiten im Walde. Darunter wird die gesamte Rechtsordnung verstanden, sofern sie formell und materiell mit der Verfassung im Einklang steht (st. Rspr. seit BVerfGE 6, 32 [37 f.] – Elfes; 80, 137 [153] – Reiten im Walde). 185 So H. Dreier, in: Dreier I2, Art. 2 I Rn. 53; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 19; Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 18; Zippelius / Würtenberger31, S. 213; weitergehend Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 191 mit der Beschränkung auf subjektive Rechte des Privatrechts; zum Gesamten ferner Bleckmann II4, § 32 Rn. 47 ff. 186 Zutreffend Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 207; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 20; Bleckmann II4, § 32 Rn. 49; ablehnend Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 91 mit dem unzutreffenden Hinweis auf die fehlende Drittwirkung der Grundrechte, wonach diese von Privaten gar nicht verletzt werden könnten; dem steht die oben beschriebene Abstrahierungsleistung der Lehre von den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten entgegen; dazu oben im Text (ablehnend zu einer unmittelbaren Drittwirkung auch Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 39). 184
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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rechtliche Schutzgüter, da die allgemeine Handlungsfreiheit des einen nicht mit ausschließlich staatsgerichteten Abwehrrechten anderer kollidieren kann. Allein dieses Verständnis verhindert im übrigen den vom Verfassungstext nicht indizierten „Totalausfall“ dieser Schranke. Fraglich ist jedoch die dogmatische Einordnung einer solchermaßen verstandenen Schranke: Zunächst könnte es sich um eine verfassungsunmittelbare Schranke handeln. Dagegen spricht, daß sich bei diesem Verständnis kollidierende Grundrechte stets und ohne Möglichkeit einer Abwägung gegen die allgemeine Handlungsfreiheit durchsetzen würden. Vorzugswürdig ist daher eine Anlehnung an die Dogmatik verfassungsimmanenter Grundrechtsschranken, weshalb zwischen der allgemeinen Handlungsfreiheit und kollidierenden Grundrechten stets eine Abwägung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit bzw. praktischen Konkordanz stattzufinden hat187. Damit hängt die Existenz einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 2 I GG von der noch zu klärenden Frage ab, inwieweit auch verfassungsimmanente Schranken einer Aktualisierung durch den Gesetzgeber bedürfen188.
3. Konsequenzen für abwehrrechtliche Konstruktion Ist somit das Verhältnis einfach-rechtlicher Erlaubnisnormen zur verfassungsunmittelbaren bzw. -mittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis im Sinne der zweiten Konstellation zu rekonstruieren, so sind im folgenden die Konsequenzen für eine abwehrrechtliche Schutzpflichtenkonstruktion zu klären: Grundsätzlich führt die grundrechtliche Herleitung einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis dazu, daß jede einfach-rechtliche Erlaubnisnorm diese prima facie unbegrenzte Befugnis im abwehrrechtlichen Sinne beschränkt, da Immissionsverursachungen jenseits dieser ausdrücklichen Erlaubnis unzulässig sind. Daher sind entsprechende Erlaubnisnormen stets einer abwehrrechtlichen Eingriffsrechtfertigung am Maßstab der Emittentengrundrechte zu unterziehen, für die als formelle Voraussetzung die Artt. 12 I 2 und 14 I 2 GG zu beachten sind. Nach diesen Vorschriften obliegt die „Regelung“ der Berufsausübung bzw. die „Bestimmung“ von „Inhalt und Schranken“ allein dem Gesetzgeber, weshalb beide Regelungen – ohne „echte“ Gesetzesvorbehalte zu sein – jedenfalls wie solche wirken189. Ist damit aber die Rechtfer___________ 187
Ebenso Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 208. Dazu unten S. 84 ff. 189 Art. 12 I 2 GG ist zwar kein Gesetzesvorbehalt, sondern ein Regelungsvorbehalt (dazu Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 81; ungenau Jarass, in: J / P8, Art. 12 Rn. 19; Umbach, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 12 Rn. 71), wirkt jedoch im Ergebnis insofern wie ein Gesetzesvorbehalt, als die „Regelung“ dem Gesetz vorbehalten ist. – Art. 14 I 2 GG ist ebenfalls kein Gesetzesvorbehalt, wirkt jedoch ebenso als solcher, indem er die 188
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
tigung der Beschränkung entsprechender Verursachungsbefugnisse kompetenziell zwingend dem Gesetzgeber vorbehalten190, ist der prima facie-Gehalt einer verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis solange zugleich der definitive, als der Gesetzgeber von seiner Beschränkungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Solange daher beschränkende Gesetze nicht existieren, ist die aus den Artt. 12 und 2 I GG folgende Immissionsverursachungsfreiheit unbegrenzt191. Gleiches gilt für Art. 14 GG, solange § 903 Satz 1 BGB beschränkende Gesetze nicht existieren. Fraglich ist, wie dieser Befund mit dem geschilderten Mechanismus des Abwehrrechts zu vereinbaren ist. Dieser besteht nach den obigen Ausführungen darin, daß der ursprüngliche Zustand des Schutzguts allein dadurch wiederhergestellt wird, daß der Eingriffsakt beseitigt oder aufgehoben wird192, weshalb die Rechtsfolge des Abwehrrechts in einer Unterlassungspflicht besteht193. Diese versagt jedoch, wenn der Staat überhaupt keine einfach-rechtlichen Normen erlassen hat, welche verfassungsunmittelbare oder -mittelbare Immissionsverur___________ Inhalts- und Schrankenbestimmungbefugnis allein dem Gesetzgeber zuweist (Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 306; Berkemann, in: GG-Mitarbeiterkommentar, Art. 14 Rn. 289). – Gleiches gilt für den subsidiären Art. 2 I GG: Hier umfaßt die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ die gesamte Rechtsordnung, sofern sie formell und materiell mit der Verfassung im Einklang steht (st. Rspr. seit BVerfGE 6, 32 [37 f.] – Elfes; 80, 137 [153] – Reiten im Walde; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 22). Da aber jede untergesetzliche Rechtsnorm auf ein Parlamentsgesetz zurückgeführt werden muß (vgl. Art. 80 I GG), folgt auch aus Art. 2 I GG das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für beschränkende Regelungen. 190 Zu diesem kompetenziellen Gehalt Bumke, S. 217. 191 Dies ist auch der Grund der sog. „Gesetzesmediatisierung“ staatlicher Schutzpflichten (grundlegend Isensee, Sicherheit, S. 42 ff.; ders., in: HbStR V, § 111 Rn. 152; ferner Wahl / Masing, JZ 1990, 553 [558 f.]; Pietrzak, JuS 1994, 748 [753]; Preu, JZ 1991, 265 [270]; Bethge, VVDStRL 57 [1998], S. 50 f.; H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 102), da immer dann, wenn „Schutz“ nur durch Eingriff zu leisten ist (vgl. Wahl / Masing, JZ 1990, 553 ff.), dieser nur auf gesetzlicher Grundlage möglich ist. – Daneben bleiben Fallgruppen, die nicht dem Gesetzesvorbehalt unterfallen, etwa bei tatsächlichen Schutzmitteln ohne Eingriffsqualität; ferner der diplomatische Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland, was hier nicht vertieft werden kann. 192 Dazu oben S. 59 ff. 193 Zur Unterscheidung von grundrechtlichen Abwehr- und Leistungsrechten Borowski, S. 164 ff., der zwischen einer formellen und einer materiellen Unterscheidung differenziert und im Rahmen der materiellen Unterscheidung zusätzlich das einfache Recht einbezieht. Danach kann auch ein Abwehrrecht ausnahmsweise ein Handeln gebieten, wenn etwa das einfache Recht ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt errichtet hat: Das „Unterlassen“ eines Eingriffs äußert sich hier in der Aufhebung des Verbots durch Handlung, etwa einer Genehmigung (Borowski, S. 169 f.). Ebenso kann sich der Anspruch auf Gewährung staatlichen Schutzes dann in einen Unterlassungsanspruch wandeln, wenn der Staat schützendes einfaches Recht geschaffen hat und es um dessen Beibehaltung geht (Borowski, S. 171 f.).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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sachungsbefugnisse beschränken („echtes Unterlassen“)194. In diesem Fall könnte das Abwehrrecht aus Art. 2 II 1 GG als Rechtsfolge niemals die benötigte staatliche Handlungspflicht in Gestalt der Schaffung immissionsbegrenzender Normen einfachen Rechts begründen. Dieser Fall gänzlichen Fehlens einfachrechtlicher Regelungen wird jedoch selten sein, da eine entwickelte Rechtsordnung wie diejenige der Bundesrepublik stets irgendeine Regelung – und sei es die polizeirechtliche Generalklausel – bereithalten wird195. Der relevantere Fall ist demgegenüber derjenige, daß der Staat zwar entsprechende Normen geschaffen hat, diese aber für die Grundrechte der Immissionsbetroffenen unzureichend sind („unechtes“ Unterlassen). Versucht man, hierauf die abwehrrechtliche Rechtsfolge anzuwenden, so könnte dies nur zur Kassation des Eingriffsaktes – d. h. der einfach-rechtlichen Vorschriften – führen196. Werden diese aufgehoben, ist Folge jedoch allein das Wiederaufleben der unbeschränkten Immissionsverursachungsbefugnis, d. h. eine Situation, in der die Immissionsbetroffenen noch schlechter gestellt sind. Die hier allein Abhilfe versprechende Rechtsfolge, nämlich die Schaffung „schärferen“ einfachen Rechts, kann daher über das Abwehrrecht nicht begründet werden. Daher bedarf es einer weiteren, vom Abwehrrecht verschiedenen Grundrechtsfunktion, welche unproblematisch als staatliche Schutzpflicht in der oben entwickelten Gestalt identifiziert werden kann. Es ist somit nicht nur allgemein eine eigenständige Kategorie der staatlichen Schutzpflicht nachgewiesen, sondern zugleich deren zentrale Funktion benannt: Diese dient dazu, die strukturelle Unterlegenheit bestimmter Grundrechte im grundrechtlichen Kollisionsfall auszugleichen, die aus der „starken“ Stellung resultiert, welche das Abwehrrecht bestimmten „beeinträchtigenden“ Grundrechten verschafft. Insofern werden die der staatlichen Schutzpflicht zugrundeliegenden Rechtsverhältnisse zutreffend als „Rechtsdreieck“ beschrieben197, d. h. als Dreieck aus drittbeeinträchtigendem und abwehrrechtlich berechtigtem „Störer“, beeinträchtigtem Dritten, dessen Schutz über die staatliche Schutzpflicht hergestellt werden muß, und dem Staat, der diese Kollisionslage durch Schaffung schützenden Rechts aufzulösen hat. Hierbei ist die staatliche Schutzpflicht materiell zugleich Rechtfertigung der Beschränkung der verfassungsunmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis, die ihre Legitimation nicht erst ___________ 194 Zur Unterscheidung von „echtem“ und „unechtem“ Unterlassen Calliess, Umweltstaat, S. 320; Möstl, DÖV 1998, 1029 f. 195 Dies gilt auch für das Immissionsschutzrecht, wo die polizeirechtliche Generalklausel als öffentlich-rechtliche und die §§ 1004, 823 BGB als privatrechtliche Generalklausel bereitstünden. 196 Zu dieser Rechtsfolge Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 75 f.; Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 42; Bleckmann II4, § 11 Rn. 21; Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (558). 197 Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 5; Jarass, FS BVerfG II, S. 40; Streuer, S. 98 f.; Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (556); Schindler, S. 171 ff.; Mayer, S. 16 und passim.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
aus der Zwecksetzungskompetenz des jeweiligen Normgebers erfährt198, sondern bereits verfassungsunmittelbar aus den zu schützenden Grundrechten.
4. Ergebniskorrektur durch verfassungsimmanente Schranken? Zu einem anderen Ergebnis könnte man allerdings auf Grundlage der Lehre von den verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken gelangen199, wenn man mit einer (bestrittenen) Auffassung diese auch bei Vorhandensein ausdrücklicher Schrankenklauseln für anwendbar hält200. Jedenfalls für Grundrechte ohne qualifizierte Schrankenklausel ist letzterer Ansicht zu folgen, da der Zweck ausdrücklicher Schrankenklauseln darin besteht, die Beschränkungsmöglichkei___________ 198
Grundlegend BVerfGE 13, 97 (107) zur Beschränkung der Berufsfreiheit: „Schutzwürdig sind hier nicht nur ‚absolute‘, d. h. allgemein anerkannte und von der jeweiligen Politik des Gemeinwesens unabhängige Gemeinschaftswerte ... Der Gesetzgeber kann auch Gemeinschaftsinteressen zum Anlaß von Berufsregelungen nehmen, die ihm nicht in diesem Sinne ‚vorgegeben‘ sind, die sich vielmehr erst aus seinen besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen ergeben, die er also erst selbst in den Rang wichtiger Gemeinschaftsinteressen erhebt“; das BVerfG sieht etwa die Sicherung der Energieversorgung als „Gemeinschaftsgut höchsten Ranges“ an (BVerfGE 30, 292 [323 f.]). – Aus der Lit. Bleckmann II4, § 12 Rn. 114; Albrecht, S. 71; Lerche, in: HbStR V, § 122 Rn. 15; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 73; zur Definition berufsbeschränkender Zwecksetzungen Manssen, in: v. Mangoldt/ Klein / Starck I5 , Art. 12 Abs. 1 Rn. 125 ff.; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 12 ff. – Grundlegend zum „Öffentlichen Interesse“ die Arbeiten von Uerpmann, Interesse (1999), Häberle, Interesse (1970) und Martens, Öffentlich (1969). 199 Die Lehre von den verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken wurde entwikkelt zur Beschränkung vorbehaltloser Grundrechte (vgl. insbes. Art. 4 I u. II, 5 III 1 GG); hierzu grundlegend BVerfGE 28, 243 (260 f.) – Kriegsdienstverweigerung; ferner BVerfGE 30, 173 (193) – Mephisto; 83, 130 (139) – Mutzenbacher; aus neuerer Zeit BVerfGE 108, 282 (297) – Kopftuch; aus der Lit. von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 57; Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 120 ff.; ders., in: Stern III / 2, S. 550 ff.; ders., JuS 1995, 984 (986 ff.); Jarass, in: J / P8, Vorb. vor Art. 1 Rn. 45 ff.; Wendt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 5 Rn. 96 f.; Stern, FS BVerfG II, S. 15. 200 Zu dieser Frage Sachs, in: Stern III / 2, S. 524 f.; Winkler, S. 288 ff.; hier stehen sich im wesentlichen zwei Ansichten gegenüber, deren eine den bestehenden Vorbehaltsklauseln eine abschließende Wirkung zuspricht, da der Verfassungsgeber die Beschränkbarkeit eines Grundrechts damit abschließend geregelt habe, während nach der anderen Ansicht die Beschränkbarkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht den Mindestbestand an Beschränkungsmöglichkeiten sämtlicher Grundrechte darstelle (im letzteren Sinne von Arnauld, Schranken, S. 128 f.; Winkler, S. 288 ff.; Jarass, in: J / P8, Vorb. vor Art. 1 Rn. 47; Lerche, in: HbStR V, § 122 Rn. 14; Krings, S. 192; a. A. Pieroth / Schlink21, Rn. 331). – Aus der Rspr. BVerfGE 97, 169 (176 ff.) – Kleinbetriebsklausel, wo das Gericht von einer Kollision zwischen einer Schutzpflicht aus Art. 12 I GG seitens der Arbeitnehmer und dem Abwehrrecht aus demselben Grundrecht seitens der Arbeitgeber ausgeht und eine Kollisionslösung unmittelbar aufgrund der kollidierenden Grundrechte vornimmt, ohne auf Art. 12 I 2 GG auch nur einzugehen; ferner BVerfG, NJW 1996, 3145 (3146) – Kindesentführung (bezüglich Art. 11 GG).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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ten des Gesetzgebers gegenüber einer nur verfassungsimmanenten Beschränkung zu erweitern201. Insofern ist die These, der Verfassungsgeber habe bei Grundrechten mit ausdrücklichem Vorbehalt alle Konfliktlagen abschließend geregelt202, zu undifferenziert, da sie nicht zwischen Geltung und Anwendung des Vorbehalts unterscheidet203: Da einfache Gesetzesvorbehalte keine inhaltlichen Vorgaben für die zu verfolgenden Zwecke treffen, sind sie sowohl offen für selbstgesetzte Zwecke des Gesetzgebers als auch für verfassungsimmanente Zwecke; letztere haben Geltung damit auch gegenüber diesen Grundrechten. Insofern kann sich die „abschließende Regelung“ nicht auf die inhaltliche Seite beziehen, sondern allein auf die modale des Zur-Geltung-Bringens. Eigentliche Frage ist daher, ob auch verfassungsimmanente Zwecke zwingend über die entsprechenden Gesetzes- bzw. Regelungsvorbehalte zur Geltung zu bringen sind und insofern ebenfalls eines gesetzgeberischen Tätigwerdens bedürfen.
a) Verfassungsimmanente Beschränkung der Verursachungsbefugnis Hält man daher verfassungsimmanente Schranken parallel zu den Artt. 12 I 2 und 14 I 2 GG für anwendbar, so könnte die entsprechende Immissionsverursachungsbefugnis eine Grenze nicht erst im Wege der einfach-gesetzlichen Schrankensetzung finden, sondern bereits durch die kollidierenden Betroffenengrundrechte als verfassungsimmanente Schranken. In diesem Fall müßte das Konzept prima facie unbeschränkter Immissionsverursachungsbefugnisse insofern revidiert werden, als diese bereits durch die Verfassung selbst auf ein definitives Maß reduziert würden. Damit könnten einfach-gesetzliche Vorschriften entweder die verfassungsimmanenten Beschränkungen lediglich deklaratorisch nachzeichnen204 oder hiervon konstitutiv im Rahmen zusätzlicher Zwecksetzungen in die eine oder andere Richtung abweichen. Bei diesem Verständnis wäre auch dann, wenn der Gesetzgeber von seiner Zwecksetzungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, gleichwohl jeder Kollisionsfall verfassungsrechtlich ___________ 201 Ebenso Winkler, S. 289; zur legislativen Zwecksetzungskompetenz soeben Fn. 198. – Geht man davon aus, daß die Funktion verfassungsimmanenter Schranken in der Auflösung derjenigen Antinomien besteht, die im Grundgesetz zwangsläufig angelegt sind (so von Arnauld, Schranken, S. 122), so folgt daraus nicht nur kein Widerspruch zur Funktion nicht qualifizierter Schrankenklauseln, sondern eine notwendige Ergänzung im Sinne eines Mindestbestandes an Beschränkungsmöglichkeiten. – Eine andere Lösung könnte sich für Grundrechte mit qualifizierter Schrankenklausel (z. B. Art. 11 II GG) ergeben, da hier der Gesetzgeber auf die Verfolgung bestimmter Zwecke festgelegt wird, so daß sich die berechtigte Frage stellt, inwieweit diese gegenüber den verfassungsimmanenten abschließend sind (vgl. von Arnauld, Schranken, S. 129 f.). 202 So Pieroth / Schlink21, Rn. 331. 203 Zu dieser Unterscheidung von Arnauld, Schranken, S. 128. 204 Vgl. dazu von Arnauld, Schranken, S. 126; ähnlich H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 141; Hesse, Grundzüge20, Rn. 312; Bumke, S. 162; Gellermann, S. 211.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
vorentschieden, da allein dasjenige Immissionsmaß zulässig wäre, das Ergebnis der verfassungsimmanenten Beschränkung ist. Somit könnte die einfach-rechtliche Immissionsverursachungsbefugnis über die verfassungsrechtlich limitierte hinausgehen und es wäre in diesem Umfang eine abwehrrechtliche Rekonstruktion der Grundrechte der Drittbetroffenen möglich, da bei Kassation der einfach-rechtlichen Erlaubnisnorm nur eine verfassungsimmanent limitierte Immissionsverursachungsbefugnis übrig bliebe. Diese Konstruktion steht und fällt mit der Frage, ob die Betroffenengrundrechte als verfassungsimmanente Schranke unmittelbar – d. h. ohne Zwischenschaltung einfachen Rechts – die Immissionsverursachungsbefugnis der Emittenten beschränken. Unterwirft man nämlich auch verfassungsimmanente Schranken dem formellen Regime der Gesetzes- bzw. Regelungsvorbehalte, so wäre auch die verfassungsimmanente Beschränkung zwingend auf eine Aktualisierung durch den Gesetzgeber angewiesen. In diesem Fall bestünde jedenfalls solange, als der Gesetzgeber eine solche nicht vorgenommen hat, gleichwohl eine unbeschränkte Immissionsverursachungsbefugnis, was eine abwehrrechtliche Konstruktion wiederum ausschlösse.
b) Gesetzesvorbehalt auch bei verfassungsimmanenten Schranken Im folgenden soll zunächst der „Normalfall“ verfassungsimmanenter Schranken betrachtet werden, nämlich die Beschränkung vorbehaltloser Grundrechte205, bevor in einem zweiten Schritt geklärt werden soll, inwieweit dies auf Grundrechte mit ausdrücklichem Schrankenvorbehalt übertragbar ist.
aa) Diskussion im Rahmen vorbehaltloser Grundrechte Gegen eine Geltung der Gesetzes- bzw. Regelungsvorbehalte könnte sprechen, daß es nach verbreiteter Auffassung bei verfassungsimmanenten Schranken lediglich um das „Nachzeichnen“ bereits „gezogener“ Schranken206 und insofern um einen Vorgang der Rechtsanwendung gehe, welchen Exekutive und Judikative auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung vornehmen dürften. Es ist aber zweifelhaft, ob die Konkretisierung verfassungsimmanenter ___________ 205 Nicht eingegangen werden kann an dieser Stelle auf die Frage, inwieweit auf die Religionsfreiheit nach Art. 4 I, II GG die Schrankenklausel des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG anzuwenden ist (so BVerwGE 112, 227 [231 ff.] – Schächten; dazu Kästner, FG BVerwG, S. 360 f.; ablehnend BVerfGE 108, 282 [297] – Kopftuch). – Allgemein zur Begrenzung vorbehaltloser Grundrechte die Arbeiten von Mis-Paulußen (1997); Misera-Lang (1999); van Nieuwland (1981), jeweils passim. 206 So von Arnauld, Schranken, S. 126; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (372).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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Schranken adäquat als Akt der Verfassungsinterpretation zu erfassen ist. Dies ist zu verneinen, da das Grundgesetz zwar das „Ob“ und die Methode der Schrankenziehung vorgibt, nicht aber das inhaltliche Ergebnis. Dieses ist vielmehr mit einem Höchstmaß an Wertungen verbunden207, das über das im Rahmen der Rechtsanwendung notwendig hinzunehmende deutlich hinausgeht208. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, daß in denjenigen Fällen, in denen ein Rekurs auf verfassungsimmanente Schranken notwendig wurde, stets eine Kollision grundrechtlicher Unterlassungspflichten mit grundrechtlichen Handlungspflichten vorlag209. Insofern ist die staatliche Schutzpflicht auch keineswegs eine „Erfindung“ der ersten Abtreibungs-Entscheidung, sondern war von Anfang an in der Rechtsprechung des BVerfG zu Fällen kollidierender Grundrechte angelegt210. Dies spricht dafür, die tendenziell unterentwickelte Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten an der deutlich höher entwickelten Dogmatik der Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen, insbesondere im Rahmen verfassungsimmanenter Schranken, auszurichten. Hier zeigt sich eine Divergenz zwischen Schutzpflicht- und Kollisionsdogmatik, da in ersterer tendenziell unter Berufung auf den finalen Charakter der Schutzpflichten der Gestaltungsspielraum bei Erfüllung der Schutzpflicht betont wird211, während im Rahmen der Kollisionsdogmatik die inhaltliche Determination der Kollisionslösung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit bzw. praktischen Konkordanz hervorgehoben wird. Eine solche Dichotomie ist allerdings bereits im Ansatz verfehlt, da sowohl der schutzrechtliche Gestaltungsspielraum dort sein Ende findet, wo die kollidierenden Grundrechte ihre inhaltliche Determinationswirkung entfalten, als auch diese die zu treffende Kollisionslösung nur in den seltensten Fällen auf die eine „richtige“ Lösung verdichtet. Insofern treffen beide Ansätze einen richtigen Kern und sind zwei Seiten derselben Medaille, da der Gestaltungsspielraum daraus resultiert, daß inhaltlich zwar das „Ziel“ praktisch konkordanter bzw. verhältnismäßiger Zuordnung vorgegeben wird, auf dem Weg dorthin jedoch komplexe Wertungen und Prognosen vorzunehmen sind. ___________ 207
von Arnauld, Schranken, S. 127. – Zwar hat das BVerfG in seiner Lüth-Entscheidung (BVerfGE 7, 198 [205]) eine „objektive Wertordnung“ postuliert, die das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt aufgerichtet habe (ähnlich BVerfGE 39, 1 [41] – Abtreibung I; weitere Nachw. bei von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art 1 Rn. 22; dazu oben S. 47 ff.), jedoch konnte daraus keine umfassende Wertrangordnung abgeleitet werden, anhand der jeder verfassungsimmanente Kollisionsfall gleichsam aus der Verfassung abgelesen werden könnte (dazu von Arnauld, Schranken, S. 127; zur Unmöglichkeit einer „geschlossenen“ Wertrangordnung ferner Alexy, Theorie, S. 138 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 167 ff.; Sachs, JuS 1995, 984 [988]). 208 von Arnauld, Schranken, S. 127; ähnlich Winkler, S. 348. 209 Zu diesem Zusammenhang auch Krings, S. 292 f. 210 Dieser kollisionsrechtliche Ansatz wird zutreffend erkannt von Mayer, S. 30 ff. und passim. 211 So Brüning, JuS 2000, 955 (957); Krings, S. 263.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Entscheidende Frage ist daher, wer im grundgesetzlichen Gewaltengefüge hierzu berufen ist. Hierbei scheint die Vorbehaltlosigkeit bestimmter Grundrechte zwar dafür zu sprechen, daß verfassungsunmittelbare „Schutzeingriffe“ durch Exekutive und Judikative auch ohne gesetzliche Grundlage zulässig sind. Das BVerfG hat sich jedoch in der Mutzenbacher-Entscheidung gegen ein solches Verständnis gewandt und ausgeführt: „Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen ... Eine Pflicht [scil.: zu gesetzlicher Regelung] besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muß ...“212.
Damit knüpft das BVerfG an die von ihm entwickelte Wesentlichkeitslehre an213, wonach der Gesetzgeber verpflichtet ist, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung ... alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“214. Diese Aussage wird vom BVerfG nicht nur kompetenzverdichtend auf diejenigen Bereiche angewandt, die bei Vorhandensein einer ausdrücklichen Schrankenklausel ohnehin dem Gesetzesvorbehalt unterfallen215, sondern zugleich kompetenzbegründend, um den gesetzgeberischen Vorbehaltsbereich zu erweitern. Auch wenn diese „Wesentlichkeitstheorie“ heute ganz h. M. ist216, ist kritisch anzumerken, daß eine durch die Unbestimmtheit des „Wesentlichkeits“-Kriteriums geförderte exzessive Verwendung in der Lage ist, das mit den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten errichtete Kompetenzgefüge zugunsten eines „Primats der Legislative“ aus den Angeln zu ___________ 212
BVerfGE 83, 130 (142); ebenso 108, 282 (311 f.) – Kopftuch. Zu dieser allgemein Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 32 ff., 41 ff.; SchulzeFielitz, in: Dreier II2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113 ff.; monographisch Staupe (1986) und R. Hermes (1988), jeweils passim; ferner von Arnim, DVBl. 1987, 1241 ff.; Eberle, DÖV 1984, 485 ff.; Kloepfer, JZ 1984, 683 ff.; von Bogdandy, S. 183 ff. 214 Grundlegend BVerfGE 49, 89 (126) – Kalkar I; 47, 46 (78 f.) – Sexualkunde; 53, 30 (56) – Mülheim-Kärlich; 83, 130 (142 ff., 151 ff.) – Mutzenbacher; ferner 34, 165 (192 f.); 41, 251 (259 ff.); 45, 400 (417 f.). 215 So führt die Wesentlichkeitslehre einerseits zur Abgrenzung von ausschließlichen und übertragbaren Parlamentskompetenzen (sog. Parlamentsvorbehalt; dazu Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 10; Krebs, JURA 1979, 304 [311]; der Parlamentsvorbehalt ist insofern ein zum „Delegationsverbot verdichteter Gesetzesvorbehalt“, vgl. Erichsen, DVBl. 1985, 22 [27]; Krebs, JURA 1979, 304 [312]). Andererseits führt die kompetenzverdichtende Wirkung zum Erfordernis einer erhöhten Regelungsdichte im Rahmen bestehender Schrankenregelungen (Staupe, S. 30 f., 136 ff.; Kloepfer, JZ 1984, 683 [691]). – Zu den Konsequenzen für Art. 2 II 3 GG unten S. 218 ff., 223 ff. 216 Vgl. dazu die Nachw. soeben Fn. 213 f. 213
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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heben. Damit ist im Umgang mit der „Wesentlichkeitstheorie“ einerseits Augenmaß geboten, andererseits gleichwohl ihrem Grundanliegen zuzustimmen, den Gesetzesvorbehalt nicht nur unter dem rechtsstaatlich motivierten Eingriffsaspekt zu sehen, sondern auch unter demokratiestaatlichem Aspekt217. Da der Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen wie ausgeführt jedoch stets ein gestalterisches Element innewohnt, das entsprechende Wertungsspielräume fordert218, ist es konsequent, diese Aufgabe primär dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber zuzuweisen219.
bb) Übertragung auf vorliegend relevante Grundrechte Diese Erwägungen gelten uneingeschränkt auch für Kollisionslösungen, an denen Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt beteiligt sind. Ferner trüge eine nicht gesetzesmediatisierte Schutzgewährung tendenziell die Gefahr übermäßiger Schutzgewährung in sich, da Exekutive und Judikative durch das Erfordernis einer differenzierten Kollisionslösung regelmäßig überfordert sind und zu „Alles-oder-Nichts“-Lösungen neigen220. Damit bleiben verfassungsimmanente Schranken auch für die Kollision von Grundrechten mit ausdrücklichen Schrankenvorbehalten von Relevanz, da sie eine inhaltliche Mindestdetermination der Kollisionslösung bewirken. Diese kann jedoch bei Grundrechten mit ausdrücklicher (nichtqualifizierter) Schrankenklausel jederzeit um eine weitere Dimension erweitert werden, wenn der Gesetzgeber von seiner Zwecksetzungskompetenz Gebrauch macht und die verfassungsimmanente Kollisionslösung in die ei___________ 217
Eberle, DÖV 1984, 485 (489 f.); Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 35 ff. So aus schutzrechtlicher Sicht Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (558); allgemein Jarass, AöR 120 (1995), 345 (372); ebenso ferner BVerfGE 96, 56 (64). 219 Ebenso Mayer, S. 32 ff. – Dem kann auch nicht das ausdrückliche Fehlen von Vorbehaltsklauseln bei vorbehaltlosen Grundrechten entgegengehalten werden, da dieses auch darin begründet sein kann, den Gesetzgeber auf verfassungsimmanente Eingriffszwecke zu beschränken. Die damit verbundene Anhebung des Schutzniveaus würde vielmehr partiell zunichte gemacht, würde man hier Eingriffe auch ohne formell-gesetzliche Grundlage zulassen (ebenso Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 117; Pieroth / Schlink21, Rn. 333; ferner H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 141). – Im übrigen soll im Rahmen vorbehaltloser Grundrechte nach verbreiteter Auffassung subsidiär auch der allgemeine rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes Anwendung finden (so Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 70; Winkler, S. 346); zu diesem Jesch, S. 117 ff.; Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 1 ff.; ders., Vorbehalt, S. 9 ff., 15 ff.; Krebs, Vorbehalt, S. 16 ff.; ders., JURA 1979, 304 f.; A. Roth, S. 118 ff.; zur Herleitung BVerfGE 40, 237 (248 ff.); 49, 89 (126); Jesch, S. 190; Pietzcker, JuS 1979, 710 (713); Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 32 ff. Es ist jedoch fraglich, ob angesichts der ausdrücklichen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte überhaupt noch Raum ist für das aus der konstitutionellen Staatsrechtslehre übernommene Institut eines „allgemeinen“ Gesetzesvorbehalts, was hier jedoch dahingestellt bleiben kann. 220 Dazu exemplarisch der Gentechnik-Fall des HessVGH (dazu sogleich S. 91 ff.). 218
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ne oder andere Richtung verschiebt. Insofern haben die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte zugleich inhaltlichen Gehalt. Damit kann festgehalten werden, daß auch die Figur der verfassungsimmanenten Schranken nicht zu einem vom oben entwickelten Kollisionsmodell abweichenden Verständnis schutzgewährenden einfachen Rechts führt.
c) Staatsziel Umweltschutz als verfassungsimmanente Schranke Eine verfassungsimmanente Beschränkung könnte jedoch aus dem 1994 geschaffenen Staatsziel Umweltschutz nach Art. 20a GG folgen221. Dessen Schutzbereich ist durch die Verursachung von Immissionen jedenfalls dann eröffnet, wenn die „natürlichen Lebensgrundlagen“ berührt werden222. Damit werden nicht nur solche Immissionen ausgeschieden, die allein das soziale Wohlbefinden beeinträchtigen223, sondern auch die menschliche Gesundheit ist von Art. 20a GG nur insoweit geschützt, als deren Gefährdung mit Beeinträchtigungen der „natürlichen Lebensgrundlagen“ verbunden ist224. Für die vorliegende Fragestellung ist allein relevant, daß Art. 20a GG allgemein die Fähigkeit zugesprochen wird, Grundrechte verfassungsimmanent zu beschränken225. Diese Aussage wurde zwar anhand vorbehaltloser Grundrechte entwickelt226, hat jedoch auch für die Artt. 12, 14 und 2 I GG zu gelten227. ___________ 221
Vgl. neben den einschlägigen Kommentierungen zu Art. 20a GG die bei Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 148 in Fn. 287 nachgewiesene Lit.; monographisch Tsai, Umweltschutzpflicht (1996); Brönneke, Umweltverfassungsrecht (1999); aus der Zeit vor Inkrafttreten des Art. 20a GG Müller-Bromley, Staatszielbestimmung (1990); zu den besonderen Aspekten des Art. 20a GG als Staatszielbestimmung Brönneke, S. 25 ff. u. passim. – Zum Verhältnis zu Art. 2 II 1 GG Uhle, JuS 1996, 96 (100 f.). 222 Nach allgemeiner Auffassung fallen hierunter die sog. Umweltmedien, d. h. Luft, Wasser und Boden, sowie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen in ihren Lebensräumen samt deren Beziehung untereinander sowie zu den Menschen (Westphal, JuS 2000, 339 [342]; Murswiek, in: Sachs3, Art. 20a Rn. 27 ff.; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 150; ferner Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 12 ff.; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 54 ff.). – „Schutz“ i. S. des Art. 20a GG umfaßt nach allgemeiner Ansicht sowohl die Pflicht des Staates, eigene Beeinträchtigungen zu unterlassen als auch schädigende Handlungen Dritter abzuwehren (Westphal, JuS 2000, 339 [340]; Murswiek, NVwZ 1996, 222 [225]; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 151). 223 Westphal, JuS 2000, 339 (342); Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 13. 224 Ebenso mit Nachw. aus der Lit. VGH Baden-Württ., NJOZ 2005, 310 (311). 225 BVerwG, NJW 1995, 2648 (2649); Westphal, JuS 2000, 339 (340); Murswiek, in: Sachs3, Art. 20a Rn. 72; ders., NVwZ 1996, 222 (230); Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 10; ders., in: BonnerKomm-GG, Art. 20a Rn. 27 (April 2005); H. Hofmann, FS BVerfG II, S. 874 f.; tendenziell einschränkend Uhle, JuS 1996, 96 (99). 226 So BVerwG, NJW 1995, 2648 (2649): Art. 20a GG als Schranke der Kunstfreiheit nach Art. 5 III GG; vgl. dazu die Rezension von Schütz, JuS 1996, 498 ff. 227 Ebenso Westphal, JuS 2000, 339 (340); ferner Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 10.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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Ebenso anerkannt ist, daß Art. 20a GG keine unmittelbare Eingriffsbefugnis für Exekutive und Judikative begründet228, was bereits aus dem Normtext des Art. 20a GG folgt, wonach Adressaten der Umweltschutzpflicht zwar alle drei Gewalten sind, Exekutive und Judikative jedoch nur nach Maßgabe von „Gesetz und Recht“. Damit statuiert Art. 20a GG eine ausdrückliche Gesetzesmediatisierung, wie sie im grundrechtlichen Kontext lediglich interpretativ gewonnen werden konnte. Ein unmittelbarer Anwendungsbereich für Exekutive und Judikative verbleibt demgegenüber allein im Rahmen der Gesetzesauslegung, Ermessensermächtigungen und unbestimmten Rechtsbegriffen229. Somit führt auch Art. 20a GG nicht zu einem vom bisher entwickelten Kollisionsmodell abweichenden Verständnis, da auch dieser im Ergebnis gesetzgeberische Handlungspflichten begründet230, wenngleich diese sich selten zu einer konkreten Gesetzgebungspflicht verdichten dürften231.
d) Scheinbar und tatsächlich abweichende Rechtsprechung aa) Gentechnik-Beschluß des HessVGH Auf dem Modell einer verfassungsimmanenten Beschränkung verfassungsunmittelbarer Beeinträchtigungsbefugnisse durch Art. 2 II 1 GG basiert auch der bekannte Gentechnik-Beschluß des HessVGH232, in welchem das Gericht noch vor Inkrafttreten des GenTG über die Zulässigkeit einer gentechnischen Anlage zu entscheiden hatte und davon ausging, daß es für die fragliche Anlage keine einfach-rechtliche Grundlage gebe. Daher gelangte der HessVGH zu einer unmittelbaren Anwendung des Art. 2 II 1 GG und zu einer Bestimmung des Verhältnisses von Betreiber- und Betroffenengrundrechte, wonach „sich das ___________ 228
Murswiek, in: Sachs3, Art. 20a Rn. 61; ders., NVwZ 1996, 222 (229); Westphal, JuS 2000, 339 (342); ferner Steinberg, NJW 1996, 1985 (1993), wonach Art. 20a GG nicht vom Vorbehalt des Gesetzes dispensiere. 229 Murswiek, in: Sachs3, Art. 20a Rn. 61; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 27; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 154; Westphal, JuS 2000, 339 (342 f.); ferner gewinnt Art. 20a GG eigenständige Bedeutung bei planerischen Gestaltungsspielräumen (Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 29). – Entsprechend zog das BVerwG in seiner „Leitentscheidung“ (NJW 1995, 2648 ff. [dazu soeben Fn. 225 f.]) Art. 20a GG auch nicht als unmittelbare Eingriffsgrundlage für den Eingriff in die Kunstfreiheit des Bauherrn heran, sondern legte die Versagungsgründe des § 35 III BauGB verfassungskonform im Lichte des Art. 20a GG aus (dazu Schütz, JuS 1996, 498 ff.). 230 Kloepfer, UmweltR3, § 3 Rn. 21; Caspar, in: H.-J. Koch, UmweltR, § 2 Rn. 101. 231 Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 26; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (229). 232 HessVGH, ESVGH 40, 119 ff. = NJW 1990, 336 ff.; dieser Beschluß hat in der Lit. ein umfangreiches Echo hervorgerufen; vgl. an dieser Stelle nur Wahl / Masing, JZ 1990, 553 ff.; Hirsch, NJW 1990, 1445 ff.; Preu, JZ 1991, 265 ff.; umfassende Literaturnachweise bei Kloepfer, FS Lerche, S. 755 in Fn. 1
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Verhältnis von prinzipieller Forschungs-, Berufs- und Gewerbefreiheit und damit einhergehender besonders begründungsbedürftiger Beschränkung angesichts der überragenden Bedeutung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit um(kehre) mit der Folge, daß die Nutzung einer Technologie wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Menschen einer besonderen Zulassung durch den Gesetzgeber bedürfe“233. Diese Entscheidung ist in der Lit. fast durchweg dahin kritisiert worden, daß der HessVGH quasi ein verfassungsrechtliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt aufrichte und aus der staatlichen Schutzpflicht hinsichtlich besonders riskanter Technologien ein absolutes Handlungsverbot folgere, welches nur der Gesetzgeber wieder aufheben könne234. Indes ist bereits fraglich, ob der GentechnikBeschluß für die vorliegende Frage einer abwehrrechtlichen Konstruktion staatlicher Schutzpflichten überhaupt einschlägig ist, da der HessVGH ausdrücklich die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG zum Ausgangspunkt nimmt235 und auch zutreffend die kollisionsrechtliche Struktur des Falles erkennt236. Auch betont der HessVGH ganz in Übereinstimmung mit der Rspr. des BVerfG, daß dem Gesetzgeber bei Erfüllung dieser Schutzpflicht „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu(komme), der auch Raum (lasse), etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen“237. Die entscheidende Wendung besteht demgegenüber allein darin, daß der HessVGH die „überragende Bedeutung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit“238 als materielles Prinzip zum Anlaß nimmt, den Gesetzesvorbehalt als formelles Prinzip zu überspielen und damit das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip umzukehren. Eine abwehrrechtliche Konstruktion staatlicher Schutzpflichten war schon deshalb nicht Gegenstand der Entscheidung, weil der HessVGH von „echtem“ gesetzgeberischem Unterlassen, d. h. dem völligen Fehlen schützenden Rechts ausging239, so daß von vornherein feststand, daß der ___________ 233
HessVGH, NJW 1990, 336 (337). Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (555); Preu, JZ 1991, 265 (269 f.); Schmidt-Preuß, S. 72; Calliess, Umweltstaat, S. 432 f. 235 HessVGH, NJW 1990, 336 (337): „Aus ihm (scil.: Art. 2 II 1 GG) ist vielmehr auch eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe für das geschützte Rechtsgut abzuleiten, die auch die Pflicht zur Risikoabwehr umfaßt und es gebietet, die Gefahr von Grundrechtsverletzungen einzudämmen ... Insofern begründet auch ein unterlassener Schutz eine Grundrechtsverletzung, wenn der Staat zum Schutze verpflichtet ist“ (Hervorh. vom Verf.). 236 HessVGH, NJW 1990, 336 (337). 237 HessVGH, NJW 1990, 336 (337) unter Verweis auf BVerfGE 77, 170 (214 f.). 238 HessVGH, NJW 1990, 336 (337). 239 Dies in fehlerhafter Weise, da das BImSchG für die zu beurteilende Anlage einschlägig gewesen wäre (Preu, JZ 1991, 265 [269]); im übrigen hätte der HessVGH die polizeiliche Generalklausel in Erwägung ziehen müssen (vgl. Wahl / Masing, JZ 1990, 553 [562]), womit er zu einem „unechten“ Unterlassen gekommen wäre. 234
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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Staat aktives schützendes Tun schuldete. Problematisch war allein, ob dieses auch ohne vorheriges gesetzgeberisches Tätigwerden erfolgen durfte. Entsprechend muß die Kritik an der vorgenommenen „Alles-oder-Nichts“Lösung ansetzen: Selbst wenn man von der „überragenden Bedeutung“ des Art. 2 II 1 GG ausgeht, erscheint es nicht geboten, deshalb eine neue Technologie in vollem Umfang zu verbieten, da Modalitäten der Ausübung denkbar sind, in denen sich das Risiko gleichwohl steuern und beherrschen läßt. Schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit angesichts der Betreibergrundrechte wäre daher eine differenzierte Bewertung der Gentechnologie geboten gewesen, die aufgrund der hierzu erforderlichen komplexen Wertungen und Prognosen jedoch allein dem Gesetzgeber oblag und durch ein Gericht bereits ansatzweise nicht geleistet werden kann240. Insoweit ist an der Geltung des Gesetzesvorbehalts zur Kollisionslösung festzuhalten241, und es bestätigt sich, daß eine eigenständige Grundrechtsfunktion staatlicher Schutzpflichten gerade im Fall „echten“ Unterlassens stets auf eine abwehrrechtlich nicht zu begründende Handlungspflicht des Gesetzgebers gerichtet ist. Weitergehende Aussagen für eine abwehrrechtliche Konstruktion staatlicher Schutzpflichten können dem Gentechnik-Beschluß demgegenüber nicht entnommen werden.
bb) Fangschaltungs-Beschluß des BVerfG Ferner ist zu nennen der Fangschaltungs-Beschluß des BVerfG vom 25. 3. 1992242, in welchem das Gericht im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde über die Zulässigkeit einer Fernmeldeüberwachung zum Schutz der Privatsphäre vor anonymen Anrufen zu entscheiden hatte. Hierbei nahm das BVerfG wegen Fehlens der nach Art. 10 II 1 GG erforderlichen gesetzlichen Ermächti___________ 240
Vgl. dazu oben S. 86 ff. mit der in Fn. 212 zitierten Mutzenbacher-Entscheidung BVerfGE 83, 130 (142). – Eine differenzierte Bewertung der Gentechnik findet sich heute im GenTG v. 20. 6. 1990 (BGBl. I, 1080); zur Regelungskonzeption des GenTG Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 10 / 80 ff.; Prall, in: H.-J. Koch, UmweltR, § 11 Rn. 88 ff.; ferner Wahl, in: Landmann / Rohmer IV, 10.1 GenTG § 7 Rn. 9 zur differenzierenden Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im GenTG. 241 Ebenso Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (559). – Nicht überzeugen kann der Rechtfertigungsversuch von Borowski (S. 279 f.), der ausgehend von der Prinzipientheorie Alexys den zu leistenden Schutz als materielles Prinzip dem Gesetzesvorbehalt als formelles Prinzip gegenüberstellt und davon ausgeht, daß in Ausnahmefällen besonders dringlichen Schutzes das formelle durch das materielle Prinzip wegabgewogen werden kann. Fraglich ist jedoch, ob beide Prinzipien überhaupt kommensurabel und wechselseitig abwägungsfähig sind (zur Problematik ferner mit allerdings bejahender Tendenz Steiff, S. 326). – Im übrigen führt die Nichtgeltung des Gesetzesvorbehalts – was gerade in dieser Entscheidung deutlich wird – zu einer „Alles-oder-Nichts“-Lösung, die dem gleitenden Kontinuum an Schutzgutbeeinträchtigung nicht gerecht wird. 242 BVerfGE 85, 386 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gungsgrundlage zwar einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG an, gelangte jedoch im Rahmen einer Abwägung zu dem Ergebnis, daß für eine Übergangszeit Fangschaltungen zum Schutz der Privatsphäre nach Art. 2 I GG gleichwohl hinzunehmen sind: „Bei einer Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlichen Mangel, der in dem Fehlen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage besteht, und dem verfassungsrechtlichen Defizit, das im Fehlen des Persönlichkeits- und Gesundheitsschutzes gegenüber anonymen Anrufen liegt, geht der Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 GG vor. Während dort nur die ausreichende gesetzliche Grundlage eines materiell an sich zulässigen Eingriffs fehlt, steht hier der materielle Grundrechtsschutz selber auf dem Spiel. Bei Beachtung der dargelegten grundrechtlichen Anforderungen muß daher die Gesprächsbeobachtung vorübergehend auch ohne die an sich erforderliche gesetzliche Grundlage hingenommen werden ...“243
Wenn diese Entscheidung teilweise als „exekutive Befugnis zum Grundrechtseingriff ohne Ermächtigungsgrundlage zum Schutz der Grundrechte Dritter vor privaten Grundrechtsübergriffen“ interpretiert wird244, so ist dem zu widersprechen. Auch stellt die Entscheidung keinen Widerspruch zum hier vertretenen Kollisionsmodell dar, sondern bestätigt dieses vielmehr: Wenn nämlich das BVerfG von einem „verfassungsrechtlichen Defizit“ bezüglich des Fehlens eines Persönlichkeits- und Gesundheitsschutzes gegenüber anonymen Anrufen spricht, so kann damit nur die Verletzung einer entsprechenden gesetzgeberischen Schutzpflicht durch Nichterlaß einfach-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen gemeint sein245. Würde nämlich das Persönlichkeitsrecht Art. 10 GG dergestalt verfassungsimmanent beschränken, daß die Exekutive auch ohne Zwischenschaltung einfachen Gesetzesrechts zur Vornahme einer Fangschaltung berechtigt wäre, so bestünde die verfassungswidrige Lage allenfalls darin, daß die Exekutive hiervon verfassungswidrig keinen Gebrauch gemacht hat. In dieser Situation müßte das BVerfG die Zulässigkeit entsprechender Schutzmaßnahmen für eine Übergangszeit jedoch nicht explizit anordnen246. Demgegenüber sieht das BVerfG die Verfassungswidrigkeit im Fehlen schützenden Gesetzesrechts, und die Exekutive ist im Ergebnis nur deshalb zur Vornahme von Fangschaltungen befugt, weil das BVerfG in prozessualer Hinsicht als einziges ___________ 243
BVerfGE 85, 386 (401) – Hervorh. vom Verf. So W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 349. 245 Dies erkennt auch W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 350 an. 246 Insofern ist der Versuch von W. Cremer (Freiheitsgrundrechte, S. 349 f.) verfehlt, dadurch eine Entsprechung zum Gentechnik-Beschluß herzustellen, daß er fragt, wie das BVerfG entschieden hätte, hätte ihm der HessVGH den Gentechnik-Fall nach Art. 100 I GG vorgelegt. Zwar entsprechen sich beide Fälle strukturell, so daß das BVerfG vermutlich vergleichbar dem Fangschaltungs-Beschluß entschieden hätte; indes verwischt dies die Unterschiede beider Entscheidungen (nicht der Fälle!), wonach die effektive Schutzgewährung im Fangschaltungs-Beschluß allein aus der besonderen prozessualen Entscheidungsgewalt des BVerfG folgt, während der Gentechnik-Beschluß eine staatliche Befugnis zur Schutzgewähr aus materiellem Recht impliziert. 244
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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Gericht über die Kompetenz verfügt, selbst verbindliche Übergangsregelungen zu setzen247. Darin liegt zugleich der entscheidende Unterschied zum Gentechnik-Beschluß, da dieser eine originäre verfassungsunmittelbare Befugnis der Exekutive zum Verbot drittbeeinträchtigenden Handelns impliziert, welche nach dem Fangschaltungs-Beschluß gerade nicht existiert.
cc) „Warnungs“-Entscheidungen des BVerfG Einen nur scheinbaren Widerspruch zum Kollisionsmodell stellen schließlich auch die Entscheidungen des BVerfG dar, welche die Zulässigkeit staatlicher Warnungen vor Produkten bzw. Jugendsekten betrafen. In seinem Beschluß vom 15. 8. 1989 betreffend staatliche Warnungen vor der „Transzendentalen Meditation“248 führte das BVerfG aus, daß dem einschlägigen Grundrecht des Art. 4 I, II GG Grenzen nur „nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung ... durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes gezogen werden“ könnten und ein Eingriff des Staates in die Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit daher einer „unmittelbaren verfassungsrechtlichen Legitimation“ bedürfe249. Zwar könnte die nun folgende Formulierung, daß die Bundesregierung zu diesem Eingriff „aufgrund der aus Art. 2 II 1 GG folgenden Pflicht des Staates, das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen“, „grundsätzlich legitimiert“ gewesen sei250, dahin verstanden werden, als fungiere die staatliche Schutzpflicht unmittelbar als Eingriffstitel. Das BVerfG fährt jedoch fort, diese „grundsätzliche verfassungsrechtliche Legitimation“ stelle „noch keine hinreichende Rechtsgrundlage für die im Einzelfall ergriffenen konkreten Maßnahmen des Staates dar, soweit diesen der Charakter eines Grundrechtseingriffs zukomm(e)“251. Daß das BVerfG die erforderliche Legitimationsgrundlage nicht in der staatlichen Schutzpflicht sieht, folgt demgegenüber klar aus den nachfolgenden Ausführungen, wonach die „Bundesregierung im Rahmen ihrer vom Grundgesetz vorausgesetzten Aufgabenstellung einerseits zur Beobachtung, Vorsorge und Lenkung ... verpflichtet“ und „andererseits befugt und gehalten (sei), diese Tätigkeit gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit darzustellen bzw. zu vertreten“ und ihr infolgedessen die Befugnis zukomme, „in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen gegenüber der Öffentlichkeit ___________ 247
Dazu BVerfGE 41, 251 (267); W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 343 f. BVerfG, NJW 1989, 3269 ff. 249 BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270). 250 BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270). 251 BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270). 248
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Stellung zu beziehen sowie Empfehlungen oder Warnungen auszusprechen“252. Damit ist Eingriffstitel gerade nicht die staatliche Schutzpflicht, sondern die aus staatsorganisatorischen Vorschriften gewonnene Aufgabe der Bundesregierung, welche in eine Eingriffsbefugnis umgedeutet wird253. Diese Konzeption liegt auch den Entscheidungen vom 26. 6. 2002254 zugrunde, in denen die Ermächtigung zum eingreifenden staatlichen Informationshandeln ausdrücklich in der staatsorganisatorischen Aufgabe der „Staatsleitung“ gesehen255 und – insofern im Gegensatz zur Entscheidung vom 15. 8. 1989 – auf mögliche staatliche Schutzpflichten überhaupt nicht mehr eingegangen wird, obwohl die zugrundeliegenden Sachverhalte durchaus Anlaß hierzu gegeben hätten. Damit geben die genannten Entscheidungen bereits im Ansatz nichts für eine abwehrrechtliche Konstruktion staatlicher Schutzpflichten her.
5. Ergebnis In den vorangegangenen Abschnitten konnte somit gezeigt werden, daß der Grundrechtskollision für die Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten eine zentrale Rolle zukommt, da diese nicht nur entscheidender „Baustein“ der Rekonstruktion der staatlichen Schutzpflicht als eigenständiger Grundrechtsfunktion ist, sondern auch der praktischen Anwendung staatlicher Schutzpflichten regelmäßig zugrundeliegt, nämlich immer dann, wenn „Schutz durch Eingriff“256 zu leisten ist. Um so mehr muß auffallen, daß in der bisherigen Diskussion beide Fragenkomplexe nur unzureichend verknüpft sind257, obwohl im Rahmen grundrechtlicher Kollisionslagen umfangreiche und weitgehend konsentierte Erkenntnisse vorliegen, die auch für die Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten fruchtbar gemacht werden können. Daß bei einem solchen Verständnis die Grundrechtskollision zur „Dauerfigur im öffentlichen Recht“ wird258, erscheint auf Grundlage der zwischenzeitlich unumkehrbaren Etablierung der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte259 unausweichlich. ___________ 252
BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270). Dazu Heintzen, VerwArch 81 (1990), 532 (551); Meyn, JuS 1990, 630 (633); Discher, JuS 1993, 463 (467); Kremser, ZevKR 39 (1994), 160 (177 f.). 254 BVerfGE 105, 252 ff. – Glykol; 105, 279 ff. – Osho-Bewegung. 255 BVerfGE 105, 252 (268 ff.; ferner LS 2); 105, 279 (301 ff.; ferner LS 2 und 3). 256 So der Titel des Aufsatzes von Wahl / Masing, JZ 1990, 553 ff. 257 So auch die Einschätzung von Bumke, S. 169; die strukturelle Kollisionslage der Schutzpflichtfälle wird demgegenüber erkannt von Krings, S. 139 f.; Streuer, S. 120 ff.; Jaeckel, S. 37; Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (556). 258 So mit pejorativem Unterton Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (556). 259 Dazu oben S. 47 ff. 253
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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Der hier vertretene kollisionsrechtliche Ansatz impliziert demgegenüber eine eigenständige, vom Abwehrrecht verschiedene Kategorie staatlicher Schutzpflichten, da nur so überhaupt ein Kollisionsverhalten begründet werden kann. Bei einem rein abwehrrechtlichen Verständnis beider kollidierenden Grundrechte können nämlich Aussagen über das Verhältnis der Grundrechte zueinander gar nicht getroffen werden. Es ist das Verdienst der Lehre von den objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten, aufgezeigt zu haben, daß den Grundrechten Schutzgüter zugrundeliegen, die sich nicht in der negatorischen Staatsgerichtetheit erschöpfen. Daraus folgt, daß sich die eigentliche Kollision eine Ebene „tiefer“ abspielt als auf derjenigen, auf der Rechtsfolgen begründet werden, so daß Grundrechtskollisionen in Wahrheit Kollisionen grundrechtlicher Schutzgüter sind260. Insofern sind Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht nicht Kategorien der Kollision, sondern rechtstechnische Ausgestaltungen, in denen sich die Auflösung der Kollision vollzieht. Gegen ein solches Verständnis wird zwar vorgebracht, daß eine Grundrechtskollision stets einen Norm- bzw. Rechtsfolgenkonflikt voraussetze261. Dies führt jedoch in die Nähe eines Zirkelschlusses, da eine Rekonstruktion grundrechtlicher Kollisionslagen als Norm- bzw. Rechtsfolgenkonflikt einerseits die Existenz weiterer Rechtsfolgen als der abwehrrechtlichen zwingend voraussetzt, andererseits deren Existenz aber nicht begründen kann. Existierte nämlich allein die abwehrrechtliche Rechtsfolge, müßte im Fall privater drittbeeinträchtigender Immissionen eine grundrechtliche Kollisionslage verneint werden. Erkennt man demgegenüber die Grundrechtskollision als Güterkollision an, so ergibt sich in den Fällen privater Drittbeeinträchtigungen automatisch die Notwendigkeit der Herausbildung weiterer Rechtsfolgen neben der abwehrrechtlichen. Welches diese Rechtsfolgen sind, folgt jedoch nicht allein aus dem Kollisionsmodell, sondern zugleich aus systematischen und teleologischen Erwägungen, wie sie oben I. dargestellt wurden262.
___________ 260 Grundrechtskollisionen sehen als Kollisionen grundrechtlicher Schutzgüter an Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 1 Abs. 3 Rn. 319; Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 80; ähnlich Winkler, S. 30 ff.; demgegenüber Langer (NVwZ 1987, 195 [195]): „Grundrechtsfunktionskollision“. – Völlig ablehnend gegenüber dem Kollisionsmodell Poscher, S. 198 ff., 318 ff., der ein reflexives Grundrechtsverständnis mit einer ausschließlichen Staatsgerichtetheit der Grundrechte vertritt, in dem Kollisionsfälle bereits strukturell ausgeschlossen sind. 261 Sachs, in: Stern III / 2, S. 557 ff.; ders., JuS 1995, 984 (986 f.); ders., in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 122; ähnlich Fohmann, EuGRZ 1985, 49 (59 f.). – Danach kollidierten nicht Rechts- oder Schutzgüter, sondern Normen des gesetzten Rechts, die an die Schutzgüter entsprechende Rechtsfolgen knüpfen, wohingegen Rechtsgüter als solche Rechtsfolgen weder begründeten noch ausschlössen. 262 Dazu oben S. 46 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Es kann somit insgesamt festgehalten werden, daß die staatliche Schutzpflicht als eigenständige grundrechtsdogmatische Kategorie abwehrrechtlich nicht zu rekonstruieren ist.
III. Dogmatische Struktur staatlicher Schutzpflichten 1. Konzeption des BVerfG Will man die dogmatische Struktur staatlicher Schutzpflichten in der Rspr. des BVerfG beschreiben, müssen verschiedene Phasen dieser Rechtsprechung unterschieden werden: Während die ersten Entscheidungen dazu dienten, sich dieser Figur überhaupt erst als dogmatischer Kategorie zu vergewissern263, bildete sich im Anschluß an die Fluglärm-Entscheidung eine Entscheidungssequenz heraus, in welcher das BVerfG für eine Verletzung der Schutzpflicht entweder forderte, die staatlichen Organe müßten „gänzlich untätig geblieben“ oder die „bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend“ sein264, auf eine „evidente“ Verletzung der Schutzpflicht abstellte265 oder dem Gesetzgeber einen „weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich“ zusprach, der auch Raum lasse, „konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen“266. Entsprechend erkannte das BVerfG in keiner Entscheidung dieser Phase eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht. Eine dritte Phase stellt die zweite Abtreibungs-Entscheidung dar, in der das BVerfG den Begriff des Untermaßverbots einführte267, das von Isensee im Anschluß an Canaris als Korrelat zum Übermaßverbot konzipiert268 und vom BVerfG wie folgt aufgegriffen wird:
___________ 263 Zu dieser ersten Phase sind zu rechnen die Entscheidungen BVerfGE 39, 1 ff. – Abtreibung I; 46, 160 ff. – Schleyer; 49, 24 ff. – Kontaktsperre; 49, 89 ff. – Kalkar I; 53, 30 ff. – Mülheim-Kärlich. 264 BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 1987, 2287 ff. (AIDS) unter Berufung auf BVerfGE 56, 54 (80 f.) – Fluglärm; 77, 170 (215) – C-Waffen; 77, 381 (405) – Gorleben; 79, 174 (202) – Verkehrslärm. 265 So BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1983, 2931 (2932). 266 BVerfGE 77, 170 (214 f.) – C-Waffen; 77, 381 (405) – Gorleben; 79, 174 (202) – Verkehrslärm; 85, 191 (212 f.) – Nachtarbeit; in der Sache ebenso bereits BVerfGE 56, 54 (80 f.) – Fluglärm. 267 BVerfGE 88, 203 (254). 268 Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 165 unter Verweis auf Canaris (AcP 184 [1984], 201 [228]), wobei das BVerfG in der zweiten Abtreibungs-Entscheidung lediglich auf Isensee verweist. Der Begriff des „Untermaßverbots“ findet sich vor dieser Entscheidung bereits bei Götz, in: HbStR III, § 79 Rn. 30 f., unter Verweis auf Götz bei Link, VVDStRL 48 (1990), S. 31 (Untermaßverbot in Anführungszeichen), bei Schuppert, S.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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„Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen. Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten ... Notwendig ist ein ... angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen ... Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muß die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen ...“269
Damit wird gegenüber der zweiten Phase ein wesentlich strengerer Maßstab angelegt, und das BVerfG gelangte auch zu weitreichenden Vorgaben an den Gesetzgeber für die Ausgestaltung des Schutzes des ungeborenen Lebens270. In einer bis heute andauernden vierten Phase kehrte das BVerfG zurück zur Argumentation der zweiten Phase, insbesondere findet das Untermaßverbot mit Ausnahme von zwei Entscheidungen keine Erwähnung mehr271. In diesen neueren, überwiegend das Umweltrecht betreffenden Entscheidungen wurde im Gegensatz zur zweiten Abtreibungs-Entscheidung eine Verletzung der Schutzpflicht durchweg verneint, ohne daß größerer Argumentationsaufwand betrieben wurde. Das BVerfG beschränkt sich hier vielmehr auf eine Wiedergabe der zentralen Bausteine der zweiten Phase – weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum272; Berücksichtigung auch konkurrierender öffentlicher und privater Interessen273; Schutzpflichtverletzung nur bei gänzlichem Untätigbleiben oder evidentem Unzureichen getroffener Maßnahmen274 –, ohne daß ___________ 15 (Untermaßverbot in Anführungszeichen) und unter Verweis auf Canaris bei Jarass, AöR 110 (1985), 363 (383). 269 BVerfGE 88, 203 (254 f.) – Hervorh. vom Verf. 270 Kritisch daher bereits das Sondervotum Mahrenholz / Sommer zu BVerfGE 88, 203 (338 ff., 340 ff., 355); ferner G. Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2339 ff.); Hesse, FS Mahrenholz, S. 551 ff. 271 Das Untermaßverbot wird aufgegriffen lediglich in BVerfG, NJW 1995, 2343 – Alkoholgrenzwerte und NJW 1996, 651 – Ozon (beides 1. Kammer des Ersten Senats), wobei in beiden Entscheidungen das Untermaßverbot nur floskelhaft erwähnt wird und sich auf die Fallösung nicht ausgewirkt hat. 272 BVerfG, NJW 1995, 2343 – Alkoholgrenzwerte; NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; NJW 1998, 975 (976) – Cassini-Mission; NJW 1998, 2961 (2962) – Nichtraucherschutz; NVwZ 2000, 309 (310) – Strahlenschutz DDR (alle Entscheidungen 1. Kammer des Ersten Senats); ferner 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 2002, 1638 (1639) – Mobilfunk. 273 BVerfG, NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; NJW 1998, 975 (976) – Cassini-Mission; NVwZ 2000, 309 (310) – Strahlenschutz DDR; NJW 2002, 1638 (1639) – Mobilfunk. 274 BVerfG, NJW 1995, 2343 – Alkoholgrenzwerte; NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; NJW 1998, 975 (976) – Cassini-Mission; NJW 1998, 2961 (2962) – Nichtraucherschutz; NVwZ 2000, 309 (310) – Strahlenschutz DDR; NJW 2002, 1638 (1639) – Mobilfunk.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
diese Merkmale interpretativ weiter entfaltet würden. Tragender Grund für die Verneinung einer Schutzpflichtverletzung war stets, daß der Staat bereits Maßnahmen ergriffen hatte, die nicht völlig bzw. evident unzureichend waren275.
a) Entscheidungen mit Ausnahme der zweiten Abtreibungs-Entscheidung Die Struktur staatlicher Schutzpflichten in den Entscheidungen der zweiten und vierten Phase kann wie folgt umrissen werden: Zunächst unterscheidet das BVerfG nicht zwischen verschiedenen Prüfungsebenen, wie sie etwa dem Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema zugrundeliegen. Vielmehr führt das BVerfG unmittelbar nach der Feststellung, daß aus dem betroffenen Grundrecht (hier Art. 2 II 1 GG) überhaupt eine Schutzpflicht folge, aus, daß dem Gesetzgeber bei deren Erfüllung ein „weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich (zukomme)“, der auch Raum lasse, „konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen“276. Während sich diese Formel unverändert in allen neueren Entscheidungen findet, wird in älteren Entscheidungen ein Verfassungsverstoß erst bei „evidenter“ Verletzung der staatlichen Schutzpflicht angenommen277 bzw. ausgeführt, über die Art und Weise der Schutzpflichterfüllung hätten in erster Linie „die staatlichen Organe in eigener Verantwortung zu entscheiden“278.
aa) Einstufige Lösung des BVerfG Damit prüft das BVerfG das Vorliegen einer Schutzpflichtverletzung nicht anhand des Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schemas, sondern verwendet ein einstufiges Modell. Darin wird das BVerfG von einem Teil der Lit. unterstützt, ___________ 275
BVerfG, NJW 1995, 2343 (Alkoholgrenzwerte); NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; NJW 1998, 2961 (2962) – Nichtraucherschutz; NJW 2002, 1638 (1639) – Mobilfunk. 276 Nachw. oben S. 98 Fn. 264 ff. und S. 99 Fn. 272 ff. 277 BVerfGE 56, 54 (80 f.) – Fluglärm. 278 BVerfGE 56, 54 (80 f.) – Fluglärm; ebenso 39, 1 (44) – Abtreibung I; 46, 160 (164) – Schleyer. – Der Gedanke einer „evidenten“ Verletzung findet sich der Sache nach auch in denjenigen neueren Entscheidungen, in denen formuliert wird, das BVerfG könne eine Verletzung der Schutzpflicht nur feststellen, wenn die öffentliche Gewalt „Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen“ (so BVerfG, NVwZ 2000, 309 [310] – Strahlenschutz DDR; BVerfGE 77, 170 [214 f.] – C-Waffen; 79, 174 [202] – Verkehrslärm; ähnliche Formulierungen in NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1998, 2961 [2962] – Nichtraucherschutz; NJW 1997, 2509 [2509] – Trafo-Station; NJW 1998, 975 [976] – Cassini-Mission; NJW 2002, 1638 [1639] – Mobilfunk).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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der betont, die staatliche Schutzpflicht lasse sich mit den Begriffen der Abwehrrechtsdogmatik nicht erfassen279, und die „Anerkennung einer Schutzpflicht“ setze stets bereits die „Entscheidung über die zu treffende Abgrenzung der beteiligten Rechtssphären“ voraus280. Während die erstgenannte Aussage nicht zwingend über die Einordnung in ein außen- oder innentheoretisches Modell entscheidet, da auch außentheoretische Modelle denkbar sind, die nicht dem Schutzbereich-Eingriff-SchrankenSchema folgen, läge nach der zweiten Aussage der Rspr. des BVerfG ein innentheoretisches Modell zugrunde281. Fraglich erscheint dies allerdings insofern, als das BVerfG in den zitierten Entscheidungen die definitive staatliche Schutzpflicht ausdrücklich als Ergebnis einer Kollision konkurrierender öffentlicher und privater Interessen ansieht282. Dies könnte zwingend zu einem außentheoretischen Modell führen, da eine Grundrechtskollision stets voraussetzt, daß die kollidierenden Schutzgüter überschießend gewährt sind. Andererseits ist festzustellen, daß das BVerfG in den genannten Entscheidungen gerade keinerlei Aussagen darüber trifft, wie diese Kollision aufzulösen ist, was um so mehr ins Gewicht fällt, als das BVerfG in denjenigen Kollisionsfällen, die von der abwehrrechtlichen Seite angegangen werden, sowohl einen kollisionslösenden Mechanismus benennt, nämlich Verhältnismäßigkeit und praktische Konkordanz, als auch diese im Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema zur Anwendung bringt. Daher kann die Frage, ob das BVerfG in den Entscheidungen der zweiten und vierten Phase von einem außen- oder innentheoretischen Modell ausgeht, nicht eindeutig beantwortet werden.
bb) Bedeutung des „Evidenz“-Kriteriums In allen Entscheidungen der zweiten und vierten Phase baut das BVerfG seine Argumentation ferner tragend auf der Feststellung auf, eine Schutzpflichtverletzung könne nur bei gänzlichem Untätigbleiben oder evidentem Unzureichen bisher getroffener Maßnahmen festgestellt werden283. Von der praktisch kaum relevanten Fallgruppe gänzlicher Untätigkeit abgesehen, werden damit jedoch zwei Problemkreise miteinander vermengt, nämlich die inhaltliche Frage nach ___________ 279
So Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 87; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 328. 280 So Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 328. 281 So auch Sachs, in: Stern III / 1, S. 221 f. und 389. 282 Nachw. oben S. 98 Fn. 264 ff. und S. 99 Fn. 272 ff. 283 BVerfG, NJW 1995, 2343 – Alkoholgrenzwerte; NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; NJW 1998, 975 (976) – Cassini-Mission; NJW 1998, 2961 (2962) – Nichtraucherschutz; NVwZ 2000, 309 (310) – Strahlenschutz DDR; NJW 2002, 1638 (1639) – Mobilfunk.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
den Maßstäben der Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen und die prozessuale Frage nach der gerichtlichen Kontroll- und Prüfungsdichte284. Diese Vermengung erlaubt es dem BVerfG letztlich auch, Aussagen über die Struktur staatlicher Schutzpflichten und die Anwendung kollisionslösender Mechanismen aus dem Weg zu gehen. Vergegenwärtigt man sich jedoch, daß das „Evidenz“-Kriterium funktional auf Prognosen bezogen ist285, so ist dessen Anwendung notwendig vorgelagert die Feststellung, daß überhaupt eine prognostische Entscheidung gefällt werden muß, oder mit anderen Worten: Es muß zunächst benannt werden, aus welchen Elementen die gesetzgeberische Entscheidung besteht und welche davon prognostischer oder wertender Art sind. Im Rahmen des Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schemas können als solche benannt werden die Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprognose im Rahmen der ersten und zweiten Stufe der Verhältnismäßigkeit und die Bewertung der kollidierenden öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. bzw. praktischen Konkordanz. Damit sind im abwehrrechtlichen Schema Fragen der gerichtlichen Kontroll- und Prüfungsdichte stets an normativen Elementen des Prüfungsschemas und damit des Grundrechtstatbestands festgemacht, welche zugleich Art und Umfang der zu treffenden Prognose bzw. Wertung inhaltlich determinieren286. Demgegenüber wird in den genannten Formulierungen des BVerfG287 das „Evidenz“-Kriterium nicht an konkreten Tatbestandsmerkmalen festgemacht, sondern gleichsam „vor die Klammer“ gezogen. Damit sind Tatbestand und Rechtsfolge nicht mehr unterscheidbar, und es wird die Gesamtfrage, welches Maß an Schutz effektiv zu leisten, einheitlich der Prognose des Gesetzgebers, die zudem tatbestandlich nicht determiniert ist, anheim gestellt. Dies läuft im
___________ 284
Hierzu hat das BVerfG seit dem Mitbestimmungs-Urteil ein differenziertes Modell abgestufter gerichtlicher Kontrolldichte entwickelt, welches von einer „schlichten Evidenzkontrolle“ über eine „Vertretbarkeitskontrolle“ bis zu einer „intensivierten inhaltlichen Überprüfung“ reicht (grundlegend BVerfGE 50, 290 [332 f.]). 285 Hierbei soll der Begriff der „Prognose“ in einem weiten Sinn zu verstehen sein, der nicht nur prospektive Wirkungsabschätzungen, sondern auch die Bewertung der der Wirkungsabschätzung zugrundeliegenden Faktoren umfaßt (ebenso Streuer, S. 135; ferner Krings, S. 270 f.; Möstl, DÖV 1998, 1029 [1038]). 286 Dazu, daß gesetzgeberische Gestaltungsspielräume und Einschätzungsprärogativen kein Spezifikum grundrechtlicher Schutzpflichten sind, vgl. Calliess, Umweltstaat, S. 462; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1039). 287 BVerfG, NVwZ 2000, 309 (310) – Strahlenschutz DDR mit Verweis auf BVerfGE 56, 54 (81) – Fluglärm; BVerfGE 77, 170 (214 f.) – C-Waffen; 79, 174 (202) – Verkehrslärm; ähnliche Formulierungen in NJW 1996, 651 – Ozon; NJW 1998, 2961 (2962) – Nichtraucherschutz; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; NJW 1998, 975 (976) – Cassini-Mission; NJW 2002, 1638 (1639) – Mobilfunk.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
103
Ergebnis auf eine nur durch „Evidenz-Erlebnisse“ des kontrollierenden Gerichts288 beschränkte „Blankoermächtigung“ des Gesetzgebers hinaus289.
cc) Zwischenergebnis Damit kann die Kritik an der Rechtsprechung der zweiten und vierten Phase dahin zusammengefaßt werden, daß das zugrundegelegte einstufige Modell in der Klarheit und Transparenz der argumentativen Strukturen erheblich hinter dem Standard zurückbleibt, den das Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema für das Abwehrrecht liefert. Zurecht betont daher Böhm, daß die geschilderte, mehr oder weniger aus floskelhaften Bausteinen bestehende Judikatur weitgehend „konturlos“ sei und daraus kaum inhaltliche Kriterien für den definitiv geschuldeten Schutz abgeleitet werden könnten290.
b) Zweite Abtreibungs-Entscheidung (BVerfGE 88, 203) Die zweite Abtreibungs-Entscheidung stellt demgegenüber in zweifacher Hinsicht einen Bruch mit der soeben geschilderten Rechtsprechung dar, da in dieser sowohl das Untermaßverbot als kollisionslösender Mechanismus eingeführt als auch die Kontrolldichte im Sinne des Mitbestimmungs-Urteils auf eine „Vertretbarkeitskontrolle“ angehoben wird291. Letzteres dürfte wesentlich auf die im konkreten Fall betroffenen besonders hochwertigen Rechtsgüter zurückzuführen sein, welche das Gericht auch veranlaßt haben dürften, einen differenzierteren Prüfungsmaßstab zu entwickeln, da mit dem dargestellten einstufigen Aufbau eine vertiefte inhaltliche Kontrolle gar nicht möglich ist. Damit dient der Prüfungsaufbau in der zweiten Abtreibungs-Entscheidung auf einer ersten Stufe dazu, Tatbestandsmerkmale zu schaffen, an denen auf einer zweiten Stufe ___________ 288
Dazu Szczekalla, S. 230, 354. Hiermit soll nicht bestritten werden, daß die Grundsätze des Mitbestimmungs-Urteils zur gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative auch auf die Erfüllung staatlicher Schutzpflichten übertragen werden müssen (ebenso Hesse, Grundzüge20, Rn. 320, 350; ders., FS Mahrenholz, S. 553 ff.; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 335; Streuer, S. 141). Es kann jedoch allein eine konsequente Anwendung der kollisionslösenden Mittel der Verhältnismäßigkeit und praktischen Konkordanz die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in der Form zur Anwendung bringen, wie sie vom Mitbestimmungs-Urteil gedacht und im abwehrrechtlichen Schema auch praktiziert wird, nämlich angeknüpft an funktionell abgegrenzte und inhaltliche Determination bewirkende Tatbestandsmerkmale. 290 Böhm, Normmensch, S. 102; kritisch auch Mayer, S. 37. 291 Vgl. BVerfGE 88, 203 (254) mit Zitat oben S. 99. 289
104
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
und abhängig u. a. von der „Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter“292 eine differenzierte Kontrolldichte ansetzen kann293.
c) Plädoyer für eine ausdifferenzierte Dogmatik staatlicher Schutzpflichten Insgesamt stellt die zweite Abtreibungs-Entscheidung gegenüber der vorangehenden und nachfolgenden Rechtsprechung einen wesentlichen dogmatischen und strukturellen Gewinn dar, da es damit möglich wird, Fragen der dogmatischen Struktur staatlicher Schutzpflichten und der gerichtlichen Kontrolle zu trennen. Wenn demgegenüber Bedenken gegenüber einer stärkeren dogmatischen Strukturierung staatlicher Schutzpflichten dahin geltend gemacht werden, daß dies zu einer stärkeren materiellen Bindung des Gesetzgebers und damit einer Machtverschiebung hin zum kontrollierenden Verfassungsgericht führe, so kann dem nicht gefolgt werden, da gerade die Trennung inhaltlich-struktureller Fragen von der Kontrollproblematik es möglich macht, diejenigen „Sollbruchstellen“, die spezifische Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers erfordern, mit einer geminderten Kontrolldichte zu versehen. Insofern führt eine ausdifferenzierte Schutzpflichtdogmatik nicht zwangsläufig zu einer stärkeren Verschiebung im System der Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber und BVerfG. Eine vermeintliche Schwächung des Gesetzgebers kann daher kein Grund sein, auf eine ähnlich ausdifferenzierte Dogmatik zu verzichten, wie sie für das Abwehrrecht unangefochtener Standard ist294. ___________ 292
Dazu BVerfGE 50, 290 (332 f.) – Mitbestimmung. Inkonsequent daher BVerfG, NJW 1995, 2343 – Alkoholgrenzwerte und NJW 1996, 651 – Ozon, welche das Untermaßverbot zwar erwähnen, aber ohne inhaltliche Prüfung sofort zum Evidenzmaßstab übergehen. – Dogmatisch folgt denn auch die außentheoretische Konstruktion der zweiten Abtreibungs-Entscheidung nicht aus dem gesteigerten Kontrollmaßstab, sondern aus der Verwendung des Untermaßverbots. Dieses wird zwar vom Gericht, insbesondere in Abgrenzung zum Übermaßverbot, nicht näher entwickelt (dies konstatieren auch G. Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 [2339]), jedoch zeigt die Formulierung, notwendig sei ein „unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter“ angemessener Schutz, daß dem Untermaßverbot die Funktion zukommt, im außentheoretischen Sinne überschießende prima facie-Positionen auf einen definitiven Gehalt zu reduzieren. Der kollisionsrechtliche Ansatz wird ferner an der Aussage deutlich, die Reichweite der staatlichen Schutzpflicht sei „im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts ... einerseits und mit ihm kollidierender Rechtsgüter andererseits“ zu bestimmen (BVerfGE 88, 203 [254 – Hervorh. vom Verf.] unter Verweis auf G. Hermes, S. 253 ff.; Hermes behandelt dort den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als kollisionslösenden Mechanismus). – Vgl. ferner das Sondervotum Mahrenholz und Sommer (BVerfGE 88, 338 [340, 347]). 294 Eine ausdifferenzierte Dogmatik läuft auch nicht zwingend auf die teilweise vertretene Divergenzlösung hinaus (vgl. Raabe, Grundrechte, S. 147 ff.; Szczekalla, S. 353 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 294 ff.), wonach die Prüfungskompetenz des BVerfG nicht identisch ist mit dem inhaltlichen Maßstab, den das Grundgesetz dem Ge293
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
105
2. Eigene Lösung Nachfolgend soll ein Modell staatlicher Schutzpflichten entwickelt werden, welches die geschilderten Defizite des Modells des BVerfG vermeidet und zu einem dem Abwehrrecht weitgehend entsprechenden Aufbauschema führt. Einschränkend sei angemerkt, daß dieses Modell ausschließlich Geltung beansprucht für diejenigen Schutzpflichtfälle, in denen „Schutz durch Eingriff“ zu leisten ist, wie es immissionsschutzrechtlichen Konfliktlagen entspricht, wohingegen Fälle ausgeklammert werden, die nicht durch das „Störerdreieck“ erfaßt werden können295. Ferner soll in erster Linie die legislative Schutzpflicht betrachtet werden, da es in der vorliegenden Arbeit gerade um die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Auslegung des immissionsschutzrechtlichen Gesetzesrechts geht. Demgegenüber soll die exekutive Schutzpflicht nur insoweit betrachtet werden, als der Exekutive eigenständige Handlungsspielräume eröffnet sind, etwa durch Ermessen oder Beurteilungsspielräume, da hier die exekutive Schutzpflicht inhaltlich an die legislative angebunden ist, indem die Direktiven zur Ausfüllung entsprechender Handlungsspielräume dem Gesetz zu entnehmen sind296. Nicht behandelt wird die exekutive Schutzpflicht unter dem Gesichtspunkt des hinreichenden Vollzugs des schützenden Gesetzesrechts297. ___________ setzgeber zur Verfassungsmäßigkeit vorgibt (diese Divergenz von „Handlungsnorm“ und „Kontrollnorm“ wird vertreten von Hesse, FS Mahrenholz, S. 553 ff., 557 f.; ders., Grundzüge20, Rn. 439 [dort für Art. 3 I GG]; Denninger, FS Mahrenholz, S. 568; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 162 a. E.; Szczekalla, S. 354 f.; ablehnend Calliess, Umweltstaat, S. 589 ff.; Brönneke, S. 464 ff.; H. H. Klein, DVBl. 1994, 489 [495]; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 297 f.; Krings, S. 260 f.). Eine solche Divergenzlösung hätte zur Folge, daß ein Gesetz zwar verfassungswidrig sein kann, dies vom BVerfG jedoch nicht in jedem Fall festgestellt werden könnte (Raabe, Einschätzungsspielraum, S. 88). – Die hier vertretene Auffassung kann demgegenüber gleichermaßen auf dem Boden der Konvergenzlösung vertreten werden, wonach inhaltlicher Maßstab der Verfassungsmäßigkeit und Prüfungskompetenz des BVerfG übereinstimmen, da nach hier vertretener Auffassung Einschätzungsprärogativen bereits aus dem materiellen Recht folgen, so daß der Streit nicht entschieden werden muß. 295 Zum „Rechts-“ bzw. „Störerdreieck“ oben S. 83 Fn. 197. 296 Zur Schutzpflicht der Exekutive und Judikative Brüning, JuS 2000, 955 (959); Stern, Grundrechte, S. 18. 297 Zur Schutzpflichtverletzung durch ungenügende Ausführung der Gesetze durch die Exekutive vgl. nur Reinhardt, FS Feldhaus, S. 128. – Der obigen Differenzierung entspricht die teilweise in der Lit. vorgenommene Unterscheidung in primäre und sekundäre Schutzpflichten, wobei Definition und Abgrenzung umstritten und insbesondere nicht mit der Unterscheidung der legislativen Schutzpflicht von exekutiver und judikativer Schutzpflicht identisch ist (dazu grundlegend Murswiek, Verantwortung, S. 108 ff., 111 ff.; ders., in: Sachs3, Art. 2 Rn. 27, 29 ff.; ferner mit jeweils im Detail abweichender Konzeption Szczekalla, S. 186 ff. und Krings, S. 244 ff.; kritisch hierzu Dietlein, Schutzpflichten, S. 130 ff.). Damit bestimmt die primäre Schutzpflicht inhaltlich dasjenige Maß an Immissionen, das der Einzelne hinnehmen muß und richtet sich in der oben beschriebenen Weise an alle drei Gewalten. Die sekundäre Schutzpflicht betrifft
106
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
a) Außentheoretische Struktur staatlicher Schutzpflichten Die außentheoretische Struktur staatlicher Schutzpflichten folgt zunächst aus dem Kollisionsmodell298. Da Voraussetzung einer Grundrechtskollision stets ist, daß die kollidierenden Schutzgüter überschießend gewährt sind, weist auch die staatliche Schutzpflicht einen prima facie-Gehalt auf, der durch kollisionslösende Mechanismen auf einen definitiven Gehalt reduziert wird.
aa) Gegenstand der schutzrechtlichen prima facie-Position (1) Ansatz von Martin Borowski Fraglich ist allerdings, worin dieser schutzrechtliche prima facie-Gehalt besteht. Hierzu hat Borowski ein außentheoretisches Modell staatlicher Schutzpflichten entwickelt, in dem das staatlich geschuldete Verhalten, d. h. der geschuldete Schutz Gegenstand des prima facie-Rechts ist, so daß die staatliche Schutzpflicht prima facie jeden nur denkbaren Schutz gebiete299. Damit stellt sich jedoch das Problem, daß im Gegensatz zum Abwehrrecht, bei dem stets allein die Unterlassung des Eingriffs geschuldet ist, eine indefinite Menge staatlichen Verhaltens geschuldet ist, da zur Erreichung eines Schutzziels eine unendliche Vielzahl an Mitteln existiert300. Zudem unterscheiden sich die einzelnen Mittel regelmäßig nach dem Effektivitätsgrad, d. h. dem Maß an Schutz, und dem Beeinträchtigungsgrad, d. h. dem Maß, in dem kollidierende Rechtsgüter und Interessen betroffen werden301. Borowski sieht nun den Übergang zwischen prima facie- und definitiver Position als Bestimmung desjenigen Schutzmittels anhand Verhältnismäßigkeit bzw. Untermaßverbot, das eine optimale Kombination zwischen Effektivitäts- und Beeinträchtigungsgrad darstellt302. Da eine solche Optimierung einen direkten Vergleich verschiedener Schutzmittel voraussetzt, macht es jedoch keinen Sinn, prima facie jede denkbare Schutzhandlung als geboten zu sehen. Borowski sieht sich daher gezwungen, die prima facie gebotenen Schutzhandlungen auf einen vorläufig definiten Kreis zu reduzieren, ___________ demgegenüber die Durchsetzung der primären Schutzpflicht und richtet sich ebenfalls an alle drei Gewalten, indem der Gesetzgeber Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten schafft, welche Exekutive und Judikative anwenden. 298 Im Ergebnis ebenso unter Abstellen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Borowski, S. 247, 249. 299 Borowski, S. 142, 146: Grundrechtliche Prinzipien als „universelle Handlungsgebote“; ferner S. 252, 262 f. 300 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 40; Alexy, Theorie, S. 420 f.; Hesse, FS Mahrenholz, S. 541 (545). 301 Borowski, S. 142 ff. 302 Borowski, S. 151 f.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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weshalb nur solche Schutzmittel beachtlich sein sollen, die eine realistische Chance hätten, die nachfolgende Optimierung zu überstehen303.
(2) Eigener Ansatz Problematisch an diesem Ansatz ist in praktischer Hinsicht, daß Borowski das geschuldete staatliche Verhalten zum Ausgangspunkt nimmt, da offen bleibt, wie ein „optimaler“ Optimierungsprozeß erfolgen kann, wenn entweder die Menge der zu vergleichenden Schutzhandlungen indefinit oder aber bereits von vornherein beschränkt ist nach Kriterien, die aufgrund ihrer pragmatischen Orientierung nicht sicherstellen können, daß das vielleicht „optimale“ Schutzmittel bereits in der Vorauswahl ausgeschieden wird. Dieses Dilemma erscheint zwar aufgrund der unendlichen staatlichen Handlungsmöglichkeiten unausweichlich, so daß das Modell Borowskis zumindest unter pragmatischen Gesichtspunkten akzeptabel ist. Der entscheidende Fehler liegt jedoch darin, daß dieses Modell gerade auch der Prüfung der Erfüllung staatlicher Schutzpflichten dienen soll. In dieser gerichtlichen „Kontrollsituation“ geht es jedoch im Gegensatz zur gesetzgeberischen „Handlungssituation“ nicht um die Suche nach dem „optimalen“ Schutzmittel, sondern um die Frage nach dem Ausreichen vorhandener Schutzmittel. Da in einer entwickelten Rechtsordnung wie derjenigen der Bundesrepublik regelmäßig einschlägige Regelungen vorhanden sind304, liegen der gerichtlichen Überprüfung stets existente einfach-rechtliche Normen oder Normkomplexe zugrunde305. Kommt das BVerfG zum Ergebnis unzureichenden Schutzes, so besteht der Entscheidungsausspruch in der Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Rechts, regelmäßig verbunden mit verfassungsrechtlichen Vorgaben ___________ 303
Borowski, S. 152 ff., 263: Für effektive Fallbearbeitung sei eine „praktische Ebene“ einzuziehen. 304 Sog. „unechtes“ Unterlassen (dazu oben S. 80 ff. mit Fn. 194). – Dies läßt sich am Gentechnik-Beschluß des HessVGH illustrieren, in dem das Gericht fehlerhaft von „echtem“ Unterlassen ausging (dazu mit Nachw. oben S. 91 ff. mit Fn. 239): Abgesehen von der Einschlägigkeit des BImSchG hätte das Gericht die polizeiliche Generalklausel prüfen müssen, die eine subsidiäre und umfassende Eingriffsermächtigung gegenüber jeglichem drittgefährdenden Handeln Privater enthält (ebenso Wahl / Masing, JZ 1990, 553 [562]: Polizeiliche Generalklausel als eine „Art Basisschutz“). Ferner enthält das Zivilrecht in § 823 I, II BGB i. V. m. § 1004 BGB, eine Ausprägung des allgemeinen neminem laede-Gedankens, der bei Fehlen öffentlich-rechtlicher Regelungen eigenständige Bedeutung gewinnt. Damit stellte sich gerade nicht die Frage des Fehlens schutzgewährender Regelungen, sondern ob die genannten Regelungen angesichts der spezifischen Bedrohungen durch die Gentechnologie ausreichend waren. 305 Michael, JuS 2001, 764 (766): Prüfungsgegenstand stets die „vom zuständigen Hoheitsträger gewählten ... Mittel“ (Hervorh. im Original), subsidiär deren vollständige Unterlassung; ebenso ders., JuS 2001, 148 (151).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
oder Auflagen an den Gesetzgeber, u. U. mit Erlaß einer Übergangsregelung mit Gesetzeskraft306. Die endgültige Schaffung ausreichend schützenden Rechts obliegt jedoch stets allein dem Gesetzgeber, der sich auf die Suche nach „besserem“ („optimalen“) Schutz machen muß. Daraus folgt erstens, daß Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle stets das vorhandene Gesetzesrecht ist, das auf seine Auswirkungen auf das zu schützende Grundrecht zu beurteilen ist. Mit anderen Worten ist zu fragen: Welchen Schutz leistet das geltende „Schutzrecht“? Damit muß ein Bezug zu den grundrechtlichen Schutzgütern hergestellt und ermittelt werden, welche Auswirkungen auf diese durch dasjenige Verhalten Privater, welches nach dem zu überprüfenden Recht gerade noch zulässig ist, hervorgerufen werden können. Diese Prüfung ist hypothetischer Art, da es nur darauf ankommt, ob bestimmte Auswirkungen hervorgerufen werden können. Umgekehrt ist der Fall irrelevant, daß Auswirkungen erst dadurch hervorgerufen werden, daß bestehende und ausreichend schützende Gesetze rechtswidrig nicht eingehalten werden, da dies allein die exekutive Schutzpflicht betrifft. Zweitens folgt daraus, daß der prima facie-Gehalt staatlicher Schutzpflichten nicht vom geschuldeten staatlichen Verhalten, sondern vom Schutzgut her zu bestimmen und in dessen unversehrtem Zustand zu sehen ist, d. h. einem Zustand, in dem das Schutzgut keinerlei Beeinträchtigungen durch private Dritte hinnehmen muß. Der außentheoretische Charakter staatlicher Schutzpflichten besteht daher darin, daß diese vom Schutzgut her ebenso wie das Abwehrrecht überschießend definiert sind und in einem noch zu bestimmenden „Verarbeitungsmechanismus“ unter Berücksichtigung kollidierender Allgemein- und Privatinteressen auf ein definitives Maß reduziert werden. So wie das definitive Recht beim Abwehrrecht darin besteht, bestimmte staatliche Beeinträchtigungen hinnehmen zu müssen, besteht das definitive Recht bei der staatlichen Schutzpflicht darin, in dem Umfang Beeinträchtigungen durch private Dritte hinnehmen zu müssen, in dem Schutz nicht gewährt wird und insofern spezielle Duldungspflichten begründet werden307.
bb) Konsequenzen Ist somit zwar die außentheoretische Struktur staatlicher Schutzpflichten nachgewiesen, so ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, wie diese im einzelnen beschaffen ist, da neben dem Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Sche-
___________ 306 307
Dazu nur Möstl, DÖV 1998, 1029 (1039). Zu den speziellen Duldungspflichten oben S. 55 ff.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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ma abweichende außentheoretische Schemata denkbar sind308. Aus dem Kollisionsmodell lassen sich indes nachfolgende Bausteine eines schutzrechtlichen Aufbauschemas gewinnen, die zu einem modifizierten Schutzbereich-EingriffSchranken-Schema führen:
b) Schutzrechtlicher Gesetzesvorbehalt Inwieweit auch die staatliche Schutzpflicht einem Gesetzesvorbehalt unterliegt, ist umstritten; nachfolgend wird gezeigt, daß auch diese Frage ausgehend vom Kollisionsmodell einer Lösung zugeführt werden kann.
aa) Schutzrechtlicher „Eingriff“ als Bezugspunkt Zu klären ist vorab, was überhaupt Bezugspunkt eines schutzrechtlichen Gesetzesvorbehalts wäre, womit die Frage nach Existenz und Funktion eines schutzrechtlichen Eingriffs gestellt ist. Dessen Sinn und Zweck erschließt sich ausgehend von der Funktion des Eingriffsbegriffs309, als Bindeglied zwischen Schutzbereich und Eingriffsrechtfertigung dasjenige Verhalten zu benennen, das Gegenstand der Eingriffsrechtfertigung ist. Hierbei kann im schutzrechtlichen Kontext grundsätzlich nicht an das Verhalten des privaten Störers angeknüpft werden, da dieses keiner Rechtfertigung bedarf, sondern bei Abwesenheit einfach-rechtlicher Verbotsnormen unmittelbar aus den einschlägigen Freiheitsrechten folgt. Auch stünde dem entgegen, daß nach Art. 1 III GG nur staatliches Handeln an den Grundrechten zu messen ist. Das danach erforderliche staatliche Verhalten, welches das Bindeglied zwischen Schutzbereich und Eingriffsrechtfertigung bildet, erschließt sich demgegenüber aus der spezifischen Fragestellung der legislativen Schutzpflicht, ob bestimmte Normen oder Normkomplexe des einfachen Rechts ausreichenden Schutz gewähren. Damit sind diese Normen oder Normkomplexe in Bezug zu setzen zu den betroffenen grundrechtlichen Schutzgütern, indem zu fragen ist, welche Auswirkungen auf diese durch private Dritte zulässigerweise verursacht werden dürfen310. Rechtfertigungsbedürftig und Bezugspunkt eines schutzrecht___________ 308
Vgl. Borowski, S. 24 ff., der verschiedene Kombinationen außentheoretischer Schemata aufzeigt (ähnlich Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 25 ff.). 309 Zum heuristischen bzw. funktionalen Charakter der Eingriffsbegriffs auch Holoubek, Bauelemente, S. 75. 310 Keine Rolle spielt hier im Gegensatz zum abwehrrechtlichen Eingriffsbegriff die tatbestandliche Eingrenzung des staatlichen Verhaltens, wie es durch die Begriffsmerkmale der verschiedenen Eingriffsbegriffe (zu diesen oben S. 51 Fn. 55 ff.) geschieht, da im schutzrechtlichen Kontext das maßgebliche staatliche Verhalten, verstanden als Ge-
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
lichen Gesetzesvorbehalts ist somit das Zurückbleiben des einfach-rechtlich gewährten Schutzes hinter dem bestmöglichen311. Ob ein solches Verständnis sinnvoll ist, ist nachfolgend zu klären.
bb) Geltung verschiedener Gesetzesvorbehalte Zunächst wird die Geltung eines Gesetzesvorbehalts im Rahmen staatlicher Schutzpflichten unter Berufung auf dessen unterschiedliche Funktion im schutzrechtlichen Kontext abgelehnt312. So wirke der Gesetzesvorbehalt im Bereich des Abwehrrechts freiheitssichernd, da die Abwesenheit gesetzlicher Schrankennormen dem Grundrechtsträger die Möglichkeit gebe, den prima facie-Gehalt seines Schutzguts gegenüber staatlichen Eingriffen zu verteidigen. Würde hingegen auch die Schutzgewährung einem Gesetzesvorbehalt unterstellt, bekäme dieser einen freiheitsverkürzenden Gehalt, da Exekutive und Judikative ohne gesetzliche Grundlage Schutz nicht leisten dürften und der Grundrechtsträger umgekehrt den Verlust seines Schutzguts durch drittverursachte Beeinträchtigungen hinzunehmen hätte. Dieser Befund ist einerseits zutreffend, andererseits aber verkürzend: Zunächst kommt auch den abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalten eine freiheitsverkürzende Funktion zu, da der Gesetzgeber Eingriffe grundsätzlich vornehmen und Zwecke definieren darf, die diese rechtfertigen können313. Damit reduziert sich die Schutzwirkung abwehrrechtlicher Gesetzesvorbehalte auf den formellen Aspekt eines „Beschränkungsmonopols“ der Legislative und den materiellen Aspekt der sog. Schranken-Schranken, insbesondere der Verhältnismäßigkeit314. Demgegenüber kommt den abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalten der „störenden“ Grundrechte im schutzrechtlichen Kontext insofern freiheitssichernder Gehalt zu, als der Gesetzgeber dadurch in die Lage versetzt wird, verfassungsunmittelbare „Störungsbefugnisse“ auch über das verfassungsrechtliche Kollisionsmodell hinaus aus Gründen zu beschränken, die erst der legislativen Zwecksetzungskompetenz entspringen. Der Gesetzgeber ist daher nicht gehalten, die ___________ samtheit des schützenden einfachen Rechts, bereits dadurch individualisiert ist, daß bestimmte Normen oder Normkomplexe Aussagen über die Zulässigkeit eines bestimmten privaten Verhaltens treffen. 311 Ähnlich Borowski, S. 255: Eingriff als „Unterlassen des Vollzuges noch nicht vollzogener Handlungen, die Schutz für grundrechtliche Schutzgüter darstellen oder fördern“. 312 Zum folgenden Jarass, AöR 120 (1995), 345 (374). 313 Zur legislativen Zwecksetzungskompetenz oben S. 84 Fn. 198. 314 Zu dieser Unterscheidung von formeller und materieller Schutzfunktion der Grundrechte grundlegend Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 27 ff. und passim; darauf aufbauend Calliess, Umweltstaat, S. 95.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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kollidierenden Grundrechte stets auf eine „Optimallösung“ einzujustieren, sondern darf Drittstörungsbefugnisse weitergehend beschränken, und die abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalte der „störenden“ Grundrechte wirken konstitutiv für eine überobligatorische Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht und damit freiheitserweiternd für die zu schützenden Rechtsgüter. Damit kann zugleich die These des BVerfG, der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich des Gesetzgebers lasse auch Raum, „konkurrierende öffentliche und private Interessen“ zu berücksichtigen315, zumindest für schutzverstärkende öffentliche Interessen bestätigt werden. Es sind daher verschiedene Arten und Wirkungen des Gesetzesvorbehalts zu unterscheiden, deren Zusammenspiel sich aus erst dem Kollisionsmodell erschließt:
(1) Gesetzesvorbehalte der „störenden“ Grundrechte Die abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalte der „störenden“ Grundrechte bewirken somit einerseits, daß „Schutz durch Eingriff“ nur auf gesetzlicher Grundlage geleistet werden kann, und andererseits, daß der Gesetzgeber gegenüber dem Kollisionsmodell weitergehende Schutzzwecke verfolgen darf.
(2) Ungeschriebener Gesetzesvorbehalt kraft „Wesentlichkeit“ Aus dem verfassungsrechtlichen Kollisionsmodell folgt ferner die Anwendbarkeit des ungeschriebenen Gesetzesvorbehalts kraft „Wesentlichkeit“316, da der Vorgang der Kollisionslösung wie ausgeführt komplexe Wertungen hinsichtlich der beteiligten Rechtsgüter, der Auswahl der Schutzmittel und deren prognostischer Wirkungsabschätzung erfordert317. Unterliegt das „störende“ Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt – etwa Art. 5 III GG bei Forschungseinrichtungen –, so wird die gesetzgeberische Primärzuständigkeit zur Kollisionslösung konstitutiv durch diesen ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt kraft „Wesentlichkeit“ begründet und inhaltlich allein durch das zu schützende Grundrecht determiniert. Hierbei nehmen die beteiligten Grundrechte für das jeweils andere die Funktion verfassungsimmanenter Schranken ein. Unterliegt das „störende“ Grundrecht hingegen einem Gesetzesvorbehalt, tritt der ungeschriebene Gesetzesvorbehalt kraft „Wesentlichkeit“ schutzverstärkend neben diesen318. ___________ 315
Nachw. oben S. 98 Fn. 264 ff. und S. 99 Fn. 272 ff. Zur Wesentlichkeitslehre oben S. 88 Fn. 213. 317 Dazu oben S. 86 ff.; aus schutzrechtlicher Sicht Brüning, JuS 2000, 955 (957 f.). 318 Calliess (Umweltstaat, S. 449) weist im Ansatz zutreffend darauf hin, daß durch den Wesentlichkeitsgedanken ein eigenständiger und vom „Schutz durch Eingriff“ losgelöster Ansatzpunkt für den Gesetzesvorbehalt vorliegt (vgl. ferner BVerfGE 49, 89 316
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Ferner wird in diesem Fall die Kollisionslösung inhaltlich dahin angereichert, daß der Gesetzgeber weitergehenden Schutz gewähren kann, so daß sich die bipolare grundrechtliche Kollisionslage zu einer mehrdimensionalen zuzüglich schutzverstärkender öffentlicher Interessen erweitert.
(3) Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte Demgegenüber wird die Frage, ob auch die abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte wie etwa Art. 2 II 3 GG im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht zur Anwendung kommen, überwiegend verneint319 und eingewandt, daß diesen im schutzrechtlichen Kontext eine andere Funktion zukäme als im Rahmen des Abwehrrechts320. Während nämlich bei Nichtgebrauchmachen vom Gesetzesvorbehalt im Rahmen des Abwehrrechts das grundrechtliche Schutzgut den denkbar höchsten Schutz genieße, würde ein Gesetzesvorbehalt für schützende Maßnahmen Exekutive und Judikative bei fehlendem schützendem Gesetzesrechts an jeglicher Schutzgewährung hindern und bewirken, daß die grundrechtlichen Schutzgüter durch Dritte beliebig geschmälert werden könnten321. Indes sind nach den bisherigen Ausführungen hierfür nicht die Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte verantwortlich, sondern in Verbindung mit dem Wesentlichkeitsgedanken die abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalte derjenigen Grundrechte, in die zur Schutzgewährung eingegriffen wird. Auch werden die Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte gerade nicht dazu benötigt, das Zurückbleiben staatlichen Schutzes hinter dem bestmögli___________ [126] – Kalkar I, wo als tragender Gesichtspunkt der Wesentlichkeitsrechtsprechung gerade die „Loslösung“ vom „Merkmal des ‚Eingriffs‘“ genannt wird); diese „Emanzipation“ des Vorbehaltsgedankens vom Eingriffsgedanken darf jedoch nicht soweit gehen, daß der „Grundrechtsübergriff“ des Privaten kraft „Wesentlichkeit“ einem Gesetzesvorbehalt unterstellt wird, da man damit zu einem Gesetzesvorbehalt für das Handeln Privater und letztlich doch zu der Konzeption des HessVGH im Gentechnik-Beschluß gelangte (dazu oben S. 91 ff.). Hieran zeigt sich ein allgemeines Problem der Wesentlichkeitslehre, die – hat man erst die Emanzipation vom Grundrechtseingriff vollzogen – ein bedenkliches Eigenleben zu entwickeln in der Lage ist, das geeignet ist, die traditionelle Grundrechtsdogmatik außer Kraft zu setzen oder sogar ins Gegenteil zu verkehren (vgl. Preu, JZ 1991, 265 [268], der deshalb zu „äußerster Zurückhaltung“ bei Handhabung der Wesentlichkeitslehre im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht rät). 319 Einen ausschließlichen Bezug auf das Abwehrrecht vertreten W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 289 f.; Krings, S. 254 f.; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (374 f.); Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 132; Borowski, S. 265 f.; im Ergebnis ebenso Jarass, FS BVerfG II, S. 46. – A. A. Dietlein, Schutzpflichten, S. 115 f.; G. Hermes, S. 258 f.; Pietrzak, JuS 1994, 748 (751); E. Klein, NJW 1989, 1633 (1638). 320 Jarass, AöR 120 (1995), 345 (374). 321 So Jarass, AöR 120 (1995), 345 (374).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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chen zu rechtfertigen322, da dies bis zur Grenze der praktischen Konkordanz bereits durch das Kollisionsmodell bewirkt wird323. Die eigentliche schutzrechtliche Bedeutung der Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte erschließt sich demgegenüber, wenn man von der ständigen Rspr. des BVerfG ausgeht, wonach der „Einschätzungs-, Wertungsund Gestaltungsbereich“ des Gesetzgebers auch Raum lasse, „konkurrierende öffentliche und private Interessen“ zu berücksichtigen324. Damit geht das BVerfG davon aus, daß „konkurrierende öffentliche Interessen“ sich nicht nur schutzerweiternd, sondern auch schutzbeschränkend entfalten können, indem sie die Störerposition über das durch das Kollisionsmodell vorgegebene praktisch konkordante Maß erweitern. Daß eine entsprechende Schutzbeschränkung möglich sein muß, folgt schon aus einem Vergleich mit am Abwehrgehalt der Betroffenengrundrechte zu messenden Immissionen, bei denen es konstruktiv dem „Normalfall“ entspricht, die entsprechenden Schutzgüter durch ein öffentliches Interesse zu beschränken, etwa dem Interesse an bestimmter emittierender Industrie. Es ist nichts dafür ersichtlich, diese Wertung nicht auch auf privat verursachte Beeinträchtigungen zu übertragen, da auch an privater Betätigung ein entsprechendes öffentliches Interesse bestehen kann. Damit sich dieses schutzmindernd entfalten kann, bedarf es jedoch eines rechtstechnischen „Mediums“, um überhaupt in den Abwägungsprozeß eingeführt werden zu können. Dieses ist in spiegelbildlicher Situation zu den abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalten des störenden Grundrechts jedoch in den abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalten der zu schützenden Grundrechte – etwa Art. 2 II 3 GG – zu sehen325, welchen in direkter oder analoger Anwendung die verallgemeinerungsfähige Aussage entnommen werden kann, daß dem Gesetzgeber bereits gegenüber dem Schutzgut und damit Grundrechtsfunktionen übergreifend eine Zwecksetzungskompetenz verliehen wird326. Insofern entspricht die schutzrecht___________ 322
So aber Borowski, S. 120 f. Dies übersieht Krings, S. 255; zutreffend Sachs, in: Stern III / 2, S. 388. 324 Nachw. oben S. 98 Fn. 264 ff. und S. 99 Fn. 272 ff. 325 Ähnlich G. Hermes, S. 258, 260; Dietlein, Schutzpflichten, S. 115 f. 326 W. Cremer versucht diese Konstruktion am Beispiel des qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 13 VII GG durch das vermeintlich „unsinnige Ergebnis“ zu entkräften, wonach die Geltung dieses Vorbehalts im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht dazu führe, daß die „Anordnung lebenslanger Freiheitsstrafe für einen Hausfriedensbruch nur aus den in Art. 13 Abs. 7 GG genannten Gründen gerechtfertigt“ sein könne (W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 290). Dieses Ergebnis, das in der Tat unsinnig ist, folgt jedoch gerade nicht aus dem obigen kollisionsrechtlichen Modell, da die beiden prima facie-Positionen – Höchstmaß an Freiheit zur Vornahme von Hausfriedensbrüchen (Artt. 2 I, 2 II 2 GG) und optimaler Schutz vor Hausfriedensbruch durch Höchstmaß an Strafen (Art. 13 I GG) – bereits verfassungsimmanent durch das Kollisionsmodell auf ein praktisch konkordantes Maß reduziert werden, etwa in Gestalt der Freiheitsstrafe des § 123 StGB, die jedoch auch Ausfluß zusätzlicher Schutzgewährung sein könnte. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 13 VII wird nur benötigt, wenn der Gesetzgeber hinter die323
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
liche Funktion entsprechender Gesetzesvorbehalte sogar derjenigen im abwehrrechtlichen Kontext.
cc) Normative Begründung gesetzgeberischer Spielräume Einer der zentralen Kritikpunkte an der Schutzpflichtenlehre war von Anfang an, daß diese den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in bedenklicher Weise reduziere und auf „Verfassungsvollzug“ beschränke. Diese Kritik, die aus der Befürchtung irreparabler Machtverschiebungen vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber hin zum „Jurisdiktionsstaat“ motiviert ist, braucht angesichts ausführlicher literarischer Erörterung nicht wiederholt zu werden327; anzumerken ist lediglich zweierlei: Zunächst könnte es scheinen, als würde die hier vertretene kollisionsrechtliche Rekonstruktion staatlicher Schutzpflichten diese Kritik in vollem Umfang bestätigen, da dem Kollisionsmodell, wie es explizit zur Beschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte entwickelt wurde328, der Gedanke zugrundeliegt, daß die Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen in der Verfassung abschließend angelegt ist, so daß Gesetzgeber bzw. Rechtsanwender diese in der Tat nur zu „vollziehen“ hätten. Diese Vorstellung, auf der auch der Gedanke der praktischen Konkordanz beruht, wird im reinen Kollisionsmodell allein durch entsprechende Einschätzungs- und Prognosespielräume aufgefangen329. Damit erweist sich aber auch im reinen Kollisionsmodell der Gedanke der einen „richtigen“ Lösung als lediglich theoretisches Postulat, das in der praktischen Anwendung durch einen „Korridor“ verschiedener „richtiger“ Lösungen330 ersetzt werden muß, dessen „Breite“ durch den gerichtlichen Kontrollmaßstab bestimmt wird. Das vorliegende Modell ergänzt diesen bisher allein funktionell-rechtlich begründeten Spielraum des Gesetzgebers mit der Befugnis zur Definition schutzerweiternder und -beschränkender Zwecksetzungen um einen materiell-rechtlichen und normativ aus der Verfassung folgenden Spielraum331 und ist insofern nicht nur geeignet, die dargestellten Bedenken an der Schutzpflichtenlehre zu ___________ sem verfassungsrechtlichen Mindestschutz zurückbleiben möchte; wenn hierzu die Gründe des Art. 13 VII GG thematisch nicht taugen, ist dies kein Argument gegen das obige Modell, sondern hat nur zur Folge, daß im Rahmen des Art. 13 GG entsprechende Schutzreduktionen nicht erfolgen können. 327 Dazu prägnant Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (25); ders., Gesetz, S. 402; ferner Stern, in: Stern III / 2, S. 1774 f.; Enders, Der Staat 35 (1996), 351 ff. 328 Dazu oben S. 86 ff. 329 So auch Th. Koch, S. 403. 330 Ein explizites „Korridor“-Modell entwickelt Calliess, Umweltstaat, S. 457 ff.; dazu unten S. 119 ff. mit Fn. 348. 331 Zu diesen unterschiedlichen Spielraumarten Steiff, S. 344 ff.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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zerstreuen, sondern zugleich die Verfassung selbst gegen eine Degradierung des Gesetzgebers zum „Verfassungsvollzug“ zu mobilisieren.
c) Kollisionslösung durch Verhältnismäßigkeit und praktische Konkordanz aa) Untermaßverbot zwischen Kongruenz- und Divergenzthese Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht wurde im Gefolge der zweiten Abtreibungs-Entscheidung bislang in erster Linie unter Gegenüberstellung von abwehrrechtlichem „Übermaß-“ und schutzrechtlichem „Untermaßverbot“ erörtert332. Dabei soll nach der Kongruenzthese das Untermaßverbot für den durch Eingriff zu leistenden Schutz bereits im abwehrrechtlichen Übermaßverbot enthalten und deshalb als eigenständige dogmatische Kategorie überflüssig sein333. Danach stelle die Verhältnismäßigkeit den einheitlichen Maßstab sowohl für das Maß an höchstzulässigem Eingriff als auch für den mindestens zu leistendem Schutz dar, oder mit anderen Worten: Im Hinblick auf das tangierte Grundrecht „dürfe der Staat gerade noch das tun, was er für das zu schützende Gut tun müsse“334. Demgegenüber sieht die Divergenzthese Über- und Untermaßverbot als verschiedene dogmatische Kategorien, denen eine unterschiedliche Blickrichtung zugrundeliege, was von Jaeckel mit folgendem Beispiel illustriert wird335: Gesetzt den Fall, der Gesetzgeber wolle Maßnahmen zum Schutz vor den Gefährdungen des Autofahrens ergreifen: Hier soll ein generelles Verbot des Autofahrens zwar dem Untermaßverbot genügen, da ein ausreichender Schutz für Leben und körperliche Unversehrtheit bewirkt würde, jedoch läge ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vor, da die individuellen Freiheitsrechte der Autofahrer unverhältnismäßig beschränkt würden, insbesondere die Maßnahme nicht erforderlich wäre. Demgegenüber sollen „bloße Aufklärungsmaßnahmen über das Autofahren oder Anmeldepflichten ohne jegliche weitere Reglementierung oder Kontrolle der Fahrweise“336
___________ 332
Zur Diskussion Streuer, S. 144 mit Nachw. in Fn. 55; ferner Mayer, S. 69 ff. So Hain, ZG 11 (1996), 75 (77 ff., 80); ähnlich bereits ders., DVBl. 1993, 982 (983 f.); Stern, in: Stern III / 2, S. 813 f.; Unruh, S. 85 ff.; Winkler, S. 370 f. – Demgegenüber vertreten ein Divergenzmodell Dietlein, ZG 10 (1995), 131 (133 ff.); Michael, JuS 2001, 148 (151); Möstl, DÖV 1998, 1029 (1038); Brüning, JuS 2000, 955 (958); Krings, S. 300 ff.; Jaeckel, S. 145 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 312 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (384); differenzierter und dem nachfolgenden Modell ähnlich Calliess, Umweltstaat, S. 457 f., 577 ff. 334 So Streuer, S. 145 (Hervorh. im Original) unter Verweis auf Hain, DVBl. 1993, 982 (983). 335 Jaeckel, S. 94; aufgegriffen von Streuer, S. 145 f.; ähnliches Beispiel bei Dietlein, ZG 10 (1995), 131 (137). 336 So das Beispiel von Jaeckel, S. 94. 333
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
zwar nicht übermäßig in die Freiheitsrechte der Autofahrer eingreifen, jedoch möglicherweise wegen unzureichendem Schutz das Untermaßverbot verletzen.
bb) Eigenständige Konzeption von Über- und Untermaßverbot (1) Eigenständige Funktion des Übermaßverbots Daß zunächst durch „bloße Aufklärungsmaßnahmen über das Autofahren oder Anmeldepflichten ohne jegliche weitere Reglementierung oder Kontrolle der Fahrweise“ das Übermaßverbot nicht verletzt wird, trifft zu, wenn man den Maßstab der Verhältnismäßigkeit auf eine Zweck-Mittel-Relation bezieht, in der es dem Gesetzgeber freisteht, die Intensität des zu gewährenden Schutzes als verfolgten Zweck selbst zu bestimmen. Dies entspricht dem Grundmodell des Abwehrrechts, in welchem dem Gesetzgeber nicht nur die Befugnis zukommt, überhaupt einen Eingriffszweck zu bestimmen, sondern auch dessen Gewicht und Intensität, was auf die Zweck-Mittel-Relation durchschlägt: Soll ein Zweck nur mit geringer Intensität verwirklicht werden, so kann er auch nur entsprechend geringfügige Grundrechtseingriffe als „Mittel“ legitimieren; umgekehrt ist die Legitimation eines geringfügigen Eingriffs bereits durch entsprechend geringfügig „dimensionierte“ Zwecke möglich337. Soll daher im obigen Beispiel gegenüber den Gefährdungen des Autofahrens nur geringer Schutz gewährt werden, wären auch Schutzmaßnahmen wie „Anmeldepflichten“ – deren Eingriffsqualität in Art. 2 I GG unterstellt – angesichts ihrer geringen Eingriffstiefe jedenfalls verhältnismäßig, zumal sich Geeignetheit und Erforderlichkeit am verfolgten Zweck als vorgegebene Konstante auszurichten haben. Danach wären angesichts des nur „gering“ zu bewirkenden Schutzes auch „gering“ wirkende Maßnahmen geeignet und erforderlich. Dieses Verständnis stellt eine adäquate Rekonstruktion eindimensionaler Abwehrlagen dar, ist jedoch untauglich für grundrechtliche Kollisionslagen, auf deren beiden Seiten grundrechtliche Positionen stehen. Dort entspringt der zu leistende Schutz gerade nicht allein der gesetzgeberischen Entscheidung, sondern wird dem Gesetzgeber nach Grund und Umfang vom verfassungsrechtlichen Kollisionsmodell vorgegeben338, so daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerade nicht als Zweck-Mittel-Relation zur Anwendung gelangt, sondern in seiner speziellen Ausprägung der praktischen Konkordanz, welche die Herstellung einer „Relation zweier variabler Größen“ und nicht einer Relation zwi___________ 337
Zu diesem Zusammenhang Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (600 ff.). Insofern zutreffend Hain, ZG 11 (1996), 75 (78); wenn hier demgegenüber die „Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers“ angeführt wird (so Krings, S. 300), bleibt offen, wie eine solche neben dem Kollisionsmodell, welches auch Krings anerkennt, bestehen kann; wie hier demgegenüber Michael, JuS 2001, 148 (150). 338
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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schen einem „konstanten ‚Zweck‘ und einem oder mehreren variablen ‚Mitteln‘“ verlangt339. Damit wäre im obigen Beispiel der durch bloße Aufklärungsmaßnahmen gewährte Schutz gerade nicht mehr verfassungsmäßig, was nicht erst Gegenstand der schutzrechtlichen Prüfung wäre, sondern bereits der abwehrrechtlichen, da das Kollisionsmodell mit der praktischen Konkordanz einen identischen Maßstab vorgibt. Dies wird durch die prozessuale Einkleidung möglicher Fallkonstellationen bestätigt: Macht ein Bürger – etwa über eine Individualverfassungsbeschwerde – geltend, daß bereits Anmeldepflichten im Sinne des obigen Beispiels gegen sein Abwehrrecht aus Art. 2 I GG verstießen, so müßte das Gericht bei isoliertem Verständnis von abwehrrechtlichem Übermaß und schutzrechtlichem Untermaß einfach-rechtliche Vorschriften mangels Verstoß gegen das Übermaßverbot für verfassungsmäßig erklären, obwohl diese aus anderem Grund, nämlich unzureichendem Schutz, verfassungswidrige Schranke i. S. des Art. 2 I GG sind340. Will man vermeiden, der abwehrrechtlichen Prüfung eine verfassungswidrige Norm zugrundezulegen, muß daher auch hier zumindest inzident geprüft werden, ob die Norm den schutzrechtlichen Anforderungen genügt. Dies könnte entweder durch die kumulative Heranziehung von Über- und Untermaßverbot oder aber durch Herstellung praktischer Konkordanz geschehen; welcher Weg vorzuziehen ist, soll abschließend unter cc) geklärt werden.
(2) Eigenständige Funktion des Untermaßverbots Fraglich ist jedoch bereits, ob dem Untermaßverbot überhaupt eine eigenständige dogmatische Funktion zukommt, was notwendige Voraussetzung eines Divergenzmodells ist. Dazu soll wiederum der obige Beispielsfall, diesmal aus schutzrechtlicher Sicht, betrachtet werden. Zunächst kann sich hier eine vergleichbare Problematik zur abwehrrechtlichen Konstellation stellen, wenn ein Bürger in prozessual zulässiger Weise geltend macht, selbst ein weitgehendes Verbot des Autofahrens reiche als Schutz nicht aus, sondern nur ein vollständiges. In diesem Fall könnte das Gericht zum Ergebnis kommen, es werde – entgegen dem klägerischen Vorbringen – nicht zuwenig (= Verstoß gegen das Untermaßverbot), sondern zuviel an Schutz geleistet (= Verstoß gegen das Übermaßverbot angesichts weitgehender Beschränkung individueller Freiheitsrechte). Will man hier im Sinne der Divergenzthese dem Untermaßverbot eine eigenständige Funktion geben, kann dies nur auf Grundlage einer Zweck-MittelRelation geschehen; fraglich ist jedoch, was „Zweck“ und was „Mittel“ ist. ___________ 339 340
So Hesse, Grundzüge20, Rn. 72; dazu Lerche, in: HbStR V, § 122 Rn. 17. Zu dieser „Inzident“-Konstellation Borowski, S. 148 f.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Zwei Ansätze sind denkbar: Sieht man zunächst den zu leistenden Schutz als „Zweck“, ist die dadurch bewirkte Beschränkung der individuellen Freiheitsrechte das „Mittel“341, wofür sprechen könnte, daß angesichts verfassungsunmittelbarer abwehrrechtlicher prima facie-„Störungsbefugnisse“ – hier dem Recht auf Autofahren – deren Beschränkung als Schutzgewährung erscheint. Allerdings ist damit für eine eigenständige Funktion des Untermaßverbots nichts gewonnen, da dieser Ansatz nur das abwehrrechtliche Übermaßverbot wiedergibt. Will man demgegenüber zu einem eigenständigen Untermaßverbot gelangen, muß man die Zweck-Mittel-Relation dahin umkehren, daß Ausgangspunkt das schutzrechtliche prima facie-Gebot absoluter Integrität der zu schützenden Rechtsgüter bildet342. Bleibt die zu prüfende einfach-rechtliche Normierung dahinter zurück, indem auch nur minimaler Kraftfahrzeugverkehr unter strengsten Auflagen zugelassen wird, ist „Zweck“ die Ermöglichung individueller Freiheit343, während „Mittel“ das Zurückbleiben des gewährten Schutzes hinter dem prima facie gebotenen bzw. die Zulassung entsprechender privater „Grundrechtsübergriffe“ ist. Nur in dieser Konstruktion ist ein eigenständiges Untermaßverbot gewährleistet und das obige Beispiel im Sinne seiner Autoren adäquat zu rekonstruieren: Ist nämlich „Zweck“ die nur „geringe“ Ermöglichung individueller Freiheitsentfaltung im Straßenverkehr, ist damit auch eine verhältnismäßige Relation zum „Mittel“ der nur geringfügigen Beeinträchtigung der zu ___________ 341
So Michael, JuS 2001, 148 (151). Zu dieser Ambivalenz der Bestimmung von „Zweck“ und „Mittel“ ausführlich Jakobs, S. 17 ff.; ferner Calliess, Umweltstaat, S. 570 f.; Huster, Rechte, S. 147 ff. – Im Ansatz abweichend Michael, JuS 2001, 764 (766), der ein „Zweckbündel“ aus „grundrechtliche(m) Schutzzweck“ und mit dem „Schutz kollidierende(r) Interessen“ zugrundelegen möchte; dies mag zwar im Einzelfall den subjektiven Zwecksetzungen des Gesetzgebers entsprechen, macht aber die Arbeit mit konkreten Zweck-Mittel-Relationen, wie sie Über- und Untermaßverbot zugrundeliegen, unmöglich. 343 Ebenso Borowski, S. 120 f.; ferner W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 282: „(N)ach etwaigen das staatliche Unterlassen von Schutz tragenden Zwecken zu fragen“. – Problematisch könnte jedoch sein, daß gerade in Fällen des gänzlichen oder teilweisen Unterlassens von Schutz die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke nur in den seltensten Fällen ermittelt werden können oder der Gesetzgeber entsprechende Überlegungen gar nicht angestellt hat, so daß es an einer subjektiven Zwecksetzung fehlt (dazu Huster, Rechte, S. 130). Indes setzt die Bestimmung einer Zweck-Mittel-Relation nicht zwingend subjektive Zwecke des Gesetzgebers voraus, sondern der Respekt vor dem parlamentarischen Gesetz erfordert es, beim Fehlen subjektiver Zwecke auf den objektiven Zweck des Gesetzes abzustellen, da ansonsten eine Vielzahl objektiv verfassungsmäßiger Gesetze mangels Durchführbarkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verfassungswidrig wären. Dies entspricht auch der Auffassung des Ersten Senats des BVerfG (so ausdrücklich die 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1998, 1776 [1777]: „Denn das BVerfG prüft, ob eine gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, auch wenn sie in der Gesetzesbegründung keinen Niederschlag gefunden haben ...“; ferner BVerfGE 21, 292 [299]; 33, 171 [186]; a. A. unter Berufung auf die Rspr. des Zweiten Senats Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 [1361 ff., 1363]; wie hier W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 283 ff.). 342
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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schützenden Grundrechte gewahrt, was überhaupt erst die Aussage ermöglicht, in diesem Fall sei zumindest das Untermaßverbot eingehalten. Dies zeigt deutlich die Ambivalenz von „Zweck“ und „Mittel“, die letztlich nur von den beiden konträren prima facie-Positionen her bestimmt werden können.
cc) Konsequenzen Daraus folgt, daß selbst dann, wenn man der Divergenzthese folgt, Über- und Untermaßverbot nicht voneinander unabhängige Rechtsfiguren sind, deren eine der abwehrrechtlichen, die andere hingegen der schutzrechtlichen Prüfung zugeordnet ist. Daher müßte, um die aufgezeigten verfassungswidrigen Ergebnisse zu vermeiden, auch auf dem Boden der Divergenzthese stets – und damit unabhängig davon, ob der Fall abwehrrechtlich oder schutzrechtlich „angegangen“ wird – eine kumulative Prüfung von Über- und Untermaßverbot erfolgen. Ob dieser Vorgehensweise auch im Ergebnis zu folgen ist, hängt davon ab, ob die Kollisionslösung allein verfassungsrechtlich durch das Kollisionsmodell oder aber zusätzlich durch ergänzende Zwecksetzungen des Gesetzgebers determiniert wird344, was im folgenden zu betrachten ist.
(1) Inhaltliche Determination allein durch Kollisionsmodell Eine kumulative Prüfung am Maßstab eines jeweils eigenständigen Überund Untermaßverbots ist einem praktischen und einem dogmatischen Einwand ausgesetzt, was jedenfalls bei einer Determination allein durch das Kollisionsmodell zu einer partiellen Kongruenzthese führt: Zunächst wird durch die geschilderte Vorgehensweise nichts anderes bewirkt, als sich der praktisch konkordanten Zuordnung von den beiden Rändern her durch zwei verschiedene Verhältnismäßigkeitsprüfungen zu nähern, was jedoch ebenso in einem einzigen Schritt durch die Prüfung geschehen kann, ob eine praktisch konkordante Kollisionslösung vorliegt. Dieser Weg ist nicht nur prüfungstechnisch einfacher, sondern auch aus dogmatischen Gründen vorzu___________ 344 Angesichts dieser Möglichkeit ist es zu pauschal, die Divergenzthese allein mit der Notwendigkeit legislativer Spielräume bei der Kollisionslösung zu begründen (so aber Jaeckel, S. 95; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 312 f.), da diese wie aufgezeigt sowohl funktionell-rechtlicher als auch bei ergänzender Zweckdetermination inhaltlichmaterieller Art sein können. So richtig es ist, daß der Gesetzgeber in einem Kongruenzmodell zum bloßen „Verwalter von Verfassungsvorgaben“ degradiert würde (W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 313), so entbindet dieser Befund nicht von einer normativen Begründung entsprechender inhaltlicher Gestaltungsspielräume; dies geschieht jedoch gerade durch die hier erfolgte Fruchtbarmachung der abwehrrechtlichen Gesetzesvorbehalte der zu schützenden Grundrechte.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ziehen, da die Konzeption zweier verschiedener Verhältnismäßigkeitsprüfungen von der unzutreffenden Prämisse ausgeht, der Gesetzgeber könne frei über das Maß des zu leistenden Schutzes bestimmen. Das Kollisionsmodell bewirkt jedoch, daß dem Gesetzgeber sowohl das Maß des zu leistenden Schutzes als auch das Maß der zu wahrenden Freiheit verfassungsrechtlich vorgegeben wird; gesetzgeberische Spielräume resultieren in dieser Konstellation allein aus einer Rücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte. Damit führt das Gebot praktischer Konkordanz dazu, daß Über- und Untermaßverbot jedenfalls auf der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeit identisch sind (partielle Kongruenzthese)345. Eine eigenständige Funktion von Über- und Untermaßverbot verbleibt demgegenüber auf den Stufen der Geeignetheit und Erforderlichkeit, da es hier allein um die tatsächliche Wirkungsabschätzung geht, die zudem von der Ambivalenz von „Zweck“ und „Mittel“ auszugehen hat. Danach ist es sinnvoll, in einer ersten und zweiten Stufe sowohl zu prüfen, ob das zu prüfende einfache Recht sowohl geeignet und erforderlich zur Schutzgewährung (= „Zweck“ i. S. des Übermaßverbots346) als auch zur Wahrung individueller Freiheit (= „Zweck“ i. S. des Untermaßverbots) ist. Ist eine dieser Fragen zu verneinen, kann die einfach-rechtliche Kollisionslösung nicht die praktisch konkordante sein und ist verfassungswidrig.
(2) Ergänzende Determination durch legislative Zwecksetzungen Diese partielle Kongruenz von Über- und Untermaßverbot bedarf dann der Modifikation, wenn man die ergänzende Determination der Kollisionslösung durch legislative Zwecksetzungen einbezieht. In diesem Fall gilt die für das Kollisionsmodell herausgearbeitete Prämisse, daß dem Gesetzgeber das Maß des zu leistenden Schutzes verfassungsrechtlich vorgegeben wird, nicht mehr uneingeschränkt, da der Gesetzgeber weitere Zwecke verfolgen kann, die sich entweder schutzbeschränkend und freiheitserweiternd oder aber schutzerweiternd und freiheitsbeschränkend auswirken347. Bezüglich dieser „überschießenden“ Zwecke steht es dem Gesetzgeber nicht nur frei, sie überhaupt zu definieren, sondern auch Umfang und Gewicht zu bestimmen. Entsprechend führt eine ___________ 345
Calliess, Umweltstaat, S. 460 f.; ähnlich G. Hermes, S. 255 ff.; Streuer, S. 149; Erichsen, JURA 1997, 85 (88). – Nach hier vertretenem Ansatz besteht notwendige Kongruenz allerdings nur für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (ebenso Calliess, Umweltstaat, S. 460 f.; ders., JZ 2006, 321 [329 f.]). 346 Dazu Brüning, JuS 2000, 955 (958). 347 Für die dadurch entstehende Kollisionslage aus mindestens zwei kollidierenden Grundrechten und mindestens einem öffentlichen Interesse entwickelt Calliess die Dogmatik einer mehrpoligen Verhältnismäßigkeitsprüfung (Umweltstaat, S. 566 ff., insbes. 577 ff.; ferner ders., JZ 2006, 321 [329 f.]).
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
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gesetzliche Kollisionslösung im Immissionsschutzrecht, die auch unter Berücksichtigung entsprechender legislativer Wertungs- und Prognosespielräume nicht mehr praktisch konkordant ist, nicht zwangsläufig zur Verfassungswidrigkeit der Regelung, sondern es ist weitergehend zu prüfen, ob ergänzende Zwecksetzungen denkbar sind – etwa Industrieförderzwecke –, die so gewichtig sind, daß sie auch das konkrete Zurückbleiben des Schutzes hinter dem praktisch konkordanten Maß rechtfertigen können. Gelingt eine solche Rechtfertigung, muß schon aus Respekt vor dem Gesetzgeber unterstellt werden, daß dieser einen entsprechenden Zweck auch definieren wollte. Daraus folgt, daß die praktische Konkordanz nicht geeignet ist, ergänzende legislative Zwecksetzungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, sondern dies nur über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Zweck-Mittel-Relation geschehen kann. Andererseits bildet die praktische Konkordanz jedoch den inhaltlichen Ausgangspunkt jeglicher weitergehenden Verhältnismäßigkeitsprüfung, da sich letztere erübrigt, wenn die zu überprüfende Regelung bereits praktisch konkordant ist. In einem ersten Schritt ist daher festzustellen, ob dieser Maßstab eingehalten ist bzw. in welche Richtung hiervon abgewichen wird, wodurch sich die ergänzenden Zwecke bestimmen lassen. In einem zweiten Schritt sind die jeweiligen Mittel zu bestimmen und auf ihre Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zu prüfen. Hierzu bedarf es einer exakten Bestimmung von „Zweck“ und „Mittel“, wobei zwei Konstellationen zu unterscheiden sind: Geht es um die Rechtfertigung einer Schutzbeschränkung, ist „Zweck“ entweder ein schutzbeschränkendes öffentliches Interesse (z. B. Industrieförderung) oder die Verstärkung der Wahrung individueller Freiheit, „Mittel“ hingegen die konkrete Schutzbeschränkung, d. h. dasjenige Maß, in dem der tatsächlich gewährte Schutz hinter dem praktisch konkordanten zurückbleibt; diese konkrete Betrachtung ist erforderlich, um die Eingriffstiefe der Schutzversagung zu bestimmen, welche zugleich dasjenige Gewicht vorgibt, das im Rahmen der Verhältnismäßigkeit überwunden werden muß. Geht es umgekehrt um eine Schutzerweiterung, ist diese „Zweck“, evtl. flankiert durch ein öffentliches Interesse (etwa umweltschützende Zwecke), „Mittel“ hingegen derjenige konkrete Eingriff in die abwehrrechtliche „Störerposition“, der über den verfassungsrechtlich gebotenen hinausgeht; bezüglich der Eingriffstiefe gilt das soeben Ausgeführte. Somit kann im Ergebnis auch bei ergänzender legislativer Determination des Kollisionsmodells an der partiellen Kongruenzthese festgehalten werden, deren Maßstab der praktischen Konkordanz stets Ausgangspunkt ist; es kann sich jedoch ergänzend eine „normale“ Verhältnismäßigkeitsprüfung in die eine oder andere Richtung anschließen, die sich am jeweils verfolgten zusätzlichen Zweck zu orientieren hat348.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
3. Folgerungen Konnte somit aufgezeigt werden, daß Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht strukturell identisch aufgebaut sind, so folgt daraus für die vorliegende Fragestellung, daß ein Gesetz, das wie das BImSchG nicht zwischen staatlich und privat verursachten Beeinträchtigungen unterscheidet, nicht unterschiedlichen „Verarbeitungsregeln“ unterworfen werden muß, je nachdem ob die abwehr- oder schutzrechtliche Grundrechtsfunktion betroffen ist. Die Differenzierung zwischen Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht reduziert sich vielmehr auf die inhaltliche Ebene der materiellen Eingriffsrechtfertigung, da im Rahmen des Abwehrrechts immissionsschützende Grundrechte wie Art. 2 II 1 GG nur an gegenläufigen Gemeinwohlbelangen zu messen sind, während der staatlichen Schutzpflicht stets eine mehrdimensionale Kollisionslage aus kollidierenden Grundrechten und öffentlichen Interessen zugrundeliegt. Aus diesem Verständnis folgen zugleich Konsequenzen für das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG349: Da nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG das Zitiergebot nur für Grundrechte gilt, die „aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen“350, was unbestritten für die Grundrechte des Art. 2 II 1 GG gilt351, muß das Zitiergebot jedenfalls auf solche Beschränkungen der Schutzpflicht erstreckt werden, in denen der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt in einer dem Abwehrrecht entsprechenden Funktion zur Anwendung kommt, d. h. wenn durch ergänzende Zwecksetzungen der gewährte Schutz unter das praktisch konkordante Maß abgesenkt wird. Wenn umgekehrt nach derselben Rechtsprechung das Zitiergebot keine Anwendung auf Grundrechtsbeschränkungen finden soll, die sich unmittelbar aus kollidierendem Verfassungsrecht ergeben352, so folgt daraus, daß Gesetze, die den gewähr-
___________ 348 Damit entspricht das hier entwickelte Modell im Ergebnis dem „Korridor“-Modell von Calliess (Umweltstaat, S. 457 f.), ermöglicht jedoch eine normativ fundierte Rekonstruktion beider Thesen, da einmal mit der partiellen Kongruenzthese das verfassungsrechtliche Kollisionsmodell, mit dem „Korridor“-Modell hingegen dessen ergänzende inhaltliche Determination durch legislative Zwecksetzungen beschrieben wird. 349 Das Zitiergebot halten im schutzrechtlichen Kontext für anwendbar Dietlein, Schutzpflichten, S. 116; Lawrence, S. 88, 132 f.; Reuber, S. 130; bei abwehrrechtlichem Ansatz auch Murswiek, Verantwortung, S. 142; Szczekalla, S. 456 f.; ablehnend demgegenüber G. Hermes, S. 260; Borowski, S. 276. 350 BVerfGE 21, 92 (93); 24, 367 (398); 64, 72 (79 f.); 83, 130 (154); zustimmend Jarass, in: J / P8, Art. 19 Rn. 3; Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 16. 351 So ausdrücklich Jarass, in: J / P8, Art. 19 Rn. 3; ferner Krebs, in: v. Münch / Ku5 nig I , Art. 19 Rn. 17. 352 BVerfGE 83, 130 (154); zustimmend Jarass, in: J / P8, Art. 19 Rn. 4; Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 16.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
123
ten Schutz nicht unter das praktisch konkordante Maß absenken bzw. weitergehenden Schutz gewähren, auch nicht dem Zitiergebot unterliegen.
IV. Abgrenzung hoheitlicher und privater Immissionsverursachung Während bei privaten grundrechtsberechtigten Emittenten auf dieser Grundlage stets die staatliche Schutzpflicht zur Anwendung gelangt, ergeben sich Schwierigkeiten, wenn der Staat als Emittent in Erscheinung tritt, da dieser sich nicht immer solcher Handlungs- und Organisationsformen bedient, welche die Qualifizierung einer Beeinträchtigung als „hoheitlich“ ohne weiteres zulassen353. So bestehen jenseits unzweifelhaft abwehrrechtlicher Immissionen – etwa Geruchsimmissionen einer öffentlich-rechtlich betriebenen Kläranlage – eine Vielzahl „hybrider“ Fallgestaltungen, in denen die Zurechnung zum Staat trotz dessen Beteiligung an der Immissionsverursachung fraglich ist. Es geht hierbei im wesentlichen um folgende Fallgruppen: – Die Immissionen werden von einer Anlage verursacht, die organisatorisch dem S t aat vollständig eingegliedert ist, jedoch nicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit (so bei erwerbswirtschaftlicher Betätigung oder fiskalischen Hilfsge schäften)354. – Die Immissionen werden von einer juristischen Person des Privatrechts, etwa einer AG oder GmbH, verursacht, jedoch ist der Staat an dieser beteiligt, und zwar entweder als alleiniger Eigner (sog. Eigengesellschaften) oder gegemeinsam mit Privatpersonen (sog. gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften). Während in der ersten Fallgruppe ein öffentlich-rechtliches Rechtssubjekt unmittelbar handelt, jedoch das Fehlen einer hoheitlichen Aufgabenerfüllung die Qualifikation der Immissionen als Grundrechtseingriff problematisch macht, erfolgt in der zweiten Fallgruppe die Beeinträchtigung durch eine selbständige juristische Person des Privatrechts, weshalb sich die Zurechnungsfrage sowohl unter dem materiellen Aspekt staatlicher Aufgabenerfüllung als auch unter dem formellen Aspekt einer grundrechtsgebundenen staatlichen Stelle stellt.
___________ 353 Nicht hierher gehört der Fall, daß der Staat als Zweckveranlasser auftritt, etwa durch Schaffung öffentlicher Einrichtungen, bei deren bestimmungsgemäßer Nutzung Immissionen verursacht werden, etwa Lärm von Besuchern eines öffentlichen Schwimmbades, aber auch Straßenverkehrslärm, der konstitutiv auf der Schaffung öffentlicher Straßen durch den Staat beruht (G. Hermes, S. 84; Rauschning, VVDStRL 38 [1980], S. 182; Calliess, Umweltstaat, S. 310 f.). 354 Zu den möglichen Organisationsformen Arndt, in: Steiner7, VII Rn. 113.
124
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
1. Ansatz über Grundrechtsbindung und -berechtigung Während sich in Rspr. und Lit. kaum Ausführungen zur Abgrenzung von abwehr- und schutzrechtlicher Grundrechtsfunktion bei Gemengelagen privatund öffentlich-rechtlicher Handlungsformen finden, haben Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung ausführliche Erörterung gefunden:
a) Grundrechtsbindung und -berechtigung bei unmittelbarem Staatshandeln Unbestritten dürfte heute die Grundrechtsbindung für das verwaltungsprivatrechtliche Handeln des Staates sein, d. h. der Erbringung ihrem Wesen nach öffentlicher Leistungen durch den Staat in privatrechtlicher Form, insbesondere auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge355. Begründet wird dies damit, daß Art. 1 III GG nicht nur formell an die öffentlich-rechtliche Rechtsträgerschaft anknüpfe, sondern auch an die materielle Erledigung öffentlich-rechtlicher Aufgaben. Ferner soll dem Staat eine „Flucht ins Privatrecht“ verwehrt werden356, was angesichts der Wahlfreiheit, die der Verwaltung zwischen privat- und öffentlichrechtlichen Formen der Aufgabenerledigung zugestanden wird357, an Gewicht gewinnt. Während in der Fallgruppe der fiskalischen Hilfsgeschäfte regelmäßig keine Immissionen hervorgerufen werden, ist die Fallgruppe der erwerbswirtschaftlichen Betätigung des Staates für die vorliegende Fragestellung äußerst relevant, etwa im Hinblick auf emittierende staatliche Manufakturen und Brauereien. Hier wird eine Grundrechtsbindung überwiegend verneint358, da es an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben fehle359. Dem wird entgegengehalten, daß Art. 1 III GG entweder materiell-funktional an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben oder aber alternativ formell-institutionell am Handeln einer der Verwaltung organisatorisch zugehörigen Stelle anknüpfe360, was auch bei erwerbswirtschaftlicher Betätigung regelmäßig gegeben sei.
___________ 355 Stern, in: Stern III / 1, S. 1396 ff., 1402; Bleckmann II4, § 10 Rn. 42; Möstl, Grundrechtsbindung, S. 73 ff.; dies gilt auch bei Eigenbetrieben oder Sondervermögen, da diese vollständig in die staatliche Verwaltungsorganisation eingebunden sind (Möstl, Grundrechtsbindung, S. 73). 356 von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 35; Höfling, in: Sachs3, Art. 1 Rn. 94; Ehlers, Verwaltung, S. 214 ff.; ders., in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 79; Stern, in: Stern III / 1, S. 1411 ff.; Möstl, Grundrechtsbindung, S. 73 ff.; im Ergebnis ebenso Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 1 Abs. 3 Rn. 229. 357 Dazu nur Arndt, in: Steiner7, VII Rn. 115; Maurer, AllgVerwR16, § 3 Rn. 6 ff. 358 Zum Streitstand Ehlers, Verwaltung, S. 213; Stern, in: Stern III / 1, S. 1418 ff. 359 So Sachs, VerfR II, A 5 Rn. 15; zu pauschal Rüfner, in: HbStR V, § 117 Rn. 43. 360 Höfling, in: Sachs3, Art. 1 Rn. 76 f.; Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 79.
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
125
Bezüglich der Grundrechtsberechtigung ist nach wie vor umstritten, inwieweit sich der Staat in den genannten Konstellationen auf Grundrechte berufen kann, was herkömmlich unter dem Stichwort der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts nach Art. 19 III GG erörtert wird361. Diese Diskussion wird ihrerseits wesentlich von der Grundrechtsbindung bestimmt, da nach dem insbesondere vom BVerfG vertretenen „Konfusionsargument“362 eine gleichzeitige Grundrechtsbindung und -berechtigung ausgeschlossen sein soll363. Wenn dem entgegengehalten wird, es sei nicht ausgeschlossen, daß derselbe Rechtsträger in unterschiedlichen Rechtsbeziehungen unterschiedlich gebunden bzw. berechtigt ist364, so ist dies zutreffend, trifft jedoch nicht die vorliegende Problematik, da hier allein die Immissionsverursachungsbefugnis gegenüber dem Bürger zu betrachten ist. In dieser schließen sich gleichzeitige Grundrechtsbindung und -berechtigung jedoch zwingend aus365, so daß eine Grundrechtsberechtigung nur angenommen werden könnte, wenn man nicht zugleich von Grundrechtsbindung ausgeht.
b) Grundrechtsbindung und -berechtigung bei privaten Rechtssubjekten Im folgenden ist der Fall zu betrachten, daß Immissionen von selbständigen Rechtssubjekten des Privatrechts verursacht werden. Dies kann entweder durch Eigengesellschaften geschehen, die zu hundert Prozent von der öffentlichen Hand getragen werden, oder aber durch gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften, bei denen zusätzlich Privatrechtssubjekte Anteilseigner sind. Hier ist die Grundrechtsbindung derjenigen staatlichen Stelle, die an dem Privatrechtssubjekt ganz oder teilweise beteiligt ist, zu unterscheiden von der Bindung des Privatrechtssubjekts selbst. Bezüglich der ersten Frage kann auf oben a) verwiesen werden, da die Grundrechtsbindung der Mutterkörperschaft nicht anders beurteilt werden kann als bei deren unmittelbarem Handeln366.
___________ 361
Dazu Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 41 ff.; ausführlich Bleckmann II , § 9 Rn. 26 ff. 362 Pieroth / Schlink21, Rn. 154; Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 41. 363 BVerfGE 21, 362 (367 ff.): öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsträger; 45, 63 (78 ff.) – Stadtwerke Hameln; 61, 82 (105 ff.) – Gemeinde Sasbach; 75, 192 (195 ff.) – öffentlich-rechtliche Sparkasse. 364 So Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 41; Stern, in: Stern III / 1, S. 1113; Bleckmann II4, § 9 Rn. 35. 365 Ebenso Möstl, Grundrechtsbindung, S. 131. 366 Rüfner, in: HbStR V, § 117 Rn. 47 a. E.; Möstl, Grundrechtsbindung, S. 75, 89. 4
126
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Bezüglich der zweiten Frage ist umstritten, ob auch Eigengesellschaften, deren Anteile sich zu hundert Prozent im Besitz der öffentlichen Hand befinden, trotz ihrer privatrechtlichen Rechtsform der Grundrechtsbindung unterliegen. Nach einer Ansicht sollen sie als „nur rechtstechnisch abgesonderte Erscheinungsformen der Staatsgewalt“367 derselben Grundrechtsbindung unterliegen wie ihr Rechtsträger368, während nach der Gegenansicht ihre rechtliche Verselbständigung eine Übertragung der Grundrechtsbindung verbiete369. Demgegenüber wird überwiegend davon ausgegangen, daß die gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften, an denen auch Private beteiligt sind, nicht grundrechtsgebunden sind370, und zwar auch nicht bei mehrheitlicher Beherrschung durch die öffentliche Hand371, da hier zusätzlich die Grundrechte der privaten Anteilseigner zu berücksichtigen seien372. Bezüglich der Grundrechtsberechtigung ist auf das „Konfusionsargument“ zu verweisen, welches auch gegenüber verselbständigten Privatrechtssubjekten Anwendung findet. Entsprechend könnte eine Grundrechtsberechtigung nur angenommen werden, wenn man eine gleichzeitige Grundrechtsbindung verneint. Entsprechend wird teilweise in der Lit. eine Grundrechtsberechtigung gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften bejaht, was hier indes keiner abschließenden Klärung bedarf373.
2. Bedeutung für Abgrenzung ,,Abwehrrecht – staatliche Schutzpflicht“ Im folgenden ist zu erörtern, welche Bedeutung die Grundrechtsbindung für die Frage der zur Anwendung kommenden Grundrechtsfunktion hat.
___________ 367
So Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 83. Höfling, in: Sachs3, Art. 1 Rn. 96; Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 83; Stern, in: Stern III / 1, S. 1421. 369 Stern, in: Stern III / 1, S. 1421. 370 Rüfner, in: HbStR V, § 117 Rn. 49; Höfling, in: Sachs3, Art. 1 Rn. 96 371 Rüfner, in: HbStR V, § 117 Rn. 49; Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 85; für Grundrechtsbindung bei mehrheitlicher Beherrschung Jarass, in: J / P8, Art. 1 Rn. 29; Möstl, Grundrechtsbindung, S. 92 ff. 372 Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 1 Abs. 3 Rn. 231; Höfling, in: 3 Sachs , Art. 1 Rn. 96. 373 Bejahend Rüfner, in: HbStR V, § 116 Rn. 81; ders., FS BVerfG II, S. 76 Fn. 126; Stern, in: Stern III / 1, S. 1169 f.; Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 85. 368
B. Struktur der staatlichen Schutzpflicht
127
a) Staat als Emittent Zunächst setzt das Abwehrrecht notwendig Grundrechtsbindung voraus374. Zwar führt Art. 1 III GG wie ausgeführt zu einer umfassenden Bindung des Staates an die Grundrechte, jedoch kommt gegenüber Grundrechtsbeeinträchtigungen des gebundenen Rechtssubjekts vorrangig das Abwehrrecht zur Anwendung, da das staatliche Rechtssubjekt ansonsten Schutz vor sich selbst leisten müßte. Dieser „Schutz“ bestünde jedoch gerade in der abwehrrechtlichen Rechtsfolge der Unterlassung bzw. Beseitigung der Beeinträchtigung. Damit kann allgemeiner formuliert werden, daß immer dann, wenn ein Rechtssubjekt an Grundrechte i. S. des Art. 1 III GG gebunden ist, diese in ihrer abwehrrechtlichen Funktion zur Anwendung kommen. Umgekehrt setzt die staatliche Schutzpflicht auf seiten des beeinträchtigenden Subjekts eine rechtliche Position voraus, die nur normativ durch einen „Schutzeingriff“ auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden kann. Dies ist stets dann der Fall, wenn sich der Emittent seinerseits auf Grundrechte berufen kann, was jedoch wiederum im Fall einer gleichzeitigen Grundrechtsbindung zwingend ausgeschlossen ist. Daraus folgt, daß bei verwaltungsprivatrechtlichem Handeln durch organisatorisch dem Staat eingegliederte Anlagen aufgrund deren Grundrechtsbindung stets das Abwehrrecht zur Anwendung kommt. Entsprechend ist im Rahmen der erwerbswirtschaftlichen Betätigung des Staates bei Bejahung einer Grundrechtsbindung die Anwendung des Abwehrrechts zwingend. Bejaht man hier demgegenüber eine Grundrechtsberechtigung, liegt eine zu überwindende grundrechtliche Position und damit das beschriebene „Rechtsdreieck“ vor, weshalb die staatliche Schutzpflicht anzuwenden ist. Verneint man schließlich Grundrechtsbindung und -berechtigung, fehlt es am Anknüpfungspunkt für eine unmittelbar verfassungsrechtliche Immissionsvermeidungspflicht. Eine solche könnte in diesem Fall nur noch einfachrechtlich begründet werden, was zur Schutzfunktion führt.
b) Juristische Person des Privatrechts als Emittent aa) Problemlösung anhand Grundrechtsbindung und -berechtigung Die Beurteilung wird schwieriger, wenn die Immissionen durch selbständige Rechtssubjekte des Privatrechts verursacht werden. Hier kommt die staatliche Schutzpflicht jedenfalls dann zur Anwendung, wenn man deren Grundrechtsberechtigung bejaht, wie dies teilweise für die gemischt-wirtschaftlichen Gesell___________ 374 Zu diesem Zusammenhang Möstl, Grundrechtsbindung, S. 55; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 116.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
schaften geschieht. Ob bei diesen im übrigen bereits das Anteilseigentum der privaten Anteilseigner zur Schutzfunktion führt, erscheint fraglich, da die Immissionsverursachungsbefugnis nicht auf diesem Anteilseigentum beruht und dieses regelmäßig auch keine Einflußmöglichkeit auf den Willensbildungsprozeß innerhalb der Körperschaft verschafft375. Vertritt man demgegenüber eine uneingeschränkte Grundrechtsbindung auch für die genannten Privatrechtssubjekte, so führt dies zwingend zum Abwehrrecht, da diese dann selbst und unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind.
bb) Problemlösung anhand staatlicher Ingerenzmöglichkeiten Problematisch ist die Beurteilung, wenn man für Eigen- und gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften Grundrechtsbindung und -berechtigung verneint, da dann die soeben gefundenen Argumente nicht greifen. Hier hilft folgender Ansatz: In beiden Fällen unterliegt jedenfalls die öffentlich-rechtliche Mutterkörperschaft der Grundrechtsbindung, so daß ihr gegenüber, wäre sie selbst Emittent, das Abwehrrecht zum Tragen käme. Bestünde nun zwischen Mutterkörperschaft und privatrechtlicher Körperschaft ein rechtliches Abhängigkeitsverhältnis dergestalt, daß die emittierende Stelle uneingeschränkt der Weisungsgewalt der Mutterkörperschaft unterläge, könnte diese ihre eigene Grundrechtsbindung uneingeschränkt auf letztere übertragen. Da damit einer Aktualisierung der abwehrrechtlichen Verpflichtung der Mutterkörperschaft nichts im Wege stünde, könnten die Grundrechte der Immissionsbetroffenen als Abwehrrechte zur Anwendung kommen. Indes ist diese Konstruktion sehr fraglich, da sich das Rechtsregime der privatrechtlichen Körperschaft nach der herrschenden Auffassung vom Vorrang des Gesellschaftsrechts376 primär nach Gesellschaftsrecht bestimmt377, das ein „externes“ Weisungsrecht gegenüber einer selbständigen AG oder GmbH nicht kennt378. Es bleibt damit nur die Einwirkung über den internen Willensbildungsprozeß der privatrechtlichen Körperschaft, und zwar in denjenigen Formen, die im Gesellschaftsrecht vorgesehen sind379. Insbesondere wird in der Praxis davon Gebrauch gemacht, Organposten der privatrechtlichen Körperschaft – etwa im Aufsichtsrat – in Personenidentität mit Amtswaltern der öffentlich-rechtlichen Mutterkörperschaft zu besetzen380, so daß die relevanten Entscheidungen in ___________ 375
Ebenso Möstl, Grundrechtsbindung, S. 142. BGHZ 69, 334 (340 f.); aus der Lit. nur Schwintowski, NJW 1995, 1316 (1318 f.). 377 Dazu Möstl, Grundrechtsbindung, S. 14 ff.; ferner Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober III5, § 82 Rn. 63 f. 378 Vgl. Möstl, Grundrechtsbindung, S. 14; dort auch zu Ausnahmen im AktG. 379 Zur internen und externen Einflußnahme Möstl, Grundrechtsbindung, S. 94. 380 Zu dieser Praxis Gundlach / Frenzel / N. Schmidt, LKV 2001, 246 (246). 376
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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beiden Körperschaften von denselben Personen getroffen werden. Diese Konstruktion kommt jedoch zum Schwur, wenn die Organpersonen im Rahmen der privatrechtlichen Körperschaft entgegen Weisungen der Mutterkörperschaft abstimmen. In diesem Fall ist unbestritten, daß dies nicht zur Rechtswidrigkeit der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung führt. Damit bleibt diese Form der Ingerenz deutlich hinter denjenigen Möglichkeiten zurück, welche innerhalb der staatlichen Weisungshierachie gegenüber nachgeordneten Verwaltungsstellen bestehen. Dieses „interne“ Weisungsrecht kann somit nicht garantieren, daß die Mutterkörperschaft ihre eigene Grundrechtsbindung auf die abhängige Privatrechtsperson überträgt381. Verantwortlich hierfür ist, daß sich formal zwei selbständige juristische Personen gegenüberstehen382, die über eine jeweils eigene Willensbildung verfügen, was durch die Praxis, Organposten personenidentisch zu besetzen, nur faktisch, nicht aber rechtlich überwunden wird. Insofern mag zwar bei entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Ingerenzmöglichkeiten eine Situation der Beherrschung vorliegen383, die in der Praxis dazu führt, daß den „Weisungen“ der Mutterkörperschaft entsprochen wird. Rechtlich jedoch bleibt dies hinter denjenigen Ingerenzmöglichkeiten zurück, die ein „Durchschlagen“ der Grundrechtsbindung der Mutterkörperschaft voraussetzen würde, was für die Anwendung der staatlichen Schutzpflicht spricht.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG Inhaltlich ist für den Schutz vor Immissionen zunächst einschlägig das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG. Nachdem die strukturelle Identität von Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht nachgewiesen werden konnte, wird im folgenden eine übergreifende Prüfung anhand des Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schemas vorgenommen und auf Besonderheiten der Schutzfunktion nur dort eingegangen, wo sich Abweichungen zum Abwehrrecht ergeben. ___________ 381
Dies konstatiert auch Möstl, Grundrechtsbindung, S. 30. Zu den Konsequenzen der Verselbständigung der privatrechtlichen Rechtsperson Möstl, Grundrechtsbindung, S. 91; ferner Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 85. 383 Zum Begriff der „Beherrschung“ vgl. Art. 2 der Richtlinie 80 / 723 / EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (Transparenzrichtlinie) v. 25. 6. 1980 (ABlEG Nr. L 198 / 35, zuletzt geänd. durch Richtlinie 93 / 84 / EWG v. 30. 9. 1993, ABlEG Nr. L 254 / 16); dazu Möstl, Grundrechtsbindung, S. 4 f. – Vgl. ferner § 17 II AktG. 382
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
I. Schutzbereich 1. Schutzgüter „Leben“ und „körperliche Unversehrtheit“ Auf das Schutzgut „Leben“ braucht an dieser Stelle nicht näher eingegangen zu werden, da die neuralgischen Punkte des Lebensschutzes – Beginn und Ende des Lebens – im immissionsschutzrechtlichen Kontext nicht relevant werden384. Insofern kann als Definition genügen, daß „Leben“ die biologisch-physische menschliche Existenz umfaßt385. Demgegenüber wirft die Frage, inwieweit Immissionen zum Verlust des Lebens führen können, keine Probleme des Schutzbereichs auf, sondern des systematisch nachgeordneten Eingriffs. Problematisch ist demgegenüber das Schutzgut „körperliche Unversehrtheit“:
a) Negativabgrenzung: Gesundheitsbegriff der WHO Negativ umfaßt dessen Schutz nach ganz überwiegender Ansicht nicht die weite Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO)386 als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“, so daß jedenfalls das psychische und soziale Wohlbefinden von Art. 2 II 1 GG nicht umfaßt ist387. Diese Negativabgrenzung rechtfertigt sich neben dem ansonsten völlig konturlos werdenden Schutzbereich insbesondere im Wege teleologischer Auslegung aus der Zielrichtung der WHO-Definition, Ansprüche des Einzelnen auf medizinische Leistungen gegen den Staat zu begründen388. Eine solche leistungsrechtliche Dimension des Art. 2 II 1 GG ist abzulehnen389, zumal sich das Grundgesetz all___________ 384
Zu diesen Fragen nur Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 26 ff. Dürig, in: Maunz / Dürig, Art. 2 II Rn. 8 (Erstbearbeitung); Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 61; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 2 Abs. 2 Rn. 192; SchmidtAßmann, AöR 106 (1981), 205 (208 f.); Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 8; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 168. 386 Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) v. 22. 7. 1946, zit. nach BVerfGE 56, 54 (74) – Fluglärm; englisches Originalzitat bei Möllers, S. 32 Fn. 30. 387 H. M. im Anschluß an die Fluglärm-Entscheidung BVerfGE 56, 54 (74): Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 62; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 150; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 56 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 37; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193; Wiedemann, in: GGMitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 355; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 18; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 179; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (209); Hermann, S. 120; H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 308. 388 So zutreffend Steiger, Mensch und Umwelt, S. 34; ferner Hermann, S. 121. 389 Ebenso Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 60; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 224 ff.; danach ergibt sich die staatliche Verpflichtung zur Errichtung eines leistungsfähigen Gesundheitssystems nur aus der in Art. 2 II 1 GG zum Ausdruck kom385
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
131
gemein zurückhaltend gegenüber grundrechtlichen Leistungsrechten verhält. Ferner kann angenommen werden, daß der Verfassungsgeber im Jahr 1949 den Gesundheitsbegriff der WHO aus dem Jahr 1946 kannte, so daß in der Verwendung des Begriffs der „körperlichen Unversehrtheit“ eine bewußte Entscheidung gegen diese Definition zu sehen ist390.
b) Schutz der körperlichen Integrität aa) „Versehrung“ als körperlich-gegenständliche Einwirkung Dem Wortsinn nach umschreibt „körperliche Unversehrtheit“ einen Zustand des menschlichen Körpers391. Dieser ist „versehrt“, wenn auf den Körper in seiner physischen Existenz in substanzverletzender Weise von außen eingewirkt wird392. Erfaßt ist somit die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität, verstanden als äußere biologisch-physiologische Integrität der Körperhülle393, etwa durch Messerstiche oder polizeilichen Schlagstockeinsatz. Der Feststellung einer „Versehrung“ liegt daher eine punktuelle, auf den Einwirkungsakt bezogene Betrachtung zugrunde, ohne daß es eine Rolle spielt, ob der Körper bereits vorher „versehrt“ war oder weitergehende Folgen aus der „Versehrung“ resultieren394. Dieses Verständnis folgt notwendig aus der – zudem historisch bedingten395 – Wortwahl des Art. 2 II 1 GG, die primär auf den gegenständlichen Akt der „Versehrung“ abstellt, der auch dann vorliegt, wenn die Einwirkung nicht
___________ menden objektiv-rechtlichen Wertentscheidung in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (ähnlich Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 96). 390 So auch BVerfGE 56, 54 (74); ebenso Steiger, Mensch und Umwelt, S. 34; Hermann, S. 120 f.; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193. 391 Hermann, S. 118; Dürig, in: Maunz / Dürig, Art. 2 II Rn. 29 (Erstbearbeitung). 392 Aufgrund des historischen Hintergrunds der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (dazu Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 1; Hermann, S. 117; BVerfGE 39, 1 [36 f.]) dürfte der Verfassungsgeber mit „Versehrung“ in erster Linie staatliche Mißhandlung und Folter gemeint haben (so auch Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 350); ferner BVerfGE 79, 174 (201) – Verkehrslärm: „In seinem klassischen Gehalt schützt das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor gezielten staatlichen Eingriffen, wie Zwangsversuchen an lebenden Menschen, Zwangssterilisationen und ähnlichem“. 393 So zutreffend Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 16. 394 Seewald, Gesundheit, S. 55; ebenso Hermann, S. 123. – Hier zeigt sich auch der Unterschied zum Begriff der Gesundheitsbeeinträchtigung, der im Sinne einer Saldierung einen Vergleich des Zustands des Körpers vor und nach der Einwirkung vornimmt, um die Folgen des Versehrungsaktes zu bestimmen (Hermann, S. 123 f.; vgl. ferner Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 57). 395 Dazu soeben Fn. 392.
132
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
mit Schmerzen oder pathologischen Folgen verbunden ist396. Fraglich ist jedoch, ob diese sehr gegenständliche Sichtweise nicht zu einem zu restriktiven Verständnis des Schutzbereichs führt, das gerade neuartigen umweltvermittelten Bedrohungslagen nicht mehr gerecht wird.
bb) Erweiterung des Begriffs der „Einwirkung“ Problematisch ist hierbei zunächst das Kriterium der gegenständlichen Einwirkung, das gerade im Kontext des Immissionsschutzes relevant wird, da Immissionen nach der Legaldefinition des § 3 II BImSchG in einer Einwirkung – hier auf den menschlichen Körper – bestehen397. So sind in § 3 II-IV BImSchG neben einer Legaldefinition der „Luftverunreinigungen“ verschiedene Erscheinungsformen von Immissionen genannt, deren gemeinsamer Nenner es ist, daß es sich um physische Einwirkungen unwägbarer Stoffe handelt398, d. h. physische Vorgänge, die durch Materieteilchen oder physikalische Wellen übertragen werden399. Da der Mensch jedoch ständig derartigen Einwirkungen ausgesetzt ist, würde der Grundrechtsschutz des Art. 2 II 1 GG jegliche Kontur verlieren, wollte man jegliche, auch die soeben beschriebenen umweltvermittelten Formen einschließende Einwirkung auf den menschlichen Körper ausreichen lassen. Zudem ist es nicht Zweck des Art. 2 II 1 GG, ein Selbstbestimmungsrecht darüber zu gewähren, welchen umweltvermittelten Einwirkungen man sich aussetzen möchte oder nicht, zumal ein solches Recht angesichts des natürlichen Ursprungs vieler Einwirkungen nicht zu verwirklichen wäre. Entsprechend hat das BVerfG in einer Entscheidung zu den elektromagnetischen Feldern einer Transformatorenstation zwar anerkannt, daß diese aufgrund ihrer biologisch-physiologischen Wirkungen die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigen können. Hierzu läßt das Gericht allerdings nicht bereits die bloße Einwirkung genügen, sondern verlangt das Vorliegen einer Gesundheitsgefahr, die es an „Veränderungen in der Erregbarkeit des Zentralnervensystems und ... Wirkungen wie Unwohlsein, Schwindelgefühlen und Kopfschmerzen“ festmachte400. Damit argumentiert es mit einer Folgenbetrachtung, die sich aus der Kombination mit dem noch zu betrachtenden Gesundheitsbegriff ergibt. ___________ 396
Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 38; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 17; z. B. die zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht (dazu BVerfGE 47, 239 [250]; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 65). 397 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 16. – Dazu oben 1. Teil S. 35 ff. 398 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 24; ebenso Jarass, DVBl. 1983, 725 (727); Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 20; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 94; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 21 Rn. 21. 399 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 8. 400 BVerfG, NJW 1997, 2509 (2509).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Grundsätzlich ist die Ausdehnung des Einwirkungsbegriffs auf umweltvermittelte Einwirkungen wie etwa Immissionen zu befürworten, da die historische Schutzrichtung des Art. 2 II 1 GG gegenüber staatlicher Mißhandlung und Folter401 durch die Verfassungsentwicklung (weitgehend) obsolet geworden ist, andererseits durch die technische und zivilisatorische Entwicklung neue Bedrohungslagen entstanden sind402. Es ist daher legitimes Ziel der Grundrechtsinterpretation, diesem Wandel Rechnung zu tragen, solange sich das Ergebnis im Wege der Verfassungsauslegung rechtfertigen läßt. Hier kommt einer vergleichenden Wirkungsbetrachtung zentrale Bedeutung zu, die auch das BVerfG in seiner Fluglärm-Entscheidung bezüglich nicht-körperlicher Einwirkungen aufgegriffen hat. Danach sollen solche nicht-körperlichen Einwirkungen von Art. 2 II GG erfaßt sein, die ihrer Wirkung nach „körperlichen Eingriffen gleichzusetzen sind“, insbesondere das „Befinden einer Person in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht“403. Diese Auslegung muß auch für solche umweltvermittelten Einwirkungen gelten, denen wie Immissionen sogar physische Einwirkungen zugrundeliegen. Daraus folgt, daß das Kriterium der Einwirkung jenseits des engen körperlich-gegenständlichen Ansatzes als alleiniges Kriterium untauglich ist und um ein folgenbezogenes Kriterium ergänzt werden muß404. Hierbei stellt sich das Problem, daß im Grunde jegliche Sinneswahrnehmung mit komplexen physiologischen Veränderungen im Körperinneren verbunden ist. Es kann aber nicht Sinn der Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG sein, Schutz vor physiologisch völlig normalen und lebensnotwendigen Vorgängen zu gewähren405. Deshalb kann das Vorhandensein beliebiger physiologischer Folgen nicht ausreichen, sondern diese müssen in irgendeiner Weise „qualifiziert“ sein406. Da dem Begriff der „körperlichen Unversehrtheit“ unmittelbar keine Kriterien hierfür entnommen werden können, kann auf den Ansatz des BVerfG zurückgegriffen werden, die folgenbezogene „Qualifizierung“ anhand des Gesundheitsbegriffs vorzunehmen407. Damit können Immissionen zwar grundsätzlich den Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG aktivieren, jedoch nur unter ___________ 401 Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 350; ferner BVerfGE 79, 174 (201) – Verkehrslärm. 402 Zu diesem Wandel Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 55, 63. 403 BVerfGE 56, 54 (75); zustimmend Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 60; ebenso Storost, NVwZ 2004, 257 (258). 404 Ebenso in der Sache, wenn bei lediglich durch Veränderungen der Umwelt vermittelten Einwirkungen das Überschreiten einer Erheblichkeitsgrenze gefordert wird (so Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 17). 405 Im Ergebnis ebenso Hermann, S. 127. 406 Dem entspricht die teilweise erhobene Forderung nach einer „Erheblichkeitsschwelle“ (so etwa Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 17). 407 So BVerfG, NJW 1997, 2509 (2509).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
der weiteren Voraussetzung, daß Folgen auftreten, welche die „Gesundheit“ in einem noch näher zu bestimmenden Sinne berühren.
cc) Funktionelles Verständnis der körperlichen „Integrität“ Fraglich ist ferner, inwieweit ein gegenständliches Verständnis der körperlichen „Unversehrtheit“ auf eine Versehrung der äußeren Körperhülle beschränkt ist oder auch Folgen erfassen muß, die sich allein im Körperinnern entfalten. Letzteres ist zu bejahen, da es oft nur vom Zufall abhängt, ob bei einer gegenständlichen Einwirkung auf den Körper nur die äußere Körperhülle oder aber auch innere Organe versehrt werden. Auch bei dieser Erweiterung müssen jedoch zwei Betrachtungsweisen unterschieden werden: Während der Feststellung etwa von Knochenbrüchen als Folge einer Einwirkung wiederum nur eine punktuelle Betrachtung der Integrität bestimmter Körperteile etc. zugrundeliegt, kann eine umfassende Folgenbetrachtung nicht hierbei stehen bleiben, da das Körperinnere auch eine funktionelle Ebene aufweist als Gesamtheit der komplexen physiologischen Vorgänge, die erst das Menschsein ausmachen. Eine solche Folgenbetrachtung ist auch insofern geboten, als die Eingriffstiefe einer Maßnahme nicht allein durch die punktuelle Betrachtung des Eingriffsakts bestimmt werden kann, sondern nur über die Schwere und Nachhaltigkeit der Versehrung als ergänzende Folgenbetrachtung408. Ein funktionelles Integritätsverständnis ist als ausschließliches Kriterium jedoch ebenfalls ungeeignet, da damit auch physiologisch völlig normale Vorgänge erfaßt würden. Ein funktionelles Integritätsverständnis kann daher nur ergänzendes Kriterium sein, liefert aber zugleich das entscheidende Argument dafür, daß im Rahmen der Folgenbetrachtung auf die Gesundheit abzustellen ist, denn diese dient in ihren sogleich darzustellenden Begriffsinhalten gerade der Erfassung der physiologischen Vorgänge im menschlichen Körper409.
___________ 408
Ebenso Seewald, Gesundheit, S. 56; Hermann, S. 124. Dadurch, daß dem Begriff der körperlichen Unversehrtheit das tätigkeitsbezogene Merkmal der „Einwirkung“ immanent ist, werden Elemente zum unmittelbaren Bestandteil des Schutzbereichs, welche die Art und Weise der Grundrechtsbeeinträchtigung und damit im herkömmlichen Prüfungsaufbau das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs umschreiben. Diese Konsequenz ist jedoch zwingend im Merkmal der „körperlichen Unversehrtheit“ angelegt und insofern unproblematisch, als der Eingriffsbegriff ohnehin nicht normativ fixiert ist und ihm insofern eigenständiger Gehalt verbleibt, als es um die Zurechnung der „Einwirkung“ an die öffentliche Gewalt geht. Hier weist die Lit. eine gewisse Unsicherheit auf, da einerseits Maßnahmen der Beeinträchtigung von Leben und körperlicher Unversehrtheit unter der Überschrift „Grundrechtseingriff“ erörtert werden, andererseits einwirkungsbezogene Kriterien („Verletzung“, „Einwirkung“, „Eingriff“) bereits zur Definition des Schutzbereichs herangezogen werden (so Schulze409
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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c) „Gesundheit“ als Schutzgut aa) „Gesundheit“ kein eigenständiges Schutzgut Nach ganz überwiegender Ansicht umfaßt der Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit auch den Schutz der Gesundheit, worunter überwiegend jedoch unter Negativabgrenzung zur WHO-Definition allein die „körperliche“ Gesundheit im naturwissenschaftlichen bzw. biologisch-physiologischen Sinn verstanden wird410. Es ist nach den bisherigen Ausführungen jedoch sehr fraglich, ob die „Gesundheit“ überhaupt eigenständiges Schutzgut des Art. 2 II 1 GG ist. Auch muß verwundern, daß in Rspr. und Lit. kaum Versuche unternommen werden, den Gesundheitsbegriff näher zu präzisieren und sein Verhältnis zum Begriff der körperlichen „Unversehrtheit“ zu bestimmen411. Letzteres ist angesichts der dargestellten körperlich-gegenständlichen Sichtweise des Art. 2 II 1 GG nicht selbstverständlich, so daß es eine unzulässige Verkürzung darstellt, wenn das BVerfG die Begriffe der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit weitgehend synonym verwendet412. Ebenfalls ist es abzulehnen, mit der herrschenden Lit. die Gesundheit zu einem eigenständigen Schutzgut des Art. 2 II 1 GG zu machen, was weniger aus der Unschärfe des Gesundheitsbegriffs als vielmehr aus der damit verbundenen völligen Ablösung vom Kriterium der Einwirkung folgt. Ferner spricht gegen ein eigenständiges Schutzgut der Gesundheit, daß eine „Krankheit“ als Negation der Gesundheit nicht nur durch äußere Einwirkung herbeigeführt werden kann, ___________ Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 34 f., 47 f.; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 148 f., 154 ff.; Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 62; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 17). 410 Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 62; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 34; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193; G. Hermes, S. 223; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 169; Böhm, Normmensch, S. 105; Bleckmann II4, § 23 Rn. 15; weitergehend als „Negation pathologischer Zustände“ Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (209); Schütz, JuS 1996, 498 (502). 411 Nähere Erörterung bei Seewald, Gesundheit, S. 54 ff. und Hermann, S. 121 ff. 412 Dies konstatiert auch Seewald, NuR 1988, 161 (165). – Körperliche Unversehrtheit und Gesundheit werden ohne Erläuterung gleichrangig genannt in BVerfGE 53, 30 (LS 1) – Mülheim-Kärlich; BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 1987, 2287 (2287); NJW 1996, 651 (651); NJW 1997, 249 f.; NJW 1998, 2961 (2962); NVwZ-RR 2000, 487; ferner BVerfGE 87, 363 (386), wonach das Recht auf körperliche Unversehrtheit den Gesetzgeber verpflichte, den „Schutz der Arbeitnehmer vor den gesundheitsschädlichen Folgen der Nachtarbeit“ zu regeln. Nicht in diesen Zusammenhang gehören allerdings Entscheidungen, in denen das BVerfG über Vollstreckungsschutz bei Zwangsräumungen aufgrund psychischer Erkrankung des Mieters zu entscheiden hatte, da hier Suizidgefahr und damit eine Gefahr für das „Leben“ angenommen wurde (NJW 1994, 1719 ff.; NJW 1994, 1272 ff.; ähnlich NStZ 1999, 428 f. für Strafvollzug); nicht hierher gehört auch die Fluglärm-Entscheidung BVerfGE 56, 54 ff., in der das BVerfG zwar die Negativabgrenzung zum Gesundheitsbegriff der WHO vornimmt, ansonsten den Schutzbereich jedoch nicht vom Begriff der „Gesundheit“ her entwickelt.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
sondern auch durch natürliche Einflüsse oder latente Disposition. Daher müßte bei einem eigenständigen Schutzgut der Gesundheit auch ein Schnupfen in den Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG fallen, was problematisch ist, da diese Schutzbereichsberührung keine Rechtsfolge auslösen würde, denn mangels staatlicher Verursachung würde weder das Abwehrrecht noch mangels privater Drittbeeinträchtigung die staatliche Schutzpflicht aktiviert. Sinn würde eine Einbeziehung jeglicher „Krankheit“ in Art. 2 II 1 GG nur machen, wenn man als Rechtsfolge staatsgerichtete originäre Leistungsansprüche im Bereich des Gesundheitswesens begründen wollte413, was bereits an anderer Stelle abgelehnt wurde. Daher kann die Gesundheit allein folgenbezogenes Qualifizierungskriterium zum Merkmal der „Einwirkung“ sein414.
bb) „Gesundheit“ als folgenbezogenes Kriterium In der für eine Definition des Gesundheitsbegriffs zuvörderst zuständigen medizinischen Wissenschaft existieren im wesentlichen nachfolgende Gesundheitsbegriffe, die auf ihre Tauglichkeit als folgenbezogenes Qualifizierungskriterium zur körperlichen Unversehrtheit zu untersuchen sind415: – Nach dem naturwissenschaftlichen Gesundheitsbegriff 416 ist ein Befund mit Krankheitswert erforderlich, der als objektivierbares Abweichen von einer Norm mit Methoden der medizinisch-wissenschaftlichen Diagnostik festgestellt werden kann, Diese Abweichung kann dabei definiert werden im Sinne einer anatomischen oder biochemischen Veränderung417, erfaßt aber nach heutigem Verständnis auch psychische Krankheitsbilder, für welche organische Ursachen nicht angegeben werden können. – Der klinische Gesundheitsbegriff bezeichnet demgegenüber „typische, abgrenzbare Formen der Hilfsbedürftigkeit“, die sich in bestimmten Symptomen, Ursachen oder Verläufen niederschlagen418. ___________ 413
Dazu oben S. 130 Fn. 389. Dies entspricht im Ergebnis denjenigen Autoren, die zwar die Gesundheit als eigenständigen Bestandteil der körperlichen Unversehrtheit nennen, diese zugleich aber bereits begrifflich mit einem einwirkungsbezogenen Merkmal verknüpfen (so Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 62; G. Hermes, S. 223). 415 Dazu Seewald, Gesundheit, S. 14 ff.; Jung, S. 2 f.; Hermann, S. 53 f. 416 Seewald, Gesundheit, S. 15 ff.; Hermann, S. 53 f. 417 Ähnlich die Definition durch den VDI (zitiert bei Böhm, Normmensch, S. 108) als „funktionelle oder morphologische Veränderung des menschlichen Organismus, die die natürliche Variationsbreite signifikant überschreitet“; ebenso Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 35. 418 Seewald, Gesundheit, S. 19; ferner Hermann, S. 54. 414
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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– Nach dem personalistischen Gesundheitsbegriff ist allein die Sicht des Betroffenen maßgeblich, indem dieser Störungen oder Beeinträchtigungen an sich registriert und den Wunsch nach ärztlicher Behandlung empfindet419. – Der sozialmedizinische Gesundheitsbegriff schließlich leistet im eigentlichen Sinne gar keine Definition der Gesundheit, sondern versucht, die Umwelt des Menschen, insbesondere dessen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, als Krankheitsfaktor zu erfassen und Wege zur Vorbeugung von Gesundheitsbeeinträchtigungen aufzuzeigen420. Der genauen Bestimmung des Gesundheitsbegriffs kommt für die vorliegende Fragestellung zentrale Bedeutung zu, da – was im 3. Teil nachzuweisen ist – die Reichweite des rechtsgutsbezogenen Gefahrenschutzes des § 3 I i. V. m. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG vom Umfang des Schutzbereichs von Art. 2 II 1 GG abhängt421. Da zugleich immissionsvermittelte Einwirkungen auf den menschlichen Körper nach den obigen Ausführungen stets das Merkmal der Einwirkung erfüllen, hängt die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 2 II 1 GG und damit die Reichweite des Gefahrenschutzes nach § 3 I BImSchG allein vom folgenbezogenen Merkmal der Gesundheitsbeeinträchtigung ab. Hierbei ist zunächst der personalistische Gesundheitsbegriff als untauglich auszuscheiden, da er allein den persönlichen und zeitlichen Umfang der Inanspruchnahme von Behandlungsleistungen bestimmt und damit im Kontext staatlicher Leistungspflichten im Gesundheitswesen steht. Gleiches hat für den klinischen Gesundheitsbegriff zu gelten, der zwar in seiner objektivierten Grundlage dem naturwissenschaftlichen nahesteht, funktional jedoch ebenso im Kontext medizinischer Leistungen angesiedelt ist. Ebenso untauglich ist der sozialmedizinische Gesundheitsbegriff, da er inhaltlich auf den anderen aufbaut und lediglich eine Vorverlegung des Beurteilungszeitpunktes bewirkt422. Verfassungsrechtliche Tauglichkeit kommt daher allein dem naturwissenschaftlichen Gesundheitsbegriff zu423. Dieser ist trotz der Einbeziehung psychischer Erkrankungen einerseits hinreichend weit entfernt vom „vollständigen ... geistigen und sozialen Wohlbefinden“ der WHO-Definition. Andererseits könnte die Einbeziehung des geistig-seelischen Bereichs – wenn auch nur bei pathologischem Befund – angesichts der körperlich-gegen___________ 419
Seewald, Gesundheit, S. 21 ff.; ferner Hermann, S. 54. Seewald, Gesundheit, S. 23 f.; Hermann, S. 54. – Damit ist „Krankheit“ im sozialmedizinischen Sinne in etwa gleichbedeutend mit einer „Gefahr“ für die Gesundheit im Sinne eines der anderen Gesundheitsbegriffe (Seewald, Gesundheit, S. 26). 421 Dazu unten 3. Teil S. 308 ff. 422 Seewald, Gesundheit, S. 26. 423 Ähnlich, allerdings mit Einbeziehung auch des klinischen Gesundheitsbegriffs Hermann, S. 124 f.; G. Hermes, S. 225. 420
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ständlichen Sichtweise des Art. 2 II 1 GG problematisch sein. Indes greifen derartige Bedenken im Ergebnis nicht durch: Zunächst wird eine klare Abgrenzung somatischer und psychischer Erkrankungen in der Medizin zunehmend fraglich, da sich psychische Erkrankungen auch in physiologischen Zustandsveränderungen niederschlagen können, so daß es willkürlich wäre, aus dem naturwissenschaftlichen Gesundheitsbegriff bestimmte Erkrankungen als rechtlich unerheblich auszufiltern424. Umgekehrt stehen andere taugliche Kriterien zur Folgenqualifizierung solcher Einwirkungen, die zwar notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für eine Berührung des Schutzguts der körperlichen Unversehrtheit sind, nicht zur Verfügung425.
cc) Problematik psychischer Folgewirkungen Grundproblem einer auch psychische Folgewirkungen einbeziehenden Folgenqualifizierung ist es zu verhindern, daß die Gesundheitsbeeinträchtigung rein subjektiv aus Sicht der Betroffenen bestimmt wird und der Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit bereits dann eröffnet ist, wenn eine Einwirkung als beeinträchtigend empfunden wird426. Diese Gefahr erscheint unter Zugrundelegung des naturwissenschaftlichen Gesundheitsbegriffs jedoch als gering, da ___________ 424 Zur Unmöglichkeit einer klaren Abgrenzung somatischer und psychischer Krankheitsbildern Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 63; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 149; ferner die Aussage des BVerfG in der Fluglärm-Entscheidung: „Verständnis des Menschen als ... Einheit von Leib, Seele und Geist“ und „Wechselwirkung zwischen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen“ (BVerfGE 56, 54 [75]). 425 Solche Kriterien finden sich zwar in der Rspr. des BVerfG, welches in der Fluglärm-Entscheidung auf die Wirkungen des körperlichen Eingriffs und insbesondere auf die Verursachung von Schmerzen abstellt (BVerfGE 56, 54 [75]; zustimmend SchulzeFielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 35; beschränkt auf das Schmerzkriterium Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 62; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 63; Böhm, Normmensch, S. 106 f.; Hügel, S. 142; Schütz, JuS 1996, 498 [502]; G. Hermes, S. 225). Indes sind beide Kriterien untauglich, weil zu unbestimmt: So kann zunächst „die“ maßgebliche Wirkung eines körperlichen Eingriffs gar nicht bestimmt werden, wenn man die Spannbreite von der Entnahme einer Blutprobe aus dem Ohrläppchen bis hin zum Messerstich berücksichtigt, der wichtige Organe irreparabel verletzt. Das Kriterium der Schmerzzufügung taugt zwar als eigenständiges Kriterium, macht aber das gesundheitsbezogene nicht überflüssig, da es mit diesem nicht deckungsgleich und als alleiniges Kriterium zu restriktiv ist. Immerhin wird man die Zufügung von Schmerzen als weiteres folgenqualifizierendes Kriterium anerkennen müssen. 426 Dazu Hügel, S. 142 f.; gegen eine Einbeziehung subjektiver Elemente auch Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (209). – Vgl. demgegenüber BVerwG, NJW 1995, 2648 (2849), wo das Gericht durch den Anblick von Monumentalstatuen im Außenbereich angesichts ihrer verunstalterischen Wirkung das „allseitige(..) psychische(..) Wohlbefinden“ berührt sah und dieses unter Art. 2 II 1 GG subsumierte; diese Entscheidung ist in der Lit. auf berechtigte Kritik gestoßen (vgl. Schütz, JuS 1996, 498 [501 ff.]; ferner Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 169 mit Fn. 2).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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diesem gerade ein objektiver Ansatz zugrundeliegt427, der in den meisten Fällen eine klare Beurteilung als „gesund“ oder „krank“ erlaubt428. Zudem folgt aus der Funktion als Folgenqualifikation, daß der Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit nicht eröffnet ist, wenn zwischen einer Immission und gesundheitlichen Folgewirkungen nach naturwissenschaftlichen Kriterien eine Kausalbeziehung nicht festgestellt werden kann.
2. Keine Beschränkung auf durchschnittliche Empfindlichkeit An dieser Stelle ist die erste Schwerpunktfrage aufzugreifen, nämlich die herrschende Auffassung von der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit. Danach ist die Schädlichkeit einer Immission ausgehend vom normalen, „durchschnittlichen“ Bestand an Rechtsgütern zu bestimmen und nicht am Maßstab solcher Personen, die in besonderer – „überdurchschnittlicher“ – Weise empfindlich sind. Diese Lehre ist zwar nicht auf Art. 2 II 1 GG beschränkt, muß sich jedoch im Bereich des personenbezogenen Rechtsgüterschutzes vorrangig an diesem messen lassen und dient damit als Weichenstellung für die weitere Prüfung des Art. 2 II 1 GG.
___________ 427
Seewald, Gesundheit, S. 15 f. So auch die Einschätzung von G. Hermes, S. 225 und Hermann, S. 125. – Vgl. dazu die umfangreichen Beispiele bei Möllers, S. 36 f. (ähnliche Beispiele bei Hermann, S. 186); danach sind als krankhaft folgende Beeinträchtigungen anzusehen: Kopf- oder Augenschmerzen, Atem- oder Magenbeschwerden, Schwindelgefühle, Husten, allergische Hautreaktionen, Reizungen von Schleimhaut oder Augen und Kreislaufstörungen oder -versagen; demgegenüber sollen als Beeinträchtigungen ohne Krankheitswert einzuordnen sein Einschlafstörungen, Müdigkeit, erhöhte Nervosität und Irritiertheitsgefühle, mangelnde Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit, Erregungen des vegetativen Nervensystems; ferner Ausprägungen des „sozialen Wohlbefindens“ wie Herabsetzung des Erholungswerts des Zuhauses, psycho-physiologische Defensivreaktionen, Verärgerung, Minderung der Lebensfreude, Unlust, Unbehagen, Ekel, Streß, Schreckreaktionen und Angst, Seelenschmerz, Gefühle des Aus-der-Bahn-geworfen-Seins und Alpträume (Nachw. jeweils bei Möllers, S. 36 f.). – Mit dieser Aufzählung dürfte die Abgrenzung pathologischer Beeinträchtigungen von nicht-pathologischen im wesentlichen zutreffend umschrieben sein, wenngleich einzelne Posten unter medizinischem Aspekt näherer Diskussion würdig sind. – Für den häufigen Fall von Schlafstörungen durch Lärmeinwirkung folgt daraus, daß diese als solche noch keinen Krankheitswert aufweisen, diesen aber durch Hinzutreten weiterer pathologischer Folgen erlangen können (weitergehend Schmidt-Aßmann, AöR 106 [1981], 205 [209]; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 2 Abs. 2 Rn. 193; wohl auch BVerfGE 56, 54 [76], wo auch auf somatische Folgen abgestellt wird); wie hier Hermann, S. 126 f. 428
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
a) Herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur Zunächst liegt der Rspr. durchweg die Annahme der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen Empfindlichkeit“ zugrunde429, wobei dieser Grundsatz sowohl auf den Gesundheitsschutz als auch auf den darunter angesiedelten Schutz vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG angewendet wird. Diese Auffassung wird in der Lit. ganz überwiegend geteilt, wobei weitergehend differenziert wird zwischen der Berücksichtigung besonders empfindlicher Bevölkerungsgruppen, etwa Kindern, Alter oder Kranker, und nicht zu berücksichtigenden besonders empfindlichen Einzelpersonen430. Auch dies wird sowohl auf den Gesundheitsschutz bezogen431 als auch auf den Nachteilsund Belästigungsschutz, wobei bei letzterem die Durchschnittsbetrachtung an dem den Nachteilen und Belästigungen in § 3 I BImSchG vorangestellten Erheblichkeitsbegriff festgemacht wird: Danach soll in „differenzierender und zugleich typisierender Betrachtungsweise darauf abzustellen (sein), was von einem verständigen Durchschnittsmenschen in Abwägung der Vor- und Nachteile für alle Betroffenen billigerweise hinzunehmen ist“432. Wenn die Lit. mit der Berücksichtigung einzelner Bevölkerungsgruppen weiterzugehen scheint als die Rspr.433, so ist dies zunächst unproblematisch für die regelmäßig genannten Kinder, Alten und Schwangeren, da hinter diesen hinsichtlich der biologisch-physiologischen Konstitution homogene und abgrenzbare Gruppen stehen. Dies gilt nicht gleichermaßen für die auch genannten „Kranken“, da es auch innerhalb einer bestimmten Krankheit eine unendliche Vielfalt konkreter Ausprägungen gibt. Da aber der Gruppe der „Kranken“ jeder ___________ 429 BVerwGE 68, 62 (67) – Kirchliches Glockenläuten (erhebliche „Belästigung“); 79, 254 (261) – Feueralarmsirene; 88, 210 (216) – Truppenübungsplatz (Beeinträchtigung der Gesundheit durch Lärm); 101, 157 (162) – Sperrzeitverkürzung (erhebliche „Belästigung“); 109, 314 (324) – Sportplatz (erhebliche „Belästigung“, aber auch auf Gesundheitsbeeinträchtigungen bezogen); ferner VGH Baden-Württ., NVwZ 1999, 85 (86); OVG Lüneburg, NVwZ 1991, 801 (802). – Vgl. ferner zum „differenziert-objektiven Maßstab“ des § 906 BGB BGHZ 111, 63 (65) – Volksfest. 430 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 51, 53; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 11; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (214); Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13 a. E.; Peters, Rn. 11; Feldhaus, Überlegungen, S. 168; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 38, 54; § 5 Rn. 58; Breuer, in: Schmidt-Aßmann13, 5. Kap. Rn. 170; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 35; strenger Sellner, Industrieanlagen2, S. 28: vom „körperlich gesunden Menschen“ auszugehen; ebenso Schmitt-Kötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 59. 431 Nachw. soeben in Fn. 430; ferner Hansen-Dix, S. 126 f. 432 Sog. differenziert-objektiver Maßstab; so Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 103 (Hervorh. im Original); ebenso Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 118; ferner Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 53; Kutscheidt, in: Salzwedel, Grundzüge1, S. 248; ders., NVwZ 1989, 193 (195); Petersen, S. 73; Gaentzsch, S. 35; Blank, S. 166. 433 Vgl. jedoch VGH Baden-Württ., NVwZ 1999, 85 (86), wo als zu berücksichtigend auch die Bevölkerungsgruppen der Kinder und älteren Menschen genannt werden.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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zugehört, der (irgend-) eine „Krankheit“ aufweist, ist fraglich, inwieweit die Bildung einer eigenen Maßstabsgruppe der „Kranken“ mit dem Zweck der Verengung auf eine „durchschnittliche“ Empfindlichkeit zu vereinbaren ist. Bei dieser Frage fällt auf, daß das Abstellen auf eine durchschnittliche Empfindlichkeit kaum begründet434 und damit auch der verfolgte Zweck nur selten offengelegt wird. Neben der vereinzelt gegeben polizeirechtlichen Begründung, die Behörde dürfe nicht wegen der Überempfindlichkeit einzelner Personen in den Freiheitsbereich anderer eingreifen435, liefert eine eingehende Begründung nur der VGH Baden-Württ. in der Wyhl-Entscheidung. Dort führt der VGH u. a. auf die Klage eines Betroffenen, dessen Nieren vollständig ausgefallen waren, aus, es sei mit der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren, wenn die Genehmigung eines Kernkraftwerks vom Auftreten seltener Stoffwechselanomalien in der Umgebung abhängig gemacht würde und deren Vorliegen sich zudem zufällig – etwa durch Wegzug des Betroffenen – jederzeit ändern könne436. Damit kann als Zweck der Lehre von der durchschnittlichen Empfindlichkeit die Schaffung von Rechts- und wirtschaftlicher Investitionssicherheit für die Betreiber emittierender Anlagen benannt werden. Es kann aber kein Zweifel bestehen, daß auch der Kläger in der Wyhl-Entscheidung zur Gruppe der „Kranken“ gehört, ein Ergebnis, gegen das der VGH Baden-Württ. gerade das Argument der Rechtssicherheit wendet. Aufgrund der unendlichen Vielgestaltigkeit möglicher Krankheiten würde das Abstellen auf die Innehabung einer beliebigen Krankheit denn auch zu beliebigen Maßstäben und gerade nicht zu der erhofften Rechtssicherheit führen437. Daß dies nicht gemeint ist, belegt die gleichzeitige Nennung der „Kinder“ und „Alten“, die jeweils – sieht man wiederum von kranken Kindern und Alten ab – in hohem Maße typisierte, weil entwicklungsbiologisch bedingte Prädispositionen aufweisen. Will man der Auffassung von der Maßstäblichkeit Kranker daher Sinn geben, kann dies nur dahin verstanden werden, daß es um Gruppen von Menschen geht, die jeweils an einer bestimmten Krankheit leiden, die zudem eine zahlenmäßige statistische Relevanz innerhalb der Gesamtbevölkerung besitzt.
___________ 434 Dies konstatieren auch Böhm, Normmensch, S. 27, 33 und Wulfhorst, Schutz, S. 78 f.; eine Ausnahme macht lediglich die Wyhl-Entscheidung des VGH Baden-Württ., ESVGH 32, 161 (215 f.); dazu sogleich. 435 So Hansen-Dix, S. 25 mit Nachw. für das Polizeirecht. 436 VGH Baden-Württ., ESVGH 32, 161 (215 f.); offengelassen demgegenüber in der Revisionsentscheidung BVerwGE 72, 300 (321) – Wyhl. 437 Vgl. VGH Baden-Württ., NVwZ 1999, 85 (86), wo nur Kinder und ältere Menschen als zu berücksichtigende Bevölkerungsgruppen genannt werden (ebenso SchmidtAßmann, AöR 106 [1981], 205 [214]).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
b) Problematik der h. M. und abweichende Lösungsansätze Die Maßgeblichkeit einer durchschnittlichen Empfindlichkeit ist zunächst in tatsächlicher Hinsicht problematisch, da dadurch ein erheblicher Teil der Gesamtbevölkerung, der zudem in besonderem Maße schutzbedürftig ist, aus dem Schutz gleichsam „hinausdefiniert“ wird. In Ballungsgebieten etwa stellen besondere Empfindlichkeiten bei Atemwegserkrankungen oder Allergien ein zunehmend häufigeres Phänomen dar438, das über eine pauschale Erklärung als nicht maßgeblich argumentativ nur unzureichend bewältigt wird.
aa) Arbeiten von Reinhard Wulfhorst und Monika Böhm Mit diesem Ansatz wird – von vereinzelten Ansätzen der Lit. abgesehen439 – vor allem in zwei jüngeren Arbeiten gebrochen, nämlich den Monographien von Wulfhorst und Böhm440, die beide aufgrund eines verfassungsrechtlichen Ansatzes einen Schutz auch überdurchschnittlich empfindlicher Rechtsgüter, insbesondere der im Rahmen des Art. 2 II 1 GG in erster Linie interessierenden Gesundheit, fordern441. Insbesondere Böhm gelangt damit zu weitreichenden Konsequenzen für die Zulässigkeit von Immissionen, indem sie einen Grundsatz der Meistbegünstigung postuliert, wonach die jeweils schutzbedürftigste Person zum Maßstab zu machen sei442. Diese Ansicht ist trotz ihres plausiblen Ansatzes aufgrund ihrer Konsequenzen für die noch zulässige Immissionsverursachung jedoch ebenso problematisch wie die h. M.: Zunächst ist klärungsbedürftig, welcher Personenkreis für eine derartige Meistbegünstigung maßgeblich sein soll: Stellt man auf die Bevölkerung der gesamten Bundesrepublik ab, so hätte dies zur Folge, daß eine konkrete Anlage in der gesamten Bundesrepublik nicht betrieben werden dürfte, wenn und weil irgendwo Personen leben, die aufgrund ihrer besonderen Empfindlichkeit für die Zulässigkeit der Immissionen dieser Anlage maßgeblich sind, obwohl es im gesamten Bundesgebiet eine Vielzahl an Standorten gäbe, an denen diese Personen überhaupt nicht betroffen würden. Folglich dürften die weitaus meisten ___________ 438
Dazu H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 5. Calliess, Umweltstaat, S. 303; Blank, S. 136; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 94; Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 25; Winter, Anforderungen, S. 130; Müller-Glöge, S. 47; G. Hermes, S. 224; ähnlich H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 101; unklar Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 1 Rn. 3 einerseits, § 3 Rn. 35 andererseits. 440 Wulfhorst, Schutz (1994), passim, und Böhm, Normmensch (1996), passim. 441 Vgl. Böhm, Normmensch, S. 103 ff.: „Die staatliche Schutzpflicht besteht demnach grundsätzlich gegenüber jedem Einzelnen, unabhängig von seinen besonderen Empfindlichkeiten und seinem konkreten Gesundheitszustand“. 442 Böhm, Normmensch, S. 138, 292. 439
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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der heute tatsächlich verursachten Immissionen nicht mehr verursacht werden, da es irgendwo sicher jemanden gibt, der – zum Maßstab genommen – die Unzulässigkeit der Anlage herbeiführt, auch wenn er faktisch niemals in deren Einwirkungsbereich gelangt. Eine solche Meistbegünstigung hätte nicht nur weitreichende Beschränkungen des Industrialisierungsgrades der Bundesrepublik mit Auswirkungen für das Gemeinwohl zur Folge, sondern ist auch rechtlich gravierenden Bedenken ausgesetzt, insbesondere im Blick auf die Grundrechte der Emittenten und das Sozialstaatsprinzip als Gebot einer zumindest im , Grundsatz industrialisierten Gesellschaft443 444.
bb) Aufzugreifende Ansätze Die Arbeiten von Wulfhorst und Böhm enthalten jedoch Ansätze, die aufzugreifen sind: So gelten die soeben geäußerten Bedenken nicht in gleichem Maße, wenn man den Meistbegünstigungsgrundsatz räumlich begrenzt auf den Einwirkungsbereich der zu beurteilenden Anlage bezieht, da diese dann jedenfalls dort betrieben werden dürfte, wo sich im Einwirkungsbereich keine Personen mit entsprechender Empfindlichkeit befinden. Insofern wäre der Grundsatz der Meistbegünstigung ein variables Kriterium, das über eine räumliche Verteilung von emittierender und immissionsempfindlicher Nutzung zu einem zumindest teilweisen Ausgleich der konfligierenden Interessen beitragen könnte. Hieran zeigt sich zugleich die räumliche Dimension von immissionsschutzrechtlichen Nutzungskonflikten445 und die Möglichkeit, diese durch räumliche Dislozierung von Anlage und Betroffenen zu lösen. Zu begrüßen ist ferner der verfassungsrechtliche Ansatz von Wulfhorst und Böhm, mit dem die Lehre von der durchschnittlichen Empfindlichkeit an einem konkreten Grundrecht – hier Art. 2 II 1 GG – gemessen wird. Dafür, daß der Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG in der Tat eine Verengung auf eine durch-
___________ 443
Hier sind als Einzelaspekte zu nennen gesicherte Energieversorgung, Pflege der Volksgesundheit, Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Wohlstandsvorsorge (Bock, S. 186 f.; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 92). – Vgl. jedoch auch Bock, S. 110 ff. zu den Versuchen, das Sozialstaatsprinzip für den Umweltschutz zu instrumentalisieren (ebenso Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge1, S. 27 f.). 444 Nicht zuletzt an diesen Konsequenzen dürfte es liegen, daß die Arbeiten von Böhm und Wulfhorst in Rspr. und Lit. kaum rezipiert worden sind (exemplarisch Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13 a. E., der einerseits das Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ für maßgeblich erklärt und andererseits pauschal auf die Arbeiten von Böhm und Wulfhorst verweist, ohne auf deren abweichenden Ansatz und die genau gegenteiligen Ergebnisse auch nur einzugehen). 445 Dazu Schulze-Fielitz, FS Würzburger Juristenfakultät, S. 714 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
schnittliche Empfindlichkeit nicht verträgt446, sprechen folgende Gründe: Art. 2 II 1 GG ist das Grundrecht par excellence, das an einen außerrechtlichen, von der Natur vorgegebenen und rechtlich nicht konstituierten Zustand anknüpft447. Dies gilt zunächst für das unmittelbar gegenstandsbezogene Kriterium der Einwirkung, da deren Objekt jeweils ein individuell beschaffener menschlicher Körper ist. Es gilt jedoch gleichermaßen für die Folgenqualifizierung durch Betrachtung der Folgen, die aus einem konkreten „Versehrungsfall“ resultieren. Es entspricht nämlich nicht nur der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern ist auch naturwissenschaftlich unbestritten, daß jedes menschliches Leben in seiner individuellen Prädisposition verschieden ist und gegenüber Einwirkungen aller Art unterschiedlich reagiert448, so daß jeder „Versehrungsfall“ in seinen wirkungsmäßigen Zusammenhängen unterschiedlich determiniert ist. Daß das Grundgesetz diesen außerrechtlichen Befund nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern ihn ausdrücklich rezipiert hat, folgt aus der Formulierung in Art. 2 II 1 GG, wonach „jeder“ das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat: „Jeder“ kann nur verstanden werden als „jeder“, so wie er ist und wie er sich individuell „befindet“449. Damit bietet Art. 2 II 1 GG keinen normativen Anknüpfungspunkt für eine irgendwie geartete wertende Maßstabsverengung450. Dies führt im nächsten Schritt zu der Erkenntnis, daß „durchschnittliche“ und „überdurchschnittliche“ Empfindlichkeit nur idealtypische Kategorien sind, während in Wirklichkeit jeder einzelne Mensch eine je individuelle biologisch-physiologische Prädisposition aufweist. Die gesamte Denkweise in den Gegensatzpaaren einer durchschnittlichen und überdurchschnittlichen Empfindlichkeit ist daher durch ein gleitendes Kontinuum einer nahezu unendlichen Vielzahl individueller Prädispositionen zu ersetzen. Wenngleich damit der Ansatz von Wulfhorst und Böhm für die Auslegung des Schutzbereichs des Art. 2 II 1 GG uneingeschränkt aufgegriffen wird, so ___________ 446 Ebenso Böhm, Normmensch, S. 103 ff.; Wulfhorst, Schutz, S. 100 ff.; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 166; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 136; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 63 a. E.; G. Hermes, S. 224; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 16; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 94. 447 Ebenso Trute, Vorsorgestrukturen, S. 229, 237; Wulfhorst, Schutz, S. 101; ferner G. Hermes, S. 198: Art. 2 II 1 GG als „personale Garantie par excellence“. 448 Dazu Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 91. 449 G. Hermes, S. 224; Wulfhorst, S. 101. – Art. 2 II 1 GG weist somit einen doppelten „Rückbezug“ auf den Menschen auf, nämlich einmal im persönlichen Schutzbereich, indem jedermann nur aufgrund seines Person-Seins Grundrechtsträger ist, und zweitens im sachlichen Schutzbereich, indem hier Schutzgüter und -modalitäten normiert werden, die auf dieses Person-Sein zurückverweisen. 450 Diese Argumentation wird bestätigt durch die enge Beziehung zwischen Leben und Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 I 1 GG, welche den Menschen gerade in seinen „Unvollkommenheiten und Unzulänglichkeiten“ erfaßt (Benda, NJW 1985, 1730 [1732]; Wulfhorst, Schutz, S. 104; Böhm, Normmensch, S. 103 f.).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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muß doch als Schwäche dieser Arbeiten benannt werden, daß diese weitgehend auf der Schutzbereichsebene stehenbleiben451. Demgegenüber ist der effektive Schutz eines Grundrechts immer das Ergebnis von Schutzbereich und Schranken. Entsprechend wird die nachfolgende Darstellung ergeben, daß der Schutz „normal“ und überdurchschnittlich empfindlicher Personen einer nicht unerheblichen Beschränkungs- und Nivellierungsmöglichkeit durch gegenläufige Belange unterliegt und sich im Ergebnis eine Annäherung an die h. M. ergibt.
3. Besonderheiten bei Schutzfunktion des Art. 2 II 1 GG Da Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG dieselben Schutzgüter zugrundeliegen, gelten die obigen Ausführungen uneingeschränkt auch für den Schutzbereich der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG.
II. Eingriff 1. Eingriff beim Abwehrrecht aus Art. 2 II 1 GG Zunächst ist anerkannt, daß für Art. 2 II 1 GG ein weiter Eingriffsbegriff gilt, der auch nicht-finale, faktische und mittelbare Beeinträchtigungen erfaßt452. Zur Begründung hierfür bedarf es keiner allgemeinen Erwägungen über den Eingriffsbegriff, denen zudem der normative Anknüpfungspunkt fehlen würde, sondern es kann ganz konkret am Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG angeknüpft werden, der eine gegenständliche Einwirkung auf den menschlichen Körper – gegebenenfalls in Verbindung mit folgenbezogenen Kriterien – verlangt453. Daraus folgen zwanglos die Kriterien der Nicht-Finalität und Faktizität, unter welche sich staatlich verursachte Immissionen subsumieren lassen. Inwieweit ___________ 451 So zählt zwar Böhm, Normmensch, S. 119 ff. verschiedene Begrenzungsmöglichkeiten des Schutzes aus Art. 2 II 1 GG auf, ohne daraus aber nennenswerte Konsequenzen abzuleiten. Demgegenüber erkennt Wulfhorst, Schutz, S. 112 die grundsätzliche Beschränkbarkeit des Art. 2 II 1 GG, hält es aber für „widersinnig“, überdurchschnittlich empfindliche Personen zuerst in den Schutzbereich einzubeziehen und ihnen dann auf Schrankenebene diesen Schutz wieder zu verwehren, weshalb auch er nur äußerst knappe Ausführungen zu möglichen Beschränkungen macht. Wulfhorst übersieht damit, daß diese Beschränkungsmöglichkeiten gerade den elementaren Wirkmechanismus des Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schemas ausmachen und es folglich nicht „unredlich“ ist, wenn prima facie- und effektiver Schutz eines Grundrechts differieren (dazu Borowski, S. 197, 205). – Wie hier im Ansatz auch Stoll, S. 334 f., der zudem auf den Typisierungsspielraum des Gesetzgebers verweist (dazu unten S. 205 ff.). 452 Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 151; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 24; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 42; ferner BVerfGE 66, 39 (60). 453 Dazu oben S. 131 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
auch mittelbare Beeinträchtigungen Eingriffe in Art. 2 II 1 GG sind, braucht demgegenüber an dieser Stelle nicht entschieden zu werden, da das hoheitliche Betreiben einer Anlage unmittelbar kausal für die Entstehung von Immissionen bei den Grundrechtsträgern ist. Angesichts dieser Vorgaben des Schutzbereichs ist umgekehrt begründungsbedürftig, warum einfach-rechtlichen Zulassungsnormen Eingriffsqualität zukommen soll, da ein staatlicher Rechtsbefehl zwar eine Verhaltensfreiheit beeinträchtigen, nicht jedoch eine gegenständliche Versehrung herbeiführen kann454. Da entsprechende Zulassungsnormen jedoch stets (spezielle) Duldungspflichten begründen, ist die Eingriffsqualität zu bejahen455. Es müssen sich somit sowohl die tatsächliche Immissionsverursachung des Staates als auch entsprechende einfach-rechtliche Zulassungsnormen am Abwehrgehalt des Art. 2 II 1 GG messen lassen456.
2. Erfordernis einer „Erheblichkeitsschwelle“ Fraglich ist ferner, ob für das Vorliegen eines Eingriffs eine „Erheblichkeitsschwelle“ überschritten sein muß, wie es vereinzelt für Immissionen gefordert wird457 und allgemeiner in der Auffassung Ausdruck findet, daß geringfügigen, „unerheblichen“ und damit „zumutbaren“458 Beeinträchtigungen keine Eingriffsqualität zukommen soll459. Diese Auffassung mag für bestimmte Formen der körperlich-gegenständlichen Beeinträchtigung seine Berechtigung haben, wie etwa dem regelmäßig genannten Haarerlaß der Bundeswehr460, muß jedoch berücksichtigen, daß nach der hier vertretenen Auffassung für Eingriffe durch Immissionen bereits auf Schutzbereichsebene eine Folgenqualifizierung erforderlich ist. Liegt diese vor, dürfte der Eingriff regelmäßig eine solche Intensität erreicht haben, daß auch mögliche „Bagatellgrenzen“ überschritten sind461.
___________ 454
Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 100; ähnlich W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 149. Zu bedenken ist ferner, daß beim Abwehrrecht die oben im Rahmen der staatlichen Schutzpflichten geäußerten Bedenken an der Eingriffsqualität (spezieller) Duldungspflichten nicht greifen, da ein staatlicher Eingriff aufgrund Art. 2 II 3 GG nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig ist, d. h. bei Hinwegdenken einfach-rechtlicher Zulassungsnormen belastende Immissionen des Staates stets unzulässig sind. 456 Ebenso Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 100. 457 So Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 391. 458 Vgl. BVerfGE 17, 108 (115) – Hirnstrommessung. 459 Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 49; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 64. 460 Dazu BVerwGE 46, 1 (7); ähnlich BVerfGE 17, 108 (114 f.) – Hirnstrommessung (auf diese Entscheidung verweist BVerfGE 56, 54 [75] – Fluglärm). 461 Ebenso Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 65. 455
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Wenn demgegenüber zugleich auf die „Erheblichkeit“ und „Zumutbarkeit“ oder weitergehend „Sozialadäquanz“ abgestellt wird, so werden damit Wertungen impliziert, ohne daß offengelegt würde, welches diese sind462. Im Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema sind Wertungen, insbesondere am Maßstab gegenläufiger Belange, jedoch der Eingriffsrechtfertigung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als zentralem Wirkmechanismus vorbehalten. Werden daher Wertungen auf Schutzbereichs- oder Eingriffsebene antizipiert, wird die Eingriffsrechtfertigung in ihrer Rationalität und Transparenz gewährleistenden Wirkung verfehlt463; es gelten sinngemäß die Erwägungen, die oben B. zum Vorzug einer weiten Tatbestandstheorie geführt haben464.
3. Besonderheiten bei staatlicher Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG Waren beim Abwehrrecht Bezugspunkt des Eingriffs sowohl die tatsächliche Immissionsverursachung als auch die diese zulassenden einfach-rechtliche Erlaubnisnormen, so erfolgt bei der Schutzpflicht eine Akzentverschiebung, da hier allein die Gesamtheit des schutzgewährenden einfachen Rechts Gegenstand der Eingriffsrechtfertigung ist465. Dies hat Folgen für den Anwendungsbereich der staatlichen Schutzpflicht, da die abwehrrechtliche Rechtfertigung einer konkreten Immission stets deren Zurechenbarkeit an eine bestimmte (hoheitliche) Anlage voraussetzt. Dies ist in tatsächlicher Hinsicht dann nicht möglich, wenn eine ubiquitär vorhandene Schadstoffbelastung die Zurechnung an konkrete Anlagen hindert466. In einem solchen Fall ist der elementare Wirkmechanismus des Abwehrrechts gestört, wonach ein staatlicher Emittent einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff bereits dadurch beheben kann, daß er die Immissionsverursachung „abstellt“. Somit können ubiquitäre und insofern entindividualisierte Immissionsbelastungen abwehrrechtlich nicht mehr erfaßt werden, und es greift ergänzend die Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG, der ein anderer Ansatzpunkt zugrundeliegt: Während das Abwehrrecht beim Eingriffsvorgang ansetzt, kommt es für die staatliche Schutzpflicht allein auf die beeinträchtigende Wirkung an, wie sie aufgrund der Gesamtheit des schutzgewährenden einfachen ___________ 462 Kritisch auch Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 64; eindeutig Calliess, Umweltstaat, S. 304: „Zumutbarkeit kein Schutzbereichsproblem, sondern ein Rechtfertigungsproblem“; ähnlich G. Hermes, S. 226; ferner Voßkuhle, S. 381 f. 463 Ebenso Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 50. – Insbesondere ist der „schillernde“ Begriff der Sozialadäquanz verfehlt, da zuallererst der Gesetzgeber zu entscheiden hat, was „sozialadäquat“ ist, weshalb der Begriff nicht zugleich Maßstab für den Gesetzgeber sein kann (ebenso Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 163). 464 Dazu oben S. 62 ff. 465 Dazu oben S. 107 ff. 466 Zu dieser Problematik unten 3. Teil S. 404 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Rechts rechtmäßig verursacht werden darf467. Damit sind Maßnahmen zur Erfüllung der Schutzpflicht nicht auf solche beschränkt, die konstitutiv auf der Zurechnung von Immissionen an konkrete Anlagen beruhen, sondern es sind auch Maßnahmen denkbar, die auf eine allgemeine, von konkreten Anlagen abstrahierende Reduktion des bestehenden Immissionsniveaus gerichtet sind. Dies hat auch gegenüber hoheitlichen Emittenten zu gelten, wenn der geschilderte abwehrrechtliche Zurechnungsmechanismus versagt, so daß der staatlichen Schutzpflicht insofern eine Auffangfunktion zukommt468.
4. Eingriff im Bereich der Grundrechtsgefährdung a) Problemaufriß und Streitstand Nach den bisherigen Ausführungen liegt ein Eingriff bzw. schutzpflichtaktivierender „Übergriff“ in Art. 2 II 1 GG jedenfalls dann vor, wenn Immissionen physisch auf den Grundrechtsträger einwirken und kausal eine gesundheitsbezogene Schädigungswirkung herbeiführen. Indes ist dieser sichere Schädigungsfall im Immissionsschutzrecht nicht die Regel, sondern wird überlagert durch Konstellationen, in denen beide Komponenten der Schutzbereichsberührung – physischer Einwirkungsakt und Folgenqualifizierung – kumulativ oder alternativ mit einer Ungewißheit behaftet sind. In welchem Umfang grundrechtlicher Schutz auch in diesem Vorfeld sicherer Schädigung gewährt wird, ist umstritten: Zwar ist im Anschluß an die Rspr. des BVerfG allgemein anerkannt, daß überhaupt Schutz in diesem Bereich gewährt wird469, jedoch ist ungeklärt, wie weit dieser reicht. Es stehen sich hier im wesentlichen zwei Positionen gegenüber, deren eine in direkter Übernahme des einfach-rechtlichen Gefahrenbegriffs470 eine hinreichende, vom Schadensausmaß abhängige Schädigungswahr-
___________ 467
So prägnant G. Hermes, S. 221. Einfach-rechtlich wird diese Funktion durch die im 3. Teil darzustellende Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG wahrgenommen, die im Gegensatz zur Abwehrpflicht des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG einen Zurechnungstatbestand bezogen auf konkrete Anlagen nicht voraussetzt (dazu unten 3. Teil S. 400 ff.). 469 Grundlegend BVerfGE 49, 89 (141 f.) – Kalkar I; 53, 30 (57) – Mülheim-Kärlich; 56, 54 (78) – Fluglärm. – Aus der Lit. Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 68 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 43; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 160 f.; Sachs, in: Stern III / 2, S. 210 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (211); G. Hermes, S. 236 ff.; Dietlein, Schutzpflichten, S. 105 ff.; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 78 a. E., 106 ff.; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 30 ff.; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 182 ff., 188; Determann, Technologien, S. 127; Hermann, S. 128 ff.; Fleury, S. 32 f.; ähnlich Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 91. 470 Zum einfach-rechtlichen Gefahrenbegriff unten 3. Teil S. 311 ff. 468
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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scheinlichkeit verlangt471, während nach der anderen Auffassung auch der Bereich des bloßen Risikos erfaßt472 und lediglich das Restrisiko ausgenommen sein soll, welches vom BVerfG durch den Maßstab der praktischen Vernunft definiert wird473. Hierbei bezeichnet der Gefahrenbegriff, wie er im allgemeinen Polizeirecht entwickelt wurde, eine Lage, in der bei ungehindertem Geschehensablauf ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für ein bestimmtes Schutz- bzw. Rechtsgut führen wird474. Demgegenüber kennzeichnet das „Risiko“ eine Lage, in der bei ungehindertem Ablauf eines Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten möglicherweise zu einem Schaden führt, womit das Risiko im Unterschied zum Gefahrenbegriff keine Anforderungen an das Hinreichen der Wahrscheinlichkeit stellt475. Das BVerfG hat bislang nicht abschließend entschieden, wann Gefährdungen der Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG als Grundrechtsbeeinträchtigungen anzusehen sind476. Bloße Grundrechtsgefährdungen sollen im allgemeinen noch im „Vorfeld verfassungsrechtlich erheblicher Grundrechtsbeeinträchtigungen“ liegen477, unter bestimmten Voraussetzungen jedoch „Grundrechtsverletzungen gleich zu achten“ sein478. Diese mehr oder weniger formelhaften Sentenzen werden teilweise dahin interpretiert, daß entscheidend für die Eingriffsqualität ___________ 471 Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 183 ff.; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 306; Eckhoff, S. 284; Krings, S. 229 ff.; G. Hermes, S. 236; ähnlich Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 68; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 43, 80; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 49. 472 Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 68; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 161; ders., Verantwortung, S. 127 ff., 131 ff.; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 106; Steinberg, Verfassungsstaat, S. 94 f.; im Ergebnis auch Voßkuhle, S. 382 f. 473 Grundlegend BVerfGE 49, 89 (143) – Kalkar I; dazu unten S. 159 ff. 474 So die klassische Definition bei Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 220; aus der älteren Lit. grundlegend Scholz, VerwArch 27 (1919), 1 (13 ff.); aus der neueren Lit. Würtenberger / Heckmann6, Rn. 411; Schoch, in: Schmidt-Aßmann13, 2. Kap. Rn. 84; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 46; ders., Polizei- und OrdnungsR4, Rn. 69; Ladeur, S. 11 ff.; Wahl / I. Appel, S. 84 f. 475 Wahl / I. Appel, S. 88 f.; Petersen, S. 193, 213 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 80 ff.; Ladeur, S. 69 ff. 476 So auch die Einschätzung von Sachs, in: Stern III / 2, S. 211. 477 Diese Aussage wurde sowohl für das Abwehrrecht als auch die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG getroffen; vgl. BVerfGE 49, 89 (141 f.) – Kalkar I; 51, 324 (346 f.) – Verhandlungsunfähigkeit; 52, 214 (220 f.) – Zwangsräumung; 53, 30 (57) – Mülheim-Kärlich; 56, 54 (78) – Fluglärm; 66, 39 (57 f.); vgl. ferner BVerfGE 77, 170 (220) – C-Waffen; NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station. 478 BVerfG, NJW 1997, 2509 (2509) – Trafo-Station; BVerfGE 49, 89 (141); 51, 324 (346 f.); 66, 39 (58); ebenso Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 43; ferner Sachs, in: Stern III / 2, S. 210. – Zu kritisieren ist an dieser Rspr., daß – was am Begriff der „Grundrechtsverletzung“ deutlich wird – die Ebenen des Eingriffs und der Eingriffsrechtfertigung nicht in der gebotenen Weise auseinandergehalten werden (ebenso die Kritik bei Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 161).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
das Produkt aus „Gefahrennähe, -ausmaß und Rang des bedrohten Rechtsguts“ sei479, das einen bestimmten Wert erreichen müsse480, während umgekehrt eine Beeinträchtigung zu verneinen sein soll, wenn einer dieser Faktoren ausfällt481, was tendenziell dem einfach-rechtlichen Gefahrenbegriff entspricht. Ein Schutz des Art. 2 II 1 GG soll jedenfalls bei „rein hypothetischen Gefährdungen“ zu verneinen sein, die das BVerfG unterhalb der geltenden Grenzwerte für elektromagnetische Strahlungen angenommen hat482; hier verlange Art. 2 II 1 GG eine Herabsetzung geltender Grenzwerte nicht bereits deshalb, weil nachteilige Auswirkungen „nicht ausgeschlossen werden können“483.
b) Problemlösung ausgehend von Immissionswirkungen Während die Frage eines Grundrechtsschutzes im Bereich bloßer Grundrechtsgefährdung überwiegend sehr allgemein und abstrakt erörtert wird, wird im folgenden die Diskussion an die spezifische rechtstatsächliche Situation im Immissionsschutzrecht angebunden, d. h. an die im 1. Teil dargestellten Immissionswirkungen, insbesondere von Luftschadstoffen484. Geht man von den zwei Komponenten der Schutzbereichsberührung in Gestalt der physischen Einwirkung und der Folgenqualifizierung aus, so betrifft die Ungewißheit über die erste Komponente die Frage, ob von einer Anlage überhaupt Immissionen verursacht werden, die auf Grundrechtsträger einwirken, während die Ungewißheit über schädigende Folgewirkungen aus den spezifischen Immissionswirkungen resultiert. Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden:
aa) Ungewißheiten im Bereich der Wirkungsschwellen Innerhalb des Wirkungsschwellenkonzepts485 kann eine Immission zunächst so beschaffen sein, daß sie für alle Akzeptoren unterhalb der Wirkungsschwelle ___________ 479
So Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 306. Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 306; in der Sache auch Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 43; Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 68; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 30. 481 So BVerfGE 66, 39 (58 f.) zur Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik. 482 So BVerfG, NJW 2002, 1638 (1639); danach soll „keine Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen“ bestehen (bestätigt in BVerfG, NVwZ-RR 2005, 227 [228]); zustimmend Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 49; zu dieser Entscheidung ferner Hochhuth, JZ 2004, 283 ff. 483 BVerfG, NJW 2002, 1638 (1639); VGH Baden-Württ., NJOZ 2005, 310 (311). 484 Dazu oben 1. Teil S. 35 ff. 485 Zum Wirkungsschwellenkonzept oben 1. Teil S. 36 ff. 480
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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liegt. Da dann eine Schädigungsfolge nicht zu erwarten ist, liegt ein Eingriff in Art. 2 II 1 GG nicht vor und die Frage grundrechtlichen Schutzes im Gefährdungsbereich stellt sich nicht. Dieser Fall dürfte aufgrund der Unsicherheitsfaktoren in der Wirkungsforschung jedoch selten sein.
(1) Ungewißheit und Gefahrenverdacht Es können jedoch selbst dann, wenn existente Wirkungsschwellen eingehalten sind, Schädigungsfolgen eintreten, die auf additiven und synergistischen Wirkungen beruhen486. Aufgrund der Vielzahl denkbarer Kombinationswirkungen ist es nämlich unmöglich, auch nur für eine nennenswerte Anzahl an Stoffkombinationen Wirkungsschwellen anzugeben487. Neben das Wissen um erkannte Wirkungsbeziehungen tritt damit eine Ungewißheitskomponente, da mögliche Schäden jedenfalls nicht ausgeschlossen werden können, ohne daß positiv eine Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann. Gleiches gilt für Langzeitfolgen, die durch eine an unmittelbar eintretenden Wirkungen orientierte Forschung nicht erfaßt werden. Damit existiert eine Kategorie möglicher Schädigungsfolgen, die nicht deshalb aus dem Gefahrenbegriff herausfallen, weil ihre Eintrittswahrscheinlichkeit zu gering ist, sondern bereits gar nicht angegeben werden kann. Dies ist in der Terminologie des allgemeinen Polizeirechts ein Fall des Gefahrenverdachts488. Dieser kann auch nicht dadurch in den Gefahrenbegriff integriert werden, daß man ihn als Gefahr mit geringerer Wahrscheinlichkeit deklariert489, denn wenn eine Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht bekannt ist, werden das (sichere) Wissen um eine Wahrscheinlichkeit einerseits und das „gesicherte“ Unwissen andererseits unzulässig vermengt490. ___________ 486 Aus naturwissenschaftlicher Sicht Beyersmann, Stoffkombinationen, S. 65 ff.; Grimme / Faust / Altenburger, S. 47 f.; Grimme / Altenburger / Bödeker / Faust, S. 142 ff. 487 Hansmann, FS Sendler, S. 290. – Aus naturwissenschaftlicher Sicht werden teilweise Immissionswerte für mehr als 300 Stoffe für erforderlich gehalten (Steinebach, Rn. 241); demgegenüber enthält die TA Luft 2002 in Nr. 4.2.1 nur 6 Immissionswerte zum „Schutz der menschlichen Gesundheit“. 488 Aus der polizeirechtlichen Lit. Würtenberger / Heckmann6, Rn. 420 ff.; Friauf, in: Schmidt-Aßmann10, 2. Abschn. Rn. 52; Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 226 f.; Hansen-Dix, S. 61 ff.; danach unterscheidet sich der Gefahrenverdacht von der Anscheinsgefahr dadurch, daß sich die Behörde bestimmter Unsicherheiten in Diagnose und Prognose bewußt ist (Schoch, JuS 1994, 667 [669]; ders., in: Schmidt-Aßmann13, 2. Kap. Rn. 96); kritisch dazu Darnstädt, S. 94 ff., 99; Petersen, S. 113 ff. 489 So aber Petersen, S. 114 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 17 ff.; Rid, S. 69; für das Polizeirecht Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 226; Darnstädt, S. 96. 490 Sehr klar Wahl / I. Appel, S. 87 f., 92 f.; Fleury, S. 47 ff.; ferner Breuer, in: Schmidt-Aßmann13, 5. Kap. Rn. 177; Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 18; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 158 in Fn. 333.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Nach einer anderen Ansicht soll der Gefahrenverdacht jedenfalls dann „Gefahr“ sein, wenn er durch Tatsachen „verdichtet“ und eine Schädigung hochwertiger Schutzgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit zu befürchten ist491. Der letztgenannten Ansicht kann gefolgt werden, wenn man sich zwei Fallgruppen des Gefahrenverdachts vergegenwärtigt: In der ersten ist eine Wahrscheinlichkeitsaussage wegen bekannter Unsicherheiten über den Kausalverlauf lediglich erschwert und die Ungewißheit kann durch ergänzende naturwissenschaftliche Annahmen überbrückt werden, so daß am Ende ein Wahrscheinlichkeitsurteil gleichwohl getroffen werden kann492. Daneben existiert die Fallgruppe „echter“ Unwissenheit, in der auch durch ergänzende Annahmen ein Wahrscheinlichkeitsurteil nicht getroffen werden kann493. Hier liegt eine vom Gefahrenbegriff grundsätzlich verschiedene Kategorie vor, die bei einer Anbindung des grundrechtlichen Gefährdungsschutzes an den Gefahrenbegriff völlig aus dem Schutz des Art. 2 II 1 GG herausfiele.
(2) Ungewißheit und unterschiedliche Empfindlichkeiten Ferner kann die Immission so beschaffen sein, daß sie nur für bestimmte Akzeptoren unterhalb der Wirkungsschwelle liegt, für andere jedoch oberhalb, so daß bei diesen mit schädigenden Wirkungen sicher zu rechnen ist. Auf Grundlage der oben abgelehnten Maßgeblichkeit einer durchschnittlichen Empfindlichkeit wäre hier eine Gefahr trotz zu erwartender Gesundheitsschäden bei bestimmten Akzeptoren zu verneinen. Beschränkt man demgegenüber richtigerweise den Maßstab nicht auf durchschnittlich empfindliche Personen, so tauchen weitere Konstellationen auf, wenn nämlich gar nicht bekannt ist, wie Personen jenseits des Durchschnittsmaßstabs reagieren. Da ein Luftschadstoff bei unterschiedlichen Akzeptoren ein Spektrum von überhaupt keiner Wirkung, schwacher Wirkung bis hin zu manifesten Schäden zeigen kann494, wird dieser ___________ 491 So Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 61; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 11h; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 158; ferner OVG Münster, NVwZ 1991, 1200 (1202). 492 Dies dürfte im allgemeinen Polizeirecht, dessen Erfahrungssätze auf der allgemeinen Lebenserfahrung aufbauen, der Regelfall sein, gilt aber auch für das Immissionsschutzrecht, wenn sich Hypothesen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen auf empirische Befunde stützen lassen (Murswiek, Verantwortung, S. 386 ff.). 493 Im allgemeinen Polizeirecht wird dieses Problem durch die Figur des Gefahrerforschungseingriffs gelöst, wonach als minus-Maßnahmen zur Gefahrenabwehr regelmäßig nur Eingriffe durch vorläufige Maßnahmen zur Gefahrerforschung zulässig sind (Schoch, JuS 1994, 667 [669]; Würtenberger / Heckmann6, Rn. 422 f.; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 61 ff.); diese Lösung ist für das Immissionsschutzrecht untauglich, da regelmäßig nicht mit neuen und „besseren“ Erkenntnissen zu rechnen ist. 494 Hansmann, FS Sendler, S. 291; Winter, Einführung, S. 11.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Befund unendlich vielgestaltiger Prädispositionen durch die schablonenhafte Gegenüberstellung der h. M. jedenfalls völlig eingeebnet495. Realistischer dürfte die Sichtweise sein, daß Luftschadstoffe, die dem Wirkungsschwellenkonzept folgen, zwar bei einem überwiegenden Teil der Akzeptoren bestimmte identische Wirkungen zeigen, die zudem wissenschaftlich erforscht sind, jenseits dieser Gruppe aber Wirkungen erzielt werden können, die sich derzeitiger Kenntnis entziehen, so daß auch hier die soeben geschilderte Ungewißheitssituation mit der Konsequenz eines Gefahrenverdachts vorliegt.
(3) Erstreckung des Art. 2 II 1 GG auf gesamten Risikobereich Daraus folgt für das Wirkungsschwellenkonzept, daß für die Kategorie eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit jedenfalls dann kein Raum ist, wenn entweder die Schadensfolgen bekannt sind oder aber eine Situation völliger Ungewißheit besteht. Eine „klassische“ Gefahrensituation besteht daher nur, wenn der Ungewißheitsfaktor bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeit überbrückt werden kann. Danach wäre bei Anbindung des grundrechtlichen Gefährdungsschutzes an den einfach-rechtlichen Gefahrenbegriff in denjenigen Fällen des Gefahrenverdachts, in denen zwar eine Schädigungswahrscheinlichkeit nicht angegeben, ein Schaden nach dem Maßstab praktischer Vernunft gleichwohl nicht ausgeschlossen werden kann, ein Eingriff in Art. 2 II 1 GG stets zu verneinen und entsprechende Immissionen hieran nicht zu rechtfertigen. Gleiches gälte für diejenigen Fälle, in denen zwar eine Schädigungswahrscheinlichkeit angegeben werden kann, diese jedoch nicht „hinreichend“ ist. Nachfolgend soll demgegenüber gezeigt werden, daß die besseren Gründe dafür sprechen, jegliches Risiko jenseits des Restrisikos Art. 2 II 1 GG zu unterstellen:
(a) Gebot effektiven Grundrechtsschutzes Zunächst spricht das Gebot effektiven Grundrechtsschutzes496 dafür, daß es überhaupt Grundrechtsschutz im Vorfeld sicherer Schädigung geben muß, da ___________ 495
Hansmann, FS Sendler, S. 291, 295; ferner das Zitat von Antweiler bei Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 12: „Wegen der Variationsbreite menschlicher Reaktionen gegenüber chemischen Stoffen und der meist bestehenden Unmöglichkeit, diese in zureichender Exaktheit statistisch anzugeben, können die Grenzwerte nur in dem Sinne als unbedenkliche Werte bezeichnet werden, als ihr Nichtüberschreiten eine Gesundheitsschädigung nur in einzelnen Fällen extrem empfindlicher Personen erwarten läßt. Der von der Öffentlichkeit meist erwartete absolute Schutz ist heute und auch in Zukunft nicht möglich, weil von der Sache her nicht überwindbare Schwierigkeiten diese Erwartungen nicht erfüllen lassen ...“ 496 Streuer, S. 113; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (211).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ein Grundrechtsschutz, der erst an der eingetretenen Beeinträchtigung beginnt, angesichts möglicher irreparabler Schädigungen für Leben und körperliche Unversehrtheit absolut defizitär wäre. Solange drohende Schäden mit dem alltäglichen Erfahrungswissen des Polizeirechts bewältigt werden konnten497, war der polizeirechtliche Gefahrenbegriff als verfassungsrechtlicher Maßstab zwar durchaus tauglich. Dieser erweist sich jedoch angesichts der naturwissenschaftlichen Erkenntnisdefizite im modernen Umwelt- und Technikrecht als absolut unzureichend, weshalb das Verfassungsrecht auf diesen Befund reagieren muß. Die Erstreckung des grundrechtlichen Schutzes auf den Risikobereich ist somit nur die adäquate Antwort auf neue grundrechtliche Gefährdungslagen.
(b) Schwierigkeit der Bestimmung „hinreichender“ Wahrscheinlichkeit Ein weiteres Argument folgt aus der Schwierigkeit, im Einzelfall die „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit zu bestimmen; dazu folgendes Beispiel: Gesetzt den Fall, die Naturwissenschaften sähen sich in der Lage, die ungefähre Wahrscheinlichkeit einer immissionsbedingten Schädigungsfolge anzugeben. Ist dann erstens ein mittelschwerer Husten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 5.000 Gefahr? Gilt dies zweitens auch für einen leichten Husten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 10.000? Gilt dies drittens auch für einen leichten Hautausschlag mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 7.500?
Hier läßt sich ohne Rationalitätsverlust nicht begründen, ob und warum in einem dieser Fälle „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit vorliegt oder nicht. Daraus folgt, daß jedenfalls dann, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht mit solcher Sicherheit bestimmt werden kann, daß das gefundene Ergebnis den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine rationale und Überzeugungskraft vermittelnde Rechtsfindung entspricht, dieses Kriterium zur Erfüllung der Funktion einer verfassungsrechtlichen Maßstabsnorm untauglich ist. Entsprechend hat das einfache Recht – was im einzelnen noch darzustellen ist – einen Ausweg darin gefunden, die Gefahrenschwelle untergesetzlich, insbesondere in Umweltstandards zu konkretisieren, d. h. an die Stelle der Bestimmung der Gefahrenschwelle durch den Rechtsanwender im Einzelfall tritt ein normativer Dezisionsakt, wonach Schädigungsfolgen eines Schadstoffs x in der Dosis y in jedem Fall hinzunehmen sind und insofern ein entsprechendes Erkrankungsrisiko nicht hinreichend ist498. Dieser Weg mag für das einfache Recht gangbar ___________ 497 Dazu Lukes / Feldmann / Knüppel, S. 125 f.; zur Insuffizienz des tradierten Polizeirechts im modernen Umwelt- und Technikrechts demgegenüber Breuer, VVDStRL 48 (1990), S. 278 f. (Diskussionsbeitrag). 498 Entsprechend wird im Professorenentwurf zum UGB-AT (dazu unten 3. Teil S. 325 Fn. 129) die Abgrenzung zwischen „Gefahr“ und „Risiko“ über die dezisionistische Bewertung eines Risikos als nicht mehr hinnehmbar vorgenommen (an dieser Stelle nur Wahl / I. Appel, S. 96 f.; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 22).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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sein, führt jedoch für das Verfassungsrecht dazu, daß dieses für die Frage der Verfassungsmäßigkeit konkreter Grenzwerte seine Maßstabsfunktion verlöre. Schließlich sprechen für ein den gesamten Risikobereich einbeziehendes Verständnis diejenigen Gründe, die allgemein zur Vorzugswürdigkeit „weiter“ Tatbestandstheorien führen, da nur eine tendenziell weite Fassung des Grundrechtstatbestands sicherstellt, daß Wertungen zur Verkürzung des effektiven Grundrechtsschutzes nicht außerhalb der Eingriffsrechtfertigung vorgenommen werden; auf den hierdurch bewirkten Rationalitätsgewinn wurde bereits hingewiesen499.
bb) Immissionen außerhalb des Wirkungsschwellenkonzepts Im folgenden sollen exemplarisch die krebsverursachenden Immissionen betrachtet werden. Da bei diesen auch kleinste Mengen eine Erkrankung verursachen können und ein entsprechendes Schädigungsrisiko begründen, könnte ein vollständiger Risikoausschluß nur durch eine Nullemission bewirkt werden500. Gleiches gilt, wenn man die tatsächlich innerhalb eines Kollektivs eingetretenen Schädigungsfälle betrachtet, denn mit der Zulassung entsprechender Emissionen wird mit statistischer Gewißheit der Tod einer bestimmten Zahl von Menschen bewirkt501. Ausgehend von der tatsächlichen Belastungssituation in der Bundesrepublik Anfang der neunziger Jahre hat die Arbeitsgruppe „Krebsrisiko durch Luftverunreinigungen“ des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) für das Bundesgebiet ein durchschnittliches Risiko, durch Luftschadstoffe an Krebs zu erkranken, in Höhe von 1 : 2.500 errechnet502, welches differiert zwischen 1 : 5.000 in ländlichen und 1 : 1.000 in Ballungsgebieten. Das Risiko von 1 : 2.500 stellt dabei das (subjektive) Individualrisiko dar, dem umgerechnet ein Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko von 27 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner entspricht503. Fraglich ist, wie dieser Befund im Hinblick auf den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit zu bewerten ist504. ___________ 499
Dazu oben S. 62 ff. Böhm, Normmensch, S. 160; Kühling, ZUR 1994, 112 (112); dazu, daß diese zur vollständigen „Immobilität“ und zum „Verzicht auf menschliches Leben auf der Erde“ führen würde, Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 389; ähnlich Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft (alt) Nr. 2.2.1.5 Rn. 1; ders., FS Feldhaus, S. 202. 501 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 363. 502 Länderausschuß für Immissionsschutz, Beurteilungsmaßstäbe, S. 132 ff., 143 ff. 503 Dazu Böhm, Normmensch, S. 162; Franßen, S. 32 ff. 504 Das vom LAI errechnete Risiko ist rein deskriptiv als Bestandsaufnahme der tatsächlichen Belastungssituation in der Bundesrepublik zu verstehen (vgl. VGH BadenWürtt., NVwZ 1996, 297 [300] – Müllheizkraftwerk Ulm: „Die Arbeitsgruppe [scil.: des LAI] hat bei der Ableitung der Beurteilungsmaßstäbe bewußt darauf verzichtet, zur Fra500
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
(1) Individual- und Kollektivrisiko Zunächst könnte man die Eingriffsqualität krebsverursachender Immissionen nicht anhand der Wirkungen auf das Kollektiv – d. h. 27 (tödlichen) Erkrankungen auf 100.000 Einwohner (Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko) –, sondern allein anhand der Wirkungen auf den individuellen Grundrechtsträger bestimmen, d. h. nach dem errechneten subjektiven Individualrisiko von 1 : x. Läßt man in diesem Fall zur Aktivierung des Grundrechtsschutzes des Art. 2 II 1 GG nicht bereits wie soeben für den Bereich des Wirkungsschwellenkonzepts vertreten jegliches Risiko genügen, so stellt sich die im übrigen auch für das einfache Recht entscheidende Frage505, ob das genannte (subjektive Individual-) Risiko als „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit und damit als Gefahr zu beurteilen ist. Dafür könnte sprechen, daß es bei Krebserkrankungen immer (auch) um das Rechtsgut Leben geht und bereits eine minimale Eintrittswahrscheinlichkeit ausreichen kann, wenn der Schaden wie beim Verlust des Lebens außerordentlich hoch ist506. Demgegenüber scheinen Rspr. und Lit. auf dem Standpunkt zu stehen, daß eine Gefahr aufgrund des – absolut gesehen – geringen Wahrscheinlichkeitsgrads gerade nicht vorliegt507, was jedenfalls dann, wenn man den Schutz des Art. 2 II 1 GG von einer „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit abhängig macht, zu dem angesichts der Inkaufnahme sicherer Todesfälle bedenklichen Ergebnis führt, daß krebsverursachende Immissionen nicht an Art. 2 II 1 GG gemessen werden müßten. Bejaht man demgegenüber eine Aktivierung des Art. 2 II 1 GG bereits durch jegliches (subjektive Individual-) Risiko, wäre dieses zwar an Art. 2 II 1 GG zu rechtfertigen, aufgrund seiner geringen Höhe in erforderliche Abwägungen möglicherweise jedoch nur mit einem angesichts sicherer Todesfälle unangemessen geringen Gewicht einzustellen. Diesen Bedenken kann dadurch begegnet werden, daß man anstelle des subjektiven Individualrisikos entweder auf das objektive Individualrisiko abstellt oder aber auf das Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko, das im Fall der LAIZahlen in 27 sicheren Erkrankungsfällen auf 100.000 Einwohner besteht. Demgegenüber und in Abgrenzung zum subjektiven Individualrisiko betrachtet das ___________ ge Stellung zu nehmen, ab welchem Risiko eine Gesundheitsgefahr im Rechtssinne vorliegt, und zur rechtlichen Beurteilung dieser Frage das System der TA Luft grundsätzlich weiterhin für einschlägig gehalten ..., ohne sich zu den dort festgelegten Immissionswerten zu äußern. Sie hat sich unter Verwendung des Begriffs ‚Individualrisiko‘ ... sachlich mit einem ‚akzeptablen Kollektivrisiko‘ ... befaßt; gemeint ist ein mittleres ProKopf-Risiko bei homogenen Expositionsbedingungen für die gesamte Lebenszeit. Diese statistische Abstraktion besagt noch nichts über das Vorliegen einer Gefahr im immissionsschutzrechtlichen Sinn“). 505 Dazu im Kontext des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG unten 3. Teil S. 382 ff. 506 Dazu Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 809 f.; ferner Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 224; Kloepfer, FS BVerfG II, S. 87. 507 So VGH Baden-Württ., NVwZ 1996, 297 (302).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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objektive Individualrisiko die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Grundrechtsträger erkrankt und ist gleich 1, wenn mindestens ein Erkrankungsfall sicher ist508. Während das Abwehrrecht zutreffend im Sinne des subjektiven Individualrisikos zu rekonstruieren ist, da dem subjektiven Abwehranspruch auch nur die individuelle Betroffenheit korrelieren kann, ist für die staatliche Schutzpflicht deren Herleitung aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen509. Daher reicht es für die Aktivierung der objektiven Schutzverpflichtung im Sinne des objektiven Individualrisikos aus, daß irgendein Grundrechtsträger gefährdet oder geschädigt wird510, was bei krebsverursachenden Immissionen jedoch stets der Fall ist511.
(2) Konsequenzen Die geschilderte Aktivierung der objektiven Schutzpflicht führt zwingend dazu, daß jeglichen krebsverursachenden Immissionen bzw. entsprechenden einfach-rechtlichen Erlaubnisnormen Eingriffsqualität zukommt, weshalb die oben erörterte Frage, ob der Schutz des Art. 2 II 1 GG bereits durch jegliches Risiko ausgelöst wird, hier keine Rolle spielt. Im übrigen könnte bei einem Ab___________ 508
Zu dieser Unterscheidung Murswiek, Verantwortung, S. 151 ff. Dazu oben S. 47 ff. 510 So Murswiek, Verantwortung, S. 157: „Folgt aus Art. 2 II 1 GG die Verpflichtung des Staates, ... die Gefährdung von Leben und Gesundheit zu unterlassen, so kommt es nicht darauf an, ob … ein bestimmter Mensch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verletzt wird, sondern darauf, ob die Verletzung irgendeines Menschen wahrscheinlich ist. ‚Objektiv‘ besteht eine Lebensgefahr, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein beliebiger, nicht ein bestimmter Mensch getötet wird“ (Hervorh. vom Verf.). – Demgegenüber dürfte der subjektive Schutzanspruch (zu diesem oben S. 42 Fn. 9) aufgrund der geringeren individuellen Betroffenheit ebenfalls und entsprechend zum subjektiven Abwehranspruch im Sinne des subjektiven Individualrisikos zu rekonstruieren sein. Dies führt bei krebsverursachenden Immissionen zwar zu einem Auseinanderfallen von objektiver und subjektiver Schutzpflicht (dazu Murswiek, Verantwortung, S. 155 ff.; G. Hermes, S. 237; Krings, S. 232), was jedoch in der Konzeption objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte angelegt und daher verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Hält man im übrigen das subjektive Individualrisiko, durch Luftschadstoffe an Krebs zu erkranken, für zu gering, um bei staatlich verursachten Immissionen Art. 2 II 1 GG als Abwehrrecht zu aktivieren, kommt auch hier der staatlichen Schutzpflicht eine Auffangfunktion zu, die auch staatlich verursachte krebsverursachende Immissionen umfaßt. 511 Fraglich ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung des (höheren) Kollektivbzw. Bevölkerungsrisikos: Dieses ist neben dem objektiven Individualrisiko zwar nicht konstitutiv für die Aktivierung der objektiven Schutzpflicht, könnte diese aber verstärken, da es einen Unterschied macht, ob lediglich ein einzelner oder aber – etwa im Rahmen eines „Super-GAUs“ – zugleich tausende Grundrechtsträger betroffen sind; ablehnend zu dieser „Verstärkung“ Murswiek, Verantwortung, S. 154 ff. mit dem Argument, daß Art. 2 II 1 GG auch in seiner objektiven Dimension allein das Leben als individuelles Rechtsgut schütze (ebenso Krings, S. 232). 509
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
stellen allein auf das subjektive Individualrisiko die Eingriffstiefe der Zulassung krebsverursachender Immissionen angesichts der sicheren Todesfälle auch gar nicht angemessen erfaßt werden. Der Befund von auf das Kollektiv bezogen sicheren Schadensfällen scheint allgemein akzeptiert zu sein, was in dieser Deutlichkeit zwar selten ausgesprochen wird, jedoch den einschlägigen Ausführungen entnommen werden kann, in denen im Ergebnis von einer – im einzelnen allerdings kaum präzisierten – Erheblichkeitsschwelle statistischer Häufigkeit ausgegangen wird, unterhalb der sowohl ein entsprechendes subjektives Individual- als auch ein korrelierendes Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko hinzunehmen sei512. Daß zugunsten der Nutzung einer allgemein akzeptierten und von jedermann tagtäglich in Anspruch genommenen Technologie von der allgemeinen Rechtsüberzeugung eine gewisse Anzahl an Opfern in Kauf genommen wird, zeigt im übrigen das Beispiel des Kraftfahrzeugverkehrs, der jährlich mehrere Tausend Tote fordert und an dessen Zulässigkeit nicht ernsthaft gezweifelt wird513. Derartige Risikotragungspflichten müssen jedoch – dies ist die logische Konsequenz aus ihrem Eingriffscharakter – stets auf Schrankenebene am Maßstab des Art. 2 II 1 GG und unter Berücksichtigung der besonderen Wertigkeit dessen Schutzgüter der allgemeinen grundrechtlichen Rechtfertigungsprozedur unterzogen werden. Hierbei kann es innerhalb der Abwägung mit kollidierenden Interessen dann auch eine Rolle spielen, daß in der allgemeinen Rechtsüberzeugung – und anders kann der Konsens über die Verfassungsmäßigkeit des „Straßenverkehr(s) in seiner heutigen Form“514 nicht interpretiert werden – ungezielten, nicht gegen einen bestimmten Grundrechtsträger gerichteten Eingriffen in das Leben, bei denen zwar das objektive Individualrisiko gleich 1, das subjektive Individualrisiko jedoch ein Bruchteil hiervon ist, nicht dasselbe Gewicht zukommt wie gezielten, gegen einen bestimmten Grundrechtsträger gerichteten Eingriffen in das Leben515, die nur unter engen Voraussetzungen zulässig sind516. ___________ 512 So Hansmann, FS Feldhaus, S. 200; ähnlich Salzwedel, FS Redeker, S. 430; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 389, der die entsprechenden Emissionsgrenzwerte der TA Luft als „Zumutbarkeitswerte“ bezeichnet, die bestimmten, „welches Schadensrisiko dem einzelnen angesichts der erhofften Vorteile für das Allgemeinwohl zugemutet werden (könne)“; entsprechend fordert Köck (ZUR 2001, 201 [206]), die Gesellschaft müsse die Entscheidung treffen, welches „Krebsrisiko sie hinzunehmen bereit ist“. 513 Dazu Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, A 1, Rn. 61; ferner Eggstein, VBlBW 1995, 161 (165 ff., 171 f.); Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 203; restriktiver ders., Verantwortung, S. 286. – Das Beispiel des Kraftfahrzeugverkehrs ist insofern nicht vollständig mit krebsverursachenden Immissionen zu vergleichen, als der Verkehrsteilnehmer sein Risiko bis zu einem gewissen Grad selbst steuern kann, indem er selbst über das Ob der Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr und dessen Art und Weise entscheidet (dazu G. Hermes, S. 246; ähnlich Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 203). 514 So der Titel des Aufsatzes von Eggstein, VBlBW 1995, 161 ff. 515 Zu dieser Differenzierung Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 175 f.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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c) „Restrisiko“ als Grenze verfassungsrechtlichen Schutzes Wenn oben das Restrisiko als Grenze verfassungsrechtlicher Schutzpflichten benannt wurde, so scheint dies in der Lit. zwar allgemein konsentiert zu sein, jedoch ist zu beachten, daß zu dessen Bestimmung teilweise wertende Kriterien herangezogen werden517. Nach den obigen Ausführungen sind derartige Wertungen jedoch als solche offenzulegen und systematisch der Eingriffsrechtfertigung, insbesondere am Maßstab der Verhältnismäßigkeit, vorbehalten518. Das Restrisiko kann daher nicht danach bestimmt werden, was dem Einzelnen noch zugemutet werden darf, sondern nur danach, was bei vernünftiger Betrachtung unter Heranziehung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse und jenseits rein theoretischer Möglichkeiten nicht mehr als Risiko erkannt werden kann, was dem Maßstab „praktischer Vernunft“ entspricht519. Wahrt man diesen erkenntnistheoretischen Bezug, ist das Restrisiko ein unbedenkliches Mittel zur Bestimmung der äußersten Grenzen des grundrechtlichen Risikoschutzes. Die Bedenklichkeit dieses Kriteriums beginnt demgegenüber dort, wo es wertend mit Gesichtspunkten der Eingriffsrechtfertigung aufgeladen wird520. ___________ 516
So beim gezielten polizeilichen Todesschuß; zu dessen Zulässigkeit Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 85; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 38. 517 Ausdrücklich wird eine wertende Bestimmung des hinzunehmenden Restrisikos vorgenommen von denjenigen Autoren, die Art. 2 II 1 GG unter den „Vorbehalt sozialadäquater zivilisatorischer Risiken“ stellen (so Degenhart, S. 148 und passim) oder nach eigentumsrechtlichen Vorbildern eine „Situationsgebundenheit“ postulieren (so Schmidt-Aßmann, AöR 106 [1981], 205 [214]). Gegen diese Auffassung ist zutreffend vorgebracht worden, daß derartige Wertungen als solche offenzulegen und der Eingriffsrechtfertigung vorbehalten sind (vgl. Dietlein, Schutzpflichten, S. 108: Die Bewertung bestimmter Gefahrenlagen als „sozialadäquat“ sei „immer nur das Ergebnis der Anwendung rechtlicher Kriterien ..., nicht aber das Kriterium selbst“; ebenso Szczekalla, S. 369; G. Hermes, S. 239 f., 241 ff.; Pietrzak, JuS 1994, 748 [750]). – Wenn demgegenüber das BVerfG in der Kalkar I-Entscheidung ebenfalls eine Verknüpfung von „Restrisiko“ und „Sozialadäquanz“ vornimmt, so wird das Restrisiko dennoch nicht aus der „Sozialadäquanz“ gefolgert, sondern umgekehrt dasjenige Risiko, das nach „praktischer Vernunft“ (dazu sogleich oben im Text) hinzunehmen ist, insofern als „sozialadäquat“ bezeichnet (BVerfGE 49, 89 [143]). Damit ist die Sozialadäquanz gerade nicht Kriterium, sondern Chiffre für ein nach anderen Kriterien gefundenes Ergebnis. 518 Ebenso Jaeckel, S. 87; Borowski, S. 258 f. 519 Grundlegend BVerfGE 49, 89 (143) – Kalkar I: „Vom Gesetzgeber ... eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden“ (Hervorh. vom Verf.); vgl. Stoll, S. 154 f. 520 Diese Problematik ist in der Kalkar I-Entscheidung selbst angelegt, da das BVerfG den erkenntnistheoretischen Geltungsgrund des Restrisikos nicht strikt durchhält und auch solche Risiken der Atomkraft unter das Restrisiko faßt, die keinesfalls jen-
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
5. Nichtvorliegen eines Eingriffs in Ausnahmefällen Durch die Einbeziehung jeglicher individueller Empfindlichkeit in den Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG wird prima facie ein möglicherweise zu weit gehender Schutz vor Immissionen gewährt, so daß fraglich ist, ob dieser nicht bereits durch wertende Beschränkung des Eingriffsbegriffs zu reduzieren ist. Eine solche Notwendigkeit könnte insbesondere unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Dimension immissionsschutzrechtlicher Nutzungskonflikte folgen, da die Anlagenbetreiber aufgrund der Ortsgebundenheit ihrer Anlage einer in ihren Einwirkungsbereich tretenden überdurchschnittlich empfindlichen Person nicht ausweichen können, während diese umgekehrt durch Unterlassen des Zuzugs eine Aktivierung ihrer individuellen Prädispositionen vermeiden kann. Dahinter steht allgemeiner die Erkenntnis, daß neben der ubiquitär vorhandenen und keiner bestimmten Anlage zurechenbaren Immissionsbelastung viele Immissionen nur in einem räumlich begrenzten Bereich Wirkung entfalten und sich immissionsbedingte Beeinträchtigungen des Art. 2 II 1 GG stets auf dem Hintergrund einer konkreten räumlichen Belastungssituation ergeben521. Daher macht es einen Unterschied, ob ein Mensch an Orten in seinen Schutzgütern aus Art. 2 II 1 GG beeinträchtigt wird, die zum regelmäßigen Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, oder ob er an Orten betroffen wird, die er ohne Aufgabe eigener Rechte vermeiden kann522. Die entscheidende Frage ist damit, ob ein Einzelner, der sich nachträglich freiwillig in den Einwirkungsbereich einer An___________ seits der „Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens“ liegen (für ein wertendes Verständnis der praktischen Vernunft ferner Benda, Risiken, S. 7 f.). 521 So zutreffend Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (213); ihm zustimmend Petersen, S. 75. – Nicht gefolgt werden kann Schmidt-Aßmann demgegenüber in der Postulierung einer Situationsgebundenheit auch der Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG, die sich generell „schutzmindernd“ oder „schutzerhöhend“ auswirken könne (AöR 106 [1981], 205 [214]; auch hier zustimmend Petersen, S. 76). Richtigerweise kann diese Art. 14 GG entlehnte Konstruktion nicht ohne weiteres auf Art. 2 II 1 GG übertragen werden (ebenso G. Hermes, S. 241 ff.; Wulfhorst, Schutz, S. 104 f.), da Art. 2 II 1 GG wie kein anderes Grundrecht an außerrechtliche Zustände anknüpft; entsprechend wirkt sich der von Schmidt-Aßmann im Grundsatz zutreffend erkannte Zusammenhang zwischen Art. 2 II 1 GG und konkreten räumlichen Belastungssituationen denn auch in anderer Weise als in einer generellen Schutzminderung oder -erhöhung aus; dazu und zum Standort in der Grundrechtsprüfung sogleich oben im Text. 522 Dazu Wulfhorst, NuR 1995, 221 (225) – Diese Weichenstellung liegt auch dem BImSchG zugrunde, wonach die Bestimmung dessen, wer maßgeblicher Akzeptor ist, über die Begriffe der „Allgemeinheit“ und der „Nachbarschaft“ in § 3 I BImSchG erfolgt: Während „Allgemeinheit“ alle Personen umfaßt, die nicht zur „Nachbarschaft“ gehören, zählen zur „Nachbarschaft“ nur diejenigen Personen, die sich regelmäßig im Einwirkungsbereich der Anlage aufhalten oder Rechte an dort befindlichen Sachen haben (Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 6a; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 34). Damit ist ein qualifiziertes Betroffensein erforderlich, das sich „deutlich abhebt von den Auswirkungen, die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können“ (BVerwG, NJW 1983, 1507 [1508]).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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lage begibt und dadurch überhaupt erst einen Nutzungskonflikt auslöst, sich dennoch auf Art. 2 II 1 GG berufen kann mit der Folge, daß jetzt seine Empfindlichkeit maßgeblich ist523. Geht man davon aus, daß dieses Verhalten zumindest mitursächlich für die jetzige Belastungssituation ist, könnte ein Grundrechtsverzicht angenommen werden, der zur Folge hätte, daß die Beeinträchtigung von Leben und körperlicher Unversehrtheit keiner weiteren Rechtfertigung bedarf524. Es dürfte in der vorliegenden Konstellation jedoch regelmäßig an der freiwilligen Willensentscheidung des Grundrechtsträgers fehlen, die allgemein für einen Grundrechtsverzicht verlangt wird525, zumal dann, wenn dem Grundrechtsträger im Zeitpunkt des Zuzugs die Möglichkeit der Aktivierung seiner besonderen Empfindlichkeit gar nicht bewußt war. Auch wenn damit ein rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff im Ergebnis nicht ausgeschlossen wird, behalten die geschilderten Wertungen dennoch ihre Bedeutung und können im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung schutzmindernd berücksichtigt werden526. Da im Fall des nachträglichen Zuzugs der besonders empfindlichen Person ihr im Gegensatz zum Fall, daß sie bereits vor der emittierenden Anlage vorhanden war, ein Wegzug bzw. erneuter Umzug auch angesichts der Artt. 11, 12 und 14 GG regelmäßig zumutbar sein wird, ist ihr – macht sie hiervon keinen Gebrauch – im Gegenzug auch das bestehende Immissionsniveau regelmäßig zumutbar. Die ___________ 523
Dieser Fall ähnelt den in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht ausführlich diskutierten Fällen der „heranrückenden Wohnbebauung“, entspricht ihm wertungsmäßig jedoch in einem entscheidenden Punkt nicht, da der vorhandene Emittent („Schweinemäster“) die heranrückende Wohnbebauung rechtlich abwehren kann, wenn entsprechende Bebauungspläne an einem Abwägungsmangel leiden, der auch die Bauvorhaben rechtswidrig macht. Demgegenüber kann ein Emittent den Zuzug einer besonders empfindlichen Person unter keinem rechtlichen Aspekt abwehren. – Abzugrenzen ist hiervon der Fall, daß die emittierende Nutzung an die bereits vorhandene besondere Empfindlichkeit heranrückt; hier ist auf die zeitliche Priorität abzustellen, zumal einem Betroffenen auch bei bestehenden Selbsthilfemöglichkeiten (zu diesen G. Hermes, S. 245 f.; Böhm, Normmensch, S. 123) nach Art. 11 I GG (u. U. auch Artt. 12 I, 14 GG) regelmäßig nicht zugemutet werden kann, nachträglich wegzuziehen (G. Hermes, S. 245; Böhm, Normmensch, S. 123). – Gleichwohl kann in diesem Fall die Geltendmachung der besonderen Empfindlichkeit ausgeschlossen sein, wenn der Betroffene im förmlichen Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG nach § 10 III 3 BImSchG materiell präkludiert ist (ebenso Wulfhorst, NuR 1995, 221 [225]; zu den Rechtsfolgen des § 10 III 3 BImSchG Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 10 Rn. 157 ff.). 524 Zu dieser Rechtsfolge des Grundrechtsverzichts nur Sachs, VerfR II, A 8 Rn. 36. 525 H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 131; Sachs, VerfR II, A 8 Rn. 41; Stern, in: Stern III / 2, S. 914. – Dies gilt auch dann, wenn man einen konkludenten Grundrechtsverzicht für möglich hält (dazu Stern, in: Stern III / 2, S. 914). 526 Ein Eingriff kann demgegenüber verneint werden bei „hochgradig empfindlichen“ Personen (Wulfhorst, Schutz, S. 136 f.), die in einer Weise anfällig sind, daß Beeinträchtigungen auch durch völlig „umweltadäquate“ Einflüsse hervorgerufen werden; hier können Schädigungsfolgen einer konkreten Immissionssituation nicht mehr zugerechnet werden (so Wulfhorst, Schutz, S. 136 f.; ders., NuR 1995, 221 [226]).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
hier favorisierte „Abwägungslösung“ bewirkt jedoch, daß auch Fälle denkbar sind, in denen das Interesse der besonders empfindlichen Person am Verbleib am neuen Wohnort so gewichtig ist, daß von den Emittenten auch solche (verhältnismäßigen) Emissionsminderungen verlangt werden können, die – ohne das Immissionsniveau generell hieran auszurichten – den Schutz der besonders empfindlichen Person gegenüber dem Normalniveau erhöhen. Die räumliche Dimension von Immissionskonflikten bietet somit unter Heranziehung des Prioritätsgrundsatzes einen tauglichen Ansatz zur Entschärfung der Folgeproblematik, die aus der Einbeziehung jeglicher individueller Prädisposition in Art. 2 II 1 GG entsteht, ohne jedoch generell dessen Schutzgüter einer „Situationsgebundenheit“ zu unterstellen.
III. Eingriffsrechtfertigung 1. Eingriffsrechtfertigung und einfach-rechtliche Ausgestaltung Betrachtet man die Ausgestaltung des einfach-rechtlichen Immissionsschutzes durch die Grundpflichten des BImSchG527, so erscheint fraglich, ob überhaupt Konstellationen existieren, in denen die Ebene der Eingriffsrechtfertigung betreten werden muß. So normiert § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG die „Schutz-“ oder „Abwehrpflicht“528, nach der genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, daß „schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können“529. Diese Formulierung wird von der h. M. als strikter und kategorischer Vermeidungsstandard interpretiert, wonach § 3 I BImSchG die Obergrenze zulässiger Immissionen bilde530. Danach wäre jeglicher Schaden für Art. 2 II 1 GG einfach-rechtlich ausgeschlossen, und bei einer diesen Anforderungen entsprechenden Immission läge ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff gerade nicht vor. Ähnlich umschiffte man die Eingriffsrechtfertigung, wenn man den Schutz des Art. 2 II 1 GG jenseits sicherer Schädigungen mit dem einfachrechtlichen Gefahrenbegriff gleichsetzt. Dies ist nach den obigen Ausführungen jedoch abzulehnen, so daß auch die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ___________ 527
Zur Bedeutung der Grundpflichten unten 3. Teil S. 296 ff. Im folgenden wird diese im Anschluß an Roßnagel (GK-BImSchG, § 5 Rn. 142) in Abgrenzung zur grundrechtlichen Schutzpflicht als „Abwehrpflicht“ bezeichnet. 529 Zur Abwehrpflicht im einzelnen S. 375 ff. 530 Während die h. M. von einem absoluten Vermeidungsstandard des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ausgeht, wonach eine tatbestandliche „Gefahr“ ohne Relativierung abzuwehren sei (so Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 166, 324; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 22; Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 9; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 40), wird vereinzelt vertreten, daß auch die Abwehrpflicht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit stehe und offen sei für die abwägende Berücksichtigung gegenläufiger Belange (so Petersen, S. 160 ff.). – Dazu unten 3. Teil S. 319 ff. und S. 392 ff. 528
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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in folgenden Konstellationen einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art. 2 II 1 GG nicht ausschließt:
a) Immissionen unterhalb der Gefahrenschwelle Zunächst verhindert § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG solche Immissionen nicht, deren Risiko unterhalb der Gefahrenschwelle angesiedelt ist, da das Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG eine tatbestandliche „Gefahr“ voraussetzt. Derartige Immissionen werden einfach-rechtlich allein durch die im 3. Teil darzustellende Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG erfaßt, die einem grundsätzlich relativen Vermeidungsstandard am Maßstab der Verhältnismäßigkeit unterliegt531. Sind danach Immissionen im bloßen Risikobereich grundsätzlich zulässig, müssen diese verfassungsrechtlich gleichwohl einer Eingriffsrechtfertigung am Maßstab des Art. 2 II 1 GG unterzogen werden, so daß dieser verfassungsrechtliche Maßstab seinerseits zur Bestimmung des Vermeidungsstandards der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG herangezogen werden kann und muß.
b) Berücksichtigung unterschiedlicher individueller Empfindlichkeiten Eine weitere Notwendigkeit, den Bereich der Eingriffsrechtfertigung zu betreten, ergibt sich aufgrund der Problematik unterschiedlich empfindlicher Akzeptoren. Da die h. M. von der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit auf einer wertenden Verengung des Gefahrenbegriffs des § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG beruht, fallen einfach-rechtlicher Gefahrenbegriff und Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG auseinander, da danach ein Schaden für Leben oder körperliche Unversehrtheit einer besonders empfindlichen Person dann nicht „Gefahr“ i. S. des § 3 I BImSchG ist, wenn eine solche für einen „Durchschnittsmenschen“ nicht hervorgerufen wird. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG kann daher dem Anspruch, rechtfertigungsbedürftige Grundrechtseingriffe nicht zu produzieren, nur gerecht werden für Personen, die auch einfach-rechtlich maßstäblich für den Gefahrenbegriff sind, nicht jedoch für solche, die von vornherein aus diesem ausgeblendet werden. Dieser Nivellierungseffekt zeigt sich noch viel deutlicher, wenn das hinzunehmende Immissionsmaß einfach-rechtlich über untergesetzliche Umweltstandards bestimmt wird532: Legen diese für einen Schadstoff x einen Grenzwert y so fest, daß ausgehend von einer bekannten Wirkungsschwelle Schädigungsfol___________ 531 532
Zum Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht unten 3. Teil S. 407 ff. Zum Regelungsmodell untergesetzlicher Umweltstandards unten 3. Teil S. 468 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gen nicht zu erwarten sind, so endet der Bereich, in dem ein rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff nicht begründet wird, mit dem Geltungsbereich dieser Wirkungsschwelle. Existiert auch nur eine Person, für die gleichwohl eine Schädigungsfolge begründet wird, so muß dieser Grenzwert einer Eingriffsrechtfertigung am Maßstab des Art. 2 II 1 GG unterzogen werden. Diese Maßstabsdivergenz zwischen Verfassungsrecht und dem einfachen Immissionsschutzrecht in der Auslegung der h. M. wirft Folgeprobleme auf, die hier nur angerissen werden können und im 3. Teil vertieft werden:
aa) Konsequenzen für untergesetzliche Umweltstandards Umweltstandards in Form von Grenzwerten o. ä. bezwecken die Vereinfachung und Generalisierung des zugrundeliegenden Sachverhalts533, indem die Rechtsfolgen nur noch durch die Subsumtion unter einen Zahlenwert bestimmt werden. Dem entspricht, daß mit diesem Zahlenwert ein einheitlicher, individuelle Besonderheiten bereits im Ansatz ausblendender Vermeidungsstandard geschaffen wird534. Werden hier bei ansonsten unbedenklicher Wirkungsschwelle bei einem überdurchschnittlich empfindlichen Akzeptor gleichwohl Auswirkungen hervorgerufen, die einer Eingriffsrechtfertigung am Maßstab des Art. 2 II 1 GG zu unterwerfen sind, so könnte dieser Grenzwertbestimmung jedenfalls grundsätzlich – d. h. ungeachtet der noch zu erörternden Rechtsformproblematik535 – Schrankeneigenschaft i. S. des Art. 2 II 3 GG zukommen, weshalb danach unterschieden werden muß, ob die Eingriffsrechtfertigung gelingt oder nicht. Gelingt sie bezogen auf diesen konkreten Akzeptor, stellt zumindest für diesen der Grenzwert eine verfassungsmäßige Grundrechtsschranke dar und es bedarf einfach-rechtlich keiner „Ergebniskorrektur“. Gelingt die Eingriffsrechtfertigung nicht, ist der Grenzwert und die durch ihn begründete Immissionstragungspflicht jedenfalls bezogen auf diesen Akzeptor verfassungswidrig, und es ist weiter zu fragen, welche Rechtsfolgen daraus für die gesamte Grenzwertbestimmung resultieren: Würde man hier das Nichtigkeitsdogma bei verfassungswidrigen Rechtsnormen zur Anwendung bringen, wäre der Grenzwert in toto nichtig und unwirksam bezogen auf jeden möglichen Anwendungsfall. Dieses Ergebnis sieht sich jedoch gewichtigen Einwänden ausgesetzt: Zunächst stünde jede Grenzwertsetzung, auch wenn sie von noch so konservativen Annahmen ausgeht, unter dem ___________ 533
Hansmann, FS Sendler, S. 295 f.; Steinebach, S. 15 ff. Zur Diskrepanz zwischen grundrechtlichem Individualschutz und der nivellierenden Wirkung von Umweltstandards plastisch Hansmann, FS Sendler, S. 295; ferner Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 1; Ch. Müller, S. 119. 535 Dazu – insbesondere im Hinblick auf Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG – unten S. 210 ff. 534
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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latenten Vorbehalt, daß irgendwo ein Akzeptor mit entsprechend empfindlicher Konstitution gefunden wird, allein dessen Existenz zur Nichtigkeit des Grenzwerts führen könnte. Da die Existenz derartiger Personen regelmäßig nicht einmal annäherungsweise abzuschätzen ist, wäre es kaum noch möglich, Umweltstandards zu setzen, die sich nicht plötzlich als nichtig herausstellen können. Dieses Argument gewinnt durch die räumliche Dimension von Immissionskonflikten an Gewicht, da die meisten Immissionen in ihrer Wirkung auf die Umgebung der Anlage beschränkt sind. Daher ist es nach Art. 2 II 1 GG jedenfalls nicht geboten, daß ein Grenzwert, dessen Verfassungsmäßigkeit bezogen auf die Umgebungssituation einer konkreten Anlage erwiesen ist, nur deshalb nichtig sein soll, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß irgendwo und außerhalb dieses Bereichs eine Person vorhanden ist, an deren Maßstab der Grenzwert verfassungswidrig wäre536. Geboten ist daher eine geltungserhaltende Reduktion des „an sich“ verfassungsmäßigen Grenzwerts. Diese könnte dadurch erfolgen, daß nicht dessen Nichtigkeit angenommen wird, sondern lediglich seine Nichtanwendbarkeit auf den konkreten Fall, der dann anhand der gesetzlichen Bestimmungen zu entscheiden wäre.
bb) Konsequenzen für gesetzliche Grundpflichten Wird die Zulässigkeit der Immission demgegenüber einzelfallbezogen über die gesetzlichen Grundpflichten i. V. m. § 3 I BImSchG bestimmt, entstehen Koordinationsschwierigkeiten anderer Art: Da der definitiv von Art. 2 II 1 GG gewährte Schutz stets das Ergebnis von Schutzbereich und Schranken ist, entscheidet die Berührung des Schutzbereichs allein nicht über den effektiven Grundrechtsschutz, sondern es sind zusätzlich die einfach-rechtlichen Schrankenbestimmungen – hier § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG – zu betrachten. Dieser knüpft die Schutzgewährung als Rechtsfolge nach § 3 I BImSchG jedoch allein an das Vorliegen einer „Gefahr“. Würde man eine solche allein deshalb bejahen, weil der Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG auch bei besonders empfindlichen Personen eröffnet ist, würde einfach-rechtlich ein Schutz gewährt, der verfassungsrechtlich weder stets geboten noch angesichts entgegenstehender Grundrechte stets zulässig wäre. Zu beachten ist vielmehr die strukturelle Verschiedenheit des verfassungsrechtlichen und einfach-rechtlichen Immissionsschutzes: Während in der grundrechtlichen Prüfung die Schutzwürdigkeit einer überdurchschnittlichen Empfindlichkeit am Anfang, der definitive Schutz hingegen am Ende der Prüfung steht, fallen im Rahmen des § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG beide Stufen im Gefahrenbegriff zusammen. ___________ 536 Dies entspricht in Modifizierung von Böhm (Normmensch, S. 138, 292) einer relativen und räumlich beschränkten Meistbegünstigung (dazu oben S. 143 ff.).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Dieser Befund stellt den hier verfolgten Ansatz, auch überdurchschnittliche Empfindlichkeiten in den Schutz des Art. 2 II 1 GG einzubeziehen, nicht grundsätzlich in Frage, sondern verlangt vielmehr nach einer Auslegung des einfachen Rechts, die den Schutz überdurchschnittlich empfindlicher Personen jenseits von Alles-oder-Nichts-Lösungen sowohl dort gewährt, wo er verfassungsrechtlich geboten ist, als auch dort versagt, wo er verfassungsrechtlich unzulässig ist. Solange dieser Schutz verfassungsrechtlich nicht geboten ist, steht auch einer Auslegung des einfachen Rechts im Sinne der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit nichts entgegen. Somit fokussiert sich die Problematik auf das einfache Recht, und es ist zu fragen, inwieweit dieses einen Schutz auch über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus gewährt. Hierauf ist im 3. Teil im einzelnen zurückzukommen537.
c) Bedeutung der Nichtzitierung des Art. 2 II 1 GG im BImSchG Zu klären ist an dieser Stelle ferner, wie es sich auswirkt, daß Art. 2 II 1 GG im BImSchG i. S. des Art. 19 I 2 GG nicht als eingeschränktes Grundrecht zitiert wird. Dies kann mehrere Ursachen haben: So könnte der Gesetzgeber davon ausgegangen sein, daß das BImSchG rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in Art. 2 II 1 GG nicht begründet, mithin das BImSchG kein Schrankengesetz i. S. des Art. 2 II 3 GG ist538. In diesem Fall könnte – will man die Nichtigkeit entsprechender Regelungen des BImSchG vermeiden539 – die Notwendigkeit bestehen, Regelungen des BImSchG, die Aussagen über das hinzunehmende Immissionsmaß treffen, so zu interpretieren, daß rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in Art. 2 II 1 GG von vornherein nicht bewirkt werden. Dieser Weg ist nach den bisherigen Ausführungen jedoch allenfalls gangbar für überdurchschnittliche Empfindlichkeiten, nicht jedoch für die Begründung von Immissionstragungspflichten im bloßen Risikobereich540. Ein weiterer Grund für die Nichtzitierung des Art. 2 II 1 GG könnte jedoch darin bestehen, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß bereits die allgemeinen Voraussetzungen des Zitiergebots nicht vorliegen, so daß über die ___________ 537
Dazu unten 3. Teil S. 337 ff. Dazu, daß Art. 2 II 1 GG zu den zitierbedürftigen Grundrechten gehört, oben S. 122 ff.; ferner Jarass, in: J / P8, Art. 19 Rn. 3. – Zur Anwendung im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht oben S. 122 ff. 539 Zu dieser Rechtsfolge nur Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 17. 540 Wollte man umgekehrt aus diesem Grund den Grundrechtsschutz im Risikobereich aus Art. 2 II 1 GG ausklammert, stünde dies im Widerspruch zur oben gefundenen verfassungsrechtlichen Auslegung und liefe auf eine „gesetzeskonforme“ Auslegung der Verfassung hinaus (in diese Richtung aber Lawrence, S. 88 ff. zur Verfassungsmäßigkeit des AtomG a. F.). 538
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Schrankeneigenschaft keine Aussage getroffen wäre. Dieser Ansatz ist auch erfolgversprechend, da die Voraussetzungen des Zitiergebots nach allgemeiner Ansicht in Rspr. und Lit. sehr restriktiv gefaßt werden541. Insbesondere ist das Zitiergebot danach nicht anwendbar, wenn ein Gesetz nur bestehende Grundrechtsbeeinträchtigungen unverändert oder mit geringfügigen Abweichungen wiederholt542, was im Fall des BImSchG einschlägig sein könnte: So stellte das 1974 in Kraft getretene BImSchG543 als erstes modernes Umweltgesetz einerseits eine epochemachende Neukodifikation dar, stand andererseits bezüglich der zu regelnden Lebenssachverhalte jedoch in einer nahtlosen Kontinuität mit der früheren, im Kern zudem vorkonstitutionellen544 Gewerbeordnung545. So ist das Phänomen „luftverpestender“ Industriebetriebe trotz neuer Anlagentypen, Einsatzstoffe und Fertigungsprozesse bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gegenstand rechtlicher Regelungen546, die bis 1974 eine erstaunliche Kontinuität aufwiesen. Die entscheidende Neuerung bestand vielmehr allein darin, daß der Schutz vor Immissionen durch Schaffung der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG ausgeweitet und damit mögliche Eingriffe in Art. 2 II 1 GG vermindert wurden. Da das BImSchG somit neue Eingriffslagen nicht begründet und bestehende nur eingeschränkt fortführt, konnte von der Zitierung des Art. 2 II 1 GG abgesehen werden547, und es besteht keine Notwendigkeit zu einer Auslegung, wonach Eingriffe in Art. 2 II 1 GG bereits im Ansatz vermieden werden.
___________ 541 Vgl. nur BVerfGE 28, 36 (46); 35, 185 (188 f.); aus der Lit. nur Jarass, in: J / P8, Art. 19 Rn. 5; Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 15. 542 BVerfGE 5, 13 (16); 15, 288 (293); 16, 194 (199 f.); 35, 185 (188 f.); 61, 82 (113); zustimmend Jarass, in: J / P8, Art. 19 Rn. 5; kritisch Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 17; Sachs, VerfR II, A 10 Rn. 15. 543 Das BImSchG wurde am 15. 3. 1974 ausgefertigt und am 21. 3. 1974 verkündet (BGBl. I, 721 / 1193) und trat im Wesentlichen am 1. 4. 1974 in Kraft (dazu Jarass, BImSchG6, Einl Rn. 1, § 74 Rn. 1). 544 Dazu, daß auch gegenüber vorkonstitutionellen Gesetzen das Zitiergebot nicht greift, BVerfGE 2, 121 (122 f.); 5, 13 (16); 28, 36 (46); Stern, in: Stern III / 2, S. 751; Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 17. 545 Zur Entwicklung des BImSchG aus der GewO nur Feldhaus, Bilanz, S. 9 ff. 546 Instruktiv aus dem Blickwinkel der Umweltrechtsgeschichte Kloepfer, UmweltR3, § 2 Rn. 15 ff., 25 ff. (ebd. insbesondere Rn. 26 dazu, daß „saurer Regen“ und Smog [„Rauchplage“] bereits um 1900 als das wesentliche Problem der Luftverschmutzung angesehen wurden); ferner Feldhaus, Geschichte, S. 17. 547 Entsprechend hielt das BVerfG in der Sasbach-Entscheidung das Zitiergebot bezüglich der Präklusionsregelung des § 7 AtomG (a. F.) unter Verweis auf vergleichbare überkommene (immissionsschutzrechtliche!) Regelungen in der Gewerbeordnung für nicht anwendbar (BVerfGE 61, 83 [113]), obwohl für das Atomrecht Vorgängerregelungen selbst bei einem weiten Verständnis nicht existierten.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
2. Materielle Eingriffsrechtfertigung durch Gemeinwohlbelange Im folgenden werden in Abweichung vom herkömmlichen Prüfungsschema zunächst die materiellen Voraussetzungen der Eingriffsrechtfertigung betrachtet, da die formellen Voraussetzungen in mehrfacher Hinsicht von diesen abhängig sind. Zunächst wird als Grundmodell die bipolare Eingriffsrechtfertigung durch eingriffslegitimierende Gemeinwohlbelange betrachtet, die nicht nur beim Abwehrrechts die ausschließliche Form der Eingriffsrechtfertigung bildet, sondern wie aufgezeigt auch im Rahmen der Schutzpflicht zur Anwendung kommt548 und dort durch Einbeziehung der Emittentengrundrechte zur tripolaren Eingriffsrechtfertigung erweitert wird (nachfolgend 3.). Abschließend wird unter 4. auf die Problematik unterschiedlicher Empfindlichkeiten im Rahmen des Art. 2 II 1 GG eingegangen.
a) Eingriffslegitimierende Gemeinwohlbelange Zunächst setzt eine Eingriffsrechtfertigung durch Belange des Gemeinwohls voraus, daß der Gesetzgeber auf einer ersten Stufe überhaupt Belange definiert hat, die geeignet sind, Eingriffe in Leben und körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen549. Als solche werden genannt gesicherte Energieversorgung, Pflege der Volksgesundheit, Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Wohlstandsvorsorge550. Diese Belange müssen dann auf einer zweiten Stufe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden, die sowohl im abwehr- als auch im schutzrechtlichen Kontext als Zweck-Mittel-Relation zur Anwendung kommt: „Zweck“ ist die Verwirklichung des Gemeinwohlbelangs, „Mittel“ der konkrete Eingriff in Art. 2 II 1 GG bzw. die konkrete Schutzreduktion. Inhaltlich ist zu fragen, ob dem Gemeinwohlbelang ein so hinreichendes Gewicht zukommt, daß der konkrete Eingriff bzw. die konkrete Schutzreduktion noch angemessen erscheint. Das danach zulässige Maß an Eingriffen bildet zugleich dasjenige Mindestmaß an Beeinträchtigung, das auch im Rahmen der schutzrechtlichen Eingriffsrechtfertigung stets zulässig ist. Dies gilt uneingeschränkt, wenn die schutzrechtlich zusätzlich zu berücksichtigenden kollidierenden Grundrechte im Einzelfall eine weitergehende Immissionsverursachungsbefugnis begründen; hier spielen die Gemeinwohlbelange im Ergebnis keine Rolle. Dies gilt jedoch eben___________ 548
Dazu oben S. 111 ff., 120 ff. Zur legislativen Zwecksetzungskompetenz oben S. 84 Fn. 198. 550 G. Hermes, S. 247; Bock, S. 186 f.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 135; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 92; Petersen, S. 111; Hansen-Dix, S. 148 f. – Das BVerfG sieht etwa die Sicherung der Energieversorgung als „Gemeinschaftsgut höchsten Ranges“ an (BVerfGE 30, 292 [323]; 91, 186 [206] – Kohlepfennig). 549
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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so, wenn die grundrechtlich gerechtfertigten Beeinträchtigungen hinter den durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigten zurückbleiben; hier erfolgt die maßgebliche Eingriffsrechtfertigung ausschließlich durch letztere und es liegt der Fall vor, daß die staatliche Schutzpflicht über das Kollisionsmodell hinaus beschränkt wird.
aa) Ausgestaltung durch das BImSchG Im folgenden ist zunächst zu klären, ob das BImSchG von der Definition entsprechender Gemeinwohlbelange überhaupt Gebrauch gemacht hat, da anderenfalls jede Begründung von Immissionstragungspflichten von vornherein verfassungswidrig sein könnte. Auszugehen ist von § 1 I BImSchG, der als Zweck des BImSchG lediglich nennt, Menschen etc. vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu „schützen“ und dem „Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“551, während in anderen Umweltschutzgesetzen auch Förderzwecke genannt sind552. Dieses Fehlen eines ausdrücklichen Förderzwecks hat teilweise zu dem plakativen Satz geführt, das BImSchG sei ausschließlich ein Immissionsschutzgesetz und kein Immissionsermöglichungsgesetz553. Falsch ist dies bereits insofern, als das BImSchG keinen absoluten Schutz vor Immissionen gewährt, sondern eine differenzierte Regelung zulässiger und unzulässiger Immissionen trifft. Da Schutz vor Immissionen und zulässige Immissionsverursachung stets zwei Seiten derselben Medaille sind, ist das BImSchG immer dann auch Immissionsermöglichungsgesetz, wenn im Einzelfall eine Immission zulässig ist554. Dies findet eine verfassungsrechtliche Bestätigung darin, daß immer dann, wenn im Rahmen des Art. 2 II 1 GG die Eingriffsrechtfertigung betreten werden muß, diese zwingend an Zwecken auszurichten ist, die dem Immissionsschutz konträr sind. Daraus folgt erstens, daß das BImSchG auch Zwecksetzungen zuläßt, die nicht dem Schutz vor Immissionen dienen, sondern der Immissionsermöglichung. Zweitens müssen diese nicht ausdrücklich im BImSchG niedergelegt sein, da ansonsten nur § 1 I BImSchG zur Verfügung stünde. Es bleibt daher nur der ___________ 551 § 1 I BImSchG bestimmt als Programmsatz für das gesamte BImSchG dessen Schutzgüter und ist Auslegungsleitlinie bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensermächtigungen (Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 1 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 1; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 14). 552 Vgl. § 1 Nr. 2 GenTG v. 20. 6. 1990 (BGBl. I, 1090) und § 1 Nr. 1 AtomG a. F.; seitdem das AtomG in der Fassung v. 21. 8. 2002 (BGBl. I, 3322 / 3342) den Atomausstieg normiert hat, ist der Förderzweck entfallen. 553 So Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 17; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 2. 554 Grundlegend Murswiek, Verantwortung, S. 306 ff.; ebenso nehmen eine Ermöglichungskomponente als „ungeschriebenen Zweck“ an Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 64; H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 45.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Weg, aus Immissionstragungspflichten interpretativ „Immissionsermöglichungsinteressen“ zu erschließen, was zulässig ist, da die Zweck-Mittel-Relation nicht zwingend auf ausdrücklichen Zwecken des Gesetzgebers beruhen muß, sondern ihr auch objektive Zwecke des Gesetzes zugrundegelegt werden können555. Steht daher fest, daß der Gesetzgeber eine Immissionstragungspflicht begründet hat, ist zu fragen, ob Gemeinwohlbelange denkbar sind, die diese in ihrer konkreten Eingriffstiefe rechtfertigen. Kann dies am Maßstab einer Evidenz- oder Vertretbarkeitskontrolle bejaht werden556, ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber entsprechende Belange auch definiert hat.
bb) Zwecksetzungsproblematik auf Ebene der Rechtsanwendung Dies gilt zunächst nur für gesetzliche Schrankenbestimmungen, über die der Gesetzgeber den Konflikt zwischen Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit und kollidierenden Allgemeininteressen selbst abschließend gelöst hat. Problematisch ist demgegenüber der Fall, daß der Gesetzgeber eine entsprechende abschließende Lösung nicht getroffen hat, sondern durch unbestimmte Rechtsbegriffe oder Ermessensermächtigungen dem Rechtsanwender die Aufgabe zukommt, ein unvollständiges gesetzliches Normprogramm zu vervollständigen557. Die Problematik läßt sich an der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen illustrieren, die sowohl im Rahmen des Erheblichkeitsbegriffs des § 3 I BImSchG558 als auch – insoweit für Art. 2 II 1 GG relevant – des Gefahrenbegriffs in § 3 I i. V. m. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG und der Ermessensermächtigung des § 17 I 1 BImSchG aufgeworfen wird559: Zunächst dürfte unbestritten sein, daß der Gesetzgeber selbst die Arbeitsplatzsituation jedenfalls im Grundsatz als Gemeinwohlbelang definieren darf. Fraglich ist demgegenüber, ob auch der Rechtsanwender bei Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe oder Ausübung von Ermessen befugt ist, diesen Belang eingriffslegitimierend in Ansatz zu bringen. Da dem Rechtsanwender im Gegensatz zum Gesetzgeber eine originäre Befugnis zur Definition eingriffslegitimierender Belange nicht zukommt, sondern die inhaltliche Determination des Zielkonflikts allein durch das Gesetz erfolgt, ist die Frage nur dann zu be___________ 555 Ebenso BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 1998, 1776 (1777); ferner BVerfGE 21, 292 [299]; 33, 171 [186]; a. A. unter Berufung auf die Rspr. des Zweiten Senats Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 [1361 ff., 1363]; wie hier W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 283 ff.). 556 Zu diesen Kontrollmaßstäben oben S. 101 ff. 557 Zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe unten S. 212 ff. 558 Dazu oben Einleitung Fn. 8 und unten 3. Teil S. 342 ff. 559 Dazu unten 3. Teil S. 460 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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jahen, wenn ein entsprechender Belang zumindest im Wege der Auslegung aus dem determinierenden Gesetz erschlossen werden kann. Dies wird zum Problem, wenn dem BImSchG als Zweckvorgabe unter Berufung auf § 1 I BImSchG lediglich der Schutz vor Immissionen entnommen wird, da ein monofinal aufzulösender Zielkonflikt ein Widerspruch in sich ist. Indes liegt einer solchen Sicht bereits ein falsches Verständnis des § 1 I BImSchG zugrunde, da dieser – was bislang kaum beachtet wurde – als Zweck des BImSchG nicht den Schutz vor Immissionen schlechthin, sondern den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG nennt. Da somit aber der Schutzzweck durch den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen begrenzt wird, kann dieser nicht seinerseits zur Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals herangezogen werden560. Ergäbe sich daher, daß im Rahmen des Erheblichkeitsbegriffs des § 3 I BImSchG die Arbeitsplatzsituation zu berücksichtigen ist, stünde dies nicht im Widerspruch zu § 1 I BImSchG, da „Schutz“ dann nur vor solchen Immissionen gewährt würde, in die entsprechende Abwägungsbelange bereits eingeflossen sind. Insofern hilft § 1 I BImSchG zur Bestimmung der inhaltlichen Determinanten möglicher Zielkonflikte nicht weiter, verhindert aber auch nicht die Berücksichtigung schutzmindernder Allgemeininteressen. Allerdings tritt bei einzelfallbezogener Berücksichtigung ein Perspektivenwechsel zur Gesetzesebene ein, da bei letzterer die gesetzliche Regelung den Fixpunkt bildet, angesichts der zu fragen ist, ob Gemeinwohlbelange denkbar sind, welche die konkrete Schutzbeschränkung rechtfertigen; einem festen Ergebnis stehen variable Gemeinwohlbelange gegenüber. Bei der einzelfallbezogenen Konkretisierung kehrt sich dieser Vorgang um, da hier das Ergebnis des definitiven Schutzes vom Gesetzgeber gerade offen gelassen wurde, so daß die Auflösung entsprechender Zielkonflikte voraussetzt, daß die inhaltlichen Determinanten in einer Weise vorgegeben sind, aus der mit hinreichender Bestimmtheit auf ihr abwägungsspezifisches Gewicht geschlossen werden kann561. Dies ist etwa der Fall bei spezialgesetzlichen Gemeinwohldefinitionen, sofern diese notwendig mit Immissionsverursachung verbunden sind und ihnen die Aussage entnommen werden kann, daß der Gesetzgeber die Erfüllung einer Aufgabe trotz Verursachung von Immissionen für zulässig hält562. ___________ 560 Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 1 Rn. 2; ebenso Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 17: „... Damit wird durch § 3 (scil.: BImSchG) der Anwendungsbereich des BImSchG und auch des § 1 (scil.: BImSchG) begrenzt“ (Hervorh. vom Verf.). 561 Dies ist etwa der Fall für die im Rahmen der Bauleitplanung nach § 1 VI BauGB (idF der Bekanntmachung v. 23. 9. 2004 [BGBl. I, 2414]) zu berücksichtigenden Belange, zu denen nach § 1 VI Nr. 8 lit. c) BauGB auch die „Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen“ gehört; diesen kann durch die ausdifferenzierte Abwägungsdogmatik auch im Einzelfall ein abwägungsspezifisches Gewicht zugewiesen werden (dazu allgemein Hoppe, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 24 ff.). 562 Beispiele dazu unten S. 273 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
(1) Insbesondere Versorgungssicherheit Grundsätzlich berücksichtigungsfähig ist ferner die Versorgungssicherheit, insbesondere die Sicherung der Energieversorgung, sofern man diese mit dem BVerfG als absolutes Gemeinschaftsgut bewertet563, d. h. ihre Berücksichtigung verfassungsrechtlich auch ohne ausdrückliche einfach-rechtliche Normierung für zulässig hält564. Dagegen kann auch nicht der in der Lit. teilweise erhobene Einwand angeführt werden, entsprechende Belange unterlägen „starken zeitlichen Veränderungen“ oder seien „örtlich unterschiedlich stark ausgeprägt“ und in Anerkennung und Gewichtung „von den jeweils verfolgten wirtschaftlichen und sozialen Zielen als Ausdruck eines politischen Programms anhängig“565, da dies gerade nicht für absolute Gemeinschaftsgüter i. S. der Rspr. des BVerfG gilt. Allerdings tritt auch hier ein Perspektivenwechsel ein, da es bei der einzelfallbezogenen Anwendung stets um die Beurteilung einer konkreten Anlage an einem bestimmten Ort geht, weshalb zu fragen ist, inwieweit das absolute Gemeinschaftsgut die Errichtung gerade dieser Anlage an diesem Ort erfordert. Damit dürfte die Beachtlichkeit entsprechender Belange trotz ihrer „Absolutheit“ auf Ausnahmefälle beschränkt sein.
(2) Insbesondere Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen gehören demgegenüber nicht zu den absoluten Gemeinschaftsgütern: Zwar ist der Staat nach Art. 109 II GG im Rahmen seiner Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verpflichtet, wozu nach allgemeiner Auffassung neben Stabilität des Preisniveaus, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und angemessenem Wirtschaftswachstum auch ein hoher Beschäftigungsstand gehört566. Da diese vier Ziele jedoch gleichzeitig niemals vollständig verwirklicht und einzelne Ziele daher im Wege der Abwägung hinter andere zurückgestellt werden ___________ 563 Grundlegend BVerfGE 30, 292 (323 f.) – Erdölbevorratung: „Die Sicherheit der Energieversorgung ist ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges ... Die ständige Verfügbarkeit ausreichender Energiemengen ist eine entscheidende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der gesamten Wirtschaft. Es handelt sich hier um ein von der jeweiligen Politik des Gemeinwesens unabhängiges ‚absolutes‘ Gemeinschaftsgut“ (ebenso BVerfGE 13, 97 [107]; 25, 1 [16]; 91, 186 [206] – Kohlepfennig; NJW 1984, 1872 [1873]; BVerwG, NVwZ-RR 1996, 67 (68); aus der Lit. Uerpmann, S. 52). 564 Die Sicherung der Energieversorgung hat auch eine ausdrückliche Normierung in § 1 I EnWG (Energiewirtschaftsgesetz v. 7. 7. 2005 [BGBl. I, 1970]) erfahren. 565 So Hansen-Dix, S. 148 f. 566 Jarass, in: J / P8, Art. 109 Rn. 6; Siekmann, in: Sachs3, Art. 104a Rn. 48; ebenso BVerfGE 79, 311 (338 f.).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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können567, kommt dem Belang des hohen Beschäftigungsstandes nur relativer Charakter zu. Ferner ist die Verpflichtung auf die Ziele des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 II GG auf die „Haushaltswirtschaft“ von Bund und Ländern beschränkt568, weshalb trotz der normativen Verankerung in Art. 109 II GG nicht der Schluß gezogen werden kann, Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen seien gerade auch bei einzelfallbezogener Anwendung des BImSchG relevant569. Vorrangig müssen daher für jeden zu konkretisierenden Rechtsbegriff die inhaltlichen Determinanten ermittelt werden, die dem jeweiligen Zielkonflikt zugrundeliegen. Läßt sich hierbei ein bestimmter Belang nicht mit Sicherheit ermitteln, sind jedenfalls solche Belange auszuscheiden, die zu abstrakt sind, um in Relation zu konkreten Anlagen gesetzt werden zu können.
b) Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Art. 2 II 1 GG Zentrale Frage der materiellen bipolaren Eingriffsrechtfertigung ist, ob Gemeinwohlbelange als „Zweck“ der Zulassung einer Immissionsverursachung so gewichtig sind, daß die verursachten Folgen für Leben und körperliche Unversehrtheit als „Mittel“ im Rahmen der Verhältnismäßigkeit als maßgeblicher Schranken-Schranke570 noch angemessen bzw. proportional sind571. Inhaltlich ___________ 567
Sog. magisches Viereck; vgl. BVerfGE 79, 311 (339): „(Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht) meint nicht die volle und nachhaltige Erreichung aller Teilziele zugleich, sondern eine relativ-optimale Gleichgewichtslage in der Realisierung der Teilziele, die untereinander in einem Spannungsverhältnis stehen können und oftmals nicht ohne wechselseitige Abstriche realisierbar sind“; ebenso Siekmann, in: Sachs3, Art. 104a Rn. 49; Maurer, StaatsR I4, § 21 Rn. 53. 568 Zum Begriff der „Haushaltswirtschaft“ vgl. nur Jarass, in: J / P8, Art. 109 Rn. 1. 569 Auch könnte arbeitsplatzbezogenen Belangen mangels ausdrücklicher gesetzlicher Definition vom Rechtsanwender ein abwägungsspezifisches Gewicht interpretativ nicht zugewiesen werden (vgl. Hansen-Dix, S. 148; Petersen, S. 111 f.), weshalb es einen Unterschied macht, ob die Arbeitsplatzsituation nur abstrakt in der Lage sein muß, einen bestimmten, hinter dem bestmöglichen zurückbleibenden Immissionsschutz zu rechtfertigen, oder ob die Frage zu entscheiden ist, ob der konkrete Verlust von Arbeitsplätzen dazu führt, daß bei ansonsten gleicher Gewichtung der übrigen Belange eine nachträgliche Anordnung gegenüber einer konkreten Anlage unzulässig ist. 570 Zum Begriff der Schranken-Schranken nur Kokott, in: HGR I, § 22 Rn. 70 ff. – Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (571 ff.); Dechsling, S. 7 ff., 51 ff., 75 ff.; Clérico, S. 26 ff., 74 ff., 140 ff.; Hirschberg, S. 50 ff., 56 ff., 75 ff., Stern, in: Stern III / 2, S. 775 ff.; zur Terminologie Jakobs, S. 8 ff.; zur Entwicklung Stern, FS Lerche, S. 165 ff.; Ossenbühl, FS Lerche, S. 152 ff. – Unbestritten ist der verfassungsrechtliche Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, so daß offengelassen werden kann, ob er aus den Grundrechten oder dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten ist (für Rechtsstaatsprinzip BVerfGE 17, 306 [313 f.]; 23, 127 [133]; 27, 1 [8]; 30, 250 [263]; 35, 382 [400]; 38, 348 [368]; 49, 24 [58]; 69, 1 [35]; 76, 256 [359]; 92, 277 [325]; Stern, in: Stern III / 2, S. 771 ff.; Sachs, in: Sachs3, Art. 20 Rn.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
dürfte es hierbei allgemeiner Auffassung entsprechen, daß den Schutzgütern des Art. 2 II 1 GG innerhalb der Grundrechtsordnung mit das höchste Gewicht zukommt572. Entsprechend findet sich in Rspr. und Lit. die Aussage, Art. 2 II 1 GG garantiere „elementare Bedingungen für die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entfaltung“573 bzw. das Recht auf Leben stelle einen „Höchstwert dar“ und sei „vitale Basis der Menschenwürde“ und „Voraussetzung aller anderen Grundrechte“574. Das Beispiel des gezielten polizeilichen Todesschusses zeigt jedoch, daß auch der individuelle und vollständige Verlust des Lebens unter bestimmten engen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann. Der Verhältnismäßigkeit liegt daher eine grundsätzlich relationelle Struktur zugrunde, wonach auch ein noch so intensiver Eingriff grundsätzlich durch einen mindestens ebenso gewichtigen Gemeinwohlbelang gerechtfertigt werden kann, was auf Grundlage der relativen Wesensgehaltstheorie zugleich den Wesensgehalt des Art. 2 II 1 GG i. S. des Art. 19 II GG bildet575.
aa) Schutzgut „Leben“ Zwar ist das „Leben“ im Gegensatz zur körperlichen Unversehrtheit keiner Differenzierung nach leichten und schweren Schädigungen fähig, da der Schaden im unteilbaren und irreversiblen Verlust besteht; gleichwohl kann eine Differenzierung in der Wertigkeit angesichts verschiedener Eingriffstiefen vorgenommen wird, wenn man die oben II. herausgearbeiteten Risikoarten einbezieht576. Danach sind folgende Konstellationen zu unterscheiden: ___________ 146; für Grundrechte bei teilweise kumulativer Nennung des Rechtsstaatsprinzips BVerfGE 19, 342 [348 f.]; 61, 126 [134]; 65, 1 [44]; 76, 1 [50 f.]). – Vgl. ferner den normtheoretischen Ansatz bei von Arnauld, JZ 2000, 276 ff. 571 Da „Geeignetheit“ und „Erforderlichkeit“ als erste und zweite Stufe der Verhältnismäßigkeit primär Fragen tatsächlicher Art betreffen und im Rahmen der Zulässigkeit von Immissionen selten zum Problem geworden sind, soll im folgenden ausschließlich die dritte Stufe der Verhältnismäßigkeit betrachtet werden. 572 Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 20 f.; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 8, 171 f.; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 44; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 288; ferner Berkemann, ZUR 2002, 202 (203). 573 Vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 21. 574 So grundlegend BVerfGE 39, 1 (42) – Abtreibung I; aufgegriffen in BVerfG, NJW 1999, 3399 (3401); ähnlich 49, 24 (53) – Kontaktsperre; zustimmend Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 21; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 171; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 4; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 44. 575 Zum Streit um die absolute und relative Wesensgehaltstheorie nur Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 24 f.; Stern, in: Stern III / 2, S. 838 ff., 864 f.; von Arnauld, Schranken, S. 204 ff.; Bleckmann II4, § 12 Rn. 135 ff. 576 Dazu oben S. 148 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Tabelle 1 Rechtfertigung von Eingriffen in das „Leben“ Eingriff bezogen auf individuellen Grundrechtsträger Schadenseintritt sicher
Konstellation 1 Es ist sicher, daß ein bestimmter Grundrechtsträger sein Leben verliert Subjektives und objektives Individualrisiko = 1
Schadenseintritt nur möglich Hier 2 Unterfälle möglich: a) Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich im Sinne des einfach-rechtlichen Gefahrenbegriffs b) Schadenseintritt im Bereich des bloßen Risikos
Konstellation 3 Es ist sicher, daß ein bestimmter Grundrechtsträger mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit sein Leben verliert Subjektives Individualrisiko < 1, objektives Individualrisiko kleiner oder gleich 1; im letzten Fall Kehrseite von Konstellation 2 aus Sicht des individuellen Grundrechtsträgers
Eingriff bezogen auf Kollektiv aller Grundrechtsträger Konstellation 2 Es ist sicher, daß irgendein Grundrechtsträger sein Leben verliert, nicht aber ein bestimmter Subjektives Individualrisiko < 1, objektives Individualrisiko = 1 Konstellation 4 Es ist sicher, daß irgendein Grundrechtsträger mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit sein Leben verliert Subjektives und objektives Individualrisiko jedenfalls < 1, für einzelne Grundrechtsträger subjektives Individualrisiko auch = 0
Damit relativiert sich die Aussage vom verfassungsrechtlichen „Höchstwert“ des Lebens insofern, als es sowohl unter dem individualschützenden Aspekt einen Unterschied macht, ob für den Einzelnen Folge einer Immission der sichere Verlust des Lebens ist oder nur eine – möglicherweise sehr geringe – Wahrscheinlichkeit, als auch unter dem Gesichtspunkt einer objektiv-rechtlichen Schutzpflicht, ob zu dieser individuellen Wahrscheinlichkeit (subjektives Individualrisiko) zugleich auf ein Kollektiv bezogen sichere Schadensfälle treten (objektives Individualrisiko). Ungeachtet der Schwierigkeit, zwischen grundrechtlichen Schutzgütern konkrete Rangverhältnisse abzuleiten577, scheint es ___________ 577 Murswiek, Verantwortung, S. 165 ff.; Alexy, Theorie, S. 138 ff.; von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art 1 Rn. 46): Zwar hat das BVerfG in der Lüth-Entscheidung (BVerfGE 7, 198 [205]) eine „objektive Wertordnung“ postuliert (ähnlich BVerfGE 39, 1 [41] – Abtreibung I; weitere Nachw. bei von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art 1 Rn. 22), jedoch hat das BVerfG bislang von elementaren Aussagen wie dem absoluten Vorrang der Menschenwürde abgesehen hieraus keine umfassende Wertrangordnung entwickelt, in der jeder Beeinträchtigung eines grundrechtlichen Schutzguts eine bestimmte Schädigungsintensität zugeordnet wird; zur Unmöglichkeit einer solchen Wertrangordnung Alexy, Theorie, S. 138 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 167 ff. (ebd. S. 175 ff. zur Möglichkeit von relativen Rangaussagen).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
zwar allgemeiner Überzeugung zu entsprechen, daß der sichere Tod eines bestimmten Menschen (Konstellation 1) als Folge einer Immissionsbelastung weder im privaten (grundrechtlichen) Interesse der Emittenten noch im öffentlichen Interesse an bestimmten Anlagen aufgewogen werden kann578. Fraglich wird diese Aussage jedoch, wenn nicht der sichere Tod eines bestimmten Grundrechtsträgers zu besorgen ist, da es nicht ausgeschlossen ist, daß (subjektive Individual-) Gefahren bzw. Risiken mit abnehmendem Wahrscheinlichkeitsgrad dem Bürger auferlegt werden können579. In diesem Bereich der Begründung möglicher Gefahr- oder Risikotragungspflichten muß weiter differenziert werden zwischen den Konstellationen 2 bis 4, und zwar in absteigender Reihenfolge, da es angesichts der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte einen Unterschied macht, ob neben einem (subjektiven Individual-) Risiko für den Einzelnen auch sichere (ungezielte) Todesfälle bezogen auf das Kollektiv hervorgerufen werden. Gerade für letztere Konstellation zeigt jedoch das Beispiel des Straßenverkehrs, daß – ungeachtet der Frage nach vorhandenen Selbstschutzmöglichkeiten – an bestimmten Formen der Risikoschaffung ein derart hohes und die Summe aller Individualinteressen übersteigendes Allgemeininteresse bestehen kann580, daß selbst die absolute Zahl von mehreren Tausend Verkehrstoten jährlich als hinnehmbar erscheint und auch tatsächlich im allgemeinen Bewußtsein hingenommen wird, wie die Inanspruchnahme von Mobilität in Kenntnis ihrer Risiken zeigt. Mangels „härterer“ juristischer Argumente kommt diesem rechtstatsächlichen Befund einer allgemeinen Risikoakzeptanz zugleich normatives Gewicht zu, was auch für Immissionen an Bedeutung gewinnt: So weist Roßnagel zutreffend darauf hin, daß eine „Nullemission“ etwa von krebsverursachenden Immissionen zur vollständigen „Immobilität“ und zum „Verzicht auf menschliches Leben auf der Erde“ führen würde, da selbst Tätigkeiten, die zur Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen unerläßlich sind, notwendig entsprechende Emissionen verursachen581. Kann somit in objektiver Hinsicht auch der sichere Tod irgendeines Menschen im übergeordneten Allgemeininteresse grundsätzlich gerechtfertigt werden, so darf doch gleichwohl die subjektive Seite nicht ausgeblendet werden, da die oben beschriebene allgemeine Akzeptanz auch sicherer Todesfälle im Stra___________ 578 Dies folgt daraus, daß der sichere Tod eines bestimmten Menschen nur in engen Ausnahmefällen als zulässig angesehen wird, etwa zum Schutz des Lebens anderer und zum Schutz schwerer gesundheitlicher Schädigungen Dritter wie im Fall des gezielten polizeilichen Todesschusses (so Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 85; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 38; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 182). 579 Sehr weit geht das BVerfG in seiner Fluglärm-Entscheidung: „Maßgebliches Kriterium kann in einer am Menschen orientierten Rechtsordnung letztlich nur sein, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf ...“ (E 56, 54 [80] – Hervorh. vom Verf.). 580 Zu diesem Interesse Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 190; Berger, S. 142 f. 581 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 389.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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ßenverkehr wesentlich darauf beruht, daß der entsprechende Risikowert in absoluten Zahlen sehr gering ist582, d. h. das (subjektive) Risiko des Einzelnen sich gleichsam gegen Null „verflüchtigt“. Hierzu soll nach einer insbesondere von Murswiek vertretenen Ansicht die Schwelle der zu rechtfertigenden Risiken durch die einfach-rechtliche Gefahrenschwelle beschrieben werden: „Die ‚Gefahrenschwelle‘ gibt ... das verfassungsrechtliche Mindestmaß an Sicherheit an, das grundsätzlich gewährleistet sein muß: Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle lassen sich rechtfertigen, Gefahren sind zu vermeiden ...“583.
Murswiek versteht dabei den Gefahrenbegriff ganz im hergebrachten Sinne der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Fraglich ist jedoch, ob dies ein auch verfassungsrechtlich tauglicher Ansatz ist oder damit nicht dem Verfassungsrecht ein einfach-rechtlicher Dezisionsakt, nämlich die Unterscheidung von kategorisch abzuwehrenden „Gefahren“ und lediglich nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit abzuwehrenden „bloßen“ Risiken, wie sie mustergültig in den Grundpflichten des § 5 I 1 Nr. 1 und 2 BImSchG verwirklicht ist, „übergestülpt“ und das Verfassungsrecht nach Maßgabe des einfachen Rechts ausgelegt wird. Geht man vom Begriff der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit aus, lassen sich diese Bedenken zwar zerstreuen, es zeigt sich aber zugleich die Inhaltsleere, wenn nicht gar Zirkelschlüssigkeit dieses Kriteriums: „Hinreichend“ wahrscheinlich ist eine Schadensfolge, wenn sie so gravierend ist, daß das entsprechende Risiko nicht mehr hinnehmbar bzw. – in der Terminologie Murswieks – nicht mehr zumutbar ist584. Die Zumutbarkeit kann aber wiederum nur das Ergebnis einer Abwägung mit kollidierenden Allgemein- und Individualinteressen sein, was daher das eigentliche Kriterium der Rechtfertigung von Risikotragungspflichten ist und vom Gefahrenbegriff lediglich in anderer Terminologie wiedergegeben wird. Gegen eine unbesehene Übernahme bestehender einfach-rechtlicher Gefahrenschwellen in das Verfassungsrecht ___________ 582
Vgl. VGH Baden-Württ., NVwZ 1996, 297 (302) mit vergleichenden Risikozahlen, wonach das Risiko, von einem Blitz tödlich getroffen zu werden, zwischen 1 und 10 zu 100.000 und das Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, bei 1 zu 100 liege; kritisch zu derartigen Risiko-Risikovergleichen Stoll, S. 337. 583 Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 177 (Hervorh. im Original); ebenso ders., Verantwortung, S. 140 f. und passim: Danach sei der Gefahrenbegriff der „traditionelle“ Mechanismus zum Ausgleich zwischen Sicherheit und Freiheit, den das Grundgesetz vorgefunden und rezipiert habe. Der Gefahrenbegriff bezeichne daher auf Seiten der Sicherheit die „Zumutbarkeitsgrenze für die Belastung mit solchen Risiken, die allein die Folge privater Freiheitsbetätigung sind und deren Verursachung keiner weiteren Rechtfertigung bedarf als daß die Ausübung privater Freiheit im sozialen Kontakt nicht risikofrei möglich ... ist“ (Murswiek, Verantwortung, S. 141). Eine Unterschreitung dieses Sicherheitsstandards könne nur durch einen „besonderen Zwecks des Gemeinwohls“ gerechtfertigt werden (Murswiek, Verantwortung, S. 141 [Hervorh. im Original]). 584 Dazu Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 177: „Unter Gefahr ist ein Risiko zu verstehen, daß dem Betroffenen unter dem Aspekt der Freiheitsausübung ... nicht mehr zugemutet werden kann“ (Hervorh. vom Verf.).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
spricht ferner, daß dann das Verfassungsrecht nicht mehr als (autonomer) Maßstab zur Verfügung stünde, um einfaches Recht auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Als Lösung bleibt somit nur eine einzelfallbezogene Abwägung585, die zwar keine allgemeingültigen Lösungen anbieten kann, den Rechtsanwender aber auch nicht vor unlösbare Schwierigkeiten stellt, wie ein Blick auf die praktische Handhabung vergleichbarer grundrechtlicher Konstellationen zeigt. Der allgemein im Zusammenhang mit den „offenen“ Abwägungen des Verfassungsrechts beschworenen Gefahr der Letztentscheidung durch (verfassungs-) richterliche Dezision kann zudem durch gesetzgeberische Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognosespielräume begegnet werden.
bb) Schutzgut „körperliche Unversehrtheit“ Die Ausführungen zum Schutzgut „Leben“ lassen sich grundsätzlich auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit übertragen, jedoch ist die zweidimensionale Matrix der Tabelle 1 um die Dimension der Schwere der Beeinträchtigung zu ergänzen, da hier nicht jede Beeinträchtigung zum völligen und irreversiblen Verlust führt, sondern unendlich vielgestaltige Beeinträchtigungsformen denkbar sind, denen je unterschiedliches abwägungsspezifisches Gewicht zukommt. Hierbei erweist sich die Schwere der Beeinträchtigung in erster Linie am folgenbezogenen Kriterium der Gesundheit, das auch quantifizierbare Aussagen über unterschiedliche Beeinträchtigungsgrade zuläßt, insbesondere anhand der Kriterien der Reversibilität und Dauerhaftigkeit, bei vorübergehenden Beeinträchtigungen auch der zeitlichen Dauer und der Bedeutung der gestörten gesundheitlichen Funktion für den gesamten Organismus bzw. das Wohlbefinden des Menschen586. Auch dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wird ein besonders hohes Gewicht zugesprochen, das Eingriffe nur „höchst ausnahmsweise“ zulasse587, was mit der „fundamentalen Bedeutung“ und dem Menschenwürdebezug begründet wird588. Gleichwohl ist die „körperliche Unversehrtheit“ dem Leben in der Wertigkeit nachgeordnet, so daß übergeordnete Allgemeininteressen in höherem Maße in der Lage sind, Immissionstragungspflichten zu begründen. Auch erscheint es nicht ausgeschlossen, daß angesichts ___________ 585
Zu deren Kriterien Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 38 f. Damit wird nicht bestritten, daß eine exakte Quantifizierung oder auch nur relative Rangordnung unterschiedlicher Beeinträchtigungen oft nicht möglich sein wird, so etwa bei der Frage, ob ein chronischer Husten ein größeres oder kleineres Gewicht aufweist als ein Hautausschlag (vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 165 ff.). 587 So Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 85. 588 Vgl. Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 174, dort jedoch für gezielte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit. 586
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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der nach unten offenen Skala von Beeinträchtigungen auch manifeste Beeinträchtigungen hinzunehmen sein können, wenn diese nach Art, Ausmaß und Dauer nur ganz punktuell und von geringer Intensität sind589. Umgekehrt muß jedoch solchen Gesundheitsgefahren bzw. -beeinträchtigungen eine gesteigerte Wertigkeit zugesprochen werden, die langfristig zugleich lebensverkürzend wirken oder ein entsprechendes Risiko begründen590. Im Gegensatz zum Schutzgut des Lebens stellt sich hier im Kontext manifester Schädigungen ein weiteres Problem, wenn sich nämlich ursprünglich allein als Gefährdungslagen identifizierte Eingriffe nachträglich als manifeste Schädigungslagen erweisen. Realisiert sich etwa im Fall des Straßenverkehrs das allgemeine Risiko in einem konkreten Schädigungsfall, so stellt diese Realisierung die Abwägung, die zur Hinnehmbarkeit des Straßenverkehrs geführt hat, nicht grundsätzlich in Frage, da sich der Schädigungsfall auf einen punktuellen Einwirkungsakt beschränkt und dieser regelmäßig auch nicht dadurch ungeschehen gemacht werden kann, daß der Straßenverkehr zukünftig unterbunden wird. Diese Verwirklichungstendenz ist jedoch jedem Risiko notwendig immanent und wird in ihrem abwägungsspezifischen Gewicht bereits über die entsprechende Risikotragungspflicht erfaßt. Demgegenüber existieren jedoch Konstellationen, in denen das fortdauernde Ausgesetzt-Sein gegenüber einer Immissionsbelastung die Schädigungswirkung fortlaufend aktualisiert und aufrechterhält, so daß sich nicht nur ein Risiko punktuell verwirklicht, sondern eine weitergehende dauerhafte Schädigungstragungspflicht begründet wird. Hier wird die Schädigungsfolge regelmäßig reversibel sein und die Beeinträchtigung kann für die Zukunft dadurch beseitigt werden, daß entsprechende individualisierbare Immissionsverursachungen abgestellt werden. In diesen Fällen muß daher das abwägungsspezifische Gewicht der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Gegensatz zu punktuellen Risikoverwirklichungen nicht ausgehend vom ursprünglichen Risiko bestimmt werden, sondern ausgehend von der gezielten Aufrechterhaltung der Schädigungsfolge gegenüber einem bestimmten Grundrechtsträger, was der obigen Konstellation 1 entspricht. Hiervon ist wiederum der Fall zu unterscheiden, daß auch bei fortdauernder manifester Gesundheitsbeeinträchtigung aufgrund ubiquitärer Immissionsbela___________ 589
Vgl. dazu den Feueralarmsirenen-Fall BVerwGE 79, 254 ff.: Bedenkt man, daß Schlafstörungen auch in den Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG fallen können (dazu oben S. 139 Fn. 428), so erscheinen angesichts des Allgemeininteresses des präventiven Brandschutzes und dessen Flankierung durch die staatliche Schutzpflicht für Leben und Eigentum und des äußerst punktuellen Eingriffs durch 10-20 mehrminütige Alarmierungen pro Jahr entsprechende Immissionstragungspflichten auch angesichts Art. 2 II 1 GG durchaus zumutbar. 590 Ebenso Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 53, der konstatiert, daß hier die „Grenze zwischen Recht auf Leben und Recht auf körperliche Unversehrtheit (verwischten)“.
180
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
stung eine konkrete Anlage als Verursacher nicht ausgemacht und die Beeinträchtigung für die Zukunft nicht einfach durch Unterbindung einer individualisierten Immissionsverursachung beseitigt werden kann591. Hier könnte der Staat einer unbedingt verstandenen Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG gegenüber manifesten Gesundheitsbeeinträchtigungen592 nur nachkommen, indem sämtliche Anlagen eines bestimmtes Typs ungeachtet ihrer individuellen Immissionsbeiträge verboten würden. Bei einem solchen flächendeckenden Verbot wären jedoch entsprechende Allgemeininteressen – etwa an funktionsfähiger Industrie und Energieversorgung – besonders intensiv betroffen, da es nicht um deren Realisierung mehr oder weniger im konkreten Einzelfall ginge, sondern das Allgemeininteresse insgesamt in Frage gestellt wäre. Angesichts dieser Folgen kann die Regelungsstrategie in § 5 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG – relative Minderung der Gesamtimmissionsbelastung statt flächendeckenden Anlagenverboten – noch als verhältnismäßig angesehen werden.
3. Tripolare schutzrechtliche Eingriffsrechtfertigung Im Rahmen der tripolaren schutzrechtlichen Eingriffsrechtfertigung sind zusätzlich die Grundrechte der Emittenten aus den Artt. 12, 14 und subsidiär Art. 2 I GG zu berücksichtigen, die wie oben B. dargestellt in Kollision zu Art. 2 II 1 GG treten593. Hier stellt sich folgendes Problem: Da dem BImSchG die Unterscheidung von strikter und kategorischer Abwehr von „Gefahren“ einerseits (§ 5 I 1 Nr. 1 BImSchG)594 und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter Risikominimierung andererseits (§ 5 I 1 Nr. 2 BImSchG)595 zugrundeliegt, bleiben jedenfalls dann, wenn man in die Bestimmung des Vorliegens einer Gefahr die Emittentengrundrechte nicht einbeziehen will596, diese im Rahmen des durch den Gefahrenbegriff vermittelten Schutzes unberücksichtigt. ___________ 591
Bsp. ist etwa der Allergiker im Ruhrgebiet, der aufgrund der allgemeinen und keiner konkreten Anlage zurechenbaren Immissionsbelastung an einem allergischen Husten (= manifeste und dauerhafte Gesundheitsschädigung) leidet. – Damit versagen hier auch einfach-rechtliche Schutzmechanismen, welche wie die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG die Zurechenbarkeit an eine konkrete Anlage voraussetzen (zum Zurechnungstatbestand des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG unten 3. Teil S. 375 ff.), und an deren Stelle tritt die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG, die als Rechtsfolge nicht die (unbedingte) Vermeidung der manifesten Gesundheitsbeeinträchtigung für die Zukunft verlangt, sondern nur eine Emissionsminderung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit (dazu unten 3. Teil S. 407 ff.). 592 Dazu, daß in dieser Konstellation stets die staatliche Schutzpflicht zur Anwendung kommt, oben S. 147 ff. 593 Dazu oben S. 65 ff. – Zu den Besonderheiten bei Art. 14 GG oben S. 79 ff. 594 Dazu oben S. 162 Fn. 530. 595 Dazu unten 3. Teil S. 407 ff. 596 Zu dieser Frage unten 3. Teil S. 320 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
181
Dies steht jedoch nicht nur im Widerspruch zum Konzept der praktischen Konkordanz, eine einzelfallbezogene Abwägung sämtlicher kollidierenden Grundrechte vorzunehmen597, sondern auch zur Wirkungsweise des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die als doppelt gegenläufige Relationalität bezeichnet werden kann, da der Einzelne um so mehr an Immissionsbelastung hinzunehmen haben kann, je gewichtiger die eingriffslegitimierenden Belange sind598. Im folgenden ist daher nicht nur zu klären, inwieweit eine einfach-rechtliche Ausgestaltung, welche die Emittentengrundrechte zumindest partiell unberücksichtigt läßt, mit diesem Anspruch von Verhältnismäßigkeit bzw. praktischer Konkordanz zu vereinbaren ist, sondern insbesondere, ob und inwieweit die Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen einer „Generalisierung“ – verstanden als Ausblendung individueller Umstände des Einzelfalles – zugänglich ist.
a) Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) Wenngleich eine geschlossene Wertrangordnung der Grundrechte bislang nicht entwickelt werden konnte, spricht doch angesichts des besonderen Bezugs des Art. 2 II 1 GG zu Art. 1 I GG599 viel dafür, daß Grundrechte, die wie Art. 12 GG an der individuellen Gewinnerzielung und damit an wirtschaftlicher Freiheit orientiert sind, im Rahmen einer abstrakten Güterabwägung hinter Art. 2 II 1 GG zurückzutreten haben600. Dieser abstrakte Gütervergleich bedarf jedoch dann der Relativierung, wenn man berücksichtigt, daß das Gewicht des Art. 2 II 1 GG im Gefahren- und Risikobereich mit sinkender Eintrittswahrscheinlichkeit proportional abnimmt, so daß – insbesondere im Bereich des ___________ 597 So sind gerade die „Konkordanz“-Fälle in der Rspr. des BVerfG regelmäßig durch die Kombination einer abstrakten und konkreten Abwägungsstufe gekennzeichnet, indem auf einer ersten abstrakten Ebene die kollidierenden Güter als solche abgewogen und auf einer zweiten konkreten Ebene durch die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzt werden; zu diesem zweistufigen Vorgehen des BVerfG Schneider, S. 153 ff., 176 ff.; aus der Rspr. nur BVerfGE 30, 173 (195 ff.) – Mephisto; 35, 202 (224 ff.) – Lebach; 83, 130 (143, 146 f.) – Mutzenbacher; aus der Lit. Stern, in: Stern III / 2, S. 619 ff. (ebd. S. 630 f. mit Nachw.); ders., FS BVerfG II, S. 17; von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 47; Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 82; Ossenbühl, Abwägung, S. 27, 30. 598 Vgl. dazu das von Alexy formulierte „Abwägungsgesetz“ (Alexy, Theorie, S. 146): „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“ (ebenso H.-J. Koch, Abwägung, S. 20). 599 Dazu oben S. 173 ff. 600 Ferner ist der modale Charakter immissionsbezogener Anforderungen an die Berufsausübung zu bedenken, da nicht die Frage des „Ob“ der Herstellung von Produkten oder der Erbringung von Leistungen betroffen ist, sondern lediglich deren Art und Weise (dazu Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 25).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
„bloßen“ Risikos – grundsätzlich Konstellationen denkbar sind, in denen Art. 12 GG auch schutzbeschränkende Wirkung zukommen kann. Im folgenden ist daher zu betrachten, welche Vorgaben aus Art. 12 GG für die Kollisionslösung durch praktische Konkordanz und Verhältnismäßigkeit folgen.
aa) Drei-Stufen-Theorie, Verhältnismäßigkeit und Typisierungsbefugnis Zunächst könnte man daran denken, in jedem Einzelfall dadurch praktische Konkordanz herzustellen, daß man den Einsatz von Kapital und Technik und den damit erzielten immissionsvermeidenden Nutzen in einem wechselseitigen Optimierungsprozeß, insbesondere unter Berücksichtigung des abnehmenden Grenznutzens601, zur betriebswirtschaftlich „optimalen“ Lösung bringt. Ein solches Vorgehen könnte insbesondere deshalb geboten sein, weil bei gewerblichen Anlagen bestimmte Immissionsbeschränkungen nicht nur von einer Berufsgruppe ohne Schwierigkeiten umzusetzen sein können, von einer anderen jedoch nur mit hohen und den Betrieb der Anlage gefährdenden Aufwendungen, sondern entsprechende Gefälle auch innerhalb derselben Berufsgruppe bestehen können. Einer solchen mustergültigen Herstellung praktischer Konkordanz könnte jedoch entgegenstehen, daß bei Art. 12 I GG die allgemeine SchrankenSchranke der Verhältnismäßigkeit eine spezielle Ausprägung in Gestalt der vom BVerfG entwickelten Drei-Stufen-Theorie erfahren hat602, die möglicherweise auch über das Kollisionsverhalten des Art. 12 I GG entscheidet. Zunächst geht die ursprüngliche Drei-Stufen-Theorie von abgestuften Rechtfertigungsanforderungen für Berufsausübungsregelungen, subjektiven und objektiven Zulassungsanforderungen aus603, so daß ihre zentrale Aussage darin besteht, daß Eingriffsintensität und abwägungsspezifisches Gewicht der Berufsfreiheit in diesen Stufen vertypt sind604. Da Vorschriften über das zulässige Immissionsmaß regelmäßig nur die Berufsausübung betreffen, würden nach der ___________ 601 Die Figur des abnehmenden Grenznutzens beruht auf der Erkenntnis, daß es technisch zwar möglich ist, den Emissionsminderungsstandard einer Anlage immer weiter anzuheben, mit jeder Anhebung der Aufwand jedoch überproportional steigt, während die erzielte zusätzliche Minderung umgekehrt proportional sinkt. Damit stehen immer höhere Kosten einem immer geringer werdenden Nutzen gegenüber (Rauschning, VVDStRL 38 [1980], S. 196; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 621; ferner Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 98). 602 St. Rspr. seit BVerfGE 7, 377 (400 ff., 405 ff.) – Apothekenurteil; aus der Lit. nur Jarass, in: J / P8, Art. 12 Rn. 24 ff.; Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 44 ff.; Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 100; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 8; Wieland, in: Dreier I2, Art. 12 Rn. 74 ff, 109; Sachs, VerfR II, B 12 Rn. 33. 603 Ständige Rspr. seit BVerfGE 7, 377 (405 ff.) – Apothekenurteil. 604 Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 8 f.; Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Abs. 1 Rn. 139, 144.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
183
ursprünglichen Drei-Stufen-Theorie bereits irgendwelche „vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls“ genügen605. Damit bestünde jedoch ausgehend von der Prämisse, daß der Schutz kollidierender Grundrechte stets eine „vernünftige Erwägung des Gemeinwohls“ ist, nicht nur eine weitreichende Beschränkungsmöglichkeit der Berufsfreiheit, sondern auch angesichts der Tatsache, daß mit dieser Formel individuelle Besonderheiten bestimmter Anlage überhaupt nicht erfaßt werden können, eine weitreichende Typisierungsbefugnis des jeweiligen Normgebers zur Ausblendung individueller Umstände des Einzelfalls606. Damit würde jedoch – sieht man die Drei-Stufen-Theorie mit der ganz herrschenden Auffassung als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes607 – eine Anwendung desselben möglich, die in deutlichem Gegensatz steht zum einzelfallbezogenen Konzept der praktischen Konkordanz. Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ferner das rechtstechnische Medium darstellt, über welches sich emittentenseitige Belange entfalten, würde damit zugleich über das Maß zulässiger Typisierung im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage eine „Vorselektion“ derjenigen emittentenseitigen Belange stattfinden, deren Berücksichtigung das einfache Recht nicht mehr zu gewährleisten hat. Demgegenüber ist die jüngere Rechtsprechung des BVerfG dazu übergegangen, die starre Typisierung der Drei-Stufen-Lehre zugunsten einer unmittelbaren Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu durchbrechen, d. h. die Eingriffsintensität einer berufsbeschränkenden Regelung zusätzlich anhand der konkreten Folgen im Einzelfall zu bestimmen608. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Grundannahme der Drei-Stufen-Theorie, von der jeweiligen Stufe könne unmittelbar auf die Eingriffsintensität geschlossen werden, in die___________ 605
So die Formulierung im Apothekenurteil (BVerfGE 7, 377 [405 und LS 6a]). Dieser Typisierungsbefugnis wurde insbesondere durch die Entscheidung zur Erdölbevorratung durch die kumulative Heranziehung des Art. 3 I GG Grenzen gezogen (BVerfGE 30, 292 [326 ff.]); danach können Berufsausübungsregelungen nicht nur dann verfassungswidrig sein, wenn sie in ihrer generellen Wirkung auf die betroffene Berufsgruppe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen, sondern müssen auch die „Ungleichheiten berücksichtigen, die typischerweise innerhalb des Berufes bestehen, dessen Ausübung geregelt wird“. Danach soll eine Verletzung von Art. 12 I GG i. V. m. Art. 3 I GG vorliegen, wenn eine Berufsausübungsregelung „innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet“ (BVerfGE 30, 292 [327] unter Verweis auf BVerfGE 25, 236 [251]). 607 BVerfGE 25, 1 (12); 30, 292 (315 ff.); 46, 120 (138); Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 41, 45 a. E.; Umbach, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 12 Rn. 81; Jarass, in: J / P8, Art. 12 Rn. 24; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 8 ff.; Wieland, in: Dreier I2, Art. 12 Rn. 109; ferner Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 110. 608 BVerfGE 30, 292 (317 ff.); 46, 120 (145 ff.); 77, 308 (332); 85, 248 (261); 87, 287 (322); 94, 372 (390 ff.); Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Abs. 1 Rn. 143 f.; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 35; Uerpmann, S. 301 ff. 606
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ser Pauschalität unzutreffend ist609. Entsprechend fordert das BVerfG für Berufsausübungsregelungen heute, daß diese die Betroffenen nicht „übermäßig“ oder „unzumutbar“ treffen dürfen610, womit auf die konkreten Eingriffsfolgen verwiesen wird611. Hierbei soll gleichwohl nicht jeder individuelle Sonderfall maßgeblich sein, so daß auch insofern eine Typisierungsbefugnis postuliert wird612, ohne daß jedoch deren zulässiger Umfang deutlich würde. Damit kann festgehalten werden, daß Art. 12 GG zwar verschiedene Ansätze zu einer „Generalisierung“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung im obigen Sinne bietet, diese in ihrer dogmatischen Struktur jedoch nicht vollständig geklärt sind, insbesondere in ihrem Verhältnis zu Art. 3 I GG. Hierzu wird im folgenden eine Lösung entwickelt, aus der zugleich Schlüsse für das Kollisionsverhalten des Art. 12 I GG gegenüber Art. 2 II 1 GG gezogen werden können.
bb) Zulässigkeit von Typisierungen innerhalb des Art. 12 GG (1) Schutzbereichsspezifische Differenzierungsvorgaben Auszugehen ist vom Schutzbereich des Art. 12 I GG, sofern dieser die Freiheit der Berufsausübung gewährleistet, da bereits auf dieser Ebene – was bislang kaum gesehen wurde – eine elementare Aussage über den Einzelfallbezug der auf Schrankenebene durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung getroffen wird: Schutzgegenstand der Berufsausübungsfreiheit ist nämlich nur die Möglichkeit zu einem bestimmten (erwerbswirtschaftlichen) Verhalten, nicht jedoch auch dessen wirtschaftlicher Erfolg. Damit sind solche individuellen Umstände bereits auf Schutzbereichsebene irrelevant, die aus der besonderen Art und Weise resultieren, in der ein Beruf ausgeübt wird, insbesondere im Hinblick auf eine „gute“ oder „schlechte“, aus betriebswirtschaftlich fehlerhaften Entscheidungen resultierende Unternehmensführung. Insofern ist eine besondere wirtschaftliche Lage eines Unternehmens am Markt nur relevant, wenn diese nicht nur aus der individuellen Art und Weise der Berufsausübung, sondern aus objektiven Umständen resultiert, die der Berufsausübung von „außen“ vorgegeben werden, etwa durch Marktstrukturen, die der Grundrechtsträger nur begrenzt beeinflussen kann. Daraus folgt ferner – ohne daß dies stets als Schutzbereichsproblem erkannt würde – das Gebot einer berufsgruppenspezifischen Differenzierung, wonach solche Besonderheiten stets zu berücksichtigen sind, ___________ 609
Ebenso Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Abs. 1 Rn. 142. BVerfGE 85, 248 (259); 94, 372 (393); 106, 181 (191 f.); 110, 141 (157). 611 Zur Identität von „Zumutbarkeit“ und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nur Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Rn. 138. 612 Vgl. nur Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 94; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 36. 610
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die typischerweise innerhalb einer bestimmten Berufsgruppe bestehen613; diese werden jedoch regelmäßig objektiver Art sein, die der Grundrechtsträger nur begrenzt beeinflussen kann. Weitergehend können aber auch innerhalb einer Berufsgruppe objektive Unterschiede bestehen614, die zu einer Differenzierung zwingen615. Die damit umrissene, bereits aus dem Schutzbereich des Art. 12 GG resultierende Befugnis zur Ausblendung individueller Umstände soll im folgenden als „unechte“ Typisierungsbefugnis bezeichnet werden, da sie keiner Rechtfertigung auf Schrankenebene bedarf. Diese Typisierungsoffenheit ist zugleich Wesensmerkmal des Grundrechts der Berufsfreiheit, das auf die nachfolgenden Prüfungsstufen durchschlägt616.
(2) „Vertikale“ Typisierungsbefugnis aus Art. 12 GG Ist demgegenüber vom Schutzbereich des Art. 12 GG eine Differenzierung geboten, müssen Typisierungen im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung gerechtfertigt werden, wobei zwischen der freiheitsrechtlichen Rechtfertigung am Maßstab des Art. 12 GG und der gleichheitsrechtlichen am Maßstab des Art. 3 I GG zu unterscheiden ist617. Unter freiheitsrechtlichem Aspekt wird das Maß zulässiger Typisierung in der Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgeblich über den Eingriffszweck gesteuert: So ist nämlich denkbar, daß ein bestimmter Zweck es erforderlich macht, nicht nur überhaupt Verhaltenspflichten zu begründen, sondern allen Normadressaten dasselbe Verhalten aufzuerlegen, etwa die Einhaltung einer einheitlichen Immissionsvermeidungspflicht zur Erreichung eines bestimmten Schutzzieles. Kann in diesem Fall der Eingriffszweck – hier zunächst gedacht als vom Norm___________ 613 Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 94; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 36; Huster, Rechte, S. 288 f.; ferner Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Abs. 1 Rn. 149. – Hieran knüpft die verbreitete Formulierung an, wonach in der Nichtbeachtung berufsgruppenspezifischer Besonderheiten eine Verletzung von Art. 12 I GG 5 i. V. m. Art. 3 I GG liegen könne (so Gubelt, in: v. Münch / Kunig I , Art. 12 Rn. 49 a. E., 94; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 36; BVerfGE 25, 236 [251]; 30, 292 [327] – Erdölbevorratung [Zitat oben S. 183 Fn. 606]; BVerfG, DtZ 1991, 91 [93]). 614 Zu diesem „gruppentypischen“ Argument Huster, Rechte, S. 289. 615 So Gubelt, in: v. Münch / Kunig I 5, Art. 12 Rn. 49; ferner BVerfGE 30, 292 (326 f.) – Erdölbevorratung. 616 Dies wird im Ergebnis anerkannt, wenn auf eine „generalisierende, von der individuellen und konkreten Betroffenheit abstrahierende Betrachtungsweise“ abgestellt wird (so Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 33; ähnlich Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 12 Abs. 1 Rn. 149). 617 Es ist weitgehend ungeklärt, inwieweit Typisierungen an Art. 3 I GG im Rahmen einer eigenständigen Grundrechtsprüfung zu messen sind oder dieser nur einen ergänzenden Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art. 12 GG darstellt (dazu Michael, JuS 2001, 866 [869 f.]).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
geber kraft Zwecksetzungskompetenz selbst gesetzter – bei entsprechend hinreichendem Gewicht auch größere Eingriffe in die Berufsfreiheit einer bestimmten Berufsgruppe rechtfertigen, gilt dies im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch gegenüber solchen Berufsgruppen, bei denen durch denselben Eingriff nur eine geringere Eingriffstiefe bewirkt wird. Will man nun die freiheitsrechtliche Typisierungsrechtfertigung nicht in unsystematischer Weise mit der gleichheitsrechtlichen vermengen, so ist die erstgenannte auf die vertikale Wirkung des Eingriffszwecks zu beschränken, d. h. es ist für jede maßstäbliche Berufsgruppe zu prüfen, ob ihr gegenüber die konkrete berufsgruppenspezifische Eingriffsfolge herbeigeführt werden kann. Demgegenüber ist für diese Prüfung die Unterschiedlichkeit der Eingriffsfolgen bei verschiedenen Gruppen irrelevant und der gleichheitsrechtlichen am Maßstab des Art. 3 I GG vorbehalten. Wird daher allein eine einzelne Berufsgruppe bei im übrigen verhältnismäßiger Regelung unzumutbar belastet, so ist jedenfalls bezogen auf diese Gruppe der Eingriff verfassungswidrig, ohne daß die zugleich gegebene Ungleichbehandlung eine Rolle spielen würde618. Daraus folgt nicht nur, daß die gleichheitsrechtliche Typisierungsrechtfertigung der freiheitsrechtlichen systematisch nachgeordnet ist, sondern zugleich kann allgemein formuliert werden, daß je gewichtiger die Eingriffszwecke sind, desto größere Bandbreiten individueller Betroffenheit zulässig sind, weshalb der Umfang zulässiger Typisierung in der freiheitsrechtlichen Prüfung wesentlich vom Gewicht der verfolgten Zwecke abhängt.
(3) „Horizontale“ Typisierungsbefugnis aus Art. 3 I GG Gegenstand der horizontalen gleichheitsrechtlichen Typisierungsrechtfertigung ist demgegenüber die Ungleichbehandlung, die darin liegt, daß angesichts Art. 12 GG berufsgruppenspezifisch unterschiedliche Eingriffsfolgen hervorgerufen werden. Damit geht es nicht um das Verhältnis zwischen Eingriffsfolge und Eingriffszweck, sondern um die Gesamtheit der möglichen Eingriffsfolgen und die Rechtfertigung ihrer Unterschiedlichkeit. Insofern wird durch die vertikale freiheitsrechtliche Prüfung der rechtsfolgenbezogene Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen Typisierungen überhaupt zulässig sind, während die Zulässigkeit der Typisierung als solcher aus der horizontalen gleichheitsrechtlichen Betrachtung am Maßstab des Art. 3 I GG folgt. Ferner ist die Ambivalenz von Gleich- und Ungleichbehandlung zu berücksichtigen619, da durch einheitliche ___________ 618
Zutreffend Huster, Rechte, S. 288 in Fn. 273. Vgl. dazu die grundlegende Formel des BVerfG, wonach Art. 3 I GG gebiete, „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ zu behandeln (BVerfGE 4, 144 [155]; 27, 364 [371 f.]; 78, 104 [121] – seither st. Rspr.; in abgewandelter neuerer Formulierung unter Verzicht auf das Willkür619
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Anforderungen der Immissionsvermeidung sowohl eine Gleich- als auch eine Ungleichbehandlung erfolgt, je nachdem ob man auf den formalen Akt der „Behandlung“ oder auf das materielle Ergebnis der Behandlung in Gestalt unterschiedlicher Eingriffswirkungen abstellt620. Die dogmatische Struktur einer gleichheitsrechtlichen Typisierungsrechtfertigung, insbesondere die Anwendbarkeit des Schutzbereich-Eingriff-SchrankenSchemas, ist im größeren Kontext der Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes zu sehen, worauf an dieser Stelle nicht im einzelnen eingegangen werden kann. Festgehalten werden kann jedoch, daß heute und im Gegensatz zur ursprünglichen „Willkür“-Formel621 die „neue“ Formel622 allgemein mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verknüpft wird623. Weitergehend ergibt sich eine Anwendung des außentheoretischen Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schemas jedoch aus der von Huster in die Diskussion eingeführten Unterscheidung von internen und externen Zielen624: Danach sind interne Ziele solche, die im Rahmen des Art. 3 I GG durch bereichsspezifisch zu gewinnende „Gerechtigkeitsmaßstäbe“625 – etwa im Steuerrecht die Besteuerung am Maßstab individueller Leistungsfähigkeit626 – durch sachangemessene Differenzierungen gerade Gleichheit im materiellen Sinne verwirklichen wollen; Mittel hierzu sind Gleich- und Ungleichbehandlungen im formalen Sinne. Solch ein bereichsspezifisches Differenzierungs- bzw. „Gerechtigkeitskriterium“ kann bei Art. 12 GG in der berufsgruppenspezifischen Belastungsgleichheit gesehen werden, was dazu führt, daß Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit grundsätzlich so vorzunehmen sind, daß die berufsgruppenspezifischen Eingriffsfolgen einander entsprechen. Demgegenüber dienen externe Zwecke nicht der Verwirklichung der ___________ lichkeitskriterium BVerfGE 90, 145 [195 f.], wonach der Gleichheitssatz verbiete, „wesentlich Gleiches ungleich“, und gebiete, „wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln“). 620 Dieser Befund wird in der Lit. mit der Gegenüberstellung einer Gleichheit im „schematischen“ (bzw. „deskriptiven“ oder „formalen“) und im „materiellen“ Sinne umschrieben (vgl. nur Huster, Rechte, S. 168 f.). 621 Dazu mit Nachw. soeben Fn. 619. 622 Zur „neuen“ Formel BVerfG, NJW 1999, 2501 (2502): Danach verletzt der Gesetzgeber Art. 3 I GG, wenn er „eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“; ebenso BVerfGE 87, 1 (36); 92, 53 [68 f.]; 95, 143 (155); 96, 315 (325). – Weitere Nachw. zur „neuen“ Formel bei Ch. Koenig, JuS 1995, 313 (315) in Fn. 23; ferner Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 3 Rn. 14. 623 Dazu Ch. Koenig, JuS 1995, 313 (316 ff.); kritisch Sachs, JuS 1997, 124 (128 f.). 624 Huster, Rechte, S. 165 ff.; ders., JZ 1994, 541 (544 f.); ähnlich Rüfner, in: BonnerKomm-GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 93 ff. (Oktober 1992); kritisch Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 3 Rn. 15. 625 Dazu Huster, Rechte, S. 195 ff.; ders., JZ 1994, 541 (544). 626 So das Beispiel von Huster, Rechte, S. 173; ders., JZ 1994, 541 (545).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
materiellen Gleichheit, sondern deren Durchbrechung zur Verwirklichung gegenläufiger Belange bzw. Interessen627; Beispiel im Immissionsschutzrecht ist etwa die Setzung qualitativer Schutzziele, die nur dadurch erreicht werden können, daß allen Anlagen dieselbe Vermeidungspflicht auferlegt wird. Für solche externen Ziele hat Huster überzeugend dargelegt, daß hier eine Beschränkung des allgemeinen Gleichheitssatzes vorliegt, die durch das Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema zu rekonstruieren ist628. Hierbei bedarf es allerdings, um der Typisierungsrechtfertigung am Maßstab des Art. 3 I GG einen eigenständigen Anwendungsbereich zu sichern, einer abweichenden Bestimmung des Eingriffszwecks: Da es hier um die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung (im materiellen Sinne) geht, kann nicht bereits der freiheitsrechtliche Eingriffszweck als solcher genügen, sondern zusätzlich muß auch die Herbeiführung unterschiedlicher Eingriffsfolgen verhältnismäßig sein; insofern ist der Eingriffszweck auf das Differenzierungsziel hin zu bestimmen. Da damit „Mittel“ nicht der Eingriff in Art. 12 I GG, sondern die typisierungsbedingte Ungleichbehandlung ist629, verschiebt sich auch der Ansatz für die Verhältnismäßigkeitsprüfung: Nicht die Eingriffsfolgen als solche sind hier zum Eingriffszweck ins Verhältnis zu setzen, sondern die Unterschiedlichkeit der Gesamtheit aller Eingriffsfolgen630.
___________ 627 Huster, Rechte, S. 215 ff.; ders., JZ 1994, 541 (544 f.); aufgegriffen von Sachs, JuS 1997, 124 (129). 628 Huster, Rechte, S. 239 ff.; ders., JZ 1994, 541 (547 f.). 629 Huster, Rechte, S. 459; Michael, JuS 2001, 866 (867). 630 Michael, JuS 2001, 866 (868 f.): ausschließlich „Grad der Differenzierung“ zu betrachten. – Neben dieser Ergänzungsfunktion zur freiheitsrechtlichen Typisierungsrechtfertigung gewinnt Art. 3 I GG eigenständige Bedeutung im Rahmen der Typisierung im eigentlichen Sinne, bei der Typisierungen zusätzlich oder alleine aus Gründen vorgenommen werden, die nicht bereits aus denjenigen Zwecken resultieren, die mit der Beschränkung des entsprechenden Freiheitsrechts verfolgt werden, sondern aus hiervon unabhängigen und eigenständigen Zwecken, insbesondere der Verwaltungspraktikabilität, wie sie vor allem bei der Bewältigung von Massenerscheinungen im Sozial- und Steuerrecht eine Rolle spielt (dazu Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 3 Rn. 26; Osterloh, in: Sachs3, Art. 3 Rn. 106 ff.; Huster, Rechte, S. 249 f.; ders., JZ 1994, 541 [547]). Auch diese Form der Typisierung ist im Sinne der Terminologie von Huster als abwehrrechtliche Beschränkung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch externe Zwecke zu rekonstruieren (Huster, Rechte, S. 260 ff., 289 ff.; ferner ders., in: BerlinerKomm-GG, Art. 3 Rn. 129 ff.), wobei das Zusammenspiel mit der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten ist: Auch wenn ein Typisierungszweck eine Typisierung angesichts Art. 3 I GG rechtfertigen kann, ist damit nicht gesagt, daß dieser zugleich als Eingriffszweck auch rechtfertigende Wirkung für einen Eingriff in Art. 12 GG entfaltet; insofern gilt hier mit umgekehrten Vorzeichen die partielle Eigenständigkeit freiheitsund gleichheitsrechtlicher Typisierungsrechtfertigungen. Dieses Problem stellte sich in den bislang diskutierten Fällen „echter“ Typisierungen deshalb nur am Rande, weil deren Hauptanwendungsbereich im Bereich der leistenden Verwaltung lag.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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cc) Konsequenzen für Kollisionsverhalten des Art. 12 GG Überträgt man dies auf die Frage, inwieweit eine verhältnismäßige bzw. praktisch konkordante Zuordnung der Berufsfreiheit der Emittenten zu Art. 2 II 1 GG an den konkreten Umständen des Einzelfalles ausgerichtet sein muß, ist von der Erkenntnis auszugehen, daß die genannten Grundrechte in einem strukturellen Kollisionsverhältnis stehen, da einheitliche akzeptorbezogene Immissionsstandards als Voraussetzung einheitlicher Eingriffsfolgen auf Seiten des Art. 2 II 1 GG631 notwendig unterschiedliche Eingriffsfolgen bzw. -tiefen auf Seiten der Emittenten bedingen. Umgekehrt würde eine Bestimmung des akzeptorseitig hinzunehmenden Immissionsmaßes ausgehend von dem individuellen Vermeidungsaufwand konkreter Anlagen zwar die nach Art. 12 GG prima facie gebotene wirtschaftliche Belastungsgleichheit gewährleisten, hätte jedoch sehr unterschiedliche Eingriffsfolgen für Art. 2 II 1 GG zur Folge. Es scheint daher, als müßte die Auflösung dieser Kollision nach dem Muster der praktischen Konkordanz dazu führen, daß das zulässige Immissionsmaß ausgehend von den konkreten Eingriffsfolgen für Art. 2 II 1 GG und Art. 12 GG zwischen diesen beiden Polen in jeden Einzelfall individuell auszutarieren ist, was wiederum in eklatantem Widerspruch zum generalisierenden und strikten Vermeidungsstandard des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG stünde. Dieser Eindruck ist jedoch unzutreffend, da Verhältnismäßigkeit bzw. praktische Konkordanz auch dort inhaltlich gewahrt sein können, wo sie formal als Methoden der Rechtsfolgenbestimmung im Einzelfall ausgeschlossen sind. Dies gilt zunächst für solche Fälle, in denen eine individuelle Verhältnismäßigkeitsprüfung der generellen des Normgebers keine weiteren Gesichtspunkte hinzufügt und insofern redundant wäre. Dies ist hier allerdings nicht der Fall, da aufgrund der unterschiedlichen Eingriffsfolgen immissionsbeschränkender Anforderungen bei unterschiedlichen Emittenten sehr wohl „überschießende“ Gesichtspunkte vorhanden sein können, deren Ausblendung einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Diese ist jedoch in der geschilderten Typisierungsoffenheit der Berufsfreiheit zu sehen. Hiergegen könnte zwar eingewandt werden, daß die Drei-Stufen-Dogmatik gerade nicht zur Auflösung von Grundrechtskollisionen konzipiert wurde, sondern die Beschränkung der Berufsfreiheit durch Gemeinwohlbelange im Auge hat, die erst vom Gesetzgeber definiert werden. Andererseits ist das oben B. entwickelte Kollisionsmodell gerade nicht auf eine alleinige Determination durch die kollidierenden Grundrechte beschränkt, sondern offen für ergänzende legislative Zwecksetzungen632. In diesem Rahmen ist es dem Gesetzgeber somit erlaubt, zugunsten einheitlicher akzeptorseitiger Im___________ 631 Dazu, daß unterschiedliche Eingriffsfolgen auch auf Seiten des Art. 2 II 1 GG hervorgerufen werden, nachfolgend S. 203 ff. 632 Dazu oben S. 112 ff., 120 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
missionsstandards eine Typisierungsbefugnis in Anspruch zu nehmen, die einerseits durch die geschilderte vertikale und horizontale Typisierungsrechtfertigung begrenzt wird633, und andererseits das abstrakte Rangverhältnis zwischen Art. 12 GG und Art. 2 II 1 GG und das proportional abnehmende relative Gewicht des Art. 2 II 1 GG im Risikobereich zu berücksichtigen hat. Daraus ergibt sich folgendes Drei-Stufen-Modell: Auf einer ersten Stufe weisen die Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG ein derart hohes Gewicht auf, daß sie bereits von Verfassungs wegen in der Lage sind, jegliche Eingriffe in die Berufsfreiheit der Emittenten zu rechtfertigen, so daß auch gravierende wirtschaftliche Auswirkungen bis hin zur Unrentabilität der Anlage noch praktisch konkordant bzw. verhältnismäßig im Sinne der vertikalen Typisierungsrechtfertigung sind. Damit wird zugleich der horizontalen Typisierungsrechtfertigung entsprochen, da der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit als externer Zweck entsprechende Ungleichbehandlungen auf Seiten der Emittenten rechtfertigt. Auch kann der auf dieser Stufe kategorisch gebotene Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit nur dadurch erreicht werden, daß immissionsvermeidende Maßnahmen ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Aufwand ergriffen werden634. Insofern steht einem festen verfassungsrechtlichen Schutzziel ein variabler anlagenseitiger Vermeidungsstandard gegenüber, der notwendig zur Ausblendung individueller Umstände führt. Mit abnehmendem Gewicht des Art. 2 II 1 GG im Risikobereich gewinnt demgegenüber nicht nur die Berufsfreiheit überhaupt als Rechtfertigung von Risikotragungspflichten an Gewicht, sondern es muß zugleich der abnehmenden Typisierungsbefugnis Rechnung getragen werden, da der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit proportional seine rechtfertigende Kraft im Rahmen der horizontalen Typisierungsrechtfertigung verliert. Gleichwohl sind hier auf einer zweiten Stufe einheitliche akzeptorseitige Immissionsstandards mit typisierender Wirkung für Art. 12 GG denkbar, da der Gesetzgeber wie oben B. ausgeführt über den verfassungsunmittelbar vorgegebenen Schutz hinausgehen kann635. Ein solches kann aber in der Entscheidung für einen einheitlichen Mindestschutz gesehen werden, der zugleich in der Lage ist, eine vertikale und horizontale Typisierungsrechtfertigung zu bewirken. Derartige schutzverstärkende legislative Zwecksetzungen sind jedoch auch unter Berücksichtigung des dem ___________ 633
Dazu oben S. 185 ff. Zu beachten ist, daß das BVerfG von einer abgestuften Bindung des Gesetzgebers an den gleichheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgeht, je nachdem, ob es um die Ungleichbehandlung von Personengruppen oder Sachverhalten geht (BVerfGE 55, 72 [88 f.]; 88, 87 [96]; 92, 53 [68 f.]; Sachs, JuS 1997, 124 [127]); danach ergibt sich vorliegend eine am unteren Ende einer gedachten Skala angesiedelte Bindung, da die Regelung der Art und Weise der Berufsausübung in keiner Weise an personenbezogenen Merkmalen anknüpft. 635 Dazu oben S. 111 ff. 634
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Gesetzgeber zukommenden Einschätzungs- und Wertungsspielraums nicht unbegrenzt in der Lage, das abnehmende Gewicht des Art. 2 II 1 GG zu kompensieren, so daß ab einem gewissen Punkt eine dritte Stufe erreicht ist, auf der weder Art. 2 II 1 GG noch ergänzende legislative Zwecksetzungen eine vollständige Ausblendung emittentenseitiger Umstände rechtfertigen können. Hier muß das einfache Recht im umgekehrt proportionalen Umfang durch Eröffnung einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Berücksichtigung entsprechender Umstände ermöglichen. Daraus folgt, daß die Unterscheidung zwischen strikter und kategorischer Gefahrenabwehr in § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG und nur am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter Risikominimierung unterhalb der Gefahrenschwelle in § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG zwar grundsätzlich zulässig ist, jedoch stets selbst im Lichte dieser abgestuften verfassungsrechtlichen Anforderungen ausgelegt werden muß. Wird nämlich einfach-rechtlich eine akzeptorbezogene Gefahrenschwelle festgesetzt, wird damit gerade nicht mit Wirkung auch für das Verfassungsrecht die Grenze bestimmt, ab der die Emittenten eine Ausblendung individueller Umstände hinzunehmen haben, sondern umgekehrt ist diese einfach-rechtliche Schwelle daran zu messen, ob sie in der Lage ist, verfassungsrechtlich diese Ausblendung zu rechtfertigen; alles andere liefe auf eine Verkehrung der Maßstabsfunktion des Verfassungsrechts für das einfache Recht hinaus636.
b) Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) aa) Abgrenzung zu Art. 12 GG Die Abgrenzung von Art. 14 GG und Art. 12 GG wird überwiegend mit der Formel vorgenommen, Art. 14 GG schütze das Erworbene, Art. 12 GG hingegen den Erwerb637. Dies liefert zwar nicht in jeder Hinsicht eine klare Abgrenzung, jedoch ist eine solche auch gar nicht erforderlich, da aufgrund dieser unterschiedlichen Schutzrichtung beide Grundrechte in Idealkonkurrenz anwendbar sein können638. Dies ist im Bereich immissionsbeschränkender Anforderun___________ 636 Zu den Konsequenzen für die Gefahrenschwelle des § 3 I BImSchG unten 3. Teil S. 320 ff. 637 BVerfGE 30, 292 (334 f.); Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 98; Wieland, in: Dreier I2, Art. 12 Rn. 181; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 266; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 109; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 222; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 72 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 99. 638 Tettinger, in: Sachs3, Art. 12 Rn. 165; Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 98; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 109; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 222; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 72 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 99.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gen regelmäßig der Fall, da hier nicht nur die Aufnahme oder Fortführung einer gewerblichen Betätigung unter dem Aspekt der Ausübungsregelung betroffen ist, sondern bei Vorhandensein von „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG als dem gegenständlichen Substrat gewerblicher Betätigung639 der Eigentümer auch in der Nutzung dieses Eigentums beschränkt wird. Wenn teilweise weitergehend eine „Schrankenidentität“ beider Grundrechte angenommen wird, wonach zulässige Regelungen der Berufsausübung regelmäßig auch zulässige Eigentumsbeschränkungen seien640, so ist dem zu widersprechen, da es gerade im Immissionsschutzrecht angesichts der dynamischen Grundpflichten641 und dem dadurch bewirkten permanenten Anpassungsdruck unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes einen Unterschied macht, ob lediglich allgemein für die Zukunft Verhaltensanforderungen verschärft werden oder diese zugleich zur Folge haben, daß Anlageneigentum, das unter hohem investivem Aufwand angeschafft wurde, bereits nach kurzer Zeit faktisch „entwertet“ wird642. Insofern erhöht Art. 14 GG gegenüber Art. 12 GG tendenziell den Schutz der Betreiber vor immissionsbeschränkenden Anforderungen.
bb) Inhalts- und Schrankenbestimmung oder Enteignung? Bevor auf die inhaltlichen Maßstäbe eingegangen werden kann, die Art. 14 GG an immissionsbeschränkende Anforderungen stellt, muß zunächst geklärt werden, ob es sich bei diesen um Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 I 2 GG oder um Enteignungen nach Art. 14 III GG handelt, da beide Arten von Eigentumsbeschränkungen unterschiedlichen Rechtmäßigkeitsmaßstäben folgen. Diese Abgrenzung und die Bestimmung des Enteignungsbegriffs nach Art. 14 III GG kann dabei wohl als das Kardinalproblem der Eigentumsdogmatik bezeichnet werden, und zwar nicht erst seit Inkrafttreten des Grundgesetzes. Angesichts der Bibliotheken, die zu diesem Thema in der Vergangenheit gefüllt wurden, kann die nachfolgende Darstellung keinen Anspruch auf umfassende Erörterung der Problematik erheben, sondern folgt im wesentlichen der neueren Rechtsprechung des BVerfG, insbesondere der Entscheidung vom 22. 5. 2001 zur städtebaulichen Umlegung643. ___________ 639
Zum richtigen eigentumsrechtlichen Anknüpfungspunkt unten 3. Teil S. 444 ff. So Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 109; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 222. 641 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 6; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 2, § 22 Rn. 12; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 2, 25 ff., § 22 Rn. 13; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 1; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 6 f. 642 Zur bestandsschutzrechtlichen Problematik und zur diesbezüglichen Bedeutung des Art. 14 GG im einzelnen unten 3. Teil S. 454 ff. 643 BVerfGE 104, 1 ff.; dazu sogleich im Text. 640
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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In der historischen Entwicklung war der Enteignungsbegriff, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Mittel der Güterbeschaffung von Grundstücken zur Erfüllung eines öffentlichen Unternehmens konzipiert wurde (sog. klassische Enteignung)644, spätestens seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung gekennzeichnet durch eine stete Ausweitung seiner Begriffsmerkmale645, die es möglich machte, jede Beeinträchtigung vermögenswerter Rechte durch Einzelakt auch ohne Rechtsträgerwechsel zu erfassen. Diese vom Reichsgericht begründete Lehre wurde auch unter dem Grundgesetz von BGH und BVerwG übernommen und fortgeführt646. Danach unterschieden sich Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung nur graduell, und es konnte erstere bei hinreichender Eingriffsintensität in letztere umschlagen, wofür BGH und BVerwG sog. Schwellentheorien entwickelten647. Nach dieser rein materiellen Abgrenzung könnten jedenfalls bei hinreichender Eingriffsintensität auch immissionsvermeidende Anforderungen Enteignungen sein, insbesondere, wenn diese zur Betriebsaufgabe und faktischen „Entwertung“ des Eigentums führen. Demgegenüber hat das BVerfG spätestens mit dem Naßauskiesungsbeschluß vom 15. 7. 1981648 eine rein formale Abgrenzung propagiert. Danach ist Inhalts- und Schrankenbestimmung die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, ___________ 644 Sproll, in: Detterbeck u. a., StaatsHR, § 16 Rn. 6 ff.; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 356. 645 Diese Entwicklung wird dargestellt bei Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 9 ff. 646 Vgl. Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 12; ferner Rn. 25 das Fazit (bezogen auf die Rspr. des BGH): Enteignung „jede Beeinträchtigung einer als Eigentum geschützten Rechtsposition, die jenseits der Sozialbindung ... des Eigentums gem. Art. 14 I 2 GG lag und deshalb für den Betroffenen ein Sonderopfer darstellte“. 647 In diesem Punkt unterschied sich die Rspr. von BGH und BVerwG, da der BGH den „Umschlagpunkt“ im wesentlichen durch das Vorliegen eines Sonderopfers bestimmte („Sonderopfertheorie“; grundlegend BGHZ [GS] 6, 270 [279 ff.]; ferner 60, 126 [130]; 63, 240 [246]; 80, 111 [114]), während das BVerwG maßgeblich auf die Eingriffsschwere abstellte („Schweretheorie“; vgl. BVerwGE 5, 143 [145]; 32, 173 [178 f.]; 61, 295 [303]). – Aus der unübersehbaren Lit. vgl. Breuer, Bodennutzung, S. 43 ff., 47 ff.; von Brünneck, S. 170; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 363 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 256 ff.; M. Appel, Eigentum, S. 111 f.; Lubberger, S. 118 ff.; Wahlhäuser, S. 38 ff.; Mengel, S. 112 ff.; Sellmann, S. 58 f. – Auch wenn diese Theorien heute nach der formalen Abgrenzung des BVerfG (dazu oben im Text) nicht mehr zur Bestimmung des Enteignungsbegriffs benötigt werden, soll ihnen gleichwohl auch heute noch Bedeutung im Rahmen der Abgrenzung von ausgleichspflichtiger und ausgleichsloser Inhalts- und Schrankenbestimmung zukommen (so Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 362; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 254 f.; vgl. ferner Sellmann, S. 71 ff.; Nolden, S. 94 ff.), was hier jedoch nicht vertieft zu werden braucht (zur ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung grundlegend BVerfGE 58, 137 [149 f.] – Pflichtexemplar). 648 BVerfGE 58, 300 ff.; vorbereitet wurde dieses Verständnis durch BVerfGE 52, 1 ff. – Kleingarten I.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
die „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG sind649, während Enteignung der gezielte staatliche Zugriff auf das Eigentum in Gestalt einer vollständigen oder teilweisen Entziehung konkreter vermögenswerter Rechtspositionen i. S. des Art. 14 I 1 GG zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben ist650. Danach ist ein Umschlagen einer (verfassungswidrigen) Inhalts- und Schrankenbestimmung in eine Enteignung kategorisch ausgeschlossen651. Diese Definitionen wurden im Laufe der Zeit wie folgt präzisiert und ergänzt: Während es das BVerfG im Naßauskiesungsbeschluß noch für möglich hielt, daß eine für die Zukunft den Inhalt des Eigentums neu definierende Inhalts- und Schrankenbestimmung hinsichtlich aufgehobener Befugnisse des „alten“ Rechts zugleich eine Legalenteignung bewirkt652, wird dieser Fall heute einheitlich als Inhaltsund Schrankenbestimmung angesehen653. Ferner hat das BVerfG in der Entscheidung zum rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz klargestellt, daß die Abgrenzung von der Intensität der den Rechtsinhaber treffenden Belastung unabhängig ist und auch gilt, wenn der Eingriff „einer Enteignung nahe- oder gleichkommt“654. Schließlich hat das BVerfG in der Entscheidung zur städtebaulichen Umlegung die Rückkehr zum „klassischen“ Enteignungsbegriff655 vollzogen656, indem es auf den Vorgang der Güterbeschaffung abgestellt hat: ___________ 649 So grundlegend BVerfGE 52, 1 (27) – Kleingarten I; 58, 137 (144 f.) – Pflichtexemplar; 58, 300 (330) – Naßauskiesung; 72, 66 (76) – Flughafen Salzburg; NJW 1998, 367. – Aus der Lit. Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 74 ff.; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 36; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 103; Rozek, S. 21 f.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 254, 257. 650 So ansatzweise bereits BVerfGE 24, 367 (396 f., 403 f.) – Hamburger Deichordnung; ferner dann 38, 175 (180); 45, 297 (322, 326, 338); 46, 268 (286 f.); 52, 1 (27); 56, 249 (260); 58, 300 (330 f.) – Naßauskiesung; 70, 191 (199 f); 72, 66 (76) – Flughafen Salzburg; 74, 264 (280); 79, 174 (191) – Verkehrslärm; 83, 201 (211) – Vorkaufsrecht; 100, 226 (239 f.); 102, 1 (15 f.) – Altlasten. – Aus der Lit. zustimmend Rozek, S. 241 f.; Sproll, in: Detterbeck u. a., StaatsHR, § 16 Rn. 36 ff.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 54 ff.; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 77 ff.; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 522 ff.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 559; Külpmann, JuS 2000, 646 (647 f.); Wahlhäuser, S. 44 ff. 651 Rozek, S. 62 ff.; Hösch, Eigentum, S. 213; Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 29; gegen eine begriffliche Trennung aus neuerer Zeit nur Wilhelm, JZ 2000, 905 (909 ff.). 652 So noch BVerfGE 58, 300 (331 f., 338). 653 Grundlegend BVerfGE 83, 201 (211 f.); ebenso BVerfGE, NJW 1998, 367 (368), wo die soeben Fn. 652 zitierte Rspr. als „überholt“ bezeichnet wird; zustimmend Mengel, S. 119; kritisch Dolde, FG BVerwG, S. 307. 654 So BVerfGE 100, 226 (240); ebenso 102, 1 (16) – Altlasten; damit trifft das BVerfG eine Absage an jegliche materielle Kriterien zur Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung (ebenso die Einschätzung von M. Appel, Eigentum, S. 160; Sellmann, S. 62; Külpmann, JuS 2000, 646 [647 f.]; Jarass, NJW 2000, 2841 [2844]; Nachw. zu einer abweichenden Interpretation bei Mengel, S. 120 f.). 655 So eine Forderung in der Lit.; vgl. die Nachw. bei Mengel, S. 125 in Fn. 147 f.; ferner Rozek, S. 96 ff. 656 So auch die Einschätzung von Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 355.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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„Die Enteignung setzt den Entzug konkreter Rechtspositionen voraus, aber nicht jeder Entzug ist eine Enteignung i. S. von Art. 14 III GG. Diese ist beschränkt auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll ... Ist mit dem Entzug bestehender Rechtspositionen der Ausgleich privater Interessen beabsichtigt, kann es sich nur um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums handeln ...“657.
Entgegen verschiedenen Versuchen der Wiederbelebung materieller Abgrenzungen658 ist am Modell des BVerfG festzuhalten, da es ersteren dogmatisch überlegen ist: So beruht die Vorstellung eines fließenden Übergangs von Inhalts- und Schrankenbestimmung zur Enteignung auf der vermeintlichen Notwendigkeit, nicht entschädigungsbedürftige und entschädigungsbedürftige, weil ansonsten verfassungswidrige Beschränkungen des Eigentums zu unterscheiden. Dies macht zwar entschädigungsrechtlich Sinn, läuft aber dem primären Anliegen des Art. 14 GG zuwider, als Abwehrrecht den konkreten Bestand von Eigentumsobjekten in der Hand des jeweiligen Eigentümers zu schützen659. Insofern hat das BVerfG Art. 14 GG zutreffend vom entschädigungsrechtlichen „Kopf“ auf die grundrechtlichen „Füße“ gestellt660. Es besteht daher für ein „Umschlagen“ kein Bedürfnis, da eine die Sozialbindung überschreitende Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG verfassungswidrig ist und im Wege des Primärrechtsschutzes angegriffen werden kann und muß661. Ebenso besteht keine Notwendigkeit, Inhaltsbestimmungen, die zugleich bisherige Rechte entziehen, zusätzlich als (Legal-) Enteignung zu bewerten662, da entsprechende Inhaltsbestimmungen ebenfalls verfassungswidrig sind, sofern die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes – insbesondere durch „abfedernde“ Übergangsregelungen – nicht gewahrt sind663, mit der Folge, daß auch diese im Wege des Primärrechtsschutzes angegriffen werden ___________ 657 BVerfGE 104, 1 (9 f.) – Hervorh. vom Verf.; zu dieser Entscheidung die daran beteiligte Richterin Haas, NVwZ 2002, 272 ff.; ferner Mengel, S. 125 f.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 401. – Damit weicht das BVerfG von der Entscheidung zum Vorkaufsrecht ab, in der es noch betont hat, daß entscheidendes Merkmal der „Entzug des Eigentums und der dadurch bewirkte Rechts- und Vermögensverlust“ ist, nicht aber die „Übertragung des entzogenen Objekts“ (so BVerfGE 83, 201 [211]). Entsprechend wird in der vor 2001 veröffentlichten neueren Lit. betont, die Enteignung setze keinen Güterbeschaffungsvorgang voraus (so Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 563; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 77). 658 Lubberger, S. 268 ff.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 154 f.; mit weiteren Nachw. Sellmann, S. 65 ff.; für eine differenzierte Anreicherung des Eingriffsbegriff um materielle Kriterien jetzt auch Raue, S. 205 ff., 240 ff. 659 Zur Bestandsgarantie oben S. 66 Fn. 115. 660 So ein verbreitetes Bonmot; vgl. nur Rozek, S. 14. 661 Dazu BVerfGE 58, 300 (324) – Naßauskiesung. 662 So noch BVerfGE 58, 300 (331 f., 338); zum Streit oben S. 194 Fn. 652 f. 663 Insofern macht Rozek (S. 155 ff.) zutreffend darauf aufmerksam, daß es sich hier um ein Übergangsproblem handelt; ähnlich Burgi, NVwZ 1994, 527 (528).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
müssen. Auch machte ein „Umschlagen“ nur solange Sinn, als man in Art. 14 III GG eine unmittelbare Anspruchsgrundlage für die Enteignungsentschädigung sah. Dem steht jedoch die Junktimklausel des Art. 14 III 2 GG entgegen, nach der die Bestimmung der Entschädigung allein dem Gesetzgeber obliegt664, weshalb eine verfassungswidrige Inhalts- und Schrankenbestimmung gerade nicht durch Rückgriff auf Art. 14 III GG „geheilt“ werden kann. Ein weiteres Argument folgt ebenfalls aus der Junktimklausel: Hat der Gesetzgeber danach selbst über die Enteignungsentschädigung zu bestimmen, muß das Vorliegen einer Enteignung ex ante hinreichend klar bestimmt werden können. Dieser Anforderung entsprechen die formalen Kriterien des BVerfG, insbesondere der Güterbeschaffung, in weit höherem Maße als materielle Kriterien, die eine Abgrenzung regelmäßig erst ex post zulassen665. Wendet man dies auf immissionsbegrenzende Anforderungen an, so ergibt sich folgendes: Stellt man mit der neuesten Rechtsprechung des BVerfG entscheidend auf die Güterbeschaffung ab, so fallen immissionsbegrenzende Anforderungen automatisch aus dem Enteignungsbegriff, da bloße Nutzungsbeschränkungen niemals eine solche darstellen. Schwieriger wird die Begründung, wenn man mit der älteren Rechtsprechung maßgeblich auf den Rechtsentzug abstellt, da das BVerfG ausdrücklich von der Möglichkeit des bloßen Teilentzugs einer Eigentumsposition ausgeht666. Da der Eigentümer durch immissionsbegrenzende Anforderungen in der Nutzung seines Eigentums beschränkt wird bzw. ihm einzelne Rechte aus dem Befugnis„bündel“667 entzogen werden, könnte gerade darin eine Teilenteignung zu sehen sein668. Die Frage, wann in diesem Sinne eine einer Teilenteignung fähige Rechtsposition vorliegt, ist zurecht als „offene Flanke“ des Enteignungsbegriffs des BVerfG bezeichnet worden, da konkrete Rechtspositionen wie ausgeführt auch durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen entzogen werden können. Entsprechend intensiv ist insbesondere im Natur- und Denkmalschutzrecht die Frage erörtert worden, inwieweit der Entzug von Nutzungsbefugnissen Teilenteignung sein kann669. ___________ 664
Grundlegend BVerfGE 58, 300 (319, 323) – Naßauskiesung; aus der Lit. nur Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 654 mit dem Hinweis, daß damit letztlich die Haushaltsprärogative des Gesetzgebers gewahrt werden soll; ebenso Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 88 f.; Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 61. 665 So auch Rozek, S. 86 ff. 666 Zur Teilenteignung Rozek, S. 147; unproblematisch ist hierbei der Entzug einer abgrenzbaren Grundstücksfläche und die Belastung mit beschränkt dinglichen Rechten; zu letzteren sogleich im Text. 667 Dazu M. Appel, Eigentum, S. 101; ferner oben S. 69 ff. 668 Rozek, S. 137 f., 148 ff. 669 Vgl. Burgi, NVwZ 1994, 527 ff.; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 79; Rozek, S. 202 ff.; M. Appel, Eigentum, S. 156 ff.; Schönfeld, S. 87 ff.; Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 47; Wahlhäuser, S. 60 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Hierbei ist sich die Lit. zwar einig, daß (teil-) enteignungsfähige Rechtspositionen vom Vollrecht abtrennbar sein müssen, es ist jedoch umstritten, wann dies der Fall ist. Während die überwiegende Auffassung darauf abstellt, daß die Rechtsposition vom einfachen Recht als selbständige ausgestaltet ist670, wie dies insbesondere bei beschränkten dinglichen Rechten (etwa einer Dienstbarkeit) oder einer öffentlich-rechtlichen Baulast der Fall ist671, wird dem der Einwand des „Formalismus“ entgegengehalten und auf die Zufälligkeiten hingewiesen, die entstehen, wenn man allein die bestehende einfach-rechtliche Ausgestaltung als Anknüpfungspunkt wählt672. Dieser Einwand erscheint jedoch nicht berechtigt, wenn man auch im Rahmen des Art. 14 III GG Ernst macht mit der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums i. S. von Art. 14 I 1 GG, da Gegenstand der Enteignung das Eigentum in derjenigen Gestalt ist, die es nach Art. 14 I 1 GG in seiner einfach-rechtlichen Ausgestaltung gefunden hat673. Da die hier relevanten Nutzungsbefugnisse vom einfachen Recht jedoch grundsätzlich nicht als verselbständigte Rechtspositionen ausgestaltet sind, ist ihr Entzug schon deshalb niemals Enteignung674. Dies wird durch folgende Überlegung gestützt: Eine Rechtsposition kann nur dann Gegenstand einer Teilenteignung sein, wenn sie als verselbständigte ihrerseits „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG ist und die Anforderungen des oben B. dargestellten verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs erfüllt675. Bloße Nutzungsbefugnisse sind jedoch regelmäßig privatnützig nur in der Hand des Eigentümers und verlieren ihre Qualität als „Eigentum“ im Augenblick der Abspaltung676. Dies führt zugleich zur Annäherung an das Merkmal der Güterbeschaffung, da Rechtspositionen letztlich nur dann teilenteignungsfähig sind, wenn sie auf einen anderen Rechtsträger übertragbar und auch in dessen Hand „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG sind677. ___________ 670 Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 79; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 58; Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 47; Pieroth / Schlink21, Rn. 923; Rozek, S. 202; Jarass, NJW 2000, 2841 (2844 f.); M. Appel, Eigentum, S. 173 f.; ähnlich Wahlhäuser, S. 61 ff., 65 ff.; Burgi, NVwZ 1994, 527 (529 ff.). 671 Zu diesen Beispielen Wahlhäuser, S. 62; Burgi, NVwZ 1994, 527 (529). 672 Vgl. nur Schwabe, FS Thieme, S. 257 f.; Hösch, Eigentum, S. 224; weitere Nachw. dieser Kritik bei Rozek, S. 209 Fn. 167; kritisch auch Wahlhäuser, S. 63 f.; zur „Antikritik“ Rozek, S. 211 und M. Appel, Eigentum, S. 174 f. 673 Auf diesen Zusammenhang von Art. 14 I 1, Art. 14 I 2 und Art. 14 III GG weist auch Rozek (S. 226) hin. 674 Ebenso Rozek, S. 207 und passim. 675 In der Sache ebenso Burgi, NVwZ 1994, 527 (530). 676 Ähnlich Rozek, S. 212, der auf die „selbständige wirtschaftliche Verwertbarkeit“ des Teilrechts abstellt, die dadurch indiziert sei, daß dieses als abspaltbares konstituiert sei; dem folgend M. Appel, Eigentum, S. 174 f. 677 Vgl. auch M. Appel, Eigentum, S. 171 ff., der in den Fällen der bloßen „Rechtsvernichtung“ im Gegensatz zur „Rechtsübertragung“ eine Enteignung grundsätzlich verneint. – Den Bezug zur Güterbeschaffung stellt ebenfalls her Hösch, Eigentum, S. 224 f.; ebenso im Ergebnis Wahlhäuser, S. 65 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Damit sind immissionsbegrenzende Anforderungen niemals Enteignungen nach Art. 14 III GG, und zwar selbst dann nicht, wenn sie zur Stillegung der Anlage führen678. Zwar wird für diesen Fall in der neueren Lit. diskutiert, ob eine Inhalts- und Schrankenbestimmung dann in eine Enteignung umschlägt, wenn das Eigentumsobjekt für den Eigentümer jegliche Privatnützigkeit verliert679. Indes besteht auch hier keine Notwendigkeit, von der formalen Abgrenzung abzuweichen, da eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die den Eigentümern verfassungswidrige Beschränkungen auferlegt, verfassungswidrig ist und im Wege des Primärrechtsschutzes angegriffen werden kann und muß; insofern würde eine abweichende Auffassung nur das alte und mit Art. 14 GG nicht zu vereinbarende „dulde und liquidiere“ wiederbeleben.
cc) Maßstab immissionsbeschränkender Anforderungen Immissionsbeschränkende Anforderungen müssen im Rahmen des Art. 14 GG wie oben B. ausgeführt einem zweifachen verfassungsrechtlichen Maßstab gerecht werden680, nämlich erstens der Bestandsgarantie und zweitens der Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG. Beiden Maßstäben liegt eine unterschiedliche Perspektive zugrunde, die zugleich das „Maßstabsprogramm“ bestimmt:
(1) Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG Zunächst ist die Bestandsgarantie nach Art. 14 I 1 GG einschlägig bei Beschränkungen des status quo an Eigentümerbefugnissen, weshalb diesem Maßstab eine temporale Sicht zugrundeliegt, da die jetzt vorgenommene Beschränkung zugleich für die Zukunft den (neuen) Inhalt der Bestandsgarantie bestimmt, der wiederum zum verfassungsrechtlichen Maßstab der nächsten Beschränkung wird. Diese Prüfung ist unproblematisch einer abwehrrechtlichen Konstruktion zugänglich681, wobei insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner herkömmlichen Form zur Anwendung kommt. Inhaltlich ___________ 678 Dolde, NVwZ 1986, 873 (875); ebenso, jedoch auf Grundlage einer materiellen Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 40 ff. 679 So Ossenbühl, FS Leisner, S. 698: „Totalentleerung“ des Eigentums als „de facto Enteignung“; ähnlich Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 48 mit dem (sinngemäßen) Argument, hier schlage „Quantität“ in „Qualität“ um; zum Ganzen mit weiteren Nachw. ferner Sellmann, S. 62 ff. – Demgegenüber weist Rozek (S. 182 f.) zutreffend darauf hin, daß jegliche materielle Anreicherung des Modells des BVerfG mit diesem letztlich inkompatibel und damit zum Scheitern verurteilt ist. 680 Dazu oben S. 69 ff. 681 Dazu M. Appel, Eigentum, S. 223 ff.; Thormann, S. 145 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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sind insbesondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen682. Da oben B. jedoch dargelegt wurde, daß dieser temporär-variable Maßstab nur begrenzt tauglich ist, eine konkrete einfach-rechtliche Ausgestaltung von Eigentümerbefugnissen umfassend auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen683, ist für die vorliegende Fragestellung vorrangig auf die nachfolgend zu betrachtende Institutsgarantie abzustellen.
(2) Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG Nach dem oben B. entwickelten Modell stellen Institutsgarantie und Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG die inhaltlichen Pole der nach Art. 14 I 2 GG vorzunehmenden Abwägung dar684, wobei beiden Prinzipiencharakter zukommt685, d. h. sie sind darauf gerichtet, in ihrem prima facie-Gehalt, der im Falle der Institutsgarantie für möglichst umfassende Eigentümerbefugnisse streitet, auf einen definitiven Gehalt reduziert zu werden. Hierbei obliegt es dem Gesetzgeber, im Wege der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG einen „gerechten Ausgleich“ bzw. ein „ausgewogenes Verhältnis“ herzustellen686. Mittel und Maßstab ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz687, der insbesondere in seiner herkömmlichen Gestalt als Zweck-Mittel-Relation zur Anwendung kommt688: Anerkennt man nämlich, daß Art. 14 II GG sich allein an ___________ 682 An dieser Stelle nur M. Appel, Eigentum, S. 248 ff.; zur Abgrenzung zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutz ders., DVBl. 2005, 340 ff.; dazu unten 3. Teil S. 449 ff. 683 Dazu oben S. 71 ff. 684 Dazu oben S. 72 ff. 685 So grundsätzlich unter Rückgriff auf die Prinzipientheorie Alexys (dazu oben S. 47 ff.) Lubberger, S. 245 f., der den Prinzipiencharakter allerdings unmittelbar dem Schutzbereich des Art. 14 I 1 GG zuspricht. 686 Grundlegend das BVerfG in der Kleingarten I-Entscheidung: „... Der Gesetzgeber steht bei der Erfüllung des ihm in Art. 14 I 2 GG erteilten Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, vor der Aufgabe, das Sozialmodell zu verwirklichen, dessen normative Elemente sich einerseits aus der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 I 1 GG und andererseits aus dem Sozialgebot des Art. 14 II GG ergeben ... Der Gesetzgeber muß bei Regelungen im Sinne des Art. 14 I 2 GG beiden Elementen des im Grundgesetz angelegten Verhältnisses von verfassungsrechtlich garantierter Rechtsstellung und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen; er muß die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen ...“ (BVerfGE 52, 1 [29]; seither st. Rspr.; ebenso 58, 137 [147 f.]; 70, 191 [200 f.]; 87, 114 [138 f.]; 95, 64 [84]; 98, 17 [37]; 100, 226 [240 f.]; 104, 1 [11]). – Aus der Lit. Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 59; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 224; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 39; Böhmer, NJW 1988, 2561 (2573); Thormann, S. 140 f.; M. Appel, Eigentum, S. 200. 687 Dazu oben S. 74 Fn. 156. 688 Kritisch dazu Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 63; Wieland, in: Dreier 2 I , Art. 14 Rn. 126 f.; ansatzweise für eine spezifisch eigentumsrechtliche Anwendung
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
den Gesetzgeber richtet689, so wird deutlich, daß sich die Sozialpflichtigkeit erst dann und nur soweit aktualisiert, als der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange als eigentumsbeschränkend definiert690. Insofern unterscheidet sich die im Rahmen des Art. 14 I 2 GG vorzunehmende Prüfung, ob in Konkretisierung des Art. 14 II GG definierte Gemeinwohlbelange gemessen am prima facie-Gehalt der Institutsgarantie verhältnismäßig sind, strukturell nicht von einer „normalen“ freiheitsrechtlichen Prüfung. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung hier nicht explizit am Vorliegen eines Grundrechtseingriffs festgemacht wird, was jedoch angesichts der strukturellen Identität beider Prüfungen nicht ins Gewicht fällt691. Bei diesem Verständnis wird Art. 14 II GG auch nicht überflüssig692, da er angesichts der besonderen „Konfliktanfälligkeit“ des Eigentums693 dem Gesetzgeber die Notwendigkeit vor Augen führt, die Sozialpflichtigkeit auch tatsächlich rechtsetzend zu aktualisieren. Auch kommt dem Gesetzgeber bei der Definition eigentumsbeschränkender Gemeinwohlbelange ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zu694. Ferner sind im Rahmen des Art. 14 II GG auch und vor allem kollidierende Grundrechte Dritter zu berücksichtigen695, womit sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Herstellung praktischer Konkordanz mit Art. 2 II 1 GG erweitert. Die Abwägung des Art. 14 I 2 GG hat sich inhaltlich zu orientieren an den Besonderheiten des jeweiligen Lebensbereichs, der Bedeutung der betroffenen Eigentumsposition für den Eigentümer696, der funktionalen Eigenart der geschützten Eigentumsposition697, ihrem sozialen Bezug698 und der Schwere der ___________ des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch Rozek, S. 33 f.; ohne Problematisierung demgegenüber Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 315 ff.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 324 ff.; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 38 ff.; Wahlhäuser, S. 80 f.; ferner Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 226 f.; differenzierend Thormann, S. 211 ff. 689 Dazu oben S. 75 ff. 690 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 201 f., 218. – Insofern kommt dem Gesetzgeber eine Prärogative für die Definition eigentumsbeschränkender Interessen zu (Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 515; von Brünneck, S. 396; ferner Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 322). 691 Ebenso M. Appel, Eigentum, S. 209 f. – A. A. (Grundrechtseingriff notwendig) demgegenüber Lubberger, S. 223; ebenso Sachs, in: Stern III / 2, S. 405. 692 So aber andeutungsweise Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 168. 693 Dazu oben S. 77 ff.; ferner Jaschinski, S. 144 f.; M. Appel, Eigentum, S. 92. 694 Zum Gestaltungsspielraum im Rahmen des Art. 14 II GG nur Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 225; Thormann, S. 209 f. 695 Vgl. BVerfGE 102, 1 (18 f.) – Altlasten. 696 Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 334. 697 Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 96; Thormann, S. 152 ff. – Daraus folgt für unternehmerisches Eigentum insbesondere dessen ökonomische Rentabilität (Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 103).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Eigentumsbeschränkung, die danach zu beurteilen ist, in welchem Maße Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis nachteilig betroffen werden. Daraus folgt für das Eigentum an emittierenden Anlagen im Vergleich zu anderen Eigentumsobjekten zunächst ein erheblicher sozialer Bezug699, da Immissionen mit dem Umweltmedium Luft nicht nur ein Gut betreffen, auf dessen Nutzung die Allgemeinheit existentiell angewiesen ist, sondern auch mit Leben und körperlicher Unversehrtheit Rechtsgüter Dritter berührt. Auf der anderen Seite tritt der personale Bezug des Eigentums hier weitgehend zurück, da insbesondere Industrieanlagen nicht der „Sicherung der persönlichen Freiheit“ des Eigentümers dienen700, während andererseits zu berücksichtigen ist, daß Anlageneigentum in der Regel erwerbswirtschaftlichen Zielen dient. Letzteres führt dazu, daß der zeitliche Faktor der Nutzbarkeit einer Anlage, insbesondere deren Amortisation701, zu berücksichtigen ist, da die Eingriffstiefe davon abhängt, in welchem Maße das investierte Kapital durch den erwirtschafteten Gewinn aufgewogen wird. Im übrigen gilt auch hier, daß die unmittelbar durch kollidierende Grundrechte bewirkte Sozialpflichtigkeit einer Abstufung nach dem abnehmenden Gewicht des Art. 2 II 1 GG im Risikobereich unterliegt; insofern wird auf die Ausführungen zu Art. 12 GG verwiesen702. Bezüglich der Typisierungsbefugnis des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers wird vertreten, die Inhaltsbestimmung habe abstrakt und nicht bezogen auf die Auswirkungen auf einen konkreten Eigentümer zu erfolgen703. Ob damit der Inhaltsbestimmung ein weiter Typisierungsspielraum gleichsam immanent ist, erscheint jedoch zweifelhaft, wenn man das Ziel jeder Inhaltsbestimmung betrachtet, „Eigentum“ im Sinne der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG zu schaffen. Ist es aber Ziel dieser Garantie, einen konkreten Bestand an vermögenswerten Rechten in der Hand des jeweiligen Eigentümers zu sichern, so muß auch bezogen auf jedes dieser Garantie unterfallende Eigentumsobjekt dieser Ausgleich hergestellt sein. Vorzugswürdig dürfte es daher sein, die Typisierungsbefugnis erst auf einer zweiten Stufe aus den oben entwickelten Grundsätzen der vertika___________ 698 BVerfGE 50, 250 (340); 52, 1 (32); 70, 191 (201); 79, 292 (302); 100, 226 (241); 102, 1 (17). – Aus der Lit. Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 312; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 336; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 143; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 42. 699 So auch Maiwald, S. 68. 700 Zu diesem Kriterium BVerfGE 50, 250 (340) – Mitbestimmung. 701 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 106; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 249; Murswiek, Verantwortung, S. 264 ff.; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 152; Enders, Kompensationsregelungen, S. 100; aus der Sicht nachträglicher Anordnungen nach § 17 BImSchG Jankowski, S. 63; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 109; dazu unten 3. Teil S. 454 ff.; ferner Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 103. 702 Dazu oben S. 189 ff. 703 So Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 306; ähnlich Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 227.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
len und horizontalen Typisierungsbefugnis herzuleiten704. Eine ähnliche Konstruktion scheint auch der überwiegenden Lit. zugrundezuliegen, nach der Art. 3 I GG als eigenständiger Maßstab im Rahmen des Art. 14 I 2 GG zu prüfen sein soll705, was dem hier vertretenen Verständnis entspricht, da Art. 3 I GG einerseits die Belastungsgleichheit eigentumsbeschränkender Regelungen gebietet706, andererseits aber gerade deren Durchbrechung nach den Grundsätzen der „horizontalen“ Typisierungsbefugnis zuläßt.
dd) Konsequenzen für Kollisionsverhalten des Art. 14 GG Damit ist auch angesichts Art. 14 GG eine Regelung verfassungsmäßig, die im Bereich des Lebens- und Gesundheitsschutzes zwischen strikter und kategorischer Abwehr von „Gefahren“ und lediglich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter Risikominimierung unterscheidet. Insofern kann im Bereich sicherer oder „hinreichend“ wahrscheinlicher Schädigungsfolgen selbst die vollständige Einstellung des Betriebs einer Anlage noch als verhältnismäßige und praktisch konkordante Rechtsfolge angesehen werden707, da das besondere Gewicht des Art. 2 II 1 GG jedenfalls diesseits des bloßen Risikos sowohl diese Eingriffswirkung als auch Durchbrechungen des Grundsatzes der Belastungsgleichheit legitimieren kann. Auf der anderen Seite gewinnen mit abnehmender Sozialpflichtigkeit, die sowohl durch das abnehmende Gewicht des Art. 2 II 1 GG im Risikobereich als auch durch Nichtdefinition hinreichend gewichtiger Gemeinwohlbelange bewirkt werden kann, sowohl die Eingriffswirkung als solche als auch die Belastungsgleichheit an Bedeutung, weshalb es – wie etwa in § 17 II BImSchG geschehen – erforderlich sein kann, eine einzelfallbezogene ___________ 704
Dazu oben S. 185 ff. Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 342 (dort auch umfassende Nachw. aus der Rspr. des BVerfG); Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 146; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 185; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 48; Rozek, S. 41; Wahlhäuser, S. 84; wohl auch Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 64a. 706 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 231; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 350. 707 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 112. – Ähnlich der verbreitete Satz, das Gebot, bei der Nutzung von Eigentum Gefahren für die Allgemeinheit oder Dritte zu vermeiden, sei eine stets zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung (so Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 112, 509; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 507 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 396). Dies mag für das allgemeine Polizeirecht plausibel sein, wird jedoch dann problematisch, wenn eindeutige Kriterien zur Bestimmung der Gefahrenschwelle nicht existieren; in diesem Fall kann Art. 14 GG seine verfassungsrechtliche Maßstabsfunktion gerade dann nicht entfalten, wenn man entsprechende Fälle durch Postulierung einer generellen Sozialpflichtigkeit von vornherein aus der verfassungsrechtlichen Prüfung hinausdefiniert. 705
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzusehen, über welche tatsächliche Belastungsungleichheiten berücksichtigt werden können 708.
c) Subsidiär: Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) Erfolgt die Immissionsverursachung durch einen grundrechtsberechtigten Emittenten schließlich zu nicht gewerblichen Zwecken, greift vorbehaltlich weiterer Grundrechte709 mindestens Art. 2 I GG als subsidiäres Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit710. Dieses steht mit dem Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung“ unter einer denkbar weiten Schranke, da darunter die gesamte Rechtsordnung verstanden wird, sofern sie formell und materiell verfassungsmäßig ist711, wobei zentraler Prüfungspunkt die Verhältnismäßigkeit ist712. Damit erzwingt Art. 2 I GG einerseits die Verhältnismäßigkeit jeglicher staatlichen Belastung, läßt jedoch andererseits jedes „nicht völlig unvernünftige (Gemeinwohl-) Anliegen“ als Eingriffsrechtfertigung zu713, so daß die Anforderungen nicht strenger sein dürften als bei Art. 12 und Art. 14 GG714.
4. Berücksichtigung unterschiedlicher Empfindlichkeiten Die Rechtfertigung von Eingriffen in Leben und körperliche Unversehrtheit wird durch die zu berücksichtigende je individuelle Empfindlichkeit der Grundrechtsträger vor zusätzliche Probleme gestellt, die wie dargestellt nur in den seltensten Fällen bereits auf Schutzbereichs- bzw. Eingriffsebene gelöst werden können. Während das Modell der gesetzlichen Rechtsfolgenbestimmungen insbesondere mit dem Tatbestandsmerkmal der „Gefahr“ in § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG hinreichend flexibel ist, auch besondere Empfindlichkeiten zu erfassen, stellen sich bei untergesetzlichen Umweltstandards spezifische Probleme: Einerseits weisen die maßgeblichen Akzeptoren im Rahmen des Art. 2 II 1 GG eine unendliche Vielzahl individueller Prädispositionen gegenüber Immissionen auf. Andererseits steht diesem Höchstmaß an Differenziertheit mit untergesetzlichen Umweltstandards eine Regelungstechnik gegenüber, die ein ___________ 708
Dazu im Rahmen der Bestandsschutzproblematik unten 3. Teil S. 446 ff. Etwa Art. 5 III GG bei einer Forschungseinrichtung; dazu oben S. 80 ff. 710 Dazu grundlegend BVerfGE 6, 32 (37) – Elfes; 80, 137 (157) – Reiten im Walde. 711 St. Rspr. seit BVerfGE 6, 32 (37 f.) – Elfes; 80, 137 (153) – Reiten im Walde. 712 Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 36; BVerfGE 80, 137 (153). 713 Formulierung nach Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 37. 714 Gleiches gilt, wenn man die Schranke der „Rechte anderer“ im Sinne der Dogmatik verfassungsimmanenter Schranken interpretiert (dazu oben S. 80 ff.), da diese dann die Herstellung praktischer Konkordanz mit Art. 2 II 1 GG erforderlich macht. 709
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Höchstmaß an Typisierung bewirkt, indem die zu konkretisierenden Gesetzesbegriffe unter Ausblendung ihrer tatbestandlichen Komplexität auf einen Zahlenwert reduziert werden, der gegenüber allen Akzeptoren Geltung beansprucht715. Nachfolgend soll daher betrachtet werden, inwieweit diese strikte Typisierung der doppelten Typisierungsrechtfertigung – diesmal am Maßstab des Art. 2 II 1 i. V. m. Art. 3 I GG – standhält.
a) „Vertikale“ Typisierungsrechtfertigung am Maßstab des Art. 2 II 1 GG Zunächst ist das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Gegensatz zu Art. 12 GG auf Schutzbereichsebene ein grundsätzlich typisierungsfeindliches Grundrecht716, weshalb jede gegenüber unterschiedlich disponierten Akzeptoren begründete einheitliche Immissionstragungspflicht einer Typisierungsrechtfertigung zu unterziehen ist. Hierfür ergeben sich aus Art. 2 II 1 GG folgende Vorgaben: Zunächst folgt aus dessen Charakter als individuelles Freiheitsrecht, daß auch generelle Immissionstragungspflichten, wie sie durch Umweltstandards begründet werden, stets gegenüber jedem einzelnen Grundrechtsträger verhältnismäßig sein müssen. Ferner ist diese Verhältnismäßigkeit als Konsequenz der Typisierungsfeindlichkeit am Maßstab der jeweiligen individuellen Prädisposition zu bestimmen. Ergibt sich danach, daß eine Immissionstragungspflicht gegenüber einem bestimmten Grundrechtsträger nicht gerechtfertigt werden kann, so muß eine Typisierungsrechtfertigung im horizontalen Sinne gar nicht mehr durchgeführt werden, da die Verletzung zumindest dieses Grundrechtsträgers in Art. 2 II 1 GG feststeht. Zwar ist damit bezogen auf diesen die Immissionstragungspflicht verfassungswidrig, jedoch muß dies nicht zwingend zur Nichtigkeit des Umweltstandards in toto führen, sondern hier könnte die Konstruktion des atypischen Falles die Möglichkeit bieten, diesen jedenfalls nur im konkreten Fall nicht anzuwenden717. Mit dieser differenzierten Schrankenlösung wird zugleich dem Zweck entsprochen, den die Lehre von der durchschnittlichen Empfindlichkeit – allerdings in wesentlich pauschalerer Weise – verfolgt, nämlich der Schaffung von Rechts- und wirtschaftlicher Investitionssicherheit für die Betreiber emittierender Anlagen718: Zunächst werden diese bereits dadurch vor dem nachträglichen Auftreten besonderer Empfindlichkeiten im Einwirkungsbereich ihrer Anlage ___________ 715 Hansmann, FS Sendler, S. 295 f.; ferner prägnant Böhm, Normmensch, S. 129: „Bei der Festlegung von Grenzwerten ist eine Typisierung schon deshalb unabdingbar, weil es keine verschiedenen Grenzwerte für jede einzelne Person geben kann“. 716 Dazu oben S. 143 ff. 717 Zu dieser Konstruktion unten S. 293 ff. und 3. Teil S. 506 ff. 718 So VGH Baden-Württ., ESVGH 32, 161 (215 f.) – Wyhl; dazu oben S. 140 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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geschützt, daß sowohl beim nachträglichen Zuzug einer besonders empfindlichen Person als auch bei einer ursprünglich vorhandenen Person, die ihre besondere Empfindlichkeit im Genehmigungsverfahren nicht offenbart hat und nach § 10 III 3 BImSchG materiell präkludiert ist719, das abwägungsspezifische Gewicht des Art. 2 II 1 GG regelmäßig hinter die gegenläufigen Allgemein- und Individualinteressen zurücktritt720. Andererseits führt die Konstruktion atypischer Fälle zu einem angemessenen Ausgleich des zu gewährenden zwingenden Schutzes für besonders empfindliche Personen und dem Allgemeininteresse an einer funktionsfähigen Industrie, indem eine pauschale Meistbegünstigung721 vermieden wird. Vielmehr tritt an deren Stelle eine relative Meistbegünstigung, nach der ausgehend von der räumlichen Dimension jeglicher Immissionskonflikte722 der generelle Umweltstandard grundsätzlich maßgeblich ist und nur in denjenigen Fällen suspendiert wird, in denen ein empfindlicherer Akzeptor vorhanden ist, der räumlich beschränkt auf den Einwirkungsbereich dieser Anlage zum (strengeren) Maß zu machen ist723.
b) „Horizontale“ Typisierungsrechtfertigung am Maßstab des Art. 3 I GG Ist danach eine Immissionstragungspflicht als solche am Maßstab des Art. 2 II 1 GG gerechtfertigt, muß die eigentliche „horizontale“ Typisierungsrechtfertigung durchgeführt werden, da eine einheitliche Immissionstragungspflicht bei unterschiedlich empfindlichen Akzeptoren eine Vielzahl unterschiedlicher Eingriffsfolgen hervorrufen kann. Greift man hierzu die obige Unterscheidung von internen und externen Zielen auf724, so ist internes Ziel die Verwirklichung von Gleichheit im materiellen Sinn durch Begründung individuell abgestufter Im___________ 719
Zur Präklusion nach § 10 BImSchG oben S. 161 Fn. 523. Dazu oben S. 160 ff. 721 So aber Böhm, Normmensch, S. 138, 292; dazu oben S. 142 ff. 722 Dazu oben S. 143 ff.; Schulze-Fielitz, FS Würzburger Juristenfakultät, S. 714 ff. 723 Vgl. dazu oben S. 143 ff. – Im übrigen bietet gerade der Bereich des bloßen Risikos für Leben und Gesundheit weitgehende Möglichkeiten zur Begründung entsprechender Risikotragungspflichten, da etwa ausgehend von den vom LAI ermittelten Risikozahlen für luftschadstoffbedingte Krebserkrankungen rational nicht begründet werden kann, daß zwar ein Risiko von 1 : 5.000 in ländlichen Gebieten, nicht aber von 1 : 1.000 in Ballungsgebieten hinzunehmen ist (dazu und zu den genannten Risikozahlen oben S. 155 ff.). Entsprechendes gilt, wenn für eine durchschnittlich empfindliche Person ein Schädigungsrisiko angegeben werden kann, das für besonders empfindliche Personen überschritten wird. Zu beachten ist ferner, daß regelmäßig exakte Risikozahlen gar nicht angegeben werden können und auch diejenigen des LAI eine Sicherheit suggerieren, die naturwissenschaftlich nicht besteht. Aufgrund dieses doppelten rechtlichen und tatsächlichen Erkenntnisdefizits wird regelmäßig eine nicht unerhebliche Bandbreite möglicher Risiken an Art. 2 II 1 GG rechtfertigungsfähig sein. 724 Grundlegend Huster, Rechte, S. 165 ff.; dazu oben S. 186 ff. 720
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
missionstragungspflichten, die für jeden Betroffenen eine vergleichbare Belastung bewirken. Demgegenüber bedürfen entindividualisierende und generalisierende Immissionstragungspflichten der Rechtfertigung durch ein externes Ziel, das nicht der materiellen Gleichheit dient, sondern deren Durchbrechung zur Verwirklichung gegenläufiger Belange. Derartige nachfolgend zu betrachtende Belange können hierbei die Grundrechte der Betreiber sein, ferner vom Gesetzgeber definierte Gemeinwohlbelange und schließlich die Verwaltungspraktikabilität, was der Typisierung im engeren Sinne entspricht.
aa) Betreibergrundrechte als Typisierungsrechtfertigung Die Betreibergrundrechte stehen insofern in einem strukturellen Kollisionsverhältnis zu der aus Art. 2 II 1 GG folgenden immissionsmäßigen Belastungsgleichheit, als sie angesichts des Gebots der wirtschaftlichen Belastungsgleichheit725 gerade nach einheitlichen Immissionsvermeidungspflichten verlangen. Insofern könnte der Eindruck entstehen, daß genauso wie der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit dort, wo er zwingend sicherzustellen ist, in der Lage ist, eine Vielzahl möglicher Eingriffsfolgen in die Betreibergrundrechte zu rechtfertigen, umgekehrt diese in der Lage sind, eine Vielzahl möglicher Schädigungsfolgen für Leben und körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen. Dies ist zwar dort, wo das Gewicht des Art. 2 II 1 GG nur gering ist – d. h. im bloßen Risikobereich –, grundsätzlich zutreffend, bedarf jedoch einer differenzierteren Bewertung, was an folgendem Beispiel illustriert werden soll: Gesetzt den Fall, es gelte für einen Luftschadstoff x ein Immissionsgrenzwert y, der nicht überschritten werden darf: Siedelt sich an dem bisher nicht vorbelasteten Standort S1 eine Anlage A0 an, so darf diese vorbehaltlich der hier nicht zu betrachtenden Vorsorgepflicht den Grenzwert ausschöpfen. Siedelt sich demgegenüber an einem Standort S2, an dem bereits die Anlagen A1-4 den Grenzwert weitgehend ausschöpfen, eine weitere Anlage A5 an, so steht dieser nur ein entsprechend geringeres „Verschmutzungskontingent“ zur Verfügung, und die Anlage A5 muß gegenüber der Anlage A0 weitergehende Vermeidungsanstrengungen unternehmen.
Dieses Beispiel zeigt, daß Umweltstandards in Gestalt einheitlicher Immissionsstandards sowohl akzeptorseitig unterschiedliche Schädigungsfolgen für Leben und körperliche Unversehrtheit als auch emittentenseitig unterschiedliche wirtschaftliche Belastungen hervorrufen können, so daß die Prämisse, einheitliche Immissionsvermeidungsstandards gewährleisteten automatisch emittentenseitig wirtschaftliche Belastungsgleichheit, unzutreffend ist. Insofern können die Betreibergrundrechte angesichts der offenen „Variable“ der immissionsmäßigen Vorbelastung eine horizontale Typisierungsrechtfertigung einheitlicher Immissionstragungspflichten gar nicht bewirken. Anders jedoch bei einheitlichen ___________ 725
Dazu oben S. 186 ff. (zu Art. 12 I GG) und S. 198 ff. (zu Art. 14 GG).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Emissionsvermeidungsstandards, die allen Anlagen desselben Typs die Verwendung einer bestimmten Technik vorschreiben und zu einem einheitlichen Emissionsverhalten führen: Hier ist zwar die anlagenspezifische Belastungsgleichheit gewahrt, jedoch lassen rein emissionsbezogene Vermeidungsstandards aufgrund der räumlichen Verteilwirkung726 keine Rückschlüsse auf dasjenige Immissionsmaß zu, welches als Immission bei den Akzeptoren ankommt. Hier muß akzeptorseitig mit einer noch viel größeren Bandbreite möglicher Schädigungsfolgen gerechnet werden als bei einheitlichen Immissionsstandards. Ist jedoch der zwingende Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit immissionsbezogen sichergestellt, kann unterhalb dieser Schwelle die anlagenspezifische Belastungsgleichheit durchaus rechtfertigend wirken für ein grundsätzlich variables Maß weitergehender Immissionsminderung. Ferner wirken die Betreibergrundrechte auch gegenüber einheitlichen Immissionsvermeidungsstandards insofern typisierungsrechtfertigend, als jedenfalls bei identischer Vorbelastung identische Vermeidungsanforderungen begründet werden. Damit kommen einheitliche Immissionsvermeidungsstandards zumindest tendenziell näher an das Ziel emittentenseitiger Belastungsgleichheit als eine variable einzelfallbezogene Immissionsvermeidung.
bb) Allgemeininteressen als Typisierungsrechtfertigung Eine Typisierungsrechtfertigung wird ferner dadurch bewirkt, daß durch die Vorgabe exakter Zahlenwerte Verwaltung und Rechtsprechung davon entbunden werden, die unbestimmten Rechtsbegriffe der Gesetzesebene einzelfallbezogen zu konkretisieren. Insofern schaffen einheitliche Umweltstandards nicht nur die notwendige Rechtssicherheit und -klarheit727, sondern auch einheitliche Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Betätigung728.
cc) Verwaltungspraktikabilität als Typisierungsrechtfertigung Abschließend ist die Typisierung im eigentlichen Sinne zu betrachten, bei der Typisierungen zusätzlich oder alleine aus Gründen vorgenommen werden, die nicht bereits aus denjenigen Zwecken resultieren, die mit der Beschränkung des entsprechenden Freiheitsrechts verfolgt werden. Ein solcher eigenständiger ___________ 726
Diese führt zu einer Veränderung der Emissionen durch den Verbreitungsvorgang infolge Abschwächung, Überlagerung oder neuen eigenständigen Wirkungen (Synergismen); dazu unten 3. Teil S. 298 ff. 727 Hansmann, FS Sendler, S. 285 f.; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 4; allgemein Huster, Rechte, S. 251. 728 Vgl. dazu auch den Rechtsgedanken des Art. 72 II GG.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Zweck ist insbesondere die Verwaltungspraktikabilität729. Ausgehend von dem Befund, daß eine einzelfallbezogene Konkretisierung der relevanten Gesetzesbegriffe regelmäßig auf unüberwindbare praktische Hindernisse stößt, da es unmöglich ist, für jeden Akzeptor individuell dessen konstitutionelle Besonderheiten zu bestimmen, werden diese Schwierigkeiten denn auch zur Rechtfertigung einer typisierenden Anwendung des Art. 2 II 1 GG herangezogen730. Die bisherige Diskussion der Problematik ist dadurch gekennzeichnet, daß entweder mit den genannten Praktikabilitätserwägungen bereits die Ausblendung jeglicher überdurchschnittlicher Empfindlichkeit gerechtfertigt wird731, oder aber unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Typisierung im Steuerund Sozialrecht eine Typisierungsbefugnis im Rahmen des Art. 2 II 1 GG ganz oder weitgehend verneint wird732. Demgegenüber wird eine „mittlere“ Lösung bereits dadurch vorgezeichnet, daß die hier zu prüfende horizontale Typisierungsrechtfertigung der oben a) geprüften vertikalen nachgeordnet ist, weshalb sich die Frage einer Typisierungsrechtfertigung nur für solche Immissionstragungspflichten stellt, die am Maßstab des Art. 2 II 1 GG bereits gerechtfertigt sind. Andererseits führt gerade die systematische Abschichtung von vertikaler und horizontaler Typisierungsrechtfertigung dazu, daß die Kriterien des BVerfG zur Zulässigkeit von Typisierungen im Steuer- und Sozialrecht in weitaus höherem Maße eingehalten werden, als dies von den genannten Literaturstimmen angenommen wird. Wenn nämlich das BVerfG verlangt, daß typisierungsbedingte Härten nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht intensiv sein dürfe733, so kann das erste Kriterium dadurch erfüllt werden, daß der Grenzwertsetzung grundsätzlich eine „durchschnittliche“ bzw. „typische“ Empfindlichkeit zugrundegelegt wird, die erwarten läßt, daß der Grenzwert für die Mehrzahl der Akzeptoren auf der „sicheren“ Seite liegt734. Interpretationsbedürftig ist demgegenüber das Kriterium, daß der Verstoß gegen den Gleichheitssatz „nicht sehr intensiv“ sein dürfe. Sofern damit auf das Maß der Ungleichbehandlung abgestellt wird, läßt sich dieses bei Ungleichbehandlungen im Rahmen freiheitsrechtlicher Grundrechtseingriffe durch eben diesen Eingriff ___________ 729 Dazu Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 3 Rn. 26; Huster, Rechte, S. 249 f.; ders., JZ 1994, 541 (545). 730 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (213 f.); Wulfhorst, Schutz, S. 121 ff.; ders., NuR 1995, 221 (225). 731 So Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (213 f.). 732 So Böhm, Normmensch, S. 130 ff.; ebenso Wulfhorst, Schutz, S. 121 ff.; ders., NuR 1995, 221 (225). 733 BVerfGE 26, 265 (275 f.); 45, 376 (390); 63, 119 (128); 84, 348 (360); 87, 234 (255 f.); 91, 93 (115); 100, 59 (90); aus der Lit. Osterloh, in: Sachs3, Art. 3 Rn. 109; Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 3 Rn. 26; Huster, Rechte, S. 274 ff. 734 Dazu Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 3 Rn. 26.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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beschreiben und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist dann „nicht sehr intensiv“, wenn der Eingriff gegenüber dem „atypisch“ Betroffenen nicht wesentlich tiefer ist als derjenige gegenüber dem „typisch“ Betroffenen. Ein Teil der Lit., der diese Grundsätze auf Eingriffe in Art. 2 II 1 GG überträgt, gelangt dabei zu einer sehr restriktiven Zulässigkeit möglicher Typisierungen: „Die mögliche Beeinträchtigung der Rechtsgüter aus Art. 2 II 1 GG (kann) bei der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht keinen weiteren Typisierungsspielraum rechtfertigen, als dies im Steuer- und Leistungsrecht der Fall ist. Im Gegenteil erfordert die große Bedeutung des Art. 2 II 1 GG eher noch strengere Typisierungsmaßstäbe, da die verfassungsrechtlichen Vorgaben neben Art. 3 I GG beim Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit stärker sind, als wenn es nur ‚um Geld‘ geht ...“735.
Diese Erwägungen gehen jedoch teilweise am Problem vorbei: Zunächst läßt sich im Risikobereich regelmäßig gar nicht bestimmen, wie hoch das Risiko tatsächlich ist, dem ein Akzeptor absolut und in Relation zu anderen ausgesetzt ist, so daß eine ausdifferenzierende Regelung oftmals schon an praktischen Hürden scheitern müßte736. Ferner folgt aus der systematischen Nachordnung der horizontalen Typisierungsrechtfertigung zur vertikalen, daß der letztgenannten nur solche Eingriffe unterzogen werden müssen, die bereits der Eingriffsrechtfertigung am Maßstab des Art. 2 II 1 GG standgehalten haben. Damit wird der Kreis zulässiger Eingriffe durch entindividualisierende Umweltstandards jedoch gerade nicht erweitert, weshalb Art. 2 II 1 GG für die horizontale Typisierungsrechtfertigung unergiebig und das Maß zulässiger „Verstöße“ gegen den Gleichheitssatz allein aus Art. 3 I GG zu gewinnen ist. Spätestens hier sind nun auch die Betreibergrundrechte und Rechtssicherheit und -klarheit als externe Ziele zu berücksichtigen, durch die die Ungleichbehandlungen gerechtfertigt werden können737. Das gerade im Risikobereich erstarkende Gewicht dieser Belange dürfte ferner dafür sprechen, den Bereich der nach Art. 3 I GG zulässigen Typisierungen nicht enger zu fassen als den Bereich zulässiger Eingriffsfolgen, wie er von der vertikalen Typisierungsrechtfertigung abgesteckt wird. ___________ 735
Böhm, Normmensch, S. 131; ähnlich Wulfhorst, NuR 1995, 221 (225); ders., Schutz, S. 122. 736 Dies erkennt auch Wulfhorst, Schutz, S. 120 f., der jedoch übersieht, daß die Unmöglichkeit ausdifferenzierender Regelungen nicht allein aus der Schwierigkeit resultiert, angesichts der Vielzahl von Betroffenen den Sachverhalt umfassend aufzuklären, sondern aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisdefizite selbst für einen einzelnen Betroffenen kein medizinischer Befund erhoben werden kann, aus dem präzise abgeleitet werden könnte, wie dieser auf eine Immission „reagiert“. Im übrigen ist die Prämisse Wulfhorsts (Schutz, S. 122 f.), im Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG hätten verwaltungsökonomische Erwägungen „grundsätzlich zurückzustehen“, angesichts der abnehmenden Wertigkeit im Risikobereich viel zu pauschal. 737 Hier liegt zugleich der zentrale Unterschied zu dem regelmäßig als Referenzgebiet genannten Sozial- und Steuerrecht, wo kollidierende Grundrechte als (externe) Typisierungsrechtfertigung von vornherein ausscheiden.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
c) Zwischenergebnis Damit ergibt sich ein differenziertes Bild der Zulässigkeit generalisierender Umweltstandards, welches sich einerseits im Rahmen der Grenzwertsetzung nach wie vor an durchschnittlichen Empfindlichkeiten orientieren kann, andererseits den Schutz besonders empfindlicher Personen über die Konstruktion eines atypischen Falles jedoch dort sicherzustellen hat, wo er zwingend geboten ist. Würde man demgegenüber stets auf den atypischen Fall besonderer Empfindlichkeiten abstellen738, würde man in einer von Art. 2 II 1 GG nicht gebotenen und angesichts der Betreibergrundrechte auch verfassungswidrigen Weise weit über das Ziel hinausschießen.
5. Formelle Voraussetzungen der Eingriffsrechtfertigung Da auf das Zitiergebot bereits eingegangen wurde739 und andere formelle Voraussetzungen im vorliegenden Zusammenhang nicht relevant sind, soll im folgenden ausschließlich der Gesetzesvorbehalt betrachtet werden. Dieser folgt im Rahmen des Abwehrrechts unmittelbar aus Art. 2 II 3 GG, während im Rahmen der Schutzfunktion nach den Ausführungen oben B. der Gesetzesvorbehalt in mehrfacher Ausprägung zur Anwendung kommt. Zunächst soll Art. 2 II 3 GG in seiner abwehrrechtlichen Funktion betrachtet werden.
a) Abwehrrechtliche Funktion des Gesetzesvorbehalts (Art. 2 II 3 GG) Die nachfolgenden Erörterungen haben von dem Umstand auszugehen, daß das Immissionsschutzrecht Aussagen über die Zulässigkeit von Immissionen auf verschiedenen Normebenen enthält: So stellen zwar die auf dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG aufbauenden Grundpflichten der §§ 5 I 1 Nr. 1 u. 2 und 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG ein regelungstechnisches Instrument dar, mit dem in jedem Einzelfall das zulässige Immissionsmaß bestimmt werden kann. Problematisch hieran ist jedoch die Unbestimmtheit zentraler Gesetzesbegriffe wie „Gefahren“, „Nachteile“, „Belästigungen“, „erheblich“ einerseits und „nicht hervorgerufen werden können“, „Vorsorge“, „Stand der Technik“, und „Mindestmaß“ andererseits. Daher ist es allgemeine Auffassung, daß diese Grundpflichten aus Gründen der Gleichbe___________ 738 So aber Böhm, Normmensch, S. 135 ff.; zu deren „Meistbegünstigungstheorie“ oben S. 142 ff. 739 Dazu oben S. 166 ff.; ferner im Rahmen der Schutzfunktion des Art. 2 II 1 GG oben S. 122 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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handlung und Rechtssicherheit einer Konkretisierung bedürfen740. Nach dem Konzept der rechtssatzmäßigen Umweltstandards741 besteht diese in der Umsetzung in meßbare Größen samt zugehöriger Meßverfahren742. Damit verlagert sich die Rechtsanwendung von der Auslegung der gesetzlichen Begriffe auf die Subsumtion von Meßwerten unter bestimmte Zahlenwerte. Ob das damit verbundene doppelte „Regelungsdefizit“, nämlich die Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelungen und die Problemverlagerung auf die untergesetzliche Ebene, auch angesichts Art. 2 II 3 GG zulässig ist, ist im folgenden zu klären.
aa) Ebene der gesetzlichen Grundpflichten Zunächst könnte jedoch gezweifelt werden, ob die Grundpflichten ihrem Regelungsgehalt nach überhaupt tauglich sind, die Rolle gesetzlicher Schrankenklauseln i. S. des Art. 2 II 3 GG auszufüllen, da ihr unmittelbarer Aussagegehalt allein darin besteht, daß Anlagen in bestimmter Weise „zu errichten und zu betreiben sind“. § 6 I Nr. 1 BImSchG knüpft hieran ferner als Rechtsfolge allein die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, weshalb hier zumindest ausdrücklich nur das Verhältnis Betreiber-Staat geregelt zu sein scheint. Dieser Eindruck täuscht jedoch, geht man von dem oben B. beschriebenen Komplementärverhältnis zwischen Erlaubnissätzen und speziellen Duldungspflichten aus743, denn aus der Regelung, daß ein Betreiber Immissionen verursachen darf, folgt notwendig, daß Nachbarn diese hinnehmen müssen. Begründen die Grundpflichten somit stets Immissionstragungspflichten, kommt ihnen auch Schrankenfunktion i. S. des Art. 2 II 3 GG zu. Problematisch ist demgegenüber die Unbestimmtheit zentraler Tatbestandsmerkmale der Grundpflichten. Dem kann auch nicht mit dem Argument ausgewichen werden, daß hinreichende Bestimmtheit spätestens durch Heranziehung konkretisierender Umweltstandards erzielt werde. Zwar erlauben diese im Rahmen ihres Anwendungsbereichs regelmäßig ein hohes und stets hinreichendes Maß an Bestimmtheit, jedoch würde mit dieser Argumentation die Funktion der gesetzlichen Grundpflichten verkannt, die nicht nur und nicht primär als Maßstab für untergesetzliche Konkretisierungen dienen, sondern zuallererst eine unmittelbare einzelfallbezogene Regelung des zulässigen Immissionsmaßes bezwecken744, was insbesondere relevant wird, wenn konkretisierende Umwelt___________ 740
Hansmann, FS Sendler, S. 285 f.; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 87. Zum Begriff der Umweltstandards unten 3. Teil S. 468 ff. 742 Wolf, UmweltR, Rn. 38; Jarass, NJW 1987, 1225 (1225); Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 4. 743 Dazu oben S. 55 ff. 744 Damit darf nicht die in der Lit. diskutierte Frage verwechselt werden, ob die genannten Grundpflichten den Betreiber unmittelbar binden bzw. verpflichten (so Jarass, 741
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
standards nicht existieren745. Im übrigen zeigt bereits die gesetzessystematisch selbständige Stellung der Konkretisierungsermächtigungen der §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG, daß diese eigenständig neben den Grundpflichten stehen und letztere ihre Maßstabsfunktion lediglich über eine inhaltliche Verweisung in den Ermächtigungsnormen erhalten. Insofern steht und fällt die Anwendbarkeit der Grundpflichten mit ihrer hinreichenden Bestimmtheit. Gerade diese ist jedoch fraglich, was am Beispiel des Gefahrenbegriffs bereits erörtert wurde: Ist – in Anlehnung an die vom Länderausschuß für Immissionsschutz (LAI) ermittelten Zahlen746 – ein Risiko von 1 : 1.500, in Ballungsgebieten durch Luftschadstoffe an Krebs zu erkranken, „Gefahr“ i. S. des § 3 I BImSchG? Gilt dies auch für ein Risiko von 1 : 5.000 in ländlichen Gebieten?
Hier scheinen die herkömmlichen Auslegungsmethoden an Grenzen zu stoßen, die die Einzelfalltauglichkeit der genannten Vorschriften in Frage stellen. Es soll im folgenden ein allgemeiner Lösungsweg zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe aufgezeigt werden, der sich für die Auslegung der einfach-rechtlichen Bestimmungen im 3. Teil als grundlegend erweisen wird.
(1) Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Abwägung In der beschriebenen Regelungstechnik moderner Umweltgesetze fokussiert sich ein allgemeiner Wandel in der Gesetzgebungstechnik, den Pache dahin umschreibt, daß die „inhaltliche Offenheit und Konkretisierungsbedürftigkeit des Rechts“ mittlerweile nicht mehr „nur aus der Einräumung von Ermessen oder einer ausdrücklichen finalen Programmierung (folge)“747, sondern eine neue Dimension erreicht habe. Dem ließe sich zwar entgegnen, daß der unbe___________ BImSchG6, § 5 Rn. 1; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 25 ff.; Sach, S. 89; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 21 Rn. 51; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 8 f. [Bearbeitung 1997]; differenzierend Petersen, S. 30 f.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 8 ff.), da die genannten Autoren nicht die Anwendbarkeit der Grundpflichten auf den Einzelfall in Abrede stellen, sondern erörtern, inwieweit diese auch ohne konkretisierenden Einzelakt Geltung entfalten. 745 Dies gilt gerade für den Schutz von Leben und Gesundheit, da die TA Luft 2002 in Nr. 4.2.1 lediglich 6 Immissionswerte zum „Schutz der menschlichen Gesundheit“ enthält. – Eine parallele Problematik stellte sich bei § 41 BImSchG als Grundpflicht für den Verkehrslärmschutz für die Zeit bis zum Erlaß der 16. BImSchV (Verkehrslärmschutzverordnung v. 12. 6. 1990): Während das BVerwG noch 1981 die unmittelbare Anwendbarkeit des § 41 BImSchG mangels hinreichender Bestimmtheit und fehlender Konkretisierung verneint hatte (BVerwGE 61, 295 [298 ff.]), geht es spätestens seit BVerwGE 71, 150 (154 f.) und 77, 285 (287) in st. Rspr. (dazu Schulze-Fielitz, in: GKBImSchG, § 41 Rn. 21 ff.) von der unmittelbaren Anwendbarkeit des § 41 BImSchG aus (bestätigt in BVerfGE 79, 174 [193 ff.] – Verkehrslärm). 746 Dazu oben S. 155 ff. 747 Pache, S. 478.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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stimmte Rechtsbegriff als dritte Kategorie „offener“ Gesetzgebung neben Rechtsfolgen- und planerischem Ermessen seit jeher Bestandteil verwaltungsrechtlicher Gesetzgebungstechnik ist, jedoch würde dies übersehen, daß mit dem beschriebenen Wandel auch dem unbestimmten Rechtsbegriff eine neue Funktion zukommt, wenn dieser nämlich in einer Weise unbestimmt ist, daß eine Subsumtion nach dem herkömmlichen konditionalen Normschema nicht mehr erfolgen kann. Ob dies bereits für den Gefahrenbegriff des allgemeinen Polizeirechts gilt, dem die Verwaltungsgerichte in jahrzehntelanger Rechtsprechung handhabbare Gestalt verliehen haben, braucht hier nicht geklärt zu werden, da jedenfalls der Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG in seinem spezifisch immissionsschutzrechtlichen Kontext Konstellationen umfaßt, die – wie das obige Beispiel zeigt – durch Subsumtion im herkömmlichen Sinne nicht mehr zu bewältigen sind. Es wäre daher eine Fiktion, zu behaupten, der Gesetzgeber habe in § 3 I BImSchG jeden denkbaren Fall des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens einer Gefahr so vorentschieden, daß der Rechtsanwender dies nur im Wege der Auslegung aufdecken müsse. Gerade diese Fiktion der einen einzig richtigen Auslegung stellt aber eines der zentralen Dogmen der Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff dar748. Es spricht daher viel dafür, dieses Dogma zumindest dann in Frage zu stellen, wenn es mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden praktisch nicht möglich ist, diese eine richtige Lösung zu finden, was eine Anwendung auf eine Vielzahl hergebrachter unbestimmter Rechtsbegriffe, deren Konkretisierbarkeit durch langjährige Rechtsprechung erwiesen ist, nicht ausschließt. Im übrigen zeigt ein Blick in die Rechtstheorie, daß die sog. gebundene Rechtsanwendung oder Subsumtion nicht die einzige Form der Rechtsanwendung ist, so daß – gibt man das Dogma der einzig richtigen Lösung in den hier relevanten Fällen auf – keineswegs ein horror vacui zu befürchten ist. Als weitere Form der Rechtsanwendung kann heute nämlich als Ergebnis einer intensiven rechtstheoretischen Diskussion die Abwägung als anerkannt gelten749, die ___________ 748
Ablehnend Gerhardt, in: Schoch u. a., VwGO, Vorb § 113 Rn. 24; Pache, S. 495. Zur Abwägung als Methode der Rechtsanwendung Hoppe, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 17 (Interessenabwägung als „feste(r) Bestand der Rechtsfindungsmethoden unserer Rechtsordnung“ [ohne Hervorh. im Original]); H.-J. Koch, Abwägung, S. 9 ff.; Rubel, S. 65 ff., 77 ff.; Pache, S. 482 ff.; Sieckmann, ARSP 81 (1995), 164 ff.; Stück, ARSP 84 (1998), 405 ff. – Grundsätzlich in Frage gestellt wurde die Abwägung als Methode der rationalen Rechtsfindung durch Schlink, der den Vorwurf der Irrationalität erhebt (Abwägung, S. 127 ff., 152 f. und öfter; ferner ders., EuGRZ 1984, 457 [462]; ähnlich Pieroth / Schlink21, Rn. 293 ff.; ferner überzogen W. Leisner, Abwägungsstaat, passim; ders., NJW 1997, 636 ff.). Diese Ansicht kann nach der intensiven Diskussion der Abwägung als widerlegt gelten, wie sie insbesondere im Planungsrecht geführt wurde; an Stelle einer uferlosen Lit. nur Uerpmann, S. 278 ff., 285 ff., 291 ff. – Eine weitere Begründung hat der Abwägungsgedanke durch die von R. Alexy propagierte Prinzipientheorie der Grundrechte erfahren (Alexy, Theorie, S. 100 ff. und passim; ferner Borowski, S. 118 f.); zu diesem Ansatz oben S. 47 ff. 749
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
im Gegensatz zur gebundenen Entscheidung zur Voraussetzung hat, daß das konkrete Rechtsanwendungsergebnis – etwa die Feststellung einer „Gefahr“ im Einzelfall – auf normativer Ebene nicht abschließend determiniert ist. Dies ist seit jeher anerkannt für die Fälle des Rechtsfolgen- und planerischen Ermessens, hat jedoch auch für solche unbestimmten Rechtsbegriffe zu gelten, die normativ dergestalt „unterdeterminiert“ sind, daß das konkrete Rechtsanwendungsergebnis einer einzelfallbezogenen Ergänzung bedarf750. Man mag diese „Unterdetermination“ beklagen, muß jedoch zur Kenntnis nehmen, daß gerade im Umwelt- und Technikrecht auch ein „idealer“ Gesetzgeber751 schnell an seine regelungstechnischen Grenzen stoßen würde, so daß bereits aus tatsächlichen Gründen zu der geschilderten Entwicklung keine Alternative bestehen dürfte. Es geht daher nicht um die Frage, ob Abwägung überhaupt als Instrument der Rechtsanwendung herangezogen werden kann, sondern allein darum, diese so auszugestalten, daß sie – jenseits des immanenten Maßes an Rationalitätsverlust – ein Höchstmaß an Rationalität, Transparenz und Berechenbarkeit der zu treffenden Einzelfallentscheidungen gewährleistet. Will man Abwägung in diesem Sinne als Instrument rationaler Rechtsfindung fruchtbar machen, muß von der Erkenntnis ausgegangen werden, daß unbestimmten Rechtsbegriffen, insbesondere denen des BImSchG, abstrakte Zielkonflikte zugrundeliegen752, die im Sinne eines offenen Normprogramms auf normativer Ebene lediglich bezüglich der in die Abwägung einzustellenden Belange inhaltlich determiniert sind, nicht jedoch bezüglich des Abwägungsergebnisses. Es bedarf somit für jeden zu konkretisierenden unbestimmten Rechtsbegriff einer genauen Bestimmung derjenigen Belange, die in die Abwägung einzustellen sind bzw. negativ nicht eingestellt werden dürfen. Hierbei kommt dem Rechtsanwender im Gegensatz zum Gesetzgeber eine originäre Befugnis zur Definition abwägungsrelevanter Belange nicht zu, so daß diese zuallererst durch Auslegung des jeweiligen Gesetzes zu ermitteln sind. In rechtsmethodischer Hinsicht ist Abwägung keine einheitliche Rechtsfindungsform, sondern Oberbegriff für sehr unterschiedliche Erscheinungen, die sich sowohl in Struktur als auch in Art und Umfang der vorzunehmenden Ab___________ 750
Vgl. Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 10 Rn. 5: „Unbestimmte Rechtsbegriffe bedeuten letztlich ein Stück unvollendeter Gesetzgebung ... Auf diese Weise wächst dem Normanwender ein Auslegungs- und Konkretisierungsmandat zu, dessen Wahrnehmung sich zuweilen der Sache nach sehr deutlich als ‚nachgeholte Normsetzung‘ erweist. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind deshalb Delegationsbegriffe: sie ermächtigen den Gesetzesanwender, das normative Programm zu vervollständigen und zu verdeutlichen“ (Hervorh. vom Verf.); ähnlich Röhl2, S. 212 und Sproll II, § 10 Rn. 85. 751 Zu diesem Bild Pache, S. 476; zur Problematik ferner Brohm, S. 225 f. 752 Dazu H.-J. Koch / Rüßmann, S. 214 f.; zum Zusammenhang zwischen teleologischer Auslegung und Abwägung H.-J. Koch, Abwägung, S. 13 f.; Bartlsperger, S. 102. – Allgemein zur Tauglichkeit der Abwägung zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe J. Dreier, S. 43; Uerpmann, S. 227; Ebinger, S. 22 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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wägung erheblich unterscheiden; auf die Einzelheiten kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden753. Es lassen sich jedoch für die vorliegende Fragestellung strukturell zwei Formen der Abwägung unterscheiden, nämlich einmal diejenige, die der abschließenden Beurteilung der Zulässigkeit einer staatlichen Maßnahme dient und auf der Rechtsfolgenebene angesiedelt ist; Beispiel ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der der abschließenden Rechtfertigung einer staatlichen Maßnahme am Maßstab des Verfassungsrechts dient. Diese rechtsfolgenbezogenen Abwägungen sind stets kontradiktorisch, da es um die abschließende Abwägung sämtlicher Für und Wider die Maßnahme sprechender Belange geht. Weiterhin sind Formen der Abwägung denkbar, die hinter diesem umfassenden Maßstab insofern zurückbleiben, als erstens die Abwägungsbelange den Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des pro und contra nicht erschöpfen und diese zweitens nicht in einem kontradiktorischen Verhältnis stehen. Dies ist dann unbedenklich, wenn diese Formen der Abwägung auf Tatbestandsebene angesiedelt sind und damit eine umfassende Abwägung auf Rechtsfolgenebene weder überflüssig machen noch zu dieser in Widerspruch treten. Da bei dieser tatbestandsbezogenen Abwägung Abwägungsmaßstab und -belange nicht von vornherein feststehen und auch nicht dem – rechtsfolgenbezogenen – verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsprogramm entnommen werden können, müssen hier die Abwägungsbelange primär dem einfachen Recht entnommen werden754. Hierbei ist die teleologische Auslegung – verstanden als Frage nach den gesetzlichen Ziel- und Zweckkonflikten – von besonderer Bedeutung. ___________ 753
So kommt Röhl (S. 245 f.) in rechtsmethodischer Hinsicht zu folgender Typologie der Abwägung: (1) Vermittelnde Abwägung, etwa Aushandeln eines Vergleichs zwischen Prozeßparteien. – (2) Konkrete Folgenabwägung, etwa im Rahmen einstweiliger Anordnungen nach § 32 BVerfGG. – (3) Interessenabwägung im Sinne der Interessenjurisprudenz. – (4) Abwägung als erweiterte Subsumtion: Röhl versteht hierunter eine Art der Subsumtion, die nicht von semantisch exakt definierten Tatbestandsmerkmalen ausgeht, deren Vorliegen nur festgestellt werden muß. – (5) Abwägung im Planungsrecht (zum Begriff der Planung Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 7 Rn. 3 ff.; Maurer, AllgVerwR16, § 16 Rn. 1 ff.): Wesentliches Merkmal einer planerischen Entscheidung ist einmal der planerische Gestaltungsspielraum (J. Dreier, S. 45 ff.; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 7 Rn. 7; H.-J. Koch, Abwägung, S. 11 f.; zum Baurecht explizit nur Hoppe, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 9 ff.; ferner mit teilweise abweichender Konzeption Rubel, passim), der sich in der Pflicht zur Abwägung der von der Planung betroffenen öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander äußert (vgl. § 1 VII BauGB); paradigmatisch ist die Bauleitplanung mit den in § 1 VI BauGB genannten Belangen. Weiteres wesentliches Merkmal ist die beschränkte gerichtliche Kontrolle allein auf Abwägungsfehler (zur Abwägungsfehlerlehre grundlegend BVerwGE 45, 309 [314 f.] – Flachglas; aus der Lit. nur Gerhardt, in: Schoch u. a., VwGO, § 114 Rn. 37 ff.). – (6) Prinzipiengeleitete Einzelabwägung im Verfassungsrecht: In der Rspr. des BVerfG wurde die Abwägung nach der Einschätzung von Röhl zur „maßgeblichen Methode zum Umgang mit konkurrierenden Grundrechten und Verfassungsgütern“ ausgebaut (so Röhl2, S. 247); wichtigste Anwendungsfälle sind nach Röhl Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und praktische Konkordanz. 754 Dazu Stück, ARSP 84 (1998), 405 (413).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Die eigentliche Abwägung schließlich vollzieht sich – insofern kann auf gesicherte Erkenntnisse aus Rechtstheorie, Planungs- und Verfassungsrecht verweisen werden –, indem zwischen verschiedenen Belangen (Rechtsgütern, Interessen, Prinzipien o. ä.) bedingte Präferenzrelationen gebildet werden, d. h. Gründe benannt werden, warum in der Situation S1 der Belang B1 dem Belang B2 vorzuziehen ist755. Bedingt ist diese Präferenzrelation insofern, als sie kein allgemeingültiges Rangverhältnis zum Ausdruck bringt, sondern Situationen Sx denkbar sind, in denen der Belang B2 dem Belang B1 vorzuziehen ist756.
(2) Bestimmtheit der gesetzlichen Grundpflichten Im folgenden soll betrachtet werden, welche Konsequenzen aus diesem Ansatz für die Zulässigkeit unbestimmter Rechtsbegriffe in den immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten folgen. Grundsätzlich stellt Art. 2 II 3 GG vorbehaltlich der nachfolgend (b) zu betrachtenden Wesentlichkeitslehre757 hierzu keine von den allgemeinen Grundsätzen abweichenden Anforderungen, so daß die Grundpflichten dann hinreichend bestimmt sind, wenn aus ihnen mit juristischer Auslegung ein subsumtionsfähiger Inhalt gewonnen werden kann758. Hierzu hat das BVerfG wiederholt betont, die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe sei grundsätzlich Sache der Gerichte759 bzw. „Aufgabe der Verwaltungsbehörden und der Fachgerichte“760, so daß ein unbestimmter Rechtsbegriff dann hinreichend bestimmt ist, wenn er durch den Rechtsanwender hinreichend bestimmt gemacht werden kann. Dies ist nach dem obigen Ansatz jedoch stets der Fall, wenn im Wege der Auslegung diejenigen Determinanten bestimmt werden können, die den zugrundeliegenden Zielkonflikt bestimmen.
(a) Zusammenhang zur Kontrolldichte-Problematik Hierbei deutet die gleichrangige Nennung von Gerichten und Verwaltungsbehörden in der soeben zitierten Formel des BVerfG darauf hin, daß bei der ___________ 755 Grundlegend Alexy, Theorie, S. 78 ff., 143 ff.; dies aufgreifend H.-J. Koch, Abwägung, S. 19 f.; Uerpmann, S. 281 f.; Stück, ARSP 84 (1998), 405 (412). 756 Inhaltlich müssen sich diese Gründe an dem von Alexy entwickelten „Abwägungsgesetz“ orientieren, wonach ein Belang B1 desto mehr zurückzusetzen ist, je gewichtiger ein gegenläufiger Belang B2 ist (Alexy, Theorie, S. 146: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“; ebenso H.-J. Koch, Abwägung, S. 20). 757 Zur Wesentlichkeitslehre mit Nachw. oben S. 88 Fn. 213. 758 Ebenso im Ergebnis Maurer, StaatsR I4, § 8 Rn. 47. 759 BVerfGE 64, 261 (279); 84, 34 (49 f.); 103, 142 (157). 760 BVerfGE 87, 234 (263 f.) – Hervorh. vom Verf.; ebenso E 79, 174 (195).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht stets die Gerichte das letzte Wort haben müssen, sondern – wie das BVerfG an anderer Stelle in ständiger Rechtsprechung betont hat – Art. 19 IV GG „normativ eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Verwaltung nicht von vornherein (ausschließt)“761. Da Fragen der gerichtlichen Kontrolldichte abschließend in Art. 19 IV GG verortet sind, der dem Einzelnen einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt gewährt762, ist eine mit Art. 19 IV GG zu vereinbarende normative Eröffnung administrativer Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume stets auch mit den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten zu vereinbaren, die vorbehaltlich der sogleich darzustellenden Überformung durch die Wesentlichkeitslehre diesbezüglich keine weitergehenden Anforderungen stellen763. Danach ist die Abwägung auch dann ein verfassungsrechtlich zulässiges Konkretisierungsmittel, wenn mit ihr eine nur eingeschränkte gerichtliche Kontrolle verbunden sein sollte. Zwar ist dieser Schluß nicht zwingend, wie die insbesondere zu § 35 III BauGB entwickelte Unterscheidung von „echter“ gestaltender und nachvollziehender Abwägung, die unbeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen soll, zeigt764. Indes weisen die hier zu betrachtenden unbestimmten Rechtsbegriffe des BImSchG durchweg einen diskretionären Abwägungsmaßstab auf, da sie auf Gesetzesebene ein nur unvollständiges Normprogramm enthalten765. Somit sind auch im Rahmen grundrechtlicher Schrankenregelungen Beschränkungen der gerichtlichen Kontrolldichte grundsätzlich möglich766 und unbestimmte Rechtsbegriffe zulässig, deren Konkretisierung lediglich einer Kontrolle am Maßstab der Abwägungskontrolle unterliegt. ___________ 761 BVerfGE 88, 40 (56) – Privatgrundschule; ebenso 103, 142 (156 f.) – Wohnungsdurchsuchung; 84, 34 (50) – Staatsprüfung; 61, 82 (111) – Sasbach; zu Beurteilungsspielräumen allgemein Maurer, AllgVerwR16, § 7 Rn. 31 ff.; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 10 Rn. 25 ff., 31 ff.; Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 ff. 762 BVerfGE 103, 142 (156); 101, 106 (122 f.); aus der Lit. nur Krebs, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 19 Rn. 62 ff. 763 Zum Zusammenspiel von Gesetzesvorbehalten und Art. 19 IV GG Pache, S. 469. 764 Dazu mit Nachw. nur Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 7 Rn. 185 f. 765 Dazu, daß eine unbeschränkte gerichtliche Kontrolle stets voraussetzt, daß das auszulegende Gesetz einen entsprechenden Rechtmäßigkeitsmaßstab enthält, Pache, S. 461; Schmidt-Aßmann, in: Schoch u. a., VwGO, Einleitung Rn. 182. – Daß derartige Regelungen nicht gegen Art. 19 IV GG verstoßen, hat das BVerfG zuletzt in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit von Wohnungsdurchsuchungen ausgeführt (BVerfGE 103, 142 [156 f.]): „Die gerichtliche Überprüfung kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Exekutive ... Gerichtliche Kontrolle endet also dort, wo das materielle Recht der Exekutive in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entscheidungsprogramme vorzugeben ... Normativ eröffneten Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräumen der Behörden steht Art. 19 IV GG daher nicht von vornherein entgegen ...“ 766 Ebenso Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 180a.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
(b) Überformung durch Wesentlichkeitslehre Fraglich ist jedoch, wie diese Grundsätze mit der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG zu vereinbaren sind, nach der der Gesetzgeber verpflichtet ist, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung ... alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“767. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß mit jedem unbestimmten Rechtsbegriff ein kompetenzielles Problem verbunden ist, denn es gilt: „Je ‚unbestimmter‘ eine Norm, desto geringer die inhaltliche Bindung des Normanwenders, desto größer sein Spielraum für eigene Entscheidungen“768. Damit ist die demokratische Komponente des Gesetzesvorbehalts angesprochen, die sich im Anwendungsbereich bestehender Vorbehalte primär kompetenzverdichtend äußert, d. h. in der Forderung nach einer erhöhten Regelungsdichte769. Dahinter steht die Vorstellung, daß die verfassungsrechtlich geforderte Bestimmtheit einer Norm keine feste, sondern eine variable Größe ist: Gefordert, aber auch stets ausreichend ist „hinreichende“ Bestimmtheit770. Daran ändert auch die Wesentlichkeitslehre nichts: Zwar soll „wesentlich“ im grundrechtsrelevanten Bereich „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“ bedeuten771, jedoch hält sich das BVerfG auch in den Entscheidungen, in denen es eine „Grundrechtswesentlichkeit“ bejaht, die Möglichkeit zu einer einzelfallbezogenen Bestimmung des „hinreichenden“ Bestimmtheitsgrades offen, indem es maßgeblich auf die „Eigenart“ des zu regelnden Sachbereichs bzw. der berührten grundrechtlichen Schutzbereiche abstellt772. Hierbei erweist sich die „hinreichende“ Bestimmtheit selbst als unbestimmter Rechtsbegriff773, der durch gegenläufige Faktoren determiniert wird, von denen in Rspr. und Lit. folgende genannt werden: Für eine erhöhte Regelungsdichte spricht die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit774, die sich zusammensetzt ___________ 767 So BVerfGE 49, 89 (126) – Kalkar I; ebenso 47, 46 (78 f.) – Sexualkunde; 53, 30 (56) – Mülheim-Kärlich; 83, 130 (142 ff., 151 ff.) – Mutzenbacher; weitere Nachw. oben S. 88 Fn. 213. 768 So von Arnauld, Schranken, S. 176. 769 von Arnauld, Schranken, S. 170 f.; Staupe, S. 30 f., 136 ff.; Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 42; Kloepfer, JZ 1984, 683 (691); Wehr, JuS 1997, 419 (423); VogtBeheim, S. 117 ff.; Denninger, Anforderungen, S. 158; aus der Rspr. BVerfGE 34, 165 (192 f.); 49, 89 (127) – Kalkar I; 83, 130 (152) – Mutzenbacher; NJW 1999, 3253 (3254) – Käfighaltung. 770 So für Art. 80 I 2 GG BVerfGE 58, 257 (277 f.); ferner NJW 1999, 3253 (3254). 771 BVerfGE 34, 165 (192 f.); 41, 251 (259 ff.); 47, 46 (79); 83, 130 (140); st. Rspr.; aus der Lit. Jarass, in: J / P8, Art. 20 Rn. 46; Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 45. 772 BVerfG, NJW 1999, 3253 (3254); ferner BVerfGE 49, 89 (134 ff.). 773 So Bogdandy, S. 191 f.; ferner Steiff, S. 339 f. 774 BVerfGE 49, 89 (127) – Kalkar I; ferner 41, 251 (265 f.); 58, 257 (274); aus der Lit. Wehr, JuS 1997, 419 (423); Maurer, AllgVerwR16, § 6 Rn. 11.
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aus der Wertigkeit des betroffenen Schutzgutes und der Intensität des staatlichen Eingriffs. Gegenläufig spricht für eine Zulässigkeit auch unbestimmter(er) Rechtsbegriffe die „Eigenart des zu regelnden Sachbereichs“, wenn sich dieser in ständigem Fluß befindet, gesicherte (wissenschaftliche) Erkenntnisse nicht oder nur eingeschränkt existieren und der Sachverhalt durch komplexe technische Parameter oder Vielschichtigkeit gekennzeichnet ist. In einem solchen Fall können die zu schützenden Grundrechte sogar unter dem Gesichtspunkt des dynamischen Grundrechtsschutzes unbestimmte Rechtsbegriffe wie etwa „Stand von Wissenschaft und Technik“ nach § 7 II Nr. 3 AtomG gebieten, wenn anders der bestmögliche Grundrechtsschutz nicht sichergestellt werden kann775.
(c) Konsequenzen Daraus folgt für die Bestimmtheit gesetzlicher Immissionstragungspflichten: Bezüglich der Eingriffsintensität ist auszugehen von dem dreistufigen Schema Gefahr-Risiko-Restrisiko, das um eine erste Stufe der sicheren (manifesten) Schädigung zu erweitern ist. Hier verlaufen die Bestimmtheitsanforderungen parallel zu den abnehmenden Rechtfertigungsanforderungen im Gefahren- und Risikobereich. Vergegenwärtigt man sich ferner, daß solche manifesten Gesundheitsbeeinträchtigungen, die sich nicht in der punktuellen Verwirklichung eines Risikos erschöpfen und einer konkreten Anlage zuzurechnen sind, nur unter besonders strengen Voraussetzungen gerechtfertigt werden können, so ist zu fordern, daß das einfache Recht eine eindeutige Aussage darüber beinhalten muß, ob und welche manifesten Beeinträchtigungen dem Einzelnen zugemutet werden. Dies muß auf parlamentsgesetzlicher Ebene jedoch nicht – insofern wirkt hier die Vielschichtigkeit der Sachverhalte als gegenläufiges Prinzip – in Form konkreter Grenzwerte o. ä. zum Ausdruck kommen, da dies dem Gesetzgeber angesichts der Vielzahl zu bewertender Luftschadstoffe weder möglich noch angesichts der zeitlichen Relativität wissenschaftlicher Erkenntnisse und des Gebots dynamischen Grundrechtsschutzes tunlich wäre776. Kann hier eine „Schädigungsschwelle“ angegeben werden – etwa bei gesicherten Wirkungs___________ 775 Grundlegend BVerfGE 49, 89 (137) – Kalkar I; dazu Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 168; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 97 f.; Böhm, Normmensch, S. 156 ff.; kritisch Roßnagel, NVwZ 1984, 137 ff. – Damit steht der dynamische Grundrechtsschutz in einem notwendigen Spannungsverhältnis zum Bestimmtheitsgrundsatz (zutreffend Vogt-Beheim, S. 120; Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 155; Benda, Risiken, S. 8; Bönker, Umweltstandards, S. 76), was zu dem bekannten Bonmot von Jürgen Salzwedel geführt hat, im Umweltrecht gelte eine „umgekehrte Wesentlichkeitstheorie“, da alles Wesentliche nicht im Gesetz stehe (zitiert nach Böhm, Normmensch, S. 149; ferner Hansmann, Beitrag, S. 776; Paetow, NuR 1999, 199 [199]). 776 Vgl. Böhm, Normmensch, S. 152, wonach einer intensiveren gesetzlichen Regelung in erster Linie die „Menge der zu treffenden Einzelregelungen“ entgegensteht.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
schwellen777 –, so kann diese unter Hinzuziehung entsprechenden Sachverstandes auch im Einzelfall bestimmt werden. Ein Sonderproblem stellt sich angesichts besonders empfindlicher Personen: Sollen diesen gegenüber „Durchschnittsakzeptoren“ besondere Immissionstragungspflichten auferlegt werden, bedarf dies einer hinreichend deutlichen gesetzlichen Grundlage, da derartige besondere Immissionstragungspflichten auch einer besonderen grundrechtlichen Rechtfertigung bedürfen und der Gesetzgeber erkennen lassen muß, daß ihm diese Exzeptionalität bewußt war. Inwieweit die Grundpflichten des BImSchG – insbesondere § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG – diesen Anforderungen gerecht werden, ist unten im 3. Teil zu klären. Problematisch ist ferner die hinreichende Bestimmtheit im Risikobereich, wo es in erster Linie um die Bestimmung der Gefahrenschwelle geht, deren einzelfallbezogene Konkretisierung auf die aufgezeigten Schwierigkeiten stößt778. Im 3. Teil der Arbeit ist daher zu klären, ob der Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG einer hinreichenden Konkretisierung zugänglich ist. Sofern diese durch Abwägung geschehen kann, muß für den Rechtsanwender ferner mit hinreichender Bestimmtheit erkennbar sein, welche Belange nach Art und Umfang einzustellen sind. Aufgabe des Gesetzgebers ist es daher, neben den unmittelbar verfassungsrechtlich vorgegebenen Determinanten, insbesondere in Gestalt der beteiligten Grundrechten, weitere Belange nach Art und Umfang mit hinreichender Bestimmtheit vorzugeben. Mit diesen Anforderungen ist zwar die hinreichende Bestimmtheit gesetzlicher Immissionstragungspflichten gewährleistet; fraglich ist jedoch, ob damit nicht nur Minimalanforderungen umschrieben sind, die bei konsequenter Anwendung der Wesentlichkeitslehre ungenügend sind. So wird in der Lit. teilweise die bereits in der Kalkar I-Entscheidung angelegte Abschwächung des Wesentlichkeitsgedankens kritisiert und eine intensivere gesetzgeberische Regelungstätigkeit eingefordert779. Verwiesen wird insbesondere auf die Möglichkeit zur gesetzlichen Festsetzung von Risikoobergrenzen, wie es in den USA geschehen ist, wo der Clean Air Act (CAA) für Krebserkrankungen durch Luftschadstoffe eine Obergrenze von 1 : 1.000.000 normiert780. Dieser Kritik ist zuzugeben, daß eine intensivere gesetzliche Normierung als im geltenden Recht geschehen durchaus möglich und vielleicht auch rechtspolitisch wünschenswert ___________ 777
Zum Wirkungsschwellenkonzept oben 1. Teil S. 36 ff.; ferner oben S. 150 ff. Dazu das Beispiel oben S. 211 ff. 779 So Steinberg, Verfassungsstaat, S. 192: „Ein Gesetzgeber, der generelle Beschaffenheitsanforderungen nur mit immer noch weiteren unbestimmten Rechtsbegriffen umschreibt, kommt seiner Aufgabe der Konfliktlösung nicht nach ...“; ferner S. 201 die Einschätzung, die Kalkar I-Entscheidung habe die „Fortentwicklung des Umwelt- und Technikrechts bis heute gelähmt“. 780 SEC. 112 (f) (2) CAA; Text abrufbar unter http://www.epa.gov/air/caa/caa112.txt (Zugriff am 25. 8. 2006); dazu Böhm, Normmensch, S. 164, 205 ff. 778
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wäre. Jedoch ist der Gesetzgeber de lege lata nicht verpflichtet, ein Optimum an Bestimmtheit und Regelungsdichte zu produzieren, sondern eben nur „hinreichende“. Daran ändert auch die Wesentlichkeitslehre nichts, die zwar mit steigender Intensität grundrechtlicher Eingriffsfolgen die Bestimmtheitsanforderungen im relationellen Sinne erhöht, jedoch gerade dadurch erkennen läßt, daß die „hinreichende“ Bestimmtheit selbst auch eine relationelle Größe ist.
(3) Sonderfall krebsverursachende Immissionen Unter dem Gesichtspunkt der Intensität grundrechtlicher Eingriffsfolgen könnte jedoch für krebsverursachende Immissionen eingewandt werden, daß hier jede Zulassung entsprechender Immissionen mit statistischer Gewißheit sichere Todesfälle bewirkt. Diese stellen sich aus subjektiver Sicht zwar nur als (subjektive Individual-) Risiken dar781, angesichts der auf objektiver Ebene sicheren Todesfälle sind jedoch gesteigerte Bestimmtheitsanforderungen zu stellen. Diesen könnte zwar durch eine gesetzliche Risikoobergrenze ähnlich dem Clean Air Act (CAA) Rechnung getragen werden, jedoch sieht sich dieser Weg insbesondere dem Einwand ausgesetzt, daß durch einen solchen Zahlenwert eine erkenntnismäßige Sicherheit suggeriert würde, die angesichts der naturwissenschaftlichen Erkenntnisdefizite nicht existiert782. Andererseits wäre – ohne den im 3. Teil darzustellenden einfach-rechtlichen Regelungsstrategien vorzugreifen783 – eine Regelung, die sich auf eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte relative Emissionsminderung beschränkt, zwar in Bezug auf die gewählten Mittel hinreichend bestimmt, jedoch nicht in Bezug auf das hinzunehmende Risiko, da die Immissionsbelastung in einem bestimmten räumlichen Bereich bei Hinzutreten weiterer Emittenten theoretisch ins Unendliche wachsen könnte. Hier ist daher zu fordern, daß in irgendeiner Weise – ohne daß sich dies in festen Risikozahlen niederschlagen muß – eine akzeptorseitige Aussage über das hinzunehmende Risiko im Sinne einer Obergrenze getroffen wird, da die Auferlegung beliebiger Risiken, wie sie sich aus der zufälligen Häufung emittierender Anlagen ergibt, mit Art. 2 II 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Insofern muß die regulative Steuerung stets auch das berücksichtigen, was bei den Grundrechtsträgern ankommen und Wirkung entfalten darf. Ob das einfache Recht diesen Anforderungen gerecht wird, wird im 3. Teil zu betrachten sein784. ___________ 781
Dazu oben S. 156 ff. Dazu und zu weiteren Einwänden Böhm, Normmensch, S. 164. 783 Dazu unten 3. Teil S. 383 ff. 784 Dazu unten 3. Teil S. 382 ff.; dabei wird sich erweisen, daß § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG sehr wohl akzeptorseitige Aussagen für den Schutz vor krebsverursachenden Immissionen entnommen werden können (zur Unterscheidung von akzeptor- und quellenbezogener Immissionssteuerung unten 3. Teil S. 298 ff.). 782
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
bb) Untergesetzliche Umweltstandards in Rechtsverordnungen Im folgenden soll der Fall betrachtet werden, daß die Zulässigkeit einer Immission über Umweltstandards bestimmt wird, die auf untergesetzlicher Ebene – hier: in Rechtsverordnungen – normiert sind.
(1) Art. 2 II 3 GG: Eingriff „nur auf Grund eines Gesetzes“ Zu klären ist zuallererst, ob Eingriffe in Leben und körperliche Unversehrtheit durch untergesetzliche Rechtsnormen nach Art. 2 II 3 GG überhaupt zulässig sind, da in der Lit. hier vielfach ausdrücklich ein formelles Gesetz gefordert wird785. Dem wird jedoch bereits dadurch Rechnung getragen, daß der Erlaß von Rechtsverordnungen nach Art. 80 I 1 GG zwingend eine parlamentsgesetzliche Ermächtigung voraussetzt786, so daß die Frage nur lauten kann, ob und in welchem Umfang der parlamentarische Gesetzgeber im Bereich des Art. 2 II 3 GG delegieren darf. Während letzteres durch Art. 80 I 2 GG beantwortet wird („Inhalt, Zweck und Ausmaß“), gibt Art. 80 I GG auf die Frage nach dem „Ob“ keine Antwort. Diese ist vielmehr unmittelbar Art. 2 II 3 GG zu entnehmen, wonach in Leben und körperliche Unversehrtheit „nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“ darf. Die Bedeutung dieser Formel, die in der Lit. kaum näher entfaltet wird, bedarf indes der Klärung: Neben Grundrechten, in die „nur auf Grund eines Gesetzes“ eingegriffen werden darf (Artt. 2 II 3; 10 II 1; 13 VII; 16 I 2), enthält das Grundgesetz Grundrechte, in die sowohl „durch Gesetz“ als auch „auf Grund eines Gesetzes“ eingegriffen werden darf (Artt. 8 II; 11 II; 12 I 2787; 12a III 1, IV 1, V 2, VI 1; 14 III 2). Diese Differenzierung im Gesetzestext ist Ernst zu nehmen, und es ist nach einer Auslegung zu suchen, die ihr Sinn gibt. Eine solche könnte zwar an der Unterscheidung delegierbarer und nicht delegierbarer Schrankensetzung ansetzen: Eingriffe „durch Gesetz“ beträfen dann die Rechtfertigung unmittelbar durch Parlamentsgesetz, Eingriffe „auf Grund eines Gesetzes“ die Rechtfertigung durch untergesetzliche Normen. Gegen diese Auslegung spricht jedoch zweierlei: Zunächst könnte damit bei Art. 2 II 1 GG, der gerade keine Kumula___________ 785 Bei den nachfolgend genannten Autoren bleibt jedoch mehr oder weniger unklar, inwieweit mit der Forderung nach einem formellen Gesetz jegliche Delegation generell ausgeschlossen oder nur der an sich selbstverständliche (dazu oben im Text) Umstand umschrieben werden soll, daß jede delegierte Rechtsetzung nach Art. 80 I 1 GG der Ermächtigung in einem formellen Gesetz bedarf (Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 36; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 31 Fn. 2; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 2 II Rn. 53; Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 74; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 2 Abs. 2 Rn. 198; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 311). 786 Dazu nur Sachs, JuS 1995, 693 (695); ders., in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 110. 787 Dazu, daß Art. 12 I 2 GG formal ein Regelungsvorbehalt ist, oben S. 81 Fn. 189.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
223
tion der Formeln „durch Gesetz“ und „auf Grund eines Gesetzes“ enthält, eine Eingriffsrechtfertigung unmittelbar durch Parlamentsgesetz nicht erfolgen, was angesichts des hohen Werts der Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG nicht verständlich wäre. Ferner spricht gegen diese Auslegung Art. 104 I 1 GG, der Art. 2 II 3 GG bei Eingriffen in die Freiheit der Person inhaltlich überlagert788 und nach dem Eingriffe nur „auf Grund eines förmlichen Gesetzes“ zulässig sind. Aus dieser Kumulation der Begriffe des „förmlichen“ Gesetzes und „auf Grund“ folgt, daß die Delegationsfrage nicht Gegenstand des Begriffspaares „durch / auf Grund eines Gesetzes“ sein kann. Vielmehr führt die ausdrückliche Nennung des „förmlichen“ Gesetzes dazu, daß in allen anderen Fällen – und damit auch bei Beschränkung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit – ein Gesetz im materiellen Sinne ausreichend ist, was nach Art. 80 I 1 GG wie ausgeführt stets auch ein Gesetz im formellen Sinn voraussetzt789.
(2) Überformung durch Wesentlichkeitslehre Nach verbreiteter Ansicht soll die kompetenzverdichtende Wirkung der Wesentlichkeitslehre ein Delegationsverbot an den untergesetzlichen Normgeber und damit Bereiche begründen können, die zwingend vom Parlament selbst zu regeln sind790. Fragt man nach dem Verhältnis eines solchen Parlamentsvorbehalts zu Art. 80 I GG, so stößt man auf zwei Auffassungen, die in der Lit. als Ein- bzw. Zweischrankenlehre bezeichnet werden791: Während nach der Einschrankenlehre die Wesentlichkeitslehre neben Art. 80 I 2 GG keine (weitere) eigenständige Beschränkung der Delegation an den Verordnungsgeber bewirken soll, was eine Auslegung des Art. 80 I 2 GG („Inhalt, Zweck und Ausmaß“) im Lichte der Wesentlichkeitslehre nicht ausschließt792, stellt die Wesentlichkeitslehre nach der Zweischrankenlehre eine eigenständige Schranke der Delegation ___________ 788 Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 242; Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 90; Wiedemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 II Rn. 393; Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 123. 789 Entsprechend steht hinter der Unterscheidung von Eingriffen „durch“ und „auf Grund eines Gesetzes“ auch eine andere ratio, nämlich die Unterscheidung von Grundrechten, die gegenständliche Integritätssphären schützen und deren tatsächliche Minderung einen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nachgeschalteten Einzel-, insbesondere Realakt verlangt (Eingriff „aufgrund“ eines Gesetzes), und Grundrechten, die als Verhaltensfreiheiten auf nachgeschaltete Einzelakte nicht angewiesen sind (Eingriff „durch“ Gesetz, etwa gesetzesunmittelbare Verbote), solche jedoch auch nicht ausschließen (ebenso Lerche, in: HbStR V, § 121 Rn. 48). 790 Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 10, 42; dazu oben S. 88 Fn. 213. 791 So von Bogdandy, S. 338 ff.; von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 80 ff., 86 ff. 792 So von Bogdandy, S. 318 ff., 341; von Danwitz, Gestaltungsspielraum, S. 91 ff., 95; ähnlich Rubel, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 80 Rn. 23; ferner Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 118 ff. (November 1998).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
an den Verordnungsgeber dar793, so daß diese trotz einer Art. 80 I 2 GG genügenden Ermächtigung scheitern könnte. Gegen die Zweischrankenlehre spricht jedoch, daß das Grundgesetz für diese Problematik in Art. 80 I 2 GG eine ausdrückliche Regelung bereithält, die gerade als gesetzliche Ausprägung und normativer Anknüpfungspunkt der Wesentlichkeitslehre angesehen werden kann794. Damit existiert aber keine von Art. 80 I 2 GG losgelöste Schranke der Wesentlichkeit, was es nicht ausschließt, die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 I 2 GG („Inhalt, Zweck und Ausmaß“) in einem flexiblen Maß im Sinne des Wesentlichkeitsgedankens zu handhaben795, d. h. an den Bestimmtheitsgrad der gesetzlichen Ermächtigung erhöhte Bestimmtheitsanforderungen abhängig vom Regelungsgegenstand zu stellen, insbesondere im Hinblick auf die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit.
(3) Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers Es dürfte heute unbestritten sein, daß dem Verordnungsgeber beim Erlaß von Rechtsverordnungen nach Art. 80 I GG ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zukommt, dessen Rechtsnatur und Herleitung jedoch nicht vollständig geklärt sind796. Ohne diese Fragen an dieser Stelle umfassend erörtern zu können, erschließt sich der Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers aus einem Vergleich mit der oben dargestellten Kompetenz des Rechtsanwenders zur abwägungsmäßigen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe797: Wäh___________ 793
Vertreter der Zweischrankenlehre ist insbesondere Staupe, S. 142 ff.; ob auch das BVerfG hierzu gerechnet werden kann, ist fraglich (so von Bogdandy, S. 340; dagegen Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 96 ff. [November 1998]). – Eindeutig im Sinne der Einschrankenlehre BVerfG, NJW 1999, 3253 (3254) – Käfighaltung, wonach „eine über die Grenzen des Art. 80 I 2 GG hinausgehende Verpflichtung zur Normierung der Intensivhaltung von Legehennen durch den parlamentarischen Gesetzgeber nicht (bestehe)“; zum Gesamten mit Darstellung der Rspr. des BVerfG ferner W. Cremer, AöR 122 (1997), 248 (255 ff.). 794 Ebenso von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 95; ablehnend auch Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 135 (November 1998); von Bogdandy, S. 340 f.; Rubel, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 80 Rn. 23. 795 Ebenso von Danwitz, Gestaltungsspielraum, S. 95. 796 Zur Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 161 ff. und passim; Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 6 Rn. 21; ders., in: HbStR III, § 64 Rn. 33 ff., der in der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nach Art. 80 I 1 GG eine „Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers“ begründet sieht, „die ihn instand setz(e), das Gesetz im Rahmen der vorgegebenen Direktiven nach eigenen Vorstellungen auszufüllen und zu konkretisieren“ (Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 6 Rn. 21); ferner Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 217; Herdegen, AöR 114 (1989), 607 ff. – Zur dogmatischen Herleitung der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 33 ff. und passim. 797 Dazu oben S. 212 ff.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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rend dort die Determinanten der Abwägung vollständig dem zu konkretisierenden unbestimmten Rechtsbegriff zu entnehmen sind, benennt das Grundgesetz als Determinanten der verordnungeberischen Tätigkeit in Art. 80 I 2 GG allein, daß „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der erteilten Ermächtigung im ermächtigenden Gesetz bestimmt sein müssen. Hierbei erfordert das Merkmal „Inhalt“, daß das Gesetz dem Verordnungsgeber in gegenständlicher Hinsicht Regelungsmaterie bzw. -gebiet vorgibt, d. h. eine Umschreibung der zu regelnden Lebenssachverhalte798, während das Merkmal „Zweck“ eine „inhaltliche Ausrichtung“ des Verordnungsgebers verlangt799. Das Merkmal „Ausmaß“ fordert schließlich, daß der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber „Schranken im Sinne von Grenzen“ setzt800. Damit läuft die gesetzgeberische Determinierung im wesentlichen auf eine Finalprogrammierung hinaus801, ohne daß im Gegensatz zur abwägungsmäßigen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Rechtsanwender die determinierenden Zwecke sämtlich durch Gesetz vorgegeben sein müßten. Ein anderes folgt auch nicht aus dem Merkmal des „Zwecks“, da dieses im Zusammenhang der gesamten „Trias“ zu sehen ist und daher weniger die Vorgabe konkreter Abwägungsbelange meint als vielmehr eine grobe Ziel- bzw. „Marschrichtung“. Damit unterscheidet sich der Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers von der abwägungsmäßigen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Rechtsanwender dadurch, daß dem Verordnungsgeber im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung die Befugnis zukommt, selbst Determinanten der zu treffenden Regelung zu setzen, oder mit anderen Worten: Dem Verordnungsgeber kommt im Bereich grundrechtlicher Schrankensetzung innerhalb des nach Art. 80 I 2 GG vorgegebenen Rahmens grundsätzlich die Befugnis zur eigenen Zwecksetzung und eigenständigen Gewichtung dieser Zwecke zu802. Wenn daher von Bogdandy zu dem Ergebnis kommt, die „Gestaltungsfreiheit (scil.: des Verordnungsgebers) (sei) in dem vom Gesetz eröffneten Bereich ... von de(r)jenigen des Gesetzgebers praktisch nicht zu unterscheiden“803, ist dem grundsätzlich zuzustimmen, jedoch hat die Betonung nicht nur auf der Gestal___________ 798
von Bogdandy, S. 316; Lücke, in: Sachs3, Art. 80 Rn. 24 a. E. von Bogdandy, S. 316. 800 von Bogdandy, S. 316. – In der Rspr. des BVerfG hat die Trias „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ keine einheitliche Handhabung gefunden und wird oftmals pauschal durch die alternative oder kumulative Anwendung der „Selbstentscheidungs-“, „Programm-“ und / oder „Vorhersehbarkeitsformel“ ersetzt (dazu mit Nachw. Lücke, in: Sachs3, Art. 80 Rn. 25; Rubel, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 80 Rn. 20; zur Diskussion von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 95 ff.). 801 Dazu von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 95 ff., insbes. 100 ff. 802 Ebenso von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 186. 803 von Bogdandy, S. 335; ähnlich von Danwitz, Gestaltungsspielraum, S. 168; ferner Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 217: Verordnungsgebung als „administrative Selbstprogrammierung“. 799
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
tungsfreiheit, sondern gleichrangig auf der Wendung des „vom Gesetz eröffneten Bereich(s)“ zu liegen, da der dergestalt konturierte Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers nur das Maximum dessen ist, was der parlamentarische Gesetzgeber delegieren darf. Demgegenüber kann der Gesetzgeber diesen Gestaltungsspielraum unbestritten verengen, so daß auch Ermächtigungen denkbar sind, in denen die Konkretisierungsleistung des Verordnungsgebers mehr oder weniger als bloßes „Nachzeichnen“ derjenigen Inhalte erscheint, die im zu konkretisierenden Gesetzesbegriff bereits angelegt sind. Gerade im immissionsschutzrechtlichen Kontext könnte dieser Gestaltung besondere Bedeutung zukommen, wenn man sich die Wirkungsweise von Luftschadstoffen vergegenwärtigt: Kann nämlich für einen Schadstoff x eine Wirkungsschwelle y angegeben werden, so könnte die Grenzwertfestsetzung in einer Rechtsverordnung zur Konkretisierung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs, wonach „Schäden“ oder „Gefahr“ absolut zu vermeiden sind (vgl. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG), grundsätzlich als (bloße) „Übersetzungsleistung“ rechtstechnischer Art erfaßt werden, bei der die Rechtsbegriffe der Gesetzesebene lediglich in die technische Sprache eines Zahlenwerts zu „übersetzen“ sind. Realistisch ist ein solches „Übersetzungsmodell“ indes nicht, vergegenwärtigt man sich den eingeschränkten Anwendungsbereich des Wirkungsschwellenkonzepts, so daß der Festsetzung bestimmter Grenzwerte – insbesondere im Risikobereich – regelmäßig wertender Charakter zukommt804, ohne daß bereits an dieser Stelle geklärt werden müßte, worin dieser im einzelnen besteht805. Ein solcherart umrissenes „Wertungsmodell“ ist auch keine verfassungsrechtlich feste Größe, sondern bewegt sich je nach Ausgestaltung der gesetzlichen Ermächtigungen zwischen den Polen der bloßen Nachzeichnung und einer eigenständigen Abwägungs- und Gewichtungsleistung, die auch die Selbstprogrammierung im Sinne selbstgesetzter Zwecksetzungen einschließt806. Zwischen diesen Polen liegt die Abwägungs- und Gewichtungsleistung innerhalb eines in seinen Determinanten abschließend vorgegebenen Ziel- und Interessenkonflikts; in diesem Fall reicht der Gestaltungsspielraum nicht weiter als die Kompetenz des Rechtsanwenders zur abwägungsmäßigen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe. ___________ 804 Entsprechend findet sich in der Lit. die Formulierung, untergesetzliche Umweltstandards enthielten nicht nur eine „sachverständige Aussage“ über die Umsetzung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs in die „Sprache der Technik“, sondern zugleich „(politische) Wertungen“ (Hoppe / Beckmann / Kauch2 , § 5 Rn. 6 f.; Pohl, in: Himmelmann u.a., HdbUR, A.5 Rn. 2; Hansmann, FS Sendler, S. 302; Winter, Einführung, S. 8; Jarass, NJW 1987, 1225 [1226] Böhm, Normmensch, S. 153; Murswiek, VVDStRL 48 [1990], S. 218 f.; Gusy, Rechtsetzung, S. 199; Denninger, Anforderungen, S. 170; aus der Rspr. OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357 [358] – Buschhaus). 805 Dazu unten 3. Teil S. 487 ff. 806 Zu letzterem Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 217.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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Verfassungsrechtlich steht dem Gesetzgeber somit ein erheblicher Spielraum zu, in welchem Maße er dem Verordnungsgeber eigenständige Entscheidungsspielräume eröffnet. Daher hängt auch die Frage nach der Art und Weise, in der das hinzunehmende Immissionsmaß durch Umweltstandards in Rechtsverordnungen bestimmt wird, wesentlich davon ab, wie sehr diese Regelungsform inhaltlich an das Modell der gesetzlichen Rechtsfolgenbestimmungen angebunden wird, etwa indem diese zum gegenständlichen Objekt der Konkretisierungsleistung gemacht werden. Auf diese Fragen wird im 3. Teil im Rahmen der Betrachtung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zum Erlaß untergesetzlicher Umweltstandards zurückzukommen sein807.
cc) Sonderfall: Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften Eine besondere Problematik wird durch Umweltstandards in Form von Verwaltungsvorschriften aufgeworfen, denen nach herkömmlichem Verständnis eine Bindungswirkung für Bürger und Gerichte nicht zukommt808. Verwaltungsvorschriften sind abstrakt-generelle Regelungen einer Behörde für nachgeordnete Behörden oder eines Vorgesetzten für ihm unterstellte Bedienstete der öffentlichen Verwaltung809. Nach h. M. sind Verwaltungsvorschriften Innenrechtsnormen, die allein verwaltungsinterne Bindungswirkung entfalten und Außenwirkung lediglich mittelbar über Art. 3 I GG erlangen, was insbesondere im Subventionsrecht entwickelt wurde810. Ansätze, eine allgemeine Außenwirkung aufgrund einer originären Rechtsetzungskompetenz der Exekutive innerhalb ihres Funktionsbereichs zu begründen811, konnten sich nicht durchsetzen und ___________ 807
Dazu unten 3. Teil S. 473 ff., 475 ff., 483 ff. Dazu mit Nachw. Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 6 Rn. 30 ff.; Maurer, AllgVerwR16, § 4 Rn. 1 ff., § 24 Rn. 2 ff.; vgl. ferner H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 48 Rn. 27 f., wonach Verwaltungsvorschriften bereits kein „Rechtscharakter“ zukomme; zum Rechtscharakter von Verwaltungsvorschriften demgegenüber aus neuerer Zeit nur von Bogdandy, S. 159 und passim; Wahl, FG BVerwG, S. 571 ff. – Monographisch aus neuerer Zeit Rogmann, Bindungswirkung (1998), passim. 809 Statt aller Maurer, AllgVerwR16, § 24 Rn. 1. – Umfangreiche Nachw. bei Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 6 Vor Rn. 30 in Fn. 84; zur Rechtsnatur von Verwaltungsvorschriften ferner ders., in: HbStR III, § 65 Rn. 30 ff. 810 Dazu nur Maurer, AllgVerwR16, § 24 Rn. 16. 811 So vor allem Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 6 Rn. 44 ff.; ders., in: HbStR III, § 65 Rn. 39 ff.; ders., Verwaltungsvorschriften, passim. – Die Problematik hat eine allgemeinere Diskussion im Kontext des Art. 80 I GG gefunden und zu der Frage geführt, ob es außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzesvorbehalts neben dem Erlaß von Rechtsverordnungen nach Art. 80 I GG überhaupt eine (originäre) außenwirksame Rechtsetzung der Exekutive geben kann; dazu Lücke, in: Sachs3, Art. 80 Rn. 10; Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 151 ff. (November 1998); Rubel, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 80 Rn. 19; Stern, StaatsR II, S. 657 ff. 808
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
werden im folgenden nicht näher betrachtet. Danach käme Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften eine auch Bürger und Gerichte bindende unmittelbare Außenwirkung nicht zu. Dieser Befund wurde als unbefriedigend empfunden, da man insbesondere in der praktischen Entscheidungstätigkeit den Rationalitätsund Transparenzgewinn derartiger Verwaltungsvorschriften nutzbar machen wollte. Folge sind verschiedene Versuche, gleichwohl zu einer Bindung auch gegenüber Bürger und Gericht zu gelangen. Diese haben in der Vergangenheit eine umfassende Erörterung erfahren, so daß im folgenden die Diskussion nicht in allen Einzelheiten nachvollzogen werden muß812.
(1) Außenwirkung von Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften (a) „Antizipierte Sachverständigengutachten“ Ein erster Ansatz sah im Anschluß an Breuer813 in den Verwaltungsvorschriften „antizipierte Sachverständigengutachten“, da deren technische Regelungen auf den Erfahrungen und Erkenntnissen einer Vielzahl von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen beruhten und entsprechende Verwaltungsvorschriften deswegen „als schon die Entscheidung der Genehmigungsbehörde prägendes und insofern ‚antizipiertes‘ Sachverständigengutachten ... wegen ihres naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehaltes auch für das kontrollierende Gericht bedeutsam (seien)“814. Die Unzulänglichkeit dieses Ansatzes ist heute erkannt, weshalb die Rspr. ihn nicht mehr bemüht: Zunächst kann ein „antizipiertes Sachverständigengutachten“ beweisrechtlich die intendierte Bindung des Gerichts nicht begründen, da Zweck eines Sachverständigengutachtens lediglich die Unterstützung des Richters im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist815. Ferner kann damit der wertende Aspekt der Festsetzung von Um___________ 812
Nicht näher eingegangen werden kann an dieser Stelle auf die europarechtliche Problematik außenwirksamer Verwaltungsvorschriften, nachdem der EuGH 1991 (Urteile v. 30. 5. 1991, NVwZ 1991, 866 ff., 868 f.) in der Umsetzung von EG-Richtlinien über Grenzwerte für Schwefeldioxid und Blei durch Verwaltungsvorschriften einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht sah; dem EuGH zustimmend Bönker, Umweltstandards, S. 103 ff.; ders., DVBl. 1992, 804 (809 f.); Steiling, NVwZ 1992, 134 ff.; ablehnend demgegenüber Gellermann / Szczekalla, NuR 1993, 54 ff.; von Danwitz, VerwArch 84 (1993), 73 ff.; vgl. ferner Everling, UTR 17 (1992), S. 3 ff.; Hansmann, UTR 17 (1992), S. 21 ff.; umfassend Faßbender, Umsetzung, S. 75 ff. und passim. 813 Breuer, DVBl. 1978, 28 (34 ff.); vgl. ferner Vieweg, NJW 1982, 2473 ff. 814 BVerwGE 55, 250 (256) – Kraftwerk Voerde (Hervorh. vom Verf.); OVG Lüneburg, GewArch 1981, 341 (342); VGH Baden-Württ., Fe-ES, BImSchG § 5 Nr. 7, S. 3 f.; BayVGH, Fe-ES, BImSchG § 24 Nr. 2, S. 3. 815 Fischer, S. 128 ff.; ferner Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 23; Jarass, NJW 1987, 1225 (1228); Sendler, NJW 1986, 2907 (2913). – Positiv zur Konstruktion des „antizipierten Sachverständigengutachtens“ in jüngster Zeit jedoch Steiff, S. 510 f.
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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weltstandards bereits im Ansatz nicht erfaßt werden816, da Sachverständigen niemals die Befugnis zur juristischen Wertung zukommt.
(b) „Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften“ Demgegenüber sieht die Rspr. heute im Anschluß an die Wyhl-Entscheidung des BVerwG817 in den auf Grundlage des § 48 BImSchG ergangenen Verwaltungsvorschriften sog. normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, denen im Unterschied zu „norminterpretierenden“ Verwaltungsvorschriften Außenwirkung zugesprochen wird818. Danach sollen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften dadurch gekennzeichnet sein, daß sie unmittelbar vollziehbar sind und keiner weiteren Auslegung bedürfen, während norminterpretierende Verwaltungsvorschriften nur Auslegungshilfen für ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal und selbst interpretationsbedürftig seien819. In der Lit. ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß allein aus dieser Unterscheidung eine Außenverbindlichkeit nicht hergeleitet werden kann, sondern lediglich das Phänomen beschrieben wird, daß in vielen umweltrechtlichen Gesetzen zwischen die unbestimmte Gesetzesebene und die Einzelfallentscheidung eine weitere Stufe tritt, die nicht mehr als bloße Subsumtion rekonstruiert werden kann820. „Normkonkretisierung“ ist daher allenfalls eine Chiffre für eine Tätigkeit des Normgebers, die über reine Norminterpretation hinausgeht.
(c) Begründungsansatz über „normative Ermächtigungslehre“ Demgegenüber hat die Lit. diesen Ansatz mit folgenden Argumenten normativ untermauert: Zunächst wird auf Grundlage der „normativen Ermächtigungs___________ 816 Bönker, Umweltstandards, S. 43 f.; Fischer, S. 139 ff.; H.-J. Koch, in: GKBImSchG, § 48 Rn. 67; ders., in: H.-J. Koch, UmweltR, § 4 Rn. 86; Hoppe / Beckmann / 2 Kauch , § 5 Rn. 23; Jarass , BImSchG6, § 48 Rn. 44; ders., JuS 1999, 105 (108); Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 9; Gusy, Rechtsetzung, S. 199. 817 BVerwGE 72, 300 (320 f.) – Atomkraftwerk Wyhl. 818 OVG Münster, NVwZ 1988, 173; NVwZ 1991, 1200; zur TA Luft schließlich BVerwG, NVwZ-RR 1996, 498 f.; NVwZ 1995, 994 (994); BVerwGE 110, 216 (218 f.); 114, 342 (344); ablehnend H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 48 Rn. 26 ff.; ders., ZUR 1993, 103 (105 f.); Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 12; Hoppe / Otting, NuR 1998, 61 (62 f.). 819 BVerwGE 72, 300 (320) – Atomkraftwerk Wyhl; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 27. – Dies hat in der Lit. eine heftige Diskussion hervorgerufen; vgl. Kunert, NVwZ 1989, 1018 ff.; Sendler, UPR 1993, 321 ff.; Hill, NVwZ 1989, 401 ff.; Erbguth, DVBl. 1989, 473 ff.; Gerhardt, NJW 1989, 2233 ff.; Di Fabio, DVBl. 1992, 1338 ff.; monographisch Mühlenbruch (1992); kritisch aus jüngster Zeit Steiff, S. 512 ff. 820 Dies konstatieren auch Ch. Müller, S. 61 f.; H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 31; Gusy, Rechtsetzung, S. 200 f.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
lehre“821, die wesentlich auf der älteren Lehre vom behördlichen Beurteilungsspielraum beruht, gefolgert, der Gesetzgeber könne ohne Verstoß gegen Art. 19 IV GG die Verwaltung zur letztverbindlichen Konkretisierung der gesetzlichen Vorschriften ermächtigen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Art. 19 IV GG einerseits zwar die vollständige gerichtliche Kontrolle verwaltungsbehördlichen Handelns gebietet822 – und zwar unabhängig von der Rechtsform als individuell-konkreter Einzelentscheidung oder generell-abstraktem Rechtssatz –, auf der anderen Seite jedoch der Gesetzgeber durch die normative Eröffnung von Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräumen die gerichtliche Kontrolldichte reduzieren kann823. Eine solche „Standardisierungsermächtigung“ soll insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Gesetzgeber zugleich wie in § 51 BImSchG geschehen besondere Anordnungen über Organisation und Verfahren der Standardsetzung trifft824. Richtig ist an diesem Ansatz, daß die Außenwirkung einer Verwaltungsvorschrift nicht allein von der Ausgestaltung durch die Exekutive als normkonkretisierend oder norminterpretierend abhängen kann, sondern einen entsprechenden Konkretisierungsauftrag bzw. eine Konkretisierungsermächtigung durch den Gesetzgeber voraussetzt825. Eine solche liegt jedoch in § 48 BImSchG vor826, dessen Ermächtigungscharakter dadurch verstärkt wird, daß eine Ermächtigung zum Erlaß „allgemeiner“ Verwaltungsvorschriften bereits aus Art. 84 II GG folgt, § 48 BImSchG somit überflüssig wäre827. Hier spielt nun ___________ 821
Grundlegend Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.; kritisch aus jüngster Zeit Steiff, S. 501 ff. 822 So BVerfGE 84, 34 (49 f.) – Staatsprüfung; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183; Schulze-Fielitz, in: Dreier I2, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116. 823 Grundlegend BVerfGE 61, 82 (111) – Sasbach; ferner 84, 34 (49 f.); 88, 40 (56); 103, 142 (156 f.) – Wohnungsdurchsuchung. 824 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 206a a. E.; zu den Voraussetzungen einer derartigen Standardisierungsermächtigung Bönker, Umweltstandards, S. 46 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409 (412). 825 Jarass, JuS 1999, 105 (109); Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 206a. – Demgegenüber kann die bloße Existenz unbestimmter Gesetzesbegriffe nicht genügen (so ausdrücklich BVerfGE 84, 34 [49 f.]; Jarass, JuS 1999, 105 [109]; ferner Breuer, UTR 9 [1989], S. 64 f.). 826 Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 35; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 48 Rn. 9a; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 19e. 827 Dazu Ch. Müller, S. 70 f.; Jarass, JuS 1999, 105 (109); Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 19e a. E. – Bemerkenswert ist, daß dieser auf der „normativen Ermächtigungslehre“ aufbauende Ansatz nicht auf Einzelfallentscheidungen im Immissionsschutzrecht, insbesondere die Erteilung der Genehmigung nach § 6 BImSchG, übertragen wurde (so soll § 3 I BImSchG und dessen Rechtsfolgenbestimmungen voll justiziabel sein; vgl. Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 18a; Breuer, NVwZ 1988, 104 [108]; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 12; Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 43; ders., JuS 1999, 105 [109]; differenzierend Sellner, Beurteilungsspielräume, S. 27), obwohl die „normative Ermächtigungslehre“ gerade ausgehend von behördlichen
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
231
auch die Einbindung des besonderen wissenschaftlich-technischen Sachverstandes und das besondere Erlaßverfahren nach § 51 BImSchG eine Rolle, da damit eine Kompensation dafür bewirkt wird, daß eine Maßnahme der Exekutive entgegen Art. 19 IV GG der vollständigen gerichtlichen Kontrolle entzogen wird. Entsprechend bewirkt die Einbindung des besonderen wissenschaftlich-technischen Sachverstandes eine Legitimation in fachlicher, das Erlaßverfahren hingegen eine Legitimation in demokratischer Hinsicht828. Aus diesem Begründungsansatz folgt bezüglich der Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften ein grundlegender Unterschied zur soeben erörterten Rechtsverordnung: Während sich die Bindungswirkung einer Rechtsverordnung unmittelbar aus ihrer Gesetzeseigenschaft i. S. des Art. 20 III GG ergibt, resultiert die Bindungswirkung einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift „nur“ aus einer Zurücknahme einer prinzipiell unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle829. Daraus folgt ferner, daß diese Bindungswirkung – entgegen derjenigen aus Art. 20 III GG – dort zwingend ihre Grenze findet, wo auch nach der „normativen Ermächtigungslehre“ eine gerichtliche Kontrolle möglich und geboten ist. Insofern liegt eine Bindungswirkung eigener Art vor, die hinter der „echten“ normativen Bindungswirkung einer Rechtsnorm nach Art. 20 III GG zurückbleibt830, was festgemacht werden kann an der Möglich___________ Einzelfallentscheidungen entwickelt wurde. – Zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Verwaltungsvorschriften ferner Seibel, BauR 2004, 1245 ff. 828 Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 27; Jarass, JuS 1999, 105 (109); Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 11; Uechtritz, FS Hoppe, S. 585; ferner Ch. Müller, S. 75 ff. zur demokratischen Legitimation der Bundesregierung. 829 Ebenso Hendler, UTR 40 (1997), S. 66. 830 Dies zeigt sich begrifflich darin, daß von einem Teil der Lit. nicht von einem „Beurteilungs-“, sondern einem „Standardisierungsspielraum“ gesprochen wird (so Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 45; ferner ders., JuS 1999, 105 [109]); ebenso Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 19f). – Diese Nuancierungen klingen auch in der Rspr. des BVerwG an: So verwendet das BVerwG in der grundlegenden Entscheidung vom 10. 1. 1995 zur Beschreibung der normkonkretisierenden Außenwirkung nicht nur den Begriff der „Verbindlichkeit“, sondern ersichtlich gleichrangig den der „Beachtlichkeit“ (BVerwG, NVwZ 1995, 994 [994]; ebenso NVwZ-RR 1996, 498 [499]; diese begrifflichen Unterschiede konstatieren auch J. Ipsen, VVDStRL 48 [1990], S. 191 und Hendler, UTR 40 [1997], S. 73). „Beachtlich“ sind Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften jedoch aufgrund ihrer sachverständigen Aussagen auch ohne Außenwirksamkeit, so daß dieser Begriff jedenfalls ungeeignet ist zur Beschreibung einer Bindungswirkung, die derjenigen des Art. 20 III GG entspricht, weshalb der Schluß naheliegt, das BVerwG wolle mit der gleichrangigen Verwendung dieses Begriffs auf eine Bindung eigener – minderer – Art hinweisen (ebenso Hendler, DÖV 1998, 481 [489]). Auch trifft das Gericht eine grundsätzliche Aussage zur Reichweite dieser spezifischen Bindungswirkung, wonach die Beachtlichkeit der Emissionswerte auch im gerichtlichen Verfahren eine „gerichtliche Überprüfung der auf ihnen beruhenden behördlichen Entscheidung nicht aus(schließe)“, da es der „gerichtlichen Kontrolle (unterliege), ob die Emissionswerte den gesetzlichen Anforderungen und Wertungen entsprechen und nicht durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind“ (BVerwG,
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
keit der „Überholung“ durch neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik und am Vorbehalt des atypischen Falles831. Dieser Begründungsansatz führt im übrigen auch zur Vereinbarkeit einer Außenwirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften mit Art. 80 I GG. Diese Frage stellt sich jedenfalls dann, wenn man in Art. 80 I GG eine abschließende Regelung außenwirksamer Rechtsetzung durch die Exekutive sieht832; Folge wäre ein numerus clausus außenwirksamer Rechtsquellen, dem Verwaltungsvorschriften nicht angehörten. Indes ist das Problem vielschichtiger und gerade der abschließende Charakter des Art. 80 I GG gegenüber exekutivem Außenrecht auch grundsätzlich bestritten. So soll nach einer Auffassung die Reichweite des Art. 80 I GG nicht weitergehen als der Gesetzesvorbehalt833, so daß außerhalb dessen ein von Art. 80 I GG nicht erfaßter Bereich bliebe, in dem eine originäre außenwirksame Rechtsetzungskompetenz der Exekutive postuliert wird834. Diese Ansicht, die durch ein funktionales Verständnis der Ge___________ NVwZ 1995, 994 [994]; ebenso NVwZ-RR 1996, 498 [499]; NVwZ 1988, 824 [825]). Eine ähnliche Terminologie findet sich in der Entscheidung vom 20. 12. 1999, in der das BVerwG ausführt, es habe den Verwaltungsvorschriften der TA Luft „unter bestimmten Voraussetzungen eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zuerkannt“ (BVerwGE 110, 216 [218] – Hervorh. vom Verf.). Ferner wird die „Entfaltung rechtlicher Außenwirkung“ ausdrücklich auf den „Rahmen ihrer normkonkretisierenden Funktion“ beschränkt und es der gerichtlichen Kontrolle unterworfen, „ob und in welchem Umfang die Voraussetzungen ihrer Anwendung gegeben sind“ (BVerwGE 110, 216 [218]). Alle diese terminologischen Beschränkungen machen nur Sinn, wenn die damit beschriebene Bindungswirkung nicht diejenige des Art. 20 III GG ist, sondern eine, die aus der Rücknahme einer prinzipiell unbeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte resultiert. – Demgegenüber verwendet das BVerwG zum Ausdruck der Bindungswirkung von Umweltstandards in Rechtsverordnungen die Begriffe der „verbindlichen Konkretisierung“ und „normativen Vorgaben“ (BVerwGE 109, 314 [319]; 109, 246 [249]; NVwZ 1995, 993 [993], jeweils zur 18. BImSchV [Sportanlagenlärmschutz-VO]; ferner BVerwGE 108, 260 [263 ff.] – Bayerische Biergarten-VO). Diesem Duktus nähert sich allerdings BVerwGE 114, 342 (344 ff.) zur Außenwirkung der TA Luft, wo die Begriffe der „Verbindlichkeit“, „bindende(n) Vorgabe“ und „Bindungswirkung“ im Mittelpunkt stehen, was die Frage aufwirft, ob damit nicht der Unterschied in der Bindungswirkung unzulässig eingeebnet wird (kritisch zu dieser Entscheidung und zur Frage, wann normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften durch Fortschritte im Stand der Technik überholt sind, vgl. Faßbender, UPR 2002, 15 [17 ff.]). 831 Ch. Müller, S. 91 ff.; Jarass, JuS 1999, 105 (110 f.); Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 10. – Zur Figur des atypischen Falles ausführlich im 3. Teil S. 506 ff. 832 So diejenige Ansicht, die in Art. 80 I GG einen „Außenrechtsvorbehalt“ sieht; Nachw. dazu bei Busch, S. 88 ff.; ferner Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 153 ff. (November 1998). – Umfassende Darstellung des Streitstands bei Faßbender, Umsetzung, S. 236 ff., 248 ff. 833 So Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 50; Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 89 ff. (November 1998); von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 86 ff.; zum allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes oben S. 89 Fn. 219. 834 So Ossenbühl, in: HbStR III, § 65 Rn. 65; Stern, StaatsR II, S. 659 f.; ähnlich Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 156 (November 1998).
C. Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG
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waltenteilung gestützt wird835, wirft grundsätzliche Fragen auf, die hier nicht vertieft werden können. Es bedarf jedoch dann keines Eingehens auf diese Fragen, wenn die Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften wie hier vertreten von derjenigen des Art. 20 III GG grundsätzlich verschieden konstruiert wird. Da nämlich Rechtsverordnungen ihre Außenwirksamkeit allein deshalb erlangen, weil sie „Gesetz“ i. S. von Art. 20 III GG sind836, kann Art. 80 I GG insoweit auch keine Sperrwirkung entfalten837.
(2) Schrankeneigenschaft von Verwaltungsvorschriften Während die Frage der Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften in Rspr. und Lit. ausführliche Erörterung erfahren hat, ist die Fragestellung weitgehend unbeachtet geblieben, inwieweit normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften Schrankeneigenschaft i. S. der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte zukommt838. Dies ist vorliegend von großer Relevanz, da in der TA Luft 2002 nicht nur verschiedene Immissionsgrenzwerte mit Relevanz für den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit normiert sind839, sondern sämtliche Anforderungen zur Konkretisierung der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG letztlich dazu dienen, das zulässige Immissionsmaß in einem Bereich feinzujustieren, in dem zumindest ein Risiko für Art. 2 II 1 GG besteht840. Da derartige Immissionstragungspflichten wie oben II. ausgeführt grundsätzlich Eingriffe in Art. 2 II 1 GG bewirken841, müssen entsprechende Vorschriften der TA Luft stets den Anforderungen des Art. 2 II 3 GG gerecht ___________ 835 So Ossenbühl, in: HbStR III, § 62 Rn. 48 ff.; ähnlich Hill, NVwZ 1989, 401 (403 ff); Erbguth, DVBl. 1992, 473 (482 f.). 836 Dazu nur Schulze-Fielitz, in: Dreier II2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 93; Sachs, in: Sachs3, Art. 20 Rn. 107. 837 Insofern postuliert Schmidt-Aßmann zutreffend eine funktionelle Distanz zwischen Rechtsverordnung und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, die sich gerade in der unterschiedlichen Bindungswirkung zu erweisen habe (Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 206b; vgl. ferner Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 161 [November 1998]; Ossenbühl, Rechtsverordnungen, S. 110). 838 So darf sich die verfassungsrechtliche Betrachtung nicht formal auf die Rechtsform „Verwaltungsvorschrift“ beschränken, sondern ist um eine an den jeweiligen Inhalten orientierte Betrachtungsweise zu ergänzen (so zutreffend Bönker, Umweltstandards, S. 65 ff.; ders., DVBl. 1992, 804 [807]). Entsprechend erfassen die Ausführungen oben S. 228 ff. die Bindungsfrage allein unter dem Aspekt der Rechtsform, lassen aber Bedenken, die am Inhalt der Verwaltungsschriften und ihrer Tauglichkeit als grundrechtliche Schrankenregelung anknüpfen, unberührt. 839 Vgl. die Immissionswerte der Nr. 4.2.1 TA Luft 2002. 840 Zu dieser Funktion der Vorsorgepflicht unten 3. Teil S. 407 ff. 841 Dazu oben S. 148 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
werden, der jedoch eine Rechtsnorm verlangt842. Verwaltungsvorschriften stellen jedoch auch bei dem hier vertretenen Ansatz keine Rechtsnormen dar843, so daß die Frage nach der Zulässigkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften im grundrechtsrelevanten Bereich aufgeworfen wird844. Diese wäre bei isolierter Betrachtung allein der Verwaltungsvorschriften in der Tat zu verneinen, jedoch wäre eine Betrachtung, die hierbei die zu konkretisierende Gesetzesebene außer Betracht läßt, grob verkürzend: Läßt sich nämlich die Normkonkretisierung bereits durch das „Übersetzungsmodell“ erfassen – etwa im Bereich bekannter Wirkungsschwellen845 –, kommt dem Zahlenwert der Verwaltungsvorschrift gegenüber dem zu konkretisierenden Gesetzesbegriff ein eigenständiger Gehalt nicht zu, da der Zahlenwert nur in technischer Sprache das zum Ausdruck bringt, was auf Gesetzesebene ohnehin angelegt ist. Damit ist Schranke i. S. des Art. 2 II 3 GG aber nicht der Zahlenwert der Verwaltungsvorschrift, sondern der zu konkretisierende Gesetzesbegriff als Rechtsnorm. Gleiches hat für eine Normkonkretisierung nach dem „Wertungsmodell“ zu gelten, wenn die Abwägungs- und Gewichtungsleistung sich innerhalb eines Ziel- und Interessenkonflikts bewegt, dessen Determinanten durch das zu konkretisierende Gesetz abschließend vorgegeben werden. Solange hier die Normkonkretisierung gegenüber der Gesetzesebene keinen überschießenden Gehalt aufweist – d. h. Abwägungsbelange, die auch interpretativ nicht mehr aus dem zu konkretisierenden Gesetzesbegriff gewonnen werden können, nicht eingestellt werden –, erscheint auch hier das zu konkretisierende Gesetz als eigentliche Schranke i. S. des Art. 2 II 3 GG. Die Normkonkretisierung in Verwaltungsvorschriften findet daher im grundrechtsrelevanten Bereich erst, aber auch stets dort ihre Grenze, wo auch die Kompetenz des Rechtsanwenders zur abwägungsmäßigen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe endet846, nämlich dort, wo Belange in die Normkonkretisierung eingeführt werden sollen, die zwingend eines weitergehenden, nicht ausschließlich gesetzesakzessorischen Gestaltungsspielraums bedürfen, was nur durch Rechtsverordnung geschehen kann.
___________ 842
Dazu oben S. 222 ff. So BVerfG, NJW 2000, 3486 (3488); BVerfGE 80, 257 (265 f.) (jeweils für Art. 12 I GG); ferner 78, 214 (227); aus der Lit. Schulze-Fielitz, in: Dreier II2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 93; Sachs, in: Sachs3, Art. 20 Rn. 107; zu Art. 2 II 3 GG ferner Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 80 ff. 844 Dazu Bönker, Umweltstandards, S. 78 ff.; ders., DVBl. 1992, 804 (808), der diese Frage allerdings verneint. – Kritisch zu Bönker unter Berufung auf den Grundsatz des dynamischen Grundrechtsschutzes Faßbender, Umsetzung, S. 208 ff. 845 Dazu oben S. 224 ff. 846 Dazu oben S. 212 ff. 843
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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b) Gesetzesvorbehalt(e) bei staatlicher Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG Im Rahmen der Schutzfunktion des Art. 2 II 1 GG muß die verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis überwunden werden, die grundrechtsberechtigten Emittenten wie oben B. ausgeführt aus Art. 12 und subsidiär Art. 2 I GG zukommt847. Da hier Regelungen, die eine Aussage über das zulässige Immissionsmaß treffen, zugleich diese Immissionsverursachungsbefugnis beschränken, müssen entsprechende Regelungen stets am Abwehrgehalt der Artt. 12, 14 und subsidiär Art. 2 I GG gemessen werden und damit in formeller Hinsicht an Art. 12 I 2 und Art. 14 I 2 GG. Diese stellen zwar keine Gesetzesvorbehalte im technischen Sinne dar848, wirken jedoch im Ergebnis wie solche, so daß die Ausführungen zu den Voraussetzungen des Art. 2 II 3 GG vollständig übertragen werden können849. Diese Grundsätze kommen auch im Rahmen des Art. 2 II 3 GG selbst zur Anwendung, wenn der definitiv gewährte Schutz unter das aus dem Kollisionsmodell folgende praktisch konkordante Maß abgesenkt wird850; hier findet nach den Ausführungen oben B. Art. 2 II 3 GG auch im schutzrechtlichen Kontext unmittelbare Anwendung851.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG Als Immissionsschutz gewährendes Grundrecht ist ferner einschlägig die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG, sofern es um den Schutz konkreten Grundeigentums – verstanden als abgegrenzte Flächen der Erdoberfläche – geht852. Hier leistet Art. 14 GG insofern auch personenbezogenen Grundrechtsschutz, als Grundeigentum die unentbehrliche gegenständliche Basis jeglicher Freiheitsausübung ist853. Rechtstechnischer Anknüpfungspunkt ist dabei die Nutzbarkeit ___________ 847
Dazu oben S. 61 ff. Dazu oben S. 81 Fn. 189. 849 Daraus folgt insbesondere, daß Verwaltungsvorschriften keine Schrankeneigenschaft i. S. des Art. 12 I 2 GG zukommt, was im Rahmen des Art. 12 GG eine umfassendere Erörterung erfahren hat (vgl. nur Wieland, in: Dreier I2, Art. 12 Rn. 101; Jarass, in: J / P8, Art. 12 Rn. 21; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 5; Gubelt, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 12 Rn. 76; Umbach, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 12 Rn. 76). 850 Zu dieser Konstellation oben S. 112 ff., 119 ff. 851 Dazu oben S. 112 ff. 852 Vgl. nur Giehl, JURA 1989, 628 (629); aus der Rspr. des BVerfG BVerfGE 79, 174 (191 ff.) – Verkehrslärm; 72, 66 (75 ff.) – Flughafen Salzburg. 853 Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 379; dazu ferner oben S. 41 ff. 848
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
von Grundstücken, insbesondere zu Wohnzwecken854 (dazu sogleich II.). Damit erweist sich Art. 14 GG immissionsschutzrechtlich als ambivalent855, da er nicht nur Immissionsbetroffenen, die in der Nutzung ihres Eigentums „gestört“ sind, einen Abwehranspruch verleiht, sondern wie oben B. dargestellt856 auf Emittentenseite zugleich eine verfassungsmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis begründet, so daß der Immissionsschutz des Art. 14 GG nicht nur normextern mit den Emittentengrundrechten nach Art. 12 I bzw. subsidiär Art. 2 I GG kollidiert, sondern bereits eine norminterne Kollisionslage besteht.
I. Vorüberlegungen 1. Staatliche Schutzpflicht aus Art. 14 GG? Auch der aus Art. 14 GG folgende Immissionsschutz muß dogmatisch in der Lage sein, sowohl hoheitliche, nicht grundrechtlich zu rechtfertigende, als auch solche Immissionen zu bewältigen, für deren Rechtfertigung wie oben C. dargestellt Grundrechte privater Emittenten streiten. Während der abwehrrechtliche Charakter der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG857, unbestritten ist, ist umstritten, ob Art. 14 GG auch eine Schutzfunktion aufweist858. Bei dieser Frage ___________ 854
Vgl. Hügel, S. 87; Hermann, S. 152 f.; Kuschnerus, S. 99 f. Ebenso Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 332. 856 Dazu oben S. 65 ff. 857 Zur Bestandsgarantie oben S. 66 Fn. 115. 858 Aus der Lit. zu Art. 14 GG bejahend Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 222 ff.; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 16; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 33; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 96 f.; ders., Entwicklungslinien, S. 153 ff.; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 176. – Aus der SchutzpflichtLit. bejahend Szczekalla, S. 336 ff.; Calliess, Umweltstaat, S. 314; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 237 ff.; Steinberg, NJW 1996, 1985 (1988); Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 199 f.; als „allgemeine“, für alle Grundrechte geltende Grundrechtsfunktion sehen die staatliche Schutzpflicht Isensee, in: HbStR V, § 111 Rn. 86; H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 104; Dirnberger, S. 158 f.; Streuer, S. 100; ebenso BVerwGE 107, 350 (357), wo als Ausgangspunkt einer staatlichen Schutzpflicht gleichrangig Art. 2 II 1 GG und 14 I GG genannt werden; ablehnend Erichsen, JURA 1997, 85 (86 f.); Dietlein, Schutzpflichten, S. 78 f. – Das BVerfG hat die Frage bislang nicht ausdrücklich entschieden, jedoch tendenziell Zurückhaltung gegenüber einer staatlichen Schutzpflicht erkennen lassen: So werden in BVerfG, NJW 1983, 2931 (2932 – Luftverschmutzung) pauschal „etwaige (!), aus Art. 2 I, II 1 und Art. 14 I 1 GG folgende Schutzpflicht(en)“ genannt, deren Verletzung anstelle einer Prüfung im einzelnen mit dem „Evidenz“-Kriterium abgelehnt wird; ähnlich in der Waldschadens-Entscheidung (NJW 1998, 3264 [3265]), wo das BVerfG zunächst einen abwehrrechtlichen Eingriff in Art. 14 GG ablehnt und dann ausführt: „... Insoweit kommt allenfalls die aus der objektiven Bedeutung des Grundrechts folgende, auf ein staatliches Handeln gerichtete Aufgabe zum Tragen, einen Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Grundrechten unter Berücksichtigung der Allgemeinbelange herbeizuführen“. Indessen 855
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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sind mehrere Problemebenen zu unterscheiden: Zunächst folgt bereits aus der Gesetzesabhängigkeit des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums859, daß Regelungsgegenstand der Eigentumsgewährleistung nicht nur die Bürger-StaatBeziehung ist, sondern auch die Beziehung des Eigentümers zu seinen Nachbarn, was einen rechtstatsächlichen und einen normativen Grund hat: So wurde bereits oben B. ausgeführt, daß die Nutzung von (Grund-) Eigentum regelmäßig Rechte bzw. Interessen Dritter berührt860, was auch Grund für die „eigentümliche“ Konstruktion des Art. 14 I 2 GG ist, bereits den „Inhalt“ der verfassungsrechtlich geschützten Rechte und Befugnisse vom einfachen Recht abhängig zu machen861. In normativer Hinsicht führt der Umstand, daß nach Art. 14 I 2 GG auch die das Verhältnis des Eigentümers zu Dritten regelnden §§ 903 ff. BGB den „Inhalt“ des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums bestimmen, dazu, daß diese „Drittintention“ zugleich Gewährleistungsdimension des Art. 14 I 1 GG ist862. Auch beansprucht der oben B. entwickelte Ansatz zur Begründung der staatlichen Schutzpflicht als vom Abwehrrecht strukturell verschiedener Grundrechtsfunktion863 für Art. 14 GG Geltung, denn bei Abwesenheit „schützenden“ Rechts würde auch gegenüber dem Grundeigentum der Immissionsbetroffenen die verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 12 und subsidiär Art. 2 I GG zur Geltung kommen864, die nur durch Schaf___________ wird auch dieser Gedanke vom BVerfG nicht zu Ende geführt, sondern die Verletzung einer „etwaige(n) (!), aus Art. 14 I 1 GG folgende(n) Schutzpflicht“ wiederum mit dem „Evidenz“-Kriterium abgelehnt. Bemerkenswert ferner der Verkehrslärm-Beschluß BVerfGE 79, 174 ff., wo das BVerfG zwar Art. 2 II 1 GG ausdrücklich in seiner Schutzpflichtdimension erörtert, bei Art. 14 GG jedoch sofort darauf abstellt, daß der zugrundeliegende Bebauungsplan Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG sei, ohne eine nähere Qualifikation der Grundrechtsfunktion, in der Art. 14 GG angewendet wird, vorzunehmen (BVerfGE 79, 174 [201 f. einerseits und 191 ff. andererseits]). 859 Dazu oben S. 69 ff. 860 Dazu oben S. 78 Fn. 178 ff. – Dem entspricht die Struktur der hier relevanten Kollisionslagen: Während Art. 14 GG als Grundrecht der Emittenten primär als Verhaltensfreiheit in Erscheinung tritt, die aktiv fremde Integritätszustände beeinträchtigt, gewinnt Art. 14 GG als Grundrecht der Immissionsbetroffenen den Charakter der Garantie eines (Integritäts-) Zustands, der passiv Objekt fremder Beeinträchtigungen ist. 861 Dazu oben S. 77 ff. 862 Entsprechend ist anerkannt, daß das (private und / oder öffentliche) Nachbarrecht Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. des Art. 14 I 2 GG ist (Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 80; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 214, 223, 403 ff.; ebenso BVerfGE 72, 66 [77] – Flughafen Salzburg). 863 Dazu oben S. 81 ff. 864 Dies gilt nicht gleichermaßen für die in Art. 14 GG angelegte norminterne Kollisionslage zwischen dem Schutz des (Grund-) Eigentums der Immissionsbetroffenen und der verfassungsmittelbaren Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 14 GG (zu dieser oben S. 79 ff.): Denkt man nämlich sämtliches die Eigentümerbefugnisse beschränkendes Recht hinweg, bliebe allein § 903 Satz 1 BGB übrig. Bestünde aber die einfachrechtliche Eigentumsordnung allein aus § 903 Satz 1 BGB, würde sich die „aktive“ Komponente der Eigentumsgewährleistung nicht automatisch stets gegenüber der „pas-
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
fung schützenden Gesetzesrechts überwunden werden kann. Hier ergibt sich aber ein wesentlicher Unterschied zur oben B. erörterten „normalen“ Schutzpflichtkonstellation, der aus der eigentümlichen Konstruktion des Art. 14 GG folgt: Während dort die staatliche Schutzpflicht konstitutiv zur Begründung gesetzgeberischer Handlungspflichten benötigt wird, wird dies bei Art. 14 GG bereits durch die Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG geleistet, die den Gesetzgeber positiv zur Ausgestaltung der einfach-rechtlichen Eigentumsordnung verpflichtet865. Sofern damit staatliche Handlungspflichten begründet werden866, geht die Schutzfunktion in der Institutsgarantie auf867. Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus der Gesetzesabhängigkeit der Bestandsgarantie nach Art. 14 I 2 GG, die bewirkt, daß einfach-rechtliche Normen, welche die zulässige Immissionsverursachung auf ein bestimmtes Maß festsetzen und insofern (spezielle) Duldungspflichten begründen868, zugleich den „Inhalt“ des nach Art. 14 I 1 GG geschützten Eigentums bilden869. Wird hier das Immissionsniveau gegenüber dem bestehenden abgesenkt und dem Ei___________ siven“ Komponente (zu dieser Unterscheidung bereits soeben Fn. 860) durchsetzen, da § 903 Satz 1 BGB mit den „Rechten Dritter“ (zu deren Auslegung oben S. 79 Fn. 182) eine immanente Beschränkung von aus dem Eigentum (nicht aus Art. 12 und subsidiär Art. 2 I GG!) möglicherweise resultierenden „Störungsbefugnissen“ enthält. Ebenso benennt § 903 Satz 1 BGB gleichrangig neben den „positiven“ bzw. „aktiven“ Eigentümerbefugnissen (dazu K. Müller, SachenR4, Rn. 285 ff.) ein Ausschließungs- bzw. Nichtstörungsrecht („andere von jeder Einwirkung ausschließen“), woraus insbesondere (i. V. m. § 1004 BGB) ein Immissionsabwehranspruch resultiert (dazu Bassenge, in: Palandt65, § 903 Rn. 6; Fritzsche, in: Bamberger, BGB II, § 903 Rn. 21). 865 Dazu oben S. 72 ff., 199 ff.; ferner Böhmer, NJW 1988, 2561 (2563). 866 Dazu Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 85; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 11; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 11; ders., Eigentum, S. 190 ff.; Raue, S. 101 f.; ferner Alexy, Theorie, S. 441 ff. 867 Ebenso Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 176 und im Ergebnis Trute, Vorsorgestrukturen, S. 238; ähnlich Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 223: „mittelbar“ werde die Schutzpflicht „vor allem durch die Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG erfüllt“. – Nach Trute (Vorsorgestrukturen, S. 238) soll lediglich eine Teilidentität für den Fall bestehen, daß die Beeinträchtigung „Folge eines privaten Eigentumsgebrauchs“ ist, während er dann, wenn die Beeinträchtigung „Folge eines privaten Freiheitsgebrauchs aus anderen Freiheitsrechten“ ist, auf eine eigenständige staatliche Schutzpflicht aus Art. 14 GG zurückgreifen möchte. Dem liegt die – unzutreffende – Vorstellung zugrunde, daß die Institutsgarantie ihren Rechtswirkungen nach auf den „Binnenbereich“ des Art. 14 GG beschränkt ist; dies ist jedoch nicht zwingend: Wird nämlich in Erfüllung der Verpflichtung aus der Institutsgarantie die zulässige Immissionsverursachung auf ein bestimmtes Maß festgelegt, stellt dies im Blick auf das betroffene Grundeigentum eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG (dazu sogleich im Text), für Artt. 12 und 2 I GG hingegen einen zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum dieser Eingriff nicht eine verfassungsimmanente Rechtfertigung in der Institutsgarantie als dem diesbezüglich einschlägigen Regelungsgehalt des Art. 14 I 1 GG finden soll. 868 Dazu oben S. 55 ff. 869 BVerfGE 79, 174 (192) – Verkehrslärm.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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gentümer ein Mehr an Duldungspflichten auferlegt, stellt dies stets prospektiv eine Inhaltsneubestimmung und retrospektiv eine Beschränkung des nach Art. 14 I 1 GG geschützten bisherigen Bestandes dar, welche die Bestandsgarantie in ihrer ureigenen abwehrrechtlichen Wirkrichtung aktiviert. Darin unterscheidet sich Art. 14 GG von den sonstigen Freiheitsrechten, bei denen eine Schutzreduktion einer abwehrrechtlichen Rekonstruktion gerade nicht fähig ist870. Der Schutzgehalt des Art. 14 GG erschöpft sich diesbezüglich jedoch nicht in der Bestandsgarantie, da diese der oben B. beschriebenen „Summationsproblematik“ nicht Rechnung tragen kann871. Ergänzend muß daher – was auch vom BVerfG impliziert wird, wenn es die inhaltsbestimmende Funktion der „Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze“ zuspricht872 – zugleich geprüft werden, ob die konkrete Inhaltsbestimmung auch den inhaltlichen Anforderungen des Art. 14 I 2 GG gerecht wird, zwischen den Polen der Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG und der Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG einen „gerechten Ausgleich“ herzustellen873. Diese Prüfung entspricht strukturell jedoch gerade der schutzrechtlichen Prüfung bei den sonstigen Freiheitsrechten, da es nicht um die Wahrung konkreter Rechtspositionen geht, sondern um die Frage, ob der Gesetzgeber seiner Handlungspflicht gerecht geworden ist. Damit kann festgehalten werden, daß die oben B. entwickelte Schutzpflichtdogmatik in Art. 14 GG bereichsspezifische Anknüpfungspunkte findet, wodurch die erstgenannte vollständig in die allgemeine Eigentumsdogmatik integriert werden kann und eine eigenständige Kategorie staatlicher Schutzpflichten überflüssig wird874.
___________ 870 Dazu oben S. 81 ff. – Damit kann zumindest für Art. 14 GG im Ergebnis der Ansatz von Lübbe-Wolff Anwendung finden, wonach die Rücknahme einer einfach-rechtlich gewährten Rechtsposition, die der Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht dient, stets Eingriff in das entsprechende Abwehrrecht ist (Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 178 ff., 196 ff.). Dieser Ansatz muß zwar – entgegen Lübbe-Wolff – bei den „normalen“ Freiheitsrechten versagen, da die zurückgenommene Rechtsposition dort niemals die Reichweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistung auf Schutzbereichsebene als Bezugspunkt des Eingriffs bestimmen kann; diese Voraussetzung ist bei Art. 14 GG aufgrund seiner Gesetzesabhängigkeit jedoch gerade gegeben, so daß das Modell von Lübbe-Wolff zumindest dieses Grundrecht adäquat rekonstruiert (ebenso andeutungsweise Mayer, S. 54). 871 Dazu oben S. 71 ff. 872 Grundlegend BVerfGE 58, 300 (336); dazu oben S. 71 ff. 873 Exemplarisch BVerfGE 52, 1 (29); weitere Nachw. oben S. 199 Fn. 686. 874 Folgt man weitergehend der teilweise vorgenommenen Unterscheidung in primäre und sekundäre Schutzpflichten (dazu oben S. 105 Fn. 297), so geht zumindest die primäre Schutzpflicht in der oben geschilderten Weise in der Institutsgarantie auf, während eine eigenständige Kategorie sekundärer Schutzpflichten denkbar ist, sofern es um die Durchsetzung der primären Schutzpflicht geht.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
2. Kreis der aus Art. 14 GG berechtigten Grundrechtsträger Art. 14 GG gewährleistet zwar „das“ Eigentum. Gleichwohl folgt aus der Funktion der Eigentumsgewährleistung, dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen875, daß Art. 14 GG nicht primär Sachgarantie, sondern Rechtsträgergarantie der persönlichen Rechtsstellung des Eigentümers ist876. Damit ist abstrakt zugleich der Kreis derjenigen Personen umschrieben, die in den Genuß eines aus Art. 14 GG resultierenden Immissionsschutzes kommen, nämlich die Inhaber solcher Rechtspositionen, die „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG sind877. Dies sind unbestritten der „Eigentümer“ i. S. des bürgerlichen Rechts, ferner Berechtigte aus beschränkt dinglichen Rechten wie etwa Nießbraucher und Erbbauberechtigte878. Insofern sieht das BVerfG die wesentlichen Merkmale des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums darin, daß ein vermögenswertes Recht dem Berechtigten ebenso ausschließlich wie Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet ist879. Auf dieser Grundlage hat das BVerfG in seiner viel beachteten Entscheidung vom 26. 5. 1993 auch das Besitzrecht des Mieters zu „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG erklärt880. Dieser Entscheidung kann für die vorliegende Fragestellung jedenfalls im Ergebnis gefolgt werden: Zwar weist das „Besitzrechts-Eigentum“ die entscheidende Schwäche auf, daß es grundsätzlich – d. h. im Rahmen des gültigen Mietrechts – jederzeit gekündigt werden kann und damit in seinem Bestand vom Willen des Vermieters abhängt881. Diese „Schwäche“ wirkt sich jedoch nur in Relation zum Vermieter aus, nicht jedoch gegenüber dritten Störern, so daß jedenfalls für die vorliegende Fragestellung die Einschätzung des BVerfG zutrifft, das Besitzrecht erfülle „Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukommen“ und stelle eine Rechtsposition dar, die dem Mieter „wie Sacheigentum zugeordnet ist“882. ___________ 875
Dazu oben S. 65 Fn. 113. So BVerfGE 24, 367 (400) – Hamburger Deichordnung; aus der Lit. Rozek, S. 4. 877 Zum verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff oben S. 69 ff. 878 Weitere Beispiele bei Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 137; zum Erbbaurecht ferner die Verkehrslärm-Entscheidung BVerfGE 79, 174 (191). 879 BVerfGE 78, 58 (71); 79, 174 (191); 83, 201 (208); 89, 1 (6). 880 BVerfGE 89, 1 (5 ff.); ablehnend Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 153 ff.; eingehend ders., NJW 1993, 2561 ff.; weitere Nachw. zum kritischen Schrifttum bei Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 143 in Fn. 53. – Dem BVerfG zustimmend Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 32, 47; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 14; differenzierend Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 44; ferner Eschenbach, S. 530 ff. 881 Damit hat sich das BVerfG im einzelnen beschäftigt (BVerfGE 89, 1 [7 f.]). 882 BVerfGE 89, 1 (5); das BVerfG weist ferner ausdrücklich darauf hin, daß das Besitzrecht des Mieters gerade auch gegenüber Dritten einen eigentumsähnlichen Schutz genießt (vgl. §§ 862 I, 858 I, 861 I BGB). 876
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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Ist damit aber das Besitzrecht „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG, ist das gesamte Rechtsverhältnis dem Schutz des Art. 14 GG zu unterstellen883. Daher ist auch der Mieter in den Immissionsschutz des Art. 14 GG einbezogen884; gleiches dürfte für Pächter885 und ähnlich obligatorisch Berechtigte gelten886.
II. Schutzbereich des Art. 14 GG Bei der Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 14 GG stellt sich das Problem, daß Art. 14 I 1 GG mit Bestands- und Institutsgarantie über zwei strukturell verschiedene Gewährleistungen verfügt887, so daß fraglich ist, welcher für die vorliegende Fragestellung der gesuchte Schutzbereich zu entnehmen ist. Da die Bestandsgarantie nur temporäre „Momentaufnahme“ der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden eigentumskonstituierenden Normen des einfachen Rechts ist888, kann allein aus dieser ein umfassender verfassungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Ausgestaltung einfachen Rechts nicht gewonnen werden. Zudem wird das „Eigentum“ i. S. der Bestandsgarantie nach der bereits zitierten Formel des BVerfG durch die „Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze“ bestimmt889, ohne daß die Bestandsgarantie selbst diesen verfassungsrechtlichen Maßstab liefern könnte. Wenn im folgenden gleichwohl der Schutzbereich des Art. 14 GG ausgehend von der Bestandsgarantie bestimmt wird, so hat dies folgende Gründe: Die ___________ 883
Zu dieser Folge der Qualifizierung als „Eigentum“ M. Appel, Eigentum, S. 125 f. Ablehnend Hermann, S. 164, wonach das jeweilige Grundstück durch den Eigentümer „repräsentiert“ werde (dazu sogleich Fn. 886). – Ziel des Repräsentationsgedankens ist es sicherzustellen, daß jedes Grundstück in rechtserheblicher Weise gleichsam nur mit einer Stimme „spricht“. Dieses Postulat findet indes bereits keine Stütze im einfachen Recht, da gerade die §§ 862 I, 858 I, 861 I BGB – worauf auch das BVerfG in der „Mietbesitz“-Entscheidung hinweist (dazu soeben Fn. 882) – dem Mieter eigenständige und nicht vom Eigentümerwillen abhängige Schutzrechte gewähren. 885 Dazu Mengel, S. 98 ff.; ablehnend R. König, S. 22 ff. 886 Dem entspricht im einfachen Recht der Nachbarbegriff im Immissionsschutzrecht, wonach im Rahmen einer Nachbarklage auch obligatorisch Berechtigte nach § 42 II VwGO klagebefugt sind (dazu Schlotterbeck, NJW 1991, 2669 ff.). Anders der (noch) herrschende Nachbarbegriff im Baunachbarrecht, wo als klagebefugt nur die Eigentümer der betroffenen Grundstücke und vergleichbar dinglich Berechtigte gerechnet werden (BVerwGE 82, 61 [74 f.]; NVwZ 1998, 956; Kopp / Schenke14, § 42 Rn. 70); dies wird damit begründet, daß das Bauplanungsrecht grundstücks- und nicht personenbezogen sei und der Eigentümer das Grundstück repräsentiere (Pecher, JuS 1996, 887 [887 f.]; dazu soeben Fn. 884). – Für eine Klagebefugnis für Mieter und Pächter aus Art. 14 I GG im Rahmen einer Planfeststellung neuerdings auch BVerwGE 105, 178 (179 f.). 887 Dazu oben S. 69 ff., 72 ff. 888 Dazu oben S. 72 ff. 889 BVerfGE 58, 300 (336) – Naßauskiesung. 884
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, daß das einfache Recht auch bei Ausblendung sämtlicher Vorschriften, die ausdrücklich oder konkludent Regelungen über das zulässige Immissionsmaß treffen, eine umfassende grundeigentumsbezogene Nutzungsordnung enthält, die – im weitesten Sinne – dem normativen Ausgleich von „störender“ und „gestörter“ Eigentumsnutzung dient. Bestimmt aber diese Nutzungsordnung auf einer logisch ersten Stufe verfassungsmäßig den „Inhalt“ des Eigentums nach Art. 14 I 1 GG, so ist es verfassungsrechtlich geboten, daß auf einer logisch zweiten Stufe immissionsschutzrechtliche Regelungen diese Ordnung nicht unterlaufen oder konterkarieren, oder mit anderen Worten: Ist „Inhalt“ des Eigentums nach Art. 14 I 1 GG, daß eine bestimmte Nutzungsmöglichkeit dem Eigentümer zugewiesen ist (etwa Wohnnutzung), darf das Immissionsschutzrecht diese nicht durch Festsetzung eines zu hohen zulässigen Immissionsniveaus faktisch unmöglich machen. Insofern kann Art. 14 I 1 GG ein Kohärenzgebot der inhaltsbestimmenden einfachen Rechtsordnung entnommen werden, wenn diese im Sinne einer logischen Stufung Aussagen zu zulässigen Eigentumsnutzungen auf verschiedenen Ebenen – hier Bebauungsrecht und Immissionsschutzrecht – trifft. Unergiebig wäre demgegenüber eine Darstellung des „Schutzbereichs“ der Institutsgarantie, sofern überhaupt von einem solchen gesprochen werden kann, da deren Eigentumsprinzipien einerseits für eine prima facie unbegrenzte Privatnützigkeit und damit grundsätzliche Freiheit von Duldungspflichten hinsichtlich fremder Immissionsverursachung streiten890, andererseits aufgrund ihres Prinzipiencharakters stets ihr alleiniger Standort in der Abwägung des Art. 14 I 2 GG beachtet werden muß. Diese Abwägungsfähigkeit und -bedürftigkeit würde verkannt, würde man die Eigentumsprinzipien der Institutsgarantie als „Schutzbereich“ des Art. 14 I 1 GG verabsolutieren. Entsprechend wird nachfolgend ein Aufbau gewählt, in dem der mit der Institutsgarantie verbundene umfassende verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeitsmaßstab inzident im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG geprüft wird (unten 3. b])891.
1. Eigentumsnutzung als einschlägiger Schutzgegenstand a) Ausgangspunkt: Wohnnutzung als empfindlichste Nutzungsart Art. 14 I 1 GG schützt nicht nur den tatsächlichen und rechtlichen Bestand von Eigentumspositionen in der Hand des Eigentümers gegenüber staatlicher ___________ 890 891
Zum Prinzipiencharakter der Institutsgarantie oben S. 199 ff. Dazu unten S. 272 ff.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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Minderung, sondern grundsätzlich auch deren Nutzung und Verwendung892. Diese Nutzungsbefugnis könnte bei Grundstücken insbesondere die – gegenüber gewerblicher Nutzung wesentlich immissionsanfälligere – Wohnnutzung umfassen. Da Art. 14 I 1 GG in dieser Nutzungsdimension zugleich Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts enthält893, müßte in diesem Fall die Nutzung zu Wohnzwecken zugleich in ihrer Funktion gesehen werden, dem Einzelnen einen räumlichen Rückzugsbereich zur persönlichen Entfaltung und Regeneration zu gewähren, in dem er einfach „er selbst“ sein kann. Danach geschützte Verhaltensweisen wären etwa das Führen lockerer Unterhaltung im Garten, auf dem Balkon etc., das Entspannen in zum Aufenthalt bestimmten Räumen und vor allem der Nachtschlaf, dessen Störung bei Hinzutreten pathologischer Folgen zugleich den Übergang zur Gesundheitsgefahr markiert894. Ein solches „Anforderungsprofil“ an Wohnnutzung hat das BVerwG in anderem Zusammenhang bezogen auf eine straßenrechtliche Fachplanung nach § 17 IV FStrG und den Begriff des „Wohnens“ i. S. der §§ 3 I und 4 I BauNVO wie folgt umschrieben: „(Der) Begriff des Wohnens umfaßt ... seinem Gegenstand nach sowohl das Leben innerhalb der Gebäude als auch die angemessene Nutzung der Außenwohnbereiche wie Balkone, Terrassen, Hausgärten, Kinderspielplätze und sonstigen Grün- und Freiflächen ... Für Wohngebiete, die nicht einer durch andere Störfaktoren verursachten Geräuschvorbelastung ausgesetzt sind und deren Schutzwürdigkeit deshalb nicht nach den aufgezeigten Gesichtspunkten eingeschränkt ist, setzt die angemessene Befriedigung der Wohnbedürfnisse insbesondere voraus, daß innerhalb der Gebäude eine durch Außengeräusche nicht beeinträchtigte Entfaltung des Lebens der Bewohner möglich ist. Dazu gehört – vornehmlich am Tage und in den Abendstunden – die Möglichkeit einer ungestörten Kommunikation im weitesten Sinn unter Einschluß der Mediennutzung ... und – für die Nacht – die Möglichkeit des störungsfreien Schlafens. Dabei ist für diese Anforderungen nicht abzustellen auf die Nutzung der Gebäude nur bei geschlossenen Fenstern und Türen. Zu den schützenswerten Wohnbedürfnissen in einem nicht durch Störfaktoren nachteilig vorbelasteten Wohngebiet gehört vielmehr das übliche Wohnverhalten und damit die Möglichkeit des Wohnens und Schlafens auch bei (gelegentlich) geöffneten Fenstern ...“895
___________ 892 Dazu oben S. 66 Fn. 116; im Kontext des Schutzes vor Immissionen ferner Hermann, S. 152; Hügel, S. 87; F. Hofmann, S. 36 f. 893 Vgl. nur BVerfGE 79, 292 (304); 88, 366 (377). 894 Dazu oben S. 139 Fn. 428. 895 BVerwGE 51, 15 (33); hierauf Bezug nehmend OVG Münster, NJW 1986, 2657 (2658); BVerwGE 75, 214 (233); Kuschnerus, S. 99 f.; Storost, NVwZ 2004, 257 (262). – Vgl. ferner den Begriff der „gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ in § 1 VI Nr. 1 Alt. 1 BauGB; dazu Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 607; ferner ebd. Rn. 609: „... Die mit dem Begriff ‚gesund‘ verbundenen Anforderungen ... liegen, soweit sie auf das Befinden von Menschen abstellen, unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr. Der städtebaulich verstandene Begriff ‚gesund‘ will über den Gesundheitsschutz hinausgehend auch ein gewisses Maß an Wohlbefinden, Lebenserleichterung sowie an Wohn- und Arbeitsqualität gewährleisten. Hierzu gehört insbesondere der Schutz vor
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Zu klären ist, inwieweit dieses „Anforderungsprofil“ als Schutzbereich des Art. 14 I 1 GG herangezogen werden kann oder hiermit nur ein Idealtypus ohne Bezug zur Wirklichkeit umschrieben wird. Hierbei ist von der Erkenntnis auszugehen, daß die Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG nicht nur allgemein nach Art. 14 I 2 GG der Gesetzesabhängigkeit unterliegt, sondern diese neben der rechtlichen Konstituierung von „Eigentum“ insbesondere auch dessen Nutzung erfaßt, was oben B. im einzelnen begründet wurde896. Zu suchen ist daher nach Normen oder Normkomplexen des einfachen Rechts, die dem Grundeigentum dem obigen „Anforderungsprofil“ entsprechende Nutzungsbefugnisse zuweisen, was insbesondere durch die genannten §§ 3 I und 4 I BauNVO geschehen sein könnte. Da jede Wohnnutzung von Grundstücken zugleich entsprechende Bebaubarkeit voraussetzt, ist der Fokus im folgenden insbesondere auf diejenigen den Inhalt des Eigentums bestimmenden Regelungen zu richten, die Aussagen über die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken treffen.
aa) Nutzungsbefugnisse und Bauplanungsrecht Aussagen hierzu werden in erster Linie vom Bauplanungsrecht getroffen, das angesichts des Umstandes, daß die bauliche Nutzung von Grundeigentum in besonderem Maße einer rechtlichen Ordnung bedarf897, eine differenzierte und lückenlose einfach-rechtliche Ordnung zulässiger und unzulässiger baulicher Nutzung begründet, mit der die verschiedenen Interessen der Raum- und Flächennutzung koordiniert und ausgeglichen werden898. Dies geschieht vorrangig durch rechtsverbindliche Bauleitplanung und subsidiär durch Einzelfallentscheidungen am Maßstab der §§ 34, 35 BauGB899, so daß in der gesamten Bundesrepublik kein Grundstück existiert, für welches das Bauplanungsrecht nicht eine Aussage über die auf ihm zulässigen Nutzungen bereithält900. Diese Aussa___________ erheblichen Belästigungen, die noch keine Schädigung oder Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit im medizinischen Sinne darstellen ...“ 896 Dazu oben S. 77 ff. 897 Gaentzsch, in: BerlinerKomm-BauGB3, § 1 Rn. 7; grundlegend BVerfGE 21, 73 (82 f.): „Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern“; ebenso BVerfGE 104, 1 (12). 898 Gaentzsch, in: BerlinerKomm-BauGB3, § 1 Rn. 7; zu den Funktionen der Bauleitplanung Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 37 ff.; zur Planungsunterworfenheit des Grundeigentums Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 87 ff. 899 Gaentzsch, in: BerlinerKomm-BauGB3, § 1 Rn. 7. 900 Zur Lückenlosigkeit dieser Ordnung Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 95.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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ge besteht in einer differenzierten Abschichtung unterschiedlicher Nutzungsarten, wie sie mustergültig in der BauNVO901 verwirklicht ist und durch Normierung unterschiedlicher Baugebietstypen der hier vorrangig interessierenden Wohnnutzung einen unterschiedlichen Stellenwert zuweist, der von ausschließlicher Wohnnutzung im Reinen Wohngebiet (§ 3 BauNVO) bis zum Industriegebiet (§ 9 BauNVO) reicht, in dem Wohnnutzung grundsätzlich unzulässig ist902. Hinter dieser räumlichen Abschichtung unterschiedlicher Nutzungsarten, die einfach-rechtlich neben der BauNVO insbesondere im Planungsgrundsatz des § 50 BImSchG einen Niederschlag gefunden hat, steht der Gedanke, daß Konflikte zwischen „störender“ und störanfälliger Nutzung, wie sie sich vor allem im Immissionsschutzrecht stellen, oftmals bereits durch räumliche Dislozierung einer befriedigenden Lösung zugeführt werden können903. Diese räumliche Abschichtung stellt auch verfassungsrechtlich ein taugliches Konfliktlösungsinstrument dar, da ein Konzept räumlicher Dislozierung auf überindividueller, von konkreten Grundstücken abstrahierender Ebene dadurch einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen „störenden“ und „gestörten“ Grundstücken herstellt, daß auf bestimmten Grundstücken besonders störanfällige oder besonders störende Nutzungen grundsätzlich keine Beeinträchtigungen durch gleichzeitig vorhandene oder später verwirklichte gegenläufige Nutzungen befürchten müssen. Könnten sich demgegenüber störende und störanfällige Nutzungen beliebig im Raum ansiedeln, liefen beide Nutzungsarten langfristig Gefahr, sich gegenseitig zu paralysieren, indem die Anzahl derjenigen Grundstücke immer geringer würde, auf denen besonders störende und störanfällige Nutzungen in „Reinform“ verwirklicht werden können. Damit würde gleichzeitig das Eigentum als Rechtsinstitut eine empfindliche Einbuße erleiden, da Grundstücke zur Verwirklichung besonders störender oder störanfälliger Nutzungen dauerhaft nicht zur Verfügung stünden. Insofern bestimmt das Bauplanungsrecht nicht nur, was einem konkreten Grundstück an Nutzungsbefugnissen zukommt, sondern es verkörpert zugleich auf institutioneller Ebene ein generelles Ordnungsprinzip, das geeignet ist, die Abwägung des Art. 14 I 2 GG jenseits der Eigentumsprinzipien der Institutsgarantie und Art. 14 II GG bereichsspezifisch zu strukturieren: Da das Eigentumsprinzip der Privatnützigkeit so___________ 901 VO über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung) idF v. 23. 1. 1990 (BGBl. I, 132), zuletzt geänd. durch Art. 3 Investitionserleichterungs- und WohnbaulandG v. 22. 4. 1993 (BGBl. I, 466). 902 Zu diesem „Kontinuum“ Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 42; ders., Immissionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff.; ders., FS Hoppe, S. 551; ders. / Maaß, NuR 2000, 69 (71); Halama / Stüer, NVwZ 2003, 137 (138); Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 226; Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 611, 618; dazu, daß diese Abschichtung zu einem wesentlichen Teil auf immissionsschützerischen Gründen beruht, vgl. nur Stich, in: Salzwedel, Grundzüge1, S. 209 ff. 903 Dazu oben S. 160 ff.; zur räumlichen Dimension immissionsschutzrechtlicher Nutzungskonflikte ferner Schulze-Fielitz, FS Würzburger Juristenfakultät, S. 714 ff.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
wohl für eine prima facie-Befugnis streitet, Grundeigentum in besonders störender als auch in besonders störanfälliger Weise zu nutzen, könnte dem in institutioneller Hinsicht gerade dadurch Rechnung getragen werden, daß grundsätzlich Grundstücke existieren, auf denen entsprechende Nutzungen ungestört von anderen Nutzungen verwirklicht werden können. Daher könnte das Bauplanungsrecht selbst dann, wenn es auf einem konkreten Grundstück Wohnnutzung beschränkt, bezogen auf die Gesamtheit aller Grundstücke Wohnnutzung überhaupt erst ermöglichen. Insofern ist das Bauplanungsrecht zugleich materielles Ordnungsprinzip, das aufgrund seiner Zielsetzung, bezogen auf die Gesamtheit aller Grundstücke eine „gerechte“ Verteilung unterschiedlicher Nutzungen herzustellen, inhaltlich auch zur Rechtfertigung konkreter Nutzungsbeschränkungen herangezogen werden kann904.
bb) Bestandsgarantie als Maßstab? Wenn somit das Bauplanungsrecht einem Grundstück das Maß zuweist, in dem es andere Grundstücke beeinträchtigen darf bzw. entsprechende Beeinträchtigungen hinnehmen muß, so könnte es geradezu absurd erscheinen, etwa ein in einem Industriegebiet (§ 9 BauNVO) gelegenes Grundstück, das vom Eigentümer zum Betrieb einer emittierenden Anlage genutzt wird, im Hinblick auf Art. 14 I 1 GG daran zu messen, ob gemäß dem obigen „Anforderungsprofil“ die „Möglichkeit des Wohnens und Schlafens auch bei (gelegentlich) geöffneten Fenstern“ gegeben ist905, da einem solchen Grundstück entsprechende Nutzungsbefugnisse bzw. Abwehrrechte von vornherein nicht zugewiesen sind. Dieser Schluß ist auf Grundlage der Gesetzesabhängigkeit der Bestandsgarantie zwar zwingend, erschöpft jedoch die Problematik nicht: Soll nämlich die bauplanungsrechtliche Zuweisung differenzierter Nutzungsbefugnisse verfassungsmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung sein906, kann die Frage, warum im Industriegebiet die „Möglichkeit des Wohnens und Schlafens auch bei (gelegentlich) geöffneten Fenstern“ nicht gegeben ist, nicht allein mit der fehlenden einfach-rechtlichen Zuweisung beantwortet werden, sondern es muß seinerseits ein Maßstab gefunden werden, an dem die Verfassungsmäßigkeit dieser Zuweisung bzw. des gesamten Zuweisungskonzepts bestimmt werden kann. Damit ist das Ordnungsmodell des Bauplanungsrechts nicht nur selbst Maßstab i. S. des Art. 14 I 1 GG, sondern zugleich an diesem zu messender Prüfungsgegenstand,
___________ 904 Vgl. Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 54 ff.; ferner Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 207; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 59. 905 So das oben S. 243 wiedergegebene Zitat aus BVerwGE 51, 15 (33). 906 Dazu BVerfGE 58, 300 (336) – Naßauskiesung.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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was jedoch nicht durch die Bestandsgarantie, sondern durch die Institutsgarantie geleistet wird, worauf unten 3. zurückzukommen ist907. Gleichwohl bleiben Fälle, in denen die Bestandsgarantie auch verfassungsrechtlicher Maßstab bauplanungsrechtlich zugewiesener Nutzungsbefugnisse ist, nämlich bei planungsrechtlicher „Herabzonung“ von Grundstücken, etwa eines Wohngebiets zum weniger Schutz genießenden Mischgebiet nach § 6 BauNVO: Hier kommt der abwehrrechtliche Charakter der Bestandsgarantie insofern zum Tragen, als diese gegen die „Herabzonung“ und für die Beibehaltung des status quo streitet.
cc) Baufreiheit und Art. 14 I 1 GG Ein anderes Verständnis könnte jedoch folgen, wenn man die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken unmittelbar aus Art. 14 I 1 GG herleitet908. In diesem Fall könnte die Annahme naheliegen, Art. 14 GG gewähre auf Schutzbereichsebene ein prima facie-Recht auf beliebige bauliche Nutzung, insbesondere im Sinne des obigen „Anforderungsprofils“, das erst auf Schrankenebene durch Ausweisung von Grundstücken als nicht zur Wohnnutzung bestimmt beschränkt wird. Indes ist auch hier Ernst zu machen mit der Gesetzesabhängigkeit der Bestandsgarantie einerseits und der verfassungsrechtlichen Maßstabswirkung der Institutsgarantie andererseits: Begründet das Bauplanungsrecht einfach-rechtlich eine differenzierte und lückenlose rechtliche Ordnung zulässiger und unzulässiger baulicher Nutzung, die rechtlich als Inhaltsbestimmung i. S. des Art. 14 I 2 GG zu qualifizieren ist909, so kann Baufreiheit im Rahmen der Bestandsgarantie inhaltlich nicht weiter reichen als diese einfach-rechtliche Ordnung. An___________ 907 Dazu unten S. 273 ff. – Entsprechend ist anerkannt, daß Art. 14 GG als „privater Belang“ innerhalb der Abwägung des § 1 VII BauGB zu berücksichtigen ist (Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 92; ders., FS Hoppe, S. 213 ff.; Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 535; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 195 ff.; Krohn, FS Schlichter, S. 446). Dabei kann es sich nach den obigen Ausführungen nicht um die Bestandsgarantie, sondern nur um die Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG handeln, da ansonsten im Ergebnis einfaches Recht an einfachem, lediglich ins Verfassungsrecht transformiertem Recht gemessen würde. 908 So ausdrücklich Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 116 ff.; W. Leisner, in: HbStR VI, § 149 Rn. 104; ders., DVBl. 1992, 1065 ff.; ferner Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 57 f.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 46; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 73; Just, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 2 Rn. 55 f.; abweichend – Baufreiheit als einfach-gesetzlich verliehenes Recht – Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 40; Schulte, DVBl. 1979, 133 (133 ff., 138 ff.); Breuer, Bodennutzung, S. 162 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 89 f.; differenzierend Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 14; Gaentzsch, in: BerlinerKomm-BauGB3 , § 1 Rn. 7. 909 Gaentzsch, in: BerlinerKomm-BauGB3, § 1 Rn. 5; Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 54; BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1999, 979 (980).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
dererseits muß diese Ordnung ihrerseits Ergebnis verfassungsmäßiger Inhaltsund Schrankenbestimmung sein910, was am Maßstab der Institutsgarantie zu bestimmen ist. Diese streitet mit dem Eigentumsprinzip der Privatnützigkeit nicht nur dafür, daß überhaupt die Möglichkeit baulicher Nutzung gegeben ist, sondern auch dafür, daß dem Eigentümer gerade solche Nutzungsmöglichkeiten eröffnet werden, die für ihn „privatnützig“ sind, d. h. seinen persönlichen Nutzungswünschen entsprechen. Damit ist zwar der definitive Umfang der Baufreiheit im Rahmen der Bestandsgarantie zuallererst dem einfachen Recht zu entnehmen, jedoch versagt dieser Maßstab dann, wenn das einfache Recht – etwa durch unbestimmte Rechtsbegriffe – Nutzungskonflikte nicht abschließend löst oder der Verwaltung über die Bauleitplanung nach § 1 BauGB911 die Befugnis einräumt, Nutzungsmöglichkeiten an Grundstücken zu verteilen bzw. zu entziehen. In diesen Fällen müssen bereits bei Bestimmung des Schutzbereichs der Bestandsgarantie ergänzend diejenigen Wertungen herangezogen werden, die im Rahmen der Institutsgarantie über die Verfassungsmäßigkeit entsprechenden einfachen Rechts bestimmen. Damit gewährt Art. 14 GG zwar im Ergebnis allein das Recht, ein Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen912, wirkt selbst aber maßgeblich auf die Auslegung dieser Gesetze und damit auf den Umfang der effektiven Baufreiheit ein.
dd) Schutzbereichsbeschränkung durch Situationsgebundenheit? Umgekehrt könnte sich ungeachtet einfach-rechtlicher Nutzungsbefugnisse eine Beschränkung auf lediglich bestimmte Nutzungsbefugnisse im Sinne einer verfassungsimmanenten Schutzbereichsbeschränkung aus der Situationsgebundenheit des Grundeigentums ergeben. Nach dieser Rechtsfigur ist jedes Grundstück durch Lage, Beschaffenheit und Einbettung in die Umwelt so geprägt, daß daraus eine von Grundstück zu Grundstück variierende „immanente Belastung der Eigentümerposition“ folgt913. Danach wäre ein von emittierenden Anlagen ___________ 910
Ähnlich Gaentzsch, in: BerlinerKomm-BauGB3, § 1 Rn. 7. IdF der Bekanntmachung vom 23. 9. 2004 (BGBl. I, 2414). 912 So auch BVerfGE 35, 263 (276); 104, 1 (11) – Baulandumlegung; BVerwGE 106, 228 (234); ebenso Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 24; vgl. auch Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 14: „potentielle“ Baufreiheit. 913 Grundlegend BGHZ 23, 30 (33); seither st. Rspr. des BGH; aus der neueren Rspr. nur BGHZ 121, 328 (336 f.); aus der Lit. zustimmend Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 41; ferner Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 284 ff.; Kimminich, in: BonnerKomm-GG, Art. 14 Rn. 168 ff.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 116; Krause, S. 142 ff. – Die Figur der Situationsgebundenheit diente der Rspr. ursprünglich dazu, den fehlenden Enteignungscharakter von Eingriffen in das Grundeigentum zu begründen und damit deren Entschädigungslosigkeit zu rechtfertigen (Rozek, S. 268; Breuer, Bodennutzung, S. 134 ff.; allgemein zur Situationsgebundenheit Hermann, S. 172 ff.; Hügel, S. 125 ff.; ferner umfassend Weyreuther, Situationsgebundenheit, passim). Nach der 911
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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umgebenes Grundstück stets durch diese Immissionen geprägt und genösse bereits deshalb keinen Schutz vor diesen. Auch wenn die Situationsgebundenheit in der Rechtsprechung des BVerwG und BGH zum Natur- und Denkmalschutz nach wie vor eine große Rolle spielt914, ist ihre dogmatische Struktur nach wie vor ungeklärt, und zwar in doppelter Hinsicht: Zunächst könnte die Charakterisierung als „immanente“ Beschränkung der Eigentumsposition auf eine Beschränkung bereits des Schutzbereichs von Art. 14 I 1 GG hindeuten. Ein solches Verständnis stünde jedoch im Widerspruch zum soeben herausgearbeiteten Verständnis bauplanungsrechtlicher Nutzungsbeschränkungen als an Art. 14 I 1 GG zu messenden gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen. Ferner ist unklar, inwieweit die Situationsgebundenheit ausschließlich an Umständen des realen Seins anknüpft oder aber auch normative Elemente enthält915. Geht man davon aus, daß die Inhaltsund Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG ausschließlich dem Gesetzgeber zugewiesen ist, verbietet sich jedenfalls – insofern ist der Kritik zuzustimmen – eine Sichtweise, wonach Rechtsfolgen allein aus der tatsächlichen Lage eines Grundstücks folgen; alles andere liefe auf eine unmittelbare Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit unter Umgehung des Gesetzgebers hinaus916. Diese Einwände greifen nicht gleichermaßen, wenn ein Gesetz vorhanden ist, das normativ an die besondere Lage eines Grundstücks Rechtsfolgen knüpft917; hier läßt sich die Gemengelage aus „deskriptiven Realfaktoren“ und „normativen Wertbegriffen“918 auflösen, wenn man die Herkunft der Situationsgebun___________ „Eigentumswende“ des Naßauskiesungsbeschlusses, der zu einem neuen Verständnis des Enteignungsbegriffs führte (BVerfGE 58, 300 ff.; dazu oben S. 192 ff.), dient die Situationsgebundenheit heute zur Abgrenzung von ausgleichspflichtiger und ausgleichsloser Inhalts- und Schrankenbestimmung (dazu oben S. 193 Fn. 647). – Kritisch zur Figur der Situationsgebundenheit W. Leisner, Situationsgebundenheit, S. 206 ff.; ders., in: HbStR VI, § 149 Rn. 157 ff.; Gassner, NVwZ 1982, 165 ff.; Rozek, S. 268 ff.; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 386 ff.; Sellmann, S. 179 ff.; Schönfeld, S. 23 ff. 914 Hermann, S. 172 f.; zur Rspr. des BVerwG Dolde, FG BVerwG, S. 322 ff. 915 Vgl. die Charakterisierung durch Schmidt-Aßmann: „(M)ixtum compositum aus deskriptiven Realfaktoren ... und normativen Wertbegriffen“ (Schmidt-Aßmann, Abwägungselemente, S. 90 unter Verweis auf dens., DVBl. 1973, 633 ff.); ähnlich Rozek, S. 268; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 387. 916 Sellmann, S. 182 ff.; W. Leisner, Situationsgebundenheit, S. 210; Rozek, S. 270; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 227; Gassner, NVwZ 1982, 165 (168 f.); Schönfeld, S. 23 ff.; Nolden, S. 59; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 286; prägnant ferner Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 387: „‚Pflichtigkeit‘ des Eigentums“ außerhalb einer „normativen Eigentumsbeschränkung“ ein „juristisches ‚Unding‘“ (ohne Hervorh. im Original). 917 Vgl. Burgi, NVwZ 1994, 527 (533), wonach eine „gegebene ‚Situation‘“ jedenfalls dort relevant sein könne, wo der Gesetzgeber sie zum „Anknüpfungspunkt rechtlicher Ausgestaltung“ gemacht hat. 918 Schmidt-Aßmann, Abwägungselemente, S. 90; dazu bereits soeben Fn. 915.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
denheit aus dem Natur- und Denkmalschutzrecht berücksichtigt: Verfolgt ein Gesetz etwa den Schutz wertvoller Naturdenkmäler, muß zwingend daran angeknüpft werden, daß ein Grundstück ein solches Naturdenkmal „von Natur aus“ enthält919. Liegt jedoch eine gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung vor, die einen entsprechenden „Realfaktor“ kraft ausdrücklicher normativer Setzung zum Tatbestandsmerkmal erhebt, geht es nicht mehr um verfassungsimmanente Schutzbereichsbeschränkungen, sondern um eine „normative Erklärung des Gesetzgebers über die Bewertung der ‚sozialen Funktion‘ des Grundstücks, mit der die Beschränkungen des Eigentums gerechtfertigt werden“920. Erkennt man ferner die gleichheitsrechtliche Dimension der Situationsgebundenheit, da sie darauf zielt, einzelne Grundstücke aufgrund ihrer natürlichen Lage bzw. Beschaffenheit besonders zu behandeln, so wird auch hier die normative Dimension deutlich: Darf nämlich der inhaltsbestimmende Gesetzgeber überhaupt bestimmte „Realfaktoren“ zum Anknüpfungspunkt machen und insofern eine bestimmte soziale Funktion des Eigentums definieren921, ist die besondere Behandlung nur Folge der Anwendung dieser (verfassungsmäßigen) Regelung. Hieraus folgt zugleich ein grundlegender Unterschied zur Anwendung der Situationsgebundenheit auf immissionsschutzrechtliche Nutzungskonflikte: Während im Natur- und Denkmalschutzrecht „Realfaktoren“ regelmäßig Gegenstände sind, die das Recht in der Natur vorfindet, ist das Ausgesetzt-Sein von Grundstücken gegenüber Immissionen ein Produkt desjenigen inhalts- und schrankenbestimmenden Rechts, das diese Immissionen in der konkreten räumlichen Situation für zulässig erklärt. Insofern kann von einer Situationsgebundenheit im weiteren Sinne gesprochen werden, die sich maßgeblich von der im Natur- und Denkmalschutzrecht entwickelten unterscheidet922. In diesem weiteren Sinne beschreibt der Begriff der Situationsgebundenheit aber durchaus zutreffend die Konsequenzen, die sich aus dem Bauplanungsrecht als überindividuellem materiellen Ordnungsprinzip923 für einzelne Grundstücke ergeben. Eine bestimmte tatsächliche räumliche (Belastungs-) Situation kann ferner dann zugleich eigenständiges normatives Kriterium zur Auflösung immissionsschutzrechtlicher Nutzungskonflikte sein, wenn das einfache Recht hieran entweder ausdrücklich anknüpft oder keine abschließende Aussagen über die zulässigen störenden und störanfälligen Nutzungen trifft, so daß es ergänzender ___________ 919 So BGH, DÖV 1957, 669 – „Buchendom“; dazu Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 388. 920 So zutreffend Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 116 (Hervorh. vom Verf.). 921 Dazu Sellmann, S. 118 f., 228. 922 Vgl. Hermann, S. 175 f., bei dem allerdings die spezifisch normative Dimension der Situationsgebundenheit im Rahmen immissionsschutzrechtlicher Nutzungskonflikte nicht genügend deutlich wird. 923 Dazu oben S. 244 ff.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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Wertungen durch den Rechtsanwender bedarf924. Hier kann die Situationsgebundenheit als Ausdruck des Prioritätsgrundsatzes verstanden werden, wonach eine vorhandene und innerhalb der zulässigen Bandbreite liegende besonders störende oder störanfällige Nutzung die Umgebung dergestalt prägt, daß neu hinzutretende Nutzungen mit einer spezifischen Rücksichtnahmepflicht belastet sind925. Dies folgt daraus, daß im Konflikt zwischen (legaler) vorhandener und neu hinzutretender Eigentumsnutzung regelmäßig der vorhandenen Nutzung Vorrang einzuräumen ist, da deren Eigentümer grundsätzlich auf den Fortbestand einer einmal legal ins Werk gesetzten Nutzung vertrauen darf926 und es dem „Newcomer“ regelmäßig zumutbar ist, seine Nutzung an einem anderen Ort zu verwirklichen. Sofern daher das einfache Recht ausdrücklich an diese Wertungen anknüpft oder zumindest Raum hierfür läßt, was im einzelnen im 3. Teil zu betrachten ist927, ist der Prioritätsgrundsatz verfassungsrechtlich gebotenes Mittel zur Auflösung entsprechender Nutzungskonflikte.
b) Zwischenergebnis Damit kann festgehalten werden, daß das obige „Anforderungsprofil“928 sehr wohl zur Bestimmung des Schutzbereichs der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG tauglich ist, nämlich dann, wenn dem Grundstück derartige Nutzungsbefugnisse gesetzlich zugewiesen sind, was nach Ansicht des BVerwG durch die §§ 3 I und 4 I BauNVO geschehen ist. Wenngleich bisher die Wohnnutzung als regelmäßig immissionsempfindlichste Nutzung im Mittelpunkt stand, darf jedoch nicht übersehen werden, daß auch andere Nutzungszuweisungen existieren, insbesondere die in den meisten Baugebietstypen zulässige gewerbliche Grundstücksnutzung929, was zu abweichenden „Anforderungsprofilen“ führt. Zwar steht hinter der Gebietstypologie der BauNVO die typisierende Wertung, ___________ 924
Dazu aus Sicht der §§ 34, 35 BauGB unten 3. Teil S. 367 ff. Entsprechend sollen für die „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG auch die tatsächlichen und plangegebenen Vorbelastungen maßgeblich sind (dazu unten 3. Teil S. 342 ff., S. 371 ff.). – Zum Prioritätsgrundsatz als allgemeines verwaltungsrechtliches Prinzip Rolshoven, NVwZ 2006, 516 (520 ff.). 926 Zum Vertrauensschutzaspekt des Art. 14 GG Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I 5 , Art. 14 Rn. 228 ff.; Wieland, in: Dreier I 2, Art. 14 Rn. 130 f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 64; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 248; Sach, S. 110 f. – Hier liegt zugleich die Schnittstelle zur Bestandsschutzproblematik; dazu Friauf, WiVerw 1989, 121 (131). 927 Dazu unten 3. Teil S. 367 ff., 371 ff. 928 Dazu oben S. 243 im Anschluß an BVerwGE 51, 15 (33). 929 Vgl. unter Ausblendung der ausnahmsweise zulässigen Nutzungen in den Absätzen 3 §§ 4 II Nr. 2 (Allgemeine Wohngebiete), 4a II Nr. 2-4 (Besondere Wohngebiete), 5 II Nr. 1, 4-6, 8, 9 (Dorfgebiete), 6 II Nr. 2-4, 6-8 (Mischgebiete), 7 II Nr. 1-3, 5 (Kerngebiete), 8 II Nr. 1-3 (Gewerbegebiete), 9 II Nr. 1 u. 2 (Industriegebiete). 925
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
daß gewerblich genutzte Grundstücke nicht in demselben Maße gegenüber Immissionen anfällig sind wie wohngenutzte. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt, da auch immissionsempfindliche gewerbliche Grundstücksnutzungen denkbar sind930, so daß zugleich zur nächsten Frage übergeleitet ist, nämlich der Berücksichtigung besonderer Empfindlichkeiten auch nach Art. 14 I 1 GG.
2. Problematik besonderer Empfindlichkeiten Hierbei muß danach unterschieden werden, ob die besondere Empfindlichkeit unmittelbar dem Eigentum anhaftet, d. h. dieses selbst – etwa eine immissionsempfindliche Pflanzenzucht – besonders „empfindlich“ ist, oder aber diejenigen Personen, die das Grundstück bestimmungsgemäß nutzen. Zwar ist nur im letztgenannten Fall unmittelbar der Mensch Maßstab, jedoch wird auch im erstgenannten Fall eine Aussage über das hinzunehmende Immissionsmaß getroffen, denn sollte dieses niedriger sein als bei alleinigem Abstellen auf den Menschen, würde ihm auch dieses geringere Maß zugute kommen.
a) Besondere Empfindlichkeit der Eigentumsnutzung als solcher Wenn in der Lit. teilweise gefolgert wird, aus dem Bezug der Bestandsgarantie auf konkrete Eigentumsobjekte931 folge, daß „das besonders immissionsanfällige Baudenkmal prinzipiell ebenso geschützt (sei) wie die Aufzucht überdurchschnittlich empfindlicher Pflanzen“932, so wird übersehen, daß bei der Aufzucht überdurchschnittlich empfindlicher Pflanzen – im Gegensatz zum Baudenkmal, bei dem unmittelbar die Sachsubstanz angegriffen wird – die Nutzungsdimension einschlägig ist, die wie ausgeführt jedoch nach Art und Umfang vom einfachen Recht bestimmt wird933. Werden danach einem Grundstück Immissionstragungspflichten auferlegt, die bestimmte Nutzungen beeinträchtigen können, so sind diese zumindest im Rahmen der Bestandsgarantie von vornherein nicht schutzwürdig. Eine Schutzwürdigkeit kann sich hier nur aus den oben
___________ 930 So hatte der BayVGH über Immissionen zu entscheiden, denen eine Brauerei ausgesetzt war (BayVGH, Fe-ES, BImSchG § 17 Nr. 1, S. 7 f.); ähnlich der Fall OVG Hamburg, DVBl. 1975, 207 ff., wo es um eine besonders empfindliche Pflanzenzucht ging; dazu sogleich Fn. 935; zu denken ist ferner an Dienstleistungsbetriebe, Arzt- und Anwaltspraxen (dazu Schmidt-Aßmann, Abwägungselemente, S. 102). 931 Dazu oben S. 66 Fn. 115. 932 So Wulfhorst, Schutz, S. 130. 933 Dazu oben S. 69 ff., 77 ff.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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entwickelten Gedanken der Priorität und Situationsgebundenheit i. w. S. ergeben934, wenn die Nutzungen die Grundstückssituation geprägt haben935. Ein anderes hat jedoch im Rahmen der Inhaltsbestimmung nach Art. 14 I 2 GG zu gelten: Hat diese die Aufgabe, „Eigentum“ i. S. der Bestandsgarantie zu konstituieren, so muß auch bezogen auf jedes konkrete, dieser Garantie unterfallende Eigentumsobjekt der geforderte Ausgleich zwischen den Eigentumsprinzipen der Institutsgarantie und Art. 14 II GG hergestellt sein936, weshalb eine konkreten Eigentumsobjekten anhaftende besondere Empfindlichkeit grundsätzlich zu berücksichtigen und eine Ausblendung nur auf Schrankenebene zulässig ist. Für diese prima facie-Beachtlichkeit besonderer Empfindlichkeiten der Eigentumsobjekte im Rahmen des Art. 14 I 2 GG spricht gerade das Eigentumsprinzip der Privatnützigkeit, das für eine möglichst ungestörte Nutzbarkeit auch besonders empfindlicher Eigentumsobjekte streitet.
b) Besondere Empfindlichkeit der eigentumsnutzenden Personen aa) Objektiver Maßstab als verfassungsmäßige Inhaltsbestimmung Auch hier ist zunächst zu fragen, welche Nutzungsmöglichkeiten das einfache Recht dem Grundeigentum in Ansehung unterschiedlicher Empfindlichkeiten der eigentumsnutzenden Personen zugewiesen hat. Hierzu hat das BVerwG zum objektbezogenen Maßstab des Bauplanungsrechts ausgeführt: „Das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Dementsprechend stellt das baurechtliche Rücksichtnahmegebot nicht ‚personenbezogen‘ auf die Eigentumsverhältnisse oder die Nutzungsberechtigten zu einem bestimmten Zeitpunkt ab ... Daraus ergibt sich ..., daß die persönlichen Verhältnisse einzelner Eigentümer oder Nutzer, wie z. B. besondere Empfindlichkeiten oder der Gesundheitszustand, bei der Bewertung von Lärmimmissionen im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots keine Rolle spielen ...“937
Ist aber bereits auf einer ersten Stufe das Grundeigentum in dieser Weise mit einem typisierten und entindividualisierten Inhalt definiert, erscheint es nur konsequent, daß auch das diese Nutzungsordnung ausgestaltende Immissions___________ 934
Dazu soeben S. 248 ff. Entsprechend hat der BayVGH in dem oben Fn. 930 geschilderten Fall die besondere Empfindlichkeit der Brauerei nur deshalb zum Maßstab der Erheblichkeit nach § 3 I BImSchG gemacht, weil die besonders empfindliche Nutzung ortsüblich war und die Umgebung mitgeprägt hat (BayVGH, Fe-ES, BImSchG § 17 Nr. 1, S. 7 f.); ebenso OVG Hamburg, DVBl. 1975, 207 (209 f.) für eine besonders empfindliche Pflanzenzucht. 936 Dazu oben S. 199 ff. 937 BVerwGE 109, 314 (324) – Sportplatz. 935
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
schutzrecht diesen Maßstab übernimmt. Fraglich ist jedoch, ob dies seinerseits eine verfassungsmäßige Inhaltsbestimmung ist. Dies wäre unproblematisch der Fall, wenn auch die Institutsgarantie allein den Schutz der grundsätzlichen Nutzbarkeit von Eigentum bezweckte und der Schutz der nutzenden Personen nur mittelbare Folge wäre. In diesem Fall müßte jeder „Durchgriff“ von den Eigentümern auf das Eigentum durch letzteres „vermittelt“ werden, was die Berücksichtigung solcher besonderer Empfindlichkeiten ausschlösse, die sich nicht in irgendeiner Weise im Eigentum selbst manifestieren. Diese Sicht ist abzulehnen, da sie den personalen Gehalt der Eigentumsgarantie verkennt und überdies praktisch nicht ohne Rationalitätsverlust durchzuhalten ist: Zunächst folgt aus der Funktion des Art. 14 GG, dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen938, daß Art. 14 GG nicht primär Sachgarantie, sondern persönliche Rechtsträgergarantie des Eigentümers ist939. Entsprechend ist das Eigentumsprinzip der Privatnützigkeit nicht auf eine „typisierte“, sondern auf eine reelle Privatnützigkeit für den konkreten Eigentümer gerichtet. Auch existieren unterhalb der Schwelle des Art. 2 II 1 GG eine Vielzahl subjektiver Faktoren, die darüber bestimmen, in welchem Maße ein Grundstück faktisch die Funktion erfüllt, für den Grundrechtsträger privatnützig zu sein940. Daher ist ungeachtet möglicher objektiver Maßstäbe als „Inhalt“ der Bestandsgarantie im Rahmen der Inhaltsbestimmung nach Art. 14 I 2 GG von einer prima facie-Beachtlichkeit auch individueller Einflußgrößen in der Person der nutzenden Eigentümer auszugehen, die jedoch in Konsequenz ihres Prinzipiencharakters einer Typisierung und Nivellierung auf einen objektiven Maßstab zugänglich sind. Insofern ist der objektbezogene Maßstab des Bauplanungsrechts941 erst das Ergebnis zulässiger nivellierender und typisierender Inhalts- und Schrankenbestimmung. Ein solcher objektiver Maßstab ist im übrigen auch insofern geboten, als die rechtliche Zuordnung eines Grundstücks zu einem Eigentümer – anders als dessen Gesundheit – nur solange eine ausschließliche ist, als das Eigentumsver___________ 938
Dazu oben S. 113 Fn. 65. So BVerfGE 24, 367 (400) – Hamburger Deichordnung; ebenso Rozek, S. 4. 940 So hängen bei Geräuschimmissionen Art und Ausmaß der Beeinträchtigung wesentlich von verschiedenen Einflußgrößen ab (dazu oben 1. Teil S. 38 Fn. 22), von denen das BVerwG benannt hat Stärke, Dauer, Häufigkeit, Tageszeit des Auftretens, Frequenzzusammensetzung, Auffälligkeit (Lärmart nebst Impulshaltigkeit), Informationshaltigkeit, Tonhaltigkeit, (allgemeine) Ortsüblichkeit, (individuelle) Gewöhnung, subjektive Befindlichkeit des Betroffenen nach physischen und psychischen Merkmalen, seine Tätigkeit, Art und Betriebsweise der Geräuschquelle, subjektiv angenommene Vermeidbarkeit des Geräusches und sozialer Sympathiewert der Geräuschquelle (vgl. BVerwGE 84, 31 [40 ff.] – Oberursel II; ähnlich bereits 81, 197 [203 f.] – Tegelsbarg; ferner Berkemann, Lärmgrenzwerte, S. 82). 941 BVerwGE 109, 314 (324) – Sportplatz. 939
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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hältnis besteht. Gerade in Zeiten hoher gesellschaftlicher Mobilität unterliegt Grundeigentum jedoch selbst einer hohen Mobilität, indem es am Markt gehandelt wird und jede rechtliche Zuordnung nur temporär ist, längstenfalls bis zum Tod des Eigentümers, der den Eigentumsübergang auf die Erben bewirkt. Vergegenwärtigt man sich ferner die Unvermehrbarkeit von Grund und Boden942 und die Statik grundstücksbezogener Nutzungskonflikte, so wird deutlich, daß das Konzept räumlich differenzierter Nutzungsbefugnisse zu einer Gleichung mit lauter Unbekannten würde, wollte man jedes Grundstück als „Variable“ offen halten für unterschiedliche Empfindlichkeiten verschiedener Eigentümer. Daher setzt das bauplanungsrechtliche Ordnungskonzept nicht nur einen objektiven Maßstab zwingend voraus, sondern ist zugleich im Rahmen der horizontalen Typisierungsrechtfertigung rechtfertigender Grund für diesen943.
bb) Besonderheiten von Geräuschimmissionen Für die Behandlung besonderer Empfindlichkeiten der eigentumsnutzenden Personen als Schrankenproblem sprechen ferner Besonderheiten der hier vorrangig relevanten Geräuschimmissionen, für die anerkannt ist, daß die Feststellung ihrer Schädlichkeit stets auch eine wertende Betrachtung voraussetzt. So schreibt Berkemann: „Lärm als ein auch sozial vermitteltes, sinnhaft erfaßtes und vom Empfänger sozialer Handlungsabläufe bewußt oder unbewußt zugeordnetes Geräuschereignis läßt sich nicht ausschließlich messen, sondern muß auch bewertet werden. Die normative Relevanz ist demgemäß nach Maßgabe des Einzelfalls situationsbedingt und damit bewertend zu qualifizieren ...“944
Angesichts dessen sähe sich eine bereits auf Schutzbereichsebene vorgenommene Objektivierung des Beurteilungsmaßstabs dem Einwand ausgesetzt, rational nicht begründen zu können, welche dieser Einflußgrößen beachtlich sind und welche nicht. Eine solche Entscheidung wäre indes nötig, da ein Ausblenden sämtlicher Einflußgrößen die Eigenart von Geräuschimmissionen verfehlen würde. Im übrigen zeigt die Vielzahl an Gerichtsentscheidungen über früher allgemein akzeptierte Immissionen wie Kirchenglocken und Kinderspielplätze945, daß diese von einem Teil der Bevölkerung tatsächlich als beeinträchtigend empfunden werden. In Konsequenz des Denkens in „durchschnittlicher“ und „überdurchschnittlicher“ Empfindlichkeit könnte zwar durch empirische ___________ 942
Dazu oben S. 244 Fn. 897. Zur vergleichbaren Problematik bei Art. 2 II 1 GG oben S. 205 ff. 944 Berkemann, Lärmgrenzwerte, S. 76 (Hervorh. vom Verf.) unter Verweis auf BVerwGE 84, 31 (40 f.); ähnlich Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (196 f.); dort auch zu den einzelnen Kriterien dieser Bewertung. 945 Dazu Herr, S. 85 mit Fn. 383; bezüglich Kirchenglocken ferner Hense, S. 319 ff. 943
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Erhebungen ermittelt werden, wie groß entsprechende Bevölkerungsteile sind, jedoch wäre ein solches Vorgehen nicht nur praktisch nicht durchführbar, sondern es müßte auch – normativ – die Schwelle bestimmt werden, ab der entsprechende Empfindlichkeiten als „objektiv“ zu berücksichtigen sind. Vorzugswürdig ist daher, entsprechende Ergebnisse über die normative Begründung von Immissionstragungspflichten im öffentlichen bzw. überwiegenden Privatinteresse auf Schrankenebene zu erzielen946, zumal allein dadurch gesichert ist, daß Wertungen zur Verkürzung des effektiven Grundrechtsschutzes dem verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsprogramm der Artt. 14 I 2 i. V. m. 14 II GG unterzogen werden; auf den durch derartige „Schrankenlösungen“ bewirkten Rationalitätsgewinn wurde bereits mehrfach hingewiesen947.
___________ 946 Gegenüber diesem verfassungsrechtlich gebotenen normativen Ansatz weist der sog. differenziert-objektive Maßstab, wonach in „differenzierender und zugleich typisierender Betrachtungsweise darauf abzustellen (sei), was von einem verständigen Durchschnittsmenschen in Abwägung der Vor- und Nachteile für alle Betroffenen billigerweise hinzunehmen ist“ (so Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 103; ferner Kutscheidt, in: Salzwedel, Grundzüge1, S. 248; ders., NVwZ 1989, 193 [195]; Petersen, S. 73; Gaentzsch, S. 35; Blank, S. 166) eine bemerkenswerte Unentschiedenheit zwischen normativen und empirisch-faktischen Elementen auf: So wird einerseits gerade nicht darauf abgestellt, was von jedermann normativ hinzunehmen ist, obwohl es um die Begründung einer allgemeinen Duldungspflicht geht. Da jedoch aus dem „verständigen Durchschnittsmenschen“ nur das als Maßstab gewonnen werden kann, was dieser selbst jeweils hinzunehmen bereit ist, ist dieser empirisch-faktische Ansatz allein untauglich, die gesuchte allgemeine Duldungspflicht zu begründen. Da dies vielmehr allein normativ geschehen kann, sieht sich der differenziert-objektive Maßstab denn auch genötigt, diesen empirisch-faktischen Maßstab um einen normativen zu ergänzen, was durch das Tatbestandsmerkmal der „Verständigkeit“ geschieht. Damit wird aber der empirisch-faktische Ansatz in sein Gegenteil verkehrt, da dem „verständigen“ Durchschnittsmenschen unterstellt wird, er sei bereit, all das hinzunehmen, was ihm als hinzunehmend auferlegt wird. Damit erweist sich der „verständige“ Durchschnittsmensch nicht nur als bloße Fiktion, die vom empirisch-faktischen Ansatz nichts übrig läßt, sondern ist in der ihm zugedachten Funktion eines rechtstechnischen Mediums schlicht überflüssig, da er nur über die Hintertür den verfassungsrechtlich gebotenen normativen Ansatz der Begründung von Immissionstragungspflichten im übergeordneten Allgemein- bzw. Individualinteresse wiedergibt, ohne indes die hierzu erfoderlichen Wertungen offenzulegen. 947 Dazu oben S. 62 ff.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
257
III. Eingriff 1. Gegenstand und Bezugspunkt des Eingriffs a) Hoheitlich verursachte Immissionen Ausgehend von der Funktion des Eingriffsbegriffs948, als Bindeglied zwischen Schutzbereich und Eingriffsrechtfertigung dasjenige beeinträchtigende staatliche Verhalten zu benennen, das Gegenstand der Eingriffsrechtfertigung ist, könnte Eingriffsqualität zunächst unmittelbar solchen Immissionen zugesprochen werden, die nach den Ausführungen oben B. die Betroffenengrundrechte als Abwehrrechte aktivieren949. Diese wären als Realakte in der herkömmlichen Terminologie als nicht-finale faktische Eingriffe zu qualifizieren950, deren Eingriffsqualität auch bei Art. 14 GG grundsätzlich anerkannt ist951. Zwar würde hierbei das weitere Begriffspaar unmittelbar-mittelbar952 auf den ersten Blick keine Rolle spielen, da Immissionen unmittelbar auf das Grundeigentum einwirken. Gleichwohl stellt sich auch hier ein „Vermittlungsproblem“, da die beeinträchtigende Wirkung nicht bereits durch die Einwirkung auf das Grundstück herbeigeführt wird, sondern dadurch, daß Grundrechtsträger veranlaßt werden, bestimmte Nutzungsmöglichkeiten nicht mehr wahrzunehmen. Dies entspricht im Ansatz der Problematik bei mittelbaren Grundrechtseingriffen, so daß auch hier eine „Schwelle“ erforderlich sein könnte, ab der die Einwirkung in eine Verhaltensinfluenzierung umschlägt953. Demgegenüber hat das BVerfG in der Entscheidung zum Flughafen Salzburg und in der Verkehrslärm-Entscheidung maßgeblich nicht auf die tatsächlich verursachten Immissionen abgestellt, sondern auf die diese erlaubenden Rechtsnormen954. Dieser Ansatz, der in beiden Verfahren durch den Streitge___________ 948
Zum heuristischen bzw. funktionalen Charakter der Eingriffsbegriffs auch Holoubek, Bauelemente, S. 75; ferner oben S. 41 ff. 949 Dazu oben S. 123 ff. 950 Zu diesen Begriffspaaren oben S. 51 Fn. 55 ff. – Die Nicht-Finalität des Eingriffs folgt daraus, daß die Immissionen regelmäßig nur (ungewollte) Nebenfolge eines auf einen anderen Zweck gerichteten Staatshandelns ist; Ausnahmen sind denkbar, wie der Fall der Feueralarmsirene zeigt (BVerwGE 79, 254 ff.). 951 Grundlegend Ramsauer, Faktische Beeinträchtigungen (1980), passim; ferner Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 29; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 30; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 52; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 247; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 85; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 108; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 40; Sachs, VerfR II, B 14 Rn. 17. 952 Dazu oben S. 51 Fn. 56. 953 Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 31; ähnlich Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 85; Kimms / Schlünder, § 12 Rn. 38. 954 BVerfGE 72, 66 (76 ff.) – Flughafen Salzburg; 79, 174 (191 ff.) – Verkehrslärm; zu diesem „Perspektivenwechsel“ Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 82.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
genstand bedingt war955, ist gerade unter dem Blickwinkel der Bestandsgarantie konsequent: Werden nämlich bestehende Nutzungsbefugnisse dadurch beeinträchtigt, daß im Wege der Rechtsetzung (Erlaß des Zustimmungsgesetzes in der Salzburg- bzw. des Bebauungsplans in der Verkehrslärm-Entscheidung) Duldungspflichten für Immissionen begründet werden, die zugleich den Inhalt des Eigentums neu definieren, so stellen diese Vorschriften Eingriffe in die Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG dar956. Ergibt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung deren Verfassungswidrigkeit, gilt dieses Verdikt gleichermaßen für alle Immissionen, die nach diesen Vorschriften rechtmäßig hätten verursacht werden dürfen957. Eines eigenständigen Abstellens auf die Immissionen bedarf es demgegenüber nur dann, wenn diese von den bestehenden verfassungsmäßigen Inhaltsbestimmungen nicht gedeckt sind. Gleichwohl werden damit die Immissionen als faktischer Vorgang nicht überflüssig, da es auch Aufgabe der Eingriffsprüfung ist, der Eingriffsrechtfertigung die Eingriffstiefe vorzugeben, d. h. dasjenige Maß, in dem die Eigentümerbefugnisse im konkreten Fall beeinträchtigt sind und durch gegenläufige Belange überwunden werden müssen. Dies kann aber nur bestimmt werden, wenn man erstens fragt, welche tatsächlichen Beeinträchtigungen nach den maßgeblichen inhaltsbestimmenden Regelungen rechtmäßig möglich sind, und zweitens, welche verhaltensinfluenzierende Wirkungen diese Beeinträchtigungen bei den maßgeblichen Grundrechtsträgern entfalten. Damit erfüllt die Eingriffsprüfung ___________ 955
So lag der Salzburg-Entscheidung (BVerfGE 72, 66 ff.) eine konkrete Normenkontrolle zugrunde, mit der der BGH Bestimmungen des Zustimmungsgesetzes zum Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der Republik Österreich über Auswirkungen der Anlage und des Betriebes des Flughafens Salzburg auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 9. 1. 1974 (BGBl. II, 13) vorlegte, nach denen zivilrechtliche Ansprüche gegen Lärmimmissionen nach deutschem Recht ausgeschlossen waren, soweit der Flughafen nach geltendem österreichischen Recht betrieben wurde. Der Verkehrslärm-Entscheidung (BVerfGE 79, 174 ff.) lag demgegenüber eine Urteilsverfassungsbeschwerde gegen eine Normenkontrollentscheidung nach § 47 VwGO zugrunde, mit der Bestimmungen eines Bebauungsplans angegriffen wurden. 956 Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 243; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 225; Rozek, S. 61, Thormann, S. 145; Pieroth / Schlink21, Rn. 920; Weyreuther, S. 54 f.; dazu, daß auch das BVerfG ein „Eingriffsverständnis“ vertritt, M. Appel, Eigentum, S. 223 ff. mit Fn. 383. – A. A. Böhmer, NJW 1988, 2561 (2572 f.). 957 Wenn teilweise „faktische“ und „mittelbare“ Einwirkungen als dritte Eingriffskategorie neben Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung gesehen und einem eigenständigen Maßstab der Eingriffsrechtfertigung unterzogen werden (so Jarass, in: J / P,8Art. 14 Rn. 29 ff., 49 ff.; ders., NJW 2000, 2841 [2841]; Kimms / Schlünder, § 12 Rn. 38, 54; a. A. – Anwendung und Vollzug inhalts- und schrankenbestimmender Regelungen ebenfalls Inhalts- und Schrankenbestimmung – Rozek, S. 161 f.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 270), so ist dem entgegenzuhalten, daß dann, wenn eine inhaltsbestimmende Norm verfassungsmäßig Befugnisse als nicht zum Eigentum gehörig definiert oder Duldungspflichten begründet, tatsächliche Einwirkungen, die sich in diesem Rahmen halten, bereits nicht in das dergestalt definierte Eigentum eingreifen (ebenso M. Appel, Eigentum, S. 241 f.; Böhmer, NJW 1988, 2561 [2572]).
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
259
auch eine wichtige erkenntnismäßige Funktion für die unten IV. 2. erfolgende Prüfung der Institutsgarantie, da der verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeitsmaßstab der Inhalts- und Schrankenbestimmung stets in Ansehung konkreter, in ihren Folgen zu bewertender Immissionen gewahrt sein muß.
b) Privat verursachte Immissionen Die Konstruktion, Immissionen zum Bezugspunkt des Eingriffs zu machen, versagt bei privat verursachten Immissionen, welche die Betroffenengrundrechte nicht in ihrer abwehrrechtlichen Dimension aktivieren, da nach Art. 1 III GG ausschließlich staatliches Handeln an den Grundrechten zu messen ist. Hier liegt zwar strukturell ein Fall der staatlichen Schutzpflicht vor958; gleichwohl ist aufgrund der Besonderheit, daß auch entsprechende Duldungspflichten nach Art. 14 I 2 GG den „Inhalt“ des Eigentums bestimmen, deren Begründung wie ausgeführt abwehrrechtlich zu „verarbeiten“959. Fraglich ist, ob bei privaten Drittbeeinträchtigungen eine Erheblichkeitsschwelle überschritten sein muß. Hierauf könnte die verbreitete Formulierung hindeuten, daß die Änderung der Nutzung von Nachbargrundstücken das Eigentum nur „berühre“, wenn sie zu einer „nachhaltigen Änderung der Grundstückssituation“ und zu „schweren und unerträglichen Beeinträchtigungen“ führe960. Indes ist abgesehen von der Frage, wann eine „schwere“ und „unerträgliche“ Beeinträchtigung vorliegt, bereits unklar, ob hiervon das Vorliegen eines Eingriffs abhängig gemacht961 oder lediglich der verfassungsrechtliche Maßstab ___________ 958
So zutreffend Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 32. Dazu oben S. 236 ff.; vgl. Breuer, Bodennutzung, S. 265: „Die Nutzbarkeit der Nachbargrundstücke gehört insoweit zum Grundeigentum, wie die Rechtsordnung dem Eigentümer Einwirkungs- und Abwehrbefugnisse gegenüber dem Nachbarn einräumt“. 960 So Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 32; aus der Rspr. grundlegend BVerwGE 32, 173 (179); 44, 244 (246 ff.); ebenso Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 81; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 53; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (8 f.); einschränkend Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 75. 961 So Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 32; ebenso Enders, AöR 115 (1990), 610 (624); bei anderen Autoren bleibt die systematische Einordnung der genannten Formel mehr oder weniger unklar; vgl. Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 81, der diese sowohl im Kontext der einfach-rechtlichen Anfechtungsbefugnis (§§ 42 II, 113 I 1 VwGO) als auch des „Abwehranspruch(s) aus Art. 14 (GG)“ erörtert; im Kontext baurechtlicher Nachbarklagen ferner Kopp / Schenke14, § 42 Rn. 135; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (8 f.); ebenso die grundlegenden Entscheidungen BVerwGE 32, 173 (179); 44, 244 (246 ff.). – Demgegenüber hat das BVerwG einen unmittelbar auf Art. 14 GG gestützten Nachbarschutz zwischenzeitlich aufgegeben (vgl. Dolde, FG BVerwG, S. 319) und konstruiert diesen heute über einfaches Recht, das im Lichte des Art. 14 GG ausgelegt wird (dazu Dolde, FG BVerwG, S. 319 [dort auch zur Bedeutung des Rücksichtnahmegebots]; vgl. BVerwGE 89, 69 [78 f.]; aus der Lit. nur Wahl, FS Redeker, S. 264 ff.; Rozek, S. 222 f.). 959
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
umschrieben werden soll, dem jegliches inhaltsbestimmendes Recht genügen muß. Jedenfalls bei letzterem Verständnis kann die „schwere“ und „unerträgliche“ Beeinträchtigung sinnvoll dahin gedeutet werden, daß „unerträglich“ solche Ausgestaltungen des einfachen Rechts sind, die diesen verfassungsrechtlichen Maßstab verfehlen. Falsch ist es hingegen, von einer solchen Erheblichkeitsschwelle bereits das Vorliegen eines Eingriffs abhängig zu machen, da dahinter die Vorstellung steht, bei Nutzungsänderungen auf Nachbargrundstücken aufgrund staatlicher Zulassung handele es sich um ein Problem mittelbarer Grundrechtseingriffe962, bei denen sich allgemein die Frage qualifizierter Eingriffsvoraussetzungen stellt963. Diese Vorstellung ist deshalb unzutreffend, weil aus der Konstruktion des Art. 14 I 2 GG, wonach Duldungspflichten für Drittbeeinträchtigungen unmittelbar den „Inhalt“ des Eigentums bestimmen, folgt, daß jegliche Begründung von Duldungspflichten, die einen vorhandenen Bestand an Nutzungsbefugnissen schmälert, Eingriff i. S. der Bestandsgarantie ist. Ob diese Duldungspflichten von einem Hoheitsträger oder von Privaten aktualisiert werden, spielt demgegenüber für den Eingriff keine Rolle. Eine elementare materielle „Eingriffsschwelle“ folgt im übrigen bereits aus dem Erfordernis, daß die Beeinträchtigung durch den privaten Dritten eine verhaltensinfluenzierende Wirkung auf den „gestörten“ Eigentümer entfalten muß, was wie ausgeführt jedoch kein Spezifikum des „Drittschutzes“ bei privat verursachten Immissionen ist. Auch führt die Gesetzesabhängigkeit nach Art. 14 I 2 GG dazu, daß – was nur selten als Konsequenz zu Ende gedacht wird964 – Nutzungsänderungen auf Nachbargrundstücken, die zu privaten Drittbeeinträchtigungen führen, dann eingriffsrechtlich nicht erfaßt werden können, wenn die staatliche Zulassung der störenden Nutzung nur die generell-abstrakte Inhaltsbestimmung des Grundstück aktualisiert, da von der Bestandsgarantie geschützte Eigentümerbefugnisse – insbesondere Störungsabwehrrechte – nur im Rahmen dieser (verfassungsmäßigen) Inhaltsbestimmung existieren können965. Die Zulässigkeit von „Drittstörungsbefugnissen“ bestimmt sich damit zwar abschließend nach dem inhaltsbestimmenden einfachen Recht966, Art. 14 GG be___________ 962
So exemplarisch Krebs, in: Schmidt-Aßmann13, 4. Kap. Rn. 239. Dazu nur von Arnauld, Schranken, S. 93 ff.; Enders, in: BerlinerKomm-GG, vor Art. 1 Rn. 106 ff.; H. Dreier, in: Dreier I2, Vorb. Rn. 125; ferner oben S. 51 ff. 964 Ebenso die Einschätzung von M. Appel, Eigentum, S. 244 f. 965 Ebenso M. Appel, Eigentum, S. 241 f.; Böhmer, NJW 1988, 2561 (2572). 966 So zutreffend das heutige Drittschutzkonzept des BVerwG; dazu soeben Fn. 961. – Offen bleibt, ob ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 14 GG möglich ist, wenn das einschlägige einfache Recht verfassungswidrig ist, weil es den gebotenen Ausgleich zwischen Institutsgarantie des Art. 14 I 1 und Art. 14 II GG verfehlt; hier wird teilweise ein Rückgriff auf Art. 14 GG für zulässig gehalten (vgl. mit Nachw. Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 83). Dies braucht an dieser Stelle indes nicht entschieden werden, da Gegenstand der vorliegenden Untersuchung die Anforderungen an verfassungsmäßiges inhaltsbestimmendes Recht sind. 963
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
261
hält gleichwohl zentrale Bedeutung für die verfassungskonforme Auslegung dieses Rechts, wenn der Gesetzgeber eigentumsbezogene Nutzungskonflikte nicht abschließend gelöst hat967. Insofern spricht Papier zutreffend von einer „mittelbaren Drittwirkung“ des Art. 14 GG, wonach dieser „vorrangig ... die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts beeinflussen (könne)“968.
2. Eingriffswirkung: Beschränkung der Grundstücksnutzung Regelmäßig werden relevante Nutzungsbeschränkungen nicht dadurch herbeigeführt, daß Verhaltensweisen unmittelbar verboten oder geboten werden, sondern dadurch, daß die Grundrechtsträger im Rahmen ihrer Willensentschließung und -betätigung veranlaßt werden, Nutzungsmöglichkeiten nicht mehr wahrzunehmen. Im folgenden soll betrachtet werden, welche Anforderungen diese verhaltensinfluenzierende Wirkung an die „Eingriffsschwelle“ stellt.
a) Sonderfall: Unzumutbarkeit nach Art. 2 II 1 GG Eine verhaltensinfluenzierende Wirkung liegt zunächst stets vor, wenn eine an sich mögliche Grundstücksnutzung dem Grundrechtsträger unzumutbar ist. Dies ist stets der Fall, wenn die Grundstücksnutzung nur unter Aufgabe eigener Rechte möglich ist, wobei diese Rechte grundsätzlich der gesamten Rechtsordnung entnommen werden können. Verfassungsrechtlich sind vorrangig diejenigen Grundrechte maßgeblich, die wie Art. 2 II 1 GG einen immissionsschützenden Gehalt haben. Da niemandem die Nutzung eines Grundstücks zugemutet werden kann, bei der er sich Schädigungen und Gefährdungen an Leben und Gesundheit aussetzen müßte, ist Unzumutbarkeit stets zu bejahen, wenn Personen, die sich bestimmungsgemäß auf dem Grundstück aufhalten, Immissionen ausgesetzt sind, die gemessen an Art. 2 II 1 GG unzulässig sind969. Maßstab hierfür ist allerdings nicht bereits das Vorliegen von Schädigungen und Gefährdungen an Leben und Gesundheit, sondern stets die Rechtsfolge der Prüfung des Art. 2 II 1 GG, d. h. die verfassungsrechtlich nicht hinzunehmenden Schädigungen und Gefährdungen. Damit können im Rahmen des Art. 14 GG solche Schädigungen und Gefährdungen an Leben und Gesundheit hinzunehmen sein, die ___________ 967 Dies gilt angesichts der grundsätzlichen Planungsunterworfenheit des Grundeigentums (dazu Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 87 ff.) in besonderem Maße für das planerische Ermessen nach § 1 VII BauGB; dazu, daß Art. 14 GG abwägungserheblicher Belang der Abwägung nach § 1 VII BauGB ist, oben S. 247 Fn. 907. 968 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 82; ebenso Rozek, S. 22 f.; ferner Wahl, FS Redeker, S. 265 f. 969 Ähnlich Dolde, FG BVerwG, S. 327; Ramsauer, Zumutbarkeit, S. 119.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
auch am Maßstab des Art. 2 II 1 GG hinzunehmen sind, da dann die Grundstücksnutzung nicht unzumutbar ist. Aus dieser „Inkorporation“ des personenbezogenen Schutzmaßstabs des Art. 2 II 1 GG in den objektbezogenen des Art. 14 GG970 ergeben sich folgende Konsequenzen:
aa) Berücksichtigung überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten Zunächst werden die oben zu Art. 14 GG entwickelten Grundsätze zur Maßgeblichkeit einer – jedenfalls im Ergebnis – „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit971 im Anwendungsbereich des Art. 2 II 1 GG überlagert durch die zu diesem Grundrecht entwickelten Grundsätze, d. h. dem Verbot einer wertenden Verengung auf Schutzbereichsebene bei gleichzeitigen Beschränkungsmöglichkeiten im übergeordneten Individual- und Allgemeininteresse, verbunden mit einer nicht unerheblichen Typisierungsbefugnis972. Daher sind besondere Empfindlichkeiten der betroffenen Grundrechtsträger stets und unabhängig von den zu Art. 14 GG entwickelten Grundsätzen in dem Maße einzubeziehen, in dem dies als Rechtsfolge des Art. 2 II 1 GG geboten ist.
bb) Mittelbare Erweiterung des Immissionsschutzes aus Art. 14 GG Ferner erweitert der personenbezogene Maßstab des Art. 2 II 1 GG den Kreis derjenigen Personen, denen der objektbezogene Immissionsschutz des Art. 14 GG zugute kommt: In persönlicher Hinsicht maßstäblich für die an Art. 2 II 1 GG gemessene Unzumutbarkeit einer Grundstücksnutzung sind nämlich nicht nur diejenigen Personen, die zugleich Grundrechtsträger des Art. 14 GG sind973, sondern sämtliche Personen, die sich zur bestimmungsgemäßen Nutzung auf dem Grundstück aufhalten, auch ohne sich selbst auf Art. 14 GG berufen zu können. Für diese – etwa Arbeiter auf einem Fabrikgrundstück – stellt die Inkorporation des personenbezogenen Maßstabs des Art. 2 II 1 GG in den objektbezogenen des Art. 14 GG zwar keine Erweiterung ihrer persönlichen Rechtsstellung dar, da sie sich unabhängig hiervon auf Art. 2 II 1 GG berufen können. Jedoch bewirkt die Inkorporation eine Erweiterung der Abwehrrechte der Eigentümer oder sonstigen aus Art. 14 GG berechtigten Personen: Ist näm___________ 970 Zur Gegenüberstellung von personenbezogenem Schutz des Art. 2 II 1 GG und objektbezogenem des Art. 14 GG Schmidt-Aßmann, in: Salzwedel, Grundzüge1, S. 308 ff.; ders., AöR 106 (1981), 205 (206); ders., Abwägungselemente, S. 87 ff., 110 ff.; ferner Hermann, S. 181 ff.; Hügel, S. 148 ff. 971 Dazu oben S. 253 ff. 972 Dazu oben S. 139 ff., 173 ff., 180 ff., 203 ff. 973 Zum Kreis der Grundrechtsträger des Art. 14 GG oben S. 240 ff.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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lich auf einem Fabrikgrundstück mit verfassungswidrigen Schädigungen oder Gefährdungen der Arbeiter zu rechnen, ist zugleich die Nutzung des Eigentümers aus Art. 14 GG beeinträchtigt, da diese voraussetzt, daß Arbeitern der Aufenthalt auf dem Fabrikgrundstücks zumutbar ist. Daher kann sich der Eigentümer nach Art. 14 GG auch auf solche Beeinträchtigungen der personenbezogenen Rechtsgüter des Art. 2 II 1 GG berufen, die nicht in seiner Person entstehen, was insbesondere relevant wird, wenn der Eigentümer eine juristische Person ist. Voraussetzung ist jedoch stets ein hinreichender Bezug zum konkreten Grundstück, was dessen bestimmungsgemäße Nutzung voraussetzt.
b) Normalfall: Rein eigentumsbezogene Nutzungseinbußen aa) Besonderheiten hinsichtlich einschlägiger Immissionsarten Aus der Abgrenzung zu Art. 2 II 1 GG folgt zugleich eine Akzentverschiebung hinsichtlich der relevanten Immissionsarten, da Luftschadstoffe in ihrer gesundheitsgefährdenden Wirkung bereits von Art. 2 II 1 GG erfaßt werden, so daß für rein eigentumsbezogene Nutzungseinbußen im wesentlichen Geräuschund Geruchsimmissionen verbleiben. Daraus ergeben sich auch verfassungsrechtliche Akzentverschiebungen: Während bei Luftschadstoffen wie oben C. dargestellt zentrale Problematik die Ungewißheitssituation über die schädigende Wirkung ist, weisen Lärm- und Geruchsimmissionen überhaupt keine bzw. nicht im selben Maße Ungewißheitsmomente auf. Aufgrund der regelmäßig vorhandenen manifesten Wirkungen spielt daher auch die Frage, inwieweit grundrechtlicher Schutz im Risikobereich zu leisten ist974, keine Rolle, wobei für Lärm weiter zu differenzieren ist: So ist zwar ab einer bestimmten Lautstärke mit gesundheitlichen Schäden zu rechnen975, jedoch sind in der verwaltungsrechtlichen Praxis fast ausschließlich diejenigen Wirkungen relevant geworden, die sich unterhalb dieser Schwelle als störender Faktor für das Wohn- und Sozialverhalten entfalten976.
___________ 974
Dazu oben S. 148 ff. Dazu oben 1. Teil S. 38 ff. 976 Zwar existiert neben diesen manifesten Wirkebenen wie oben im 1. Teil ausgeführt auch eine weitere Wirkebene, die im Bereich des (echten) Risikos für die Gesundheit angesiedelt ist, da Lärm bei längerfristiger Exposition das Risiko bestimmter Erkrankungen erhöhen kann (so für Herz- / Kreislauferkrankungen einschließlich Bluthochdruck und Herzinfarkt; dazu oben 1. Teil S. 38 ff.). Dieser Bereich wird jedoch bereits von Art. 2 II 1 GG erfaßt, so daß für rein eigentumsbezogene Nutzungseinbußen stets auf manifeste Wirkungen der relevanten Immissionen abgestellt werden kann. 975
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
bb) Störung des Wohn- und Sozialverhaltens als influenzierte Wirkung Liegen auch keine sonstigen Rechte vor, aufgrund deren die Grundstücksnutzung unzumutbar sein könnte, so ist zu fragen, inwieweit betroffene Eigentümer im Rahmen ihrer Willensentschließung und -betätigung davon absehen werden, rechtlich und tatsächlich gegebene Nutzungsmöglichkeiten auszuüben. Hierzu sind in einem ersten Schritt die Faktoren zu ermitteln, die für die Willensentschließung von Relevanz sind, wobei nach den Ausführungen oben II. 2. auch individuelle Einflußgrößen in der Person einzelner Eigentümer zu berücksichtigen sind977. In einem zweiten Schritt geht es demgegenüber um die Zurechnung der getroffenen Willensentschließung zu diesen entscheidungserheblichen Faktoren. Hierbei kann gegenüber einer reinen Kausalitätsbetrachtung auf wertende Elemente nicht verzichtet werden, da ansonsten das Vorliegen eines Eingriffs auch von irrationalen Entschließungen abhängen würde. Unter Rückgriff auf die allgemeine Eingriffsdogmatik978 bietet es sich daher an, auf das Leitbild eines vernünftigen Eigentümers abzustellen, wobei „Vernünftigkeit“ nicht in einem normativen Sinne verstanden werden und insbesondere nicht zu einer umfassenden Abwägungsinstanz mutieren darf. Eine solche ist vielmehr der Eingriffsrechtfertigung vorbehalten, zumal ansonsten genau diejenige undifferenzierte Vermischung empirischer und normativer Kriterien erfolgen würde, die oben am differenziert-objektiven Maßstab kritisiert wurde979. In gegenständlicher Hinsicht sind für Störungen des Wohn- und Sozialverhaltens auch die Außenwohnbereiche einzubeziehen980, sofern diesen rechtlich981 und nach der Verkehrsauffassung982 die Qualität eines „Annexes“ zur ___________ 977
Dazu oben S. 253 ff. So stellt W. Roth in seiner Untersuchung des Eingriffsbegriffs (Faktische Eingriffe [1994]) für die Frage, wann Beeinträchtigungen der Willensentschließungsfreiheit staatliche Eingriffe sind, auf die Vernünftigkeit der Willensentschließung ab, die im Hinblick auf die konkrete Situation des Betroffenen nach einem objektivierenden Vernünftigkeitsmaßstab ausgehend von der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen zu bestimmen sei (W. Roth, S. 191 ff.). 979 Dazu oben S. 255 Fn. 946. 980 Hügel, S. 87; Hermann, S. 152; Kuschnerus, S. 99 f.; dazu zählen insbesondere Balkone, Terrassen, Hausgärten, Kinderspielplätze und sonstigen Grün- und Freiflächen (vgl. BVerwGE 51, 15 [33]). 981 Dazu oben S. 242 ff. das von BVerwGE 51, 15 (33) entwickelte „Anforderungsprofil“; ferner BVerwGE 87, 332 (385 f.) – Flughafen München II, wo das Gericht maßgeblich darauf abstellt, welches Gewicht der Nutzung des Außenwohnbereichs „nach der jeweiligen Gebietsstruktur zukommt“; ebenso Storost, NVwZ 2004, 257 (262). 982 Hierdurch werden etwa Vorgärten, die nur zur optischen Verschönerung des Anwesens bepflanzt werden, und solche Balkone und Terrassen, die bereits ihrer Bestimmung nach nicht dem regelmäßigen Aufenthalt von Menschen dienen, aus dem Kreis der relevanten Außenwohnbereiche ausgeschieden (BVerwGE 87, 332 [385 f.] – Flughafen München II; OVG Lüneburg, NVwZ 1994, 713 [713 f.]). 978
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Wohnnutzung zukommt. Dies folgt daraus, daß nach heutigem Verständnis auch die Erholung im Freien zu den Grundbedürfnissen des Menschen zählt und damit wesentlicher Aspekt der Privatnützigkeit von Wohngrundstücken ist983. Sofern dies zugleich mit der Förderung der Volksgesundheit begründet wird984, handelt es sich um eine systematische Auslegung des Art. 14 GG im Lichte des Art. 2 II 1 GG. Daraus folgt zugleich eine wesentliche Einschränkung: Da bei Außenwohnbereichen aufgrund des Fehlens der lärmdämmenden Wirkung von Gebäudemauern bereits nach der Verkehrsauffassung allgemein eine höhere Lärmerwartung besteht985, können diese auch verfassungsrechtlich nicht dieselbe Schutzwürdigkeit beanspruchen wie Innenwohnbereiche986, was Auswirkungen auf die Schwelle hat, ab der immissionsbedingte Störungen des Wohn- und Sozialverhaltens Eingriffswirkung entfalten.
c) Wertminderung als Eingriffswirkung Bei der Frage, ob auch immissionsbedingte Wertminderungen von Grundstücken relevante Eingriffswirkung sind, ist zu differenzieren987: Zunächst kann daraus, daß Art. 14 GG als Rechtsfolge nur ausnahmsweise – nämlich im Fall der Enteignung nach Art. 14 III 2 GG988 und der rechtsfortbildend entwickelten ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung989 – eine Entschädigungs- bzw. Ausgleichspflicht begründet, nicht geschlossen werden, daß immer dann, wenn ein finanzieller Ausgleich im Ergebnis ausgeschlossen ist, grundstücksbezogenen Wertminderungen auch keine Eingriffswirkung zukäme, da fehlender definitiver Grundrechtsschutz auch das Ergebnis eines gerechtfertigten Eingriffs sein kann. Bestimmt man demgegenüber den Gegenstand möglicher Eingriffe im Sinne der Frage „Vor was schützt der Schutzbereich?“990, so ___________ 983 BVerwG, NVwZ 1992, 885 (886) unter Berufung auf BVerfGE 52, 1 (35) – Kleingarten I; ferner OVG Lüneburg, NVwZ 1994, 713 (713); tendenziell abschwächend demgegenüber BVerwGE 87, 332 (387) – Flughafen München II, wonach Außenwohnbereiche zwar eine „angenehme Erhöhung der Wohnqualität“ seien, jedoch „keineswegs stets ... unabdingbarer Bestandteil der allgemeinen Wohnkultur“. 984 BVerwG, NVwZ 1992, 885 (886) unter Berufung auf BVerfGE 52, 1 (35). 985 So BVerwGE 87, 332 (386) – Flughafen München II; ferner BVerwG, UPR 1999, 226 f.; aus der Lit. Storost, NVwZ 2004, 257 (262). 986 Ebenso BVerwG, NVwZ 1992, 885 (885); Storost, NVwZ 2004, 257 (262). 987 Hofmann-Hoeppel, NVwZ 1991, 1144 (1147). 988 Im Fall der Enteignung wandelt sich die Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG in eine subsidiäre Eigentumswertgarantie (vgl. BVerfGE 24, 367 [389]). 989 Grundlegend BVerfGE 58, 137 (145 ff.) – Pflichtexemplar; aus der Lit. Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 236 ff.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 348 f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 65; Rozek, S. 76 ff.; weitere Nachw. bei Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 134. 990 So Clemens, in: GG-MitarbeiterKomm, Vor Art. 2 ff. Rn. 62 f.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
muß von der Funktion der Eigentumsgarantie ausgegangen werden, dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern991. Dieser äußert sich bei Grundstücken jedoch auch darin, diese auf dem Markt veräußern und einen angemessenen Preis erzielen zu können, weshalb von der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG auch eine Wertgarantie umfaßt sein dürfte992, zumal Wertminderungen regelmäßig ein Indiz dafür sind, daß ein Grundstück in seiner Nutzung in einer Weise gemindert ist, die auch von der Verkehrsauffassung als erheblich beurteilt wird993. Aus der Gesetzesabhängigkeit des Art. 14 I 2 GG folgt jedoch als entscheidende Einschränkung dieser Wertgarantie, daß ein Eingriff notwendig ausscheidet, wenn es von vornherein an einer nach Art. 14 I 1 GG geschützten Rechtsposition fehlt. So muß etwa der Eigentümer eines im Außenbereich belegenen Grundstücks grundsätzlich damit rechnen, daß außerhalb seines Grundstücks öffentliche Verkehrswege projektiert werden, die zu einer Wertminderung seines Grundstücks führen994, da sein Eigentum einfach-rechtlich von vornherein latent mit der Realisierung entsprechender Vorhaben behaftet ist.
3. Konsequenzen für „gebietsadäquate Immissionsniveaus“ Das Bauplanungsrecht verwirklicht wie ausgeführt insbesondere mit der BauNVO ein differenziertes Konzept der räumlichen Abschichtung unterschiedlicher Nutzungsarten, das wesentlich von immissionsschutzrechtlichen Kriterien geleitet wird995 und durch Zuweisung unterschiedlicher Schutzwürdigkeit in differenzierter Weise den „Inhalt“ des Grundeigentums bestimmt. Bereits hieraus könnten – gäbe es kein Immissionsschutzrecht – elementare Aussagen über das ___________ 991 BVerfGE 30, 292 (334); 68, 193 (222); 79, 292 (303 f.); 83, 201 (208); 91, 294 (307); 101, 54 (75). 992 So Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 8; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 213; a. A. BVerfGE 105, 17 (30); 105, 252 (277); ablehnend auch Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 57; ähnlich, aber differenzierter Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 24. 993 Zum Zusammenhang von Nutzungsmöglichkeiten und Bodenwertverlust aus Sicht der §§ 39 ff. BauGB Oldiges, in: Steiner7, IV Rn. 144; Schieferdecker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 8 Rn. 1 f.; Wahlhäuser, S. 11 f. 994 So BVerwG, NJW 1997, 142 (143). 995 Dazu oben S. 244 ff. – Entsprechend wird in der Lit. zutreffend die Bedeutung der BauNVO für das hinzunehmende Immissionsmaß betont; vgl. H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff. und passim; ders., Erheblichkeitsbegriff, S. 43 ff.; ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 59; ders., FS Hoppe, S. 551 f.: BauNVO „seit jeher ein zentrales Instrument des Immissionsschutzes durch Bebauungsplanung“; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 56; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15c; Gaentzsch, S. 36 ff.; Petersen, S. 77; von Bomhard, S. 87 f.; Schulze-Fielitz, Immissionsschutz, S. 265 f.; Fickert / Fieseler10, Vorbem §§ 2-9, 12-14 Rn. 1.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
267
verfassungsrechtlich vom Eigentümer hinzunehmende Immissionsmaß gewonnen werden, da stets dasjenige Immissionsmaß zulässig wäre, das die Ausübung der zugewiesenen Nutzungsmöglichkeiten nach den oben entwickelten Kriterien nicht beeinträchtigt. Auch im Bereich der hier vorrangig relevanten Lärmimmissionen besteht jedoch ein erhebliches Bedürfnis, diese relativ unbestimmten und wertungsoffenen Vorgaben zu konkretisieren, insbesondere durch rechtssatzmäßige Umweltstandards996. Diese Konkretisierung wird durch das Immissionsschutzrecht in doppelter Weise erbracht, nämlich zunächst – dies nur eingeschränkt aufgrund der noch unbestimmteren und wertungsoffeneren Gesetzesbegriffe – über die Grundpflichten der §§ 5 und 22 BImSchG, und zweitens durch untergesetzliche Regelwerke, die wie die 16. BImSchV (Verkehrslärmschutzverordnung)997, 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung)998 und TA Lärm 1998999 Lärmgrenz- bzw. -richtwerte normieren. Diese Regelwerke enthalten sämtlich ein nach den Gebietstypen der BauNVO gestaffeltes Grenz- und Richtwertsystem1000, das den einzelnen Gebietstypen ein spezifisches gebietsadäquates Immissionsniveau zuweist1001. Da sich jedoch der Umfang des durch Art. 14 I 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes stets aus der Gesamtheit der einschlägigen verfassungsmäßigen Gesetze bestimmt1002, ist der dem einzelnen Grundstück zukommende Immissionsschutz grundsätzlich auch aus der Zusammenschau der bislang ausschließlich betrachteten baurechtlichen Nutzungszuweisungen mit denjenigen immissionsschutzrechtlichen Vorschriften zu bestimmen, die ein spezifisches Immissionsniveau zuweisen. Wenn aber insofern das Immissionsschutzrecht bereits zur Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 14 I 1 GG herangezogen wird, so fragt sich, inwieweit Art. 14 GG dann noch Maßstab für dessen Ausgestaltung sein kann. Auch kann bereits die Berechtigung der „Gesamtschau“ von Bauplanungs- und Immissionsschutzrecht angezweifelt werden, wenn man das Verhältnis beider Rechtsgebiete nicht durch ein Ergänzungs- oder Konkretisierungsverhältnis, sondern eingriffsrechtlich zu erfassen sucht: So enthält das Bauplanungsrecht ___________ 996
Zum Regelungsmodell der Umweltstandards unten 3. Teil S. 468 ff. VO v. 12. 6. 1990 (BGBl. I, 1036). 998 VO v. 18. 7. 1991 (BGBl. I, 1588 / 1790). 999 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz v. 26. 8. 1998 (GMBl. S. 503). 1000 § 2 I 16. BImSchV, § 2 II 18. BImSchV und Nr. 6.1 TA Lärm 1998. – Tabellarische Gegenüberstellung dieser Werte unten 3. Teil S. 499 ff. 1001 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 59 ff.; ders., Erheblichkeitsbegriff, S. 43 ff.; ders., Immisionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff.; ders., NVwZ 2000, 490 (492); ders. / Maaß, NuR 2000, 69 (71); Herr, S. 47; Petersen, S. 71; Engler, S. 110; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 303; Graulich, S. 89; Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 647; Sellner / Reidt / Ohms3, 1. Teil Rn. 228; aus der Rspr. OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 722 (723); ähnlich BVerwGE 109, 314 (320); 109, 246 (254). 1002 Grundlegend BVerfGE 58, 300 (336) – Naßauskiesung; dazu oben S. 69 ff. 997
268
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
zwar auf einer logisch ersten Stufe elementare und auch immissionsschutzrechtlich relevante Nutzungszuweisungen, jedoch könnte das Immissionsschutzrecht, sofern es nicht nur auf einer logisch, sondern auch zeitlich nachgeordneten Stufe Regelungen trifft1003, dieses Niveau auch absenken und dadurch einen abwehrrechtlichen Eingriff in die bauplanungsrechtlichen Nutzungszuweisungen bewirken. Zu klären ist daher im folgenden, nach welchem dieser beiden Ansätze das Verhältnis von Bauplanungs- und Immissionsschutzrecht zu rekonstruieren ist. Ein Eingriffsverständnis scheidet zunächst für die gesetzlichen Grundpflichten aufgrund ihrer Wertungsoffenheit, insbesondere des Begriffs der „erheblichen“ Nachteile und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG, aus. Diese Wertungsoffenheit führt einerseits dazu, daß die gesetzlichen Grundpflichten einer Konkretisierung durch untergesetzliches Recht bedürfen; da sie hierbei jedoch selbst Maßstab für diese Konkretisierung sind1004, muß den Grundpflichten bereits auf Gesetzesebene ein hinreichend bestimmter Inhalt gegeben werden können, was nur durch eine Auslegung im Lichte des höherrangigen Rechts geschehen kann. Wenn daher die bauplanungsrechtlichen Nutzungszuweisungen auf einer logisch ersten Stufe in verfassungsrechtlicher Hinsicht den Inhalt des Eigentums bestimmen, müssen die genannten Grundpflichten zwingend im Lichte dieser bauplanungsrechtlichen Nutzungszuweisungen ausgelegt werden1005 und können, sofern sich die Auslegung innerhalb dieses Rahmens bewegt, durch eine Eingriffskonstruktion nicht erfaßt werden1006. Ein anderes gilt für Umweltstandards in Rechtsverordnungen: Da diese in Gestalt konkreter Zahlenwerte ein denkbar hohes Konkretisierungsniveau aufweisen, sind sie einer Auslegung im Lichte der bauplanungsrechtlichen Nutzungszuweisungen kaum zugänglich. Umgekehrt liegt hier die für Eingriffe in die Bestandsgarantie erforderliche auch zeitliche Stufenfolge vor, da im Zeitpunkt des Inkrafttretens der hier relevanten Regelwerke1007 jeweils ein konkreter Bestand an einfach-rechtlich zugewiesenen Nutzungsbefugnissen existierte, in den jedenfalls dann eingegriffen wurde, wenn nach Inkrafttreten der Regelwer___________ 1003
Zur Temporalstruktur der Bestandsgarantie oben S. 198 ff. Dazu unten 3. Teil S. 472 ff. 1005 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 82; dazu oben S. 259 ff. a. E. 1006 Gleiches gilt für Umweltstandards in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG, da hier der Wertungsspielraum des Normgebers streng gesetzesakzessorisch ist (dazu oben S. 233 ff.). Soweit hier die gesetzlichen Grundpflichten vom höherrangigen Recht determiniert werden, wird damit zugleich der Wertungsspielraum nach § 48 BImSchG bestimmt, so daß die normkonkretisierende Wirkung automatisch entfällt, wenn diese Vorgaben verfehlt werden, ohne daß eine Eingriffskonstruktion zum Einsatz käme. 1007 Die 16. BImSchV trat am 21. 6. 1991, die 18. BImSchV am 26. 10. 1991 in Kraft (vgl. Jarass, BImSchG6, S. 1082 mit Fn. 1 und S. 1125 mit Fn. 1). 1004
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
269
ke in den Baugebietstypen weniger an Nutzungsmöglichkeit bestand als vorher. Sollte dieses Verständnis auf die 16. und 18. BImSchV zutreffen, bliebe jedoch immer noch zu prüfen, ob erstens im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung Gründe existieren, die eine solche Anhebung des Immissionsniveaus rechtfertigen können, und zweitens, ob diese Anhebung auch vom „Konkretisierungsprogramm“ der zu konkretisierenden Grundpflichten1008 gedeckt ist, wobei zu berücksichtigen ist, daß letztere wie soeben ausgeführt ihrerseits im Lichte der bauplanungsrechtlichen Nutzungszuweisungen zu interpretieren sind. Im übrigen ist zu beachten, daß die genannten Regelwerke über die „Brücke“ der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten gerade auch zur Konkretisierung der bauplanungsrechtlichen Nutzungszuweisungen dienen, so daß nicht jede Festsetzung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus automatisch eingriffsrechtlich konstruiert werden kann, zumal exakt quantifizierte Aussagen über das Maß zulässiger Nutzungen aus den bauplanungsrechtlichen Vorschriften nicht gewonnen werden können. Insofern ist hier ein Bereich eingriffsrechtlich nicht erfaßbarer Konkretisierung von der eingriffsrechtlich zu konstruierenden Beschränkung vorhandener Nutzungsmöglichkeiten zu unterscheiden.
IV. Eingriffsrechtfertigung Bevor nachfolgend 2. und 3. der materielle und formelle Rechtmäßigkeitsmaßstab für das nach Art. 14 GG hinzunehmende Immissionsmaß entwickelt werden soll, ist zunächst zu klären, ob dieser Maßstab der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG oder aber der Enteignung nach Art. 14 III GG zu entnehmen ist.
1. Inhalts- und Schrankenbestimmung oder Enteignung? a) Abgrenzung Jedenfalls für hoheitliche Immissionen, denen selbst Eingriffsqualität zukommt, taucht an dieser Stelle erneut die Frage auf, ob auf diese Immissionen als faktische Beeinträchtigungen oder aber auf diejenigen Rechtsnormen abzustellen ist, die entsprechende Beeinträchtigungen für zulässig erklären1009. Diese Frage spielt jedoch dann keine Rolle, wenn man mit der neuesten und oben C. dargestellten Rechtsprechung des BVerfG Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang versteht1010, da hierunter weder faktische Beeinträchtigungen noch die___________ 1008
Zu diesem „Konkretisierungsprogramm“ unten 3. Teil S. 472 ff. Dazu oben S. 257 ff. 1010 BVerfGE 104, 1 (9 f.) – Baulandumlegung; dazu oben S. 195 Fn. 657. 1009
270
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
se zulassende Rechtsnormen subsumiert werden können. Stellt man demgegenüber maßgeblich auf den Rechtsentzug ab1011, so können zwar Immissionen aufgrund ihrer faktischen Natur einen „Rechtsentzug“ nicht bewirken, möglich bleibt aber ein Abstellen auf die zulassenden Rechtsnormen, da in dem Umfang, in dem Eigentümern entsprechende Abwehrrechte entzogen sind, die Immissionen nur Folge eines insoweit bestehenden „Freiraums“ für staatliche oder private Immissionsverursachung sind1012. Fraglich ist daher, ob der Erlaß von Zulassungsnormen, die dem Eigentümer Duldungspflichten auferlegen und Abwehransprüche aus dem Befugnisbündel „Eigentum“1013 entziehen, unter den teilweisen Rechtsentzug subsumiert werden können. Da die Frage, wann eine einer Teilenteignung fähige Rechtsposition vorliegt, bereits oben C. erörtert wurde, kann im folgenden auf die dortigen Ergebnisse zurückgegriffen werden1014: Danach müssen (teil-) enteignungsfähige Rechtspositionen vom Vollrecht rechtlich abtrennbar sein, was aufgrund der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums stets und nur dann der Fall ist, wenn diese vom einfachen Recht als selbständige ausgestaltet1015 und als verselbständigte ihrerseits „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG sind. Abwehransprüche gegen (staatliche oder private) Immissionen sind aber weder vom einfachen Recht als verselbständigte Rechtspositionen ausgestaltet, noch erfüllen sie als solche die Anforderungen an verselbständigtes Eigentum, da sie gerade dazu dienen, die privatnützige Nutzung anderer Eigentumsobjekte – hier von Grundstücken – zu sichern und daher funktionslos würden, würden sie von diesem „Eigentum“ getrennt. Damit sind Beschränkungen von Abwehrrechten gegenüber Immissionen ebenso wie die oben C. erörterten immissionsbegrenzenden Anforderungen niemals Enteignung nach Art. 14 III GG, sondern stets Inhalts- und Schrankenbestimmung1016. Diese schlägt auch dann nicht in eine Enteignung um, wenn Immissionen für zulässig ___________ 1011
Dazu oben S. 192 ff. mit Nachw. in Fn. 650. Vgl. Rozek, S. 235 mit dem Hinweis, daß die Aussage, Immissionen könnten bereits aufgrund ihrer Eigenschaft als faktische Grundrechtseingriffe nicht Enteignung sein, eine „zu verkürzte Betrachtungsweise“ wäre; ebenso Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 82; Külpmann, Eingriffe, S. 175. 1013 Zu diesem Verständnis M. Appel, Eigentum, S. 101. 1014 Dazu oben S. 192 ff. 1015 Ebenso Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 79; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 58; Maurer, AllgVerwR16, § 26 Rn. 47; Pieroth / Schlink21, Rn. 923; Rozek, S. 202; Jarass, NJW 2000, 2841 (2844 f.); M. Appel, Eigentum, S. 173 f.; ähnlich Wahlhäuser, S. 61 ff., 65 ff.; Burgi, NVwZ 1994, 527 (529 ff.). 1016 Ebenso BVerfGE 72, 66 (77) – Flughafen Salzburg; 79, 174 (191 f.) – Verkehrslärm; aus der Lit. Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 77, 82; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 403; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 76; Rozek, S. 235; Hügel, S. 89 f.; Hermann, S. 159 ff.; Parzefall, S. 55 ff., 63 ff.; a. A. – Enteignung – Külpmann, Eingriffe, S. 174 ff., 198; in diese Richtung für Planfeststellungsbeschlüsse für Straßen und Eisenbahnen auch Lege, UTR 83 (2005), S. 34 f. 1012
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
271
erklärt werden, die die privatnützige Nutzung von Grundstücken faktisch unmöglich machen1017, da ansonsten das Vorliegen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit vermengt würde.
b) Bedeutung sog. Enteignungsschwellen im Immissionsschutzrecht Im Rahmen des Schutzes vor Verkehrslärmimmissionen hat der BGH bei einer „schweren und unerträglichen Lärmbetroffenheit“ das Überschreiten einer „Enteignungs-“ bzw. „enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle“ angenommen mit der Rechtsfolge, daß ein Entschädigungsanspruch zu gewähren war1018, und die Schwelle in Wohngebieten im allgemeinen bei Werten von 70 bis 75 dB(A) tagsüber und von 60 bis 65 dB(A) nachts angesetzt1019. Während diese Schwelle ursprünglich dazu diente, auf Grundlage einer materiellen Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung1020 das Vorliegen einer Enteignung zu bestimmen, und die Entschädigung vom BGH als Enteignungsentschädigung verstanden wurde1021, begründet der BGH nach der „Eigentumswende“ des Naßauskiesungsbeschlusses1022 diesen Entschädigungsanspruch nunmehr einfach-rechtlich aus sog. enteignendem Eingriff, den er im gewohnheitsrechtlichen Aufopferungsgedanken des § 75 Einl ALR verankert sieht1023. Auch wenn dieser „Enteignungs-“ bzw. „enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle“ nach der oben a) vorgenommenen Abgrenzung keinerlei Bedeutung für das
___________ 1017
So aber Ossenbühl, FS Leisner, S. 698; wie hier Rozek, S. 182 f. Vgl. BGHZ 59, 378 (379 f.); 97, 114 (116 f.); 97, 361 (362 f.); 122, 76 (77 f.); 129, 124 (125 ff.). – Von dieser „Enteignungs-“ bzw. „enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle“ unterscheiden BGH und BVerwG die unterhalb dieser angesiedelte fachplanerische Zumutbarkeitsschwelle, deren Überschreiten allein die Entschädigungsansprüche der §§ 74 II 3 (L)VwVfG, 42 II BImSchG und 9 II FluglärmG zur Folge haben soll (vgl. nur BVerwGE 87, 332 [383] – Flughafen München II). Diese fachplanerische Zumutbarkeitsschwelle wird dabei gleichgesetzt mit der immissionsschutzrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle des § 41 I BImSchG i. V. m. § 3 I BImSchG (BVerwGE 84, 31 [39]; aus der zivilgerichtlichen Rspr. nur BGHZ 122, 76 [78 f.]; ebenso Alexander, NVwZ 1991, 318 [320]; Jarass, BImSchG6, § 42 Rn. 7; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 4 Rn. 146). 1019 BGHZ 97, 114 (123); 97, 361 (366); 122, 76 (81); ferner Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 4 Rn. 146 mit Nachw. in Fn. 325; Halama / Stüer, NVwZ 2003, 137 (142). 1020 Dazu oben S. 192 ff., insbes. Fn. 647. 1021 Darstellung der Rspr. des BGH bei Hartung, S. 60 ff., 74 ff. 1022 BVerfGE 58, 300 ff. 1023 Vgl. Sproll, in: Detterbeck u. a., StaatsHR, § 16 Rn. 47; allgemein zum Aufopferungsgedanken Rüfner, in: Erichsen / Ehlers12, § 48 Rn. 1 ff.; Schmitt-Kammler, JuS 1995, 473 ff. – Zum Fortbestand eines Anspruchs aus enteignendem Eingriff vgl. nur die Monographien von Külpmann (2000) und Jaschinski (1997), jeweils passim. 1018
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Vorliegen einer Enteignung i. S. des Art. 14 III GG zukommt1024, so geht doch – ungeachtet der irreführenden Terminologie – die Annahme zu weit, diese Schwelle habe heute keine Bedeutung mehr, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zunächst werden durch Art. 14 GG solche Entschädigungsansprüche nicht ausgeschlossen, die wie der enteignende Eingriff in seiner heutigen Konzeption einfach-rechtlich begründet werden. Weiterhin könnte dieser Schwelle nach wie vor auch verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen, nämlich im Rahmen der rechtsfortbildend entwickelten ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung1025. Bezieht man diese in die Betrachtung ein, ergibt sich für die Verhältnismäßigkeit inhaltsbestimmender Regelungen folgende Stufenfolge: – Auf einer ersten Stufe ist die inhaltsbestimmende Regelung auch ohne finanziellen Ausgleich verhältnismäßig, dies ist der „Normalfall“ des Art. 14 I 2 GG. – Auf einer zweiten Stufe ist die inhaltsbestimmende Regelung nur bei gleichzeitigem finanziellen Ausgleich verhältnismäßig, was dem Fall der Pflichtexemplar-Ent scheidung entspricht; – Auf einer dritten Stufe kann die inhaltsbestimmende Regelung auch durch einen finanziellen Ausgleich nicht verhältnismäßig gemacht werden.
Auch wenn es unmöglich ist, die Zumutbarkeit von Lärm allein durch Zahlenwerte zu erfassen1026, kann der „Enteignungsschwelle“ doch die auf Erfahrungswerten beruhende Aussage entnommen werden, daß bei Überschreitung regelmäßig eine Nutzung des Eigentums zu Wohnzwecken nicht mehr zumutbar und der Bereich entschädigungsloser Inhaltsbestimmung überschritten ist1027.
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung Im folgenden soll zunächst unter a) der allgemeine Verfassungsmäßigkeitsmaßstab inhaltsbestimmender Gesetze am Maßstab der Institutsgarantie des ___________ 1024
Ebenso BVerwGE 87, 332 (383) – Flughafen München II; 77, 295 (298); NVwZRR 1991, 129 (133) – Flughafen Stuttgart; BGHZ 122, 76 (78); Berkemann, in: GGMitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 403; Hermann, S. 159 ff.; dezidiert Rozek, S. 236 f. 1025 Grundlegend BVerfGE 58, 137 (145 ff.) – Pflichtexemplar. 1026 So Berkemann, Lärmgrenzwerte, S. 76; dazu oben S. 255 ff. 1027 Ebenso Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 465. – Es ist jedoch zu beachten, daß diese „Enteignungsschwelle“ primär für Verkehrslärm entwickelt wurde, der nach neueren Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung als weniger belastend empfunden wird als Industrie- und Gewerbelärm (dazu Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 41 Rn. 53); diese Aussage kontrastiert jedoch mit dem ebenfalls in der neueren Lit. referierten Befund, daß als bedeutendste Quelle der Lärmbelastung noch vor Industrie- und Gewerbelärm gerade Straßenverkehrslärm empfunden wird (H.-J. Koch, ImmissionsschutzR, Rn. 8; ders., in: EUDUR II2, § 55 Rn. 11). Auch wenn an dieser Stelle auf Einzelheiten der Vergleichbarkeit von Anlagenlärm mit Verkehrslärm nicht eingegangen werden kann, dürfte jedenfalls eine unreflektierte Übertragung der „Enteignungsschwelle“ auf den anlagenbezogenen Immissionsschutz ausgeschlossen sein.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
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Art. 14 I 1 GG betrachtet werden, bevor unter b) auf den besonderen Maßstab eingegangen wird, der aus der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG für solches Recht folgt, das zugleich vorhandene Eigentumsrechte beschränkt.
a) Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG Der allgemeine Maßstab der nach Art. 14 I 2 i. V. m. Art. 14 II GG vorzunehmenden Abwägung wurde bereits oben C. dargestellt, worauf verwiesen wird1028. Dieser Maßstab muß bei grundeigentumsbezogenen Nutzungskonflikten ergänzt werden durch die Besonderheiten dieses Lebensbereichs in Gestalt der „Statik“ grundeigentumsbezogener Nutzungskonflikte1029, der Unvermehrbarkeit von Grund und Boden1030 und der Kleinräumigkeit der hier vorrangig relevanten Geräusch- und Geruchsimmissionen. Danach gilt folgendes:
aa) Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen Da die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG kein unmittelbar subsumtionsfähiger Tatbestand ist1031, bedarf diese zwingend einer Konkretisierung und Aktualisierung, was einmal dadurch geschieht, daß der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange als eigentumsbeschränkend definiert. Hierbei sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Normiert der Gesetzgeber ausdrücklich eine bestimmte Immissionstragungspflicht, ohne zugleich ausdrücklich Gemeinwohlbelange zu definieren, kann ___________ 1028
Dazu oben S. 199 ff. – Wenn teilweise in der Lit. der verfassungsrechtliche Maßstab entschädigungslos hinzunehmender (Verkehrs-) Lärmbelastung ausgehend von den von BGH und BVerwG entwickelten Enteignungs- bzw. Sozialbindungstheorien bestimmt wird (so Hermann, S. 172 ff.; Hügel, S. 92 ff., zu diesen Theorien oben S. 193 Fn. 647), so ist dem entgegenzuhalten, daß damit nur der eigentliche verfassungsrechtliche Ansatz, am Maßstab der Verhältnismäßigkeit einen „gerechten Ausgleich“ zwischen den Eigentumsprinzipien der Institutsgarantie und der Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG herzustellen (dazu oben S. 199 ff.), verdunkelt wird. Im übrigen wird selbst von den genannten Autoren im Rahmen einer Analyse der Rspr. von BGH und BVerwG hervorgehoben, daß sich die von beiden Gerichten zugrundegelegten Theorien in der praktischen Anwendung weitgehend angenähert haben und im Kriterium der Zumutbarkeit kulminieren (Hermann, S. 172 ff. [insbes. Fn. 278]; Hügel, S. 92 ff.; zur inhaltlichen Konvergenz der Theorien ferner Schmidt-Aßmann, Systemgedanken, S. 11; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 372). Das Zumutbarkeitskriterium entspricht aber gerade der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. 1029 Dazu Schmidt-Aßmann, Systemgedanken, S. 27. 1030 Grundlegend BVerfGE 21, 73 (82 f.). 1031 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 201 f., 218.
274
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
aufgrund der Maßgeblichkeit des objektiven Gesetzeszwecks1032 interpretatorisch gleichwohl auf die Definition entsprechender Gemeinwohlbelange geschlossen werden, wenn ansonsten die Immissionstragungspflicht nicht gerechtfertigt werden kann1033. Da im BImSchG jedoch auf der gesetzlichen Regelungsebene hinreichend konkrete Immissionstragungspflichten nicht begründet werden und die §§ 5 und 22 BImSchG selbst in hohem Maße wertungsoffen sind, stellt sich die Frage, inwieweit in die Konkretisierung dieser Grundpflichten durch den Rechtsanwender Gemeinwohlbelange einfließen dürfen. Hierbei ist von der Erkenntnis auszugehen, daß dem Rechtsanwender eine originäre Definitionskompetenz nicht zukommt, sondern die inhaltliche Determination der Einzelfallentscheidung allein durch das zu konkretisierende Gesetz erfolgt, was in Art. 14 I 2 GG eine normative Bestätigung findet. Ob und welche Gemeinwohlbelange in diese Konkretisierung einfließen dürfen, ist daher in erster Linie durch Auslegung der einfach-gesetzlichen Bestimmungen zu ermitteln, was im 3. Teil im einzelnen geschehen soll. Ferner ist denkbar, daß der Gesetzgeber außerhalb des BImSchG spezialgesetzlich Gemeinwohlzwecke definiert, die notwendig mit Immissionsverursachung verbunden sind und deren Erfüllung der Gesetzgeber grundsätzlich – d. h. auch in Ansehung der verursachten Immissionen – für zulässig hält. Diese Gemeinwohlzwecke sind vom Rechtsanwender zur einzelfallbezogenen Konkretisierung der Grundpflichten grundsätzlich heranzuziehen1034. Als Beispiele sind zu nennen der Alarmzweck einer Feueralarmsirene1035, die Aufgabe des Recycling für Altglascontainer und Wertstoffhöfe nach dem KrW- / AbfG1036 und der Betrieb kommunaler Gemeindehallen als öffentliche Einrichtungen im Sinne des Kommunalrechts1037; hierauf ist im 3. Teil zurückzukommen1038.
___________ 1032
Dazu oben S. 170 Fn. 555. Dazu oben S. 169 ff. 1034 Dazu unten 3. Teil S. 342 ff., 348 ff., 433 ff. 1035 So BVerwGE 79, 254 ff.; vgl. für Baden-Württ. § 3 II 1 Feuerwehrgesetz: „Die Gemeinden haben ... Feuermelde- und Alarmeinrichtungen zu beschaffen und zu unterhalten ...“ [FwG v. 10. 2. 1987, GBl. S. 105]). 1036 So BVerwG, NVwZ 1996, 1001 ff.; ähnlich HessVGH, NVwZ-RR 2000, 668 ff. 1037 Vgl. BayVGH, BayVBl. 1998, 310 (311); VGH Baden-Württ., VBlBW 1996, 108 (109); vgl. für Baden-Württ. § 10 II GemO: „Die Gemeinde schafft in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen“. 1038 Dazu unten 3. Teil S. 365 ff., 434 ff. 1033
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
275
bb) Berücksichtigung kollidierender Grundrechte Art. 14 II GG ist nicht nur Medium für die Berücksichtigung eigentumsbeschränkender Gemeinwohlbelange, sondern auch der kollidierenden Emittentengrundrechte der Artt. 12, 14 und subsidiär 2 I GG, womit sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Herstellung praktischer Konkordanz erweitert. Für die inhaltlichen Maßstäbe dieser Grundrechte und die Möglichkeit nivellierender und typisierender Vermeidungsstandards wird auf oben C. verwiesen1039.
cc) Art, Ausmaß und Dauer der Immission Ferner ist zu berücksichtigen das konkrete Ausmaß und Gewicht der Eigentumsbeeinträchtigung, das keine abstrakte Größe ist, sondern die „Relationen zwischen konkretem Schutzbereich und Beeinträchtigungsvorgang“ bezeichnet1040. Hierbei kann an § 3 I BImSchG angeknüpft werden, der die Schädlichkeit von Immissionen ausdrücklich an „Art, Ausmaß und Dauer“ festmacht1041. Dabei ist für die hier vorrangig relevanten Geräuschimmissionen insbesondere das Kriterium der Dauer von Bedeutung1042, da nur gelegentlich auftretender Lärm um so eher zu rechtfertigen ist. Diese Differenzierung führt zugleich zu einer flexiblen Handhabung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus, ohne dieses als Rechtsfigur grundsätzlich in Frage zu stellen: Während nämlich Arbeits- und Gewerbelärm im wesentlichen durch konstantes Ausmaß und Dauer gekennzeichnet ist und gerade deshalb als störend empfunden wird, so daß es Sinn macht, ihn räumlich von der Wohnnutzung zu trennen, existiert innerhalb von Wohngebieten eine Vielzahl an Nutzungskonflikten, die nicht ohne weiteres durch räumliche Trennung entschärft werden können, da die emittierende Nutzung auf räumliche Nähe zur Wohnnutzung angewiesen ist, insbesondere zu ihr in einem dienenden Verhältnis steht. Beispiele sind die wohnnahe Anlage von Spiel-, Sport- und schulischen Anlagen im Interesse der Kinder und Ju-
___________ 1039
Dazu oben S. 181 ff., 191 ff., 203 ff. So Schmidt-Aßmann, Systemgedanken, S. 12. 1041 Dazu Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 52; Blank, S. 160 ff. 1042 Vgl. Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 52: „Die Dauer bezieht sich zum einen auf den zeitlichen Umfang: Die Einwirkung muß keineswegs konstant andauern; auch gelegentliche Einwirkungen können erheblich sein ... Daneben bezieht sich das Kriterium der Dauer auf die zeitliche Verteilung der Einwirkung. Immissionen sind nicht selten zu bestimmten Zeiten eher zumutbar als zu anderen. Geräusche an Sonn- und Feiertagen etwa sind weniger zumutbar ... Gleiches gilt für die Nachtzeit ...“ (Hervorh. im Original). 1040
276
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gendlichen1043, ferner die bereits genannten Feueralarmsirenen, Altglascontainer, Wertstoffhöfe und Gemeindehallen. Hier kann über die zeitliche Begrenzung der Immissionen ein Ausgleich hergestellt werden zwischen der grundsätzlichen Wahrung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus und dessen begrenzter „Durchbrechung“, die erforderlich ist, um die Anlagenzwecke zu verwirklichen1044. Hierbei wird das gebietsadäquate Immissionsniveau um so weniger beeinträchtigt, je geringfügiger die ausnahmsweise zulässigen Immissionen nach Art, Ausmaß und Dauer sind.
dd) Sozialer Bezug und konkretes Grundstück als Maßstab Da es Ziel jeder Inhaltsbestimmung nach Art. 14 I 2 GG ist, „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG zu schaffen, muß auch bezogen auf jedes konkrete Eigentumsobjekt der Ausgleich zwischen den Eigentumsprinzipen der Institutsgarantie und Art. 14 II GG hergestellt sein. Dies hat zur Folge, daß die Grenze der zulässigen Sozialbindung von Grundstücken durch Immissionen grundsätzlich einzelfallbezogen zu bestimmen ist1045. Zentrales Abwägungskriterium seitens der betroffenen Grundstücke ist dabei ihr sozialer Bezug1046, der ausgehend von dem Befund, daß eine (ungestörte) Wohnnutzung der Befriedigung elementarer ___________ 1043 Zum Lärm von Kinderspielplätzen BVerwG, NJW 1992, 1779 ff.; VG Karlsruhe, NVwZ-RR 2000, 144 ff.; BayVGH, NVwZ-RR 1994, 246 ff.; HessVGH, NVwZ-RR 1989, 177 f. 1044 Dies gilt insbesondere für das (liturgische) Glockenläuten, da Kirchen nach ihrem von Art. 4 I, II GG geschützten Selbstverständnis auf räumliche Nähe zur Wohnbebauung angewiesen sind (zutreffend Classen, JZ 1993, 1042 [1048]). Da das Glockenläuten – zumindest das liturgische – zugleich nach Art. 4 I, II GG geschützte Religionsausübung ist (ausführlich Hense, S. 194 ff.; ausdrücklich bereits BVerfGE 24, 236 [246] – Rumpelkammer, wo das BVerfG einen „Grundbestand“ geschützter Religionsausübung aufzählt; ferner OVG Lüneburg, NVwZ 1991, 801 [801]; Mager, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 4 Rn. 65 [Stichwort „Glockengeläut“]; von Campenhausen / de Wall4, S. 59 mit Fn. 41; daneben spielt als verfassungsrechtliche Rechtfertigung eine Rolle das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV [vgl. Mainusch, S. 334 ff.; Hense, S. 240 ff.]), liegt hier stets eine Grundrechtskollision zwischen Art. 4 I, II GG und Art. 14 GG vor, die nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz einzelfallbezogen aufzulösen ist, wobei gerade die zeitliche Beschränkung des Glockenläutens geeignet ist, beide Grundrechte zur Entfaltung gelangen zu lassen. – Allgemein zum Rechtsschutz gegen kirchliches Glockenläuten von Campenhausen / de Wall4, S. 264 f.; Jeand`Heur / Korioth, Rn. 247 ff.; Laubinger, VerwArch 83 (1992), 623 ff.; Lorenz, JuS 1995, 492 ff.; Müller-Volbehr, NVwZ 1991, 142 ff.; Renck, NVwZ 1990, 38 ff. 1045 Ebenso, jedoch ausgehend von den Enteignungs- bzw. Sozialbindungstheorien Hermann, S. 174 f.; Hügel, S. 92 f. und Schmidt-Aßmann, Systemgedanken, S. 12 ff. 1046 BVerfGE 50, 250 (340); 52, 1 (32); 70, 191 (201); 79, 292 (302); 100, 226 (241); 102, 1 (17); Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 312.
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
277
Lebensbedürfnisse des Menschen dient, um so geringer anzusetzen ist, je mehr das Grundstück der persönlichen Wohnnutzung, und um so höher, je mehr es einer selbst Störungen verursachenden Nutzung dient. Fraglich ist jedoch, wann ein Grundstück in diesem Sinne als Wohngrundstück mit entsprechend gesteigertem Gewicht in der Abwägung des Art. 14 I 2 GG anzusehen ist. Wollte man hierzu bereits den (subjektiven) Wunsch des Eigentümers, sein Grundstück als Wohngrundstück zu nutzen, ausreichen lassen, läge dies zwar in der Konsequenz des Prinzipiencharakters der „Privatnützigkeit“1047, der für eine möglichst selbstbestimmte Entscheidung über die Eigentumsnutzung streitet. Andererseits würde ein prima facie-Recht, an jedem beliebigen Ort eine Wohnnutzung verwirklichen zu können, der in der Abwägung des Art. 14 I 2 GG stets gesteigerte Durchsetzungskraft zukäme, langfristig die Verwirklichung emittierender Nutzungen unmöglich machen, da überall mit der Verwirklichung empfindlicher Wohnnutzungen gerechnet werden müßte. Umgekehrt kann auch nicht stets allein auf das tatsächliche Vorhandensein einer Wohnnutzung abgestellt werden: Zwar ist wie ausgeführt im Konflikt zwischen vorhandener und neu hinzutretender Eigentumsnutzung regelmäßig der vorhandenen Nutzung Vorrang einzuräumen, da deren Eigentümer grundsätzlich auf den Fortbestand einer einmal legal ins Werk gesetzten Nutzung vertrauen darf1048. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn die empfindliche Wohnnutzung nachträglich in Nachbarschaft und in Kenntnis emittierender Anlagen verwirklicht wird, da hier das Vertrauensschutzargument umgekehrt für die störende Nutzung streitet. Auch könnte ein Abstellen allein auf die tatsächlichen Verhältnisse nicht verhindern, daß überall dort, wo die gegenwärtige Immissionssituation Wohnnutzung faktisch zuläßt, sich auch tatsächlich Wohnnutzung ansiedelt und die zukünftige räumliche Ausweitung oder Ansiedlung emittierender Nutzungen unmöglich macht. Grundsätzlich ist nämlich zu beachten, daß das Eigentumsprinzip der Privatnützigkeit auch dafür streitet, Grundeigentum gewerblich und damit auch immissionsverursachend zu nutzen. Da sich aber die unterschiedlichen, in Art. 14 GG zu verortenden Nutzungsinteressen gleichberechtigt gegenüberstehen, darf der besonders empfindlichen Wohnnutzung trotz des geminderten sozialen Bezugs nicht das Recht zugesprochen werden, sich an jedem beliebigen Ort anzusiedeln und damit für gegenläufige Nutzungen Fakten zu schaffen, die aufgrund des Prioritäts- und Vertrauensschutzgedankens nicht mehr zu korrigieren sind. Es bedarf daher, um auf überindividueller Ebene den gebotenen Ausgleich der unterschiedlichen Nutzungsinteressen zu ermöglichen, eines generellen Ordnungsrahmens, der – dies Konsequenz der Statik grundeigentumsbezogener Nutzungskonflikte – eine räumliche Abschichtung immissionsverursachender ___________ 1047 1048
Dazu oben S. 199 ff. Dazu oben S. 276 ff.
278
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
und immissionsempfindlicher Nutzungen vorzunehmen und damit den sozialen Bezug konkreter Grundstücksnutzungen zu bestimmen hat, was, wie ausgeführt, auf einer logisch ersten – elementaren – Stufe durch das Bauplanungsrecht geschieht1049. Auch wenn dieser generelle Ordnungsrahmen damit nachfolgenden Inhaltsbestimmungen in Gestalt des konkreten sozialen Bezugs eine elementare Determinante vorgibt, darf nicht übersehen werden, daß dieser Rahmen selbst Inhaltsbestimmung i. S. des Art. 14 I 2 GG und deshalb an der Institutsgarantie zu messen ist. Indes ist dieser Ordnungsrahmen auf überindividueller Ebene ohne weiteres mit dieser vereinbar, da allein dadurch sichergestellt wird, daß Grundstücke existieren, auf denen besonders empfindliche und besonders störende Nutzungen ohne Risiko gegenseitiger Paralysierung jeweils in „Reinform“ dauerhaft verwirklicht werden können1050. Demgegenüber hat auf der individuellen Ebene konkreter Grundstücke der (bauplanungsrechtliche) Gesetzgeber – von den „Ersatzplanungen“ der §§ 34, 35 BauGB abgesehen – abschließende Nutzungszuweisungen nicht getroffen, sondern dies über die Bauleitplanung nach § 1 V-VII BauGB den Gemeinden überlassen, die im Rahmen der Abwägung nach § 1 VII BauGB einerseits die die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG konkretisierenden Belange des § 1 VI Nr. 1-12 BauGB zu berücksichtigen haben, andererseits die Institutsgarantie des Eigentums nach Art. 14 I 1 GG1051. Dabei gilt, daß das dargestellte verfassungsrechtliche „Maßstabsprogramm“ in dem Maße an die bauleitplanende Gemeinde weitergereicht wird, in dem eine abschließende Abwägung auf gesetzlicher Ebene nicht vorgenommen wurde. Diese Schwerpunktverlagerung hin zur einzelfallbezogenen Abwägung der Bauleitplanung hat das BVerfG in der Verkehrslärm-Entscheidung ausdrücklich gebilligt und ausgeführt: „Das in § 1 VII BBauG / § 1 VI BauGB (scil.: § 1 VII BauGB1052) festgelegte Abwägungsgebot erlaubt einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Daß dabei keine starre, für alle Eigentümer gleiche Grenze der hinzunehmenden Beeinträchtigungen aufgestellt worden ist, verstößt nicht gegen die Verfassung ... Der flexible Maßstab des planerischen Abwägungsgebots ermöglicht es, die sich aus den konkreten Verhältnissen ergebenden öffentlichen Interessen und die privaten Belange der betroffenen Eigentümer in einen gerechten Ausgleich zu bringen. In der Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse liegt keine sachwidrige Differenzierung, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ausscheidet.“1053
Dem entspricht nicht nur die obige Forderung, im Rahmen der Inhaltsbestimmung nach Art. 14 I 2 GG müsse der geschilderte Ausgleich bezogen auf ___________ 1049
Dazu oben S. 244 ff. Dazu oben S. 244 ff. 1051 Dazu oben S. 247 Fn. 907. 1052 IdF der Bekanntmachung v. 23. 9. 2004 (BGBl. I, 2414). 1053 BVerfGE 79, 174 (198 f.) – Verkehrslärm (Hervorh. vom Verf.). 1050
D. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG
279
jedes konkrete Eigentumsobjekt hergestellt sein, sondern auch der hier vertretene (eingeschränkte) Prioritätsgrundsatz, wonach im Konflikt zwischen vorhandener und neu hinzutretender Eigentumsnutzung regelmäßig der vorhandenen Nutzung Vorrang einzuräumen ist1054. Allerdings ist nach den soeben getroffenen Ausführungen eine entscheidende Einschränkung dahin zu machen, daß die bereits vorhandene Nutzung ihrerseits gemessen an der einfach-rechtlichen Nutzungsordnung legal sein muß, da sie sich ansonsten nicht auf den dem Prioritätsgedanken zugrundeliegenden Vertrauensschutz berufen kann.
b) Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG Nach den bisherigen Ausführungen sind inhaltsbestimmende Regelungen dann zugleich an der Bestandsgarantie zu messen, wenn eine pro futuro wirkende normative Inhaltsneubestimmung zugleich eine Umgestaltung des von Art. 14 I 1 GG geschützten Bestands bewirkt. In diesem Fall ist die Inhaltsbestimmung zugleich Schrankenbestimmung, und es sind zusätzlich Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen1055. Im vorliegenden Zusammenhang wird die Bestandsgarantie vornehmlich in folgenden Konstellationen relevant: Da Bebauungspläne nach § 10 I BauGB als Satzung ergehen1056 und damit als Rechtsnormen unmittelbar inhalts- und schrankenbestimmende Wirkung i. S. des Art. 14 I 2 GG entfalten1057, kann ein Eingriff in die Bestandsgarantie vorliegen, wenn einem Grundstück durch erstmalige Planung oder Umplanung konkrete, bisher gegebene Nutzungsmöglichkeiten entzogen werden. Ferner ist ein Eingriff in die Bestandsgarantie denkbar, wenn das Immissionsschutzrecht die bauplanungsrechtlichen „Anforderungsprofile“ an das gebietsadäquate Immissionsniveau auf einer nicht nur logisch, sondern auch zeitlich nachgeordneten Stufe dergestalt normativ in quantitative Immissionsniveaus umsetzt, daß im Vergleich zu den abstrakten „Anforderungsprofilen“ ein Weniger an Nutzungsmöglichkeiten besteht. Die praktische Relevanz dieser Konstellation hängt dabei davon ab, in welcher Weise das Immissionsschutzrecht die bebauungsrechtlichen Vorgaben aufzunehmen und umzusetzen hat; hierauf ist im 3. Teil zurückzukommen1058. ___________ 1054
Dazu oben S. 276 ff. An dieser Stelle nur Rozek, S. 35 ff.; M. Appel, Eigentum, S. 248 ff.; zur Abgrenzung zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutz ders., DVBl. 2005, 340 ff. 1056 Dazu nur Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 138; § 10 Rn. 15 ff. 1057 BVerfGE 79, 174 (191 f.); ferner BVerfG (jeweils 1. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1992, 972 (973); NVwZ 1999, 979 (980); NVwZ-RR 2005, 227 (228); aus der Lit. Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 388; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 94; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 179, 227. 1058 Dazu unten 3. Teil S. 348 ff., 498 ff. 1055
280
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
3. Formelle Rechtmäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung Art. 14 I 2 GG ist zwar kein Gesetzesvorbehalt im eigentlichen Sinne, wirkt jedoch als solcher, indem er die Inhalts- und Schrankenbestimmungsbefugnis allein dem Gesetzgeber zuweist1059. Damit gelten für die formelle Rechtmäßigkeit dieselben Voraussetzungen wie oben C. zu Art. 2 II 3 GG entwickelt, worauf verwiesen wird1060. Insbesondere ist auch hier anerkannt, daß Verwaltungsvorschriften keine Gesetze i. S. des Art. 14 I 2 GG sind1061, so daß Inhalts- und Schrankenbestimmungen ebenfalls nur Rahmen des oben C. aufgezeigten gesetzesakzessorischen Wertungsspielraums zulässig sind1062.
V. Verhältnis zum Immissionsschutz aus Art. 2 II 1 GG Damit kann auch eine abschließende Aussage zum Verhältnis des Immissionsschutzes aus Art. 14 GG zu demjenigen des Art. 2 II 1 GG getroffen werden: Beide Grundrechte stehen grundsätzlich eigenständig nebeneinander und entwickeln insbesondere einen jeweils eigenständigen verfassungsrechtlichen Maßstab, werden jedoch dadurch verknüpft, daß eine nach Art. 2 II 1 GG unzumutbare Grundstücksnutzung jedenfalls bei zur Wohnnutzung bestimmten Grundstücken stets auch nach Art. 14 GG unzumutbar und nicht hinzunehmen ist1063. Trotz dieser partiellen „Inkorporation“ des personenbezogenen Schutzmaßstabs des Art. 2 II 1 GG in den objektbezogenen des Art. 14 GG behalten beide Grundrechte jedoch eigenständige Bedeutung, da Art. 14 GG – gleichsam als „Gesamtverweisung“ – auf das verweist, was als Ergebnis der Schutzbereichs- und Schrankenprüfung nach Art. 2 II 1 GG nicht hinzunehmen ist. Damit stehen beide Grundrechte zumindest inhaltlich im Verhältnis der Idealkonkurrenz selbständig nebeneinander1064.
___________ 1059
Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 306; ferner oben S. 81 Fn. 189. Dazu oben S. 210 ff. 1061 Berkemann, in: GG-Mitarbeiterkommentar, Art. 14 Rn. 288; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 224; ferner Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 339: „(J)edes Gesetz im materiellen Sinne“; ebenso Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 86; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 37; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 135. 1062 Dazu oben S. 233 ff. 1063 Dazu oben S. 261 ff. – Dies gilt nicht gleichermaßen für nicht wohngenutzte Grundstücke; dazu Dolde, FG BVerwG, S. 327 mit dem Hinweis, daß die bestimmungsgemäße Nutzung etwa eines Steinbruchs auch im Falle gesundheitsbeeinträchtigender Schallimmissionen noch möglich ist. 1064 Ebenso Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, Vor §§ 38-43, Rn. 34 ff., 41 ff. 1060
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG
281
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG Ferner könnte als immissionsschützendes Grundrecht die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG in Betracht kommen. Diese ist gegenüber Artt. 2 II 1 u. 14 GG zwar subsidiär1065; gleichwohl könnte ihr ein eigenständiger Anwendungsbereich für solche Immissionen zukommen, die unterhalb der Schwelle der Beeinträchtigung von Leben und körperlicher Unversehrtheit angesiedelt sind und im Rahmen der bestimmungsgemäßen Nutzung von Grundstücken solche Personen betreffen, die sich nicht auf Art. 14 GG berufen können. Dies könnte insbesondere Mieter, Pächter oder vergleichbar obligatorisch Berechtigte betreffen, sofern man diese nicht in den Schutz des Art. 14 GG einbezieht1066, ferner Personen, die auf dem betroffenen Grundstück lediglich ihre Arbeitsoder Ausbildungsstätte haben. Ferner ist ein eigenständiger Schutz des Art. 2 I GG denkbar bei Verhaltensweisen, denen ein spezifischer Grundstücksbezug fehlt, etwa beim Spaziergänger oder „Reiter im Walde“1067.
I. Art. 2 I GG als Abwehrrecht Im folgenden werden Abwehr- und Schutzfunktion getrennt dargestellt, da bei Art. 2 I GG die Existenz einer Schutzfunktion bestritten ist.
1. Schutzbereich a) Art. 2 I GG als allgemeine Handlungsfreiheit Seit der „Elfes“-Entscheidung1068 wird Art. 2 I GG vom BVerfG als Gewährleistung einer umfassenden menschlichen Handlungsfreiheit interpretiert, wonach im Anschluß an Art. 2 II Herrenchiemseer Entwurf1069 jegliches menschliches Verhalten geschützt ist. Diese Auffassung ist zwar in der älteren Lit. auf teils dezidierte Kritik gestoßen, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann1070, ist aber heute in Rspr. und Lit. ganz herrschend1071 und hat in der Ent___________ 1065
Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 12; Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 249; Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 25. 1066 Dazu oben S. 240 ff. 1067 BVerfGE 80, 137 ff. 1068 BVerfGE 6, 32 (36 f.). 1069 Dieser lautete: „Jedermann hat die Freiheit, ... alles zu tun, was anderen nicht schadet“ (vgl. Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 1). 1070 Aus neuerer Zeit abw. Meinung Grimm BVerfGE 80, 137 (164 ff.); aus der jüngeren Lit. Hesse, Grundzüge20, Rn. 428; Duttge, NJW 1997, 3353 ff.; mit Nachw. zur
282
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
scheidung zum Reiten im Walde eine ausdrückliche Bekräftigung erfahren1072. Für diese Auffassung sprechen sowohl Entstehungsgeschichte1073 als auch systematische Zusammenschau mit den Schranken nach Art. 2 I Halbsatz 2 GG, da alle Auffassungen, die den Schutzbereich in Anlehnung an einen „Persönlichkeitskern“ verengen wollen, eine Antwort darauf schuldig geblieben sind, wie ein solcher in Kollision mit „Rechten anderer“ und der „verfassungsmäßigen Ordnung“ geraten kann1074. Gegenstand des Schutzes ist somit jedes menschliche Verhalten, sofern es nicht von speziellen Freiheitsrechten erfaßt wird1075. Hiervon ist die Frage zu trennen, gegenüber welchen Beeinträchtigungen dieser Schutz gewährt wird: Zwar ist im Rahmen der abwehrrechtlichen Funktion des Art. 2 I GG klar, daß dieser Schutz gegenüber staatlichen Beeinträchtigungen gewährt wird. Die oben B. angerissene Diskussion um den modernen Eingriffsbegriff1076 zeigt jedoch, daß staatliche Beeinträchtigungen jenseits rechtsverbindlicher Handlungsverbote und -gebote einer fast unendlichen Vielgestaltigkeit unterliegen, wenn man auch staatliches Verhalten darunter faßt, das eine nur mittelbar influenzierende Wirkung auf die allgemeine Handlungsfreiheit haben kann. Dies sind – was in der Diskussion nicht immer beachtet wird – jedoch keine Fragen des geschützten Verhaltens, sondern des Grundrechtseingriffs und werden auch dort nachfolgend behandelt.
aa) Art. 2 I GG als allgemeine Nachteils- bzw. Eingriffsfreiheit? Weitergehend findet sich in der Rspr. die Formel, Art. 2 I GG schütze die allgemeine Handlungsfreiheit in einem „umfassenden Sinne“ und umfasse „in der grundgesetzlichen Ordnung auch den grundrechtlichen Anspruch …, nicht durch staatlichen Zwang mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist“1077. Diese Formel wird teilweise ___________ älteren Lit., insbesondere den Persönlichkeitskerntheorien Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 13 ff.; Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 26 ff. 1071 Aus der Lit. nur Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 3; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 42 ff., 52 ff.; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 12; Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 17; Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 13 ff.; Pieroth / Schlink21, Rn. 368; Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 8 ff.; Kube, JuS 2003, 111 (112). 1072 BVerfGE 80, 137 (152) – Reiten im Walde (mit abweichender Meinung Grimm S. 164 ff.); ebenso BVerfGE 96, 10 (21). 1073 Dazu BVerfGE 6, 32 (38 ff.) – Elfes; 80, 137 (154) – Reiten im Walde. 1074 So auch BVerfGE 6, 32 (36) – Elfes. 1075 Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 3. 1076 Dazu oben S. 51 ff. 1077 So BVerfGE 19, 206 (215); 33, 44 (48); NJW 1995, 2279 (2280); im Ergebnis auch BVerfGE 42, 20 (27 f.).
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG
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dahin abgewandelt, daß das Merkmal des „staatlichen Zwangs“ ausgelassen wird1078, so daß der Eindruck entstehen könnte, Art. 2 I GG gewähre allgemein Freiheit von nicht verfassungsmäßigen Nachteilen1079. Ein solches Verständnis hätte weitreichende Folgen nicht nur für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, da damit das menschliche Verhalten als Gegenstand des Art. 2 I GG aufgegeben und durch eine Zustandsbetrachtung ersetzt würde. Insbesondere fiele jede Immission bereits aufgrund ihres Einwirkens auf den Menschen in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit. Ein solches Verständnis ist abzulehnen, da damit Elemente des Schutzbereichs und des Eingriffs vermengt werden1080 und der Begriff des „Nachteils“ die Funktion des Eingriffs übernähme, ohne über klare tatbestandliche Konturen zu verfügen. Ein solcher Schutzbereich, der zudem außer diesem Eingriffsäquivalent keine weiteren Tatbestandsmerkmale enthielte, könnte auch nicht mehr auf der Stufe des Eingriffs begrenzt werden, da dieser vollständig im Schutzbereich antizipiert wäre. Daß dies nicht der Sicht des BVerfG entspricht, wird an dessen erweiterter Formel deutlich, in der auch das Merkmal des „staatlichen Zwangs“ genannt ist1081. Damit vermengt das BVerfG zwar auch Schutzbereich und Eingriff, nimmt aber in zweifacher Hinsicht eine tatbestandliche Restriktion vor: Zunächst ist die Nachteilszufügung durch „staatlichen Zwang“ auf Beeinträchtigungsformen beschränkt, wie sie in etwa dem „klassischen“ Eingriffsbegriff entsprechen; ob dieser nicht zu eng ist, wird noch zu erörtern sein. Ferner bekommt der Schutzbereich dadurch eine klare tatbestandliche Struktur, daß „Zwang“ als vis absoluta oder vis compulsiva stets der Willensbeugung dient und damit nicht einen (Integritäts-) Zustand zum Bezugspunkt hat, sondern den Entschluß zu einem Verhalten1082. Damit genügt für eine Eröffnung des Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit noch nicht das bloße Ausgesetzt-Sein gegenüber Immissionen, sondern Anknüpfungspunkt muß ein menschliches Verhalten bilden, auf das durch die Immissionsbelastung nachteilig eingewirkt wird, sei es im Rahmen ___________ 1078
So BVerfGE 9, 83 (88), dort allerdings im Kontext der Verurteilung zu einer Kriminalstrafe; ähnlich möglicherweise auch BVerfGE 17, 306 (313 f.); speziell auf finanzielle Nachteile bezogen BVerfGE 29, 402 (408); NJW 1998, 2128 (2129). – Aus der Lit. Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 20; Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 16; Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 3; Pieroth / Schlink21, Rn. 368. 1079 Zur Problematik dieses Verständnisses Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 17 ff. 1080 Zutreffend Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 18. 1081 So BVerfGE 19, 206 (215); NJW 1995, 2279 (2280); ebenso auch 42, 20 (27 f.), wo die Formel im Kontext des staatlichen „Eingriffs“ erörtert wird. – Hierzu gehören auch diejenigen Äußerungen, in denen der Nachteil auf eine staatliche Zahlungspflicht oder Abgabe bezogen ist (so BVerfGE 29, 402 [408]; 44, 216 [223 f.]; aus der Lit. Jarass, in: J / P8, Art. 2 Rn. 3), da hier das Zwangsmerkmal insofern inbegriffen ist, als Zahlungspflichten mit staatlichen Zwangsmitteln vollstreckt werden können. 1082 Dazu Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 52.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
der Willensentschließung oder der Willensbetätigung. Hierbei ist die nähere tatbestandliche Eingrenzung der „nachteiligen Einwirkung“ im Rahmen des Eingriffs vorzunehmen. Derartige Verhaltensweisen können etwa sein die ungestörte Kommunikation in und außerhalb von Gebäuden, die Verrichtung von Arbeiten, die Ruhe und Konzentration voraussetzen, die Entspannung und Regeneration1083, aber auch schlicht der Spaziergang neben emittierenden Anlagen. Wenn in diesen Fällen auch scheinbar zustandsbezogene Aspekte des psychischen und seelischen Wohlbefindens betroffen sind, so beruhen diese Beeinträchtigungen doch primär auf dem verhaltensbezogenen Aspekt der Störung von Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten1084.
bb) Insbesondere: Schutz überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten Zu klären ist ferner, wie sich ein über die allgemeine Handlungsfreiheit vermittelter verfassungsrechtlicher Immissionsschutz zur Lehre von der durchschnittlichen Empfindlichkeit verhält. Hierzu ist erforderlich, den genauen Schutzgegenstand der allgemeinen Handlungsfreiheit zu bestimmen. Dieser besteht nach den bisherigen Ausführungen in der Freiheit, einen Entschluß zu einer bestimmten Willensbetätigung zu fassen und diesen durch ein bestimmtes Verhalten in die Tat umzusetzen1085. Dies sind – vergleichbar Art. 14 GG1086 – objektive Verhaltensmöglichkeiten, die auch dann gegeben sind, wenn der Einzelne aus Gründen, die subjektiv in seiner Person begründet sind, hiervon keinen Gebrauch machen kann. Da Art. 2 I GG insofern nicht an einem Zustand des Grundrechtsträgers anknüpft, über welchen sich überdurchschnittliche Empfindlichkeiten auswirken könnten, spielen unterschiedliche persönliche Prädispositionen im Bereich des Verhaltensfreiheitsschutzes keine Rolle. Ein anderes könnte allerdings für die im Vorfeld des Verhaltens angesiedelte Motivation gelten. Ob Art. 2 I GG auch hier Schutz gewährt, ist jedenfalls nicht pauschal zu verneinen, wenn man den Fall betrachtet, daß der Staat so gezielt auf eine besonders labile Person einwirkt, daß diese bestimmte – objektiv nach wie vor mögliche – Verhaltensweisen unterläßt. Da die Motivation nicht das ___________ 1083
Zu diesen Beispielen Hermann, S. 198. Ebenso Hermann, S. 198; weitergehend Calliess, Umweltstaat, S. 305, der den Schutz des Art. 2 I GG generell auf „Zustände und Rechtspositionen des Grundrechtsträgers“ erstrecken möchte und damit im Ergebnis zu dem oben abgelehnten „umfassenden Recht auf allgemeine Eingriffsfreiheit gegenüber jedwedem objektiv rechtswidrigem staatlichen Handeln“ gelangt (so Alexy, Theorie, S. 311). Diese Konstruktion hilft jedoch dann nicht weiter, wenn die „objektive Rechtswidrigkeit“ allein aus dem einfachen Recht resultiert, da es vorliegend gerade darum geht, welche Vorgaben Art. 2 I GG an die Verfassungsmäßigkeit dieses Rechts macht. 1085 Ähnlich Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 52. 1086 Dazu oben S. 252 ff. 1084
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG
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Können einer Person, sondern deren Sein und damit einen bestimmten (geistigseelischen) Zustand erfaßt, scheint hier eine Berücksichtigung überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten zwar grundsätzlich möglich, jedoch ist die Zulässigkeit staatlicher Einwirkung auf die Motivation wiederum keine Frage des Schutzbereichs, sondern des Eingriffs.
b) Art. 2 I GG und allgemeines Persönlichkeitsrecht Ein auch zustandsbezogener Schutz könnte sich jedoch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergeben, das vom BVerfG als unbenanntes spezielles Freiheitsrecht aus einer Zusammenschau von Art. 2 I GG und Art. 1 I GG entwikkelt wurde1087 und der subsidiären allgemeinen Handlungsfreiheit vorgeht. Ohne daß an dieser Stelle näher auf die Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegangen werden kann, ist im folgenden dessen Schutzbereich zumindest kurz zu skizzieren: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen ... gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen“1088 und „jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung (sichern), in dem er seine Individualität entwikkeln und wahren kann“1089. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf richterrechtlicher Rechtsfortbildung beruht, muß seine tatbestandliche Konturierung primär anhand der etablierten Fallgruppen erfolgen1090, von denen hier allein der Schutz eines abgeschirmten Bereichs persönlicher Entfaltung relevant ist.
aa) Immissionsbelastung und Schutz der „persönlichen Integrität“ Hierzu wird in Rspr. und Lit. zutreffend betont, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Gegensatz zur allgemeinen Handlungsfreiheit keinen Verhal___________ 1087
Aus jüngerer Zeit vgl. nur BVerfGE 106, 28 ff. – Mithöreinrichtung; 101, 361 ff. – Caroline von Monaco; 99, 185 ff. – Scientology-Mitgliedschaft; 98, 169 ff. – Resozialisierung; 97, 125 ff. – Gegendarstellungsrecht; 96, 56 ff.; 90, 263 ff.; 79, 256 ff. – Kenntnis der eigenen Abstammung; 78, 77 ff. – Entmündigung. 1088 BVerfGE 54, 148 (153) – Eppler. 1089 BVerfGE 35, 202 (220) – Lebach; ebenso Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 69; ähnlich Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 32; Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 49; Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 53. 1090 Dies sind der Schutz eines abgeschirmten Bereichs persönlicher Entfaltung, die Darstellung der Person in der Öffentlichkeit, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf Resozialisierung und das Recht von Kindern und Jugendlichen auf ungestörte Persönlichkeitsentfaltung (vgl. Kimms / Schlünder, § 17 Rn. 45 ff.; teilweise abweichend Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 49 ff.).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
tens-, sondern einen Integritäts- bzw. Zustandsschutz gewährt1091. Fraglich ist, ob das Ausgesetzt-Sein gegenüber Immissionen eine solchen Zustand persönlicher Integrität berühren kann. Dies ist zunächst insofern zu verneinen, als es um den Schutz der persönlichen Intimsphäre geht, da diese nicht gegenüber physischer Einwirkung schlechthin geschützt ist, sondern davor, daß andere über Umstände des geschütztes Lebensbereichs Kenntnis erlangen1092. Ein anderes könnte sich jedoch ergeben, wenn man das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch auf die Integrität des geistig-seelischen Bereichs erstreckt1093 und anerkennt, daß durch das Ausgesetzt-Sein gegenüber Immissionen Aspekte des psychischen und seelischen Wohlbefindens betroffen sein können1094. Dem kann auch nicht entgegnet werden, daß es beim Schutz vor Immissionen primär um verhaltens- und nicht um zustandsbezogene Aspekte geht, denn beide können kumulativ berührt sein, etwa wenn ein Garten nicht zur entspannenden Kommunikation genutzt werden kann (verhaltensbezogen) und dadurch Gefühle der Frustration hervorgerufen werden (zustandsbezogen). Da ferner das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein unbenanntes spezielles Freiheitsrecht ist, wäre es gegenüber der subsidiären allgemeinen Handlungsfreiheit vorrangig. Fraglich ist daher, ob immissionsbedingte Beeinträchtigungen des psychischen und seelischen Wohlbefindens den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eröffnen können. Dies ist zu verneinen: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Gegensatz zur allgemeinen Handlungsfreiheit kein Auffanggrundrecht, insbesondere nicht gegenüber Art. 2 II 1 GG1095, so daß sich der Schutz des menschlichen Wohlbefindens unterhalb der Schwelle des Art. 2 II 1 GG nicht nahtlos in einem gleitenden Kontinuum in Art. 2 I GG fortsetzt. Der Schutz der Integrität des geistig-seelischen Bereichs durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist vielmehr eigenständig zu konturieren und hat zudem zu berücksichtigen, daß dieses seine Schutzrichtung wesentlich von der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 I GG ableitet, was bereits an der Zitierung ___________ 1091 BVerfGE 54, 148 (153); Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 61; Hillgruber, in: GGMitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 45; Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 53; ferner H. Dreier, in: Dreier I2, Art. 2 I Rn. 23 f. mit der plastischen Formel, wonach die allgemeine Handlungsfreiheit die „‚Produktion‘ von Lebensdaten im umfassendsten Sinne“ schütze, das allgemeine Persönlichkeitsrecht hingegen den „Zugriff auf diese ‚Daten‘“. 1092 Vgl. BVerfGE 35, 202 (220) – Lebach: „Hierzu (scil.: zum Schutz des Persönlichkeitsrechts) gehört auch das Recht, in diesem Bereich ‚für sich zu sein‘, ‚sich selber zu gehören‘ ..., ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen ...“ (Hervorh. vom Verf.). 1093 So Bock, S. 138; ferner Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 61. 1094 Dazu Hermann, S. 198. 1095 Kimms / Schlünder, § 17 Rn. 6; Kunig, in: v. Münch / Kunig I 5 , Art. 2 Rn. 91; a. A. demgegenüber Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 51: Auffanggrundrecht für „nicht durch besonders niedergeschriebene Regelungen der Verfassung geschützte Aspekte der menschlichen Persönlichkeit“; ähnlich Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 66.
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG
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„Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG“ deutlich wird. Diese Schutzverstärkung gegenüber Art. 2 I GG ist zwar nicht dahin zu verstehen, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur vor solchen Beeinträchtigungen schützt, die zugleich gegen die Menschenwürde verstoßen, da ansonsten das allgemeine Persönlichkeitsrecht neben Art. 1 I GG überflüssig wäre1096. Andererseits muß die Anbindung an Art. 1 I GG sich jedoch in einer noch zu bestimmenden inhaltlichen Qualifizierung des Schutzbereichs gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit niederschlagen1097. Diese inhaltliche Qualifizierung kann dadurch erfolgen, daß Art. 1 I GG die Zweckrichtung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht entnommen wird1098, so daß die persönliche Integrität im Lichte des Art. 1 I GG in einer Weise beeinträchtigt sein muß, die jedenfalls über das Eindringen unwägbarer Stoffe hinausgeht. Im übrigen ist bereits vom Wortsinn her fraglich, ob der Staat durch Immissionen etwa in eine Mietwohnung „eindringt“. Entsprechend zeigt ein Blick auf die Rspr. des BVerfG, daß die Beeinträchtigung der persönlichen Integrität regelmäßig dadurch erfolgte, daß der Staat oder Dritte Kenntnis über Verhaltensweisen etc. des Grundrechtsträgers innerhalb seines abgeschirmten Persönlichkeitsbereichs erlangten und dadurch die Selbstbestimmung über die „Öffentlichkeit“ seiner Angelegenheiten beeinträchtigt wurde1099. Wenn dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht weitergehend das Recht entnommen wird, in seiner Privatsphäre „in Ruhe gelassen“ zu werden1100, so kann dies schon deshalb nicht im wortwörtlichen Sinne auch auf Immissionen bezogen werden, da ansonsten das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu einem generalklauselartigen Recht auf Verschonung von jeglicher unerwünschter Sinneswahrnehmung mutierte, was der durch Art. 1 I GG bestimmten Zweckrichtung widerspräche. Zudem ist zu berücksichtigen, daß Beeinträchtigungen des psychischen und seelischen Wohlbefindens bei pathologischem Befund bereits von Art. 2 II 1 GG erfaßt werden1101.
___________ 1096
So auch Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 103. BVerfGE 54, 148 (153) – Eppler; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 32. 1098 Ähnlich Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 63; Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 54; tendenziell abschwächend Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 49. 1099 Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 53. 1100 Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 70 unter unzutreffender Berufung auf BVerfG, NJW 1991, 910 (911) – Zusendung unerwünschter Werbesendungen. 1101 Dazu oben S. 135 ff. 1097
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
bb) Zwischenergebnis Damit kann die Beeinträchtigung durch Immissionen den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich nicht eröffnen1102, so daß sich auch die Frage überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten nicht stellt, obwohl das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch seine Anknüpfung an den individuellen geistig-seelischen Integritätszustand hierfür Ansatzpunkte böte.
2. Eingriff Welcher Eingriffsbegriff der allgemeinen Handlungsfreiheit zugrundezulegen ist, ist umstritten und konsentiert lediglich, daß jedenfalls Eingriffe im „klassischen“ Sinne auch „Eingriffe“ i. S. des Art. 2 I GG sind1103. Danach liegt ein Eingriff vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Staat final und nicht bloß als unbeabsichtigte Folge, unmittelbar und nicht nur mittelbar, durch freie autonome Entscheidung eines Dritten vermittelte Folge des Staatshandelns, als Rechtsakt mit nicht lediglich faktischer Wirkung erfolgt und mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchgesetzt wird1104. Angesichts der bei den speziellen Freiheitsrechten weitgehend vollzogenen Auflösung des Eingriffsbegriffs stellen sich im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit spezifische Probleme, da ein weiter Eingriffsbegriff in Verbindung mit dem weiten Schutzbereich dazu führen könnte, daß Art. 2 I GG Schutz gegen „alles und jedes“ gewährte1105 und die Gefahr einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme begründete1106. Daher wird vorgeschlagen, der allgemeinen Handlungsfreiheit ausschließlich den „klassischen“ Eingriffsbegriff zugrundezulegen1107. Andererseits ist jedoch auch dem Versuch einer Verengung des Eingriffsbegriffs entgegengehalten worden, daß damit nur die überwundenen engen Persönlichkeitskerntheorien auf Eingriffsebene wiederbelebt würden, und es wird gefordert, auch Art. 2 I GG den heutigen weiten Eingriffsbegriff zugrundezulegen und die Problematik auf Schrankenebene zu lösen1108. ___________ 1102
Abweichend Calliess, Umweltstaat, S. 306, der eine Auffangfunktion des Art. 2 I GG im „geistig-seelischen Bereich“ gegenüber Art. 2 II 1 GG für möglich hält. 1103 Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 18; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 79 ff.; Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 128 ff.; Pieroth / Schlink21, Rn. 368; Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 21. 1104 Dazu oben S. 51 Fn. 55. 1105 Pieroth / Schlink21, Rn. 379; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 79. 1106 Zur Problematik auch Calliess, Umweltstaat, S. 420 f. 1107 So der Vorschlag von Pieroth / Schlink21, Rn. 380; ähnlich Hillgruber, in: GGMitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 134; ferner Calliess, Umweltstaat, S. 422. 1108 So dezidiert Kube, JuS 2003, 111 (114).
E. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG
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a) Faktische Eingriffe in objektive Handlungsmöglichkeiten An dieser Stelle bedarf es keiner allgemeingültigen Klärung des für Art. 2 I GG maßgeblichen Eingriffsbegriffs, da insbesondere die Frage mittelbarer Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegend nicht aufgeworfen wird1109. Relevante Frage ist vielmehr allein, inwieweit in die allgemeine Handlungsfreiheit auch durch faktische Maßnahmen des Staates wie Immissionen eingegriffen werden kann. Zu eng ist jedenfalls die Ansicht, die allein den „klassischen“ Eingriffsbegriff heranziehen möchte, was folgendes Beispiel zeigt: Die Freiheit zum „Reiten im Walde“ kann nicht nur durch finale Verbote mit rechtlicher Wirkung beschränkt werden, sondern – sogar noch effektiver – durch Errichtung von Barrieren o. ä. an den Zufahrten zu den Wäldern, die es den Reitern physisch unmöglich machen, ihr Verhalten auszuüben. Insofern kann nicht unbeachtet bleiben, daß der Staat dasselbe Ergebnis einmal durch rechtliche und einmal durch faktische Maßnahmen erzielt. Daraus folgt, daß jedenfalls solche faktischen Maßnahmen als Eingriff anzusehen sind, die in ihrer Wirkung Geboten und Verboten gleichkommen; ferner, daß es nicht entscheidend auf die Finalität ankommen kann, da auch demjenigen Reiter sein Verhalten physisch unmöglich gemacht wird, dem der einzige Zugang zum Wald durch eine anderen Zwecken dienende Baustelle versperrt wird1110. Bestimmt man demgegenüber den Eingriffsbegriff ausgehend vom Schutzzweck der allgemeinen Handlungsfreiheit, die Ausübung und Verwirklichung von Verhaltensoptionen zu garantieren, so folgt für die Eingriffsqualität von Immissionen, daß diese erst dann einen Eingriff darstellen, wenn dem Grundrechtsträger entweder das Verhalten physisch unmöglich gemacht wird1111 oder ihm im Sinne eines Wirkungsäquivalents die Verwirklichung des Verhaltens zumindest nicht zumutbar ist, wobei letzteres nur der Fall sein dürfte, wenn dem Grundrechtsträger Schäden an eigenen Rechtsgütern drohen. Dieser Fall wird jedoch regelmäßig bereits von Art. 2 II 1 GG erfaßt.
b) Faktische Eingriffe auf Motivationsebene Zu klären bleibt noch, inwieweit auch staatliche Einwirkungen auf die der Verhaltensebene vorgelagerte Ebene der subjektiven Motivation einen Eingriff ___________ 1109
Zu diesen Konstellationen Erichsen, in: HbStR VI, § 152 Rn. 75 ff. Enger Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 83, wonach in die Entscheidungsfreiheit nur durch finale Maßnahmen eingegriffen werden könne. 1111 Ähnlich Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 23: Verhalten durch „zwingend wirkendes Staatshandeln“ unmöglich gemacht; enger demgegenüber Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 134, 138, der stets eine unmittelbare rechtliche Regelungswirkung fordert. 1110
290
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
in Art. 2 I GG darstellen. Hierzu ist festzustellen, daß die Garantie der Verhaltensfreiheit durch Art. 2 I GG nicht die tatsächlichen Voraussetzungen der Ausübung eines Verhaltens umfaßt1112 und insbesondere keine Handhabe dagegen bietet, daß der Staat Anstöße für oder gegen ein bestimmtes Verhalten gibt. Andernfalls würde nämlich eine nahezu vollständige Paralysierung des Staatshandelns bewirkt, das im heutigen Sozialstaat gerade auf aktive Einflußnahme auf die Gesellschaft angewiesen ist. Insofern wird dem Einzelnen zugemutet, solchen Einflußnahmen gegebenenfalls auch Stand zu halten1113. Daher kann hier ein Eingriff nur angenommen werden, wenn der staatliche Druck auf die Motivation so groß ist, daß von einer selbstbestimmten Entscheidung nicht mehr die Rede sein kann1114, oder weitergehend die besondere Labilität eines Einzelnen gezielt ausgenutzt wird, um diesem ein bestimmtes Verhalten „aufzuzwingen“, was eine finale Intention voraussetzen dürfte. Diese Voraussetzungen liegen im Fall staatlich verursachter Immissionen jedoch nicht vor, so daß das Vorliegen eines Eingriffs zu verneinen ist.
II. Art. 2 I GG als Schutzrecht Fraglich ist, ob aus Art. 2 I GG auch eine staatliche Schutzpflicht gegenüber von grundrechtsberechtigten Dritten verursachten Beeinträchtigungen folgt. Diese Frage wird für die allgemeine Handlungsfreiheit im Gegensatz zu den aus Art. 2 I GG gewonnenen speziellen unbenannten Freiheitsrechten1115 kontrovers beurteilt1116, wobei gegen eine Schutzdimension insbesondere vorgebracht wird, der Umfang staatlicher Schutzverpflichtung würde ansonsten uferlos1117. Andererseits wird dem entgegengehalten, daß – würde man die Handlungsfreiheit des Einzelnen überhaupt nicht gegen Beeinträchtigungen seitens Dritter schützen – insbesondere der strafrechtliche Schutz vor Nötigung (§ 240 StGB) zur Disposition des Gesetzgebers stünde1118, was dafür spricht, eine staatliche Schutzpflicht zumindest dem Grunde nach anzuerkennen. Es bleibt jedoch das „Uferlosigkeits“-Argument, da jede Interaktion im zwischenmenschlichen Bereich darauf ___________ 1112
Zutreffend Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 137. Ebenso Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 23. 1114 Ähnlich Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 23. 1115 Eine Schutzpflicht für das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist allgemein anerkannt; vgl. nur Hillgruber, in: GGMitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 222. 1116 Ablehnend Dietlein, Schutzpflichten, S. 82; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (369 f.); H. Dreier, in: Dreier I2, Art. 2 I Rn. 46. – Bejahend Szczekalla, S. 347 f.; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 25; Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 46; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 203; Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 228 f. 1117 So Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 228. 1118 So zutreffend Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 25; Sachs, VerfR II, B 2 Rn. 46. 1113
F. Zusammenfassung zum 2. Teil
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beruht, daß Menschen versuchen, auf das Handeln anderer Menschen Einfluß zu nehmen, so daß neben Fällen strafrechtlicher Nötigung auch ganz alltägliche Verhaltensweisen zu Grundrechtsfällen bzw. einer Grundrechtskollision zwischen Art. 2 I GG dessen, auf den eingewirkt wird, und den Freiheitsrechten des Einwirkenden, insbesondere Art. 2 I GG, mutierten. Dem kann auf zweierlei Weise begegnet werden: Zunächst kann in konstruktiver Hinsicht darauf hingewiesen werden, daß gerade in den Fällen einer norminternen Kollision zwischen Art. 2 I GG als Schutz- und Abwehrrecht dem Gesetzgeber ein besonders weiter Gestaltungsspielraum bei Auflösung der Kollision zukommt1119, der in den meisten alltäglichen und „banalen“ Einflußnahmen durch Dritte bereits im Ansatz keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß die Nichtgewährung von Schutz verfassungsmäßig ist. Zweitens kann dieser „Schrankenlösung“ vorgelagert bereits am grundrechtlichen Schutzgut selbst angesetzt werden, so daß eine Rechtfertigungsprozedur überhaupt nicht erforderlich wird, wobei auf die Ausführungen oben im abwehrrechtlichen Kontext zurückgegriffen werden kann1120. Danach ist auch im schutzrechtlichen Kontext Schutzgegenstand allein die Ausübung und Verwirklichung von Verhaltensoptionen, denen die Möglichkeit immanent ist, das fragliche Verhalten trotz gegenläufiger Einflußnahmen zu verwirklichen. Insofern wird der „Widerstand“ in der sozialen Interaktion grundsätzlich vorausgesetzt und dem Einzelnen zugemutet. Dies findet eine Grenze erst dann, wenn – insofern in Übereinstimmung mit den Ausführungen zum abwehrrechtlichen Eingriff in Art. 2 I GG – dem Grundrechtsträger entweder das Verhalten durch Dritte physisch unmöglich gemacht wird1121 oder ihm im Sinne eines Wirkungsäquivalents die Verwirklichung des Verhaltens zumindest nicht zumutbar ist, was für drittverursachte Immissionen stets zu verneinen sein dürfte, ohne daß das Zumutbarkeitskriterium näher entfaltet werden müßte.
F. Zusammenfassung zum 2. Teil Die Erkenntnisse aus der bis hierher erfolgten verfassungsrechtlichen Betrachtung lassen sich für die drei Schwerpunktfragen dieser Arbeit wie folgt zusammenfassen: ___________ 1119
Dazu nur Hillgruber, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 2 I Rn. 229. Dazu oben S. 289 ff. 1121 Dies dürfte im wesentlichen dem strafrechtlichen Schutz vor Nötigung durch Gewalt entsprechen (vgl. § 240 StGB). 1120
292
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
I. Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit Im Rahmen des Art. 2 II 1 GG verbietet sich auf Schutzbereichsebene eine wertende Verengung auf bestimmte Empfindlichkeiten, da das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit an diese Schutzgüter in ihrem jeweiligen individuellen So-Sein anknüpft1122. Auf der anderen Seite unterliegt deren Schutz Beschränkungsmöglichkeiten im übergeordneten Individual- und Allgemeininteresse, abgestuft nach dem abnehmenden abwägungsspezifischen Gewicht der Schutzgüter im Risikobereich1123. Ferner ist schutzmindernd zu berücksichtigen die Möglichkeit, der Immissionsbelastung auszuweichen, insbesondere durch Unterlassen des Zuzugs in belastete Umgebungen. Ein solches Modell der differenzierten und begrenzten Begründung von Gefahr- und Risikotragungspflichten ist das einzig taugliche, um dem Umstand Rechnung zu tragen, daß es den „Durchschnittsmenschen“ nicht gibt, sondern nur eine unendliche Variabilität je unterschiedlicher Akzeptoren, die in Konkordanz mit kollidierenden Individualund Allgemeininteressen zu bringen sind. Im Rahmen des Art. 14 GG ist zwischen den Garantiegehalten der Bestandsund der Institutsgarantie zu unterscheiden, wobei allein die Bestandsgarantie nach Art. 14 I 1 GG der insbesondere vom BVerfG nachdrücklich hervorgehobenen Gesetzesabhängigkeit unterliegt. Danach gilt im Rahmen der Bestandsgarantie für grundstücksbezogene Nutzungsmöglichkeiten grundsätzlich der objektbezogene Maßstab des Bauplanungsrechts, der darauf beruht, daß einem Grundstück abstrakte Nutzungsmöglichkeiten unter Ausblendung besonderer Empfindlichkeiten der nutzenden Eigentümer zugewiesen werden1124, und zu dem angesichts der Unvermehrbarkeit von Grund und Boden und der Statik grundstücksbezogener Nutzungskonflikte keine Alternative besteht. Demgegenüber streitet die Institutsgarantie für eine möglichst umfassende Privatnützigkeit und damit für eine Berücksichtigung individueller Empfindlichkeiten der nutzenden Eigentümer, so daß der objektive Maßstab als „Inhalt“ des Eigentums erst das Ergebnis zulässiger nivellierender und typisierender Inhaltsbestimmung nach Art. 14 I 2 i. V. m. Art. 14 II GG ist.
II. Wertende Berücksichtigung emittentenseitiger Belange Da jegliche Begründung von Immissionstragungspflichten an den Artt. 2 II 1 und 14 GG gerechtfertigt werden muß und die genannten Grundrechte hierbei stets – d. h. auch im Rahmen der Schutzfunktion – im außentheoretischen ___________ 1122
Dazu oben C. S. 142 ff. Dazu oben C. S. 173 ff., 180 ff., 203 ff. 1124 Dazu oben D. S. 253 ff. 1123
F. Zusammenfassung zum 2. Teil
293
Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema zur Anwendung kommen, müssen auf Schrankenebene nach den allgemeinen Grundsätzen der Eingriffsrechtfertigung eingriffslegitimierende Gemeinwohlbelange berücksichtigt werden, sofern der Gesetzgeber solche in zulässiger Weise definiert hat1125, im Rahmen der Schutzfunktion ferner die kollidierenden Grundrechte der Emittenten, insbesondere Artt. 12, 14 und subsidiär Art. 2 I GG. Art und Umfang der Berücksichtigung werden dabei bei Gemeinwohlbelangen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und bei kollidierenden Grundrechten durch die praktische Konkordanz bzw. durch Kombination beider Institute vorgegeben. Damit gewinnt das verfassungsrechtlich zulässige Immissionsmaß grundsätzlich relativen Charakter, da es im relationellen Sinne um so höher ausfällt, je gewichtiger die rechtfertigenden (Allgemein- und Individual-) Belange sind. Der gebotene verhältnismäßige bzw. praktisch konkordante Ausgleich ist grundsätzlich bezogen auf den Einzelfall herzustellen, jedoch stellt sich hier ein doppeltes Koordinationsproblem, da sowohl die immissionsbetroffenen Menschen als auch die vermeidungsbetroffenen Anlagen über unterschiedliche „Empfindlichkeiten“ verfügen1126, so daß das einfache Recht – will es einheitliche Immissionsvermeidungspflichten begründen – eine Typisierungsbefugnis in Anspruch nehmen muß, was zu einer Generalisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung und zur Ausblendung individueller Belange führt. Das zulässige Ausmaß einer solchen Generalisierung richtet sich dabei nach den Grundsätze der „vertikalen“ – d. h. am Freiheitsrecht orientierten – und „horizontalen“ – am Maßstab des Art. 3 I GG orientierten – Typisierungsrechtfertigung1127.
III. Problematik „atypischer“ Fälle Ferner kann eine erste Aussage zur Frage der atypischen Fälle getroffen werden, die nach h. M. den Geltungsanspruch von Umweltstandards nach § 48 BImSchG beschränken1128. Hierzu findet sich die Formulierung, eine Bindung bestehe nicht bei „Sachverhalten, die der Vorschriftengeber bei der von ihm notwendigerweise vorzunehmenden generellen Betrachtung nicht regeln konnte ___________ 1125
Zu den diesbezüglichen Anforderungen oben C. S. 168 ff. Insofern ist das Phänomen unterschiedlicher „Empfindlichkeiten“ nicht auf die immissionsbetroffenen Menschen beschränkt, sondern kann auf den Befund übertragen werden, daß auch die Verursacher von Immissionen Rechtspositionen gelten machen können, die mit unterschiedlichem Gewicht auf Anforderungen der Emissionsvermeidung reagieren, etwa indem einheitliche Immissionsvermeidungspflichten für unterschiedliche Anlagen unterschiedliche wirtschaftliche Belastungen bewirken. 1127 Dazu oben C. S. 189 ff., 204 ff. 1128 Dazu oben Einleitung S. 31 Fn. 12; abweichend Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 1, der die Figur des atypischen Falles nicht auf Umweltstandards in Form von Verwaltungsvorschriften beschränken möchte. 1126
294
2. Teil: Verfassungsrechtliche Vorgaben
und wollte“1129, wobei an dieser Stelle allein die Fälle relevant sind, die der Normgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht regeln konnte. Dies ist stets der Fall im Rahmen der Generalisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wo die Konstruktion des atypischen Falles angesichts der strikt entindividualisierenden Wirkung rechtssatzmäßiger Umweltstandards eine verfassungsrechtlich notwendige Ergebniskorrektur bewirkt, wenn die kollidierenden Grundrechte und Allgemeininteressen der jeweils anderen Seite die Ausblendung individueller Umstände nicht mehr tragen. Grund der Atypizität ist damit nicht die tatsächliche Atypizität von Immissionsbetroffenen oder Emittenten, sondern die zwingende abweichende verfassungsrechtliche Bewertung, was „echte“ tatsächliche Atypizitäten nicht ausschließt. Insofern muß die Figur des atypischen Falles, die bislang fast ausschließlich für Umweltstandards in Form von Verwaltungsvorschriften diskutiert wurde1130 und dort spezifische Nahrung in der Rechtsnatur dieser Rechtsquelle findet, auf sämtliche untergesetzliche Umweltstandards – d. h. auch Rechtsverordnungen – ausgedehnt werden, denn die verfassungsrechtlichen Typisierungsgrenzen beanspruchen Geltung unabhängig von Fragen der Rechtsquellenlehre. Hierauf und auf die rechtstechnische Konstruktion des atypischen Falles wird zurückzukommen sein1131.
___________ 1129
Formulierung bei Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 53 (Hervorh. vom Verf.). Nachw. oben Fn. 1128; wie hier demgegenüber Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 1. 1131 Dazu unten 3. Teil S. 509 ff. 1130
3. Teil:
Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen Im folgenden 3. Teil sollen diejenigen einfach-rechtlichen Bestimmungen betrachtet werden, die im anlagenbezogenen Immissionsschutz das zulässige und insofern hinzunehmende Immissionsmaß bestimmen1.
A. Grundpflichten der §§ 5, 22 BImSchG I. Bedeutung der immissionsbezogenen Grundpflichten § 5 I 1 und § 22 I 1 BImSchG normieren die sog. Grund- oder Betreiberpflichten für genehmigungs- und nicht genehmigungsbedürftige Anlagen2, von denen nachfolgend ausschließlich die immissionsbezogenen betrachtet werden, d. h. § 5 I 1 Nr. 1 („Abwehrpflicht“), § 5 I 1 Nr. 2 („Vorsorgepflicht“), § 22 I 1 Nr. 1 („Vermeidungspflicht“) und § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG („Minderungspflicht“). Diesen kommt für die Zulässigkeit von Immissionen zentrale Bedeutung zu, da sie in jeweils spezifischer tatbestandlicher Anknüpfung an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG als Rechtsfolge das zulässige Immissionsmaß bestimmen. Die Grundpflichten sind dynamische Pflichten, die nicht nur bei Errichtung der Anlage gelten, sondern für die ge___________ 1
Nicht zu diesen Bestimmungen gehört § 1 I BImSchG, der als Zweck des BImSchG benennt, Menschen, Tiere etc. vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu „schützen“ und dem „Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“; § 1 I BImSchG begründet keine Rechtsfolge, sondern hat als Programmsatz die Funktion, für das gesamte BImSchG dessen Schutzgüter zu bestimmen und eine Auslegungsleitlinie bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensermächtigungen zu bilden (Führ, in: GKBImSchG, § 1 Rn. 1 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 1; Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 1). Nicht unmittelbar relevant für die Frage der Zulässigkeit von Immissionen ist ferner § 4 I BImSchG, der verfahrensrechtlich die Genehmigungsbedürftigkeit solcher Anlagen begründet, die in „besonderem Maße geeignet“ sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen. 2 Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 1 f., § 22 Rn. 12 f.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 1 ff., § 22 Rn. 7 ff.
296
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
samte Betriebsdauer der Anlage3, was zur Folge hat, daß sich die rechtlichen Anforderungen an den Betrieb der Anlage im Lauf der Zeit ändern können. Die Grundpflichten steuern somit zu jedem Zeitpunkt des Betriebs das zulässige und hinzunehmende Immissionsmaß4.
II. Bedeutung der IVU-Richtlinie Inhaltlich wurden die Grundpflichten genehmigungsbedürftiger Anlagen durch das Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. 7. 20015 erweitert, das der verspäteten6 Umsetzung der Richtlinie 96 / 61 / EG des Rates der Europäischen Union über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. 9. 19967 diente8. Ziel des integrativen Ansatzes ist eine medienübergreifende Bewertung von Umweltbelastungen anhand sämtlicher betroffener Umweltmedien an Stelle einer sektoralen Betrachtung; damit soll etwa der Fall erfaßt werden, daß eine Anlage zwar bezüglich des Umweltmediums „Luft“ den Anforderungen entspricht, dies aber um den Preis einer höheren Belastung anderer Umweltmedien. Der integrative Ansatz erfordert somit im Ansatz einen intermedialen Nutzenvergleich9, ohne daß jedoch klare inhaltliche Maßstäbe für dessen Durchführung existierten. ___________ 3 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 6; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 2, § 22 Rn. 12; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 2, 25 ff., § 22 Rn. 13; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 1; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 6 f. 4 Inwieweit den Grundpflichten selbstexekutiver Charakter zukommt, ist umstritten, jedoch dürfte diesem Streit keine allzu große praktische Bedeutung zukommen, da anerkannt ist, daß einerseits die konkrete Pflichtigkeit für die Betreiber bereits auf Ebene der generell-abstrakten Grundpflichten begründet wird (Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 1; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 8 f.; Petersen, S. 31; Sach, S. 92) und die Grundpflichten für die Betreiber unmittelbar geltendes Recht sind (Breuer, FS Feldhaus, S. 57 f.; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 1), andererseits ihre Durchsetzung und Aktualisierung den Erlaß konkretisierender Einzelakte voraussetzt (Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 1; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 10; Petersen, S. 31). – Zum Gesamten SchmidtKötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 5.1 f. 5 BGBl. I, 1950. 6 Die Richtlinie wäre bis zum 31. 10. 1999 umzusetzen gewesen. – Zur Umsetzung der IVU-Richtlinie monographisch Engelhardt (2002); Beyer (2001); Martini (2000); Aertker (2000); Schreiber (2000); Stapelfeldt (2000); Röckinghausen (1998); Zöttl (1998); Schulz (1997), ferner Kracht / Wasielewski, in: EUDUR I2, S. 1160 ff.; Sellner, in: EUDUR II2, § 49 Rn. 120 ff.; Wahl, NVwZ 2000, 502 ff.; Di Fabio, NVwZ 1998, 329 ff.; Rengeling, FS Feldhaus, S. 313 ff.; H.-J. Koch, in: UTR 40 (1997), S. 31 ff. 7 ABlEG Nr. L 257 / 26 (im folgenden IVU-RL). 8 Dazu Wasielewski, Umsetzung, S. 213 ff. 9 So H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 65; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 7; Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 74 ff.; ähnlich Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 19 ff.
A. Grundpflichten der §§ 5, 22 BImSchG
297
Zu klären sind die Auswirkungen des integrativen Ansatzes auf das hinzunehmende Immissionsmaß: Zunächst ist der integrative Ansatz auf genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 4 ff. BImSchG beschränkt, da der Anlagenkatalog der 4. BImSchV dem Anlagenkatalog der IVU-Richtlinie10 angeglichen wurde. Für die Grundpflichten des § 5 BImSchG, die daher allein unter die IVU-Richtlinie fallen, wurde der integrative Ansatz in der Integrationsklausel des § 5 I 1 Halbsatz 1 BImSchG niedergelegt, welche das Ziel der „Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt“ vorgibt. Damit dient die Integrationsklausel allein der integrativen Auslegung der nachfolgenden Grundpflichten11, und der integrative Ansatz entfaltet sich ausschließlich nach Maßgabe dieser Grundpflichten. Hierbei ist zwischen der Abwehrpflicht nach Nr. 1 und der Vorsorgepflicht nach Nr. 2 zu unterscheiden: Der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG liegt das Konzept fester Belastungsgrenzen zugrunde, die durch die Tatbestandsmerkmale der „Gefahren“, (erheblichen) „Nachteile“ und „Belästigungen“ umschrieben werden und jedenfalls nach dem Wortlaut des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG strikt zu vermeiden sind („... nicht hervorgerufen werden können ...“). Entsprechend scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß eine medienübergreifende Optimierung der zulässigen Umweltverschmutzung im Rahmen des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG nicht in Betracht kommt12. Dies ist auch unschädlich, denn die immissionsschutzrechtliche Genehmigung darf nach § 6 I Nr. 1 BImSchG weder erteilt werden, wenn die immissionsmäßigen Belastungsgrenzen des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG überschritten sind, noch nach § 6 I Nr. 2 BImSchG bei Überschreiten spezialgesetzlicher Belastungsgrenzen für andere Umweltmedien. Die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gewährleistet somit medienübergreifenden Schutz auch ohne weitergehende Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben. Dies fügt sich – sieht man von den „Nachteilen“ und „Belästigungen“ ab, die nach § 3 I BImSchG ausdrücklich einer Relativierung durch den Erheblichkeitsbegriff unterliegen13 – auch in den verfassungsrechtlichen Kontext, denn der Gefahrenbegriff als Instrument des Rechtsgüterschutzes verweist für die Frage des vom Menschen hinzunehmenden Immissionsmaßes letztlich auf die Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG14, die nach den Ausführungen im 2. Teil ohnehin nur eingeschränkt einer medienübergreifenden Optimierung unterworfen werden können. ___________ 10
Anhang I der RL 96 / 61 / EG. Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 5; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 7; Sellner, Ansatz, S. 413; ferner Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 18. 12 H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 66; ders. / Siebel-Huffmann, NVwZ 2001, 1081 (1084); Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 90. 13 Dieser wird von der h. M. als Einfallstor für eine abwägende Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes betrachtet; dazu unten S. 342 ff. 14 Dazu unten S. 308 ff. 11
298
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Demgegenüber wird der eigentliche Anwendungsbereich des integrativen Ansatz im Bereich der Vorsorge nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG gesehen15. Diese greift – wie nachfolgend noch darzustellen ist – unterhalb der Schädlichkeitsschwelle der Abwehrpflicht und dient dort der „Feinsteuerung“ des hinzunehmenden Immissionsmaßes. Im Gegensatz zur Abwehrpflicht kennt die Vorsorgepflicht überwiegend keine festen Belastungsgrenzen, sondern orientiert die gebotene Vorsorge im wesentlichen am „Stand der Technik“ nach § 3 VI BImSchG und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz16. Die Vorsorgepflicht wird dabei in doppelter Hinsicht zum Einfallstor des integrativen Ansatzes, nämlich erstens über eine integrative Anreicherung der Definition des „Standes der Technik“ in § 3 VI BImSchG17 und zweitens über untergesetzliche Konkretisierungen der Vorsorgepflicht auf Grundlage der §§ 7, 48 BImSchG, denen ebenfalls eine Integrationsklausel beigefügt wurde18.
III. Akzeptor- und quellenbezogene Immissionssteuerung 1. Unterschiede von akzeptor- und quellenbezogener Immissionssteuerung Das vom Einzelnen hinzunehmende Immissionsmaß wird vom BImSchG mit zwei verschiedenen Ansätzen verfolgt, dem akzeptorbezogenen und dem quellenbezogenen19. Beide lassen sich an den in § 3 II, III BImSchG legaldefinierten ___________ 15 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 7; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 66; ders. / Prall, NVwZ 2002, 666 (668); ders. / Siebel-Huffmann, NVwZ 2001, 1081 (1084); Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 5, 23a; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 123. 16 Zum Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht unten S. 407 ff. 17 H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 117; Sellner, Ansatz, S. 411. – Ausgangspunkt war der Begriff der „besten verfügbaren Techniken“ (englisch: best available technology [BAT]) i. S. des Art. 2 Nr. 11 IVU-RL, den es umzusetzen galt (dazu Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 93; zu diesem Begriff Mann, UTR 71 [2003], S. 20 ff.; Seibel, BauR 2005, 1109 ff.; zur Richtlinienkonformität der Umsetzung Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 150; Feldhaus, NVwZ 2001, 1 [4]; ders., FS Kutscheidt, S. 262). „Beste verfügbare Techniken“ sind nach Art. 2 Nr. 11 Spiegelstrich 3 der RL u. a. „Techniken, die am wirksamsten zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sind“ (Hervorh. vom Verf.). Insofern wird in diesem Begriff der „Schlüsselbegriff zur inhaltlich-materiellen Integration“ gesehen (so Kracht / Wasielewski, in: EUDUR I2, § 35 Rn. 28 [kursiv im Original]; ebenso Sellner, Ansatz, S. 411). – Art. 2 Nr. 11 IVU-RL behält auch nach Umsetzung in § 3 VI BImSchG seine Bedeutung als Konkretisierungshilfe und Mindeststandard, der nicht unterschritten werden darf (zur richtlinienkonformen Auslegung des § 3 VI BImSchG an dieser Stelle nur Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 102). – Im einzelnen unten S. 417 ff. 18 Vgl. §§ 7 I 2 und 48 I 2 BImSchG. – Dazu H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 120; ders. / Siebel-Huffmann, NVwZ 2001, 1081 (1083 f.); Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 7; Sellner, Ansatz, S. 407 f.; Hansmann, ZUR 2002, 19 ff. 19 Dazu Koepfer, S. 23 ff.; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 147 ff.
A. Grundpflichten der §§ 5, 22 BImSchG
299
Begriffen der Immission und der Emission festmachen: Immissionen sind auf Menschen etc. „einwirkende Luftverunreinigungen etc.“, Emissionen die von einer Anlage „ausgehenden Luftverunreinigungen etc.“20. Ein immissions- bzw. akzeptorbezogenes Steuerungsmodell setzt an bei der Immissionsbelastung, die bei einem Akzeptor ankommen darf; maßgeblich ist die Wirkung, die eine Immission in einer bestimmten räumlichen Situation hervorruft21, weshalb auch von Wirkungsstandards gesprochen wird22. Immissionsbezogene Wirkungsstandards zielen darauf ab, daß in einer bestimmten räumlichen Situation bestimmte Wirkungen nicht hervorgerufen werden. Demgegenüber sind bei einem emissions- bzw. quellenbezogenen Ansatz Vermeidungsobjekt Emissionen, d. h. Umwelteinwirkungen, die von einer Anlage ausgehen. Ein emissionsbezogener Ansatz liefert im Gegensatz zum immissionsbezogenen keine unmittelbaren Maßstäbe dafür, was als Immission bei den Akzeptoren ankommen und Wirkung entfalten darf, vielmehr können emissionsseitige Vermeidungspflichten auch dann bestehen, wenn in der konkreten Verursachungssituation negative Effekte nicht zu befürchten sind. Insofern steuern emissionsbezogene Modelle das hinzunehmende Immissionsmaß nur mittelbar und indirekt, denn wo weniger Emissionen die Quelle verlassen, kommen jedenfalls im Ergebnis auch weniger Immissionen beim Akzeptor an23. Daher kann aufgrund der räumlichen Verteilwirkung einem feststehenden Immissionsstandard ein variables Maß zulässiger Emissionsverursachung entsprechen, während ein feststehender Emissionsstandard zu unterschiedlichen akzeptorseitigen Immissionsbelastungen führen kann. Herkömmlich wird das immissionsbezogene Steuerungsmodell der Gefahrenabwehr nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG und das emissionsbezogene der Vorsorge nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG zugeordnet24. Daß dies in dieser Ausschließlichkeit unzutreffend ist, ist heute erkannt25: So kann der nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gebotene Schutz grundsätzlich auch über Maßnahmen der Emissionsbegrenzung erreicht werden, da dadurch die beim Menschen ankommenden Immissionen ebenfalls gemindert werden. Problematisch ist lediglich die Steue___________ 20
Dazu oben 1. Teil S. 35 ff. Zur räumlichen Dimension von Immissionskonflikten Schulze-Fielitz, FS Würzburger Juristenfakultät, S. 714 ff. 22 Petersen, S. 53 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 297. 23 Hierbei ist zusätzlich die Möglichkeit der Veränderung von Emissionen innerhalb des Verbreitungsvorgangs durch Abschwächung, Überlagerung oder neuen Wirkungen (sog. Synergismen) zu bedenken (dazu Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 18; ders., DVBl. 1983, 725 [726]; Koepfer, S. 28). 24 Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (169); ähnlich Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 17 („Faustformel“). 25 Koepfer, S. 25 und passim; Wickel, S. 135 ff.; Petersen, S. 174; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 117. 21
300
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
rung der entstehenden Immissionen, da bei einer rein emissionsseitigen Steuerung nicht gewährleistet ist, daß bestimmte Folgen bei den Akzeptoren auch tatsächlich vermieden werden26. Betrachtet man Leben und Gesundheit als verfassungsrechtlich vorgegebene akzeptorseitige Schutzobjekte, so ist bei deren Schutz ein akzeptorbezogener Ansatz nicht nur allgemein vorzuziehen, da nur dieser den gebotenen Schutz auch tatsächlich gewährleisten kann27, sondern grundsätzlich auch verfassungsrechtlich geboten. Im Bereich des zwingenden Rechtsgüterschutzes kann ein emissionsbezogener Ansatz daher nur hingenommen werden, wenn ein wirkungsbezogener aus tatsächlichen Gründen nicht zu realisieren ist wie etwa bei krebsverursachenden Luftschadstoffen, bei denen nach derzeitigem Erkenntnisstand akzeptorbezogene Wirkungsschwellen nicht angegeben werden können28. Insofern hat eine emissionsbezogene Vermeidungsstrategie für den zwingenden Rechtsgüterschutz allenfalls subsidiären Charakter. Demgegenüber beruht die Vorsorgepflicht überwiegend auf einem emissionsseitigen Ansatz, bei dem das Maß der gebotenen Emissionsbegrenzung durch den anlagenbezogenen „Stand der Technik“ bestimmt wird29, was unter dem Aspekt des zwingenden Rechtsgüterschutzes solange unbedenklich ist, als dieser durch § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG sichergestellt ist.
2. Insbesondere „Umweltqualitätsziele“ In der neueren Diskussion erscheint zunehmend der Begriff der „Umweltqualitätsziele“, der in der Lit. wie folgt umschrieben wird: „(D)ie qualitätsorientierte Strategie (definiert) den Umfang und die Intensität zulässiger Einwirkungen auf die Umwelt vom jeweiligen Schutzobjekt her. Dieser Ansatz versucht, durch Festlegung von Umweltqualitätsstandards ... oder durch Bestimmung der Anforderungen im Einzelfall eine bestimmte Umweltqualität im Einwirkungsbereich der Anlage oder Aktivität zu erreichen ...“30
Dieser Ansatz beschreibt im wesentlichen das akzeptorbezogene Steuerungsmodell, jedoch besteht eine Akzentverschiebung darin, daß das „Umweltqualitätsziel“ gegenüber der Frage der tatsächlichen Verursachung bestimmter ___________ 26 Insofern weist Czajka (FS Kutscheidt, S. 252) zutreffend darauf hin, daß Abwehrpflicht und Vorsorgepflicht für den Anlagenbetreiber eine einheitliche Handlungspflicht begründen, deren Erfüllung nur an unterschiedlichen Kriterien gemessen wird. 27 So allgemein für mediale Qualitätsnormen H.-J. Koch, in: UTR 40 (1997), S. 50. 28 Dazu oben 1. Teil S. 37 ff. 29 Dazu unten S. 402 ff. 30 Koepfer, S. 23. – Zur (europarechtlichen) Diskussion um Umweltqualitätsziele Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 147 f.; ders., NuR 1997, 313 (314 ff.); Wahl / I. Appel, S. 192 ff.; Wolf, UmweltR, Rn. 201 ff.; H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 47 Rn. 75 ff.; Volkmann, DVBl. 1999, 579 ff.; Jarass, NVwZ 2003, 257 ff.; ders., in: EUDUR II2, § 48 Rn. 1 ff.
A. Grundpflichten der §§ 5, 22 BImSchG
301
Wirkungen den Aspekt der willentlichen Setzung bestimmter wirkungsmäßiger Ziele betont. Damit wird deutlich, daß es in rechtlicher Sicht stets darum zu gehen hat, welche Wirkungen verursacht werden dürfen. Wenn in diesem Zusammenhang Wahl / Appel ausführen, das „deutsche Umweltrecht (sei) bisher von der Leitlinie geprägt, Emissionsgrenzwerte nach dem technisch Machbaren im Grundsatz strikt und für jedermann verbindlich auszugestalten, klar definierte und einzuhaltende medienbezogene Qualitätsziele jedoch nach Möglichkeit zu meiden“31, so mag dies für den Bereich der sog. Umweltgüter zutreffen. Bezogen auf den Menschen gibt Art. 2 II 1 GG in Gestalt des Schutzes von Leben und Gesundheit jedoch elementare Qualitätsziele vor, an denen sich die Zulässigkeit von Immissionen zuvörderst zu orientieren hat und deren Maßstab im 2. Teil entwickelt wurde32. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß jeglicher Immissionsschutz schon deshalb auf Emissionsbegrenzung beruht, weil es um die Steuerung des Emissionsverhaltens einer konkreten Anlage geht. Dieser Ansatz wird jedoch im Bereich der Abwehrpflicht dann vom immissionsseitigen überlagert, wenn zum Schutz vor „Gefahren“, erheblichen „Nachteilen“ und „Belästigungen“ akzeptorbezogene Maßstäbe existieren, in die auch verfassungsrechtliche „Qualitätsziele“ einzufließen haben, so daß das Maß der gebotenen Emissionsbegrenzung von der zu erreichenden Immissionssituation her zu bestimmen ist; in den übrigen Fällen bleibt es beim emissionsbezogenen Ansatz.
IV. Dreistufiges Prüfungsschema nach Petersen Für das Zusammenspiel zwischen Grundpflichten und Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen hat Petersen am Beispiel des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ein umfassendes Prüfungsschema entwickelt, das die Erfüllung der Grundpflichten in die drei Stufen der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung untergliedert und eine Explikation der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen auf hohem analytischen Niveau ermöglicht33: – Auf der Ebene der Risikoerkenntnis geht es darum, was gegenständlich von der Grundpflicht erfaßt und nach Maßgabe der nachfolgenden Ebenen zu vermeiden ist. – Auf der Ebene der Risikozurechnung geht es darum, ob der Vermeidungsgegenstand stand einer konkreten Anlage zugerechnet werden kann.
___________ 31
Wahl / I. Appel, S. 199. Vgl. auch Hösch, UTR 49 (1999), S. 154, wonach mit der IVU-Richtlinie die Frage aufgeworfen werde, ob „man den anthropozentrischen Umweltschutz, der sich an konkreten Rechten Einzelner orientiert, durch einen ökozentrischen Umweltschutz ablöst, in dem die Rechte des Einzelnen nur noch die Reflexe eines wie auch immer bestimmten umweltpolitisch Nützlichen sind“. 33 Petersen, S. 32 ff. und passim. 32
302
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
– Auf der Ebene der Risikosteuerung geht es darum, ob und inwieweit eine konkrete Anlage den ihr zurechenbaren Vermeidungsgegenstand zu vermeiden hat.
Auf die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gewendet bedeutet dies34: Risikoerkenntnistatbestand ist der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG; § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG verweist mit der Formulierung „daß ... nicht hervorgerufen werden können“ in vollem Umfang auf § 3 I BImSchG als das, was „nicht hervorgerufen können“ werden soll. Die Formulierung „(nicht) hervorgerufen werden können“ stellt demgegenüber den Risikozurechnungstatbestand dar; eine Anlage trifft demnach dann eine Vermeidungspflicht, wenn von ihr die zu beurteilenden Immissionen hervorgerufen werden können. Der Tatbestand der Risikosteuerung schließlich knüpft an die Formulierung „nicht (hervorgerufen werden können)“ an und scheint mit dieser Negation einen strikten Vermeidungsstandard vorzugeben, wonach das, was als Risiko nach den obigen Schritten erkannt und einer konkreten Anlage zugerechnet wurde, auch pauschal zu vermeiden ist35, 36. Grundsätzlich ist innerhalb dieses Modells auf jeder Stufe Raum für eine wertende Betrachtung, wie immer diese im Detail aussehen mag. Daher soll ausgehend von der zweiten Schwerpunktfrage nach Art und Umfang wertender Berücksichtigung emittentenseitiger Belange nachfolgend auf allen drei Stufen ausgelotet werden, welche Belange an welcher Stelle in welcher Weise zu berücksichtigen sind. Dabei soll insbesondere eine systematisch-teleologische und folgenorientierte Betrachtung erfolgen, indem gefragt wird, welche Folgen es für das gesamte Prüfungsschema hat, daß gerade an dieser Stelle bestimmte Belange abwägend berücksichtigt werden.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ Tatbestand der Risikoerkenntnis der nachfolgend C. bis E. zu betrachtenden Grundpflichten ist jeweils der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG, weshalb zunächst eine Bestimmung seiner Begriffsmerkmale zu erfolgen hat. Diese sind teils unproblematisch, teils jedoch umstritten, ___________ 34
Dazu Petersen, S. 32 ff. – Zur Abwehrpflicht unten S. 375 ff. Dazu und zur abweichenden Ansicht von Petersen oben 2. Teil S. 162 Fn. 530; zur Diskussion unten S. 319 ff., 392 ff. 36 Dieses Schema läßt sich gleichermaßen auf die Grundpflichten bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen übertragen; dazu unten S. 425 ff. – Eine nur eingeschränkte Anwendung findet das Prüfungsschema von Petersen demgegenüber auf die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG; dazu unten S. 399 ff. 35
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
303
und es wird sich zeigen, daß diese im systematischen Kontext der auf § 3 I BImSchG aufbauenden Rechtsfolgenbestimmungen zu sehen sind, da die spezifische Steuerungsleistung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen stets davon abhängt, welche Rechtsfolgen die Grundpflichten an ihn knüpfen. Zugleich hat bereits die Auslegung des § 3 I BImSchG in dem Maße die im 2. Teil entwickelten verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen, in dem innerhalb der Grundpflichten das zulässige Immissionsmaß unmittelbar über den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen bestimmt wird.
I. Abgrenzung „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ Mit den Begriffen der „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ werden verschiedene Beeinträchtigungsformen bezeichnet. Zwar werden diese in § 3 I BImSchG gleichrangig genannt, jedoch unterliegen „Nachteile“ und „Belästigungen“ ausdrücklich der Beschränkung durch das Tatbestandsmerkmal der „Erheblichkeit“. Zwar ist nach h. M. die „Erheblichkeit“ auch Voraussetzung eines Schadens als Teil des Gefahrenbegriffs, da „Schaden“ nur die „erhebliche“ Beeinträchtigung bestimmter Schutzgüter sein soll37. Gleichzeitig soll ein Schaden für die Gesundheit jedoch stets erheblich sein38, so daß der Tatbestand der Risikoerkenntnis insofern keiner wertenden Verengung unterläge. Die Unterscheidung von „Gefahren“ einerseits, „Nachteilen“ und „Belästigungen“ andererseits ist von zentraler Bedeutung für die Frage des zulässigen Immissionsmaßes, da jedenfalls dann, wenn man § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG als strikten und kategorischen Vermeidungsstandard interpretiert39, Gesundheitsgefahren strikt und kategorisch zu vermeiden sind. Damit würde der Tatbestand der Risikoerkenntnis auf der Ebene der Risikosteuerung nicht nur unmittelbar in eine Vermeidungspflicht als Rechtsfolge umgesetzt, sondern es könnten auch – folgt man der Prämisse, daß ein Schaden für die Gesundheit stets erheblich ist – schutzbeschränkende Gesichtspunkte nicht über den wertenden Begriff der Erheblichkeit zur Geltung gebracht werden. Anders hingegen bei „Nachteilen“ und „Belästigungen“: Im Falle des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG griffe hier zwar wie___________ 37 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 10a; ders., FS Feldhaus, S. 13; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 26, 46; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 57; Sellner, Industrieanlagen2, S. 42; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“; für das allgemeine Polizeirecht ferner Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 221 f.; Hansen-Dix, S. 24 ff., Sp. 806 f. 38 H. M.; vgl. nur Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 46, 51; ders., DVBl. 1983, 725 (729); Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 11; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 59; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 57; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 38; Reich, S. 33; vgl. ferner Nr. 4.8 Abs. 3 lit. a) TA Luft 2002. 39 Dazu oben 2. Teil S. 162 Fn. 530; ferner unten S. 319 ff., 392 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
derum der strikte und kategorische Vermeidungsstandard, jedoch kann dieser nur so strikt und kategorisch sein wie es die auf Tatbestandsebene vorgenommenen Wertungen zulassen. Damit entfaltet der Erheblichkeitsbegriff hier in dem Maße eine schutzbeschränkende Wirkung, in dem er offen ist zur abwägenden Berücksichtigung gegenläufiger, insbesondere emittentenseitiger Belange. Insofern ist eine Immission je nachdem, ob sie eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder nur „Nachteile“ oder „Belästigungen“ hervorruft, einem unterschiedlichen Rechtfertigungsprogramm zu unterziehen, das zugleich im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage unterschiedliche Ansatzpunkte zur Berücksichtigung emittentenseitiger Belange bietet.
1. Ausgangspunkt: Negativabgrenzung zu „Gefahr“ bzw. „Schaden“ Für die gebotene Abgrenzung empfiehlt es sich, im Wege der Negativabgrenzung von den Begriffen der „Gefahr“ bzw. des „Schadens“ auszugehen, da damit auf die gesicherten Erkenntnisse zurückgegriffen werden kann, die das allgemeine Polizeirecht hierzu entwickelt und das BImSchG rezipiert hat40.
a) Gefahrenbegriff des BImSchG Der Gefahrenbegriff des BImSchG bezeichnet eine Lage, in der bei ungehindertem Geschehensablauf ein Zustand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für ein bestimmtes Rechtsgut führen wird41. Könnten für das BImSchG die schadensfähigen Rechtsgüter bestimmt werden, stünde zugleich der Anwendungsbereich der „Nachteile“ und „Belästigungen“ fest, da diesen insoweit eine Auffangfunktion zukäme. Andererseits hat gerade der Begriff der „Belästigung“ auch eine polizeirechtliche Tradition, da die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des BImSchG einen Großteil heutiger Immissionsschutzfälle über die polizeiliche Generalklausel zu lösen hatte und hierzu eine reichhaltige Kasuistik insbesondere zu Lärm- und Geruchsimmissionen entwickelt hat42.
___________ 40 Zur polizeirechtlichen Herkunft des Gefahrenbegriffs Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 98; Lukes / Feldmann / Knüppel, S. 146; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 36; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 33. 41 So die klassische Definition bei Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 220; weitere Nachw. oben 2. Teil S. 149 Fn. 474. 42 Vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Hansen-Dix, S. 26 ff.; danach wurden als Belästigungen solche Immissionen qualifiziert, die in der heutigen Terminologie allein das soziale Wohlbefinden betreffen.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
305
Zwar gehört bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch die „Gesundheit“ zu den Rechtsgütern des Menschen und ist damit „schadensfähig“43; vergegenwärtigt man sich jedoch die im 2. Teil dargestellten Unschärfen des Gesundheitsbegriffs44, der in seiner weitesten Formulierung auch das „soziale Wohlbefinden“ einschließt45, wird die Problematik deutlich, allein anhand einer Begriffsexplikation die Abgrenzung von „Gefahren“ und „Belästigungen“ vorzunehmen. Während „Gefahren“ und „Belästigungen“ am Menschen als maßgeblichen Akzeptor anknüpfen, gilt dies nicht gleichermaßen für „Nachteile“, vergegenwärtigt man sich deren gängige Definition als diejenigen negativen Auswirkungen, die nicht in einem Schaden an einem Rechtsgut oder einer Belästigung bestehen46. Indes ist zu berücksichtigen, daß auch ein Immissionsschutz, der nicht unmittelbar den Menschen als Maßstab hat, zumindest mittelbar Aussagen über das vom Menschen hinzunehmende Immissionsmaß trifft.
b) Suche nach „schadensfähigen“ Rechtsgütern aa) Bedeutung der Schutzgüter des § 1 I BImSchG Es führt daher für den Fortgang der Untersuchung kein Weg an einer exakten Abgrenzung der drei Beeinträchtigungsformen der „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ vorbei. Diese hat im Sinne der genannten Negativabgrenzung von der Frage auszugehen, was schadensfähige Rechtsgüter sind und in welchem Umfang deren Beeinträchtigung zu einem „Schaden“ führt. Da die Definition von Rechtsgütern zuallererst Aufgabe des Gesetzgebers ist, ist vorrangig zu fragen, welche Rechtsgüter das BImSchG selbst zu solchen erklärt hat, was den Blick auf die §§ 1 I und 3 I BImSchG lenkt: Zunächst benennt § 1 I BImSchG mit den „Menschen, Tiere(n) usw.“ die Schutzgüter bzw. Schutzobjekte des BImSchG47. Dafür, daß § 1 I BImSchG damit die Reichweite des Gefahrenbegriffs nach § 3 I BImSchG bestimmt, spricht einerseits seine Funktion als Auslegungsleitlinie für das gesamte BImSchG48. Andererseits stellen die in § 1 I BImSchG genannten Menschen, Tiere usw. jedoch nicht eigent___________ 43
Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 26, 29; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 38 f. Zu den einzelnen Gesundheitsbegriffen oben 2. Teil S. 135 ff. 45 So in der Gesundheitsdefinition der WHO; Zitat oben 2. Teil S. 130 ff. 46 So Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 28. 47 Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 3 ff.; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 82; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 38; Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 4 f.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 9 ff.; Petersen, S. 45 ff. 48 Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 1 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 1; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 14. 44
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
lich Rechtsgüter dar, sondern zunächst außerrechtliche Gegenstände des realen Seins49. Demgegenüber nennt § 3 I BImSchG als Einwirkungs- bzw. Beeinträchtigungsobjekte nicht Menschen, Tiere usw., sondern „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“50, weshalb die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht diese die maßgeblichen Bezugsgrößen für den Schadensbegriff sind51. Letzteres ist aus mehreren Gründen abzulehnen: Zunächst befinden sich die Begriffe der „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ auf einem zu hohen Abstraktionsniveau, als daß aus ihnen konkrete Rechtsgüter gewonnen werden könnten. Wie ein Vergleich mit der polizeilichen Generalklausel zeigt52, stellen „Menschen, Tiere usw.“ zwar ebenfalls keine Rechtsgüter dar, weshalb die Schutzgüter des § 1 I BImSchG dasjenige Maß an Konkretheit, das den Begriffen der „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ fehlt, gleichsam im Übermaß aufweisen. Indes lassen sich aus den Schutzgütern des § 1 I BImSchG im Wege der Auslegung Rechtsgüter gewinnen, die tauglich sind zur Ausfüllung des Schadensbegriffs, etwa „Leben“ und „Gesundheit“ des Menschen53, was bei den Begriffen der „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ bereits im Ansatz nicht möglich ist54. Damit ist allerdings beim Schutzgut des Menschen noch nichts für die Abgrenzung des Gesundheitsbegriffs gewonnen; dazu sogleich.
bb) Bedeutung von „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ Im übrigen kommt der Nennung von „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ in § 3 I BImSchG auch dann eigenständige Bedeutung zu, wenn man diese nicht zur Konstituierung der Rechtsgüter des BImSchG heranzieht, da hierdurch verdeutlicht werden soll, daß der auf § 3 I BImSchG aufbauende Schutz sowohl im Allgemein- als auch im Individualinteresse besteht55; insofern unterstreicht die Nennung der „Nachbarschaft“ den potentiell drittschützenden Charakter des § 3 I BImSchG56. Zweitens läßt sich der „Allgemeinheit“ und „Nachbarschaft“ eine ___________ 49
Dies dürfte auch die Ursache dafür sein, daß sich hierfür der Begriff des Schutzguts anstelle des Rechtsguts etabliert hat (Nachw. dazu soeben Fn. 47). 50 Petersen, S. 47 f., 58 f. 51 So auch die Fragestellung bei Petersen, S. 47. 52 Für Baden-Württ. § 1 I, § 3 PolG. 53 Dazu Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 85 ff.; ebenso Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 3. 54 Die „gegenständliche“ Sichtweise des § 1 I BImSchG läßt sich aus der Besonderheit erklären, denen immissionsschutzrechtliche Schutzgüter genügen müssen: Da die Schädigungswirkung von Immissionen stets auf einer physischen Einwirkung beruht, müssen entsprechende Schutzgüter über ein gegenständliches Substrat verfügen, auf das eingewirkt werden kann, was bei „Menschen“ und „Tieren“ der Fall ist. 55 Feldhaus, in: ders., BImSchR I Teil 1, § 3 Anm. 6. 56 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 78; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 31.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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Aussage darüber entnehmen, ob das BImSchG einen anthropozentrischen, d. h. allein am Wohl des Menschen, oder aber einen auch ökozentrischen, unmittelbar am Wohl der Umwelt orientierten Umweltschutz verfolgt. Diese Frage kann hier – zumal in ihren rechtsphilosophischen und umweltpolitischen Bezügen – nicht umfassend erörtert werden57, es soll jedoch an folgendem Beispiel die Relevanz für das zulässige Immissionsmaß aufgezeigt werden: Unterstellt, eine Anlage emittiere einen Luftschadstoff x, der sich auf dem Weg zum 500 m entfernten Wohngebiet weitgehend verdünnt; stellt man auf das Wohngebiet als Akzeptor ab, können dort schädliche Umwelteinwirkungen verneint werden, wenn die dort ankommenden Immissionen den Schadstoff in so geringer Dosierung enthalten, daß schädigende Wirkungen auf die Bewohner ausgeschlossen sind.
In § 1 I BImSchG ist als Schutzgut demgegenüber auch die Atmosphäre genannt, worunter das Umweltmedium Luft im weitesten Sinne zu verstehen sein soll58. Legte man dieses als schadensfähiges Rechtsgut zugrunde, würde es jedoch nicht erst nach 500 m betroffen, sondern bereits unmittelbar oberhalb des Anlagenschornsteins; an dieser Stelle bewirkt der Schadstoff x aber möglicherweise eine weitgehende Veränderung der dort vorhandenen Luft (= Atmosphäre). Würde man bereits in dieser Veränderung einen Schaden sehen, käme man zu einer anderen Beurteilung der Zulässigkeit dieser Immission, als wenn man – „anthropozentrisch“ – allein auf das 500 m entfernte Wohngebiet abstellt. Einer Sichtweise, die – „ökozentrisch“ – auch die Luftzusammensetzung unmittelbar oberhalb der Anlage zum maßgeblichen Akzeptor erklärte, stünde jedoch entgegen, daß Kriterien dafür fehlen, wann deren Veränderung als Schaden zu bewerten ist, was daran liegt, daß hinter der Atmosphäre und anderen in § 1 I BImSchG genannten Schutzgütern keine aus sich heraus definierten Interessen stehen59. Ein Interesse an unverändertem Fortbestand der Atmosphäre kann demgegenüber erst über vom Menschen definierte Interessen begründet werden; ___________ 57
Zu einem eigenständigen „ökozentrischen“ Schutz von Natur- und Kulturgütern Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 109 ff.; Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 18; a. A. demgegenüber Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 33. – Zu den unterschiedlichen Deutungen des § 1 BImSchG ferner Bosselmann, S. 130 ff.; Reich, S. 39 ff. 58 Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 4; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 145. 59 Dies gilt ebenso, wenn man vom Schutzgut der Atmosphäre den Schutz der Ozonschicht mitumfaßt sieht (so Führ, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 146 f.; zum Klimaschutz allgemein den Sammelband von H.-J. Koch / Caspar, Klimaschutz im Recht [1997] und daraus insbesondere H.-J. Koch / Behrend, S. 161 ff. und Caspar, S. 367 ff.; ferner H.-J. Koch, Klimaschutz [1998], S. 51 ff.; Rebentisch, Klimaschutz, S. 41 ff.; Bail / Marr / Oberthür, in: EUDUR II2, § 54 Rn. 1 ff.), denn die Kriterien, die zur Einstufung des „Ozonlochs“ bzw. des „Treibhauseffekts“ als nachteilig führen, folgen nicht bereits aus dem Schutz der Atmosphäre als solcher, sondern aus den nachteiligen Folgen für bestimmte Akzeptoren, insbesondere den Menschen. – Demgegenüber besteht bei Beeinträchtigung der Gesundheit bereits aus dem Schutzgut heraus ein Interesse an unverändertem Fortbestand, so daß hier pauschal jede nachteilige Veränderung als „Schaden“ betrachtet werden kann.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Medium dieser Interessen ist jedoch der Begriff der „Allgemeinheit“, da der Schutz der Atmosphäre ausschließlich im Allgemeininteresse erfolgt, insbesondere im Hinblick auf die globalen Klimaveränderungen. Daher definiert „Allgemeinheit“ zwar keine schadensfähigen Rechtsgüter, bestimmt aber, wann Veränderungen solcher Schutzgüter, die nicht zugleich im Interesse oder als Rechte Einzelner geschützt sind, als „Schaden“ zu bewerten ist60. Daraus folgt, daß alle Schutzgüter des § 1 I BImSchG „schadensfähig“ sind61, diejenigen, an denen keine subjektiven Rechte Einzelner bestehen, jedoch nur insoweit, als ein Allgemeininteresse an ihrem Schutz besteht62.
2. Konsequenzen für Abgrenzung a) Schutz des „Menschen“ Unproblematisch kann zunächst aus dem Schutzgut „Mensch“ das Rechtsgut „Leben“ gewonnen werden, da hierbei Überschneidungen zur „Belästigung“ nicht zu besorgen sind. Problematisch ist demgegenüber das Rechtsgut „Gesundheit“, da dieses zwar grundsätzlich aus dem Schutzgut „Mensch“ abgeleitet werden kann, gleiches jedoch auch für die „Belästigungen“ gilt, vergegenwärtigt man sich deren Definition als Beeinträchtigungen des Wohlbefindens eines Menschen ohne gleichzeitige Beeinträchtigung der Gesundheit63. Insofern muß eine Abgrenzung den Blick vom insoweit unergiebigen § 1 I BImSchG abwenden und im Wege der systematischen Auslegung nach weiteren Normen oder Normkomplexen Ausschau halten, in denen Rechtsgüter konstituiert werden. Hier bietet sich – insbesondere aufgrund der Verfassungsbindung des Gesetzgebers – ein Rückgriff auf Art. 2 II 1 GG an, der „Leben“ und „körperliche Unversehrtheit“ als elementare verfassungskräftige Rechtsgüter konstituiert. Dieser ___________ 60
Hierbei ist das Allgemeininteresse selbst das Ergebnis einer Wertung und Bewertung unterschiedlicher und gegenläufiger Interessen (so deutlich Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 5c). 61 Ebenso Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 26; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 38. 62 Ebenso Reich, S. 42 ff.; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 26. – Demgegenüber soll nach einer anderen Ansicht die Beeinträchtigung von Tieren, Pflanzen und Sachen generell „Nachteil“ sein (so Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 11a und 12b; ders., FS Feldhaus, S. 16; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 68; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 100; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 II, Stichwort „Nachteil“, Sp. 1431 f.). Dagegen spricht, daß damit die Funktion des § 1 I BImSchG, mit Wirkung für das gesamte BImSchG dessen Schutzgüter zu bestimmen, verkannt wird. 63 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 27; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Belästigung“, Sp. 222; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 101; Feldhaus, in: ders., BImSchR I Teil 1, § 3 Anm. 9; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 21 Rn. 26; Kloepfer, UmweltR3, § 14 Rn. 65; in der Sache auch BVerwGE 88, 210 (213 f.) – Truppenübungsplatz; teilweise abweichend Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 13.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
309
Rückgriff ermöglicht es auch, das Verhältnis von „körperlicher Unversehrtheit“ und „Gesundheit“ in der im 2. Teil im einzelnen beschriebenen Weise zu bestimmen, wonach die Beeinträchtigung der Gesundheit folgenqualifizierendes Kriterium zur Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 2 II 1 GG durch einen gegenständlichen „Versehrungsakt“ ist64. Zwar hat in der immissionsschutzrechtlichen Rspr. und Lit. der Begriff der „körperlichen Unversehrtheit“ im Gegensatz zur „Gesundheit“ so gut wie keine Bedeutung erlangt65, jedoch ermöglicht die hier vorgeschlagene systematische Anbindung an Art. 2 II 1 GG, dem Gesundheitsbegriff eine hinreichend klare Abgrenzung zu verschaffen. Danach ist die Gesundheit nur insoweit Rechtsgut des BImSchG, als sie sich aus Art. 2 II 1 GG ableiten läßt, womit insbesondere in den Randbereichen zur Beeinträchtigung des psychisch-sozialen Wohlbefindens eine trennscharfe Abgrenzung zur „Belästigung“ erfolgen kann, die über eine Explikation der verschiedenen Gesundheitsbegriffe allein nicht zu leisten ist66. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß sich das Immissionsschutzrecht nicht auf den Gesundheitsschutz beschränke, sondern auch das „seelische und soziale Wohlbefinden im Sinne einer menschenwürdigen Lebensqualität mit ein(schließe)“67. Zwar ist zutreffend, daß das BImSchG gerade auch das „physische, psychische und soziale Wohlbefinden“ des Menschen schützt68, und es kann die Begründung des Regierungsentwurfs durchaus dahin interpretiert werden, daß diesbezüglich der weite Gesundheitsbegriff der WHO zugrundegelegt werden sollte69. Indes geht es hier nicht darum, die Reichweite des „Gesamtschutzes“ zu bestimmen, den das BImSchG dem Menschen gewährt und der durch die WHO-Definition durchaus adäquat umschrieben sein dürfte, sondern darum, diesen sinnvoll auf die Tatbestandsmerkmale der „Gefahr“ und der „Belästigung“ aufzuteilen. Würde aber das soziale Wohlbefinden bereits voll___________ 64
Dazu oben 2. Teil S. 135 ff. So soll das Schutzgut „Mensch“ allein den Schutz dessen Leben und Gesundheit erfassen (vgl. Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 84; Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 3). – Eigenständige Erwähnung findet die „körperliche Unversehrtheit“ demgegenüber bei Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 9. 66 Ähnlich H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 40. 67 So BVerwGE 77, 285 (289); mißverständlich Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 29, der Gesundheitsschutz und Schutz des „seelischen und sozialen Wohlbefindens“ in einem Atemzug als „negativen Effekt“ nennt; dieser „kombinierte“ Schutz ist jedoch auf dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund des Polizeirechts keinesfalls selbstverständlich und erfährt gerade durch den Erheblichkeitsbegriff eine unterschiedliche Behandlung. Gerade deshalb steht einem absoluten Gesundheitsschutz nur ein relativierter Schutz des „seelischen und sozialen Wohlbefindens“ gegenüber. 68 So ausdrücklich Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 9 unter Verweis auf die ebd. zitierte Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 7 / 179, S. 26 ff.); ebenso Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 3. 69 So Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 86; zum Gesundheitsbegriff der WHO oben 2. Teil S. 130 ff. mit Fn. 386 f. 65
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ständig vom Gesundheits- und damit Schadensbegriff umfaßt, bliebe für die „Belästigungen“ kein eigenständiger Anwendungsbereich70. Damit stellen immissionsbedingte Beeinträchtigungen des „Menschen“ ein Kontinuum auf einer Skala unterschiedlicher Schwere dar, die nach oben durch das „Leben“ begrenzt wird, während sie nach unten offen ist und jede Beeinträchtigung des Wohlbefindens umfaßt. Innerhalb dieser Skala markiert die Gesundheit in der geschilderten systematischen Anbindung an Art. 2 II 1 GG die Zweiteilung in „Schaden“ und „Belästigung“71.
b) Verbleibender Bereich der „Nachteile“ Während „Wasser“ und „Atmosphäre“ allein im Allgemeininteresse geschützt sind, können alle anderen Schutzgüter sowohl im Allgemein- als auch im Individualinteresse geschützt sein. Besteht an den Schutzgüter weitergehend ein subjektives Recht, ist dieses das relevante Rechtsgut und dessen Beeinträchtigung stets „Schaden“72. Damit werden jedoch für eigentumsrechtliche Positio___________ 70
Diesem Verständnis könnte zwar entgegengehalten werden, daß das BImSchG nicht daran gehindert sei, ein eigenständiges und über Art. 2 II 1 GG hinausgehendes Rechtsgut „Gesundheit“ zu definieren. Indes geht es auch hier nicht um die Frage, ob dem Gesetzgeber grundsätzlich eine solche Kompetenz zukommt, sondern darum, ob er hiervon im BImSchG auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Letzteres ist zu verneinen, da dem BImSchG hinreichend klare Konturen eines eigenständigen Gesundheitsbegriffs nicht entnommen werden können. Andererseits würde ein weitergehender einfach-rechtlicher Gesundheitsbegriff ausgehend von der Prämisse, daß ein Schaden für die Gesundheit stets erheblich ist (dazu oben S. 303 Fn. 38), zu Friktionen mit der im 2. Teil geschilderten Systematik des Immissionsschutzes durch die Artt. 2 II 1 und 14 GG führen, wonach der durch Art. 14 GG vermittelte Immissionsschutz im Gegensatz zu dem aus Art. 2 II 1 GG grundsätzlich einer – im weitesten Sinne – „Situationsgebundenheit“ nach der räumlichen Lage des betroffenen Grundstücks unterliegt (dazu oben 2. Teil S. 248 ff.). Grundsätzlich ermöglicht das hier vertretene Modell nicht nur eine trennscharfe Zuordnung von striktem Rechtsgüter- bzw. Gesundheitsschutz einerseits und von durch den Erheblichkeitsbegriff relativiertem Belästigungsschutz andererseits auf die betroffenen Grundrechte der Artt. 2 II 1 und 14 GG, sondern bewirkt zugleich eine Kongruenz zwischen Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG und dem situationsgebundenen Immissionsschutz des Art. 14 GG. Ein weitergehender und nicht mehr von Art. 2 II 1 GG gedeckter Gesundheitsschutz würde demgegenüber allein Art. 14 GG unterfallen, könnte jedoch aufgrund der „Ausschaltung“ des Erheblichkeitsbegriffs dessen situationsbezogene Vorgaben nicht aufnehmen. 71 Ebenso Hansen-Dix, S. 40, 120; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 13; ders., FS Feldhaus, S. 16 f. 72 Demgegenüber unterschied die TA Luft 1986 zwischen dem Schutz vor Gesundheitsgefahren (Nr. 2.2.1.1) und vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen (Nr. 2.2.1.2), woraus teilweise geschlossen wurde, die TA Luft rechne sämtliche Sachschäden zu den Nachteilen (so Lübbe-Wolff, Kontrolle, S. 177; H.-J. Koch, in: GKBImSchG, § 3 Rn. 39). Daß dieser Schluß nicht stimmte, zeigte sich an Nr. 2.2.1.3 Abs.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
311
nen Folgeprobleme in der Abgrenzung zu den „Nachteilen“ aufgeworfen, die daraus resultieren, daß sowohl zivilrechtliches Eigentum als auch Eigentum i. S. des Art. 14 I 1 GG nicht nur die Innehabung, sondern auch die Nutzung umfaßt. Vergegenwärtigt man sich ferner die in der Lit. genannten Beispiele für „Nachteile“73 in Gestalt bloßer Vermögenseinbußen und erhöhter Aufwendungen, entgangenen Gewinns, mittelbarer Folgen eines Schadens und Minderung der Wohnqualität, insbesondere Verlust der Nutzbarkeit der Außenwohnbereiche zu Wohnzwecken, so zeigt sich, daß die eigentumsrechtliche Nutzungskomponente weitgehend den „Nachteilen“ zugewiesen wird. Dies ist weder auf Grundlage des zivilrechtlichen Schadensbegriffs noch des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs selbstverständlich, rechtfertigt sich jedoch aus der Notwendigkeit, auch den „Nachteilen“ einen eigenständigen Anwendungsbereich zu sichern. Geht man ferner davon aus, daß immissionsbedingte Beeinträchtigungen dadurch entstehen, daß Immissionen auf Objekte einwirken, bietet sich als Abgrenzungsmerkmal die „Unmittelbarkeit“ an: „Schäden“ sind Beeinträchtigungen, die unmittelbar an den Schutzgütern entstehen, Beeinträchtigungen, die mittelbar aus der beschränkten Nutzbarkeit resultieren, jedoch „Nachteile“74. Damit sind „Nachteile“ im Ergebnis alle negativen Effekte, die nicht bereits zu einem „Schaden“ oder einer „Belästigung“ führen75.
II. Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG Nachdem somit die Zustandskomponente der „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ bestimmt werden konnte, soll nun deren Wahrscheinlichkeitskomponente betrachtet werden. Hier stellt sich folgendes Problem: Während „Nachteile“ und „Belästigungen“ eingetretene Beeinträchtigungszustände beschreiben, ist „Gefahr“ ein relationeller Begriff, der eine Zustands- mit einer ___________ 3 TA Luft 1986, in der mögliche Gefahren für „Tiere, Pflanzen und andere Sachen“ genannt wurden; zur TA Luft 2002 vgl. diesbezüglich Nr. 4.8 Abs. 3 lit. a) – c). 73 Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 II, Stichwort „Nachteil“, Sp. 1432; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 28 ff.; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 12; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 108. 74 Ähnlich Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 15; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 12; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 40. 75 Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 II, Stichwort „Nachteil“, Sp. 1432; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 108. – Damit stehen „Schaden“ und „Nachteil“ im Gegensatz zur „Belästigung“ im Verhältnis eines aliud: Wird eine Sache durch Immissionen beschädigt, stellt dies einen „Schaden“ dar, während ein zusätzlicher oder isolierter mittelbarer Schaden – etwa entgangener Gewinn – nur „Nachteil“ ist. Damit stehen „Schaden“ und „Nachteil“ gerade nicht in einem Stufenverhältnis. Auch läßt sich keine generelle Rangfolge in der Beeinträchtigungsintensität ausmachen, da sowohl eine geringe Eigentumsverletzung zu einem großen Vermögensschaden als auch eine gravierende Eigentumsverletzung zu einem nur geringen Vermögensschaden führen kann.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Wahrscheinlichkeitskomponente verknüpft; „Nachteile“ und „Belästigungen“ sind eindimensional, „Gefahren“ zweidimensional. Geht man von der herkömmlichen Gefahrendefinition aus76, ist maßgeblich das Vorliegen von Umständen, aus denen im Wege der Prognose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Schaden für ein Rechtsgut geschlossen werden kann77. Bevor nachfolgend III. der Widerspruch zwischen zweidimensionalem Gefahrenbegriff und eindimensionalen „Nachteilen“ und „Belästigungen“ aufgelöst wird, soll zunächst die relationelle Struktur betrachtet werden, wie sie sich als grundlegendes Strukturelement aus dem „klassischen“ Gefahrenbegriff ergibt.
1. Relationalität als grundlegendes Strukturmerkmal Die Relationalität des Gefahrenbegriffs zeigt sich neben seiner zweidimensionalen Struktur vor allem darin, daß die Komponenten der Schadenshöhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit über die Je-desto-Formel miteinander verbunden sind: Je größer der zu erwartende Schaden, desto geringer ist das erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaß, während mit abnehmender Schadenshöhe bzw. Schadensausmaß die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit steigen78. Wenn verschiedentlich von einer „Gefahrenschwelle“ die Rede ist, die unter- oder überschritten ist, so ist damit das Produkt aus Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit gemeint, das eine bestimmte Höhe erreicht haben muß79. Ein solches theoretisch-mathematisches Modell darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, man könne mit ihm praktische Rechtsfälle lösen; sein Nutzen liegt allein darin, zugrundeliegende systematische Strukturen aufzuzeigen. Einer Umsetzung dieses Modells in konkrete Rechtsfolgen steht entscheidend entgegen, daß weder Schaden noch Eintrittswahrscheinlichkeit exakt quantifizierte bzw. quantifizierbare Größen sind, worauf im 2. Teil im Rahmen der Bewertung grundrechtlicher Schutzgüter bereits hingewiesen wurde80. Gleiches gilt für die ___________ 76
Dazu oben S. 304 Fn. 41. Reich, S. 31; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 807 f.; Wahl / I. Appel, S. 85. – Der Unterschied zum allgemeinen Polizeirecht besteht darin, daß dort regelmäßig die allgemeine Lebenserfahrung ausreichend ist, während im Umweltrecht komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse erforderlich sind, die zudem oft lückenhaft sind (Wahl / I. Appel, S. 85 ff.; Reich, S. 75 f.). 78 Wahl / I. Appel, S. 86; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 809 f.; dabei umfaßt die Bewertung des Schadens einen qualitativen (Wertigkeit des Schutzguts) und einen quantitativen Aspekt (Intensität des Schadens und Anzahl der betroffenen Schutzgüter); dazu Hansen-Dix, S. 41 f.; Lukes, S. 23. 79 Zur „Produktformel“ Fleury, S. 40 ff.; zur Herkunft dieser Formel aus der Versicherungsmathematik A. Leisner, DÖV 2002, 326 (327 f.). 80 Dazu oben 2. Teil S. 174 ff., 178 ff.; ferner Murswiek, Verantwortung, S. 165 ff. 77
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
313
Wahrscheinlichkeit81: Zwar können die Naturwissenschaften teilweise durchaus Aussagen über die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen machen, jedoch gelten derartige Aussagen regelmäßig nur für einen kleinen Teil immissionsbedingter Schädigungswirkungen, während über den Großteil nur lückenhafte Erkenntnisse bestehen82. Zudem werden – worauf bereits im 2. Teil hingewiesen wurde83 – auch bei erforschten Wirkungszusammenhängen besonders empfindliche Akzeptoren regelmäßig nicht erfaßt. Eine weitere offene Flanke dieses Gefahrenmodells ist die Festlegung der Gefahrenschwelle, d. h. desjenigen Produktwerts, ab dem eine Gefahr zu bejahen ist. Über die Höhe dieses Werts trifft das relationelle Gefahrenmodell keine Aussagen, da es sich in modaler Hinsicht darauf beschränkt, zwei gewichtete Größen in eine strukturelle Beziehung zu setzen. Eine Bestimmung der Gefahrenschwelle ist jedoch zwingend erforderlich, da das BImSchG an das Vorliegen einer Gefahr andere Rechtsfolgen knüpft als an das Nichtvorliegen: So sollen Gefahren im Rahmen der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG strikt und kategorisch abzuwehren sein84, während Noch-Nicht-Gefahren im Bereich des bloßen Risikos85 allenfalls von der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG erfaßt werden, deren Vermeidungsstandard einer Relativierung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt86.
2. Bestimmung der Gefahrenschwelle Fraglich ist daher, wie angesichts dieser offenen Flanken im Einzelfall das Vorliegen einer Gefahr bestimmt werden kann. Zu erörtern ist im Anschluß an die Ausführungen zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Abwägung87 neben der Abwägung im Einzelfall (nachfolgend a) insbesondere, inwieweit die Gefahrenschwelle durch normativen Dezisionsakt festgesetzt werden kann, etwa durch untergesetzliche Umweltstandards (nachfolgend b).
___________ 81
A. Leisner, DÖV 2002, 326 (328 f.); Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 810. 82 Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 810. 83 Dazu oben 2. Teil S. 150 ff. 84 Dazu oben 2. Teil S. 162 Fn. 530; ferner unten S. 319 ff., 392 ff. 85 Zum Begriff des Risikos oben 2. Teil S. 148 Fn. 475. 86 Zum Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht unten S. 407 ff. 87 Dazu oben 2. Teil S. 212 ff. – Zum Gefahrenbegriff als unbestimmten Rechtsbegriff Ebinger, S. 40 f., die zutreffend darauf hinweist, daß sich das Wertungsproblem nicht erst bei der Subsumtion stellt, sondern über den Maßstab der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit bereits bei dessen Auslegung.
314
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
a) Bestimmung der Gefahrenschwelle im Einzelfall aa) Bestimmung der Gefahrenschwelle durch Abwägung Sieht man im Sinne der relationellen Struktur Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit als alleinige Determinanten der Gefahrenbestimmung im Einzelfall, stößt die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Abwägung auf Schwierigkeiten, da diese Zielkonflikte, d. h. gegenläufige Prinzipien, Werte, Belange o. ä. voraussetzt, zwischen denen bedingte Präferenzrelationen gebildet werden88. Zwar hat das geltende Recht wie oben im 2. Teil aufgezeigt Methoden entwickelt, um kontradiktorische Abwägungen, die an einer ZweckMittel-Relation bzw. dem „Spiel von Grund und Gegengrund“ orientiert sind, für die Rechtsanwendung handhabbar zu machen89. Dies gilt jedoch nicht gleichermaßen für die Abwägungsbelange der Schadenshöhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit: Diese sind zwar – vermittelt über den Grundsatz der Relationalität – gegenläufig, nicht aber kontradiktorisch, da sie allein den „Vorteil“ („Zweck“) einer gefahrenabwehrenden Maßnahme beschreiben, nicht jedoch auch die Folgen („Nachteile“, „Mittel“)90. Damit fehlt ihnen das entscheidende Gegenüber, mit dem sie abgewogen und in eine bedingte Präferenzrelation gesetzt werden könnten; die Abwägung hängt gleichsam in der Luft.
(1) Abwägende Berücksichtigung auch emittentenseitiger Belange? Ein Ausweg könnte in der abwägenden Berücksichtigung auch emittentenseitiger Belange bestehen, womit „Gefahr“ dasjenige Produkt aus Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeit wäre, das als „Zweck“ bzw. „Vorteil“ auch bestimmte Eingriffsfolgen („Nachteile“, „Mittel“) aufwiegen kann. Inwieweit eine solche Berücksichtigung zulässig ist, ist umstritten: Während nach einer Ansicht das „Hinreichen“ der Wahrscheinlichkeit allein anhand des Schutzguts und dessen Wertigkeit bzw. Schädigungsintensität zu bestimmen ist91, ist nach einer anderen Ansicht gegenläufig auch das Eingriffsgut zu berücksichtigen, in das im
___________ 88
Dazu oben 2. Teil S. 212 ff. Zur Rationalität von Abwägungen oben 2. Teil S. 213 Fn. 749; solche kontradiktorischen Abwägungen sind der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die planerische Abwägung im Bauplanungsrecht, bei welcher die Besonderheit besteht, daß unter einer Fülle von Belangen abzuwägen ist, die nur teilweise kontradiktorisch sind. 90 Zu diesen Begriffspaaren Hoppe, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 18. 91 Wahl / I. Appel, S. 86; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 810; ders., Verantwortung, S. 85 Fn. 19; Würtenberger / Heckmann6, Rn. 417; Darnstädt, S. 76 ff.; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 54. 89
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
315
Zuge der Gefahrenabwehr eingegriffen wird92, was teilweise ausdrücklich als Ausfluß der Verhältnismäßigkeit bezeichnet wird93. Für eine Berücksichtigung auch eingriffsseitiger Belange könnte sprechen, daß es im Rahmen der Gefahrenbestimmung angesichts der Grundrechtsberechtigung der meisten Emittenten ganz überwiegend zugleich um die Abgrenzung individueller Freiheitsräume am Maßstab der Verhältnismäßigkeit bzw. praktischen Konkordanz geht94. Auch ist zu berücksichtigen, daß bereits der Begriff der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit die Frage impliziert: „Hinreichend“ wofür? Diese Frage könnte bei Einbeziehung des Eingriffsgutes dahin beantwortet werden, daß die Wahrscheinlichkeit „hinreichend“ sein muß, um denje___________ 92
So Hansen-Dix, S. 139 ff., die von einer „doppelten – gegenläufigen – Relativität“ des Gefahrenbegriffs spricht; ebenso Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 224; Friauf, in: Schmidt-Aßmann10, 2. Abschn. Rn. 51; Möllers, S. 57 und Übersicht S. 81; Nell, S. 183 ff.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 16. 93 So Friauf, in: Schmidt-Aßmann10, 2. Abschn. Rn. 51; Lukes I, S. 23, 28. – In diesen Zusammenhang gehört auch die Entscheidung des BVerwG zum Kraftwerk Voerde, in der das Gericht ausgeführt hat: „Die in § 6 Nr. 1, § 5 Nr. 1 und § 3 I BImSchG geregelten Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung müssen im Zusammenhang miteinander betrachtet werden. Wenn sichergestellt sein muß, daß durch den Betrieb der Anlage keine Immissionen verursacht werden, die ‚geeignet‘ sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen ... herbeizuführen, haben die Begriffe ‚sichergestellt‘ und ‚schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können‘, nicht die Bedeutung, daß jedes nur denkbare Risiko der Herbeiführung von schädlichen Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sein muß ... Risiken, die als solche erkannt sind, müssen mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein“ (BVerwGE 55, 250 [254] – Hervorh. vom Verf.; dem folgend Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 111). Unklar bleibt hierbei erstens, ob damit eine umfassende, auch emittentenseitige Belange einzubeziehende, „echte“ Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert ist oder aber an den rein zweidimensionalen Gefahrenbegriff angeknüpft werden soll; da das BVerwG in der genannten Stelle und im weiteren Fortgang auf emittentenseitige Belange mit keinem Wort eingeht, dürfte dies eher für das Zweite sprechen (unklar insoweit auch die Kommentar-Lit., vgl. nur Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 111). Unklar ist jedoch auch, welches der normative Standort eines derartigen relativen Vermeidungsstandards ist, da das Gericht sehr undifferenziert Begriffsmerkmale dreier verschiedener Normkomplexe heranzieht, nämlich § 6 I Nr. 1 („sichergestellt“), § 5 I 1 Nr. 1 („nicht hervorgerufen werden können“) und § 3 I BImSchG („geeignet, ... herbeizuführen“). So wird das Voerde-Urteil denn auch von Jarass (BImSchG6, § 3 Rn. 39) im Zusammenhang mit dem Eignungsbegriff in § 3 I BImSchG zitiert, welcher im relationellen Sinne interpretiert wird; ebenso sieht H.-J. Koch (in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 45 ff.) die Aussage des BVerwG als Aussage über den Eignungsbegriff, stellt dann allerdings die innere Widersprüchlichkeit dieser Aussage dar, da die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Risikovermeidung nicht Gegenstand des § 3 I BImSchG sei, sondern der §§ 5, 6 BImSchG. Demgegenüber sieht Petersen (S. 139 ff.) die fragliche Passage als Aussage über die Risikozurechnung als Tatbestandsmerkmal des § 5 I 1 Nr. 1 („hervorrufen [können]“). Alle drei Normkomplexe bieten dabei sowohl Ansatzpunkte für eine „Anreicherung“ im Sinne des relationellen Gefahrenbegriffs als auch einer „echten“ Verhältnismäßigkeitsprüfung, weshalb eine systematische Abschichtung dieser drei Normkomplexe erforderlich ist. 94 So Trute, Vorsorgestrukturen, S. 16; ferner Hansen-Dix, S. 43 f.
316
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
nigen Eingriff in das Eingriffsgut zu rechtfertigen, der sich aus den Rechtsfolgen ergibt, die an das Vorliegen einer Gefahr geknüpft sind. Ferner sind zwar nach den im 2. Teil entwickelten Grundsätzen Formen der (tatbestandsbezogenen) Abwägung denkbar, die nicht dem umfassenden Abwägungsmaßstab der (rechtsfolgenbezogenen) Verhältnismäßigkeit bzw. praktischen Konkordanz entsprechen95, so daß der Gefahrenbegriff nicht zwingend zu einer umfassenden Abwägungsinstanz „aufgeladen“ werden müßte. Andererseits müssen diejenigen Vorschriften, die wie die Grundpflichten der §§ 5 I 1 Nr. 1 u. 2, 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG Rechtsfolgen an das Vorliegen einer Gefahr knüpfen, in ihrer Rechtsfolge dem im 2. Teil entwickelten Abwägungsmaßstab der Verhältnismäßigkeit bzw. praktischen Konkordanz gerecht werden. Hier stellt sich folgendes Problem: Betrachtet man allein die schon mehrfach genannte Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG, so scheint diese mit der Formulierung „daß ... nicht hervorgerufen werden können“ einen strikten und kategorischen Vermeidungsstandard zu enthalten, wonach „Gefahren“ als tatbestandliches Vermeidungsobjekt der Risikoerkenntnis in jedem Fall zu vermeiden sind96. Ausgehend von den Überlegungen im 2. Teil zur Verhältnismäßigkeit eines generellen und insofern strikt typisierenden Vermeidungsstandards angesichts der kollidierenden Betreibergrundrechte kann zwar festgehalten werden, daß die Verhältnismäßigkeit einer Norm auch da inhaltlich gewahrt sein kann, wo eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall ausgeschlossen ist. Allerdings entbindet dies nicht von der Notwendigkeit der inhaltlichen Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall, da das einfache Recht nicht von dem Verfassungsrang genießenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dispensieren kann. Insofern müssen entsprechende Normen mangels Möglichkeit einer „Verhältnismäßigkeitskorrektur“ auf Rechtsfolgenebene durch die Ausgestaltung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen – gegebenenfalls in verfassungskonformer Auslegung – eine solche „generelle“ Verhältnismäßigkeit sicherstellen. Dabei kann es in dem Maße, in dem eine „Verhältnismäßigkeitskorrektur“ auf Rechtsfolgenebene nicht möglich ist, erforderlich sein, tatbestandsbezogene Abwägungen in Inhalt und Umfang an den umfassenden rechtsfolgenbezogenen Abwägungsformen der Verhältnismäßigkeit und praktischen Konkordanz auszurichten.
(2) Mögliche Konsequenzen für Gefahrenbegriff Daraus folgt für den Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG: In dem Maße, in dem die immissionsbezogenen Grundpflichten auf der Ebene der Risikosteuerung die gebotene Verhältnismäßigkeit bzw. praktische Konkordanz nicht si___________ 95 96
Dazu oben 2. Teil S. 212 ff. Dazu oben 2. Teil S. 162 Fn. 530; ferner unten S. 319 ff., 392 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
317
cherstellen können, käme diese Aufgabe bereits dem Gefahrenbegriff als Tatbestandsmerkmal der Risikoerkenntnis zu, der damit um diejenigen gegenläufigen Abwägungsbelange zu ergänzen wäre, deren Berücksichtigung zur Herstellung einer verhältnismäßigen bzw. praktisch konkordanten Rechtsfolge aus verfassungsrechtlicher Sicht erforderlich ist. Dies würde zugleich dazu führen, daß je mehr die abwägende Bestimmung des Gefahrenbegriffs einer rechtsfolgenbezogenen Abwägung angenähert wird, der Rechtsanwender methodisch um so „gesicherteres“ Terrain betritt, da Verhältnismäßigkeit und praktische Konkordanz zum alltäglichen Handwerkszeug des Juristen gehören. Im folgenden ist daher zu untersuchen, inwieweit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der Systematik der relevanten Grundpflichten abschließend der Ebene der Risikosteuerung zugewiesen und damit einer Prüfung auf Ebene des § 3 I BImSchG entzogen ist. Hierzu soll vorab die Situation im allgemeinen Polizeirecht betrachtet werden, da der immissionsschutzrechtliche Gefahrenbegriff diesem entstammt97 und sich hieraus möglicherweise verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse gewinnen lassen.
bb) Situation im allgemeinen Polizeirecht Zunächst erscheint die Verortung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Gefahrenbegriff des allgemeinen Polizeirechts als fraglich, wenn man die Struktur der auf der polizeilichen Generalklausel aufbauenden Eingriffsbefugnisse betrachtet98: Während Tatbestand eine „Gefahr“ für bestimmte Schutzgüter (z. B. die „öffentliche Sicherheit“) ist, ist Rechtsfolge die Ermächtigung der Polizei, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu treffen, die in deren Entschließungs- und Auswahlermessen stehen und regelmäßig bereits kraft spezieller gesetzlicher Anordnung99 dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen sind. Damit findet im allgemeinen Polizeirecht zwar stets die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung mit dem Eingriffsgut statt, allerdings auf der Rechtsfolgenebene100. Diese Abschichtung ist im allgemeinen Polizeirecht auch sinnvoll, da die Bestimmung der Adressaten der Maßnahme – die sog. Störer – zeitlich und systematisch nachgeordnet zur Feststellung der Gefahr erfolgt, so daß das Eingriffsgut bei Feststellung der Gefahr regelmäßig noch gar nicht feststeht101. Gleiches gilt bezüglich der zu treffenden Maßnahme, die im Entschließungs- und Aus___________ 97
Dazu oben S. 304 Fn. 40. Für Baden-Württ. § 1 I, § 3 PolG. 99 So § 5 PolG Baden-Württ.; ferner § 2 ME PolG. 100 So für das Polizeirecht Würtenberger / Heckmann6, Rn. 521 ff.; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 200 ff., aus umweltrechtlicher Sicht Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 20. 101 Vgl. Petersen, S. 109, der auf die Gefahr einer Doppelberücksichtigung hinweist. 98
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
wahlermessen der Polizei steht102, da Richtung und Intensität des Eingriffs überhaupt erst durch die Maßnahme bestimmt werden. Da das allgemeine Polizeirecht somit von einer klaren Abschichtung von Tatbestands- und Rechtsfolgenebene ausgeht, muß auf Tatbestandsebene das Vorliegen einer „Gefahr“ bestimmt werden können, ohne diejenigen Kriterien vorwegzunehmen, die auf Rechtsfolgenebene zur Geltung zu bringen sind103. Damit sind im Polizeirecht auf das Eingriffsgut bezogene Belange jedenfalls nicht im Gefahrenbegriff zu berücksichtigen. Dies stellt auch in der Regel kein Problem dar, da die geforderten Schädigungsprognosen zumeist mit dem alltäglichen polizeilichen Erfahrungswissen bewältigt werden können.
cc) Situation im Immissionsschutzrecht Im Immissionsschutzrecht existiert auf Basis des dreistufigen Grundpflichtenmodells von Petersen ebenfalls eine systematische Abschichtung von Tatbestands- und Rechtsfolgenebene104, so daß es auch hier geboten sein könnte, eine umfassende Abwägung im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung erst auf der abschließenden Ebene der Risikosteuerung vorzunehmen. Voraussetzung ist jedoch, daß die relevanten Grundpflichten einer entsprechenden Auslegung überhaupt zugänglich sind. Andererseits stehen einer Berücksichtigung emittentenseitiger Belange im Gefahrenbegriff systematische Bedenken insofern nicht entgegen, als die Störerbestimmung als eigenständige Prüfungsebene entfällt, da es stets um diejenige konkrete Anlage geht, die als „vertypter“ Störer Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist105. Insofern kann eine Antwort nur durch Einzelexegese der relevanten Grundpflichten gewonnen werden.
___________ 102
Würtenberger / Heckmann6, Rn. 494 ff.; Schoch, JuS 1994, 754 (755). Darnstädt, S. 76 f.; Petersen, S. 108 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 16. 104 Dazu oben S. 301 ff. 105 Dies gilt auch für das nachträgliche Einschreiten nach § 17 BImSchG, da auch hier Störer nur die vorhandenen konkreten Anlagen sein können. Zudem werden bei Vorhandensein mehrerer Anlagen Aspekte der Störerauswahl, mit denen die Berücksichtigung emittentenseitiger Belange verbunden sein kann, abschließend von der Ermessens- und Verhältnismäßigkeitsklausel in § 17 I 1 u. II BImSchG erfaßt (dazu unten S. 458 ff.). – Aufgrund dieses Bezugs zu konkreten Anlagen ist auch der Einwand nicht durchgreifend, daß eine Berücksichtigung emittentenseitiger Belange im Gefahrenbegriff schon deshalb nicht möglich sei, da dieser allein an bestimmten Immissionsverhältnissen am Einwirkungsort anknüpfe (so aber Petersen, S. 109). 103
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
319
(1) Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG Ob die Abwehrpflicht einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Rechtsfolgenebene zugänglich ist, ist sehr fraglich, da die Formulierung „daß ... nicht hervorgerufen werden können“ wie ausgeführt auf einen strikten und kategorischen Vermeidungsstandard hindeutet106. Demgegenüber wird vereinzelt vertreten, auch die Abwehrpflicht stehe unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit und sei offen für die abwägende Berücksichtigung emittentenseitiger Belange107. Jedoch dürfte, da die Grenzen verfassungskonformer Auslegung erreicht sind, wenn die anerkannten Auslegungsmethoden – allen voran die grammatikalische – eine Auslegung nicht mehr tragen108, der Wortlaut des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG so eindeutig sein, daß die Installierung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auch bei verfassungskonformer Auslegung nicht möglich ist.
(2) Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Zwar ist für § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG allgemein anerkannt, daß die gebotene Vorsorge als Rechtsfolge der Vorsorgepflicht wesentlich durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt wird109. Allerdings können daraus keine Folgerungen für die Auslegung des Gefahrenbegriffs des § 3 I BImSchG gezogen werden, da – was bereits aus dem Wortlaut ersichtlich ist („Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen“) – schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG und damit auch der Gefahrenbegriff eine von der Abwehrpflicht abweichende tatbestandliche Funktion haben und vorbehaltlich der Erörterung unten D. nicht in derselben Weise als tatbestandliches Vermeidungsobjekt fungieren wie im Rahmen der Abwehrpflicht110.
(3) Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG Ebenfalls allgemein anerkannt ist, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wesentlicher Bestandteil der Bestimmung des Mindestmaßes als Rechtsfolge ___________ 106 So Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 166, 324; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 22; Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 9; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 40; differenzierend Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 111. 107 So Petersen, S. 160 ff. 108 Dazu statt aller Hesse, Grundzüge20, Rn. 80; Sachs, VerfR II, A 4 Rn. 59; Maurer, StaatsR I4, § 1 Rn. 68; Zippelius / Würtenberger31, S. 62 f.; Pawlowski3, Rn. 440. 109 BVerwGE 69, 37 (44) – Heidelberger Fernheizwerk; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 60; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 159; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 615 ff.; Petersen, S. 280 ff.; dazu unten S. 407 ff. 110 Dazu unten S. 397 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ist111. Allerdings können auch daraus keine Rückschlüsse für die Auslegung des Gefahrenbegriffs des § 3 I BImSchG gewonnen werden, da die Mindestmaßklausel nach ebenfalls h. M. gerade im Bereich des Gefahrenschutzes eine weitgehende teleologische Reduktion erfährt112, weshalb ihre Anwendung auf den Schutz vor Nachteilen und Belästigungen beschränkt ist. Damit ist der Vermeidungsstandard für den Schutz vor Gefahren allein § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG zu entnehmen, der jedoch ebenso wie § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG keinen Anknüpfungspunkt für die Installierung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bietet.
dd) Konsequenzen für Bestimmung der Gefahrenschwelle Daraus können folgende Schlußfolgerungen gezogen werden: Zunächst kann der strikte und kategorische Vermeidungsstandard zwar als bewußte gesetzgeberische Entscheidung für ein besonders strenges Vermeidungsniveau gesehen werden, was verfassungsrechtlich jedoch nicht von der inhaltlichen Verhältnismäßigkeit entbindet. Auch hilft das Schlagwort von der kategorisch gebotenen Gefahrenabwehr nicht weiter, da gerade das allgemeine Polizeirecht eine solche wie ausgeführt nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kennt. Würde man daher die Gefahrenschwelle allein anhand Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmen, könnten dem Schutzgut gegenläufige Belange, insbesondere die Emittentengrundrechte, im Rahmen des § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG nicht berücksichtigt werden, und dessen strikte Anwendung liefe Gefahr, mangels einer de lege lata nicht möglichen Verhältnismäßigkeitskorrektur in Einzelfällen verfassungswidrige Ergebnisse zu produzieren. Auf der anderen Seite ist jedoch im Anschluß an die im 2. Teil gewonnenen Erkenntnisse zu berücksichtigen113, daß dem Gesetzgeber ein großer Spielraum zur Auflösung der Kollision der Artt. 2 II 1, 12 und 14 GG zukommt, der nicht nur die Befugnis einschließt, schutzverstärkende und -beschränkende Gemeinwohlbelange zu definieren, sondern auch einheitliche akzeptorseitige Schutzziele, die notwendig die Ausblendung individueller Umstände zur Folge haben. Wollte man daher den Gefahrenbegriff zu einer umfassenden einzelfallbezoge___________ 111
Nach allgemeiner Auffassung ist der Umfang der Minderungspflicht durch eine Abwägung des Interesses der Nachbarschaft und der Allgemeinheit an Verringerung der schädlichen Umwelteinwirkungen mit dem Nutzen der Anlage für die Allgemeinheit und dem Aufwand für die Minderung zu bestimmen (Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 147; Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 39; ders., JZ 1993, 601 [604]; Porger, in: Kotulla, § 22 Rn. 40; H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 49; Seiler, S. 70; Engler, S. 131; ähnlich BVerwGE 81, 197 [210] – Tegelsbarg); dazu unten S. 430 ff. 112 Dazu unten S. 426 ff. mit Nachw. in Fn. 574 ff. 113 Dazu oben 2. Teil S. 189 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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nen Abwägungsinstanz machen, würde man gerade die gesetzgeberische Grundentscheidung für einen einheitlichen akzeptorbe zogenen Vermeidungsstandard ignorieren, die in der strikten und kategorischen Rechtsfolge des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zum Ausdruck kommt. Will man auf dieser Grundlage das Charakteristikum der Gefahrenschwelle bestimmen, so liegt dieses verfassungsrechtlich darin, daß eine Beeinträchtigung des Schutzguts – hier Art. 2 II 1 GG – in der Lage ist, eine einheitliche Vermeidungspflicht gegenüber allen denkbaren Anlagen und nicht nur der konkret zu beurteilenden zu rechtfertigen. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach den im 2. Teil entwickelten Grundsätzen der vertikalen und horizontalen Typisierungsrechtfertigung114.
(1) Prüfungsfolge für Vorliegen einer „Gefahr“ Daraus ergibt sich folgende Prüfungsfolge für das Vorliegen einer „Gefahr“: In einem ersten Schritt ist ausgehend von einer konkreten Immissionssituation für die konkret maßgeblichen Akzeptoren die drohende Schutzgutbeeinträchtigung nach Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit zu ermitteln. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob diese Beeinträchtigung ein derart hohes Gewicht aufweist, daß ihre Vermeidung von jeder denkbaren Anlage in verhältnismäßiger Weise verlangt werden kann. Ist dies zu bejahen, liegt eine „Gefahr“ vor, und die Vermeidung ist auch für die konkrete Anlage verhältnismäßig. Verneinendenfalls liegt eine „Gefahr“ nicht vor und die Genehmigung scheitert nicht an § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG. Bei genehmigungsbedürftigen Anlagen ist dann in einem weiteren Schritt die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG zu prüfen, bei der die konkrete Vermeidungspflicht wesentlich durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt wird115. Dies ist nach dem im 2. Teil entwickelten Dreistufen-Modell116 nur konsequent, da hier derjenige Bereich erreicht ist, in dem eine entsprechende Vermeidungspflicht zwar nicht generell verhältnismäßig ist, jedoch bezogen auf die konkret zu beurteilende Anlage gleichwohl individuell verhältnismäßig sein kann. Vorbehaltlich der unten D. im einzelnen darzustellenden Regelungstechniken der Vorsorgepflicht117 kann damit deren – auch verfassungsrechtliche – Aufgabe darin gesehen werden, das zulässige Immissionsmaß unterhalb der Schwelle genereller Verhältnismäßigkeit (= Gefahrenschwelle) einer „Feinjustierung“ zu unterziehen. Problematisch ist demgegenüber die Situation bei den nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, da die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG zumindest ___________ 114
Dazu oben 2. Teil S. 185 ff. Dazu unten S. 407 ff. 116 Dazu oben 2. Teil S. 189 ff. 117 Dazu unten S. 397 ff. 115
322
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ausdrücklich eine Vorsorgepflicht nicht vorsehen, weshalb die h. M. auch die Auffassung vertritt, Maßnahmen der Vorsorge könnten auf § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG nicht gestützt werden118. Dieser Ausschluß der Möglichkeit zur „Feinjustierung“ des zulässigen Immissionsmaßes unterhalb der Schwelle genereller Verhältnismäßig ist angesichts der geschilderten Funktion der Vorsorgepflicht verfassungsrechtlich bedenklich und wird nur dadurch im Ergebnis abgemildert, daß Vorsorgeanforderungen in Rechtsverordnungen nach § 23 BImSchG getroffen werden können und auch tatsächlich getroffen wurden119.
(2) Zusätzliche Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen? Ausgehend von der im 2. Teil dargestellten Möglichkeit des Gesetzgebers, den zweipoligen Grundrechtskonflikt durch legislative Zwecksetzungen zu einem mehrdimensionalen Zielkonflikt zu erweitern, stellt sich die Frage, ob und inwieweit bei der Bestimmung der Gefahrenschwelle auch Gemeinwohlbelange wie etwa Versorgungssicherheit oder Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen zu berücksichtigen sind. Daß derartige Belange schutzmindernd berücksichtigt werden können, erscheint nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch setzt deren einzelfallbezogene Berücksichtigung nach den Ausführungen im 2. Teil voraus, daß sie vom Gesetzgeber mittels normativer „Gemeinwohldefinition“ gerade auch dem Rechtsanwender als zu berücksichtigende Belange vorgegeben sind120. Für die arbeitsplatzbezogenen Belange fehlt es jedoch an einer solchen ausdrücklichen Anordnung, aus der zudem hervorgehen müßte, welches abwägungsspezifische Gewicht ihnen zugewiesen ist121. Zwar könnte die Berücksichtigung entsprechender Belange ohne ausdrückliche normtextliche Anhaltspunk___________ 118 Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 22; ders., Systematik, S. 385 f.; Seiler, S. 53 f.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 127 ff.; ders., Anlagen, S. 62; Porger, in: Kotulla, § 22 Rn. 37; Papier, Freizeitlärm, S. 134; Gaentzsch, S. 32; Schlotterbeck, NJW 1991, 2669 (2674); ebenso die Rspr., vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2000, 91 (92); NVwZ 1994, 390 (390); NVwZ 1985, 434 (434 f.); BayVGH, NVwZ 1988, 175 (175 f.). – Eine Vorsorgepflicht als allgemeine Grundpflicht auch nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen nimmt demgegenüber an Hansmann, NVwZ 1991, 829 (831 ff.); ders., Vorsorgepflichten, S. 10 ff.; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 15. 119 Dazu Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 23 Rn. 126, 156, 174, 199. 120 Dazu oben 2. Teil S. 170 ff., 219 ff. 121 Dazu oben 2. Teil S. 172 ff. – Letzteres ist insofern erforderlich, als entsprechende Gemeinwohlbelange im Gegensatz zu den Emittentengrundrechten nicht über ein bereits kraft höherrangigem Recht feststehendes abwägungsspezifisches Gewicht verfügen. Dies ist zwar dann kein Problem, wenn eine feststehende staatliche Maßnahme zu rechtfertigen ist, da dann gefragt werden kann, ob Gemeinwohlbelange in einem solchen Gewicht denkbar sind, die zur Rechtfertigung der Maßnahme hinreichend sind. Ist jedoch wie vorliegend die zu bestimmende Gefahrenschwelle selbst eine offene Größe, führen variable Gemeinwohlbelange zu einer Gleichung mit zwei Variablen, die weder nach der einen noch der anderen Seite aufgelöst werden kann.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
323
te auch interpretativ erschlossen werden, jedoch steht einem solchen Vorgehen die normative Grundentscheidung des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG für einen strikten und kategorischen Vermeidungsstandard entgegen: Zwar betrifft dieser die Rechtsfolgenebene der Risikosteuerung, während die Auslegung des Gefahrenbegriffs auf der Tatbestandsebene der Risikoerkenntnis angesiedelt ist. Gleichwohl können wie aufgezeigt von der Risikosteuerung Rückschlüsse auf den Tatbestand der Risikoerkenntnis gezogen werden: Kann nämlich die verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit auf Ebene der Risikosteuerung nicht in jedem Fall sichergestellt werden, muß der Tatbestand der Risikoerkenntnis in dem Maße, wie es verfassungsrechtlich geboten ist, einer umfassenden Abwägung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit geöffnet werden. Diese Interpretation des Gefahrenbegriffs ist nicht selbstverständlich, wenn man sich dessen polizeirechtliche Herkunft vergegenwärtigt122, so daß sie sich allein aus dem spezifischen systematischen Kontext des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG und der danach erforderlichen verfassungskonformen Auslegung rechtfertigt. Daraus folgt jedoch, daß der Gefahrenbegriff jedenfalls dann nicht zu einer umfassenden Abwägungsinstanz, in der auch Gemeinwohlbelange berücksichtigt werden, aufgeladen werden muß, wenn deren Berücksichtigung verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Ferner folgt aus der Grundentscheidung des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG, daß der Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG dann auch nicht zu einer umfassenden Abwägungsinstanz aufgeladen werden darf, da ansonsten der strikte und kategorische Vermeidungsstandard unterlaufen würde, denn dieser kann auf Rechtsfolgenebene nur so kategorisch sein, wie es die auf Tatbestandsebene vorgenommen Wertungen erlauben123.
(3) Sonderfall: Gefahrenschwelle bei hoheitlichen Anlagen Bei hoheitlichen Emittenten stellt sich demgegenüber das Problem, daß mangels Grundrechtsberechtigung Immissionen nur durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt werden können und der oben entwickelten verfassungskonformen Auslegung somit der Bezugspunkt fehlen könnte. Da umgekehrt Gemeinwohlbelange wie ausgeführt nur sehr eingeschränkt herangezogen werden können, ___________ 122
Dazu oben S. 304 Fn. 40. Diese Ausführungen gelten nicht im selben Maße für die sog. absoluten Gemeinschaftsgüter, zu denen das BVerfG etwa die Energieversorgung rechnet (dazu oben 2. Teil S. 172 ff.). Allerdings ist zu beachten, daß nach den Ausführungen im 2. Teil auch absolute Gemeinschaftsgüter für eine einzelfallbezogene Berücksichtigung einen Bezug zur konkreten Anlage aufweisen müssen, d. h. das Gemeinschaftsgut müßte erfordern, daß die Anlage gerade an dem vorgesehenen Ort mit der konkret zu erwartenden Immissionsverursachung in Betrieb geht. Angesichts der Möglichkeit zur räumlichen Dislozierung von Anlage und Betroffenen dürfte dieser Fall selten sein. 123
324
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
könnte hier die Gefahrenbestimmung im Einzelfall völlig in der Luft hängen. Indes ist zu berücksichtigen, daß das BImSchG im Bereich des anlagenbezogenen Immissionsschutzes von der Ausnahmeregelung des § 60 BImSchG abgesehen nicht zwischen hoheitlichen und nicht-hoheitlichen grundrechtsberechtigten Anlagen unterscheidet und somit für beide Anlagentypen jedenfalls im Grundsatz einheitliche Immissionsvermeidungspflichten begründet. Dies schließt es zwar nicht aus, Besonderheiten hoheitlicher Anlagen, die aus der Verfolgung spezifischer Gemeinwohlbelange resultieren, dort zu berücksichtigen, wo das einfache Recht entsprechende Möglichkeiten bietet124. Da aber § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG eine solche Möglichkeit nicht bereithält, muß auch für nicht grundrechtsberechtigte Anlagen das Vorliegen einer Gefahr nach den obigen Grundsätzen grundrechtsberechtigter Anlagen bestimmt werden, die insofern einen einheitlichen Maßstab des Gefahrenbegriffs vorgeben.
b) Normative Konkretisierung der Gefahrenschwelle Konnte somit zwar eine Möglichkeit der abwägungsmäßigen Konkretisierung der Gefahrenschwelle aufgezeigt werden, ist diese Vorgehensweise gleichwohl denjenigen Rationalitätsbedenken ausgesetzt, die durch jede Form der Abwägung aufgeworfen werden. Es ist daher allgemein anerkannt, daß der Gefahrenbegriff einer normativen Konkretisierung bedarf125. Hierzu wird in der Lit. konstatiert, daß die Abgrenzung der „Gefahr“ mit „hinreichend“ wahrscheinlichem Schaden und vom „Risiko“ mit lediglich „möglichem“ Schaden126 letztlich dezisionistisch sei127 und gefordert, diese Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit von der Einzelfallebene auf die generell-abstrakte Ebene rechtssatzmäßiger Umweltstandards zu heben128, etwa durch (Immissions-) Grenzwerte, die die Aussage treffen, ein bestimmter Schadstoff x sei in der Dosis y hinzunehmen. Dies hätte zur Folge, daß sich der gedankliche Vorgang der Gefahrenbestimmung umkehrt: Während bei der einzelfallbezogenen Bestimmung der Gefahrenschwelle zu fragen ist, ob die prognostizierte Schadensfolge „hinreichend“ wahrscheinlich ist und infolgedessen eine Gefahr vorliegt, wäre bei konkretisierenden Umweltstandards lediglich zu ___________ 124 Als solche „Einbruchstellen“ für Wertungen, die aus der Verfolgung spezifischer Gemeinwohlbelange resultieren, kommen insbesondere in Betracht der Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG und die Mindestmaßklausel des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG; dazu unten S. 342 ff., 358 ff., 433 ff. 125 Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 22; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 18d, 19; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 87. 126 Zum Begriff des Risikos oben 2. Teil S. 148 Fn. 475. 127 Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 16; ähnlich Wahl / I. Appel, S. 91, 96. 128 Ähnlich Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 16.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
325
prüfen, ob die konkrete Immission hierunter zu subsumieren ist; würde hierbei der Grenzwert o. ä. unterschritten, hieße dies, daß eine entsprechende Schadensfolge nicht hinreichend wahrscheinlich ist, um den Eintritt derjenigen Rechtsfolgen zu rechtfertigen, die an den Grenzwert geknüpft sind. Damit verlagerte sich die Fragestellung zur Hinnehmbarkeit der Immission als solcher129, was jedenfalls verfassungsrechtlich keine Probleme aufwirft, da hierfür die im 2. Teil entwickelten Maßstäbe herangezogen werden können. Probleme werden demgegenüber in einfach-rechtlicher Hinsicht aufgeworfen, da die geschilderte Sichtweise letztlich zu einem Funktionsverlust des Gefahrenbegriffs führt. Dieser verliert nämlich in dem Maße seine Maßstabsfunktion, in dem für die Hinnehmbarkeit einer Immission nicht mehr das Vorliegen einer Gefahr entscheidend ist, sondern die regelmäßig außerhalb des Gefahrenbegriffs – hier im Rahmen der Grenzwertsetzung – getroffene Entscheidung, eine Immission sei hinzunehmen. Ferner ist zu bedenken, daß Grenzwerte o. ä. im Anwendungsbereich des BImSchG ausschließlich auf untergesetzlicher Ebene angesiedelt sind und untergesetzliches Recht nicht in Widerspruch zum Gesetzesrecht stehen darf. Hätte daher ein Grenzwert ausdrücklich die Aufgabe, den Gefahrenbegriff des § 3 I i. V. m. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zu konkretisieren, so könnte es als zwingend erscheinen, die Konkretisierungsleistung dieses Grenzwerts auch an diesem Gefahrenbegriff zu messen. In diesem Fall dürfte die einfach-rechtliche Prüfungsebene auch nicht zugunsten eines unmittelbaren Rückgriffs auf die verfassungsrechtliche Ebene übersprungen werden, da der Grenzwert nicht bereits dann zulässig wäre, wenn er verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Damit ist die Frage aufgeworfen, in welcher Art und Weise eine Konkretisierung des Gefahrenbegriffs zu erfolgen hat, nämlich entweder dergestalt, daß die untergesetzliche Konkretisierung überhaupt erst konstitutiv die Gefahrenschwelle bestimmt oder aber die untergesetzliche Konkretisierung vollständig am Gefahrenbegriff gemessen werden muß. Eine Antwort hierauf muß einerseits diejenigen Vorschriften zum Ausgangspunkt nehmen, die zum Erlaß entsprechender untergesetzlicher Umweltstandards ermächtigen, d. h. die §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG, da diese bestimmen, was wie durch Umweltstandards zu konkretisieren ist; eine entsprechende ___________ 129 Diese Konzeption entspricht dem Professorenentwurf zu einem Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuchs (Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann, UGB-AT; dazu Kloepfer, UmweltR3, § 1 Rn. 44 ff.), der in § 2 VI „Risiko“ als „Möglichkeit des Eintritts einer Umweltbeeinträchtigung“ definiert, „Gefahr“ hingegen als dasjenige Risiko, welches unter „Berücksichtigung des Grades seiner Eintrittswahrscheinlichkeit und des möglichen Schadensumfangs nicht mehr hinnehmbar“ ist (Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann, UGB-AT, S. 38 [Normtext; Hervorh. vom Verf.], S. 119 f. [Begründung]). Damit wird das Risiko zum Oberbegriff und die Abgrenzung zur Gefahr erfolgt über die dezisionistische Bewertung eines Risikos als nicht mehr hinnehmbar (Wahl / I. Appel, S. 96 f.; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 22; Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 16).
326
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Untersuchung wird unten G. erfolgen130. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß unabhängig hiervon der gesetzliche Gefahrenbegriff Maßstabsfunktion nur entfalten kann, wenn ihm im Wege der Auslegung überhaupt ein hinreichend bestimmter Maßstab entnommen werden kann, was nach den obigen Ausführungen nur unter Heranziehung des Verfassungsrechts der Fall ist. Kann aber das Vorliegen einer Gefahr nicht ohne Rückgriff auf verfassungsrechtliche Wertungen bestimmt werden, ist der Maßstabsverlust des Gefahrenbegriffs unvermeidbar und insofern unbedenklich, als entsprechende Umweltstandards zur Konkretisierung des Gefahrenbegriffs an den Wertungen gemessen werden, die verfassungsrechtlich die Gefahrenschwelle bestimmen.
III. Relationelle Struktur des „geeignet, ... herbeizuführen“ Angesichts des Wortlauts von § 3 I BImSchG stellt sich ferner die Frage, welches der systematisch richtige Standort der relationellen Struktur ist. Während im allgemeinen Polizeirecht die Wahrscheinlichkeitskomponente unbestritten Teil des Gefahrenbegriffs ist131, steht innerhalb des § 3 I BImSchG mit der Formulierung „geeignet, ... herbeizuführen“ ein weiteres Tatbestandsmerkmal zur Verfügung. Gefordert ist somit eine systematische Abschichtung, die zudem zu berücksichtigen hat, daß „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ auf verschiedenen Ebenen liegen, da „Nachteile“ und „Belästigungen“ als manifeste Beeinträchtigungen ihre Entsprechung nicht im Begriff der „Gefahr“ haben, sondern in dem des „Schadens“132. Diese Unstimmigkeit, der attestiert wird, es könne ihr nur „begrenzt vernünftiger Sinn gegeben werden“133, dürfte nur historisch zu erklären sein134 und hat zu verschiedenen Versuchen geführt, unter den genannten Tatbestandsmerkmalen Stimmigkeit herbeizuführen. Ausgangspunkt ist jeweils die Annahme, daß es vom Gesetz nicht gewollt sei, für den Eintritt von Schäden nur eine bestimmte Wahrscheinlichkeit zu verlangen, für geringere Beeinträchtigungen jedoch den sicheren Eintritt. Daher wird überwiegend eine systematische Begriffskorrektur dahin vorgenommen, daß „Gefahr“ durch „Schaden“ ersetzt wird135, so daß einerseits eine klare Abschichtung der Zu___________ 130
Dazu unten S. 472 ff. Siehe die klassische Definition bei Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 220. 132 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 24; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 35. 133 So H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 35; ebenso Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 24: „sprachlogisch mißglückt“. 134 So nannte bereits die Vorgängervorschrift § 18 GewO (erhebliche) „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ auf einer Ebene; an diese Regelungstradition wollte der Gesetzgeber ersichtlich anknüpfen (Hansen-Dix, Gefahr, S. 85 ff.; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 8c; ders., in: Salzwedel, Grundzüge1, S. 245). 135 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 24; ders., DVBl. 1983, 725 (728); Petersen, S. 63; Hansen-Dix, S. 85; Darnstädt, S. 185; ablehnend Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 11. 131
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
327
standskomponente („Schaden“, „Nachteile“, „Belästigungen“) und der Wahrscheinlichkeitskomponente, die dann allein im Eignungsbegriff angesiedelt ist, möglich wird136. Andererseits könnte damit das gesamte relationelle Modell in Frage gestellt werden, denn es ist dem Wortlaut nach nicht selbstverständlich, „Eignung“ im relationellen Sinne zu interpretieren. Es bedarf daher einer näheren Betrachtung des „geeignet, ... herbeizuführen“.
1. Bisherige Auslegungen des „geeignet, ... herbeizuführen“ Während von einer Ansicht der Eignungsbegriff ganz im Sinne des relationellen Gefahrenbegriffs interpretiert wird137, versuchen andere den Eignungsbegriff hiervon zu lösen: H.-J. Koch sieht den Begriff der Eignung im Anschluß an Darnstädt als sog. Dispositionsprädikat138. Nach Darnstädt sind hierunter Begriffe zu verstehen, die die „Disposition“ einer Sache ausdrücken, unter „geeigneten“ Randbedingungen in bestimmter Weise zu reagieren139. Dabei setze die Bejahung der Dis___________ 136 An dieser systematischen Begriffskorrektur führt kein Weg vorbei, da das unkorrigierte Nebeneinander von zweidimensionalem relationellen Gefahrenbegriff und eindimensionalen „Nachteilen“ und „Belästigungen“ zu untragbaren Ergebnissen führt, und zwar in doppelter Hinsicht: Betrachtet man zunächst allein die Begriffstrias Gefahren – Nachteile – Belästigungen, so läßt sich – versteht man „Schaden“ und „Nachteil“ wie hier als aliud (dazu oben S. 311 Fn. 75) – nicht begründen, daß ein immissionsbedingter Sachschaden in Millionenhöhe als Gefahr bereits bei nur hinreichender Wahrscheinlichkeit schädliche Umwelteinwirkung sein soll, ein entsprechender reiner Vermögensschaden jedoch als (erheblicher) Nachteil nur bei entsprechender Gewißheit (im Ergebnis ebenso Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 24). Ebenso legt der hier vertretene kontinuierliche Übergang vom „Schaden“ am Rechtsgut Gesundheit zur „Belästigung“ einen kontinuierlichen Übergang im Wahrscheinlichkeitsmaß nahe, was eine im Grundsatz ebenso relationelle Struktur der „Belästigungen“ fordert (ebenso im Ergebnis Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 24; ferner Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 9; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 108). Bezieht man demgegenüber den Eignungsbegriff in die Betrachtung ein und geht davon aus, daß dieser keine Aussage über ein erforderliches Wahrscheinlichkeitsmaß trifft, so würde das Erfordernis „hinreichender“ Wahrscheinlichkeit allein für Schäden gelten, während für „Nachteile“ und „Belästigungen“ bereits die bloße Möglichkeit ausreichen würde. Dies würde jedoch zu dem ebenso nicht hinnehmbaren Ergebnis führen, daß für einen immissionsbedingten Sachschaden in nur geringer Höhe als Gefahr eine relativ hohe Eintrittswahrscheinlichkeit zu fordern wäre, für einen ebenso geringen reinen Vermögensschaden jedoch eine beliebige Eintrittswahrscheinlichkeit ausreichen würde. Gleiches gilt für das Verhältnis von „Schaden“ und „Belästigungen“, deren kontinuierlicher Übergang auch hier einen kontinuierlichen Übergang im Wahrscheinlichkeitsmaß erfordert. 137 So Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 39, 43; ders., DVBl. 1983, 725 (728); wohl auch Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 12; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 11c, der die geschilderte Begriffskorrektur jedoch zumindest nicht ausdrücklich vornimmt. 138 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 48 ff. 139 Darnstädt, S. 70 ff.; ferner H.-J. Koch / Rüßmann, S. 280 ff.
328
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
position nicht voraus, daß im Einzelfall genau diese geeigneten Randbedingungen auch gegeben sind; entsprechend sollen schädliche Umwelteinwirkungen solche Immissionen sein, die überhaupt fähig sind, Schäden etc. hervorzurufen, wenn nur geeignete Randbedingungen vorliegen, d. h. entsprechende Akzeptoren vorhanden sind140. Gleichzeitig will H.-J. Koch jedoch den relationellen Maßstab des Gefahrenbegriffs heranziehen, um zu bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es bei Vorliegen geeigneter Randbedingungen zu den Schädigungswirkungen141 kommt, was er mit dem ansonsten überflüssigen Gefahrenbegriff begründet: Dieser sei kein selbständiges Tatbestandsmerkmal, sondern diene allein der „Präzisierung“ des Eignungsbegriffs142. H.-J. Koch kommt daher zu dem Ergebnis, daß schädliche Umwelteinwirkungen vorliegen, wenn „die Immissionsverhältnisse für den Fall ihres Einwirkens auf Menschen sowie Tiere, Pflanzen oder andere Sachen mit einer dem Beeinträchtigungsumfang entsprechenden Wahrscheinlichkeit zu Schäden oder erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen führen würden“143. Nach einer weiteren Ansicht ist Eignung als abstrakte Gefahr bzw. „abstrakte Störqualität“ zu interpretieren, die den konkreten Nachweis eines drohenden Schadens nicht voraussetze144. Der Begriff der Eignung abstrahiere vielmehr vom einzelnen Schadensobjekt und nehme eine Vielzahl von Schutzobjekten als Grundlage für eine typisierende Betrachtung145.
2. Stellungnahme Im folgenden müssen zwei Fragen unterschieden werden, nämlich erstens, in welchem Maße sich die Eignungsprognose an den Umständen des konkreten Falles auszurichten hat, und zweitens nach dem hierauf aufbauenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dem entspricht die Zweistufigkeit der anzustellenden Prognose: Während auf der ersten Stufe („Diagnose“) als Prognosegrundlage der tatsächliche Befund zu erheben ist („Wo sind welche Akzeptoren vorhanden?“), schließt sich auf der zweiten Stufe die Prognose im eigentlichen Sinne an, bei der es darum geht, vom tatsächlichen Befund auf bestimmte Schädi___________ 140
H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 48 ff.; dort folgendes Beispiel: Die Aussage, ein Metallstück sei magnetisch, bedeute nicht, daß es alsbald Eisenspäne anziehen werde, sondern nur, daß es hierzu in der Lage ist, wenn Eisenspäne in Reichweite (= geeignete Randbedingung) liegen; vgl. ferner Darnstädt, S. 156 ff. 141 Diese versteht H.-J. Koch ebenfalls im Sinne einer systematischen Korrektur als „Schäden“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ (GK-BImSchG, § 3 Rn. 42, 52). 142 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 52. 143 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 52. 144 Reich, S. 58 ff.; Petersen, S. 101 ff. 145 Petersen, S. 101 f.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
329
gungsfolgen zu schließen146. Die Frage, in welchem Maße sich die Eignungsprognose an den Umständen des konkreten Falles auszurichten hat, betrifft allein die diagnostische Stufe, während die Frage nach dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab das normative Bindeglied zwischen beiden Stufen ist. Diese zwei Stufen werden in der Lit. nicht immer ausreichend unterschieden, hängen aber über den in § 3 I BImSchG verwendeten Begriff der „Gefahr“ zusammen, der beide Stufen enthält und sich insofern als neuralgischer Punkt erweist, dem jegliche Interpretation gerecht werden muß.
a) Maßgeblichkeit der Umstände des konkreten Falles Zunächst scheint die Wendung des „geeignet, ... herbeizuführen“ bei grammatikalischer Auslegung für ein Dispositionsprädikat im Sinne H.-J. Kochs und Darnstädts zu sprechen, da Eignung dem Wortsinn nach im Sinne von „Möglichkeit“ zu verstehen sein dürfte und jedenfalls keinerlei Aussage über ein Wahrscheinlichkeitsmaß enthält147. „Möglichkeit“ beschreibt vielmehr einen Kausalverlauf unter dem Vorbehalt des Hinzutretens weiterer, nämlich „geeigneter“ Randbedingungen. Gerade diese Notwendigkeit, „geeignete“ Randbedingungen hinzuzudenken, erweist sich jedoch als zentrales Problem dieser Auslegung, denn dadurch würde es dem Rechtsanwender in die Hand gegeben, die Prognosegrundlage in tatsächlicher Hinsicht beliebig zu verengen oder zu erweitern148, was an folgendem Beispiel erläutert werden soll: Eine Lärm verursachende Anlage ruft jedenfalls dann schädliche Umwelteinwirkungen hervor, wenn der Lärm aufgrund seiner Intensität gesundheitsschädigende Wirkung hat. Zugleich unterliegt die Intensität aber einer kontinuierlichen Abschwächung mit steigender Entfernung zur Lärmquelle, so daß es einen Unterschied macht, ob sich der maßgebliche Akzeptor 100, 200 oder 1000 m entfernt befindet.
Hier ist das Vorhandensein eines maßgeblichen Akzeptors an einer bestimmten Stelle eine „geeignete“ Randbedingung, welche die Immission zu einer „schädlichen“ macht. Solche Randbedingungen lassen sich aber beliebig hinzudenken, und zwar auch dann, wenn sich das nächste Wohngebiet tatsächlich erst ___________ 146 Zur Zweistufigkeit von Diagnose und Prognose i. e. S. Fleury, S. 48; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 808. – Mittel der Prognose im engeren Sinne sind Erfahrungssätze, die im Umweltrecht überlagert werden durch naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisse, die sich der allgemeinen Lebenserfahrung weitgehend entziehen (Hansen-Dix, S. 31 ff.; Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 11 f.; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 9 f.). 147 Vgl. dazu die Definition der „Möglichkeit“ bei Scholz, VerwArch 27 (1919), 1 (20): Umstände, „welche in Verbindung mit anderen die Bedingungen zum Eintritt eines Schadens erfüllen können“; demgegenüber soll Wahrscheinlichkeit etwas sein, was über „die abstrakte Möglichkeit hinaus“ eine Besorgnis begründe. 148 Dies wird klar erkannt von Darnstädt, S. 153.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
in der „unschädlichen“ Entfernung von 1000 m befindet und sich dort, wo mit Gesundheitsschäden zu rechnen wäre, maßgebliche Akzeptoren nicht aufhalten149. Ein konsequentes Verständnis des Eignungsbegriffs als Dispositionsprädikat würde daher eine weitgehende Abstrahierung und Lösung vom konkret zu beurteilenden Sachverhalt ermöglichen. Dies steht jedoch in Widerspruch zur räumlichen Dimension jeglicher Immissionskonflikte150: Dadurch, daß dieselbe Emission als Immission am Ort A eine andere sein kann als am Ort B, kann es nicht gleichgültig sein, ob als maßgeblich die Akzeptoren am Ort A oder am Ort B herangezogen werden. Insofern bildet deren tatsächliche räumliche Verteilung den Fixpunkt innerhalb der Prüfung des § 3 I BImSchG, was zudem im Begriff der Immission angelegt ist, da dieser die Immissionsverhältnisse an einem bestimmten Einwirkungsort beschreibt151. Damit geht es auf der diagnostischen Ebene nicht darum, was wäre, wenn „geeignete“ Akzeptoren vorhanden wären, sondern darum, welche Akzeptoren welchen Immissionen tatsächlich ausgesetzt sind.
b) Bedeutung der räumlichen Dimension von Immissionskonflikten Diese Sichtweise ist auch verfassungsrechtlich geboten: Soll eine Anlage dergestalt neben einem Wohngebiet errichtet werden, daß der dort einwirkende Lärm gesundheitsschädigend ist, so bestehen nach den Ausführungen im 2. Teil keine Bedenken an dem Ergebnis, daß es verhältnismäßig ist, die Betreibergrundrechte hinter Art. 14 GG der Betroffenen zurücktreten zu lassen und die Anlage zu untersagen. Ist das Wohngebiet aber so weit entfernt, daß der Lärm nicht wahrzunehmen ist, wäre es unverhältnismäßig, gleichwohl die Anlage zu untersagen, nur weil eine schädigende Wirkung einträte, wenn ein Wohngebiet hinzugedacht würde. Gerade die räumliche Dislozierung ist ein geeignetes und auch in § 50 BImSchG anerkanntes Instrument zur Auflösung konkreter Immissionskonflikte bzw. ins Verfassungsrechtliche gewendet: zur verhältnismäßigen gegenseitigen Zuordnung der konfligierenden Grundrechte152. Folgte man der ___________ 149 Dem kann auch nicht der Spaziergänger entgegengehalten werden, dessen Weg durch den Einwirkungsbereich einer Anlage führt, denn für die Eigenschaft eines maßgeblichen Akzeptors genügt nicht das bloße Ausgesetzt-Sein einer Immission, sondern es ist ein qualifiziertes Betroffensein erforderlich, das sich „deutlich abhebt von den Auswirkungen, die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können“ (BVerwG, NJW 1983, 1507 [1508]). Somit wäre der Spaziergänger nur dann maßstäblich, wenn ein schutzwürdiges Interesse bestünde, gerade an diesem Ort spazieren zu gehen. 150 Dazu oben 2. Teil S. 160 ff.; aus der Lit. Schulze-Fielitz, FS Würzburger Juristenfakultät, S. 714 ff. 151 So prägnant H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 30 (Hervorh. im Original). 152 Dazu oben 2. Teil S. 273 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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Ansicht von den Dispositionsprädikaten, würde man sich dieses Kollisionslösungsmittels bereits im Ansatz berauben.
c) Kein Widerspruch zum Eignungsbegriff des § 4 I 1 BImSchG Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu § 4 I 1 BImSchG, wo ebenfalls der Eignungsbegriff verwendet und das förmliche Genehmigungsverfahren für solche Anlagen vorgeschrieben wird, die „in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen“. Hierzu ist zwar anerkannt, daß diese Anlagen die fraglichen Effekte nicht tatsächlich hervorrufen müssen, sondern lediglich ein entsprechendes Gefährdungspotential erfaßt wird153. Daraus lassen sich jedoch keine Rückschlüsse für § 3 I BImSchG ziehen154, da beide Eignungsbegriffe in einem unterschiedlichen Kontext stehen: So geht es bei § 3 I BImSchG um die Beurteilung einer konkreten Anlage, die in ihrer räumlichen Lage feststeht, während die Eignungsprognose des § 4 I 1 BImSchG eine konkrete Anlage gerade (noch) nicht zum Bezugspunkt hat. Damit kann aber im Rahmen des § 4 I 1 BImSchG überhaupt keine Schädlichkeitsprognose abgegeben werden, da noch gar nicht bekannt ist, in welcher räumlichen Lozierung welche Akzeptoren vorhanden sein werden. Angesichts des Zwecks des § 4 BImSchG, ein präventives Kontrollverfahren für Anlagen mit besonderem Gefährdungspotential zu begründen155, macht das Hinzudenken geeigneter Randbedingungen auch Sinn: Kann man nämlich bei einem bestimmten Anlagentyp an beliebiger Stelle maßgebliche Akzeptoren hinzudenken, ohne daß entsprechende Schädigungsfolgen hervorgerufen werden, macht es keinen Sinn, ein aufwendiges Genehmigungsverfahren durchzuführen. Sind aber zumindest für bestimmte Akzeptoren Schäden zu erwarten, macht ein präventives Genehmigungsverfahren Sinn, da dann gerade zu prüfen ist, ob auch in der konkreten räumlichen Zuordnung schädigende Wirkungen zu erwarten sind156. Insofern hat der Eignungsbegriff des § 4 I 1 BImSchG bereits im Ansatz eine andere Funktion als derjenige des § 3 I BImSchG.
d) Konsequenzen Geboten ist daher eine Sichtweise, wonach maßgeblich für die Schädigungsprognose des § 3 I BImSchG sämtliche Umstände des konkreten Falles sind. ___________ 153
Jarass, BImSchG6, § 4 Rn. 4; Blankenagel, in: GK-BImSchG, § 4 Rn. 2. In diese Richtung aber Petersen, S. 101. 155 Jarass, BImSchG6, § 4 Rn. 33; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 4 Rn. 2. 156 Ähnlich Darnstädt, S. 133. 154
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Dies läßt sich neben den soeben angeführten Argumenten auch mit der Nennung des Gefahrenbegriffs in § 3 I BImSchG begründen, da nach den Grundsätzen des allgemeinen Polizeirechts die Bestimmung einer (konkreten) Gefahr stets voraussetzt, daß die Situation in ihrer Gesamtheit und vollständig bewertet wird157. Wenngleich der Begriff der „Gefahr“ in § 3 I BImSchG der oben geschilderten systematischen Korrektur unterliegt und damit die ihm vom Wortlaut zugedachte Funktion nicht erfüllen kann, darf er gleichwohl nicht ohne weiteres aus der Auslegung eliminiert werden, da seine Nennung ein gewichtiges Argument dafür ist, daß der Gesetzgeber an die traditionelle Gefahrendogmatik anknüpfen wollte. Daher ist H.-J. Koch im Ergebnis zuzustimmen, daß der „Gefahrbegriff ... nicht als selbständiges Tatbestandsmerkmal, sondern zur Präzisierung des Eignungsbegriffs erforderlich (ist)“158. Dies hat dann aber nicht nur für die Wahrscheinlichkeitskomponente zu gelten, sondern auch für die Bestimmung des Tatsachenmaterials als Prognosegrundlage.
aa) Abgrenzung zur abstrakten Gefahr Dem könnte allein mit dem Verständnis des Eignungsbegriffs als abstrakter Gefahr begegnet werden159. Fraglich ist jedoch, ob diese Figur hier überhaupt herangezogen werden kann. Im allgemeinen Polizeirecht versteht man unter einer abstrakten Gefahr einen gedachten, abstrakten Sachverhalt, bei dem generell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einem Schaden gerechnet werden muß160 und der dazu dient, die Polizeibehörden zum Erlaß von Polizeiverordnungen zu ermächtigen161. Diese „Vergröberung“ des diagnostischen Prognosemaßstabs ist zwingend, da durch generell-abstrakte Regelungen auch nur eine abstrakte und typisierte Gefahrenabwehr geleistet werden kann. Wie oben ausgeführt besteht zwar auch im Immissionsschutzrecht die Möglichkeit zur Konkretisierung des Gefahrenbegriffs durch generell-abstrakte Umweltstandards, denen die Lösung vom konkreten Einzelfall immanent ist162. Dies ist jedoch kein Argument für eine Interpretation des § 3 I BImSchG als abstrakte Gefahr, denn § 3 I BImSchG dient nicht primär als Ermächtigung für den Erlaß gene___________ 157
Petersen, S. 100; aus dem allgemeinen Polizeirecht nur Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 223; ferner Darnstädt, S. 32 mit Nachw. des PrOVG in Fn. 110. 158 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 52. 159 So Reich, S. 58 f.; Petersen, S. 101 f. 160 Schenke, in: Steiner7, II Rn. 47; ders., Polizei- und OrdnungsR4, Rn. 70; Friauf, in: Schmidt-Aßmann10, 2. Abschn. Rn. 55; Würtenberger / Heckmann 6 , Rn. 714; Drews / Wacke / Vogel / Martens 9, S. 495 ff. 161 Schoch, JuS 1994, 667 (668); Schenke, in: Steiner7, II Rn. 327a; Würtenberger / Heckmann6, Rn. 713; Darnstädt, S. 99. 162 Zu dieser Wirkungsweise von Umweltstandards unten S. 468 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
333
rell-abstrakter Umweltstandards, sondern zuallererst in Verbindung mit seinen Rechtsfolgenbestimmungen der Schädlichkeitsbestimmung im Einzelfall, insbesondere dann, wenn rechtssatzmäßige Konkretisierungen nicht existieren. Damit weist § 3 I BImSchG gegenüber einer abstrakten Gefahr zwei wesentliche Unterschiede auf: Erstens erfolgt die Schädlichkeitsbestimmung im Rahmen individuell-konkreter Maßnahmen und zweitens in Bezug auf konkrete Immissionen163. Daher kann die „Eignung“ nicht als abstrakte Gefahr im herkömmlichen polizeirechtlichen Sinne verstanden werden. In einer anderen Hinsicht nähern sich abstrakte Gefahr bzw. Störqualität und das hier vertretene Verständnis allerdings an, nämlich im Hinblick auf die naturwissenschaftlichen Erfahrungssätze, die die Grundlage liefern, um vom Einwirken einer Immission auf bestimmte Schädigungsfolgen schließen zu können164. Auch hier weist das Immissionsschutzrecht einen wesentlichen Unterschied zum Polizeirecht auf: Während die Sachverhalte des Polizeirechts – quasi „aus dem Leben gegriffen“ – von einer fast unendlichen Vielgestaltigkeit sind, was die Verallgemeinerung entsprechender Erfahrungssätze nur begrenzt zuläßt, hat man es im Bereich der naturwissenschaftlichen Erfahrungssätze – sofern solche vorhanden sind – mit im wesentlichen vertypten und verallgemeinerungsfähigen Aussagen zu tun165. So können – unterstellt man erst einmal, daß vergleichbare Akzeptoren auf bestimmte Immissionen vergleichbar reagieren – zur Schädigungswirkung eines Luftschadstoffs x durchaus Aussagen herangezogen werden, die anhand einer Vielzahl typischer Fälle gewonnen wurden, etwa der Aussage, bei der Dosis y dieses Schadstoffs zeige ein Organismus O1 die Wirkung W1. Daß die Bildung derartiger Erfahrungssätze zulässig ist, folgt unmittelbar § 3 I BImSchG, indem dieser die Schädlichkeit neben den einzelfallbezogenen Kriterien des „Ausmaßes“ und der „Dauer“ an der „Art“ – d. h. den gattungsmäßigen Eigenschaften – festmacht166. Dies führt nicht zur Annahme einer abstrakten Gefahr im herkömmlich Sinne, da sich diese wie ausgeführt bereits durch eine Verengung und Typisierung der diagnostischen Prognosegrundlage auszeichnet, während es hier einzig um eine Typisierung der der eigentlichen Prognose zugrundeliegenden Erfahrungssätze geht. Da aber selbst die Erfahrungssätze im allgemeinen Polizeirecht einem ständigen Wandel unterliegen, besteht kein Grund, den Ungefährlichkeitsbeweis im Einzelfall entgegen dem allgemeinen Polizeirecht nicht zuzulassen167, ___________ 163
Ebenso Petersen, S. 102. Vgl. Darnstädt, S. 35 ff. mit dem Konzept der „induktiven“ Wahrscheinlichkeit. 165 Ebenso Darnstädt, S. 162. 166 Petersen, S. 100 f.; zu den Kriterien „Art, Ausmaß und Dauer“ ferner Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 52. 167 A. A. Petersen, S. 104. – Nach h. M. im allgemeinen Polizeirecht ist dann, wenn in einer Polizeiverordnung ein Verhalten für abstrakt gefährlich erklärt wurde, der Ge164
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
denn ein spezieller Erfahrungssatz, der für einen konkreten Einzelfall zu einer besonderen Beurteilung gelangt, geht einem abweichenden allgemeinen Erfahrungssatz regelmäßig vor, wenn und weil in ihm ein „Mehr“ an wissenschaftlicher Erkenntnis verarbeitet ist.
bb) Durchschnittsbetrachtung beim Akzeptor „Mensch“ Diese Bildung allgemeingültiger Erfahrungssätze stößt jedoch beim Menschen auf die bereits mehrfach beschriebene Schwierigkeit, daß dieser eine unendliche Vielzahl individueller und unterschiedlicher Prädispositionen aufweist, so daß dieselbe Immission bei unterschiedlichen Menschen ein Spektrum von überhaupt keiner Wirkung, schwacher Wirkung bis hin zu manifesten Schäden zeigen kann168. Hier stößt das Konzept allgemeingültiger wissenschaftlicher Erfahrungssätze nur dann auf keine grundsätzliche Schwierigkeiten, wenn man der Lehre von der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit folgt; daß dieser Weg angesichts Art. 2 II 1 GG nicht gangbar ist, wurde im 2. Teil im einzelnen begründet169. Anerkennt man demgegenüber den Menschen als Akzeptor in seiner je individuellen Prädisposition, müßte das obige Bild möglicherweise korrigiert werden, da die Anwendung allgemeiner Erfahrungssätze unter dem ständigen Vorbehalt stünde, daß durch das Vorhandensein eines besonders empfindlichen Akzeptors an Stelle eines allgemeinen Erfahrungssatzes ein spezieller, auf diesen Akzeptor zugeschnittener herangezogen werden müßte. Hier schließt sich der Kreis zur diagnostischen Stufe, denn die oben postulierte Maßgeblichkeit sämtlicher Umstände des konkreten Falles hieße, im maßgeblichen Beurteilungsgebiet jeden einzelnen Akzeptor in seiner je individuellen Prädisposition zu ermitteln. Da dies jedenfalls in der herrschenden Praxis nicht geschieht, ergibt sich eine Annäherung an ein abstraktes Verständnis, denn es werden zwar die maßgeblichen Akzeptoren in ihrer tatsächlichen räumlichen Dislozierung in die Diagnose eingestellt, dies jedoch mit einer vertypten, nämlich „durchschnittlichen“ Sensitivität. Fordert man demgegenüber die Berücksichtigung jedes einzelnen Akzeptors in seiner je individuellen Empfindlichkeit, scheinen damit fast unüberwindbare ___________ genbeweis konkreter Ungefährlichkeit im Einzelfall ausgeschlossen (Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 412 f., 495 f.; Würtenberger / Heckmann6, Rn. 715; Friauf, in: Schmidt-Aßmann10, 2. Abschn. Rn. 190; Walker, S. 170); dies folgt daraus, daß bereits der Verstoß gegen die Polizeiverordnung als solcher eine Verletzung des Schutzguts der öffentlichen Sicherheit bewirkt und insofern auch eine konkrete Gefahr vorliegt (Schenke, Polizei- und OrdnungsR4, Rn. 70; Walker, S. 170). Diese Grundsätze können jedoch nicht auf das Immissionsschutzrecht übertragen werden. 168 Dazu oben 2. Teil S. 203 ff.; ferner Hansmann, FS Sendler, S. 291. 169 Dazu oben 2. Teil S. 142 ff.; zusammenfassend S. 292 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
335
Schwierigkeiten für die Sachverhaltsermittlung der Genehmigungsbehörde aufgeworfen, da diese dann nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 24 VwVfG für jede betroffene Person im Einwirkungsbereich deren individuelle Prädisposition zu ermitteln hätte170. Indes ist diese Konsequenz nicht zwingend: Zunächst beschreibt die Lehre von der durchschnittlichen Empfindlichkeit zutreffend den rechtstatsächlichen Befund, daß die überwiegende Anzahl an Menschen bezüglich bestimmter Immissionswirkungen durchaus ein vertyptes Reaktionsmuster zeigt, so daß die Amtsermittlung der Heranziehung entsprechender verallgemeinernder Erfahrungssätze solange nicht entgegensteht, als der Behörde keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß im Einwirkungsbereich der Anlage mit überdurchschnittlich empfindlichen Akzeptoren zu rechnen ist171. Im übrigen greift bei genehmigungsbedürftigen Anlagen die Einwendungsbefugnis mit der Präklusionsregelung nach § 10 III 2 u. 3 BImSchG, deren Zweck u. a. die Informationsgewinnung der Behörde ist172. Da die Einwendungsbefugnis als „Mitwirkungsrecht potentiell Drittbetroffener“173 zugleich eine Mitwirkungslast begründet174, muß dies Rückwirkungen für den Umfang der Amtsermittlung haben, so daß die Behörde grundsätzlich damit rechnen kann, daß entsprechende Personen ihre überdurchschnittliche Empfindlichkeit der Behörde anzeigen. Daher besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Amtsermittlung keine Verpflichtung, ohne konkrete Anhaltspunkte auf die „Suche“ nach besonders empfindlichen Personen zu gehen175.
___________ 170 Zur Geltung des § 24 VwVfG im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nur Jarass, BImSchG6, § 10 Rn. 44. 171 Dem liegt die naturwissenschaftliche Erkenntnis zugrunde, daß hinsichtlich einer Immission x die Verteilung von besonders empfindlichen, normal empfindlichen und besonders unempfindlichen Personen in der Häufigkeitsrelation einer Gauß’schen Glokkenkurve (Normalverteilung) entspricht, d. h. es „reagieren“ relativ wenige Menschen bereits bei kleinen Dosen, die meisten Menschen bei mittleren und wiederum nur relativ wenige Menschen erst bei hohen Dosen (Beyersmann, Grundbegriffe, S. 29). Wird daher ein Immissionswert so festgesetzt, daß nach naturwissenschaftlichem Erkenntnisstand nur bei einer relativ geringen Anzahl Betroffener mit negativen Folgen zu rechnen ist, so kann die Behörde widerleglich davon ausgehen, daß unverhältnismäßige Eingriffsfolgen in der konkreten Genehmigungssituation nicht begründet werden, weshalb weitergehende Prüfungen nur erforderlich sind, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein besonderer Empfindlichkeiten vorliegen. 172 Jarass, BImSchG6, § 10 Rn. 70; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 10 Rn. 2, 122; aus der Rspr. BVerwGE 28, 131 (132 f.). 173 So Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 10 Rn. 9. 174 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 10 Rn. 336; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 10 Rn. 9; BayVGH, NVwZ 1989, 482 (483); zu vergleichbaren Rechtslage im Atomrecht BVerfGE 61, 82 (115); BVerwGE 60, 297 (306). 175 Dazu allgemein Kopp / Ramsauer9, § 24 Rn. 12b; Engelhardt, in: Obermayer3, § 24 Rn. 49; Clausen, in: Knack8, § 24 Rn. 9.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
IV. „Erheblichkeit“ beim Gesundheitsschutz Zwar werden „Gefahren“, „Nachteile“ und „Belästigungen“ in § 3 I BImSchG gleichrangig genannt, jedoch unterliegen „Nachteile“ und „Belästigungen“ der Beschränkung durch das Tatbestandsmerkmal der „Erheblichkeit“. Nach h. M. ist die „Erheblichkeit“ jedoch auch ungeschriebene Voraussetzung des Gefahrenbegriffs, da „Schaden“ nur die „erhebliche“ Beeinträchtigung eines Schutzguts sein soll176. Gleichzeitig soll ein Schaden für die Gesundheit jedoch stets erheblich sein177, so daß hier der Erheblichkeitsbegriff seine beschränkende Funktion nicht entfalten könnte.
1. „Erheblichkeit“ von Gesundheitsschäden oder Gesundheitsgefahren? Zunächst ist die Aussage, Gesundheitsschäden seien stets erheblich, in einer wesentlichen Hinsicht unklar: So bezeichnet der Begriff des Schadens nicht nur einen eingetretenen Beeinträchtigungszustand, sondern ist zugleich eine der beiden Determinanten des relationellen Gefahrenbegriffs, der nach den obigen Ausführungen die Auslegung des Eignungsbegriffs maßgeblich prägt. Deutet man diese Aussage dahin, daß ein Schaden für die Gesundheit, verstanden als Schadenskomponente des Gefahrenbegriffs, stets erheblich ist, so wäre stets auch die korrelierende „Gefahr“ als „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit dieses Schadens erheblich. Angesichts des strikten und kategorischen Vermeidungsstandards des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG besteht aber ein großer Unterschied, ob lediglich solche Immissionen strikt und kategorisch zu vermeiden sind, die mit Gewißheit zu Gesundheitsschäden führen, oder dies auch für Immissionen gilt, die nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schadensfolgen führen. Es spricht viel für letzteres Verständnis, da in der Lit. – soweit ersichtlich – keine Ausführungen zur ansonsten zwingenden Abgrenzung von erheblichen und nicht erheblichen Gesundheitsgefahren gemacht werden178. Ein solches Ver___________ 176
Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 10a; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 26, 46; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 57; Sellner, Industrieanlagen2, S. 42; für das Polizeirecht Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 221 f.; Hansen-Dix, S. 24 ff.; Murswiek, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 806 f. 177 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 46, 51; ders., DVBl. 1983, 725 (729); Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 11; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 59; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 57; Feldhaus, in: ders., BImSchR I Teil 1, § 3 Anm. 7; Reich, S. 33; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 35; ebenso Nr. 4.8 Abs. 3 lit. a) TA Luft 2002. – Insgesamt hat das ungeschriebene Erheblichkeitsmerkmal als Bestandteil des Gefahrenbegriffs nur geringe Erörterung erfahren, da sich die Ausführungen meist auf die Feststellung beschränken, daß für den Gefahrenschutz überhaupt eine Erheblichkeitsschwelle gilt (so Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 26, 46; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 54; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 57). 178 Vgl. dazu die soeben Fn. 177 genannten Autoren.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
337
ständnis stünde auch im Widerspruch zu § 3 I BImSchG, der gerade nicht zwischen erheblichen und nicht erheblichen Gefahren differenziert und in dessen Gefahrenbegriff die „Erheblichkeit“ einzig interpretativ als Bestandteil der Schadenskomponente eingebracht wird.
2. Erheblichkeitsthese und „durchschnittliche“ Empfindlichkeit a) Zusammenhang zwischen Erheblichkeits- und Empfindlichkeitsthese Ein solches Verständnis führt jedoch zu Folgeproblemen: Geht man davon aus, daß die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG einen strikten und absoluten Vermeidungsstandard enthält, so wäre für genehmigungsbedürftige Anlagen die Begründung von Gefahrtragungspflichten im Sinne der Zumutung einer Beeinträchtigung diesseits der Gefahrenschwelle nicht möglich. Dies ist jedenfalls verfassungsrechtlich nicht selbstverständlich, da das BVerfG in der Fluglärm-Entscheidung davon ausgeht, daß dem Einzelnen auch Gesundheitsgefahren und möglicherweise sogar Schäden zugemutet werden können: „Maßgebliches Kriterium kann in einer am Menschen orientierten Rechtsordnung letztlich nur sein, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf ...“179
Damit ist jedoch noch kein Argument gegen die pauschale Erheblichkeit von Gesundheitsgefahren gewonnen, denn das BImSchG könnte sich bewußt gegen die begrenzte Auferlegung von Gesundheitsgefahren entschieden haben. Fraglich muß daher sein, ob das BImSchG auch tatsächlich keine Gefahrtragungspflichten für den Einzelnen begründet. Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, ist das Konzept der pauschalen Erheblichkeit von Gesundheitsgefahren jedoch nur stimmig auf Grundlage der weiteren Prämisse, daß das Vorliegen eines Gesundheitsschadens anhand einer durchschnittlichen Empfindlichkeit zu bestimmen ist. So vermittelt zwar das Konzept der h. M. eine außerordentlich starke Position zur Abwehr gesundheitsgefährdender Beeinträchtigungen, die jedoch sogleich erheblich abgeschwächt wird, indem besonders empfindlichen Personen dieser Schutz bereits im Ansatz (ebenso) kategorisch verweigert wird. Daß diese Lehre für die im Rahmen des Gefahrenbegriffs allein relevanten Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG abzulehnen ist, wurde im 2. Teil im einzelnen begründet180; ebenso wurde dort ausgeführt, daß diese Lehre durch ___________ 179
BVerfGE 56, 54 (80) – Hervorh. vom Verf.; dazu Seewald, NuR 1988, 161 (165). Dazu oben 2. Teil S. 139 ff. – Die Verengung des Schutzes, den die h. M. mit der Beschränkung auf eine durchschnittliche Empfindlichkeit vollzieht, folgt im übrigen weder aus der Natur der Schutzgüter des § 1 I BImSchG noch aus dem Begriff des „Schadens“ als Bestandteil der Gefahr (vgl. Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 91 ff., der als Kritiker der Lehre von der durchschnittlichen Empfindlichkeit gerade ausgehend 180
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ein Modell der differenzierten und begrenzten Begründung von Gefahr- und Risikotragungspflichten, in Ausnahmefällen auch von Schadenstragungspflichten zu ersetzen ist181. Damit ist praktische Konkordanz zwischen Art. 2 II 1 GG und kollidierenden Individual- und Allgemeininteressen zwar am Maßstab des jeweils empfindlichsten Akzeptors herzustellen, jedoch nur unter Berücksichtigung möglicher schutzmindernder Faktoren182 und bezogen ausschließlich auf den Einwirkungsbereich der konkret zu beurteilenden Anlage183. Da danach besondere Empfindlichkeiten, die im Einwirkungsbereich der Anlage tatsächlich nicht vorkommen, auch nicht berücksichtigt werden, wird zugleich der kollisionslösenden Bedeutung der räumlichen Dimension von Immissionskonflikten Rechnung getragen. Würde man demgegenüber stets die jeweils empfindlichste Person ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit und ihrer Maßgeblichkeit für den konkreten Immissionskonflikt zum Maßstab machen, könnte diese Weichenstellung jedenfalls für genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem herrschenden Verständnis des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG nicht mehr korrigiert werden, und es könnte zu weitgehenden Beschränkungen des Betriebs emittierender Anlagen kommen, was die h. M. gerade mit der Durchschnittsbetrachtung vermeiden möchte. Insofern stehen die Prämissen der Maßgeblichkeit einer durchschnittliche Empfindlichkeit und der grundsätzlichen Erheblichkeit von Gesundheitsschäden in einem notwendigen Komplementärverhältnis, da die Durchschnittlichkeitsthese eine als zu weit empfundene Beschränkung der Anlagenbetreiber und die Erheblichkeitsthese eine als zu weit empfundene Beschränkung des Gesundheitsschutzes verhindern soll. Stellt man daher die erste Prämisse in Frage, ist automatisch auch die Berechtigung der zweiten aufgeworfen. Gesucht ist mit anderen Worten nach einer Integration des im 2. Teil entwickelten Modells der differenzierten Begründung von Gefahr- und Risikotragungspflichten in das einfache Recht dergestalt, daß der verfassungsrechtlich gebotene Schutz dort, wo er zwingend geboten ist, auch tatsächlich gewährt wird.
___________ vom Schutzgut „Mensch“ in § 1 I BImSchG argumentiert). Insbesondere ist der Gefahrenbegriff in seiner relationellen Gestalt ein modaler Begriff, der – ohne selbst Wertungen zu enthalten – zwei bewertete Größen zueinander in Relation setzt (dazu oben S. 312 ff.). Aus dieser „Wertungsleere“ folgt ins Positive gewendet eine Wertungsoffenheit, so daß die auf das Polizeirecht zurückgehende Lehre von der Maßgeblichkeit einer durchschnittlichen Empfindlichkeit (zu dieser Herkunft Hansen-Dix, S. 25; Wulfhorst, Schutz, S. 26 ff.) nicht wesensnotwendig mit Gefahrenbegriff verknüpft ist, sondern sich als von außen an diesen herangetragene Wertung darstellt. 181 Dazu zusammenfassend oben 2. Teil S. 292 ff. 182 Dazu oben 2. Teil S. 160 ff. 183 Dazu oben S. 329 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
339
b) Lösungsmöglichkeiten Es bieten sich hierfür verschiedene Lösungsmöglichkeiten an: So könnte auf Ebene der Risikoerkenntnis des § 3 I BImSchG vom Dogma der Erheblichkeit von Gesundheitsgefahren abgewichen werden; ferner könnte auf Ebene der Risikosteuerung über die Installierung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bewirkt werden, daß die Rechtsfolge des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG einer Abwägungskorrektur durch gegenläufige Belange unterworfen wird, wie es von Petersen explizit vertreten wird184. Inhaltlich stellt sich bei jeder Lösung das Problem, daß der nach Art. 2 II 1 GG gebotene Schutz nicht allein durch die kollidierenden Grundrechte bestimmt wird, sondern einer ergänzenden Determination durch Gemeinwohlbelange offen steht, so daß ferner zu fragen ist, inwieweit auch diese zu berücksichtigen sind. Im folgenden werden die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten betrachtet, wobei von der Erkenntnis auszugehen ist, daß angesichts der unendlich vielgestaltigen Prädispositionen der Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG jede Lösung, die an der schematischen Gegenüberstellung „durchschnittlicher“ und „überdurchschnittlicher“ Empfindlichkeit festhält, abzulehnen ist.
aa) Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Ebene der Risikosteuerung Bei diesem Lösungsweg ergäbe sich bei Nichtberücksichtigung schutzbeschränkender Gemeinwohlbelange ein sehr weitgehender Schutz des Art. 2 II 1 GG, da dieser allein durch die kollidierenden Grundrechte der Emittenten beschränkt und damit ein Maximum an Schutz bis an die Grenze des verfassungsrechtlich angesichts dieser Grundrechte Zulässigen gewährt würde. Eine weitergehende Schutzreduktion aus Gründen des Gemeinwohls wäre zwar möglich, sähe sich aber dem bereits oben im Rahmen des Gefahrenbegriffs vorgebrachten Einwand ausgesetzt, daß damit bei § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG die gesetzgeberische Grundentscheidung für einen nicht relativierten Vermeidungsstandard unterlaufen würde und die Installierung einer Verhältnismäßigkeitsinstanz allenfalls aufgrund verfassungskonformer Auslegung im Rahmen der verfassungsrechtlich zwingend zu berücksichtigenden Belange gerechtfertigt werden könnte185. Da aber angesichts des klaren Wortlauts des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG die Grenzen einer derartigen verfassungskonformen Auslegung überschritten sein dürften186, ist dieser Lösungsweg abzulehnen. ___________ 184
So Petersen, S. 160 ff.; zur Diskussion unten S. 392 ff.; ferner oben S. 319 ff. Dazu oben S. 322 ff. 186 Dazu oben S. 319 ff. 185
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
bb) Lösung auf Ebene der Risikoerkenntnis Eine erste Variante der Lösung auf Ebene der Risikoerkenntnis könnte darin bestehen, an der grundsätzlichen Erheblichkeit von Gesundheitsgefahren festzuhalten und hiervon Ausnahmen zuzulassen, wenn entsprechender Schutz verfassungswidrig wäre. Dies entspräche der Installierung einer Verhältnismäßigkeitsinstanz auf Ebene der Risikosteuerung, da auch hier die Nichtberücksichtigung schutzbeschränkender Gemeinwohlbelange sich dahin auswirken würde, daß ein Maximum an Schutz bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gewährt würde. Es ist auf Ebene der Risikoerkenntnis jedoch auch eine Variante denkbar, bei der dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt wird und die Erheblichkeit einer Gesundheitsgefahr in jedem Einzelfall ausdrücklich begründet werden muß. Wollte man hier die Erheblichkeit davon abhängig machen, daß der Schutz des Art. 2 II 1 GG im Einzelfall verfassungsrechtlich geboten ist, würde sich auch das Verhältnis zwischen Schutzgewährung und Schutzversagung umkehren, da Schutz nur noch dort gewährt würde, wo dessen Versagung verfassungswidrig ist. Damit wäre eine Möglichkeit eröffnet, Gemeinwohlbelange auch ohne ausdrückliche Definition schutzbeschränkend zu berücksichtigen, da die Schutzversagung jedenfalls dann verfassungswidrig wäre, wenn sie angesichts kollidierender Grundrechte und möglicher denkbarer Gemeinwohlbelange nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Für die letztgenannte Lösung könnte sprechen, daß damit in den Randbereichen besonderer Empfindlichkeit ein restriktiverer Schutz gewährt wird als nach der ersten Variante, was tendenziell eher der Lehre von der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit entspräche, die der Gesetzgeber 1974 als gefestigte h. M. im allgemeinen Polizeirecht und zur Gewerbeordnung vorfand187 und möglicherweise auch für § 3 I BImSchG rezipieren wollte.
cc) Lösung über Vorsorgepflicht Eine weitere Lösung könnte über die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG bewirkt werden, die wie ausgeführt der Feinjustierung des zulässigen Immissionsmaßes unterhalb der Schädlichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG am Maßstab der Verhältnismäßigkeit dient188. Daher könnte bei pauschaler Erheblichkeit jeglicher Empfindlichkeit im Rahmen des § 3 I BImSchG die notwendige Ergebniskorrektur über diese Verhältnismäßigkeitsprüfung herbeigeführt werden, was im Ergebnis dem Modell aa) entspräche189. Dagegen spricht je___________ 187
Vgl. dazu die Darstellung dieser Lehre bei Wulfhorst, Schutz, S. 26 ff., 34 ff. Dazu unten S. 397 ff. 189 So im Ansatz Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / Rn. 21. 188
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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doch, daß eine gesetzliche Vorsorgepflicht nur bei genehmigungsbedürftigen Anlagen und nicht auch bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach §§ 22 ff. BImSchG existiert190, so daß die geschilderte Verhältnismäßigkeitskorrektur bei den letztgenannten Anlagen bereits im Ansatz nicht bewirkt werden könnte, obwohl dasselbe Bedürfnis besteht.
c) Eigene Lösung Richtigerweise ist von dem oben II. 2. entwickelten Ansatz auszugehen, wonach die Gefahrenschwelle des § 3 I BImSchG verfassungskonform so zu bestimmen ist, daß diese in der Lage ist, eine einheitliche Vermeidungspflicht gegenüber allen denkbaren Anlagen und nicht nur gegenüber der konkret zu beurteilenden zu rechtfertigen191. Hierbei erweist sich die am einen Ende der Abwägung stehende Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG als hinreichend flexibel, um dem Umstand unterschiedlich empfindlicher Grundrechtsträger gerecht zu werden, denn das abwägungsspezifische Gewicht dieser Beeinträchtigung wird neben deren Schwere, Intensität und Dauer und dem abnehmenden Gewicht im Risikobereich192 wesentlich durch schutzmindernde Faktoren wie bestehende Sebsthilfemöglichkeiten und dem Vorverhalten, insbesondere dem freiwilligen Zuzug in die belastete Umgebung und der Präklusion im förmlichen Genehmigungsverfahren bestimmt193. Hierdurch wird gewährleistet, daß Schutz für besonders empfindliche Personen jedenfalls dort nicht gewährt wird, wo er am Maßstab kollidierender Grundrechte nicht geboten und auch nicht zulässig ist. Fraglich ist demgegenüber, inwieweit hierbei auch Gemeinwohlbelange schutzmindernd zu berücksichtigen sind. Dies läßt sich jedoch ebenfalls ausgehend von den dargestellten Grundsätzen zur Bestimmung der Gefahrenschwelle beantworten, da die Gründe, die dort grundsätzlich zur Nichtberücksichtigung von Gemeinwohlbelangen geführt haben194, auch im vorliegenden Zusammenhang Geltung beanspruchen. Da diese Grundsätze auf einer verfassungskonformen Auslegung des einfach-rechtlichen Gefahrenbegriffs beruhen, kommt dem oben angeführten Argument, der Gesetzgeber habe in § 3 I BImSchG möglicherweise die restriktivere, 1974 vorgefundene h. M. in Polizeirecht und GewO rezipieren wollen, auch kein entscheidendes Gewicht zu. ___________ 190
Dazu oben S. 322 Fn. 118; a. A. Hansmann, NVwZ 1991, 829 (831 ff.); ders., Vorsorgepflichten, S. 10 ff.; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 15. 191 Dazu oben S. 320 ff.; ferner oben 2. Teil S. 189 ff. 192 Zu diesen Kriterien oben 2. Teil S. 173 ff., 189 ff. 193 Zu diesen Faktoren oben 2. Teil S. 160 ff. 194 Dazu oben S. 322 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
3. Gefahrenbestimmung über rechtssatzmäßige Umweltstandards Mit dieser Lösung wird zwar das Schutzniveau gegenüber der h. M. tendenziell angehoben, jedoch werden die damit verbundenen Folgen für den Betrieb emittierender Anlagen dadurch abgemildert, daß sich die Berücksichtigung schutzbeschränkender Gemeinwohlbelange mit umgekehrtem Vorzeichen stellt, wenn die Gefahrenschwelle über rechtssatzmäßige Umweltstandards bestimmt wird. Da hier nämlich das hinzunehmende Immissionsmaß feststeht, werden Wertungen nicht zur Bestimmung der Gefahrenschwelle, sondern zu deren Rechtfertigung benötigt. Sofern der Normgeber untergesetzlicher Umweltstandards befugt ist, Gemeinwohlbelange schutzmindernd zu definieren, könnte daher dann, wenn eine Immissionstragungspflicht nur durch bestimmte Gemeinwohlbelange gerechtfertigt werden kann, davon auszugehen sein, daß der Normgeber solche auch tatsächlich definiert hat. Zu klären ist daher, inwieweit der Normgeber zur schutzmindernden Definition derartiger Gemeinwohlbelange berechtigt ist; hierauf ist unten G. im Kontext der einschlägigen Ermächtigungsnormen der §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG zurückzukommen195.
V. „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen Bezüglich der „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen besteht zwar weitgehend Einigkeit, daß eine wertende Betrachtung vorzunehmen ist, nicht eindeutig geklärt ist jedoch, welcher Art diese Wertung ist, insbesondere welche Belange hiervon erfaßt sind. Nachfolgend soll zunächst ein Überblick über den Meinungsstand gegeben werden (1.), bevor dieser dann unter 2. einer kritischen Würdigung unterzogen und einer eigenen Lösung zugeführt wird.
1. Meinungsstand in Rspr. und Lit. a) Abwägungsgeprägter Erheblichkeitsbegriff Überwiegend wird in Rspr.196 und Lit.197 „erheblich“ mit „unzumutbar“ gleichgesetzt: Erheblich soll sein, was der Allgemeinheit und dem einzelnen an ___________ 195
Dazu unten S. 489 ff., 493 ff. Grundlegend BVerwGE 50, 49 (55) – Tunnelofen; 68, 62 (67) – Kirchliches Glockenläuten; 69, 37 (43)– Heidelberger Fernheizwerk; 79, 254 (260) – Feueralarmsirene; 81, 197 (200) – Tegelsbarg; 90, 163 (165 f.); weitere Nachw. bei Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13 ff. und Graulich, S. 77 Fn. 334. 197 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 14; ders., FS Feldhaus, S. 17; ders., NVwZ 1983, 65 (68); Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 41 Rn. 46; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 21 Rn. 27; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 102; Sparwasser / 196
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
343
Beeinträchtigungen billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann. Allerdings ist auch unter den Vertretern dieses abwägungsgeprägten Erheblichkeitsbegriffs im einzelnen umstritten, welche Gesichtspunkte heranzuziehen sind. Im folgenden sollen zwei maßgebliche Ansichten dargestellt werden:
aa) Ansicht von Ernst Kutscheidt Am weitesten geht Kutscheidt, der die Zumutbarkeitsprüfung versteht als umfassende Güterabwägung, in die „alle bedeutsamen Umstände“ einzubeziehen seien und in der die Zumutbarkeit unter „Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen von Emittent und Betroffenem“ zu bestimmen sei198. Zur Begründung führt Kutscheidt an, Ziel der Zumutbarkeitsprüfung sei in Anlehnung an die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 906 BGB199 der Ausgleich widerstreitender Interessen200. Weiterhin verweist Kutscheidt auf die Gesetzesmaterialien zu § 3 I BImSchG, wo es heißt, der Erheblichkeitsbegriff sei das „Ergebnis einer Güterabwägung, auf die in einem hochindustrialisierten und dichtbesiedelten Lande nicht verzichtet werden (könne)“201. Wenngleich Kutscheidt die Nähe dieser Abwägung zu einer umfassenden, am Einzelfall ausgerichteten Güterabwägung betont202, so kontrastieren damit doch andere Aussagen, die diesen umfassenden Charakter relativieren: So soll die Zumutbarkeit aus Sicht des Betroffenen zu beurteilen sein, da maßgeblich nicht die Schutzwürdigkeit des Emittenten sei, sondern die „Empfindlichkeit der geschützten Rechtsgüter“203. Weiterhin nennt Kutscheidt die bebauungsrechtliche Gebietsart, „gesetzliche Wertungen“, „allgemeine Akzeptanz“, „soziale Adäquanz“ und „Herkömmlichkeit“204. Bebauungsrechtlich wird diese Aufzählung ___________ Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 117; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 47; Feldhaus, in: ders., BImSchR I Teil 1, § 3 Anm. 10; ders., Überlegungen, S. 168; Gaentzsch, S. 35; Reiner Schmidt / H. Müller6, § 3 Rn. 9; Sellner, Industrieanlagen2, S. 27 f.; Sellner / Reidt / Ohms3, 1. Teil Rn. 75; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 109; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 106; Papier, Freizeitlärm, S. 134; Oberrath / Hahn, S. 137; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 43; Blank, S. 165; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 42; Enders, ebd. § 22 Rn. 20. 198 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 14a ff.; ders., FS Feldhaus, S. 18; abschwächend ders., in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 07 / 47 ff.; ähnlich Blank, S. 166; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 43. 199 Vgl. nur BGHZ 62, 361 (369). 200 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 14a. 201 BT-Drs. 7 / 179, S. 29; dazu Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 14. 202 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 14c; ders., FS Feldhaus, S. 18. 203 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15; ders., FS Feldhaus, S. 19. 204 Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 18 f.; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15a; ähnlich Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 45.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ergänzt durch die Ortsüblichkeit der Immissionen und die faktische oder plangegebene Vorbelastung des betroffenen Grundstücks205. Zu beachten ist schließlich, daß Kutscheidt an keiner Stelle als abwägungserheblichen Belang die wirtschaftliche Belastung für den Betreiber nennt206.
bb) Ansicht von Hans D. Jarass Jarass teilt zwar den Ansatz „erheblich“ = „unzumutbar“207 und betont, daß sich wertende Elemente im Erheblichkeitsbegriff nicht ausklammern ließen, wendet sich aber gegen eine Abwägung aller widerstreitenden Interessen. Die Zumutbarkeit hänge allein ab von der Wirkung der Immissionen für den Betroffenen unter Einbeziehung wertender Gesichtspunkte wie sozialer Adäquanz, Gebietsart, Vorbelastung des Gebiets durch vorhandene Immissionen, Rechtmäßigkeit des Handelns des Betroffenen, Einwilligung und Duldung208. Jarass betont ferner, daß Nachteile aus den Vermeidungsmaßnahmen für den Emittenten und die Allgemeinheit für die Erheblichkeitsfrage keine Rolle spielten209.
b) Quantitativ-tatsächlicher Erheblichkeitsbegriff aa) Ansicht von Hans-Joachim Koch und Claus Dieter Classen H.-J. Koch lehnt demgegenüber die Gleichsetzung „erheblich“ = „unzumutbar“ und die Vornahme einer Güterabwägung grundsätzlich ab210 und stützt sich hierfür ebenfalls auf die zitierte Gesetzesbegründung zu § 3 I BImSchG211, die er allerdings dahin interpretiert, die Erheblichkeit sei das Ergebnis einer bereits vom Gesetzgeber vorgenommenen Güterabwägung, so daß für eine weitere Abwägung durch den Rechtsanwender kein Raum sei212. H.-J. Koch hebt ferner nachdrücklich die Bedeutung des Bauplanungsrechts für die Erheblichkeit her___________ 205
Kutscheidt in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15b ff. So ausdrücklich Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 50. 207 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 47; ders., JZ 1993, 601 (603). 208 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 52 ff.; ders., JZ 1993, 601 (603 f.); ähnlich Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 44. 209 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 47 a. E., 62; ders., JZ 1993, 601 (603 f.); ebenso Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 43. 210 H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 42 ff.; ders. in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 58 ff.; ders., Immisionsschutz durch Baurecht, S. 171 ff.; ablehnend auch Classen, JZ 1993, 1042 (1043 ff.) und Murswiek, Verantwortung, S. 302 ff. 211 Dazu oben Fn. 201. 212 H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 43; ders. in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 58; ebenso Herr, S. 40. 206
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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vor, indem etwa die BauNVO mit der Ausweisung unterschiedlicher Gebietstypen gerade auch eine Abschichtung unterschiedlicher Immissionsniveaus anstrebe, ebenso § 50 BImSchG als Planungsgrundsatz213. H.-J. Koch versteht daher die Erheblichkeit im Sinne eines „gebietsspezifischen Zumutbarkeitsniveaus“, das er im Richtwertesystem der TA Lärm 1968 verwirklicht sieht214; zugleich soll jedoch eine abwägende Feinsteuerung – vermittelt über das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot – zulässig sein215. Ebenso ist Classen der Ansicht, der Interessenkonflikt zwischen Emittent und Immissionsbetroffenen sei bereits im Gesetz abschließend geregelt216; nach Classen ist daher ein quantitativ-tatsächliches Erheblichkeitsverständnis vorzuziehen, wonach erheblich solche Immissionen sind, die aus Sicht der Betroffenen ein gewisses Mindestmaß überschreiten217.
bb) Weitere Kritik Weiterhin wird als Kritik am abwägungsgeprägten Erheblichkeitsbegriff vorgebracht, daß eine umfassende Abwägung von einer nicht akzeptablen Weite sei, da insbesondere unklar sei, inwieweit auch über die konkreten Belange der Betroffenen hinausgehende Gemeinwohlinteressen wie Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen, die Versorgung mit Energie und die gesamtwirtschaftliche Lage zu berücksichtigen seien218. Jedenfalls bei Berücksichtigung derartiger Belange würde der Erheblichkeitsbegriff völlig konturlos und der Immissionsschutz unterhalb der Gefahrenschwelle münde in ein allgemeines Billigkeitsrecht219. Ein weiteres Argument wird aus dem systematischen Verhältnis des § 3 I BImSchG zu den Grundpflichten des § 5 I 1 BImSchG einerseits und denjenigen des § 22 I BImSchG andererseits hergeleitet: Wenn nämlich die Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG eine umfassende Abwägung erfordere und auch erhebliche Nachteile und Belästigungen zulasse220, dürfe diese Ab___________ 213
H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 43 f. H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 44; ders. in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 58; vgl. dazu die Immissionsricht- bzw. -grenzwerte in § 2 I 16. BImSchV, § 2 II 18. BImSchV und Nr. 6.1 TA Lärm 1998; tabellarische Übersicht über diese Werte unten S. 499 ff. 215 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 70; ders., Erheblichkeitsbegriff, S. 50. 216 Classen, JZ 1993, 1042 (1045). 217 Classen, JZ 1993, 1042 (1043); ähnlich Engler, S. 115; Michler, Rechtsprobleme, S. 44 ff.; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 43. 218 So Graulich, S. 80. 219 H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 173; Graulich, S. 80; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 47; ders., JZ 1993, 501 (603); Engler, S. 113; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 109; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 43. 220 Dazu oben S. 320 Fn. 111; ferner unten S. 428 ff. 214
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
wägung nicht durch die im Rahmen des Erheblichkeitsbegriffs vorzunehmende vorweggenommen werden221. Schließlich wird ein systematisches Argument aus den §§ 17 II und 41 II BImSchG gewonnen222, denn wenn dort ausdrücklich eine den wirtschaftlichen Aufwand berücksichtigende Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert sei, könnte dieser nicht bereits Gegenstand der Erheblichkeit sein. Insgesamt betont die Kritik am abwägungsgeprägten Erheblichkeitsbegriff die Bedeutung des Bebauungsrechts, weshalb primär von einer gebietsspezifischen Erheblichkeit223 auszugehen sei.
c) Rechtsprechung des BVerwG Folgende Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang grundlegend: In seiner Entscheidung vom 7. 10. 1983 sah das Gericht im liturgischen Glockenläuten dann eine erhebliche Belästigung, wenn es das für einen verständigen Durchschnittsmenschen zumutbare Maß überschreite, was verneint wird, da das Läuten bei Würdigung der widerstreitenden Interessen als „sozialadäquat“ hinzunehmen sei224. In der Entscheidung zum Heidelberger Fernheizwerk findet sich die Passage, „erheblich“ sei, was „unzumutbar“ ist, wobei Unzumutbarkeit eine Abwägung und „Bewertung der widerstreitenden Interessen“ voraussetze225. In der Entscheidung zum Alarm einer Feueralarmsirene knüpft das BVerwG an die Maßstäbe der Entscheidung zum Glockenläuten an und führt aus, die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm setze eine Wertung voraus, die im Sinne einer „Güterabwägung“ die konkreten Gegebenheiten der emittierenden und der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht ziehen müsse. Hierbei seien auch gesetzliche Wertungen wie die Alarmfunktion einer Sirene nach den Feuerwehrgesetzen zu berücksichtigen, ferner Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz226. In der Entscheidung zum Hamburger Bezirkssportplatz Tegelsbarg zitiert das BVerwG zustimmend die Ausführungen des Berufungsgerichts, für Geräusche lasse sich die Schädlichkeit nicht nach einem „festen und einheitlichen Maßstab“ bestimmen; unerheblich seien Geräuschimmissionen, die „billigerweise hinzunehmen“ sind, wofür es auf eine ___________ 221
H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 69; ders., Erheblichkeitsbegriff, S. 49 f.; Graulich, S. 81. 222 Jarass, JZ 1993, 601 (603); ferner Engler, S. 114. 223 So ausdrücklich H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 70 f.; ders., Immisionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff., 35 ff., 51 ff. und passim; ders., Erheblichkeitsbegriff, S. 46; ebenso Kraft, S. 82; Petersen, S. 71, 77 ff.; Engler, S. 114 f.; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 110; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 103. 224 BVerwGE 68, 62 (67 f.); ablehnend OVG Münster, NVwZ-RR 1988, 13 (14). 225 BVerwGE 69, 37 (43 f.). 226 BVerwGE 79, 254 (260); ebenso OVG Lüneburg, NJW 1995, 900 (900).
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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„situationsbezogene Abwägung“ und einen „Ausgleich widerstreitender Interessen“ ankomme227. Das BVerwG hält zwar den Umstand, daß Sport „in weitem Umfang eine typische Freizeitbetätigung“ sei, für einen „gewiß nicht zu vernachlässigenden Gesichtspunkt“228, betont aber, daß allein die „wichtige soziale und gesundheitliche Funktion“ des Sports nicht von der Rücksichtnahme auf benachbarte Wohnnutzungen entbinde229. In der Entscheidung zum Zeitschlagen einer Kirchturmuhr resümiert das BVerwG die obige Rechtsprechung: Ob Geräusche erhebliche Belästigung sind, sei eine Frage der Einzelbeurteilung. Maßgeblich seien die nach der Gebietsart bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit und „wertende Elemente“ wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz; diese Faktoren hätten im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einzufließen230. In anderen Entscheidungen nahm das BVerwG jedoch eine wertende Betrachtung ohne Berücksichtigung emittentenseitiger Interessen vor und stellte maßgeblich auf die Kriterien der Vorbelastung und der bebauungsrechtlichen Situation ab231. In diese Reihe gehört auch der zeitlich vor der gesamten „Abwägungsrechtsprechung“ ergangene Schießplatz-Beschluß232, in dem das Gericht ausführt, die Erheblichkeit einer Belästigung bemesse sich nicht nach der Schutzwürdigkeit oder Schutzbedürftigkeit der emittierenden Anlage, sondern allein nach der Empfindlichkeit der geschützten Rechtsgüter. Soweit ersichtlich, findet in den oben dargestellten Entscheidungen keine Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung statt233. Zu erwähnen ist ferner die Entscheidung betreffend den Lärm eines Wertstoffhofes, wo das BVerwG ausführt, daß der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nicht selbst „fest(lege), unter welchen Voraussetzungen Nachteile oder Belästigungen als erheblich anzusehen sind“, sondern „seinerseits an die Regelungen des Städtebaurechts an(knüpfe)“. Als Maßstab dafür, ob eine Beeinträchtigung erheblich sei, „(diene) ebenso wie im Bebauungsrecht die Zumutbarkeit, die sich nach den jeweiligen planungsrechtlichen Anforderungen bestimm(e)“234. Damit nimmt das BVerwG zwar nach wie ___________ 227
BVerwGE 81, 197 (200). BVerwGE 81, 197 (207). 229 BVerwGE 81, 197 (208): „Das öffentliche Interesse an der Nutzung einer bestimmten Anlage allein rechtfertigt es noch nicht, diese Nutzung von der Rücksichtnahme auf die Wahrung anderer öffentlicher oder rechtlich geschützter privater Interessen freizustellen ...“ 230 BVerwGE 90, 163 (165 f.); bestätigt in BVerwG, NVwZ 1997, 390 (391). 231 So BVerwG, NVwZ 1990, 962 f.; ebenso BVerwGE 88, 143 (144 f.) – Sportplatz; 88, 210 (214 f.) – Truppenübungsplatz; 101, 157 (162) – Sperrzeitverkürzung. 232 BVerwG, DÖV 1982, 906; ähnlich OVG Münster, NVwZ-RR 1988, 13 (14); OVG Bremen, NVwZ 1986, 672 (673); HessVGH, NVwZ 1993, 1004 (1005). 233 Den Widerspruch zur oben angeführten Rspr. konstatiert auch H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 47 f. 234 BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1002) – Wertstoffhof (Hervorh. vom Verf.). 228
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
vor die Gleichsetzung „erheblich“ = „unzumutbar“ vor, nähert sich jedoch deutlich der Ansicht, nach der die Erheblichkeit maßgeblich über das gebietsadäquate Immissionsniveau zu bestimmen ist235. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das BVerwG nicht nur die Gleichsetzung „erheblich“ = „unzumutbar“ vornimmt, sondern überwiegend zugleich eine Abwägung, in die auch emittentenseitige Belange einbezogen werden. Damit ist die Erheblichkeit zwar das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen der gestörten und der störenden Nutzung236; gleichwohl ist dies eine „typisierte“ Abwägung, in der die abwägungserheblichen Belange unter bestimmte Begriffe gefaßt werden, nämlich die „gesetzlichen Wertungen“, „allgemeine Akzeptanz“, „soziale Adäquanz“ und „Herkömmlichkeit“. Zu beachten ist ferner, daß die genannten Entscheidungen ausschließlich hoheitliche, nicht genehmigungsbedürftige Anlagen betrafen, deren Immissionsverursachung allein durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt werden kann, so daß hieraus Aussagen zur Berücksichtigung individueller wirtschaftlicher Belange bereits im Ansatz nicht gewonnen werden können. Demgegenüber ist in der neueren Rspr. die Tendenz erkennbar, die Erheblichkeit primär auf das baugebietsspezifische Immissionsniveau zu stützen237, ohne daß dies jedoch mit der Aufgabe des abwägungsgeprägten Erheblichkeitsbegriffs verbunden wäre.
2. Kritische Würdigung und eigene Lösung Im folgenden wird zunächst unter a) der Begriff der „Erheblichkeit“ einer Auslegung nach den herkömmlichen Auslegungsmethoden unterzogen, bevor unter b) bis d) verschiedene Teilaspekte im einzelnen behandelt werden; hierbei wird ein Schwerpunkt auf der „Sozialadäquanz“ liegen, die unter b) stellvertretend für die synonym verwendeten Begriffe der „allgemeinen Akzeptanz“ und „Herkömmlichkeit“ betrachtet wird. ___________ 235 Ob damit eine Absage an den abwägungsgeprägten Erheblichkeitsbegriff verbunden ist, ist allerdings fraglich, da das Gericht im weiteren Verlauf zustimmend die Entscheidungen zum liturgischen Glockenläuten und zur Feueralarmsirene zitiert, die gerade grundlegend für den abwägungsgeprägten Erheblichkeitsbegriff waren. – Der Begriff des gebietsadäquaten bzw. „baugebietsspezifischen“ Immissionsniveau findet sich auch in BVerwGE 109, 314 (320); 109, 246 (254); ähnlich auch BVerwG, NVwZ 1995, 993 (993): Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV als „normative Festlegung der Zumutbarkeitsschwelle i. S. des § 3 I BImSchG“; ebenso für die Grenzwerte der 16. BImSchV BVerwGE 108, 248 (254). 236 So Graulich, S. 78. 237 Dies dürfte u. a. daran liegen, daß erstmals seit 1990 bzw. 1991 verbindliche rechtsförmliche Konkretisierungen des gebietsadäquaten Immissionsniveaus in Gestalt von § 2 I 16. und § 2 II 18. BImSchV vorliegen.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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a) Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs aa) Wortlautauslegung Zunächst ergibt eine Wortlautauslegung, daß „erheblich“ soviel bedeutet wie „beträchtlich“, „ins Gewicht fallend“, „bedeutend“238. Diese Auslegung ist einerseits für eine wie auch immer beschaffene wertende Betrachtung offen239, da sie keine Aussagen darüber impliziert, auf welche Weise man zum Erheblichkeitsverdikt gelangt, setzt andererseits eine wertende Betrachtung jedoch auch nicht zwingend voraus, so daß der Gesetzeswortlaut insofern offen ist240. Anderes gilt für den Begriff der „Unzumutbarkeit“, da eine „zumutbare“ Belastung eine „erhebliche“ Belastung meint, die gleichwohl aus bestimmten Gründen hinzunehmen ist: „Jede unzumutbare Beeinträchtigung ist erheblich, längst nicht jede Beeinträchtigung aber unzumutbar“241. Damit wohnt der „Zumutbarkeit“ schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine normativ-bewertende Komponente inne, da die Gründe für eine Belastung (der „Zweck“) so gewichtig sein müssen, daß diese als hinnehmbar erscheint242. Dem entspricht die rechtliche Bedeutung von „zumutbar“, wie sie insbesondere in der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung Verwendung findet243; danach kennzeichnet die „Zumutbarkeit“ das abschließende Urteil, daß eine bestimmte Rechtsfolge auch unter Berücksichtigung gegenläufiger Rechte und Belange vom Einzelnen hinzunehmen ist. ___________ 238 Murswiek, Verantwortung, S. 302; H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 42; Petersen, S. 67. – Ebenso dient im Polizeirecht der Erheblichkeitsbegriff dazu, Bagatellbeeinträchtigungen aus dem Gefahrenbegriff und damit dem polizeilichen Aufgabenbereich auszuklammern (dazu mit Nachw. Murswiek, Verantwortung, S. 303). 239 So auch Herr, S. 39; H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 42 f.; Petersen, S. 67; Pflugmacher, S. 82 f. 240 Ebenso Herr, S. 39 und im Ergebnis Pflugmacher, S. 82. 241 So plastisch Murswiek, Verantwortung, S. 303 (Hervorh. vom Verf.). 242 Ähnlich Michler, Rechtsprobleme, S. 44. 243 Während die ersten beiden Stufen der Verhältnismäßigkeit terminologisch eine hinreichende Verfestigung erfahren haben, herrschen bezüglich der dritten Stufe noch gewisse Unsicherheiten. Auf dieser Stufe der „Angemessenheit“, „Proportionalität“ bzw. „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“ wird ganz überwiegend die Zweck-MittelRelation zum Prüfungsgegenstand gemacht und nicht nur formuliert, die Mittel müßten zum Zweck in einem „vernünftigen“ oder „angemessenen Verhältnis“ bzw. dürften nicht „außer Verhältnis“ stehen (BVerfGE 7, 377 [407]; 10, 89 [108 f.]; 16, 194 [201 f.]; 17, 108 [117]; 25, 236 [247]; 27, 211 [219]; 28, 264 [280]; 48, 118 [124]; 55, 185 [196]; aus der Lit. Sachs, in: Sachs3, Art. 20 Rn. 154; von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 55; Stern, in: Stern III / 2, S. 782), sondern zugleich ohne Unterschied in der Sache das Kriterium der „Zumutbarkeit“ bemüht (BVerfGE 30, 292 [316 f.]; 67, 157 [173, 178]; 81, 70 [92]; weitere Nachw. bei Albrecht, S. 73 in Fn. 246; ferner Sachs, in: Sachs3, Art. 20 Rn. 154). – Allgemein zur Zumutbarkeit mit allerdings fragwürdiger Konzeption Albrecht, Zumutbarkeit, passim.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Es ist jedoch fraglich, ob der Erheblichkeit nach § 3 I BImSchG überhaupt die Funktion zukommt, ein derartiges abschließendes Urteil zu fällen, da bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach dem klaren Wortlaut des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG auch Immissionen zulässig sind, die schädliche Umwelteinwirkungen und damit „erhebliche“ Nachteile und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG sind244. Insofern könnte das abschließende „Zumutbarkeits“-Urteil gerade nicht auf Ebene des § 3 I BImSchG, sondern erst auf der Risikosteuerungsebene des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG fallen. Damit wäre eine wertende Bestimmung der Erheblichkeit jedoch nicht ausgeschlossen, solange diese sich nach den im 2. Teil entwickelten Grundsätzen zur tatbestandsbezogenen Abwägung245 hinreichend vom Abwägungsmaßstab dieses rechtsfolgenbezogenen Zumutbarkeitsurteils unterscheidet. Geboten ist daher eine Abschichtung der unterschiedlichen Wertungsebenen, die diesen einen jeweils eigenständigen Anwendungsbereich sichert; hier hat die nachfolgende systematische Auslegung anzusetzen.
bb) Historische und teleologische Auslegung In der Gesetzesbegründung wird zur Erheblichkeit folgendes ausgeführt: „Da Nachteile und Belästigungen in der Regel Störungen geringeren Grades darstellen, sind sie nicht schlechthin als schädliche Umwelteinwirkungen zu bewerten. Diese Eigenschaft erhalten sie erst, wenn es sich um erhebliche Nachteile und Belästigungen handelt. Die Einschränkung ist das Ergebnis einer Güterabwägung, auf die in einem hochindustrialisierten und dicht besiedelten Lande nicht verzichtet werden kann ...“246 (Hervorh. vom Verf.)
Wenn H.-J. Koch dies dahin interpretiert, die Erheblichkeit sei das Ergebnis einer abschließend bereits vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung247, so ist dies nicht nur nicht zwingend, sondern grenzt an einen Zirkelschluß, da der Beschränkung auf „erhebliche“ Nachteile und Belästigungen zwar durchaus eine abstrakte Güterabwägung des Gesetzgebers zugrundeliegen kann und angesichts der im 2. Teil aufgezeigten kollidierenden Emittentengrundrechte und Gemeinwohlbelange auch zugrundeliegen muß. Indes ändert dies nichts daran, daß der Begriff der „Erheblichkeit“ in hohem Maße unbestimmt ist, so daß allein mit einer abstrakten gesetzgeberischen Güterabwägung nichts für dessen ___________ 244 Zum Vermeidungsstandard des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG oben S. 320 Fn. 111; ferner unten S. 428 ff. – Angesichts des klaren Wortlauts ist die Ansicht von Kutscheidt (NVwZ 1983, 65 [68]) nur schwer nachvollziehbar, wonach Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG und Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG identisch seien; ablehnend auch H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 49 f. 245 Dazu oben 2. Teil S. 212 ff. 246 BT-Drs. 7 / 179, S. 29. 247 H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 43; ders. in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 58.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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Anwendung auf den konkreten Einzelfall gewonnen ist und die Frage gerade offen bleibt, was denn nun „Ergebnis“ dieser vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung ist. Angesichts der Offenheit des Erheblichkeitsbegriffs ist vielmehr davon auszugehen, daß diese Abwägung vom Gesetzgeber nicht abschließend vorgenommen, sondern dem Rechtsanwender übertragen wurde. Da im übrigen Abwägungen wie im 2. Teil aufgezeigt in besonderem Maße zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geeignet sind248, kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe dem Rechtsanwender hierbei die wirksamste Methode zur Konkretisierung verwehrt. Geht man demgegenüber aus von der Erkenntnis, daß unbestimmten Rechtsbegriffen abstrakte Zielkonflikte zugrundeliegen, die lediglich bezüglich der in die Abwägung einzustellenden Belange inhaltlich determiniert sind249, bedarf es vorrangig der Bestimmung dieser Determinanten. Hierzu kann aus der zitierten Gesetzesbegründung folgendes geschlossen werden: Zunächst sollen durch den Erheblichkeitsbegriff zwei Gruppen der Beeinträchtigungen unterhalb der Gefahrenschwelle voneinander geschieden werden, und zwar – wie die Erwähnung des „Grades“ der Störung zeigt – maßgeblich nach Grad und Intensität. Gegenläufig hierzu – dies folgt aus der Nennung der notwendig mehrdimensionalen „Güterabwägung“ und dem Hinweis auf die Industrialisierung der Bundesrepublik – sind jedenfalls das Gemeinwohlinteresse an einem hohem Industrialisierungsgrad zu berücksichtigen, weiterhin aber auch die wirtschaftlichen Grundrechte der Artt. 12 und 14 GG, da eine Industrialisierung ohne private wirtschaftliche Betätigung nicht denkbar ist. Damit verweist die Gesetzesbegründung im wesentlichen auf die im 2. Teil entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Auflösung von Immissionskonflikten, ohne jedoch angesichts der verfassungsrechtlichen Typisierungsmöglichkeiten250 vorzugeben, in welcher Konkretheit diese Belange vom Rechtsanwender zu berücksichtigen sind. Von Bedeutung ist schließlich der Hinweis auf die dichte Besiedlung der Bundesrepublik, da damit auf die räumliche Dimension von Immissionskonflikten und die ausgehend hiervon entwickelte Abschichtung unterschiedlicher Immissionsniveaus Bezug genommen wird. Es kann somit zwar als Zweck des Erheblichkeitsbegriffs benannt werden, sicherzustellen, daß im Ergebnis ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den Grundrechten der Immissionsbetroffenen, den Emittentengrundrechten und dem Gemeinwohlinteresse am bestehenden Industrialisierungsgrad hergestellt wird. Daraus folgt jedoch nicht nur keine Aussage über die Einzelfallbezogenheit dieses Ausgleichs, sondern auch keine Aussage darüber, inwieweit dieser Zweck bereits durch den Erheblichkeitsbegriff oder nicht vielmehr erst im Zusammen___________ 248
Dazu oben 2. Teil S. 212 ff. Koch / Rüßmann, S. 214 f.; H.-J. Koch, Abwägung, S. 13 f.; Bartlsperger, S. 102. 250 Dazu oben 2. Teil S. 275 ff. 249
352
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
wirken mit weiteren Vorschriften bewirkt wird. Daher kommt entscheidendes Gewicht der nachfolgenden systematischen Auslegung zu, die maßgeblich das „Eingebettetsein“ des Erheblichkeitsbegriffs in die Rechtsfolgen begründenden Grundpflichten zu betrachten hat.
cc) Systematische Auslegung Die systematische Auslegung hat im Rahmen einer Negativabgrenzung von folgenden drei Fixpunkten ausgehen, nämlich einmal dem strikten und kategorischen Vermeidungsstandard des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG251, der nach dem klaren Wortlaut auch gegenüber „erheblichen“ Nachteilen und Belästigungen gilt, zweitens der Zulässigkeit auch erheblicher Nachteile und Belästigungen nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG und drittens den im 2. Teil herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 14 GG.
(1) Abschichtung zu § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG Zwar erlaubt § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG wie aufgezeigt keine wertende Korrektur der Vermeidungspflicht für erhebliche Nachteile und Belästigungen, jedoch kann der Vermeidungsstandard des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG nur so kategorisch sein, wie es die auf Tatbestandsebene vorgenommen Wertungen erlauben, weshalb ein proportionales Verhältnis besteht zwischen dem Umfang einer Berücksichtigung emittentenseitiger Belange im Erheblichkeitsbegriff und einem im Ergebnis relationellen Charakter der gesamten Abwehrpflicht. Nimmt man diesen Vermeidungsstandard in seiner Striktheit ernst, wofür die unterschiedliche Ausgestaltung der Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG gegenüber § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG spricht, so darf dieser nicht durch eine unbeschränkte Wertungsoffenheit des Tatbestandes konterkariert werden. Es dürfen daher nur diejenigen Belange bereits im Erheblichkeitsbegriff abwägend berücksichtigt werden, deren Nichtberücksichtigung zu einer verfassungswidrigen Rechtsfolge führen würde, und es ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber seine Typisierungsbefugnis gegenüber den Emittentengrundrechten bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen in Anspruch genommen hat. Ob damit ein vollständiger Ausschluß der Berücksichtigung der Emittentengrundrechte gerade auch im Rahmen des Nachteils- und Belästigungsschutzes zulässig ist, erscheint jedoch fraglich, wenn man die Parallelproblematik beim Gefahrenschutz betrachtet: Während dort der Abwägungsausschluß mit dem hohen Gewicht des dort einschlägigen Art. 2 II 1 GG gerechtfertigt werden ___________ 251
Dazu oben S. 319 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
353
konnte252, weist die beim Nachteils- und Belästigungsschutzes allein relevante Beeinträchtigung von durch Art. 14 GG geschützten Nutzungsmöglichkeiten des Grundeigentums ein für eine vertikale und horizontale Typisierung253 hinreichendes Gewicht nicht auf. Ein vollständiger Abwägungsschluß wäre daher nur zulässig, wenn die Belange der Emittenten anderweitig hinreichend berücksichtigt werden. Dies könnte jedoch durch den Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG und den Typisierungsgrundsatz des § 8 I BauNVO geschehen sein:
(a) Konfliktlösung durch die §§ 50 BImSchG, 8 I BauNVO Der Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG gebietet, Nutzungskonflikte zwischen emittierender und Wohnnutzung schon im Vorfeld durch räumliche Trennung zu vermeiden254, weshalb das BVerwG den Grundsatz formuliert hat, Wohn- und Industriegebiete dürften möglichst nicht nebeneinander ausgewiesen werden255. Ferner hat das BVerwG zu § 8 I BauNVO den Grundsatz entwickelt, daß genehmigungsbedürftige Anlagen von Ausnahmefällen abgesehen nur in Industriegebieten nach § 9 BauNVO errichtet werden dürfen256. Vergegenwärtigt man sich ferner die Kleinräumigkeit der hier vorrangig relevanten Lärm___________ 252
Dazu oben 2. Teil S. 189 ff. Dazu oben 2. Teil S. 185 ff. 254 § 50 BImSchG ist zwar im BImSchG normiert, reicht in seiner Bedeutung jedoch weit über das Immissionsschutzrecht hinaus und ist insbesondere ein allgemeiner Planungsgrundsatz des BauGB; dazu von Bomhard, S. 88, 120; A. Schmidt, S. 52 f.; grundlegend BVerwGE 45, 309 (327) – Flachglas; NVwZ 1993, 987 (987). – Zur Bedeutung des § 50 BImSchG als Grundsatznorm für das gesamte Recht der Gesamt- und Fachplanung Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 228 ff.; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 197; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 50 Rn. 1 ff.; Hoppe, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 162 f.; Oldiges, in: Steiner7, IV Rn. 57. 255 Grundlegend hierzu die Flachglas-Entscheidung BVerwGE 45, 309 (326 f.). 256 Sog. Typisierungsmethode; danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen i. S. der §§ 4 ff. BImSchG aufgrund ihrer generellen Störungseignung grundsätzlich keine „nicht erheblich belästigende“ Gewerbebetriebe i. S. des § 8 I BauNVO und daher in Gewerbegebieten grundsätzlich unzulässig (grundlegend BVerwG, DÖV 1975, 103 ff. – Fallhammer; dazu Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 6 Rn. 50; weitere Nachw. in BVerwG, NVwZ 1993, 987 [987]; kritisch Kraft, S. 103 ff., 110 ff.; die Entwicklung der Rspr. ist dargestellt bei Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 1 BauNVO Rn. 133 ff.). Demgegenüber wendet das BVerwG in seiner neueren Rspr. diesen Grundsatz nicht mehr strikt an, sondern läßt genehmigungsbedürftige Anlagen ausnahmsweise auch außerhalb von Industriegebieten zu, wenn diese in atypischer Weise keine schädlichen Umweltwirkungen hervorrufen (BVerwG, NVwZ 1993, 987 [988]; NVwZ 2000, 679 [680]; Jarass, BImSchG6, § 6 Rn. 18; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 1 BauNVO Rn. 138 ff., 145; Fickert / Fieseler10, Vorbem §§ 2-9, 12-14 Rn. 10.3 ff., insbes. 10.51 ff.; Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 6 Rn. 54). – Genehmigungsbedürftige Anlagen dürfen im Falle privilegierter Vorhaben nach § 35 I BauGB auch im Außenbereich errichtet werden (vgl. nur Jarass, BImSchG6, § 6 Rn. 19a). 253
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
und Geruchsimmissionen257, so werden durch diese Grundsätze die durch genehmigungsbedürftige Anlagen hervorgerufenen Nutzungskonflikte weitgehend im Vorfeld konkreter Konflikte entschärft, und zwar zugunsten der Emittenten. Berücksichtigt man ferner, daß die oben referierten Entscheidungen des BVerwG fast ausschließlich hoheitliche, nicht genehmigungsbedürftige Anlagen betrafen, so liegt für genehmigungsbedürftige Anlagen der Schluß nahe, daß die Konfliktlösung durch die §§ 50 BImSchG, 8 I BauNVO hier auch tatsächlich funktioniert und die Gerichte kaum Anlaß haben, den Grundrechtsschutz genehmigungsbedürftiger Anlagen diesbezüglich zu aktualisieren. Diese Mechanismen gewährleisten den Grundrechtsschutz genehmigungsbedürftiger Anlagen auch unter einem weiteren Gesichtspunkt: Zwar könnte das Fehlen einer einzelfallbezogenen Abwägungsinstanz zu materiellen Belastungsungleichheiten führen, wenn das jeweilige Immissionsniveau von unterschiedlichen Anlagen nur mit unterschiedlichem wirtschaftlichem Aufwand eingehalten werden kann. Indes ist zu berücksichtigen, daß bei genehmigungsbedürftigen Anlagen die abschließende Immissionsvermeidungspflicht stets ergänzend durch die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG bestimmt wird, die – was unten D. darzustellen ist – bewirkt, daß unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG weitergehende Emissionsminderung zu betreiben ist, so daß jede Anlage mindestens diesen – generell verhältnismäßigen258 – Vermeidungsstandard einzuhalten hat. Entsprechend ist das „Nutzungsprofil“ von Industriegebieten nach § 9 I, II BauNVO dahin zu bestimmen, daß dort diejenigen Immissionen grundsätzlich zulässig sind, die notwendig mit industrieller Betätigung verbunden sind und auch mit verhältnismäßigem Aufwand i. S. des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG nicht vermieden werden können.
(b) Konsequenzen für Erheblichkeitsbegriff Da die Konfliktlösungsmechanismen der §§ 50 BImSchG und 8 I BauNVO zwingend die Existenz von Baugebieten mit abschichteten Immissionsniveaus voraussetzen, ist die wesentliche Funktion des Erheblichkeitsbegriffs in der Garantie derartiger gebietsadäquater Immissionsniveaus zu sehen. Auch ist zu berücksichtigen, daß bei der Festsetzung entsprechender Baugebiete die Berücksichtigung emittentenseitiger Belange bereits durch die planerische Abwägung nach § 1 VI, VII BauGB – insbesondere Abs. 6 Nr. 8 lit. a) BauGB („Belange der Wirtschaft“) – sichergestellt ist259, so daß jede weitere abwägende Berück___________ 257
Dazu oben 2. Teil S. 263 ff. Dazu unten S. 417 ff. 259 Zur Berücksichtigung der Planungsleitlinien des § 1 VI BauGB in der Abwägung des § 1 VII BauGB nur Hoppe, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 27 ff.; zur Konkretheit der Einstellung von Belangen in die Abwägung ders., ebd., § 5 Rn. 64; das 258
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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sichtigung im Rahmen der Anlagenzulassung die Gefahr einer unzulässigen Doppelwertung hervorriefe260.
(2) Abschichtung zu § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG Weitere Erkenntnisse sind aus der Abschichtung zur Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG zu gewinnen, die bereits dem klaren Wortlaut nach die Zulässigkeit auch erheblicher Nachteile und Belästigungen zum Gegenstand hat261. Für die Bestimmung des Mindestmaßes nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ist anerkannt, daß dieses und damit die Zulässigkeit von Immissionen oberhalb der Erheblichkeitsschwelle bestimmt wird durch eine Abwägung des Interesses der Nachbarn und der Allgemeinheit an Verringerung der schädlichen Umwelteinwirkung mit dem Nutzen der Anlage für die Allgemeinheit und dem Aufwand für die Minderung262. Damit wird das vom Einzelnen hinzunehmende Immissionsmaß abschließend über eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung aller Für und Wider die Immissionsverursachung sprechenden Umstände bestimmt, wie es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht263. Daraus folgt nicht nur, ___________ BVerwG bringt diese „Konkretheit“ durch die Formulierung zum Ausdruck, daß das Gebot gerechter Abwägung verletzt sei, wenn „in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß“ (grundlegend BVerwGE 45, 309 [314 f.] – Flachglas unter Verweis auf BVerwGE 34, 301 [309]; vgl. ferner J. Dreier, S. 72 f., 79 ff.). 260 Dazu Petersen, S. 82. 261 H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 49 f.; ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 69; Roßnagel, Anlagen, S. 62; ders., in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 143; Seiler, S. 68 f.; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 22; Papier, Freizeitlärm, S. 133; ders., NVwZ 1986, 624 (626); Engler, S. 74; Classen, JZ 1993, 1042 (1044); Petersen, S. 69; Herr, S. 41; a. A. Kutscheidt, NVwZ 1983, 65 (68), der die Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG mit der Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG gleichsetzt. – Differenzierend Graulich, S. 84 f., der dadurch zu einer Abschichtung beider Wertungsebenen gelangen möchte, daß er zwar auf beiden Ebenen dieselben Interessen berücksichtigt, jeweils aber mit unterschiedlichem Umfang und Gewicht. 262 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 147; Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 39; ders., JZ 1993, 601 (604); H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 49; Classen, JZ 1993, 1042 (1050); Seiler, S. 70; Engler, S. 131; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 22; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 146; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 242; BVerwGE 81, 197 (210) – Tegelsbarg: „... Beschränkung unvermeidbarer schädlicher Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß im Sinne des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG bedeutet nämlich ... Beschränkung auf ein unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Interessenausgleichs zumutbares Mindestmaß ... Bei unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen unterhalb der Gefahrenschwelle für Leben und Gesundheit von Menschen sind solche Beschränkungen vom Anlagenbetreiber erst dann nicht mehr hinzunehmen, wenn und soweit sie unverhältnismäßig sind“ (Hervorh. vom Verf.). 263 Zum Bezug zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz BVerwGE 81, 197 (210) – Tegelsbarg (Zitat vorher. Fn. ); ferner Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 148.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
daß diese rechtsfolgenbezogene Abwägung vorrangig ist gegenüber einer tatbestandsbezogenen im Rahmen des § 3 I BImSchG, sondern auch, daß die in der rechtsfolgenbezogenen Abwägung berücksichtigten Belange der tatbestandsbezogenen nicht mehr zur Verfügung stehen. Im folgenden ist daher zu bestimmen, welche Abwägungsbelange abschließend in § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG zu verorten sind; hierbei ist vom Zweck dieser Vorschrift auszugehen:
(a) „Näheprinzip“ als Grund des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG Wenn wie ausgeführt eine räumliche Trennung von störender und gestörter Nutzung grundsätzlich geeignet ist, eine Lösung immissionsschutzrechtlicher Nutzungskonflikte zu bewirken, so fragt sich, weshalb bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG auch erhebliche Nachteile und Belästigungen zulässig sind, zumal eine solche „Privilegierung“ nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen angesichts Art. 3 I GG problematisch sein könnte. Die Antwort hierauf erschließt sich aus der Typologie derjenigen nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, die in Gestalt der „Kirchturmglocken, Spielplätze, Sportanlagen, Freizeitanlagen, Entsorgungsanlagen ...“264 die Rspr. beschäftigt haben: Diese sind im wesentlichen durch eine dienende Funktion für die Wohnnutzung gekennzeichnet265, so daß sie im Gegensatz zum Normalfall genehmigungsbedürftiger Anlagen auf eine räumliche Nähe zur Wohnbebauung zwingend angewiesen sind. Der Trennungsgrundsatz kann hier somit seine konfliktvermeidende Wirkung bereits im Ansatz nicht entfalten266 und bedarf der Umkehrung in ein räumliches „Näheprinzip“267, das zugleich ratio der Privilegierung durch § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ist. ___________ 264
So die Aufzählung bei H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 197. Pflugmacher, S. 86. 266 H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 197. 267 So ausdrücklich Classen, JZ 1993, 1042 (1048); ebenso H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 197. – Am deutlichsten tritt dieses „Näheprinzip“ bei Kinderspielplätzen in Erscheinung, da Kindern keine langen Wege zugemutet werden können; insofern könnte ein Spielplatz im Gewerbe- oder Industriegebiet seine Funktion gar nicht erfüllen (Classen, JZ 1993, 1042 [1048]). Dasselbe gilt für Kirchen, da diese nach ihrem von Art. 4 I, II GG geschützten Selbstverständnis nicht nur dem sonntäglichen Gottesdienst dienen, sondern auch „für ein individuelles Gebet unter der Woche“ zur Verfügung stehen sollen (so zutreffend Classen, JZ 1993, 1042 [1048]). Gleiches gilt jedenfalls im Ansatz auch für Sportanlagen, bei denen aufgrund des Umstandes, daß Sport überwiegend in der Freizeit betrieben wird, eine Nähe zur Wohnbebauung immerhin wünschenswert und vorteilhaft ist (ebenso BVerwGE 81, 197 [208] – Tegelsbarg; ferner Papier, Freizeitlärm, S. 140, der darauf hinweist, daß Sportanlagen zu einem Großteil von Kindern und Jugendlichen genutzt werden, für die das Erfordernis wohnnaher Sportanlagen in besonderem Maße gilt; kritisch demgegenüber Fickert / Fieseler10, Vorbem §§ 2-9, 12-14 Rn. 12.72). – Ein derartiges „Näheprinzip“ stellt auch keinen 265
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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Auf Grundlage dieses „Näheprinzips“ sind diejenigen Gründe, die eine räumliche Nähe zur Wohnbebauung verlangen, nicht nur Legitimation für die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG, sondern zugleich angesichts des Eigentumsschutzes der Immissionsbetroffenen aus Art. 14 GG deren Grenze, da Art. 14 GG verlangt, daß das Maß der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle und das Gewicht der legitimierenden Gründe in einem angemessenen Verhältnis stehen. Dies führt einerseits dazu, die nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG durchzuführende Abwägung als Verhältnismäßigkeitsprüfung zu identifizieren, in der die das „Näheprinzip“ aktivierenden Gründe als „Zweck“ ins Verhältnis zu setzen sind zum „Mittel“ der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle. Andererseits ist diese Verhältnismäßigkeitsprüfung einzelfallbezogen im Hinblick auf die konkrete bebauungsrechtliche Situation durchzuführen, da das „Näheprinzip“ seine Legitimation überhaupt erst aus den individuellen bebauungsrechtlichen Gemengelagen erfährt, in die nicht genehmigungsbedürftige Anlagen regelmäßig eingebettet sind.
(b) Konsequenzen für Erheblichkeitsbegriff Will man auf dieser Grundlage eine sinnvolle Abschichtung von Erheblichkeit nach § 3 I BImSchG und Mindestmaß nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG vornehmen, kann dies auf die Kurzformel gebracht werden, daß der Erheblichkeitsbegriff die Konstituierung eines generellen gebietsadäquaten Immissionsniveaus zum Gegenstand hat, § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG hingegen dessen einzelfallbezogene Durchbrechung. Da die für letzteres benötigten Belange nicht bereits im Erheblichkeitsbegriff zur Geltung gebracht werden können, muß dieser notwendig einen generellen Maßstab enthalten, der gerade im gebietsadäquaten Immissionsniveau zu sehen ist. Diese Abschichtung fügt sich auch in die im 2. Teil dargestellten Anforderungen des Art. 14 GG, wonach die zulässige Sozialbindung von Grundstücken durch Immissionen jedenfalls im Ergebnis stets einzelfallbezogen zu bestimmen ist268, was nach dem hier entwickelten Verständnis gerade durch § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG geschieht. ___________ Widerspruch zu § 50 BImSchG dar, da dieser nach überwiegender Auffassung keinen zwingenden Planungsleitsatz enthält, sondern lediglich ein Optimierungsgebot, das durch andere Belange überwunden werden kann (so bereits BVerwGE 45, 309 [329 f.] – Flachglas; dazu Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 623; ferner BVerwGE 71, 163 [165]; Jarass, BImSchG6, § 50 Rn. 19; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 50 Rn. 27 ff.; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 50 Rn. 49 f.; Krebs, in: SchmidtAßmann13, 4. Kap. Rn. 104; Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 623; gegen einen auch nur relativen Vorrang des § 50 BImSchG demgegenüber H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 63 ff.; andeutungsweise auch Hoppe, VVDStRL 38 [1980], S. 279). 268 Dazu oben 2. Teil S. 276 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
b) Insbesondere „Sozialadäquanz“ Wenngleich die Sozialadäquanz wie dargestellt in der Rspr. eine zentrale Rolle spielt, ist ihr genauer Inhalt alles andere als geklärt; es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, daß diese Figur gerade aufgrund ihrer begrifflichen Unschärfe zum Einsatz kommt, um dann, wenn andere Kriterien versagen, die eigentlich zu treffenden Wertungen hinter dem „schillernden“ Charakter dieses Begriffs zu verdecken269. Ungeklärt ist insbesondere, inwieweit Sozialadäquanz ein normatives oder ein empirisch-faktisches Kriterium ist270. Hierzu hat das BVerwG 1996 anläßlich der Lärmimmissionen eines kommunalen Wertstoffhofs folgende Umschreibung geliefert: „In der bisherigen Rspr. dient der Begriff der sozialen Adäquanz zur Beschreibung von Verhaltensweisen oder Zuständen, die sich im sozialen Zusammenleben ergeben und die sich möglicherweise für den einzelnen sogar nachteilig auswirken, jedoch von der Bevölkerung insgesamt hingenommen werden, weil sich die Verhaltensweisen oder Zustände noch in den Grenzen des als sozial Üblichen und Tolerierbaren halten ... Welche Verhaltensweisen oder Zustände in diesem Sinne als noch sozialadäquat hingenommen zu werden pflegen, ergibt sich ersichtlich aus dem Begriff nicht selbst, sondern bestimmt sich nach dem jeweiligen tatsächlichen Bereich. Daß dabei auch bewertende Vorgaben der gesetzten Rechtsordnung bedeutsam sind, bedarf ebenfalls keiner näheren Vertiefung ...“ 271
Damit kann als erste elementare Funktion festgehalten werden, daß die Sozialadäquanz dazu dient, Immissionstragungspflichten zu begründen. Dem könnte zwar die Formulierung in derselben Entscheidung entgegenstehen, der Begriff der Sozialadäquanz entfalte „keine eigenständige Maßstabsfunktion“ und der „Kreis der zumutbaren Immissionen (werde) durch ihn weder erweitert ___________ 269
Vgl. exemplarisch die Zusammenstellung bei Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13a, wo sowohl der Inhalt dieses Begriffs als auch die Gründe seiner Anwendung auf den Einzelfall im Dunkeln bleiben. 270 Der Begriff der Sozialadäquanz findet sich in der juristischen Diskussion erstmals 1939 in einem Aufsatz von H. Welzel (ZStW 58 [1939], 491 [515 ff.]), in dem Welzel die finale Handlungslehre entwickelt. Welzel nahm hier die Entwicklung des modernen Massenverkehrs zum Anlaß, um darzulegen, daß jegliches soziale Miteinander zwangsläufig auf gegenseitigen Freiheitsbeschränkungen und Rechtsgutsverletzungen beruht. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, sei daher nicht jegliche Rechtsgutsbeeinträchtigung im strafrechtlichen Sinne relevant, sondern nur solche Verletzungshandlungen, die nicht mehr „sozialadäquat“ sind. Strafrechtlich irrelevant seien demgegenüber Handlungen, die sich funktionell völlig „innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens eines Volkes (bewegten)“ (ZStW 58 [1939], 491 [516 f.]). Solche Handlungen unterfielen als sozialadäquat bereits nicht dem Tatbestand einer Strafrechtsnorm (zur strafrechtlichen Diskussion nur Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder27, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 69 f.). – Zum gesamten ferner Sommer, S. 81: Sozialadäquanz als „Prinzip einer restriktiven Gesetzesauslegung“ und „Korrektiv einer unflexiblen gesetzlichen Tatbestandstypisierung“, die „außerrechtliche, anerkannte Ordnungsvorstellungen in die gesetzliche Regelung (trage)“. 271 BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1001) – Wertstoffhof (Hervorh. vom Verf.).
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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noch verengt“272, jedoch setzt sich das Gericht damit in Widerspruch zu den zustimmend zitierten Entscheidungen zum liturgischen Glockenläuten und zur Feueralarmsirene, in denen die Sozialadäquanz gerade zur Begründung von Immissionstragungspflichten herangezogen wird. Nachdem heute das gebietsadäquate Immissionsniveau auch in der Rspr. etabliert ist, kann diese Funktion nicht geleugnet werden, da etwa liturgisches Glockenläuten als „Paradefall“ sozialadäquater Lärmimmissionen das gebietsadäquate Immissionsniveau regelmäßig überschreitet273. Hier dient die Sozialadäquanz gerade nicht der Konkretisierung dieses Immissionsniveaus, sondern zu dessen (begrenzter) Durchbrechung274, und es ist nach den rechtfertigenden Gründen hierfür zu fragen.
aa) Sozialadäquanz als empirisch-faktischer Tatbestand In der Wertstoffhof-Entscheidung wird als rechtfertigender Grund für Immissionstragungspflichten kraft Sozialadäquanz ein bestehender gesellschaftlicher Konsens über hinzunehmende Belastungen genannt („von der Bevölkerung insgesamt hingenommen werden“). Dies könnte für ein empirisch-faktisches Verständnis sprechen, da das, was von der Bevölkerung „insgesamt hingenommen (wird)“, grundsätzlich mit sozialwissenschaftlichen Methoden ermittelt werden kann. Es ist jedoch keine Gerichtsentscheidung ersichtlich, in der die Sozialadäquanz entsprechend ermittelt worden wäre, was seine Ursache nicht nur in den tatsächlichen Schwierigkeiten haben dürfte, sondern vielmehr darin, daß es sich letztlich doch ein normatives Kriterium handelt: Sozialadäquat ist, was den Betroffenen als sozialadäquat zugemutet wird. Zwar ist ein rein empirisch-faktisches Verständnis damit nicht zwingend ausgeschlossen275, jedoch führte ein ___________ 272
BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1002); zustimmend Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 54. Im Reinen Wohngebiet betragen die zulässigen Immissionswerte tagsüber 50 dB(A) nach TA Lärm 1998 und 18. BImSchV bzw. 59 dB(A) nach der 16. BImSchV; demgegenüber lag der Entscheidung BVerwG, NVwZ 1997, 390 ff. ein Glockenläuten mit einem Beurteilungspegel von 66,6 dB(A) und einem Wirkpegel von 80,2 dB(A) zugrunde. Obwohl in diesem Fall das gebietsadäquate Immissionsniveau (hier ein allgemeines Wohngebiet mit einem Richtwert von 55 dB[A]) überschritten war, gelangte das BVerwG gleichwohl gerade mit dem Kriterium der Sozialadäquanz zu einer Rechtfertigung der konkreten Immissionsverursachung. 274 Dazu oben 2. Teil S. 275 ff. 275 So ist eine tatsächliche Sozialadäquanz denkbar, wenn eine Beeinträchtigung tatsächlich nicht als solche empfunden wird (vgl. Hense, S. 339), weil in der Nachbarschaft ein entsprechender tatsächlicher Konsens besteht (etwa in „tiefkatholischer“ Gegend bezüglich des liturgischen Glockenläutens). Indes sind derartige Konsense in der heutigen pluralistischen Gesellschaft nicht selbstverständlich, was die Vielzahl an Gerichtsentscheidungen über früher allgemein akzeptierte Geräuschquellen wie Kirchenglocken und Kinderspielplätze zeigt (dazu die Nachw. bei Herr, S. 85 in Fn. 383; ferner bezüglich Kirchenglocken Hense, S. 319 ff.). 273
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
solches zu unbefriedigenden Ergebnissen: So kann ein tatsächlicher Konsens nur konkret für die Nachbarschaft einzelner Anlagen festgestellt werden und zudem jederzeit entfallen, wenn Personen in die Nachbarschaft ziehen, die dem Zweck der Anlage ablehnend gegenüberstehen. Zwar könnte solchen Personen entgegengehalten werden, daß sie sich freiwillig in den Einwirkungsbereich dieser Anlage begeben und dadurch erst den Nutzungskonflikt ausgelöst haben, was verfassungsrechtlich auf einen Grundrechtsverzicht hinausliefe276. Indes hat dieses Argument im Rahmen des hier allein relevanten Art. 14 GG nicht dasselbe Gewicht wie im Rahmen des Art. 2 II 1 GG, da für Art. 14 GG allein maßgeblich ist, welcher „Inhalt“ dem Grundeigentum einfach-rechtlich hinsichtlich Störungsabwehrbefugnissen zugewiesen ist. Damit ist Art. 14 I 2 GG Angelpunkt der Problematik, und es ist zu fragen, inwieweit dieser ein empirisch-faktisches Verständnis überhaupt zuläßt:
(1) Erheblichkeitsbegriff als „Transformationsnorm“ Nach Art. 14 I 2 GG muß jede Immissionstragungspflicht, die den „Inhalt“ des Grundeigentums bestimmt, eine gesetzliche Grundlage haben, weshalb Art. 14 I 2 GG – ohne ein solcher zu sein – wie ein Gesetzesvorbehalt wirkt277. Soll daher ein tatsächlicher Konsens über die Sozialadäquanz einer Anlage auch gegenüber neu in den Einwirkungsbereich ziehenden Personen Wirkung entfalten, müßte er nach Art. 14 I 2 GG zum „Inhalt“ deren Grundeigentums geworden sein, was mangels ausdrücklicher Regelung nur über den Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG geschehen könnte278. Damit bekäme dieser die Funktion einer Blankett- oder Transformationsnorm, über die beliebige außerrechtliche Nützlichkeitsvorstellungen einer gesellschaftlichen Mehrheit in normativen Rang erhoben und tauglich würden, allgemein den „Inhalt“ von Grundeigentum zu bestimmen. Auch wenn es nicht grundsätzlich unzulässig ist, soziale und damit außerrechtliche Anschauungen in das Recht zu transformieren, was insbesondere die „guten Sitten“ und Treu und Glauben“ im Bürgerlichen Recht zeigen279, so ist ein solcher Norminhalt doch nicht selbstverständlich, und die fragliche Norm müßte mit hinreichender Bestimmtheit erkennen lassen, daß eine ___________ 276
Dazu oben 2. Teil S. 161 Fn. 523 ff. Dazu oben 2. Teil S. 81 Fn. 189. 278 Oder je nach Ergebnis der nachfolgend vorzunehmenden Abschichtung über die Minderungspflicht des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG; dazu sogleich S. 366 ff. 279 §§ 138 I, 242, 826 BGB; hierauf nimmt Bezug BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1001) – Wertstoffhof. – Vgl. demgegenüber jedoch die differenziertere Diskussion im allgemeinen Polizeirecht zur Verfassungsmäßigkeit der „Öffentlichen Ordnung“ als Schutzgut der polizeilichen Generalklausel (für Baden-Württ. § 1 I PolG); dazu mit Nachw. Würtenberger / Heckmann6, Rn. 408 ff.; Schoch, JuS 1995, 570 (575); ders., in: Schmidt-Aßmann13, 2. Kap. Rn. 79 ff.; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 42 ff. 277
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
361
solche „Transformation“ bewirkt werden soll. Hieran fehlt es beim Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG jedoch, da – wie ein Vergleich mit den genannten Normen zeigt – eine entsprechende Auslegung aufgrund seiner Unbestimmtheit nur möglich ist, allein die Möglichkeit einer solchen Auslegung jedoch kein Argument für diese ist. Gegen eine solche Auslegung spricht demgegenüber, daß die Erheblichkeit kraft faktischer Sozialadäquanz im Gegensatz zu den abstrakten Begriffen „Treu und Glauben“, „gute Sitten“ und auch der „Öffentlichen Ordnung“ einer ständigen Variabilität unterläge, da ein tatsächlicher Konsens nur einzelfallbezogen für eine konkrete Anlage festgestellt und jederzeit durch Fort- und Zuzug maßgeblicher Akzeptoren verändert werden kann. Ein solcher variabler Maßstab wäre jedoch als „Inhalt“ des Grundeigentums verfassungswidrig, da ein derartig labil ausgestaltetes Eigentum gegen die Eigentumsprinzipen der Institutsgarantie nach Art. 14 I 1 GG verstieße280. Somit reicht die Feststellung, eine Beeinträchtigung werde tatsächlich „von der Bevölkerung insgesamt hingenommen“, zur Begründung von Immissionstragungspflichten nicht aus281, da es stets auch darum geht, Immissionstragungspflichten gegenüber solchen Personen zu begründen, die nicht bereit sind, entsprechende Beeinträchtigungen hinzunehmen; hier können Immissionstragungspflichten nur normativ begründet werden.
(2) „Verständiger Durchschnittsmensch“ als Ausweg? Ein empirisch-faktisches Verständnis kann auch nicht dadurch aufrechterhalten werden, daß es normativ mit dem Maßstab des „vernünftigen“, „einsichtigen“ oder „verständigen“ Betroffenen angereichert wird, dem unterstellt wird, er werde eine Immission hinnehmen, auch wenn diese nach allgemeinen Kriterien nicht zu rechtfertigen ist282. Ein solcher „verständiger Durchschnittsmensch“ ___________ 280
Zu den Eigentumsprinzipien des Art. 14 I 1 GG oben 2. Teil S. 72 ff. So aber BayVGH, BayVBl. 1998, 310 (311): „Zugunsten der Beklagten ist hier zu berücksichtigen, daß Feiern örtlicher Vereine ... in einer hierfür gewidmeten Gemeindehalle kraft Herkommens zu den typischen Erscheinungsformen gemeindlichen Lebens gehören, so daß sie von der Nachbarschaft in höherem Maße als sozialadäquat akzeptiert werden als etwa gewerbliche Lärmimmissionen“ (Hervorh. vom Verf.); vgl. demgegenüber VGH Baden-Württ., VBlBW 1996, 108 (109): „Feiern örtlicher Vereine ... in einer hierfür gewidmeten Gemeindehalle gehören zu den typischen Erscheinungsformen gemeindlichen Lebens, die von den Anwohnern in höherem Maße zu tolerieren sind als etwa gewerbliche Lärmimmissionen“ (Hervorh. vom Verf.). 282 So die neuere Rspr. des BGH zum „differenziert-objektiven Maßstab“ (grundlegend BGHZ 120, 239 [255] – Froschquaken; ähnlich bereits BGHZ 111, 63 [68] – Volksfest); dazu Vieweg / Röthel, NJW 1999, 969 ff.; ebenso Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15a; Feldhaus, in: ders., BImSchR I Teil 1, § 3 Anm. 10; ders., Überlegungen, S. 168; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 51; Sellner / Reidt / Ohms3, 1. Teil Rn. 108; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 194. 281
362
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ist nämlich nicht nur reine Fiktion283, sondern angesichts des normativen Ansatzes, der ihm im Ergebnis zugrundeliegt, schlicht überflüssig, was an der Formulierung deutlich wird, „einsichtig“ sei, wer auch für ihn nachteilige normative Wertungen akzeptiere284. Insofern ginge es allein darum, ein rechtstechnisches Medium zu schaffen, um normative Wertungen zur Geltung zu bringen. Existieren derartige Wertungen, bedarf es jedoch dann eines solchen Mediums nicht, wenn – wie hier der Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG – Normen bereitstehen, über die die Wertungen unmittelbar in Immissionstragungspflichten umgesetzt werden können. In diesem Fall wird eine Akzeptanz der Immissionstragungspflicht denn auch von jedermann und nicht nur vom „einsichtigen“ Durchschnittsmenschen verlangt.
bb) Sozialadäquanz als normativer Tatbestand Nimmt man Art. 14 I 2 GG zum Ausgangspunkt eines normativen Verständnisses der Sozialadäquanz, so ist für jede Immissionstragungspflicht eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die jedoch auf jeder Normhierarchieebene angesiedelt sein kann285; auch dürfen an die Bestimmtheit entsprechender Immissionstragungspflichten keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Im folgenden sollen die maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen dargestellt werden, wobei zu unterscheiden ist, ob diese der Konstituierung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus oder zu dessen Durchbrechung dienen.
(1) Gebietsspezifische Sozialadäquanz Auszugehen ist vom Begriff der „Sozialadäquanz“, der – was die oft kumulierende Begriffsverwendung in der Rspr. zeigt – im Sinne von „herkömmlich“ und „allgemein üblich“ zu verstehen ist286. Während in den grundlegenden Entscheidungen zum liturgischen Glockenläuten und zur Feueralarmsirene287 die Sozialadäquanz nicht zur Konstituierung des gebietsadäquaten Immissionsni___________ 283
Ebenso Hense, S. 329; ähnlich Herr, S. 85 f. So Vieweg / Röthel, NJW 1999, 969 (970 f., 975), die betonen, daß mit dem Wechsel des Maßstabs vom „normalen“ zum „verständigen“ Durchschnittsmenschen in BGHZ 120, 239 ff. (dazu soeben Fn. 282) bereits bei der Beurteilung der Wesentlichkeit von Immissionen Wertungen und Abwägungen ermöglicht würden. 285 Dazu oben 2. Teil S. 280 ff. 286 Vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 1001 ff. (Leitsatz): „... Verhaltensweisen und Zustände, die sich im sozialen Zusammenleben ergeben und für den einzelnen nachteilig auswirken können ... (und) von der Bevölkerung insgesamt als üblich und tolerierbar angesehen und hingenommen werden ...“ (Hervorh. vom Verf.). 287 Dazu oben S. 346 ff. 284
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
363
veaus diente, sondern als Rechtfertigung für dessen Durchbrechung, ist die Sozialadäquanz keinesfalls auf diese Funktion beschränkt. So ist etwa ein Lärm verursachender Gewerbebetrieb in einem Gewerbegebiet ohne Zweifel „herkömmlich“ im Sinne von allgemein üblich und akzeptiert, nicht hingegen in einem Wohngebiet, was bereits aus dem Bauplanungsrecht folgt, das in Gestalt der Gebietstypologien der BauNVO nur eine gebietsadäquate Grundstücksnutzung erlaubt288. Da Gewerbelärm ferner im wesentlichen durch konstantes Ausmaß und Dauer gekennzeichnet ist, wird durch eine solche „allgemein übliche“ Nutzung das gebietsadäquate Immissionsniveau überhaupt erst konstituiert. Der BauNVO kommt daher nicht nur allgemein für die Bauleitplanung eine zentrale Rolle zu, sondern auch für das Immissionsschutzrecht289, da durch die Zuordnung bzw. Trennung miteinander vereinbarer und unvereinbarer Nutzungen elementare Aussagen über die gebietsspezifische Sozialadäquanz emittierender Nutzungen – d. h. das, was in diesem Gebietstyp „herkömmlich“ und „allgemein üblich“ ist – in einer Weise getroffen werden, die nach Art. 14 I 2 GG den Inhalt des Grundeigentums bestimmt. Fraglich ist, ob dieser Zuordnung zugleich die Aussage entnommen werden kann, daß nach der BauNVO miteinander vereinbare Nutzungsarten in ihrem gegenseitigen Beeinträchtigungspotential stets auch im konkreten Einzelfall hinzunehmen sind. Einer solchen Begründung konkreter Immissionstragungspflichten steht jedoch die typisierende Betrachtungsweise der BauNVO290 entgegen, da diese in den §§ 2 ff. zwar eine Zusammenfassung verschiedener Nutzungen unter dasselbe Immissionsniveau vornimmt und die daraus entstehenden Baugebiete in eine relative Rangordnung bringt, jedoch die meisten der dort genannten Nutzungsarten zugleich in mehreren Gebietstypen grundsätzlich oder ausnahmsweise zulässig sind. Dies soll am Beispiel der Sportanlagen erläutert ___________ 288 Engler, S. 113; H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 46; ders., Immisionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff.; ferner Pflugmacher, S. 86 ff. und passim. 289 In der Lit. wird daher zutreffend die Bedeutung der BauNVO für das hinzunehmende Immissionsmaß betont (H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff. und passim; ferner ders., Erheblichkeitsbegriff, S. 43 ff.; ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 59; Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 56; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15c; Gaentzsch, S. 36 ff.; Petersen, S. 77; A. Schmidt, S. 184 ff.; von Bomhard, S. 87 f.; Schulze-Fielitz, Immissionsschutz, S. 265 f.), da diese durch die Normierung unterschiedlicher Baugebietstypen nicht nur der Wohnnutzung als maßgeblichem Akzeptor einen unterschiedlichen Stellenwert zuweise, der von ausschließlicher Wohnnutzung im Reinen Wohngebiet (§ 3 BauNVO) bis hin zum grundsätzlich nicht zum Wohnen bestimmten Industriegebiet (§ 9 BauNVO) reiche, sondern damit zugleich der Wohnnutzung ein unterschiedliches Maß an Schutzwürdigkeit zuordne (H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 15 f. und passim; ferner Petersen, S. 71; Fickert / Fieseler10, Vorbem §§ 2-9, 12-14 Rn. 1). 290 Fickert / Fieseler10, Vorbem §§ 2-9, 12-14 Rn. 9 ff.; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 1 BauNVO Rn. 120 ff.; Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 4 Rn. 17; aus der Rspr. BVerwGE 68, 342 (346 f.).
364
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
werden, die in den meisten Gebieten der §§ 2 ff. BauNVO grundsätzlich oder ausnahmsweise zulässig sind291: Dadurch, daß Sportanlagen einerseits sowohl in allgemeinen Wohngebieten (vgl. § 4 II Nr. 3 BauNVO) als auch in Misch- und Gewerbegebieten (vgl. §§ 6 II Nr. 5, 8 II Nr. 4 BauNVO) grundsätzlich zulässig sind, andererseits aber die Wohnnutzung in diesen Baugebieten einen unterschiedlichen Schutz genießt, muß Sportanlagen in unterschiedlichen Baugebieten eine unterschiedliche gebietsspezifische Sozialadäquanz und daraus folgend eine unterschiedliche Immissionsverursachungsbefugnis zukommen. Damit begründen die Baugebietstypen der BauNVO die Zulässigkeit gerade nicht für konkrete Vorhaben, sondern für viele Vorhaben des gleichen Typs292, und ihr spezifischer Aussagegehalt besteht auch nur in der typisierenden Beschreibung miteinander grundsätzlich vereinbarer Nutzungen. Demgegenüber wird die abschließende Aussage über die Zulässigkeit einer konkreten Anlage erst im Zusammenwirken mit dem Immissionsschutzrecht getroffen, dem insofern eine zweifache Aufgabe zukommt293: Das Immissionsschutzrecht hat nicht nur ein bestimmtes quantitatives Immissionsniveau für die einzelnen Gebietstypen und damit das Maß konkreter gebietsspezifischer Sozialadäquanz festzusetzen294, was Gegenstand des Erheblichkeitsbegriffs des § 3 I BImSchG ist, sondern muß angesichts des räumlichen „Näheprinzips“ auch die Möglichkeit zu Durchbrechungen dieses Immissionsniveaus vorsehen, was Gegenstand des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ist. ___________ 291
So sind „Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke“ grundsätzlich zulässig in allgemeinen Wohngebieten (§ 4 II Nr. 3 BauNVO), besonderen Wohngebieten (§ 4a II Nr. 5 BauNVO), Dorfgebieten (§ 5 II Nr. 7 BauNVO), Mischgebieten (§ 6 II Nr. 5 BauNVO), Kerngebieten (§ 7 II Nr. 4 BauNVO) und Gewerbegebieten (§ 8 II Nr. 4 BauNVO), ausnahmsweise zulässig in reinen Wohngebieten (§ 3 III Nr. 2 BauNVO) und Industriegebieten (§ 9 III Nr. 2 BauNVO). 292 So Fehrenbach, S. 72; ähnlich BVerwG, NVwZ 1991, 982 ff. (Leitsatz 2). 293 Dem steht auch § 15 BauNVO nicht entgegen: Dieser dient zwar als Korrektiv zur typisierenden Baugebietstypologie der BauNVO (dazu soeben Fn. 290) der einzelfallbezogenen Feinabstimmung, indem ein „an sich“ nach den § 2 ff. BauNVO zulässiges Vorhaben dennoch im Einzelfall unzulässig sein kann (BVerwGE 109, 314 [323] – Sportplatz; NVwZ 1993, 987 [988]; zur Funktion des § 15 BauNVO ferner Roeser, in: König / Roeser / Stock, § 15 Rn. 5; Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 4 Rn. 84 f.; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 8). Indes sind die Maßstäbe dieser „Feinabstimmung“ in § 15 BauNVO nicht abschließend normiert, so daß dieser nicht nur offen ist, spezialgesetzliche Wertungen des Immissionsschutzrechts aufzunehmen, sondern aufgrund seiner Wertungsoffenheit einer solchen „Anreicherung“ auch notwendig bedarf (dazu unten S. 438 ff.). 294 Vgl. dazu das im wesentlichen nach den Gebietstypen der BauNVO gestaffelte Grenz- und Richtwertsystem der 16. BImSchV (§ 2 I), 18. BImSchV (§ 2 II) und TA Lärm 1998 (Nr. 6.1); tabellarische Übersicht unten S. 499 ff. – Vgl. auch H.-J. Koch / Maaß, NuR 2000, 69 (76), die in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen das Kriterium der „Sozialadäquanz“ im Ergebnis durch das Kriterium der „Gebietsadäquanz einer Nutzung“ ersetzen.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
365
(2) Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus Während der von privatwirtschaftlichen Anlagen im wesentlichen verursachte Gewerbelärm auf den gesamten Tag bezogen relativ konstant ist, stellt sich bei denjenigen hoheitlichen Anlagen, die ausweislich oben 1. c) die Rspr. vornehmlich beschäftigt haben, das Problem unregelmäßiger Immissionsverursachung, d. h. überwiegende Zeiten der Ruhe wechseln mit Belastungen, die das gebietsadäquate Immissionsniveau deutlich überschreiten. Hier müssen Durchbrechungen des gebietsadäquaten Immissionsniveaus zulässig sein, soll der Zweck der Anlage nicht vereitelt werden. Letzteres wird wie ausgeführt durch § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG geleistet, der sowohl rechtfertigender Grund als auch Limitierung von Durchbrechungen des gebietsadäquaten Immissionsniveaus ist. Ohne der unten E. erfolgenden Darstellung der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG vorzugreifen295, ist an dieser Stelle nur zu klären, welche Rolle hierbei der Sozialadäquanz zukommt. Vergegenwärtigt man sich das räumliche „Näheprinzip“ als ratio der Minderungspflicht des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG, bedarf es angesichts Art. 14 I 2 GG stets einer normativen Begründung dafür, daß eine „störende“ Nutzung im konkreten Fall räumliche Nähe zur „gestörten“ Wohnnutzung in Anspruch nehmen darf. Dies wird jedoch ebenfalls durch die gebietsspezifische Sozialadäquanz der BauNVO bewirkt, da mit der räumlichen Zuordnung bzw. Trennung miteinander vereinbarer und unvereinbarer Nutzungen zugleich das zulässige Maß räumlicher Nähe bestimmt wird. Hier trägt die BauNVO – was insbesondere das Beispiel der „Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke“ zeigt296 – zugleich dem Umstand Rechnung, daß diese Anlagen überwiegend bereits aufgrund ihres Zwecks auf räumliche Nähe zur Wohnnutzung angewiesen sind, da sie zu dieser in einem dienenden Verhältnis stehen; Beispiele sind die wohnnahe Anlage von Spiel-, Sport- und schulischen Anlagen297, ferner die bereits mehrfach genannten Feueralarmsirenen, Wertstoffhöfe und Gemeindehallen.
___________ 295
Dazu unten S. 425 ff. Dazu soeben Fn. 291. 297 Ebenso H.-J. Koch / Maaß, NuR 2000, 69 (76). – Zum Lärm von Kinderspielplätzen BVerwG, NJW 1992, 1779 ff.; BayVGH, NVwZ-RR 1994, 246 ff.; HessVGH, NVwZ-RR 1989, 177 f.; vgl. ferner die Verpflichtung zum Anlegen von Spielplätzen nach den Landesbauordnungen; dazu BVerwG, NJW 1992, 1779 (1780): „... Ein Kinderspielplatz ist eine für eine altersgemäße Entwicklung eines Kindes wünschenswerte, wenn nicht gar erforderliche Einrichtung, um einem Kind einen von Beeinträchtigungen der Umwelt weitgehend ungestörten Aufenthalt im Freien zu ermöglichen und ihm u. a. Gelegenheit zu geben, sein Sozialverhalten im Spielen mit anderen Kindern zu trainieren ... Um den Bedürfnissen von Kindern und etwaigen Betreuungspersonen Rechnung zu tragen, gehören Kinderspielplätze in die unmittelbare Nähe einer Wohnbebauung; sie sind als deren sinnvolle Ergänzung anzusehen ...“ 296
366
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
(3) Bedeutung des spezifischen Gemeinwohlnutzens Betrachtet man ferner die Beispiele hoheitlicher Immissionsverursachungen aus der obigen Rechtsprechungsübersicht298, zeigt sich, daß diesen Anlagen überwiegend ein spezifischer Gemeinwohlnutzen zugrundeliegt, der zugleich spezialgesetzlich fundiert ist299. In diesen Fällen könnte die Inanspruchnahme einer Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus grundsätzlich auch über diesen Gemeinwohlnutzen erfolgen, wenn nämlich dieser sich nur realisieren läßt, wenn die Anlage der Allgemeinheit als emittierende zur Verfügung steht. Dieser Ansatz findet sich auch in der Rspr., indem dort gleichrangig neben der allgemeinen Akzeptanz, sozialen Adäquanz und Herkömmlichkeit „bewertende Vorgaben der gesetzten Rechtsordnung“300 genannt werden. Gleichwohl kann die Sozialadäquanz nicht auf den Gemeinwohlnutzen einer Anlage reduziert werden, da stets der räumliche Bezug zur konkreten Wohnnachbarschaft hinzukommen und begründet werden muß, daß der Gemeinwohlnutzen gerade in dieser Nachbarschaft zu verwirklichen ist. Eine eigenständige Funktion bleibt den spezialgesetzlichen Gemeinwohldefinitionen jedoch bei der Bestimmung des konkret nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG zulässigen Mindestmaßes, da dieses aus dem räumlichen „Näheprinzip“ allein nicht abgeleitet werden kann und die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung eine genaue Bestimmung des Zwecks der Immissionsverursachung verlangt; hierauf ist unten E. zurückzukommen301.
cc) Zwischenergebnis zur Sozialadäquanz Damit erweist sich die Sozialadäquanz als eine Mischung aus empirisch-faktischen und normativen Kriterien, wobei konkrete Immissionstragungspflichten angesichts Art. 14 I 2 GG allein aus einem normativen Verständnis begründet werden können. Daher kommt der Sozialadäquanz und den synonymen Kriterien der „allgemeinen Akzeptanz“ und „Herkömmlichkeit“ im wesentlichen nur ___________ 298
Dazu oben S. 346 ff. So der Alarmzweck einer Feueralarmsirene nach den Landesfeuerwehrgesetzen (für Baden-Württ. § 3 II 1 FwG; dazu oben 2. Teil S. 274 Fn. 1035; ferner Pflugmacher, S. 88), die Aufgabe des Recycling für Altglascontainer oder Wertstoffhöfe nach dem KrW- / AbfG und der Betrieb kommunaler Gemeindehallen als öffentliche Einrichtungen i. S. der Gemeindeordnungen (dazu oben 2. Teil S. 274 Fn. 1037); weitere Beispiele bei Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 151; H.-J. Koch / Maaß, NuR 2000, 69 (75 f.). – Gleiches gilt jedenfalls im Ergebnis aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung der Kirchen (dazu oben 2. Teil S. 276 Fn. 1044) für das liturgische Glockenläuten, auch wenn dies kein Gemeinwohlnutzen im eigentlichen Sinne ist. 300 So BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1001) – Wertstoffhof. 301 Dazu unten S. 433 ff. 299
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
367
heuristische Funktion zu, da sie die Feststellung tatsächlicher Interessenkonflikte ermöglichen. Normativ ist die Sozialadäquanz demgegenüber Ausdruck der Vereinbarkeit unterschiedlicher Nutzungen im Sinne einer „gebietsspezifischen“ Sozialadäquanz, die jedoch – insofern im Unterschied zu einem empirisch-faktischen Verständnis – nicht auf der tatsächlichen Vereinbarkeit entsprechender Nutzungen beruht, sondern auf der rechtsverbindlich angeordneten Vereinbarkeit, was nicht ausschließt, daß die tatsächliche Vereinbarkeit gesetzgeberisches Motiv und ratio entsprechender Normen ist302.
c) Sonderfälle des gebietsadäquaten Immissionsniveaus Auch wenn das gebietsadäquate Immissionsniveau konstitutiv auf den Gebietstypologien der BauNVO aufbaut, findet es auch Anwendung im Rahmen derjenigen bauplanungsrechtlichen Zulassungstatbestände, in denen die BauNVO nicht unmittelbar zur Anwendung gelangt, d. h. im Rahmen der §§ 34 und 35 BauGB, was im folgenden darzustellen ist:
aa) Nicht beplanter Innenbereich (§ 34 I, II BauGB) Bei Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich ist zwischen der Zulässigkeit nach § 34 I BauGB und § 34 II BauGB zu unterscheiden: Während im letztgenannten Fall die Bebauung einem der Baugebietstypen der BauNVO entspricht und somit das gebietsadäquate Immissionsniveau unmittelbar aus dieser bestimmt werden kann, stellt sich im Rahmen des § 34 I 1 BauGB das Problem, daß hier definitionsgemäß eine diffuse Bebauung vorliegt, die sich einer Gebietskategorisierung entzieht. Hier ist auf das Kriterium des Sich-Einfügens abzustellen, das insofern das zentrale Zulässigkeitskriterium bildet303 und vom BVerwG im Sinne einer „Rahmentheorie“ angewendet wird. Danach ist der jeweils beachtlichen Umgebung304 ein „Rahmen“ dergestalt zu entnehmen, daß ___________ 302 Diese normative Dimension der Sozialadäquanz wird in der Rspr. nicht stets in ausreichender Deutlichkeit gesehen, sondern weist eine unklare Schwebelage zwischen Faktizität und Empirie auf (exemplarisch BVerwG, NVwZ 1996, 1001 ff. – Wertstoffhof [Zitat oben S. 358 f.]). – Deutlich wird die normative Komponente demgegenüber in BVerwGE 68, 62 (68) – Kirchliches Glockenläuten: Glockenläuten „muß ... als sozialadäquat ertragen werden“ (Hervorh. vom Verf.); auf die empirisch-faktische Dimension abstellend demgegenüber BVerwGE 88, 143 (149) – Sportplatz („... hat das Gericht zu prüfen, ob diese Bewertungen der allgemeinen Einschätzung in der Bevölkerung und damit dem entsprechen, was mit den Begriffen ‚Sozialadäquanz‘ und ‚Akzeptanz‘ als für die Lärmbeurteilung auch maßgeblichen Merkmalen ausgedrückt wird“); ebenso BayVGH, BayVBl. 1998, 310 f. (zu dieser Entscheidung oben S. 361 Fn. 281). 303 Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 7 Rn. 143 ff. 304 Zu deren Bestimmung nur Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 24 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
dann, wenn dort „Wohngebäude, Gewerbebetriebe ohne erhebliche Nachteile für die Umgebung, aber auch Gewerbebetriebe von stärker emittierender Art vorhanden (sind)“, der Rahmen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung „vom Mischgebiet bis zum Industriegebiet (reicht)“305. Es kann somit auch für § 34 I BauGB ein gebietsadäquates Immissionsniveau bestimmt werden, indem die Gebietstypen der BauNVO als Auslegungshilfe herangezogen werden306 und derjenige (gedachte) Gebietstyp das Maß zulässiger Immissionsverursachung vorgibt, der am unteren Ende des „Rahmens“ steht. Diese „Rahmenbetrachtung“ findet eine Einschränkung darin, daß nach § 34 I 2 Halbsatz 1 BauGB die „Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ gewahrt sein müssen. Angesichts der Zielsetzung des § 34 I BauGB kann darunter nicht die (äußerste) Schwelle zur Gesundheitsgefahr verstanden werden, sondern es ist davon auszugehen, daß „gesunde“ Wohnverhältnisse bereits solche sind, die dem Wohnen zuträglich sind307. Damit kann zwar der Aussage zugestimmt werden, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse könnten nicht hinter den Anforderungen des BImSchG zurückbleiben308. Problematisch ist jedoch die weitere Aussage, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien jedenfalls dann nicht mehr gewahrt, wenn die „zur Konkretisierung des § 3 BImSchG festgesetzten Grenzwerte der TA Lärm und TA Luft überschritten werden“309, denn die TA Lärm konkretisiert das gebietsadäquate Immissionsniveau gerade abgestuft nach den Gebietstypen der BauNVO310. Insofern verweist die TA Lärm die Frage der Höhe des Immissionsniveaus an das Bauplanungsrecht zurück, das diese daher selbst zu beantworten hat. Hier hilft ein Rückgriff auf die Immissionswerte für Mischgebiete i. S. des § 6 BauNVO311, da diese im wesentlichen die Schwelle markieren dürften, ab der noch von „gesunden“ Wohnverhältnissen gesprochen werden kann312.
___________ 305 So BVerwGE 55, 369 (384); ebenso Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 35; ferner Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 7 Rn. 145; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 30. 306 Dazu Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR2, § 7 Rn. 147; Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 49; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 33, 39, 53; danach stellt die BauNVO eine sachverständige Konkretisierung moderner Planungsgrundsätze dar, die auch für den nicht beplanten Innenbereich Bedeutung hat (BVerwGE 32, 31 [36]; 68, 360 [368]; NVwZ 1995, 698 [699]). 307 So H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 156; Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 80. 308 So Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 80. 309 So ebenfalls Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 80. 310 Nr. 6.1 TA Lärm 1998. 311 Vgl. Nr. 6.1 lit. c) TA Lärm 1998. 312 So H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 156; ebenso Herr, S. 61.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
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Ein weiteres „Abschichtungsproblem“ zwischen Immissionsschutz- und Bauplanungsrecht stellt sich, wenn man mit dem BVerwG das Einfügens-Gebot durch das Rücksichtnahmegebot interpretativ anreichert313 und die Grenze des Zumutbaren beim Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG grundsätzlich überschritten sieht314; auch hier trifft das Immissionsschutzrecht mit dem gebietsadäquaten Immissionsniveau kein abschließendes Urteil über die Zumutbarkeit eines entsprechenden Vorhabens, sondern ist darauf angewiesen, daß das Bauplanungsrecht seinerseits die Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets vorgibt.
bb) Außenbereich (§ 35 BauGB) Auch im (nicht beplanten) Außenbereich kann das gebietsadäquate Immissionsniveau nicht ausgehend von der Gebietstypologie der BauNVO bestimmt werden, zumal der Außenbereich im Hinblick auf zulässige immissionsverursachende und immissionsempfindliche Nutzungen eine noch viel größere Bandbreite aufweist als der nicht beplante Innenbereich315. Maßgeblich für das zulässige Immissionsniveau ist hier vielmehr – vergleichbar dem Sich-Einfügen bei § 34 I 1 BauGB – die Unterscheidung zwischen privilegierten und nicht privilegierten Vorhaben nach § 35 I und II BauGB, da der Gesetzgeber die privilegierten Vorhaben für den Außenbereich gleichsam generell geplant hat316 und ihnen gegenüber entgegenstehenden öffentlichen Belangen ein gesteigertes Ge___________ 313
Grundlegend BVerwGE 55, 369 (385 f.); weitere Nachw. bei Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 39 ff.; zustimmend Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 48 ff.; Battis / Krautzberger / Löhr9, § 34 Rn. 17 ff.; Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR2, § 7 Rn. 150 f.; H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 152 f.; Oldiges, in: Steiner7, IV Rn. 215. – Danach gebietet das Gebot der Rücksichtnahme eine Abwägung der beiderseitigen Belange; sind die Belange der Umgebung schutzwürdiger, muß der Bauherr dem bei der Bebauung seines Grundstücks Rechnung tragen (Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 46). Dabei soll das Kriterium der Unzumutbarkeit maßgeblich und unzumutbar solche Einwirkungen sein, die den Betroffenen billigerweise nicht mehr zugemutet werden können (Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 46; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 50). – Allgemein zum Rücksichtnahmegebot Hoppe, in: ders. u. a., ÖffBauR2, § 5 Rn. 153 ff.; Büchner / Schlotterbeck3, Rn. 1148 ff.; Jäde, JuS 1999, 961 ff. 314 Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 50; Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 34 Rn. 45; diese Ansicht ist insofern problematisch, als § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG wie dargestellt auch Immissionen oberhalb der Schwelle des § 3 I BImSchG zuläßt. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit sich diese immissionsschutzrechtliche Wertung auch gegenüber dem Baurecht durchsetzt; dazu unten S. 438 ff. 315 So kann die zulässige Nutzung vom Sanatorium bis zum Truppenübungsplatz reichen (vgl. Herr, S. 61 f.); zu letzterem BVerwGE 88, 210 ff. 316 Grundlegend BVerwGE 28, 148 (150).
370
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
wicht zukommt317. Treffen daher privilegierte und nicht privilegierte Nutzungen zusammen, muß das gebietsadäquate Immissionsniveau und damit die „Erheblichkeit“ i. S. des § 3 I BImSchG so bestimmt werden, daß sich die privilegierte Nutzung noch sinnvoll verwirklichen läßt318. Dem könnte § 35 III 1 Nr. 3 BauGB entgegenstehen, wonach eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegt, wenn das Vorhaben „schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird“319. Indes stellt sich hier, wenn man diese mit der h. M. im Sinne des § 3 I BImSchG interpretiert320, dasselbe Abschichtungsproblem wie soeben zu § 34 I BauGB beschrieben, da § 3 I BImSchG mit dem Erheblichkeitsbegriff wiederum auf das Bauplanungsrecht und das durch die grundsätzliche Zulässigkeit privilegierter Vorhaben konstituierte Immissionsniveau des § 35 I BauGB zurückverweist321. Wenn daher in der Rspr. formuliert wird, weder § 35 III BauGB noch sonstige Vorschriften des Bebauungsrechts „(vermittelten) gegenüber schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG einen andersartigen oder weitergehenden Schutz als § 5 I BImSchG“, der insofern eine spezielle Ausprägung des Rücksichtnahmegebots darstelle322, ist dies nur die halbe Wahrheit, und es wird verkannt, daß gerade dem Bebauungsrecht die Aufgabe zukommt, die konkrete Schutzwürdigkeit der betroffenen Nutzungen zu bestimmen323. Zutreffender erscheint demgegenüber die „Wechselwirkungs“-These, welche von einem funktionalen Zusammenspiel von Bebauungsrecht und Immissionsschutzrecht ausgeht und vom BVerwG wie folgt umschrieben wird: „Immissionsschutz- und Bebauungsrecht (stehen) in einer Wechselwirkung zueinander: Einerseits konkretisiert das Bundes-Immissionsschutzgesetz die gebotene Rücksichtnahme … allgemein und folglich auch mit Wirkung für das Bebauungsrecht; andererseits bemißt sich die Schutzwürdigkeit eines Gebietes nach dem, was dort pla-
___________ 317 BVerwGE 28, 148 (151 f.); 48, 109 (114); 68, 311 (313); aus der Lit. Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 35 Rn. 9; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 35 Rn. 60; Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 7 Rn. 185 f.; Sellner / Reidt / Ohms3, 1. Teil Rn. 382. 318 Ebenso Herr, S. 62; H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 164. 319 Auch § 35 III 1 Nr. 3 BauGB wird als Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme verstanden (BVerwG, NVwZ 1994, 686 [686 f.]; NVwZ 1983, 609 [609 f.]; ebenso Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 35 Rn. 89; Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 35 Rn. 68, 83); Sellner / Reidt / Ohms3, 1. Teil Rn. 386. 320 Dürr, in: Brügelmann, BauGB II, § 35 Rn. 84; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 35 Rn. 88; BVerwGE 52, 122 (125). 321 Ebenso H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 164. 322 So VGH Baden-Württ., NVwZ 1990, 985 (987); ähnlich BVerwGE 68, 58 (60); zustimmend Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 50. 323 Zutreffend H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 46, wonach § 3 I BImSchG wesentlich dem „Bebauungsrecht die Aufgabe (zuweise), über das örtlich gebotene Maß an Immissionsschutz zu entscheiden“; ebenso ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 62; ders., Immissionsschutz durch Baurecht, S. 17 ff.
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
371
nungsrechtlich zulässig ist ... Daraus folgt, daß die normativen Anforderungen des Immissionsschutzes von beiden Seiten her konkretisiert werden können ...“324
d) Tatsächliche und plangegebene Vorbelastungen und Mittelwertbildung Ferner sollen im Rahmen der Erheblichkeit nach verbreiteter Ansicht in Rspr.325 und Lit.326 tatsächliche und plangegebene Vorbelastungen schutzmindernd zu berücksichtigen sein. Hierbei sind mehrere Problemdimensionen zu unterscheiden: Zunächst wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die Berücksichtigung tatsächlicher Vorbelastungen dann ein Kausalitätsproblem ist, wenn es um die Beurteilung neu hinzutretender Anlagen geht327: Ist nämlich die Vorbelastung so beschaffen, daß die hinzutretende Immissionsquelle gar nicht als (zusätzlich) störend wahrgenommen wird, trägt diese auch nicht kausal zur Gesamtbelastung bei, und ihre Zulassung kann nicht an der Verursachung schädlicher Umwelteinwirkungen scheitern328. Indes erschöpft sich hierin die Problematik nicht, wenn man den umgekehrten Fall betrachtet, daß eine immissionsempfindliche Nutzung neu hinzutritt. Hier kann es nur darum gehen, ob die Vorbelastung zu einer Erhöhung der Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall führt329. Zu klären ist daher das Verhältnis tatsächlicher oder plangegebener Vorbelastungen zum gebietsadäquaten Immissionsniveau: Da im nicht beplanten Innenbereich die tatsächlich vorhandenen immissionsverursachenden Nutzungen wie ausgeführt das Ende des „Rahmens“ bestimmen, in den sich Vorhaben i. S. des § 34 I 1 BauGB „einfügen“ müssen330, kommt den tatsächlichen Vorbelastungen, die nur mit anderen Worten diesen ___________ 324 BVerwG, NVwZ 1990, 257 (257) – Hervorh. vom Verf.; ebenso NVwZ 2000, 679 (679); NVwZ 1996, 1001 (1002) – Wertstoffhof; NVwZ 1993, 987 (988); BVerwGE 74, 315 (326); 98, 235 (246) – Autolackiererei; 109, 246 (253 f.); zustimmend Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 224; Paetow, FS Kutscheidt, S. 325. 325 BVerwGE 59, 253 (263); 71, 150 (155 ff.); 77, 285 (292 f.); 88, 210 (214); 98, 235 (244) – Autolackiererei; in der Sache auch 109, 314 (322) – Sportplatz. 326 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 58; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15d; ders., FS Feldhaus, S. 20; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 195 mit Abbildung 8; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 47; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 121; Petersen, S. 79 f.; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 106; von Bomhard, S. 25. 327 Michler, Rechtsprobleme, S. 76 ff.; Hügel, S. 27 ff. 328 Dazu mit Rechenbeispielen für Lärm Michler, Rechtsprobleme, S. 78 f.; danach gilt folgendes: Weisen Vorbelastung und neu hinzu tretende Anlagen einen gleich hohen Schallpegel auf, führt dies schallphysikalisch zu einer Erhöhung des Gesamtpegels um 3 dB(A), was für das menschliche Ohr gerade noch wahrnehmbar ist; liegt demgegenüber der Schallpegel der neu hinzu tretenden Anlage 10 dB(A) unterhalb der Vorbelastung, wird eine für das menschliche Ohr wahrnehmbare Schallpegeländerung nicht bewirkt. 329 So deutlich BVerwGE 109, 314 (322) – Sportplatz. 330 Dazu oben S. 367 ff.
372
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
„Rahmen“ umschreiben, die Funktion zu, das gebietsadäquate Immissionsniveau überhaupt erst zu konstituieren. Plangegebene Vorbelastungen können demgegenüber bei § 34 I 1 BauGB nur eine Rolle spielen bei einer gebietsübergreifenden „Ausstrahlung“ eines benachbarten (beplanten) Baugebiets331, wenn dort emittierende Nutzungen zwar (rechtmäßig) geplant, aber noch nicht verwirklicht sind, ferner bei anderen Planungen, insbesondere Fachplanungen, was hier nicht vertieft werden kann. Gleiches gilt für den Außenbereich, sofern die Vorbelastungen von privilegierten Vorhaben nach § 35 I BauGB ausgehen, da auch hiermit der „Rahmen“ des Immissionsniveaus bestimmt wird332. In diesen Fällen kann davon gesprochen werden, daß entsprechende Vorbelastungen die jeweilige Gebietsart in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht „prägen“333 und insofern im Rahmen des § 3 I BImSchG beachtlich sind, jedenfalls solange sie nicht aus anderen Gründen unzumutbar sind334. Demgegenüber wird im Bebauungsplangebiet der „Rahmen“ des immissionsschutzrechtlich Zulässigen von vornherein planungsrechtlich bestimmt, so daß plangegebenen Vorbelastungen – von den auch hier denkbaren baugebietsübergreifenden und fachplanerischen Vorbelastungen – ein eigenständiger Aussagehalt nicht zukommt. Gleiches gilt für tatsächliche Vorbelastungen, sofern sie sich in diesem Rahmen halten. Anders jedoch, wenn die tatsächlichen Vorbelastungen das planungsrechtlich bestimmte Immissionsniveau überschreiten, was einmal auf einer von vornherein rechtswidrigen Immissionsverursachung beruhen kann; in diesem Fall besteht jedoch kein Grund, die Vorbelastungen schutzmindernd zu berücksichtigen, zumal ansonsten der normative Anspruch der Planung unterlaufen würde335. Ferner kann die Vorbelastung ursprünglich rechtmäßig gewesen, später aber das zulässige Immissionsniveau durch Überplanung mit einem immissionsempfindlicheren Gebietstyp abgesenkt worden sein. In diesem Fall kann auf seiten der vorbelastenden Anlage ein aus Art. 14 GG resultierender Bestandsschutz zu berücksichtigen sein, zu dem das BVerwG in der Tunnelofen-Entscheidung grundlegend ausgeführt hat: ___________ 331
Dazu Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 224 a. E. Dazu oben S. 369 ff. 333 So Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15d. 334 So sollen nach der Rspr. des BVerwG Lärmvorbelastungen dann unbeachtlich sein, wenn sie unzumutbar sind, was das BVerwG beim Überschreiten der Grenze annimmt, „oberhalb derer das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) verletzt wird oder das Recht auf Nutzung des Eigentums (Art. 14 I 1 GG) nur gegen Entschädigung eingeschränkt werden darf ...“ (so BVerwG, NVwZ 1991, 881 [883]; ferner BVerwGE 88, 210 [214] – Truppenübungsplatz); ebenso Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15d; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 106. 335 Entsprechend wird in der Lit. teilweise auf die Rechtmäßigkeit der Immissionsverursachung abgestellt (vgl. Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15d; ders., FS Feldhaus, S. 20; Kotulla, in: ders., § 3 Rn. 47; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 106; einschränkend auf formelle Rechtmäßigkeit Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 58). 332
B. Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“
373
„Vielmehr liegen ‚erhebliche Belästigungen‘ … auch dann nicht vor, wenn sich die Eigentümer ... die Belästigungen aus eigentumsrechtlichen Gründen zumuten lassen müssen. Das ist in der Reichweite eines ... durch Art. 14 I GG begründeten ... Bestandsschutzes der Fall. Der Bestandsschutz, den ein Grundstück genießt, ist Bestandteil der „Situation“, in die dieses Grundstück und seine Umgebung hineingestellt sind; sie erweist sich nach der einen Seite als Situations-Berechtigung, nach der anderen hingegen als Situations-Belastung ...“336 (Hervorh. vom Verf.)
Zutreffend ist hier der Zusammenhang zwischen Vorbelastungsproblematik und eigentumsrechtlichem Bestandsschutz erkannt, da sich tatsächliche Vorbelastungen jedenfalls soweit gegenüber dem (späteren) gebietsadäquaten Immissionsniveau durchsetzen müssen, als von der Anlage bestandsschutzrechtlich eine Anpassung an das neue Niveau nicht verlangt werden kann337; für Herleitung und Umfang dieses Bestandsschutzes wird auf die Ausführungen zur nachträglichen Durchsetzung der Grundpflichten unten F. verwiesen338. Nicht zuzustimmen ist dieser Entscheidung jedoch insofern, als die schutzmindernde Berücksichtigung des Bestandsschutzes gerade im Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG erfolgt339, da damit die systematische Abschichtung zu den Vorschriften über nachträgliche Anordnungen – hier § 17 BImSchG – verfehlt wird, welche – angesichts Art. 14 I 2 GG zugleich abschließend – über die Reichweite des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes bestimmen. Würde die Bestandsschutzproblematik bereits vollständig von § 3 I BImSchG erfaßt, könnten im Rahmen nachträglicher Anordnungen niemals „schädliche Umwelteinwirkungen“ i. S. des § 3 I BImSchG vorliegen, die gleichwohl aus bestandsschutzrechtlichen Gründen hinzunehmen sind; daß § 17 BImSchG jedoch letztere Vorstellung zugrunde liegt, wird unten F. gezeigt werden340. Eine eigenständige Bedeutung bleibt den tatsächlichen Vorbelastungen im Bebauungsplangebiet im Rahmen einer gebietsübergreifenden Betrachtung. Diese ist grundsätzlich geboten, da ein Baugebiet in ganz unterschiedliche Zusammenhänge „hineingeplant“ werden kann341, je nachdem, ob ein neues allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO an ein bestehendes allgemeines Wohngebiet, ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO oder gar an den durch emittierende privilegierte Nutzung geprägten Außenbereich herangeplant wird. Da der Übergang unterschiedlicher Immissionsniveaus verschiedener Gebiete tatsächlich aber ein fließender ist, ist in diesen Randgebieten nach einem gegenseitigen Ausgleich zu suchen. Hierzu hat das BVerwG in der Tunnelofen-Entscheidung ___________ 336
BVerwGE 50, 49 (55 f.); zustimmend BVerwGE 98, 235 (245). Ebenso Sellner / Reidt / Ohms3, 2. Teil Rn. 185. 338 Dazu unten S. 443 ff., 449 ff. 339 Ablehnend daher auch H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 51 f.; ders., in: GKBImSchG, § 3 Rn. 72 ff.; ders., Immissionsschutzrecht durch Baurecht, S. 174 ff. 340 Dazu unten S. 458 ff. 341 Vgl. BVerwGE 98, 235 (244) – Autolackiererei. 337
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ausgeführt, daß in derartigen Bereichen die Grundstücksnutzung „mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet (sei)“, was nicht nur zur Pflichtigkeit dessen führe, der Belästigungen verbreitet, sondern auch „im Sinne der ‚Bildung einer Art von Mittelwert‘ ... zu einer die Tatsachen respektierenden Duldungspflicht derer, die sich in der Nähe von ... Belästigungsquellen ansiedeln“342. Später hat das BVerwG klargestellt, daß dieser „Mittelwert“ nicht nur rein arithmetisch zu bilden ist343. Dieser Rechtsprechung ist – und zwar gerade als Gegenstand des § 3 I BImSchG – zuzustimmen, da sie notwendig in der Konzeption abgeschichteter gebietsspezifischer Immissionsniveaus angelegt ist und diese nur konsequent fortführt.
3. Zusammenfassung: „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen Damit kann festgehalten werden, daß dem Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG die Aufgabe zukommt, auf Grundlage der Gebietstypologie der BauNVO als zentraler Vorgabe des Bebauungsrechts an das Immissionsschutzrecht ein gebietsadäquates Immissionsniveau zu konstituieren. Hierbei gibt die BauNVO die Schutzwürdigkeit der Gebiete vor und bestimmt deren abstraktes „Anforderungsprofil“, welches das Immissionsschutzrecht durch Zuweisung quantitativer Immissionsniveaus auszugestalten hat. In inwieweit das Immissionsschutzrecht dem in den einschlägigen untergesetzlichen Regelwerken nachgekommen ist, wird unten G. zu betrachten sein344.
___________ 342 So grundlegend BVerwGE 50, 49 (54) – Tunnelofen (Hervorh. vom Verf.); ferner 98, 235 (244) – Autolackiererei; ebenso VGH Baden-Württ., NVwZ 2001, 1184 (1185 f.); dazu, daß diese Rspr. auch für Geruchsimmissionen gilt, BVerwG, NVwZ-RR 1994, 139 (139 f.). – Aus der Lit. zustimmend Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 59; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15c; ders., FS Feldhaus, S. 20; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13a; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 93; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 120; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 111. – Aus baurechtlicher Sicht Hoppe, in: ders. u. a., ÖffBauR3, § 5 Rn. 172 f.; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg II, § 34 Rn. 53; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 178 ff.; Fickert / Fieseler10, § 15 Rn. 23.3. – Diese „Mittelwert-Rspr.“ hat eine normative Konkretisierung in Nr. 6.7 TA Lärm 1998 erfahren. 343 BVerwG, NVwZ 1985, 186 (186 f.); NVwZ-RR 1994, 139 (139 f.); Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 59; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 15c; ders., FS Feldhaus, S. 20; H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 145. 344 Dazu unten S. 475 ff., 498 ff.
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
375
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG normiert die „Schutz-“ oder „Abwehrpflicht“345; danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß „schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können“. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ist paradigmatisch für einen immissions- und akzeptorbezogenen Wirkungsstandard, bei dem der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG als Vermeidungsobjekt dasjenige benennt, was nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zu vermeiden ist.
I. Tatbestand der Risikozurechnung Bei der Risikozurechnung geht es um die Frage, inwieweit eine bestimmte Immissionssituation einer konkreten Anlage zugerechnet werden kann346. Die Risikozurechnung umfaßt dabei die Emissions- und Immissionsprognose347, während die Wirkungsprognose als Frage, welche schädigenden Wirkungen hervorgerufen werden, allein Gegenstand des § 3 I BImSchG ist. Die Zurechnung setzt voraus, daß Emissionen einer Anlage einen Kausalbeitrag zu Immissionsverhältnissen am Einwirkungsort liefern348. Ferner soll auch für die Emissions- und Immissionsprognose eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend sein, was aus dem Wort „können“ in § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gefolgert wird349. Zugleich sollen auch hierbei die Grundsätze der Relationalität gelten, so daß um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zu stellen sind, je größer der prognostizierte Schaden ist350.
___________ 345
Im folgenden wird diese im Anschluß an Roßnagel (GK-BImSchG, § 5 Rn. 142) in Abgrenzung zur grundrechtlichen Schutzpflicht als „Abwehrpflicht“ bezeichnet. 346 Petersen, S. 121. 347 Dazu Petersen, S. 37 ff.; abweichend Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 222. 348 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 94; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 72; zum Streit um den zugrundeliegenden Verursachungsbegriff, auf den vorliegend nicht näher eingegangen werden kann, Petersen, S. 121 ff. und Roßnagel, in: GKBImSchG, § 5 Rn. 279 ff.; ferner zur Frage der Relevanz minimaler Verursachungsbeiträge Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 17; Petersen, S. 130 ff.; ausführlich Hansmann, FS Kutscheidt, S. 291 ff.; kritisch Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 300 ff. 349 Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 16; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 94; Blank, S. 146 f. 350 Petersen, S. 138 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 94.
376
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
II. Tatbestand der Risikosteuerung Nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG dürfen schädliche Umwelteinwirkungen „nicht hervorgerufen werden können“. Hierbei deutet das Wort „nicht“ auf einen strikten und kategorischen Vermeidungsstandard hin, wonach die Schwelle des § 3 I BImSchG in jedem Fall die Obergrenze zulässiger Immissionen bildet351. Gleichwohl gibt es in Rspr. und Lit. mehrere Ansätze, ein solches Verständnis zu relativieren. Am weitesten geht der Ansatz von Petersen, wonach auch die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG auf der Rechtsfolgenseite unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stehe und offen sei für die abwägende Berücksichtigung gegenläufiger Belange352. Nach einem anderen Ansatz soll das Hervorrufen schädlicher Umwelteinwirkungen nicht „denknotwendig“ ausgeschlossen sein353, sondern es gelte ein „doppelter Wahrscheinlichkeitsmaßstab“: Mögliche Risiken müßten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auftreten können und diese müßten „mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen werden354. In diesen Aussagen zeigt sich eine doppelte Verwendung des Verhältnismäßigkeitsbegriffs, da einmal eine umfassende, auch gegenläufige Belange berücksichtigende Abwägung gefordert wird, während nach der zweiten Auffassung Verhältnismäßigkeit nur Synonym für einen relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist355. Beide Ansätze sollen im folgenden betrachtet werden.
___________ 351
Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 166, 324; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 22; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 40; danach ist relativ lediglich die Beurteilung eines Risikos als „Gefahr“ auf der Tatbestandsseite; ist jedoch eine Gefahr als solche erkannt, soll sie als Rechtsfolge ohne Relativierung abzuwehren sein. 352 Petersen, S. 160 ff., insbes. S. 162 ff. 353 So Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 61 a. E. 354 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 61 a. E. (Hervorh. vom Verf.); ebenso Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 131; im Ergebnis auch Murswiek, Verantwortung, S. 237 ff.; Koepfer, S. 29; diese Auffassung beruft sich auf BVerwGE 55, 250 (254) – Voerde; zur Kritik an dieser Entscheidung oben S. 315 Fn. 93, wonach das Gericht Begriffsmerkmale dreier verschiedener Normkomplexe vermengt. 355 Dazu oben S. 312 ff. – Unklar diesbezüglich Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 111, der sich einerseits auf die Voerde-Entscheidung (BVerwGE 55, 250 [254]) beruft, die allein den relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab mit der Verhältnismäßigkeit verknüpft, dann jedoch als weiteres und eigenständiges Kriterium den „Vermeidungsaufwand“ als gegenläufigen emittentenseitigen Belang der Verhältnismäßigkeitsprüfung benennt; unklar auch Petersen, S. 161, der die Voerde-Entscheidung unter der Überschrift „Herleitung des relativen Vermeidungsstandards“ zitiert, im Anschluß aber die Konzeption einer „echten“, auch emittentenseitige Belange einbeziehenden Verhältnismäßigkeitsprüfung entwickelt.
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
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1. Relativierung durch relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab Hinter der Relativierung der Abwehrpflicht durch einen relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab steht die – im übrigen gerade von Vertretern eines kategorischen Vermeidungsstandards geäußerte356 – Befürchtung, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG würde ansonsten von den Betreibern etwas Unmögliches verlangen; exemplarisch hierfür sind folgende Ausführungen von Roßnagel: „Diese Forderung (scil.: des Gesetzes, es müsse ‚sichergestellt‘ sein, daß schädliche Umwelteinwirkungen ‚nicht hervorgerufen werden können‘) könnte – wörtlich genommen – nur erfüllt werden, wenn keine genehmigungsbedürftige Anlage zugelassen würde. Denn vollständig sicherstellen, daß überhaupt keine schädlichen Umwelteinwirkungen ... entstehen und in die Umwelt gelangen können, kann ein Betreiber nur, wenn er den Betrieb vollständig unterläßt ...“357
Fraglich ist allerdings, ob das Gesetz hier wirklich etwas Unmögliches verlangt, denn ausgeschlossen sein sollen nicht Immissionen oder Schäden schlechthin, sondern nur „schädliche Umwelteinwirkungen“ i. S. des § 3 I BImSchG, denen über den Gefahrenbegriff ein relationelles Wahrscheinlichkeitsmoment immanent ist. „Nicht hervorgerufen werden“ dürfen somit nur solche Immissionen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schäden, (erheblichen) Nachteilen oder Belästigungen führen. Das Gesetz verlangt weder, daß überhaupt keine Immissionen hervorgerufen werden, noch daß solche Immissionen nicht hervorgerufen werden, die mit nicht hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schädigungsfolgen führen. Insofern könnte die Befürchtung von Roßnagel schlichtweg auf einem Mißverständnis beruhen, denn sieht man die schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG als Vermeidungsobjekt der Abwehrpflicht, ist zu berücksichtigen, daß deren relationeller Maßstab zwangsläufig auf die Rechtsfolge des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG durchschlägt. Wenn aber der Vermeidungsstandard auf Rechtsfolgenebene nur so absolut sein kann, wie es die auf Tatbestandsebene vorgenommenen Wertungen erlauben, stellt sich die Frage nach dem Sinn einer weiteren wertenden Instanz auf Rechtsfolgenebene, die allein als Korrektur eines immer noch als zu streng empfundenen Vermeidungsstandards verstanden werden könnte. Es bedarf daher zunächst der Klärung, welche Beeinträchtigungen auch bei einem nicht relativierten Verständnis des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG hinzunehmen sind, da erst dann entschieden werden kann, ob dieses Ergebnis einer wertenden Korrektur bedarf. Als Maßstab hierfür haben vorrangig die im 2. Teil entwikkelten verfassungsrechtlichen Anforderungen zu dienen, die eine äußerste Grenze einfach-rechtlicher Immissionstragungspflichten normieren, so daß die ___________ 356 357
So insbesondere Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 147 ff. Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 147; ebenso Wickel, S. 127.
378
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
geschilderte Korrektur nichts anderes wäre als eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG.
a) Nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG hinzunehmende Beeinträchtigungen Betrachtet man allein die dem Genehmigungsverfahren vor Inbetriebnahme der Anlage zugrundeliegenden Prognosen – d. h. Emissions-, Immissions- und Wirkungsprognose –, so wären selbst manifeste Schädigungsfolgen nicht ausgeschlossen, sofern ihre Eintrittswahrscheinlichkeit nur als hinreichend gering prognostiziert wurde. Da nämlich auch ein im Wege der Prognose als mit nicht hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostizierter Schaden sich später verwirklichen kann, könnten bei einer auf den präventiven Prognosezeitpunkt beschränkten Betrachtungsweise auch gravierendste Beeinträchtigungen als „Restschäden“ hinzunehmen sein. Diese Überlegung dürfte nicht nur gegen eine wertende Korrektur im obigen Sinne sprechen, sondern wirft umgekehrt die Frage auf, ob dem Einzelnen nicht ein viel zu hohes und verfassungsrechtlich unzulässiges Maß an Beeinträchtigung zugemutet wird. Da Prognosen von der späteren Entwicklung jederzeit „überholt“ werden können, stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Beeinträchtigungen auch beim späteren Betrieb der Anlage hinzunehmen sind und welcher Zeitpunkt der Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes zugrundezulegen ist358. Hierzu soll zunächst die Situation im allgemeinen Polizeirecht betrachtet werden:
aa) Situation im allgemeinen Polizeirecht Im allgemeinen Polizeirecht ist das Vorliegen einer Gefahr aus der ex anteSicht danach zu bestimmen, ob ein besonnener und verständiger Beamter359 anhand der ihm bekannten Umstände von einer Gefahr ausgehen durfte360. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr selbst dann nicht rechtswidrig, wenn die Voraussetzungen einer Gefahr nicht vorlagen und dies ex post dem Beamten bekannt ist. Dies wird mit folgendem „Lehrbuchfall“ illustriert: Hört ein Polizeibeamter aus einer Wohnung Hilferufe einer Frau, die bei einer ex ante-Sicht auf einen Mordversuch (= Gefahr) hindeuten, ___________ 358 Hierbei ist zu beachten, daß das Maß zulässiger Beeinträchtigungen einer in Betrieb befindlichen Anlage bereits deshalb weiter reichen kann als die Grundpflichten, weil die nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten zusätzlich den einschränkenden Voraussetzungen des § 17 BImSchG genügen muß; hier kann sich der Bestandsschutz aus Art. 14 GG schutzmindernd auswirken (dazu unten S. 440 ff.). 359 Schenke, in: Steiner7, II Rn. 57; Schoch, JuS 1994, 667. 360 Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 223; Schoch, JuS 1994, 667.
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
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so wird das Vorliegen einer Gefahr auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß tatsächlich in der Wohnung nur Filmaufnahmen stattfinden361. Denkt man diesen Fall weiter, so könnte man in der umgekehrten Konstellation, die allerdings kaum erörtert wird, eine Gefahr selbst dann verneinen, wenn objektiv eine solche vorlag, ein besonnener und verständiger Beamte ex ante jedoch vom Nichtvorliegen einer Gefahr ausgehen konnte362. Diese Konsequenz eines subjektiven Gefahrenbegriffs363 erscheint auf den ersten Blick bedenklich, wird jedoch durch die zeitliche Dimension der Gefahrenprognose korrigiert, da zu einem späteren Zeitpunkt t2 weitere Erkenntnisse vorliegen können, die dann zur Annahme einer Gefahr führen364. Damit ist die Verneinung einer Gefahr zu einem Zeitpunkt t1 kein abschließendes Urteil, sondern unterliegt einer permanenten Korrektur durch die Möglichkeit späterer Erkenntnisse365. Insofern kann Gefahrenabwehr zwar nicht ohne weiteres mit Schadensabwehr gleichgesetzt werden, jedoch ist diese als Kongruenz von Gefahr und Schaden idealtypisches Ziel. Im allgemeinen Polizeirecht ist ein Einschreiten zudem auch dann möglich, wenn ungeachtet der prognostizierten Wahrscheinlichkeit eine Schädigungsfolge später tatsächlich eingetreten ist und es um die Beseitigung der fortdauernden Störungsfolge geht366.
bb) Konsequenzen für hinzunehmendes Maß an Beeinträchtigungen Überträgt man dies auf das Immissionsschutzrecht, so können nachfolgende Aussagen über dasjenige Maß an Beeinträchtigung, das nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG in jedem Fall hinzunehmen ist, getroffen werden:
___________ 361 Friauf, in: Schmidt-Aßmann10, 2. Abschn. Rn. 53; ähnliche Beispiele bei Würtenberger / Heckmann6, Rn. 419; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 58; dies ist ein Fall der sog. Anscheinsgefahr als echter Gefahr (dazu Hansen-Dix, S. 60; Darnstädt, S. 85 ff.), der die Putativgefahr gegenüber gestellt wird, bei der bei verständiger Würdigung ex ante gerade keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Gefahr vorlagen; zu dieser Abgrenzung nur Würtenberger / Heckmann6, Rn. 418 ff.; Schoch, in: Schmidt-Aßmann13, 2. Kap. Rn. 92 ff.; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 57 f.; Drews / Wacke / Vogel / Martens9, S. 225 f.; Schoch, JuS 1994, 667 (668 f.). 362 Ablehnend hierzu Schenke, in: Steiner7, II Rn. 58 a. E. 363 Zum Streit um den „subjektiven“ oder „objektiven“ Gefahrenbegriff vgl. nur Pieroth / Schlink / Kniesel2, § 4 Rn. 31 ff., 47 ff.; ablehnend zu dieser Unterscheidung Schoch, in: Schmidt-Aßmann13, 2. Kap. Rn. 91. 364 So in Fortführung des vorigen Beispiels: Beim Verlassen des Hauses sieht der Polizeibeamte die Frau verletzt auf dem Boden liegen (= objektiv eingetretene Schadensfolge), so daß jetzt eine Gefahr zu bejahen ist. 365 Zu diesem zeitlichen Moment Darnstädt, S. 78 ff. und passim. 366 Würtenberger / Heckmann6, Rn. 412.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
(1) Emissions- und Immissionsprognose Tritt eine manifeste Beeinträchtigung deshalb auf, weil entgegen der Emissions- oder Immissionsprognose zu einem späteren Zeitpunkt bei den maßgeblichen Akzeptoren Immissionen hervorgerufen werden, an deren Ursächlichkeit für die Beeinträchtigung keine Zweifel bestehen, so liegen zu diesem Zeitpunkt t2 weitergehende Erkenntnisse vor, die zu einer abweichenden Prognose führen. Sofern diese Beeinträchtigungen zum Zeitpunkt t2 einen fortdauernden Zustand begründen, der allein durch Unterbindung der Immissionsverursachung beseitigt werden kann, kann auch nicht davon gesprochen werden, daß sich hier lediglich – als immanente Möglichkeit jeglicher Risiken – ein Risiko punktuell verwirkliche367. Allgemein kann in Übereinstimmung zum allgemeinen Polizeirecht gesagt werden, daß eine Risikoverwirklichung zu einem späteren Zeitpunkt t2 nur dann angesichts § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG irrelevant ist, wenn sich die Beeinträchtigungen punktuell auf diesen Zeitpunkt beschränken und keine fortdauernde Beeinträchtigungslage für Zeitpunkte t2+x herbeigeführt wird. Werden jedoch im Zeitpunkt t2 nicht nur punktuell schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG herbeigeführt, die auch einer konkreten Anlage zugerechnet werden können, liegen stets die Voraussetzungen des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG vor. Somit ist stets derjenige Zeitpunkt t1+x, maßgeblich, in dem die weitestgehenden Erkenntnisse vorliegen, was zugleich allein dem dynamischen Charakter der Grundpflicht des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gerecht wird368.
(2) Wirkungsprognose bei Wirkungsschwellenkonzept Tritt bei korrekter Emissions- und Immissionsprognose entgegen der Wirkungsprognose im Bereich des Wirkungsschwellenkonzepts eine manifeste Beeinträchtigung auf, sind mehrere Konstellationen zu unterscheiden: Zunächst kann dies darauf beruhen, daß trotz Einhaltung bekannter Wirkungsschwellen im Einwirkungsbereich der Anlage eine überdurchschnittlich empfindliche Person vorhanden ist, die von der Wirkungsschwelle nicht erfaßt ist und deren Existenz nicht bekannt war. Dieser Fall führt jedenfalls dann zur uneingeschränkten Anwendung des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG, wenn diese Person nach den im 2. Teil entwickelten Maßstäben auch maßgeblicher Akzeptor ist369. ___________ 367
Zu dieser Unterscheidung oben 2. Teil S. 178 ff. Zu diesem oben S. 295 ff. mit Nachw. in Fn. 3. 369 Auf Grundlage der h. M. von der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit führt dieser Fall demgegenüber gerade nicht zu einer Revision des ursprünglichen Gefahrenurteils, wenn und weil entsprechende Akzeptoren nicht maßstäblich sind. Folge wäre, daß nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG selbst gravierendste Schäden an Leben und Gesundheit hinzunehmen wären, was in dieser Pauschalität wie aufgezeigt zu 368
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
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Weiterhin kann eine Beeinträchtigung auch jenseits bekannter Wirkungsbeziehungen auftreten, d. h. in dem geschilderten Bereich der im Rahmen des Wirkungsschwellenkonzepts notwendig bestehenden Ungewißheit370. Hier kann das Auftreten der Beeinträchtigung als „neue“ Erkenntnis nur dann zu einer Revision der Gefahrenprognose führen, wenn auf Grundlage wissenschaftlicher Erfahrungssätze die eingetretene Wirkung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kausal auf die konkrete Immissionssituation zurückgeführt werden kann. Existieren derartige Erfahrungssätze nicht, liegt ein Fall des „echten“ Gefahrenverdachts vor, und entsprechende Schädigungen sind mangels Aktivierung der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG auch zu diesem späteren Zeitpunkt t2 hinzunehmen. Sollen hier gleichwohl Immissionsvermeidungspflichten begründet werden, kann dies nur über eine differenzierte Vermeidungspflicht bei einzelfallbezogener Verhältnismäßigkeitsprüfung geschehen, wie es der nachfolgend D. darzustellenden Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG entspricht371. Die Abwehrpflicht greift demgegenüber allein in denjenigen Fällen, in denen sich der Gefahrenverdacht dadurch in den relationellen Gefahrenbegriff integrieren läßt, daß der Ungewißheitsfaktor durch ergänzende Abschätzungen im Sinne „hinreichender“ Wahrscheinlichkeit überbrückt werden kann372. Damit kann die ursprüngliche Wirkungsprognose nicht nur durch manifeste Schäden „überholt“ werden, sondern auch durch eine aktualisierte Wirkungsprognose. ___________ verfassungswidrigen Ergebnissen führen kann. – Vgl. ferner Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 12, wonach trotz Einhaltung der Immissionswerte der TA Luft ein „gewisses Restrisiko“ insbesondere für extrem empfindliche Personen bestehe, welches nicht ausschließe, die „Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG als sichergestellt anzusehen“. Problematisch an dieser Aussage ist der Begriff des „Restrisikos“, der herkömmlich denjenigen Bereich des Risikos umschreibt, der als Teil des allgemeinen Lebensrisikos hinzunehmen ist, weil die Wahrscheinlichkeit eines Schadens jenseits der Vorstellbarkeit praktischer Vernunft erscheint (dazu BVerfGE 49, 89 [143] – Kalkar I und oben 2. Teil S. 159 ff.); im vorliegenden Fall werden Beeinträchtigungen für besonders empfindliche Personen jedoch nicht deshalb hingenommen, weil sie jenseits praktischer Vernunft liegen, sondern aufgrund einer künstlichen Maßstabsverengung, und zwar auch dann, wenn sie bekannt sind. 370 Dazu oben 2. Teil S. 150 ff. 371 Dazu unten S. 407 ff., 413 ff. 372 Damit hängt die Frage zusammen, welche Gewißheit für den Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Immission und einer Schädigungsfolge zu verlangen ist. Diese Frage beantwortet sich bereits aus der relationellen Struktur der Wirkungsprognose des § 3 I BImSchG, die auch für die der Prognose zugrundeliegenden Erfahrungssätze gilt, so daß der sichere Nachweis einer Ursachen-Wirkungs-Beziehung nicht zu fordern ist (ebenso Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 202 ff.). Dies ändert jedoch nichts am Problem, wann eine wissenschaftliche Vermutung durch Tatsachen so „verdichtet“ ist, daß von einer „echten“ Gefahr auszugehen ist (so Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 61) und der Bereich wissenschaftlicher Ungewißheit über lediglich theoretisch nicht auszuschließende Kausalverläufe endet.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
cc) Sonderfall: Krebsverursachende Immissionen Für Immissionen, die nicht dem Wirkungsschwellenkonzept folgen, sollen nachfolgend exemplarisch die krebsverursachenden Immissionen betrachtet werden. Da bei diesen wie ausgeführt auch kleinste Immissionsmengen eine Erkrankung verursachen können und ein entsprechendes Schädigungsrisiko begründen373, könnte ein vollständiger Risikoausschluß nur durch eine Nullemission bewirkt werden, weshalb mit der Zulassung derartiger Immissionen mit statistischer Gewißheit der Tod einer bestimmten Zahl von Menschen in Kauf genommen wird374. Zu klären ist im folgenden, welchen Schutz die Abwehrpflicht diesbezüglich gewährt, was wiederum davon abhängt, ob eine „Gefahr“ i. S. des § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG vorliegt.
(1) Vorliegen einer „Gefahr“ i. S. des § 3 I BImSchG Gegen das Vorliegen einer Gefahr kann zunächst nicht vorgebracht werden, daß zwischen den Emissionen einer bestimmten Anlage und einer konkreten Krebserkrankung regelmäßig kein Kausalnachweis zu führen ist, was die Zurechnung zu dieser Anlage verhindert. Denn da für die konkrete Immissionssituation zumindest ein „hypothetisches“ Risiko für schädigende Wirkungen angegeben werden kann, leistet diese Anlage sehr wohl einen Kausalbeitrag, nämlich zu diesem errechneten Risiko375. Voraussetzung einer solchen Risikozurechnung ist allein, daß die konkrete Immissionssituation der Anlage zugerechnet werden kann, während die Wirkungsprognose über das errechnete Wahrscheinlichkeitsurteil überbrückt wird. Hier greift nun die obige Aussage, daß die Abwehrpflicht jenseits der Abwehr manifester zurechenbarer Schäden nur verlangt, daß „Gefahren“ i. S. des § 3 I BImSchG „nicht hervorgerufen werden“ können. Zulässig ist daher dasjenige Risiko, das (noch) keine Gefahrenqualität erlangt hat376, und zu prüfen ist, ob das bestehende Erkrankungsrisiko hinreichend wahrscheinlich i. S. des Gefahrenbegriffs ist. ___________ 373
Dazu oben 1. Teil S. 37 ff. und 2. Teil S. 156 ff. So zutreffend Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 363. 375 Ebenso Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 151. 376 Vgl. demgegenüber Böhm, Normmensch, S. 160, wonach es geboten sei, Emissionen krebsverursachender Stoffe ganz zu verbieten, da man nur so der Zielsetzung des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gerecht werden könne, der „absoluten Schutz vor Schäden“ verspreche (Hervorh. vom Verf.; ebenso dies., Gesundheitsschutz, S. 49). Damit unterliegt auch Böhm dem oben S. 377 ff. konstatierten Mißverständnis, denn § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG gewährt zuallererst Schutz gegen „Gefahren“ und Schutz gegen Schäden wie aufgezeigt nur insoweit, als diese einer konkreten Anlage zugerechnet werden können. Fällt diese Zurechnung aus, wird absoluter Schutz gerade nicht für Schäden, sondern nur für Gefahren gewährt. 374
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
383
Wie im 2. Teil ausgeführt hat ausgehend von der tatsächlichen Belastungssituation in der Bundesrepublik Anfang der neunziger Jahre die Arbeitsgruppe „Krebsrisiko durch Luftverunreinigungen“ des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) für das Bundesgebiet als Bestandsaufnahme der tatsächlichen Belastungssituation377 ein durchschnittliches Risiko, durch Luftschadstoffe an Krebs zu erkranken, in Höhe von 1 : 2.500 errechnet, welches differiert zwischen 1 : 5.000 in ländlichen und 1 : 1.000 in Ballungsgebieten; für die Einzelheiten wird auf oben verwiesen378. Auf die Schwierigkeiten, wenn nicht gar Unmöglichkeit, allein anhand dieser Zahlen durch eine Begriffsexplikation der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit zu einer Bewertung als „Gefahr“ zu gelangen, wurde ebenfalls bereits hingewiesen, so daß die Verneinung einer Gefahr einen Dezisionsakt voraussetzen würde379. Dieser müßte jedoch normativer Art sein, da allein die Autorität des Gesetzgebers – vermittelt über seine Schrankensetzungskompetenz nach Art. 2 II 3 GG – es rechtfertigen kann, die Risikoschwelle auf einen bestimmten Wert festzusetzen380. Eine entsprechende Dezision des Rechtsanwenders hätte demgegenüber den Charakter der Willkür und Beliebigkeit381, da rational nicht begründet werden kann, daß etwa ein Risiko von 1 : 5.000, nicht aber von 1 : 4.900 hinzunehmen sein soll.
(2) Regelungsansätze des geltenden Rechts Ein solcher normativer Dezisionsakt ist im geltenden Recht jedenfalls ausdrücklich nicht zu finden; insbesondere enthielt dieses bis zum Inkrafttreten der TA Luft 2002 keine Immissions(grenz)werte für krebsverursachende Luftschadstoffe, was mit den fehlenden Wirkungsschwellen begründet wurde382. An die Stelle akzeptorbezogener Aussagen trat vielmehr der emissionsseitige Ansatz einer Risikominimierung durch Begrenzung der Emissionen und Verdünnung der Luftschadstoffe durch geeignete Ableitbedingungen383. Damit existierten bis ___________ 377
Dazu VGH Baden-Württ., NVwZ 1996, 297 (300) – Müllheizkraftwerk Ulm. Dazu oben 2. Teil S. 155 ff. 379 Dies um so mehr, wenn man im Gefolge des Professorenentwurfs zum UGB-AT (dazu oben S. 325 Fn. 129) die Abgrenzung zwischen „Gefahr“ und „Risiko“ über die dezisionistische Bewertung eines Risikos als nicht mehr hinnehmbar vornimmt (vgl. Wahl / I. Appel, S. 96 f.; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / Rn. 22). 380 Zum Charakter derartiger Festsetzungen als „Zumutbarkeitswerte“ Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 389; ferner Lohse, S. 32. 381 Ebenso Böhm, Normmensch, S. 160, 168. 382 So Breuer, Bewertung, S. 169; Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft (alt) Nr. 2.2.1.5 Rn. 1; Ludwig, FS Feldhaus, S. 189. 383 Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft (alt) Nr. 2.2.1.5 Rn. 1; ders., FS Feldhaus, S. 200 f.; Breuer, Bewertung, S. 169 f. – Emissionswerte für krebsverursachende Luftschadstoffe sind enthalten in Nr. 5.2.7.1 TA Luft 2002. 378
384
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
zum Inkrafttreten der TA Luft 2002 keine unmittelbaren Maßstäbe für dasjenige Maß an krebsverursachenden Immissionen, das bei den Akzeptoren ankommen darf384. Hinzunehmen war vielmehr dasjenige variable Maß an Immissionen, das nach Durchführung der geschilderten Emissionsminderungen übrig blieb. Zwar kann durchaus davon gesprochen werden, daß mit diesem Ansatz dem Bürger ein bestimmtes Belastungsniveau zugemutet wurde. Aufgrund der rein emissionsseitigen Steuerung handelte es sich hierbei jedoch um ein variables Belastungsniveau mit entsprechender variabler Risikoschwelle, die einer akzeptorbezogenen Steuerung bereits im Ansatz nicht zugänglich und deshalb auch nicht geeignet war, die Reichweite des Gefahrenbegriffs zu bestimmen. Demgegenüber wurde 2002 in der neuen TA Luft mit dem Immissionswert für Benzol in Nr. 4.2.1 zum ersten Mal überhaupt ein Immissions(grenz)wert für einen krebsverursachenden Luftschadstoff normiert. Dieser geht zurück auf Art. 3 i. V. m. Anhang I der Richtlinie 2000 / 69 / EG (2. Luftqualitäts-TochterRichtlinie)385 und ist im größeren Kontext des europäischen Luftqualitätsrechts zu sehen386, das – sofern aktuell relevant387 – seinen Ausdruck findet in der Luftqualitäts-Rahmen-Richtlinie vom 27. 9. 1996388, die allgemeine Grundlagen des europäischen Luftqualitätsrechts enthält, und den hierauf ergangenen bislang vier Tochter-Richtlinien, die konkrete Aussagen für einzelne Schadstoffe, insbesondere Immissions(grenz)werte, enthalten389. Zwar enthält die 4. Luftqua___________ 384 So sind die Emissionswerte in Nr. 5.2.7.1 TA Luft 2002 Konzentrationswerte bezogen auf den Massenstrom und treffen keine Aussage über die absolute Schadstoffmenge, sondern begrenzen diese relativ zur Abgasmenge (Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 593; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, Kap. B 1.4 TA Luft, Rn. 10). 385 RL 2000 / 69 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Grenzwerte für Benzol und Kohlenmonoxid in der Luft v. 16. 11. 2000 (ABlEG Nr. L 313 / 12); dazu Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 6. 386 Zum europarechtlichen Ansatz der Umweltqualitätsziele oben S. 300 ff.; speziell zu den Luftqualitätsrichtlinien Jarass, NVwZ 2003, 257 ff.; Rehbinder, NuR 2005, 493 ff.; Stüer, EurUP 2004, 46 (47 f.); zur Fortentwicklung Scheidler, NuR 2006, 354 ff. 387 Zur Unterscheidung der ersten und zweiten (aktuellen) Generation der Luftqualitätsrichtlinien Bruckmann, in: Landmann / Rohmer IV, EU 3.1 Vorb. Rn. 1 ff.; ferner die Darstellung bei Schlotterbeck, Umweltschutzrecht, Rn. 139 ff. 388 RL 96 / 62 / EG des Rates über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität v. 27. 9. 1996 (ABlEG Nr. L 296 / 55). 389 Folgende Tochter-Richtlinien sind bislang ergangen: – RL 1999 / 30 / EG des Rates über Grenzwerte für Schwefeldioxid,Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft v. 22. 4. 1999 – 1. Tochter-Richtlinie (ABlEG Nr. L 163 / 41); – RL 2000 / 69 / EG – 2. Tochter-Richtlinie (dazu oben S. 384 Fn. 385); – RL 2002 / 3 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Ozongehalt der Luft v. 12. 2. 2002 – 3. Tochter-Richtlinie (ABlEG Nr. L 67 / 14); – RL 2004 / 107 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Arsen, Cadmium, Quecksilber, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in der Luft v. 15. 12. 2004 – 4. Tochter-Richtlinie (ABlEU Nr. L 23 / 3).
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
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litäts-Tochter-Richtlinie weitere Immissionswerte („Zielwerte“) für krebsverursachende Luftschadstoffe390, jedoch bedürfen diese der Umsetzung in nationales Recht, wobei folgender „Mechanismus“ greift: Da die Umsetzung europarechtlicher Immissions(grenz)werte nach der Rspr. des EuGH nicht in Form normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften – und damit nicht durch die TA Luft – erfolgen kann391, muß der Weg über Rechtsverordnungen auf Grundlage des hierfür geschaffenen § 48a BImSchG beschritten werden, was mit der 22. BImSchV392 geschehen ist. Hierauf nimmt Nr. 4.2.1 Satz 2 TA Luft 2002 Bezug, so daß – sollten entsprechende Grenzwerte umgesetzt sein393 – diese zugleich als Werte „zum Schutz der menschlichen Gesundheit“ i. S. der Nr. 4.2.1 TA Luft 2002 gelten394. Dies ändert jedoch nichts daran, daß bis zu einer entsprechenden Ergänzung der 22. BImSchV – d. h. um echte Immissionsgrenzwerte – weitere akzeptorbezogene Aussagen über das hinzunehmende Maß an krebsverursachenden Immissionen nicht existieren. Angesichts dessen stellt sich die Frage nach dem Vermeidungsstandard des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG für krebsverursachende Immissionen nach wie vor mit großer Dringlichkeit, zumal durch rein emissionsseitige Maßnahmen eine kontinuierliche Erhöhung des bestehenden Risikos durch Zulassung weiterer Anlagen nicht verhindert werden kann und die Auferlegung nach oben nicht limitier___________ 390 Art. 3 i. V. m. Anhang I RL 2004 / 107 / EG; dies betrifft die Luftschadstoffe Arsen, Cadmium, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. 391 EuGH, NVwZ 1991, 866 ff., 868 f.; dazu oben 2. Teil S. 228 Fn. 812. 392 Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft v. 11. 9. 2002 (BGBl. I, 3626), geänd. am 13. 7. 2004 (BGBl. I, 1625). 393 Die 4. Tochter-RL ist bis zum 15. 2. 2007 umzusetzen. Hierzu liegt zwischenzeitlich (August 2006) der Entwurf einer „Ersten Verordnung zur Änderung der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“ vor, wodurch die Vorgaben der 4. Tochter-RL vollständig in die 22. BImSchV eingearbeitet werden sollen (BT-Drs. 16 / 574). Nachdem der Deutsche Bundestag der Verordnung im Verfahren nach § 48b BImSchG am 16. 3. 2006 zugestimmt hat, wurde die Verordnung dem Bundesrat zur Zustimmung nach Art. 80 II GG zugeleitet. Dieser hat am 19. 5. 2006 der Verordnung nach Maßgabe verschiedener Änderungen zugestimmt (BRDrs. 246 / 06), womit der Entwurf zur erneuten Beschlußfassung an die Bundesregierung zurückging. Stimmt diese den Änderungen zu, ist erneut der Bundestag zu beteiligen (zu diesem Verfahren Jarass, BImSchG6, § 48b Rn. 8). – Problematisch ist im vorliegenden Zusammenhang, daß die 22. BImSchV insofern und in korrekter Umsetzung der 4. Tochter-RL nur sog. Zielwerte enthalten wird, die gerade nicht den Charakter abschließender Grenzwerte haben (zum Begriff der „Zielwerte“Bruckmann, in: Landmann / Rohmer IV, EU 3.2.4 Vorb. Rn. 20 f.; zum Erfordernis „echter“ Immissionsgrenzwerte in Nr. 4.2.1 Satz 2 TA Luft 2002 Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 11). Entsprechend geht auch die Regierungsbegründung zu § 15 (BR-Drs. 246 / 06) auf S. 38 davon aus, daß die zukünftigen Zielwerte für Arsen, Cadmium, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe „nicht als Grenzwerte im Sinne von Nummer 4.2.1 Satz der TA Luft zu betrachten (seien)“, womit der oben geschilderte „Mechanismus“ jedenfalls für die Zielwerte der 4. Tochter-RL leerlaufen dürfte. 394 Dazu Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 13.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ter Risikotragungspflichten gegen Art. 2 II 1 GG verstößt395. Auch entbindet der Verweis auf die gegenwärtigen und zukünftig möglichen akzeptorbezogenen Aussagen der TA Luft 2002 nicht von entsprechenden Aussagen der Gesetzesebene, da auf untergesetzlicher Ebene diejenigen Maßnahmen ergriffen werden müssen, die zur Erreichung des gesetzlichen Vermeidungsstandards erforderlich sind, und Maßnahmen, die im Widerspruch zum gesetzlichen Vermeidungsstandard stehen, nicht ergriffen werden dürfen. Daß § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG diesbezüglich sehr wohl Aussagen enthält, soll nachfolgend gezeigt werden. Dies wurde in der bisherigen Diskussion kaum gesehen, was einen fast vollständigen Ausfall des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG für den Schutz vor krebsverursachenden Immissionen zur Folge hatte.
(3) Eigener Lösungsansatz (a) Ansatz über Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko Nach den bisherigen Ausführungen wird die Abwehrpflicht aktiviert, wenn entweder nach Inbetriebnahme einer Anlage eine manifeste Schädigung auftritt oder eine solche vor Inbetriebnahme sicher zu prognostizieren ist und diese einer konkreten Anlage zugerechnet werden kann. Eine sichere Schädigung liegt auf Grundlage dieser Risikozahlen jedoch vor, wenn nämlich dem subjektiven Individualrisiko von 1 : 2.500 ein Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko von 27 Erkrankungen und damit sicheren Schadensfällen pro 100.000 Einwohner entspricht396. Deren Qualität als sichere Schadensfälle bezogen auf das Kollektiv wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß bezogen auf das Individuum ein sicherer Schaden nicht vorliegt, denn § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG ist ebenso wie im allgemeinen Polizeirecht eine Verengung des Schadensbegriffs auf individualisierte Rechtsgutsträger nicht zu entnehmen397. Wenn gleichwohl das vom LAI errechnete (Kollektiv- oder Bevölkerungs-) Risiko nicht in der Lage ist, im konkreten Fall ein Eingreifen der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG auszulösen, liegt dies allein daran, daß dieses allgemeine Risiko keiner konkreten Anlage zugerechnet werden kann. Denkbar bleibt jedoch, daß für eine konkrete Anlage ein besonderes Risiko angegeben werden kann, etwa wenn im Rahmen einer Sonderfallprüfung nach
___________ 395
Dazu oben 2. Teil S. 221 ff. Zu diesen Zahlen oben 2. Teil S. 156 ff. 397 Zu dieser objektiven Perspektive des Gefahrenbegriffs prägnant Murswiek, Verantwortung, S. 157; dazu mit Zitat oben 2. Teil S. 157 Fn. 510; ferner ders., in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Gefahr“, Sp. 810. 396
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
387
Nr. 4.8 TA Luft 2002398 Risikostudien erstellt werden399, denn die vom LAI errechneten Risikozahlen dürfen als Durchschnittswerte nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein einheitliches Risikoniveau nicht existiert und im Nahbereich ein deutlich höheres Risiko bestehen kann. Rechnet man ein solches „besonderes“ Risiko auf den Einwirkungsbereich einer konkreten Anlage um, kann man entsprechend der obigen Aussage von 27 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner angeben, mit wie vielen zusätzlichen Erkrankungen bezogen auf diesen Einwirkungsbereich zu rechnen ist. Dieser Wert kann größer oder kleiner 1 sein; ist der Wert größer 1, heißt dies, daß die Anlage mit statistischer Wahrscheinlichkeit mindestens einen weiteren Erkrankungsfall im Einwirkungsbereich hervorrufen wird. Dies aber stellt bei konsequenter Anwendung des relationellen Gefahrenbegriffs gerade die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines zu erwartenden Schadens dar. Liegt der Wert hingegen unter 1, heißt dies, daß zusätzliche Erkrankungsfälle zwar möglich, jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich sind400. Damit würde im erstgenannten Fall die Abwehrpflicht aktiviert, und es wäre eine akzeptorbezogene Aussage über das hinzunehmende (Höchst-) Maß an krebsverursachenden Immissionen gewonnen. Zu klären ist weiterhin, inwieweit hierbei dem einer konkreten Anlage zurechenbaren besonderen Erkrankungsrisiko das allgemeine Erkrankungsrisiko hinzuzurechnen ist. Dies hätte zur Folge, daß dann, wenn bereits aufgrund des allgemeinen Erkrankungsrisikos im Einwirkungsbereich mit mehr als einem sicheren Erkrankungsfall zu rechnen ist, weitere krebsverursachende Immissionen nicht mehr zugelassen werden dürften. Grundsätzlich ist von einer solchen summativen Betrachtung auszugehen, da das Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen ausgehend von der immissionsmäßigen Gesamtbelastung zu be___________ 398
Eine Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft 2002 (früher Nr. 2.2.1.3 TA Luft 1986) ist durchzuführen, wenn Immissionswerte für bestimmte Schadstoffe nicht festgelegt sind, was für krebsverursachende Luftschadstoffe mit Ausnahme des Immissionswerts für Benzol in Nr. 4.2.1 TA Luft 2002 durchweg der Fall ist, woraus geschlossen wird, daß bei Anhaltspunkten für Gesundheitsgefahren eine Sonderfallprüfung stets durchzuführen sei (Hansmann, NVwZ 2003, 266 [272]; ders., FS Feldhaus, S. 200 f.; Koepfer, S. 48). Fraglich ist daher, wann in diesem Sinne Anhaltspunkte für Gesundheitsgefahren vorliegen: Während eine Ansicht dies auch bei krebsverursachenden Immissionen anhand einer Vielzahl von Kriterien im Einzelfall bestimmen möchte (so Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.8 Rn. 14 ff.), dürfte Roßnagel zu folgen sein, wonach eine Sonderfallprüfung bereits deshalb regelmäßig durchzuführen ist, weil jede Belastung mit krebsverursachenden Immissionen geeignet ist, Gesundheitsgefahren hervorzurufen (so Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 380). 399 So VGH Baden-Württ., NVwZ 1996, 297 (301 f.) – Müllheizkraftwerk Ulm; dort gelangte die eingeholte Krebsstudie zu einem zusätzlichen Risiko bei 70jähriger Exposition von 2,2 x 10-6 Krebstoten bzw. 2,2 zusätzlichen Toten auf 1.000.000 Einwohner; vgl. dazu die Rechtsprechungsanalyse von Köck, ZUR 2001, 201 (205). 400 § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG verlangt daher gerade keine „Nullemission“ krebsverursachender Immissionen, so daß der Schluß von Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 390 über das Ziel hinausgeht.
388
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
stimmen ist401. Dies hat jedoch nicht nur für die Immissionssituation als solche zu gelten, sondern auch für die Vor- und Fremdbelastung durch bestehende Risiken. Da es für § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ausreicht, daß das durch eine Anlage hervorgerufene besondere Erkrankungsrisiko dieser zugerechnet werden kann, steht einer Hinzurechnung des allgemeinen Erkrankungsrisikos auch nicht entgegen, daß letzteres konkreten Anlagen nicht zugerechnet werden kann402. Dieses Verständnis dürfte zwar vor allem in Ballungsgebieten mit einem ubiquitär hohen allgemeinen Erkrankungsrisiko zu einer restriktiveren Zulassung weiterer Emittenten führen, jedoch können die zu erwartenden nachteiligen Folgen für Neuemittenten dadurch abgemildert werden, daß man bei minimaler Risikoerhöhung deren Immissionsbeitrag unter Heranziehung von Irrelevanzkriterien als nicht ursächlich für die entstehende Gesamtbelastung ansieht403, was hier nicht vertieft werden kann.
(b) Bewertung Mit diesem Ansatz wäre einerseits nicht nur dem vollständigen Ausfall des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG beim Schutz vor krebsverursachenden Immissionen entgegengewirkt, sondern zugleich ein inhaltliches Kriterium für die Durchführung ___________ 401 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 19; ferner oben 1. Teil S. 35 Fn. 6 f. – Für eine summative Betrachtungsweise bei krebsverursachenden Luftschadstoffen auch Böhm, TALuft, S. 164 f.; Ludwig, TA-Luft, S. 176. 402 Ferner spricht für eine Hinzurechnung des vorhandenen Erkrankungsrisikos, daß bei isolierter Betrachtung des Zusatzrisikos mehrere Anlagen in demselben Einwirkungsbereich zugelassen werden könnten, deren Risikobeitrag jeweils kleiner 1, in der Summe jedoch gleichwohl mit sicheren Erkrankungsfällen zu rechnen ist; zu dieser Problematik „incremental summierter Gefahren“ Lübbe-Wolff, Kontrolle, S. 166 ff.; ferner H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 73; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 94; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 38. 403 So im Fall des Müllheizkraftwerks Ulm VGH Baden-Württ., NVwZ 1996, 297 (301); dazu Köck, ZUR 2001, 201 (205). – Nach überwiegender Auffassung sind sehr geringe Zusatzimmissionsbeiträge im Rechtssinne als nicht kausal für schädliche Umwelteinwirkungen anzusehen (Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, 1 [17 ff.]; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 17; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 94; kritisch Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 300 ff.). Danach wurde teilweise in Anlehnung an Nr. 2.2.1.1 lit. b) TA Luft 1986 (Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft [alt] Nr. 2.2.1.1 Rn. 17 ff.) ein Beitrag von unter 1% des Jahresmittel-Immissionswerts (IW 1) für irrelevant gehalten; heute sieht die TA Luft 2002 in Nr. 4.2.2 Satz 1 lit. a) einen Wert von 3% des Immissions-Jahreswerts vor. Die Bedeutung dieser Irrelevanzklausel für das BImSchG ist umstritten: Während nach einer Ansicht daraus keine Rückschlüsse auf die Kausalität eines Emissionsbeitrags gezogen werden können (so Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 95), sieht eine andere Ansicht darin eine Konkretisierung des immissionsschutzrechtlichen Kausalitätsbegriffs und der in diesem enthaltenen Wertungen (so Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 19 ff.). – Zum Gesamten ferner BVerwG, NVwZ 2004, 610 (611) – Nanopartikel.
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
389
einer Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft gewonnen, der in der Lit. vorgehalten wird, es fehlten ihr die notwendigen inhaltlichen Maßstäbe404. Andererseits könnte jedoch entgegengehalten werden, daß dieser Ansatz angesichts der unterschiedlichen Bevölkerungsdichte und Größe der relevanten Einwirkungsbereiche nicht nur zu regional unterschiedlichen Erkrankungsrisiken, sondern – je nach Kombination dieser Faktoren – auch zu willkürlichen und gegen Art. 3 I GG verstoßenden Ergebnissen führe. Indes sind derartige Ergebnisse nicht pauschal verfassungswidrig, sondern nach den Grundsätzen der „vertikalen“ und „horizontalen“ Typisierungsrechtfertigung zu bewerten, was zu einer differenzierten Betrachtung führt. So kann zunächst anhand Art. 2 II 1 GG nicht begründet werden, daß etwa ein subjektives (Individual-) Risiko von 1 : 5.000, nicht aber von 1 : 1.000 hinzunehmen ist. Im Rahmen der „horizontalen“ Typisierungsrechtfertigung ist ferner zu bedenken, daß die unterschiedlichen Erkrankungsrisiken Folge der unterschiedlichen Verdichtung der Industrie-, Siedlungs- und Verkehrsstruktur in der Bundesrepublik sind405, deren Nivellierung nicht nur den Fortbestand der Bundesrepublik als Industriestaat gefährden406, sondern zugleich mit der damit verbundenen Belastung bisher unbelasteter Gebiete gegen Art. 20a GG verstoßen würde. Für den hier entwickelten Ansatz spricht demgegenüber, daß damit gerade in besonders verdichteten Gebieten mit ubiquitär hoher Vorbelastung eine restriktive Zulassung neuer Emittenten gerechtfertigt werden kann. Im übrigen stellt dieser Ansatz lediglich den Versuch dar, die Schädlichkeitsschwelle des § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG als absolute akzeptorbezogene Obergrenze näher zu konturieren, während unterhalb dieser Grenze schon aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen Risikominimierung weitere Ansätze zur Anwendung kommen müssen, nämlich einmal das Minimierungsgebot nach Nr. 5.2.7 TA Luft407, und zweitens das LAI-Konzept, für das Ansätze vorliegen, es zum Inhalt der Sonderprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft zu machen408. Beide Ansätze machen ___________ 404
Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 386; Hansmann, FS Feldhaus, S. 200 f., 205; Koepfer, S. 48; Breuer, Bewertung, S. 170 (jeweils zur TA Luft 1986); ebenso zur TA Luft 2002 Hansmann, NVwZ 2003, 266 (272). 405 Zu diesem Befund Länderausschuß für Immissionsschutz (LAI), Beurteilungsmaßstäbe, S. 148; vgl. ferner Salzwedel, FS Redeker, S. 430. 406 Ebenso Länderausschuß für Immissionsschutz, Beurteilungsmaßstäbe, S. 148. 407 Dieses ist nach der Novellierung der TA Luft 2002 nunmehr eindeutig der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG zuzuordnen (Hansmann, NVwZ 2003, 266 [272]; ders., in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 5.2.7 Rn. 1). 408 Im einzelnen Hansmann, FS Feldhaus, S. 209 ff.; ders., in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.8 Rn. 28 ff. – Dem LAI-Konzept liegt ein „Synthesemodell“ zugrunde, wonach auf Grundlage einer quantitativen Risikoabschätzung in Form von „unit risks“ für die wichtigsten krebsverursachenden Stoffe im Wege arithmetischer Mittelung Immissionswerte festgesetzt werden, die allerdings nicht die Schädlichkeitsgrenze beschreiben, sondern dazu führen, daß bei Einhaltung aller Werte jedermann im Durchschnitt demselben Risiko ausgesetzt wird (dazu Kühling, ZUR 1994, 112 [112 f.]); zum
390
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
jedoch eine akzeptorbezogene Vermeidungspflicht nicht überflüssig, da Maßnahmen der Vorsorge grundsätzlich neben solchen des zwingenden Rechtsgüterschutzes zur Anwendung kommen und das LAI-Konzept seinem eigenen Anspruch nach – von der Rechtsverbindlichkeit ganz abgesehen409 – nicht den Anspruch erhebt, die Grenze zwischen schädlichen und nicht schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG zu bestimmen410, was aber von § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG vorausgesetzt wird.
(c) Möglichkeit weiterer akzeptorbezogener Ansätze Da der hier entwickelte Ansatz allein auf das Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisiko abstellt, werden hiervon ferner solche Ansätze nicht ausgeschlossen, die der Festlegung der Gefahrenschwelle i. S. des subjektiven Individualrisikos dienen. Dies könnte zunächst erfolgen über die Festsetzung einer einheitlichen akzeptorbezogenen Risikoobergrenze, wie es etwa in den USA geschehen ist, wo der Clean Air Act (CAA) für das Risiko von Krebserkrankungen durch Luftschadstoffe eine verbindliche Obergrenze von 1 : 1.000.000 festschreibt411. Eine solche im deutschen Recht bislang fehlende feste Risikoobergrenze ist nach den obigen Ausführungen verfassungsrechtlich jedoch nicht zwingend geboten, da Art. 2 II 1 GG nur allgemein eine Limitierung von Immissionstragungspflichten verlangt412, die auch durch Festsetzung von Immissions(grenz)werten erfolgen kann, wie es in Nr. 4.2.1 Satz 1 TA Luft 2002 geschehen und zukünftig nach Nr. 4.2.1 Satz 2 TA Luft 2002 i. V. m. der 22. BImSchV möglich ist413. Hiermit werden mögliche Risikotragungspflichten stets auch nach oben in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise limitiert, jedoch gegenüber festen Risikoobergrenzen mit der Besonderheit, daß das subjektive Individualrisiko unterschiedlich sein kann414. ___________ Aussagegehalt des LAI-Konzept ferner Breuer, Bewertung, S. 172 ff.; Hansmann, FS Feldhaus, S. 201 ff.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 383 ff.; Koepfer, S. 48 f. 409 Der LAI-Bericht ist rechtlich nicht verbindlich, kann jedoch als antizipiertes Sachverständigengutachten eine Vermutung für seine inhaltliche Richtigkeit begründen (vgl. Hansmann, FS Feldhaus, S. 205). 410 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 385; Koepfer, S. 49. 411 Dazu oben 2. Teil S. 220 Fn. 780; dazu Böhm, Normmensch, S. 164, 205 ff. 412 Dazu oben 2. Teil S. 221 ff. 413 Dazu soeben S. 385 f.; dort in Fn. 393 auch dazu, daß die mit der anstehenden Novellierung der 22. BImSchV umzusetzenden Zielwerte der 4. Luftqualitäts-TochterRL die Anforderungen von Nr. 4.2.1 Satz 2 TA Luft 2002 nicht erfüllen dürften. 414 Eine andere Frage ist demgegenüber, inwieweit derartige Risikofestsetzungen angesichts Art. 2 II 3 GG gerade auch in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften wie der TA Luft (2002) getroffen werden können; hierauf ist im größeren Kontext unten S. 495 ff. zurückzukommen.
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
391
b) Notwendigkeit einer wertenden Korrektur des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG? Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Abwehrpflicht an zentraler Stelle Prognosen enthält, die auf dem Grundsatz der Relationalität aufbauen, der insofern zwangsläufig auf die Rechtsfolgenebene durchschlägt. Diese Prognosen unterliegen jedoch dadurch einer ständigen Korrektur, daß wie dargestellt eine frühere durch eine spätere, auf weitergehenden Erkenntnissen beruhende Prognose „überholt“ und insofern eine permanente Ergebniskorrektur bewirkt werden kann. Insofern verlangt § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gerade nichts Unmögliches und entgegen Roßnagel insbesondere nicht, daß der Betrieb emittierender Anlagen vollständig unterlassen wird415. Ferner bedarf § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG auch insofern keiner wertenden Korrektur, als ein „kategorischer“ Vermeidungsstandard keineswegs die befürchtete „Nullemission“ zur Folge hat, da die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, daß auch § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG die Verursachung von Immissionen in denjenigen Fällen zuläßt, in denen eine oder mehrere Prognosen ausfallen. Insbesondere können auch Immissionen mit bekanntem Schädigungspotential zulässig sein, solange dieses sich nicht zur „Gefahr“ verdichtet hat416. Die Frage, ob § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG von den Betreibern etwas „Unmögliches“ verlangt und insofern einer wertenden Korrektur im Lichte der Artt. 12 und 14 GG bedarf, muß daher verneint werden. Fraglich ist, ob dies auch für den Schutz vor krebsverursachenden Immissionen gilt. Hier erscheint die Frage nach einer wertenden Korrektur insofern in anderem Licht, als der hier entwickelte Ansatz jedenfalls in verdichteten Lebensräumen zu einer restriktiveren Zulassung emittierender Anlagen führen dürfte als in der bisherigen Praxis. Ausgangspunkt einer solchen Korrektur könnte sein, daß das Verfassungsrecht die Begründung entsprechender Risiko___________ 415
So aber Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 147. Auf dieser Grundlage kann nun auch die Aussage der Voerde-Entscheidung des BVerwG gewürdigt werden, wonach Risiken, die „als solche erkannt sind“, mit „hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein (müssen)“ (BVerwGE 55, 250 [254]; dazu oben S. 315 Fn. 93). Ungenau ist zunächst der Begriff des Risikos, da bloße, d. h. unterhalb der Gefahrenschwelle angesiedelte und nicht verwirklichte Risiken nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG überhaupt nicht vermieden werden müssen; dies gilt im Wege des Erst-Recht-Schlusses insbesondere für solche Risiken, die „als solche“ (noch) nicht erkannt sind. Alle „Risiken“ oberhalb der Gefahrenschwelle müssen hingegen in der oben beschriebenen Weise „ausgeschlossen“ sein, wobei die Formulierung der „hinreichende(n), dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende(n) Wahrscheinlichkeit“ nicht auf einen – nicht vorhandenen – relationellen Vermeidungsstandard auf Rechtsfolgenebene bezogen werden darf, sondern den relationellen Charakter der Prognosen auf Tatbestandsebene beschreibt. – A. A. demgegenüber Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 61, der unter Berufung auf das Voerde-Zitat den relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab auf die Maßnahmenseite und damit die Rechtsfolgenebene des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG bezieht. – Wie hier demgegenüber Petersen, S. 161 Fn. 211: Sprachgebrauch des BVerwG „verunglückte Definition der Eintrittswahrscheinlichkeit schädlicher Umwelteinwirkungen“. 416
392
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
tragungspflichten möglicherweise sogar in höherem Maße erlaubt, als es das vom LAI errechnete und für zumutbar befundene Risiko von 1 : 2.500417 vermuten läßt418. Hält man daher die oben implizit über Auslegung des Gefahrenbegriffs nach § 3 I BImSchG gewonnenen Aussagen des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zur Zulässigkeit krebsverursachender Immissionen, insbesondere in Gegenden mit hoher Vorbelastung, für zu restriktiv, bleibt zwar grundsätzlich der Weg, de lege ferenda nach dem Beispiel des Clean Air Act (CAA) gesetzliche Risikoobergrenzen so festzulegen, daß auch den Allgemeininteressen an der Zulassung entsprechender Anlagen Rechnung getragen wird. Andererseits zeigt ein Vergleich der LAI-Zahlen mit der vom Clean Air Act (CAA) normierten Obergrenze von 1 : 1.000.000, daß in der Bundesrepublik allgemein eine hohe (Vor-) Belastung krebsverursachender Luftschadstoffen existiert419, so daß angesichts der besonderen Wertigkeit von Leben und körperlicher Unversehrtheit sehr fraglich ist, ob der Gesetzgeber einen nennenswerten Spielraum hätte, das Risikoniveau unter das vom LAI ermittelte abzusenken.
2. Relativierung durch Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? Nach der Relativierung der Abwehrpflicht durch den relationellen Wahrscheinlichkeitsmaßstab soll nun die Relativierung durch eine „echte“ Verhältnismäßigkeitsprüfung – verstanden als umfassende, auch gegenläufige (Grundrechts-) Belange berücksichtigende Abwägung – betrachtet werden420, wie sie etwa von Petersen explizit gefordert wird. Die Installierung einer „echten“ Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG würde zu einer weitgehenden Relativierung des Vermeidungsstandards der Abwehrpflicht führen, und es könnten sowohl emittentenseitige Belange als auch Allgemeininteressen im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage wertend in die Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes einfließen. Ergebnis wäre eine relationelle Struktur der Abwehrpflicht in dem Sinne, daß ein Belastungsniveau um so eher hinzunehmen wäre, je gewichtiger die rechtfertigenden emittentenseitigen Belange oder Allgemeininteressen sind. Es wurde jedoch bereits ausgeführt, daß der Wortlaut des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG („daß ... nicht hervorgerufen werden können“) gegen eine Interpretation im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes spricht421 und insofern auch die Grenzen einer verfassungskonformen Ausle___________ 417
Dieses bezeichnet der VGH Baden-Württ., NVwZ 1996, 297 (300) unter Berufung auf Franßen, S. 31 als „akzeptable(s) Kollektivrisiko“. 418 Zur Begründung von Risikotragungspflichten oben 2. Teil S. 174 ff., 178 ff. 419 Dazu Böhm, Normmensch, S. 49. 420 Zu dieser Unterscheidung oben S. 377 ff. 421 Dazu oben S. 319 ff.
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
393
gung erreicht sein dürften422. Im folgenden soll nun geprüft werden, ob nicht andere Argumente, insbesondere systematischer und teleologischer Art, eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwingend gebieten.
a) Verfassungsrechtlicher Geltungsgrund Ein erstes Argument für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung auch in § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ergibt sich nach Petersen aus dem verfassungsrechtlichen Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes423, wonach dieser für jegliches Handeln der Exekutive und der Legislative gelte. Daran ist ohne Zweifel richtig, daß jegliches Staatshandeln gegenüber dem Bürger verhältnismäßig sein muß und damit auch die Versagung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gegenüber den Betreibern. Indes wurde im 2. Teil dargelegt, daß die Verhältnismäßigkeit einer Immissionsvermeidungspflicht in der Sache auch dort gewahrt sein kann, wo sie als Methode der Rechtsfolgenbestimmung im Einzelfall ausgeschlossen ist, nämlich dann, wenn die eingriffslegitimierenden Belange wie Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG so gewichtig sind, daß auf Seiten der Emittenten eine Vielzahl möglicher Eingriffsfolgen gerechtfertigt wird424. Petersen ist zuzugeben, daß diese Grundsätze jedenfalls dann nicht von der Durchführung einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung dispensieren, wenn auf der Ebene der Risikoerkenntnis nicht sichergestellt ist, daß dem Vermeidungsstandard des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG nur solche Immissionen „überantwortet“ werden, die diese Voraussetzungen erfüllen. Dem Anliegen, in jedem Einzelfall Verhältnismäßigkeit der Immissionsvermeidungspflicht sicherzustellen, wird angesichts des klaren Wortlauts von § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG jedoch besser dadurch gedient, daß die Emittentengrundrechte wie oben B. dargestellt zur verfassungskonformen Auslegung des Gefahrenbegriffs des § 3 I BImSchG herangezogen werden425.
b) Gleichbehandlung zu nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen Für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung könnte in systematischer Hinsicht die unterschiedliche Ausgestaltung der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG gegenüber den Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen nach ___________ 422
Zu diesen Grenzen oben S. 319 ff. mit Fn. 108. Petersen, S. 162; dazu oben 2. Teil S. 173 Fn. 570. 424 Dazu oben 2. Teil S. 189 ff., 202 ff. 425 Dazu oben S. 320 ff. 423
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
§ 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG sprechen. So ist für Nachteile und Belästigungen im Rahmen der Mindestmaßklausel nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG anerkannt, daß deren Zulässigkeit oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG durch eine Abwägung zu bestimmen ist, die einer „echten“ Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht426. Lehnt man eine solche Abwägungsinstanz für § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ab, so fragt sich, inwieweit der dann bestehende Unterschied im zulässigen Immissionsmaß angesichts der teils dezisionistischen Abgrenzung beider Anlagentypen zu rechtfertigen ist427. Dazu folgendes Beispiel: Eine Anlage zur Aufzucht von Geflügel mit weniger als 15.000 Hennenplätzen unterliegt keiner Genehmigungspflicht nach dem BImSchG und unterfällt den §§ 22 ff. BImSchG, während eine Anlage bei 15.000 Hennenplätzen und mehr nach Nr. 7.1 lit. a) aa) Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV genehmigungspflichtig ist und den §§ 5 ff. BImSchG untersteht. Dieser Übergang von 14.999 zu 15.000 Hennenplätzen bewirkt somit auch einen qualitativen Sprung im zulässigen Immissionsmaß.
Diese Ungleichbehandlung könnte zwar durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG behoben werden, sähe sich aber dem Einwand ausgesetzt, daß der Gesetzgeber die Grundpflichten beider Anlagentypen bewußt unterschiedlich ausgestaltet hat, so daß auch eine verfassungskonforme Auslegung i. S. des Art. 3 I GG an die beschriebene Wortlautgrenze stößt. Im übrigen ist diese Ungleichbehandlung jedoch durch relevante Unterschiede beider Anlagentypen gerechtfertigt, was im folgenden darzustellen ist.
aa) Rechtfertigung für Unterscheidung beider Anlagentypen Die Unterscheidung zwischen genehmigungsbedürftigen und nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen begründet sich nach dem Willen des Gesetzgebers darin, daß die nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen allgemein zu den weniger bedeutenden Verursachern von schädlichen Umwelteinwirkungen zu rechnen sind428. So ist in den Materialien zum BImSchG zu lesen, daß die „weitaus meisten (nicht genehmigungsbedürftigen) Anlagen ... in der Regel nicht in einem solchen Maße geeignet (seien), schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen, daß sie einer eingehenden Prüfung in einem Genehmigungsverfahren bedürften“429. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar, sofern es um die Rechtsfolge der Genehmigungsbedürftigkeit als solche geht, vergegenwärtigt man sich ___________ 426
Dazu unten S. 428 ff. und mit Nachw. oben S. 320 Fn. 111. Diese Fragestellung wird thematisiert von Hansmann, Vorsorgepflichten, S. 14. 428 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 3. 429 BT-Drs. 7 / 179, 38; dazu Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 45 ff. mit weiteren Hinweisen zur Entstehungsgeschichte; ferner ders., Anlagen, S. 63. – Im übrigen dürfte auch die außerordentliche Vielgestaltigkeit nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen eine Rolle gespielt haben (so H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 190; ferner Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 2). 427
C. Abwehrpflicht, § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG
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deren Funktion als präventive Eröffnungskontrolle430: Trifft es zu, daß bestimmte Anlagen typischerweise besonders häufig und intensiv Immissionen verursachen, so ist es sinnvoll, diese einem formalisierten und aufwendigen Kontrollverfahren zu unterwerfen, hingegen für die verbleibenden Anlagen ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorzusehen431 oder hiervon ganz abzusehen. Damit ist jedoch keinerlei Aussage über das von Dritten hinzunehmende Immissionsmaß verbunden, wie auch aus § 4 I 1 BImSchG deutlich wird, der nicht eine bestimmte Immissionsverursachung zum Tatbestand hat, sondern nur die „Eignung“ einer bestimmten Immissionsverursachung432. Für die Rechtsfolge der zulässigen Immissionsverursachung ist diese „Eignung“ demgegenüber kein taugliches Kriterium, denn eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage kann im Einzelfall dieselben Immissionen verursachen wie eine genehmigungsbedürftige Anlage. Daher könnte es geboten sein, über die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch genehmigungsbedürftigen Anlagen die „Chance“ zu geben, sich auch bei Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG gegenüber Immissionsvermeidungsinteressen durchzusetzen.
bb) Bedeutung der §§ 50 BImSchG und § 8 I BauNVO Indes ist ein solcher Schluß nicht zwingend und würde einen zentralen Unterschied beider Anlagentypen mißachten: So wurde oben B. aufgezeigt, daß ausgehend von der Rspr. zur Typisierungsmethode in § 8 I BauNVO433 und dem Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG Immissionskonflikte bei genehmigungsbedürftigen Anlagen regelmäßig bereits bebauungsrechtlich aufgefangen werden434, während es bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen eines anderen Konfliktlösungsmechanismus bedarf, der in der Minderungspflicht des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG zu sehen ist. Diese ist spezifischer Ausdruck der besonderen städtebaulichen Situation nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen und nicht auf die dem Trennungsgrundsatz unterliegenden genehmigungsbedürftigen Anlagen übertragbar. Die §§ 50 BImSchG und § 8 I BauNVO führen im Ergebnis auch nicht zu einer gegenüber nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen verminderten Emissionsverursachungsbefugnis, da zwar die Schädlichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG bei § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG die absolute Obergrenze jeglicher Immissionsverursachung bildet, vorliegend jedoch deren Akzeptorbezug zu bedenken ist: Sind nämlich mögliche Akzeptoren aufgrund der räumlichen Trennung von ___________ 430
Jarass, BImSchG6, § 4 Rn. 33; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 121. Etwa ein Baugenehmigungsverfahren (vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 884 [886]). 432 Zum Eignungsbegriff des § 4 I 1 BImSchG oben S. 331 ff. 433 Dazu oben S. 352 ff. mit Nachw. in Fn. 256. 434 Dazu oben S. 352 ff. 431
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
vornherein weiter von der Anlage entfernt als bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, so steigt regelmäßig auch das Maß zulässiger Emissionsverursachung bei gleicher Immissionsbelastung. Damit werden die genehmigungsbedürftigen Anlagen durch das Fehlen einer umfassenden Abwägungsinstanz zwar gegenüber den nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen anders behandelt, was im Ergebnis jedoch weder zu einer eindeutigen Benachteiligung, noch zu einer eindeutigen Bevorteilung führt.
c) Integration überdurchschnittlicher Empfindlichkeiten Überlegenswert erscheint die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG aber auch unter einem bislang – soweit ersichtlich – noch nicht diskutierten Aspekt, nämlich der Integration der Problematik der überdurchschnittlichen Empfindlichkeit: Lehnt man nämlich die interpretative Verengung des § 3 I BImSchG durch die h. M. ab, kann ein Bedürfnis dafür entstehen, die damit vorgenommene Ausweitung des Schutzes von § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG auch auf überdurchschnittliche Empfindlichkeiten in Grenzfällen auf einer zweiten Stufe wieder zurückzunehmen. Rechtstechnisches Medium hierfür könnte gerade die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Risikosteuerung sein. Indes wurde bereits aufgezeigt, daß sich die Problematik unterschiedlicher Empfindlichkeiten auch über eine verfassungskonforme Auslegung des Gefahrenbegriffs befriedigend in § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG integrieren läßt435.
3. Zusammenfassung Es kann somit festgehalten werden, daß weder ein Bedürfnis nach einer wertenden Korrektur des Vermeidungsstandards des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG noch nach einer Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Ebene der Risikosteuerung besteht. Letzteres folgt bereits aus dem klaren Wortlaut des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG, der nicht nur einer möglichen verfassungskonformen Auslegung eine unüberwindliche Grenze setzt, sondern auch systematischen und teleologischen Wertungsaspekten standhält.
___________ 435
Dazu oben S. 341 ff.
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Das hinzunehmende Immissionsmaß wird für genehmigungsbedürftige Anlagen ergänzend durch die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG bestimmt436. Damit gewährt die Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG wirkungsseitig ein Mindestmaß an Schutz, über welches die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG regelmäßig hinausgeht, indem auch solche Immissionen unzulässig sein können, die nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zulässig sind437. Insofern ist das insgesamt zulässige Immissionsmaß stets das Ergebnis von Abwehrund Vorsorgepflicht, wobei letztere unterhalb der Schwelle des § 3 I BImSchG dessen „Feinjustierung“ bewirkt. Zugleich schlägt der darzustellende relative Vermeidungsstandard, der insbesondere aus der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes resultiert438, auf den „Gesamtvermeidungsstandard“ aus § 5 I 1 Nr. 1 u. Nr. 2 BImSchG durch und vermittelt dem zulässigen Immissionsmaß insgesamt ebenfalls relativen Charakter.
I. Tatbestand der Vorsorgepflicht 1. Bedeutung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen Zu klären ist zunächst, welche Funktion dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG im Rahmen der Vorsorgepflicht für den Tatbestand der Risikoerkenntnis zukommt. Hierzu hat Jarass die These aufgestellt, der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen habe einen sinnvariierenden Inhalt439: Während § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG der Abwehr „konkreter“ schädlicher Umwelteinwirkungen diene440, richte sich die Vorsorgepflicht gegen
___________ 436 Aus der umfangr. Lit. vgl. nur die Monographien von Fleury (1995), Germann (1993), Petersen (1993), Reich (1989), Rengeling (1982), Rid (1985), Rinke (1985), Schröder (1986), Trute (1988); rechtsvergleichend Rehbinder, Vorsorgeprinzip, passim; ferner Kutscheidt, FS Redeker, S. 439 ff.; ders., Anmerkungen, S. 237 ff.; Rehbinder, FS Sendler, S. 269 ff.; Kloepfer / Kröger, NuR 1990, 8 ff.; Rid / Hammann, VBlBW 1987, S. 121 ff.; Schwerdtfeger, WiVerw 1984, 217 ff.; Grabitz, WiVerw 1984, 232 ff.; Rengeling, DVBl. 1982, 622 ff. 437 Ähnlich Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 132; Breuer, FS Feldhaus, S. 61. 438 Dazu unten S. 407 ff. 439 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 23; ders., DVBl. 1983, 725 (731); dies aufgreifend BVerwGE 69, 37 (43) – Heidelberger Fernheizwerk; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 50 Rn. 42 ff., 46 ff.; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 21 Rn. 13; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 23; Schulte, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 3 Rn. 5. 440 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 23.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
„potentiell“ schädliche Umwelteinwirkungen441. Danach wären die schädlichen Umwelteinwirkungen zwar auch hier tatbestandliches Vermeidungsobjekt, jedoch in einem abweichenden Sinn zu bestimmen. Gegen diese These hat sich insbesondere H.-J. Koch gewandt und betont, die Vorsorgepflicht greife gerade dann, wenn die Abwehrpflicht erfüllt sei, d. h. schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können, so daß diese nicht zugleich tatbestandliches Vermeidungsobjekt sein könnten442. Wenngleich damit unstreitig ist, daß die Vorsorgepflicht nicht das Vorliegen von schädlichen Umwelteinwirkungen gerade im Sinne der Abwehrpflicht voraussetzt, ist dieser Meinungsstreit doch weichenstellend für das strukturelle Verständnis der Vorsorgepflicht, da die Ansicht von Jarass darauf hinausläuft, den „Bauplan“ der Abwehrpflicht443 unverändert auf die Vorsorgepflicht zu übertragen und den Unterschieden beider Grundpflichten allein über einen veränderten Inhalt des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen Rechnung zu tragen. Dieses Vorgehen sieht sich grundlegenden Einwänden ausgesetzt: Zunächst gelingt es Jarass nicht, den spezifischen Begriffsinhalt „potentieller“ bzw. „hypothetischer“ schädlicher Umwelteinwirkungen hinreichend zu konturieren444, was dafür spricht, daß diesem Begriff im Rahmen der Vorsorgepflicht eine andere Funktion zukommt als im Rahmen der Abwehrpflicht. Dies findet darin eine Bestätigung, daß die Vorsorgepflicht überwiegend gerade nicht einem akzeptorbezogenen Steuerungsmodell folgt, sondern dem emissions- und quellenbezogenen445. Ein solches ist aber auch dann von einem akzeptorbezogenen grundsätzlich verschieden, wenn man die Begriffsmerkmale des § 3 I BImSchG weitgehend aufweicht. Insofern bewirkt die Rede von „potentiell“ schädlichen Umwelteinwirkungen nur, die strukturellen Unterschiede zwischen Abwehr- und Vorsorgepflicht zu verwischen. Dies wird durch eine Wortlautinterpretation des Begriffs der „Vorsorge“ gestützt, wonach „Vorsorge“ Maßnahmen meint, die bereits heute getroffen wer___________ 441 Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 46; ders., DVBl. 1983, 725 (732), wo Jarass von „potentiellen“ statt „hypothetischen“ schädlichen Umwelteinwirkungen spricht; ebenso Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 143. 442 H.-J. Koch, UTR 9 (1989), S. 205 ff., 207; ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 5 ff.; im Ergebnis ebenso Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 3a; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 422; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 39. 443 Dazu oben S. 301 ff. 444 Wenn Jarass ausführt, bei „potentiellen“ bzw. „hypothetischen“ schädlichen Umwelteinwirkungen „verblaß(t)en die einzelnen Begriffsmerkmale“, insbesondere seien die Anforderungen der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 3 I BImSchG „geringer“ (Jarass, DVBl. 1983, 725 [732]), so ist diese Definition viel zu unbestimmt, um diesen Begriff als tatbestandliches Vermeidungsobjekt des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG handhabbar zu machen; demgegenüber Petersen, S. 231: Annahme „hypothetisch“ schädlicher Umwelteinwirkungen „eher Benennung des Problems als seine Lösung“. 445 Zu diesen unterschiedlichen Steuerungsmodellen oben S. 298 ff.
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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den, um zukünftigen Entwicklungen zu begegnen446. Wendet man dies auf den Gefahrenbegriff an, so umfaßt „Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen“ nicht Maßnahmen, die zukünftigen und hinreichend wahrscheinlichen Schäden begegnen sollen, sondern bereits der Entstehung entsprechender Gefahren447. Demnach müssen für ein Eingreifen der Vorsorgepflicht die Begriffsmerkmale des § 3 I BImSchG nicht nur nicht vorliegen, sondern sie dürfen gar nicht vorliegen, da sonst bereits die Abwehrpflicht eingreifen würde. Insofern werden – was H.-J. Koch zutreffend erkannt hat – an einen einheitlichen Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft448, und es besteht keine Notwendigkeit, den Unterschied beider Grundpflichten durch einen sinnvariierenden Inhalt dieses Tatbestandsmerkmals zu bewirken. Gegen einen sinnvariierenden Inhalt spricht schließlich die Funktion des § 3 I BImSchG als Legaldefinition, die gerade der Vorgabe eines einheitlichen Begriffsverständnisses dient449, zumal auch andere Gesetze auf den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen „im Sinne des BImSchG“ Bezug nehmen450, was voraussetzt, daß es einen solchen als einheitlichen Begriff gibt451.
2. Konsequenzen für Tatbestand der Vorsorgepflicht Wie nachfolgend zu zeigen ist, kann das dreistufige Prüfungsschema nach Petersen452 zwar auch auf die Vorsorgepflicht angewendet werden, ist jedoch Modifikationen ausgesetzt, die mit der Frage nach den Tatbestandsvoraussetzungen der Vorsorgepflicht zusammenhängen:
a) Modifikationen innerhalb des dreistufigen Grundpflichtenmodells Da dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen wie aufgezeigt nicht die Funktion eines tatbestandlichen Vermeidungsobjekts zukommt, fehlt der Vorsorgepflicht der klare tatbestandliche Bezugspunkt, der diese nach oben und nach unten begrenzt. Zu vermeiden ist vielmehr alles, was jenseits schädlicher ___________ 446
Ähnlich Petersen, S. 191 f. Petersen, S. 192. 448 H.-J. Koch, UTR 9 (1989), S. 211, 215; ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 5; ebenso Petersen, S. 194; für ein einheitliches Begriffsverständnis auch Blank, S. 171. 449 Ebenso H.-J. Koch, UTR 9 (1989), S. 207. 450 Vgl. § 9 I Nr. 23 und 24 BauGB; ferner § 35 III 1 Nr. 3 BauGB (allerdings ohne den Zusatz „im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“). 451 So auch von Bomhard, S. 24. 452 Dazu oben S. 301 ff. 447
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Umwelteinwirkungen liegt, so daß die Vorsorgepflicht gegenüber der konditionalen Normstruktur der Abwehrpflicht eine Finalstruktur erhält453. Damit kann der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen zwar auch für die Vorsorgepflicht als Tatbestand der Risikoerkenntnis angesehen werden, jedoch mit anderer Funktion als im Rahmen der Abwehrpflicht, da er lediglich den Beginn einer weitergehenden Vermeidungspflicht bezeichnet454. Zentrale Frage ist daher, nach welchen Kriterien die Vorsorgepflicht nach oben hin limitiert wird455, um eine unverhältnismäßige Vorsorge ins „Blaue hinein“ zu vermeiden456. Dies und damit zusammenhängend die Frage, inwieweit das zulässige Immissionsmaß unterhalb der Schwelle des § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage in wertender Weise zu bestimmen ist, ist Gegenstand der nachfolgenden Erörterungen.
aa) Insbesondere bezüglich Risikozurechnung Wie oben C. ausgeführt ist Voraussetzung der Abwehrpflicht nicht allein das Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen, sondern zugleich ein Zurechnungstatbestand, der die prognostizierte Schädigungsfolge mit einer konkreten Anlage verknüpft457. Dies führt wie oben C. dargestellt dazu, daß etwa das allgemeine und ubiquitäre Risiko immissionsbedingter Krebserkrankungen nur eingeschränkt von der Abwehrpflicht erfaßt wird458, was vom Standpunkt des Rechtsgüterschutzes als strukturelles Defizit der Gefahrenabwehr erscheint. Auch wenn den Gesetzesmaterialien keine eindeutige Konzeption zur Vorsorgepflicht entnommen werden kann459, liegt der Schluß nahe, daß der Gesetzgeber mit Schaffung der Vorsorgepflicht gerade auf derartige Defizite reagieren wollte. Daher kann ein der Abwehrpflicht vergleichbarer Zurechnungstatbestand nicht gefordert werden, und es ist vielmehr Aufgabe der Vorsorgepflicht, gerade solche Konstellationen zu erfassen, die mangels Zurechenbarkeit aus der Abwehrpflicht herausfallen. Auch dies führt jedoch zu keiner klaren tatbestandlichen Konturierung der Vorsorgepflicht, sondern nur zu einem weiteren „Fi___________ 453
Ebenso Petersen, S. 193; Rid, S. 79; ferner Darnstädt, S. 123 ff. Ebenso Petersen, S. 221. 455 Zur diesbezüglichen Unergiebigkeit des Wortlauts von § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 422. 456 Formulierung nach Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (166). 457 Dazu oben S. 375 ff. 458 Zur Unterscheidung dieses allgemeinen Risikos von dem konkreten Anlagen zurechenbaren besonderen Erkrankungsrisiko oben S. 386 ff. 459 So Enders, Kompensationsregelungen, S. 56; zur Entstehungsgeschichte ferner Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 45 ff.; Kutscheidt, FS Redeker, S. 443 ff. 454
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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nalprogramm“, da die Zurechenbarkeit nur die Grenze angibt, jenseits der die „eigentliche“ Vorsorge beginnt.
bb) Insbesondere bezüglich Risikosteuerung Während bei der Abwehrpflicht die Funktion des Risikosteuerungstatbestands lediglich in der Festlegung besteht, in welcher Weise die schädlichen Umwelteinwirkungen zu vermeiden sind, kommt der Risikosteuerung im Rahmen der Vorsorgepflicht zentrale Bedeutung zu, da mangels hinreichender tatbestandlicher Programmierung erst auf dieser Stufe die konkrete Reichweite der Vermeidungspflicht des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG bestimmt wird. Aufgabe des Risikosteuerungstatbestands ist es daher, hinreichende Kriterien zur Limitierung der Vermeidungspflicht vorzugeben, um nicht die gesamte Vorsorgepflicht dem Verdikt der Unbestimmtheit auszusetzen. Die Bestimmtheitsanforderungen dürfen jedoch nicht überspannt werden, da es ausreichen muß, wenn dem Betreiber mit hinreichender Bestimmtheit entweder zu treffende Maßnahmen oder zu erreichende Ziele vorgegeben werden460. Ersteres geschieht durch das Regelbeispiel der Begrenzung der Emissionen nach dem Stand der Technik nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG („insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen“), letzteres durch untergesetzliche Umweltstandards461. Ferner unterliegt die Vorsorgepflicht nach h. M. einer Beschränkung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz462. Ungeachtet der defizitären tatbestandlichen Programmierung wäre damit auch eine Finalstruktur solange unbedenklich, als auf Rechtsfolgenebene eine hinreichende Limitierung erfolgen kann.
b) Zur Bestimmung eines „Vorsorgetatbestands“ Ungeachtet dieser „Rechtsfolgenlösung“ existieren verschiedene Versuche, bereits auf Tatbestandsebene zu einer hinreichenden Konturierung der Vorsorgepflicht zu gelangen. Hierbei lassen sich zwei Ansätze ausmachen: Zunächst hat die Frage nach den Vorsorgezwecken in der Vergangenheit eine umfangreiche Diskussion erfahren, so daß es nahe liegt, diese für die Frage des ___________ 460 Enders, Kompensationsregelungen, S. 60; Jarass, BImSchG6, § 12 Rn. 12; ferner Sellner, in: Landmann / Rohmer I, § 12 Rn. 145. 461 Zu dieser Unterscheidung, die auch § 7 I Nr. 1 u. 2 BImSchG zugrundeliegt, vgl. Enders, Kompensationsregelungen, S. 60. 462 BVerwGE 69, 37 (44) – Heidelberger Fernheizwerk; aus der Lit. Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 60 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 159; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 615 ff.; Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (167 f.); Petersen, S. 280 ff.; Rehbinder, FS Sendler, S. 279 f.; Rid, S. 114 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Tatbestands der Vorsorgepflicht fruchtbar zu machen463. Damit werden zwar im eigentlichen Sinne keine Tatbestandsmerkmale gewonnen. Es lassen sich jedoch Kriterien für das Vorliegen einer vorsorgebedürftigen Situation gewinnen, welche nur dann gegeben ist, wenn einer der Vorsorgezwecke einschlägig ist. Ein weiterer, insbesondere von Petersen vertretener Ansatz geht aus von der Prämisse, daß durch die Vorsorgepflicht strukturelle Defizite der Abwehrpflicht kompensiert werden sollen464; lassen sich solche Defizite an bestimmten Tatbestandsmerkmalen der Abwehrpflicht festmachen, sind damit zugleich diejenigen Punkte gewonnen, die eine spezifische Vorsorgebedürftigkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Vorsorgepflicht begründen465. Im übrigen ist eine tatbestandliche Konturierung der Vorsorgepflicht neben einer „Rechtsfolgenlösung“ auch nicht entbehrlich, da nicht nur der Bestimmung des Tatbestands Vorrang vor der Bestimmung der Rechtsfolgen zukommt, sondern auch die noch darzustellende Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine exakte Bestimmung des Eingriffszwecks verlangt466.
c) Funktionen der Vorsorgepflicht Trotz umfangreicher Erörterung ist die Funktion der Vorsorgepflicht noch nicht abschließend geklärt. Im folgenden soll von denjenigen Erkenntnissen ausgegangen werden, die weitgehend anerkannt sind467:
aa) Risikobezogene Vorsorge (1) Ungewißheit im Rahmen der Wirkungsprognose Grundgedanke der risikobezogenen Vorsorge ist es, bereits das Entstehen von Immissionen unterhalb der Schwelle des § 3 I BImSchG zu verhindern468. ___________ 463
Was auch geschehen ist; vgl. nur Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 46 ff. und Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 425 ff., 435 ff. 464 So auch Enders, Kompensationsregelungen, S. 56. 465 Petersen, S. 211 ff. 466 Wahl / I. Appel, S. 136 f. – Dazu unten S. 413 ff. 467 Zusammenfassend Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 141; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 47 ff., 51 ff.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 54 ff., 112 ff. 468 Wahl / I. Appel, S. 74; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 136; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 47; Koepfer, S. 54; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 141; Germann, S. 39 f.; aus der Rspr. BVerwG, NVwZ 1995, 994 (995). – Grundlegend Breuer, DVBl. 1978, 829 (836 f.); ders., in: Schmidt-Aßmann13, 5. Kap. Rn. 184: Danach soll Risikovorsorge in zwei Richtungen geboten sein, nämlich einmal „unterhalb der Schäd-
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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Dies ist zunächst anerkannt für die Aufgabe, eine „Sicherheitszone“ vor der Gefahrenschwelle zu schaffen, wenn die zur Annahme einer Gefahr erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht bejaht werden kann469. Dies betrifft neben der bekannten nicht hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadens vor allem den Fall, daß Schadens- und Wahrscheinlichkeitskomponente komplett ausfallen470, was dem Gefahrenverdacht entspricht, der von der Rspr. als Anwendungsfall der risikobezogenen Vorsorge gesehen wird471. Danach müßten in Entsprechung zur Abwehrpflicht eigentlich die konkreten Immissionsverhältnisse im Einwirkungsbereich maßgeblich sein472, was jedoch auf Schwierigkeiten stößt, da dann, wenn die Größe des Risikos nicht bekannt ist, auch das Ausmaß der Vorsorgebedürftigkeit nur schwer bestimmt werden kann473
(2) Abkehr von konkreter Betrachtung Gegenüber dieser an den konkreten Immissionsverhältnissen orientierten Betrachtungsweise hat das BVerwG den Aspekt einer „generellen“ Sicherheitszone betont und von den konkreten Immissionsverhältnissen abstrahiert: „Vorsorge zielt ... gerade auch auf den Bereich jenseits konkreter Schädlichkeitsgrenzen und rechtfertigt daher Vermeidungsanstrengungen …, die mit dem Ziel ergriffen werden, längerfristig Standards der Luftqualität herbeizuführen oder zu sichern, die hinreichend deutlich von Zuständen abgehoben sind, die konkret die Annahme schädlicher Umwelteinwirkungen nahelegen oder befürchten lassen ... (Es) liegt auf der Hand, daß eine an den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalles orientierte Betrachtungsweise mit dem Vorsorgebegriff des § 5 I Nr. 2 BImSchG schwerlich vereinbar ist. Vorsorge in diesem Sinne ist … auch auf einen langfristigen Zeithorizont hin angelegt und daher nicht mit einer vornehmlich die aktuelle Nutzungssituation in den Blick nehmenden Betrachtungsweise verbunden ...“474
___________ lichkeitsschwelle“ und zweitens „unterhalb der Schwelle praktischer Vorstellbarkeit eines theoretisch möglichen Schadenseintritts“ (DVBl. 1978, 829 [836 f.]). 469 H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 111; Bender / Sparwasser / Engel4 , Rn. 8 / 141; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 433 ff.; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 50; ders., FS Sendler, S. 279 f.; Germann, S. 38 ff.; Petersen, S. 233 ff., 227; BVerwGE 69, 37 (43 f.) – Heidelberger Fernheizwerk; NVwZ 1995, 994 (995). 470 Fleury, S. 47 ff.; Petersen, S. 216 ff.; Wahl / I. Appel, S. 92 ff.; Reich, S. 82 ff. 471 Grundlegend BVerwGE 69, 37 (43) – Heidelberger Fernheizwerk; ebenso zum Atomrecht BVerwGE 72, 300 (315); aus neuerer Zeit BVerwG, NVwZ 2004, 610 (611). 472 So ausdrücklich Rengeling, DVBl. 1982, 622 (626). 473 Ebenso Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 429; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 136; zu den Folgeproblemen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Wahl / I. Appel, S. 136 ff. und unten S. 414 ff. – Entsprechend sieht sich die Lit. gezwungen, als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine „Vorsorgebedürftigkeit“ zu fordern (Petersen, S. 226 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 146), d. h. die auf hinreichende Gründe gestützte Besorgnis der Schädigungseignung einer Immission. 474 BVerwG, NVwZ 1995, 994 (995) – Hochofen (Hervorh. vom Verf.).
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Dieses Abstellen auf generelle Luftqualitätsstandards ist konsequent, wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, die gebotene Vorsorge im Einzelfall zu bestimmen475. Da die Setzung derartiger Standards jedoch nur durch normativen Dezisionsakt möglich ist, wird die Bestimmung der gebotenen Vorsorge um eine Determinante erweitert, nämlich die Befugnis zur Setzung derartiger Standards. Im folgenden wird daher auch zu klären sein, wie diese zusätzliche Determinante sich auf das hinzunehmende Immissionsmaß auswirkt476.
(3) Fernwirkungsproblematik Nach überwiegender Ansicht erfaßt die risikobezogene Vorsorge auch die Fernwirkungsproblematik, die in erster Linie relevant wird bei dem für das „Waldsterben“ ursächlichen Schadstofferntransport. Dies wird damit begründet, daß dieser aufgrund seiner räumlichen Ausdehnung von der Abwehrpflicht nicht mehr erfaßt werde, da die ubiquitäre Schadstoffbelastung nicht mehr konkreten Anlagen zugerechnet werden könne477. Dies ist zutreffend, da die Abwehrpflicht wie dargestellt einen Zurechnungstatbestand enthält478, der notwendig ausfällt, wenn sich der Verursachungsbeitrag einer Anlage gegen Null verflüchtigt, so daß dieses „Defizit“ durch die Vorsorgepflicht aufgefangen werden muß479.
(4) Mittel der risikobezogenen Vorsorge Die risikobezogene Vorsorge äußert sich zunächst in einer Begrenzung der Emissionen nach dem Stand der Technik, wie es § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG als Regelbeispiel vorgibt480. Zwar benennt § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG nach der Novellierung vom 27. 7. 2001 nicht mehr ausdrücklich Maßnahmen gerade der Emissionsbegrenzung; gleichwohl soll auch unter der neuen Fassung die Emissionsbe___________ 475 Ebenso Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 47; vgl. ferner Schmidt-Kötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 96.1. 476 Dazu unten S. 410 ff., 413 ff. 477 So BVerwGE 69, 37 (44) – Heidelberger Fernheizwerk; Roßnagel, in: GKBImSchG, § 5 Rn. 458 ff.; Germann, S. 40 ff.; Petersen, S. 252 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 64 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 141. 478 Dazu oben S. 375 ff. 479 So im Ergebnis auch Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 149; jedoch ders., ebd., Rn. 04 / 26 mit der kritischen Anmerkung, daß es angesichts der manifesten Waldschäden um Gefahrenabwehr im eigentlichen Sinne gehe; damit wird übersehen, daß § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG neben der tatbestandlichen Gefahr auch den geschilderten Zurechnungstatbestand enthält; noch weitergehend Lübbe-Wolff, Kontrolle, S. 179 ff., die die Problematik ausschließlich der Abwehrpflicht zuordnen möchte. 480 Koepfer, S. 60 ff.; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 138.
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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grenzung „primäre und vorrangige Vorsorgemaßnahme“ sein481. Insoweit liegt der risikobezogenen Vorsorge ein rein emissionsseitiges Steuerungsmodell zugrunde, dessen Steuerungsleistung gerade nicht vom Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen abhängt. Es wird jedoch auch eine immissionsbezogene Variante der risikobezogenen Vorsorge vertreten, bei der Bezugspunkt Immissionen sind, die unterhalb der Schädlichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG angesiedelt sind, zu der ein Sicherheitsabstand geschaffen werden soll482. Dieser immissionsbezogene Ansatz bietet die Möglichkeit, akzeptorbezogene Vorsorgeziele im Rahmen normativer Dezision in die Bestimmung der gebotenen Vorsorge einzubringen und läßt sich insbesondere in die soeben dargestellte jüngere Rspr. integrieren, in der die Zulässigkeit „längerfristig(er) Standards der Luftqualität“ ausdrücklich bejaht wird483; ob diese Standards emissions- oder immissionsbezogen definiert werden, ist demgegenüber nur eine Frage der Regelungstechnik.
bb) Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik Schließlich wurde teilweise anknüpfend an das in der früheren Fassung von § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG enthaltene Regelbeispiel der Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik die Funktion der Vorsorgepflicht in einer Emissionsminderung soweit als möglich gesehen484. Diese Ansicht löst sich vollständig sowohl von den konkreten Immissionsverhältnissen im Einwirkungsbereich als auch von einem konkreten Vorsorgeanlaß, so daß eine Emissionsminderungspflicht auch dann bestehen kann, wenn die verursachten Immissionen erwiesenermaßen unschädlich sind. Wenngleich diese Ansicht heute als „überwunden“ betrachtet zu werden scheint485, liegt ihr ein bedenkenswerter Ansatz zugrunde, da Vorsorge bereits dann geboten sein kann, wenn die Immissionen einer Anlage ohne nennenswerten Vermeidungsaufwand für den Anlagenbetreiber deutlich reduziert werden können. In diesem Fall könnte der Vorsorgepflicht verfassungsrechtlich die Funktion zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen ___________ 481
So Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 148 (Hervorh. im Original). Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 54; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 153 f.; Petersen, S. 311 ff.; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 75; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 148; eindeutig BVerwG, NVwZ 1995, 994 (995): „... Vorsorge ist damit nicht allein orientiert an potentiellen Wirkungen im Sinne noch lückenhafter Kenntnisse über die Schädlichkeit bestimmter Immissionen; sie knüpft auch an ein aktuell gegebenes Wirkungspotential von Stoffen an, demgegenüber ein angemessener Abstand eingehalten werden soll“ (Hervorh. vom Verf.). 483 So BVerwG, NVwZ 1995, 994 (995) – Hochofen (Zitat soeben Fn. 474). 484 Rid, S. 79 ff., 114 ff.; Rid / Hammann, VBlBW 1987, 121 (124 f.); dies., NVwZ 1989, 200 (200 f.); ebenso OVG Berlin, DVBl. 1979, 159 (160 f.). 485 So möglicherweise H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 109. 482
406
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
den kollidierenden Grundrechten von Emittenten und Immissionsbetroffenen zukommen; hierauf ist zurückzukommen486.
cc) Raum- bzw. ressourcenbezogene Vorsorge Die in der Lit. entwickelte raum- bzw. ressourcenbezogene Vorsorge wird im wesentlichen durch die Freiraum-These umschrieben; danach dient die Vorsorgepflicht auch der Schaffung von Freiräumen487 in einem doppelten Sinne, nämlich einerseits hinsichtlich zukünftiger emittierender Anlagen488 und andererseits hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung intakter Lebensräume für die Menschen489. Dies wird teilweise als „Einfallstor“ für planerische Erwägungen innerhalb der Anlagengenehmigung gesehen490, was angesichts der nach h. M. als gebundene Entscheidung ergehenden Genehmigung nach § 6 BImSchG491 dann problematisch ist, wenn man die gebotene Vorsorge vom zu schaffenden Freiraum her definiert. In diesem Fall könnte nämlich eine echte gestaltende Abwägung erforderlich sein, bei der die Genehmigung im planerischen Ermessen stehen müßte492. Indes ist dieser Schluß nicht zwingend, da etwa auch das Baurecht ein Nebeneinander von gebundenem Anspruch auf Baugenehmigung und gemeindlicher Bauleitplanung kennt. Eine Planung „vom Freiraum her“ ist daher dann nicht ausgeschlossen, wenn das geltende Recht entsprechende Planungsmöglichkeiten eröffnet493, was hier nicht vertieft werden kann494. ___________ 486
Dazu unten S. 419 ff. Die Freiraum-These wurde entwickelt von Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (135 f.) und Sellner, NJW 1980, 1255 (1257); dem folgend Trute, Vorsorgestrukturen, S. 212 ff.; Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 61; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 155; ablehnend Kloepfer, UmweltR3, § 14 Rn. 106, Breuer, in: Schmidt-Aßmann13, 5. Kap. Rn. 185 ff.; Rengeling, DVBl. 1982, 622 (624 f.); ders., Vorsorge, S. 36 ff. 488 Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 141; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 474 ff.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 112 ff.; OVG Berlin, DVBl. 1979, 159 ff. 489 Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 141. 490 So bei Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (136 f.) und Sellner, NJW 1980, 1255 (1257); zum Zusammenhang zwischen planerischen Erwägungen und dann erforderlichen behördlichen Ermessensspielräumen Breuer, in: Schmidt-Aßmann13, 5. Kap. Rn. 187. 491 Jarass, BImSchG6, § 6 Rn. 26; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 152; Koepfer, S. 84; a. A. Wolf, UmweltR, Rn. 897; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 334 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 357 ff.; dem dürfte jedoch bereits der eindeutige Wortlaut des § 6 I BImSchG entgegenstehen (ebenso Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 479). – Zur Frage, ob die gebundene Entscheidung nach § 6 I BImSchG im Lichte der IVURichtlinie zu einer planerischen Ermessensentscheidung zu modifizieren ist, vgl. nur Stapelfeldt, S. 278 f. und Zöttl, S. 376 ff., jeweils mit w. Nachw. 492 Daher ablehnend zur „Freiraum“-These Kloepfer, UmweltR3, § 14 Rn. 106; ders. / Kröger, NuR 1990, 8 (10); Breuer, in: Schmidt-Aßmann13, 5. Kap. Rn. 187. 493 Ähnlich Enders, Kompensationsregelungen, S. 52; Petersen, S. 211; Wahl / I. Appel, S. 148 ff., 174 ff.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 275 ff., 300 ff. 487
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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II. Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht 1. Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Obwohl das BImSchG in § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ausdrücklich als Grenze der Vorsorgepflicht normiert, ist allgemein anerkannt, daß dieser das Maß der gebotenen Vorsorge beschränkt495. Dies folgt nicht nur aus dem Eingriffscharakter von Vorsorgeanforderungen gegenüber den Betreibergrundrechten, sondern auch aus der aufgezeigten Notwendigkeit, auf Rechtsfolgenebene ein wirksames beschränkendes Korrektiv zu schaffen. Damit wirkt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur unmittelbar auf das insgesamt zulässige Immissionsmaß aus, sondern bestimmt zugleich Art und Umfang der wertenden Berücksichtigung emittentenseitiger Belange, was nachfolgend betrachtet werden soll.
a) Problemkonstellationen der Verhältnismäßigkeit aa) „Interne“ und „externe“ Verhältnismäßigkeitsprüfung Ausgehend vom Normtext wird zunächst die Frage aufgeworfen, wie sich die in § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG als Regelbeispiel der gebotenen Vorsorge genannten dem „Stand der Technik entsprechende(n) Maßnahmen“ zum Standard der Verhältnismäßigkeit verhalten. Hier stehen sich zwei Auffassungen gegenüber: Während eine Ansicht als „interne“ Verhältnismäßigkeitsprüfung496 die Verhältnismäßigkeit vollständig vom „Stand der Technik“ i. S. des § 3 VI BImSchG erfaßt sieht, der selbst das Ergebnis eines verhältnismäßigen Ausgleichs gegenläufiger Belange sei497, ist nach der anderen Ansicht die Verhält___________ 494 Ansätze hierfür liefern Landesplanung, Raumordnung, Bauleitplanung und Luftreinhalteplanung; zu letzterer Trute, Vorsorgestrukturen, S. 138 ff.; ferner Koepfer, S. 75 ff.; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 75. – Im übrigen trifft die Freiraum-These auch dann einen richtigen Punkt, wenn die gebotene Vorsorge nicht vom Freiraum her bestimmt wird: Bleibt nämlich das zulässige Immissionsmaß hinter der Abwehrpflicht zurück, entstehen automatisch „Freiräume“; es ist nur die gebotene Vorsorge nicht Ergebnis des Freiraums, sondern der Freiraum Ergebnis der gebotenen Vorsorge. 495 So sind nach dem BVerwG nur solche Maßnahmen der Emissionsminderung geboten, die „nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential der Immissionen, die sie verhindern soll, proportional (sind)“ (BVerwG, NVwZ 1997, 497 [499] unter Bezug auf BVerwGE 69, 37 [44] – Heidelberger Fernheizwerk); ebenso Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 60; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 159; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 615 ff.; Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (167 f.); Petersen, S. 280 ff.; Rehbinder, FS Sendler, S. 279 f.; Kutscheidt, FS Redeker, S. 447; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 76; Schmidt-Kötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 110. 496 Begriff nach Germann, S. 48 f. und Reich, S. 211 ff. 497 So Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 616; Rid, S. 118 ff.; Schmölling, S. 77 ff.
408
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
nismäßigkeit als „externe“ eigenständige und vom „Stand der Technik“ grundsätzlich verschiedene Schranke der Vorsorgepflicht498.
bb) „Große“ und „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung Bezüglich Maßstab und Umfang der Verhältnismäßigkeitsprüfung stehen sich zwei Positionen gegenüber, deren eine diese als „kleine“ bezogen auf den Einzelfall durchführen möchte499, während nach den Vertretern der „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung diese am Ausmaß der Gesamtemissionsbelastung und den volkswirtschaftlichen Kosten der Minderung auszurichten sei500.
cc) Aufgeworfene Fragen und Fortgang der Untersuchung Zunächst ist zu beachten, daß die „große“ Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Konstellation des Schadstofferntransports entwickelt wurde, zu dem das BVerwG gefordert hat, daß die Anwendung der Vorsorgepflicht eine vom Einzelfall abstrahierende Konkretisierung in Gestalt eines „langfristigen, auf einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegten Konzept(s)“ voraussetze501. Entsprechend habe die Verhältnismäßigkeitsprüfung abschließend auf „Stufe dieser Vorschriften“ zu erfolgen502. Damit besteht entgegen der landläu___________ 498
H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 385; Reich, S. 215 f. Sellner, NJW 1980, 1255 (1259); Rengeling, DVBl. 1982, 622 (628). 500 Grundlegend BVerwGE 69, 37 (45 f.) – Heidelberger Fernheizwerk; BVerwG, NVwZ 1995, 994 (996); aus der Lit. Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (167 f.); Dolde, NVwZ 1986, 873 (878); Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 63; Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 53; Petersen, S. 286 ff.; Kutscheidt, FS Redeker, S. 447; SchmidtKötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 114. 501 BVerwGE 69, 37 (45) – Heidelberger Fernheizwerk; zustimmend Enders, Kompensationsregelungen, S. 96 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 66 f.; Petersen, S. 319 ff.; einschränkend Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 155. 502 So auch Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 63; ferner Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 160. – Die Notwendigkeit einer generell-abstrakten Konzeptierung wird in der Lit. überwiegend bejaht und als Begründung hinzugefügt, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG sei ohne normatives Konzept überhaupt nicht vollziehbar (Enders, Kompensationsregelungen, S. 61 f.; Petersen, S. 317 f., 319 ff.; Breuer, FS Feldhaus, S. 56; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 66 f.). Demgegenüber wollen andere Autoren das Konzeptierungsgebot lediglich in der Fallgruppe des Schadstofferntransports anwenden und halten eine unmittelbare Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG für möglich, wenn es nur um die Durchsetzung des „Standes der Technik“ gehe (so Rehbinder, FS Sendler, S. 280 f.; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 67; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 155; Germann, S. 59 ff.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 524 ff.); für diesen Fall wird denn auch regelmäßig eine „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert (Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 28; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 65, 67). 499
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
409
figen Umschreibung das Entscheidende an der „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung weniger in der inhaltlichen Ausrichtung an der Gesamtemissionsbelastung und den volkswirtschaftlichen Kosten deren Minderung, sondern darin, daß eine weitergehende einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeschlossen wird. Damit sind mehrere Fragen aufgeworfen: Zunächst geht eine Konkretisierung der Vorsorgepflicht bereits im Wege der Spezialität einer unmittelbaren Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG vor, wenn die Konkretisierung normativ verbindlich und abschließend ist, was durch Auslegung zu ermitteln ist. Schließt eine solche Konkretisierung die Vornahme einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zwingend aus – etwa durch Festsetzung einheitlicher (Emissions-) Grenzwerte –, ist damit einerseits das Vorgehen im Sinne der „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgezeichnet, andererseits aber angesichts des verfassungsrechtlichen Geltungsgrundes des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vom Erfordernis der Verhältnismäßigkeit auch dieser Konkretisierung entbunden. Hierbei ist zu bedenken, daß der Übergang zu generell-abstrakten Konkretisierungen stets eine Abstrahierung und Generalisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bewirkt. Da dieses gröbere Raster regelmäßig eine Minderung des Schutzes konkreter Anlagen bewirkt, ist zu begründen, warum bestimmten Betreibern eine ihnen günstigere einzelfallbezogene Abwägung vorenthalten wird. Damit hängt der Streit um eine „große“ oder „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung wesentlich davon ab, ob das gebotene Maß an Vorsorge ausgehend von rechtssatzmäßigen Konkretisierungen oder aber einzelfallbezogen anhand § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG bestimmt wird, und es bleibt Raum für eine „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich nur im letztgenannten Fall. Hier stellt sich die weitere Frage, ob bei einzelfallbezogener Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG stets eine „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen muß, da hier – und hier schließt sich der Kreis zum Streit um die „interne“ und „externe“ Verhältnismäßigkeit – zu klären ist, welche Funktion dem „Stand der Technik“ nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG zukommt. Jedenfalls dann, wenn man der Auffassung von der „internen“ Verhältnismäßigkeit folgt, verlagert sich die Frage nach dem Abstrahierungsgrad der Verhältnismäßigkeitsprüfung in den „Stand der Technik“, der selbst Ausprägung einer „großen“ Verhältnismäßigkeit sein könnte, sofern er eine partielle Konkretisierung und beschränkte Generalisierung bewirkt503. In diesem Fall wäre eine „kleine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung aus denselben Gründen ausgeschlossen, aus denen der Vorrang generell-abstrakter Konkretisierungen folgt.
___________ 503
Dazu unten S. 417 ff.
410
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
b) Inhaltliche Determinanten der Verhältnismäßigkeitsprüfung aa) Inhaltliche Determination auf Emittentenseite Da Vorsorgeanforderungen regelmäßig in Artt. 12, 14 und subsidiär Art. 2 I GG eingreifen504, ist es erforderlich, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an diesen Grundrechten festzumachen, da gerade zu Art. 12 GG wie im 2. Teil aufgezeigt eine ausdifferenzierte Dogmatik zur Generalisierung der Verhältnismäßigkeit existiert505, die im folgenden fruchtbar gemacht werden soll.
(1) Abgrenzung der einschlägigen Grundrechte Bei der Bestimmung der einschlägigen Grundrechte muß – was bislang kaum beachtet wurde – danach differenziert werden, inwieweit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf der Grundpflichtenebene des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG oder aber auf der Ebene nachträglicher Anordnungen nach § 17 BImSchG Anwendung findet506. Zwar baut § 17 BImSchG auf den Grundpflichten des § 5 BImSchG auf507; gleichwohl bedarf es einer Unterscheidung beider Vorschriften, da diese einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben, der Auswirkungen auf die durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung hat: So gelten die Grundpflichten des § 5 I 1 BImSchG für Errichtung und Betrieb der Anlage, während § 17 BImSchG immer eine bereits errichtete und in Betrieb gesetzte Anlage voraussetzt, der gegenüber Vorsorgemaßnahmen nachträglich durchgesetzt werden. Damit gelten die Grundpflichten auf präventiver und repressiver, § 17 BImSchG jedoch allein auf repressiver Ebene. Problematisch ist nun, daß nachträgliche Anordnungen zur Durchsetzung der Vorsorgepflicht bereits kraft ausdrücklicher Anordnung in § 17 II BImSchG der ___________ 504
Dazu oben 2. Teil S. 81 ff. Dazu oben 2. Teil S. 181 ff. 506 So betreffen die soeben in Fn. 500 nachgewiesenen Fundstellen sowohl die Grundpflichtenebene des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG als auch nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG, ohne daß dieser Unterschied stets deutlich würde; vgl. einerseits Dolde, NVwZ 1986, 873 (878), der den Maßstab der „großen“ Verhältnismäßigkeit ausdrücklich im Rahmen der Altanlagensanierung erörtert, andererseits Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 53; Koepfer, S. 61 f.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 161; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 63, die die Problematik im Rahmen des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG erörtern. – Vgl. ferner BVerwG, NVwZ 1997, 497 (498 ff.); diese Entscheidung betraf eine nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG, gleichwohl erörtert das BVerwG die Frage der „generellen“ Verhältnismäßigkeit als Begrenzung der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG. 507 § 17 BImSchG begründet keine neuen (Grund-) Pflichten, sondern dient allein der Durchsetzung der Grundpflichten des § 5 BImSchG (Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 2, 12a). – Zur Systematik des § 17 BImSchG unten S. 458 ff. 505
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
411
Verhältnismäßigkeit unterliegen. Wenn aber bereits die durchzusetzende Grundpflicht der Verhältnismäßigkeit entsprechen muß, ist fraglich, welcher Anwendungsbereich § 17 II BImSchG verbleibt. Erforderlich ist daher eine Abschichtung beider Verhältnismäßigkeitsstationen508, die ausgehend von der Abgrenzung der betroffenen Grundrechte erfolgen kann: Nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG setzen eine in Betrieb gesetzte Anlage voraus, welche den Schutz des Art. 14 GG genießt; befindet sich die Anlage jedoch erst im Projektionsstadium, fehlt es am gegenständlichen Substrat für den eigentumsrechtlichen Schutz. Der eigenständige Gehalt des § 17 II BImSchG kann daher nur in der Berücksichtigung spezifisch bestandsschutzrechtlicher Gesichtspunkte nach Art. 14 GG bestehen509, während auf Grundpflichtenebene allein Art. 12 GG (bzw. Art. 2 I GG) Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist510.
(2) Inhaltliche Determination durch Art. 12 GG Die inhaltliche Determination des hinzunehmenden Immissionsmaßes durch Art. 12 GG wurde bereits oben im 2. Teil entwickelt, weshalb hier die wesentlichen Ergebnisse zusammengefaßt werden können511: Auf Schutzbereichsebene fordert Art. 12 GG zunächst eine berufsgruppenspezifische Differenzierung hinsichtlich solcher Besonderheiten, die typischerweise innerhalb einer bestimmten Berufsgruppe bestehen512. Ferner sind auch innerhalb einer Berufsgruppe bestehende Unterschiede zu berücksichtigen, sofern diese aus objektiven Rahmenbedingungen der Berufsausübung resultieren. Nicht zu berücksichtigen ist die individuelle wirtschaftliche Lage eines Unternehmens auf dem Markt, die aus einer „guten“ oder „schlechten“ Unternehmensführung resultiert513. Diese schutz___________ 508
Ebenso Petersen, S. 165, der die Abschichtung zu § 17 II BImSchG allerdings ausgehend von § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG vornimmt, der seiner Ansicht nach ebenfalls der Beschränkung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt. 509 Petersen, S. 165; zum eigentumsrechtlichen Bestandsschutz unten S. 443 ff. 510 Damit kommt Art. 12 GG auch bei in Betrieb gesetzten Anlagen zur Anwendung, jedoch nicht über § 17 II BImSchG, sondern allein über § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG. Dem entspricht die thematische Abgrenzung beider Grundrechte, wonach Art. 14 GG das Erworbene schützt, Art. 12 GG hingegen den Erwerb (dazu oben 2. Teil S. 191 ff.). 511 Dazu oben 2. Teil S. 181 ff. 512 Damit können etwa zwar an alle Kraftwerksbetreiber bezüglich eines Schadstoffs x dieselben Vermeidungsanforderungen gestellt werden, nicht jedoch auch an Düngermittelproduzenten, da unterschiedliche Berufe bzw. Berufsgruppen vorliegen. Insofern kommt es nicht nur auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Berufs bzw. der Berufsgruppe an, sondern vor allem auf die regelmäßig unterschiedlichen berufsspezifischen Technologien und Produktionsverfahren, weshalb die Vermeidung des Schadstoffs x für den Kraftwerksbetreiber und den Düngermittelproduzenten typischerweise mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden ist. 513 Dazu oben 2. Teil S. 184 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
bereichsbezogenen Vorgaben bilden das Mindestmaß stets zulässiger Generalisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung, so daß weitergehende Differenzierungen zwar möglich, in keinem Fall aber grundrechtlich geboten sind. Dies hat Konsequenzen für das Vorliegen atypischer Fälle514: Geht man davon aus, daß der Gesetzgeber einen über die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung individueller Umstände hinausgehenden Schutz nicht gewähren wollte, wofür insbesondere die Wettbewerbsneutralität des BImSchG spricht515, kann ein atypischer Fall nicht bereits in einer besonderen wirtschaftlichen Befindlichkeit gesehen werden, sofern diese nicht aus objektiven äußeren Rahmenbedingungen resultiert516. Demgegenüber ist der Gesetzgeber zu einer weitergehenden Generalisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung befugt, welche der im 2. Teil geschilderten Rechtfertigungsprozedur zu unterziehen ist517. Während dort diese Erkenntnisse für das Kollisionsverhalten des Art. 12 GG gegenüber Art. 2 II 1 GG fruchtbar gemacht wurden518, sind an dieser Stelle ferner Eingriffszwecke zu berücksichtigen, die als normative Vorsorgeziele der Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers entspringen.
bb) Determination auf Betroffenenseite durch Art. 2 II 1 GG In dem Maße, in dem die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG berufsausübungsbeschränkende Regelungen auch zur Risikovorsorge rechtfertigen bzw. gebieten kann519, ist die Vorsorgepflicht selbst grundrechtsgeboten520. ___________ 514 Vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 497 (499), wo das Gericht aufgrund eines atypischen Falles zu einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung gelangte; ähnlich BVerwG, NVwZ 1995, 994 (996); zustimmend Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 161; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 63; Kotulla, in: ders., § 5 Rn. 77. 515 So BVerwG, NVwZ 1997, 497 (500); insofern sind auch einfach-rechtlich die „Verhältnisse eines wirtschaftlich gesunden Durchschnittsbetriebs“ maßgeblich. 516 Auch die soeben zitierte Entscheidung BVerwG, NVwZ 1997, 497 (499) kann in diesem Sinne verstanden werden, da die Atypizität der konkreten Anlage (hier: Eisenerzsinteranlage) darin gesehen wurde, daß sie im Gegensatz zu anderen Anlagen dieses Typs mit besonderen Einsatzstoffen betrieben wurde. Damit hat das BVerwG die Atypizität von einem Gattungsmerkmal abhängig gemacht, und maßgeblich war nicht die Singularität dieser Anlage, sondern die Bildung einer neuen Untergruppe innerhalb der Berufsgruppe „Betreiber einer Eisenerzsinteranlage“. – Im übrigen ist zu beachten, daß die Entscheidung eine nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG betraf, so daß die Erwägungen des Gerichts neben der hier behandelten Grundpflichtenebene auch auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung des § 17 II BImSchG bezogen werden können; das Gericht trennt in dieser Entscheidung nicht deutlich genug zwischen beiden Ebenen. 517 Dazu oben S. 185 ff. 518 Dazu oben 2. Teil S. 189 ff. 519 Dazu Trute, Vorsorgestrukturen, S. 268; Breuer, in: HbStR VI, § 148 Rn. 21. 520 So soll nach verbreiteter Ansicht Art. 2 II 1 GG das Vorsorgeprinzip nicht nur als allgemeines Prinzip, sondern auch in seiner immissionsschutzrechtlichen Ausprägung
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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Gleichwohl fällt die inhaltliche Determinationswirkung des Art. 2 II 1 GG im hier allein relevanten Risikobereich vergleichsweise gering aus, da wie im 2. Teil dargestellt hier auch Art. 2 II 1 GG einer weitgehenden Typisierungsmöglichkeit unterliegt521. Damit ist die im Rahmen des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung auch auf dieser Seite offen für generalisierende normative Vorsorgeziele des Gesetzgebers.
2. Konsequenzen für Vermeidungsstandard der Vorsorgepflicht a) Bei generell-abstrakter Konkretisierung (Konzeptierung) Im Rahmen generell-abstrakter Konkretisierungen der Vorsorgepflicht hängt die Verhältnismäßigkeit eng mit der Typisierungsbefugnis zusammen, da jede generalisierende Regelung von den individuellen Umständen des Einzelfalles abstrahiert und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung als „kleine“ ausschließt. Auch wenn damit der Weg zur „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgezeichnet ist, müssen gleichwohl Maßstäbe entwickelt werden, denen diese zur Wahrung ihrer Verfassungsmäßigkeit genügen muß, was eine exakte Bestimmung von Eingriffszweck und -mittel voraussetzt522: Während „Mittel“ unproblematisch die zu treffende Vorsorgemaßnahme ist, deren Eingriffstiefe sich regelmäßig in der monetären Größe wirtschaftlicher Mehrinvestitionen oder sinkender Rentabilität ausdrücken läßt, wird bezüglich des verfolgten Zwecks in der Lit. konstatiert, daß die gesamte Diskussion darunter „leide“, daß „klare Vorsorgeziele im Sinne eines zu erreichenden Zustands oft (fehlten), ohne einen solchen Bezugspunkt aber auch die einzelne Vorsorgemaßnahme kaum auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden (könne)“523. Diese Zielbestimmung sei aber wiederum abhängig von der „spezifischen Situation der Vorsorgebedürftigkeit“524, so daß es einer vom jeweiligen Vorsorgezweck abhängigen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedürfe525. ___________ gebieten; dazu Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 130; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 32, 35; Kunig, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 2 Rn. 68; Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 177; Lorenz, in: HbStR VI, § 128 Rn. 30; Böhm, Normmensch, S. 114 ff.; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, A.1 Rn. 61; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 02 / 184 f.; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 90; Frenz, in: Kotulla, § 1 Rn. 8; ferner Illig, S. 43 ff., 54. 521 Dazu oben 2. Teil S. 203 ff., 205 ff. 522 Zur Zweck-Mittel-Relation oben 2. Teil S. 81 ff. 523 Wahl / I. Appel, S. 137. 524 Petersen, S. 284. 525 Petersen, S. 285. – Zum Übermaßverbot als modalem, der Anreicherung durch materielle Kriterien bedürftigem Prinzip Clérico, S. 166; Wahl / I. Appel, S. 137; ferner Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (167): Verhältnismäßigkeit als „Leerformel“.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Dies ist zutreffend, da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz selbst keine inhaltlichen Kriterien enthält, sondern diese allein dem jeweiligen Sachbereich – d. h. der Ausgestaltung der Vorsorgepflicht – entnommen werden müssen526. Dabei erweist sich als hinderlich, daß die Vorsorgepflicht wie ausgeführt tatbestandlich nur unzureichend determiniert ist, so daß einerseits auf die Vorsorgezwecke zurückgegriffen werden muß527. Andererseits bietet – was von den soeben referierten Literaturstimmen tendenziell unterschätzt wird – gerade die Konzeptierung der Vorsorge die Möglichkeit zur Schaffung normativer Vorsorgeziele in Gestalt qualitativer Zielvorgaben, welche der Zweck-Mittel-Relation eine klarere Struktur geben als die alleinige Heranziehung der ungeschriebenen Vorsorgezwecke528. Im folgenden soll dieser Gedanke für die wichtigsten Fallgruppen dargestellt werden:
aa) Risikobezogene Vorsorge Nach dem engsten Verständnis der risikobezogenen Vorsorge liegt es nahe, das gebotene Maß an Vorsorge am Ausmaß des konkreten Risikos auszurichten529. Dieser Ansatz versagt jedoch, wenn ein konkretes Risiko nicht angegeben werden kann530. Vergegenwärtigt man sich die Funktion der risikobezogenen Vorsorge, gerade solche Immissionen zu verhindern, deren Schädigungspotential nicht oder nur unzureichend bekannt ist531, so muß auch für diesen Fall, in dem die Gefahr einer „ausufernden“ Vorsorge besonders groß ist, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Begrenzung der Vorsorgepflicht fruchtbar gemacht werden. Da die Umstände des Einzelfalles nicht allein über die Verhältnismäßigkeit von Vorsorgemaßnahmen entscheiden, sondern der Gesetzgeber weitere Eingriffszwecke schaffen kann, kann ein solcher gerade in der Entscheidung des jeweiligen Normgebers gesehen werden, bereits das Besorgnispotential eines bestimmten Stoffes – d. h. lediglich plausible Anhaltspunkte für dessen Schädlichkeit532 – zum Erlaß von Vorsorgemaßnahmen ausreichen zu lassen. Dies kann etwa geschehen durch Immissionswerte, die unterhalb der ___________ 526
Petersen, S. 286 f.; Germann, S. 49; Rid, S. 123; Reich, S. 216. Zu diesen oben S. 402 ff. 528 Zur Setzung normativer Vorsorgezwecke Grabitz, WiVerw 1984, 232 (239 f.). 529 So Germann, S. 60 ff.; kritisch Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 532. 530 Petersen, S. 287 f., 289 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 77 f.; Roßnagel, in: GKBImSchG, § 5 Rn. 533; ferner Wahl / I. Appel, S. 138 f.; Fleury, S. 91 f. 531 Breuer, FS Feldhaus, S. 59 f.; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 458 ff.; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 47; Germann, S. 38 ff.; Reich, S. 188 f.; Petersen, S. 227; ferner BVerwG, NVwZ 1995, 994 (995). 532 Dazu Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 50; ders., FS Sendler, S. 279 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 58 ff. 527
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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Schädlichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG angesiedelt sind533 und durch ihre Setzung den Charakter eines normativen Vorsorgeziels bekommen, zu dem Vorsorgemaßnahmen ohne die Unwägbarkeiten des Einzelfalles ins Verhältnis zu setzen sind534.
bb) „Freiraum“-Funktion Auch im Rahmen der „Freiraum“-Funktion wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung um eine weitere Dimension erweitert, nämlich die in welcher Form auch immer zu treffende Entscheidung, an einem bestimmten Ort einen „Freiraum“ zu schaffen. Auch dies stellt ein normatives Vorsorgeziel dar, zu der Vorsorgemaßnahmen ins Verhältnis zu setzen sind535.
cc) Fernwirkungsproblematik (Schadstofferntransport) Initialzündung für die Figur der „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung war die Konstellation des Schadstofferntransports, zu der das BVerwG im Heidelberg-Urteil grundlegend ausgeführt hat: „Erst ein derartiges Konzept (scil.: einheitliches Konzept zur Emissionsminderung) garantiert die angestrebte Minderung der Gesamtemissionen und rechtfertigt die zu diesem Zweck an die einzelnen Feuerungsanlagen gestellten Anforderungen auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit; diese ist, wenn es um Vorsorge gegen den Ferntransport von Luftschadstoffen geht, nicht mit – auf die einzelne Anlage bezogenen – betriebswirtschaftlichen Kategorien zu messen, sondern nur in volkswirtschaftlichen Größenordnungen erfaßbar ...“536
Der Gedanke einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in „volkswirtschaftlichen Kategorien“ wurde in der Lit. auf breiter Front aufgegriffen537, ist indessen in dieser Form durchaus angreifbar: Es ist nämlich nicht ersichtlich, warum die gebotene Vorsorge im Fall des Heidelberger Fernheizwerks „nur“ in „volkswirtschaftlichen Kategorien“ zu messen sein soll, denn wenn es um Vorsorge___________ 533 Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 148; Wahl / I. Appel, S. 192 f.; dazu, daß immissions- und qualitätsbezogene Ansätze zur Konkretisierung der Vorsorgepflicht im geltenden Recht bislang nur ansatzweise vorhanden sind, Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 04 / 148 ff.; Koepfer, S. 71 ff. 534 Besonders klar Wahl / I. Appel, S. 126 ff., 130; ähnlich Petersen, S. 285 ff. 535 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (137); Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 532. 536 BVerwGE 69, 37 (45) – Hervorh. vom Verf. 537 Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (167 f.); Dolde, NVwZ 1986, 873 (878); Wahl / I. Appel, S. 138; Germann, S. 59 f.; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 66 ff., 77 f.; weitergehend Schulze-Fielitz, Immissionsschutz, S. 245; ferner Kutscheidt, NVwZ 1984, 409 (410); ablehnend Rehbinder, FS Sendler, S. 280 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
maßnahmen einer konkreten Anlage geht, können diese immer auch in der „betriebswirtschaftlichen“ Kategorie einer konkreten Kosten-Nutzen-Analyse bewertet werden. Der richtige Ansatz liegt woanders und wird vom Gericht auch benannt, indem erst einem „derartige(n) Konzept“ die Eignung zugesprochen wird, die angestrebte Minderung der Gesamtemissionen zu garantieren, womit dieses Konzept die Funktion eines generellen normativen Vorsorgeziels bekommt. So bestand in den achtziger Jahren angesichts des flächendeckenden Waldsterbens ein hoher Handlungsbedarf538, der mangels hinreichender Kenntnisse über die Wirkungszusammenhänge nur über die Vorsorgepflicht umgesetzt werden konnte. Hierzu hat der Verordnungsgeber mit der Verordnung über Großfeuerungsanlagen (13. BImSchV)539 eine wertende Grundentscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Bekämpfung des Waldsterbens getroffen und damit den Schutz der Wälder in den Rang eines normativen Vorsorgeziels erhoben. Dieses ist zugleich in der Lage, auch Maßnahmen wie die in der 13. BImSchV erfolgte Festsetzung einheitlicher, von konkreten Anlagen abstrahierender Emissionsgrenzwerte zu rechtfertigen540.
dd) Zwischenergebnis Es kann festgehalten werden, daß dem „Vorsorgekonflikt“ ein mehrdimensionales Interessengeflecht zugrundeliegt, das sich nicht auf die kollidierenden Grundrechte der Emittenten und Drittbetroffenen reduzieren läßt, sondern um die dritte Dimension öffentlicher Interessen zu erweitern ist, welche der Definitionsmacht des jeweiligen Normgebers entspringen. Liegt ein solches öffentliches Interesse vor, was aufgrund Art. 12 I 2 GG stets einer gesetzlichen Grundlage bedarf, führt dies jedoch nicht automatisch zur „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere nicht in „volkswirtschaftlichen“ Kategorien, da dem Normgeber bei der Bestimmung des Generalisierungsgrades der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zukommt. Hat aber der Normgeber wie etwa in der 13. BImSchV eine konkrete Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeschlossen, ist dies nach den bisherigen Ausführungen ___________ 538
Zu den Hintergründen H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 47 Rn. 151 ff. VO v. 23. 6. 1983 (BGBl. I, 719); die 13. BImSchV wurde 2004 völlig neu gefaßt (VO über Großfeuerungs- und Gasturbinenanlagen v. 20. 7. 2004 [BGBl. I, 1717]). 540 So ist auf der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob der Schutz der Wälder als Eingriffszweck hinreichend gewichtig ist, die Emissionswerte der 13. BImSchV auch in ihrer strikt typisierenden Wirkung zu rechtfertigen, was nach den Grundsätzen der im 2. Teil entwickelten doppelten Typisierungsrechtfertigung zu geschehen hat (dazu oben S. 185 ff.). Danach kommt es nicht darauf an, ob der Verursachungsbeitrag einer einzelnen Anlage zum Gesamtkomplex „Waldsterben“ risikoproportional ist, sondern der Schutz der Wälder ist hinreichend gewichtig, anlagenseitig auch eine Vielzahl unterschiedlicher Eingriffsfolgen zu rechtfertigen. 539
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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stets, aber auch nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen der doppelten Typisierungsrechtfertigung eingehalten sind. Ist dies der Fall, ist die „große“ Verhältnismäßigkeitsprüfung schlicht das Ergebnis der abschließenden Anwendung dieser Vorschriften, die der gesetzlichen Vorschrift des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG im Wege der Spezialität vorgehen.
b) Bei einzelfallbezogener Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Bei der einzelfallbezogenen Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG541 ist zu klären, inwieweit neben dem „Stand der Technik“ noch eine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Anwendung kommen kann, was dem Streit um die „interne“ und „externe“ Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht.
aa) „Stand der Technik“ als partiell-genereller Vorsorgestandard Sieht man die Verhältnismäßigkeit als gegenüber dem „Stand der Technik“ eigenständige Schranke der Vorsorgepflicht542, führt dies zwingend zu einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer „kleinen“, denn dann wäre der „Stand der Technik“ nach § 5 I 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 VI BImSchG kein abschließender Vorsorgestandard, und das zulässige Maß an Vorsorge müßte einzelfallbezogen nach weiteren Kriterien bestimmt werden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der „Stand der Technik“ richtigerweise als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu sehen ist, da die im Anhang zu § 3 VI BImSchG genannte „Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen“ nur Sinn macht, wenn diese Teil der Bestimmung des „Standes der Technik“ ist. Da die Novellierung des § 3 VI BImSchG der Umsetzung des Begriffs der „besten verfügbaren Techniken“ i. S. des Art. 2 Nr. 11 IVU-RL543 diente, ist Art. 2 Nr. 11 der Richtlinie zur Auslegung des „Standes der Technik“ und seiner Verhältnismäßigkeitskomponente heranzuziehen544. Nach Art. 2 Nr. 11 IVU-RL sind „verfügbare“ Techniken nur solche, „die in einem Maßstab entwickelt sind, der unter Berücksichtigung des Kosten / NutzenVerhältnisses die Anwendung unter in dem betreffenden industriellen Sektor wirtschaftlich und technisch vertretbaren Verhältnissen ermöglicht“545. ___________ 541 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Rehbinder, FS Sendler, S. 280 f.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 155. 542 So H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 385. – Im übrigen oben S. 407 ff. 543 Zur IVU-Richtlinie oben S. 296 ff. 544 Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 93 ff., 101 ff. 545 Dazu Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 106; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 150; Wolf, UmweltR, Rn. 833; als Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Daraus folgt zunächst, daß nicht auf die individuelle wirtschaftliche Befindlichkeit eines Unternehmens abzustellen ist, was sich mit den Vorgaben des Art. 12 GG trifft. Ferner korrespondiert das Abstellen auf den „betreffenden industriellen Sektor“ in Art. 2 Nr. 11 IVU-RL mit dem Gebot der berufsgruppenspezifischen Differenzierung im Rahmen berufsausübungsbeschränkender Regelungen, so daß die europarechtliche Überformung des „Standes der Technik“ nicht nur den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 12 GG entspricht, sondern auch der zugrundeliegende „abstrakt-generelle Wirtschaftlichkeitsmaßstab“546, wonach gerade nicht auf den individuellen Anlagenbetreiber abzustellen ist, eine im Rahmen des Art. 12 GG zulässige Typisierung darstellt. Ferner folgt daraus, daß der „Stand der Technik“ selbst ein abschließender partiellgenereller Vorsorgestandard ist, da der aufgezeigte typisierende Verhältnismäßigkeitsmaßstab, der aufgrund seiner europarechtlichen Herkunft nicht zur Disposition des deutschen Gesetzgebers steht, zunichte gemacht würde, würde man neben dem „Stand der Technik“ eine weitere einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Anwendung zu bringen. Da unmittelbar auf § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG gestützte Vorsorgemaßnahmen im übrigen nur in Betracht kommen, wenn auch der „Stand der Technik“ selbst nicht abschließend konkretisiert ist547, bilden die oben entwickelten Grenzen der Typisierungsbefugnis das Mindestmaß an Differenzierung, dem die einzelfallbezogene Anwendung des „Standes der Technik“ stets gerecht werden muß. Eine weitergehende Differenzierung ist demgegenüber unproblematisch, solange sie mit § 3 VI BImSchG in seiner europarechtlichen Überformung vereinbar ist.
bb) Nichttechnische Vorsorgemaßnahmen Raum für eine wirklich einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung bleibt daher nur bei nichttechnischen Vorsorgemaßnahmen548, die grundsätzlich möglich sind, da das Regelbeispiel der dem „Stand der Technik entsprechende(n) Maßnahmen“ nicht abschließend die Rechtsfolge des § 5 I 1 Nr. 2 ___________ sehen dies Sellner, Ansatz, S. 413; Kracht / Wasielewski, in: EUDUR I2, § 35 Rn. 57. – Zur richtlinienkonformen Auslegung des § 3 VI BImSchG Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 102; Feldhaus, NVwZ 2001, 1 (4); ausführlich Spieler, S. 25 ff.; ebd. S. 95 ff. und passim zur Bedeutung der sog. BVT-Merkblätter für die Bestimmung des „Standes der Technik“; dazu ferner Tausch, NVwZ 2002, 676 ff.; Schmidt-Kötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 104; Sellner / Reidt / Ohms3, 1. Teil Rn. 182. 546 So Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 150; ferner Kracht / Wasielewski, in: EUDUR I2, § 35 Rn. 32; Stapelfeldt, S. 121 ff.; Dolde, NVwZ 1997, 313 (315); Feldhaus, NVwZ 2001, 1 (3 f.); Mann, UTR 71 (2003), S. 25 f.; Schmidt-Kötters, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 5 Rn. 102. 547 Etwa auf Grundlage des § 7 I 1 Nr. 1 BImSchG. 548 Petersen, S. 292 f.; ferner Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 617 ff.
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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BImSchG bestimmt. Bei diesen Maßnahmen stellt insbesondere die Figur des abnehmenden Grenznutzens ein zentrales Kriterium dar549, da eine Vorsorge, bei der überproportional steigende Kosten einem immer geringer werdenden Vorsorgeeffekt gegenüberstehen, stets unverhältnismäßig ist.
c) Verfassungsrechtliche „Konkordanzfunktion“ der Vorsorgepflicht Das aus der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes resultierende variable Maß hinzunehmender Immissionsbelastung unterhalb der Schwelle des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG wird teilweise ausdrücklich begrüßt, da es zu dem gebotenen optimalen Ausgleich der konfligierenden Grundrechte von Betreiber und Drittbetroffenen führe550, womit auf die Figur der praktischen Konkordanz Bezug genommen wird551. Zutreffend hieran ist, daß der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG schon deshalb eine „Konkordanzfunktion“ im weitesten Sinne zukommt, als sie der Auflösung der aufgezeigten grundrechtlichen Kollisionslage dient. Andererseits haben die bisherigen Ausführungen gezeigt, daß angesichts der Vielzahl ergänzender legislativer Zwecksetzungen die Auflösung dieser Kollisionslage nicht notwendig einzelfallbezogen zu geschehen hat, sondern primär durch Anwendung der konkretisierenden Vorsorgestandards. Damit scheint vom Gedanken der praktischen Konkordanz nicht viel mehr als ein heuristischer Wert übrig zu bleiben. Indes führt dieser Befund nicht zwangsläufig zur Verabschiedung des Konkordanzgedankens, sondern nur zu dessen Modifizierung, da oben im 2. Teil herausgearbeitet wurde, daß bei Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen stets auch diejenigen legislatorischen Zwecksetzungen einzubeziehen sind, die der jeweilige Normgeber zulässigerweise definiert hat552. Gleichwohl behält der Konkordanzgedanke zentrale Bedeutung für die Frage, ob die vorhandenen gesetzgeberischen Kollisionslösungen ihrerseits verfassungs- und verhältnismäßig sind. Sofern es nämlich um die Zulässigkeit der Ausblendung individueller Umstände geht, muß das Ergebnis jeglicher verfassungsmäßiger Konkretisierung der Vorsorgepflicht darin bestehen, eine Lösung des Einzelfalles zu schaf___________ 549
Zur Figur des abnehmenden Grenznutzens oben 2. Teil S. 182 Fn. 601. So Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 539, ferner Rn. 138. 551 Zu diesem nur Hesse, Grundzüge20, Rn. 72; dazu oben 2. Teil S. 64 Fn. 110. 552 Wenn demgegenüber die praktische Konkordanz in der von K. Hesse geprägten Form stets mit einer rein einzelfallbezogenen Vorgehensweise verknüpft erscheint, so beruht dies wesentlich darauf, daß ein großer Teil der diesbezüglichen „Leitentscheidungen“ vorbehaltlose Grundrechte – insbesondere Art. 5 III GG – betraf (vgl. nur BVerfGE 30, 173 [195 ff.] – Mephisto; 83, 130 [143, 146 f.] – Mutzenbacher). Da bei diesen eine Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers gerade nicht besteht, blieben hier als inhaltliche Determinanten nur die kollidierenden grundrechtlichen Güter. 550
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
fen, die gerade bezogen auf diesen verhältnis- und verfassungsmäßig ist. Gedanklicher Ausgangspunkt ist daher stets die einzelfallbezogene Konkordanzprüfung, welche die individuellen Umstände in demjenigen Umfang berücksichtigt, der ihr vom Verfassungsrecht vorgegeben wird. Demgegenüber ist jede Generalisierung auf einer zweiten Stufe Ergebnis der im 2. Teil entwickelten doppelten Typisierungsrechtfertigung und setzt ergänzende Zwecksetzungen voraus, welche die Konkordanzprüfung zur Verhältnismäßigkeitsprüfung i. S. einer Zweck-Mittel-Relation erweitern und dieser den Zweck vorgeben, an dem die Generalisierung zu messen ist. Es kommt somit den Umständen des Einzelfalles eine mehrfache Funktion zu: Zunächst bilden sie im Rahmen der Typisierungsrechtfertigung den Maßstab für die Zulässigkeit jeglicher Generalisierung nach Art und Umfang; hier kann von einer „Hintergrundfunktion“ gesprochen werden, da sie jedenfalls Teil einer inzidenten gedanklichen Prüfung sind. Aus diesem Hintergrund treten die Umstände des Einzelfalles dann heraus, wenn eine ansonsten verfassungsmäßige Generalisierung gleichwohl im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Dies ist dann unproblematisch, wenn die generalisierende Regelung Möglichkeiten zur Berücksichtigung dieser besonderen Umstände bietet553. Problematisch sind demgegenüber Regelungen, die hierfür keinen Ansatzpunkt bieten, insbesondere einheitliche Emissionsgrenzwerte. Will man diese nicht in toto verwerfen, bietet sich wiederum der Weg einer einzelfallbezogenen Geltungs- bzw. Anwendungsreduktion im atypischen Fall an554.
d) Sonderfall : Krebsverursachende Immissionen Da neben den oben B. entwickelten akzeptorseitigen Ansätzen zum Schutz vor krebsverursachenden Immissionen aufgrund deren Unvollständigkeit weitere Ansätze zur Anwendung kommen müssen555, kommt den vorsorgeseitigen Maßnahmen zentrale Bedeutung zu. Diese bestehen nach dem Minimierungsgebot der Nr. 5.2.7 TA Luft 2002 im wesentlichen in einer Emissionsbegrenzung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit so weit wie möglich, was zu einem grundsätzlich variablen Standard führt, der nur insoweit unbedenklich ist, als, wie aufgezeigt, akzeptorseitige Maßnahmen existieren, die entsprechende Risikotra___________ 553 So BVerwG, NVwZ 1997, 497 ff., wo es auf die Anwendung von Nr. 3.1.7 Abs. 7 Satz 1 TA Luft 1986 ankam; nach dieser Vorschrift war bei bestimmten Stoffen, insbesondere solchen hoher Toxizität, der Emissionsmassenstrom „unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit soweit wie möglich zu begrenzen“. Damit war hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ausdrücklich vorgesehen, über welche individuelle Gesichtspunkte berücksichtigt werden konnten. 554 Dazu oben 2. Teil S. 293 ff.; ferner unten S. 506 ff. 555 Dazu oben S. 383 ff., 386 ff.
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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gungspflichten nach oben hin limitieren. Da Nr. 5.2.7 TA Luft 2002 ohne Zwischenschaltung nivellierender Vorsorgestandards unmittelbar auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verweist556, ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich einzelfallbezogen durchzuführen, und es sind in diese einzustellen einerseits der nach Art. 12 GG relevante Vermeidungsaufwand, andererseits die Schutzgüter des Art. 2 II 1 GG mit einem angesichts der auf das Kollektiv bezogenen sicheren Todesfälle erhöhten Gewicht557. Damit ist Nr. 5.2.7 TA Luft 2002 eine Ausprägung der Konkordanzfunktion, bei der die Auflösung der Kollisionslage allein durch die kollidierenden Grundrechte determiniert wird.
3. Zusammenfassung Es konnte somit die zentrale Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Bestimmung der gebotenen Vorsorge, zugleich aber auch dessen äußerst differenzierte Anwendung aufgezeigt werden, die dem Gesetzgeber ein hohes Maß an Gestaltung ermöglicht. Folge ist ein grundsätzlich variables Maß hinzunehmender Immissionsbelastung unterhalb der Schwelle des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG, das wesentlich bestimmt wird durch emittentenseitige und Art. 12 GG zuzuordnende Belange, welche jedoch durch vom Normgeber definierte öffentliche Interessen wieder kompensiert werden. Mit dieser subtilen „Feinjustierung“ des zulässigen Immissionsmaßes ist zugleich eine wesentliche Aussage über die Zulässigkeit der abwägenden Berücksichtigung emittentenseitiger Belange im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage gewonnen.
III. Vorsorgepflicht bei erheblichen Nachteilen und Belästigungen Während im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Erörterung der Vorsorgepflicht in der Vergangenheit vornehmlich Luftschadstoffe und deren Wirkungen auf die menschliche Gesundheit im Bereich des bloßen Risikos standen, wird die Frage kaum erörtert, ob die Vorsorgepflicht auch gegenüber erheblichen Nachteilen und Belästigungen zur Anwendung kommt. Indes ist bereits nach dem klaren Wortlaut des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Vorsorge gegen „schädliche Umwelteinwirkungen“ schlechthin und damit auch gegen erhebliche Nachteile ___________ 556 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 377; Petersen, S. 184 (zur TA Luft 1986); dazu, daß das Minimierungsgebot nach Nr. 5.2.7 TA Luft 2002 nunmehr ausschließlich der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG zuzuordnen ist, Hansmann, NVwZ 2003, 266 (272); ders., in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 5.2.7 Rn. 1. 557 Zu dieser Abwägung Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 5.2.7 Rn. 12; ähnlich zu Nr. 2.3 Abs. 1 TA Luft 1986 ders., in: Landmann / Rohmer II, TA Luft (alt) Nr. 2.3 Rn. 9; restriktiver Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 378.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
und Belästigungen zu treffen. Daraus folgt, daß die abschließende Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes durch die Vorsorgepflicht nicht identisch sein kann mit der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG für Nachteile und Belästigungen. Vielmehr folgt aus dem Zusammenspiel von § 5 I 1 Nr. 1 und 2 BImSchG, daß erhebliche Nachteile und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG stets zu vermeiden sind. Demgegenüber begründet die Vorsorgepflicht unterhalb der Schwelle erheblicher Nachteile und Belästigungen eine weitergehende (relative) Vermeidungspflicht, die folgende Besonderheiten aufweist558:
1. Abweichende Funktion(en) der Vorsorgepflicht a) Emissionsminderung soweit als tatsächlich und rechtlich möglich Überwiegend hatte es die Rspr. im Rahmen des Schutzes vor Nachteilen und Belästigungen nicht mit Luftschadstoffen zu tun, sondern mit Geräusch- und Geruchsimmissionen559. Während bei Luftschadstoffen wie aufgezeigt im wesentlichen eine Ungewißheitssituation über deren schädigende Wirkung für die Gesundheit bewältigt werden muß, weisen Lärm- und Geruchsimmissionen nicht im selben Maße Ungewißheitssituationen auf, da hier regelmäßig sowohl die Tatsache, daß Immissionen auf die Akzeptoren einwirken, als auch die konkreten Schädigungsfolgen (etwa Unwohlsein, Beeinträchtigung des sozialen Wohlbefindens) festgestellt werden können. Daraus folgt, daß die Frage, inwieweit grundrechtlicher Schutz auch den Bereich des bloßen Risikos umfaßt, hier nur eine untergeordnete Rolle spielt, während grundrechtlicher Schutz einheitlich über Art. 14 GG bewirkt wird. Daher ist die Funktion der Vorsorgepflicht teilweise anders zu bestimmen als beim Schutz der menschlichen Gesundheit, da von den oben dargestellten Vorsorgezwecken weder der risikobezogene greift noch sich aufgrund der Kleinräumigkeit der Immissionen560 die Fernwirkungsproblematik stellt, welche beide zugleich den Hauptanwendungsfall des Konzeptierungsgebots bilden. Da ferner im Bereich von Lärm- und Geruchsimmissionen rechtssatzförmige Konkretisierungen in Gestalt vorsorgebezogener Emissions- oder Immissionsgrenzwerte nicht existieren, muß unmittelbar auf § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG abgestellt ___________ 558 Zu den Besonderheiten der Lärmvorsorge Rid / Hammann, NVwZ 1989, 200 ff.; Petersen, S. 257 ff.; Feldhaus, Überlegungen, S. 163 f.; Pflugmacher, S. 178 ff. 559 Etwa OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2001, 218 ff.; OVG Münster, DÖV 1984, 473 ff.; NVwZ-RR 1990, 545 ff.; OVG Lüneburg, NuR 1998, 663 ff.; VGH Baden-Württ., NVwZ 2001, 580 ff.; VBlBW 2000, 78 ff.; BVerwG, NVwZ 2000, 679 ff.; BayVGH, NVwZ 1998, 1191 ff. – Zu Geruchsimmissionen Hansmann, NVwZ 1999, 1158 ff. 560 Dazu Pflugmacher, S. 178, 187.
D. Vorsorgepflicht, § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG
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werden. Existiert hierbei ein „Stand der Technik“ nicht, was gerade bei Lärmund Geruchsimmissionen häufiger der Fall ist als bei Luftschadstoffen561, ist die gebotene Vorsorge über eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bestimmen, was zu einer Emissionsminderung soweit als tatsächlich und rechtlich – d. h. am Maßstab der Verhältnismäßigkeit – möglich führt. Damit kommt die Vorsorgepflicht hier in ihrer verfassungsrechtlichen Konkordanzfunktion zur Anwendung und bezweckt, unterhalb der Rechtsgüterschwelle einen optimalen Ausgleich zwischen Art. 14 GG der Grundeigentümer und der Betreibergrundrechte herzustellen, indem verhältnismäßig vermeidbare Immissionen auch tatsächlich vermieden werden. In diesem Sinne hat die Vorsorgepflicht für Geräuschimmissionen eine Konkretisierung in Nr. 3.3 TA Lärm 1998 erfahren; diese lautet: „Das Maß der Vorsorgepflicht gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche bestimmt sich einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und erreichbarer Lärmminderung nach der zu erwartenden Immissionssituation des Einwirkungsbereichs insbesondere unter Berücksichtigung der Bauleitplanung. Die Geräuschemissionen der Anlage müssen so niedrig sein, wie dies zur Erfüllung der Vorsorgepflicht nach Satz 1 nötig und nach dem Stand der Technik zur Lärmminderung möglich ist.“ (Hervorh. vom Verf.)
b) Eingrenzendes Korrektiv der spezifischen Vorsorgebedürftigkeit Wenn damit die Vorsorgepflicht gegenüber jeglichen Nachteilen und Belästigungen zur Anwendung zu kommen scheint, könnte dies im Widerspruch stehen zu den Ausführungen oben, wonach die Vorsorgepflicht stets eine spezifische Vorsorgebedürftigkeit erfordert, d. h. eine Situation, die das Bedürfnis nach Vorsorge begründet562. Dazu folgendes Beispiel: Gesetzt den Fall, ein im Außenbereich gelegener Industriebetrieb verursache hohe Lärmemissionen, die nur deshalb nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Aktivierung der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG führen, weil das nächste Wohngebiet so weit entfernt ist, daß die dort einwirkenden Immissionen unterhalb der Schwelle erheblicher Nachteile und Belästigungen liegen. Muß der Industriebetrieb hier gleichwohl im Rahmen der Verhältnismäßigkeit seine Emissionen mindern? Gilt dies auch dann, wenn der Industriebetrieb in einem abgelegenen Tal liegt, das natürliche Schallbarrieren aufweist?
Grundsätzlich ist am Erfordernis einer vorsorgebedürftigen Situation festzuhalten, da die Vorsorgepflicht keine unbeschränkte Minimierungspflicht begründet563 und bereits der Begriff der Vor-„Sorge“ auf einen Anlaß abstellt, der ___________ 561
Beispiele zu nichttechnischen Maßnahmen bei Pflugmacher, S. 220 f. Dazu oben S. 401 ff.; ebenso oder ähnlich Petersen, S. 211 ff.; Kloepfer / Kröger, NuR 1990, 8 (12 f.); Darnstädt, S. 123 ff.; Pflugmacher, S. 182 ff. 563 Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (166, 168); Kloepfer / Kröger, NuR 1990, 8 (13). 562
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Grund zur „Sorge“ gibt. Dieser ist mangels weitergehender tatbestandlicher Determination wie aufgezeigt aus den Vorsorgezwecken zu rekonstruieren, was im Bereich gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe zum Erfordernis eines „Risikopotentials“ im weitesten Sinne geführt hat564. Da dieser Aspekt bei Nachteilen und Belästigungen jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt, müssen zugleich die anderen Vorsorgezwecke herangezogen werden565. Allgemein ist daher ein Vorsorgebedürfnis immer dann zu bejahen, wenn die Situation denkbar ist, daß maßgebliche Akzeptoren in rechtlich zulässiger Weise sich zukünftig so ansiedeln werden, daß sie schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wären, weshalb im Beispielsfall eine vorsorgebedürftige Situation nur in der Abwandlung zu verneinen ist566. Sofern jedoch eine Situation der Vorsorgebedürftigkeit besteht, bleibt es dabei, daß Vorsorgezweck in erster Linie eine Emissionsminderung am Maßstab des tatsächlich und rechtlich Möglichen ist, was der Konkordanzfunktion entspricht.
2. Abgrenzung zur „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen Dieses Verständnis bestätigt zugleich die oben B. gefundene Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs nach § 3 I BImSchG: Da die Herstellung praktischer Konkordanz nur verlangt, daß das einfache Recht überhaupt eine entsprechende Abwägungsinstanz bereitstellt, könnte man diese zwar – sofern man den Erheblichkeitsbegriff in einem wertenden Sinne versteht – bereits abschließend in diesem verortet sehen. Indes sind die hierbei zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Belastungen für die Anlagenbetreiber nach allen oben B. dargestellten Ansichten nicht Gegenstand des Erheblichkeitsbegriffs567. Als Begründung ___________ 564
Petersen, S. 226 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 146; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 142; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 46 ff. 565 Hierbei zeigt der obige Beispielsfall, daß der Freiraum-Funktion eine zentrale Rolle zukommt: Zwar besteht dort aktuell kein Vorsorgeanlaß; andererseits könnte die Immissionssituation aufgrund der Abschwächungswirkung des Schalls eine andere sein, wollte die Gemeinde zwischen vorhandenem Akzeptor und Emittent ein weiteres Wohngebiet planen, bei dem als dann maßgeblichen Akzeptor die Schwelle zu schädlichen Umwelteinwirkungen möglicherweise überschritten ist. Hier könnte eine Pflicht zu weitergehender Emissionsminderung dazu führen, daß ein Freiraum geschaffen wird, den die Gemeinde zur erweiterten Bauleitplanung nutzen kann. 566 Ebenso mit ähnlichen Beispielen Rid / Hamann, NVwZ 1989, 200 (203); Pflugmacher, S. 190 f. – Dem entspricht die Auffassung, daß Emissionsbegrenzung nicht als Selbstzweck betrieben werden dürfe, sondern sich stets in der Verbesserung einer Immissionssituation niederschlagen müsse (so Rengeling, DVBl. 1982, 622 [626]). 567 Insofern sind diejenigen Ansichten zumindest mißverständlich, die für den Erheblichkeitsbegriff eine „umfassende“ Güterabwägung postulieren, denn dies suggeriert eine Einbeziehung auch der wirtschaftlichen Belange der Betreiber (dies konstatiert auch Jarass, JZ 1993, 601 [603]).
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
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kann nun hinzugefügt werden, daß allein durch diese Lösung eine Abschichtung der Wertungsebenen auch im Verhältnis zur Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG möglich wird. So kommt diese nämlich nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG nur zur Anwendung, wenn erhebliche Nachteile und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG bereits tatbestandlich nicht vorliegen und unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle weitergehende Emissionsminderung erfolgen soll568. Hierzu bestünde jedoch keine Notwendigkeit, würde man bereits im Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG sämtliche abwägungsrelevanten Belange berücksichtigen. Da es bei der Vorsorgepflicht demgegenüber darum geht, das zulässige Immissionsmaß unterhalb der Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen einer „Feinjustierung“ zu unterziehen, müssen spätestens hier die dem Immissionsschutz widerstreitenden emittentenseitigen Belange eingebracht werden; dies sind bei privatwirtschaftlichen genehmigungsbedürftigen Anlagen jedoch gerade die nach 12 I GG relevanten wirtschaftlichen Belastungen. Dies entspricht nicht nur einer sinnvollen Abschichtung der unterschiedlichen Prüfungsebenen, sondern wahrt zugleich die gebotene Identität der Vorsorgepflicht zwischen Nachteils- und Belästigungsschutz und Gefahrenschutz, da bei letzterem die genannten Belange unstreitig erst im Rahmen der Vorsorgepflicht zur Geltung zu bringen sind. Damit bestätigt sich die oben B. gefundene Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs.
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen Nach § 22 I 1 BImSchG sind bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (Nr. 1; „Vermeidungspflicht“569), während nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen lediglich „auf ein Mindestmaß beschränkt“ werden müssen (Nr. 2; „Minderungspflicht“). Auch diese nachfolgend zu betrachtenden Grundpflichten folgen dem dreistufigen Prüfungsschema der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung, für dessen Einzelheiten auf oben A. verwiesen wird570.
___________ 568
Dazu oben S. 421 ff. Nachfolgend wird der Terminologie von Roßnagel (in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 109) gefolgt. 570 Petersen, S. 32 ff. und passim; dazu oben S. 301 ff. 569
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
I. Tatbestand der Risikoerkenntnis und Risikozurechnung Risikoerkenntnistatbestand sind auch in § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG bereits dem Wortlaut nach „schädliche Umwelteinwirkungen“ i. S. des § 3 I BImSchG, da diese als Objekt sowohl der Vermeidungspflicht als auch der Minderungspflicht genannt sind. Der Risikozurechnungstatbestand ist in § 22 I 1 BImSchG nicht explizit geregelt, kann jedoch den Wendungen „nach dem Stand der Technik vermeidbar“ in Nr. 1 und „nach dem Stand der Technik unvermeidbar“ in Nr. 2 entnommen werden; für die Einzelheiten der Risikozurechnung wird auf die Ausführungen zu § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG verwiesen, die auf § 22 I 1 BImSchG entsprechend anwendbar sind571.
II. Tatbestand der Risikosteuerung Der Tatbestand der Risikosteuerung schließlich ergibt sich aus dem spezifischen Zusammenspiel von Vermeidungs- und Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG, wonach unter den Voraussetzungen der Nr. 2 auch Immissionen oberhalb der Schädlichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG zulässig sein können. Damit sind die Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen in zweifacher Weise weniger streng als diejenigen genehmigungsbedürftiger Anlagen: Zunächst enthält § 22 I 1 BImSchG nach h. M. keine Ermächtigung zu Maßnahmen der Vorsorge572, was hier nicht vertieft werden kann. Zweitens verhindern die nach dem Stand der Technik nicht vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen nach Nr. 1 nicht schlechthin Errichtung und Betrieb der Anlage, sondern es dürfen nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG auch schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG hervorgerufen werden, sofern sie auf ein Mindestmaß „beschränkt“ werden. Damit bilden Vermeidungs- und Minderungspflicht einen relativierten Gesamtvermeidungsstandard, der insgesamt hinter § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zurückbleibt573. Die Zulässigkeit von Immissionen oberhalb der Schwelle des § 3 I BImSchG wird von der h. M. jedoch dadurch korrigiert, daß die Minderungspflicht im Wege systematischer Interpretation im ___________ 571
Dazu oben S. 375 ff. Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 22; ders., Systematik, S. 385 f.; Roßnagel, in: GKBImSchG, § 22 Rn. 127 ff.; Porger, in: Kotulla, § 22 Rn. 37; Enders, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 22 Rn. 10; Schlotterbeck, NJW 1991, 2669 (2674); ebenso OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2000, 91 (92); NVwZ 1994, 390 (390); NVwZ 1985, 434 (434 f.); BayVGH, NVwZ 1988, 175 (175 f.); a. A. Hansmann, NVwZ 1991, 829 (831 ff.); ders., Vorsorgepflichten, S. 10 ff.; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 15; Kloepfer, UmweltR3, § 14 Rn. 206. – Unbestritten können Vorsorgeanforderungen in Rechtsverordnungen nach § 23 BImSchG getroffen werden (statt aller Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 22). 573 Ebenso Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 8. 572
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
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Lichte des § 25 II BImSchG und der polizeilichen Generalklauseln einschränkend ausgelegt wird: Zunächst wird davon ausgegangen, daß das BImSchG an die Zulässigkeit von Immissionen keine geringeren Anforderungen stellt als die Generalklauseln der Landespolizeigesetze574. Daher sollen konkrete Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit oder Sachwerte auch nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG nicht hinzunehmen sein575. Gleiches wird – von der Beschränkung auf „bedeutende“ Sachwerte abgesehen – aus § 25 II BImSchG gefolgert, denn wenn die Behörde Errichtung oder Betrieb der Anlage ganz oder teilweise untersagen „soll“, macht es keinen Sinn, auf Grundpflichtenebene entsprechende Immissionen zuzulassen576. Damit ist die Minderungspflicht nur im Rahmen des Nachteils- und Belästigungsschutzes relevant, während beim Gefahrenschutz der Vermeidungsstandard allein § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG zu entnehmen ist.
1. Vermeidungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG Die Vermeidungspflicht des § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG enthält zwar mit der Wendung „daß schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden“ einen § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG entsprechenden strikten Vermeidungsstandard, jedoch steht dieser unter dem Vorbehalt, daß die schädlichen Umwelteinwirkungen nach dem Stand der Technik vermieden werden können. Sofern dies nicht der Fall ist, dürfen Immissionen nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG verursacht werden und unterliegen allein der nachfolgend zu betrachtenden Minderungspflicht577. Schädliche Umwelteinwirkungen können insbesondere in folgenden Konstellationen nach dem Stand der Technik nicht vermieden werden: – Erstens kann eine Emissionsminderung zwar technisch möglich sein, jedoch der technischen Maßnahme noch die praktische Eignung fehlen578 . Da der Begriff „Stand der Technik“ nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG grundsätzlich im ___________ 574 Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 38; Kutscheidt, NVwZ 1983, 65 (67); Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 242. – Für Baden-Württ. §§ 1, 3 PolG. 575 So Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 38; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 145; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 242; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 146. 576 Feldhaus, in: ders., BImSchR I Teil 2, § 22 Anm. 8 a. E.; Roßnagel, Anlagen, S. 62; ders., in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 115; Seiler, S. 68; Porger, in: Kotulla, § 22 Rn. 36; zum Streit um die Funktion des § 25 II BImSchG Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 11; § 25 Rn. 2: Während die genannten Autoren in § 25 II BImSchG eine Ergänzung der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG sehen, hat § 25 II BImSchG nach Auffassung des BVerwG allein die Funktion, das Ermessen nach § 25 I BImSchG auf Null zu reduzieren (so BVerwGE 81, 197 [211] – Tegelsbarg; ebenso H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 25 Rn. 4; Engler, S. 130). 577 Dazu Porger, in: Kotulla, § 22 Rn. 35. 578 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 17; zum Begriff der „praktischen Eignung“ Jarass, BImSchG6, § 3 Rn. 106 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Sinne der Legaldefinition des § 3 VI BImSchG zu verstehen ist579, ist er auch hier in der oben C. geschilderten europarechtskonformen Weise auszulegen580. Damit verweist die „praktische Eignung“ i. S. des § 3 VI BImSchG auf den generellen Verhältnismäßigkeitsstandard, der seit der Umsetzung der IVU-RL dem „Stand der Technik“ zugrundeliegt, weshalb schädliche Umwelteinwirkungen, die mit zumutbarem Aufwand vermieden werden können, nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG auch vermieden werden müssen. – Zweitens kann eine Emissionsminderung bereits technisch nicht möglich sein, weil eine entsprechende Technik (noch) nicht existiert oder den Zweck der Anlage beeinträchtigen würde, etwa bei Geräuschemissionen eines Sportplatzes, die allein auf menschlichem Verhalten beruhen581. Hier kommen zur Emissionsminderung allein nichttechnische Maßnahmen in Betracht582, insbesondere betriebsorganisatorische Maßnahmen wie zeitliche Betriebsbeschränkungen583. In beiden Konstellationen sind auch Immissionen oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG zulässig, so daß die Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG eine „Feinjustierung“ der zulässigen Immissionsbelastung zwischen der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG und der Gefahrenschwelle als Obergrenze bewirkt und damit im Ansatz eine ähnliche Funktion erfüllt wie die Vorsorgepflicht des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG584.
2. Bestimmung des Mindestmaßes nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG Für die Bestimmung des Mindestmaßes nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ist anerkannt, daß dieses und damit die Zulässigkeit von Immissionen oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG bestimmt wird durch eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung des Interesses der Nachbarn und der Allgemeinheit an Verringerung der schädlichen Umwelteinwirkung mit dem Nutzen ___________ 579
Vgl. nur Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 35. Dazu oben S. 417 ff. 581 Zur Frage, wann hier das „Betreiben“ einer „Anlage“ in Abgrenzung zu rein verhaltensbedingten Immissionen vorliegt, vgl. nur Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 37 ff.; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, Vor § 22 Rn. 20 ff. 582 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 25. 583 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 25; Herr, S. 93. – Demgegenüber soll nach Roßnagel (in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 124) auch die zeitliche Beschränkung des Anlagenbetriebs dem Stand der Technik unterfallen. Dies ist abzulehnen, da Betriebszeiten nicht Ausdruck einer bestimmten Technik sind und der Stand der Technik ausschließlich das „Wie“ des Anlagenbetriebs und nicht das „Wann“ betrifft (ebenso Herr, S. 93; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 19, 25). – Weitere Beispiele für nichttechnische Emissionsminderungsmaßnahmen bei Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 25 und Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 136. 584 Dazu oben S. 421 ff., 424 ff. 580
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
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der Anlage für die Allgemeinheit und dem Aufwand der Minderung585, was zutreffend als Verhältnismäßigkeitsprüfung zu qualifizieren ist586. Grund der Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG, die im Zusammenspiel mit § 3 I BImSchG nicht der Konkretisierung, sondern der Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus dient, ist wie ausgeführt das räumliche Näheprinzip bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen587. Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, daß diese Durchbrechungen das gebietsadäquate Immissionsniveau in seiner konkreten Ausprägung nicht grundsätzlich in Frage stellen dürfen, etwa indem dieses generell angehoben wird. Damit muß den Durchbrechungen Ausnahmecharakter gegenüber dem generellen Immissionsniveau zukommen, was sich etwa äußern kann in einer zeitlich unregelmäßigen Verteilung der Immissionsverursachung, bei der überwiegende Zeiten der Ruhe mit zeitweisen Spitzenbelastungen wechseln. Wollte man demgegenüber bereits im Rahmen des § 3 I BImSchG eine umfassende Abwägung unter Einbeziehung emittentenseitiger Belange vornehmen588, würden „Erheblichkeit“ nach § 3 I BImSchG und „Mindestmaß“ nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG unzulässig vermengt, so daß allein die oben B. aufgezeigte Abschichtung der Minderungspflicht einen eigenständigen Anwendungsbereich sichert589. Im folgenden soll in Ergänzung zu den oben B. getroffenen grundsätzlichen Ausführungen zur Minderungspflicht betrachtet werden, welche Belange im einzelnen in die Abwägung des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG einzustellen sind.
___________ 585 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 147; Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 39; ders., JZ 1993, 601 (604); H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 49; ders. / Maaß, NuR 2000, 69 (75); Classen, JZ 1993, 1042 (1050); Seiler, S. 70; Engler, S. 131; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 22; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 146; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 242; Enders, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 22 Rn. 22; im Ansatz auch BVerwGE 81, 197 (210) – Tegelsbarg. 586 Ebenso BVerwGE 81, 197 (210) – Tegelsbarg. 587 Dazu oben S. 356 ff., 362 ff. – Diese Auffassung findet eine Bestätigung in den Gesetzesmaterialien zu § 22 BImSchG, wo zur Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ausgeführt wird, diese eröffne einen „ausreichend weite(n) Spielraum für die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls“, wobei dem „nachbarlichen Interessenausgleich eine besondere Bedeutung (zukomme)“ (BT-Drs. 7 / 179, S. 38 f.); dies aufgreifend BVerwGE 81, 197 (210) – Tegelsbarg. 588 Dazu oben S. 346 ff. – Demgegenüber will Kutscheidt (NVwZ 1983, 65 [68]) die Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG mit dem Mindestmaß nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG gleichsetzen; dagegen zutreffend H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 49; Enders, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 22 Rn. 23. 589 Dazu oben S. 355 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
a) Mindestmaß bei Anlagen mit Grundrechtsberechtigung aa) Privatwirtschaftliche Anlagen (1) Berücksichtigung individueller wirtschaftlicher Belange Sofern bei privatwirtschaftlichen Anlagen Maßnahmen der Emissionsminderung in Rede stehen, für die ein „Stand der Technik“ existiert, ist zu berücksichtigen, daß die grundrechtlich in Art. 12 GG zu verortende wirtschaftliche Belastung590 bereits in den generellen Verhältnismäßigkeitsstandard eingeflossen ist, der dem „Stand der Technik“ nach Umsetzung der IVU-Richtlinie zugrundeliegt591, so daß für eine Abwägung im Rahmen des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG nur solche Belange zur Verfügung stehen, die über diesen generellen Standard hinausgehen. Daß in § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG überhaupt individuelle wirtschaftliche Belange zu berücksichtigen sind, folgt zwar bereits aus der wertungsmäßigen Abschichtung zum generellen „Stand der Technik“ nach § 22 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 VI BImSchG; andererseits müssen diesem Individualisierungsgrad Grenzen gezogen werden, da ansonsten auch die durch „schlechte“ Unternehmensführung bedingte besondere Lage einer Anlage auf dem Markt berücksichtigungsfähig wäre. Vergegenwärtigt man sich demgegenüber, daß der Bestimmung des Mindestmaßes bei privatwirtschaftlichen Anlagen stets eine Kollision von Art. 12 GG auf Emittenten- und Art. 14 GG auf Betroffenenseite zugrundeliegt592, kann nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe emittentenseitige Belange auch über das nach Art. 12 GG gebotene Maß hinaus berücksichtigen wollen, da ansonsten die praktisch konkordante Zuordnung zu Lasten des Art. 14 GG verschoben würde. Daher findet der Individualisierungsgrad emittentenseitiger wirtschaftlicher Belange dort seine Grenze, wo eine Berücksichtigung auch nach Art. 12 GG nicht geboten ist593. Allgemein ist im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten, daß es Ziel der Minderungspflicht ist, das zulässige Immissionsniveau möglichst nahe an die Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG heranzuführen594. Dabei ist stets auch die absolute Höhe der Immissionsverursachung, die es zu mindern gilt, zu berücksichtigen, da es einen Unterschied macht, ob dieses „Ausgangs-Level“ selbst schon nahe an der Gefahrengrenze oder nur gering über der Erheblichkeitsschwelle liegt. Entsprechend verschiebt sich der Kosten- / ___________ 590 Dazu oben S. 410 ff. – Zu deren Berücksichtigung im Rahmen der Minderungspflicht ferner Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 148; Engler, S. 133. 591 Dazu oben S. 417 ff. 592 Dazu oben 2. Teil S. 275 ff. 593 Zum diesbezüglichen Maßstab des Art. 12 GG oben 2. Teil S. 184 ff. 594 Ebenso Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 135 unter Berufung auf BT-Drs. 7 / 179, S. 38.
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
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Nutzen-Maßstab innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung, da desto höhere Aufwendungen verlangt werden können, je näher die Immissionen an der Gefahrengrenze liegen. Insgesamt kann daher auch der Minderungspflicht innerhalb der geschilderten grundrechtlichen Kollisionslage – vergleichbar der Vorsorgepflicht des § 5 I Nr. 2 BImSchG – eine verfassungsrechtliche „Konkordanzfunktion“ zugesprochen werden595.
(2) Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen Ob bei privatwirtschaftlichen Anlagen auch deren spezifischer Gemeinwohlnutzen zu berücksichtigen ist, ist nicht abschließend geklärt, da diese Frage bislang ausschließlich im Rahmen hoheitlicher Anlagen erörtert wurde596. Richtigerweise ist hier danach zu differenzieren, ob nur das allgemeine öffentliche Interesse an einer florierenden Wirtschaft und Arbeitsplätzen betroffen ist, welches regelmäßig nicht auf die zu beurteilende Anlage fokussiert ist, oder aber ein spezielles öffentliches Interesse besteht, das gerade mit dieser Anlage verknüpft ist und über das allgemeine hinausgeht, was allenfalls denkbar ist bei Anlagen, die im weitesten Sinne der Daseinsvorsorge dienen. In diesem Fall erscheint dessen Art. 12 GG flankierende Einbeziehung in die Abwägung nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch ist zu berücksichtigen, daß dieses Interesse nur an Betrieb und Errichtung der Anlage insgesamt besteht. Sind nämlich Emissionsminderungen in verhältnismäßiger Weise möglich, besteht kein Anlaß, die Minderungspflicht durch Berücksichtigung öffentlicher Interessen zu schmälern, wenn und solange Betrieb und Errichtung der Anlage nicht grundsätzlich gefährdet sind597. Allerdings dürfte eine solche Berücksichtigung öffentlicher Interessen bei privatwirtschaftlichen Anlagen nur ausnahmsweise zulässig sein, was insbesondere die Berücksichtigung von mit der Anlage verbundenen Arbeitsplätzen ausschließt, zumal diese keine normative Verankerung gefunden haben.
bb) Sonderfall des kirchlichen Glockenläutens Einen besonders deutlichen Ausdruck findet die Konkordanzfunktion der Minderungspflicht im Fall des kirchlichen Glockenläutens, das – zumindest beim liturgischen Läuten – nach Art. 4 I, II GG geschützte Religionsausübung ist598. Aufgrund der auf den ganzen Tag bezogen kurzen Dauer entsprechender ___________ 595
Dazu aus Sicht des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG oben S. 419 ff. Vgl. dazu nur die oben S. 346 ff. nachgewiesene Rspr. 597 Ebenso Engler, S. 133. 598 Ausführlich Hense, S. 194 ff.; ferner mit Nachw. oben 2. Teil S. 276 Fn. 1044. 596
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Immissionen und dem Gebot der räumlichen Nähe von Kirchen zur Wohnbebauung599 ist das Glockenläuten paradigmatisch für eine Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus, die dessen grundsätzliche Geltung nicht in Frage stellt600. Da die Religionsfreiheit nach Art. 4 I, II GG nach – jedenfalls noch – h. M. ein vorbehaltloses Grundrecht ist601, ist die Grundrechtskollision der Artt. 4 I, II und 14 GG einzelfallbezogen nach dem Maßstab praktischer Konkordanz aufzulösen. Da unbestimmte Rechtsbegriffe wie das „Mindestmaß“ nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG nach allgemeiner Auffassung „Einbruchstellen“ für verfassungsrechtliche Wertungen sind602, kommt § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG hier zugleich die Funktion zu, als rechtstechnisches Medium verfassungsrechtlich notwendige Abwägungen einfach-rechtlich nachzuvollziehen603.
b) Mindestmaß bei hoheitlichen Anlagen Bei hoheitlichen Anlagen stellen sich vergleichbare Restriktionen in der Heranziehung des spezifischen Gemeinwohlnutzens nicht, da dessen Verfolgung angesichts des Grundrechtsschutzes der Immissionsbetroffenen aus Art. 14 GG konstitutiv für die Verursachung immissionsmäßiger Beeinträchtigungen ist. Unproblematisch sind zunächst die Fälle, in denen der Gemeinwohlnutzen eine ausdrückliche oder zumindest im Wege der Auslegung zu erschließende normative Ausprägung erfahren hat; hierzu wird im einzelnen auf die Ausführungen oben B. verwiesen604. Ebenso konnte dort aufgezeigt werden605, daß die Sozialadäquanz und verwandte Kriterien auf diesen spezifischen Gemeinwohlnutzen verweisen und die Abschichtung der unterschiedlichen Wertungsebenen dazu führt, diese Kriterien einheitlich in der Minderungspflicht des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG anzusiedeln606.
___________ 599
Dazu Classen, JZ 1993, 1042 (1048); ferner oben S. 356 Fn. 267. Vgl. dazu das Beispiel oben S. 359 Fn. 273. 601 Dazu oben 2. Teil S. 86 Fn. 205. – Nach h. M. unterliegt Art. 4 GG allein der Beschränkung durch verfassungsimmanente Schranken (st. Rspr. seit BVerfGE 28, 243 [260 f.] – Kriegsdienstverweigerung; aus neuerer Zeit BVerfGE 108, 282 [297] – Kopftuch; aus der Lit. nur von Münch, in: v. Münch / Kunig I5, Vorb. Art. 1-19 Rn. 56 ff.; Bleckmann II4, § 12 Rn. 80 ff., 85 ff.; Sachs, in: Stern III / 2, S. 550 ff.). 602 Vermittelt über die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte (dazu nur Stern, in: Stern III / 2, S. 1070 ff.). 603 Ähnlich Enders, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 22 Rn. 24. 604 Dazu oben S. 365 ff. 605 Dazu oben S. 358 ff., 365 ff. 606 So auch Roßnagel, Anlagen, S. 67. 600
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
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aa) Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Bestimmung des Mindestmaßes Kann in diesem Sinne ein normativ begründeter Gemeinwohlnutzen ermittelt werden, so ist der konkrete Umfang der Minderungspflicht anhand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bestimmen607. Diese hat allerdings einen anderen Ansatzpunkt als bei privatwirtschaftlichen Anlagen: Während dort jegliche immissionsbegrenzende Anforderungen am Abwehrrecht der Betreiber aus Art. 12 GG gerechtfertigt werden mußten, kann mangels Grundrechtsträgerschaft hoheitlicher Emittenten die Verhältnismäßigkeitsprüfung allein über Art. 14 GG der Immissionsbetroffenen erfolgen. Hier stellt sich jedoch möglicherweise folgender Zirkelschluß ein: Können Art. 14 GG überhaupt Vorgaben für die Auslegung des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG entnommen werden, wenn der Schutz des Art. 14 GG nach Art. 14 I 2 GG erst durch dieses auszulegende einfache Recht bestimmt wird608? Diese Bedenken sind indes unberechtigt, da nach den Ausführungen im 2. Teil zwischen der Bestandsgarantie und der Institutsgarantie als den beiden Garantiegehalten des Art. 14 I 1 GG unterschieden werden muß609. Danach unterliegt allein die Bestandsgarantie der Gesetzesabhängigkeit nach Art. 14 I 2 GG, während Institutsgarantie und Sozialpflichtigkeit die inhaltlichen Pole der Abwägung des Art. 14 I 2 GG bilden610. Wenn nun der Gesetzgeber diese Abwägung nicht abschließend vorgenommen hat – was insbesondere beim unbestimmten Rechtsbegriff des „Mindestmaßes“ nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG der Fall ist – und damit das „Regelungsprogramm“ des Art. 14 I 2 GG auf gesetzlicher Ebene nicht vollständig erreicht wird, wird dieses an den Rechtsanwender weitergereicht. Daher sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die im Sinne dieses Regelungsprogramms kollisionslösend sind, verfassungskonform so auszulegen, daß das Regelungsziel auf der Rechtsanwendungsebene erreicht wird611.
(1) Bestimmung der Eingriffszwecke Damit ist das „Mindestmaß“ so im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu interpretieren, wie dieser auch nach Art. 14 I 2 GG zur Anwendung kä___________ 607 Ebenso BVerwGE 81, 197 (210) – Tegelsbarg; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 148. 608 Zur Gesetzesabhängigkeitsthese oben 2. Teil S. 67 ff., 77 ff. und öfter. 609 Dazu oben 2. Teil S. 71 ff. und öfter. 610 Dazu oben 2. Teil S. 72 ff. – Der inhaltliche Maßstab dieser Abwägung und die damit verbundene Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wurde bereits oben im 2. Teil dargestellt, worauf verwiesen wird (dazu oben S. 199 ff.). 611 Aus Sicht des Art. 14 GG Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 306.
434
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
me, nämlich als Zweck-Mittel-Relation612, was zur Notwendigkeit einer genauen Bestimmung von „Zweck“ und „Mittel“ führt. Hierbei können gemäß dem von Alexy formulierten „Abwägungsgesetz“613 um so größere Überschreitungen der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG nach Höhe und Dauer als Mittel gerechtfertigt werden, je gewichtiger die Eingriffszwecke sind. Zu fragen ist daher nach den Zwecken, denen die konkrete Immissionsverursachung dient, wobei diese in ihrem Gewicht dadurch verstärkt werden können, daß sie zugleich dem Schutz privater Interessen und Rechte dienen614. Grundsätzlich könnte man versucht sein, diese Zwecke auf zwei verschiedenen Ebenen zu suchen, nämlich einmal in Gründen, die die Immissionsverursachung als solche rechtfertigen, und zweitens in Gründen, aus denen das Erfordernis konkreter räumlicher Nähe zur Wohnnutzung abgeleitet werden kann. Indes ist das räumliche „Näheprinzip“ zwar gesetzgeberischer Grund, nach dem klaren Wortlaut des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG nicht jedoch zugleich auch Tatbestandsvoraussetzung der Inanspruchnahme des Mindestmaßes im Einzelfall, so daß jede nicht genehmigungsbedürftige Anlage in den Genuß des Mindestmaßes kommen kann. Zwar wäre eine teleologische Reduktion denkbar, wonach in jedem Einzelfall das Erfordernis der räumlichen Nähe festgestellt werden müßte. Indes steht dem entgegen, daß die meisten nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen zugleich der Geltung des materiellen Baurechts und damit der BauNVO unterliegen, welche durch die räumliche Zuordnung bzw. Trennung miteinander vereinbarer und unvereinbarer Nutzungen bereits im Sinne einer gebietsspezifischen Sozialadäquanz ein abschließendes Urteil über das Ausmaß an räumlicher Nähe zur gestörten Wohnnutzung trifft615, so daß sich eine weitere Prüfung innerhalb des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG erübrigt.
(a) Spezialgesetzliche „Gemeinwohldefinitionen“ Damit bleiben als Eingriffszwecke einmal die bereits erwähnten spezialgesetzlichen „Gemeinwohldefinitionen“616, in denen der Staat eine bestimmte im___________ 612
Dazu oben 2. Teil S. 199 ff. Alexy, Theorie, S. 146; dazu Zitat oben 2. Teil S. 216 Fn. 756. 614 So beim Lärm einer Feueralarmsirene der Lebens- und Gesundheitsschutz (vgl. BVerwGE 79, 254 ff.; dazu oben 2. Teil S. 179 Fn. 589). 615 Dazu oben S. 362 ff. 616 Etwa der Alarmzweck einer Feueralarmsirene nach den Landesfeuerwehrgesetzen (für Baden-Württ. § 3 II 1 FwG; dazu oben 2. Teil S. 274 Fn. 1035), die Aufgabe des Recycling für Altglascontainer oder Wertstoffhöfe nach dem KrW- / AbfG und der Betrieb kommunaler Gemeindehallen als öffentliche Einrichtungen i. S. der Gemeindeordnungen der Länder (für Baden-Württ. § 10 II GemO; dazu oben 2. Teil S. 274 Fn. 1037); weitere Beispiele bei Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 151. 613
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
435
missionsverursachende Aufgabe normiert617 oder deren Wahrnehmung zumindest zuläßt618. Diese Zwecksetzungen können grundsätzlich zur Begründung von Immissionstragungspflichten und damit zur Bestimmung des Mindestmaßes herangezogen werden, denn der Gesetzgeber ging mit der Zulassung entsprechenden Staatshandelns davon aus, daß dieses auch tatsächlich ausgeübt werden kann. Insofern dient § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG auch hier als rechtstechnisches Medium, um – diesmal spezialgesetzliche – Wertungen immissionsschutzrechtlich umzusetzen.
(b) Gemeinwohlnutzen in sonstigen Fällen Indes kann sich nicht jede hoheitliche Anlage auf spezialgesetzliche „Gemeinwohldefinitionen“ stützen, was aber auch nicht zwingend erforderlich ist. Zwar erfordert jede staatliche Immissionsverursachung angesichts Art. 14 I 2 GG619 eine gesetzliche Grundlage, die jedoch in § 22 BImSchG vorliegt, der auch dem Staat das Recht einräumt, emittierende Anlagen zu betreiben, so daß der Eingriffszweck auch aus dem vom Hoheitsträger konkret verfolgten Zweck erschlossen werden kann. Ferner können mittelbar aus den nach §§ 2 ff. BauNVO zulässigen Nutzungsarten, sofern diese hoheitliche Anlagen betreffen620, Rückschlüsse auf zulässige Eingriffszwecke gezogen werden. Werden nämlich dort bestimmte Nutzungen u. a. aufgrund ihrer Immissionsträchtigkeit einem bestimmten Gebiet zugeordnet, wird auch die Immissionsverursachung als solche – jedenfalls im typisierenden Rahmen der BauNVO621 – für zulässig erklärt. Angesichts Art. 14 I 2 GG stellen demgegenüber Erwägungen der sozialen Nützlichkeit, sofern sie ausschließlich im außerrechtlichen Bereich begründet sind und insbesondere für eine Privilegierung von Sportanlagen geltend ge___________ 617
Bsp.: präventiver Brandschutz, Wertstoffcontainer; dazu soeben Fn. 616. Bsp.: Unterhaltung von Gemeindehallen als öffentliche Einrichtungen. 619 Art. 14 I 2 GG ist kein Gesetzesvorbehalt im eigentlichen Sinne, wirkt jedoch als solcher, indem er die Inhalts- und Schrankenbestimmung dem Gesetzgeber zuweist. 620 Im einzelnen sind dies (vgl. die Aufzählung bei Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 1 BauNVO Rn. 430): – „Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke“ nach §§ 4 II Nr. 3; 4a II Nr. 5; 5 II Nr. 7; 6 II Nr. 5; 7 II Nr. 4; 2 III Nr. 2; 3 III Nr. 2; 9 III Nr. 2 BauNVO; – „Anlagen für sportliche Zwecke“ nach § 8 II Nr. 4 BauNVO; – „Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke“ nach § 8 III Nr. 2 BauNVO; – „zentrale Einrichtungen der Verwaltung“ nach §§ 7 I i. V. m. II Nr. 1; 4a III Nr. 1 BauNVO; – „Verwaltungsgebäude“ nach §§ 7 II Nr. 1; 8 II Nr. 2 BauNVO; – „Anlagen für Verwaltungen“ nach §§ 6 II Nr. 5; 4 III Nr. 3 BauNVO; – „Anlagen für örtliche Verwaltungen“ nach § 5 II Nr. 8 BauNVO; – (auch öffentliche) „Gartenbaubetriebe“ nach §§ 2 II Nr. 1; 5 II Nr. 9; 6 II Nr. 6; 4 III Nr. 4 BauNVO; – „öffentliche Betriebe“ nach §§ 8 II Nr. 1; 9 II Nr. 1 BauNVO. 621 Dazu oben S. 362 ff. 618
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
macht werden622, keine ausreichende Grundlage für im Rahmen des Mindestmaßes zu berücksichtigende Zwecksetzungen dar.
(2) Maßstäbe der Konfliktlösung Zunächst folgt aus dem Wesen der Minderungspflicht als vorübergehender Durchbrechung eines ansonsten einzuhaltenden generellen Immissionsniveaus, daß über eine flexible Bestimmung der auch in § 3 I BImSchG genannten Merkmale des Ausmaßes und der Dauer der Durchbrechung in Anlehnung an den – hier nicht unmittelbar anwendbaren – Grundsatz der praktischen Konkordanz eine differenzierende Konfliktlösung erzielt werden kann, die einer „Allesoder-Nichts“-Lösung, welche entweder dem Gemeinwohlbelang oder dem Immissionsschutz absoluten Vorrang einräumt, vorzuziehen ist. Paradigmatisch hierfür sind die Regelungen über „seltene Ereignisse“ in verschiedenen untergesetzlichen Regelwerken, wonach eine Anlage grundsätzlich ein bestimmtes Immissionsniveau einzuhalten hat, Abweichungen aber in zahlenmäßig beschränkten Anlässen möglich sind623. Im Rahmen dieser Kollisionslösung wirkt sich nun auch die Herleitung des zugrundeliegenden Eingriffszwecks aus: Hat dieser eine ausdrückliche Fundierung in einer spezialgesetzlichen „Gemeinwohldefinition“ gefunden, ist bis an die Grenze des verfassungsrechtlich nach Art. 14 I 1 GG Zulässigen nach einer Lösung zu suchen, bei der der normierte Gemein___________ 622
So wird insbesondere die Bedeutung des Sports für die Volksgesundheit und dessen Stellung als gesellschaftlich erwünschte Form der Freizeitgestaltung betont und eine entsprechende Berücksichtigung innerhalb der Abwägung gefordert (Papier, NVwZ 1986, 624 [625]; Schmitz, NVwZ 1991, 1126 [1130]; zu beachten ist allerdings, daß die genannten Autoren diese Abwägung teilweise bereits innerhalb des Erheblichkeitsbegriffs des § 3 I BImSchG vornehmen; ähnlich Papier, Freizeitlärm, S. 143; weitergehend J. Kühl, S. 151, der Sportgeräusche ganz aus den Grundpflichten des § 22 I BImSchG herausnehmen möchte). – Ablehnend gegenüber einer Privilegierung des Sportes Fickert / Fieseler10, Vorbem §§ 2-9, 12-14 Rn. 12.5 ff.; einschränkend auch Leitsatz 3 der Tegelsbarg-Entscheidung BVerwGE 81, 197 ff. 623 Regelungen über „seltene Ereignisse“ sind enthalten in § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 des Anhangs der 18. BImSchV, Nr. 6.3 i. V. m. Nr. 7.2 TA Lärm 1998 und Nr. 4.4 der „Freizeitlärm-Richtlinie“ des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI; Anhang B zur Musterverwaltungsvorschrift Lärm v. 4. 5. 1995, abgedruckt in NVwZ 1997, 469 ff., ferner in Landmann / Rohmer II, Nr. 4.1; zu dieser Regelung H.-J. Koch / Maaß, NuR 2000, 69 [74 f.]). – Zur Zuordnung „seltener Ereignisse“ zum Mindestmaß nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG Herr, S. 110 ff.; Papier, Freizeitlärm, S. 142; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 198; ferner Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 264; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 13a (vorletzter Spiegelstrich); aus der Rspr. BayVGH, NVwZ 1999, 87 (88), wo die „seltenen Ereignisse“ im Zusammenhang der „Herkömmlichkeit, sozialen Adäquanz und allgemeinen Akzeptanz“ erörtert werden; ferner VGH Baden-Württ., NVwZ-RR 1994, 633 (634); BVerwG, NVwZ 2001, 1167 (1169); BayVGH, NVwZ-RR 1999, 232 (234); OVG Lüneburg, NJW 1995, 900 (901); OVG Münster, NVwZ 1994, 1018 (1019).
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
437
wohlzweck auch tatsächlich erreicht werden kann. Damit sind regelmäßig alle Immissionen hinzunehmen, die der Anlage typischerweise immanent sind, d. h. die nicht vermieden werden können, ohne daß der spezifische Gemeinwohlzweck gefährdet wäre624. Eingriffszwecken ohne ausdrückliche normative Fundierung kommt demgegenüber eine vergleichbare Durchsetzungskraft nicht zu, so daß hier – ist der Eingriffszweck nicht hinreichend gewichtig zur Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus – in Kauf genommen werden muß, daß dieser zumindest an diesem Standort nicht verwirklicht werden kann.
bb) Berücksichtigung auch wirtschaftlicher Aspekte? Klärungsbedürftig ist ferner, inwieweit auch bei hoheitlichen Anlagen der wirtschaftliche Aufwand für Minderungsmaßnahmen zu berücksichtigen ist. Während die Aufgabenerfüllung einer hoheitlichen Anlage ein öffentliches Interesse im eigentlichen Sinne darstellt, berührt der wirtschaftliche Aufwand allein die Frage der Finanzierbarkeit durch die öffentliche Hand und stellt in der herkömmlichen Terminologie ein rein fiskalisches Interesse dar625. Wenngleich heute die strikte Gegenüberstellung von öffentlichen und fiskalischen Interessen im Sinne der früheren Fiskustheorie allgemein als überholt angesehen wird, werden fiskalische Interessen des Staates gegenüber den „echten“ öffentlichen Interessen überwiegend als Interessen „minderen Ranges“ betrachtet und ihnen insbesondere nur geringere Tauglichkeit zur Rechtfertigung staatlicher Eingriffe zugesprochen626. Ungeachtet der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob diese Marginalisierung fiskalischer Interessen lediglich ein zu überwindender Nachklang der überholten Fiskustheorie ist627, dürften finanzielle Interessen des Staates jedenfalls dann zu berücksichtigen sein, wenn diese in ein „echtes“ öffentliches Interesse umschlagen, was anzunehmen ist, wenn die Anlage ansonsten nicht zu realisieren oder einzustellen wäre. In diesem Fall dürfte es angebracht sein, abzuwägen zwischen der Schwere des Nachteils für die Allgemeinheit bei Nichtrealisierung des Gemeinwohlzwecks und dem Nachteil, der aus der erhöhten Immissionsbelastung resultiert, wenn mangels finanzieller Mittel Emissi-
___________ 624 Vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1002) – Wertstoffhof: Hinzunehmen „die mit der bestimmungsgemäßen Nutzung verbundenen Beeinträchtigungen“ (Hervorh. vom Verf.); ferner HessVGH, NVwZ-RR 2000, 668 (670); VG Köln, NVwZ 1993, 401 (403); OVG Münster, NJW 1983, 356 (357 f.). 625 Zum Fiskusbegriff nur Ehlers, in: Erichsen / Ehlers12, § 2 Rn. 71. 626 Dazu Uerpmann, S. 124 ff. mit Beispielen; ferner Hesse, Grundzüge20, Rn. 347. 627 So Uerpmann, S. 128 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
onsminderungen nicht erfolgen können628. Damit sind fiskalische Interessen im Ergebnis weder pauschal beachtlich noch pauschal unbeachtlich629.
c) Minderungspflicht und Rücksichtnahmegebot des § 15 BauNVO Erkennt man an, daß die Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG die Zulässigkeit schädlicher Umwelteinwirkungen oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG zum Gegenstand hat, so stellt sich das bislang kaum erörterte Folgeproblem der Vereinbarkeit mit § 15 I 2 BauNVO. Nach dieser Vorschrift sind bauliche und sonstige Anlagen im Anwendungsbereich der BauNVO unzulässig, wenn von ihnen „Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind“. Wollte man hier die „unzumutbaren Belästigungen“ und „Störungen“ mit den schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG gleichsetzen630, würde der Minderungspflicht oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG im Ergebnis für solche Anlagen, die zugleich Anlagen i. S. der BauNVO sind, jeglicher Anwendungsbereich genommen, da § 15 I 2 BauNVO dann eine absolute Obergrenze zulässiger Belästigungen und Störungen enthielte, die identisch wäre mit § 3 I BImSchG631. Folgt man demgegenüber der „Wechselwirkungs“-These zum Verhältnis von Immissionsschutz- und Bebauungsrecht, so bestimmt einerseits das BImSchG mit Wirkung für das Bebauungsrecht allgemein die „gebotene Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft“, während dem Bebauungsrecht die Aufgabe zukommt, über die Bestimmung des planungsrechtlich Zulässigen dem Immissionsschutzrecht die Schutzwürdigkeit konkreter Gebiete vorzugeben632. Da es bei der Mindestmaßbestimmung nicht darum geht, die Schutzwürdigkeit konkreter Ge___________ 628 Nicht maßgeblich kann demgegenüber allein die staatliche Haushaltsprärogative sein, da der Grundrechtsschutz nicht unter dem Vorbehalt des staatlichen Haushaltsrechts steht und es ansonsten die Trägerkörperschaft in der Hand hätte, den gebotenen Immissionsschutz haushaltsrechtlich auf ein möglichst geringes Niveau festzulegen. 629 Differenzierte Sichtweise auch bei Uerpmann, S. 128 ff. 630 So Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 133, 150; a. A. Fikkert / Fieseler10, § 15 Rn. 13 ff. 631 Diese Problematik wird – soweit ersichtlich – nur von H.-J. Koch (Immissionsschutz durch Baurecht, S. 180 ff.) erörtert, der S. 182 ausgehend von der Prämisse, die „Erheblichkeit“ i. S. des § 3 I BImSchG werde ausschließlich durch das Baurecht geprägt, zwar erkennt, daß danach Anlagen, die i. S. des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen, bebauungsrechtlich nicht mehr genehmigungsfähig wären und § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG durch das Bebauungsrecht ausgehebelt würde, daraus aber die falschen Konsequenzen zieht (S. 182: „Hier erscheint eine gesetzgeberische Entscheidung angezeigt, und zwar in Form einer Korrektur des BImSchG ...“). 632 BVerwG, NVwZ 1990, 257 (257); dazu oben S. 371 Fn. 324.
E. Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
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biete zu bestimmen, ist hier maßgeblich auf die Maßstabswirkung des Immissionsschutzrechts abzustellen, weshalb alle Auslegungen abzulehnen sind, die dazu führen, daß die Minderungspflicht über das Bebauungsrecht ausgehebelt wird. Dies gilt um so mehr, wenn man die teilweise verfassungsgebotene Funktion des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG berücksichtigt. Hierzu kann beim Begriff der „Unzumutbarkeit“ angesetzt werden, für den anerkannt ist, daß er unter Berücksichtigung des Einzelfalles zu bestimmen ist633. Sieht man § 15 I BauNVO zudem mit der h. M. als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots634, so rückt die Abwägung in den Mittelpunkt, die auch beim Rücksichtnahmegebot Kern der Rechtsfolgenbestimmung ist635. Ausgehend hiervon kann die Funktion des § 15 I 2 BauNVO darin gesehen werden, als „Medium“ Wertungen aufzunehmen, die neben den rein städtebaulichen Belangen auch dem Immissionsschutzrecht entnommen werden können636. Entsprechend dient § 15 I BauNVO im Gegensatz zur typisierenden Betrachtungsweise der §§ 2 ff. BauNVO der einzelfallbezogenen Feinabstimmung, indem ein „an sich“ zulässiges Vorhaben gleichwohl unzulässig sein kann637. Da jedoch die Maßstäbe dieser Feinabstimmung nicht abschließend normiert sind, bedarf es notwendig eines Rückgriffs auf das Immissionsschutzrecht. Damit unterscheiden sich § 15 I 2 BauNVO und § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG nur in der Stoßrichtung: § 15 I 2 BauNVO schränkt eine an sich gegebene baurechtliche Zulässigkeit ein, § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG erweitert die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit über § 3 I BImSchG hinaus. Ein Vorhaben ist daher „an sich“ zulässig, wenn es bebauungsrechtlich einem der Gebietstypen der BauNVO entspricht und immissionsschutzrechtlich das zugehörige gebietsadäquate Immissionsniveau wahrt. Läßt nun § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ein „an sich“ unzulässiges Vorhaben ausnahmsweise zu, so kann das, was immissionsschutzrecht-
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Vgl. nur Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 130. BVerwGE 67, 334 (338 f.); 68, 58 (59); 98, 235 (243); 109, 314 (323); NVwZ 2001, 813 (814); aus der Lit. nur Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 4 Rn. 85; Roeser, in: König / Roeser / Stock, § 15 Rn. 9; Fickert / Fieseler10, § 15 Rn. 23.1; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 14 ff.; Büchner / Schlotterbeck3, Rn. 622. 635 Zum Abwägungsgebot Büchner / Schlotterbeck3, Rn. 1163; die Rspr. verwendet hier die Formel, das gebotene Maß an Rücksichtnahme bestimme sich danach, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits „nach Lage der Dinge zuzumuten“ sei (so BVerwGE 52, 122 [126]). 636 Dies dürfte auch Standpunkt der neueren Rspr. sein; vgl. OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 722 (723); ebenso unter ausdrücklicher Einbeziehung des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG BVerwGE 98, 235 (247) – Autolackiererei. 637 BVerwGE 109, 314 (323) – Sportplatz; NVwZ 1993, 987 (988); zur Funktion des § 15 BauNVO ferner Roeser, in: König / Roeser / Stock, § 15 Rn. 5; Bönker, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 4 Rn. 84; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 8. 634
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
lich zumutbar ist, nicht bebauungsrechtlich unzumutbar sein638. Ist ein Vorhaben hingegen immissionsschutzrechtlich „an sich“ zulässig, so sind gleichwohl städtebauliche Gründe denkbar, die zur bebauungsrechtlichen Unzulässigkeit führen. Entgegen H.-J. Koch ist daher in § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG keine „Verkennung des gebietsspezifisch zu interpretierenden ... Erheblichkeitsbegriffs“ zu sehen639, sondern eine sinnvolle und teilweise zwingende Überlagerung des Bebauungsrechts durch das Immissionsschutzrecht.
3. Zusammenfassung Der Minderungspflicht kommt verfassungsrechtlich eine doppelte Funktion zu: Zunächst dient sie der Legitimation von Durchbrechungen des gebietsadäquaten Immissionsniveaus, das über Art. 14 I 2 GG i. V. m. § 3 I BImSchG den „Inhalt“ des betroffenen Grundeigentums bestimmt. Ferner dient sie mit dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit der Limitierung derartiger Durchbrechungen, da diese der Nachbarschaft zumutbar sein müssen. Hierbei stellt die Minderungspflicht in noch viel höherem Maße als die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG ein Einfallstor für die abwägende Berücksichtigung emittentenseitiger Belange dar, wobei diese in erster Linie nicht in wirtschaftlichen Belangen bestehen, sondern in vielgestaltigen öffentlichen Interessen, ferner in Grundrechten wie Art. 4 I, II GG. Die Minderungspflicht ist notwendiges Medium, um diese Wertungen einfach-rechtlich umzusetzen.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten Die Grundpflichten der §§ 5 I 1 und 22 I 1 BImSchG werden nicht nur im Rahmen der präventiven Kontrolle einer zu errichtenden Anlage relevant, sondern beanspruchen aufgrund ihres dynamischen Charakters Geltung während
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Ebenso BVerwG, NVwZ 1996, 1001 (1002) – Wertstoffhof, wonach Immissionen, die nach den Vorschriften des Immissionsschutzrechts hinzunehmen sind, auch aus Sicht des Städtebaurechts zumutbar sind (ebenso wohl auch Bielenberg, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg V, § 15 BauNVO Rn. 31); a. A. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB VI, § 15 BauNVO Rn. 143j, wonach die Unvermeidbarkeit schädlicher Umwelteinwirkungen nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG der „Unzulässigkeit des Vorhabens wegen Unzumutbarkeit nicht entgegensteht“; dies ist aus den genannten Gründen abzulehnen. 639 So H.-J. Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 182.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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der gesamten Betriebsdauer der Anlage640. Daraus folgt, daß trotz Erfüllung der Grundpflichten im Zeitpunkt der Genehmigung der spätere Betrieb der Anlage hiervon abweichen kann641. Dies kann darauf beruhen, daß neue Erkenntnisse zu einer veränderten Beurteilung des Gefahrenpotentials der Anlage führen, die rechtlichen oder tatsächlichen Anforderungen – etwa durch Fortentwicklung des Standes der Technik oder Verschärfung von Grenzwerten – erhöht werden oder die Umgebungssituation im Einwirkungsbereich der Anlage sich verändert642. In diesen Fällen entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der erteilten Genehmigung und den materiellen Grundpflichten643, in dem die erteilte Genehmigung verhindert, daß der ursprüngliche Anlagenbetrieb eo ipso rechtswidrig wird644. Vielmehr bedarf es einer ausdrücklichen nachträglichen Durchsetzung der Grundpflichten645, wofür die §§ 17, 20, 21 und §§ 24, 25 BImSchG Ermächtigungsgrundlagen zur Verfügung stellen.
I. Bedeutung für die Zulässigkeit von Immissionen Vorliegend sollen die §§ 20 und 21 BImSchG nicht näher betrachtet werden, da sie keine Aussage über das zulässige Immissionsmaß treffen, sondern mit den Rechtsfolgen der Untersagung, Stillegung und Beseitigung bzw. dem Widerruf der Genehmigung zukünftige Immissionsverursachung unterbinden. Dies gilt mit Ausnahme des Abs. 2 ebenso für § 25 BImSchG. Die Vorschriften über nachträgliche Anordnungen im eigentlichen Sinne – d. h. §§ 17, 24 BImSchG – sind demgegenüber von großer Relevanz für die Frage des zulässigen Immissionsmaßes, da erst sie abschließend bestimmen, welches Maß an Immissions___________ 640 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 6; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 2, § 22 Rn. 12; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 2, 25 ff., § 22 Rn. 13; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 1. 641 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 4; zu den möglichen Fallgruppen H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 174; ders., Bestandsschutz, S. 40 f.; Dolde, NVwZ 1986, 873 (874). 642 Zum Gesamten Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 4; Sach, S. 89; H.J. Koch, Bestandsschutz, S. 41; ders., in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 74 ff.; Markou, S. 179 ff. – Insbesondere letztgenannte Fallgruppe hat unter dem Stichwort der „heranrückenden“ Wohnbebauung ausführliche Erörterung erfahren; vgl. nur Stühler, VBlBW 1988, 201 ff., 241 ff.; ferner der „legendäre“ Schweinemäster-Fall OVG Münster, OVGE 11, 260 ff., wo das Gericht noch mit der polizeirechtlichen Figur des latenten Störers arbeitete; dazu Würtenberger / Heckmann6, Rn. 450 f.; Schenke, in: Steiner7, II Rn. 161 f.; ferner Stoll, S. 82 f. 643 Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 6; Jarass, BImSchG6, § 5 Rn. 2, § 22 Rn. 12; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 5 Rn. 2, 25 ff., § 22 Rn. 13; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 1; Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 129. 644 Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 5 Rn. 11; Sach, S. 90 ff.; ferner Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 6. 645 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 6; Wickel, S. 125 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
vermeidung von bereits in Betrieb befindlichen Anlagen – im Gegensatz zur rein präventiven Grundpflichtenebene – geschuldet ist. Dabei zeigt schon der textliche Umfang dieser Vorschriften, daß diese nicht eine 1:1-Umsetzung der materiellen Grundpflichten bezwecken, sondern das nachträgliche Einschreiten an weitere – einschränkende – Voraussetzungen knüpfen. Damit wird eine Divergenz zwischen materiellen Grundpflichten und tatsächlichem Anlagenbetrieb in Kauf genommen: Während neue Anlagen in vollem Umfang den Grundpflichten genügen müssen, gilt dies für bereits in Betrieb befindliche Anlagen nur nach Maßgabe der §§ 17, 24 BImSchG, woraus eine differenzierte Beurteilung der Zulässigkeit von Immissionen folgt. In § 17 BImSchG läßt sich diese Divergenz an zwei Punkten normativ festmachen, nämlich der Ermessens- und Verhältnismäßigkeitsklausel des § 17 I 1 bzw. II BImSchG. Diese Schutzminderung findet ihre wirtschaftliche Berechtigung – zur verfassungsrechtlichen Berechtigung sogleich II. – in der Ausgestaltung der Grundpflichten als dynamische und den daraus resultierenden Folgen für in Betrieb gesetzte Anlagen. Dies wird besonders am Vorsorgestandard des § 5 I 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 VI BImSchG deutlich, der im Zuge des technischen Fortschritts einer permanenten Veränderung unterliegt. Da dieser Standard wie oben D. aufgezeigt auf Verhältnismäßigkeitserwägungen beruht646, ist es unbedenklich, zumindest von einer neuen Anlage die Einhaltung des jeweils aktuellen Standes der Technik zu verlangen. Dies gilt jedoch nicht ohne weiteres für bestehende Anlagen, denn mit deren Inbetriebnahme hat sich der Betreiber regelmäßig mit erheblichen wirtschaftlichen Investitionen auf einen bestimmten Stand der Technik festgelegt. Würden hier die Grundpflichten in ihrer Dynamik uneingeschränkt zur Geltung kommen, würde diese investive Festlegung permanent in Frage gestellt, da die Anlage bereits nach kürzester Zeit überholt sein könnte. Dies hätte einen permanenten Anpassungsdruck zur Folge, dem in dieser Radikalität647 nicht jeder Betreiber gewachsen wäre und der dazu führen könnte, daß volkswirtschaftlich erwünschte Investitionen nicht mehr getätigt werden648. Auf diesem Hintergrund wird das Regelungskonzept deutlich, das § 17 I, II BImSchG verfolgt: Indem nachträgliche Anordnungen an zusätzliche einschränkende Voraussetzungen geknüpft werden, werden die Betreiber von dem permanenten Anpassungsdruck entlastet und müssen Veränderungen der materiellen Grundpflichten nur abgeschwächt Rechnung tragen.
___________ 646
Dazu oben S. 417 ff., insbesondere zur richtlinienkonformen Auslegung. Vgl. Sendler, UPR 1983, 33 (43): „vielleicht bestürzende Flexibilität“. 648 Dazu H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 41; Frenz, in: Kotulla, § 17 Rn. 20. 647
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
443
II. Bestandsschutz als eingriffslimitierender Gesichtspunkt 1. Begriff und Arten des Bestandsschutzes Bestandsschutz kann allgemein definiert werden als der durch Verfassung, einfaches Recht und Genehmigung gewährte Schutz eines tatsächlich vorhandenen Bestandes von Rechten und sonstigen Positionen649. Bestandsschutz zielt darauf, daß ein solcher Bestand trotz Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage unverändert beibehalten und genutzt werden darf. Insofern ist Bestandsschutz zunächst ein deskriptiver Begriff für unterschiedliche Phänomene in verschiedenen Teilen der Rechtsordnung. Daneben existiert ein spezifisch eigentumsrechtlicher Bestandsschutz, der eine von Art. 14 GG geschützte Eigentumsposition bezeichnet, die ursprünglich in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht geschaffen wurde, zwischenzeitlich aber in Widerspruch zur materiellen Rechtslage steht. Hier soll Bestandsschutz bewirken, daß dieser Bestand gleichwohl beibehalten und unverändert genutzt werden kann. Dieser nachfolgend zu betrachtende eigentumsrechtliche Bestandsschutz kommt auch im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht zur Anwendung, da Immissionen stets durch Nutzung konkreter Eigentumsobjekte verursacht werden650. Folgende Formen werden unterschieden651:
a) Passiver Bestandsschutz Der passive Bestandsschutz bezeichnet den Schutz einer Anlage und ihrer Nutzung im ursprünglichen Umfang der erteilten Genehmigung gegenüber späteren nachteiligen Rechtsänderungen und zielt auf Wahrung des status quo652. Dieser Bestandsschutz wird nachfolgend im Mittelpunkt stehen, da er Antwort auf die Frage gibt, in welchem Umfang eine Divergenz zwischen materiellen Grundpflichten und tatsächlichem Anlagenbetrieb zu rechtfertigen ist. ___________ 649
So Sendler, in: Kimminich u. a., HwbUR2 I, Stichwort „Bestandsschutz“, Sp. 231; zum Bestandsschutz im Umweltrecht monographisch Kutschera (1990), Sundermann (1985), Wickel (1995), Lee (1994); Jankowski (1999); ferner Sach, S. 96 ff.; Hansmann, FG BVerwG, S. 935 ff.; Feldhaus, WiVerw 1986, 67 ff.; Friauf, WiVerw 1986, 87 ff.; ders., WiVerw 1989, 121 ff.; Dolde, NVwZ 1986, 873 ff.; ders., FS Bachof, S. 191 ff.; Schenke, NuR 1989, 8 ff.; Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 20 (1987), 307 ff.; Jarass, DVBl 1986, 314 ff. – Aus baurechtlicher Sicht Just, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 2 Rn. 59 ff.; Finkelnburg / Ortloff II5, S. 202 ff.; monographisch ferner Manow, Bestandsschutz (1993), passim. 650 Dazu oben 2. Teil S. 65 ff. 651 Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 4 Rn. 40 f.; H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 34. 652 Sach, S. 97; Wickel, S. 61 f.; H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 34; Lee, S. 18; Jankowski, S. 28 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
b) Aktiver bzw. überwirkender Bestandsschutz Der aktive bzw. überwirkende Bestandsschutz betrifft demgegenüber die Zulässigkeit von Erhaltungs- und Erweiterungsmaßnahmen, die für den Fortbestand der Anlage notwendig sind, und zwar auch und gerade dann, wenn sie nach derzeitiger Rechtslage nicht mehr zulässig sind653. Damit geht es dem aktiven Bestandsschutz nicht um Wahrung des status quo, sondern um die Erweiterung der bisherigen Rechtsposition. Entgegen einer früher vertretenen Auffassung ist die Existenz eines eigenständigen aktiven bzw. überwirkenden Bestandsschutzes unter dem BImSchG abzulehnen, da die Erweiterung einer Anlage für genehmigungsbedürftige Anlagen in den §§ 15, 16 BImSchG abschließend geregelt wird654. Ist danach eine Änderungsgenehmigung erforderlich, gelten für diese unmittelbar die Voraussetzungen des § 6 I BImSchG und damit die Grundpflichten des § 5 I 1 BImSchG in ihrem aktuellen Inhalt. Insofern sind aus einer Betrachtung des aktiven bzw. überwirkenden Bestandsschutzes weiterführende Erkenntnisse gegenüber den Grundpflichten nicht zu erwarten.
2. Geltungsgrund des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes Während früher bau- und immissionsschutzrechtlicher Bestandsschutz nach Inhalt und Umfang unmittelbar aus Art. 14 I 1 GG hergeleitet wurden655, setzte Anfang der neunziger Jahre unter dem Eindruck der Rspr. des BVerfG656 ein Umdenken ein657, an dessen Ende heute eine Neukonzeption des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes steht, die mittlerweile in Rspr. und Lit. weitgehend anerkannt ist. Ausgangspunkt war die in vollem Umfang erst durch den Naßauskiesungsbeschluß allgemein ins Bewußtsein gerückte Erkenntnis, daß der „Inhalt“ des nach Art. 14 I 1 GG geschützten Eigentums nach Art. 14 I 2 GG überhaupt erst durch das einfache Recht bestimmt wird658. Dies führte zu der weiteren Erkenntnis, daß Bestandsschutz nicht mehr als unmittelbar durch Art. 14 I 1 GG vorgegebene Größe konstruiert werden kann, sondern eine nach ___________ 653 H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 34; Schenke, NuR 1989, 8 (16 ff.); Jankowski, S. 29 ff.; Wickel, S. 62 ff.; zum überwirkenden Bestandsschutz grundlegend BVerwGE 50, 49 (56 ff.) – Tunnelofen; ferner BVerwG, NVwZ-RR 1992, 402 (404). 654 Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 243; Sach, S. 144 ff.; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, Vor § 4 Rn. 27; einschränkend Dolde, NVwZ 1986, 873 (883). 655 Dazu die bereits erwähnte Tunnelofen-Entscheidung BVerwGE 50, 49 (56 ff.); ferner BVerwG, NVwZ 1989, 664 (665); weitere Nachw. bei Wickel, S. 61 ff. und Just, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 2 Rn. 60. 656 Dazu oben 2. Teil S. 69 Fn. 132. 657 Diese „Wende“ ist in chronologischer Folge dargestellt bei Jankowski, S. 34 f. 658 BVerfGE 58, 300 (336); dazu oben 2. Teil S. 67 ff. – Die damit vollzogene Wende wird im wesentlichen nur von W. Leisner, DVBl. 1983, 61 ff. geleugnet.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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Inhalt und Umfang durch den Gesetzgeber geschaffene Größe ist, neben der ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 14 GG nicht in Betracht kommt659. Nach dieser Auffassung existiert Bestandsschutz zwar nach wie vor als auf Art. 14 GG beruhende Rechtsfigur, ist jedoch nach Inhalt und Umfang vollständig mediatisiert über das einfache Gesetzesrecht, so daß der Umfang der gesteigerten Zulässigkeit von Immissionen im Rahmen nachträglicher Anordnungen abschließend nach einfachem Recht bestimmt werden muß. Dieses Verständnis ist auf Grundlage des Eigentumsmodells des BVerfG einerseits zwingend, zumal dogmatisch keine Alternative zu diesem Modell besteht660. Andererseits bedarf dieses Verständnis gerade auf Grundlage des Eigentumsmodells des BVerfG einer wesentlichen Ergänzung: Da die inhaltsbestimmende Funktion nach Art. 14 I 2 GG der „Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze“ zukommt661, entbindet die Anwendung einfach-rechtlicher Bestandsschutzregelungen nicht von der Überprüfung deren Verfassungsmäßigkeit, zumal wenn es wie im Rahmen der vorliegenden Fragestellung darum geht, die verfassungsrechtlichen Vorgaben an das inhaltsbestimmende einfache Recht zu ermitteln. Daher ist auch hier zwischen den beiden Garantiegehalten des Art. 14 I 1 GG in Gestalt der Bestands- und der Institutsgarantie zu unterscheiden: Eine einfach-rechtliche Ausgestaltung des Eigentums, die diesem durch Eröffnung permanenter und dynamisierter Beschränkungsmöglichkeiten eine hohe „Labilität“ verleiht, bestimmt zunächst den Inhalt entsprechenden „Eigentums“ und kann angesichts der Temporalstruktur der Bestandsgarantie662 nur dann an dieser gemessen werden, wenn zugleich der vorhandene Bestand an Eigentumsrechten und -befugnissen geschmälert wird. Zentrale Frage hierbei ist, ob hierunter neben der eigentlichen normativen Inhaltsneubestimmung durch Schaffung neuen Rechts auch aktualisierende Einzelakte wie etwa Verwaltungsakte nach § 17 BImSchG fallen (dazu sogleich). Von dieser temporalen Perspektive unberührt ist demgegenüber die Institutsgarantie, an der im Zusammenspiel mit Art. 14 II GG663 jegliches inhaltsbestimmendes Recht – und damit gerade auch die Ausgestaltung des Eigentums als labiles durch die Er___________ 659 So prägnant Wahl / G. Hermes / Sach, S. 233; ferner Dolde, FS Bachof, S. 207; H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 34 ff.; ders., in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 29 ff.; Jankowski, S. 35 f.; Wickel, S. 75 ff.; zum Baurecht Just, in: Hoppe u. a., ÖffBauR3, § 2 Rn. 68. – Aus der Rspr. nur die „Wende“-Entscheidung BVerwGE 88, 191 ff.: „Ein Bestandsschutz, soweit damit eine eigenständige Anspruchsgrundlage gemeint sein soll, besteht nicht, wenn eine gesetzliche Regelung i. S. des Art. 14 I 2 GG vorhanden ist“ (LS 5); ferner BVerwG, NVwZ-RR 1998, 357 (358); dazu, daß danach ein Bestandsschutz unmittelbar aus Art. 14 GG nicht gänzlich, sondern nur bei Vorhandensein verfassungskonformen einfachen Rechts ausgeschlossen ist, Battis, FS Leisner, S. 686. 660 Dazu oben 2. Teil S. 77 ff. 661 So BVerfGE 58, 300 (336) – Naßauskiesung. 662 Dazu oben 2. Teil S. 198 ff. 663 Dazu oben 2. Teil S. 72 ff. und S. 199 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
mächtigungen zu nachträglichen Anordnungen – daran gemessen werden muß, ob es den Eigentumsprinzipien des Art. 14 I 1 GG, insbesondere dem Privatnützigkeitsgebot, in ausreichendem Maße Rechnung trägt oder nicht vielmehr „Eigentum“ konstituiert, das diesen Namen nicht mehr verdient664. Schließlich wird Art. 14 GG für die Bestimmung des einfach-rechtlichen Bestandsschutzes unmittelbar relevant, wenn die einfach-rechtlichen Vorschriften – etwa mit Ermessensermächtigungen und Verhältnismäßigkeitsklauseln (vgl. § 17 I 1 u. II BImSchG) – „offene Flanken“ enthalten, die einer verfassungskonformen Auslegung im Lichte des Art. 14 GG zugänglich sind665. Hier ist Art. 14 GG – subsidiär – zugleich Auslegungsmaßstab für den Rechtsanwender.
3. Bezugspunkt des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes Bezugspunkt des Bestandsschutzes aus Art. 14 GG ist grundsätzlich das „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG, was der Präzisierung bedarf, da als bestandsschutztaugliche Eigentumsobjekte sowohl die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb oder das konkrete Sacheigentum an der emittierenden Anlage i. S. des § 3 V BImSchG in Betracht kommen666. Mit dieser Frage wird – was im folgenden zu zeigen ist – zugleich über den Umfang des verfassungsrechtlich notwendigen Bestandsschutzes und damit über die Vorgaben an das einfache Recht bestimmt:
a) Anlagengenehmigung kein „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG Entgegen einer vereinzelten Auffassung in der Lit. kann in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kein Eigentum i. S. des Art. 14 I 1 GG gesehen werden667, da diese als öffentlich-rechtliche Rechtsposition kein Äquivalent eigener Leistung des Betreibers ist668, sondern auf staatlicher Gewährung beruht, woran auch ihr „Vermögenswert“ nichts ändert669. ___________ 664
So BVerfGE 24, 367 (389). Wahl / G. Hermes / Sach, S. 233; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 82: „mittelbare Drittwirkung“ des Art. 14 GG; ferner Wahl, FS Redeker, S. 265 f. 666 Dazu und mit weiterer Differenzierung Roland Schmidt, S. 20 ff. 667 So aber Dolde, NVwZ 1986, 873 f.; ders., FS Bachof, S. 207 mit Beschränkung auf das „tatsächlich ausgeübte subjektive öffentliche Recht auf Errichtung und Betrieb der Anlage“; offengelassen von Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 18. 668 Zu diesem Kriterium nur M. Appel, Eigentum, S. 56 ff.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 168 ff., 176 ff. 669 Ebenso Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 240; Sach, S. 100 f.; Jarass, in: J / 8 P , Art. 14 Rn. 13; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 134; Ch. 665
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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b) Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb Ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als Gegenstand des Bestandsschutzes in Betracht kommt, ist ebenso umstritten wie die Anerkennung dieser Rechtsfigur überhaupt670. Dieser Streit kann auch nicht mit der Erwägung offengelassen werden, daß das Anliegen des passiven Bestandsschutzes, den status quo einer konkreten Immissionsverursachung zu wahren, unabhängig davon gewahrt werden kann, ob die verursachende Anlage, die aufgrund ihrer Sacheigenschaft als solche unbestritten „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG ist, Teil eines größeren wirtschaftlichen Komplexes ist. Mit dieser Argumentation wäre zwar die Frage nach dem Gegenstand des passiven Bestandsschutzes im Immissionsschutzrecht als Scheinproblem entlarvt, da der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als solcher Immissionen überhaupt nicht verursachen kann, sondern nur die konkrete Anlage i. S. des § 3 V BImSchG. Zugleich würde die Problematik jedoch nur auf eine höhere Ebene verlagert, da in der Abwägung des Art. 14 I 2 GG ein unterschiedlicher Maßstab gilt, je nachdem, ob die Eingriffstiefe verweigerten Bestandsschutzes nur anhand der Folgen für das Sacheigentum an der Anlage oder zugleich an den Folgen für die übergeordnete wirtschaftliche Einheit zu bestimmen ist; jedenfalls letzteres führte zu einer weitergehenden Berücksichtigung emittentenseitiger Belange. Gegen eine Anerkennung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als Schutzobjekt des Art. 14 I 1 GG spricht jedoch entscheidend, daß zwar in der Tat ein Gewerbebetrieb mehr als die Summe einzelner Rechte und Gegenstände ist671, diese Feststellung jedoch nur in tatsächlicher Hinsicht ein ökonomisches Phänomen beschreibt und nicht zur Begründung eines Verfas-
___________ Engel, Planungssicherheit, S. 86 ff.; Wickel, S. 31 ff.; Jankowski, S. 43; Roland Schmidt, S. 27 f.; Friauf, WiVerw 1989, 121 (132 f.). 670 Bejaht wird der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als Gegenstand des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes von Lee, S. 66 ff.; Friauf, WiVerw 1989, 121 (133 f.); ablehnend Sach, S. 101 f.; Wickel, S. 36 f.; offengelassen bei Jankowski, S. 45 f. – Allgemein zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Schutzobjekt des Art. 14 I 1 GG Ch. Engel, AöR 118 (1993), 168 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5 , Art. 14 Rn. 132 f. (bejahend); differenzierter, in der Grundtendenz jedoch ebenso bejahend Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 18 ff.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 47 ff.; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 215; ablehnend Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 51 f.; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 146 ff.; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 10. – Umfassend aus neuerer Zeit die Monographie von Waschull, Unternehmen (1999), S. 283 ff. 397 ff. und passim. 671 So das wesentliche Argument der Befürworter der Einbeziehung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Art. 14 I 1 GG; vgl. Ch. Engel, AöR 118 (1993), 168 (204); Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 132; W. Leisner, in: HbStR VI, § 149 Rn. 109; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 19.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
sungsrechts taugt672. Zwar kann den befürwortenden Stimmen zugegeben werden, daß gerade dieser „Mehrwert“ des Unternehmens die eigentumsqualifizierenden Strukturprinzipien der Privatnützigkeit und grundsätzlichen Verfügungsbefugnis erfüllt673, die wie oben im 2. Teil dargestellt vom BVerfG zur Qualifikation einer Rechtsposition als „Eigentum“ herangezogen werden674. Indes fehlt es an der zweiten Voraussetzung, nämlich der Existenz einer einfachrechtlichen Rechtsposition, die dem Unternehmer gerade diesen unternehmerischen „Mehrwert“ zuweist675, was an der zivilrechtlichen Herkunft des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ als richterrechtlich begründetes und subsidiäres „sonstiges Recht“ i. S. des § 823 I BGB deutlich wird676.
c) Konkretes Anlageneigentum und anlagenübergreifender Ansatz Demgegenüber stellt die konkrete emittierende „Anlage“ i. S. des § 3 V BImSchG aufgrund ihrer Sacheigenschaft unproblematisch „Eigentum“ i. S. des Art. 14 I 1 GG dar. Fraglich ist jedoch, ob eine Sichtweise, die allein diese „Anlage“ zum Bezugspunkt des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes machen wollte, der wirtschaftlichen Situation von Industriebetrieben gerecht wird, was am Beispiel der Tunnelofen-Entscheidung des BVerwG677 erläutert werden soll: ___________ 672
So Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 146; ablehnend auch Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 10; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 51 f. – Das BVerfG hat bislang ausdrücklich offengelassen, ob dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb neben den ihm zusammengefaßten einzelnen Rechten und Gegenständen eigenständige Eigentumsqualität zukommt (vgl. BVerfGE 51, 193 [221 f.]; 68, 193 [222 f.]; 84, 212 [232]); der Schutz des Gewerbebetriebs soll jedenfalls nicht über denjenigen Schutz hinausgehen, den seine wirtschaftlichen Grundlagen genießen (so BVerfGE 58, 300 [353] – Naßauskiesung); dazu mit eingehender Analyse der Rspr. des BVerfG Roland Schmidt, S. 96 ff. 673 So Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 132. 674 Dazu oben 2. Teil S. 69 ff.; aus der Lit. M. Appel, Eigentum, S. 41 ff., 77 ff. 675 Ebenso Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 51; ferner Waschull, S. 375 ff., der nach einer eingehenden Analyse des einschlägigen einfachen Gesetzesrechts zum Ergebnis kommt, daß es einen „umfassenden Schutz des Unternehmens im engeren Sinne ... im einfachen Gesetzesrecht nicht (gibt)“ (Waschull, S. 396). 676 Zur richterrechtlichen Herkunft mit Nachw. der Zivilrechtsprechung Waschull, S. 376 ff. – Der „offene“ Charakter des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als Schutzgegenstand des § 823 I BGB zeigt sich ferner darin, daß bei diesem im Gegensatz zu den in § 823 I BGB ausdrücklich genannten Rechten die Rechtswidrigkeit nicht indiziert und der Schutzumfang jeweils im Einzelfall durch Abwägung der widerstreitenden Interessen bestimmt wird (grundlegend BGHZ 45, 296 [307 f.]; aus der zivilrechtlichen Lit. nur Larenz / Canaris13, S. 543; ferner ebd. S. 345: „Die wahre Funktion des Rechts am Gewerbebetrieb besteht denn auch in der Entwicklung eines Bündels von Verhaltensnormen aufgrund einer ungeschriebenen Generalklausel“ [Hervorh. im Original]; dazu Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 51). 677 BVerwGE 50, 49 ff.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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Zunächst ist der Ofen einer Ziegelei als „Anlage“ i. S. des § 3 V BImSchG alleiniger Bezugspunkt sowohl der materiellen Grundpflichten des BImSchG als auch nachträglicher Anordnungen. Zugleich steht dieser Ofen aber in einem größeren wirtschaftlichen Kontext, der nicht nur im Bereich von „Gewinnchancen, Kundenstamm etc.“ angesiedelt ist, sondern auch konkretes Sacheigentum an weiteren Produktionsmitteln betrifft, welche unabhängig vom eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb den Schutz des Art. 14 I 1 GG genießen. Sieht man den Sinn des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes im Schutz des Vertrauens in getätigte Investitionen678, so wird dieser nicht nur dadurch aktiviert, daß Investitionen in die „Anlage“ als solche entwertet werden, sondern auch dadurch, daß als mittelbare Folgewirkung weitere Eigentumsobjekte betroffen werden, die unabhängig vom eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb den Schutz des Art. 14 I 1 GG genießen. Diese Erweiterung des Blickfeldes auf den größeren wirtschaftlichen Kontext ändert zwar nichts daran, daß Gegenstand des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes auf Schutzbereichsebene allein die konkrete emittierende „Anlage“ ist; gleichzeitig wird auf Ebene der Eingriffsrechtfertigung jedoch bewirkt, daß die Eingriffstiefe stets mit Blick auf das „Eingeflochtensein der betroffenen Anlage in den betrieblichen Gesamtzusammenhang“679 zu bestimmen ist. Mit diesem anlagenübergreifenden Ansatz wird nicht nur in einer mit Art. 14 GG zu vereinbarenden Weise einem wesentlichen Anliegen der Lehre vom eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Rechnung getragen, sondern dieser Ansatz steht zugleich im Einklang mit der Rspr. des BVerfG, wonach der Schutz eines Gewerbebetriebs nicht weiter reiche als seine wirtschaftlichen Grundlagen680, denn zu diesen gehört jedenfalls der gesamte technisch-wirtschaftliche Anlagenkomplex im Sinne der „Substanz der Sach- und Rechtsgesamtheit“681.
4. Verfassungsrechtlicher Maßstab des Bestandsschutzes Der verfassungsrechtliche Maßstab für die Ausgestaltung des einfach-rechtlichen Bestandsschutzes ist getrennt zu entwickeln für die beiden Garantiegehalte des Art. 14 I 1 GG, d. h. der Bestandsgarantie einerseits und der Institutsgarantie andererseits. Auszugehen ist davon, daß immissionsbegrenzende An___________ 678 So prägnant Friauf, WiVerw 1989, 121 (128): „Im Kern bedeutet Bestandsschutz nichts anderes als konkretisiertes Vertrauen im vermögensrechtlichen Bereich“ (Hervorh. vom Verf.). 679 So Jankowski, S. 46. 680 BVerfGE 58, 300 (353) – Naßauskiesung; ebenso Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 100; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 10; zu dieser Formel ferner Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 20; Sach, S. 101; Wickel, S. 36 f. 681 Wickel, S. 36 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
forderungen im Rahmen nachträglicher Anordnungen niemals Enteignungen nach Art. 14 III GG sind, sondern stets Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG bzw. einzelfallbezogene Aktualisierung derartiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen, was im 2. Teil im einzelnen begründet wurde682.
a) Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG als Maßstab aa) Sonderfall der Altanlagen Hier ist zunächst zu unterscheiden zwischen Altanlagen, die nach früher geltendem Recht errichtet wurden und an die durch nachträgliche Gesetzesänderungen neue verschärfte Anforderungen gestellt werden683, und Neuanlagen, die von vornherein dem derzeit geltenden Recht unterlagen. Diese Unterscheidung wurde aktuell bei Inkrafttreten des BImSchG, mit welchem erstmalig die Möglichkeit von Vorsorgeanordnungen geschaffen wurde684, und bei der Novellierung des § 17 BImSchG durch das Zweite Gesetz zur Änderung des BImSchG 1985685, mit welchem in § 17 II BImSchG das für die Betreiber überwiegend als günstiger angesehene Tatbestandsmerkmal der „wirtschaftlichen Vertretbarkeit“ in die heutige Verhältnismäßigkeitsregelung abgeändert wurde686. Bei Altanlagen greift die Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG grundsätzlich in ihrer Temporalstruktur, da mit der Inhaltsneubestimmung zugleich abwehrrechtlich in den bisherigen Bestand an Eigentümerrechten eingegriffen wird, indem neue Beschränkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigungsfähig, wobei bezüglich der inhaltlichen Maßstäbe der Rechtfertigung nachträglicher Vorsorgeanforderungen auf oben D. verwiesen wird687. Ferner kann die nachträgliche Begründung dynamischer Grundpflichten eine Rechtfertigung im Gebot des dynamischen Grundrechtsschutzes finden688. Besonders hinzuweisen ist schließlich auf den Aspekt des Vertrauensschutzes, der in ___________ 682
Dazu oben 2. Teil S. 192 ff. Zu weiteren Differenzierungen H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 36 ff.; Dolde, FS Bachof, S. 207 („Altanlagen“ und „Uraltanlagen“). 684 Dolde, FS Bachof, S. 207; dazu ferner Feldhaus, WiVerw 1986, 67 (70 ff.). 685 Gesetz vom 4. 10. 1985 (BGBl. I, 1950); zu dieser Novelle Feldhaus, WiVerw 1986, 67 (74 ff.). 686 Zu dessen Auslegung Hoppe, NJW 1977, 1849 ff.; Gegenposition bei H.-J. Koch, WiVerw 1983, 158 (159 ff.); ferner aus betriebswirtschaftlicher Sicht Grote, Wirtschaftliche Vertretbarkeit, passim. 687 Dazu oben S. 410 ff., 419 ff. 688 Dazu grundlegend BVerfGE 49, 89 (137) – Kalkar I. 683
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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Art. 14 GG eine besondere Ausprägung erfahren hat689, da eine Anlage, die noch vor Inkrafttreten des BImSchG in Betrieb genommen wurde, mit der Einführung von Vorsorgeanforderungen grundsätzlich nicht rechnen mußte690. Auch ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße durch Übergangs- und Entschädigungsregelungen Rechnung zu tragen691, worauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.
bb) Regelfall: Neuanlagen Bei Neuanlagen, die unter dem derzeit geltenden Recht in Betrieb genommen wurden, entfällt Vertrauensschutz regelmäßig, da ein Betreiber, der heute in Kenntnis des dynamischen Grundpflichtensystems und der Möglichkeiten des § 17 BImSchG eine entsprechende Anlage errichtet, schlechterdings nicht darauf vertrauen kann, ein zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenes Verursachungsniveau auch dauerhaft weiter ausnutzen zu können; ein solches Kontinuitätsvertrauen wäre „naiv“692 und rechtlich nicht geschützt. Für Neuanlagen stellt sich ein Vertrauensschutzproblem demgegenüber allein bei nachträglichen Rechtsänderungen, die nicht bereits im dynamischen Grundpflichtensystem des BImSchG angelegt sind, worunter etwa die bauplanungsrechtliche Veränderung der Umgebungssituation im Einwirkungsbereich der Anlage fällt. In dieser Konstellation greift ebenso stets die Bestandsgarantie in ihrer abwehrrechtlichen Funktion, da mit der Inhaltsneubestimmung zugleich in den bisherigen Bestand an Eigentümerrechten eingegriffen wird. Demgegenüber ist der Regelfall nachträglicher Anordnungen hier dadurch gekennzeichnet, daß veränderte Anforderungen bei gleichbleibender Gesetzeslage gestellt werden, indem das Gesetzesrecht – etwa bei fortentwickeltem Stand der Technik – neu auszulegen ist; dieser Fall dynamischer Gesetzesinhalte bei gleichbleibendem Gesetzestext ist gerade das Charakteristikum der dynamischen Grundpflichten des BImSchG. Zentrale und nachfolgend (1) zu betrachtende Frage ist, ob auch derartige aktualisierende Einzelakte Eingriffe sind, die die Bestandsgarantie in ihrer abwehrrechtlichen Funktion aktivieren. Weiterhin können aktualisierende Einzelakte bei gleichbleibender Gesetzeslage durch eine Verschärfung untergesetzlicher Umweltstandards veranlaßt werden; ___________ 689 Dazu Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 228 ff.; Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 47; Wieland, in: Dreier I2, Art. 14 Rn. 130 f.; Bryde, in: v. Münch / Kunig I 5, Art. 14 Rn. 64; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 248; Sach, S. 110 f. – Zur Abgrenzung zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutz M. Appel, DVBl. 2005, 340 ff. 690 Dolde, FS Bachof, S. 207. 691 Grundlegend BVerfGE 83, 201 (212 f.) – Vorkaufsrecht; a. A. noch BVerfGE 52, 1 (28); 58, 300 (331). 692 So H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 41; ferner Trute, Vorsorgestrukturen, S. 249.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
inwieweit auch diese Konstellation abwehrrechtlich durch die Bestandsgarantie erfaßt wird, soll nachfolgend (2) betrachtet werden.
(1) Eingriff durch Einzelakt bei latenter Grundpflichtenbelastung? Hilfreich ist zunächst, sich die Wirkungsweise der dynamischen Grundpflichten zu vergegenwärtigen: Hier verlagert der Verweis auf den außerrechtlichen Stand der Technik die abschließende Bestimmung konkreter Anforderungen an eine Anlage von der Gesetzes- auf die Rechtsanwendungsebene. Damit erfolgt gleichsam eine „doppelte“ Inhaltsbestimmung: Während das Anlageneigentum auf der Gesetzesebene abstrakt mit der Möglichkeit jederzeitiger Anpassung belastet ist, erfolgt die konkrete Inhaltsbestimmung erst durch den die Anpassung vollziehenden konkretisierenden Einzelakt, der gleichsam als „nachgeholte“ Inhalts- und Schrankenbestimmung erscheinen könnte693. Gegen eine eigenständige Eingriffsqualität konkretisierender Einzelakte wird eingewandt, daß damit lediglich eine von vornherein dem Eigentum anhaftende Beschränkung aktualisiert werde694, so daß die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts in der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung enthalten sei. Dem könnte jedoch entgegengehalten werden, daß der Umfang dieser Aktualisierungen auf der Ebene der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung gerade nicht abschließend bestimmt wird, sondern wesentlich von außerrechtlichen Faktoren – etwa der Fortentwicklung des Standes der Technik – abhängig ist. Daran ist richtig, daß konkretisierenden nachträglichen Anordnung gegenüber der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung durchaus eigenständiges Gewicht zukommt, da sich der definitive Inhalt konkreter Eigentümerbefugnisse erst aus dem Zusammenspiel von Gesetzes- und Einzelaktsebene ergibt und die Einzelaktsebene in dem Maße einen „überschießenden“ Gehalt aufweist, als die Gesetzesebene „Variablen“ enthält, deren abschließende Konkretisierung auf Gesetzesebene nicht möglich war. Indes ist dieser Gehalt „überschießend“ nur gegenüber dem ___________ 693 Nach einem Teil der Lit. sollen eigentumsbeschränkende Einzelakte eine dritte Kategorie möglicher Eingriffe in Art. 14 I 1 GG neben Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung sein (so Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 29, 49; Pieroth / Schlink21, Rn. 925; Kimms / Schlünder, § 12 Rn. 38); demgegenüber sieht Berkemann Vollzugsakte generell als Inhalts- und Schrankenbestimmung, da diese nur die vorgegebene Rechtslage reproduzierten (Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 270 f.), was um so mehr gelten muß, wenn der Vollzugsakt notwendiger Bestandteil der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung ist. Im übrigen erkennt jedoch auch die erstgenannte Ansicht an, daß Einzelakte im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung allein an Art. 14 I 2 und 14 II GG gerechtfertigt werden müssen (Jarass, in: J / P8, Art. 14 Rn. 49; ders., NJW 2000, 2841 [2841]). 694 Ebenso Maiwald, S. 63; dagegen Lutz, S. 101 ff., 165.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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jeweils für die Anlage geltenden status quo, nicht jedoch gegenüber der Gesetzesebene, da auf Einzelaktsebene nur solche „Eingriffe“ reproduziert werden, die auf der Gesetzesebene latent angelegt sind. Damit sind diese jedoch keine Eingriffe im technischen Sinne, da entsprechende Rechtspositionen, in die eingegriffen würde, den Eigentümern nie zugewiesen waren695. Daher kommt nachträglichen Anordnungen nach § 17 BImSchG die Qualität eigenständiger Eingriffe in die Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG nicht zu. Dieses Ergebnis wäre im übrigen nur dann verfassungsrechtlich bedenklich, wenn entsprechende Einzelakte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung überhaupt nicht unterzogen würden. Da indes die inhaltsbestimmende Wirkung derjenigen Gesetze, die das Anlageneigentum „labil“ ausgestalten, nur verfassungsmäßigen Gesetzen zukommt696, ist die Frage, ob das durch Einzelakt bewirkte Ergebnis verfassungsmäßig ist, mittelbar Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze; zum diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Maßstab sogleich unter b).
(2) Eingriff bei Verschärfung untergesetzlicher Umweltstandards Bei Verschärfung untergesetzlicher Umweltstandards bei gleichbleibender Gesetzeslage liegt zwar stets zugleich eine Normänderung vor, jedoch ist hier zu unterscheiden, ob die Umweltstandards in Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften enthalten sind: Bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften – hier ist in erster Linie die TA Luft 2002 zu nennen – ist zu bedenken, daß wie im 2. Teil ausgeführt der Wertungsspielraum des Normgebers streng gesetzesakzessorisch ist697, so daß Inhaltsänderungen der Verwaltungsvorschrift vollständig von den zu konkretisierenden Gesetzesbegriffen umfaßt bleiben müssen. Mit anderen Worten werden hier auf untergesetzlicher Ebene keine (neuen) Rechtsfolgen begründet, die nicht zugleich von der Gesetzesebene abgedeckt sind, und die Rechtsänderung der Verwaltungsvorschrift ist bei wertender Betrachtung nur eine Auslegungsänderung der unveränderten gesetzlichen Grundpflichten. Anders hingegen bei Umweltstandards in Rechtsverord___________ 695 Zum fehlenden Eingriff in derartigen Konstellationen M. Appel, Eigentum, S. 240 ff. und Böhmer, NJW 1988, 2561 [2572]); zur vergleichbaren Rechtslage im Rahmen der immissionsschützenden Funktion des Art. 14 GG oben 2. Teil S. 258 Fn. 957. – Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, daß das Eigentum solange unbeschränkt sei, als entsprechende Nutzungsbeschränkungen nicht im Einzelfall aktualisiert sind, da der Eingriff im abwehrrechtlichen Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema die Minderung eines verfassungsrechtlichen prima facie-Rechts meint, hier jedoch von vornherein nur ein – wenn auch latent – beschränktes Recht existiert. 696 So BVerfGE 58, 300 (336) – Naßauskiesung. 697 Dazu oben 2. Teil S. 233 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
nungen: Da diese als Rechtsnormen zugleich den Inhalt des Eigentums nach Art. 14 I 2 GG bestimmen, liegt ein Eingriff in die Bestandsgarantie vor, wenn die Anforderungen an den Betreiber normativ verschärft und insoweit ein vorhandener Bestand an Eigentümerbefugnissen geschmälert wird698. Ergeht demgegenüber eine nachträgliche Anordnung zur Aktualisierung dieser durch Rechtsverordnung bestimmten Anforderungen auf den Einzelfall, liegt hierin wiederum kein Eingriff, da lediglich diese – diesmal durch die Rechtsverordnung vorgenommene – Inhalts(neu)bestimmung aktualisiert wird.
b) Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG als Maßstab aa) Allgemeiner verfassungsrechtlicher Maßstab Der verfassungsrechtliche Maßstab der Inhalts- und Schrankenbestimmung wurde bereits im 2. Teil im einzelnen dargestellt; hierauf wird verwiesen699. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß Anlageneigentum in der Regel erwerbswirtschaftlichen Zielen dient, woraus als besonders zu berücksichtigender Belang die zeitliche Nutzbarkeit einer Anlage – d. h. die Amortisation700 – folgt, da die Eingriffstiefe hier entscheidend davon abhängt, in welchem Maße das investierte Kapital durch den erwirtschafteten Gewinn wieder aufgewogen wird701. Andererseits kommt den Belangen des Eigentumsschutzes kein einheitliches Gewicht zu, sondern unterliegt einer Differenzierung nach der Schädi___________ 698 Diese Sicht wird gestützt von der Ansicht, wonach Umweltstandards in aufgrund § 7 BImSchG ergangenen Rechtsverordnungen (dazu unten S. 473 ff.) grundsätzlich selbstexekutiv, d. h. für den Betreiber unmittelbar und ohne Zwischenschaltung einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG verbindlich sein können (Jarass, BImSchG6, § 7 Rn. 48; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 67). In diesem Fall wird denn auch für möglich gehalten, daß bei Verstoß gegen entsprechende Pflichten unmittelbar eine Untersagungsverfügung nach § 20 I BImSchG ergehen kann (Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 66; § 20 Rn. 25; H.-J. Koch, in: GKBImSchG, § 17 Rn. 70; § 20 Rn. 40 ff.). 699 Dazu oben 2. Teil S. 198 ff. 700 Zum Kriterium der Amortisation Sach, S. 109; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 249, 263; Murswiek, Verantwortung, S. 264 ff.; Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 152; Enders, Kompensationsregelungen, S. 100. 701 Versteht man den verfassungsrechtlich gebotenen Bestandsschutz wie hier als Schutz der Dispositionen, die getätigt wurden, um den Eigentumsgegenstand für eigene Zwecke nutzen zu können, so folgt daraus, daß eine Disposition desto weniger schutzwürdig ist, je mehr sie sich amortisiert hat (so auch Trute, Vorsorgestrukturen, S. 249; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 106; Murswiek, Verantwortung, S. 266). Dies gilt jedoch – entgegen Trute – nicht nur für Altanlagen, bei denen ergänzend der Vertrauensschutz hinzutritt, sondern gerade auch für Neuanlagen, da das Gebot der Amortisation unmittelbar aus dem Eigentumsprinzip der Privatnützigkeit folgt und damit im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung stets zu berücksichtigen ist.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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gungsintensität, je nachdem, ob es um Gefahrenabwehr, Vorsorge oder Nachteils- und Belästigungsschutz geht. Weiterhin sind folgende Punkte zu beachten:
bb) Kompetenzielle Problematik Zunächst ist es primäre Aufgabe des Gesetzgebers, den Ausgleich zwischen der Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG und der Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG herzustellen. Hierbei kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der einerseits eine Definitionskompetenz für die mit der Inhaltsbestimmung verfolgten sozialpolitischen Zwecke beinhaltet702, andererseits aber durch staatliche Schutzverpflichtungen zugunsten Rechte Dritter überlagert sein kann, was im 2. Teil für die Betroffenengrundrechte der Artt. 2 II 1 und 14 GG im einzelnen dargestellt wurde703. Dies wirft angesichts der durch § 17 I 1 u. II BImSchG geschaffenen einzelfallbezogenen Wertungsspielräume spezifische Probleme auf: Da der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum bei Art. 14 II GG aufgrund der Weite der Sozialpflichtigkeit, die insbesondere heterogene Zielsetzungen enthalten kann, tendenziell größer ist als bei anderen Grundrechten, wäre der Rechtsanwender in § 17 I 1 u. II BImSchG überfordert, müßte er eigenständig konkrete Eigentumsinhalte und -schranken konkretisierend bestimmen. Entsprechend richtet sich Art. 14 II GG ausschließlich an den Gesetzgeber704 und kann auch nicht zur verfassungskonformen Auslegung des einfachen Rechts herangezogen werden, was von Depenheuer dahin auf den Punkt gebracht wird, daß Art. 14 II GG keinen unmittelbar subsumtionsfähigen Tatbestand enthalte705. Maßgeblich ist daher die konkrete gesetzgeberische Ausgestaltung der Sozialpflichtigkeit; eine „freie“ Abwägung ist dem Rechtsanwender demgegenüber verwehrt, da dieser ansonsten eine Gestaltungsbefugnis in Anspruch nehmen würde, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Damit sind einzelfallbezogene Wertungsinstanzen jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen706, jedoch müssen die abwägungserheblichen Belange hinreichend klar bestimmt sein, d. h. sich mit den herkömmlichen Auslegungsmetho___________ 702
BVerfGE 21, 73 (83); 42, 263 (294); 50, 290 (339 ff.); 70, 191 (201 f.); 83, 201 (212); 95, 64 (84 f.); Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 225; Bryde, in: v. Münch / Kunig I5, Art. 14 Rn. 50; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 246 f.; Bleckmann II4, § 15 Rn. 78; Sach, S. 104; ähnlich Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 70; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 312 ff., 515. 703 Ferner aus Sicht der Vorsorgepflicht oben S. 410 ff., 419 ff. 704 Dazu oben 2. Teil S. 75 ff.; ebenso Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 306; Jarass, in: J / P7, Art. 14 Rn. 50; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 512; Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 201 f., 218. 705 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 218. 706 So auch Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 220; Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 300.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
den aus den gesetzlichen Regelungen erschließen lassen707. Daraus ergibt sich folgende „Akzentverschiebung“ für eine verfassungskonforme Auslegung einfach-gesetzlicher Bestandsschutzregelungen: Zunächst ist der interpretative Spielraum der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen auszuschöpfen, während das Verfassungsrecht einen eigenständigen Maßstab nur in folgenden Fällen bieten kann: Erstens kann fraglich sein, ob die gesetzlichen Regelungen ihrerseits verfassungsmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. des Art. 14 I 2 GG sind; in diesem Fall kann eine verfassungskonforme Auslegung unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich (noch) Zulässigen geboten sein. Zweitens kann bereits der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nach Art. 14 I 2 GG durch gegenläufige verfassungsrechtliche Prinzipien beschränkt sein, etwa durch die staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit aus Art. 2 II 1 GG, welche auch auf der Rechtsanwendungsebene im Rahmen ihres definitiv geschuldeten Umfangs umgesetzt werden muß. Können jedoch auch nach Ausschöpfung sämtlicher Auslegungsmethoden aus den gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen Art und Umfang sozialpflichterweiternder oder -beschränkender Belange nicht mit hinreichender Bestimmtheit ermittelt werden, können diese vom Rechtsanwender nicht herangezogen werden; insofern gehen Zweifel zu Lasten entsprechender Belange. Zentrale Frage muß daher sein, welche Abwägungsbelange der Gesetzgeber im Rahmen des § 17 I 1 u. II BImSchG tatsächlich vorgegeben hat.
cc) Konkretes Eigentumsobjekt als Maßstab Ferner ist nach den Ausführungen im 2. Teil Bezugs- und Maßstabsobjekt verfassungsmäßiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen stets das konkrete individuelle Eigentumsobjekt708, da das Ziel jeder Inhaltsbestimmung darin besteht, „Eigentum“ zu schaffen, das in seiner konkreten Ausprägung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine verfassungsmäßige Inhaltsbestimmung genügt. Demgegenüber ist auf Grundlage der Ausführungen zur „vertikalen“ und „horizontalen“ Typisierungsrechtfertigung der Umfang zulässiger Typisierung stets in seiner relationellen Verwobenheit mit dem Gewicht der eingriffslegitimierenden Interessen zu sehen709. Danach kann ein hohes Maß an Sozialpflichtigkeit ein höheres Maß an Belastungsungleichheit und damit individueller ___________ 707
Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 220. Demgegenüber soll nach einem Teil der Lit. die Inhalts- und Schrankenbestimmung abstrakt und nicht bezogen auf die Auswirkungen auf konkret Betroffene erfolgen (Berkemann, in: GG-MitarbeiterKomm, Art. 14 Rn. 306; ähnlich Ehlers, VVDStRL 51 [1992], S. 227: „typisierende Betrachtungsweise“); wie hier Sieckmann, in: BerlinerKomm-GG, Art. 14 Rn. 144. 709 Dazu oben 2. Teil S. 185 ff. 708
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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„Unverhältnismäßigkeit“ rechtfertigen als ein geringes Maß an Sozialpflichtigkeit. Durch den Bezug auf konkrete Eigentumsobjekte gewinnt ferner der Gedanke der Belastungsgleichheit eigentumsbeschränkender Regelungen besondere Bedeutung710, und ungleiche Auswirkungen an sich gleichmäßiger Inhaltsund Schrankenregelungen bedürfen einer besonderen Rechtfertigung durch Gründe des Gemeinwohls711. Hier kann gerade eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung dazu dienen, durch die Berücksichtigung individueller Umstände einen Ausgleich zwischen dem Gebot der Belastungsgleichheit und den verfolgten Gemeinwohlbelangen herzustellen712.
dd) Zwischenergebnis Somit ist auf der einen Seite eine Regelung verfassungsmäßig, mit der im Bereich des Lebens- und Gesundheitsschutzes eine „1:1“-Umsetzung der präventiven Grundpflichten vorgeschrieben wird, auch wenn dadurch Investitionsschutz völlig entfällt, denn das besondere Gewicht von Leben und Gesundheit rechtfertigt sowohl diese Eingriffswirkung als solche als auch mögliche Durchbrechungen der Belastungsgleichheit. Auf der anderen Seite gewinnen bei nur geringer Sozialpflichtigkeit sowohl die Eingriffswirkung als auch die Belastungsgleichheit an Bedeutung: So würde es unter dem Aspekt der Privatnützigkeit einen Verstoß gegen die Institutsgarantie darstellen, wäre Anlageneigentum durch permanenten Anpassungsdruck auch ohne hinreichenden Grund dem Risiko der jederzeitigen Entwertung ausgesetzt, weshalb gesetzliche Regelun___________ 710 Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 231; Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 350. 711 So deutlich Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I5, Art. 14 Rn. 231. 712 Dies darf allerdings nicht dahin mißverstanden werden, als seien damit stets sämtliche individuelle wirtschaftliche Umstände der jeweiligen Anlage zu berücksichtigen. So findet sich in der immissionsschutzrechtlichen Lit. die Aussage, daß die abwägungsrelevante wirtschaftliche Belastung am Maßstab von „Anlagen der betroffenen Art“ bzw. eines „wirtschaftlich gesunden Durchschnittsunternehmens“ zu bestimmen sei (Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 90; Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 37a; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 110; Sach, S. 124; Lee, S. 175; ähnlich Jankowski, S. 63; im Ergebnis auch Frenz, in: Kotulla, § 17 Rn. 94; ferner BVerwG, NVwZ 1997, 497 [500]). Dies ist zutreffend, da Schutzobjekt des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes nach den obigen Ausführungen allein die konkrete Anlage und nicht der diese umfassende Gewerbebetrieb ist (dazu oben S. 447 ff.). Geschützt ist daher allein die objektive Nutzbarkeit der Anlage, nicht hingegen die konkrete Art und Weise, in der die Anlage tatsächlich genutzt wird und die sich aus den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Unternehmens ergeben. Insofern ist die wirtschaftlich „gute“ oder „schlechte“ Nutzung nur Modalität einer grundsätzlich gegebenen objektiven Nutzbarkeit. Maßgeblich können somit nur solche wirtschaftlichen Folgen sein, die in der konkreten Anlage gleichsam „angelegt“ sind, nicht aber Umstände, die lediglich als Akzidens in unternehmerischer Hinsicht hinzutreten (dazu oben 2. Teil S. 184 ff.).
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
gen erforderlich sind, die diesen Druck abfedern713. Zugleich müssen diese Regelungen, falls hinreichende Gründe für eine nur typisierende Berücksichtigung fehlen, der individuellen Belastungssituation Rechnung tragen. Beiden Anforderungen kann durch eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vergleichbar § 17 II BImSchG entsprochen werden.
III. Einfach-gesetzliche Ausgestaltung im BImSchG 1. Genehmigungsbedürftige Anlagen (§ 17 BImSchG) Nachträgliche Anordnungen nach § 17 I BImSchG setzen voraus, daß sich aus dem BImSchG oder einer darauf gestützten Rechtsverordnung ergebende Grundpflichten verletzt sind714. Nachfolgend sollen hierzu Abwehr- und Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG näher betrachtet werden.
a) Durchsetzung der Abwehrpflicht („Schutzanordnungen“) Zunächst stehen nachträgliche Anordnungen nach § 17 I 1 BImSchG („kann“) grundsätzlich im Ermessen der Behörde; demgegenüber „soll“ nach Satz 2 die Behörde nachträgliche Anordnungen treffen, wenn die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft „nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen usw.“ geschützt ist. Damit wird für Schutzanordnungen das Ermessen dahin reduziert, daß im Regelfall eingeschritten werden muß und nur in atypischen Fällen hiervon abgesehen werden kann715. § 17 I 2 BImSchG benennt zwar nicht ausdrücklich § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG als Bezugspunkt, sondern direkt die „schädlichen Umwelteinwirkungen“. Daß § 17 I 2 BImSchG mit der Wendung „Allgemeinheit oder Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen usw. geschützt“ gleichwohl auf diese Grundpflicht Bezug nimmt716, folgt aus der wörtlichen Übereinstimmung mit § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG, ferner daraus, daß Zweck des § 17 I 2 BImSchG allein ist, das Ermessen der Behörde zu verdichten, nicht hingegen eine eigenständige (weitere) Betreiberpflicht zu begründen717. ___________ 713
Ebenso Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 109. Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 12 ff.; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 61 ff.; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 69 ff. 715 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 167 ff.; H.-J. Koch, in: GKBImSchG, § 17 Rn. 83 ff. (jeweils auch zur Frage, wann ein atypischer Fall vorliegt). 716 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 82; Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 49. 717 Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 167. 714
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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Dem könnte die ausdrückliche Normierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 17 II BImSchG entgegenstehen, denn wenn auch Schutzanordnungen nach § 17 I 2 BImSchG nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig sind, würde die Kongruenz zwischen präventiver und repressiver Ebene wieder aufgehoben, und der strikte Vermeidungsstandard der Abwehrpflicht könnte nicht in jedem Fall auch nachträglich durchgesetzt werden. Gegen eine Relativierung von Schutzanordnungen spricht jedoch die insofern vorrangige Sollensvorschrift des § 17 I 2 BImSchG: Ist nämlich die Entscheidung über nachträgliche Anordnungen von „atypischen“ Fällen abgesehen faktisch eine gebundene, so fehlt – im Gegensatz zur Grundnorm des § 17 I 1 BImSchG – der erforderliche Spielraum, in dem sich die Wertungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entfalten könnten. Legt nämlich das Gesetz – und sei es auch nur für den Regelfall – eine bestimmte Rechtsfolge abschließend fest, ist für einen ergänzenden Wertungsspielraum kein Raum718. Dieses Ergebnis ist jedenfalls für den Lebens- und Gesundheitsschutz auch verfassungsgemäß, da angesichts der besonderen Wertigkeit des Art. 2 II 1 GG das grundsätzliche Zurücktreten des Investitionsschutzes generell verhältnismäßig ist719. Problematisch ist demgegenüber die Lage beim Schutz vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen, da die hier allein betroffenen grundeigentumsbezogenen Nutzungsbefugnisse kein Art. 2 II 1 GG vergleichbares Gewicht aufweisen, das eine generelle Verhältnismäßigkeit gegenüber Bestandsschutzinteressen begründen könnte. Vergegenwärtigt man sich ferner, daß nachträgliche Anordnungen beim Nachteils- und Belästigungsschutz regelmäßig relevant werden bei einer bebauungsrechtlichen Veränderung der Umgebungssituation der Anlage – etwa bei Überplanung mit einem immissionsempfindlicheren Gebietstyp oder „heranrückender“ Wohnbebauung720 –, die zu einer Absenkung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus führt, so könnte gerade die Nichtberücksichtigung des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes verfassungswidrig sein, denn nach den Ausführungen im 2. Teil ist im Konflikt zwischen (legaler) vorhandener und neu hinzutretender Eigentumsnutzung regelmäßig der vorhandenen Nutzung Vorrang einzuräumen, wenn und weil der Eigentümer auf den Fortbestand der legal ins Werk gesetzten Nutzung vertrauen darf721. Indes hat der danach vom einfachen Recht zu leistende Bestandsschutz nicht notwendig ___________ 718 Im Ergebnis ebenso H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 106; abweichend Jankowski, S. 54 f. und Frenz, in: Kotulla, § 17 Rn. 49, die § 17 I 2 BImSchG § 17 II BImSchG systematisch nachordnen. 719 Ebenso im Ergebnis Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 37; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 94; Dolde, NVwZ 1986, 873 (882); Schulze-Fielitz, Immissionsschutz, S. 302; Sach, S. 117; Jankowski, S. 67; Lee, S. 202, 204. 720 Dazu oben S. 441 Fn. 642; ferner im bestandsschutzrechtlichen Kontext Friauf, WiVerw 1986, 87 (108 ff.). 721 Dazu oben 2. Teil S. 248 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
gerade dadurch zu erfolgen, daß auch Immissionen oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG zulässig sind. So kann nämlich der Betreiber gegen nachteilige bebauungsrechtliche Veränderungen der Umgebungssituation regelmäßig im Wege des Primärrechtsschutzes vorgehen722, wenn seine Bestandsinteressen in der Abwägung des § 1 VII BauGB nicht in der von Art. 14 GG gebotenen Weise berücksichtigt sind723. Da dieser „präventive“ Bestandsschutz724 dem verfassungsrechtlichen Bestandsschutzinteresse des Anlagenbetreibers ausreichend Rechnung trägt, ist die Nichtberücksichtigung in § 17 I 2, II BImSchG verfassungsrechtlich unbedenklich, und zwar selbst dann, wenn der Betreiber vom Primärrechtsschutz keinen Gebrauch macht, denn die Einlegung entsprechender Rechtsbehelfe ist grundsätzlich zumutbar.
b) Durchsetzung der Vorsorgepflicht („Vorsorgeanordnungen“) Demgegenüber stehen Vorsorgeanordnungen nach § 17 I 1 BImSchG nicht nur im „normalen“ Ermessen der Behörde, dessen Grenzen sich aus §§ 40 VwVfG, 114 VwGO ergeben, sondern unterliegen auch der Verhältnismäßigkeitsklausel des § 17 II BImSchG. Hierbei wird auch auf repressiver Ebene zwischen einer „großen“ und „kleinen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung unterschieden725; danach soll eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung nur erfolgen, wenn es um die unmittelbare Konkretisierung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG geht, während bei vorhandener untergesetzlicher Konkretisierung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung allein auf Ebene dieser Vorschriften als „große“ erfolgen soll726. Beide Konstellationen sind nachfolgend zu betrachten.
aa) Konkretisierung unmittelbar aus § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG Hier stellt sich zunächst das Problem der inhaltlichen Abschichtung von Ermessensebene nach § 17 I 1 BImSchG und Verhältnismäßigkeitsebene nach § 17 II BImSchG. Diese hat von der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Er___________ 722 Etwa über eine Normenkontrollklage nach § 47 VwGO (dazu Kopp / Schenke14, § 47 Rn. 73; ferner zu § 47 II 1 VwGO a. F. [„Nachteil“] BVerwGE 59, 87 [100 ff.]) oder über die Anfechtung von auf dieser Grundlage ergangenen Baugenehmigungen (zum Gesamten Diehr / Geßner, NVwZ 2001, 985 [989 ff.]). 723 Vgl. H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 76 ff.; ders., Bestandsschutz, S. 52; Hansmann, FG BVerwG, S. 950; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg I, § 1 Rn. 232. 724 Zum Begriff H.-J. Koch, Bestandsschutz, S. 40, 52 ff.; Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 4; Jankowski, S. 33 f. 725 Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 29; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 95; einschränkend H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 113. – Dazu oben S. 408 ff. 726 Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 39; Wickel, S. 170 f.; Dolde, NVwZ 1986, 873 (877).
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
461
kenntnis auszugehen, daß der Ermessensspielraum der Behörde vom Zweck der Ermessensermächtigung und den gesetzlichen Grenzen des Ermessens determiniert wird (vgl. §§ 40 VwVfG, 114 VwGO). Zu letzteren gehört jedoch gerade auch die Verhältnismäßigkeit727, was die vorzunehmende Abschichtung nicht einfacher macht. H.-J. Koch weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß der „Zweck“ einer Ermessensermächtigung regelmäßig nicht in einem einzigen Zweck besteht, sondern Ermessensermächtigungen einen Ausgleich innerhalb eines mehrpoligen Zielkonflikts ermöglichen sollen728. Ein solcher Zielkonflikt besteht bei § 17 BImSchG zunächst im Widerstreit von Schutz und Vorsorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen und dem nach Art. 14 GG gebotenen Schutz von Bestand und Amortisation getätigter Investitionen729. Umstritten ist, ob diese Belange immissionsschutzmindernd verstärkt werden durch Interessen der Allgemeinheit wie Arbeitsplatz- und Versorgungssicherheit730. Verfassungsrechtlich ist deren Berücksichtigung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 II GG weit genug ist, um auch diese Zielsetzungen aufzunehmen. Fraglich ist jedoch, ob derartige Allgemeininteressen gerade auch durch den Rechtsanwender zur Geltung gebracht werden dürfen, da diesem nach den obigen Ausführungen731 kein originäres Mandat zur Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit zukommt. Zu klären ist daher sowohl die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Interessen als auch deren normativer Standort, nämlich Ermessensklausel oder Verhältnismäßigkeitsprüfung. Letzterer Fragestellung wurde bislang nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, da damit zugleich über die gerichtliche Kontrolldichte entschieden wird, denn behördliche Ermessensentscheidungen unterliegen nach § 114 VwGO im Gegensatz zur Verhältnismäßigkeitsprüfung nur einer Kontrolle auf Ermessensfehler. Sähe man daher den Erhalt von Arbeitsplätzen als zulässige Ermessenserwägung, wäre die Entscheidung der Behörde, aus diesem Grunde keine nachträgliche Anordnung zu erlassen, gerichtlich nicht angreifbar, während dieselbe Erwägung im Rahmen der ___________ 727
Aus der allgemeinen Lit. Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 10 Rn. 13, 18; Maurer, AllgVerwR16, § 7 Rn. 23; Detterbeck, AllgVerwR3, § 6 Rn. 245; ferner aus der immissionsschutzrechtlichen Lit. H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 93. 728 Grundlegend H.-J. Koch, Ermessensermächtigungen, S. 148 ff.; ders., Abwägung, S. 12 f.; ders., in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 94; vgl. ferner Steiff, S. 461. 729 Ähnlich H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 96, der die „Internalisierung externer Effekte“ und die „Sicherung einer angemessenen Kapitalrendite“ nennt. 730 Für deren Berücksichtigung Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 93, 179 f.; Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 46; Hoppe, NJW 1977, 1849 (1850); Ohms, Praxishandbuch, Rn. 653; Posser, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 17 Rn. 46; Sellner / Reidt / Ohms3, 4. Teil Rn. 16; wohl auch Frenz, in: Kotulla, § 17 Rn. 95. – Gegen eine Berücksichtigung H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 98, 104; Jankowski, S. 67; kritisch auch Wickel, S. 168. 731 Dazu oben S. 455 ff.
462
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Verhältnismäßigkeitsprüfung voller gerichtlicher Kontrolle unterläge. Soll daher § 17 I 1 BImSchG eine eigenständige Funktion zukommen, könnte es erforderlich sein, die Ermessensebene mit einem „überschießenden“ Gehalt dergestalt zu konzipieren, daß es der Verwaltung möglich sein muß, Zwecke zu verfolgen, die nicht auch im Rahmen des § 17 II BImSchG zu berücksichtigen sind732. Daher ist zunächst unter (1) der Umfang der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 17 II BImSchG zu klären, bevor daraus unter (2) Rückschlüsse für die Ermessensinstanz des § 17 I 1 BImSchG gezogen werden.
(1) Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 17 II BImSchG In § 17 II BImSchG sind verschiedene Abwägungsbelange genannt, die die Verhältnismäßigkeitsprüfung inhaltlich determinieren. Zweierlei ist hieran bemerkenswert: Erstens wird mit dem Kriterium der „Nutzungsdauer“ der zeitliche Faktor zu einem wesentlichen Abwägungsgesichtspunkt gemacht und hinsichtlich der verbleibenden Nutzungsdauer auf die Möglichkeit verwiesen, nachträgliche Anforderungen durch zeitliche „Streckung“ verhältnismäßig zu machen733. Damit wird im wesentlichen dem oben erarbeiteten verfassungsrechtlichen „Maßstabsprogramm“ ausgehend vom Amortisationskriterium entsprochen. Zweitens sind sowohl die zeitliche Nutzbarkeit als auch die anderen genannten Abwägungsfaktoren allein auf der bipolaren Konfliktebene Betreiberinteresse an Nutzung einerseits, Interesse an Immissionsschutz andererseits angesiedelt. Der Gesetzgeber hat somit ersichtlich keinen Gebrauch davon gemacht, die eingriffslimitierenden individuellen Betreiberinteressen in § 17 II BImSchG durch ergänzende Gemeinwohlinteressen zu verstärken, was ihm nach Art. 14 II GG ohne weiteres möglich gewesen wäre. Insofern kann die Ersetzung der „wirtschaftlichen Vertretbarkeit“ in § 17 II a. F. durch die heutige Verhältnismäßigkeitsklausel nur dahin interpretiert werden, daß der Gesetzgeber den immissionsschutzrechtlichen Bestandsschutz auf das „verfassungsrechtlich Gebotene“ zurückführen wollte734. Dies wird durch die Entstehungsgeschichte des § 17 II n. F. belegt, in deren Mittelpunkt angesichts der damals allgemein ins Bewußtsein gerückten neuartigen Waldschäden die Frage stand, wieviel Bestandsschutz den Altanlagen aus verfassungsrechtlicher Sicht einge___________ 732
Für einen eigenständigen Gehalt des § 17 I 1 BImSchG gegenüber Abs. 2 auch Frenz, in: Kotulla, § 17 Rn. 49; vgl. demgegenüber Sellner / Reidt / Ohms3, 4. Teil Rn. 16 u. 26, die die arbeitsplatzbezogenen Belange sowohl im Rahmen des Ermessens nach Abs. 1 als auch der Verhältnismäßigkeit nach Abs. 2 zur Sprache bringen. 733 Dazu Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 35, 37; zu weiteren mit der Nutzungsdauer verbundenen Auslegungsfragen Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 86; Posser, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 17 Rn. 44 f. 734 So Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 28; Dolde, NVwZ 1986, 873 (876); H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 99; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 78.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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räumt werden muß735. Dem wird teilweise entgegengehalten, § 17 II BImSchG normiere aufgrund der Wendung „vor allem“ nur nicht abschließende Regelbeispiele, so daß der Formulierung „keine gesetzgeberische Entscheidung zur Einschränkung der Abwägungsgesichtspunkte“ entnommen und etwa auch die Arbeitsplatzsituation berücksichtigt werden könne736. Diese Sicht, die § 17 II BImSchG zu einer umfassenden Abwägungsinstanz aufladen würde, widerspricht jedoch dem soeben aufgezeigten Zweck des § 17 II GG, einfach-rechtlich ein Medium zur Aufnahme allein solcher Wertungen zu bilden, die wie der aus Art. 14 GG resultierende Bestandsschutz verfassungsrechtlich zwingend sind. Bestätigt wird dies durch die in § 17 II BImSchG genannten Regelbeispiele, die die vorzunehmende Abwägung unter Ausblendung möglicher Allgemeininteressen gerade auf das bipolare Verhältnis von Immissionsschutz und verfassungsrechtlich fundierten Betreiberinteressen reduzieren, so daß als Begründung für deren nicht abschließenden Charakter die Annahme näher liegt, der Gesetzgeber habe § 17 II BImSchG in „salvatorischer“ Absicht nur für solche Belange offen halten wollen, die auf derselben bipolaren Ebene liegen. Diese normative Beschränkung des Abwägungsprogramms ist als gesetzgeberische Grundentscheidung vom Rechtsanwender zu respektieren, und zwar auch dann, wenn schutzbeschränkende Allgemeininteressen in Spezialgesetzen eine normative Fundierung erfahren haben, da die Frage der Abwägungserheblichkeit für nachträgliche Anordnungen abschließend von § 17 II BImSchG entschieden wird. Daher können Belange der Arbeitsplatzsicherheit in § 17 II BImSchG nicht berücksichtigt werden737. ___________ 735 Dazu H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 99 und ebd. Rn. 13 ff. zur Entstehungsgeschichte des Zweiten Gesetzes zur Änderung des BImSchG (G v. 4. 10. 1985, BGBl. I, 1950), mit welchem § 17 II BImSchG seine heutige Gestalt bekam; zu den Gesetzesmaterialien ferner Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 12. 736 In diesem Sinne Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 77, 93, der allgemein als im Rahmen des § 17 II BImSchG berücksichtigungsfähig hält die „Interessen der Arbeitnehmer“, die „Interessen von Zulieferern und Kunden“, „Interessen von Konkurrenten“ und das Interesse der Allgemeinheit am „unveränderten Fortbestand einer zur Versorgung der Bevölkerung erforderlichen Anlage“. 737 Ebenso H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 104; dazu, daß die Arbeitsplatzsicherung auch durch die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 II GG nicht in den Rang eines Verfassungsgutes gehoben wird, oben 2. Teil S. 172 ff. – Ein anderes hat jedoch zu gelten für das Allgemeininteresse der Versorgungssicherheit, wenn man diesem unabhängig von § 1 I EnWG (Energiewirtschaftsgesetz v. 7. 7. 2005 [BGBl. I, 1970]) den Status eines absoluten Gemeinschaftsguts zuspricht (grundlegend BVerfGE 30, 292 [323 f.] – Erdölbevorratung; dazu oben 2. Teil S. 172 ff.), da dieses dann bereits von Verfassungs wegen zu berücksichtigen ist und zu den genannten verfassungsrechtlich zwingenden Wertungen gehört. Allerdings ist hierbei – wie bereits mehrfach ausgeführt – ein spezifischer Bezug zu der konkret zu beurteilenden Anlage erforderlich (dazu oben 2. Teil S. 172 ff.; ferner oben S. 322 ff.), was im Rahmen nachträglicher Anordnungen jedoch eher denkbar ist als bei erst zu errichtenden Anlagen, da letztere regelmäßig auch an einem anderen Ort errichtet werden kön-
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
(2) Verbleibende Bedeutung des § 17 I 1 BImSchG Zu klären ist jedoch, ob entsprechende Allgemeininteressen nicht unabhängig von § 17 II BImSchG auch über die Ermessensklausel des § 17 I 1 BImSchG zur Geltung gebracht werden können. Da Ermessensermächtigungen rechtsmethodisch eine Ergänzung des gesetzlichen Tatbestands auf Grundlage des zugrundeliegenden Normprogramms darstellen738, muß hierzu das Normprogramm des § 17 I 1 BImSchG bestimmt werden. Dem vorgelagert ist die Frage, ob überhaupt ein eigenständiges Normprogramm des § 17 I 1 BImSchG existiert oder dieses nicht vielmehr vollständig durch die Abwägungsbelange des § 17 II BImSchG vorgegeben wird, da ansonsten dessen Grundentscheidung für eine Beschränkung auf verfassungsrechtlich zwingende Wertungen unterlaufen würde. Gegen eine solche Sicht spräche auch nicht, daß § 17 I 1 BImSchG ansonsten funktionslos würde, da ihm jedenfalls mit der Auswahl der zu ergreifenden Mittel und der Störer eine eigenständige Funktion verbliebe739. Gegen eine Beschränkung des § 17 I 1 BImSchG auf ein bloßes Auswahlermessen spricht jedoch die Formulierung in § 17 II BImSchG, wonach nachträgliche Anordnungen „nicht unverhältnismäßig“ sein dürfen. Diese negative Formulierung impliziert, daß nach § 17 II BImSchG verhältnismäßige Anordnungen denkbar sind, die gleichwohl rechtmäßig unterbleiben können, was ein eigenständiges, gegenüber § 17 II BImSchG überschießendes Entschließungsermessen voraussetzt. Die Frage ist daher nicht das „Ob“ der diesbezüglichen Berücksichtigung schutzmindernder Belange, sondern deren genaue Bestimmung740. Da § 17 I 1 BImSchG hierzu keine Aussagen zu entnehmen ist, ist ergänzend auf § 1 I BImSchG abzustellen, dem als Programmsatz die Funktion zukommt, für das gesamte BImSchG dessen Schutzgüter zu bestimmen und eine Auslegungsleitlinie bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensermächtigungen zu bilden741. Auszugehen ist daher von dem Befund, daß in § 1 I ___________ nen. Daher ist der Belang der Versorgungssicherheit jedenfalls dann zwingend in der Abwägung nach § 17 II BImSchG zu berücksichtigen, wenn durch nachträgliche Anordnungen an eine konkrete Anlage die Sicherstellung der Versorgung mit Energie eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung konkret gefährdet wäre. 738 Dazu H.-J. Koch / Rüßmann, S. 87 ff. und passim; ferner Ossenbühl, in: Erichsen / Ehlers12, § 10 Rn. 6. 739 Zur Störerauswahl Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 52; zu weiteren allein das Ermessen betreffenden Kriterien Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, Rn. 174 ff.; ferner Sellner / Reidt / Ohms3, 4. Teil Rn. 22. 740 Dies übersieht Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 179 f., der zwar zutreffend als Zweck der Ermessensermächtigung erkennt, daß alle „für die Ausfüllung des behördlichen Handlungsspielraums maßgebenden Gesichtspunkte“ zu ermitteln sind, jedoch die Frage übergeht, welches die in diesem Sinne maßgebenden sind. 741 Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 1 ff.; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 1 Rn. 1; Himmelmann, in: ders. u. a., HdbUR, B 1.1 Rn. 14.
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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BImSchG als Zweck ausschließlich genannt wird, Menschen, Tiere etc. vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu „schützen“ und dem „Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“, während in anderen umweltrechtlichen Gesetzen neben dem Schutzzweck auch ausdrücklich Förderzwecke genannt sind742. Bereits im 2. Teil wurde dargelegt, daß hieraus keine auf den Schutzzweck reduzierte Monofinalität folgt, sondern das BImSchG stets dann zugleich Immissionsermöglichungsgesetz ist, wenn es eine Immission für zulässig erklärt743. Aus der ausdrücklichen Normierung allein des Schutzzwecks und der fehlenden Befugnis des Rechtsanwenders zur originären Definition schutzbeschränkender Gemeinwohlbelange folgt jedoch, daß Förderzwecke auf der Rechtsanwendungsebene nur dann schutzmindernd berücksichtigt werden können, wenn sie entweder eine ausdrückliche gesetzliche Normierung erfahren haben oder aber zumindest interpretativ aus solchen gesetzlichen Normen erschlossen werden können, die eine notwendig mit Immissionsverursachung verbundene Aufgabe zulassen oder vorschreiben, die durch die nachträgliche Anordnung beeinträchtigt würde744. Sofern derartige Gemeinwohlbelange existieren, sind sie jedenfalls auch in der Lage, das Absehen von einer ansonsten verhältnismäßigen nachträglichen Anordnung zu rechtfertigen. Dies trifft jedoch gerade nicht auf die Arbeitsplatzsicherung zu, da diese keine spezialgesetzliche Normierung erfahren hat und die staatliche Aufgabe der Wachstumsvorsorge und aktiven Beschäftigungspolitik (vgl. Art. 109 II GG745) nur auf globaler Ebene besteht und dem Staat in hohem Maße Ermessen bei der Umsetzung in konkrete Maßnahmen zukommt; insbesondere ist diese Aufgabe niemals in Bezug auf konkrete Anlagen verdichtet. Damit gehört der Erhalt von Arbeitsplätzen auch nicht zu den Ermessenszwecken des § 17 I 1 BImSchG746.
___________ 742
Vgl. § 1 Nr. 2 GenTG; § 1 Nr. 1 AtomG a. F. (dazu oben 2. Teil S. 169 Fn. 552). Ebenso Murswiek , Verantwortung, S. 306 ff.; Bender / Sparwasser / Engel 4 , Rn. 8 / 64; H.-J. Koch, Erheblichkeitsbegriff, S. 45; gegen einen Förderzweck Jarass, BImSchG6, § 1 Rn. 17; Führ, in: GK-BImSchG, § 1 Rn. 2. 744 Im Ergebnis ähnlich Jarass, BImSchG6, § 17 Rn. 46, wonach „alle Zwecke“ zu berücksichtigen seien, die sich „aus der Gesamtheit der Rechtsvorschriften für die in Frage stehende Entscheidung entnehmen lassen“; ebenso Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 179 ff., die beide jedoch zu einer Berücksichtigung auch der Arbeitsplatzsicherheit kommen (dazu sogleich im Text). – Einschränkend H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 98 ff., 104, der den Entscheidungsmaßstab des § 17 II BImSchG auf § 17 I 1 BImSchG überträgt. 745 Zu diesem oben 2. Teil S. 172 ff. 746 Ebenso H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 98 ff.; Jankowski, S. 67. 743
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
bb) Vorsorgeanordnungen bei untergesetzlicher Konkretisierung Werden nachträgliche Anordnungen auf Grundlage abschließender untergesetzlicher Konkretisierungen erlassen, so kann den Anforderungen an ein „Abfedern“ der präventiven Grundpflichten regelmäßig nicht durch eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprochen werden, sofern diese Vorschriften nicht selbst für den Ausnahmefall eine einzelfallbezogene Ermessensoder Verhältnismäßigkeitsinstanz eröffnen747. Gleichwohl entbinden generellabstrakte Konkretisierungen nicht von den oben aufgezeigten Anforderungen des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes, so daß sie nicht nur allgemein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen, sondern gerade auch seiner spezifisch bestandsschutzrechtlichen Ausprägung. Da jedenfalls generellabstrakte Konkretisierungen in Form von Rechtsverordnungen selbst Inhaltsund Schrankenbestimmungen i. S. des Art. 14 I 2 GG sind, welche die Sozialpflichtigkeit des Art. 14 II GG aktualisieren, darf der Verordnungsgeber grundsätzlich und vorbehaltlich der nachfolgend G. zu bestimmenden Wertungsbefugnis des Normgebers untergesetzlicher Umweltstandards748 selbst weitere bestandsschutzmindernde oder -erweiternde Belange definieren, so daß der im Rahmen konkretisierender Regelungen gewährte Bestandsschutz nicht identisch sein muß mit demjenigen aus einer einzelfallbezogenen Anwendung des § 17 BImSchG. Dies führt zwar zwingend zur „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung, jedoch muß wie ausgeführt stets auch die individuelle Verhältnismäßigkeit in Ansehung des konkret betroffenen Eigentumsobjekts gewahrt sein749. Dies ist auch kein Widerspruch, da auch eine generalisierende Konkretisierung so beschaffen sein kann, daß unter Berücksichtigung möglicher zusätzlicher Gemeinwohlbelange das generelle Ergebnis zugleich einer Vielzahl gedachter individueller Verhältnismäßigkeitsprüfungen entspricht750. Problematisch ist demgegenüber der Fall, daß das generelle Ergebnis im Einzelfall zu einem unverhältnismäßigen Ergebnis führt. Hier kann jedoch durch Annahme eines atypischen Falles geholfen werden751. ___________ 747 So § 33 der 13. BImSchV a. F.; dazu Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 261 ff.; ferner H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 17 Rn. 113: § 33 13. BImSchV a. F. als „Härteklausel mit einzelwirtschaftlicher Betrachtungsweise“. Dem entspricht in der 2004 völlig neu gefaßten 13. BImSchV (dazu oben S. 416 Fn. 539) § 21 (dazu Ohms, in: Landmann / Rohmer II, 13. BImSchV Vorb. Rn. 25). – Sofern untergesetzliche Regelwerke vergleichbare Ermessens- oder Verhältnismäßigkeitsinstanzen eröffnen, kann für deren Anwendung unmittelbar das zu § 17 BImSchG entwickelte „Maßstabsprogramm“ herangezogen werden. 748 Dazu unten S. 487 ff. 749 Dazu oben S. 419 ff. 750 Dazu aus Sicht der Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG oben S. 419 ff. 751 Ebenso Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 17 Rn. 95; Frenz, in: Kotulla, § 17 Rn. 103; aus der Rspr. BVerwG, NVwZ 1995, 994 (996); NVwZ 1997, 497 (499).
F. Nachträgliche Durchsetzung der Grundpflichten
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2. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen (§§ 24, 25 II BImSchG) Auf den ersten Blick weist § 24 Satz 1 BImSchG insofern zwei wesentliche Unterschiede zu § 17 BImSchG auf, als erstens sämtliche nachträgliche Anordnungen – d. h. entgegen § 17 I 2 BImSchG auch Anordnungen zum Schutz von Leben und Gesundheit – im „normalen“ Ermessen stehen und zweitens die ausdrückliche Anordnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vergleichbar § 17 II BImSchG fehlt. Letzteres bewirkt indes keinen Unterschied in der Sache, da nach allgemeiner Auffassung zu den gesetzlichen Grenzen des Ermessens nach den §§ 40 VwVfG, 114 VwGO stets auch die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehört752. Auch der erstgenannte Punkt stellt bei näherer Betrachtung nur eine scheinbare Abweichung dar, da im Bereich des Lebens- und Gesundheitsschutzes eine 1:1-Umsetzung der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG, die bei der gebotenen systematischen Auslegung im Lichte des § 25 II BImSchG hier denselben strikten Vermeidungsstandard aufweisen wie § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG753, angesichts Art. 2 II 1 GG nicht nur generell verhältnismäßig ist, sondern die hieraus resultierende staatliche Schutzpflicht im Sinne einer Ermessensreduktion regelmäßig den Erlaß nachträglicher Anordnungen gebieten wird. Gleiches kann auch aus einer systematischen Zusammenschau mit § 25 II BImSchG geschlossen werden, der insofern nicht nur für die interpretative Korrektur der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG von Bedeutung ist: Sofern die Behörde nämlich nach § 25 II BImSchG Errichtung oder Betrieb der Anlage untersagen „soll“, wird bereits einfach-rechtlich – von atypischen Fällen abgesehen – derselbe Gleichlauf zwischen präventiver und repressiver Ebene erzielt wie bei § 17 I 2 BImSchG. In allen anderen Fällen – d. h. beim Schutz vor Nachteilen und Belästigungen und Vorsorgeanordnungen754 – stellt die im Rahmen der Ermessensbetätigung vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung das Medium zur Berücksichtigung des verfassungsrechtlich zwingend gebotenen Bestandsschutzes
___________ 752
Jarass, BImSchG6, § 24 Rn. 16; ferner oben S. 461 Fn. 727. Zur systematischen „Korrektur“ des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG oben S. 426 ff. 754 Zwar gehört eine allgemeine Vorsorgepflicht nach überwiegender Auffassung nicht zu den Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG (dazu oben S. 426 ff. mit Fn. 572), jedoch können Vorsorgeanforderungen unbestritten in Rechtsverordnungen nach § 23 BImSchG getroffen werden (Jarass, BImSchG6, § 22 Rn. 22) und insofern Gegenstand nachträglicher Anordnungen nach § 24 Satz 1 BImSchG sein. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß bei abschließenden Vorsorgeanforderungen im Sinne der „großen“ Verhältnismäßigkeit eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 24 Satz 1 BImSchG grundsätzlich auszuscheiden hat; insofern entspricht die Rechtslage der soeben S. 466 ff. dargestellten bei genehmigungsbedürftigen Anlagen. 753
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
dar755. Für die Berücksichtigung weiterer (schutzmindernder) Gesichtspunkte gilt das soeben zu § 17 I 1 BImSchG Ausgeführte entsprechend.
IV. Zusammenfassung Es kann damit als weiteres Ergebnis zur Schwerpunktfrage der Zulässigkeit wertender Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes festgehalten werden, daß auf der Ebene nachträglicher Anordnungen durch die Anforderungen des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes ein weiterer Raum eröffnet wird zur Berücksichtigung emittentenseitiger Belange, die unterhalb des § 3 I BImSchG dazu führen, daß der Einzelne ein im Vergleich zur präventiven Grundpflichtenebene höheres Maß an Immissionen hinnehmen muß. Hierbei spielen auf der gesetzlichen Ebene des § 17 BImSchG zwar Gemeinwohlbelange wie Arbeitsplatzsicherheit keine Rolle, jedoch ist bei spezialgesetzlicher „Gemeinwohldefinition“ durch untergesetzliche Konkretisierungen eine immissionsschutzbeschränkende Berücksichtigung möglich.
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards Mit den §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG existiert eine weitere Gruppe von Vorschriften, die entweder unter direkter Bezugnahme auf den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen756, auf die zu konkretisierenden Grundpflichten757 oder die Zweckklausel des § 1 I BImSchG758 Ermächtigungen beinhalten, das vom Einzelnen hinzunehmende Immissionsmaß rechtssatzmäßig durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift in sog. Grenz- oder Richtwerten zu konkretisieren. Nach diesem Regelungsmodell wird die Zulässigkeit einer Immission nicht durch Subsumtion unter gesetzliche Grundpflichten bestimmt, sondern durch Subsumtion unter sog. Umweltstandards, d. h. „Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder privatrechtliche Regelungen, durch die umweltbezogene, unbestimmte Rechtsbegriffe aufgrund der Operationalisierung und Standardisierung von meßbaren Größen in konkrete Normen umgesetzt wer___________ 755
Ebenso H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 24 Rn. 13; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 24 Rn. 27. 756 So § 7 II 1, III 1 BImSchG als Ergänzung zu § 7 I BImSchG; § 23 I 1 BImSchG. 757 So § 7 I BImSchG. 758 So § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG.
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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den“759. Nach dieser Definition fallen nicht unter den Begriff der „Umweltstandards“ die zu konkretisierenden Rechtsbegriffe selbst760, ebenso nicht solche Vorschriften in untergesetzlichen Regelwerken, die nicht in zahlenmäßigen Größen bestehen, sondern selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten und auslegungsbedürftig sind761. Damit ist der nachfolgend zugrundegelegte Begriff der Umweltstandards beschränkt auf Regelungen, die sog. Immissionswerte, Immissionsrichtwerte, Grenzwerte o. ä. enthalten762. Problematisch an dieser Regelungstechnik ist vor allem die Reduktion der differenzierten Begriffe der Gesetzesebene auf einen bloßen Zahlenwert unter Ausblendung der tatbestandlichen Komplexität der Gesetzesebene763, was es notwendig macht, diese Regelungstechnik einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Im folgenden soll „Umweltstandard“ als Oberbegriff verwendet werden für Grenz- und Richtwerte einerseits, Immissions- und Emissionswerte andererseits. Danach sind Grenzwerte solche, die zwingend feststehen und deren Unter- oder Überschreiten stets eine unmittelbare Rechtsfolge nach sich zieht764, Richtwerte im Wege einer Negativabgrenzung hingegen solche, denen diese absolute Verbindlichkeit fehlt, insbesondere weil an ihre Über- oder Unterschreitung nicht zwingend oder nicht unmittelbar eine Rechtsfolge geknüpft ist765. Grenz- und Richtwerte können dabei sowohl der Immissions- als auch Emissionssteuerung dienen766, d. h. Immissionen oder Emissionen zum Bezugspunkt haben. ___________ 759
Akademie der Wissenschaften, Umweltstandards, S. 4, 17; ähnliche Definitionen bei Lamb, S. 27; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 4; Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 1; Jarass, NJW 1987, 1225 (1225); Vogt-Beheim, S. 22; zur Herkunft des Begriffs Bönker, Umweltstandards, S. 8 ff. – Mangels Rechtsverbindlichkeit sollen vorliegend Umweltstandards in privatrechtlicher Form, etwa Normen des DIN (Deutsches Institut für Normung e. V.) oder Richtlinien des VDI (Verein Deutscher Ingenieure), außer Betracht bleiben (dazu A. Rittstieg, S. 51 ff., 68 ff.; Weitbrecht, S. 12 ff.). 760 Ebenso Bönker, Umweltstandards, S. 13 ff.; Vogt-Beheim, S. 21. 761 Wie hier ebenso Bönker, Umweltstandards, S. 14 ff.; zu den Umweltstandards im hier verwendeten Sinne zählen jedoch auch die Vorschriften über Meß- und Beurteilungsverfahren (ebenso Bönker, Umweltstandards, S. 15). 762 Zu den verschiedenen Begriffen Hüttermann, S. 28 ff., 33 ff.; ferner Winter, Einführung, S. 2 ff.; H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 47 Rn. 143 ff.; zur hier zugrundegelegten Begriffsverwendung nachfolgend im Text. – Ferner enthalten die nachfolgend darzustellenden untergesetzlichen Regelwerke neben Umweltstandards weitere Vorschriften, die sich auf das hinzunehmende Immissionsmaß auswirken, etwa Vorschriften, die zur Konkretisierung des „Standes der Technik“ Produktionsabläufe und -verfahren normieren. Hier stellen sich jedoch keine grundsätzlich anderen Probleme als bei Auslegung der Vorschriften des BImSchG selbst. 763 Zu dieser Problematik oben 2. Teil S. 203 ff.; ferner Vogt-Beheim, S. 22. 764 Vogt-Beheim, S. 27 ff., 101. 765 Vogt-Beheim, S. 100 ff.; für das Richtwertsystem der 18. BImSchV ferner Halama / Stüer, NVwZ 2003, 137 (139). 766 Zu diesen beiden Steuerungsmodellen oben S. 298 ff.
470
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
An untergesetzlichen Regelwerken zum BImSchG existieren eine Vielzahl von Rechtsverordnungen767 und mehrere Verwaltungsvorschriften, wobei allerdings nur nachfolgende für die vorliegende Fragestellung relevant sind: – TA Luft 2002 (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft)768; – 16. BImSchV (Verkehrslärmschutzverordnung)769; – 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung)770; – TA Lärm 1998 (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm)771; – 22. BImSchV (Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft)772.
I. Konkretisierungsfunktion rechtssatzmäßiger Umweltstandards 1. Wertender Charakter der Umweltstandardsetzung Wie bereits im 2. Teil ausgeführt, bedarf das Modell der gesetzlichen Rechtsfolgenbestimmungen angesichts der Unbestimmtheit zentraler Gesetzesbegriffe773 der Konkretisierung in zahlenmäßige Größen, die eine Vereinfachung und Generalisierung des Sachverhalts im Sinne einer „Reduzierung von Komplexität“ bewirken774. Sofern entsprechende Umweltstandards unmittelbar eine Aussage über das hinzunehmende Immissionsmaß treffen, stellt sich für die vorliegende Untersuchung zuallererst die Frage, nach welchen Kriterien sich die Zulässigkeit durch Umweltstandards begründeter Immissionstragungspflichten beurteilt; gesucht ist mit anderen Worten der immissionsschutzrechtliche Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Festsetzung untergesetzlicher Umweltstandards. Ein solcher wird auf einer ersten Ebene durch das Verfassungsrecht getroffen, was im 2. Teil im einzelnen dargestellt wurde. Dieser Maßstab erfährt seine inhaltliche Prägung zunächst durch die betroffenen Grundrechte, woraus eine äußerste Grenze der Begründung von Immissionstragungspflichten folgt, die zudem angesichts des dem Gesetzgeber zukommenden Einschätzungs- und ___________ 767
Dazu die Übersicht bei Jarass, BImSchG6, Einl Rn. 9 ff. Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz v. 24. 7. 2002 (GMBl. S. 511). 769 VO v. 12. 6. 1990 (BGBl. I, 1036). 770 VO v. 18. 7. 1991 (BGBl. I, 1588 / 1790). 771 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz v. 26. 8. 1998 (GMBl. S. 503). 772 VO v. 11. 9. 2002 (BGBl. I, 3626), geänd. am 13. 7. 2004 (BGBl. I, 1625). – Zur bevorstehenden Novellierung der 22. BImSchV bereits oben S. 385 Fn. 393. 773 Dazu oben 2. Teil S. 210 ff. 774 Hansmann, FS Sendler, S. 295 f.; Steinebach, S. 15 ff.; ferner Roßnagel, Technikfolgenforschung, S. 254 f. 768
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
471
Wertungsspielraums und der Befugnis zur legislativen Zweckdetermination variabel ist. Eine weitere Eingrenzung erfährt dieser Maßstab für den Verordnungsgeber und den Normgeber normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften durch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an diese Handlungsformen, die sich wie im 2. Teil ausgeführt für Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften unterschiedlich darstellen: Während der Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers eine Grenze nur nach Art. 80 I 2 GG durch die nach „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ bestimmte Ermächtigung findet und in diesem Rahmen eine Selbstdetermination durch verordnungsgeberische Zwecksetzungen zuläßt775, ist der Spielraum normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG erheblich enger und wird nach dem hier vertretenen Ansatz im Sinne eines streng gesetzesakzessorischen Gestaltungsspielraums abschließend durch den zu konkretisierenden Rechtsbegriff bestimmt776. Innerhalb dieser verfassungsrechtlichen Grenzen erfolgt eine dritte Eingrenzung des Rechtmäßigkeitsmaßstabs durch die Gesetzesebene, d. h. das BImSchG: Während sich Rechtsverordnungen nach Art. 80 I 2 GG im Rahmen des einfach-gesetzlich bestimmten Inhalts, Zwecks und Ausmaßes halten müssen, dürfen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften denjenigen Spielraum nicht überschreiten, der durch den zu konkretisierenden Rechtsbegriff vorgegeben wird. Innerhalb dieses Rahmens kann der Gesetzgeber den Rechtmäßigkeitsmaßstab jedoch beliebig enger ziehen, was oben mit dem Schlagwort der bloßen „Übersetzungsfunktion“ umschrieben wurde, bei der dem untergesetzlichen Normgeber wertungsmäßige Spielräume nicht zukommen777. Eine solche Sichtweise dürfte die Rechtsnatur der derzeit geltenden Umweltstandards jedoch nur unzutreffend erfassen, was an der verbreiteten Einschätzung deutlich wird, diese enthielten nicht nur eine „sachverständige Aussage“ über die Umsetzung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs in die „Sprache der Technik“, sondern zugleich „politische Wertungen“778. Wenn dieses Bild der Umweltstandardsetzung zutreffend sein sollte, muß die Frage im Rahmen des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes vorrangig lauten, welches diese Wertungen sind und wie sie sich auf die Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes auswirken. Da ein solches Verständnis grundsätzlich mit dem aufgezeigten äußersten Rahmen des Verfassungsrechts ___________ 775
Dazu oben 2. Teil S. 224 ff. Dazu oben 2. Teil S. 233 ff. 777 Dazu oben 2. Teil S. 224 ff. 778 So Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 6 f.; Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 2; ferner Hansmann, FS Sendler, S. 302; Winter, Einführung, S. 8; Jarass, NJW 1987, 1225 (1226); Böhm, Normmensch, S. 153; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 218 f.; Gusy, Rechtsetzung, S. 199; Denninger, Anforderungen, S. 170; aus der Rspr. OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357 (358) – Kraftwerk Buschhaus. 776
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
vereinbar ist, sind die entscheidenden Aussagen zu Art und Umfang der Wertungsbefugnis des Normgebers untergesetzlicher Umweltstandards dem einfachen Gesetzesrecht zu entnehmen. Daher sind im folgenden die Ermächtigungsnormen der §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG zu betrachten, die dem Konkretisierungsvorgang ein differenziertes Final- bzw. Konkretisierungsprogramm vorgeben und insofern darüber entscheiden, welche Wertungen in zulässiger Weise in die Umweltstandardsetzung einfließen dürfen.
2. Konkretisierungsprogramme der einzelnen Ermächtigungsgrundlagen Es ergibt sich folgender normativer Befund: – § 7 I 1 BImSchG ermächtigt „vorzuschreiben, daß die Errichtung usw. ... genehmigungsbedürftiger Anlagen zur Erfüllung der sich aus § 5 ergebenden Pflichten bestimmten Anforderungen genügen müssen“779. – § 23 I 1 BImSchG ermächtigt „vorzuschreiben, daß die Errichtung usw. ... nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen bestimmten Anforderungen zum Schutz ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen ... sowie zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen genügen müssen“. – § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG ermächtigt zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften „... über Immissionswerte, die zu dem in § 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen“; – § 48a I 1 BImSchG ermächtigt zum Erlaß von „Rechtsverordnungen über die Festsetzung von Immissions- und Emissionswerten“ „zur Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften ... zu dem in § 1 genannten Zweck“. Bereits aus diesem differenzierenden Normtext wird deutlich, daß die teilweise vertretene Ansicht, Umweltstandards dienten grundsätzlich der Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG780, grob verkürzend ist. Jedoch ist ausgehend von diesem Normtext auch die gegenteilige Ansicht, wonach Umweltstandards grundsätzlich die materiellen Grundpflichten konkretisieren781, nicht selbstverständlich, da diese zumindest in den §§ 23 und 48 BImSchG nicht genannt werden. Ganz aus dem „Rahmen“ fällt schließlich § 48a I 1 BImSchG, da die Wendung „zur Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften“ das BImSchG zur inhaltlichen Ausfüllung durch eine fremde Rechtsordnung, nämlich die ge___________ 779
Hervorh. im folgenden vom Verf. So H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 8; ähnlich Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 18d; ders., FS Feldhaus, S. 10 f., insbes. S. 22 f. 781 So Petersen, S. 167 f.; ferner Fischer, S. 44 f. 780
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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meinschaftsrechtliche, öffnet, so daß unklar ist, inwieweit dem deutschen Gesetzesrecht überhaupt noch Determinationskraft zukommt, was zumindest die Wendung „zu dem in § 1 genannten Zweck“ vermuten läßt. Im folgenden soll betrachtet werden, welche Konkretisierungsprogramme den einzelnen Ermächtigungsnormen zugrundeliegen und welche Konkretisierungsfunktion danach entsprechenden Umweltstandards zugedacht ist. Nur subsidiär können hierzu die untergesetzlichen Regelwerke selbst herangezogen werden, da diese nur dann rechtmäßige Konkretisierungen sind, wenn sie den Rahmen dieser Konkretisierungsprogramme einhalten. Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit entsprechende Umweltstandards eine abschließende Aussage treffen, die den Rückgriff die Grundpflichten sowohl zugunsten der Emittenten als auch zugunsten der Immissionsbetroffenen ausschließt. Insofern ist auch zu klären, inwieweit die Ermächtigungsnormen gerade zu einer abschließenden Regelung des hinzunehmenden Immissionsmaßes ermächtigen.
a) Umweltstandards aufgrund § 7 BImSchG aa) Konkretisierung von Abwehr- und Vorsorgepflicht § 7 I 1 BImSchG benennt als Konkretisierungsprogramm ausdrücklich die „Erfüllung der sich aus § 5 ergebenden Pflichten“782. Da bei der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG aufgrund ihres absoluten Vermeidungsstandards783 die Rechtsfolge unmittelbar an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 I BImSchG geknüpft ist, fallen hier dessen Konkretisierung und Konkretisierung des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG zusammen, so daß der oben dargestellte Streit ohne Bedeutung ist. Gleiches gilt für die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG, da für diese der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen bereits tatbestandlich keine Rolle spielt784. Im Rahmen der Konkretisierung der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG ist ferner zu beachten, daß der zwingende Rechtsgüterschutz, wie er insbesondere verfassungsrechtlich durch Art. 2 II 1 GG vorgegeben wird, in erster Linie akzeptorbezogen zu erfolgen hat, da nur dadurch im Gegensatz zu emissionsbezogenen Ansätzen der gebotene Schutz in jedem Fall gewährleistet werden kann785. Zwar werden in § 7 I 1 Nr. 1-4 BImSchG akzeptorbezogene Immissionsgrenzwerte als Inhalt möglicher Rechtsverordnungen nicht genannt, jedoch hat diese Aufzählung („insbesonde___________ 782
Jarass, BImSchG6, § 7 Rn. 4; Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 28. Dazu oben S. 319 ff. 784 Dazu oben S. 397 ff. 785 Dazu oben S. 298 ff. 783
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
re“) nur beispielhaften Charakter786, so daß auch eine akzeptorbezogene Konkretisierung der Abwehrpflicht durch verbindliche Immissionsobergrenzen möglich ist787. Konkretisierungen der Vorsorgepflicht sind demgegenüber sowohl nach § 7 I 1 Nr. 1 BImSchG als auch nach Nr. 2 möglich, indem nach Nr. 1 („technische Anforderungen“) Maßnahmen zur Emissionsminderung zur Konkretisierung des Standes der Technik nach § 5 I 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 VI BImSchG normiert788 oder nach Nr. 2 Emissionsgrenzwerte festgelegt werden, deren Einhaltung nach dem Stand der Technik möglich ist. Damit kann die Konkretisierung der Vorsorgepflicht erfolgen, indem entweder Mittel bzw. Maßnahmen oder aber zu erreichende Ziele vorgegeben werden789.
bb) Abschließender Charakter entsprechender Umweltstandards Bezüglich des abschließenden Charakters von Rechtsverordnungen nach § 7 BImSchG wird teilweise vertreten, daß diese zur Erfüllung der Grundpflichten des § 5 BImSchG lediglich Mindeststandards festlegten790. Damit wäre, wenn etwa Emissionsgrenzwerte nach § 7 I 1 Nr. 2 BImSchG nicht eingehalten sind, zwar automatisch die zu konkretisierende Grundpflicht ebenfalls nicht eingehalten, jedoch wäre diese im umgekehrten Fall nicht ebenso automatisch eingehalten, so daß ergänzende Anforderungen unter unmittelbarer Anwendung des § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG möglich wären791. Diese Ansicht ist entgegen Roßnagel angesichts des Wortlauts des § 7 I 1 BImSchG nicht selbstverständlich, denn wenn eine Anlage bestimmten „Anforderungen zur Erfüllung der sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten“ „genügt“, sind diese Pflichten in diesem Sinne auch erfüllt792. Dies spricht dafür, daß § 7 BImSchG zu einer abschließenden Konkretisierung der Grundpflichten des § 5 BImSchG in beide Richtungen ermächtigt793, so daß Raum für eine Anwendung der gesetzlichen Vorschriften ___________ 786
Jarass, BImSchG6, § 7 Rn. 5; Hoppe / Beckmann / Kauch2, § 5 Rn. 74. A. A. Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 26; ebenso Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 13 (Erstbearbeitung); Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 82; wie hier Jarass, BImSchG6, § 7 Rn. 6. 788 Dazu Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 88. 789 Dazu oben S. 401 ff. 790 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 9 ff.; Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 3 f., 35 f. (Erstbearbeitung); ders., NVwZ 1984, 409 (411). 791 So die Konzeption bei Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 10 f. 792 A. A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 9. 793 Dem wird teilweise § 17 III BImSchG entgegengehalten, wonach durch nachträgliche Auflagen aus Gründen der Vorsorge keine weitergehenden Anforderungen gestellt werden dürfen, wenn die entsprechenden Pflichten in einer Rechtsverordnung abschließend bestimmt sind. Entgegen Roßnagel (in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 12) spricht diese Regelung jedoch für die hier vertretene Ansicht, da danach Rechtsverordnungen sowohl 787
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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nur bleibt, wenn entsprechende Konkretisierungen selbst eine abschließende Geltung nicht in Anspruch nehmen. Dieser Verzicht, den gesetzlichen Ermächtigungsrahmen auszuschöpfen, ist als bloßes minus zum Konkretisierungsprogramm auch von § 7 I 1 BImSchG gedeckt794.
b) Umweltstandards aufgrund § 23 BImSchG aa) Konkretisierung der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG? Im Gegensatz zu § 7 I 1 BImSchG fehlt in § 23 I 1 BImSchG die Bezugnahme auf die Grundpflichten des § 22 BImSchG, sondern es wird unmittelbar zu „Anforderungen zum Schutz ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ und zur „Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen“ ermächtigt. Insofern stellt § 23 BImSchG zumindest formal einen gegenüber den Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG selbständigen und unabhängigen Tatbestand dar795. Fraglich ist jedoch, ob dies auch in inhaltlicher Hinsicht gilt. Letzteres hat der BayVGH in seinem Vorlagebeschluß zur Bayerischen Biergarten-Verordnung bejaht und angenommen, § 23 BImSchG lasse einerseits gegenüber § 22 BImSchG schärfere Bestimmungen zu, während andererseits der Verordnungsgeber das Schutzniveau gegenüber § 22 BImSchG auch generell absenken kön-
___________ mit abschließenden als auch nicht abschließenden Anforderungen möglich sind. Die Existenz nicht abschließender Rechtsverordnungen ist mit der hier vertretenen Auffassung ohne weiteres vereinbar, während abschließende Rechtsverordnungen dann im Widerspruch zu § 7 BImSchG stehen, wenn man die ergänzende Anwendung der gesetzlichen Grundpflichten grundsätzlich für möglich hält. 794 Ähnlich Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 12a (Erstbearbeitung); ferner Ohms, in: Landmann / Rohmer II, 13. BImSchV Vorb. Rn. 26. – Ferner wird einem abschließenden Charakter entgegengehalten, dieser sei mit der Systematik des BImSchG nicht vereinbar, da eine Anlage trotz Einhaltung von in einer Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG festgesetzten Emissionsgrenzwerten schädliche Umwelteinwirkungen verursachen könne (so Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 69). Dies ist jedoch kein Widerspruch zur hier vertretenen Ansicht, da Emissionsgrenzwerte regelmäßig allein die Vorsorgepflicht konkretisieren, nicht jedoch zugleich die Abwehrpflicht. Da § 7 BImSchG zur Konkretisierung jeder einzelnen Grundpflicht des § 5 I 1 BImSchG ermächtigt, nach § 6 I Nr. 1 BImSchG für eine Genehmigungserteilung jedoch sämtliche Grundpflichten eingehalten sein müssen, führt die Annahme eines abschließenden Charakters gerade nicht dazu, daß bei Konkretisierung nur einzelner Grundpflichten auch insgesamt die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. 795 So Herr, S. 186; ebenso BayVGH, NVwZ 1996, 483 (484) – Bayerische Biergarten-VO: „Ermächtigung ... insofern rechtlich selbständig“; ferner Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 1, 3; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 23 Rn. 1, 14; Roßnagel, in: GKBImSchG, § 23 Rn. 5 ff.; Seiler, S. 71 ff.; Kutscheidt, NVwZ 1983, 65 (68 f.); Enders, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 22 Rn. 2.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ne796. Diese Konzeption führt zwingend zum abschließenden Charakter entsprechender Umweltstandards, da ansonsten die generelle Absenkung des Schutzniveaus stets an den strengeren Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG scheitern müßte. Nach dieser Ansicht würden die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG keine Maßstabswirkung für die Festsetzung des zulässigen Immissionsmaßes in Rechtsverordnungen nach § 23 BImSchG entfalten und wären insofern auch nicht Konkretisierungsobjekt797. Demgegenüber hat das BVerwG in der Revisionsentscheidung als Zweck von Rechtsverordnungen nach § 23 BImSchG benannt, „die in § 22 I 1 BImSchG geregelten Betreiberpflichten durch unmittelbar durchsetzbare Vorschriften zu konkretisieren“; daneben könnten sie auch „zusätzliche, über die Grundpflichten des § 22 BImSchG hinausgehende (Vorsorge-) Anforderungen enthalten“798. Ferner soll dann, wenn die untergesetzliche Konkretisierung die abstrakten Anforderungen der Grundpflichten nicht „ausschöpfe, etwa weil sie schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, nicht verhindert oder, soweit diese unvermeidbar sind, nicht auf das rechtlich gebotene Mindestmaß beschränkt“, die „gesetzliche Regelung ein(greifen), die dann ... für den jeweiligen Einzelfall ... zu konkretisieren (sei)“799.
(1) § 23 BImSchG kein selbständiger Tatbestand Für ein Verständnis des § 23 BImSchG als auch inhaltlich gegenüber § 22 BImSchG selbständiger Tatbestand könnte zunächst der Wortlaut des § 23 I 1 BImSchG sprechen, so daß das Konkretisierungsprogramm des § 23 BImSchG abschließend in der Wendung „zum Schutz ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ enthalten wäre. Problematisch hieran ist jedoch, daß diese Wendung als alleiniger Rechtmäßigkeitsmaßstab zu unbestimmt sein könnte, da er dem untergesetzlichen Normgeber nur eine Richtung, nicht jedoch Grenzen vorgibt800. Zwar findet sich der Begriff des „Schutzes“ mehrfach im BImSchG, ___________ 796 BayVGH, NVwZ 1996, 483 (486); zu den Hintergründen des Streits Jahn, JuS 1996, 976 ff.; ferner die auf den Vorlagebeschluß des BayVGH ergangene „Antwort“ BVerwG, NVwZ 1996, 1025 ff.; zum Gesamten Jahn, NVwZ 1996, 663 ff. 797 Eine weitere Konzeption findet sich in der Kommentarlit., wo zwar die Prämisse des § 23 BImSchG als von § 22 BImSchG gelöster Tatbestand geteilt, das Schutzniveau des § 22 BImSchG jedoch als Mindeststandard verstanden wird, das von Rechtsverordnungen nach § 23 BImSchG grundsätzlich nicht unterschritten werden dürfe (so Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 6, 49 f.; Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 1, 3; Enders, in: Giesberts / Reinhardt, BeckOK BImSchG § 22 Rn. 2). 798 BVerwGE 108, 260 (263) – Bayerische Biergarten-VO (Hervorh. vom Verf.). 799 BVerwGE 108, 260 (265) – Bayerische Biergarten-VO. 800 Entsprechend sieht der BayVGH in seinem Vorlagebeschluß § 23 I 1 BImSchG letztlich als bloßes Finalprogramm (NVwZ 1996, 483 [486]).
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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nämlich in § 1 I BImSchG, wo er der Vorsorge gegenüber gestellt wird, ferner in den §§ 32 I 1, 34 I 1, 35 I 1, 38 II 1 BImSchG und in der Grundpflicht des § 38 I 1 BImSchG. Gerade für die letztgenannten Vorschriften ist jedoch nicht nur anerkannt, daß „Schutz“ in einem untechnischen Sinne zu verstehen ist, der auch Vorsorge mitumfaßt801, sondern es wird „Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ stillschweigend entweder gleichgesetzt mit der Rechtsfolge der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG oder allgemein mit Gefahrenabwehr802, womit § 23 I 1 BImSchG der Charakter einer reinen Finalnorm genommen würde. § 1 I BImSchG schließlich definiert selbst keine Rechtsfolgen, sondern überläßt dies den nachfolgenden Grundpflichten. Daraus folgt zunächst, daß die Wendung „zum Schutz ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ einer Interpretation im Sinne eines an die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG angebundenen Tatbestands grundsätzlich zugänglich ist, da erst diese Grundpflichten bestimmen, welcher Schutz von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen zu leisten ist. Da ferner die Grundpflichten nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen mit § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG ausdrücklich nur eine partiell verminderte Gefahrenabwehr normieren, kann auch gesagt werden, daß sowohl § 22 I 1 Nr. 1 als auch § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG dem „Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ dienen, womit zugleich die oben geäußerten Bestimmtheitsbedenken ausgeräumt sind. Gegen ein Verständnis des § 23 BImSchG als inhaltlich selbständiger Tatbestand spricht schließlich, daß ansonsten dem Verordnungsgeber notwendig die Befugnis zukommen müßte, das Schutzniveau gegenüber § 22 I 1 BImSchG beliebig anheben und absenken zu können, womit § 22 I 1 BImSchG als Maßstab vollständig eliminiert wäre803 und die Begründung von Immissionstragungspflichten nur noch eine äußerste Grenze in den im 2. Teil dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen finden würde. Ein solches „Überspringen“ der Gesetzesebene stellt jedoch einen Verstoß gegen Art. 80 I 2 GG dar, nach dem exekutive Rechtsetzung stets auch der inhaltlichen Determination durch das ermächtigende Gesetz bedarf804. Wird diese Determination aber durch die ___________ 801
Zu diesen Vorschriften Jarass, Systematik, S. 384; ders., BImSchG6, § 1 Rn. 13. Dazu Scheuing, in: GK-BImSchG, Vor §§ 32-37, Rn. 89. 803 Hierzu führt der BayVGH aus, die inhaltlichen Grenzen des Verordnungsgebers seien „mit bloßen Zielvorgaben umrissen“, die überdies „eher vage“ seien; Gesamtziel sei „im Grunde eine gerechte Abwägung zwischen den Entfaltungsinteressen der Anlagenbetreiber einerseits und den Immissionsschutz- bzw. -vorsorgeinteressen Betroffener andererseits“ (NVwZ 1996, 483 [486]). Damit erkennt der BayVGH im Ergebnis den Maßstabsverlust der gesetzlichen Regelungsebene an, da er eine Antwort darauf schuldig bleibt, wie die von ihm postulierte Abwägung jenseits äußerster verfassungsrechtlicher Grenzen inhaltlich determiniert wird. 804 Zu Art. 80 I 2 GG oben 2. Teil S. 224 ff. – Wenn der BayVGH (NVwZ 1996, 483 [486]) demgegenüber ausführt, § 23 I 1 BImSchG sei i. S. des Art. 80 I 2 GG nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt, und dies mit Hinweis auf Roßnagel be802
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Wendung „zum Schutz ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ geleistet, so muß diese so interpretiert werden, daß ihr eine auch Art. 80 I 2 GG genügende Determinationskraft zukommt. Dies wäre nicht der Fall bei einem bloßen Finalprogramm, welches das verfassungsrechtliche Abwägungsprogramm nur auf die untergesetzliche Ebene „durchreicht“805. Diese Determinationskraft stellt sich jedoch automatisch ein, wenn man „Schutz“ i. S. des § 23 I 1 BImSchG wie ausgeführt als Synonym für diejenigen Rechtsfolgen versteht, die von den maßgeblichen Grundpflichten begründet werden. Möglich erscheint auf dieser Basis ferner ein Verständnis, wonach die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG stets einen Mindeststandard bilden, „zum Schutz ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ jedoch auch weitergehende Anforderungen zulässig sind806. Dem steht jedoch entgegen, daß § 23 I 1 BImSchG ausdrücklich auch zu Vorsorgeanordnungen ermächtigt, so daß alle Maßnahmen, die über denjenigen „Schutz“ hinausgehen, den § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG in spezifischer Weise definieren, letztlich Maßnahmen der Vorsorge sind. Insofern wäre ein solches Verständnis nur geeignet, die spezifischen Grenzen für Vorsorgeanforderungen zu verdunkeln. Im übrigen findet die fehlende ausdrückliche Bezugnahme auf die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG in § 23 I 1 BImSchG bereits dadurch eine plausible Begründung, daß § 23 BImSchG in der seit 1990 gültigen Fassung807 auch zu Vorsorgeanforderungen ermächtigt, die nach h. M. gerade nicht von § 22 I 1 BImSchG erfaßt sind808, weshalb ein ausdrücklicher Bezug auf die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG untunlich gewesen wäre809. Es ist daher der Ansicht des BVerwG zu folgen810, wonach das Konkretisierungsprogramm des § 23 BImSchG in der Konkretisierung der Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG besteht.
___________ gründet (vgl. Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 23 Rn. 44; der BayVGH zitiert die Erstbearbeitung), so muß beachtet werden, daß Roßnagel eine abweichende Konzeption vertritt, in der die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG einen Mindeststandard für Anforderungen nach § 23 BImSchG darstellen (dazu soeben Fn. 797). In dieser Konzeption kommt § 23 I 1 BImSchG aber eine deutliche höhere tatbestandliche Determinationskraft zu als im Modell des BayVGH. 805 So aber die Konsequenz aus dem Modell des BayVGH. 806 So Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 22 Rn. 49 f.; Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 3; ferner für die 26. BImSchV Hochhuth, JZ 2004, 283 (288). 807 Art. 1 Nr. 10 des Dritten G zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes v. 11. 5. 1990 (BGBl. I, 870). 808 Dazu oben S. 322 Fn. 118; a. A. Hansmann, NVwZ 1991, 829 (831 ff.); ders., Vorsorgepflichten, S. 10 ff.; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 15. 809 Ebenso BVerwGE 108, 260 (264 f.) – Bayerische Biergarten-VO. 810 BVerwGE 108, 260 (263) – Bayerische Biergarten-VO.
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
479
(2) Minderungspflicht als neuralgischer Punkt Sieht man auf dieser Grundlage auch die Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG als Konkretisierungsobjekt des § 23 BImSchG, stellen sich Folgeprobleme: Zwar steht wie ausgeführt der Wortlaut des § 23 I 1 BImSchG („zum Schutz“) einem Einbezug der Minderungspflicht auch insofern nicht entgegen, als diese die begrenzte Zulässigkeit von Immissionen oberhalb der Schwelle des § 3 I BImSchG zum Gegenstand hat811. Sieht man jedoch in Umweltstandards nach § 23 BImSchG – etwa einheitlichen Lärmgrenz- oder -richtwerten812 – stets sämtliche Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG konkretisiert, würde die Minderungspflicht möglicherweise ihrer spezifischen Funktion beraubt, da das zulässige Immissionsmaß unabhängig davon feststünde, ob im Einzelfall nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG auch Nachteile und Belästigungen oberhalb der Schwelle des § 3 I BImSchG zulässig sind. In diesem Fall wäre fraglich, inwieweit die Anwendung entsprechender Umweltstandards noch in der Lage ist, die oben E. dargestellten und verfassungsgebotenen Wertungen aufzunehmen, deren rechtstechnisches Medium die Minderungspflicht ist813. Zu suchen ist daher nach einer Lösung, bei der auch im Rahmen des § 23 BImSchG Wertungen im Sinne der Minderungspflicht zur Geltung gebracht werden können. Dies kann dadurch erfolgen, daß man Vermeidungspflicht nach Nr. 1 und Minderungspflicht nach Nr. 2 konsequent als eigenständige Konkretisierungsobjekte des § 23 BImSchG betrachtet, so daß dann, wenn der Verordnungsgeber einen einheitlichen Immissionsgrenz- oder -richtwert normiert, stets zu fragen ist, ob damit gerade auch die Minderungspflicht konkretisiert werden sollte, was angesichts deren Wertungsbedürftigkeit nicht selbstverständlich ist. Insofern darf der Verordnungsgeber die Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG nicht in einen Topf werfen und muß neben der Konkretisierung der „Regel“ nach Nr. 1 stets auch eine Konkretisierung der Durchbrechung nach Nr. 2 mit bedenken. Da der Verordnungsgeber dieses Konkretisierungsprogramm jedoch nicht ausschöpfen muß, steht einer ergänzenden einzelfallbezogenen Anwendung der Minderungspflicht dann nichts entgegen, wenn der Verordnungsgeber erkennbar nur die Vermeidungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG konkretisiert hat. ___________ 811
Dazu oben S. 426 ff. Dazu, daß § 23 I 1 BImSchG auch zum Erlaß von Immissionsgrenz- oder -richtwerten ermächtigt, Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 8; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 23 Rn. 26; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 23 Rn. 93; Herr, S. 183; ferner OVG Münster, NVwZ 1994, 1018 (1018); a. A. Berkemann, NVwZ 1992, 817 (826). – Da der Anforderungskatalog des § 23 I 1 BImSchG nicht abschließend ist („insbesondere“), ist es unschädlich, daß Immissionsgrenz- bzw. -richtwerte in Nr. 1-5 nicht ausdrücklich genannt sind (ebenso Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 22 Rn. 26; Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 8). 813 Dazu oben S. 431 ff. 812
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
bb) Abschließender Charakter entsprechender Umweltstandards An dieser Stelle kann nun auch eine Aussage über den abschließenden Charakter von Umweltstandards nach § 23 BImSchG getroffen werden: Ob gerade auch eine Konkretisierung der Minderungspflicht erfolgen soll, ist dem Geltungsanspruch des jeweiligen Umweltstandards zu entnehmen, welcher wiederum durch Auslegung zu bestimmen ist814. Erfolgt hierbei auch eine (eigenständige) Konkretisierung der Minderungspflicht, können auch für diese die allgemeinen Vorzüge generell-abstrakter Konkretisierungen fruchtbar gemacht werden815, da das Mindestmaß nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG dann in hohem Maße einer Konkretisierung zugänglich ist, wenn es darum geht, öffentliche Interessen, die der staatlichen Definitionskompetenz unterliegen, als Rechtfertigung einer Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG generellabstrakt zu typisieren und zu gewichten816. Damit wird nicht verkannt, daß dies auf Schwierigkeiten stößt, wenn es um die Berücksichtigung solcher Belange geht, die nicht dieser Definitionskompetenz unterliegen, da hier eine generellabstrakte Konkretisierung der Vielgestaltigkeit der zu regelnden Sachverhalte nicht stets Rechnung tragen kann. Verfügt hier die Konkretisierung nicht über die erforderliche „Elastizität“, können verfassungsrechtlich notwendige Wertungen jedoch über die Annahme eines atypischen Falles auch dort zur Anwendung gebracht werden, wo entsprechende Wertungsinstanzen normtextlich ausgeschlossen sind; hierauf wird zurückzukommen sein817. Im übrigen spricht bereits die dem BImSchG zugrundeliegende Regelungstechnik der Überlagerung der grundsätzlich einzelfallbezogenen Anwendung der gesetzlichen Grundpflichten durch leichter handhabbare untergesetzliche Umweltstandards818 dafür, daß letzteren abschließender Anwendungsvorrang gegenüber der Gesetzesebene verliehen werden kann, da der Rationalitätsgewinn rechtssatzmäßiger Umweltstandards in der praktischen Rechtsanwendung ___________ 814
Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 267; Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 53. Zu diesen Gründen oben S. 470 ff.; ferner Hansmann, FS Sendler, S. 285 f. 816 Beispiel hierfür sind die Vorschriften über „seltene Ereignisse“, wonach eine Anlage grundsätzlich bestimmte Immissionswerte einzuhalten hat, Abweichungen aber in zahlenmäßig beschränkten Anlässen zulässig sind (dazu Herr, S. 110 ff.; Papier, Freizeitlärm, S. 142; H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 198; im übrigen oben S. 436 Fn. 623). Hier kann zwar die abstrakte Notwendigkeit einer derartigen Regelung aus § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG gefolgert werden, nicht jedoch das konkrete Ausmaß zulässiger Abweichungen (etwa an 10, 15 oder 20 Tagen im Jahr). Hier kommt der untergesetzlichen Konkretisierung die Aufgabe zu, dieses dezisionistisch auf einen bestimmten Wert festzusetzen. – Dem entspricht die Konzeption 18. BImSchV, die mit den Regelungen zu seltenen Ereignissen in § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 des Anhangs eine Konkretisierung der Minderungspflicht enthält (dazu H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 198). 817 Dazu unten S. 506 ff. 818 Dazu oben S. 468 ff. 815
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
481
zunichte gemacht würde, wenn stets zugleich Rechtsbegriffe der Gesetzesebene anzuwenden wären. Zwar können durch Annahme eines grundsätzlich abschließenden Charakters untergesetzlicher Umweltstandards vordergründig Widersprüche zur höherrangigen Gesetzesebene entstehen, wenn Grenzwerte festgesetzt werden, die eindeutig oberhalb der Schädlichkeitsschwelle des § 3 I i. V. m. § 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG liegen und daher nicht mehr dem „Schutz“ i. S. des 23 I 1 BImSchG dienen. Indes ist dies ein Scheinproblem, wenn man erkennt, daß eine gegenüber der Gesetzesebene abschließende Wirkung nur solchen Umweltstandards zukommen kann, die die Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG rechtmäßig konkretisieren, was sich an der Entscheidung des BVerwG zur bayerischen Biergarten-VO illustrieren läßt: Vordergründig scheint die Aussage, wonach ein Rückgriff auf die Gesetzesebene möglich sein soll819, in Widerspruch zu stehen mit der Rspr. zu den Immissionsrichtwerten der 18. BImSchV, die das BVerwG als verbindliche und abschließende Konkretisierung der Zumutbarkeit von Sportlärm qualifiziert820 und insofern den Rückgriff auf § 22 I 1 BImSchG kategorisch ausschließt821. Dieser (scheinbare) Widerspruch erklärt sich jedoch dadurch, daß die bayerische Biergarten-Verordnung eine rechtswidrige Konkretisierung darstellte, da sie Lärmimmissionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums pauschal für unbeachtlich erklärte822. Demgegenüber sprechen für einen abschließenden Charakter entsprechender Immissionsgrenz- oder -richtwerte auch die weiteren Ausführungen des BVerwG in der Biergarten-Entscheidung, wo das Gericht in ___________ 819
Vgl. das Zitat oben S. 475 ff. BVerwGE 109, 314 (319); 109, 246 (249); ebenso NVwZ 1995, 993 (993 f.); danach enthält die 18. BImSchV die konkreten „Vorgaben für die rechtliche Beurteilung des lärmbezogenen Nutzungskonflikts zwischen Sportanlagen und Nachbargrundstükken. Soweit die Sportanlagenlärmschutzverordnung den Sachbereich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung durch hinreichend bestimmte und nicht ihrerseits ausfüllungsbedürftige normative Vorgaben regelt, sind diese Regelungen für die Beurteilung von Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit des Lärms verbindlich“; ebenso Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 18d; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 23 Rn. 151; Gierke, in: Brügelmann, BauGB I, § 1 Rn. 631. – A. A. Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 29; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 203; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 323. 821 Dazu, daß der Begriff der „Immissionsrichtwerte“ in § 2 I, II 18. BImSchV nicht zwingend gegen einen abschließenden Charakter spricht, Uechtritz, FS Hoppe, S. 578; zur Unterscheidung von Grenz- und Richtwerten im übrigen oben S. 468 ff. 822 § 2 der bayerischen Verordnung zur Regelung der Nutzungszeiten in Biergärten (Bayerische Biergärten-NutzungszeitenVO) v. 27. 6. 1995 (GVBl. S. 311) lautete: „Von Biergärten einschließlich des ihnen zurechenbaren Straßenverkehrs gehen keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG aus, wenn spätestens – Musikdarbietungen um 22:00 Uhr enden, – die Verabreichung von Getränken und Speisen um 22:30 Uhr endet und – die Betriebszeit so endet, daß der zurechenbare Straßenverkehr bis 23:00 Uhr abgewickelt ist“. 820
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Übereinstimmung mit seiner Rspr. zur 18. BImSchV feststellt, daß die Zumutbarkeit von Lärm in besonderem Maße von Wertungen geprägt sei und unterschiedlicher Beurteilung im Einzelfall unterliege: „Der zu einer solchen Bewertung vorrangig berufene Verordnungsgeber ist daher befugt, die im Gesetz allgemein umschriebene Schwelle zumutbarer Lärmeinwirkungen (§ 3 I BImSchG) aufgrund abstrakt-genereller Abwägung der widerstreitenden Interessen dergestalt verbindlich festzulegen, daß für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Zumutbarkeit nur ausnahmsweise Raum ist ...“823
Damit ist zugleich die Grundsatzfrage angesprochen, ob die Konkretisierungsleistung untergesetzlicher Umweltstandards lediglich in einer rechtstechnischen „Übersetzung“ der gesetzlichen Anforderungen besteht oder offen ist für die Aufnahme ergänzender Wertungen. Letzteres Verständnis liegt nahe, wenn man § 23 BImSchG wie das BVerwG als Ermächtigung gerade zu typisierender Regelung sieht824, denn eine solche kann die einzelfallorientierte Ausdifferenzierung des gesetzlichen Rechtsfolgenmodells grundsätzlich nur eingeschränkt nachvollziehen, so daß zwangsläufig Fälle entstehen, in denen ein untergesetzlicher Immissionswert mal oberhalb, mal unterhalb desjenigen Niveaus liegt, das sich bei einer einzelfallbezogenen Konkretisierung ergeben würde. Diese typisierende Funktionsweise generell-abstrakter Umweltstandards wird in der Biergarten-Entscheidung jedoch ausdrücklich gebilligt825 und ist bereits in der Regelungstechnik konkretisierender untergesetzlicher Umweltstandards angelegt, wie sie in den §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG normiert ist. Im übrigen ist sowohl im Rahmen der 18. BImSchV als auch der bayerischen Biergarten-VO zu beachten, daß es in beiden Fällen allein um den unterhalb der Gefahrenschwelle des § 3 I BImSchG angesiedelten Schutz vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen durch Lärm ging. Hier besteht die Besonderheit, daß bei dem hier zu konkretisierenden Erheblichkeitsbegriff zwar wie oben B. ausgeführt das Bebauungsrecht das gebietsadäquate Immissionsniveau als elementare Struktur vorgibt, dessen Festsetzung auf ein konkretes (quantitatives) Immissionsniveau jedoch dem Immissionsschutzrecht überläßt826. Hierbei be___________ 823
BVerwGE 108, 260 (265) – Hervorh. vom Verf. BVerwGE 108, 260 (266) – Bayerische Biergarten-VO. 825 Vgl. soeben Fn. 824; ferner BVerwG, NVwZ 1995, 993 (993 f.) zur 18. BImSchV: „... Die Sportanlagenlärmschutzverordnung zielt ... darauf, die bisherige einzelfallbezogene Beurteilung anhand unbestimmter Rechtsbegriffe durch ein differenziertes Regelungssystem zu ersetzen, das auf der Grundlage allgemeingültiger Immissionsrichtwerte und Beurteilungsgrundsätze eine interessengerechte und gleichmäßige Bewertung der belästigenden Wirkung von Sportlärm ermöglicht ... Die verbindliche Festlegung von Immissionsrichtwerten und Beurteilungsgrundsätzen, die auf abstrakt-genereller Abwägung der widerstreitenden Interessen beruhen, dient der Rechtssicherheit in einem Bereich, der in besonderem Maße von Wertungen geprägt und daher höchst unterschiedlicher Beurteilung im Einzelfall ausgesetzt ist“. 826 Dazu oben S. 357 ff., 367 ff. 824
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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stimmen die Baugebiete der BauNVO zwar das abstrakte „Anforderungsprofil“ für die zuzuweisenden Immissionsniveaus, nicht jedoch deren quantitative Höhe, d. h. ob etwa in einem allgemeinen Wohngebiet ein Lärmniveau tagsüber von 54, 55 oder 56 dB(A) geboten ist. Daher muß eine Rechtsverordnung, welche die Grundpflichten des § 22 I 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG zum Schutz vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen konkretisiert, eine zweifache Konkretisierungsleistung erbringen, nämlich erstens innerhalb der Erheblichkeit die Bestimmung eines konkreten (quantitativen) gebietsadäquaten Immissionsniveaus, und zweitens die (generell-abstrakte) Zulassung begrenzter Durchbrechungen nach Maßgabe der Minderungspflicht. Diesen Anforderungen wurde § 2 Bayerische Biergarten-NutzungszeitenVO evidentermaßen nicht gerecht, da hierin nicht einmal ansatzweise ein gebietsadäquates Immissionsniveau bestimmt, sondern vielmehr ein „Freibrief“ für beliebige Immissionsverursachung erteilt wurde827. Insofern sind die Aussagen des BVerwG zur unmittelbaren Heranziehung der gesetzlichen Grundpflichten in der Biergarten-Entscheidung vor dem Hintergrund dieser rechtswidrigen Konkretisierung zu sehen und beanspruchen gerade keine Geltung im Rahmen rechtmäßiger Konkretisierungen, es sei denn, der Verordnungsgeber hat das Konkretisierungsprogramm des § 23 I 1 BImSchG durch abschließende Regelungen nicht ausgeschöpft.
c) Umweltstandards aufgrund § 48 BImSchG § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG bestimmt das Konkretisierungsprogramm, indem er zu „Immissionswerten“ ermächtigt, die „zu dem in § 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen“. Da Schutz und Vorsorge in § 1 I BImSchG wie ausgeführt Synonyma für diejenigen Rechtsfolgen sind, die in den nachfolgenden Grundpflichten ihre Ausgestaltung erfahren828, ermächtigt § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG allgemein dazu, das zulässige Maß an Immissionsverursachung auf demjenigen Niveau zu konkretisieren, wie es sich als Rechtsfolge aus den materiellen Grundpflichten des Gesetzes ergeben würde. Damit ist insbesondere auch die Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG Objekt der Konkretisierung829, so daß auf die Ausführungen soeben zu § 23 BImSchG verwiesen werden kann. Im übrigen beschränkt § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG Immissionswerte nicht auf die Schutzfunktion, sondern läßt diese durch den Verweis auf
___________ 827 Ähnlich Jahn, JuS 1996, 976 (979); Kloepfer, UmweltR3, § 14 Rn. 209; Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 23 Rn. 51. 828 Dazu oben S. 476 ff. 829 Ebenso H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 48 Rn. 45; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 48 Rn. 33 f.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
§ 1 I BImSchG auch zur Vorsorge zu, so daß die Vorsorgepflicht auch in ihrer immissionsbezogenen Variante zur Anwendung kommen kann830. Ausgehend hiervon beantwortet sich auch die umstrittene Frage, ob die „Immissionswerte“ des § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG „echte“ Grenzwerte mit abschließendem Aussagegehalt sind oder auch Richt- oder Orientierungswerte zulässig sind831: Immissionswerte sind jedenfalls dann grundsätzlich Grenzwerte, wenn die zu konkretisierende Vorschrift wie im Fall des § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG dem zwingenden Rechtsgüterschutz dient und einen kategorischen Vermeidungsstandard enthält. Im übrigen wird in den Fällen der immissionsbezogenen Vorsorge und des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG das hinzunehmende Immissionsmaß bereits auf der Gesetzesebene durch ergänzende Wertungen bestimmt, so daß der Normgeber gehalten sein kann, eine Gestaltung – etwa durch Richtwerte – zu wählen, die diesen differenzierten Anforderungen genügt, was ihm um so eher möglich ist, als auch § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG („insbesondere“) keine abschließenden Festsetzungen enthält832. § 48 Satz 1 Nr. 1 BImSchG räumt daher dem Normgeber einen Gestaltungsspielraum ein, der sich mit H.-J. Koch dahin umschreiben läßt, daß „alle diejenigen Gestaltungen zulässig sind, die in gesetzeskonformer Weise dem Schutz- oder Vorsorgegebot dienen“833. Welche Gestaltung einem Umweltstandard nach § 48 BImSchG zugrundeliegt, ist daher in erster Linie dem Umweltstandard selbst zu entnehmen834. § 48 Satz 1 Nr. 2 BImSchG ermächtigt demgegenüber zu „Emissionswerten, deren Überschreiten nach dem Stand der Technik vermeidbar ist“. Damit stellt § 48 Satz 1 Nr. 2 BImSchG nicht darauf ab, ob die Emissionsverursachung ___________ 830
H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 48 Rn. 44. Zu diesem Streit ausführlich Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 48 Rn. 28 ff. 832 Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48 Rn. 26. – Im übrigen enthält die TA Lärm 1998 in Nr. 4.3 eine besondere Regelung der Minderungspflicht, die im wesentlichen § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG wiedergibt und deren Wirkung darin besteht, von der Einhaltung der Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 zu entbinden (Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Lärm Nr. 4 Rn. 25 ff.; ferner Ch. Müller, S. 211 f.). – Beachtet man ferner, daß in § 5 I 1 Nr. 1 und § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG die schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 I BImSchG die akzeptorbezogene Obergrenze des zulässigen Immissionsmaßes bilden, ergibt sich, daß durch die Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 TA Lärm 1998 sowohl diese Grundpflichten als auch der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert werden, denn beide Grundpflichten verweisen bezüglich des zulässigen Immissionsniveaus unmittelbar auf § 3 I BImSchG. Demgegenüber wird die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG von Nr. 6.1 TA Lärm 1998 nicht erfaßt, sondern hat in Nr. 3.3 eine Nr. 4.3 vergleichbare Sonderregelung ohne Verweis auf die Immissionswerte der Nr. 6.1 und unter Betonung der einzelfallbezogenen Betrachtung erfahren (dazu Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Lärm Nr. 3 Rn. 51 ff.). Insofern ermöglicht auch die TA Lärm 1998 die Abschichtung zwischen Erheblichkeit nach § 3 I BImSchG und Mindestmaß nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG (dazu oben S. 355 ff.). 833 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 48 Rn. 44. 834 Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 6; Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48 Rn. 32. 831
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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nach dem Stand der Technik vermeidbar ist, was auch im Sinne einer einseitigen Obergrenze interpretiert werden könnte, sondern ob gerade das „Überschreiten“ nach dem Stand der Technik „vermeidbar“ ist. § 48 Satz 1 Nr. 2 BImSchG geht daher davon aus, daß Emissionswerten ein nach beiden Seiten abschließender Charakter verliehen werden kann, wobei es aufgrund des Regelbeispielcharakters der Nr. 2 dem Normgeber unbenommen bleibt, auf die Definition abschließender Grenzwerte zu verzichten und zusätzlich eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung zu eröffnen835. Entsprechend vertritt das BVerwG die Ansicht, die Emissionsgrenzwerte der TA Luft legten das „Maß der gebotenen Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen fest“836, was auf eine abschließende Rechtsfolge hindeutet837. Es ist daher konsequent, daß das BVerwG den Emissionsgrenzwerten der TA Luft die Funktion von „echte(n) Grenzwerte(n), bei deren Umsetzung grundsätzlich weder nach oben oder nach unten abgewichen werden darf“, zuspricht838. Dies entspricht auch dem oben D. entwickelten Verständnis des „Standes der Technik“ als abschließendem partiell-generellen Verhältnismäßigkeitsstandard839.
d) Umweltstandards aufgrund § 48a BImSchG In der Ermächtigung des § 48a I 1 BImSchG wird das Konkretisierungsprogramm durch die Wendungen „zur Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften“ (im folgenden „Erfüllungsklausel“) und „zu dem in § 1 genannten Zweck“ (im folgenden „Zweckklausel“) bestimmt. Da Schutz und Vorsorge in § 1 I BImSchG wie ausgeführt Synonyma für diejenigen Rechtsfolgen sind, die in den nachfolgenden Grundpflichten normiert werden, könnte die „Zweckklausel“ dahin interpretiert werden, daß auch nach § 48a I 1 BImSchG das zulässige Maß an Immissionsverursachung auf einem Niveau zu konkretisieren ist, wie es sich als Rechtsfolge aus den Grundpflichten des BImSchG ergibt. Indes könnte ein solches Verständnis im Widerspruch zur „Erfüllungsklausel“ stehen, da § 48a I 1 BImSchG ausdrücklich zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Immissionsrichtlinien geschaffen wurde840, nachdem der EuGH deren Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften nach § 48 ___________ 835
In diesem Sinne auch H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 48 Rn. 50. So BVerwGE 114, 342 (344 f.); ebenso NVwZ 1995, 994 (994). 837 Entsprechend geht das Gericht davon aus, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bereits im Rahmen dieser Konkretisierung ausreichend berücksichtigt wurde, so daß eine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall nur noch bei „atypischen Sachverhaltslagen in Betracht“ komme (BVerwG, NVwZ 1997, 497 [499]). 838 So BVerwGE 114, 342 (345). 839 Dazu oben S. 417 ff. 840 Scheuing, in: GK-BImSchG, § 48a Rn. 4. 836
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
BImSchG für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt hatte841. Wenn aber – worauf Scheuing zutreffend hinweist – gemeinschaftsrechtliche Immissionsrichtlinien regelmäßig ein Konglomerat an Zwecken verfolgen, das neben umweltpolitischen insbesondere auch wirtschaftspolitische Zielsetzungen enthalten kann842, schlägt diese Zweckpluralität notwendig auf Verordnungen nach § 48a BImSchG durch. Da ferner EG-rechtliche Vorgaben nationalem Recht vorgehen843, könnte die „Zweckklausel“ unter dem latenten Vorbehalt stehen, daß das umzusetzende EG-Recht selbst diesen Zwecken entspricht, was aufgrund der Eigenständigkeit des umweltschutzrechtlichen Maßstabsprogramms des Europarechts (vgl. Art. 174 EGV) jedenfalls nicht selbstverständlich ist844. Indes ist diese Sicht verkürzend, da Art. 176 EGV für Richtlinien, die auf Grundlage des Art. 175 EGV erlassen wurden, ausdrücklich den Mitgliedstaaten das Recht einräumt, „verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen“. Damit gewinnt die „Zweckklausel“ insofern eigenständige Bedeutung, als sie als (nationaler) Mindeststandard verstanden werden kann, der auch bei „Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften“ ___________ 841
EuGH v. 30. 5. 1991, NVwZ 1991, 866 ff., 868 f.; dazu oben 2. Teil S. 228 Fn. 812; ferner Scheuing, in: GK-BImSchG, § 48a Rn. 22 ff. 842 So Scheuing, in: GK-BImSchG, § 48a Rn. 29; Scheuing nennt hier insbesondere die gemeinschaftsweite Vereinheitlichung entsprechender Produktions- und Verwendungsregelungen zur Beseitigung und zur Vermeidung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt; ebenso ders., in: GK-BImSchG, § 37 Rn. 19; zu den diesbezüglichen Zielkonflikten ferner Bieber / Epiney / Haag, § 32 Rn. 23; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 108, dort auch zum Streit, ob das in Artt. 174 II 1 und 95 III 1 EGV genannte „hohe Schutzniveau“ zu einem relativen Vorrang der Umweltschutzziele vor anderen Gemeinschaftszielen führt. – Vgl. ferner Bruckmann, in: Landmann / Rohmer IV, EU 3.2.2 Vorb. Rn. 3, 16 f., wonach der Festsetzung des Immissionsgrenzwerts für Benzol in Art. 3 I i. V. m. Anhang I der RL 2000 / 69 / EG (2. LuftqualitätsTochter-RL; dazu oben S. 384 Fn. 385) wesentlich Kosten-Nutzen-Überlegungen zugrundelagen, d.h. auch dem Gesundheitsschutz gegenläufige ökonomische Gesichtspunkte berücksichtigt wurden; dazu ferner Köck, ZUR 2001, 201 (206). 843 Vgl. Art. 249 III EGV; zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht statt aller nur Bieber / Epiney / Haag, § 3 Rn. 35 ff.; Wegener, in: Calliess / Ruffert2, Art. 220 EG Rn. 22 ff.; im umweltrechtlichen Kontext ferner Jarass, BImSchG6, § 48a Rn. 4; Einl. Rn. 29; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 1 Rn. 138 ff. 844 Die Schwierigkeit der Einordnung EG-rechtlicher Immissionswerte zeigt sich exemplarisch daran, daß etwa die Immissionsgrenzwerte für Partikel PM10 in Art. 5 I i. V. m. Anhang III der RL 1999 / 30 / EG (zu dieser oben S. 384 Fn. 389) einerseits dem eigenen Anspruch nach (vgl. Art. 1 Spiegelstrich 1 RL 1999 / 30 / EG ) u. a. der „Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit“ dienen, andererseits im deutschen Schrifttum aber umstritten ist, ob es sich hierbei um „echte“ Gefahrenabwehr (so Gerhold / Weber, NVwZ 2000, 1138 [1139]) oder aber tendenziell um Vorsorge im „bloßen“ Risikobereich handelt (so fragend Rehbinder, NuR 2005, 493 f.). – Zu den unterschiedlichen Normstrukturen im europäischen und deutschen Umweltrecht ferner Hansmann, NVwZ 2006, 51 ff.
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
487
einzuhalten ist845. Ist dieser Mindeststandard eingehalten, hat sich der Inhalt von Rechtsverordnungen nach § 48a I 1 BImSchG jedoch allein gemäß der „Erfüllungsklausel“ am umzusetzenden Gemeinschaftsrecht zu orientieren846.
3. Wertungsbefugnis bei Setzung von Umweltstandards Im folgenden soll betrachtet werden, welche Wertungen in die Setzung untergesetzlicher Umweltstandards zulässigerweise einfließen dürfen, womit eine weitere Antwort auf die Schwerpunktfrage nach Art und Umfang wertender Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes gewonnen wird. Ausgangspunkt muß sein, daß die dem BImSchG zugrundeliegende Regelungstechnik zu einem Nebeneinander einer begrifflich ausdifferenzierten und in hohem Maße für einzelfallbezogene Wertungen offenen Gesetzesebene847 und einer strikten Nivellierungs- und Typisierungswirkung rechtssatzmäßiger Umweltstandards führt. Da ferner davon auszugehen ist, daß dem Gesetzgeber diese zwangsläufige Wirkungsweise rechtssatzmäßiger Umweltstandards bekannt war und er dennoch zum Einsatz dieses Instruments ermächtigt hat, liegt hierin zugleich die (konkludente) Ermächtigung, die Ausdifferenziertheit der Gesetzesebene auf untergesetzlicher Ebene partiell im Sinne einer Nivellierung und Typisierung wieder rückgängig zu machen. Zwar ist selbstverständlich, daß untergesetzliche Umweltstandards nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften stehen dürfen, jedoch führt angesichts des Umstands, daß das gesetzliche Rechtsfolgenmodell für jeden Einzelfall eine Lösung bereithält, nicht jede hiervon abweichende Lösung bei Anwendung rechtssatzmäßiger Umweltstandards automatisch zu deren Rechtswidrigkeit, ebenso nicht automatisch zur Annahme eines atypischen Falles. Insofern kann davon gesprochen werden, daß das BImSchG selbst durch die Ermächtigung zum Erlaß untergesetzlicher Umweltstandards partiell von seinem eigenen Differenziertheitsanspruch suspendiert, was zulässig ist, da gesetzliche Grundpflichten einerseits und Ermächtigungen zum Erlaß rechtssatzmäßiger Umweltstandards andererseits auf derselben gesetzlichen Normrangebene angesiedelt sind. Daher ist maßgebliche Frage nicht, ob im Einzelfall eine Abweichung zwischen untergesetzlicher Konkreti___________ 845 Insofern jedenfalls im Ergebnis zutreffend Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 48a Rn. 13, wonach nach § 48a I BImSchG nicht zugelassen werden könne, daß „genehmigungsbedürftige Anlagen abweichend von § 5 I 1 Nr. 1 bestimmte schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen dürfen“ (ähnlich Scheuing, in: GK-BImSchG, § 48a Rn. 32; hierzu jedoch im Widerspruch Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 48a Rn. 13). – Wie hier Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48a Rn. 26. 846 Zu dessen Maßstabswirkung Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48a Rn. 17. 847 Sehr klar Hansmann, FS Sendler, S. 296.
488
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
sierung und gesetzlichen Grundpflichten besteht, sondern inwieweit eine solche von den Ermächtigungsnormen der §§ 7, 23 und 48 BImSchG gedeckt ist. Angesichts dieses Spannungsverhältnisses erscheint es zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die Konkretisierungsleistung untergesetzlicher Umweltstandards durch ein bloßes „Übersetzungsmodell“ zu erfassen, bei dem der Normgeber nur eine „sachverständige Aussage“ über die Umsetzung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs in die „Sprache der Technik“ trifft, realistisch ist eine solche Sicht nach den bisherigen Ausführungen jedenfalls nicht. Regelmäßig wird vielmehr ein „Wertungsmodell“ vorliegen, bei dem gegenüber der Gesetzesebene eigenständige Wertungen schon deshalb benötigt werden, weil untergesetzliche Umweltstandards regelmäßig Immissionstragungspflichten begründen, die von der (gedachten) einzelfallbezogenen Anwendung der gesetzlichen Grundpflichten abweichen und insofern einer ebenso eigenständigen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen.
a) Konkretisierung der Gefahrenschwelle bei Leben und Gesundheit Der Schutz von Leben und Gesundheit durch Umweltstandards wird in erster Linie über Immissions(grenz)werte bewirkt, die akzeptorbezogen bestimmen, welche Immissionen bei den Betroffenen ankommen dürfen. Hierbei ist nach den verschiedenen Immissionswirkungen zu differenzieren848:
aa) Bereich des Wirkungsschwellenkonzepts (1) Bekannte Wirkungsschwellen Zunächst könnte die Festsetzung von Immissions(grenz)werten dann adäquat durch ein „Übersetzungsmodell“ rekonstruiert werden, wenn es ausgehend von einer bekannten Wirkungsschwelle allein darum geht, diese rechtstechnisch in einen Zahlenwert umzusetzen. In diesem Fall könnte die inhaltliche Determination der Gesetzesebene in der Aussage bestehen, daß ein sicherer Schaden für Leben und Gesundheit nicht hervorgerufen werden darf (vgl. §§ 5 I 1 Nr. 1 und 22 I 1 Nr. 1 BImSchG), was für ergänzende Wertungen auf untergesetzlicher Ebene keinen Raum zu lassen scheint. Diese Sichtweise ist jedoch verkürzend, wenn man den Befund unendlich vielgestaltiger Prädispositionen auf Seiten der betroffenen Menschen einbezieht, da dann auch bei scheinbar gesicherten Wirkungsschwellen nicht ausgeschlossen ist, daß im Einzelfall gleichwohl schädigende Wirkungen hervorgerufen werden können. Einem solchen Immissi___________ 848
Zu diesen oben 1. Teil S. 35 ff. und oben 2. Teil S. 150 ff.
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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ons(grenz)wert, der nur bei einzelnen Personen zu Schädigungen führt, kann unterschiedliche Funktion zukommen:
(a) „Übersetzungsmodell“ bei bekannten Wirkungsschwellen? Für Personen, bei denen eine schädigende Wirkung nicht hervorgerufen wird, könnte der Immissions(grenz)wert dann die Schädigungsschwelle umschreiben und ließe sich durch ein „Übersetzungsmodell“ rekonstruieren, wenn der Wert exakt auf Höhe der Wirkungsschwelle festgesetzt wird. Schon angesichts der naturwissenschaftlichen Unsicherheiten bei Bestimmung dieser Schwelle und der gängigen Praxis zusätzlicher Sicherheitszuschläge849 dürfte dieser Fall jedoch selten sein. Ferner ist die naturwissenschaftliche Erkenntnis zu berücksichtigen, daß die Verteilung zwischen besonders empfindlichen, normal empfindlichen und besonders unempfindlichen Personen in der Häufigkeitsrelation einer Gauß‘schen Glockenkurve entspricht, d. h. relativ wenige Menschen bereits bei kleinen Dosen reagieren, die meisten Menschen bei mittleren Dosen und wiederum nur relativ wenige Menschen erst bei relativ hohen Dosen850. Es existiert daher regelmäßig neben denjenigen Akzeptoren, für die die Wirkungsschwelle zutreffend umschrieben wird, und denjenigen, für die gleichwohl manifeste Schädigungen herbeigeführt werden, eine dritte Gruppe, für die der Immissions(grenz)wert unterhalb der Schädigungsschwelle liegt, womit zugleich Vorsorge betrieben wird. Da in diesem Fall Wertungen bereits deshalb benötigt werden, um dieses Zurückbleiben als normatives Vorsorgeziel an den Grundrechten der Emittenten zu rechtfertigen851, ist auch die Konkretisierung bekannter Wirkungsschwellen nur eingeschränkt durch ein bloßes „Übersetzungsmodell“ zu rekonstruieren.
(b) „Wertungsmodell“ bei Schadenstragungspflichten Die Festsetzung von Immissions(grenz)werten könnte ferner nach dem „Wertungsmodell“ zu rekonstruieren sein, wenn bei einzelnen Personen auch unterhalb der generell festgesetzten Wirkungsschwelle Schädigungen hervorgerufen werden. Hier ist weiter zu differenzieren:
___________ 849
Koepfer, S. 35; Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.1 Rn. 8. Dazu oben S. 335 Fn. 171. 851 Dazu oben S. 410 ff. 850
490
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
(aa) Schadenstragungspflicht verfassungswidrig Läßt sich eine Schadenstragungspflicht für den konkret Betroffenen auch durch besondere Gemeinwohlinteressen nicht rechtfertigen, ist der Immissions(grenz)wert jedenfalls bezogen auf diesen Akzeptor verfassungswidrig und ein „atypischer“ Fall anzunehmen852; eine Wertungsbefugnis wird nicht benötigt. Um unverhältnismäßige Ergebnisse für die Emittenten zu vermeiden, ist diese Prüfung stets bezogen auf den konkreten Fall, d. h. die im Einwirkungsbereich der zu beurteilenden Anlage konkret vorhandenen Akzeptoren vorzunehmen, da nur dadurch eine kollisionslösende räumliche Dislozierung möglich wird853. Damit ist ein Immissions(grenz)wert nicht schon dann verfassungswidrig, wenn überhaupt irgendwo Akzeptoren existieren, für die dieser Wert eine nicht zu rechtfertigende Schädigung bewirken kann, solange dieser abstrakte Immissionskonflikt nicht durch eine konkrete Betroffenheit aktualisiert wird. Läßt sich die Schadenstragungspflicht für einen konkret Betroffenen demgegenüber verfassungsrechtlich rechtfertigen – etwa durch Gemeinwohlinteressen, bestehende Selbsthilfemöglichkeiten, eigenes Vorverhalten oder Präklusion im förmlichen Genehmigungsverfahren854 –, so ist weiter zu differenzieren:
(bb) Schadenstragungspflicht aufgrund Rechtsverordnung Da dem Verordnungsgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums die Befugnis zukommt, selbst rechtfertigende Gemeinwohlbelange zu definieren855, ist eine Rechtfertigung der Schadenstragungspflicht in den im 2. Teil aufgezeigten Grenzen856 jedenfalls verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich. Dazu müßten allerdings entsprechende Belange vom Verordnungsgeber auch in zulässiger Weise definiert worden sein, was sich nicht nur nach Art. 2 II 3 GG, sondern aufgrund Art. 80 I 2 GG primär nach den einfach-rechtlichen Ermächtigungsnormen bestimmt, d. h. hier dem Konkretisierungsprogramm der §§ 7 und 23 BImSchG. Da diese gerade zu typisierender Regelungen ermächtigen, könnte darin wie ausgeführt die Ermächtigung gesehen werden, innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen solche Allgemeininteressen zu definieren, die erforderlich sind, um die Geltung einheitlicher Immissions(grenz)werte auch angesichts besonderer Sachverhaltslagen sicherzustellen. Andererseits könnten dem die zu konkretisierenden Grundpflichten der §§ 5 I 1 Nr. 1 und 22 I 1 Nr. 1 BImSchG entgegenstehen, deren Konkretisierung Umweltstandards nach den ___________ 852
Dazu oben 2. Teil S. 164 ff.; zur rechtstechnischen Konstruktion unten S. 506 ff. Dazu oben 2. Teil S. 142 ff., 160 ff. 854 Zur schutzmindernden Wirkung dieser Faktoren oben 2. Teil S. 160 ff. 855 Dazu oben 2. Teil S. 224 ff. 856 Dazu oben 2. Teil S. 174 ff., 178 ff. 853
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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§§ 7 und 23 BImSchG nach den obigen Ausführungen dienen, da jede Begründung von Duldungspflichten für Restschäden in Widerspruch deren striktem und kategorischem Vermeidungsstandard zu stehen scheint857. Insofern könnte eine Wertungsbefugnis dahin beschränkt sein, daß im Bereich des Lebens- und Gesundheitsschutzes Immissionen diesseits der Schädlichkeitsschwelle des § 3 I BImSchG schlechthin unzulässig sind. Gegen ein solches Verständnis spricht jedoch, daß der strikte und kategorische Vermeidungsstandard ebenso wie die These der pauschalen Erheblichkeit von Gesundheitsschäden und -gefahren858 konzipiert wurde auf Grundlage der Lehre von der Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit, die der Gesetzgeber 1974 als gefestigte h. M. vorfand. Aufgrund der von dieser Lehre vorgenommenen künstlichen Maßstabsverengung gilt der strikte und kategorische Vermeidungsstandard demgegenüber nicht für „überdurchschnittlich“ empfindliche Personen. Würde man daher diesen Vermeidungsstandard verallgemeinern und auf sämtliche betroffene Personen erstrecken, würde nicht nur ein Schutz gewährt, der erheblich über denjenigen hinausginge, der dem Gesetzgeber 1974 vorschwebte, sondern es würde zugleich über das Ziel hinausgeschossen, das durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 I BImSchG im Lichte des Art. 2 II 1 GG vorgegeben wird, da Art. 2 II 1 GG wie im 2. Teil dargestellt gerade auch die begrenzte Begründung von Schadenstragungspflichten erlaubt. Ferner sind nach den Ausführungen im 2. Teil Konstellationen denkbar, in denen entsprechender Schutz nicht nur verfassungsrechtlich nicht geboten, sondern angesichts der Emittentengrundrechte sogar unzulässig ist859. Da Art. 80 I 2 GG davon ausgeht, daß neben dem Verfassungsrecht auch dem ermächtigenden einfachen Recht eine notwendige inhaltliche Determinationswirkung zukommt, können die zu konkretisierenden Grundpflichten einerseits nicht pauschal zugunsten eines rein verfassungsrechtlichen Maßstabs übersprungen werden. Andererseits bietet der Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG bei Aufrechterhaltung des strikten Vermeidungsstandards als Rechtsfolge der §§ 5 I 1 Nr. 1 und 22 I 1 Nr. 1 BImSchG einen Ansatzpunkt für das gesuchte flexible Verständnis der zu konkretisierenden Grundpflichten, wenn man – wie oben B. im einzelnen begründet – das Charakteristikum der Gefahrenschwelle darin sieht, daß eine Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit in der Lage sein muß, in einer konkreten Immissionssituation ausgehend von den konkret maßgeblichen Akzeptoren eine einheitliche Vermeidungspflicht gegenüber allen denkbaren Anlagen und nicht nur gegenüber der zu beurteilenden zu begründen860. Dies führt dazu, daß auch konkretisierende Rechtsverordnungen Schutz ___________ 857
Dazu oben S. 319 ff., 392 ff. Dazu oben S. 337 ff. 859 Dazu oben 2. Teil S. 160 ff. 860 Dazu oben S. 320 ff., 341 ff. 858
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
dort nicht gewähren müssen und dürfen, wo er gemessen an den Emittentengrundrechten verfassungswidrig wäre. Zu klären ist ferner, inwieweit an dieser Stelle auch Gemeinwohlbelange schutzmindernd in die Umweltstandardsetzung einfließen dürfen. Während dies oben B. für die einzelfallbezogene Anwendung des Gefahrenbegriffs verneint wurde861, muß für die Tätigkeit des Verordnungsgebers differenziert werden: Zwar erfaßt nach dem allgemeinen polizeirechtlichen Sprachgebrauch das Vorliegen einer „Gefahr“ auch manifeste Schädigungen, da eine 100-prozentige Eintrittswahrscheinlichkeit stets hinreichend ist. Indes wird dieser Sprachgebrauch durch das BImSchG wie oben B. aufgezeigt dahin modifiziert, daß auch solche manifesten Schädigungen nicht „Gefahr“ i. S. des § 3 I i. V. m. § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG sind, deren Vermeidung nicht von allen denkbaren Anlagen verlangt werden kann862. Da diese „Ergebniskorrektur“ gegenüber dem herkömmlichen Sprachgebrauch systemwidrig ist und ihre Berechtigung allein im Gebot der verfassungskonformen Auslegung findet863, ist daran festzuhalten, daß mit Ausnahme dieser verfassungsrechtlich bedingten Korrektur das Charakteristikum der Gefahrenschwelle darin besteht, daß die Herbeiführung manifester Schäden grundsätzlich – d. h. auch angesichts möglicher rechtfertigender Gemeinwohlbelange – ausgeschlossen ist. Dies stellt zugleich ein strukturprägendes Merkmal der Gefahrenschwelle dar, das sich in der untergesetzlichen Konkretisierung notwendig niederschlagen muß.
(cc) Schadenstragungspflicht aufgrund Verwaltungsvorschrift Gleiches gilt im Ergebnis bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG, jedoch mit anderer Begründung: Da hier dem Normgeber eine Wertungsbefugnis nur in dem durch den zu konkretisierenden Gesetzesbegriff eröffneten Rahmen zukommt, die zu konkretisierenden Grundpflichten der §§ 5 I 1 Nr. 1 und 22 I 1 Nr. 1 BImSchG jedoch wie ausgeführt die Begründung manifester Schädigungen nur im Rahmen des verfassungsrechtlich Gebotenen zulassen, können auch durch Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG Schadenstragungspflichten nur in diesem Rahmen begründet werden. In diesem Umfang ist die Tätigkeit des Normgebers zwar ebenfalls nach dem „Wertungsmodell“ zu rekonstruieren, jedoch dürfen nur solche Wertungen herangezogen werden, die auch im Rahmen einer einzelfallbezogenen Anwendung der §§ 5 I 1 Nr. 1 und 22 I 1 Nr. 1 BImSchG zum Einsatz kämen. ___________ 861
Dazu oben S. 322 ff. Dazu oben S. 320 ff. 863 Dazu oben S. 320 ff., 322 ff. 862
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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(2) Konkretisierung der Gefahrenschwelle im eigentlichen Sinne Eine „echte“ Gefahrensituation im relationellen Sinne besteht demgegenüber, wenn der Ungewißheitsfaktor im Bereich der Wirkungszusammenhänge durch Wahrscheinlichkeitsaussagen überbrückt werden kann. Hier kommt die oben B. beschriebene Problematik der Bestimmung der Gefahrenschwelle zum Tragen864: Sieht man den Gefahrenbegriff selbst als inhaltlichen Maßstab der untergesetzlichen Konkretisierung, ist letztere zwar stets an diesem zu messen; problematisch ist jedoch die Nivellierungswirkung generell-abstrakter Konkretisierungen der Gefahrenschwelle, die regelmäßig zu den beschriebenen Wertungsdivergenzen führt. Folgte man hier dem Professorenentwurf zu einem Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches, der in § 2 VI „Gefahr“ als dasjenige Umweltrisiko definiert, das unter „Berücksichtigung des Grades seiner Eintrittswahrscheinlichkeit und des möglichen Schadensumfangs nicht mehr hinnehmbar“ ist865, verlöre der Gefahrenbegriff ohnehin in dem Maße seine maßstäbliche Funktion, in dem das „hinnehmbar“ wäre, was als hinnehmbar definiert wird. Damit würde sich wie oben B. dargestellt der Schwerpunkt auf die Hinnehmbarkeit der Immission als solcher verlagern866, und der rechtliche Maßstab reduzierte sich auf den verfassungsrechtlichen. Auch wenn Rechtsverordnung und normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift in ihren verfassungsrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen davon ausgehen, daß auch dem ermächtigenden einfachen Recht eine notwendige Determinationswirkung zukommt, ist dieser Maßstabsverlust des Gefahrenbegriffs letztlich in ihm selbst angelegt und daher unvermeidlich, da ihm ohne Rückgriff auf verfassungsrechtliche Wertungen nicht entnommen werden kann, wann ein Schaden „hinreichend“ wahrscheinlich ist. Da andererseits gerade aufgrund dieser Unbestimmtheit ein besonderes Bedürfnis nach normativer Konkretisierung besteht867, muß der notwendig dezisionistische Charakter der Bestimmung der Gefahrenschwelle anerkannt868 und dem konkretisierenden Normgeber ein Gestaltungsspielraum eingeräumt werden, was auch das OVG Lüneburg 1985 zu den Immissionsgrenzwerten der TA Luft (1983) erkannt hat: „Vielmehr legen ... die Immissionsgrenzwerte norminterpretierend innerhalb einer Bandbreite unter Umständen denkbarer Entscheidungen trennscharf fest, welche Umwelteinwirkungen dem einzelnen noch zuzumuten sind, welches verbleibende Ri-
___________ 864
Dazu oben S. 314 ff., 324 ff. Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann / Kunig, UGB-AT, S. 38 (Hervorh. vom Verf.); dazu oben S. 325 Fn. 129. 866 Dazu oben S. 324 ff. 867 Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 22; ders., in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 18d, 19; H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 87. 868 Vgl. Tünnesen-Harmes, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.2 Rn. 16; ähnlich Wahl / I. Appel, S. 91, 96. 865
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
siko er mithin zu tragen hat; dabei handelt es sich nach Abwägung und Wertung letztlich um eine politische Willensentscheidung ...“869.
Vergegenwärtigt man sich die der Gefahrenbestimmung regelmäßig zugrundeliegende grundrechtliche Kollisionslage, so entspricht die vom OVG Lüneburg bemühte „politische Willensentscheidung“ der im 2. Teil gewonnenen Erkenntnis, daß die Auflösung grundrechtlicher Kollisionslagen nicht nur ein Akt der Rechtsanwendung ist, sondern ihr stets auch ein gestalterisches Element innewohnt, dem ein entsprechender Ausgestaltungsspielraum korrespondieren muß870. Dieser Spielraum erweitert sich dann, wenn durch Definition von Gemeinwohlbelangen das Schutzniveau generell angehoben oder abgesenkt wird, was rechtstechnisch wie im 2. Teil ausgeführt über die grundrechtlichen Gesetzes- (bzw. Regelungs-) vorbehalte zu geschehen hat871. Im folgenden ist zu klären, inwieweit untergesetzliche Umweltstandards diese Spielräume überhaupt in Anspruch nehmen können; hierzu ist wiederum zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zu differenzieren:
(a) Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften Aufgrund des streng gesetzesakzessorischen Wertungsspielraums kommt hier dem Normgeber eine Befugnis zur Definition originärer Gemeinwohlbelange nicht zu. Andererseits ermächtigt § 48 BImSchG zur Nivellierung und Typisierung, so daß der Normgeber stets, aber auch nur zu denjenigen Wertungen ermächtigt ist, die erforderlich sind, um die Geltung eines einheitlichen Immissions(grenz)werts auch gegenüber unterschiedlichen Akzeptoren sicherzustellen und die gegenüber der reinen Grundpflichtenebene entstehenden Wertungsdivergenzen auszugleichen. Ein Wertungsspielraum zur generellen Anhebung oder Absenkung der Gefahrenschwelle besteht bereits im Ansatz nicht.
(b) Rechtsverordnungen Da der geschilderte Wertungsspielraum unmittelbar aus der gesetzlichen Ermächtigung zur rechtssatzmäßigen Konkretisierung durch einheitliche Immissions(grenz)werte resultiert, stellt er das Mindestmaß an Wertungsbefugnis dar, die dem Verordnungsgeber stets zukommt. Da dieser im Rahmen der nach „In___________ 869
OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357 (358) – Kraftwerk Buschhaus (Hervorh. vom Verf.). – Zu beachten ist, daß zur Zeit dieser Entscheidung die Figur der „normkonkretisierenden“ Verwaltungsvorschrift noch unbekannt war, weshalb „norminterpretierend“ in der heutigen Terminologie „normkonkretisierend“ entspricht. 870 Dazu oben 2. Teil S. 86 ff. 871 Dazu oben 2. Teil S. 111 ff.
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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halt, Zweck und Ausmaß“ bestimmten Ermächtigungsgrundlage jedoch zur Selbstdetermination durch verordnungsgeberische Zwecksetzungen befugt ist872, könnte ihm weitergehend die Befugnis zukommen, die Gefahrenschwelle generell anzuheben oder abzusenken. Indes wurde oben B. als strukturprägendes Merkmal des Gefahrenbegriffs herausgearbeitet, daß dieser einer abwägenden Berücksichtigung gegenläufiger Belange nur insoweit zugänglich ist, als es von der dort beschriebenen verfassungskonformen Auslegung geboten ist873. Dienen aber Immissions(grenz)werte der Konkretisierung des Gefahrenbegriffs, müssen sich dessen strukturprägende Merkmale auch in der untergesetzlichen Konkretisierung niederschlagen, da ansonsten nicht von einer „Konkretisierung“ gesprochen werden kann. Insofern wird eine verfassungsrechtlich mögliche Wertungsbefugnis einfach-gesetzlich durch die §§ 7 und 23 BImSchG i. S. des Art. 80 I 2 GG beschränkt.
bb) Konkretisierung außerhalb des Wirkungsschwellenkonzepts Eine Konkretisierung der Gefahrenschwelle bei krebsverursachenden Immissionen erfolgt auf untergesetzlicher Ebene bislang allein durch den Immissionswert für Benzol in Nr. 4.2.1 TA Luft bzw. weitere (mögliche) Immissionswerte nach Nr. 4.2.1 Satz 2 TA Luft 2002 i. V. m. der 22. BImSchV874. Auch wenn bei krebsverursachenden Immissionen keine Wirkungsschwellen für individuelle Erkrankungen angegeben werden können875, wird doch durch entsprechende Immissionswerte bei unterstellter linearer Beziehung zwischen Immissionsmenge und Risikohöhe das hinzunehmende subjektive Individualrisiko akzeptorbezogen auf einen bestimmten Wert festgelegt, der jedoch je nach Empfindlichkeit von Akzeptor zu Akzeptor verschieden ist. Eine solche Festsetzung der Gefahrenschwelle ist grundsätzlich nach dem „Wertungsmodell“ zu rekonstruieren, da § 5 I 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 I BImSchG nicht entnommen werden kann, ob die Gefahrenschwelle bei einem (subjektiven Individual-) Risiko von 1 : 1.000, 1 : 2.500 oder erst 1 : 5.000 erreicht ist876. Da eine solche Regelung ___________ 872
Dazu oben 2. Teil S. 224 ff. Dazu oben S. 322 ff. 874 Zu diesem „Umsetzungsmechanismus“ oben S. 383 ff. – Vgl. ebd. S. 385 Fn. 393 zur Novellierung der 22. BImSchV in Umsetzung der 4. Luftqualitäts-Tochter-RL (RL 2004 / 107 / EG v. 15. 12. 2004; dazu oben S. 384 Fn. 389) und den damit aufgeworfenen Probleme der zukünftigen „Zielwerte“ für Arsen, Cadmium, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. 875 Dazu oben 1. Teil S. 37 ff. und öfter. 876 Dazu oben 2. Teil S. 204 ff.; ferner oben S. 382 ff.; zu den genannten Zahlen Länderausschuß für Immissionsschutz (LAI), Beurteilungsmaßstäbe, S. 132 ff., 143 ff.; zur (scheinbaren) Beliebigkeit der Bestimmung der Gefahrenschwelle in diesem Zusammenhang Böhm, Normmensch, S. 160 f.; Salzwedel, Rechtsgutachten, S. 64 ff. 873
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
stets Schrankeneigenschaft i. S. des Art. 2 II 3 GG in Anspruch nehmen muß, ist fraglich, ob sie auch in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften getroffen werden kann. Dem kann auch nicht der auch dem Normgeber normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften stets zukommende gesetzesakzessorische Gestaltungsspielraum entgegengehalten werden, da jede Risikofestlegung auf das Kollektiv bezogen lediglich die Anzahl sicherer Todesfälle „feinjustiert“, weshalb Art. 2 II 3 GG in seiner Überformung durch die Wesentlichkeitslehre zur Anwendung kommt877. Dieser Befund dürfte es zwar ausschließen, die „Feinjustierung“ angesichts der defizitären Determination durch die Gesetzesebene allein auf untergesetzlicher Ebene vorzunehmen, was gleichermaßen für die Regelungsform der Rechtsverordnung zu gelten hat. Jedoch ist bei Nr. 4.2.1 TA Luft 2002 die Besonderheit zu beachten, daß (zukünftige) Immissionswerte EG-rechtlich vorgegeben und vom deutschen Gesetzgeber zwingend in nationales Recht umzusetzen sind878. Sofern daher der deutsche Normgeber Immissionswerte ohne inhaltliche Veränderung aus dem EG-Recht übernimmt, ist die umsetzende Regelung zwar konstitutiv für die Geltung des EG-Rechts im deutschen Recht, enthält jedoch gegenüber dem umzusetzenden EG-Recht keine überschießenden Wertungen und erschöpft sich in einer bloßen Übersetzungsleistung, während die inhaltlichen Wertungen allein im EG-Recht vorgenommen werden. Da aufgrund dessen Vorrangs vor nationalem Recht diese Wertungen auch für den deutschen Normgeber verbindlich sind, bestehen nur insofern im Ergebnis keine Bedenken gegen Immissionswerte für krebsverursachende Luftschadstoffe in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften879. ___________ 877
Dazu oben 2. Teil S. 218 ff. Entsprechend wurde in Nr. 4.2.1 Satz 1 TA Luft 2002 der Immissionsgrenzwert für Benzol unverändert aus Art. 3 I i. V. m. Anhang I RL 2000 / 69 / EG (2. Luftqualitäts-Tochter-RL; dazu oben S. 384 Fn. 385) übernommen; dazu Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 6; zur europarechtlichen Begründung dieses Immissionswerts Bruckmann, in: Landmann / Rohmer IV, EU 3.2.2 Vorb. Rn. 15 ff. 879 Bedenken bestehen jedoch hinsichtlich der vom EuGH verneinten Tauglichkeit (normkonkretisierender) Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung zwingenden EGRechts (EuGH v. 30. 5. 1991, NVwZ 1991, 866 ff., 868 f.; dazu oben S. 486 Fn. 841). Indes ist zu bedenken, daß der Immissionswert für Benzol aus Art. 3 I i. V. m. Anhang I der RL 2000 / 69 / EG neben Nr. 4.2.1 Satz 1 TA Luft 2002 zugleich in § 6 der 22. BImSchV (Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft v. 11. 9. 2002; Nachw. oben Fn. 772) normiert ist und die auf Grundlage des § 48a I BImSchG ergangene 22. BImSchV gerade der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Immissionsrichtlinien dient. Da die TA Luft jedoch keine Luftverunreinigungen zulassen darf, deren Vermeidung nach der 22. BImSchV sicherzustellen ist, und insofern zwischen den Immissionswerten beider Regelwerke kein Widerspruch bestehen darf (zu diesem Zusammenhang Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 4.2 Rn. 4; ders., in: Landmann / Rohmer II, 22. BImSchV Vorb. Rn. 9), ist es auch europarechtlich unbedenklich, daß entsprechende Immissionswerte neben der 22. BImSchV zugleich in der TA Luft enthalten sind. – Eine andere Frage ist, ob dies auch für die zukünftigen Zielwerte der 22. 878
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
497
b) Konkretisierung der Vorsorgepflicht Eine Konkretisierung der Vorsorgepflicht kann auf zweierlei Weise erfolgen, nämlich entweder über eine Konkretisierung des Standes der Technik nach § 5 I 1 Nr. 2 i. V. m. § 3 VI BImSchG oder über die Definition normativer Vorsorgeziele; auch hierbei ist zwischen einer Konkretisierung durch Verwaltungsvorschrift und Rechtsverordnung zu unterscheiden:
aa) Konkretisierung des Standes der Technik Eine Konkretisierung des Standes der Technik kann einmal erfolgen über die Festsetzung von Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen (vgl. § 7 I 1 Nr. 1 BImSchG), ferner über die Festsetzung von Emissionswerten, die einen Stand der Technik kennzeichnen, der die Einhaltung entsprechender Werte erlaubt (vgl. § 7 I 1 Nr. 2 BImSchG; ferner Nr. 5.2 ff. TA Luft 2002)880. Da der „Stand der Technik“ nach § 3 VI BImSchG spätestens seit der Umsetzung von Art. 2 Nr. 11 IVU-Richtlinie als partielle Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes selbst differenzierte Wertungen voraussetzt881, ist seine untergesetzliche Konkretisierung grundsätzlich nach dem „Wertungsmodell“ zu rekonstruieren. Sofern sich diese Wertungsleistung in dem begrifflich durch § 3 VI BImSchG i. V. m. Art. 2 Nr. 11 IVU-Richtlinie gezogenen Rahmen bewegt, kann diese Konkretisierung auch durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften erbracht werden. Da der Verordnungsgeber weitergehend zu einer Selbstdetermination durch verordnungsgeberische Zwecksetzungen berechtigt ist, ist er darüber hinaus befugt, Emissions(grenz)werte festzusetzen, die über den gegenwärtigen Stand der Technik hinausgehen, um diesen antizipatorisch voranzutreiben882. Dabei kann es offen bleiben, ob dies noch eine „Konkretisierung“ des „Standes der Technik“ ist, da hierin zugleich die Definition eines normativen Vorsorgeziels gesehen werden kann, zu der zumindest der Verordnungsgeber ebenfalls grundsätzlich befugt ist.
___________ BImSchV in Umsetzung der 4. Luftqualitäts-Tochter-RL (RL 2004 / 107 / EG v. 15. 12. 2004; dazu oben S. 384 Fn. 389) gilt, da es sich hierbei nicht um Grenzwerte i. S. von Nr. 4.2.1 Satz 2 TA Luft 2002 handeln dürfte (dazu oben S. 385 Fn. 393). 880 Hansmann, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 09 / 54; zu § 7 I 1 Nr. 2 BImSchG Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 38; allgemein Seibel, BauR 2004, 774 ff. 881 Dazu oben S. 417 ff. 882 Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 5; im Ergebnis auch Dietlein, in: Landmann / Rohmer I, § 7 Rn. 39 f.
498
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
bb) Definition normativer Vorsorgeziele Oben D. wurde dargelegt, daß die Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG aufgrund ihrer Offenheit und Zweckpluralität auf eine Konkretisierung durch normative Konzeptierung angelegt ist, was wiederum die Definition normativer Vorsorgeziele voraussetzt; hierauf wird verwiesen883. Während der Verordnungsgeber zu dieser originären Wertungsleistung grundsätzlich befugt ist, scheiden normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften regelmäßig aus, da hierfür Wertungen benötigt werden, die einen rein gesetzesakzessorischen Gestaltungsspielraum regelmäßig überschreiten dürften.
c) Erheblichkeitsschwelle bei Nachteilen und Belästigungen Nach den bisherigen Ausführungen kommt den Immissionsrichtwerten in § 2 I, II-IV 18. BImSchV und Nr. 6.1 TA Lärm 1998 die Funktion zu, die „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG zu konkretisieren, indem das bebauungsrechtlich abstrakt vorgegebene gebietsadäquate Immissionsniveau auf ein konkretes quantitatives Niveau festgesetzt wird884, womit zugleich das Konkretisierungsprogramm für die Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV und TA Lärm 1998 umschrieben ist. Im folgenden sollen zwei Fragen vertieft werden, nämlich erstens, inwieweit wertende Aspekte in die Festsetzung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus einfließen dürfen, und zweitens die in jüngster Zeit kontrovers diskutierte Summationsproblematik, die sich ebenfalls als Wertungsproblem entpuppen wird.
___________ 883
Dazu oben S. 410 ff., 413 ff. Dazu oben S. 480 ff.; ferner oben S. 374 ff. und 2. Teil S. 266 ff. – Damit wird auch eine klare Abschichtung zur Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG möglich, da sowohl die 18. BImSchV mit den Regelungen zu seltenen Ereignissen in § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 des Anhangs (dazu H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 198) als auch die TA Lärm 1998 in Nr. 4.3, die im wesentlichen § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG wiedergibt und von der Einhaltung der Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 entbindet (Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Lärm Nr. 4 Rn. 25 ff.; Ch. Müller, S. 211 f.), eigenständige Konkretisierungen der Minderungspflicht enthalten (vgl. ferner die Regelungen zu seltenen Ereignissen in Nr. 7.2 i. V. m. Nr. 6.3 TA Lärm 1998, die jedoch auch für genehmigungsbedürftige Anlagen nach §§ 4 ff. BImSchG gelten). 884
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
499
aa) Wertende Aspekte beim gebietsadäquaten Immissionsniveau (1) Festsetzung in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften Zwar kann dem Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG keine Aussage entnommen werden, ob etwa in einem allgemeinen Wohngebiet das Lärmniveau tagsüber auf 54, 55 oder 56 dB(A) festzusetzen ist, so daß jede Festsetzung notwendig dezisionistisch und nach dem „Wertungsmodell“ zu rekonstruieren ist. Indes schließt dies die Verwendung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften mit streng gesetzesakzessorischem Wertungsspielraum nicht zwingend aus, da aus den Gebietstypologien der BauNVO wie ausgeführt abstrakte „Anforderungsprofile“ gewonnen werden können, die vorgeben, welche Nutzungsbefugnisse nach Art und Ausmaß in einem Gebietstyp gegeben sein müssen885. Da jede Festsetzung eines quantitativen Immissionsniveaus diesen „Anforderungsprofilen“ entsprechen muß, wird der Wertungsspielraum normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften durch diesen Rahmen zulässiger Grundstücksnutzungen soweit eingeengt, daß er auch durch ein streng gesetzesakzessorisches „Wertungsmodell“ adäquat rekonstruiert werden kann.
(2) Festsetzung in Rechtsverordnungen Dem gegenüber könnte dem Verordnungsgeber weitergehend die Befugnis zukommen, das gebietsadäquate Immissionsniveau in Verfolgung „überschießender“ Zwecksetzungen gegenüber den bebauungsrechtlichen „Anforderungsprofilen“ generell anzugeben oder abzusenken. Entscheidend ist daher, ob eine solche Befugnis von den Ermächtigungsnormen – hier in erster Linie § 23 BImSchG – gedeckt ist. Diese Frage gewinnt an Brisanz, wenn man die Konkretisierung betrachtet, die die „erheblichen“ Nachteile und Belästigungen i. S. des § 3 I i. V. m. § 41 I BImSchG für Verkehrslärm in der aufgrund § 43 I 1 Nr. 1 BImSchG ergangenen Verkehrslärmschutzverordnung886 gefunden haben887. ___________ 885
So die Definition des Begriffs des „Wohnens“ i. S. der §§ 3, 4 BauNVO durch BVerwGE 51, 15 (33); dazu oben S. 243 Fn. 895; ferner oben S. 374 ff. 886 VO v. 12. 6. 1990 (BGBl. I, 1036) – 16. BImSchV. 887 Für den Regelfall des § 41 I BImSchG, daß schädliche Umwelteinwirkungen sowohl nach dem Stand der Technik als auch verhältnismäßig vermeidbar sind, erfolgt die Steuerung der hinzunehmenden Immissionsbelastung durch Verkehrslärm in einer § 5 I 1 Nr. 1 und § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG entsprechenden Regelungstechnik über den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen („ist ... sicherzustellen, daß ... keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können ...“), der im Sinne des § 3 I BImSchG zu verstehen ist (so Jarass, BImSchG6, § 41 Rn. 30; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 41 Rn. 46; Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 41 Rn. 33; ferner Steinberg / Berg / Wickel3, § 4 Rn. 51).
500
3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
Dazu erfolgt in nachfolgender Übersicht eine Gegenüberstellung der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV, die nach allgemeiner Auffassung das hinzunehmende Maß an Verkehrslärm verbindlich konkretisieren888, und der Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV und TA Lärm 1998889: Tabelle 2 Übersicht über Lärmgrenz- und -richtwerte
Kurgebiete, Krankenhäuser, Pflegeanstalten Reine Wohngebiete Allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete Kerngebiete, Dorfgebiete, Mischgebiete Gewerbegebiete Industriegebiete
Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV in dB(A) (§ 2 I) Tag (Nacht) 57 (47)
Immissionsrichtwerte der TA Lärm in dB(A) (Nr. 6.1) Tag (Nacht) 45 (35)
Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV in dB(A) (§ 2 II)890 Tag (Nacht) 45 (35)
59 (49)
50 (35)
50 (35)
59 (49)
55 (40)
55 (40)
64 (54)
60 (45)
60 (45)
69 (59) (–)
65 (50) 70 (–)
65 (50) (–)
Aus dieser Übersicht ergibt sich, daß die Werte der 16. BImSchV durchgehend über denen des anlagenbezogenen Immissionsschutzes liegen891. Auch liegen die Werte über denen, die die Rspr. vor Inkrafttreten der 16. BImSchV zum Anhaltspunkt nahm und tendenziell auf dem Niveau von TA Lärm (1968) und 18. BImSchV lagen892. Hierfür gibt es mehrere Erklärungsversuche:
___________ 888 BVerwGE 108, 248 (254); aus der Lit. Hansmann, in: Landmann / Rohmer I, § 41 Rn. 36, 38; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 41 Rn. 10, 40 f., 56 ff.; § 43 Rn. 66 ff.; ders., Konzept, S. 128; Berkemann, Lärmgrenzwerte, S. 78; Parzefall, S. 101; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 368. 889 Ähnliche Übersicht bei Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 301. 890 Hierbei sind die Tageswerte außerhalb der Ruhezeiten (vgl. § 2 V 18. BImSchV) zugrundegelegt; die Tageswerte innerhalb der Ruhezeiten sind um 5 dB(A) niedriger. 891 Dies konstatieren auch Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 336. 892 So ging das BVerwG für ein nicht vorbelastetes allgemeines und reines Wohngebiet von 55 dB(A) / Tag und 45 dB(A) / Nacht aus (BVerwGE 51, 15 [34]).
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
501
So wird einmal vorgebracht, die Erhöhung sei nur eine scheinbare, da sie auf einem abweichenden Berechnungsverfahren beruhe893. Ferner soll nach Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung Verkehrslärm weniger belastend empfunden werden als Industrie- und Gewerbelärm894. Nach einer dritten Erklärung soll der Allgemeinheit und dem Einzelnen aufgrund der Bedeutung eines funktionsfähigen Verkehrsnetzes und der drohenden Belastung der öffentlichen Haushalte angesichts ansonsten fälliger Lärmschutzmaßnahmen schlichtweg ein höheres Maß an zu duldender Immissionsbelastung zugemutet werden895. Ohne an dieser Stelle die Richtigkeit der einzelnen Erklärungen im einzelnen entscheiden zu können, soll im folgenden die letztgenannte normative Erklärung näher betrachtet werden: Grundsätzlich sind die danach verfolgten Gemeinwohlzwecke verfassungsrechtlich geeignet, Beschränkungen des durch Art. 14 GG gewährten Immissionsschutzes solange zu rechtfertigen, als das „Anforderungsprofil“ an die privatnützige Nutzung von Grundeigentum zu Wohnzwecken eingehalten ist, was – soweit ersichtlich – für die Immissionsgrenzwerte des § 2 I 16. BImSchV nicht bestritten wird896. Die Zulässigkeit einer solchen „Gemeinwohldefinition“ hängt daher davon ab, ob sie auch von der Ermächtigung des § 43 I 1 Nr. 1 BImSchG gedeckt ist. Da dessen Konkretisierungsprogramm jedoch gerade in der Konkretisierung der „Erheblichkeit“ von Nachteilen und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG besteht, könnten einer schutzmindernden Berücksichtigung die Ausführungen oben B. entgegenstehen, wonach Kriterien, die am spezifischen (Individual- oder Gemeinwohl-) Interesse der zu beurteilenden Anlage festmachen, abschließend in den Wertungsinstanzen der Vorsorge- und Minderungspflicht anzusiedeln sind897. Indes betrafen diese Ausführungen die einzelfallbezogene Konkretisierung des Erheblichkeitsbegriffs durch den Rechtsanwender und dienten gerade der Abschichtung zum gebietsadäquaten Immissionsniveau, das durch entsprechende einzelfallbezogene Wertungen nicht konkretisiert, sondern durchbrochen wird898, was auch an dieser Stelle uneingeschränkt § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG vorbehalten ist. Dieses Abschichtungsproblem stellt sich jedoch nicht in gleicher Weise, wenn entsprechende Wertungen generell-abstrakt bereits in die Festsetzung des gebietsadäquaten Immissionsniveau einfließen, da damit dieses über___________ 893
So Bender / Sparwasser / Engel4, Rn. 8 / 302; Hölder, S. 184 f. So Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 41 Rn. 53. 895 So Hölder, S. 181 f.; andeutungsweise auch Jarass, BImSchG6, § 41 Rn. 51; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 43 Rn. 27; ferner BVerwG, NVwZ 1996, 1006 ff. – Entsprechend wird vertreten, daß im Rahmen des § 43 I 1 Nr. 1 BImSchG auch fiskalische Erwägungen berücksichtigt werden dürfen (Hölder, S. 182; Schulze-Fielitz, in: GK-BImSchG, § 43 Rn. 66; ders., Konzept, S. 130; Strick, Rn. 46). 896 Vgl. H.-J. Koch, NVwZ 2000, 490 (495); BVerwG, NVwZ 1996, 1006 (1008). 897 Dazu oben S. 365 ff. 898 Dazu oben S. 365 ff. 894
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
haupt erst konkretisiert und im Gegensatz zur einzelfallbezogenen Wertung nicht durchbrochen wird. Auch stellt sich auf generell-abstrakter Ebene kein Konkurrenzproblem zur einzelfallbezogenen Wertungsinstanz des § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG, da die 18. BImSchV auch eine (eigenständige) Konkretisierung der Minderungspflicht und damit der „Durchbrechung“ des gebietsadäquaten Immissionsniveaus enthält899. Da im übrigen der Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG gerade keine Aussagen über die exakte Höhe des Immissionsniveaus enthält900, steht § 3 I BImSchG dessen allgemeiner Anhebung durch den Verordnungsgeber jedenfalls solange nicht entgegen, als die „Anforderungsprofile“ der jeweiligen Gebietstypen gewahrt sind.
bb) Gebietsadäquates Immissionsniveau und Summationsproblematik Die Tauglichkeit der Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 TA Lärm 1998 und § 2 II 18. BImSchV zur Konkretisierung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus ist gleichwohl unter dem Aspekt der in jüngster Zeit kontrovers diskutierten Summationsproblematik fraglich: Nach § 2 I 18. BImSchV sind als Vorbelastung allein die Geräuschimmissionen anderer Sportanlagen einzurechnen901; ebenso definiert Nr. 2.4 Abs. 1 TA Lärm 1998 als maßgebliche „Vorbelastung“ allein die Vorbelastung durch Anlagen, die nach Nr. 1 dem Anwendungsbereich der TA Lärm unterliegen. Damit sind Vorbelastungen durch Sportanlagen im Rahmen der TA Lärm 1998 nicht zu berücksichtigen, da Sportanlagen nach Nr. 1 II lit. a) aus deren Anwendungsbereich ausgenommen sind 902. Gleiches gilt vice versa für allein der TA Lärm unterfallende Vorbelastungen durch gewerbliche Anlagen im Rahmen der 18. BImSchV. Diese nur beschränkt summative Betrachtung führt jeweils dazu, daß das im Ergebnis hinzunehmende Gesamtimmissionsniveau erstens höher sein kann als die (isolierten) Immissionsrichtwerte der TA Lärm 1998 und 18. BImSchV und zweitens einen variablen Charakter erhält, da das Maß zulässiger Richtwert___________ 899
Vgl. die Regelungen zu seltenen Ereignissen in § 5 V i. V. m. Nr. 1.5 des Anhangs zur 18. BImSchV; dazu oben S. 480 Fn. 816; ferner H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 198. 900 Dazu oben S. 480 ff. 901 Dazu Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 27; Ohms, Praxishandbuch, Rn. 203. 902 Zu dieser nur eingeschränkt summativen Betrachtung der TA Lärm 1998, die einen erheblichen Fortschritt zur TA Lärm 1968 darstellt (zu dieser Ch. Müller, S. 167 ff.; Pflugmacher, S. 112 ff.), vgl. Schulze-Fielitz, Lärmschutz, S. 200; Ch. Müller, S. 172 ff.; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 318; Hansmann, in: Salzwedel, Grundzüge2, Rn. 09 / 83. – Eine entsprechende Problematik stellt sich für die Grenzwerte der 16. BImSchV (dazu Jarass, BImSchG6, § 41 Rn. 39 ff.; ders., FS Feldhaus, S. 242 ff.; H.-J. Koch, NVwZ 2000, 490 [495 f.]; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 337; Halama, VBlBW 2006, 132 [136 f.]; ausführlich Michler, Lärmsummationen, S. 198 ff.).
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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überschreitung davon abhängt, welche Vorbelastungen, die nicht in den Gesamtwert eingerechnet werden, in welchem Ausmaß im Einzelfall vorhanden sind. Eine Grenze wird hier von der Rspr. erst gezogen, wenn Gesundheitsgefahren bzw. -schäden erreicht sind903, was konsequent ist, da die Gefahrenschwelle auch vom Verordnungsgeber stets einzuhalten ist und allein eine unbeschränkt summative Betrachtung den von Art. 2 II 1 GG geforderten wirkungsbezogenen Schutz sicherstellen kann. Diese beschränkt summative Betrachtung steht – was unbestritten sein dürfte – insofern in Widerspruch zum Immissionsbegriff des § 3 II BImSchG, als diesem bereits begrifflich eine unbeschränkt summative Betrachtung immanent ist, da es auf die Summe aller einwirkenden Immissionen ankommt und eine Anlage bereits keinen Immissionsbeitrag leisten darf, der zusammen mit anderen Immissionen eine „schädliche“ Situation hervorruft904. Jedenfalls dann, wenn man diese unbeschränkt summative Betrachtung als strukturprägendes Merkmal der zu konkretisierenden „erheblichen“ Nachteile und Belästigungen sieht905, könnte man zum Schluß kommen, daß die Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV und TA Lärm 1998 generell untauglich sind, das gebietsadäquate Immissionsniveau und damit die Erheblichkeitsschwelle zu konkretisieren906. Ungeachtet der Frage, ob die Lärmwirkungsforschung derzeit überhaupt über praktisch handhabbare Maßstäbe verfügt, um das Zusammentreffen von Lärm aus verschiedenartigen Lärmquellen beurteilen zu können907, was an dieser Stelle nicht vertieft werden kann908, ist dieser Schluß jedoch zumindest für die 18. ___________ 903 Grundlegend BVerwGE 101, 1 (9 f.): „Der Gesetzgeber ermächtigt den Verordnungsgeber nicht, Immissionsgrenzwerte festzulegen, die im Falle einer summierten Immission zu einer Gesundheitsgefährdung der Betroffenen führen ...“; BVerwGE 107, 350 (357); NVwZ 1999, 67 (68); NVwZ 2001, 1154 (1159); ebenso BayVGH, NVwZRR 2005, 797 (799); ferner BVerwG, NVwZ 2001, 1167 (1168 f.), wonach eine summative Betrachtung auch geboten sein kann, wenn mehrere in einem räumlichen Zusammenhang stehende, aber organisatorisch selbstständige Freizeitanlagen, die jeweils verschiedenen Regelwerken unterliegen, eine „konzeptionelle Einheit“ bilden; dazu etwa Halama / Stüer, NVwZ 2003, 137 (140). 904 H.-J. Koch, in: ders., UmweltR, § 4 Rn. 71; ders., in: GK-BImSchG, § 3 Rn. 30 ff.; ders., FS Feldhaus, S. 218 ff.; ders., NVwZ 2000, 490 (493); Kutscheidt, FS Feldhaus, S. 3; Hansmann, NuR 1997, 53 (56 f.); Feldhaus, Schwierigkeiten, S. 33 f.; ders., Lärmschutz, S. 182; Feldhaus, UTR 21 (1993), S. 33 f.; Dolde, Gesamtlärmbewertung, S. 452; Ch. Müller, S. 165 f.; im Grundsatz auch BVerwGE 101, 1 (7). 905 In diesem Sinne H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 56 Rn. 34. 906 So zur 18. BImSchV Herr, S. 184 f.; H.-J. Koch, FS Feldhaus, S. 224; ferner Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 29, der insofern den abschließenden Charakter der 18. BImSchV in Frage stellt und einen Rückgriff auf § 22 I 1 BImSchG für möglich hält; ebenso Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 323. – Ebenso zur TA Lärm 1998 H.J. Koch, FS Feldhaus, S. 227 ff.; ders., in: EUDUR II2, § 56 Rn. 21; Ch. Müller, S. 177. 907 Dies konstatiert jedenfalls Hansmann, NuR 1997, 53 (58). 908 Dazu Dolde, Gesamtlärmbewertung, S. 460 ff., 464 ff.; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 349 ff.
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
BImSchV nicht zwingend, was anhand einer neueren Entscheidung des BVerwG erläutert werden soll, in der sich das Gericht dezidiert gegen eine summative Betrachtung ausgesprochen hat: „(Der Verordnungsgeber) geht für den Regelfall erklärtermaßen davon aus, daß Immissionen von Sportanlagen keine schädlichen Umwelteinwirkungen sind, wenn sie trotz möglicher Vorbelastungen aus andersartigen Anlagen bei Anwendung des Meßund Beurteilungsverfahrens der Verordnung die darin niedergelegten Richtwerte nicht überschreiten, anders ausgedrückt: Immissionsrichtwerte sowie Meß- und Beurteilungsverfahren stellen die vorhandene Vorbelastung aus andersartigen Anlagen in Rechnung, berücksichtigen sie aber nicht differenzierend nach den jeweiligen Umständen, weil die zugelassenen Immissionen aus Sportanlagen nach Auffassung des Verordnungsgebers in jedem Fall einschließlich einer solchen denkbaren Vorbelastung ... aus Gründen der Sozialadäquanz hinnehmbar sind ...“909.
Vergegenwärtigt man sich die Ausführungen oben B. zum normativen Charakter der Sozialadäquanz910, so wird deutlich, daß es dem BVerwG hier darum geht, in begrenztem Umfang aus Gründen, die im spezifischen Gemeinwohlnutzen von Sportanlagen begründet sind, Immissionstragungspflichten zu begründen911. Überträgt man hierzu die Ausführungen oben zur 16. BImSchV, so war der Verordnungsgeber auch grundsätzlich zu einer solchen überschießenden Gemeinwohldefinition befugt, so daß die eigentliche Problematik darin besteht, daß durch die Regelungstechnik der 18. BImSchV ein variables und möglicherweise insofern gegen das gesetzliche Konkretisierungsprogramm verstoßendes gebietsadäquates Immissionsniveau begründet wird912. Indes folgt aus der Figur des gebietsadäquaten Immissionsniveaus und seiner im 2. Teil beschriebenen (auch) verfassungsrechtlichen Funktion913 nicht notwendig, daß dieses ein feststehender bzw. statischer Wert sein muß, sofern nur derjenige Rahmen eingehalten wird, der durch die abstrakten „Anforderungsprofile“ der einzelnen Baugebietstypen vorgegeben wird. Wenn schon aus dem Erheblichkeitsbegriff des § 3 I BImSchG nicht abgeleitet werden kann, ob etwa im allgemeinen Wohngebiet ein generelles Lärmniveau tagsüber von 54, 55 ___________ 909
BVerwG, NVwZ 2001, 1167 (1169) – Freizeitanlage (Hervorh. vom Verf.). Dazu oben S. 358 ff. 911 Ebenso Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 324; Ketteler, NVwZ 2002, 1070 (1071); Halama / Stüer, NVwZ 2003, 137 (141). – Vgl. ferner Numberger, NVwZ 2002, 1064 (1067), der aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsverfahren für 18. BImSchV und Freizeitlärm-Richtlinie (zu dieser oben S. 436 Fn. 623) zum Ergebnis kommt, daß dem Anlieger einer Sportanlage etwa doppelt soviel Lärm zugemutet werde wie dem Anlieger einer der Freizeitlärm-Richtlinie unterfallenden Freizeitanlage. 912 Zutreffend H.-J. Koch, in: EUDUR II2, § 56 Rn. 34; ferner ders. / Prall, NVwZ 2002, 666 (675), wonach eine quellenseparierende Betrachtungsweise, die es „dem Zufall überläßt, welchen Lärmwirkungen der Betroffene ausgesetzt ist“, wegen „Willkürlichkeit“ gegen den gesetzlichen Ermächtigungsrahmen verstoße. 913 Dazu oben 2. Teil S. 266 ff. 910
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oder 56 dB(A) geboten ist914, kann es auch nicht gegen den Erheblichkeitsbegriff verstoßen, wenn das konkrete Lärmniveau im Einzelfall zwischen diesen Werten changiert. Auch kann gegen ein solches (beschränkt) variables gebietsadäquates Immissionsniveau nicht der Einwand der „Beliebigkeit“ oder „Willkür“ erhoben werden915, da die entstehende Variabilität eine durch den Verordnungsgeber nicht zu überwindende Grenze in den „Anforderungsprofilen“ der einzelnen Baugebietstypen findet und nicht erst in der äußersten Grenze der Gesundheitsgefahr916. Damit wird sowohl dem aus Art. 14 GG resultierenden Anspruch des Eigentümers eines Wohngrundstücks auf eine immissionsschutzrechtliche Ausgestaltung seines Eigentums, die dieser Zweckbestimmung entspricht, als auch dem Schutz vor „erheblichen Nachteilen“ und „Belästigungen“ i. S. des § 3 I BImSchG in ausreichendem Maße entsprochen. Können somit im aufgezeigten Rahmen jedenfalls grundsätzlich auch beschränkt variable Immissionsniveaus begründet werden, so gilt dies nicht gleichermaßen für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften. Es ist nämlich Art. 3 I GG zu beachten, angesichts dessen es rechtfertigungsbedürftig ist, daß verschiedene allgemeine Wohngebiete, denen abstrakt dasselbe „Nutzungsprofil“ zugewiesen sind, gleichwohl ein unterschiedliches konkretes Immissionsniveau hinnehmen müssen, nur weil in einem Wohngebiet das (zufällige) Vorhandensein einer Vorbelastung zur Anhebung des Immissionsniveaus führt. Ein rechtfertigender Grund hierfür kann zwar im spezifischen Gemeinwohlnutzen von Sportanlagen gesehen werden917. Da derartige rechtfertigende Gründe jedoch gegenüber der Gesetzesebene „überschießend“ sind, bedürfen sie zwingend einer Rechtsform, die eine Selbstdetermination durch eigenständige Zwecksetzungen zuläßt, weshalb normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften notwendig ausscheiden. Daher ist jedenfalls die beschränkt summative Betrachtung der TA Lärm 1998 bereits im Ansatz gesetzwidrig918. Einer differenzierten Betrachtung bedarf es bei der 18. BImSchV: Hier verstößt die Begründung beschränkt variabler Immissionsniveaus spätestens dann ___________ 914
Dazu oben S. 480 ff. So aber H.-J. Koch / Prall, NVwZ 2002, 666 (675). 916 So aber die herrschende Rspr.; dazu oben S. 503 Fn. 903. 917 BVerwG, NVwZ 2001, 1167 (1169) – Freizeitanlage. 918 Ebenso H.-J. Koch, NVwZ 2000, 490 (501). – Als Ausweg wird die Durchführung einer Sonderfallprüfung nach Nr. 3.2.2 TA Lärm 1998 vorgeschlagen, wobei die von der TA Lärm 1998 nicht berücksichtigten Immissionen nicht einfach der Vorbelastung zugeschlagen, sondern nach den quellenspezifischen Regelwerken ermittelt und in eine abwägende Gesamtbeurteilung eingestellt werden sollen (Feldhaus, Lärmschutz, S. 185 f.; ders., UTR 21 [1993], S. 40 ff.; Ch. Müller, S. 185 ff.; Hansmann , in: Landmann / Rohmer II, TA Lärm Nr. 3 Rn. 43 ff.; ders., ZUR 2002, 207 [209]; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 318; Jarass, BImSchG 6 , § 48 Rn. 22; kritisch H.-J. Koch, FS Feldhaus, S. 231 f.); eine uneingeschränkte Einbeziehung in die Vorbelastung nach Nr. 2.4 TA-Lärm 1998 erwägt OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 722 (724). 915
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
gegen das Konkretisierungsprogramm des § 23 i. V. m. §§ 22 I 1 Nr. 1, 3 I BImSchG, wenn ein konkretes Immissionsniveau erreicht ist, dessen „Nutzungsprofil“ nicht mehr mit dem zu konkretisierenden identisch ist. Zwar verbietet sich im Rahmen der 18. BImSchV eine Lösung über eine Sonderfallprüfung wie für die TA Lärm 1998 vorgeschlagen919, es kann jedoch beim Begriff des Immissionsrichtwerts angesetzt werden, angesichts dessen obiger Definition920 die Auffassung des BVerwG, die Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV konkretisierten verbindlich und abschließend die Zumutbarkeit von Sportlärm921, jedenfalls nicht selbstverständlich ist. Der Begriff des Richtwerts ist vielmehr offen für ein Verständnis, wonach die Immissionsrichtwerte des § 2 II 18. BImSchV jedenfalls dann ihren abschließenden Charakter verlieren, wenn eine Rechtsfolge begründet würde, die nicht mehr dem Konkretisierungsprogramm des § 23 i. V. m. §§ 22 I 1 Nr. 1, 3 I BImSchG entspricht; in diesem Fall stehen die Richtwerte einer ergänzenden Anwendung der zu konkretisierenden Grundpflichten nicht entgegen922.
II. Konsequenzen für die Bestimmung „atypischer“ Fälle An dieser Stelle kann nun auch eine abschließende Aussage zur dritten Schwerpunktfrage der „atypischen“ Fälle getroffen werden: Wie im 2. Teil ausgeführt923 resultiert die vornehmlich im Rahmen von Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG diskutierte Problematik924 nicht allein aus den Besonderheiten dieser Rechtsquelle925, sondern stellt ein allgemeines Problem rechtssatzmäßiger Umweltstandards dar926, das aus dem Nebeneinander einer begrifflich ausdifferenzierten und durch einzelfallbezogene Wertungen geprägten Gesetzesebene und einer strikten Nivellierungs- und Typisierungswirkung rechts___________ 919 Dazu vorherige Fn.; die 18. BImSchV enthält im Gegensatz zur TA Lärm 1998 keine Sonderfallprüfung. 920 Dazu oben S. 469 Fn. 765. 921 Dazu oben S. 481 Fn. 820. 922 Einen Rückgriff auf § 22 I 1 BImSchG befürworten auch Jarass, BImSchG6, § 23 Rn. 29; Sparwasser / Engel / Voßkuhle5, § 10 Rn. 323; Herr, S. 197 ff. 923 Dazu oben 2. Teil S. 293 ff. 924 Dazu oben Einleitung S. 31 Fn. 12; weitergehend Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 1, der die „Atypizität“ nicht auf Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG beschränkt. 925 Dazu oben 2. Teil S. 227 ff. 926 Vgl. jedoch BVerwGE 108, 260 (266) – Bayerische Biergarten-VO, wo die Berücksichtigung „atypische(r) Sonderlagen“ als Voraussetzung der „Rechtswirksamkeit“ typisierender Regelungen nach § 23 BImSchG genannt wird; ferner hat das BVerwG den atypischen Fall im Rahmen der 17. BImSchV bemüht und den Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betont (BVerwG, NVwZ 1998, 1181 [1183]).
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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satzmäßiger Umweltstandards resultiert927. Nachdem ausgehend hiervon Art und Umfang zulässiger Wertungen bestimmt werden konnten, ist an dieser Stelle nach den Grenzen zu fragen, jenseits derer der Gesetzgeber auch in den §§ 7, 23 und 48 BImSchG von seinem eigenen „Differenziertheitsanspruch“ nicht entbinden wollte oder nicht entbinden konnte. Letzteres ist stets der Fall im Bereich der verfassungsrechtlich gebotenen Differenzierungen, die nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen; Beispiele hierfür, insbesondere im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wurden mehrfach genannt, worauf verwiesen wird. Ferner sind hier in einfach-rechtlicher Hinsicht die Konkretisierungsprogramme der gesetzlichen Ermächtigungsnormen zu nennen, die den untergesetzlichen Konkretisierungen strukturprägende Merkmale wie etwa den Gefahrenbegriff des § 3 I BImSchG vorgeben; hier wollte das BImSchG von seinem Differenziertheitsanspruch nicht entbinden, da ansonsten die gesetzliche Regelungsintention auf untergesetzlicher Ebene konterkariert würde. Die Ausnahme des atypischen Falles ist daher allgemeine Konsequenz einer vom generalisierenden Standard abweichenden zwingenden rechtlichen Bewertung eines Einzelfalles am Maßstab höherrangigen (Verfassungs- oder Gesetzes-) Rechts. In einem solchen Fall gelangen entweder die ursprünglich verdrängten gesetzlichen Grundpflichten wieder zur Anwendung, welche grundsätzlich in der Lage sind, entsprechende Wertungen umzusetzen, oder aber das untergesetzliche Recht hält für diesen Fall selbst – etwa in Gestalt von Sonderfallprüfungen – subsidiäre Regelungen zur Aufnahme dieser Wertungen bereit928. Ob demgegenüber Fallkonstellationen, die der untergesetzliche Normgeber nicht regeln wollte929, nennenswertes Gewicht zukommt, kann bezweifelt werden, da untergesetzliche Umweltstandards regelmäßig generelle Standards liefern und daher auch Fälle erfassen wollen, die „etwas vom Durchschnitt abweichen“930. Allein dies entspricht auch dem Konzept der untergesetzlichen Umweltstandards, denen größtmöglicher Anwendungsvorrang gegenüber den gesetzlichen Grundpflichten zukommen soll. Sofern daher untergesetzliche Regelungen ihren Anwendungsbereich nicht selbst explizit oder implizit einschrän-
___________ 927
Dazu oben S. 487 ff. Vgl. die Sonderfallprüfungen in Nr. 4.8 TA Luft 2002; Nr. 3.2.2 TA Luft 1998. 929 So Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 53; ders., JuS 1999, 105 (111); Ch. Müller, S. 96; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 638 (641); OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357 (358). 930 So für Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG Jarass, JuS 1999, 105 (111); ders., BImSchG6, § 48 Rn. 53; Ch. Müller, S. 96; ebenso VGH Baden-Württ., NVwZ 1995, 292 (294). 928
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ken931, bleibt als Voraussetzung eines atypischen Falles allein die zwingende abweichende Beurteilung am Maßstab höherrangigen Rechts932.
1. Umweltstandards in Form von Rechtsverordnungen Rechtsverordnungen sind Gesetze im materiellen Sinn, die nach Art. 20 III GG gegenüber Bürger, Verwaltung und Gerichte dieselbe Bindungswirkung entfalten wie Parlamentsgesetze. Verstößt eine Rechtsverordnung gegen höherrangiges Recht, ist sie rechtswidrig und gemäß der allgemeinen Fehlerfolge bei Rechtsnormen grundsätzlich nichtig933. Eine strikte Anwendung des Nichtigkeitsdogmas sieht sich jedoch dem Einwand ausgesetzt, daß damit Umweltstandards ihre Geltung auch in den verfassungsrechtlich unbedenklichen „typischen“ Fällen genommen würde. Eine strikte Anwendung des Nichtigkeitsdogmas würde daher in letzter Konsequenz das dem BImSchG zugrundeliegende Regelungsmodell funktionsunfähig machen, da bei keinem untergesetzlichen Umweltstandard Konstellationen vollständig ausgeschlossen werden können, die dessen Nichtigkeit in toto bewirken würden. Es ist daher nach alternativen Lösungen zu suchen, bei denen Umweltstandards im atypischen Fall lediglich eine einzelfallbezogene Geltungs- oder Anwendungsreduktion erfahren. Hierzu soll im folgenden eine pragmatische, auf die Besonderheiten der immissionsschutzrechtlichen Ermächtigungsnormen zugeschnittene Lösung entwickelt werden, die am Anwendungsvorrang untergesetzlicher Umweltstandards gegenüber den gesetzlichen Grundpflichten ansetzt934: Dieser folgt aufgrund der stets möglichen Wertungsdivergenzen zur gesetzlichen Ebene nicht bereits aus dem Geltungsanspruch der untergesetzlichen Umweltstandards, sondern aus dem Anwendungsbefehl der §§ 7 und 23 BImSchG, die somit zugleich über den konkreten Umfang dieses Anwendungsvorrangs entscheiden. Damit können die genannten Normen den Anwendungsbefehl nicht nur an bestimmte Voraussetzungen knüpfen, sondern es ist angesichts der Verfassungsbindung des Gesetzgebers nach Art. 20 III GG davon auszugehen, daß der Anwendungsbefehl nur für diejenigen („typischen“) Fälle erteilt wurde, in denen die untergesetzliche Konkretisierung eine verfassungsmäßige ist. Dies ___________ 931
Dazu Uechtritz, FS Hoppe, S. 569 f. am Beispiel der 16. BImSchV. Die Problematik stellt sich demgegenüber nicht bei Rechtsverordnungen nach § 48a I BImSchG, sofern diese der Umsetzung von EG-Recht dienen, da dieses dem nationalen Recht grundsätzlich vorgeht (dazu oben S. 486 Fn. 843) und ein Vorbehalt des atypischen Falles dessen Geltungsanspruch in Frage stellen würde (ebenso Klink, S. 57). 933 Dazu und zu möglichen Ausnahmen von Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 157 ff.; Hendler, DÖV 1998, 481 (485); Uechtritz, FS Hoppe, S. 569 f. 934 Dazu oben S. 480 ff. – Zum Unterschied von Geltungs- und Anwendungsvorrang aus rechtstheoretischer Sicht Steiff, S. 245 ff. 932
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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schließt über Art. 80 I 2 GG den Fall ein, daß diejenigen (einfach-rechtlichen) strukturprägenden Merkmale verfehlt werden, die im Rahmen der §§ 7 und 23 BImSchG den Verordnungsgeber nach „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ i. S. des Art. 80 I 2 GG verfassungsrechtlich determinieren. Die Ausnahme des atypischen Falles ist daher nicht über eine Geltungsreduktion untergesetzlicher Umweltstandards zu konstruieren, da diese auch im atypischen Fall in Geltung bleiben, sondern über eine Anwendungsreduktion, die ihre Grundlage in einer impliziten Beschränkung des Anwendungsbefehls hat, den die §§ 7 und 23 BImSchG konkretisierenden Umweltstandards erteilen.
2. Umweltstandards in Form von Verwaltungsvorschriften Geht man davon aus, daß eine Außenwirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften nur über die „normative Ermächtigungslehre“935 zu begründen ist, ergibt sich in der Bindungsfrage der bereits im 2. Teil dargestellte Unterschied zur Rechtsverordnung936. Daher findet diese Bindungswirkung dort zwingend ihre Grenze, wo auch nach der „normativen Ermächtigungslehre“ eine gerichtliche Kontrolle möglich und geboten ist. Das Zurückbleiben dieser Bindungswirkung hinter derjenigen des Art. 20 III GG kann dabei festgemacht werden an der Möglichkeit der „Überholung“ durch neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik und den Vorbehalt des atypischen Falles937:
a) „Überholung“ durch neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik Bezüglich dieser ersten Einschränkung ist allgemein anerkannt, daß normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften nur dann Bindungswirkung entfalten, wenn sie nicht durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind938. Zwar unterliegen auch Umweltstandards in Rechtsverordnungen ei___________ 935
Dazu oben 2. Teil S. 230 Fn. 821 ff. Dazu oben 2. Teil S. 229 ff. 937 Dazu Ch. Müller, S. 91 ff.; Jarass, JuS 1999, 105 (110 f.); Pohl, in: Himmelmann u. a., HdbUR, A.5 Rn. 10; Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 5.1.1 Rn. 1; Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48 Rn. 52 f. 938 BVerwG, NVwZ 1995, 994 (994); NVwZ-RR 1996, 498 (499); NVwZ 1988, 824 (825); BVerwGE 110, 216 (219); 114, 342 (345 f.), letztgenannte Entscheidung allerdings mit restriktiver Tendenz; aus der Lit. Hendler, DÖV 1998, 481 (490); Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer I, § 3 Rn. 19k; Jarass, BImSchG6, § 48 Rn. 52; Gusy, NVwZ 1995, 105 (111); Hansmann, in: Landmann / Rohmer II, TA Luft Nr. 5.1.1 Rn. 1; Hill, NVwZ 1989, 401 (410); Hatje / Hansmersmann, in: Kotulla, § 48 Rn. 53. – Vgl. ferner zu der Frage, wann normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften durch Fortschritte im Stand der Technik überholt sind, Faßbender, UPR 2002, 15 (17 ff.). 936
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3. Teil: Einfach-rechtliche Zulässigkeit von Immissionen
ner Rückbindung an den außerrechtlichen technisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand, jedoch soll die Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften im Gegensatz zur Rechtsverordnung eo ipso bei jedem verändertem technisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand erlöschen, und zwar auch dann, wenn entsprechende Umweltstandards sich bei wertender Betrachtung auch angesichts der veränderten Umstände noch rechtfertigen ließen. Die Richtigkeit dieser Ansicht folgt aus der besonderen Bedeutung des wissenschaftlichtechnischen Sachverstandes für die Außenwirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften, dem für die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte konstitutive Bedeutung zukommt, da er für diese Legitimation und Kompensation ist939. Insofern ist die Befugnis zur Schaffung außenwirksamen Rechts dem Normgeber normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften im Gegensatz zum Verordnungsgeber nicht „in die Wiege gelegt“, sondern erst durch fachliche Legitimation „verdient“940, weshalb jede einzelne Verwaltungsvorschrift diesem Fachwissen entsprechen muß.
b) Vorbehalt des atypischen Falles Auf die inhaltlichen Kriterien eines atypischen Falles wurde bereits mehrfach eingegangen; hierauf wird verwiesen. Da der Vorbehalt des atypischen Falles wie ausgeführt gleichermaßen für Umweltstandards in Rechtsverordnungen gilt, ist das Kriterium der „Atypizität“ zwar allein zur Begründung einer unterschiedlichen Bindungswirkung zwischen Rechtsverordnung und normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift ungeeignet941. Ein relevanter Unterschied ergibt sich jedoch aus der Rechtsfolge bei Vorliegen eines atypischen Falles: Während bei Rechtsverordnungen ein Verstoß gegen zwingendes höherrangiges Recht grundsätzlich zum Nichtigkeitsverdikt führt und einzelfallbezogene Anwendungsreduktionen wie ausgeführt begründungsbedürftig sind942, kann bei dem hier vertretenen Begründungsansatz der Außenwirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften943 angenommen werden, daß diese im atypischen Fall ihre Bindungswirkung zugunsten einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle automatisch verlieren, ohne daß damit die Bindungswirkung für typische Fälle in ___________ 939
In diesem Sinne auch Jarass, JuS 1999, 105 (111). Ähnlich Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (777), wonach Beurteilungsspielräume der Verwaltung durch Verfahren „verdient“ sein müssen. 941 Zur Notwendigkeit einer funktionellen Distanz zwischen Rechtsverordnung und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, die sich gerade in der unterschiedlichen Bindungswirkung zu erweisen hat, vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 206b; ferner Ch. Müller, S. 89 ff.; Nierhaus, in: BonnerKomm-GG, Art. 80 Rn. 161 (November 1998); Ossenbühl, Rechtsverordnungen, S. 110. 942 Dazu oben S. 508 ff. 943 Dazu oben 2. Teil S. 229 ff. 940
G. Regelungsmodell rechtssatzmäßiger Umweltstandards
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Frage gestellt würde944. Insofern geht es gerade nicht um die subsidiäre Anwendung einer im Wege des Anwendungsvorrangs verdrängten Gesetzesebene, sondern bereits die Anwendung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften erscheint bei wertender Betrachtung als Anwendung der zu konkretisierenden Gesetzesvorschriften; unterschiedlich ist nur die gerichtliche Kontrolldichte, in der die Gesetzesvorschriften unmittelbar – d. h. ohne dazwischentretende, einer vollen gerichtlichen Kontrolle entzogenen generell-abstrakten „Auslegung“ – zur Anwendung kommen.
___________ 944
Vgl. ferner Hendler, DÖV 1998, 481 (490) und Maurer, AllgVerwR16, § 24 Rn. 26, die das Abweichen im atypischen Fall zu den rechtlichen Eigenarten von Verwaltungsvorschriften zählen.
Zusammenfassung Zusammenfassung
1. Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob die Immissionsschutz gewährenden Grundrechte – betrachtet wurden Art. 2 II 1 GG, Art. 14 GG und Art. 2 I GG – als Abwehrrecht (so bei hoheitlicher Immissionsverursachung) oder als staatliche Schutzpflicht zur Anwendung kommen. Während das Abwehrrecht unbestritten dem Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Schema unterliegt und mit Immissionsverursachung verbundene Gemeinwohlbelange auf der Schrankenebene nach den üblichen „Verarbeitungsregeln“ (insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) schutzbeschränkend entfaltet werden können, ist die Struktur der staatlichen Schutzpflicht noch nicht endgültig geklärt. Daß auch diese einem außentheoretischen Schrankenmodell folgt, ergibt sich aus der den immissionsschutzrechtlichen Schutzpflichtfällen stets zugrundeliegenden Grundrechtskollision, da sich private Emittenten auf eine verfassungsunmittelbare Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 12 GG und subsidiär Art. 2 I GG, eingeschränkt auch aus Art. 14 GG berufen können. Aufzulösen ist diese Grundrechtskollision nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz. Daraus, daß hierbei die Artt. 12, 14 und subsidiär 2 I GG für Art. 2 II 1 GG die Funktion verfassungsimmanenter Schranken haben, folgt, daß auch die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG auf Schutzbereichsebene einen überschießenden prima facie-Gehalt aufweist, der auf der Schrankenebene beschränkt wird. Generell ist in der Lit. zu beobachten, daß die Schutzpflichtdogmatik nur unzureichend mit der wesentlich höher entwickelten und älteren Dogmatik grundrechtlicher Kollisionslagen im Rahmen verfassungsimmanenter Schranken verknüpft wird, weshalb die Schutzpflichtdogmatik von letzterer profitieren kann. Wenn demgegenüber gegen eine zu ausdifferenzierte Schutzpflichtdogmatik geltend gemacht wird, daß damit der Gesetzgeber letztlich zum „Verfassungsvollzug“ degradiert werde, so kann dem zunächst prozessual durch Einräumung entsprechender Einschätzungsprärogativen begegnet werden. Ferner können materiell-rechtlich – was bislang kaum gesehen wurde – die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte (hier Art. 2 II 3 GG) auch für die Schutzpflicht fruchtbar gemacht werden. Auf dieser Grundlage ergibt sich eine Kollisionslösung am Maßstab praktischer Konkordanz, von der der Gesetzgeber im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation nach beiden Seiten abweichen kann, d. h. schutzverstärkend (Beschränkungen nach Artt. 12 I 2, 14 I 2 und 2 I GG) oder schutzbeschränkend (Beschränkungen nach Art. 2 II 3 GG). Hierbei wird die praktische Konkordanz ergänzt und überlagert durch eine „normale“ Verhältnismäßigkeitsprüfung, und es können gegenüber Art. 2 II 1 GG in seiner Schutzdi-
Zusammenfassung
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mension sämtliche Gemeinwohlbelange geltend gemacht werden, die auch im Rahmen des Abwehrrechts schutzbeschränkend definiert werden können. 2. a) Art. 2 II 1 GG verbietet auf Schutzbereichsebene das Abstellen auf eine „durchschnittliche“ Empfindlichkeit, da Leben und körperliche Unversehrtheit in ihrem je individuellen So-Sein geschützt sind, erlaubt aber grundsätzlich Beschränkungen auf Schrankenebene. Wieweit diese reichen, bestimmt sich wesentlich nach der Eingriffstiefe, die wiederum einer differenzierten Behandlung im Risikobereich bedarf. Danach sind anhand der in der atomrechtlichen Diskussion entwickelten Begriffe des subjektiven Individualrisikos, objektiven Individualrisikos und Kollektiv- bzw. Bevölkerungsrisikos folgende Konstellationen – hier am Beispiel des Lebens – zu unterscheiden: 1. Ein bestimmter Grundrechtsträger verliert sicher sein Leben; 2. ein bestimmter Grundrechtsträger verliert mit der Wahrscheinlichkeit x sein Leben; 3. irgendein Grundrechtsträger aus einem Kollektiv verliert sein Leben; 4. irgendein Grundrechtsträger aus einem Kollektiv verliert mit der Wahrscheinlichkeit x sein Leben. Daß zumindest in den Konstellationen 3 und 4 Risikotragungspflichten im übergeordneten Allgemeininteresse begründet werden können, zeigt das alltägliche Beispiel des Straßenverkehrs. Ferner können beim Gesundheitsschutz – jedoch nicht beim Leben – ausnahmsweise auch Schadenstragungspflichten abhängig vom Vorverhalten des Grundrechtsträgers begründet werden. Ferner können legitimierend für Risikotragungspflichten auch die Emittentengrundrechte der Artt. 12, 14 und subsidiär 2 I GG wirken, wobei hier zusätzlich zu fragen ist, in welchem Individualisierungsgrad diese zu berücksichtigen sind. So kann etwa eine einheitliche Immissionsvermeidungspflicht bzw. korrelierend eine entsprechende Risikotragungspflicht für unterschiedliche Anlagen unterschiedliche wirtschaftliche Belastungen und damit unterschiedliche abwehrrechtliche Eingriffe in die Emittentengrundrechte bewirken. Hierzu wurden die Grundsätze einer „vertikalen“ – am jeweiligen Abwehrrecht orientierten – und „horizontalen“ – am ergänzenden Maßstab des Art. 3 I GG orientierten – Typisierungsrechtfertigung entwickelt. Danach gilt, daß individuelle Umstände der jeweiligen Anlage um so mehr berücksichtigt werden müssen, je weiter die Immissionsvermeidungspflicht sich von der sog. Gefahrenschwelle, die im übrigen rein verfassungsrechtlich zu bestimmen ist, entfernt. Daher ist der strikte und kategorische Vermeidungsstandard der Abwehrpflicht nach § 5 I 1 Nr. 1 BImSchG verfassungsrechtlich unbedenklich, während im Rahmen der unterhalb der Abwehrpflicht angesiedelten Vorsorgepflicht nach § 5 I 1 Nr. 2 BImSchG grundsätzlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist, in die in differenzierter Weise emittentenseitige Belange einzustellen sind. Allgemein stellt sich bei Auflösung der zugrundeliegenden Grundrechtskollision ein doppeltes Koordinationsproblem, da sowohl die immissionsbetroffenen Menschen als auch die vermeidungsbetroffenen Anlagen über unterschiedliche „Empfindlichkeiten“ verfügen, die durch einheitliche Immissionsvermeidungspflichten des einfachen Rechts nur begrenzt berücksichtigt können. Daher muß das einfache Recht hier
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Zusammenfassung
stets eine Typisierungsbefugnis – und zwar auf beiden Seiten – in Anspruch nehmen, was notwendigerweise zu einer Generalisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung und zur Ausblendung individueller Umstände im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage führt. b) Im Rahmen der formellen Eingriffsrechtfertigung stellt sich u. a. das Problem, inwieweit auch Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften (TA Luft, TA Lärm) Schranke i. S. des Art. 2 II 3 GG sein können. Während die Außenwirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften in Rspr. und Lit. ausführliche Erörterung erfahren hat, ist dieses grundrechtliche Problem weitgehend unbeachtet geblieben, entlarvt sich aber als Scheinproblem, wenn man mit der heutigen Konzeption normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften Ernst macht: Resultiert nämlich deren Außenwirkung nur aus einer weitgehenden Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte gegenüber einer generell-abstrakten Konkretisierung unbestimmter Gesetzesbegriffe, so ist allein dieser zu konkretisierende Gesetzesbegriff Schranke i. S. des Art. 2 II 3 GG und die Kontrollreduktion i. S. der „normativen Ermächtigungslehre“ an Art. 19 IV GG zu messen. Damit unterscheidet sich das Maß an Wertungen, das über normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften zur Geltung gebracht werden kann, fundamental von der Rechtslage bei Umweltstandards in Rechtsverordnungen: Während dem Verordnungsgeber innerhalb des von „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ nach Art. 80 I 2 GG gezogenen Rahmens grundsätzlich die Befugnis zukommt, auch gegenüber der Gesetzesebene überschießende Zielsetzungen zu verfolgen, können in Verwaltungsvorschriften nur solche Wertungen i. S. einer „tatbestandsbezogenen Abwägung“ zur Geltung gebracht werden, die abschließend bereits auf Gesetzesebene angelegt sind; insofern kann von einem streng gesetzesakzessorischen Wertungsspielraum gesprochen werden. Diese Unterscheidung ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis untergesetzlicher Umweltstandards, da damit rechtsformspezifisch der Konkretisierungsleistung des jeweiligen Normgebers ein äußerster verfassungsrechtlicher Rahmen gezogen wird. Auf dieser Grundlage wurde im 3. Teil unter G. im einzelnen untersucht, welche Wertungen im Sinne der zweiten Schwerpunktfrage nach den einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen der §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG in die jeweiligen Umweltstandards einfließen dürfen. 3. a) Art. 14 GG gewährt insofern Immissionsschutz, als die Nutzbarkeit von Grundstücken zum elementaren Schutzgehalt der Eigentumsgarantie gehört. Auch Art. 14 GG ist doppelfunktional nach Abwehrrecht und staatlicher Schutzpflicht angelegt, jedoch geht die staatliche Schutzpflicht vollständig in der Institutsgarantie des Art. 14 I 1 GG auf, indem diese eine bestimmte Ausgestaltung des einfachen Rechts verlangt, so daß die allgemeine Schutzpflichtdogmatik bei Art. 14 GG in die überkommene Eigentumsdogmatik integriert werden kann. Art. 14 GG unterscheidet sich insofern grundlegend von den anderen Grundrechten, als der Schutzbereich der Bestandsgarantie des Art. 14 I 1
Zusammenfassung
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GG (im Gegensatz zur Institutsgarantie) nach Art. 14 I 2 GG überhaupt erst vom einfachen Recht bestimmt wird, und zwar sowohl in der Innehabungs- als auch in der Nutzungsdimension. Diese Konsequenz, die eine mustergültige Ausprägung in der Eigentumskonzeption des BVerfG erfahren hat, wird nicht überall konsequent durchgehalten, weshalb in der Lit. teilweise unzulässig mit verfassungsunmittelbaren Eigentumsgehalten operiert wird. Im Rahmen der gesetzesabhängigen Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG ist davon auszugehen, daß bereits das Bebauungsrecht eine umfassende grundstücksbezogene Nutzungsordnung begründet, die auf einer logisch ersten Stufe den „Inhalt“ des Eigentums bildet, und auf der die immissionsschutzrechtliche Ausgestaltung im Sinne eines Kohärenzgebotes aufzubauen hat. Konsequenz dieser Nutzungsordnung ist eine räumliche Abschichtung unterschiedlicher Immissionsniveaus, d. h. von Gebieten, die einerseits mehr dem Wohnen und andererseits mehr der Immissionsverursachung dienen. Diese abgeschichtete räumliche Nutzungsordnung ist vom Immissionsschutzrecht dahin auszugestalten, daß einzelnen Gebieten ein bestimmtes quantitatives gebietsadäquates Immissionsniveau zugewiesen wird, was einfach-rechtlich Gegenstand des Begriffs der „erheblichen“ Nachteile und Belästigungen i. S. des § 3 I BImSchG ist. b) Nicht Gegenstand des Erheblichkeitsbegriffs ist demgegenüber eine umfassende Abwägung, in die auch Belange der emittierenden Anlagen, insbesondere deren soziale Nützlichkeit, einzubeziehen sind; auch kommt hierbei dem in der Rspr. teilweise exzessiv gehandhabten Kriterium der „Sozialadäquanz“ eigenständiger Gehalt nicht zu, sofern dieses als gebietsspezifische Sozialadäquanz nicht ohnehin bereits in die baurechtliche Bestimmung des jeweiligen Gebietstyps eingeflossen ist. Gleichzeitig muß das einfache Recht aber auch einzelfallbezogene Durchbrechungen dieses generellen Immissionsniveaus zulassen, da gerade nicht genehmigungsbedürftige Anlagen nach §§ 22 ff. BImSchG im Gegensatz zu den regelmäßig dem planungsrechtlichen Trennungsgrundsatz unterfallenden genehmigungsbedürftigen Anlagen auf räumliche Nähe zur Wohnbebauung angewiesen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die emittierenden Anlagen zur Wohnbebauung in einem dienenden Verhältnis stehen, so daß die Strategie einer konsequenten räumlichen Abschichtung bereits im Ansatz versagt (Bsp.: Kinderspielplätze, Wertstoffcontainer, Glockengeläut der Kirchen). Die danach zuzulassenden Durchbrechungen des gebietsadäquaten Immissionsniveaus sind systematisch ausschließlich in der Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG anzusiedeln. Diese ist daher als umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung auszulegen, in der einerseits spezifische Gemeinwohlzwecke der emittierenden Anlagen zu berücksichtigen sind, andererseits aber auch – so insbesondere beim Glockengeläut der Kirchen – spezielle grundrechtliche Immissionsverursachungsbefugnisse; im Umfang der letztgenannten ist die Minderungspflicht nach § 22 I 1 Nr. 2 BImSchG verfassungsrechtlich notwendiges Medium zur Entfaltung dieser Wertungen.
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Zusammenfassung
4. Die Bestimmung des zulässigen Immissionsmaßes ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht demnach stets eine wertende Frage, da stets „Gründe“ und „Gegengründe“ für die Immissionsverursachung im Sinne einer relationellen Verwobenheit zu berücksichtigen sind, weshalb Schematisierungen und Typisierungen – etwa durch einheitliche Immissionsvermeidungsstandards – stets einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Während die im 3. Teil im einzelnen dargestellten Grundpflichten der §§ 5 I 1 Nr. 1 u. 2, 22 I 1 Nr. 1 u. 2 BImSchG diese Wertungen aufgrund ihrer unbestimmten und insofern wertungsoffenen Gesetzesbegriffe grundsätzlich aufnehmen können, steht das Regelungsmodell untergesetzlicher Umweltstandards, etwa einheitlicher zahlenmäßiger Grenzwerte o. ä., zu denen das BImSchG in den §§ 7, 23, 48 und 48a BImSchG ausdrücklich ermächtigt, aufgrund seiner strikt schematisierenden und typisierenden Wirkungsweise in einem notwendigen strukturellen Spannungsverhältnis zu dem wertungsmäßig geprägten Modell der Verfassungs- und Gesetzesebene. Dieses Spannungsverhältnis ist dahin aufzulösen, daß das BImSchG zwar in den Ermächtigungen der §§ 7, 23, 48 und 48a von seinem eigenen Differenziertheitsanspruch dispensieren kann, nicht jedoch von denjenigen Wertungen, die verfassungsrechtlich zwingend umzusetzen sind. Diese Wertungen können im Falle eines Wertungskonflikts über die Figur des atypischen Falles zur Geltung gebracht werden, der auf eine „Anwendungsreduktion untergesetzlicher Umweltstandards im Einzelfall“ hinausläuft, während deren Geltung und Anwendbarkeit in den verfassungsrechtlich unproblematischen Fällen unberührt bleiben. Neben dieser verfassungsrechtlich bedingten Atypizität ist auch eine tatsächliche Atypizität denkbar, der jedoch die Überlegung entgegensteht, daß der Normgeber untergesetzlicher Umweltstandards grundsätzlich eine einheitliche Regelung schaffen wollte, die bis an die verfassungsrechtlichen Typisierungsgrenzen auch unterschiedlich gelagerte Fälle erfassen soll. Konsequenz dieses Verständnisses atypischer Fälle ist, daß es sich hier entgegen der bisherigen ausschließlichen Erörterung im Rahmen normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften um eine allgemeine Rechtsfigur handelt, die gleichermaßen auf Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften Anwendung findet.
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Sachwortverzeichnis Sachwortverzeichnis
2. Luftqualitäts-Tochter-Richtlinie siehe Luftqualitätsrecht 4. Luftqualitäts-Tochter-Richtlinie siehe Luftqualitätsrecht 13. BImSchV siehe Verordnung über Großfeuerungsanlagen 16. BImSchV siehe Verkehrslärmschutzverordnung 18. BImSchV siehe Sportanlagenlärmschutzverordnung 22. BImSchV siehe Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft Abtreibungs-Entscheidungen siehe Staatliche Schutzpflicht Abwägung 212 ff. – als Form der Rechtsanwendung 213 – Auflösung von Zielkonflikten 214 – Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen siehe dort – Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe 212 ff. – Methode der Abwägung 215 ff. – Minderungspflicht 428 – rechtsfolgenbezogene Abwägung 215 – tatbestandsbezogene Abwägung 215 – zur Bestimmung der Gefahrenschwelle 314 ff. – zur Bestimmung des hinzunehmenden Immissionsmaßes 30, 342 ff. Abwehrpflicht (§ 5 I 1 Nr. 1 BImSchG) 375 ff. – Emissionsprognose 380 – Gefahrenprognose 378 ff. – Hinnahme von Restschäden 378 – Immissionsprognose 380 – IVU-Richtlinie 297 – Risikozurechnung 375 – Vermeidungsstandard 162, 319, 376 ff., 491
– – – – –
Erheblichkeitsbegriff 352 ff. Gefahrenschwelle 320 ff. Verhältnismäßigkeit 339, 392 ff. Wahrscheinlichkeitsmaßstab 377 Wertende Korrektur 377 ff., 391 f., 396 – Wirkungsprognose 380 ff. – krebsverursachende Immissionen siehe dort – Wirkungsschwellen 380 Abwehrrecht (grundrechtliches) 42 ff. – Abgrenzung zur staatlichen Schutzpflicht 126 ff. siehe auch Staatliche Schutzpflicht – primäre Grundrechtsfunktion 45 – Unterlassungspflicht als Rechtsfolge 83 Akzeptanz, allgemeine siehe Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen Akzeptorbezogene Immissionssteuerung siehe Immissionssteuerung Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) 281 ff. – allgemeine Nachteilsfreiheit 282 f. – als immissionsschützendes Grundrecht 281 ff. – Eingriffe 288 ff. – Immissionsverursachungsbefugnis 80 f., 203 – Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ 203 – Schutzgegenstand 284 – staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 I GG 290 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 285 ff. Allgemeinheit und Nachbarschaft 305 Altanlagen siehe Bestandsschutz Amortisation siehe Bestandsschutz Arbeitsplätze – als Gemeinwohlbelang 170 ff. – nachträgliche Anordnungen 461 ff.
Sachwortverzeichnis Atypischer Fall 31, 204, 232, 293, 412, 420, 506 ff. – allgemeines Problem rechtssatzmäßiger Umweltstandards 506 f. – Anwendungs- oder Geltungsreduktion 508 f. – Typisierungswirkung von Umweltstandards 507 – und Rechtsverordnungen 508 f. – und Verwaltungsvorschriften 232, 509 ff. – verfassungsrechtliche Wertungen 507 Außenbereich siehe gebietsadäquates Immissionsniveau Außentheorie 43 f. siehe auch Staatliche Schutzpflicht Außenwohnbereiche 264 Bauleitplanung siehe Bauplanungsrecht Baunutzungsverordnung – Bedeutung für Mindestmaß 435 – gebietsadäquates Immissionsniveau 266 ff., 363 f., 482 – typisierende Betrachtungsweise 363 Bauplanungsrecht 244 ff. – als Ordnungsidee 246, 278 – Baufreiheit 247 f. – Bauleitplanung 278, 354 – BauNVO siehe Baunutzungsverordnung – Bestandsgarantie des Art. 14 I 1 GG 246 f. – Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen siehe dort – grundstücksbezogene Nutzungsordnung 244 ff. – Konfliktlösung durch Bauplanungsrecht 245 f. – objektiver Maßstab 253 f. siehe auch Empfindlichkeit – Zusammenspiel mit Immissionsschutzrecht 370, 438 f. Bayerische Biergartenverordnung 475, 481 siehe auch Umweltstandards aufgrund § 23 BImSchG Belästigung siehe schädliche Umwelteinwirkungen Berufsfreiheit (Art. 12 GG) 61 ff. – Abgrenzung zu Art. 14 GG 191
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– Abwägung mit Art. 2 II 1 GG 181 ff. – Drei-Stufen-Theorie 182 ff. – Immissionsverursachungsbefugnis aus Art. 12 GG 61 ff. – Kollisionsverhalten gegenüber Art. 2 II 1 GG 189 ff. – Verhältnismäßigkeit 183 f. Bestandsschutz 443 ff. siehe auch Eigentumsgarantie – Abgrenzung zu Art. 12 GG 410 f. – aktiver Bestandsschutz 444 – Altanlagen 450 – Amortisation 201, 454, 462 – Arbeitsplätze 461, 463, 465 – Begriff 443 – bei Verschärfung von Umweltstandards 453 – Bezugspunkt 446 ff. – eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb 447 ff. – Eingriff in Art. 14 I 1 GG 452 f. – Herleitung aus Art. 14 GG 444 ff. – Institutsgarantie 454 ff., 458 – Investitionsschutz 449, 461 – konkretes Anlageneigentum als Gegenstand 448 – passiver Bestandsschutz 443 – präventiver Bestandschutz 460 – überwirkender Bestandsschutz 444 – verfassungsrechtlicher Maßstab 449 ff. – Versorgungssicherheit 461 Bestimmtheit von Immissionstragungspflichten siehe Immissionstragungspflichten Biergarten-Verordnung siehe Bayerische Biergarten-Verordnung Biologische Variabilität siehe Empfindlichkeit Clean Air Act siehe krebsverursachende Immissionen Differenziert-objektiver Maßstab 140, 256 siehe auch Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen – Begriff 256 – verständiger Durchschnittsmensch 256, 346, 361 Dispositionsprädikat 327 siehe auch Eignung
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Sachwortverzeichnis
Duldungspflicht 54 ff. – allgemeine Duldungspflicht 55 – Erlaubnisnormen 58 – spezielle Duldungspflicht 55 ff. „Durchschnittliche“ Empfindlichkeit – Erheblichkeit von Gesundheitsgefahren 337 f., 339 ff. – Maßgeblichkeit einer „durchschnittlichen“ Empfindlichkeit 30, 140 ff. – abweichende Ansicht 142 ff. – herrschende Meinung 140 f. – Schrankenproblem 145 – Vereinbarkeit mit Art. 2 II 1 GG 144 f. Durchschnittsmensch siehe „Durchschnittliche“ Empfindlichkeit; Empfindlichkeit Dynamischer Grundrechtsschutz 219, 450 siehe auch Grundrechte
Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) 65 ff. – Abgrenzung zu Art. 12 GG 191 – außentheoretische Struktur 67 ff., 77 ff. – Baufreiheit 247 f. – Beschränkung durch Gemeinwohlbelange 273 f. – Bestandsgarantie 66 ff. – Bauplanungsrecht 246 f. – Gesetzesabhängigkeit 67 f., 77 f. – und immissionsbegrenzende Anforderungen 198 f. – Bestandsschutz siehe dort – Eigentumsmodell des BVerfG 69 ff. – Eigentumsnutzung 65 , 77 f., 242 f. – besondere Empfindlichkeit siehe Empfindlichkeit – gewerbliche Nutzung 251 – Wohnnutzung siehe dort – Eigentumsprinzipien 74 f. – Eingriff durch Immissionen 257 ff. – Erheblichkeitsschwelle 259 f. – hoheitliche Immissionen 257 f. – private Immissionen 259 ff. – staatliche Zulassungsnormen 260 – Eingriffswirkung 261 ff. – Störung des Wohn- und Sozialverhaltens 264 f. – Wertminderung von Grundstükken 265 f.
Enteignung siehe dort Gesetzesabhängigkeit 67 ff., 77 ff. Grundaporie 67 Immissionsschutz 236 ff. Immissionsverursachungsbefugnis 79 f. – Inhalts- und Schrankenbestimmung siehe dort – Institutsgarantie 72 ff., 199 ff. – Bestandsschutz 454 ff., 458 – Handlungspflicht 238 – Kohärenzgebot 242 – Mieter als Eigentümer 240 f. – objektbezogener Maßstab 262 ff., 280 f. – persönlicher Schutzbereich 240 f. – Privatnützigkeit 70, 73 ff., 201, 242, 248 ff., 253 ff., 277, 446 ff. 458 – Schutzbereich 241 ff. – Situationsgebundenheit siehe dort – Sozialpflichtigkeit (Art. 14 II GG) 73 ff., 200, 455 f. – staatliche Schutzpflicht aus Art. 14 GG 236 ff. Eignung i. S. des § 3 I BImSchG 326 f. – Diagnose 328 f. – Dispositionsprädikat 327 ff. – Eignung i. S. des § 4 BImSchG 331 – konkrete Betrachtung 329 – Prognose 328 f., 333 Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb – als Schutzgegenstand des Art. 14 GG 447 ff. – Gegenstand des Bestandsschutzes siehe Bestandsschutz Eingriff siehe Grundrechtseingriff Elektrosmog siehe Mobilfunk Emissionen – Begriff 299 – quellenbezogene Immissionssteuerung siehe Immissionssteuerung Empfindlichkeit – Beschränkung durch Betreibergrundrechte 206 f. – Eigentumsnutzung 252 ff. – besondere Empfindlichkeit der nutzenden Personen 253 ff., 262 – besondere Empfindlichkeit der Nutzung 252 f. – objektiver Maßstab 253 f.
– – – – –
Sachwortverzeichnis – individuelle Prädisposition jedes Menschen 13, 144, 152 f., 203, 334 – Integration in geltendes Recht 165, 334 f., 491 – Konsequenzen für Sachverhaltsermittlung 335 – Meistbegünstigung 142, 143 f., 205 – Regelungstechnik der Umweltstandards 203 f. – Typisierung 204 ff. – „horizontale“ 205 ff. – „vertikale“ 204 – und Gefahrenbegriff 163 Energieversorgung siehe Gemeinwohlbelange Enteignender Eingriff 271 Enteignung 192 ff. siehe auch Eigentumsgarantie – Abgrenzung zu Inhalts- und Schrankenbestimmung 193 ff. – Enteignungsschwelle 271 – formaler Enteignungsbegriff 193 ff. – Immissionen als Enteignung 269 f. – immissionsbegrenzende Anforderungen als Enteignung 198 – klassischer Enteignungsbegriff 193 – Teilenteignung 196 ff., 270 – Umlegungs-Entscheidung 194 f. Erheblichkeit von Gefahren 336 ff. – Bestandteil des Gefahrenbegriffs 303, 336 ff., 340 – und Lehre von „durchschnittlicher“ Empfindlichkeit“ 337 f., 339 ff. Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen 342 ff., 374 – Abgrenzung zur Minderungspflicht 355 ff., 428 f – Abgrenzung zur Vorsorgepflicht 424 f. – abwägungsgeprägter Erheblichkeitsbegriff 342 ff. – abweichende Lit. 344 f. – befürwortende Lit. 343 – Güterabwägung 346 – kritische Würdigung 348 ff. – Rspr. des BVerwG 346 f. – Akzeptanz, allgemeine 346 – Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs 349 ff. – historische 350 – systematische 352 ff., 355 ff. – Wortlautauslegung 349
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– Zweck 351 – Bebauungsrecht 346 – Differenziert-objektiver Maßstab siehe dort – Erheblich = Unzumutbar 30, 342 – gebietsadäquates Immissionsniveau siehe dort – Herkömmlichkeit 346 – Konkretisierung durch Umweltstandards 498 ff. – in Rechtsverordnungen 499 ff. – in Verwaltungsvorschriften 499 – Mittelwertbildung 374 – im nicht beplanten Innenbereich 367 ff. – und Vorbelastungen siehe dort – quantitativ-tatsächlicher Erheblichkeitsbegriff 344 f. – Sozialadäquanz siehe dort – Summationsproblematik siehe Lärmsummation – Trennungsgrundsatz siehe dort – Unzumutbarkeit 30, 342, 346, 349 – Vorbelastungen siehe dort Ermessen – Abgrenzung zu § 17 II BImSchG 460, 464 ff. – zum Ausgleich mehrpoliger Zielkonflikte 461, 464 Europäisches Luftqualitätsrecht siehe Luftqualitätsrecht Europarechtliche Vorgaben – krebsverursachende Immissionen 496 f. – Umweltstandards nach § 48a BImSchG 485 f. Externe Ziele siehe Typisierung Fangschaltungs-Beschluß 93 ff. Feueralarmsirene 274 f., 346, 435 Fiskalische Interessen siehe Gemeinwohlbelange Förderzweck des BImSchG 169 f. Freizeitlärm-Richtlinie 436 Gebietsadäquates Immissionsniveau 266 ff., 345, 354, 357, 482 – BauNVO siehe Baunutzungsverordnung – Durchbrechung durch räumliches Näheprinzip 365 siehe auch Näheprinzip; Minderungspflicht
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Sachwortverzeichnis
– Festsetzung durch Umweltstandards 482, 498 f. – im Außenbereich 369 f. – im nicht beplanter Innenbereich 367 ff. – Inhaltsbestimmung des Grundeigentums 266 ff. – Mittelwertbildung 374 siehe auch Vorbelastungen Gefahr siehe auch Risiko – Abgrenzung zum Nachteil 310 – Abgrenzung zum Risiko 149, 324 f. – Abgrenzung zur Belästigung 304 ff., 310 – abstrakte Gefahr 328, 332 f. – Begriffskorrektur in § 3 I BImSchG 326 f. – Funktionsverlust des Gefahrenbegriffs 325 – Gefahrenbegriff 149, 304 f., 311 ff., 379 – Gefahrenprognose – Immissionsschutzrecht 379 f. – Polizeirecht 378 – Gefahrenschwelle 313 ff., 320 ff. – Abwägung 314 ff. – Bestimmung im Einzelfall 314 f., 320 ff. – dezisionistischer Charakter 494 – emittentenseitige Belange 315 f. – Gemeinwohlbelange 322 f., 492 – hoheitliche Anlagen 323 – Konkretisierung durch Umweltstandards 324 f., 342, 493 ff. – krebsverursachende Immissionen siehe dort – Polizeirecht 317 – Schutz des Lebens 177 – Verhältnismäßigkeit 316, 320 ff. – Gefahrenverdacht 151 siehe auch Vorsorgepflicht – Lehre von „durchschnittlicher“ Empfindlichkeit 342 – Relationeller Gefahrenbegriff 312 f. – Schaden für Rechtsgut 305 ff. – Erheblichkeit 336 ff. – Gesundheit 308 f. – Schutzgüter des BImSchG 305 – Wahrscheinlichkeit 312 f., 315 Gefahrenverdacht siehe Gefahr; Vorsorgepflicht Gemeindehallen 274 f., 435
Gemeinschaftsgüter siehe Gemeinwohlbelange Gemeinwohlbelange – absolute 172, 463 – als Beschränkung von Art. 14 GG 273 f. – Arbeitsplätze siehe dort – Definition durch Rechtsanwender 170 f., 455, 465 – Definition im BImSchG 169 f. – Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus 366 – Eingriffsrechtfertigung 168 ff. – Energieversorgung 168 ff., 461, 463 – fiskalische Interessen 437 – Mindestmaß 431 ff. siehe auch Minderungspflicht – Prärogative des Gesetzgebers 455 f. – Privilegierung des Verkehrs durch 16. BImSchV 501 f. siehe auch Verkehrslärmschutzverordnung – Sozialadäquanz 366 – spezialgesetzliche Definition 171, 273, 366, 434 – Wirtschaftswachstum 168 Gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften 125, 127 f. Gentechnik-Beschluß 91 ff. Gesetzesvorbehalt 86 ff. – kraft Wesentlichkeit siehe Wesentlichkeitstheorie – staatliche Schutzpflicht 110 ff. – verfassungsimmanente Schranken 84 ff. Gesundheit siehe auch Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – Abgrenzung zur „Belästigung“ 304 ff., 310 – Gesundheitsbegriff (klinischer / naturwissenschaftlicher / personalistischer / sozialmedizinischer) 136 f. – körperliche Unversehrtheit 136 f. – psychische Wirkungen 138 – Rechtsgut des BImSchG 308 f. – Schlafstörungen 139 – Schutzgut des Art. 2 II 1 GG 135 f. – WHO-Definition 130, 310 Glockenläuten 276, 346, 431 Grenzwerte siehe Umweltstandards Grundpflichten des BImSchG 295 ff.
Sachwortverzeichnis – Abwehrpflicht (§ 5 I 1 Nr. 1 BImSchG) siehe dort – Bestimmtheit 216, 219 ff. – dynamischer Charakter 295 f., 440, 441 f., 451 ff. – IVU-Richtlinie siehe dort – Minderungspflicht (§ 22 I 1 Nr. 2 BImSchG) siehe dort – Vermeidungspflicht (§ 22 I 1 Nr. 1 BImSchG) siehe dort – Vorsorgepflicht (§ 5 I 1 Nr. 2 BImSchG) siehe dort Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 129 ff. – Eingriff 145 ff. – Eingriffsbegriff 145 f. – Erheblichkeitsschwelle 147 – Gesetzesvorbehalt 210 ff. – Eingriff „nur auf Grund eines Gesetzes“ 222 f. – Grundpflichten des BImSchG 211 f. – Gesundheit siehe dort – körperliche Unversehrtheit siehe dort – Leben siehe dort – personenbezogener Schutzmaßstab 261 ff. – Verhältnis zu Art. 14 GG 280 f. – Schutz im Risikobereich 153 ff. Grundrechte – Abwehrrecht siehe dort – dynamischer Grundrechtsschutz 219, 450 – Grundrecht auf Umweltverschmutzung 62 f. – Objektiv-rechtlicher Gehalt 47 ff. – staatliche Schutzpflicht siehe dort – verfassungsimmanente Schranken 84 ff. Grundrechtsberechtigung 124 ff. Grundrechtsbindung 124 ff. Grundrechtseingriff – Begriff 51, 257 ff. – in Art. 2 II 1 GG 145 f. – in Art. 14 GG 257 ff. – staatliche Schutzpflicht 109 Grundrechtsgefährdung 148 ff. siehe auch Gefahr; Risiko Grundrechtskollision siehe auch praktische Konkordanz – Begriff 61 f.
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– Generalisierung bei Auflösung 180, 419 f. – staatliche Schutzpflicht 87, 96 – Vorsorgepflicht 419 f. Grundrechtsverzicht 161 Heidelberger Fernheizwerk 415 f. Heranrückende Wohnbebauung 161, 441, 459 f. Herkömmlichkeit siehe Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen Immissionen – additive und synergistische Wirkungen 36, 151 – akzeptorbezogene Immissionssteuerung siehe Immissionssteuerung – Begriff 35, 299 – Geräuschimmissionen siehe Lärm – Geruchsimmissionen 422 f. – Grundrechtseingriff 257 ff. – Immissionswirkungen 35 ff. – krebsverursachende Immissionen siehe dort – Lärm siehe dort – Luftschadstoffe 36 ff. – Wirkungsschwellen 36 f., 150 ff., 488 ff. Immissionsschutzrecht – Zusammenspiel mit Bebauungsrecht 370, 438 f. Immissionssteuerung – akzeptorbezogene 299 – Abwehrpflicht als Wirkungsstandard 375 – krebsverursachende Immissionen siehe dort – Rechtsgüterschutz 300 – quellenbezogene 299 Immissionstragungspflichten – Begriff 32 – Bestimmtheit 219 ff. Immissionsverursachung, Abgrenzung private und hoheitliche 123 ff. Immissionsverursachungsbefugnis – aus Art. 2 I GG siehe allgemeine Handlungsfreiheit – aus Art. 12 GG siehe Berufsfreiheit – aus Art. 14 GG siehe Eigentumsgarantie Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 I 2 GG)
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Sachwortverzeichnis
– Abgrenzung zur Enteignung siehe Enteignung – ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung 272 – Belastungsgleichheit 202, 457 – formelle Voraussetzungen 280 – Institutsgarantie 72 f., 199 f., 273 f. – sozialer Bezug – emittierende Anlagen 201 – Wohnnutzung 276 f. – Typisierungsbefugnis 201 f. siehe auch Typisierung – verfassungsrechtlicher Maßstab 199 ff., 454 ff. – für immissionsbegrenzende Anforderungen 199 ff. – für Immissionsbelastung 273 ff. – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 74, 199 Innenbereich, nicht beplanter siehe gebietsadäquates Immissionsniveau Innentheorie 43 f. siehe auch staatliche Schutzpflicht Institutsgarantie siehe Eigentumsgarantie Integrierter Umweltschutz siehe IVURichtlinie Interne Ziele siehe Typisierung Investitionsschutz siehe Bestandsschutz Irrelevanzklauseln 388 IVU-Richtlinie 296 ff. – Bedeutung für Stand der Technik siehe Stand der Technik – Grundpflichten des BImSchG 297 f. Kirchen siehe Glockenläuten Körperliche Unversehrtheit siehe auch Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – Abwägung mit Allgemein- und Individualinteressen 178 f. – Begriff 131 f. – Begründung von Gefahr- und Risikotragungspflichten 178 f. – Folgenbetrachtung 132 f. – funktionelles Verständnis 134 – Realisierung von Risiken 179 – Verhältnis zu Gesundheitsbegriff siehe Gesundheit Kontrolldichte 101 f., 104
Kraftfahrzeugverkehr 158, 176 Krebsverursachende Immissionen 37, 155 ff., 221 f., 382 ff., 495 ff. – 2. Luftqualitäts-Tochter-Richtlinie 384, 496 siehe auch Luftqualitätsrecht – 4. Luftqualitäts-Tochter-Richtlinie 385 siehe auch Luftqualitätsrecht – Abwehrpflicht 382 ff. – akzeptorbezogene Obergrenze 389 – Benzol (Immissionswert) 384, 495 – Bestimmtheit von Immissionstragungspflichten 221 – Bevölkerungsrisiko siehe Kollektivrisiko – Clean Air Act 220 f., 390, 391 f. – Emissionsminderungsgebot 383 ff., 420 f. – Gefahrenschwelle und Umweltstandards 495 ff. – Individualrisiko siehe Risiko – Kollektivrisiko siehe Risiko – LAI-Bericht 155, 383, 389 – Regelungsansätze 383 ff. – Risikominimierung (Emissionsminderung) 383, 420 f. – Verhältnismäßigkeit 420 f. – Schutz durch Art. 2 II 1 GG 155 f., 157 ff. – Schutz durch TA Luft 496 f. – Sonderfallprüfung nach TA Luft 387, 389 – Verhältnismäßigkeit 420 f. – Vorliegen einer „Gefahr“ 382 f. – allgemeines und besonderes Erkrankungsrisiko 387 f. – Gefahrenschwelle 495 ff. – Kollektivrisikos 386 ff. – Wirkungen 37 Lärm 38 ff. – Begriff 38 – wertender Betrachtung 255 f. – Wirkungen 263, 422 ff. – Kleinräumigkeit 263, 422 – Störung des Wohn- und Sozialverhaltens 264 f. Lärmsummation 502 ff. – beschränkt summative Betrachtung 503 – Grenze durch Art. 2 II 1 GG 503
Sachwortverzeichnis – Grenzen bei 18. BImSchV 506 siehe auch Sportanlagenlärmschutzverordnung – Zulässigkeit 504 – Lärmwirkungsforschung 503 – Privilegierung von Sportanlagen 504 f. siehe auch Sportanlagenlärmschutzverordnung LAI-Bericht siehe krebsverursachende Immissionen Leben siehe auch Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – Abwägung mit Allgemein- und Individualinteressen 176 ff. – als Schutzgut des Art. 2 II 1 GG 130 – Begründung von Gefahr- und Risikotragungspflichten 176 – Gefahrenschwelle 177 – Verhältnismäßigkeitsprüfung 174 ff. Luftqualitäts-Rahmen-Richtlinie siehe Luftqualitätsrecht Luftqualitätsrecht, europäisches 384 f. – 2. Luftqualitäts-Tochter-Richtlinie 384 – 4. Luftqualitäts-Tochter-Richtlinie 385 – Luftqualitäts-Rahmen-Richtlinie 384 – Umweltqualitätsziele 300 f. – Verhältnis zur 22. BImSchV 385
Maßstabsfunktion des Verfassungsrechts siehe verfassungskonforme Auslegung Minderungspflicht (§ 22 I 1 Nr. 2 BImSchG) 428 ff. – Abgrenzung zur Erheblichkeit 355 ff., 428 f. – Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus 356 ff., 365 ff., 428 ff. siehe auch Näheprinzip – Mindestmaß 428 ff. – Abwägung 355 – BauNVO 435 – Gemeinwohlbelange 431, 433 ff. – hoheitliche Anlagen 432 ff. – Näheprinzip 433
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– Verhältnismäßigkeitsprüfung 428, 433 ff. siehe auch Verhältnismäßigkeit – wirtschaftliche Belange 430, 437 – Näheprinzip 356 – seltene Ereignisse 436, 480 – teleologische Korrektur 427 – Verhältnis zu § 15 BauNVO 438 ff. Mindestmaß siehe Minderungspflicht Mobilfunk 32 Nachbarschaft siehe Allgemeinheit Nachteil siehe schädliche Umwelteinwirkungen Nachträgliche Anordnungen 458 ff. – Abschichtung von Ermessen und Verhältnismäßigkeit 460 – Arbeitsplätze 463, 465 – bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen 467 f. – Durchsetzung der Abwehrpflicht 458 f. – Ermessen nach § 17 I 1 BImSchG 464 – Nachteile und Belästigungen 459 f. – Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 17 II BImSchG 462 f. – Vorsorgeanordnungen – Durchsetzung der Vorsorgepflicht 460 ff. – Konkretisierung durch Umweltstandards 466 Näheprinzip 275 f., 356 – BauNVO 365 – Durchbrechung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus 275, 357, 365, 428 ff. siehe auch gebietsadäquates Immissionsniveau – Minderungspflicht 356, 433 Normative Ermächtigungslehre siehe unbestimmter Rechtsbegriff; Verwaltungsvorschriften Objektiv-rechtlicher Gehalt siehe Grundrechte Öffentliches Interesse siehe Gemeinwohlbelange Präformationsmodell 42 Präklusion 161, 205, 335 Präventives Verbot 53 f. Praktische Konkordanz 64, 115 ff., 180 f., 419 f.
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Sachwortverzeichnis
– Verhältnis zu Übermaß- und Untermaßverbot 119 ff. – Vorsorgepflicht siehe dort prima facie-Recht siehe Außentheorie Prinzipientheorie 48 f. Prioritätsgrundsatz 161, 251, 279, 459 Prüfungsschema nach Petersen 301 f. Quellenbezogene Immissionssteuerung siehe Immissionssteuerung Räumliche Dimension immissionsschutzrechtlicher Nutzungskonflikte 143, 160 ff., 165, 330 siehe auch Bauplanungsrecht; Trennungsgrundsatz Rechtsverordnung – Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers 224 ff. – Inhalt, Zweck und Ausmaß 225 – Wesentlichkeitstheorie 223 f. – Zwecksetzungsbefugnis 225 f. Religionsausübung 276 Restrisiko siehe Risiko Richtwerte siehe Umweltstandards Risiko siehe auch Gefahr – Abgrenzung zur Gefahr 149, 324 f. – Begriff 149 – Bevölkerungsrisiko 156 f., 174 f. – Grundrechtsschutz 153 ff. – Individualrisiko (subjektives und objektives) 156 f., 174 f. – Kollektivrisiko siehe Bevölkerungsrisiko – Realisierung von Risiken 179 – Restrisiko 159 Risikoerkenntnis siehe Prüfungsschema nach Petersen Risikosteuerung siehe Prüfungsschema nach Petersen Risikozurechnung siehe Prüfungsschema nach Petersen Rücksichtnahmegebot 369, 439 f. Schädliche Umwelteinwirkungen (§ 3 I BImSchG) 302 ff. – Bedeutung für Vorsorgepflicht 397 f. siehe auch Vorsorgepflicht – Belästigung 304 ff., 310 – einheitlicher Begriff 398 f. – Gefahr siehe dort
– Nachteil 310 – sinnvariierender Inhalt 398 f. – Tatbestand der Risikoerkenntnis 302 siehe auch Prüfungsschema nach Petersen Schutzbereich-Eingriff-SchrankenSchema 41 ff. Schutzpflicht siehe Abwehrpflicht; staatliche Schutzpflicht Selbsthilfemöglichkeiten 161 Seltene Ereignisse siehe Minderungspflicht Situationsgebundenheit des Eigentums 248 ff. – Begriff 248 f. – Immissionsschutzrecht 250 f. – Naturschutzrecht 250 – normativer Charakter 249 f. Situationsgebundenheit des Grundrechtsschutzes 159 Sonderfallprüfung siehe TA Luft Sozialadäquanz 346 f., 358 ff., 366 f. – Begriff 358 – empirisch-faktischer Tatbestand 359 ff. – gebietsspezifische Sozialadäquanz 363 f. siehe auch gebietsadäquates Immissionsniveau – Gemeinwohlnutzen 366 – normativer Tatbestand 362 ff. – Sportanlagen 504 f. – verständiger Durchschnittsmensch 361 siehe auch differenziert-objektiver Maßstab – Wertstoffhof-Entscheidung 347 Spielplätze – Nähe zur Wohnnutzung 276 Sportanlagen – gebietsspezifische Sozialadäquanz 364 – Mindestmaß 436 siehe auch Minderungspflicht – Nähe zur Wohnnutzung 276 – Privilegierung durch 18. BImSchV 504 f. siehe auch Lärmsummation – soziale Funktion 346, 436 Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) 470 – beschränkt summative Betrachtung siehe Lärmsummation – gebietsadäquates Immissionsniveau 266 ff.
Sachwortverzeichnis – Immissionsrichtwerte 267 – tabellarische Übersicht 500 – Zumutbarkeit von Sportlärm 481 – Privilegierung von Sportanlagen 504 f. Staatliche Genehmigung siehe präventives Verbot Staatliche Schutzpflicht 45 ff. – Abgrenzung zu Abwehrrecht 126 ff. – Abtreibungs-Entscheidungen 46, 98 ff., 103 – Abwehrrechtliche Konstruktion 50 ff., 81 ff. – aus Art. 14 GG 236 ff., 238 siehe auch Eigentumsgarantie – außentheoretische Struktur 42 f., 100 ff. siehe auch Außentheorie – Begriff 45 f. – Dogmatische Struktur 98 ff. – eigenständige Grundrechtsfunktion 42, 81 ff., 84 – Evidenz 101 f. – Gesetzesmediatisierung 82 – Grundrechtskollision 87, 96 ff. – Herleitung 46 ff. – kollisionsrechtliche Rekonstruktion 96 ff. – subjektives Recht auf Schutz 42 – Untermaßverbot siehe dort Staatsziel „Umweltschutz“ (Art. 20a GG) 90 f. Stand der Technik 417 ff. – abstrakt-genereller Wirtschaftlichkeitsmaßstab 418, 427 – als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 417 – als partiell-genereller Vorsorgestandard 417 ff. – bei Vermeidungspflicht (§ 22 I 1 Nr. 1 BImSchG) 427 siehe auch Vermeidungspflicht – Emissionsbegrenzung nach Stand der Technik 401, 404 f. – IVU-Richtlinie 417 – Konkretisierung durch Umweltstandards 497 Summationsproblematik siehe Lärmsummation TA Lärm 470 siehe auch Verwaltungsvorschriften – Außenwirkung 228 ff.
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– gebietsadäquates Immissionsniveau 266 ff., 482 siehe auch gebietsadäquates Immissionsniveau – Immissionsrichtwerte 267, 500 (tabellarische Übersicht) TA Luft 470 siehe auch Verwaltungsvorschriften – Außenwirkung 228 ff. – Emissionsgrenzwerte als Konkretisierung der Vorsorgepflicht 485 – krebsverursachende Immissionen siehe dort – Sonderfallprüfung 387 – Verhältnis zur 22. BImSchV 385, 496 Tatbestandstheorie, enge und weite 62 ff. Technische Anleitung Lärm siehe TA Lärm Technische Anleitung Luft siehe TA Luft Tegelsbarg-Entscheidung 346 siehe auch Sportanlagen Trennungsgrundsatz 353 f., 395 f. – Näheprinzip siehe dort – Vermeidungsstandard der Abwehrpflicht 395 f. Tunnelofen-Entscheidung 373 f., 448 Typisierung – allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) 186 ff. – Allgemeininteressen als Typisierungsrechtfertigung 207 – Art. 12 GG 184 ff. – besondere Empfindlichkeit 203 ff. – Betreibergrundrechte als Typisierungsrechtfertigung 206 f. – horizontale Typisierungsrechtfertigung (i. V. m. Art. 3 I GG) 186 ff. – Art. 2 II 1 GG 205 ff. – Art. 12 GG 186 ff. – Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 I 2 GG) 201 f. – interne und externe Ziele 187 – Kollisionsverhalten des Art. 12 GG 189 ff. – naturwissenschaftliche Erfahrungssätze 333 – vertikale Typisierungsbefugnis 185 – Art. 2 II 1 GG 204 – Art. 12 GG 185 – Verwaltungspraktikabilität 188, 207
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Sachwortverzeichnis
– Wirkung von Umweltstandards siehe Umweltstandards Typisierungsgrundsatz nach § 8 BauNVO 353 f. Überdurchschnittliche Empfindlichkeit siehe Empfindlichkeit Umweltqualitätsziele 300 f. siehe auch Luftqualitätsrecht Umweltschutz siehe Staatsziel „Umweltschutz“ (Art. 20a GG) Umweltstandards 34, 468 ff. – 18. BImSchV 481 f. siehe auch Sportanlagenlärmschutzverordnung – aufgrund § 7 BImSchG 473 ff. – abschließender Charakter 474 – Konkretisierungsprogramm 473 – aufgrund § 23 BImSchG 475 ff. – abschließender Charakter 480 ff. – Grundpflichten des § 22 I 1 BImSchG 476 ff. – Konkretisierungsprogramm 475 – Minderungspflicht 479 – aufgrund § 48 BImSchG 483 f. – aufgrund § 48a BImSchG 485 f. – Begriff 468 – besondere Empfindlichkeit 164 f. – Festsetzung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus 267, 482, 498 f. siehe auch gebietsadäquates Immissionsniveau – Grenzwerte 469 – Konkretisierung der Erheblichkeitsschwelle siehe Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen – Konkretisierungsprogramme 472 ff. – Rechtmäßigkeitsmaßstab 470 f. – Regelungstechnik 468 f. – Richtwerte 469 – Spannungsverhältnis zu gesetzlichen Grundpflichten 487 f. – typisierende Wirkung 482 f., 487 f. – „Übersetzungsmodell“ 226, 471, 487 f., 489 ff. – und Wertungen 471, 487 f., 494 – „Wertungsmodell“ 226, 471, 482, 487 f., 489 – Wirkungsweise 164, 468 ff., 482 f. Unbestimmter Rechtsbegriff – Konkretisierung durch Abwägung 212 ff. – Kontrolldichte-Problematik 216 f.
– Normative Ermächtigungslehre 229 ff. siehe auch Verwaltungsvorschriften – Wesentlichkeitstheorie 218 f. Unterlassen, gesetzgeberisches – „echtes“ 83 – „unechtes“ 83 ff., 107 Untermaßverbot 115 ff. – Divergenz- / Konvergenzthese 115 – und Übermaßverbot 116 ff. – Zweite Abtreibungs-Entscheidung 103 Unzumutbarkeit siehe Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen
Verfassungsimmanente Schranken siehe Grundrechte Verfassungskonforme Auslegung 40 Verhältnismäßigkeit 173 ff. – Beschränkung der Vorsorgepflicht 401, 407 ff. – Bestimmung der Gefahrenschwelle 316 ff. siehe auch Gefahr – Gemeinwohlbelange 168 – Generalisierung 182 ff., 409, 420 – „große“ und „kleine“ Verhältnismäßigkeit 408 ff., 416, 460 ff. – Herleitung 173 – „interne“ und „externe“ Verhältnismäßigkeit 407 f. – Mindestmaß 428, 433 ff. siehe auch Minderungspflicht – Stand der Technik siehe dort – Zweck-Mittel-Relation 116 ff., 119, 168, 413, 420, 433 Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) 470, 499 ff. – Immissionsgrenzwerte 267, 500 (tabellarische Übersicht) – Konkretisierung des gebietsadäquaten Immissionsniveaus 266 ff., 482, 499 siehe auch gebietsadäquates Immissionsniveau – Privilegierung des Verkehrs 501 f. Vermeidungspflicht (§ 22 I 1 Nr. 1 BImSchG) 427 ff. – Stand der Technik siehe dort – Vermeidungsstandard 427 Verordnung über Großfeuerungsanlagen (13. BImSchV) 416
Sachwortverzeichnis Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft (22. BImSchV) 385, 470, 496 f. siehe auch Luftqualitätsrecht Versorgungssicherheit siehe Energieversorgung; Gemeinwohlbelange Verständiger Durchschnittsmensch siehe differenziert-objektiver Maßstab Verwaltungspraktikabilität siehe Typisierung Verwaltungsvorschriften 227 ff. – Antizipierte Sachverständigengutachten 228 – atypischer Fall siehe dort – Außenwirkung 227 ff., 231 f. – Begriff 227 – gesetzesakzessorischer Gestaltungsspielraum 234 – Normative Ermächtigungslehre 229 ff. siehe auch unbestimmter Rechtsbegriff – normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften 229 ff. – Schrankeneigenschaft nach Art. 2 II 3 GG 233 f. – Überholung durch neue Erkenntnisse 232, 509 f. Voerde-Entscheidung 315, 391 Vorbelastungen 371 ff. – Bestandsschutz 373 f. – Mittelwertbildung 374 Vorsorgepflicht (§ 5 I 1 Nr. 2 BImSchG) 397 ff. – Abgrenzung zur „Erheblichkeit“ 424 f. – Auffangfunktion der Vorsorgepflicht 400, 404 – Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen 397 f. – Emissionsminderung 404 f., 423 f. – Fernwirkungsproblematik (Waldsterben) 404, 415 f. – Finalstruktur 400 – Freiraumfunktion 406, 415, 424 – Funktionen der Vorsorgepflicht 402 ff. – Gefahrenverdacht 381, 402 f. – gegen Nachteile und Belästigungen 421 ff. – Grundrechtsgebotenheit 412 – IVU-Richtlinie 298
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– Konkordanzfunktion 405 f., 419 f., 423 – Konkretisierung durch Umweltstandards 497 ff. – Modifiziertes Prüfungsschema 399 ff. siehe auch Prüfungsschema nach Petersen – normative Vorsorgeziele 405, 412 f., 416, 498 – risikobezogene Vorsorge 402 ff., 414 – Stand der Technik siehe dort – Tatbestand 397 ff., 401 f. – Vermeidungsstandard 407 ff. – generelle Luftqualitätsstandards 403, 405 siehe auch normative Vorsorgeziele – Konzeptierung 408, 416 – und Grundrechte 411 ff. – Verhältnismäßigkeit 407 ff. – Vorsorgefunktionen 414 ff. – Vorsorgebedürftigkeit (Vorsorgeanlaß) 423 – Zurechnung von Immissionen siehe Zurechnung Waldsterben siehe Vorsorgepflicht Warnungs-Entscheidungen 95 ff. Wechselwirkung siehe Zusammenspiel von Bebauungsrecht und Immissionsschutzrecht Wertminderung siehe Eigentumsgarantie Wertstoffhöfe – Mindestmaß 435 – Wertstoffhof-Entscheidung siehe Sozialadäquanz Wesentlichkeitstheorie 88, 111, 218 f. – Rechtsverordnung 223 f. – unbestimmte Rechtsbegriffe 218 f. WHO siehe Gesundheit Wirkungsschwellen siehe Immissionen Wirkungsstandards siehe akzeptorbezogene Immissionssteuerung Wirtschaftliche Vertretbarkeit 462 f. siehe auch nachträgliche Anordnungen Wirtschaftswachstum siehe Gemeinwohlbelange Wohnnutzung – Anforderungsprofil 242 f.
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Sachwortverzeichnis
– Eigentumsnutzung 242 ff. – Nachbarschaft zu Sportanlagen 276 – sozialer Bezug 276 f.
Zitiergebot – bei staatlicher Schutzpflicht 122 f. – Nichtzitierung des Art. 2 II 1 GG im BImSchG 166 f. Zumutbarkeitsschwelle, enteignungsrechtliche 271 f.
Zurechnung von Immissionen an konkrete Anlagen 147 f., 180, 400 Zusammenspiel von Bebauungsrecht und Immissionsschutzrecht 370, 438 f. Zwecksetzungsbefugnis siehe Gemeinwohlbelange – bei staatlicher Schutzpflicht 112 f., 120 – des Gesetzgebers 83 – des Rechtsanwenders 170 f. – des Verordnungsgebers 225 f.
SUMMARY The central question of German immission control law is to what extent the individual citizen can be obliged to accept airborne pollution and noise, or – put the other way around – to what extent emission sources, especially industrial undertakings but also public facilities, can be allowed to cause pollution and noise in a legally acceptable manner. On the one hand, this question is dealt with by the German “Bundes-Immissionschutzgesetz” (Federal Immission Control Act) and the corresponding bodies of regulations. However, the question also has a constitutional law dimension which must not be underestimated, since both the persons subject to the pollution and noise and the emission sources can regularly invoke basic constitutional rights (namely Art. 2 II 1, Art. 12 and Art. 14 of the Constitution of the Federal Republic of Germany). This constitutional collision must necessarily determine the interpretation of the legal provisions of German immission control law. This approach leads to the finding that a valuing dissolution of such constitutional-law-related collisions is in conflict with the regulatory approach of establishing certain thresholds which is based on a strict schematization. The consequence to be drawn from a construction that is in compliance with the constitution is that German immission control law has to take into account constitutional valuations to a much higher degree than currently practiced.
RÉSUMÉ L’objet principal du droit de la protection contre les nuisances est de déterminer dans quelles limites un individu est contraint de supporter des nuisances, notamment atmosphériques et sonores, et en corrélation, dans quelle mesure l’émission de nuisances par des entreprises industrielles ou commerciales mais aussi par des installations de l’Etat est légalement acceptable. Cette question, réglée par la Loi Fédérale de protection contre les nuisances (Bundes-Immissionsschutzgesetz) et les dispositions règlementaires y afférentes, présente par ailleurs une dimension constitutionnelle qui ne doit pas être sous-estimée, puisque la victime et l’émetteur des nuisances peuvent l’un et l’autre se prévaloir du respect de leurs droits fondamentaux (voir art. 2 al. II, art. 12 et art. 14 de la Loi Fondamentale allemande). Ce conflit avec les droits fondamentaux doit impérativement gouverner l’interprétation des règles légales du droit de la protection contre les nuisances. En cela, il s’avère que la résolution essentiellement valorisante de tels conflits par le droit constitutionnel génère une situation de tension structurelle avec le modèle de valeurs limites règlementaires, lequel repose sur une schématisation stricte. Une interprétation conforme à la constitution implique en conséquence que les dispositions légales ordinaires tiennent compte beaucoup plus largement qu’elles ne le font actuellement des appréciations constitutionnelles existantes.