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German Pages 291 Year 2001
CLAUDIA ERWIN
Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Schulfach Ethik/Philosophie
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 847
Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Schulfach Ethik/Philosophie
Von
Claudia Erwin
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Erwin, Claudia: Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Schulfach Ethik, Philosophie / Claudia Erwin. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 847) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10278-9
D 6 Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10278-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Beim Übergang in die Oberstufe eines nordrhein-westfâlischen Gymnasiums machte ich im Jahre 1989 erstmals mit einer Regelung Bekanntschaft, nach der Schülerinnen und Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, stattdessen Kurse in Philosophie zu belegen haben. Diese Regelung stieß vielfach auf Mißtrauen. Einerseits schien der Staat zugunsten des Religionsunterrichts und gegen die Möglichkeit der Abmeldung Stellung zu beziehen; andererseits drohte der Philosophieunterricht durch eine Welle unmotivierter,»Religionsflüchtlinge" entwertet zu werden. Die verfassungsrechtlichen Probleme, die sich aus einer solchen Regelung ergeben, erkannte damals allerdings niemand. Sie darzustellen und zu klären ist Aufgabe der vorliegenden Arbeit. So läßt sich zumindest der erste der oben genannten Vorbehalte ohne weiteres in die Sprache des Verfassungsrechts übersetzen: Die Schülerinnen und Schüler hegten den Verdacht, daß sie durch die verpflichtende Teilnahme an einem anderen Unterricht in ihrem Entscheidungsrecht über die Teilnahme am Religionsunterricht und damit in ihrer Glaubensfreiheit beeinträchtigt werden sollten. Der zweite Vorbehalt, die Sorge um die Qualität des Philosophieunterrichts, ist dagegen auf den ersten Blick als verfassungsrechtlich irrelevant zu erkennen; eine juristische Betrachtung führt aber überraschenderweise genau zu dem umgekehrten Problem, ob nicht der verfassungsrechtlich garantierte Religionsunterricht durch eine Auswahlmöglichkeit, wie sie der Philosophieunterricht darstellt, entwertet wird. Die Anregung, mich mit diesen Fragen aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beschäftigen, verdanke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Pieroth. Nicht nur hierfür gilt ihm jedoch mein herzlicher Dank, sondern auch für seine ständige Gesprächsbereitschaft und seine Hilfsbereitschaft bei allen Fragen und Problemen. Dem Zweitgutachter Prof. Dr. Dr. Krawietz danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Besonders danken möchte ich zudem meinen Eltern, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre, und Herrn Dipl. phys. Kurt Garloff, dessen unermüdliche Begeisterung für Fragen sowohl der Textverarbeitung als auch des Verfassungsrechts die Arbeit wesentlich vorangebracht hat. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1999 von der rechts wissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis Frühjahr 2000 berücksichtigt. Münster, im Juli 2000
Claudia Erwin
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
17
1. Teil Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
A. Leitlinien für eine vergleichende Auswertung der Landesregelungen
20
B. Das Verhältnis zwischen Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
21
I. Der Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG II. Die unterschiedlichen Formulierungen der Teilnahmeverpflichtung
21 23
III. Die Begriffe des Ersatz- und Alternativfaches
24
IV. Ausnahmen von der grundsätzlichen Teilnahmepflicht
26
1. Weitere Elemente von Zuordnung und Wahl
26
2. Die Regelung hinsichtlich der konfessionsangehörigen Schüler, deren Religionsunterricht an der Schule erteilt wird
27
a) Die Umsetzung des Art. 7 Abs. 2 GG ins Landesrecht
27
b) Das Bestimmungsrecht beim Ersatzfach
28
3. Das Bestimmungsrecht beim Alternativfach
29
c) Die Regelungen über die Teilnahme Konfessionsfremder am Religionsunterricht
30
a) Die Teilnahme Konfessionsfiremder am Religionsunterricht in der Ersatzfachkonstellation
30
b) Die Teilnahme Konfessionsfremder am Religionsunterricht in der Alternativfachkonstellation
31
8
Inhaltsverzeichnis V. Zusammenfassung zur Ausgestaltung als Ersatz- oder Alternativfach VI. Exkurs: Ausnahmen von jeder Teilnahmepflicht
C. Einrichtung und Ausgestaltung des Unterrichts Ethik/Philosophie I. Voraussetzungen der Einrichtung II. Schulrechtliche Ausgestaltung III. Besonderheiten in der gymnasialen Oberstufe
32 34
35 35 37 38
1. Ethik/Philosophie als Grundkurs
39
2. Ethik /Philosophie als Abiturprüfungsfach
39
IV. Zusammenfassung zur Einrichtung und Ausgestaltung des Faches
D. Inhalte und Ziele des Faches I. Bildungs-und Erziehungsziele
40
41 41
1. Die unterschiedlichen Konzeptionen
41
2. Übersicht über die gesetzlich geregelten Unterrichtsziele
43
3. Übersicht über ausgewählte Lehrpläne
46
a) Die Ziele
46
b) Die Inhalte
47
4. Ergebnis II. Bestimmungen über die Lehrkräfte
E. Die Entwicklung des Faches Ethik/Philosophie - Geschichte und Zukunft I. Anmerkungen zum Philosophie- und Moralunterricht II. Ethik/Philosophie als Ersatz- und Alternativfach
51 51
53 53 55
1. Die Entwicklung der Abmeldungszahlen
55
2. Die Situation in den neuen Bundesländern
57
3. Motive für die Einführung des Faches
59
a) Das Ersatzfach und die Abmeldung vom Religionsunterricht
59
b) „Ethik" oder „Philosophie"?
60
Inhaltsverzeichnis III. Ausblick auf die Entwicklung des Faches Ethik/Philosophie
61
1. Der Ausgangspunkt für mögliche Prognosen
61
2. Religionszugehörigkeit und Teilnehmerzahlen am Religionsunterricht
62
3. Pädagogische Forderungen nach künftiger Gestaltung des Unterrichts in Religion und Ethik/Philosophie
66
4. Auffassungen der Kirchen
69
a) Die Konfessionalität des Religionsunterrichts nach evangelischem Verständnis
69
b) Die Konfessionalität des Religionsunterrichts nach katholischem Verständnis
70
F. Ergebnis und verfassungsrechtliche Fragestellungen
71
2. Teil Verfassungsmäßigkeit der Regelungen
A. Staatliche Erteilung von Ethik/Philosophie I. Die spezifische Problematik des Faches II. Grundlage der staatlichen Schulhoheit, Art. 7 Abs. 1 GG III. Die Grenze des Elternrechts
73 73 74 75
1. Die Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 2 GG
75
2. Verhältnis von elterlichem und staatlichem Erziehungsrecht
76
a) Feste Abgrenzung beider Erziehungsbereiche?
76
b) Ausgleich nach Grundsätzen praktischer Konkordanz
77
IV. Die Grenze der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit, Art. 4 GG
78
1. Schutzbereich des Art. 4 GG
78
2. Der Ausgleich mit anderen Verfassungsgütern
79
a) Die Gewährleistungen der positiven und negativen Glaubensfreiheit ....
79
b) Staatliche Kompetenzen in weltanschaulich-religiösen Fragen
81
c) Die positive Glaubensfreiheit als Gebot staatlicher Förderung?
83
d) Ergebnis zu Art. 4 GG
86
10
Inhaltsverzeichnis V. Insbesondere: Grenze aus Art. 7 Abs. 2 GG 1. „Erziehungsberechtigte"
86 g7
a) Geltung und Anwendungsbereich des § 5 RelKErzG
87
b) Geltung und Anwendungsbereich der von § 5 RelKErzG abweichenden Länderregelungen
89
2. „Entscheiden über die Teilnahme"
92
a) Form
92
b) Inhalt
93
c) Zeitpunkt
94
3. „Religionsunterricht"
96
a) Die gesetzlichen Merkmale
96
b) Analoge Anwendung
97
c) Abmeldung zur Herstellung praktischer Konkordanz
98
4. Ergebnis zu Art. 7 Abs. 2GG
99
VI. Konsequenzen für das Fach Ethik/Philosophie
99
1. Der wissenschaftliche Begriff der Ethik
99
2. Die Inhalte des Unterrichts Ethik /Philosophie - Insbesondere: Die Beschäftigung mit Religionen und Weltanschauungen
101
a) Religiöse Unterrichtsinhalte
101
b) Beteiligung der Religionsgemeinschaften
105
c) Erteilung durch Religionslehrer
106
3. Die didaktischen Konzepte
106
a) Ethik/Philosophie als Moralerziehung
106
b) Ethik / Philosophie als Ethische / Philosophische Reflexion
107
c) Ethik/Philosophie als Lebenshilfe
109
4. Information der Eltern
109
5. Die Rechte der Lehrkräfte
110
6. Gesetzesvorbehalt im Schulrecht
111
VII. Ergebnis
112
Inhaltsverzeichnis Β. Besonderheiten der Gestaltung von Ethik/Philosophie als Alternativfach I. Problemstellung II. Die Zulässigkeit der Wahlmöglichkeit für bekenntnisangehörige Schüler
113 113 114
1. Der Begriff des ordentlichen Lehrfaches in Rechtsprechung und Literatur .. 114 2. Kritik
115
a) Präzisierung des Begriffes »Pflichtfach"
115
b) Konsequenzen für das Fach Ethik / Philosophie
117
3. Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG
118
4. Genetisch-historische Aspekte
119
a) Das Verständnis des Ausdrucks „ordentliches Lehrfach" in der Weimarer Zeit ( 1 ) Die Beratungen des Verfassungsausschusses (2) Die Weimarer Literatur
119 119 122
b) Die Beratungen des Parlamentarischen Rates
123
c) Ergebnisse der genetisch-historischen Auslegung
123
5. Der Umfang der Teilnahmepflicht nach Art. 7 Abs. 2 GG
124
a) Das Erfordernis der Abmeldung in der Literatur
124
b) Auslegung des Art. 7 Abs. 2 GG (1) Wortlaut und Entstehungsgeschichte
125 125
(2) Systematische Einwände
126
c) Alternativ: Die Möglichkeit einer konkludenten Abmeldung
128
d) Ergebnis zu Art. 7 Abs. 2 GG
129
6. Zustimmung der Religionsgemeinschaften wegen Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG? ... 129 7. Ergebnis hinsichtlich der konfessionsangehörigen Schüler
131
III. Die Entscheidung Konfessionsfremder für die Teilnahme am Religionsunterricht
131
1. Die Verortung der Konfessionalität des Religionsunterrichts im Verfassungsrecht
131
2. Meinungsstand
132
a) Die Bestimmung über den Teilnehmerkreis
132
b) Die Wandelbarkeit der Grundsätze und deren Grenze: der „Verfassungsbegriff des Religionsunterrichts"
134
3. Wortlaut
137
Inhaltsverzeichnis 4. Historisch-genetische Aspekte
138
a) Die Beratungen im Verfassungsausschuß der Weimarer Nationalversammlung und im Parlamentarischen Rat 138 b) Die konfessionelle Homogenität als historisches Fakt
140
c) Aus Stellungnahmen in der Literatur der Weimarer Zeit
142
d) Ergebnisse der historisch-genetischen Auslegung
144
5. Systematik
144
a) Staatliches Aufsichtsrecht, Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG 144 (1) Umfang des staatlichen Aufsichtsrechts
144
(2) Staatliches Interesse an der Konfessionalität des Religionsunterrichts?
145
b) Zusammenhang mit der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates 147 (1) Die Bedeutung staatlicher Neutralität für die Grundsätze der Religionsgemeinschaften 147 (2) Neutralität hinsichtlich der Teilnehmer
147
(3) Neutralität hinsichtlich der Inhalte
149
(4) Staatliche Neutralität und Abwerbung - der Grundsatz der Parität .. 149 c) Die Gewährung von Leistungsrechten in Art. 7 GG (1) Subjektives Recht auf Erteilung konfessionellen Unterrichts aus Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG
150 150
(2) Subjektives Recht auf Umentscheidung zwischen verschiedenen Religionsunterrichten und dem Alternativfach aus Art. 7 Abs. 2 GG ... 153 d) Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG 6. Teleologische Aspekte
154 155
a) Die Problematik in den Neuen Bundesländern
155
b) Religionspädagogische und theologische Ansichten über die Öffnung des Religionsunterrichts
156
IV. Ergebnis
157
1. Folgerungen für den Teilnehmerkreis
157
2. Folgerungen für die Inhalte
157
3. Folgerungen für weitere Konzepte der Zusammenarbeit von Religionsunterricht und Ethik / Philosophie 158
Inhaltsverzeichnis C. Die Gestaltung des Unterrichts in Ethik/Philosophie als Ersatzfach I. Die Problemstellung II. Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 GG 1. Schutzbereich des Art. 7 Abs. 2 GG
159 159 160 160
2. Eingriff durch die „Ersatzverpflichtung" zur Teilnahme am Unterricht in Ethik/Philosophie 162 a) Das Argument von der fehlenden Religionspflicht
162
b) Religionsunterricht als Ausnahme vom „staatskirchenrechtlichen System" des Grundgesetzes 162 c) Ausnahme aufgrund Art. 7 Abs. 2 GG
165
d) Ausnahme aufgrund Art. 7 Abs. 3 S. 2
167
e) Ergebnis zur Ausnahmestellung des Religionsunterrichts
168
f) Anforderungen aufgrund des Parlamentsvorbehalts
169
3. Faktischer Eingriff durch Ausgestaltung des Ersatzfaches
169
a) Inhalte des Ersatzfaches
169
b) Diskriminierende Ausgestaltung
171
(1) Verfassungsrelevanz von Fragen der Schulpraxis
171
(2) Das Fehlen ausgebildeter Lehrkräfte
171
(3) Unterrichtsausfall
172
(4) Fehlende Wahlmöglichkeiten in der Sekundarstufe II
172
(5) Nachmittagsunterricht
174
4. Ergebnis zur schulrechtlichen Ausgestaltung
174
III. Verstoß gegen Art. 4 GG
175
IV. Verletzung in Gleichheitsrechten
176
1. Die Prüfung der Gleichheitsrechte a) Schülergruppen
176 176
b) Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG
176
b) Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 3 GG
177
2. Differenzierung zwischen Schülern, die am Ersatzunterricht teilnehmen und Schülern, die am Religionsunterricht teilnehmen 179 a) Das Argument von der „höchstpersönlichen Leistungspflicht" und die These von der „Pflichtengleichheit" 179
14
Inhaltsverzeichnis b) Die Systematik des Grundgesetzes: Der Einfluß von Art. 7 Abs. 2 GG .. 180 c) „Ethikunterricht für alle"
182
3. Differenzierungen zwischen den Nichtteilnehmern am schulischen Religionsunterricht - Der Umfang der Teilnahmepflicht 184 a) Die Vergleichsgruppen
184
b) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG bei Verzicht auf Nachweis anderen Unterrichts 184 c) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG bei Nachweis anderen Unterrichts 4. Differenzierung durch unterschiedliche Ausgestaltung der Fächer
186 188
a) Differenzierungsmerkmal nach Art. 3 Abs. 3 GG?
188
b) Der Einfluß von Art. 7 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 3 GG
190
5. Ergebnis zu Art. 3 GG V. Die Beispiele des Wehrdienstes und der Kirchensteuern
191 191
1. Wehr- und Ersatzdienst
191
2. Kirchensteuern
192
VI. Ergebnis zur Ausgestaltung als Ersatzfach
D. Ethik / Philosophie statt Religionsunterricht I. Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 3 GG II. Anwendungsbereich des Art. 141 GG
193
193 193 194
1. Wortlaut
194
2. Stillschweigende Voraussetzungen an das Merkmal „Land"
195
3. Stillschweigende Voraussetzungen an das Merkmal „andere landesrechtliche Regelung"
197
a) Erhaltung eines „traditionellen Rechtszustandes"
197
b) Fehlende Schutzbedürftigkeit undemokratischer Regelungen?
200
4. Folgen der Geltung des Art. 141 GG III. Verfassungswandel
E. Zusammenfassung
201 202
203
Inhaltsverzeichnis
15
Anhang Die Regelungen in den einzelnen Bundesländern I. Baden-Württemberg
206
II. Bayern
210
III. Berlin
214
IV. Brandenburg
216
V. Bremen
219
VI. Hamburg
221
VII. Hessen
222
VIII. Mecklenburg-Vorpommern
226
IX. Niedersachsen
229
X. Nordrhein-Westfalen
233
XI. Rheinland-Pfalz
237
XII. Saarland
241
XIII. Sachsen
243
XIV. Sachsen-Anhalt
248
XV. Schleswig-Holstein
252
XVI. Thüringen
256
Verzeichnisse
A. Literaturverzeichnis
261
B. Verzeichnis der Rechtsgrundlagen in den einzelnen Bundesländern
276
Sachregister
283
Einleitung Ethik hat Konjunktur. In den Führungsetagen wird ethische Kompetenz gefordert, Ethik diversifiziert sich in immer weitere Bereiche der Umweltethik, Medizinethik, Bioethik, in immer mehr Bereichen werden Ethikkommissionen gebildet, um Fragen zu lösen, die mit dem menschlichen Grundverständnis von sich selbst und der Welt zusammenhängen und daher auch tief in den Bereich weltanschauli-, eher, philosophischer und religiöser Überzeugungen hineinreichen. Nicht verwunderlich ist es daher, daß auch in der Schule die Forderung nach verstärkter ethischer Erziehung und der Beschäftigung mit den Grundfragen des Menschen nach dem Sinn seines Lebens, Möglichkeiten der Erkenntnis und Maßstäben für sein Handeln erhoben wird. Gestützt wird dies einerseits durch den Hinweis auf die Unsicherheit und den Werteverlust, die das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft mit sich bringe, andererseits wird beklagt, daß im Elternhaus der Schüler eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen nicht mehr stattfinde, weil die Eltern selbst den Grundkonsens nicht mehr mittrügen oder weil sie ihren Beitrag zu einer solchen Erziehung nicht mehr leisten könnten - Defizite, die ein schulisches Eingreifen in diesem Bereich erforderlich machten.1 Traditionell war ein Ort der Auseinandersetzung mit diesen Fragen der Religionsunterricht. Da jedoch zunehmend von dem in Art. 7 Abs. 2 GG garantierten Recht Gebrauch gemacht wird, am Religionsunterricht nicht teilnehmen zu müssen, zudem eine wachsende Gruppe von Schülern mangels Bekenntniszugehörigkeit ebenfalls am Religionsunterricht nicht teilnimmt, stellt sich die Frage, wie für diese Schüler eine ethische oder philosophische Unterrichtung sichergestellt werden kann. Die meisten Bundesländer haben daher inzwischen ein Schulfach - in der Regel unter der Bezeichnung Ethik oder Philosophie - vorgesehen, in dem sich die Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, mit solchen Fragen beschäftigen sollen. Ob dieses Fach die hochgesteckten Anforderungen erfüllen kann, ist vorrangig ein Problem der Pädagogik und der Didaktik des Fachs. In der vorliegenden Arbeit geht es um andere Aspekte, nämlich um eine Prüfung der Zulässigkeit eines solchen Faches am Maßstab des Grundgesetzes. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum ersten ist die Auseinandersetzung um ein Ersatz- oder Alternativfach für den Religionsunterricht oder gar ein Fach, das den Religionsunterricht ersetzen
ι Vgl. dazu Dehner, ZDPE 1997, S. 58; Huben BayVBl. 1994, S. 545. 2 Erwin
18
Einleitung
könnte, geprägt von Stellungnahmen aus unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Spektrums: aus weltanschaulicher und religiöser, pädagogisch-didaktischer, politischer und juristischer Sicht. Von all diesen Ansätzen wird in dieser Arbeit vorrangig der juristische und zwar speziell der bundesverfassungsrechtliche Standpunkt untersucht. Das schließt eine Darstellung der anderen Bereiche nicht aus, diese können jedoch nur im Rahmen der anerkannten Auslegungskriterien die Verfassungsauslegung beeinflussen. Es geht daher nicht um die sinnvollste oder effektivste, sondern allein um die verfassungsrechtlich zulässige Gestaltung des Unterrichts. Zum anderen ist der Untersuchungsstoff auf eine Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes beschränkt, d. h. weder sind die einzelnen Landesverfassungen Prüfungsmaßstab noch die Verträge zwischen Staat und Kirche, soweit sie Aussagen über die Gestaltung des Religionsunterrichts und damit evtl. indirekt auch über ein Ersatz- oder Alternativfach treffen. 2 Speziell verfassungsrechtliche Probleme des Faches werden schon seit längerer Zeit diskutiert.3 Im Vordergrund standen dabei Fragen nach den mit dem Fach verfolgten Bildungs- und Erziehungszielen sowie der Ausgestaltung als Ersatzfach. Neue verfassungsrechtliche Fragestellungen ergeben sich aufgrund der Entwicklung des Faches in jüngster Zeit. Immer wichtiger wird die Frage, wie in Zukunft das Verhältnis zum Religionsunterricht ausgestaltet werden kann. Vor allem in den neuen Bundesländern ist aufgrund einer in der Mehrheit nicht konfessionsangehörigen Bevölkerung die Teilnahme am Religionsunterricht die Ausnahme, Ethikunterricht aber die Regel geworden. Verbunden mit diesem zahlenmäßigen Bedeutungszuwachs werden Forderungen erhoben, das Fach solle sich auch rechtlich und pädagogisch vom Religionsunterricht emanzipieren. Für die folgende Untersuchung ergeben sich daher zwei große Fragenkomplexe: Zunächst sind die für das Fach Ethik/Philosophie geltenden Regelungen der einzelnen Bundesländer zusammenzustellen, wobei im 1. Teil eine vergleichende Übersicht über die Regelungen gegeben wird, um Unterschiede in der Ausgestal2 Zum Ethikunterricht im europäischen Vergleich Brüning, EU 3/1996, S. 35 ff, und ausführlich dies., Ethikunterricht. 3 Ein Urteil des BVerwG zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Ethikunterrichts erging bereits am 30.5.1973, NJW 1973, 1815 (LS) = SPEI A I, S. I l l f.; aus neuerer Zeit BayVGH, BayVBl 1996, S. 405 ff.; BayObLG, BayVBl. 1996, S. 412; die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, Beschl. v. 17.2.1999, Az.: 1 BvR 2488/95; VGH Baden-Württemberg, DVB1. 1997, S. 1186; VG Freiburg, NVwZ 1996, S. 507 ff.; BVerwG, Urt. vom 17.6.1998, Az.: 6 C 11.97, DÖV 1998, S. 1058 ff.; eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat das BVerfG mangels ausreichender Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, Beschl. v. 18.2.1999, Az.: 1 BvR 1840/98; Vorlagebeschluß des VG Hannover, DVB1. 1998, S. 405 ff., als unzulässig zurückgewiesen durch BVerfG, Beschl. v. 17.2.1999, Az.: 1 BvL 26/97, NVwZ 1999, S. 756 f.
Einleitung
tung des Faches zu verdeutlichen. Im Anhang finden sich, nach Bundesländern geordnet, die für das Fach einschlägigen Normen im Wortlaut. Die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Faches Ethik/Philosophie erfolgt im 2. Teil. Auf der Grundlage der im 1. Teil erarbeiteten Ergebnisse ist zum einen die Frage zu klären, ob der Staat die mit dem Unterricht in Ethik/ Philosophie verbundenen Ziele verfolgen darf (2. Teil, Abschnitt A), zum anderen ist festzustellen, welche verfassungsrechtlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere angesichts der Garantie des Religionsunterrichts in Art. 7 GG, bestehen (2. Teil, Abschnitte Β bis D). Eine Zusammenstellung der aus der verfassungsrechtlichen Prüfung folgenden Konsequenzen für den Unterricht in Ethik/ Philosophie in den einzelnen Bundesländern findet sich im Anhang in Anschluß an die Darstellung der landesrechtlichen Regelungen.
1. Teil
Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung A. Leitlinien für eine vergleichende Auswertung der Landesregelungen Inzwischen ist in fast allen Bundesländern ein Unterrichtsfach eingeführt, das sich mit ethischen oder philosophischen Fragestellungen beschäftigt und sich in der Regel an diejenigen Schüler richtet, die nicht an einem Religionsunterricht teilnehmen. Unterschiedlich ist schon die Namensgebung.1 Das Fach trägt überwiegend die Bezeichnung „Ethik", so in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in Hamburg in der Sekundarstufe I; im Saarland heißt es »Allgemeine Ethik". In Niedersachsen lautet die Bezeichnung „Werte und Normen". Verbreitet ist auch die Bezeichnung „Philosophie", so in Schleswig-Holstein, in der Sekundarstufe I I von Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen; in der Primär- und Sekundarstufe I von Mecklenburg-Vorpommern heißt das Fach „Philosophieren mit Kindern". Ein in Berlin im Schulversuch erteiltes Fach trägt den Namen „Philosophie/Ethik", in Nordrhein-Westfalen wird in einem Schulversuch das Fach „Praktische Philosophie" erprobt. In Brandenburg ist ein Fach „Lebensgestaltung Ethik - Religionskunde" (LER) eingerichtet. 2 Gemeinsamkeiten bestehen also insofern, als in der Regel ein ausdrücklicher Bezug zur Philosophie oder ihrer Unterdisziplin Ethik hergestellt wird. Herkömmlich werden alle diese Fächer unter dem Namen „Ethikunterricht" zusammengefaßt. Da aber feststellbar ist, daß in neuerer Zeit die Bezeichnung „Philosophie" im Vordringen ist und zudem aus der Wahl unterschiedlicher Bezeichnungen auch auf unterschiedliche Konzeptionen des jeweiligen Faches geschlossen
1
Zur Übersicht über Terminologie und Rechtsgrundlagen Tabelle 1, S. 33. Nicht weiter berücksichtigt wird anderer Unterricht, der an die Stelle dieses Faches treten kann. So wird in Mecklenburg-Vorpommern Unterricht aus dem musisch-ästhetischkünstlerischen Bereich erteilt, wenn Philosophieunterricht nicht erteilt werden kann. In Schleswig-Holstein sind in diesem Falle andere „pädagogisch sinnvolle Möglichkeiten" vorzusehen. 2
Β. Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
21
werden kann, soll im folgenden als Sammelbezeichnung nicht der Begriff „Ethikunterricht", sondern die Bezeichnung „Ethik/Philosophie" verwendet werden. Mit den Unterschieden in der Terminologie sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern aber noch bei weitem nicht erschöpft. U m verschiedene Konzeptionen in der Ausgestaltung und Zielsetzung des Faches Ethik/Philosophie besser hervortreten zu lassen, soll die weitere Darstellung in drei große Komplexe gegliedert werden: 1. In jedem Land steht Ethik/Philosophie in einem bestimmten Verhältnis zum Religionsunterricht. Zu klären ist daher, wie die Teilnahmepflicht der Schüler an beiden Unterrichtsfächern voneinander abgegrenzt wird und mit welcher Berechtigung die Bezeichnung als Ersatz- oder Alternativfach für unterschiedliche Konzeptionen verwendet werden kann (dazu B.). 2 Zudem bestehen Unterschiede in der organisatorischen Ausgestaltung. Die Fragen, die sich hierbei stellen, ζ. B. unter welchen Umständen und in welchen Klassen und Schulen der Unterricht eingerichtet wird, ob er versetzungserheblich ist und welche Einbringungsmöglichkeiten in der Abiturprüfung bestehen, sind Indiz für den Stellenwert des Faches Ethik/Philosophie in der schulischen Ausbildung, insbesondere im Vergleich zur Ausgestaltung des Religionsunterrichts (dazu C.). 3. Zuletzt bestehen Unterschiede - wie sich schon in der unterschiedlichen Namenswahl andeutet - in den Inhalten und Zielen des Unterrichts. Zusammenzustellen sind daher die speziell für das Fach Ethik/Philosophie geltenden Bildungs- und Erziehungsziele unter Einbeziehung der zugrundeliegenden didaktisch-pädagogischen Konzepte (dazu D.).
B. Das Verhältnis zwischen Ethik/Philosophie und Religionsunterricht I. Der Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG Da das Verhältnis des Unterrichts in Ethik/Philosophie zum Religionsunterricht untersucht werden soll, ist zunächst Voraussetzung, daß in dem jeweiligen Land Religionsunterricht überhaupt erteilt wird. Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG bestimmt:„Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach." Dementsprechend haben die meisten Bundesländer in Landesverfassungen oder Schulgesetzen den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach eingerichtet. 3 3 Art. 18 bwVerf, 96 Abs. 1 bwSchulG; Art. 136 Abs. 2 bayVerf, Art. 46 Abs. 1 bayEUG; § 7 Abs. 1 hmbSchulG; Art. 57 hessVerf, § 8 Abs. 1 hessSchulG; § 7 Abs. 1 mvSchulG; § 124
22
1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
Art. 7 Abs. 3 GG findet jedoch gem. Art. 141 GG, der sog. „Bremer Klausel", keine Anwendung in einem Land, in dem am 1. 1. 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Das trifft zu auf Berlin und Bremen. In den neuen Bundesländern ist die Geltung des Art. 141 GG umstritten, außer dem Land Brandenburg4 haben allerdings alle neuen Länder den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach eingeführt. In Bremen wird statt eines Religionsunterrichts in der Schule bekenntnismäßig nicht gebundener Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage erteilt, Art. 32 bremVerf, § 7 bremSchulG. Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben das Recht, außerhalb der Schulzeit in ihrem Bekenntnis oder in ihrer Weltanschauung diejenigen Kinder zu unterweisen, deren Erziehungsberechtigte dies wünschen. Damit ist zwar nicht der Religionsunterricht als konfessionell gebundene Veranstaltung, wohl aber Unterricht in Biblischer Geschichte Lehrfach der Schule. Für Schüler, die an diesem Unterricht nicht teilnehmen, ist daher - wie in den anderen Bundesländern auch - die Verpflichtung zur Teilnahme an einem anderen Fach vorgesehen, § 7 Abs. 2 bremSchulG.5 In Berlin ist der Religionsunterricht gem. § 23 berlSchulG Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Er ist insofern stärker in die Schule eingegliedert als der Unterricht in Bremen, als er in den Stundenplan aufgenommen ist und während der Unterrichtszeit in den Schulräumen erteilt wird. Es nehmen aber nur diejenigen Schüler am Unterricht teil, deren Erziehungsberechtigte eine dahingehende schriftliche Erklärung abgegeben haben. Die nicht an diesem Unterricht teilnehmenden Schüler können unterrichtsfrei gelassen werden. In Berlin fand bis zum Schuljahr 1997/98 ein Schulversuch in dem Fach Ethik/Philosophie statt. Da allerdings weder der Religionsunterricht noch ein anderes Fach wie in Bremen für die Schüler verpflichtend ist, wurde auch Ethik/Philosophie nur als freiwilliges Unterrichtsangebot für die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler angeboten. Eine andere Situation ergibt sich in Brandenburg. Der Religionsunterricht ist hier ebenfalls nicht als ordentliches Unterrichtsfach eingeführt, sondern es wird den Kirchen und Religionsgemeinschaften nur das Recht zugestanden, Schüler in Räumen der Schule nach ihrem Bekenntnis zu unterrichten; für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich, § 9 Abs. 2 bbgSchulG. Verpflichtendes UnterrichtsAbs. 1 ndsSchulG; Art. 14 Abs. 1 nwVerf, § 31 Abs. 2 nwSchOG; Art. 34 Abs. 1 rhpfVerf; Art. 29 Abs. 1 sldVerf, § 10 Abs. 1 sldSchOG; Art. 105 Abs. 1 sächsVerf, § 18 Abs. 1 sächsSchulG; Art. 27 Abs. 3 saVerf, § 19 Abs. 1 saSchulG; § 6 Abs. 1 schlhSchulG; Art. 25 Abs. 1 thürVerf, § 46 Abs. 1 thürSchulG. 4 Gegen die Regelung in Brandenburg haben die evangelische und katholische Kirche sowie einzelne Schüler und Eltern Verfassungsbeschwerde eingelegt. Des Weiteren haben 271 Abgeordnete des Deutschen Bundestages eine abstrakte Normenkontrolle anhängig gemacht. Zur Frage der Begründetheit dieser Klagen vgl. die Erörterung über die Anwendbarkeit des Art. 141 GG unten S. 193 ff. s Bisher wird ein entsprechender Unterricht noch nicht angeboten.
Β. Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
23
fach für alle Schüler ist stattdessen das Fach Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde (LER), § 11 bbgSchulG. Von diesem Unterrichtsfach kann ein Schüler aus wichtigem Grund befreit werden, § 141 bbgSchulG. Ein solcher liegt insbesondere vor, wenn der Schüler wertorientierten Unterricht nur in Form eines bekenntnisgebundenen Unterrichts erhalten soll. In den Ländern, die den Religionsunterricht nicht als ordentliches Lehrfach eingeführt haben, stellt sich nur in Bremen die Frage nach dem Verhältnis des Faches Ethik/Philosophie zu dem Unterricht in Biblischer Geschichte. Im Schulversuch in Berlin lag ein reines Wahlfach vor, während LER in Brandenburg grundsätzlich ein für alle Schüler verbindliches Pflichtfach ist.
II. Die unterschiedlichen Formulierungen der Teilnahmeverpflichtung In den übrigen Bundesländern sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Formulierungen der Teilnahmepflicht festzustellen. Nach den Regelungen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein sind zur Teilnahme am Unterricht in Ethik/Philosophie diejenigen Schüler verpflichtet, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen.6 Zur Teilnahme verpflichtet sind nach dieser Formulierung drei Gruppen von Schülern, nämlich solche, • die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, • die keiner Religionsgemeinschaft angehören, • die einer Religionsgemeinschaft angehören, deren Religionsunterricht nicht als ordentliches Lehrfach erteilt wird. 7 Mecklenburg-Vorpommern stellt insofern einen Sonderfall dar, als nach § 7 Abs. 2 mvSchulG zur Teilnahme am Philosophieunterricht lediglich die vom Religionsunterricht abgemeldeten Schüler verpflichtet sind. In allen diesen Ländern wird Schülern oder Erziehungsberechtigten demnach kein Wahlrecht zwischen den Fächern eingeräumt. Stattdessen werden die Schüler von vorneherein einem Unterrichtsfach zugeordnet. Vor allem in den neuen Bundesländern, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen finden sich demgegenüber Formulierungen, nach denen die Erziehungsberech6 § 100a Abs. 1 bwSchulG; Art. 137 Abs. 2 bayVerf; Art. 47 Abs. 1 bayEUG; § 7 Abs. 2 bremSchulG; § 8 Abs. 4 hessSchulG; § 128 Abs. 1 ndsSchulG; § 9 Abs. 1 nwAPO-GOST (Schüler, die von der Teilnahme befreit oder zur Teilnahme nicht verpflichtet sind); Art. 35 Abs. 2 rhpfVerf; § 15 Abs. 1 sldSchOG; § 19 Abs. 1 sächsSchulG; § 6 Abs. 3 schlhSchulG. 7 Ausdrücklich werden alle drei Gruppen genannt in Nr. 2.1 bwVV Ethik, Nr. 3.3 thürOrganisationsErl.
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1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
tigten bzw. nach ihrer Religionsmündigkeit die Schüler selbst bestimmen können, an welchem der beiden Fächer sie teilnehmen.8 In Hamburg kann nach § 7 Abs. 4 hmbSchulG Unterricht in den Bereichen Ethik und Philosophie als Wahlpflichtalternative zum Religionsunterricht angeboten werden. 9 In diesen Ländern ist daher die freie Wahl der Schüler bzw. ihrer Erziehungsberechtigten maßgeblich, ohne daß die Schüler von vorneherein einem der Unterrichtsfächer zugeordnet werden.
I I I . Die Begriffe des Ersatz- und Alternativfaches Zur Kennzeichnung des Verhältnisses zwischen Religionsunterricht und dem Fach Ethik/Philosophie hat sich dessen Bezeichnung als Ersatz- oder Alternativfach eingebürgert. Im Wortlaut der Landesverfassungen oder Schulgesetze werden diese Ausdrücke in der Regel jedoch nicht verwendet. Lediglich in Bremen, wo Biblische Geschichte und nicht Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, wird das andere Fach in § 7 Abs. 2 bremSchulG ausdrücklich als Alternativfach bezeichnet. Zudem findet sich in § 7 Abs. 4 hmbSchulG die Bezeichnung „Wahlpflicht-Alternative". Der Begriff des Ersatzfaches wird dagegen nur in Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften verwendet. 10 Im Gegensatz dazu steht die Verbreitung, die diese Bezeichnungen inzwischen in Literatur und Rechtsprechung gefunden haben. Insbesondere der Begriff des Ersatzfaches hat dabei unter vielfachen Belastungen zu leiden. Zum einen legt er das (Miß-)Verständnis nahe, es handele sich um einen „Ersatz-Religionsunterricht" und damit um einen Versuch, religiöse Unterweisung und Glaubensverkündung auch den vom Religionsunterricht abgemeldeten Schülern zukommen zu lassen.11 Zum anderen fordert der Begriff den Vergleich mit dem Wehrersatzdienst und dessen grundgesetzlicher Ausgestaltung in Art. 12a GG heraus. 12 Auch aus theologischer und pädagogischer Sicht ist bezweifelt worden, ob Ethik/Philosophie überhaupt Ersatz für den Religionsunterricht sein könne, da beide Fächer eine völlig unterschiedliche Herangehensweise an ihren jeweiligen Gegenstand hätten und sich daher nur ergänzen, nicht aber ersetzen könnten. 13
s Art. 105 Abs. 1 sächsVerf; §§ 19 Abs. 2,21 saSchulG; Art. 25 Abs. 2 thürVerf. Vgl. auch die Regelungen für die Oberstufe, wo die Schüler gem. § 6 Abs. 1 hmbAPO zwischen Philosophie und Religion wählen können. 10 § 12 Abs. 2 mvAPO: „Ersatzunterricht in Philosophie"; § 2 Abs. 2 Nr. 7 schlhOVO: „ersatzweise" Philosophie. 9
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Zu diesem Mißverständnis Schmidt, Didaktik I, S. 11. Renck, BayVBl. 1992, S. 519/521: „Religionsverweigerer brauchen keinen Ersatzdienst in Ethik zu leisten." 13 Ζ. B. Kessler, ZDPE 1995, S. 62/66. 12
Β. Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
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Trotz der Irritationen um diese Begriffe eignen sie sich dazu, das Verhältnis von Ethik/Philosophie und Religionsunterricht in unterschiedlichen Konstellationen zutreffend zu beschreiben. Eine genaue Definition, die auf juristische Kategorien abstellt, ist bisher allerdings nicht ersichtlich. 14 Anzuknüpfen ist für eine derartige Definition an die zwei unterschiedlichen Formulierungen der Teilnahmeverpflichtung: Der Begriff des „Ersatzfaches" legt ein Stufenverhältnis in der Teilnahmeverpflichtung nahe. Dem entspricht eine Formulierung der Teilnahmeverpflichtung, nach der an Ethik/Philosophie diejenigen Schüler teilnehmen, die nicht den Religionsunterricht besuchen. Die bekenntnisangehörigen Schüler sind dann grundsätzlich zunächst zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet und nur im Falle der Abmeldung tritt an die Stelle der Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht „ersatzweise" die Teilnahme am anderen Fach. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist der erste Schritt, die Teilnahme an Ethik/Philosophie nur der zweite, nachfolgende Schritt. Beim „Ersatzfach" hängt die Teilnahmeverpflichtung daher allein von der Nichtteilnahme am Religionsunterricht ab. Im Idealfall sind daher bei der Ausgestaltung als Ersatzfach die Schüler von vorneherein einem der beiden Unterrichtsfächer zugeordnet: die Angehörigen einer Konfession, deren Religionsunterricht erteilt wird, besuchen den Religionsunterricht, während Abgemeldete, Angehörige anderer Konfessionen und Konfessionslose am Unterricht in Ethik/Philosophie teilnehmen. Von einer Entscheidung der Schüler hängt die Zuordnung nur insofern ab, als eine Abmeldung vom Religionsunterricht möglich ist. Nicht passend ist die Bezeichnung als „Ersatzfach" allerdings für die konfessionslosen Schüler und für solche, deren Religionsunterricht nicht an der Schule erteilt wird. Beide sind nicht zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet, so daß es auch keine „Ersatzverpflichtung" geben kann. Es ist daher vorgeschlagen worden, statt vom „Ersatzfach" von einem „Komplementärfach" zu sprechen, 15 wodurch die Situation dieser Schülergruppen tatsächlich zutreffender beschrieben wird. Korrekterweise ist demnach von einem „Ersatz- und Komplementärfach" zu sprechen, wenn man alle zur Teilnahme verpflichteten Schülergruppen betrachtet. U m der Einheitlichkeit der Bezeichnung willen wird dennoch im folgenden nur von einem „Ersatzfach" gesprochen, wenn diese Konstellation gemeint ist. Dieser Sprachgebrauch rechtfertigt sich dadurch, daß zumindest in den alten Bundesländern ein Großteil der Schüler bekenntnisangehörig ist und daher das „Ersatz"element das „Komplementär"element im Unterricht zahlenmäßig überwiegt. Der Begriff des ,Alternativfaches" legt dagegen eine Gleichordnung beider Fächer nahe, d. h. die Teilnahme an einem der beiden Fächer hängt allein von der Entscheidung des Schülers bzw. des Erziehungsberechtigten ab. Dem entspricht eine Formulierung in den Schulgesetzen, nach der Schüler bzw. Erziehungsberech-
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Ein Abgrenzungsversuch findet sich bei Anselm, S. 28. »5 VG Freiburg, NVwZ 1996, S. 507/510.
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1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
tigte bestimmen können, an welchem der beiden Fächer sie teilnehmen wollen. Im Idealfall gilt dieses Wahlrecht sowohl für die Angehörigen einer Konfession, deren Religionsunterricht erteilt wird, und die sich statt dessen für die Teilnahme am Unterricht in Ethik/Philosophie entscheiden können als auch für die Angehörigen anderer Konfessionen und die konfessionslosen Schüler, die sich für die Teilnahme am Religionsunterricht entscheiden können. Merkmal einer Ausgestaltung als Alternativfach ist demnach, daß die Schüler bzw. Erziehungsberechtigten die freie Wahlmöglichkeit zwischen den Fächern Religion und Ethik/Philosophie besitzen, beide Fächer also frei an- und abwählbar sind. Unerheblich für diese an der Teilnahmeverpflichtung orientierte Einordnung ist es dagegen, ob der Unterricht in Ethik/Philosophie ebenso wie der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach bezeichnet wird. 16 Diese Bezeichnung kann für die Frage Bedeutung haben, ob die Erteilung von Ethik/Philosophie von der Erteilung des Religionsunterrichts abhängig ist und inwieweit beide Fächer in der schulrechtlichen Ausgestaltung gleichgestellt sind; an der Abgrenzung der Teilnehmergruppen ändert sie nichts. Inwiefern sich die landesrechtlichen Regelungen unter diese idealtypisch definierten Begriffe subsumieren lassen, wird im folgenden zu zeigen sein.
IV. Ausnahmen von der grundsätzlichen Teilnahmepflicht 1. Weitere Elemente von Zuordnung und Wahl
Die durch die oben dargestellten Formulierungen grundsätzlich festgelegte Teilnahmepflicht wird durch verschiedene Ausnahmen wieder durchbrochen. Derartige Durchbrechungen finden sich einerseits bei den bisher dem Ersatzunterricht zugeordneten Länderregelungen, indem die eigentlich vorgesehene starre Zuordnung der Schüler wieder aufgelockert wird. 17 Andererseits wird teilweise bei den dem Alternativfach zugeordneten Länderregelungen die freie Wahlmöglichkeit für die bekenntnisangehörigen Schüler eingeschränkt, indem diese vorrangig doch zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet sein sollen.18 16 Vgl. § 100a Abs. 1 bwSchulG, § 128 Abs. 1 ndsSchulG. In Art. 105 Abs. 1 sächsVerf, Art. 27 Abs. 3 saVerf, Art. 25 Abs. 1 thürVerf werden Ethikunterricht und Religionsunterricht als ordentliche Lehrfächer sogar nebeneinander genannt. Im Gegensatz zu Ströbele ThürVBl. 1994, S. 72/75 f., entfallt der Charakter des Ersatzunterrichts also nicht deswegen, weil Religions· und Ethikunterricht gleichermaßen als ordentliche Lehrfächer bezeichnet werden. 17
Vgl. § 2 Abs. 1 hessEthikVO: verpflichtet zur Teilnahme am Ethikunterricht sind demnach abgemeldete Schüler und solche, die sich nicht für die Teilnahme an einem eingerichteten Religionsunterricht entscheiden. 18 Es finden sich in diesem Bereich widersprüchliche Landesregelungen: Art. 105 Abs. 1 sächsVerf, § 20 sächsSchulG (Entscheidungsrecht) entgegen Nr. 3.1 sächsVV Religion/
Β. Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
27
Näher zu betrachten sind daher im folgenden einerseits die Teilnahmeregelungen, die für bekenntnisangehörige Schüler getroffen sind, deren Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach eingerichtet ist, und andererseits die Teilnahmeregelungen, die für die anderen bekenntnisangehörigen und konfessionslosen Schüler 19 getroffen sind.
2. Die Regelung hinsichtlich der konfessionsangehörigen Schüler, deren Religionsunterricht an der Schule erteilt wird a) Die Umsetzung des Art. 7 Abs. 2 GG ins Landesrecht Gem. Art. 7 Abs. 2 GG haben die Erziehungsberechtigten das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Die Erziehungsberechtigung hängt wiederum von dem Alter ab, in dem die Kinder selbst religionsmündig werden. In dieser Hinsicht bestimmt § 5 S. 1 RelKErzG, 20 daß ein Schüler religionsmündig ist, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat. Hat ein Schüler das 12. Lebensjahr vollendet, darf er gem. § 5 S. 2 RelKErzG nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis erzogen werden. Die meisten Bundesländer haben diese Altersgrenze dadurch übernommen, daß sie in den Landesregelungen hinsichtlich des Entscheidungsrechts den Begriff der Erziehungsberechtigten oder der Religionsmündigkeit verwenden oder auf die konkrete Grenze von 14 Jahren abstellen.21 Lediglich in Bayern und dem Saarland bestimmen die Verfassungen und Schulgesetze entgegen der Regelung des RelKErzG, daß die Schüler erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres über die Teilnahme entscheiden können.22 Das Bestimmungsrecht wird zudem nach der Regelung der meisten Länder nur dann ordnungsgemäß wahrgenommen, wenn weitere Anforderungen erfüllt sind: Formell ist die Erklärung schriftlich (gegenüber dem Schulleiter) abzugeben.23 Von der Abmeldung eines minderjährigen Schülers sind in einigen Ländern die Ei-
Ethik, nach der konfessionsangehörige Schüler am Religionsunterricht teilnehmen; Art. 25 Abs. 2 thürVerf (Entscheidungsrecht) entgegen § 46 Abs. 2 thürSchulG; § 6 Abs. 3 schlhSchulG entgegen der Einordnung des Faches in eine - durchlässige - Fächergruppe. 19 Im folgenden werden unter dem Begriff der Konfessionsfremden solche Schüler verstanden, die nicht der Religionsgemeinschaft angehören, deren Religionsunterricht erteilt wird. Er umfaßt also die Konfessionslosen und die Andersgläubigen. 20 Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 5. 7. 1921 (RGBl. S. 939). 21 Vgl. § 100 Abs. 1 bwSchulG; Art. 32 bremVerf; § 7 Abs. 3 hmbSchulG; § 8 Abs. 3 hessSchulG; § 7 Abs. 2 mvSchulG; § 124 Abs. 2 ndsSchulG; Art. 14 Abs. 4 nwVerf, § 34 nwSchOG; Art. 35 Abs. 1 rhpfVerf; § 20 sächsSchulG; § 21 saSchulG; § 6 Abs. 3 schlhSchulG; Art. 25 Abs. 2 thürVerf. 22 Art. 137 Abs. 1 bayVerf, Art. 46 Abs. 4 bayEUG; Art. 29 Abs. 2 sldVerf, § 14 sldSchOG. Die Zulässigkeit dieser abweichenden Regelung ist umstritten, vgl. dazu S. 87.
28
1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
tern zu unterrichten24 oder zur erforderlichen persönlichen Abgabe durch den minderjährigen Schüler einzuladen.25 Inhaltlich stellt nur Baden-Württemberg ausdrückliche Anforderungen. Die Abmeldung eines religionsmündigen Schülers ist dort nur unter Angabe von Glaubens- und Gewissensgründen wirksam, ohne daß allerdings eine Nachprüfung dieser Gründe statthaft wäre. 26 Die Ausübung des Bestimmungsrechts soll zudem in der Regel zu Schuljahresbeginn oder -ende erfolgen. 27 Zwingend vorgesehen ist die Beschränkung auf Beginn oder Ende des Schuljahres in Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt.28 In Bayern ist eine spätere Abmeldung nur aus wichtigem Grund möglich und zieht eine Prüfung im Fach Ethik nach sich, deren Ergebnis in die Endnote für Ethik eingeht.29 Vergleichbare Regelungen sind für die Abmeldung vom Unterricht Ethik/Philosophie bzw. den Widerruf der Abmeldung vom Religionsunterricht mit anschließender (Wieder-)Teilnahme am Religionsunterricht vorgesehen.30 Insbesondere kann auch die Wiederteilnahme am Religionsunterricht auf den Beginn des nächsten Schuljahres beschränkt werden.31
b) Das Bestimmungsrecht beim Ersatzfach In den Ländern, in denen Ethik/Philosophie nach dem oben Gesagten grundsätzlich als Ersatzfach unterrichtet wird, setzt die Ausübung des Bestimmungsrechts nach Art. 7 Abs. 2 GG eine „Abmeldung" voraus.32 Alle Regelungen haben gemeinsam, daß die bekenntnisangehörigen Schüler zunächst zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet sind und daß diese Teilnahmepflicht erst in einem 23 § 100 Abs. 2 bwSchulG; § 21 bayGSO; Nr. VI 3 hessReligionsErl.; § 124 Abs. 2 ndsSchulG; Nr. 1 mvReligionsErl.; § 14 Abs. 4 nwVerf; § 38 Abs. 1 rhpfÜSO; § 14 sldSchOG; Nr. 3.2 sächsVV Ethik/Religion; § 4 Abs. 4 schlhReligionsErl. 24 Nr. VI 3 hessReligionsErl.; § 11 Abs. 3 nwASchO; § 38 Abs. 1 rhpfÜSO. 25 § 100 Abs. 2 bwSchulG. 26 § 100 Abs. 1 bwSchulG i.V.m. Nr. 2 der VV Religion. 27 Nr. VI 4 hessReligionsErl.; Nr. 3.2 ndsReligionsErl.; Nr. 4 IV schlhReligionsErl. mit besonderer Regelung der Notenerteilung für den Fall eines anderen Zeitpunkts in Nr. 4 VII; 3.2.1 thürOrganisationsErl. 28 § 100 Abs. 3 bwSchulG; Nr. 3.2 sächsVV Ethik/Religion; 4.5 saRdErl. Religion/ Ethik. 29 §21 Abs. 2 und 4 bayGSO. 30 Nr. 2.2 bwVV Ethik; § 22 Abs. 2 bayGSO; VI 4 hessReligionsErl.; 3.2 ndsReligionsErl.; 3.2 sächsVV Ethik /Religion; § 4 Abs. 4 schlhReligionsErl. 31 Nr. 2.2 bwVV Ethik; 3.2 sächsVV Ethik/Religion; 4.5 saRdErl. Religion/Ethik. 32 Die Terminologie ist nicht einheitlich: Von einer „Abmeldung" sprechen § 18 Abs. 2 bwSchulG, Art. 46 Abs. 4 bayEUG, § 8 Abs. 3 hessSchulG, § 7 Abs. 2 mvSchulG, Nr. 3.2 ndsReligionsErl., § 6 Abs. 2 schlhSchulG; von einer „Ablehnung" sprechen Art. 35 Abs. 1 rhpfVerf und Art. 29 Abs. 2 sldVerf; von einer „Befreiung" spricht Art. 14 Abs. 4 nwVerf.
Β. Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
29
zweiten Schritt aufgrund der Abmeldung entfällt. Von einem „Wahlrecht" wird in diesem Zusammenhang nicht gesprochen. 33 Lediglich in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind die Fächer Religion und Ethik / Philosophie in eine gemeinsame Fächergruppe eingeordnet, wodurch eine größere Durchlässigkeit und verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Fächern erreicht werden soll. 3 4 Dennoch wird auch in diesen Ländern von einer „Abmeldung" und nicht von einer „Wahl" gesprochen. Insofern entspricht die Handhabung des Bestimmungsrechts bei konfessionsangehörigen Schülern genau dem Begriff des Ersatzfaches, da diese Schüler gerade keine „Wahl", sondern nur die Abmeldemöglichkeit haben. Sie werden also nicht erst gefragt, ob sie am Religionsunterricht teilnehmen wollen, sondern werden diesem zugeteilt.
3. Das Bestimmungsrecht beim Alternativfach In den Ländern, in denen Ethik/Philosophie als Alternativfach unterrichtet wird, ist die Normierung einer Abmeldung grundsätzlich überflüssig, da an deren Stelle die Wahl zwischen den Fächern tritt. 35 Eine derartig konsequent durchgeführte Wahlmöglichkeit besteht in SachsenAnhalt, wo der Begriff der „Abmeldung" nicht verwendet wird. Das Bestimmungsrecht darüber, an welchem Unterricht die Schüler teilnehmen sollen, wird vielmehr durch eine Befragung der Schüler über ihre Wahl jeweils zu Beginn des Schuljahres ausgeübt. 36 Ebensowenig finden sich in Hamburg Vorschriften über eine Abmeldung, so daß auch hier ein volles Wahlrecht der bekenntnisangehörigen Schüler besteht. Anders ist die Regelung in Thüringen und Sachsen. Obwohl die Verfassung von einem Entscheidungsrecht zwischen beiden Unterrichtsfächern spricht und eine Abmeldung nicht ausdrücklich erwähnt 37 , sind nach den Bestimmungen des Schul33
Im Gegenteil dürfen ζ. B. in Baden-Württemberg wegen des „höchstpersönlichen Charakters" der Abmeldung keine Formulare bereitgehalten werden und die Schüler nicht über eine geplante Abmeldung befragt werden, vgl. Nr. 2 VV Religion. In Bayern wurde durch das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus „Abmeldung vom Religionsunterricht" vom 31. 1. 1994 ausdrücklich daraufhingewiesen, bei den Eltern dürfe nicht das MißVerständnis entstehen, Religionslehre sei im Verhältnis zum Ethikunterricht ein Wahlpflichtfach, beides sei also zur freien Wahl gestellt. 34 Vgl. § 7 Abs. 3 mvSchulG und den schlhRdErl. „Kooperation in der Fächergruppe Evangelische Religion, Katholische Religion und Philosophie". 35 Sie kann allerdings sinnvoll sein, wenn die Möglichkeit einer Abmeldung auch während des laufenden Schuljahres sichergestellt werden soll, vgl. dazu unten S. 94. 3 6 Zu Einzelheiten vgl. § 21 saSchulG und Nr. 4.2 bis 4.5 des saRdErl. Religion / Ethik. Nr. 4.4 spricht ausdrücklich von einer „Anmeldung". 37 Mit der Formulierung, daß die Erziehungsberechtigten bestimmen, an welchem Unterricht ihr Kind teilnimmt, gesteht der Gesetzgeber den Erziehungsberechtigten das freie Wahl-
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1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
gesetzes bzw. der für den Unterricht geltenden Verwaltungsvorschriften die konfessionsangehörigen Schüler ebenso wie bei einem Ersatzfach grundsätzlich zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet. 38 Damit ist in beiden Ländern für konfessionsangehörige Schüler der Religionsunterricht das vorrangig verpflichtende Fach, eine „Wahl" besteht nur im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Abmeldemöglichkeit. Obwohl die Formulierung der Landesverfassungen auf einen Alternativfachcharakter hindeutet, werden konfessionsangehörige Schüler ihrem jeweiligen Religionsunterricht zugeordnet, so daß hinsichtlich dieser Schüler ein Ersatzfach vorliegt.
c) Die Regelungen über die Teilnahme Konfessionsfremder am Religionsunterricht a) Die Teilnahme Konfessionsfremder am Religionsunterricht in der Ersatzfachkonstellation Der Religionsunterricht ist in allen Bundesländern nur für die Angehörigen der jeweiligen Religionsgemeinschaft von vorneherein verpflichtend. Offen bleibt dabei allerdings, ob die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ausschlaggebend ist, denn teilweise ist für die Feststellung der Konfessionsangehörigkeit die Erklärung der Erziehungsberechtigten bzw. der religionsmündigen Schüler maßgeblich.39 In den meisten Ländern ist jedoch auch eine Teilnahme konfessionsfremder Schüler am Religionsunterricht möglich. Im möglichen Umfang solcher Ausnahmen unterscheiden sich die Länder. Einige Länder bestimmen ausdrücklich, daß der Religionsunterricht nach Konfessionen getrennt durchzuführen ist, 40 woraus geschlossen werden kann, daß an eine Teilnahme Konfessionsfremder zumindest nicht gedacht worden ist. Ausnahmsweise wird teilweise die Teilnahme anderer Schüler am Religionsunterricht auf deren Wunsch zugelassen, wobei allerdings differenziert wird zwischen konfessionslosen Schülern, Angehörigen solcher Religionsgemeinschaften, deren Religionsunterricht an der Schule erteilt wird und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften. Für die Teilnahme konfessionsloser Schüler am Religionsunterricht sind in der Regel keine weiteren Beschränkungen vorgesehen. Erforderlich ist lediglich die recht zwischen beiden Unterrichtsfächern zu, ohne daß diese Wahl nach dem Gesetz weiter zu begründen wäre, so Nietes/Becker/Pollmann, SchulG Sachs, S. 57, § 19 Rn. 2. 38
Vgl. zu Sachsen Nr. 3 der sächsVV Religion/Ethik, zu Thüringen § 46 Abs. 2 thürSchulG. 39 Nr. 3.2.1 thürOrganisationsErl.; Nr. VI 1 hessReligionsErl. 40 § 96 Abs. 2 bwSchulG; Art. 46 Abs. 1 S. 2 bayEUG; § 10 Abs. 3 sldSchOG.
Β. Ethik/Philosophie und Religionsunterricht
31
Zustimmung der aufnehmenden Religionsgemeinschaft41 bzw. die Zustimmung der Religionslehrer 42, deren Religionsunterricht besucht werden soll. Unterschiedlich ist die Handhabung, wenn ein konfessionsangehöriger Schüler, dessen Religionsunterricht an der Schule nicht erteilt wird, am Religionsunterricht einer anderen Konfession teilnehmen will; teilweise wird in diesem Fall nur die Zustimmung der aufnehmenden Religionsgemeinschaft gefordert 43 teilweise wird jedoch auch die Zustimmung der eigenen Religionsgemeinschaft vorausgesetzt.44 Nur unter engen Voraussetzungen können dagegen Schüler, deren eigener Religionsunterricht erteilt wird, an einem anderen Religionsunterricht teilnahmen. Vorgesehen ist die Zustimmung der beiden beteiligten Religionsgemeinschaften und eine Beschränkung der Teilnahme im Umfang, d. h. auf eine bestimmte Zahl von Jahren oder Kursen.45 Die Teilnahme konfessionsfremder Schüler ist daher - neben möglichen weiteren Voraussetzungen - grundsätzlich an eine Zustimmung der aufnehmenden Religionsgemeinschaft geknüpft. Lediglich in den Ländern Hessen und Schleswig-Holstein werden keine weiteren Anforderungen für die Teilnahme an einem fremdkonfessionellen Religionsunterricht genannt.46 Im Ergebnis kommt daher in vielen Ländern, in denen das Fach Ethik/Philosophie als Ersatzfach eingerichtet ist, zumindest in Ausnahmefällen eine Teilnahme konfessionsfremder Schüler am Religionsunterricht statt am Unterricht in Ethik/ Philosophie in Betracht. Die starre Zuordnung der Schüler zu einem Fach, wie sie für den Ersatzunterricht kennzeichnend ist, wird damit durchbrochen.
b) Die Teilnahme Konfessionsfremder am Religionsunterricht in der Alternativfachkonstellation In den Bundesländern, die eine Wahl zwischen den Fächern Ethik/Philosophie und Religion vorsehen, können Angehörige anderer Religionsgemeinschaften und konfessionslose Schüler ohne weitere Beschränkungen am Religionsunterricht teil«ι Nr. A 1.2 bwVV Religion; § 21 Abs. 3 bayGSO. 4 2 Nr. 3.3 ndsReligionsErl. (Zustimmung der Fachkonferenz); § 38 Abs. 2 rhpfÜSO; im Saarland gilt die entsprechende Regelung nur für die Sekundarstufe II. « Nr. A 1.2 bwVV Religion; § 38 Abs. 2 rhpfÜSO. 44
§ 21 Abs. 3 bayGSO. 5 Nr. 1.2 bwVV Religion: 2 Kurse. Nach § 38 Abs. 2 rhpfÜSO können Regelungen im Einvernehmen mit den betroffenen Kirchen getroffen werden. Im Saarland können evangelische und katholische Schüler in der Sekundarstufe II nur jeweils zwei Kurse im anderen Religionsunterricht belegen. 46 § 2 Abs. 1 hessEthikVO; nach § 21 Abs. 2 hessOVO können Schüler ohne weitere Voraussetzungen Kurse in anderen Religionslehren besuchen und in die Qualifikation einbringen; § 4 Abs. 5 schlhReligionsErl. 4
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1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
nehmen, wenn die Zustimmung der aufnehmenden Religionsgemeinschaft vorliegt47 In Sachsen und Thüringen haben die Kirchen für bestimmte Schülergruppen die Zustimmung generell erteilt. 48 Die Regelungen bzgl. der konfessionsfremden Schüler stimmen daher mit dem Alternativfachcharakter des Faches in diesen Ländern überein; die freie Wahl wird lediglich durch die notwendige Zustimmung der Religionsgemeinschaften eingeschränkt.
V. Zusammenfassung zur Ausgestaltung als Ersatz- oder Alternativfach In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ist wegen der eindeutigen Zuordnung der Schüler zu einem Unterrichtsfach das Fach Ethik/Philosophie als Ersatzfach eingerichtet. Teilnahmemöglichkeiten am Religionsunterricht für konfessionsfremde Schüler und damit gewisse Wahlelemente sind zwar vorgesehen, jedoch auf enge Ausnahmefälle beschränkt. Dagegen liegt in den Ländern Hamburg und Sachsen-Anhalt wegen des Verzichts auf eine ausdrückliche Abmeldung für Konfessionsangehörige bei gleichzeitiger Öffnung des Religionsunterrichts für Konfessionsfremde ein Alternativfach vor. Eine Mischung aus beiden Elementen liegt in den Ländern Sachsen, SchleswigHolstein und Thüringen vor, weil hier einerseits die konfessionsangehörigen Schüler grundsätzlich zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet sind, der Religionsunterricht gleichzeitig jedoch für die Teilnahme Konfessionsfremder offensteht. In Mecklenburg-Vorpommern könnte die Zuordnung schwierig erscheinen, weil hier zur Teilnahme am Philosophieunterricht nach § 7 Abs. 2 mvSchulG nur
47 Nr. 3.3 sächsVV Religion /Ethik; Nr. 3.2 saRdErl Religion/Ethik spricht allein von einer Anmeldung, ohne die Zustimmung der Religionsgemeinschaften zu erwähnen; § 46 Abs. 3 thürSchulG (Drößler, SchulVw 1994, S. 189: § 46 Abs. 3 thürSchulG führt ein gewisses Wahlelement in das im übrigen streng durchgeführte Zuordnungsschema der unterrichtspflichtigen Schüler ein). Vgl. § 4 Abs. 5 schlhReligionsErl., der auch eine „Ummeldung" zuläßt. In Hamburg wird mit Zustimmung der katholischen Kirche nur evangelischer Religionsunterricht erteilt, der daher de facto ein Religionsunterricht für alle Schüler ist (Doedens, KatBl. 1994, S. 272.) 48 Nr. 3.3 sächsVV Religion/Ethik: im Einvernehmen mit den Kirchen ist evangelischer und katholischer Religionsunterricht grundsätzlich für Anmeldungen aller Schüler offen; Nr. 3.2.1 thürOrganisationsErl.: die Evangelischen Landeskirchen und die Katholische Kirche haben die Zustimmung für die Mitglieder der jeweils anderen Konfession und für Konfessionslose erklärt.
Β. Ethik /Philosophie und Religionsunterricht
33
Tabelle 1 Bezeichnung, Rechtsgrundlagen und Verhältnis des Faches zum Religionsunterricht Bezeichnung
Rechtsgrundlage
Alternativ / Ersatzfach
BW
Ethik (ordentl.Lehrfach)
§ 100a SchulG
Ersatz
Bay
Ethik
Art. 137 II Verf Art. 47 I SchulG
Ersatz
Beri
Schulversuch Ethik/Philosophie
Bbg
-
(Wahlfach)
LER
§ 11 SchulG
(Pflichtfach)
Brem
(in Planung)
§ 7 II SchulG
Hmb
Ethik/Philosophie
§ 7 IV SchulG
Alternativ
Hess
Ethik
§ 8 IV SchulG
Ersatz
MV
Philosophieren mit Kindern/Philosophie
§ 7 II SchulG
Ersatz/Alternativ
Nds
Werte und Normen (ordentl.Lehrfach)
§ 128 I SchulG
Ersatz
NW
Philosophie (Sek II) Schulversuch Prakt.Philosophie
§ 9 1 APO
Ersatz
RdErl.
Ersatz
Ethik
Art. 35 II Verf, § 38 IV ÜSO
Ersatz
Sld
Allgemeine Ethik
§ 15 I SchOG
Ersatz
Sachs
Ethik (ordentl.Lehrfach)
Art. 105 I Verf, §§ 19, 20 SchulG
Ersatz /Alternativ
SA
Ethik (ordentl.Lehrfach)
Art. 27 III Verf, §§ 19, 21 SchulG
Alternativ
Philosophie
§ 6 III SchulG
Ersatz/Alternativ
Ethik (ordentl.Lehrfach)
Art. 25 I Verf, § 46 I SchulG
Ersatz/Alternativ
Rh Pf
SchlH Thür
Stehen in der Spalte Alternativ / Ersatzfach zwei Angaben, so bezieht sich die erste auf die konfessionsangehörigen, die zweite auf die konfessionsfremden Schüler 3 Erwin
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1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
die abgemeldeten Schüler verpflichtet sind und der Begriff des Ersatzfaches ausdrücklich gebraucht wird; 49 da gleichzeitig konfessionsfremden Schülern die Teilnahme am Religionsunterricht offensteht, liegt jedoch auch in Mecklenburg-Vorpommern eine Mischung aus beiden Elementen vor. Damit ist Ethik/Philosophie in diesen Ländern für die konfessionsangehörigen Schüler Ersatzfach, für die übrigen Alternativfach. In den neuen Bundesländern beschränkt sich allerdings der Ersatzfachcharakter auf die geringe Zahl konfessionsangehöriger Schüler; im Vordergrund steht daher rein faktisch der Alternativfachcharakter. 50
VI. Exkurs: Ausnahmen von jeder Teilnahmepflicht Unabhängig davon, ob Ethik/Philosophie als Ersatz- oder Alternativfach gestaltet ist, wird häufig eine Schülergruppe von der Verpflichtung zur Teilnahme bzw. zur Wahl zwischen beiden Fächern ausgenommen: diejenigen Schüler, die einer Religionsgemeinschaft angehören, deren Religionsunterricht in der Schule nicht erteilt wird. Zwei grundlegende Varianten sind zu unterscheiden: In der ersten Variante sind diese Schüler ohne Nachweis eines anderen Unterrichts von der Teilnahme befreit, und zwar wenn entsprechender Religionsunterricht nicht eingerichtet51 oder aus schulorganisatorischen Gründen ausnahmsweise nicht erteilt werden kann.52 In der zweiten Variante ist die Befreiung von der Teilnahme an einem außerhalb der Schule stattfindenden Religionsunterricht der Religionsgemeinschaft des Schülers abhängig, wobei wiederum danach unterschieden werden kann, ob dieser Religionsunterricht staatlicher Schulaufsicht unterliegen muß53 oder ob jede religiöse Unterweisung für eine Befreiung genügt.54
49 Nr. 1 des mvReligionsErl.; § 12 Abs. 2 mvAPO; Axnick, RdJB 1997, S. 194/195. 50 Zur Übersicht vgl. Tabelle 1. 51 § 128 Abs. 1 ndsSchulG. 52 Nr. 2.1 bwVV Ethik; Nr. 3.2.1 thürOrganisationsErl. Offen bleibt hierbei, wie weit die Befreiung geht: möglich ist zum ersten, daß die Teilnahmepflicht am Unterricht Ethik /Philosophie dann für alle Angehörigen des entsprechenden Bekenntnisses entfällt, seien sie nun abgemeldet oder nicht, während sie für alle anderen abgemeldeten Schüler bestehen bleibt; möglich ist zum anderen auch, daß die Teilnahmepflicht nur für die nicht abgemeldeten bekenntnisangehörigen Schüler entfällt. 53 Nr. 9.3 sächsVV Ethik/Religion für einen ausnahmsweise in kirchlichen Räumen stattfindenden Unterricht; 3.2.1 thürOrganisationsErl. 54 Nr. 3.4 sächsVV Ethik/Religion sieht eine Genehmigung des Kultusministeriums für die Anerkennung eines außerschulischen Religionsunterrichts vor, ohne die genauen Voraussetzungen dafür zu nennen; ähnlich § 2 Abs. 2 hessEthikVO; § 38 Abs. IV rhpfÜSO.
C. Einrichtung des Unterrichts Ethik /Philosophie
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C. Einrichtung und Ausgestaltung des Unterrichts Ethik/Philosophie L Voraussetzungen der Einrichtung Eine Übersicht über die Wochenstundenzahlen und die Klassenstufen, in denen der Unterricht eingerichtet ist, gibt Tabelle 2. Die Länder unterscheiden sich vor allem darin, in welchen Klassenstufen sie Unterricht in Ethik /Philosophie eingerichtet haben. Vor allem in der Primarstufe ist Unterricht bisher im alten Bundesgebiet nur in Bayern und Rheinland-Pfalz eingerichtet; in Hessen ist er grundsätzlich möglich, wenn ein Rahmenplan vorliegt. Demgegenüber haben die neuen Bundesländer eine Erteilung in allen Klassenstufen zumindest geplant. Auch in der Sekundarstufe I wird der Unterricht nicht in allen Ländern durchgehend erteilt; Baden-Württemberg, Hamburg und das Saarland haben ihn erst ab Klasse 8 oder 9 eingerichtet. Lediglich in der Oberstufe wird in allen Ländern, in denen Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, auch Unterricht in Ethik/Philosophie erteilt. 55 Für die Einrichtung des Faches gelten teilweise Besonderheiten: In Hessen ist die Einrichtung des Faches Ethik /Philosophie direkt von der Einrichtung des Religionsunterrichts abhängig, da nach § 1 Abs. 1 hessEthikVO Ethikunterricht in den Klassen, Jahrgangsstufen, Schulstufen, Schulzweigen, Abteilungen und Schulformen einzurichten ist, in denen Religionsunterricht angeboten wird. In Thüringen soll im Gegenteil dadurch, daß beide Fächer als ordentliche Lehrfacher bezeichnet werden, erreicht werden, daß Einführung und Erteilung des Ethikunterrichts unabhängig vom Angebot des Religionsunterrichts in der jeweiligen Klassenstufe wird. 56 In den neuen Bundesländern besteht die Verpflichtung zur Teilnahme oft nur dann, wenn auch evangelischer und katholischer Religionsunterricht erteilt werden können.57 Eine Einschränkung für die Einrichtung des Unterrichts besteht zumeist in dem praktischen Erfordernis, daß die Schülerzahlen ausreichend und geeignete Lehrkräfte 58 vorhanden sein müssen.59 Um die Mindestschülerzahlen (vgl. Tabelle 2) 55 An den Berufsschulen wird Religionsunterricht nicht durchgehend als ordentliches Lehrfach erteilt, vgl. dazu die Darstellung bei KMK, Ev.RU, S. 15, Fn. 15. Entsprechendes gilt daher auch für den Unterricht Ethik /Philosophie. Zu den Besonderheiten des Religionsunterrichts an Sonderschulen vgl. KMK, Kath.RU, S. 16 ff. 56 Drößler, Schulverwaltung MO 1994, S. 189; Duchêne, RdJB 1997, S. 200/204. 57 Nr. 3 mvReligionsErl.; Nr. 4.4 saRdErl. Religion/Ethik; Β 5.1 sächsVV Ethik/Religion. 58 Zu den Lehrkräften im einzelnen unten S. 51. 59 § 100a bwSchulG; § 141 bbgSchulG; § 1 Abs. 1 hessEthikVO; Nr. 12.1 ndsReligionsErl.; Β 5.2 sächsVV Ethik/Religion; § 19 Abs. 5 saSchulG; Nr. Π 1 schlhPhilosophieErl.; Nr. 3.1 thürOrganisationsErl.
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1. Teil: Überblick über die schulrechtliche Ausgestaltung
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