Das Bildungsangebot für Behinderte: Verfassungsrechtliche Anforderungen an das System der sonderpädagogischen Förderung. Eine Untersuchung auf der Grundlage der rechtlichen Regelungen und der schulischen Praxis im Saarland [1 ed.] 9783428550722, 9783428150724

Der Diskurs über das Bildungsangebot für Behinderte in Deutschland ist gekennzeichnet durch die Allgegenwart der Begriff

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Das Bildungsangebot für Behinderte: Verfassungsrechtliche Anforderungen an das System der sonderpädagogischen Förderung. Eine Untersuchung auf der Grundlage der rechtlichen Regelungen und der schulischen Praxis im Saarland [1 ed.]
 9783428550722, 9783428150724

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1337

Das Bildungsangebot für Behinderte Verfassungsrechtliche Anforderungen an das System der sonderpädagogischen Förderung Eine Untersuchung auf der Grundlage der rechtlichen Regelungen und der schulischen Praxis im Saarland

Von

Hansgünter Lang

Duncker & Humblot · Berlin

HANSGÜNTER LANG

Das Bildungsangebot für Behinderte

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1337

Das Bildungsangebot für Behinderte Verfassungsrechtliche Anforderungen an das System der sonderpädagogischen Förderung Eine Untersuchung auf der Grundlage der rechtlichen Regelungen und der schulischen Praxis im Saarland

Von

Hansgünter Lang

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät – Abteilung Rechtswissenschaft – der Universität des Saarlandes hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15072-4 (Print) ISBN 978-3-428-55072-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85072-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät – Abteilung Rechtswissenschaft – der Universität des Saarlandes als Dissertation angenommen. Während sich bei dem Bildungsangebot für die nichtbehinderten Schüler die beteiligten Interessengruppen im bildungspolitischen Diskurs in aller Regel problemlos Gehör verschaffen, sind bei den Sachwaltern der behinderten Kinder und Jugendlichen laute Töne eher selten zu vernehmen. Es ist das Privileg eines Dokto­randen, sein Thema nicht nur wählen, sondern es auch zuschneiden, d. h. Spezifika seines Untersuchungsgegenstandes definieren zu können. Der dezidiert verfassungsrechtliche Ansatz der Arbeit zielt – bei Berücksichtigung auch des Völkervertragsrechts – auf den normativen Fluchtpunkt staatlicher Schulverantwortung: nämlich auf die Gewährleistung der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und auf die Respektierung des Elternrechts. Doch kann der normative Zugriff angesichts der Kontingenz von Rechtsnormen nicht von der Tatsachenebene abstrahieren. Indem auch die Handlungsvoraussetzungen für den Vollzug der Rechtsnormen und ihre Wirkungsdimension thematisiert werden, ist die Arbeit im Rahmen eines integralen Normdiskurses auch ein Beitrag zur Rechts­tatsachenforschung. Die Arbeit hat als Hintergrund die Erfahrung aus 33 Jahren beruflicher Tätigkeit im Kultusministerium des Saarlandes. Von 1971 bis 1975 konnte ich als Persön­ ultusministers Werner Scherer das breite Auflicher Referent des damaligen K gabenfeld des seinerzeit noch ungeteilten, d. h. die Zuständigkeit für Schule, Hochschule und Kultur umfassenden Ministeriums kennenlernen und Einblicke in die jeweilige Sachmaterie gewinnen. Hieran schlossen sich 24 Jahre in der Abteilung Allgemeinbildende Schulen an, wo ich als Leiter des Schulrechtsreferates u. a. für Normgebung zuständig war. Von 1977 bis zu meiner Ernennung zum Staatssekretär im Jahr 1999 gehörte ich als Vertreter des Saarlandes dem Unterausschuss Schulrecht der Kultusministerkonferenz an. Dort war ich mehrfach Berichterstatter zu Rechtsfragen des Bildungsangebots für behinderte Kinder und Jugendliche Prof. Dr. Christoph Gröpl hat als Erstberichterstatter meine Arbeit intensiv betreut und vielfältigen, der Arbeit sehr förderlichen Rat gegeben. Er war in allen meinen Anliegen und bei den nicht wenigen von mir aufgeworfenen Fragen jeder­ zeit für mich erreichbar. Nichts war ihm zu viel. Dafür sage ich ihm an dieser Stelle Dank. Ebenso möchte ich dem Zweitberichterstatter Prof. Dr. Jan Henrik Klement danken. Er hatte mir, bevor er mit der Durchsicht der Arbeit begann, Gelegenheit gegeben, in einem ausführlichen Gespräch das Anliegen meiner Arbeit und die ihr

6

Vorwort

zugrunde liegende Konzeption darzulegen. Mit seiner überaus zügigen Durchsicht der umfangreichen Arbeit hat er es ermöglicht, dass das Promotionsverfahren noch im Sommersemester 2016 abgeschlossen werden konnte. Danken aber möchte ich vor allem meiner Frau Monika, insbesondere für die Geduld, mit der sie mein Vorhaben begleitet hat. Ihr ist die Arbeit gewidmet. St. Ingbert, im Juli 2016

Hansgünter Lang

Inhaltsübersicht Einleitung – Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Erster Teil

Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung

45

Kapitel 1: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung . . . . . 45 Kapitel 2: Regelung der pädagogisch-strukturellen Elemente integrativer Unterrichtung durch das Gesetz vom 4.6.1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Kapitel 3: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers . . . 90 Kapitel 4: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Kapitel 5: Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Zweiter Teil

Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund

168

Kapitel 6: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen . . . . . . . . . . . 168 Kapitel 7: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung in Abhängigkeit von den personellen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Kapitel 8: Staatliche Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs integrativ unterrichteter behinderter Kinder und Jugendlicher . . . . . . . . . . . . . 216 Kapitel 9: Wissenschaftliche Politikberatung mit Unterstützungsfunktion . . . . . . . . . . 254 Kapitel 10: Problematik der ländervergleichenden Statistiken zur integrativen/inklusiven Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Dritter Teil Förderschule

267

Kapitel 11: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes . . . . . . . . . 267 Kapitel 12: Förderschule als alternatives, komplementäres und subsidiäres Bildungsangebot 290

8

Inhaltsübersicht

Kapitel 13: Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers in der Förderschule 308 Kapitel 14: Objektivrechtliche Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen 335

Vierter Teil

Inklusive Schule

376

Kapitel 15: VN-Behindertenrechtskonvention und bildungspolitischer Diskurs . . . . . . . 376 Kapitel 16: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-Behindertenrechtskonvention hinsichtlich des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes . . 404 Kapitel 17: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . 484 Kapitel 18: Staatliche Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs behinderter Kinder und Jugendlicher in der inklusiven Schule . . . . . . . . . . . . 600 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Verzeichnis sonstiger Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688

Inhaltsverzeichnis Einleitung – Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Erster Teil 

Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung

45

Kapitel 1

Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung

45

A. Parlamentarische Leitentscheidung des Landtags des Saarlandes vom 4.6.1986 . . . . 45 I.

Sonderpädagogischer Paradigmenwechsel und Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . 45 1. Gesetzliche Normierung der Grundsatzentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Pädagogische, ethische und rechtliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

II.

Einordnung der gesetzlichen Regelung in der Reformdiskussion . . . . . . . . . . . 49

B. Schulversuche im Anschluss an die getroffene Grundsatzentscheidung . . . . . . . . . . . 51 I.

Gesetzlicher Entwicklungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Zielsetzung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Relevanz diverser Schulversuchsaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

II.

Forcierter und flächendeckender Ausbau der integrativen Unterrichtung . . . . . 56

III. Aussagen im Gesetzgebungsverfahren zu den Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 C. Duales System sonderpädagogischer Förderung im Spiegel der Schulgesetzgebung . 60

Kapitel 2 Regelung der pädagogisch-strukturellen Elemente integrativer Unterrichtung durch das Gesetz vom 4.6.1986



63

A. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I.

Schüler mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Grundsatz der umfassenden Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Notwendigkeit der Differenzierung bei der Organisation des Bildungsangebots im Rahmen integrativer Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Schüler ohne mentale Beeinträchtigungen: Zielgleiche integrative Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen: Zieldifferente integrative Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

10

Inhaltsverzeichnis aa) Intellektuelle Beeinträchtigungen lernbehinderter Schüler . . . . . . . 66 bb) Sozial-emotionale Befindlichkeiten lernbehinderter Schüler . . . . . . 68 cc) Anteil der Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen an der Gesamtheit der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf . . . . . . . . 68 c) Schüler mit Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung . . . . . . . . . 69 II.

Integrationspädagogik und Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Behinderung als normative Grundkategorie der schulrechtlichen Regelung zur sonderpädagogischen Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Verfassungsrechtliche Normativbestimmungen für Menschen mit Behinde­ rungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Dekategorisierungs-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Elemente der Dekategorisierungs-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Konsequenzen für die Menschen mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . 77

B. Anpassungsleistung bei integrativer Unterrichtung als Verpflichtung der allgemeinen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 C. Organisationsformen integrativer Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I.

Gesetzliche Ermächtigung zu einer Abstufung nach dem Integrationsgrad . . . . 80

II.

Normative Ausgestaltung eines Formenkatalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

III. Ambulanzlehrer-System als dominierende Organisationsform in der Praxis integrativer Unterrichtung im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Pädagogische Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Situation der Ambulanzlehrkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Finanzwirtschaftlicher Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 D. Konsequenzen des Paradigmenwechsels für die Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I.

Oberbegriff in Anpassung an ein duales System sonderpädagogischer Förderung 86

II.

Schulrechtliche Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

III. Unterschiedliche Förderbedarfe in der begrifflichen Abgrenzung . . . . . . . . . . . 87

Kapitel 3

Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

90

A. Normative Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I.

Bundesverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) . . 90 2. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Entfaltung der Persönlichkeit und staatliche Schulverantwortung (Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Einheit der Verfassung als Interpretationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Staatliche Schulverantwortung und individueller Bildungsanspruch . . . 94 c) Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes . . . . . . . . . . . 96

Inhaltsverzeichnis II.

11

Landesverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Normierung eines Rechts auf Bildung in Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. . . . 100 2. Normative Relevanz des Landesgrundrechts auf Bildung . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Verantwortungsethische Relevanz des Landesgrundrechts auf Bildung für die integrative Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

B. Inhaltliche Konkretisierung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers . . . . . . 104 I.

Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Förderschwerpunkt Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Pädagogische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Bedürfnisse des Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Sonderpädagogisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Unabdingbarkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppel­ besetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Förderschwerpunkt geistige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Pädagogische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Bedürfnisse des Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Sonderpädagogisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Unabdingbarkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppel­ besetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

II.

Schüler mit Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Pädagogische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Bedürfnisse des Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Sonderpädagogisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Unabdingbarkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

III. Behinderte Schüler ohne mentale Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Bildungsanspruch des nichtbehinderten Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Kapitel 4

Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

118

A. Paradigmenwechsel mit Vorbehalt des Möglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. II.

Normierung tatbestandlicher Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Kriterium des Erforderlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Gewährleistung des Erforderlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

III. Personelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Personalkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Bedarfsdefinierung und Aufgabenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

12

Inhaltsverzeichnis aa) Unterscheidung zwischen Eingliederung und Förderung . . . . . . . . . 121 bb) Abgrenzung zwischen Eingliederungshelfer und Lehrhilfskraft . . . 123 b) Eingliederungshilfe durch den Träger der Sozialhilfe oder der Jugendhilfe 124 aa) Eingliederungshilfe nach dem SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Pädagogisches, therapeutisches und pflegerisches Personal im Zuständigkeitsbereich des Kultusministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Lehr- und Lehrhilfskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Kostenträgerschaft, Dienst und Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Unzulässige Hilfskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Anforderungen an die personelle Ausstattung in quantitativer Hinsicht . . . 128 a) Grundsätzliches zum Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Personalausstattung bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei Schülern mit Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. Sächliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 V.

Organisatorische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

B. Legitimität des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 und Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . 131 I. II.

Finanzwirtschaftliche Grundtatsachen staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . 131 Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . 132 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

III. Geltung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts auch für die kommunalen Schulträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Kategoriale Unterscheidung zwischen verantwortbarer und unverantwortlicher integra­ tiver Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I.

Zusammenhang zwischen Kostenneutralität, pädagogischer Qualität und Anzahl der Integrationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Rechtliche Regelung und tatsächliche Akzeptanz von Rahmenbedingungen 136 2. Handhabung des Prinzips der Kostenneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

II.

Normative Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen integrativer Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Anforderungen an die rechtsstaatliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Regelung durch den Gesetzgeber (Parlamentsvorbehalt) . . . . . . . . . . . . 143 c) Delegationsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Regelungsumfang und Regelungsdichte der Integrations-Verordnung . . . . 145 a) Regelungen zu Fragen des Anwendungsbereichs, des Verfahrens und der Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Inhaltsverzeichnis

13

b) Regelungen zu den Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Sächliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Personelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Organisatorische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Regelungsdefizite der Integrations-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Unzulängliche Regelungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Gründe der Regelungsverweigerung der Schuladministration . . . . . 152 cc) Folgen des rechtsstaatlichen Regelungsdefizits . . . . . . . . . . . . . . . . 156 dd) Kontinuität im Regelungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Kapitel 5

Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung

159

A. Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I.

Grundrechtsbetroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

II.

Entscheidungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

B. Grundrechtsschutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I.

Verfahrensregelung zur Konfliktvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

II.

Gewährleistungsfunktion des Verfahrens im Hinblick auf die pädagogische Verantwortbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Entscheidung über den Lernort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Letztverantwortlichkeit der Schulaufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Zweiter Teil

Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund

168

Kapitel 6

Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

168

A. Normdiskurs im Tatsachenkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 I.

Sonderpädagogische Förderung im dualen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Normativität und Faktizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Unterrichts- und Erziehungspraxis als Substrat schulrechtlicher Normen . . 169 3. Systembezogenheit des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts . . . . . . . 170

II.

Datenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Relevante Erhebungszeiträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

B. Entwicklung im System der sonderpädagogischen Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

14

Inhaltsverzeichnis I.

Ausbau der integrativen Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf differenziert nach Lernorten 172 2. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf differenziert nach Schulformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Integrationsmaßnahmen differenziert nach Behinderungsart (Förderschwerpunkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Integrationsmaßnahmen differenziert nach unterrichteten Lehrplänen . . . . 179

II.

Auflösung von Förderschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Kapitel 7 Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung in Abhängigkeit von den personellen Ressourcen



182

A. Nutzung des angeblichen Personalüberhangs der Förderschulen . . . . . . . . . . . . . . . . 182 B. Streichung von Planstellen der Förderschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 C. „Ressourcenerschließung“ durch Erhöhung von Schüler-Lehrer-Relationen und Klassenfrequenzen an Förderschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 D. „Bündelung“ mehrerer behinderter Schüler in einer Regelklasse der allgemeinen Schule als Maßnahme personalwirtschaftlicher Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 E. Kontinuierliche Absenkung der Zahl der Ambulanzlehrer-Wochenstunden je Schüler 197 I.

Entwicklung der Fallzahlen und der sonderpädagogischen Förderungsintensität 197 1. Personelle und sachliche Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Nettoeffekt nach Abzug der Anrechnungsstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Anrechnungsstunden des Ambulanzlehrers für Zeitaufwand bei Dienstfahrten und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Umfang der gewährten Anrechnungsstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

II.

Integrationspraxis im Lichte des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

F. Interventionen zur Fallzahl-Steuerung bei der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I.

Auseinanderentwicklung von Schülerzahlen und Fällen festgestellten sonder­ pädagogischen Förderbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

II.

Gründe für die Disproportionalität der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Allgemeine Entwicklungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Schulspezifische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Innerschulische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Veränderte Einstellungen und Erwartungen der Eltern . . . . . . . . . . . . . . 208

III. Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Manifeste Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Steuerungsversuch im Diagnoseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Inhaltsverzeichnis

15

3. Erfolglosigkeit der Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Verstärkte Fortsetzung der disproportionalen Entwicklung . . . . . . . . . . 213 b) Erneuter und expliziter Versuch der Zugangssteuerung . . . . . . . . . . . . . 214 c) „Problemlösung“ durch Abschaffung des Diagnoseverfahrens . . . . . . . . 214

Kapitel 8 Staatliche Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs integrativ unterrichteter behinderter Kinder und Jugendlicher



216

A. Fallzahlen als „Erfolgs“-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 B. Pädagogischer Maßstab: Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I.

Bildungsanspruch und schulische Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

II.

Evidenz des Qualitätsdefizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

III. Perspektive angesichts beschränkten Potenzials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 C. Handhabung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I.

Staatliche Schulverantwortung im Selbstverständnis von Bildungspolitik und Schuladministration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Erklärungen und Positionierungen zur Frage der pädagogischen Qualität . . 221 2. Ignorierung der Verpflichtung der allgemeinen Schule zur Erbringung der Anpassungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

II. Normwidrige Handhabung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums im Rahmen des gesetzlichen Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts . . . . . . . . 223 D. Inhalt und Grenzen der Leistungsverpflichtung der Lehrkraft der allgemeinen Schule 226 I.

Integrative Unterrichtung unter der Bedingung von Kostenneutralität . . . . . . . 226

II.

Pädagogisches Anforderungsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Allgemeine Unterrichts- und Erziehungssituation in den Schulen . . . . . . . . 226 2. Belastungsgrenzen der Lehrkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Erwartungen an die Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

III. Rechtliche Konkretisierung der Dienstpflichten der Lehrkraft im Rahmen integra­ tiver Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Pflichtenkreis in Abhängigkeit von der Aufgabe der allgemeinen Schule . . . 233 2. Schuladministrativ konzedierte Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Rahmenbedingung bei der Entscheidung über eine Integrationsmaßnahme 233 aa) Bildungspolitische Grundsatzaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Schulaufsichtlicher Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Bestätigung durch die Landesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Rechtliche Relevanz der Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Grenzen der Dienstpflichten der Lehrkraft der allgemeinen Schule . . . . . . 238

16

Inhaltsverzeichnis

E. Verstoß gegen den Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GG bei der Personalisierung von Integrationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I.

Rechtsanwendungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Sachlicher „Schutzbereich“: Bildung des Vergleichspaares . . . . . . . . . . . . . 241 a) Ausgangssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Bezugssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Ungleichbehandlung von rechtlicher Relevanz („Eingriff“) . . . . . . . . . . . . . 242 a) Zuteilungsprinzip für die behinderungsspezifische Personalallokation an die einzelne Integrationsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Unterrichtssituation als Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Fehlende Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Irrelevanz einer unterstellten Einwilligung der Erziehungsberechtigten . 250 b) Überschreitung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums bei der Bewilligung von Integrationsanträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

II.

Offizieller Zuteilungsmaßstab in der Widersprüchlichkeit schuladministrativer Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Kapitel 9

Wissenschaftliche Politikberatung mit Unterstützungsfunktion

254

A. Integrative Unterrichtung in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 254 B. Unterstützungspotenzial aus dem Hochschulbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I.

Personelle Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

II.

Selbstreferenzielles System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

Kapitel 10 Problematik der ländervergleichenden Statistiken zur integrativen/inklusiven Unterrichtung



264

A. Fehlende Einheitlichkeit in der begrifflichen Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 B. Varianz der pädagogischen Qualität des integrativen/inklusiven Unterrichts . . . . . . . 265

Dritter Teil  Förderschule

267

Kapitel 11

Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

267

A. Verfassungsänderung vom 5.11.1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I.

Anlass und Inhalt der Verfassungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Inhaltsverzeichnis II.

17

Bedeutung der Verfassungsänderung für die Förderschule . . . . . . . . . . . . . . . . 268

B. Verfassungsänderung vom 27.3.1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I.

Anlass und Inhalt der Verfassungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Niedergang der institutionell garantierten Hauptschule . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Einführung der Gesamtschule als zusätzliche Schulform . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 14.7.1987 . . . . . . . 270 a) Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit der Gesamtschule . . . . . . . . . . . 270 b) Institutionelle Garantie der Hauptschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Ableitung aus der Verfassung des Saarlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Rechtsrahmen für die Schulpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (1) Ausbau der Gesamtschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (2) Neuordnung der Schulstruktur in der Sekundarstufe I . . . . . . . . 274

II.

Verhandlungen über eine Verfassungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Scheitern der Verhandlungen in der 10. Wahlperiode (1990–1994) des Landtags des Saarlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Verfassungskompromiss vom 27.3.1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Unhaltbar gewordene Situation der Hauptschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Verhandlungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

C. Bedeutung des Verfassungskompromisses für die sonderpädagogische Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 I.

Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

II.

Reichweite des tatsächlichen Konsenses in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Konzeptionelle Vorstellungen der CDU-Landtagsfraktion . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Vorgehensweise und Positionsbeschreibungen auf Seiten der Landesregierung und der SPD-Landtagsfraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Erklärungen im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Verhandlungsziel der Landesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Rückschlüsse aus der Außendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 d) Fundamentaler Dissens in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 e) Verfassungskompromiss aus spezifisch politischem Kalkül . . . . . . . . . . 288

D. Verfassungsänderung vom 15.6.2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Kapitel 12 Förderschule als alternatives, komplementäres und subsidiäres Bildungsangebot



290

A. Förderschul-Option als objektiv-institutionelle Voraussetzung personaler Integrationsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I.

Integrationsentscheidung und Personalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

18

Inhaltsverzeichnis 1. Individualität und Sozialität als personale Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Bildungsanspruch und Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 II.

Grundprinzip der Dienlichkeit und Förderlichkeit für das behinderte Kind . . . 294 1. Anthropologische Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Kindeswohl und substanzielles Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

B. Förderschulen bei ressourcenbedingten Grenzen verantwortbarer integrativer Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. II.

Extreme Haushaltsnotlage des Saarlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Politische Prioritätensetzung zulasten der sonderpädagogischen Förderung . . . 300 1. Zugangssteuerung zur sonderpädagogischen Förderung zwecks Identifizierung von Einsparpotenzialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Ausklammerung der Förderschulen bei Absenkungen des Klassenteilers . . 304 3. Bildungspolitischer Wettbewerb unter Ausblendung des Bildungsangebots für Behinderte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4. Fehlleistungen in der schulrechtlichen Begrifflichkeit mit Diskriminierungs­ charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Kapitel 13 Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers in der Förderschule



308

A. Pädagogischer Vergleich der integrativen/inklusiven Unterrichtung und der Förderschule als Voraussetzung rechtlicher Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. II.

Maßgeblichkeit des Bildungsanspruchs für das pädagogische Anforderungsprofil 308 Pädagogische Bewertung und rechtlicher Handlungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Entscheidungskriterien und Gesamtvergleich bei der Einzelfallentscheidung 309 2. Konsequenzen für die objektiv-institutionelle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

B. Merkmale der Unterrichtssituation bei integrativer Unterrichtung im Lichte des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I.

Belastungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . 311

II.

Elterliche Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

C. Beispiele fundamentaler Kritik an der Förderschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I.

Positionierungen im pädagogischen und rechtswissenschaftlichen Schrifttum . . 316

II.

Mediale Resonanz und Verstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

D. Ergebnisse der empirischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I.

Forschungsstand am Beispiel des Förderschwerpunktes emotionale und soziale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

II.

Untersuchungen zum Förderschwerpunkt Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Untersuchung der schweizerischen Arbeitsgruppe Haeberlin/Bless/Moser/ Klaghofer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Inhaltsverzeichnis

19

2. Hamburger Schulversuch „Die integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Fehlende Vergleichsuntersuchungen zur integrativen Unterrichtung bei flächendeckender Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Vernachlässigung einer konzeptionsrelevanten Fragestellung . . . . . . . . . . . 325 2. Fehlende Evaluation im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 IV. Fazit: Ambivalenz in der pädagogischen Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 E. Hauptschulabschluss an Förderschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 I.

Länderspezifische Unterschiede im Spiegel der Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

II.

Behinderungsbedingte Grenzen für den Erwerb des Hauptschulabschlusses . . 328

III. Erfolgreiche Maßnahmen zur Steigerung der Hauptschulabschluss-Quote an Förderschulen Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 IV. Fehlende Aussagekraft eines statistischen Vergleichs von lernortbezogenen Hauptschulabschluss-Quoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 V.

Leistungsbewertung und Respektierung der Person des behinderten Schülers . . 333

Kapitel 14

Objektivrechtliche Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen 335

A. Legitimität der Förderschul-Option . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 B. Systemfrage und Bundesverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 C. Angebotsstruktur im Lichte der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I.

Verfassungsgerichtliche Zurückhaltung in der Bewertung der pädagogischen Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

II.

Aussagen allgemeiner Art zur staatlichen Schulverantwortung für behinderte Kinder und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

III. Aussagen mit schulstruktureller Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Zusammenhang von Bildungsanspruch, Ressourcen und Bildungsangebot . 342 2. Entscheidungen für die Förderschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Förderschule bei „ausgeschlossener“ integrativer Unterrichtung . . . . . . 344 b) Förderschule im Falle „pädagogisch nicht wünschenswerter“ integrativer Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 aa) Einschätzung der Schulbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 bb) Einschätzung der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 D. Verfassungsrechtliche Gewährleistung eines substanziellen Wahlrechts des behinderten Kindes und seiner Eltern bezüglich des Bildungsweges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I.

Spielraum und Grenzen staatlicher Schulhoheit bei der Strukturierung des Bildungsangebotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

II.

Bedeutung der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . 350

20

Inhaltsverzeichnis III. Grundrechte des behinderten Kindes und Elternrecht im Verhältnis zu Art.  7 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 IV. Inhalt des auf den Bildungsweg bezogenen Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 1. Gegenstand der Wahl bei nichtbehinderten Kindern: Abschlussbezogener Bildungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 2. Gegenstand der Wahl bei behinderten Kindern: Kognitives, emotionales und soziales Lernumfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 V.

Konsequenzen für die systemische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Gewährleistung der tatsächlichen Möglichkeit der Auswahl für das behinderte Kind und seine Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Grundsätzliches zum Wahlrecht im Falle von Behinderung . . . . . . . . . . 356 b) Erreichbarkeit der Förderschule in zumutbarer Weise . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 7 Abs. 1 GG . . . . . . 362

VI. Landesverfassungsrechtlicher Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 VII. Tragweite der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Ablauf des Verfassungsbeschwerdeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 2. Festlegungen von objektiv-institutioneller Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3. Fortdauernde Relevanz der Grundsatzentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 VIII. Individualrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Vierter Teil

Inklusive Schule

376

Kapitel 15

VN-Behindertenrechtskonvention und bildungspolitischer Diskurs

376

A. Integration/Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 I. II.

Art. 24 VN-BRK als völkerrechtliche Bezugsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Klärung der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 1. Inklusion – aliud gegenüber Integration? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Integration/Inklusion – Synonyma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 3. Hintergrund der Behauptung einer begrifflichen Divergenz . . . . . . . . . . . . . 382

B. Inklusive Schule – Vorhaben mit allumfassendem Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 I.

Zielsetzung und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

II. Instrumentalisierung der Organisationsfrage sonderpädagogischer Förderung für weiterreichende Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 1. Inklusion als neues Moment in der Frage des Schulsystems . . . . . . . . . . . . 385 2. Bildungsökonomische Rechtfertigungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

Inhaltsverzeichnis

21

a) Verlautbarungen zur Kostenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 b) Fragwürdigkeit der Handhabung des Begriffs „System“ . . . . . . . . . . . . . 396 c) Vernachlässigung des schülerzentrierten Handlungsansatzes . . . . . . . . . 397 d) Prämissen und Ergebnisse von Kostenberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . 398

Kapitel 16 Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-Behindertenrechtskonvention hinsichtlich des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes



404

A. Einbeziehung der VN-Behindertenrechtskonvention in die innerstaatliche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 I. II.

Völkervertragsrecht und nationales Verfassungsrecht als Auslegungsmaßstäbe im wechselseitigen Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Innerstaatliche Transformation und Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . 406 1. Verfügungsmacht des Gesetzgebers über den Rechtsbestand . . . . . . . . . . . . 406 2. Unzuständigkeit des Bundesgesetzgebers für das schulische Bildungsangebot für Behinderte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

III. Transformationsverpflichtung des Landes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 1. Verfahren nach dem Lindauer Abkommen und Bundesratsverfahren . . . . . 410 2. Bezugsebenen einer etwaigen Transformationsverpflichtung . . . . . . . . . . . 411 a) Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 b) Innerstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 aa) Verfassungsrechtlicher Grundsatz der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . 412 bb) Staatspraxis und verfassungsrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 B. Transformation der VN-Behindertenrechtskonvention, unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit und Ausgestaltung der Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 I.

Völkerrechtliche und staatsrechtliche Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 1. Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 2. Innerstaatliche Bedeutung der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 a) Maßgeblichkeit der Rechtsgestaltung durch das Vertragsgesetz . . . . . . . 418 b) Abgrenzung zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit der Vertragsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

II.

Auslegung des Art. 24 VN-BRK hinsichtlich seiner unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 1. Maßgeblicher Vertragstext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 a) Gemeinsame Übersetzung der deutschsprachigen Länder . . . . . . . . . . . 422 b) Deutsche Übersetzung als Grundlage der Auslegung und der innerstaatlichen Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

22

Inhaltsverzeichnis 2. Auslegungsgrundsätze der Wiener Vertragsrechtskonvention . . . . . . . . . . . 426 3. Einordnung des Art. 24 VN-BRK in die Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 a) Erfüllungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 b) Verhaltenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 c) Verhaltenspflicht mit dem Inhalt progressiver Realisierung . . . . . . . . . . 429 4. Verhältnis des Art. 5 Abs. 1 und 2 VN-BRK zu Art. 24 VN-BRK . . . . . . . . 431 III. Ausgestaltung der Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 1. Fehlende Anhaltspunkte für die Normierung subjektiv-öffentlicher Rechte . 432 2. Rückschlüsse aus der Regelung des völkerrechtlichen Durchsetzungsinstrumentariums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 3. Auslegung des Vertragsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 IV. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

C. Handlungsspielräume von Legislative und Exekutive im Lichte des Art. 24 VN-BRK 440 I.

Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

II.

Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

D. Normativer Gehalt der VN-Behindertenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 I.

Landesverfassungsrechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

II.

Auslegung des Art. 24 VN-BRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 1. Verbalinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 a) Salamanca-Erklärung als Vorstufe des Art. 24 VN-BRK . . . . . . . . . . . . 452 b) Bedeutung der Salamanca-Erklärung für die Begriffswahl . . . . . . . . . . . 452 c) Inhaltliche Aussagen der Salamanca-Erklärung zu den Förderschulen . . 454 3. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 a) Grundanliegen der VN-Behindertenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . 456 b) Stellung der nationalen Bildungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 4. Art. 24 VN-BRK im Lichte der völkerrechtlichen Gewährleistungen des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 a) Auslegungsversuche zulasten des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 b) Rechte der Eltern behinderter Kinder im Spiegel internationaler Menschenrechtsdokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 aa) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 bb) VN-Kinderrechtskonvention, VN-Behindertenrechtskonvention und VN-Sozialpakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 cc) Normativer Gesamtzusammenhang der völkerrechtlichen Dokumente 470 5. Internationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

III. Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 1. Normative Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474

Inhaltsverzeichnis

23

a) Inhaltlich-strukturelle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 b) Konkordanz der Auslegungsergebnisse zu Art.  24 VN-BRK und Art.  3 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 2. Schlussfolgerung zur Terminologie: Integration/Inklusion – Synonyma . . . 480

Kapitel 17

Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

484

A. Grundsatzaussage des Gesetzgebers zur Inklusion im Schulwesen . . . . . . . . . . . . . . 484 I. II.

Fehlender Zusammenhang zwischen dem Gesetzestext und der VN-Behindertenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Leitgedanken der schulgesetzlichen Regelung der Inklusion . . . . . . . . . . . . . . 486 1. Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 a) Idealisierung eines soziologischen Befundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 b) Konsequenzen der Heterogenitäts-Doktrin für die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 2. Schritte des Gesetzgebers in Richtung Dekategorisierung . . . . . . . . . . . . . . 491 a) Entzug der Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 b) Terminologische Entkoppelung des sonderpädagogischen Förderbedarfs von der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 c) Dekategorisierung bezüglich einzelner Behinderungsarten . . . . . . . . . . 494 aa) Wegfall der Förderschwerpunkte Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung in den Schulgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 bb) Fehlende schulrechtliche Festlegung der Förderschultypen . . . . . . . 496 d) Verabsolutierung des Ressourcenansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 e) Dekategorisierungseffekt der Generalisierung von Förderbedarf . . . . . . 498 3. Instrumentalisierung des Inklusionsgedankens für die Strukturierung des Schulsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

III. Kategorienfehler: Teilhabeanspruch als Grundlage der Regelung von Unterrichtsund Erziehungszielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 B. Detailregelung der inklusiven Schule in Abhängigkeit von den konzeptionellen Grundaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 I.

Legislatorischer Vollzug der systemischen Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502

II.

Individuelle Ausgangslage der Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 1. Unterscheidung zwischen besonderer pädagogischer Unterstützung und sonderpädagogischer Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 2. Entscheidungslage und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 a) Besondere pädagogische Förderung in der allgemeinen Schule . . . . . . . 505 b) Sonderpädagogische Unterstützung in der allgemeinen Schule oder Besuch der Förderschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506

24

Inhaltsverzeichnis aa) Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonder­ pädagogische Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 bb) Entscheidung über den Besuch der Förderschule . . . . . . . . . . . . . . . 507 III. Auswirkungen des Wegfalls des frühzeitigen sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 IV. Inklusive Schule unter dem gesetzlichen Vorbehalt des Bildungsauftrags der Schulformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 1. Erste Weichenstellungen für zieldifferenten Unterricht am Gymnasium . . . 513 2. Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 a) Grundsatzregelung und Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 b) Inhaltliche Bedeutung des Vorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 aa) Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 . . . . . . . . 516 (1) Referentenentwurf i. d. F. vom 25.9.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 (2) Referentenentwurf i. d. F. vom 3.12.2013 (externe Anhörung) . 516 (3) Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 bb) Zweck des Vorbehalts, Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 3. Verfassungskonformität des Auslegungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 a) Vereinbarkeit mit Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 2011 . . . . . . . . . . . . . . . 519 aa) Begriff des Gymnasiums in der Verfassung des Saarlandes . . . . . . . 519 bb) Unzulässigkeit zieldifferenter Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 (1) Unterricht mindestens bis einschließlich Klassenstufe 10 im Klassenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 (2) Bildungsziel einer „vertieften allgemeinen Bildung“ . . . . . . . . 522 b) Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 4. Vereinbarkeit mit Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VN-BRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 5. Legitimität des Vorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526

C. Wahlrecht der Eltern behinderter Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 I.

Regelung im Modus der Ausnahmebestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

II. Chancen für die Realisierung des Wahlrechts angesichts materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 III. Existenzgewährleistung der Förderschulen als Voraussetzung des elterlichen Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 1. Einflussfaktoren bei der Ausübung des elterlichen Wahlrechts . . . . . . . . . . 530 2. Auswirkungen des Wahlverhaltens auf die Schulstandorte . . . . . . . . . . . . . 531 3. Perspektive der Förderschule im Spiegel von Beschlüssen und Erklärungen 534 a) Regierungserklärung der Ministerpräsidentin und Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention . . . . . . 534 b) Inklusionsplanungen und Erklärungen des Kultusministers, Beschluss der Koalitionsfraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 c) Beschlusslage im Lichte der Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 15.6.2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

Inhaltsverzeichnis

25

aa) Streichung der Förderschule aus dem Katalog der institutionell garantierten Schulformen des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 . . . . . . 541 bb) Realisierungschancen von Privatschulinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . 545 D. Leistungsanforderungen, Leistungsfeststellung, Leistungsmaßstab und Leistungsbewertung in der inklusiven Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 I.

Individualisierte Bildung und Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 1. Strukturelle Elemente der inklusiven Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 2. Leistungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 3. Leistungsfeststellung, Leistungsmaßstab, Leistungsbewertung . . . . . . . . . . 550 a) Auswechseln der relevanten Leistungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 b) Bedeutung des externen Leistungsmaßstabs für das Selbstverständnis der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

II.

Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung unter der Geltung des Gleich­ behandlungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 1. Reichweite des Anspruchs auf Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 a) Nachteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 b) Notenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 aa) Bedeutung und rechtliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 bb) Versuche zur Ausdehnung von Notenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 (1) Anwendung bei zieldifferenter Unterrichtung Behinderter . . . . 556 (2) „Weiterentwicklung“ des Begriffs des Nachteilsausgleichs . . . . 559 (3) Prinzip der individuellen Leistungsnorm und das Konzept der inklusiven Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 (4) Systemrelevanz des Prinzips der individuellen Leistungsnorm . 565 2. Leistungsbewertung, Nachteilsausgleich und Notenschutz nach der Inklusionsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 a) Individueller Förderplan anstelle lehrplanbezogener Differenzierung . . 567 b) Nachteilsausgleich im Sinne der Inklusionsverordnung . . . . . . . . . . . . . 568 aa) Geltungsbereich und Bedeutung im Rahmen der inklusiven Schule 568 bb) „Weiterentwickelter“ Begriff des Nachteilsausgleichs . . . . . . . . . . . 571 cc) Voraussetzungen der Gewährung von „Nachteilsausgleich“ . . . . . . 574 dd) Wirkungen der Anwendung und Nutzung von Formen des „Nachteilsausgleichs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 c) Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 3. Fehlende gesetzliche Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578

E. Normative Vorgaben zu den Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 I.

Abkehr vom Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

II.

Fehlende normative Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisato­ rischen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 1. Rahmenbedingungen in der Zuständigkeit des Landes . . . . . . . . . . . . . . . . 582

26

Inhaltsverzeichnis 2. Rahmenbedingungen in der Zuständigkeit der kommunalen Schulträger . . 584 3. Gründe der Regelungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585

F. Finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 I.

Übertragung einer bisher vom Land wahrgenommenen Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 1. Tatbestandliche Voraussetzungen des Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. . . . . . . 586 a) Konnexitätsrelevante Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 b) Konnexitätsrelevante Aufgabenübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 c) Konnexitätsrelevante Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589

II.

Bestimmung einer bisher nicht vom Land wahrgenommenen Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 1. Verfassungsrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 2. Gemeinsame Verantwortung von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden für schulische Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 a) Konnexitätsrelevante Aufgabenübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 aa) Pädagogisch-inhaltliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 bb) Rechtliche und finanzwirtschaftliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . 592 b) Konnexitätsrelevante Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 aa) Fehlende Kostenfolgeabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 bb) Anhaltspunkte für die Einschätzung der konnexitätsrelevanten Be­ lastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 c) Kooperation auf der Grundlage eines finanzverfassungsrechtlichen Konsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

Kapitel 18 Staatliche Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs behinderter Kinder und Jugendlicher in der inklusiven Schule



600

A. Normative Festlegungen mit negativer Wirkung auf die Erfüllung des Bildungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 I.

Wirkung von Dekategorisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 1. Veränderte Wahrnehmung und Positionierung Behinderter als Folge semantischer Einebnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 2. Verfahrensregelungen mit Steuerungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 3. Folgen für Schülersozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603

II.

Gewährleistung der erforderlichen personellen Zusatzausstattung als essentielle Voraussetzung der Erfüllung des Bildungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 1. Wechsel vom Ambulanzlehrer-System zur Budgetierung der Zusatzausstattung mit Förderschullehrkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 2. Schulische Inklusion unter den Bedingungen einer extremen Haushaltsnotlage 605

Inhaltsverzeichnis

27

a) Kostenneutralität als fiskalische Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 b) Streichung von Planstellen im Schulbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 c) Dauerhaftigkeit der finanziellen Restriktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 3. Umfang und Verwendung des Budgets an Förderschullehrkräften am Beispiel der Grundschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 a) Durchschnittlicher Umfang des den Grundschulen zugewiesenen Budgets 609 b) Verwendung des Budgets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 aa) Deckung aller sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfe . . . . . . 610 bb) Deckung aller besonderen pädagogischen Unterstützungsbedarfe . . 611 4. Personalrekrutierung durch Schließung von Förderschulen . . . . . . . . . . . . . 611 B. Sonderpädagogische Unterrichtssituation in der inklusiven Schule . . . . . . . . . . . . . . 612 I.

Fehlen eines Zwei-Pädagogen-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612

II.

Aufgabenverteilung zwischen Regelschul- und Förderschullehrkraft . . . . . . . . 613

III. Inklusive Schule im Saarland ohne gesicherte sonderpädagogische Qualität . . 615 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620

Anhang

625

A. Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 B. Verzeichnis der zitierten Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 C. Verzeichnis der zitierten Dokumente im Privatarchiv des Verfassers . . . . . . . . . . . . . 664 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Verzeichnis sonstiger Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort ABlEG/EU Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/Union Abs. Absatz Abschn. Abschnitt a. E. am Ende AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AGSGB XII Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch allg. allgemein amtl. amtlich Amtsblatt des Saarlandes (seit 2009 Teil I/II) Amtsbl. (I/II) ÄndG Änderungsgesetz, Gesetz zur Änderung ÄndVO Änderungsverordnung, Verordnung zur Änderung Anm. Anmerkung Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers AnwBl Anwaltsblatt Verordnung  – Schulordnung  – über die Ausbildung an BerufsAO-BS schulen im Saarland vom 2.6.1992 (Amtsbl. S. 646), zul.geänd.d. VO vom 6.6.2016 (Amtsbl. I S. 402) AöR Archiv des öffentlichen Rechts Ausbildungs- und Prüfungsordnung APO Art(t). Artikel (Artt. = Plural) AS Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland mit Entscheidungen der Verfassungsgerichtshöfe beider Länder Aufl. Auflage AVR Archiv des Völkerrechts Az. Aktenzeichen Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen BayEUG BayLSG Bayerisches Landessozialgericht Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) BayVBl. BayVGH Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bbg Brandenburg/brandenburgisch Bd. Band BeamtStG Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz) Bearb. Bearbeiter, Bearbeitung bearb. bearbeitet Bek. Bekanntmachung(en) ber. berichtigt Beschl. Beschluss

Abkürzungsverzeichnis

29

betrifft, betreffend betr. BFH Bundesfinanzhof BGBl. I/II Bundesgesetzblatt (Teil I/II) BK Kommentar zum Bonner Grundgesetz, hrsg. von W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter, zit. nach Bearbeiter BLK Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung BRat Bundesrat BR-Drucks(n). Bundesratsdrucksache(n) BremOVG Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen BRK Behindertenrechtskonvention BSG Bundessozialgericht BT Deutscher Bundestag BT-Drucks(n). Bundestagsdrucksache(n) Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BundesBuchholz verwaltungsgerichts Buchst(n). Buchstabe(n) BVerfG Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BundesverfassungsBVerfGE gerichts Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGK BVerwG Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BundesverwaltungsBVerwGE gerichts BW Baden-Württemberg/baden-württembergisch bzw. beziehungsweise Committee on Economic, Cultural and Social Rights CECSR CRPD Committee on the Rights of Persons with Disabilities dens. denselben ders. derselbe das heißt d. h. dies. dieselbe(n) DJT Deutscher Juristentag Entwurf für ein Landesschulgesetz der Kommission Schulrecht DJT-SchulGE des Deutschen Juristentages Dok. Dokument DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drucks. Drucksache DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt DVO Durchführungsverordnung ebd. ebenda EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) Epl. Einzelplan ESVGH Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder

30

Abkürzungsverzeichnis

Europäische Union EU EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift evtl. eventuell folgende (Seite/Seiten) f./ff. FAS Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung Festg. Festgabe Fn. Fußnote FR Frankfurter Rundschau FS Festschrift G Gesetz GAOR General Assembly Official Records GBl. Gesetzblatt geändert durch geänd.d. gem. gemäß GemS Gemeinschaftsschule GemSVO Verordnung  – Schulordnung  – über die Bildungsgänge und die Abschlüsse der Gemeinschaftsschule vom 1.8.2012 (Amtsbl. I S. 268 [278]), zul. geänd.d. VO vom 24.6.2016 (Amtsbl. I S. 477) GeschZ. Geschäftszeichen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GG ggfls. gegebenenfalls Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von I. v. Münch/Ph. Kunig, zit. GGK nach Bearbeiter Gemeinsames Ministerialblatt Saarland GMBl. Saar Geschäftsordnung der Regierung des Saarlandes GOReg Verordnung  – Schul- und Prüfungsordnung  – über die gymnaGOS-VO siale Oberstufe und die Abiturprüfung im Saarland vom 2.7.2007 (Amtsbl. S. 1315), geänd.d. VO vom 26.3.2010 (Amtsbl. I S. 47) GS Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen GV. NRW Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik DeutschHbVerfR land, hrsg. von Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel, zit. nach Bearbeiter Hervorh. Hervorhebung Hessischer Staatsgerichtshof HessStGH HessVGH Hessischer Verwaltungsgerichtshof Hrsg./hrsg. Herausgeber/herausgegeben h.Rspr. herrschende Rechtsprechung HStR Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee/Paul Kirchhof, zit. nach Bearbeiter in der Fassung der/des i.d.F.d. i.d.F.d.Bek. in der Fassung der Bekanntmachung InklVO Verordnung zur inklusiven Unterrichtung und besonderen pädagogischen Förderung (Inklusionsverordnung) vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540, ber. Amtsbl. 2016 I S. 217) (Abkürzung nicht amtlich) insbes. insbesondere

Abkürzungsverzeichnis

31

Verordnung  – Schulordnung  – über die gemeinsame Unterrich­ tung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regel­ form (Integrations-Verordnung) vom 4.8.1987 (Amtsbl. S. 972), zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540 [598]) (Abkürzung nicht amtlich) IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (VN-Sozialpakt) im Sinne von i. S. v. in Verbindung mit i. V. m. juris – Die Monatszeitschrift JM Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JöR Juristische Rundschau JR JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KJ Kritische Justiz (Zeitschrift) KMK Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Kultusministerkonferenz) Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konferenz der KultusKMK-BeschlS. minister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Gesetz zur Gewährung von Konsolidierungshilfen KonsHilfG Lfg. Lieferung LKRZ Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/RheinlandPfalz/Saarland Loseblattslg. Loseblattsammlung LPM Landesinstitut für Pädagogik und Medien Ls. Leitsatz LSG Landessozialgericht LT Landtag LT-Drucks. Drucksache des Landtags des Saarlandes Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder BadenLVerfGE Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen LV/LVerf Landesverfassung LWSt Lehrerwochenstunden m. w. N. mit weiteren Nachweisen NdsOVG Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht NdsVBl. Niedersächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) neue Fassung; neue Folge n. F. N. F. neue Folge NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr.(n). Nummer(n) NRW Nordrhein-Westfalen/nordrhein-westfälisch Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ NVwZ-RR NVwZ-Rechtsprechungs-Report NWVBl. Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) OVG Oberverwaltungsgericht IntVO

32

Abkürzungsverzeichnis

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster und für das Land Niedersachsen in Lüneburg mit Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen und des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes OVG NRW Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz OVG Rh.-Pf. Paragraph (engl. für Absatz) Para. PISA Program for International Student Assessment PO-BFS Verordnung – Prüfungsordnung – über die staatliche Abschlussprüfung an Handelsschulen, Gewerbeschulen und Sozialpflege­ schulen – Berufsfachschulen – vom 16.4.2007 (Amtsbl. S. 1072), zul.geänd.d. VO vom 19.7.2016 (Amtsbl. I S. 590 [591]) Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulgesetz) PrivSchG rd. rund RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) RdSchr. Rundschreiben Rh.-Pf. Rheinland-Pfalz/rheinland-pfälzisch Rn. Randnummern(n) Rspr. Rechtsprechung S. Seite(n) s. siehe Saarl. Saarland/saarländisch Sächsisches Oberverwaltungsgericht SächsOVG Sächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) SächsVBl. Saarländisches Behindertengleichstellungsgesetz SBGG scilicet, nämlich sc. SchG Schulgesetz SchoG Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (Schulordnungsgesetz) Schulordnungsgesetz: s. Einleitung a. E. SchoG 1986 SchoG 2014 Schulordnungsgesetz: s. Einleitung a. E. SchPflG Gesetz über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) (Abkürzung nicht amtlich) Schulpflichtgesetz: s. Einleitung a. E. SchpflG 2014 Schulrecht Saarland. Ergänzbare Sammlung der Vorschriften für SchulR-Saar Schule und Schulverwaltung Gesetz über die Mitbestimmung und Mitwirkung im Schulwesen SchumG (Schulmitbestimmungsgesetz) SG Sozialgericht SGb Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch (SGB)  – Achtes Buch (VIII)  – Kinder- und­ SGB VIII Jugendhilfe SGB IX Sozialgesetzbuch (SGB)  – Neuntes Buch (IX)  – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Sozialgesetzbuch (SGB) – Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe SGB XII SGG Sozialgerichtsgesetz SKZ Saarländische Kommunalzeitschrift OVG d. Saarl. OVGE

Abkürzungsverzeichnis

33

Saarländisches Lehrerinnen- und Lehrerbildungsgesetz SLBiG Slg. Sammlung sog. sogenannte, -n,-r,-s SPE Sammlung schul- und prüfungsrechtlicher Entscheidungen (Lose­ blattslg.) StGH Staatsgerichtshof ständige Rechtsprechung st. Rspr. Saarländisches Verwaltungsverfahrensgesetz SVwVfG Saarbrücker Zeitung SZ TOP Tagesordnungspunkt und andere(s); unter anderem u. a. UN United Nations Urt. Urteil und so weiter usw. unter Umständen u. U. v. vom, von VBlBW Baden-württembergische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Verfassung; Verfasser Verf. Verfassung des Saarlandes, soweit von den ÄndG vom 27.3.1996 Verf. d. Saarl. (Amtsbl. S. 422) und vom 15.6.2011 (Amtsbl. I S. 236) nicht berührt Verfassung des Saarlandes i.d.F.d. ÄndG vom 5.11.1969 (Amtsbl. Verf. d. Saarl. 1969 S. 765) Verfassung des Saarlandes i.d.F.d. ÄndG vom 27.3.1996 (Amtsbl. Verf. d. Saarl. 1996 S. 422) Verfassung des Saarlandes i.d.F.d. ÄndG vom 15.6.2011 (Amtsbl. I Verf. d. Saarl. 2011 S. 236) VerfG Verfassungsgericht VerfGH Verfassungsgerichtshof VerfGH d. Saarl. Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Gesetz über den Verfassungsgerichtshof VerfGHG Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen VerfGH NRW Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Verf. NRW Verh. Verhandlungen Verh. d. BR Stenographische Berichte der Sitzungen des Bundesrates Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen BundesVerh. d. BT tages Verh. d. LT Stenographische Berichte der Sitzungen des Landtags des Saarlandes VG Verwaltungsgericht Verwaltungsgericht des Saarlandes VG d. Saarl. VGH Verwaltungsgerichtshof Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg VGH BW vgl. vergleiche vom Hundert v.H. VN Vereinte Nationen VN-BRK Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

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Abkürzungsverzeichnis

Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des­ Kindes VO Verordnung VO-SchPflG Verordnung zur Ausführung des Schulpflichtgesetzes (VO-Schulpflichtgesetz) (Abkürzung nicht amtlich) VO-SchPflG 2014/2015 VO-Schulpflichtgesetz: s. Einleitung a. E. VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VZLE Vollzeitlehrereinheiten Wahlp. Wahlperiode WHO World Health Organisation Wissenschaftsrecht (Zeitschrift) WissR WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention) Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZB Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZaöRV zum Beispiel z. B. ZfSH/SGB Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Gesetzgebung ZG zit. zitiert Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe ZKJ Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP z. T. zum Teil zul.geänd.d. zuletzt geändert durch zutr. zutreffend Zeugnis- und Versetzungsordnung ZVO ZVO-FöS Zeugnis- und Versetzungsordnung – Schulordnung – für die Förderschulen im Saarland vom 24.3.1987 (Amtsbl. S. 353), zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S.  540 [568], ber. Amtsbl. 2015 I S. 447 [448] und Amtsbl. 2016 I S. 217 [218]) Zeugnis- und Versetzungsordnung – Schulordnung – für die KlasZVO-Gym. senstufen 5 bis 10 des Gymnasiums vom 15.7.2002 (Amtsbl. S. 1462), zul.geänd.d. VO vom 4.8.2014 (Amtsbl. I S. 343 [349]) VN-KRK

Im Übrigen s. Hildebert Kirchner (Begr.), Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., Berlin 2014, sowie hinsichtlich der allgemein gebräuchlichen Abkürzungen DUDEN, Bd. 1, Die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl., Mannheim/Wien/Zürich 2009.

Einleitung – Gang der Untersuchung Erkenntnisleitendes Interesse Zu den Konstanten des gesellschaftspolitischen Diskurses in Deutschland ge­ hören die mehr oder weniger heftigen Auseinandersetzungen über Strukturfragen des Bildungssystems. Daher hat es Ausnahmecharakter, wenn eine unter der Projektbezeichnung „Inklusive Schule“ dezidiert als fundamentale Strukturveränderung in Angriff genommene schulische Innovation zumindest nicht auf den ersten Blick mit einer handfesten Polarisierung verbunden ist. Derzeit sind es zwei Begriffe, die das bildungspolitische Feld beherrschen, nämlich „Inklusion“ und „VN-Behindertenrechts­konvention“. Angesichts der Allgegenwart dieser Begriffe in dem aktuellen bildungspolitischen Diskurs scheint die Frage nach Alternativen bei der Gestaltung des Bildungsangebots für Behinderte obsolet geworden zu sein. Das gilt zunächst für die pädagogische Sichtweise, das gilt aber auch für den juristischen Problemzugang. Denn in dem Maße, in dem die VN-Behinderten­rechts­konvention in den Vordergrund gerückt wird, soll offenbar der verfassungsrechtliche Beurteilungsmaßstab für die Strukturierung des Bildungsangebots für Behinderte relativiert, wenn nicht gar ausgeblendet werden. Damit ist das erkenntnisleitende Interesse der vorliegenden Arbeit bereits angedeutet: Es soll  – selbstverständlich bei Berücksichtigung des Völkervertragsrechts  – unter verfassungsrechtlichem Aspekt untersucht werden, welche Konsequenzen sich aus dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen, aus dem Elternrecht sowie aus der staatlichen Schulverantwortung für die Strukturierung des Bildungsangebots für Behinderte ergeben. Problemzugänge Der primäre Zugriff auf den Untersuchungsgegenstand ist rechtlich-normativer Art. Er kann allerdings nicht in Distanz zu jenen Erkenntnissen bleiben, die sich aus der spezifisch pädagogischen Sicht ergeben. Hierbei kommt es darauf an, dass die unter pädagogischem Blickwinkel gewonnenen Erkenntnisse von Anfang an in den Prozess der Rechts­erkenntnis einbezogen werden. So ist es z. B. nicht damit getan, bei der Erörterung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes nur die Rechtsgrundlage dieses Anspruchs herauszuarbeiten. Denn bevor dazu Stellung genommen wird, ob der Bildungsanspruch durch das vom Staat in der konkreten Situation bereitgestellte Bildungsangebot erfüllt wird, ist der Inhalt des Bildungsanspruchs zu bestimmen. Letzteres setzt angesichts der bei den einzelnen

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Einleitung – Gang der Untersuchung

sonder­pädagogischen Förderschwerpunkten höchst unterschiedlichen Gegebenheiten voraus, auf folgende Gesichtspunkte einzugehen: Pädagogische Ausgangslage bei Schülern der jeweiligen Behinderungsart, Konkretisierung der Bedürfnisse dieser Schüler, Anforderungen an das sonderpädagogische Handeln sowie die Definierung der hierzu erforderlichen personellen, sächlichen und organisatorischen Realisierungsbedingungen. Es wäre verfehlt, in der Einbeziehung dieser pädagogisch ausgerichteten Erkenntnisse eine interdisziplinäre Vorgehensweise zu sehen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bedarf es nicht der Anwendung der Methoden der Erziehungswissenschaft. Nach wie vor handelt es sich um eine dezidiert rechtswissenschaftlich ausgerichtete Vorgehensweise, die u. a. gekennzeichnet ist durch die Anwendung der Methoden juristischer Hermeneutik. Was hier von der juristischen Analyse gefordert wird, ist vielmehr das Sich-Einlassen auf die Tatsachen und Eigengesetzlichkeiten des Lebenssachverhalts, dessen Regelung Gegenstand der betreffenden Rechtsnorm ist. Diese Vorgehensweise ist letztlich rechtstheoretisch begründet. Sie folgt nämlich aus der Kontingenz der im Normsetzungsverfahren entstandenen Rechts­ normen. Sie sind nicht notwendig existierend, sondern sie ergehen, um einen bestimmten Sachverhalt oder Lebensbereich einer vernünftigen und sachgerechten Ordnung zuzuführen. Daher ist ein Normdiskurs sinnvoll nicht möglich ohne Bezugnahme auf die Gegebenheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes. Aus der Kontingenz von Rechtsnormen folgt aber auch: Wer mehr über eine Rechtsnorm erfahren will als das, was ihr geltungsbezogener Anspruch ist, muss auch ihre Verwirklichungsbedingungen in den Blick nehmen. Es geht also nicht nur um den im Wege der Interpretation zu ermittelnden normativen Gehalt einer Vorschrift, sondern auch um die Tatsächlichkeit ihrer Anwendung. Das betrifft sowohl die Handlungsvoraussetzungen für den Vollzug einer Norm als auch die Wirkungsdimension. Die Auseinandersetzung mit dem materiellen Recht hat außerdem die vielfältigen Zusammenhänge und Problemlagen zu berücksichtigen, in die eine Norm eingebettet ist. So ist z. B. bei der Bewertung des normativen Anspruchs der Regelung integrativer/inklusiver Unterrichtung zu berücksichtigen, ob es sich um ein Bundesland mit extremer Haushaltsnotlage und infolgedessen prekärer Ressourcenlage handelt. Das gilt unabhängig davon, ob die betreffende Regelung einen expliziten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt enthält. Die Wirkung der Handhabung der Norm auf die von ihr Betroffenen muss mindestens in gleichem Maße in den Normdiskurs Eingang finden wie die Auseinandersetzung mit den Zielsetzungen und Motiven der Akteure in Gesetzgebung und Schul­administration. Dieser Blick auf die tatsächliche Seite wird dem Verfasser ermöglicht und erleichtert durch die Einblicke und Erfahrungen, die eine 33 Jahre umfassende berufliche Tätigkeit im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes mit sich bringen. Auch wenn hierbei der Schwerpunkt bei der Normgebung

Einleitung – Gang der Untersuchung

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im Schulrecht lag, hat doch gerade die Tätigkeit an dieser Nahtstelle zwischen Recht und Pädagogik wichtige Erkenntnisse vermittelt. Das betrifft nicht nur den Informationsstand, sondern vor allem auch die Sensibilisierung für die Eigengesetzlichkeit der Pädagogik in ihren unterschiedlichsten Facetten. Der aus der Sicht uninformierter Personen nicht selten behauptete angebliche Antagonismus zwischen Schuljuristen und Pädagogen in einem Kultusministerium hat nichts mit der Realität zu tun. Das wechselseitige Eingehen auf die Anforderungen, Bedingungen und Eigengesetzlichkeiten des jeweils anderen Bereichs wird vielmehr auf beiden Seiten als unerlässliche Gelingensvoraussetzung erfahren. Man könnte sich vorstellen, dass die Bereitschaft, auf die pädagogische Realität einzugehen, aus der Sicht erfahrener Pädagogen ein Desiderat auch an die Adresse der Bildungs­ politiker ist. Sensibilität ist wohl eine der wichtigsten Voraussetzungen, wenn es um die Unterrichtung und Erziehung behinderter Kinder und Jugendlicher geht. Das gilt für die Lehrkraft in der konkreten unterrichtlichen Situation, das gilt aber auch für den Landesgesetzgeber und die Schuladministration, wenn über die Konzeption und die grundlegenden Strukturen des Bildungsangebots für behinderte Kinder und Jugendliche zu entscheiden ist. Zu dieser Sensibilität finden die Verantwortlichen nur dann, wenn ihre Grundhaltung gegenüber dem behinderten Kind gleichermaßen von Empathie wie von Wirklichkeitssinn geprägt ist. Gang der Untersuchung Der erste Teil der Arbeit (Kapitel 1 bis 5) und der vierte Teil (Kapitel 15 bis 18) stehen für den Beginn und den derzeitigen Stand einer drei Jahrzehnte umfassenden Entwicklung integrativer/inklusiver Unterrichtung im Saarland. Entgegen dem Eindruck, den die Protagonisten einer inklusiven Schule zu erwecken versuchen, ist dieses Projekt keineswegs voraussetzungslos. Es steht in der Kontinuität eines Paradigmenwechsels, der in der erstmaligen schulgesetzlichen Verankerung integrativer Unterrichtung im Jahr 1986 seinen Ausdruck gefunden hat. Gerade weil die inklusive Schule von interessierter Seite als das angeblich völlig Andere gegenüber der integrativen Unterrichtung dargestellt wird, ist die eingehende Darstellung der 1986 entworfenen Konzeption und ihrer anschließenden Umsetzung nicht primär bildungsgeschichtlich motiviert. Vielmehr ist dies die Basis sowohl für einen Vergleich in pädagogisch-konzeptioneller wie auch in rechtlichnormativer Hinsicht. Hierbei werden entscheidende Verbindungslinien hergestellt bzw. sichtbar gemacht durch die Darstellung der schulischen Praxis integrativer/ inklusiver Unterrichtung. Zu der konzeptionellen Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung, die in Kapitel 1 beschrieben wird, gehört essentiell auch eine Aussage zu den hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere die Bereitstellung des zusätzlich erforderlichen pädagogischen Personals ist von ausschlaggebender Be-

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deutung für das Gelingen integrativer/inklusiver Unterrichtung. In diesem Kapitel wird daher auch auf die von verantwortlicher Seite vorliegenden Aussagen zur Kostenneutralität als dem maßgeblichen finanzwirtschaftlichen Ansatz integrativer Unterrichtung im Saarland eingegangen. Grundlegend für jede pädagogische Konzeption und jede rechtliche Regelung zur sonderpädagogischen Förderung ist die Kategorie der Behinderung. Doch ist diese Erkenntnis für manche, die sich an dem Diskurs zur sonderpädagogischen Förderung beteiligen, keine Selbstverständlichkeit. Kapitel 2 geht auf das diesbezügliche Meinungsspektrum ein und befasst sich mit den Einzel­heiten der Begrifflichkeit und den Erscheinungsformen von Behinderung. Es werden die Konsequenzen für die Anpassungsbedürftigkeit der allgemeinen Schule auf das sich hieraus ergebende hoch differenzierte pädagogische Anforderungsprofil herausgearbeitet. Hieran schließt sich wie von selbst die Frage nach der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen im Falle ihrer integrativen/ inklusiven Unterrichtung an. Das ist der Fluchtpunkt, auf den alle Aktivitäten des Staates bei der Strukturierung und Realisierung des Bildungsangebots für das behinderte Kind ausgerichtet sein müssen. Während die verfassungsrechtliche Fundierung des Bildungsanspruchs eine ausschließlich im Bereich juristischer Argumentation verbleibende Erörterung darstellt, ist die inhaltliche Konkretisierung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen ohne einen Rückgriff auf anthropologische, pädagogische und entwicklungspsychologische Fakten und Erkenntnisse nicht möglich. Denn daraus ergibt sich das Anforderungsprofil, das die allgemeine Schule bei integrativer/inklusiver Unterrichtung zu erfüllen hat. Es ist dies, wie bereits erwähnt, ein Begründungszusammenhang, an dem sich exemplarisch aufzeigen lässt, was von dem Juristen an Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung primär nichtjuristischer Materie gefordert wird. Mit der Definierung dieses Anforderungsprofils befasst sich Kapitel 3. Da es grundlegende Bedeutung sowohl für die pädagogische als auch für die rechtliche Beurteilung integrativer/inklusiver Unterrichtung besitzt, muss es im Folgenden gelesen werden als Aussage, die „vor die Klammer gezogen“ ist. Die daraus folgende Ableitung der Konsequenzen für die Voraussetzungen päda­gogisch verantwortbarer integrativer/inklusiver Unterrichtung ist Gegenstand von Kapitel 4. Es kann nicht überraschen, dass hierbei der etwaigen Normierung eines expliziten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts und seiner Legitimität große Bedeutung zukommt. Die Thematisierung des Zusammenhangs zwischen politisch vorgegebener Kostenneutralität, pädagogischer Qualität integrativer Unterrichtung und Anzahl der Integrationsmaßnahmen zielt auf den Kern des Postulats der Verantwortbarkeit integrativer Unterrichtung in jedem einzelnen Fall. Hierbei ist die normative Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen integrativer/in­klusiver Unterrichtung von indizieller Bedeutung dafür, ob bei Gesetzgeber und Schuladministration das Verantwortungs­ bewusstsein für die Gewährleistung des qualitativ Erforderlichen vorhanden ist.

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Die rechtliche Regelung integrativer Unterrichtung hat Vorkehrungen zu treffen, dass potenzielle Konflikte im Verhältnis zwischen dem behinderten Schüler und seinen Eltern einerseits und der Schuladministration andererseits vermieden werden bzw. zumindest beherrschbar bleiben. Diesem Problem widmet sich Kapitel 5, in dem die Einzelheiten des Grundrechtsschutzes durch Verfahren aufgezeigt werden. Die Bedeutung, die diesen Fragen und ihrer sachgerechten Lösung bei der erstmaligen Regelung der integrativen Unterrichtung zuerkannt wurde, zeigt sich insbesondere dann, wenn man sie mit der Vorgehensweise kontrastiert, die mit der Einführung der inklusiven Schule verbunden ist. Im zweiten Teil der Arbeit geht es um die integrative Unterrichtung in der Tatsächlichkeit schulischer Praxis. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Rahmenbedingungen, unter denen integrative Unterrichtung im Saarland seit 1986 stattfindet. Die Darstellung des empirischen Befundes geschieht hier nicht um ihrer selbst willen. Vielmehr hat die Tatsachenfeststellung erhebliches Gewicht bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der potenziellen Alternativen eines Bildungsangebots für Behinderte. So findet sich der in die Überschrift des zweiten Teils der Arbeit aufgenommene Begriff „Realbefund“ als Abschnittsüberschrift in der Gliederung des Verhandlungsablaufs1 einer mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts.2 Die Notwendigkeit der Feststellung verfassungsrechtlich relevanter Tatsachen – sei es als Ergebnis der Anwendung empirischer Methoden oder als Ergebnis eines Prognoseverfahrens3 – ist im Rahmen der Prüfung der Grundrechtskonformität einer gesetzlichen Regelung prinzipiell unabweisbar. Eine etwaige Verpflichtung des Staates, neben der integrativen Unterrichtung auch weiterhin den Besuch von Förderschulen zu ermöglichen, hängt u. a. davon ab, ob er in der Lage ist, die integrative Unterrichtung qualitativ so zu gestalten, dass der Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen auch an diesem Lernort tatsächlich erfüllt wird. Daher werden in den Kapiteln 6 und 7 die für die pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung ausschlaggebenden, mit einander in untrennbarem Zusammenhang stehenden Parameter eingehend dargestellt, nämlich die Entwicklung der Fallzahlen integrativer Unterrichtung im Saarland sowie die hierfür zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen. Die daraus für das einzelne behinderte Kind re 1 § 24 Abs.  2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts i. d. F. d. Bek. vom 19.11.2014 (BGBl. 2015 I S. 286) lautet: „Der mündlichen Verhandlung liegt in der Regel eine vom Senat gebilligte Gliederung des Verhandlungsablaufs zugrunde, die den Verfahrensbeteiligten rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zugeht.“ 2 Siehe Friedrich Schmidt, Der Handel mit der Schuld, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 5, der über die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in einem Verfahren betreffend die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen und das hierbei von einem Sachverständigen vorgelegte und erläuterte Ergebnis einer Befragung von 334 in Nordrhein-Westfalen tätigen Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern berichtet. 3 Siehe hierzu Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, S. 41 ff.; Sanders/Preisner, Begründungspflicht des Gesetzgebers und Sachverhaltsaufklärung im Verfassungsprozess, DÖV 2015, 761 (767).

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sultierende tatsächliche Unterrichts- und Betreuungssituation ermöglicht wertende Schlussfolgerungen hinsichtlich der Erfüllung seines Bildungsanspruchs. Es drängt sich geradezu auf, im Anschluss an diese Tatsachenfeststellungen die Frage zu stellen, wie es im Saarland um die Wahrnehmung der Verpflichtungen des Staates aus seiner verfassungsrechtlich begründeten Schulhoheit bestellt ist. In Kapitel 8 wird aufgezeigt, dass für die in den Kapiteln 6 und 7 dokumentierten Verhältnisse ein „Erfolgs“-Kriterium ausschlaggebend war bzw. ist, das auf einem spezifisch interessegeleiteten Selbstverständnis von Bildungspolitik und Schuladministration beruht. Die rechtliche Relevanz der daraus resultierenden Handlungsweise zeigt sich in der Handhabung einer essentiellen tatbestandlichen Voraussetzung integrativer Unterrichtung, nämlich des gesetzlich normierten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts. Es geht um die Wahrung der Grenzen des der Schuladministration hierbei eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielraums. Die Auswirkungen ihrer Handlungsweise betreffen die pädagogisch-qualitative Vergleichbarkeit zwischen der sonderpädagogischen Förderung an der Förderschule einerseits und der allgemeinen Schule andererseits und führen damit zu der Frage der Beachtung des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GG. Im Zusammenhang mit den gegebenen Rahmenbedingungen integrativer Unterrichtung im Saarland stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach der Belastung und damit nach Inhalt und Grenzen der Leistungsverpflichtung der Lehrkraft an der allgemeinen Schule. Mit diesen Ausführungen ist angedeutet, dass man es bei der integrativen Unterrichtung im Saarland mit einer prekären Situation zu tun hat. Im Zusammenhang mit der Darlegung dieses Realbefundes ist auch auf die wissenschaftliche Begleitung einzugehen, auf welche die Schuladministration sich bei dem massiven Ausbau der integrativen Unterrichtung gestützt hat. Deren Beitrag zur tatsächlichen Entwicklung kann, wie sich dem Kapitel 9 entnehmen lässt, unter dem Blick­ winkel der Wahrnehmung staatlicher Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs integrativ unterrichteter behinderter Schüler nicht vernachlässigt werden. Hiermit im Zusammenhang steht auch der in Kapitel 10 thematisierte Versuch, unter Berufung auf die eigene Platzierung in den ländervergleichenden Statistiken zur integrativen Unterrichtung die auf der eigenen Integrationspraxis resultierenden Verhältnisse zu rechtfertigen. Nicht zuletzt wegen der im zweiten Teil der Arbeit sichtbar werdenden Diskrepanz zwischen Versprechung und Wirklichkeit, zwischen Rhetorik und Realität4 stellt sich die Frage nach der Alternative in Gestalt der Förderschule mit besonderer Dringlichkeit. Eine Antwort auf diese Frage soll im dritten Teil der Arbeit ge 4 Die letztgenannte Gegenüberstellung nimmt den Titel der Schrift von Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, auf. Siehe auch Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (331 f.): „Es besteht eine unaufhebbare und beträchtliche Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, bildungspolitischem Wollen und widerständigen Verhältnissen, Utopie und Realität.“

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geben werden. Da es um die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Förderschule als Alternative geht, befasst sich das den dritten Teil einleitende Kapitel 11 mit den zur Förderschule ergangenen Regelungen in der Verfassung des Saarlandes. Es folgen in Kapitel 12 jene Erwägungen, die grundlegend sind für die Forderung nach einem alternativen, subsidiären und komplementären Bildungsangebots im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung. Für den Nachweis der Begründetheit dieser Forderung ist die Fähigkeit der Förderschule zur Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes das ausschlaggebende Kriterium. Hierzu gehört als Voraussetzung rechtlicher Schlussfolgerungen der pädagogische Vergleich zwischen integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschule. Dieser Aufgabe widmet sich Kapitel 13.  Unter Einbeziehung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse geht es in Kapitel 14 um die Frage einer etwaigen objektivrechtlichen Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen als alternatives Angebot neben der integrativen/inklusiven Unterrichtung. Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend davon ab, welche Schlussfolgerungen aus den Grundrechtspositionen des behinderten Kindes und seiner Eltern im Hinblick auf die Gewährleistung eines substanziellen Wahlrechts bezüglich des Bildungsweges zu ziehen sind. Der vierte Teil der Arbeit behandelt die unter Berufung auf die VN-Behindertenrechtskonvention mit dem Anspruch eines erneuten Paradigmenwechsels auftretende inklusive Schule. Kapitel 15 analysiert die Zielsetzungen und Motive, die von den Protagonisten der inklusiven Schule unter Berufung auf die VN-Behin­ dertenrechtskonvention verfolgt werden. Es schließt sich in Kapitel 16 eine Untersuchung zur Geltung, zur Anwendbarkeit und zum normativen Gehalt der VN-Behindertenrechtskonvention hinsichtlich des Bildungsanspruchs behinderter Kinder und Jugendlicher an. Das Ergebnis dieser völker- und staatsrechtlichen Untersuchung kontrastiert essentiell zu dem Meinungsbild, welches im bildungs­ politischen Diskurs durch die stereotype Zitierung der VN-Behindertenrechts­ konvention entstanden ist. Danach besteht insbesondere keine Veranlassung, die in Kapitel 14 unter grundrechtlichen Aspekten gewonnenen Erkenntnisse infrage zu stellen. Die Ausgestaltung, welche die inklusive Schule im Saarland in den hierzu inzwischen ergangenen und in Kraft getretenen rechtlichen Regelungen auf der Gesetzes- und Verordnungsebene gefunden hat, wird in Kapitel 17 dargestellt und analysiert. Hierbei wird sichtbar, dass zahlreiche Detailregelungen eine konsequente Umsetzung des radikalen Inklusionsprinzips darstellen, das im Saarland mit der inklusiven Schule verfolgt wird. Das betrifft z. B. jene Bestimmungen, welche Auswirkungen auf das grundgesetzlich verbriefte Wahlrecht der Eltern haben. Auch zeigen sich an den für die inklusive Schule auf Verordnungsebene getroffenen Regelungen über Leistungsanforderungen, Leistungsfeststellung, Leistungsmaßstab und Leistungsbewertung die weit über die Unterrichtung behinderter Schüler hinausgehenden Zielsetzungen, die mit diesem Schulkonzept

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verbunden werden. Wie schon seit Beginn der erstmaligen Regelung der integrativen Unterrichtung im Jahr 1986 besteht auch unter der Geltung der für die inklusive Schule getroffenen Regelungen Veranlassung, die normative Konkretisierung der Rahmenbedingungen für die inklusive Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher zu thematisieren. Da alle Schulen im Saarland durch den Gesetzgeber zu inklusiven Schulen erklärt wurden, stellt sich die Frage, ob die kommunalen Schulträger wegen der damit für sie verbundenen Kosten unter dem Gesichtspunkt der finanzverfassungsrechtlichen Konnexität Ausgleichsansprüche gegen das Land besitzen. In dem abschließenden Kapitel 18, dessen Überschrift in bewusster Paralle­lität zu der des Kapitels 8 gehalten ist, wird – diesmal für die inklusive Schule – die Frage gestellt, ob und wie der Staat seiner Schulverantwortung für die behinderten Kinder und Jugendlichen tatsächlich nachkommt und wie es um die Sicherung sonderpädagogischer Qualität in der inklusiven Schule im Saarland bestellt ist. Aus der Bilanz, die hierbei zu ziehen ist, geht hervor, dass die inklusive Schule auch insoweit in der ungebrochenen Kontinuität der seit drei Jahrzehnten im Saarland praktizierten integrativen Unterrichtung steht. Sie weist sogar Merkmale auf, die eine weitere Zuspitzung der bisher schon bestehenden prekären Situation nicht ausschließen. Das hängt nicht nur mit den für die behinderten Schüler in der inklusiven Schule zur Verfügung stehenden höchst unzulänglichen personellen Ressourcen zusammen, sondern z. B. auch mit normativen Festlegungen verfahrensmäßiger Art, die der Gewährleistung der erforderlichen sonderpädagogischen Förderung nicht zuträglich sind.

Maßgebliche Fassung der Rechtsquellen Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf einen drei Jahrzehnte umfassenden Entwicklungsprozess. In diesem Zeitraum haben sich Änderungen bei den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen landesrechtlichen Normen ergeben. Es ist daher erforderlich, die Fassung der Rechtsquelle, auf die sich die jeweilige Textstelle in der Arbeit bezieht, kenntlich zu machen. Dazu im Einzelnen: –– Soweit in der vorliegenden Schrift auf die rechtliche Regelung der Sonderschule bzw. Schule für Behinderte bzw. Förderschule in der Verfassung des Saarlandes eingegangen wird, ist die jeweils zitierte Fassung des betreffenden Schulartikels der Verfassung des Saarlandes durch Beifügung der Jahreszahl des verfassungsändernden Gesetzes angegeben. Soweit sonstige Artikel der Verfassung des Saarlandes zitiert werden, geschieht dies ohne Beifügung eines Zusatzes. –– Für die im Schulordnungsgesetz und im Schulpflichtgesetz ergangene rechtliche Regelung der sonderpädagogischen Förderung unter dem Gesichtspunkt gemeinsamer Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern sind die beiden folgenden Änderungsgesetze grundlegend, nämlich

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–– das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986,5 mit dem erstmals eine Regelung zur integrativen Unterrichtung erging, –– und das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014,6 mit dem die inklusive Schule geregelt wurde. Die vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 25.6.2014 geltende Regelung im Schulordnungsgesetz zur integrativen Unterrichtung wird durch die Angabe „SchoG 1986“ gekennzeichnet. Die maßgebliche Bestimmung des § 4 SchoG i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 4.6.1986 ist sub Kap.  1 A. I. 1.  abgedruckt. Diese Regelung ist vor dem Erlass des Änderungsgesetzes vom 25.6.2014 mehrfach geändert worden; soweit auf diese Änderungen im Text eingegangenen wird, wird der Angabe „SchoG 1986“ die Angabe „in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung“ beigefügt.7 Die im Schulordnungsgesetz i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 25.6.2014 ergangenen Regelungen zur inklusiven Schule sind durch die Angabe „SchoG 2014“ gekennzeichnet. Das Schulpflichtgesetz wird in der vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 25.6.2014 geltenden Fassung mit dem Zusatz „in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung“, in der ab dem 1.8.2014 geltenden Fassung mit der Angabe „SchPflG 2014“ zitiert. Bei der Zitierung jener Bestimmungen des Schulordnungsgesetzes und des Schulpflichtgesetzes, die von den Regelungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Änderungsgesetzen vom 4.6.1986 und 25.6.2014 nicht betroffen waren bzw. sind, werden die Gesetze ohne Beifügung eines Zusatzes zitiert. –– Die Verordnung zur Ausführung des Schulpflichtgesetzes vom 23.6.20048 wird in der vor dem Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4.8.20149 geltenden Fassung mit dem Zusatz „in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung“, in der Fassung der Änderungsverordnungen vom 4.8.2014 und 3.8.201510 mit der Angabe „VO-SchPflG 2014/2015“ zitiert. Um den Zugang zu den jeweils zitierten Rechtsquellen zu erleichtern, sind entsprechende Auszüge aus der Verfassung des Saarlandes, dem Schulordnungsgesetz, dem Schulpflichtgesetz und der Verordnung zur Ausführung des Schulpflichtgesetzes im Anhang abgedruckt. Aus dem gleichen Grund sind dort die Verordnung  – Schulordnung  – über die gemeinsame Unterrichtung von Behin 5

Amtsbl. S. 477, in Kraft getreten am 6.6.1986. Amtsbl. I S. 296, nach Maßgabe des Art. 4 des Änderungsgesetzes in Kraft getreten am 1.8.2014. 7 Die unter Einbeziehung dieser Änderungen bis zum 31.7.2014 geltende Fassung ist im Anhang sub Abschn. A. II. 1. abgedruckt. 8 Amtsbl. I S. 1382, zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540 [598]). 9 Amtsbl. I S. 343 (351). 10 Amtsbl. I S. 540 (598). 6

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derten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform (Integrations-Verordnung) vom 4.8.198711 sowie die Verordnung zur inklusiven Unterrichtung und besonderen pädagogischen Förderung (Inklusionsverordnung) vom 3.8.201512 im Volltext abgedruckt.

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Amtsbl. S. 972, zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540 [598]). Amtsbl. I S. 540, ber. Amtsbl. 2016 I S. 217.

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Erster Teil 

Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung Kapitel 1

Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung A. Parlamentarische Leitentscheidung des Landtags des Saarlandes vom 4.6.1986 I. Sonderpädagogischer Paradigmenwechsel und Vorbehalt des Gesetzes 1. Gesetzliche Normierung der Grundsatzentscheidung Das Saarland war das erste Bundesland, das die integrative Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen schulgesetzlich verankerte, nämlich mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986.1 Es war dies eine entschlossene, den vom Bundesverfassungsgericht konkretisierten Anforderungen des Gesetzesvorbehalts2 ent 1 Amtsbl. S. 477. Vgl. Reichenbach, Der Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, S. 64; Pluhar, Auf dem Weg zu verbesserter Kooperation zwischen Schule und Kostenträgern bei der Integration behinderter Schülerinnen und Schüler, RdJB 1996, 216 (217); Preuss-Lausitz, Integrationsforschung, in: Eberwein/Knauer (Hrsg.), Handbuch Integrationspädagogik, S. 458. Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (332): „Dem Beispiel des Saarlandes folgend, sind mehrere Bundesländer daran gegangen, die gemeinsame Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Schülerinnen und Schüler schulrechtlich zu verankern.“ 2 BVerfG, Beschl. v. 28.10.1975, 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74, BVerfGE 40, 237 (249); Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (126 f.); Beschl. v. 6.6.1989, 1 BvR 727/84, BVerfGE 80, 124 (132); Beschl. v. 27.11.1990, 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130 (142); Urt. v. 14.7.1998, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (251); Urt. v. 6.7.1999, 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1 (34); Urt. v. 24.9.2003, 1 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282 (311 f.). Speziell für den Bereich des Schulwesens sind folgende Entscheidungen zu nennen: BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (192 ff.) – Hessische Förderstufe; Beschl. v. 27.1.1976, 1 BvR 2325/73, BVerfGE 41, 251 (259 ff.) – Speyer-Kolleg; Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417 ff.) – Hessische Oberstufenreform; Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (78 ff.)  – Sexualkundeunterricht; Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (268 ff.) – Schulentlassung und Versetzung.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

sprechende rechtliche Umsetzung des Paradigmenwechsels im Verständnis von sonderpädagogischer Förderung. Die mit dieser Schulrechtsnovelle zum Bildungsangebot für Behinderte getroffene Regelung lautete: § 4 Gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, Sonderformen der Schulen, Hausunterricht (1) 1Der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform umfasst grundsätzlich auch die behinderten Schüler. 2Daher sind im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln; das Nähere regelt der Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft durch Rechtsverordnung. (2) Der Unterrichtung und Erziehung von Schülern, die 1. infolge ihrer körperlichen, geistigen, seelischen oder sozialen Entwicklung in den Schulen der Regelform auch durch besondere Hilfen nicht oder nicht ausreichend gefördert werden können, so dass sie dauernd oder über einen längeren Zeitraum einer Förderung nach sonderpädagogischen Grundsätzen bedürfen, oder 2. durch ihr soziales Verhalten die Entwicklung ihrer Mitschüler erheblich hemmen oder stören, dienen besondere Schulen für Behinderte (Sonderschulen) oder Klassen (Unterrichtsgruppen), die nach sonderpädagogischen Grundsätzen arbeiten sowie der Sonderunterricht für Schüler, deren Förderung auch in Schulen für Behinderte nicht möglich ist. (3) Schulen für Behinderte sind insbesondere 1. Schulen für Blinde, 2. Schulen für Erziehungshilfe, 3. Schulen für Gehörlose, 4. Schulen für Geistigbehinderte, 5. Schulen für Körperbehinderte, 6. Schulen für Lernbehinderte, 7. Schulen für Schwerhörige, 8. Schulen für Sehbehinderte, 9. Schulen für Sprachbehinderte. (4)  Wenn die besondere Aufgabe der Schule für Behinderte die Heimunterbringung der Schüler gebietet oder die Erfüllung der Schulpflicht sonst nicht gesichert ist, sind den Schulen Schülerheime anzugliedern, in denen Schüler Unterkunft, Verpflegung und familiengemäße Betreuung erhalten (Heimschulen für Behinderte). (5) Schülern, die nach amtsärztlicher Feststellung infolge dauernder oder mehr als sechs Unterrichtswochen währender Erkrankung die Schule nicht besuchen können, soll Krankenhausunterricht bzw. Hausunterricht in angemessenem Umfang erteilt werden.

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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(6) 1Für Kinder, die bei Beginn der Schulpflicht noch nicht schulreif sind (§ 3 Schulpflichtgesetz), sind in der Grundschule besondere Fördermaßnahmen vorzusehen; sie werden je nach den schulorganisatorischen und personellen Gegebenheiten an der jeweils zuständigen Grundschule als Maßnahmen für einzelne Kinder in der jeweiligen Klasse oder für eine Gruppe von Kindern oder in zentralisierten Einrichtungen (Schulkindergärten), die Bestandteil der jeweiligen Grundschule sind, durchgeführt. 2Im Falle der Einrichtung von Schulkindergärten ist ein Einzugsbereich festzulegen; § 19 findet entsprechende Anwendung. 3

Für Kinder, die unter Absatz 2 Nr. 1 fallen und vor Beginn der Schulpflicht förderungs­ bedürftig erscheinen, sind an der Schule für Behinderte besondere Fördermaßnahmen vorzusehen; diese können auch in einem Schulkindergarten, der Bestandteil der jeweiligen Schule für Behinderte ist, durchgeführt werden.

In der in § 4 Abs.  1 Satz 1 SchoG 1986 enthaltenen grundlegenden Aussage lag der materielle Schwerpunkt dessen, worauf es dem Landtag des Saarlandes in dieser Schulgesetznovelle bei der Regelung zum Bildungsangebot für behinderte Kinder und Jugendliche ankam.3 Das fand auch seinen Ausdruck in der Platzierung dieser Regelung am Anfang der Vorschrift sowie in der für die Überschrift gewählten Reihenfolge „Gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, Sonderformen der Schulen,[4] Hausunterricht“. Hierzu heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs: „Das diesem Gesetzentwurf zugrunde liegende Verständnis von der Förderung Behinderter hat zu einer substantiellen Änderung des § 4 geführt. Die Vorschrift widmet sich, wie bereits die geänderte Überschrift zeigt, nicht mehr ausschließlich der Regelung besonderer Einrichtungen, sondern spricht nunmehr an erster Stelle, nämlich in Absatz 1 Satz 1, die 3 Dieser Reihenfolge entsprach auch die Aufzählung in § 6 Abs. 1 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung, im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1. 4 Die Unterscheidung von „Regelformen der allgemeinbildenden Schulen“ (§ 3a SchoG) und „Regelformen der beruflichen Schulen“ (§ 3b SchoG) einerseits und den „Sonderformen der Schulen“ in § 4 SchoG 1986 andererseits ist im Prinzip seit dem Inkrafttreten des Schulordnungsgesetzes in seiner ursprünglichen Fassung vom 5.5.1965 (Amtsbl. S. 385) – der damalige § 6 war mit „Sonderformen der allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen“ überschrieben – unverändert. Diese Gegenüberstellung knüpft an die entsprechende Terminologie zum „Aufbau des Schulwesens“ in dem von Heckel, Eine Grundordnung der deutschen Schule, S. 45 ff., vorgelegten „Modell eines Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens – Schulgrundordnung“ an, an das sich das saarländische Schulordnungsgesetz, wie es in der Begründung, S. 2, des Entwurfs des Schulordnungsgesetzes, LT-Drucks. 4/912 vom 17.4.1964, heißt, „eng anlehnt.“ Zu früherer Zeit war im Verständnis der saarländischen Schul­administration die Sonderschule eine besondere Form der Volksschule (vgl. VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 [300 f.]). In der vorliegenden Schrift werden grundsätzlich die in der Fachterminologie allgemein üblichen Begriffe „allgemeine Schule“ bzw. „Regelschule“ sowie die Begriffe „Förderschule“ bzw. „Sonderschule“ verwendet. Der Klarstellung halber ist in diesem Zusammenhang auf die Unterscheidung zwischen den im Kontext der integrativen Unterrichtung angesprochenen „allgemeinen Schulen“ und den „allgemeinbildenden Schulen“ hinzuweisen: Zu den allgemeinbildenden Schulen gehören alle Schulen mit Ausnahme der beruflichen Schulen; allgemeine Schulen sind die allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ohne Förderschulen. Im Übrigen siehe Fehnemann, Der Begriff der Sonderschule in Gesetz und Schrifttum, RdJB 1970, 330 ff.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung  grundsätzliche Verpflichtung der Schulen der Regelform zur Unterrichtung und Erziehung auch behinderter Schüler aus. Damit ist der subsidiäre Charakter der Schulen für Behinderte (Sonderschulen), die folgerichtig erst in Absatz  2 genannt werden, nachdrücklich betont. Die Verwirklichung dieses Konzeptes setzt voraus, daß an den Schulen der Regelform für die Förderung der behinderten Schüler besondere Hilfen personeller und erforderlichenfalls sächlicher Art zur Verfügung stehen. Über den Weg von Schulversuchen und im Rahmen der schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten sind zunächst geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln.“5

Diese Regelung erging mit der ersten Schulgesetznovelle vom 4.6.19866, welche die Regierung Lafontaine nach dem Regierungswechsel 1985 einbrachte und die mit der absoluten Mehrheit der SPD-Landtagsfraktion in das Schulordnungsgesetz eingefügt wurde. Mit diesem legislatorischen Akt wurde eine Zäsur gegenüber der bis dahin im Saarland praktizierten sonderpädagogischen Konzeption eingeleitet. Diese hatte sich – von einer seit dem Schuljahr 1981/82 im Bereich der Sprachbehinderungen eingeleiteten integrativen Förderung in Form von Sprachförderunterricht in den Eingangsklassen der Grundschulen abgesehen7 – ausschließlich auf ein hoch differenziertes, aus neun unterschiedlichen Förderschultypen bestehendes und flächendeckend ausgebautes System von Schulen für Behinderte gestützt. In der letzten vor dem Regierungswechsel 1985 von der CDU/FDP-geführten Vorgängerregierung eingebrachten Schulrechtsnovelle vom 23.1.19858 hatte die einzige den sonderpädagogischen Bereich betreffende inhaltliche Änderung darin bestanden, dass im Katalog der Förderschultypen die Bezeichnung „Schulen für Verhaltensgestörte“ in „Schulen für Erziehungshilfe“ geändert wurde.

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LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Begründung S. 12. Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes, Amtsbl. S. 477. 7 Dieser zaghafte Ansatz zu einer auf eine einzelne Behinderungsart beschränkten integrativen Unterrichtung war jedoch nicht das Ergebnis eines in Sachen sonderpädagogischer Förderung beginnenden konzeptionellen Umdenkens der damaligen Schuladministration innerhalb der CDU/FDP-geführten Landesregierung. Denn es handelte sich um eine präventive sonderpädagogische Interventionsmaßnahme unterhalb der Schwelle einer förmlich festgestellten sonderpädagogischen Förderungsbedürftigkeit. Im Schuljahr 1985/86 wurden in diesem Sprachförderunterricht 94 Sonderschullehrer mit insgesamt 686 Lehrerwochenstunden eingesetzt, was 26 Vollzeitlehrerstellen entspricht (so die Antwort der Landesregierung zu Frage 28.3 der Großen Anfrage der FDP-Landtagsfraktion betr. Entwicklung des Schulwesens im Saarland, LT-Drucks. 9/597 vom 22.4.1986). Im Übrigen siehe auch die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. Sprachförderunterricht an saarländischen Grundschulen, LT-Drucks. 11/2035 vom 12.5.1999. Aus der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD), LT-Drucks. 12/949 vom 8.9.2003, geht hervor, wie sich der Umfang dieses Sprachförderunterrichts vom Schuljahr 1983/84 bis zum Schuljahr 2002/03 entwickelt hat. 8 Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes, Amtsbl. S. 161. 6

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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2. Pädagogische, ethische und rechtliche Motive Der konzeptionelle Wandel hatte sich seit Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts abgezeichnet. Denkanstöße aus der Erziehungswissenschaft hatten das in der Geschichte der Heil-, Behinderten- und Sonderpädagogik immer schon vorhandene Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Separation und dem Prinzip der Integration neu thematisiert. Eingliederung und Teilhabe behinderter Menschen um der Menschenwürde willen (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 1 Verf. d. Saarl.) nach Kräften zu fördern wurde dem Grundgesetz als Auftrag entnommen. Auch dürfte das im demokratischen Prinzip grundgelegte Verständnis von der Gleichheit der Bürger (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 Verf. d. Saarl.) diesen Perspektivenwechsel befördert haben. Es war also eine Trias aus pädagogischen, ethischen und politischen Motiven, die Bewegung in die Sache brachten. Das Prinzip gemeinsamer Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern wurde nicht länger nur theoretisch diskutiert, sondern wurde jetzt auf die bildungspolitische Agenda gesetzt.9 II. Einordnung der gesetzlichen Regelung in der Reformdiskussion Die von der Kultusministerkonferenz am 16.3.1972 beschlossene „Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens“ war noch grundsätzlich an der Sonderschule als dem allein in Betracht kommenden Ort sonderpädagogischer Förderung ausgerichtet: „Die Empfehlung zielt auf die Vereinheitlichung und den Ausbau der bestehenden Einrichtungen sowie auf die Schaffung notwendiger neuer Einrichtungen im Sonderschulwesen. Sie geht dabei vom gegenwärtigen Stand aus und weist die in der augenblicklichen Situation gegebenen Möglichkeiten einer Weiter­ entwicklung auf.“10 Doch verabschiedete die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates bereits am 12./13.10.1973 Empfehlungen „Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“, deren „Zielsetzung in einer weitmöglichen Einbeziehung behinderter Kinder und Jugendlicher in den allgemeinen Unterricht und in einer Vermeidung von Aussonderung zu sehen ist“.11 Auch die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung brachte in dem am 15.6.1973 verabschiedeten Bildungsgesamtplan ihre Zurückhaltung gegenüber der bis dahin absoluten Vorrangstellung der Sonderschulen als Ort sonderpädago 9 Siehe hierzu die Darstellung von Muth, Sonderschule oder Integration. Zur Geschichte eines Orientierungswechsels, RdJB 1985, 162 ff. 10 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens, S. 5. 11 Deutscher Bildungsrat, Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher, S. 24.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

gischer Förderung zum Ausdruck. Sie trat für Maßnahmen „zur Förderung behinderter Schüler auch innerhalb des allgemeinen Bildungswesens“ sowie für eine schrittweise „Verlagerung der Funktion von Sonderschulen auf das allgemeine Schulwesen“12 ein. Die zitierten Verlautbarungen sowohl des Deutschen Bildungsrates als auch der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung verstehen sich bei genauem Hinsehen nicht als bloß theoretische Denkanstöße. Vielmehr kommt in ihnen der Wille zu einer ebenso umfassenden wie tiefgreifenden strukturellen Veränderung des Schulsystems zum Ausdruck. Denn was sich in diesen Sätzen vordergründig als eine nur bereichsspezifische Innovation darstellt, muss gesehen werden vor dem Hintergrund, dass sowohl der Deutsche Bildungsrat als auch die Bund-LänderKommission für Bildungsplanung programmatisch für die flächendeckende Einführung der Gesamtschule eingetreten sind. Man wird der Radikalität dieses Ansatzes später erneut begegnen, nämlich bei den Protagonisten einer bedingungslos „inklusiven Schule“ als „einer Schule für alle“. Auf der Grundlage dieser Neuorientierung fanden bundesweit zahlreiche Schulversuche der Unterrichtsverwaltungen zur Erprobung unterschiedlicher Formen gemeinsamer Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern statt. Ein beträchtlicher Teil dieser Schulversuche, bei deren Konzipierung, schulpraktischer Durchführung und anschließender Evaluierung Erziehungswissenschaftler maßgeblich beteiligt waren, wurde von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung gefördert. In dem von Muth13 1986 herausgegebenen, insgesamt 185 Projekte dokumentierenden „Verzeichnis der Projekte zur Integration Behinderter in Schulen der Bundesrepublik Deutschland“14 kommt das Saarland mit einem entsprechenden Schulversuch nicht vor. Das Saarland hatte zwar an dem Modellversuchsprogramm der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung teilgenommen. Doch hatten seine Schulversuche nicht die Erprobung integrativer Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung zum Gegenstand: Einer der beiden Schulversuche befasste sich mit der „Sozialpädagogischen Arbeit mit Sonderschülern“, der andere mit der „Erstellung von Förderprogrammen für geistig schwer- und mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche“.15 In dem 1978 vom

12

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, Bildungsgesamtplan, Bd. I, S. 35 f. Muth gehörte der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates an und hatte dort als Vorsitzender des sonderpädagogischen Ausschusses maßgeblichen Anteil an den Empfehlungen „Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ vom 12./13.10.1973. 14 Muth, Integration fördern statt behindern! Verzeichnis der Projekte zur Integration Behinderter in Schulen der Bundesrepublik Deutschland, in: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB, Hauptvorstand (Hrsg.), Im Brennpunkt, Juli 1986, S. 1 ff. Die Übersicht war im Rahmen eines vom Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützten Forschungsprojekts an der Ruhr-Universität Bochum entstanden. 15 Siehe Borchert/Schuck, Modellversuche zum Förderungsbereich „Behinderte Kinder und Jugendliche“, S. 105, 114. 13

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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Minister für Kultus, Bildung und Sport vorgelegten „Entwicklungsplan für das Sonderschulwesen im Saarland bis 1985“ war ausschließlich die Sonderschule als Ort sonderpädagogischer Förderung vorgesehen. Die 1973 vom Deutschen Bildungsrat vorgelegten Empfehlungen „Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ wurden in diesem Entwicklungsplan weder ausdrücklich erwähnt noch fanden sie in der Sache selbst im Hinblick auf integrative Ansätze Eingang in die Entwicklungsplanung. Umso deutlicher fiel daher der Kontrast zu dieser fehlenden Innovationsbereitschaft der früheren CDU/FDP-geführten Landesregierung aus, als die neue Landesregierung unter Ministerpräsident Oskar Lafontaine in der erwähnten Schulgesetznovelle vom 4.6.1986 mit dem sonderpädagogischen Paradigmenwechsel Ernst machte.

B. Schulversuche im Anschluss an die getroffene Grundsatzentscheidung I. Gesetzlicher Entwicklungsauftrag 1. Zielsetzung und Inhalt In § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 des im Übrigen – von der Ersetzung der Wörter „behinderten Schüler“ durch die Wörter „Schüler mit sonder­ pädagogischem Förderungsbedarf“ abgesehen16 – bis zum 31.7.2014 unveränderten § 4 Abs.  1 SchoG 1986 heißt es: „Daher sind im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln.“17 Hierbei kann diesem Vorbehalt nur dann ein Sinn beigelegt werden, wenn er auf die integrative Unterrichtung als solche und nicht auf Integra­ tionsformen bezogen wird; denn die Form ist ohne das Substrat der Integrationstatsache gegenstandslos. Dem zitierten Satz entnahm das Verwaltungsgericht des Saarlandes als „gesetzgeberisch[e] Konzeption“, dass dem Kultusminister „lediglich der Auftrag gegeben wird, geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln, welche aber klar und eindeutig bei der jetzigen Gesetzeslage unter dem Vorbehalt der personellen, schulorganisatorischen und sächlichen Möglichkeiten der betreffenden Regelschule stehen“.18 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts ist insoweit zutreffend, als die Grundsatzregelung des § 4 16

Die Änderung erging durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.1996 (Amtsbl. S. 674). 17 Hervorh. d. Verf. 18 VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991,1 K 171/88, amtl. Umdruck S. 10 (Hervorh. im Original).

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

Abs. 1 Satz 1 SchoG 1986 vom Gesetzgeber nicht als voraussetzungs- und einschränkungsloser Vollzugsauftrag, sondern als Entwicklungsauftrag mit Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt konzipiert war. Die Grundsatzentscheidung über die Einführung integrativer Unterrichtung als weiteres Bildungsangebot neben den Förderschulen wurde dadurch jedoch nicht infrage gestellt. Das ergibt sich auch aus der bewussten Abkehr des Gesetzgebers von der Fassung des § 4 Abs.  1 Satz 2 SchoG im Regierungsentwurf, die gelautet hatte: „Daher sind über den Weg von Schulversuchen im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln.“19 Die Streichung der Wörter „über den Weg von Schulversuchen“ durch den Abänderungsantrag der SPD-Landtagsfraktion20 wurde von der Berichterstatterin Marianne Granz (SPD) bei der Zweiten Lesung am 4.6.1986 wie folgt begründet: „Zum Problemkreis der Integration der behinderten Kinder in das allgemeinbildende Schulwesen gemäß § 4 Schulordnungsgesetz wurden die Wissenschaftler Professor Sander und Professor Stoellger gehört. Beide Professoren sprachen sich für die Integration der behinderten Kinder in das allgemeinbildende Schulwesen aus. Der Vorschlag des Regierungsentwurfs, dieses über den Weg von Schulversuchen vorzunehmen, wurde kritisch gewürdigt, weil der Versuch impliziert, dass noch keine gesicherten Erkenntnisse über den Gegenstand gewonnen werden konnten. Dieses trifft für die Integrationsbemühungen bundesweit aber nicht zu, so daß die Mehrheitsfraktion dem Landtag dazu eine Abänderungsformulierung vorschlägt.“21 Was hier als Meinung und Entscheidungsvorschlag zweier Professoren wiedergegeben wird, war plausibel und konnte in der Sache nicht überraschen. Doch fragt man sich, warum der Verzicht auf die Schulversuchsregelung nicht bereits dem Regierungsentwurf zugrunde lag. Denn Alfred Sander von der Universität des Saarlandes hatte an der wissenschaftlichen Politikberatung zu dem Projekt der Einführung integrativer Unterrichtung im Saarland maßgeblichen Anteil und in dieser Funktion auch an der Vorbereitung der gesetzlichen Regelung in der Fassung des Regierungsentwurfs mitgewirkt.22 In Kenntnis des damaligen schulpolitischen Geschehens im Saarland liegt folgende Erklärung nahe: Der Regierungsentwurf der Schulgesetznovelle, die mit der Normierung der Gesamtschule als Schule der Regelform zu einer erbitterten politischen Auseinandersetzung geführt hatte, sollte nicht noch mit einem weiteren potenziell konfliktträchtigen Gegenstand befrachtet werden. So konnte Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) bei der Ersten Lesung der Schulgesetznovelle am 23.4.1986 eine beruhigende Botschaft vermitteln:

19

LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986 (Hervorh. d. Verf.). LT-Drucks. 9/678 vom 3.6.1986. 21 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1244 f. 22 Siehe hierzu Näheres unten sub Kap. 9. 20

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

53

„Alle Integrationsmaßnahmen, meine Damen und Herren, stehen unter dem Vorbehalt des Schulversuchs. Ich will hier keineswegs irgendwelche Experimente starten, sondern der Begriff des Schulversuchs gibt mir die Möglichkeit, auf die pädagogischen und sozialen Bedingungen eines jeden Einzelfalles sehr genau eingehen zu können.“23

Dieser Rhetorik entsprach auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs, wo es hieß: „Über den Weg von Schulversuchen und im Rahmen der schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten sind zunächst ge­eignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln.“24 Es fiel offenbar nicht weiter auf, dass die Landesregierung an ihrer grundsätzlichen Entschlossenheit zur Einführung der integrativen Unterrichtung keinen Zweifel gelassen hatte, wie aus dem Vorblatt des von ihr eingebrachten Gesetzentwurfs hervorgeht: „Die Möglichkeiten einer gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform sind konsequent wahrzunehmen, um die darin sowohl für die Behinderten wie für die Nichtbehinderten enthaltenen Chancen zu nutzen und die Integration Behinderter in die Gesellschaft zu fördern.“25 Eine Äußerung von Breitenbach zu der mit dem Abänderungsantrag bewirkten geänderten Fassung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 bei der Zweiten Lesung liegt nicht vor. Im Übrigen war der Abänderungsantrag, der am 2.6.1986 vom Ausschuss für Kultus, Bildung und Wissenschaft beschlossen worden war und der als Landtagsdrucksache am 3.6.1986, d. h. einen Tag vor der Verabschiedung des Gesetzes, vorlag, von der Öffentlichkeit praktisch nicht wahrgenommen worden. In diesem Zusammenhang verdient festgehalten zu werden, wie die parlamen­ tarische Debatte über den Entwurf des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes, das am 4.6.1986 verabschiedet wurde, verlaufen ist. Aus den Stenographischen Berichten über die Erste Lesung am 23.4.198626 und die Zweite Lesung am 4.6.198627 geht hervor, dass die politische Auseinandersetzung fast ausschließlich die Einführung der Gesamtschule als weitere Schule der Regelform und die hiermit im Zusammenhang stehende „Neuordnung der Schullandschaft“ zum Gegenstand hatte. Die Regelung der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern wurde nur mit wenigen Worten erwähnt und nicht kontrovers diskutiert. So hat Kultusminister Breitenbach in der Ersten Lesung bei seiner Erläuterung des Gesetzentwurfs die Einführung der integrativen Unterrichtung als einen unter mehreren Regelungsgegenständen aufgezählt, ohne diese Thematik vertieft zu erörtern, wie man es hätte erwarten dürfen angesichts der politischen Bedeutung, welche die Regierung – siehe das anschließend hohe Tempo des flächendeckenden Ausbaus der integrativen Unterrichtung –

23

Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1094. LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Begründung S. 12 (Hervorh. d. Verf.). 25 LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Vorblatt S. 1 (Hervorh. d. Verf.). 26 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1092 ff. 27 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1244 ff. 24

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

diesem Vorhaben von Anfang an beigemessen hat.28 Die beiden Debatten­redner der oppositionellen FDP-Landtagsfraktion beschränkten sich jeweils auf die Anmerkung, dass sie das Vorhaben begrüßten.29 Die Redner der oppositionellen CDU-Landtagsfraktion gingen auf die gesetzliche Verankerung der integrativen Unterrichtung mit keinem Wort ein.30 Bei der Zweiten Lesung, bei der auch der u. a. den Wegfall des Schulversuchs-Vorbehalts enthaltende Abänderungsantrag der SPD-Landtagsfraktion beschlossen wurde, gelang es Kultusminister Breitenbach, in seiner knappen Erwähnung des Abänderungsantrags jeden Hinweis auf den Wegfall des Schulversuchs-Vorbehalts bei der integrativen Unterrichtung zu vermeiden.31 Der lapidare Hinweis des SPD-Fraktionsvorsitzenden Reinhard Klimmt, man sei sich fraktionsübergreifend bezüglich der integrativen Unterrichtung doch einig, war unverkennbar taktisch motiviert.32 Von den Rednern der oppositionellen Fraktionen von CDU33 und FDP34 wurde die gesetzliche Normierung der integrativen Unterrichtung bei der Zweiten Lesung mit keinem Wort erwähnt. Dieses in den beiden Plenardebatten sichtbar gewordene Verhaltensmuster von Regierung, Mehrheitsfraktion und Oppositionsfraktionen in Sachen integrative Unterrichtung spiegelt sich auch in den Sitzungsniederschriften des Ausschusses für Kultus, Bildung und Sport des Landtags des Saarlandes wieder, in dem der Gesetzentwurf beraten wurde. Der Regierung war es gelungen, die gesetzliche Normierung der integrativen Unterrichtung geräuschlos durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Auch nicht im Ansatz war im Verlauf der Parlamentsdebatten sichtbar geworden, dass eine pädagogisch verantwortbare integrative Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten kostenintensive Rahmenbedingungen insbesondere personeller Art voraussetzt. 2. Relevanz diverser Schulversuchsaktivitäten Dass das Wort „Schulversuch“ in der endgültigen Fassung des § 4 Abs. 1 SchoG 1986 nicht mehr vorkam, stellte allerdings für den Kultusminister kein Hindernis dar, dennoch Schulversuche einzurichten. Rechtsgrundlage hierfür ist § 5 Abs. 1 SchoG. Danach sollen zur Gewinnung und Erprobung neuer pädagogischer und schulorganisatorischer Erkenntnisse nach Anhörung der Landesschulkonferenz Versuchsschulen, nach Anhörung der Schulkonferenz Schulversuche eingerichtet werden. 28

Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1094. Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1108, 1124. 30 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1097, 1108, 1123. 31 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1265. 32 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1262. 33 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1246, 1256, 1268, 1273, 1274. 34 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1259, 1271. 29

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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Im Zusammenhang mit der Verwirklichung der integrativen Unterrichtung im Saarland waren insgesamt sechs an Schulen förmlich eingerichtete Schulversuche zu verzeichnen, an denen allerdings nur vergleichsweise wenige Schüler teilgenommen haben. Es handelte sich zunächst um die integrative Unterrichtung von insgesamt drei Schülern an den Grundschulen Saarbrücken-Rastpfuhl und Ottweiler-Neumünster auf der Grundlage eines hierzu ergangenen Erlasses über die Einrichtung von Schulversuchen zur „Unterrichtung Behinderter in Schulen der Regelform“ vom 23.1.1986.35 Hinzu kamen ebenfalls auf eine geringe Schülerzahl beschränkte Integrationsmaßnahmen aufgrund des Erlasses betreffend die Einrichtung eines Schulversuchs „Sonderpädagogisches Förderzentrum“ in Theley vom 8.8.198836 und des Erlasses betreffend die Einrichtung eines Schulversuchs „Sonderpädagogisches Förderzentrum“ in Mettlach-Orscholz vom 8.8.1988.37 Zu den Schulversuchen mit den Sonderpädagogischen Förderzentren heißt es in der Antwort der Landesregierung zu der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen: „Sie sollen erproben, ob durch diese Einrichtungen die sonderpädagogische Versorgung (Sprachfördermaßnahmen und Integration) in ländlichen Gebieten wohnortnah sicherzustellen ist. Eine besondere finanzielle Förderung gibt es nicht. Beide Zentren sind personell gut ausgestattet. Die wissenschaftliche Begleitung wird von der Universität des Saarlandes durchgeführt. Beide Versuche werden mit Ende des Schuljahres 1990/91 abgeschlossen sein.“38 Außerdem gab es drei von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung befürwortete und vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft geförderte Modellversuche zu den Themen „Gemeinsamer Unterricht mit unterschiedlicher Zielvorgabe für nichtbehinderte und behinderte Schüler und Schülerinnen im Bereich der Sekundarstufe“ (Laufzeit: 1.8.1990 bis 31.12.1993), „Sonderpädagogische Förderzentren als Weiterentwicklung der Organisation sonderpädagogischer Arbeit für behinderte Schüler und Schülerinnen“ (Laufzeit: 1.8.1990 bis 30.4.1994) sowie „Kontakt- und Aufbaustudium Integrationspädagogik“ (Laufzeit 1.10.1988 bis 30.9.1991).39 Die in der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion gestellte Frage „Welche Modellversuche mit Bezug zum Sonderschulwesen laufen z. Z. im Saarland und welche Zielsetzung haben sie?“40 wurde von der Landesregierung wie folgt beantwortet: „Modellversuche im Bereich der Schulen für Behinderte sind kein Förderschwerpunkt der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und For 35

GMBl. Saar S. 215. GMBl. Saar S. 211. 37 GMBl. Saar S. 212. 38 LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989 (Antwort zu Fragen 21–25). 39 Zu den BLK-Modellversuchen siehe auch die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LT-Drucks. 10/260 vom 7.12.1990. 40 LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989 (Hervorh. d. Verf.). 36

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

schungsförderung. Modellversuche dieser Art werden z. Zt. im Saarland nicht durchgeführt“41 – mit anderen Worten: Die Weiterentwicklung von Sonderschulen auf dem Weg über Schulversuche war für die Landesregierung kein Thema. II. Forcierter und flächendeckender Ausbau der integrativen Unterrichtung Diese Schulversuche konnten unter dem Gesichtspunkt ihrer Zielsetzung, ihrer konzeptionellen Ausgestaltung und der ihnen zugrunde liegenden schmalen Schülerbasis kaum eine valide Grundlage für weitreichende schulpolitische Entscheidungen sein; überwiegend dienten sie im Wesentlichen als rechtliche Legitimationsbasis für Abweichungen von allgemeinen schulrechtlichen Regeln. Mit der Grundsatzentscheidung zur Einführung der integrativen Unterrichtung im Saarland hatten sie ohnehin nichts zu tun, da diese Entscheidung bereits vom Gesetzgeber getroffen worden war. Tatsache ist, dass der Ausbau der integrativen Unterrichtung von Anfang an wie eine reguläre Aufgabe in Angriff genommen wurde und mit hohem Tempo vonstattenging.42 Von einer wie auch immer gearteten ergebnisoffenen Versuchsphase konnte also keine Rede sein. Somit sind die oben zitierten, durch Hervorhebung kenntlich gemachten Textstellen in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986, die Ankündigung von Schulversuchen in der Gesetzesfassung des Regierungsentwurfs und in der Einbringungsrede von Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) bei der Ersten Lesung des Gesetzentwurfs eher als Bestandteil einer geschmeidigen politischen Rhetorik zu verstehen. Sie sollte den beabsichtigten fundamentalen Richtungswechsel gegenüber der Öffentlichkeit aus der Sicht der Landesregierung erfolgreich kommunizieren; die Schulversuche hatten eher eine Alibifunktion.43 Auch eröffneten 41

LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989 (Antwort zu Fragen 21–25) (Hervorh. d. Verf.). Das zeigen die unten sub Kap. 6 abgebildeten Statistiken. 43 Vgl. hierzu auch die aufschlussreichen Ausführungen der fraktionsintern für Sonderpädagogik und Integration zuständigen und dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Wissenschaft angehörenden SPD-Landtagsabgeordneten Isolde Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (81): „Während die GEW sich noch für die Einrichtung eines Schulversuchs zur gemeinsamen Unterrichtung aussprach, plädierte der Verein MLL für die Auswertung der bereits im übrigen Bundesgebiet durchgeführten Versuche, um ‚die optimale Förderung aller Kinder‘ in den Regelschulen sicherzustellen. Auch für die sozialdemokratische Fraktion im Landtag war nach dem Regierungswechsel im März 1985 die Einrichtung lediglich von Modellprojekten zur gemeinsamen Unterrichtung nicht akzeptabel. Solche Modelle waren in anderen Bundesländern bereits eingerichtet worden, worauf es nun ankam, war deren Auswertung – und vor allem der politische Wille zur Integration in Kindergärten und Regelschulen. Der politische Wille war sowohl in meiner Fraktion als auch bei der neugewählten Landesregierung bei ihrem Amtsantritt vorhanden. Auf Initiative des damaligen 42

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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die BLK-Modellversuche, sonstige Schulversuche sowie damit zusammenhängende wissenschaftliche Begleitung den Weg zur Einwerbung und Bewilligung von Drittmitteln für die den Kultusminister beim Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland unterstützende wissenschaftliche Politikberatung.44 III. Aussagen im Gesetzgebungsverfahren zu den Kosten Im Vorblatt des von der Landesregierung eingebrachten Entwurfs der Schulgesetznovelle, mit der die integrative Unterrichtung an den Schulen im Saarland geregelt wurde, ist zu den Kosten ausgeführt: „Bei der zunächst über den Weg von Schulversuchen erfolgenden Erweiterung der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform entsteht an diesen Schulen ein erhöhter Personalaufwand, dem eine Verminderung des Personalaufwandes an den Schulen für Behinderte gegenübersteht, wobei jeweils eine exakte Bezifferung derzeit nicht möglich ist.“45

Es ist zwar in dem zitierten Text entsprechend der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung von Schulversuchen die Rede. Doch hat der rasante und flächendeckende Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland gezeigt, dass der Verzicht auf das Wort „Schulversuch“ in der endgültigen Fassung des Gesetzes für die verantwortlichen Akteure in Parlament und Schul­administration keine substanzielle Bedeutung hatte, dass sie vielmehr von Anfang an den möglichst raschen und umfassenden Ausbau der integrativen Unterrichtung anstrebten. Die Aussagen der Landesregierung zu den Kosten im Vorblatt sind daher an diesen von Anfang an bestehenden Ausbauplänen zu messen. Von der Regierung wird zwar konzediert, dass dem Grunde nach mit einem „erhöhten Personalaufwand“ zu rechnen ist. Es fehlt aber jegliche differenzierende Auseinandersetzung mit dem personellen Mehraufwand, den eine verantwortbare integrative Unterrichtung erfordert. Indem von der beabsichtigten „Erweiterung“ Kultusministers Diether Breitenbach beschloß der Landtag des Saarlandes eine Änderung des Schulordnungsgesetzes, die die Möglichkeit der gemeinsamen Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder im allgemeinen Schulsystem eröffnete. Auch wenn das neue Schulordnungsgesetz mit einigen Vorbehalten versehen war (Integration ‚im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten‘) und den Eltern betroffener Kinder lediglich ein Antragsrecht statt eines Wahlrechts zugestand, übernahm das Saarland damit zweifellos eine Vorreiterrolle in der Bundesrepublik, da sich die Möglichkeit zur Integration an Regelschulen nicht auf einige wenige Versuche beschränkte, sondern erstmals flächendeckend in einem Bundesland angeboten wurde.“ 44 Hierzu bewilligte Zuwendungen und gezahlte Honorare sind ersichtlich aus den Antworten der Landesregierung zu den Anfragen der Abgeordneten Monika Beck (CDU) betr. von der Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten, LT-Drucks. 11/715 vom 2.5.1996, und betr. Modellversuche im Bildungswesen, LT-Drucks. 11/1038 vom 13.12.1996. Näheres zur wissenschaftlichen Politikberatung bei der Realisierung des Projekts siehe unten sub Kap. 9. 45 LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Vorblatt S. 3.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

der integrativen Unterrichtung gesprochen wird, sollte wohl der Eindruck erweckt werden, als habe man es nicht mit einer völlig neuen Aufgabe zu tun. Das widerspricht der Tatsache, dass es sich bei der bis dahin im Saarland praktizierten integrativen Unterrichtung ausschließlich um vergleichsweise wenige Fälle mit zielgleicher Unterrichtung gehandelt hatte, während der innovative Charakter des mit dem Gesetzentwurf zu realisierenden Vorhabens in der Einbeziehung aller sonderpädagogischen Förderschwerpunkte bestand und folglich nunmehr auch zieldifferente Unterrichtung sowie die integrative Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensstörungen möglich sein sollte. Dieser neue Ansatz war fundamental und musste bei seriöser pädagogischer Handlungsweise zu einem erheblichen personellen und damit finanziellen Mehraufwand führen. Stattdessen meinte die Landesregierung, dass der pauschal benannte personelle Mehraufwand durch ebenso pauschal benannte Einsparungen bei den Schulen für Behinderte kompensiert würde, „wobei jeweils eine exakte Bezifferung derzeit nicht möglich“ sei. In Wirklichkeit verbarg sich, wie die spätere Integrationspraxis gezeigt hat, hinter dieser Verweigerung einer seriösen Kostenaussage die Entschlossenheit, ohne den Einsatz zusätzlicher Mittel (Kostenneutralität) den Ausbau der integrativen Unterrichtung mit dem Ziel der flächendeckenden Implementierung voranzutreiben. Es ist aufschlussreich, dass Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) am 23.4.1986 bei der Ersten Lesung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.198646, mit dem die integrative Unterrichtung im Schulordnungsgesetz verankert wurde, zu dem Kernstück der Rahmenbedingungen verantwortbarer integrativer Unterrichtung, nämlich der personellen Zusatzausstattung, kein Wort verloren hat. Seine Ausführungen zu den Rahmenbedingungen erschöpften sich in folgender Verlautbarung: „Jede Integration eines behinderten Kindes in Regelschulen erfolgt nur mit Einwilligung der Eltern – nicht gegen den Willen der Eltern – und nur, soweit die schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten gegeben sind. Hinter dem Begriff der personellen Möglichkeiten […] verbirgt sich auch die Frage der Bereitschaft und Fähigkeit von Lehrern, eine solche Integration vorzunehmen. Ich werde nicht zulassen, daß Kinder in Klassen der Regelform integriert werden, wenn die dort unterrichtenden Lehrer mir erklären, sie seien nicht in der Lage, dieses Integrationsprojekt zu tragen.“47

Von zusätzlicher, kostenintensiver personeller Unterstützung der Klassenlehrkraft durch eine Förderschullehrkraft spricht der Kultusminister nicht. Vielmehr hat Breitenbach bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuss für Kultus, Bildung und Sport des Landtags des Saarlandes am 28.5.1986 in Bezug auf die integrative Unterrichtung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man Kostenneutralität anstrebe: 46

Amtsbl. S. 477. Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1094.

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1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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„Das Gesetz sehe vor, daß dies im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten vollzogen werde. Dies bedeute, daß sicherlich nicht allen Anträgen auf Integration in dem Maße entsprochen werden könne, wie es von den Betroffenen erwartet werde, weil man eine kostenneutrale Lösung erreichen wolle.“48

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Kultusministerium im Wege der sog. Formulierungshilfe für den Ausschuss für Kultus, Bildung und Sport des Landtags des Saarlandes bereits den umfangreichen Abänderungsantrag49 erstellt, mit dem u. a. der Schulversuchs-Vorbehalt zur integrativen Unterrichtung aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurde. Die vorstehend zitierte Äußerung des Kultusministers, in der wohlweislich nicht mehr von Schulversuchen die Rede ist, umfasst mithin die flächendeckend angelegte schulische Praxis integrativer Unterrichtung, die in der Folgezeit im Saarland mit hohem Ausbautempo vonstattenging. Ganz anders dagegen die Ausführungen Breitenbachs zu der mit derselben Schulgesetznovelle getroffenen Regelung über die Einführung von Ganztagsschulen. Hierzu sagte Breitenbach bei der Ersten Lesung des Gesetzentwurfs: „Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, daß der Betrieb von Ganztagsschulen mit zusätzlichen personellen und sächlichen Kosten verbunden ist. Deshalb ist die Einrichtung von Ganztagsschulen sowohl an den Genehmigungsvorbehalt des Kultusministers als auch an den Genehmigungsvorbehalt des Schulträgers gebunden.“50

In Übereinstimmung hiermit lautete die entsprechende Aussage im Vorblatt des Gesetzentwurfs: „Bei Ganztagsschulen ist mit zusätzlichen Sachinvestitionen (Herrichtung von Aufenthaltsräumen, Mensen usw.) zu rechnen sowie mit einem um etwa 20 bis 30 % erhöhten Personaleinsatz.“51 Aus dieser höchst unterschiedlichen Art und Weise des Umgangs mit den beiden Innovationsprojekten ließ sich unschwer die Schlussfolgerung ableiten, dass die Regierung bei der integrativen Unterrichtung nach dem Prinzip der Kostenneutralität handeln werde. Die Praxis hat gezeigt, dass dieses Prinzip in der Tat von Anfang an bei der integrativen Unterrichtung im Saarland oberstes Gebot war.52 Damit waren bei von Jahr zu Jahr massiv steigenden Fallzahlen die pädagogischqualitativen Defizite der integrativen Unterrichtung im Saarland vorprogrammiert.

48 Sitzung des Ausschusses für Kultus, Bildung und Sport des Landtags des Saarlandes am 28.5.1986, Sitzungsniederschrift S. 21. 49 LT-Drucks. 9/678 vom 3.6.1986. 50 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1095. 51 LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Vorblatt S. 3. 52 Näheres zur Handhabung des Prinzips der Kostenneutralität siehe unten sub Kap. 4 C. I.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

C. Duales System sonderpädagogischer Förderung im Spiegel der Schulgesetzgebung § 4 Abs. 2 SchoG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 4.6.198653 enthielt im Anschluss an die in § 4 Abs. 1 SchoG getroffene Grundsatzentscheidung zur Verwirklichung integrativer Unterrichtung eine eigenständige Regelung zu den Schulen für Behinderte (Sonderschulen). An die Stelle dieser Regelung trat mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.199654 folgender § 4 Abs. 3 SchoG: (3) 1Der Unterrichtung und Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogi­ schem Förderungsbedarf[55] dienen die Formen gemeinsamer[56] Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, besondere Schulen für Behinderte (Förderschulen) oder Klassen (Unterrichtsgruppen), die nach sonderpädagogischen Grundsätzen arbeiten, sowie der Sonderunterricht für Schülerinnen und Schüler, deren Förderung auch in Förderschulen nicht möglich ist. 2Zur Förderung der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten kann die Schulaufsichtsbehörde Sonderpädagogische Förderzentren[57] einrichten. 53

Amtsbl. S. 477. Amtsbl. S. 674. 55 Abweichend von der Terminologie in den saarländischen Schulgesetzen, die von „Förderungsbedarf“ sprachen (vgl. z. B. § 4 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung [im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 1.], § 6 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung [im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1.]), wird in der vorliegenden Schrift die in der Fachterminologie allgemein übliche Formulierung „Förderbedarf“ verwendet. 56 Der in der allgemeinen Fachterminologie verwendete Begriff „integrative Unterrichtung“ fand sich weder in § 4 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung noch im Schulpflichtgesetz in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung; seine rechtliche Verankerung als Leitbegriff ergibt sich jedoch aus der Definition in § 1 Abs. 1 IntVO. 57 Der die Sonderpädagogischen Förderzentren betreffende § 4 Abs. 3 Satz 2 SchoG 1986 wurde mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.1996 (Amtsbl. S. 674) in das Schulordnungsgesetz eingefügt. Mit dem Erlass über Sonderpädagogische Förderzentren an Schulen für Behinderte vom 4.6.1998 (GMBl. Saar S. 147), geänd.d. Erlass vom 15.7.2004 (Amtsbl. S. 1573), wurden die acht dort im Einzelnen genannten Förderschulen zu Sonderpädagogischen Förderzentren „ausgebaut“. Letztere sind also keine eigenständige pädagogische Institution mit eigenen Schülern, sondern sie sind integraler Bestandteil der jeweiligen Förderschule und stellen dort weder eine Abteilung noch ein sonstiges Organisationselement dar. Sie haben im Wesentlichen nur eine Servicefunktion im Rahmen der integrativen Unterrichtung und sollen Organisationsproblemen bei dem Einsatz von Förderschullehrern an den allgemeinen Schulen abhelfen. Die betreffende Förderschule wird dadurch zur Dienststelle für die Förderschullehrer, die ihr das Kultusministerium für den Einsatz in der integrativen Unterrichtung zuweist, und organisiert deren Einsatz an den allgemeinen Schulen. Für die im ersten Teil der vorliegenden Arbeit zu erörternde Thematik, d. h. die Entwicklung der integrativen Unterrichtung auf der Grundlage von § 4 Abs. 3 Satz 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung, spielen sie keine eigenständige Rolle. Die Möglichkeit einer grundlegend anderen Zielsetzung und Struktur eröffnet jedoch § 4a Abs. 5 SchoG 2014, wo es heißt: „Die Schulaufsichtsbehörde kann sonderpädagogische Förderzentren, auch als Beratungs- und Kompetenzzentren, einrichten.“ Damit sind künftig auch Förderzentren als „Schulen ohne Schüler“ möglich. 54

1. Kap.: Konzeptionelle Neuausrichtung der sonderpädagogischen Förderung 

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Mit der Streichung des ausschließlich den Sonderschulen gewidmeten Absatzes 2 wurde diese Schulform gewissermaßen aus dem Blick gerückt und nur noch in der zusammenfassenden Beschreibung der einzelnen Elemente des Systems der sonderpädagogischen Förderung in dem durch das Gesetz vom 3.7.1996 geänderten § 4 Abs. 3 SchoG 1986 erwähnt. Das ist umso bemerkenswerter, als nur vier Monate zuvor mit der Verfassungsänderung vom 27.3.199658 die Förderschulen in den abschließenden Schulformenkatalog des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 aufgenommen und damit institutionell garantiert worden waren.59 Dadurch war auch auf verfassungsrechtlicher Ebene klargestellt worden, dass die Förderschule als Element eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung nicht nur Subsidiär-, sondern auch Komplementärfunktion hat, nämlich als alternatives Bildungsangebot neben der integrativen Unterrichtung. Ihre durch die verfassungsrechtliche Verankerung bewirkte institutionelle Garantie bestand wie bei der des Gymnasiums und der Erweiterten Realschule aus den beiden Elementen der Existenzgarantie und der Essenzgarantie. Auch die Tatsache der damaligen verfassungsrechtlichen Verankerung der Förderschule zeigt also, dass mit der Regelung des § 4 Abs. 1 SchoG 1986 kein Rangverhältnis zwischen den beiden Lernorten in Bezug auf ihre pädagogisch-qualitative Bewertung, insbesondere kein Vorrang der integrativen Unterrichtung statuiert wurde.60 Die Vorschrift hatte nichts daran geändert, dass in Gestalt der Förderschulen weiterhin ein alternatives, komplementäres und subsidiäres Bildungsangebot für behinderte Kinder und Jugendliche bestand.61 In rechtlicher Hinsicht ging

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Amtsbl. S. 422; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 2. Näheres hierzu unten sub Kap. 11 B. 60 Das OVG d. Saarl., Beschl. v. 9.2.2004, 3 Q 16/03, Rn. 20, http://www.juris.de (Zugriff: 15.3.2013), stellte zutr. fest: „Ein Vorrang der Integration vor der Nichtintegration wird vom Schulgesetzgeber wie dargelegt nicht geregelt, stattdessen ergeht nach § 6 II Schulpflichtgesetz eine Einzelfallentscheidung […]. Ausgehend von der Rechtslage im saarländischen Schulrecht, dass Integration und Nichtintegration gleichrangig nebeneinander stehen und unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte zu entscheiden ist, gewinnen die materiellen Kriterien für diese Entscheidung besondere Bedeutung.“ Materielle Kriterien sind, wie das Gericht, ebd., Rn. 23, unter Bezugnahme auf die Grundsatzentscheidung des BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308), zur sonderpädagogischen Förderung von behinderten Schülern darlegte, Art oder Grad der Behinderung, die mit dem jeweiligen Lernort verbundenen Chancen und Belastungen (Kindeswohl) sowie die Gewährleistung der erforderlichen Ressourcen. 61 Es ist daher sachlich unzutreffend, wenn Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 104, im Hinblick auf die damalige Rechtslage im Saarland schreiben: „Der Vorrang des gemeinsamen Unterrichts spiegelt sich auch in den Regelungen des Schulpflichtgesetzes wider, nach dessen § 6 Abs. 1 Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf in erster Linie zum Besuch des gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und Nichtbehinderten verpflichtet sind, die Sonderschulen oder der Sonderunterricht außerhalb einer Schule werden erst danach genannt.“ Hierbei wird von den Autoren übersehen, dass gem.§ 1 Abs. 1 und §§ 6 ff. IntVO die Teilnahme eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf am integrativen Unterricht eines entsprechenden Antrags der Eltern bedurfte, also freiwillig war. 59

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

das Gesetz von der Gleichwertigkeit beider Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung aus.62 Diese Feststellung gilt unabhängig von der Tatsache, dass die Förderschule mit dem Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 15.6.201163 aus Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. gestrichen wurde.

62 In einem Fall, in dem die Eltern sich für die Förderschule und nicht für die in dem betreffenden Fall auch mögliche integrative Unterrichtung entschieden hatten, stellte das BVerwG, Urt. v. 26.10.2007, 5 C 35.06, BVerwGE 130, 1 (4), fest, dass „kein allgemeines Rangverhältnis zwischen einer Beschulung in einer Förderschule und der Beschulung im Rahmen integrativen Unterrichts“ besteht. 63 Amtsbl. I S. 236; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 3.

Kapitel 2

Regelung der pädagogisch-strukturellen Elemente integrativer Unterrichtung durch das Gesetz vom 4.6.1986 A. Persönlicher Anwendungsbereich I. Schüler mit Behinderungen 1. Grundsatz der umfassenden Einbeziehung Fundamental war die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 SchoG 1986: „Der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform umfasst[1] grundsätzlich auch die Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf.“2 Hierzu bestimmte § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung des Näheren: „Sonderpädagogischer Förderungsbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinbildenden[3] Schule ohne besondere Hilfen nicht hinreichend gefördert werden können.“4 1 Es handelte sich bei den Worten „umfasst […] auch“ um eine sprachlich missglückte Formulierung. Gemeint war „erstreckt sich auch auf […].“ 2 In § 4 Abs. 1 Satz 1 SchoG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986 (Amtsbl. S. 477), mit dem die integrative Unterrichtung erstmals schulrechtlich verankert worden war, hatte es an dieser Stelle noch geheißen: „[…] umfasst grundsätzlich auch die behinderten Schüler.“ Zu der Ersetzung des Wortes „behinderte“ durch die Worte „Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf“ durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.1996 (Amtsbl. S. 674) heißt es in der Begründung, S. 2, des Gesetzentwurfs, LT-Drucks. 11/679 vom 18.4.1996: „Entsprechend der heutigen erziehungswissenschaftlichen Terminologie soll der ‚sonderpädagogische Förderungsbedarf‘ zum entscheidenden Definitionsmerkmal für den Bereich der ‚behinderten‘ Schüler gemacht werden.“ 3 Das Gesetz enthielt an dieser Stelle einen sachlich unzutreffenden Begriff: Richtig hätte es „allgemeinen“ heißen müssen. 4 Diese Definition des sonderpädagogischen Förderbedarfs wurde mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.1996 (Amtsbl. S. 674) in das Schulordnungsgesetz aufgenommen. In der Begründung, S. 2, des Gesetzentwurfs, LT-Drucks. 11/679 vom 18.4.1996, heißt es hierzu: „In dem neu eingefügten Absatz  wird ‚sonderpädagogischer Förderungsbedarf‘ entsprechend den ‚Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland‘ – Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 15./16.Mai 1994 – (GMBl. Saar S. 322) definiert (II. 2 der Empfehlung).“

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

Die in § 4 Abs.  1 Satz 1 SchoG 1986 vorgesehene Möglichkeit gemeinsamer Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern in der allgemeinen Schule („Schule der Regelform“) wurde also grundsätzlich für alle behinderten Schüler eröffnet. Sie war nicht begrenzt auf bestimmte Behinderungsarten, Schulformen, Schultypen und Jahrgangsstufen. Das gesetzlich geregelte Konzept umfasste daher auch die Möglichkeit zieldifferenter gemeinsamer Unterrichtung, d. h. auch Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen (geistige Behinderung, Lernbehinderung) wurden grundsätzlich in das Schulkonzept einbezogen; hierauf wird sogleich zurückzukommen sein.5 Das ergibt sich daraus, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 SchoG 1986 insoweit keine Einschränkung enthielt. § 1 Abs. 2 der zur Ausführung des § 4 Abs. 1 SchoG 1986 ergangenen Integrations-Verordnung (IntVO) enthält das ausdrückliche Bekenntnis zu diesem allumfassenden Ansatz: „Die Möglichkeit der integrativen Unterrichtung bezieht sich grundsätzlich auf Schüler/Schülerinnen aller Behinderungsarten sowie aller Schulformen, Schultypen und Schulstufen.“ Zieldifferente integrative Unterrichtung sollte also möglich sein in Form der vollen Eingliederung des behinderten Schülers in die Regelklasse der allgemeinen Schule. Das war nach der Zielsetzung der diese Schulreform damals vorantreibenden Protagonisten in Politik und wissenschaftlicher Politikberatung das „Herzstück“ dieser Konzeption sonderpädagogischer Förderung.6 2. Notwendigkeit der Differenzierung bei der Organisation des Bildungsangebots im Rahmen integrativer Unterrichtung Dem in § 4 Abs. 1 SchoG 1986 und § 1 Abs. 2 IntVO geregelten Integrationskonzept lag also hinsichtlich der Schülerschaft ein allumfassender Ansatz zugrunde. Er hat jedoch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass nicht unspezifisch von „sonderpädagogischem Förderbedarf“ gesprochen werden kann, sondern dass es sehr unterschiedliche Förderbedarfe gibt: „Die Situation von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf im Bereich Geistige Entwicklung stellt sich […] völlig anders dar als diejenige von Schülerinnen und Schülern mit Körper- und Sinnesbehinderungen oder auch mit Lernbeeinträchtigungen. Wiederum völlig anders dürfte die Lage für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

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Siehe unten sub Kap. 2 A. I. 2. So z. B. Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S.  79 (83), unter Hinweis auf die in der Amtszeit der Bildungsministerin Marianne Granz (1990–1994) mangels Personalressourcen beabsichtigte Reduzierung des Ausbautempos bei den personalintensiven zieldifferenten Integrationsmaßnahmen: „Ohne das ‚Herzstück‘ der lernzieldifferenten Maßnahmen aber drohte das Reformprojekt Integration zur leeren Worthülse zu verkommen.“ 6

2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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sein.“7 Die Notwendigkeit einer differenzierenden Sicht- und Handlungsweise ist gleichermaßen entscheidend für die Konkretisierung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs.1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl.; bezüglich der Einzelheiten wird auf Kap. 3 verwiesen. Auf dieser Grundlage ist es für die pädagogisch-konzeptionelle Einschätzung des Integrationsauftrages und die Voraussetzungen für seine Erfüllung in der schulischen Praxis fundamental, zwei Kategorien strikt zu unterscheiden,8 nämlich –– die zielgleiche Integration, bei der der behinderte Schüler in der allgemeinen Schule auf dem Anspruchsniveau und nach dem normalen Lehrplan der betreffenden Schulform unterrichtet wird, und –– die zieldifferente Integration, bei der der behinderte Schüler an der allgemeinen Schule nach einem individuellen Förderplan unterrichtet wird, der sich am Unterrichtsniveau und an dem Lehrplan der Förderschule Lernen oder der Förderschule geistige Entwicklung orientiert. Diese Unterscheidung ist Gegenstand der Regelung des § 3 IntVO, wonach bei zieldifferenter integrativer Unterrichtung von den den behinderten Schüler unterrichtenden Lehrkräften ein individueller Förderplan zu erstellen ist. Darin ist insbesondere festzulegen, wie unter den Bedingungen integrativer Unterrichtung die der Behinderung des Schülers entsprechende sonderpädagogische Förderung und eine Teilnahme am gemeinsamen Unterricht verwirklicht werden. In gleicher Weise bestimmend für die Organisation des staatlichen Bildungsangebots im Rahmen der integrativen Unterrichtung ist die Einbeziehung der Schüler mit Störungen der emotionalen und sozialen Entwicklung als weitere Gruppe behinderter Schüler, deren spezifischer Förderbedarf essentiell ist für die Idee und Praxis integrativer Unterrichtung. a) Schüler ohne mentale Beeinträchtigungen: Zielgleiche integrative Unterrichtung Zielgleiche Integration kann stattfinden, wenn bei dem Schüler keine mentalen Beeinträchtigungen vorliegen, wenn die Behinderung also ausschließlich in einer körperlichen Behinderung, einer Sinnesbehinderung oder einer Sprachbehinderung besteht. Auch schon vor der gesetzlichen Verankerung der integrativen Unterrichtung Behinderter durch das Gesetz vom 4.6.19869 wurden im Saarland be-

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Ellinger/Stein, Effekte inklusiver Beschulung: Forschungsstand im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Empirische Sonderpädagogik 2012, 85 (86). 8 Vgl. dazu auch Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 49 ff. 9 Amtsbl. S. 477.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

hinderte Schüler in allgemeinen Schulen zielgleich10 unterrichtet. In diesen Fällen ist durch die Bereitstellung relativ weniger zusätzlicher Lehrerstunden etwa eines entsprechend sonderpädagogisch qualifizierten Lehrers sowie durch die Schaffung der äußeren Voraussetzungen (z. B. Rampe oder Aufzug für Rollstuhlfahrer; raumakustische und taktile Anpassungen für Blinde und Sehbehinderte einerseits sowie Gehörlose und Schwerhörige andererseits; akustische Verstärker für Schwerhörige; Differenzierungs- und Rückzugsräume; behinderungsadäquate Sanitärbereiche) die integrative Unterrichtung in den meisten Fällen ohne größere pädagogische Schwierigkeiten und mit einem vergleichsweise geringen personellen Zusatzaufwand leistbar; für die baulichen, räumlichen und sonstigen sächlichen Voraussetzungen ist die Zuständigkeit des jeweiligen Schulträgers gegeben.11 Doch gibt es Fälle, in denen auch bei ausschließlich körperbehinderten, sinnesbehinderten oder sprachbehinderten Schülern aufgrund von Art und Grad der Behinderung eine integrative Unterrichtung in der Regelklasse nicht realisierbar ist bzw. pädagogisch nicht sinnvoll erscheint. Auch dürfte es bei normal begabten blinden und gehörlosen Schülern in vielen Fällen nicht möglich sein, das erforderliche, spezifisch sonderpädagogisch qualifizierte Lehrpersonal in der jeweiligen allgemeinen Schule jederzeit zur Verfügung zu stellen.12 b) Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen: Zieldifferente integrative Unterrichtung Grundlegend anders ist demgegenüber die Lage bei zieldifferenter Unterrichtung. Hier geht es um Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen, d. h. mit Lern­ behinderung oder mit geistiger Behinderung aa) Intellektuelle Beeinträchtigungen lernbehinderter Schüler Was die Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen betrifft, so muss dem nicht selten von Bildungspolitikern und auch Erziehungswissenschaftlern – sei es absichtsvoll oder gedankenlos – geförderten Eindruck entgegengetreten werden, als ob bei diesen Schülern eine integrative Unterrichtung mehr oder weniger problem 10 Zur zielgleichen und zieldifferenten integrativen Unterrichtung siehe OVG d. Saarl., Beschl. v. 23.10.2000, 3 V 25/00, Rn. 6, http://www. juris.de (Zugriff: 10.7.2015). 11 Siehe im Einzelnen unten sub Kap. 4 A. IV. 12 Das gilt insbesondere mit Blick auf das an den weiterführenden Schulen praktizierte Fachlehrerprinzip, prinzipiell aber auch für die Grundschule. Denn das Erlernen der Deutschen Gebärdensprache und der Brailleschrift setzt eine aufwändige Ausbildung voraus, der sich wohl nur wenige Lehrkräfte der allgemeinen Schulen im Wege der Fortbildung unterziehen werden. Siehe hierzu die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Gabriele­ Bozok (Bündnis 90/Die Grünen) betr. fachspezifische Ausbildung von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen an saarländischen Sonderschulen, LT-Drucks. 11/2099 vom 1.9.1999.

2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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los machbar sei. Dabei wird suggeriert, diese Schüler seien ja „nur“ lernbehindert. Diesen Schülern sieht man ihre Behinderung nicht an. Die Tatsache, dass es unterschiedliche Erscheinungsformen und Schweregrade von Lernbehinderung gibt und die Entscheidung im Einzelfall mit Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden sein kann, rechtfertigt es nicht, intellektuelle Beeinträchtigungen dieser Art als Behinderung grundsätzlich in Abrede zu stellen. Es ist unstreitig, dass es Fälle gibt, in denen der einer Förderschule Lernen zugewiesene Schüler in Wirklichkeit nicht an diese Schule gehört. Doch dies kann nicht als Argument angeführt werden gegen die Tatsache, dass es Lernbeeinträchtigungen mit dem Gewicht einer Behinderung gibt, die eine sonderpädagogische Förderung notwendig machen. Bei diesen Schülern liegen mehr oder weniger ausgeprägte intellektuelle Defizite vor, und zwar im Hinblick auf Abstraktionsvermögen, Gedächtnisleistung und Assoziationsfähigkeit. Mit der Benennung dieser Kriterien lässt sich die für eine gesetzliche Regelung zwangsläufig abstrakte Formulierung konkretisieren, mit der in § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung13 Lernbehinderung definiert wurde. Danach liegt Lernbehinderung vor, wenn der Schüler „aufgrund eines deutlichen Intelligenzrückstandes oder allgemeiner Lernstörungen erheblich und lang andauernd in seinem Lernen beeinträchtigt ist.“ Die genannten intellektuellen Beeinträchtigungen14 sind Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen und nicht einfach wegtherapierbar wie eine harmlose Kinderkrankheit. Sie wirken sich in aller Regel auf das ganze Spektrum der Unterrichtsfächer und der Leistungsfähigkeit aus. Die Betroffenen werden auf Dauer mit ihrem Handicap zu leben haben. Das gilt nicht nur für die Fälle, bei denen eine genetische oder organisch-medizinische Ursache vorliegt. Vielmehr gilt dies auch für die zahlreichen Fälle, in denen ein defizitäres sozio-kulturelles Anregungsmilieu neurophysiologische Auswirkungen mit der Folge einer bleibenden intellektuellen Leistungseinschränkung hat. Wocken und Hinz ist daher zuzustimmen, wenn sie zur Situation dieser Schüler anmerken: Entwicklungsbehinderungen der Sprache, des Verhaltens oder des Ler 13

Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 1. Dagegen ist Degener, die als Beraterin der damaligen Bundesregierung Mitglied der deutschen Regierungsdelegation war und an den Verhandlungen des Ad-hoc-Ausschusses teilgenommen hat, den die VN-Generalversammlung zur Vorbereitung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-Behindertenrechtskonvention) eingesetzt hatte (vgl. Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 [202, Fn.17]), wohl der Meinung, dass es sich bei lernbehinderten Schülern nicht um Kinder und Jugendliche mit intellektuellen Beeinträchtigungen handelt. Denn wie anders soll man ihre nachfolgend zitierten Ausführungen, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (419), verstehen: „Die bisherige Diskussion zur inklusiven schulischen Bildung in Deutschland lässt erahnen, dass sich im Hinblick auf die Sonderschulen für Lernbehinderte ein Trend zur Abschaffung durchsetzen wird, während für Kinder und Jugendliche mit körperlichen, intellektuellen oder Sinnes-Beeinträchtigungen weiter an der Segregation festgehalten wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend noch aufhalten lässt, denn Menschenrechte sind unteilbar.“ 14

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

nens seien nicht psychische Beeinträchtigungen, denen man gleich der Behandlung eines grippalen Infekts mit einem pädagogischen Intensivkurs binnen kurzem beikommen könne. Lernbehinderungen seien das Resultat einer langjährigen retardierten bzw. defizitären Sozialisation. Sie könnten auch als Lernzuwachs-Behinderungen verstanden werden. Schüler mit Lernbehinderungen könnten sehr wohl lernen und auch dazulernen. Aber sie könnten nicht so viel und nicht so schnell dazulernen, dadurch die Rückstände ausgleichen und die anderen, die ja nicht warteten und stehenblieben, einholen. Jene Pädagogik, die eine Akzeleration einer retardierten Entwicklung in Aussicht stellen und bewirken könnte, sei (noch) nicht bekannt, geschweige denn lehrbar und gemeinhin verfügbar.15 bb) Sozial-emotionale Befindlichkeiten lernbehinderter Schüler Die Problemlage der lernbehinderten Schüler ist jedoch mit dem Hinweis auf deren kognitive Defizite noch nicht abschließend beschrieben. Ahrbeck weist zutreffend darauf hin, dass Kindern mit einer Lernbeeinträchtigung Unrecht getan werde, wenn man ihre Entwicklungsproblematik allein auf den engen kognitiven Bereich einenge. Die „äußere Armut“, in der sie häufig aufwüchsen, korrespondiere oft mit einem geringen sozio-kulturellen Anregungsmilieu, das wiederum zu einer „inneren Armut“ führen könne. Auch und besonders darin, in der Bearbeitung dieser „inneren Armut“, liege eine spezielle Herausforderung, die sich auf der Beziehungsebene niederschlage.16 Jeder Versuch, Lernbehinderung kleinzureden17 oder sie überhaupt nicht mehr als Behinderung gelten zu lassen, ist der erste, aber entscheidende Schritt zur Geringschätzung und Vernachlässigung des Bildungsanspruchs lernbehinderter Schüler. cc) Anteil der Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen an der Gesamtheit der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Mentale Beeinträchtigungen sind nicht auf die Schülergruppen beschränkt, die explizit dem Förderschwerpunkt Lernen oder dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zugeordnet sind. So zeigt ein Blick in die saarländischen Förderschulen 15 Wocken und Hinz, in: Hinz/Katzenbach/Rauer/Schuck/Wocken/Wudtke, Die Integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt. Ergebnisse eines Hamburger Schulversuchs, S. 125, in ihrer Bewertung der Untersuchungsergebnisse des Schulversuchs, mit dem sich ihr Beitrag befasst. 16 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 100. 17 Siehe hierzu etwa Eberwein, Zur Kritik und Revision des lernbehindertenpädagogischen Paradigmas, in: ders. (Hrsg.), Handbuch Lernen und Lern-Behinderungen, S. 11 ff.; aus dem juristischen Schrifttum seien hier z. B. Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 709, genannt.

2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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körperliche Entwicklung, dass von diesen Schülern, die sämtlich dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung zugeordnet sind, etwa 50 % geistig behindert und weitere 30 % lernbehindert sind. Auch an den Förderschulen soziale Entwicklung, der Förderschule Sprache, der Förderschule für Blinde und Sehbehinderte und der Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige befinden sich Schüler, bei denen gleichzeitig eine Lernbehinderung vorliegt. Schüler mit dem expliziten Förderschwerpunkt Lernen, die im Schuljahr 2010/11 in Deutschland 41,6 %, und Schüler mit dem expliziten Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, die 16,1 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf darstellten,18 bilden also nur eine Teilmenge der Gesamtheit der Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen. Unter Einbeziehung der übrigen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, bei denen neben ihrem spezifischen Förderschwerpunkt auch eine Lernbehinderung oder eine geistige Behinderung vorliegt, ergibt sich, dass bei etwa 80 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine mentale Beeinträchtigung gegeben ist. Die leider häufig anzutreffende Vorstellung vom behinderten Schüler als einem ausschließlich körperbehinderten oder ausschließlich sinnesbehinderten Schüler hat nichts mit der sonderpädagogischen Realität zu tun. Bedauerlicherweise wird dieser falschen Vorstellung bisweilen noch Vorschub geleistet durch regierungsamtliche Publikationen. So ist z. B. in der Zeitschrift „Der Spiegel“ eine Anzeige des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erschienen, mit der für die Umsetzung der VN-Be­hindertenrechtskonvention geworben wird und wo das im Kreise seiner Mitschüler abgebildete Mädchen im Rollstuhl lachend in die Kamera blickt.19 Die Anzeige trägt u. a. den Aufdruck: „Behindern ist heilbar“. Auf großflächigen Plakaten, ebenfalls aus dem Bundesarbeitsministerium stammend, sind drei Personen, darunter ein an Nanosomie, also extremer Kleinwüchsigkeit leidender Mann vor einem Geldautomaten abgebildet, der für alle Beteiligten ersichtlich zu hoch angebracht ist, um ihn benutzen zu können. Auch hier wird mit dem Aufdruck „Behindern ist heilbar“ einer Utopie bzw. Illusion Vorschub geleistet, begleitet von dem Hinweis „Alle sind gefordert, Deutschland inklusiv zu machen.“20 c) Schüler mit Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung Eine weitere Gruppe stellen die Schüler mit mehr oder weniger stark ausgeprägten sozialen Anpassungsschwierigkeiten bzw. Verhaltensstörungen dar (Förder 18 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Dokumentation Nr. 196. Sonder­ pädagogische Förderung in Schulen 2001 bis 2010, A 1. 1. 2., S.  3, http://www.kmk.org/file admin/pdf/Statistik/KomStat/Doku (Zugriff: 2.5.2013). 19 „Der Spiegel“ Nr. 25 vom 17.6.2013, S. 45. 20 Das Plakat ist abgebildet in der FAZ Nr. 286 vom 8.12.2011, S. 8.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung). Die betreffende Schülerschaft, so Stein/Ellinger, schließe Kinder ein, die etwa aggressives Verhalten zeigten, Angststörungen und Depressionen aufwiesen, von Hyperaktivität betroffen seien, unter den Folgen von Traumatisierungen verschiedener Art litten oder mit Impulskontrollstörungen zu kämpfen hätten.21 Ihre Situation ist gekennzeichnet durch unbewältigte innere Probleme. Bei diesen Schülern sei, so Ahrbeck, regelhaft davon auszugehen, dass sie ihre innere Problematik kraftvoll in Szene setzten. Sie teilten dem Gegenüber dadurch etwas von ihren inneren Nöten mit und erwarteten darauf eine Antwort. Häufig forderten sie diese mit Macht heraus.22 Zutreffend weist Ahrbeck darauf hin, dass der Umgang mit massiv verhaltensgestörten Schülern zu den schwierigsten Aufgaben gehört, vor die Lehrerinnen und Lehrer gestellt sind.23 Das wird auch von Alfred Sander nicht in Frage gestellt, bei dem sich u. a. das folgende Zitat aus der fachwissenschaftlichen Literatur findet: „‚Bei ‚V‘ [Verhaltensgestörte; Anm. d. Verf.] versagt oft jede Pädagogik‘, faßte eine integrationserfahrene Sonderschullehrkraft im Interview zusammen.“24 Die Lehrkräfte sind in nicht wenigen Fällen mit so hoher Aggressivität und Destruktivität konfrontiert, dass sich die Frage der Integrierbarkeit dieser Schüler stellt. In jedem Fall, d. h. auch dann, wenn bei diesen Schülern nicht auch noch eine mentale Beeinträchtigung mit der daraus resultierenden Notwendigkeit zieldifferenter Unterrichtung vorliegt, ist ihre integrative Unterrichtung nur unter der Voraussetzung eines hohen zusätzlichen Personaleinsatzes realisierbar. Unter Hinweis auf die Erfahrungen der tagtäglichen Schulpraxis, die auch im internationalen Forschungsstand abgebildet seien, konstatieren Stein/Ellinger: „Voraussetzung ist die Doppelbesetzung durch Pädagogen in der Klasse.“25 Nur wenn ein zusätzlicher Pädagoge permanent am Unterrichtsgeschehen mitwirkt und sich dieses Schülers annehmen kann, lässt sich ausschließen, dass der Schüler den Unterricht sprengt.26 Bleibt die reguläre Lehrkraft der Klasse dagegen ohne diese Unterstützung, so ist sie in der Erfüllung ihres auf die Klasse in ihrer Gesamtheit bezogenen Unterrichtsauftrages nachhaltig gehindert und das Recht der Mitschüler auf den ihnen zustehenden ordnungsgemäßen Unterricht wäre tangiert bzw. verletzt. Gerade von den Schülern mit ausgeprägten Verhaltensproblemen wird der unbegrenzte Integrationsoptimis-

21 Stein/Ellinger, Über Effekte und Nebenwirkungen herrscht Unklarheit, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 8. 22 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 100. 23 Ahrbeck, ebd., S. 10, 23. 24 Alfred Sander, Über das Mißlingen einiger Integrationsversuche, in: ders./Hildeschmidt/ Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche im Saarland 1994 bis 1998, S. 117 (137). 25 Stein/Ellinger, Über Effekte und Nebenwirkungen herrscht Unklarheit, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 8. 26 Siehe hierzu den informativen Beitrag von Spiewak, „Die Not ist riesengroß“. Psychisch auffällige Kinder stellen die schwierigste Herausforderung für ein gemeinsames Lernen mit anderen dar, ZEIT ONLINE vom 4.11.2010, http://www.zeit.de/2010/45/Inklusion-SchuleKinder.

2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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mus, der bei nicht wenigen Exponenten des Integrationsprinzips anzutreffen ist, auf eine harte Probe stellt.27 Hierzu heißt es auch bei Wocken in realistischer Einschätzung der pädago­ gischen Möglichkeiten: Kinder mit einer psychiatrischen Symptomatik, mit einem hohen Aggressions- und Unruhepotential stellten das friedliche Zusammenleben und effektive Lernen radikal in Frage; sie benötigten in vielen Fällen eine Einzelbetreuung.28 Dazu gehören auch Schüler mit autistischem Syndrom. Es ist bemerkenswert, dass auch die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme zum Kinder- und Jugendbericht 1997 zu der Einschätzung gelangte: „Es trifft zu, daß eine Eingliederung von Kindern mit geistiger Behinderung und von Kindern mit autistischem Syndrom die aufnahmebereiten Regelschulen vor große Probleme stellt.“29 Bei ihnen ist im Fall der integrativen Unterrichtung in der Regel ein besonders hoher zusätzlicher Personalaufwand erforderlich. Denn „die Unterschiedlichkeit der Ausprägung der autistischen Verhaltensweisen erfordert eine individuelle Ausrichtung der pädagogischen Maßnahmen. Erziehungsziele, unterrichtliche Inhalte und Methoden müssen an der Individualität und an den pädagogischen Bedürfnissen des einzelnen Kindes oder Jugendlichen anknüpfen.“30 Es wäre eine irrige Annahme, den spezifischen Unterrichts- und Betreuungsbedarf autistischer Schüler mit kostengünstigen, aber fachlich nicht vorgebildeten Eingliederungshelfern erfüllen zu können. Vielmehr ist hier der Einsatz von sonderpädagogisch qualifiziertem Personal im Rahmen einer durchgängigen Doppelbesetzung erforderlich.31 Ellinger/Stein ist darin zuzustimmen, dass es bei der integrativen/inklusiven Unterrichtung der Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung sein wird, „der […] im Brennpunkt der zukünftigen Diskussion stehen dürfte“.32 Ihre Darstellung des Forschungsstandes zu den Effekten inklusiven Unterrichts im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung dokumentiert einen empirisch 27 Vgl. hierzu Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 103. Wenn es um die Rechte der nichtbehinderten Kinder geht, scheint neuerdings der Blick für die Realitäten besonders stark getrübt zu sein, sobald das Projekt „inklusive Schule“ aufgerufen wird: vgl. z. B. die Ausführungen von Krajewski/Bernhard, Inklusive Schule im Freistaat Bayern?, BayVBl. 2012, 134 (138). 28 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben 2010, 167 (176). 29 LT-Drucks. 11/1804 vom Oktober 1998, S. 8. 30 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zu Erziehung und Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit autistischem Verhalten, Beschl. vom 16.6.2000, KMK-BeschlS., Leitzahl 316, S.  2  = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S. 376 [377]). Siehe hierzu auch OVG NRW, Urt. v. 4.2.2009, 12 A 255/08, Rn. 108 f., http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw.html (Zugriff: 1.3.2012). 31 Siehe BremOVG, Beschl. v. 15.10.2010, 2 B 223/10, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 18, S. 69 (71). 32 Ellinger/Stein, Effekte inklusiver Beschulung: Forschungsstand im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Empirische Sonderpädagogik 2012, 85 (86).

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

begründeten Erkenntnisstand, der keinen Anlass zu Integrationseuphorie gibt. Hierbei legen die beiden Autoren ihrer Analyse acht Aspekte zugrunde als „zentrale Kriterien einer gelingenden Beschulung, sei sie inklusiv bzw. integrativ oder auch exkludierend. Diese Aspekte müssen getrennt betrachtet werden, da kein Kriterium als wichtiger oder in höherem Maße relevant bewertet werden kann. Die acht Aspekte sollten alle gleichermaßen im Fokus der Förderung betroffener Schülerinnen und Schüler stehen. Damit wird zugleich die Aufgabenstellung komplexer, denn es ist vorstellbar, dass inklusive Beschulung positive Effekte für eine dieser Dimensionen erbringt – zugleich jedoch keine oder gar problematische Effekte in anderen. Von Bedeutung wäre dann das Gesamtbild.“33 Es handelt sich um die folgenden Kriterien: Sozialverhalten, Emotionalität, Selbstkonzept, kognitive und schulische Leistungen, Leistungsmotivation, soziale Akzeptanz und soziale Integration dieser Schüler in die Klassengemeinschaft, Wirkung der Integration solcher Schüler in Klassen allgemeiner Schulen auf das Gruppen- bzw. Klassenklima, Wirkung dieser Schüler auf das Verhalten ihrer Mitschüler.34 Aus dem Forschungsüberblick von Ellinger/Stein kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es angesichts des in der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Kriterienkatalog abgebildeten empirischen Befundes nicht vertretbar wäre, die Förderschulen emotionale und soziale Entwicklung abzuschaffen.35 Die beiden Autoren formulieren an anderer Stelle noch deutlicher: In Anbetracht der spezifischen Gegebenheiten bei verhaltensgestörten Schülern und der grundlegenden Probleme bei ihrer integrativen/inklusiven Unterrichtung sei die Aufrechterhaltung vielfältiger Wahlangebote, darunter auch besonderer, wie sie Förderschulen böten, auf absehbare Zeit dringend empfehlenswert.36

33

Ellinger/Stein, ebd., S. 87. Ellinger/Stein, ebd., S. 86 f. 35 Vgl. Ellinger/Stein, ebd., 2012, 104. Zu den von Ellinger/Stein hierbei in Bezug genommenen Autoren gehört u. a. Goetze, Verhaltensgestörte in Integrationsklassen – Fiktionen und Fakten, Zeitschrift für Heilpädagogik 1990, 832 (839), der am Ende seines Forschungsüberblicks resümiert: „Die Zielgruppe verhaltensgestörter Schüler bietet aufgrund ihres Erscheinungsbildes die denkbar ungünstigsten Voraussetzungen zur integrativen Unterrichtung mit nicht gestörten Regelschülern. Sie sind in der Integrationsklasse von sozialer Ablehnung betroffen, sehen sich selbst sozial- und leistungsbezogen in ungünstigem Licht und neigen unter der Bedingung der Hyperaktivität dazu, negativ modellierend zu wirken. Damit scheint die Annahme, daß ihre Plazierung im Regelschulmilieu positive Effekte bei ihnen auslösen und Verhaltensänderungen erleichtern könnte, nicht haltbar zu sein.“ 36 Stein/Ellinger, Über Effekte und Nebenwirkungen herrscht Unklarheit, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 8. 34

2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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II. Integrationspädagogik und Behinderung 1. Behinderung als normative Grundkategorie der schulrechtlichen Regelung zur sonderpädagogischen Förderung Die Grundkategorie, auf die der Begriff des sonderpädagogischen Förderbedarfs zurückzuführen ist, ist die Behinderung. Das Vorliegen einer Behinderung war für den Landesgesetzgeber selbstverständliche Voraussetzung für die Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf. Dem steht nicht entgegen, dass der Landesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.199637 in § 4 Abs.  1 Satz 1 SchoG 1986 die Worte „behinderten Schüler“ durch die Worte „Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf“ ersetzt hat. Denn in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es hierzu: „Entsprechend der heutigen erziehungswissenschaftlichen Terminologie soll der ‚sonderpädagogische Förderungsbedarf‘ zum entscheidenden Definitionsmerkmal für den Bereich der ‚behinderten‘ Schüler gemacht werden.“38 Die Begriffe „Behinderung“ und „Behinderte“ wurden auch weiterhin in ihren verschiedenen sprachlichen Varianten sowohl in der Überschrift des § 4 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung als auch in den Absätzen 1, 3, 4 und 5 dieser Norm verwendet. Auch in § 38 Abs. 4 SchoG findet der Zusammenhang von Behinderung und sonderpädagogischer Förderung Ausdruck: „An Schulen der Regelform eingerichtete Unterrichtsgruppen oder Klassen für Behinderte mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf sind Bestandteil der Schule, an der sie eingerichtet sind.“ 2. Verfassungsrechtliche Normativbestimmungen für Menschen mit Behinderungen Auf Behinderung als normative Voraussetzung jeglicher Regelung zur sonderpädagogischen Förderung müsste an dieser Stelle nicht eigens hingewiesen werden, wenn es in der wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion über sonderpädagogische Förderung mittlerweile nicht die lauten Stimmen derer gäbe, die sich nicht mehr mit den Einzelheiten der Definition des Behinderungsbegriffs aufhalten, sondern die die Kategorie der Behinderung grundlegend in Frage stellen.39 Das mag überraschen angesichts der Tatsache, dass Art. 3 Abs. 3 GG im Jahr 37

Amtsbl. S. 674. LT-Drucks. 11/679 vom 18.4.1996, Begründung S. 2. 39 Vgl. z. B. Hinz, Inklusive Pädagogik in der Schule – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!?, Zeitschrift für Heilpädagogik 2009, 171 (172 f.); Benkmann, Dekategorisierung und Heterogenität, Sonderpädagogik 1994, 4 (10); Schöler, Kinder und Jugendliche mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen, in: Eberwein/Knauer (Hrsg.), Handbuch Integrationspädagogik, S. 109 (110 f.); Eberwein, Verzicht auf Kategoriensysteme in der Integrationspädagogik, in: Albrecht/Hinz/Moser (Hrsg.), Perspektiven der Sonderpädagogik, 38

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1994 ergänzt wurde um den Satz 2: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Eine wortgleiche Regelung wurde durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 25.8.199940 in Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. aufgenommen. Die verfassungsrechtliche Verankerung macht sichtbar, dass in der verfassungsändernden parlamentarischen Mehrheit auch ein entsprechend breiter gesellschaftlicher Konsens seinen Ausdruck gefunden hat. Dann aber umfasst dieser nicht nur die in diesem Satz enthaltene Rechtsfolge, sondern auch seine ratio essendi, nämlich die Kategorie der Behinderung. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner von ihm selbst als „Grundsatz­ entscheidung zum Benachteiligungsverbot für Behinderte“41 bezeichneten ersten Senatsentscheidung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vom 8.10.199742 ausführt, handelt es sich dabei „wie bei den schon von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erfaßten Merkmalen etwa des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse oder der Sprache […] um eine persönliche Eigenschaft, auf deren Vorhandensein oder Fehlen der Einzelne keinen oder nur eine begrenzten Einfluss nehmen kann.“43 Hierbei ist das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG „erkennbar an das Begriffsverständnis angeknüpft [hat], das im Zeitpunkt der Verfassungsänderung gebräuchlich war. Dieses hat vor allem in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes Ausdruck gefunden. Behinderung ist danach die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht.“44 Das Bundesverfassungsgericht hat also den Begriff der Behinderung „dreigliedrig definiert“,45 indem es nämlich als begriffliche Merkmale einen regelwidrigen Zustand, eine Funktionsbeeinträchtigung und die daraus resultierende Auswirkung auf die Lebensführung und die Teilhabe zugrunde legt. Dieser klaren Absage an eine Sichtweise, für die Behinderung ausschließlich eine Funktion der Umwelt und ein soziales Phänomen darstellt, ist zuzustimmen.46 S. 95 (99 ff.); Seitz, Leitlinien didaktischen Handelns, Zeitschrift für Heilpädagogik 2008, 226 (227 f.); Ziemen/Langner, Inklusion – Integration, in: Musenberg/Riegert (Hrsg.), Bildung und geistige Behinderung, S.  247 (254). Siehe hierzu Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 68 ff., der sich mit den Protagonisten dieser Doktrin kritisch auseinandersetzt und ihnen mit überzeugenden Argumenten entgegentritt. 40 Amtsbl. S. 1318, in Kraft getreten am 1.10.1999. 41 So der Betreff der zu dem Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff., herausgegebenen Pressemitteilung des BVerfG Nr. 93/97 vom 29.10.1997. 42 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff. 43 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (302). 44 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (301). Gleichlautend zum Begriff der Behinderung BVerfG, Beschl. v. 19.1.1999, 1 BvR 2161/94, BVerfGE 99, 341 (356 f.). 45 Stephan, Zum Benachteiligungsverbot für Behinderte  – BVerfGE 96, 288, in: Festg.­ Hömig, S. 65 (66). 46 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 48 f., weisen zur Frage des Behinderungsbegriffs auf Folgendes hin: Der Verfassungsgesetzgeber habe bei der Einfügung des Satzes 2 in den Art. 3 Abs. 3 GG im Jahr 1994 wohl den Behinderungsbegriff vor Augen

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Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einem Nichtannahmebeschluss vom 12.12.201247 auf den in seiner Grundsatzentscheidung vom 8.10.1997 zugrunde gelegten Behinderungsbegriff bezogen und „hält damit in zu vermutender Kenntnis der Völkerrechtslage an der deutschen Rechtstradition des Schwerbehindertenrechts fest“.48 Dieser Behinderungsbegriff stellt eine klare Abgrenzung zu dem Behinderungsbegriff „behindert ist, wer behindert wird“ dar, welcher geradezu eine Einladung zu sozialutopischer Überfrachtung ist. Die Anerkennung einer „sozialen Behinderung“ würde zu einer exorbitanten Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten und im Ergebnis dazu führen, dass angesichts der Knappheit von Haushaltsmitteln die Wirksamkeit von Hilfen für die tatsächlich Behinderten in Frage gestellt wäre.49 Zacher weist auf die Konsequenzen eines einseitig sozial determinierten Behinderungsbegriffs hin: Leistungen gingen an weniger Bedürftige und dringende Bedürfnisse blieben ohne angemessene Leistung. Die Gefahr bestehe, dass die Mittel für die Behinderten fehlten, die schwerer und mit Leiden getroffen seien, die nicht so sehr der allgemeinen Lebenlast zuzurechnen seien.50

gehabt, wie er in § 3 Abs. 1 des damals geltenden Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) definiert wurde. Diesem wiederum habe die im Jahr 1980 von der Weltgesundheitsorganisation WHO getroffene Einordnung zugrunde gelegen, die von einem Zusammenhang zwischen Schädigung (Impairment), Funktionsbeeinträchtigung (Disability) und sozialer Beeinträchtigung (Handicap) ausging. Allerdings sei 2001 an die Stelle dieser Klassifikation eine neue Begriffsbestimmung der WHO getreten, bei der nicht die Defizite (Schädigung, Funktionsbeeinträchtigung) im Vordergrund stünden, sondern nunmehr entscheidend auf die Partizipation an der Gesellschaft abgestellt werde: „Nach dieser Definition erscheint Behinderung nicht als die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung infolge eines regelwidrigen Zustandes, sondern als soziales Phänomen. Man ist also nicht behindert, sondern man wird behindert.“ Diese die Wirklichkeit verkürzende Sichtweise der WHO, die auch nicht ohne Einfluss auf die VN-Behindertenrechts­konvention geblieben ist (vgl. Poscher/Rux/Langer, ebd., S. 20 f.; Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 [718]), hat jedoch in dieser Einseitigkeit keinen Eingang in die aktuelle Begriffsbestimmung von Behinderung in § 2 Abs. 1 des am 1.7.2001 an die Stelle des Schwerbehindertengesetzes getretenen SGB IX gefunden. So richtig es ist, auf die soziale Dimension von Behinderung hinzuweisen, so verfehlt wäre es, sie zu verabsolutieren und die Tatsache der Funktionsstörung auszublenden bzw. für irrelevant zu erklären. Die Auffassung von Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 112, wonach „Behinderungen in erster Linie als soziales Phänomen angesehen werden müssen“, stellt daher eine unzulässige Verkürzung dar; sie kann auch nicht für die VN-Behindertenrechtskonvention in Anspruch genommen werden. Diese Klarstellung ist geboten, weil ein eindimensionaler Behinderungsbegriff nicht nur in pädagogischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu unzutreffenden Schlussfolgerungen führt. 47 BVerfG-K (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 12.12.2012, 1 BvR 69/09, Rn. 17, http://www.bundesverfassungsgericht.de (Zugriff: 14.5.2015). 48 Luthe, Die Behindertenrechtskonvention  – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190 (193, Fn. 21). 49 Luthe, ebd., S.194. 50 Zacher, Abhandlungen zum Sozialrecht, S. 548 f.

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3. Dekategorisierungs-Theorem Auch nach der Einfügung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in das Grundgesetz behält seine Gültigkeit, was Scholz in grundsätzlicher Hinsicht feststellte: Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in seiner grundrechtlichen Verbürgung habe nicht die Bedeutung, dass faktische Verschiedenheiten biologischer, sozio­ logischer oder auch nur psychologischer Art etwa von Rechts wegen zu leugnen oder schlicht einzuebnen seien.51 a) Elemente der Dekategorisierungs-Doktrin Wenn es ungeachtet dieser vom Verfassungsgesetzgeber akzeptierten Realität die erwähnte, auf das Bestreiten von Behinderung gerichtete Doktrin gibt, so darf dies nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Denn solche gedanklichen Strömungen können sich nach und nach auf unterschwellige Weise Wirkung verschaffen, und zwar sowohl bei grundlegenden pädagogisch-strukturellen Entscheidungen als auch im pädagogischen Alltag. Um welche Konsequenzen es hierbei geht, wird sichtbar, wenn die einzelnen Elemente des zugrunde liegenden Gedankenganges dargelegt werden: –– Nach dieser Doktrin soll nicht länger zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen unterschieden werden. Die somit angestrebte Dekategorisierung ist eine totale: Sie stellt nicht nur die Legitimität der Unterscheidung einzelner Behinderungsarten und der ihnen im Schulwesen zugeordneten Förderschwerpunkte in Abrede. Vielmehr ist die Zwei-Gruppen-Sichtweise, die zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen unterscheidet, dieser Doktrin zufolge als solche illegitim.52 Hiernach wird Behinderung nur noch als Element einer aus zahlreichen Eigenschaften, Erscheinungsformen, sozialen Rollen und Verhaltensweisen bestehenden Heterogenität angesehen. –– Ein grenzenlos ausgedehntes Verständnis von Normalität lässt keinen Raum mehr für die Akzeptanz kategorialer struktureller Unterschiedlichkeiten. Folglich sind auch alle Begriffe, die Unterschiedlichkeit im Sinne von nicht vorhandenen oder eingeschränkten Fähigkeiten bezeichnen und zu Kränkungen führen können, zu vermeiden. –– Der Ressourcen-Ansatz, der auf die Stärken der betreffenden Person abstellt, wird in einen kontradiktorischen Gegensatz zum Defizit-Ansatz gebracht. Es 51 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3 Abs. 3 Rn. 174, nach dem Stand der Kommentierung des Art. 3 Abs. 3 GG bis einschließlich Ergänzungslieferung 73. Siehe auch OVG d. Saarl., Beschl. v. 12.3.1997, 8 W 3/97, amtl. Umdruck S. 4. 52 Siehe hierzu etwa Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung?, Zeitschrift für Heilpädagogik 2002, 354 (357).

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wird ausgeblendet, dass die Berücksichtigung individueller Stärken immer schon zu den selbstverständlichen Maximen verantwortungsvoller Pädagogik gehört hat. Jedoch wurde dabei die Tatsache vorhandener Defizite und Schwächen nicht verdrängt oder gar in Abrede gestellt. Demgegenüber gehört zu der hier beschriebenen Doktrin die Absolutsetzung von Stärken und Fähigkeiten bei gleichzeitiger Ignorierung der Beeinträchtigungen und Schwächen. b) Konsequenzen für die Menschen mit Behinderungen Die Konsequenzen dieser Art von Grundverständnis des Umgangs mit behinderten Menschen liegen auf der Hand: Wenn eine unbestreitbar vorhandene Behinderung gleichgestellt wird mit der großen Zahl anderer für Heterogenität relevanter Determinanten, wenn jede Art von Anderssein in einem durch grenzenlose Beliebigkeit gekennzeichneten Begriff von Normalität aufgeht, wenn Schwächen und Defizite behinderter Menschen systematisch und absichtsvoll ausgeblendet werden und ihnen sogar die Begrifflichkeit entzogen wird, dann geht der Blick für die Hilfsbedürftigkeit dieser Menschen langsam, aber sicher verloren. Wenn der einzelne behinderte Mensch vor allem als Element von Heterogenität begriffen, also nicht mehr primär in seiner Personalität und seinem evidenten Sosein gedacht, wahrgenommen und akzeptiert wird, dann droht in Gesellschaft und Staat das Bewusstsein zu verkümmern, dass diese Menschen Anspruch auf personale Zuwendung – Letzteres im weitesten Sinne zu verstehen – bei der Bewältigung ihrer Probleme haben. Wer die Behinderung dieser Schüler bestreitet, muss sich nicht nur die Frage nach seinem Verhältnis zur Realität stellen lassen. Er setzt sich vielmehr auch in Widerspruch zu Art.  1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-Behinderten­ rechtskonvention).53 Diese Vertragsbestimmung hat folgenden Wortlaut: Artikel 1 Zweck Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu f­ ördern. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, see­ lische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

Die Kultusministerkonferenz stellt hierzu fest: Der „Behindertenbegriff der Konvention [ist] ein offener, an der Teilhabe orientierter Begriff. Er umfasst für 53

Vertragsgesetz vom 21.12.2008 (BGBl. II S. 1419).

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den schulischen Bereich Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder chroni­ schen Erkrankungen ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ebenso wie Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf.“54 Vor allem aber kennzeichnet es diesen Behindertenbegriff, dass er tendenziell weit gefasst ist und daher potenziell alle Beeinträchtigungen struktureller Art einschließt, die einen Menschen an der Teilhabe beeinträchtigen können.55 Wer einzelne Arten von teilhaberelevanten Beeinträchtigungen aus dem Behinderungsbegriff ausklammert, muss die Konsequenz akzeptieren, dass die VN-Behindertenrechtskonvention insoweit wirkungslos bleibt. Denn Relevanz kann die VN-Behindertenrechtskonvention mit ihrer an der Gewährleistung und Erweiterung der Teilhabechancen orientierten Zielrichtung nur besitzen, wenn und soweit die Beeinträchtigung als Behinderung einzustufen ist. Daher fällt z. B. auch eine Kommunikationsbeeinträchtigung wie Legasthenie als Art der geistigen Behinderung oder Stottern als Art der körperlichen Behinderung in den Anwendungsbereich der VN-Behin­ dertenrechtskonvention.56 Eine Grunddisposition, die keine Schwierigkeiten damit hat, etwa lernbehinderte, sprachbehinderte und stark verhaltensauffällige Schüler a priori aus dem Behinderungsbegriff auszuklammern, führt zwangsläufig zur Relativierung der Bedürfnisse dieser Schüler mit ihren ausgeprägten kognitiven Schwächen und innerpsychischen Problemen. Mit einem willkürlichen definitori 54 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 1 (4). 55 Siehe hierzu Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S.  21, 118, sowie Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (712). 56 Diese Selbstverständlichkeit wird von Ennuschat, ebd., zu Recht in Erinnerung gerufen. Auch wird von Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S.  6 f., http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011), geltend gemacht, dass die VN-Behindertenrechts­konvention keine Behinderungsart ausklammere und somit auch die Lernbehinderung umfasse. Andernfalls könnten die lernbehinderten Kinder „mangels besonderer Förderung gerade nicht die ihnen zustehende soziale Teilhabe und Selbstbestimmung realisieren“. v. Bernstorff, Menschenrechte und Betroffenenrepräsentation: Entstehung und Inhalt eines UN-Antidiskriminierungs­übereinkommens über die Rechte von behinderten Menschen, ZaöRV 2007, 1041 (1048), glaubt der VN-Behinderten­ rechtskonvention einen vorrangig durch die soziale Reaktion determinierten Behinderungsbegriff entnehmen zu können, verkennt jedoch nicht die damit verbundenen Konsequenzen: „Gemäß dem allgemeinen Antidiskriminierungsansatz liegt der Fokus damit nicht vorrangig auf den körperlichen oder psychischen ‚Defiziten‘ der betroffenen Person, sondern auf der Reaktion der Gesellschaft und des Staates auf diese Merkmale. Der Preis für die Abkehr vom medizinischen Modell, welches z. B. auch dem deutschen Sozialrecht zugrunde liegt, ist allerdings die Möglichkeit der Vertragsparteien, bestimmte Gruppen mit dem Argument von Implementationsmaßnahmen auszuschließen, es gebe im Blick auf bestimmte Merkmale überhaupt keine gesellschaftlichen Barrieren, die zu einer Behinderungssituation führten. Denn dort wo keine Barrieren bestehen, kommt es auch nicht zu einer ‚Behinderung‘ im Sinne der sozialen Definition.“ Deutlicher als in diesen Ausführungen v. Bernstorffs lassen sich die Konsequenzen eines einseitig auf die soziale Dimension abhebenden Behinderungsbegriffs z. B. für „nur“ lernbehinderte Schüler nicht beschreiben.

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schen Akt grenzt man sie aus dem Schutzbereich der VN-Behindertenrechtskonvention aus und bewilligt sich – gewiss unbewusst – die Lizenz, es mit der spezifischen Fürsorgepflicht des Staates für diese Schülergruppen nicht allzu genau nehmen zu müssen. Die Leugnung von Behinderung und die damit verbundene Gefahr, die Hilfsbedürftigkeit des einzelnen behinderten Kindes gar nicht mehr wahrzunehmen, kann auf Dauer bei der Schuladministration, den Entscheidungsträgern in Parla­ ment und Regierung und am Ende gar in der Gesellschaft insgesamt zum Wegfall des Problembewusstseins führen. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, welche Auswirkungen das etwa auf die Bereitstellung der erforderlichen personellen Ressourcen hätte. Die regressive Entwicklung des Bildungsangebots für behinderte Kinder wäre vorprogrammiert. Ins Positive gewendet: Die Integration, die von keinem vernünftigen Menschen als Ziel und Aufgabe in Frage gestellt wird, setzt die Bereitschaft zum nüchternen Blick auf die Realität und damit die Akzeptanz von Behinderung voraus. Nur auf der Grundlage des Bekenntnisses zur Behinderung kann der richtige Weg für das behinderte, hilfsbedürftige Kind gefunden werden. Das gilt sowohl für die Grundsatzentscheidungen zur Struktur des diesbezüglichen Bildungsangebots als auch für die pädagogische Entscheidung im Einzelfall. Der Paradigmenwechsel bei der Förderung behinderter Kinder ist also mittlerweile von Tendenzen beeinflusst, die wegzuführen drohen von der Grundbefindlichkeit derer, um die es geht. Das gilt nicht erst für den radikalen Richtungswechsel, der inzwischen mit der inklusiven Schule angestrebt und auf den im vierten Teil der vorliegenden Schrift näher eingegangen wird. Vielmehr hat man Vorstellungen und Bestrebungen dieser Art, die keineswegs neuesten Datums sind, im Blick zu behalten, wenn man nach Erklärungen sucht für jene Zustände und Verhältnisse etwa bei der integrativen Unterrichtung im Saarland, die im zweiten Teil dieser Arbeit beschrieben werden. Denn es geht um die entscheidende Frage, ob und wie der Bildungsanspruch des behinderten Kindes erfüllt wird.

B. Anpassungsleistung bei integrativer Unterrichtung als Verpflichtung der allgemeinen Schule Das zweite Kernelement des pädagogischen Paradigmenwechsels enthält § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 mit der Regelung, dass „daher […] im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln [sind]“. Zur Schlüssigkeit des Neuansatzes gehört nämlich, dass die allgemeine Schule nicht länger als eine statische Größe betrachtet werden darf, wenn es um die Unterrichtung und Erziehung behinderter Schüler geht. Da sich ihr Unterrichts- und Erziehungsauftrag kraft expliziter gesetzlicher

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Regelung nunmehr auch auf diese Schüler erstreckt, muss die allgemeine Schule entsprechend dem durch die Behinderung des einzelnen Schülers induzierten sonderpädagogischen Anforderungsprofil variabel zu gestalten sein. Das hat bei zieldifferenter Unterrichtung Konsequenzen für Didaktik und Methodik. Vor allem aber muss die Schule durch entsprechende Personal- und Sachausstattung in die Lage versetzt werden, die von dem jeweiligen behinderten Schüler benötigte sonderpädagogische Förderung leisten zu können. In der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986,57 mit dem die integrative Unterrichtung als eine der Regelformen sonderpädagogischer Förderung im Saarland gesetzlich verankert wurde, heißt es: „Die Verwirklichung dieses Konzeptes setzt voraus, daß an den Schulen der Regelform für die Förderung der behinderten Schüler besondere Hilfen personeller und erforderlichenfalls sächlicher Art zur Verfügung stehen.“58 Die Anpassungsleistung ist also nicht von dem Schüler, sondern von der Schule zu erbringen. Diese Festlegung war grundlegend für die mit der Schulrechtsnovelle vom 4.6.1986 im Saarland verfolgte Konzeption der integrativen Unterrichtung behinderter Schüler. Davon zu unterscheiden ist allerdings, ob die Schuladministration in der Folgezeit das Integrationskonzept so umgesetzt hat, dass der Bildungsanspruch jedes einzelnen integrativ unterrichteten behinderten Kindes oder Jugendlichen auch tatsächlich erfüllt wurde. Im zweiten Teil der vorliegenden Schrift wird zu dieser entscheidenden Frage Stellung genommen.

C. Organisationsformen integrativer Unterrichtung I. Gesetzliche Ermächtigung zu einer Abstufung nach dem Integrationsgrad Der Integrationsansatz kann prinzipiell in unterschiedlichen Organisationsformen realisiert werden. Hierauf bezog sich der in § 2 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierte Auftrag an die Schulaufsichtsbehörde, „geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln“; diese „Formen“ wurden in § 4 Abs.  3 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung neben den Förderschulen und dem Sonderunterricht als Elemente des Systems der sonderpädagogischen Förderung genannt. Aus § 2 Abs. 1 Satz 1 IntVO lässt sich das der Unterschiedlichkeit der Formen zugrunde liegende Gestaltungs- und Differenzierungsprinzip entnehmen: „Integrative Unterrichtung kann in unterschiedlichen, nach dem Grad der Integration abgestuften Formen organisiert werden.“ Mit dem Grad der Integration sind die nach der 57

Amtsbl. S. 477. LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Begründung S. 12.

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2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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Möglich­keit des Sozialkontaktes mit nichtbehinderten Schülern abgestuften Formen schulischer Erziehung von Schülern gemeint.59 Sowohl unter dem Gesichtspunkt des innovativen Charakters der neuen Schwerpunktsetzung zugunsten der integrativen Unterrichtung als auch im Hinblick auf die hierdurch tangierten Grundrechtspositionen des behinderten Schülers und seiner Eltern bedarf die diesbezügliche Festlegung der Einzelheiten einer Regelung durch Rechtsnorm. II. Normative Ausgestaltung eines Formenkatalogs Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner bereits erwähnten Grundsatzentscheidung60 zur sonderpädagogischen Förderung als Beispiel für die Regelung denkbarer Integrationsformen erwähnte Integrations-Verordnung (IntVO) des Saarlandes nennt in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 sechs Formen der integrativen Unterrichtung, die „insbesondere“61 in Betracht kommen : 1. Regelklasse mit Beratung 1

Der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin nimmt am Unterricht einer Klasse der jeweiligen Schule der Regelform teil. 2Die Klassenlehrkraft und ggfls. die Fachlehrkräfte haben Gelegenheit, sich regelmäßig – mindestens einmal in der Woche – mit einer Lehrkraft an Schulen für Behinderte zu beraten. 2. Regelklasse mit Ambulanzlehrkraft 1

Der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin nimmt am Unterricht einer Klasse der jeweiligen Schule der Regelform teil. 2Eine weitere Lehrkraft fördert den Schüler/die Schülerin wöchentlich in einem der Art und Schwere der Behinderung angemessenen Umfang, indem sie ihn/sie im Klassenunterricht unterstützt, in Förderstunden gesondert unterrichtet oder in behinderungsspezifische Techniken einübt. 3. Schule der Regelform mit sonderpädagogischen Förderungseinrichtungen 1

Der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin nimmt überwiegend am Unterricht einer Klasse der jeweiligen Schule der Regelform teil, in der besondere Förderungseinrichtungen für die betreffende Behinderungsart zur Verfügung stehen. 2In dieser behinderungsspezifisch ausgestatteten Förderungseinrichtung wird der Schüler/die Schülerin einzeln oder in Kleingruppen wöchentlich in einem der Art und Schwere der Behinderung angemessenen Umfang von Lehrkräften an einer Schule für Behinderte unterrichtet. 59 Alfred Sander, Neue Formen der sonderpädagogischen Förderung in deutschen Schulen, RdJB 1996, 174 (175 f.). 60 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (291). 61 Dass hier noch eine erheblich größere Bandbreite an Gestaltungsformen möglich ist, zeigt die bei Alfred Sander, Neue Formen der sonderpädagogischen Förderung in deutschen Schulen, RdJB 1996, 174 (176), in Anlehnung an Lloyd M. Dunn abgebildete Darstellung, in der, abgestuft nach Möglichkeiten des Sozialkontaktes mit nichtbehinderten Schülern, 13 Formen integrativer Unterrichtung aufgezeigt sind.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung  4. Regelklasse mit Zwei-Pädagogen-System Wenn mehrere behinderte Schüler/Schülerinnen – wobei es sich auch um Schüler/Schülerinnen mit verschiedenen oder mehreren Behinderungen handeln kann – in einer Schule der Regelform am Unterricht einer Klasse teilnehmen und Art und Schwere ihrer Behinderung dies erfordern, unterrichtet neben der für die Unterrichtung der Klasse vorgesehenen Lehrkraft gleichzeitig eine weitere Lehrkraft mit mindestens dreizehn Wochenstunden62 in dieser Klasse. 5. Kooperierende Sonderklasse in einer Schule der Regelform63 1

Behinderte Schüler/Schülerinnen werden innerhalb einer Schule der Regelform in einer Sonderklasse unterrichtet, in der der Unterricht von einer Lehrkraft an einer Schule für Behinderte erteilt wird. 2Die Sonderklasse arbeitet sowohl hinsichtlich des Unterrichtes als auch im Hinblick auf den außerunterrichtlichen Schulbereich mit den übrigen Klassen der betreffenden Schule der Regelform zusammen. 3Die Schüler/Schülerinnen der Sonderklasse nehmen in einzelnen Fächern an einem integrativen Unterricht teil. 6. Kooperation einer Schule für Behinderte mit einer Schule der Regelform64 1

Behinderte Schüler/Schülerinnen besuchen eine Schule für Behinderte, die mit einer benachbarten Schule der Regelform zusammenarbeitet. 2Neben gemeinsamen Schulveranstaltungen im außerunterrichtlichen Bereich für alle Schüler/Schülerinnen und der pädagogischen Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Klassen können einzelne behinderte Schüler/Schülerinnen in bestimmten Fächern auch am Unterricht der Schüler/Schülerinnen der Schule der Regelform teilnehmen.

62 Von einem Zwei-Pädagogen-System sollte allerdings seriöserweise nicht gesprochen werden, wenn die zweite Lehrkraft nicht während der gesamten Unterrichtszeit anwesend ist, die in der Regel zwischen 26 (Grundschulen) und 32 (weiterführende Schulen) Wochenstunden umfasst. Hierzu Alfred Sander, Neue Formen der sonderpädagogischen Förderung in deutschen Schulen, RdJB 1996,174 (186), der an der Ausarbeitung des in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 IntVO enthaltenen Katalogs der Integrationsformen beteiligt war: „[…] zum Beispiel erhält in Hamburg jede Integrationsklasse im Grundschulbereich neben der Klassenlehrerin eine Dreiviertelstelle für eine Erzieherin sowie pro Integrationskind 2,5 Wochenstunden einer sonderpädagogischen Lehrkraft, so daß zeitweise ein Drei-Pädagogen-System entstehen kann; im finanzschwachen Saarland hingegen spricht man amtlich schon dann von Zwei-PädagogenSystem, wenn eine zweite Lehrkraft mit mindestens dreizehn Wochenstunden die Integrationsklasse unterstützt.“ Im Übrigen kommt selbst diese mehr als bescheidene saarländische Variante des Zwei-Pädagogen-Systems in der saarländischen Integrationspraxis so gut wie nie vor. Im Saarland wurde vielmehr von Anfang an grundsätzlich das Ambulanzlehrer-System praktiziert, und zwar inzwischen überwiegend in seiner pädagogisch fragwürdigen Variante der „Bündelung“ mehrerer Schüler. Näheres zu dieser Praxis, die nicht das bei zieldifferenter Unterrichtung unverzichtbare Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) darstellt, siehe unten sub Kap. 7 D. 63 Vgl. hierzu § 38 Abs. 4 SchoG: „An Schulen der Regelform eingerichtete Unterrichtsgruppen oder Klassen für Behinderte mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf sind Bestandteil der Schule, an der sie eingerichtet sind.“ 64 Das VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991, K 171/88, amtl. Umdruck S. 12, spricht hier mit unüberhörbar ironischem Unterton von einer „als Integrationsmaßnahme titulierte[n] Zusammenarbeit von Regel- und Sonderschule“.

2. Kap.: Regelung durch das Gesetz vom 4.6.1986

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III. Ambulanzlehrer-System als dominierende Organisationsform in der Praxis integrativer Unterrichtung im Saarland 1. Pädagogische Problematik In der Integrationspraxis an den saarländischen Schulen war (Grundschulen) bzw. ist (weiterführende allgemein bildende Schulen sowie berufliche Schulen) die in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 IntVO genannte Organisationsform (Regelklasse mit Ambulanzlehrkraft) absolut vorherrschend. Das Ambulanzlehrer-System wird jedoch bei zieldifferenter Unterrichtung und bei Schülern mit ausgeprägten Verhaltensproblemen bereits in grundsätzlicher Hinsicht dem pädagogisch Notwendigen nicht gerecht; denn in diesen Fällen ist eine durchgängige pädagogische Doppelbesetzung unabweisbar. Auch die äußeren Bedingungen, unter denen der Ambulanzlehrer-Unterricht oft stattfindet, lassen diese Form sonderpädagogischer Förderung als fragwürdig erscheinen. Zwar heißt es in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 IntVO, dass die Ambulanzlehrkraft den Schüler oder die Schülerin „im Klassenunterricht unterstützt, in Förderstunden gesondert unterrichtet oder in behinderungsspezifische Techniken einübt.“ Entgegen dieser Reihenfolge trifft man jedoch die klassenraumexterne Förderung z. B. in der saarländischen Integrationspraxis keineswegs selten an.65 Auch von Schnell wird diese Praxis angesprochen: „Die ‚Kartenzimmerintegration‘, so wird die klassenraumexterne sonderpädagogische Förderung der Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ironisch bezeichnet, scheint im Saarland, entgegen anderslautender optimistischer Verlautbarungen, in einigen Fällen durchaus nicht der Vergangenheit anzugehören […].“66

65 Häberlin, Kritische Aspekte der Integrationsentwicklung im Saarland, in: Sander/Hildeschmidt/Jung-Sion u. a., Schulreform Integration. Entwicklungen der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland 1990–1993/94, S. 39 (50), äußert in Bezug auf die Situation im Saarland die Einschätzung, „daß die klassenraumexterne Einzel- oder Kleingruppenförderung eher der Durchschnittsfall sein dürfte als klassenraumintegrierte dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Regel- und Sonderschullehrer/in.“ Diese Einschätzung wird bestätigt von A. Sander/Schnell, Integration behinderter Schüler und Schülerinnen im Saarland – Ein Bericht bis Sommer 1998, in: A. Sander/Hildeschmidt/Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche im Saarland 1994 bis 1998, S. 9 (21): „Die ‚klassenraumexterne Förderung‘ (Haeberlin 1994, S. 50) gehört offenbar noch nicht der Vergangenheit an.“ 66 Schnell, „…daß die langsamer lernen oder mir Zeit lassen…“ Wie Schülerinnen und Schüler mit der Diagnose Lernbehinderung den Abbruch ihrer Integration in die Regelschule sehen und welche Folgerungen daraus gezogen werden können, in: A. Sander/Hildeschmidt/Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche im Saarland 1994 bis 1998, S. 157 (164). Schnell, ebd., S. 165, teilt in ihrem Bericht über die Befragung von integrativ unterrichteten lernbehinderten Schülerinnen und Schülern mit: „In allen Fällen der klassenraumexternen Förderung in unserer Untersuchung findet die Arbeit in minderwertigen Räumen (‚…in dem Schränke, Karten und so Zeug waren…‘) statt. Keine Schülerin erhielt den Förderunterricht in einem regulären Klassen- oder Förder-

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

2. Situation der Ambulanzlehrkraft Aber nicht nur bei schülerzentrierter Betrachtungsweise, sondern auch aus der Sicht der hierbei eingesetzten Lehrkräfte ist das Ambulanzlehrer-System fragwürdig: Der ständige Ortswechsel („Wanderlehrer“67) und die täglich neue Unterrichtssituation sind der pädagogischen Arbeit nicht unbedingt förderlich. Der Erfahrungsbericht von Fuchs vermittelt einen Eindruck von der Situation einer Ambulanzlehrkraft: „In der Regel sind sie ‚Fliegenden Händlern‘ ähnlich an mehreren Orten eingesetzt. Dabei fallen oft Pausen weg, weil der nächste Einsatzort anzufahren ist. Bis zu 180 Minuten Fahrzeit pro Woche fällt zusätzlich an zu der täglichen Hin- und Rückfahrt. Ihre Privatfahrzeuge werden, um das auch einmal zu erwähnen, stärker beansprucht als bei anderen Lehrer/innen. Es kommt vor, daß sie an einem Morgen vier verschiedene Einsatzstellen haben. Ob und wieweit da noch sinnvolle Arbeit zu leisten ist, erscheint zumindest fraglich. Wenn sie keine eigene Klasse mehr führen können, wird der Ruhepunkt in der Arbeit vermißt. Sie ­haben das Gefühl, nur noch von Problemen umgeben zu sein, fühlen sich als ‚Puffer‘ in Konflikten für andere.“68

Auch Görgen, zunächst Referent und später Leiter des Referates „Förderschulen und schulische Integration/Inklusion“ im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes, verschweigt die Probleme der Ambulanzlehrer nicht: „Der Unterricht in ihrer ‚Stammschule‘ und zusätzlich die externe Förderung von behinderten Schülern in Regelschulen belasten die Lehrkräfte, insbesondere die Klassenlehrer, doppelt. Von den Eltern der internen Schüler wurde wiederholt beklagt, dass der Lehrer seine Klasse verlassen muss, um an andere Schulen zu fahren.“69

Fuchs erwähnt ausdrücklich die von Ambulanzlehrkräften empfundene „Hei­ matlosigkeit“.70 Füssel/Kretschmann sprechen mit Blick auf die bei nicht wenigen  Ambulanzlehrern anzutreffende Befindlichkeit von einer „Alptraumvor­ stellung“.71 raum. Welche Auswirkung auf das Selbstkonzept allein die Tatsache haben kann, mit einem Sonderschullehrer in einen Abstellraum zu gehen, vermag sich auch ein nicht pädagogisch ausgebildeter Mensch auszumalen.“ 67 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (174). 68 Fuchs, Integrative Unterrichtung mit unterschiedlicher Zielvorgabe, in: Sander/Christ/ Fuchs u. a., Behinderte Kinder und Jugendliche in Regelschulen. Jahresbericht 1987 über schulische Integration im Saarland, S. 123 (137 f.). 69 Görgen, Integration behinderter Schüler im Saarland, SchulVerwaltung, Ausgabe Rheinland-Pfalz – Saarland, 1998, 75 (76). 70 Fuchs, Integrative Unterrichtung mit unterschiedlicher Zielvorgabe, in: Sander/Christ/ Fuchs u. a., Behinderte Kinder und Jugendliche in Regelschulen. Jahresbericht 1987 über schulische Integration im Saarland, S. 123 (138). 71 Füssel/Kretschmann, Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Pädagogische und juristische Voraussetzungen, S. 81; siehe auch Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (339).

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Der Einsatz als Ambulanzlehrer dürfte bei manchem Sonderpädagogen nicht vereinbar sein mit den Vorstellungen, die er mit der Wahl seines Berufes verbunden hat. Dazu gehören der Wunsch nach eigenverantwortlicher Führung einer Klasse und das Interesse an der festen Einbindung in ein Lehrerkollegium.72 Daher dürfte das Ambulanzlehrer-System nicht ohne Auswirkungen auf die Motivation dieser Lehrkräfte bleiben. Inzwischen zeichnet sich ab, dass Ambulanzlehrkräfte auch mit einer deutlich erhöhten Belastung und infolge der daraus resultierenden Überforderung und Erschöpfung mit einem signifikant erhöhten gesundheitlichen Risiko zu rechnen haben. Das zeigen u. a. empirische Untersuchungen bei Lehrkräften, die in Bayern im Rahmen der mit dem Ambulanzlehrer-System vergleichbaren Mobilen Sonderpädagogischen Dienste eingesetzt sind.73 3. Finanzwirtschaftlicher Aspekt Unabhängig hiervon sind auch die personal- und finanzwirtschaftlichen Implikationen eines Ambulanzlehrer-Systems zu bedenken. Der Ambulanzlehrer verbringt nämlich einen nicht unerheblichen Teil seiner bezahlten Arbeitszeit auf der Straße. Wenn der Sonderpädagoge permanent zwischen mehreren, u. U. weit auseinanderliegenden Schulstandorten wechseln muss, dann ist damit ein erheblicher Zeitaufwand für die Fahrten verbunden. Dieser Zeitaufwand ist ihm auf seine Pflichtstundenzahl anzurechnen. Dadurch reduziert sich die ohnehin knappe Zeit noch weiter, die für die Unterrichtung des behinderten Schülers tatsächlich zur Verfügung steht. Außerdem sind nicht unerhebliche Mittel für die Fahrtkosten­ erstattung aufzuwenden.74

72 Es soll aber auch Ambulanzlehrkräfte geben, die diese ambulatorische Art der Erfüllung ihres Unterrichts- und Erziehungsauftrages goutieren, weil sie so der festen Einbindung in ein Lehrerkollegium und der mit ihr verbundenen sozialen und dienstlichen Kontrolle entgehen. 73 Schmid, Die besondere Belastungssituation von Lehrpersonen im Integrationsbereich in Deutschland (Bayern), in: Bürli/Strasser/Stein (Hrsg.), Integration/Inklusion aus internationaler Sicht, S. 117 ff. 74 Siehe hierzu Görgen, Integration behinderter Schüler im Saarland, SchulVerwaltung, Ausgabe Rheinland-Pfalz – Saarland, 1998, 75 (76).

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D. Konsequenzen des Paradigmenwechsels für die Begrifflichkeit I. Oberbegriff in Anpassung an ein duales System sonderpädagogischer Förderung Die Tatsache, dass sich der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der allgemeinen Schule seit 1986 grundsätzlich auch auf behinderte Kinder erstreckt, führte zwangsläufig zu der Notwendigkeit, zur Identifizierung dieser Schüler einen inhaltlich auf beide Lernorte zutreffenden Oberbegriff zu finden. Der bis dahin ausschließlich verwendete Begriff „Sonderschulbedürftigkeit“ war das begriffliche Spiegelbild zu der Alleinstellung der Sonderschule. Insoweit ist es gerechtfertigt, davon zu sprechen, dass dieser Begrifflichkeit eine vorrangig institutionenbezogene Sichtweise zugrunde lag. An ihre Stelle trat nunmehr eine vorrangig individualisierende und somit a priori auch die Anpassungsbedürftigkeit und -fähigkeit der zuständigen allgemeinen Schule bedenkende Sichtweise. Der Begriff der „Sonderschulbedürftigkeit“ wurde abgelöst durch den des „sonderpädagogischen Förderbedarfs“, der sowohl am Lernort Förderschule als auch am Lernort allgemeine Schule erfüllt werden kann.75 Im Übrigen spiegelt sich in der einschlägigen Empfehlung der Kultusministerkonferenz neben dem konzeptionellen auch der terminologische Wandel wider: An die Stelle der von der Kultusministerkonferenz am 16.3.1972 beschlossenen „Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens“ sind die am 6.5.1994 beschlossenen, den grundlegenden sonderpädagogischen Perspektivenwechsel vollziehenden und dokumentierenden „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland“76 getreten.77 75 Es wurde seitdem auch nicht mehr von einem Sonderschulaufnahmeverfahren, sondern von einem Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs gesprochen. Siehe hierzu: Kaldewei, Bildungsangebote für behinderte Kinder und Jugendliche – die Aufgabe des Staates und das Verfahren der öffentlichen Verwaltung, RdJB 1985, 181 (185); Weber, Entscheidungen über sonderpädagogischen Förderbedarf, NWVBl. 2012, 463 ff. 76 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, KMK-BeschlS., Leitzahl 301= Beanntmachung. durch Erlass des Ministeriums für Bildung und Sport des Saarlandes vom 8.6.1994 (GMBl. Saar S. 322). In Vorbereitung dieser Vereinbarung hatten sich „die Bundesländer unter Federführung des Saarlandes über die mit dem gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülerinnen und Schülern verbundenen Rechtsfragen abgestimmt“, so Köller, Behinderte Kinder in der Schule, RdJB 1995, 74 (75). Das geschah in der vom Unterausschuss Schulrecht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland erstellten Ausarbeitung „Rechtliche Fragen der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern“ vom 1./2.2.1993 (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.). 77 In ausdrücklicher Anknüpfung an diese Empfehlung erging der Beschl. der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland vom 20.10.2011 betr. Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, KMK-

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II. Schulrechtliche Rezeption Der terminologische Wandel von der „Sonderschulbedürftigkeit“ zum „Sonderpädagogischen Förderbedarf“ brauchte allerdings seine Zeit, um sich auch im schulgesetzlichen Regelungswerk konsequent durchzusetzen. In der grundlegenden, das Prinzip der integrativen Unterrichtung im Saarland schulrechtlich verankernden Schulgesetznovelle vom 4.6.198678 war es noch bei der traditionellen Formulierung der die Subsidiarität der Förderschule kennzeichnenden Regelung geblieben. Erst mit der Schulgesetznovelle vom 3.7.199679 fand in dem neu gefassten § 4 Abs. 2 SchoG der unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes gebotene legislatorische Nachvollzug statt: „Sonderpädagogischer Förderungsbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, daß sie im Unterricht der allgemeinbildenden[80] Schule ohne besondere Hilfen nicht hinreichend gefördert werden können.“ III. Unterschiedliche Förderbedarfe in der begrifflichen Abgrenzung Im Bedeutungsgehalt der Begriffe „Sonderschulbedürftigkeit“ und „Sonderpädagogischer Förderbedarf“ besteht, wie es in einem Dokument der Kultusministerkonferenz zutreffend heißt, „kein Unterschied. Beide Begriffe bringen zum AusBeschlS., Leitzahl 305, S.  16. Diese Bezugnahme auf die KMK-Empfehlung vom 6.5.1994 ist auch enthalten in: Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S. 6. 78 Amtsbl. S. 477. 79 Amtsbl. S. 674. 80 Das Schulordnungsgesetz enthielt an dieser Stelle einen peinlichen Fehler: Es wurde der Eindruck erweckt, als seien Förderschulen keine allgemeinbildenden Schulen. Gemeint waren in dieser Vorschrift jedoch nicht die allgemeinbildenden Schulen im Gegensatz zu den beruflichen Schulen, sondern die allgemeinen Schulen als Synonym für Schulen der Regelform bzw. Regelschulen, d. h. die allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ohne die Förderschulen. Das ergibt sich auch aus § 1 Abs. 2 IntVO, wonach sich „die Möglichkeit der integrativen Unterrichtung grundsätzlich auf Schüler/Schülerinnen aller Behinderungsarten sowie aller Schulformen, Schultypen und Schulstufen“ bezieht. Die Auffassung des Schulträgers einer Berufsschule als Antragsgegner in einem auf Bewilligung integrativer Unterrichtung gerichteten Verfahren, sonderpädagogische Förderung sei an beruflichen Schulen nicht vorgesehen – die Frage der Richtigkeit dieser Auffassung wurde von dem OVG d. Saarl., Beschl. v. 2.10.2006, 3 W 12/06, NVwZ 2007, 106, offen gelassen – ist daher unzutreffend. Dass es sich bei dem Begriff „allgemeinbildende“ in § 4 Abs. 2 SchoG 1986 um einen sachlich unzutreffenden Begriff handelt, geht im Übrigen auch aus § 38 Abs. 4 SchoG hervor, wo es heißt: „An Schulen der Regelform eingerichtete Unterrichtsgruppen oder Klassen für Behinderte mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf sind Bestandteil der Schule, an der sie eingerichtet sind.“

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druck, daß es sich um einen Schüler mit einer Behinderung (Beeinträchtigungen organischer, mentaler oder sozialer Art) handelt, dessen angemessene Förderung die Allgemeine Schule mit den ihr regulär zu Gebote stehenden Mitteln – letztere sind im weitesten Sinne zu verstehen – nicht leisten kann.“81 Beide Begriffe haben also gemeinsam, dass sie an das Vorliegen einer Behinderung anknüpfen. Daher kann dem Bundesverfassungsgericht82 nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn es, hierbei wohl einen Gedanken der mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts83 aufgreifend, ausführt: „Zwar ist nicht jedes behinderte Kind förderungsbedürftig; umgekehrt können auch nichtbehinderte Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf haben.“ Während dem ersten Halbsatz dieses Zitates zuzustimmen ist, enthält der zweite eine begriffliche Unschärfe. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem begriffsnotwendig das Vorliegen einer Behinderung voraussetzenden „sonderpädagogischen“ Förderbedarf im Sinne von Heilpädagogik und dem, was als „‚besonderer Förderbedarf‘ im Sinne von Lernschwierigkeiten, wie sie in der allgemeinen Schule gemeinhin auftreten“,84 bezeichnet werden kann. Auch die Kultusministerkonferenz unterscheidet in diesem Sinne, etwa in ihrem Beschluss zum Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler85 oder in dem Beschluss zu Erziehung und Unterricht von Kindern mit autistischem Verhalten;86 dort werden jeweils unter Nr. 2.1 „Besonderer pädagogischer Förderbedarf“ und unter Nr.  2.2 „Sonderpädagogischer Förderbedarf“ unterschieden bzw. beschrieben. Zwar setzt der Begriff des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Sinne des § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung das Vorliegen einer Behinderung voraus. Das ergibt sich aus der Überschrift und den Absätzen 3 bis 5 des § 4 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung sowie aus 81 So die vom Unterausschuss Schulrecht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland erstellte Ausarbeitung „Rechtliche Fragen der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern“ vom 1./2.2.1993, Nr.  2.1 (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.); mit dieser Aussage zur Begrifflichkeit in der Sache übereinstimmend § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung. Vgl. hierzu auch Füssel, Auf dem Weg zur Integration?, RdJB 1996, 188 (190). 82 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (312). 83 NdsOVG, Beschl. v. 29.11.1996, 13 M 4539/96, NJW 1997, 1087 (1088). 84 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 50. 85 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler, Beschl. vom 20.3.1998, KMK-BeschlS., Leitzahl 308  = Bekanntmachung durch Erlass des Minis­ teriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 1.12.1998 (GMBl. Saar 1999, S. 94). 86 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zu Erziehung und Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit autistischem Verhalten, Beschl. vom 16.6.2000, KMK-BeschlS., Leitzahl 316 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S. 376).

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der Begründung des Entwurfs87 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen vom 3.7.199688, mit der in § 4 Abs. 1 Satz 1 SchoG 1986 die Worte „behinderten Schüler“ durch die Worte „Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf“ ersetzt wurden. Doch lässt sich nicht in Abrede stellen, dass die Handhabung dieses Tatbestandsmerkmals in der schulischen Praxis nicht selten von einer gewissen Großzügigkeit bei der Auslegung des Begriffs in Richtung auf „besonderen pädagogischen Förderbedarf“ gekennzeichnet ist. Er kann, wie Speck zutreffend anmerkt, „als Instrument zur Etikettierung und Ressourcenbeschaffung missbraucht werden.“89 Unzutreffend und mit § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 gelten­den Fassung nicht vereinbar ist demgegenüber die Umschreibung des sonderpädagogischen Förderbedarfs in § 7 IntVO. Dieser Vorschrift zufolge liegt sonderpädagogischer Förderbedarf dann vor, wenn das diesbezügliche Überprüfungsverfahren „ergeben hat, dass der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin an einer Schule der Regelform deren Bildungsziel ohne Verwirklichung zusätzlicher, seinem/ihrem sonderpädagogischen Förderungsbedarf entsprechenden räumlicher, sächlicher und personeller Voraussetzungen und Hilfen nicht erreichen kann“. Diese Definition trägt der Situation jener zieldifferent zu unterrichtenden Schüler nicht Rechnung, die auch mit zusätzlichen Hilfen und unter besonders günstigen Voraussetzungen das Bildungsziel der Regelschule nicht erreichen.

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LT-Drucks. 11/679 vom 18.4.1996, Begründung S. 2. Amtsbl. S. 674. 89 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 44. 88

Kapitel 3

Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers A. Normative Grundlage „Das einzelne Kind hat aufgrund des Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit seiner Anlagen und Befähigungen.“1 Schulische Unterrichtung und Erziehung hat die Aufgabe, die Persönlichkeitsentwicklung des Schülers zu fördern. Das führt zu der Frage, ob ein hierauf gerichteter grundrechtlicher Anspruch des Schülers besteht und welchen Inhalt er im Einzelnen hat. I. Bundesverfassungsrecht 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Die Ableitung eines Bildungsanspruchs des Kindes aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art.  2 Abs.  1 i. V. m. Art.  1 Abs.  1 GG käme nur dann in Betracht, wenn dessen sachlicher Schutzbereich betroffen wäre. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt, wie das Bundesverfassungsgericht darlegt, als Grundrecht „die Aufgabe zu, Elemente der Persönlichkeit zu gewährleisten, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen […].“2 Es soll „im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen […] gewährleisten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht vollständig erfassen lassen […].“3 Dieses aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Grundrecht sichert „jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann […]“.4 Es schützt also jenen Kern der menschlichen Existenz und der Privatsphäre, der untrennbar mit dem personalen Selbstentwurf 1

BVerfG, Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417). BVerfG, Urt. v. 15.12.1999, 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361 (380). 3 BVerfG, Urt. v. 31.1.1989, 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256 (268). 4 BVerfG, Urt. v. 31.1.1989, 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256 (268). 2

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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und dem Verständnis des Betroffenen von der Würde seiner Person verbunden ist. Grundrechtsdogmatisch ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner subjektivrechtlichen Ausprägung als Abwehrrecht einzuordnen. In diesem Sinne wird der sachliche Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Di Fabio wie folgt kenntlich gemacht: Möglichkeit und reales Vorhandensein einer abgeschirmten Persönlichkeitssphäre sei Voraussetzung dafür, dass es die freie Entfaltung des Menschen in der Gesellschaft unabhängig vom Staat oder, in einem weiteren Sinne, unabhängig überhaupt von Dritten geben könne – ohne Intimität sei Sozialität im neuzeitlichen Sinne zum Scheitern verurteilt.5 Diese Zielrichtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts trifft jedoch auf die Situation und die Stellung des Schülers in der Schule nicht zu. Insoweit, als die Schule eine öffentliche Einrichtung ist, bedeutet die Schulpflicht die Einbeziehung des Schülers in den öffentlichen Raum. Mit dem Schulbesuch sind im Schulalltag Interaktionen der unterschiedlichsten Art verbunden. Die Schulpflicht sowie der Unterrichts- und Erziehungsauftrag des Staates haben ihre Grundlage in der auf Art.  7 Abs.  1 GG beruhenden staatlichen Schulhoheit, welche auch Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen des Schülers rechtfertigt. Doch wird durch schulische Unterrichtung und Erziehung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schülers nicht in seinem Kern tangiert; allenfalls in Randbereichen und in Ausnahmesituationen kann dies der Fall sein. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist daher keine Grundlage für konkrete Bildungsansprüche des Schülers.6 2. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Es stellt sich die Frage, ob sich der Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers aus einem Grundrecht auf Bildung ergeben könnte. Soweit die Existenz eines Grundrechts auf Bildung in der Rechtsprechung7 und im

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Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 129. Wie hier: Jarass, Zum Grundrecht auf Bildung und Ausbildung, DÖV 1995, 674 (676) (siehe aber Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 31); Hobe, Gibt es ein Grundrecht auf begabungsgerechte Einschulung?, DÖV 1996, 190 (195); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 211. Vgl. demgegenüber Völker, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 24a Rn. 8, der das Recht auf Bildung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitet. 7 Bejahend: BVerwG, Urt. v. 15.11.1974, BVerwGE VII C 12.74, BVerwGE 47, 201 (206); Urt. v. 14.7.1978, BVerwG 7 C 11.76, BVerwGE 56, 155 (158); Beschl. v. 2.7.1979, 7 B 139.79, DÖV 1979, 911; Urt. v. 5.6.1997, 5 C 4/96 (Berlin), NVwZ 1998, 638 (639). In der letztgenannten Entscheidung hat das BVerwG seine diesbezügliche Rechtsauffassung bisher am deutlichsten zum Ausdruck gebracht: „Das Recht auf Bildung und Ausbildung ist ein wesentlicher Bestandteil des Grundrechts aus Art. 2 I GG, das dem einzelnen Kind ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit seiner Anlagen und Befähigungen gibt […].“ Zurückhaltend bzw. offenhaltend: BVerfG, Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417); Beschl. v. 26.2.1980, 1 BvR 684/78, BVerfGE 53, 185 6

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

juristischen Schrifttum8 bejaht wird, sieht man die Grundlage hierfür insbesondere in Art. 2 Abs. 1 GG. Doch ist die Ableitung eines Grundrechts auf Bildung unmittelbar aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art.  2 Abs.  1 GG fragwürdig.9 Denn das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit enthält die Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit, ist also im Hinblick auf die subjektivrechtliche Dimension ein Abwehrrecht und betrifft den status negativus. Zutreffend kommentiert Di Fabio: Schon im Allgemeinen sei hinsichtlich der Ableitung unmittelbarer Teilhabe- und Leistungsrechte (status positivus) aus den als Abwehrrechten formulierten Grundrechten Zurückhaltung geboten, sofern nicht ausnahmsweise der Verfassungstext (wie etwa Art. 6 Abs. 4 GG für den Mutterschutz) Ausnahmen fordere. Dies gelte im Besonderen für Art. 2 Abs. 1 GG mit seinem weiten, unbestimmten Schutzbereich in der Deutung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Wenig überzeugend seien Konstruktionen, die unter Bezug auf die Gewährleistung freier Entfaltung der Persönlichkeit (auch i. V. m. Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 6 Abs. 2 GG) ein Grundrecht auf Bildung abzuleiten versuchten.10 Gegen die Ableitung eines Grundrechts auf Bildung aus Art. 2 Abs. 1 GG spricht außerdem der subsidiäre Charakter der genannten Bestimmung. Danach könne sich, so Faller, der Einzelne auf diese Bestimmung ihrem Wesen als Auffangbestimmung entsprechend nur insoweit berufen, als der betroffene Lebensbereich nicht durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt sei. Zum anderen unterliege das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG den in dieser Verfassungsbestimmung genannten Eingrenzungen (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz). Im

(203); Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (272); Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304); Urt. v. 14.7.1998, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 219 (257); HessStGH, Urt. v. 30.12.1981, P. St. 880, NJW 1982, 1381 (1385). 8 Thieme, Das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte, JZ 1959, 265 (269); Abelein, Recht auf Bildung, DÖV 1967, 375 (377); Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, S. 37 ff.; Wimmer, Die Rechtspflicht zur öffentlichen Bildungsplanung, RdJB 1970, 65 (66); Heymann/Stein, Das Recht auf Bildung, AöR, Bd. 97 [1972], 185 (212 ff.); Reuter, Soziales Grundrecht auf Bildung? Ansätze eines Verfassungswandels im Leistungsstaat, DVBl. 1974, 7 (11 ff.). Vgl. auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 2 Rn. 29. 9 Die Ableitung eines Grundrechts auf Bildung aus dem Grundgesetz wird abgelehnt von: Maunz, Der Bildungsanspruch in verfassungsrechtlicher Sicht, in: Recht und Staat, 2. Halbband, 1972, S. 605 (609, 616); Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, S.  87 f.; Faller, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Bildungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1981, 611 (616 f.); Jarass, Zum Grundrecht auf Bildung und Ausbildung, DÖV 1995, 674 (675 f.); Theuersbacher, Die Entwicklung des Schulrechts in den Jahren 1995 und 1996, NVwZ 1997, 744 (745); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 58, 211; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 111. 10 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 57, 58. Zurückhaltend gegenüber einem Grundrecht auf Bildung auch Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 185 ff., sowie Füssel, in: Avenarius, Schulrecht, S. 31 f.

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Bereich des Schulverhältnisses werde es insbesondere durch die dem Staat gemäß Art. 7 Abs. 1 GG zustehende Gestaltungsfreiheit begrenzt.11 Man kann sich, worauf Jarass und Di Fabio hinweisen, in dieser rechtlichen Beurteilung dadurch bestätigt sehen, dass die gemeinsame Verfassungskommission12 nach der deutschen Wiedervereinigung der Forderung nach Aufnahme des Rechts auf Bildung oder einer entsprechenden Staatszielbestimmung in das Grundgesetz bewusst nicht entsprochen hat.13 Bei dieser Zurückhaltung spielte gewiss auch eine Rolle, dass die potenziellen Weiterungen aus der grundgesetzlichen Veran­kerung des Rechts auf Bildung als nicht überschaubar angesehen wurden. Eine solche Bestimmung würde zur Projektionsfläche für Forderungen der unterschiedlichsten Art aus dem breiten Spektrum bildungspolitischer Vorstellungen.14 3. Entfaltung der Persönlichkeit und staatliche Schulverantwortung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG) a) Einheit der Verfassung als Interpretationsprinzip Die Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG im Hinblick auf einen etwaigen Teilhabeanspruch ist auf die Beantwortung der Frage gerichtet, was der Schüler vernünftigerweise von der Schule erwarten darf. Hierbei gilt auch für die Auslegung der 11

Faller, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Bildungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1981, 611 (617). 12 In dem Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000 vom 5.11.1993, S. 81 f., heißt es „Zur Problematik einzelner Staatsziele“ in dem Abschnitt „Bildung und Kultur“ u. a.: „Hier sei insbesondere auf die bildungsbezogenen Rechte des Grundgesetzes hinzuweisen (Artikel 6 Abs. 2, Artikel 7 Abs. 1, Artikel 3 und 12 GG), die bereits einen vereinheitlichenden Einfluß auf die Gesetzgebung der Länder ausübten, und darauf, daß über die Kompetenznormen der Artikel 74 Nr.  13 GG (Ausbildungs- und Forschungsförderung), 75 Nr. 1a GG (Hochschulrahmengesetzgebung) und 91a, b GG (Gemeinschaftsaufgaben) von seiten des Bundes sinnvolle Ergänzungen gegenüber Regelungen und Maßnahmen der Hauptverantwortlichen im Bildungs- und Kulturbereich, also den Ländern, erlaubt seien. Damit sei die Schaffung einer einzelprogrammatischen Verfassungsverbürgung nicht erforderlich.“ 13 Jarass, Zum Grundrecht auf Bildung und Ausbildung, DÖV 1995, 674; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 57, 58. 14 Einen Eindruck von einem solchen Wunschkatalog vermittelt Faller, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Bildungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1981, 611 (612), in seiner knappen, aber aufschlussreichen Information über die mit dem bildungspolitischen Slogan „Recht auf Bildung“ verbundenen Vorstellungen bzw. Erwartungen. Noch eine Nuance mehr an Zuspitzung bietet Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, S. C 81 f.: „So kommt es z. B. in den Legion gewordenen literarischen Stellungnahmen zum Recht auf Bildung im Überschwang politischen Engagements nicht selten zu einer ‚bildungsgrundrechtlichen Schaumschlägerei‘, deren weitgespannte subjektive Postulate nur notdürftig den ungefähr mit ‚Null‘ zu charakterisierenden juristischen Aussagewert zu verdecken vermögen.“ Vgl. auch Maunz, Der Bildungsanspruch in verfassungsrechtlicher Sicht, in: Recht und Staat, 2. Halbband, 1972, S. 605 (609 ff.).

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

Grundrechte als „vornehmstes Interpretationsprinzip […] die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes“15, d. h. die Grundrechtsinterpretation hat aus der Sicht der Gesamtverfassung16 zu geschehen. Im Rahmen dieser systematischen Interpretation des Grundgesetzes sind dessen Bestimmungen ihrerseits auszulegen unter Beachtung der Tatsache, dass die Grundrechte nicht nur subjektivrechtliche Bedeutung besitzen, sondern dass „[…] das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will […], in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat […].“17 b) Staatliche Schulverantwortung und individueller Bildungsanspruch Im vorliegenden Zusammenhang richtet sich daher der Blick auf jene Bestimmung des Grundgesetzes, deren expliziter Regelungsgegenstand das Schulwesen ist, nämlich Art. 7 GG.18 Wenn in Art. 7 Abs. 1 GG geregelt ist, dass das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht, so ist damit nicht nur die Aufsicht im klassischen Sinne, d. h. die Kontrolle von Verwaltungshandeln gemeint. Vielmehr umfasst dieser Begriff in der Ausprägung, die er im Verlauf seiner schulverfassungsrechtlichen Entwicklung gefunden hat, die Befugnis des Staates zur umfassenden Gestaltung des Schulwesens. Dazu heißt es in einer frühen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass staatliche Schulaufsicht den „Inbegriff der staatlichen Herrschaftsrechte über die Schule, nämlich die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens“19 darstellt. Auch das Bundesverfassungsgericht legt den Begriff der Schulaufsicht in diesem Sinne aus. Doch lässt die Formulierung, die das Bundesverfassungsgericht hierbei verwendet, auch die ratio constitutionis hervortreten. Danach „gibt Art. 7 Abs. 1 GG mit der Regelung über die staatliche Schulaufsicht dem Staat die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Menschen gemäß ihren Fähigkeiten die 15

BVerfG, Urt. v. 14.12.1965, 1 BvR 413, 416/60, BVerfGE 19, 206 (220); in diesem Sinne auch BVerfG, Urt. v. 23.10.1951, 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 (32); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 71. 16 Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, S. C 18, 81. 17 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205). 18 Zum Folgenden: Jarass, Zum Grundrecht auf Bildung und Ausbildung, DÖV 1995, 674 (677 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 31; Hobe, Gibt es ein Grundrecht auf begabungsgerechte Einschulung?, DÖV 1996, 190 (195). Nach Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 111, „[kann] ein Recht auf Bildung nicht auf Art. 2 I gestützt werden. Ein derivatives Teilhaberecht an vorhandenen Bildungseinrichtungen kann nur aus Art. 3 folgen, aus Art. 2 I auch nicht i. V. m. Art. 7.“ 19 BVerwG, Beschl. v. 28.12.1957, BVerwG VII B 9.57, BVerwGE 6, 101 (104); siehe auch: Urt. v. 31.1.1964, BVerwG VII C 49.62, BVerwGE 18, 38 (39); Beschl. v. 15.11.1974, BVerwG VII C 8.73, BVerwGE 47, 194 (198).

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Deshalb sind etwa die organisatorische Gliederung der Schule, die Entscheidung über die strukturelle Ausgestaltung des Ausbildungssystems und die Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele Sache des Staates […].“20 Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf „die den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechenden Bildungsmöglichkeiten“ lässt unschwer erkennen, dass das Gericht hierbei die existenzielle Bedeutung der Bildung für das Leben in der Gesellschaft21 im Blick hat und somit auch dem in Art. 20 Abs. 1 GG normierten Konstitutionsprinzip der Sozialstaatlichkeit Rechnung tragen will. Art. 7 Abs. 1 GG ist daher auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip auszulegen.22 Dieses Verständnis des Begriffs der staatlichen Schulaufsicht ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.23 Dennoch verdient festgehalten zu werden, dass die in diesem Absatz zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts dessen Grundsatzentscheidung vom 8.10.1997 zum System der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher entnommen sind. Art. 7 Abs. 1 GG normiert die Verantwortlichkeit des Staates24 für das Schul­ wesen. Es handelt sich mithin um eine verfassungsrechtliche Kompetenznorm. Auch verfassungsrechtliche Kompetenznormen können materiale Rechtsfolgen haben. Das gilt insbesondere dort, wo die mit einer bestimmten Kompetenzzuweisung verbundene Ziel- und Zwecksetzung die Ausprägung als Rechtsinstitut gefunden hat, wie das bei der staatlichen Schulaufsicht gem. Art. 7 Abs. 1 GG der Fall ist.25 Dabei handelt es sich um eine Kompetenz, die dem Staat nicht zur bloß fakultativen Wahrnehmung zugewiesen ist, sondern sie umfasst auch die Verpflichtung zum Tätigwerden, und zwar sowohl auf der Ebene der Legislative wie auf der Ebene der Exekutive.26 In inhaltlicher Hinsicht hat der Staat bei der Wahrnehmung dieser Verpflichtung jenem Maßstab gerecht zu werden, der sich aus der Normierung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG 20

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (303). Vgl. den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000 vom 5.11.1993, S. 80: „Bei den Fragen von Bildung und Kultur gehe es zwar nicht um materielle, aber um geistige Existenzbedingungen der Menschen, durch die die Grundlagen für die Achtung der Menschenwürde und für Chancengleichheit gelegt würden.“ 22 Vgl. Wimmer, Die Rechtspflicht zur öffentlichen Bildungsplanung, RdJB 1970, 65 (66); Faller, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Bildungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1981, 611 (620); Hobe, Gibt es ein Grundrecht auf begabungsgerechte Einschulung?, DÖV 1996, 190 (196); Glotz/Faber, Richtlinien und Grenzen des Grundgesetzes für das Bildungswesen, HbVerfR, § 28 Rn. 11–13; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 149, 150. 23 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (182); Beschl. v. 26.2.1980, 1 BvR 684/78, BVerfGE 53, 185 (196). 24 Vgl. Glotz/Faber, Richtlinien und Grenzen des Grundgesetzes für das Bildungswesen, HbVerfR, § 28 Rn.13, die hier mehrfach von der „Staatsverantwortung“ sprechen. 25 Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, AöR, Bd. 114 [1989], 422 (435, 447). 26 Vgl. Pieroth, ebd., S. 436, 448. 21

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ergibt. Die objektive Wertentscheidung, die dem Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde liegt, ist somit bestimmend für die Konkretisierung der Befugnisse und Verpflichtungen aus der in Art. 7 Abs. 1 normierten Zuständigkeitsregelung. Materieller Bezugspunkt für die Handlungsverpflichtung des Staates ist das Bedürfnis und Streben des Einzelnen nach Entfaltung seiner Persönlichkeit; in den zitierten Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der staatlichen Schulaufsicht kommt dies deutlich zum Ausdruck. Zwar stellt die vom Staat normierte Schulpflicht einen Eingriff in das Recht des Schülers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dar. Doch wird wohl niemand auf den Gedanken kommen, die Schule deswegen der Eingriffsverwaltung zuzu­ ordnen. Vielmehr ist sie nach ihrem Auftrag und in ihrer Arbeit Leistungsverwaltung. „Das Schulverhältnis stellt im Wesentlichen eine staatliche Leistung dar, die in Art. 7 Abs. 1, in den Schulbestimmungen der Landesverfassungen und in den Schulgesetzen ihre Grundlage hat. […] Im Schulrecht zeigt sich, wie Leistungsund Organisationsrecht den Kern der Persönlichkeit betreffen kann, und zwar häufig und viel stärker, als dies einzelne klassische Eingriffe vermögen.“27 Ziel der schulischen Unterrichtung und Erziehung ist es, den Schüler in der Entwicklung seiner Persönlichkeit zu fördern. Da der Schüler aber zum Schulbesuch verpflichtet ist, „[muss] die Schule dem Kind […] die bestmögliche Entfaltung seiner Anlagen ermöglichen“.28 Zur Ableitung des Teilhabeanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG und dem, was sich hieraus an inhaltlicher Konkretisierung ergibt, lässt sich anführen, was Stein folgendermaßen zum Ausdruck bringt: „Durch die Bereitstellung seiner Bildungseinrichtungen erbringt der Staat Leistungen, die für die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder von entscheidender Bedeutung sind.[29] Er hat deshalb Art. 2 Abs. 1 zu beachten.“30 c) Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes Im vorliegenden Kontext geht es um die Frage, ob und wie unter den Bedingungen integrativer Unterrichtung sichergestellt werden kann, dass insbesondere der behinderte Schüler eine seiner Begabung, d. h. seinen Anlagen und Fähigkeiten gerecht werdende Förderung erhält. Der Maßstab, dem der Staat in Wahrnehmung 27

Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 149, 150. Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, S. 38. 29 Dieser Gedanke hat, prägnanter noch als bei der Normierung der Unterrichts- und Erziehungsziele der Schule in § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 SchoG, seinen normativen Ausdruck gefunden an einer eher abgelegenen Stelle des Schulrechts des Saarlandes, nämlich in § 2 Abs. 2 der Verordnung – Schulordnung – über den Bildungsgang und die Abschlüsse des Deutsch-Luxemburgischen Schengen-Lyzeums Perl vom 12.7.2007 (Amtsbl. S.  1453), zul.geänd.d. VO vom 12.1.2016 (Amtsbl. I S. 48): „Die Schule soll die Schülerinnen und Schüler zur bestmöglichen Entwicklung ihrer Persönlichkeit, zur Gestaltung ihres Lebens in sozialer Verantwortung sowie zur Mitwirkung in der demokratischen Gesellschaft befähigen (Hervorh. d. Verf.).“ 30 Stein, ebd., S. 37. 28

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seiner Verantwortung aus Art. 7 Abs. 1 GG gerecht werden muss, ist den folgenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen: Danach „haben [die die Schule besuchenden Kinder] nach Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit auch im Bereich der Schule und damit Anspruch auf eine Entfaltung ihrer Anlagen und Befähigungen im Rahmen schulischer Ausbildung und Erziehung (vgl. BVerfGE 45, 400 [417]; Senatsbeschluss vom 8. Oktober 1997 –1 BvR 9/97 –, BVerfGE 96, 288 [304] […].“31 Der darin enthaltene Verweis auf den Senatsbeschluss vom 8.10.1997, also die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und zum System der sonderpädagogischen Förderung, lässt Schlussfolgerungen hinsichtlich der Konkretisierung dieses Bildungsanspruchs des behinderten Schülers zu. In diesem Senatsbeschluss heißt es im Anschluss an die Feststellung, dass der Staat auch für die Erziehung und Unterrichtung der behinderten Kinder „zumindest das faktische Monopol“ hat und auch für diese Kinder grundsätzlich die Verpflichtung zum Besuch der öffentlichen Schulen besteht: „Mit Rücksicht darauf ist der Staat nach Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich gehalten, für behinderte Kinder und Jugendliche schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen. Art und Intensität der Behinderung sowie den Anforderungen der Schulart und Unterrichtsstufe ist dabei unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung zu tragen.“32 In dieser Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum System der sonderpädagogischen Förderung wird also nicht nur der unmittelbare Zusammenhang zwischen der vom Staat festgelegten Schulpflicht und etwaigen Teilhaberechten des Schülers aufgezeigt. Vielmehr ergibt sich aus der Entscheidung vor allem, dass der behinderte Schüler einen Anspruch auf behinderungsadäquate Förderung hat; das betrifft die Gesamtheit der Bedingungen und Modalitäten seiner Förderung, d. h. die Unterrichtssituation. Damit steht und fällt die Erfüllung seines Bildungsanspruchs. Noch deutlicher formuliert: Das Wie entscheidet hier über das Ob. Das bedeutet: Es ist eine Unterrichtssituation zu gewährleisten, welche die für eine behinderungsadäquate Förderung unverzichtbare höchst individuelle Förderung ermöglicht. Letztere wiederum setzt insbesondere bei der zieldifferenten Unterrichtung von geistig behinderten und lernbehinderten Schülern sowie bei der Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ein ZweiPädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) voraus. Mit diesen Erfordernissen ist gleichzeitig der Schutzbereich der sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergebenden Grundrechtspositionen benannt. Für den Fall einer defizitären Betreuungsintensität und Unterrichtssituation stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser Art von Unterrichtung und Erziehung um 31

BVerfG, Urt. v. 14.7.1998, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (257). BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304) (Hervorh. d. Verf.).

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einen Eingriff in den Schutzbereich der Grundrechte des behinderten Kindes handelt. Nach der „klassischen“ Definition ist ein Eingriff in Grundrechte „ein rechtsförmiger Vorgang […], der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt.“33 Um auch sonstige Formen der Beeinträchtigung zu erfassen, ist jedoch einem weiten Verständnis des Eingriffsbegriffs der Vorzug zu geben, mit dem auch unbeabsichtigte und mittelbare Eingriffe umfasst sind; allerdings ist zu verlangen, dass die belastende Wirkung dem Staat zurechenbar ist. Die Voraussetzungen dieses „modernen“ Eingriffsbegriffs, „dem dieselbe Entwicklung vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat zugrunde [liegt], die auch die subjektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalte der Grundrechte erweitert und um objektiv-rechtliche ergänzt hat,“34 sind bezüglich der hier in Rede stehenden Fallgestaltung gegeben. Denn die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes wird infolge der fehlenden oder unzureichenden Rahmenbedingungen verweigert bzw. in erheblichem Umfang beeinträchtigt; diese vorhersehbaren tatsächlichen Folgen sind dem Staat zuzurechnen. Für diesen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG läge kein rechtfertigender Grund vor. Insbesondere können fehlende Ressourcen im Sinne des § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 nicht zur Rechtfertigung angeführt werden. Denn dem Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt lag zugrunde, dass eine pädagogisch verantwortbare integrative Unterrichtung gewährleistet sein soll. Das bedeutet u. a., dass angesichts der knappen Ressourcen die Zahl der Integrationsmaßnahmen zu beschränken war, damit in jedem einzelnen Integrationsfall das pädagogisch Erforderliche an Ressourcen zur Verfügung gestellt werden konnte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Antrag der Eltern auf integrative Unterrichtung ihres Kindes selbstverständlich keine Einwilligung in eine pädagogisch nicht zu verantwortende Unterrichtssituation bedeutet. Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, dass der damalige Kultusminister­ Diether Breitenbach (SPD) im Gesetzgebungsverfahren zur erstmaligen gesetzlichen Normierung der integrativen Unterrichtung erklärt hat: „Das Gesetz sehe vor, daß dies im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten vollzogen werde. Dies bedeute, daß sicherlich nicht allen Anträgen auf Integration in dem Maße entsprochen werden könne, wie es von den Betroffenen erwartet werde, weil man eine kostenneutrale Lösung erreichen wolle.“35

33

BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002, 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279 [300]. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Staatsrecht II, Rn. 252.; dies., ebd., Rn. 253, merken unter Hinweis auf BVerfGE 105, 279 (301) an, dass das BVerfG dem modernen Eingriffsbegriff „gelegentlich den Begriff der Beeinträchtigung vorbehält“. Siehe zur Begründung des „erweiterten Eingriffsbegriffs“ und zu seinem Inhalt auch Epping, Grundrechte, Rn. 393 ff. 35 Sitzung des Ausschusses für Kultus, Bildung und Sport am 28.5.1986, Sitzungsniederschrift S. 21. 34

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Dies hat die Verantwortlichen in der Folgezeit jedoch nicht davon abgehalten, die Zahl der Integrationsmaßnahmen von Jahr zu Jahr enorm zu steigern, obwohl die personellen Voraussetzungen für eine verantwortbare integrative Unterrichtung nicht vorlagen. Der Gesetzgeber hat auf der einfachgesetzlichen Ebene seine verfassungsrechtlich begründete Verpflichtung in der grundlegenden Vorschrift des § 1 Abs. 1 SchoG normiert: Danach hat „jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung“. Dies ist die Grundlage für den Bildungsanspruch sowohl des nichtbehinderten wie des behinderten Kindes und Jugendlichen. Der Zusammenhang zwischen der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes im Rahmen integrativer/in­klusiver Unterrichtung, der personellen Ausstattung der Grundschule und den Konsequenzen für das duale System sonderpädagogischer Förderung wurde von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes explizit thematisiert. Da an der betreffenden Grundschule für die sonderpädagogische Förderung des lernbehinderten und verhaltensauffälligen Kindes in den Fächern Deutsch und Mathematik jeweils nur eine Wochenstunde zur Verfügung stand, die sich das Kind zudem noch mit zwei weiteren behinderten Schülern teilen musste, hatten seine Erziehungsberechtigten die Unterrichtung an der Förderschule beantragt. Der Antrag war jedoch von der Schulbehörde abgelehnt worden. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat den antragsgemäßen Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig bestätigt, weil die Grundschule nicht in der Lage gewesen sei, jene Betreuungsintensität und individuelle Förderung zu gewährleisten, zu der die Förderschule in der Lage sei. Es hat ausgeführt, dass in dem betreffenden Fall „mangels zureichender Ausstattung die Förderung an der inklusiven Grundschule hinter dem schon erreichten Förderungsstand an der Förderschule Lernen zurückbleibt“, dass jedoch im Falle integrativer/inklusiver Unterrichtung „die Förderung […] den bislang erreichten Standard der Förderschulpädagogik nicht unterschreiten darf.“ Im Hinblick darauf, dass wegen der inzwischen eingeleiteten Umstellung auf die „inklusive Schule“ und den dadurch bewirkten Wegfall der Klassenstufe 1 der zuständigen Förderschule das Kind nach dem Beschlüssen sowohl des Verwaltungsgerichts als auch des Oberverwaltungsgerichts antragsgemäß in die Klassenstufe 2 der Förderschule einzuschulen war, hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht festgestellt: „In einem etwaigen Hauptsacheverfahren wäre daher die Frage aufzuwerfen, ob der sukzessive Fortfall der Primarstufe der Förderschule Lernen […] bei gleichzeitiger unzureichender Ausstattung der inklusiven Grundschule verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält.“36

36 NdsOVG, Beschl. v. 7.8.2014, 2 ME 272/14, Rn.10, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de (Zugriff: 29.1.2016).

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

II. Landesverfassungsrecht 1. Normierung eines Rechts auf Bildung in Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. Im Zuge der landesverfassungsrechtlichen Normierung von Kinderrechten in Art. 24a Verf. d. Saarl. und entsprechenden Sicherungspflichten des Landes, der Gemeinden, der Gemeinde­verbände und sonstiger Träger öffentlicher Gewalt in Art. 25 Verf. d. Saarl. durch das Gesetz vom 4.7.200737 wurde in Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. auch das Recht des Kindes auf Bildung aufgenommen. Der diesbezügliche, von den Landtags­fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU ein­gebrachte Gesetzentwurf hatte das Recht auf Bildung noch nicht enthalten.38 Die FDP-Landtagsfraktion stand dem Entwurf ursprünglich skeptisch gegenüber, weil sie ihn angesichts der bestehenden bundesrechtlichen Regelungen für überflüssig hielt. Sie hatte jedoch zu erkennen gegeben, dass sie sich die Zustimmung zu dem Gesetzesvorhaben vorstellen könne, wenn das Recht auf Bildung aufgenommen werde.39 Dem wurde schließlich im Wege eines „mit den Stimmen aller Fraktionen einstimmig angenommen[en]“40Abänderungsantrages41 entsprochen; der Abänderungsantrag als solcher enthielt keine Begründung. Bemerkenswert sind die Ausführungen des Berichterstatters, des CDU-Landtagsabgeordneten Günter Heinrich, zu dem Abänderungsantrag bei der Zweiten Lesung am 4.7.2007: Er wies darauf hin, dass dieser Antrag zwar von den drei den Gesetzentwurf einbringenden Fraktionen vorgelegt worden sei, „aber die einhellige Zustimmung aller Fraktionen erhielt, also auch die der FDP-Landtagsfraktion.“42 Er erklärte in diesem Zusammenhang: „Dieser Abänderungsantrag ist eher redaktioneller Natur. Er hilft, die ursprünglichen Zielsetzungen dieser Verfassungsänderung stärker zu verdeutlichen.“43 Vergleicht man den ursprünglichen und den endgültigen Text des § 24a Abs.  1 Verf. d. Saarl. miteinander,44 so könnte man aus dieser Begründung Rückschlüsse ziehen auf die Bedeutung, die die Abgeordneten 37

Amtsbl. S. 1798, in Kraft getreten am 14.9.2007. LT-Drucks. 13/1269-NEU vom 8.3.2007. 39 Vgl. die Ausführungen des FDP-Landtagsabgeordneten Baldauf bei der Ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 14.3.2007, Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2105. 40 Sitzung des Ausschusses für Justiz, Verfassungs- und Rechtsfragen sowie Wahlprüfung am 14.6.2007, Sitzungsniederschrift S. 2. 41 LT-Drucks. 13/1418 vom 14.6.2007. 42 Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2362. 43 Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2362 (Hervorh. d. Verf.). 44 Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. i. d. F. des Gesetzentwurfs, LT-Drucks. 13/1269-NEU vom 8.3.2007, lautete: „ (1) Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit, auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie auf gewaltfreie Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. in seiner endgültigen Fassung lautet: (1) Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde, auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf Bildung sowie auf gewaltfreie Erziehung zu Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit. 38

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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der Aufnahme des Rechts auf Bildung in die Verfassung beigemessen haben. Doch stehen dieser wohl taktisch motivierten verbalen Relativierung des „Rechts auf Bildung“ jene Debattenbeiträge von Abgeordneten bei der Ersten45 und Zweiten46 Lesung des Gesetzentwurfs gegenüber, in denen das neu aufgenommene Grundrecht auf Bildung zur Projektionsfläche unterschiedlich weit gespannter Erwartungen und Forderungen an die Bildungspolitik gemacht wird. 2. Normative Relevanz des Landesgrundrechts auf Bildung Unabhängig von den soeben angesprochenen Details des Gesetzgebungsverfahrens ist es für die Beurteilung der rechtlichen Relevanz des in Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. normierten Rechts auf Bildung fundamental, die Einordnung landesverfassungsrechtlicher Grundrechte im bundesstaatlichen Regelungsgefüge, d. h. in der dezentralen Rangordnungsreihe der Rechtsquellen, zu berücksichtigen. Denn gem. Art. 1 Abs. 3 GG gelten die Bundesgrundrechte auch für die saarländischen Bürger und sie binden die Staatsorgane im Saarland, d. h. auch den Landtag des Saarlandes. „In folgerichtiger Konsequenz wirkt die Rechtsprechung des BVerfG unmittelbar auf die saarländische Verfassungs- und Rechtsordnung ein […].“47 Aufgrund dieser sog. Durchgriffswirkung der Grundrechte auf die Länder lässt sich in grundsätzlicher Hinsicht sagen, dass die Gewährleistungen der in der Verfassung des Saarlandes verbrieften Grundrechte „in der Verfassungswirklichkeit […] von verhältnismäßig geringer Relevanz [sind].“48 Nach den Vorstellungen des Verfassungsgesetzgebers soll das in Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. normierte Recht auf Bildung wohl nicht nur ein Programmsatz, eine Staatszielbestimmung oder ein Verfassungsauftrag sein, sondern es soll Gewähr 45

Erste Lesung am 14.3.2007, Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2102 ff. Zweite Lesung am 4.7.2007, Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2361 ff. 47 Gröpl, in: Gröpl/Guckelberger/Wohlfarth, Landesrecht Saarland, § 1 Rn.  149. So auch­ Korioth, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 142 Rn. 14: „[…] diese Verfassungsbindung [unterliegt] der Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts“. 48 Gröpl, in: Gröpl/Guckelberger/Wohlfarth, Landesrecht Saarland, § 1 Rn. 149; ebenso Guckelberger, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 1 Rn. 3: „In der Praxis kommt den Landesgrundrechten eher geringe Bedeutung zu.“ Im Übrigen nimmt Gröpl, ebd., § 1 Rn. 191, die verfassungsrechtliche Verankerung von Kinderrechten in Art. 24a Verf. d. Saarl. und der entsprechenden Sicherungspflichten in Art. 25 Verf. d. Saarl. zum Anlass, auf die Fragwürdigkeit von verfassungsgesetzgeberischem Aktionismus hinzuweisen: Einer derartigen Regelung bedürfe es nicht, da die davon umfassten Regelungsgegenstände längst Inhalt von vorrangigem Bundesrecht seien; auch werde mit solchen Maßnahmen die Verfassung des Saarlandes ohne Not überfrachtet und diese „Verfassungsgeschwätzigkeit“ trage dazu bei, die Substanz, Systematik und Glaubwürdigkeit anderer, wichtiger Verfassungsnormen zu gefährden. Hierauf hatte Gröpl auch als Sachverständiger in der Anhörung, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Kinderrechte am 24.5.2007 vor dem Ausschuss für Justiz, Verfassungs- und Rechtsfragen sowie Wahlprüfung des Landtags des Saarlandes stattfand, nachdrücklich hingewiesen, Sitzungsniederschrift S. 5–18. 46

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

leistungen enthalten, die über die der betreffenden Bundesgrundrechte hinausgehen. Das geht nicht nur aus den insoweit eindeutigen Worten „Recht auf Bildung“ hervor, welche in der Bundesverfassung nicht vorkommen. Vielmehr ergibt sich dies auch aus den soeben bereits erwähnten Debattenbeiträgen bei der Ersten und Zweiten Lesung des Gesetzentwurfs, in denen Vorstellungen inhaltlicher Art sichtbar werden, die man mit der Regelung eines neuen Grundrechts auf Bildung verbunden hat. So sprach der FDP-Abgeordnete Baldauf in diesem Zusammenhang von einer „Rechtserweiterung“.49 Doch selbst wenn man mit der herrschenden Meinung50 davon ausgeht, dass „Übereinstimmung“ im Sinne des Art. 142 GG nicht nur bei Identität der Schutzbereiche von Bundes- und Landesgrundrecht gegeben ist, sondern auch im Falle eines gegenüber dem Bundesgrundrecht weitergehenden oder hinter ihm zurückbleibenden Gewährleistungsbereichs des Landesgrundrechts, käme einem erweiterten Gewährleistungsbereich des Landesgrundrechts auf Bildung keine normative Bedeutung zu. Denn das Grundrecht des Kindes auf Bildung wird begrenzt durch die Befugnisse des Staates aufgrund seiner in Art. 7 Abs. 1 GG normierten Schulhoheit, zu deren Inhalt und Reichweite das Bundesverfassungsgericht Festlegungen grundsätzlicher Art getroffen hat.51 Ein über die Gewährleistungen der Bundesgrundrechte hinausgehendes Landesgrundrecht auf Bildung würde mit Bundesrecht kollidieren und aufgrund des Art. 31 GG keine normative Wirkung entfalten.52 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art.  2 Satz 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) vom 20.3.1952.53 Darin heißt 49

Zweite Lesung am 4.7.2007, Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2366. Vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 142 Rn. 13 ff. m. w. N. In diesem Sinne auch VerfGH d. Saarl., Urt. v. 2.5.1983, Lv 2, 3, 4/82, S. 23 ff., bezüglich des über die Gewährleistungen des Grundgesetzes hinausgehenden Art. 33 Abs. 3 Satz 1 Verf. d. Saarl. („Der Zugang zum Hochschulstudium steht jedem offen.“), http://www.verfassungsgerichtshof-saarland.de, ID 156 (Zugriff: 2.1.2015); siehe auch VerfGH d. Saarl., Beschl. v. 24.9.1998, Lv 4/98, LVerfGE 9, 239 (241) zu Art. 11 Abs. 2 und 3 Verf. d. Saarl. (Asylrecht). 51 Zu Kompetenznormen als Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen vgl. Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, AöR, Bd. 114 [1989], 422 ( 442 ff.). Siehe hierzu auch Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Zur Stellung des Schülers in der Schule, Beschl. vom 25.5.1973, KMK-BeschlS., Leitzahl 824, S. 4 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministers für Kultus, Unterricht und Volksbildung des Saarlandes vom 12.6.1973 (GMBl. Saar S. 355 [357]): „Die Besonderheit des Schulverhältnisses ist es, dass es den Erziehungsbereich der Eltern ergänzt und zur Erreichung der Aufgabe der Schule zwangsläufig Rechte von Eltern und Schülern im erforderlichen Umfang begrenzt. Diese Einschränkungen sind Artikel 7 Absatz 1 des Grundgesetzes immanent.“ 52 So zutr.: Pieroth, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, DVBl. 1994, 949 (957 f.); Barczak, Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe als Grundrechtsproblem, S. 138, Fn. 87. 53 In der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 17.5.2002 (BGBl. II S. 1054 [1072]). 50

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es: „Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden.“ Es ist herrschende Meinung, dass diese Gewährleistung restriktiv zu interpretieren ist als Recht auf chancengleiche Teilhabe, d. h. diese Bestimmung reicht nicht über die Gewährleistungen des Grundgesetzes hinaus; auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und einzelne nationale Verfassungsgerichte legen Art.  2 Satz 1 des Zusatzprotokolls in diesem Sinne aus.54 3. Verantwortungsethische Relevanz des Landesgrundrechts auf Bildung für die integrative Unterrichtung Bei der Durchsicht der Gesetzesmaterialien zu dem verfassungsändernden Gesetz vom 4.7.2007, mit dem die Kinderrechte in Art. 24a und die korrespondierenden Sicherungspflichten in Art.  25 Verf. d. Saarl. verankert wurden, ist ein differenzierender Umgang der Abgeordneten mit dem Wort „Symbol“ festzustellen. So verwahren sich die Abgeordneten durchweg gegen den tatsächlichen oder möglichen Vorwurf der Symbolpolitik, weil sie in diesem Synonym für das Unterbleiben tatkräftigen Handelns eine Verkennung ihres politischen Verantwortungsbewusstseins sehen. Doch verweisen sie auf die Funktion der Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, in der ein Werteverständnis und eine Werteordnung zum Ausdruck gelangten, die sich auch in plakativen und insoweit symbolischen Begriffen vermittele. Die Debatten- und Diskussionsbeiträge der Abgeordneten in den Plenarsitzungen und in der Anhörung lassen erkennen, dass man die verfassungsgesetzliche Normierung der Kinderrechte nicht um ihrer selbst willen anstrebte, sondern weil man ihr eine bewusstseinsbildende und appellative Funktion beilegte. Bezogen auf das in die Verfassung des Saarlandes aufgenommene Recht auf Bildung bedeutet das: Gerade weil diese Verfassungsbestimmung für das einzelne Kind nicht zu einer Erweiterung seiner Grundrechtsposition führt, gewinnt der appellative Charakter dieser Norm Bedeutung. Das gilt umso mehr, als es sich hier um einen Regelungsgegenstand handelt, der in den Zuständigkeitsbereich des Landes fällt. Verpflichtungsadressat sind also letztlich das Landesparlament und die Schuladministration. Hierbei darf der Hinweis auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht losgelöst von der mit der Aufnahme des Rechts auf Bildung in die Verfassung bezweckten Appellfunktion verstanden werden. Der Respekt vor dem verfassungsändernden Gesetzgeber gebietet es, die bisweilen emphatischen Bekenntnisse der Abgeordneten zu dem Kindeswohl, insbesondere aber zur Bedeutung der Bildung für die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit, nicht gering zu schätzen. Die Gewichtung, welche der Verfassungsgesetz-

54 Vgl. Barczak, Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe als Grundrechtsproblem, S. 138 f. m. w. N.; Füssel, in: Avenarius, Schulrecht, S. 32.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

geber der Bedeutung der Bildung für die Förderung der Persönlichkeit des Kindes beigelegt hat, kommt einer Selbstverpflichtung mit moralischem Anspruch55 nahe. Verantwortungsbewusstes Handeln des Staates ist in besonderer Weise gefordert, wenn es darum geht, auch bei integrativer Unterrichtung die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers sicherzustellen. Bei der Zweiten Lesung des verfassungsändernden Gesetzes wurde im Zusammenhang mit dem Recht auf Bildung von der Abgeordneten Scherer (SPD) die Forderung erhoben: „Schulen müssen Kinder besser individuell fördern.“56 Bedauerlicherweise ist „individuelle Förderung“, soweit sie mit großer bildungspolitischer Geste inzwischen jedem Schüler versprochen wird, in dieser Undifferenziertheit zu einem wohlfeilen Versprechen geworden. Doch gibt es einen Bereich, in dem individuelle Förderung das Wesen des Unterrichts- und Erziehungskonzepts ausmacht, nämlich die Sonderpädagogik, d. h. die Unterrichtung und Erziehung behinderter Kinder und Jugendlicher. Der Staat ist verpflichtet, auch bei integrativer Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher die allgemeine Schule personell so auszustatten, dass dort eine individuelle Förderung des behinderten Kindes geleistet werden kann, und zwar an jedem Unterrichtstag und Stunde für Stunde.57 Daher enthält die vorliegende Schrift in ihrem zweiten Teil auch eine Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse bei der integrativen Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher in den allgemeinen Schulen im Saarland.

B. Inhaltliche Konkretisierung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers I. Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen 1. Förderschwerpunkt Lernen a) Pädagogische Ausgangslage Bei der in der Öffentlichkeit geführten Diskussion über integrative/inklusive Unterrichtung dürfte bei weitem nicht allen Diskussionsteilnehmern bekannt sein, dass etwa 80 % der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf mental beeinträchtigt, also entweder geistig behindert oder lernbehindert sind.58 Auf diese Tatsache muss nachdrücklich hingewiesen werden, wenn es um 55

Vgl. hierzu Völker, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 24a Rn. 2 ff. Verh. d. LT, 13. Wahlp., S. 2365. 57 Auf den oben sub Kap. 3 A. I. 3. b) zitierten Beschluss des NdsOVG, Beschl. v. 7.8.2014, 2 ME 272/14, Rn.10, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de (Zugriff: 29.1.2016), wird verwiesen. 58 Siehe hierzu im Einzelnen oben sub Kap. 2 A. I. 2. b) cc). 56

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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die Realisierung gemeinsamer Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten geht. Das gilt insbesondere für die Schüler mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt Lernen, deren Behinderung unter dem Eindruck einer distanzlosen Integrations- bzw. Inklusionseuphorie oft ignoriert oder von einigen sogar explizit in Abrede gestellt wird. Es ist daher in Erinnerung zu rufen, welches die wesentlichen Determinanten intellektueller Leistungsfähigkeit sind, nämlich Abstraktionsvermögen, Gedächtnisleistung und Assoziationsfähigkeit. Die Situation lernbehinderter Schüler ist bei diesen Persönlichkeitsmerkmalen gekennzeichnet durch mehr oder weniger stark ausgeprägte Defizite. Die daraus resultierenden Probleme dieser Schüler werden in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zum Förderschwerpunkt Lernen vom 1.10.1999, die den nachfolgenden Ausführungen zugrunde liegen, prägnant dargestellt.59 Diese Empfehlungen besitzen Gültigkeit für jedwede Unterrichtung lernbehinderter Schüler, unabhängig davon, ob der Schüler in der Förderschule oder integrativ in der allgemeinen Schule unterrichtet wird. Die genannten intellektuellen Beeinträchtigungen haben Auswirkungen auf die differenzierte Wahrnehmung, das logisch-schlussfolgernde Denken, auf Transferleistungen sowie auf die Aneignung von Bildungsinhalten. Defizite im sprachlichen Ausdrucksvermögen sowie Schwierigkeiten mit der Grob- und Feinmotorik sind ebenfalls kennzeichnend für die Situation lernbehinderter Schüler. In lernpsychologischer Hinsicht sind als weitere Handicaps dieser Schüler Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen zu nennen sowie Schwierigkeiten bei der Erarbeitung und der Verfolgung von Lernstrategien. Hinzu kommen Motivationsprobleme und wenig ausgeprägte Frustrationstoleranz. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass das Selbstwertgefühl lernbehinderter Schüler in aller Regel wenig ausgeprägt ist. Bei vielen lernbehinderten Schülern findet die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts auch keine Stütze im häuslichen Umfeld.

59 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen, Beschl. vom 1.10.1999, KMK-BeschlS., Leitzahl 310, S. 3 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S.  395 [397]). In ausdrücklicher Anknüpfung an diese Empfehlung erging der Beschl. der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland vom 20.10.2011 betr. Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 16.

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b) Bedürfnisse des Schülers Der Kern der spezifischen Bedürfnisse von Schülern mit Lernbehinderung wird in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zum Förderschwerpunkt Lernen zutreffend wie folgt benannt: Für diese Kinder und Jugendlichen „muss Schule ein Lebens-, Lern- und Handlungsraum sein, in dem sie eigene Aktivitäten entwickeln, Aufgaben lösen, Konflikte verarbeiten sowie Erfahrungen und Anregungen aufnehmen, weiterführen und auf neue Ziele hinlenken können. Diese Kinder und Jugendlichen sind in der schulischen Förderung einerseits angewiesen auf Geborgenheit und Sicherheit, Zuwendung und Wärme, Anerkennung und Vertrauen, um Selbstwertgefühl und Leistungskraft entfalten zu können; sie benötigen andererseits Normen und Strukturen zu ihrer Orientierung sowie Regeln für Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft.“60

Diese Ausführungen treffen selbstverständlich auch auf die lernbehinderten Schüler im Falle ihrer integrativen Unterrichtung zu. c) Sonderpädagogisches Handeln Sonderpädagogische Förderung von Kindern mit mentalen Beeinträchtigungen bedeutet, dass man gezielt, d. h. höchst individuell auf sie eingeht. Daraus ergibt sich das spezifische pädagogische Anforderungsprofil für die Unterrichtung und Erziehung lernbehinderter Schüler, nämlich –– Anschaulichkeit der Lerngegenstände, wirklichkeitsnahe und lebensorientierte Aufgabenstellungen, –– Rücksichtnahme beim Stoffumfang auf die behinderungsbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, –– von der Lehrkraft im Rahmen ihrer Unterrichtsvorbereitung zu erarbeitende, auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des jeweiligen lernbehinderten Kindes abgestimmte Unterrichtsmaterialien, –– erforderlichenfalls extreme Kleinschrittigkeit des Vorgehens bei der Vermittlung des Stoffes, –– schülerzentrierte Anleitung und Hilfestellung bei der Erledigung von Arbeitsaufträgen, –– Eingehen auf die innerpsychischen Probleme des lernbehinderten Schülers, –– Stärkung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, –– Gestaltung der Unterrichtsatmosphäre in Rücksichtnahme auf die emotionalen Bedürfnisse lernbehinderter Kinder. 60 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen, Beschl. vom 1.10.1999, KMK-BeschlS., Leitzahl 310, S. 5.

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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Das ist das Anforderungsprofil, das eine behinderungsadäquate Pädagogik bei Lernbehinderten zu erfüllen hat – und zwar an jedem Unterrichtstag und Stunde für Stunde. Sich dies bewusst zu machen und konsequent zu beachten ist von eminenter Bedeutung für bildungspolitische Entscheidungen zur integrativen Unterrichtung. Denn davon hängt es entscheidend ab, ob der Bildungsanspruch des behinderten Kindes erfüllt wird. Die so definierte sonderpädagogische Unterrichtssituation bedeutet in ihrem Kern, dass der Lehrkraft die erforderliche Zeit für das behinderte Kind zur Verfügung stehen muss. In der unterrichtlichen Normalsituation der allgemeinen Schule aber ist fehlende Zeit das zentrale Problem, weil die Lehrkraft „daneben“ auch noch 20 oder 25 nichtbehinderte Schüler zu unterrichten hat. Hierauf kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Das Problem würde nicht im Geringsten gelöst oder auch nur relativiert durch „kleine Klassen“, d. h. wenn die Klasse nur 15 Schüler hätte. Abgesehen davon, dass so kleine Klassen als Regelgröße in den allgemeinen Schulen bereits aus finanziellen Gründen nicht darstellbar sind, würde sich dadurch die Aufgabenstellung für die Lehrkraft mitnichten ändern, nämlich neben der zeitintensiven Förderung der behinderten Schüler gleichzeitig auch das komplette Unterrichtsprogramm für die nichtbehinderten Schüler verwirklichen zu müssen. Letzteres verlangt von der Lehrkraft denselben Unterrichtsaufwand völlig unabhängig davon, ob eine Klasse 15 oder 25 ­Schüler hat. d) Unabdingbarkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung) Mit einem Ambulanzlehrer-System, d. h. mit der zeitlich in aller Regel äußerst knapp bemessenen Anwesenheit eines sonderpädagogischen Stützlehrers ist bei zieldifferenter Unterrichtung keine durchgängig behinderungsadäquate Unterrichtssituation herstellbar.61 Das gilt vor allem dann, wenn im Landesdurchschnitt auf einen integrativ unterrichteten Schüler eine kaum mehr als nur sym 61 So zutreffend Stoellger, Schulische Integration zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Zeitschrift für Heilpädagogik 1990, 780 (782). Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung?, Zeitschrift für Heilpädagogik 2002, 354 (355), merkt zu dem Ambulanzlehrer-System an: „Besonders bei der Organisationsform wohnortnaher Einzelintegration ergibt sich jedoch schnell eine additive Situation, bei der dann – überspitzt formuliert – ein Sonderlehrer für das Sonderkind ab und zu vorbeikommt und pädagogische Sonderangebote in Sonderräumen nach Sondercurricula mit Sondermethoden macht […]. Integration besteht dann häufig aus einem räumlichen Bei- oder Nebeneinander; Interaktion, soziales Eingebundensein und emotionales Wohlbefinden kommen weniger in den Blick.“ Dieser zutreffende Befund veranlasst Hinz freilich zu einer Schlussfolgerung, die nur als Utopie bezeichnet werden kann, nämlich zu der Forderung nach einer radikalen Um­ gestaltung des gesamten Schulsystems im Sinne „einer Schule für alle“.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

bolische Zahl von Ambulanzlehrerstunden entfällt. Das ist im Saarland der Fall, wo im Schuljahr 2012/2013 pro Schüler und pro Woche62 gerade einmal 1,67 Unterrichtsstunden an sonderpädagogischer Förderung durch einen Ambulanzlehrer zur Verfügung stehen; in dieser Durchschnittszahl sind sowohl die zielgleichen als auch die zieldifferenten Integrationsmaßnahmen sowie die integrative Unterrichtung der Schüler mit ausgeprägten Störungen in der sozial-emotionalen Entwicklung enthalten.63 In Wirklichkeit bedarf es bei der Unterrichtung von Schülern mit Lernbehinderung, d. h. bei zieldifferenter Unterrichtung, eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung). Nur so ist eine intensive Betreuung des lernbehinderten Kindes während der gesamten Unterrichtszeit möglich, wenn gleichzeitig die nichtbehinderten Kinder ihrem Bildungsanspruch entsprechend gefördert werden sollen. Ohne eine durchgängige Doppelbesetzung mit pädagogischen Kräften ist der reguläre Lehrer der Klasse strukturell überfordert. Die andernfalls zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts sowohl für die behinderten wie für die nichtbehinderten Schüler sind evident. Daher beruht es auf einer grundlegenden Verkennung dessen, was sonderpädagogisch notwendig ist, wenn man die sonderpädagogische Förderung des behinderten Kindes bei dem Ambulanzlehrer – und nur bei ihm – verortet. So verweisen Poscher/Rux/Langer auf die in einigen Ländern den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten (Ambulanzlehrer-System) oder Förderzentren zugeordneten Förderschullehrer, „die insbesondere für die sonderpädagogische Betreuung derjenigen Schüler mit Behinderungen zuständig sind, die am Unterricht der allgemeinen Schulen teilnehmen.“64 Indem dieser Lehrer als „zuständig“ angesehen wird „für die sonderpädagogische Betreuung“, kann der Eindruck entstehen, als sei durch das punktuelle, in seinem zeitlichen Umfang in aller Regel äußerst bescheidene Tätigwerden des Ambulanzlehrers alles getan, was für die sonderpädagogische Förderung des behinderten Kindes notwendig ist. Ein fataler Irrtum. Die alles entscheidende Frage ist: Was geschieht in den übrigen 28 Unterrichtsstunden in der Woche mit dem lernbehinderten Kind in der Regelklasse der allgemeinen Schule, d. h. wenn die Ambulanzlehrkraft nicht anwesend ist? Die Gewährleistung eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbe­ setzung) ist keine Frage des schuladministrativen Beliebens, sondern eine Verpflichtung, die sich aus § 1 Abs. 1 SchoG ergibt: Danach hat „jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seinen 62 Vgl. hierzu Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben 2010, 167 (175): „Einem behinderten Kind ist ja ‚mit einem bisschen Sonderförderung‘ jeden Tag keineswegs ausreichend geholfen, weil es auch außerhalb etwaiger spezieller Förderzeiten und außerhalb sonderpädagogisch begleiteter Unterrichtsstunden besonderer Hilfen bedarf (Hervorh. d. Verf.).“ 63 Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle unten sub Kap. 7 E. I. am Anfang. 64 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 58, Fn. 130 (Hervorh. d. Verf.).

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung“.65 Hieraus folgt für den Fall der zieldifferenten integrativen Unterrichtung, dass der Schüler auch bei dieser Organisationsform sonderpädagogischer Förderung tatsächlich zu seinem Recht kommen muss.66 Zieldifferente Unterrichtung lernbehinderter Schüler aber setzt, wenn sie pädagogisch verantwortbar gestaltet werden soll, ein Zwei-Pädagogen-System, d. h. eine durchgängige Doppelbesetzung voraus. 2. Förderschwerpunkt geistige Entwicklung a) Pädagogische Ausgangslage Die grundlegenden Ausführungen zur Situation geistig behinderter Schüler, welche die Kultusministerkonferenz in ihren Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung vom 26.6.1998 macht, gelten selbstverständlich auch 65

Siehe hierzu oben sub Kap. 3 A. I. 3. Wie „ernst“ dieser Anspruch des behinderten Kindes auf einen seiner Begabung, d. h. seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechenden Unterricht in der saarländischen Integrationspraxis zeitweilig – nämlich von 1985 bis 1993 – genommen wurde, zeigt sich darin, dass damals in nicht wenigen Fällen geistig behinderte und lernbehinderte Schüler zielgleich unterrichtet wurden. Triebfeder dieser unverantwortlichen Praxis war das politisch motivierte Ziel einer rasanten Steigerung der Fallzahlen integrativer Unterrichtung zum Zwecke der Verkündung von Erfolgsmeldungen; denn man „sparte“ die vergleichsweise höhere Zahl von Ambulanzlehrer-Stunden, die bei der zieldifferenten Unterrichtung von geistig behinderten und lernbehinderten Schülern an sich bereitzustellen gewesen wäre und konnte mit den „gesparten “ Ambulanzlehrer-Stunden weitere Integrationsmaßnahmen in Angriff nehmen. Um diese Handlungsweise zu beenden, wurde aufgrund kritischer Hinweise aus der Lehrerschaft durch ÄndVO vom 22.5.1993 (Amtsbl. S. 494) in § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IntVO ausdrücklich klargestellt, dass die Schulaufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung über den Antrag auf integrative Unterrichtung u. a. die Selbstverständlichkeit zu berücksichtigen hat, „daß die integrative Unterrichtung von Lern- oder Geistigbehinderten nur als zieldifferente Unterrichtung zulässig ist.“ Siehe hierzu OVG d. Saarl., Beschl. v. 23.10.2000, 3 V 25/00, Rn. 27, http://www. juris.de (Zugriff: 10.7.2015): Danach spreche alles dafür, daß auch das saarländische Konzept der zielgleichen und zieldifferenzierten integrativen Erziehung den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge. Der Ausschluß von geistig behinderten Schülern von der zielgleichen integrativen Erziehung entspreche dabei den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Nach der dargelegten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1997 stehe dem Normgeber ein Einschätzungsspielraum zu, wonach er von der Einführung solcher Integrationsformen absehen könne, deren Verwirklichung ihm aus insbesondere pädagogischen Gründen nicht vertretbar erscheine. Pädagogisch erscheine es indessen kaum vertretbar, geistig behinderte Schüler auf dasselbe Leistungsziel und denselben Leistungsabschluß hin zu unterrichten wie nicht behinderte Schüler. Ein derartiger, im Grunde unrealistischer Leistungszwang würde die Lebenssituation der betroffenen Behinderten letztlich verschlechtern. Gerade dies solle nach dem Behindertengrundrecht aber vermieden werden. Die von dem Normgeber eingeführte Differenzierung in § 9 IntVO wirke mithin einer Verschlechterung der Lebenssituation geistig behinderter Schüler entgegen und halte gerade aus diesem Grund der Überprüfung am Maßstab des Behindertengrundrechts stand. 66

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

für den Fall, dass ein geistig behinderter Schüler integrativ unterrichtet werden soll. In den Empfehlungen, aus denen im Folgenden zitiert wird,67 heißt es: „Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung zeigen unterschiedliche Er­ scheinungsbilder in den verschiedenen Entwicklungsbereichen. Sie benötigen besondere Hilfen bei der Entwicklung von Wahrnehmung, Sprache, Denken und Handeln sowie Unterstützung zur selbständigen Lebensführung und bei der Findung und Entfaltung der Persönlichkeit. Vielfach wird die Lern- und Lebenssituation dieser Kinder und Jugendlichen durch körperliche, psychische und soziale Beeinträchtigungen zusätzlich erschwert.“ In den Empfehlungen wird darauf hingewiesen, dass die „eingeengten Möglichkeiten der psychisch-geistigen Entwicklung, die veränderten Ausdrucks-, Kommunikations- und Handlungsformen […] Auswirkungen [haben] auf die Persönlichkeitsentfaltung und das so­ziale Umfeld.“

b) Bedürfnisse des Schülers Auch bei der integrativen Unterrichtung von geistig behinderten Schülern gilt, was die Kultusministerkonferenz in ihren Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, aus denen im Folgenden zitiert wird,68 in grundsätzlicher Hinsicht feststellt: Diese „Kinder und Jugendlichen [sollen] befähigt werden, die Verrichtungen des alltäglichen Lebens nach Möglichkeit ohne fremde Hilfe bewältigen zu können, ihre Selbständigkeit in Bereichen der Selbstversorgung gewinnen zu lernen und Orientierung im Lebensumfeld zu finden.“ Im Vordergrund stehen also nicht kognitive und kulturtechnische Inhalte, sondern die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten. Hierbei nennt die Kultusministerkonferenz eine Bedingung, deren Bedeutung für das Gelingen sonderpädagogischer Förderung bei geistig behinderten Kindern und Jugendlichen nicht hoch genug veranschlagt werden kann: „Es ist zu beachten, daß diese Kinder und Jugendlichen in besonderer Weise auf Zuwendung bei der Förderung angewiesen sind. Sie brauchen Bezugspersonen, die sie in ihren indivi­ duellen Ausdrucksformen verstehen und annehmen und in die Umwelt und beim Aufbau von Beziehungen zu Menschen und Dingen begleiten.“

67 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Beschl. vom 26.6.1998, KMKBeschlS., Leitzahl 313, S. 2 ff. = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 1.12.1998 (GMBl. Saar 1999 S. 67 [68]). 68 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Beschl. vom 26.6.1998, KMKBeschlS., Leitzahl 313, S. 4 ff.

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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c) Sonderpädagogisches Handeln Daher hat, worauf in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz hin­ gewiesen wird, sonderpädagogische Förderung geistig Behinderter „die Aufgabe, jeder Schülerin und jedem Schüler Hilfen zur Entwicklung der individuell erreichbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu geben. Hierbei müssen Körpererfahrungen gemacht und erweitert werden, Körperfunktionen beherrscht und senso- und psychomotorische Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgebildet werden.“ Auf den in Betracht kommenden Handlungsfeldern ist den „lebensorientierten Lernbereichen“ besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Förderung „berücksichtigt […] die weitgehende Gebundenheit des Gelernten an die ursprüngliche Lernsituation, das Bedürfnis nach überschaubaren Aufgabengliederungen, das stark variierende, individuelle Lerntempo sowie die begrenzte und schwankende Durchhaltefähigkeit im Lernprozeß.“ Für die Unterrichtsgestaltung auf der Basis der kognitiven Fähigkeiten der geistig behinderten Schüler nennt die Kultusministerkonferenz in folgender Reihenfolge die durchgängig zu praktizierenden Prinzipien, nämlich Handlungsorientierung, Förderung der Wahrnehmung, Förderung kommunikativen Handelns, Förderung des Denkens und Förderung der sozialen Kompetenz.

d) Unabdingbarkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung) Was oben zu den personellen Voraussetzungen der integrativen Unterrichtung lernbehinderter Schüler gesagt wurde, gilt erst recht für die Unterrichtung geistig behinderter Schüler. Nur die Bindung an eine feste Bezugsperson kann für die geistig behinderten Kinder die Sicherheit und Führung ermöglichen, auf die sie existenziell, d. h. zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit auch im Bereich der Schule angewiesen sind. Die reguläre Lehrkraft kann dies angesichts ihrer vielfältigen sonstigen Aufgaben in aller Regel nicht leisten. Das geistig behinderte Kind braucht permanent die Rückbindung an eine Bezugsperson, die sich ganz seiner individuellen Betreuung und Förderung widmet. Es kommt hinzu, dass die oben genannten sonderpädagogischen Handlungsprinzipien bei der Unterrichtung und Erziehung von geistig behinderten Schülern ihren Schwerpunkt in der Vermittlung und der Aneignung explizit lebenspraktischer Fertigkeiten haben. Auch diese Aufgabe kann die allgemeine Schule nur erfüllen, wenn für die Unterrichtung eines geistig behinderten Kindes ständig eine zweite pädagogische Kraft zur Verfügung steht. Auch hier gilt: Ohne diese personelle Zusatzausstattung der allgemeinen Schule kann der Anspruch des geistig behinderten Kindes und Jugendlichen auf eine seiner Begabung, d. h. seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Unterrich-

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

tung und Erziehung nicht erfüllt werden. Weil ihm infolge eines unzulänglichen staatlichen Bildungsangebotes insoweit die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit vorenthalten bzw. in erheblichem Maße beschränkt würde, wäre dies eine rechtlich relevante Nichterfüllung seines Bildungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs.1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. II. Schüler mit Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung 1. Pädagogische Ausgangslage Die Perzeption der Schüler, um die es in diesem Abschnitt geht, reduziert sich nur allzu leicht auf die Wirkungen ihrer sozialen Interaktion, d. h. es besteht die Gefahr, in ihnen nur den Störfaktor zu sehen. Doch geht es auch hier an erster Stelle um die Frage, wie die Schule auch diesen Schülern gerecht werden kann, damit der jeweilige Schüler unter den Bedingungen seines Soseins zu seinem Recht auf Bildung kommt. Ihr emotionales Erleben und ihr soziales Handeln müssen ernst genommen werden als Ausprägung der Persönlichkeit, deren Entfaltung die Schule auch bei diesen Schülern zu fördern hat. Die Probleme dieser Schüler sind in aller Regel das Ergebnis vielfacher Wechselwirkungen zahlreicher Einflussfaktoren auf unterschiedlichen Ebenen, nämlich der persönlichen, der familiären, der schulischen und der gesellschaftlichen Ebene. Dementsprechend hoch komplex sind die Erscheinungsformen, in denen sich abweichendes bzw. auffälliges Verhalten dieser Schüler manifestiert. Mit einigen Stichworten soll das Spezifikum dieser Behinderungsart eher nur angedeutet werden: Mangelnde Impulskontrolle, Machtfantasien, latente und manifeste Gewaltbereitschaft, Flucht in Traumwelten, geringe Frustrationstoleranz, Unzugänglichkeit für Hilfsangebote, Verlassenheitserfahrung aufgrund fehlender familiärer Zuwendung, traumatisierende Erlebnisse, Drogenabhängigkeit, Verharren in Passivität, Fehlen jeglicher Motivation usw. Auch hier geben die einschlägigen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz, nämlich die Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung vom 10.3.2000,69 eine informative Darstellung der Vielfalt und der Wucht der Probleme dieser Schüler. Sie ermöglichen eine Vorstellung von der Aufgabe, vor die die Lehrkräfte der allgemeinen Schule bei der integrativen Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten gestellt sind.

69

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Beschl. vom 10.3.2000, KMK-BeschlS., Leitzahl 311 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S. 383).

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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2. Bedürfnisse des Schülers Zur Identifizierung des spezifischen Förderbedarfs der Schüler mit dem Förder­ schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung lassen sich wichtige Anhaltspunkte aus den in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz genannten Zielsetzungen der hier angezeigten sonderpädagogischen Intervention entnehmen. Danach soll „ein breites Angebot spezifischer individueller Hilfen“ bei diesen Kindern und Jugendlichen „– die Wahrnehmung für ihr eigenes sowie fremdes Empfinden stärken, ihre Selbststeuerungskräfte aktivieren und dadurch Motivation für dauerhafte Veränderungen unterstützen und die Steuerungsfähigkeit ihres Verhaltens langfristig stabilisieren, – die Fähigkeiten zur Reflexion ihres eigenen Denkens und Handelns sowie das von anderen erweitern, dabei Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber anderen entfalten, – Interesse für das Lernen, Verständnis für die Zusammenarbeit und Sinn für das Handeln mit anderen vermitteln.“70

Diese Ziele lassen sich mit Aussicht auf Erfolg nur anstreben auf einer „tragfähige[n] Schüler-Lehrer-Beziehung. Sie zeichnet sich durch ein hohes Maß an Verständnis, durch besondere persönliche Zuwendung und pädagogisch-psychologische Unterstützung aus. Hierzu gehört auch, dass Grenzen gesetzt und Normen und Regeln vereinbart werden.“71 3. Sonderpädagogisches Handeln Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz vermitteln einen Eindruck von dem Anforderungsprofil, dem die Lehrkraft bei der Unterrichtung und Erziehung von Schülern mit Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung gerecht werden muss, und das selbstverständlich auch für den Fall gilt, dass ein Schüler mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten integrativ unterrichtet werden soll: „Authentisches Verhalten, Klarheit und Konsequenz bei Interventionen, Flexibilität bei der Unterrichtsplanung und -durchführung, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit des Lehrerverhaltens sind für die Schülerinnen und Schüler wichtige Hilfen, sich auf die Lernprozesse und die Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer einzulassen. Auf Seiten der Lehrkräfte sind Bereitschaft, Wille und Mut zur Veränderung eigener Sicht- und Handlungsweisen Voraussetzung für die Steuerung der Prozesse in Unterricht und Schule. Reflexion und Evaluation des unterrichtlichen Handelns und der eigenen Rolle sind für die Lehrkräfte unabdingbar, um unbewusste Handlungsmuster aufzudecken, eigene Anteile bei schwierigen Interaktionen 70

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, ebd., S. 2. 71 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, ebd., S. 11.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

bewusst zu machen und nach Möglichkeit Veränderungen einzuleiten. Hierzu eignen sich themenspezifische Dienstbesprechungen, regelmäßige Fallbesprechungen oder Möglichkeiten der Supervision.“72

4. Unabdingbarkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung) Aufgrund des oben dargestellten Anforderungsprofils ist unschwer zu erkennen, dass die Lehrkraft der allgemeinen Schule überfordert ist, wenn sie zusätzlich zur Förderung der übrigen Schüler auch den Schüler mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten im Sinne einer substanziellen Erfüllung seines Bildungsanspruchs fördern soll. Das ist unabhängig von dem Erfordernis, im Interesse der übrigen Schüler deren ordnungsgemäße Unterrichtung sicherzustellen. Integrative Unterrichtung von Schülern mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung ist nur unter der Bedingung eines Zwei-Pädagogen-Systems (durch­ gängige Doppelbesetzung) verantwortbar. III. Behinderte Schüler ohne mentale Beeinträchtigungen Dass die behinderten Schüler ohne mentale Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit den Ausführungen zur Erfüllung ihres grundrechtlich gewährleisteten Bildungsanspruchs hier erst an dritter Stelle genannt werden, soll nicht etwa dem Umstand Rechnung tragen, dass diese Gruppe lediglich 20 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausmacht. Vielmehr braucht das Augenmerk nicht in besonderer Weise auf diese Gruppe gerichtet zu werden, wird sie doch in weiten Bereichen des öffentlichen Diskurses offensichtlich weitgehend gleich­ gesetzt mit den behinderten Schülern in ihrer Gesamtheit. Wie bereits dargelegt,73 lässt sich der Bildungsanspruch dieser Schüler, soweit es sich nicht um Schüler mit ausgeprägten Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung handelt, bei integrativer Unterrichtung mit einem zusätzlichen personellen Aufwand erfüllen, der geringer ist als bei Schülern mit mentalen Beeinträchtigungen. In diesen Fällen ist in aller Regel kein Zwei-Pädagogen-­System (durchgängige Doppelbesetzung) erforderlich. Hier kann ein etwaiger sonderpädagogischer Förderbedarf mit einer Ambulanzlehrkraft abgedeckt werden; der zeitliche Umfang des Tätigwerdens der Ambulanzlehrkraft muss aber dem tatsächlichen Förderbedarf entsprechen und darf sich nicht in einer nur symbolischen Stundenzahl erschöpfen. Eine Ausnahmesituation besteht bei blinden oder gehör-

72 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, ebd., S. 11 f. 73 Siehe oben sub Kap. 2 A. I. 2. a).

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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losen Schülern, da diese auf eine permanente Unterrichtung durch Lehrkräfte mit der entsprechenden sonderpädagogischen Fakultas angewiesen sind.

C. Bildungsanspruch des nichtbehinderten Schülers Der Blick auf die Schüler mit Lernbehinderung, mit geistiger Behinderung oder mit ausgeprägten sozialen Anpassungsproblemen in der Regelklasse der allgemeinen Schule muss gleichzeitig auch die Situation der übrigen Schüler der Klasse umfassen. Das ist eine Feststellung von rechtlicher Relevanz, welche das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung zur sonderpädagogischen Förderung bestätigt und deren Legitimität das Gericht anerkannt hat. Danach sind bei dem „Gesamtvergleich“ zwischen Vor- und Nachteilen integrativer Unterrichtung „nicht nur die dem behinderten Kind oder Jugendlichen damit eröffneten Chancen für seine Ausbildung und sein späteres Erwachsenenleben einzustellen, sondern auch die mit einer solchen Maßnahme möglicherweise verbundenen Belastungen zu würdigen. Letzteres gilt mit Blick auf das behinderte Kind selbst, das sich vor allem bei zielgleicher Unterrichtung zunehmend höheren Leistungsanforderungen ausgesetzt sehen wird, ist aber darauf nicht zu beschränken. Vielmehr sind auch denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal sowie die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen und Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.“74

Der Gesichtspunkt der möglichen Beeinträchtigung der nichtbehinderten Schüler war noch bis Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung – unabhängig von der Art der Behinderung – ein nicht selten verwendetes Argument für die Bestätigung angefochtener Überweisungen an die Sonderschulen. Heute ist dies nach dem maßgeblich durch die Empfehlungen des Deutschen Bildungsrates vom 12./13.10.1973 ausgelösten Perspektivenwechsel in Richtung auf integrative Unterrichtung kein die verwaltungsgerichtliche Entscheidungspraxis prägendes Begründungsmuster mehr.75 Doch kann diesem Aspekt, wie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wird, die rechtliche Relevanz nicht schlechthin abgesprochen werden.76 74

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307 f.) (Hervorh. d. Verf.). Siehe hierzu Muth, Zu Überweisungsverfahren in Sonderschulen, RdJB 1980, 184 (185 ff.); Reichenbach, Der Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, S. 48 ff. 76 Vgl. OVG d. Saarl., Beschl. v. 12.3.1997, 8 W 3/97, das die Rechtmäßigkeit der Beendigung der im konkreten Fall mit überdurchschnittlich hohem Personaleinsatz praktizierten integrativen Unterrichtung einer geistig behinderten Schülerin, von der eine nachhaltige Störung des Unterrichts ausging, bestätigte, amtl. Umdruck S.  9: Die von pädagogischer Seite getroffenen Feststellungen zeigten „deutlich, daß alle Schüler der Klasse nicht die erforderliche Förderung erhalten und die Fortsetzung der Integrationsmaßnahme auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin liegen kann, die hieraus – jedenfalls mittlerweile – offensichtlich auch keinen nennenswerten Nutzen mehr ziehen kann […] (Hervorh. d. Verf.).“ 75

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

Denn im Falle der integrativen Unterrichtung sind auch die Grundrechte der nichtbehinderten Schüler zu beachten. Auch deren Bildungsanspruch aus Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 Verf. d. Saarl. ist staatlicherseits zu erfüllen. So kann als mittelbare Folge einer fehlenden oder unzulänglichen Ausstattung der Integrationsmaßnahme mit zusätzlichem pädagogischem Personal die ordnungsgemäße Erfüllung des Bildungsanspruchs der nichtbehinderten Schüler infrage gestellt sein. Außerdem kann das Recht der nichtbehinderten Schüler auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 1 Satz 277 Verf. d. Saarl. durch nicht kontrollierbare Handlungen eines extrem verhaltensauffälligen Schülers tangiert bzw. verletzt werden. Dieses Grundrecht der nichtbehinderten Schüler ist von der Schule in Wahrnehmung ihrer in § 1 Abs.  2b, § 21 Abs.  5 sowie § 28 Abs. 3 und 4 SchoG78 normierten Fürsorgepflicht zu gewährleisten. Mit dem Gesetz zur Änderung des Schulordnungsgesetzes und weiterer Gesetze im Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 17.6.201579 wurde in § 21 Abs. 6 SchoG eine Regelung getroffen zu den Befugnissen des Schulleiters gegenüber Schülern, von denen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der anderen Schüler oder der Lehrkräfte ausgeht. Auch ist hier auf einschlägige Vertragsbestimmungen in völkerrechtlichen Konventionen zu verweisen, nämlich auf Art. 19 VN-KRK (körperliche Unversehrtheit) im Falle wiederholt auftretenden und nicht kontrollierbaren aggressiven Verhaltens eines behinderten Schülers, der die Gesundheit der Mitschüler gefährdet, und auf Art. 13 Abs. 1 IPwskR und Art. 28 Abs. 1 VN-KRK (Recht auf Bildung), wenn Störungen trotz aller Hilfen nicht abgewendet werden können und dadurch das Recht der nichtbehinderten Schüler auf Bildung verletzt wird.80 Allerdings ist ein strenger Maßstab anzulegen, wenn einem behinderten Schüler mit Rücksicht auf die Erfüllung des Bildungsanspruchs der übrigen Schüler der Klasse die integrative Unterrichtung verweigert werden soll.81 Dem korrespon 77

Vgl. Guckelberger, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art.  1 Rn.  16, sowie VerfGH d. Saarl., Urt. v. 1.12.2008, Lv 2,3, 6/08, S. 17, http://www.verfassungsgerichtshof-saarland.de, ID 219 (Zugriff: 26.1.2015). 78 Es wurden in das Schulordnungsgesetz eingefügt: § 1 Abs. 2b, § 21 Abs. 5 und § 28 Abs. 4 SchoG mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Vorschriften vom 18.6.2008 (Amtsbl. S.  1258), § 28 Abs.  3 SchoG mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Saarland – Schulordnungsgesetz (SchoG) vom 27.3.1974 (Amtsbl. S. 373). 79 Amtsbl. I S. 446. 80 Siehe hierzu: Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 36, Fn. 77; Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule?, SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/RheinlandPfalz, 2012, 83 (85 f.). 81 Vgl. OVG d. Saarl., Beschl. v. 29.9.2004, 3 W 18/04, Rn. 23, http://www. juris.de (Zugriff: 9.8.2011). Siehe hierzu auch Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule?, SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 2012, 83 (85 f.), der sich zu Recht kritisch äußert zu der äußerst restriktiven Position von Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das

3. Kap.: Bildungsanspruch des behinderten und des nichtbehinderten Schülers

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diert die Verpflichtung der Schuladministration, etwa im Falle der integrativen Unterrichtung des in seinem Sozialverhalten stark auffälligen Schülers so viel zusätzliches pädagogisches Personal zur Verfügung zu stellen, dass der Unterricht in der Klasse geordnet und ohne pädagogische Qualitätseinbuße erteilt werden kann. Bei seriöser Handlungsweise bedeutet das grundsätzlich, dass während der gesamten Unterrichtszeit eine zweite pädagogische Kraft zur Verfügung stehen muss (durchgängige Doppelbesetzung), andernfalls die integrative Unterrichtung des Schülers mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten zu unterbleiben hat. Ist der Staat dazu nicht willens oder nicht in der Lage und führt das auffällige und aggressive Verhalten des betreffenden Schülers zu einer Gefährdung der körperlichen Integrität von Mitschülern, Lehrkräften oder Eingliederungshelfern, dann besteht die Verpflichtung der Schulaufsichtsbehörde, die integrative Unterrichtung zu beenden und den Schüler einer Förderschule zuzuweisen. Die im Zuge der Umsetzung eines dogmatisierten, undifferenziert gehandhabten Inklusionstheorems von interessierter Seite betriebene Abschaffung insbesondere der Förderschulen emotionale und soziale Entwicklung wird die allgemeinen Schulen auf breiter Front mit der harten Problematik extrem verhaltensauffälliger Schüler konfrontieren. Da bei realistischer Betrachtungsweise nicht davon ausgegangen werden kann, dass die allgemeinen Schulen künftig vom Staat mit dem hierfür erforderlichen zusätzlichen pädagogischen Personal ausgestattet werden, kann es an der allgemeinen Schule zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Unterrichtssituation kommen.

deutsche Schulsystem, S. 24 f., http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten _riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011). Auch Bickenbach, Elternwille und Inklusion am Beispiel der rheinland-pfälzischen Schulgesetz-Novelle 2014, LKRZ 2015, 261 (265), macht zu Recht geltend, dass die im konkreten Fall angesichts des Gefährdungspotenzials notwendigen Maßnahmen „durch die Schulen, die Schulbehörden, aber auch durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht aus falsch verstandener Rücksichtnahme, politischer Opportunität oder Bequemlichkeit unterbleiben“.

Kapitel 4

Voraussetzungen integrativer Unterrichtung A. Paradigmenwechsel mit Vorbehalt des Möglichen An den Anfang dieses Kapitels soll die folgende Aussage von Oelkers gestellt werden: „Entscheidend für eine Kultur des integrativen Förderns ist aber, ob dafür überhaupt Ressourcen und geeignete Verfahren zur Verfügung stehen. Sonst ‚fördert‘ man nur in der pädagogischen Theorie, und die kann das bekanntlich­ immer.“1 Integraler Bestandteil der vom Gesetzgeber getroffenen Grundsatzentscheidung zur gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern war der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 enthaltene Vorbehalt, wonach Formen der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern „im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten“ zu entwickeln sind. Das Vorhandensein der erforderlichen Rahmenbedingungen wird somit als tatbestandliche Voraussetzung normiert. Vom Verwaltungsgericht des Saarlandes wurde hervorgehoben, dass die Entwicklung geeigneter Formen gemeinsamer Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Schüler „im Rahmen der vorhandenen  – also nicht erst zu schaffenden  – schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten“ zu geschehen hat.2 Angesichts des insoweit unmissverständlichen Gesetzeswortlauts ist die auf § 4 Abs. 1 SchoG 1986 bezogene Auffassung von Rux, im Saarland lasse sich „den einschlägigen Bestimmungen […] eine objektive Verpflichtung zum Kapazitäts­ausbau entnehmen“,3 nicht nachvollziehbar. 1

Oelkers, Chancengleichheit, Integration und Schule, RdJB 2009, 190 (196) (Hervorh. d. Verf.). 2 VG d. Saarl., Beschl. v. 6.2.1997, 1 F 3/97, amtl. Umdruck S. 11 (Hervorh. im Original). 3 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (225). Zutreffend zur Rechtslage im Saarland dagegen Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 105: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Rechtslage im Saarland im Wesentlichen mit den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention vereinbar ist. […] Zwar besteht kein Anspruch auf Zulassung zu den entsprechenden Einrichtungen. Auch gibt es keine Pflicht, die entsprechenden Angebote weiter auszubauen.“ Hierzu widersprüchlich und in der Sache unzutreffend ist allerdings die Aussage ders., ebd., S. 120, dass im Saarland „ein Rechtsanspruch auf Zulassung“ bestehe. Bezüglich der Rechtslage in RheinlandPfalz, wo die betreffenden Vorschriften die integrative Unterrichtung ebenfalls nur im Rahmen der „vorhandenen Möglichkeiten“ vorsahen, stellte das OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16.7.2004,

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

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I. Normierung tatbestandlicher Voraussetzungen § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 regelte mit den Worten „im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten“ die maßgeblichen tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen die Entwicklung geeigneter Formen gemeinsamer Unterrichtung von Behinderten und Nicht-Behinderten zulässig sein sollte. Nur wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind, kann integrative Unterrichtung in verantwortbarer Weise realisiert werden. Das gilt insbesondere für die alles überragende Bedeutung der personellen Voraussetzungen; sie wären den Verantwortlichen nicht in gleicher Weise vor Augen gestellt worden, wenn man sie undifferenziert z. B. als Frage der „Organisation der sonderpädagogischen Förderangebote“ eingeordnet hätte oder wenn sie unter der unspezifischen Formulierung „angemessene Vorkehrungen“ (vgl. z. B. Art. 2 VN-BRK) eher verdeckt als ins Bewusstsein gerückt worden wären.4 II. Entscheidungskriterien 1. Kriterium des Erforderlichen Die mit der gesetzlichen Formulierung „im Rahmen der […]“ normierte Möglichkeit integrativer Unterrichtung darf nicht losgelöst werden von den pädagogischen und rechtlichen Voraussetzungen, die ihr zugrunde liegen und die in jedem einzelnen Fall integrativer Unterrichtung zu beachten sind. Es handelt sich dabei nicht um eine Frage von Ermessensausübung, sondern um die Feststellung des Vorliegens tatbestandlicher Voraussetzungen.5 Für die Auslegung und die Handhabung dieser tatbestandlichen Voraussetzungen ist das sachliche Entscheidungskriterium maßgeblich, das in der grundlegenden Vorschrift des § 1 Abs. 1 IntVO normiert war: Danach ist integrative Unterrichtung behinderter Schüler nur zulässig, wenn „gewährleistet ist, dass sie in der Schule der Regelform die erforderliche sonderpädagogische Förderung erhalten“. 12 A 10701/04, NVwZ 2005, 186 (187), fest: „Folglich besteht entgegen der Annahme des Kl. auch vor dem Hintergrund von Art. 3 III 2 GG keine Verpflichtung des Landes, zur integrativen Unterrichtung eines behinderten Schulkindes der betreffenden Schule weiteres Personal oder weitere Geld­mittel zur Verfügung zu stellen und hierfür ggf. einen Nachtragshaushalt aufzustellen.“ 4 Vgl. z. B. Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schul­system, S.  47, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011), der im Übrigen in Übereinstimmung mit der Definition des Begriffs der „angemessenen Vorkehrungen“ in Art. 2 Abs. 4 VN-BRK auch für den Schulbereich a priori nicht an die Kategorie der „Erforderlichkeit“, sondern an die der „Verhältnismäßigkeit“ anknüpft. 5 So der ausdrückliche Hinweis des VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991, 1 K 171/88, amtl. Umdruck S. 10.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

Von zentraler Bedeutung sind also die Begriffe „erforderlich“ und „gewährleistet“. Was erforderlich ist, ergibt sich aus dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. Der Maßstab dessen, was der Staat hierbei zu leisten hat, ist § 1 Abs. 1 SchoG zu entnehmen: „Der Auftrag der Schule bestimmt sich daraus, dass jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung hat […].“6 Worin das Spezifische der sonderpädagogischen Förderung besteht und was sie zu leisten hat, wurde in Kapitel 3 im Einzelnen dargelegt. Prioritär ist der Anspruch des behinderten Kindes auf einen in diesem Sinne qualitativ „hochwertigen“ (so der Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK) Unterricht. Die „erforderliche sonderpädagogische Förderung“ (§ 1 Abs. 1 IntVO) aber ist nicht zu trennen von der Bereitstellung der nach Art und Umfang erforderlichen personellen Ressourcen. Erst an zweiter Stelle kann die dem Wort „angemessen“ unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit innewohnende Regulativfunktion im Sinne der Berücksichtigung der Interessen der für die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen zuständigen staatlichen und kommunalen Kostenträger zum Zuge kommen. Hierbei geht es zwar im Ergebnis um die personelle Ausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahme. Doch steht dies in untrennbarem Zusammenhang mit der Zahl der angesichts der verfügbaren personellen Ressourcen insgesamt verantwortbar zu realisierenden Integrationsmaßnahmen. 2. Gewährleistung des Erforderlichen In der Verknüpfung der Worte „erforderlich“ und „gewährleisten“ in § 1 Abs. 1 IntVO sieht das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes zutreffend die explizite Verankerung eines „Gewährleistungsmaßstab[s] statt etwa eines Möglichkeitsmaßstabs“ mit dem Ziel einer „nach pädagogischen Gesichtspunkten […] möglichst realitätsgerechten Entscheidung über Integration oder Nichtintegration […].“7 Mit „Gewährleistung“ ist also eine Förderung des behinderten Kindes gemeint, die dessen individuellen Bedürfnissen und damit seinem Bildungsanspruch tatsächlich gerecht wird. Dieser Zusammenhang zwischen staatlicher „Gewährleistung“ und behinde­ rungsadäquater Förderung wird vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in einer weiteren Entscheidung deutlich gemacht. Dort heißt es unter Bezugnahme auf eine Formulierung in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungs 6

Hervorh. d. Verf. OVG d. Saarl, Beschl. v. 9.2.2004, 3 Q 16/03, Rn.  31, http://www.juris.de (Zugriff: 15.3.2013). 7

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

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gerichts zur sonderpädagogischen Förderung:8 Klarzustellen sei in diesem Zusammenhang, dass unter „Möglichkeit“ des Besuchs einer Regelschule bei integrativer Förderung nicht zu verstehen sei, dass – gleichsam formal – eine Regelschule vorhanden sei, an der von den organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen her eine integrative Unterrichtung behinderter Kinder durchgeführt werden könne. Erforderlich sei vor dem Hintergrund des in § 1 Abs. 1 SchoG formulierten Anspruchs auf eine den individuellen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung ferner und vor allem, dass dem Kind durch den Besuch der Regelschule mit begleitender sonderpädagogischer Betreuung eine diesen Anspruch erfüllende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung zuteilwerden könne. Das zeige nicht zuletzt auch die Regelung des § 1 Abs. 1 IntVO, die die integrative Unterrichtung davon abhängig mache, dass die erforderliche sonderpädagogische Förderung gewährleistet sei, wobei das Merkmal „erforderlich“ einen Bezug zu den Zielen des § 1 Abs. 1 SchoG herstelle.9 III. Personelle Voraussetzungen Der absolute Schwerpunkt der praktischen Bedeutung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts liegt bei der Gewährleistung der personellen Voraussetzungen: Die Ausstattung mit zusätzlichem Personal in dem pädagogisch erforderlichen Umfang ist entscheidend, wenn integrative Unterrichtung gelingen soll. Es ist ein Gebot der pädagogischen Verantwortung gegenüber dem behinderten Schüler, integrative Unterrichtung nur dann zuzulassen, wenn das hierfür in jedem Einzelfall erforderliche zusätzliche pädagogische, therapeutische und pflegerische Personal zur Verfügung gestellt wird. 1. Personalkategorien a) Bedarfsdefinierung und Aufgabenbereiche aa) Unterscheidung zwischen Eingliederung und Förderung Im Hinblick auf das erforderliche zusätzliche Personal sind alle Aufgaben­ bereiche und Ressourcen angesprochen. Hierbei ist die Unterscheidung zwischen

8 Der vom OVG d. Saarl. aus dem Beschluss des BVerfG v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307), zitierte Satz lautet: „Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.“ 9 OVG d. Saarl., Beschl. v. 29.9.2004, 3 W 18/04, Rn.  16, http://www. juris.de (Zugriff: 9.8.2011).

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Eingliederung10 und Förderung maßgeblich. Der Eingliederung sind alle Hilfen zuzuordnen, durch die ein Schulbesuch des betreffenden Kindes überhaupt erst ermöglicht wird (z. B. Begleitung zur Schule, Hilfe bei der Mobilität, beim Essen, beim Toilettengang).11 Demgegenüber ist die Förderung auf die Teilnahme am Unterricht, die dort zu leistende pädagogische und therapeutische Arbeit und das anzustrebende Unterrichts- und Erziehungsziel bezogen; das betrifft nicht nur die eigentliche Unterrichtserteilung, sondern z. B. auch die erforderliche Physiotherapie oder die pflegerische Versorgung.12 Hierbei ist die von der Schule zu erbringende pädagogische Leistung nicht beschränkt auf den kognitiven Bereich, d. h. die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten; vielmehr gehört zum Aufgabenbereich der Schule – und somit nicht zum Aufgabenbereich von Eingliederungshelfern – auch die Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung des behinderten Kindes einschließlich des Aufbaus und der Kräftigung seiner Motivation sowie die Hilfestellung bei seiner Eingliederung in die Schulgemeinschaft.13 Der Versuch von Banafsche, die angebliche Unmöglichkeit „eine[r] generellen Trennung zwischen einerseits pädagogisch-didaktischen und andererseits alltagspraktischen Verrichtungen“14 der „Schulbegleiter“ darzutun, vermag nicht zu überzeugen. Dieser Versuch überrascht umso mehr, als die Autorin die Gemeinsamen Empfehlungen des Verbandes bayerischer Bezirke und des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 1.3.2012 für den Einsatz von Schulbegleitern an allgemeinen Schulen (Regelschulen) bei der Beschulung von Schüler/innen mit Behinderung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII zitiert, die es aufs Ganze gesehen an Eindeutigkeit der Abgrenzung nicht fehlen lassen.15 Missverständlich ist es allerdings, wenn es in diesen Empfehlungen einerseits heißt, dass der Schulbegleiter keine „Zweitlehrkraft und keine Hilfskraft für schulbezogene Aufgaben“ sein soll, andererseits aber konzediert wird, dass er bei der Wiederholung der 10 Zu den Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V sowie den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und dem SGB VIII siehe­ Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S.  54 ff., die ausführliche Darstellung bei Reimann, Die Sicherstellung des Schulbesuchs behinderter Kinder mit Mitteln des Schul- und Sozialrechts, S. 64 ff., Castendiek/Hoffmann, Das Recht der behinderten Menschen, S. 146 ff. sowie Welti, Verantwortlichkeit für angemessene Vorkehrungen und Barrierefreiheit in der Bildung, RdJB 2015, 34 (38 ff.). Speziell zum Verhältnis von Eingliederung und sonderpädagogischer Förderung siehe Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 31 ff. Zu den Auswirkungen der schulischen Inklusion auf die Eingliederungshilfe speziell unter dem Gesichtspunkt der finanzverfassungsrechtlichen Konnexität siehe Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (144 ff.). 11 OVG NRW, Urt. v. 15.6.2000, 16 A 3108/99, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 8. In diesem Sinne auch Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 35. 12 Bei der integrativen Unterrichtung im Saarland kommt der Einsatz von therapeutischem oder medizinisch-pflegerischem Schulpersonal allerdings so gut wie nie vor. 13 Kepert, Wer trägt die Kosten der schulischen Inklusion?, ZfSH/SGB 2014, 525 (527). 14 Banafsche, Schulbegleitung in Bayern zwischen Schul- und Sozialrecht, BayVBl. 2014, 42 (46). 15 Banafsche, ebd., S. 43.

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Aufgabenstellung oder der Motivierung des behinderten Schülers tätig werden kann. Denn Letzteres ist eindeutig als pädagogische Aufgabe einzuordnen. Aus der unzutreffenden Einordnung in den Empfehlungen kann nicht auf ein „erweitertes“ Aufgabenspektrum des Schulbegleiters geschlossen werden.16 Die Unterscheidungskriterien „Förderung“ und „Eingliederung“ sind von hoher Trennschärfe,17 so dass es nur wenige Funktionen geben dürfte, bei denen im Einzelfall eine eindeutige, für die Kostenträgerschaft relevante Abgrenzung Schwierigkeiten bereiten kann. Der anderslautenden Auffassung von Graser kann nicht gefolgt werden.18 Der Schwerpunkt der erforderlichen zusätzlichen personellen Ressourcen ist pädagogischer, insbesondere sonderpädagogischer Art.  Die Unterstützung durch Eingliederungshelfer (Schulassistenten, Schulbegleiter oder Schulhelfer) „beschränkt sich dagegen auf die Hilfestellung bei alltäglichen Routineverrichtungen und kann die erforderliche Hilfe im pädagogischen Bereich nicht ersetzen.“19 bb) Abgrenzung zwischen Eingliederungshelfer und Lehrhilfskraft Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Eingliederungshelfer keine Lehrhilfskräfte im Sinne von § 27 Abs. 1, § 41 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 Nr. 3 SchoG sind. Aus der Funktionsbezeichnung „Lehrhilfskraft“ geht nämlich hervor, dass es sich um Personal handelt, das bei „Lehrtätigkeit“ eingesetzt wird. Lehrhilfskräfte im Sinne des 16 Siehe hierzu Kepert/Ehrhard, Schulbegleiter an bayerischen Schulen – Schulische Inklusion als Aufgabe der Jugend- und Sozialhilfe?, BayVBl. 2015, 366 (368 ff.). 17 Demgegenüber ist die etwa in einschlägigen Dokumenten der Kultusministerkonferenz anzutreffende Unterscheidung zwischen lehrendem und nicht lehrendem Personal nicht geeignet, die rechtlich zutreffende Abgrenzung der Kostenträgerschaft zu leisten. Vgl. hierzu Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 13. 18 Graser, Integration aus rechtlicher Perspektive, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S.  63 (85 f.). Sein „Verständnis“ für Abgrenzungsschwierigkeiten dürfte von manchem Bildungspolitiker mit Sympathie aufgenommen werden und kann im Ergebnis zur Folge haben, dass z. B. pädagogisch nicht qualifizierte Eingliederungshelfer in wachsendem Maße auch eindeutig pädagogische Funktionen wahrnehmen sollen. Eine solche Entwicklung arbeitet jenen Kräften in die Hände, die ungeachtet des fehlenden pädagogischen Personals die Fallzahlen massiv steigern wollen, um in fragwürdigen ländervergleichenden Statistiken „Erfolge“ vorzeigen zu können. 19 So NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2010, 2 ME 278/10, II 3., http://www.dbovg.niedersachsen.de. (Zugriff: 23.7.2011). In diesem Sinne auch: BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997, 1 BvR 356/97, amtl. Umdruck S. 4; VG d. Saarl., Beschl. v. 6.2.1997, 1 F 3/97, amtl. Umdruck S.  13; OVG d. Saarl., Beschl. v. 12.3.1997, 8 W 3/97, amtl. Umdruck S.  5; NdsOVG, Beschl. v. 29.11.1996, 13 M 4539/96, NJW 1997, 1087 (1089 f.); OVG NRW, Urt. v. 9.6.2004, 19 A 1757/03, NWVBl. 2004, 425 ff.; BayVGH, Beschl. v. 2.11.2006, 7 CE 06.2196, NVwZ-RR 2007, 327 (328); BremOVG, Beschl. v. 15.10.2010, 2 B 223/10, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 18, S. 69 (71).

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Schulordnungsgesetzes sind für die eigentliche pädagogische Arbeit der Schule vorgesehen, d. h. als unterstützende Kräfte bei der Unterrichts- und Erziehungstätigkeit; bei der integrativen Unterrichtung behinderter Schüler kommen insbesondere Sozialpädagogen, Therapeuten, Pfleger und Sozialarbeiter in Betracht. In § 27 Abs. 2 SchoG ist geregelt, dass „Lehrkräfte und Lehrhilfskräfte verpflichtet [sind], den Unterricht erkrankter oder sonstwie an der Ausübung des Dienstes verhinderter Lehrkräfte derselben Schule oder von Schulen, die durch Lehrkräfteeinsatz miteinander verbunden sind, in zumutbarem Umfang vorübergehend zu übernehmen.“ Die Übernahme des Unterrichts erkrankter oder sonstwie an der Ausübung des Dienstes verhinderter Lehrkräfte oder Lehrhilfskräfte aber ist ohne die nachgewiesene pädagogische Qualifikation nicht zulässig. Eingliederungs­ helfer werden nicht für Unterrichts- und Erziehungsarbeit eingestellt bzw. eingesetzt und haben in aller Regel auch keine pädagogische Ausbildung. Sie dürfen daher in Vertretungsfällen nicht für verhinderte Lehr- oder Lehrhilfskräfte eingesetzt werden. Erst recht darf auf sie nicht zur dauerhaften Substitution von Lehr- und Lehrhilfskräften zurückgegriffen werden. b) Eingliederungshilfe durch den Träger der Sozialhilfe oder der Jugendhilfe aa) Eingliederungshilfe nach dem SGB XII Als Eingliederungshilfe für behinderte Menschen regeln § 53 und § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB XII die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu sowie die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Hinsichtlich der Schulbildung werden die Hilfen gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung20 konkretisiert. Nach Nummer 1 dieser Vorschrift umfasst die Eingliederungshilfe für körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche unter anderem heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Nach § 12 Nr.  2 der Eingliederungshilfe-Verordnung umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich oder geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. § 12 Nr. 3 der EingliederungshilfeVerordnung regelt die Eingliederungshilfe zum Besuch einer Realschule, eines 20 In der Fassung der Bekanntmachung vom 1.2.1975 (BGBl. I S. 433), zul.geänd.d. VO vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022 [3059]).

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Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer Ausbildungsstätte, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass er das Bildungsziel erreichen wird. Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AGSGB XII)21 ist im Saarland für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII) der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig. In § 1 Abs. 3 AGSGB XII ist geregelt, dass überörtlicher Träger der Sozialhilfe das Saarland ist und dass die Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vom Landesamt für Soziales wahrgenommen werden. bb) Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII Für ausschließlich seelisch behinderte Kinder und Jugendliche ist die Eingliederungshilfe in § 35a SGB VIII geregelt. Zu den seelischen Behinderungen im Sinne dieser Bestimmung gehören, so Rux/Ennuschat, auch Phobien einschließlich der Sprechangst (Logophobie), sozialer Phobien und Störungen des Sozialverhaltens. Auch andere (potenzielle) psychische Folgeerkrankungen des Stotterns wie die Anpassungsstörungen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen infolge der mit dem Stottern verbundenen sozialen Stigmatisierungen und dem stark erhöhten Mobbingrisiko stellen, so die genannten Autoren, seelische Behinderungen im Sinne des § 35a SGB VIII dar.22 In § 35a Abs. 3 SGB VIII wird hinsichtlich der Eingliederungshilfe für eine angemessene Schulbildung auf § 54 SGB XII verwiesen, so dass auch auf die Kinder und Jugendlichen mit ausschließlich seelischer Beeinträchtigung die Eingliederungshilfe-Verordnung Anwendung findet. Der Umfang der Leistungen ist also grundsätzlich identisch mit dem der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung.23 Unterschiede zur Eingliederungshilfe gem. § 54 SGB XII bestehen allerdings in Folgendem: Gem. § 85 Abs. 1 SGB VIII ist für die Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe gegeben; dies sind im Saarland gem. § 1 Abs. 2 AGSGB XII die Landkreise und der Regionalverband Saarbrücken. Während im Falle der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII die Sozialgerichte zuständig sind (§ 51 Abs.  1 Nr. 6a SGG), ist bei Streitigkeiten in den Fällen des § 35a SGB VIII der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

21

Vom 8.3.2005 (Amtsbl. S. 438), zul.geänd.d. G vom 20.11.2013 (Amtsbl. I S. 308). Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 36. 23 Vgl. Kepert, Wer trägt die Kosten der schulischen Inklusion bei seelisch behinderten Schülern?, ZKJ 2014, 320 (323). 22

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c) Pädagogisches, therapeutisches und pflegerisches Personal im Zuständigkeitsbereich des Kultusministeriums aa) Lehr- und Lehrhilfskräfte Im Rahmen des fachlichen und pädagogischen Auftrags der Schule geht es um die Förderung des behinderten Schülers; hier liegt der Schwerpunkt dessen, was bei der integrativen Unterrichtung an zusätzlichem Personal bereitzustellen ist. Daher richtet sich die Frage nach der Bereitstellung des erforderlichen zusätzlichen Personals in erster Linie an das Kultusministerium. Es ist ihm verwehrt, für die Erfüllung der seinen Zuständigkeitsbereich betreffenden Aufgaben auf hierfür nicht qualifiziertes, daher kostengünstigeres und vom Sozialhilfe- bzw. Jugendhilfeträger zu finanzierendes Personal zurückzugreifen.24 Das Kultusministerium kann sich bezüglich der Erfüllung der dem Staat in pädagogischer, therapeutischer und pflegerischer Hinsicht obliegenden Verpflichtungen nicht mit dem Hinweis auf die für die Eingliederungshilfe zuständigen Kostenträger – also das dem Sozialministerium unterstehende Landesamt für Soziales in den Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB XII und die Landkreise sowie den Regionalverband Saarbrücken in den Fällen des § 35a SGB VIII – entlasten. Der Eingliederungshelfer kann die Lehrkraft, aber auch die Lehrhilfskraft, d. h. den Sozialpädagogen, den Therapeuten, den Pfleger und den Sozialarbeiter nicht ersetzen. Einen Hinweis auf diese Rechtslage gibt auch das Bundesverfassungsgericht: „Soweit er [der Beschwerdeführer; Anm.  d. Verf.] schließlich geltend macht, daß seine Schutzrechte auch dadurch verletzt würden, daß ihm die nach den Sozialgesetzen zustehenden Rechte auf Eingliederung von den Schulbehörden mit dem Hinweis auf deren Personalhoheit versagt würden, ist ein verfassungsrechtlicher Zusammenhang ebenfalls nicht erkennbar. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, inwieweit insbesondere durch die Gewährung sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe konkret die Voraussetzungen für eine Befriedigung des sonderpädagogischen Förderbedarfs des Beschwerdeführers und damit für seine integrative Beschulung geschaffen werden könnten.“25

24

Siehe hierzu Alfred Sander, Inklusion macht Schule, Sonderpädagogische Förderung heute 2008, 342 (344): „In Deutschland haben manche Schulbehörden den Integrationshelfern (Eingliederungshelfern) als sogenannten schulfremden Personen zunächst die Mitwirkung im Klassenzimmer verwehrt. Inzwischen lässt sich aber beobachten, dass Integrationshelferinnen auch ohne pädagogische Ausbildung immer öfter in den Klassen mitarbeiten, ja dass sie für manche Schulbehörden anscheinend eine willkommene Möglichkeit zur Einsparung von Sonderschullehrerstunden geworden sind. Diese hilfreichen Kräfte sind billiger, und sie werden nicht aus dem Etat des Bildungsministeriums bezahlt, sondern (einkommensunabhängig) von den Sozialhilfeträgern.“ 25 BVerfG-K (1.Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997 – 1 BvR 356/97 –, amtl. Umdruck S. 4 (Hervorh. im Original). Dass Eingliederungshelfer die erforderlichen pädagogischen Kräfte nicht ersetzen können, siehe dazu auch: NdsOVG, Beschl. v. 29.11.1996, 13 M 4539/96, NJW 1997, 1087 (1089 f.); OVG NRW, Urt. v. 9.6.2004, 19 A 1757/02, NWVBl. 2004, 425 ff.; BayVGH, Beschl. v. 2.11.2006, 7 CE 06.2196, NVwZ-RR 2007, 327 (328);

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bb) Kostenträgerschaft, Dienst und Fachaufsicht Die Lehrkräfte und Lehrhilfskräfte stehen gem. § 27 Abs. 1 SchoG im Dienst des Landes. Nach § 41 Abs.  1 SchoG träg das Land die Personalkosten für die Lehrkräfte und Lehrhilfskräfte. Entsprechend dem in Art. 91 Abs. 2 Verf. d. Saarl. normierten Ressortprinzip ist dieses bei der integrativen Unterrichtung für den Bereich der Förderung eingesetzte Personal haushaltsrechtlich im Stellenplan des Kultusministeriums zu etatisieren. Dem Kultusministerium obliegt gem. § 52 Abs. 2 Nr. 2 SchoG auch die Fachaufsicht und gem. § 52 Abs. 2 Nr. 3 SchoG die Dienstaufsicht über die Lehrkräfte und Lehrhilfskräfte. Demgegenüber sind die Personalkosten der nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB XII bewilligten Eingliederungshelfer im Haushaltsplan des Saarlandes im Einzelplan des Sozialministeriums auszuweisen.26 d) Unzulässige Hilfskräfte Auf der Grundlage eines mit der staatlichen Schulverantwortung nicht vereinbaren Verständnisses vom „Vorbehalt des Möglichen“ gibt es allerdings Versuche, sich für die integrative Unterrichtung behinderter Kinder ein unbegrenztes Rekrutierungspotenzial zu bewilligen. So sieht etwa Dietze kein Problem darin, dass die einzelne Schule „im Rahmen ihrer Autonomie“27 auf die „qualifizierte Mitarbeit geeigneter pädagogischer Helfer (Mitschüler [sic!], Eltern[28], Dritte)“29 zurückgreift. Mit einer solchen Haltung gegenüber den Erfordernissen von fachlicher Qualifikation und dienst- bzw. arbeitsrechtlicher Verantwortlichkeit ist der Boden der Seriosität verlassen.

NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2010, 2 ME 278/10, Abschn. II 3, http://www.dbovg.niedersachsen.de (Zugriff: 23.7.2011); BremOVG, Beschl. v. 15.10.2010, 2 B 223/10, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 18, S. 69 (71). 26 Wie aus Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, 5. Landesplan Menschen mit Behinderungen im Saarland, S. 54, 64 f., hervorgeht, erhielten im Schuljahr 2011/12 im Saarland von den insgesamt 5963 Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf 358 Schüler – davon 147 in Förderschulen und 211 in Regelschulen – Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung durch begleitende Integrationshelfer bzw. Eingliederungshelfer im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gem.§ 54 SGB XII. 27 Dietze, Integrationspädagogik im Kontext (schul-)rechtlicher Aspekte, in: Eberwein/ Knauer (Hrsg.), Handbuch Integrationspädagogik, S. 164 (168). 28 In § 4 Abs. 2 Satz 2 IntVO wird die „Mitwirkung von Erziehungsberechtigten als Ersatz“ für sozialpädagogische, therapeutische oder pflegerische Kräfte für unzulässig erklärt. 29 Dietze, Grundgesetz, Integrationspädagogik und bildungsrechtliche Aspekte bei der Förderung behinderter Schüler  – oder: Was bedeutet „Vorbehalt des Möglichen“?, in: Knauer/ Meißner/Ross (Hrsg.), 25 Jahre gemeinsames Lernen, S. 217 (232, Fn. 22).

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2. Anforderungen an die personelle Ausstattung in quantitativer Hinsicht a) Grundsätzliches zum Maßstab An dieser Stelle geht es um die Frage nach der Erforderlichkeit im Sinne des Umfangs der zusätzlichen personellen Ressourcen. Es wird Bezug genommen auf die Ausführungen oben sub Kap. 4 A. II. zu dem maßgeblichen Entscheidungskriterium, nämlich der Gewährleistung des Erforderlichen. Hierüber ist in jedem Einzelfall ausschließlich nach pädagogischen, nicht nach fiskalischen Kriterien zu entscheiden. In einer von einem Fachgremium der Kultusministerkonferenz erstellten Ausarbeitung heißt es: „Was Art und Umfang der bereitzustellenden zusätzlichen personellen und sächlichen Mittel betrifft, so ist der Maßstab nicht durch die Eckpunkte ‚notwendig‘ einerseits und ‚wünschenswert‘ andererseits abgesteckt, sondern er lautet: ‚notwendig, aber auch ausreichend‘. Andernfalls besteht die Gefahr, daß weniger an zusätzlichen Hilfen bereitgestellt wird, als der Schüler bei objektiver Betrachtungsweise benötigt.“30 In diesem Sinne äußert sich auch Köller: „In den Grenzen der dem Staat eingeräumten Einschätzungsprärogative müssen es schon sich am objektiven Bedarf orientierende Werte sein.“31 Demgegenüber schreibt Reichenbach: „Zwingende Voraussetzung für das Gelingen integrativen Unterrichts ist, dass die Schulverwaltung dafür die angemessenen organisatorischen Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt: Unerlässlich ist die entsprechende personale, technische und mediale Grundausstattung der Regelschule, die den speziellen Bedürfnissen behinderter Schülerinnen und Schüler Rechnung tragen muss.“32 Die Verwendung der Wörter „angemessenen“ und „entsprechenden“ bei Reichenbach lässt jene Unbedingtheit des Anspruchs an die Qualität inte­ grativer Unterrichtung vermissen, die mit dem Wort „erforderlich“ im Sinne des objektiv Notwendigen zum Ausdruck gebracht wird. b) Personalausstattung bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei Schülern mit Störungen der sozial-emotionalen Entwicklung Bei der zieldifferenten integrativen Unterrichtung oder bei der integrativen Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Störungen in der sozial-emotionalen Entwicklung kann es staatlicherseits nicht getan sein mit einer zusätzlichen per 30 Unterausschuss Schulrecht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in Bundesrepublik Deutschland, Rechtliche Fragen der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern, vom 1./2.2.1993, Nr. 5 (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.). 31 Köller, Behinderte Kinder in der Schule, RdJB 1995, 74 (76). 32 Reichenbach, Der Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, S. 264 (Hervorh. d. Verf.).

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sonellen Ausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahme, die unwesentlich oberhalb einer eher nur symbolischen personellen Zusatzausstattung liegt.33 Nach Füssel/Kretschmann ist das „Mehrpädagogenprinzip“ bei der Integration „eine unverzichtbare Notwendigkeit.“34 Hinz hält ein „Mehr-PädagogInnen-­ System“35 für erforderlich. Auch Bleidick fordert: „Die Gleichwertigkeit der Ausstattung von sonderschulischen und integrativen Einrichtungen ist sicherzustellen. Das betrifft im Wesentlichen eine Zwei-Pädagogen-Ausstattung zur Deckung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs.“36 Die sachlichen Notwendigkeiten werden auch von Speck klar ausgesprochen: „Das Zwei-Pädagogen-System ist für die Erziehung und Unterrichtung in integrativen Klassen unverzichtbar nötig. Es bildet den Kern des an jeder Schule zu errichtenden, also schulinternen Lern- und Stützsystems.“37 Insbesondere mit Blick auf die integrative Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten bekräftigen Stein/Ellinger, die sich hierbei auch auf den internationalen Forschungsstand beziehen: „Voraussetzung ist die Doppelbesetzung durch Pädagogen in der Klasse.“38 Schnell berichtet von Untersuchungen, die gezeigt hätten, „welche positiven Auswirkungen ge 33

Um welche Größenordnungen es in Wirklichkeit geht, lässt sich u. a. gerichtlichen Entscheidungen entnehmen, in denen die Ablehnung integrativer Unterrichtung wegen nicht vorhandener personeller Ressourcen bestätigt wurde: So wurden in dem vom OVG d. Saarl., Beschl. vom 16.9.1988, 1 W 457/88, amtl. Umdruck S. 4, entschiedenen Fall einer lern- und körperbehinderten Schülerin von der Gutachterin, einer erfahrenen Sonderschulrektorin und Diplompsychologin, „mindestens 10 Förderstunden“ durch einen Ambulanzlehrer pro Woche für erforderlich gehalten. In dem von dem OVG d. Saarl. mit Beschl. vom 12.3.1997, 8 W 3/97, amtl. Umdruck S. 8 f., entschiedenen Fall einer geistig behinderten Schülerin wurde die Ablehnung einer Fortsetzung der integrativen Unterrichtung bestätigt, weil von pädagogischer Seite über die bis dahin bereits erteilten 12 Wochenstunden Förderunterricht durch einen Ambulanzlehrer hinaus weitere, der Schule jedoch nicht zur Verfügung stehende 6 bis 8 Wochenstunden für erforderlich gehalten wurden (was vom Gericht aber auch wegen der mit dem Ambulanzlehrersystem verbundenen negativen Auswirkungen auf die soziale Integration der Schülerin in der Klasse für nicht vertretbar gehalten wurde). 34 Füssel/Kretschmann, Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Pädagogische und juristische Voraussetzungen, S. 42. 35 Hinz, Pädagogik der Vielfalt – ein Ansatz auch für Schulen in Armutsgebieten?, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 127 (130). 36 Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (342). Ders., ebd., S. 329 (341): „Die zahlenmäßig voranschreitende Einführung weniger personalaufwendiger (und nicht mit Doppelbesetzung ausgestatteter) Integrativer Regelklassen in Hamburg ist das negative Gegenbeispiel einer unter Umständen pädagogisch nicht zu verantwortenden ‚Integration‘“. 37 Speck, Schulische Integration aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 50. Auch Bundschuh, Möglichkeiten und Grenzen von Integration aus sonder- und heilpädagogischer Sicht, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 15 (36), nennt den „Zweipädagogenunterricht“ eine zwingende Voraus­ setzung für eine verantwortbare integrative Unterrichtung. 38 Stein/Ellinger, Über Effekte und Nebenwirkungen herrscht Unklarheit, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 8.

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meinsamer Unterricht, in weitgehender Doppelbesetzung von Lehrkräften der Allgemeinen Schule und Sonderpädagogen erteilt, für alle Kinder mit sich bringen kann.“39 Entscheidend ist also, dass bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei der integrativen Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensstörungen ständig zwei pädagogische Kräfte im Klassenraum tätig sind (durchgängige Doppelbesetzung).40 IV. Sächliche Voraussetzungen Die „sächlichen“ Voraussetzungen beschränken sich nicht auf Barrierefreiheit im Sinne der Zugänglichkeit von Gebäuden. Vielmehr sind damit alle Voraus­ setzungen gemeint, die gegeben sein müssen, um integrative Unterrichtung von Behinderten praktizieren zu können. Außer dem Bau einer Rampe oder der Installierung eines Aufzugs für Rollstuhlfahrer sind also gegebenenfalls folgende weitere Voraussetzungen zu gewährleisten: raumakustische und taktile Anpassungen für Blinde und Sehbehinderte einerseits sowie Gehörlose und Schwerhörige andererseits; behinderungsspezifische Hilfsmittel und geeignetes Lehrmaterial; Differenzierungs- und Rückzugsräume; behinderungsadäquate Sanitärbereiche. Es sind dies Sachkosten gem. § 45 Abs. 2 Nr. 1 SchoG, die gem. § 44 SchoG von dem nach § 38 SchoG zuständigen Schulträger zu tragen sind. V. Organisatorische Voraussetzungen Die organisatorischen Bedingungen sind angesprochen, wenn es z. B. um die Anzahl der Schüler der Klasse, die Anzahl der darin zu unterrichtenden behinderten Schüler, die Wohnortnähe oder die Beförderungsbedingungen geht. Dass bei der Festlegung des Klassenteilers auf besondere pädagogische Schwierigkeiten und Aufgabenstellungen in einer Klasse Rücksicht zu nehmen ist, hat der saarländische Kultusminister für den Fall von Grundschulklassen mit ausländischen Schülern ohne ausreichende Sprachkenntnisse in § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 der Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kursbildung und über Schüler-Lehrer-Relatio­nen41 mit folgender Regelung berücksichtigt:

39 Schnell, Die Bewegung für gemeinsames Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung, in: Sander/Hildeschmidt/Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche im Saarland 1994 bis 1998, S. 249 (261). 40 Zur Gewährleistung einer durchgängigen personellen Doppelbesetzung siehe auch VG Köln, Urt. v. 23.5.2007, 10 K 761/07, Rn. 19, 20, http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013). 41 Vom 19.7.1996 (Amtsbl. S. 723), zul.geänd.d. VO vom 18.7.2013 (Amtsbl. I S. 226 [243]).

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2 Für die Grundschule wird eine Schülerrichtzahl von 29 festgelegt. 3Befinden sich bei Anwendung der Richtzahl 29 in jeder der gebildeten Klassen einer Klassenstufe mindestens vier ausländische Schülerinnen und Schüler, die nach Feststellung der Schulleiterin oder des Schulleiters keine ausreichenden Deutschkenntnisse besitzen, gilt abweichend von Satz 1 die Richtzahl 25. 

Eine entsprechende Regelung ist zu fordern für die höchstzulässige Zahl von behinderten und nichtbehinderten Schülern in einer Klasse, weil auch dies Einfluss auf die Qualität der Förderung insbesondere des behinderten Schülers hat. Das gilt vor allem für die integrative Unterrichtung behinderter Schüler, die lernzieldifferent unterrichtet werden oder bei denen eine ausgeprägte Störung der sozial-emotionalen Entwicklung vorliegt; deren Unterrichtung stellt für die Lehrkraft eine pädagogische Herausforderung dar, die mit einer erheblichen Zusatzbelastung verbunden ist. Doch haben sich die Kultusminister im Saarland bisher zu einer entsprechenden Regelung nicht bereitgefunden.

B. Legitimität des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 und Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers I. Finanzwirtschaftliche Grundtatsachen staatlichen Handelns Der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierte Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt ist letztlich zurückzuführen auf die Verpflichtung des Staates, auch bei integrativer Unterrichtung sicherzustellen, dass der Bildungsanspruch des behinderten Kindes erfüllt wird. Denn Letzteres ist, wenn damit Ernst gemacht wird, mit einem hohen zusätzlichen Aufwand, insbesondere im Personalbereich, verbunden. Insoweit dokumentiert der Gesetzgeber mit dem Vorbehalt zumindest formal einen Qualitätsanspruch, über dessen tatsächliche Erfüllung bzw. Nichterfüllung insbesondere im zweiten Teil dieser Schrift Näheres zu sagen sein wird. Im Übrigen wird mit der Bindung an die verfügbaren Ressourcen nur ausgesprochen, was zu den Selbstverständlichkeiten staatlichen, insbesondere schul­ hoheitlichen Handelns gehört. Diesen Vorbehalt des Möglichen hat das Bundesverfassungsgericht erstmals in seinem Numerus-clausus-Urteil aus dem Jahr 197242 als verfassungsimmanente Begrenzung von Leistungsansprüchen benannt und in der Folgezeit in weiteren Entscheidungen bekräftigt.43 Der Möglichkeits- bzw. 42

BVerfG, Urt. v. 18.7.1972, 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303 (333). Gaier, Der Vorbehalt des Möglichen als Gebot richterlicher Selbstbeschränkung, in: FS Bryde, S. 367 (369 f.). Siehe hierzu: Depenheuer, Vorbehalt des Möglichen, in: HStR XII, § 269 Rn. 48–52; Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, in: HStR XII, § 268 Rn. 80. 43

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Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 trug einer „leider nicht allenthalben präsente[n] Binsenweisheit“44 Rechnung. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts kann nur in Frage stellen, wer ein Problem mit der Akzeptanz finanzwirtschaftlicher Grundtatsachen staatlichen Handelns hat: nämlich mit der steuerlichen Finanzausstattung, mit der Knappheit von Haushaltsmitteln und folglich mit der Prioritätensetzung und dem Interessenausgleich als Aufgaben des demokratisch legitimierten, dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgebers.45 Nur so ist auch zu vermeiden, dass der Haushaltsgesetzgeber46 durch antragsgemäße gerichtliche Entscheidungen präjudiziert wird.47 II. Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner nach der Einfügung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in das Grundgesetz ergangenen Grundsatzentscheidung zur sonderpädagogischen Förderung zu dem Ergebnis gelangt, dass ein derartiger „Vorbehalt des Möglichen“ nicht gegen Verfassungsrecht verstößt: „Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß nach diesem Konzept die zielgleiche wie die zieldifferente integrative Erziehung und Unterrichtung unter den Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen gestellt ist (vgl. §§ 4, 23 Abs. 4 i. V. m. Abs. 5 NSchG). Dieser Vorbehalt ist Ausdruck dessen, daß der Staat seine Aufgabe, ein begabungsgerechtes Schulsystem bereitzustellen, von vornherein nur im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten erfüllen kann (vgl. BVerfGE 34, 165 [183 f.]), und erklärt sich daraus, daß der Gesetzgeber bei seinen Entscheidungen auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen und sich die Möglichkeit erhalten muß, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält (vgl. BVerfGE 40, 121 [133]; 75, 40 [68]; 82, 60

44

Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 367. Das scheint der Fall zu sein bei Reichenbach, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als Grundrecht auf Chancengleichheit. Über den Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, RdJB 2001, 53 (63), der es nicht als zwingenden Grund für eine Zuweisung zur Förderschule gelten lässt, wenn die Schulbehörde die integrative Unterrichtung wegen Fehlens der dafür in dem betreffenden Fall erforderlichen Ressourcen ablehnt: „Denn dann hätte es der Staat letztlich in der Hand, durch knappe Finanzmittel zwingende Gründe selbst zu schaffen.“ 46 Köller, Behinderte Kinder in der Schule, RdJB 1995, 74 (76), spricht von „dem heiklen Spannungsfeld von Fixierung eines individuellen Bedarfs, Grenzen der Ressourcen und Bindung eines Haushaltsgesetzgebers durch die Fixierung […].“ 47 Siehe hierzu Gaier, Der Vorbehalt des Möglichen als Gebot richterlicher Selbstbeschränkung, in: FS Bryde, S. 367 (370). 45

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[80]; 90, 107 [116]). Der Gesetzgeber ist deshalb, wenn er sich in seinem Regelungs­konzept für das Angebot einer sowohl zielgleichen als auch zieldifferenten[48] integrativen Beschulung entscheidet, verfassungsrechtlich nicht gehindert, die tatsächliche Verwirklichung dieser Integrationsformen von einschränkenden Voraussetzungen der hier in Rede stehenden Art abhängig zu machen. Ein Einschätzungsspielraum sowie der Vorbehalt des tatsächlich Machbaren und des finanziell Vertretbaren bestehen aber auch bei der Ausgestaltung des Regelungskonzepts durch den Gesetzgeber. Er ist durch Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht verpflichtet, für das jeweilige Land alle Formen integrativer Beschulung bereitzuhalten. Im Rahmen seiner Entscheidungsfreiheit kann er vielmehr von der Einführung solcher Integrationsformen absehen, deren Verwirklichung ihm aus pädagogischen, aber auch aus organisatorischen, personellen und finanziellen Gründen nicht vertretbar erscheint. Voraussetzung dafür ist, daß die verbleibenden Möglichkeiten einer integrativen Erziehung und Unterrichtung den Belangen behinderter Kinder und Jugendlicher ausreichend Rechnung tragen.“49

In Bezug auf die konkrete Ausgestaltung integrativer Unterrichtung räumt das Bundesverfassungsgericht dem Landesgesetzgeber also einen weitreichenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum ein. Dietze: „Der vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Ermessensspielraum ist erheblich.“50 Insbesondere ist „ein vorrangiger Anspruch auf gemeinsamen Unterricht – wie in einigen Bundesländern geregelt – verfassungsrechtlich […] nicht gefordert“.51 In dem Beschluss wird also bestätigt, dass die Konkretisierung von Teilhaberechten Sache des Gesetzgebers ist. Er ist berufen, in Wahrnehmung seines Budgetrechts Zielkonflikte zu lösen, die sich bei der Entscheidung über den Einsatz der begrenzten finanziellen staatlichen Mittel ergeben.52

48

So hat das BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 19.12.1997, 1 BvR 1621/97, amtl. Umdruck S. 3 f., nicht beanstandet, dass das BayEUG damals nur die Möglichkeit der zielgleichen Unterrichtung vorsah. 49 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (305 f.), bestätigt durch BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997, BvR 356/97, amtl. Umdruck S.  2 f., und BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 10.2.2006, 1 BvR 91/06, BVerfGK 7, 269 (271 f.). Ebenso OVG Rh.-Pf., Urt. v. 15.5.2009, 2 A 10036/09.OVG (rechtskräftig aufgrund des Beschl. des BVerwG v. 18.1.2010, 6 B 52.09), AS 38, 151 (153) = SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 16, S. 3 = LKRZ 2009, 309 ff. 50 Dietze, Grundgesetz, Integrationspädagogik und bildungsrechtliche Aspekte bei der Förderung behinderter Schüler  – oder: Was bedeutet „Vorbehalt des Möglichen“?, in: Knauer/ Meißner/Ross (Hrsg.), 25 Jahre gemeinsames Lernen, S. 217 (225). 51 Caspar, Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 (138). 52 Siehe hierzu Gaier, Der Vorbehalt des Möglichen als Gebot richterlicher Selbstbeschränkung, in: FS Bryde, S. 367 (369 f.).

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2. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes Bereits am 6.2.1997, also zeitlich vor der soeben zitierten Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum System der sonder­pädagogischen Förderung, hatte das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Rechtmäßigkeit des Ressourcenvorbehalts in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 bestätigt. Wie es in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts heißt, „besteht ein grundsätzlicher Anspruch auf Durchführung der Integration in der Regelschule, für welche der Ag. bzw. das Saarland die erforderlichen Betreuungskapazitäten erst schaffen müßte, nicht. Der bereits zitierte § 4 Abs. 1 Satz 2 SchoG bestimmt insoweit eindeutig, daß die geeigneten Formen gemeinsamer Unterrichtung Behinderter und Nichtbehinderter im Rahmen der vorhandenen – also nicht erst zu schaffenden – schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten zu entwickeln sind. Diese Vorschrift ist auch nicht im Lichte des Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, im Sinne eines gewissermaßen unbegrenzten Anspruchs auf Integration verfassungskonform auszulegen. Nach Ansicht der Kammer ist bereits der Ausgangspunkt der solch einen Anspruch bejahenden Rechtsmeinung nicht zutreffend. Es kann nämlich keine Rede davon sein, daß die Einweisung eines behinderten Schülers in die seiner Behinderung entsprechende Sonderschule und die Ablehnung der Aufnahme in eine allgemeine Schule ausnahmslos als Nachteil zu werten ist. Dieser These liegt die zu Unrecht weit verbreitete Auffassung zugrunde, daß der Besuch einer Sonderschule für den betreffenden Schüler einen lebenslangen, nicht mehr auszugleichenden Makel bedeutet. Eine solche Sichtweise mißversteht die Einrichtung der Sonderschulen, die gerade nicht als ‚Ghetto der Behinderten‘ gedacht ist, sondern die von der Verfassung erlaubte Bevorzugung der Behinderten durch eine gezielte und besondere schulische Förderung verwirklichen soll. Insoweit widersprechen die nationalen Regelungen auch nicht den im Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Ast. vom 13.12.1996 dargestellten Bestrebungen der Europäischen Gemeinschaft zur Eingliederung Behinderter in das normale gesellschaftliche Leben.“53

Der hierzu im Beschwerdeverfahren ergangene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes enthält eine in der Sache gleichlautende Bewertung der vom Landesgesetzgeber getroffenen Regelung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts: „Daß das Landesrecht keinen Anspruch auf unbegrenzte integrative Unterrichtung vorsieht, ist auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, unbedenklich. Das Benachteiligungsverbot, das Behinderte vor ungerechtfertigten Belastungen oder Ungleichbehandlungen schützen soll, ist ein subjektives Abwehrrecht, dessen Aktualisierung aber – wie es dem Wesen sozial-grundrecht­licher Verfassungsversprechen typisch ist – grundsätzlich dem Gesetzgeber obliegt und aus dem verfassungsunmittelbare Leistungsansprüche prinzipiell nicht abgeleitet werden können. Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in seiner grundrechtlichen Verbürgung hat nicht die Bedeutung, daß faktische Verschiedenheiten biologischer, soziolo­gischer oder auch nur psychologischer Art etwa von Rechts wegen zu leugnen oder schlicht einzu 53

VG d. Saarl., Beschl. v. 6.2.1997, 1 F 3/97, amtl. Umdruck S. 11 f. (Hervorh. im Original).

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ebnen wären. Daraus folgt etwa, daß differenzierende begünstigende Regelungen zugunsten Behinderter zulässig sind. […] Im Übrigen betont auch das BVerfG (E 33, 333; E 90, 107), daß (ausnahmsweise bestehende) Teilhaberechte und Leistungsansprüche unter dem Vorbehalt des Möglichen stehen und nicht über das hinausgehen dürfen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann, sowie daß grundsätzlich daran festzuhalten ist, daß es auch im modernen Sozialstaat der nicht einklagbaren Entscheidung des Gesetzgebers überlassen bleibt, ob und inwieweit er im Rahmen der darreichenden Verwaltung Ansprüche gewähren will. Nichts anderes ergibt sich im Ergebnis auch aus den von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten, die zum Teil  auch das europäische Recht berücksichtigen.“54

III. Geltung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts auch für die kommunalen Schulträger Solange die Möglichkeit integrativer Unterrichtung unter Ressourcenvorbehalt stand, wie das im Saarland gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 der Fall war, galt die Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Verwendung der verfügbaren finanziellen Mittel auch für die kommunalen Schulträger. Das folgt aus deren Zuständigkeit für die kommunale Haushaltswirtschaft, bei der es angesichts der Vielzahl der Aufgaben und der Knappheit der Haushaltsmittel ebenfalls um die Setzung von Prioritäten geht.55 Insoweit konnte das Ministerium für Bildung und Kultur als Schulaufsichtsbehörde (§ 57 Abs. 1 SchoG) daher gegenüber dem Schulträger nicht einfach die Schaffung der nach § 4 IntVO erforderlichen Voraussetzungen anordnen. Das Ministerium für Bildung und Kultur war auf die Zustimmung des jeweiligen Schulträgers angewiesen, d. h. bei den Grundschulen auf die Zustimmung der Gemeinde (§ 38 Abs. 1 SchoG) und bei den allgemein bildenden Schulen der Sekundarstufen I und II sowie bei den beruflichen Schulen auf die Zustimmung der Gemeindeverbände (§ 38 Abs. 2 Satz 1 SchoG). Daher bestimmt § 4 Abs. 1 IntVO: (1) 1Integrative Unterrichtung setzt voraus, dass an der betreffenden Schule der Regelform die sächliche Ausstattung einschließlich der für den behinderten Schüler/die behinderte Schülerin erforderlichen Lehr- und Hilfsmittel sowie die baulichen und räumlichen Bedingungen dafür gegeben sind, daß der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin in der betreffenden Schule der Regelform die seiner/ihrer Behinderung entsprechende sonderpädagogische Förderung erhalten kann. 2Integrative Unterrichtung darf nur angeordnet werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde die genannten Voraussetzungen bereits gegeben sind oder wenn zu diesem Zeitpunkt der Schulaufsichtsbehörde eine schriftliche Zusage des Schulträgers vorliegt, daß spätestens bei Beginn der integrativen Unterrichtung alle von der Schulaufsichtsbehörde als notwendig bezeichneten vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind.56

54

OVG d. Saarl., Beschl. v. 12.3.1997, 8 W 3/97, amtl. Umdruck S. 4 f. Ebenso: OVG NRW, Urt. v. 9.6.2004, 19 A 1757/02, NWVBl. 2004, 425 (428). 56 Hervorh. d. Verf. 55

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C. Kategoriale Unterscheidung zwischen verantwortbarer und unverantwortlicher integrativer Unterrichtung I. Zusammenhang zwischen Kostenneutralität, pädagogischer Qualität und Anzahl der Integrationsmaßnahmen 1. Rechtliche Regelung und tatsächliche Akzeptanz von Rahmenbedingungen Der Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt, der in § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normiert war, ist das begriffliche Gegenstück zu den vorstehend genannten Rahmenbedingungen integrativer Unterrichtung, liegt ihm doch zumindest dem formalen Anspruch nach das Bekenntnis zur Gewährleistung pädagogischer Qualität im Sinne der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen zugrunde. In der Tat wäre es ein fataler Irrtum, in der bloßen Platzierung eines behinderten Kindes in der Regelklasse einer allgemeinen Schule bereits eine „integrative Unterrichtung“ im Sinne des Neuansatzes sonderpädagogischer Förderung zu sehen. Daher beschreibt der Euphemismus „stille Integration“57, d. h. das Belassen eines behinderten Kindes in der allgemeinen Schule ohne Bereitstellung des erforderlichen zusätzlichen Personals, ein pädagogisch unverantwortliches und gleichzeitig rechtswidriges Handeln. Denn mit der Vorenthaltung behinderungsadäquater Förderung durch sonderpädagogisch qualifiziertes Lehrpersonal und behinderungsadäquater Betreuungsintensität würde dem behinderten Kind das ihm in § 1 Abs. 1 SchoG verbriefte „Recht auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung“ verweigert.58 Dass hierauf an dieser Stelle hingewiesen wird, hat folgenden Hintergrund: Im Jahr 1987 war im Verfahren des Erlasses der Integrations-Verordnung (IntVO)59 „angeregt“ worden, die erste Stufe des Verfahrens im Rahmen des Systems sonder­ pädagogischer Förderung, nämlich die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, entfallen zu lassen. Ziel dieser Bestrebungen war es, die „verfahrensmäßige“ Voraussetzung zu schaffen für flächendeckend praktizierte „stille Integration“ und die kurzfristige Erreichung des eigentlichen Ziels dieser Vorgehensweise, nämlich die Marginalisierung und letztlich die Abwicklung der Förderschulen. Der Vorstoß blieb jedoch zum damaligen Zeitpunkt erfolglos.

57

Man spricht neuerdings auch von „kalter Inklusion“. Siehe hierzu oben sub Kap. 3 A. I. 3. c). 59 Verordnung – Schulordnung – über die gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform (Integrations-Verordnung) vom 4.8.1987 (Amtsbl. S. 972), zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540 [598]); im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. V. 58

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Die Formulierung von Bedingungen als Voraussetzung der Gewährleistung pädagogischer Qualität wird je nach Zielsetzung und Motiven bisweilen als „zu anspruchsvoll“ empfunden. So heißt es bei Alfred Sander, der bei der wissenschaftlichen Begleitung des Ausbaus der integrativen Unterrichtung im Saarland von 1985 bis 1999 an maßgeblicher Stelle tätig war,60 in Bezug auf Abschnitt III Nr. 3.2 der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland vom 6.5.199461: „Allerdings benennt die KMK im zugehörigen Textabschnitt vor allem einschränkende Bedingungen und Voraussetzungen schulischer Integration; zum Beispiel: ‚Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören neben den äußeren Rahmenbedingungen sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte, individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Kontrolle der Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte Zusammenarbeit der beteiligten Lehr- und Fachkräfte.‘ Einige dieser als not­ wendig bezeichneten Voraussetzungen sind zu anspruchsvoll formuliert und bieten damit eine Handhabe, pädagogisch durchaus verantwortbare Integrationsmaßnahmen zu verhindern oder zu unterstützen.“62 Man kann es auch anders sehen: Hier kommt ein Unbehagen grundsätzlicher Art zum Ausdruck gegenüber Vorgaben, die pädagogisch verantwortbare integrative Unterrichtung gewährleisten sollen. Dazu gehört z. B. ein konsequentes Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) bei zieldifferenter Unterrichtung. Aber vielleicht hat man mit seriösen Anforderungen dieser Art Probleme, weil sie im Falle ihrer Beachtung angesichts der äußerst bescheidenen personellen, d. h. finanziellen Ressourcen des Saarlandes einer nahezu beliebigen Steigerung der Fallzahlen und damit der Verkündung von politisch motivierten „Erfolgen“ im Wege stehen. Unter Hinweis auf die von ihm begleiteten Schulversuche weist Stoellger darauf hin, dass bei zieldifferenter integrativer Unterrichtung, wenn sie verantwortbar und erfolgreich sein soll, „die personelle Ausstattung um ein Vielfaches aufwendiger ist als eine Regelbeschulung in Sonder- oder in allgemeinen Schulen.“63 Der Forderung nach einer solchen Personalausstattung liegt ein anderes Verhältnis zur pädagogischen Wirklichkeit zugrunde als manchen in Politik, Medien und Wissenschaft mit Emphase vorgetragenen Beschwörungen integrativer Unterrichtung. Letztere stehen in einem auffälligen Kontrast zu der dabei oft festzustellen 60

Siehe hierzu des Näheren unten sub Kap. 9. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, Beschl. vom 6.5.1994, KMK-BeschlS., Leitzahl 301= Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung und Sport des Saarlandes vom 8.6.1994 (GMBl. Saar S. 322). 62 Alfred Sander, Neue Formen der sonderpädagogischen Förderung in deutschen Schulen, RdJB 1996, 174 (178 f.). 63 Stoellger, Von der Sonderschule zum Sonderpädagogischen Förderzentrum, Zeitschrift für Heilpädagogik 1992, 445 (456). Auch von Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 22, wird das Zwei-Pädagogen-System angeführt, wie es etwa bei einem der ersten Schulversuche, nämlich dem an der Fläming-Grundschule in Berlin, praktiziert wurde. 61

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den gepflegten Zurückhaltung gegenüber einem tatkräftigen Bekenntnis zu den harten, d. h. den personellen Realisierungsbedingungen integrativer Unterrichtung. Dem Urteil von Füssel/Kretschmann ist zuzustimmen: „Solange in den öffentlichen Haushalten nicht die Mittel bereitgestellt werden, um überall in ausreichendem Maße Doppelbesetzung zu garantieren, läuft Integration Gefahr, nur dem Namen nach zu existieren bzw. auf Behinderte beschränkt zu werden, die wenig personalintensiv gefördert werden können (z. B. Einzelintegration von Rollstuhlkindern).“64 […] „Last, not least, müssen die neuen Modelle finanzierbar sein. Es wäre eine Wolken-Kuckucksheim Planung, Modelle zu entwerfen, die in sich stimmig, aber fern aller Realisierungschancen sind […]. Gegenüber der Aufgabe, eine Organisationsstruktur zu finden, die allen diesen Erfordernissen, die Finanzierbarkeit eingeschlossen, Rechnung trägt, mag die Quadratur des Kreises als ein Problem minderer Schwierigkeit erscheinen.“65 Was unter den Bedingungen einiger weniger optimal ausgestatteter Schul­ versuche gelingen kann, lässt sich bei fehlenden Ressourcen nicht flächendeckend implementieren. An dieser Stelle zeigt sich: Programmatische Zielsetzungen und eloquent beschriebene Systemkonzepte sind eine Sache, das unmissverständliche, durch tatsächliches Handeln beglaubigte Bekenntnis zu den „harten“, nämlich den personellen Realisierungsbedingungen eine andere. Gefragt ist nicht gesinnungsethische Begeisterung, sondern es geht im Kern um die kategorial zu nennende Unterscheidung zwischen verantwortbarer und un­ verantwortlicher integrativer Unterrichtung.66 Nicht nachdrücklich genug kann betont werden, dass das Gelingen integrativer Unterrichtung entscheidend von den Rahmenbedingungen personeller, sächlicher und organisatorischer Art abhängt. Hierbei liegt – auch und gerade in finanzieller Hinsicht – der eindeutige Schwerpunkt bei der erforderlichen zusätzlichen personellen Ausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahme; mit der Gewährleistung der zusätzlich erforderlichen Personalausstattung steht und fällt das gesamte Integrationskonzept.67 Poscher/Rux/ Langer sprechen zu Recht von einem „unauflösbaren Zusammenhang“ zwischen der Idee der integrativen/inklusiven Unterrichtung und den dafür erforderlichen Rahmenbedingungen.68 64 Füssel/Kretschmann, Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Pädagogische und juristische Voraussetzungen, S. 43. 65 Füssel/Kretschmann, ebd., S. 58. 66 Siehe zu dieser Unterscheidung im Einzelnen: Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 45 ff.; Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (341); Bundschuh, Möglichkeiten und Grenzen von Integration aus sonder- und heilpädagogischer Sicht, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 15 (36). 67 Zu der überragenden Bedeutung der personellen Ressourcen für die Qualität der pädagogischen Arbeit im Rahmen der integrativen/inklusiven Unterrichtung siehe Ellger-Rüttgardt, Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre Herausforderungen an die deutsche Bildungspolitik, Rehabilitation 2009, 369 (373). 68 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 38.

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2. Handhabung des Prinzips der Kostenneutralität Im Saarland stand die Integrationspraxis – in Übereinstimmung mit dem Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 – von Beginn an unter dem Vorbehalt der Kostenneutralität69, wobei dies nicht auf den Einzelfall, sondern auf das für diesen Zweck zur Verfügung stehende Budget in seiner Gesamtheit bezogen ist. Soll hierbei die pädagogische Qualität der integrativen Unterrichtung gewährleistet sein, so muss dies bei konstanten – erst recht natürlich bei schrumpfenden70 – Ressourcen zu einer strikten Begrenzung der Zahl der Integrationsmaßnahmen führen. Wie bereits erwähnt, hatte Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) bei den Gesetzesberatungen zur Schulgesetznovelle vom 4.6.1986 im Ausschuss für Kultus, Bildung und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes erklärt: „Das Gesetz sehe vor, daß dies im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten vollzogen werde. Dies bedeute, daß sicherlich nicht allen Anträgen auf Integration in dem Maße entsprochen werden könne, wie es von den Betroffenen erwartet werde, weil man eine kostenneutrale Lösung erreichen wolle.“71

In Wirklichkeit wurden im Saarland die Integrationsmaßnahmen von Jahr zu Jahr massiv ausgeweitet.72 Es liegt auf der Hand, dass eine solche Entwicklung zwangsläufig zu Lasten der pädagogischen Qualität der integrativen Unterrichtung des einzelnen behinderten Kindes geht.73 Bei einer von Jahr zu Jahr massiv ge 69

So heißt es in der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der CDU-Landtagsabgeordneten Franz Becker, Peter Jacoby, Birgit Küpper, Gerd Meyer und Kurt Schoenen, LTDrucks. 9/991 vom 22.12.1986: „Ohne Berücksichtigung der pädagogischen Wirksamkeit ergibt sich im Personalbereich eine Kostenneutralität im Vergleich zwischen integrativer Förderung in Regelschulen und der Förderung in Schulen für Behinderte. Im Sachkostenbereich kann Integration zu Mehrkosten führen.“ 70 Siehe hierzu im Einzelnen unten sub Kap. 7 B. 71 Sitzung des Ausschusses für Kultus, Bildung und Sport am 28.5.1986, Sitzungsniederschrift S. 21. 72 Siehe hierzu die Statistik unten sub Kap.  6 B. I. 1.  Bei Alfred Sander, Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen im Saarland 1989, in: ders./Christ/ Franck-Weber u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Jahresbericht 1989 aus dem Saarland, S.  9 (31), heißt es dazu: Man habe das „Wachstum fördern, wenn nötig steuern, aber nicht bedingungslos beschleunigen [wollen]“; doch wird von Alfred Sander an gleicher Stelle betont, die dort abgebildete Statistik lasse „jährliche Zuwachsraten erkennen, die man sich kaum viel größer wünschen kann.“ 73 Das mussten sich die für den Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland Verantwortlichen von Häberlin, Kritische Aspekte der Integrationsentwicklung im Saarland, in: Sander/Hildeschmidt/Jung-Sion u. a., Schulreform Integration. Entwicklungen der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland ­1990–1993/94, S. 39 (52), sagen lassen: „Wenn von vornherein Kostenneutralität auch während der Einführungsphase von Integration gefordert wird, ist eine Lösung mit der Wandersonderpädagogik fast nicht zu vermeiden. Diese Lösung gefährdet jedoch die Integration der Sonderschullehrer/innen in den Schulhäusern und damit die Entwicklung eines Integrationsklimas allgemein sehr stark. Ich wiederhole nochmals: Lehrpersonen gehören meiner Ansicht nach in einem integrativen Schulsystem zusammen in ein Schulhaus.“

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steigerten Zahl der Integrationsmaßnahmen bedeutet Kostenneutralität, bezogen auf die damit generierte pädagogische Wirklichkeit, eine billige „Lösung“ sowohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.74 „Kostenneutralität“ ist dann ein Synonym für eine unverantwortliche Handlungsweise.75 Je nach dem Ausmaß des heilpädagogischen Qualitätsdefizits liegt im Einzelfall wie auch generell eine Verletzung des Rechts des behinderten Kindes auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Bildung gem. § 1 Abs. 1 SchoG durch den Staat vor. Das behinderte Kind kommt dann nicht zu seinem Recht. Die Reaktion von Kultusministern auf die wohlbegründete Aussage, dass zieldifferente integrative Unterrichtung sowie die integrative Unterrichtung von Schülern mit stark auffälligem Sozialverhalten grundsätzlich nur bei einem Zwei-­ Pädagogen-System, d. h. bei ständiger Anwesenheit von zwei pädagogischen Kräften in der Klasse (durchgängige Doppelbesetzung) erfolgreich sein kann, folgt durchweg einem bestimmten taktischen Muster. Sie besteht nicht primär darin, dass man diese Forderung aus finanziellen Gründen zurückweist.76 Denn eine solche Argumentation enthielte mehr als nur die Andeutung eines Eingeständnisses, dass die Forderung im Kern berechtigt ist. Vielmehr hat man sich darauf verlegt, diese Forderung wenn möglich zu überhören, zu ignorieren und ihr nach Kräften auszuweichen. Diese Taktik nutzt es aus, dass bei dem emotional rundum positiv besetzten Thema „integrative Unterrichtung“ mit einer kritischen Wach 74 Füssel/Kretschmann, Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Pädagogische und juristische Voraussetzungen, S. 56: „Wir sind uns auch nicht sicher, ob hinter der Forderung nach einer sog. ‚kostenneutralen‘ Integration ein verborgenes Einsparmotiv steht: Wenn man Sonderschüler auf Regelschulen verteilt, können Sonderschulen geschlossen werden. Wir haben noch nicht vernommen, daß Einsparungen, welche durch die Aufgabe von Schulstandorten oder gar Gewinne, die durch den Verkauf von Immobilien erzielt werden, der integrativen Förderung zugeführt werden sollen, etwa zur Finanzierung zusätzlicher Plan­stellen.“ Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (342 f.): „‚Kostenneutrale Integration‘ gibt es nicht und darf es nicht geben. Das verborgene Einspar­ motiv – Verteilung der bisherigen Sonderschüler auf allgemeine Schulen – würde langfristig die Personalausstattung des gesamten Bildungswesens für Behinderte gefährden.“ 75 So berichtet Alfred Sander, Zum Stand der schulischen Integration im Saarland, in: ders./ Christ/Fuchs u. a., Behinderte Kinder und Jugendliche in Regelschulen. Jahresbericht 1987 über schulische Integration im Saarland, S. 7, Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) habe der Projektgruppe „Integration behinderter Schüler/innen“ (IBS), die von Alfred Sander ge­ leitet wurde, den Auftrag gegeben, „im Jahre 1987 […] häufiger auftretende Schwierigkeiten bei der schulischen Integration zu erfassen und möglichst kostenneutrale Lösungsvorschläge zu erarbeiten.“ 76 Siehe hierzu Bundschuh, Möglichkeiten und Grenzen von Integration aus sonder- und heilpädagogischer Sicht, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 15 (26 f.). Allerdings schließt dies nicht aus, dass ein Kultusminister dort, wo er sich unter Erklärungsdruck sieht, die finanziellen Gründe einräumt. Das war etwa der Fall, als in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2360, Kultusminister Henner Wittling (SPD) die Forderung der Opposition nach einer personellen Zusatzausstattung je Integrationsmaßnahme in Höhe eines Viertels der in der Stundentafel der Schule für Behinderte vorgesehenen Stundenzahl als nicht finanzierbar zurückwies.

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

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samkeit des Publikums und der Medien kaum zu rechnen ist. An Lippenbekenntnissen zur integrativen Unterrichtung besteht kein Mangel, aber die Öffentlichkeit schaut nicht hin. Man will eigentlich gar nicht so genau wissen, was sich dort abspielt. Auch dürfte es Kultusminister geben, dies es zu schätzen wissen, dass bei manchem Vertreter der Erziehungswissenschaft der Blick auf die Realitäten mitunter durch enthusiastische Integrationseuphorie verstellt ist. II. Normative Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen integrativer Unterrichtung 1. Anforderungen an die rechtsstaatliche Regelung a) Vorbehalt des Gesetzes Auf die Bedeutung der personellen, sächlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für eine verantwortbare integrative Unterrichtung wurde in diesem Kapitel bereits eingegangen. Hierbei wurden die Grundrechtspositionen der behinderten und der nichtbehinderten Schüler erörtert, die bei fehlenden oder unzulänglichen Rahmenbedingungen verletzt werden. An die Regelung dieser Rahmenbedingungen sind daher rechtsstaatliche Anforderungen zu stellen, und zwar sowohl im Hinblick auf die grundsätzlichen Aspekte als auch bezüglich der Ausgestaltung der Einzelheiten. Das führt zu der Frage, wie die hierzu im Saarland ergangenen Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes zu beurteilen sind. Der Vorbehalt des Gesetzes hat seine Grundlage im Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und im Rechtsstaatsprinzip (insbes. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Hinblick auf die Bestimmung von Inhalt und Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes stehen diese beiden verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen zueinander im Verhältnis wechselseitiger Ergänzung.77 Aus dem Demokratieprinzip leitet sich ab, dass das Verwaltungshandeln hinreichend legitimiert sein muss durch ein vom Parlament beschlossenes Gesetz. Nur durch das parlamentarische Gesetz kann auch dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit der Exekutive Rechnung getragen werden. Nach diesen Kriterien entscheidet sich, ob die Materie überhaupt der Regelung durch den Gesetzgeber bedarf, ob das Parlament gegebenenfalls die Regelung in allen Einzelheiten treffen muss oder ob

77 BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972, 1 BvR 518/62 und 308/64, BVerfGE 33, 125 (158); Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417 ff.); Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (78 ff.); Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (269 ff.); Urt. v. 6.7.1999, 2 BvF 3/90, BVerfGE 101,1 (34); BVerwG, Urt. v. 17.6.2004, BVerwG 2 C 50.02, BVerwGE 121, 103 (108).

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und inwieweit der Gesetzgeber eine Delegationsbefugnis besitzt.78 Dabei hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der parlamentarische Gesetzgeber alle „wesentlichen“ Entscheidungen selbst zu treffen, so dass im Bereich eines als „wesentlich“ identifizierten Regelungsgegenstandes für ihn ein Delegationsverbot besteht.79 Die Abgrenzung im Einzelfall ist eine Wertungsfrage, bei der unterschiedliche Entscheidungskriterien und Faktoren eine Rolle spielen.80 Unter ihnen kommt der Grundrechtsrelevanz der jeweiligen Regelungsmaterie eine besondere Bedeutung zu.81 In realistischer Einschätzung des in dem heuristischen Begriff der „Wesentlichkeit“ enthaltenen Differenzierungspotenzials heißt es in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: „Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen.“82 Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat insbesondere in einer Reihe von Entscheidungen zu Fragen des Schulwesens ihren Niederschlag gefunden.83 Es ging dabei um politisch mehr oder weniger kontrovers diskutierte Fragen, bei denen Grundrechtspositionen tangiert waren, nämlich das Elternrecht 78

BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, 2 BvL 4, 26, 40/56, 1,7/57, BVerfGE 8, 274 (325); Beschl. v. 8.1.1981, 2 BvL 3, 9/77, BVerfGE 56, 1 (13); Urt. v. 8.4.1997, 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267 (307 f.). 79 BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (126 f.); Beschl. v. 27.11.1990, 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130 (142, 151 f.); Beschl. v. 2.3.1993, 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (116); Urt. v. 14.7.1998, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (251). 80 Dazu im Einzelnen Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, Abschn. VI, Rn. 107. 81 BVerfG, Beschl. v. 28.10.1975, 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74, BVerfGE 40, 237 (249); Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (126 f.); Beschl. v. 6.6.1989, 1 BvR 727/84, BVerfGE 80, 124 (132); Beschl. v. 27.11.1990, 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130 (142); Urt. v. 14.7.1998, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (251); Urt. v. 6.7.1999, 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1 (34); Urt. v. 24.9.2003, 1 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282 (311 f.). 82 BVerfG, Urt. v. 14.7.1998, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (251). Vgl. dazu auch Gröpl, Staatsrecht I, Rn.  296–298, und Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art.  20, Abschn. VI, Rn. 105–107. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR V, § 101 Rn. 57, ist darin zuzustimmen: „Eine ‚Rationalisierung‘ der Grenzziehung zwischen ‚wesentlich‘ und ‚unwesentlich‘ dürfte kaum je voll gelingen. Vieles wird nach wie vor der Dezision anheim­ fallen. Vermutlich wird nur eine Fallgruppenbildung in den einzelnen Sachbereichen weiterhelfen, wie es sich im Schulrecht gezeigt hat.“ Noch pointierter Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, 685 (692): „Im Ergebnis handelt es sich bei der Wesentlichkeitstheorie bisher weitgehend nur um eine theoretisierende Bemäntelung freier richterlicher Dezision. Wesentlich ist, was das Bundesverfassungsgericht dafür hält.“ 83 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (192 ff.)  – Hessische Förderstufe; Beschl. v. 27.1.1976, 1 BvR 2325/73, BVerfGE 41, 251 (259 ff.)  – Speyer-Kolleg; Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417 ff.)  – Hessische Oberstufenreform; Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (78 ff.) – Sexualkundeunterricht; Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (268 ff.)  – Schulentlassung und Versetzung.

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(Art. 6 Abs. 2 GG), das Recht des Schülers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Hierbei kam es vor allem auf die Herstellung der praktischen Konkordanz dieser Grundrechtspositionen mit den umfassenden Befugnissen des Staates an, die sich aus der in Art. 7 Abs. 1 GG verankerten staatlichen Schulhoheit ergeben. Gerade in den von unterschiedlichen weltanschaulichen Grundsatzpositionen gekennzeichneten bildungspolitischen Fragen kommt dem Prozess der parlamentarischen Beratung, wie Gärditz hervorhebt, eine mehrfache Aufgabe zu: Er weist darauf hin, dass bindende gesetzliche Regelungen die Verwaltung von anspruchsvollen politischen Wertungen entlasten, Transparenz herstellen und Möglichkeiten rechtsstaatlicher Kontrolle eröffnen.84 b) Regelung durch den Gesetzgeber (Parlamentsvorbehalt) Die unter diesem Gesichtspunkt relevante Regelung des Landesgesetzgebers war in § 4 Abs. 1 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung enthalten: (1) 1Der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform umfasst grundsätzlich auch die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf. 2Daher sind im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln; das Nähere regelt die Schulaufsichtsbehörde durch Rechtsverordnung.

Dieser Bestimmung lassen sich in inhaltlicher Hinsicht vier Aussagen entnehmen, nämlich –– die Etablierung der integrativen Unterrichtung als reguläres Angebot sonder­ pädagogischer Förderung neben den Förderschulen, –– der Auftrag zur Entwicklung von Integrationsformen, –– die Bindung integrativer Unterrichtung an das Vorliegen organisatorischer, personeller und sächlicher Voraussetzungen –– und die Normierung eines entsprechenden Möglichkeits- bzw. Ressourcen­ vorbehalts. Die Normierung der tatbestandlichen Voraussetzungen und des Möglichkeitsbzw. Ressourcenvorbehalts war Ausdruck des staatlicherseits vorhandenen Bewusstseins, dass nur mit einem qualitativ hochwertigen Unterricht entsprechend den sonderpädagogischen Notwendigkeiten dem Bildungsanspruch des behinderten Schülers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus 84 Gärditz, Verfassungsfragen des Schulreformvorhabens der Landesregierung NordrheinWestfalen, S. 3.

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§ 1 Abs. 1 SchoG entsprochen werden kann. Die Frage nach den Rahmenbedin­ gungen und den dafür erforderlichen Ressourcen ist gleichbedeutend mit der Frage nach der pädagogischen Qualität und somit nach der pädagogischen Verantwortbarkeit integrativer Unterrichtung. Mit dieser Regelung hatte der Gesetzgeber eine essentielle Entscheidung zur Konkretisierung seines Konzepts der integrativen Unterrichtung getroffen. Das gilt auch für den Auftrag zur Entwicklung von Integrationsformen, da hierin die Absage an ein Einheitsmodell und die Akzeptanz einer Variationsbreite hinsichtlich zweckmäßiger Gestaltung lag. Im Übrigen bezieht sich der Begriff „Entwicklung“ auf den mit § 4 Abs. 1 Satz 1 SchoG 1986 gesetzlich realisierten Paradigmenwechsel und ist daher auf alle Gegenstände gerichtet, die zu dessen Umsetzung der Regelung bedürfen. Damit hatte der Gesetzgeber den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts im Sinne des Parlamentsvorbehalts, d. h. der von ihm selbst zu entscheidenden Fragen entsprochen. c) Delegationsbefugnis Es ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für die Regelung der weiteren Einzelheiten eine Delegationsbefugnis in Anspruch genommen hat. Indikatoren für die Delegierbarkeit von Regelungen85 sind u. a. die Eigengesetzlichkeit des Regelungsgegenstandes sowie das Bedürfnis nach Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Pädagogik enthält ein ausgeprägt dynamisches Element. Das zeigt sich nicht nur bei den Inhalten und der Art und Weise ihrer Vermittlung, sondern auch bei den hierzu geschaffenen Strukturen und Organisationsformen. Insbesondere bei einer pädagogischen Innovation, wie sie die Idee der integrativen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern darstellte, ist das Bedürfnis nach Flexibilität und Anpassungsfähigkeit evident. Es stellt sich die Frage, ob die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SchoG 1986 enthaltene Verordnungsermächtigung den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und des Art. 104 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. entsprach, d. h. nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt war.86 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnungsermächtigung nicht in der für Schul- und Prüfungsordnungen geltenden Ermächtigungsvorschrift des § 33 SchoG enthalten war, sondern im unmittelbaren Kontext der sedes materiae stand. Durch die hierzu vorliegenden Aussagen des Gesetzgebers war das der Rechtsverordnung aufgegebene Normierungsprogramm nach Inhalt und Reichweite hinreichend bestimmt umrissen. So war der Auftrag zur Entwicklung geeigneter Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehin 85

Zum Folgenden vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 262 ff. Siehe hierzu BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (276 f.).

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derten auf ein klar erkennbares Ziel gerichtet. Darunter sind zunächst Variationen hinsichtlich der mehr oder weniger stark ausgeprägten Möglichkeit des Sozialkontaktes zwischen Behinderten und Nichtbehinderten zu verstehen. Doch war diese Ermächtigung nicht auf die Erstellung eines Formenkataloges beschränkt. Vielmehr mussten darunter sinnvollerweise alle Gegenstände subsumiert werden, ohne deren Regelung die integrative Unterrichtung in der jeweiligen Integrationsform aus pädagogischen oder rechtlichen Gründen nicht sachgerecht praktiziert werden kann. Das gilt insbesondere für die Fragen, welche die Grundrechte des behinderten Schülers betreffen. Was die organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen der integrativen Unterrichtung betrifft, so ging aus der Normierung dieser tatbestandlichen Voraussetzungen zunächst hervor, dass die allgemeine Schule insoweit an die spezifischen Bedürfnisse des behinderten Schülers angepasst werden muss. Unter das Tatbestandsmerkmal der eminent wichtigen personellen Voraussetzungen können sowohl die notwendigen Regelungen zu den Personalkategorien, d. h. den benötigten Qualifikationen als auch zu dem erforderlichen quantitativen Umfang des zusätzlich benötigten Personals subsumiert werden. Auch der Begriff der sächlichen Voraussetzungen, für den an die gefestigte schulrechtliche Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten im Sinne der Letzteren angeknüpft werden kann (vgl. § 16 Abs. 3 und § 25 Satz 1 SchoG, § 57 Abs. 1 Satz 1 SchumG), war hinreichend bestimmt, wenn er im unmittelbaren Bezug zu den spezifischen Bedürfnissen von Schülern mit Behinderungen gesehen wird. Die Nennung der organisatorischen Voraussetzungen diente der Vervollständigung des über die personellen und sächlichen Ausstattungsbedürfnisse hinausgehenden Anforderungskataloges. Im Übrigen handelt es sich bei dieser Trias sachlicher Kriterien um eine schulrechtlich und schuladministrativ gefestigte und insoweit unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Reichweite hinreichend bestimmte Beschreibung. 2. Regelungsumfang und Regelungsdichte der Integrations-Verordnung a) Regelungen zu Fragen des Anwendungsbereichs, des Verfahrens und der Pädagogik Der Regelungsauftrag an die Exekutive wurde umgesetzt mit der Verordnung – Schulordnung – über die gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform (Integrations-Verordnung) vom 4.8.1987.87 Sie enthält detaillierte Regelungen u. a. zum persönlichen Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 1 und 2 IntVO), zu einem Katalog von Integrationsformen (§ 2 Abs. 1

87 Amtsbl. S. 972, zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540 [598]); im Anhang ab­ gedruckt sub Abschn. A. V., wo in Fn. 17 die zeitlich gestaffelte Geltungsdauer der IntegrationsVerordnung erläutert wird.

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Satz 2 IntVO), über die Zuständigkeit und das Verfahren zur Anordnung integrativer Unterrichtung (§§ 6–9 IntVO) sowie für Leistungsbeurteilung, Versetzung und Zeugnisse (§ 5 IntVO).

b) Regelungen zu den Rahmenbedingungen Zu den Rahmenbedingungen integrativer Unterrichtung trifft die IntegrationsVerordnung folgende Regelung: § 4 Bauliche, räumliche, sächliche und personelle Voraussetzungen integrativer Unterrichtung (1) 1Integrative Unterrichtung setzt voraus, dass an der betreffenden Schule der Regelform die sächliche Ausstattung einschließlich der für den behinderten Schüler/die behinderte Schülerin erforderlichen Lehr- und Hilfsmittel sowie die baulichen und räumlichen Bedingungen dafür gegeben sind, dass der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin in der betreffenden Schule der Regelform die seiner/ihrer Behinderung entsprechende sonderpädagogische Förderung erhalten kann. 2Integrative Unterrichtung darf nur angeordnet werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde die genannten Voraus­ setzungen bereits gegeben sind oder wenn zu diesem Zeitpunkt der Schulaufsichtsbehörde eine schriftliche Zusage des Schulträgers vorliegt, dass spätestens bei Beginn der integrativen Unterrichtung alle von der Schulaufsichtsbehörde als notwendig bezeichneten vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind. (2) 1Ist auf Grund der Behinderung des Schülers/der Schülerin während der Unterrichtszeit auch eine Betreuung und Förderung durch sozialpädagogische, therapeutische oder pflege­ rische Kräfte erforderlich, so darf die integrative Unterrichtung nur angeordnet werden, wenn die entsprechenden Kräfte in dem erforderlichen Umfang bei Beginn der integrativen Unterrichtung zur Verfügung stehen. 2Die Mitwirkung von Erziehungsberechtigten als Ersatz für die genannten Kräfte ist nicht zulässig.

§ 4 IntVO hatte bis zur Änderungsverordnung vom 4.8.2014 außerdem folgenden auf die Entscheidung im Einzelfall bezogenen Absatz 3: (3) Im Übrigen hat die Schulaufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung über die integrative Unterrichtung im Einzelnen festzulegen, in welchem zeitlichen Umfang und mit welcher Qualifikation die für die integrative Unterrichtung benötigten Lehrkräfte und sonstigen Kräfte zur Verfügung stehen.

aa) Sächliche Voraussetzungen Sowohl aus der Überschrift des § 4 IntVO wie auch aus dem Text des § 4 Abs. 1 IntVO geht hervor, dass der Verordnungsgeber bei der Regelung dieser Materie mit den „baulichen, räumlichen und sächlichen“ Voraussetzungen jene Rahmenbedingungen vorrangig im Blick hatte, für die die Schulträger zuständig sind. Diese

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Ausstattungsbedürfnisse werden lediglich in allgemeiner, nur unwesentlich über den Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 hinausgehender Anforderungsbeschreibung genannt. Es fehlen Vorgaben inhaltlicher Art etwa im Sinne der Definierung eines auf die einzelnen Förderschwerpunkte bezogenen Anforderungsprofils.

bb) Personelle Voraussetzungen Die Aussage der Integrations-Verordnung zu personellen Voraussetzungen integrativer Unterrichtung in § 4 Abs. 2 IntVO ist gewiss insofern relevant, als darin mehrere in Betracht kommende Personalkategorien genannt sind. Doch fehlt auch hier jede weitere abstrakt-generelle Regelung, insbesondere im Hinblick auf die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Förderschwerpunkte oder den erforderlichen zeitlichen Umfang des Einsatzes dieser Kräfte. Vor allem aber fehlt es an der Konkretisierung, in welchem Umfang zusätzlich zu der regulären Lehrkraft der Klasse sonderpädagogisch qualifiziertes Lehrpersonal vorhanden sein muss. Nicht nur, dass von dem bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei der Unterrichtung eines Schülers mit ausgeprägter Störung gogen-System der sozial-emotionalen Entwicklung unverzichtbaren Zwei-Päda­ (durchgängige Doppelbesetzung) in der Integrations-Verordnung keine Rede ist; es werden auch keine Festlegungen getroffen hinsichtlich des zeitlichen Umfangs, in dem ein Ambulanzlehrer für spezifisch sonderpädagogische Förderung zur Verfügung stehen muss. Wenn es in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 IntVO, der die im Saarland absolut dominierende Integrationsform der „Regel­klasse mit Ambulanzlehrer“ betrifft, heißt, dass der behinderte Schüler „wöchentlich in einem der Art und Schwere der Behinderung angemessenen Umfang“ gefördert wird, so kann diese im Allgemeinen verbleibende Formel dem in der Ermächtigungsnorm enthaltenen Konkretisierungsauftrag nicht gerecht werden. Lediglich für den Fall, dass sich in einer Klasse der allgemeinen Schule mehrere behinderte Schüler – wobei es sich auch um Schüler mit verschiedenen oder mehreren Behinderungen handeln kann – befinden, ist geregelt, dass neben der regulären Lehrkraft eine weitere Lehrkraft mit mindestens 13 Wochenstunden in dieser Klasse unterrichtet, wenn Art und Schwere der Behinderungen dies erfordern (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 IntVO). Abgesehen davon, dass auch in diesen Fällen kein Zwei-Pädagogen-System im Sinne einer durchgängigen Doppelbesetzung vorgesehen ist, bestätigt diese Bestimmung das Fehlen der sachlich gebotenen Regelung für alle anderen Fälle. Im Übrigen blieb es bei der Regelung des inzwischen aufgehobenen § 4 Abs. 3 IntVO, welche die Entscheidung im Einzelfall über Qualifikation und Umfang der zusätzlich einzusetzenden Lehrkräfte und der sonstigen Kräfte ausschließlich in das Ermessen der Schulaufsichtsbehörde stellt.

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cc) Organisatorische Voraussetzungen § 1 Abs. 3 IntVO regelt, welche Schule im Falle integrativer Unterrichtung von dem behinderten Schüler zu besuchen ist. Bezüglich der Beförderungskosten wird auf die bestehenden Regelungen verwiesen. Die Integrations-Verordnung enthält keine Regelung, ob und in welcher Weise bei der Klassenbildung zu berücksichtigen ist, dass in der betreffenden Klasse ein oder mehrere behinderte Schüler unterrichtet werden.88 c) Regelungsdefizite der Integrations-Verordnung Bei der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SchoG 1986 enthaltenen Verordnungsermächtigung handelte es sich nicht um eine „normale“ Ermächtigung von der Art „Das Ministerium für […] wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung […].“ Vielmehr war es eine Ermächtigung, welche den Delegatar zum Erlass der Rechtsverordnung nicht nur berechtigte, sondern auch verpflichtete.89 Dadurch hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die gesetzliche Regelung ohne die Konkretisierung durch den Verordnungsgeber ihr Ziel nicht erreichen kann. Das bedeutet gerade im Hinblick auf die tatbestandlich normierten Integrationsvoraussetzungen, dass es nicht mit deren Wiederholung oder Paraphrasierung in der Verordnung sein Bewenden haben kann. Einem solchen Mangel an Eigenständigkeit der Regelung steht es gleich, wenn anstelle einer sachlichen Konkretisierung nur von der Entscheidungskompetenz der zuständigen Behörde und deren pflichtgemäßem Ermessen gesprochen wird. Je nach der Art und Weise, wie es um die Rahmenbedingungen der integrativen Unterrichtung steht, ist der behinderte Schüler in seinem Bildungsanspruch betroffen. Insoweit handelt es sich bei der Konkretisierung der Rahmenbedingungen der integrativen Unterrichtung um die Frage des Grundrechtsschutzes. Es ist mehr als fraglich, ob die in der Integrations-Verordnung getroffene Regelung zu den personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen integrativer Unterrichtung den rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht wird.

88 Die hier aufgezeigte Regelungsnotwendigkeit in Bezug auf die personelle Ausstattung und den Klassenteiler bei integrativer Unterrichtung wird auch in Nr. 4.3 der vom Unterausschuss Schulrecht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland erstellten Ausarbeitung „Rechtliche Fragen der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern“ vom 1./2.2.1993 festgestellt (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.). 89 Vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 283 f.

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aa) Unzulängliche Regelungsdichte Die Problematik soll anhand des folgenden Vergleichs aufgezeigt werden: Es ist heute im Schulrecht allgemeine Rechtsüberzeugung und schulrechtlicher Regelungsstandard,90 dass die Stundentafeln aller Schulformen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung als Rechtsverordnungen zu ergehen haben, d. h. nicht mehr als Verwaltungsvorschriften zulässig sind.91 Es wird also durch Rechtsnorm festgelegt, welches die Unterrichtsfächer sind, wie viel Unterrichtsstunden in der Woche dem Schüler in den einzelnen Jahrgangsstufen zu erteilen sind und wie sich diese Wochenstundenzahl auf die einzelnen Fächer verteilt. Denn diese Festlegungen sind von Bedeutung für die Qualität des Bildungsangebotes und damit im Hinblick auf den Bildungsanspruch des Schülers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG grundrechtsrelevant. So wird z. B. durch die als Rechtsverordnung ergangene Stundentafel bestimmt, ob das Fach Sport mit zwei oder drei Wochenstunden unterrichtet wird, ob ein Wahlpflichtbereich vorgesehen ist, wann die zweite Fremdsprache einsetzt und mit wie viel Wochenstunden sie unterrichtet wird. Legt man, was den Grad der Detailliertheit und die Regelungsdichte betrifft, den hieran ersichtlichen rechtsstaatlichen Maßstab zugrunde, dann stellt sich die in der Tat nur noch rhetorische Frage: Soll es etwa nicht der Regelung durch Rechtsnorm bedürfen, ob bei zieldifferenter Unterrichtung grundsätzlich ein ZweiPädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) erforderlich ist bzw. ob für ein in der allgemeinen Schule integrativ unterrichtetes Kind mit dem Förderschwerpunkt Lernen 4 oder 8 oder 10 Förderstunden durch einen Ambulanzlehrer pro Woche zur Verfügung gestellt werden oder gerade einmal 1,67 Stunden pro Woche, wie das im Saarland im Schuljahr 2012/13 der Fall ist?92 Ist es für die Erfüllung eines an der allgemeinen Schule integrativ unterrichteten Kindes mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung nicht essentiell, ob während der gesamten Unterrichtszeit zusätzlich zu der regulären Lehrkraft eine weitere pädagogische Kraft zur Verfügung steht oder ob eine Ambulanzlehrkraft nur mit 4 oder nur

90 Vgl. z. B. Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, § 6 Abs. 3 DJT-SchulGE, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. I, S. 67 f. 91 So z. B.: Verordnung  – Schulordnung  – über die Stundentafeln der Förderschulen vom 7.5.1986 (Amtsbl. S.  423), zul.geänd.d. VO vom 21.7.2015 (Amtsbl. I S.  506); Verordnung – Schulordnung – über die Stundentafel des Gymnasiums (Klassenstufen 5 bis 10) vom 26.3.2010 (Amtsbl. I S. 44), zul.geänd.d. VO vom 21.7.2015 (Amtsbl. I S. 506); Verordnung – Schulordnung – über die Stundentafel der einjährigen Berufsgrundschule/Hauswirtschaft-Sozialpflege vom 20.8.1986 (Amtsbl. S. 791), zul.geänd.d. VO vom 19.7.2006 (Amtsbl. S. 1183). Soweit bei den übrigen Schulformen die Stundentafel nicht als eigenständige Rechtsverordnung ergangen ist, ist sie Bestandteil der für die jeweilige Schulform als Rechtsverordnung ergangenen Schulordnung bzw. Schul- und Prüfungsordnung. 92 Siehe Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

mit 10 oder mit 18 Wochenstunden zur Verfügung steht?93 Lässt sich ernsthaft in Abrede stellen, dass es von der Beantwortung dieser Frage entscheidend abhängt, ob dieses Kind behinderungsadäquat gefördert werden kann und sein Bildungsanspruch erfüllt wird? Will man bestreiten, dass im Fall des Schülers mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten, die sich in Aggressivität und Destruktivität manifestieren, die reguläre Lehrkraft ohne ein Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) überfordert ist und dadurch der verfassungsrechtlich begründete Anspruch der nichtbehinderten Schüler auf einen ordnungsgemäßen Unterricht tangiert bzw. verletzt wird? Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, hier seien Festlegungen normativer Art nicht zweckmäßig, weil man dann nicht flexibel auf die Gegebenheiten des Einzelfalles reagieren könne. Ein Mindestmaß an normativer Strukturierung des personellen Anforderungsprofils  – etwa nach Förderschwerpunkten, Mehrfachbehinderung, Klassenfrequenz, Anzahl der behinderten Kinder in einer Klasse, Qualifikation des eingesetzten Personals – ist unverzichtbar. Vor allem aber sind Festlegungen über den Umfang der bereitzustellenden Lehrerstunden für sonderpädagogische Förderung zu treffen; das lässt sich in normativen Vorgaben sehr wohl so formulieren, dass Spielraum für die Entscheidung im Einzelfall erhalten 93 Dass es sich hier nicht um theoretische Annahmen, sondern um praxisnahe Größen­ ordnungen handelt, zeigt der Fall einer geistig behinderten Schülerin, über den das VG d. Saarl., Beschl. v. 6.2.1997, 1 F 3/97, zu entscheiden hatte: Für sie stand ein Ambulanzlehrer mit 12 Wochenstunden und damit in erheblich größerem Umfang als sonst bei den integrativ unterrichteten geistig behinderten Schülern im Saarland üblich (nämlich etwa 5 Wochenstunden) zur Verfügung. In Anbetracht des Grades der Behinderung sowie des Lern- und Sozialverhaltens der Schülerin wurde am Ende des ersten Schuljahres „nach Einschätzung aller beteiligten Pädagogen“ eine Erhöhung der Ambulanzlehrerstunden auf 18 bis 20 Wochenstunden für notwendig gehalten. Da dies jedoch angesichts der Personalsituation nicht darstellbar war, wurde die Integrationsmaßnahme beendet und die Schülerin der Förderschule geistige Entwicklung zugewiesen. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung wurde auch in der Beschwerdeinstanz bestätigt, OVG d. Saarl., Beschl. v. 12.3.1997, 8 W 3/97. Dabei deutete das OVG d. Saarl. unter Hinweis auf die Integrationspraxis an den saarländischen Schulen nicht nur die Problematik der geforderten Personalausstattung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung an. Vielmehr stellte es auch darauf ab, dass bei einer mit der Betreuung durch den Ambulanzlehrer faktisch einhergehenden Separation im Umfang von 20 Wochenstunden nicht mehr von einer Integration in die Klasse gesprochen werden könne, amtl. Umdruck S. 9: „Es drängt sich nämlich auf, daß soziale Integration durch den Unterricht selbst umso weniger möglich ist, je höher der Anteil der Stunden ist, in denen bei einem zieldifferenten Unterricht lediglich eine gleichzeitige, nicht aber eine gemeinsame Unterrichtung aller Schüler stattfindet, und je niedriger der Anteil des ohne ‚Integrationshelfer‘ erlebten Unterrichts des Geistigbehinderten ist; vielmehr können bei einer erhöhten Betreuungsstundenzahl, wie die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 4.3.1997 selbst ausführen läßt, die die soziale Integration kennzeichnenden Begegnungen dann nicht im Unterricht, sondern – im wesentlichen nur – vor und nach der Schule und in den Pausen stattfinden.“ Diese plausiblen Erwägungen des OVG d. Saarl. zeigen auf, dass zwischen der Zahl der Ambulanzlehrerstunden, dem dadurch induzierten Umfang separierender Unterrichtung und der Idee der Integration ein Spannungsverhältnis entstehen kann. Daran wird sichtbar, dass es sich hier um eine grundrechtsrelevante Frage handelt, die der Regelung durch Rechtsnorm bedarf.

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

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bleibt. Fehlt es nämlich für die notwendige Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen an jeglicher normativer Vorgabe, dann fehlt es auch an der notwendigen Transparenz. Fehlende Transparenz aber geht nicht nur zu Lasten der Verteilungsgerechtigkeit, sondern vor allem zu Lasten der pädagogischen Qualität. In einem von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall94 war von dem erstinstanzlichen Gericht, dem Verwaltungsgericht Hannover, die Rechtswidrigkeit der Verteilungsentscheidung bereits wegen Fehlens einer den rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden landeseinheitlichen Verteilungsrichtlinie bejaht worden. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover heißt es: Das Gebot der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG erfordere ein landesweites Handlungskonzept über die Entwicklung der integrativen Beschulung, das landeseinheitliche Richtlinien über das Verfahren und die Verteilungskriterien zum Gegenstand habe. Das Konzept müsse vorgeben, wie die landesweit insgesamt zur Verfügung stehenden Sonderschullehrerstunden für integrative Maßnahmen regional verteilt werden. Der Verteilungsmaßstab müsse dabei den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügen und sicherstellen, daß keine unzulässigen Ungleichgewichtungen der Integrationsmöglichkeiten zwischen den Regierungs- und Schulbezirken entstünden. Die Richtlinien müssten ferner den Anforderungen des Grundsatzes des Grundrechtsschutzes durch Verfahrensregelung gerecht werden. Effektiver Grundrechtsschutz durch Verfahren setze dabei nach Auffassung des Gerichts auch voraus, daß die Richtlinien vor Beginn des Verteilungsverfahrens in geeigneter Weise bekannt gemacht würden (Transparenzgebot). Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Richtlinien stehe der obersten Schulbehörde ein Gestaltungsspielraum zu. Sie habe darüber zu entscheiden, wie sie das Verfahren ausgestalte, welche materiellen Kriterien sie der Verteilungsentscheidung zugrunde legen wolle, welches Gewicht den einzelnen Kriterien zukommen solle, ob die Kriterien in eine Rangfolge gebracht oder Kriterienkontingenten zugeordnet werden sollen, gegebenenfalls wie mit Sonderfällen umgegangen werde. Erst ein derartiges Handlungs- und Entscheidungskonzept ermögliche die rechtliche Überprüfung einer im Einzelfall getroffenen Entscheidung über die Art der sonder­ pädagogischen Förderung.95 Auch wenn man diesem Anforderungskatalog des Verwaltungsgerichts Hannover nicht in allen Einzelheiten zustimmt, so ist ihm doch zu bescheinigen, dass er in seinen wesentlichen Aussagen in die richtige Richtung weist. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat demgegenüber die Notwendigkeit solcher Richtlinien verneint, allerdings mit nicht überzeugenden, im Formalen verharrenden Erwägungen: So sei eine Zuständigkeit der oberen (obersten) Schulbehörde für die Verteilung von Sonderlehrerstunden durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften 94

NdsOVG, Urt. v. 21.7.1999, 13 L 2468/99, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 7. VG Hannover, Urt. v. 26.11.1998, 6 A 5774/98, amtl. Umdruck S. 9 f.

95

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

nicht bestimmt. Außerdem argumentiert es mit dem Hinweis auf den mit fortschreitender Zeit zwangsläufig Relevanz einbüßenden Innovationscharakter des Vorhabens: Gerade in der derzeitigen Phase des Aufbaus der integrativen Beschulung im Land Niedersachsen erscheine es sachgerecht und falle jedenfalls in die Organisationsgewalt des Landes, die Einzelentscheidungen über die Verteilung von Sonderschullehrerstunden den ortsnäheren Schulbehörden zu überlassen.96 Dass normative Vorgaben für die personelle Ausstattung von Integrationsmaßnahmen auch etwas mit Qualitätssicherung zu tun haben, hat sich dem Niedersäch­ sischen Oberverwaltungsgericht offensichtlich nicht erschlossen. Wenn die Verantwortlichen in der Undurchsichtigkeit schuladministrativer Praxis agieren, können sie sich dem Rechtfertigungsdruck des fachlichen Urteils sachverständiger Dritter sowie kritischen Fragen der Öffentlichkeit weitgehend entziehen. Demgegenüber ist durch sachgerechte und verantwortungsbewusst gesetzte normative Vorgaben für die Ausstattung mit zusätzlichem Personal sicherzustellen, dass das im einzelnen Integrationsfall nach fachkundiger Beurteilung pädagogisch Notwendige auch geleistet werden kann. bb) Gründe der Regelungsverweigerung der Schuladministration Allerdings setzt die hier für erforderlich gehaltene Regelung die Bereitschaft der Schuladministration in Gestalt des Kultusministers als Verordnungsgeber voraus, seine Vorstellungen zum Qualitätsstandard integrativer Unterrichtung offenzulegen, d. h. zur nicht unterschreitbaren Grenze dessen, was er als zusätzliche personelle Ausstattung einer Integrationsmaßnahme für pädagogisch unerlässlich erachtet. Entsprechendes hat zu gelten für den Klassenteiler, falls in der Klasse auch behinderte Kinder unterrichtet werden sollen. So nahe liegend und sachlich wohlbegründet diese Forderung ist, so eindeutig haben sich die Kultusminister des Saarlandes seit dem Beginn der integrativen Unterrichtung im Schuljahr 1985/86 bis heute dieser Notwendigkeit verweigert. Bis heute existiert keine durch Gesetz oder aufgrund einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung erlassene Verordnung ergangene Regelung der im Rechtssinne wesentlichen Fragen der erforderlichen personellen Zusatzausstattung und des Klassenteilers bei integrativer Unterrichtung. Die Landesregierung musste 2012 in ihrer Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage einräumen: „Für die Personalisierung von Integrationsmaßnahmen gibt es keine rechtlichen ­Vorgaben.“97

96 NdsOVG, Urt. v. 21.7.1999, 13 L 2468/99, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 7. Siehe im Übrigen Reichenbach, Die Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte zur integrativen Unterrichtung behinderter Schülerinnen und Schüler, NdsVBl. 2000, 205 ff. 97 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LTDrucks. 15/279 vom 14.12.2012.

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

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Zu ergänzen wäre: Es existiert hierzu noch nicht einmal eine Verwaltungsvorschrift. Das Fehlen einer Regelung durch materielles Gesetz ist umso bemerkenswerter, als die maßgebliche gesetzliche Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 SchoG 1986 auf Grund ihrer Normstruktur im Hinblick auf die der Rechtsverordnung vorbehaltene Konkretisierung der Rahmenbedingungen integrativer Unterrichtung, insbesondere der personellen Voraussetzungen geradezu appellativen Charakter hat. Die Abneigung des Kultusministers und der Landesregierung, bezüglich der personellen Realisierungsbedingungen integrativer Unterrichtung Farbe zu bekennen, ist mit Händen zu greifen. Das zeigt sich bei Licht besehen schon in der Formulierung des § 4 Abs. 1 Satz 2 SchoG 1986:98 Dort werden die „personellen Möglichkeiten“ trotz ihrer überragenden Bedeutung für eine verantwortbare integrative Unterrichtung erst an zweiter Stelle nach den „organisatorischen Möglichkeiten“ genannt. Noch deutlicher kommt die Geringschätzung der personellen Voraussetzungen in den Aufzählungen der Integrations-Verordnung zum Ausdruck. Dort lautet die Überschrift des § 4 IntVO: „Bauliche, räumliche, sächliche und personelle Voraussetzungen integrativer Unterrichtung“. Diese Reihenfolge ist auch in § 2 Abs. 2 und § 8 Abs. 2 Satz 3 IntVO gewählt, wo von den „[…] baulichen, räumlichen, sächlichen, personellen und organisatorischen“ Gegebenheiten bzw. Voraussetzungen die Rede ist. Ein geradezu regierungsamtliches Eingeständnis dieser bewussten und gewollten Verweigerung von Transparenz durch Unterlassen einer bereichsspezifischen Regelung enthält die Antwort der Landesregierung zu einer parlamentarischen Anfrage. Auf die Frage, nach welcher Schüler/Lehrer-Relation die Kinder in den Sonderschulen und nach welcher die behinderten Kinder in den Regelschulen unterrichtet würden, antwortete die Landesregierung: „Für die Schulen für Behinderte wird auf § 4 Abs. 5 der ‚Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kursbildung und über Schüler-Lehrer-Relationen‘ vom 19. Juni 1996 (Amtsbl. S. 723) verwiesen. In Regelschulen erfolgt die Personalisierung nach den Grundsätzen der genannten Verordnung.“99 Der zweite Satz der Antwort, der sich auf die integrative Unterrichtung bezieht, ist im Hinblick auf Sinn und Zweck der Fragestellung ohne jeglichen Aussagewert: Zum einen sind in den für die Förderschulen festgelegten Schüler-Lehrer-Relationen nach dem Wortlaut der Verordnung auch die therapeutischen Kräfte und die Pflegekräfte (letztere sind nicht zu verwechseln mit dem aufgrund der sozial- und jugendhilfe­ rechtlichen Vorschriften einem Schüler im Einzelfall zur Verfügung gestellten Eingliederungshelfer) einbezogen, die aber in der Praxis der integrativen Unterrichtung im Saarland keine Rolle spielen; zum anderen besitzt der Hinweis auf

98

Diese Regelung erging durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986 (Amtsbl. S. 477). 99 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Unterrichtung von behinderten Jugendlichen, LT-Drucks. 11/1388 vom 17.10.1997.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

die „Grundsätze“ der zitierten Verordnung, der den dezisionistischen Charakter der Zuweisungs­praxis verschleiern soll, keinen Informationswert. Um eine Nuance deutlicher war dagegen die Antwort, die die Landesregierung zu Beginn der integrativen Unterrichtung 1986, d. h. als noch keine Fehlentwicklungen manifest und entsprechende kritische Fragen vorhanden waren, zu einer parlamentarischen Anfrage gab. Auf die Frage, welche statistischen Daten bei der Personalbedarfsplanung im Hinblick auf derzeitige und zukünftige Integrationsmaßnahmen zugrunde gelegt worden seien, antwortete die Landesregierung: „Die Planung und der Einsatz von Sonderschullehrern für Integrationsmaßnahmen erfolgt anteilig nach den durch Erlaß vom 5.  Dezember 1984 (GMBl. Saar 1985 S. 96) festgelegten Werten der Schüler-Lehrer-Relation berechnet auf den einzelnen Schüler.“100 Doch kann die Regelung über die Schüler-Lehrer-Relation an Förderschulen aus sachlichen Gründen keinen Maßstab für die personelle Ausstattung von Integrationsmaßnahmen darstellen.101 Auch die Antwort der Landesregierung zu einer weiteren parlamentarischen Anfrage lässt die ausgeprägte Abneigung der Landesregierung gegen Transparenz erkennen. Auf die Frage, nach welchem Maßstab und welchen Regelungen die Zuweisung von zusätzlichen Lehrerstunden an diese Regelklassen mit mehreren behinderten Schülern erfolge, antwortete die Landesregierung: „Prinzipiell erfolgt die Zuweisung von zusätzlichen Lehrerstunden für eine Klasse, in der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf integrativ unterrichtet werden, nach den Notwendigkeiten, die sich aus der pädagogischen Gesamtsituation ergeben.“ Auf die Frage, ob es Regelungen über die höchstzulässige Schülerzahl einer Klasse gebe, in der mehr als ein behindertes Kind unterrichtet werde und wie sie lauteten, antwortete die Landesregierung: „Nein. Bei der Einrichtung von Integrationsmaßnahmen wird die Gesamtsituation der betroffenen Klasse berücksichtigt.“102 Dass der Kultusminister als Verordnungsgeber sich beharrlich geweigert hat und immer noch weigert, seiner Regelungsverpflichtung nachzukommen, hat einen Grund: Eine Festlegung der personellen Ausstattung der Integrationsmaßnahmen durch Rechtsverordnung ist nicht erwünscht, weil sie Transparenz herstellen würde. Denn bei einer Regelung durch Rechtsverordnung wäre der Kultusminister zum Bekenntnis gezwungen, welche personelle Ausstattung er für pädagogisch erforderlich hält. Es würde dann öffentlich sichtbar, wie es um die personelle Ausstattung der Integrationsmaßnahmen im Saarland und damit um ihre pädagogische 100 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der CDU-Abgeordneten Franz Becker, Peter Jacoby, Birgit Küpper, Gerd Meyer und Kurt Schoenen betr. Eingliederung behinderter Kinder und Jugendlicher in Regelschulen, LT-Drucks. 9/991 vom 22.12.1986. 101 Siehe Näheres hierzu unten sub Kap. 8 E. 102 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. „Bündelung“ mehrerer behinderter Kinder in einer Klasse bei integrativer Unterrichtung in der Regelschule, LT-Drucks. 11/1147 vom 28.2.1997.

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

155

Qualität tatsächlich bestellt ist. Man hat Angst vor einer öffentlichen Diskussion über die in der saarländischen Integrationspraxis höchst unzulänglichen personellen Rahmenbedingungen integrativer Unterrichtung und die dadurch vorprogrammierten pädagogisch-qualitativen Defizite. Die amtliche Offenlegung dieser Zahlen in einer Rechtsverordnung könnte zu unerwünschten Fragen und Diskussionen führen. Das könnte dem vorrangig politisch definierten „Erfolg“ abträglich werden. Dieser besteht nämlich aus der Sicht mancher verantwortlicher Bildungspolitiker vor allem im Nachweis einer möglichst hohen Zahl von integrativ unterrichteten Schülern. Die Frage der pädagogischen Qualität im jeweiligen Fall ist offenbar weniger wichtig. So schrieb 1996, also zehn Jahre nach dem Beginn integrativer Unterrichtung im Saarland, der von 1985 bis 1999 an der wissenschaftlichen Begleitung dieses Projekts maßgeblich beteiligte Erziehungswissenschaftler Alfred Sander von der Universität des Saarlandes:103 „Manche Länder, zum Beispiel Niedersachsen, lassen Einzelintegration nur bei zielgleichem Unterricht zu, während anderswo, zum Beispiel im Saarland, auch zieldifferente Einzelintegration in großer Anzahl und erfolgreich durchgeführt wird.“104 An dieser Behauptung des „Erfolgs“ hindert den genannten Autor auch nicht die Tatsache, dass auf derselben Seite seines Aufsatzes die Unzulänglichkeit der – für die pädagogische Qualität der integrativen Unterrichtung ausschlaggebenden – personellen Zusatzausstattung im Saarland sichtbar und damit die Glaubwürdigkeit seiner Behauptung von der „erfolgreichen“ zieldifferenten Unterrichtung im Saarland in Frage gestellt wird.105 Die „große Anzahl“ ist nach diesem Handlungsansatz vor allem Ausdruck der zurückgelegten Strecke auf dem Weg zur Marginalisierung bzw. Abschaffung der Förderschulen und zur Etablierung „einer Schule für alle“. Die Zuweisung der zusätzlichen Lehrerstunden für die einzelne Integrationsmaßnahme erging bzw. ergeht im Saarland also ohne bereichsspezifische, die Entscheidungspraxis durch Rechtsverordnung oder zumindest durch Verwaltungsvorschrift strukturierende differenzierte Vorgaben. Solange die stattdessen bemühte 103

Siehe hierzu des Näheren unten sub Kap. 9. Alfred Sander, Neue Formen der sonderpädagogischen Förderung in deutschen Schulen, RdJB 1996, 174 (186) (Hervorh. d. Verf.). 105 Alfred Sander, ebd., S. 186: „[…] zum Beispiel erhält in Hamburg jede Integrationsklasse im Grundschulbereich neben der Klassenlehrerin eine Dreiviertelstelle für eine Erzieherin sowie pro Integrationskind 2,5 Wochenstunden einer sonderpädagogischen Lehrkraft, so daß zeitweise ein Drei-Pädagogen-System entstehen kann; im finanzschwachen Saarland hingegen spricht man amtlich schon dann von Zwei-Pädagogen-System, wenn eine zweite Lehrkraft mit mindestens dreizehn Wochenstunden die Integrationsklasse unterstützt.“ Aber selbst diese saarländische Sparversion des Zwei-Pädagogen-Systems, die in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 IntVO ohnehin nur für den Fall der integrativen Unterrichtung von zwei oder mehr behinderten Schülern in einer Klasse genannt ist, trifft man in der saarländischen Integrationswirklichkeit bis heute so gut wie nie an. Im Saarland wurde vielmehr von Anfang an fast ausschließlich das Ambulanzlehrer-System praktiziert, bei dem im Schuljahr 2012/13 auf einen integrativ unterrichteten Schüler pro Woche im Landesdurchschnitt und alle Behinderungsarten umfassend 1,67 Unterrichtsstunden an sonderpädagogischer Förderung durch einen Ambulanzlehrer entfielen (siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang). 104

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

„ständige Verwaltungspraxis“, die in Wirklichkeit eine dezisionistische Handlungsweise ist, nur als selbstreferenzieller Maßstab existierte, wurde insbesondere in bestimmten Kreisen der Bildungspolitik keine Gefahr für das „Erfolgs“Kriterium der jährlichen Steigerungsraten der Zahl der Integrationsmaßnahmen gesehen. cc) Folgen des rechtsstaatlichen Regelungsdefizits Die Konsequenzen des Fehlens jeglicher normativer Vorgabe für die Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen werden u. a. durch die Zahlen in der nachstehenden Tabelle sichtbar. Es handelt sich dabei um die Durchschnittszahlen der seinerzeit in den Schulaufsichtsbezirken der Schulämter von den Schulräten für eine Integrationsmaßnahme zur Verfügung gestellten Lehrerwochenstunden (LWSt) im Schuljahr 1995/96, differenziert nach zieldifferenter und zielgleicher integrativer Unterrichtung:106 Schulaufsichtsbezirk

zieldifferent (LWSt)

zielgleich (LWSt)

Saarbrücken I

5,51

4,11

Saarbrücken II

4,67

3,93

Stadtverband Saarbrücken I

8,20

4,10

Stadtverband Saarbrücken II

6,61

4,85

Saarlouis I

9,42

2,77

Saarlouis II

5,96

3,85

Merzig I

5,45



Merzig II

4,80

3,25

St. Wendel I

6,25

5,60

St. Wendel II

7,66

2,80

Neunkirchen I

7,80

4,42

Neunkirchen II

7,66

5,33

Homburg I

6,33

5,33

Homburg II

7,53

4,33

106 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. Kostenvergleich zwischen Schulen für Behinderte und integrativer Unterrichtung Behinderter in Regelschulen für das Schuljahr 1995/96, LT-Drucks. 11/923 vom 31.10.1996.

4. Kap.: Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

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Bei den zieldifferenten Integrationsmaßnahmen reichte also die Bandbreite der zugewiesenen Ambulanzlehrer-Wochenstunden von 4,67 bis 9,42, bei den zielgleichen von 2,77 bis 5,60, was jeweils einer Differenz von 100 % entspricht.107 Die diesem Zahlenbild zugrunde liegende Vorgehensweise wurde von dem Beauftragten der Regierung in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes am 14.5.1998 wie folgt beschrieben: „Er gebe in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß nicht jedem Kind eine bestimmte Stundenzahl zugewiesen werde. Es sei vielmehr so, daß der Schulrat ein gewisses Kontingent an Stunden für Integrationsmaßnahmen erhalte. Innerhalb dieses Gesamtkontingents könnten dann die einzelnen Schüler unterschiedlich versorgt werden.“108 Diese Aussage ist insoweit trivial, als die Zuweisung von Ambulanzlehrerstunden immer eine Einzelfallentscheidung ist. Entscheidend ist jedoch, nach welchem Maßstab sich die Bemessung des pädagogisch Erforderlichen zu richten hat. Dazu bedarf es normativer Vorgaben. Es soll an dieser Stelle nicht von Willkür gesprochen werden, doch handelt es sich unübersehbar um mehr als bedenkliche Folgen eines ausgeprägten Dezisionismus. Der Schulaufsichtsbeamte hatte es mangels jeglicher normativer Vorgaben in der Hand, die einzelnen Integrationsmaßnahmen mit relativ wenigen Ambulanzlehrer-Wochenstunden auszustatten. Er konnte damit  – ob aus „pädagogischer“ Überzeugung oder mit Blick auf die von der Spitze der Schuladministration gewünschten Steigerungsraten – die Fallzahlen zu Lasten der pädagogischen Qualität nach oben treiben. Zwar wurden die Schulämter als untere Schulaufsichtsbehörden im Saarland durch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 7.6.2000109 aufgelöst; seitdem ist das Bildungsministerium einzige Schulaufsichtsbehörde (§ 57 Abs.  1 SchoG). Doch änderte dies an der dezentralen Zuständigkeitsregelung für die Personalisierung der Integrationsmaßnahmen nichts: Jetzt „[erfolgt] die Zuweisung der Förderschullehrkräfte an die einzelnen Regelschulen durch die regionalen bzw. überregionalen Förderzentren.“110 In Ermangelung einer normativen Vorgabe für die Personalzuweisung sind damit nach wie vor die Voraussetzungen für eine höchst unterschiedliche Personalausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahmen gegeben. 107 Aus den in der vorstehenden Tabelle enthaltenen Zahlen können keine auf die Gesamtheit der Integrationsmaßnahmen im Saarland bezogenen Durchschnittszahlen der AmbulanzlehrerWochenstunden gebildet werden, da die Fallzahlen in den einzelnen Schulaufsichtsbezirken nicht identisch sind. Die auf das gesamte Land bezogenen Durchschnittszahlen der Ambulanzlehrerstunden für einen integrativ unterrichteten Schüler pro Woche sind für die einzelnen Jahre in Spalte 5 der unten sub Kap. 7 E. I. am Anfang abgedruckten Tabelle dargestellt. 108 Sitzungsniederschrift S. 7. 109 Amtsbl. S. 1018. 110 So die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behinderten­rechtskonvention in der Schule, LT-Drucks. 15/279 vom 14.12.2012. Zu der Rechtsgrundlage der Sonderpädagogischen Förderzentren und ihrer Funktion siehe oben sub Kap. 1 C., Fn. 57.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

dd) Kontinuität im Regelungsdefizit Von der damaligen CDU-Opposition wurde, ohne dass sie das Prinzip der Integration als solches in Frage stellte, die auf die forcierte Steigerung der Fallzahlen integrativer Unterrichtung fixierte Entwicklung kritisiert. Sie forderte eine vorrangige Ausrichtung an dem entscheidenden Kriterium der pädagogischen Qualität der einzelnen Integrationsmaßnahme. Ihrerseits hatte sie in einem Beschlussantrag zu der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997, in der die Frage der Qualität integrativer Unterrichtung im Saarland erstmals im Landtagsplenum thematisiert wurde, einen Maßstab genannt: Sie forderte nämlich, dass „jedem behinderten Kind in der Regelschule ein Viertel der in der Stundentafel der Schule für Behinderte vorgesehenen Stundenzahl zur Förderung in der Regelschule zugewiesen wird.“111 Die Zahl der Schüler-Wochenstunden liegt je nach Förderschultyp und Klassenstufe im Bereich der Klassenstufen 1 bis 4 zwischen 22 und 27 und im Sekundarbereich I zwischen 30 und 32 Stunden.112 Gewiss würde auch eine solche Personalisierung noch nicht zu dem bei zieldifferenter Unterrichtung aus pädagogischen Gründen erforderlichen Zwei-Pädagogen-System führen. Jedenfalls hat Kultusminister Henner Wittling (SPD) die Forderung zurückgewiesen, weil eine solche Personalausstattung nicht finanzierbar sei.113 Die Alternative, nämlich die Zahl der Integrationsmaßnahmen zu begrenzen und dafür die einzelnen Maßnahmen im Interesse der pädagogischen Qualität besser auszustatten, schien der Regierung keinen Gedanken wert. Doch hatte auch die ab 1999 auf eine absolute Mehrheit gestützte Landesregierung unter Ministerpräsident Peter Müller (CDU), in der ursprünglich mit Blick auf die zu gewährleistende Qualität der integrativen Unterrichtung eine maßvolle Korrektur dieser forcierten quantitativen Expansion beabsichtigt war, letztlich in der Frage des Verhältnisses von Quantität und Qualität keine Kurskorrektur herbeigeführt; insbesondere hat sie ihren vorstehend erwähnten Beschlussantrag nicht umgesetzt. Für diese Inkonsequenz gibt es eine Erklärung: In der Regierungsverantwortung war der neuen Regierung schon nach kurzer Zeit bewusst geworden, dass angesichts der inzwischen geschaffenen Fakten eine deutliche Reduzierung des Expansionstempos oder gar rückläufige Fallzahlen eine emotional aufgeladene öffentliche Diskussion auslösen würden. Die Regierung hätte mit dem Argument, bei jeder einzelnen Integrationsmaßnahme sei die pädagogische Qualität zu gewährleisten, auf verlorenem Posten gestanden. Denn dieses Argument stellt Anforderungen an differenzierendes Denken, es eignet sich nicht für plakative Darstellung. Innerhalb der Regierung machte man sich keine Illusionen über den Ausgang einer öffentlichen Debatte.

111

LT-Drucks. 11/1338 vom 10.9.1997. Verordnung  – Schulordnung  – über die Stundentafeln der Förderschulen vom 7.5.1986 (Amtsbl. S. 423), zul.geänd.d. VO vom 21.7.2015 (Amtsbl. I S. 506). 113 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2360. 112

Kapitel 5

Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung A. Interessenlage I. Grundrechtsbetroffenheit Im Vordergrund steht der Bildungsanspruch des behinderten Schülers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. Gleichzeitig geht es um die Geltendmachung des hierauf bezogenen Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 24 Abs.1 und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. Doch sind im Falle der integrativen Unterrichtung auch die Grundrechtspositionen der nichtbehinderten Schüler zu beachten. Auch deren Bildungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 Verf. d. Saarl. ist staatlicherseits zu erfüllen. Außerdem kann deren Recht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art.  2 Abs.  2 Satz 1 GG sowie aus Art.  1 Satz 2 Verf. d. Saarl. durch nicht kontrollierbare Handlungen eines extrem verhaltensauffälligen Schülers tangiert bzw. verletzt sein. Bereits das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs stellt einen Eingriff in das Recht des Schülers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Satz 1 Verf. d. Saarl. dar. Im Falle der vom Ministerium für Bildung und Kultur als Schulaufsichtsbehörde (§ 57 Abs. 1 SchoG) getroffenen Entscheidung über die Ablehnung der von dem Schüler oder seinen Eltern beantragten integrativen Unterrichtung geht es um die möglicherweise gem. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. unzulässige Benachteiligung wegen der Behinderung. Wird integrative Unterrichtung bewilligt, so kann eine Beeinträchtigung des grundrechtlich gewährleisteten Bildungsanspruchs des behinderten Schülers vorliegen, wenn die personellen Rahmenbedingungen dem pädagogisch Erforderlichen nicht entsprechen. Auch kann in diesem Fall je nach der hierdurch verursachten Beeinträchtigung der unterrichtlichen Situation als mittelbare Folge ein Eingriff in die Grundrechtsposition der nichtbehinderten Schüler gegeben sein, wenn infolge unzulänglicher personeller Ausstattung der Integrationsmaßnahme deren Bildungsanspruch nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt wird.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

II. Entscheidungslage Die aus der Grundrechtsbetroffenheit resultierende Entscheidungslage ist gekennzeichnet durch den potenziellen Konflikt zwischen dem Schüler und seinen Eltern einerseits und der Schuladministration andererseits. In dieser Entscheidungslage sind folgende Fragen zu klären: –– Liegt eine Behinderung vor, von welcher Art und von welchem Grad der Be­ einträchtigung ist sie? Induziert die Behinderung sonderpädagogischen Förderbedarf? –– Wenn diese Fragen zu bejahen sind: An welchem Lernort soll der behinderte Schüler unterrichtet werden? Falls integrative Unterrichtung angestrebt wird: Bedarf es hierzu eines entsprechenden Antrags der Eltern? In welcher Form soll die integrative Unterrichtung organisiert werden, welche zusätzlichen personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen sind angesichts des individuellen Förderbedarfs dieses Schülers erforderlich und können diese bereitgestellt werden?

B. Grundrechtsschutz durch Verfahren I. Verfahrensregelung zur Konfliktvermeidung Eine rationale Konfliktbewältigung mit dem Ziel der Konfliktvermeidung und eines verantwortbaren Interessenausgleichs ist nur durch Verfahren möglich. So war in § 7 Abs. 1 und 2 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung1 bei in Betracht kommendem sonderpädagogischen Förderbedarf des einzuschulenden Kindes im Förderschwerpunkt Lernen vorgeschrieben, dass die Schulleitung der Grundschule zu dem an eine Förderschule Lernen gerichteten Antrag der den Schüler unterrichtenden Lehrkräfte auf Überprüfung des Schülers eine schriftliche Stellungnahme abgab, nachdem sie sich zuvor einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschafft hatte. Gem. § 7 Abs. 3 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung war den Erziehungsberechtigten Gelegenheit zu geben, sich zu der beabsichtigten Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderbedarf sowie zur Einschulung oder Umschulung in die Förderschule Lernen zu äußern. Bei dieser Anhörung waren sie auch darauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit hatten, einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung nach der IntegrationsVerordnung (IntVO) zu stellen. Ihre Stellungnahme war schriftlich festzuhalten. Gem. § 7 Abs.  4 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung überprüfte die Förderschule Lernen Art und Umfang einer etwaigen Lernbehinderung in einem von ihr zu wählenden Überprüfungsverfahren, das auch psychologische 1

Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 1.

5. Kap.: Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung

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Testverfahren umfassen konnte. Sie leitete das Ergebnis mit sämtlichen Unterlagen unmittelbar der Schulaufsichtsbehörde zu, die bei Bedarf den Schul- oder Amtsarzt oder den Schulpsychologen hinzuzog. Die Schulaufsichtsbehörde traf aufgrund des § 7 Abs. 6 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung ihre Entscheidung anhand der Unterlagen über den sonderpädagogischen Förderbedarf des Kindes. War dieser festgestellt und stellten die Erziehungsberechtigten einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung, so leitete die Schulaufsichtsbehörde das Verfahren nach der Integrations-Verordnung (IntVO) ein. Hierzu ist in § 8 IntVO die Bildung eines Förderausschusses vorgeschrieben, dem auch die Eltern des Kindes mit Stimmrecht angehören. Für diese im Schulrecht des Saarlandes getroffene Regelung kann auch in Anspruch genommen werden, was das Bundesverfassungsgericht zur Bewertung der mit der saarländischen Regelung im Wesentlichen vergleichbaren Verfahrensregelung im Schulrecht des Landes Niedersachsen ausführt: „Dieses Verfahren, das einerseits um eine weitgehende Objektivierung der behördlichen Entscheidungsfindung bemüht ist und andererseits die Erziehungsberechtigten in den Entscheidungsprozess einbindet, letzteres erkennbar in der Absicht, möglichst zu einer auch von ihnen akzeptierten Entscheidung zu gelangen, trägt dem möglichen Konflikt zwischen Eltern und Kindern und Schulverwaltung sachgerecht Rechnung. Es schafft nicht nur einen äußeren Rahmen, in dem die Grundrechtspositionen des behinderten Schülers und seiner Eltern aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG angemessen zur Geltung gebracht werden können, es erscheint vielmehr im Schulbereich grundsätzlich auch geeignet, als verfahrensmäßige und organisatorische Absicherung des Benachteiligungsverbots des Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG zugunsten Behinderter zu dienen (zum Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung vgl. etwa BVerfGE 53, 30 [65]; 84, 34 [45 f.]).“2

II. Gewährleistungsfunktion des Verfahrens im Hinblick auf die pädagogische Verantwortbarkeit 1. Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs Sobald Anlass zu der Annahme besteht, dass bei einem Kind eine Behinderung vorliegt, ist dies in einem im Detail geregelten Diagnoseverfahren zu verifizieren. So wird vermieden, dass ein behindertes Kind in der allgemeinen Schule ohne spezifische Hilfe bleibt. Das muss vom Beginn der Schullaufbahn des Kindes an gel-

2 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (309). Diese Aussage des Gerichts bezieht sich zwar auf das für den zu entscheidenden Fall relevante niedersächsische Recht, lässt jedoch durch die Art der Argumentation erkennen, dass eine Beteiligung der Eltern vom Grundsatz her für verfassungsrechtlich geboten erachtet wird. Diese Frage dürfte entgegen der Annahme von Caspar, Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 (138 f.), also nicht mehr offen sein.

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

ten. Daher ist es pädagogisch unverantwortlich, dieses diagnostische Verfahren bei einem einzuschulenden behinderten Kind entfallen zu lassen. Die Bedeutung des Diagnoseverfahrens wird vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes bestätigt: „Grundlage der Einschulungsentscheidung ist der festzustellende sonderpädagogische Förderungsbedarf in Form der Beeinträchtigung der Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten.“3 Die förmliche Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs durch einen gem. § 6 Abs. 2 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung4 und §§ 6 bis 8 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung5 ergehenden Verwaltungsakt des Ministeriums für Bildung und Kultur als Schulaufsichtsbehörde (§ 57 Abs. 1 SchoG) ist unabdingbare Voraussetzung, wenn es um die schulische Förderung eines behinderten Kindes geht. Man sollte annehmen, dass diese erste Stufe des einzuhaltenden Verfahrens unstrittig und so selbstverständlich ist, dass es hierzu keiner weiteren Ausführungen bedarf. Denn was für die Feststellung der „Sonderschulbedürftigkeit“ selbstverständlich war und ist, muss auch für den Fall gelten, dass eine Unterrichtung des behinderten Kindes in der allgemeinen Schule in Erwägung gezogen wird. Dementsprechend ist dieses Erfordernis in § 1 Abs.  1 IntVO ausdrücklich normiert, indem auf das „nach den Vorschriften der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) vom 30. Oktober 1978 (Amtsbl. S. 1013) in ihrer jeweils geltenden Fassung“ zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vorgeschriebene Verfahren verwiesen wird. Das Verfahren wurde also nicht im Schulordnungsgesetz, sondern in den §§ 6 und 7 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung6 sowie in den §§ 7 bis 10 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung7 geregelt. Das hat gleichermaßen historische wie systematische Gründe: Die sechs saarländischen, historisch gewachsenen Schulgesetze  – Schulordnungsgesetz,8 Schulpflichtgesetz,9 Schulmitbestimmungsgesetz,10 Gesetz über Schul-

3 OVG d. Saarl., Beschl. v. 9.2.2004, 3 Q 16/03, Rn.  16, http://www.juris.de (Zugriff: 15.3.2013). 4 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1. 5 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 1. 6 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1.  7 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 1.  8 Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (Schulordnungsgesetz – SchoG) vom 5.5.1965 (Amtsbl. S. 385) i.d.F.d.Bek. vom 21.8.1996 (Amtsbl. S. 846; 1997 S. 147), zul.geänd.d. G vom 20.1.2016 (Amtsbl. I S. 120). 9 Gesetz über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) vom 11.3.1966 (Amtsbl. S.  205) i.d.F.d.Bek. vom 21.8.1996 (Amtsbl. S.  864; 1997 S.  147), zul.geänd.d. G vom 17.6.2015 (Amtsbl. I S. 446). 10 Gesetz über die Mitbestimmung und Mitwirkung im Schulwesen (Schulmitbestimmungsgesetz  – SchumG) vom 27.3.1974 (Amtsbl. S.  381) i.d.F.d.Bek. vom 21.8.1996 (Amtsbl. S. 869; 1997 S. 147), zul.geänd.d. G vom 11.12.2012 (Amtsbl. I S. 1555).

5. Kap.: Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung

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geldfreiheit,11 Schülerförderungsgesetz,12 Privatschulgesetz13 – sind nach wie vor nicht konsolidiert. Doch war, wie bereits erwähnt,14 1987 im Verfahren des Erlasses der Integrations-Verordnung (IntVO) von interessierter Seite der Versuch unternommen worden, diese Stufe des Verfahrens entfallen zu lassen. Man sah diese erste Stufe des Verfahrens – zurückhaltend formuliert – als hinderlich an bei der Umsetzung der Pläne zu einer schnellen und grundlegenden Umgestaltung der Organisationsform und des Verfahrens der sonderpädagogischen Förderung; denn zu diesen Plänen gehört eine möglichst zügige Marginalisierung bzw. Abwicklung der Förderschulen. Wäre diesen „Anregungen“ entsprochen worden, dann wäre es in einer großen Zahl von Fällen durch „stillschweigende Nichtaussonderung“ zur „stillen Inte­gration“ gekommen. Die euphemistische, verharmlosende Redeweise von der „stillen Integration“ – gemeint ist damit das Festhalten des behinderten Kindes in der allgemeinen Schule, ohne dass zusätzliches, seinem individuellen Förderbedarf entsprechendes pädagogisches Personal zur Verfügung gestellt wird – bezeichnet nicht nur ein pädagogisch unverantwortliches, sondern auch ein rechtswidriges Handeln. Denn wenn die Anpassung der allgemeinen Schule an die Bedürfnisse des behinderten Kindes unterbleibt und infolgedessen seine behinderungsspezifische Förderung nicht möglich ist, dann ist dies gleichbedeutend mit der Verweigerung der Erfüllung des Bildungsanspruch des behinderten Kindes. Köller spricht zu Recht „die an die ‚stille Integration‘ anknüpfenden Befürchtungen“15 an. Demgegenüber heißt es bei Sander/Christ: „Man sollte die in den letzten Jahren erst aufgekommene stillschweigende Nichtaussonderung, die aus kindzentrierten, pädagogischen, humanen Motiven entspringt, deutlich abgrenzen gegenüber dem schon immer beobachtbaren bloßen Mitschleppen einzelner entwicklungsgestörter und behinderter Kinder in Regelklassen. Das Mitschleppen aus Gedankenlosigkeit oder aus dem Bestreben, die eigene Schülerzahl zu erhalten, und aus ähnlichen, nicht kindzentrierten Motiven ist keine pädagogisch verantwortbare Maßnahme und fördert in der Regel nicht die Integration. Pädagogisch intendierte Integrationsbemühungen sind etwas anderes als unreflektiertes Mitschleppen behinderter Kinder.“16 Zu diesen Ausführungen von Sander/Christ ist zu sagen: Eine unmissverständliche Distanzierung von jeglicher, wie auch immer 11 Gesetz über Schulgeldfreiheit vom 6.2.1959 (Amtsbl. S.  597), zul.geänd.d. G vom 9.7.2003 (Amtsbl. S. 1990 [1994]). 12 Schülerförderungsgesetz vom 6.5.2009 (Amtsbl. S.  706), geänd.d. G vom 30.11.2011 (Amtsbl. I S. 1617). 13 Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulgesetz – PrivSchG) vom 30.1.1962 (Amtsbl. S. 169), i.d.F.d.Bek. vom 22.5.1985 (Amtsbl. S. 610), zul.geänd.d. G vom 16.11.2011 (Amtsbl. I S. 422). 14 Siehe oben sub Kap. 4 C. I. 1. 15 Köller, Behinderte Kinder in der Schule, RdJB 1995, 74 (77). 16 Sander/Christ, Sonderschule oder Integration  – zur gegenwärtigen rechtlichen und tatsächlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland, RdJB 1985, 170 (177).

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

motivierter, jedenfalls pädagogisch unverantwortlicher „stiller Integration“ eines behinderten Kindes liest sich anders. 2. Entscheidung über den Lernort Auf der zweiten, im Falle eines entsprechenden Antrags der Eltern ausgelösten Stufe des Verfahrens soll die Möglichkeit integrativer Unterrichtung ausgelotet werden. Hier sah die Integrations-Verordnung ein Verfahrenselement vor, das vielfach zum Konzept der oben erwähnten Schulversuche gehörte und später Eingang gefunden hat in die schulrechtlichen Regelungen jener Länder, die die integrative Unterrichtung als eine reguläre Form sonderpädagogischer Förderung neben den Förderschulen vorsehen: nämlich den Förderausschuss gem. § 8 IntVO. Er stellt den organisatorischen Rahmen für die Fallbesprechung im Rahmen der von ihm zu erstellenden Kind-Umfeld-Analyse dar. Ihm gehören als Mitglieder an: Der Schulleiter der allgemeinen Schule, an der der behinderte Schüler unterrichtet werden soll, als Vorsitzender; der zukünftige Klassenlehrer des behinderten Schülers an dieser Schule; eine Lehrkraft mit der Lehrbefähigung für Sonderpädagogik in dem jeweiligen Förderschwerpunkt; die Erziehungsberechtigten des Schülers. Der Förderausschuss kann eine schriftliche Stellungnahme des schulärztlichen oder schulpsychologischen Dienstes einholen oder einen Vertreter dieser Dienste zu seinen Sitzungen einladen.17 In § 8 Abs. 5 IntVO heißt es abschließend: (5) 1Der Förderausschuss beschließt sodann eine Empfehlung an die Schulaufsichtsbehörde, ob und gegebenenfalls unter welchen baulichen, räumlichen, sächlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen dem Antrag auf integrative Unterrichtung stattgegeben werden soll oder ob ihm nicht stattgegeben werden soll. 2Er leitet diese Empfehlung der Schulaufsichtsbehörde mit einer schriftlichen Begründung unter Beifügung aller im Rahmen seiner Befassung mit dem Integrationsantrag entstandenen Unterlagen zu.

3. Letztverantwortlichkeit der Schulaufsichtsbehörde In der Behandlung dieser Fälle in einem Förderausschuss, insbesondere in der Einbeziehung der Eltern, sieht das Bundesverfassungsgericht18 ein zur Vorbereitung einer sachgerechten Entscheidung und zur Konfliktvermeidung grundsätzlich 17

Die Integrations-Verordnung (IntVO) – im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. V. – sah in ihrer ursprünglichen Fassung vom 4.8.1987 in § 8 Abs. 5 außerdem vor, dass der Förderausschuss vor seiner Beschlussfassung dem Elternsprecher der künftigen Klasse des Schülers an der allgemeinen Schule im Rahmen einer Anhörung Gelegenheit zur Stellungnahme gab. Diese mit der Änderungsverordnung vom 4.8.2014 (Amtsbl. I S. 343 [348]) aufgehobene Regelung trug dazu bei, dass frühzeitig etwaiges Konfliktpotenzial erkannt werden konnte; vgl. hierzu Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 56. 18 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (309).

5. Kap.: Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung

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geeignetes Verfahren.19 Doch kann nur aus schulfachlicher Sicht in verantwortbarer Weise beurteilt und entschieden werden, welche zusätzlichen personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen im konkreten Fall an der allgemeinen Schule vorhandenen sein müssen und ob diese auch tatsächlich zur Verfügung stehen bzw. geschaffen werden können. Daher muss die abschließende Entscheidung sowohl hinsichtlich des Vorhandenseins von sonderpädagogischem Förderbedarf als auch bezüglich des Lernortes bei der Schulaufsichtsbehörde liegen. Das wird vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt: „Die Letztverantwortlichkeit der Schulbehörde für die Entscheidung über die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs und über die Form des Schulbesuchs für förderungsbedürftige Kinder und Jugendliche wird durch die Verordnungsregelung allerdings nicht berührt. Die Schulbehörde ist an Inhalt und Ergebnis des über den einzelnen Schüler erstatteten Berichts und des Beratungsgutachtens ebenso wenig gebunden wie an die Empfehlungen der Förderkommission. Sie ist also auch dann, wenn diese Entscheidungshilfen sich im Einzelfall – ausschließlich oder alternativ – für eine Beschulung in integrativer Form aussprechen, verfahrensrechtlich nicht gehindert, die Überweisung an eine Sonderschule anzuordnen. Im Lichte des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG obliegt der Behörde aber gerade in diesem Fall eine gesteigerte Begründungspflicht.“20

Der an die Begründung anzulegende Sorgfaltsmaßstab wird vom Bundesverfassungsgericht näher konkretisiert: „Anzugeben sind danach je nach Lage des Falles Art und Schwere der Behinderung und die Gründe, die die Behörde gegebenenfalls zu der Einschätzung gelangen lassen, daß Erziehung und Unterrichtung des Behinderten am besten in einer Sonderschule gewährleistet erscheinen. Gegebenenfalls sind auch organisatorische, personelle oder sächliche Schwierigkeiten sowie die Gründe darzulegen, warum diese Schwierigkeiten im konkreten Fall nicht überwunden werden können. Im einen wie im anderen Fall setzt eine ausreichende Begründung der Entscheidung zugunsten einer Sonder- oder Förderschulunterrichtung schließlich ein Eingehen auf entgegengesetzte Erziehungswünsche des Behinderten und seiner Erziehungsberechtigten voraus. Sie sind in Beziehung zu setzen zu den Erwägungen der Schul­ behörde und mit deren Vorstellungen in einer Weise abzuwägen, die die staatliche Maßnahme nachvollziehbar und damit auch gerichtlich überprüfbar macht.“21

Bei Licht besehen, wird hier vom Bundesverfassungsgericht nur noch einmal in Erinnerung gerufen, was sich für eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Entscheidung einer sorgfältig arbeitenden Schulbehörde von selbst ver­ stehen sollte.

19 Siehe hierzu auch Beaucamp, Das Behindertengrundrecht (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) im System der Grundrechtsdogmatik, DVBl. 2002, 997 (1004). 20 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (309 f.). Ebenso OVG Rh.Pf., Urt. v. 15.5.2009, 2 A 10036/09.OVG (rechtskräftig aufgrund des Beschlusses des BVerwG vom 18.1.2010, 6 B 52.09 ), AS 38, 151 (154) = SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 16, S. 3 = LKRZ 2009, 309 ff. 21 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (310).

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1. Teil: Erstmalige gesetzliche Regelung der integrativen Unterrichtung 

Mit dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts standen die im Saarland ergangenen Regelungen in Übereinstimmung. In § 6 Abs. 2 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung22, in § 7 Abs. 6 und § 8 Abs. 5 VO-SchPflG in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung23 sowie in 9 Abs. 1 IntVO24 war bzw. ist normiert, dass die Schulaufsichtsbehörde an die vorliegenden Gutachten und den Beschluss des Förderausschusses nicht gebunden ist, sondern letztverantwortlich entscheidet. Daraus folgt, dass auf der Grundlage des § 4 Abs.  1 SchoG 1986 die Eltern eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Saarland nicht frei wählen konnten zwischen der Förderschule und der allgemeinen Schule.25 Allerdings musste gelten, dass die Aufnahme des Kindes in die allgemeine Schule nicht abgelehnt werden konnte, wenn „seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.“26

Dass die beiden vom Gericht angeführten Fallgestaltungen bzw. Entscheidungsvarianten  – nämlich Förderschulüberweisung, obwohl Unterrichtung an der allgemeinen Schule entsprechend den Fähigkeiten des Schülers „ohne besonderen Aufwand“ bzw. „durch einen vertretbaren Einsatz sonderpädagogischer Förderung“ möglich wäre – Diskriminierungscharakter besitzen, ist evident: Bei der erstgenannten Fallgestaltung fehlt es am sonderpädagogischen Förderbedarf, so dass für die Überweisung in eine Förderschule keine Rechtsgrundlage besteht; bei der zweiten handelt es sich um eine Aufforderung zur sachgerechten Ermessensausübung, wobei mit dem Wort „vertretbar“ zugleich auch ein Hinweis auf den bestehenden Ermessensspielraum der Schuladministration gegeben wird. Von diesen beiden Fallgestaltungen abgesehen, war ein individueller Rechtsanspruch auf integrative Unterrichtung im Sinne einer gebundenen behördlichen Entscheidung somit aus zwei Gründen nicht gegeben: Zum einen stand ihm der gesetzlich normierte Vorbehalt des Möglichen, d. h. der auf finanzwirtschaftlichen Gründen beruhende Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt entgegen; zum anderen hatte die Schulbehörde unabhängig hiervon einen Ermessensspielraum zur Wahrnehmung ihrer pädagogischen Verantwortung. Letztere bezieht sich nicht nur 22

Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1. Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 1. 24 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. V. 25 So wurde z. B. für das Saarland unter der Geltung des § 4 SchoG 1986 von Poscher/Rux/ Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 120, unzutreffenderweise das Bestehen eines solchen Rechtsanspruchs behauptet. 26 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307). Siehe auch NdsOVG, Beschl. v. 29.11.1996, 13 M 4539/96, NJW 1997, 1087 (1088). 23

5. Kap.: Verfahrens- und Zuständigkeitsregelung

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auf die Belange des behinderten Kindes, sondern auch auf die Rechte der übrigen Schüler der für die integrative Unterrichtung in Aussicht genommenen Klasse der allgemeinen Schule. Gegeben war vielmehr ein Anspruch des Schülers und seiner Eltern auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Schulbehörde. Hierbei war unter Zugrundelegung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts von einem „weiten Entscheidungsspielraum“27 auszugehen. Im Übrigen war hier, was die gerichtliche Nachprüfbarkeit betrifft, zu unterscheiden zwischen der Ermessensausübung und den tatbestandlichen Voraussetzungen. Fehlte es an einer Rahmenbedingung wie etwa der Verfügbarkeit der in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 IntVO vorgesehenen Ambulanzlehrkraft in dem erforderlichen zeitlichen Umfang, dann war bereits wegen der nicht gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen ein Teilhabeanspruch des behinderten Schülers auf integrativen Unterricht nicht gegeben. Bei der Feststellung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen personeller Art vorliegen, verfügt die Schulaufsichtsbehörde über ein Organisationsermessen. So hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes festgestellt: „Der Kammer ist es verwehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, für eine Unterrichtung des Ast. zu 2) einen Stützlehrer aus anderen Bereichen abzuziehen. Es liegt allein in dem Organisationsermessen des Antragsgegners, wieviele Integrationsmaßnahmen er durchführen will und kann.“28

Gem. § 9 Abs. 4 IntVO hat die Schulaufsichtsbehörde längstens im Abstand von zwei Jahren zu prüfen, ob es bei der von ihr angeordneten integrativen Unterrichtung bleibt, ob die integrative Unterrichtung in anderer Form oder unter anderen Voraussetzungen fortzusetzen oder ob sie zu beenden ist. In der schuladministrativen Praxis spielt diese Vorschrift jedoch schon längst nicht mehr die Rolle, die ihr der Verordnungsgeber einmal zugedacht hat. Denn ihre konsequente Beachtung würde angesichts der inzwischen hohen Zahl von Integrationsmaßnahmen nicht nur die vorhandenen schuladministrativen Kapazitäten überfordern. Vielmehr würde dies an maßgeblicher Stelle auch als eine politisch nicht gewünschte Relativierung des bildungspolitischen Projekts der integrativen Unterrichtung empfunden, bei dem von offizieller Seite in der rasanten Steigerung der Fallzahlen das ausschlaggebende „Erfolgs“-Kriterium gesehen wird.

27 Caspar, Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art.  3 Abs.  3 S.  2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 (139). Unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (313 f.), in diesem Sinne auch VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn. 30, http://www. juris.de (Zugriff: 26.4.2013). 28 VG d. Saarl., Beschl. v. 25.8.1993,1 F 45/93, amtl. Umdruck S. 7.

Zweiter Teil

Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund Kapitel 6

Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen A. Normdiskurs im Tatsachenkontext I. Sonderpädagogische Förderung im dualen System 1. Normativität und Faktizität Die einzelnen Elemente des Systems der sonderpädagogischen Förderung im Saarland ergaben sich aus der zusammenfassenden Beschreibung in § 4 Abs.  3 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung: (3) 1Der Unterrichtung und Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf dienen die Formen gemeinsamer Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, besondere Schulen für Behinderte (Förderschulen) oder Klassen (Unterrichtsgruppen), die nach sonderpädagogischen Grundsätzen arbeiten, sowie der Sonderunterricht für Schülerinnen und Schüler, deren Förderung auch in Förderschulen nicht möglich ist. 2Zur Förderung der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten kann die Schulaufsichtsbehörde Sonderpädagogische Förderzentren einrichten.

Bei der Erörterung dieses Systems der sonderpädagogischen Förderung ist der Rekurs auf die hierzu ergangenen rechtlichen Regelungen und ihre Normativität notwendig, aber nicht hinreichend. Der Zugriff auf die Thematik kann sich nicht in einer abstrakt-normbezogenen Erörterung erschöpfen, bei der die empirische Seite ausgeblendet wird. Vielmehr hat sich im Vorgang der Rechtserkenntnis der Normdiskurs im Tatsachenkontext zu vollziehen. Beim einzelfallbezogenen Prozess der Rechtsgewinnung ist die Wechselbeziehung zwischen dem Sachverhalt und der anzuwendenden Norm eine Selbstverständlichkeit. In gleicher Weise muss auch bei einer vom Einzelfall losgelösten abstrakten Betrachtung der Norm die Realität des Lebenssachverhaltes, dessen Regelung Gegenstand der Norm ist, in den Blick genommen werden. Denn aus den Realisierungsbedingungen der jeweiligen Rechtsnormen und der Art und Weise ihrer Anwendung ergeben sich Rück-

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

169

wirkungen auf die Rechtspositionen, die Gegenstand der Regelung des Gesamtkomplexes sind.1 Dieser Ansatz ist keine Frage der Methode, sondern er betrifft den inhaltlichmateriellen Zuschnitt des in der vorliegenden Schrift zu bearbeitenden Themas. Er basiert auf rechtstheoretischen Erwägungen, wie sie in folgenden Darlegungen von Lepsius zum Ausdruck kommen: „Ein Gesetz kann in seinem generell-abstrakten Geltungsstatus behandelt werden und auch in seiner individuell-konkreten Anwendung auf einen Fall. Ein rein geltungsfixierter, abstrakter Normendiskurs offenbart uns nur die halbe Wahrheit über die Rechtsnorm. Andererseits dürfen wir uns nicht in der Kasuistik der darauf gegründeten Urteile verlieren, die auf ganz spezifische, tatsächliche Probleme reagieren. Will man etwas über Rechtsnormen erfahren, so muss man Relationen in den Blick nehmen: Was besagt eine Norm in welchem Norm- und Tatsachenkontext und wie ist dies jeweils zu bewerten? Im Verhältnis von Theorie und Praxis spiegeln sich also unterschiedliche Perspektiven auf die Normen, nämlich Geltungsdiskurs und Wirksamkeitsdiskurs, und beide erklären den Erkenntnisgegenstand ‚Recht‘ in einem anderen Funktionszusammenhang.“2

2. Unterrichts- und Erziehungspraxis als Substrat schulrechtlicher Normen Die diskursive Auseinandersetzung mit der Norm hat somit auch mit Blickrichtung auf die ihr zugeordnete Ebene des Tatsächlichen zu geschehen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es auch, die Relevanz und die Wirkung der Norm aus der Sicht der Rechtsunterworfenen, d. h. der Betroffenen sichtbar zu machen. Im Übrigen wird mit dieser Vorgehensweise auch einem wissenschaftstheoretischen Axiom Rechnung getragen: Wenn Formalobjekt der Wissenschaft die Erforschung von Wirklichkeit mit dem Ziel der Gewinnung wahrer Erkenntnisse ist, dann kann sich nicht auf Wissenschaft berufen, wer sich der Auseinandersetzung mit Tatsachen verweigert, die der Schlüssigkeit seiner konzeptionellen Vorstellungen im Wege stehen. Die zur sonderpädagogischen Förderung ergangenen Rechtsnormen sind zu betrachten unter dem Gesichtspunkt ihrer ratio essendi: nämlich der Sicherstellung der Erfüllung des sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG ergebenden Bildungsanspruchs des behinderten Kindes in der Wirklichkeit schulischen Unterrichts. Hieran und an nichts weniger hat sich das Erkenntnisinteresse auszurichten. Die Norm und ihr Substrat, nämlich die Unterrichts- und Erziehungstätigkeit in der schulischen Praxis, sind wechsel 1

Depenheuer, Vorbehalt des Möglichen, in: HStR XII, § 269 Rn. 4, spricht von „den kontingenten Voraussetzungen allen positiven Rechts“. 2 Lepsius, Nie war sie so dogmatisch wie heute. Die Rechtswissenschaft ist eine Normwissenschaft – und Normen ändern sich ständig, FAZ Nr. 116 vom 19.5.2011, S. 8.

170

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

seitig aufeinander bezogen. Es geht mithin nicht nur um die Idee, sondern auch um die Wirklichkeit, nicht nur um die Norm, sondern auch um den Sachverhalt, nicht nur um das Soll, sondern auch um das Ist, also auch um die Unterscheidung von Rhetorik und Realität.3 3. Systembezogenheit des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts Dem in § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 geregelten Ressourcenvorbehalt als Vorbehalt des Möglichen konnte eine Bestätigung des inhaltlich-materiellen Zuschnitts des Themas der vorliegenden Schrift entnommen werden. Der Ressourcenvorbehalt hat zwar als solcher normativen Charakter. Doch verwies er inhaltlich auf die tatsächliche Ebene, nämlich auf die verfügbaren Ressourcen und die tatsächlichen Realisierungsbedingungen, von denen die pädagogische Qualität und damit das pädagogische Gelingen integrativer Unterrichtung entscheidend abhängen. Der Ausbau der integrativen Unterrichtung in quantitativer Hinsicht und ihre Ausgestaltung in qualitativer Hinsicht – und zwar insbesondere im Hinblick auf die personelle Ausstattung – sind die Bezugsgrößen auf der tatsächlichen Ebene. Darin liegt gleichzeitig der strukturelle Zusammenhang zwischen der integrativen Unterrichtung und der Förderschule als dem subsidiären, komplementären und alternativen Bildungsangebot begründet. Das bezieht sich zunächst auf die kapazitative Versorgungsfunktion der Förderschule und damit auf den quantitativen Aspekt. Doch kann dies nicht getrennt werden von der Tatsache, dass die Förderschule in § 4 Abs. 3 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung als eigenständiges, von der Ressourcenfrage unabhängiges pädagogisches Alternativangebot angesprochen war. Insofern, als sie ein spezifisches Bildungsangebot bereithält, kommt ihre Grundrechtsrelevanz ins Spiel als systemische, d. h. objektiv-institutionelle Voraussetzung der Verwirklichung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und des hierauf bezogenen Elternrechts. II. Datenbasis 1. Quellenlage Der Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland seit 1985/86 ist sowohl unter quantitativem als auch unter qualitativem Aspekt im Folgenden genauer in Augenschein zu nehmen. Hierzu liegt valides empirisches Material vor. Dieses findet sich allerdings nicht in kohärenten, amtlich veröffentlichten Statistiken, son 3

Siehe hierzu Einleitung – Gang der Untersuchung, Fn. 4.

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

171

dern ist in den Antworten der Landesregierung zu einer größeren Zahl parlamentarischer Anfragen von Abgeordneten insbesondere der CDU-Landtagsfraktion enthalten. Dieser Befund kann nicht überraschen. Denn es liegt nahe, dass eine Regierung von sich aus zu diesem Sachverhaltskomplex keine Zahlen veröffentlicht, die Tatsachen offenlegen oder Schlussfolgerungen ermöglichen, die für sie ungünstig sind. Das Datentableau, das man für ein realistisches Bild von der Situation der integrativen Unterrichtung im Saarland benötigte, konnte daher nur auf dem Weg der parlamentarischen Anfrage gewonnen werden. Es wird sich zeigen, dass diese Anfragen den Kern des jeweiligen Sachverhalts präzise ansteuerten, so dass die dabei offengelegten Daten in ihrer Gesamtheit für den Zeitraum von 1985/86 bis 1998/99 ein scharfes Bild der tatsächlichen Verhältnisse in Sachen integrativer Unterrichtung an den saarländischen Schulen zeichnen. Das breit angelegte, auf alle wesentlichen Parameter gerichtete Fragenprogramm, die inhaltliche Zuspitzung der einzelnen Fragen und die relativ große Zahl dieser innerhalb eines vergleichsweise engen Zeitraumes gestellten parlamentarischen Anfragen lassen erkennen, dass mit dieser Serie von Anfragen eine Auseinandersetzung im politischen Raum vorbereitet und geführt werden sollte. Zu der öffentlichen Thematisierung des Fragenkomplexes, d. h. der pädagogischen Wirklichkeit integrativer Unterrichtung im Saarland, gehörte in der Folgezeit auch dessen Erörterung in den Plenarsitzungen des Landtags des Saarlandes am 17.9.19974 und am 29.4.19985 sowie in mehreren Sitzungen des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft, darunter in der von der CDU-Landtagsfraktion beantragten Sondersitzung am 14.5.1998. 2. Relevante Erhebungszeiträume Mit der Darstellung, der spezifischen Aufbereitung und der Analyse des die schulische Integrationswirklichkeit widerspiegelnden Zahlenmaterials wird also der Zeitraum ausgeleuchtet, welcher der verfassungsrechtlichen Verankerung der Förderschule durch Gesetz vom 27.3.19966 vorausging. Hierdurch soll ein wichtiges Motiv für die Forderung der CDU-Opposition nach Aufnahme der Förderschule in die Verfassung des Saarlandes sichtbar gemacht werden. Die Darstellung wird aber auch relevantes, ebenfalls durch parlamentarische Anfragen erschlossenes Zahlenmaterial für die Zeit nach der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 bis zum Schuljahr 2012/2013 bzw. 2013/2014 enthalten. Letzteres ist in einem direkten Zusammenhang zu sehen mit der damaligen Einschätzung und Motivationslage bei der CDU-Opposition: Sie kann sich durch die weitere Entwicklung bestätigt sehen. 4

Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2352 ff. Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2941 ff. 6 Amtsbl. S. 422; siehe hierzu unten sub Kap. 11 B. 5

172

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Gerade deshalb muss sich die CDU allerdings fragen lassen, wie konsequent sie sich nach der Regierungsübernahme im Jahr 1999 in Sachen Qualitätssicherung bei der integrativen Unterrichtung verhalten und warum sie bei der abermaligen Änderung des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. am 15.6.20117 trotz unveränderter tatsächlicher Situation der Streichung der Förderschule aus der Verfassung zugestimmt hat.

B. Entwicklung im System der sonderpädagogischen Förderung I. Ausbau der integrativen Unterrichtung 1. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf differenziert nach Lernorten Aus der nachstehenden Tabelle ist ersichtlich, wie sich die Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf seit 1985/86 entwickelte und wie diese Schüler sich auf die Förderschulen und die Regelschulen (sog. Integrationsmaßnahmen) verteilten:8 Schuljahr

85/86

86/87

87/88

88/89

89/90

90/91

91/92

Förderschulen

3.625

3.348

3.092

2.797

2.678

2.619

2.715

–7,64 %

–7,65 %

–9,54 %

–4,25 %

–2,20 %

3,66 %

32

97

200

259

362

355

39,77 %

–1,93 %

Steigerung

Regelschulen

203,12 % 106,18 % 29,50 %

Steigerung

Summe

3.625

3.380

3.189

2.997

2.937

2.981

3.070

Steigerung

–6,76 %

–5,65 %

–6,02 %

–2,00 %

1,50 %

2,99 %

Anteil der Integrationsschüler (Integrationsquote)

0,95 %

3,04 %

6,67 %

8,82 %

12,14 %

11,56 %

7

Amtsbl. I S. 236, in Kraft getreten am 1.8.2012. Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. integrative Unterrichtung von Behinderten, LT-Drucks. 11/989 vom 25.11.1996; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern in saarländischen Schulen, LT-Drucks. 11/2022 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu Frage 28.3 der Großen Anfrage der FDP-Landtagsfraktion betreffend Entwicklung des Schulwesens im Saarland, LT-Drucks. 9/597 vom 22.4.1986; Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 14, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 8

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

173

Schuljahr

92/93

93/94

94/95

95/96

96/97

97/98

98/99

Förderschulen

2.902

2.979

3.020

3.126

3.258

3.350

3.331

Steigerung

6,88 %

2,65 %

1,38 %

3,51 %

4,22 %

2,82 %

–0,57 %

377

403

424

541

643

782

796

Steigerung

6,20 %

6,90 %

5,21 %

27,59 %

18,85 %

21,62 %

1,79 %

Summe

3.279

3.382

3.444

3.667

3.901

4.132

4.127

Steigerung

6,81 %

3,14 %

1,83 %

6,48 %

6,38 %

5,92 %

–0,12 %

Anteil der Integrationsschüler(Integrationsquote)

11,50 %

11,91 %

12,31 %

14,75 %

16,48 %

18,93 %

19,29 %

Schuljahr

99/009

00/01

01/02

02/03

03/04

04/05

05/06

Förderschulen

3.370

3.519

3.685

3.827

3.888

3.940

3.927

Steigerung

1,17 %

4,42 %

4,72 %

3,85 %

1,59 %

1,34 %

–0,33 %

882

972

1.024

1.169

1.287

1.330

1.381

10,80 %

10,20 %

5,35 %

14,16 %

10,09 %

3,34 %

3,83 %

Summe

4.252

4.491

4.709

4.996

5.175

5.270

5.308

Steigerung

3,03 %

5,62 %

4,85 %

6,09 %

3,58 %

1,84 %

0,72 %

Anteil der Integrationsschüler (Integrationsquote)

20,74 %

21,64 %

21,75 %

23,40 %

24,87 %

25,24 %

26,02 %

Regelschulen

9

Regelschulen Steigerung

9 Die Landtagswahl vom 5.9.1999 brachte den Wechsel von einer auf eine absolute Mehrheit gestützten SPD-geführten Landesregierung zu einer mit absoluter Mehrheit regierenden CDU-geführten Landesregierung.

174

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Schuljahr

06/07

07/08

08/09

09/10

10/11

11/12

12/13

Förderschulen

3.896

3.780

3.670

3.638

3.585

3.535

3.484

–0,79 %

–2,98 %

–2,91 %

–0,87 %

–1,46 %

–1,39 %

–1,44 %

Regelschulen

1.439

1.576

1.741

1.914

2.137

2.428

2.790

Steigerung

4,20 %

9,52 %

10,47 %

9,94 %

11,65 %

13,62 %

14,91 %

Summe

5.335

5.356

5.411

5.552

5.722

5.963

6.274

Steigerung

0,51 %

0,39 %

1,03 %

2,61 %

3,06 %

4,21 %

5,22 %

26,97 %

29,42 %

32,18 %

34,47 %

37,35 %

40,72 %

44,47 %

Steigerung

Anteil der Integrationsschüler (Integrationsquote) Schuljahr

13/14

Förderschulen

3.464

Steigerung

–0,57 %

Regelschulen

2.999

Steigerung

7,49 %

Summe

6.463

Steigerung

3,01 %

Anteil der Integrations schüler (Integrationsquote)

46,4 %

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

175

2. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf differenziert nach Schulformen

Summe

1985/86

Förder­ schulen

Berufl. Schulen

Gesamt­ schulen

Gymnasien

Erw. Realschulen

Real‑ schulen

Sek.schulen

Haupt­ schulen

Schuljahr

Grund­ schulen

Die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf verteilten sich auf die allgemeinen Schulen und die Förderschulen wie folgt:10

3625

3625

1986/87

28

3

0

1

0

0

3348

3380

1987/88

80

7

5

0

5

0

3092

3189

1988/89

164

22

6

1

7

0

2797

2997

1989/90

196

29

10

2

22

0

2678

2937

1990/91

266

54

7

2

31

2

2619

2981

1991/92

246

58

7

2

39

3

2715

3070

1992/93

245

58

7

7

4

54

2

2902

3279

1993/94

235

73

22

8

4

59

2

2979

3382

1994/95

232

76

23

5

0

87

1

3020

3444

1995/96

270

106

33

5

1

123

3

3126

3667

1996/97

310

117

56

4

2

151

3

3258

3901

1997/98













3350

4132





(Fortsetzung nächste Seite) 10

Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. integrative Unterrichtung von Behinderten, LT-Drucks. 11/989 vom 25.11.1996; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 12/189 vom 27.6.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Christoph Hartmann (FDP) betr. Situation an Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 13/572 vom 9.9.2005; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 13/589 vom 26.9.2005; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in Regel- und Förderschulen, LT-Drucks.14/690 vom 3.2.2012; Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 14, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). Für die Schuljahre 1997/98 und 2005/06 liegen dem Verfasser keine statistischen Daten zur Verteilung der Integrationsmaßnahmen auf die einzelnen Schulformen vor.

176

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Schuljahr

Grund­ schulen

Haupt­ schulen

Sek.schulen

Real‑ schulen

Gymnasien

Gesamt­ schulen

Berufl. Schulen

Förder­ schulen

Summe

Erw. Realschulen

(Fortsetzung von Seite 175)

1998/99

382

83

41

1

93

7

186

3

3331

4127

1999/00

403

54

22

1

188

8

204

2

3370

4252

2000/01

484

21

10

1

247

9

200

0

3519

4491

2001/02

494

8

1

0

287

14

220

0

3685

4709

2002/03

551

7

1

1

323

16

270

0

3827

4996

2003/04

599

7

1

1

345

19

312

3

3888

5175

2004/05

638

5

0

1

349

20

313

4

3940

5270

2005/06

















3927

5308

2006/07

695

389

22

321

12

3896

5335

2007/08

746

436

33

354

7

3780

5356

2008/09

861

457

38

374

11

3670

5411

2009/10

968

489

36

400

21

3638

5552

2010/11

1074

533

45

458

27

3585

5722

2011/12

1237

594

47

519

31

3535

5963

3. Integrationsmaßnahmen differenziert nach Behinderungsart (Förderschwerpunkt) Die nachstehende Übersicht zeigt, wie sich die Integrationsmaßnahmen differenziert nach Behinderungsart (Förderschwerpunkt) darstellten:11 11 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. integrative Unterrichtung von Behinderten, LT-Drucks. 11/989 vom 25.11.1996; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 11/2022 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 12/189 vom 27.6.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Christoph Hartmann (FDP) betr. Situation an Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 13/572 vom 9.9.2005; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in Regel- und Förderschu-

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

1985/86

177

1986/87

1987/88

1988/89

1989/90

1990/91

Behinderungsart (Förderschwerpunkt)

4

7 (1)*

16 (5)*

16 (8)*

20 (8)*

Geistige Behinderung

6

7

27 (2)*

47 (2)*

50

Körperbehinderung

3

25

69

107

178

Lernbehinderung

2

17

19

24

25

Gehörlosigkeit/ Schwer­hörigkeit

2

2

5

5

6

Blindheit/Sehbehinderung

13 (12)**

36 (34)**

67 (62)**

58 (36)**

76 (45)*

2

4

4

12

15

In diesen Jahren nicht erfasst

Sprachbehinderung Erziehungshilfebedarf Mehrfachbeeinträchtigung

32

98

207

269

370

Summe

1991/92

1992/93

1993/94

1994/95

1995/96

23(12)*

21(11)*

26(13)*

21(9)*

15(4)*

18(5)*

46

43

45

38

48

60

Körperbehinderung

164

202

218

240

311

344

Lernbehinderung

22

21

28

29

38

40

Gehörlosigkeit/Schwer­ hörigkeit

5

3

4

2

4

6

Blindheit/Sehbehinderung

72 (40)**

74 (42)**

65 (29)**

70 (38)**

72 (36)**

89 (41)**

6

7

8

16

36

54

Erziehungshilfebedarf

29

17

22

17

21

37

Mehrfachbeeinträchtigung

367

388

416

433

545

648

Summe

1996/97 Behinderungsart (Förderschwerpunkt) Geistige Behinderung

Sprachbehinderung

len, LT-Drucks. 14/690 vom 3.12.2012; Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 17, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). Für das Schuljahr 2005/06 liegen dem Verfasser keine statistischen Daten zur Verteilung der Integrationsmaßnahmen auf die einzelnen Förderschwerpunkte vor.

178

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

1997/98

1998/99

1999/00

2000/01

2001/02 Behinderungsart (Förderschwerpunkt)

18 (3)*

25 (3)*

28 (1)*

24 (1)*

28 (2)*

89

82

92

88

97

Körperbehinderung

433

460

490

546

560

Lernbehinderung

45

61

67

64

66

Gehörlosigkeit/Schwerhörigkeit

6

7

11

14

19

Blindheit/Sehbehinderung

98

84

101 (33)**

134 (38)**

145 (43)**

96

80

94

103

111











785

799

883

973

1026

2002/03

2003/04

2004/05

2005/06

27 (1)*

27

27



Geistige Behinderung

Sprachbehinderung Erziehungshilfebedarf Mehrfachbeeinträchtigung Summe

2006/07 Behinderungsart (Förderschwerpunkt) 24

Geistige Behinderung

102

114

121



112

Körperbehinderung

651

703

709



733

Lernbehinderung

88

88

94



100

Gehörlosigkeit/Schwerhörigkeit

23

26

28



40

Blindheit/Sehbehinderung

172 (52)**

214 (61)**

230 (69)**



288

Sprachbehinderung

107

115

121



142

Erziehungshilfebedarf

1439

Summe





1170

1287

1330





Mehrfachbeeinträchtigung

2007/08

2008/09

2009/10

2010/11

25

23

22

32

43

Geistige Behinderung

118

122

151

164

102

Körperbehinderung

777

802

798

844

971

Lernbehinderung

106

111

119

129

132

Gehörlosigkeit/Schwerhörigkeit

52

Blindheit/Sehbehinderung

2011/12 Behinderungsart (Förderschwerpunkt)

35

34

39

40

338 (86)**

427 (112)**

529 (160)**

579 (143)**

177

222

256

349

407











1576

1741

1914

2137

2428

641 Sprachbehinderung (129)** Erziehungshilfebedarf Mehrfachbeeinträchtigung Summe

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen 2012/13

2013/14

Behinderungsart (Förderschwerpunkt)

57

72

Geistige Behinderung

189

216

Körperbehinderung

1084

1058

Lernbehinderung

150

154

Gehörlosigkeit/Schwerhörigkeit

63

71

Blindheit/Sehbehinderung

717 (129)**

788

Sprachbehinderung

530

640

Erziehungshilfebedarf





2790

2999

179

Mehrfachbeeinträchtigung Summe

( )* = Anteil von Maßnahmen in der Form der Kooperation einer Förderschule mit einer Regel­ schule12 ( )** = Anteil von Schülern/Schülerinnen in integrativen Sprachförderklassen

4. Integrationsmaßnahmen differenziert nach unterrichteten Lehrplänen Die Differenzierung der Integrationsmaßnahmen nach den dem Unterricht zugrunde liegenden Lehrplänen geht aus der folgenden Übersicht hervor.13 Hierbei bedeutet zielgleich: Lehrplan der allgemeinen Schule; zieldifferent „L“: Lehrplan der Förderschule Lernen; zieldifferent „G“: Lehrplan bzw. Richtlinien der Förderschule geistige Entwicklung.

12

Es handelt sich hierbei um die Integrationsform gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 IntVO. Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. integrative Unterrichtung von Behinderten, LT-Drucks. 11/989 vom 25.11.1996; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 11/2022 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 12/189 vom 27.6.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 13/589 vom 26.9.2005; Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 17, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). Für das Schuljahr 2000/01 liegen dem Verfasser die entsprechenden statistischen Daten nicht vor. 13

180

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Schuljahr

zielgleich

zieldifferent „L“

zieldifferent „G“

1986/87

21 (12)*

6

5

1987/88

63 (34)*

28

7 (1)**

1988/89

120 (62)*

71 (2)**

16 (5)**

1989/90

125 (36)*

125 (2)**

19 (8)**

1990/91

163 (45)*

187

20 (8)**

1991/92

165 (40)*

179

23 (12)**

1992/93

154 (42)*

213

21 (11)**

1993/94

154 (29)*

237

25 (13)**

1994/95

158 (38)*

255

20 (9)**

1995/96

198 (36)*

332

15 (4)**

1996/97

252 (41)*

377

19 (5)**

1997/98

306

461

18 (3)**

1998/99

293 (32)*

481

25 (3)**

1999/00

347(33)*

508

28 (1)**

2000/01







2001/02

417

581

28

2002/03

472

671

27

2003/04

532

728

27

2004/05

545

758

27

2005/06

599

754

28

2006/07

675

740

24

2007/08

752

799

25

2008/09

916

802

23

2009/10

1067

825

22

2010/11

1236

869

32

2011/12

1384

1001

43

2012/13

1649

1084

57

( )* = Anteil von Schülern/Schülerinnen in integrativen Sprachförderklassen ( )** = Anteil von Maßnahmen in der Form der Kooperation einer Förderschule mit einer Regelschule

Es fällt ins Auge, dass die zieldifferente Unterrichtung von Anfang an mit hohem Tempo ausgebaut wurde und schon nach wenigen Jahren erheblich höhere Fallzahlen erreichte als die zielgleiche Unterrichtung. Ab dem Schuljahr 2008/09

181

6. Kap.: Ausbau der integrativen Unterrichtung im Spiegel der Zahlen

sind allerdings deutlich mehr zielgleiche als zieldifferente Integrationsmaßnahmen zu verzeichnen. Diese Entwicklung lässt sich nicht eindeutig interpretieren. Möglicherweise ist sie darauf zurückzuführen, dass in nicht wenigen Fällen „sonderpädagogischer Förderbedarf“ festgestellt wurde, während der Schüler in Wirklichkeit nur „besonderen Förderbedarf“ im Sinne von Lernschwierigkeiten hat, wie sie auch bei nichtbehinderten Schülern in der allgemeinen Schule vorkommen,14 hierfür aber von der Schule zusätzliches Lehrpersonal gewünscht wird. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass in manchem Fall die Einordnung „zielgleich“ durch die Schulaufsichtsbehörde Ausdruck der „Rücksichtnahme“ auf nicht vorhandene personelle Ressourcen ist. II. Auflösung von Förderschulen Im Zuge des Ausbaus der integrativen Unterrichtung wurden Förderschulen aufgelöst, wie aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich ist:15 Schultyp

Zahl der Schulen 1985/86

Zahl der Schulen 1996/97

Zahl der Schulen 2012/13

27

19

17

Förderschule geistige Entwicklung

15 (5*)

12 (5)*

11 (4)*

Förderschule soziale Entwicklung

3

4 (1)*

4 (1)*

Förderschule körperliche und motorische Entwicklung

2

2

2

Förderschule Sprache

1

1

1

Schule für Blinde und Seh­ behinderte

1

1

1

Schule für Schwerhörige

1

1

Schule für Gehörlose

1

1

Förderschule Lernen

Schule für Schwerhörige und Gehörlose

1

( )* = davon Schulen in privater Trägerschaft

14

Siehe zu dieser begrifflichen Unterscheidung oben sub Kap. 2 D. III. Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 11/949 vom 19.11.1996. 15

Kapitel 7

Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung in Abhängigkeit von den personellen Ressourcen A. Nutzung des angeblichen Personalüberhangs der Förderschulen In den Haushaltsplänen des Saarlandes wurden bis einschließlich Haushaltsjahr 20121 keine Planstellen speziell für die integrative Unterrichtung von behinderten Schülern in allgemeinen Schulen ausgewiesen.2 Bei den in der integrativen Unterrichtung eingesetzten Ambulanzlehrkräften handelte es sich ausschließlich um Lehrkräfte aus dem Bereich der Förderschulen, deren Planstellen im Epl. 06 Kap.  05 (Förderschulen) des Haushaltsplans des Saarlandes etatisiert sind. Auf diesen Planstellen geführte Lehrkräfte wurden von 1986/87 bis 2012/13 im Umfang nachstehend aufgeführter Vollzeitlehrereinheiten (VZLE) in der integrativen Unterrichtung an den allgemeinen Schulen als Ambulanzlehrer eingesetzt:3 1 Erstmals mit dem Landeshaushalt 2013 wurden 80 Planstellen der Besoldungsgruppe A 13 (Förderschullehrer) vom Epl. 06 Kap.  05 (Förderschulen) in den Epl. 06 Kap.  04 (Grund­ schulen) verlagert. Doch war dies eher der Optik geschuldet; denn eine nennenswerte reale Ausweitung der für integrative Unterrichtung zur Verfügung stehenden Personalressourcen war damit nicht verbunden. In der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Nachfrage zur Antwort der Landesregierung auf die Anfrage betreffend Umsetzung der UN-Behinderten­rechtskonvention in der Schule, LT-Drucks. 15/450 NEU vom 30.4.2013, heißt es: „Dies geschieht, damit Förderschullehrkräfte mit ihren Stellen fest den Grundschulen zugeordnet werden können. Es geht dabei um Konstanz in der Personalisierung der Maßnahmen, vor allem auch im Hinblick auf Prävention in den Regelschulen.“ Die Förderschullehrkräfte wurden jedoch nicht an die Grundschulen versetzt, sondern nur abgeordnet. 2 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) und Reiner Braun (SPD), LT-Drucks. 12/795 vom 18.12.2002: „Es existieren keine getrennten Stellenpläne für die sonderpädagogische Förderung in Schulen für Behinderte einerseits und Schulen der Regelform andererseits.“ Vgl. auch die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. Planstellensituation der Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 11/1140 vom 24.2.1997. 3 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. Planstellensituation der Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 11/1140 vom 24.2.1997; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Jürgen Schreier (CDU) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 11/2021 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 12/187 vom 27.6.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 12/266 vom 16.11.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD)

183

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

Schuljahr

VZLE

Schuljahr

VZLE

1986/87

4,3

2000/01

126,5

1987/88

13,5

2001/02

128,5

1988/89

36,2

2002/03

128,9

1989/90

49,0

2003/04

124,2

1990/91

70,4

2004/05

125,8

1991/92

68,8

2005/06



1992/93

75,4

2006/07

146,9

1993/94

81,6

2007/08

142,4

1994/95

81,3

2008/09

156,5

1995/96

98,6

2009/10

171,9

1996/97

103,7

2010/11

188,5

1997/98

109,2

2011/12

186,7

1998/99

109,4

2012/13

199,9

1999/00

120,3

Aus der nachstehenden Tabelle ist ersichtlich, in welchem Umfang die im Epl. 06 Kap. 05 (Förderschulen) des Haushaltsplans des Saarlandes für die Förderschulen ausgewiesenen Stellen zur Personalisierung der Integrationsmaßnahmen verwendet wurden:

betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 12/675 vom 23.5.2002. Soweit die hier aufgeführten Zahlen der Vollzeitlehrerstellen nicht explizit in Antworten der Landesregierung genannt sind, wurden sie ermittelt als Quotienten aus der Gesamtzahl der von den im Rahmen der integrativen Unterrichtung von den Ambulanzlehrern geleisteten Unterrichtsstunden laut der unten sub Abschn. E abgebildeten Statistik und der Pflichtstundenzahl der Lehrkräfte an Förderschulen, die bis einschließlich Schuljahr 2002/03 26 Wochenstunden betrug und seit dem Schuljahr 2003/04 27 Wochenstunden beträgt (vgl. die VO z. Änd. d. PflichtstundenVO vom 30.7.2003 [Amtsbl. S. 2147]). Im Schuljahr 1990/91, als nach der oben abgebildeten Statistik bereits Sonderschullehrer im Umfang von 70 Vollzeitlehrerstellen aus den Sonderschulen abgezogen worden waren und im Rahmen der integrativen Unterrichtung eingesetzt wurden, antwortete die Landesregierung auf eine Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LTDrucks. 10/260 vom 7.12.1990: „Auf die Personalkosten hat sich der Einsatz von Lehrkräften in Integrationsmaßnahmen bisher praktisch nicht ausgewirkt, da Personalüberhänge genutzt werden konnten.“ Für das Schuljahr 2005/2006 liegen dem Verfasser die entsprechenden statistischen Daten nicht vor.

184

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Schuljahr

Zahl der Stellen laut Epl. 06 Kap. 05 (Förderschulen) des Haushaltsplans des Saarlandes4

1986/87

597

davon verwendet für Integrationsmaßnahmen (VZLE) 4,3

den FörderSchulen verbleibende Stellen

Schüler an Förderschulen

Relation Lehrer je Schüler an Förderschulen

592,7

3348

0,18

1987/88

579

13,5

565,5

3092

0,18

1988/89

560

36,2

523,8

2797

0,19

1989/90

553

49,0

504,0

2678

0,19

1990/91

543

70,4

472,6

2619

0,18

1991/92

525

68,8

456,2

2715

0,17

1992/93

555

75,4

479,6

2902

0,17

1993/94

556

81,6

474,4

2979

0,16

1994/95

576

81,3

494,7

3020

0,16

1995/96

585

98,6

486,4

3126

0,16

1996/97

618

103,7

514,3

3258

0,16

1997/98

642

109,2

532,8

3350

0,16

1998/99

660

109,4

550,6

3331

0,17

1999/00

669

120,3

548,7

3370

0,16

2000/01

676

126,5

549,5

3519

0,16

2001/02

676

128,5

547,5

3685

0,15

2002/03

689

128,9

560,1

3827

0,15

2003/04

714

124,2

589,8

3888

0,15

2004/05

719

125,8

593,2

3940

0,15

4

4 In dieser Zahl sind die Förderschullehrer sowie sonstige Lehr- und Lehrhilfskräfte der Förderschulen enthalten. Bei den Letztgenannten handelt es sich um Grund- und Hauptschullehrer, Fachlehrer an Förderschulen und musisch-technische Fachlehrer an Grundschulen, Pädagogische Angestellte (Erzieherinnen), Sport- und Gymnastiklehrer, Realschullehrer, Gymnasiallehrer, nebenamtliche Religionslehrer. Siehe hierzu: Antwort der Landesregierung zu der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen, LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. Personalausstattung der Schulen für Behinderte im Saarland, LT-Drucks. 11/1063 vom 14.1.1997; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) und Reiner Braun (SPD) betr. Sonderpädagogik in Sonderschulen und Regelschulen, LTDrucks. 12/795 vom 18.12.2012; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Christoph Hartmann (FDP) betr. Situation an Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 13/572 vom 9.9.2005.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

185

Die in Spalte 6 der vorstehenden Tabelle ausgewiesenen Zahlen machen deutlich, dass im Zuge des Ausbaus der integrativen Unterrichtung immer weniger Lehrpersonal für die Unterrichtung der Schüler in den Förderschulen zur Verfügung stand. Die Zahl der je Schüler an Förderschulen eingesetzten Lehrkräfte ist seit dem Schuljahr 1986/87 bis zum Schuljahr 2004/05 von 0,18 auf 0,15 zurückgegangen, was einem Rückgang von 16,6 % entspricht. Die im Ländervergleich von jeher ohnehin unterdurchschnittliche Personalausstattung der saarländischen Förderschulen5 ist also parallel zum Ausbau der integrativen Unterrichtung weiter verschlechtert worden. Auch geht die Nutzung des angeblichen Personalüberhangs der Förderschulen in Wirklichkeit in nicht wenigen Fällen auch auf Entscheidungen zurück, die unmittelbare Folgen zu Lasten behinderter Schüler an Förderschulen hatten. So ging die Schuladministration beispielsweise zu einer restriktiven Praxis bei der Genehmigung der Schulpflichtverlängerung für geistig behinderte Schüler über. Gem. § 6 Abs.  4 Satz 2 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung6 konnte die Schulaufsichtsbehörde für Schüler der Förderschule geistige Entwicklung deren zwölf Jahre dauernde Schulpflicht auf Antrag der Erziehungsberechtigten in begründeten Ausnahmefällen um bis zu zwei Schuljahre verlängern. Während bis dahin die Erziehungsberechtigten keinen Anlass zur Unzufriedenheit mit der Entscheidungspraxis des Kultusministeriums gehabt hatten, führte die ab dem Schuljahr 1989/90 einsetzende restriktive Genehmigungspraxis des Kultusministeriums zu energischen Reaktionen der betroffenen Eltern. Es liegt auf der Hand, dass das Kultusministerium mit dieser auch im politischen Raum heftig kritisierten Vorgehensweise7 den Lehrerbedarf der Förderschulen reduzieren wollte, um die dadurch „frei werdenden“ Lehrkräfte beim forcierten Ausbau der integrativen Unterrichtung einsetzen zu können. Im März 1991, d. h. nach sechs Jahren massiver Expansion integrativer Unterrichtung im Saarland, stellte die damalige Bildungsministerin Marianne Granz (SPD), die nach der Landtagswahl am 28.1.1990 bei der Aufteilung des Kultusministeriums in ein Bildungs- und ein Wissenschaftsministerium die Verantwortung für den Schulbereich übernommen hatte, in einer Rede vor Vertretern des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (SLLV) fest: „Die Lehrerüberhänge im Sonderschulbereich sind vollständig abgebaut.“8 In der gleichen Rede, die durch einen überraschenden Realismus gekennzeichnet war, bekannte sie: „Neueinrichtungen von Planstellen für Lehrer sind haushaltsbedingt nicht zu er 5 Siehe die Statistik bei Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 38. 6 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1. 7 Vgl. die Ausführungen der Landtagsabgeordneten Jürgen Schreier (CDU), Isolde Ries (SPD) und Thomas Seilner (CDU) in der Landtagssitzung am 18.12.1990, Verh. d. LT, 10. Wahlp., S. 480 ff. 8 Granz, Rede zum Thema „Sonderpädagogik am Scheideweg?“, Lehrer und Schule heute 1991, 101 (102).

186

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

warten. (Sie alle kennen die finanzielle Lage des Saarlandes.)“. Und weiter: „So kann es vor allem bei der personalintensiven lernzieldifferenten Integration keine Ausweitung im bisherigen Umfang geben.“9 Mit der Steigerung der Fallzahlen zwischen 1985 und 1991 habe man einen Ausbaustand erreicht, der sich „bundesweit sehen lassen“ könne. „Allerdings haben wir ein quantitatives Niveau erreicht, das angesichts der Haushaltslage ein weiteres Anwachsen ausschließt.“10 Auch solle man sich, was die künftige Entwicklung betreffe, keine allzu großen Hoffnungen machen: „Dabei müssen wir uns alle bewußt sein, daß die Rahmen­ bedingungen in den nächsten Jahren vermutlich nicht wesentlich zu verbessern sein werden […].“11 Diese sachliche Positionierung wie auch die Offenheit des Bekenntnisses der Kultusministerin Marianne Granz (SPD) dürften von ihrem Vorgänger Diether Breitenbach (SPD) wohl kaum goutiert worden sein; auch im wissenschaftlichen12 und gesellschaftlichen Umfeld sowie in der SPD-Landtagsfraktion13 hatte man – ungeachtet der für eine verantwortbare integrative Unterrichtung fehlenden personellen, d. h. finanziellen Ressourcen – die Absage an die Fortsetzung des forcierten Expansionskurses nicht mit Sympathie aufgenommen. Man dürfte nicht fehlgehen in der Annahme, dass die Ankündigung von Marianne Granz ihren Hintergrund in der Staatskanzlei hatte, wo man offensichtlich nicht bereit war, der Bildungsministerin finanziellen Spielraum zu konzedieren. Mit Schreiben vom 20.6.1991 teilte der Chef der Staatskanzlei des Saarlandes dem Verein zur Förderung gemeinsamen Lebens und Lernens Behinderter und Nichtbehinderter e. V. (MLL), der sich für den Ausbau der integrativen Unterrichtung eingesetzt hatte, u. a. mit: „[…] die schwierige Haushaltslage läßt der Landesregierung – bei allem Verständnis für Ihre Anliegen – keinerlei Spielräume, die schulische Integration behinderter Kinder über den jetzt bereits erreichten, bundesweit führenden Stand weiter auszubauen.“14

9

Granz, ebd., S. 102. Granz, ebd., S. 101. 11 Granz, ebd., S. 102. 12 Siehe insbesondere Alfred Sander, Entwicklung der schulischen Integration behinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland 1990–1993/94, in: ders./Hildeschmidt/Jung-Sion u. a., Schulreform Integration. Entwicklungen der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland 1990–1993/94, S. 9 (23 ff.). 13 Vgl. Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hilde­schmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (82 f.). 14 Chef der Staatskanzlei des Saarlandes, Schreiben an den Verein zur Förderung gemeinsamen Lebens und Lernens Behinderter und Nichtbehinderter e. V. (MLL) vom 20.6.1991, GeschZ.: B/5  – 0104  – 145/4, betr. Integration behinderter Kinder in Regeleinrichtungen­ (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.). 10

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

187

B. Streichung von Planstellen der Förderschulen Die Wirklichkeit sah jedoch noch viel ungünstiger aus, als sie sich in dem erwähnten Redebeitrag der Ministerin darstellte. Denn während des massiven Ausbaus der integrativen Unterrichtung wurden von der Landesregierung im gesamten saarländischen Schulwesen systematisch Planstellen gestrichen. Davon war auch der Epl. 06 Kap. 05 (Förderschulen) betroffen, d. h. es wurden viele frei werdende Planstellen im Förderschulbereich nicht mehr besetzt und wurden gestrichen.15 Unter den Regierungen Lafontaine (1985–1998) und Klimmt (1998–1999) wurden 1.227 Planstellen für Lehrer und damit 13,6 % aller Lehrerstellen gestrichen, während in diesem Zeitraum die Zahl der Schüler nur um 0,8 % sank. Dabei sind allein im Zeitraum von 1986/87 bis 1991/92, also in der Zeit des besonders rasanten Anstiegs der Zahl der Integrationsmaßnahmen, 14 % der im Epl. 06 Kap. 05 (Förderschulen) des Haushaltsplans des Saarlandes für beamtete Lehrkräfte an Förderschulen ausgewiesenen Planstellen gestrichen worden. Zwar war im Zuge der allgemeinen Entwicklung der Schülerzahlen in diesem Zeitraum auch die Zahl der Schüler an Sonderschulen zunächst gesunken, doch war hier bereits nach kurzer Zeit in den Förderschwerpunkten körperliche und motorische Entwicklung, soziale Entwicklung und Sprache wieder ein deutlicher Anstieg der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu verzeichnen. Nach Lage der Dinge kamen realistischerweise als Rekrutierungspotenzial für die integrative Unterrichtung nur die Lehrkräfte bzw. Planstellen der Förderschulen in Betracht. Der forcierte Ausbau der integrativen Unterrichtung erforderte bei verantwortbarer Handlungsweise in erheblichem Umfang zusätzliches sonder­ pädagogisch qualifiziertes Personal. In dieser Situation hat die Landesregierung auch bei den Förderschulen Planstellen gestrichen.16 Das lässt folgende Schlussfolgerung zu: Die Gewährleistung der entscheidend von einer zusätzlichen Personalausstattung abhängenden heilpädagogischen Qualität in jedem einzelnen Integrationsfall stand für die Landesregierung nicht im Vordergrund. Ausschlaggebend war für die Regierung vielmehr das alles überragende Interesse, als politischen „Erfolg“ hohe Fallzahlen beim Ausbau der integrativen Unterrichtung verkünden zu können. In dieser Phase der systematischen Streichung von Planstellen im Förderschulbereich kam auch die Rekrutierung von Förderschullehrern fast zum Erliegen. Das führte im Laufe von eineinhalb Jahrzehnten (1985–1999) zu einem solchen Nachholbedarf an Lehrereinstellungen für die sonderpädagogische Förderung, dass die 15 Das wurde von Bildungsministerin Marianne Granz (SPD), Rede zum Thema „Sonderpädagogik am Scheideweg?“, Lehrer und Schule heute 1991, 101 (102), im Ergebnis bestätigt. 16 An zusätzliche Stellen für die sonderpädagogische Förderung war erst recht nicht gedacht. In der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen, LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989, lautete die Antwort zu Frage 31 „Beabsichtigt die Landesregierung, im Sonderschuldienst weitere Stellen auszuweisen? Wenn ja, in welchem Zeitraum und wie viele? Wenn nein, warum nicht?“: „Nein, da es nicht notwendig sein wird.“

188

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

ser nach dem Regierungswechsel 1999 mit dem regulären Angebot des Arbeitsmarktes zunächst nicht gedeckt werden konnte.17 Das zwang die neue Regierung unter Peter Müller (CDU) zu unkonventionellen Maßnahmen: Arbeitslose Lehrkräfte mit der Lehrbefähigung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen erhielten die Möglichkeit, auf einem Sonderweg zusätzlich die Lehramtsbefähigung für Sonderpädagogik zu erwerben, wobei sie von Beginn der Ausbildung an praktisch in vollem Umfang bedarfsdeckend im Unterricht an Förderschulen eingesetzt wurden.18 Zu diesen später notwendig gewordenen Maßnahmen gehörte auch die vorübergehend drastische Reduzierung des von Förderschullehrern erteilten und bewährten Sprachförderunterrichts an Grundschulen, der als ein fakultatives Unterrichtsangebot gegenüber der Pflichtaufgabe der Bedarfsdeckung in den Förderschulen und bei der integrativen Unterrichtung insoweit zurückzutreten hatte.19

C. „Ressourcenerschließung“ durch Erhöhung von Schüler-Lehrer-Relationen und Klassenfrequenzen an Förderschulen Nachdem die 1985 von der Regierung Lafontaine vorgefundene Personalausstattung der Förderschulen auf diese Weise für die integrative Unterrichtung partiell umgewidmet worden war und auch die durch die Schließung von Förderschulen gewonnenen Personalressourcen ausgeschöpft waren,20 wurden zu demselben 17 Wegen dieser vorangegangen Entwicklung, so heißt es in dem Antrag der CDU-Landtagsfraktion betr. Verbesserungen im sonderpädagogischen Bereich – Versäumnisse der Vergangenheit aufarbeiten, LT- Drucks. 12/217 vom 4.9.2000, „herrscht zurzeit akuter Lehrermangel im sonderpädagogischen Bereich. Dies zeigt die Tatsache, dass 14 von 100 neu geschaffenen zusätzlichen Lehrerstellen, die für die sonderpädagogische Förderung vorgesehen waren, trotz intensiver Bemühungen nicht besetzt werden konnten.“ 18 Der Ausbildungsgang wurde in der Verordnung über den Erwerb einer zusätzlichen Lehramtsbefähigung (Qualifizierungsverordnung Sonderpädagogik) vom 6.11.2001 (Amtsbl. S. 2210) geregelt; vgl. hierzu auch die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der SPDLandtagsabgeordneten Isolde Ries und Reiner Braun, LT-Drucks. 12/795 vom 18.12.2002. 19 Vgl. die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Sprachförderunterricht an saarländischen Grundschulen, LT-Drucks. 12/269 vom 20.11.2000: „Die Unterrichtung in den Schulen für Behinderte und die sonderpädagogische Förderung behinderter Kinder im gemeinsamen Unterricht in Regelschulen haben als Pflichtleistung Vorrang gegenüber dem Sprachförderunterricht als ‚Kann-Leistung‘. Zur Vermeidung von Unterrichtsausfall musste der Sprachförderunterricht vorerst reduziert werden.“ In diesem Sinne antwortete die Landesregierung auch auf die weiteren zu diesem Betreff gestellten Anfragen derselben Abgeordneten, LT-Drucks. 12/667 vom 6.5.2002, LT-Drucks. 12/949 vom 8.9.2003 und LT-Drucks. 12/1078 vom 24.2.2004. 20 In der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LTDrucks.10/260 vom 7.12.1990, heißt es zu der darin aufgeworfenen Frage nach den Personalkosten: „Auf die Personalkosten hat sich der Einsatz von Lehrkräften in Integrationsmaßnahmen bisher praktisch nicht ausgewirkt, da Personalüberhänge genutzt werden konnten.“ Für den Zeitraum ab 1990/91 heißt es bei Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schu-

189

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

Zweck Schüler-Lehrer-Relationen an den Förderschulen durch eine entsprechende Änderung der Vorschriften für die Personalisierung bzw. Klassenbildung erhöht. Das führte zu einer Verschlechterung der Lehrerversorgung an den betroffenen Förderschulen und damit zu höheren Klassenfrequenzen.21 Die Schüler-Lehrer-Relationen wurden, wie aus der nachstehenden Übersicht hervorgeht, zwei Mal heraufgesetzt, nämlich zu Beginn des Schuljahres 1991/92 und zu Beginn des Schuljahres 1996/97: Schüler-Lehrer-Relationen an den Förderschulen:22 23 24 1984/8522

1991/9223

1996/9724

– Bereich Blinde

5 : 1

5 : 1

5 : 1

– Bereich Sehbehinderte

6 : 1

6 : 1

7 : 1

– Bereich Gehörlose

5 : 1

5 : 1

5 : 1

– Bereich Schwerhörige

6 : 1

6 : 1

7 : 1

Förderschule soziale Entwicklung

6 : 1

6 : 1

6 : 1

Förderschule geistige Entwicklung

4 : 1

4 : 1

4 : 1

Förderschule körperliche und motorische Entwicklung

4 : 1

4 : 1

4 : 1

Förderschule Lernen

9 : 1

10 : 1

11 : 1

Förderschule Sprache

6 : 1

6 : 1

7 : 1

Krankenhaus- und Hausunterricht

4 : 1

4 : 1

5 : 1

Förderschule für Blinde und Sehbehinderte

Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige

lischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (82): „Die pädagogische Förderung von behinderten Kindern in Regelschulen wurde bis dahin aus den personellen Überhangkapazitäten an den Sonderschulen sichergestellt, die nun ausgeschöpft zu sein schienen.“ 21 Vgl. hierzu die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. Klassenfrequenzen der Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 11/1139 vom 24.2.1997. Diese Verschlechterung der Unterrichtssituation an den Förderschulen geht auch aus Spalte 6 der oben sub Kap. 7 A an zweiter Stelle abgebildeten Statistik hervor, wo aufgezeigt ist, dass sich die Relation Lehrer je Schüler an den Förderschulen von 1986/87 bis 2004/05 um 16,6 % verringert, d. h. verschlechtert hat. 22 Erlaß über die Schüler-Lehrer-Relation und die Zuweisung von Lehrkräften an Schulen für Behinderte vom 5.12.1984 (GMBl. Saar 1985, S. 96). 23 Erlaß zur Änderung des Erlasses über die Schüler-Lehrer-Relation und die Zuweisung von Lehrkräften an Schulen für Behinderte vom 25.6.1991 (GMBl. Saar S. 438). Noch drei Monate zuvor, nämlich am 12.3.1991, hatte sich Bildungsministerin Marianne Granz (SPD) in ihrer Rede zum Thema „Sonderpädagogik am Scheideweg?“, Lehrer und Schule heute 1991, 101 (102), zugutegehalten: „Trotz größtem Sparzwang ist es bisher gelungen, die im Erlaß über die Schüler-Lehrer-Relation und die Zuweisung von Lehrkräften an Schulen für Behinderte vorgegebene Schüler-Lehrer-Relation an den einzelnen Sonderschularten beizubehalten.“ 24 Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kursbildung und über Schüler-Lehrer-Relationen vom 19.7.1996 (Amtsbl. S.  723), zul.geänd.d. VO vom 18.7.2013 (Amtsbl. I S. 226 [243]).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Dabei ergab sich der in absoluten Zahlen mit Abstand höchste Einspareffekt durch die zweimalige Erhöhung der Schüler-Lehrer-Relation bei den Schulen für Lernbehinderte, an denen der weitaus größte Teil – nämlich fast 50 % – der Förderschullehrer unterrichtet. Inzwischen werden gerade an vielen Förderschulen Lernen diese zweimal heraufgesetzten Schüler-Lehrer-Re­lationen in der schulischen Realität noch überschritten, weil von diesen Schulen Lehrkräfte für die integrative Unterrichtung abgezogen werden.25 In der Staatskanzlei waren 1998 weitere Einsparungen im Bereich der Förderschulen in Erwägung gezogen worden. Daraufhin habe das Kultusministerium, so war damals von gut informierter Seite zu hören, den Chef der Staatskanzlei mit Schreiben vom 9.3.1998 wissen lassen: Eine weitere Erhöhung der Schüler-Lehrer-Re­lationen nach den bereits 1991 und 1996 erfolgten Anhebungen verbiete sich schon allein deshalb, weil das Saarland im KMK-Ländervergleich bei den Schulen für Lernbehinderte, also dem Förderschultyp mit den meisten Schülern, bereits am Ende stehe. Diese Feststellung ist nach wie vor aktuell: Das Saarland nahm auch im Schuljahr 2009/10 im Ländervergleich bei der Schüler-Lehrer-Relation an den Förderschulen Lernen die mit Abstand schlechteste Position ein.26 Wenn das Kultusministerium, wie aus der Tabelle ersichtlich ist, bei einigen Behinderungsarten bzw. Förderschultypen die Schüler-Lehrer-Relationen sowohl 1991 als auch 1996 unverändert gelassen hat, so nicht nur deswegen, weil das Saarland auch bei diesen Förderschulen eine im Ländervergleich unterdurchschnittliche Personalisierung aufweist. Vielmehr sind darunter auch solche Förderschultypen, denen in wachsendem Maße Schüler mit besonders schweren Behinderungen zugewiesen werden, für die integrative Unterrichtung nicht in Betracht kommt. Dazu gehören die Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung, an denen 50 % der Schüler zusätzlich zu ihrer körperlichen Behinderung geistig behindert und weitere 30 % lernbehindert sind. Bei der Förderschule Sprache ist nicht nur die Zahl der Fälle mit schweren Sprachstörungen stark angestiegen; vielmehr ist hier auch ein Wandel der Schülerschaft eingetreten in Richtung auf einen hohen Anteil von Schülern, die nicht nur sprachbehindert sind, sondern die auch ausgeprägte soziale Anpassungsprobleme haben und bei denen integrative Unterrichtung vielfach nicht in Betracht kommt bzw. mangels des erforderlichen zusätzlichen Personals (durchgängige Doppelbesetzung) nicht in verantwortbarer Weise zu realisieren ist. Die Förderschule soziale Entwicklung schließlich hat inzwischen eine Schülerschaft, bei der der Anteil von Schülern mit extremen Erzie-

25 Das geht aus der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in Regel- und Förderschulen, LT-Drucks. 14/690 vom 3.2.2012, hervor. 26 Siehe die Statistik bei Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 38.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

191

hungsschwierigkeiten bzw. Verhaltensauffälligkeiten deutlich gestiegen ist; gleichzeitig hat sich die Zahl der Schüler mit sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen stark erhöht. Bei der Förderschule geistige Entwicklung wurde im Saarland ohnehin bei Weitem nicht jede Klasse von einer Förderschullehrkraft geleitet, sondern nicht selten von einer Erzieherin. Bezüglich der Situation der autistischen Schüler kann im Saarland noch nicht von einem strukturierten bzw. profilierten Bildungsangebot gesprochen werden. Angesichts der Situation bei den genannten Förderschultypen war es daher nicht etwa besondere Rücksichtnahme, sondern nüchternes politisches Kalkül: Wenn man die Proteste der Betroffenen nicht geradezu provozieren wollte, empfahl es sich nicht, ausgerechnet an den Förderschulen mit einer besonders schwierigen Schülerschaft die Personalausstattung noch weiter zu verschlechtern. Die mehrmaligen Verschlechterungen der Schüler-Lehrer-Re­lationen bei den Förderschulen wurden bis heute nicht rückgängig gemacht, während Klassenteiler bei den Grundschulen, Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien, Gemeinschaftsschulen sowie bei beruflichen Schulen in der Zwischenzeit mehrmals herabgesetzt wurden, zuletzt mit Änderungsverordnung vom 18.7.2013.27 Bei den Gymnasien und den Gemeinschaftsschulen sollen sie noch weiter herabgesetzt werden, wie Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in ihrer Regierungserklärung zum Start der Großen Koalition am 16.5.201228 auf der Grundlage des Koalitionsvertrages der Großen Koalition29 angekündigt und wie die Landesregierung in ihrer Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage bekräftigt hat.30 Von einer Rücknahme der damaligen Verschlechterungen bei den Förderschulen ist nach wie vor keine Rede.

D. „Bündelung“ mehrerer behinderter Schüler in einer Regelklasse der allgemeinen Schule als Maßnahme personalwirtschaftlicher Optimierung Mit fortschreitendem Ausbau der integrativen Unterrichtung wurde zunehmend die Organisationsform der „Bündelung“ praktiziert. Dabei werden mehrere behinderte Schüler in einer im Übrigen aus nichtbehinderten Schülern bestehenden Klasse der allgemeinen Schule zusammengefasst. Mit dieser Organisationsform

27 Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kursbildung und über Schüler-Lehrer-Relationen vom 19.7.1996 (Amtsbl. S.  723), zul.geänd.d. VO vom 18.7.2013 (Amtsbl. I S. 226 [243]). 28 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 32. 29 CDU/SPD, Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012–2017), S. 25. 30 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Klassengröße, LT-Drucks. 15/504 vom 27.5.2013.

192

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

ist auch ein Potenzial zur personalwirtschaftlichen „Optimierung“ des Lehrereinsatzes der Ambulanzlehrer und damit zur Steigerung der Fallzahlen verbunden:31 „Bündelungen“ im Schuljahr 1995/96: Behinderte Kinder pro Klasse in einer Regelschule

2

3

4

5

6

Anzahl der Klassen in:

Summe der Klassen

Gesamtschulen

13

9

4

Grundschulen

20

5

1

Grund- und Hauptschulen

4

2

Ganztagesgrundschulen

2

Hauptschulen

6

5

Sekundarschulen

1

4

2

28 26 6 2

7

2

19 5

„Bündelungen“ im Schuljahr 1996/97: Behinderte Kinder pro Klasse in einer Regelschule

2

3

4

5

6

Anzahl der Klassen in:

Summe der Klassen

Gesamtschulen

17

14

Grundschulen

4

1

36

1

34

29

4

Grund- und Hauptschulen

4

1

5

Ganztagesgrundschulen

2

1

3

11

4

9

7

4

2

Hauptschulen Sekundarschulen

3

1

28 13

Im Schuljahr 1996/97 wurden von den insgesamt 315 Schülern in Regelklassen mit mehr als einem behinderten Kind 257 behinderte Kinder (= 81,5 %) zieldifferenziert unterrichtet, davon 9 Schüler nach den Richtlinien der Schule für geistig Behinderte und 248 Schüler nach den Richtlinien und Lehrplänen der Schule für Lernbehinderte. 31 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. „Bündelung“ mehrerer behinderter Kinder in einer Klasse bei integrativer Unterrichtung in der Regelschule, LT-Drucks. 11/1147 vom 28.2.1997. In der Antwort heißt es, dass für den Zeitraum von 1986/87 bis 1994/95 keine entsprechenden Statistiken vorlägen.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

193

Es wurde bereits im Einzelnen dargelegt,32 dass die Landesregierung auf die in der hier zitierten parlamentarischen Anfrage gestellte Frage, nach welchem Maßstab und welchen Regelungen sich die Zuweisung von zusätzlichen Lehrerstunden an diese Regelklassen mit mehreren behinderten Schülern richtet und ob eine höchstzulässige Zahl von Kindern in derartigen Klassen festgelegt ist, nur eine allgemein gehaltene, dem Bedürfnis nach substanzieller Information und Transparenz nicht genügende Antwort gab. Auf die weitere Frage „Trifft es zu, dass diese ‚Bündelung‘ in nicht wenigen Fällen mit einer Zentralisierung verbunden ist, d. h. wie viele dieser in einer Regelklasse zusammengefassten behinderten Kinder können dadurch zwangsläufig nicht mehr die für sie zuständige wohnortnahe Schule besuchen?“ antwortete die Landesregierung: „Behinderte Kinder, die integrativ unterrichtet werden, besuchen prinzipiell die für sie zuständige Regelschule. Eine Zentralisierung findet lediglich bei den Sprachförderklassen statt, in denen zur Zeit 41 Kinder unterrichtet werden.“ Das im ersten Satz enthaltene Wort „prinzipiell“ bestätigt, dass sehr wohl auch Zentralisierungen stattgefunden haben. Eine wichtige Information zum Hintergrund dieser „Bündelung“ findet sich an unscheinbarer Stelle, nämlich in dem Rundschreiben des Kultusministers an die Förderschulen vom 12.6.1989 betr. Fahrzeiten der in Integrationsmaßnahmen eingesetzten Lehrkräfte.33 Darin wurde verfügt, dass „die in Integrationsmaßnahmen anfallenden Fahrzeiten der Ambulanzlehrer und Ambulanzlehrerinnen im Laufe des Schuljahres 1989/90 auf die Pflichtstunden angerechnet [werden]“, wobei der Anrechnungsumfang gestaffelt nach den Fahrzeiten im Einzelnen festgelegt wurde.34 In dem Rundschreiben heißt es außerdem: „Die Planung der Integrations­ maßnahme sollte von den Schulen daher so erfolgen, daß unnötige Mehrfahrzeiten oder Mehrfahrten vermieden werden. Eine in diesem Sinne geplante Bündelung von Integrationsmaßnahmen wäre in jedem Falle sehr hilfreich.“35 Diese „Empfehlung“ einer aus finanzwirtschaftlichen Gründen anzustrebenden Optimierung des auf die Pflichtstunden des Ambulanzlehrers anzurechnenden Fahraufwandes legte bereits für die Vergangenheit die Annahme nahe, dass Bündelungen und damit auch verbundene Zentralisierungen in größerem Umfang stattfinden, als das Kultusministerium in der Antwort zu der parlamentarischen Anfrage einzuräumen bereit war. 32

Siehe oben sub Kap. 4 C. II. 2. c) bb). Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulen für Behinderte vom 12.6.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Fahrzeiten der in Integrationsmaßnahmen eingesetzten Lehrkräfte (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.); das Rdschr. ist dokumentiert in: Sander/Christ/Franck-Weber u a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Jahresbericht 1989 aus dem Saarland, S. 354. 34 Die Anrechnungszeiten wurden wie folgt festgelegt: Bei Fahrzeiten pro Woche von ­61–90 Minuten 1/2, von 91–120 Min. 1, von 121–150 Min. 1 1/2, von 151–180 Min. 2 und von 181–210 Min. 2 1/2 Unterrichtsstunden. 35 Hervorh. d. Verf. 33

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Das ist insofern bemerkenswert, als die Konzipienten des nach 1985 entworfenen Integrationskonzepts der wohnortnahen Einzelintegration eindeutigen Vorrang gegeben hatten.36 Nun aber erklärte die in Sachen integrativer Unterrichtung engagierte Landtagsabgeordnete Isolde Ries (SPD) zur Rechtfertigung der „Bündelungen“, „daß wir zunächst einmal wegmüssen von dem System der Einzelintegration. […] Die Einzelintegration war immer sehr teuer.“37 Sie bezeichnete die Bündelung als „eine sinnvolle pädagogische Maßnahme, wie sie von dem wissenschaftlichen Team der Universität vorgeschlagen wurde.“38 Bei dieser „Bündelung“ findet im Saarland entgegen der zu ihrer Rechtfertigung vorgetragenen Darstellung39 in Wirklichkeit keine konsequente Kumulierung40 der den einzelnen Kindern zustehenden, im Saarland ohnehin sehr wenigen Ambulanzlehrer-Wochenstunden statt. Integrative Unterrichtung in Form solcher „Bündelung“ wird nicht den Anforderungen gerecht, die an eine verantwortbare integrative Unterrichtung zu stellen sind. Im Ergebnis erweist sich somit die „Bündelung“ als personalwirtschaftliches Optimierungsinstrument zum Zwecke der Steigerung von Fallzahlen und zulasten der pädagogischen Qualität. Es kommt hinzu, dass bei einer solchen „Bündelung“ fast immer Schüler unterschiedlicher Behinderungsarten zusammengefasst werden. Dieser Heterogenität kann in der schulischen Praxis in aller Regel nicht durch einen entsprechend differenzierten, d. h. behinderungsspezifischen Einsatz von Förderschullehrkräften mit diesbezüglicher, behinderungsspezifischer Lehramtsbefugnis entsprochen werden. Das gilt nicht nur für Schüler mit Sinnesbeeinträchtigungen (Blinde, Sehhinderte, Gehörlose, Schwerhörige) sowie mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, sondern auch für Schüler mit dem Förderschwerpunkt Sprache, geistige Entwicklung, Lernen sowie körperliche und motorische Entwicklung, d. h. für das Spektrum der Behinderungsarten und Förderschwerpunkte in seiner ganzen Breite. Von der pädagogischen Wirksamkeit der hohen Spezialisierung innerhalb des Lehramts an Förderschulen profitieren diese behinderten Kinder also nicht. Inzwischen, d. h. im Jahr 2015, ist die Organisationsform der „Bündelung“ zum Regelfall geworden. Das wird von der Landesregierung in der Antwort zu einer 36 So ausdrücklich Alfred Sander, Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen im Saarland 1989, in: ders./Christ/Franck-Weber u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche, S.  9 (33): „Die mehrere Jahre lang in der deutschen Integrationsbewegung diskutierte Frage ‚Einzelintegration  – Alternative oder Lückenbüßer?‘ […] ist nach unseren Erfahrungen beantwortbar: Einzelintegration ist eine echte Alternative für alle Beteiligten, für die Kinder, die Lehrpersonen und die Eltern. Soll der Grundsatz der Wohnortnähe durchgehalten werden, dann ist in Flächenstaaten Einzelinte­ gration vielfach sogar die bessere Alternative.“ 37 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2358. 38 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2358. 39 Vgl. Isolde Ries (SPD), Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2946. 40 Vgl. Jürgen Schreier (CDU), Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2362.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

195

parlamentarischen Anfrage auch offiziell eingestanden. Darin erklärt sich die Landesregierung außer Stande, die Frage nach der „Zahl der von den AmbulanzLehrerInnen eingebrachten Wochenstunden, und zwar insgesamt sowie differenziert nach den Integrationsmaßnahmen in den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten“ zu beantworten. Die Antwort der Landesregierung lautet: „Eine Aufschlüsselung nach Förderschwerpunkten ist weder für das laufende Schuljahr noch für die zurückliegenden Schuljahre möglich, da die überwiegende Anzahl der Integrationsschüler mit mehreren anderen Schülern mit durchaus anderen Förderschwerpunkten gemeinsam gefördert werden und wurden (sog. Bündelungen).“41 Damit wird regierungsamtlich bestätigt, dass im Saarland der Unterricht für die „überwiegende Anzahl der Integrationsschüler“ unter Bedingungen stattfindet, bei denen die pädagogisch-qualitativen Defizite geradezu vorprogrammiert sind. Denn auf die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Behinderungsart kann nicht mehr in jedem Fall – wie an der Förderschule – mit dem Einsatz einer hierfür spezialisierten Lehrkraft reagiert werden. Es findet in weitem Umfang eine unspezifische Allokation von Lehrerressourcen statt, die zwangsläufig mit erheblichen pädagogischen Effizienzverlusten verbunden ist. Was hierzu von der Landesregierung als Rechtfertigung angeführt wird, stellt eher eine Bestätigung der Fragwürdigkeit dieser „Bündelung“ dar. So heißt es in der Antwort der Landesregierung zu einer parlamentarischen Anfrage: „Eine ausschließlich ‚fachbezogene‘ Zuweisung von Förderschullehrkräften an Regelschulen ist weder sinnvoll noch durchführbar. Oftmals sind Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Förderbedarfen in einer Klasse bzw. einer Klassenstufe. Bei einer ‚fachbezogenen‘ Zuweisung wären mitunter mehrere Förderschullehrkräfte mit wenigen Lehrerwochenstunden in derselben Regelklasse. Dies ist weder sinnvoll noch wird es von den Regelschulen gewünscht. Vielmehr wird von den Regelschulen gewünscht, dass wenige Förderschullehrkräfte mit möglichst vielen Lehrerwochenstunden an ihren Schulen personalkonstant eingesetzt werden.“42 Gewiss lassen sich diese Erwägungen nicht ohne Weiteres von der Hand weisen. Wenn jedoch nur unter diesen Bedingungen integrative Unterrichtung praktiziert werden soll, dann wird eine systemimmanente Schwäche integrativer Unterrichtung im Saarland sichtbar. Insoweit hat man es mit einem signifikanten Rückschritt in Sachen heilpädagogischer Professionalität zu tun. Diese regressive Entwicklung gehört – neben der höchst unzulänglichen Betreuungsintensität – zu der pädagogischen Realität hinter den hohen Fallzahlen, deren man sich in politischen Kreisen im Saarland insbesondere unter Hinweis auf die ländervergleichenden Statistiken gern berühmt. 41 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in Regel- und Förderschulen, LT-Drucks. 14/690 vom 3.2.2012 (Hervorh. d. Verf.). 42 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LT-Drucks. 15/279 vom 14.12.2012.

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Die hier beschriebene „Bündelung“ ist nicht zu verwechseln mit einer Integrationsklasse. Letztere ist gekennzeichnet durch ein konsequentes Zwei-PädagogenSystem, die Bereitstellung erforderlichenfalls weiterer personeller Ressourcen sowie eine Begrenzung der Schülerzahl bei gleichzeitiger Festlegung der Zahlenrelation von behinderten und nichtbehinderten Schülern. Dazu hatte der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) Bildungsministerin Marianne Granz (SPD) mit Schreiben vom 18.2.1992 folgenden Vorschlag unterbreitet: „Die von uns geforderten Integrationsklassen bieten – und dies belegen Erfahrungen in anderen Bundesländern – den Vorteil, daß eine dauernde Zusatzbetreuung durch sonderpädagogisches Fachpersonal eine umfassendere Förderung gewährleistet, als dies bei stundenweiser Doppelbesetzung möglich ist. Der SLLV sieht dabei die besten Chancen bei festumrissener Klassengröße (Vorschlag des SLLV: 15 nichtbehinderte +3 behinderte Kinder), wobei diese Art der integrativen Förderung wesentlich ökonomischer zu sein scheint als die derzeitige Praxis des ‚Gießkannenprinzips‘.“43 Die Bildungsministerin ging auf diesen Vorschlag jedoch nicht ein, weil die anspruchsvolle Personalausstattung von Integrationsklassen so viel Lehrerkapazität gebunden hätte, dass die Zahl der Integrationsmaßnahmen nicht in dem Maße von Jahr zu Jahr hätte ansteigen können, wie es politisch gewünscht war. Statt des Konzepts der Einzelintegration oder der „Bündelung“ unter Einsatz eines Ambulanzlehrers, das insbesondere im Saarland angesichts der bescheidenen personellen Ressourcen nur eine höchst unzulängliche Personalausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahme und daher in vielen Fällen keine durchgehende und nachhaltige sonderpädagogische Unterrichtssituation zuließ, beschreitet Rheinland-Pfalz den Weg der Schwerpunktschule für integrative Unterrichtung. Sie ist gekennzeichnet durch eine deutlich erhöhte Grundausstattung mit sonderpädagogischem Unterrichts- und Betreuungspersonal bei gleichzeitiger zusätzlicher Unterrichts- und Betreuungskapazität für das einzelne Kind. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz sieht in diesem Konzept eine sachgerechte und verfassungskonforme Wahrnehmung des der Schuladministration bei der Konzipierung des Systems der sonderpädagogischen Förderung zustehenden Gestaltungsspielraums. Zur Begründung heißt es in dem Urteil: Dieser zusätzliche Unterricht wäre lediglich in deutlich reduzierter Form möglich, wenn die entsprechenden Lehrkräfte die betroffenen Schülerinnen und Schüler an verschiedenen örtlichen Regelgrundschulen einzeln aufsuchen müssten. Es sei daher sachgerecht, wenn versucht werde, durch die Konzentration vorhandener Fachkräfte auf Schwerpunktschulen eine nachhaltigere Betreuung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf zu erreichen.44 Zum Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung war das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-­ 43

Lehrer und Schule heute 1992, 69. OVG Rh.-Pf., Urt. v. 15.5.2009, 2 A 10036/09.OVG, AS 38, 151 (155)  = SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 16; S. 3 = LKRZ 2009, 309 ff. Das Urt. ist rechtskräftig aufgrund des Beschlusses des BVerwG v. 18.1.2010, 6 B 52.09, http://www.bverwg.de (Zugriff: 31.1.2015). 44

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

197

Behindertenrechtskonvention) für die Bundesrepublik Deutschland bereits in Kraft getreten; die Entscheidung enthält keine Anhaltspunkte für etwaige Bedenken des Gerichts im Hinblick auf die Vereinbarkeit dieses Schulkonzepts mit Art. 24 VNBRK. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht45 und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof46 sehen in einem solchen Schulkonzept eine rechtlich nicht zu beanstandende Organisationsform integrativer Unterrichtung.47

E. Kontinuierliche Absenkung der Zahl der Ambulanzlehrer-Wochenstunden je Schüler I. Entwicklung der Fallzahlen und der sonderpädagogischen Förderungsintensität Aus der nachstehenden Tabelle geht hervor, wie sich die Zahlen der Integra­ tionsmaßnahmen und der hierbei geleisteten Ambulanzlehrer-Wochenstunden entwickelten und wie viel Ambulanzlehrer-Wochenstunden folglich im Durchschnitt für den einzelnen integrativ unterrichteten Schüler pro Woche zur Verfügung ­stehen.48 45 NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2010, 2 ME 278/10, Abschn. II 1, http://www.dbovg.niedersachsen. de (Zugriff: 23.7.2011). 46 BayVGH, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129. 47 Demgegenüber ist Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NWVBl. 2011, 409, der Auffassung, dass Schwerpunktschulen mit Art. 24 Abs. 1 VN-BRK nicht vereinbar sind, da sie „weit vom Wohnort des Schülers entfernt liegen.“ 48 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. integrative Unterrichtung von Behinderten, LT-Drucks. 11/989 vom 25.11.1996; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. Planstellensituation der Schulen für Behinderte, LT-Drucks. 11/1140 vom 24.2.1997; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 11/2022 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Jürgen Schreier (CDU) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 11/2021 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 12/187 vom 27.6.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 12/266 vom 16.11.2000; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LTDrucks. 12/675 vom 23.5.2002; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern in den saarländischen Schulen, LT-Drucks. 13/589 vom 26.9.2005; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 13/591 vom 26.9.2005; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in Regel- und Förderschulen, LT-Drucks. 14/690 vom 3.2.2012; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Schule,

198 Schuljahr

1986/87

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund  Zahl der Integrationsmaßnahmen

32

Gesamtzahl der von den Ambulanzlehrern im Rahmen der integrativen Unterrichtung geleisteten Wochenstunden

AmbulanzlehrerWochenstunden je Schüler im Landesdurchschnitt inklusive Anrechnungs­ stunden für den Ambulanzlehrer

112

3,50

AmbulanzlehrerWochenstunden je Schüler im Landesdurchschnitt nach Abzug der Anrechnungsstunden für den Ambulanzlehrer („Netto-Zeit“) 3,04

1987/88

97

351

3,61

3,14

1988/89

200

941

4,70

4,08

1989/90

259

1274

4,91

4,27

1990/91

362

1830

5,05

4,39

1991/92

355

1788

5,03

4,37

1992/93

377

1960

5,19

4,51

1993/94

403

2122

5,26

4,57

1994/95

424

2114

4,98

4,33

1995/96

541

2564

4,73

4,11

1996/97

648

2613

4,03

3,50

1997/98

785

2894

3,68

3,20

1998/99

799

2898

3,62

3,15

1999/00

882

3187

3,61

3,14

2000/01

972

3352

3,44

2,99

2001/02

1015

3396

3,34

2,90

2002/03

1160

3188

2,74

2,38

2003/04

1275

3352

2,62

2,28

2004/05

1320

3397

2,57

2,23

2005/06

1381





2006/07

1439

3966

2,75

– 2,39

2007/08

1576

3846

2,44

2,12

2008/09

1741

4225

2,42

2,10

2009/10

1914

4642

2,42

2,10

2010/11

2137

5090

2,38

2,06

2011/12

2428

5041

2,08

1,81

2012/13

2805

5398

1,92

1,67

LT-Drucks. 15/279 vom 14.12.2012; Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 14, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). Für das Schuljahr 2005/2006 liegen dem Verfasser keine statistischen Daten zur Gesamtzahl der von den Ambulanzlehrern im Rahmen der integrativen Unterrichtung geleisteten Wochenstunden vor.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

199

1. Personelle und sachliche Einflussfaktoren Beim forcierten Ausbau der integrativen Unterrichtung in der ersten Amts­ periode von Kultusminister Dieter Breitenbach (SPD) in den Schuljahren 1986/87 bis 1990/9149 konnte noch auf jene Förderschullehrkräfte zurückgegriffen werden, die infolge der Schließung von Förderschulen Lernen und Förderschulen geistige Behinderung zur Verfügung standen. Die Entscheidungen über den Ausbau der integrativen Unterrichtung in den Schuljahren 1991/92 bis 1994/95 wurden von Kultusministerin Marianne Granz getroffen. In diesem Zeitraum ist nur ein vergleichsweise moderater Anstieg der Integrationsmaßnahmen zu verzeichnen. Da 1991 Schüler-Lehrer-Relationen an den Förderschulen angehoben wurden, um dadurch Förderschullehrer für die integrative Unterrichtung bereitstellen zu können, ist in diesem Zeitraum die auf den einzelnen behinderten Schüler entfallende Ambulanzlehrer-Wochenstundenzahl im Wesentlichen konstant geblieben. Zu einem erneuten signifikanten Anstieg der Zahl der Integrationsmaßnahmen kam es, nachdem nach der Landtagswahl am 16.10.1994 das Bildungsministerium und das Wissenschaftsministerium wieder unter der Führung von Breitenbach zusammengelegt worden waren. Obwohl während dieser Amtszeit Breitenbachs erneut Schüler-Lehrer-Relationen an den Förderschulen angehoben wurden,50 ist an den in den Spalten 4 und 5 der Tabelle aufgeführten Zahlen die stark fallende Tendenz des Quotienten aus insgesamt verfügbaren Ambulanzlehrer-Wochenstunden und massiv gestiegenen Fallzahlen abzulesen. Die weitere Entwicklung der Zahlen zeigt, dass unter den nachfolgenden Regierungen die angesichts der fehlenden personellen Ressourcen unter qualitativem Aspekt in vielen Fällen pädagogisch unverantwortliche Integrationspraxis in verstärktem Maße fortgesetzt wurde. 2. Nettoeffekt nach Abzug der Anrechnungsstunden Wie aus den Spalten 4 und 5 der vorstehenden Tabelle ersichtlich ist, muss hinsichtlich der zur Verfügung gestellten Ambulanzlehrer-Wochenstunden unterschieden werden zwischen Brutto- und Nettozahlen. Bei den Letztgenannten geht es

49 Zwar war es nach der Landtagswahl 28.1.1990 zu einem Wechsel an der Spitze des Kultusministerium von Diether Breitenbach (SPD) zu Marianne Granz (SPD) gekommen, doch waren bis zu deren faktischem Dienstantritt die Verfahren zur Entscheidung über integrative Unterrichtung bereits abgeschlossen bzw. in einem weit fortgeschrittenen Stadium, so dass die Kultusministerin auf die Zahl der neuen Integrationsmaßnahmen zum Beginn des Schuljahres 1990/91 nur noch wenig Einfluss hatte. 50 Siehe oben sub Kap. 7 C.

200

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

um die Frage, was an Ambulanzlehrer-Wochenstunden im Landesdurschnitt tatsächlich an sonderpädagogischer Förderung bei dem behinderten Kind ankommt („Netto-Zeit“). Hierzu sind die dem Ambulanzlehrer als Ausgleich für seinen Zeitaufwand bei den Dienstfahrten in die Schule des integrativ unterrichteten Kindes sowie für die Beratung mit dem Klassenlehrer gewährten Anrechnungsstunden von der Gesamtzahl der Ambulanzlehrer-Wochenstunden abzuziehen, die von der Landesregierung gemäß Spalte 3 der Tabelle angegeben werden. Im Einzelnen ergibt sich dies aus dem Folgenden: a) Anrechnungsstunden des Ambulanzlehrers für Zeitaufwand bei Dienstfahrten und Beratung Es wurde bereits dargelegt, dass der Kultusminister mit Rundschreiben an die Förderschulen vom 12.6.1989 eine nach der Dauer des wöchentlichen Fahraufwandes gestaffelte Anrechnung der Fahrzeit auf die von der Förderschullehrkraft zu erteilenden Pflichtstunden verfügt hat.51 Aus einem weiteren Rundschreiben des Kultusministers an die Förderschulen vom 29.5.1989 geht hervor, dass dem Ambulanzlehrer bei zieldifferenten Integrationsmaßnahmen der zeitliche Aufwand, den er für seine Beratung mit dem Klassenlehrer hat, mit einer Stunde wöchentlich auf seine Pflichtstundenzahl angerechnet wird.52 Hierzu heißt es auch in der Antwort der Landesregierung zu einer parlamentarischen Anfrage: „Die Arbeit von Lehrkräften an Schulen für Behinderte ist grundsätzlich nicht einfach. Bei Lehrkräften, die mit Teilen ihrer Stundenzahl in Integrationsmaßnahmen eingesetzt sind (Ambulanzlehrer), treten insbesondere Fahrzeiten und zusätzliche Beratungsaufgaben hinzu. Zur Durchführung von Integration ist dies unverzichtbar. Um den Ambulanzlehrern die Erfüllung dieser Aufgaben zu erleichtern, werden in bestimmten Maßnahmen Beratungsstunden und Fahrzeiten auf die Pflichtstunden angerechnet.“53 Dass sowohl dem Ambulanzlehrer wie dem Klassenlehrer in den Fällen zieldifferenter Unterrichtung eine Anrechnungsstunde für den Beratungs-

51

Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulen für Behinderte vom 12.6.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Fahrzeiten der in Integrationsmaßnahmen eingesetzten Lehrkräfte (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.); das Rdschr. ist dokumentiert in: Sander/Christ/Franck-Weber u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Jahresbericht 1989 aus dem Saarland, S. 354. 52 Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulen für Behinderte vom 29.5.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Beratungsstunden für Lehrkräfte in zieldifferenten Integrationsmaßnahmen (Hervorh. im Original), (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.); das RdSchr. ist dokumentiert in: A. Sander/Christ/Franck-Weber u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Jahresbericht 1989 aus dem Saarland, S. 352. 53 Antwort der Landesregierung zu den Fragen 57 und 58 der Großen Anfrage der CDULandtagsfraktion betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen, LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

201

aufwand gewährt wird, geht auch aus den Ausführungen des Beauftragten der Regierung in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes am 14.5.1998 hervor.54 b) Umfang der gewährten Anrechnungsstunden In dem Rundschreiben an die Förderschulen vom 29.5.1989 ist verfügt, dass „die Beratungsstunde in der Zahl der ausgewiesenen Ambulanzlehrerstunden enthalten sein [wird]. Die Förderausschüsse müssen daher in Zukunft bei ihrer unverbindlichen Empfehlung an die Schulaufsicht eine Beratungsstunde einkalkulieren.“55 In der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes am 14.5.1998 hat der Beauftragte der Regierung bestätigt, dass „dem Sonderschullehrer eine Beratungsstunde zur Verfügung [stehe], die Bestandteil des Kontingents sei.“56 Dementsprechend hat die Landesregierung bei ihren Angaben zur Gesamtzahl der Ambulanzlehrerstunden stets nur diese Bruttozahlen genannt. Das wird bestätigt durch die Antwort der Landesregierung zu der parlamentarischen Anfrage, in der die in den beiden nachstehenden Tabellen enthaltenen Zahlen mitgeteilt werden.57 Darin hat die Landesregierung auf die ausdrücklich hierzu gestellte Frage bestätigt, dass „in dieser Aufstellung die Anrechnungsstunden für Fahrzeiten und Beratungsstunden der Ambulanzlehrkräfte enthalten [sind].“ Die nachstehenden Tabellen machen für den Zeitraum der Schuljahre 1996/97, 1997/98 und 1998/99 sichtbar, wie viel Ambulanzlehrer-Wochenstunden (LWSt) pro Schüler, differenziert nach Behinderungen, bei der Einzel- oder Gruppenintegration in Regelklassen insgesamt zur Verfügung gestellt und wie viel Anrechnungsstunden für Fahrzeit und Beratung umgerechnet in Vollzeitlehrereinheiten (VZLE) gewährt wurden:58

54 Sitzungsniederschrift S. 7. Siehe auch Görgen, Integration behinderter Schüler im Saarland, SchulVerwaltung, Ausgabe Rheinland-Pfalz – Saarland, 1998, 75 (76). 55 Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulen für Behinderte vom 29.5.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Beratungsstunden für Lehrkräfte in zieldifferenten Integrationsmaßnahmen (Hervorh. im Original), (Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.); das RdSchr. ist dokumentiert in: Sander/Christ/Franck-Weber u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Jahresbericht 1989 aus dem Saarland, S. 352. 56 Sitzungsniederschrift S. 7. 57 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Jürgen Schreier (CDU) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Druck. 11/2021 vom 3.5.1999. 58 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Jürgen Schreier (CDU) betr. Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen, LT-Drucks. 11/2021 vom 3.5.1999.

202

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Behinderung

1996/97 LWSt

Lernbehinderung

1997/98

je Schüler LWSt

1998/99

je Schüler LWSt

je Schüler

1454,0

4,2

1466,5

3,4

1513,5

3,3

Geistige Behinderung

145,0

11,2

130,5

8,7

176,0

8,0

Körperbehinderung

245,5

4,1

405,5

4,6

367,0

4,5

Blindheit/Sehbehinderung

11,0

1,8

12,5

2,1

14,0

2,0

Gehörlos./Schwerhörigkeit

156,0

3,9

183,5

4,1

225,0

3,7

Sprachbehinderung

166,0

3,5

202,0

3,6

177,5

3,4

Erziehungshilfebedarf

243,5

4,5

378,5

3,9

307,5

3,8

Mehrfachbeeinträchtigung

192,5

5,2









Summe/durchschnittliche Ambulanzlehrerstunden

2613,5

4,06*

2779,0

3,54*

2780,5

3,47*

* Quotient aus den hier angegebenen LWSt und den in den hier zitierten Antworten der Landesregierung zu den parlamentarischen Anfragen LT-Drucks. 11/989 und 11/2022 angegebenen Zahl der Integrationsmaßnahmen. Die geringfügige Abweichung gegenüber den entsprechenden Werten in der am Beginn dieses Abschn. E stehenden Tabelle über die kontinuierliche Absenkung der Ambulanzlehrer-Wochenstunden je Schüler beruht auf divergierenden Angaben der Landesregierung in ihrer Antwort auf die jeweils zugrunde liegende parlamentarische Anfrage. Anrechnungsstunden auf die Pflichtstunden des Ambulanzlehrers für Fahrzeiten

für Beratung

Schuljahr

Stunden

in VZLE

Stunden

in VZLE

1996/97

69,5

2,6

244

9,2

1997/98

84,5

3,2

295

11,1

1998/99

53,0

2,0

330

12,5

Somit sind in den für die Schuljahre 1996/97, 1997/98 und 1998/99 ausgewiesenen Ambulanzlehrer-Wochenstunden in folgendem Umfang Anrechnungsstunden enthalten: Schuljahr 1996/97: 11,99 % Schuljahr 1997/98: 13,65 % Schuljahr 1998/99: 13,77 %. Im Durchschnitt dieser drei Jahre wurden 13,13 % der Ambulanzlehrer-Wochenstunden faktisch nicht als Unterricht für den behinderten Schüler erteilt, weil in diesem Umfang der zeitliche Aufwand des Ambulanzlehrers für dessen Dienst-

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

203

fahrten zu den allgemeinen Schulen und die Beratung mit dem Klassenlehrer abgegolten wurden. Was aufgrund der von der Landesregierung für diese drei Schuljahre mitgeteilten Zahlen errechnet wurde, kann auch auf alle übrigen Schuljahre bezogen werden, da sich insoweit an den Prämissen nichts Grundlegendes geändert hat. Bezogen auf die Zahlen des Schuljahres 2012/2013 bedeutet das, dass im Saarland bei der integrativen Unterrichtung pro Woche faktisch nur 1,67 Ambulanzlehrer-Wochenstunden pro behindertes Kind für dessen sonderpädagogische Förderung zur Verfügung standen. In einem Bericht der Saarbrücker Zeitung vom 7.11.2013 wird der Kultusminister in der Großen Koalition Ulrich Commerçon (SPD) mit folgender Äußerung in einer Rede vor der Mitgliederversammlung des Saarländischen Städte- und Gemeindetages am 4.11.2013 zum Thema „Gemeinsam geht Bildung besser“ wiedergegeben: „Beim Thema Inklusion bedauerte er, dass es derzeit nur 1,7 Förderschullehrerwochenstunden bei Integrationsmaßnahmen in Regelschulen gebe. Hier dürfe es kein ‚Weiter so‘ geben.“59 In der Rede hatte Commerçon die Abschaffung des sich aus dem Grundgesetz für den Schulbereich ergebenden Kooperationsverbots zwischen dem Bund und den Ländern (Artt. 30, 91b GG) gefordert, damit der Bund verfassungsrechtlich in die Lage versetzt werde, z. B. für die Inklusion im Schulbereich Geld zur Verfügung zu stellen.60 Die laut Zeitungsbericht von dem Kultusminister genannte Zahl von 1,7 Ambulanzlehrer-Wochenstunden pro Kind und pro Woche ist also nahezu deckungsgleich mit der in der vorliegenden Schrift ermittelten Zahl 1,67. Sollten allerdings in der in dem Zeitungsartikel berichteten Zahl 1,7, wie es dem oben Gesagten zufolge bei den diesbezüglichen Zahlenangaben des Kultusministeriums üblicherweise der Fall ist, die Anrechnungsstunden noch nicht abgezogen sein, dann würde sich bei dem Abzug der Anrechnungsstunden in Höhe von 13,13 % im Schuljahr 2013/14 eine Ambulanzlehrer-Wochenstundenzahl pro Kind und pro Woche von 1,48 ergeben.61

59 SZ Nr. 258 vom 7.11.2013, S. B 2, Commerçon: Kooperations-Verbot in Bildung „unbedingt“ abschaffen. 60 Commerçon, „Gemeinsam geht Bildung besser.“ Die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland, SKZ 2013, 219 (222). 61 Im Vorblatt, Abschnitt D. 1. (Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand), des Regierungsentwurfs (LT-Drucks.15/812 vom 12.3.2014) des am 25.6.2014 verabschiedeten Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 (Amtsbl. I S. 296), mit dem die inklusive Schule im Saarland eingeführt wurde, heißt es: „Durch die Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit anerkanntem sonderpädagogischen Förderbedarf können den anerkannten Integrationsmaßnahmen angesichts der enormen Personalknappheit beispielsweise in den Bereichen Lernen und Sprache in den Regelschulen gerade noch 1,5 bis zwei Lehrerwochenstunden für die Unterrichtserteilung durch ausgebildete Förderschullehrkräfte zugewiesen werden.“

204

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

In der vorliegenden Schrift soll es jedoch bei der Feststellung bleiben, dass im Saarland im Schuljahr 2012/2013 ein integrativ unterrichtetes behindertes Kind pro Woche im Landesdurchschnitt 1,67 Unterrichtsstunden durch einen Ambulanzlehrer an sonderpädagogischer Förderung erhielt. II. Integrationspraxis im Lichte des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 In § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1SchoG 1986 war geregelt, dass „im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln [sind].“ Dieser Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt war nicht Selbstzweck, sondern enthielt inzident die Postulierung jenes pädagogischen Qualitätsmaßstabes, den der Staat bei der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes zu beachten hat. Es wurde oben62 im Einzelnen dargelegt, welche personelle Zusatzausstattung bei der integrativen Unterrichtung erforderlich ist, wenn der Bildungsanspruch des behinderten Kindes erfüllt werden soll. Die in der am Anfang dieses Abschnitts E stehenden Tabelle ermittelten Durchschnittszahlen zur personellen Ausstattung der Integrationsmaßnahmen bleiben jedoch hinter dem, was pädagogisch erforderlich ist, weit zurück. Von dem unverzichtbaren Zwei-PädagogenSystem (durchgängige Doppelbesetzung) in allen Fällen zieldifferenter Unterrichtung sowie bei Schülern mit ausgeprägten sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen war und ist nichts zu sehen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass – im Rahmen dieser insgesamt höchst defizitären Personalausstattung – bei geistig behinderten oder stark verhaltensauffälligen Schülern eine relativ höhere, aber immer noch unzulängliche Stundenzahl eines Ambulanzlehrers bewilligt wird, dann vermittelt gerade dies eine Vorstellung von dem, was z. B. für die große Zahl der zieldifferent zu unterrichtenden Lernbehinderten noch an Ressourcen zur Verfügung steht. Diese Art von personeller Zusatzausstattung hat bei Licht besehen nur noch symbolischen Charakter. Wenn unter Berücksichtigung der spezifischen Bedarfe der einzelnen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte im Landesdurchschnitt und bezogen auf sämtliche sonderpädagogischen Förderschwerpunkte nur 1,67 Ambulanzlehrer-Förderstunden pro Kind und pro Woche zur Verfügung stehen, dann ist das eine Größenordnung, die unter dem Aspekt der pädagogischen Wirksamkeit fast vernachlässigt werden kann. Es liegt nahe, bei einer derart geringen sonderpädagogischen Förderung z. B. eines zieldifferent zu unterrichtenden behin-

62

Siehe sub Kap. 4 A. III. 2.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

205

derten Kindes nicht mehr von integrativer Unterrichtung, sondern von der Platzierung in der allgemeinen Schule zu sprechen. Angesichts dieses Befundes stellt man sich die Frage, ob die für diesen Zustand verantwortliche Landesregierung sich der Peinlichkeit bewusst war, als sie in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erklärte: „Eine Erhöhung der Lehrerwochenstundenzahl der Förderschullehrkräfte, die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht (Integration) unterstützen, ist wünschenswert.“63

F. Interventionen zur Fallzahl-Steuerung bei der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs I. Auseinanderentwicklung von Schülerzahlen und Fällen festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs Bei konstanten personellen Ressourcen wird die auf den einzelnen behinderten Schüler entfallende Wochenstundenzahl für die sonderpädagogische Förderung mit jedem Anstieg der Fälle integrativer Unterrichtung zwangsläufig geringer. Im Zuge dieser Entwicklung war ein bemerkenswertes Phänomen zu beobachten: Wenige Jahre nach Beginn der integrativen Unterrichtung im Saarland begann sich die Entwicklung der Zahl der Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf von der Entwicklung der Gesamtzahl der Schüler im Saarland abzukoppeln. Wie die nachstehende Tabelle zeigt, stieg die Zahl der Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf im Saarland von 1990/91 bis 1997/98 viermal so stark wie die Gesamtzahl der Schüler.64

63 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LTDrucks. 15/279 vom 14.12.2012. 64 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) betr. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Saarland, LT-Drucks. 11/1067 vom 14.1.1997; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Peter Hans (CDU) betr. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den Schulen im Saarland, LT-Drucks. 11/2023 vom 3.5.1999; Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der SPD-Landtagsabgeordneten Isolde Ries und Reiner Braun, LT-Drucks. 12/795 vom 18.12.2002; Statistisches Amt Saarland, Jahrbücher 1999 bis 2012; Statistisches Amt Saarland, Amtliche Schulstatistik, Berufliche Schulen; Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 1 (Allgemein bildende Schulen), Berichtsjahre 2001–2012, Tabelle 2/3 bzw. 1/2. Den Angaben über die Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ab dem Schuljahr 1985/86 liegt folgende Quelle zugrunde: Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 14, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013).

206

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund  Schuljahr

Zahl der Schüler an allgemein­ bildenden und beruflichen Schulen insgesamt (ohne die Schulkindergärten und die Schulen des Gesundheitswesens) absolut

Differenz gegenüber Vorjahr in %

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf

absolut

Differenz gegenüber Vorjahr in %

1984/85

165.380

4174

1985/86

158.073

–4,4

3625

–13,0

1986/87

152.534

–3,5

3380

–6,8

1987/88

147.962

–3,0

3189

–5,7

1988/89

144.441

–2,4

2997

–6,0

1989/90

142.052

–1,7

2937

–2,0

1990/91

141.993

–0,04

2981

+1,5

1991/92

142.272

+0,2

3070

+3,0

1992/93

144.485

+1,6

3279

+6,8

1993/94

146.685

+1,5

3382

+3,1

1994/95

148.231

+1,1

3444

+1,8

1995/96

149.944

+1,2

3667

+6,5

1996/97

152.527

+1,7

3901

+6,4

1997/98

155.009

+1,6

4132

+5,9

1998/99

155.960

+0,6

4127

–0,1

1999/00

156.812

+0,6

4252

+3,0

2000/01

156.811

0,0

4491

+5,6

2001/02

156.766

–0,03

4709

+4,9

2002/03

156.420

–0,2

4996

+6,1

2003/04

155.783

–0,4

5175

+3,6

2004/05

154.470

–0,8

5270

+1,8

2005/06

152.577

–1,2

5308

+0,7

2006/07

150.371

–1,4

5335

+0,5

2007/08

147.271

–2,1

5356

+0,4

2008/09

144.606

–1,8

5411

+1,0

2009/00

139.218

–3,7

5552

+2,6

2010/11

135.614

–2,6

5722

+3,1

2011/12

134.300

–1,0

5963

+4,2

2012/13

129.957

–3,2

6274

+5,2

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

207

II. Gründe für die Disproportionalität der Entwicklung 1. Allgemeine Entwicklungsfaktoren Als einer der Gründe für diese Entwicklung lässt sich gewiss anführen, dass aufgrund der Leistungsfähigkeit der Medizin die Überlebenschance von Kindern mit Behinderungen deutlich gestiegen ist. Weitere Entwicklungsfaktoren allgemeiner Art kommen hinzu: So zeichnete sich in der Schulpraxis bereits Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ein deutlicher Anstieg der Zahl der Schüler mit Sprachbehinderungen und mit ausgeprägten Verhaltensstörungen ab; die Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit hat die damaligen Beobachtungen bestätigt. Erfahrungsgemäß handelt es sich dabei häufig um Schüler, bei denen auch eine Lernbehinderung vorliegt. Mediale Überforderung der Kinder, Mangel an aktiver Kommunikation in der Familie und ein insgesamt anregungsarmes familiäres Umfeld sind hier zu nennen. Sie haben ihren Grund in der strukturellen Überforderung vieler Familien, die manche sogar von einer Erosion der Familie sprechen lässt. 2. Schulspezifische Faktoren a) Innerschulische Motive Dass die genannten Faktoren, so gewichtig sie sind, jedoch nicht der alleinige Grund für die aus der Tabelle abzulesende Entwicklung sein können, wird an einer auffallenden Parallelität erkennbar: Das überproportionale Anwachsen der Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ging einher mit der Einführung und dem Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland seit 1985. Dieses Phänomen ist auch in anderen Bundesländern anzutreffen. Die Lehrkräfte an den allgemeinen Schulen hatten realisiert, dass ihrer Schule für integrativ unterrichtete Schüler zusätzliche Lehrerstunden zugewiesen werden („Ressourcenbeschaffung“). Im Zuge dieser Entwicklung ist ein gewisser Verlust an Trennschärfe im Hinblick auf die Hilfsbedürftigkeit der Schüler festzustellen. Es wurde und wird nicht mehr mit hinreichender Deutlichkeit unterschieden zwischen dem begriffsnotwendig eine Behinderung voraussetzenden „sonderpädago­ gischen Förderbedarf“ im Sinne von Heilpädagogik und einem „besonderen Förderbedarf“ bei Lernschwierigkeiten, wie sie bei Schülern an der allgemeinen Schule gemeinhin auftreten.65 Die Aussicht auf „Ressourcenbeschaffung“ blieb nicht ohne Einfluss auf die Bereitschaft der allgemeinen Schule, Schüler für eine Integrationsmaßnahme anzumelden bzw. vorzuschlagen. Dieser Mechanismus spiegelt sich auch in der Analyse von Görgen, damals Referent und später Leiter 65

Siehe hierzu oben sub Kap. 2 D. III.

208

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

des Referates „Förderschulen und schulische Integration/Inklusion“ im Kultusministerium des Saarlandes: „Eine Erklärung für den überproportionalen Anstieg ist sicherlich, dass die Aussicht, durch einen Integrationsantrag zusätzliche Förderstunden beschaffen zu können, die Hemmschwelle senkt, einen Schüler zur Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderbedarf zu melden. Es besteht ja kaum die Gefahr, dass der gemeldete Schüler die Schule verlassen muss […]. Die Einführung integrativer Organisationsformen hat offensichtlich zu einem Anstieg der Quote von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf geführt. Sie hat nicht die erwartete Reduzierung der Sonderschulbesuchsquote gebracht […].“66

Bleidick bezeichnet das hier beschriebene Phänomen zutreffend als „Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma“. Das hängt zusammen mit der Ambivalenz von Behinderungsbegriffen: „Sie bedeuten Vorteil, Schutz und Hilfe, und zugleich etikettieren sie durch die Verleihung eines diskriminierenden Status. Der sozialrechtliche Impetus sollte bei aller Kritik im Namen des Stigma-Konzeptes aber nicht unterschlagen werden. Der finale – zum Zweck der persönlichen Hilfe zugeschriebene – Begriff der Behinderung dient ‚als gesetzes- und verwaltungstechnischer Begriff zu verteilungspolitischen Zwecken‘ […].“67 Dies ist kein spezifisch deutsches Phänomen, es ist auch in anderen Ländern zu beobachten. b) Veränderte Einstellungen und Erwartungen der Eltern Der tiefere Grund für die beschriebene Verhaltensweise der Schule dürfte darin zu sehen sein, dass viele Eltern in ihrem unbedingten Erfolgswillen nachdrücklicher als in der Vergangenheit von der Schule entsprechende „individuelle Förderung“ ihres Kindes verlangen, zumal die Bildungspolitiker sich inzwischen darin überbieten, jedem Kind „individuelle Förderung“ zu versprechen. Gerade die Einführung integrativer/inklusiver Unterrichtung hat, worauf Rux/Ennuschat zutreffend hinweisen, die Interessenlage verändert: „Ging es den Betroffenen früher häufig darum, eine Überweisung in die Förder- oder Sonderschule zu verhindern, kommt dem Verfahren heute unter Umständen entscheidende Bedeutung für die Durchsetzung des Anspruchs auf sonderpädagogische Förderung innerhalb der allgemeinen Schule zu.“68

66 Görgen, Integration behinderter Schüler im Saarland, SchulVerwaltung, Ausgabe Rheinland-Pfalz – Saarland 1998, 75 (76). 67 Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (334). 68 Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 47.

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

209

III. Handlungsbedarf 1. Manifeste Probleme Die durchschnittliche personelle Ausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahmen war im Schuljahr 1997/98 auf ein so niedriges Niveau gefallen, dass sich nunmehr auch öffentlich vernehmbarer Unmut breit zu machen begann.69 Dass die Situation nahezu unbeherrschbar geworden war, hatte Henner Wittling (SPD), der im September 1996 Nachfolger von Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) wurde, ziemlich schnell erkannt. Wittling machte aus seiner realistischen Einschätzung der Entwicklung kein Hehl, wie seine Ausführungen in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 29.4.1998 zeigen: „Das Erschreckende ist aber das Maß dessen, in dem der Durchschnitt überschritten wird, nämlich um ein Mehrfaches der Schülerzahl, wie sie sich im allgemeinen entwickelt hat.“70 2. Steuerungsversuch im Diagnoseverfahren Wittling ging realistisch und pragmatisch an die Dinge heran; an einer ideologiegetriebenen Schulpolitik war er nicht interessiert. Sein Ziel war es, den überproportionalen Anstieg der Zahl der Fälle mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu stoppen. Hierzu sollte  – diplomatisch formuliert  – im Rahmen einer verbesserten Kommunikation zwischen Schulaufsichtsbeamten, Schulleitern und den für die Erstattung des sonderpädagogischen Gutachtens zuständigen Förderschullehrern das Problembewusstsein geschärft und auf diese Weise Einfluss auf die Entwicklung genommen werden. Man hatte dabei auch die Gutachtenpraxis der Förderschullehrer im Auge: Wenn ihr Gutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs (erste Stufe des Verfahrens) führt, nehmen sie unzuständigerweise häufig auch bereits Empfehlungen über den Förderort (zweite Stufe des Verfahrens) in ihr Gutachten auf, z. B. zugunsten integrativer Unterrichtung in der allgemeinen Schule. Dadurch schaffen sie sowohl im Hinblick auf die Erwartungs 69

So äußerte eine Schulrätin im Rahmen einer Podiumsdiskussion anlässlich des „Europaweiten Protesttages für die Gleichstellung behinderter Menschen“ am 5.5.1997 in der Modernen Galerie in Saarbrücken in Anwesenheit der SPD-Landtagsabgeordneten Isolde Ries und der CDU-Landtagsabgeordneten Monika Bachmann sinngemäß: Das Ministerium habe den Schulräten Anweisung gegeben, lernbehinderten Kindern in Integrationsmaßnahmen nicht mehr als 2,4 Förderstunden zuzuteilen. Damit sähen die Schulräte sich nicht in der Lage, Neuanträge auf Integration positiv zu bescheiden. Diese öffentliche Wortmeldung der Schulrätin wurde von der Abgeordneten Monika Bachmann in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2353, aufgegriffen. Es ist nichts davon bekannt, dass das Kultusministerium die sachliche Richtigkeit der Aussage der Schulrätin bestritten hat. Während der Plenarsitzung kam es vor dem Landtag zu einer Demonstration von Eltern mit ihren behinderten Kindern, SZ Nr. 217 vom 18.9.1997, S. 4, Integration bleibt heißes Thema. 70 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2947.

210

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

haltung der Eltern als auch hinsichtlich der Stimmungs- und Beschlusslage im Förderausschuss sowie der Entscheidungsdisposition des Schulaufsichtsbeamten psychologisch wichtige Fakten. Eine förmliche Kontingentierung der politisch erwünschten Zahl der Fälle mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf durch numerische ministerielle Vorgaben sollte damit gewiss nicht verfügt werden, obwohl die innerdienstlich hierzu ergangenen Verlautbarungen nicht weit davon entfernt waren. Eine solche Vorgabe wäre auch in rechtlicher Hinsicht nicht haltbar, weshalb sich das Kultusministerium wohlweislich gehütet hat, hierzu eine explizite schriftliche Anordnung zu treffen.71 Denn die Entscheidung darüber, ob sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt, trifft die Schulaufsichtsbehörde ausschließlich unter schulfachlichem Gesichtspunkt im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens, und zwar auf der Grundlage eines von einem Förderschullehrer erstatteten sonderpädagogischen Gutachtens. An dem Verfahren sind erforderlichenfalls auch der schulärztliche und der schulpsychologische Dienst zu beteiligen. Die Zuständigkeit des Schulaufsichtsbeamten72 würde unterlaufen, wenn er bei der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs numerische Vorgaben des Kultusministers zu berücksichtigen hätte. Kultusminister Wittling war sich bei der Vorbereitung und Einleitung seiner Maßnahmen offensichtlich bewusst, dass er mit dieser Entscheidung den Verfechtern der Fortsetzung des bisherigen Ausbautempos bei der integrativen Unterrichtung in der SPD-Landtagsfraktion, in der Partei und den ihr nahe stehenden Institutionen und Organisationen den Fehdehandschuh hingeworfen hatte. Das dürfte für 71 Vgl. hierzu die Ausführungen des Staatssekretärs im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft Rüdiger Pernice in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes am 14.5.1998, Sitzungsniederschrift S. 12, auf die Frage des Abgeordneten Peter Hans (CDU), „ob es in der Folge der Kabinettsvorlage, die der Ministerrat zur Kenntnis genommen habe, irgendwelche Schreiben an die Schulräte gebe, wie in Zukunft zu verfahren sei“: „Staatssekretär Dr. Pernice antwortet, es gebe keinerlei Schreiben an Bedienstete im Sinne einer Weisung, daß diese sich bei der Entscheidung über sonderpädagogischen Förderbedarf an die Entwicklung der Schülerzahlen im allgemeinbildenden Bereich zu halten hätten. Unabhängig davon sei die Problematik mit den Beteiligten erörtert worden. Es habe Schulleiterdienstbesprechungen, Schulrätedienstbesprechungen gegeben, in denen die Gesamtproblematik diskutiert worden sei, auch die Tatsache, daß in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen sei und daß im Interesse der Kinder der sonderpädagogische Förderbedarf sorgfältig festzustellen sei, und zwar – er wiederhole dies – in beide Richtungen.“ Jürgen Schreier (CDU) kommentierte die Intervention des Kultusministeriums wie folgt, Sitzungsniederschrift S. 10: „Auch wenn die Landesregierung sich darauf berufe, daß kein neuer Parameter eingeführt werde, daß die bisherigen Kriterien Anwendung fänden, so stehe doch außer Frage, daß in dem Moment, wo der Schüleranstieg als Orientierungsrahmen vorgegeben sei, vor Ort auch danach gehandelt werde. Schließlich werde die Entscheidung von Beamten der Landesregierung getroffen. Von daher bedürfe es keiner schriftlichen Festlegungen; dies funktioniere unterschwellig.“ 72 Vgl. § 53 Abs. 1 SchoG: „Die Fachaufsicht wird durch hauptamtlich tätige Beamtinnen und Beamte ausgeübt. Sie müssen fachlich vorgebildet sein und sich im Schuldienst bewährt haben.“

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

211

ihn der Grund gewesen sein, sich für diese Intervention der Rückendeckung des Kabinetts zu versichern. Der Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft Rüdiger Pernice hat in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes am 14.5.1998 bestätigt, „der Minister habe Anfang des Jahres eine Unterrichtungsvorlage für das Kabinett erstellt. Diese Vorlage sei im Sinne einer Information im Kabinett zur Kenntnis genommen worden. Es gebe aber keinen förmlichen Beschluß im Hinblick auf die Festlegung irgendwelcher Parameter, an die der Minister gebunden wäre.“73 Der Opposition war die Intervention der Regierung zur Vermeidung einer weiteren, längst unverantwortlichen Expansion der Integrationsmaßnahmen nicht entgangen. Nachdem die CDU-Land­tagsfraktion die Zustände bei der integrativen Unterrichtung im Saarland erstmals in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997 zum Gegenstand einer Parlamentsdebatte gemacht hatte,74 löste sie mit dem Antrag „betr. Fehlentwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung“75 eine weitere Plenardebatte zu diesem Thema am 29.4.199876 aus. In dem Antrag „[wird] der Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft aufgefordert, seine Absicht aufzugeben, den Gesamtanstieg im Bereich der sonderpädagogischen Förderung an die erwartete allgemeine Entwicklung der Schülerzahlen anzugleichen.“77 Kultusminister Henner Wittling (SPD) war zuvor in der Saarbrücker Zeitung wie folgt mit einer Äußerung in der Landespressekonferenz wörtlich zitiert worden: Es solle der „Gesamtanstieg im Bereich der sonderpädagogischen Förderung an die erwartete allgemeine Entwicklung der Schülerzahlen angeglichen werden.“78 In der Landtagsdebatte war Wittling bemüht, dem Eindruck entgegenzuwirken, er habe numerische Vorgaben gemacht; vielmehr gehe es nur um eine „Orientierung“ an der allgemeinen Entwicklung der Schülerzahlen.79 In der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Landtags des Saarlandes am 14.5.1998 hielt die Abgeordnete Monika Bachmann (CDU) der Landesregierung vor: „Die Vorlage im Kabinett habe gelautet, den Gesamtanstieg im Bereich der sonderpädagogischen Förderung an die erwartete allgemeine Entwicklung der Schülerzahlen anzugleichen.“80 Sie warf der Regierung vor, mit dem Kriterium der zu wahrenden Proportionalität zwischen der Entwick 73

Sitzungsniederschrift S. 2. Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2352 ff. 75 LT-Drucks. 11/1647 vom 23.4.1998. 76 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2941 ff. 77 LT-Drucks. 11/1647 vom 23.4.1998. 78 SZ Nr.  67 vom 20.3.1998, S.  4, Zum Nutzen der Integration Behinderter. Wittling hat diese Aussage in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 29.4.1998, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2947, im Prinzip bestätigt, wobei er die Formulierung wählte, dass sich „der Gesamtanstieg in der sonderpädagogischen Förderung künftig an der erwarteten allgemeinen Entwicklung der Schülerzahlen orientieren soll.“ 79 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2948. 80 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft am14.5.1998, Sitzungsniederschrift S. 6. 74

212

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

lung der Schülerzahlen und der Zahl der Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf den Schulräten als den damals zuständigen Schulaufsichtsbeamten ein sach- und rechtswidriges Entscheidungskriterium aufzuzwingen. Sie konnte sich dabei auf § 9 Abs. 1 Satz 1 IntVO berufen, wo es heißt: „Die Schulaufsichtsbehörde trifft ihre Entscheidung über den Antrag auf integrative Unterrichtung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, die nach dieser Verordnung für eine integrative Unterrichtung relevant sind.“ In der Integrations-Verordnung aber ist eine unmittelbare Korrelation zwischen der Zahl der Integrationsentscheidungen und der Entwicklung der Gesamtschülerzahl als Entscheidungskriterium für die Bewilligung bzw. Verweigerung integrativer Unterrichtung nicht normiert. Die Opposition sah sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass ein ungeachtet der beschränkten Ressourcen immer weiter vorangetriebener Ausbau der integrativen Unterrichtung in eine Sackgasse führen musste. Für diese Entwicklung sollte nach dem Willen der Opposition die politische Verantwortlichkeit sichtbar gemacht werden, und zwar möglichst an oberster Stelle. Nur so ist es zu erklären, dass die Opposition sich auf die konkrete Formulierung des protokollierten Kabinettsbeschlusses konzentrierte. Nachdem der Beauftragte der Regierung zu dieser Frage in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 6.5.1998 keine die Opposition zufriedenstellende Antwort gegeben hatte, beantragte diese eine Sondersitzung des Ausschusses; sie fand am 14.5.1998 statt. Nach mehreren hartnäckigen Fragen des Abgeordneten Peter Hans (CDU), ob das Kabinett die Ministerratsvorlage „zustimmend zur Kenntnis genommen“ oder nur „zur Kenntnis genommen“ habe,81 lautete die Antwort des Staatssekretärs im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft Rüdiger Pernice schließlich: „Das Protokoll über die Kabinettsvorlage, fügt Staatssekretär Dr. Pernice auf Nachfrage des Abgeordneten Hans (CDU) hinzu, vermerke lediglich ‚Kenntnisnahme des Ministerrates‘, ohne Einwendungen einzelner Mitglieder. Er weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es verschiedene Beschlußfassungen gebe; es gebe eine Beauftragung des Ministers, es gebe eine zustimmende Kenntnisnahme und es gebe eine Kenntnisnahme. Die beiden ersten Beschlußlagen hätten eine bindende Wirkung für das Ressort, aus der bloßen Kenntnisnahme leite sich wiederum nichts ab.“82 Die Hartnäckigkeit der Opposition legt die Vermutung nahe, dass ihr verlässliche Informationen vorlagen, denen zufolge sie davon ausging, dass der Beschlussvorschlag in der Kabinettsvorlage „nimmt zustimmend zur Kenntnis“ gelautet hatte, während nach der Aussage des Staatssekretärs „der Beschlußvorschlag des Ministeriums […] auf Kenntnisnahme gelautet [habe], und dem habe der Ministerrat entsprochen.“83 Aus der Sicht der Opposition dürfte die von ihr 81 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 14.5.1998, Sitzungsniederschrift S. 2 f. 82 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 14.5.1998, Sitzungsniederschrift S. 3. 83 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 14.5.1998, Sitzungsniederschrift S. 3

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

213

in den Raum gestellte Frage nach der Diskrepanz zwischen einem Beschlussvorschlag „nimmt zustimmend zur Kenntnis“ und der Protokollierung des Beschlusses mit „nimmt zur Kenntnis“ ihren Grund in folgender Erwägung gehabt haben: Niemand sollte die politische Letztverantwortung des Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine für eine in Angelegenheiten behinderter Kinder gewiss nicht populäre Entscheidung behaupten können. 3. Erfolglosigkeit der Intervention a) Verstärkte Fortsetzung der disproportionalen Entwicklung Zwar ist aus der obigen Tabelle ersichtlich, dass im Schuljahr 1998/99 die Zahl der Fälle festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs gegenüber dem Vorjahr um 0,1 % zurückging. Diese geringfügige Trendkorrektur beruhte höchstwahrscheinlich auf der von Kultusminister Henner Wittling (SPD) initiierten Intensivierung der Überzeugungsarbeit im Dialog zwischen Schulaufsichtsbeamten, Schulleitern und begutachtenden Förderschullehrern. Doch war diese Trendkorrektur nicht nachhaltig. In der Folgezeit hat sich bei der Entwicklung der Schülerzahl und der Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Schere immer weiter geöffnet. So ist im Zeitraum zwischen 1985/86 und 2012/13 die Gesamtzahl der Schüler im Saarland von 158.073 auf 129.957, d. h. um 17,8 % zurückgegangen. In demselben Zeitraum ist die Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf von 3625 auf 6274 gestiegen, d. h. um 73 %. Stellt man auf die der ländervergleichenden Statistik zugrunde liegende sog. Förderquote ab, d. h. auf den Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im vollzeitschulpflichtigen Alter (Jahrgangsstufen 1 bis 10), so weist das Saarland mit 8,1 % im Schuljahr 2013/14 den zweithöchsten Wert unter den westlichen Bundesländern auf.84 Im Jahr 2013 kam der Kultusminister in der Großen Koalition Ulrich Commerçon (SPD) nicht umhin, festzustellen: „In den vergangenen zehn Jahren ist [sic!] die Anzahl der Meldungen und die daraus resultierenden Anerkennungen des sonderpädagogischen Förderbedarfs massiv angestiegen […]. Gleichzeitig ist die Zahl der Kinder, die Förderschulen besuchen, trotz sinkender Schülerzahlen saarlandweit nahezu konstant geblieben.“85

84

Klemm, Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 42, Tabelle 9. Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 4, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 85

214

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

b) Erneuter und expliziter Versuch der Zugangssteuerung Angesichts der soeben geschilderten Entwicklung kann es nicht überraschen, dass die politischen Akteure den Gedanken einer „Zugangssteuerung“ in der Folgezeit erneut aufgegriffen haben. Allerdings hat man es dieses Mal nicht mit einer pädagogisch verbrämten, sondern mit einer explizit fiskalischen Zielsetzung zu tun. Denn im Jahr 2011 hat sich eine hochrangig besetzte Haushaltsstrukturkommission, der u. a. der damalige Ministerpräsident Peter Müller (CDU) angehörte, mit Einsparmöglichkeiten zum Zweck der Haushaltskonsolidierung befasst. In ihrem Bericht spricht sie von einer „nicht hinreichenden Zugangssteuerung“ zur sonderpädagogischen Förderung und befürwortet ausdrücklich „eine objektive und effektive Zugangskontrolle“. Im Klartext: Als eine der Optionen zur Haushaltskonsolidierung fordert sie einen Stellenabbau im Bereich der sonderpädagogischen Förderung.86 Sollte für diese Pläne die Annahme maßgeblich gewesen sein, dass der Anstieg der Förderquote ausschließlich oder auch nur überwiegend mit den oben dargestellten Motiven auf Seiten der Schulen und der Eltern zu erklären sei, dann wäre man einem Irrtum erlegen. Tatsache ist vielmehr, dass es insbesondere bei den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und soziale und emotionale Entwicklung zu einem realen Anstieg der Zahl der Behinderungen gekommen ist. Für finanzpolitisch motivierte Versuche einer technokratischen, d. h. nicht pädagogisch motivierten „Zugangssteuerung“ zur sonderpädagogischen Förderung besteht kein rechtfertigender Grund. c) „Problemlösung“ durch Abschaffung des Diagnoseverfahrens Es ist sicherlich nicht nur wissenschaftliche Neugier, sondern auch unüberhörbarer Ausdruck einer gewissen Skepsis, wenn Bleidick anmerkt: „Man darf gespannt sein, wie die Schulverwaltungen in der Handhabung des Förderbedarfs anstelle der Diagnose Behinderung aus dem Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma herausfinden werden.“87 Bereits an dieser Stelle ist auf die „Lösung“ des Problems hinzuweisen, welche mit dem radikalen Konzept der inklusiven Schule versprochen wird: Durch Abschaffung der ersten, die Diagnostizierung sonderpädagogischen Förderbedarfs betreffenden Phase des bisherigen Verfahrens insbesondere bei den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und soziale und emotionale Entwicklung unterbleibt die rechtzeitige Identifizierung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

86

Saarland, Haushaltsstrukturkommission, Analyseergebnisse aus der Haushaltsstruk­tur­ kom­mission des Saarlandes. Konsolidierungspotentiale im Ländervergleich, S. 29. Siehe hierzu Näheres unten sub Kap. 12 B. II. 1.  87 Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (336).

7. Kap.: Pädagogische Qualität integrativer Unterrichtung

215

Die pädagogischen und rechtlichen Gründe, die gegen den Wegfall des bewährten Diagnoseverfahrens sprechen, liegen auf der Hand. Ein behindertes Kind hat den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung von seinem ersten Schultag an. Solange seine sonderpädagogische Förderungsbedürftigkeit nicht explizit, d. h. als Ergebnis eines seriösen und formalisierten Verfahrens festgestellt ist, besteht die konkrete Gefahr, dass ihm die behinderungsadäquate Förderung und damit die Erfüllung seines Bildungsanspruchs vorenthalten werden.

Kapitel 8

Staatliche Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs integrativ unterrichteter behinderter Kinder und Jugendlicher Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

A. Fallzahlen als „Erfolgs“-Kriterium Die Regierung Lafontaine hat in ihren Erfolgsbilanzen stets hervorgehoben, dass mit der von ihr eingebrachten Schulgesetznovelle vom 4.6.19861 der Gedanke der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern erstmals in einem Bundesland gesetzlich verankert worden war. Dadurch wurde die Entschlossenheit zur Umsetzung eines sonderpädagogischen Perspektivenwechsels auch bundesweit sichtbar gemacht. An dieser Stelle ist der Wortlaut des § 4 Abs. 1 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung2 erneut in Erinnerung zu bringen: (1) 1Der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform umfasst grundsätzlich auch die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf. 2Daher sind im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln; das Nähere regelt die Schulaufsichtsbehörde durch Rechtsverordnung.

Es schien auf Verantwortungsbewusstsein und Augenmaß bei den politisch Verantwortlichen hinzudeuten, dass ein expliziter Möglichkeits- bzw. Ressourcen­ vorbehalt als integraler Bestandteil dieser gesetzlichen Grundsatzentscheidung normiert wurde. Entgegen dieser gesetzlichen Regelung und beschwichtigenden Erklärungen von offizieller Seite im Rahmen des damaligen Gesetzgebungsverfahrens3 hat man jedoch im Saarland, wo bis dahin kein einziger Schulversuch explizit zu diesem integrativen Ansatz stattgefunden hatte, nicht das Ergebnis eigener Schulversuche abwarten wollen. In Wirklichkeit war das weitere Vorgehen von Beginn an als reguläre Aufgabe mit dem Ziel flächendeckender Implementierung angelegt. 1 Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986 (Amtsbl. S. 477). 2 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 1. 3 Siehe hierzu oben sub Kap. 1 B. I. 1. sowie die Aussagen von Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) zu dem der integrativen Unterrichtung im Saarland zugrunde liegenden Prinzip der Kostenneutralität sub Kap. 1 B. III.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

217

Das zeigen die von Anfang an rasant wachsenden Fallzahlen integrativer Unterrichtung, insbesondere der von den Initiatoren als „Herzstück“4 dieses Konzeptes bezeichneten zieldifferenten Integration. Die Zahlen zeigen aber auch, dass dieser Vorgehensweise ein bereits nach kurzer Zeit mit dem Erfordernis pädagogischer Seriosität kollidierendes Verständnis des in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts zugrunde lag. Bei der Bewertung dieser Handlungsweise hat man in Rechnung zu stellen, dass es sich hier nicht nur um ein pädagogisches, sondern zumindest in gleichem Umfang auch um ein bildungspolitisches Projekt mit weit über den sonderpädagogischen Bereich hinaus reichender Zielsetzung handelte. Insoweit war es ein Interesse der Landesregierung, die Öffentlichkeit vom Erfolg ihrer diesbezüglichen Anstrengungen unterrichten zu können. Hierbei ist nach den Gesetzen professioneller Öffentlichkeitsarbeit das spezifische Gewicht von Zahlen im Prozess der kommunikativen Beeindruckung weitaus höher zu veranschlagen als eine differenzierte Darlegung sachlicher Strukturen und Zusammenhänge. Es überrascht also nicht, wenn die in jedem einzelnen Fall, d. h. für jedes inte­ grativ unterrichtete behinderte Kind zu stellende Frage nach der h­ eilpädagogischen Qualität seiner integrativen Unterrichtung von der Landesregierung – zurückhaltend formuliert – nicht in den Vordergrund gestellt wurde. Das zeigte sich nicht zuletzt dann, wenn Regierungsmitglieder auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt darum bemüht waren, ihren ganz persönlichen Anteil an dieser angeblich positiven Entwicklung sichtbar zu machen. Bekanntlich hatte die von 1990 bis 1994 (10. Wahlperiode) amtierende Bildungsministerin Marianne Granz (SPD) die unter ihrem Vorgänger Diether Breitenbach (SPD) betriebene massive Expansion der Zahl der Integrationsmaßnahmen wegen nicht vorhandener personeller Ressourcen deutlich eingedämmt, was ihr innerhalb ihrer Partei und dieser nahestehenden Organisationen harte Kritik eintrug.5 Kultusminister Breitenbach hat, nachdem das Ministerium für Bildung und das Ministerium für Wissenschaft und Kultur nach der Landtagswahl vom 16.10.1994 wieder unter seiner Führung zusammengelegt worden waren, die Zahl der Integrationsmaßnahmen erneut signifikant gesteigert.6 Sein Verdienst bzw. seine Verantwortlichkeit für diesen erneut rasanten Anstieg der Fallzahlen brachte Breitenbach in seinem Beitrag zu einem Sammelband zum Ausdruck, indem er das dort abgebildete Säulendiagramm zu den jährlichen Steigerungen mit folgenden Worten begleitete: „Von zunächst 3 Integrationsschülern im Jahr 1985/86 stieg die Zahl kontinuierlich bis 1990/91 auf 317 an, stagnierte in der 10. Legislaturperiode (in der 4

Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (83). 5 Siehe oben sub Kap. 7 A. 6 Siehe oben sub Kap. 7 E. I. 1.

218

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

ich nicht die Verantwortung für die Schulen hatte) und erfuhr dann in den beiden Jahren 1995/96 und 1996/97 erneut einen raschen Zuwachs.“7 Es war die Statistik der Entwicklung der Fallzahlen, mit der Breitenbach an der betreffenden Stelle mit Blick auf „die Entwicklung des saarländischen Modells der Integrations­ pädagogik über die vergangenen 25 Jahre“ den „Erfolg“ der diesbezüglichen Aktivitäten begründete.

B. Pädagogischer Maßstab: Qualitätssicherung I. Bildungsanspruch und schulische Realität An dieser Stelle soll noch einmal die Zahl in Erinnerung gebracht werden, welche für die pädagogisch hoch defizitäre Situation der integrativen Unterrichtung im Saarland steht:8 Im Schuljahr 2012/13 waren es im Landesdurchschnitt gerade einmal 1,67 Ambulanzlehrer-Wochenstunden,9 die einem behinderten Schüler pro Woche10 an sonderpädagogischer Förderung erteilt wurden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass – im Rahmen dieser insgesamt höchst defizitären Personalausstattung – bei geistig behinderten oder stark verhaltensauffälligen Schülern eine relativ höhere, aber immer noch unzulängliche Stundenzahl eines Ambulanzlehrers bewilligt wird, dann vermittelt gerade dies eine Vorstellung von dem, was z. B. für die große Zahl der zieldifferent zu unterrichtenden lernbehinderten Schüler noch an Ressourcen übrig bleibt. So hat die Landesregierung eingeräumt: „Durch die Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit anerkanntem sonderpädagogischen Förderbedarf können den anerkannten Integrationsmaßnahmen angesichts der enormen Personalknappheit beispielsweise in den Bereichen Lernen und Sprache in den Regelschulen gerade noch 1,5 bis zwei Lehrerwochenstunden für die Unterrichtserteilung durch ausgebildete Förderschullehrkräfte zugewiesen

7

Breitenbach, Gefährten auf dem Weg zur gemeinsamen Schule, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 11 (17 f.). Der Sammelband war aus Anlass des 60. Geburtstags von Alfred Sander erschienen, der maßgeblichen Anteil an der wissenschaftlichen Begleitung des Ausbaus der integrativen Unterrichtung unter Kultusminister Diether Breitenbach hatte; Näheres hierzu siehe unten sub Kap. 9. Nachfolger von Breitenbach wurde im September 1996 Henner Wittling (SPD). 8 Im Übrigen wird hinsichtlich der Diskrepanz zwischen den Erfordernissen aus dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes und dem diesbezüglichen Realbefund bei der integrativen Unterrichtung in der Schulpraxis im Saarland vollinhaltlich Bezug genommen auf die Ausführungen sub Kap. 3, 4 und 7.  9 Siehe Spalte 5 der oben sub Kap. 7 E. I. am Anfang abgebildeten Tabelle. 10 Vgl. hierzu Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (175): „Einem behinderten Kind ist ja ‚mit einem bisschen Sonderförderung‘ jeden Tag keineswegs ausreichend geholfen, weil es auch außerhalb etwaiger spezieller Förderzeiten und außerhalb sonderpädagogisch begleiteter Unterrichtsstunden besonderer Hilfen bedarf.“ (Hervorh. d. Verf.).

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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werden.“11 Von dem bei pädagogisch seriöser Betrachtungsweise unverzichtbaren Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) in allen Fällen zieldifferenter Unterrichtung sowie bei der integrativen Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen ist im Saarland ohnehin nichts zu sehen. II. Evidenz des Qualitätsdefizits Mit einer einzigen Frage lässt sich die pädagogisch-qualitativ defizitäre Situation der integrativen Unterrichtung im Saarland zur Evidenz bringen: Was geschieht in pädagogischer Hinsicht mit einem in einer Regelklasse der allgemeinen Schule zusammen mit nichtbehinderten Schülern zu unterrichtenden behinderten Kind, das laut Stundentafel in der Woche 30 Unterrichtsstunden hat, in den „restlichen“ 28 Unterrichtsstunden, d. h. wenn keine Betreuung und Förderung durch zusätzliches sonderpädagogisch qualifiziertes Personal stattfindet? Mit dieser Frage sind vor allem die zieldifferent unterrichteten Schüler, d. h. die Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen gemeint, die einen Anteil von 80 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf darstellen.12 Von einem „qualitativ hochwertigen gemeinsamen Lernen“13 kann dann zumindest in Bezug auf das behinderte Kind keine Rede sein. Was Hinz bei einem Blick auf die Praxis integrativer Unterrichtung in Deutschland beobachtet, trifft jedenfalls auf die Situation im Saarland zu: „Die immer wieder vorhandene Freude über hohe Integrationszahlen lassen häufig den Blick auf die Situation des einzelnen Kindes in den Hintergrund geraten, das sich sehr oft in einer Insellage befindet […], manchmal auch gemeinsam mit seinen Lehrern, ohne dass sich irgendwelche Reflexionsschritte im Selbstverständnis der Schule vollziehen. Überzogen könnte man sagen: In irgend einer Klasse sitzt irgend ein Kind mit irgend einem Förderbedarf und irgend ein Sonderschullehrer – wenn denn einer zugewiesen worden ist – kommt ab und zu vorbei, bringt das neue Programm mit und kümmert sich. Die Schule als Ganzes verändert sich kein bisschen, aber immerhin, man kann sagen, dieses Kind sei voll integriert.“14

11 Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, Vorblatt, Abschnitt D. 1.  (Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand), LT-Drucks.15/812 vom 12.3.2014; mit dem am 25.6.2014 verabschiedeten Gesetz (Amtsbl. I S. 296) wurde die inklusive Schule im Saarland eingeführt. 12 Siehe oben sub Kap. 2 A. I. 2. b) cc). 13 So mit Blickrichtung auf Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 3. 14 Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung?, Zeitschrift für Heilpädagogik 2002, 354 (356).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

III. Perspektive angesichts beschränkten Potenzials Die im Saarland anzutreffenden Verhältnisse lassen sich auch nicht wegdisku­ tieren mit dem bagatellisierenden Hinweis, es handele sich um Probleme, wie sie typischerweise in der Anfangsphase der Umsetzung innovativer Konzepte vorkommen. Denn angesichts der Tatsache, dass die integrative Unterrichtung von behinderten Schülern im Saarland seit 30 Jahren im Schulordnungsgesetz steht und inzwischen hohe Fallzahlen erreicht sind, kann von einer Innovationsphase oder Anfangsschwierigkeiten keine Rede mehr sein. An der mangelnden Fähigkeit und/ oder Bereitschaft der politisch Verantwortlichen, erheblich mehr personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen, aber wird sich insbesondere wegen der Finanzlage des Saarlandes aller Voraussicht nach nichts ändern. Ilka Hoffmann, die kommissarische Inklusionsbeauftragte im Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes war,15 stellte am 1.10.2012 in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung fest: „Wir haben hier in der Tat große Defizite […]. Da wird schlicht der Mangel verwaltet. Es gibt leider keinen Erlass darüber, was behinderten Kindern an Regelschulen zusteht. Die Stundenzuweisung liegt daher sogar unter dem Satz, den behinderte Kinder an Förderschulen haben. Dort ist immerhin für Kinder mit einer geistigen Behinderung eine Schüler-Lehrer-Relation von 4:1 vorgeschrieben. Derzeit erhält ein geistig behindertes Kind in der Regelschule aber nur vier bis sechs Förderstunden pro Woche. Das ist wahnsinnig wenig. Das andere decken Integrationshelfer ohne sonderpädagogische Ausbildung ab. Wenn sich da nichts ändert, fährt man das ganze Thema Inklusion an die Wand.“16 Hierzu heißt es in dem Artikel von Freund in der Saarbrücker Zeitung: „Commerçons Ministerium hat die Angaben von Hoffmann zum Thema Stundenzuweisung noch einmal ausdrücklich bestätigt.“17

15 SZ Nr.  92 vom 20./21.4.2013, Neue kommissarische Inklusionsbeauftragte. Ilka Hoffmann wurde im Juni 2013 Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft; siehe hierzu: Pressemitteilung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 17.6.2013 sowie SZ Nr. 137 vom 17.6.2013, S. B 2, Ilka Hoffmann im GEWBundesvorstand. 16 Hoffmann, Expertin warnt vor Scheitern der Inklusion. Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr. 229 vom 1.10.2012, S. B 2.  17 Freund, Nur wenig Hilfe für behinderte Schüler, SZ Nr. 254 vom 2./3.11.2013, S. B 2.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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C. Handhabung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 I. Staatliche Schulverantwortung im Selbstverständnis von Bildungspolitik und Schuladministration 1. Erklärungen und Positionierungen zur Frage der pädagogischen Qualität Die CDU-Landtagsabgeordnete Monika Bachmann wandte sich in der Sitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997 an Kultusminister Henner Wittling (SPD): „Herr Minister, ich frage Sie: Was geschieht eigentlich mit den integrativ in einer Regelklasse unterrichteten lernbehinderten Kindern in den übrigen Wochenstunden, in denen der Ambulanzlehrer nicht in der Klasse ist?“18 Eine Antwort erhielt sie zwar nicht vom anwesenden Kultusminister, wohl aber – in Form eines Zwischenrufs – von der Abgeordneten Isolde Ries (SPD), fraktionsintern für Fragen der Integration und Sonderpädagogik zuständig und Mitglied im Ausschuss für Bildung, Kultur und Wissenschaft: „Es ist ein Regelschullehrer da, der hat auch pädagogische Fähigkeiten“.19 Es ist dies die Standardantwort derer, die sich, wenn sie mit der evident unzulänglichen Personalausstattung von Integrations­maßnahmen und den daraus zwangsläufig resultierenden pädagogischen Defiziten integrativer Unterrichtung konfrontiert sind, der Thematisierung des Qualitätskriteriums verweigern. Auf derselben argumentativen Ebene ist auch die folgende Äußerung von Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) bei der Ersten Lesung des verfassungsändernden Gesetzes am 28.2.1996, mit dem u. a. die Förderschulen im Schulformenkatalog des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 normiert wurden, einzuordnen. Mit Blick auf den weiteren Ausbau der integrativen Unterrichtung führte er aus: „Wir werden wie bisher in großer Verantwortung eine solche Integration fördern, wir werden sie weiter ausbauen und qualifizieren. Die wichtige Leistung, die hier zu erbringen ist, liegt in der Regelschulklasse selbst. Das heißt, die Lehrerinnen und Lehrer in der Regelschulklasse selbst müssen einen differenzierten Unterricht anbieten. Hier ist in der Tat noch viel zu tun an weiterer pädagogischer Qualifizierung.“20

Breitenbachs Ausführungen sind umso bemerkenswerter, als man zu diesem Zeitpunkt bereits auf zehn Jahre Schulpraxis mit integrativer Unterrichtung im Saarland zurückblicken konnte, die gekennzeichnet ist durch eine von Anfang an forcierte Steigerung der Fallzahlen bei höchst unzulänglichen personellen Ressourcen. Noch deutlicher kommt diese Haltung bei Görgen, zunächst Referent und später Leiter des Referates „Förderschulen und schulische Integration/Inklusion“ im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes, zum Ausdruck: 18

Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2353. Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2353 (Hervorh. d. Verf.). 20 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1027 (Hervorh. d. Verf.). 19

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

„Entscheidend für das Gelingen einer schulischen Integration ist nicht die Anzahl der zusätzlichen Förderstunden, sondern der individualisierende und differenzierende Unterricht durch Regelschullehrer. Aufgrund gestiegener Erfahrungen aller beteiligten Lehrkräfte und im Sinne einer möglichst hohen Verteilungsgerechtigkeit konnte ein fortlaufender Ausbau der Integration erfolgen unter Annäherung der zusätzlich notwendigen Förderstunden pro Kind an den Förderumfang in Schulen für Behinderte.“21

Görgen hatte seinen Bericht über die Entwicklung der integrativen Unterrichtung im Saarland im Übrigen mit folgenden Sätzen eingeleitet: „Nach elf Jahren schulischer Integration im Saarland kann eine positive Bilanz gezogen werden. Neben einem Ausblick auf die geplante Weiterentwicklung  – Sonderpädagogische Förderzentren als neue Organisationsform – werden auch Kernprobleme aufgezeigt.“22 Unter den von ihm erwähnten „Kernproblemen“ befindet sich allerdings nicht das Hauptproblem integrativer Unterrichtung im Saarland, nämlich die eklatante Unterpersonalisierung der einzelnen Integrationsmaßnahmen, d. h. die extreme Disparität von Fallzahlen und verfügbaren personellen Ressourcen. Die „gestiegene Erfahrung aller beteiligten Lehrkräfte“ sollte offenbar den Mangel an zusätzlichem Personal kompensieren. So reiht sich dieser Beitrag in die große Zahl jener Publikationen ein, in denen von interessierter Seite ungeachtet der Tatsachen das Hohelied „erfolgreicher“ integrativer Unterrichtung gesungen und sowohl der Öffentlichkeit wie den betroffenen Eltern ein aufs Ganze gesehen unzutreffendes Bild von der diesbezüglichen schulischen Wirklichkeit (Realbefund) der integrativen Unterrichtung im Saarland vermittelt wird. 2. Ignorierung der Verpflichtung der allgemeinen Schule zur Erbringung der Anpassungsleistung Den vorstehend wiedergegebenen Ausführungen der SPD-Landtagsabgeordneten, des Kultusministers und des Referatsleiters ist gemeinsam, dass sie das Wesen sonderpädagogischen Förderbedarfs vergessen machen wollen. Er ist in § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung wie folgt definiert: (2) Sonderpädagogischer Förderungsbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, daß sie im Unterricht der allgemeinbildenden23 Schule ohne besondere Hilfen nicht hinreichend gefördert werden können.24

Dieser Legaldefinition zufolge ist also der Zusatzbedarf, das benötigte Mehr an Ressourcen vor allem personeller Art konstitutiv für das Vorliegen sonderpä-

21 Görgen, Integration behinderter Schüler im Saarland, SchulVerwaltung, Ausgabe Rheinland-Pfalz – Saarland, 1998, 75 (76) (Hervorh. d. Verf.). 22 Görgen, ebd., S. 75. 23 Es handelt sich bei diesem Wort, wie oben sub Kap. 2 D. II. bereits erwähnt, um einen Fehler des Gesetzgebers; gemeint ist „allgemeine Schule“. 24 Hervorh. d. Verf.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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dagogischen Förderbedarfs. Darin ist bei der integrativen Unterrichtung behinderter Kinder die von der allgemeinen Schule zu erbringende Anpassungsleistung begründet.25 Das findet seine Bestätigung in der Tatsache des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986, dessen ratio essendi der als notwendig vorausgesetzte Mehraufwand ist. Der Vorbehalt ist nicht ein Ärgernis, das es zu vermeiden gilt, sondern er ist angesichts der Knappheit von Ressourcen Ausdruck einer finanzwirtschaftlichen Selbstverständlichkeit.26 Seine gedankliche Voraussetzung als Tatbestandsmerkmal in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 ist das Postulat der Verantwortbarkeit im Sinne der Gewährleistung des pädagogisch Notwendigen bei jeder einzelnen Integrationsmaßnahme. II. Normwidrige Handhabung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums im Rahmen des gesetzlichen Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts Die Schulräte als die bis einschließlich des Schuljahrs 1999/00 sowohl für die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs als auch für die Bewilligung integrativer Unterrichtung zuständigen Schulaufsichtsbeamten hatten auf die wachsende Zahl von Anträgen der Schulen und Eltern mit einer „wohlwollenden“ Entscheidungspraxis reagiert. Sie entsprach, was die dadurch bewirkte massive Steigerung der Fallzahlen integrativer Unterrichtung betrifft, den Erwartungen, welche die bildungspolitisch maßgeblichen Akteure im Saarland mit der integrativen Unterrichtung verbanden. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungspraxis stellt sich mit Blick auf den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt. Danach war die Entwicklung geeigneter Formen gemeinsamer Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten vorgeschrieben, und zwar „im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten“. Diese normative Verknüpfung ist essentiell: Der Ressourcenvorbehalt ist nicht Selbstzweck. Wenn der Begriff der „vorhandenen Möglichkeiten“ nicht ohne substanzielle Aussage bleiben, d. h. jeglichen materiellen Inhaltes entkleidet werden soll, dann muss akzeptiert werden, dass Prüfungsmaßstab die am Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schule auszurichtende Erforderlichkeit ist. Sie bezieht sich insbesondere auf die personelle Zusatzausstattung. Es geht um die Erfüllung der in § 1 Abs. 1 SchoG normierten Verpflichtung des Staates, dem jungen Menschen „eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung“ zu ermöglichen. Gegen diese Verpflichtung, welcher ein entsprechender Bildungsanspruch des behinderten Schülers korrespondiert, wird verstoßen, wenn die Schuladministration bei 25

Siehe oben sub Kap. 2 B. Siehe oben sub Kap. 4 B.

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

evident unzulänglichen personellen Ressourcen eine exorbitante Steigerung von Integrationsmaßnahmen zulässt oder gar fördert und dadurch eine behinderungsadäquate Förderung behinderter Schüler insbesondere in den Fällen zieldifferenter Integration unmöglich macht. Die Art und Weise, wie sich der Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland vollzog, führte zu einer kaum noch beherrschbaren Eigendynamik des Ausbauprozesses. Die dadurch „ermöglichte“ Steigerung der Fallzahlen, deren sich die Regierung auch öffentlich berühmt hat, stimulierte wiederum die „Nachfrage“ nach Integrationsmaßnahmen und so weiter. Es waren dies Entscheidungen der Schulämter und nach deren Auflösung ab dem Schuljahr 2000/01 Entscheidungen des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft, die diese Entwicklung in Gang gesetzt und kontinuierlich verstärkt haben. Das wirft die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns auf. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Regelung aus einer Koppelung von tatbestandlicher Voraussetzung und Einräumung von Ermessen bestand. Der Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 betraf, wie vom Verwaltungsgericht des Saarlandes betont wird,27 eine tatbestandliche Voraussetzung. Es handelt sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, bei dessen Handhabung die zuständige Behörde einen Beurteilungsspielraum besitzt. Die Einräumung des Ermessens ergibt sich aus der gesetzlichen Vorgabe, dass „daher […] geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln [sind].“ Zudem ist in dem aufgrund der Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Satz 2 SchoG 1986 ergangenen § 9 Abs. 1 IntVO ausdrücklich normiert, dass „die Schulaufsichtsbehörde ihre Entscheidung über den Antrag auf integrative Unterrichtung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkt [trifft], die nach dieser Verordnung für die integrative Unterrichtung relevant sind.“ Dazu gehört gem. § 1 Abs. 1 IntVO, dass „gewährleistet ist, dass [der Schüler] in der Schule der Regelform die erforderliche sonderpädagogische Förderung [erhält].“ Die Koppelung von unbestimmtem Gesetzesbegriff auf der Tatbestandsseite und der Einräumung von Ermessen auf der Rechtsfolge­ seite macht deutlich, dass der Normgeber dem Normadressaten einen weitreichenden Spielraum verschaffen wollte.28 Hierbei ist von Bedeutung, dass die Entscheidungszuständigkeit des Normadressaten nicht nur eine Abgrenzung bzw. Zuweisung von Befugnissen innerhalb der Staatsorganisation darstellt, sondern im vorliegenden Kontext auch eine deontische Dimension besitzt. Denn die Zuständigkeit impliziert auch eine Handlungsverpflichtung, die ihrerseits teleologisch angelegt ist.29 Realisiert wird diese Zweckverfolgung in den Entscheidungen des jeweiligen Amtswalters. Insoweit, als die Verbindung zwischen einer Person und 27

VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991, 1 K 171/88, amtl. Umdruck S. 10. Vgl. auch OVG d. Saarl., Beschl. v. 16.9.1988, 1 W 457/88, Rn. 3, 4, http://www.iuris.de (Zugriff: 6.5.2014). 28 Vgl. Klement, Verantwortung, S. 285, Fn. 307. 29 Vgl. Klement, ebd., S. 278.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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einem Zweck ein Wesensmerkmal von Verantwortung im Bereich des Öffentlichen Rechts ist,30 geht es hier also um die Wahrnehmung von Verantwortung, nämlich gegenüber den von der Norm Betroffenen. Der Maßstab, an dem die Erreichung des Normzwecks zu messen ist, ist die Gewährleistung dessen, was für die sonderpädagogische Förderung des behinderten Schülers und damit für die Erfüllung seines Bildungsanspruchs unter den Bedingungen integrativer/inklusiver Unterrichtung erforderlich ist. Eine Entscheidungspraxis, bei der die Zahl der Integrationsmaßnahmen von Jahr zu Jahr so gesteigert wurde, dass im Ergebnis im Landesdurchschnitt für die sonderpädagogische Förderung eines behinderten Schüler nur 1,67 Ambulanzlehrer-Stunden pro Woche zur Verfügung stehen (Schuljahr 2012/13)31, bedeutet, dass die Schulaufsichtsbehörde ihren Handlungsspielraum sowohl im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen als auch hinsichtlich ihres Ermessens (vgl. § 40 SVwVfG) überschritten hat und damit ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass die Schulaufsichtsbeamten bei ihren Entscheidungen über keine den Möglichkeitsmaßstab des Gesetzes konkretisierende Vorgabe des Kultusministers verfügten. Wie dargelegt,32 sind die Kultusminister im Saarland ihrer diesbezüglichen Regelungsverpflichtung nicht nachgekommen, weil sie die damit zwangsläufig verbundene Transparenz bezüglich der „Qualität“ der von ihnen zu verantwortenden integrativen Unterrichtung gescheut haben. Insoweit wurden die Schulaufsichtsbeamten bei ihren Einzelfallentscheidungen also sich selbst überlassen. Das vom Kultusministerium zu verantwortende Regelungsdefizit hat sie aber nicht von dem bei ihren Entscheidungen zu beachtenden Maßstab entbunden, nämlich der pädagogischen Verantwortbarkeit in jedem einzelnen Fall. Diese Praxis ist in den Folgejahren geradezu systematisch fortgesetzt worden. Es kann daher nicht verwundern, wenn im Jahr 2012 bei unveränderter Rechtslage und unverändertem Ressourcenmangel der inzwischen erreichte Zustand von der Landesregierung in der Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage wie folgt beschrieben wurde: „Die Wahlfreiheit der Erziehungsberechtigten eines Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinsichtlich der Beschulung an einer Regelschule oder einer Förderschule besteht weitestgehend.“33 Damit wurde nicht nur der systematische Verstoß gegen den Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des 30

Vgl. Klement, ebd., S. 277. Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle oben sub Kap. 7 E. I.. am Anfang. 32 Siehe oben sub Kap. 4 C. II. 2. c) bb). 33 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LTDrucks. 15/279 vom 14.12.2012. Diese Aussage wird bekräftigt in der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Heike Kugler (DIE LINKE) betr. Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, LT-Drucks. 15/528 vom 17.6.2013: „Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass mittlerweile die Erziehungsberechtigten ein echtes Wahlrecht haben.“ 31

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

§ 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 zugegeben, sondern der Möglichkeitsbzw. Ressourcenvorbehalt wurde von der Landesregierung contra legem für irrelevant erklärt.

D. Inhalt und Grenzen der Leistungsverpflichtung der Lehrkraft der allgemeinen Schule I. Integrative Unterrichtung unter der Bedingung von Kostenneutralität Für das Gelingen integrativer Unterrichtung ist die Fähigkeit der Lehrkraft der allgemeinen Schule zu individualisierendem und differenziertem Unterricht eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Die Schuladministration kann sich von ihrer Verpflichtung zur Bereitstellung des pädagogisch erforderlichen zusätzlichen Personals weder dem Grunde nach noch hinsichtlich des bei seriöser Handlungsweise notwendigen Umfangs zusätzlicher personeller Ressourcen mit dem Hinweis freizeichnen, sie erwarte von dem Lehrer der allgemeinen Schule eine gesteigerte Unterrichtsleistung. Das ist ein „Integrationsversprechen zu Lasten Dritter“, nämlich der Lehrkräfte der allgemeinen Schulen. Sie werden mit den makrosystemischen Problemen, d. h. den strukturell-finanziellen Defiziten der Integrationspraxis konfrontiert. Mit dem Prinzip der „Kostenneutralität“, das nach den Worten von Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) der integrativen Unterrichtung im Saarland von Anfang an zugrunde lag,34 ist zwangsläufig ein Überforderungspotenzial verbunden, wenn es ohne strikte Fallzahlbegrenzung praktiziert wird. Das führt bei Anlegung des qualitativen Maßstabes zu einem in erheblichem Maße pädagogisch defizitären Unterricht für den behinderten ­Schüler. II. Pädagogisches Anforderungsprofil 1. Allgemeine Unterrichts- und Erziehungssituation in den Schulen Lehrkräfte sind nicht nur mit den besonderen Problemen konfrontiert, die die schulische Integration von Kindern ausländischer Herkunft mit unzureichenden Deutschkenntnissen mit sich bringt. Die Unterrichtssituation an den allgemeinen Schulen ist vor allem gekennzeichnet durch immer stärker hervortretende Erziehungsprobleme. Bei einer stetig wachsenden Zahl von Schülern sind mehr oder weniger ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten festzustellen. Diese Entwicklung spiegelt sich u. a. in der Statistik der Kultusministerkonferenz, derzufolge sich die Förderquote, d. h. der Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förder­ bedarf im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, an der Ge 34

Siehe hierzu die Ausführungen Breitenbachs oben sub Kap. 1 B. III.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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samtzahl der Schüler im Alter der Vollzeitschulpflicht (Klassenstufen 1 bis 10) von 2001 bis 2010 in Deutschland nahezu verdoppelt hat: Sie stieg von 0,426 % auf 0,819 %, was einen Anstieg um 92,25 % darstellt.35 Bei der Verteilung dieser Schüler auf die Förderschulen einerseits und die allgemeinen Schulen andererseits zeigt sich, dass in dem Zeitraum von 2005 bis 2010 der Anteil der integrativ unterrichteten Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung bundesweit von 30,8 % auf 40,6 % gestiegen ist; das ist eine Steigerung um 31,8 % innerhalb von fünf Jahren.36 Noch deutlicher verschärft hat sich die Situation im Saarland: Hier ist von 2007 bis 2012 die Zahl der integrativ unterrichteten Schüler im Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung von 177 auf 530 gestiegen, also innerhalb von fünf Jahren um 199,4 %.37 Die Ursachen liegen auf der Hand: Unvollständige oder zerrüttete Familien, die häufig auch in finanzieller Notlage sind, Hilflosigkeit und Überforderung Alleinerziehender, Verlust des Erzieherischen u. a. aufgrund von Orientierungslosigkeit in den Wertvorstellungen. Dass sich die Auswirkungen dieser Lebensumstände vieler Schüler nicht nur im äußeren, disziplinrelevanten Verhalten der Schüler zeigen, sondern auch die Lerndisposition als solche beeinflussen, bedarf keiner weiteren Darlegungen. Der Bildungsminister in der sog. Jamaika-Koalition Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) ließ sich hierzu bei der Aussprache über die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) am 18.11.2009 mit folgenden Worten vernehmen: „Die Lehrerschaft sieht sich einer zunehmend schweren Aufgabe gegenüber, bedingt durch gesellschaftliche Veränderungen, durch das Aufbrechen und die Veränderungen der Familienstrukturen.“38

35 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Dokumentation Nr. 196, Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2001 bis 2010, A 1.1.3, S. 4, http://www.kmk.org/statistik/ fileadmin/pdf/statistiken/KomStat/Doku. (Zugriff: 2.5.2013). 36 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Dokumentation Nr. 196, Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2001 bis 2010, A 1.1.4.2, S. 5, http://www.kmk.org/statistik/ fileadmin/pdf/statistiken/KomStat/Doku. (Zugriff: 2.5.2013). 37 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil  I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 17, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). Diese Entwicklung spiegelt sich auch an Förderschulen soziale Entwicklung wider. So ist z. B. die Zahl der Schüler an den Förderschulen soziale Entwicklung trotz insgesamt rückläufiger Schülerzahlen von 433 im Schuljahr 2002/03 auf 491 im Schuljahr 2012/13 gestiegen, was einer Steigerung von 13,4 % entspricht; siehe hierzu Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 16, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 38 Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 69.

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

2. Belastungsgrenzen der Lehrkraft Diese Entwicklung stellt selbst pädagogisch begabte, erfahrene und engagierte Lehrkräfte trotz didaktisch und methodisch sorgfältig vorbereiteten Unterrichts vor große Probleme. Wer angesichts der oben dargestellten Lage der Schulen bei gleichzeitig evident unzulänglicher personeller Zusatzausstattung einer Integrationsmaßnahme von der Lehrkraft der Regelklasse erwartet, dass sie die zieldifferente Unterrichtung eines behinderten Kindes fast allein zu leisten hat, spekuliert unverhohlen auf das überobligationsmäßige Engagement, d. h. die „hohe […] Verausgabungsbereitschaft“39 und die Selbstausbeutung dieser Lehrkraft. Im Übrigen ist an dieser Stelle ein allgemeines Prinzip der Systemorganisation in Erinnerung zu rufen: „Organisationsformen sind nur dann geeignet, wenn sie auch bei Einsatz durchschnittlicher Kräfte funktionieren. Denn mit einem hohen Prozentsatz überdurchschnittlicher Kräfte kann in Massenberufen nicht gerechnet werden.“40 Aus der empirischen Untersuchung von Hedderich/Hecker41 geht hervor, dass die Arbeit im integrativen Unterricht für die beteiligten Lehrkräfte mit eben­dieser hohen Verausgabungsbereitschaft einhergeht. Dass die signifikant erhöhte Belastung nicht ohne Folgen für die Gesundheit dieser Lehrkräfte bleibt, kann nicht überraschen. Hierbei ist wichtig zu wissen, dass in die Untersuchung von Hedderich/Hecker grundsätzlich nur solche Lehrkräfte einbezogen waren, die dauerhaft in einem Mehr-Päda­gogen-System gearbeitet haben, d. h. in Klassen mit durchgängiger Doppelbesetzung. Das zeigt, welcher Belastung bzw. Überforderung die reguläre Lehrkraft im Rahmen des z. B. im Saarland als Standard vorhandenen AmbulanzlehrerSystems ausgesetzt ist, bei dem im Schuljahr 2012/13 im Landesdurchschnitt auf einen behinderten Schüler pro Woche gerade einmal 1,67 Unterrichtsstunden an sonderpädagogischer Förderung durch den Ambulanzlehrer entfallen. 3. Erwartungen an die Lehrerbildung Es überrascht nicht, dass an dieser Stelle des Problems von den Politikern42 ins Feld geführt wird, man müsse künftig bei der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte der allgemeinen Schulen auch deren inzwischen um die integrative Unterrich 39

Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 75. Eiselt, Die Begrenzung schulorganisatorischer Entscheidungen von Legislative und Exekutive durch Kindes- und Elternrechte, DÖV 1979, 845 (848 f.). 41 Hedderich/Hecker, Belastung und Bewältigung in Integrativen Schulen. Eine empirischqualitative Pilotstudie bei LehrerInnen für Förderpädagogik, S. 91, 115 ff. Bezüglich der Belastungssituation der Ambulanzlehrer siehe oben sub Kap. 2 C. III. 2. 42 Siehe die bereits erwähnte Äußerung von Kultusminister Breitenbach, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1027: „Die wichtige Leistung, die hier zu erbringen ist, liegt in der Regelschulklasse selbst. Das heißt, die Lehrerinnen und Lehrer in der Regelschulklasse selbst müssen einen differenzierten Unterricht anbieten. Hier ist in der Tat noch viel zu tun an weiterer pädagogischer Qualifizierung.“ (Hervorh. d. Verf.). 40

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tung behinderter Schüler erweiterten Aufgabenbereich berücksichtigen. Gewiss kann man diese Thematik sowohl in die grundständige Lehrerbildung als auch in die Lehrerfortbildung einbringen. Doch sind dem enge Grenzen gesetzt, wenn die fachwissenschaftliche und fachdidaktische Ausbildung nicht durch eine zusätzliche Befrachtung des Studiums mit sonderpädagogischen Inhalten leiden soll. Im Interesse der Qualität des Schulwesens muss die Fachlichkeit der Aus­bildung gewährleistet bleiben. Im Übrigen wird auch durch den Nachweis der Belegung eines sonderpädagogischen Pflichtmoduls aus einem Regelschullehrer kein Förderschullehrer mit hoch spezialisierter Professionalität. Der Verfasser der vorliegenden Schrift hat 33 Jahre im Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes gearbeitet, ist also mit den Reflexen von Kultusministern vertraut. Da weiß man, dass das im Kontext der Realisierung schulischer Innovationen verwendete Wort von der „notwendigen Verbesserung der Lehrerbildung“ ein Signalwort ist für das Vorhandensein einer Aporie: Wenn sich im Schulwesen die Umsetzung innovativer Vorhaben aus strukturellimmanenten Gründen oder wegen finanziell bedingter Defizite bei den erforderlichen Rahmenbedingungen an der Wirklichkeit stößt, dann soll es die „Verbesserung der Lehrerbildung“ richten  – ein in aller Regel realitätsfernes Lösungs­ versprechen. Man mag die Befähigung zur integrativen/inklusiven Unterrichtung und Erziehung als eines der Ausbildungsziele der Lehrerbildung gesetzlich regeln und in die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für die Lehrämter hineinschreiben. Solche Aktivitäten sind vor dem Hintergrund der im Saarland höchst defizitären Ausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahmen mit zusätzlichem pädagogisch qualifiziertem Personal in die Kategorie „symbolische Gesetzgebung“43 einzuordnen. Diese Feststellung ist angebracht im Hinblick auf eine diesbezügliche Regelung im Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerbildungsgesetz44. Dessen § 1 Satz 1 erhielt mit Gesetz vom 18.1.201245 folgende Fassung: Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung soll die Lehrkraft zu einer wissenschaftlich fundierten und praxisorientierten Erziehungs- und Unterrichtstätigkeit unter besonderer Berücksichtigung der inklusiven Unterrichtung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler und für die selbständige Ausübung eines Lehramtes an öffentlichen Schulen gemäß den allgemeinen Bildungszielen der Verfassung des Saarlandes und den besonderen Bildungszielen der Schule befähigen.

43 Depenheuer, Vorbehalt des Möglichen, in: HStR XII, § 269 Rn. 21: „Normative Symbolpolitik der Legislative bei gleichzeitiger Abschiebung der Verantwortung für die Umsetzung auf die Exekutive und Judikative ist zwar beliebt, entläßt den Gesetzgeber aber normativ nicht aus seiner Folgeverantwortung für vorangegangenes Tun.“ 44 Vom 23.6.1999 (Amtsbl. S. 1054), zul.geänd.d. G vom 18.5.2016 (Amtsbl. I S. 366). 45 Amtsbl. I S. 24 (Hervorh.d. Verf.).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Hierzu sei an dieser Stelle die Kommentierung dieser Regelung durch den damals oppositionellen SPD-Landtagsabgeordneten Ulrich Commerçon bei der Ersten Lesung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung des Saarländischen Lehrerbildungsgesetzes46 am 16.11.2011 wiedergegeben: „Im Gesetzentwurf steht, es habe keine finanziellen Auswirkungen. Ich stelle mir die Frage, wie man dann Qualitätsverbesserungen hinbekommen will. Es ist doch eine Illusion, davon auszugehen, dass man Lehrerinnen und Lehrer mit zusätzlichen Aufgaben betrauen kann  – was wir natürlich unterstützen  –, wenn man gleichzeitig sagt, das Ganze habe kostenneutral zu erfolgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das wird nicht funktionieren.“47

Zwar bezog sich die im Vorblatt des Gesetzentwurfs enthaltene Aussage, das Vorhaben sei nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden, nur auf den Aspekt der Lehrerbildung. Gemeint war jedoch von dem Abgeordneten, wie aus dem Kontext hervorgeht, exakt die Vorgehensweise („Kostenneutralität“), wie sie von der SPD-geführten Landesregierung bei der enormen Steigerung der Fallzahlen integrativer Unterrichtung zwischen 1985 und 1999 praktiziert worden war und von den nachfolgenden Regierungen im Wesentlichen unverändert fortgeführt wurde. Der Freimut des SPD-Abgeordneten Commerçon, dessen hier zitierter Debattenbeitrag sachlich insoweit uneingeschränkt zutreffend ist, dürfte auch etwas mit der Tatsache zu tun gehabt haben, dass er aus der Position des Oppositionspolitikers sprechen konnte. Seit Commerçon in der nach der Landtagswahl am 25.3.2012 gebildeten Großen Koalition unter Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Minister für Bildung und Kultur ist, hüllt er sich in der Frage des für die „inklusive Schule“ bereitzustellenden zusätzlichen pädagogischen Personals allerdings in Schweigen. In dem vom Kabinett am 17.8.2012 beschlossenen „Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention im Saarland“,48 der u. a. detaillierte Ausführungen zur Etablierung der „inklusiven Schule“ im Saarland enthält, findet sich zur Frage der erforderlichen personellen Zusatzausstattung keine konkrete Aussage. Auch das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze vom 25.6.2014,49 mit dem die „inklusive Schule“ im Saarland gesetzlich geregelt wurde, enthält keine substanzielle Aussage zu der Frage der zusätzlichen Personalausstattung dieser Schulen. Dem Vorblatt zu dem diesbezüglichen Gesetzentwurf der Landesregierung sowie der Begründung des Gesetzentwurfs50 ist ebenfalls kein Hinweis zu entnehmen, dass die Regierung beabsichtige, für die integrative Unterrichtung zusätzliches pädagogisches Personal zur Verfügung zu stellen.

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LT-Drucks. 14/617 vom 9.11.2011. Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 2067. 48 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, S. 19–29. 49 Amtsbl. I S. 296. 50 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014. 47

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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Es bleibt festzuhalten: Auch ein Lehrer der Regelklasse, der im Rahmen der Lehrerbildung auf die veränderte Situation in den Regelschulen vorbereitet und „für die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf sensibi­lisiert“51 wurde, hat objektive Leistungsgrenzen. Er ist strukturell überfordert, wenn er zieldifferente Unterrichtung oder integrative Unterrichtung eines oder mehrerer Schüler mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ohne durchgängige pädagogische Doppelbesetzung leisten und gleichzeitig für die 20, 25 oder noch mehr nichtbehinderten Schüler deren Unterrichtung ohne jeden Abstrich an der Unterrichtsqualität gewährleisten soll. Bei geistig behinderten Schülern oder Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ist das evident. Das gilt grundsätzlich aber auch für andere Behinderungsarten, insbesondere  – und darauf muss mit Nachdruck hingewiesen werden – für die Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen, deren Probleme seit einiger Zeit von interessierter Seite systematisch kleingeredet werden. Um es noch deutlicher zu sagen: Auch ein Lehrer der allgemeinen Schule mit förmlicher Doppelqualifikation z. B. als Grund- und Hauptschullehrer und Förderschullehrer ist, solange er auf sich allein gestellt ist, bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei der Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten überfordert. Der spezifische pädagogische Bedarf für Schüler mit Lernbehinderung, geistiger Behinderung oder ausgeprägten sozial-emotionalen Entwicklungsstörungen wurde oben detailliert dargelegt; auf die dortigen Ausführungen wird hier vollinhaltlich Bezug genommen.52 Sonderpädagogische Förderung bedeutet ihrem Wesen nach eine höchst individuelle Förderung. Sie fordert von dem Lehrer eine „konzentrierte Beschäftigung mit dem betroffenen Kind und seinen Problemen“53 und stellt daher eine zeitintensive Leistung dar. Dem Lehrer in einer Regelklasse der allgemeinen Schule, der gleichzeitig auch noch 20 oder 25 nichtbehinderte Schüler zu unterrichten hat, aber steht die Zeit nicht zur Verfügung, um sich intensiv mit dem zieldifferent zu unterrichtenden behinderten Kind befassen zu können. Fehlende Zeit ist der Kern des Problems. Der Klassenlehrer wird es in aller Regel nicht schaffen, gleichzeitig sowohl gegenüber dem bzw. den behinderten Kindern in seiner Klasse als auch gegenüber den nichtbehinderten Schülern jene Aufmerksamkeit, Betreuungsintensität und Unterrichtsqualität unverkürzt zu gewährleisten, auf die die behinderten und nichtbehinderten Schüler gleichermaßen einen Anspruch haben.

51 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Schritte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, LT-Drucks. 14/137 vom 26.3.2010. 52 Siehe oben sub Kap. 3 B. I. und II. 53 Bundschuh, Möglichkeiten und Grenzen von Integration aus sonder- und heilpädagogischer Sicht, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 15 (26).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Die Leistungsgrenzen einer Lehrerin oder eines Lehrers lassen sich weder mit technokratisch angelegten Optimierungsmethoden,54 noch mit überzogenen Erwartungen an die „Verbesserung der Lehrerbildung“, noch mit der stereotypen Wiederholung von Beschwörungsformeln („förderlicher Umgang mit Heterogenität“) hinausschieben. Wer dies nicht zur Kenntnis nehmen will, hat entweder den berechtigten Vorwurf mangelnder Kenntnisse der schulischen Realität oder den Vorwurf der Gleichgültigkeit gegenüber struktureller Überforderung von Lehrkräften zu gewärtigen. Eine Unterrichtsadministration, die bei der integrativen Unterrichtung ihrer Verantwortung gerecht werden will, kommt bei zieldifferenter Unterrichtung bzw. bei integrativer Unterrichtung von stark verhaltensauffälligen Schülern an einem Zwei-Päda­ gogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) nicht vorbei. Alles andere läuft auf eine rechtlich relevante Nichterfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und gegebenenfalls auch der nichtbehinderten Schüler sowie auf eine dienstrechtlich unzulässige permanente Überforderung der regulären Lehrkraft hinaus. Wocken äußert in Bezug auf die „inklusive Schule“: „Die wichtigste innova­ tionsbegleitende Maßnahme ist eine intensive berufsbegleitende Fortbildung des pädagogischen Personals.“55 Dieser Satz ist allerdings eher geeignet zu verdrängen, welches in Wirklichkeit die wichtigste Voraussetzung für eine pädagogisch ver­antwortbare zieldifferente Unterrichtung ist: nämlich die Bereitstellung des für das unverzichtbare Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) benötigten zusätzlichen pädagogischen Personals. Die Notwendigkeit, darüber hinaus auch für eine angemessene Lehrerfortbildung zu sorgen, soll damit selbst­ verständlich nicht in Frage gestellt werden.

54 So versucht man, die gravierenden personellen Ausstattungsdefizite mit Wendungen wie „Nutzung von Synergieeffekten“ oder „verbesserte Koordination“ zu überspielen. Dazu gehört auch der Hinweis auf die „wachsende Erfahrung“, die die Lehrkräfte seit Beginn der integrativen Unterrichtung hätten sammeln können und die auf dem Wege gegenseitiger kollegialer Beratung weiterzugeben sei. So entgegnete Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 24.4.1996, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1148, auf den vom bildungspolitischen Sprecher der Opposition Jürgen Schreier (CDU) erhobenen Vorwurf der hoch defizitären Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen im Saarland u. a.: „Wir haben inzwischen die pädagogischen Erfahrungen im unserem Lande. Wir müssen diese pädagogischen Erfahrungen nur auswerten. Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer, die solche Erfahrungen haben, zusammenführen. Dies wird die zentrale Aufgabe der sonderpädagogischen Förderzentren sein. Es sind nicht nur Organisations- und Verwaltungseinheiten; das müssen sie auch sein, aber wir werden ganz sicherlich völlig andere Synergieeffekte und bessere Koordinationen haben, als das bisher mit der Verwaltung möglich war. Wir müssen hier aber auch Erfahrungsauswertung machen. Und dazu ist es erforderlich, daß die Lehrerinnen und Lehrer, die sich für Behindertenintegration einsetzen, auch die Möglichkeit haben, in einem eigenen Kollegium miteinander zu sprechen und diese Erfahrungsauswertung durchzuführen.“ 55 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion, 2010, 167 (177).

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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III. Rechtliche Konkretisierung der Dienstpflichten der Lehrkraft im Rahmen integrativer Unterrichtung 1. Pflichtenkreis in Abhängigkeit von der Aufgabe der allgemeinen Schule Grundlegend für die rechtliche Verankerung der integrativen Unterrichtung durch das Gesetz vom 4.6.198656 war § 4 Abs. 1 Satz 1 SchoG 1986: „Der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform umfasst grundsätzlich auch die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf.“ Infolge der damit verfügten Erweiterung des Aufgabenbereichs der allgemeinen Schule wurde mittelbar auch der Pflichtenkreis der Lehrkräfte an den allgemeinen Schulen neu definiert. Daher ist auch eine nicht in Sonderpädagogik ausgebildete Lehrkraft grundsätzlich verpflichtet, an der allgemeinen Schule behinderte Schüler zu unterrichten. Doch ist diese Grundsatzaussage zu unspezifisch, um damit bereits die Dienstpflicht des einzelnen Lehrers in der Praxis integrativer Unterrichtung abschließend definiert zu haben. 2. Schuladministrativ konzedierte Freiwilligkeit a) Rahmenbedingung bei der Entscheidung über eine Integrationsmaßnahme aa) Bildungspolitische Grundsatzaussage Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) hat am 23.4.1986 bei der Ersten Lesung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986, mit dem die integrative Unterrichtung schulrechtlich verankert wurde, erklärt: „Jede Integration eines behinderten Kindes in Regelschulen erfolgt nur mit Einwilligung der Eltern – nicht gegen den Willen der Eltern – und nur, soweit die schulorganisatorischen und personellen Möglichkeiten gegeben sind. Hinter dem Begriff der personellen Möglichkeiten […] verbirgt sich auch die Frage der Bereitschaft und Fähigkeit von Lehrern, eine solche Integration vorzunehmen. Ich werde nicht zulassen, daß Kinder in Klassen der Regelform integriert werden, wenn die dort unterrichtenden Lehrer mir erklären, sie seien nicht in der Lage, dieses Integrationsprojekt zu tragen.“57

Der Erklärung des Kultusministers lag u. a. die zutreffende Einschätzung zugrunde, dass diese schulische Innovation in weiten Kreisen der Lehrerschaft mit erheblicher Skepsis aufgenommen worden war. Dort ging man realistischerweise 56 Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986 (Amtsbl. S. 477). 57 Verh. d. LT, 9. Wahlp., S. 1094.

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

davon aus, dass mit dem für eine verantwortbare integrative Unterrichtung erforderlichen zusätzlichen Personal nicht zu rechnen ist. Eine Rücksichtnahme auf die Lehrerschaft schien angezeigt, wenn das Vorhaben nicht von Anfang an auf institutionellen Widerstand stoßen und zu landespolitischen Turbulenzen führen sollte. bb) Schulaufsichtlicher Erlass Mit Rundschreiben an die Schulämter betr. Einsatz der Klassenlehrer/innen in Integrationsmaßnahmen vom 23.6.198958 teilte der Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft unter Bezugnahme auf „unsere bisherigen Diskussionen über das Prinzip der Freiwilligkeit des Einsatzes von Lehrkräften der Regelschulen in Integrationsmaßnahmen“ Folgendes mit: „Aus gegebenem Anlaß treffe ich zur o.g. Problematik folgende Feststellung: Das Gelingen des Reformvorhabens Integration kann nicht ausschließlich dem Ermessen der Lehrkräfte überlassen werden. Andererseits ist allen Beteiligten  – nicht zuletzt auch den betroffenen Kindern  – durch ‚zwangsverpflichtete‘ Lehrkräfte nicht geholfen. Eignung und Bereitschaft der Regelschullehrkräfte sind ein ganz wesentliches Entscheidungskriterium für oder gegen die Genehmigung einer Integrationsmaßnahme. Prüfung und Wertung dieser beiden Faktoren ist ausschließlich Aufgabe der Schulaufsicht, die darüber entscheidet, ob die genannten Ablehnungsgründe zu akzeptieren sind. Den Förderausschüssen ist nur das Ergebnis dieser Prüfung mitzuteilen, nicht aber Motive und Beweggründe der jeweiligen Lehrkräfte. Zum Schutze der Regelschullehrkräfte ist in jedem Einzelfall strikt zu unterbinden, daß Verfahrensbeteiligte (Förderausschußmitglieder, Berater oder andere) Lehrkräfte einer Motivforschung oder Gewissensprüfung unterziehen! Es ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu prüfen, ob andere Lehrkräfte der Schule oder des Schulaufsichtsbezirkes bereit sind, die ‚Integrationsklasse‘ zu übernehmen. Auch diese Prüfung ist ausschließlich Aufgabe der Schulaufsicht. Es kann nicht geduldet werden, daß Berater durch solche Befragungen Unruhe in Schulen oder Schulaufsichtsbezirke tragen und in Befugnisse von Schulaufsicht und Schulleitung eingreifen. Bei evtl. Klassenlehrerwechsel zugunsten von Integrationsmaßnahmen ist vorab zu klären, ob hierdurch berechtigte Interessen der Klassenelternschaft am Verbleib des Klassenlehrers, oder der Erhalt des Betriebsfriedens der Lehrerkollegien mehr als verantwortbar verletzt würden. Ich darf Sie bitten, dieses Schreiben allen Schulleitungen der Regelschulen Ihres Schulaufsichtsbezirkes in Kopie zukommen zu lassen.“ 58 Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulämter vom 23.6.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Einsatz der Klassenlehrer/innen in Integrationsmaßnahmen (Hervorh. im Original; Kopie des Dok. im Privatarchiv d. Verf.).

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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Das Rundschreiben erging zu einem Zeitpunkt, als die Entscheidungen der Schulämter über die Integrationsmaßnahmen des Schuljahres 1989/90 getroffen waren. Die Gesamtzahl der Integrationsmaßnahmen erhöhte sich in dem genannten Schuljahr von bis dahin bereits 200 auf 259. Welches der „gegebene Anlass“ war, aus dem das Rundschreiben erging, lässt sich aus dessen Inhalt schlussfolgern: Offensichtlich hatte es Pressionsversuche gegen „nicht willige“ Lehrkräfte gegeben. Ob es sich bei den in diesem Zusammenhang in dem Rundschreiben mehrfach genannten „Beratern“ um Personen aus dem Bereich der 1988 vom Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft berufenen „Landeskommission für Integration (LKI)“ handelte, geht aus dem Rundschreiben nicht hervor; ihrem Vorsitzenden Klaus Christ war das Rundschreiben nachrichtlich zugeleitet worden. Zu der Aufgabe dieser Landeskommission heißt es in der Antwort der Landesregierung zu einer parlamentarischen Anfrage: „Sie berät Eltern, Schulräte und Lehrkräfte.“59 cc) Bestätigung durch die Landesregierung Der FDP-Landtagsabgeordnete Norbert Wagner hatte in einer parlamentarischen Anfrage u. a. folgende Frage gestellt: „Gehört nach Auffassung der Landesregierung die Weigerung von Lehrkräften einer Regelschule, behinderte Schüler zu unterrichten, zu den rechtlich zulässigen Rahmenbedingungen, die die Ablehnung von Integrationsanträgen rechtfertigen? Wenn ja, mit welcher Begründung? Wenn nein, welche Auswirkungen hat dies auf eine evtl. gegenläufige Beurteilungspraxis unterer Schulaufsichtsbehörden?“ Die Antwort der Landesregierung lautete: „Die Zuweisung von Lehrkräften zu Integrationsmaßnahmen gegen deren Willen wäre zwar rechtlich zulässig, wird jedoch nicht durchgeführt, da die schulische Arbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen an die Lehrkräfte einer Regelschule besondere Anforderungen stellt. Im Interesse der Behinderten wird dies bei der Lehrerzuweisung berücksichtigt.“60 Im Schuljahr 1990/91, als die Landesregierung die parlamentarische Anfrage beantwortete, war die Gesamtzahl der Integrationsmaßnahmen auf 359 gestiegen. Ob in allen diesen Fällen eine innere Zustimmung der jeweiligen Klassenlehrkraft 59

Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LT-Drucks. 10/260 vom 7.12.1990. In der Antwort war mitgeteilt worden, dass diese Kommission die Arbeit der 1985 von Kultusminister Breitenbach eingesetzten „Kommission für die Integration behinderter Schüler und Schülerinnen“, die „mit der Erarbeitung pädagogischer und juristischer Grundlagen (z. B. Entwurf einer Integrationsverordnung) und der Betreuung erster Integrationsmaßnahmen“ beauftragt war und 1988 ihre Aufgabe erfüllt hatte, fortsetzt. Siehe hierzu Näheres unten sub Kap. 9. 60 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LT-Drucks. 10/260 vom 7.12.1990.

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

zu der von ihr zu bewältigenden integrativen Unterrichtung vorlag, darf bezweifelt werden. Angesichts des von offizieller Seite unter Hinweis auf diese Steigerungsraten öffentlichkeitswirksam behaupteten „Erfolgs“ dieser Innovation dürfte es mancher Klassenlehrer vorgezogen haben, von dem ihm zugestandenen Entscheidungsspielraum keinen Gebrauch zu machen. b) Rechtliche Relevanz der Freiwilligkeit Die den Lehrkräften von der Schuladministration konzedierte Freiwilligkeit ist relevant für die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über den Antrag der Erziehungsberechtigten auf integrative Unterrichtung. Für diese Entscheidung ist gem. § 6 IntVO die Schulaufsichtsbehörde zuständig. Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 IntVO trifft die Schulaufsichtsbehörde „ihre Entscheidung über den Antrag auf integrative Unterrichtung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, die nach dieser Verordnung für eine integrative Unterrichtung relevant sind“. Die Freiwilligkeit auf Seiten der Lehrkraft ist zwar in der Integrations-Verordnung nicht ausdrücklich genannt. Doch ist hier zurückzugreifen auf die grundlegende Bestimmung des § 1 Abs.  1 IntVO, der zufolge integrative Unterrichtung möglich ist, „wenn gewährleistet ist“, dass der behinderte Schüler „in der Schule der Regelform die erforderliche sonderpädagogische Förderung“ erhält. Die Entscheidung, ob das hierfür erforderliche Personal zur Verfügung steht, ist, wie von dem Verwaltungsgericht des Saarlandes61 zutreffend ausgeführt wird, keine Ermessens­ entscheidung, sondern betrifft eine tatbestandliche Voraussetzung. Zu der Freiwilligkeit auf Seiten des Regelschullehrers als Voraussetzung für die integrative Unterrichtung heißt es in dem Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes: „Dies folgt bereits aus der grundsätzlichen Regelung des § 1 Abs. 1 IntVO, wonach die Integrationsmöglichkeit unter der Bedingung geregelt ist, daß die erforderliche sonderpädagogische Förderung in der Schule der Regelform gewährleistet ist.[62] Dies ist zum einen dann nicht der Fall, wenn für eine Maßnahme nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 IntVO ein Sonderpädagoge als Stützlehrer nicht zur Verfügung steht, zum anderen aber ebenso nicht, wenn der neben dem Stützlehrer erforderliche Regelschullehrer diese Belastung nicht auf sich nehmen will, sei es aus pädagogischen oder persönlichen Gründen. Der Auffassung des Beklagten, daß gerade der sehr sensible, von Gegensätzen beherrschte Versuch einer Integration von Behinderten in die Regelschule nur erfolgversprechend sein kann, wenn besonders belastbare oder pädagogisch hochqualifizierte Regelschullehrer die Verantwortung übernehmen, kann rechtlich nichts entgegengesetzt werden. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil solche Lehrer

61 VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991, 1 K 171/88, amtl. Umdruck S. 10. Vgl. auch OVG d. Saarl., Beschl. v. 16.9.1988, 1 W 457/88, Rn. 3, 4, http://www.iuris.de (Zugriff: 6.5.2014). 62 Vgl. auch VG d. Saarl., Beschl. v. 25.8.1993, 1 F 45/93, amtl. Umdruck S. 5: „Eine ausreichende sonderpädagogische Förderung an der Regelschule muß danach nicht nur theoretisch möglich, sondern nach den praktischen Gegebenheiten gesichert sein […].“

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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im gesamten Schulbezirk eben nicht verfügbar sind, wäre nämlich die Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt und der Klägerin im wohlverstandenen eigenen Interesse nicht gedient. Diese gesetzgeberische Intention kommt in § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 IntVO – im Gegensatz zur Auffassung des OVG gilt diese Vorschrift unmittelbar jedoch nur für die Schulauswahl bei einer positiven Entscheidung über den Integrationsantrag – zum Ausdruck.“63

An dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Beschluss vom 22.9.199464 ausdrücklich festgehalten. Die pädagogischen Gründe, aus denen sich in dem betreffenden Fall der zukünftige Klassenlehrer der behinderten Schülerin weigerte, an der Sekundarschule diese Integrationsmaßnahme fortzuführen (Fächervielfalt, Fachlehrersystem, höheres Lerntempo, Klassenstärke, unzureichende zeitliche Präsenz eines Ambulanzlehrers), wurden vom Gericht als „rechtlich nicht zu beanstanden“ bezeichnet: „Diese in sich schlüssigen Ausführungen decken offenkundig das Ergebnis, daß eine integrative Unterrichtung der Tochter der Ast. an der Sekundarschule weder möglich noch sinnvoll ist […].“65 Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hatte in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, das der Entscheidung des Verwaltungsgerichts des Saarlandes in der Hauptsache vom 4.9.199166 vorausgegangen war und auf das sich das Verwaltungsgericht in seinem Urteil bezog, bestätigt: „In Bezug auf die Freiwilligkeit muß insoweit beachtet werden, daß die Betreuung einer derartigen Integrationsmaßnahme spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit behinderten Kindern verlangt, über die ein dafür nicht ausgebildeter Lehrer in aller Regel nicht verfügt. Folglich ist es gerechtfertigt, wenn es seiner Entscheidung überlassen bleibt, ob er die entsprechende Verantwortung übernimmt. Übernimmt er sie aber freiwillig, so kann davon ausgegangen werden, daß er die derzeit noch fehlende Ausbildung im fachgerechten Umgang mit behinderten Kindern durch sein Engagement zumindest teilweise ausgleichen wird.“67

In einer weiteren, nach der Aufnahme des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in das Grundgesetz ergangenen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes festgestellt: „Daß ein Integrationserfolg – wovon der entsprechende ministerielle Erlass offensichtlich ausgeht – möglicherweise eher bei freiwilligem engagiertem als bei erzwungenem, eventuell sogar Maßnahmen der Fach- und Dienstaufsicht erforderlichen machenden Einsatz einer Lehrkraft eintritt, leuchtet zwar ein. Zu sehen ist aber, daß der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform grundsätzlich auch die Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf umfaßt (§ 4 Abs. 1 S. 1 SchoG), so daß deren Unterrichtung ebenfalls zu den Dienstpflichten der entsprechenden Lehrer gehören dürfte. Eine insofern mit 63

VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991, 1 K 171/88, amtl. Umdruck S. 11 (Hervorh. im Original). VG d. Saarl., Beschl. v. 22.9.1994, 1 F 59/94, amtl. Umdruck S. 9 ff. 65 VG d. Saarl., Beschl. v. 22.9.1994, 1 F 59/94, amtl. Umdruck S. 11. 66 VG d. Saarl., Urt. v. 4.9.1991, 1 K 171/88. 67 OVG d. Saarl., Beschl. v. 16.9.1988, 1 W 457/88, Rn.  4, http://www.iuris.de (Zugriff: 6.5.2014). 64

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

fehlenden personellen Voraussetzungen begründete Ablehnung – der Fortsetzung – der integrativen Unterrichtung bedürfte zweifellos mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG einer besonderen, nachvollziehbaren Begründung, für die vorliegend nichts ersichtlich ist.“68

Mit dieser Feststellung hat das Gericht nicht die grundsätzliche Relevanz der Freiwilligkeit in Frage gestellt, sondern nur darauf hingewiesen, dass in dem betreffenden Fall nichts zu der erforderlichen Begründung des fehlenden Einverständnisses der Lehrkraft vorgetragen worden war. Für die Entscheidung kam es darauf jedoch nicht an, weil die Fortsetzung der integrativen Unterrichtung der geistig behinderten Schülerin nur unter der Voraussetzung der – mangels personeller Ressourcen nicht realisierbaren  – Erhöhung der Ambulanzlehrerstunden von zwölf auf 18 bis 20 Stunden möglich gewesen wäre. Aus dem o.g. Rundschreiben des Ministers für Kultus, Bildung und Wissenschaft geht hervor, dass  – ungeachtet der grundsätzlich bestehenden Rechtsverpflichtung – die Freiwilligkeit auf Seiten der Lehrkraft integraler Bestandteil des Konzepts war, nach dem im Saarland die integrative Unterrichtung organisiert werden sollte. Mit der Konzedierung der Freiwilligkeit wurde dem Gesichtspunkt der mit integrativer Unterrichtung für die Lehrkraft verbundenen zusätzlichen Belastung Rechnung getragen. Diese Rücksichtnahme ist auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. ein verfassungsrechtlich nicht beanstandendes Organisationsprinzip. Hierfür lässt sich auch die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sonderpädagogischen Förderung anführen. Dort heißt es im Zusammenhang mit den Ausführungen zu Organisationsformen, Rahmenbedingungen und Realisierbarkeit integrativer Unterrichtung: „Vielmehr sind auch denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal sowie die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen und Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.“69 3. Grenzen der Dienstpflichten der Lehrkraft der allgemeinen Schule Mit zunehmenden Fallzahlen spielte das Prinzip der Freiwilligkeit in der Praxis integrativer Unterrichtung im Saarland eine immer geringere Rolle. Die kontinuierliche Steigerung der Zahl der Integrationsmaßnahmen auf 2.999 im Schuljahr 2013/1470 war mit einem faktischen Anpassungszwang für die Lehrkräfte der allgemeinen Schulen verbunden. Denn es kann nach der Lebenserfahrung nicht angenommen werden, dass die Klassenlehrkräfte der allgemeinen Schule in ihrer überwältigenden Mehrzahl sich mit innerer Überzeugung zu der zieldifferenten Unterrichtung eines lernbehinderten Schülers bereitfinden, wenn sie dabei nur 68

OVG d. Saarl., Beschl. v. 12.3.1997, 8 W 3/97, amtl. Umdruck S. 5 f. BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308) (Hervorh. d. Verf.). 70 Siehe oben sub Kap. 6 B. I. 1. 69

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mit 1,67 Unterrichtsstunden an Unterstützung pro Woche durch einen Förderschullehrer rechnen können.71 Der in den vorstehenden Ausführungen aufgezeigte Zusammenhang zwischen den Grenzen der Belastbarkeit des regulären Lehrers, der Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung des erforderlichen zusätzlichen pädagogischen Personals und dem Umfang der Dienstpflichten des Klassenlehrers wurde von der Schuladministration weitgehend ausgeblendet. Bildungspolitik und Schuladministration haben mit ihrer exorbitanten Steigerung der Fallzahlen bei gleichzeitig höchst unzulänglicher Personalausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahmen für die betroffenen Lehrkräfte der allgemeinen Schulen vollendete Tatsachen geschaffen. Umso eindringlicher stellt sich die Frage nach dem Inhalt, dem Umfang und den Grenzen der diesbezüglichen Dienstpflichten der Klassenlehrkraft. Dazu ist festzustellen: In § 3 Abs. 1 BeamtStG ist normiert, dass Beamte zu ihrem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) stehen. Des Näheren bestimmt § 34 Satz 1 BeamtStG, dass sich Beamte „mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen [haben].“ Nach § 35 Abs. 1 BeamtStG sind Beamte verpflichtet, die dienstlichen Anordnungen ihrer Vorgesetzten auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Der Dienstherr darf jedoch nichts von dem Beamten verlangen, was der Beamte objektiv nicht zu leisten vermag. Hierbei ist, wie oben72 dargelegt, von einem durchschnittlich leistungsfähigen Beamten auszugehen. So läge z. B. eine Überforderung nicht nur dann vor, wenn eine Lehrkraft gehörlose oder blinde Schüler unterrichten soll, ohne dass sie über die hierfür erforderliche Lehramtsbefähigung verfügt. Vielmehr hätte man es auch dann mit einer objektiven Überforderung zu tun, wenn die Lehrkraft der allgemeinen Schule behinderte Schüler unterrichten soll, ohne dass zusätzliches pädagogisches Personal in dem erforderlichen Umfang zur Verfügung gestellt wird. Es muss eine Lehrkraft strukturell, d. h. objektiv überfordern, wenn sie zieldifferente Unterrichtung oder integrative Unterrichtung eines Schülers mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ohne durchgängige pädagogische Doppelbesetzung leisten und gleichzeitig für die 20, 25 oder noch mehr nichtbehinderten Schüler deren Unterrichtung ohne jeden Abstrich an der Unterrichts­qualität gewährleisten soll. Das wird auch von Tolmein eingeräumt: „Zieldifferenter Unterricht ohne ausreichende personelle Ausstattung der Schulen führt dazu, dass Inklusion Lehrer und Schüler überfordert.“73 Insoweit ist die Einwendung des „Impossibilium nulla obligatio est“74 von Relevanz. 71

Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang. Siehe oben sub Kap. 8 II. 2. 73 Tolmein, Inklusion als Herausforderung für die Rechts- und Bildungspolitik, ZRP 2014, 177 (180). 74 Vgl. Publius Juventius Celsus, 2.  Jhd. n. Chr., Corpus iuris civilis Digesta (publiziert am 16.12.533), Buch 50 Titel 17 Lex 185, zit. nach der Ausgabe von Paul Krueger/Theodor Mommsen, Corpus iuris civilis – Institutiones, Digesta, Editio stereotypa quinta decima, Bd. I, Berlin1928. 72

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Es fällt auf, dass sich in der oben zitierten Erklärung des Kultusministers, in dem Rundschreiben seines Ministeriums und in der Antwort der Landesregierung zu der parlamentarischen Anfrage kein Wort findet zu etwaigem den Klassenlehrer unterstützenden zusätzlichen sonderpädagogischen Personal. Man hat einen solchen Hinweis angesichts der evident unzulänglichen, kläglichen personellen Zusatzausstattung wohl nicht für opportun gehalten. Daher kann der im Rundschreiben und in der Antwort zu der parlamentarischen Anfrage enthaltene Hinweis auf die grundsätzliche dienstliche Verpflichtung des Beamten zur integrativen Unterrichtung als formale Aufrechterhaltung einer Rechtsposition verstanden werden, die sich im Ergebnis von der in der vorliegenden Schrift vertretenen nicht unterscheidet.

E. Verstoß gegen den Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GG bei der Personalisierung von Integrationsmaßnahmen I. Rechtsanwendungsgleichheit In der Begründung des von der damaligen Landesregierung eingebrachten Entwurfs des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986,75 mit dem die integrative Unterrichtung im Saarland gesetzlich geregelt wurde, findet sich ein bemerkenswerter Satz. Im Anschluss an die Aussage, dass im Schulwesen vermeidbare Ausgrenzungen zu unterlassen sind und „stattdessen dem Zusammensein von Behinderten und Nichtbehinderten diesen schon von früher Kindheit an die Chance zur Entwicklung eines natürlichen und selbstverständlichen Miteinander eröffnet“ werden soll, heißt es: „Hierbei sind jedoch besondere Hilfen bereitzustellen, um der jeweiligen Befindlichkeit des behinderten Schülers Rechnung zu tragen und ihm so – in des Wortes strenger Bedeutung – gerecht werden zu können; denn insoweit ist ein behinderter Schüler eben nicht, wie eine oberflächliche Redeweise meint, ‚ein Schüler wie jeder andere‘.“76

In diesem Satz spiegelt sich das Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Unterschiedlichkeit. Da es in diesem Satz um die erforderlichen Hilfen für den integrativ zu unterrichtenden behinderten Schüler geht, führt er unmittelbar zu der Frage, wie unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GG sowie des Art. 12 Abs. 1 und Abs. 4 Verf. d. Saarl. die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen bei der integrativen Unterrichtung im Saarland zu beurteilen ist. Da Art und Umfang der bei integrativer Unterrichtung bereitzustellenden zusätzlichen Hilfen im Saarland nicht durch Gesetz geregelt sind, geht es hier um 75

Amtsbl. S. 477. LT-Drucks. 9/562 vom 7.4.1986, Begründung S. 6 (Hervorh. d. Verf.).

76

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

241

das in Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 Verf. d. Saarl. begründete Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit. Ihr kommt im vorliegenden Kontext Bedeutung zu, weil der Exekutive auf der Rechtsfolgenseite bei der Entscheidung über die Bewilligung integrativer Unterrichtung und der hierzu im jeweiligen Fall erforderlichen zusätzlichen Hilfen personeller und sächlicher Art Ermessen eingeräumt ist (§ 9 Abs. 1 IntVO). Auch besitzt die Exekutive auf der Tatbestandsseite im Hinblick auf den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierten Vorbehalt der „organisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten“ einen Beurteilungsspielraum. 1. Sachlicher „Schutzbereich“: Bildung des Vergleichspaares Eine Beeinträchtigung des Art.  3 Abs.  1 GG und des Art.  12 Abs.  1 Verf. d. Saarl. setzt zunächst voraus, dass eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vorliegt. a) Ausgangssachverhalt Es handelt sich um behinderte Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die an der allgemeinen Schule integrativ unterrichtet werden. Für jeden dieser Schüler standen im Landesdurchschnitt im Schuljahr 2012/13 pro Woche 1,67 Unterrichtsstunden für sonderpädagogische Förderung durch eine Förderschullehrkraft zur Verfügung; es handelt sich dabei um eine Durchschnittszahl, die sämtliche sonderpädagogischen Förderschwerpunkte umfasst.77 b) Bezugssachverhalt Den integrativ unterrichteten Schülern stehen jene Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf gegenüber, die in Förderschulen unterrichtet werden. Es geht also um Schüler, die im Prinzip die gleichen pädagogischen Bedürfnisse haben wie die Schüler der Ausgangsgruppe. In der nachstehenden Tabelle sind die im Schuljahr 2012/2013 im Saarland auf die Schüler der einzelnen Förderschultypen entfallenden Lehrerwochenstunden ausgewiesen.78

77

Siehe die Tabelle oben sub Kap. 7 E. I. am Anfang. Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LTDrucks. 15/279 vom 14.12.2012. 78

242

2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Förderschultyp

LWSt pro Schüler

Förderschule für Blinde und Sehbehinderte – Bereich Blinde

5,4

– Bereich Sehbehinderte

3,86

Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige – Bereich Gehörlose

5,4

– Bereich Schwerhörige

3,86

Förderschule soziale Entwicklung

4,5

Förderschule geistige Entwicklung

6,75

Förderschule körperliche und motorische Entwicklung

6,75

Förderschule Lernen

2,45

Förderschule Sprache

3,86

Krankenhaus- und Hausunterricht

5,4

Beide Gruppen sind miteinander zu vergleichen unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung ihres Bildungsanspruchs (tertium comparationis). Hierzu ist die jeweilige Unterrichtssituation, d. h. die Gesamtheit der an den beiden Lernorten gegebenen Unterrichtsbedingungen in Beziehung zu setzen zu dem jeweiligen behinderungsspezifischen Förderbedarf.79 2. Ungleichbehandlung von rechtlicher Relevanz („Eingriff“) a) Zuteilungsprinzip für die behinderungsspezifische Personalallokation an die einzelne Integrationsmaßnahme Es wäre zu kurz gegriffen und würde den Kern der Sache verfehlen, wenn an dieser Stelle vorrangig oder gar ausschließlich auf den Vergleich der für die Ausgangsgruppe und die Bezugsgruppe genannten Zahlen abgestellt würde. Vielmehr ist in grundsätzlicher Hinsicht das Zuteilungsprinzip darzustellen und zu erörtern, das der behinderungsspezifischen Personalallokation an die einzelne Integrationsmaßnahme zugrunde liegt.

79 Bezüglich des Förderbedarfs wird hier vollinhaltlich Bezug genommen auf die Ausführungen zur inhaltlichen Konkretisierung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers oben sub Kap. 3 B.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

243

Maßstab für die Bemessung des der allgemeinen Schule für die integrative Unterrichtung eines Schülers zuzuweisenden zusätzlichen Personals war nach Vorgabe der Schuladministration im Saarland die Zahl der Lehrerstunden, die rein rechnerisch auf einen behinderten Schüler in der Förderschule entfällt. Dieser Ansatz wurde von der Landesregierung von Anfang an verfolgt und praktiziert, wie aus der Antwort der Landesregierung zu einer parlamentarischen Anfrage hervorgeht: „Die Planung und der Einsatz von Sonderschullehrern für Integrationsmaßnahmen erfolgt anteilig nach den durch Erlaß vom 5. Dezember 1984 (GMBl. Saar 1985 S.  96) festgelegten Werten der Schüler-Lehrer-Relation berechnet auf den einzelnen Schüler.“80 Diese Vorgehensweise der Schuladministration wurde stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, als im Saarland Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Probleme der integrativen Unterrichtung unübersehbar geworden waren. Die Kombination aus der enormen Steigerung der Zahl der Fälle sonderpädagogischen Förderbedarfs, der von der Politik geförderten Erwartungshaltung der Eltern hinsichtlich integrativer Unterrichtung und den eher kläglichen Ressourcen hatte die pädagogisch-qualitativ defizitäre Situation nicht nur perpetuiert, sondern verschärft. Zur Rechtfertigung dieses defizitären Zustandes hieß es nunmehr: „Aufgrund gestiegener Erfahrungen aller beteiligten Lehrkräfte und im Sinne einer möglichst hohen Verteilungsgerechtigkeit konnte ein fortlaufender Ausbau der Integration erfolgen unter Annäherung der zusätzlich notwendigen Förderstunden pro Kind an den Förderumfang in Schulen für Behinderte.“81 Dazu hatte Kultusminister Henner Wittling (SPD) in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997 vorgebracht: „Meine Damen und Herren, bereits mein Amtsvorgänger, Minister Breitenbach, hat aus der Gesamtentwicklung im letzten Jahr die Konsequenz gezogen, daß er – im übrigen auch mit Billigung der organisierten Integrationsbefürworter – die Schüler-Lehrer-Relation an Schulen für Behinderte als Maßstab für die Personalisierung von Integrationsmaßnahmen genommen hat. Diese Entscheidung aus dem vorangegangenen Jahr ist auch in diesem Jahr […] zugrunde gelegt worden. Das bedeutet praktisch, daß bei der Zahl der Integrationsmaßnahmen die Zahl der eingesetzten Lehrerstunden nicht hinter den Förderstunden in den Schulen für Behinderte zurückbleibt. Deshalb ist es verfehlt, davon zu reden, daß durch die Integrationsmaßnahmen den Schülerinnen und Schülern ein Nachteil erwachse.“82 Wittling befand sich damit auf der Linie des in der betreffenden Plenarsitzung beschlossenen Antrages der SPD-Landtagsfraktion betr. integrative Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonder­ pädagogischem Förderbedarf: „Um behinderten Kindern gleiche Bildungschancen 80 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der CDU-Landtags­abgeordneten Franz­ Becker, Peter Jacoby, Birgit Küpper, Gerd Meyer und Kurt Schoenen, LT-Drucks. 9/991 vom 22.12.1986. 81 Görgen, Integration behinderter Schüler im Saarland, SchulVerwaltung, Ausgabe Rheinland-Pfalz-Saarland, 1998, 75 (76); zu dem Autor siehe oben sub Kap. 8 C. I. 1. 82 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2360.

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

zu gewährleisten, soll die Zahl der sonderpädagogischen Lehrerstunden pro Schüler in Regelschulen daher durchschnittlich mindestens der Zahl der Lehrerstunden in den Schulen für Behinderte entsprechen.“83 Auch die CDU hat sich, nachdem sie 1999 an die Regierung gekommen war, nicht mehr an ihren Beschlussantrag im Landtag des Saarlandes vom 17.9.1997 erinnert. Darin hatte sie gefordert, dass „jedem behinderten Kind in der Regelschule ein Viertel der in der Stundentafel der Schule für Behinderte vorgesehenen Stundenzahl zur Förderung in der Regelschule zugewiesen wird.“84 Doch hat die Regierung Peter Müller in der Zeit, als sie sich auf eine absolute CDU-Mehrheit stützen konnte (1999–2009), keine zusätzlichen personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt, um die pädagogische Qualität der integrativen Unterrichtung substanziell zu verbessern. Vielmehr hat sie insoweit nahtlos an die Praxis der Vorgängerregierung angeknüpft, was sie auch offiziell bestätigt hat. Denn im Jahr 2007, also im achten Jahr ihrer Amtszeit, antwortete die Regierung auf die Frage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) „Wie viele Stunden an Integration erhält ein behindertes Kind in der Regelschule“ wie folgt: „Seit vielen Jahren orientiert sich die Stundenzuweisung an der Schüler-Lehrer-Relation für die der Behinderung entsprechenden Schule für Behinderte. Demnach ergeben sich in den verschiedenen Förderschwerpunkten folgende Richtwerte an LWSt pro Schüler/Schülerin: ‚Lernen‘ 2,45; ‚Geistige Entwicklung‘ 6,75; ‚Körperliche und motorische Entwicklung‘ 6,75; ‚Blinde‘ 5,4; ‚Sehbehinderte‘ 3,9; ‚Sprache‘ 3,9; ‚Emotionale und soziale Entwicklung‘ 4,5; ‚Schwerhörige‘ 3,9; ‚Gehörlose‘ 5,4.“85 Hatte die CDU als Oppositionspartei harte Kritik an der SPD-geführten Landesregierung geübt, weil diese vor allem an der Steigerung Fallzahlen und weniger an der Qualität integrativer Unterrichtung interessiert sei, so war auch sie inzwischen auf diesen Pfad eingeschwenkt. Denn mit unüberhörbarer Genugtuung verwies die CDU-Landtagsfraktion in einem Beschlussantrag auf den Spitzenplatz des Saarlandes in der ländervergleichenden Statistik: „Das Saarland hat in den Statistiken der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) seit vielen Jahren ununterbrochen den höchsten Anteil an Integrationskindern.“86 Die Kernaussage der hier wiedergegebenen Verlautbarungen aus Schuladministration und Politik lautet also: Der Staat schuldet einem an der allgemeinen Schule integrativ unterrichteten behinderten Schüler nur das an behinderungsadäquatem Förderumfang, was er rein rechnerisch von der Förderschule an Lehrerstunden „mitbringt“ (sog. Huckepack-Prinzip), d. h. was an der Förderschule an Lehrerbedarf entfällt. 83

LT-Drucks. 11/1349 vom 16.9.1997 (Hervorh. d. Verf.). LT-Drucks. 11/1338 vom 10.9.1997. 85 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, LT-Drucks. 13/1404 vom 11.6.2007. 86 LT-Drucks. 13/1859 vom 15.4.2008. 84

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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b) Unterrichtssituation als Vergleichsmaßstab Für das weitere Vorgehen der Untersuchung soll hier zunächst davon ausgegangen, d. h. unterstellt werden, dass für die integrative Unterrichtung des behinderten Schülers an der allgemeinen Schule nach dem vorstehend genannten Maßstab zusätzliches Personal zur Verfügung steht. Doch läge dann immer noch eine Ungleichbehandlung der beiden Vergleichsgruppen vor. Denn der Bezugspunkt des Vergleichs aus der Sicht des Betroffenen ist kein fiskalisch-finanz­wirtschaftlicher, sondern ein pädagogischer. Bei der integrativen Unterrichtung geht es um die Realisierung einer pädagogischen Alternative zum sonderpädagogischen Lernort Förderschule. Hierbei ist Gegenstand und Ziel aller Regelungen auf der normativen und aller Entscheidungen auf der administrativen und pädagogischen Ebene die Verwirklichung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes, der sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG ergibt. Die Erfüllung des Bildungsanspruchs aber hängt entscheidend von der Beschaffenheit des kognitiven, emotionalen und sozialen Lernumfeldes ab, in dem sich das behinderte Kind befindet. Vergleichsebene ist die für die Erfüllung des Bildungsanspruchs relevante Unterrichtssituation – und nicht die Haushaltsrelevanz. Das Bundesverfassungsgericht verbindet in grundsätzlicher Hinsicht mit der Anwendung des Art.  3 Abs.  1 GG folgende Anforderungen: „Ein dem Art.  3 Abs. 1 GG genügender Vergleich muss in einem Gesamtvergleich die erheblichen Unterschiede analysieren und bewerten und dabei die typischerweise zusammentreffenden Vor- und Nachteile beachten (vgl. BVerfGE 12, 151 [167]; BVerfGE 29, 221 [237]; BVerfGE 84, 348 [362]; BVerfGE 96, 1 [8].“87 Grundlegend für den Unterschied zwischen der integrativen Unterrichtung und der Förderschule ist dabei die Tatsache, dass der behinderte Schüler in der Förderschule tagtäglich von der ersten bis zur letzten Unterrichtsstunde einen durchgehend von den Prinzipien der Sonderpädagogik geprägten Unterricht erhält. Dessen Proprium sei am Beispiel der oben detailliert dargestellten Bedürfnisse und der darauf abgestimmten sonderpädagogischen Handlungsweise bei der Unterrichtung und Erziehung von Schülern im Förderschwerpunkt Lernen in Erinnerung gerufen.88 Der behinderte Schüler findet die in der Förderschule gewährleistete Rücksichtnahme auf seine Fähigkeiten, Befindlichkeiten und Bedürfnisse demgegenüber in der normalen Unterrichtssituation einer allgemeinen Schule nicht in gleicher Weise vor. Seine Unterrichtung in der allgemeinen Schule ist daher pädagogisch nur zu verantworten, wenn für den Schüler an der allgemeinen Schule eine

87 BVerfG-K (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 26.2.2010, 1 BvR 1541/09 u. a., NJW 2010, 1943 (1946). 88 Siehe oben sub Kap. 3 B. I. 1. b) und c).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Unterrichtssituation hergestellt wird, die seinen kognitiven, emotionalen und sozialen Bedürfnissen Rechnung trägt. Die entscheidende Voraussetzung hierfür ist die zusätzliche personelle Ausstattung der allgemeinen Schule mit sonderpädagogisch qualifiziertem Personal und die dadurch ermöglichte Betreuungsintensität. Beim Aufbau eines leistungsfähigen Förderschulwesens seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kam vernünftigerweise niemand auf den Gedanken, einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz in der Tatsache zu sehen, dass der Personalaufwand des Staates je Schüler an Förderschulen das Zwei- bis Dreifache dessen beträgt, was der Staat für einen nichtbehinderten Schüler der allgemeinen Schulen aufwendet.89 Diese Ungleichbehandlung hat in dem aus der Behinderung resultierenden erhöhten Förder- und Betreuungsbedarf nicht nur einen sachlichen und die Differenzierung rechtfertigenden Grund, sondern sie wird von dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes geradezu gefordert. Der Mehraufwand an der Förderschule ist notwendig, um eine pädagogisch wirkungsvolle Unterrichtssituation schaffen und gewährleisten zu können. Das bedeutet insbesondere: kleine Unterrichtsgruppen und Einsatz zusätzlichen, für den differenzierten Förder-, Betreuungs-, Therapie- und Pflegebedarf qualifizierten Personals. Nichts anderes kann gelten, wenn es sozusagen um die Rückverlagerung des Förderortes für ein behindertes Kind an die allgemeine Schule geht. Denn dort ist die Unterrichtssituation, die das behinderte Kind vorfindet, eine grundlegend andere als an der Förderschule. Es führt zu einer Benachteiligung des behinderten Kindes, wenn für seine sonderpädagogische Förderung an der allgemeinen Schule gerade einmal so viel Unterrichtsstunden durch einen Ambulanzlehrer zur Verfügung stehen, wie es dem anteiligen Lehrerstundeneinsatz je Schüler an der Förderschule entspricht. Während nämlich mit diesem personellen Aufwand je Schüler an der Förderschule eine Stunde für Stunde sonderpädagogisch geprägte, auf das einzelne behinderte Kind, seine intellektuelle Leistungsfähigkeit und seine seelischen und emotionalen Bedürfnisse Rücksicht nehmende Unterrichtssituation geschaffen wird, lässt sich mit der gleichen Zahl von Ambulanzlehrerstunden bei einer Integrationsmaßnahme eine ähnlich günstige heilpädagogische Situation

89 Siehe hierzu Klemm, Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven, S. 23, Tabelle 3, der folgende Zahlen nennt: Im Schuljahr 2007/08 wurden in Deutschland an Förderschulen 3,81 Unterrichtsstunden je Schüler (Lehrerstunden), in der Grundschule und in den allgemeinen Schulen im Bereich der Sekundarstufe I 1,41 Unterrichtsstunden je Schüler (Lehrerstunden) erteilt; der Personalaufwand an Förderschulen ist also um den Faktor 2,7 höher als an den allgemeinen Schulen. Vgl. auch Dirnaichner, Bayerisches Schulrecht: Keine Benachteiligung Behinderter, BayVBl. 1997, S.  545 (550); Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (334). Stoellger, Von der Sonderschule zum Sonderpädagogischen Förderzentrum, Zeitschrift für Heilpädagogik 1992, 445 (456), weist, gestützt auf die Erfahrungen aus optimal ausgestatteten Schulversuchen, darauf hin, dass bei zieldifferenter integrativer Unterrichtung, wenn sie verantwortbar und erfolgreich sein soll, „die personelle Ausstattung um ein Vielfaches aufwendiger ist als eine Regelbeschulung in Sonderoder in allgemeinen Schulen.“

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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nicht herstellen.90 Von einer mit den Möglichkeiten der Förderschulen vergleichbaren Betreuungsintensität kann weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht die Rede sein, wenn die zusätzliche Personalausstattung der allgemeinen Schule mit qualifiziertem Personal in der schulischen Realität nur in den wenigen Förderstunden (im Saarland: im Schuljahr 2012/13 im Durchschnitt 1,67 Ambulanzlehrer-Wochenstunden pro Schüler und pro Woche91) besteht, die sich bei Anwendung des beschriebenen schematisch-rechnerischen Maßstabs ergeben. Denn die Evidenzfrage lautet bekanntlich: Was geschieht mit dem behinderten Kind in den „restlichen“ 28 Unterrichtsstunden in der Woche, wenn der Sonderpädagoge nicht anwesend ist? Vor diesem Hintergrund erweist sich 30 Jahre nach Einführung der integrativen Unterrichtung im Saarland der oben zitierte Satz aus der Begründung der Schulrechtsnovelle vom 4.6.1986 – „dem behinderten Schüler durch besondere Hilfen gerecht werden in des Wortes strenger Bedeutung“ – als ein gebrochenes Versprechen. Auch ist an dieser Stelle zurückzukommen auf die oben im Zusammenhang mit den emphatischen Einlassungen von Parlamentariern bei der Normierung eines „Rechts auf Bildung“ in Art. 24a Abs. 1 Verf. d. Saarl. gestellte Frage nach der verantwortungsethischen Dimension.92 Diese substanziellen Defizite in der Betreuungsintensität können nicht aufgewogen werden durch einen etwaigen „Anregungseffekt“ infolge des Zusammenseins mit nichtbehinderten Schülern, den man sich von der integrativen Unterrichtung erwartet. Fehlen die personellen Voraussetzungen, dann liegt keine gleichwertige Unterrichtssituation und somit kein gleichwertiges Bildungsangebot vor. Zutreffend heißt es bei Füssel/Kretschmann: „Bei einer Schulstruktur, bei der Eltern für ihr behindertes oder von Behinderung bedrohtes Kind ein grundsätzliches Wahlrecht eingeräumt wird, muß von Verfassungs wegen sichergestellt sein, daß bei Ausübung dieses Wahlrechts durch Eltern ein gleichwertiges schulisches ‚Angebot‘ besteht. Dieser Anspruch auf ‚Gleichwertigkeit‘ ergibt sich aus dem Gleichheitssatz der Verfassung (Art. 3 GG) […].“93 Die vorstehend beschriebene fundamentale Unterschiedlichkeit der Unterrichtssituation an den beiden potenziell für ein behindertes Kind in Betracht kommenden Lernorten hat das Bundesverfassungsgericht im Blick. Denn in seiner Grundsatzentscheidung zur sonderpädagogischen Förderung geht es auf die mit integrativer Unterrichtung u. a. für das behinderte Kind verbundenen „Chancen“ und „Belastungen“ ein und weist darauf hin, dass dabei auch „die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen und Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen“ ist.94 Das Gleiche ist gemeint, wenn die Kultusministerkonferenz die 90

Vgl. hierzu Jürgen Schreier (CDU), Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2362. Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle oben sub Kap. 7 E. I. am Anfang. 92 Siehe oben sub Kap. 3 A. II. 3. 93 Füssel/Kretschmann, Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Pädagogische und juristische Voraussetzungen, S. 47 f. (Hervorh. im Original). Ebenso Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (336, 342). 94 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308). 91

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

für die pädagogische und rechtliche Bewertung maßgebliche Sichtweise mit folgenden Worten kennzeichnet: „Hierbei ist das gesamte Lernumfeld mit seinen Bedingungen pädagogisch bedeutsam.“95 An dieser Stelle drängt sich der Gedanke der Kompensation geradezu auf, d. h. die Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen an der allgemeinen Schule zum Zweck der Gewährleistung einer behinderungsadäquaten Unterrichtssituation. Hierbei kann man sich auf die folgende Aussage stützen, die das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG macht: „Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluß von Entfaltungs- und Betätigungsmöglich­ keiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird.“96 Gewiss ist dieser Satz zunächst auf den Kompensationseffekt bezogen, den ein leistungsfähiges Förderschulwesen gegenüber dem fehlenden Zugang zur integrativen Unterrichtung darstellt. Er enthält aber auch eine Relativierung im Hinblick auf die integrative Unterrichtung als solche.97 Bleidick ist daher in der folgenden Einschätzung zuzustimmen: „Das Gericht deutet damit an, daß die Förderung in der integrativen Einrichtung nicht automatisch ‚behinderungsgerecht‘ die behinderungsbedingten Nachteile kompensiere. Und wenn das nicht geschähe, wäre die integrative Beschulung unter Umständen ebenfalls eine Benachteiligung ­ sterloh im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.“98 In diesem Sinne wird auch von O zutreffend festgestellt: „Nicht nur die zwangsweise Zuweisung in eine Sonderschule, auch die antragsgemäße Aufnahme eines behinderten schulpflichtigen Kindes in eine allg. Schule wirkt in ihren Konsequenzen benachteiligend, soweit ein spezifisch ‚behinderungsgerechter‘ Unterricht nicht angeboten wird.“99An einer Kompensation der behinderungsbedingten Nachteile aber fehlt es, wenn bei zieldifferenter integrativer Unterrichtung kein Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) gewährleistet ist. In diesem Fall kann von einer mit der Förderschule pädagogisch gleichwertigen Unterrichts­situation und „gleiche[n]

95

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 3. 96 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (303). 97 Einen Zugang zu der Ambivalenz der zitierten Aussage des BVerfG, ebd., kann auch der folgende Satz aus BVerfG, Beschl. v. 19.1.1999, 1 BvR 2161/94, BVerfGE 99, 341 (357), eröffnen, wo es heißt: „Behinderte werden zum Beispiel benachteiligt, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu derjenigen nicht behinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird, die ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten, welche anderen offenstehen (vgl. BVerfGE 96, 288 [302 f.]).“ Es liegt auf der Hand, dass eine Verschlechterung der Lebenssituation des behinderten Menschen nicht nur durch eine diskreditierende gesetzliche Regelung, sondern auch durch einen Gesetzesvollzug mit faktisch benachteiligender Wirkung herbeigeführt werden kann. 98 Bleidick, Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Benachteiligungsverbot für Behinderte und zum Besuch von Sonderschulen, Die neue Sonderschule 1998, 39. 99 Osterloh, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 314.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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Bildungschancen“100 nicht die Rede sein. Es ist an dieser Stelle auf die bereits erwähnte Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zurückzukommen, das in Anbetracht der mangelhaften Personalausstattung der inklusiven Schule, zu deren Besuch das lernbehinderte und verhaltensauffällige Kind von der Schulbehörde gezwungen werden sollte, feststellt, dass im Falle integrativer/ inklusiver Unterrichtung „die Förderung […] den bislang erreichten Standard der Förderschulpädagogik nicht unterschreiten darf.“101 Das finanzwirtschaftliche Pendant zu dem subjektivrechtlichen Aspekt der Gleichbehandlung im Sinne der Argumentations- und Handlungsweise der Regierung heißt „Kostenneutralität“. Zu diesen beiden Topoi steht der Gesichtspunkt der Qualität integrativer Unterrichtung in einem Verhältnis funktionaler Abhängigkeit. Hierzu hat die Landesregierung in ihrer Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage eine aufschlussreiche Antwort gegeben. Auf die Frage „Wie hoch sind die Kosten bei Integrationsmaßnahmen unter Einsatz von zusätzlichen, sonderpädagogischen Fachkräften an Regelschulen im Verhältnis zu den Pro-Kopf-Ausgaben für Schüler an Schulen für Behinderte?“ antwortete die Landesregierung: „Ohne Berücksichtigung der pädagogischen Wirksamkeit ergibt sich im Personalbereich eine Kostenneutralität im Vergleich zwischen integrativer Förderung in Regelschulen und der Förderung in Schulen für Behinderte. Im Sachkostenbereich kann Integration zu Mehrkosten führen.“102 Ob es sich bei dem hervorgehobenen Satzteil um den bei der abschließenden Redaktion des Antworttextes nicht erkannten Bekenntnisakt eines sachkundigen Konzipienten des Antwortentwurfs handelt? Oder um eine Freud’sche Fehlleistung? Oder hat man es bei dem betreffenden Satzteil mit der inzidenten Behauptung zu tun, integrative Unterrichtung sei a priori jeder Unterrichtung in Förderschulen überlegen? Jedenfalls ist in diesem Teil der Antwort der Landesregierung der Zusammenhang zwischen der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes („pädagogische Wirksamkeit“) und den dafür bei integrativer/inklusiver Unterrichtung erforderlichen zusätzlichen personellen Ressourcen angesprochen.

100

So der oben sub Kap. 8 I. 2. a) erwähnte Beschlussantrag der SPD-Landtagsfraktion betr. integrative Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, LT-Drucks. 11/1349 vom 16.9.1997. 101 NdsOVG, Beschl. v. 7.8.2014, 2 ME 272/14, Rn.10, http://www.rechtsprechung.nieder sachsen.de (Zugriff: 29.1.2016). 102 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der CDU-Landtags­abgeordneten Franz Becker, Peter Jacoby, Birgit Küpper, Gerd Meyer und Kurt Schoenen betr. Eingliederung behinderter Kinder und Jugendlicher in Regelschulen, LT-Drucks. 9/991 vom 22.12.1986 (Hervorh. d. Verf.).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

3. Fehlende Rechtfertigung der Ungleichbehandlung a) Irrelevanz einer unterstellten Einwilligung der Erziehungsberechtigten Das pädagogisch höchst unzulängliche Angebot dieser Art von integrativer Unterrichtung und die damit verbundene evidente Benachteiligung dieser Schüler gegenüber der Unterrichtssituation in Förderschulen kann nicht gerechtfertigt werden mit dem Hinweis, integrative Unterrichtung finde nur auf Antrag der Eltern statt und es geschehe dem Kind daher kein Unrecht („volenti non fit iniuria“). Der Staat kann nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Im Übrigen gewinnt die Beurteilung unter individualrechtlichem Aspekt in dem Augenblick Systemrelevanz, in dem – wie etwa im Zuge der Verwirklichung des Projekts der „inklusiven Schule“ – die Förderschulen abgewickelt und die behinderten Kinder zum Besuch eines personell hierfür nicht in dem erforderlichen Umfang ausgestatteten integrativen/inklusiven Unterrichts gezwungen werden. b) Überschreitung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums bei der Bewilligung von Integrationsanträgen Die Exekutive kann sich zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise, die im Ergebnis in einer großen Zahl von Fällen die Nichterfüllung des Bildungsanspruchs des integrativ unterrichteten Schülers zur Folge hat, nicht auf knappe Haushaltsmittel berufen. Richtig ist vielmehr, dass die Schuladministration diesen Zustand durch eine gesetzwidrige Handhabung des Möglichkeits- bzw. Ressourcen­ vorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 und in Überschreitung der ihr gesetzten Ermessensgrenzen herbeigeführt hat.103 Die Behauptung, der allgemeine Gleichheitssatz gebiete es, bei der Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen höchstens die Stundenzahl für das zusätzlich erforderliche pädagogische Personal zu bewilligen, die rechnerisch auf einen Schüler an der Förderschule entfällt, ist mithin weitaus mehr als nur der Ausdruck einer argumentativen Verlegenheit angesichts völlig unzureichender personeller Ressourcen. Er stellt vielmehr in  – bewusster oder unbewusster  – Verkennung des in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 enthaltenen Vorbehalts des Möglichen und der damit vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen eine Selbstermächtigung zu einer exzessiven, pädagogisch defizitären und folglich unverantwortlichen Integrationspraxis dar. Diese ist nicht zuletzt die Folge unrealistischer Erwartungen, die von einer einseitig auf den integrativen Ansatz ausgerichteten Bildungspolitik bei der Elternschaft geweckt wurden. Sie lässt die hierfür verantwortlichen Politiker zur Legitimierung der höchst unzulänglichen Personalisierung 103

Auf die Ausführungen oben sub Kap. 8 C. II. wird verwiesen.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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der Integra­tionsmaßnahmen zu einem neben der Sache liegenden Argument greifen. Mit dieser Argumentation soll den Eltern behinderter Kinder und der Öffentlichkeit Verteilungsgerechtigkeit und  – was gravierender ist  – Sachgerechtigkeit vorgespiegelt werden. Es handelt sich in Wahrheit um das in die Form eines – unzutreffenden – rechtlichen Arguments gekleidete Eingeständnis, dass man staatlicherseits allenfalls ein pädagogisch-qualitativ höchst unzureichendes Angebot integrativer Unterrichtung machen kann, mit dem der Bildungsanspruch des behinderten Kindes jedoch nicht erfüllt wird. Mangelndem Interesse der Öffentlichkeit und insoweit auch weitgehend unkritischen Medien haben es die Kultusminister der unterschiedlichen politischen Couleur zu verdanken, dass sie ihr pädagogisch und rechtlich unhaltbares Argument weitgehend unwidersprochen vortragen konnten. Dass sich auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu diesem abwegigen Verständnis von Gleichbehandlung bekennt, dürfte von manchem Kultusminister mit Sympathie aufgenommen worden sein.104 Diese Rechtsauffassung dürfte ihre Grundlage wohl darin haben, dass der ihr zugrunde liegende Normdiskurs unter ausschließlich geltungsbezogenem Aspekt geführt wird. Die Wirkungsdimension wird nicht in den Blick genommen. Die Perspektive vom Standpunkt des normativ geregelten Lebenssachverhaltes, d. h. aus der Sicht des Betroffenen in der Schulwirklichkeit spielt insoweit allenfalls eine untergeordnete Rolle. Das Erkenntnispotenzial, das mit der spezifisch pädagogischen Sichtweise auch und gerade für die rechtliche Einordnung verbunden ist, wird nicht aktiviert. 104 Diese fragwürdige Verfahrensweise hat in Art. 21 Abs. 2 BayEUG (Mobile Sonderpädagogische Dienste) sogar einen legislatorischen Ausdruck gefunden: „Für die Fördermaßnahmen können einschließlich des anteiligen Lehrerstundeneinsatzes je Schülerin bzw. Schüler in der besuchten allgemeinen Schule im längerfristigen Durchschnitt nicht mehr Lehrerstunden aufgewendet werden, als in der entsprechenden Förderschule je Schülerin bzw. Schüler eingesetzt werden.“ Der BayVGH, Urt. v. 11.12.1996, 7 B 96.2568, BayVBl. 1997, 561 (563), kommentierte diese Regelung ohne nähere Begründung wie folgt: „Der sonderpädagogische Förderaufwand ist in Art. 21 Abs. 3 Satz 1 BayEUG allerdings in aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu beanstandender Weise begrenzt durch den Förderaufwand, den ein Schüler in der entsprechenden Schule für Behinderte erfährt [die Regelung des damaligen Art. 21 Abs. 3 Satz 2 BayEUG ist jetzt enthalten in Art. 21 Abs. 2 BayEUG; Anm. d. Verf.].“ Vgl. hierzu auch Dirnaichner, Bayerisches Schulrecht: Keine Benachteiligung Behinderter, BayVBl. 1997, 545 (552). Der BayVGH hat in einer Entscheidung neueren Datums, nämlich in dem Beschl. vom 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129, seine damalige Aussage „in aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu beanstandender Weise“ nicht wiederholt, sondern ausgeführt: „Nach der Wertung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen orientiert sich der Ressourceneinsatz für einen einzelnen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der anteiligen Lehrerwochenstundenzahl der Klasse oder Gruppe der Förderschule.“ (Hervorh. d. Verf.) Es muss hier offen bleiben, ob das Gericht mit dieser Wortwahl und dem gleichzeitigen Verzicht auf eine Wiederholung seiner Aussage zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nunmehr eine Einschätzungsdifferenz im Verhältnis zur Regelung durch den Gesetzgeber andeuten wollte. Kritisch zur Regelung des jetzigen Art. 21 Abs. 2 BayEUG Graser, Integration aus rechtlicher Perspektive, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 63 (77).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

II. Offizieller Zuteilungsmaßstab in der Widersprüchlichkeit schuladministrativer Praxis Dass die Berufung auf den formal-arithmetischen, von pädagogischen Erwägungen freien Maßstab in Wirklichkeit die Funktion hatte, hinter dem Schleier eines pseudorationalen Arguments die kontinuierliche, massive Steigerung der Fallzahlen betreiben zu können, belegt die inzwischen eingetretene Situation. Die Entschlossenheit zur bedingungslosen Steigerung der Fallzahlen als politische Handlungsmaxime hat die Verantwortlichen dazu gebracht, noch nicht einmal mehr ihren eigenen – wie dargelegt, pädagogisch absolut unzulänglichen und rechtlich nicht haltbaren – Zuteilungsmaßstab konsequent zu beachten. Das zeigt die oben sub I. 1. b) abgebildete Tabelle, in der die im Schuljahr 2012/2013 im Saarland auf die Schüler der einzelnen Förderschultypen entfallenden Lehrerwochenstunden ausgewiesen sind. Die durchschnittlich 1,67 Unterrichtsstunden – darin sind sowohl die zielgleichen und zieldifferenten Integrationsmaßnahmen als auch die integrativ unterrichteten Schüler mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten enthalten –, die demgegenüber ein integrativ unterrichteter Schüler im Saarland pro Woche an sonderpädagogischer Förderung durch einen Ambulanzlehrer erhält, liegen also signifikant unter den entsprechenden Zahlen an den Förderschulen. Die Landesregierung hat im Jahr 2012 zu erkennen gegeben, dass sie entschlossen ist, sich angesichts der höchst defizitären Zustände bei den Integrationsmaßnahmen erneut Druckentlastung zu verschaffen auf Kosten der Förderschulen. So hat der Abgeordnete Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) in einer parlamentarischen Anfrage die Behauptung angesprochen, „die Förderschulen würden quantitativ (Lehrerwochenstunden) und qualitativ (fachrichtungsbezogen) prioritär vor den Integrationsmaßnahmen personalisiert, was zu einer Benachteiligung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen führe.“ Hierauf hat die Landesregierung geantwortet: „Die Landesregierung wird darauf achten, dass die Stundenzuweisung bei der Personalisierung von Schülerinnen und Schülern in Integrationsmaßnahmen im Vergleich zur Personalisierung der Förderschulen künftig ausgewogener gestaltet wird.[105] Zu bedenken ist aber auch, dass Schülerinnen und Schüler mit einem hohen Förder-, Unterstützungs- und Pflegeaufwand deutlich häufiger Förderschulen als Regelschulen besuchen.“106 Mit der Formulierung, die Personalisierung der Förderschulen einerseits und der Integrationsmaßnahmen andererseits „künftig ausgewogener zu 105 Eine in der Sache gleichlautende Aussage des in der Großen Koalition von Ulrich Commerçon (SPD) geleiteten Kultusministeriums wird von Freund, Nur wenig Hilfe für behinderte Schüler, SZ Nr. 254 vom 2./3.11.2013, S. B 2, wiedergegeben: „Als ‚Zwischenziel‘ peile das Ministerium daher ‚die gleichberechtigte Personalisierung von Integrationsmaßnahmen im Vergleich zur Personalisierung der Förderschulen‘ an.“ 106 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LTDrucks. 15/279 vom 14.12.2012.

8. Kap.: Staatliche Schulverantwortung bei integrativer Unterrichtung

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gestalten“, signalisiert die Landesregierung ihre Entschlossenheit, durch Verlagern von Personal der Förderschulen an die allgemeinen Schulen die Personalausstattung und damit die Unterrichtssituation der Förderschulen zugunsten der integrativen Unterrichtung zielgerichtet weiter zu verschlechtern.107 Es ist festzuhalten, dass die Landesregierung damit ihren eigenen – wie dargelegt, sachlich und rechtlich unhaltbaren – Zuteilungsmaßstab ad absurdum führt.

107 Nichts anderes ist gemeint, wenn die Landesregierung in ihrer Antwort zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Nachfrage zur Antwort der Landesregierung auf die Anfrage betreffend Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Schule (Drucksache 15/279 [15/172]), LT-Drucks. 15/450 NEU vom 30.4.2013, ankündigt: „Ein Zwischenziel ist die gleichberechtigte Personalisierung von Integrationsmaßnahmen im Vergleich zur Personalisierung der Förderschulen. Dies bedeutet auch die Erschließung vorhandener Ressourcen von Lehrerwochenstunden.“

Kapitel 9

Wissenschaftliche Politikberatung mit Unterstützungsfunktion A. Integrative Unterrichtung in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass es zehn Jahre dauerte, bis die in den Kap. 7 und 8 beschriebenen Verhältnisse bei der integrativen Unterrichtung im Saarland Gegenstand der kritischen Diskussion im parlamentarischen und sonstigen öffentlichen Raum wurden. Doch gibt es dafür mehrere Gründe. Die hier aufgezeigten Defizite und Probleme sind in einem Ausbau- und Entwicklungsprozess entstanden. Die Kombination aus einem mehr als ambitionierten Ausbauziel und -tempo und im Verhältnis hierzu höchst unzulänglichen personellen Ressourcen hat erst auf der Zeitachse die Defizite und das Konfliktpotenzial entstehen lassen. Sichtbar wurde dies nach und nach an den für die defizitäre Situation kennzeichnenden Maßnahmen, nämlich: Inanspruchnahme des angeblichen Personalüberhangs der Förderschulen zur Personalisierung der Integrationsmaßnahmen und dadurch herbeigeführte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Förderschulen; Streichung von Planstellen auch im Bereich der Förderschulen, von wo aus die integrative Unterrichtung an den allgemeinen Schulen zu personalisieren ist; zweimalige Anhebung der Schüler-Lehrer-Relation und Erhöhung der Klassengröße an den Förderschulen zum Zwecke der Freisetzung von Förderschullehrern für die integrative Unterrichtung und damit weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Förderschulen; „Bündelung“ mehrerer behinderter Schüler in einer Klasse der allgemeinen Schule ohne konsequente Kumulierung der auf die einzelnen behinderten Schüler entfallenden Ambulanzlehrer-Wochenstunden; kontinuierliche Absenkung der pro integrativ unterrichtetem Kind zur Verfügung stehenden Ambulanzlehrer-Wochenstunden; ministerielle Intervention mit dem Ziel der Begrenzung der Fälle festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs. Es musste also erst Zeit ins Land gehen, bis die Diskrepanz zwischen geweckten Hoffnungen und tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten, zwischen Rhetorik und Realität auch außerhalb des Kreises der Insider sichtbar wurde. Auch die Tatsache, dass es sich bei dem innovativen Projekt der integrativen Unterrichtung behinderter Kinder um ein emotional rundum positiv besetztes Thema handelt, ließ lange Zeit keinen Raum für kritische Fragen oder Anmerkungen.

9. Kap.: Wissenschaftliche Politikberatung

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Die Selbstverständlichkeit, mit der von Seiten der damaligen Landesregierung und der zuständigen Sprecher der Regierungsfraktion im Landtag der Eindruck eines problemlosen Funktionierens der integrativen Unterrichtung hervorgerufen wurde, kam der Erwartungshaltung vieler betroffener Eltern entgegen. Nicht wenige von ihnen mögen aufgrund dessen, was sie über die integrative Unterrichtung hörten oder lasen, zu der Einschätzung gekommen sein, dass sich mit dieser Unterrichtsform die Behinderung ihres Kindes zumindest in schulischer Hinsicht aufheben lasse. Auch hatte die Landesregierung keinen Grund, sich über das Echo in den Medien zu beklagen. Vielfach waren und sind Berichterstattung und Kommentare dadurch gekennzeichnet, dass selbst evidente Schwachpunkte darin praktisch nicht vorkommen. Wohlfeile Bekenntnisse zur Integration werden gern reproduziert. Dass die Medien genau hinsehen und Fragen stellen, lässt sich – von seltenen Ausnahmen abgesehen – nicht sagen. Die von Politikern bei Betroffenen geweckten unrealistischen Erwartungen wurden durch die Medien eher noch verstärkt.1 Die Illustrierung eines entsprechenden Zeitungsartikels mit dem Bild einer an den Rollstuhl gebundenen, aber mental in keiner Weise beeinträchtigten Schülerin im Klassenzimmer eines Gymnasiums dürfte in aller Regel die beabsichtigte mediale Wirkung nicht verfehlen. In diesem Sinne war die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung erfolgreich. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, man habe es mit einer einzigen Erfolgsgeschichte zu tun. Angesichts dessen war es auch nicht verwunderlich, dass von Seiten der Eltern lange Zeit keine Fragen nach der Qualität der integrativen Unterrichtung gestellt wurden. Es ist nichts davon bekannt, dass Elternvertretungen oder -verbände dem Kultusminister Breitenbach

1

Als Beispiel für einen Journalismus, der die regierungsamtliche Version, die integrative Unterrichtung im Saarland sei eine einzige Erfolgsgeschichte, distanzlos übernimmt, lässt sich der folgende, mit „Numerus clausus für Behinderte“ überschriebene Kommentar von ­Geisler in der SZ Nr. 86 vom 13./14.4.1991, S. L 1, anführen. Er nimmt Stellung zu der von Bildungsministerin Marianne Granz in realistischer Einschätzung der Handlungsmöglichkeiten getroffenen Entscheidung, dass angesichts fehlender personeller Ressourcen die Zahl der Integrationsmaßnahmen eingefroren werden müsse bzw. zumindest nicht mehr in dem bisherigen Tempo gesteigert werden könne – eine Entscheidung, die heftige Reaktionen auf Seiten der betroffenen Eltern hervorrief: „Integrieren statt Aussondern. Das ist der Grundgedanke eines saarländischen Schulgesetzes, das Behinderten den Besuch der Regelschule ermöglichen soll. Das Ergebnis eignete sich zum Vorzeigen. Das Saarland stand an der Spitze einer Entwicklung. Auch schulisch erhielt das Modell beste Noten. Nun ist die Regierung auf die Bremse getreten. Der Haushalt zwinge dazu. Mehr als 325 behinderte Kinder sollen künftig nicht mehr gefördert werden. Da der Bedarf an Integrationsschulplätzen nach zuverlässigen Schätzungen wesentlich höher ist, wird es zu einer Auslese kommen müssen. Wenn man so will: Numerus clausus für Behinderte, die zusammen mit gesunden Schülern unterrichtet werden wollen. Schenkt man Kultussprecherin Ulrike Fischer Glauben, so läßt sich weder sagen, wieviel das integrierte Schulmodell kostet, noch welchen Betrag man tatsächlich einsparen kann. Wie auf solcher Basis eine haushaltsrelevante Entscheidung getroffen werden kann, bleibt schleierhaft. Hier wird mit geschlossenen Augen politisches Porzellan zerschlagen, ohne zu wissen, ob es sich letztlich lohnt.“ (Hervorh. d. Verf.).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

oder seinen unmittelbaren Nachfolgern öffentlich Vorhaltungen wegen unzulänglicher Qualität der integrativen Unterrichtung gemacht hätten. Das Vertrauen in die amtlichen, von der Publizistik in aller Regel wohlwollend wiedergegebenen Verlautbarungen hat viele Eltern davon abgehalten, genau hinzuschauen, wie es um die Situation bei der integrativen Unterrichtung tatsächlich bestellt ist und was ihr Kind dort zu erwarten hat.2

B. Unterstützungspotenzial aus dem Hochschulbereich I. Personelle Konstellationen In diesem Prozess der öffentlichen Kommunikation war das Unterstützungspotenzial aus dem Hochschulbereich, auf das Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) zurückgreifen konnte, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die Rolle dieser wissenschaftlichen Begleitung bei der konzeptionellen Steuerung, der Bewertung und der öffentlichen Kommunizierung der sonderpädagogischen Integration im Saarland ist hier etwas näher zu beleuchten. Am Beginn dieser für beide Seiten ertragreichen Kooperation stand die Begegnung zweier Professoren an der 1970 errichteten Pädagogischen Hochschule des Saarlandes.3 Dort waren 1972 der Volks- und Sonderschullehrer Alfred Sander auf eine Professur im Fachgebiet „Entwicklungsgestörten-Pädagogik“ und 1974 Diether Breitenbach auf eine Professur für Psychologie berufen worden. Gegenstand ihrer Zusammenarbeit war u. a. die Entwicklung neuer Formen sonderpädagogischer Förderung. Mit der Auflösung der Pädagogischen Hochschule zum 1.10.19784 wurden beide durch den Kultusminister in die Rechtsstellung eines Professors auf Lebenszeit der Universität übergeleitet. Unmittelbar nach dem Regierungswechsel im April 1985 bildete Kultusminister Breitenbach die „Kommission für die Integration behinderter Schülerinnen und Schüler (KIBS)“ unter Vorsitz von Alfred Sander. Sie hat, zusammen mit einer weiteren „Kommission für die pädagogische Integration behinderter Kinder im Elementarbereich (KIBKE)“ un-

2 Auch in der Folgezeit waren öffentlich vernehmbare kritische Stimmen aus dem Kreis der Betroffenen eher die Ausnahme. Dazu gehört z. B. die von Freund, Neuer Streit über Integration Behinderter, SZ Nr. 223 vom 24.9.2012, S. B 2, wiedergegebene Kritik der Vorsitzenden der Landeselternvertretung der Förderschulen Petra Moser-Meyer, die für Klassen mit schwer, insbesondere geistig behinderten Schülern eine „Doppelbesetzung“ (Lehrkraft sowie weitere pädagogische Kraft) sowie eine niedrigere Klassenfrequenz fordert. 3 Zum Folgenden siehe Breitenbach, Gefährten auf dem Weg zur gemeinsamen Schule, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 11 ff. Der Sammelband, in dem Breitenbachs Beitrag veröffentlicht ist, ist aus Anlass des 60. Geburtstags von Alfred Sander erschienen. 4 Gesetz über die Auflösung der Pädagogischen Hochschule des Saarlandes vom 12.7.1978 (Amtsbl. S. 706).

9. Kap.: Wissenschaftliche Politikberatung

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ter Vorsitz von Hans Meister, ebenfalls Professor an der Universität des Saarlandes, „die Grundlagen für die spätere saarländische Integrationspolitik“5 geschaffen. Es trifft zu, wie Breitenbach schreibt, dass Alfred Sander an den Arbeiten zur Vorbereitung der Schulgesetznovelle vom 4.6.19866 beteiligt war, mit der die integrative Unterrichtung behinderter Schüler gesetzlich verankert wurde.7 Auch zu der Integrations-Verordnung (IntVO) vom 4.8.19878 hat Sander Beiträge konzeptioneller Art geleistet und Formulierungsvorschläge unterbreitet.9 Doch reichte das Aufgabenfeld, das sich Sander im Rahmen des von Breitenbachs Bildungspolitik abgesteckten thematischen Rahmens zur Bearbeitung vorgenommen hatte, erheblich weiter. Das geht insbesondere aus Breitenbachs Beitrag zu dem aus Anlass des 60. Geburtstags von Sander erschienenen Sammelband hervor: „Zusätzlich zu den beiden genannten Integrationskommissionen wurden in der Folgezeit weitere Projektgruppen gebildet und Modellversuche an der Universität des Saarlandes eingerichtet, die nicht nur die wissenschaftlichen und pädagogischen Grundlagen der Integrationspolitik weiterentwickelt und differenziert haben, sondern auch neue Organisations­ modelle formuliert, Vorschläge für Rechtsverordnungen und Richtlinien entworfen und Empfehlungen für die Aus- und Fortbildung von Lehrern sowie für die Einrichtung sonderpädagogischer Förderzentren erarbeitet haben. Die Saarbrücker Beiträge zur Integrationspädagogik, herausgegeben von der Arbeitseinheit Sonderpädagogik der Universität des Saarlandes und inzwischen im achten Band vorliegend, dokumentieren den ungewöhnlichen Umfang und die Qualität der hier geleisteten Arbeit.[10] Die Bedeutung der neuen, vor allem 5

So Breitenbach, Gefährten auf dem Weg zur gemeinsamen Schule, in: Hildeschmidt/ Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 11 (15 f.). Siehe auch die Antwort der Landesregierung zu Frage 28.4 der Großen Anfrage der FDP-Landtagsfraktion betreffend Entwicklung des Schulwesens im Saarland, LT-Drucks. 9/597 vom 22.4.1986, sowie die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LTDrucks. 10/260 vom 7.12.1990. 6 Amtsbl. S. 477. 7 Breitenbach, Gefährten auf dem Weg zur gemeinsamen Schule, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 11 (16). 8 Amtsbl. S. 972, zul.geänd.d. VO vom 3.8.2015 (Amtsbl. I S. 540 [598]). 9 Siehe die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der CDU-Landtagsabgeordneten Franz Becker, Peter Jacoby, Birgit Küpper, Gerd Meyer und Kurt Schoenen betr. Eingliederung behinderter Kinder und Jugendlicher in Regelschulen, LT-Drucks. 9/991 vom 22.12.1986: „Die vom Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft eingesetzte ‚Kommission für die Integration behinderter Schüler und Schülerinnen‘ hat einen Entwurf entsprechender Richtlinien ausgearbeitet, der in der nach § 4 Abs. 1 SchoG zu erstellenden Rechtsverordnung berücksichtigt wird.“ In der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen, LT-Drucks. 10/260 vom 7.12.1990, heißt es: „Im Jahre 1985 beauftragte der Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft eine Kommission für die Integration behinderter Schüler und Schülerinnen mit der Planung und Vorbereitung der schulischen Integration. Deren Auftrag war mit der Erarbeitung pädagogischer und juristischer Grundlagen (z. B. Entwurf einer Integrationsverordnung) und der Betreuung erster Integrationsmaßnahmen 1988 erfüllt.“ 10 Siehe hierzu auch die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Norbert Wagner (FDP) betr. Erfahrungen bei der Integration behinderter Schüler in Regelschulen,

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

ökosystemischen Reformansätze aller dieser Projekte ausführlich zu schildern, sei anderen Autoren aus dem Bereich der Erziehungswissenschaft überlassen. Für Politik und Schul­ verwaltung war es wichtig, von verlässlichen Beratern, Kritikern und Innovatoren begleitet zu sein. Alfred Sander hat dies zu seiner Lebensaufgabe gemacht.“11

Mit der wissenschaftlichen Begleitung war die von Alfred Sander geleitete, bei der Universität des Saarlandes, Fachrichtung Allgemeine Erziehungswissenschaft, Arbeitseinheit Sonderpädagogik, eingerichtete Projektgruppe „Integration behinderter SchülerInnen (IBS)“ beauftragt worden. Im Anschluss an die Wiedergabe des umfangreichen Katalogs der Tätigkeiten dieser Projektgruppe heißt es bei Sander: „Die wissenschaftliche Begleitung durch die Projektgruppe IBS leistet zweifellos einen wichtigen Beitrag zur systemischen Steuerung der Integrationsentwicklung im saarländischen Schulwesen. Die Einschätzung der Integrationsentwicklung im Saarland erfolgt hier nicht aus der Position des distanzierten, sondern aus der eines engagierten Wissenschaftlers. Unsere wissenschaftliche Begleitung der Integration ist Handlungsforschung, wir wirken aktiv und kooperativ an der Entwicklung mit, auch unsere eigenen Einsichten und Handlungsmöglichkeiten entwickeln sich mit. Wir sind involviert und wollen es sein.“12

Kultusminister Breitenbach ließ es nicht an Engagement fehlen, um die für die Bewältigung dieses umfangreichen Arbeitsprogramms erforderlichen materiellen Voraussetzungen zu gewährleisten.13 II. Selbstreferenzielles System Man hat es hier also mit einem in sich geschlossenen System von Konzipierung, Realisierung und Bewertung eines Projektes durch die immer gleichen Teilnehmer zu tun: Die Grundlage wurde gelegt durch die Entwicklung entsprechender konzeptioneller Ansätze noch während der gemeinsamen Tätigkeit von Breitenbach und Sander an der Hochschule; nach dem Regierungswechsel 1985 wurde dies von dem Kultusminister Breitenbach zu einem mit hoher Priorität ausgestatteten bildungspolitischen Projekt der Landesregierung gemacht; in der operativen Phase der Umsetzung gab insbesondere die von Sander geleitete Projektgruppe „Integration behinderter SchülerInnen (IBS)“ zahlreiche Hinweise und Anstöße zu konkreLT-Drucks. 10/260 vom 7.12.1990: „Eine 1986 vom Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft initiierte Projektgruppe an der Universität des Saarlandes begleitet die Integration behinderter Schüler/innen wissenschaftlich. Sie veröffentlicht die jährlich erscheinenden ‚Saarbrücker Beiträge zur Integrationspädagogik‘ mit Erfahrungsberichten und Anregungen für die weitere Entwicklung.“ 11 Breitenbach, Gefährten auf dem Weg zur gemeinsamen Schule, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 11 (17). 12 Alfred Sander, Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen im Saarland 1989, in: ders./Christ/Franck-Weber u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche, S. 9 (30 f.). 13 Siehe hierzu oben sub Kap. 1 B. II.

9. Kap.: Wissenschaftliche Politikberatung

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tisierenden Handlungsanweisungen inhaltlicher und organisatorischer Art; dazu gehörte, dass Sander auch an der Vorbereitung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Erlassen beteiligt war; die entwicklungsbegleitenden Beobachtungen und Erfahrungen, die bei dem auf dieser Grundlage in Gang gesetzten Integrationsausbau gemacht wurden, sind von Sander und seinen Mitarbeitern aufgezeichnet worden und fanden auf Anregung von Kultusminister Breitenbach Eingang in Jahresberichte, die nicht rein deskriptiver Art sind, sondern auch Bewertungen enthalten; mit der materiellen Unterstützung durch den Kultusminister wurden diese Berichte in Buchform veröffentlicht, so dass die Landesregierung bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit hierauf zurückgreifen bzw. verweisen konnte; der von dieser Öffentlichkeitsarbeit erzeugte Eindruck eines reibungslosen Funktionierens der integrativen Unterrichtung führte bei betroffenen Eltern zu nicht erfüllbaren Erwartungen und einer großen Zahl von Integrationsanträgen; in der Folge kam es zu einer Hypertrophie; für die „Lösung“ der dadurch entstandenen Probleme wurde schließlich wieder auf die wissenschaftlichen Begleiter zurückgegriffen14 und so weiter. Ein selbstreferenzielles System dieser Art kann die kritische Distanz nicht gewährleisten, die man von Wissenschaft erwartet. Es ist nicht zu übersehen, dass in den von der Arbeitseinheit Sonderpädagogik der Universität des Saarlandes für die Jahre 1986 bis 1998 in Buchform herausgegebenen Berichten der quantitative Aspekt der Integrationsentwicklung im Vordergrund steht, d. h. beim Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland wird deren „Erfolg“ von den Autoren maßgeblich an der rasanten Steigerung der Fallzahlen festgemacht. Aber auch soweit Ergebnisse aus pädagogischen Einzelfallbetrachtungen wiedergegeben werden, stößt man nur äußerst selten auf Textstellen mit kritischer Färbung. Man hat es, um eine von Bleidick ganz allgemein auf manche Berichte aus wissenschaftlichen Begleituntersuchungen gemünzte Formulierung aufzugreifen, mit „erfolgsgesättigten Erfahrungsberichten“15 zu tun. Es wird keine Kritik an der im Saarland aufs Ganze gesehen evident unzulänglichen Personalausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahme geübt, und die dadurch induzierte pädagogische Unzulänglichkeit der Integrationspraxis wird nicht thematisiert. Man sucht in diesen Berichten vergeblich nach Hinweisen, in denen eine drastische Verbesserung der Personalausstattung der einzelnen Integrationsmaßnahme gefordert und die Bereitschaft signalisiert wird, die damit zwangsläufig verbundene Beschränkung auf eine deutlich geringere Zahl von Integrationsmaßnahmen in Kauf zu nehmen. Soweit in diesen Berichten Kritik geübt wird, liegt deren Schwerpunkt darin, dass nach Auffassung der Autoren die Steigerung der Fallzahlen nicht schnell genug vorangeht und der Staat nicht genug Ressourcen zur Verfügung stellt. In den Berichten der Projektgruppe wird zwar der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierte Mög 14 So bezeichnete die SPD-Landtagsabgeordnete Isolde Ries die „Bündelung“ mehrerer integrativ unterrichteter behinderter Schüler in der Regelklasse einer allgemeinen Schule (siehe hierzu oben sub Kap. 7 D.) als „eine sinnvolle pädagogische Maßnahme, wie sie von dem wissenschaftlichen Team der Universität vorgeschlagen wurde“, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2358. 15 Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (338).

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

lichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt, der von den Autoren zutreffend als Synonym für Kostenneutralität angesehen wird, mehrfach referiert. Doch hat man es auf Seiten der Autoren – trotz der auch von Sander nicht schlechthin in Abrede gestellten Haushaltsnotlage des Saarlandes16 – letztlich nicht mit einer wirklichen Akzeptanz des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts und der mit ihm verbundenen Konsequenzen zu tun. Die vom Kultusminister mit der wissenschaftlichen Begleitung des Integrationsprojekts beauftragte Projektgruppe „Integration behinderter Schüler (IBS)“ legte den verantwortlichen Bildungspolitikern bei der von diesen betriebenen, gemessen an den mehr als bescheidenen personellen Ressourcen im Saarland exorbitanten Steigerung der Fallzahlen keine Steine in den Weg. Im Gegenteil: Mit einer solchen wissenschaftlichen Begleitung im Rücken brauchte man – so das durchaus realistische Kalkül der politischen Akteure – mit kritischen Fragen der Öffentlichkeit und der Betroffenen zur pädagogischen Qualität dieser Art von integrativer Unterrichtung zumindest fürs Erste nicht zu rechnen. Aufschlussreich für die Bewertung dieser Berichte aus der wissenschaftlichen Begleitung ist z. B., was Sander in seinem Vorwort zu dem Jahresbericht 1989 schreibt: „Auch dieser Band will kein Forschungsbericht in strengerem Sinn sein, sondern ein informativer Entwicklungsbericht über Fortschritte und Schwierigkeiten der Integrationsausbreitung. Die behandelten Fragen entstammen überwiegend einer Themenliste, die der saarländische Kultusminister zu Beginn des Jahres 1989 der Projektgruppe IBS zur Bearbeitung vorgelegt hat. Wir danken dem bisherigen Kultusminister (jetzigen Wissenschaftsminister) Prof. Dr. Diether Breitenbach für die in den vergangenen Jahren regelmäßig erfolgte Zurverfügungstellung von Mitteln, die unsere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wesentlich unterstützt haben.“17

In dem Vorwort Sanders zu dem Bericht über die Entwicklung in den Jahren 1990 bis 1993/94 heißt es, in den achtziger Jahren sei es „‚sinnvoll [erschienen], in jährlichen Berichtsbänden die interessierte Öffentlichkeit ausführlich über die gemachten Erfahrungen zu informieren‘“.18 Man sucht in diesen Berichten vergeblich nach einem Beitrag, der erkennbar dem Ziel einer transparenten Evaluierung gedient und den an sie zu stellenden methodischen Mindestanforderung entsprochen hätte (Untersuchungsgruppe sowie Vergleichsgruppe, ausreichende Grundgesamtheit, klare Fragestellung usw.). Stattdessen finden sich Einzelfall 16 Das BVerfG, Urt. v. 27.5.1992, 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90, BVerfGE 86, 148 (262 f.), hat eine „extreme […] Haushaltsnotlage“ des Saarlandes festgestellt und der Klage des Saarlandes stattgegeben. Die daraufhin vom Bund in den Jahren 1994 bis 2003 an das Saarland zur Teilentschuldung geleistete Finanzhilfe belief sich auf insgesamt 6,5 Milliarden Euro. 17 Alfred Sander, Vorwort, in: ders./Christ/Franck-Weber/Fuchs u. a., Gemeinsame Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Jahresbericht 1989 aus dem Saarland, S. 7. 18 Alfred Sander, Vorwort, in: ders./Hildeschmidt/Jung-Sion u. a., Schulreform Integration. Entwicklungen der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland 1990–1993/94, S. 7.

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beschreibungen und Binnenanalysen zum integrativen Unterricht, d. h. ein valider Vergleich mit dem Unterricht an Förderschulen fand nicht statt. Die kommunikative Funktion dieser Berichte im gesellschaftlichen Diskurs ist nicht zu übersehen. Dessen Bedeutung für die Akzeptanz des Integrationsprojekts wird von Sander in seiner informativen Darstellung des Netzwerks integrationsengagierter Personen, Institutionen und Organisationen im Saarland thematisiert.19 Auch ohne dass es von ihm ausdrücklich hervorgehoben wird, dürfte man nicht fehlgehen in der Einschätzung, dass hierbei auch der nicht unbeträchtliche Einfluss wirksam geworden ist, der von der wissenschaftlichen Begleitung als solcher ausging. Denn nicht zuletzt die Tatsache, dass auf eine vorhandene wissenschaftliche Begleitung hingewiesen werden kann, hat im Prozess der gesellschaftlichen Kommunikation erfahrungsgemäß hohen Überzeugungswert: Mit Wissenschaft verbindet man gemeinhin die Vorstellung einer ausschließlich der Erforschung von Wirklichkeit verpflichteten Objektivität. Der omnipräsenten wissenschaftlichen Begleitung sind aber offenbar gewisse Integrationsmaßnahmen entgangen, von denen einige als Vorzeigefälle gedacht waren, hinter denen sich aber eine ganz andere, z. T. pädagogisch erschütternde Wirklichkeit verbarg. Drei Fälle, darunter ein Fall mit zwei geistig behinderten Kindern, wurden von der CDU-Landtags­abgeordneten Monika Bachmann in der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997 unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Belange im Detail geschildert.20 21 Ihrer sachlich in allen 19

Alfred Sander, Gibt es im Saarland eine Integrationskultur? Beobachtungen zum Hintergrund der schulischen Integration, in: ders./Hildeschmidt/Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche im Saarland 1994 bis 1998, S. 291 ff. 20 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2353 f. 21 Die nachfolgende Schilderung dieser Fälle lehnt sich zwar in der Darstellung an die Ausführungen der Abgeordneten Monika Bachmann an, beruht jedoch auf eigenständigen Informationsgrundlagen des Verfassers: Fall 1: Zu den ersten Schülern, die auf der Grundlage des 1986 geänderten Schulordnungsgesetzes integrativ unterrichtet wurden, gehörten zwei geistig behinderte Schüler, die im Rahmen eines Schulversuchs in dieselbe Grundschulklasse eingeschult wurden. Für ihre unterrichtliche Betreuung wurde aus dem Lehrerkollegium einer Förderschule geistige Entwicklung eine Ambulanzlehrkraft mit zunächst 13, später mit 24 Wochenstunden zur Verfügung gestellt. Mit Beginn der Klassenstufe 5 erhöhte sich die Zahl der Ambulanzlehrer-Wochenstunden auf 28, ab dem Schuljahr 1992/93 auf 32; für zwei Schüler standen also 1,2 Vollzeitlehrkräfte zur Verfügung. Der Unterricht spielte sich, insbesondere ab der Klassenstufe 5, zum größten Teil nicht im Klassenverband mit den übrigen Schülern ab, sondern in einem separaten Raum unter dem Dach, der auch als Lager für Schulmöbel genutzt wurde. Die Begegnung der beiden behinderten Schüler mit den nichtbehinderten Schülern beschränkte sich auf die Zeit vor Unterrichtsbeginn, auf die Pausen und den Unterricht in Werken, Kochen und Sport. Eine Gruppe von Landtagsabgeordneten, denen die Regierung im Rahmen eines Unterrichtsbesuchs Gelegenheit zum Kennenlernen dieser „erfolgreichen“ Integration gab, zog es vor, angesichts der Peinlichkeit dieser offensichtlichen Inszenierung (antrainierte Antworten der behinderten Kinder, Vorsagen durch die Mitschüler) bereits nach kurzer Zeit den Klassenraum wieder zu verlassen. Als die Schulzeit der beiden Schüler an der Hauptschule endete, war ihr weiterer Bildungsweg mangels konzeptioneller und rechtlicher Vorgaben durch das Kultusministerium ungeklärt:

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

Eine Weiterführung der integrativen Unterrichtung an einer beruflichen Schule schied aus, da das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) wegen seiner ohnehin pädagogisch schwierigen Schülerschaft nicht in Betracht kam; von einer Weiterführung in einer allgemeinbildenden Schule (hier wurde zeitweise ernsthaft an eine Gesamtschule oder das Gymnasium gedacht, weil diese Schulen die Erfüllung der bei geistig Behinderten zwölfjährigen Schulpflicht ermöglicht hätten!), wurde im Ergebnis abgesehen; die pädagogisch einzig sinnvolle Maßnahme, nämlich der Übergang in die Werkstufe einer Förderschule geistige Entwicklung, wurde von den Eltern, die auf der versprochenen integrativen Unterrichtung bestanden, abgelehnt. Diese vom Kultusministerium von Anfang an spektakulär inszenierte zieldifferente Unterrichtung endete folgendermaßen: Am Ende der Klassenstufe 9 der Hauptschule wurde die Integrationsmaßnahme beendet, und beide Schüler wurden aus der Schule entlassen. Einer der beiden Schüler wechselte sofort in eine Werkstatt für Behinderte, der andere folgte kurze Zeit später dorthin nach. Seitens der Behindertenwerkstatt machte man kein Hehl daraus, dass man es für unverantwortlich halte, junge Menschen dieses Alters unter die behinderten Erwachsenen aufzunehmen. Die Konzeptionslosigkeit des Kultusministeriums ist umso bemerkenswerter, als es bereits 1989 im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage mit exakt dieser Fallproblematik befasst worden war. Denn die CDU-Landtagsfraktion hatte in ihrer Großen Anfrage betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen, LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989, die Frage gestellt (Frage 71): „Welche Beschulung sieht die Landesregierung für Sonderschüler in Integrationsmaßnahmen vor, die zwar die Regelschule durchlaufen haben, aber aufgrund der verlängerten Schulpflicht noch schulpflichtig sind (z. B. geistig Behinderte)?“ Die Antwort der Landesregierung zu dieser Frage lautete: „Das in der Frage formulierte Problem ist bisher nicht aufgetreten. Eine Regelung würde gegebenenfalls wie bei allen Integrationsmaßnahmen auch die besondere Situation des Einzelfalles berücksichtigen. Dies entspricht den Maximen der Landesregierung bei allen Integrationsmaßnahmen.“ Den schulischen Weg dieser beiden geistig behinderten Schüler hat Alfred Sander, Über das Mißlingen einiger Integrationsversuche. Eine Studie zu Problemen der schulischen Integration behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher, in: ders./Hildeschmidt/Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche im Saarland 1994 bis 1998, S. 117 (144), möglicherweise im Auge, wenn er schreibt: „[…] einige eklatante Fälle sind in Fachkreisen weithin bekannt geworden: So befinden sich die beiden ersten Jugendlichen, die mit der Diagnose ‚Geistige Behinderung‘ die gesamte Grund- und Hauptschule durchlaufen haben, heute in einer Werkstatt für Behinderte!“ Sollte Sander hierbei die beiden oben im Detail geschilderten Integrationsmaßnahmen gemeint haben, so nähme sich sein Erstaunen etwas verspätet aus angesichts des weitreichenden Informationszugangs, den die Mitarbeiter der von Sander geleiteten wissenschaftlichen Begleitung zu den Integrationsmaßnahmen in den saarländischen Schulen hatten. Fall 2: Eine Schülerin, die im Alter von vier Jahren bei einem Autounfall schwere Verletzungen mit dauerhaften Folgen erlitten hatte, jedoch in ihrer mentalen Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt war, wurde mit Beginn der Schuljahres 1995/96 in eine Grundschule eingeschult. Auf Verlangen der Eltern und nach einer entsprechenden Intervention aus dem Kultusministerium wurde die Schülerin in die Grundschule aufgenommen, obwohl von Seiten des Schulamtes erhebliche Bedenken geltend gemacht worden waren. Denn für die Schülerin musste im Klassenzimmer ein Bereich abgegrenzt werden, da sie an verschiedene medizinische Apparaturen angeschlossen war und der Schulrat angesichts des Bewegungsdranges von Grundschulkindern eine Gefährdung der Schülerin nicht ausschließen konnte. Die Schülerin wurde während der gesamten Unterrichtszeit von einer Krankenschwester betreut. Man hat den Fall dieser Schülerin in der Öffentlichkeit als Beweis dafür angeführt, dass auch in solchen extremen Fällen eine integrative Unterrichtung möglich sei. Dabei wurde jedoch neben der Belastung, die damit für die Mitschüler verbunden war, die Tatsache verschwiegen, dass die Kosten für die medizinische und pflegerische Betreuung durch die Krankenschwester von dem Schädiger

9. Kap.: Wissenschaftliche Politikberatung

263

Einzelheiten zutreffenden Darstellung wurde weder in der Plenarsitzung noch zu einem späteren Zeitpunkt seitens des Kultusministers oder seitens der Regierungsfraktion in der Sache widersprochen.22

bzw. dessen Haftpflichtversicherung getragen wurden. Das Kultusministerium wäre aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, in solchen Fällen die erforderliche medizinische und pflegerische Betreuung durch eine Krankenschwester während der gesamten Unterrichtszeit zu gewährleisten. Fall 3: Ein hörbehinderter Schüler besuchte von 1990 bis 1995 eine Gesamtschule, an der er integrativ, und zwar zielgleich, unterrichtet wurde. Sein Abschlusszeugnis enthält im Fach Bildende Kunst keine Note. Zur Begründung heißt es im Zeugnis unter „Bemerkungen“: „[…] hat am Kunstunterricht nicht teilgenommen, da er aufgrund seiner Hörbehinderung zu dieser Zeit gesondert unterrichtet wurde.“ Ein Schüler, der aufgrund seiner Hörbehinderung mehr noch als andere Menschen auf visuelle Kommunikation angewiesen ist, wurde also von der Teilnahme an einem Fach, das wie kein anderes schulisches Unterrichtsfach auf die Sensibilisierung für visuelle Eindrücke ausgerichtet ist, ausgeschlossen, weil er in dieser Zeit „gesondert unterrichtet“ wurde. Die pädagogische Absurdität des faktischen Ausschlusses ausgerechnet eines hörbehinderten Schülers vom Unterricht in Bildender Kunst ist offenbar niemandem aufgefallen. Auch zeigt dieser Fall, dass im Rahmen integrativer Unterrichtung klassenraumexterner Unterricht, d. h. Separierung nichts Ungewöhnliches ist. 22 Dem Verfasser der vorliegenden Schrift sind in allen drei Fällen die Namen der Schulen, der betroffenen behinderten Schüler und der beteiligten Pädagogen bekannt.

Kapitel 10

Problematik der ländervergleichenden Statistiken zur integrativen/inklusiven Unterrichtung Es kann davon ausgegangen werden, dass es auch andere Bundesländer gibt, bei denen Probleme bzw. pädagogische Defizite bei der integrativen/inklusiven Unterrichtung existieren. Doch ist in der Wettbewerbssituation des Bildungsföderalismus ein ausschließlich an den Fallzahlen ausgerichtetes Ranking geradezu vorprogrammiert. In Wirklichkeit sind diese Statistiken in hohem Maße fragwürdig.

A. Fehlende Einheitlichkeit in der begrifflichen Ausgangslage Das beginnt bereits damit, dass den auf den Ländervergleich bezogenen Statistiken – unabhängig davon, ob es sich dabei um „amtliche“ wie die der Kultusministerkonferenz1 oder um Zahlenmaterial in einschlägigen Publikationen2 handelt – kein eindeutig definierter Begriff von integrativer/inklusiver Unterrichtung zugrunde liegt. So spricht Alfred Sander zutreffend von „der relativ großzügigen Integrationsstatistik der Kultusministerkonferenz, die in den zurückliegenden Erhebungen offenbar alles gelten gelassen hatte, was die Bundesländer als Integration gemeldet hatten […].“3 Gemeint ist damit die oben4 thematisierte Bandbreite der Organisationsformen integrativer/inklusiver Unterrichtung. Auch Klemm weist mit Blick auf die KMK-Statistik darauf hin, dass bei der Bewertung der dort ausgewiesenen „Inklusionsquote beachtet werden [muss], dass unter ‚Inklusion‘ im Vergleich der Bundesländer sehr unterschiedliche Konzeptionen zusammengefasst und verstanden werden“.5 Diese Beobachtung wird auch 1 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Dokumentation Nr. 196. Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2001 bis 2010, http://www.kmk.org/pdf/statistik/KomStat (Zugriff: 2.5.2013). 2 Vgl. z. B. Klemm, Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven, S. 14; ders., Gemeinsam lernen. Inklusion leben, S. 20. 3 Alfred Sander, Konzepte einer Inklusiven Pädagogik, Zeitschrift für Heilpädagogik 2004, 240 (243). 4 Siehe sub Kap. 2 C. II. 5 Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 9. Ders., Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 28 f., weist außerdem auf eine weitere „statistische Unübersichtlichkeit“ hin: Da schon heute einige Bundesländer bei einzelnen Förder-

10. Kap.: Problematik der ländervergleichenden Statistiken

265

von Hinz bestätigt: „Nahezu jedes Kultusministerium versucht in den letzten Jahren einen Aspekt hervorzuheben, der die eigene führende Rolle auf dem Feld der Integration belegen kann, und ist bestrebt, ihn in die Öffentlichkeit zu bringen.“ Das zeige „die Problematik der konzeptionellen Verwirrung sehr deutlich – wie allerdings auch die Problematik statistischer Erhebungen […].“6 Gemessen an der Bedeutung, die solcherart Mängel der begrifflichen Determinierung für die Validität einer Statistik besitzen, ist es eher verniedlichend, wenn das Deutsche Institut für Menschenrechte bei seinem Umgang mit dieser Statistik lediglich folgende Einschränkung beifügt: „Diese Zahlen enthalten Unschärfen, weil sich die Länder bislang nicht auf einheitliche Prämissen der Berechnung geeinigt haben.“7

B. Varianz der pädagogischen Qualität des integrativen/inklusiven Unterrichts Erst recht enthalten diese Statistiken keine Informationen über die für die Qualität der integrativen/inklusiven Unterrichtung maßgeblichen Parameter, d. h. insbesondere zu dem durchschnittlichen Umfang der zusätzlich je integrativ unterrichtetem Schüler bereitgestellten Lehrer-Wochenstunden oder zu den Klassenfrequenzen der Klassen mit integrativ unterrichteten behinderten Schülern.8 Es geht aus dem Zahlenwerk nicht hervor, ob es sich jeweils um verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung handelt. Deutlicher ausgedrückt: Eine in der ländervergleichenden Statistik ausgewiesene hohe Integrations-/Inklusionsquote sagt nichts darüber aus, ob man es aufs Ganze gesehen in dem betreffenden Land mit integrativer/inklusiver Unterrichtung zu tun hat, bei der die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes tatsächlich gewährleistet ist.9 „Allein schwerpunkten (Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung, Sprache)  zumindest während der ersten Schuljahre auf die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs verzichteten und Förderressourcen nicht länger auf der Basis einer individuellen Diagnostik, sondern den Schulen systemisch zugeteilt würden, werde in diesen Ländern die Zahl der sonderpädagogisch zu fördernden Schüler nicht vollständig erfasst. 6 Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung?, Zeitschrift für Heilpädagogik 2002, 354 (356). 7 Deutsches Institut für Menschenrechte. Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems. Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund, 31.3.2011, S. 3, http://www.institut-fuer-menschen rechte.de/de/monitoring-stelle/publikationen.html?PHPSES-SID=88378999131c75e9be570d 697f52df7e. (Zugriff: 20.3.2013). 8 Zu diesen Informationsdefiziten gehört auch, dass im Kontext der Veröffentlichung dieser Statistiken keine Übersichten über die existierenden und gegebenenfalls auch nicht existierenden normativen Regelungen bezüglich der personellen Ausstattung der Integrationsmaßnahmen zu finden sind: „Man“ ist an diesbezüglicher Transparenz eben nicht interessiert. 9 Alfred Sander, Inklusion macht Schule, Sonderpädagogische Förderung heute 2008, 342 (350): „[…] nicht selten findet der gemeinsame Unterricht unter erschwerten, qualitativ grenzwertigen Bedingungen statt. Mancherorts werden Maßnahmen Integration genannt, die de facto diese Bezeichnung nicht verdienen.“ Schumann, Inklusion statt Integration – eine Ver-

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2. Teil: Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 

der Umstand, dass gemeinsam beschult wird, erlaubt noch kein Urteil darüber, ob die damit verbundenen Ziele auch erreicht werden.“10 Die Aussagekraft dieser Statistik für einen validen Ländervergleich ist daher mehr als fragwürdig. Richtig ist allerdings, dass die selektive Verwendung dieser Daten je nach Interessenlage für Stimmungsmache in Betracht kommt, z. B. bei der mitunter aggressiven Kampagne für das Projekt „inklusive Schule“ und die damit intendierte Abschaffung der Förderschulen.

pflichtung zum Systemwechsel, Pädagogik 2009, Heft 2, 51 (52), spricht im Hinblick auf die unzulängliche „Bereitschaft der Länder, die finanziellen und personellen Ressourcen bereitzustellen“, von „der zumeist kümmerlichen Ausstattung“. Auch Schor, Abteilungsleiter am Bayerischen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, lässt in Mobile Sonderpädagogische Dienste, S. 124 f., bei seiner um einen positiven Gesamteindruck bemühten Darstellung des bayerischen Integrationsmodells der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste deutliche Zwischentöne hörbar werden: „Vielerorts ist immer noch die Kunde, dass die Anzahl der Beratungsfälle zum Gütekriterium für die Konsultations- und Interventionsqualität der Sonderschullehrer in den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten erkoren wird. Es verbietet sich von selbst, die Schülerzahl zum Maßstab, zur Messlatte erfolgreicher mobiler Dienstleistung zu erheben. […] Auch wenn bis auf den heutigen Tag keine validen Kriterien für die objektive Messbarkeit von mobiler Effektivität vorliegen, so ist diese These unumstößlich: Qualität vor Quantität! Denn: Quantität kann zu Lasten von Qualität gehen. […] Quantität ist kein primär prägendes Merkmal von präventiv-integrativem Erfolg. […] Von Wichtigkeit erscheint der Hinweis, dass die Übernahme einer überhöhten Anzahl von Beratungsfällen den Erfolg der mobilen Dienstleistung gefährden kann, weil – angesichts der knappen Zeitressourcen – kontinuierliche und intensive Begleitung sowie individuelle und professionelle Unterstützung von Schülern, Lehrern, Eltern und Erziehungsberechtigten nicht gewährleistet werden können.“ Auch bei Verbeet/Windmann, Drinnen vor der Tür, „Der Spiegel“ Nr. 24 vom 11.6.2011, S. 47 f., klingt an, dass man dort den weiten Abstand der Integrations-/Inklusionsrhetorik von der Ressourcenwirklichkeit nicht verkennt. 10 Ahrbeck, Inklusion. Eine Kritik, S. 16.

Dritter Teil 

Förderschule Kapitel 11

Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes A. Verfassungsänderung vom 5.11.1969 I. Anlass und Inhalt der Verfassungsänderung Eine Regelung zur Sonderschule in der Verfassung des Saarlandes erging erstmals durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 5.11.1969.1 Mit dieser Verfassungsänderung wurde das bis dahin für die Grundund Hauptschulen geltende Prinzip der Konfessionsschule aufgegeben und diese Schulen wurden zu Gemeinsamen Schulen, d. h. christlichen Gemeinschaftsschulen (Simultanschulen). Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. erhielt folgende Fassung: (3) 1Die öffentlichen Grund- und Hauptschulen (Volksschulen), Sonderschulen, berufsbildenden Schulen, Realschulen und Gymnasien sind Gemeinsame Schulen. 2In ihnen werden Schüler unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen andersdenkender Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte unterrichtet und erzogen.

Die Aufzählung der Schulformen in Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1969, darunter die Sonderschulen, war ausschließlich bezogen auf diesen konfessionellen bzw. weltanschaulichen Aspekt und sollte zum Ausdruck bringen, dass das gesamte Schulwesen des Saarlandes nach dem Prinzip der Gemeinsamen Schulen inhaltlich ausgestaltet und organisiert ist. Außerdem wurden die Sonderschulen in dem die Privatschulen betreffenden Art. 28 Verf. d. Saarl. genannt, und zwar in Absatz 2 bezüglich der besonderen Zulassungsvoraussetzungen des Art.  7 Abs.  5 GG und in Absatz  4 hinsichtlich der staatlichen Finanzhilfe.

1

Amtsbl. S. 765, in Kraft getreten am 6.12.1969; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 1. 

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3. Teil: Förderschule

II. Bedeutung der Verfassungsänderung für die Förderschule Der Schulformenkatalog des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1969 hatte ausschließlich deskriptiven Charakter. Er benannte die zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen Schulformen. Mit der Aufzählung der Schulformen in Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1969 war deren institutionelle Garantie weder verbunden noch bezweckt. Doch während die übrigen Schulformen – wenn auch z. T. mit anderen Bezeichnungen – bis dahin in der Verfassung des Saarlandes bereits erwähnt waren, kam der erstmaligen Aufnahme der Sonderschulen in die Verfassung des Saarlandes auch eigenständige Bedeutung zu. Es wurde nunmehr auch von Verfassungs wegen bestätigt, dass der Staat verpflichtet ist, „schulische Einrichtungen bereitzuhalten“,2 um den Bildungsanspruch auch des behinderten Kindes und Jugendlichen zu erfüllen. Dieser Verpflichtung war das Saarland durch den Ausbau eines hochdifferenzierten und leistungsfähigen Systems von Förderschulen nachgekommen.

B. Verfassungsänderung vom 27.3.1996 I. Anlass und Inhalt der Verfassungsänderung Mit der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 erhielt Art.  27 Abs.  3 Verf. d. Saarl. 19963 folgende Fassung: (3) Das öffentliche Schulwesen besteht aus Grundschulen, Schulen für Behinderte, Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen.

Durch die Aufnahme in diesen abschließenden Schulformenkatalog wurden die darin genannten Schulformen institutionell garantiert. Die Bedeutung dieser Regelung für die Förderschule und die „Tragweite“ des ihr zugrunde liegenden Verfassungskompromisses erschließen sich nicht ohne einen genaueren Blick auf die für diese Verfassungsänderung ursächliche Entwicklung. 1. Niedergang der institutionell garantierten Hauptschule Am Anfang des Prozesses der Verfassungsänderung stand eine unhaltbar gewordene Situation der Hauptschule, die allerdings durch die Verfassung des Saarlandes institutionell garantiert war. Der Niedergang der Hauptschule hatte sich spätestens Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts abgezeichnet. Die signifikant zurückgehende Hauptschulbesuchsquote war zurückzuführen auf ein verändertes, zunehmend an 2

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). Amtsbl. S. 422, in Kraft getreten am 18.5.1996; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 2.

3

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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höheren Abschlüssen orientiertes Nachfrageverhalten. Eine gezielte, auch staat­ licherseits unterstützte Bildungswerbung („Schicke Dein Kind länger auf bessere Schulen!“) verstärkte den mit dieser Entwicklung verbundenen Bewusstseinswandel. Versuche zur Stabilisierung der Hauptschule blieben erfolglos. Der dramatische Rückgang der Schülerzahlen nach 1970 infolge des „Pillen­ knicks“ hat die Probleme verschärft. In keinem anderen Bundesland war die Geburtenzahl so stark zurückgegangen wie im Saarland. In der Phase der Bildungsexpansion war das Schulsystem im Saarland ausgelegt worden auf Geburtenjahrgänge mit etwa 20.000 Kindern. Nach dem Höchststand im Jahr 1963 mit 21.537 war die Geburtenzahl auf 9.800 im Jahr 1985 gesunken und hatte sich zunächst auf diese Größenordnung eingependelt.4 Sie ist in der Folgezeit weiter gesunken und betrug im Jahr 2011 noch 7088.5 Das breite Bildungsangebot mit seiner großen Zahl von Schulstandorten blieb jedoch im Wesentlichen bestehen. In dieser durch die demographische Entwicklung erzwungenen kontraktiven Phase unterblieben die unabweisbaren Anpassungen in der Struktur des Bildungsangebots. 2. Einführung der Gesamtschule als zusätzliche Schulform Mit der Landtagswahl am 10.3.1985, bei der die SPD unter Führung von Oskar Lafontaine die absolute Mehrheit errang, ging eine drei Jahrzehnte umfassende Regierungsepoche unter christdemokratischer Führung zu Ende. Erstmals waren an der Saar die Voraussetzungen für die Realisierung sozialdemokratischer Bildungspolitik gegeben. Deren Proprium war und ist im Bereich des Schulwesens die Gesamtschulidee. Der neue Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) bezeichnete auf bundespolitischer Bühne die „Gesamtschule als das Kernstück un­ serer Reformpolitik“, die offensiv zu vertreten seiner Partei in der Vergangenheit allerdings manchmal der Mut gefehlt habe.6 Mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.19867 wurde die Gesamtschule – unter Weglassung des Attributs „integrierte“ – als vierte Schule der Regelform in den §§ 3a und 3b SchoG gesetzlich verankert. Im Anschluss daran wurden in rascher Folge zahlreiche Gesamtschulen errichtet und Hauptschulen geschlossen. So erhöhte sich die Zahl der Gesamtschulen von zwei im Schuljahr 1984/85 auf zehn im Schuljahr 1988/89.8 4

Statistisches Amt des Saarlandes, Statistisches Jahrbuch Saarland 2011, S. 14. Statistisches Amt des Saarlandes, Statistisches Jahrbuch Saarland 2012, S. 17. 6 Breitenbach, Eine Schule für alle Kinder – Gesamtschule?, zit. nach: Lehrer und Schule heute 1985, 468 (473) (Hervorh. im Original). 7 Amtsbl. S. 477. 8 Von den im Jahr 2015 vorhandenen, aufgrund der Verfassungsänderung vom 15.6.2011 (Amtsbl. I S. 236) auslaufenden und durch die Gemeinschaftsschulen ersetzten insgesamt 16 öffentlichen Gesamtschulen wurden nach 1985 errichtet: Schuljahr 1986/87: Gersheim, Neunkirchen, Saarbrücken-Bellevue, Sulzbachtal, Wadgassen; Schuljahr 1988/89: Mettlach-­ 5

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3. Teil: Förderschule

Parallel hierzu wurde zwischen 1986 und 1988 mehr als ein Drittel aller Hauptschulen geschlossen.9 Bei diesem Stand erklärte der damalige Leiter des für Schulentwicklungsplanung zuständigen Referats im Kultusministerium: „In dem heute (1988) bestehenden System der ‚beschränkten Koexistenz‘ mit 10 Gesamtschulen hängt also sehr viel davon ab, wo die nächsten 10 Schulen entstehen werden.“10 Die Vermutung der Oppositionsparteien CDU und FDP, dass entgegen den offiziellen Verlautbarungen der Regierungsvertreter von Anfang an sehr wohl die Absicht einer flächendeckenden Errichtung von Gesamtschulen bestand, hatte somit eine reale Grundlage. Ihre Befürchtungen bezogen sich vor allem auf das Gymnasium, dessen Beseitigung oder zumindest dessen Behinderung, Zurücksetzung und nachhaltige Schwächung man dort als das eigentliche Ziel der Gesamtschulstrategie ansah. Die Auseinandersetzung über das gegliederte Schulwesen einerseits und die Gesamtschulidee andererseits, die in der Bundesrepublik Deutschland bis weit in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zeitweilig einem Kulturkampf nahe gekommen war, führte von 1985 bis 1996 im Saarland zu einer schulpolitischen Polarisierung.11 3. Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 14.7.1987 a) Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit der Gesamtschule Die Auseinandersetzung mündete in ein Normenkontrollverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes. Die die Gesamtschule12 betreffenden Vorschriften des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des SchulOrscholz, Schiffweiler, Völklingen-Ludweiler; Schuljahr 1989/90: Marpingen; Schuljahr 1991/92: Bexbach; Schuljahr 1992/93: Nohfelden-Türkismühle, Riegelsberg; Schuljahr 1993/94: Losheim; Schuljahr 2007/08: Saarbrücken-Im Ludwigspark durch Umwandlung einer Erweiterten Realschule. Zusammen mit den in den Schuljahren 1971/72 in Dillingen und 1978/79 in Saarbrücken-Im Rastbachtal als Versuchsschulen errichteten Integrierten Gesamtschulen hatte das Saarland somit die höchste Gesamtschuldichte unter den alten Ländern in der Bundesrepublik. Zur Illustration: Bezogen auf die Bevölkerungszahl hat die Errichtung einer Gesamtschule im Saarland in etwa dieselben Auswirkungen auf die übrigen Schulformen wie die Gründung von 19 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen. 9 Hans-Joachim Schmidt, Gesamtschulplanung und Gesamtschulentwicklung, RdJB 1988, 269 (282, Fn. 57); Arend/Schmidt, Geordneter Schulbetrieb und Schulentwicklungsplanung im Saarland, SKZ 1988, 97 (99). 10 Hans-Joachim Schmidt, Gesamtschulplanung und Gesamtschulentwicklung, RdJB 1988, 269 (277). 11 Vgl. Kirch, Sonderpolitikzone Saarland, S. 350: „In der Bildungspolitik führte der ‚Schulkampf‘ um das Ausmaß der Integration der Schulstruktur in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu einer deutlich spürbaren Polarisierung […]“. 12 Außerdem richtete sich der Normenkontrollantrag gegen die in dieser Schulgesetznovelle getroffene Regelung zur Ganztagsschule in § 5a SchoG.

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

271

rechtes vom 4.6.198613, nämlich § 3 Abs. 2, § 3a Abs. 6, § 3b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 9 Abs. 2 sowie § 45 Abs. 3 Nr. 3 SchoG, wurden auf Antrag der Landtagsfraktionen von CDU und FDP Gegenstand eines Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle gem. Art. 97 Nr. 2 Verf. d. Saarl. Zur Begründung machten die Antragsteller geltend, dass in Artt. 27 und 29 Verf. d. Saarl. 1969 die Schulformen des traditionellen dreigliedrigen Schulsystems genannt würden, die Gesamtschule aber in der Verfassung nicht erwähnt werde und daher als Schule der Regelform nicht zulässig sei. Auch verstoße die Einführung der Gesamtschule gegen das in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. 1969 normierte Recht der Eltern, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. Im Übrigen werde die gesetzliche Normierung der Gesamtschule den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts nicht gerecht. Der Normenkontrollantrag gegen die die Einführung der Gesamtschule als Schule der Regelform betreffenden Vorschriften blieb ohne Erfolg.14 Wie der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in seinem Urteil vom 14.7.1987 ausführte,15 stehe die Verfassung des Saarlandes der Einführung der Gesamtschule als weitere Schule der Regelform nicht entgegen. Eine Bestimmung, nach welcher die Einführung der Gesamtschule ausdrücklich ausgeschlossen sei, gebe es in der saarländischen Verfassung nicht. In der Verfassung des Saarlandes existiere auch keine Vorschrift, die die Gliederung des Schulwesens unter Benennung der allein zulässigen Schularten abschließend normiere. Eine solche Regelung sei insbesondere den Artt. 2716 bis 29 Verf. d. Saarl. 1969 nicht zu entnehmen. Art. 27 Abs. 3 Satz 1 13

Amtsbl. S. 477. Erfolgreich war jedoch der Normenkontrollantrag gegen die in § 5a SchoG getroffene Regelung zur Ganztagsschule, die der VerfGH d. Saarl. mit Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (355 ff.), für nichtig erklärte, weil sie mit Blick auf die Grundrechtsrelevanz den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts nicht genüge. Es war dies die erste Entscheidung eines deutschen Verfassungsgerichts zur Frage der Ganztagsschule unter dem Gesichtspunkt des Gesetzes­vorbehalts. 15 Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 ff.  = DÖV 1988, 124 ff.  = SPE N. F., Leitzahl 280, Nr. 16. Dabei bezieht sich der VerfGH d. Saarl. in seiner Entscheidung mehrfach auf den VerfGH NRW, der in seinem Urt. vom 23.12.1983, VerfG 22/82, OVGE 37, 203 ff. = DÖV 1984, 379 ff. = NVwZ 1984, 781 ff. = SPE I B IX, S. 11, auf der Grundlage des nordrhein-westfä­ lischen Verfassungsrechts über das Verhältnis von Gesamtschule und dreigliedrigem Schulsystem zu entscheiden hatte. Zustimmend zu diesem Urt. des VerfGH NRW: Tettinger, Anm. zum Urt. des VerfGH NRW vom 23.12.1983 – VerfGH 22/82, DÖV 1984, 381 f., und Losch, Die Hauptschule als verfassungsrechtlich garantierte Institution. Anm. zum Urteil des VerfGH NRW v. 23.12.1983, RdJB 1985, 292 ff.; ablehnend: Dietze, Zur Kritik verfassungsrichterlicher Souveränität bei bildungspolitischen Streitfragen, NVwZ 1984, 773 f., und Ladeur, „Institutionelle Garantie“ der Hauptschule, Anm. zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen v. 23.12.1983 – VerfGH 22/82 –, RdJB 1984, 466 ff. 16 Diese Feststellung trifft das Gericht insbesondere im Hinblick auf Art. 27 Abs. 3 Satz 1 Verf. d. Saarl. 1969, in dem es heißt: „Die öffentlichen Grund- und Hauptschulen (Volksschulen), Sonderschulen, berufsbildenden Schulen, Realschulen und Gymnasien sind Gemeinsame Schulen.“ Regelungsziel dieser Bestimmung sei ausschließlich die weltanschauliche, konfessionelle Struktur der dort genannten Schulformen, sie diene nicht der abschließenden Regelung von Aufbau und Gliederung des Schulwesens, VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (293 ff.). 14

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3. Teil: Förderschule

und Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Verf. d. Saarl. 1969 enthalten nach den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes keine Bestandsgarantie für die dort genannten Schulformen.17 b) Institutionelle Garantie der Hauptschule aa) Ableitung aus der Verfassung des Saarlandes Von großer Tragweite für die schulpolitische Entwicklung im Saarland war die Feststellung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, dass sich aus Art.  27 Abs.  4 Satz 2 Verf. d. Saarl. 1969 eine institutionelle Garantie der Grund- und Hauptschule ergebe.18 Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: Öffentliche Grund- und Hauptschulen sind von Amts wegen zu errichten.

Überrascht hat die Begründung, mit der das Gericht die institutionelle Garantie für die Grund- und Hauptschule aus der Verfassung des Saarlandes ableitete. Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hatte in seinem von dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes mehrfach herangezogenen Urteil die institutionelle Garantie aus dem dortigen Verfassungstext abgeleitet, wonach die Schulpflicht an Grund- und Hauptschulen zu erfüllen ist. Das setze, so das dortige Gericht, begrifflich die Existenz dieser Schulformen voraus.19 Demgegenüber war und ist in der Verfassung des Saarlandes die Schulpflicht – weil offensichtlich als selbstverständlich vorausgesetzt – mit keinem Wort erwähnt. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes begründete die institutionelle Garantie der Grund- und Hauptschulen mit der Bestimmung des Art. 27 Abs. 4 Satz 2 Verf. d. Saarl. 1969, wonach öffentliche Grund- und Hauptschulen von Amts wegen zu errichten waren. Dieses Auslegungsergebnis leitete der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Sinnzusammenhang der Bestimmung ab. In dem Normenkontrollverfahren hatten die Antragsteller im Rahmen ihrer Antragsbegründung auf diese Vorschrift keinen Bezug genommen. Ihnen sowie den übrigen Verfahrensbeteiligten dürfte der Entstehungshintergrund dieser Bestimmung noch präsent gewesen sein: Mit der Verfassungsänderung vom 23.2.196520 war die Möglichkeit eingeräumt worden, dass „auf Antrag“ der Eltern eine Grundund Hauptschule abweichend von dem bis dahin geltenden Prinzip der Konfessionsschule als christliche Gemeinschaftsschule errichtet werden konnte. Zur Umkehrung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei der generellen Einführung der nunmehr als Gemeinsame Schulen bezeichneten Simultanschulen war mit der 17

VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (312, 320). VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (312, 321). 19 VerfGH NRW, Urt. v. 23.12.1983, VerfGH 22/82, OVGE 37, 203 (205)  = DÖV 1984, 379 f. 20 Amtsbl. S. 189, in Kraft getreten am 13.3.1965. 18

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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Verfassungsänderung vom 5.11.196921 geregelt worden, dass öffentliche Grundund Hauptschulen eben nicht mehr nur „auf Antrag“, sondern „von Amts wegen“ zu errichten sind. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, der in der Urteilsbegründung diesen entstehungsgeschichtlichen Hintergrund der Norm ausdrücklich angesprochen hat,22 schreckte offensichtlich davor zurück, im Wege einer Art von teleologischer Reduktion dem Verfassungstext dieses an seiner Entstehungsgeschichte orientierte Verständnis zugrunde zu legen. Er hat dem Wortlaut ein so starkes, aus sich selbst wirkendes Moment der Eindeutigkeit und Objektivität entnommen, dass er offensichtlich keinen Spielraum für eine anderslautende Interpretation sah; aus der Sicht des Gerichts hatte sich der Verfassungstext von seinem Entstehungshintergrund gelöst, also verselbständigt. Bezüglich der inhaltlichen Konkretisierung der institutionellen Garantie heißt es in dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 14.7.1987 in Übereinstimmung mit der hierzu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum, dass eine institutionelle Garantie den Verfassungsauftrag enthalte, die Institution in ihrem Kernbereich bestehen zu lassen.23 Das bedeute nicht, dass deren Status quo zu sichern sei. Vielmehr seien es zwei Elemente, die für den Begriff der institutionellen Garantie konstitutiv seien: So „wird eine Funktion der Einrichtungsgarantie darin gesehen, einen Kernbestand von Strukturen und Inhalten der Institution gegen Veränderungen zu schützen (so beispielsweise ein Mindestmaß an organisatorischer Selbständigkeit für den Bildungsgang der Hauptschule nach Art. 12 Abs. 1 NRW Verf; vgl. dazu NRWVerfGH, aaO).“24 Außerdem sei eine verfassungsrechtlich garantierte Institution „in ihrem existentiellen Bestand geschützt. Der Gesetzgeber muß für die Existenz der Institution Sorge tragen […], er muß die Lebensfähigkeit der Einrichtung sicherstellen […], und ihn trifft eine Schutzpflicht, falls der Bestand der Einrichtung als Institution evident gefährdet ist […].“25 Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes sah durch die Vorschriften, die Gegenstand des Normenkontrollantrages waren, weder die für die Hauptschule bestehende Essenzgarantie noch die Existenzgarantie verletzt.

21

Amtsbl. S. 765, in Kraft getreten am 6.12.1969. VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (316). 23 VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (322) m. w. N. 24 VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (322) (Hervorh. im Original). Bei der zitierten Entscheidung des VerfGH NRW handelt es sich um das Urt. vom 23.12.1983, VerfG 22/82, OVGE 37, 203 ff.  = DÖV 1984, 379 ff.  = NVwZ 1984, 781 ff.  = SPE I B IX, S. 11 ff. 25 VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (323). 22

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3. Teil: Förderschule

bb) Rechtsrahmen für die Schulpolitik Hinsichtlich der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gesamtschule konnte sich die Landesregierung durch das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes also bestätigt sehen. Erst nach und nach wurde ihr allerdings bewusst, dass ihr das Gericht mit der aus der Verfassung abgeleiteten institutionellen Garantie für die Hauptschule eine „harte Nuss“ für die Realisierung ihrer Gesamtschulpläne und eine etwaige Veränderung des Bildungsangebots im Bereich der Sekundarstufe I mit auf den Weg gegeben hatte. Der Verfassungsgerichtshof hatte mit seiner Entscheidung den rechtsverbindlichen Rahmen für den Gesetzgeber wie für die Schulträger abgesteckt. (1) Ausbau der Gesamtschulen Das der institutionellen Garantie innewohnende Element der Existenzgarantie (Erreichbarkeit von Schulen einer bestimmten Schulform in zumutbarer Entfernung) stand der Errichtung weiterer Gesamtschulen an beliebig vielen Standorten im Wege, weil dies zwangsläufig in entsprechendem Umfang die Schließung von Hauptschulen zur Folge gehabt hätte. Die Grenzen des diesbezüglichen politischen Gestaltungsspielraums sind der Landesregierung durch das Verwaltungsgericht des Saarlandes in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor Augen gestellt worden.26 (2) Neuordnung der Schulstruktur in der Sekundarstufe I Als eine noch höhere Hürde für die Landesregierung sollte sich aber das der institutionellen Garantie innewohnende Element der Essenzgarantie (Sicherung des Kernbestandes von Strukturen und Inhalten) erweisen. Eine Schulform ist nicht nur durch äußere Merkmale wie Beginn und Dauer des Bildungsganges, Zugangsvoraussetzungen und Abschlüsse einschließlich der mit ihnen verbundenen Berechtigungen definiert. Vielmehr wird wie bei jeder Schulform, so auch bei der Hauptschule, deren Wesenskern bestimmt durch die Eigenständigkeit des Bildungsganges im materiell-pädagogischen Sinne. Dafür sind maßgeblich die hauptschulspezifischen Gegebenheiten in Bezug auf Stundentafel (Fächerauswahl, Unterrichtsumfang), Lernziele, Lerngegenstände, Stoffumfang, Lerntempo, Abstraktionshöhe, Vertiefungsgrad und Unterrichtsmethoden. Es sind die sog. ungeschriebenen Merkmale, die das Proprium einer Schulform ausmachen. Solange die institutionelle Garantie der Hauptschule bestand, musste der Bildungsgang der 26 VG d. Saarl., Beschl. v. 30.7.1991, 1 F 80/91, amtl. Umdruck S.  10 f.; die Entscheidung betraf Schüler der Hauptschule Perl, die der Hauptschule in Merzig zugewiesen werden sollten.

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Hauptschule, wenn er Teil einer anderen Schulform werden sollte, dort den Status eines eigenständigen, d. h. in allen Fächern organisatorisch selbstständigen und damit unterscheidbaren Bildungsganges besitzen, da nur so die Realisierung der hauptschulspezifischen Didaktik und Methodik gewährleistet war.27 Diese Eigenständigkeit des Bildungsganges der Hauptschule wäre, wie sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 14.7.198728 und dem von ihm ausdrücklich in Bezug genommenen Urteil des Verfassungsgerichtshofs NordrheinWestfalen vom 23.12.198329 ergibt, nicht mehr gegeben gewesen, wenn im Saarland der Bildungsgang der Hauptschule als Schulform aufgehoben worden und in einer teil- oder vollintegrierten neuen Schulform aufgegangen wäre. Die Landesregierung musste zur Kenntnis nehmen, dass de constitutione lata praktisch kein Spielraum bestand, das pädagogisch und schulorganisatorisch immer drängender werdende Problem der Hauptschule durch eine Neuordnung der Schulstruktur im Bereich der Sekundarstufe I in rechtlich einwandfreier Weise zu lösen. Es ist festzuhalten, dass es ohne das Auslegungsergebnis, zu dem der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes gelangt war, nicht zu der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 mit ihren weitreichenden Festlegungen gekommen wäre. Hätte nämlich die SPD mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag des Saarlandes die Umstrukturierung der Sekundarstufe I bewerkstelligen können, ohne eine institutionelle Garantie der Hauptschule beachten zu müssen, dann hätte für Ministerpräsident Lafontaine und die Regierungsfraktion keine Veranlassung zu einer Verfassungsänderung bestanden. Damit wäre es auch nicht zu den weitreichenden Konzessionen gekommen, die der Opposition bei der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 gemacht wurden. II. Verhandlungen über eine Verfassungsänderung 1. Scheitern der Verhandlungen in der 10. Wahlperiode (1990–1994) des Landtags des Saarlandes Die Änderung der einschlägigen Vorschriften der Verfassung des Saarlandes wurde in der Folgezeit zum zentralen schulpolitischen Thema.

27 Vgl. die entsprechende Antwort des Leiters des zuständigen Gesetzgebungsreferates des Ministeriums für Bildung und Sport in der Sitzung des Ausschusses für Bildung und Sport am 31.10.1991, Sitzungsniederschrift S. 3, zu der Frage des Abgeordneten Peter Hans (CDU), „er hätte gerne ganz konkret gewußt, welches die rechtlichen Gründe seien, die diese Verfassungsänderung erforderlich machten.“ 28 VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (322 f.). 29 VerfGH NRW, Urt. vom 23.12.1983, VerfG 22/82, OVGE 37, 203 ff.  = DÖV 1984, 379 ff. = NVwZ 1984, 781 ff. = SPE I B IX, S. 11 ff.

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3. Teil: Förderschule

In der 10. Wahlperiode des Landtags des Saarlandes (1990–1994) scheiterten diese Verhandlungen jedoch.30 Daraufhin wurde durch Gesetz vom 22.1.199231 mit der absoluten Mehrheit der SPD-Landtagsfraktion unter Beibehaltung der Hauptschule als Schulform eine weitere Schulform eingeführt, nämlich die „Sekundarschule“ als „Zusätzliches Angebot in der Sekundarstufe I“. Bereits ein Jahr später, nämlich mit Gesetz vom 17.2.199332, wurden die Sekundarschulen aus dem Status des „Zusätzlichen schulischen Angebotes in der Sekundarstufe I“ in den Status einer Schule der Regelform überführt und die vierstufigen Realschulen aus dem Schulordnungsgesetz gestrichen; die letztgenannten Schulen liefen aus. 2. Verfassungskompromiss vom 27.3.1996 a) Unhaltbar gewordene Situation der Hauptschule Durch die Errichtung der Sekundarschulen als fünfte Schulform neben den Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen hatte sich die Situation der Hauptschulen weiter zugespitzt. Die Notwendigkeit einer auf Nachhaltigkeit angelegten „Neuordnung der Schullandschaft“33 war evident, und die entsprechenden Forderungen aus dem pädagogischen und politischen Raum wurden mit immer größerer Dringlichkeit gestellt. So hat im Vorfeld der Landtagswahl vom 16.10.1994 beispielsweise die Schulrätevereinigung Saarland, ein informeller Zusammenschluss der Schulaufsichtsbeamten in den Schulämtern als den damaligen34 unteren staatlichen Schulaufsichts-

30 Es waren folgende Gesetzentwürfe eingebracht worden: Gesetzentwurf der CDU-Landtagsfraktion zur Änderung der Verfassung des Saarlandes, LT-Drucks. 10/665 vom 17.9.1991; Gesetzentwurf der CDU-Landtagsfraktion zur Änderung des Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (Schulordnungsgesetz), LT-Drucks. 10/666 vom 17.9.1991; Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes zur Änderung der Verfassung des Saarlandes, LT-Drucks. 10/670 vom 19.9.1991; Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes, LT-Drucks. 10/672 vom 19.9.1991. Zum Scheitern der Verhandlungen siehe die Sitzung des Landtags des Saarlandes am 22.1.1992, Verh. d. LT, 10. Wahlp., S. 1536 ff. 31 Amtsbl. S. 434 32 Amtsbl. S. 250. 33 So die damals gängige „Projektbeschreibung“, die schönfärberisch war gemessen an der tatsächlichen Aufgabenstellung: nämlich nach der u. a. auch von der Politik zu verantwortenden Destabilisierung der Hauptschule und der Hals über Kopf ins Werk gesetzten Errichtung der Sekundarschule als fünfte Schulform im Bereich der Sekundarstufe I den unhaltbar gewordenen Zustand zu beenden. 34 Die Schulämter wurden durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts vom 7.6.2000 (Amtsbl. S. 1018) aufgehoben; das Ministerium für Bildung und Kultur ist seitdem einzige Schulaufsichtsbehörde.

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behörden für die Grundschulen, Hauptschulen, Sekundarschulen und Schulen für Lernbehinderte, im April 1994 eine Erklärung zur Situation der Hauptschule35 verabschiedet. Darin wird in anschaulicher Beschreibung der Verhältnisse „die Notlage der Hauptschule unter bildungspolitischen, pädagogischen und sozialen Gesichtspunkten“ eindringlich und in der Sache zutreffend dargestellt. So gab es zu diesem Zeitpunkt etwa im gesamten Landkreis St. Wendel nur noch eine einzige Hauptschule, nämlich in der Stadt St. Wendel; in den anderen Gebietsteilen des Landes war die Situation der Hauptschule ähnlich. Bei ausdrücklicher Anerkennung der Leistung und des Engagements der an der Hauptschule unterrichtenden Lehrkräfte wurde von den Schulräten darauf hingewiesen, dass die Situation der Hauptschüler inzwischen gekennzeichnet war durch soziale Isolation und gesellschaftliche Deklassierung. Unter diesen Bedingungen lasse die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Lehrkräfte nur schwerlich Erfolg erwarten. Die Schulräte, mit der pädagogischen Realität an den verbliebenen Hauptschulstandorten gut vertraut, bezeichneten die Situation der Hauptschule als hoffnungslos und das Festhalten an dieser Schulform als gegenüber ihren Schülern und Eltern verantwortungslos. Dieser Einschätzung konnte man nicht ernsthaft widersprechen. Der Politik war nicht entgangen, dass sich in der Bevölkerung zunehmend Unmut über diese Verhältnisse breit machte. Auch hatte Ministerpräsident Oskar Lafontaine mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl 1998 ein sehr persönliches Interesse an einer möglichst baldigen Befriedung der Lage. An einer unbegrenzten Fortsetzung des „Schulkriegs“ im Saarland war ihm nicht gelegen, zumal ihm keine ausgeprägten bildungspolitischen Ambitionen nachgesagt werden konnten. b) Verhandlungsergebnis In der 11. Wahlperiode des Landtags des Saarlandes (1994–1999) wurde ein neuer, diesmal erfolgreicher Versuch zu einer Verfassungsänderung unternommen. So brachte die am 27.3.1996 verabschiedete Verfassungsänderung36 zwar die Abschaffung der Hauptschule und die verfassungsrechtliche Verankerung der Gesamtschule. Doch waren von der CDU weitreichende Forderungen durchgesetzt worden: Nämlich ein abschließender Schulformenkatalog, mit dem auch die Gymnasien, die Erweiterten Realschulen und die Förderschulen institutionell garantiert wurden. Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 lautete: (3) Das öffentliche Schulwesen besteht aus Grundschulen, Schulen für Behinderte, Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen.

35 Schulrätevereinigung Saarland, Erklärung zur Situation der Hauptschule, Lehrer und Schule heute 1994, 143 ff. 36 Amtsbl. S. 422; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 2.

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3. Teil: Förderschule

Integraler Bestandteil der Verfassungsänderung war zudem ein auf Verlangen der CDU in das Gesetzgebungsverfahren aufgenommener und von den Abgeordneten der Fraktionen von SPD und CDU einvernehmlich getragener Erklärungstext (Gemeinsame Erklärung). Sie hatte die Wesensmerkmale der Schulformen zum Gegenstand und benannte solche am Beispiel des Gymnasiums.37

37

Diese von dem Abgeordneten Jürgen Schreier (CDU) in der gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Wissenschaft und des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsfragen am 25.3.1996 vorgetragene Gemeinsame Erklärung wurde von den beiden Ausschüssen zustimmend zur Kenntnis genommen, Sitzungsniederschrift S. 4. Die Berichterstatterin im Gesetzgebungsverfahren, die Abgeordnete Monika Beck (CDU), wurde von den Ausschüssen beauftragt, bei der Zweiten Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung der Verfassung des Saarlandes sowie des Gesetzentwurfs zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts den Text dieser Gemeinsamen Erklärung vorzutragen und seine zwischen beiden Fraktionen vereinbarte Verbindlichkeit zu erklären. Die Berichterstatterin leitete bei der Zweiten Lesung der Gesetzentwürfe am 27.3.1996 (Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1090) das Verlesen des Textes der Gemeinsamen Erklärung mit folgendem Satz ein: „Im Nachgang zu der Anhörung haben sich die Mitglieder von SPD- und CDU-Fraktion in beiden Ausschüssen im Hinblick auf die geplante Änderung des Artikels 27 der saarländischen Verfassung auf folgenden gemeinsamen Erklärungstext verständigt.“ Sodann verlas die Berichterstatterin den Erklärungstext und schloss unmittelbar im Anschluss daran ihre Ausführungen mit folgendem Satz ab: „Diese gemeinsame Erklärung stellt nach dem Willen der die Verfassungsänderung tragenden Fraktionen von CDU und SPD eine verbindliche Inhaltsbestimmung jener Vorschriften und Begriffe der Landesverfassung dar, die Gegenstand der Gemeinsamen Erklärung sind.“ Die Gemeinsame Erklärung hat folgenden Wortlaut: „Unsere gemeinsame Absicht ist es, mit der Änderung des Artikels 27 der Verfassung des Saarlandes die Grundlage für ein zukunftsorientiertes und leistungsfähiges Schulangebot im Saarland zu schaffen. Um dies zu gewährleisten, werden im neuen Artikel 27 Absatz 3 in einem eigenen, vom Regelungsinhalt des Absatzes 4 getrennten Absatz die Schulformen aufgeführt, die in Zukunft als schulisches Angebot im gesamten Saarland existieren, sofern die Voraussetzungen eines geordneten Schulbetriebes erfüllt sind. Andere als die in Absatz 3 aufgeführten öffentlichen Schulformen sind nach dem Willen der verfassunggebenden Mehrheit des Landtages unbeschadet der Zulässigkeit von Versuchsschulen im Saarland nicht zulässig. Die Nennung der im Artikel 27 Absatz 3 aufgeführten Schulformen schließt nicht aus, daß diese im Laufe der Zeit inhaltlichen Veränderungen zugänglich sein können. Solche Veränderungen müssen aber das Wesen der betreffenden Schulform wahren. Zum Wesen des grundständigen Gymnasiums beispielsweise gehört, daß es mit Klassenstufe 5 beginnt, daß es eine vertiefte allgemeine Bildung vermittelt und daß der Unterricht mindestens bis einschließlich Klassenstufe 10 im Klassenverband stattfindet und daß es zur allgemeinen Hochschulreife führt. Außerdem gehört es zum Wesen des grundständigen Gymnasiums, daß jedes Gymnasium, das eine Sekundarstufe I hat, seine eigene Oberstufe hat. Die Bestimmungen des Artikels 27 zum geordneten Schulbetrieb bleiben unberührt.“

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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C. Bedeutung des Verfassungskompromisses für die sonderpädagogische Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher I. Regelungsinhalt Der Schulformenkatalog des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 enthielt eine abschließende Aufzählung der im Saarland vorgesehen Schulformen. Damit waren die Schulen für Behinderte ebenso wie die übrigen dort genannten Schulformen institutionell garantiert. Die mit dem Gesetz vom 4.6.198638 in § 4 Abs. 1 SchoG erstmals geregelte und in der Folgezeit systematisch ausgebaute integrative Unterrichtung blieb hiervon unberührt. Das gleichzeitig mit der Änderung der Verfassung des Saarlandes am 27.3.1996 verabschiedete Gesetz zur Änderung vom Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts enthielt keine Änderung der in § 4 SchoG 1986 enthaltenen Regelungen zur integrativen Unterrichtung und zu den Förderschulen. Dies sowie die Tatsache, dass die Änderung der schulrechtlichen Bestimmungen auf der einfachgesetzlichen Ebene auch nach den ausdrücklichen Erklärungen von Abgeordneten beider Fraktionen integraler Bestandteil des Verfassungskompromisses war,39 kann als Bestätigung der integrativen Unterrichtung gesehen werden. Mit ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung wurden die Förderschulen als zweite Säule des Systems sonderpädagogischer Förderung im Saarland institutionell garantiert. Der hierdurch für die sonderpädagogische Förderung im Saarland abgesteckte Rahmen war somit dadurch gekennzeichnet, dass keine einseitige Festlegung auf den einen oder den anderen Lernort stattfindet; auch sollte kein Rangverhältnis zwischen den beiden Organisationsformen sonderpädagogischer

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Amtsbl. S. 477. Siehe die Ausführungen der Berichterstatterin Monika Beck (CDU) bei der Zweiten Lesung der Gesetzentwürfe am 27.3.1996, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1089: „Weil beide Gesetzesvorlagen in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, sind die Ausschüsse für Verfassungs- und Rechtsfragen und für Bildung, Kultur und Wissenschaft übereingekommen, die Beratungen der überwiesenen Gesetzentwürfe auch gemeinsam durchzuführen.“ Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Reiner Braun hat bei der Ersten Lesung am 28.2.1996, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1017, den synallagmatischen Charakter von Verfassungsänderung und Ausführungsregelung auf der einfachgesetzlichen Ebene mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: Die Verhandlungskommission „aus Vertretern der Landesregierung und der SPD-Landtagsfraktion einerseits, Vertretern der CDU-Landtagsfraktion andererseits […] hat sich auf einen Entwurf zur Neuordnung der Schullandschaft im Saarland geeinigt, der Ihnen zur Ersten Lesung vorliegt. Die wesentlichen Aussagen des Entwurfs, der sich aufteilt in das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saarlandes, Drucksache 11/623, und das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes, Drucksache 11/626, sind folgende. […].“ Auch Jürgen Schreier (CDU) sprach bei der Ersten Lesung, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1020, in Bezug auf die beiden Gesetzentwürfe von „ganz eng zusammenhängende[n] Regelungstatbeständen“. 39

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3. Teil: Förderschule

Förderung festgelegt werden. Dies rechtfertigt es, von einem dualen System sonderpädagogischer Förderung zu sprechen. II. Reichweite des tatsächlichen Konsenses in der Sache Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass für das Zustandekommen eines Verhandlungsergebnisses auf beiden Seiten unterschiedliche Motive eine Rolle spielen können. Daher ist der formale Konsens, ohne den die Verfassungsänderung nicht zustande gekommen wäre, von der Frage nach der tatsächlichen Übereinstimmung in der Sache zu unterscheiden. Im vorliegenden Zusammenhang lassen sich aus den Gesetzesmaterialien sowie aus weiteren Parlamentaria Informationen entnehmen, die nicht nur Rückschlüsse auf vorhandene Motive, sondern auch auf Einschätzungen und zukunftsgerichtete Projektionen ermöglichen. 1. Konzeptionelle Vorstellungen der CDU-Landtagsfraktion Die CDU-Landtagsfraktion hatte bei den Verhandlungen über die Verfassungsänderung keinen Zweifel aufkommen lassen an ihrer grundsätzlichen Zustimmung zu dem verstärkt den Integrationsgedanken in der sonderpädagogischen Förderung berücksichtigenden Perspektivenwechsel.40 Doch erklärte Monika Beck (CDU) bei der Ersten Lesung des verfassungsändernden Gesetzes am 28.2.1996: „Ebenfalls wichtig für uns war die Aufnahme der Schulen für Behinderte in die Verfassung. Meine Fraktion glaubt eben nicht, daß Einzelintegration von Behinderten in Regelschulen immer sinnvoll und immer zum Vorteil des betroffenen Kindes sein muß, abgesehen davon, daß dies auch nicht finanzierbar wäre.“41 Ähnlich äußerte sich auch der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Jürgen Schreier in der Anhörung, die vor den Ausschüssen für Verfassungs- und Rechtsfragen und für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 13.3.1996 stattfand: „Wir finden es auch richtig, daß gerade die Schulen für Behinderte in der Verfassung aufgeführt sind. Dies bedeutet, daß der integrative Ansatz nicht durchgängig verfolgt werden kann. Auch die CDU sieht Möglichkeiten der integrativen Beschulung, aber hier gibt es ebenfalls Grenzen, sowohl was das Pädagogische betrifft, als auch was das Finanzielle betrifft. Wir sind der Meinung, daß durch diese Formulierung sichergestellt ist, daß diese Schulen

40 Vgl. dazu auch die Ausführungen der Abgeordneten Monika Bachmann (CDU) und Jürgen Schreier (CDU) in den Plenarsitzungen am 17.9.1997, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2352 ff., und am 29.4.1998, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2941 ff., als von der CDU-Landtagsfraktion die Verhältnisse bei der integrativen Unterrichtung im Saarland erstmals auf die Tagesordnung des Parlaments gebracht wurden. 41 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1025.

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für Behinderte nicht abgeschafft werden können, daß also Schulen für Behinderte nicht gänzlich in den übrigen Schulformen aufgehen können.“42 In beiden Stellungnahmen wird zur Rechtfertigung der Förderschule somit an erster Stelle das pädagogische Argument ausgesprochen, d. h. die Überzeugung von der pädagogischen Notwendigkeit der Förderschule als alternatives, komplementäres und subsidiäres Bildungsangebot. Doch hatte die CDU auch aus der Beobachtung der im Saarland seit 1985/86 praktizierten integrativen Unterrichtung ihre Schlussfolgerungen gezogen. Die oben43 dargestellte defizitäre pädagogische Realität der integrativen Unterrichtung war für die CDU ein weiterer Grund für ihre Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Förderschule. Man ging in realistischer Einschätzung der finanziellen Möglichkeiten des Saarlandes davon aus, dass sich an den qualitativen Defiziten der integrativen Unterrichtung im Saarland auch künftig nichts Wesentliches ändern werde. 2. Vorgehensweise und Positionsbeschreibungen auf Seiten der Landesregierung und der SPD-Landtagsfraktion a) Erklärungen im Gesetzgebungsverfahren Es ist in Erinnerung zu rufen, dass mit der Verankerung der integrativen Unterrichtung in den Schulgesetzen durch die Schulrechtsnovelle vom 4.6.198644 von der auf eine absolute SPD-Mehrheit gestützten Landesregierung ein grundlegender Richtungswechsel in der Organisation der sonderpädagogischen Förderung beabsichtigt war. Hierbei wurde von nicht wenigen der maßgeblichen Akteure in dem Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 nur ein störendes Hindernis auf dem Weg zur möglichst raschen Marginalisierung der Förderschulen gesehen. Die Entbehrlichkeit des Ressourcenvorbehalts schien nur eine Frage politischer Willenserklärung zu sein. Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) war bei der Aufnahme der Förderschule in die Verfassung des Saarlandes sichtlich bemüht um eine differenzierte Aussage und die Vermeidung des Eindrucks, ausschließlich auf die integrative Unterrichtung festgelegt zu sein. So antwortete er bei der Ersten Lesung des ver­ fassungsändernden Gesetzes am 28.2.1996 auf die zuvor von dem Abgeordneten Andreas Pollak45 von der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen geäußerte Kritik an der Verankerung der Schulen für Behinderte in der Verfassung: 42

Sitzungsniederschrift S. 17 f. Siehe sub Kap. 7 und 8. 44 Amtsbl. S. 477. 45 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1022. 43

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3. Teil: Förderschule

„Dies ist kein Hindernis für eine weitere Integration von behinderten Schülerinnen und Schülern in den Regelschulen. Wir werden wie bisher in großer Verantwortung eine solche Integration fördern, wir werden sie weiter ausbauen und qualifizieren. Die wichtige Leistung, die hier zu erbringen ist, liegt in der Regelschulklasse selbst. Das heißt, die Lehrerinnen und Lehrer in der Regelschulklasse selbst müssen einen differenzierten Unterricht anbieten. Hier ist in der Tat noch viel zu tun an weiterer pädagogischer Qualifizierung. Wir nehmen dies als Aufgabe ebenso ernst wie die Förderung von behinderten Schülerinnen und Schülern in eigenen Schulen für Behinderte. Beides hat für mich den gleichen Wert, wobei die Organisationsfrage für mich nicht das Entscheidende ist. Das Entscheidende ist, daß wir unsere Pädagogik in Richtung auf bestmögliche Förderung auch von behinderten Schülerinnen und Schülern weiterentwickeln; das ist unsere große Aufgabe.“46

Es ist unschwer zu erkennen, dass in diesen Ausführungen Breitenbachs die Erwähnung der Förderschule eher eine Pflichtübung war. Dass zum Zwecke des massiven Ausbaus der integrativen Unterrichtung im Saarland den Förderschulen systematisch Lehrkräfte entzogen wurden, wird mit keinem Wort erwähnt. Auch ist hier von der Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung zusätzlichen Personals als Voraussetzung einer verantwortbaren integrativen Unterrichtung nicht die Rede; stattdessen werden unrealistische Erwartungen an die Klassenlehrkraft adressiert. Im Übrigen hatte Breitenbach am Beginn seines Debattenbeitrags zur Neustrukturierung des Bildungsangebots im Bereich der Sekundarstufe I im Duktus eines historischen Rückblicks die Leistungen der Sonderschulen für die Entwicklung einer behinderungsspezifischen Pädagogik erwähnt, dies aber in den Zusammenhang mit der Problematisierung differenzierter Strukturen im Bildungssystem gestellt.47 Die Kontinuität der seit 1985/86 im Saarland praktizierten integrativen Unterrichtung, die ungeachtet der mehr als bescheidenen finanziellen und personellen Ressourcen durch eine von Jahr zu Jahr massivere Steigerung der Zahl der Integrationsmaßnahmen gekennzeichnet war, sollte nach den Darlegungen des bildungspolitischen Sprechers der SPD-Landtagsfraktion Reiner Braun gewährleistet sein. Er erklärte nämlich bei der Ersten Lesung des verfassungsändernden Gesetzes am 28.2.1996: „Die Nennung der Schulen für Behinderte in der Verfassung wird keineswegs dazu führen, daß die Integration Behinderter in Regelklassen beendet wird, im Gegenteil, wir wollen durch organisatorische Maßnahmen  – ich nenne das Stichwort sonderpädagogische Förderzentren – die Integration weiter vorantreiben.“48 Allerdings hat Braun in der Anhörung, die vor den Ausschüssen für Verfassungs- und Rechtsfragen und für Bildung, Kultur und Wissenschaft am 13.3.1996 stattfand, auch geäußert: „Hier ist einfach davon auszugehen, daß wir ein sehr gut ausgebautes Sonderschulwesen im Lande haben. Wir müssen auch berücksichtigen, daß derzeit im Saarland das Verhältnis Kinder in Sonderschulen zu

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Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1027. Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1026. 48 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1019. 47

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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Kinder in Integrationsmaßnahmen 9:1 ist. Wir müssen auch davon ausgehen, daß es Sonderschulen welcher Art auch immer weiter geben wird.“49 Hierzu ist zu sagen: Ein Bekenntnis zu den Förderschulen und ihrem pädagogischen Wert als alternatives, komplementäres und subsidiäres Bildungsangebot für behinderte Kinder und Jugendliche liest sich anders. Die Beschwichtigungsfunktion der zitierten Äußerungen des Abgeordneten Braun war nicht zu übersehen. b) Verhandlungsziel der Landesregierung In auffälligem Kontrast zu diesen Bekenntnissen von Breitenbach und Braun zur Förderschule stand jedoch die Tatsache, dass die Landesregierung in der Verhandlungsphase versucht hatte, die Aufnahme der Förderschulen in die Verfassung zu verhindern. Hierfür wurde als Begründung angeführt: Die in sieben Schultypen gegliederten Förderschulen könnten im Gegensatz zu den Grundschulen und anderen Schulformen teilweise nur in starker räumlicher Konzentration angeboten werden. Einer der Kernpunkte der institutionellen Garantie, nämlich die Erreichbarkeit der garantierten Schulform in zumutbarer Entfernung, sei daher von vornherein – und auch in Zukunft – für eine größere Zahl von Schulen nicht gegeben.50 Diese Argumentation übersah, dass bei Förderschulen – ebenso wie bei einigen Schulformen des beruflichen Schulwesens – wegen der vergleichsweise geringen Schülerzahl der einzelnen Förderschultypen und des daraus zwangsläufig resultierenden hohen Zentralisierungsgrades die hier ohnehin großzügige gesetzliche Regelung des geordneten Schulbetriebes in der Praxis äußerst flexibel gehandhabt werden muss. Hierfür bietet § 9 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 4 SchoG eine ausreichende gesetzliche Handhabe. Vor allem aber war es sachwidrig, die Frage einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Förderschule, also die Systemfrage, von der Handhabbarkeit einer Regelung abhängig zu machen, die nur die äußere Schulorganisation und die Standortplanung betrifft. Es handelte sich evident um ein vorgeschobenes Argument, um die Förderschulen aus dem von der CDU angestrebten Schulformenkatalog des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 herauszuhalten. Im 49

Sitzungsniederschrift S. 16. Hierbei wird ignoriert, dass wegen der geringen Zahl der dafür in Betracht kommenden Schüler im Saarland für einige Behinderungsarten bzw. Förderschwerpunkte jeweils nur eine bzw. zwei Schulen im gesamten Land existieren und dass bisher noch von niemandem, insbesondere nicht von den betroffenen Schülern und ihren Eltern eine Unzumutbarkeit des Schulweges geltend gemacht wurde. Es sind dies die Förderschule für Blinde und Sehbehinderte in Lebach, die Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige in Lebach, die Förderschule Sprache in Sulzbach und die Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung in Homburg und Püttlingen. Das Gleiche gilt für die öffentlichen Förderschulen soziale Entwicklung in Saarbrücken, Saarlouis und St. Wendel. Auch die Erreichbarkeit aller 16 Förderschulen Lernen sowie der 7 öffentlichen Förderschulen geistige Entwicklung war bisher nicht Gegenstand kritischer Hinweise seitens der Betroffenen. 50

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3. Teil: Förderschule

Übrigen deutete diese Argumentation auch darauf hin, dass die Fortsetzung des massiven Ausbaus der integrativen Unterrichtung mit den sich daraus für den Bestand von Förderschulen ergebenden Konsequenzen antizipiert wurde. c) Rückschlüsse aus der Außendarstellung Dass für die Landesregierung und die SPD-Landtagsfraktion die Verankerung der Förderschule in der Verfassung keine Herzensangelegenheit war, lässt sich auch an ihrem publizistischen Umgang mit diesem Element des Verfassungskompromisses ersehen. So kommt z. B. in dem am Tag nach der Verfassungsänderung erschienenen Namensartikel von Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) in der Frankfurter Rundschau, in dem der „Historische Kompromiss“ gewürdigt wurde, die Förderschule ebenso wenig vor wie die verfassungsrechtliche Absicherung essentieller Strukturmerkmale des Gymnasiums in der Gemeinsamen Erklärung.51 d) Fundamentaler Dissens in der Sache Eine Bestätigung dafür, dass sie diese Grundgestimmtheit auf Seiten ihres Verhandlungspartners von Anfang an zutreffend eingeschätzt und folglich gut daran getan habe, auf der verfassungsrechtlichen Verankerung der Förderschule zu bestehen, ergab sich für die CDU in der Folgezeit auch aus Äußerungen maßgeblicher Repräsentanten der SPD-Landtagsfraktion. In der Plenarsitzung des Landtags des Saarlandes am 17.9.1997 hatte die CDU-Opposition erstmals nach 1985 den qualitativen Aspekt der im Saarland praktizierten integrativen Unterrichtung explizit zum Gegenstand einer parlamentarischen Debatte gemacht. Sie forderte in dem oben52 bereits erwähnten Beschlussantrag eine signifikante Verbesserung der Personalisierung der Integrationsmaßnahmen, nämlich für jedes integrativ unterrichtete Kind in Höhe von einem Viertel der in der Stundentafel der Förderschule vorgesehenen Stundenzahl.53 In dieser Plenarsitzung erklärte die einflussreiche, fraktionsintern für Sonderpädagogik und Integration zuständige und dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Wissenschaft angehörende SPD-Landtagsabgeordnete Isolde Ries: „Wir halten unmißverständlich an unserer Zielvorstellung fest, mittel- und langfristig dafür zu sorgen, daß integrativer Unterricht zum Regelangebot wird und nur für wenige begründete Fälle der Besuch einer Schule für Behinderte als Ergänzungsangebot

51 Breitenbach, Historischer Kompromiß. Zum Abschied von der Dreigliedrigkeit im Saarland, FR Nr. 75 vom 28.3.1996, S. 6. 52 Siehe oben sub Kap. 4 C. II. 2. c) dd). 53 Antrag der CDU-Landtagsfraktion betr. bessere Förderung behinderter Schülerinnen und Schüler, LT-Drucks. 11/1338 vom 10.9.1997.

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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vorgehalten wird.“54 Auf dieser Grundlinie war es daher nur folgerichtig, dass die Förderschule in dem von der SPD-Landtagsfraktion für diese Parlamentsdebatte eingebrachten Beschlussantrag nur unter dem Gesichtspunkt erwähnt wurde, dass das Saarland „die bundesweit niedrigste Sonderschulbesuchsquote“55 aufweise. Welches Bild von der Förderschule hierbei zugrunde lag, geht noch um eine Nuance deutlicher aus dem Beitrag von Isolde Ries zu dem 1998 aus Anlass des 60. Geburtstages von Alfred Sander erschienenen Sammelband hervor: „Nur mühsam konnte sich seither [Empfehlungen des Deutschen Bildungsrates zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher von 1973; Anm. d. Verf.] die Auffassung durchsetzen, daß durch die Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher in Sondereinrichtungen auch ‚Sondermenschen‘ geschaffen werden. Diese Aussonderung bewirkte, daß Behinderten das Menschenrecht der vollen Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt wurde (und heute noch wird!). Demokratische Gesellschaften können jedoch auf Dauer nicht bestehen, wenn ganzen Bevölkerungsgruppen, dies betrifft nicht nur die Behinderten, die Respektierung ihrer Menschenwürde versagt wird.“56 Es würde nicht überraschen, wenn jemand aus Wortlaut und Kontext dieser Sätze die Schlussfolgerung zöge, dass die Autorin die Existenz von Förderschulen und ihren gegebenenfalls verpflichtenden Besuch als nicht vereinbar mit der Menschenwürde ansieht. Zum näheren Verständnis dieser Einstellung gegenüber der Förderschule kann möglicherweise auch die folgende Verlautbarung von Isolde Ries beitragen: „Neben der pädagogischen Dimension war für uns auch die politische Dimension des Themas von Bedeutung, warum wir das flächendeckende Angebot der Integration wollen.“57 Isolde Ries hat diese von ihr geltend gemachte „politische Dimension des Themas“ in der Landtagssitzung am 29.4.1998, als das Plenum erneut mit der Realität der integrativen Unterrichtung im Saarland befasst wurde, mit folgender Aussage anschaulich gemacht: „Ich kann Ihnen sagen, wir sind nicht ideo­ logisch verbohrt, sondern wir wollen eine Schule für alle und betrachten dies als humanitären Anspruch.“58 Das von der integrationspolitischen Sprecherin der SPD-Land­tagsfraktion vorgestellte Integrationskonzept im Bereich der Sonderpädagogik stellt sich somit als Baustein im Rahmen eines weiter reichenden gesinnungsethischen Großprojek 54

Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2357. Antrag der SPD-Landtagsfraktion betr. integrative Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, LT-Drucks. 11/1349 vom 16.9.1997. 56 Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (80). 57 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2356. 58 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2946. Bezeichnenderweise trägt der aus Anlass des 60. Geburtstags von Alfred Sander erschienene Sammelband, in dem auch der soeben in der vorliegenden Schrift zitierte Beitrag von Isolde Ries erschienen ist, den Titel „Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle.“ 55

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3. Teil: Förderschule

tes dar.59 Großzügig wird hierbei auch das Ressourcenproblem beiseitegeschoben. Denn in einem im Jahr 2004 gestellten Antrag der SPD-Landtagsfraktion wird die Landesregierung aufgefordert, „das Recht auf integrative Erziehung als Wahlrecht der Eltern im Schulordnungsgesetz zu verankern“60, d. h. ohne jeglichen Ressourcenvorbehalt. Das ist die klare Distanzierung von dem Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 und damit von einer der Grundvoraussetzungen, unter denen der Verfassungskompromiss vom 27.3.1996 zustande gekommen war. Die Streichung des Ressourcenvorbehalts aber bedeutet, dass man das Kriterium der zu gewährleistenden pädagogischen Qualität für irrelevant erklärt. Es kann nicht überraschen, dass der solchermaßen geltend gemachte Absolutheitsanspruch der integrativen Unterrichtung meistens einhergeht mit der Tribunalisierung derer, die sich ihm nicht bedingungslos zu unterwerfen bereit sind, z. B. die „Uneinsichtigen“ in der Schuladministration.61 59 Angesichts dieses Bekenntnisses zu dem langfristig angestrebten Ziel relativiert sich die Bedeutung der folgenden Ausführungen von Isolde Ries, Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2944: „Wir haben also zwei Standbeine für die sonderpädagogische Förderung von behinderten Schülerinnen und Schülern. Wir haben ein gut ausgebautes Netz von Sonderschulen […]. Auf der anderen Seite ist das zweite Standbein der integrative Unterricht in den Regelschulen […]. Es sind also zwei Systeme sonderpädagogischer Förderung, die nebeneinander bestehen, und das ist zu begrüßen. Ich denke, es entspricht dem Pluralismus und ermöglicht uns, besser auf Einzelfälle einzugehen.“ Der Kontext dieser Äußerung macht deutlich, dass es sich bei diesen Worten eher um eine aktuelle Zustandsbeschreibung handelte, weniger um eine Relativierung der Langfristperspektive. Auch dürfte diese vordergründige Konzession an den „Pluralismus“ vielleicht auch auf der Einschätzung beruht haben, dass angesichts der von der Opposition nunmehr bereits zum wiederholten Mal in das Plenum des Landtags getragenen Kritik an den unübersehbaren qualitativen Defiziten der integrativen Unterrichtung die Geltendmachung von deren Ausschließlichkeitsanspruch in der konkreten Situation nicht opportun erschien. Dass die Zielsetzung unverändert war, ließ sich u. a. dem Bericht der SZ Nr. 30 vom 5.2.1999, S. 9, Statt der Kinder fährt der Pädagoge, entnehmen, wo die Abgeordnete Ries wie folgt wörtlich zitiert wird: „Nach Ansicht der Politikerin ‚sollte darüber nachgedacht werden, ob Sonderschulen für lernbehinderte und verhaltensauffällige Kinder noch zeitgemäß sind‘.“ 60 Antrag der SPD-Landtagsfraktion betr. Menschen mit Behinderungen im Saarland stärker integrieren – Vorleistungen anerkennen, LT-Drucks. 12/1135 vom 4.5.2004. 61 Vgl. hierzu z. B. Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (84): „Dieses Beispiel ist nur eines von vielen, die belegen, daß ernsthafte Initiativen, das Bildungssystem zu reformieren immer wieder auf Barrieren treffen, die durch die Reglementierung und die Kontrolle seitens der Schulverwaltung aufgebaut werden und somit in der Lage sind, die politischen Zielsetzungen zu konterkarieren. Im Falle der Integration kommt hier im Saarland sicherlich erschwerend hinzu, daß wichtige Referentenstellen im Bildungsministerium nicht unbedingt mit Personen besetzt sind, die für ihre Integrationsfreundlichkeit bekannt wären.“ In diesem Sinne auch Alfred Sander, Entwicklung der schulischen Integration behinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland 1990 bis 1993/94, in: ders./Hildeschmidt/ Jung-Sion u. a., Schulreform Integration. Entwicklungen der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland 1990–1993/94, S.  9 (34): „[…] in dieser Situation erschiene es mir sehr sinnvoll, wenn in der mittleren Ministerialbürokratie auch integrationsorientiertes Denken und Handeln institutionalisiert wäre.“ Ders., Gibt es im Saarland eine Integrationskultur?, in: ders./Hildeschmidt/Schnell, Integrationsentwicklungen. Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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In dieser Positionsbestimmung war und ist die SPD nicht weit entfernt von dem, was hierzu Grundüberzeugung bei der Partei Bündnis 90/Die Grünen ist. Die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen hatten zu keinem Zeitpunkt ein Hehl daraus gemacht, dass man sonderpädagogische Förderung nur in der Form integrativer Unterrichtung organisieren wolle und Förderschulen grundsätzlich ablehne. So erklärte die Abgeordnete Gabriele Bozok in der Plenarsitzung am 17.9.1997: „Wir lehnen die Aussonderung in Einrichtungen wie Sonderkindergärten, Sonderschulen, -heime oder -werkstätten als ‚normalen Lebensweg behinderter Menschen‘ ab. Wir wollen Weichenstellungen zur Beendigung von Aussonderung vornehmen.“62 Andreas Pollak von der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion hatte bereits in der Plenarsitzung am 26.2.1997 dem bildungspolitischen Sprecher der CDU-Land­tagsfraktion Jürgen Schreier in vorwurfsvollem Ton entgegenhalten: „Herr Schreier, Sie haben mit dafür gesorgt, dass wir zum Beispiel die Sonderschulen in der Verfassung haben.“63 Pollak hatte damit klargestellt, dass in der sonderpädagogischen Konzeption seiner Partei für die Förderschulen kein Platz ist. Es überrascht daher nicht, dass die SPD-Landtagsfraktion und die Landtagsfraktion Bündnis90/Die Grünen im Jahr 2006 in einem gemeinsamen Antrag die Auflösung der Förderschulen Lernen forderten.64 Man muss sich bewusst machen, dass die oben wiedergegebene Position der SPD-Landtagsfraktion und einer ihrer in Fragen der sonderpädagogischen Förderung engagierten und maßgeblichen Sprecherinnen nur wenige Jahre nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Förderschule im Parlament zu Protokoll gegeben wurde. Das zeigt, dass dem Verfassungskompromiss keine wirkliche Übereinstimmung hinsichtlich eines dualen, aus zwei Förderorten bestehenden Systems sonderpädagogischer Förderung zugrunde gelegen hatte.

im Saarland 1994 bis 1998, S. 291 (295): „Im für das Schulwesen zuständigen Ministerium gibt es seit Ende der 80er Jahre keine Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen mehr, denen die Reformbewegung das Attribut ‚integrationsorientiert‘ zuerkannt hätte. Aus dieser Einseitigkeit resultieren immer wieder Konflikte und Widerstände.“ 62 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 2355. Dementsprechend heißt es in dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen-Landtagsfraktion betr. Verstärkung von Integrationsmaßnahmen behinderter Kinder und Jugendlicher, LT-Drucks. 11/1345 vom 11.9.1997: „Der gemeinsame Schulbesuch bietet den behinderten Kindern und Jugendlichen die Chance auf ein Leben in Normalität, den nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen wesentliche soziale Erfahrungen und Kompetenzen und ist somit der Beschulung in Sonderschulen vorzuziehen.“ 63 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1929. 64 Antrag der SPD-Landtagsfraktion und der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen betr. Schulen für Lernbehinderte nicht umetikettieren, sondern abschaffen, LT-Drucks. 13/1065 vom 18.9.2006.

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3. Teil: Förderschule

e) Verfassungskompromiss aus spezifisch politischem Kalkül Die in der SPD somit nach wie vor tief verwurzelte Überzeugung von der integrativen Unterrichtung als dem einzig richtigen Weg der sonderpädagogischen Förderung hatte sich jedoch damals gegenüber dem politischen Kalkül von Ministerpräsident Oskar Lafontaine nicht behaupten können. Bei der von der CDU geforderten verfassungsrechtlichen Absicherung des Gymnasiums und seiner essentiellen Strukturmerkmale sowie der inneren Struktur der Erweiterten Realschule hatte mit Blick auf die Bundestagswahl 1998 das spezielle Interesse des Ministerpräsidenten und SPD-Landesvorsitzenden an einer kurzfristigen und umfassenden Lösung der Probleme in der Sekundarstufe I den Ausschlag gegeben. Aus dem gleichen Grund hatte Lafontaine auch kein Problem damit, der CDU die verfassungsrechtliche Verankerung der Förderschule zu konzedieren. Seiner Dominanz in Landesregierung und Landespartei hatten sich auch solche Überzeugungen unterzuordnen, die zum Kern bildungspolitischer Programmatik der Sozialdemokratie gehören.

D. Verfassungsänderung vom 15.6.2011 Mit der Verfassung als der Grundordnung des Staates sind unvergleichlich mehr als bei anderen Gesetzen die Vorstellung und die Erwartung eines auf Dauer angelegten Gesetzeswerkes verbunden.65 Doch hatte der mit der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 geänderte Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl 1996 nur 15 Jahre Bestand.66

65

Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, S. 36, spricht von „der Verfassung als der grundgesetzlichen Normordnung des Staates.“ 66 Einzelfragen des Schulsystems unterliegen erfahrungsgemäß einem mehr oder weniger starken Innovationsdruck, sei er pädagogisch oder gesellschaftspolitisch motiviert. Dazu trägt nicht zuletzt auch der Bildungsföderalismus mit seinen 16 Handlungszentren bei. Seine Gestaltungsvielfalt und die dadurch ausgelöste Wettbewerbssituation können die Dauerhaftigkeit auch von landesverfassungsrechtlichen Festlegungen nicht unberührt lassen. Zu den änderungsgeneigten Regelungsgegenständen gehören also das Schulwesen im Allgemeinen und die Fragen von Aufbau und Gliederung des Schulwesens im Besonderen. Mit der abschließenden Festschreibung des Schulsystems im Verfassungstext durch das verfassungsändernde Gesetz vom 27.3.1996 wurde ignoriert, dass gerade bei der Verfassung als der rechtlichen Grundordnung des Staates die Abhängigkeitsstufung von Normfunktion, Normgehalt und Norminhalt zu beachten ist. Nur bei Ausblendung dieser Zusammenhänge kann es überraschen, dass dem Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 eine gemessen an den Stabilitätserwartungen, die man mit einer Verfassung verknüpft, äußerst beschränkte Lebensdauer beschieden war. Es lässt sich durchaus als allgemeingültiger Gedanke verstehen, was Krause, Die Verfassungsentwicklung im Saarland seit 1980, JöR, N. F., Bd. 51 [2003], 403 (408 f.), geschrieben hat: Danach „[waren die schulrechtlichen Bestimmungen der Landesverfassung] […] im Saarland  – wie auch anderswo – politisch besonders umstritten und häufig Streitigkeiten ausgesetzt […]. Sie boten jedenfalls nur vorübergehenden Halt, wurden schnell vom Zeitgeist eingeholt und waren daher am häufigsten Änderungen unterworfen.“

11. Kap.: Regelungen zur Förderschule in der Verfassung des Saarlandes

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Mit der Verfassungsänderung vom 15.6.201167 erhielt Art.  27 Abs.  3 folgende­ Fassung: (3)1Das öffentliche Schulwesen besteht aus allgemein bildenden und beruflichen Schulen. 2Allgemein bildende Schulen, an denen die allgemeine Hochschulreife erworben werden kann, sind Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. 3Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Die Förderschule ist also in dieser verfassungsrechtlichen Norm nicht mehr genannt. Die Verfassungsänderung war Voraussetzung für die Neuordnung der Sekundarstufe I, auf die sich die aus CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen bestehende sog. Jamaika-Koalition entsprechend einer Forderung von Bündnis 90/die Grünen verständigt hatte. Danach sollte die Gemeinschaftsschule an die Stelle der Erweiterten Realschule und der Gesamtschule treten. Die SPD-Landtagsfraktion, die für die Zustimmung zur Verfassungsänderung gewonnen werden sollte, fand sich zu der Verfassungsänderung nicht bereit. Daraufhin wurde die Verfassungsänderung mit den Stimmen der sog. Jamaika-­ Koalition und der von Oskar Lafontaine geführten Fraktion der Partei Die Linke verabschiedet. Auf die Einzelheiten dieser Verfassungsänderung wird, soweit es die Förderschulen betrifft, im Zusammenhang mit der am 25.6.2014 vom Landtag des Saarlandes beschlossenen Einführung der inklusiven Schule68 eingegangen.69

67

Amtsbl. I S. 236, in Kraft getreten am 1.8.2012; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 3. Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014 (Amtsbl. I S. 296); ein Auszug des geänderten Schulordnungsgesetzes ist im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 2., ein Auszug des geänderten Schulpflichtgesetzes im Anhang sub Abschn. A. III. 2. 69 Siehe unten sub Kap. 17 C. III. 3. c). 68

Kapitel 12

Förderschule als alternatives, komplementäres und subsidiäres Bildungsangebot A. Förderschul-Option als objektiv-institutionelle Voraussetzung personaler Integrationsentscheidung Es ist nicht zu übersehen, dass in der veröffentlichten Meinung inzwischen die Vorstellung von der integrativen/inklusiven Unterrichtung als der einzig denkbaren Organisationsform sonderpädagogischer Förderung dominiert. Das reicht bis in das juristische Schrifttum, wo sich ebenfalls Repräsentanten doktrinärer Einseitigkeit finden: So heißt es bei Jürgens/Römer: „Jedenfalls kann das Ziel nur darin bestehen, alle behinderten Schülerinnen und Schüler in die allgemeine Schule zu integrieren […].“1 Vor allem die instrumentelle Verwendung des Begriffs „Inklusion“ ist nicht ohne Wirkung geblieben auf die Entwicklung dieses „Mainstreams“. Eines seiner Kennzeichen ist, dass die Frage nach Alternativen nicht zugelassen wird. Zwar hat die Kultusministerkonferenz erklärt, dass die Förderschulen „je nach Bedarf alternative oder ergänzende Lernorte [sind].“2 Eine vertiefte und substanzielle Würdigung der Förderschule als Element des Systems sonderpädagogischer Förderung findet sich im Kontext der zitierten Stelle jedoch nicht. Erst recht gilt diese Feststellung für den Beschluss der Kultusminister­konferenz zur inklusiven Schule vom 20.10.2011.3 An dieser Stelle ist auf das einzugehen, was für jegliche Entscheidung über die Struktur und die Organisationsform sonderpädagogischer Förderung fundamental ist.

1 Jürgens/Römer, Aufnahme von Behinderten in allgemeine Schule. Besprechung von OVG Magdeburg, Beschl. v. 26.8.1997, B 2 S 297/97, NVwZ 1999, 898, NVwZ 1999, 847 (850). 2 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMKBeschlS., Leitzahl 300, S. 4. 3 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Beschl. vom 20.10.2011 betr. Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 1 ff.

12. Kap.: Förderschule als alternatives Bildungsangebot

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I. Integrationsentscheidung und Personalität 1. Individualität und Sozialität als personale Dimensionen Ausgangspunkt aller Überlegungen zur sonderpädagogischen Systemfrage muss der Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen sein. Er folgt aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs.1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG. Hierbei kommt mit der Normierung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG der anthropologischen Grundtatsache der Personalität des Menschen die entscheidende Bedeutung zu. Das Gleiche gilt für die Verfassung des Saarlandes, in deren Art. 1 Satz 1 der aus der Personalität des Menschen resultierende Achtungsanspruch der „Einzelperson“ bekräftigt wird. Die Personalität des Menschen umfasst seine Individualität und seine Sozialität. Hieraus leitet sich auch die Aufgabenstellung ab, wenn es um die Förderung von behinderten Kindern und Jugendlichen geht. Die Aufgabe ist eine zweifache: Zum einen sollen die individuellen Fähigkeiten des Schülers gefördert und entwickelt werden; das eröffnet dem Schüler im Rahmen seiner Behinderung die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Zum anderen geht es darum, dem Schüler durch Unterricht und Erziehung die Fähigkeit und die Chance zur sozialen Teilhabe im Sinne einer personalen Integration zu ermöglichen. Wie die Entwicklung der Heilpädagogik im 20.  Jahrhundert4 zeigt, sah man zunächst vor allem aus pädagogischen Gründen in einem geschützten Lernumfeld die wichtigste Voraussetzung für die Erfüllung dieses Bildungsauftrages. Das insbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgebaute System hoch differenzierter Förderschulen steht für diesen konzeptionellen Ansatz. Die unübersehbaren und bleibenden Leistungen dieses Systems, das von manchen heute bevorzugt in negativer Konnotation erwähnt wird, verdienen festgehalten und gewürdigt zu werden: „Es wäre undenkbar gewesen, daß Seherziehung und Mobilitätstraining für Sehgeschädigte, Gebärdensprache für Gehörlose, mannigfache Formen der Sprachtherapie und schließlich spezielle Leselernmethoden für Lernbehinderte und Geistigbehinderte an allgemeinen Schulen ihre Entdeckung gefunden hätten.“5 Der in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeleitete Perspektivenwechsel führte zu einer Akzentuierung der sozialen Aspekte und damit zu einer Gewichtsverlagerung zugunsten des Integrationselementes. Die sich hieraus ergebende Neuabgrenzung der Aufgaben der allgemeinen Schule einerseits und der Förderschule andererseits hatte auch Konsequenzen für die Strukturierung auf der institutionellen Ebene. 4 Siehe hierzu Ellger-Rüttgardt, Entwicklung des Sonderschulwesens, in: Führ/Furck (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. VI, Teilbd. 1, S. 356 ff. 5 Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (343).

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3. Teil: Förderschule

2. Bildungsanspruch und Selbstbestimmungsrecht Doch vermag auch dieser Perspektivenwechsel die Grundforderung nicht zu verdrängen, die sich aus der Personalität des behinderten Kindes ergibt: Ausgangs- und Bezugspunkt aller Integrationsanstrengungen ist das einzelne behinderte Kind, nicht die Gesellschaft oder ein anderes wie auch immer definiertes Umfeld. Die Integrationsbereitschaft der Gesellschaft ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für gelingende Integration. Sie kann nur An­ gebotscharakter haben, sie darf nicht zum Oktroi werden. Der personalen Entscheidung des Behinderten muss es überlassen bleiben, ob, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen er von diesem Angebot Gebrauch macht. Es besteht eine „ethische Koppelung von Selbstbestimmung und sozialer Zugehörigkeit.“6 Wenn das humanitäre Anliegen der Integration nicht verfehlt werden soll, dann muss sie sowohl im Grundsatz wie auch in allen Einzelvollzügen ausgehend von den Bedürfnissen des einzelnen behinderten Kindes konzipiert und realisiert werden. Auch an dieser Stelle zeigt sich also die überragende Bedeutung des Menschenbildes bei der Gestaltung von Schule, und zwar sowohl bei der pädagogischen Einzelfallentscheidung wie auch mit Blick auf die systemische Dimension. Seinen verfassungsrechtlichen Ausdruck hat dies in Art. 2 Abs. 1 GG gefunden, der das Grundrecht auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ normiert; die gleiche Gewährleistung der „Persönlichkeit“7 enthält Art. 1 Satz 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Im Wortlaut des Art. 1 Verf. d. Saarl. kommt der Zusammenhang zwischen dem „Recht, als Einzelperson geachtet zu werden“ und dem „Recht auf […] Anerkennung der Menschenwürde“ zum Ausdruck. Der Begriff der Person ist von zentraler Bedeutung für die verfassungsrechtliche Dogmatik.8 Denn er ist prägend für das Menschenbild des Grundgesetzes. Aus der Personalität des Menschen leitet sich das grundrechtliche, d. h. verfassungsrechtlich relevante Wertesystem ab.9 Dieser Zusammenhang hat von Anfang an in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seinen Ausdruck gefunden: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“10

6

Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 90. Dürig, Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, JR 1952, 259. 8 Zum Folgenden vgl. Palm, Die Person als Verfassungsbegriff und ihre ideengeschichtlichen Wurzeln, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S.  295 (298 ff.). 9 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205). 10 BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1 BvR 459, 484, 548, 555, 623, 651, 748, 783, 801/52, 5, 9/53, 96, 114/54, BVerfGE 4, 7 (15 f.). 7

12. Kap.: Förderschule als alternatives Bildungsangebot

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Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Satz, der „zum Kernbestand der Dogmatik des Gerichts [gehört]“,11 in der Folgezeit wortwörtlich oder sinngemäß wiederholt.12 Hierbei nimmt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich Bezug auf die geistes- und ideengeschichtlichen Wurzeln der Grundrechte, die untrennbar mit dem Begriff der Person verbunden sind.13 Es sind dies die in der christlichen Theologie im Anschluss an die Patristik geleisteten Beiträge zur Entwicklung des Person-Begriffs insbesondere durch die Scholastik sowie hierauf aufbauend die Moralphilosophie der Neuzeit.14 Als Person verfügt der Mensch über „die Befähigung zum geistigen Selbstbewusstsein und zur entsprechenden Selbstverfügung.“15 Das wird sichtbar in „ihrer Freiheit, kraft deren sie selbst ihren Weg bestimmt.“16 Ihre Unverfügbarkeit für außerhalb ihrer selbst liegende Zwecke ist der Kern dessen, was menschliche Würde bedeutet. Der theologisch-philosophische Hintergrund des Personbegriffs17 begründet einen moralischen Anspruch, der Bestandteil christlich-abendländischen Denkens ist. Dieser moralische Anspruch findet seinen Ausdruck in der Maxime Kants: „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.“18 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht in der ideengeschichtlichen Kontinuität dieses Denkens.19Auf diese Überzeugungen gründet das Bundesverfassungsgericht eine „objektivrechtlich wertmateriale […] Sicht der Grundrechte“.20 Es bezieht damit denselben Standort, den Dürig mit dem „axiologischen 11 Palm, Die Person als Verfassungsbegriff und ihre ideengeschichtlichen Wurzeln, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295 (299). 12 BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274 (329); Urt. v. 15.12.1970, 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und 309/69, BVerfGE 30, 1 (20); Urt. v. 18.7.1972, 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303 (334); Urt. v. 1.3.1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (353 f.); Beschl. v.13.1.1981, 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 (49); Urt. v.15.12.1983, 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1 (44); Beschl. v. 16.7.1969, 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1(7); Beschl. v. 8.3.1972, 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373 (379); Urt. v. 21.6.1977, 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187 (227). 13 BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982, 2 BvR 1187/70, BVerfGE 61, 82 (100 f.). 14 Siehe hierzu Palm, Die Person als Verfassungsbegriff und ihre ideengeschichtlichen Wurzeln, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295 (301 ff.). 15 Brugger, Philosophisches Wörterbuch, S. 226 f. 16 Brugger, ebd., S. 227. 17 Vgl. hierzu: Brugger, ebd., S. 227; M. Koch, Die Begriffe Person, Persönlichkeit und Charakter, in: Lersch/Thomae (Hrsg.), Handbuch der Psychologie, Bd. 4, S. 3 (4 f., 8 f.); Dürig, Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, JR 1952, 259 (260 f.). 18 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 433. Ders., ebd., 429: „Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ 19 Siehe das Zitat in BVerfG, Urt. v. 21.6.1977, 1 BvL 14/76, BVerfGE 45,187 (228), dass „der Mensch immer Zweck an sich selbst bleiben muß.“ 20 Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, S. 63.

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3. Teil: Förderschule

Wertgehalt“21 des Personbegriffs und seinem darauf beruhenden Wertsystemdenken einnimmt. Das Bundesverfassungsgericht benennt die Konsequenzen, die sich aus dieser im Grundgesetz verankerten Wertordnung ergeben, nämlich: Offenheit gegenüber den unterschiedlichen weltanschaulichen Standpunkten, Akzeptanz der Pluralität, Toleranz, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.22 Diese Wertordnung ist der Rahmen, der dem Staat auch bei der Gestaltung des Bildungsangebots für behinderte Kinder gesetzt ist: Er hat die „Selbstdefinition des Grundrechts­ trägers“23 zu respektieren. II. Grundprinzip der Dienlichkeit und Förderlichkeit für das behinderte Kind 1. Anthropologische Gegebenheiten Mit dem in der Überschrift genannten Grundprinzip der „Dienlichkeit und Förderlichkeit für das behinderte Kind“ wird eine Formulierung von Speck24 aufgenommen. Sie benennt das Wahrheitskriterium für verantwortbare integrative Unterrichtung. Seine begriffliche Voraussetzung ist die Unterschiedlichkeit der Gegebenheiten sowohl in objektiv-institutioneller als auch in subjektiv-individueller Hinsicht. Diese werden von dem genannten Autor so prägnant dargestellt und analysiert, dass sie hier im Zusammenhang wiedergegeben werden sollen: „Eine Integration in den Kindergarten unterscheidet sich z. B. deutlich von einer Integration in die Schule, weil diese unter einem dominanten curricularen Leistungsanspruch steht.[25] Die berufliche Eingliederung wiederum wird von wesentlich mehr internen Determinanten bestimmt als die Beteiligung in Freizeitgruppen. Was in einer Spielgruppe integrativ möglich ist, muss es nicht auch in einer Schulklasse sein. Jede Institution hat ihre eigenen Rollenverständnisse und Prioritäten. Außerdem sind auch die subjektiven Positionen und Eigenarten der beteiligten Personen im vielfältigen Ganzen einer Gruppe oder Institution zu beachten. 21

Dürig, Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, JR 1952, 259 (260). BVerfG, Beschl. v. 17.12.1975, 1 BvR 63/68, BVerfGE 41, 29 (50). 23 Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, S. 77. 24 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 31. 25 Bleidick, Kann die Integration von Grundschulkindern mit Behinderungen im Lernen, mit Sprachproblemen und mit Verhaltensauffälligkeiten gelingen?, Die neue Sonderschule 1999, 124 (135), wendet sich mit folgenden Erwägungen gegen jede Schematisierung und Verabsolutierung bei der Entscheidung über Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung: „Die Beschränkung des gemeinsamen Unterrichts auf die Grundschule ist nur dann vertretbar, wenn sie auf absehbare Zeit die Tür zur Sekundarstufe I öffnet und somit keine ‚Integrationsinsel‘ bleibt. Damit stellt sich jedoch eine Aporie. Die Weiterführung integrativer Beschulungsformen mit steigendem Lebensalter – konsequent und mit Recht gefordert – gerät in unausweichliche Kollision mit effektiver Leistungsausnutzung, Differenzierung gesellschaftlicher Tätigkeiten und selektiver Arbeitsteilung. Gemeinsames Leben im Kindergarten und eventuell in der Grundschule ist kein Problem. Aber allerspätestens mit der Beruflichen Bildung macht es keinen Sinn mehr, Programmieren von Software und Arbeitsanleitung in der Werkstatt für Behinderte ‚integrativ‘ zu vereinen.“ 22

12. Kap.: Förderschule als alternatives Bildungsangebot

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Diese Vielfalt der Gegebenheiten kann bedeuten, dass ein Kind, das einem gemeinsamen Unterricht physisch zugeordnet ist, deshalb noch nicht auch emotional angenommen ist und dass umgekehrt Integration nicht erst dann gegeben ist, wenn jemand in möglichst viele oder alle soziale Teilsysteme, also ‚gänzlich‘ eingegliedert ist. Niemand kann in allen Teilgruppen ‚zu Hause‘ sein. Wir haben es vielmehr mit einer Komplementarität von stets partieller Integration und partieller Nicht-Integration zu tun. Damit soll deutlich werden, dass Integration in hohem Maße auch subjektiv bestimmt wird. Jeder hat individuell verschiedene Bedürfnisse nach sozialer Zugehörigkeit. Der eine fühlt sich ‚überall zu Hause‘ und der andere bevorzugt seine eigene ‚kleine Welt‘ oder soziale Nische, aus welchen subjektiven Gründen auch immer. Bekanntlich ist z. B. bei Menschen mit einer Gehörlosigkeit der Wunsch, mit Personen gleichen Schicksals zusammenzuleben, stark ausgeprägt.“26

Auch Ahrbeck zeigt am Beispiel der Gehörlosen, dass behinderte Menschen das Zusammensein mit Schicksalsgenossen als Bedürfnis empfinden können, weil es ihnen guttut.27 Es steht also die Sozialität der Person nicht isoliert neben dem Wesensmerkmal der Individualität, sondern sie wird in ihrer konkreten Ausprägung maßgeblich bestimmt durch die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen. Es kommt nicht nur auf die kontextuellen Bedingungen objektiver Art an; vielmehr sind es vor allem 26 Speck, Schulische Integration aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 19 f. (Hervorh. im Original). Dass die Betroffenen am ehesten dazu berufen sind, ihren wirklichen Bedürfnissen Ausdruck verleihen, geht z. B. aus einem Gemeinsamen Positionspapier der Verbände der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten-Selbsthilfe und Fachverbände e. V. hervor, aus dem unter Angabe der Website in dem Beschl. des SG Augsburg v. 23.9.2011, S 15 SO 111/11 ER, Rn. 85–89, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012), wie folgt zitiert wird: „Inklusion bedeutet, dass unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Wege zur Teilhabe an der Gesellschaft benötigen. Dabei sind die individuellen Bedürfnisse hörgeschädigter Menschen zu beachten. Eine vollständige Integration hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in Regelsysteme stellt nach außen scheinbare Integration dar, birgt in der Praxis jedoch tatsächlich die Gefahr einer scheinbaren Integration und tatsächlicher ‚Segregation in der Integration‘. Hörgeschädigte Menschen haben unterschiedliche kommunikative Bedürfnisse. Einige kommunizieren bevorzugt in der Deutschen Gebärdensprache, andere hauptsächlich in der Lautsprache oder in einer Mischform. Bildungseinrichtungen sollen ihre SchülerInnen mit diesen verschiedenen Kommunikationsformen fördern und sie darin bestärken, schrittweise selbst die Kommunikationsform bzw. -formen herauszufinden, von der sie am meisten profitieren und die sie am effektivsten nutzen können. Wir weisen darauf hin, dass bezüglich der Kommunikationsform vom Grundsatz der Sprachwahlfreiheit ausgegangen werden soll. Im Bildungsprozess sollen alle Formen vermittelt werden. Mit zunehmendem Alter soll der/die hörgeschädigte Heranwachsende die gewünschten Kommunikationsformen selbst wählen und nach eigenem Ermessen anwenden können.“ Das SG Augsburg und das BayLSG, Beschl. v. 2.11.2011, L 8 SO 165/11 B, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012), das die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt hat, haben in ihren Entscheidungen den oben zitierten Darlegungen der Fachverbände Rechnung getragen. 27 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 54, Fn. 5: „Ein weiteres besonders eindrückliches Beispiel findet sich bei denjenigen stark hörgeschädigten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die in ihrer Kommunikation wesentlich auf die Gebärdensprache angewiesen sind. Ihr Wunsch, mit anderen Hörgeschädigten in Kontakt zu treten, sich mit ihnen in ihrer eigenen Sprache auszutauschen, ist außerordentlich stark entwickelt. Er ist schon deshalb unverzichtbar, weil sich darüber ein wesentlicher Teil ihrer Identität konstituiert […].“

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die individuellen Bedürfnisse des behinderten Kindes und Jugendlichen, die befriedigt sein müssen, wenn es sich in der Schule wohlfühlen soll. Denn, so Speck: „[…] jedes Kind hat seine eigenen Lernweisen und Kommunikationsvorlieben und profitiert daher nicht in gleicher Weise vom gemeinsamen Unterricht wie andere […].“28 Dem Autor ist auch in Folgendem zuzustimmen: „Gegen eine formalistische Pauschalierung der Begriffe ‚Inklusion‘[29] und ‚Exklusion‘ im Sinne eines Schwarz-Weiß-Verhältnisses spricht nicht nur die Tatsache, dass jede Regel ihre Ausnahme hat, sondern auch die soziologische und psychologische Einsicht, dass nicht jede Nicht-Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen als eine Verletzung des Inklusionsprinzips empfunden wird. Jeder Mensch hat seine ganz persönlichen Inklusionsbedürfnisse. Er kann sogar zugleich inkludiert und exkludiert sein, je nachdem, wo er sich zusammen mit anderen wohlfühlt oder nicht. Jeder sucht sich primär seine ihm zusagende und ihm dienliche Umwelt. Eine ‚ökologische Nische‘, wie sie etwa von gehörlosen Menschen gesucht wird, kann durchaus auch ihren Sinn haben. Er sollte nicht diskreditiert werden, handelt es sich doch nicht schlechthin um eine unfreiwillige ‚Exklusion‘, von der man jemanden ‚befreien‘ müsste. Auch ein geistig behindertes Kind, das eine Förderschule besucht, oder ein Erwachsener, der in einem Wohnheim lebt oder in einer Werkstatt für Behinderte arbeitet, ist in diesen ‚besonderen Einrichtungen‘ inkludiert, wenn er sich hier wohlfühlt. Er ist nicht schlechthin exkludiert. Ein undifferenzierter plakativer Gebrauch des Wortes ‚Exklusion‘ wäre kontraproduktiv; er ginge an der Wirklichkeit und an der Subjektivität des Erlebens und der Bedürfnisse des Einzelnen vorbei. Von ‚Exklusion‘ in einem ethisch nicht zu rechtfertigenden Sinn sollte nur dann gesprochen werden, wenn Menschen bewusst und unfreiwillig aus für sie lebensbedeutsamen Gemeinschaften ausgeschlossen und ‚weggesperrt‘ werden.“30

Es wäre mit dem durch die Aufklärung erreichten Bewusstseinsstand nicht vereinbar, ausgerechnet behinderten Menschen eine Totalinklusion aufzuzwingen und ihre realen Bedürfnisse zu ignorieren. Ahrbeck weist zutreffend darauf hin, dass die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen steigen, wenn er „die jeweils passenden Teilinklusionen“ auswählen und gestalten kann.31

28 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S.  29, unter Bezugnahme auf Wocken/Antor, Integrationsklassen in Hamburg. Erfahrungen, Untersuchungen, Anregungen (1987). 29 Der Begriff wird von Speck, ebd., S. 8, wie auch in der vorliegenden Schrift als Analogon zu „Integration“ verstanden bzw. verwendet. 30 Speck, ebd., S. 118 (Hervorh. im Original). In diesem Sinne auch Ellger-Rüttgardt, Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre Herausforderungen an die deutsche Bildungspolitik, Rehabilitation 2009, 369 (373): „Für eine offene, sachgerechte Debatte wäre viel gewonnen, wenn Sonderinstitutionen  – seien es Sonderschulen, Heime oder Werkstätten für Behinderte – nicht pauschal als Stätten der Aussonderung abgewertet würden. Es gilt vielmehr, in den Kategorien von historischen Traditionen sowie nationalen Mentalitäten und Strukturen zu denken, in den Dimensionen von Komplexität, Vielfalt und Differenz, von Heterogenität und Verschiedenartigkeit, und all dies schließt einfache Lösungen aus.“ 31 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 63.

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2. Kindeswohl und substanzielles Wahlrecht Dass das Sich-Wohlfühlen in einer bestimmten Umgebung bereits im Wortsinne etwas Entscheidendes mit dem Wohl des behinderten Kindes zu tun hat, liegt also auf der Hand.32 Somit kann die Forderung nach Gewährleistung einer Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Orten sonderpädagogischer Förderung nicht nur auf die bundes- und landesverfassungsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen gestützt werden, aus denen sich der oben erwähnte Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen ergibt. Vielmehr kann hierzu auch auf Art. 7 Abs. 2 VN-BRK verwiesen werden. In dieser Bestimmung heißt es: Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Die Systemrelevanz dieser völkervertraglichen Bestimmung wird von Avenarius mehr als nur angedeutet: „Daraus ergibt sich, dass im konkreten Fall die Zuweisung zur Förderschule auch nach den Regelungen der Konvention sogar geboten sein kann.“33 Hierfür steht auch die Feststellung der Kultusministerkonferenz, die nicht auf die Entscheidung von Einzelfällen beschränkt ist, sondern sich auch auf die systemische Ebene erstreckt: „Bei der Verwirklichung der bestmöglichen Bildung und Erziehung ist vom Wohl des einzelnen Kindes oder Jugendlichen auszugehen.“34 Demgegenüber wird von interessierter Seite versucht, den Begriff der Exklusion zielgerichtet mit einem ideologischen Gehalt aufzuladen. Dazu bedient man sich mitunter subtiler Methoden, etwa durch eine entsprechende Begrifflichkeit in der statistischen Aufbereitung des Datenmaterials. So wird z. B. von Klemm35 bei der 32 Bundschuh, Möglichkeiten und Grenzen von Integration aus sonder- und heilpädagogischer Sicht, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 15 (30), weist darauf hin, dass „dem innerpsychischen Aspekt […] zweifellos die größte Bedeutung zu[kommt]. […] Emotionales Wohlbefinden spielt für die Personalisation im Sinne der Entfaltung einer Person eine bedeutende Rolle […].“ Graser, Integration in rechtlicher Perspektive, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 63 (76 f.), stellt daher zu Recht die Frage, „ob es wirklich allein darauf ankommen soll, wo man dem sonderpädagogischen Förderbedarf wie gut gerecht werden kann – und nicht zumindest auch darauf, wo sich das Kind wohler fühlt, und zwar völlig unabhängig davon, ob ein solches Wohlbefinden eine Steigerung des pädagogischen Erfolges erwarten ließe.“ Auch wenn Graser, wie aus dem Kontext hervorgeht, dabei die aus seiner Sicht eher restriktive, die Leistungsförderung zu stark betonende Grundtendenz des BayEUG gegenüber dem Integrationsgedanken im Blick hat, spricht er mit seiner Frage aus, was in grundsätzlicher Hinsicht Geltung beanspruchen muss. 33 Avenarius, Schulrecht, S. 79 f. 34 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 3. 35 Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 8 ff.; ders., Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 28 ff. Dagegen halten sich die einschlägigen Statistiken der Kultusministerkonferenz von dieser tendenziösen Verwendung des Begriffs „Exklusion“ fern.

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Darstellung der Verteilung von Schülern mit sonderpädagogischem Förder­bedarf auf die beiden Lernorte unterschieden zwischen „Inklusionsquote“ und „Exklusionsquote“ bzw. „Inklusionsanteil“ und „Exklusionsanteil“, wobei der jeweils letztgenannte Begriff für die Förderschulen steht. Wer für differenzierte Denk- und Handlungsweise eintritt und sich nicht der quasitotalitären Variante von Inklusion unterwirft, der wird mit einem Exklusionsbegriff konfrontiert, der ihn dem Verdacht mangelnder Empathie mit behinderten Menschen aussetzt. Auch wenn der Anregungseffekt, der bei der integrativen Unterrichtung gesehen wird, mitunter überschätzt wird, soll er hier nicht generell in Abrede gestellt werden. Aber genauso muss man sich vor Augen halten, was es für einen behinderten Schüler bedeutet, wenn er sich in der Regelklasse einer allgemeinen Schule nicht wohlfühlt: Seine Schulpflicht umfasst neun, bei Schülern mit den Förderschwerpunkten Sehen, Hören und körperliche und motorische Entwicklung zehn (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SchPflG 2014), bei geistig behinderten Schülern zwölf (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SchPflG 2014) Jahre – und dies sind ebenso kostbare wie prägende Jahre seiner Kindheit und seiner Jugend. Es sollte daher aufmerksam zugehört werden, wenn sich die Betroffenen selbst zu Wort melden. Das ist z. B. geschehen in der „Erklärung von Lissabon – Wie Jugendliche die inklusive Bildung sehen“, die im September 2007 von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus 29 Ländern verabschiedet wurde.36 Nr. 4 der Erklärung ist überschrieben mit den Worten: „Die Jugendlichen äußerten ihre Meinung zur inklusiven Bildung“. Dort heißt es im ersten Satz: „Wir finden es sehr wichtig, dass jeder Mensch frei entscheiden kann, welche Schule er besuchen möchte.“37 Gewiss haben die behinderten Jugendlichen mit dieser Forderung primär die Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten behinderter Schüler zu den allgemeinen Schulen im Auge. Doch ist mit dem Verlangen nach freier Entscheidungsmöglichkeit in gleicher Weise die Gewährleistung der Option für eine spezialisierte Einrichtung eingefordert. Die Erklärung enthält also, wie Alfred Sander zutreffend feststellt, sowohl „eine Absage an die Pflicht-Sonderschule“ als auch „eine Absage an eine etwaige Pflicht-Inklusion in die Regelschule.“38 Das ist auch der Standpunkt des Vorsitzenden der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. Robert Antretter, dessen Ausführungen anlässlich einer Jubiläumsveranstaltung der Lebenshilfe im saarländischen Spiesen-Elversberg die Saarbrücker Zeitung wie folgt wiedergibt: „[…] die Gleich­ stellung behinderter Menschen verlange nicht, dass es in Zukunft keine Einrich 36 Am 17.9.2007 hatte das portugiesische Bildungsministerium im Rahmen der portugie­ sischen Ratspräsidentschaft zusammen mit der Europäischen Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung ein Europäisches Hearing „Junge Stimmen: Umgang mit Diversität in der Bildung“ veranstaltet. 37 Lissabon-Erklärung, Erklärung von Lissabon  – Wie Jugendliche die inklusive Bildung sehen, http://www.europa.eu.int/comm/dgs/education_ culture/index_de.htm (Zugriff: 13.6.2012). 38 Alfred Sander, Inklusion macht Schule, Sonderpädagogische Förderung heute 2008, 342 (343 f.).

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tungen und Förderschulen für behinderte Menschen mehr geben dürfe. Vielmehr komme es nach der UN-Behinderten­konvention auf die freie Entscheidung des behinderten Menschen an, wo er leben oder zur Schule gehen wolle.“39

B. Förderschulen bei ressourcenbedingten Grenzen verantwortbarer integrativer Unterrichtung Der Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen aus Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs.1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG kann insbesondere bei zieldifferenter Unterrichtung nur mit einem sehr hohen zusätzlichen Personaleinsatz erfüllt werden. In der vorliegenden Schrift40 wurde detailliert aufgezeigt, dass im Saarland insbesondere die zieldifferente integrative Unterrichtung unter höchst unzulänglichen personellen Rahmenbedingungen stattfindet und insoweit aufs Ganze gesehen nicht von einer verantwortbaren integrativen Unterrichtung gesprochen werden kann. Das ist die Folge der normwidrigen bzw. ermessensfehlerhaften Anwendung des Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986. Die Kritik an diesem Zustand führt folgerichtig zu der Forderung, dass weiterhin Förderschulen zur Verfügung stehen müssen, an denen der Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen erfüllt wird. Denn die Hoffnung oder gar die Erwartung, dass sich an den Verhältnissen bei der integrativen Unterrichtung im Saarland in absehbarer Zeit etwas Grundlegendes ändern wird, ist unrealistisch. Diese Prognose ist insbesondere relevant für die Entscheidung der Eltern, wenn sie in Wahrnehmung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. über den Bildungsweg ihres Kindes bestimmen. I. Extreme Haushaltsnotlage des Saarlandes Einer positiven Prognose steht zunächst die spezielle Haushaltssituation des Saarlandes entgegen, dem das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27.5.199241 eine extreme Haushaltsnotlage bescheinigt hat. Trotz der daraufhin in den Jahren 1994 bis 2003 vom Bund an das Saarland geleisteten Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 6,5 Milliarden Euro hat sich die Finanzlage des Saarlandes weiter dramatisch verschlechtert; der Schuldenstand des Landes betrug Anfang 2016 rd. 14 Milliarden Euro. Es bestehen kaum finanzielle Spielräume, durch einen aus pädagogischen Gründen gebotenen drastisch höheren Personaleinsatz 39

SZ Nr. 205 vom 3.9.2012, S. B 2, Lebenshilfe will auf Förderschulen nicht ganz verzichten. Siehe sub Kap. 6, 7 und 8. 41 BVerfG, Urt. v. 27.5.1992, 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90, BVerfGE 86, 148 (262 f.). 40

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die Qualität des integrativen Unterrichts grundlegend und nachhaltig zu verbessern. Erst recht steht diese Finanzsituation bei verantwortbarer Handlungsweise einer weiteren Ausdehnung des integrativen/inklusiven Unterrichts entgegen. II. Politische Prioritätensetzung zulasten der sonderpädagogischen Förderung Man tut gut daran, auch für den vorliegenden Zusammenhang gewisse Konstanten der Politik in Rechnung zu stellen. Dazu gehört die Tatsache, dass Zahl und Lautstärke der offiziellen Bekenntnisse zur Bedeutung und Priorität von Bildung im Allgemeinen oder von bestimmten Bildungsprojekten für die Politik kein Hindernis sind, die Bereitstellung der erforderlichen personellen Ressourcen zu verweigern oder sogar Planstellen zu streichen.42 Politische Beteuerungen in Parteiprogrammen, Koalitionsvereinbarungen, Regierungserklärungen, Plenarsitzungen und parlamentarischen Beschlussanträgen43 sind eine Sache, die sog. finanzwirtschaftlichen Zwänge oder politische Präferenzen zugunsten bestimmter Wählergruppen eine andere. Behinderte haben bei den Verteilungskämpfen der gesellschaftlichen Gruppen um die knappen staatlichen Ressourcen einen schweren Stand. Das gilt vor allem dann, wenn in Zeiten schlechter Konjunktur oder zur Haushaltskonsolidierung „Einsparpotentiale identifiziert werden“. Behinderte Kinder sind – allen gegenteiligen offiziellen Verlautbarungen und allen Sonntagsreden zum Trotz  – auf der Rangliste bildungspolitischer Prioritäten nicht auf den vorderen Plätzen zu finden. Es besteht kein Mangel an zeitnahen und anschaulichen Beispielen für die Diskrepanz zwischen wohlfeilen Bekenntnissen der Politik zur sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder und dem tatsächlichen Handeln der Politik. Hiervon werden im Folgenden einige Beispiele aufgeführt, weil sie die hier gestellte Prognose stützen, dass mit einer grundlegenden und nachhaltigen Verbesserung der personellen Ausstattung der integrativen/inklusiven Unterrichtung im Saarland nicht zu rechnen ist und daher zur Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes weiterhin ein leistungsfähiges Förderschulsystem als Voraussetzung 42 Sub Kap. 7 B. wurde dargelegt, dass die damalige SPD-geführte Landesregierung bereits im Vorfeld der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts und mit Blickrichtung auf die beabsichtigte Klageerhebung mit der Streichung von Planstellen bei allen Schulformen, d. h. auch bei den Förderschulen begonnen hatte. Dadurch sollte insbesondere gegenüber dem Gericht die Ernsthaftigkeit der eigenen Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung unter Beweis gestellt werden. 43 So hatte sich die CDU, wie oben sub Kap. 4 C. II. 2. c) dd) erwähnt, nicht mehr an ihre in der Opposition erhobenen Forderungen nach deutlicher Verbesserung der Personalausstattung der Integrationsmaßnahmen erinnert, nachdem sie 1999 mit absoluter Mehrheit an die Regierung gekommen war.

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eines substanziellen Wahlrechts des Schülers und seiner Eltern zur Verfügung stehen muss. 1. Zugangssteuerung zur sonderpädagogischen Förderung zwecks Identifizierung von Einsparpotenzialen Anzuführen wäre hier etwa die Regierungspraxis im Anschluss an die Regierungserklärung, die der damalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) auf der Grundlage des Koalitionsvertrages der sog. Jamaika-Koalition am 18.11.2009 im Landtag des Saarlandes abgegeben hat. In der Regierungserklärung führte der Ministerpräsident aus: „Wir wollen alle jungen Menschen begabungsgerecht fördern und das Saarland zu einem Land unbegrenzter Bildungs- und Aufstiegschancen entwickeln. Um diese Ziele zu er­ reichen, streben wir an, den Anteil der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft am Landeshaushalt schrittweise auf 30 Prozent aufzustocken. Damit werden wir zugleich die Verpflichtung des nationalen Bildungsgipfels erfüllen. Von allgemeinen Einsparquoten bleiben Bildung und Wissenschaft ausgenommen. Die auf Grund der demografischen Entwicklung frei werdenden finanziellen Mittel verbleiben im Bildungssystem und werden eingesetzt, um die Qualität zu verbessern. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht fest: Wir räumen dem Bildungsbereich Priorität ein. Angesichts der Bedeutung des Bildungswesens für die Zukunft unseres Landes ist diese Prioritätensetzung nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten. Deshalb haben wir uns dazu in aller Deutlichkeit entschlossen.“44

Sodann ging der Ministerpräsident auf mehrere aus Sicht seiner Regierung prioritäre schulpolitische Vorhaben im Einzelnen ein. Von behinderten Kindern und deren sonderpädagogischer Förderung war jedoch mit keinem Wort die Rede. Das Gleiche gilt für die Debattenbeiträge des Bildungsministers Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) und der übrigen Redner der sog. Jamaika-Koalition sowie der Debattenredner der oppositionellen SPD und der Fraktion Die Linke. In dieser Regierungserklärung gab Ministerpräsident Peter Müller bekannt, dass entsprechend einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag eine Haushaltsstrukturkommission eingesetzt werde. Sie hat als Hintergrund, dass das Saarland angesichts seiner vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 27.5.1992 bestätigten extremen Haushaltsnotlage sowie seiner Verpflichtung zur Beachtung der „Schuldenbremse“ gem. Art. 109 Abs. 3 und Art.143d GG auf die Hilfe der bündischen Gemeinschaft angewiesen ist und hierzu den Nachweis erfolgreicher eigener Beiträge zur Haushaltskonsolidierung zu erbringen hat. Die Haushaltsstruk­ turkommission, so Peter Müller, werde „alle Haushaltspositionen erneut aus ihrer Sicht auf den Prüfstand stellen, Sparpotenziale erarbeiten und den Haushaltsvollzug überwachen.“45 44

Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 33. Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 39.

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Die daraufhin alsbald berufene, hochrangig besetzte Haushaltsstrukturkommission des Saarlandes46 war also ins Leben gerufen worden, um „einen systematischen Überblick über die Ausgabensituation des Saarlandes im Vergleich zu anderen Bundesländern zu erhalten und mögliche Einsparpotentiale zu identifizieren“.47 Der folgende Auszug aus den von der Haushaltsstrukturkommission vorgelegten Analyseergebnissen zeigt, dass sie kein Problem damit hat, Einsparpotenziale zu Lasten behinderter Kinder und Jugendlicher zu identifizieren: „Etwa ein Drittel des Lehrermehrbedarfs bis 2020 ist allein dem Bereich Förder- und Integrationsschüler zuzuordnen. Der Mehrbedarf kommt aufgrund des Aufwuchses von Integrationsschülern und -lehrern an allgemeinbildenden Schulen bei fast konstantem Bestand der Förderschülerzahlen an Förderschulen seit 2007 zustande […]. Diese Entwicklung teilt das Saarland mit einigen anderen Bundesländern. Sie ist jedoch trotz des hier deutlicheren Schülerrückgangs nirgends so ausgeprägt wie im Saarland. Die Vermutung liegt nahe, dass der Anstieg der Förderschülerzahlen Ergebnis einer nicht hinreichenden Zugangssteuerung ist. Im Jahr 2009 betrug die saarländische Förderschülerquote noch 5,7 %, in 2011 bereits 6,6 %. Es ist damit zu rechnen, dass der geplante weitere einseitige Ausbau der Integrationsplätze die Förderschülerzahlen weiter ansteigen lässt, so dass eine nachträgliche Rückführung der Plätze an Förderschulen unwahrscheinlich erscheint. Der Zugang in das System ‚Förder- und Integrationsschüler‘ sollte durch eine objektive und effektive Zugangskontrolle geregelt werden. Der Förderschullehrerfehlbedarf sollte aus Sicht von PwC direkt an allgemeinbildenden Schulen eingesetzt werden und in gleicher Höhe sollten schrittweise Lehrer an Förderschulen abgebaut werden. Insgesamt ist festzuhalten, dass die demografische Rendite von 89 Mio. Euro trotz der Tatsache, dass sich das Ausgabenniveau pro Schüler von 2007 bis 2010 bereits dem Durchschnitt der FLW [Flächenländer West; Anm. d. Verf.] angenähert hat, aufgrund der bereits angestoßenen Reformvorhaben nicht vollständig zu heben ist. Bei einer erfolgreichen Steuerung der Förderschülerzahlen und unter der Bedingung, dass dadurch die Förderschülerquote von 2007 wieder annähernd erreicht werden kann, ergibt sich jedoch ein verbleibendes Konsolidierungspotenzial von 39 Mio. Euro.“48

Die Zeichen stehen also auf Abbau, nicht auf Erweiterung der personellen Ressourcen für die Unterrichtung behinderter Kinder. Das soll geschehen über die 46 Saarland, Haushaltsstrukturkommission, Analyseergebnisse aus der Haushaltsstruktur­ kommission des Saarlandes, S. 41. Der Kommission, deren Vorsitzender ursprünglich der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel war, gehörten an: Der Ministerpräsident; der Minister der Finanzen; der Minister für Bundesangelegenheiten und Kultur, Chef der Staatskanzlei; die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen; der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion; der Vorsitzende des Ausschusses für Finanzen und Haushaltsfragen des Landtags des Saarlandes; der Präsident des Rechnungshofs; die Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer, der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer; Vertreter der als externer Berater und Dienstleister herangezogenen PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC). 47 Saarland, Haushaltsstrukturkommission, ebd., S. 8. 48 Saarland, Haushaltsstrukturkommission, ebd., S. 28 f. (Hervorh. d. Verf.).

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bildungstechnokratische Herbeiführung einer Bedarfsminderung. Dass der Bedarf  – nämlich der an pädagogischem, insbesondere sonderpädagogischem Personal  – angeblich zu hoch ist, beruht nach Auffassung der kühlen Rechner auf „nicht hinreichender Zugangssteuerung“. Es sei daher eine „erfolgreiche Steuerung der Förderschülerzahlen“ anzustreben. Im Klartext bedeutet das: Die ausschließlich nach pädagogischen, medizini­ schen und psychologischen Kriterien zu treffende Entscheidung der zuständigen Schulaufsichtsbehörde, ob bei dem betreffenden Kind eine Behinderung und sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegen oder nicht, soll durch ministerielle Quotenvorgaben gesteuert werden. Die Quotenfestsetzung ihrerseits hat sich nach den Zielvorgaben der Finanzplanung der Haushaltsstrukturkommission zu richten. Von dem oben49 erwähnten, vergleichsweise diskret gehandhabten Versuch einer ministeriellen Intervention zur Fallzahlbegrenzung bei der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs während der Amtszeit von Kultusminister Henner Wittling (SPD) in den Jahren 1997 bis 1999 unterscheidet sich die hier dargestellte „Analyse“ der Haushaltsstrukturkommission im Wesentlichen darin, dass es sich jetzt um eine offizielle Option zur Aushebelung des pädagogischen Ermessens der zuständigen Schulaufsichtsbeamten handelt. Wie die erwähnten Analyseergebnisse der Haushaltsstrukturkommission zeigen, wird dabei mit größter Selbstverständlichkeit auch die Streichung von Planstellen der Förderschulen als Mittel der Wahl vorgeschlagen. Damit wird  – ungeachtet anderslautender regierungsamtlicher Beteuerungen50  – die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Förderschulen in Kauf genommen und deren Margina­ lisierung bzw. Abwicklung der Boden bereitet.

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Siehe 0ben sub Kap. 7 F. III. 2. So hat sich dieselbe Landesregierung (sog. Jamaika-Koalition, 2009–2012), deren führendes Personal der Haushaltsstrukturkommission angehörte, u. a. in der Antwort zu parlamentarischen Anfragen zum Fortbestehen der Förderschulen bekannt. Dazu heißt es in der Antwort zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Förderschulen „Lernen“, LT-Drucks. 14/98 vom 9.2.2010: „Ein Hauptanliegen der saarländischen Landesregierung ist es, für jeden Schüler und jede Schülerin eine seinen bzw. ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten angemessene Beschulung an einem geeigneten Ort bereitzustellen. Die Förderschulen leisten hierzu einen dauerhaft wichtigen Beitrag.“ In der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage derselben Abgeordneten betr. Nachfrage zu der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage betreffend Förderschulen Lernen – UN-Behindertenkonvention [Drucksache 14/98 (14/14)], LT-Drucks. 14/136 vom 26.3.2010, wird diese Aussage wortwörtlich wiederholt und um folgenden Satz ergänzt: „Auch die Förderschulen Lernen sind Teil dieses erhaltenswerten Systems.“ In dem Beschlussantrag der CDU-Landtagsfraktion, der FDP-Landtagsfraktion und der Bündnis 90/Die Grünen-Landtagsfraktion betr. UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen umsetzen, LT-Drucks. 14/176 vom 12.5.2010, heißt es: „Dem Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen wird hierbei Priorität eingeräumt. Ziel ist die dauerhafte Etablierung eines DreiSäulen-Konzeptes mit der Verstärkung der bereits vorhandenen Integrationsmaßnahmen, der Erhaltung der Förderschulen und dem gleichzeitigen verstärkten Einsatz von Förderlehrern an Regelschulen.“ 50

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3. Teil: Förderschule

Es fällt auf, dass insbesondere die zur Regierungskoalition gehörenden Mitglieder der Haushaltsstrukturkommission kein Problem zu haben scheinen mit der Widersprüchlichkeit ihrer Verlautbarungen: Einerseits proklamieren sie die Notwendigkeit einer verstärkten individuellen Förderung auf allen Ebenen des Schulwesens, die aber nur mit einer massiven Aufstockung des dafür erforderlichen Lehrpersonals zu haben ist; andererseits streben sie einen deutlichen Stellenabbau gerade dort an, wo der individuelle Förderbedarf am größten ist, nämlich bei der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher. Um Missverständnissen vorzubeugen: Angesichts der extremen Haushalts­ notlage des Saarlandes sind Haushaltsrestriktionen unvermeidlich. Doch gerade deswegen handelt es sich bei den auch von vielen saarländischen Politikern geförderten Erwartungen an „individuelle Förderung“ in einer „inklusiven Schule“ um unseriöse Versprechungen. 2. Ausklammerung der Förderschulen bei Absenkungen des Klassenteilers Die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte erfreulicherweise kontinuierliche und erhebliche Verbesserung der Klassenfrequenzen im allgemeinbildenden Schul­ wesen ist an den Förderschulen spurlos vorbeigegangen. Ein Beispiel liefert die Regierungserklärung, die die saarländische Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) zum Start der Großen Koalition am 16.5.2012 abgegeben hat: „Wir werden in den nächsten Jahren aber auch dafür sorgen, dass die Klassen kleiner werden, dass die Betreuungsrelation zwischen Lehrern und Schülerinnen und Schülern kontinuierlich verbessert wird. Dafür werden wir schrittweise die Personalzuweisungen an die Gymnasien und Gemeinschaftsschulen verbessern. In den Klassenstufen 5 und 6 wird dann eine Klassengröße von 25 die Richtschnur sein, in den höheren Klassenstufen eine Klassengröße von 27 Schülerinnen und Schülern.“51

Kein Wort also zu den Förderschulen, wo bis heute noch nicht einmal die zweimalige Verschlechterung der Schüler-Lehrer-Relation in den Jahren 1991 und 199652 rückgängig gemacht ist. Demgegenüber wurden im Sinne der Ankündigung der Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) mit der Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Festlegung der Werte für die Klassen-, Gruppen- und Kurs­ bildung und über Schüler-Lehrer-Relationen vom 18.7.201353 Klassenteiler bei den Grundschulen, Gesamtschulen, Erweiterten Realschulen, Gemeinschaftsschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen herabgesetzt. Von einer Rücknahme der

51

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 32. Siehe hierzu oben sub Kap. 7 C. 53 Amtsbl. I S. 226 (243). 52

12. Kap.: Förderschule als alternatives Bildungsangebot

305

Verschlechterungen der Schüler-Lehrer-Relationen bei den Förderschulen in den Jahren 1991 und 1996 ist in dieser Änderungsverordnung keine Rede. 3. Bildungspolitischer Wettbewerb unter Ausblendung des Bildungsangebots für Behinderte Die Einordnung der behinderten Kinder in der Rangfolge der tatsächlichen Prioritäten lässt sich am Beispiel der Reaktionen der saarländischen Bildungspolitik auf das Abschneiden Deutschlands bzw. des Saarlandes bei der internationalen Vergleichsuntersuchung PISA anschaulich aufzeigen. Der als zentraler Bezugspunkt dieser Untersuchung thematisierte Leistungsaspekt ließ offenbar keinen Blick auf jenen Teil des Bildungswesens zu, in dem der Leistungsbegriff einen bereichsspezifischen Inhalt besitzt, nämlich das Bildungsangebot für die behinderten Kinder. So enthalten die mit Bezug auf die PISA-Ergebnisse gestellten Beschlussanträge der SPD-Landtagsfraktion vom 26.9.2002 betr. „Chancengleichheit und Qualität sind Kern einer zukunftsweisenden Bildungspolitik“54 und der CDULandtagsfraktion vom 1.10.2002 betr. „Vorrang für Qualität und Leistung – Bildungsoffensive fortsetzen“55 umfangreiche Forderungen bzw. Maßnahmenkataloge zur Verbesserung des Schulwesens. Zwar waren die Förderschulen nicht in die damalige internationale PISA-Ver­gleichsuntersuchung einbezogen. Doch waren diese Anträge sowie die darüber geführte Plenardebatte56 dem Schulsystem in seiner Gesamtheit und dabei auch den für die einzelnen Bereiche zur Verfügung gestellten bzw. geforderten personellen Ressourcen gewidmet. Die behinderten Kinder und ihre sonderpädagogische Förderung, insbesondere die für eine erfolgreiche integrative Unterrichtung erforderlichen zusätzlichen personellen Ressourcen wurden jedoch in den Anträgen und in der Plenardebatte mit keinem Wort erwähnt.57 Vor allem mit Blick auf die SPD-Land­tagsfraktion muss das Fehlen jeglicher Erwähnung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf überraschen, war doch die Neukonzipierung der sonderpädagogischen Förderung und 54

LT-Drucks. 12/736 vom 26.9.2002. LT-Drucks. 12/743 vom 1.10.2002. 56 Verh., d. LT, 12. Wahlp., S. 2143 ff. 57 Der Deutsche Bundestag nahm anlässlich der Verabschiedung des Vertragsgesetzes vom 21.12.2008 (BGBl. II S. 1419) zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eine Entschließung an, BT-Drucks. 11234 (neu) vom 3.12.2008, S. 4 f. Darin heißt es unter Hinweis auf das in Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK enthaltene Recht behinderter Kinder auf „Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen“: „Im Hinblick auf diese Vorgaben sollte die Frage nach der Chancengleichheit von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den populären Bildungsuntersuchungen, wie beispielsweise dem Program for International Student Assessment (PISA), der Shell-Jugendstudie oder dem Bildungsbericht der Bundesregierung verstärkt berücksichtigt werden. Bisher spielen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den genannten Studien nur eine untergeordnete Rolle.“ 55

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3. Teil: Förderschule

damit das Schulprogramm für die behinderten Kinder neben der Verbreitung der Gesamtschule das markanteste Projekt sozialdemokratischer Schulpolitik im Saarland von 1985 bis 1999. Doch stand ihr insoweit die CDU-Landtagsfraktion in nichts nach: In ihrem Antrag betr. „Qualitätsoffensive Bildung fortsetzen“58 werden in einem 13 Punkte umfassenden Katalog „die Leistungen der CDU-geführten Landesregierung zur nachhaltigen Verbesserung der Qualität im Bildungswesen“ begrüßt – sonderpädagogische Förderung und behinderte Schüler kommen in diesem Katalog jedoch nicht vor. 4. Fehlleistungen in der schulrechtlichen Begrifflichkeit mit Diskriminierungscharakter Manchmal sind es auch sog. Kleinigkeiten, die in Wirklichkeit tiefe Einblicke ermöglichen: So wurde in dem im Oktober 2011 von der Landesregierung (sog. Jamaika-Koalition) vorgelegten Saarländischen Bildungsfinanzbericht von den Haushaltskapiteln „der allgemeinbildenden Schulen und der Förderschulen“ gesprochen  – als ob Förderschulen keine allgemeinbildenden Schulen wären.59 In der Verkennung der Förderschulen zeigte sich also Unkenntnis über eine grundlegende schulrechtliche Einordnung: Zu den allgemeinbildenden Schulen gehören alle Schulen mit Ausnahme der beruflichen Schulen; allgemeine Schulen sind die allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ohne Förderschulen. Diese wohl unbewusste, aber gerade deswegen erwähnenswerte Diskriminierung der Förderschule im Wege begriffssystematischer Fehleinordnung findet sich auch in § 38 Abs. 2 SchoG 1986. Regelungsgegenstand dieser Vorschrift ist nicht die Förderschule als solche, sondern die Bestimmung der Gemeindeverbände als zuständige Schulträger der dort im Einzelnen aufgeführten Schul­formen. Die Norm erhielt aufgrund einer Gesetzesinitiative der damals mit absoluter CDUMehrheit ausgestatteten Regierung Peter Müller durch das Änderungsgesetz vom 18.6.200860 folgende Fassung: „Die Gemeindeverbände sind Schulträger der sonstigen allgemein bildenden Schulen in den Sekundarstufen I und II, der beruflichen Schulen sowie der Förderschulen geistige Entwicklung, der Förderschulen Lernen und der besonderen schulischen Einrichtungen.“ Durch diese Art der Aufzählung wurde neben den allgemein bildenden und den beruflichen Schulen für die Förderschulen gewissermaßen eine eigene Kategorie gebildet; sie wurden dadurch aus den allgemeinbildenden Schulen „hinausdefiniert“.

58

LT-Drucks. 12/1096 vom 8.3.2004. Saarland, Landesregierung, Der Chef der Staatskanzlei, Bericht der saarländischen Landes­regierung über die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Kultur im saarländischen Landeshaushalt, S. 8. Die gleiche Blöße gab sich die die CDU-Landtagsfraktion in ihrem Antrag betr. Kinder und Jugendliche individuell fördern, LT-Drucks. 13/1859 vom 15.4.2008. 60 Amtsbl. S. 1258. 59

12. Kap.: Förderschule als alternatives Bildungsangebot

307

Man stand mit dieser gesetzgeberischen „Leistung“ allerdings in Kontinuität mit einem von der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten,61 am 3.7.199662 mit deren absoluter Mehrheit verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts und von anderen Gesetzen. Diese hatte den peinlichen, in der Folgezeit nicht korrigierten Gesetzgebungsfehler in § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung, einer zentralen Stelle der sedes materiae, zu verantworten. Diese Vorschrift lautete: „Sonderpädagogischer Förderungsbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, daß sie im Unterricht der allgemeinbildenden Schule ohne besondere Hilfen nicht hinreichend gefördert werden können.“ Auch hier wurde also fälschlicherweise von „allgemeinbildenden“ statt von „allgemeinen“ Schulen gesprochen.

61

LT-Drucks. 11/679 vom 18.4.1996. Amtsbl. S. 674.

62

Kapitel 13

Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers in der Förderschule A. Pädagogischer Vergleich der integrativen/ inklusiven Unterrichtung und der Förderschule als Voraussetzung rechtlicher Schlussfolgerungen I. Maßgeblichkeit des Bildungsanspruchs für das pädagogische Anforderungsprofil Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Organisation des Bildungsangebots für behinderte Kinder und Jugendliche muss deren Bildungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG sein. Der Inhalt dieses Bildungsanspruchs bestimmt sich nach den behinderungsspezifischen Bedürfnissen des Schülers. Hierbei kommt, wie oben1 im Einzelnen dargelegt, seinen emotionalen und sozialen Bedürfnissen ein signifikant größeres Gewicht zu als bei nichtbehinderten Schülern. Das Sich-Wohlfühlen des behinderten Schülers ist nicht nur von Bedeutung für erfolgreiches Lernen, d. h. für die Aneignung kognitiver Inhalte, sondern vor allem für die Persönlichkeitsentwicklung als solche. Die Unterrichtsbedingungen haben diesem Anforderungsprofil Rechnung zu tragen, wenn der Staat seiner Verpflichtung zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung durch Unterricht und Erziehung gerecht werden will. II. Pädagogische Bewertung und rechtlicher Handlungsrahmen Die pädagogische Bewertung der im Raum stehenden Alternative – nämlich integrative/inklusive Unterrichtung oder Förderschule  – ist Voraussetzung für die Klärung der Rechtsfrage, welche objektive Handlungsverpflichtung der Staat bei der Entscheidung über die Struktur des Bildungsangebots für behinderte Kinder und Jugendliche hat und ob der behinderte Schüler und seine Eltern diesbezüglich Ansprüche im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts besitzen.

1

Siehe sub Kap. 3 B.

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

309

1. Entscheidungskriterien und Gesamtvergleich bei der Einzelfallentscheidung Wichtige Anhaltspunkte für die hierbei gebotene Vorgehensweise und die relevanten Kriterien lassen sich der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997 zur sonderpädagogischen Förderung entnehmen. Der Senatsbeschluss betraf eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung der Schulbehörde, die den Antrag einer behinderten Schülerin auf integrative Unterrichtung zunächst abgelehnt hatte. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge ist die Entscheidung über integrative Unterrichtung „das Ergebnis einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall, bei der Art und Schwere der jeweiligen Behinderung ebenso zu berücksichtigen sind wie Vor- und Nachteile einerseits einer integrativen Erziehung und Unterrichtung an einer Regelschule und andererseits einer Beschulung in einer Sonder- oder Förderschule. Dabei sind, soweit es um die Bewertung einer integrativen Beschulung geht, in den Gesamtvergleich nicht nur die dem behinderten Kind oder Jugendlichen damit eröffneten Chancen für seine Ausbildung und sein späteres Erwachsenenleben einzustellen, sondern auch die mit einer solchen Maßnahme möglicherweise verbundenen Belastungen zu würdigen. Letzteres gilt mit Blick auf das behinderte Kind selbst, das sich vor allem bei zielgleicher Unterrichtung zunehmend höheren Leistungsanforderungen ausgesetzt sehen wird, ist aber darauf nicht zu beschränken. Vielmehr sind auch denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal sowie die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen oder Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist schließlich auch, daß staatliche Maßnahmen zum Ausgleich einer Behinderung nur nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und organisatorisch Möglichen verlangt werden können (vgl. BVerfGE 40, 121 [133]). Der insoweit mit der integrativen Beschulung an allgemeinen Schulen verbundene Aufwand darf nicht zu Lasten solcher Kinder gehen, deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinderung ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind.“2

Die vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Entscheidungskriterien lassen sich also wie folgt unterscheiden: In pädagogischer Hinsicht sind es die Art oder der Grad der Behinderung sowie die je nach Lernort zu erwartenden Chancen oder Belastungen für das behinderte Kind; sodann sind es die äußeren Realisierungsbedingungen, nämlich die personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen. Dabei stehen die Gegebenheiten und Erfordernisse pädagogischer Art und die Verfügbarkeit der Ressourcen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind auf einander zu beziehen. Es ist ein Beispiel für die den Grundsatzbeschluss kennzeichnende realitätsorientierte Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts, dass es bei dem „Gesamt­ vergleich“ der beiden Lernorte nicht nur die mit der integrativen Unterrichtung verbundenen positiven Aspekte („Chancen“), „sondern auch die mit einer solchen 2

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307 f.).

310

3. Teil: Förderschule

Maßnahme möglicherweise verbundenen Belastungen“ anspricht, und zwar zunächst „mit Blick auf das behinderte Kind selbst“. Der Hinweis, dass sich das behinderte Kind „vor allem“ bei zielgleicher Unterrichtung zunehmend höheren Leistungsanforderungen ausgesetzt sehen wird, muss als nur beispielhafte Erwähnung eines von mehreren potenziellen Belastungsfaktoren verstanden werden. Das Gericht hat nämlich bei der Würdigung der integrativen Unterrichtung das gesamte schulische Umfeld des behinderten Kindes und damit die große Zahl pädagogischer und psychologischer Einfluss- und Bestimmungsfaktoren im Blick. Das lässt sich seinem Hinweis auf die bei einer „Gesamtbetrachtung“ unerlässliche Einbeziehung der „schultypische[n] gemeinsame[n] Unterrichtung in Klassen oder Kursen“ entnehmen. Mit diesem Hinweis spricht das Gericht den zentralen Topos an: nämlich die Unterrichtssituation, in der sich das behinderte Kind in der Regelklasse der allgemeinen Schule befindet. Diese ist – wie in jeder Klasse – grundlegend gekennzeichnet durch Heterogenität, deren Bandbreite mit der Aufnahme eines behinderten Kindes jedoch erheblich erweitert wird.3 Vordergründig findet sie ihren Ausdruck in der Unterschiedlichkeit der objektiven Leistung bzw. Leistungsfähigkeit und der daraus zwangsläufig für das behinderte Kind resultierenden prekären Wettbewerbssituation. Doch ist mit diesem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts weit mehr angesprochen: nämlich alles, was sowohl bei den behinderten wie bei den nichtbehinderten Schülern über die gesamte Breite ihrer personalen Existenz die Unterschiede wie die Gemeinsamkeiten ausmacht und damit das Lernen und Zusammenleben in einer Klasse beeinflusst. Es liegt auf der Hand, dass es von diesen Bestimmungsfaktoren abhängt, ob sich ein behindertes Kind in einer Regelklasse der allgemeinen Schule wohlfühlt oder nicht. Das Sich-Wohlfühlen aber ist nicht nur eine eminent wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen, sondern bei einem behinderten Kind eine geradezu existenzielle, für die Entfaltung seiner Persönlichkeit unerlässliche Bedingung. Auf den gleichen Grundgedanken, der in den Worten des Bundesverfassungsgerichts von der „schultypischen gemeinsamen Unterrichtung in Klassen oder Kursen“ anklingt, trifft man auch in dem folgenden Satz der Kultusministerkonferenz, die mit Blick auf das Wohl des behinderten Kindes und seine erfolgreiche Unterrichtung und Erziehung in der Schule feststellt: „Hierbei ist das gesamte Lernumfeld mit seinen Bedingungen pädagogisch bedeutsam.“4

3 Vgl. hierzu Alfred Sander, Konzepte einer Inklusiven Pädagogik, Zeitschrift für Heil­ pädagogik 2004, 240 (243). 4 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 3.

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

311

2. Konsequenzen für die objektiv-institutionelle Ebene Zwar gelten die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts primär der päda­ gogischen Bewertung und Interessenabwägung im Einzelfall. Doch haben diese Erwägungen das Vorhandensein entsprechender Strukturen auf der systemischen, d. h. der objektiv-institutionellen Ebene zur sachlogischen Voraussetzung. Daher besitzen die vom Gericht für den Einzelfall thematisierten Entscheidungskriterien auch Relevanz für die Abwägung der Vor- und Nachteile der beiden Systemkomponenten als solcher, d. h. der integrativen Unterrichtung einerseits und der Förderschule andererseits. Die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts wendet sich daher nicht nur an den Entscheider im Einzelfall, sondern auch an den Gesetzgeber.5

B. Merkmale der Unterrichtssituation bei integrativer Unterrichtung im Lichte des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers I. Belastungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Der Schutzbereich der Grundrechtsposition des behinderten Schülers, aus der sich dessen Bildungsanspruch ableitet, wäre betroffen, wenn der Schüler entgegen seinem Willen zur Teilnahme am integrativen Unterricht gezwungen würde. Denn bei dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten „Gesamtvergleich“ der damit verbundenen „Chancen“ und „Belastungen“ können die insbesondere im Falle zieldifferenter Unterrichtung für den Schüler entstehenden Nachteile nicht ignoriert werden, nämlich –– die angesichts des leistungsorientierten Unterrichts in einer Regelklasse der allgemeinen Schule stark eingeschränkte Chance des behinderten Kindes auf Erfolgserlebnisse; –– die entgegen mancher sozialromantischen Vorstellung von uneingeschränkter Solidarität der Mitschüler bisweilen festzustellende Ausgrenzung, Schikanierung oder gar Stigmatisierung des behinderten Kindes im Klassenzimmer, auf dem Schulhof oder auf dem Schulweg;6 5

Siehe hierzu OVG d. Saarl., Beschl. v. 9.2.2004, 3 Q 16/03, Rn. 4 und 21, http://www. juris.de (Zugriff: 15.3.2013). Rennert, Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Schulrecht, DVBl. 2001, 504 (509), weist mit Blick auf die Grundsatzentscheidung des BVerfG darauf hin, dass es sich um eine objektivrechtliche Pflicht des Staates zur Bereitstellung eines entsprechenden Bildungsangebotes handelt und dass diese sich „zunächst an den Gesetzgeber [richtet].“ 6 Hierzu Alfred Sander, Konzepte einer Inklusiven Pädagogik, Zeitschrift für Heilpädagogik 2004, 240 (241): „Auf der sozialpsychologischen Ebene zum Beispiel kann Integration de facto Aussonderung bedeuten, wenn das behinderte Kind eine auffällige, negativ besetzte Rolle in

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3. Teil: Förderschule

–– die auch bei vorhandenem guten Willen der Mitschüler nicht selten festzustellende permanente Mitleidssituation statt spontanen Miteinanders unter Gleichrangigen; –– der faktische Segregationseffekt durch meist auch räumliche Separierung bei der Förderung durch den Ambulanzlehrer;7 –– das ab der Klassenstufe 5 der allgemeinen Schulen, in geringerem Umfang aber auch schon in der Grundschule praktizierte Fachlehrerprinzip, das dem gerade bei behinderten Kindern ausgeprägten Bedürfnis nach einer festen Bezugs­ person zuwiderläuft;8 –– die speziell bei der integrativen Unterrichtung von geistig behinderten oder blinden Schülern festzustellenden Defizite der allgemeinen Schule bei der Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten;9 –– die Vorenthaltung spezifisch sonderpädagogischer Unterrichtung und Betreuung während des allergrößten Teils der Unterrichtszeit, weil ein Ambulanzlehrer wegen dauerhaften Ressourcenmangels nur mit einer sehr geringen Stundenzahl zur Verfügung steht und das behinderte Kind somit weitgehend der allgemeinen Unterrichtssituation in der Klasse überlassen ist.10

der Regelschulklasse einnimmt und die Lehrpersonen sich nicht darum kümmern (Hervorh. im Original).“ [Zu ergänzen wäre: Aber auch im Falle einer moderierenden Intervention der Lehrkraft ist die Nachhaltigkeit der Wirkung keineswegs garantiert; Anm. d. Verf.]. Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule? SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 2012, 83 (85), merkt an, „dass behinderte Schüler das Zusammensein mit Kindern ohne Behinderung nicht immer und ausnahmslos als ein segensreiches Schicksal empfinden dürften.“ 7 Dass dies in der Schulpraxis zur Realität integrativer Unterrichtung gehört, wird von­ Alfred Sander, Neue Formen der sonderpädagogischen Förderung in deutschen Schulen, RdJB 1996, 174 (179), angesprochen. In § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 IntVO ist als eine der Varianten bei der Unterrichtung durch einen Ambulanzlehrer vorgesehen, dass dieser den Schüler „gesondert unterrichtet“. Zur Praxis dieser „klassenraumexternen Förderung“ speziell im Saarland siehe oben sub Kap. 2 C. III. 1. und die dort wiedergegebene Kritik von Haeberlin an den Verhältnissen bei der integrativen Unterrichtung im Saarland. 8 Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (338), ruft in Erinnerung, dass jede Form der „Partialisierung […] dem Prinzip konstanter Bezugspersonen für die Schülerinnen und Schüler widersprechen [würde].“ 9 Bleidick, ebd., S. 329 (339 f.). Speziell mit Blick auf geistig behinderte Schüler wird vom BayVGH, Urt. v. 9.7.1997, 7 B 97.1185, BayVBl. 1998, 180 (182), in überzeugender Weise herausgearbeitet, dass die dortige Schule zur individuellen Lebensbewältigung auch mit Blick auf die Vorbereitung auf das Leben über die Zeit der Schulpflicht hinaus ein Bildungsprofil hat, das hinsichtlich des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes auch von rechtlicher Relevanz ist. Die in § 1 Abs. 1 und 2 SchoG normierten Unterrichts- und Erziehungsziele gelten auch für behinderte Schüler und erfordern eine behinderungsspezifische Strukturierung des Bildungsangebotes. 10 Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang, aus der hervorgeht, dass im Schuljahr 2012/2013 auf ein integrativ unterrichtetes behindertes Kind pro Woche 1,67 Unterrichtsstunden eines Ambulanzlehrers an sonderpädagogischer Förderung entfielen.

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

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II. Elterliche Interessenabwägung Nach alldem überrascht es nicht, wenn viele Eltern behinderter Kinder der Förderschule keineswegs ablehnend gegenüberstehen. Das sind Eltern, welche die möglichen Nachteile – in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts: „Belastungen“11  – insbesondere bei zieldifferenter integrativer Unterrichtung für ihr Kind bewusst nicht in Kauf nehmen wollen. Von vielen Eltern behinderter, auf ziel­ differente Unterrichtung angewiesener Kinder wird die Förderschule in der Tat als ein „geschützter Raum“ angenommen bzw. wertgeschätzt, in dem ihrem Kind Belastungen dieser Art erspart bleiben.12 Für sie bedeutet die von ihrem Kind besuchte Förderschule keine institutionelle Diskriminierung, aber sie fürchten die ihrem Kind bei integrativer Unterrichtung möglicherweise drohende individuelle Diskriminierung und wollen sie ihm ersparen.13 Sie wägen den Anregungseffekt, der im Falle integrativer Unterrichtung mit Blick auf ein kognitiv stimulierendes Umfeld gesehen wird,14 mit Belastungen der soeben beschriebenen Art

11

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307). Siehe hierzu BayVGH, Urt. v. 11.12.1996, 7 B 96.2568, BayVBl. 1997, 561 (564): „Es darf auch nicht übersehen werden, daß ein mehr oder minder großer Teil der Eltern behinderter Kinder keine Integration in die Regelschule bei lernzieldifferentem Unterricht wünscht.“ (Die gegen diese Entscheidung des BayVGH gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG-K [1. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 19.12.1997,1 BvR 1621/97, nicht zur Entscheidung angenommen); ebenso BayVGH, Urt. v. 9.7.1997, 7 B 97.1185, BayVBl. 1998, 180 (183). Zustimmend Dirnaichner, Bayerisches Schulrecht: Keine Benachteiligung Behinderter, BayVBl. 1997, 545 (550, 552). Auch Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S.  52 ff., weist auf die Tatsache hin, dass insbesondere die Eltern geistig behinderter Kinder in ihrer überwältigenden Mehrheit nach wie vor für ihr Kind die Förderschule geistige Entwicklung bevorzugen und hierfür auch engagiert in der Öffentlichkeit eintreten. In diesem Zusammenhang merkt er an, ebd., S. 54: „Viele Eltern vor allem geistig behinderter Kinder können in den Kindern, die in der Öffentlichkeit immer wieder als Beispiele für gelungene schulische Integration präsentiert werden, nicht ihre Kinder wiedererkennen.“ Dass die Möglichkeiten und Grenzen integrativer Unterrichtung insbesondere von den Eltern geistig behinderter Kinder realistisch eingeschätzt werden, zeigt sich an der Verteilung dieser Schüler auf die beiden Lernorte: So besuchten z. B. im Schuljahr 2010/11 im Saarland 734 geistig behinderte Schüler die Förderschulen geistige Entwicklung, aber nur 32 die allgemeinen Schulen (Grundschulen: 27; Erweiterte Realschulen: 3; Gesamtschulen: 2). Das ist eine Integrationsquote von 4,35 %; vgl. zu den statistischen Angaben Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Dokumentation Nr.  196. Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2001 bis 2010, B: 1.1.2.5, S. 28; 2.1.3.3.5, S. 68; 2.1.6.3.5, S. 86; 2.1.9.3.5, S. 104), http://www. kmk.org/fileadmin/pdf/Statistik/KomStat/Doku (Zugriff: 2.5.2013). 13 Siehe hierzu die realistische Darstellung bei Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 126 f. 14 Siehe Ahrbeck/Bleidick/Schuck, Pädagogisch-psychologische Modelle der inneren und äußeren Differenzierung für lernbehinderte Schüler, in: Weinert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts und der Schule (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D, Serie I, Bd.  3), S. 739 (753). 12

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3. Teil: Förderschule

ab.15 16 Diese Eltern machen in aller Regel aus ihrer Wertschätzung der Förderschule kein öffentliches Aufheben, sondern handeln einfach zum wohlverstandenen Besten ihres Kindes.17 Sie lassen sich auch von niemandem weismachen, die Förderschule sei nur der zweitbeste Weg und es gehe nichts über die integrative/ inklusive Unterrichtung. Sie haben vor Augen, dass es bei der Schulpflicht ihres Kindes um eine Zeitspanne von neun bzw. bei Schülern in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören sowie körperliche und motorische Entwicklung von zehn (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SchPflG 2014) bzw. bei geistig behinderten Schülern von zwölf (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SchPflG 2014) Jahren geht. Sie wollen, dass ihr Kind sich in dieser prägenden und kostbaren Zeit seiner Kindheit und Jugend in der Schule wohlfühlt. Sie zeigen sich unbeeindruckt von den Versprechungen und Überredungsversuchen derer, für die es nur integrative/inklusive Unterrichtung gibt und die das Denken in Alternativen nicht zulassen. Doch fehlt es von Elternseite keineswegs an öffentlich bekundeten, engagierten und beeindruckenden Plädoyers für die Beibehaltung der Förderschulen als einer zweiten Säule des Systems sonderpädagogischer Förderung.18 Die Eltern scheuen 15 Das trifft auf viele Eltern zu, deren Kind Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen hat. Auf diese Interessen, Bedürfnisse, Empfindungen und Besorgnisse der Eltern gehen die SPDLandtagsfraktion und die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem gemeinsamen Antrag, LT-Drucks. 13/1065 vom 18.9.2006, in dem sie die Abschaffung der Förderschulen Lernen fordern, mit keinem Wort ein. Vielmehr wird dort mit der unsubstanziierten Behauptung von der angeblich grundsätzlichen Überlegenheit integrativer Unterrichtung gegenüber Förderschulen in doktrinärer Einseitigkeit die integrative Unterrichtung als einzig richtiger Weg dargestellt. 16 In der auch durch manche Medien aufgeheizten Anti-Förderschul-Stimmung müssen solche öffentlichen Verlautbarungen als wohltuend empfunden werden, die sich hiervon durch eine differenzierende und somit pädagogische Sichtweise abheben. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um Amtsinhaber handelt, die aufgrund ihrer Sachkompetenz und ihrer tagtäglich wahrzunehmenden pädagogischen Verantwortung das Wahrheitskriterium der pädagogischen Praxis auf ihrer Seite haben. So berichtet die SZ Nr. 177 vom 2./3.8.1997, S. 4, in dem mit dem wörtlichen Zitat „Nicht immer ist Integration die beste Hilfe“ überschriebenen Artikel über ein Gespräch mit dem Schulpsychologen Peter Bach vom Schulpsychologischen Dienst der Landeshauptstadt Saarbrücken und gibt diesen dabei u. a. wie folgt wieder: „Bei Integrations­ maßnahmen in den Regelunterricht müßten die Verantwortlichen sehr genau hinsehen und alle Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen. Es müsse individuell entschieden und in jedem Fall sehr feinfühlig und behutsam mit den Eltern gesprochen werden, damit sie auch die pädagogischen Gesichtspunkte der Entscheidung verstünden.“ 17 In der Stellungnahme der Landesregierung zum Ersten Kinder- und Jugendbericht für das Saarland 1997, LT-Drucks. 11/1804 vom Oktober 1998, S. 8, heißt es: „Am Ende der Grundschulzeit werden relativ viele Integrationsmaßnahmen beendet, häufig auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern.“ Mit einer solchen Entscheidung beantworten die Eltern auf ihre Weise die Frage nach dem pädagogischen Raum, der für ihr Kind sowohl im Hinblick auf seine soziale Integration als auch bezüglich der Lernfortschritte der richtige ist. 18 Steiner, Unser Kind möchte einfach dazugehören. Ist es reaktionär, der Sonderschule den Vorzug zu geben?, Die Lebenshilfe Zeitung 1996, Nr. 3/4 (Juni 1996), zit. nach: Lehrer und Schule heute 1996, 194 f. Vgl. auch zu diesem Artikel Die Lebenshilfe Zeitung 1996, Nr.  5 (Oktober 1996), S. 2, und die dort erschienenen, ausnahmslos zustimmenden Leserzuschrif-

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nicht den Weg in die Öffentlichkeit, um sich z. B. im Saarland gegen die von ihnen im Rahmen der sog. Jamaika-Koalition unter dem Kultusminister Klaus ­Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) befürchtete Auflösung von Förderschulen zu wehren. So berichtete die Saarbrücker Zeitung unter der Überschrift „Sorge um die Förderschule. In Blieskastel fürchten Eltern um die Zukunft der Franz-Carl-Schule“19 über den Widerstand der Eltern gegen eine Auflösung dieser Förderschule Lernen. In dem Artikel, in dem die Eltern zu Wort kommen und die Förderschule als das den Bedürfnissen ihrer Kinder tatsächlich gerecht werdende Bildungsangebot ausdrücklich würdigen, heißt es u. a.: „Eltern der Franz-Carl-Schule äußerten Kritik an Überlegungen von Saar-Bildungsminister Klaus Kessler, eine Klausel in die Integrationsverordnung aufzunehmen, wonach bei ‚unbilligem Kostenmehraufwand‘ oder ‚zum Wohle des Kindes‘ Anträge von Eltern behinderter Kinder in die Förderschule abgelehnt werden können.“ Ein weiteres Beispiel für das engagierte Eintreten von Eltern für die Aufrechterhaltung des Bildungsangebots der Förderschule ist der offene Brief der Elternvertretung der Albert-SchweitzerSchule in St. Ingbert, einer Förderschule Lernen, über den die Saarbrücker Zeitung in einem Artikel unter der Überschrift „Eltern fürchten Benachteiligungen. Kritik an möglicher Schließung von Förderschulen“20 berichtete. In dem offenen Brief heißt es laut Bericht der Saarbrücker Zeitung u. a.: „Es kommen immer wieder Anfragen und Meldungen besorgter Eltern, die sich für ihre Kinder die Geborgenheit und die individuelle Zuwendung einer kleinen Lerngruppe in einer kleinen Schule wünschen. Viele dieser betroffenen Schüler können ohne diese Voraussetzungen gar nicht oder nicht optimal gefördert werden.“ Des Weiteren heißt es in dem Artikel: „Förderverein und Eltern machen sich deshalb für ihren Standort stark. Die Kinder würden an ihrer Schule von engagierten Lehrern unterrichtet. Die Kinder fühlten sich deshalb wohl. Förderverein und Elternvertretung wünschen sich, ‚dass man der Einrichtung der Förderschulen mehr Respekt und Anerkennung zollt und diese Schulform nicht zum Spielball politischen Taktierens degradiert wird‘.“

ten betroffener Eltern. Weitere Wortmeldungen betroffener Eltern im Sinne einer Würdigung der pädagogischen Leistung der Förderschulen sind bei Speck, Schulische Inklusion aus heil­ pädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 54, wiedergegeben. 19 Hurth, Sorge um die Förderschule, SZ Nr. 97 vom 27.4.2011, S. C 3. 20 Beer, Eltern fürchten Benachteiligungen, SZ Nr. 64 vom 17.3.2011, S. C 1.

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3. Teil: Förderschule

C. Beispiele fundamentaler Kritik an der Förderschule I. Positionierungen im pädagogischen und rechtswissenschaftlichen Schrifttum Man sollte annehmen, dass „die humane Wirklichkeit und die pädagogische Wirksamkeit der Förderschulen“,21 die auch und gerade in der ausdrücklich erklärten Akzeptanz bei vielen betroffenen Eltern ihre Bestätigung findet, vernünftigerweise nicht grundsätzlich in Abrede gestellt wird. Doch ist das vielfach nicht der Fall. Als Beispiel aus dem Bereich der Pädagogik sei hier Schumann22 angeführt, die von der „Schonraumthese“, von einer „Schamfalle“, von den „Sonderschulen als Endstation“, vom „Bildungskeller“ sowie vom „ausbruchssicheren Gefängnis“ spricht. Aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum wäre Rux zu nennen, der von einem ausdifferenzierten „System so genannter Förderschulen bzw. Sonderschulen“23 spricht. Er schreibt des Weiteren: „Daher muss man davon ausgehen, dass ein großer Teil der betroffenen Kinder und Jugendlichen in erster Linie dadurch behindert wird, dass sie zum Besuch einer Schule verpflichtet sind, an der sie keinen vollwertigen Schulabschluss erreichen können bzw. deren Abschlüsse stigmatisiert sind.“24 Ihre grundsätzliche Ablehnung der Förderschule bringen auch Jürgens/Römer zum Ausdruck, indem sie schreiben: „Jedenfalls kann das Ziel nur darin bestehen, alle behinderten Schülerinnen und Schüler in die allgemeine Schule zu integrieren […]“.25 Auch heißt es bei Jürgens/Römer: „Die Aussonderung von Kindern nach dem Kriterium ihrer Behinderung stellt eine Stigmatisierung dar, die bereits in frühen Jahren eine Weichenstellung weg von der Integration hin zur ‚Sonderbehandlung‘ [sic!] bedeutet.“26 Fundamentale Kritik an der Förderschule übt auch Degener. Ihre nachfolgend wiedergegebene Meinung ist umso bemerkenswerter, als diese Autorin als Beraterin der damaligen Bundesregierung Mitglied der deutschen Regierungsdelegation in dem Ad-hoc-Ausschuss war, den die Vereinten Nationen mit der Resolution 21

Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 112. Schumann, Tarik und Alexej im „Bildungskeller“, Schüler: Wissen für Lehrer 2009, S. 90 f. Siehe von ders. Autorin die Schrift „Ich schäme mich ja so!“ Die Sonderschule für Lernbehinderte als „Schonraumfalle“, S. 61 ff., 181 ff. 23 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (221) (Hervorh. d. Verf.). Auch Dörschner, Die Rechtswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland am Beispiel des Rechts auf inklusive Bildung, S. 156, formuliert wie folgt: „Das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz betraf die verpflichtende Zuweisung eines behinderten Kindes an eine Schule für praktisch Bildbare, d. h. eine sog. Förderschule […] (Hervorh. d. Verf.).“ 24 Rux, ebd., S. 223. 25 Jürgens/Römer, Aufnahme von Behinderten in allgemeine Schule. Besprechung von OVG Magdeburg, Beschl. v. 26.8.1997, B 2 S 297/97, NVwZ 1999, 898, NVwZ 1999, 847 (850). 26 Jürgens/Römer, ebd., S. 848. 22

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56/168 vom 19.12.2001 zur Vorbereitung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eingesetzt hatten:27 „Vielmehr ist davon auszugehen, dass deutsche Sonder- bzw. Förderschulen qualitativ schlechtere Bildung als Regelschulen vermittelt [sic!], dass nur eine kleine Minderheit der Förderschüler_innen einen regulären (Hauptschul)-Abschluss schafft, und dass sie behinderter aus der Schule herauskommen, als sie hineingekommen sind. Im Hinblick auf die Verwirklichung des Rechts auf Bildung für behinderter [sic!] Kinder befindet sich Deutschland im Stadium eines Entwicklungslandes.“28 Auch in Publikationen der Bertelsmann Stiftung findet sich eine in grundsätzlicher Hinsicht ablehnende Einstellung gegenüber den Förderschulen. Diese Unternehmensstiftung ist Mehrheitsgesellschafterin der Bertelsmann AG, eines der größten europäischen Medienkonzerne. So lässt z. B. der von der Bertelsmann Stiftung mehrfach zur Thematik der Inklusion bzw. der Förderschulen beauftragte Gutachter Klemm in seiner Schrift mit dem bezeichnenden Titel „Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven. Eine Studie zu den Ausgaben und zur Wirksamkeit von Förderschulen in Deutschland“ kein gutes Haar an den Förderschulen. Darin findet sich die Behauptung von der „wenig zielführenden Unterrichtung in getrennten Förderschulen“29; auch wird dort von „isolierenden Sonderbzw. Förderschulen“30 gesprochen. Dort werden differenziert organisierte, d. h. unterschiedliche Leistungsfähigkeit und unterschiedliche Bedürfnisse ernst nehmende Bildungsangebote unter der Überschrift „auf Separation angelegte Schulstruktur“ eingeordnet.31 Man kann es gewiss bedauern, dass die pädago­gischen Belange und die daraus abzuleitende Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtungsweise in dieser Art von Gutachten und Publikationen zu kurz kommen. Tatsache ist jedoch, dass die Bertelsmann Stiftung mit ihren medialen Einflussmöglichkeiten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur veröffentlichten Meinung gegen Förderschulen und damit gegen ein differenziertes, duales System sonderpädagogischer Förderung leistet.

27 Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (202, Fn. 17). 28 Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (419). 29 Klemm, Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven, S. 15. Auf der inhaltlichen Linie der Aussagen dieser 2009 erschienenen Schrift von Klemm liegen auch vier weitere, ebenfalls im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellte Gutachten desselben Autors, nämlich: Gemeinsam lernen. Inklusion leben (2010); Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland (2012); Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse (2013); Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten (2015). 30 Klemm, Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 16. 31 Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 22; ders., Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 34.

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3. Teil: Förderschule

II. Mediale Resonanz und Verstärkung Solche Haltungen und Einstellungen finden Resonanz und Verstärkung in einflussreichen Medien. Als Beispiel für Publizistik dieser Art sei hier der Artikel von Demmer in der Zeitschrift „Der Spiegel“ genannt. Die Überschrift ihres Artikels, der sich u. a. mit Förderschulen befasst, besteht aus dem Zitat „Die unverdünnte Hölle“.32 Diesem Artikel ist auch nicht im Ansatz das Bemühen zu entnehmen, auf die Funktion der Förderschule als Element eines differenzierten Schulwesens, auf ihre Arbeitsweise, ihre pädagogische Leistung, das Engagement der dort unterrichtenden Lehrkräfte und die individuellen Befindlichkeiten und Bedürfnisse ihrer Schüler einzugehen. Dass es viele Eltern behinderter Kinder gibt, die in der Förderschule für ihr Kind den besseren Lernort sehen als in der allgemeinen Schule, kommt in dem Artikel nicht vor. Wie es um die heilpädagogische Qualität der integrativen Unterrichtung behinderter Schüler in der Bundes­ republik Deutschland aufs Ganze gesehen tatsächlich bestellt ist, darauf geht der Artikel nicht ein. Die Erkenntnis, dass der Verzicht auf Alternativen und die Option für Radikallösungen gerade in der Pädagogik nicht gleichgesetzt werden können mit der jeweils besten Lösung für den betroffenen Schüler, ist dieser verabsolutierenden Sichtweise offensichtlich nicht zugänglich.33

D. Ergebnisse der empirischen Forschung Die grundsätzliche Ablehnung der Förderschulen geht regelmäßig mit der ausdrücklichen oder konkludenten Behauptung einher, die integrative Unterrichtung sei den Förderschulen pädagogisch generell überlegen. So wird etwa von Krajewski  – ohne einen empirischen Beleg zu nennen  – behauptet: „Geht man mit

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Demmer, „Der Spiegel“ Nr. 2 vom 5.1.2009, S. 26 ff. Demgegenüber soll hier als Beispiel für eine realitätsbezogene und konsequente Handlungsweise eine Entscheidung im Bereich der Waldorfschulen angeführt werden, über die Wandt, Von großen Hoffnungen und bitteren Tränen, Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 26.3.2013, berichtet. Die Essener Waldorfschule im Stadtwald habe sich längst vom Ideal verabschiedet, alle Kinder gemeinsam zu unterrichten. Dort wundere man sich, dass die Inklusion nun dem dreigliedrigen Schulsystem übergestülpt werde. Man habe, so die dortige Schulleiterin, nach langen Erfahrungen erkennen müssen, dass es Kinder gebe, die nicht inklusiv beschult werden können. Trotz kleiner Klassen, individueller Förderung, Verzichts auf Sitzenbleiben und Notengebung bis zur Oberstufe sowie trotz eines ganzheitlichen pädagogischen Ansatzes habe sich gezeigt, dass die inklusive Unterrichtung von Kindern mit Lern­behinderung und ausgeprägten sozial-emotionalen Problemen nicht gelinge. Daher habe man für diese Kinder eine eigene Schule auf dem Gelände eingerichtet, da diese Kinder vor allem in der 6. und 7. Klasse einen Schutzraum bräuchten. Die nach der Pädagogik Rudolf Steiners arbeitenden Waldorfschulen kennen bekanntlich drei verschiedene Schultypen, nämlich die Waldorfschule für normal begabte Schüler, die Waldorfschule für seelenpflegebedürftige Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und die Waldorfschule für Erziehungshilfe für Schüler mit sonstigen heilpädagogischen Förderschwerpunkten. 33

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

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den neuesten sonderpädagogischen Erkenntnissen davon aus, dass der Unterricht in Sonderschulen für behinderte Kinder grundsätzlich weniger förderlich ist als eine integrative Beschulung […].“34 Selbstgewisse Äußerungen dieser Art können jedoch nicht unwidersprochen bleiben. Das gilt auch für die Behauptung von Preuss-Lausitz,35 die Vorteile der integrativen Unterrichtung seien inzwischen hinreichend empirisch belegt, sowie für die Auffassung von Alfred Sander, integrative Unterrichtung verlaufe „unter fairen Bedingungen […] fast immer erfolgreich.“36 In diese Reihe gehört auch die Behauptung von Riedel/Arend: „Wie die rechtlichen Neuerungen der vergangenen zwei Jahrzehnte dokumentieren, sei es im innerstaatlichen Recht oder im Völkerrecht, hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine derartige Chancengleichheit im Zweifel am besten mit gemeinsamer Unterrichtung aller Kinder erreicht werden kann.“37 Die Frage ist ja gerade, ob diese Ansicht dem empirischen Befund und der Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtungsweise gerecht wird. Die „vollmundige Bekundung“ von der angeblich empirisch belegten grundsätzlichen Überlegenheit integrativer Unterrichtung gegenüber sonderpädagogischer Förderung in einer Förderschule hält nämlich, wie Ahrbeck überzeugend darlegt, „einer Konfrontation mit der empirischen Befundlage nicht stand.“38 Vielmehr seien, so Ahrbeck, „die vorliegenden Ergebnisse in sich widersprüchlich und keinesfalls eindeutig.“ Die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung ist unabweisbar, wie auch Ahrbeck/Bleidick/Schuck mit ihrer instruktiven Darstellung der Ergebnisse einschlägiger Forschungsprojekte aufzeigen.39

34 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (122). 35 Preuss-Lausitz, Integrationsforschung, in: Eberwein/Knauer (Hrsg.), Handbuch Integrationspädagogik, S. 458 ff. Etwas weniger apodiktisch formulieren Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 52. 36 Alfred Sander, Inklusion macht Schule, 342 (350). Es stellt sich allerdings die Frage, was Sander, der an der wissenschaftlichen Politikberatung zum Ausbau der integrativen Unterrichtung im Saarland maßgeblichen Anteil hatte (vgl. oben sub Kap. 9), mit „fairen Bedingungen“ wohl gemeint haben könnte: Etwa die Integrationswirklichkeit im Saarland, wo auf das einzelne behinderte Kind im Landesdurchschnitt 1,67 Ambulanzlehrer-Stunden für sonderpädagogische Förderung pro Woche entfallen (siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang)? 37 Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1349). 38 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 31. 39 Ahrbeck/Bleidick/Schuck, Pädagogisch-psychologische Modelle der inneren und äußeren Differenzierung für lernbehinderte Schüler, in: Weinert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts und der Schule (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D, Serie I, Bd.  3), S.  739 (749 ff.).

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3. Teil: Förderschule

I. Forschungsstand am Beispiel des Förderschwerpunktes emotionale und soziale Entwicklung Ein detailliertes und realistisches Bild der Forschungslage zeichnen Ellinger/ Stein, und zwar am Beispiel des Forschungsstandes im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung: Die Diskussion um Integration bzw. Inklusion verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler in die Regelschule finde derzeit auf der Basis einer ausgesprochen dünnen empirischen Befundlage statt. Nur wenige Untersuchungen entsprächen den methodischen Mindestanforderungen (Untersuchungsgruppe plus Vergleichsgruppe, ausreichende Grundgesamtheit, klare Fragestellung etc.).40 Zu der im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellten Studie von Klemm mit dem Titel „Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven“ merken Ellinger/Stein an: Die Bertelsmann-Studie von Klemm (2009) komme mit einer einzigen Seite zum Forschungsstand aus. Danach rekurriere sie argumentativ auf die UN-BRK. Behauptet werde, es gebe mittlerweile international wie national zahlreiche Studien. Die Darstellung des Forschungsstandes erfolge allerdings insbesondere selbstreferenziell (Bezug auf das „BremenGutachten“ von Klemm & Preuss-Lausitz, 200841). Darüber hinaus würden lediglich Wocken (2007), der Forschungsüberblick bei Haeberlin u. a. (1990), Myklebust (2006), Riedo (2000) sowie Feyerer (1998) angesprochen. Im Vordergrund stehe damit die Forschung zur Gruppe Lernbeeinträchtigter. Obwohl verschiedene Aspekte angesprochen würden, bestehe hier zudem eine Forschungsdominanz zur Frage der Leistungsfortschritte. Hieraus würden dann aber Implikationen für das gesamte System der Förder- bzw. Sonderschulen bezogen.42 Auch orientierten sich die Befunde, über die in den wenigen in der Bertelsmann-Studie erwähnten Publikationen berichtet werde, nur an drei Aspekten, nämlich: Leistungsentwicklung, soziale Entwicklung sowie „guter integrativer Unterricht und organisatorische Planung“.43 Gerade am Beispiel des Förderschwerpunktes emotionale und soziale Entwicklung werde jedoch deutlich, dass die Bandbreite der in einer seriösen Untersuchung zu berücksichtigenden Aspekte wesentlich größer sei, nämlich: Sozialverhalten, Emotionalität, Selbstkonzept, kognitive und schulische Leistungen, Leistungsmotivation, soziale Akzeptanz und soziale Integration dieser Schüler in die Klassengemeinschaft, Wirkung der Integration solcher Schüler in Klassen allgemeiner Schulen auf das Gruppen- bzw. Klassenklima, Wirkung dieser

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Ellinger/Stein, Effekte inklusiver Beschulung: Forschungsstand im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Empirische Sonderpädagogik 2012, 85 (103). 41 Es handelt sich nach den Angaben von Ellinger/Stein, ebd., S. 85 (106), um das von Klaus Klemm/Ulrich Preuss-Lausitz erstattete, im Literaturverzeichnis der vorliegenden Schrift aufgeführte Gutachten zum Stand und zu den Perspektiven der sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Stadtgemeinde Bremen. 42 Ellinger/Stein, ebd., S.  85 (101). Siehe hierzu auch Ahrbeck, Inklusion. Eine Kritik, S. 136. 43 Ellinger/Stein, ebd., S. 85 (102).

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Schüler auf das Verhalten ihrer Mitschüler.44 Vor allem halten Ellinger/Stein dem Bremen-Gutachten von Klemm/Preuss-Lausitz vor, dass darin ein Bezug auf eine Reihe von Ergebnissen aus der Integrationsforschung erfolge, die in vielen Fällen nicht auf Vergleichsstudien mit separierenden bzw. exklusiven Settings basierten. Insofern werde aus Ergebnissen der integrierten Förderung auf die Wirkung von exklusiven Settings geschlossen, ohne darauf hinzuweisen.45 Eine im Bereich der Binnenanalyse integrativer Unterrichtung verbleibende Untersuchung, bei der eine Vergleichsgruppe bzw. Kontrollgruppe nicht einbezogen wird, genügt in der Tat elementaren methodischen Anforderungen nicht und kann keine Basis für eine verantwortbare Entscheidung in der Systemfrage sein. Das hindere, so Ellinger/Stein, allerdings Klemm/Preuss-Lausitz nicht daran, pauschal die „Ablösung von Sonderschulen und -klassen“ zu fordern.46 Bei Klemm/Preuss-Lausitz, so Ellinger/Stein, werde keinerlei Bemühung erkennbar, die Funktion von speziellen Schulen zu reflektieren; auch in der Folge gehe es lediglich um „Alternativen zur Schule für Erziehungshilfe (ebd., 55)“.47 Kritisch merken Ellinger/Stein zu dem Bremen-Gutachten von Klemm/Preuss-Lausitz an: „Im dritten Kapitel wird dann, entgegen der Aussagen zum Forschungsstand zuvor, plötzlich ausgesagt: ‚Unterrichts­forschung, die vergleichend die Arbeit in Förderschulen und Integrationsklassen untersucht, liegt nicht vor‘ (Klemm & Preuss-Lausitz 2008, 16).“48 II. Untersuchungen zum Förderschwerpunkt Lernen 1. Untersuchung der schweizerischen Arbeitsgruppe Haeberlin/Bless/Moser/Klaghofer Demgegenüber wäre an dieser Stelle als Beispiel für eine aussagekräftige Untersuchung – Bundschuh spricht von der „sicherlich bestkontrollierte[n] Begleituntersuchung“49  – die von der schweizerischen Arbeitsgruppe Haeberlin/Bless/ Moser/Klaghofer an 1800 Schülern durchgeführte Untersuchung über die Wirkungen verschiedener Formen der Unterrichtung schulleistungsschwacher bzw. lernbehinderter Schüle zu nennen. Die Erhebungen bezogen sich auf lernbehinderte

44 Ellinger/Stein, ebd., S. 85 (86 f.). Auf die beiden letztgenannten Kriterien bezieht sich die Feststellung von Ellinger/Stein, ebd., S.  85 (101): „Die verbreitete These, Heterogenität sei grundsätzlich wünschenswert, kann aus Perspektive der Schüler ohne Förderbedarf angesichts der bisherigen Befunde zu den Einflüssen von verhaltensauffälligen Schülern nicht einfach aufrechterhalten werden.“ 45 Ellinger/Stein, ebd., S. 85 (102). 46 Ellinger/Stein, ebd., S. 85 (102). 47 Siehe zu dieser Kritik von Ellinger/Stein auch Ahrbeck, Inklusion. Eine Kritik, S. 136 f. 48 Ellinger/Stein, ebd., S. 85 (102). 49 Bundschuh, Möglichkeiten und Grenzen von Integration aus sonder- und heilpädagogischer Sicht, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 15 (31).

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3. Teil: Förderschule

Schüler in Regelklassen mit heilpädagogischer Schülerhilfe bzw. Stützunterricht (in etwa vergleichbar mit „Integrationsklassen“) sowie auf Schüler in Regelklassen ohne spezifische Hilfe und in Sonderklassen/Hilfsklassen für lernbehinderte Schüler. „Die Ergebnisse, empirisch-statistisch hervorragend aufbereitet und abgesichert, sind frappierend“, so Stoellger50 zu dem nachstehenden Resümee, das die Arbeitsgruppe in ihrem Bericht zieht: „1. Integrierte Lernbehinderte gehören häufiger zu den unbeliebten und abgelehnten Schülern als ihre Mitschüler. 2. Integrierte Lernbehinderte schätzen sich selbst weniger gut sozial in die Klasse integriert ein, als sich die Mitschüler einschätzen. 3. Integrierte Lernbehinderte schätzen die eigenen Fähigkeiten negativer ein als ihre Mitschüler und als Lernbehinderte in Sonderklassen. 4. Integrierte Lernbehinderte schätzen ihr Wohlbefinden in der Schule negativer ein als ihre Mitschüler und als Lernbehinderte in Sonderklassen. 5. Integrierte Lernbehinderte machen größere Schulleistungsfortschritte als Lernbehinderte in Sonderklassen. 6. Die Integration von Lernbehinderten hat keine negativen Auswirkungen auf die Regelschüler. In eine einzige provokative Schlagzeile gebracht, lautet unser Befund zur derzeitigen Lage der untersuchten Integrationsmodelle: ‚Erfolg‘ bei der Leistungsförderung[51] und ‚Mißerfolg‘ bei der Bemühung um sozial-emotionale Integration von schulleistungsschwachen Schülern.“52

2. Hamburger Schulversuch „Die integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt“ Den Feststellungen der Arbeitsgruppe Haeberlin/Bless/Moser/Klaghofer stehen anderslautende Ergebnisse gegenüber, zu denen etwa die wissenschaftliche Begleitung des Hamburger Schulversuchs „Die integrative Grundschule im sozialen 50

Stoellger, Schulische Integration zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Besprechung zu: Haeberlin/Bless/Moser/Klaghofer, Die Integration von Lernbehinderten, Zeitschrift für Heilpädagogik 1990, 780 (781). 51 Zu dieser Aussage im Resümee der Untersuchung von Haeberlin/Bless/Moser/Klaghofer merkt Stoellger, ebd., S. 780 (782), an: „Erfolgreicher sind die Schweizer Regelklassen mit und ohne Heilpädagogische Schülerhilfe im Bereich der Kulturtechniken auch nur auf den ersten Blick: Vergleichbare Lernbehinderte erzielen im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen bessere Leistungen und zeigen größere Lernfortschritte als in Hilfsschulklassen. Aber auch dies ist zu relativieren. Ist ein solches Ergebnis eigentlich verwunderlich, wenn man weiß, daß Hilfsschulklassen prinzipiell nach einem reduzierten Regelschullehrplan arbeiten und das reduzierte Lehr- und Lerntempo – aus guten Gründen – seit eh und je zu den konstitutiven Merkmalen des Hilfsschulunterrichts gehört?“ 52 Haeberlin/Bless/Moser/Klaghofer, Die Integration von Lernbehinderten. Versuche, Theorien, Forschungen, Enttäuschungen, Hoffnungen, S. 329.

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

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Brennpunkt“ gelangt, wobei diese Ergebnisse von an dem Schulversuch beteiligten Wissenschaftlern kontrovers diskutiert wurden.53 Dort wurden die emotionale Befindlichkeit der behinderten Schüler eher positiv bewertet und ihre soziale Integration in der Klasse als gelungen bezeichnet, während ihre Fortschritte im kognitiven Bereich die Erwartungen nicht erfüllen konnten. Hierzu wird von Katzenbach, Rauer, Schuck und Wudtke in ihrer Bewertung der Untersuchungsergebnisse konstatiert: Die Untersuchung der Entwicklung leistungsstarker und leistungsschwacher Kinder habe nun keinesfalls ergeben, dass die leistungsschwachen in heterogenen Lerngruppen mehr profitierten. Im Bereich der Schulleistungen habe der Rückstand der lernproblematischen Schüler nicht aufgeholt werden können; die Längsschnittbetrachtung zeige, dass im Gegenteil die relative Position dieser Schüler sich noch weiter verschlechtere. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Daten aus der Teiluntersuchung „Bildungswege“ müsse damit konstatiert werden, daß die soziale Integration lern-, sprach- und verhaltensproblematischer SchülerInnen im Schulversuch gelungen sei, daß dies aber nicht zur Reduzierung des sonderpädagogischen Förderbedarfs nach Ende der Grundschulzeit geführt habe.54 Wocken stellt zu den aus dem Hamburger Schulversuch gewonnenen Erkenntnissen fest: Die Negativbilanz der Integrativen Regelklassen sei in der Summe der Fakten bestürzend: weniger gymnasiale Empfehlungen, keine Reduktion von Sonderschulüberweisungen, durchgängiger Leistungsrückstand der Integrativen Regelklassen. Das Design der Untersuchungen, die verwendeten Testverfahren und anderes mehr mögen zu kritisieren sein. Bei aller denkbaren Kritik im Detail seien indes die Fakten unstrittig und widerspruchsfrei. Strittig seien nicht die Fakten an sich, sondern ihre Deutung und Würdigung.55 Noch deutlicher zeigt sich der Befund in folgender Feststellung desselben Autors: Der Unterschied zwischen Versuchs- und Kontrollschulen bestehe nicht in der Anzahl der Selektionen, sondern lediglich im Zeitpunkt der Selektion. Die Kontrollschulen würden vor und während der Grundschulzeit zur Sonderschule überweisen, die Versuchsschulen am Ende.56 Ahrbeck kommentiert diese Ergebnisse des Hamburger Schulversuchs: „Der gewünschte Ausgleich erfolgt also nicht, trotz des Einsatzes sonderpädagogischer Lehrkräfte. Augenscheinlich ist es nicht gelungen, die bereits in der ersten Schulklasse aufklaffende Schere zwischen unterschiedlich leistungsstarken Kindern in der weiteren Entwicklung zu schließen. Der Kompensierbarkeit frühkind-

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Vgl. hierzu Ellinger/Stein, Effekte inklusiver Beschulung: Forschungsstand im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Empirische Sonderpädagogik 2012, 85 (95). 54 Katzenbach/Rauer/Schuck/Wudtke, Bewertung I der Untersuchungsergebnisse, in: Hinz/ Katzenbach/Rauer/Schuck/Wocken/Wudtke, Die integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt. Ergebnisse eines Hamburger Schulversuchs, S. 111 f. 55 Wocken, Ist Prävention das Ziel von Integration? Eine kritische Interpretation des Hamburger Schulversuchs Integrative Regelklasse, Behindertenpädagogik 2001, 390 (396). 56 Wocken, ebd., S. 390 (394 f.).

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3. Teil: Förderschule

licher Entwicklungsdefizite und ungünstiger Sozialisationserfahrungen waren unter den gegebenen, relativ günstigen Bedingungen recht enge Grenzen gesetzt.“57 Er befindet sich hierbei in Übereinstimmung mit Wocken und Hinz, die in ihrer Bewertung der Untersuchungsergebnisse zum Hamburger Schulversuch den entscheidenden Einflussfaktor in den milieubedingten Startnachteilen der Kinder aus anregungsarmem Sozialmilieu sehen. Die mit einem „dynamischen“ Begabungsbegriff verbundenen Erwartungen an eine kompensatorische Wirkung integrativer Unterrichtung hätten sich als nicht gerechtfertigt erwiesen. „Alle Forschungsübersichten weisen einhellig aus, daß ungleiche Lernvoraussetzungen von Schülern durch (sonder)pädagogische Künste nicht in nennenswerter Weise ausgeglichen werden können. Lernbehinderungen sind mit pädagogischen Mitteln letztlich nicht aus der Welt zu schaffen. Etwaige Versprechungen einer ‚heilpädagogischen‘ Normalisierung lernbehinderter Schüler sind sachlich nicht gerechtfertigt.“58 Auch Bleidick gelangt in seiner Bewertung der Ergebnisse des Schulversuchs zu der Schlussfolgerung: „Der Rückstand bei Schulbeginn, der auf Deprivation und ungünstige Sozialisationsbedingungen zurückgeht, kann nie ganz aufgeholt werden. Frühkindliche Defizite sind nicht zu kompensieren.“59 60 Ahrbeck weist in seiner Darstellung der empirischen Befunde darauf hin, dass die psychische und soziale Situation der integrativ unterrichteten lernbehinderten Schüler eine für die schulische Entwicklung hochbedeutsame Dimension sei, die häufig nur unzureichend beachtet werde. Die vorgetragenen Ergebnisse verwiesen auf ein Spannungsfeld, in dem sich eine integrativ ausgerichtete Schule bewege. Den kaum umstrittenen stärkeren kognitiven Fortschritten, die sich bei Schülern mit einer Lernbeeinträchtigung einstellten, stünden gravierende Probleme gegenüber, die auf der emotionalen und sozialen Ebene angesiedelt seien. Genauer formuliert: Der zusätzliche Leistungsgewinn werde durch höhere psycho-soziale 57 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 36 f. Ders., ebd., S. 36, Fn. 3, kommentiert diesen Befund unter Hinweis auf Hildeschmidt/Sander, Zur Effizienz der Beschulung sogenannter Lernbehinderter in Sonderschulen, in: Eberwein (Hrsg.), Handbuch Lernen und Lern-Behinderungen, S.  115 ff., wie folgt: „Damit ist genau das eingetreten, was bei der ‚Beschulung so genannter Lernbehinderter in Sonderschulen‘ (Hildeschmidt & Sander 1996, 166 ff.) so vehement beklagt wird.“ 58 Wocken/Hinz, Bewertung II der Untersuchungsergebnisse, in: Hinz/Katzenbach/Rauer/ Schuck/Wocken/Wudtke, Die integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt. Ergebnisse eines Hamburger Schulversuchs, S. 123. 59 Bleidick, Kann die Integration von Grundschulkindern mit Behinderungen im Lernen, mit Sprachproblemen und mit Verhaltensauffälligkeiten gelingen?, Die neue Sonderschule 1999, 124 (134). 60 Siehe zur Bewertung dieser Untersuchungsergebnisse auch Schmoll, Teurer und weniger effektiv. Ein wissenschaftlicher Bericht stellt Hamburgs Integrativer Grundschule ein schlechtes Zeugnis aus, FAZ Nr. 266 vom 16.11.1998, S. 16. Dieser Darstellung treten entgegen: Wocken, Nicht für die Sonderschule plädiert. Leserbrief, FAZ Nr. 272 vom 23.11.1998, S.  10; Schuck/Rauer/Hinz/Katzenbach/Wocken/Wudtke, Integrative Regelklassen arbeiten erfolgreich! Pressemitteilung vom 23.11.1998, Gemeinsam leben  – Zeitschrift für integrative Erziehung 1999, 93 f.

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Belastungen erkauft. Umgekehrt gelte, dass der Sonderschulbesuch zu einer besseren emotionalen Befindlichkeit führe und dem Gefühl einer stärkeren sozialen Eingebundenheit, freilich um den Preis vergleichsweise geringerer Lernerfolge.61 III. Fehlende Vergleichsuntersuchungen zur integrativen Unterrichtung bei flächendeckender Implementierung 1. Vernachlässigung einer konzeptionsrelevanten Fragestellung Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Schulversuche zwangsläufig unter dem Vorbehalt unterschiedlichster Annahmen und Voraussetzungen stehen. Vor allem aber laufen Schulversuche in der Regel unter äußerst günstigen, privilegierten Rahmenbedingungen personeller, sächlicher und organisatorischer Art ab, die bei einer flächendeckenden Implementierung jedoch illusorisch sind.62 Huber ruft daher zu Recht in Erinnerung, dass Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung von großzügig ausgestatteten Schulversuchen noch lange keine Validität für die Machbarkeit integrativer Unterrichtung unter den normalen, weitaus ungünstigeren Arbeitsbedingungen der Schulen im Falle flächendeckender Implementierung besitzen müssen. Er weist darauf hin, dass es an eigenständigen, schulversuchs-unabhängigen Evaluationen der alltäglichen Schulpraxis integrativer Unterrichtung bei flächendeckender Implementierung mangele und fordert daher deren „zusätzliche Evaluation“63. Seine hieran anknüpfende Schlussfolgerung kann nur den überraschen, der die „Alternativlosigkeit“ integrativer/inklusiver Unterrichtung im Sinne des derzeitigen Mainstreams zutiefst verinnerlicht hat. Denn Huber schreibt: Sollte sich die Tendenz einer hohen sozialen Ablehnung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Gemeinsamen Unterricht in weiteren Untersuchungen bestätigen, könne und müsse kritisch diskutiert werden, ob Gemeinsamer Unterricht wirklich 61

Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 34 f. Speziell zu den BLK-Modellversuchen merkt Winands, Der Schulversuch, S. 328 f., an: „Eine weitere Schwäche bestand darin, dass gerade BLK-Modellversuche häufig unter privilegierten Rahmenbedingungen, insbesondere in Form zusätzlicher Lehrerstellen oder Anrechnungsstunden sowie sächlicher Versuchszuschläge stattfanden, damit aber die flächendeckende Umsetzung in den Regelschulbereich angesichts eines dafür notwendigen, jedoch überhaupt nicht zu deckenden erheblichen Finanzbedarfs auf Länderseite oft nicht gewährleistet werden konnte. Die Validität der Versuchsergebnisse wurde daher gerade von Lehrerseite immer wieder in Zweifel gezogen, das ‚Inseldasein‘ vieler BLK-Modellversuche, die hierdurch nicht als Vorbild dienen könnten, kritisiert. In den Kultusministerien sah man zunehmend diese Problematik ebenso.“ 63 Huber, Gemeinsam einsam? Empirische Befunde und praxisrelevante Ableitungen zur sozialen Integration von Schülern mit Sonderpädagogischem Förderbedarf im Gemeinsamen Unterricht, Zeitschrift für Heilpädagogik 2009, 242 (247). 62

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3. Teil: Förderschule

für alle Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine reale Chance auf soziale Gleichbehandlung bedeute oder ob sich aus einer unkritisch verordneten gemeinsamen Beschulung nicht auch systematische Nachteile für einen bedeutenden Teil der Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf ergeben könnten.64 Eine Bestätigung für diese Vermutung sehen Huber/Wilbert in den Ergebnissen ihrer empirischen Untersuchung in 20 Klassen eines Pilotprojekts „Kompetenzzentrum sonderpädagogische Förderung“, in denen keine Kinder durch besondere Klassifikationsdiagnosen, d. h. eine förmliche Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs (SFB), etikettiert gewesen seien.65 Obwohl innerhalb der 20 Klassen der Untersuchungsgruppe, so Huber/Wilbert, keine Informationen zum „sonderpädagogischen Förderbedarf“ der Klassenkameraden verfügbar gewesen seien, seien Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf in besonders hohem Maße ausgegrenzt gewesen. Hier habe wohl nicht das Etikett „sonderpädagogischer Förderbedarf“ zu der schlechten sozialen Situation von Schülerinnen und Schülern mit SFB geführt, sondern das Etikett „Schulnote“ bzw. „Schul­ leistungsschwäche“. So zeigten Schulnoten in besonders akzeptierter und ex­ ponierter Weise, wer in einem Klassensystem erfolgreich sei und wer nicht. Es stelle sich somit die Frage, inwieweit Schulnoten, die im deutschen Schulsystem in erster Linie nach einer sozialen Bezugsnorm vergeben würden, überhaupt mit den Leitzielen der Inklusion vereinbar seien. Anders herum formuliert, müsse die Debatte um eine Reform der Leistungsbeurteilung ein elementarer Bestand der Inklusionsdebatte werden, wenn man nach der äußeren Separation auch die innere Separation im deutschen Schulsystem überwinden wolle.66 Sollte der letzte Satz der hier wiedergegebenen Ausführungen von Huber/Wilbert nicht ironisch gemeint sein, so wäre er ein Beleg für die Unhaltbarkeit eines Ansatzes, bei dem die gesamte schulische Pädagogik aus dem Blickwinkel der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf konzipiert wird, d. h. für ein wirklichkeitsfremdes Verständnis von Integration/Inklusion. 2. Fehlende Evaluation im Saarland Für das Saarland ist festzustellen, dass die exorbitante Steigerung der Zahl der Integrationsmaßnahmen, die mit einer dürftigen, um nicht zu sagen kläglichen personellen „Zusatzausstattung“ einhergeht, bis heute nicht begleitet ist von einer wissenschaftlichen Standards genügenden Evaluation, welche die pädagogische Qualität der integrativen/inklusiven Unterrichtung unter den Bedingungen der

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Huber, ebd., S. 247. Huber/Wilbert, Soziale Ausgrenzung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und niedrigen Schulleistungen im gemeinsamen Unterricht, Empirische Sonderpädagogik 2012, 147 (161). 66 Huber/Wilbert, ebd., S. 162 f. 65

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Normalität, d. h. der tagtäglichen Schulpraxis bei flächendeckender Implementierung zum Gegenstand hat. IV. Fazit: Ambivalenz in der pädagogischen Bewertung Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen spiegeln also einen sehr unterschiedlichen Befund wider. Danach kann insbesondere keine Rede davon sein, dass die integrative Unterrichtung der Förderschule grundsätzlich überlegen ist. Wenn diese Untersuchungen eines bestätigt haben, dann ist es die Tatsache, dass die beiden im Raum stehenden Konzeptionen jeweils Vorteile wie Nachteile aufweisen. Diese Feststellung ist von eminenter Bedeutung nicht nur für die Entscheidung im pädagogischen Einzelfall, sondern auch für die Entscheidung des Gesetzgebers über die Struktur des Bildungsangebots für Behinderte. Wenn und soweit nämlich keine Förderschulen mehr zur Verfügung stehen, für die sich das behinderte Kind bzw. seine Eltern entscheiden können, ist der Schutzbereich jener Grundrechte betroffen, aus denen sich der Bildungsanspruch des behinderten Kindes ableitet.

E. Hauptschulabschluss an Förderschulen I. Länderspezifische Unterschiede im Spiegel der Statistik Zu den stereotypen Vorwürfen an die Adresse der Förderschulen gehört die Behauptung, dass sie den Schülern keine nennenswerte Chance auf den Erwerb des Hauptschulabschlusses böten. Hierzu legt Klemm eine von ihm auf der Grundlage der Statistik des Statistischen Bundesamtes erstellte Übersicht über die Anteile der Abgänger und Absolventen der Förderschulen nach Schulabschlüssen des Schuljahres 2011/12 vor. Dazu Klemm: „Mit 74,5 Prozent verlassen nahezu drei Viertel der Förderschülerinnen und -schüler die Schulen ohne einen Hauptschulabschluss […].“67 Bemerkenswert ist hierbei zunächst die defizitorientierte Sicht- und Darstellungsweise. Denn Klemm lässt beiläufig unerwähnt, dass immerhin, wie aus der in seiner Schrift abgebildeten Statistik hervorgeht, 22,7 % der Förderschüler den Hauptschulabschluss, 2,6 % den Realschulabschluss und 0,7 % die allgemeine Hochschulreife erreichen. Überdies geht aus der Statistik hervor, dass einige Länder einen vergleichsweise hohen Anteil von Förderschulabsolventen mit Hauptschulabschluss aufweisen, nämlich Berlin mit 32,6 %, Niedersachsen mit 27,3 %, Nordrhein-West­falen mit 32,2 %, das Saarland mit 37,4 % und Thüringen mit 36,4 %. Auch hier fällt auf, dass Klemm die defizitorientierte Sicht- und Darstel 67

Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 22.

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3. Teil: Förderschule

lungsweise bevorzugt, wenn er ausführt: Betrachte man den hohen Anteil der Abgänger von Förderschulen ohne Hauptschulabschluss differenziert nach Bundesländern, so zeigten sich sehr deutliche Unterschiede: Die Spannweite reiche von Berlin und Thüringen, wo 59,9 bzw. 60,3 Prozent der Förderschüler ihre Schule ohne Hauptschulabschluss verließen, bis hin zu Brandenburg und SchleswigHolstein, wo 90,2 bzw. 96,2 Prozent keinen Hauptschulabschluss erreichten.68 Auch geht aus der Statistik hervor, dass zwei Länder eine extrem niedrige Hauptschulabschluss-Quote aufweisen  – nämlich Schleswig-Holstein mit 2,9 % und Brandenburg mit 7,3 % – und damit den Bundesdurchschnitt erheblich drücken, wobei die Werte dieser Länder auf landesspezifische Besonderheiten zurückzu­ führen sind.69 II. Behinderungsbedingte Grenzen für den Erwerb des Hauptschulabschlusses Bei der von Klemm und anderen präferierten defizitorientierten Darstellung der Abschlusszahlen wird vor allem ausgeblendet, dass sich unter den Förderschülern ohne Hauptschulabschluss die Schüler mit geistiger Behinderung befinden. Das sind nicht nur jene Schüler, die explizit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zugeordnet sind; sie haben einen Anteil von 16,2 % an der Gesamtzahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.70 Hinzu kommen vielmehr auch jene 50 % der Schüler der Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung, bei denen gleichzeitig auch eine geistige Behinderung vorliegt, so dass insgesamt etwa 18 bis 20 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf wegen ihrer geistigen Behinderung strukturell nicht in der Lage sind, den Hauptschulabschluss zu erwerben. Es wird suggeriert, als komme es nur auf einen Wechsel der Organisationsform sonderpädagogischer Förderung an, damit buchstäblich alle behinderten Schüler den Hauptschulabschluss erreichen. Doch lässt sich der Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die für den Erwerb des Hauptschulabschlusses in Betracht kommen, nicht beliebig steigern. Wer Derartiges etwa im Hinblick auf integrative/inklusive Unterrichtung verspricht, verlässt den Boden der Seriosität. Solche Erwartungen kann nur wecken, wer entschlossen ist, den Hauptschulabschluss unter Preisgabe eines an 68

Klemm, ebd., S. 22. Klemm, ebd., S.  23, kommentiert dies wie folgt: Die besonders hohe Quote der Schüler ohne Hauptschulabscluss in Schleswig-Holstein gehe damit einher, dass in diesem Land der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in separierenden Förderschulen unterrichtet würden, im Bundesländervergleich der geringste sei (2,7 % – vgl. Abbildung 1 in der Schrift von Klemm). In Brandenburg verbinde sich eine vergleichbar hohe Quote der Förderschüler ohne Abschluss mit einer im Vergleich überdurchschnittlich hohen „Exklusionsquote“ von 5,0 %. 70 Siehe die Statistik zur Verteilung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland auf die einzelnen Förderschwerpunkte bei Klemm, Inklusion in Deutschland  – eine bildungsstatistische Analyse, S. 12. 69

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den durchschnittlichen Erwartungen orientierten Leistungsmaßstabes und unter Missachtung fundamentaler Grundsätze der Leistungsfeststellung, Leistungsbewertung und Zeugnisausstellung zu vergeben. Dass damit die Wertigkeit des Hauptschulabschlusses nicht gesteigert und ihm als Qualifikationsnachweis im Rahmen des Bildungssystems ein Bärendienst erwiesen würde, sei hier nur am Rande festgehalten. Es lässt tiefe Kenntnisse der pädagogischen Wirklichkeit vermissen, wenn einer der Protagonisten der „inklusiven Schule“, der saarländische Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD), von einem „Nachholbedarf gerade beim mittleren Bildungsabschluss“ spricht und anfügt: „Mit einem Hauptschulabschluss allein hat man doch heute kaum eine Chance mehr.“71 III. Erfolgreiche Maßnahmen zur Steigerung der Hauptschulabschluss-Quote an Förderschulen Lernen Dass es inzwischen Länder mit beachtlichen Hauptschulabschluss-Quoten an den Förderschulen gibt, ist insbesondere auf die Anstrengungen der Schulen für Lernbehinderte zurückzuführen, ihren Schülern auf direktem Weg, also nicht erst über eine spätere Schulfremdenprüfung, den Erwerb des Hauptschulabschlusses zu ermöglichen. So wurde z. B. im Saarland ein neuer Weg beschritten mit dem seit dem Schuljahr 2000/2001 durch Kultusminister Jürgen Schreier (CDU) eingerichteten und in den Folgejahren systematisch auf weitere Schulen ausgedehnten Schulversuch mit einem freiwilligen 10. Schuljahr an Förderschulen Lernen zum Erwerb des Hauptschulabschlusses.72 Hierzu werden die nach ihrem Lernverhalten und ihrem Leistungsstand für den Erwerb des Hauptschulabschlusses in Betracht kommenden Schüler ab der Klassenstufe 9 auf diesen Bildungsabschluss vorbereitet; der Unterricht orientiert sich zunächst an dem Lehrplan des Bildungsgangs der Erweiterten Realschule zum Erwerb des Hauptschulabschlusses der Klassenstufen 7 und 8. Die Schüler nehmen an derselben landeszentralen Abschlussprüfung zum Erwerb des Hauptschulabschlusses teil, die auch von den Schülern der Erweiterten Realschulen und der Gesamtschulen abzulegen ist. Der Schulversuch war so erfolgreich,73 dass diese Möglichkeit des Erwerbs des Hauptschulabschlusses mit 71 Commerçon, Commerçon: Mehr Fragen als Antworten. Interview, geführt von Pascal Becher, SZ Nr. 237 vom 12./13.10.2013, S. A 2. 72 Erlass zur Einrichtung von Schulversuchen zur Einführung eines freiwilligen 10. Schuljahres zum Erwerb des Hauptschulabschlusses an Schulen für Lernbehinderte vom 14.7.2000 (GMBl. Saar S. 163). 73 Wie bereits erwähnt, wurde in der Antwort der Landesregierung zu der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen, LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989, die Frage nach etwaigen Modellversuchen mit Bezug zum Sonderschulwesen im Saarland von der Landesregierung mit dem lapidaren Hinweis verneint, dass Modellversuche hierzu im Versuchsprogramm der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung nicht vorgesehen seien (Antwort zu den Fragen 21 bis 25) – was bedeutete, dass die damals SPD-geführte Landesregierung keinen Anlass sah, von sich aus innovative Maßnahmen bei den Sonderschulen ins Auge zu fassen.

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3. Teil: Förderschule

Beginn des Schuljahres 2008/2009 als regulärer Weg in die schulrechtlichen Bestimmungen aufgenommen wurde.74 Inzwischen ist dieses freiwillige 10. Schuljahr im Saarland an 1175 der 16 Förderschulen Lernen eingerichtet, so dass es im Prinzip von jedem dafür nach seinem Leistungsstand und seinem Lernverhalten in Betracht kommenden Schüler besucht werden kann. Diese positive Entwicklung ist in der KMK-Statistik dokumentiert.76 Danach ist im Saarland der Anteil der Absolventen der Förderschulen, die einen Hauptschulabschluss erworben haben, von 7,84 % im Jahr 2001 kontinuierlich gestiegen auf 35,8 % im Jahr 2010. Dieser Anteil ist im Schuljahr 2011/12 weiter auf 37,4 % gestiegen, wie aus der oben angeführten Statistik bei Klemm hervorgeht;77 im Schuljahr 2012/13 betrug er 36,5 %.78 Ob alle diese Schüler im Falle integrativer Unterrichtung an der allgemeinen Schule den Hauptschulabschluss erreicht hätten, lässt sich nicht beantworten. Die genannten Hauptschulabschluss-Quoten der Förderschulen stehen jedenfalls für einen erfolgreichen individuellen Bildungsweg.79 Wenn trotz dieser unbestreit-

74

Die Überschrift des § 13 a ZVO-FöS lautet: „Freiwilliges 10. Schuljahr zum Erwerb des Hauptschulabschlusses an Förderschulen Lernen“. 75 Das freiwillige 10. Schuljahr an diesen Schulen steht grundsätzlich auch Schülern offen, die vorher eine andere Förderschule Lernen besucht haben: Siehe die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Hauptschulabschluss für lern­ behinderte Schülerinnen und Schüler, LT-Drucks. 13/1783 vom 20.2.2008. 76 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Dokumentation Nr. 196, Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2001 bis 2010, B 1.7 und B 1.7.2, S. 45, 47, http://www. kmk.org/statistik/fileadmin/pdf/statistiken/KomStat/Doku (Zugriff: 2.5.2013). 77 Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 23. 78 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Heike Kugler (DIE LINKE) betr. Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, LT-Drucks. 15/528 vom 17.6.2013. In dieser Antwort wird auch mitgeteilt, wie sich der Anteil der Schüler der Förderschulen Lernen, die den Hauptschulabschluss erworben haben, entwickelt hat: 2008: 35,5 %; 2009: 33,1 %; 2010: 42,6 %; 2011: 48,1 %; 2012: 44,7 %. Außerdem geht aus der Antwort auf diese parlamentarische Anfrage hervor, dass im Schuljahr 2007/08 im Rahmen eines damals an der staatlichen Förderschule für Blinde und Sehbehinderte bestehenden Schulversuchs 4 Schüler den Mittleren Bildungsabschluss erworben haben; aus organisatorischen Gründen konnte der Schulversuch nicht fortgeführt bzw. in die Regelform übergeleitet werden. 79 Die Verteilung der Förderschulabsolventen mit Hauptschulabschluss auf die Förderschulen Lernen einerseits und die Förderschulen mit sonstigen Förderschwerpunkten andererseits geht aus der KMK-Statistik nicht hervor. Anhaltspunkte über die Verteilung ergeben sich aus der Pressemitteilung des Ministeriums für Bildung, Familie, Frauen und Kultur vom 20.7.2009 betr. erfolgreiche Abschlüsse an saarländischen Förderschulen: Danach nahmen am Ende des Schuljahres 2008/09 an der für die Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen und Förderschulen vorgeschriebenen landeszentralen Hauptschulabschlussprüfung 149 Schüler der Förderschulen mit Erfolg teil. Darunter waren 45 Schüler der Schulen für Blinde und Sehbehinderte, Gehörlose und Schwerhörige, Körperbehinderte, Soziale Entwicklung und Sprache sowie 104 Schüler des freiwilligen 10. Schuljahres an Förderschulen Lernen.

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

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baren Erfolge an diesen Abschlüssen kritisiert wird, sie seien „stigmatisiert“80 bzw. sie böten bei der Bewerbung um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz schlechtere Chancen, weil der Besuch der Förderschule für den Schüler zu einer Stigmatisierung führen könne81 bzw. mit einem an der Förderschule erworbenen Hauptschulabschluss falle „die Einmündung in eine voll qualifizierende Berufsausbildung sehr schwer […]“,82 so zeugt dies bei pädagogischer Sichtweise von einer beträchtlichen Argumentationsnot. Die saarländische Landesregierung stellt in ihrem 5. Landesplan Menschen mit Behinderungen im Saarland mit Blick auf die inzwischen hohe Hauptschulabschluss-Quote im Rahmen des freiwilligen 10. Schuljahres an der Förderschule Lernen fest, dass sich für diese Schüler „die Berufschancen dadurch deutlich verbessert [haben] – und damit ihre Chancen auf Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft.“83 Im Übrigen wird von der saarländischen Landesregierung in der Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage84 zutreffend darauf hingewiesen, dass „viele Schüler“ der Förderschule Lernen am Ende der Klassenstufe 9 einen Förderschulabschluss erwerben, der zum Besuch des Berufsgrundbildungsjahres berechtigt, dessen Abschluss wiederum dem Hauptschulabschluss gleichgestellt ist. Mit dem Abschlusszeugnis der Förderschule Lernen am Ende der Klassenstufe 9 ist also ein Bildungsstand nachgewiesen, der dem Bildungsstand nach dem „erfolgreichen Besuch der Klassenstufe 8 eines zum Hauptschulabschluss führenden Bildungsganges“ entspricht, welcher Voraussetzung für den Zugang zum schulischen Berufsgrundbildungsjahr ist.85 Wenn es in § 4 Abs. 5 Satz 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung und § 4a Abs. 4 Satz 2 SchoG 2014 übereinstimmend heißt: „Die Förderschulen können nach Maßgabe ihres jeweiligen Unterrichts- und Erziehungsauftrages zu den in den Schulen der Regelform vorgesehenen Abschlüssen führen“, so ist die praktische Relevanz dieser gesetzlichen Regelung durch die oben mitgeteilten Hauptschulabschluss-Quoten beglaubigt. Das Gleiche gilt für §§ 13 und 13a ZVO-FöS, in denen die Voraussetzungen für den Erwerb des Hauptschulabschlusses an den Förderschulen für Lernbehinderte, für Blinde und Sehbehinderte, für Gehörlose und Schwerhörige, für körperliche und motorische Entwicklung, für soziale Entwicklung sowie für Sprache geregelt sind.

80 So Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution? – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (223). 81 So Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 52. 82 Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 23. 83 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, 5. Landesplan Menschen mit Behinderungen im Saarland, S. 62. 84 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Förderschulen „Lernen“, LT-Drucks. 14/98 vom 9.2.2010. 85 So die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 und des § 21 Abs. 3 AO-BS.

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3. Teil: Förderschule

Alle diese Tatsachen hindern allerdings Faber/Roth nicht daran, sich wie folgt zu äußern: „Tendenziell führt der Besuch einer Förderschule nicht zu einem Schulabschluss.“86 Die Autorinnen, die sich unter rechtlichen Aspekten mit der Etablierung der „inklusiven Schule“ befassen, stehen dabei möglicherweise unter dem Eindruck der Heilserwartungen, die mancherorts mit dem Projekt „inklusive Schule“ verbunden werden. In ihrer Weigerung, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, spiegelt sich eine Tendenz zur Abwertung der Förderschulen und zur Geringschätzung der dort geleisteten erfolgreichen pädagogischen Arbeit wider. IV. Fehlende Aussagekraft eines statistischen Vergleichs von lernortbezogenen Hauptschulabschluss-Quoten Es fällt auf, dass sich in den in der vorliegenden Schrift erwähnten, von Klemm für die Bertelsmann Stiftung erstatteten Gutachten keine auf die Situation in Deutschland bezogenen statistischen Angaben befinden über die Abschlüsse von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die an allgemeinen Schulen unterrichtet wurden. Bei Klemm heißt es hierzu: „Diese schulstatistische Analyse soll mit einem Blick auf die Schulabschlüsse, die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf erlangen, abgeschlossen werden. Dabei ist es erforderlich, sich auf die Abgänger und Absolventen der Förderschulen zu beschränken, da für die Abgänger und Absolventen der inklusiv arbeitenden Schulen keine Daten verfügbar sind.“87 Die saarländische Landesregierung hat in ihrer Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage mitgeteilt: „Die Abschlüsse, die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Schulen der Regelform ablegen, werden statistisch nicht erhoben.“88 Den Grund, warum an dieser Stelle der bundesweiten Schulstatistik Fehlanzeige erstattet wird, hätte man gerne erfahren. Liegt es etwa daran, dass diese Statistik für einen Vergleich mit der Erfolgsquote der Förderschüler ohne jeglichen Aussagewert wäre? Denn in dieser Statistik können jene Schüler zwangsläufig keine Berücksichtigung finden, für die eine integrative Unterrichtung aus unterschiedlichen Gründen objektiv nicht in Betracht kommt und die daher die Förderschule besuchen – darunter geistig behinderte Schüler, und Schüler mit schweren Lernbehinderungen sowie Schüler mit ausgeprägten Verhaltensstörungen, schwerer Sprachbehinderung sowie blinde und gehörlose Schüler, wenn diese Beeinträchtigungen jeweils mit Lernbehinderung einhergehen. Diese statistische Selbst 86 Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1194). 87 Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 22; ebenso ders., Gemeinsam lernen. Inklusion leben, S. 22. 88 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Heike Kugler (DIE LINKE) betr. Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, LT-Drucks. 15/528 vom 17.6.2013.

13. Kap.: Erfüllung des Bildungsanspruchs in der Förderschule

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verständlichkeit kann Klemm daher nicht überspielen mit dem Hinweis, es sei „erforderlich“, sich auf die Abgänger und Absolventen der Förderschulen zu „beschränken“.89 Bei Kenntnis dieser Zusammenhänge wird die Unhaltbarkeit von Klemms Versuch, die Hauptschulabschluss-Quote der Förderschulen als plaka­ tives Argument gegen diese Schulform anzuführen, evident. V. Leistungsbewertung und Respektierung der Person des behinderten Schülers Ein Beispiel dafür, wie die behinderungsbedingte Nichterreichbarkeit des Hauptschulabschlusses und die dadurch eingeschränkten Lebenschancen eines Schülers als Argument gegen die Förderschule als Institution angeführt werden, ist der Hinweis von Wansing auf die geistig behinderten Schüler: Da sie keinen im Erwerbsleben verwertbaren Abschluss hätten, bleibe für sie nur die Werkstatt für Behinderte.90 Es handelt sich hier um ein Beispiel für Realitätsverweigerung. Denn die Werkstätten für Behinderte gibt es gerade deswegen, weil die dort beschäftigten behinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar sind.91 Der von der genannten Autorin konstruierte Zusammenhang zwischen der geistigen Behinderung, dem Lernort allgemeine Schule, dem von dieser Schule ausgestellten Zeugnis und den hiervon schließlich erwarteten besseren Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist aberwitzig. Für die pädagogische Praxis würde das bedeuten: Es müsste der in § 5 Abs. 2 Satz 2 IntVO vorgeschriebene Hinweis im Zeugnis des integrativ unterrichteten geistig behinderten Schülers „Der Unterricht wurde nach einem individuellen Förderplan auf der 89

Zwar verweist Klemm, Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 23, 43 (Tabelle 4), auf Vergleichszahlen aus einer von ihm vorgenommenen „Sonderauswertung nordrheinwestfälischer Daten“, nicht ohne jedoch diese zu problematisieren: „Da nicht überprüft werden konnte, ob diese beiden Gruppen wirklich vergleichbar waren, bedürfen diese Werte einer vergleichenden Analyse.“ 90 Wansing, Teilhabe an der Gesellschaft. Menschen mit Behinderung zwischen Inklusion und Exklusion, S.  100 f. Demgegenüber geht die Kultusministerkonferenz realistischerweise auch weiterhin davon aus, dass entsprechend den „individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Jugendlichen […] eine Beschäftigung in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen ermöglicht werden“ muss (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 12). Vgl. hierzu auch Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 113 f. 91 Vgl. auch Schulte, Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Politischer und rechtlicher Handlungsbedarf in Deutschland u. a. am Beispiel des Rechts auf Bildung, ZfSH/SGB 2010, 657 (664), der unter Bezugnahme auf entsprechende europarechtliche Dokumente darauf hinweist, dass „[sich] im Hinblick auf die Eingliederung in das Erwerbsleben […] in den EU-Staaten im Wesentlichen drei Ebenen unterscheiden [lassen]: der allgemeine (‚erste‘) Arbeitsmarkt, der zweite besondere (‚geschützte‘) Arbeitsmarkt mit einem Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung der dort Beschäftigen, und ein dritter ‚therapeutischer‘ Beschäftigungssektor.“

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3. Teil: Förderschule

Grundlage des Lehrplans der Förderschule […] Geistige Entwicklung erteilt“ unterbleiben. Bei Weglassen dieses Vermerks würde etwas bescheinigt, was nicht der Realität entspricht. Das wäre mit dem Charakter des Zeugnisses als einer öffentlichen Urkunde,92 der ein Verwaltungsakt zugrunde liegt, nicht vereinbar. Im Hinblick auf die Berechtigungsfunktion von Zeugnissen läge mit Blick auf die übrigen Schüler ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit gem. Art. 3 Abs.  1 GG und Art.  12 Abs.  1 Verf. d. Saarl. vor, der zur Rechtswidrigkeit der Zeugnisausstellung führt. Vor allem aber: Wäre eine solche Handlungsweise mit der personalen Würde des behinderten Schülers vereinbar? Kann sich ein Pädagoge wirklich auf Humanität berufen, wenn er wider besseres Wissen einem behinderten Schüler Leistungen bescheinigt, die dieser tatsächlich nicht erbracht hat? Welchen Dienst würde er dem behinderten Schüler damit erweisen? Sollte es nicht an erster Stelle um das Gebot gehen, den behinderten Schüler in seinem Sosein ernst zu nehmen?

92 Vgl. z. B. § 28 GemSVO: „Das Schulzeugnis ist der urkundliche Nachweis über Schulbesuch, Leistung und, soweit sie in dem Zeugnis zu bewerten sind, Verhalten und Mitarbeit der Schülerin oder des Schülers.“

Kapitel 14

Objektivrechtliche Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen A. Legitimität der Förderschul-Option Um jeglichem Missverständnis vorzubeugen: Es geht hier nicht darum, integrative Unterrichtung infrage zu stellen, sofern sie in jedem einzelnen Fall in verantwortbarer Weise, d. h. insbesondere mit der notwendigen zusätzlichen personellen Ausstattung (durchgängige Doppelbesetzung mit pädagogischem Personal im Falle zieldifferenter Unterrichtung sowie bei integrativer Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten) realisiert werden kann und die Eltern des betreffenden Kindes sich für sie entschieden haben. Sondern es geht um die Frage der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer tatsächlichen Wahlmöglichkeit im Rahmen der Verwirklichung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen und des elterlichen Rechts zur Bestimmung des Bildungswegs ihres Kindes. Die Option für die Förderschule muss den Eltern mit Blickrichtung auf folgende grundsätzlich in Betracht kommende Situationen zur Verfügung stehen: Zum einen aus schulstrukturellen Gründen, d. h. solange der Staat eine verantwortbare integrative Unterrichtung nicht flächendeckend gewährleisten kann,1 womit bereits aus finanziellen Gründen insbesondere im Saarland auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist; zum anderen für den Fall, dass sich Eltern auch dann für die Förderschule entscheiden, wenn der Staat im konkreten Fall eine verantwortbare Integration anbieten sollte. „Jedem das Seine“ und nicht „Jedem das Gleiche“ muss die Maxime lauten auf dem hoch sensiblen Feld sonderpädagogischer Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher. Das gilt für die individualisierende wie für die generalisierende Betrachtungsweise, für die Unterrichtsebene wie für die Systemebene. Hier ist es angebracht, das – in der bildungspolitischen Diskussion ansonsten oft als plumpe Egalisierung verstandene – Postulat der Bildungsgerechtigkeit (suum cuique) in Erinnerung zu rufen.

1 Vgl. die oben sub Kap.  3 A. I. 3.  c)  bereits wiedergegebene Aussage des NdsOVG, Beschl. v. 7.8.2014, 2 ME 272/14, Rn.10, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de (Zugriff: 29.1.2016): Es sei „die Frage aufzuwerfen, ob der sukzessive Fortfall der Primarstufe der Förderschule Lernen […] bei gleichzeitiger unzureichender Ausstattung der inklusiven Grundschule verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält.“

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3. Teil: Förderschule

B. Systemfrage und Bundesverfassungsrecht Im Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.3.1957 heißt es: „[…] die Kulturhoheit, besonders aber die Hoheit auf dem Gebiete des Schul­ wesens, [ist] das Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder.“2 Mit dieser Feststellung schreibt das Bundesverfassungsgericht der sich aus den Artt. 30 und 70 GG ergebenden Zuständigkeit eine Gewichtung zu, die den Stellenwert der Kulturhoheit der Länder in der föderativen Ordnung des Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland hervortreten lässt und den Schwerpunkt eigenständiger Landespolitik aufzeigt. Die Bereitstellung eines leistungsfähigen Schulwesens ist eines der zentralen Handlungsfelder des Staates bei der Erfüllung seines Kulturauftrages. Das Bildungswesen ist das „Krongut“ der Länder. Hiernach sind die Länder grundsätzlich zuständig für die Ordnung des Schul­ wesens. Der Begriff der Ordnung ist in einem weiten Sinne zu verstehen, nämlich sowohl in pädagogisch-konzep­tioneller als auch in rechtlich-normativer Hinsicht. Diese Grundentscheidung zugunsten der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz3 der Länder auf dem Gebiet des Schulwesens findet ihren Ausdruck auch darin, dass sich das Grundgesetz bei seinen Aussagen und Regelungen zum Schulwesen ersichtlich bewusst Zurückhaltung auferlegt hat. Nur in Art. 7 GG ist eine explizit auf das Schulwesen bezogene bundesverfassungsrechtliche Normierung ergangen. Allerdings sind die Länder bei der ihnen obliegenden Ordnung des Schulwesens auch an die allgemeinen Bestimmungen des Grundgesetzes gebunden, soweit sich hieraus Rechte und Pflichten von Schülern, Eltern und Lehrern ergeben können, also insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Zu nennen sind vor allem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), das Recht der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), das Recht der freien Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

2

BVerfG, Urt. v. 26.3.1957, 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (346 f.). Der mit der Föderalismusreform des Jahres 2006 in das Grundgesetz eingefügte Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG weist ausdrücklich auf die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Schulwesen hin; doch ist dieser Hinweis nur von deklaratorischer Bedeutung. Die in Art. 91b Abs. 2 GG geschaffene Möglichkeit des Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei den diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen lässt die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Schulwesen unberührt. Vgl. hierzu Uhle, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 70 Rn. 82, 115. 3

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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C. Angebotsstruktur im Lichte der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997 Die Konsequenzen aus den genannten bundesverfassungsrechtlichen Bestimmungen reichen weiter, als angesichts der Kulturhoheit der Länder auf einen ersten Blick vielleicht anzunehmen wäre. Das zeigt sich auch und gerade bei der Organisation des Bildungsangebotes für behinderte Kinder. Denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997,4 von dem Gericht als „Grundsatzentscheidung zum Benachteiligungsverbot für Behinderte“5 bezeichnet, enthält grundlegende Aussagen, die sich auf das System der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher beziehen. Die Verfassung gilt letztlich mit dem Inhalt, der sich aus der Rechtsprechung des zuständigen Verfassungsgerichts ergibt. Die Erwähnung dieser inzwischen zum Gemeinplatz gewordenen Feststellung rekurriert auf den seinerzeit durchaus kritisch gemeinten Satz, mit dem Smend zehn Jahre nach der Errichtung des Bundesverfassungsgerichts dessen Einfluss auf die Verfassungslage kommentierte: „Das Grundgesetz gilt nunmehr praktisch so, wie das Bundesverfassungsgericht es auslegt, und die Literatur kommentiert es in diesem Sinne.“6 I. Verfassungsgerichtliche Zurückhaltung in der Bewertung der pädagogischen Alternative Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung zum Benachteiligungsverbot für Behinderte (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) deutlich gemacht, dass bei der sonderpädagogischen Förderung nur ein sensibler Umgang mit den von Fall zu Fall unterschiedlichen Befindlichkeiten und Bedürfnissen behinderter Kinder zu einer sachgerechten Lösung führen kann. Mit Blickrichtung auf den Stand der pädagogischen Diskussion heißt es in dem Senatsbeschluss: „Nach dem gegenwärtigen pädagogischen Erkenntnisstand ließe sich ein genereller Ausschluß der Möglichkeit einer gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von behinderten Schülern mit nichtbehinderten derzeit verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Ungeachtet auch kritischer Stimmen wird die integrative Beschulung, wie die unter A I 1 und 2 wiedergegebenen Äußerungen belegen, von der pädagogischen Wissenschaft wie von maßgeblichen politischen Gremien überwiegend positiv beurteilt und als verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Erziehung und Unterrichtung in Sonder- und Förderschulen befürwortet.“7

4

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff. So der Betreff der zu dem Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff., herausgegebenen Pressemitteilung des BVerfG Nr. 93/97 vom 29.10.1997. 6 Smend, Das Bundesverfassungsgericht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 581 (582). 7 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304 f.). 5

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3. Teil: Förderschule

Indem das Gericht den Meinungs- und Diskussionsstand zu den verschiedenen sonderpädagogischen Konzeptionen wiedergibt, zeigt es den dadurch eröffneten Rahmen des Möglichen als Erwartungshorizont der betroffenen Schüler und Eltern auf. Es besteht Anlass zu dem Hinweis, dass dieser zweite Satz des Zitates den Meinungs- und Diskussionsstand in Wissenschaft und Politik nur referiert und keine eigene Wertung des Gerichts enthält. Unter Berufung auf diesen Satz kann das Bundesverfassungsgericht, wie vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht8 zutreffend angemerkt wird, daher nicht als Verfechter einer einseitig oder bevorzugt am Prinzip integrativer Unterrichtung orientierten sonderpädagogischen Konzeption in Anspruch genommen werden. Das gilt auch für den ersten Satz in dem Zitat, demzufolge nach dem gegenwärtigen pädagogischen Erkenntnisstand sich ein genereller Ausschluss der Möglichkeit einer gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von behinderten Schülern mit nichtbehinderten derzeit verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lasse. Denn diese Aussage beschreibt nur eine soweit ersichtlich damals wie heute von niemandem ernsthaft in Frage gestellte verfassungsrechtliche Lage und enthält keine Positionsbestimmung grundsätzlicher Art bezüglich einer Präferenz für die eine oder die andere pädagogische Variante. Eine unvoreingenommene Analyse der hier zitierten Sätze des Bundesverfassungsgerichts macht deutlich, dass das Gericht sich äußerste Zurückhaltung in der Bewertung dieser pädagogischen und bildungspolitischen Frage auferlegt hat und damit in der Kontinuität seiner Rechtsprechung bleibt. Man könnte auch sagen: Eine Positionierung mit Bekenntnischarakter sieht anders aus.9 Dieser Klarstellung bedarf es z. B. gegenüber der vom Text des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckten Zitierweise bzw. Lesart von Füssel, dessen Entscheidungsrezension die in der Form eines Zitates gehaltene Überschrift trägt: „Integrative Beschulung (ist die) verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Sonderschule“. Darin heißt es: „Die Entscheidung über die Form der schulischen Betreuung behinderter Kinder bleibt damit nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine politisch zu entscheidende – wobei allerdings das 8 SächsOVG, Urt. v. 7.12.2005, 4 B 131/05, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 12: „In dem genannten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht nicht etwa einen generellen Vorrang der integrativen Beschulung von Behinderten gegenüber einer getrennten Unterrichtung begründet, sondern entschieden, dass die schulrechtliche Zuweisung eines behinderten Schülers gegen seinen Willen und den seiner Eltern für sich genommen keine verbotene Benachteiligung i. S. v. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt.“ 9 In einer Entscheidung, in der es u. a. um grundsätzliche Fragen des Systems der sonder­ pädagogischen Förderung ging, hat der BayVGH, Urt. v. 9.7.1997, 7 B 97.1185, BayVBl. 1998, 180 (183), klargestellt: „Auch kann es nicht Aufgabe der Gerichte sein, anstelle des Parlaments in der Fachpädagogik umstrittene Fragen zu entscheiden.“ In Sachen Respektierung der Grenzen richterlicher Tätigkeit sieht demgegenüber das OVG NRW die Dinge ganz anders. Denn wie aus seinem Urt. v. 9.6.2004, 19 A 1757/02, NWVBl. 2004, 425 (430), hervorgeht, hat es, obwohl die Streitsache hierzu keinen objektiven Anlass gab, offensichtlich kein Problem damit, sich explizit zu der „aus der Sicht des Senats wünschenswerten integrativen Unterrichtung“ zu bekennen.

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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Gericht zugleich eine deutliche Präferenz zugunsten einer verstärkten Integration in die allgemeine Schule erkennen lässt.“10 Der von Füssel als Überschrift der Entscheidungsrezension wörtlich zitierte Satz des Bundesverfassungsgerichts bringt eine eigene Präferenz des Gerichts eben gerade nicht zum Ausdruck, sondern das Gericht referiert eine von ihm beobachtete Entwicklung. Die plakative wörtliche Zitierung nur eines Teils des betreffenden Satzes aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als Überschrift in der Entscheidungsrezension unter Weglassung des syntaktischen Kontextes der zitierten Worte ist daher objektiv irreführend. Entgegen der Lesart von Füssel lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht „in der integrativen Form der schulischen Betreuung behinderter Kinder und Jugendlicher das eindeutig zu bevorzugende Modell [sieht].“11 Auch an anderer Stelle unternimmt Füssel den Versuch, den bloß referierenden Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf Meinungsäußerungen in Wissenschaft und Politik als eigene Präferenz des Gerichts darzustellen.12 Ebenso findet die Behauptung von Füssel, das Bundesverfassungsgericht habe „– unter Bezugnahme auf die Auffassung in der Fachwissenschaft  – eine deutliche Vorrangstellung zu Gunsten der integrativen Bildung und Erziehung von Schülern und Schülerinnen mit einer Behinderung formuliert (BVerfGE 96, 288, S.  304 f.)“,13 keine Stütze in den Entscheidungsgründen. Das gilt auch für die Behauptung von Höller, wonach das Bundesverfassungsgericht angeblich „einen Vorrang integrativer Beschulung festgestellt, und diese zur Leitvorstellung erhoben hat […].“14 Auch bei Siehr/Wrase findet sich der Versuch, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Anhaltspunkt für eine wertende Äußerung des Gerichts zu entnehmen, indem die Autoren nämlich formulieren: „Zwar erkennt das Gericht bereits in seinem damaligen Beschluss an, dass eine inklusive Beschulung von der pädagogischen Wissenschaft wie von maßgeblichen Gremien ‚überwiegend positiv beurteilt und als verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Erziehung und Unterrichtung in Sonder- und Förderschulen befürwortet‘ werde.“15 Während mit den Worten „erkennt […] an“ wohl der Ausdruck einer eigenen Werthaltung des Gerichts angedeutet werden soll, hat das Gericht in Wirklichkeit lediglich seine Wahrnehmung eines Meinungsstandes referiert. Bei Dörschner ist die nachstehende Zitierung des Bundesverfassungsgerichts irreführend: „Nach dem 10 Füssel, „Integrative Beschulung (ist die)  verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Sonderschule“. Anmerkungen zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 1997, RdJB 1998, 250 (254). 11 Füssel, ebd., S. 253. 12 Füssel, Ein Fortschritt, ein Rückschritt – oder was? – Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 1997, Die neue Sonderschule 1998, 134 (135). 13 Füssel, „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Die schulrechtlichen Rahmenbedingungen für eine integrative Pädagogik, in: Eberwein/Knauer (Hrsg.), Handbuch Integrationspädagogik, S. 158 (161). 14 Höller, Die Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher an öffentlichen Schulen, S. 102. 15 Siehr/Wrase, Das Recht auf inklusive Schulbildung als Strukturfrage des deutschen Schulrechts – Anforderungen aus Art. 24 BRK und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, RdJB 2014, 161 (175).

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3. Teil: Förderschule

‚gegenwärtigen pädagogischen Erkenntnisstand‘ sei zwar die gemeinsame bzw. integrative Beschulung eine ‚verstärkt realisierungswürdige Alternative‘ zum Unterricht in Förder- oder Sonderschulen.“16 Hier werden von der Autorin zwei Zitatelemente, die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in zwei selbständigen, jeweils einer spezifischen Aussage gewidmeten Sätzen enthalten sind, auf unzulässige Weise miteinander kombiniert. Außerdem wird bei dem zweiten Zitatelement die – nur referierende – Bezugnahme des Bundesverfassungsgerichts auf den Meinungsstand in der Wissenschaft weggelassen. II. Aussagen allgemeiner Art zur staatlichen Schulverantwortung für behinderte Kinder und Jugendliche Das Bundesverfassungsgericht stellt mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG fest, dass aus diesem Grundrecht, „zumal im Zusammenwirken mit den vorbezeichneten Freiheitsrechten aus Art.  2 Abs.  1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG [folgt], daß der Staat und die Schulgesetzgeber der Länder für behinderte Schüler eine besondere Verantwortung tragen. Auch für ihre Erziehung und Unterrichtung im Bereich der Schulen hat der Staat das zumindest faktische Monopol, auch für sie besteht wie für Nichtbehinderte grundsätzlich die Pflicht zum Besuch der öffent­ lichen Schulen. Mit Rücksicht darauf ist der Staat nach Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich gehalten, für behinderte Kinder und Jugendliche schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen. Art und Intensität der Behinderung sowie den Anforderungen der Schulart und Unterrichtsstufe ist dabei unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung zu tragen.“17

Es empfiehlt sich, diese Sätze aus der Grundsatzentscheidung des Bundes­ verfassungsgerichts vom 8.10.1997 näher zu betrachten, weil sie für das Verständnis weiterer Detailaussagen des Gerichts von Bedeutung sind. So fällt ins Auge, dass von einer „besonderen Verantwortung“18 des Staates und der Schulgesetzgeber der Länder für die behinderten Schüler gesprochen wird. Die Hervorhebung zielt auf die Hilfsbedürftigkeit dieser Kinder ab und kann als Aufforderung an die Verantwortlichen verstanden werden, es an der bei der Wahrnehmung der Interessen der behinderten Kinder und Jugendlichen unabdingbaren Sensibilität nicht fehlen zu lassen.

16 Dörschner, Die Rechtswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland am Beispiel des Rechts auf inklusive Bildung, S. 182. 17 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). Vgl. hierzu auch­ Caspar, Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art.  3 Abs.  3 S.  2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 (138). 18 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304).

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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Mit dem Hinweis auf das „faktische Monopol“19 des Staates wollte das Bundesverfassungsgericht gewiss nicht das Recht in Frage stellen, private Förderschulen zu errichten und zu besuchen (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG). Vielmehr bringt das Bundesverfassungsgericht damit zum Ausdruck, dass behinderte Schüler mehr noch als nichtbehinderte Schüler auf eine pädagogisch sachgerechte Wahrnehmung ihrer Interessen durch die hierzu berufenen Staatsorgane und Amtswalter ange­ wiesen sind. Dabei fällt auf, dass das Gericht nicht einfach nur von der besonderen Verantwortung des „Staates“, sondern „des Staates und der Schulgesetzgeber der Länder“ spricht. Die unter rein begrifflichen Gesichtspunkten an sich nicht erforderliche Angabe „und der Schulgesetzgeber der Länder“ – denn mit „Staat“ sind auch die Gesetzgebungsorgane umfasst  – bedeutet: Es wird klargestellt, dass Sach­ gerechtigkeit, Behutsamkeit und Sensibilität bei der schulischen Unterrichtung behinderter Kinder nicht nur ein Gebot für die Gestaltung der konkreten unterrichtlichen Situation auf schuladministrativer und pädagogischer Ebene sind, sondern dass auch der zuständige Landesgesetzgeber bei der Gestaltung des Unterrichtsangebotes für behinderte Kinder auf der systemischen Ebene, d. h. in objektivinstitutioneller Hinsicht entsprechend zu handeln hat.20 Als Sachkriterien werden „Art und Intensität der Behinderung“ sowie die „Anforderungen der Schulart und Unterrichtsstufe“21 genannt. Dass der Landesgesetzgeber hierbei den „jeweiligen Stand der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnis“22 zu berücksichtigen hat, ist, so könnte man sagen, eine Selbst­ verständlichkeit.23 Im vorliegenden Zusammenhang wächst dem Erfordernis der „wissenschaftlichen Erkenntnis“ jedoch eine besondere Bedeutung zu. Wissenschaft ist darauf gerichtet, wahre Erkenntnisse zu gewinnen; dazu gehört die Bereitschaft, sich der Wirklichkeit zu stellen. Daher kann bei Entscheidungen über die Struktur des Bildungsangebotes für behinderte Kinder die Schulwirklichkeit an den beiden Lernorten sonderpädagogischer Förderung nicht ausgeblendet werden. Insoweit findet der oben24 dargestellte konzeptionelle Ansatz der vorliegenden Schrift auch eine Bestätigung in der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts normativ geforderten Vorgehensweise. Die vorliegende Schrift nimmt auch die Schulwirklichkeit (Realbefund)  der beiden Förderorte 19

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). Vgl. auch Rennert, Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Schulrecht, DVBl. 2001, 504 (509), der zu dieser Aussage des BVerfG feststellt: „Diese Pflicht ist objektiv-rechtlicher Natur und richtet sich zunächst an den Gesetzgeber; verfassungsunmittelbare subjektive Leistungsansprüche ergeben sich hieraus nicht.“ 21 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). 22 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). 23 Vgl. § 2 Abs. 2 SchoG: „Bei der Gestaltung und Gliederung des Schulwesens ist den Erkenntnissen der Wissenschaft Rechnung zu tragen und darauf zu achten, daß die Einheit des deutschen Schulwesens gewahrt wird.“ 24 Siehe hierzu oben sub Kap. 6 A. I. 1. 20

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3. Teil: Förderschule

des dualen Systems sonderpädagogischer Förderung im Saarland in den Blick, d. h. der integrativen/inklusiven Unterrichtung einerseits und der Förderschulen andererseits. III. Aussagen mit schulstruktureller Relevanz 1. Zusammenhang von Bildungsanspruch, Ressourcen und Bildungsangebot Von großer Bedeutung ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass der „insoweit mit der integrativen Beschulung an allgemeinen Schulen verbundene Aufwand […] nicht zu Lasten solcher Kinder gehen [darf], deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinderung ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind.“25

Der zitierte Satz enthält zwei Aussagen, von denen die eine der Tatsachenebene, die andere der Ebene des Normativen zugeordnet ist: –– Der Tatsachenebene zuzuordnen sind zwei in dem Zitat inzident mitgeteilte Prognosen:26 Zum einen die Einschätzung, dass integrative Unterrichtung nicht in jedem Fall und für jeden Schüler die richtige Organisationsform sonderpädagogischer Förderung sein kann, sondern dass es auch künftig Schüler geben wird, die wegen der Art oder des Grades ihrer Behinderung auf eine spezielle Einrichtung wie die Förderschule angewiesen sind. Zum anderen die inzident zum Ausdruck gebrachte Prognose, dass integrative Unterrichtung, wenn sie verantwortbar praktiziert werden soll, mit einem erheblichen Mehraufwand insbesondere personeller Art verbunden ist,27 dass aber der Staat hierfür keine zusätzlichen finanziellen Mittel bereitstellen, sondern das dafür benötigte Personal von den Förderschulen an die allgemeinen Schulen verlagern wird; die Entwicklung hat gezeigt, dass es sich dabei, was z. B. die Situation im Saarland betrifft, um eine realistische Annahme gehandelt hat.28 –– Hieraus leitet das Bundesverfassungsgericht in normativer Hinsicht die Schlussfolgerung ab, dass die Dispositionsmöglichkeiten des Staates beim Ausbau der 25

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308). Siehe zu den Prognosen als Feststellung zukünftiger Tatsachen Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, S. 28 ff. 27 Auch Rudnik, Elternrecht auf gemeinsamen Unterricht gestärkt, Die neue Sonderschule 1998, 140 (143), geht davon aus, dass dieser Prognose des BVerfG die Einschätzung zugrunde liegt, dass die integrative Unterrichtung mit höheren Kosten verbunden ist als die Unterrichtung in Förderschulen. 28 Siehe hierzu oben sub Kap. 7. 26

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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integrativen Unterrichtung unter den Vorbehalt der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Förderschulen zu stellen sind. Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts ist weit mehr ist als ein Verbot des systematischen Entzugs von Personalressourcen der Förderschulen zugunsten der integrativen Unterrichtung und eine Vorkehrung gegen die progressive Verschlechterung der Unterrichtsbedingungen an den Förderschulen.29 Denn die zitierte Aussage des Bundesverfassungsgerichts impliziert – dem Postulat der zu gewährleistenden Funktionsfähigkeit der Förderschulen logisch vorgelagert – die Aussage: Weil es behinderte Kinder gibt, für die die integrative Unterrichtung „ausgeschlossen“ oder „pädagogisch nicht wünschenswert“ ist und die daher auf Förderschulen „angewiesen sind“, hat der Staat Förderschulen bereit zu halten. Grundlage dieser objektivrechtlichen Verpflichtung des Staates ist der Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus § 1 Abs. 1 SchoG. Auch ist die Verpflichtung begründet in dem elterlichen Recht zur Bestimmung des Bildungswegs des Kindes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. Auf die obigen Ausführungen30 zum Inhalt des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen wird an dieser Stelle vollinhaltlich Bezug genommen. Hier zeigen sich die Konsequenzen, die mit dem vom Bundesverfassungsgericht konstatierten „faktischen Monopol“ des Staates für die Erziehung und Unterrichtung behinderter Kinder verbunden sind. Die oben zitierten Ausführungen aus dem Senatsbeschluss vom 8.10.199731 werden bekräftigt in einer zeitlich nach dieser Grundsatzentscheidung ergan­genen Kammerentscheidung, mit der die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27.1.199732 nicht zur Entscheidung angenommen wurde. In dieser Kammerentscheidung heißt es mit Blick auf den auch in dem niedersächsischen Schulgesetz enthaltenen Vorbehalt des Möglichen: „Dieser Vorbehalt kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß geltend gemacht wird, Haushaltsmittel könnten, wenn sie für den Unterricht in Sonder- oder Förderschulen eingesetzt werden, ‚fehlgeleitet‘ werden und zur nicht mehr zeitgerechten Bevorzugung und ‚Aufrechterhaltung der Sonderschuleinrichtungen‘ führen. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hat den Sonderschulen nicht die rechtliche Grundlage entzogen; auch darf der mit der integra­tiven Beschulung an allgemeinen Schulen verbundene Aufwand nicht zu Lasten solcher Kinder gehen, deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des 29 Zur diesbezüglichen Vorgehensweise der Schuladministration im Saarland siehe oben sub Kap. 7 A. bis C. Mit einem weiteren systematischen Entzug von Personalressourcen zugunsten der integrativen/inklusiven Unterrichtung müssen die Förderschulen aufgrund offizieller Erklärungen der Landesregierung rechnen, wie oben sub Kap. 8 E. II. dargelegt wurde. 30 Siehe oben sub Kap. 3 B. 31 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff. 32 GeschZ.: 13 M 6759/96.

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3. Teil: Förderschule

­ rades ihrer Behinderung ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erG scheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind (vgl. Beschluß vom 8. Oktober 1997, Umdruck S. 25, 34 f., 29).“33

Es ist festzuhalten, dass es sich bei dem hier kursiv gedruckten ersten Halbsatz des zweiten Satzes dieses Zitats um eine eigenständige, von der des zweiten Halbsatzes unabhängige Aussage handelt. 2. Entscheidungen für die Förderschule a) Förderschule bei „ausgeschlossener“ integrativer Unterrichtung Wenn das Bundesverfassungsgericht von Kindern spricht, deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinde­ rung „ausgeschlossen“ ist, so wäre es ein Missverständnis, wollte man darin eine Kategorienbildung mit vorbestimmter Zuordnung sehen. Vielmehr kann dabei sinnvollerweise nur die verantwortliche Einschätzung der Realisierbarkeit im Einzelfall gemeint sein. Materielle Entscheidungskriterien sind hierbei primär die Art und der Grad der Behinderung. Um dabei die von dem Gericht für relevant erklärten „Chancen“ und „Belastungen“ für „das behinderte Kind selbst“34 sowie „denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal“35 einschätzen zu können, sind in jedem Einzelfall auch die vorhandenen personellen, sächlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen in den Abwägungsprozess einzubeziehen. Das Bundesverfassungsgericht spricht daher von der Notwendigkeit einer „Gesamtbetrachtung“36, und zwar auf der Grundlage einer realitätsgerechten Sichtweise. Letzteres zeigt sich u. a. an der Formulierung, dass eine beantragte integrative Unterrichtung nicht verweigert werden darf, wenn die Voraussetzungen hierfür durch einen „vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung“37 geschaffen werden können. In dem Wort „vertretbar“ kommt zum Ausdruck, dass das Gericht in vielen Fällen bei einer gleichermaßen verantwortungsbewussten wie realitätsorientierten Sicht- und Vorgehensweise die Realisierbarkeit integrativer Unterrichtung u. a. wegen der nicht verfügbaren Ressourcen nicht als gegeben und in diesem Sinne als „ausgeschlossen“ betrachtet. Der Begriff „vertretbar“ muss auch gesehen werden im Zusammenhang mit der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass „der insoweit mit der integrativen Beschulung an allgemeinen Schulen verbundene Aufwand nicht zu Lasten solcher Kinder gehen darf, deren Teilnahme an einem 33 BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997, 1 BvR 356/97, amtl. Umdruck S. 2 (Hervorh. d. Verf.). 34 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307). 35 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308). 36 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308, 312). 37 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307).

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gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinderung ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind“.38 Dem liegt, wie erwähnt, die zutreffende Prognose des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, dass die Länder für die integrative Unterrichtung wohl kein zusätzliches Personal in dem erforderlichen Umfang einstellen, sondern hierfür Lehrkräfte der Förderschulen an die allgemeinen Schulen verlagern werden. Eine integrative Unterrichtung in diesem Sinne „ausgeschlossen“ ist z. B. auch dann, wenn die Sicherheit des behinderten Schülers im Schulbetrieb einer allgemeinen Schule gefährdet ist, z. B. bei einem Kind mit Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit).39 Desgleichen ist eine integrative Unterrichtung „ausgeschlossen“ bei schwer und schwerstmehrfachbehinderten Schülern, bei denen der medizinische Pflege- und Therapieaufwand so groß ist, dass er wegen des hierfür erforderlichen Personals bei vertretbaren Kosten nicht zu jeder Zeit in jeder allgemeinen Schule geleistet werden kann. Entsprechendes gilt bei gehörlosen oder blinden Schülern, weil nicht zu jeder Zeit in jeder allgemeinen Schule Lehrkräfte verfügbar sind, die die Gebärdensprache beherrschen oder die Blindenschrift vermitteln können. Hinzu kommen die Fälle, in denen auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes an den Unterrichts- und Erziehungsauftrag der allgemeinen Schule ein hochgradig verhaltensauffälliger Schüler nicht in der Regelklasse der allgemeinen Schule verbleiben kann, wenn das Recht der nichtbehinderten Schüler auf einen geordneten Unterricht oder gar ihre körperliche Integrität nicht verletzt werden soll. Bei Schülern mit einer schweren Sprachbehinderung ist nach aller Erfahrung beim Verbleib in der allgemeinen Schule mit einer weiteren Verschärfung der Symptomatik zu rechnen, die zu Sprechangst (Logophobie), sozialen Phobien und sonstigen ausgeprägten Störungen des Sozialverhaltens führen kann; für diese Schüler ist bei pädagogisch verantwortungsbewusstem Handeln die Sprachheilschule, die eine Durchgangsschule ist, die richtige Schule.40 Poscher/Rux/Langer befinden sich daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn sie feststellen: „Vielmehr ist […] zu beachten, dass der Staat und die Schulträger ungeachtet der damit eventuell verbundenen Mehraufwendungen daran gehindert sind, die Förder- bzw. Sonderschulen zu schließen, so

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BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308), Siehe die in einem Fall von Glasknochenkrankheit eines Kindergartenkindes ergangene Entscheidung des BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 10.2.2006, 1 BvR 91/06, BVerfGK 7, 269 (275). Selbst wenn in einem solchen Fall ein Eingliederungshelfer zum permanenten Schutz des betreffenden Kindes zur Verfügung gestellt werden sollte, bleibt die Tatsache, dass das Gefährdungspotenzial für einen solchen Schüler im Schulbetrieb einer Regelklasse der allgemeinen Schule erheblich höher ist als in dem geschützten Raum einer kleinen Klasse der Förderschule körperliche und motorische Entwicklung. 40 Vgl. Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 7. 39

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lange es Schüler gibt, deren Recht auf Bildung im Rahmen eines integrativen Unterrichts in den allgemeinen Schulen nicht Genüge getan werden kann.“41 b) Förderschule im Falle „pädagogisch nicht wünschenswerter“ integrativer Unterrichtung Die zweite vom Bundesverfassungsgericht angeführte Konstellation bezieht sich auf die Fälle, in denen eine integrative Unterrichtung zwar nicht aufgrund der Art oder des Grades der Behinderung „ausgeschlossen“ ist, aber „pädagogisch nicht wünschenswert erscheint“. Zur Abgrenzung der hier in Rede stehenden Fälle ist zunächst folgende Aussage in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Erinnerung zu rufen: „Nur die Überweisungsverfügung [in die Förderschule; Anm. d. Verf.], die den Gegebenheiten und Verhältnissen des jeweils zu beurteilenden Falles ersichtlich nicht gerecht wird, ist durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG untersagt. Eine solche Entscheidung ist nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Kind oder Jugendlicher wegen seiner Behinderung auf eine Sonderschule verwiesen wird, obwohl seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.“42

Es ist davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht mit diesen Fällen eine pädagogisch verantwortbare integrative Unterrichtung bezeichnet. Dies vorausgeschickt, ist zu dem vom Gericht angesprochenen Fall, dass eine integrative Unterrichtung „pädagogisch nicht wünschenswert erscheint“, Folgendes zu sagen: aa) Einschätzung der Schulbehörde Ist eine integrative Unterrichtung „ohne besonderen Aufwand“ möglich oder kann sie „durch einen vertretbaren Einsatz sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden“, dann hat das behinderte Kind ein subjektiv-öffentliches Recht auf den Besuch der allgemeinen Schule. Wenn in einem solchen Fall die integrative Unterrichtung dennoch aus der Sicht der Schulbehörde „nicht wünschenswert“ erscheint, dann kann es sich bei Vermeidung einer ermessenfehlerhaften Entscheidung nur um außergewöhnliche Hinderungsgründe handeln, für die die Schulbehörde die Darlegungs- und Beweislast trägt. Eine solche Entscheidung 41

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 58, Fn. 132. BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (306 f.).

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kann z. B. in Betracht kommen, wenn die Schulbehörde sich veranlasst sieht, in Ausübung des staatlichen Wächteramtes gem. Art.  6 Abs.  2 Satz 2 GG oder in Wahrnehmung ihres Schutzauftrages bezüglich der Mitschüler gem. § 1 Abs. 2b, § 21 Abs. 5 und § 28 Abs. 3 und 4 SchoG tätig zu werden. bb) Einschätzung der Eltern Mit der Formulierung „oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint“ ist vor allem der anderslautende Wille der Eltern gemeint. Denn wer anderes als die Eltern ist an erster Stelle berufen, das geltend zu machen, was für das behinderte Kind „pädagogisch nicht wünschenswert“ ist? Die „primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern“, so das Bundesverfassungsgericht, „beruht auf der Erwägung, daß die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden.“43 Es wäre eine grundlegende Verkennung elterlicher Sorge, wenn man die Beurteilung, was „pädagogisch“ erwünscht bzw. unerwünscht ist, in die ausschließliche Zuständigkeit der Schulbehörde, d. h. des Staates legte. Für eine solche Auslegung der Formulierung „pädagogisch unerwünscht erscheint“ enthält weder der Wortlaut noch der Sinnzusammenhang der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Anhaltspunkt. Vielmehr wird mit dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts auch die Einschätzungskompetenz der Eltern anerkannt, weil deren auf das Wohl ihres Kindes gerichtete Entscheidungen in diesem Sinne immer auch „pädagogisch“ motiviert sind. Das betrifft den Fall, dass die vom Staat angebotenen Bedingungen keine verantwortbare integrative Unterrichtung ermöglichen und die Eltern unter diesen Bedingungen keine integrative Unterrichtung wünschen; das kann aber auch der Fall sein, wenn zwar die Voraussetzungen für eine verantwortbare integrative Unterrichtung vorliegen, die Eltern aber dennoch aus Gründen des Kindeswohls die Förderschule vorziehen. Es wurde bereits dargelegt, dass bei der konkretisierenden Ausgestaltung des Bildungsangebots für behinderte Kinder das Grundprinzip der Dienlichkeit und Förderlichkeit für das behinderte Kind bestimmend sein muss.44 Das folgt aus Art. 2 Abs. 1 GG, der die Respektierung der Personalität des Einzelnen und der daraus abzuleitenden Rechtspositionen zum Gegenstand hat. Zum Persönlichkeitsrecht des behinderten Kindes aber gehört es, dass man ihm die Option für eine Form der schulischen Betreuung und Unterrichtung offenhält, die seinen Bedürfnissen entspricht und bei der es sich gut aufgehoben fühlt. Bezogen auf die Rechtsposition des behinderten Kindes aus Art.  2 Abs.  1 GG ist daher die pauschale Diskreditierung des „Schonraum“-Arguments als „Schonraumfalle“, die man bei Vertretern der doktrinär und verabsolutierend gehandhabten Integrations- bzw. Inklusionsidee nicht selten antrifft, „eine Anmaßung gegen die Selbstbestimmung“.45 43

BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (184). Siehe oben sub Kap. 12 A. I. 2. 45 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 66. 44

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Diese Interessen und Rechte des behinderten Kindes aber werden in Ausübung ihres Erziehungsrechts von den Eltern wahrgenommen. An dieser Stelle bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass die mit integrativer Unterrichtung potenziell verbundenen „Belastungen“ des behinderten Schülers auch im Hinblick auf das aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitete elterliche Wahlrecht bezüglich des Bildungsweges ihres Kindes verfassungsrechtliche Relevanz besitzen. Das hat unmittelbare Konsequenzen für die systemische Ebene, d. h. die objektiv-institutionelle Gestaltung des staatlichen Bildungsangebotes für behinderte Kinder: Der Staat hat neben der integrativen Unterrichtung auch Förderschulen in jeweils zumutbarer Entfernung zur Verfügung zu stellen.

D. Verfassungsrechtliche Gewährleistung eines substanziellen Wahlrechts des behinderten Kindes und seiner Eltern bezüglich des Bildungsweges I. Spielraum und Grenzen staatlicher Schulhoheit bei der Strukturierung des Bildungsangebotes Die soeben dargestellte Positionierung des Bundesverfassungsgerichts in dessen Grundsatzentscheidung vom 8.10.1997 zur Organisation sonderpädagogischer Förderung stellt keinen Widerspruch dar zu der von dem Gericht in ständiger Rechtsprechung getroffenen  – in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfas­ sungsgerichts allerdings nicht enthaltenen  – Aussage, dass „das Grundgesetz keinen Maßstab für die pädagogische Beurteilung von Schulsystemen [gibt]“46 und dass die für das Schulwesen zuständigen Länder bei der Wahrnehmung der dem Staat nach Art. 7 Abs. 1 GG zukommenden Befugnisse zur Gestaltung des Schulwesens „eine weitgehende eigenständige Gestaltungsfreiheit“47 haben. Denn im gleichen Atemzug stellt das Bundesverfassungsgericht zu dieser „weitgehenden Entscheidungsfreiheit“ der Länder fest: „Sie ist jedoch eingeschränkt, soweit übergeordnete Normen des Grundgesetzes ihr Grenzen setzen (vgl. BVerfGE 6, 309 [354]; 34, 165 [181]; 59, 360 [377]). Das geschieht nicht nur durch das – seinerseits einschränkbare – Recht des Schülers auf möglichst ungehinderte Entwicklung seiner Persönlichkeit, Anlagen und Befähigungen nach Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfGE 45, 400 [417] m. w. N.) und das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, das dem Erziehungsauftrag des Staates nach Art. 7 Abs. 1 GG gleichgeordnet zur Seite gestellt ist (vgl. BVerfGE 52, 223 [236]; stRspr). Grenzen setzt vielmehr auch das durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG neu geschaffene Benachteiligungsverbot.“48 46 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (185); Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (415). 47 BVerfG, Beschl. v. 26.2.1980, 1 BvR 684/78, BVerfGE 53, 185 (196); Urt. v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360 (377); Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (303). 48 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (303 f.).

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Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sind eine Bestätigung und Konkretisierung jenes Satzes, den das Gericht seinem soeben zitierten Satz, das Grundgesetz gebe keinen Maßstab für die pädagogische Beurteilung von Schulsystemen, unmittelbar folgen lässt und der nicht selten überlesen wird. Er lautet: „Es mag auch hier äußerste Grenzen geben, deren Überschreitung verfassungsrechtlich relevant wäre.“49 Ausgehend von dem Grundsatz, dass elterliches Erziehungsrecht und staatlicher Erziehungsauftrag zueinander nicht im Verhältnis der Über- und Unterordnung, sondern der Gleichordnung stehen und folglich „in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen“50 sind („praktische Konkordanz“51), stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „Der Staat muß deshalb in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen soweit offen sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt. […][52] Seine Aufgabe ist es, auf der Grundlage der Ergebnisse der Bildungsforschung bildungspolitische Entscheidungen zu treffen und im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten ein Schulsystem bereitzustellen, das den verschiedenen Begabungs 49 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (185); Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (415). 50 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (183). 51 Siehe hierzu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 2 Rn. 72. Das Gleiche ist gemeint, wenn zur Auflösung der Konfliktlinien zwischen Art. 7 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG von „Abwägungsfragen“ oder „differenzierter Zuordnung […], die je nach Erziehungsbereich andere Schwerpunkte aufweist“ (Boysen, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art.  7 Rn.  41 ff.) oder von einer „konkrete[n] Präferenzrelation“ (Jestaedt, in: Kahl/ Waldhoff/Walter, BK, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 343) gesprochen wird. Es sind dies keine Entscheidungskriterien bzw. -verfahren, von deren Anwendung bei der Abgrenzung von staatlicher Schulhoheit und Elternrecht hermeneutische Eindeutigkeit zu erwarten wäre. Es handelt sich vielmehr bei diesen „Harmonisierungsformeln“ im Ergebnis um „nichts anderes als die Heranziehung des von Grundrechtskollisionen her geläufigen ‚Konkordanz‘-Arguments“ (Schmitt-Kammler/Thiel, in: Sachs, Grundgesetz, Art.  7 Rn.  35, Fn.  97). Ossenbühl, Schule im Rechtsstaat, DÖV 1977, 801 (808), kommentiert dies so: „Indessen ist mit dieser Formel wohl die Ausweglosigkeit der Staatsrechtslehre im Erziehungswesen markiert, aber keineswegs auch nur der Ansatz einer Lösung geboten. […] Mit dieser Kritik soll keineswegs das Kooperationsmodell des Bundesverfassungsgerichts diffamiert werden. […] Wer aber soll das letzte Wort haben […]?“ Vgl. hierzu auch Huster, Endlich: Abschichtung statt Abwägung. Neues zum Verhältnis von schulischem Erziehungsauftrag und elterlichem Erziehungsrecht, DÖV 2014, 860 ff. 52 Vgl. hierzu Beyerlin, Schulische Integration und der Handlungsauftrag des Staates aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, RdJB 1999, 157 (159): „Auch wenn diese Feststellung des Bundes­ verfassungsgerichts nicht auf die schulische Erziehung behinderter Kinder gemünzt ist, so ist sie doch auch in dem hier interessierenden Kontext beachtlich.“ Bei diesem Kontext geht es dem Autor um die integrative Unterrichtung behinderter Kinder. Wenn der Autor die zitierte Aussage des Bundesverfassungsgerichts – zu Recht – auch in Anspruch nimmt für die von Eltern gewünschte integrative Unterrichtung, dann muss die Akzeptanz dieses Gedankens für das gesamte System der sonderpädagogischen Förderung gelten, d. h. auch für die FörderschulOption der Eltern.

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3. Teil: Förderschule

richtungen Raum zur Entfaltung läßt […]. […] Das Wahlrecht der Eltern zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen darf jedoch nicht mehr als notwendig begrenzt werden.“53

Dass sich hieraus eine Handlungspflicht des Staates ergibt, folgt aus der weiteren Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Schulsystem „hinreichenden Raum für eine Differenzierung nach der individuellen Leistungsfähigkeit“54 gewährleisten muss. Noch deutlicher wird dies vom Bundesverfassungsgericht in dem folgenden Satz ausgesprochen: „Allerdings kann die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen dort liegen, wo das Wahlund Bestimmungsrecht der Eltern angesichts nur noch einer einzigen vorhandenen obligatorischen Schulform mit einem vom Staat einseitig festgelegten Bildungsziel obsolet wird und leerläuft.“55

II. Bedeutung der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte Diese Abgrenzung staatlicher und elterlicher Befugnisse stellt die bereichsspezifische Konkretisierung dessen dar, was das Bundesverfassungsgericht bereits in seinen ersten Entscheidungen ausgesprochen hat: „Das Ermessen des Gesetzgebers findet […] seine Grenze nicht nur im Willkürverbot und in den ‚Konkretisierungen‘ des allgemeinen Gleichheitssatzes (insbesondere Art. 3 Abs. 2 und 3 GG), sondern auch in sonstigen Grundsatznormen, in denen für bestimmte Bereiche der Rechts- und Sozialordnung Wertentscheidungen des Verfassungsgebers ausgedrückt sind.“56

Zur Bedeutung der in Grundrechtsverbriefungen enthaltenen Wertentscheidungen stellt Maunz im Zusammenhang mit Ausführungen zum Elternrecht fest: Ein Grundrecht erschöpfe sich nicht in einer negativen Abwehrfunktion, die den Staat lediglich verpflichte, den Normkern zu achten und notfalls zu dessen Schutz tätig zu werden, sondern es enthalte auch eine positive Förderungsfunktion. Diese bestehe darin, dass sie den Staat zugunsten des Grundrechtsinhabers verpflichte, nicht nur störende Eingriffe in das Grundrecht zu unterlassen und abzuwehren, sondern darüber hinaus die Entfaltung und Geltendmachung des Grundrechts zu unterstützen und zu verstärken. Wertentscheidungen in Grundrechten schränkten also den Bereich des gesetzgeberischen Ermessens ein und forderten gleichzeitig den Gesetzgeber auf, in der Richtung auf Verwirklichung solcher Werte tätig

53 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (183 f., 185); ebenso: Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (415); Urt. v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360 (379 f.). 54 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (188). 55 BVerfG, Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (416). 56 BVerfG, Beschl. v. 17.1.1957, 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (71).

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zu werden.57 Zu dieser objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte58 heißt es in einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, „daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will (BVerfGE 2, 1 [12]; 5, 85 [134 ff., 197 ff.]; 6, 32 [40 f.]), in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt. Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse.“59

Diese „objektivrechtliche Inpflichtnahme des Staates“ durch die im Grundgesetz enthaltene Wertordnung bedeutet also, dass der Staat „nicht nur nicht in die Eigensphäre des jeweiligen Grundrechtsträgers eingreifen darf, sondern darüber hinaus hat er das Schulwesen im Sinne eines staatlichen Handlungsauftrags in einem Maße zu ordnen und zu gestalten, daß die Grundrechte der Eltern und Schüler optimal zur Geltung gelangen.“60 Hierbei ist, wie Ossenbühl zutreffend betont, „das Differenzierungsgebot als Organisationsmaxime für den staatlichen Gesetzgeber“61 von überragender Bedeutung. Gerade bei der Ausgestaltung des Schulsystems erweise sich, „daß Grundrechtspositionen durch organisatorische Regelungen tiefgreifend verletzt, aber auch gesichert werden können.“62 Im vorliegenden Kontext besteht Anlass, daran zu erinnern, dass Basis der in den oben angeführten spezifisch schulrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Aussagen eine anthropologische Grundtatsache ist, nämlich die Unterschiedlichkeit von Schülern in ihrer Begabung und Eignung. Die Relevanz dieser Kriterien erweist sich nicht erst bei der „Aufnahme in eine bestimmte Schulform“ und dem „Zugang zu den Schulen“, wie es etwa in Art. 27 Abs. 6 Verf. d. Saarl. bestimmt ist. Vielmehr setzt eine solche Regelung die Maßgeblichkeit dieser Kriterien für die Strukturierung des staatlichen Bildungsangebotes sachlogisch voraus. Bezogen auf die Situation behinderter Schüler aber sind es die aus der Behinderung resultierenden spezifischen Bedürfnisse kognitiver, emotionaler und sozialer Art, denen somit wegen ihrer Begabungs- und Eignungsrelevanz bei der Strukturierung des Bildungsangebotes Rechnung zu tragen ist.

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Maunz, Das Elternrecht als Verfassungsproblem, in: FS Scheuner, S. 419 (427). Siehe hierzu: Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat, Bd. 29 [1990], 1 ff.; Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat, Bd. 29 [1990], 49 ff.; Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: HStR V, § 109 Rn.  50 ff.; Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schul­ wesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? – Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, S. C 14, 37; Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, S. 30. 59 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7,198 (205). 60 Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, S. 30 f. 61 Ossenbühl, Elternrecht in Familie und Schule, S. 33. 62 Ossenbühl, ebd., S. 33. 58

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III. Grundrechte des behinderten Kindes und Elternrecht im Verhältnis zu Art. 7 Abs. 1 GG Gegenüber Art.  7 Abs.  1 GG und den dort normierten Befugnissen des Staates zur umfassenden Gestaltung des Schulwesens sind Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ein normativer Gegenpol. Hierbei verläuft die Abgrenzung zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 7 Abs. 1 GG einerseits und zwischen Art.  6 Abs.  2 Satz 1 GG und Art.  7 Abs.  1 GG andererseits „etwa parallel“.63 Das leitet sich, wie vom Bundesverfassungsgericht hervorgehoben wird, aus der Besonderheit des Elternrechts ab: Es unterscheide sich von den anderen Freiheitsrechten des Grundrechtskatalogs wesentlich dadurch, daß es keine Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern zum Schutze des Kindes gewähre. Es beruhe auf dem Grundgedanken, daß in aller Regel Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liege als irgendeiner anderen Person oder Institution. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG statuiere – dies komme deutlich im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck – Grundrecht und Grundpflicht zugleich. Man habe das Elternrecht daher ein fiduziarisches Recht, ein dienendes Grundrecht, eine im echten Sinne anvertraute treuhänderische Freiheit genannt.64 Ossenbühl spricht unter Hinweis auf „die starke und eindeutige Formulierung des Art.  6 Abs.  2 GG“ zu Recht von dem „Interpretationsprimat“ der Eltern „für die Bestimmung des Kindeswohls.“65 Was dabei das Verhältnis zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG betrifft, so weist Clemens zutreffend darauf hin, dass sich mit zunehmendem Alter der Schüler das Gewicht von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Art. 2 Abs. 1 GG verlagere. Bei sehr jungen Schülern werde kaum Raum für eigene Rechte oder Befugnisse aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern nur für solche der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sein. Die im Elternrecht des Art.  6 Abs.  2 Satz 1 GG wurzelnden Rechtsbefugnisse würden mit abnehmender Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit sowie zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes zurückgedrängt[66] und wüchsen diesem als eigene Rechtsbefugnisse aus Art. 2 Abs. 1 GG zu,[67] bis schließlich spätestens mit seiner Volljährigkeit das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG überflüssig und gegenstandslos werde und erlösche. Das dem Art.  7 Abs.  1 GG gegenüberzustellende „summierte Gesamtgewicht“ von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG werde wohl immer ungefähr gleich bleiben.68 Bezieht man den dieser Abstufung zugrunde liegenden Gedanken auf die Situation behinderter Kinder und ihre son 63

BVerfG, Beschl. v. 26.2.1980, 1 BvR 684/78, BVerfGE 53, 185 (203). BVerfG, Urt. v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360 (376 f.). 65 Ossenbühl, Schule im Rechtsstaat, DÖV 1977, 801 (808). 66 BVerfG, Urt. v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360 (382). 67 BVerfG, Urt. v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360 (387 f.); Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (74): „Der Jugendliche ist […] mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit.“ 68 Clemens, Grenzen staatlicher Maßnahmen im Schulbereich, NVwZ 1984, 65 (71). 64

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derpädagogische Förderung, so ist hier die Präponderanz der elterlichen Rechte aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG evident. IV. Inhalt des auf den Bildungsweg bezogenen Wahlrechts 1. Gegenstand der Wahl bei nichtbehinderten Kindern: Abschlussbezogener Bildungsgang Für die Eltern nichtbehinderter Kinder macht ein Mindestmaß an Auswahl­­ möglichkeit im Hinblick auf Bildungsgänge weiterführender Schulformen und die damit erreichbaren unterschiedlichen Bildungsabschlüsse das Wesen ihres Rechts zur Bestimmung des Bildungsweges ihres Kindes aus. Nur mit einem System gestufter Abschlüsse kann der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und den unterschiedlichen Interessen und Neigungen der nichtbehinderten Schüler sowie den Vorstellungen ihrer Eltern über den Bildungs- und Berufsweg des Kindes Rechnung getragen werden. Das Anforderungs- und Leistungsprofil des Hauptschulabschlusses, des mittleren Bildungsabschlusses und der allgemeinen Hochschulreife entspricht bei der hier angezeigten typisierenden Betrachtungsweise der Unterschiedlichkeit der Anforderungen, die mit dem von dem Schüler und seinen Eltern angestrebten Lebens- und Berufsweg verbunden sind. Die objektivrechtliche Pflicht des Staates, eine derartige Auswahlmöglichkeit anzubieten, resultiert aus dem Bildungsanspruch des nichtbehinderten Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG und aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 Verf. d Saarl. sowie aus dem Recht der Eltern zur Bestimmung des Bildungsweges ihres Kindes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. Dabei hat der Staat weitgehend freie Hand, ob er diese Abschlüsse innerhalb eines gegliederten Schulsystems in eigenständigen Schulformen anbietet oder als Bildungsgänge innerhalb eines integrierten oder teilintegrierten Schulsystems. 2. Gegenstand der Wahl bei behinderten Kindern: Kognitives, emotionales und soziales Lernumfeld In mindestens dem gleichen Maße ist es für die Eltern eines behinderten Kindes essentiell, ihr Kind einer Förderschule anvertrauen zu können, statt auf seine integrative Unterrichtung verwiesen zu sein. Bei diesen Kindern geht es  – von einer geringen Zahl von Fällen im Bereich der ausschließlich körperlichen Behinderungen und der ausschließlich in Gestalt einer Sinnesbeeinträchtigung bestehenden Behinderung abgesehen – nicht um die Wahl zwischen Bildungs­gängen, die zum Hauptschulabschluss, zu einem mittleren Bildungsabschluss oder zur allgemeinen Hochschulreife führen. Der größte Teil  der behinderten Schüler mit sonder­pädagogischem Förderbedarf, nämlich etwa 80 %,69 hat mehr oder weniger 69

Siehe oben sub Kap. 2 A. I. 2. b) cc).

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stark ausgeprägte mentale Beeinträchtigungen (Lernbehinderung, geistige Behinderung). Bei diesen Kindern und Jugendlichen liegt ein anderer Abschluss als der Hauptschulabschluss strukturell außerhalb der Reichweite ihrer Leistungsfähigkeit.70 Das kann nicht nachdrücklich genug gesagt werden. Vielmehr geht es bei den behinderten Kindern und Jugendlichen mit mentalen Beeinträchtigungen um die Wahl des bestmöglichen Lernumfeldes in kognitiver, emotionaler und sozialer Hinsicht. Eltern, die in Kenntnis der wirklichen Bedürfnisse ihres behinderten Kindes dieses aus von ihnen wohlerwogenen pädagogischen Gründen lieber einer Förderschule anvertrauen wollen, als es der Unterrichtssituation der regulären Klasse einer allgemeinen Schule auszusetzen, haben das Elternrecht auf ihrer Seite. Sie können geltend machen, dass die Wahl des Förderortes für ein behindertes Kind mit mentalen Beeinträchtigungen unter dem Gesichtspunkt der gesamtpersonalen Betroffenheit nicht weniger grundrechtsrelevant ist als die Auswahlmöglichkeit für Eltern eines nichtbehinderten Schülers zwischen verschiedenen, nach dem Anspruchsniveau gestuften Bildungsgängen an den allgemeinen Schulen. Daher ist es im Hinblick auf das Wohl des behinderten Kindes und das Elternrecht nicht zu verantworten, ein Kind auch gegen den Willen der Eltern in die integrative Unterrichtung zu zwingen. Für das Wohl des behinderten Kindes als der Richtschnur, an der sich jede Art von sonderpädagogischer Förderung unabhängig von ihrer Organisationsform auszurichten hat, ist der innerpsychische Aspekt des emotionalen Wohlbefindens von überragender Bedeutung. Dieses Sich-Wohl­ fühlen berührt den Kern dessen, was aus der Personalität des behinderten Kindes folgt und mit Blick auf seine Würde Achtung gebietet. Für die Entfaltung der Persönlichkeit kann die Bedeutung der sozial-emotionalen Integration nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Sich-Wohlfühlen des Betroffenen als Kriterium pädagogisch verantwortlicher Entscheidungen stellt einen Wert an sich dar. 70 Angesichts dieser Tatsache erstaunt es, wenn Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 713, gegen die Förderschulen ins Feld führen: „Problematisch war und ist auch, dass an den Schulen (sc. Förderschulen) eben doch nicht alle Bildungsgänge angeboten werden, so dass das Abitur und teilweise auch schon ein mittlerer Bildungsabschluss nur auf Umwegen erreichbar sind.“ Für die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die ausschließlich körperbehindert oder sehbehindert oder schwerhörig sind und die die intellektuellen Voraussetzungen für den mittleren Bildungsabschluss oder das Abitur besitzen, bot die zielgleiche integrative/inklusive Unterrichtung immer schon die entsprechende Bildungsmöglichkeit. Die Förderschule Sprache, die für Schüler mit schweren Sprachstörungen unverzichtbar ist, wenn eine weitere Verschlimmerung der Symptomatik verhindert werden soll, ist ohnehin eine Durchgangsschule. Von den Schülern der Förderschule soziale und emotionale Entwicklung sind viele lernbehindert. Es bleibt die Gruppe der normal begabten blinden, gehörlosen und körperbehinderten Schüler, die aus behinderungsspezifischen Gründen oder mangels der entsprechenden personellen oder sächlichen Rahmenbedingungen nicht an der allgemeinen Schule unterrichtet werden können und die daher an der Förderschule unterrichtet werden. Für diese aller Erfahrung nach sehr geringe Zahl von Schülern besteht die Möglichkeit, den höheren Abschluss an einer der entsprechenden bundesweit zentralisierten Internatsschulen zu besuchen. Es ist nicht nachvollziehbar, wie Rux/Niehues angesichts dieser Tatsachen hier ein Argument gegen Förderschulen glauben erkennen zu können.

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Eltern, die ihr behindertes Kind nicht der Wettbewerbssituation einer Regelklasse der allgemeinen Schule aussetzen wollen, um ihm Ängste, Verlust jeglicher Motivation und Frustration zu ersparen, dürfen nicht in eine defensive Position gedrängt werden: Sie haben sich gegenüber niemandem zu rechtfertigen. Auch der Hinweis auf größere Lernfortschritte, die bei integrativer Unterrichtung gesehen werden, rechtfertigt es nicht, den Eltern die Möglichkeit der Wahl zwischen Förderschule und integrativer Unterrichtung zu verweigern. Zwangsinklusion verletzt das Recht des behinderten Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Satz 1 Verf. d. Saarl. Sie verstößt auch gegen das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. „Denn die Entscheidung, ob ein Kind mit Behinderungen auf eine Schule gehen soll, in der es gemeinsam mit anderen Kindern mit Behinderungen quasi in einem geschützten Raum unterrichtet wird oder ob es eine Schule besucht, in der es mit Schülern ohne Behinderungen zusammen kommt, steht in einem untrennbaren und sehr engen Zusammenhang mit der Erziehung des Kindes.“71 Wenn informierte und verantwortungsbewusste Eltern zu der Überzeugung gelangen, dass die Unterrichtssituation an einer Förderschule unter Berücksichtigung aller kognitiven, emotionalen und sozialen Aspekte bessere Voraussetzungen als die integrative Unterrichtung dafür bietet, dass sich das Bildungspotenzial und die Persönlichkeit ihres behinderten Kindes entfalten können, dann nehmen sie damit eine für die Ausübung des Elternrechts verfassungsrechtlich relevante Position ein. Die „primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern“, so das Bundesverfassungsgericht, „beruht auf der Erwägung, daß die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden.“72 Speziell mit Blick auf die sonderpädagogische Förderung behinderter Kinder betont das Bundesverfassungsgericht: „Die Vorstellungen der Eltern und der Kinder und Jugendlichen darüber, wie deren schu­lische Erziehung und Unterrichtung gestaltet und an welcher Schule sie begonnen oder fortgesetzt werden sollen, haben allerdings im Hinblick auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und des Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich großes Gewicht.“73

Diese Aussagen behalten ihre Gültigkeit auch in Anbetracht dessen, was das Bundesverfassungsgericht mit der Vorgabe „unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnis“74 anspricht. Bei einem unvoreingenommenen pädagogischen Vergleich zwischen Förderschule und integrativer Unterrichtung steht am Ende die Feststellung, dass von der oft vollmundig behaupteten generellen Überlegenheit der integrativen Unterrichtung keine Rede sein kann. Ein empirischer Beleg für diese angebliche generelle Überlegenheit liegt trotz gegenteiliger Behauptungen bis heute nicht vor.75 Das Bild, 71

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 67. BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (184). 73 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308). 74 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). 75 Siehe oben sub Kap. 13 D. 72

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3. Teil: Förderschule

das sich bei einem Blick auf den Forschungsstand ergibt, ist ein Beleg für die Unerlässlichkeit einer differenzierenden Sicht- und Vorgehensweise. Das gilt für die grundsätzlichen anthropologisch-pädagogischen Aspekte, das gilt aber auch für den jeweiligen empirischen Befund. Zu Letzterem gehören z. B. die im Saarland höchst unzulänglichen personellen Rahmenbedingungen, die in einer großen Zahl von Fällen eine verantwortbare integrative Unterrichtung nicht ermöglichen. Das ist evident angesichts der Tatsache, dass im Saarland im Landesdurchschnitt nur 1,67 Ambulanzlehrer-Wochenstunden für die sonderpädagogische Förderung eines behinderten Kindes pro Woche zur Verfügung stehen.76 Die vom Gericht für relevant erachtete „pädagogisch-wissenschaftliche Erkenntnis“ kann nicht reduziert werden auf Theorien, Lehrmeinungen und Konzeptentwürfe. Vielmehr hat sie auch dem empirischen Befund, d. h. der pädagogischen Wirklichkeit und der Realität in der Schulpraxis Rechnung zu tragen. Die Art und Weise der Realisierung bzw. die praktische Realisierbarkeit eines pädagogischen Konzepts kann nicht ausgeblendet werden. Nur bei Beachtung auch des Realbefundes ist der Wissenschaftlichkeit der pädagogischen Erkenntnis, an der sich nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidungen zum System der sonderpädagogischen Förderung auszurichten hat, Rechnung getragen. Die Konsequenzen für den Bildungsanspruch des behinderten Kindes und das elterliche Wahlrecht liegen auf der Hand: Auch angesichts dessen, was das behinderte, insbesondere zieldifferent zu unterrichtende Kind in vielen Fällen bei dieser Art von integrativer/inklusiver Unterrichtung in der schulischen Praxis z. B. im Saarland zu erwarten hat, muss für das Kind eine Förderschule zur Verfügung stehen, wenn seine Eltern diesen Lernort für den besseren halten. V. Konsequenzen für die systemische Ebene 1. Gewährleistung der tatsächlichen Möglichkeit der Auswahl für das behinderte Kind und seine Eltern a) Grundsätzliches zum Wahlrecht im Falle von Behinderung Die Betonung des elterlichen Rechts zur Bestimmung des Bildungsweges ihres Kindes wäre wertlos, wenn in ihr nicht gleichzeitig auch die Bereitschaft und die Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung der entsprechenden Voraussetzungen auf der systemischen, d. h. objektiv-institutionellen Ebene mit umfasst wäre. Der Staat, dessen eigenständiger Erziehungsanspruch im Schulbereich dem der Eltern nicht über-, sondern gleichgeordnet ist,77 hat angesichts der personalen Betroffenheit des behinderten Kindes und des in der hoch sensiblen Frage 76

Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle oben sub Kap. 7 E. I. am Anfang. BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34,165 (183); Beschl. v. 16.10.1979, 1 BvR 647/70 und 7/24, BVerfGE 52, 223 (236). 77

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des Lernortes berührten elterlichen Interesses nicht das Recht, bei der Gestaltung seines Unterrichtsangebotes für behinderte Kinder den Eltern die objektive Möglichkeit einer Auswahl zu verweigern. Um es noch deutlicher zu sagen: Es geht hier nicht darum, höchst individuellen Vorstellungen und Partikularinteressen von Eltern nach Erfüllung ausgefallener, extravaganter Wünsche zur Gestaltung des staatlichen Bildungsangebotes zu entsprechen. Es geht nicht darum, individuellen Präferenzen von Eltern bezüglich der Struktur des Schulsystems Rechnung zu tragen. Vielmehr geht es ausschließlich um ein „substantielles Wahlrecht“,78 d. h. auch den Eltern eines behinderten Kindes muss überhaupt eine Auswahlmöglichkeit zur Verfügung stehen. Es geht ausschließlich darum, ob die Eltern eines behinderten Kindes eine einzige, aber im Hinblick auf das Kindeswohl existenziell wichtige Auswahlmöglichkeit haben sollen. Da sich diese Optionsmöglichkeit, wie dargelegt, bei behinderten Schülern nach Lage der Dinge im Wesentlichen nur auf die Wahl des Lernortes beziehen kann, hat der Staat in seinem Bildungsangebot für behinderte Schüler sowohl die sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule als auch die Förderschule bereitzuhalten. Das gilt insbesondere für Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen, prinzipiell aber auch für behinderte Schüler ohne intellektuelle Beeinträchtigung. Dieses Auslegungsergebnis glauben Faber/Roth unter Berufung auf ständige Rechtsprechung in Frage stellen zu können. Danach schließe das Elternrecht „lediglich das Recht ein, zwischen bestehenden Schulformen zu wählen.“79 Sie weisen hierbei insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach die Eltern das Recht zur Auswahl „zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen“80 besitzen. Doch übersehen die Autorinnen dabei einen wesentlichen Unterschied in der Ausgangslage. Denn es ging in den diesbezüglichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ausnahmslos um Fallgestaltungen, die mit dem System sonderpädagogischer Förderung nichts zu tun hatten. Es betraf ausschließlich die Organisation und innere Ausgestaltung von weiterführenden Bildungsgängen für nichtbehinderte Schüler. Dort stand die essentielle Frage der Existenz gestufter Bildungsabschlüsse nicht zur Diskussion. In diesen Fällen ging es um Detailfragen der Organisation der Schulformen und Bildungsgänge für nichtbehinderte Schüler 78 So die treffende Formulierung von Jestaedt, Schule und außerschulische Erziehung, in: HStR VII, § 156 Rn. 86. 79 So z. B. Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1198) (Hervorh. im Original). 80 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (185); siehe auch Beschl. v. 24.10.1980, 1 BvR 471/80, NVwZ 1984, 89; BVerfG-K (Vorprüfungsausschuss), Beschl. v. 6.2.1984, 1 BvR 1204/83, NVwZ 1984, 781. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1994, 6 NB 3.94, Buchholz 421, Kultur- und Schulwesen, Nr. 115, S. 10 (13). Auf diese Entscheidungen wird verwiesen in den von Faber/Roth zitierten Beschlüssen des OVG NRW vom 13.5.2002, 19 A 3100/01, Rn. 23, http://www.juris.de (Zugriff: 28.9.2012), und vom 16.4.2003, 19 B 403/03, Rn. 48, http://www.juris.de (Zugriff: 15.1.2012).

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in konzeptionell-struktureller Hinsicht oder um die lokale Organisation des Bildungsangebotes unter dem Aspekt der Erreichbarkeit in zumutbarer Entfernung. Es ging also um Details, um Nuancen und mehr oder weniger subjektiv-individuelle Vorstellungen von Eltern über die Binnenstrukturierung eines Bildungsangebotes, bei dem die faktische Möglichkeit der Auswahl zwischen gestuften Abschlüssen und den entsprechenden Schulformen bzw. Bildungsgängen aber nicht in Frage stand. Für die Beurteilung solcher Detailfragen bietet die Bundesverfassung in der Tat keine Handhabe. Es überrascht daher nicht, wenn das Bundes­ verfassungsgericht mit Blick auf solche strukturellen und inhaltlichen Konkretisierungen ebenfalls in ständiger Rechtsprechung feststellt: „Das Grundgesetz gibt keinen Maßstab für die pädagogische Beurteilung von Schulsystemen.“81 Für die konkrete Gestaltung von Schulformen und Bildungsgängen besteht insoweit also ein weitreichender Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers. Demgegenüber geht es im vorliegenden Kontext um die Frage, ob auch den Eltern eines behinderten Kindes die faktische Möglichkeit einer Auswahl geboten werden muss. Dabei kann es, wie oben aufgezeigt, nur um die Wahl des Lernortes gehen, d. h. um die Wahl zwischen der integrativen Unterrichtung und der Förderschule. Hier geht es um die Grenzen staatlicher Maßnahmen im Schulbereich. Denn das Bundesverfassungsgericht stellt mit der Formulierung, das Grundgesetz gebe keinen Maßstab für die pädagogische Beurteilung von Schulsystemen, dem Landesgesetzgeber mitnichten einen Blankoscheck aus. Zu dieser Annahme kann nur gelangen, wer den Satz überlesen hat, den das Bundesverfassungsgericht der zitierten Aussage unmittelbar folgen lässt, nämlich: „Es mag auch hier äußerste Grenzen geben, deren Überschreitung verfassungsrechtlich relevant wäre.“82 Mit einer Entscheidung im Sinne der Markierung einer äußersten, absoluten Grenze hat man es bei der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art.  3 Abs. 3 Satz 2 GG und zu Fragen des Systems der sonderpädagogischen Förderung zu tun.83 Wie oben aufgezeigt, ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein auf den Bildungsweg bezogenes Wahlrecht für die Eltern behinderter Kinder abzuleiten ist und folglich der Staat hierfür auf der systemischen, d. h. der objektiv-institutionellen Ebene die Voraussetzungen zu schaffen hat. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung eines hinreichend differenzierten Bildungsangebotes gilt auch für behinderte Kinder und hat deren spezifischer Situation Rechnung zu tragen. Bei ihnen geht es nicht um das Angebot gestufter Abschlüsse mit unterschiedlichem Anforderungsprofil und die Organisation 81 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (185); Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (415). 82 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfG 34, 165 (185); Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 401 (415). Kiefer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Schulreform im Saarland, LKRZ 2010, 131 (132): „In der öffentlichen Diskussion entsteht nicht selten der Eindruck, die Gestaltungsfreiheit der Politik in diesem Bereich sei nahezu grenzenlos.“ 83 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff.

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dieses Bildungsangebotes in Schulformen oder Bildungsgängen, sondern um den Lernort im Sinne des in kognitiver, emotionaler und sozialer Hinsicht aus der Sicht des Kindes bzw. seiner Eltern bestmöglichen Lernumfeldes. Die Gewährleistung eines „substantiellen Wahlrechts“84 85, d. h. der objektiven Möglichkeit einer Auswahl, steht auch beim Bildungsangebot für behinderte 84

So Jestaedt, Schule und außerschulische Erziehung, in: HStR VII, § 156 Rn. 86; Clemens, Grenzen staatlicher Maßnahmen im Schulbereich, NVwZ 1984, 65 (69), spricht von einem „Mindestwahlrecht“. Auf die gleiche Grundaussage trifft man bei folgenden Autoren: Höfling, Elternrecht, in:HStR VII, § 155 Rn. 94: „Allerdings muß den Eltern die Wahl unter verschiedenen Schulformen erhalten bleiben. Die staatliche Verpflichtung, ein dies ermöglichendes Angebot differenzierter Schulformen bereitzuhalten, widerstreitet regional umfassenden Einheitsmodellen.“; Rennert, Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Schulrecht, DVBl. 2001, 504 (505): „Aus Art. 6 Abs. 2 GG begründet sich […] die objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, ein differenziertes Schulangebot zur Verfügung zu stellen.“; Geis, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 7 Rn. 38: „Es ist aber Aufgabe des Staates, durch ein ausreichendes Angebot von leistungsfähigen öffentlichen Schulformen für eine echte Wahlmöglichkeit zu sorgen.“; Frowein, Das Verfassungsgebot des gegliederten Schulwesens in NordrheinWestfalen, in: FS Ipsen, S. 31 (41 f.): „Das Bundesverfassungsgericht geht erkennbar davon aus, daß das Elternrecht seine Entsprechung in Wahlmöglichkeiten finden muß, die zwischen den verschiedenen Ausbildungsgängen bestehen müssen. […] Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen, daß ein mit dem Grundgesetz übereinstimmendes Schulsystem effektive Wahlmöglichkeiten und Alternativen enthalten muß.“; Kingreen, Schulvielfalt, Elternwille und Bürgerwille, NVwZ 1997, 756 (757): „Das Grundgesetz enthält also grundsätzlich eine Verpflichtung des Staates, ein mehrgliedriges Schulsystem anzubieten, und es muß die Möglichkeit bestehen, zwischen den verschiedenen Schulformen zu wählen und diese auch in zumutbarer Weise besuchen zu können.“; Ossenbühl, Elternrecht in Familie und Schule, S. 32: „Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist aber seinerseits real nur dann gewährleistet, wenn das staatliche Schulsystem den unterschiedlichen Begabungen und Talenten der Kinder in ausreichender Differenzierung Rechnung trägt. […] Dieses Kindesgrundrecht auf Persönlichkeitsentfaltung und das ihm zugeordnete elterliche Erziehungsrecht erfordern von Verfassung wegen eine ausreichend differenzierte Schulorganisation mit Differenzierungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und -willigkeit der einzelnen Kinder“; Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, S. 40, fordert als Voraussetzung für eine effektive Wahrnehmung des Elternrechts, dass für sie „die Möglichkeit besteht, eine schulische Erziehung für ihr Kind zu wählen, die ihren Wertvorstellungen entspricht, setzt also Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der weltanschaulichen, bekenntnismäßigen oder pädagogischen Ausrichtung der Schule voraus“ (Hervorh. d. Verf.); Eiselt, Die Begrenzung schulorganisatorischer Entscheidungen von Legislative und Exekutive durch Kindes- und Elternrechte, DÖV 1979, 845 (850): „Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darf nicht zu einer Verkürzung dessen führen, was die Verfassung in allem Wandel unverändert gewährleisten will, namentlich nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten garantierten individuellen Freiheiten, ohne die nach der Konzeption des Grundgesetzes ein Leben in menschlicher Freiheit nicht möglich ist; der Gesetzgeber darf daher nicht alle Schüler in eine Schule zwingen, in der das Recht des Schülers auf bildungsmäßige Entfaltung und das Recht der Eltern auf Bestimmung des Bildungsweges des Kindes verkümmert sind.“ 85 Siehe hierzu auch HessStGH, Urt. v. 20.12.1971, P. St. 608.637, DÖV 1972, 285 (286): Danach muss der Staat „verschiedene Schulformen zur Verfügung stellen, die den unterschiedl. Bildungserfordernissen der Allgemeinheit und der Herstellung gleicher Bildungschancen gerecht werden.“ In HessStGH, Beschl. v. 30.12.1981, P. St. 880, ESVGH 32, 1 (8), heißt es: „Der Staat darf nicht die gesamte Schulausbildung durch einheitliche schulorganisatorische Maß-

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Kinder nicht zur Disposition des Staates im Rahmen seiner Befugnisse aus Art. 7 Abs.  1 GG. Denn dem Begriff des Wahlrechts ist immanent, dass „mindestens zwei Wege“ eröffnet sind, also „eine zumutbare Ausweichmöglichkeit bestehen“86 muss. Wenn das Bundesverfassungsgericht betont, dass das Wahlrecht „nicht mehr als notwendig begrenzt werden darf“,87 dann impliziert dieses verfassungsgerichtliche Diktum, dass der Staat verpflichtet ist, eine objektive Auswahlmöglichkeit zu gewährleisten.88 In der Verweigerung einer zumutbaren Alternative läge ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und damit eine Überschreitung der äußersten Grenzen, die dem Staat bei seinen Gestaltungsbefugnissen gesetzt sind.89 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, einem Recht der Eltern, zwischen integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschule zu wählen, stünden nahmen regeln. Er muß ein Schulsystem bereitstellen, das den verschiedenen Begabungsrichtungen Raum zur Entfaltung einräumt und den Eltern die Wahl zwischen den Bildungswegen freistellt. Auch für das Wahlrecht der Eltern nach der Hessischen Verfassung gilt, daß der Staat nicht nur eine Schulart einrichten darf, so daß das Wahlrecht der Eltern faktisch ausgeschlossen wird.“ 86 Maunz, Das Elternrecht als Verfassungsproblem, in: FS Scheuner, S. 419 (428). An dieser Stelle des Beitrages, der sich aus Anlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur obligatorischen Förderstufe in Hessen (BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 ff.), mit den Rechten der Eltern bei der Wahl des Bildungsweges ihres Kindes befasst, heißt es erläuternd: „Zum Vergleich kann darauf verwiesen werden, daß in einem freiheitlichen demokratischen Staat, der den Bürgern das Wahlrecht zwischen politischen Parteien gibt, mindestens zwei Parteien vorhanden sein müssen. Läßt der Staat nur eine Partei zu, so hat das Wahlrecht den Sinn verloren, der ihm in der freiheitlichen Demokratie zukommt.“ 87 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (185). 88 Vgl. hierzu auch Beaucamp, Das Behindertengrundrecht (Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG) im System der Grundrechtsdogmatik, DVBl. 2002, 997 (1002): „Genausowenig wie ein genereller Ausschluss gemeinsamen Unterrichts verfassungsrechtlich zulässig wäre, erscheint eine verbindliche Verpflichtung zum Besuch einer integrierenden allgemeinen Schule gegen den Wunsch der Eltern des behinderten Kindes vereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG. Denn die Verfassungsbestimmung sichert den Eltern ein Wahlrecht zwischen verschiedenen staatlichen Bildungswegen. Diese Wahlfreiheit der Eltern darf nur aus sachlich zwingenden Gründen ein­ geschränkt werden.“ 89 Siehe hierzu auch Kohl, Schule und Eltern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts, in: FS Faller, S. 201 (208): „Den Eltern muß […] auf jeden Fall ein ausreichendes Wahlrecht zwischen verschiedenen Ausbildungsgängen eröffnet werden. Anderenfalls wäre das Grundrecht ihrer Kinder auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihr elterliches Bestimmungsrecht seinem Wesensgehalt nach tangiert.“ Ders., ebd., S.  209: „Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen wäre […] dann überschritten, wenn dieses Wahlrecht praktisch beseitigt […] würde.“ Kohl war von 1979 bis 1982 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesverfassungsrichters Hans Joachim Faller. Zu dessen „besonderen Verdiensten“ gehöre es, so Kohl, ebd., S.  201, „die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich des Schulrechts entscheidend beeinflußt und mitgeprägt zu haben. Ausgehend vom Förderstufenurteil über die Entscheidung zur Sexualkunde und zur gymnasialen Oberstufenreform bis zum Gesetzesvorbehalt im Schulrecht und zum Schweigerecht der Schülerberater spannt sich der Bogen der verfassungsrechtlichen Bestimmung und Begrenzung des Schul- und Bildungsrechts […].“

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die beschränkten Ressourcen personeller und sächlicher Art entgegen. Denn in Wirklichkeit verhält es sich genau umgekehrt: Wie oben aufgezeigt, ist eine verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung mit einem mehrfach höheren Personalaufwand verbunden als die sonderpädagogische Förderung in Förderschulen.90 Erst recht ist das Kostenargument im vorliegenden Kontext ohne jeglichen Überzeugungswert, seit im Zuge der Einführung der „inklusiven Schule“ durch das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.201491 der bis dahin in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierte Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt aufgegeben wurde. b) Erreichbarkeit der Förderschule in zumutbarer Weise Aber nur dann ist das Wahlrecht des behinderten Kindes und seiner Eltern gewahrt, wenn die Option für die Förderschule nicht nur aufgrund der geltenden schulrechtlichen Bestimmungen möglich ist, sondern in der Praxis auch realisiert werden kann. „Dazu gehört insbesondere, daß die Wege zu den Schulen, deren Besuch sie beanspruchen können, für die Kinder zumutbar sind.“92 Dieser Hinweis ist geboten, weil im Zuge der Kampagne für die „inklusive Schule“ zwar von offizieller Seite das Wahlrecht der Eltern betont wird, jedoch Anlass zu der Befürchtung besteht, dass die Forcierung dieses Projektes über kurz oder lang nachhaltige Auswirkungen auf das ohnehin nicht dichte Netz von Förderschulen haben und dieses schließlich bis zur Funktionsunfähigkeit ausdünnen und am Ende zerstören wird. Mit der im Saarland durch das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze vom 25.6.201493 ergangenen Regelung zur inklusiven Schule in den §§ 4 und 4a SchoG 2014 sowie in den §§ 5 und 6 SchpflG 2014 wurden hierfür die normativen Voraussetzungen geschaffen.94 Doch kann sich der Staat – und damit sind hier sowohl die staatliche Schuladministration in Gestalt des Kultusministeriums als auch die kommunalen Schulträger gemeint – angesichts der Tatsache, dass in diesem Falle Grundrechte des Schülers und seiner Eltern tangiert sind, nicht mit dem Hinweis auf „zwingende Gründe“, etwa solche finanzieller Art, exkulpieren. Die finanziellen 90

Siehe oben sub Kap. 3 B. I. und II. und Kap. 4 A. III. 2.  Amtsbl. I S. 296. 92 Clemens, Grenzen staatlicher Maßnahmen im Schulbereich, NVwZ 1984, 65 (71). Siehe hierzu auch: Kingreen, Schulvielfalt, Elternwille und Bürgerwille, NVwZ 1997, 756 (757); Kiefer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Schulreform im Saarland, LKRZ 2010, 131 (134). Die Erreichbarkeit einer Schulform „in zumutbarer Weise“ wurde vom VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (324 f.), als Element der Existenzgarantie im Rahmen der von dem Gericht aus Art. 27 Abs. 4 Satz 2 Verf. d. Saarl. 1969 abgeleiteten institutionellen Garantie der Hauptschule bezeichnet. Siehe zur Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs VG d. Saarl., Beschl. v. 30.7.1991,1 F 80/91, amtl. Umdruck S. 9 f. Zur Zumutbarkeit des Schul­weges siehe auch Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 1340 ff. 93 Amtsbl. I S. 296. 94 Im Einzelnen werden die möglichen Konsequenzen für das Förderschulangebot im Saarland unten sub Kap. 17 C. aufgezeigt. 91

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3. Teil: Förderschule

Konsequenzen, auf die sich der Staat berufen würde, sind die zwangsläufige Folge einer Situation, die der Staat durch sein gesetzgeberisches und faktisches Handeln herbeigeführt und folglich zu verantworten hat.95 2. Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 7 Abs. 1 GG Diese Folgerungen aus dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes und dem Recht der Eltern auf Bestimmung seines Bildungsweges findet ihre Bestätigung auch in den expliziten Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 7 Abs. 1 GG. So könne „dem Oberverwaltungsgericht auch in der Beurteilung des Verhältnisses von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zur staatlichen Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Zwar haben die Bundesländer […] im Bereich des Schulwesens eine weitgehende Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit. Diese Freiheit schließt grundsätzlich die Entscheidung des Landesgesetzgebers darüber ein, wie und in welcher Schulform den spezifischen Erziehungs- und Ausbildungsbedürfnissen behinderter Schüler Rechnung getragen werden soll. Jedoch wird die staatliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG eingeschränkt. Als Grundrecht bindet diese Norm wie jedes andere Grundrecht die gesamte staatliche Gewalt (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Deshalb kann nicht diese die Wirkung der Grundrechte begrenzen, wie es das Oberverwaltungsgericht für die staatliche Schulaufsicht in ihrer Beziehung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG annimmt.“96

Diese Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bezogen sich in dem zu entscheidenden Fall auf den Versuch des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, die staatliche Schulhoheit gegen den Antrag auf integrative Unterrichtung und die Berufung der Schülerin auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auszuspielen. Sie müssen entsprechend auch für den umgekehrten Fall gelten, d. h. wenn die integrative Unterrichtung wegen der Art oder des Grades der Behinderung oder wegen Fehlens der erforderlichen personellen, sächlichen oder organisatorischen Voraussetzungen „ausgeschlossen“ ist oder die Eltern das behinderte Kind nicht den mit der integrativen Unterrichtung verbundenen „Belastungen“ – so die Diktion des Bundesverfassungsgerichts97 – aussetzen wollen und seine Unterrichtung 95 Vgl. hierzu Clemens, Grenzen staatlicher Maßnahmen im Schulbereich, NVwZ 1984, 65 (69). Der Aspekt der etwaigen Verantwortlichkeit des Staates „aus vorausgegangenem Tun“ für die Aufrechterhaltung eines Bildungsangebotes wird vom VG d. Saarl., Beschl. v. 30.7.1991, 1 F 80/91, amtl. Umdruck S. 11, thematisiert. In dem betreffenden Fall hatte das Gericht die Frage aufgeworfen, ob der Staat dadurch gegen die in Art. 27 Abs. 4 Satz 2 Verf. d. Saarl. 1969 normierte institutionelle Garantie der Hauptschule [siehe VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (312, 321), sowie oben sub Kap. 11 B. I. 3. b) bb) (1)] verstieß, dass möglicherweise die von der Schulaufsichtsbehörde genehmigte Errichtung der Gesamtschule Mettlach-Orscholz für den deutlichen Schülerrückgang der Hauptschule Perl ursächlich war und dadurch deren Existenz gefährdet wurde. 96 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (313). 97 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307 f.).

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in einer Förderschule wünschen. Wenn das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Bildungsangebot für nichtbehinderte Schüler die Pflicht des Staates anerkennt, „hinreichenden Raum für die Differenzierung nach der individuellen Leistungsfähigkeit“98 zu „schaffen“99, dann muss diese Anerkennung einer Differenzierungsnotwendigkeit und der aus ihr resultierenden objektiven Verpflichtung des Staates in gleicher Weise gelten für behinderte Schüler. Denn deren Leistungsfähigkeit steht in untrennbarem Zusammenhang mit ihrer Behinderung und den dadurch ausgelösten spezifischen Bedürfnissen kognitiver, emotionaler und sozialer Art. Um es noch deutlicher zu sagen: Auch hier geht es im Kern um Unterschiedlichkeit von Begabung und Leistungsfähigkeit, d. h. Begabung und Leistungsfähigkeit können bei diesen Kindern nicht ohne die Behinderung gedacht werden. Mit der Weigerung des Staates, für diese Fälle ein komplementäres und alternatives Angebot in Gestalt der Förderschule vorzuhalten, wäre die „Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen“ überschritten. Denn der Satz, dass „das Wahlund Bestimmungsrecht der Eltern angesichts nur noch einer einzigen vorhandenen obligatorischen Schulform mit einem vom Staat einseitig festgelegten Bildungsziel obsolet wird und leerläuft“100, muss in seiner Essenz auch für die Strukturierung des Bildungsangebotes für behinderte Schüler gelten. Er steht einem monistischen, nur aus integrativer/inklusiver Unterrichtung bestehenden Konzept sonderpädagogischer Förderung entgegen.101 Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung eines Alternativangebotes auch im Bereich der sonderpädagogischen Förderung bestätigt das Bundesverfassungsgericht auch an einer anderen Stelle in seiner Grundsatzentscheidung. Unter Hinweis auf die entsprechende Regelung in dem für den betreffenden Fall maßgeblichen niedersächsischen Schulgesetz heißt es in der Entscheidung: „Diese Regelung ermöglicht es auf sonderpädagogische Förderung angewiesenen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Erziehungsberechtigten, sich unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen für eine der Formen integrativer Beschulung oder für die Unterrichtung in einer Sonderschule auszusprechen, deren Fortbestand als eigenständige Schulform im gegliederten Schulwesen des Landes damit zu Recht nicht in Frage gestellt wird.“102

Die Wörter „zu Recht“ weisen über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus und stehen für die Anerkennung der objektivrechtlichen Verpflichtung des Staates zur 98

BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (188). So die Formulierung in OVG NRW, Beschl. v. 16.4.2003, 19 B 403/03, Rn.  29, http:// www.juris.de, (Zugriff: 15.1.2012). 100 BVerfG, Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (416). 101 Jestaedt, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 346: „Ein Anspruch der Eltern auf Bereitstellung zwar nicht bestimmter, aber doch von mehr als nur einer Schulform kann sich jedoch dann ergeben, wenn ‚das Wahl- und Bestimmungsrecht der Eltern angesichts nur noch einer einzigen obligatorischen Schulform mit einem vom Staat einseitig festgelegten Bildungsziel obsolet wird und leerläuft (BVerfGE 45, 400 (416).“ Dass unter diesen Voraussetzungen die Grenze staatlicher Zugangsregelung erreicht ist, wird auch von Coester-Waltjen, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 6 Rn. 88, angemerkt. 102 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (305) (Hervorh. d. Verf.). 99

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3. Teil: Förderschule

Bereithaltung eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung.103 Folgerichtig stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „[…] dem Oberverwaltungsgericht [ist] darin zu folgen, daß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG weder den in Niedersachsen eingerichteten Sonderschulen noch der Zuständigkeit der Schul­ behörde für Entscheidungen über den Besuch solcher Schulen nach Maßgabe des § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG die rechtliche Grundlage entzogen hat.“104

Wenn das Bundesverfassungsgericht also im Kontext der Erörterung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG die Förderschule wiederholt in einer positiven Konnotation erwähnt und dabei auch auf die „mit ihr einhergehende spezifische Förderung“105 hinweist, so können sich Eltern, die für die Förderschule optieren, bestätigt sehen. VI. Landesverfassungsrechtlicher Aspekt Bundesverfassungsrechtlich ist das Recht der Eltern, den Bildungsweg ihres Kindes auszuwählen, von dem Elternrecht gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG mit umfasst, d. h. es ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Demgegenüber „verselbständigt [die Verfassung des Saarlandes] die Rolle der Elternverantwortung in Bezug auf äußere erzieherische Einflüsse […].“106 Denn in der „noch in der Urfassung von 1947 geltenden Vorschrift“ des Art. 26 Verf. d. Saarl., der „nicht die 103

Siehe hierzu Siehr/Wrase, Das Recht auf inklusive Schulbildung als Strukturfrage des deutschen Schulrechts – Anforderungen aus Art. 24 BRK und Art.  3 Abs.  3 S.  2 GG, RdJB 2014, 161 (176): „Zugleich sanktioniert das Gericht den Fortbestand der Sonderschule ‚als eigenständige Schulform im gegliederten Schulwesen‘, die ‚zu Recht nicht in Frage gestellt‘ werde.“ 104 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (312); ebenso BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997,1 BvR 356/97, amtl. Umdruck S. 2. 105 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307). Vgl. zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auch: HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (605); VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn. 27 f., http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013). Diesen Aspekt hebt auch Berlit, Rechtspolitik zur Gleichstellung behinderter Menschen, RdJB 1996, 145 (150), hervor: Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG „bedeutet nicht, daß die Schaffung von Sonderschulen und -einrichtungen als verfassungswidrige Benachteiligung zu beanstanden wäre; dem widerstreiten die dort geleistete Arbeit, die an der gezielten und differenzierten Förderung behinderter Kinder ausgerichtet ist, und die Ausstattung dieser Einrichtungen. Die Ausgestaltung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG als Grundrecht verlagert aber die Definitionsmacht darüber, ob der Besuch einer Sonderschule oder -einrichtung für behinderte Kinder als (bevorzugende, jedenfalls nachteilsausgleichende) Förderung zu werten ist, deren Nutzen dem eigenen Wohl entspricht, oder als ausgrenzende, integrationshemmende Benachteiligung, stärker als bisher auf die Kinder und deren Erziehungsberechtigte.“ Dem letzten Satz dieses Zitates liegt – unabhängig von der Frage der von dem Autor verfolgten Zielrichtung – die Anerkennung des Gedankens zugrunde, dass die Entscheidung für die integrative Unterrichtung oder die Förderschule stets eine personale Entscheidung des Schülers bzw. seiner Eltern sein muss. 106 Mohr, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 26 Rn.1. Siehe hierzu auch Kiefer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Schulreform im Saarland, LKRZ 2010, 131 (134).

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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Erziehung der Kinder durch ihre Eltern […]“107, sondern den Einfluss der Schule auf Bildung und Erziehung des Kindes betrifft, bestimmt Absatz 1 Satz 2: „Auf der Grundlage des natürlichen und christlichen Sittengesetzes haben die Eltern das Recht, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen.“108 Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat in dem Normenkontrollverfahren betreffend die Einführung der Gesamtschule als weitere Schule der Regelform ausgeführt: „Es kann für den vorliegenden Fall offen bleiben, ob in dem nach der saarländischen Verfassung bestehenden Spannungsverhältnis zwischen Elternrecht und staatlicher Schulaufsicht eine andere Gewichtung im Verhältnis der beiden Rechtsgüter zueinander vorzunehmen ist, als dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall ist, nach der das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) gleichgeordnet sind […].“109

Ob der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes andeuten will, dass Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. möglicherweise über Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hinausgehende Gewährleistungen des elterlichen Bestimmungsrechts enthält, kann dahingestellt bleiben. Denn nach den obigen110 Ausführungen betreffend das Verhältnis der Landesgrundrechte zu den Grundrechten der Bundesverfassung wäre eine landesverfassungsrechtliche Regelung, die den Eltern gegenüber der staatlichen Schulhoheit ein Mehr an Rechten einräumt, nichtig. Doch ist die thematische Einbindung elternrechtlicher Befugnisse in eine Vorschrift der Verfassung des Saarlandes, welche explizit die schulische Erziehung regelt, sicherlich geeignet, das Elternrecht insoweit gegenüber der Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu bekräftigen.111 Diese landesverfassungsrechtliche Bekräftigung des elterlichen Bestimmungsrechtes in Bezug auf die schulische Bildung und Erziehung hat auch auf der ein 107

Mohr, ebd., der hierzu auf Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Verf. d. Saarl. verweist. Mohr, ebd., Rn.  12, kommentiert hierzu: „Mittelbare Grenzen des elterlichen Bestimmungsrechts ergeben sich aus Regelungen des Schulwesens, die die Verfassung selbst oder in deren Rahmen der Gesetzgeber trifft. So beschränken sich die Wahlmöglichkeiten unter den öffentlichen Schulen im Saarland auf die von der Verfassung (Art. 27 Abs. 4 [gemeint ist offensichtlich Art. 27 Abs. 3; Anm. d. Verf.]) zugelassenen Schulformen […].“ Diese Aussage bezieht sich auf Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996, in dem u. a. für die Förderschule eine institutionelle Garantie enthalten war. Soweit es um das Schulangebot für behinderte Kinder und Jugendliche geht, kann sie jedoch keine Geltung beanspruchen, wenn sie als Verweisung auf den jeweiligen Verfassungstext („gleitende Verweisung“) gemeint sein sollte. Denn in Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 2011 sind die Förderschulen nicht mehr genannt. Dennoch ist dem in der vorliegenden Schrift Gesagten zufolge aus bundesverfassungsrechtlichen Gründen vom Staat ein Förderschulangebot als Substrat eines substanziellen elterlichen Wahlrechts zu gewährleisten, d. h. unabhängig davon, ob die Förderschulen in der Verfassung des Saarlandes institutionell garantiert sind. 109 VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (329). 110 Siehe sub Kap. 3 A. II. 2. 111 Siehe hierzu Ossenbühl, Elternrecht in Familie und Schule, S. 9 f. 108

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3. Teil: Förderschule

fachgesetzlichen Ebene ihren Ausdruck gefunden. So heißt es in § 1 Abs. 3 SchoG: „Bei der Erfüllung ihres Auftrages hat die Schule das Elternrecht zu achten.“ Man sollte annehmen, dass der Landesgesetzgeber diesen in einer grundlegenden Norm des Schulordnungsgesetzes enthaltenen proklamativen Appell auf alle für das Schulwesen Verantwortlichen, mithin auch auf sich selbst bezieht. Wer staatlicherseits das Elternrecht im Munde führt, aber den Eltern behinderter Kinder durch Schließung der Förderschulen die tatsächliche Möglichkeit nähme, eine Wahl für den Bildungsweg ihres Kindes zu treffen, der hätte jedoch nicht nur den Vorwurf verfassungswidrigen Verhaltens zu gewärtigen: Seine Inkonsequenz zynisch zu nennen wäre eine unterkühlte Ausdrucksweise. Maunz stellt hierzu die offenkundig nur noch rhetorisch gemeinte Frage, wie es zu beurteilen sei, wenn der Staat das den Eltern grundsätzlich gewährleistete Wahlrecht dadurch ausschalten wolle, dass er überhaupt nur einen einzigen Bildungsweg zur Verfügung stelle. Das wäre, so Maunz, offensichtlich ein Zuwiderhandeln gegen den Sinn des Wahlrechts, ein Rückfall in das Staat-Eltern-Verhältnis früherer Zeiten, eine heute unzulässige Rechtsausübung. Der Staat könne nicht auf der einen Seite in verfassungsrechtlicher Feierlichkeit ein Wahlrecht zwischen mehreren Wegen einräumen und es gleichzeitig dadurch wieder illusorisch machen, daß er nur einen einzigen Weg öffne.112 Für die Eltern behinderter Kinder aber wäre „nur ein einziger Weg“ eröffnet, wenn die von ihnen gewünschte Förderschule nicht „auf zumutbare Weise“ zur Verfügung steht und ihr Kind gezwungen ist, an der integrativen/inklusiven Unterrichtung und Erziehung in der allgemeinen Schule teilzunehmen. VII. Tragweite der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997 1. Ablauf des Verfassungsbeschwerdeverfahrens Das Bundesverfassungsgericht hat seine Presseerklärung zu dem Beschluss vom 8.10.1997 mit „Grundsatzentscheidung zum Benachteiligungsverbot für Behinderte“ überschrieben.113 Der Pressemitteilung zufolge handelt es sich dabei um die „erste Senatsentscheidung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.“ Die Einzelaussagen des Bundesverfassungsgerichts sind in ihrer Bedeutung und Tragweite insbesondere zu würdigen vor dem Hintergrund seiner Ausführungen im Rahmen der Erörterung des Rechtsschutzinteresses. In dem Beschluss heißt es: „Der Beschwerdeführerin war es im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer des Verfahrens über ihre Klage nicht zuzumuten, vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 112

Maunz, Das Elternrecht als Verfassungsproblem, in: FS Scheuner, S. 419 (428). So der Betreff der zum Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff., heraus­ gegebenen Pressemitteilung des BVerfG Nr. 93/97 vom 29.10.1997. 113

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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den Hauptsacherechtsweg zu erschöpfen […]. Auch ist ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb entfallen, weil die Bezirksregierung während des Verfassungsbeschwerdeverfahrens die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Überweisung der Beschwerdeführerin an die Schule für Körperbehinderte aufgehoben hat und die Beschwerdeführerin inzwischen die 7.  Klasse einer Hauptschule besucht. Das Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung des ursprünglich mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens fort, weil andernfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und ein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff gerügt wird (vgl. BVerfGE 91, 125 [133] m. w. N.; stRspr). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Frage, ob und mit welchen Konsequenzen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG in Schulrechtsfällen der vorliegenden Art Beachtung finden muß, ist von erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung und vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.“114

Diese Ausführungen gewinnen zusätzliches Gewicht angesichts der Tatsache, dass dem Beschluss des Ersten Senats in derselben Sache zwei im Ergebnis anderslautende, d. h. für die betroffene Schülerin günstige vorläufige Entscheidungen im Kammerverfahren vorausgegangen waren.115 Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in Kammerentscheidungen die Verfassungsbeschwerden in drei weiteren Verfahren, in denen es um abgelehnte Anträge behinderter Kinder auf integrative Unterrichtung bzw. Aufnahme in einen Regelkindergarten ging, nicht zur Entscheidung angenommen und darin die Grundsatzentscheidung des Senats vom 8.10.1997 bestätigt.116

114

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (300). Es handelt es sich um folgende Entscheidungen: BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.7.1996, 1 BvR 1308/96, NJW 1997, 1062; BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 4.4.1997, 1 BvR 9/97, NJW 1997, 1844. Siehe auch die Stellungnahmen, die im Anschluss an die Kammerentscheidungen und im unmittelbaren Vorfeld der Grundsatzentscheidung des Ersten Senats vom 8.10.1997 veröffentlich wurden: Jürgens/Jürgens, Sonderschulzuweisung als verbotene Benachteiligung Behinderter, NJW 1997, 1052 f.; Dietze, Anm. z. BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.7.1996 – 1 BvR 1308/96 (NJW 1997, 1062), JZ 1996, 1074 f.; Engelken, Nochmals: Der Diskriminierungsschutz Behinderter im Grundgesetz – Sonderschulzuweisung als unzulässige Benachteiligung?, DVBl. 1997, 762 f.; Jürgens, Vom Umgang mit Benachteiligungen, DVBl. 1997, 764. Zu den Kammer­ entscheidungen siehe auch Reichenbach, Die Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte zur integrativen Unterrichtung behinderter Schülerinnen und Schüler, NdsVBl. 2000, 205 ff. 116 Es handelt sich dabei um folgende Verfahren: BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 19.12.1997,1 BvR 1621/97, amtl. Umdruck S. 1 ff.; BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997, 1 BvR 356/97, amtl. Umdruck S. 1 ff.; BVerfG-K, Beschl. v. 10.2.2006, 1 BvR 91/06, BVerfGK 7, 269 ff. (Aufnahme in einen integrativen Regelkinder­ garten). 115

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3. Teil: Förderschule

2. Festlegungen von objektiv-institutioneller Bedeutung Die Entscheidung, mit der die Verfassungsbeschwerde der behinderten Beschwerdeführerin zurückgewiesen wurde, ist unterschiedlich aufgenommen worden. Dabei überwiegen die Stimmen derer, denen die Entscheidung im Sinne integrativer Unterrichtung nicht weit genug geht.117 Nachdem die dem Senatsbeschluss vorausgegangenen Kammerentscheidungen bei Betroffenen Erwartungen geweckt hatten, sahen diese sich durch die Senatsentscheidung enttäuscht. Hierauf ging Bundespräsident Roman Herzog in seiner Ansprache bei der „Aktion Grundgesetz“ am 15.11.1997 in Berlin ein: „Wenn Artikel 3 Absatz  3 Satz 2 des Grundgesetzes heute bestimmt, daß niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, dann darf das nicht nur ein papierendes [sic!] Zugeständnis bleiben. Mir ist klar, daß Sie jetzt alle an den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober dieses Jahres denken, den ich hier natürlich nicht in den Mittelpunkt stellen kann. Über sein Ergebnis mag man streiten. Aber lesen Sie die Begründung genau! Sie bietet mehr Ansatzpunkte für Ihre Arbeit, als man angesichts des Ergebnisses meinen möchte.“118 Doch „[überzeugt] die Senatsentscheidung in ihrer sorgsamen Vorgehensweise“119 und macht die hohe Sensibilität des Gerichts gegenüber der Situation behinderter Kinder und ihrer Eltern120 sichtbar. Die Begründung des Beschlusses des Bundes 117

Siehe hierzu u. a.: Füssel, „Integrative Beschulung (ist die) verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Sonderschule“. Anmerkungen zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8.  Oktober 1997, RdJB 1998, S.  250 ff.; Eberwein, Stellungnahme zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997, Die neue Sonderschule 1998, 136 ff.; Beyerlin, Schulische Integration und der Handlungsauftrag des Staates aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, RdJB 1999, 157 (163 ff.); Caspar, Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 (138 f.); Degener, Verfassungsrechtliche Probleme mit der Behindertendiskriminierung in Deutschland, KJ 2000, 425 ff.; Reichenbach, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als Grundrecht auf Chancengleichheit. Über den Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, RdJB 2001, 53 (56 f.); Graser, Integration aus rechtlicher Perspektive, in: Beck/ Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 63 (89 ff.); Castendiek, Behinderung und freie Schulwahl, in: GS Bernd Jeand’ Heur, S.  337 (348 ff.); Castendiek/Hoffmann, Das Recht der behinderten Menschen, S. 147 ff. 118 Herzog, Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, Bulletin Nr. 92 vom 20.11.1997, S. 1069. 119 Berkemann, Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JR 1998, 397 (399). 120 Von der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sichtbar gewordenen Haltung gegenüber dem elterlichen Erziehungsrecht lässt sich auch das BVerwG, Urt. v. 26.10.2007, BVerwG 5 C 35.06, BVerwGE 130, 1 (4), leiten: Danach ist die bewusste Entscheidung der Eltern für die Förderschule von den für die Unterrichtung des behinderten Kindes zuständigen Stellen grundsätzlich zu respektieren. In dem betreffenden Fall hatte die Schulbehörde zwar die integrative Unterrichtung genehmigt, doch entschieden sich die Eltern, denen die Wahl des Förderortes freigestellt war, ab der Klassenstufe 5 für die Förderschule, nachdem das Kind in der Grundschule integrativ unterrichtet worden war. Dadurch ist jedoch ihr vom Sozialhilfeträger für die integrative Unterrichtung anerkannter Anspruch auf Bereit­stellung

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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verfassungsgerichts „weist die Entscheidung als eine bewußt konzeptionell angelegte aus“.121 Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt eine klare Absage an eine Entweder-oder-Lösung, an ein Schwarz-Weiß-Denken, an die Verabsolutierung integrativer Unterrichtung im Rahmen eines monistischen Denkund Handlungsansatzes dar. „Vielmehr betont das BVerfG das große Gewicht, das die Vorstellungen der Eltern und betroffenen Kinder im Hinblick auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 II 1 und Art. 2 I GG in diesem Zusammenhang besitzen.“122 In dieser „maßgeblichen Leitentscheidung“123 kommt insbesondere die Bedeutung der Förderschule als komplementäres Bildungsangebot im Rahmen eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung und als Altereines Eingliederungshelfers nicht hinfällig geworden, da andernfalls ihr elterliches Bestimmungsrecht verletzt würde. Im Einzelnen führt das BVerwG hierzu aus: Mit der Zulassung einer integrativen Beschulung belasse die Schulbehörde den Erziehungsberechtigten vielmehr die Bestimmung, nach Maßgabe ihrer elterlichen Sicht und besonderen Kenntnis der Entwicklungsbedürfnisse des Kindes den im Einzelfall besten Weg zur Erreichung einer „angemessenen Schulbildung“ festzulegen und damit zugleich den geltend gemachten Bedarf des Kindes selbst zu konkretisieren. Dieses Konkretisierungs- und Bestimmungsrecht respektiere, dass es – jedenfalls aus der Perspektive des einzelnen Kindes und seiner Erziehungsberechtigten – einen Unterschied mache, ob der besondere pädagogische Bedarf in einer Förderschule gedeckt werde oder die Möglichkeit genutzt werden solle, eine integrative Schule zu besuchen. Aufgrund des besonderen Ansatzes der verschiedenen Konzepte integrativer Beschulung, das gemeinsame Lernen und schulische Leben und Erleben behinderter Schüler mit besonderem pädagogischem Förderbedarf und solcher Schüler, bei denen das nicht der Fall sei, zu ermöglichen, könne die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht im Rahmen der integrativen Beschulung mit einem „integrativen Mehrwert“ verbunden sein, welcher den konkreten Bedürfnissen eines Kindes im Einzelfall besser entsprechen könne (nicht: müsse) als die Beschulung in einer Förderschule. Hieraus folge zwar kein allgemeines Rangverhältnis zwischen einer Beschulung in einer Förderschule und der Beschulung im Rahmen integrativen Unterrichts. Die Schulbehörde könne jedoch, wenn sie selbst für die Entscheidung zwischen mehreren in Betracht kommenden Beschulungsformen nach den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnissen für den jeweiligen Schüler unter integrativen Zielsetzungen keine eindeutige Präferenz ermitteln könne, diese Bestimmung den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten überlassen und diesen damit die Entscheidung übertragen, ob die Förderung durch integrative Beschulung und der damit verbundene „integrative Mehrwert“ der im Einzelfall bessere und erforderliche Weg zur Erreichung einer angemessenen Schulbildung sei. Auch in dieser Entscheidung des BVerwG wird somit die Einschätzungsprärogative der Eltern bestätigt. Auch hier kommt ein Verständnis des Elternrechts gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck, das der Landesgesetzgeber bei der Gestaltung des Systems der sonderpädagogischen Förderung nicht ignorieren kann. 121 Berkemann, Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JR 1998, 397 (398). 122 Sachs, Anm. zu BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997 – 1 BvR 9/97 –, JuS 1998, 553 (555). Dagegen scheint Preuss-Lausitz, in: ders./Stöppler, Behinderte Schüler. Das Recht auf Miteinander. Streitgespräch, http://www.zeit.de/2010/06/Streitgespraech-Integration (Zugriff: 24.11. 2011), der an dieser Stelle explizit verfassungsrechtlich argumentiert, diese Grundsatzentscheidung des BVerfG entgangen zu sein: „[…] ich sage nur, dass es umgekehrt kein Recht auf eine Sonderschule gibt.“ 123 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S.  51. Auch Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, in: HStR VIII, § 182 Rn. 121, 125, bezeichnet den Beschl. des BVerfG vom 8.10.1997 als „Leitentscheidung“.

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3. Teil: Förderschule

native im Interesse des elterlichen Wahlrechts zum Ausdruck. Sie gehören zu den „schulischen Einrichtungen“ – bereits in dieser Wortwahl des Bundesverfassungsgerichts klingt die Absage an ein monistisches System an –, die auch den behinderten Kindern „eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen.“124 Hierbei entnimmt das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung, wie in der vorliegenden Schrift im Rahmen der Analyse des Beschlusses aufgezeigt, dem Grundgesetz insoweit eine objektivrechtliche Handlungsverpflichtung des Staates. Denn zur Bereitstellung dieses Angebotes „ist der Staat nach Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich gehalten.“125 Nach alldem kann es nicht überraschen, dass in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und zum System der sonderpädagogischen Förderung dessen im vorliegenden Zusammenhang bereits mehrfach zitierter Satz aus früheren Entscheidungen, dass „das Grundgesetz […] keinen Maßstab für die pädagogische Beurteilung von Schulsystemen [gibt]“,126 nicht wiederholt wird. Den Entscheidungsgründen ist vielmehr zu entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht entgegen der Auffassung von Füssel sehr wohl eine „schulstrukturelle Entscheidung“127 getroffen hat, indem es im Ergebnis die verfassungsrechtlich begründete Pflicht des Staates zur Gewährleistung einer Alternative, d. h. eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung feststellt. Die Meinung von Füssel beruht möglicherweise auch auf der Tatsache, dass er wie auch andere Autoren, welche die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts kritisch kommentieren, weil sie ihnen nicht weit genug geht, den Ausbau der integrativen/inklusiven Unterrichtung im Fokus haben. Sie klopfen die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts primär daraufhin ab, was sie an Potenzial enthält für ein Mehr an integrativer/inklusiver Unterrichtung. Dagegen scheinen jene Textstellen in der verfassungsgerichtlichen Leitentscheidung, aus denen sich das Optionsrecht von Eltern für die Förderschule im Rahmen eines dualen Systems der sonderpädagogischen Förderung und die diesbezügliche objektivrechtliche Handlungsverpflichtung des Staates ergeben, eher am Rande ihres Blickfeldes zu liegen.

124

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). 126 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (185); Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (415). 127 Füssel, „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Die schulrechtlichen Rahmenbedingungen für eine integrative Pädagogik, in: Eberwein/Knauer (Hrsg.), Handbuch Integrationspädagogik, S. 158 (160). 125

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

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3. Fortdauernde Relevanz der Grundsatzentscheidung Es ist eine zutreffende Beschreibung der geltenden Rechtslage, wenn Avenarius feststellt: „Von großer Tragweite für Organisation und Verfahren der sonderpädagogischen Förderung ist bis heute der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997.“128 Desgleichen sprechen Rux/Niehues von der „maßgebliche[n] Bedeutung […] der Leitscheidung des BVerfG vom 8.10.1997.“129 Von Rux/­ Ennuschat wird der Beschluss ebenfalls „als maßgebliche […] Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG“130 bezeichnet, aus der die Autoren wichtige Schlussfolgerungen ableiten.131 Die Bedeutung des Senatsbeschlusses als „Grundsatzentscheidung“ wird auch von Caspar herausgearbeitet.132 Unzutreffend ist die Auffassung der für die VN-Behinderten­rechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte eingerichteten Monitoring-Stelle, die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997 sei hinsichtlich des Ressourcenvorbehalts „in Folge des Inkrafttretens der UN-BRK nicht mehr maßgeblich“.133 Diese Positionierung der Monitoring-Stelle am Deutschen Institut für Menschenrechte ist sowohl mit Blick auf das juristische Schrifttum, insbesondere aber angesichts der eindeutig anderslautenden umfangreichen Rechtsprechung134 als Mindermeinung einzuordnen; das gilt auch für die Stellungnahme von Siehr/Wrase.135 Dass die VN-Behinderten­rechtskonvention insbesondere nichts an der Maßgeblichkeit der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Leitentscheidung vom 8.10.1997 zum Ressourcenvorbehalt geändert hat, ist vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ausdrücklich klargestellt worden.136 Diese Einschätzung lässt sich auch der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entnehmen.137 Die Relevanz dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird auch in der Begründung des in Nordrhein-Westfalen von der Landesregierung eingebrachten Entwurfs des 128

Avenarius, Schulrecht, S. 78. Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 715. 130 Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 11. 131 Rux/Ennuschat, ebd., S. 93 f. 132 Caspar, Das Diskriminierungsverbot behinderter Personen nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und seine Bedeutung in der aktuellen Rechtsprechung, EuGRZ 2000, 135 (138 f.). 133 Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems. Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund, 31.3.2011, S. 13, Fn. 9, http://www.institut-fuermenschenrechte.de/de/monitoring-stelle/publikationen.html?PHPSES-SID=88378999131c75 e9be570d697f52df7e (Zugriff: 20.3.2013). 134 Siehe hierzu unten sub Kap. 16 B. IV. und D. III. 1. a) und b). 135 Siehr/Wrase, Das Recht auf inklusive Schulbildung als Strukturfrage des deutschen Schulrechts – Anforderungen aus Art. 24 BRK und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, RdJB 2014, 161 (175 f.). 136 VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn.  61, http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013). 137 BayVGH, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129 ff. 129

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3. Teil: Förderschule

Ersten Gesetzes zur Umsetzung der VN-Be­ hindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) bestätigt.138 Die Überzeugungskraft der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruht darauf, dass sich das Gericht an der anthropologischen und pädago­gischen Realität orientiert. Es respektiert das Recht des behinderten Kindes auf eine seinen tatsächlichen Bedürfnissen entsprechende Entfaltung der Persönlichkeit in der Schule. Gleichzeitig sichert diese Grundsatzentscheidung durch eine entsprechende Systemvorgabe den Eltern das Recht, bei der Wahl des Lernortes in diesem Sinne für ihr Kind zu entscheiden. Der Beschluss erteilt jeglicher Einseitigkeit eine Absage. Er trägt dem in der Wertordnung des Grundgesetzes verankerten Prinzip von Pluralität und Toleranz Rechnung und verhilft in der hoch sensiblen Frage der Strukturierung des Bildungsangebots für behinderte Kinder in einem übertragenen Sinn dem „Grundrecht auf eine tolerante Schule“139 zur Geltung. So ist das Bundesverfassungsgericht dem Maßstab gerecht geworden, den es seinem Präsidenten Andreas Voßkuhle zufolge an seine Entscheidungen anlegt: „Wir können nur versuchen, überzeugende Entscheidungen zu treffen mit einer langen Halbwertzeit.“140 In diesem Sinne die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungs 138

LT-Drucks. 16/2432 vom 21.3.2013 (Neudruck), S. 53 f. Vgl. Oppermann, Zum Grundrecht auf eine tolerante Schule, RdJB 1977, 44 ff.; Eiselt, Zur Sicherung des Rechts auf eine ideologisch tolerante Schule, DÖV 1978, 866 ff.; Kohl, Schule und Eltern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: FS Faller, S. 201 (203). 140 Voßkuhle, „Noch mehr Europa lässt das Grundgesetz kaum zu“. Gespräch mit Melanie Amann und Inge Kloepfer, FAS Nr. 38 vom 25.9.2011, S. 36 (37). Siehe zu der Grundsatzentscheidung des BVerfG auch die nachfolgenden Anmerkungen aus dem Kreis der 14 Wissenschaftlichen Mitarbeiter, die für den Berichterstatter in dieser Sache, Bundesverfassungsrichter Dieter Hömig, während dessen zehneinhalbjähriger Amtszeit tätig waren. So berichtet Domgörgen, Res gestae Dieter Hömig  – eine verfassungsrechtliche Chronik, in: Festg. Hömig, S. 11 (25): „Die erste Senatsentscheidung von Hömig zum Schulrecht betraf die Beschulung von behinderten Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinen Schulen“. Bei Stephan, Zum Benachteiligungsverbot für Behinderte – BVerfGE 96, 288, in: Festg. Hömig, S. 65, heißt es: „Mit der von Bundesverfassungsrichter Dieter Hömig zu verantworteten [sic!] Senatsentscheidung vom 8. Oktober 1997 wurde[sic!] für eine bisher nicht erschlossene Verfassungsnorm erstmals für die Zukunft sachgerechte und in der Praxis handhabbare Auslegungsergebnisse entwickelt (Hervorh. im Original).“ Domgörgen, ebd., S. 11 (26), merkt zu der Entscheidung an: „Im Ergebnis hat das BVerfG damit das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG unter den Vorbehalt des organisatorisch, personell und sächlich (finanziell) Machbaren gestellt; dass der Senat in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass der Staat auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen und sich die Möglichkeit erhalten muss, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält, ist einsichtig und müsste auch von denen akzeptiert werden, die sich eine behindertenfreundlichere Entscheidung gewünscht hätten.“ Zu diesem Aspekt heißt es bei Stephan, ebd., S. 65 (67): „Das Bundesverfassungsgericht hat unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 8. April 1987 (BVerfGE 75, 40 [68]) das Benachteiligungsverbot für Behinderte damit unter den gleichen Vorbehalt gestellt wie in seiner Entscheidung zur staatlichen Förderungspflicht von privaten Ersatzschulen, mit der es grundsätzlich einen originären Anspruch der Ersatzschulen auf staatliche Unterstützung begründet hat.“ 139

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

373

gerichts zur sonderpädagogischen Förderung zu würdigen bedeutet nicht, unkritisch einem Bundesverfassungsgerichtspositivismus141 das Wort zu reden. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sonderpädagogischen Förderung lässt sich in Anspruch nehmen als Beleg für die Beachtung einer von Speck postulierten Handlungsmaxime: „Tragbare Lösungen für die Schule der Vielfalt lassen sich eher finden, wenn dabei die Vielfalt der Einstellungen auch in der Weise beachtet wird, dass man das Eine tut, ohne das Andere lassen zu müssen.“142 Kennzeichen einer offenen Gesellschaft sind Pluralität und der Wettbewerb der Ideen und Konzepte. Die darin liegenden Optimierungschancen sollten auch für die Organisation der sonderpädagogischen Förderung zur Verfügung stehen.143 Von dieser Grundhaltung lässt sich auch die Kultusministerkonferenz bestimmen: „Förderschulen zeichnen sich durch ihre spezifischen sonderpädagogischen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote aus. […] Damit sind sie je nach Bedarf alternative oder ergänzende Lernorte.“144 VIII. Individualrechtliche Lage Aus der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ein subjektives Recht auf integrative Unterrichtung abzuleiten ist. Das Gericht hat die Frage, ob sich aus Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG „originäre Leistungsansprüche herleiten lassen (dagegen einhellig das Schrifttum; vgl. etwa Osterloh, a. a. O., Art. 3 Rn. 305; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art.  3 Abs.  3 Rn.174 [Stand: Oktober 1996])“,145 offen gelassen. Doch dürfte es nicht schlechthin abwegig sein, aus dem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die Stimmen im juristischen Schrifttum zumin 141 Siehe zu diesem Begriff Schönberger, Bundesverfassungsgerichtspositivismus – Zu einer Erfolgsformel Bernhard Schlinks, in: Freundesgabe für Bernhard Schlink, S. 41 ff. 142 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 8 (Hervorh. im Original). 143 Vgl. Bleidick, Das Dilemma mit der Integration, Die Sonderschule 1995, 329 (336). 144 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMKBeschlS., Leitzahl 300, S. 4. 145 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304); vgl. auch BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 28.3.2000, 1 BvR 1460/99, NJW 2000, 2658 (2659). Siehe hierzu auch Stephan, Zum Benachteiligungsverbot für Behinderte – BVerfGE 96, 288, in: Festg. Hömig, S.65 (66): „Zur Bedeutung und Funktion des Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG lässt sich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, dass Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG ein subjektiv grundrechtliches Abwehrrecht begründet, das im Zusammenwirken mit den Freiheitsrechten aus Art.  2 Absatz  1 und Art.  6 Absatz  2 Satz 1 GG dem Erziehungsauftrag des Staates nach Art.  7 Absatz  1 GG Grenzen setzt. Darüber hinaus wirft die Entscheidung die Frage auf, ob sich aus Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG auch originäre Leistungsansprüche herleiten lassen, ohne diese jedoch ausdrücklich zu beantworten.“

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3. Teil: Förderschule

dest eine Andeutung der bei dem Gericht vorhandenen Rechtsüberzeugung zu entnehmen. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts ist dagegen eindeutig: Danach werden „aus dem Benachteiligungsverbot zwar über den Charakter eines reinen Abwehrrechts hinausgehend sog. derivative Teilhaberechte abgeleitet, mit denen auch über Organisation und Verfahren eine Effektuierung der Teilhabe an der erschöpfenden Nutzung vorhandener Ressourcen zugunsten von Behinderten sichergestellt werden soll. Ferner werden Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auch Schutz- und Förderpflichten des Staates entnommen. Diese Förderpflichten wiederum mögen die Verpflichtungen aus dem Sozialstaatsgebot verstärken und ergänzen […]. In der verfassungsrechtlichen Literatur ist jedoch unbestritten, daß sie nur objektivrechtlichen Charakter haben und keine subjektiven Leistungsansprüche auf Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen begründen […]; derartige Ansprüche können erst auf der Grundlage einer gesetzlichen Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber entstehen.“146

Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG lässt sich also kein „verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch darauf, die Ausübung eines Wahlrechts zwischen Regel- und Sonderschule zugunsten der Regelschule durch Bereitstellung des notwendigen Förderbedarfs abzusichern“,147 ableiten. Was hier im Hinblick auf die integrative Unterrichtung ausgesagt wird, muss für das System der sonderpädagogischen Förderung insgesamt und damit auch für das Angebot von Förderschulen gelten. Mit Blick auf die in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und dem System der sonderpädagogischen Förderung angesprochene Verantwortung des Staates, 146 BVerwG, Beschl. v. 14.8.1997, 6 B 34/97, Rn. 7, http://www.juris.de (Zugriff: 1.9.2011). Mit diesem Beschluss wird die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urt. des BayVGH v. 11.12.1996, 7 B 96.2568, BayVBl. 1997, 561 ff., zurückgewiesen; die gegen diesen Beschluss des BVerwG erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 19.12.1997,1 BvR 1621/97, nicht zur Entscheidung angenommen, wobei das Gericht erneut die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bestätigt hat, amtl. Umdruck S. 3 f. Auch im Urt. des BVerwG v. 5.4.2006, BVerwG 9 C 1.05, BVerwGE 125, 370 (383 f.), werden Leistungsansprüche aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG explizit verneint, und zwar mit dem Hinweis, dass „dem Staat […] ein erheblicher Spielraum nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und organisatorisch Möglichen zu[kommt].“ Ebenso: BFH, Urt. v. 21.6.2007, III R 48/04 (FG Sachsen), NJW 2007, 3598 (3599); NdsOVG, Beschl. v. 10.7.2008, 2 ME 309/08, NVwZ-RR 2009, 68 (69); OVG NRW, Beschl. v. 16.11.2007, 6 A 2171/05, NVwZ 2008, 271. Siehe auch Sachs, Besondere Gleichstellungsgarantien, in: HStR VIII, § 182 Rn.  124: „‚Originäre Leistungsansprüche‘ ganz bestimmten Inhalts unabhängig von gesetzlichen Regelungen oder Rechte auf gesetzliche Regelungen ganz bestimmten Inhalts begründet auch Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG nicht.“ 147 NdsOVG, Urt. v. 21.7.1999, 13 L 2468/99, SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 7, S. 10. Ebenso: Berlit, Rechtspolitik zur Gleichstellung behinderter Menschen, RdJB 1996, 145 (150); Sachs, Das Grundrecht der Behinderten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, RdJB 1996, 154 (170 f.). Vgl. demgegenüber Reichenbach, Der Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule. Zugleich ein Beitrag zur Interpretation des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, S.  270 f.; ders., Art.  3 Abs.  3 S.  2 GG als Grundrecht auf Chancengleichheit. Über den Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in der Regelschule, RdJB 2001, 53 (63).

14. Kap.: Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen

375

auch behinderten Kindern und Jugendlichen schulische Bildung zu ermöglichen,148 stellt Rennert zutreffend fest: „Daraus leitet sich die grundsätzliche Pflicht des Staates her, verschiedene Förder- und Sonderschulen je nach Art und Schwere der Behinderung einzurichten. Diese Pflicht ist objektiv-rechtlicher Natur und richtet sich zunächst an den Gesetzgeber; verfassungsunmittelbare subjektive Leistungsansprüche ergeben sich hieraus nicht.“149

148

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304). Rennert, Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Schulrecht, DVBl. 2001, 504 (509). Vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 2.7.1979, 7 B 139.79, DÖV 1979, 911. 149

Vierter Teil

Inklusive Schule Kapitel 15

VN-Behindertenrechtskonvention und bildungspolitischer Diskurs A. Integration/Inklusion I. Art. 24 VN-BRK als völkerrechtliche Bezugsnorm In der Diskussion über die Organisation des Bildungsangebots für behinderte Kinder und Jugendliche dominiert inzwischen der Begriff „Inklusion“. Damit wird Bezug genommen auf Art.  24 Abs.  1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-Behinderten­ rechtskonvention). Diese Vertragsbestimmung spricht mit Blick auf das Bildungsangebot für behinderte Menschen von einem „inclusive education system“. In der amtlichen deutschen Übersetzung wird dies mit „integratives Bildungssystem“ übersetzt. Art. 24 VN-BRK hat folgenden Wortlaut: Artikel 24 Bildung (1) 1Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. 2Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, a) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken; b) Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen; c) Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen. (2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund

15. Kap.: VN-Behindertenrechtskonvention und bildungspolitischer Diskurs

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von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden; b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben; c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden; d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern; e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden. (3) 1Die Vertragsstaaten ermöglichen Menschen mit Behinderungen, lebenspraktische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen zu erwerben, um ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als Mitglieder der Gemeinschaft zu erleichtern. 2Zu diesem Zweck ergreifen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen; unter anderem a) erleichtern sie das Erlernen von Brailleschrift, alternativer Schrift, ergänzenden und alternativen Formen, Mitteln und Formaten der Kommunikation, den Erwerb von Orientierungs- und Mobilitätsfertigkeiten sowie die Unterstützung durch andere Menschen mit Behinderungen und das Mentoring; b) erleichtern sie das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen; c) stellen sie sicher, dass blinden, gehörlosen oder taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet. (4) 1Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind, und zur Schulung von Fachkräften sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens. 2Diese Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein. (5) 1Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. 2Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden.

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 13.12.2006 beschlossen und von der Bundesrepublik Deutschland am 30.3.2007

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4. Teil: Inklusive Schule

unterzeichnet. Der Deutsche Bundestag hat am 4.12.2008,1 der Bundesrat am 19.12.20082 dem Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zugestimmt. Das Vertragsgesetz wurde am 21.12.2008 vom Bundespräsidenten ratifiziert und im Bundesgesetzblatt verkündet.3 Das Übereinkommen trat gem. Art. 45 Abs. 2 VN-BRK 30 Tage nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde für Deutschland am 26.3.2009 in Kraft.4 II. Klärung der Begriffe Die Diskussion über integrative bzw. inklusive Unterrichtung zeigt, dass beiden Begriffen je nach Vorverständnis und bildungspolitischer Zielsetzung unterschiedliche Inhalte zugeordnet werden. Es geht um die Frage, ob das „inclusive education system“ ein aliud ist gegenüber dem „integrativen Bildungssystem“ oder in der Sache mit diesem übereinstimmt. Entgegen der Auffassung von Krajewski5 ist die Begriffsklärung für die rechtliche Analyse keineswegs unerheblich. Denn es wird sich zeigen, dass die Schlussfolgerungen, die mit dem jeweiligen Begriffsverständnis verbunden werden, von sehr unterschiedlicher Tragweite für das Schulsystem sind. Die entscheidende Frage wird lauten, ob sich die Vertreter der jeweiligen Konzeption sonderpädagogischer Förderung auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen berufen können. 1. Inklusion – aliud gegenüber Integration? Im Folgenden wird aus heuristischen Gründen zunächst eine begriffliche Gegenüberstellung wiedergegeben, die im juristischen Schrifttum anzutreffen ist. Da heißt es:6 1

Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 20855. Verh. d. BR, 853. Sitzung am 19.12.2008, TOP 24 (S. 460 A). 3 BGBl. II S. 1419. 4 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 5.6.2009 (BGBl. II S. 812). 5 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (122). 6 Es wird hier die Darstellung zugrunde gelegt, die sich bei folgenden Autoren mit z. T. unterschiedlichen, in der Sache jedoch weitgehend übereinstimmenden Formulierungen findet: Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 24 f., 118; Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NRWVBl. 2011, 409; Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1348); Krajewski/Bernhard, Inklusive Schule im Freistaat­ Bayern?, BayVBl. 2012, 134 (135); Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechts 2

15. Kap.: VN-Behindertenrechtskonvention und bildungspolitischer Diskurs

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–– Nach dem „Integrationsprinzip“ werde der Schüler mit Behinderungen gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern an der allgemeinen Schule unterrichtet. Dort erhalte er zwar sonderpädagogische Unterstützung. Auch werde ihm ein Nachteilsausgleich durch Erleichterungen bei den äußeren Prüfungsbedingungen gewährt; die inhaltlichen Leistungsanforderungen seien jedoch die gleichen wie bei den nichtbehinderten Schülern. Die Anpassungsleistung werde in erster Linie von ihm verlangt: Eine auf die Bedürfnisse behinderter Schüler abgestimmte grundlegende Änderung der Unterrichtsorganisation, der Curricula sowie der Lehr- und Lernmethoden finde grundsätzlich nicht statt. –– Demgegenüber sei der „Inklusionsansatz“ gekennzeichnet durch eine grundlegend andere Einstellung zur Heterogenität. Sie werde nicht als Problem, sondern als Bereicherung gesehen. Ziele der inklusiven Erziehung seien insbesondere die Anerkennung und Wahrung der Vielfalt sowie die Bekämpfung diskriminierender Einstellungen und Werte. Angestrebt werde „eine Schule für alle“. Die Erreichung dieser Ziele setze im Gegensatz zum Konzept der Integration eine systemische Veränderung im Schulwesen voraus, und zwar im Hinblick auf die Schulorganisation, die Lehrpläne, die Pädagogik, die Didaktik und Methodik sowie die Lehrerbildung.7 Auch für Schüler mit Behinderungen solle eine Unterrichtssituation geschaffen werden, in denen ihr Bildungspotential optimal entfaltet werden kann. Ein Wesensmerkmal des Inklusionskonzepts sei daher die Ermöglichung zieldifferenzierten Unterrichts. Das geforderte Leistungsniveau werde der Leistungsfähigkeit der Schüler mit Behinderungen angepasst.

konvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1195); Ennuschat, Die UN-Behinderten­rechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (718 f.); Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405; Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S. 45, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_ riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011); Rux/Niehues, Schulrecht, Rn.716, 717; Höfling/Engels, Schulische Inklusion und finanzverfassungsrechtliche Konnexität, NWVBl. 2014, 1 (3 ); Tolmein, Inklusion als Herausforderung für die Rechts- und Bildungspolitik, ZRP 2014, 177 (178); Rux/ Niehues, Schulrecht, Rn. 717. Das aus dieser Gegenüberstellung ersichtliche Verständnis von „integrativer Unterrichtung“ hat wohl auch Avenarius, Schulrecht, S. 79, wenn er für ihre Abgrenzung gegenüber einem „inklusiven Bildungssystem“ ausführt: „Das Inklusionskonzept geht über eine zielgleiche integrative Erziehung, die die meisten behinderten Schülerinnen und Schüler überfordern würde, hinaus, indem es einen lernzieldifferenten Unterricht voraussetzt, bei dem das von den behinderten Kindern und Jugendlichen geforderte Leistungsniveau ihrer Leistungsfähigkeit angepasst ist.“ In diesem Sinne auch Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (137 f.). 7 Pluhar, Auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem, RdJB 2011, 218, Fn.  1: „Bei ‚Integration‘ wird ein Schüler mit Behinderung unterstützt, damit er im Unterricht der allgemeinen Schule zurechtkommt, bei ‚Inklusion‘ stellt sich das gesamte Schulsystem auf alle Schülerinnen und Schüler ein, insbesondere auf marginalisierte, wie Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen.“

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4. Teil: Inklusive Schule

2. Integration/Inklusion – Synonyma Zu der obigen Gegenüberstellung ist zu sagen, dass sie dem heutigen Stand der tatsächlichen Entwicklung in Deutschland und der durch sie induzierten Begrifflichkeit nicht gerecht wird.8 Der Sachverhalt, der von den zitierten Autoren dem „Integrationsprinzip“ zugeordnet wird, hat nichts mit dem zu tun, was heute unter „integrativer Unterrichtung“ verstanden wird.9 Kennzeichen des vor nunmehr fast 40 Jahren mit den ersten Schulversuchen eingeleiteten und dann auf breiter Front unter der Überschrift „integrative Unterrichtung“ umgesetzten Paradigmen­ wechsels ist exakt das, was in der obigen Gegenüberstellung als „Inklusions 8 Eine sorgfältige und instruktive Darstellung des Sach- und Diskussionsstandes zur Terminologie des Komplexes Integration/Inklusion bietet Bürli, Integration/Inklusion aus internationaler Sicht – einer facettenreichen Thematik auf der Spur, in: ders./Strasser/Stein (Hrsg.), Integration und Inklusion aus internationaler Sicht, S. 15 ff. Die Übersicht zeigt, dass sich hinsichtlich Terminologie, Sprachgebrauch und damit verbundenen inhaltlichen Positionen unter internationalem Blickwinkel ein höchst differenziertes Bild ergibt. Bürli, ebd., S. 30, spricht gar von einer „babylonischen Sprachverwirrung“. Daraus ergeben sich, worauf Bürli, ebd., S. 53 ff., zutr. hinweist, zwei Schlussfolgerungen: 1. Die Semantik eignet sich nicht dazu, apodiktisch die eigene Position zur allein richtigen zu erklären, um so dem angeblich richtigen Bewusstsein Geltung zu verschaffen. Vielmehr zeigt sich gerade in der Differenziertheit von Terminologie und Sprachgebrauch die Pluralität der Meinungen über den richtigen Weg zum gemeinsamen Ziel. Als Grundhaltung ist somit gefragt: Toleranz und nicht Absolutsetzung der eigenen Position. Für die Ebene der Kommunikation bedeutet das: Dialog statt Belehrung, Austausch statt Proselytenmacherei, gegenseitiger Respekt statt persönlicher Herabsetzung. 2. Es ist nicht zulässig, gegen den bei der Auslegung der VN-Behindertenrechtskonvention gebotenen normativen Ansatz eine komparative Vorgehensweise in Stellung zu bringen. Es hat suggestiven Charakter, auf andere Länder zu verweisen, in denen die Verhältnisse angeblich bereits im Sinne der eigenen Lesart der VN-Be­hindertenrechtskonvention gestaltet sind. Solche Vergleiche gewinnen gegenüber dem hiesigen Publikum ihre Überzeugungskraft vor allem dadurch, dass Berichte „Von fremden Ländern und Menschen“ in aller Regel von diesem Publikum nicht verifiziert werden können. Nicht wenige dieser mit komparativem Ansatz unternommenen Überzeugungsversuche sind eher der Rhetorik als der Empirie zuzuordnen. Siehe hierzu auch Stoellger, Schulische Integration zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Zeitschrift für Heilpädagogik 1990, 780: „Dabei leidet die Auseinandersetzung nicht nur daran, daß häufig Wunsch und Wirklichkeit argumentativ vertauscht werden, die Utopie als Realität ausgegeben wird, wenn nicht hier dann doch als anderswo, z. B. in Italien, in England, in den USA, anzutreffend vorgegeben wird.“ Von einer „bemerkenswert lockere[n] Bezugnahme zur empirischen Realität“ berichtet auch Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 45, m. w. N.: „Vielfach paart sich die selektive Wahrnehmung oder höchst einseitige Interpretation hiesiger Verhältnisse mit einem von Sorgen befreiten Blick in die Ferne. Dort, in anderen Ländern, sollen die hier aufgeworfenen Probleme nicht existieren oder in einem unvergleichlich besseren Maße gelöst werden – dank eines anders gestalteten Schulsystems, das allein einen humanen Umgang ermöglicht. Dass die Verhältnisse auch dort nicht widerspruchsfrei sind und vielfach ähnliche oder gleiche pädagogische Probleme wie hierzulande existieren, wird nur ungern zur Kenntnis genommen […].“ 9 Dieses unzutreffende Begriffsverständnis von „integrativer Unterrichtung“ findet sich auch in der Rede des Bundestagsabgeordneten Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Verabschiedung des Vertragsgesetzes zur VN-Behindertenrechtskonvention am 4.12.2008, Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 20965 f.

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ansatz“ bezeichnet wird, nämlich die Anpassung der allgemeinen Schule an die Leistungsfähigkeit des behinderten Schülers.10 Diese Anpassung geschieht an erster Stelle durch das Angebot von zieldifferentem Unterricht für die behinderten Schüler, die mit den regulären Anforderungen der allgemeinen Schule überfordert sind. Im zieldifferenten Unterricht sieht Ries daher zu Recht das „Herzstück“ des „Reformprojekt[s] Integration“.11 Hierzu soll die allgemeine Schule in sächlicher, vor allem aber – und das ist die entscheidende Voraussetzung – in personeller Hinsicht so ausgestattet werden, dass sie diesem erweiterten Unterrichtsauftrag gerecht werden kann. Dazu ist grundsätzlich u. a. vorgesehen, dass für die Förderung des jeweiligen behinderten Schülers zusätzliches pädagogisches Personal zur Verfügung gestellt wird. Ob diese zusätzlichen personellen Ressourcen von der Schuladministration unter dem Aspekt der Ressourcenallokation an die Person des behinderten Schülers adressiert werden (Ambulanzlehrer-Stunden je Schüler und Unterrichtswoche)  oder pauschal („Budgetierung“) an die jeweilige Schule als Institution zur zweckentsprechenden Verwendung, kann den angeblichen Unterschied zwischen Integration und Inklusion nicht begründen. Entscheidend ist, ob das zusätzlich erforderliche Personal tatsächlich zur Verfügung gestellt wird, um die pädagogischen Anforderungen und damit den Bildungsanspruch des behinderten Kindes erfüllen zu können. Ein Blick auf die inzwischen in den Bundesländern ergangenen Regelungen zur „integrativen Unterrichtung“ zeigt, dass diese Möglichkeit der Organisation von zieldifferentem Unterricht für behinderte Schüler an entsprechend auszustattenden allgemeinen Schulen grundsätzlich in allen Ländern rechtlich vorgesehen ist.12 Insoweit ist die Aussage gerechtfertigt, dass Integration im Sinne des im deutschen Schulwesen und im gemeindeutschen Schulrecht inzwischen längst gefestigten Sprachgebrauchs und Inklusion „inhaltlich Analoges meinen“.13 Man hat es also mit einem bloßen „Austauschen der Termini“14 zu tun, ohne dass sich an Inhalt und Ziel des Vorhabens Wesentliches geändert hat.15 10

Siehe oben sub Kap. 2 B. Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (83). 12 Das wird letztlich auch von Avenarius, Schulrecht, S. 81, unter Hinweis auf die Ländersynopse bei Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 68 ff., 120 ff., bestätigt, wobei er anmerkt, dass aufgrund dieser Regelungen die Möglichkeit besteht, „den integrativen Unterricht im Sinne des Inklusionskonzepts auch zieldifferent auszurichten“; siehe hierzu auch unten sub Kap. 16 D. III. 2. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht an dieser Stelle ausschließlich um den konzeptionellen und normativen Aspekt. Auf einem anderen Blatt steht, wie es in der schulischen Realität um die erforderlichen Rahmenbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die erforderliche personelle Zusatzausstattung tatsächlich bestellt ist; siehe zum diesbezüglichen Realbefund im Saarland oben sub Kap. 7 und 8. 13 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 8. 14 Speck, ebd., S. 59. 15 So auch Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechtskonvention, SGb 2013, 391 (392), der darauf hinweist, dass „‚inclusive education‘ nichts anderes [meint] als integrative Bildung in seiner allgemeinen Bedeutung.“ 11

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Allenfalls entnimmt man dem Begriff „Inklusion“ die Aufforderung, den bisherigen Integrationsansatz kontinuierlich, jedoch mit größerer Intensität und damit vor allem mit verstärktem finanziellem Engagement des Staates umzusetzen und auf diese Weise fortzuentwickeln. In der bei einigen Autoren anzutreffenden Koppelung bzw. Schreibweise „Integration/Inklusion“16 wird das neue Trendwort „Inklusion“ in die Kontinuität der bisherigen Entwicklung gestellt.17 Alfred Sander beschreibt verschiedene Entwicklungsstufen des Integrationsprojekts und sieht in dem Trendbegriff „Inklusion“ – Sander: „‚Inklusion‘ ist ‚in‘“18 – den Ausdruck der Bereitschaft zur Rückbesinnung auf den „vollen Anspruch“ einer „von Fehlformen bereinigte[n], optimiert[en] Integration“.19 3. Hintergrund der Behauptung einer begrifflichen Divergenz Der von den zitierten Autoren dargestellte Unterschied zwischen dem „Integrationsprinzip“ und dem „Inklusionsansatz“ ist mithin kein realer.20 Das ist angesichts des insoweit für die Beschreibung der pädagogischen Wirklichkeit in der 16

Vgl. Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 8. Siehe auch Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 16: „Die Empfehlungen zur inklusiven Bildung knüpfen an die Grundpositionen der ‚Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland‘ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6. Mai 1994) einschließlich der Empfehlungen zu den Förderschwerpunkten an und stellen die Rahmenbedingungen einer zunehmend inklusiven pädagogischen Praxis in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen dar.“ Diese Kontinuität wird auch betont in Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S. 6: „Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung vom 6. Mai 1994 bilden die Grundlage für die Ausgestaltung der sonderpädagogischen Förderung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben in allen Ländern zu einer Pluralität der Förderorte und zu einer Vielfalt der Organisationsformen für die sonderpädagogische Förderung geführt. […] Die Empfehlungen von 1994 werden der Intention der Behindertenrechtskonvention entsprechend weiterentwickelt. Dabei werden die in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen, vor allem mit dem integrativen Unterricht, berücksichtigt. […] Die Erweiterung des Angebots sonderpädagogischer Förderung in einer zunehmend inklusiven allgemeinen Schule ist eine komplexe und kontinuierliche Aufgabe. Dies erfordert einen Gestaltungsprozess, der von den bestehenden Strukturen, den gegebenen finanziellen und personellen Ressourcen, den vorhandenen Kompetenzen und den Haltungen der Akteure ausgeht und diese weiterentwickelt.“ 18 Alfred Sander, Konzepte einer Inklusiven Pädagogik, Zeitschrift für Heilpädagogik 2004, 240 (240). 19 Alfred Sander, ebd., S. 242. 20 Bereits an dieser Stelle wird auf Kap. 16 D. III. 2. hingewiesen: Mit ihren dort wiedergegebenen Aussagen liefern Poscher/Rux/Langer und die nordrhein-westfälische Kultusministerin Sylvia Löhrmann (Bündnis 90/Die Grünen) eine Bestätigung der vom Verfasser der vorlie 17

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Bundesrepublik Deutschland gefestigten Sprachgebrauchs so evident, dass man sich fragt, wodurch die Behauptung, hier gehe es um zwei verschiedene Dinge, motiviert ist. Es drängt sich die Frage auf: Soll dem Begriff der „integrativen Unterrichtung“ ein unzutreffender Inhalt zugeordnet werden, um die Richtigkeit der amtlichen deutschen Übersetzung von „inclusive education system“ mit „integratives Bildungssystem“ in Abrede stellen und somit dem englischsprachigen Begriff umso leichter einen Inhalt unterschieben zu können, der weit über das heutige, gefestigte Verständnis von „integrativer Unterrichtung“ in Deutschland hinausgeht? Diese Frage ist alles andere als eine substanzlose Spekulation. Sie hat eine handfeste Grundlage, wie sich im Folgenden zeigen wird.

B. Inklusive Schule – Vorhaben mit allumfassendem Anspruch I. Zielsetzung und Motive Tatsache ist nämlich, dass es in Deutschland eine Bewegung gibt, die mit dem Begriff „Inklusion“ im Schulwesen eine grundlegend andere Zielsetzung verfolgt, als es in der oben dargestellten synonymen Verwendung der Begriffe integrativ/ inklusiv zum Ausdruck kommt. Es ist von einem „radikalen Kurswechsel“21 die Rede. Man leitet  – insbesondere ungeachtet der amtlichen deutschen Übersetzung – aus der englischen Formulierung „inclusive education system“ die Forderung nach einem radikalen Umbau des Schulsystems ab. Stellvertretend auch für andere Protagonisten dieser Bewegung sei hier die Bertelsmann Stiftung genannt, in deren Auftrag Klemm fünf in der vorliegenden Schrift zitierte Ausarbeitungen zu dem Thema „inklusive Schule“ erstellt hat22 und deren Vorstandsmitglied Jörg Dräger sich wie folgt geäußert hat: „Diese völkerrechtliche Verpflichtung zur Inklusion, dem gemeinsamen Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen, wird unser Bildungssystem grundlegend verändern. Denn für unser Schulsystem bedeutet das nicht weniger als eine Revolution.“23 Auf dieser Linie heißt es bei Klemm: „Diese Konvention denkt bei Inklusion an ein Bildungsgenden Schrift vertretenen und im Folgenden detailliert begründeten Auffassung, dass es sich bei dem Begriffspaar integrativ/inklusiv um Synonyma handelt. 21 Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NWVBl. 2011, 409 (410). 22 Siehe das Literaturverzeichnis der vorliegenden Schrift. Bei der Vorstellung des Gutachtens „Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland“ (2012) hat die Bertelsmann Stiftung in ihrer Pressemeldung vom 23.3.2012, http://www.bertelsmann-stiftung.de (Zugriff: 25.3.2012), verlautbart: „Die Abkehr vom derzeitigen Sonderschulsystem schreibt eine UN-Konvention vor, die am kommenden Montag vor drei Jahren (26. März 2009) in Kraft trat.“ 23 Dräger, Inklusion rechnet sich, in: Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 4.

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system, in dem alle Heranwachsenden gemeinsam lernen. Ein solches System unterteilt Kinder und Jugendliche nicht in Gruppen, die sich nach Leistungsfähigkeit, Geschlecht, ethnischem oder sozialem Hintergrund oder nach sonst einem Kriterium unterscheiden. Ein solches Verständnis schließt die in Deutschlands gegliederten Sekundarschulen gängige Aufteilung von Schülerinnen und Schülern auf unterschiedlich anspruchsvolle Bildungswege aus […].“24 Die Beantwortung der Frage, ob die mit diesen konzeptionellen Vorstellungen inzident zum Ausdruck gebrachte Auslegung der VN-Behindertenrechtskonvention zutreffend ist, setzt eine Beschreibung und Analyse des Projekts „inklusive Schule“ im Sinne dieser erklärtermaßen auf grundlegende Veränderung des Schulsystems abzielenden Pläne voraus. Es geht also in einem ersten Schritt um die Identifizierung dessen, was sich dieser Lesart zufolge angeblich aus Art. 24 Abs. 1 VN-BRK ergibt. Anders formuliert: Es ist zunächst herauszuarbeiten, welches der Inhalt des Untersatzes des Subsumtions-Syllogismus ist. Das betrifft die Zielsetzung und Motive dieser schulkonzeptionellen Position ebenso wie die Beschreibung ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und der sich bei der Umsetzung des Projekts ergebenden Auswirkungen auf die Struktur des Bildungssystems. In ihrem Kern läuft die Forderung dieser bildungs- und gesellschaftspolitischen Bewegung, bezogen auf den vorliegenden Zusammenhang, auf Folgendes hinaus: –– Gewährung eines voraussetzungslosen subjektiv-öffentlichen Rechts eines behinderten Kindes auf integrative Unterrichtung; –– Abschaffung der Förderschule und Bestimmung der allgemeinen Schule zum alleinigen Ort sonderpädagogischer Förderung; –– „Überwindung“ des differenzierten Schulsystems mit dem Ziel der Einheitsschule als „Schule für alle“.25 Die Befürworter dieses radikalen Neuansatzes finden mit ihren „forcierten und z. T. totalisierenden Forderungen nach einem (‚unverzüglichen‘) Systemwechsel des Schulsystems einschließlich der Abschaffung der Förderschulen“26 u. a. bei einigen einflussreichen Medien27 eine beträchtliche Resonanz. So ist die mit der 24

Klemm, Gemeinsam lernen. Inklusion leben, S. 12. So z. B. Schumann, Inklusion statt Integration – eine Verpflichtung zum Systemwechsel, Pädagogik 2009, Heft 2, 51 (53): „Die grundsätzliche Unvereinbarkeit unseres ausgrenzenden und aussondernden Regel- und Sonderschulsystems mit dem Anspruch der Konvention auf vollständige Inklusion oder Einbeziehung und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird schlichtweg geleugnet.“ Eine solche Grundannahme läuft im Ergebnis auf die Forderung nach Abschaffung der Förderschulen hinaus. 26 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 83. 27 So z. B. Verbeet/Windmann, Drinnen vor der Tür, „Der Spiegel“ Nr. 24 vom 11.6.2011, S. 47: „Kein Kind muss mehr eine Sonderschule besuchen, wenn seine Eltern das nicht wollen. So verspricht das eine Uno-Konvention seit zwei Jahren – in der Praxis hat sich sehr wenig geändert.“ Auf die Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung, die hierzu Klemm mit einer Serie von Gutachten beauftragt hat, wurde oben bereits hingewiesen. 25

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erwähnten Zielsetzung postulierte „Inklusion“ auf dem Gebiet des Schulwesens zu einem sozialpolitischen und bildungspolitischen Kampfbegriff28 geworden. Es ist unschwer zu erkennen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen soll, Förderschulen seien inhumane, abzuschaffende Institutionen und mit der VN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar. Der Anspruch dieser keine Ausnahme duldenden, totalen Inklusion lässt zwangsläufig keinen Raum für eine differenzierte Bewertung von Inklusion und Exklusion aus der Sicht des jeweils Betroffenen.29 Dem quasitotalitären Charakter dieses Denk- und Handlungsansatzes entspricht die Emotionalisierung der Öffentlichkeit durch die Exponenten dieser Bewegung. II. Instrumentalisierung der Organisationsfrage sonderpädagogischer Förderung für weiterreichende Zwecke 1. Inklusion als neues Moment in der Frage des Schulsystems Der schrille Ton, mit dem in Deutschland im politischen Bereich30 sowie in einem Teil der Medien und der Fachliteratur unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen und unter der Überschrift „Inklusion“ auf die Abschaffung der Förderschulen hingearbeitet wird, deutet auf verdeckte Motive hin. Gewiss spielen auch enttäuschte, weil von Anfang an überzogene und unrealistische Erwartungen bezüglich der vor vier Jahrzehnten in Gang gekommenen integrativen Unterrichtung eine Rolle. Sie sind vor allem darauf zurückzuführen, dass man schon damals die gesellschaftlichen, finanzwirtschaftlichen, sozialpsychologischen und pädagogischen Rahmenbedingungen nicht gebührend in Rechnung gestellt hatte. Doch legt die mit emotional aufgeladener Emphase und aggressivem 28

Vgl. Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 67. Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S.  24, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011), entnimmt, wie aus seinen nachstehend zitierten Darlegungen hervorgeht, der VNBehindertenrechtskonvention das Konzept einer Totalinklusion: „Wie sämtliche Bestimmungen der BRK so kann auch Art. 7 BRK nur im Lichte des Inklusionsgedankens im Sinne einer bestmöglichen Förderung aller Kinder zu verstehen sein. Sieht man Artikel 7 Abs. 2 BRK in diesem Licht, wird deutlich, dass man dem Kindeswohl behinderter Kinder nur dann gerecht wird, wenn man sie in sämtliche gesellschaftliche Bereiche inkludiert. Damit ist der Kindeswohlaspekt als Schranke für den Zugangsanspruch nahezu ausgeschlossen. Anders können die Bestimmungen der BRK nicht zu verstehen sein.“ 30 Als Beispiel für die Stimmen aus dem politischen Raum, die der VN-Behindertenrechtskonvention ein Verbot der Förderschulen glauben entnehmen zu können, sei die Äußerung der SPD-Bundestagsabgeordneten Silvia Schmidt bei der Verabschiedung des Vertragsgesetzes am 4.12.2008, Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 20961, genannt: „Dieses Abkommen enthält ein Menschenrecht und verbietet jegliche Sondersysteme und Sonderbehandlung.“ 29

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Ton vorgetragene Forderung nach einem grundstürzenden Umbau des Schul­ wesens die Vermutung nahe, dass man es bei Anhängern dieser Schulkonzeption in Politik und Wissenschaft sowie in Teilen der Publizistik in Wirklichkeit mit einem weit über das Anliegen behinderter Kinder hinausreichenden gesellschaftspolitischen, im Kern ideologiegetriebenen Projekt zu tun hat: Es geht auf der ideengeschichtlichen Linie von der Einheits-, Gesamt- und Gemeinschaftsschule um die „Überwindung“ jeglicher Differenziertheit des Schulsystems, d. h. um die Utopie „der Schule für alle“. Das ist der Versuch einer Instrumentalisierung der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher zum Zweck der Realisierung eines gesinnungsethischen Groß- und Jahrhundertprojekts („Einheitsschule“; „Gesamtschule“; „länger gemeinsam lernen“; „inklusive Schule“; „eine Schule für alle“; „eingliedriges Schulsystem“31). Den Protagonisten dieser Kampagne kommt die VN-Behindertenrechtskonvention wie gerufen, um die alten Ziele mit neuem Schwung verfolgen zu können. So hat etwa Klaus Kessler, der in der sog. Jamaika-Koalition (2009–2012) im Saarland Kultusminister war, erklärt: „Das gegliederte Schulsystem widerspricht eigentlich der Intention der UN-Konvention. Dem Inklusionsgedanken würde nur eine Schulform für alle gerecht.“32 Die VN-Behinderten­rechtskonvention ist der Vorwand und das Wort „Inklusion“ wird zu einem absichtsvoll, nämlich ideologisch aufgeladenen Begriff. Auf diesen Befund trifft man auch in der Beschreibung des diesbezüglichen bildungspolitischen Kräftefeldes bei Wocken. In Gegenüberstellung zu dem „konser­ vativen Lager“, das angeblich nur auf Sonderschulen setzt und folglich „keinerlei Handlungsbedarf“ sehe, heißt es in seinem Aufsatz: „Auf der anderen Seite deuten die fortschrittlichen Kräfte den Terminus ‚inklusives Bildungssystem‘ als eine Aufforderung zu einer Abschaffung jeglicher Gliederung: Keine Gymnasien, keine Realschulen, keine Sonderschulen, sondern nur noch und einzig und allein eine gemeinsame Schule für alle.“33 Es ist dies nur eine andere Umschreibung dessen, was Poscher/Rux/Langer als das „Telos des Art. 24 BRK“34 bezeichnen, nämlich „eine Schule für alle“.35 Im gleichen Sinne benennt Degener, die sich hierbei

31 Der letztgenannte semantische Beitrag, der den sprachschöpferischen Höhepunkt bei dem Bemühen um terminologische Verschleierung der bildungspolitischen Absichten darstellt, findet sich in der Programmatik der Partei Die Piraten: Siehe SZ Nr. 89 vom 16.4.2012, S. A 1, Piraten: Wahlalter ab 12, Schule ohne Gymnasium, und Wagner, Mit frischem Geld zu größerem Erfolg, FAZ Nr. 65 F vom 16.3.2012, S. 2. 32 Kessler, „Ich möchte die Gymnasien nicht aus der Verantwortung entlassen“. Inklusion im Saarland: Ex-Minister macht Druck. Interview, geführt von Thomas Schäfer, SZ Nr. 83 vom 8.4.2014, S. A 2. 33 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167. 34 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 27 (Hervorh. im Original). 35 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 25, 27, wo es, S. 25, außerdem heißt: „Die Erreichung dieser Ziele setzt im Gegensatz zum Konzept der Integration eine systemische Veränderung im Schulwesen voraus, und zwar im Hinblick auf die Schulorganisation, die Lehrpläne, die Pädagogik, die Didaktik und Methoden sowie der Lehrerbildung.“

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auf die Salamanca-Erklärung36 bezieht, die mit dem Begriff „Inklusion“ verfolgte Zielsetzung: „Es wird jedoch[37] deutlich, dass mit ihm eine andere Geisteshaltung in der Bildungspolitik eingeführt werden sollte. Inklusion wird als das fundamentale Prinzip einer ‚Schule für alle‘ eingeführt, die alle einschließt, Differenzen zelebriert, Lernen unterstützt und auf unterschiedliche Bedürfnisse reagiert.“38 Degener befindet sich hiermit auf einer Linie mit einem Eckpunkte- und Empfehlungspapier des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der nationalen Monitoringstelle zur VN-Behin­dertenrechtskonvention, „das klar und angemessen die Mindestanforderungen für eine Umwandlung des segregierenden in ein inklusives Bildungssystem in Deutschland benennt“.39 Dazu gehört u. a. die Forderung, dass Förderschulen „in Kompetenzzentren als ‚Schulen ohne Schüler‘ umgebaut werden [müssen]“.40 Man ginge fehl, in diesen Forderungen nur eine Aussage zur Positionierung der Förderschule im Verhältnis zu den Regelschulen zu erkennen. Vielmehr wird darin in grundsätzlicher Weise die Legitimität der strukturellen Differenziertheit eines Schulsystems in Abrede gestellt, weil es segregierenden bzw. selektiven Charakter besitze. Positionierungen dieser Art münden daher, wie sich z. B. auch aus den Beiträgen von Hinz41 ergibt, in die Proklamierung einer fundamentalen Veränderung des Schulsystems im Sinne „einer Schule für alle“. Hinz spricht die Übersetzung mit Blick auf eine grundlegende Veränderung des Schulsystems an: „Nach der deutschen Übersetzung des englischen Begriffs ‚inclusive education‘ in der Salamanca-Erklärung von 1994 mit ‚Integration‘ hat sich diese problematische Tendenz, die Brisanz drohender Veränderungen semantisch zu minimieren, nun auch bei der Übersetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fortgesetzt. Wenn man diesen internationalen Standardbegriff mit seinen eigentlichen Implikationen nutzen würde, stünden gravierende Veränderungen an. Zumindest ließen sich Diskussionen über bisher ungern thematisierte Aspekte wie die über selektive schulische Strukturen schwerer tabuisieren.“42 Von Überlegungen dieser Art ist auch Klemm geleitet, wenn er mit Blick auf die derzeitige Verwirklichung integrativer/inklusiver Unterrichtung im Sekundarbereich I ausführt: „Darüber hinaus verweisen die Daten zur Sekundarstufe I 36

Zur Salamanca-Erklärung siehe unten sub Abschn. D. II. 2. a). Mit „jedoch“ bringt die Autorin zutr. zum Ausdruck, dass in der Salamanca-Erklärung der Inklusionsbegriff „nicht durchgängig als Alternative zum Terminus der ‚Integration‘ verwandt [wird].“ 38 Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (414). 39 Degener, ebd., S. 405 (418). 40 Degener, ebd., S. 405 (418). 41 Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? Zeitschrift für Heilpädagogik 2002, 354 ff. Ders., Inklusive Pädagogik in der Schule  – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende??, Zeitschrift für Heilpädagogik 2009, 171 ff. 42 Hinz, Inklusive Pädagogik in der Schule – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende??, Zeitschrift für Heilpädagogik 2009, 171. 37

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auf den dem gegliederten Sekundarschulwesen Deutschlands eigenen Widerspruch zum Inklusionsgedanken. Inklusiver Unterricht findet in Deutschland nach der Grundschule in einer auf Separation angelegten Schulstruktur statt.“43 Noch deutlicher heißt es bei Klemm an anderer Stelle: „Besonders in den Ländern, in denen das tradierte dreigliedrige Sekundarschulsystem noch stark ist, findet Inklusion in der Exklusion statt: In Bayern erhalten beispielsweise 90,1 Prozent derer, die nach der Grundschule weiterhin inklusiv unterrichtet werden, ihren inklusiven Unterricht in der Hauptschule, also in Lerngruppen, die durch ein weniger förderliches Lernmilieu geprägt sind.“44 Zwar wenden sich Faber/Roth45 unter ausdrücklichem Hinweis auf die oben zitierten Ausführungen von Wocken46 gegen die längst nicht mehr zu übersehenden Versuche, die VN-Be­hindertenrechtskonvention unter der Marke „Inklusion“ für eine fundamentale Veränderung des deutschen Schulsystems zu instrumentalisieren. Das hält die beiden Autorinnen47 jedoch nicht davon ab, ohne eine vertiefte Auseinandersetzung mit der amtlichen deutschen Übersetzung48 die Wiedergabe mit „integratives Bildungssystem“ beiseitezuschieben und statt dessen zu behaupten, mit „inclusive education system“ sei etwas anderes gemeint als mit „integrativer Unterrichtung“, es handele sich also um ein aliud. Mit dieser Vorgehensweise lässt sich dann die „inklusive Schule“ mit Inhalten aufladen, die in der Summe und im Ergebnis  – entgegen der anderslautenden Beteuerung der Autorinnen  – sehr wohl zur tiefgreifenden, systembezogenen Veränderung des deutschen Schulsystems führen würden.49 So heißt es bei Faber/Roth in weitgehender Übereinstimmung mit den hier bereits zitierten Ausführungen von Poscher/Rux/Langer: „Konkret werden Veränderungen im Hinblick auf Schulorganisation, Lehrpläne, Pädagogik, Didaktik, Methodik und Lehrerausbildung vorausgesetzt.“50 Außerdem wird postuliert: „Vorrang der inklusiven Beschulung in allen Schulformen als

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Klemm, Gemeinsam lernen. Inklusion leben, S. 21. Klemm, Inklusion in Deutschland – eine bildungsstatistische Analyse, S. 22. 45 Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1195). 46 Wocken, Architektur eines inklusiven Systems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 ff. 47 Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1195). 48 Vgl. auch Faber, Die Umsetzung der Inklusion durch das Neunte Schulrechtsänderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2014, 8 (9, Fn. 3). 49 Auch die Überschrift des Aufsatzes von Wocken, Architektur eines inklusiven Systems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 ff., legt die Annahme nahe, dass der Autor nicht nur pädagogische Detailfragen, sondern durchaus auch strukturelle Aspekte der künftigen Gestaltung des „Bildungssystems“ im Blick hat. Wocken spricht, ebd., S. 167 (177), im Zusammenhang mit dem „Aufbau eines inklusiven Bildungssystems“ von „eine[r] Bildungsreform von historischem Ausmaß“. 50 Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1195, Fn. 11). 44

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Grundprinzip“.51 Faber spricht mit Blick auf die Einführung der inklusiven Schule in Nordrhein-Westfalen durch das Neunte Schulrechtsänderungsgesetz von „einer derartig gravierenden Änderung des Schulsystems“.52 Auch Siehr/Wrase glaurechtskonvention die Verpflichtung zu einer weitreiben, der VN-Behinderten­ chenden Veränderung des deutschen Schulsystems entnehmen zu können: „Die aus der BRK resultierenden Verpflichtungen werden die Struktur des deutschen Schulsystems, das bis heute von einem ausdifferenzierten Sonderschulwesen geprägt ist, grundlegend verändern, denn Art. 24 beinhaltet ein Recht, dass [sic!] sich nicht im bestehenden Schulsystem realisieren lässt, sondern dessen Veränderung verlangt.“53 In der Sache weitgehend übereinstimmend heißt es hierzu bei Höfling: „Der BRK liegt die Zielvorstellung einer fast vollständigen Inklusion von Schülern mit Behinderungen in die Regelschulen zugrunde. […] In der Zusammenschau dieses quantitativen Veränderungsfaktors und der vorstehend beschriebenen qualitativen Neuausrichtung wird offenkundig, dass die Umsetzung der UN-BRK für die Bundesrepublik Deutschland und deren Bildungsbereich nicht mehr und nicht weniger bedeutet als die Notwendigkeit eines Systemwechsels. Der Terminus findet sich in der Literatur zur Umsetzung der UN-BRK in Deutschland immer wieder – und zu Recht […].“54 Zwar fährt Höfling in unmittelbarem Anschluss daran fort: „Diese allgemeinen Feststellungen dürfen nun nicht dahingehend missverstanden werden, dass die BRK eine gesonderte schulische Förderung von Kindern mit Behinderungen ausnahmslos und für alle Konstellationen ausschließt.“ Doch lässt Höfling keinen Zweifel daran, was er der VN-Behindertenrechtskonvention als zwingende rechtliche Konsequenz glaubt entnehmen zu können: „Der ‚Systemwechsel‘, den (nicht nur) in Nordrhein-Westfalen die Etablierung eines umfassenden inklusiven Schulangebots bedeutet, verlangt zum Teil  weitreichende Veränderungen der institutionellen Rahmenbedingungen im Schulwesen. […] Der organisationsstrukturelle Gestaltungsspielraum wird dabei ergänzt durch eine instrumentelle Maßnahmenvarianz.“55 Die solchermaßen aufgrund der VN-Behindertenrechtskonvention beanspruchte Befugnis, in Wahrnehmung eines „organisationsstrukturellen Gestaltungsspielraums“ die „institutionellen Rahmenbedingungen im Schulwesen“ zu verändern, bedeutet im Kern, dass das bestehende Schulsystem als solches zur Disposition gestellt wird: „Die Implementation von Inklusion, so wie die UN-Behindertenrechtskonvention und namentlich deren 51

Faber/Roth, ebd., S. 1199. Faber, Die Umsetzung der Inklusion durch das Neunte Schulrechtsänderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2014, 8 (14). 53 Siehr/Wrase, Das Recht auf inklusive Schulbildung als Strukturfrage des deutschen Schulrechts – Anforderungen aus Art. 24 BRK und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, RdJB 2014, 161. 54 Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art.  24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S.  11, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013) (Hervorh. im Original). 55 Höfling, ebd., S. 48. 52

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4. Teil: Inklusive Schule

Art. 24 sie verlangt, erweist sich für den Schulbereich in Deutschland als systemtransformierender Prozess.“56 Mit dieser Aussage in der Sache übereinstimmend heißt es bei Höfling/Engels bezüglich Art.  24 Abs.  2 VN-BRK: „Die Regelung stellt das nationale Bildungssystem vor eine große Herausforderung – nämlich vor die Notwendigkeit, die Zielperspektive eines gemeinsamen Bildungssystems einzunehmen.“57 In die gleiche Richtung weisen die Ausführungen von Blanck/Edelstein/Powell: „Schließlich steht der Anspruch auf inklusive Bildung in einem gemeinsamen Unterricht für alle im Widerspruch zur Gliederung des allgemeinen Schulsystems selbst. […] Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die Deutschland 2008 ratifiziert hat, verlangt die Gewährleistung ‚inklusiver‘ Bildung. Dies würde tiefgreifende Reformen in den Bundesländern notwendig machen und stellt letztlich das gegliederte Schulsystem insgesamt in Frage  – gegen starke Beharrungskräfte.“58 Tolmein, der insbesondere in dem Selbstverständnis des Gymnasiums ein Hindernis für die Idee der „Schule für alle“ sieht, leitet seinen Aufsatz mit der Frage ein: „Erfordert Inklusion das Konzept der einen Schule für alle – und wie passt das zu dem entschlossen verteidigten gegliederten Schulsystem in Deutschland?“,59 und er schließt ihn ab mit der Aussage: „Andererseits steht auch das gegliederte Schulsystem zur Disposition, das sich zumindest in seiner jetzigen Form nicht als ‚Schule für alle‘ eignet.“60 Die dieser Lesart der VN-Behindertenrechtskonvention zugedachte instrumentelle Funktion kommt auch bei Rux/Niehues zum Ausdruck. Dort hebt Rux bereits in seinem Vorwort zu dieser 5., vollständig neubearbeiteten Auflage hervor, was er von dem Übereinkommen der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erwartet: Die von ihm beobachtete „allmähliche Konvergenz zu zweigliedrigen Systemen, in denen neben dem Gymnasium nur noch eine weitere Schulart existiert“, beruhe nicht nur auf „ökonomische[n] Erwägungen, da sich die Länder auf sinkende Schülerzahlen einstellen müssen und sich schlicht außer Stande sehen, ein flächendeckendes System differenzierter Schularten anzubieten. Andererseits wird die Entwicklung aber auch durch pädagogische Erkenntnisse getrieben, die darauf hindeuten, dass die klassische Ausdifferenzierung des Schulsystems auf einem unrealistischen Konzept der ‚Begabung‘ beruht und maßgeblich für die in zahlreichen Studien belegte überdurchschnittliche soziale Selektivität des Schulsystems verantwortlich ist. In den nächsten Jahren könnte sich diese Entwicklung infolge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nochmals beschleunigen, da damit die sonderpädagogische Förderung weitgehend in die allgemeinen Schulen verlagert werden muss – und sich die Frage stellt, warum das Inklusionsprinzip nur für Schüler mit Behinderungen gelten soll: Schließlich sollte man annehmen, dass alle Schüler davon profitieren, wenn die Bildungsziele individu 56

Höfling, ebd., S. 50 (Hervorh. im Original). Höfling/Engels, Schulische Inklusion und finanzverfassungsrechtliche Konnexität, NWVBl. 2014, 1. 58 Blanck/Edelstein/Powell, Der steinige Weg zur Inklusion. Schulreformen in Deutschland und die UN-Behindertenrechtskonvention, WZB-Mitteilungen 2012, Heft 138, 17.  59 Tolmein, Inklusion als Herausforderung für die Rechts- und Bildungspolitik, ZRP 2014, 177. 60 Tolmein, ebd., S. 181. 57

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ell definiert werden. Auf Lehrkräfte, aber auch auf die Schüler und auf ihre Eltern kommen jedenfalls völlig neue Herausforderungen zu.“61

Noch deutlicher werden Rux/Niehues, wenn sie das, was sie der VN-Behindertenrechtskonvention glauben entnehmen zu können, wie folgt beschreiben: „Im Schulsystem fordert Art. 24 BRK dementsprechend den gemeinsamen Unterricht als Regelfall, womit sowohl die Existenz des ausdifferenzierten Systems von Förderschulen in Frage gestellt wird, als auch das gegliederte Schulsystem als solches, da es kaum vermittelbar ist, wenn innerhalb dieses Systems auf der einen Seite die Schüler entsprechend ihrer (vermuteten) Leistungsfähigkeit auf die verschiedenen Schularten verteilt werden und sich auf der anderen Seite selbst die Gymnasien für Schüler mit (geistigen) Behinderungen öffnen müssen. Dies hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung der Leistungen der Schüler.“62

Welche Konsequenzen aus dieser fundamentalen Systemveränderung Rux/Niehues sich vorstellen, machen sie insbesondere mit der auch an anderer Stelle wiederholten Aussage deutlich, dass „ggf. auch Gymnasien verpflichtet sind, Schüler mit einer geistigen Behinderung aufzunehmen.“63 Die Indienststellung der VN-Behindertenrechtskonvention für die bisher nicht gelungene Abschaffung eines differenzierten Schulsystems rechtfertigt von diesem Standpunkt aus nicht nur derartige Absurditäten, sondern führt letztlich diese Auslegung der VN-Behindertenrechts­ konvention als solche ad absurdum. Es ist unschwer zu erkennen, dass bei einer solchen Zielsetzung der hierfür instrumentalisierte Begriff der „Inklusion“ jede Handhabe bietet, die Inhalte der einzelnen Schulformen und die pädagogischen Modalitäten ihrer Vermittlung so zu „modifizieren“, dass es unmittelbare Auswirkungen auf die essentiellen Strukturmerkmale und das Profil der bestehenden Schulformen und damit auf das bestehende Schulsystem als solches hat. Zu nennen sind etwa die Inhalte und das Anforderungsniveau der Lehrpläne, der Maßstab für die Leistungsbewertung oder die Binnenstruktur der Schulform. Das betrifft nicht nur bereits vorhandene Differenzierungsmodelle integrierter oder teilintegrierter Schulformen, sondern kann auch zu äußerer Fachleistungsdifferenzierung dort führen, wo es bisher keine gibt, z. B. am Gymnasium. Denn bekanntlich soll nach diesen Plänen an allen Schulformen und auf allen Schulstufen zieldifferente Unterrichtung möglich sein,64 und es sollen 61

Rux/Niehues, Schulrecht, Vorwort zur 5. Auflage. Rux/Niehues, ebd., Rn. 112. 63 Rux/Niehues, ebd., Rn. 720. 64 Siehe hierzu z. B. Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1196, Fn.  21): „Es dürfte unstreitig sein, dass die Verpflichtung zur Sicherstellung eines inklusiven Schulsystems grundsätzlich das gesamte gegliederte Schulangebot (d. h. nicht nur bestimmte Schulformen wie z. B. die Hauptschule) in all seinen Schulstufen umfasst.“ Noch deutlicher Pörksen, Exklusion/Integration/Inklusion. Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung in Hamburg, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 21 (22): Zu dem Inklusionsprojekt gehöre, „dass Inklusion in Bezug auf alle Be 62

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4. Teil: Inklusive Schule

den oben zitierten Ausführungen von Faber/Roth zufolge alle Schüler in den gemeinsamen Unterricht einbezogen werden. So wird von Poscher/Rux/Langer bereits in den Raum gestellt, „dass auch in der gymnasialen Oberstufe Differenzierungen sinnvoll oder sogar geboten sein können, um Schülern mit Behinderungen den Zugang zu einem Hochschulstudium zu eröffnen.“65 Ist aber am Gymnasium erst einmal eine zieldifferente Unterrichtung – nur eine solche kann hier gemeint sein – grundsätzlich möglich, dann liegt zumindest aus der Sicht der Protagonisten dieser „Schule für alle“ der Schritt zu einer generellen Einführung äußerer Fachleistungsdifferenzierung an dieser Schulform nahe. Das wäre das Ende des Gymnasiums als Schulform mit seinem auf den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife ausgerichteten und insoweit im Saarland durch die institutionelle Garantie des Gymnasiums gewährleisteten Profil.66 Die Exponenten des radikalen Ansatzes der „inklusiven Schule“ dürften hiermit die Erwartung verbinden, dass daraus eine Eigendynamik entsteht, die über kurz oder lang zu einer grundstürzenden Veränderung des Schulsystems in seiner Gesamtheit führt. Es geht letztlich um das für die gesamte Strukturdebatte konstitutive Verhältnis von Gleichheit und Differenzierung. Der solchermaßen zurechtgebogene Inklusionsbegriff hat allerdings nichts mit Bildungsgerechtigkeit (suum cuique) zu tun, sondern erweist sich als plumpe Egalisierung. Faber/Roth bestätigen diese Analyse: Denn im direkten Anschluss an ihre Mahnung, „das Anliegen der UN-BRK sollte aber nicht zum Zwecke der Schulstrukturdebatte instrumentalisiert werden“, liest man dort den Satz: „Jedoch wird es – geht es doch um den Umgang mit Heterogenität – auch Auswirkungen auf diese Debatte haben.“67 Je nach politischer Ausrichtung wird dies inzwischen auch in regierungsamtlichen Äußerungen bestätigt. So heißt es z. B. in der Antwort der von einer Großen Koalition getragenen saarländischen Landesregierung zu einer parhinderungsarten in allen Schulformen der Sekundarstufe einschließlich der Gymnasien selbstverständliche Realität wird. Andernfalls können einzelne Schulformen in eine nicht vertretbare Überforderungssituation geraten.“ Aussagen dieser Art provozieren geradezu die Frage: Soll also, gestützt auf die VN-Behindertenrechts­konvention, ein 17jähriger geistig behinderter Schüler berechtigt sein, die gymnasiale Oberstufe eines wohnortnahen Gymnasiums zu besuchen, wo er dann zieldifferent zu unterrichten ist, während nichtbehinderten Schülern, die die Voraussetzungen für den Zugang zum Gymnasium nicht erfüllen oder die den Anforderungen des Gymnasiums nicht genügen, der Zugang zum Gymnasium bzw. der Verbleib am Gymnasium versagt ist? Die Ungleichbehandlung des behinderten Schülers verstoße, so könnte jemand sagen, nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da es sich insoweit um eine nach dieser Vorschrift zulässige Bevorzugung eines behinderten Menschen handelt. Vgl. hierzu Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule?, SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 2012, 83 (84). 65 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 69. 66 Näheres hierzu siehe unten sub Kap. 17 B. IV. 67 Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1195). Auch Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (55), spricht mit Blick auf Art. 24 VN-BRK von einer „für die Schulpolitik der Länder so einschneidenden Regelung“ mit einem „eine Schulsystemfrage aufwerfenden Inhalt“.

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lamentarischen Anfrage: Man werde „die Rechtsgrundlagen zur inklusiven Beschulung von allen Kindern und Jugendlichen (nicht nur von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Förderbedarfen)“ ändern.68 An welche Methoden und Instrumente man hierbei zu denken hat, macht die oben wiedergegebene Ankündigung von Rux/Niehues deutlich, auch Geistigbehinderte müssten künftig im Gymnasium unterrichtet werden, und das werde auch „erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung der Leistungen der Schüler“ haben, d. h. für alle Schüler. Es geht hier um „individuelle Leistungsbewertung“, d. h. die Abkehr von einem objektiven, vorgegebenen Leistungs- und Bewertungsmaßstab und die Maßgeblichkeit einer „individuellen Leistungsnorm“ im Sinne eines selbstreferenziellen Maßstabes. Die damit insbesondere für den Bildungsanspruch der nichtbehinderten Schüler verbundenen Konsequenzen würden das Bildungssystem in seiner Gesamtheit nachhaltig beschädigen.69 Deutlicher lässt sich nicht zum Ausdruck bringen, dass man unter der Marke „Inklusion“ Ziele verfolgt und Strukturveränderungen legitimieren will, die mit sonderpädagogischer Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher nichts zu tun haben. Das ist die Instrumentalisierung sonderpädagogischer Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher für andere Zwecke. Die Gestaltung des Bildungsangebotes für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf  – das sind etwa 6 % aller Schüler in der Bundesrepublik Deutschland – muss dazu herhalten, jene grundstürzende Veränderung des für die „übrigen“ 94 % gedachten deutschen Schulsystems zu rechtfertigen, die man in den vergangenen 40 Jahren von interessierter Seite vergeblich zu erreichen versuchte. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass unter Berufung auf die VN-Behindertenrechtskonvention nach Art der Inanspruchnahme eines Alibis der Versuch unternommen wird, die Gestaltung des gesamten Schulsystems von den – für sich genommen selbstverständlich legitimen und zu beachtenden – Bedürfnissen des behinderten Kindes her zu konzipieren. Die Sachwidrigkeit einer solchen Vorgehensweise ist ebenso evident wie die Fragwürdigkeit, sich hierfür auf die VN-Behindertenrechtskonvention zu berufen. Dabei wird das entscheidende Hindernis in der Existenz des Gymnasiums gesehen, dem man, wie die Ausführungen von Rux/Niehues zur künftigen Unterrichtung geistig behinderter Schüler am Gymnasium zeigen, sein Proprium entziehen will. In dem Bericht der Saarbrücker Zeitung über den Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am 8./9.10.2013 in Saarlouis, bei dem die Delegierten u. a. die Abschaffung der Förderschulen forderten, heißt es: „Die Delegierten sprachen sich zugleich für eine Weiterentwicklung des Gymnasiums zu einer ‚Schule für alle‘ aus.“70 Es ist dies die Neuauflage des 68 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Nachfrage zur Antwort der Landesregierung auf die Anfrage betreffend Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule [Drucksache 15/279 (15/172)], LT-Drucks. 15/450 NEU vom 30.4.2013 (Hervorh. d. Verf.). 69 Näheres hierzu siehe unten sub Kap. 17 D. 70 SZ Nr. 235 vom 10.10.2013, S. B 2, GEW für Abschaffung der Förderschulen.

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Versuchs zu einer grundstürzenden Veränderung des deutschen Schulsystems. Anders als bei der Schulstrukturdebatte in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts soll allerdings das gesellschaftspolitische Motiv nicht offen zu Tage treten, weil man das gleiche Ziel jetzt in Geltendmachung des humanitären und sozialen Anliegens eines völkerrechtlichen Dokuments zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen glaubt erreichen zu können. Zu der Entscheidung des niedersächsischen Gesetzgebers, in § 4 des niedersächsischen Schulgesetzes die öffentlichen Schulen zu inklusiven Schulen zu erklären, merkt Kingreen zutreffend an: „Tatsächlich ging es ihm aber auch nicht nur darum, eine – vermeintliche – völkerrechtliche Verpflichtung umzusetzen. § 4 NschG ist vielmehr Ausdruck eines politischen Willens, der durch die Ratifikation der Behindertenrechtskonvention begünstigt worden sein mag, aber durch diese nicht determiniert worden ist.“71 Die gleiche rechtliche Einschätzung, bezogen auf die Entwicklung auch in anderen Bundesländern, äußert Luthe: „Alles, was an integrativer Beschulung in den einzelnen Bundesländern getan wird und wurde, ist nicht das Ergebnis internationaler Rechtsbindungen, sondern allein das Ergebnis grundsätzlich freier politischer Willensbildungsprozesse. Die Politik muss Farbe bekennen. Als vorgeschobener Grund für wahlkampftaktische Manöver im Verborgenen wird die Konvention auf Dauer nicht überzeugen können.“72 2. Bildungsökonomische Rechtfertigungsversuche Flankiert wird dieser bildungspolitisch motivierte, im Namen bzw. unter dem Vorwand der Inklusion unternommene Versuch einer grundlegenden Umgestaltung des deutschen Schulsystems mit einem bildungsökonomischen Argument. Man könne sich, so heißt es, aus Kostengründen keine „zwei Systeme“ nebeneinander leisten, und man könne mit der Auflösung der Förderschulen und der Umleitung der dadurch frei werdenden Ressourcen endlich die „inklusive Schule“ ermöglichen. a) Verlautbarungen zur Kostenfrage In diesem Sinne äußert sich z. B. Preuss-Lausitz: „Billiger als das heutige System wird ein inklusives Schulsystem sicherlich nicht. Aber es muss auch nicht automatisch teurer werden, wie der Kollege Klaus Klemm und ich für das Bundes­ land Bremen[73] exemplarisch gezeigt haben. Denn man verlagert ja nur Personal 71 Kingreen, Die Konnexitätsrelevanz der Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen, NdsVBl. 2014, 265 (270). 72 Luthe, Die Behindertenrechtskonvention – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190 (195). 73 Siehe Klemm/Preuss-Lausitz, Gutachten zum Stand und zu den Perspektiven der sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Stadtgemeinde Bremen, S. 75 ff.

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von einer Schule an die andere. Teuer ist es hingegen, zwei Systeme parallel zu finanzieren. Das können wir uns nicht leisten.“74 Dazu ist zu sagen: Eine solche Vorgehensweise wäre gleichbedeutend mit der Etablierung der Schlicht- bzw. Primitivversion von integrativer/inklusiver Unterrichtung, d. h. von einer verantwortbaren integrativen Unterrichtung könnte erst recht keine Rede mehr sein. Wer integrative/inklusive Unterrichtung „kostenneutral“, d. h. mit der Auflösung der Förderschulen, der Verlagerung ihrer Lehrkräfte an die allgemeinen Schulen und somit ohne zusätzliches pädagogisches Personal glaubt realisieren zu können, hat keine verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung im Auge. Dass sich die zieldifferente Unterrichtung behinderter Schüler sowie die integrative/inklusive Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten nur mit einer durchgängigen pädagogischen Doppelbesetzung in verantwortbarer Weise realisieren lässt, ist von Aussagen dieser Art offensichtlich nicht mitumfasst. Allein mit der Verlagerung aller derzeit an den Förderschulen tätigen Lehrkräfte an die allgemeinen Schulen ist dort kein generelles Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) zu gewährleisten, wie es für eine verantwortbare zieldifferente integrative/inklusive Unterrichtung unverzichtbar ist. Finanzwirtschaftliche und pädagogische Unbekümmertheit spricht auch aus den nachfolgend wiedergegebenen Äußerungen von Poscher/Rux/Langer: Der Aussage des Bundesverfassungsgerichts „liegt die stillschweigende Vermutung zugrunde, dass der integrative Unterricht zu Mehr­ aufwendungen für die öffentliche Hand führen kann. Diese Vermutung scheint in einem deutlichen Widerspruch zu den Annahmen der Verfasser der Behindertenrechtskonvention zustehen, die bei ihren Beratungen davon ausgegangen waren, dass ein vollständig integratives (inklusives) Schulsystem kostengünstiger wäre als die Gewährleistung von (mindestens) zwei Parallelsystem.“75

In der Tat geht das Bundesverfassungsgericht,76 wie oben77 aufgezeigt, offen­ sichtlich und, wie die inzwischen in Deutschland gemachten schulpraktischen Erfahrungen beweisen, zu Recht von erheblichen Mehraufwendungen aus. Die genannten Autoren treten dieser Einschätzung jedoch nicht mit belastbaren Berechnungen und Fakten entgegen, sondern gründen in dieser essentiellen Frage ihre abweichende Meinung auf Annahmen und Vermutungen. Diese Begriffe finden sich auch bei Rux: „In diesem Zusammenhang sei der Hinweis darauf gestattet, dass die Verfasser der Behindertenrechtskonvention ihren Formulierungen die Vermutung zugrunde gelegt haben, dass ein inklusives Schulsystem die Haushalte der Unterzeichnerstaaten gegebenenfalls weniger stark belasten würde, als die Beibehaltung besonderer Schulen für Menschen mit Behinde 74 Preuss-Lausitz, in: ders./Stöppler, Behinderte Schüler. Das Recht auf Miteinander. Streitgespräch, http://www.zeit.de/2010/06/Streitgespraech-Integration (Zugriff: 24.11.2011). 75 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 53 (Hervorh. d. Verf.). 76 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308). 77 Siehe oben sub Kap. 14 C. III. 1.

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rung. Diese Vermutung beruht wiederum auf der – unausgesprochenen – Annahme, dass die Staaten neben dem Regelschulsystem kein Parallelsystem von Förderschulen für diejenigen Schüler unterhalten, die bzw. deren Eltern noch nicht vom Sinn des inklusiven Unterrichts überzeugt sind. Dies führt dann aber dazu, dass denjenigen Schülern, die entsprechend den Vorgaben der BRK auf ihrem Recht zum Besuch einer Regelschule bestehen, die eventuellen Mehrkosten nicht entgegen gehalten werden dürfen, die mit der Errichtung und Unterhaltung zweier verschiedener Schulsysteme verbunden sind.“78

Wie es um die Belastbarkeit mancher Wortmeldung zur Kostenfrage bestellt ist, zeigt sich etwa an folgender Äußerung von Krajewski, in der es ohne Begründung heißt: „Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass ein integratives Bildungssystem langfristig volkswirtschaftlich günstiger ist als die separate Beschulung von Kindern mit Behinderungen.“79 Mit einer Reproduktion von Annahmen und Vermutungen hat man es auch bei den folgenden Ansichten von Krajewski/Bernhard zu tun: „Dabei ist zu beachten, dass die BRK grundsätzlich davon ausgeht, dass ein inklusives Schulsystem sowohl für die Kinder mit Behinderung als auch für Kinder ohne Behinderung von Vorteil ist und dass langfristig ein inklusives Bildungssystem sogar Kosten ein­ sparen könnte. Dabei handelt es sich um quasi-gesetzliche Vermutungen, die von den Behörden und ggf. den Gerichten bei der Auslegung des BayEUG und auch der Grundrechte zwingend zu beachten sind.“80 Dagegen formuliert Winkler, der realistischerweise an der Notwendigkeit eines Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung) keinen Zweifel lässt, zurückhaltend: „Ob ein inklusives Bildungssystem langfristig kostengünstiger ausfällt als ein duales, wie in der BRK zugrunde liegenden finanzwissenschaftlichen Studien vermutet wurde, ist offen.“81 b) Fragwürdigkeit der Handhabung des Begriffs „System“ Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es abwegig ist, hier von „zwei Systemen“82 zu sprechen. Vielmehr geht es um ein System, nämlich um das aus integra 78 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (224) (Hervorh. d. Verf.). 79 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht, JZ 2010, 120 (123). 80 Krajewski/Bernhard, Inklusive Schule im Freistaat Bayern?, BayVBl. 2012, 134 (139) (Hervorh. d. Verf.). 81 Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NWVBl. 2011, 409 (410). 82 Die sachlich unzutreffende Redeweise von den „zwei Systemen“, bei der die integrative/ inklusive Unterrichtung gegen die Förderschulen mit dem finanziellen Argument ausgespielt wird, findet sich auch bei Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 720, Fn. 853: „Jedenfalls dürfen die Mehraufwendungen, die mit der Einrichtung und Unterhaltung zweier verschiedener Systeme für die sonderpädagogische Förderung verbunden sind, nicht dazu führen, dass inklusive

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tiver Unterrichtung und Förderschule bestehende duale System, das die objektivinstitutionelle Grundvoraussetzung für ein substanzielles Wahlrecht der Eltern ist. Es ist daran zu erinnern, dass auch im Rahmen z. B. des traditionellen dreigliedrigen oder eines zweigliedrigen Schulsystems bis jetzt niemand auf den Gedanken kam, die einzelnen Elemente dieses Systems als nebeneinander bestehende „Systeme“ zu bezeichnen. Beim Angebot der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder muss eine abwegige Klassifizierung offensichtlich als Surrogat für Sachargumente herhalten. Daher ist an dieser Stelle die oben im Einzelnen dargelegte bundesverfassungsrechtliche Gewährleistung des aus integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschulen bestehenden Systems sonderpädagogischer Förderung in Erinnerung zu rufen.83 Sie findet ihre Bestätigung insbesondere in der dort zitierten Grundsatzentscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vom 8.10.199784 sowie in der Kammerentscheidung vom 30.12.1997.85 Beide Entscheidungen stehen jedem Versuch entgegen, die integrative/inklusive Unterrichtung mit bildungsökonomischen Argumenten gegen die Förderschulen auszuspielen. c) Vernachlässigung des schülerzentrierten Handlungsansatzes Es erstaunt, dass ökonomische, d. h. finanzwirtschaftliche Gründe bemüht werden, um eine angeblich aus pädagogischen, humanitären und sozialen Gründen unumgängliche Systemumstellung zu rechtfertigen. Ein schülerzentrierter Denk- und Handlungsansatz ist dies gewiss nicht. Doch ist das nicht überraschend: Die Abschaffung des dualen, aus integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschulen bestehenden Systems sonderpädagogischer Förderung wird bevorzugt von solchen Akteuren in Politik und Wissenschaft betrieben, die sich als Verfechter einer „Überwindung“ differenzierter Strukturen im Schulwesen einen Namen gemacht haben. Sie sehen in der Abschaffung von Förderschulen einen wichtigen Schritt hin zu dem Ziel einer Einheits- bzw. Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule („länger gemeinsam lernen“, „eine Schule für alle“, „eingliedriges Schulsystem“).

Angebote unterbleiben.“ Damit wird angesichts der staatlicherseits durchweg verfolgten Linie der „Kostenneutralität“, d. h. des auf der Inanspruchnahme des Lehrpersonals der Förderschulen basierenden Ausbaus integrativer/inklusiver Unterrichtung indirekt für den Abbau des Bildungsangebots der Förderschulen plädiert. Das ist mit der auch nach Rux/Niehues, ebd., Rn. 715, 716, maßgeblichen Leitentscheidung des BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308), nicht vereinbar; daran hat auch die VN-Behindertenrechtskonvention nichts geändert. 83 Siehe oben sub Kap. 14 C. III. 1. und D. V. 1. 84 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (308). 85 BVerfG-K (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 30.12.1997, 1 BvR 356/97, amtl. Umdruck S. 2.

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d) Prämissen und Ergebnisse von Kostenberechnungen Das im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vorgelegte Rechenwerk von Klemm zur bundesweiten Einführung der „inklusiven Schule“ lässt sich in der Tat unter die Überschrift subsumieren, die das Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung Jörg Dräger seinem Vorwort zu diesem Gutachten vorangestellt hat: „Inklusion rechnet sich.“86 Allerdings bezeichnet dieser Satz auf hintergründige, gewiss unbeabsichtigte Weise eine Art von Rechnen, bei dem essentielle pädagogische Belange auf der Strecke bleiben. Denn Klemm geht von Prämissen aus, bei denen der pädagogisch-qualitative Aspekt integrativer/inklusiver Unterrichtung und das Wahlrecht der Eltern nicht die ihnen gebührende Beachtung finden. Das zeigt sich in Folgendem: –– Nach wie vor fehlt es bei Klemm an der Akzeptanz des aus pädagogisch-qualitativen Gründen unverzichtbaren Zwei-Pädagogen-Systems (durchgängige Doppelbesetzung) für jede Klasse, in der ein Kind oder mehrere Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zieldifferent unterrichtet werden oder in der sich Schüler mit ausgeprägten sozialen Anpassungsproblemen befinden. Stattdessen legt er – bei Nutzung der demographischen Rendite – das „Huckepack-Prinzip“ zugrunde. Diesem Zuteilungsprinzip zufolge sollen bekanntlich auf den integrativ/inklusiv unterrichteten Schüler (nur) so viel Lehrerstunden an sonderpädagogischer Förderung entfallen wie pro Schüler an der Förderschule; nur das, was der Schüler von dort „mitbringt“, d. h. was an Lehrerbedarf an der Förderschule entfällt, soll als Zusatzausstattung in die Personalisierung einer Klasse der allgemeinen, inklusiven Schule einfließen. Wie oben87 im Einzelnen dargelegt, führt dieses rechtlich nicht haltbare Verständnis des Gleichheitssatzes, mit dem Verteilungs- und Sachgerechtigkeit suggeriert werden sollen, im Ergebnis zu einer defizitären, sonderpädagogisch nicht zu verantwortenden Unterrichtssituation in der Regelklasse der allgemeinen Schule. Bei Anwendung dieses Personalisierungsmaßstabes kann der Bildungsanspruch des behinderten Kindes grundsätzlich nicht erfüllt werden. –– Außerdem geht Klemm „davon aus, dass die Förderbereiche Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache (LES) bis 2020/21 zu 100 Prozent inklusiv unterrichtet werden. In Bezug auf die übrigen Förderschwerpunkte wird unterstellt, dass jeweils 50 Prozent der Schüler, die derzeit noch exklusiv unterrichtet werden, im Jahr 2020/21 inklusiv unterrichtet werden.“88 Im Ergebnis bedeutet das, dass nach den Vorstellungen und Erwartungen von Klemm bis 2020/21 alle Förderschulen Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache aufgelöst sind. Diese Schüler – es handelt sich dabei um 65 % 86

Dräger, Inklusion rechnet sich, in: Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 4. 87 Siehe oben sub Kap. 8 E. 88 Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 15.

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aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf89 – und ihre Eltern werden also, wenn es nach Klemm geht, keine Wahlmöglichkeit im Hinblick auf den Ort sonderpädagogischer Förderung mehr haben. Aus dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG und aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 Verf. d Saarl. sowie aus dem Recht der Eltern zur Bestimmung des Bildungsweges ihres Kindes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art.  26 Abs.  1 Satz 2 Verf. d. Saarl. resultiert jedoch die objektivrechtliche Pflicht des Staates, auch für das behinderte Kind und seine Eltern eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Lernortes anzubieten.90 Diese grundrechtlich verbrieften Rechtspositionen des behinderten Kindes und seiner Eltern würden bei der Realisierung der von Klemm entwickelten Vorstellungen verletzt. Auch die nach den Darlegungen von Klemm beabsichtigte Inklusionsquote von 50 % bei den übrigen Förderschwerpunkten, denen 35 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zugeordnet sind, dürfte im Ergebnis den Bildungsanspruch des behinderten Kindes und das Wahlrecht der Eltern jedenfalls nicht völlig unberührt lassen. Denn die damit zwangsläufig verbundene Schließung von Schulen wird in vielen Fällen dazu führen, dass der Schulweg zu den verbleibenden Förderschulen unzumutbar lang wird und diese Schulen den betroffenen Schülern dann faktisch nicht mehr zur Verfügung stehen. Letztlich beruht die Vorgehensweise von Klemm  – kostenneutrale Platzierung aller lernbehinderten, sprachbehinderten und verhaltensauffälligen Kinder in der allgemeinen Schule (Berechnungsvariante 2 seiner Ausarbeitung) – auf einer Verkennung bzw. Bagatellisierung der in den meisten Fällen harten psycho-­physischen Lernhindernisse, mit denen lernbehinderte Schüler zu tun haben. Entsprechendes gilt für die Problematik der Schüler mit mehr oder weniger starken Verhaltensauffälligkeiten und Sprachproblemen, zumal diese häufig mit kognitiven Beeinträchtigungen einhergehen. Dass es inzwischen in Mode gekommen ist, Behinderung, insbesondere Lernbehinderung in Abrede zu stellen bzw. kleinzureden, ist oben91 im Einzelnen dargelegt worden. –– Zu diesen fragwürdigen bzw. unhaltbaren Prämissen der Untersuchung von Klemm kommen weitere problematische Annahmen hinzu. Dazu gehört z. B. die Spekulation  – anders kann man es nicht bezeichnen  –, dass die sog. demographische Rendite uneingeschränkt im Schulsystem verbleibt und uneingeschränkt für die „inklusive Schule“ zur Verfügung steht. Auf die obigen Ausführungen betreffend die desillusionierende Realität der Prioritätensetzung in der politischen Praxis z. B. im Saarland kann hier Bezug genommen werden.92 89 Siehe die Statistik über die Anteile der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach Förderschwerpunkten bei Klemm, Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 32. 90 Siehe hierzu im Einzelnen oben sub Kap. 14 D. IV. und V. 91 Siehe oben sub Kap. 2 A. I. 2. b) und II. 3. 92 Siehe oben sub Kap. 12 B. II.

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–– Im Übrigen muss Klemm sich in grundsätzlicher Hinsicht fragen lassen, wie ernst er die seinen Berechnungen zugrunde liegenden Prämissen nimmt. Einerseits geht er in seiner Berechnungsvariante 2 von folgender Anwendung des „Huckepack-Prinzips“ aus: „Die Berechnungsvariante 2 […] ermittelt, wie viel Unterrichtszeit die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an die allgemeinen Schulen mitbrächten, wenn die demographische Rendite des Förderschulsystems eins zu eins umgewidmet würde […].“93 Andererseits erhebt Klemm an anderer Stelle – zu Recht – die Forderung: „Hinsichtlich der Ausgestaltung des Ausbaus inklusiver Betreuung und Bildung müssen nach Förderschwerpunkten und Schulstufen differenzierte Ausstattungsstandards ent­wickelt werden. Zum einen geht es dabei um Standards für die Größe der Gruppen und Klassen, für die Zahl der in einer Gruppe oder Klasse aufzunehmenden Kinder und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf sowie für die dafür erforderlichen zusätzlichen Personalstunden. Diese Standards sind die Grundlage für die Berechnung des Personalbedarfs der einzelnen Schule. Zum anderen müssen Standards für die räumliche und sächliche Ausstattung inklusiv arbeitender Schulen festgelegt werden. Bei der Entwicklung derartiger Leitgrößen könnte die Analyse der Arbeitsbedingungen von besonders erfolgreich arbeitenden Schulen hilfreich sein.“94

Diese noch festzulegenden Standards können und müssen ganz anders aussehen als das, was sich unter Einbeziehung des bei integrativer/inklusiver Unter­ richtung pädagogisch völlig unzulänglichen Stundenkontingents ergibt, das der Förderschüler im Rahmen des „Huckepack-Prinzips“ von der Förderschule „mitbringt“ und was unter Einbeziehung der demographischen Rendite zur Verfügung steht. Das gilt erst recht bei der zu fordernden durchgängigen Doppelbesetzung mit pädagogischem Personal bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei der integrativen/inklusiven Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensstörungen. Wenn diese Standards, wie Klemm schreibt, „die Grundlage für die Berechnung des Personalbedarfs der einzelnen Schule [sind]“, dann gilt dies auch für die Berechnung der Kosten für die flächendeckende Implementierung der inklusiven Schule. Auch wegen dieser Widersprüchlichkeit in den Prämissen vermag Klemms Berechnungsvariante 2 nicht zu überzeugen. –– Unvollständig sind Klemms Kostenberechnungen hinsichtlich des im Rahmen der integrativen/inklusiven Unterrichtung erforderlichen Personals. Es wurde oben aufgezeigt, dass die Unterscheidung zwischen lehrendem und nichtlehrendem Personal nicht zielführend ist.95 Wird richtigerweise an die Unterscheidung zwischen Förderung und Eingliederung angeknüpft, dann gehören zu dem Personal, für das der Kultusminister dienst- und haushaltsrechtlich zuständig ist, nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die erforderlichen Sozialpädagogen, Therapeuten, Pfleger und Sozialarbeiter. Die letztgenannten Berufsgruppen 93

Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 16. Klemm, Gemeinsam lernen. Inklusion leben, S. 28 f. 95 Siehe oben sub Kap. 4 A. III. 1. a) aa). 94

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sind dem Bereich der Förderung zuzuordnen. In dem von Klemm ausschließlich berücksichtigten „lehrenden Personal“ sind sie jedoch nicht enthalten. Demgegenüber sind die Eingliederungshelfer ausschließlich auf solche Dienstleistungen beschränkt, die einem Schüler den Schulbesuch überhaupt erst ermöglichen; sie können und dürfen das für Förderung zuständige Personal nicht substituieren.96 Aber auch die Kosten der Eingliederungshelfer sind in Klemms Berechnungen nicht enthalten. Er teilt hierzu mit, diese Kosten „können derzeit aus zwei Gründen nicht abgeschätzt werden. Zum einen liegen über das Ausgabenvolumen in diesem Feld kaum belastbare Informationen vor. […] Zum anderen fehlen Fallstudien, die Aufschluss darüber geben, ob und in welchem Umfang die Zahl der Personen, die Integrationshilfe beanspruchen können, infolge der wachsenden Inklusion ansteigen wird.“97 –– Ein weiterer Kostenblock von erheblichem Ausmaß ist in Klemms Kosten­ berechnungen ebenfalls nicht enthalten, nämlich die Kosten für die „Umrüstung von Schulgebäuden“. Dazu heißt es bei Klemm: Die damit verbundenen Baumaßnahmen beschränkten sich nicht, wie gelegentlich vermutet werde, auf die Herstellung von Barrierefreiheit (z. B. durch die Installierung von Fahrstühlen), sondern sie beinhalteten auch die Bereitstellung von Therapieräumen, von Rückzugsräumen oder die Installierung sanitärer Spezialräume. Auch für diesen Bereich lägen keine belastbaren Erkenntnisse zum Umfang der erforderlichen Maßnahmen vor. Ebenfalls sei bisher ungeklärt, ob derartige Spezialräume im Zusammenhang mit sinkenden Schülerzahlen in den allgemeinen Schulen ohne weitere Baumaßnahmen eingerichtet werden könnten.98 Die Kostenarten, zu denen sich bei Klemm keine Aussage findet – nämlich die Aufwendungen für Bauinvestitionen, Ausstattung und Schülerbeförderung sowie für nichtpädagogisches Personal –, fallen grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der kommunalen Gebietskörperschaften. Zu diesem Kostenblock liegt inzwischen eine detaillierte, von Schwarz/Weishaupt/Schneider/Makles/ Tarazona im Auftrag des Städtetages Nordrhein-Westfalen, des Landkreistages Nordrhein-Westfalen und des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen erarbeitete Kostenfolgeabschätzung vor. Sie ermittelt am Beispiel zweier nordrhein-westfä­lischer Kommunen, nämlich der Stadt Essen und des Kreises Borken, die finanziellen Belastungen, die bei Einführung der inklusiven Schule auf die Kommunen zukommen. Im Ergebnis, so die Autoren dieser Studie, zeige sich, dass selbst bei einer eingeschränkten Ausstattung der Schulen, die zwar oberhalb der derzeitigen Ausstattung der allgemeinen Schulen, aber deutlich unterhalb der aktuellen Standards an Förderschulen liege, und konservativer Schätzung der laufenden Kosten in beiden betrachteten Kommunen bis zum Schuljahr 2019/20 erhebliche zusätzliche Ausgaben entstünden, die j­ eweils 96

Siehe oben sub Kap. 4 A. III. 1. a) bb). Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 13. 98 Klemm, ebd., S. 14.

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deutlich oberhalb der Bagatellgrenze im Sinne des Konnexitätsausführungsgesetzes (KonnexAG) lägen.99 Insbesondere weisen die Autoren darauf hin, dass letztlich eine umfassende Diskussion mit Pädagogen und Fachwissenschaftlern klären müsse, welche Ausstattungsstandards in einem inklusiven Schul­system einzuhalten seien. Die Standards würden die Höhe der kommunalen Kosten maßgeblich bestimmen und die betroffenen Kommunen müssten durch einen entsprechenden finanziellen Ausgleich entlastet werden. Erst dann könnten die Schulträger ihren Beitrag zum Gelingen qualitativ hochwertiger, inklusiver Bildung und damit zur Umsetzung der VN-Behinderten­rechtskonvention leisten.100 –– Unabhängig von den fragwürdigen Prämissen der Untersuchung von Klemm führt also auch ihre Unvollständigkeit hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kostenfaktoren zu der Schlussfolgerung, dass das im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellte Gutachten von Klemm keine valide Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen sein kann. Man kann Klemm allerdings nicht vorhalten, er habe die Unvollständigkeit der Berechnungen nicht erwähnt. So heißt es bei Klemm in einer Fußnote: „Der Fokus der Berechnungen wird auf die Ausgaben für lehrendes Personal gelegt. Für die weiteren Kostenarten können derzeit keine belastbaren Ausgangsdaten ermittelt werden (vgl. dazu Kapitel 2).“101 –– Wenn Klemm in seiner Berechnungsvariante 1, die nicht auf Kostenneutralität gerichtet ist, auf einen Mehrbedarf von jährlich 660 Mio € kommt, so ist dies bereits angesichts der dieser Berechnung zugrunde liegenden inakzeptablen Annahmen und fehlenden Bedarfsparameter eine Zahl, die keine Plausibilität für sich in Anspruch nehmen kann. Demgegenüber werden die tatsächlichen finanziellen Größenordnungen, um die es bei einer Systemumstellung ginge, zumindest im Ansatz eher sichtbar in dem 2009 von Dohmen/Fuchs vorgelegten Gutachten zur Kostenentwicklung für ein inklusives Schulsystem im Jahr 2020.102 Diese Studie war im Auftrag der Bundes 99 Schwarz/Weishaupt/Schneider/Makles/Tarazona, Mögliche kommunale Folgekosten der Umsetzung der Inklusion im Schulbereich in Nordrhein-Westfalen am Beispiel der Stadt Essen und des Kreises Borken, S. 3, http://www.staedtetag-nrw.de/md/content/stnrw/site (Zugriff: 24.7.2013). Auch Klemm hat im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften und der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die im Vorfeld der dortigen gesetzlichen Regelung der inklusiven Schule durch das 9. Schulrechtsänderungsgesetz (Gesetzentwurf als Landtagsdrucksache 16/2432 vom 21.3.2013, Neudruck) stattgefunden haben, ein Gutachten erstattet, und zwar im Auftrag der Landesregierung: Klemm, Mögliche finanzielle Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion in den Schuljahren 2014/15 bis 2016/17 – Analysen am Beispiel der Stadt Krefeld und des Kreises Minden-Lübbecke, S. 2 f., http://www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Inklusion/Gutachten-Prof_Klemm_Text.pdf. 100 Schwarz/Weishaupt/Schneider/Makles/Tarazona, ebd., S. 162. 101 Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 6, Fn. 1. 102 Dohmen/Fuchs, Kosten und Erträge ausgewählter Reformmaßnahmen: Teilhabe durch qualitativ hochwertige und gut ausgebaute Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur sichern, FiBS-Forum Nr. 44, S. 24–33.

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tagsfraktion der Partei Bündnis 90/Die Grünen erstellt worden. Die Untersuchung geht u. a. davon aus, dass die Zuweisung aller Schüler der Förderschulen in die allgemeinen Schulen dort in großem Umfang Klassenteilungen und somit jeweils die Neueinstellung einer Lehrerkraft erforderlich macht. Das bedeutet nach der Berechnung der Gutachter bei einer unteren Variante (Neueinstellung eines Lehrers in 15 % der Fälle, Aus- und Umbaubedarf an 15 % der Schulen) jährliche Mehrkosten von 1,8 Milliarden €, bei einer oberen Variante (Neueinstellung eines Lehrers in 40 % der Fälle, Aus- und Umbaubedarf an 40 % der Schulen) jährliche Mehrkosten von 4,3 Milliarden €. Aber auch diese Studie muss sich entgegenhalten lassen, dass ihren Berechnungen kein konsequentes Zwei-Pädagogen-System zugrunde liegt, wie es für eine verantwortbare zieldifferente Unterrichtung sowie bei integrativer/inklusiver Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten (durchgängige Doppelbesetzung) unverzichtbar ist.103 Im Übrigen sind auch hier nicht alle Personalkategorien berücksichtigt.

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Vgl. die Kritik von Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 12, an den Berechnungen von Dohmen/Fuchs, und zwar sowohl bezüglich der Kosten für das lehrende Personal wie auch hinsichtlich der Investitionskosten für die Umrüstung der Schulen.

Kapitel 16

Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-Behindertenrechtskonvention hinsichtlich des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

A. Einbeziehung der VN-Behindertenrechtskonvention in die innerstaatliche Rechtsordnung I. Völkervertragsrecht und nationales Verfassungsrecht als Auslegungsmaßstäbe im wechselseitigen Bezug Im Folgenden geht es um die Frage, ob aus der VN-Behindertenrechtskonvention ein voraussetzungsloser Anspruch des behinderten Kindes auf integrative/inklusive Unterrichtung abgeleitet werden kann. Außerdem ist zu klären, ob dieser völkerrechtliche Vertrag weiterhin Raum lässt für die Existenz von Förderschulen als Bestandteil eines Systems sonderpädagogischer Förderung und somit als systemische, d. h. objektiv-institutionelle Voraussetzung elterlichen Wahlrechts. Zwar ergibt sich, wie oben1 dargelegt wurde, aus Art.  2 Abs.  1 i. V. m. Art.  7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 Verf. d. Saarl. sowie aus Art. 6 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. die Verpflichtung des Staates, zwecks Gewährleistung eines substanziellen Wahlrechts der Eltern neben der integrativen/inklusiven Unterrichtung auch Förderschulen in zumutbarer Entfernung bereitzuhalten. Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht einer monistischen, ausschließlich auf integrative Unterrichtung abstellenden Konzeption eine Absage erteilt und auch die Förderschule als Element eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung bestätigt. Doch ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Rechtsstaatsprinzips die Träger öffentlicher Verwaltung und die deutschen Gerichte an die aufgrund des Art. 59 Abs. 2 GG als deutsches Gesetz geltende völkervertragliche Regelung und gem. Art.  25 GG an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gebunden sind. Daher darf das Grundgesetz regelmäßig nicht so ausgelegt werden, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entsteht.2 So hat das Bundesverfassungsgericht für das 1

Siehe sub Kap. 14 D. V. BVerfG, Beschl. v. 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, NJW 2007, 499 (501); Beschl. v. 1.3.2004,2 BvR 1570/03, EuGRZ 2004, 317 (318 ); Beschl. v. 26.3.1987, 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85, BVerfGE 74, 358 (370); Urt. v. 4.5.2011, 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 2

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dargelegt, dass es „als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann“.3 Hiermit in einem Atemzug ist aber auch die von dem Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle gemachte Aussage zu erwähnen: „Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt jedoch nicht absolut und ungeachtet der methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung. […] Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes […] Eine Auslegung entgegen eindeutig entgegenstehendem Gesetzes- oder Verfassungsrecht ist […] methodisch nicht vertretbar […].“4 In diesem Sinne stellt das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Entscheidung klar: „Die grundrechtlichen Maßstäbe bestimmen auch die Auslegung und Handhabung völkerrechtlicher Verträge, die gemäß Art. 59 Abs. 2 GG durch Zustimmungsgesetz Rechtsverbindlichkeit erhalten. Völkerrechtliche Verträge, die der Auslegung und Anwendung durch die nationalen Gerichte bedürfen, sind im Lichte des nationalen Verfassungsrechts auszulegen.“5 Unter Beachtung dieser Grundsätze ist daher zu untersuchen, ob die Auslegung des Grundgesetzes im Lichte des 2006 geschlossenen Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu einem anderen Ergebnis führt, als es insbesondere aus der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.19976 zu Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG und zum System der sonderpädagogischen Förderung folgt.

571/10, BVerfGE 128, 326 (366). Siehe hierzu auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 170: „Der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung innerstaatlichen Rechts stellt eine der Entscheidung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit unmittelbar zu entnehmende‚verfassungsrechtliche Leitlinie‘ dar.“ Siehe außerdem Kees, Bricht Völkerrecht Landesrecht?, Der Staat, Bd. 54 (2015), 63 (94 f.). 3 BVerfG, Beschl. v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282 (306). 4 BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, 2 BvL 1/12, Rn. 72, http://www.bverfg.de/e/ls20151215_ 2bvl000112.html (Zugriff: 14.2.2016). 5 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1998, 2 BvR1206/98, BVerfGE 99, 145 (158). Hierauf weist auch Luthe, Die Behindertenrechtskonvention  – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190 (192) hin: „Die Konvention als Auslegungsgrundsatz ist jedoch keine Einbahnstraße. Als völkerrechtlicher Vertrag im Range eines Bundesgesetzes konkurriert sie mit etablierten Auslegungsgrundsätzen des nationalen Rechts, so dass sich im Kollisionsfall ein Ausgleichserfordernis ergibt.“ 6 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff.

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4. Teil: Inklusive Schule

II. Innerstaatliche Transformation und Gesetzgebungskompetenz 1. Verfügungsmacht des Gesetzgebers über den Rechtsbestand Für die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, zu denen u. a. der Abschluss von Verträgen gehört, normiert Art. 32 Abs. 1 GG in Abgrenzung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern die Zuständigkeit des Bundes. Im thematischen Zusammenhang mit dieser Regelung zur Verbandskompetenz steht die in Art.  59 Abs.  2 GG getroffene Regelung der Organkompetenz. Dieser Vorschrift zufolge bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form des Bundesgesetzes. Das Vertragsgesetz bewirkt die innerstaatliche Geltung des Vertrages. Doch umfasst dieser Rechtsanwendungsbefehl nicht jene Vertragsbestimmungen, die in den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen.7 Dazu heißt es in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Das Grundgesetz überläßt die Erfüllung der bestehenden völkerrechtlichen Vertragspflichten der Verantwortung des zuständigen Gesetzgebers. […] Der Gesetzgeber hat also die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand auch dort, wo eine vertragliche Bindung besteht, sofern sie nicht allgemeine Völkerrechtssätze[8] zum Gegenstand hat.“9

Mit dieser verfassungsgerichtlichen Feststellung ist also nicht nur die innerstaatliche Implementierung von Vertragsinhalten im Wege einer die betreffende völkervertragliche Norm konkretisierenden Regelung gemeint, sondern die Geltung, d. h. die Rechtsbindung als solche. Denn zur „Verfügungsmacht über den Rechtsbestand“ gehört an erster Stelle die Befugnis zur Entscheidung über die Geltung10 der vertraglichen Norm. Wenn es also, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, auf den „zuständigen“ Gesetzgeber ankommt, dann ist damit die Maßgeblichkeit der Kompetenzverteilung im föderal organisierten Staatswesen auch für die Frage der Geltung gemeint.11 7 So zutr. Fastenrath/Groh, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 Rn. 99. 8 Der Inhalt der vertraglichen Regelungen der VN-Behinderten­rechtskonvention gehört nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts: Siehe hierzu Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechtskonvention, SGb 2013, 391 (392), sowie BSG, Urt. v. 6.3.2012, B 1 KR 10/11 R, Rn. 20 ff., http://www.juris.bundessozialgericht.de (Zugriff: 15.11.2013). 9 BVerfG, Urt. v. 26.3.1957, 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363) (Hervorh. d. Verf.). 10 Vgl. hierzu Kees, Bricht Völkerrecht Landesrecht?, Der Staat, Bd.  54 (2015), 63 (88): Danach „verfügt der Gesetzgeber über die innerstaatliche Geltung von Völkervertragsrecht. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist Ausdruck eines dualistischen Verständnisses.“ 11 Es steht dieser Feststellung nicht entgegen, wenn es in Art. 4 Abs. 5 VN-BRK heißt: „Die Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaates.“ Diese Vertragsbestimmung kann die innerstaatliche Kompetenz-

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Daher kann v. Bernstorff nicht gefolgt werden, der eine Dichotomie behauptet: „[…] es handelt sich um einen Vollzugsbefehl und eben nicht um normale Gesetzgebung, die sich an den Art. 70 ff. GG messen lassen muss.“12 Hierbei nimmt der Autor die in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Lehre vom Vollzugs- bzw. Rechtsanwendungsbefehl unzutreffenderweise für seine Rechtsauffassung in Anspruch. Denn das Bundesverfassungsgericht betont mit seinem Hinweis auf den „zuständigen“ Gesetzgeber, von dem die Geltung der jeweiligen Vertragsbestimmung abhänge, ausdrücklich die Relevanz der Kompetenzordnung im föderalen Staat für den Geltungsanspruch des vertraglich Vereinbarten. Demgegenüber relativiert bzw. ignoriert v. Bernstorff die Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes an die Länder in der Weise, dass deren gesetzliche Regelungen zu den Vertragsbestimmungen nicht mehr die Rechtsqualität einer Geltungsanordnung haben, sondern nur noch als „weitere Anpassungen“ qualifiziert werden: Der Landesgesetzgeber habe nur noch „Implementierungs- und Anpassungsaufträge“.13 Das führt den Autor zu der weiteren Aussage, dass im Kollisionsfall Art.  31 GG eingreife: „Im Fall einer echten Kollision des Inhalts des Menschenrechtsabkommens mit landesrechtlichen Regeln ergibt sich somit ein Vorrang der menschenrechtlichen Norm“.14 Diese Sichtweise v. Bernstorffs ist mit der vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen „Verfügungsmacht des zuständigen Gesetzgebers über den Rechtsbestand“ nicht vereinbar und abzulehnen. Insoweit können auch die Ausführungen von Nettesheim, auf den sich v. Bernstorff bezieht, und der zwischen innerstaatlicher Geltung und innerstaatlicher Durchführung unterscheidet,15 nicht überzeugen. Dagegen wird die in der vorliegenden Schrift vertretene Auffassung bestätigt von Ennuschat,16 der darauf hinweist, dass die Unterzeichnung des Ab­kommens und der Abschluss des Ratifikationsverfahrens das Außenverhältnis der Bundes­ republik gegenüber den anderen Vertragspartnern, d. h. gegenüber den anderen Unterzeichnerstaaten betreffe. Hiervon zu unterscheiden sei jedoch, ob die UN-Behindertenrechts­konvention auch innerstaatliche Rechtspflichten auslöse. Denn das Zustimmungsgesetz des Bundes verschaffe dem völkerrechtlichen Vertrag nur innerstaatliche Geltung, soweit die Bundesgesetzgebungskompetenz für die inhaltlichen Regelungen reiche. Die schulbezogenen Regelungen der UN-­ zuweisung nicht aushebeln. Sie bedeutet lediglich, dass der Bund verpflichtet ist, auf die Länder mit dem Ziel der innerstaatlichen Umsetzung des Übereinkommens einzuwirken und dass er hierfür völkerrechtlich einzustehen hat. 12 v. Bernstorff, Anmerkungen zur innerstaatlichen Anwendbarkeit ratifizierter Menschenrechtsverträge: Welche Rechtswirkungen erzeugt das Menschenrecht auf inklusive Schul­ bildung aus der UN-Behindertenrechtskonvention im deutschen Sozial- und Bildungsrecht?, RdJB 2011, 203 (207). 13 v. Bernstorff, ebd., S. 208. 14 v. Bernstorff, ebd., S. 209. 15 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 185, Art. 32 Rn. 70. 16 Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (721).

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4. Teil: Inklusive Schule

Behindertenrechtskonvention, insbesondere die Zielvorgaben des Art.  24 BRK, fielen aber in den Bereich der Landesgesetzgebung und müssten daher durch Landesgesetz in innerstaatliches (Schul-)Recht transformiert werden. Solange dieses Landesgesetz fehle, mangele es zugleich an einer innerstaatlichen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Durch das Vertragsgesetz ist das Übereinkommen daher in inhaltlicher Hinsicht nur insoweit Bestandteil des Bundesrechts im Rang eines einfachen Bundesgesetzes geworden, als dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die betreffende Regelungsmaterie zusteht. Soweit dagegen das vertraglich Vereinbarte in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt, ist dem Bund der Zugriff auf den Regelungsgegenstand verwehrt. Innerstaatliche Geltung erlangen diese Vertragsbestandteile erst durch einen entsprechenden Akt des Landesgesetzgebers. Das wird vom Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ausdrücklich bestätigt: Danach „bedarf das Übereinkommen, soweit es in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallende Fragen regelt, der Transformation durch den zuständigen Landesgesetzgeber und erlangt nach erfolgter Umsetzung insoweit dann die rechtliche Qualität irrevisiblen Landesrechts […].“17 Mit „Transformation“ hat das Bundesverwaltungsgericht hier nicht den Gegenbegriff zu „Vollzugsanordnung“ im Sinne der systemtheoretischen Begründung der Rechtsgeltung völkerrechtlicher Verträge gemeint, sondern die Geltungsanordnung als solche.18 Die Regierung des Saarlandes befand sich also in einem Rechtsirrtum, soweit sie in Vorblatt und Begründung des von ihr im Landtag des Saarlandes eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, mit dem die inklusive Schule im Saarland eingeführt wurde, unter Hinweis auf das vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat beschlossene Vertragsgesetz zur VN-Behindertenrechtskonvention undifferenziert ausführte: „Die UN-Behin 17

BVerwG, Beschl. v. 18.1.2010, 6 B 52/09, Rn. 4, http://www.juris.de (Zugriff: 25.4.2012). Auch in Bezug auf das Recht auf Bildung nach dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechts (IPwskR) – VN-Sozialpakt – hat das BVerwG, Urt. v. 29.4.2009, BVerwG 6 C 16.08, BVerwGE 134, 1 (20), auf den Zusammenhang von Transformationskompetenz und Gesetzgebungskompetenz hingewiesen. Siehe hierzu auch Höfling/Engels, Schulische Inklusion und finanzverfassungsrechtliche Konnexität, NWVBl. 2014, 1 (4): „Nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung ist indes das Schulrecht den Ländern vorbehalten. Solche Konstellationen machen es grundsätzlich erforderlich, dass neben dem Bund auch die Länder den völkerrechtlichen Vertrag in Geltung setzen; das Vertragsgesetz i. S. d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG allein ist demnach kein tauglicher Rechtsanwendungsbefehl.“ 18 Aus der Entscheidung des BVerwG, Beschl. v. 18.1.2010, 6 B 52/09, Rn. 4, http://www. juris.de (Zugriff: 25.4.2012), geht nicht eindeutig hervor, ob das Gericht ein die betreffende Vertragsbestimmung textgleich wiederholendes Vertragsgesetz des Landesgesetzgebers meint oder es genügen lässt, dass der Landesgesetzgeber „die einschlägigen Bestimmungen des Landesrechts entsprechend den Vorgaben des Völkerrechts anpasst“ (Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 114). Siehe hierzu des Näheren unten sub Kap. 16 D. I., Fn. 166.

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dertenrechtskonvention ist daher in Deutschland geltendes Recht und verpflichtet die Bundesländer dazu, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zielgerichtet und wirksam sind, um ein progressives, inklusives Bildungssystem zu entwickeln.“19 2. Unzuständigkeit des Bundesgesetzgebers für das schulische Bildungsangebot für Behinderte Es kommt also darauf an, ob die Regelungsmaterie in den Zuständigkeitsbereich des Bundes oder der Länder fällt. Dazu ist hier Folgendes festzustellen: Die Thematik und der Inhalt des hier einschlägigen Art. 24 Abs. 1 bis 3 VNBRK betreffen die nähere Gestaltung des Schulwesens. Es geht um die gleiche Regelungsmaterie, die Gegenstand der gesetzlichen Regelung in § 4 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung20 und § 6 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung21 ist. Dieser Regelungsgegenstand fällt gemäß Art. 70 Abs. 1 GG in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Länder, da das Grundgesetz für diese Materie dem Bund keine Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. „Art. 24 BRK ist somit insoweit nicht durch das vom Bundestag erlassene Vertragsgesetz vom 21. Dezember 2008 in innerstaatliches Recht umgesetzt worden.“22 Gegen diese der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bund und den Ländern Rechnung tragende Feststellung kann auch nicht eine Kammerentscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts angeführt werden. Wenn es darin heißt, das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sei „in der Qualität eines Bundesgesetzes transformiert“ worden, so diente dies zur Begründung des Hinweises an die Beschwerdeführer, dass „mit den Verfassungsbeschwerden aber nur Rechte mit Verfassungsrang geltend gemacht werden [können].“23 Es existiert also keine bundesrechtliche Norm, aus der ein subjektiv-öffentliches Recht eines behinderten Kindes oder Jugendlichen auf voraussetzungslosen Zugang zur integrativen Unterrichtung abgeleitet werden könnte. Auch steht den Förderschulen als der zweiten Säule des Systems sonderpädagogischer Förderung kein Bundesrecht als höherrangiges Recht entgegen. 19 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, Vorblatt S.  1 und Begründung S.  12 (Hervorh. d. Verf.). Das Gesetz wurde am 25.6.2014 verabschiedet (Amtsbl. I S. 296); es ist abgedruckt als Auszug aus dem Schulordnungsgesetz 2014 im Anhang sub Abschn. A. II. 2. und als Auszug aus dem Schulpflichtgesetz 2014 im Anhang sub Abschn. A. III. 2. 20 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 1. 21 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1. 22 HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (603). Ebenso: VG Arnsberg, Beschl. v. 17.8.2010, 10 L 397/10, Rn. 9, http://www.juris.de (Zugriff: 11.7.2011); VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn. 43, http://www..juris.de (Zugriff: 26.4.2013). 23 BVerfG-K (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 26.2.2010, 1 BvR 1541/09 u. a., NJW 2010, 1943 (1946).

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4. Teil: Inklusive Schule

III. Transformationsverpflichtung des Landes? Es ist zu untersuchen, ob sich bei einer förmlichen, d. h. textgleichen Transformation durch den Landesgesetzgeber ein voraussetzungsloses subjektiv-öffentliches Recht eines behinderten Kindes auf integrative/inklusive Unterrichtung und ein Verbot von Förderschulen ergäbe. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, ob eine objektivrechtliche Verpflichtung zur Transformation besteht. 1. Verfahren nach dem Lindauer Abkommen und Bundesratsverfahren Die auf der Grundlage des Lindauer Abkommens24 vom 14.11.1957, einer „politische[n] Absprache ohne rechtliche Bindungswirkung (gentlemen’s agreement)“,25 tätige Ständige Vertragskommission der Länder hatte dem federführenden Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Schreiben vom 23.2.2007 mitgeteilt, dass die Länder keine Einwendungen gegen die Unterzeichnung des Übereinkommens erheben würden. Das seit dem 30.3.2007 zur Unterzeichnung ausgelegte Übereinkommen ist bereits an diesem ersten Tag von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden. Mit Schreiben vom 24.6.2008 und 30.7.2008 hat die Ständige Vertragskommission den Landesregierungen empfohlen, dem Übereinkommen zuzustimmen. Nachdem im Rahmen des Verfahrens nach dem Lindauer Abkommen die Einverständniserklärung aller Länder vorlag, teilte die Ständige Vertragskommission dem federführend zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor der Ratifizierung des Übereinkommens mit, dass sie sich mit dem Übereinkommen und dem Fakultativprotokoll befasst habe und seitens der Länder keine Bedenken gegen das Übereinkommen erhoben­ werden.26 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme gem. Art. 76 Abs. 2 GG zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung be 24

Das Abkommen trägt die Überschrift „Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschließungsrecht des Bundes“ (siehe Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 32 Rn. 72, wo das Abkommen im Wortlaut abgedruckt ist). In der Mitteilung mit der Überschrift „Die Vertragsschließungskompetenz des Bundes“ im Bulletin 1957, S. 1966, heißt es, dass im Anschluss an eine „eingehende Aussprache“ zwischen Vertretern des Bundes und der Länder „Übereinstimmung über ein Verfahren erzielt [wurde], das die Verhandlungsführung des Bundes und die Mitwirkung der Länder im Rahmen ihrer Interessen sicherstellt.“ 25 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 32 Rn. 73. 26 Nolte, Die Behindertenrechtskonvention, in: Astheimer/Bott/Hoffmann u. a., Grundkurs Schulrecht V, S.  43; siehe auch Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art.  24 der UNBehindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 12, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/ 065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013).

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schlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben.27 Dem Vertragsgesetz hat der Bundesrat gem. Art.  59 Abs.  2 Satz 1 GG mehrheitlich28 zugestimmt. Die Einverständniserklärung des Saarlandes im Rahmen des Verfahrens nach dem Lindauer Abkommen ist von der Landesregierung entsprechend der im Saarland üblichen Staatspraxis ohne Ermächtigung oder Zustimmung des Landtags des Saarlandes abgegeben worden.29 Sollte das Saarland dem Gesetz im Bundesrat zugestimmt haben – was wohl anzunehmen ist, jedoch aus der protokollierten Feststellung des Bundesratspräsidenten „Das ist eindeutig die Mehrheit“ nicht hervorgeht30 –, so geschah dies jedenfalls ohne vorherige Zustimmung des Landtags des Saarlandes. 2. Bezugsebenen einer etwaigen Transformationsverpflichtung Für die Beantwortung der Frage, ob die in dem Verfahren nach dem Lindauer Abkommen und in dem Bundesratsverfahren seitens des Saarlandes abgegebenen Erklärungen zu einer Transformationsverpflichtung des Landes geführt haben, kommen völkervertragsrechtliche und innerstaatliche Gründe in Betracht. a) Völkervertragsrecht Eine Transformationsverpflichtung des Landes aus dem völkerrechtlichen Vertrag ist zu verneinen. Denn es ist auszugehen von der Rechtsauffassung und der darauf gründenden Staatspraxis, wie sie sich nach der Verständigung zwischen Bund und Ländern im Lindauer Abkommen darstellen. Hiernach ist auch bei solchen Gegenständen, die in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen, der Bund und sind nicht die Länder Vertragspartner des völkerrechtlichen ­Vertrages.31

27

851. Sitzung des Bundesrats am 28.11.2008, BR-Drucks. 760/08 vom 28.11.2008 und BTDrucks. 16/11197 vom 3.12.2008. 28 Zu dem Abstimmungsergebnis ist als Feststellung des Bundesratspräsidenten lediglich protokolliert, Verh. d. BR, 853. Sitzung am 19.12.2008, TOP 24 (S. 460, A): „Das ist eindeutig die Mehrheit.“ 29 Siehe hierzu § 8 Abs. 1 Buchst. h und § 13 Abs. 5 GOReg vom 15.2.2005 (Amtsbl. S. 504), zul.geänd. am 9.5.2012 (Amtsbl. I S. 132). 30 Siehe Kap. 16 A. III. 1., Fn. 28. 31 Zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern bezüglich der Abschluss- und Transformationskompetenz im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder  – norddeutsche, süddeutsche und Berliner Lösung – siehe im Einzelnen Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 32 Rn. 60 ff., sowie Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 116 ff.

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b) Innerstaatliches Recht aa) Verfassungsrechtlicher Grundsatz der Bundestreue Dagegen wird in innerstaatlicher Hinsicht eine Transformationsverpflichtung der Länder gegenüber dem Bund unter Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bundestreue behauptet. Es sei ein treuwidriges Verhalten, wenn die Länder im Verfahren nach dem Lindauer Abkommen und im Bundesrat ihr Einverständnis mit dem Vertrag erklärten, jedoch seine Umsetzung verweigerten und damit den Bund nicht in die Lage versetzten, die von ihm eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.32 Zum Grundsatz der Bundestreue führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Im deutschen Bundesstaat wird das gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern sowie das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den Gliedern durch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz von der wechselseitigen Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten beherrscht […].“33

Im Falle einer Einverständniserklärung des Landes im Verfahren nach dem Lindauer Abkommen wird also die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben auch für das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern postuliert. Doch kann die Berufung auf den Grundsatz der Bundestreue nur dann eine anspruchsbegründende Wirkung haben, wenn das Vertrauen des Bundes in die innerstaatliche Geltung der Einverständniserklärung im Rahmen des Lindauer Abkommens gerechtfertigt war und daher schützenswert ist. Dies setzt voraus, dass der Bund nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, dass es sich bei dem von dem betreffenden Land erklärten Einverständnis um eine staatsrechtlich wirksame Erklärung handelte. Hierbei ist seitens des Bundes in Rechnung zu stellen, dass der Grundsatz der Bundestreue akzessorisch ist zu verfassungsrechtlich normierten Zuständigkeiten, für deren Wahrnehmung die Bundestreue also „lediglich“ ein regulatives und modifizierendes Prinzip darstellt. Im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder geregelte Zuständigkeiten können nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Bundestreue überspielt bzw. ausgehebelt werden.34 32 Für eine Transformationsverpflichtung mit dem lapidaren Hinweis auf den Grundsatz der Bundestreue bei Vorliegen des auf der Grundlage des Lindauer Abkommens eingeholten Einverständnisses der Länder: Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 32 Rn. 55. Ebenso im Ergebnis: Pernice, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Art. 32 Rn. 43; Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 19; Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 f.; Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht, JZ 2010, 120 (124). 33 BVerfG, Urt. v. 28.2.1961, 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205 (254). Siehe auch BVerfG, Urt. v. 21.5.1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 (315); Urt. v. 26.3.1957, 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (361); Beschl. v. 18.7.1962, 2 BvC 1/62, BVerfGE 14, 197 (215); Urt. v. 15.11.1971, 2 BvF 1/70, BVerfGE 32, 199 (218); Urt. v. 4.3.1975, 2 BvF 1/72, BVerfGE 39, 96 (119 f.). 34 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 IV Rn. 130 ff.

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An dieser Stelle kommt die in Art. 95 Abs. 2 Satz 1 Verf. d. Saarl. geregelte Organkompetenz ins Spiel. Der Vorschrift zufolge bedarf – in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Rechtslage in den übrigen Ländern  – der Abschluss von Staatsverträgen der Zustimmung des Landtages durch Gesetz.35 Das Lindauer Abkommen hat an dieser verfassungsrechtlichen Lage nichts geändert. Auch für eine Einverständniserklärung im Rahmen des Lindauer Abkommens gilt, dass ihre innerstaatliche Wirksamkeit die Beachtung der jeweiligen landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen voraussetzt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „ist es ein Satz gemeindeutschen Verfassungsrechts, dass die Regierung zum Abschluß von Verträgen, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Parlaments bedarf.“36 Dieses Erfordernis muss auch gelten für die Zustimmung des Landes zu einem die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder berührenden völkerrechtlichen Vertrag, den der Bund im Wahrnehmung seiner Abschlusskompetenz geschlossen hat. Zu der Gefahr eines Transformationsdefizits und einer daraus resultierenden völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Bundes stellen Fastenrath/Groh zutreffend fest, diese könne allerdings nur gebannt werden, wenn sämtliche 16 Bundesländer im Vorfeld des Vertragsabschlusses ihr Einverständnis erteilten. Dieses könne nicht durch die bloße Beteiligung des Bundesrates nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 ersetzt werden, und zwar auch dann nicht, wenn im Bundesrat sämtliche Länder dem Vertrag zustimmten, denn die Zustimmung des Bundesrates sei diejenige eines Bundesorgans, nicht aber der einzelnen Länder.[37] Schließe der Bund im Bereich ausschließlicher Länderzuständigkeit einen Gesetzgebungsvertrag, sei es zudem aus Gründen des (horizontalen) Gewaltenteilungsprinzips notwendig, dass das Einverständnis mit der Ratifikation des Vertrages von den hierfür nach Landesverfassungsrecht zuständigen Organen (Ministerpräsidenten oder Landesregierungen) erst erteilt werde, wenn die jeweiligen Landesparlamente ein die Umsetzung des Vertrages sicherndes Gesetz beschlossen hätten.[38] Anderenfalls würden diese in unzulässiger Weise vor vollendete Tatsachen gestellt.39 35 Zu den Rechtsfolgen einer fehlenden Zustimmung siehe Stelkens, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 95 Rn. 5, 7 f. 36 BVerfG, Urt. v. 28.7.1955, 2 BvH 1/54, BVerfGE 4, 250 (276). 37 Siehe hierzu Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S. 35, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011): „Diese Zustimmung kann nur so gedeutet werden, dass die Bundesländer damit einverstanden waren, dass die BRK als Bundesrecht Geltung erlangen sollte, soweit bundesrechtliche Kompetenzen reichen, etwa für den Bereich weiterführender Berufsbildung. Auf ihre ausschließliche Kompetenz für die allgemeine Schulbildung im Rahmen der Kulturhoheit hingegen haben die Bundesländer jedoch ersichtlich nicht zugunsten des Bundes verzichten wollen.“ 38 Hierzu stellen Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 18, fest: „In der Staatspraxis werden diese Grund­sätze allerdings nicht beachtet. Auch im Falle der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen haben nur die Landesregierungen ihre Zustimmung erklärt.“ 39 Fastenrath/Groh, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 32 Rn. 63.

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Gegen eine Transformationsverpflichtung unter voraussetzungsloser Berufung auf Bundestreue spricht sich auch Kempen aus. Er hebt hervor, dass es erforderlich sei, sich vor dem Vertragsabschluss der Mitwirkung der betroffenen Gesetzgebungskörperschaften zu vergewissern.40 Auch Nettesheim lässt eine deutliche Zurückhaltung gegenüber einer automatischen Transformationsverpflichtung der Länder erkennen, indem er ausführt: In Fällen, in denen der Bund vor Vertragsschluss die Zustimmung der Länder eingeholt habe, werde man eine Obliegenheit der Länder annehmen müssen, die für eine anschließende Durchführung notwendigen Schritte zu unternehmen. Im Übrigen könne sich aus der allgemeinen Loyalitätspflicht für die Länder das Gebot ergeben, dem Bund bei der Durchführung eines Vertrages zur Seite zu stehen. Die diesbezüglichen Vorgaben dürften allerdings nicht überakzentuiert werden. Es sei und bleibe die Aufgabe des Bundes, sich vor Abschluss eines von den Ländern durchführungsbedürftigen Vertrags der Mitwirkung zu versichern.41 So im Ergebnis wohl auch Poscher: „[…] innerstaatlich ist eine Verpflichtung aus dem Grundsatz der Bundestreue wegen des Fehlens der offensichtlich erforderlichen parlamentarischen Zustimmung zu Staatsverträgen keinesfalls zweifelsfrei.“42 Insoweit setzt sich Poscher also deutlich ab von der Position von Poscher/Rux/Langer, die apodiktisch eine Zustimmungsverpflichtung der Länder unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue behaupten.43 Von Rux/Niehues wird darauf hingewiesen, dass es entscheidend darauf ankomme, ob für den Bund „erkennbar war, dass die Landesregierung an sich die Entscheidung des Landesgesetzgebers hätte abwarten müssen.“44 Eine Erklärung auf der gubernativen Ebene kann den Landtag des Saarlandes also nicht in seiner verfassungsrechtlich festgelegten Kompetenz beschneiden. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: „[…] eine Deutung des Grundsatzes [der Bundestreue], die aus diesem eine durchgängige Bindung des Landesgesetzgebers an Vereinbarungen der Länderexekutiven herleitet, geriete in offenen Widerspruch mit der föderativen Ordnung des Grundgesetzes und – damit zusammenhängend – der demokratischen Ordnung in den Ländern.“45

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Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 32 Rn. 55. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 32 Rn. 71. 42 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (55). 43 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 19. 44 Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 116. 45 BVerfG, Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (421). Siehe auch VG Arnsberg, Beschl. v. 17.8.2010, 10 L 397/10, Rn. 12, http://www.juris.de (Zugriff: 11.7.2011): „Auch ist bezüglich des vorliegenden Falles festzustellen, dass eine gesonderte Umsetzung der das öffentliche Schulwesen betreffenden Zielvorgaben in Art.  24 VN-BRK auch vom nordrhein-westfälischen Gesetzgeber bislang nicht vorgenommen worden ist und dies bislang auch rechtlich nicht erforderlich war.“ Bücker/Köster, Die Ständige Vertragskommission der Länder, JuS 2005, 976 (978, Fn. 40), weisen darauf hin: „Bei Verträgen, die eine Änderung des jewei­ ligen Landesrechts erfordern, ist der jeweilige Landtag gefordert.“ 41

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In Anbetracht dessen lässt sich nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, dass „die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit für den Bund unter Beachtung von Treu und Glauben objektiv erkennbar war“.46 Evident ist dies, wenn es um die Gestaltung des Schulwesens und damit um den innersten Kern der Zuständigkeit der Länder geht. Daraus folgt, dass ein schützenswertes Vertrauen des Bundes in die Transformationsbereitschaft des Landes nicht gegeben ist und eine Transformations­verpflichtung des Landes unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue nicht besteht. Gegen dieses Ergebnis lässt sich entgegen der Auffassung von Rux/­Ennuschat auch nicht der in Art. 46 Abs. 1 WVK normierte Grundsatz anführen, demzufolge sich ein Vertragsstaat nicht darauf berufen kann, dass seine Zustimmung zu einem Vertrag unter Verletzung des innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen zustande kam.47 Denn Art.  46 Abs.  1 WVK bestimmt gleichzeitig, dass innerstaatliche Kompetenzmängel dann beachtlich sind, wenn die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf. Als „offenkundig“ gilt gem. Art. 46 Abs. 2 WVK eine Verletzung innerstaatlichen Rechts, wenn sie für jeden Staat, der sich nach Treu und Glauben verhält, objektiv erkennbar war. Zwar geht, worauf Poscher hinweist, der Internationale Gerichtshof davon aus, dass Vertragsstaaten keine Verpflichtung trifft, sich über die für die Abschlusskompetenzen maßgeblichen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Erfordernisse des Vertragspartners zu informieren.48 Poscher ist jedoch darin zuzustimmen, dass es sich hierbei um die Betrachtungsweise aus völkerrechtlicher Sicht handelt und „diese Überlegung im Bundesstaat nicht unqualifiziert übernommen werden [kann].“49 Da die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit der VN-Behindertenrechtskonvention für den Bund objektiv erkennbar war, besteht innerstaatlich aus dem Grundsatz der Bundestreue keine Verpflichtung der Länder zu einer Transformation dieses völkerrechtlichen Vertrages.50 bb) Staatspraxis und verfassungsrechtliche Lage Höfling führt aus, dass sich die hier „skizzierte stark föderalistisch geprägte Konstruktion […] zwar als eine konsistente Konzeption [erweist] […], doch er 46 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (54). 47 Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 18. 48 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (54 f). 49 Poscher, ebd., S. 54. 50 So im Ergebnis wohl auch Poscher, ebd., S. 55.

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weist sich das Verfahren als kompliziert und wird auch in der Staatspraxis ‚in keinem Bundesland … konsequent verfolgt‘ […]. Vielmehr geht man überwiegend implizit und eher pragmatisch davon aus, dass das Bundes-Zustimmungsgesetz gem. Art.  59 Abs.  2 GG als Anwendungsbefehl für die gesamte innerstaatliche Rechtsordnung einschließlich des Landesrechts zu verstehen ist.“51 Abgesehen davon, ob damit die Staatspraxis zutreffend und abschließend beschrieben ist,52 kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden, da faktisches Staatshandeln  – wo und wie auch immer es geübt wird – nicht gegen die eindeutige verfassungsrechtliche Lage ausgespielt werden kann.

B. Transformation der VN-Behindertenrechtskonvention, unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit und Ausgestaltung der Rechtsposition I. Völkerrechtliche und staatsrechtliche Kategorien 1. Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten Für den Fall einer förmlichen, d. h. textgleichen Transformation durch den Landesgesetzgeber stellt sich die Frage, ob Art. 24 Abs. 1 bis 3 VN-BRK unmittelbar, d. h. bereits auf der Grundlage des Vertragstextes anwendbar ist.53 Vorweg bedarf es einer begrifflichen Klarstellung. Man hat es nämlich in diesem Kontext mit zwei Begriffen zu tun, die bei vordergründiger Betrachtungsweise inhaltliche Übereinstimmung suggerieren, die jedoch kategorial Unterschiedliches bezeichnen, gleichzeitig aber einen inneren Zusammenhang aufweisen. Es geht um die der völkerrechtlichen Ebene zuzuordnende unmittelbare Verwirklichung einer vertraglichen Regelung einerseits und um die unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit einer Vertragsnorm andererseits. Der erstgenannte Begriff betrifft 51 Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art.  24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 29, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013). Siehe hierzu Dörschner, Die Rechtswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland am Beispiel des Rechts auf inklusive Bildung, S. 168 f., wo das Ergebnis einer hierzu von der Autorin durchgeführten Länderumfrage wiedergegeben ist. 52 So auch Dörschner, ebd., S. 170, die aus dem Ergebnis ihrer Länderumfrage die Schlussfolgerung zieht, dass „in weiten Teilen kein Problembewusstsein hinsichtlich der […] Kompetenzzuordnungen besteht“ und festhält, dass „bei stringenter Betrachtung“ der Kompetenzordnung des Grundgesetzes und der einzelnen Landesverfassungen jedenfalls allein das Vertragsgesetz des Bundes zur Behindertenrechtskonvention nicht geeignet sei, eine tatsächliche innerstaatliche Geltung des völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der Länder herbeizuführen, soweit Gegenstände der Gesetzgebungskompetenz der Länder betroffen seien. 53 Vgl. hierzu auch Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (721).

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den Inhalt der völkervertraglichen Verpflichtung, der letztgenannte die staatsrechtlich-rechtsdogmatische Voraussetzung für die Rechtsanwendung durch die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt. Der völkerrechtliche Begriff der unmittelbaren Verwirklichung gewinnt Kontur bei seiner Einordnung in die Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten. Diese unterscheidet in grundsätzlicher Hinsicht folgende vier Ebenen:54 –– In materieller Hinsicht steht an erster Stelle die Unterscheidung zwischen Respektierungs-, Schutz und Erfüllungspflichten (duties to respect, protect and fullfilling); ihr entspricht in der deutschen Grundrechtsdogmatik die Differenzierung zwischen der Abwehr-, Schutz- und Leistungsfunktion der Freiheitsrechte. –– Auf einer weiteren Ebene der Verpflichtungsarten wird unterschieden zwischen Erfolgspflichten (obligations of result) und Verhaltenspflichten (obligations of conduct), was in der Privatrechtsordnung etwa vergleichbar ist mit der Unterscheidung zwischen Werk- und Dienstverträgen. –– Eine dritte Verpflichtungsdimension betrifft die Differenzierung zwischen unmittelbar und schrittweise zu verwirklichenden Verpflichtungsinhalten (immediate/direct application bzw. progressive application). –– Auf jede dieser drei Dimensionen schließlich kann sich die konkrete Ausgestaltung der Rechtsposition als bloß objektive Pflicht oder als subjektives Recht beziehen. In der Praxis völkerrechtlicher Verträge hat sich also ein begriffliches Instrumentarium herausgebildet, das eine Abstufung der vereinbarten Inhalte nach dem Grad ihrer Verbindlichkeit ermöglicht. Für leistungsbezogene Vertragsinhalte ist eine derartige Flexibilität unverzichtbar, wenn die Konsensfähigkeit nicht grundlegend in Frage gestellt werden soll. Gerade bei der Festlegung bildungsbezogener oder sonstiger sozialer Standards ist dies evident. Hier dürfen die angestrebten Standards nicht den Blick verstellen auf die unterschiedlichen kulturellen und finanziellen Gegebenheiten etwa in hochentwickelten Industriestaaten einerseits und Entwicklungsländern andererseits.

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Diese Darstellung der Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten nimmt Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen von Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (39 ff.); ders. ebd., S. 40, Fn. 24, hierzu m. w. N. Zu der eher kritischen Haltung gegenüber dieser Kategorisierung von I. Koch, Dichotomies, Trichotomies or Waves of Duties?, Human Rights Law Review 5, 2005, S. 81 ff., bemerkt Poscher, ebd., S. 40, Fn. 24, zutreffend, dass eine „pauschale Zuordnung“ in der Tat nicht in Betracht komme, hiervon jedoch „die heuristische Funktion der Kategorien“ zu unterscheiden sei.

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2. Innerstaatliche Bedeutung der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsnorm a) Maßgeblichkeit der Rechtsgestaltung durch das Vertragsgesetz Was demgegenüber die innerstaatliche Rechtslage betrifft, so kommt es im Bereich des Völkervertragsrechts „auf die innerstaatliche Rechtsgestaltung durch das Vertragsgesetz“55 an. Dabei kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob das Vertragsgesetz den völkerrechtlichen Vertrag qualitativ umgestaltet und zu innerstaatlichem Recht erhebt (Transformationstheorie) oder ob es nur befiehlt, den völkerrechtlichen Vertrag innerstaatlich anzuwenden (Vollzugstheorie).56 Entscheidend ist vielmehr die vom Verfassunggeber getroffene Grundentscheidung für ein dualistisches Modell des Verhältnisses von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht. Dazu heißt es in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: „Das Grundgesetz ist jedoch nicht die weitesten Schritte der Öffnung für völkerrechtliche Bindungen gegangen. Das Völkervertragsrecht ist innerstaatlich nicht unmittelbar, das heißt ohne Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG, als geltendes Recht zu behandeln und – wie auch das Völkergewohnheitsrecht (vgl. Art. 25 GG) – nicht mit dem Rang des Verfassungsrechts ausgestattet. Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zu Grunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Natur dieses Verhältnisses aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann; dies zeigen die Existenz und der Wortlaut von Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG. Die Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes.“57

Daher gilt das, was das Bundesverfassungsgericht z. B. für die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle – soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind – festgestellt hat, auch für die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen: Sie steht „im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 [370]; 82,106 [120]). Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben.“58 55

OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1443). Zu dem diesbezüglichen Theorienstreit und Diskussionsstand siehe: Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 173 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 155 f. 57 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); ebenso BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, 2 BvL 1/12, Rn. 72, http://www.bverfg.de/e/ls20151215_2bvl000112. html (Zugriff: 14.2.2016). 58 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317). Siehe hierzu auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160, unter Hinweis auf die st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG, Beschl. v. 26.3.1987, 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85, BVerfGE 74, 358 (370); Beschl. v. 29.5.1990, 2 BvR 254, 1343/88, BVerfGE 82,106 (120); Beschl. v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317)]: „Als Sitz der Rangregel, die 56

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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b) Abgrenzung zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit der Vertragsnorm Doch kann aus der bloßen Existenz eines von den Gesetzgebungsorganen des Bundes oder eines Landes erlassenen Vertragsgesetzes und seiner Einordnung in der innerstaatlichen Rangordnungsreihe der Rechtsquellen als Bundesgesetz bzw. Landesgesetz nicht die Schlussfolgerung abgeleitet werden, der Vertragstext sei bereits aus diesem Grund von den staatlichen Stellen im Einzelfall anzuwendendes Bundes- bzw. Landesrecht.59 Eine solche Schlussfolgerung würde die folgende rechtlich relevante Unterscheidung ignorieren: Es ist nämlich zu differenzieren zwischen der Frage der innerstaatlichen Geltung des Vertrages und der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit als Rechtsnorm.60 Hier kommt die oben erwähnte Feststellung des Bundesverfassungsgerichts ins Spiel, dass die von der Bundesrepublik Deutschland getroffenen völkerrechtlichen Verabredungen vom Grundgesetz prinzipiell begrüßt werden (Völkerrechtsfreundlichkeit), ihre Wirkungen aber nur im Rahmen des demokra­tischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes entfalten.61 Das bedeutet für die Frage der innerstaatlichen Anwendbarkeit: Es können, wie das Bundesverfassungsgericht bestätigt, nur solche völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen durch das Vertragsgesetz in unmittelbar innerstaatlich anwendbares Recht umgesetzt werden, „die alle Eigenschaften besitzen, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muß, um berechtigen oder verpflichten zu können; die Vertragsbestimmung muß nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen ge­eignet sein. Nur unter diesen Voraussetzungen entstehen für den Staatsbürger verbind-

durch Auslegung zu ermitteln ist, kommt Art. 59 Abs. 2 GG selbst in Betracht. Die noch ganz herrschende Meinung geht davon aus, daß der Rang des Rechtsetzungsakts, der die Transformation bzw. den Vollzug des Vertrags bewirkt, zugleich den Rang der übernommenen vertraglichen Regelung bestimmt. Dies bedeutet, daß durch die Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes auch die betreffende Vertragsnorm innerstaatlich den Rang eines Bundesgesetzes einnimmt.“ 59 Vgl. hierzu allerdings Haug, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer Einführung von Studiengebühren, WissR 2000 [Bd. 33], S.  1 (6), und Lorenzmeier, Völkerrechtswidrigkeit der Einführung von Studienbeiträgen und deren Auswirkung auf die deutsche Rechtsordnung, NVwZ 2006, 759 (761), die sich mit der Frage der Zulässigkeit von Studiengebühren vor dem Hintergrund des Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) – VN-Sozialpakt – befassen. Siehe zu den Ausführungen der vorstehend zitierten Autoren auch OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1443). 60 So zutreffend Buchs, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen, S. 30. 61 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); ebenso BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, 2 BvL 1/12, Rn. 72, http://www.bverfg.de/e/ls20151215_2bvl000112. html (Zugriff: 14.2.2016).

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4. Teil: Inklusive Schule

liche Rechtsnormen.“62 Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt in diesem Sinne fest: „Die Transformation eines völkerrechtlichen Vertrages durch ein Vertragsgesetz führt zur unmittelbaren Anwendung einer Vertragsnorm, wenn diese geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, also dafür keiner weiteren normativen Ausfüllung bedarf.“63 Die mit dem Vertragsgesetz bewirkte innerstaatliche Geltung des völkerrechtlichen Vertrages ist somit nicht gleichbedeutend mit seiner innerstaatlichen Anwendbarkeit. Es muss eine unmittelbare Vollzugsfähigkeit der Norm gegeben sein (sog. Self-executing). Hierauf käme es nur dann nicht entscheidend an, wenn der Inhalt der Konventionsnormen zu den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts gehörte (Art. 25 GG); das ist jedoch nicht der Fall.64 Das Self-executing ist ein Erfordernis, welches seine Grundlage in der Gewährleistung der Gewaltenteilung im Verhältnis von Exekutive und Gerichtsbarkeit einerseits und Legislative andererseits hat.65 Die Anwendung konkretisierungsbedürftiger Normen auf den Einzelfall durch die vollziehende Gewalt oder die Rechtsprechung würde die Grenzen einer legitimen Gesetzesinterpretation überschreiten und die strukturelle Überforderung von Verwaltungsbehörden und Gerichten bedeuten. Diese würden Entscheidungen über die Zweckmäßigkeit von Gestaltungsalternativen und über fiskalische Prioritäten und Posterioritäten treffen, welche die Prärogative des zuständigen Gesetzgebers sind.66 Wie Nettesheim ausführt, ist „die Frage, ob eine Norm eines völkerrechtlichen Vertrags Anwendbarkeit beanspruchen kann, […] durch Auslegung der jeweiligen Vertragsnorm und des Vertragsgesetzes zu beantworten.“67 Dabei sei, so der 62

BVerfG, Beschl. v. 9.12.1970, 1 BvL 7/66, BVerfGE 29, 348 (360). BVerwG, Beschl. v. 5.10.2006, BVerwG 6 B 33.06, Buchholz (Folge 8) 421.2 (Hochschulrecht) Nr. 163 Rn. 4 = JurionRS 2006, 24813; ebenso: BVerwG, Urt. v. 16.10.1990, BVerwG 1 C 15.88, BVerwGE 87, 11 (13 f.); Urt. v. 23.2.1993, BVerwG 1 C 45.90, BVerwGE 92, 116 (118); Urt. v. 29.4.2009, 6 C 16/08, NVwZ 2009, 1562 (1567); Beschl. v. 18.1.2010, 6 B 52/09, Rn. 4, http://www.juris.de (Zugriff: 25.4.2012) in einem Fall, in dem es u. a. um die Frage der unmittelbaren innerstaatlichen Anwendbarkeit des Art. 24 VN-BRK ging. 64 Siehe hierzu: Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechtskonvention, SGb 2013, 391 (392), sowie BSG, Urt. v. 6.3.2012, B 1 KR 10/11 R, Rn. 20 ff., http://www.juris.bundes sozialgericht.de (Zugriff: 15.11.2013); Dörschner, Die Rechtswirkungen der UN-Behinderten­ rechtskonvention in Deutschland am Beispiel des Rechts auf inklusive Bildung, S. 136 ff. 65 Vgl. Buchs, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen, S. 34 ff. 66 Vgl. hierzu VG Düsseldorf, Urt. v. 16.12 2010, 18 K 5702/10, Rn.15, http://www.iuris.de (Zugriff: 12.11.2012): Danach „sieht sich die Kammer vor Ablauf der Umsetzungsfrist schon aus Gründen der Gewaltenteilung gehindert, dem Parlament durch völkerrechtsfreundliche Auslegung zur Unzeit Vorgaben zu machen, wie das Abkommen umzusetzen sein wird.“­ Poscher/Rux/Langer, Das Recht auf Bildung. Völkerrechtliche Grundlagen und innerstaatliche Umsetzung, S. 33, 48 f., 66, sprechen zutr. vom „gewaltenteiligen Grund“ (S. 33) bzw. von der „gewaltenteilige[n] Ratio“ (S. 49) und der Ressourcenabhängigkeit (S. 48) als dem rechtfertigenden Grund für das Erfordernis der unmittelbaren Anwendbarkeit. 67 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 59 Rn.  180 (Hervorh. im Original). In diesem Sinne auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 158. 63

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Autor, in einem ersten Schritt festzustellen, welchen Regelungsanspruch diese habe. Normen eines völkerrechtlichen Vertrages seien anwendbar (und auf Grund ihrer Geltung auch anzuwenden), wenn sie ihrem Inhalt nach dazu bestimmt seien, auf Sachverhaltskonstellationen in der innerstaatlichen Sphäre angewandt zu werden, ohne dass es noch zwischengeschalteter Maßnahmen der staatlichen Gewalt bedürfe. Es hänge von einer Reihe von Faktoren ab, insbesondere der hinreichenden Bestimmtheit, dem Zweck und dem Inhalt der Norm, ob die Vertragsnorm auch anwendungsbestimmt (und damit unmittelbar vollzugsfähig) sei oder ob es dazu eines ergänzenden, normkonkretisierenden Aktes der innerstaatlichen Gewalt bedürfe. Im Übrigen ist für das Verhältnis zwischen völkerrechtlicher Vereinbarung und innerstaatlicher Anwendbarkeit Folgendes zu berücksichtigen: Grundsätzlich hat man bei dem Umgang mit dem Text eines völkerrechtlichen Vertrages in Rechnung zu stellen, dass bei der Formulierung völkerrechtlicher Vertragstexte aus Gründen diplomatischer Rücksichtnahme häufig im stillschweigenden Einverständnis aller Beteiligten bewusst keine letzte begriffliche Bestimmtheit angestrebt wird, um die Kompromissfindung nicht zu gefährden. Auch wenn ein solcher Text im Einzelfall nicht den „strengen Maßstäbe[n] moderner Privatrechtsordnungen“ entspricht, wäre es, so Verdross/Simma68 verfehlt, deswegen seine völkerrechtliche Verbindlichkeit in Frage zu stellen. Im vorliegenden Kontext ist jedoch zu berücksichtigen, dass es hier um die Auslegung des völkerrechtlichen Dokuments mit Blickrichtung auf die ausschlaggebende Frage der unmittelbaren innerstaatlichen Anwendbarkeit von Vertragsnormen geht. An die Bestimmtheit einer Vertragsnorm als rechtsstaatliche Voraussetzung für ihre unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit und ihre Bindungswirkung sind ungleich strengere Anforderungen zu stellen. Der Unterschied zwischen den Bestimmtheitsanforderungen, die in der völkerrechtlichen Vertragspraxis an den Vertragstext gestellt werden, und den weitaus höheren Bestimmtheitsanforderungen, die für die rechtliche Regelung im Rahmen des innerstaatlichen Vollzugs gelten, wird vom Bundesverfassungsgericht hervorgehoben.69

68

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 756. BVerfG, Beschl. v. 29.10.1987, 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170 (231 f.). Siehe hierzu auch OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1443). 69

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4. Teil: Inklusive Schule

II. Auslegung des Art. 24 VN-BRK hinsichtlich seiner unmittelbaren Anwendbarkeit 1. Maßgeblicher Vertragstext a) Gemeinsame Übersetzung der deutschsprachigen Länder Es ist also zu untersuchen, ob das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eine Vertragsnorm enthält, die in Bezug auf das System sonderpädagogischer Förderung, d. h. im Hinblick auf integrative/inklusive Unterrichtung und Förderschulen self-executing ist. Nur um den Aspekt der unmittelbaren Anwendbarkeit einer in innerstaatliches Recht transformierten völkervertragsrechtlichen Norm geht es also an dieser Stelle. Erst im Anschluss daran ist im Wege der Vertragsauslegung auf die Frage nach dem dies­ bezüglichen normativen Gehalt des Übereinkommens einzugehen;70 dazu gehört die Erörterung, ob und gegebenenfalls inwieweit der englische Begriff „inclusive education system“ inhaltlich weiter reicht als das, was in der amtlichen deutschen Übersetzung mit „integratives Bildungssystem“ wiedergegeben ist. Es stellt sich zunächst die Frage, ob hierbei der authentische englische Text (Art. 50 VN-BRK) oder die amtliche deutsche Übersetzung zugrunde zu legen ist. Die Übersetzung ist von Vertretern der deutschsprachigen Länder Deutschland, Liechtenstein, Österreich und Schweiz erarbeitet worden.71 Hierzu hatte am 4./5.9.2007 eine Übersetzungskonferenz der deutschsprachigen Staaten stattgefunden.72 Unter Hinweis darauf, dass „die Übersetzung […] mit den Bundesländern und den anderen deutschsprachigen Ländern verbindlich abgestimmt [wurde]“ […] und dass „sich die Bundesländer ausdrücklich für die Übersetzung ‚integrative Bildung‘ ausgesprochen haben“, lehnte die Bundesregierung die von dem Abgeordneten der Bundestagsfraktion Die Linke Ilja Seifert geforderte Änderung der amtlichen Übersetzung ab.73 Es überrascht nicht, dass sich 70

Siehe dazu unten sub Kap. 16 D. So Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 26, 46. Auch in dem Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 16/10841 vom 12.11.2008, Abschn. II. 1., wird „die zwischen den einzelnen Staaten abgestimmte deutsche Übersetzung“ angesprochen. 72 Das geht aus der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Thönnes auf die Fragen des Abgeordneten Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 23.1.2008, Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 14562, hervor. 73 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Soziales Klaus Brandner auf die Fragen des Abgeordneten Ilja Seifert (Die Linke) in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 5.3.2008, Verh. d. BT, 16. Wahlp., S.  15506 f. In der Sache gleichlautend die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Thönnes auf die Fragen des Abgeordneten Markus Kurth (Bündnis 90/ Die Grünen) in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 23.1.2008, Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 14562. 71

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im Gesetzgebungsverfahren die Kontroverse über die maßgebliche Textfassung darauf zuspitzte, ob das englische „inclusive education system“ in der amtlichen deutschen Übersetzung mit „integratives Bildungssystem“ zutreffend wiedergegeben ist.74 b) Deutsche Übersetzung als Grundlage der Auslegung und der innerstaatlichen Rechtsanwendung Ausschlaggebendes Argument dafür, dass die amtliche deutsche Übersetzung die Grundlage sein muss für die innerstaatliche Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages, ist der rechtsstaatliche Grundsatz, dass alle Normen für die Rechtsunterworfenen zugänglich und verständlich sein müssen.75 Daher kann der Staatsbürger verlangen, dass dem authentischen fremdsprachigen Text eine Übersetzung beigegeben wird. Dem trägt die Praxis des Deutschen Bundestages Rechnung: Der Gesetzesbeschluss umfasst auch die Übersetzung. Es wäre wirklichkeitsfremd, anzunehmen, der in dem Vertragsgesetz enthaltene Anwendungsbefehl habe keinerlei Bezug auf die Übersetzung. Die demgegenüber von völkerrechtlicher Seite vertretene Auffassung, die innerstaatliche Übersetzung sei rechtlich irrelevant und könne allenfalls als „informatorisches Hilfsmittel“ gelten,76 steht jedenfalls im Widerspruch zur Verfahrenspraxis des Deutschen Bundestages und einer Rechtsauffassung, die auch in Entscheidungen deutscher Gerichte ihren Niederschlag gefunden hat.77 So heißt es z. B. in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9.10.2007 betr. den VN-Sozialpakt: „Dafür ist – im Gegensatz zum Völkervertragsrecht – die dem Vertragsgesetz beigefügte amtliche deutsche Übersetzung des Sozialpakts heranzuziehen, denn es muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber dem Vertragsgesetz den Inhalt des Vertrages zugrunde gelegt hat, der dieser deutschen Übersetzung zu entnehmen ist.“78 Auch die hierzu ergangene Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geht zunächst von der deutschen Textfassung aus, bezieht 74

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 27, Fn. 54. Hierzu und zu dem Folgenden siehe Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge. Eine Untersuchung zum Völkerrecht und zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 188 ff. 76 Siehe die Nachweise bei Hilf, ebd., S. 209 f., sowie Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 784. 77 Siehe hierzu Hilf, ebd., S. 210: „Die Nachkriegspraxis des Bundestages sowie einzelne Entscheidungen der höchsten Gerichte stehen aber – wie gezeigt – mit der behaupteten Unverbindlichkeit und normativen Bedeutungslosigkeit der Übersetzung nicht in Einklang. Die vom Bundestag auf Grund förmlicher Anträge beschlossenen Änderungen von Übersetzungen haben in den angeführten Fällen gezeigt, daß sich der Gesetzesbeschluß auch auf die Übersetzung bezieht. Die Exekutive hat von sich aus bisher die Übersetzungen – von formalen Berichtigungen abgesehen – nicht geändert. Der Gesetzgeber legt somit offensichtlich Wert darauf, daß seine Auffassung über den Inhalt des Vertrages beachtet wird.“ (Hervorh. im Original). 78 OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1443). 75

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4. Teil: Inklusive Schule

dann aber auch die authentischen Vertragssprachen in den Auslegungsvorgang ein.79 Der Hessische Verwaltungsgerichtshof geht bei seiner Interpretation der VNBehindertenrechtskonvention vom englischen Wortlaut aus, stellt jedoch die Übersetzung von „inclusive education system“ mit „integratives Bildungssystem“ nicht infrage.80 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verwendet mit Blick auf die „in Art. 24 BRK vereinbarten Ziele[…]“ die Wörter „integratives Bildungssystem“.81 Auch das Bundesverwaltungsgericht spricht im Hinblick auf Art. 24 Abs. 1 und 2 VN-BRK von dem in dieser Vertragsbestimmung normierten Zugang zu einem „integrativen Unterricht“.82 Zur unterschiedlichen Bedeutung der amtlichen Übersetzung authentischer Vertragstexte für das Völkerrecht einerseits und das innerstaatliche Recht führt ­Ipsen aus: „Dagegen kann den amtlichen Übersetzungen innerstaatlich aufgrund der Einbeziehungsfunktion des Zustimmungsgesetzes rechtliche Bedeutung zukommen.“83 Noch deutlicher wird die Maßgeblichkeit der deutschen Übersetzung von Geiger gesehen: „Ist keiner der authentischen Vertragstexte in deutscher Sprache abgefaßt, so gebietet es zwar das Rechtsstaatsprinzip, dem Zustimmungsgesetz auch eine deutsche Übersetzung des Vertrages beizufügen und als Anlage im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Diese Übersetzung verbürgt, daß die Rechtsunterworfenen vom Inhalt des Vertrags in einer ihnen verständlichen Sprache Kenntnis nehmen können. Für die Auslegung des Vertrags bildet sie den praktischen Ausgangspunkt zur Ermittlung des Wortsinns des betreffenden Vertrags.“84 Im Ergebnis ebenso die Bundestagsfraktion Die Linke in ihrem von dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnten Antrag vom 3.12.2008, mit dem sie u. a. die Streichung des Wortes „amtlichen“ als Attribut der deutschen Übersetzung in Artikel 1 Satz 2 des Vertragsgesetzes erreichen wollte: „Wenn auch das Übereinkommen offiziell nur in den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen rechtlich verbindlich ist, wird in der innerstaatlichen Praxis dennoch vorrangig die deutsche Fassung in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu Rate ge­ zogen werden.“85 Diese Staatspraxis beruht auf der Erwägung, dass die Übersetzung dem innerstaatlichen Rechtsanwender zeigt, „wie der Gesetzgeber den Vertrag innerstaatlich angewandt und verstanden haben wollte.“86 Das gilt auch dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine amtliche Übersetzung handelt, die zwischen den Vertragsstaaten gleicher Sprache offiziell vereinbart ist. Vor allem aber ist der 79

BVerwG, Urt. vom 29.4.2009, 6 C 16/08, BVerwGE 134, 1 (23). HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ 2010, 602 (603). 81 BayVGH, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129 (130). 82 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 39, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). 83 Ipsen, Völkerrecht, S. 415. 84 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 162. 85 BT-Drucks. 16/11234 (neu) vom 3.12.2008, S. 9. 86 Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge. Eine Untersuchung zum Völkerrecht und zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 219. 80

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in der amtlichen Übersetzung enthaltene Bindungswille des Gesetzgebers dann unübersehbar, wenn die Übersetzung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht beanstandungslos durchgeht, sondern von der Opposition Änderungen verlangt werden, die parlamentarische Mehrheit aber nicht bereit ist, darauf einzugehen. So liegt der Fall hier: Die Oppositionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke konnten im Gesetzgebungsverfahren keine Änderung der amtlichen deutschen Übersetzung erreichen. Die abgelehnten Abänderungsanträge der Oppositionsfraktionen und die Redebeiträge ihrer Abgeordneten bei der Verabschiedung des Vertragsgesetzes am 4.12.2008 zeigen, dass es bei diesen Desideraten nicht um philologische Petitessen, sondern um politisch relevante Festlegungen ging.87 Wenn die Parlamentsmehrheit den Änderungswünschen jedoch nicht entsprach, dann ist das eine inhaltlich und rechtlich relevante Willensbekundung des Gesetzgebers hinsichtlich der innerstaatlichen Verbindlichkeit der amtlichen Übersetzung.88 Dieses Ergebnis kann auch nicht infrage gestellt werden durch die Erwägungen, die Hilf seiner soeben zitierten Äußerung zur Funktion einer amtlichen Übersetzung folgen lässt: „Andererseits hat der Richter die Übersetzung stets im Lichte der verbindlichen fremdsprachigen Texte zu lesen, da der Gesetzgeber mit der Übersetzung nicht nur die Einpassung des Vertrages in das innerstaatliche Recht ermöglichen, sondern zugleich dem von allen Vertragspartnern vereinbarten Vertragsinhalt zur innerstaatlichen Geltung und Anwendbarkeit verhelfen wollte.“89 Das gilt auch für die folgenden Ausführungen desselben Autors: „Ist die Übersetzung demnach unklar oder bestehen Zweifel, so hat der Richter den fremdsprachigen Wortlauten den Vorrang einzuräumen: In dem Harmonisierungsprozess kommt der Übersetzung kein gleichberechtigter Stellenwert zu, da sie von den Vertragspartnern nicht gebilligt oder in sonstiger Weise anerkannt wurde.“90 Das sind gewiss Erwägungen, die der grundsätzlichen Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung angemessen sind; an der faktischen Präponderanz der deutschen Übersetzung in der Entscheidungspraxis deutscher Gerichte dürfte dies jedoch nicht allzu viel ändern. Im Übrigen sind Zweifel angebracht an dem heuristischen Wert der Kriterien „unklar“ bzw. „bestehen Zweifel“, da ihrer Anwendung je nach Lage des Falles der Einwand der petitio principii entgegengehalten werden könnte.

87

Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 20855 und S. 20958 ff. Im Ergebnis ebenso Luthe, Die Behindertenrechtskonvention  – leicht überstrapaziert!“, JM 2015, 190 (191, Fn. 6). 89 Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge. Eine Untersuchung zum Völkerrecht und zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 219. 90 Hilf, ebd., S. 234 (Hervorh. im Original). 88

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4. Teil: Inklusive Schule

2. Auslegungsgrundsätze der Wiener Vertragsrechtskonvention Die Auslegung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen als Vertragstext richtet sich nach Art.  5 und den in Artt. 31 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention  – WVK)91 vom 23.5.1969 geregelten Grundsätzen: Gem. Art. 31 WVK ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Hierzu gehören außer dem Vertragswortlaut auch Präambel, Anlagen sowie weitere diesbezügliche Übereinkünfte und Urkunden. Außerdem sind in gleicher Weise zu berücksichtigen jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragspartnern über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen und jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. Bei der Aufzählung dieser Methoden und Erkenntnismittel kommt in Art. 31 WVK keine Hierarchisierung zum Ausdruck. Eine nur ergänzende, d. h. subsidiäre Funktion haben bei der Vertragsauslegung gem. Art. 32 WVK die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses. 3. Einordnung des Art. 24 VN-BRK in die Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten Bei der Beantwortung der Frage, ob die oben genannten Voraussetzungen für ein Self-executing der einschlägigen vertraglichen Bestimmungen vorliegen, ist zunächst auszugehen von der Einordnung des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VN-BRK in die oben dargestellte Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten. a) Erfüllungspflicht Bei der Vereinbarung eines „integrativen Bildungssystems“ („inclusive education system“) handelt es sich um eine Erfüllungspflicht (duty to fullfill) entsprechend der Leistungsdimension von grundgesetzlich normierten Freiheitsrechten. b) Verhaltenspflicht Diese soziale Garantie ist nicht als Erfolgspflicht (obligation of result), sondern als Verhaltenspflicht (obligation of conduct) ausgestaltet. Das ergibt sich aus Art. 4 91 Vertragsgesetz vom 3.8.1985 (BGBl. II S. 926); in Kraft getreten für die Bundesrepublik Deutschland am 20.8.1987 (Bekanntmachung vom 26.10.1987 [BGBl. II S. 757]).

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Abs.  2 VN-BRK, wonach sich jeder Vertragsstaat „hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, […] Maßnahmen zu treffen („shall take measures“), um […] die Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen“. Mit einer Formulierung dieser Art wird in der völkerrechtlichen Vertragspraxis typischerweise die Abgrenzung zu einer Erfolgspflicht (obligation of result) vollzogen.92 Auch die speziell in Art. 24 Abs. 1 bis 5 VN-BRK gewählte Begrifflichkeit steht typischerweise für die Absicht, Verhaltens- und nicht Erfolgspflichten zu begründen. Das gilt für Begriffe wie „anerkennen“ (Art.  24 Abs.  1 Satz 1 VN-BRK: „recognize“)93, „gewährleisten“, „stellen sicher (Art. 24 Abs. 1, 2 und 5 VN-BRK: „shall ensure“) und „ermöglichen“ (Art. 24 Abs. 3 VN-BRK: „shall enable“). Auch diese Begriffe sind, wie vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof und ihm zustimmend vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht94 festgestellt wird, „von ihrem Wortlaut her lediglich auf ein vereinbartes Ziel ausgerichtet, ohne eine bestimmte Art und Weise der Zielerreichung festzulegen. Das in Art. 24 I 2 und II 1 b BRK genannte inklusive Bildungssystem steht im Kontext dieser fünf Absätze und ist dahin zu verstehen, dass es der Handlungsfreiheit der Vertragsstaaten überlassen bleibt, welche geeigneten Maßnahmen sie ergreifen, um die genannten Ziele zu erreichen. Damit erweisen sich die Vertragsbestimmungen in Art. 24 BRK für eine unmittelbare Anwendung auf die zu entscheidenden Lebenssachverhalte als zu unbestimmt.“95

Für Riedel/Arend, die sich mit dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs auseinandersetzen, „erscheint die Interpretation der oben aufgeführten Begriffe einseitig vom offenbar gewünschten Ergebnis des Beschlusses geprägt.“96 Doch auch bei einem zweiten Blick findet sich kein objektiver Anhaltspunkt, der diese Meinung rechtfertigen könnte. Den im Vertrag verwendeten und hier zitierten Begriffen ist gemeinsam, dass sie an die Adresse der Staaten nur die am Ziel der Integration/Inklusion orientierte Handlungsverpflichtung als solche normieren; sie indizieren keine unmittelbare Anwendbarkeit. Auch setzte die Einräumung einer individualrechtlichen Position im Sinne eines subjekt-­öffentlichen Rechts voraus, dass das mit der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verbundene Umsetzungspotenzial im Hinblick auf die Integrations-/Inklusionsform, 92

Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (41). 93 So auch Schulte, Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Politischer und rechtlicher Handlungsbedarf in Deutschland u. a. am Beispiel des Rechts auf Bildung, ZfSH/SGB 2010, 657 (668). Nach Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechtskonvention, SGb 2013, 391 (394), wird mit dem Wort „anerkennen“ zum Ausdruck gebracht, dass es noch der Umsetzung bzw. Konkretisierung auf der Ebene des nationalen Rechts bedarf. 94 NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2010, ME 278/10, Rn.  14, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012). 95 HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (604). 96 Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1347).

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4. Teil: Inklusive Schule

die Rahmenbedingungen und die zeitliche Dimension so konkretisiert ist, dass es zur Anwendung auf einen konkreten Fall keiner weiteren Umsetzungsmaßnahmen mehr bedarf. Die Rücksichtnahme auf die Konsensfähigkeit der Vertragspartner internationaler Verträge, die nach den oben zitierten Ausführungen von Verdross/ Simma in der Vertragspraxis je nach Opportunität zu relativ offener, unbestimmter Formulierung des Vertragstextes führt, erklärt auch im vorliegenden Fall die Begriffswahl und rechtfertigt das hier zugrunde gelegte Begriffsverständnis. Bei den Schlussfolgerungen, die der Hessische Verwaltungsgerichtshof und ihm folgend das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht aus dem Vertragstext ziehen, handelt es sich daher bei unvoreingenommener Betrachtungsweise um eine objektiv nachvollziehbare und plausible Interpretation der Begriffe. Wäre eine Bindung der Vertragsstaaten hinsichtlich der zu unternehmenden Schritte und des angestrebten Endzustandes gewollt gewesen, hätte dieser Bindungswille eindeutig im Vertragstext zum Ausdruck kommen müssen.97 Das ist jedoch „hinsichtlich der in Art. 24 I 2 und II 1 b BRK niedergelegten Vereinbarungen nicht der Fall.“98 Es ist offensichtlich, dass es sich hier lediglich um politische Zielvereinbarungen99 mit Programmcharakter handelt. Das wird auch an der Tatsache ersichtlich, dass das Übereinkommen den Vertragsstaaten bezüglich des Art. 24 VN-BRK sowohl in inhaltlicher als auch in zeitlicher Hinsicht einen weiten Gestaltungsspielraum bei der innerstaatlichen Umsetzung einräumt.100 Insbeson 97 BVerfG, Beschl. v. 7.7.1975, 1 BvR 274, 209/72, 195, 194, 184/73 und 247/72, BVerfGE 40, 141 (164 f.); HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (605); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 159. 98 HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (605). 99 Das BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 39, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015) spricht von „Zielvorgaben für die Integration behinderter Menschen in das staatliche Schul­ system“. 100 HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (604); NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2010, ME 278/10, Rn. 14, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); VG Arnsberg, Beschl. v. 17.8.2010, 10 L 397/10, Rn. 11, http://www.juris.de (Zugriff: 11.7.2011); VG d. Saarl., Urt. v. 13.1.2011, 3 K 376/10, Rn.  23, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012). Ebenso: Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 38: „Jedoch steht die Verpflichtung zu einem inklusiven Schulangebot in einem unauflösbaren Zusammenhang mit Veränderungen der institutionellen Rahmenbedingungen im Schulwesen. In diesem Zusammenhang wird den Vertragsstaaten im Rahmen von Art. 24 BRK ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Mittelauswahl zur Erreichung des Inklusionszieles eingeräumt: ‚gewährleisten die Ver­ tragsstaaten‘ (Abs. 1 S. 2), ‚stellen die Vertragsstaaten sicher‘ (Abs. 2), ‚treffen die Vertrags­ staaten geeignete Maßnahmen‘ (Abs.  4 S.  1).“ (Hervorh. im Original); Nolte, Die Behin­ dertenrechtskonvention, in: Astheimer/Bott/Hoffmann u. a., Grundkurs Schulrecht V, S.  42; Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (123): „Anders als die bürgerlichen und politischen Menschenrechte, deren unmittelbare Anwendbarkeit regelmäßig bejaht wird, werden soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte allgemein nicht als unmittelbar anwendbar angesehen.“ Auch Avenarius, Schulrecht, S. 80, bestätigt, dass die Länder in der Bundesrepublik Deutschland über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügen. Ebenso Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (723).

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dere mit dem in Art. 4 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 3 und 4 VN-BRK mehrfach enthaltenen Hinweis auf die von den Vertragsstaaten zu ergreifenden „geeigneten Maßnahmen“ („undertake to take measures“ bzw. „shall take appropriate measures“) signalisieren die Vertragspartner, dass sie sich gegenseitig „bezüglich der Wahl der Mittel ein weites Auswahlermessen“101 konzedieren. Das wird auch sichtbar an der Wortwahl des Art. 24 Abs. 2 Buchst. c VN-BRK, wonach „angemessene Vorkehrungen“ für die Bedürfnisse des Einzelnen zu treffen sind – eine Formulierung, die einen weiten Einschätzungs- und Vollzugsspielraum eröffnet. Aber selbst diese offenkundig bewusst vage gehaltene Bestimmung steht unter dem Vorbehalt, dass „die notwendigen und geeigneten Änderungen und Anpassungen“ für den Staat „keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen“ (Art. 2 VN-BRK).102 Der hier aufgezeigte weite Gestaltungsspielraum gilt für das System der sonderpädagogischen Förderung in seiner Gesamtheit, d. h. sowohl bezüglich der Etablierung eines „integrativen Bildungssystems“ („inclusive education system“) als auch hinsichtlich der weiterhin zulässigen Förderschulen. Wie in anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen zum Bildungsrecht hat somit auch in der VN-Behindertenrechtskonvention die Regelung einer spezifischen Ausgestaltung des Bildungsangebots den Charakter einer Verhaltenspflicht.103 c) Verhaltenspflicht mit dem Inhalt progressiver Realisierung Ein weiteres Charakteristikum dieser in Art.  24 Abs.  1 Satz 2 VN-BRK normierten Verhaltenspflicht aus dem Recht auf Bildung ist, dass sie wie die meisten völkervertraglich normierten sozialen Rechte nicht auf unmittelbare oder direkte Verwirklichung (immediate/direct application bzw. progressive application), sondern auf progressive Realisierung gerichtet ist. Das ergibt sich aus Art. 4 Abs. 2 VN-BRK, wonach sich jeder Vertragsstaat „hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, […] Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen“ („with a view to achieving progressively the full realisation of these rights“). Auch hier folgt die VN-Behindertenrechtskonvention dem Regelungsmuster in anderen völkerrechtlichen Übereinkommen zum Bildungsrecht, wonach nur eine progressive Verwirklichung vereinbart ist, wenn Handlungspflichten mit systemischem Inhalt statuiert

101

Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (123 f.). 102 Siehe hierzu BayVGH, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129 (130). 103 Im Ergebnis gleichlautend für den VN-Sozialpakt (Studienbeiträge): OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1444), rechtskräftig durch BVerwG, Urt. v. 29.4.2009, 6 C 16/08, BVerwGE 134, 1 (47 ff.); VGH BW, Urt. v. 16.2.2009, 2 S 1855/07, Rn.  42, http://www.juris.de (Zugriff: 18.1.2013). Ebenso für die VN-Behindertenrechtskonvention: VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn. 57 f., http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013).

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werden.104 Dazu gehört die in Art. 4 Abs. 2 VN-BRK getroffene Regelung, dass diese Ziele von jedem Vertragsstaat anzustreben sind „unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel“ („each State Party undertakes to take measures to the maximum of its available resources“). Poscher merkt im Zusammenhang mit dieser Regelung an, dass die Verpflichtung zur „progressiven Realisierung“ mehr sei als ein bloßer politischer Programmsatz.105 Eher trifft wohl die Einschätzung von Ennuschat zu, dass die zitierten Vertragsbestimmungen „mangels hinreichender Bestimmtheit keine konkreten Verpflichtungen, sondern lediglich politische Zielvereinbarungen darstellen.“106 Jedenfalls bedeutet diese Vertragsbestimmung mitnichten eine Einschränkung der Vertragsstaaten in ihrer fiskalischen Dispositionsfreiheit. Sie ist im Gegenteil, wie gerade ihre Verknüpfung mit dem Hinweis auf die „verfügbaren Mittel“ zeigt, darauf angelegt, die Haushaltsautonomie der Vertragspartner nicht infrage zu stellen und so eine wichtige Voraussetzung für die Kompromissfindung und die Konsensfähigkeit des Übereinkommens zu schaffen. Das wird auch von Riedel eingeräumt, der mit Blick auf Art. 4 Abs. 2 VN-BRK die entsprechende grundlegende Bestimmung des Art. 2 Abs.1 VN-Sozialpakt, „der Mutternorm aller späteren Konventionen zum Recht auf Bildung“,107 anführt: „Im Mittelpunkt stehen dabei das Prinzip der schrittweisen Verwirklichung (Grundsatz der progressiven Umsetzung) sowie der bestmöglichen Ausschöpfung aller vorhandener (sic!) Möglichkeiten (Ressourcenvorbehalt). Beide Prinzipien sind eng miteinander verknüpft und sind Gebot und Vorbehalt zugleich. Ohne ihre Verankerung wäre der Sozialpakt als rechtsverbindliches Instrument  – historisch betrachtet  – wohl nicht zustande gekommen.“108 Es ist eine zutreffende Beschreibung der Rechtslage, wenn Luthe feststellt: „Dieser Organisations- und Finanzierungsvorbehalt wird durch die Konvention nicht beseitigt, durch ihren Progressionsvorbehalt vielmehr sogar bestätigt.“109 In realistischer Beschreibung der Rechtslage heißt es bei Höfling: „Zwar verlangt Art.  4 Abs.  2 BRK die ‚Ausschöpfung (der) verfügbaren­

104

Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (48). 105 Poscher, ebd., S.  35 (44). Bei Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 122, heißt es, dass die Behindertenrechtskonvention „lediglich programmatisch angelegte Handlungspflichten statuiert.“ 106 Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (723). 107 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (36). 108 Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S.  12, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011). 109 Luthe, Die Behindertenrechtskonvention – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190 (195).

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Mittel‘ von den Vertragsstaaten; doch ist das finanzielle Volumen der verfügbaren Mittel immer das Resultat haushaltspolitischer Allokationsentscheidungen des Parlaments.“110 4. Verhältnis des Art. 5 Abs. 1 und 2 VN-BRK zu Art. 24 VN-BRK Gerade weil Art. 24 Abs. 1 bis 3 VN-BRK ersichtlich nicht auf unmittelbare Anwendbarkeit angelegt ist, sondern den Vertragspartnern bei der Umsetzung Handlungsfreiheit und Gestaltungsspielraum belassen will, kann eine unmittelbare Anwendbarkeit auch nicht, wie Riedel/Arend meinen, mit der Annahme begründet werden, dass Art. 5 VN-BRK in den Art. 24 VN-BRK „einstrahlt“.111 Denn mit dieser Argumentation würde dem Art. 5 VN-BRK de facto die Funktion einer gegenständlich nicht beschränkten Norm zukommen. Das wäre jedoch mit der dem Vertragswerk evident zugrunde liegenden Systematik nicht vereinbar. Des Weiteren kann Riedel/Arend112 auch nicht darin gefolgt werden, dass sich aus der Erwähnung des Diskriminierungsverbots in Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VN-BRK eine unmittelbare Anwendbarkeit der Vertragsbestimmungen über das integrative/ inklusive Bildungssystem ergebe. Dass der in Artt. 3 und 5 VN-BRK normierte Grundsatz der Nichtdiskriminierung als solcher  – aber eben nur als solcher  – unmittelbar gilt, steht außer Frage. Seine Erwähnung in Art.  24 Abs.  1 Satz 2 VN-BRK macht im Rahmen dieser bereichsspezifischen Regelung noch einmal seine Funktion innerhalb der grundlegenden Zielsetzung des Übereinkommens sichtbar. Die Wirkung einer unmittelbaren Anwendbarkeit ist damit nicht bewirkt und auch nicht intendiert. Dem stehen die oben erläuterte differenzierte Begrifflichkeit und die dem Vertrag zugrunde liegende Systematik entgegen.113 Begrifflichkeit und Systematik können in Bezug auf eine lex specialis mit dem Rückgriff auf einen der allgemeinen Grundsätze des Übereinkommens auch dann nicht überspielt werden, wenn dieser Grundsatz in der lex specialis noch einmal genannt ist. 110

Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art.  24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 48, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013). 111 Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1349). In diesem Sinne wohl auch Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (217 f.), sowie Banafsche, Das Recht auf Bildung  – im Spannungsfeld von UN-Behindertenrechtskonvention und Grundgesetz, ZfSH/SGB 2011, 685 (689). 112 Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1349). 113 Die Artt. 1–9 VN-BRK mit ihren Aussagen grundsätzlicher und genereller Art werden von Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (717), sowie von Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (203), als Allgemeiner Teil des Übereinkommens bezeichnet.

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Denn es ist nicht erkennbar, warum mit der Wiederholung einer Grundsatzaussage die Rechtsfolge der unmittelbaren Anwendbarkeit der speziellen Norm verbunden sein soll, welche die Vertragspartner für den betreffenden Regelungsgegenstand festgelegt haben.114 III. Ausgestaltung der Rechtsposition 1. Fehlende Anhaltspunkte für die Normierung subjektiv-öffentlicher Rechte Das Übereinkommen verbleibt hinsichtlich der Verpflichtungen, die mit den in Art. 24 VN-BRK angestrebten Zielen verbundenen sind, auf der objektivrechtlichen Ebene. Subjektivierungen im Sinne der Einräumung subjektiv-öffentlicher Rechte sind weder in dem Übereinkommen selbst enthalten noch verpflichtet die VN-Behindertenrechtskonvention die Vertragsstaaten, solche Rechte einzuräumen. In diesem Sinne enthält das Übereinkommen weder eine subjektivrechtliche Ausgestaltung der Progressionsverpflichtung noch eine subjektivrechtliche Verbriefung eines Anspruchs auf ein integratives/inklusives Schulsystem als Ziel der Progression.115 Bei diesem Ziel handelt es sich nicht um einen individualisierbaren Leistungsgegenstand wie etwa die Unentgeltlichkeit des Zugangs zu einer Bildungsinstitution, sondern um eine systemrelevante Zielsetzung. Eine solche aber erwächst nicht in eine subjektivrechtliche Rechtsposition, wie sich sowohl aus der ausdrücklich vereinbarten Progressivität der Verwirklichung als auch aus dem ökonomischen Realisierungsvorbehalt ergibt. Ob die Auffassung von Krajewski, hieraus lasse „sich ein genereller Finanzierungsvorbehalt von Maßnahmen der integrativen Beschulung nicht ableiten“116, zutrifft, kann hier dahingestellt 114 Zu dem gleichen Ergebnis kommt Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechts­ konvention, SGb 2013, 391 (394), bezüglich des Art. 25 VN-BRK: „Die bloße Wiederholung und weitere Zuspitzung des allgemeinen Diskriminierungsverbots in Art. 25 BRK macht deshalb aber aus der gesamten Norm noch keine unmittelbar anwendbare Anspruchsnorm, insbesondere auch dort nicht, wo die Konvention Leistungen zur Sprache bringt, die naturgemäß dann in Beschlag genommen werden, wenn man gegen allgemeine und grundsätzlich jeden treffende Leistungseinschränkungen des nationalen Rechts vorzugehen gedenkt.“ (Hervorh. im Original). 115 So zutr. Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (48). Dagegen wird von Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution? – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220, und Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (218), die Auffassung vertreten, aus Art. 24 der VN-Behindertenrechtskonvention seien individualrechtliche Ansprüche der Betroffenen abzuleiten. 116 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (123); ebenso Rux/Niehues, Schulrecht, Rn.118.

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bleiben. Jedenfalls kann wegen der Beschränkung auf die „verfügbaren Mittel“ auf individualrechtlicher Grundlage weder ein Ausbau der integrativen/inklusiven Unterrichtung als solcher noch die definitive Etablierung eines solchen Bildungsangebots erzwungen werden. Das Übereinkommen enthält keinen Anhaltspunkt für einen voraussetzungslosen Anspruch des behinderten Kindes auf Gewährleistung eines „integrativen Bildungssystems“ („inclusive education system“) und den Zugang zu einem integrativen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen („inclusive primary and secondary education“).117 2. Rückschlüsse aus der Regelung des völkerrechtlichen Durchsetzungsinstrumentariums Dass die VN-Behindertenrechtskonvention keine individualrechtlich durchsetzungsfähige Rechtsposition einräumen will, ergibt sich auch aus dem in dem Übereinkommen vorgesehenen völkerrechtlichen Durchsetzungsinstrumentarium. Es sind dies die in Art. 31 Abs. 1 VN-BRK (Sammlung von Informationen), Art. 33 Abs.  2 VN-BRK (Aufbau eines geeigneten Monitoring-Systems)118 und Art.  35 Abs. 1 VN-BRK (Berichtspflicht) enthaltenen Vertragsbestimmungen. Mit diesem diskursiven Verfahren wird der Tatsache Rechnung getragen, dass „das allgemeine völkerrechtliche Instrumentarium keine Konfliktlösung durch richterliche Entscheidung, sondern durch Rechtswahrung seitens der Völkerrechtssubjekte selbst vor[sieht].“119 Die für die Durchsetzung des Übereinkommens getroffenen institutionellen Vorkehrungen sind also mit den in anderen menschenrechtlichen Verträgen vorgesehenen Mechanismen vergleichbar.120 Es handelt sich, wie Poscher zutreffend anmerkt, um eine „‚weiche‘ Steuerung, die letztlich auf dem politischen Mechanismus des ‚Blaming and Shaming‘ beruht“.121 117 HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ 2010, 602 (604). Im Ergebnis ebenso:OVG NRW, Beschl. v. 3.11.2010, 19 E 533/10, http://www.justiz.nrw.de (Zugriff: 23.4.2012): „Subjektive Rechte mit dem genannten Inhalt ergeben sich nicht unmittelbar aus den Vorschriften in Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, weil diese für ihre landesrechtliche Wirksamkeit in Nordrhein-Westfalen der Transformation durch den Landesgesetzgeber bedürfen (BVerwG, Beschluss vom 18.1.2010, 6 B 52.09, juris, Rdn. 4)“, womit das Gericht nicht nur eine förmliche, d. h. textgleiche, sondern auch eine normkonkretisierende Transformation gemeint haben dürfte; VG Freiburg, Urt. v. 25.3.2009, 2 K 1638/08, Rn. 58, http://www.juris.de (Zugriff: 11.7.2011). 118 Im Mai 2009 wurde die Monitoring-Stelle zur VN-Behindertenrechts­konvention am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin, einem eingetragenen Verein, eingerichtet. 119 OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1445). 120 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (121). 121 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S.  35 (49). Poscher erwähnt an gleicher Stelle allerdings den Deutschlandbericht des Sonderberichterstatters des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz von der Universidad Latina de Costa Rica,

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Diese Verfahrensregelung entspricht der materiellen Rechtslage, wie sie von der Bundesregierung in der ihrem Entwurf des Vertragsgesetzes beigefügten Denkschrift zutreffend beurteilt wird: „Nach Artikel 4 Abs. 1 Buchstabe a sind die Vertragsstaaten verpflichtet, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen. Diese Verpflichtung entspricht üblichen Regelungen in anderen Menschenrechtsverträgen. Mit der Ratifizierung werden die Staatenverpflichtungen zur Erreichung des beschriebenen Ziels, der Verwirklichung aller Menden dieser im Jahr 2007 erstattete (siehe Muñoz, Implementation of General Assembly Resolution 60/251 of 15 march 2006 entitled „Human Rights Council“. Report of the Special Rapporteur on the right to education, Vernor Muñoz. Addendum, Mission to Germany [13–21 February 2006], 9 march 2007). Wenn Poscher, ebd., dieses Dokument als Beispiel für einen „wirkmächtigen“ Bericht glaubt anführen zu können, so sind an dieser Einschätzung Fragezeichen anzubringen. Wenn es, wie Poscher, ebd., zutreffend ausführt, darauf ankommt, wie „umsichtig und sachverständig“ die Empfehlungen ausfallen, dann ist in Erinnerung zu rufen, dass Muñoz sich nur wenige Tage in Deutschland aufgehalten hatte, bevor er sich berufen fühlte, in apodiktischer Manier ein weitgehend kritisches Urteil über das deutsche Schulsystem zu fällen. Das war umso bemerkenswerter, als wesentliche Teile des deutschen Schulsystems in seinem Bericht überhaupt nicht vorkommen, wie z. B. das erfolgreiche und international als vorbildlich geltende System der dualen beruflichen Ausbildung. Dass die im internationalen Vergleich sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland u. a. dem dualen Ausbildungssystem zu verdanken ist und dieser Teil des deutschen Bildungssystems einen nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Chancengerechtigkeit leistet, lag außerhalb des Blickfeldes des UN-Sonderberichterstatters. Wahrnehmungsdefizite lässt Muñoz auch in seinen Ausführungen zur sonderpädagogischen Förderung erkennen. So zeigen seine Ausführungen in Abschnitt C des Berichts, dass er die schulische Wirklichkeit in deutschen Schulen in Sachen integrativer Unterrichtung behinderter Kinder verkennt, in der nicht – wie von ihm behauptet – die Anpassung des behinderten Schülers an die Schule verlangt, sondern die Anpassung der Schule an die Bedürfnisse des behinderten Schülers im Sinne des von ihm verwendeten Inklusionsbegriffs praktiziert wird. Das veranlasste die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, KMK-Präsident: Wir nehmen die Kritik des UN-Sonderberichterstatters auf, http://www.kmk.org/no_cache/presse-und-aktuelles/pm2007/wir-h… (Zugriff: 14.5.2013), u. a. zu folgender Erklärung: „Die Kultusministerkonferenz weist allerdings den Vorwurf zurück, dass Kinder mit Behinderungen aus dem deutschen Bildungssystem ausgegrenzt werden. So fordert der Sonderberichterstatter gesetzgeberische Voraussetzungen dafür zu schaffen, um Bildung für Personen mit Behinderungen anzubieten. Tatsache ist jedoch, dass die Schulpflicht für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ebenso gilt wie für nichtbehinderte Kinder und Jugendliche. Das Recht auf Bildung umfasst darüber hinaus vielfältige und auf den sonderpädagogischen Bedarf ausgerichtete Förderangebote.“ Im Übrigen geschah die Kommentierung von Aufbau und Gliederung des deutschen Schulwesens durch den VNSonderberichterstatter in einer Art und Weise, dass er zu Recht mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, in der innerdeutschen gesellschaftspolitischen Debatte über die Schulstruktur einseitig, nämlich gegen ein gegliedertes Schulwesen Partei ergriffen zu haben. Harsche Kritik an dem Bericht von Muñoz wurde daher nicht nur von der Kultusministerkonferenz geübt. Vielmehr spiegelt sich in den Medien, dass der Bericht beim überwiegenden Teil der in Deutschland an der bildungspolitischen Diskussion Beteiligten auf Ablehnung stieß. Vgl. hierzu u. a.: Zschipke, Der Besuch des UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Bildung im Spiegel der Presse, in: Overwien/Prengel (Hrsg.), Recht auf Bildung. Zum Besuch des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen in Deutschland, S.  51 ff.; Mahler/Weiß, Der Einfluss der internationalen Menschenrechtsverträge auf die deutsche Bildungsrechtsordnung, RdJB 2007, 430 (434, 441).

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schenrechte und Grundfreiheiten, begründet. Diese Staatenverpflichtungen müssen in innerstaatliches Recht überführt werden. Subjektive Ansprüche begründet das Übereinkommen nicht. Sie ergeben sich erst aufgrund innerstaatlicher Regelungen.“122

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in dem von der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls ratifizierten Fakultativprotokoll vom 13.12.2006 zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen123 die auch in anderen Menschenrechtsverträgen vorgesehene Möglichkeit der Individualbeschwerde normiert ist. Diese Verfahrensregelung ist von der materiellen Rechtslage strikt zu unterscheiden und hat, anders als v. Bernstorff124 anzunehmen scheint, auch keine indizielle Bedeutung für das Vorhandensein einer Rechtsposition im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts.125 In der dem Entwurf des Vertragsgesetzes zur VN-Behindertenrechtskonvention und zum Fakultativprotokoll beigefügten Denkschrift der Bundesregierung heißt es zu dem Fakultativprotokoll: „Es enthält keine materiell-rechtlichen Regelungen“126, d. h. subjektivrechtliche Rechtspositionen können auch nicht aus der Tatsache der völkervertraglichen Regelung einer Individualbeschwerde abgeleitet werden.127 3. Auslegung des Vertragsgesetzes Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung auch in den folgenden Erwägungen: Ob eine in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltene Vertragsbestimmung selfexecuting ist, beurteilt sich nicht nur aufgrund einer Auslegung des völkerrechtlichen Vertrages. Vielmehr ist, worauf Nettesheim128 zutreffend hinweist, auch 122 BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 48. Hiermit übereinstimmend heißt es in Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädago­ gische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.  Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention  – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMKBeschlS., Leitzahl 300, S. 1: „Subjektive Rechtsansprüche werden erst durch gesetzgeberische Umsetzungsakte begründet.“ 123 Vertragsgesetz vom 21.12.2008 (BGBl. II S. 1419 [1453]). 124 v. Bernstorff, Anmerkungen zur innerstaatlichen Anwendbarkeit ratifizierter Menschenrechtsverträge: Welche Rechtswirkungen erzeugt das Menschenrecht auf inklusive Schul­ bildung aus der UN-Behindertenrechtskonvention im deutschen Sozial- und Bildungsrecht?, RdJB 2011, 203 (214). Daher besteht auch kein Anlass, wie es bei v. Bernstorff, Menschenrechte und Betroffenenrepräsentation: Entstehung und Inhalt eines UN-Antidiskriminierungs­ übereinkommens über die Rechte von behinderten Menschen, ZaöRV 2007, 1041 (1061), heißt, von einem „quasi-gerichtliche[n] Beschwerdeverfahren“ zu sprechen. 125 Siehe in grundsätzlicher Hinsicht auch Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR Bd. 43 [2005], 312 (318 ff.). 126 BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 69. 127 So auch BayVGH, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129 (131). 128 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 59 Rn. 180: „Die Frage, ob eine Norm eines völkerrechtlichen Vertrages Anwendbarkeit beanspruchen kann, ist durch Auslegung der jeweiligen Vertragsnorm und des Zustimmungsgesetzes zu beantworten.“ (Hervorh. im Original).

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4. Teil: Inklusive Schule

das Vertragsgesetz in diesen Auslegungsprozess einzubeziehen. Das hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung“129 zu geschehen. Insoweit kommt auch der dem Regierungsentwurf des Vertragsgesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beigefügten und soeben erwähnten Denkschrift der Bundesregierung130 die Bedeutung einer für die Auslegung des Vertragsgesetzes relevanten Gesetzesmaterialie zu.131 Aus der Denkschrift aber geht hervor, dass die Bundesregierung aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen nicht die Rechtsfolge ableitet, dass alle behinderten Schüler ausnahmslos und sofort in einem integrativen/inklusiven Bildungssystem zu unterrichten seien.132 Diese Feststellung gilt nicht nur im Hinblick auf die Gewährung eines subjektiven Rechts, sondern auch hinsichtlich der Einschränkung oder des Entzugs eines subjektiven Rechts, nämlich des Rechts, auch 129

BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317). BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 45 ff. 131 Wie aus der BT-Drucks. 16/11234 (neu) vom 3.12.2008, S.  9, hervorgeht, heißt es in einem von dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnten Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke, mit dem Änderungen an der Denkschrift erreicht werden sollten: „Eine Denkschrift ist zwar rechtlich unverbindlich, dennoch wird sie als Teil des Gesetzentwurfes zu einem historischen Argument. Die Denkschrift erhält dadurch den Status eines Referenzdokumentes/einer Auslegungshilfe – sowohl für nachfolgende Regierungen sowie für die Länder, Kommunen und weitere für die Umsetzung verantwortlichen Institutionen als auch für die Gesetzeskommentierungen und Gerichtsprozesse.“ […] „Diesbezüglich solle die Bundesregierung klarstellen, dass es sich bei der Denkschrift um kein für die Auslegungspraxis relevantes Dokument handele“, BT-Drucks. 16/11234 (neu) vom 3.12.2008, S. 10. Das gleiche Ziel verfolgte auch der von dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales ebenfalls abgelehnte Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 16/10841 vom 12.11.2008, S. 3, wo zur Bedeutung der Denkschrift ausgeführt wird: „Zwar haben Denkschriften zu Vertragsgesetzen einen nur erläuternden Charakter und sind als reine Willensbekundung der Bundesregierung als dem vertragsschließenden Organ der Bundesrepublik Deutschland anzusehen. Auch haben Denkschriften keine unmittelbare rechtliche Bedeutung. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass sie wenigstens im Entscheidungsfindungsprozess eines gerichtlichen Verfahrens beeinflussenden Charakter haben.“ Dass diese Einschätzung zutreffend ist, zeigen die folgenden zur VN-BRK ergangenen gerichtlichen Entscheidungen: HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009,7 B 2763/09, Rn. 41, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); BSG, Urt. v. 6.3.2012, B 1 KR 10/11 R, Rn.  29, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012). Zur Zweiten Beratung und Schlussabstimmung des Deutschen Bundestages siehe Verh. d. BT, 16.  Wahlp., S.  20855. Von der „besonderen Bedeutung“ der Denkschrift der Bundesregierung, die „bedeutsam“ sei „für die Würdigung der rechtlichen Qualität der BRK“, spricht auch­ Masuch, Die UN-Behindertenrechtskonvention anwenden!, in: FS Jaeger, S. 245 (247, 249). 132 Vgl. HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, Rn.  41, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012): „Lediglich ergänzend weist das Beschwerdegericht darauf hin, dass der Mangel eines Willens zur Begründung einer Verpflichtung, alle Schüler ausnahmslos und sofort in Schulen mit einem inklusiven Bildungskonzept zu unterrichten, bei der Bundesrepublik Deutschland in den Anlagen zum Gesetzentwurf für das Vertragsgesetz zum Ausdruck kommt. Dort heißt es in der beigefügten Denkschrift (BR-Drucksache 760/08 vom 17.10.2008, S. 48) zu Art. 4 BRK, dass das Übereinkommen keine subjektiven Ansprüche begründe. Diese ergäben sich erst aufgrund innerstaatlicher Regelungen.“ 130

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eine Förderschule besuchen zu können. Denn die Bundesregierung spricht in ihren Ausführungen zu Art. 24 VN-BRK von der „vorhandene[n] Vielfalt der Organisationsformen und der Vorgehensweisen in der pädagogischen Förderung“ und der „Pluralität der Förderorte“ sowie von der „gemeinsame[n] Verantwortung der allgemeinen Schulen und der Förderschulen für die integrative Bildung und sonderpädagogische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen“.133 Das ist keine unzulässige Einmischung des Bundes in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für die Gestaltung des Schulwesens. Vielmehr bringt die Bundesregierung mit diesen Ausführungen zum Ausdruck, dass das Übereinkommen der Vereinten Nationen aus ihrer Sicht jedenfalls keine Vertragsvorschrift enthält, die mit innerstaatlich unmittelbarer Wirkung ein monistisches System vorschreibt, bei dem Förderschulen verboten sind. Dieses Ergebnis lässt sich auch schlussfolgern aus den Bedingungen, die die Bundesregierung in der Denkschrift an die Verwirklichung integrativer/inklusiver Unterrichtung stellt: „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf sollen im Rahmen integrativer Bildung allgemeine Schulen besuchen, wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung sowie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet sind; die Förderung aller Schülerinnen und Schüler muss sichergestellt sein. Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören neben den äußeren Rahmenbedingungen sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte, individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Bewertung der Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte Zusammenarbeit der Lehr- und Fachkräfte.“134

Dieses Zitat ist – bis auf die Ersetzung des Wortes „können“ durch das Wort „sollen“ – die wörtliche Übernahme einer Aussage in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland vom 5./6.5.1994.135 Dort ist als grundlegende Voraussetzung integrativer Unterrichtung u. a. eine den pädagogischen Erfordernissen tatsächlich gerecht werdende Ausstattung mit zusätzlichem sonderpädagogisch qualifiziertem Personal genannt. Bei verantwortbarer integrativer/inklusiver Unterrichtung ist im Fall zieldifferenter Unterrichtung sowie bei der integrativen Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ein ZweiPädagogen-System, d. h. die Anwesenheit von zwei Pädagogen während der gesamten Unterrichtszeit (durchgängige Doppelbesetzung) erforderlich. Daher bedeutet die aus der Denkschrift zitierte Textstelle, dass die Bundesregierung dem Übereinkommen kein voraussetzungsloses subjektiv-öffentliches Recht auf inte 133

BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 58. BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 58. 135 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, Beschl. vom 6.5.1994, KMK-BeschlS., Leitzahl 301, S. 11 f. = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung und Sport des Saarlandes vom 8.6.1994 (GMBl. Saar S. 322). 134

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4. Teil: Inklusive Schule

grative/inklusive Unterrichtung und folglich auch kein unmittelbar kraft völkerrechtlichen Vertrages geltendes Verbot von Förderschulen entnimmt. IV. Zusammenfassung und Ergebnis Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass Art.  24 VN-BRK auch nach förmlicher, d. h. textgleicher Transformation in Landesrecht nicht die Voraussetzungen für die unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit erfüllt. Hierzu kann ihm auch nicht verholfen werden auf dem Umweg über die im Allgemeinen Teil des Vertrages normierten Grundsätze; insbesondere besitzt das in Art. 3 und Art. 5 Abs. 1 und 2 VN-BRK normierte Diskriminierungsverbot keine zu unmittelbarer Anwendbarkeit führende „Ausstrahlungswirkung“. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen trifft keine individualrechtlichen Regelungen im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts im Hinblick auf integrative/inklusive Unterrichtung oder den Besuch von Förderschulen. Das ist das einhellige Ergebnis der hierzu vorliegenden Rechtsprechung.136 Auch der weit überwiegende Teil  des juristischen Schrifttums gelangt zu dieser 136 So insbesondere der grundlegende Beschl. des HessVGH v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 ff., an dem das Gericht in seinem Beschl. v. 16.5.2012, 7 A 1138/11.Z, Rn.  14, http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de (Zugriff: 12.10.2012), ausdrücklich festhält. Ebenso: BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn.  39, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). Dieser Rechtsauffassung folgend: NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2010, ME 278/10, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); VG Arnsberg, Beschl. v. 17.8.2010, 10 L 397/10, Rn.  12, http://www. juris.de (Zugriff: 11.7.2011); VG Düsseldorf, Urt. v. 16.12.2010, 18 K 5702/10, Rn. 13, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); OVG NRW, Beschl. v. 3.11.2010, 19 E 533/10, http://www.justiz.nrw.de (Zugriff: 23.4.2012); VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn. 57 f., http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013); BayVGH, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129 (130); SG Karlsruhe, Beschl. v. 21.3.2013, S 4 SO 937/13 ER, Rn.  52 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 19.11.2013); VG d. Saarl., Urt. v. 13.1.2011, 3 K 376/10, Rn.  23, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); VG Gelsenkirchen, Urt. v. 21.4.2010, 4 K 3823/08, Rn.67, http://www.juris.de (Zugriff: 18.1.2013); VG Freiburg, Urt. v. 25.3.2009, 2 K 1638/08, Rn.  58, http://www.juris.de (Zugriff: 11.7.2011); SG Augsburg, Beschl. v. 23.9.2011, S 15 SO 111/11 ER, Rn.  60, 61, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); BayLSG, Beschl. v. 2.11.2011, L 8 SO 165/11 B ER, Ls. 5, Rn. 21, http://www. juris.de (Zugriff: 12.11.2012); Rh.-Pf. LSG, Urt. v. 21.1.2010, L 5 KR 165/09, Rn. 20, 21, http:// www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); LSG NRW, Beschl. v. 6.2.2014, L 20 SO 436/13 B ER, Rn. 59 f., http://www.juris.de (Zugriff: 23.7.2015); BSG, Urt. v. 18.5.2011, B 3 KR 10/10 R, Rn. 19, http://www.juris.de (Zugriff: 12.11.2012); OVG NRW, Urt. v. 9.10.2007, 15 A 1596/07, DVBl. 2007, 1442 (1445) (VN-Sozialpakt, Studienbeiträge), rechtskräftig durch BVerwG, Urt. v. 29.4.2009, 6 C 16/08, BVerwGE 134, 1 (47 ff.); VGH BW, Urt. v. 16.2.2009, 2 S 1855/07, Rn.  42, http://www.juris.de (Zugriff: 18.1.2013) (VN-Sozialpakt, Studienbeiträge). Im Kontext dieser Entscheidungen ist auch das bereits zitierte Urt. des OVG Rh.-Pf. v. 15.5.2009, 2 A 10036/09.OVG, AS 38, 151 ff. = SPE, Dritte Folge, Leitzahl 333, Nr. 16, S. 3 = LKRZ 2009, 309 ff., zu erwähnen, in dem das rheinland-pfälzische Konzept der Schwerpunktschulen

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rechtlichen Beurteilung.137 Soweit in der Literatur eine abweichende Auffassung vertreten wird, beruht dies u. a. auf einer Ignorierung der oben aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grundlagen des Postulats der unmittelbaren Anwendbarkeit, nämlich des im Grundgesetz verankerten Dualismus von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht und des aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip resultierenden Prinzips der Gewaltenteilung. Diese Klarstellung ist angezeigt gegenüber einer Position, wie sie etwa von­ Aichele eingenommen wird: „Menschenrechtlichen Normen die unmittelbare Anwendbarkeit pauschal abzusprechen, wäre völkerrechtlich nicht vertretbar. Richtig ist vielmehr anzuerkennen, dass alle menschenrechtlichen Vertragsnormen das Potential haben, unmittelbar anwendbar zu sein und die Entscheidung darüber von der am konkreten Lebenssachverhalt ausgerichteten Inhaltsermittlung abhängig zu machen.“138 Ein solcher Ansatz, in dem Aichele offenbar eine „qualifizierte […] Rezeption menschenrechtlicher Normen für behördliche und gerichtliche Praxis“139 sieht, stellt eine generalklauselartige Selbstermächtigung zur für integra­tive Unterrichtung in rechtlicher Hinsicht nicht beanstandet wurde. Zum Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung war das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-BRK) für die Bundesrepublik Deutschland bereits in Kraft getreten; das Gericht hat kein Problem im Hinblick auf die Vereinbarkeit dieses Schulkonzepts mit Art. 24 VN-BRK gesehen. Diese Entscheidung des OVG Rh.-Pf. ist rechtskräftig aufgrund des Beschl. des BVerwG v. 18.1.2010, 6 B 52.09, Rn.4, http://www.juris.de (Zugriff: 25.4.2012). In dieser Entscheidung hat das BVerwG die Notwendigkeit der Transformation des Übereinkommens durch den Landesgesetzgeber festgestellt, soweit es in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallende Fragen regelt. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129, akzeptiert das Konzept der Schwerpunktschule, von ihm als „gruppenbezogenes Angebot im Sinn einer Bündelung von Schülern“ bezeichnet, als eine rechtlich zulässige Organisationsform sonderpädagogischer Förderung. 137 Zu den Stimmen im juristischen Schrifttum, die eine unmittelbare Anwendbarkeit der VNBRK verneinen, vgl. z. B. Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NWVBl. 2011, 409: „Der gleichheitsrechtliche Gehalt ihrer [der Behindertenrechtskonvention; Anm. d. Verf.] Normen ist nicht genügend konkretisiert, um daraus Zugangsansprüche abzuleiten.“ Ennuschat, Die UN-Behindertenrechts­konvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (722), äußert sich mit Blick auf die oben wiedergegebenen Positionen von Degener, Riedel/ Arend und Rux sowie die Stellungnahme der Monitoring-Stelle zur VN-Behindertenrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte vom 11.8.2010, S. 10 ff.: „Die dieser Literaturansicht zugrunde liegende Annahme, Art. 24 BRK habe self executing-Charakter, begegnet freilich erheblichen Bedenken. Vielmehr ist der Rechtsprechung beizupflichten.“ In diesem Sinne auch Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S.  38, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013). Die unmittelbare Anwendbarkeit im Sinne von „Rechtsansprüche[n] […] etwa auf Ausweitung der sonderpädagogischen Angebote an den allgemeinen Schulen“ wird auch von Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 719, verneint. 138 Aichele, Die UN-Behindertenrechtskonvention in der gerichtlichen Praxis, AnwBl 2011, 727 (728). 139 Aichele, ebd., S. 727.

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Ignorierung aller tatbestandlichen Voraussetzungen dar, die sich aus der staatsund verfassungsrechtlichen Dimension dieses rechtlichen Erfordernisses ergeben, und würde einer fast grenzenlosen innerstaatlichen Implementierung völkerrechtlicher Normen Tür und Tor öffnen. Das gilt auch für die Darlegungen von Riedel, der ausführt: „Der nationale Rechtsanwender hat dabei die völkerrechtlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung zu bringen.“140 Einen ähnlichen, mit der in der vorliegenden Schrift dargelegten verfassungsrechtlichen Lage nicht vereinbaren Ansatz verfolgt Masuch: „Um diesen Punkt der Umsetzung geht es in der aktuellen Diskussion um die BRK, hier gilt es ‚Honig zu saugen‘ aus den Jahrzehnten Erkenntnisfortschritt bei der Umsetzung der EMRK mit dem Ziel, Regelungen kraft der innerstaatlichen Geltungsanordnung auf die Rechtsstellung der betroffenen Bürger einwirken zu lassen.“141

C. Handlungsspielräume von Legislative und Exekutive im Lichte des Art. 24 VN-BRK Einige Autoren unternehmen den Versuch, einen Zugangsanspruch des behinderten Kindes zur allgemeinen Schule im Rahmen eines Rechts der Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu begründen. Hierzu heißt es z. B. bei­ Krajewski: „Man kann dies als mittelbare Anwendbarkeit bezeichnen.“142 Zwar fügt der Autor sogleich hinzu: „Diese mittelbare Anwendbarkeit ist kein Versuch, die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit der Norm zu umgehen, sondern eine Konsequenz daraus, dass die Behindertenrechtskonvention Vorgaben für die Ausübung des behördlichen Ermessens enthält.“ Doch ist nicht auszuschließen, dass mit dem Hinweis auf das Ermessen letztlich falsche Erwartungen geweckt ­werden.143

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Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S.  52, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011). 141 Masuch, Die UN-Behindertenrechtskonvention anwenden!, in: FS Jaeger, S. 245 (257). 142 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (124). Auch bei Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NVwZ 2011, 409 (411), findet sich der Versuch, mit Hilfe der Überprüfung von Ermessensentscheidungen die Hürde der fehlenden unmittelbaren innerstaatlichen Anwendbarkeit des Art. 24 VN-BRK zu überwinden. 143 Das gilt auch mit Blick auf die Ausführungen von Faber/Roth, Die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1201 f.).

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I. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Einem möglichen Missverständnis ist zunächst mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und dem Verwaltungsermessen zu begegnen. Im vorliegenden Zusammenhang kommt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers die ausschlaggebende Bedeutung zu. Wie dargelegt, gewährt das Übereinkommen den Vertragspartnern hinsichtlich der Verwirklichung der Vertragsziele einen äußerst weit gesteckten Handlungsspielraum. Das betrifft sämtliche Details der Modalitäten integrativer/inklusiver Unterrichtung und der hierzu erforderlichen Rahmenbedingungen. Deren Festlegung aber ist Sache des zuständigen Gesetzgebers, insbesondere in seiner Funktion als Haushaltsgesetzgeber. Unter dem Gesichtspunkt der progressiven Verwirklichung gilt Entsprechendes auch für die zeitliche Dimension. Es geht hier um die Frage der Ableitung etwaiger originärer Leistungsrechte aus dem Grundgesetz. Erstmals mit dem Numerus-clausus-Urteil vom 18.7.1972144 hat das Bundesverfassungsgericht den „Vorbehalt des Möglichen“ als maßgeblichen Topos zugrunde gelegt. Er soll, soweit es sich nicht ohnehin nur um derivative Teilhaberechte handelt, den Leistungsanspruch des Bürgers gegen den Staat auf das begrenzen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft erwarten kann. Die Grenzziehung überlässt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber, der in Wahrnehmung seines Auftrages auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen hat. Denn angesichts der Knappheit von Haushaltsmitteln entstehen zwangsläufig Zielkonflikte, deren Lösung in einem demokratischen und gewaltenteilenden Staat Sache des Gesetzgebers ist. „Damit wird deutlich, dass der Vorbehalt des Möglichen eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes richterlicher Selbstbeschränkung ist.“145 Es kann daher nicht unwidersprochen bleiben, wenn Krajewski/Bernhard die Erwartung aussprechen, „dass im Rahmen der Überprüfung der Ermessenentschei­ dung durch die Gerichte die Finanzierungserwägungen des Staates genau geprüft werden und insbesondere ein Verstoß gegen die progressive Umsetzungspflicht gerügt werden kann.“146 Welches soll denn der Maßstab sein, an dem das finanzielle Engagement des betreffenden Landes von einem Gericht gemessen wird? Etwa das Ranking nach den mehr als fragwürdigen innerstaatlichen ländervergleichenden Statistiken, zu deren „Aussagekraft“ oben147 das Notwendige gesagt wurde? Die mangelnde Aussagekraft dieser ländervergleichenden KMK-Statistik und das hieraus abgeleitete Ranking werden von Poscher nicht hinreichend gewürdigt, wenn er zu den völkerrechtlichen Rechtfertigungslasten, die sich aus der fö 144

BVerfG, Urt. v. 18.7.1972, 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303 (333). Gaier, Der Vorbehalt des Möglichen als Gebot richterlicher Selbstbeschränkung, in: FS Bryde, S. 367 (375). Siehe hierzu auch: Depenheuer, Vorbehalt des Möglichen, in: HStR XII, § 269 Rn. 48–52. 146 Krajewski/Bernhard, Inklusive Schule im Freistaat Bayern? BayVBl. 2012, 134 (139). 147 Siehe sub Kap. 10. 145

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4. Teil: Inklusive Schule

deralen Struktur ergeben können, ausführt: „Die völkerrechtlichen Verpflichtungen treffen den Gesamtstaat. Sollten sich zu große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Bundesländern bei der schrittweisen Annäherung an die Vorgaben der Konventionen ergeben, könnte sich die Bundesrepublik kaum darauf berufen, dass der Umsetzung der Vorgaben in Deutschland unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden. So ließen sich etwa große Differenzen bei der Einführung eines inklusiven Schulsystems im Sinn von Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BRK zwischen den einzelnen Bundesländern auf eine mittlere Sicht kaum rechtfertigen. Die mit den Pflichten zur schrittweisen Umsetzung verbundenen Rechtfertigungslasten können in einem föderalen System normativ eine „Race-to-the-top“-Mechanismus auslösen.“148 Im Übrigen kann dieser Sicht von Poscher auch deshalb nicht zugestimmt werden, weil hierbei die aus der Staatlichkeit der Länder resultierende Entscheidungshoheit jedes einzelnen Landes ignoriert wird. Mit einem solchen Verständnis der völkerrechtlichen Rechtfertigungslast im föderalen Staat würde die grundgesetzlich geregelte Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern überspielt. Diese Vorgehensweise stünde im Widerspruch zu dem im Grundgesetz verankerten dualistischen Prinzip im Verhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht. Die Darlegungen von Krajewski/Bernhard zur Justiziabilität staatlichen Engagements bei der Umsetzung der VN-Behinderten­rechtskonvention durch Überprüfung von Ermessensentscheidungen geben Anlass zu weiteren Fragen: Soll etwa ein Gericht festlegen, wie die personelle Zusatzausstattung integrativer/inklusiver Schulen auszusehen hat, damit sie der Forderung nach einem „hochwertigen Unterricht“ (Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK) bzw. nach einer verantwortbaren integrativen/in­klusiven Unterrichtung gerecht wird?149 Gibt es irgendeinen justiziablen Anhaltspunkt dafür, was als „angemessene Vorkehrungen […], die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen“, im Sinne des Art.  2 VN-BRK zu gelten haben? Will man tatsächlich behaupten, dass die Frage der „Angemessenheit“ und damit auch die Frage nach der zu gewährleistenden pädagogischen Qualität weltweit nur einheitlich beantwortet werden kann, d. h. ohne Rücksicht auf die unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit von hochentwickelten Ländern und Entwicklungsländern, die unterschiedliche Leistungsfähigkeit ihrer jeweiligen Bildungssysteme und die folglich sehr unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen seitens der Betroffenen? Soll der von Verfassungs wegen dazu berufenen Schuladministration die Prärogative bei der Einschätzung 148 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (45). 149 Es ist an dieser Stelle das Urt. des BayVGH v. 9.7.1997, 7 B 97.1185, BayVBl. 1998, 180 (183), in Erinnerung zu rufen, wo es im Zusammenhang mit grundsätzlichen Fragen der sonderpädagogischen Förderung in begrüßenswerter Deutlichkeit heißt: „Auch kann es nicht Aufgabe der Gerichte sein, anstelle des Parlaments in der Fachpädagogik umstrittene Fragen zu entscheiden.“

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dessen, was z. B. an zusätzlicher Personalausstattung pädagogisch notwendig ist, durch die Dritte Gewalt streitig gemacht werden? Soll künftig ein Gericht statt des demokratisch legitimierten Haushaltsgesetzgebers darüber entscheiden, wie nicht nur bei der Gestaltung des Schulwesens, sondern mit Blick auf die Gesamtheit der staatlichen Aufgaben die finanziellen Prioritäten und Posterioritäten zu setzen sind, damit ein integratives/inklusives Schulsystem etabliert werden kann?150 Es fällt auf, dass sich bei Krajewski/Bernhard kein Wort findet zu der Frage, welche konkreten Anforderungen quantitativer Art (z. B. durchgängige Doppelbesetzung bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei integrativer/inklusiver Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten) nach ihrer Auffassung an die personelle Zusatzausstattung einer pädagogisch verantwortbar zu betreibenden „inklusiven Schule“ zu stellen sind. Dabei ist die Betreuungsrelation bzw. die Betreuungsintensität das ausschlaggebende Kriterium für die Qualität und damit für die Verantwortbarkeit integrativer/inklusiver Unterrichtung. Eine originelle Variante des Umgangs mit den insbesondere erforderlichen personellen Realisierungsbedingungen integrativer/inklusiver Unterrichtung und dem Ressourcenvorbehalt entwickelt Riedel in seinem im Auftrag von Behindertenorganisationen erstatteten Gutachten. Auch dabei geht es letztlich um die Rolle, die der Autor dem „staatlichen Ermessen“ zugedacht hat. Er stellt die Frage: „Ist die Diskriminierung durch bloße Zulassung zu der örtlichen Regelschule behoben oder liegt nur dann keine Diskriminierung vor, wenn auch der Lehrbetrieb so ausgerichtet wird, dass eine optimale Förderung aller Kinder möglich ist?“151 Zutreffenderweise ausgehend von dem letztgenannten Fall weist Riedel auf die Notwendigkeit u. a. der Ausstattung mit dem zusätzlich erforderlichen pädagogischen Personal hin.152 Diese Realisierungsbedingung ist zwangsläufig in einem Atemzug zu nennen mit der Tatsache der Begrenztheit staatlicher Ressourcen, der sich auch Riedel nicht grundsätzlich verschließt. Allerdings bringt der Autor an dieser Stelle eine bemerkenswerte Differenzierung ins Spiel, nämlich die zwischen der systemisch-strukturellen Ebene („Makroebene“) und der Einzelfallebene („Mikroebene“).153 Für die Makroebene, nämlich die Umwandlung des Schulsystems 150

Das VG Düsseldorf weist in seinem bereits erwähnten Urt. v. 16.12.2010, 18 K 5702/10, Rn.  15, http://www.iuris.de (Zugriff: 12.11.2012), darauf hin, dass „sich die Kammer […] schon aus Gründen der Gewaltenteilung gehindert [sieht], dem Parlament durch völkerrechtsfreundliche Auslegung zur Unzeit Vorgaben zu machen, wie das Abkommen umzusetzen sein wird.“ Auch das VG d. Saarl., Urt. v. 13.1.2011, 3 K 376/10, Rn. 23, http://www.iuris.de (Zugriff: 12.11.2012), betont den Programmsatz-Charakter der VN-BRK und macht deutlich, dass „von daher der BRK auch keine Bedeutung für eine vom Kläger geltend gemachte ‚ermessensleitende‘ Entscheidung der Beklagten [zukommt].“ 151 Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S.  37, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011). 152 Riedel, ebd., S. 27, 37, 53. 153 Riedel, ebd., S. 28, 47.

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4. Teil: Inklusive Schule

im Sinne der flächendeckenden Etablierung der „inklusiven Schule“ wird der Ressourcenvorbehalt von dem Autor akzeptiert: „Realistisch betrachtet wird sich nahe­zu jede Rechtsordnung der Welt schwer damit tun, einem unmittelbaren Anspruch auf Gleichbehandlung gerecht zu werden, da ein unmittelbar geltendes Individualrecht in den meisten Fällen die umgehende Umstrukturierung von Schulen, Lehrplänen, didaktischen Methoden, etc. erforderlich machen würde, was auch in Deutschland nicht sofort umsetzbar erscheint. Zudem muss man sich vergegenwärtigen, dass Gleichbehandlung von behinderten Kindern nicht schon dadurch gegeben ist, dass sie mit in der Klasse sitzen und der Unterricht einfach wie bisher weitergeht.“154 Ganz anders stelle sich aber die rechtliche Beurteilung dar, wenn es um die Einzelfallebene („Mikroebene“) gehe. Hier sei „für jedes Kind mit Behinderung, welches für den Besuch der Regelschule angemeldet wird, der Zugang zum Regelschulsystem unmittelbar zu gewährleisten. Auf der Einzelfallebene unterliegt der Zugangsanspruch in seiner konkreten Ausgestaltung grundsätzlich einem staatlichen Ermessen, das jedoch seinerseits nach der BRK durch das Erfordernis der ‚angemessenen Vorkehrungen‘ gemäß Art. 2 BRK und den Grundsatz der gesellschaftlichen und damit auch schulischen Inklusion begrenzt wird.“155 Die gedankliche Inkonsequenz dieses geradezu willkürlich anmutenden Konstruktes der Unterscheidung von Mikro- und Makroebene liegt auf der Hand: Jede Einzelfallentscheidung ergeht innerhalb des Rahmens dessen, was u. a. an personellen Ressourcen zur Verfügung steht. Dieser Rahmen wird bestimmt durch den Gesetzgeber, insbesondere den Haushaltsgesetzgeber.156 An dem, was der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Einschätzungsprärogative an Ressourcen bereitstellt bzw. nicht bereitstellt, kommt die zuständige Schulbehörde nicht vorbei. Sie kann sich, wenn sie die unverzichtbare pädagogisch-qualitative Ausgestaltung im Sinne einer verantwortbaren integrativen/inklusiven Unterrichtung gewährleisten will, nicht auf ein, wie Riedel meint, „staatliches Ermessen“, d. h. ihr Ver 154

Riedel, ebd., S. 27. Riedel, ebd., S. 28. 156 Siehe hierzu auch Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 39, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index. html (Zugriff: 15.7.2013): „Die Implementierung des Konzepts ‚schulische Inklusion‘ lässt sich ohne finanzielle Anstrengungen und Umschichtungen nicht verwirklichen. Dafür aber sind dem Parlament vorbehaltene haushaltspolitische Entscheidungen erforderlich.“ Zu den sich aus der Knappheit der Haushaltsmittel ergebenden Zielkonflikten heißt es bei Gaier, Der Vorbehalt des Möglichen als Gebot richterlicher Selbstbeschränkung, in: FS Bryde, S. 367 (370): „Die Lösung dieser Konflikte, die Entscheidung über den Einsatz der begrenzten finanziellen Ressourcen für bestimmte Aufgaben ist in einem demokratischen, gewaltengeteilten Staat zu allererst Sache des Gesetzgebers. […] Die vorrangige Entscheidungskompetenz des Parlaments findet zudem in dessen Budgetrecht sichtbaren Ausdruck.“ Zum parlamentarischen Haushaltsvorbehalt im Zusammenhang mit der Begründung völkerrechtlicher Verbindlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland siehe auch BVerfG, Urt. v. 12.7.1994, 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93, BVerfGE 90, 286 (364). 155

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waltungsermessen berufen, um bei jeder Einzelfallentscheidung den Zugang zur allgemeinen Schule auch dann zu eröffnen, wenn dort die erforderlichen personellen Ressourcen für eine verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung nicht gegeben sind. Es darf nicht davon abgelenkt werden, dass diese vorgeblich einzelfallbezogene Handlungsweise in ihrer Generalisierung systemische Auswirkung hätte: nämlich ein Schulsystem, das bei fehlenden personellen Ressourcen den pädagogisch-qualitativen Erfordernissen im Sinne einer verantwortbaren integrativen/inklusiven Unterrichtung nicht genügt. Anders formuliert: Die systemisch-strukturelle Ebene, für die Riedel, wie erwähnt, den Ressourcenvorbehalt akzeptiert, ist bei jeder Einzelfallentscheidung automatisch mit im Spiel, weil die Zahl der Einzelfallentscheidungen theoretisch nicht begrenzt ist und mit der sich daraus potenziell ergebenden Summe der Einzelfallentscheidungen die systemische Ebene erreicht ist. Ein Zugangsanspruch im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts unter Ignorierung des Ressourcenvorbehalts lässt sich daher entgegen der Annahme von Riedel auch mit Hilfe einer kreativen Unterscheidung wie der zwischen Makro- und Mikroebene nicht konstruieren. Wer anderes behauptet, redet einer im einzelnen Fall wie aufs Ganze gesehen potenziell unverantwortlichen integrativen/inklusiven Unterrichtung das Wort.157 Zumindest in hohem Maße missverständlich ist es daher, wenn Rux/Niehues schreiben: „Dem Gesetzgeber und der Schulverwaltung steht es unter Geltung der BRK keineswegs frei, die Voraussetzungen für den inklusiven Unterricht so hoch anzusetzen, dass sie in der Praxis kaum jemals erfüllt werden können.“158 Hier wird die Einschätzungsprärogative der Schuladministration in der Frage, welches die Voraussetzungen personeller, sächlicher und organisatorischer Art für eine pädagogisch verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung sind, unter Berufung auf von wem auch immer zu definierende Erfordernisse der VN-Behinderten­rechtskonvention relativiert. Darüber hinaus wird die ausschließliche Zuständigkeit des Haushaltsgesetzgebers für die Allokation der staatlichen Finanzmittel infrage gestellt. Auch hier soll möglicherweise der Eindruck erweckt werden, als handele es sich bei den Entscheidungen über die konkrete Ausgestaltung der integrativen/inklusiven Unterrichtung um justiziable Entscheidungen  – was jedoch mitnichten der Fall ist. Im Übrigen: Die Formulierung, die Voraussetzungen für den inklusiven Unterricht dürften „nicht so hoch angesetzt werden, dass sie in der Praxis kaum jemals erfüllt werden können“, legt die Frage nach dem Informationsstand der Autoren hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse bei der integrativen/inklusiven Unterrichtung in Deutschland nahe. Im Saarland jedenfalls ist, wie in der vorliegenden Schrift aufgezeigt wird, die personelle Ausstattung so hochgradig defizitär, dass die Warnung vor überzogenen Anforderungen zu 157 Zu den Ausführungen Riedels siehe auch die kritische Anmerkung von Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (45, Fn. 48). 158 Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 721.

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4. Teil: Inklusive Schule

mindest derzeit wahrlich nicht erforderlich ist. Wenn allerdings in der fehlenden Bereitschaft einer Schuladministration, angesichts nicht vorhandener Ressourcen die Fallzahlen mit dem Ziel der schnellstmöglichen Realisierung der Totalinklusion bedingungslos zu steigern, bereits eine unzulässige Übersteigerung der Anforderungen gesehen werden sollte, dann würde damit die Legitimität des Erfordernisses qualitätsorientierter und verantwortbarer Integrations-/Inklusionspraxis in grundsätzlicher Hinsicht infrage gestellt. Hier ist zurückzukommen auf den Hinweis von Verdross/Simma, dass die Konsensfähigkeit völkerrechtlicher Abkommen häufig überhaupt erst möglich wird durch die bewusste Verwendung solcher Begriffe, die den Vertragspartnern einen größtmöglichen Interpretationsspielraum einräumen:159 Das trifft auf die Formulierungen „angemessene Vorkehrungen […], die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen“ (Art. 2 VN-BRK) und „unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel […], um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen“ (Art. 4 Abs. 2 VN-BRK), zu.160 Dass der Vollzug der VN-Be­ hindertenrechtskonvention von niemandem grundsätzlich in Frage gestellt werden kann und folglich ihre Umsetzung in Angriff zu nehmen ist, versteht sich von selbst.161 Doch gilt für diese Umsetzung in inhaltlicher, verfahrensmäßiger und temporärer Hinsicht die in dem völkerrechtlichen Vertrag vereinbarte Maßgabe der progressiven Verwirklichung. Diese sollte nicht durch eine einseitig theoretischbegriffliche Sichtweise in einen künstlichen, d. h. die Realität ihrer praktischen Handhabung ausblendenden Gegensatz zu einem haushaltsrelevanten Ressourcenvorbehalt gebracht werden. Dem steht, wie oben aufgezeigt, nicht nur entgegen, dass die maßgeblichen Parameter nicht justiziabel sind. Vielmehr hat man insbesondere zur Kenntnis zu nehmen, dass an dem nationalen Haushaltsgesetzgeber kein Weg vorbeiführt und gegen seine Entscheidungen kein Zwangsmittel ge­geben ist.

159

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 756. Im Hinblick auf die in Art. 24 VN-BRK geregelten Rechte heißt es zutreffend bei Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, S. 381: „Die grundsätzliche Annahme eines originären Leistungsrechts würde nicht nur die staatlichen Ressourcen finanzieller und personeller Art in vielen Teilen der Welt in einer solchen Art und Weise übersteigen, die dazu führen würde, dass das Recht auf Bildung in praxi an Bedeutung verlieren würde und möglicherweise von staatlichen Vorbehalten im Sinne der Artikel 19 ff. WVK überzogen werden würde, sondern zöge auch nach sich, dass einige Staaten unter Umständen die Unterzeichnung und Ratifikation der Konvention von vornherein ablehnen würden.“ 161 Zutreffend weisen Poscher/Rux/Langer, Das Recht auf Bildung. Völkerrechtliche Grundlagen und innerstaatliche Umsetzung, S. 33, darauf hin, dass in einem Verstoß gegen die Bemühungspflichten ein Verstoß gegen das Völkerrecht läge, „der aber durch die Rechtsanwendungsorgane innerhalb der nationalen Rechtsordnung nicht geltend gemacht werden kann.“ 160

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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II. Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Exekutive Wie oben162 dargelegt, bestand der der Schulaufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung über integrative Unterrichtung zur Verfügung stehende Handlungsspielraum aus der Koppelung eines auf ein Tatbestandsmerkmal bezogenen Beurteilungsspielraums und einem Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgeseite. Die tatbestandliche Voraussetzung ergab sich aus dem in § 4 Abs.  1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt, der Ermessensspielraum aus § 9 Abs. 1 IntVO. Sowohl bei der Wahrnehmung ihres Beurteilungsspielraums als auch bei der Ausübung des Verwaltungsermessens (§ 40 SVwVfG) hat die Schulaufsichtsbehörde den Rahmen zu beachten, den der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Einschätzungsprärogative für die Realisierung der integrativen/ inklusiven Unterrichtung abgesteckt hat. Wenn z. B. die Schulaufsichtsbehörde die integrative/inklusive Unterrichtung im konkreten Fall wegen fehlender Ressourcen ablehnt, dann kann zwar die Richtigkeit dieser Entscheidung Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sein. Eine Handhabe, den Haushaltsgesetzgeber zur Bereitstellung zusätzlicher Planstellen oder den Kultusminister für diesen Zweck zur Verlagerung von Personal aus anderen Zweigen des Schulwesens oder seines sonstigen Geschäftsbereichs zu zwingen, besitzt das Gericht jedoch nicht.163 Es bleibt daher für die gerichtliche Überprüfung der Wahrnehmung des Beurteilungsspielraums und der Ausübung des Verwaltungsermessens (§ 114 VwGO) nur ein vergleichsweise bescheidener Überprüfungsrahmen. Dazu gehört z. B. der bereits erwähnte Fall unzutreffender Tatsachenfeststellung bzw. -behauptung, die objektiv nicht nachvollziehbare Interessenabwägung oder die Willkürentscheidung. In diesen Fällen wird sich die Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung bereits aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergeben, d. h. ohne dass es dazu eines expliziten Rückgriffs auf die VN-Behindertenrechtskonvention bedarf. Es sind dies die Fälle, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 8.10.1997 im Auge hat: Danach ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG „nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Kind oder Jugendlicher wegen seiner Behinderung auf eine Sonderschule verwiesen wird, obwohl seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obwohl der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.“164

162

Kap. 8 C. II. Zu dem weiten Organisationsermessen der Schuladministration heißt es in dem Beschl. des VG d. Saarl. v. 25.8.1993, 1 F 45/93, amtl. Umdruck S. 7: „Der Kammer ist es verwehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, für eine Unterrichtung des Ast. zu 2) einen Stützlehrer aus anderen Bereichen abzuziehen. Es liegt allein in dem Organisationsermessen des Antragsgegners, wieviele Integrationsmaßnahmen er durchführen will und kann.“ 164 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (307). 163

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4. Teil: Inklusive Schule

Das Vorhandensein der erforderlichen personellen, sächlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen wird in dem letztgenannten Fall vom Gericht also vorausgesetzt. Die Entscheidung über die Bereitstellung dieser Ressourcen sowie über die pädagogische und organisatorische Ausgestaltung der integrativen/inklusiven Unterrichtung bleibt auch unter der Geltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung dem Landesgesetzgeber vorbehalten. Daher spricht wenig für die Annahme von Winkler,165 die Rechtsprechung könne künftig im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungsermessens die Bedingung des „vertretbaren Einsatz[es] von sonderpädagogischer Förderung“ im Sinne der in Art.  2 VN-BRK enthaltenen Bestimmung des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ inhaltlich ausfüllen bzw. definieren und ihr auf diesem Weg de facto zur unmittelbaren Anwendbarkeit verhelfen.

D. Normativer Gehalt der VN-Behindertenrechtskonvention I. Landesverfassungsrechtliche Ausgangslage Es stellt sich die Frage, welchen inhaltlichen Spielraum der Landesgesetzgeber bei der Umsetzung der VN-Behindertenrechts­konvention hat. Es geht also um die Ermittlung des normativen Gehalts des Übereinkommens. Denn es ist denkbar, dass der Landesgesetzgeber  – mit oder ohne förmliche, d. h. textgleiche Transformation des Übereinkommens166 – unter Berufung auf das

165 Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NVwZ 2011, 409 (411). 166 Wie dies bei den meisten Völkerrechtsverträgen der Fall ist, so regelt auch die VN-­ Behindertenrechtskonvention nicht, wie die darin vereinbarten völkerrechtlichen Verpflichtungen durch die Vertragsstaaten umgesetzt werden. Danach ist es, worauf Poscher/Rux/Langer, Das Recht auf Bildung. Völkerrechtliche Grundlagen und innerstaatliche Umsetzung, S. 60, zutreffend hinweisen, Sache der Vertragsstaaten, ob sie „die Konvention im Wege einer Inkorporation des Vertrages in die eigene Rechtsordnung mit der Folge der unmittelbaren Anwendbarkeit zumindest einzelner Bestimmungen umsetzen oder durch den Bestand oder den Erlass innerstaatlicher Rechtsnormen […].“ Siehe hierzu auch Rux/Niehues, Schulrecht, Rn.718: „Entscheidet sich der Gesetzgeber in einem Land nachträglich für eine Ausweitung des gemeinsamen Unterrichts, ist dies jedenfalls dann als Zustimmung zur BRK im Allgemeinen und ihrem Art. 24 im Besonderen zu werten, wenn die betreffende Änderung ausdrücklich als Umsetzung der Konvention bezeichnet wird. Einer formellen Ratifizierung der BRK im und durch das Land bedarf es dann nicht mehr. Vielmehr gilt die Konvention spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem sie sich der Gesetzgeber zu Eigen macht.“ In diesem Sinne wohl auch Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 28, http:// staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013):

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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Übereinkommen im Wege einer Änderung der Schulgesetze ein voraussetzungsloses subjektiv-öffentliches Recht des behinderten Kindes auf integrative/inklusive Unterrichtung normiert und die Förderschulen abschafft bzw. so dezimiert, dass von einem substanziellen Wahlrecht der Eltern nicht mehr gesprochen werden kann. Allerdings ist in diesem Fall, was die etwaige Abschaffung der Förderschulen im Saarland betrifft, zu unterscheiden zwischen der Rechtslage vor dem 1.8.2012 und der Rechtslage ab dem 1.8.2012: Auf der Grundlage des bis 31.7.2012 geltenden Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996167 wäre das die Abschaffung bzw. wirkungsgleiche Dezimierung der Förderschulen regelnde Landesgesetz bereits wegen Verstoßes gegen diese verfassungsrechtliche Norm nichtig gewesen. Das hätte auch gegolten, wenn zuvor eine förmliche, d. h. textgleiche Transformation stattgefunden hätte. Denn mit der Transformation hätte die VN-Behindertenrechts­kon­vention nur den Rang eines einfachen Landesgesetzes168 erhalten. Art.  27 Abs.  3 Verf. d. Saarl. 1996 mit seiner institutionellen Garantie der Förderschule wäre diesem Landesgesetz im Rang vorgegangen. Diese Rechtslage hätte sich somit unabhängig davon ergeben, ob der VN-Behindertenrechtskonvention ein Verbot von Förderschulen zu entnehmen ist oder nicht. Wohl aber stellt sich die Frage nach dem normativen Gehalt des Übereinkommens mit Blick auf die am 15.6.2011169 beschlossene, am 1.8.2012 in Kraft getretene Änderung des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. Mit dieser Verfassungsänderung wurde die Förderschule aus der Verfassung des Saarlandes gestrichen. Nach dem Wegfall der landesverfassungsrechtlichen Garantie der Förderschulen rückt deren bundesverfassungsrechtliche Gewährleistung in den Vordergrund. Ihre Begründung ergibt sich insbesondere aus den Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts in dessen maßgeblicher Leitentscheidung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und zur sonderpädagogischen Förderung vom 8.10.1997.170 Sollte die Auslegung des Art. 24 VN-BRK ergeben, dass die VN-Behindertenrechtskonvention keine Förderschulen zulässt und einen voraussetzungslosen Anspruch auf integrative/inklusive Unterricht gewährt, dann müsste dies entspre-

„Denkbar ist […], dass dort, wo die Schulgesetze einzelner Länder inzwischen an die Vorgaben des Art. 24 BRK angepasst worden sind, dieser Legislativakt zugleich als landesgesetzlicher Rechtsanwendungsbefehl gedeutet wird.“ So auch Dörschner, Die Rechtswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland am Beispiel des Rechts auf inklusive Bildung, S. 171. 167 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 2. 168 BVerwG, Beschl. v. 18.1.2010, 6 B 52/09, Rn. 4, http://www.juris.de (Zugriff: 25.4.2012). 169 Amtsbl. I S. 236; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. I. 3. 170 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff. Siehe hierzu im Einzelnen die Ausführungen oben sub Kap. 14.

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4. Teil: Inklusive Schule

chend dem oben171 zur Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Gesagten Konsequenzen haben für die Beurteilung der Rechtslage unter bundesverfassungsrechtlichem Aspekt. Sollte die Auslegung des Übereinkommens jedoch ergeben, dass es Förderschulen nicht verbietet, dann wären der Landesgesetzgeber und die Schuladministration unter der Geltung des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 2011 selbst bei Vorliegen eines textgleichen Transformationsgesetzes auch künftig aus bundesverfassungsrechtlichen Gründen an der Abschaffung bzw. wirkungsgleichen Dezimierung der Förderschulen gehindert. Die in der vorliegenden Schrift aufgestellte These lautet: Aus der VN-Behindertenrechtskonvention kann bei normativ-inhaltlicher Betrachtungsweise kein voraussetzungsloses subjektiv-öffent­liches Recht eines behinderten Kindes auf integrative/inklusive Unterrichtung abgeleitet werden; auch enthält die VN-Behin­ dertenrechtskonvention kein Verbot von Förderschulen.172 Das in Art.  24 Abs.  1 VN-BRK genannte „inclusive education system“ ist in der amtlichen Übersetzung korrekt mit „integratives Bildungssystem“ wiedergegeben und meint inhaltlich Analoges zu der in § 4 SchoG 1986 und § 6 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung173 geregelten integrativen Unterrichtung; es reicht begrifflich nicht weiter als die in der deutschen Übersetzung gewählte Formulierung „integratives Bildungssystem.“174 Die nachfolgenden Ausführungen sind der Begründung dieser These gewidmet. II. Auslegung des Art. 24 VN-BRK 1. Verbalinterpretation Auszugehen ist von dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 Buchst. a VN-BRK, demzufolge die Vertragsstaaten sicherzustellen haben, dass Menschen mit Behinde­ rungen nicht aufgrund von Behinderung vom „allgemeinen Bildungssystem“ (general education system) ausgeschlossen und dass Kinder mit Behinderung nicht aufgrund von Behinderung vom „unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht“ (compulsory primary education) oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden. Sie sollen vielmehr, wie es in Art. 24 Abs. 2

171

Siehe sub Kap. 16 A. I. In diesem Sinne HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (604): „Daher kann der völkerrechtlichen Vereinbarung kein generelles Verbot der Zuweisung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Förderschulen entnommen werden.“ 173 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. III. 1. 174 Hierzu ist es ein Synonym, wenn in der dem Regierungsentwurf des Vertragsgesetzes beigefügten Denkschrift der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 57, zu Artikel 24 (Bildung) von einem „einbeziehenden Bildungssystem“ gesprochen wird. 172

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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Buchst. b VN-BRK heißt, „Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben“. In Deutschland ist bisher einzig aus der von interessierter Seite vertretenen höchst subjektiven, letztlich ideologisch motivierten Interpretation des Wortes „inclusive“ im Sinne einer „Überwindung“ der Differenziertheit und Gliederung des Schulsystems die angebliche völkerrechtliche Unzulässigkeit von Förderschulen abgeleitet worden.175 Doch ist mit „general education system“ das allgemeine Bildungssystem176 gemeint  – und nicht die allgemeine Schule im Gegensatz zu speziellen Förderschulen. Dieses Begriffsverständnis liegt auch dem im nachfolgenden Text177 zitierten Vorbehalt Großbritanniens bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zugrunde: „The General Education System in the United Kingdom includes mainstream an special schools, which the UK Government understands is allowed under the Convention.“ Der Vertragstext enthält keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, dass die Existenz von Förderschulen als Diskriminierung betrachtet werde und dass sie als Bestandteil des Bildungsangebots für behinderte Kinder künftig ausgeschlossen sein sollen. Eine solche Rechtsfolge ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 5 Abs. 2 VN-BRK, wo es heißt: „Die Vertragsstaaten verbieten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.“ Zwar gilt diese Vertragsbestimmung aufgrund ihres Wortlautes unmittelbar. Gleichwohl liegt in der Zuweisung eines Schülers an eine Förderschule keine Diskriminierung, wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf Art. 5 Abs. 4 VN-BRK zutreffend feststellt.178 Denn in dieser vertraglichen Regelung heißt es: „Besondere Maßnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.“ Die Förderschulen mit ihren speziellen Fähigkeiten zur Unterrichtung von Kindern, denen die allgemeine Schule nicht gerecht werden kann, sind „besondere Maßnahmen“ im Sinne dieser Vertragsbestimmung. Es ist dies der gleiche Gedanke, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Leitentscheidung zu Art. 3 Abs.  3 Satz 2 GG und zur sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder 175 Zu den Einzelheiten des diesbezüglichen bildungspolitischen Diskurses siehe oben sub Kap. 15. 176 Es ist daher zu eng gefasst, wenn Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 86, unter „general education system“ die „allgemeinbildenden Schulen“ versteht und somit die beruflichen Schulen, die ebenfalls Bestandteil des allgemeinen Bildungssystems sind, nicht mit umfasst sind. Zuzustimmen ist Speck, ebd., jedoch in folgender Präzisierung: „[…] die Übersetzung von ‚compulsory primary education‘ mit ‚Grundschule‘ dürfte insofern unzulänglich sein, als es in Deutschland auch noch die Hauptschule gibt. Eigentlich müsste es deutsch ‚Pflichtschulsystem‘ heißen (‚compulsory‘).“ 177 Siehe unten sub Kap. 16 D. II. 5. 178 HessVGH, Beschl. v. 12.11.2009, 7 B 2763/09, NVwZ-RR 2010, 602 (605).

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4. Teil: Inklusive Schule

vom 8.10.1997 ausspricht: Danach „[kann] der benachteiligende Charakter einer Maßnahme nicht ohne Rücksicht auf eine mit ihr einhergehende spezifische Förderung beurteilt werden“.179 2. Entstehungsgeschichte a) Salamanca-Erklärung als Vorstufe des Art. 24 VN-BRK Der Entstehungsgeschichte der VN-Behindertenrechtskonvention kann ein Beleg dafür entnommen werden, dass dieser völkerrechtliche Vertrag kein Verbot von Förderschulen enthält. Das Übereinkommen steht nämlich in einem engen Zusammenhang mit der Salamanca-Erklärung über Prinzipien, Politik und Praxis der Pädagogik für besondere Bedürfnisse von 1994.180 Sie wurde beschlossen von der von der spanischen Regierung in Zusammenarbeit mit der UNESCO organisierten Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“, die vom 7. bis 10.6.1994 im spanischen Salamanca stattfand. Deren 300 Teilnehmer repräsentierten 92 Staaten und 25 internationale Organisationen. Die SalamancaErklärung wird heute vielfach als Ursprung des Konzepts der „inclusive education“ angesehen. b) Bedeutung der Salamanca-Erklärung für die Begriffswahl Degener erwähnt im Zusammenhang mit der terminologischen Frage  –­ „integration“ oder „inclusion“  – ausdrücklich, dass man sich diesbezüglich bei den Beratungen im Ad-Hoc-Ausschuss der Vereinten Nationen auf die Salamanca-­ Erklärung bezogen habe.181 Auch Krajewski weist auf diesen Zusammenhang hin.182 Von Speck183 wird allerdings zutreffend angemerkt, dass der Terminus Inklusion keineswegs erstmals in der Salamanca-Erklärung verwendet worden sei: Dies treffe wohl insofern nicht zu, als ‚inclusion‘ bereits vorher in den USA weit verbreitet gewesen sei. Dieser Terminus sei immer häufiger an Stelle von ‚mainstreaming‘ verwendet worden, jedoch nie an Stelle von ‚integration‘. Dieser Begriff sei in den USA bündig auf die Eingliederung der afroamerikanischen Be-

179

BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (306 f.). Salamanca-Erklärung, Die Salamanca-Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse, angenommen von der Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“, http://www.unesco@bildung/basisdokumente/salamanca_ erklärung.pdf. Siehe dazu auch Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 25 f. 181 Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (215). 182 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (122). 183 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 59. 180

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völkerung fixiert gewesen.184 Im Grunde sei auf der Salamanca-Konferenz der im Englischen verbreitete und deshalb üblich gewordene Begriff übernommen worden; er sei keine Sondergeburt dieser Konferenz. Da die Salamanca-Erklärung weite Bedeutung erlangt habe, habe der Terminus inclusion auch Eingang in die VN-Behindertenrechts­konvention von 2006 gefunden. Auf jeden Fall sei er nun weltweit als gemeinsamer neuer Leitbegriff verwendet worden. Man habe in ihm die neue Chance gesehen, der Idee des gemeinsamen Lernens neuen Schwung und eine auch inhaltlich neue Stoßkraft zu geben. Der Wechsel von Integration zu Inklusion sei und bleibe für viele nicht nachvollziehbar, deckten sich doch sprachlich Inhalte und Ziele weithin. Der Deutsche Bundestag nahm in seiner Entschließung, die er gleichzeitig mit dem Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschiedete, ausdrücklich Bezug auf die Salamanca-Erklärung.185 In der Salamanca-Erklärung wird, wie Degener ausführt, „der Inklusionsbegriff für das Recht auf Bildung von Menschen mit Behinderungen erstmalig in die internationale Debatte eingeführt, jedoch nicht durchgängig als Alternative zum Terminus ‚Integration‘ verwandt.“186 In der deutschsprachigen Übersetzung der Salamanca-Erklärung wird das Wort „inclusion“ durchgängig mit „Integration“ wiedergegeben.187 Im Übrigen verwendet auch die ebenfalls verbind-

184 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S.  18, unter Bezugnahme auf Opp: „In den USA war der Begriff ‚Integration‘ ausschließlich auf die Eingliederung der afroamerikanischen Bevölkerungsteile angewandt worden, was dazu führte, dass er dann dort nicht mehr im Behindertenbereich benutzt werden konnte. Für diesen diente lange Zeit der Begriff ‚mainstreaming‘“. Vgl. hierzu Opp, Mainstreaming. Versuche zu einer kritischen Reflexion der schulischen Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in der amerikanischen Schule, S. 149 ff.; ders., Mainstreaming in den USA. Heilpädagogische Integration im Vergleich, S. 114 ff. Siehe im Übrigen die oben sub Kap. 15 A. II. 2., Fn. 8, erwähnte instruktive Darstellung des Sach- und Diskussionsstandes zur Terminologie des Komplexes „Integration/Inklusion“ bei Bürli. 185 BT-Drucks. 16/11234 (neu) vom 3.12.2008, S. 4. 186 Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (414). 187 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S.  87. Bürli, Integration/Inklusion aus internationaler Sicht  – einer facettenreichen Thematik auf der Spur, in: ders./Strasser/Stein (Hrsg.), Integration und Inklusion aus internationaler Sicht, S. 15 (21), weist darauf hin, dass „nicht eindeutig ersichtlich“ sei, dass die Salamanca-Erklärung mit der Verwendung des Terminus Inclusion bzw. Inclusive Education „einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Begriffen Integration und Inklusion hervorheben und eine enge Verknüpfung von Terminologie und Position herstellen wollte. Dies wird zumindest daran deutlich, dass bei Übersetzungen vom englischsprachigen Original(UNESCO 1994) in die UNESCO-zugelassene französische oder spanische Sprache die Ausdrücke Intégration und Education intégratice bzw. Integración bzw. Educación integradora verwendet werden.“ Siehe auch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Thönnes vom 23.1.2008 auf die Frage des Abgeordneten Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) zu der Übersetzung, Verh. d. BT, 16. Wahlp., S. 14562: „In dem ganzen Prozess hat sich herausgestellt, dass man sich sowohl mit den anderen deutschsprachigen Ländern als auch mit den Bundesländern auf ‚integrativ‘ verständigt hat, um zu einer gemeinsamen

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liche französische Fassung in Art. 24 Abs. 1 und 2 VN-BRK unterschiedliche Begriffe, nämlich „insertion“, „inclusif“ und „intégration“.188 c) Inhaltliche Aussagen der Salamanca-Erklärung zu den Förderschulen In Nr. 3 der Präambel der Salamanca-Erklärung werden alle Regierungen aufgefordert, entsprechend dem Prinzip integrativer Pädagogik „alle Kinder in Regelschulen aufzunehmen, außer es gibt zwingende Gründe, dies nicht zu tun.“ Darin ist ein Anerkenntnis grundsätzlicher Art enthalten: Auch speziellen Schulen oder Klassen wird bestätigt, dass sie ihre Berechtigung haben.189 Dieses Anerkenntnis findet auch seinen Ausdruck in Nr. 8 der Salamanca-Erklärung: „Die Zuweisung von Kindern zu Sonderschulen – oder zu ständigen speziellen Klassen oder Abteilungen innerhalb einer Schule – sollte die Ausnahme sein. Dies ist nur in jenen seltenen Fällen zu empfehlen, wo deutlich gezeigt werden kann, dass ein Unterricht in einer Regelschulklasse den Lern- und sozialen Bedürfnissen eines Kindes nicht entsprechen kann bzw. wenn es für das Wohlergehen des Kindes oder anderer Kinder erforderlich ist.“

Solange allerdings die allgemeine Schule, die der eigentliche Adressat sowohl der Salamanca-Erklärung als auch des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist, nicht so ausgestattet ist, dass sie wirklich einen „hochwertigen“  – so wörtlich Art.  24 Abs.  2 Buchst.  b VN-BRK  – bzw. verantwortbaren integrativen/inklusiven Unterricht anbieten kann, bleibt die Bedeutung der Förderschulen weitaus größer, als es in der RegelAusnahme-Formulierung der Salamanca-Erklärung gemeint ist. Das gilt auch für die nachstehend wiedergegebenen Ausführungen in Nr. 9 der Salamanca-Erklärung, die überdies eine bemerkenswerte Würdigung des in der Qualifikation der Förderschullehrkräfte dokumentierten pädagogischen Potenzials dieser Schulform enthält: „Die Situation in bezug auf Sonderschulen ist von Land zu Land außerordentlich verschieden. Es gibt z. B. Länder, die ein gut etabliertes System von Sonderschulen für spezifische Behinderungen haben. Solche Schulen können wertvolle Ressourcen für die Entwicklung integrativer Schulen darstellen. Das Personal dieser Institutionen besitzt das nötige Fachwissen zur Früherfassung und -erkennung von Kindern mit Behinderung. Sonderschulen können auch als Trainings- und Ressourcenzentrum für Regelschulen dienen. Schließlich Position zu kommen. Als ein Element hat auch die 1994 abgestimmte Salamanca-Erklärung dabei eine Rolle gespielt, die die Bereiche Bildung und Schule umfasst und in der auch immer wieder das Wort ‚integrativ‘ verwendet wird.“ 188 Vgl. den diesbezüglichen Hinweis des VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn. 55, http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013). Siehe zu dieser Wortwahl in der ebenfalls verbindlichen französischen Fassung auch Bernhard, Art. 24 UN-BRK: Rezeption in der Rechtsprechung nach fünf Jahren, RdJB 2015, 79 (83). 189 Speck, Schulische Integration aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 87.

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könnten Sonderschulen oder spezielle Einheiten in integrativen Schulen weiterhin den besten Unterricht für die relativ kleine Anzahl jener Kinder mit Behinderung darstellen, denen in Regelschulklassen und Regelschulen nicht entsprochen werden kann. Investitionen in existierende Sonderschulen sollten auf ihre neue und erweiterte Rolle ausgerichtet sein. Das heißt, dass sie den Regelschulen professionelle Unterstützung für die Bewältigung besonderer pädagogischer Bedürfnisse anbieten […].“

Zutreffend wird hier die Funktion der Förderschule als unverzichtbares Reservoir an spezifisch heilpädagogischer Professionalität hervorgehoben.190 Von dem Ziel einer faktischen Abschaffung oder gar einem Verbot der Förderschulen ist also weder in der Salamanca-Erklärung noch in der VN-Behindertenrechtskonvention die Rede. Wie in der Formulierung des Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK zum Ausdruck kommt, besagt die VN-Behindertenrechtskonvention nicht mehr und nicht weniger, als dass behinderte Kinder „Zugang“ zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben. Auch in der Salamanca-Erklärung hat das Wort „Zugang“ eine Schlüsselfunktion, denn sie ist verabschiedet worden von der Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität.“ Mit „Zugang haben“ ist das Recht des behinderten Kindes gemeint, das allgemeine Schulsystem kostenlos besuchen zu dürfen. Es wäre eine Verkennung dieses Begriffs, ihm eine angebliche Unzulässigkeit zusätzlicher, spezieller schulischer Einrichtungen und Angebote entnehmen zu wollen und den Eltern das Recht zu versagen, sich zugunsten ihres behinderten Kindes für eine solche Einrichtung zu entscheiden.191 Im Ergebnis wird auch von Poscher/Rux/Langer konzediert, dass Art. 24 190 Dieser Gedanke findet seinen Ausdruck auch in einem europarechtlichen Dokument, nämlich in der Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen der Europäischen Gemeinschaft über die Eingliederung von behinderten Kindern und Jugendlichen in allgemeine Bildungssysteme vom 31.5.1990, ABlEG Nr. C 162 vom 3.7.1990, S. 2: „Darüber hinaus sollten das im Sonderschulwesen gewonnene Fachwissen und die dort entwickelten Lehrmethoden in den allgemeinen Einrichtungen zum Nutzen der dort unterrichteten besonders betreuungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen eingesetzt werden.“ Im gleichen Sinne hat die Bundesrepublik Deutschland in ihrem am 3.8.2011 vom Bundeskabinett beschlossenen Ersten Staatenbericht zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 35 VN-BRK) „die Sicherung der Professionalität der Sonderpädagogik“ als „eine weitere zukünftige Aufgabe“ benannt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland, S. 56). Dieser Aussage war in dem Bericht folgende Feststellung vorausgegangen: „Im deutschen Schulwesen kommt der Förderschule eine besondere Funktion zu. Die Förderschulen sind auf spezifische sonderpädagogische Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote spezialisiert. Sie können sowohl Lernorte mit eigenen Bildungsangeboten als auch Kompetenz-/ Förderzentren mit sonderpädagogischen Angeboten in den allgemeinen Schulen sein.“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ebd., S. 54). 191 Vgl. Ellger-Rüttgardt, Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre Herausforderungen an die deutsche Bildungspolitik, Rehabilitation 2009, 369 (372 f.), die betont, dass die VN-Behinderten­rechtskonvention „besondere pädagogische Maßnahmen in speziellen Institutionen nicht [ausschließt]. […] Der Text ist eindeutig und

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4. Teil: Inklusive Schule

Abs.  1 Satz 2 VN-BRK „die Existenz von Förderschulen nicht notwendig [ausschließt]“ und folglich den Vertragsstaaten im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen elterlichem Erziehungsrecht und staatlicher Schulaufsicht ein breiter Gestaltungsspielraum eingeräumt ist.192 Dies muss als ein Anerkenntnis grundsätzlicher Art betrachtet und kann nicht auf die Situation jener behinderten Kinder beschränkt werden, bei denen nach Art und Grad der Behinderung eine integrative Unterrichtung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann.193 Darin liegt nämlich die grundsätzliche Anerkennung, dass Förderschulen eine spezifische Fähigkeit besitzen, individuellen Bedürfnissen eines behinderten Kindes gerecht zu werden. 3. Zielsetzung a) Grundanliegen der VN-Behindertenrechtskonvention Für das zutreffende Verständnis von „general education system“ ist es essentiell, sich das Grundanliegen der VN-Behinderten­rechtskonvention bewusst zu machen: Es will „den Millionen behinderter Kinder, die bisher überhaupt keine Schulen besuchen, rechtlich gesicherten Zugang zum öffentlichen und nicht kostenpflichtigen Bildungssystem […] verschaffen.“194 Das Übereinkommen der Vereinten klar. Somit ist es unrichtig, wenn man in einigen deutschen Veröffentlichungen liest, dass Artikel 24 der Einrichtung von Sonderschulen eine grundsätzliche Absage erteilt. Ich kenne kein Land, in dem das Recht auf Bildung für jeden behinderten Menschen, auch den schwerbehinderten, durchgesetzt wäre und wo es keine Sondereinrichtungen gäbe, weder in Schweden, den Vereinigten Staaten noch in Italien. Vor diesem Hintergrund verwundert es schon, dass Sonderschulen und Sonderpädagogik in Deutschland inzwischen unter Generalverdacht stehen.“ 192 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S.  28, 39; dies., ebd., S.  66: „Nachdem auch die Verfasser der Konvention anerkennen, dass der vollständig integrative (inklusive) Unterricht für einen bestimmten Anteil der Schüler keine Option darstellt […].“ Im Ergebnis ebenso: Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art.  24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 11, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index. html (Zugriff: 15.7.2013); Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule?, SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz, 2012, 83 (85); Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1197); Nolte, Die Behindertenrechtskonvention, in: Astheimer/Bott/Hoffmann u. a., Grundkurs Schulrecht V, S. 46. 193 Im Übrigen ist Speck, Schulische Integration aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 55, zuzustimmen, wenn er an die Adresse der Befürworter eines quasitotalitären Inklusionskonzepts („eine Schule für alle“) folgenden Befund anspricht: „Die Integrationsidee scheint bei den schwerstbehinderten Kindern vor einer Nagelprobe zu stehen […]. Diese Kinder sind vielfach nicht gemeint, wenn es um die Integration aller Kinder geht. Wenn also proklamativ im Sinne eines grundlegenden Systemwandels die Abschaffung aller Sonderund Förderschulen gefordert wird, so wird diese Totalforderung unglaubwürdig.“ (Hervorh. im Original). 194 Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 86.

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Nationen will in elementarem Sinne gewährleisten, dass auch behinderte Kinder Zugang zum öffentlichen Schulsystem haben. Unter den 160 Staaten (Stand: 10.3.2016), für die das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen inzwischen in Kraft getreten ist,195 sind viele Entwicklungsländer. In Nr. 10 der SalamancaErklärung wird darauf hingewiesen, dass in den Entwicklungsländern „die große Mehrheit von Schülern und Schülerinnen mit besonderen Bedürfnissen, besonders in ländlichen Gegenden […] überhaupt nicht versorgt [werden].“ Nach Rothfritz, der sich hierbei auf den VN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Bildung Vernor Muñoz und die diesem zur Verfügung stehenden Statistiken bezieht, „[besuchen] Schätzungen zufolge in den Entwicklungsländern nur ein bis fünf Prozent aller Kinder mit einer Behinderung eine Schule.“196 In diesen Ländern bestehen in der Regel sowohl hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit als auch der Qualität des Bildungssystems keine auch nur annähernd mit Deutschland vergleichbaren Lebensverhältnisse. Dennoch haben fast alle diese Länder dem Übereinkommen ohne Vorbehalt zugestimmt. Das lässt bei der gebotenen realistischen Betrachtungsweise Rückschlüsse darauf zu, wie man dort den Begriff „hochwertiger Unterricht“ im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK interpretiert, nämlich bisweilen im Sinne einer „most basic form of education“.197 Nur ein solcher „Standard“ kann gemeint sein, wenn Rothfritz unter Bezugnahme auf die diesbezüglich von den Vereinten Nationen veröffentlichten Materialien ausführt: „Es gibt Erfahrungen, die lehren, dass 80 bis 90 Prozent der Kinder mit einer Behinderung ohne großen Aufwand und allzu hohe zusätzliche Kosten in das allgemeine Schulsystem integriert werden könnten.“198 195

Bekanntmachungen über den Geltungsbereich des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 5.6.2009 (BGBl. II S. 812), vom 14.3.2011 (BGBl. II S. 493), vom 12.5.2011 (BGBl. II S. 624), vom 24.8.2011 (BGBl. II S. 944), vom 27.10.2011 (BGBl. II S. 1184), vom 13.12.2011 (BGBl. II 2012, S. 52), vom 13.6.2012 (BGBl. II S. 733), vom 29.8.2012 (BGBl. II S.  1030), vom 13.11.2012 (BGBl. II 2013, S.  33), vom 5.2.2013 (BGBl. II S.  327), vom 2.4.2013 (BGBl. II S.  551), vom 12.6.2013 (BGBl. II 1041), vom 30.7.2013 (BGBl. II S. 1217), vom 18.9.2013 (BGBl. II S. 1417), vom 5.11.2013 (BGBl. II S. 1580), vom 24.1.2014 (BGBl. II S. 138), vom 24.2.2014 (BGBl. II S. 236), vom 27.3.2014 (BGBl. II S. 318), vom 21.5.2014 (BGBl. II S. 419), vom 2.7.2014 (BGBl. II S. 509), vom 23.9.2014 (BGBl. II S. 855), vom 1.12.2014 (BGBl. II. S. 1386), vom 23.2.2015 (BGBl. II S. 345), vom 10.4.2015 (BGBl. II S. 526), vom 19.5.2015 (BGBl. II S. 920), vom 5.8.2015 (BGBl. II S. 1096), vom 9.10.2015 (BGBl. II S. 1274), vom 30.11.2015 (BGBl. 2016 II S. 24), vom 2.2.2016 (BGBl. II S. 239) und vom 10.3.2016 (BGBl. II S. 335). 196 Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, S. 377. 197 Siehe hierzu Speck, Schulische Integration aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 128, sowie Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (45, Fn. 48). 198 Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, S. 389 (Hervorh. d. Verf.).

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Es liegt auf der Hand, dass die weltweit höchst unterschiedliche Lebenssituation behinderter Menschen „nicht ohne Folgen für die Auseinandersetzung mit der UNKonvention und den Inklusionsgedanken bleiben kann“.199 Die Konsensfähigkeit des Abkommens wäre nicht erreichbar gewesen ohne die stillschweigende Übereinstimmung der Vertragspartner, dass gerade den Entwicklungsländern ihr eigener Weg zur Realisierung der programmatischen Ziele der VN-Behindertenrechtskonvention konzediert wird. Diese bewusste Unbestimmtheit hinsichtlich der Realisierungsmodalitäten aber muss für alle Vertragspartner gelten. Daher besteht das Anliegen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht darin, hoch entwickelten Ländern mit einem differenzierten und in seiner gesamten Breite leistungsfähigen Bildungswesen gleichsam durch die Hintertür einer Regelung zur sonderpädagogischen Förderung ein vollständig neues Schulsystem aufzuzwingen und dabei nachweislich leistungsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Strukturen zu zerschlagen. Eine solche Rechtsfolge kann der VN-Behindertenrechtskonvention nicht entnommen Zwerden. Vielmehr ist auch für die Auslegung des Art. 24 VN-BRK maßgeblich, was die Bundesregierung in der dem Regierungsentwurf des Vertragsgesetzes beigefügten Denkschrift zur Bedeutung des Übereinkommens in grundsätzlicher Hinsicht ausführt: Es sei das erste universelle Rechtsinstrument, das bestehende Menschenrechte, bezogen auf die Lebenssituation behinderter Menschen, konkretisiere. Es würdige Behinderung als Teil  der Vielfalt menschlichen Lebens und überwinde damit das noch in vielen Ländern vorherrschende defizitorientierte Verständnis. Dem Großteil der weltweit rund 650 Millionen behinderten Menschen werde das Übereinkommen erstmalig einen Zugang zu universell verbrieften Rechten verschaffen. Die Vereinten Nationen schätzten, dass nur etwa 40 Staaten, zumeist Industrienationen, eine nationale behindertenpolitische Gesetzgebung hätten. Zwei Drittel der etwa 650 Millionen Menschen mit Behinderungen lebten in Entwicklungsländern.200 Daher ist Luthe zuzustimmen, der zur VN-Behindertenrechts­konvention anmerkt: Die Konvention sei ihrem Selbstverständnis nach kein reiner Antidiskriminierungsvertrag, sondern ein inhaltlich umfassendes Menschenrechtsinstrument 199

Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 27. BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S.  46. Vgl. auch Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (208): „Die Bedeutung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit für die nationale und internationale Behindertenpolitik wurde lange unterschätzt. So wurden behinderte Menschen in den acht UN-Milleniumsentwicklungszielen von 2000 zur Bekämpfung von extremer Armut nicht berücksichtigt und waren bis vor einigen Jahren kaum ein Thema bei internationalen und nationalen Entwicklungsorganisationen. Dieser Zustand war angesichts der Tatsache, dass 80 % der über 650 Millionen Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern leben, unhaltbar.“ 200

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mit entwicklungspolitischer Komponente.201 An anderer Stelle weist Luthe darauf hin, dass für die VN-Behindertenrechtskonvention der Zusammenhang von Armut und Behinderung im Vordergrund ihres Selbstverständnisses stehe. Sie sei Bestandteil der Armutsbekämpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern und richte sich an Staaten, in denen behinderte Menschen als „Objekte der Fürsorge“, nicht aber als „Inhaber von Rechten“ behandelt würden. Bereits hieran werde deutlich: Auf bundesrepublikanische Verhältnisse sei die Konvention offensichtlich nicht zugeschnitten. Ihr Grundkonzept der „sozialen Teilhabe“ wolle deshalb auch vordringlich die Gesellschaft ändern, nicht aber die behinderte Person mit Hilfe staatlicher Teilhabeleistungen.202 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie der Umgang mit dem Begriff der Inklusion in Deutschland einzuordnen ist: Der engere deutsche Inklusionsbegriff, so Luthe, sei im Kern eine reine Zweckschöpfung der Behindertenpädagogik und stimme noch nicht einmal mit der älteren und theoretisch übergeordneten soziologischen Verwendungsweise von Inklusion überein. Dass durch Interessenvertreter gleichwohl eine neue Sprachregelung forciert werde, könne nicht überraschen. „Denn ohne ein entsprechend radikalisiertes Inklusionsverständnis wäre die Konvention angesichts des bundesrepublikanischen Versorgungsniveaus rein politisch längst tot.“203 b) Stellung der nationalen Bildungssysteme Es liegt abseits dieses fundamentalen Anliegens des Übereinkommens der Vereinten Nationen, ihm ein Verbot der in einer Reihe hoch entwickelter Länder vorhandenen, nachweislich leistungsfähigen Förderschulen als Element eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung entnehmen zu wollen. Auch unter der Geltung der VN-Behindertenrechtskonvention nimmt daher die Bundesrepublik Deutschland zu Recht in Anspruch, in ihrem dualen System sonderpädagogischer Förderung weiterhin Förderschulen vorzusehen. Dieses Recht hat sie in ihrem am 3.8.2011 vom Bundeskabinett beschlossenen Ersten Staatenbericht zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 35 VN-BRK)204 deutlich zum Ausdruck gebracht: Im deutschen Schulwesen komme der Förderschule eine besondere Funktion zu. Die Förderschulen seien auf spezifische sonderpädagogische Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote spezialisiert. Sie könnten sowohl Lernorte mit eigenen

201

Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechtskonvention, SGb 2013, 391. Luthe, Die Behindertenrechtskonvention – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190. 203 Luthe, ebd., S. 191. 204 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland, S. 54. 202

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4. Teil: Inklusive Schule

Bildungsangeboten als auch Kompetenz-/Förderzentren mit sonderpädagogischen Angeboten in den allgemeinen Schulen sein. Daher ist den Vorstellungen entgegenzutreten, die in den folgenden Sätzen von Poscher/Rux/Langer zum Ausdruck kommen: Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VN-BRK enthalte „keine Vorgaben dazu, wie die 10 bis 20 % der Schüler mit Behinderungen unterrichtet werden, die auch von einer inklusiven Regelschule nicht aufgenommen werden. Wird jedoch berücksichtigt, dass die Erziehungsleistungen für diese Gruppe von Menschen mit größtenteils erheblichen Beeinträchtigungen auch jetzt schon nicht nur in Förderschulen, sondern auch stationär in Pflegeheimen oder als Haus- oder Fernunterricht erbracht werden, wird die Gruppe der Schüler noch kleiner, für die ein Förderschulangebot in Betracht kommt. Sie wird voraussichtlich so klein, dass ein separates Förderschulsystem gegenüber einem vollintegrierten Schulsystem unwirtschaftlich wird.“205 Diese Aussagen halten einer Prüfung nicht stand. Zunächst verkennen die Autoren, dass in Deutschland auch Kinder mit schweren oder mehreren Behinderungen grundsätzlich in Schulen unterrichtet werden – und nicht wie in manchen anderen Ländern in Pflegeheimen untergebracht sind, Hausunterricht erhalten oder gänzlich ohne Unterricht bleiben.206 Der Versuch, mit realitäts- und systemwidrigen Annahmen die Relevanz dieser Schülergruppe minimieren zu wollen, geht, was die Situation in Deutschland betrifft, ins Leere. Von dieser unzutreffenden Beschreibung der Ausgangslage ist es dann nur noch ein be 205

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 28. Vgl. Speck, Schulische Inklusion aus heilpädagogischer Sicht. Rhetorik und Realität, S. 40. Wie aus der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Ausschulung von Schülerinnen und Schülern, LT-Drucks. 12/445 vom 3.7.2001, hervorgeht, sind im Zeitraum von 1985 bis 2000 im Saarland pro Jahr im Durchschnitt nur 4,3 behinderte Kinder gem. § 13 Abs.  1 SchPflG i.d.F.d. ÄndG vom 7.6.2000 (Amtsbl. S.  1018) von der Schulpflicht befreit worden, weil sie aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinderung auch an einer Förderschule oder durch Sonderunterricht nicht gefördert werden konnten. Durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts vom 9.7.2003 (Amtsbl. S. 1990 [1991]) wurde die bis dahin in § 13 Abs. 1 SchPflG für diese Schüler normierte Befreiung von der Schulpflicht in ein Ruhen der Schulpflicht geändert. § 13 Abs. 1 Satz 1 SchPflG lautete demnach: „Solange eine Schulpflichtige oder ein Schulpflichtiger auch in einer Förderschule oder durch Sonderunterricht nicht gefördert werden kann, ruht die Schulpflicht.“ In der Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drucks. 12/867 vom 7.5.2003, S. 11, heißt es u. a., dass die in der bis dahin geltenden Gesetzesfassung an die „Bildungsfähigkeit“ gestellten Anforderungen „zu sehr einem Nützlichkeitsdenken verhaftet“ und „vom Fortschritt der Sonderpädagogik überholt [sind] und […] daher entfallen [müssen]. Auch erweckt die Befreiung von der Schulpflicht den Eindruck, dass den Betroffenen die Förderungsfähigkeit auf Dauer abgesprochen wird. Die neue Regelung, wonach die Schulpflicht nur ruht, solange eine Förderung auch in der Schule für Behinderte oder durch Sonderunterricht nicht möglich ist, bleibt dagegen für positive Entwicklungen offen.“ § 13 Abs. 1 SchPflG 2014 hält an dieser Regelung fest und knüpft die Entscheidung über das Ruhen der Schulpflicht zusätzlich an einen entsprechenden Antrag der Eltern oder an einen von der Schule im Benehmen mit den Eltern zu stellenden Antrag; zudem ist die Entscheidung über das Ruhen der Schulpflicht nunmehr in der Regel auf die Dauer eines Schuljahres befristet. 206

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quemer Schritt zu dem ökonomischen Argument („unwirtschaftlich“), bei dem nichts mehr von einem pädagogischen, schülerzentrierten Ansatz erkennbar ist. Den zitierten Darlegungen von Poscher/Rux/Langer liegt die Behauptung zugrunde, dass die VN-Behindertenrechtskonvention angeblich von einer Inklusions­ quote zwischen 80 und 90 % ausgehe. Dem tritt Degener, die als Beraterin der damaligen Bundesregierung Mitglied der deutschen Regierungsdelegation in dem von der UN-Generalversammlung mit der Resolution 56/168 vom 19.12.2001 eingesetzten Ad-Hoc-Ausschuss war,207 entgegen: „Die [sic!] von Poscher et al. vertretene Ansicht, dass lediglich die Inklusion von 80–90 % aller behinderten Schüler und Schülerinnen durch die BRK bezweckt sei, kann allerdings nicht gefolgt werden. […] Es wurde während der Verhandlungen des Ad-Hoc-Ausschusses in New York absichtlich vermieden, eine statistische Grenze zu nennen. Das Handbuch für Parlamentarier und Parlamentarierinnen, das nach dem Abschluss der Verhandlungen von den Vereinten Nationen und der Interparlamentarischen Union herausgegeben wurde, nennt diese Zahl nicht als Grenze, sondern als Erfahrungswert für fachliche Inklusion. […].“208 Was wohl heißen soll: Eigentlich ist das Ziel die Totalinklusion. Hierzu ist anzumerken, dass es für eine quantitative Grenzziehung bei „10–20 %“ für nicht inklusiv zu unterrichtende Schüler kein sachlich eindeutiges Abgrenzungskriterium gibt. Es mag sich dabei um eine Annahme handeln, die bei den Beratungen des UN-Ad-Hoc-Ausschusses im Raum stand. Das ändert aber nichts daran, dass diese Zahl eine Setzung ohne normative Qualität ist. Die von den zitierten Autoren postulierte Vorgehensweise würde jedenfalls die Abschaffung aller Förderschulen bedeuten, die zu den nachgenannten sonderpädagogischen Förderschwerpunkten gehören. Schüler mit diesen Förderschwerpunkten stellen im Schuljahr 2013/14 in Deutschland folgende Anteile an der Gesamtzahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf: –– Förderschwerpunkt Lernen: 38,8 %, –– Förderschwerpunkt Sprache:11,1 %, –– Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung:15,2 %.209 207 Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (202, Fn. 17). 208 Degener, ebd., S.  215, Fn.  103 (Hervorh. im Original). Als unsubstanziierte Rechtsbehauptung ist es einzuordnen, wenn Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NWVBl. 2011, 409 (410), mit Blick auf Art. 24 VN-BRK ausführt: „Die Norm verlangt, dass 80 bis 90 % aller behinderten Schüler Regelschulen besuchen.“ 209 Siehe die Statistik über die Anteile der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach Förderschwerpunkten bei Klemm, Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 32. Die entsprechenden Zahlen für das Saarland (Schuljahr 2011/12) lauten, wie aus Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, 5. Landesplan Menschen mit Behinderungen im Saarland, S.  56, hervorgeht: Förderschwerpunkt Lernen: 44 %; Förderschwerpunkt Sprache:

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Darüber hinaus wären aber auch weitere Förderschultypen betroffen, da andernfalls die angestrebten 80 oder gar 90 % nicht zu erreichen sind. Allenfalls für einen Teil der Schüler mit geistiger Behinderung oder Sinnesbeeinträchtigung oder für Schüler mit Schwerstmehrfachbehinderung blieben diesen Vorstellungen zufolge Förderschulen erhalten. Wie oben210 dargelegt, haben jedoch 80 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine mentale Beeinträchtigung. Das sind nicht nur die Schüler mit den expliziten Förderschwerpunkten Lernen und geistige Entwicklung. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch, dass 50 % der Schüler der Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung geistig behindert und weitere 30 % lernbehindert sind. Auch an den Förderschulen soziale Entwicklung, der Förderschule Sprache, der Förderschule für Blinde und Sehbehinderte und der Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige befinden sich Schüler, bei denen gleichzeitig eine Lernbehinderung vorliegt. Eltern, die ihr Kind in Anbetracht seiner mentalen Beeinträchtigung in einer Förderschule besser aufgehoben sehen als in einer allgemeinen Schule, würde diese Option also genommen. 4. Art. 24 VN-BRK im Lichte der völkerrechtlichen Gewährleistungen des Elternrechts a) Auslegungsversuche zulasten des Elternrechts Es liegt auf der Hand, dass bei einer Positionierung wie der von Poscher/Rux/ Langer oder Degener das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. insoweit zur Disposition gestellt wird. Die VN-Behindertenrechtskonvention enthält keine Aussagen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen elterlicher Erziehungsverantwortung und staatlicher Schul­hoheit, die für eine Beschränkung elterlicher Befugnisse in Anspruch genommen werden könnte. Umso bemerkenswerter ist daher, was Poscher/Rux/­ Langer hierzu verlautbaren: „Das Verhältnis von elterlichem Erziehungsrecht und staatlicher Schulaufsicht lässt die Behindertenrechtskonvention offen. Den Vertragsstaaten wird insoweit ein breiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Gestaltungsfreiheit könnte zur Folge haben, dass die angestrebte Inklusion von 80 bis 90 % auch langfristig nicht erreicht wird, wenn Vertragsstaaten den Eltern die Wahl zwischen einem inklusiven Unterricht und dem Besuch einer Förderschule einräumen. Soweit die ablehnende Haltung gegenüber einem inklusiven Schulangebot auf der Befürchtung beruht, dass Schülern mit Behinderungen an Regelschulen Diskriminie-

15 %; Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung: 14 %; Förderschwerpunkt geistige Entwicklung: 13 %; Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung: 8 %; Förderschwerpunkte Sehen und Hören: 6 %. 210 Siehe sub Kap. 2 A. I. 2. b) cc).

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rungen durch Mitschüler drohen, ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Vertragsstaaten nach Art.  8 Abs.  1 lit  b BRK verpflichtet sind, ‚Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen […] in allen Bereichen des Lebens zu bekämpfen‘.“211

Als ob mit solchen wechselseitigen Selbstverpflichtungs-Appellen der Vertragsstaaten der oft ganz anderen Lebenswirklichkeit, insbesondere der Schulwirklichkeit beizukommen wäre! Auch fällt es den Autoren offensichtlich schwer, die Tatsache zu akzeptieren, dass es ein ganzes Bündel von Motiven sein kann, welches Eltern gerade eines Kindes mit dem Förderschwerpunkt Lernen dazu bewegt, sich für die Förderschule zu entscheiden.212 Es scheint außerhalb ihres Vorstellungsbereichs zu liegen, dass informierte, verantwortungsbewusste und selbstbewusste Eltern in Kenntnis und zutreffender Einschätzung der tatsächlichen Bedürfnisse ihres Kindes möglicherweise nur begrenzt aufgeschlossen sind gegenüber externen Versuchen, ihnen zu dem richtigen Bewusstsein zu verhelfen. Die subjektive Gewissheit hinsichtlich der generellen Überlegenheit integrativer/inklusiver Unterrichtung, für die sich allerdings bis heute kein empirischer Nachweis finden lässt,213 klingt auch an, wenn Rux von Eltern spricht, die „noch nicht vom Sinn des inklusiven Unterrichts überzeugt sind.“214 Auch bei Riedel/ Arend spielt der Gedanke an die Möglichkeit anderslautender Einschätzung auf Seiten der Eltern offensichtlich keine große Rolle, wenn es dort in Bezug auf die „Regelschulbildung“ heißt, „dass jedes Kind ohne Diskriminierung in deren Genuss kommen soll.“215 Krajewski lässt nicht erkennen, dass er eine differenzierende Betrachtungsweise bevorzugt, wenn er – ohne empirische Belege nennen – apodiktisch feststellt: „Geht man mit den neuesten sonderpädagogischen Erkenntnissen davon aus, dass der Unterricht in Sonderschulen für behinderte Kinder grundsätzlich weniger förderlich ist als eine integrative Beschulung […].“216 Art. 24 VN-BRK regelt das Recht der behinderten Kinder auf Zugang zu den allgemeinen Schulen. Es besteht jedoch keine Verpflichtung der Kinder, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Die VN-Behindertenrechtskonvention lässt ihnen also das Recht, auch die Förderschule zu besuchen. Das Wahlrecht wird von den Eltern ausgeübt.217 Der Selbstverständlichkeit des Elternrechts und der dar 211

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 39 f. Siehe hierzu im Einzelnen oben sub Kap. 14 C. III. 2. b) bb) und D. IV. 2. 213 Siehe oben sub Kap. 13 D. 214 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (224) (Hervorh. d. Verf.). 215 Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1348) (Hervorh. d. Verf.). 216 Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (122). 217 Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule?, SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/ Rheinland-Pfalz, 2012, 83 (85). 212

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aus resultierenden Auswahlbefugnisse steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass das Elternrecht in der VN-Be­hindertenrechtskonvention nicht explizit erwähnt wird. Hierzu heißt es bei Degener, die als Beraterin der Bundesregierung der deutschen Regierungsdelegation angehörte, die an den Verhandlungen des UN-Ad-Hoc-Ausschusses teilnahm: „Um das Recht auf Bildung für behinderte Kinder und Erwachsene wurde in dem Ad-Hoc-Ausschuss lange gestritten. Konfliktpunkt war insbesondere die Frage, ob das Recht auf Bildung ein Wahlrecht hinsichtlich der Bildungsinstitution enthalte. […] Die Diskussionen im Ad-HocAusschuss führten letztendlich dazu, von der Formulierung eines Wahlrechts Abstand zu nehmen und ein Menschenrecht auf inklusive Bildung für alle behinderten Menschen  – unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Sinnesbehinderungen – anzuerkennen.“218 Dazu ist zu sagen: Was der Gewährleistung eines Menschenrechts auf integrative/ inklusive Unterrichtung bei gleichzeitiger Gewährleistung des Rechts des Schülers und seiner Eltern, sich auch für die Förderschule entscheiden zu können, entgegenstehen soll, erschließt sich auch einem zweiten Blick nicht.219 Ähnliche Verständnisschwierigkeiten bereitet die Antwort von Preuss-Lausitz in dem Streitgespräch mit Stöppler auf dessen Hinweis, dass das Modell von Preuss-­Lausitz den Eltern die Option für die Förderschule verweigere: „Die UN-Konvention spricht nicht von Wahlfreiheit, sondern von einem Recht der Schüler auf gemeinsame Erziehung.“220 Diese Antwort ignoriert, dass Grundlage von Erziehung das Elternrecht ist und dass die Entscheidung über den Lernort eines behinderten Kindes für die Eltern essentieller Bestandteil ihrer Vorstellung von der Erziehung ihres Kindes ist.221 Übertroffen wird solcherart „Wertschätzung“ des Elternrechts nur noch von dem Deutschen Institut für Menschenrechte (Berlin). Diesem Institut, das in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins222 besteht, wurde 2009 die Funktion der 218

Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor, RdJB 2009, 200 (214). Doch wird von Degener, ebd., S. 200 (216 f.), konzediert: „Sonderschulen werden durch Art.  24 BRK zwar nicht kategorisch verboten, die systematische Aussonderung behinderter Personen aus dem allgemeinen Bildungssystem stellt allerdings eine Vertragsverletzung dar.“ Bei Gewährleistung eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung, in dem die Eltern auch für die Förderschule (womit an dieser Stelle ausnahmslos alle Förderschultypen gemeint sind) optieren können, lässt sich gewiss nicht von einer „systematischen Aussonderung“ behinderter Schüler sprechen. 220 Preuss-Lausitz/Stöppler, Behinderte Schüler. Das Recht auf Miteinander. Streitgespräch, http://www.zeit.de/2010/06/Streitgespraech-Integration (Zugriff: 24.11.2011). 221 Vgl. auch Selbmann, Handlungsbedarf bzgl. der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im sächsischen Schulrecht, SächsVBl. 2015, 285 (289): „Soweit Eltern für ihr Kind die Entscheidung treffen, dass dieses im geschützten Raum einer Förderschule unterrichtet werden soll, ist dies selbstverständlich zu akzeptieren.“ Selbmann verbindet diese Aussage mit dem Hinweis, dass in der endgültigen Fassung der VN-Behindertenrechts­konvention entgegen früheren Entwurfstexten auf ein Wahlrecht „verzichtet“ worden sei. 222 In der Rechtsform als eingetragener Verein ist das Deutsche Institut für Menschenrechte in dem Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) vom 18.7.2015 (BGBl. I S. 1194) geregelt. Erst mit diesem Gesetz wurde die Grund 219

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Monitoring-Stelle zur VN-Behindertenrechtskonvention gem. Art. 33 Abs. 2 VNBRK übertragen. Die nachfolgend im Zusammenhang wiedergegebenen Äußerungen dieses Instituts dokumentieren ein bemerkenswertes Verständnis der Bedeutung des Elternrechts im Geltungs- und Anwendungsbereich der VN-Behindertenrechtskonvention: „– Der Grundsatz ‚Wohl des Kindes‘ verbindet sich mit der Vermutung, dass das Kindeswohl im inklusiven Regelschulzusammenhang am besten verwirklicht werden kann. Dieser Grundsatz darf nicht als Schranke des Rechts auf inklusive Bildung gelten. Vielmehr leitet der Grundsatz die Interpretation der rechtlichen Be­stimmungen und zwingt, das Individualrecht aus der Perspektive des Rechtsinhabers oder der Rechtsinhaberin zu sehen. – Die in einigen Ländern vorgesehene Einführung des genannten Wahlrechts der Eltern, zwischen Regel- und Sonderbeschulung zu entscheiden, ist nur übergangsweise vertretbar: Sollte die Existenz eines Elternwahlrechts nachweislich den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems verzögern oder untergraben, beispielsweise weil es die erforderliche Reorganisation von Kompetenzen und Ressourcen für das Regelschulsystem erschwert und in diesem Zuge das Sonderschulwesen stärkt, ist das Elternwahlrecht mit dem Gebot der progressiven Verwirklichung des Rechts auf inklusive Bildung nicht in Einklang zu bringen. – Das Recht auf Inklusion ist ein Recht der Person mit Behinderung. Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge den Leitgedanken der Inklusion zu beachten und ggf. zu erklären, warum sie keine inklusiven Bildungsangebote wahrnehmen. Die Elternberatung, von welcher Seite auch immer, muss einbeziehen, Eltern das Recht auf inklusive Bildung vorzustellen und die Eltern hinsichtlich ihrer Gewährsfunktion aufzuklären.“223

Das Deutsche Institut für Menschenrechte präferiert offenkundig eine Auslegung der VN-Behindertenrechtskonvention, bei der informierte, verantwortungsbewusste und selbstbewusste Eltern nicht vorgesehen sind. Nur so ist es zu erklären, dass Eltern, die sich in Kenntnis der wirklichen Bedürfnisse ihres Kindes zu dessen Wohl für die Förderschule entscheiden, nach den Vorstellungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte einem Erklärungszwang unterworfen werden sollen: Sie „haben den Leitgedanken der Inklusion zu beachten und ggf. zu erklären, warum sie keine inklusiven Bildungsangebote wahrnehmen“. Der autoritäre sprachliche Duktus, dessen sich das Deutsche Institut für Menschenrechte gegenüber den Eltern bedient, spiegelt jene doktrinäre Grundhaltung wider, die Kennzeichen verabsolutierender und damit ideologischer Sichtweise ist. Auf diesem Boden kann die Beratung von Eltern auch missverstanden werden als lage dafür geschaffen, dass das Deutsche Institut für Menschenrechte den Anforderungen der Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1993 (Anlage der Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 20.12.1993, U. N. Doc. A/Res/48/134) entspricht. 223 Deutsches Institut für Menschenrechte. Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems. Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund, 31.3.2011, S.  14, http://www.institut-fuermenschenrechte.de/de/monitoring-stelle/publikationen.html?PHPSES-SID=88378999131c75 e9be570d697f52df7e. (Zugriff: 20.3.2013).

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Auftrag, Eltern zum richtigen Bewusstsein zu verhelfen. Die Aussage, das Elternwahlrecht sei „nur übergangsweise vertretbar“, lässt keinen Zweifel an dem vom Deutschen Institut für Menschenrechte angestrebten Endzustand, nämlich der totalen, d. h. mit faktischem Zwang verbundenen Inklusion. Dieser quasitotalitäre Zustand wird u. a. erreicht durch die vom Deutschen Institut für Menschenrechte angestrebte „Umwandlung von Förderschulen in Kompetenzzentren hin zu ‚Schulen ohne Schüler‘“224, d. h. durch die Abschaffung der Förderschulen.225 Indem „das Gebot der progressiven Verwirklichung des Rechts auf inklusive Bildung“ gegen die „Existenz eines Elternwahlrechts“ in Stellung gebracht wird, glaubt das Deutsche Institut für Menschenrechte, sich über eine nach der deutschen Verfassung verbriefte Grundrechtsposition der Eltern hinwegsetzen zu können. Mit dem Satz „Das Recht auf Inklusion ist ein Recht der behinderten Person“ soll das Persönlichkeitsrecht des Kindes gegen das Elternrecht ausgespielt werden. Hierbei übersieht das Deutsche Institut für Menschenrechte nicht nur, was das Bundesverfassungsgericht zum Elternrecht als auf das Wohl des Kindes gerichtetes „fiduziarisches Recht“ gesagt hat.226 Vielmehr ignoriert es auch die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass die grundrechtlichen Maßstäbe auch die Auslegung und Handhabung völkerrechtlicher Verträge bestimmen und dass diese im Lichte des nationalen Verfassungsrechts auszulegen sind.227 Die Monitoring-Stelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte ist offenbar der Meinung, dass in der VN-Behindertenrechtskonvention bereits alles zum Besten jedes einzelnen behinderten Kindes geregelt ist. Man entnimmt diesem Übereinkommen eine Art unwiderlegliche Vermutung für die generelle Überlegenheit der inklusiven Unterrichtung, durch die ipso facto das Kindeswohl228 gewährleistet ist. Diesem Verständnis 224

Deutsches Institut für Menschenrechte, ebd., S. 12. Das wird bestätigt durch die unten sub Kap 17 C. III. 3. b), Fn. 154, wiedergegebenen Vorschläge des Deutschen Instituts für Menschenrechte in seinem Parallelbericht an den UN-Fachausschuss für die Rechte für Menschen mit Behinderungen anlässlich der Prüfung des ersten Staatenberichts Deutschlands gemäß Artikel 35 der UN-Behindertenrechtskonvention. 226 BVerfG, Urt. v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59, 360 (377); siehe hierzu im Einzelnen oben sub Kap. 14 D. III. 227 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1998, 2 BvR 1206/98, BVerfGE 99, 145 (158); siehe hierzu oben sub Kap. 16 A. I. Vgl. auch Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 16, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/ index.html (Zugriff: 15.7.2013): „Ohne Zweifel: Soweit die BRK die Bundesrepublik Deutschland bindet, ist sie in innerstaatlich anwendbares Recht zu überführen. Ebenfalls unbezweifelbar ist aber, dass dies nur nach Maßgabe und in den Formen des geltenden (Verfassungs-) Rechts geschehen kann. Insoweit gilt nichts anderes als bei der (legislativen) Realisierung grundrechtlicher Schutzpflichten.“ (Hervorh. d. Verf.). Vgl. auch Kees, Bricht Völkerrecht Landesrecht?, Der Staat, Bd. 54 (2015), 63 (94): „Völkerrechtliche Verträge setzen sich nicht gegen kollidierendes Verfassungsrecht durch.“ 228 Mit Blick auf den Aufsatz von Siehr/Wrase, Das Recht auf inklusive Schulbildung als Strukturfrage des deutschen Schulrechts – Anforderungen aus Art. 24 BRK und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, RdJB 2014, 161 (179), nimmt Ennuschat, Inklusion und lebenslanges Lernen, in: FS Hufen, S. 299 (309), dezidiert Stellung: „Manche Literaturstimme geht so weit, dass sie das Kindeswohl regelmäßig verletzt sieht, wenn ein behindertes Kind nicht die allgemeine Schule 225

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der VN-Behindertenrechtskonvention zufolge bedarf es offenbar insoweit nicht mehr der Wahrnehmung der Interessen des Kindes durch seine Eltern. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Eltern vom Deutschen Institut für Menschenrechte als störend empfunden werden, wenn sie sich seine Lesart der VN-Behinderten­ rechtskonvention nicht zu Eigen machen. Dass der Bildungsanspruch gerade eines behinderten Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. in seiner Geltendmachung und damit in seiner Verwirklichung untrennbar mit dem elterlichen Erziehungsrecht verbunden ist, bereitet dem Deutschen Institut für Menschenrechte offensichtlich Verständnis- und Akzeptanzprobleme. b) Rechte der Eltern behinderter Kinder im Spiegel internationaler Menschenrechtsdokumente Demgegenüber ist klarzustellen, dass das Elternrecht auch ohne seine ausrechtskonvention im Geltungsdrückliche Erwähnung in der VN-Behinderten­ und Anwendungsbereich dieses Übereinkommens zu beachten ist. Denn die rechtskonvention basiert auf grundlegenden MenschenrechtsVN-Behinderten­ dokumenten der Vereinten Nationen und steht mit diesen in einem rechtlich relevanten normativen Kontext. aa) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Grundlegend ist der das Recht auf Bildung betreffende Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.229 Dort heißt es in Absatz 3: „In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestimmen.“ Zwar weist Hobe zutreffend darauf hin, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) jedenfalls auf den ersten Blick keine rechtliche Bindungswirkung besitze, sondern, wie alle Resolutionen der Generalversammlung, nur eine Empfehlung sei.230 Dem Autor ist jedoch darin zuzustimmen, dass insbesondere aufgrund der 1966 geschlossenen rechtsverbindlichen Menschenrechtspakte „etlichen der in der AEMR festgelegten Menschenrechte der gewohnheitsrechtliche Charakter nicht mehr abzusprechen ist. Und unbestritten ist, dass

besuchen kann. Hier ist zur Zurückhaltung zu mahnen und vor allem daran zu erinnern, dass das Grundgesetz in Art. 6 II GG zuvörderst den Eltern die Entscheidung über das Kindeswohl anvertraut. Wenn Eltern für ihr Kind eine Förderschule für richtig halten, ist darin nicht von vornherein eine Verletzung des Kindeswohls zu sehen. Der Staat hat keine Generalbefugnis, im Sinne einer vorgeblichen Optimierung des Kindeswohls die Elternentscheidung zu ersetzen.“ 229 Verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10.12.1948 (GAOR III [Part I – Resolutions], Doc. A/810, p. 71). 230 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 425.

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der AEMR als ‚autoritativer Interpretation‘ des Menschenrechtsauftrages der UNCharta eine erhebliche argumentative Bedeutung zukommt.“231 bb) VN-Kinderrechtskonvention, VN-Behindertenrechtskonvention und VN-Sozialpakt Sodann ist auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (VN-Kinderrechtskonvention) vom 20.11.1989232 hinzuweisen, dessen Art. 5 mit „Respektierung des Elternrechts“ überschrieben ist. Darin ist u. a. geregelt: „Die Vertragsstaaten achten die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Eltern […], das Kind bei der Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen.“ Zu den „in diesem Übereinkommen anerkannten Rechten“ gehört „das Recht des Kindes auf Bildung“, zu dem das Übereinkommen in den Artt. 28 und 29 ausführliche Regelungen enthält; hierbei ist hinzuweisen auf Art. 23 VNKRK, der den Bedürfnissen behinderter Kinder gewidmet ist. In den Allgemeinen Bemerkungen Nr. 1 Abs. 6 des Vertragsausschusses über die Rechte des Kindes zu Art. 29 Abs. 1 VN-KRK wird auf den engen Zusammenhang dieser Vertragsbestimmung mit den Rechten und Pflichten der Eltern (Artt. 5 und 18 VN-KRK) hingewiesen.233 231

Hobe, ebd. Auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1234, weisen darauf hin, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte „als solche nicht rechtsverbindlich [ist], da die Generalversammlung zum Erlaß genereller Normen für ihre Mitglieder nicht zuständig ist.“ Man könne jedoch „annehmen, dass die in der Deklaration formulierten elementaren Menschenrechte“ durch zahlreiche sich seitdem auf die Deklaration berufende Erklärungen und menschenrechtliche Konventionen „unabhängig von vertraglichen Verbürgungen völkerrechtlich verbindlich geworden sind.“ 232 Vertragsgesetz vom 17.2.1992 (BGBl. II S.  121), für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 5.4.1992 (Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 10.7.1992 [BGBl. II S. 990]). 233 CRC General Comment No. 1, The Aims of Education, UN-Dok. CRC/GC/2001/1, 17.4.2011, Para. 6, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments“ zu den VN-Menschenrechtsverträgen, S. 541. Zur Rechtsnatur der General Comments führt Riedel, Einführung in die Allgemeinen Bemerkungen, ebd., S. 164, aus: „In der Literatur wurde gelegentlich vertreten, dass Allgemeine Bemerkungen authentische Interpretationen des Ausschusses darstellen und somit rechtsverbindlich die Auslegung der Paktbestimmungen leiten. Der Ausschuss selbst hat aber immer wieder betont, dass die Aufgabe der Allgemeinen Bemerkungen eine andere ist: Zwar kommt den Allgemeinen Bemerkungen in der Praxis des Ausschusses, speziell bei der Abfassung der zusammenfassenden Bemerkungen, eine wichtige Rolle zu. Dennoch handelt es sich dabei um rechtlich nicht verbindliche, gleichwohl aber als Überzeugungsstrategien konzipierte und Maßstäbe setzende Kommentierungen der Sozialpaktsbestimmungen, die den Staaten, aber auch dem Ausschuss sowie den nationalen Menschenrechtsinstitutionen und nicht-staatlichen Organisationen als bedeutsame Auslegungshilfen dienen. Obgleich die Allgemeinen Bemerkungen keine unmittelbare Verbindlichkeit erzeugen, kommt ihnen in der Praxis des Staatenberichtsverfahrens doch eine erhebliche Bedeutung zu.“

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Die das Recht auf Bildung betreffenden Artikel der VN-Kinder­rechtskonvention haben ebenso wie die entsprechenden Vertragsbestimmungen der VN-Behindertenrechtskonvention ihren Vorläufer in Art. 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)234  – VN-Sozialpakt  – vom 19.12.1966, „der Mutternorm aller späteren Konventionen zum Recht auf Bildung“.235 Den beiden Folgekonventionen geht es, wie Poscher zutreffend feststellt, nach ihrem Selbstverständnis in erster Linie darum, die Geltung der allgemeinen Menschenrechte auch für Kinder und Menschen mit Behinderungen klarzustellen und zu bestätigen. Weitergehende Regelungen enthielten sie regelmäßig nur dort, wo sich aus der besonderen Situation von Kindern oder Menschen mit Behinderungen ein besonderes Gefährdungspotenzial für die Verwirklichung der Menschenrechte ergebe.236 Auch ist an dieser Stelle auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 13 Abs. 6c zum Recht auf Bildung des Vertragsausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hinzuweisen. Darin wird hervorgehoben, dass die Annehmbarkeit (acceptability) des Bildungsangebotes auch aus der Sicht der Eltern gegeben sein muss.237 Das Recht des Kindes auf Bildung und das elterliche Bestimmungsrecht werden, worauf Dorsch238 zutreffend hinweist, in der VN-Kinderrechtskonvention in umfassender Weise miteinander in Einklang gebracht. So ist das Kindeswohl als Grundanliegen und maßgebliches Ziel für die Ausübung des elterlichen Bestimmungsrechts in Art. 18 Abs. 1 Satz 3 VN-KRK ausdrücklich verankert. Es überrascht daher nicht, dass sich die Kultusministerkonferenz in ihren Empfehlungen zur inklusiven Bildung ausdrücklich auch an der VN-Kinderrechtskonvention orientiert.239 234 Vertragsgesetz vom 23.11.1973 (BGBl. II S. 1569), für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 3.1.1976 (Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 9.3.1976 [BGBl. II S. 428]). 235 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (36). Siehe auch Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (409). Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, S. 378, weist darauf hin, dass Art. 24 Abs. 1 Satz 1 VN-BRK „sich von Wortlaut und Inhalt an Artikel 13 Absatz 1 Satz 1 IPwskR orientiert.“ 236 Poscher, ebd. 237 CESCR, General Comment No. 13, Right of Education, UN-Dok. E/C. 12/1999/10,1999, Para. 6, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments“ zu den VN-Menschenrechtsverträgen, S.  266. Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (410), führt in Bezug auf die Annehmbarkeit (acceptability) aus: Danach „müssen Bildungssysteme die Rechte der Eltern, insbesondere hinsichtlich der Wahl der Schule berücksichtigen.“ Im Übrigen siehe zu dem sog. 4-A-Scheme (availability, accessibility, acceptability, adaptability) unten sub Kap. 18 B. III. 238 Dorsch, Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, S. 183 f. 239 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 2.

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cc) Normativer Gesamtzusammenhang der völkerrechtlichen Dokumente Zwischen den oben zitierten völkerrechtlichen Dokumenten besteht also ein „normativer Gesamtzusammenhang“,240 durch den das Recht des Kindes auf Bildung und dessen Ausübung mit dem Elternrecht verknüpft sind. Mit Blick auf die auch bei der Anwendung völkerrechtlicher Normen zu beachtende Interdependenz der einzelnen Elemente des Normenkomplexes241 ist daher bei Anwendung der systematischen Interpretationsmethode das in Art. 5 VN-KRK normierte Elternrecht ohne Abstriche in die Auslegung und Anwendung der VN-Behindertenrechtskonvention einzubeziehen. Es wäre ein Verstoß gegen Art. 5 VN-KRK, gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie gegen Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl, das Recht der Eltern, sich für die Förderschule zu entscheiden, a priori zu begrenzen bzw. zu vereiteln, weil in einem – von wem auch immer – entworfenen Integrations- bzw. Inklusionsszenario eine Integrations- bzw. Inklusionsquote von 80 bis 90 % vorgesehen ist. Das gilt unabhängig davon, dass die hierfür erforderlichen personellen Ressourcen für eine verantwortbare Integration/Inklusion insbesondere im Saarland auf absehbare Zeit wohl nicht zur Verfügung stehen werden. Denn in Art. 7 Abs.  2 VN-BRK ist ausdrücklich bestimmt: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der 240

Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S.  14, http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011). Ders., ebd., S.  50, stellt hierzu fest: „Die BRK gehört als menschenrechtliches Übereinkommen zum Allgemeinen Völkerrecht. Für den Bereich Bildung gestaltet sie den menschenrechtlichen acquis für die Situation von Menschen mit Behinderung aus und steht somit im Einklang mit den anderen internationalen Menschenrechtsverträgen, insbesondere dem Sozialpakt und der Kinderrechtskonvention.“ (Hervorh. im Original). Auch habe sich, so Riedel, ebd., S. 30 f., „der VN-Kinderrechtsausschuss in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 9 aus dem Jahr 2006 noch gezielter mit der Frage inklusiver Bildung befasst und sich ebenfalls ausdrücklich und unter Verweis auf den damaligen Entwurf der BRK zu diesem Bildungsansatz bekannt. Das heißt, auch das Verständnis des Rechts auf Bildung von Kindern mit Behinderung nach der VN-Kinderrechts­konvention steht im Einklang mit dem der BRK.“ Über die Artt. 28 und 29 VN-KRK ist somit auch Art. 24 VN-BRK mit dem das Elternrecht betreffenden Art. 5 VN-KRK verknüpft. 241 Auch Avenarius, Schulrecht, S. 80, greift bei der Anwendung des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VN-BRK auf die VN-Kinderrechtskonvention zurück, indem er darauf hinweist, „dass bei der Verwirklichung der inklusiven Bildung und Erziehung gemäß Art. 3 Abs. 1 der Kinderrechtskonvention stets auch das Wohl der nichtbehinderten Kinder bedacht werden muss.“ Poscher/ Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 36, Fn. 76, 77, verweisen darüber hinaus auf die speziell einschlägigen Vertragsbestimmungen, nämlich auf Art. 19 VN-KRK (körperliche Unversehrtheit) im Falle wiederholt auftretenden und nicht kontrollierbaren aggressiven Verhaltens, das die Gesundheit der Mitschüler gefährdet, sowie auf Art. 13 Abs. 1 IPwskR und Art. 28 Abs. 1 VN-KRK (Recht auf Bildung), wenn Störungen trotz aller Hilfen nicht abgewendet werden können und dadurch das Recht der nichtbehinderten Kinder auf Bildung verletzt wird.

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vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Es handelt sich dabei um die bereichsspezifische Bekräftigung des in Art.  3 Abs.  1 der VN-KRK normierten Prinzips des grundsätzlich vorrangig zu berücksichtigenden Kindeswohls.242 Dieses Grundprinzip wird, wie Poscher/Rux/Langer zutreffend schreiben, in Art.  24 Abs.  3 Buchst.  c VN-BRK konkretisiert.243 Denn in dieser Vertragsbestimmung heißt es, dass „blinden, gehörlosen oder taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.“244 Soll das diesem Postulat zugrunde liegende Anerkenntnis der überragenden Bedeutung des „Umfeldes“ etwa nur für blinde, gehörlose oder taubblinde Kinder gelten und nicht auch für alle anderen behinderten Kinder? Was soll der rechtfertigende Grund dafür sein, dass dieser richtige Gedanke auf Schüler mit anderen Behinderungen nicht zutreffen und für sie nicht gelten soll? Es kann sich bei sachgerechtem Verständnis dieser Vertragsnorm nur um eine beispielhafte, nicht um eine abschließende Nennung von Behinderungsarten handeln.245 Denn mit dem Wort „Umfeld“ ist exakt der Kern dessen angesprochen, was viele Eltern für die Förderschule und nicht für die integrative Unterrichtung ihres Kindes optieren lässt und was somit die pädagogische Legitimität der Förderschule als Element eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung begründet. „Hierbei ist“, wie die Kultusministerkonferenz zutreffend feststellt, „das gesamte Lernumfeld mit seinen Bedingungen pädagogisch bedeutsam.“246 Es ist dies derselbe Topos, für den in der vorliegenden Schrift der Begriff „Unterrichtssituation“ verwendet wird. Das „Wohl des Kindes“ und das „Umfeld […], das die bestmögliche Bildung und Erziehung gestattet“, sind die zwei Seiten der-

242

Ein Self-executing des Art. 3 Abs. 1 VN-KRK, d. h. die unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit dieser Vertragsbestimmung kann spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr infrage gestellt werden, in dem die Bundesrepublik Deutschland ihre bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgegebenen Vorbehaltserklärungen (siehe die Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 10.7.1992 [BGBl. II S. 990 ff.]) aufgrund des Beschlusses der Bundesregierung vom 3.5.2010 zurückgenommen hat. Zu den Einzelheiten siehe: Lorz, Nach der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung: was bedeutet die uneingeschränkte Verwirklichung des Kindeswohlvorrangs nach der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland?, S.  14 ff.; ders., Der Vorrang des Kindeswohls nach Art.  3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, S.  24 ff.; Schmahl, Kinderrechtskonvention mit Zusatzprotokollen, Einleitung Rn.  23, 24 sowie Art.  3 Rn.  5;­ Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, S. 242 f. 243 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 35. 244 Hervorh. d. Verf. 245 So wird dies offenbar auch von Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (406), gesehen, auch wenn die Autorin dabei wohl eher die inklusive Unterrichtung und nicht so sehr die Förderschule als Alternative im Auge haben dürfte. 246 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 3.

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4. Teil: Inklusive Schule

selben Medaille und werden von der Kultusministerkonferenz daher in einem Atemzug genannt.247 Dass die Definierung dieses Bedürfnisses und dieser Befindlichkeit an erster Stelle Sache der Eltern ist, ergibt sich, wie erwähnt, aus Art. 5 VN-KRK, aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. Dieser individualrechtlichen Position hat der Staat im Rahmen seiner staatlichen Schulverantwortung gem. Art. 7 Abs. 1 GG auf der systemischen, d. h. der objektiv-institutionellen Ebene durch ein entsprechendes Angebot Rechnung zu tragen.248 An dieser Rechtslage hat Art. 24 VN-BRK nichts geändert. Im Gegenteil: Indem auch die VN-Behindertenrechtskonvention das „Wohl des Kindes“ explizit zum maßgeblichen Kriterium erklärt und hierfür dem „Umfeld“, d. h. der Unterrichtssituation die ausschlaggebende Bedeutung zuspricht, wird von völkerrechtlicher Seite die Notwendigkeit einer individualisierenden Vorgehensweise bestätigt und der Verabsolutierung des Inklusionsprinzips, d. h. der Zwangsinklusion eine Absage erteilt. Art. 7 Abs. 2 VN-BRK rezipiert das in Art. 3 Abs. 1 VN-KRK normierte Grundprinzip des vorrangig zu berücksichtigenden Kindeswohls und stellt damit im vorliegenden Kontext die rechtssystematische Verklammerung dieser beiden völkerrechtlichen Übereinkommen her.249 Hieraus folgt, dass auch im Anwendungsbereich der VN-Behinderten­rechtskonvention die sich aus Art. 5 i. V. m. Artt. 28 und 29 VN-KRK ergebenden elterlichen Rechte im Hinblick auf den Bildungsweg des Kindes zu beachten sind. Im Übrigen spiegelt sich diese Grundhaltung auch in einem europarechtlichen Dokument, nämlich in der Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen der Europäischen Gemeinschaft über die Eingliederung von behinderten Kindern und Jugendlichen in allgemeine Bildungs­systeme vom 31.5.1990.250 Die Entschließung, die Grundlage ist für entsprechende Förderprogramme, wurde auch vom Bundesverfassungsgericht in der Grundsatzentscheidung zu Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG und zur sonderpädagogischen Förderung vom 8.10.1997251 erwähnt. In Nr. 1 und 2 der Entschließung wird dargelegt, dass die volle Integration behinderter Kinder in das allgemeine Bildungssystem der Mitgliedstaaten in allen geeigneten Fällen als vorrangige Option gelten soll. In Nr. 3 heißt es: 247 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.  Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S. 5. 248 Siehe oben sub Kap. 14. 249 Cremer, Kinderrechte und der Vorrang des Kindeswohls, AnwBl 2012, 327 (328): „Art. 3 Abs. 1 KRK fordert materiell-rechtlich, dass bei allen staatlichen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ 250 ABlEG Nr. C 162 vom 3.7.1990, S. 2. 251 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (289 f.).

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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„Die Arbeit der Sonderschulen und -einrichtungen für behinderte Kinder und Jugendliche ist als Ergänzung der Arbeit des allgemeinen Bildungssystems anzusehen. Sie sollte den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Eltern wie auch den aufgrund einer umfassenden Unterrichtung über die vorhandenen Möglichkeiten getroffenen schulischen Entscheidungen gebührend Rechnung tragen.“252

5. Internationale Ebene Bei einem Blick auf die internationale Ebene sieht man sich in dieser Auslegung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bestätigt. So hat Großbritannien bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 8.6.2009 u. a. folgenden Vorbehalt angebracht: „Education – Convention Article 24 Clause 2 (a) and 2 (b) The United Kingdom reserves the right for disabled children to be educated outside their ­local community where more appropriate education provision is available elsewhere. Never­ theless, parents of disabled children have the same opportunity as other parents to state a preference for the school at which they wish their child to be educated. […] Education – Convention Article 24 Clause 2 (a) and (b) The United Kingdom Government is committed to continuing to develop an inclusive ­system where parents of disabled children have increasing access to mainstream schools and staff, which have the capacity to meet the needs of disabled children. The General Education System in the United Kingdom includes mainstream and special schools, which the UK Government understands is allowed under the Convention.“253

Bemerkenswert ist hierbei die im letzten Satz des Zitates enthaltene Klar­ stellung: „Das allgemeine Bildungssystem des Vereinigten Königsreichs umfasst gewöhnliche Schulen und Sonderschulen, was nach Auffassung der Regierung des Vereinigten Königsreichs nach dem Übereinkommen zulässig ist.“ Groß­britannien behält sich somit ausdrücklich das Recht vor, seine Förderschulen neben der integrativen Unterrichtung fortzuführen und erklärt dies ausdrücklich für mit dem Übereinkommen vereinbar. Der Hervorhebung bedarf außerdem, dass der von Großbritannien erklärte Vorbehalt eine ausdrückliche Bestätigung des Rechts der Eltern enthält, zwischen den verschiedenen Angeboten der sonderpädagogischen Förderung ihres behinderten Kindes zu wählen. Was hier am Beispiel Großbritanniens aufgezeigt wird, gilt in grundsätzlicher Hinsicht für viele andere Staaten. So wird auch von Poscher/Rux/Langer einge 252 Siehe hierzu auch Frowein, Rechtsgutachten zu der Frage, inwieweit ein Anspruch auf Aufnahme von Behinderten in allgemeine öffentliche Schulen besteht, S. 15; ders., Die Über­ win­dung von Diskriminierung als Staatsauftrag in Art. 3 Abs. 3 GG, in: FS Zacher, S. 157 (166). 253 Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 14.3.2011 (BGBl. II S. 493 [497]).

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4. Teil: Inklusive Schule

räumt: „In vielen Vertragsstaaten haben nicht oder nicht allein die Vertragsstaaten die Befugnis, über den Besuch einer inklusiven Schule zu entscheiden, sondern auch die Eltern, die für ihre Kinder mit einer Behinderung auch den Besuch einer Förderschule vorziehen können.“254 III. Auslegungsergebnis 1. Normative Aussagen a) Inhaltlich-strukturelle Aspekte Die VN-Behindertenrechtskonvention gewährt keinen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf integrative/inklusive Unterrichtung. Der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierte Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt war durch Art. 4 Abs. 2 VN-BRK gedeckt, wonach das Inklusionsziel unter Ausschöpfung der „verfügbaren Mittel“ anzustreben ist; die Behindertenrechtskonvention gibt keine rechtliche Handhabe, die Vertragsstaaten zur Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel mit dem Ziel der Ausweitung des Angebots von verantwortbarer integrativer/inklusiver Unterrichtung zu zwingen. Insofern hat das Übereinkommen in der dem Entwurf des Vertragsgesetzes beigefügten Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen255 eine zutreffende Auslegung erfahren. Die Feststellung der Kultusministerkonferenz, dass „die deutsche Rechtslage grundsätzlich den Anforderungen des Übereinkommens [entspricht]“,256 ist zutreffend. Das gilt insbesondere für die Struktur des aus integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschulen bestehenden dualen Systems sonderpädagogischer Förderung. Als verfassungsrechtlich gewährleistetes Element dieses Systems existiert die Förderschule auch weiterhin als subsidiäres, komplementäres und alternatives Bildungsangebot. Von der „Notwendigkeit einer systemischen Veränderung“257 kann keine Rede sein. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordert keinen grundstürzenden Umbau des deutschen Schul 254

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 28. BT-Drucks. 16/10808 vom 8.11.2008, S. 45 ff. 256 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behin­ dertenrechtskonvention  – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S. 1. 257 Siehe die Anmerkung von Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (724, Fn.71), der diesbezüglich auf Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 25, hinweist. 255

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systems. Zutreffend stellt die Kultusministerkonferenz fest: „Aussagen zur Gliederung des Schulwesens enthält die Konvention nicht.“258 Insbesondere verbietet es nicht die Förderschulen259; anderslautende Behauptungen260 haben keine recht 258 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.  Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S. 2. Ebenso Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 118: „Dem Abkommen lässt sich keine Verpflichtung auf ein bestimmtes Schulsystem entnehmen.“ Dies., ebd., S. 23: „Der Wortlaut erlaubt den Vertragsstaaten sowohl integrative als auch segregierte Schulen.“ Entgegen der Auffassung von Avenarius, Schulrecht, S. 80, ergibt sich aus der VN-Behindertenrechtskonvention kein Anlass zu der Frage, „wie sich die Einführung eines inklusiven Bildungssystems mit einem Schulwesen vereinbaren lässt, das nach Bildungswegen gegliedert ist.“ Denn dieser Frage liegt die inzidente Behauptung zugrunde, dass „inclusive education system“ ein aliud gegenüber einem „integrativen Bildungssystem“ sei. Das Auslegungsergebnis, zu dem die vorliegende Untersuchung gelangt, lautet demgegenüber, dass die VN-Behindertenrechtskonvention keine Aussage enthält, die eine strukturelle Veränderung des deutschen Schulsystems notwendig machte. Wenn Avenarius hierzu den Teilhabeanspruch behinderter Menschen gegen die an unterschiedlicher Begabung und Leistungsfähigkeit orientierte Gliederung des Schulwesens in Stellung bringt, so wird damit ein Gegensatz konstruiert, für den das ermittelte Auslegungsergebnis keine Handhabe bietet. 259 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (227 f.): „Zwar ist Art. 24 BRK nicht schlechthin unvereinbar mit einem gegliederten Schulsystem, in dem Schüler nach ihrer individuellen ‚Begabung‘ auf verschiedene Schularten verteilt werden. Tatsächlich steht die BRK nicht einmal der Einrichtung besonderer Schulen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen entgegen.“ Rux/Niehues, Schulrecht, Rn.720, räumen ein, dass „die BRK die Einrichtung oder zumindest die Beibehaltung besonderer Schulen für Schüler mit Behinderung nicht per se [ausschließt].“ Auch nach den Darlegungen von Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S.  28, „schließt Art.  24 Abs.  1 S.  2 BRK die Existenz von Förderschulen nicht notwendig aus.“ Ebenso Avenarius, Auf dem Weg zur inklusiven Schule?, SchulVerwaltung, Ausgabe Hessen/Rheinland-Pfalz 2012, 83 (85): „Wichtig aber ist die Erkenntnis, dass die Behindertenrechtskonvention die Existenz von Förderschulen nicht zwingend ausschließt […].“ Noch deutlicher wird dies bei Avenarius, Schulrecht, S. 79 f., zum Ausdruck gebracht: „Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht zur generellen Abschaffung von Förderschulen. Gegen diese Annahme spricht vor allem Art. 7 Abs. 2 BRK. Nach dieser Vorschrift ist bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, das Kindeswohl ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Daraus ergibt sich, dass im konkreten Fall die Zuweisung zur Förderschule auch nach den Regelungen der Konvention sogar geboten sein kann.“ Wenn die Eltern auch künftig die Möglichkeit haben, für ihr Kind die Förderschule zu wählen, so wird dies von Ennuschat, Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, in: FS Stern, S. 711 (720), als Optionsmöglichkeit begrüßt: „Klargestellt sei, dass die UN-Behinderten­rechtskonvention diesen Weg, der in vielen Fällen den Bedürfnissen des Kindes besonders gut Rechnung trägt, nicht verwehrt.“ Ellger-Rüttgardt, Historische Aspekte der rechtlichen Ordnung einer Pädagogik für behinderte Schüler und Schülerinnen, in: Reh/ Füssel (Hrsg.), Recht und moderne Schule, S. 275 (299): „An keiner Stelle der UN-Konvention findet sich die Forderung nach Abschaffung von Sonderschulen.“ 260 So ist die Rechtsbehauptung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven ­Bildungssystems. Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund, 31.3.2011,

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liche Grundlage. Förderschulen sind, wie die Kultusministerkonferenz zu Recht betont, nach wie vor „je nach Bedarf alternative oder ergänzende Lernorte“.261 b) Konkordanz der Auslegungsergebnisse zu Art. 24 VN-BRK und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Das Ergebnis, zu dem die vorliegende Untersuchung in Kap. 14 bei der Auslegung des nationalen Rechts gelangt ist, behält somit auch und gerade im Lichte der VN-Behindertenrechtskonvention und der VN-Kinderrechtskonvention seine Gültigkeit, d. h. es ist völkerrechtskonform. An der dort getroffenen Feststellung, dass die Zuweisung zu einer Förderschule für sich keinen Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG statuierte Diskriminierungsverbot darstellt, kann somit auch unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland festgehalten werden.262 S.  8, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/monitoring-stelle/publikationen.html?PH PSES-SID=88378999131c75e9be570d697f52df7e. (Stand: 20.3.2013), der „Ansatz der separierenden Förder- oder Sonderschule“ als Element eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung neben der inklusiven Unterrichtung sei mit der VN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar, unzutreffend. Auch Winkler, Inklusiver Unterricht mit behinderten Schülerinnen und Schülern: Wer muss das bezahlen?, NWVBl. 2011, 409, kann nicht gefolgt werden, wenn er mit Blick auf die Behindertenrechtskonvention der Meinung ist: „Sie setzt vielmehr unausgesprochen voraus, dass neben dem Regelschulsystem kein paralleles System von Förderschulen für solche Schüler erhalten bleibt, die oder deren Eltern den inklusiven Unterricht ablehnen.“ Ebenso hat es keine Grundlage in der Behindertenrechtskonvention, wenn Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art.  24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (125), die Auffassung vertritt: „Das Leitbild der Behindertenrechtskonvention ist die Inklusion behinderter Menschen, mit der eine getrennte Beschulung in Sonderschulen grundsätzlich unvereinbar ist.“ Auch bietet die VN-Behindertenrechtskonvention keinen Anhaltspunkt, der die Behauptung von Krajewski/Bernhard, Inklusive Schule im Freistaat Bayern?, BayVBl. 2012, 134 (135), stützen könnte: „Im Ergebnis folgt aus Art. 24 BRK, dass das Recht auf Bildung für behinderte Menschen in Sonderschulen typischerweise nicht gewährleistet werden kann.“ [Anm. d. Verf.: Wie mag wohl ein solcher Satz auf Lehrerinnen und Lehrer wirken, die an Förderschulen engagierte und erfolgreiche pädagogische Arbeit leisten?]. 261 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention  – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S. 4. 262 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 67: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG in der Ausformung, die es durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhalten hat, der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention nicht entgegensteht. […] Auch dem Elternrecht des Art.  6 Abs. 2 S. 1 GG kann bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention angemessen Rechnung getragen werden.“ Dies., ebd., S. 51: „Der Staat wird durch Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG nicht daran gehindert, besondere Schulen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen einzurichten. Vielmehr kann die Einrichtung solcher Schulen maßgeblich dazu beitragen, dass Kinder

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Aus der VN-Behindertenrechtskonvention kann weder eine Verpflichtung des Staates, jedem behinderten Schüler ohne weitere Voraussetzungen den Besuch der allgemeinen Schule zu ermöglichen, noch ein generelles Verbot von Förderschulen hergeleitet werden. Auf die hierzu vorliegende einhellige Rechtsprechung ist an dieser Stelle nochmals hinzuweisen.263 Es trifft zu, was Avenarius auch nach Inkrafttreten der VN-Behindertenrechts­ konvention in Bezug auf die in Deutschland geltende Rechtslage feststellt: „Von großer Tragweite für Organisation und Verfahren der sonderpädagogischen Förderung ist bis heute der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8.10.1997.“264 Hiermit übereinstimmend stellt der Verwaltungsgerichtshof BadenWürttemberg zutreffend fest: „Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG muss auch nach Inkrafttreten des VN-Behinderten­rechtsübereinkommens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Einzelmaßnahme der Schulaufsichtsbehörde, wie der Feststellung einer Sonderschulpflicht, nicht anders als bisher (vgl. BVerfGE 96, 288) ausgelegt werden.“265 Die sich für den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bei der Auslegung der VN-Behindertenrechtskonvention ergebenden „Aspekte“  – dazu zählt das Gericht u. a. das Wohl des behinderten Kindes wie auch die berechtigten Belange der nichtbehinderten Kinder, die Progressivität der Umsetzung und den Ressourcenvorbehalt266 – „finden sich in den oben dargestellten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung von Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG wieder“.267 Das Bundessozialgericht weist darauf hin, dass die sich aus der VN-Behindertenund Jugendliche trotz ihrer Behinderungen überhaupt am Unterricht einer Schule teilnehmen und einen Bildungsabschluss erwerben können.“ Darüber hinaus wird von dens., ebd., S. 58, Fn. 132, mit Blick auf die Rspr. des BVerfG betont: „Vielmehr ist umgekehrt zu beachten, dass der Staat und die Schulträger ungeachtet der damit eventuell verbundenen Mehraufwendungen daran gehindert sind, die Förder- bzw. Sonderschulen zu schließen, so lange es Schüler gibt, deren Recht auf Bildung im Rahmen eines integrativen Unterrichts in den allgemeinen Schulen nicht Genüge getan werden kann.“ 263 Siehe oben sub Kap. 16 B. IV. 264 So Avenarius, Schulrecht, S. 78. Auch in der Schrift von Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 11, wird der Beschluss des BVerfG als „maßgebliche[…] Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG“ bezeichnet, aus der die Autoren, S.  93 f., wichtige Schlussfolgerungen ableiten. Die Relevanz dieser Entscheidung des BVerfG wird auch in der Begründung des in Nordrhein-Westfalen von der Landesregierung eingebrachten Entwurfs des Ersten Gesetzes zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) bestätigt, LT-Drucks. 16/2432 vom 21.3.2013 (Neudruck), S. 53 f. Im Übrigen siehe hierzu oben sub Kap. 14 D. VII. 265 VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Ls. 3, http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013). Die gleiche Einschätzung lässt sich dem Beschl. des BayVGH v. 4.9.2015, 7 CE 15.1791, BayVBl. 2016, 129 (130), entnehmen. 266 Luthe, Einige Anmerkungen zur Behindertenrechtskonvention, SGb 2013, 391 (394): „Diese Relativierung lässt die BRK somit unangetastet und wird auch durch den älteren UNSozialpakt nicht modifiziert […].“ 267 VGH BW, Beschl. v. 21.11.2012, 9 S 1833/12, Rn.  61, http://www.juris.de (Zugriff: 26.4.2013). So im Hinblick auf den Ressourcenvorbehalt auch: SG Karlsruhe, Beschl. v. 21.3.2013, S 4 SO 937/13 ER, Rn. 52 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 19.11.2013).

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rechtskonvention „ergebenden Rechtfertigungsanforderungen nicht höher [sind] als die nach dem GG“.268 In der Sache übereinstimmend heißt es bei Luthe, dass „das Bundesverfassungsgericht zum Diskriminierungsverbot des Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG eine ausgefeilte Dogmatik bereits entwickelt [hat], die die Konvention praktisch leerlaufen lässt. Von ihr bleibt nicht mehr als ein – allerdings kaum bedeutsamer – Auslegungsgrundsatz.“269 Dass das Bundesverfassungsgericht die Kontinuität seiner Grundsatzentscheidung vom 8.10.1997 zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, in der es grundlegende Aussagen zum System der sonderpädagogischen Förderung macht, wahrt, hat sich in einem Nichtannahmebeschluss vom 12.12.2012270 gezeigt. In diesem Beschluss, der vier Jahre nach dem Inkrafttreten der VN-Behindertenrechts­konvention ergangenen ist, geht es u. a. um die für die Auslegung und Anwendung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bedeutsame Frage des Behinderungsbegriffs. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich in der Kammerentscheidung auf den in seiner Grundsatzentscheidung vom 8.10.1997 zugrunde gelegten Behinderungsbegriff. Damit hält es in Abgrenzung von einem einseitig sozial determinierten Behinderungsbegriff „in zu vermutender Kenntnis der Völkerrechtslage an der deutschen Rechtstradition des Schwerbehindertenrechts fest.“271 Gerade an der Handhabung dieses Tatbestandsmerkmals durch das Bundesverfassungsgericht zeigt sich, dass das Gericht offensichtlich auch nach dem Inkrafttreten der VN-Behindertenrechtskonvention keine Veranlassung sieht, von seiner Grundsatzentscheidung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vom 8.10.1997 abzurücken. Aus dieser Konkordanz der Auslegungsergebnisse der verfassungsrechtlichen wie der völkerrechtlichen Normen ergeben sich die entsprechenden Schluss­ folgerungen auch unter systemischem Gesichtspunkt. Das gilt sowohl für den vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärten Ressourcenvorbehalt272 als auch hinsichtlich der Verpflichtung des Staates, Förderschulen als zweite Säule eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung und damit als objektiv-institutionelle Voraussetzung elterlichen Wahlrechts bereitzuhalten. Für jene behinderten 268

BSG, Urt. v. 6.3.2012, B1 KR 10/11 R, Rn. 33, http://www.iuris.de (Zugriff: 15.11.2013). Luthe, Die Behindertenrechtskonvention – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190 (191). 270 BVerfG-K (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 12.12.2012, 1 BvR 69/09, Rn. 17, http://www.bundesverfassungsgericht.de (Zugriff: 14.5.2015). 271 Luthe, Die Behindertenrechtskonvention  – leicht überstrapaziert!, JM 2015, 190 (193, Fn. 21). 272 BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (305 f.); a. A. bezüglich der wichtigen Frage des „Ressourcenvorbehalts“: Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems. Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund, 31.3.2011, S.  13, Fn.  9, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/monitoring-stelle/­publikationen. html?PHPSES-SID=88378999131c75e9be570d697f52df7e. (Zugriff: 20.3.2013). Diese Positionierung der Monitoring-Stelle ist sowohl in Bezug auf den Meinungsstand im juristischen Schrifttum als auch hinsichtlich der eindeutig anderslautenden umfangreichen Rechtsprechung (siehe oben sub Kap. 16 B. IV.) als Mindermeinung einzuordnen. 269

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Schüler, die aus objektiven Gründen nicht integrativ/inklusiv unterrichtet werden können, oder deren Eltern sich nicht für die integrative/inklusive Unterrichtung, sondern für die Förderschule entscheiden, müssen daher auch künftig Förderschulen in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehen. „Das Ziel der Inklusion behinderter Menschen eignet sich nicht zu einer Sachnotwendigkeiten und den Elternwillen verdrängenden Ideologie, ist daher auch kein Hebel zur Abschaffung der Förderschulen.“273 Entgegen den in Teilen des Schrifttums geäußerten Erwartungen an die Wirkung transnationalen Rechts274 ist bisher nichts von hiermit begründeten gerichtlichen Verfahren, insbesondere Verfassungsbeschwerden bekannt geworden, in denen die in der vorliegenden Schrift abgelehnte Rechtsauffassung bestätigt worden wäre. Ein Grund hierfür liegt gewiss in der hohen Überzeugungskraft der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die auch nach dem Inkrafttreten der VN-Behindertenrechts­konvention maßgeblich ist. Möglicherweise spielt aber auch eine Rolle, dass Schulbehörden sich mit Blick auf den Mainstream gerichtliche Auseinandersetzungen ersparen wollen und in manchem Fall eine integrative/inklusive Unterrichtung konzedieren, wo dies mangels Ressourcen oder 273 Bickenbach, Elternwille und Inklusion am Beispiel der rheinland-pfälzischen Schulgesetz-Novelle 2014, LKRZ 2015, 261 (267). 274 Vgl. z. B. Riedel/Arend, Im Zweifel Inklusion: Zuweisung an eine Förderschule nach Inkrafttreten der BRK, NVwZ 2010, 1346 (1349). Auch haben sich die Erwartungen, die Füssel, „Integrative Beschulung (ist die) verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Sonderschule“. Anmerkungen zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8.  Oktober 1997, RdJB 1998, 250 (254 f.), mit dem Einfluss von europarechtlichen Entwicklungen auf die Beurteilung der Rechtslage in Deutschland verbunden hat, bis jetzt nicht erfüllt. Jedenfalls hat das BVerfG in seiner nach wie vor maßgeblichen Leitentscheidung zur sonderpädagogischen Förderung vom 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (289 f.), ausweislich der Entscheidungsgründe auch die transnationale Dimension im Blick. Es ist jedoch auf die rechtliche Wirkung der beiden von ihm erwähnten Dokumente der EU nicht näher eingegangen. Das u. a. von europarechtlichen Erwägungen (darunter auch die in der Entscheidung des BVerfG erwähnten Dokumente der EU) getragene Rechtsgutachten von Frowein vom 3.4.1996 zu der Frage, inwieweit ein Anspruch auf Aufnahme von Behinderten in allgemeine öffentliche Schulen besteht und in dem ein Anspruch auf Aufnahme von behinderten Schülern in allgemeine öffentliche Schulen bejaht wird, hat, soweit ersichtlich, bisher keinen Niederschlag in einschlägigen gerichtlichen Entscheidungen gefunden. Auch nach den Beschlüssen des VG Karlsruhe v. 2.7.1996, 3 K 1740/96, amtl. Umdruck S. 12 f., und des VGH BW v. 3.9.1996, 9 S 1971/96, Rn. 8, http:// www.juris.de (Zugriff: 11.11.2011), lässt sich aus internationalem Recht, insbesondere aus Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20.3.1952 i.d.F.d.Bek. der Neufassung vom 17.5.2002 (BGBl. II S. 1054 [1072]), kein subjektiv-öffentliches Recht auf integrative Unterrichtung ableiten. Graser, Integration aus rechtlicher Perspektive, in: Becker/Graser (Hrsg.), Perspektiven der schulischen Integration von Kindern mit Behinderung, S. 63 (81 f.), gelangt zu der Feststellung, dass in Bezug auf integrative Unterrichtung „europarechtliche Akte […] in der deutschen Praxis […] wenig Beachtung [finden].“ Zu Politik und Recht für Menschen mit Behinderungen in der Europäischen Union und im Europarat siehe auch Schulte, Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Politischer und rechtlicher Handlungsbedarf in Deutschland u. a. am Beispiel des Rechts auf Bildung, ZfSH/SGB 2010, 657 (663 ff.).

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4. Teil: Inklusive Schule

in Anbetracht der individuellen Situation des betreffenden Kindes pädagogisch eigentlich nicht zu verantworten ist. 2. Schlussfolgerung zur Terminologie: Integration/Inklusion – Synonyma Die Auslegung des Art. 24 VN-BRK hat also gezeigt, dass keine Veranlassung besteht, der VN-Behindertenrechtskonvention hinsichtlich der Struktur des Bildungsangebotes für Behinderte etwas anderes zu entnehmen, als mit dem Begriff „integrative Unterrichtung“ beschrieben wird. Die amtliche deutsche Übersetzung von „inclusive education system“ mit „integratives Schulsystem“ ist entgegen allen anderslautenden Behauptungen275 sachlich zutreffend.276 Ausschlaggebendes Kriterium hierfür ist das oben277 dargestellte Wesensmerkmal der integrativen Unterrichtung, wie sie seit 1986 im Saarland rechtlich geregelt ist: Danach ist die bei der Einbeziehung des behinderten Kindes in die allgemeine Schule erforderliche Anpassungsleistung nicht von dem Kind, sondern von der Schule zu erbringen. Das bedeutet, dass erforderlichenfalls eine zieldifferenzierte Unterrichtung zu gewährleisten und die Schule zur Erbringung dieser Leistung staatlicherseits und von Seiten des Schulträgers hierzu in die Lage zu 275 Auch die Wortwahl in der gleichzeitig mit der Verabschiedung des Vertragsgesetzes vom 21.12.2008 (BGBl. II S. 1419) angenommenen Entschließung des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 16/11234 (neu) vom 3.12.2008, S. 4 f., stützt diese Behauptungen nicht. Dort heißt es u. a.: „Ziel ist die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft[…].“ Des Weiteren wird dort zwar von „inklusiven Schulen“ und einem „inklusiven Bildungssystem“ gesprochen. Tatsache ist jedoch, dass der Text der amtlichen Übersetzung der VN-Behinderten­rechtskonvention unverändert blieb. Auch wurde der explizite Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke, das Wort „amtlichen“ als Attribut der deutschen Übersetzung in Art. 1 Satz 2 des Vertragsgesetzes zu streichen, vom federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnt, BT-Drucks. 11234 (neu) vom 3.12.2008, S. 8 f. Vor dem Hintergrund dieses Abstimmungsergebnisses im federführenden Ausschuss, der somit an der amtlichen Übersetzung festhielt, nimmt es sich etwas verwunderlich aus, wenn Krajewski, Ein Menschenrecht auf integrativen Schulunterricht. Zur innerstaatlichen Wirkung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, JZ 2010, 120 (122), ins Feld führt, die Übersetzung sei „von den meisten Fraktionen des Bundestages“ (gemeint sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke) „als missverständlich, wenn nicht gar falsch kritisiert worden“ – als ob es auf die Mehrheit der Fraktionen und nicht auf die in Art. 42 Abs. 2 GG normierte Mehrheit der Stimmen ankäme. 276 Das BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn.  39, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10. 2015), spricht im Hinblick auf Art.  24 Abs.  1 und 2 VN-BRK von dem in dieser Vertragsbestimmung normierten Zugang zu einem „integrativen Unterricht“. Auch das VG Freiburg, Urt. v. 25.3.2009, 2 K 1638/08, Rn. 58, http://www. juris.de (Zugriff: 11.7.2011), verwendet mit Blickrichtung auf Art. 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Buchst. b VN-BRK den Begriff „integratives Bildungssystem“. Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, S.  382 ff., verwendet durchgehend die Begriffe „integrative Beschulung“ und „integratives Bildungssystem“; das Attribut „inklusiv“ kommt in diesem Kontext in der Schrift nicht vor. 277 Siehe sub Kap. 2 B.

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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versetzen ist. Außerdem ist in § 1 Abs. 2 IntVO geregelt, dass sich dieser Integrations-/Inklusionsansatz grundsätzlich auf Schüler aller Behinderungsarten sowie aller Schulformen, Schultypen und Schulstufen bezieht. Poscher/Rux/Langer, deren Schrift auf einem im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung278 erstatteten Gutachten beruht, haben in ihrem Gutachten u. a. die Situation in den einzelnen Bundesländern analysiert. Sie zeigen auf, dass die im Saarland mit der Schulgesetznovelle vom 4.6.1986279 geschaffenen rechtlichen Regelungen einen inklusiven Unterricht gewährleisteten.280 Mit dieser Feststellung liefern ­Poscher/Rux/Langer die Bestätigung für die Unrichtigkeit ihrer an anderer Stelle281 vorgetragenen Behauptung, Inklusion sei gegenüber Integration ein aliud,282 weil bei der integrativen Unterrichtung die Anpassungsleistung angeblich von dem Kind, bei der inklusiven Unterrichtung dagegen von der Schule zu erbringen sei. Denn ihre Aussagen bezüglich der Rechtslage im Saarland datieren ausweislich des Vorwortes zu der Schrift vom August 2008, während der Deutsche Bundestag und der Bundesrat erst im Dezember 2008 dem Vertragsgesetz zugestimmt haben. Die im Saarland zu diesem Zeitpunkt bestehende Rechtslage aber war seit dem im Jahr 1986 auf gesetzlicher Grundlage eingeleiteten sonderpädagogischen Paradigmenwechsel ausschließlich unter der Projektbezeichnung und mit der Zielsetzung „Integrative Unterrichtung“ geschaffen worden, und sie war in der Folgezeit die Grundlage einer entsprechenden schulischen Praxis. 278

Die Max-Traeger-Stiftung wurde 1960 von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) errichtet und ist nach dem ersten GEW-Vorsitzenden im Jahr 1947 benannt. 279 Amtsbl. S. 477. 280 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 5, 50, 103 ff. So heißt es auf S. 105: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Rechtslage im Saarland im Wesentlichen mit den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention vereinbar ist […]. Tatsächlich nimmt im Saarland ein relativ großer Anteil von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf am Unterricht der allgemeinen Schulen teil. Daher besteht Anlass zu der Vermutung, dass zumindest ein großer Teil derjenigen Schüler mit Behinderungen, die an einem inklusiven Unterricht im Sinne der Behindertenkonvention teilnehmen wollen, die Möglichkeit hierzu haben.“ Siehe auch die Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Schritte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, LT-Drucks. 14/137 vom 26.3.2010: „Weite Teile der Forderungen der UN-Konvention sind in Deutschland und insbesondere im Saarland schon umgesetzt. So haben Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf jetzt schon die Möglichkeit, gemeinsam mit nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern wohnortnah an Regelschulen zu lernen.“ Auch hat die Landesregierung durch die von ihr verwendete Begrifflichkeit jüngst erneut bestätigt, dass es sich bei den Begriffen Inklusion und Integration um Synonyma handelt. Denn es heißt in ihrer Antwort zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Schule, LT-Drucks. 15/279 vom 14.12.2012: „Eine Erhöhung der Lehrerwochenstundenzahl der Förderschullehrkräfte, die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht (Integration) unterstützen, ist wünschenswert.“ An gleicher Stelle spricht sie von der „Personalisierung von Integrationsmaßnahmen“. (Hervorh. d. Verf.). 281 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 24 f., 118. 282 Siehe oben sub Kap. 15 A. II. 1.

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4. Teil: Inklusive Schule

Inzwischen liegt eine weitere Bestätigung der in der vorliegenden Schrift vertretenen Einordnung der Begriffe „integrativ“ bzw. „inklusiv“ als Synonyma vor. Sie ergibt sich aus dem Gesetzentwurf der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für ein Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz)283 sowie aus mehreren hierzu ergangenen öffentlichen Erklärungen der nordrhein-westfälischen Kultusministerin Sylvia Löhrmann (Bündnis 90/Die Grünen). Sie weist in Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf die auf Art. 78 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und das dort geregelte Konnexitätsprinzip gestützten Forderungen der kommunalen Schulträger auf Übernahme der ihnen entstehenden Inklusionskosten durch das Land zurück. Zur Begründung führt sie aus, es handele sich bei der Inklusion nicht um eine neue Aufgabe, sondern um etwas, das seit 30 Jahren in NordrheinWestfalen praktiziert werde.284 Das ist auch die Einschätzung von Schwarz, der bei der rechtlichen Analyse des in Nordrhein-Westfalen verfolgten Inklusionsprojekts unter Konnexitätsgesichtspunkten zu dem Ergebnis gelangt, es handele sich hier nicht um eine „neue“ Aufgabe. Denn es lasse sich „im Land Nordrhein-West 283 LT-Drucks. 16/2432 vom 21.3.2013 (Neudruck). Siehe hierzu auch Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (135, 137 f.), der dieser Begründung des Gesetzentwurfs entgegentritt. 284 Hierzu schreibt Wiedemann, Inklusion kommt schrittweise, Kölner Stadt-Anzeiger vom 23.1.2013: „Löhrmann berichtete über ‚aktuelle Daten und Maßnahmen‘ zur Inklusion. […] Und vor allem wollte sie deutlich machen, dass mit dem in Arbeit befindlichen Gesetzentwurf zum gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung die schulische Inklusion keineswegs bei null anfängt. Schon seit 30 Jahren würden in NRW Kinder mit und ohne Handicaps gemeinsam unterrichtet, seit 2010 in immer größerem Maße, stellt die Ministerin fest. ‚Inklusion findet schon heute statt‘ […]. Dieser Hinweis ist der Landesregierung deshalb ganz besonders wichtig, weil sie damit glaubt, den Kommunen Paroli bieten zu können, die vom Land finanzielle Unterstützung für die Inklusion fordern und diese Hilfe notfalls auch einklagen wollen. Löhrmann stellte fest: ‚Die Ausweitung des gemeinsamen Unterrichts führt nicht zu neuen Aufgaben‘. Mit der Schulgesetznovelle erfolge ‚auch keine wesentliche Veränderung einer bereits bestehenden kommunalen Aufgabe‘. Das sehen die kommunalen Spitzenverbände anders.“ In der Sache übereinstimmend berichtet die „Bild“-Zeitung Düsseldorf vom 23.1.2013 unter der Überschrift „Kein Blanko-Scheck für Inklusion“: „Schulministerin Sylvia Löhrmann […] will den Kommunen beim gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern (‚Inklusion‘) keinen ‚Blanko-Scheck‘ ausstellen. Nur der Name ‚Inklusion‘ sei neu, die Eingliederung Behinderter in Regelschulen aber gebe es seit 30 Jahren.“ In dem Artikel „Inklusion mit Schlupflöchern“, den die Westfälischen Nachrichten am 23.1.2013 veröffentlichten, wird die Kultusministerin wie folgt wiedergegeben: „‚Der Name Inklusion ist neu, nicht aber das Grundprinzip‘, verwies die Ministerin auf die 30-jährige Entwicklung“. In dem gleichen Sinne äußerte sich Kultusministerin Sylvia Löhrmann in einem Interview mit Deutschlandradio in der Sendung „Campus+Karriere“ am 20.3.2013 ausweislich des Transkripts S. 2: „Und die Frage ist: Ist das eine neue Aufgabe für die Kommunen oder ist es das nicht? Das ist der Streit, das ist die Auseinandersetzung. Wir sind der Auffassung, es ist keine neue Aufgabe, weil wir seit 30 Jahren gemeinsamen Unterricht haben in Nordrhein-Westfalen, der stetig auswächst […]. Natürlich, wir waren in den 80er-Jahren von vier neuen Schulen – ich war letztens beim 30. Geburtstag dieser Schule –, war in Nordrhein-Westfalen eine von vier Schulen, die damit angefangen haben, und seitdem wird es kontinuierlich ausgebaut, deswegen ist es unserer Meinung nach keine neue Aufgabe […].“

16. Kap.: Geltung, Anwendbarkeit und normativer Gehalt der VN-BRK

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falen eine langjährige Tradition gemeinsamen Lernens nachweisen, die nunmehr unter der Geltung der UN-BRK fortgeschrieben“285 werde. Mit dem an die KMKEmpfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung von 1994 anknüpfenden Gesetz zur Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung vom 24.4.1995 und der darin normierten Gleichwertigkeit der Förderorte habe der Landesgesetzgeber „eine zentrale Grundaussage getroffen, die für das gegenwärtige Verständnis von Inklusion als Weiterentwicklung bereits bestehender Konzepte spricht“.286 Die „Umsetzung der UN-BRK [steht] in einer langen Tradition einfachgesetzlicher Maßnahmen“.287

285 Schwarz, Inklusion als „neue“ Landesaufgabe? Zur (Un-)anwendbarkeit der Konnexitätsregelung des Art. 78 Abs. 3 LV, NWVBl. 2013, 81. 286 Schwarz, ebd. 287 Schwarz, ebd., S.  82. Dagegen vertreten Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193 (1203), zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen die Auffassung, dass „die Konnexitätsprinzipien zur Anwendung [kommen].“ Letzteres ist auch das Ergebnis der Untersuchung von Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention in NordrheinWestfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S.  51 ff., http:// staedtetagnrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013).

Kapitel 17

Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland A. Grundsatzaussage des Gesetzgebers zur Inklusion im Schulwesen I. Fehlender Zusammenhang zwischen dem Gesetzestext und der VN-Behindertenrechtskonvention Die Regelung der inklusiven Schule im Saarland erging mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.20141. Sie ist gem. § 63a SchoG 2014 zeitlich gestaffelt wie folgt anzuwenden: –– Auf die Klassenstufen 1 bis 4 der Grundschulen ab dem Schuljahr 2014/2015, –– im Bereich der weiterführenden allgemein bildenden Schulen (Gemeinschaftsschulen, Gymnasien) erstmals auf die Schuljahrgänge, die sich aufsteigend beginnend ab dem Schuljahr 2016/2017 in Klassenstufe 5 befinden, –– im Bereich der beruflichen Schulen erstmals auf die Schuljahrgänge, die sich aufsteigend beginnend ab dem Schuljahr 2018/2019 in den Eingangsklassen der beruflichen Schulen befinden. Zur inklusiven Schule bestimmt § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchoG 2014: Die öffentlichen Schulen der Regelform sind inklusive Schulen. Sie ermöglichen grundsätzlich allen Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten und ungehinderten Zugang.

Außerdem enthält das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 folgende Regelungen, denen der Gesetzgeber, wie aus der Begründung des Gesetzentwurfs hervorgeht, bei der Verwirklichung der inklusiven Schule die Funktion einer Grundsatzaussage zugedacht hat: –– Die Überschrift des § 1 SchoG 2014 wurde um die Worte „Inklusive Teilhabe“ ergänzt und lautet nun wie folgt: Unterrichts- und Erziehungsauftrag, Inklusive Teilhabe, Schutzauftrag, Qualität der Schule

1 Amtsbl. I S. 296; die durch diese Schulgesetznovelle geänderten Fassungen des Schulordnungsgesetzes und des Schulpflichtgesetzes sind im Anhang sub Abschn. A. II. 2. und A. III. 2. abgedruckt.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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–– In § 1 Abs. 2 SchoG 2014 wurde dem vorhandenen Text folgender Satz 1 vorangestellt: (2) 1Alle Schülerinnen und Schüler sollen entsprechend ihren Fähigkeiten sowie unabhängig von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft grundsätzlich gleichberechtigt, ungehindert und barrierefrei an den Angeboten des Bildungssystems teilhaben können.

In § 1 SchoG 2014 kommen die Wörter „Behinderte“ bzw. „behinderte“ oder „Behinderung“ also ebenso wenig vor wie in § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchoG 2014. Umso bemerkenswerter ist, was in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 1 ausgeführt wird: „In § 1 wird in die Überschrift und den Text der Grundgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention aufgenommen und somit in der grundlegenden Norm des Schulordnungsgesetzes die Inklusion als Leitgedanke für den schulischen Bereich festgeschrieben.“2 Doch lautet Satz 1 des mit „Zweck“ überschriebenen Art. 1 VN-BRK: Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu ­fördern.3

Von der Vermeidung einer Diskriminierung aus Gründen der ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft ist weder in dieser grundlegenden Bestimmung der VN-Behindertenrechtskon­vention noch an anderer Stelle des völkerrechtlichen Vertrages die Rede. Das gilt insbesondere für Art. 24 VN-BRK. Auch diese Vertragsnorm bezieht sich auf Menschen mit Behinderungen und will sicherstellen, dass sie, wie es in Art. 24 Abs. 2 Buchst. a VN-BRK heißt, „nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden“.4 Diese völkervertragliche Rechtslage wird in den oben zitierten Regelungen des § 1 und des § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchoG 2014 ignoriert. Mehr noch: Die VN-Behindertenrechtskonvention wird vom Landesgesetzgeber bei der Regelung der inklusiven Schule in Anspruch genommen, um einen Inklusions- bzw. Teil­ habebegriff gesetzlich zu normieren, in dem die Wörter „Behinderte“ bzw. „behinderte“ oder „Behinderung“ nicht vorkommen.5 2

LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 14. Hervorh. d. Verf. 4 Hervorh. d. Verf. 5 Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass in § 4a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SchoG 2014 im Zusammenhang mit der Aufgabenbeschreibung der Förderschulen u. a. von der Behebung von „Behinderung“ gesprochen wird. Denn hier bezieht sich der Begriff „Behinderung“ eben gerade nicht auf Inklusion in der allgemeinen Schule, sondern auf Förderschulen. Was das in § 4 Abs. 1 Satz 3 SchoG 2014 erwähnte Saarländische Behindertengleichstellungsgesetz betrifft, so handelt es sich nicht um eine genuine Formulierung des Schulgesetzgebers, sondern um das Zitieren einer Vorschrift, die der Schulgesetzgeber als Alibi für die nicht vorhandene eigene Regelung der zu gewährleistenden Standards im Bereich der äußeren Rahmenbedingungen inklusiver Unterrichtung anführt. Dass es die selbstgesetzte Maxime der Landesregierung war, in 3

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4. Teil: Inklusive Schule

II. Leitgedanken der schulgesetzlichen Regelung der Inklusion 1. Heterogenität a) Idealisierung eines soziologischen Befundes Näheren Aufschluss über die mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.20146 verfolgte Zielsetzung und Konzeption könnte die aufgrund des § 4 Abs. 2 SchoG 2014 erlassene Verordnung zur inklusiven Unterrichtung und besonderen pädagogischen Förderung (Inklusionsverordnung) vom 3.8.20157 geben. Die Inklusionsverordnung findet nach ihrem § 22 mit Inkrafttreten am 3.8.2015 auf die Klassenstufen 1 bis 4 der Grundschule und – soweit in der Verordnung vorgesehen – auf die entsprechenden Klassenstufen der Förderschule Anwendung. Für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen (Gemeinschaftsschulen, Gymnasien) und die beruflichen Schulen wird im Hinblick auf die in § 63a SchoG 2014 zeitlich gestaffelte Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 und 2 SchoG 2014 (2016/2017 bzw. 2018/2019) zu gegebener Zeit eine Regelung ergehen, und zwar im Wege einer Änderungsverordnung. Doch waren auch jene Regelungen, welche die allgemein bildenden weiterführenden Schulen betreffen, im Entwurf der Inklusionsverordnung in der Fassung der externen Anhörung bereits enthalten.8 Damit sollte den am Anhörverfahren Beteiligten bereits zu diesem Zeitpunkt von der für alle Schulformen konzipierten Regelung Kenntnis gegeben werden. Zwar sind die explizit die allgemein bildenden weiterführenden Schulen betreffenden Regelungen entsprechend dem für sie maßgeblichen Anwendungszeitpunkt zurückgestellt worden und in der endgültigen Fassung der vorliegenden Inklusionsverordnung nicht mehr enthalten.9 Doch wird auch auf sie in der vorliegenden Schrift ein­ ihrem Gesetzentwurf zur Regelung der inklusiven Schule das Wort „Behinderte“ bzw. „behinderte“ unter allen Umständen zu vermeiden, zeigt sich z. B. auch bei der Änderung der Verordnungsermächtigung des § 19 Nummer 3 SchPflG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung: Bis dahin ermächtigte die Vorschrift zur Regelung der Einzelheiten der „Schulpflicht für Behinderte“. Mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, durch das die inklusive Schule eingeführt wurde, wurden die Wörter „für Behinderte“ durch die Wörter „in besonderen Fällen, insbesondere im Sinne des § 5 Absatz 3 und 4, § 6 und § 13“ ersetzt. (Hervorh. d. Verf.). 6 Amtsbl. I S. 296. 7 Amtsbl. I S. 540, ber. Amtsbl. 2016 I S. 217; im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. VI. 8 Der Entwurf der Inklusionsverordnung wurde den Teilnehmern an der externen Anhörung mit Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 2.6.2015, GeschZ.: A 4/C – 0.2.3.15, übersandt. 9 Es handelt sich um folgende Vorschriften des Entwurfs der Inklusionsverordnung in der Fassung der externen Anhörung: § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 (Anpassung des Anforderungsniveaus  in den einzelnen Fächern in der Gemeinschaftsschule); § 12 (Versetzung oder Aufsteigen in der Klassenstufe 8 der Gemeinschaftsschule bei abgesenktem Anforderungsniveau, Regelung zur Teilnahme an der Hauptschulabschlussprüfung); § 16 Abs. 5 (landeszentrale Abschlussprüfungen).

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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gegangen werden, soweit sie als Nachweis für die der inklusiven Schule zugrunde liegende Konzeption relevant sind. Anhaltspunkte für die konzeptionelle Ausrichtung der inklusiven Schule im Saarland lassen sich zunächst dem nachstehend wiedergegebenen § 1 InklVO entnehmen: § 1 Individualisierte schulische Bildung und Erziehung – Gemeinsames Lernen (1) Das gemeinsame Leben und Lernen und die individualisierte Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler ist grundlegendes Prinzip der gesamten schulischen Arbeit und Ziel eines inklusiven Schulsystems. (2) 1Inklusive Bildung bedeutet 1. die grundlegende Ausrichtung der Schule auf die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler und deren individuelle Förderung, 2. für alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig von ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten, Beeinträchtigungen oder Behinderungen sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft, ihren religiösen oder politischen Anschauungen oder ihrer sexuellen Identität  – einen grundsätzlich gleichberechtigten und ungehinderten Zugang zu den schulischen Bildungsangeboten und die entsprechende Möglichkeit der Teilhabe am Unterricht und am Schulleben und 3. daher, dass in einem fortwährenden Prozess die Voraussetzungen geschaffen werden, durch die Schülerinnen und Schüler in der schulischen Gemeinschaft mit Anderen in gegenseitigem Respekt zusammenleben, gemeinsam lernen und zusammenarbeiten ­können. 2

Inklusive Bildung bereitet daher auf die gleichberechtigte Teilhabe Aller in Gesellschaft und Beruf vor. (3) Die Schule soll daher unter Ausschöpfung aller innerschulischen Ressourcen und Maßnahmen die Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage so fördern, dass ein hohes Maß an aktiver Teilhabe am gemeinsamen Lernen verwirklicht wird. (4) Alle Schülerinnen und Schüler erhalten unabhängig vom Lernort individuelle Förderung und pädagogische Unterstützung, für die bei Bedarf auch sonderpädagogische Expertise eingeholt werden kann.

(5) 1Diese Verordnung bildet nicht das gesamte pädagogische Handlungsspektrum der an der Förderung der Schülerinnen und Schüler Beteiligten ab, sondern gibt im notwendigen Maße den verfahrensrechtlichen Rahmen vor, in dem der individuellen Ausgangslage der Schülerin oder des Schülers Rechnung getragen werden soll. 2Hierbei ist zwischen der besonderen pädagogischen Förderung (Abschnitt 2) und der sonderpädagogischen Unterstützung (Abschnitt 4) zu unterscheiden; die sonderpädagogische Unterstützung ist Teil der besonderen pädagogischen Förderung. 3Die besondere pädagogische Förderung ist auch ohne die Verfahrensvoraussetzungen des § 19 auf der Grundlage der Förderplanung möglich.

Einen Zugang zu dem Verständnis von Inklusion, das dem Schulordnungsgesetz zugrunde liegt und das der Verordnungsgeber nunmehr auch explizit be-

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4. Teil: Inklusive Schule

nannt hat, ermöglicht der in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InklVO verwendete Begriff „Heterogenität“. Nicht von der Einbeziehung behinderter Kinder und Jugendlicher in die allgemeine Schule wird an erster Stelle gesprochen, sondern von der „grundlegende[n] Ausrichtung der Schule auf die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler“. Dem entspricht die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InklVO, in der „Beeinträchtigungen oder Behinderungen“ gleichzeitig mit anderen soziologischen Merkmalen, nämlich der „ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft, ihren religiösen oder politischen Anschauungen oder ihrer sexuellen Identität“ genannt werden. Was die Landesregierung und der Landesgesetzgeber unter Inklusion im Schulbereich verstehen, ist von Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) im Rahmen seiner Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 bei der Ersten Lesung im Landtag des Saarlandes am 19.3.2014 mit folgenden Worten dargelegt worden: „Alle am Bildungswesen beteiligten Akteurinnen und Akteure haben die Aufgabe, die Kinder in all ihrer Verschiedenartigkeit und Vielfalt in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen. Damit das gelingen kann, brauchen unsere Kinder ein Höchstmaß an individueller Förderung, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, unabhängig davon, ob ein Migrationshintergrund vorhanden ist, und unabhängig davon, ob die Kinder nun besondere Begabungen und Talente haben oder ob sie beeinträchtigt sind. Das ist der Kerngedanke einer inklusiven Schule: Jedes Kind hat Förderbedarf.“10

Im Vordergrund steht also die Bewältigung von „Verschiedenartigkeit und Vielfalt“. Dieser Ansatz wird von dem Kultusminister erläutert durch die Aufzählung von vier soziologischen Merkmalen, nämlich soziale Herkunft, Migrationshintergrund, Hochbegabung und „Beeinträchtigung“.11 Bemerkenswert ist dabei, dass der Kultusminister die Kinder mit „besondere[n] Begabungen und Talente[n]“ noch vor den „beeinträchtigt[en]“ Kindern nennt und dass er bei der Erwähnung der letztgenannten Kinder das Wort „behinderte“ vermeidet. Als Bestätigung und Konkretisierung dieses Denkansatzes kann gelten, was die Beauftragte der Regierung in einer Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 19.11.2015 auf die Frage der Oppositionsabgeordneten Astrid Schramm (Die Linke), „ob nach Einschätzung der Landesregierung die Inklusion angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingskindern noch gewährleistet sei“, antwortete: „Ministerialrätin […] hebt hervor, dass durch Flüchtlingskinder im Prinzip der Inklusionsbegriff aus pädagogischer Sicht erweitert werde. Auch diese Kinder, die andere Bedarfe hätten, würden in das System inkludiert. Zurzeit werde auf allen Ebenen versucht, auch diesen Kindern in der

10

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 1886. Die zusätzlichen Merkmale „religiöse oder politische Anschauungen oder sexuelle Iden­ tität“ wurden aufgrund einer Anregung aus dem Kreis der Teilnehmer an der externen Anhörung zu dem Entwurf der Inklusionsverordnung in die Verordnung aufgenommen. 11

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Gesamtheit gerecht zu werden. Man sehe dies nicht als Erschwernis der Inklusion, sondern als ‚einen weiteren Dreh‘[…], die Inklusion noch anders zu begreifen. Es handele sich um Kinder mit sehr individuellen Bedürfnissen, die in den Schulen bestmöglich inklusiv unterrichtet werden sollen.“12 Zur bildungstheoretischen Grundierung dieses Verständnisses von inklusiver Schule gehört also die Überhöhung von Heterogenität zur Leitlinie jeglicher päda­ gogischer Tätigkeit. Hier ein kurzer Überblick über einige Slogans, auf die man in der Kampagne für die inklusive Schule trifft und deren Autoren miteinander zu wetteifern scheinen um die aktuell gefälligste pädagogische Phrase: „Heterogenität wird nicht als Problem, sondern als Bereicherung gesehen“13; es wird ein „produktiver Umgang mit Heterogenität“14 beschworen und erklärt, dass ein „förderliche[r] Umgang mit Heterogenität ein prioritäres Ziel der Landes­ regierung“15 sei; bei Inklusion werden „Differenzen zelebriert“.16 Slogans dieser Art mögen geeignet sein, Probleme schlaglichtartig zu beleuchten und für ihre Wahrnehmung zu sensibilisieren. Ihre inzwischen geradezu reflexartige Verwendung lässt sie jedoch zunehmend als Beschwörungsformeln erscheinen, mit denen Realität verdrängt wird. Als ob es für die Pädagogik bei der Bewältigung von Heterogenität keine immanenten Grenzen gäbe! Es ist Realitätsverweigerung, eine beliebig breite Spreizung des Lernangebots in einer Klasse für pädagogisch beherrschbar zu halten. Das hindert die von der Idee der totalen Inklusion durchdrungenen Protagonisten dieses Schulkonzepts nicht daran, Sätze wie etwa den folgenden zu formulieren: Die Regelschulen „wissen die Heterogenität ihrer Schülerinnen und Schüler zu schätzen und im Unterricht fruchtbar zu machen“.17 Ob dem Niederschreiben eines solchen Satzes ein Gedankenaustausch mit Leh 12

Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien unter Hinzuziehung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landtags des Saarlandes am 19.11.2015, Sitzungsniederschrift S. 20. 13 Vgl. Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 24 f. 14 So die Formulierung im Antrag der SPD-Landtagsfraktion und der Bündnis 90/Die Grünen-Landtagsfraktion betr. Schulen für Lernbehinderte nicht umetikettieren, sondern abschaffen, LT-Drucks. 13/1065 vom 18.9.2006. 15 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Ausbau der integrations-/inklusionspädagogischen Kompetenz, LT-Drucks. 14/326 vom 17.11.2010. In § 2 Satz 2 der aufgrund des entsprechend geänderten Saarländischen Lehrerbildungsgesetzes ergangenen Verordnung über die Ausbildung und Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Primarstufe und für die Sekundarstufe I (Klassenstufen 5 bis 9) (LPO II – Primarstufe/Sek I) vom 27.1.2012 (Amtsbl. I S.  36 [53]), zul.geänd.d. VO vom 22.7.2015 (Amtsbl. I S. 507 [524]), ist bestimmt: „Der Vorbereitungsdienst soll die Anwärterinnen und Anwärter zur inklusiven Unterrichtung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler sowie zu einem förderlichen Umgang mit Heterogenität befähigen“ (Hervorh. d. Verf.). 16 Vgl. Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (414), unter Bezugnahme auf die Salamanca-Erklärung. 17 Pörksen, Exklusion/Integration/Inklusion. Die UN-Behindertenrechts­konvention und ihre Umsetzung in Hamburg, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 21 (24).

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rerinnen und Lehrern vorausgegangen ist, die Tag für Tag in der Schule die päda­ gogische Wirklichkeit erleben? Die Bekenntnisse zu der „als Bereicherung zu erfahren[den]“ […] „Pädagogik der Vielfalt“ – so die Wortwahl der Kultusministerkonferenz18 – fallen umso emphatischer aus, je größer der Abstand zur Realität des pädagogischen Alltags ist. Auch als neue Beschwörungsformel ist der „förderliche Umgang mit Heterogenität“ – was sich manche Eltern wohl darunter vorstellen mögen? – nicht in der Lage, pädagogische Berge zu versetzen. b) Konsequenzen der Heterogenitäts-Doktrin für die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers Die Tragweite dieses Inklusionsansatzes, dessen Kerngedanke die konzeptionelle Überhöhung und Idealisierung von Heterogenität ist, wird sichtbar, wenn man sich bewusst macht, welche Konsequenzen er speziell für die Erfüllung des Anspruchs des behinderten Kindes auf sonderpädagogische Förderung hat. Dann zeigt sich nämlich, dass es sich mitnichten nur um eine Organisationsfrage handelt. Vielmehr soll sich „unter dem Dach der Inklusion“19 gleichzeitig ein mehr oder weniger dezidierter Paradigmenwechsel im Umgang mit Behinderung vollziehen, bei dem die Gefahr besteht, dass die wohlverstandenen Interessen der behinderten Schüler auf der Strecke bleiben. Anknüpfend an die obigen Ausführungen zum Dekategorisierungs-Theorem20 soll aufgezeigt werden, welche Konsequenzen mit dieser Überhöhung von Heterogenität verbunden sind: Indem Heterogenität zum maßgeblichen Bezugspunkt des konzeptionellen Ansatzes erklärt wird, erhält Behinderung den Status einer Teilmenge in einer beliebigen Zahl von Eigenschaften, Erscheinungsformen, sozialen Rollen und Verhaltensweisen. Das ist keine unbeabsichtigte Folge, sondern zentraler Bestandteil des Projekts „inklusive Schule“, wie es nunmehr auch im saarländischen Schulrecht seinen Niederschlag gefunden hat. Die personale Sichtweise, für die der Einzelne mit allen ihn konstituierenden Merkmalen und Eigenschaften der primäre Bezugspunkt ist, wird also abgelöst durch einen soziologischen Zugriff, bei dem der einzelne behinderte Mensch primär als gruppenbezogenes Element gesellschaftlicher Vielfalt gesehen wird. Der behinderte Schüler als Person verschwindet aus dem Fokus. Man sieht ihn nicht mehr, weil man sich mit dem soziotechnischen Konstrukt der Heterogenität einen Schleier vor die Augen gezogen hat. So paradox es erscheint: Durch die Einebnung essentieller Unterschiedlichkeit wird „Hetero­ genität“ zur neuen Vokabel für Egalisierung. Der neueste Slogan heißt bekanntlich

18 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 11. 19 So die zutreffende Beobachtung von Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 102. 20 Siehe oben sub Kap. 2 A. II. 3.

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„Umgang mit Heterogenität“. Er verdeckt, worum es eigentlich geht, nämlich um den Umgang mit einem behinderten Kind. Diese Heterogenitäts-Doktrin beruht auf einem Normalitätsbegriff, dessen Kern das Anderssein als solches ist. Slogans wie „es ist normal, anders zu sein“ oder „nichts ist so normal, wie verschieden zu sein“ sind keineswegs trivial, wenn man an die Gefühle der Eltern denkt, die die Last der Behinderung ihres Kindes zu tragen haben. Solche Aussprüche können nicht die abschließende Antwort auf die Frage nach dem Platz des behinderten Menschen in der Gesellschaft sein. Ob diese Formeln entgegen der ihnen beigelegten Absicht nicht eher dazu angetan sind, den Blick von der wirklichen Interessenlage der behinderten Menschen wegzulenken, muss als Frage erlaubt sein. Das gilt auch für Sätze von der Art „Der Mensch ist nicht behindert, sondern wird behindert.“ Lehrkräfte in der unterrichtlichen Praxis, die z. B. mit der Aggressivität und Destruktivität stark verhaltensauffälliger Schüler konfrontiert sind, dürften allerdings nicht so leicht für dieses NormalitätsTheorem zu gewinnen sein. 2. Schritte des Gesetzgebers in Richtung Dekategorisierung a) Entzug der Begrifflichkeit In dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014, mit dem die Inklusion im Schulrecht des Saarlandes geregelt wurde, kommen die Wörter „Behinderte“ bzw. „behinderte“ nicht vor. Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs finden sich diese Wörter nicht.21 Die aufgrund des § 4 Abs.  2 SchoG 2014 erlassene Inklusionsverordnung vom 3.8.2015 vermeidet ebenfalls die Wörter „Behinderte“ bzw. „behinderte“. Es ist nicht zu übersehen, dass man es bei dieser semantischen Distanzierung von einem realen Befund mit dem Versuch einer Abkehr von der Zwei-GruppenTheorie und ihrer grundlegenden Unterscheidung von behinderten und nichtbehinderten Menschen zu tun hat.22 Durch den Entzug der Begrifflichkeit soll der Sachverhalt der Behinderung in Abrede gestellt oder zumindest weitgehend relativiert werden. Dieser Doktrin zufolge werden also nicht nur die Unterscheidung einzelner Behinderungsarten und ihre Zuordnung zu spezifischen pädagogischen Förderschwerpunkten abgelehnt. Vielmehr wird die Behinderung als eine das Sosein der betreffenden Person konstituierende Befindlichkeit in Abrede gestellt. Ungeachtet der Erfahrung der behinderungsbedingten Probleme durch die Be 21

Siehe oben sub Kap. 17 A. I., insbes. Fn. 5. So etwa Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung?, Zeitschrift für Heilpädagogik 2002, 354 (357). Ders., Inklusive Pädagogik in der Schule  – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende??, Zeitschrift für Heilpädagogik 2009, 171 (173). 22

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troffenen selbst hat man es also mit einem „weltanschaulich verbrämte[n] Wahrnehmungsverbot von Behinderungen“ zu tun, das „signalisiert, dass etwas, das existiert, nicht sein darf“.23 b) Terminologische Entkoppelung des sonderpädagogischen Förderbedarfs von der Person Das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014, mit dem die inklusive Schule geregelt wurde, unterscheidet zwischen „besonderer pädagogischer Unterstützung“ und „sonderpädagogischer Unterstützung“. Im Schulordnungsgesetz und im Schulpflichtgesetz ist also nicht mehr von „sonderpädagogischem Förderungsbedarf“ (vgl. § 4 Abs.  1 Satz 1 und Abs.  2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung) die Rede. Vielmehr sprechen z. B. § 4a Abs. 1 Satz 2 SchoG 2014 und § 5 Abs. 4 Satz 1 SchPflG 2014 von der „Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung“. Auch in § 4 Abs. 2 SchoG 2014 und § 5 Abs. 3 SchPflG 2014 ist vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung die Rede. In der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 heißt es zu diesem Begriffswechsel: „Der Begriff des ‚sonderpädagogischen Förderungsbedarfs‘ wird aufgegeben. An seine Stelle tritt der Begriff ‚Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung‘ zum Erreichen der für den Einzelnen bestmöglichen schulischen Bildungsziele.“24 Eine substanzielle Begründung kann in diesen Ausführungen allerdings nicht gesehen werden. Aufschlussreich ist dagegen die Antwort, die eine Beauftragte der Regierung auf die Frage nach den Gründen für diese terminologische Neuerung gab, die im Verlauf der Anhörung zu dem Gesetzentwurf vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014 gestellt worden war: „Man wollte weg von diesem defizitorientierten Begriff ‚Bedarf‘ und hat sich überlegt, welchen Begriff man anstatt dessen verwenden könnte.“25 Die Landesregierung und der Gesetzgeber haben also offensichtlich ein Problem damit, einen Begriff zu akzeptieren, der mittelbar auf die Befindlichkeit der Person, d. h. ihr Sosein verweist. Die personale Dimension wird ausgeblendet durch eine Formulierung mit dem Anmutungseffekt einer objektivierenden Sachverhaltsbeschreibung. Die Wortwahl soll möglichst nicht daran erinnern, dass es um Behinderte geht. Damit werden auch der die Hilfsbedürftigkeit dieser Per-

23

Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 74. LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 16. 25 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 85. 24

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sonengruppe einschließende Appell, der in dem Wort „Bedarf“ seinen Ausdruck findet, und die damit verbundene Schlussfolgerung auf einen entsprechenden Anspruch vermieden.26 Landesregierung und Landtag halten es für angemessen, hierzu eine sperrige, der Sprache der Pädagogik nicht nahe stehende Formulierung zu verwenden.27 Dieses Auswechseln der Terminologie ist ein weiterer Schritt in Richtung Dekategorisierung und trägt dazu bei, dass der behinderte Schüler mit seiner spezifischen Hilfsbedürftigkeit aus dem Blickfeld gerät. Angesichts des Gesetzestextes, der die Formulierungen „besondere pädagogische Unterstützung“ und „sonderpädagogische Unterstützung“ enthält, ist es verwunderlich, dass in der endgültigen Fassung der Inklusionsverordnung die Angabe „besondere pädagogische Unterstützung“ durch die Angabe „besondere pädagogische Förderung“ ersetzt wurde. Der Verordnungsentwurf in der Fassung der externen Anhörung hatte noch die gesetzeskonforme Formulierung enthalten. Es soll hier dahingestellt bleiben, ob diese Abweichung von dem Gesetzestext unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Gesetzes Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit der Verordnungsregelung hat. Denn in der Sache selbst bringt die Ersetzung des Wortes „Unterstützung“ durch das Wort „Förderung“ nur eine Klarstellung dessen, was sich von selbst verstehen sollte. Doch ist gerade deswegen bei sachbezogener Betrachtungsweise nicht nachvollziehbar, dass der Verordnungsgeber es bei der Formulierung „sonderpädagogische Unterstützung“ belassen hat. Nichts hätte näher gelegen, also auch hier von sonderpädagogischer „Förderung“ zu sprechen. Zwar heißt es in § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 InklVO, die sonderpädagogische Unterstützung sei Teil  der besonderen pädagogischen Förderung. Doch zeigt gerade diese Einordnung, dass man keinen kategorialen Unterschied zwischen der Förderung nichtbehinderter und der spezifischen Förderung behinderter Schüler gelten lassen will. Mit seinem Festhalten an der Formulierung „sonderpädagogische Unterstützung“ bestätigt somit der Verordnungsgeber eine Wortwahl des Gesetzgebers, der mit der Eliminierung des Begriffs „sonderpädagogischer Förderbedarf“ die gedankliche Verbindung mit der Person des Behinderten, seiner besonderen Hilfsbedürftigkeit und der daraus resultierenden Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung einer dauerhaft behinderungsadäquaten 26 Diesem kritischen Einwand können sich Landesregierung und Landesgesetzgeber auch nicht mit dem etwaigen Hinweis auf die Kultusministerkonferenz entziehen, deren insoweit ebenfalls fragwürdige Neuausrichtung in Sachen sonderpädagogischer Begrifflichkeit für die Landesregierung und den Landtag des Saarlandes wohl die Vorlage gewesen ist, vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 5 ff. 27 In dem Rundschreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur betr. modifiziertes förderdiagnostisches Verfahren im Schuljahr 2014/15 vom 7.11.2014, Az.: C 2–3.7.10.2.1/4, SchulR-Saar 2.1/S. 177, ist diese Ausdrucksweise bürokratisch perfektioniert: „Anträge auf Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung (AAVVSU) sind wegen der zieldifferenten Beschulung in den Bereichen Lernen und geistige Entwicklung im laufenden Schuljahr noch erforderlich.“

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Unterrichtssituation durch Bereitstellung des hierfür erforderlichen zusätzlichen pädagogischen Personals aufgelöst hat. Vielmehr zeigt sich insbesondere an den Bestimmungen des § 16 Abs. 2 Satz 1, § 5 und § 1 Abs. 4 InklVO, dass die „sonderpädagogische Unterstützung“ als eine jeweils nur ad hoc zu aktivierende, in der Regel auf Beratung beschränkte Unterstützung der Regelschullehrkraft durch eine Förderschullehrkraft konzipiert ist. Sie hat lediglich akzidentiellen Charakter und ist nicht integral, d. h. auf die Schaffung und Gewährleistung einer spezifisch sonderpädagogischen Unterrichtssituation z. B. durch Gewährleistung eines ZweiPädagogen-Systems in den Fällen zieldifferenter Unterrichtung angelegt; auf die Einzelheiten wird unten28 näher eingegangen. c) Dekategorisierung bezüglich einzelner Behinderungsarten aa) Wegfall der Förderschwerpunkte Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung in den Schulgesetzen Nach § 4 Abs. 2 SchoG 2014 sind durch Rechtsverordnung u. a. „die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung insbesondere in den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen und Hören sowie Sprache“ zu regeln. Die sonderpädagogischen Förderschwerpunkte Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung sind in diesem Katalog nicht genannt. Zwar ist der Aufzählung das Wort „insbesondere“ vorangestellt. Wären die Förderschwerpunkte Lernen sowie soziale und emotionale Entwicklung jedoch vom Willen des Gesetzgebers umfasst, hätte nichts entgegengestanden, auch diese beiden Förderschwerpunkte noch zu nennen und es hätte des Wortes „insbesondere“ nicht bedurft. So aber muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Lernbehinderung und ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten nicht als Behinderung ansieht. Mit dem Wort „insbesondere“ wollte sich der Gesetzgeber wohl einen Argumentationsspielraum sichern bei einer öffentlichen Diskussion über seine in der Sache nicht haltbare Position. Zwar heißt es in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014: „Zukünftig wird daher stärker als bisher zwischen den einzelnen Förderschwerpunkten differenziert. Die Schwerpunkte können wie bisher in den Bereichen geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen und Hören und Sprache, aber auch Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung liegen.“29 Doch ändert die Tatsache, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs die Förderschwerpunkte Lernen sowie soziale und emotionale Entwicklung genannt sind, nichts daran, dass diese Förderbereiche im Gesetzestext nicht vorkommen. 28

Kap. 18 B. III. LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 16.

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Das Fehlen der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte Lernen sowie soziale und emotionale Entwicklung im Gesetzestext ist auch vor dem Hintergrund des § 4a Abs. 1 Satz 1 SchoG 2014 zu sehen. Die Vorschrift lautet: „Förderschulen sollen gegliedert nach Förderschwerpunkten geführt werden (§ 4 Absatz 2).“ Es wird also, was die vom Gesetzgeber vorgesehene Typengliederung der Förderschulen betrifft, auf den Katalog der in § 4 Abs. 2 SchoG 2014 genannten sonderpädagogischen Förderschwerpunkte verwiesen. Indem in diesen Katalog die Förderschwerpunkte Lernen sowie soziale und emotionale Entwicklung jedoch nicht aufgenommen wurden, kann sich die Schuladministration auf diese Rechtslage berufen, wenn künftig keine Förderschulen Lernen und Förderschulen soziale Entwicklung mehr vorgesehen sind. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich ein unübersehbarer Anhaltspunkt dafür, dass Landesregierung und Gesetzgeber die Lernbehinderung sowie ausgeprägte soziale Auffälligkeiten nicht als Behinderung ansehen. In dieser Einschätzung kann man sich bestätigt sehen aufgrund der Ausführungen, mit denen Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) sowohl bei der Ersten als auch bei der Zweiten Lesung des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 19.3.2014 bzw. 25.6.2014 ein von seinem Amtsvorgänger Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) als Schulversuch angelegtes Pilotprojekt für die Einführung inklusiver Schulen im Saarland ausdrücklich gewürdigt hat.30 Bei diesem Pilotprojekt findet für lernbehinderte, sprachbehinderte und verhaltensauffällige Schüler grundsätzlich kein diagnostisches Verfahren zur Feststellung sonder­pädagogischen Förderbedarfs bei dem einzelnen Kind mehr statt.31 Dieser Vorgehensweise liegt die Behauptung zugrunde, die genannten Beeinträchtigungen stellten keine Behinderungen dar, eine derartige „Etikettierung“ sei nicht vertretbar.32 So hat z. B. Ilka Hoffmann, die in dem zum Geschäftsbereich des Kultusministers Ulrich Commerçon (SPD) gehörenden Landesinstitut für Pädagogik und Medien die Beratungsstelle schulische Integration/Inklusion lei 30 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 1885, 2172. Die „Würdigung“ dieses Pilotprojektes zur inklusiven Schule durch Kultusminister Commerçon ist umso bemerkenswerter, als zu dem Zeitpunkt, in dem die gesetzliche Einführung der inklusiven Schule beschlossen wurde, kein Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung über das Pilotprojekt vorlag. Das geht aus der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Jasmin Maurer (PIRATEN) betr. Evaluation des saarländischen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, LT-Drucks. 15/1555 vom 13.10.2015, hervor. 31 Nr. 3.1 des Erlasses zur Einrichtung des Pilotprojekts zur Entwicklung eines inklusiven Förderkonzepts an Regelschulen im Saarland vom 14.6.2011 (Amtsbl. II S. 502), zul.geänd.d. Erlass vom 17.7.2014 (Amtsbl. II S. 631). 32 Demgegenüber wird von Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, S. 6 f., http://www.gemeinsam-leben-nrw.de/sites/default/files/gutachten_ riedel.pdf (Zugriff: 7.10.2011), geltend gemacht, dass die VN-Behindertenrechtskonvention keine Behinderungsart ausklammere und somit auch die Lernbehinderung umfasse. Andernfalls „[könnten die lernbehinderten Kinder] mangels besonderer Förderung gerade nicht die ihnen zustehende soziale Teilhabe und Selbstbestimmung realisieren“.

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tete33 und bis zu ihrer Berufung in den geschäftsführenden Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Juni 2013 kommissarische Inklusionsbeauftragte des Ministeriums für Bildung und Kultur war,34 in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung erklärt: „Ich würde mir wünschen, dass man für die Förderbereiche Lernen, Sprache und Erziehungshilfe – also für jene Kinder, die keine Behinderung im eigentlichen Sinne haben  – eine sonderpädagogische Grundversorgung an jeder Regelschule gewährleistet.“35 Schüler mit diesen Förderschwerpunkten machen 65 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus.36 bb) Fehlende schulrechtliche Festlegung der Förderschultypen In den Kontext dieser Bestrebungen zur Dekategorisierung ist auch die Tatsache einzuordnen, dass das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 die einzelnen Förderschultypen nicht bestimmt. In § 4 Abs. 4 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung war dies dagegen der Fall gewesen. Es handelt sich hier um eine Regelungsmaterie, die „wesentlich“ ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen.37 Denn „der Gesetzgeber muss entscheiden, in welcher Art des Schulaufbaus 33 Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM), Fortbildungsprogramm 2012/2013, S. 21. 34 Pressemitteilung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 17.6.2013; SZ Nr.  137 vom 17.6.2013, S. B 2, Ilka Hoffmann im GEW-Bundesvorstand; SZ Nr. 92 vom 20./21.4.2013, S. B 2, Neue kommissarische Inklusionsbeauftragte. 35 Hoffmann, Expertin warnt vor Scheitern der Inklusion. Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr.  229 vom 1.10.2012, S.  B 2 (Hervorh. d. Verf.). In diesem Sinne auch Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (172): „Wenn also diese sonderpädagogische Grundausstattung […] verlässlich erwartet werden kann, dann werden wir in naher Zukunft auf die Behinderungskategorien ‚Lernbehinderte‘, ‚Verhaltensgestörte‘ und ‚Sprachbehinderte‘ verzichten können.“ Die Fragwürdigkeit dieses Dekategorisierungs-Versuchs wird sichtbar, wenn Wocken, ebd., S.  173, im Anschluss daran vorschlägt: „Bei den seltenen Behinderungsarten [gemeint sind die Förderbereiche Sehen, Hören, körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung; Anm.  d. Verf.] sollte daher wie bisher üblich der sonderpädagogische Förderbedarf formell festgestellt und darauf aufbauend eine personenbezogene Zuweisung zusätzlicher und fachlich angemessener Pädagogenstunden vorgenommen werden. Bei Kindern mit speziellen Behinderungen wird also sowohl am Behinderungsbegriff wie auch an einer kindbezogenen Feststellungsdiagnostik und Ressourcenadministration festgehalten.“ (Hervorh. d. Verf.). 36 Siehe die Statistik über die Anteile der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach Förderschwerpunkten bei Klemm, Inklusion in Deutschland – Daten und Fakten, S. 32. 37 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (192 ff.)  – Hessische Förderstufe; Beschl. v. 27.1.1976, 1 BvR 2325/73, BVerfGE 41, 251 (259 ff.)  – Speyer-Kolleg; Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417 ff.)  – Hessische Oberstufenreform; Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (78 ff.) – Sexualkundeunterricht; Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (268 ff.)  – Schulentlassung und Versetzung.

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das staatliche Schulangebot konkret geleistet werden soll […].“38 Grundrechtsrelevant und daher „wesentlich“ im Sinne dieser Rechtsprechung ist die Festlegung der Förderschultypen auch wegen des Zugangsrechts der Schüler zu den einzelnen Bildungsangeboten und des Wahlrechts der Eltern. Es ist daher zumindest durch Rechtsverordnung festzulegen,39 welche Förderschultypen im Saarland zur Verfügung stehen. Eine Ermächtigung zur Regelung dieser wichtigen Frage enthalten die §§ 4 und 4a SchoG 2014 jedoch nicht. In § 4a Abs. 1 Satz 1 SchoG 2014 heißt es lediglich: „Förderschulen sollen gegliedert nach Förderschwerpunkten geführt werden (§ 4 Abs. 2).“ Der darin enthaltene Verweis auf die Ermächtigungsnorm des § 4 Abs. 2 SchoG 2014 bezieht sich aber nur auf die Förderschwerpunkte als solche, stellt jedoch keine Ermächtigung zur Festlegung der Förderschultypen durch Rechtsverordnung dar. In diesem Sinne wird § 4a Abs. 1 Satz 1 SchoG 2014 offensichtlich auch vom Ministerium für Bildung und Kultur verstanden. Denn § 17 InklVO enthält lediglich eine Regelung der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte. Die Inklusionsverordnung legt jedoch nicht fest, welche Förderschultypen vorhanden sein müssen. Dieses rechtsstaatliche Regelungsdefizit dürfte seinen Grund darin haben, dass der Kultusminister seine Absichten über das künftige Angebot an Förderschulen nicht offenlegen will, um sich möglichst großen Spielraum bei der Realisierung der inklusiven Schule und der damit einhergehenden Marginalisierung bzw. Abwicklung der Förderschulen zu sichern. d) Verabsolutierung des Ressourcenansatzes Bei der Ersten Lesung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schul­rechtlicher Gesetze 2014 im Landtag des Saarlandes am 19.3.2014, mit dem die inklusive Schule geregelt wurde, hat Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) erklärt: „Gleichzeitig legen wir in der Pädagogik unser Augenmerk auf die Vielfalt und die Potenziale unserer Kinder und Jugendlichen und lösen eine defizitorientierte Tradition ab.“40 Diesen Gedanken hat der Minister bei der Verabschiedung des Gesetzes am 25.6.2014 bekräftigt, indem er auf die Notwendigkeit eines „Bewusstseinsund Mentalitätswandel[s] […] weg von einer defizitorientierten Betrachtung hin zur Orientierung auf die Vielfalt und auf die verschiedenen Potenziale unserer Kinder […]“41 hinwies. Bei gleicher Gelegenheit wurde Commerçon konkreter: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, es ist richtig, notwendig und sinnvoll, von einer defizitorientierten Betrachtung bei den Gutachten wegzukommen, also nicht mehr 38 Vgl. Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, Entwurf für ein Landesschul­ gesetz, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. I, S. 189. 39 Vgl. Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, § 28 DJT-SchulGE, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. I, S. 78 f., 212. 40 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 1886. 41 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2171.

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Gutachten zur Feststellung von Defiziten durchzuführen, sondern Fördergutachten zu erstellen, also Kinder dahingehend zu unterstützen, dass sie künftig auch entsprechend gefördert werden können.“42 Hier werden Defizit-Ansatz und Ressourcen-Ansatz künstlich in ein Verhältnis der Gegensätzlichkeit gebracht. Dabei wird ausgeblendet, dass eine Pädagogik, die sich auf die behinderungsbedingten Schwächen und Beeinträchtigungen des förderbedürftigen Kindes einstellt, vernünftigerweise immer auch von den vorhandenen Fähigkeiten des Schülers ausgeht und auf ihnen aufbaut. Einem sonderpädagogischen Gutachten a priori nur eine negative Sicht auf den Schüler zu unterstellen, weil es zwangsläufig auch die Schwächen des Schülers erfasst, basiert auf Realitätsverweigerung. Ein Gutachten, das die Förderung des Schülers im Auge hat, muss ihn in seiner Ganzheit zu erfassen versuchen, d. h. mit seinen Stärken und mit seinen Schwächen. Nur diese Sichtweise wird der condicio ­humana gerecht. Mit der Absolutsetzung des Ressourcen-Ansatzes und der mantrahaften Beschwörung „Positiven Denkens“43 wird dagegen jenes Kriterium geradezu für obsolet erklärt, das die Legitimität sonderpädagogischer Förderung ausmacht.44 e) Dekategorisierungseffekt der Generalisierung von Förderbedarf An dieser Stelle ist auf den bereits erwähnten Satz zurückzukommen, den Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) bei der Ersten Lesung des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 19.3.2014 im Landtag des Saarlandes im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Heterogenität als dominierendes Prinzip der inklusiven Schule gesprochen hat: „Das ist der Kerngedanke einer inklusiven Schule: Jedes Kind hat Förderbedarf.“45 Wörtlich genommen, ist diese

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Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2172. Einige Beispiele für die Verabsolutierung und damit ins Ideologische abgleitende Beschwörung „Positiven Denkens“ referiert Speck, Wage es nach wie vor, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ideologische Implikationen einer Schule für alle, Zeitschrift für Heilpädagogik 2011, 84 (85 f.): Danach finden sich in der Fachliteratur Empfehlungen zur alternativen Benennung von Kindern mit Behinderungen etwa folgender Art: „Kinder mit besonderer Begabung“, „Kinder mit besonderen Bedürfnissen“, „anders fähig“, „anders begabt“, „mit schwererer Mehrfachbegabung“. Solche semantischen Verrenkungen haben mit der Überhöhung („Wertschätzung“) und Idealisierung von „Heterogenität“ bzw. „Vielfalt“ die Realitätsverweigerung gemeinsam. 44 Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 93, setzt sich kritisch mit einem „RessourcenAnsatz“ auseinander, der in seiner Einseitigkeit „von Schwächen und Defiziten nichts mehr wissen will“ und dadurch die Bedürftigkeit der behinderten Menschen und ihr Angewiesensein auf Andere verleugne. 45 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 1886. 43

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Aussage trivial und mit keinem Erkenntnisgewinn verbunden. Im Kontext einer Regelung, die sich auf die VN-Behindertenrechtskonvention beruft, muss „Förderbedarf“ jedoch in spezifischem Sinne, d. h. als Notwendigkeit zusätzlicher und qualifizierter Hilfen verstanden werden, wie sie von Behinderten benötigt werden. In diesem Sinne ist die Aussage sachlich unzutreffend, denn es kann keine Rede davon sein, dass „jedes Kind“ derartige Hilfen benötigt. Die Generalisierung, d. h. die Ausdehnung dieser qualifizierten Förderungsbedürftigkeit auf alle Schüler ist jedoch zulasten behinderter Schüler mit einem Egalisierungseffekt verbunden, der geeignet ist, Behinderung auszublenden und als Tatsache zu ignorieren. Das wird insbesondere sichtbar an der Regelung des § 1 Abs. 4 InklVO: (4) Alle Schülerinnen und Schüler erhalten unabhängig vom Lernort individuelle Förderung und pädagogische Unterstützung, für die bei Bedarf auch sonderpädagogische Expertise eingeholt werden kann.

Indem hier ausdrücklich nicht nur Förderung, sondern „individuelle Förderung“ aller Schüler unabhängig von ihrem Lernort versprochen wird, wird das behinderte Kind hinsichtlich des Förderbedarfs auf dieselbe Ebene gestellt wie das nichtbehinderte. Daran ändert auch der Hinweis auf die etwaige Einholung sonderpädagogischer Expertise nichts. So wird die Generalisierung von individuellem Förderbedarf zur ultimativen Relativierung der spezifischen Hilfsbedürftigkeit behinderter Schüler. Im Übrigen gehört der inzwischen inflationäre Gebrauch der Wörter „individuelle Förderung“ bzw. „Individualisierung des Lernens“46 zu jener Art von perio­ disch wiederkehrenden Heilsversprechen, die eine Patentlösung für alle bisher nicht gelösten Probleme der Pädagogik anbieten. Als ob das Eingehen auf das einzelne Kind keine selbstverständliche Aufgabe jedes Lehrers wäre, aber zu unterscheiden ist von der Maßlosigkeit des Versprechens, das in dem Slogan „individuelle Förderung aller Schüler“ enthalten ist. 3. Instrumentalisierung des Inklusionsgedankens für die Strukturierung des Schulsystems Es ist nicht zu übersehen, dass die Regelungen zur inklusiven Schule im Schulordnungsgesetz 2014, im Schulpflichtgesetz 2014 sowie in der Inklusionsverordnung vom 3.8.2015 auf der Linie jener Protagonisten der inklusiven Schule liegen, die im Namen und unter dem Vorwand der Inklusion das Ziel „eine Schule für alle“ verfolgen. Die hierzu synonyme Sprachvariante „länger gemeinsam lernen“ klingt in § 1 Abs. 1 InklVO an, der mit den Worten „Das gemeinsame Leben und Lernen“ 46 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 14.

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4. Teil: Inklusive Schule

eingeleitet wird. Die Idealisierung von Heterogenität ist der bildungstheoretische Ausgangspunkt für die Forderung nach „einer Schule für alle“. Vor diesem Hintergrund ist unschwer zu erkennen, dass die Verankerung des Inklusionsprinzips in den Schulgesetzen für Landesregierung und Landtag zu­ vörderst ein gesellschaftspolitisches Projekt darstellt. Ihr primärer Zugriff auf die Inklusionsthematik ist gesellschaftspolitisch motiviert. So hat Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) bei der Ersten Lesung des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 19.3.2014 folgenden Satz an den Anfang seiner Ausführungen gestellt: „Mit dem heute in Erster Lesung zu behandelnden Gesetzentwurf zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention befinden wir uns in der Mitte eines langen Weges hin zu einer inklusiven Gesellschaft.“47 Bei der Zweiten Lesung hat der Kultusminister dieses Gesetzgebungsmotiv mit einer spezifisch schulpolitischen Akzentuierung versehen: „Es geht nicht um die gemeinsame Beschulung von nicht behinderten und behinderten Kindern und Jugendlichen alleine, sondern es geht vielmehr darum, auch unter dem Aspekt der Förderung aller Schülerinnen und Schüler diesen Prozess zu betrachten. […] Wichtig für das Gelingen dieses umfänglichen Reformvorhabens ist es auch, dass wir Schulentwicklung als Ganzes zu betrachten haben.“48 Ihre diesbezüglichen Intentionen hat die Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs konkretisiert. Danach verpflichtet die VN-Behindertenrechtskonvention die Bundesländer angeblich dazu, „ein progressives, inklusives Bildungssystem zu entwickeln.“49 Zur Fortschrittlichkeit („progressiv“) dieses Bildungssystems zählt nach den konzeptionellen Vorstellungen des Gesetzgebers wohl auch die „Überwindung“ differenzierter Strukturen, z. B. der mittel- bis langfristigen Abschaffung von Förderschulen als Element eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung. Die systemgestaltende und -verändernde Zielsetzung wird auch in § 1 Abs. 1 InklVO notifiziert: „Das gemeinsame Leben und Lernen und die individualisierte Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler ist grundlegendes Prinzip der gesamten schulischen Arbeit und Ziel eines inklusiven Schulsystems.“ Somit erweist sich gerade am Beispiel der Schulgesetzgebung des Saarlandes die Richtigkeit der oben50 getroffenen Feststellung, dass die VN-Behindertenrechtskonvention von den Protagonisten eines radikalen Inklusionsverständnisses als Vorwand für weitgehende Veränderungen des Schulsystems genommen und mit Inhalten aufgeladen wird, die mit der VN-Behindertenrechts­konvention nichts zu tun haben.

47

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 1884. Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2171 f. 49 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 12. 50 Siehe oben sub Kap. 15 B. II. 48

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III. Kategorienfehler: Teilhabeanspruch als Grundlage der Regelung von Unterrichts- und Erziehungszielen Ein Beispiel dafür, wie das Inklusionsprinzip ungeachtet sachlicher Zusammenhänge dem Schulwesen übergestülpt werden soll, ist die Art und Weise, wie in dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.201451 mit dem bisherigen § 1 Abs. 2 SchoG 1986 umgegangen wurde. Dieser Absatz 2 enthielt bis dahin ausschließlich die nähere Beschreibung der Unterrichts- und Erziehungsziele der Schule. Er knüpfte an den in Absatz 1 geregelten allgemeinen Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schule an und wurde folgerichtig mit dem Wort „Daher“ eingeleitet.52 Dem neuen Satz 1, mit dem Absatz 2 nunmehr eingeleitet wird, folgt zwar der bisherige Text des Absatzes 2, wobei aber das einleitende „Daher“ durch „Dabei“ ersetzt und nach dem Wort „Schüler“ das Wort „auch“ eingefügt wurde. Dadurch wurde nicht nur der sachlogische Zusammenhang des bisherigen Absatzes 2 mit Absatz 1 beseitigt. Vielmehr wurde mit dieser Verknüpfung ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem Teilhabeanspruch aller Schüler und den normativen Vorgaben hinsichtlich der anzustrebenden Unterrichts- und Erziehungsziele. Es wäre zu kurz gegriffen, diesen Kategorienfehler mit gesetzgeberischer Ungeschicklichkeit erklären zu wollen. Vielmehr eröffnet er Ausblicke auf den Absolutheitsanspruch, den Gesetzgeber und Verordnungsgeber dem Inklusionsprinzip beilegen. Das wird sichtbar, wenn man die durch die Gesetzesnovelle neu eingefügten bzw. geänderten, nachstehend durch Kursivdruck kenntlich gemachten Textstellen des § 1 Abs. 2 SchoG 2014 im Zusammenhang des Gesamttextes des § 1 Abs. 1 und 2 SchoG 2014 liest: (1) Der Auftrag der Schule bestimmt sich daraus, dass jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung hat und dass er zur Übernahme von Verantwortung und zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in Staat und Gesellschaft vorbereitet werden muss. (2) 1Alle Schülerinnen und Schüler sollen entsprechend ihren Fähigkeiten sowie unabhängig von ihrer ethnischen, kulturellen und sozialen Herkunft grundsätzlich gleichberechtigt, ungehindert und barrierefrei an den Angeboten des Bildungssystems teilhaben können. 2Dabei hat die Schule durch Erziehung und Unterricht die Schülerinnen und Schüler auch zur Selbstbestimmung in Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen, zur Anerkennung ethischer Normen, zur Achtung vor der Überzeugung anderer, zur Erfüllung ihrer Pflichten in Familie, Beruf und der sie umgebenden Gemeinschaft, zu sorgsamem Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, zur Übernahme der sozialen und politischen Aufgaben von Bürgerinnen und Bürgern im freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat und zur Mitwirkung an der Gestaltung der Gesellschaft im Sinne der freiheitlich-demokratischen 51

Amtsbl. I S. 296. Siehe hierzu den im Anhang sub Abschn. A. II. 1. bzw. A. II. 2. abgedruckten § 1 SchoG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung und in der Fassung SchoG 2014. 52

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4. Teil: Inklusive Schule

Grundordnung zu befähigen und sie zu der verpflichtenden Idee des friedlichen Zusammenlebens der Völker hinzuführen.

Die Verknüpfung durch die Wörter „Dabei“ und „auch“ macht deutlich, dass die Inklusion zum obersten Gestaltungsprinzip von Schule erhoben wird, und zwar nicht nur in organisatorischer, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht. Hier manifestiert sich eine Verirrung, um nicht zu sagen eine Verblendung auf Seiten des Gesetzgebers und der Schuladministration mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für das Schulwesen des Saarlandes.

B. Detailregelung der inklusiven Schule in Abhängigkeit von den konzeptionellen Grundaussagen I. Legislatorischer Vollzug der systemischen Veränderung In der Gewährleistung der von ihm hoch geschätzten Heterogenität zeigt der Gesetzgeber Konsequenz. Das geschieht durch eine Umkehrung des bisherigen Regel-Ausnahme-Verhältnisses beim Schulbesuch von Behinderten. Diese in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 ausdrücklich als solche bezeichnete „Umkehr des bisher bestehenden Systems“53 hat ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs.  3 Satz 1 SchPflG 2014 erhalten. Dieser Vorschrift zufolge besuchen Schüler, bei denen die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung vorliegen, grundsätzlich eine Schule der Regelform im Sinne des § 3a SchoG. Zu § 5 Abs. 3 SchPflG 2014 heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs, dass dieser Absatz  3 „das Primat des Besuchs der Regelschule [verdeutlicht]. Er stellt klar, dass alle Schülerinnen und Schüler, auch solche, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen einer sonderpädagogischen Unterstützung anerkannt wurde, grundsätzlich eine Schule der Regelform besuchen sollen.“54 Auf diese Norm bezieht sich § 3a Abs. 1 Satz 1 SchoG 2014. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich alle behinderten Kinder in die Grundschule eingeschult werden. Ein Verfahren zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen sonderpädagogischer Unterstützung findet grundsätzlich also weder vor noch bei Aufnahme in die Grundschule statt. In der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 3a SchoG 2014 heißt es: „Grundsätzlich werden alle Kinder des Schulbezirks einer Grundschule in die Klassenstufe 1 aufgenommen.“55

53

LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 18. LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 20. 55 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 14. 54

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II. Individuelle Ausgangslage der Schüler 1. Unterscheidung zwischen besonderer pädagogischer Unterstützung und sonderpädagogischer Unterstützung Wie erwähnt, hat Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) sich zum Prinzip der inklusiven Schule wie folgt geäußert: „Das ist der Kerngedanke einer inklusiven Schule: Jedes Kind hat Förderbedarf.“56 Allerdings scheint auch dem Kultusminister als Verordnungsgeber bewusst zu sein, dass es einer gewissen Eingrenzung bzw. Kategorisierung bedarf, wenn die Erfüllung dieses Handlungsauftrages nicht mit Beliebigkeit einhergehen soll. Das ergibt sich aus § 1 Abs. 5 InklVO: (5) 1Diese Verordnung bildet nicht das gesamte pädagogische Handlungsspektrum der an der Förderung der Schülerinnen und Schüler Beteiligten ab, sondern gibt im notwendigen Maße den verfahrensrechtlichen Rahmen vor, in dem der individuellen Ausgangslage der Schülerin oder des Schülers Rechnung getragen werden soll. 2Hierbei ist zwischen der besonderen pädagogischen Förderung (Abschnitt 2) und der sonderpädagogischen Unterstützung (Abschnitt 4) zu unterscheiden; die sonderpädagogische Unterstützung ist Teil der besonderen pädagogischen Förderung. 3Die besondere pädagogische Unterstützung ist auch ohne die Verfahrensvoraussetzungen des § 19 auf der Grundlage der Förderplanung möglich.

Grundlegend ist also die im Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze getroffene Unterscheidung zwischen „besonderer pädagogischer Unterstützung“ und „sonderpädagogischer Unterstützung“57, wobei der Verordnungsgeber allerdings, wie oben58 dargelegt, in der Inklusionsverordnung die Formulierung „besondere pädagogische Unterstützung“ durch „besondere pädagogische Förderung“ ersetzt hat. Hierbei wird – unter Vermeidung des Wortes „Bedarf“59 – an die „individuelle Ausgangslage“ angeknüpft. Dazu heißt es in § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 InklVO: Schülerinnen und Schüler können vor dem Hintergrund der schulischen Anforderungen des jeweiligen Bildungsganges neben den Leistungen außerschulischer Leistungserbringer aufgrund ihrer individuellen Voraussetzungen in den Bereichen der kognitiven, körperlichen, sensorischen, motorischen, emotionalen, sozialen und sprachlichen Entwicklung besondere pädagogische Förderung benötigen, dies gilt auch für chronisch kranke Kinder. Von der besonderen pädagogischen Förderung sind auch Schülerinnen und Schüler, bei denen Teilleistungsstörungen im Bereich des Lesens, des Rechtschreibens oder des Rechnens vorliegen, Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes, ihrer sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen benachteiligt sind, sowie Schülerinnen und Schüler, bei denen eine besondere Begabung vorliegt, umfasst.

Die in § 2 Abs.  1 Satz 2 und 3 InklVO aufgezählten Kriterien und Unterstützungsbereiche umfassen das gesamte Spektrum dessen, was potenziell Auslöser 56

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 1886. Zu der begrifflichen Abgrenzung unterschiedlicher Förderbedarfe siehe oben sub Kap. 2 D. III. 58 Kap. 17 A. II. 2. b). 59 Siehe oben sub Kap.17 A.II. 2. b). 57

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4. Teil: Inklusive Schule

und Gegenstand auch sonderpädagogischer Unterstützung sein kann. Das bestätigt ein Blick auf § 17 InklVO, in dem die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung normiert sind. Es überrascht nicht, dass bei den Letzteren maßgeblich abgehoben wird auf den Umfang, den Schweregrad und die Dauer der Beeinträchtigung. Das eröffnet der Schulaufsichtsbehörde, die gem. § 19 Abs.  1 Satz 3 InklVO über die Anerkennung einer sonderpädagogischen Unterstützung zu entscheiden hat, einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Auf die schulpraktische Handhabung des Unterschiedes zwischen besonderer pädagogischer Förderung und sonderpädagogischer Unterstützung wird es jedoch einen großen Einfluss haben, dass hinter diesem Konzept ein dezidierter Richtungswechsel steht. Er kommt insbesondere in der Umkehrung des RegelAusnahme-Verhältnisses zwischen allgemeiner Schule und Förderschule im Rahmen des Bildungsangebots für Behinderte zum Ausdruck. Denn mit der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen sonderpädagogischer Unterstützung wäre eine Bedingung für die von den Eltern des Kindes oder von der allgemeinen Schule beantragte Einschulung bzw. Umschulung in eine Förderschule erfüllt. Tendenziell ist dieses Ergebnis jedoch aus der Sicht der Schuladministration unerwünscht. Das geht u. a. aus § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO hervor. In dieser Vorschrift heißt es: Erscheint der jeweiligen Schule der Besuch einer Förderschule in begründeten Einzelfällen zum Schutz des Kindeswohls (Eigen- oder Fremdgefährdung) erforderlich (§ 5 Absatz 4 Satz 2 des Schulpflichtgesetzes), entscheidet die Schulaufsichtsbehörde nach Durchführung eines Anerkennungsverfahrens (§ 19 Absatz 1) über den entsprechenden Antrag der Schule zum Besuch der Förderschule.60

Ein Blick auf die schulische Wirklichkeit zeigt jedoch, dass die Zahl der behinderten Schüler so groß ist, dass von „Einzelfällen“ keine Rede sein kann. Im Schuljahr 2013/14 wurden im Saarland 3.464 behinderte Schüler an Förderschulen und 2.999 behinderte Schüler integrativ an Regelschulen unterrichtet.61 Bei insgesamt 6.463 Schülern lag also sonderpädagogischer Förderbedarf vor. Mit der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen sonderpädagogischer Unterstützung wäre – allen Versuchen einer Verschleierung dieser Tatsache mit semantischen Mitteln zum Trotz – bestätigt, dass es sich um ein behindertes Kind handelt. Das aber wäre offenbar nicht im Sinne des Verordnungsgebers, der es – ebenso wie der Landtag des Saarlandes im Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 – zu vermeiden wusste, dass in der Inklusionsverordnung die Wörter „Behinderte“ bzw. „behinderte“ vorkommen. Die Entschlossenheit des Verordnungsgebers, die Feststellung der Voraussetzungen für sonderpädagogische Unterstützung auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken, spiegelt sich auch in der Überschrift der Verordnung. Sie lautet: „Ver 60

Hervorh. d. Verf. Siehe hierzu die Statistik oben sub Kap. 6 B. I. 1.

61

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ordnung zur inklusiven Unterrichtung und besonderen pädagogischen Förderung (Inklusionsverordnung)“. Die ausschließliche Erwähnung der „besonderen pädagogischen Förderung“ und die Nichterwähnung der „sonderpädagogischen Unterstützung“ haben geradezu programmatischen Charakter.

2. Entscheidungslage und Verfahren a) Besondere pädagogische Förderung in der allgemeinen Schule Entsprechend der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses knüpft die Inklusionsverordnung auch in ihrer Regelung des Diagnoseverfahrens an das von ihr angenommene „Basisszenario“ an, nämlich an die Fälle, bei denen (nur) eine besondere pädagogische Unterstützung in Betracht kommt. Der insoweit einschlägige § 2 Abs. 5 InklVO lautet: (5) 1Insbesondere folgende Faktoren können, unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten, vor der Einschulung und während der Schulzeit Hinweise auf die Notwendigkeit besonderer pädagogischer Förderung darstellen: 1. Beobachtungen und Stellungnahmen im Rahmen des Einschulungsverfahrens an der Schule, 2. die Dokumentation der Kindertageseinrichtung, 3. Erfahrungen im Rahmen des Kooperationsjahres Kindergarten  – Grundschule (Erlass zur Einrichtung des Schulversuchs „Kooperationsjahr Kindergarten – Grundschule“ vom 30. Juli 2010 (Amtsbl. II S. 550), zuletzt geändert durch den Erlass vom 24. Juli 2015 (Amtsbl. II S. 771), 4. Mitteilungen von Förderkräften der Frühförderung oder der Arbeitsstellen für Integra­ tionspädagogik/Integrationshilfen (AFI), von pädagogischen Fachkräften zum Beispiel im Rahmen der Gebundenen oder Freiwilligen Ganztagsschule oder von Erziehungs­ berechtigten, 5. medizinisch-therapeutische Unterlagen der Vorschulzeit und der Schulzeit, 6. Gutachten der Schulärztlichen oder Schulpsychologischen Dienste, 7. nicht ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, 8. die Feststellung einer Schwerbehinderung im Sinne des § 2 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder 9. eine Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung. 2

§ 4 Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend.

Ein sonderpädagogisches Gutachten ist in dieser Aufzählung potenzieller Erkenntnisquellen und Entscheidungsgrundlagen also nicht enthalten.

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4. Teil: Inklusive Schule

Zu etwaigen Schlussfolgerungen aus den in dem Katalog des § 2 Abs. 5 InklVO aufgeführten Informationsgrundlagen heißt es in Absatz  1 des mit „Förderplanung“ überschriebenen § 4 InklVO: (1)1Ergeben sich bei einer Schülerin oder einem Schüler im Zusammenhang mit der Einschulung Anzeichen für die Notwendigkeit einer besonderen pädagogischen Förderung, so leitet die Schulleiterin oder der Schulleiter möglichst frühzeitig die Förderplanung ein. 2Ergeben sich solche Anzeichen im Laufe der Schulzeit, leitet die jeweilige Klassenlehrkraft oder der jeweilige Tutor die Förderplanung möglichst frühzeitig ein. 3Verantwortlich für die Förderplanung ist die Klassenlehrkraft oder eine von der Schulleitung benannte Lehrkraft. 4 Alle an der schulischen Förderung Beteiligten beziehungsweise zu Beteiligenden beraten über die notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Schülerin oder des Schülers und vereinbaren einen entsprechenden individuellen Förderplan.

b) Sonderpädagogische Unterstützung in der allgemeinen Schule oder Besuch der Förderschule aa) Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung Gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 InklVO kann ein Antrag auf Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung ent­weder von der Schule gestellt werden, wenn ihr der Besuch einer Förderschule zum Schutz des Kindeswohls (Eigen- oder Fremdgefährdung) erforderlich erscheint (§ 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO), oder von den Eltern des Kindes in Ausübung ihres Wahlrechts gem. § 4 Abs. 3 SchoG 2014, § 5 Abs. 4 Satz 1 SchPflG und 18 Abs. 1 InklVO. Zu dem Feststellungsverfahren bestimmt § 19 Abs. 2 InklVO: (2) 1Die Anerkennung erfolgt in Bezug auf die Förderschwerpunkte (§ 17) auf der Grundlage ärztlicher oder therapeutischer Berichte sowie der bereits vorliegenden Förderdokumentation (§ 7). 2Die Schulaufsichtsbehörde kann im Rahmen des Anerkennungsverfahrens ein sonderpädagogisches Fördergutachten einholen (§ 3 Absatz 2).62

Bis dahin war ein sonderpädagogisches Gutachten, das bei professioneller und verantwortungsbewusster Handlungsweise eine Selbstverständlichkeit ist, zwingend vorgeschrieben.63 Nunmehr ist die Einholung eines sonderpädagogischen Fördergutachtens in das Ermessen der Schulaufsichtsbehörde gestellt. Das Motiv für diese „Großzügigkeit“ des Verordnungsgebers ist evident: Man befürchtet, dass der Gutachter, bei dem es sich grundsätzlich um eine Förderschullehr 62

Hervorh. d. Verf. Das gilt gem. § 8 Abs. 3 und § 7 Abs. 4 VO-SchPflG 2014/2015 – im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 2 – noch für die weiterführenden allgemein bildenden und die beruflichen Schulen, während diese Vorschriften gem. § 11 Abs. 3 VO-SchPflG 2014 ab dem Schuljahr 2015/2016 auf die Grundschulen nicht mehr anwendbar sind. 63

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kraft handelt, sich nicht auf der Linie des Dekategorisierungs-Theorems bewegt und entsprechend seinen Erkenntnissen gegebenenfalls bestätigen wird, dass eine Behinderung und die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung vorliegen. Die Schulaufsichtsbehörde hat also einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum, den ihr das Ministerium für Bildung und Kultur als Verordnungsgeber – diese Behörde ist bekanntlich identisch mit der Schulaufsichtsbehörde (vgl. § 57 Abs. 1 SchoG) – nicht durch den Zwang zur Nutzung naheliegender fachlicher Expertise beschneiden will. Bereits auf dieser ersten Stufe des Verfahrens hat sie es in der Hand, ob das Kind eine Förderschule besucht. Außerdem kann sie mit ihrer ablehnenden Entscheidung verhindern, dass das Kind bei einer Einschulung in die allgemeine Schule oder bei einem Verbleib in dieser Schule etwaige zusätzliche Hilfen bekommt, die mit der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung verbunden wären; die Ablehnung wäre also auch „ressourcenneutral“. bb) Entscheidung über den Besuch der Förderschule Für den Fall, dass die Schulaufsichtsbehörde die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung als gegeben ansieht, hat sie in einem zweiten Verfahrensschritt darüber zu entscheiden, ob dem von den Eltern des Kindes gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 SchPflG 2014 und § 18 Abs. 1 InklVO oder von der allgemeinen Schule gem. § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO gestellten Antrag zum Besuch der Förderschule stattgegeben werden soll. Auch bei dieser Entscheidung besitzt die Schulaufsichtsbehörde einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Es wäre nicht per se rechtsfehlerhaft, wenn sie dabei auch die Tatsache in ihre Abwägung einbezöge, dass der Gesetzgeber eine Grundsatzentscheidung zugunsten der inklusiven Unterrichtung getroffen hat und darin eine ermessenleitende Vorgabe sähe. Hierzu bietet ihr § 4a Abs. 1 Satz 2 SchoG 2014 sogar eine Handhabe. Die Vorschrift lautet: In einer Förderschule können Schülerinnen und Schüler nach der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung  – auch in unterschiedlichen Förderschwerpunkten gemeinsam – unterrichtet werden, insbesondere, wenn dadurch eine bessere Förderung zu erwarten ist.64

In dem hervorgehobenen Satzteil klingt unausgesprochen nicht nur die  – bis heute durch nichts belegte65  – Behauptung von der generellen Überlegenheit der integrativen/inklusiven Unterrichtung gegenüber den Förderschulen an. Vielmehr eröffnet diese vom Gesetzgeber normierte tatbestandliche Voraussetzung der 64

Hervorh. d. Verf. Siehe hierzu oben sub Kap. 13 D.

65

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4. Teil: Inklusive Schule

Schulaufsichtsbehörde die Möglichkeit, das offiziell respektierte elterliche Wahlrecht (vgl. § 4 Abs. 3 SchoG 2014) weitgehend auszuhebeln. Denn die Bedingung „wenn dadurch eine bessere Förderung zu erwarten ist“ stellt ein vom Gesetzgeber normiertes Entscheidungskriterium dar, das von der Schulaufsichtsbehörde bei der Ausübung ihres Ermessens zu beachten ist. Die verfassungsrechtlich begründete Einschätzungsprärogative der Eltern66 hinsichtlich dessen, was dem Wohl ihres Kindes entspricht, ist damit substanziell relativiert. Wie sich der Gesetzgeber die Ermessensausübung vorstellt, geht auch aus der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 hervor. Darin heißt es zu der Änderung des § 30 SchoG in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung: „Die Möglichkeit des Besuchs einer Schule der Regelform wird ergänzend zu der Unterrichtung an einer Förderschule oder des Besuchs von Sonderunterricht aufgeführt, um zu verdeutlichen, dass das Ziel der inklusiven Unterrichtung  – auch von Schülerinnen und Schülern, bei denen die Voraussetzungen einer sonderpädagogischen Unterstützung vorliegen  – an einer Schule der Regelform vorrangig ist. Sofern möglich soll diese Option vor den anderen aufgeführten zum Tragen kommen.“67 Die gleiche Wertentscheidung liegt dem bereits erwähnten § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO zugrunde: Erscheint der jeweiligen Schule der Besuch einer Förderschule in begründeten Einzelfällen zum Schutz des Kindeswohls (Eigen- oder Fremdgefährdung) erforderlich (§ 5 Absatz 4 Satz 2 des Schulpflichtgesetzes), entscheidet die Schulaufsichtsbehörde nach Durchführung eines Anerkennungsverfahrens (§ 19 Absatz 1) über den entsprechenden Antrag der Schule zum Besuch der Förderschule.68

Gewiss muss das Kindeswohl das ausschlaggebende Entscheidungskriterium sein. Wenn dieses Wort im vorliegenden Kontext aber in Verbindung mit dem Wort „Schutz“ verwendet wird, so weckt das Assoziationen zu der in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG normierten Wächterfunktion des Staates, also einer Ausnahmebefugnis im Verhältnis zu dem Bestimmungsrecht der Eltern. In ähnlicher Weise wird vor dem Hintergrund der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei dem Bildungsangebot für Behinderte die Schule vom Verordnungsgeber nicht mehr in ihrer genuinen Rolle als Ratgeber und selbstständig handelnder Sachwalter der wohlverstandenen Interessen des Kindes gesehen, sondern als Akteur bei der Wahrnehmung einer Notbefugnis in einer als absoluter Ausnahmefall vorgestellten Situation. Durch die Bezugnahme des § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO auf § 5 Abs. 4 Satz 2 SchPflG 2014 kann man sich in dieser Einschätzung bestätigt sehen. Der Verordnungsgeber macht damit deutlich, dass die allgemeine Schule künftig nur einen äußerst beschränkten Einfluss haben soll, wenn sie auf der Grundlage der 66

Siehe hierzu oben sub Kap. 14 D. IV. LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 18. 68 Hervorh. d. Verf. 67

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pädagogischen und diagnostischen Fähigkeiten ihrer Lehrkräfte und in Wahrnehmung ihrer pädagogischen Verantwortung die Unterrichtung und Erziehung eines behinderten Kindes an der Förderschule für den besseren Weg erachtet. Wie wenig man von der Regelung des § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO mit Blickrichtung auf das wohlverstandene Interesse des behinderten Kindes zu erwarten hat, geht im Übrigen aus dem Folgenden hervor: Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in der 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes, welche die inklusive Schule mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 geregelt hat, ist festgelegt: „Kinder, die bereits in der Grundschule inklusiv beschult wurden, werden danach unter Fortführung der erprobten Praxis nicht gegen ihren Willen in eine Förderschule überwiesen.“69 Das ist von den Koalitionsfraktionen später in einer offiziellen Ergänzung der Koalitionsvereinbarung bekräftigt worden.70 Die Unbedingtheit dieser Aussage, die auch Geltung beansprucht für den Verbleib in der weiterführenden Regelschule, bedeutet: Selbst wenn das behinderte Kind an der allgemeinen Schule unübersehbar größte Probleme hat – seien sie kognitiver oder sozial-emotionaler Art – und die Lehrkräfte der allgemeinen Schule eine Umschulung in die Förderschule zum Wohl des Kindes befürworten, soll es in der allgemeinen Schule festgehalten werden, wenn seine Eltern der Überweisung in die Förderschule nicht zustimmen. Auch wenn gewiss zwischen der Koalitionsvereinbarung und der vom Ministerium für Bildung und Kultur erlassenen Rechtsverordnung – die übrigens vom Kabinett zustimmend zur Kenntnis genommen wurde – zu unterscheiden ist, so wäre es naiv, anzunehmen, dass das Denken, das in der Koalitionsvereinbarung seinen Ausdruck gefunden hat, keinen Einfluss haben werde auf die Handhabung des § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO. Das Ministerium für Bildung und Sport, das als Verordnungsgeber den § 18 Abs. 4 Satz 1 InklVO normiert hat, dürfte in seiner Zuständigkeit als Schulaufsichtsbehörde mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Festlegung im Koalitionsvertrag allenfalls in einem extremen Fall bereit sein, ein behindertes Kind gegen den Willen seiner Eltern von der allgemeinen Schule an eine Förderschule zu überweisen. Ob diese Prognose auf die Handlungsweise des Ministeriums für Bildung und Kultur in der Großen Koalition zu beschränken ist, sei hier dahingestellt.

69 CDU/SPD, Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012–2017), S. 29. 70 Fraktionen von CDU und SPD im Landtag des Saarlandes, Gemeinsam Lernen in der Grundschule. Eckpunkte der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013, S.  2. Näheres zur Ein­ ordnung und zum Hintergrund der Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013 und des darauf bezogenen Beschlusses der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013 siehe unten sub Kap. 17 D. I. 3. a), Fn. 181, 182, 183.

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4. Teil: Inklusive Schule

III. Auswirkungen des Wegfalls des frühzeitigen sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens Mit der Einschulung grundsätzlich aller behinderten Schüler in die Klassenstufe 1 der zuständigen Grundschule ist der Wegfall der frühzeitigen Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderbedarf auch in jenen Fällen verbunden, in denen sie bisher bereits vor oder bei der Einschulung angezeigt war. Mit der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses hat sich, wie aus der VO-SchPflG 2014/201571 hervorgeht, das bisher in den §§ 6 bis 9 VO-Schulpflichtgesetz in der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung72 und in den §§ 6 bis 9 IntVO73 geregelte Verfahren, das eine rechtzeitige sonderpädagogisch-professionelle Befassung mit der individuellen Situation des Kindes ermöglichte, erledigt. Das hat zur Folge, dass Kinder mit tatsächlich bestehendem sonderpädagogischen Förderbedarf entweder als solche nicht identifiziert sind oder mangels Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung keine sonderpädagogische Förderung erhalten. Das trifft vor allem auf jene sonderpädagogischen Förderschwerpunkte zu, die in § 4 Abs. 2 SchoG 2014 nicht mehr vorkommen, weil die entsprechende Ausgangslage des Schülers offensichtlich von der Landesregierung und dem Landtag des Saarlandes nicht als Behinderung angesehen wird, nämlich die Förderschwerpunkte Lernen sowie soziale und emotionale Entwicklung. Das gilt aber auch für die in § 4 Abs. 2 SchoG 2014 genannten Förderschwerpunkte geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen und Hören sowie Sprache. Denn die Inklusionsverordnung enthält auch für die letztgenannten Förderschwerpunkte keine Regelung des Inhalts, dass bereits vor oder bei der Einschulung ein Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischer Unterstützung stattzufinden hat, wenn die Behinderung evident ist. Aufgrund einer nicht sachgerechten, d. h. den pädagogischen Erfordernissen nicht Rechnung tragenden Verfahrensregelung steht die Frage der Nichterfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes aus Art.  2 Abs.  1 i. V. m. Art.  7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. im Raum.. Die Auswirkungen des Wegfalls einer obligatorischen frühzeitigen Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs seien am Beispiel von Kindern mit Sprachbehinderung aufgezeigt. So ist erwiesen, dass aufgrund der regulären Einschulungsuntersuchung74 nur für einen relativ geringen Teil  der Schüler mit 71

Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 2. Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. IV. 1; siehe hierzu auch oben sub Kap. 17 B. I. 2. b) aa). 73 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. V. 74 Zu den Einschulungsuntersuchungen siehe Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Gesundheit und gesundheitliche Versorgung von Einschulkindern im Saarland. 72

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Sprachbehinderung von Anfang an besondere Fördermaßnahmen ins Auge gefasst werden, nämlich nur für die schwersten Fälle. Bei einer behinderungsspezifischen, differenzialdiagnostischen Untersuchung, wie sie insbesondere im förmlichen Verfahren der Überprüfung eines Kindes auf sonderpädagogischen Förderbedarf in der Vergangenheit im Saarland stattgefunden hat, werden jedoch bei einer viel größeren Zahl von Kindern Sprachbehinderungen sichtbar, die ebenfalls eine sonderpädagogische Förderung notwendig machen. So heißt es bei Rux/Ennuschat, dass nach Angaben der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe (BVSS) „im Schuljahr 2007/2008 im Saarland in den Schuleingangsuntersuchungen von 8.300 untersuchten Vorschülern lediglich 20 als potentiell stotternd erkannt [wurden]. Legt man die in der Fachwelt national und international anerkannte Prävalenzrate von etwa vier Prozent zu Grunde, wurden also gut 300 sprechbehinderte Kinder ‚übersehen‘, obwohl zumindest ein Teil  dieser Kinder von sonderpädagogischer Förderung profitieren würde. Dem Verf. liegt weiterhin ein Schreiben des baden-württembergischen Ministeriums für Arbeit und Soziales an den BVSS vom 30.6.2009 (Az.: 54–5432–1) vor, aus dem sich ergibt, dass das Ministerium aufgrund der Erhebungsergebnisse der Jahre 1997–1999 von einer Prävalenzrate von 0,35 % bis 0,4 % ausgeht – auch dieser Wert liegt um den Faktor 10 unter der in der Fachwelt anerkannten Prävalenzrate. Die Unterschiede indizieren allerdings kein systema­ tisches Versagen der Schuleingangsuntersuchung, sondern könnten ebenso darauf zurück zu führen sein, dass die Behörden nur schwer wiegende Fälle erfassen.“75

Wenn künftig ein sonderpädagogisches diagnostisches Verfahren nicht frühzeitig stattfindet, werden viele Schüler mit ihrer Sprachbehinderung alleingelassen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Verschärfung der Primärsymptomatik, zunehmende Sprechangst (Logophobie)  sowie daraus folgend Sekundärsymptome wie etwa bizarre Vermeidungsstrategien und Konfliktlagen psychosozialer Art.  So geht etwa das Stottern, wenn es ohne sonderpädagogische Intervention bleibt, insbesondere im schulischen Bereich mit hohem Isolations- und Mobbingrisiko einher.76 Was hier am Beispiel der Sprachbehinderten aufgezeigt wurde, gilt für die Schüler mit Lernbehinderung und ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten entsprechend. Aufgrund nicht rechtzeitig erkannter, nicht förmlich festgestellter Lern­ 3.  Bericht Saarland 2015, S.  46: Danach hat im Saarland der Anteil der Einschulkinder mit Sprachentwicklungsverzögerung von 18,1 % im Jahr 2005 auf 28,2 % im Jahr 2013 zugenommen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Einschulkinder mit schwerer Sprachstörung von 0,3 % auf 0,5 %. In einer parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten Isolde Ries (SPD) betr. Sprachentwicklungsstörungen bei saarländischen Kindern heißt es: „Die Anzahl der Kinder mit Sprachstörungen hat im Saarland besonders stark zugenommen. […] Wie gedenkt die Landesregierung der zunehmenden Sprachauffälligkeit von Kindern zu begegnen?“ Die Landesregierung teilte in ihrer Antwort, LT-Drucks. 13/2479 vom 8.7.2009, u. a. mit: „Festzuhalten ist, dass bei allen Sprachentwicklungsstörungen der überwiegende Teil der Kinder bereits in Therapie ist und diese Anzahl in den letzten 10 Jahren zugenommen hat.“ 75 Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 49, Fn. 68. 76 Siehe hierzu Rux/Ennuschat, ebd., S. 76.

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4. Teil: Inklusive Schule

behinderung bzw. schwerer Verhaltensstörung und infolgedessen unterbliebener sonderpädagogischer Intervention gerät das behinderte Kind in eine ausweglose Lage: „Hier wird abgewartet, bis sich bei den betroffenen Kindern Strukturen und Leiden verfestigt haben.“77 Erfahrene Pädagogen wissen, dass an der allgemeinen Schule z. B. wegen ihrer Lernbehinderung überforderte Kinder aufgrund der daraus resultierenden permanenten Frustration nicht selten sozial auffällig werden.78 Unabhängig von der bei sachlicher Betrachtung indiskutablen Ansicht, dass Lernbehinderung, Sprachbehinderung und bestimmte, außergewöhnliche Verhaltensweisen angeblich keine Behinderung darstellen, liegt dem Wegfall des frühzeitigen sonderpädagogischen Diagnoseverfahrens offensichtlich auch ein grundlegendes Missverständnis gegenüber sonderpädagogischer Förderung zugrunde: Sie soll, wie Rux/Ennuschat zutreffend feststellen, „keine Belastung darstellen, sondern tatsächlich eine besondere Förderung im Interesse und zum Wohl des Kindes.“79 Daraus folgt: „Grundsätzlich soll ein eventueller sonderpädagogischer Förderbedarf möglichst frühzeitig, am besten noch vor dem Schuleintritt festgestellt werden.“80 Eine rechtliche Regelung, die – wie es auf die Inklusionsverordnung zutrifft – eine frühzeitige Feststellung sonderpädagogischer Förderungsbedürftigkeit eines behinderten Kindes nicht gewährleistet und damit das Kind mit seinen Problemen bis auf Weiteres oder gar auf Dauer alleinlässt, vereitelt die Erfüllung des Bildungsanspruchs, den das behinderte Kind aufgrund des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. gegen den Staat hat.

77

So der Verband Bildung und Erziehung (VBE) im Rahmen der Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für ein Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz), LTDrucks. 16/2432 vom 21.3.2013 (Neudruck), laut dem Bericht von Burger, Ein verkapptes Spar­programm. Der Gesetzentwurf zur schulischen Inklusion stößt in Nordrhein-Westfalen auf Widerstand, FAZ Nr. 133 vom 12.6.2013, S. 8. 78 Zu dem Zusammenhang zwischen der Situation eines lernbehinderten Kindes, seiner unzulänglichen Betreuung und Förderung mangels des erforderlichen pädagogischen Personals an der inklusiven Schule und daraus resultierenden Verhaltensauffälligkeiten des Kindes siehe NdsOVG, Beschl. v. 7.8.2014, 2 ME 272/14, Rn. 9, http://www.rechtsprechung.niedersachsen. de (Zugriff: 29.1.2016). 79 Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S. 47. 80 Rux/Ennuschat, ebd., S. 47.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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IV. Inklusive Schule unter dem gesetzlichen Vorbehalt des Bildungsauftrags der Schulformen 1. Erste Weichenstellungen für zieldifferenten Unterricht am Gymnasium Bereits zweieinhalb Jahre vor der Einführung der inklusiven Schule mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014 waren die ersten Weichen für eine Entwicklung gestellt worden, die auf eine strukturelle Veränderung des Bildungswesens zielen. Es geschah dies an vergleichsweise unauffälliger Stelle, nämlich durch eine neue Schwerpunktsetzung im Bereich der Lehrerbildung. Auf Initiative von Kultusminister Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) hatte die Landesregierung (sog. Jamaika-Koalition, 2009–2012) das am 18.1.201281 verabschiedete Gesetz zur Änderung des Saarländischen Lehrerbildungsgesetzes eingebracht. Dessen mit „Ziel und Aufgaben der Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ überschriebener § 1 erhielt folgende Fassung: Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung soll die Lehrkraft zu einer wissenschaftlich fundierten und praxisorientierten Erziehungs- und Unterrichtstätigkeit unter besonderer Berücksichtigung der inklusiven Unterrichtung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler und für die selbständige Ausübung eines Lehramtes an öffentlichen Schulen gemäß den allgemeinen Bildungszielen der Verfassung des Saarlandes und den besonderen Bildungszielen der Schule befähigen.82

In der Begründung des Entwurfs des Änderungsgesetzes heißt es hierzu: „Die Umsetzung des in Artikel 24 Abs. 1 Satz 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderung formulierten Rechtes von Menschen mit Behinderungen auf Bildung wirkt sich auch auf die Lehrerinnen- und Lehrerbildung aus. Vor diesem Hintergrund wird die inklusive Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler, ob mit oder ohne Behinderung, als Ziel und Aufgabe der Lehrerinnen- und Lehrerbildung ausdrücklich benannt und ihre Bedeutung unterstrichen.“83 Diese Regelung und ihre Begründung reichen über den eigentlichen Regelungsgegenstand, die Lehrerbildung, hinaus. Denn sie zielen auf entsprechende schulstrukturelle Veränderungen ab bzw. setzen diese voraus. Diese Einschätzung hat ihre Bestätigung gefunden in § 2 Abs. 1 Satz 2 der am 22.1.201384 vom Ministerium für Bildung und Kultur im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres und Sport erlassenen Verordnung über die Ausbildung und Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe I und für 81

Amtsbl. I S. 24. Hervorh. d. Verf. 83 LT-Drucks. 14/617 vom 9.11.2011, S. 8 (Hervorh. d. Verf.). 84 Amtsbl. I S. 27, geänd.d. VO vom 22.7.2015 (Amtsbl. S. 507 [532]). 82

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4. Teil: Inklusive Schule

die Sekundarstufe II (Gymnasien und Gemeinschaftsschulen) – (LPO II – Gymnasien und Gemeinschaftsschulen). Dort hieß es in der ursprünglichen Fassung vom 22.1.2013: Der Vorbereitungsdienst soll den Studienreferendarinnen und Studienreferendaren auch Kompetenzen für die Binnen- und Fachleistungsdifferenzierung in heterogenen Lerngruppen vermitteln und sie zur inklusiven Unterrichtung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler sowie zu einem förderlichen Umgang mit Heterogenität befähigen.

Offensichtlich ist also beabsichtigt, künftig auch am Gymnasium zieldifferenten Unterricht zu erteilen. Denn nur dann sind äußere Fachleistungsdifferenzierung oder innere Differenzierung (Binnendifferenzierung) angezeigt. Dass es hierbei um Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen, d. h. Geistigbehinderte und Lern­behinderte geht, wird aus den Worten „förmliche[r] Umgang mit Heterogenität“ ersichtlich. Dem oben85 Gesagten zufolge wird dieser Slogan nämlich mit der inklusiven Schule verbunden, für die man sich auf Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK beruft. Zwar erhielt § 2 Abs. 1 Satz 2 LPO II – Gymnasien und Gemeinschaftsschulen durch die Änderungsverordnung vom 22.7.201586 folgende Fassung: Der Vorbereitungsdienst soll die Studienreferendarinnen und Studienreferendare zur inklusiven Unterrichtung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler sowie zu einem förderlichen Umgang mit Heterogenität befähigen.

Doch bedeutet diese  – wohl taktisch motivierte  – verbale Modifizierung des Verordnungstextes keine substanzielle Änderung gegenüber der ursprünglichen Fassung. Denn der nach wie vor im Text erwähnte „förderliche Umgang mit Heterogenität“ ist ein inzwischen längst gefestigter Begriff zur Kennzeichnung des Konzepts „einer Schule für alle“, das für sich in Anspruch nimmt, die gesamte Bandbreite der Begabungen abzudecken. Damit ist auch das „gemeinsame Lernen“ von Geistigbehinderten und künftigen Abiturienten umfasst. „Die Schule für alle“ aber ist zwangsläufig mit äußerer Fachleistungsdifferenzierung verbunden. 2. Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 a) Grundsatzregelung und Vorbehalt Es stellt sich die Frage, ob die Unterrichtung von Geistigbehinderten oder Lernbehinderten am Gymnasium zulässig ist. Die für die Einführung der inklusiven Schule grundlegende Norm des § 4 Abs. 1 SchoG 2014 lautet: (1) 1Die öffentlichen Schulen der Regelform sind inklusive Schulen. 2Sie ermöglichen grundsätzlich allen Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten und ungehinderten 85

Kap. 17 A. II. 1. a). Amtsbl. I S. 507 (532).

86

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Zugang. 3Die Barrierefreiheit ist im Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetz vom 26. November 2003 (Amtsbl. S. 2987), geändert durch das Gesetz vom 15. Februar 2006 (Amtsbl. S. 474), in der jeweils geltenden Fassung geregelt. 4Die §§ 3a und 3b bleiben hiervon unberührt.

In den Sätzen 1 und 2 ist also die Grundsatzregelung enthalten, der in Satz 4 ein Vorbehalt gegenübersteht. Diese Regelung muss im Zusammenhang gesehen werden mit dem durch das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 in das Schulordnungsgesetz eingefügten § 1 Abs. 2 Satz 1 SchoG 2014. Die Bestimmung lautet: Alle Schülerinnen und Schüler sollen entsprechend ihren Fähigkeiten sowie unabhängig von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft grundsätzlich gleichberechtigt, ungehindert und barrierefrei an den Angeboten des Bildungssystems teilhaben können.

Die Vorschrift bezieht sich auf die subjektivrechtliche Position des Behinderten. In dieser für das Verständnis des Landesgesetzgebers von schulischer Inklusion grundlegenden Norm87 steht zu Recht an erster Stelle, dass die Zugangsmöglichkeiten der Schüler „entsprechend ihren Fähigkeiten“ zu eröffnen sind. Das Kriterium ist bezogen auf die unterschiedlichen Anforderungen, die mit den im staatlichen Bildungsangebot vorhandenen Alternativen verbunden sind. Aus den Schulformbeschreibungen der §§ 3a und 3b SchoG ergibt sich das Anforderungsprofil der jeweiligen Schulform. Insoweit besteht zwischen § 1 Abs.  2 Satz 1 SchoG 2014 und den §§ 3a und 3b SchoG ein innerer Zusammenhang. Im Übrigen wird mit den Worten „entsprechend ihren Fähigkeiten“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 SchoG 2014 nur bestätigt, was bereits nach Art. 27 Abs. 6 Verf. d. Saarl. 2011 gilt. Diese verfassungsrechtliche Norm hat folgenden Wortlaut: (6) 1Über die Aufnahme in eine bestimmte Schulform entscheidet die Eignung. 2Den Schülern ist der Zugang zu den Schulen gemäß ihrer Begabung zu ermöglichen.

b) Inhaltliche Bedeutung des Vorbehalts Die Zulassung Geistigbehinderter oder Lernbehinderter zum Gymnasium könnte mit den gesetzlich geregelten Bildungszielen des Gymnasiums nicht vereinbar sein, so dass die Unterrichtung Geistigbehinderter oder Lernbehinderter in dieser Schulform unzulässig ist. Der insoweit einschlägige § 3a Abs. 4 Satz 1 bis 3 SchoG lautet: (4) 1Das Gymnasium umfasst die Jahrgangsstufen 5 bis 12.  2Es vermittelt eine erweiterte und vertiefte allgemeine Bildung. 3Der erfolgreiche Abschluss des Gymnasiums vermittelt die allgemeine Hochschulreife und berechtigt zum Studium an einer Hochschule; er berechtigt auch zum Eintritt in berufsbezogene Bildungsgänge.

87

Siehe hierzu oben sub Kap. 17 A. I.

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4. Teil: Inklusive Schule

Es ist zu untersuchen, welche rechtliche Bedeutung der in § 4 Abs.  1 Satz 4 SchoG 2014 normierte Vorbehalt gegenüber dem grundsätzlich geltenden Prinzip der Inklusion besitzt.

aa) Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 Näheren Aufschluss könnte zunächst ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 geben.

(1) Referentenentwurf i. d. F. vom 25.9.2013 In der Fassung des Referentenentwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze vom 25.9.2013 lautete § 4 Abs. 1 SchoG: (1) 1Die öffentlichen Schulen der Regelform sind inklusive Schulen. 2Sie ermöglichen grundsätzlich allen Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten, ungehinderten und barrierefreien Zugang. 3Näheres hierzu regelt die Schulaufsichtsbehörde durch Rechtsverordnung, in der auch Vorschriften über die Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung insbesondere in den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen und Hören sowie Sprache, über das förderdiagnostische Vorgehen, über die Zusammenarbeit und die Verteilung der Aufgaben zwischen den Lehrkräften, insbesondere mit unterschiedlichen Lehrbefähigungen, sowie zum Verfahren enthalten sind.

Diese Fassung enthielt also weder den Verweis auf das Saarländische Behindertengleichstellungsgesetz noch einen Vorbehalt bezüglich der Geltung der Schulformbeschreibungen der §§ 3a und 3b SchoG.

(2) Referentenentwurf i. d. F. vom 3.12.2013 (externe Anhörung) In die Fassung des Referentenentwurfs, den das Kabinett mit Beschluss vom 3.12.2013 für die externe Anhörung freigegeben hat, wurden in § 4 Abs. 1 SchoG 2014  – bei gleichzeitiger Verlagerung der Verordnungsermächtigung in einen neuen Absatz 2 – als Ergebnis regierungs- und koalitionsinterner Diskussionen folgende Änderungen aufgenommen: –– Mit dem Verweis auf das seit 2003 geltende Saarländische Behindertengleichstellungsgesetz sollte suggeriert werden, dass auf die kommunalen Schulträger insoweit keine neuen Verpflichtungen zukommen. Letztlich ging es darum, etwaige unter dem Gesichtspunkt der finanzverfassungsrechtlichen Konnexität geltend gemachte Ausgleichsansprüche der kommunalen Schulträger gegen das Land abzuwehren.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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–– Als § 4 Abs. 1 Satz 4 wurde aufgenommen: „§ 3a Abs. 4 bleibt hiervon unberührt.“ Diese Bestimmung enthält die Schulformbeschreibung des Gymnasiums. Die Aufnahme dieses Vorbehalts ging auf eine Forderung der CDU zurück. Sie hatte in ihrem Wahlprogramm für die Landtagswahl am 25.3.2012 erklärt, dass sie am Gymnasium keine zieldifferente Unterrichtung zulassen werde.88 Weder in die Koalitionsvereinbarung der sog. Jamaika-Koalition noch in die Koalitionsvereinbarung der darauf folgenden Großen Koalition war eine entsprechende Festlegung aufgenommen worden. In der Begründung des Referentenentwurfs fand sich kein Wort zu dem Vorbehalt. Nachdem der Referentenentwurf am 10.12.201389 von Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) der Öffentlichkeit vorgestellt worden und in die externe Anhörung gegangen war, wurde heftige Kritik an dem Vorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 geübt. Die Protagonisten der radikalen Umsetzung der Pläne zur inklusiven Schule wiederholten ihre Forderung, dass Geistigbehinderten und Lernbehinderten der Zugang zu den Gymnasien zu eröffnen sei.90 (3) Regierungsentwurf Im Regierungsentwurf wurde der explizite Verweis auf das Gymnasium durch den pauschalen Verweis auf die §§ 3a und 3b SchoG ersetzt. Während in der Begründung des Referentenentwurfs, der Gegenstand der externen Anhörung war, keine Aussage zu dem Vorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 gemacht worden war, heißt es in der Einzelbegründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 zu § 4 Abs.  1 SchoG: „Aus dem Zusammenspiel der Sätze 1 und 2 mit Satz 3 wird deutlich, dass alle öffentlichen Schulen der Regelform (Grundschulen, Gemeinschaftsschulen, Gymnasien und berufliche Schulen) – unter Berücksichtigung des Bildungsauftrags der jeweiligen Schulform – inklusive Schulen sind.“91 [Anm. d. Verf.: Bei der Angabe „Satz 3“ handelt es sich um ein offensichtliches redaktionelles Versehen; es muss wohl „Satz 4“ heißen, wie sich aus der Parenthese ergibt.]

88 CDU Saar, Unser Saarland von morgen. Regierungsprogramm 2012–2017, S. 13: Danach „[darf] es […] keine Verpflichtung der Gymnasien zum zieldifferenten Inklusionsunterricht geben.“ 89 Freund, Streit um behinderte Schüler an Gymnasien. Gesetzentwurf von Commerçon schränkt Inklusionspflichten ein – Ex-Minister Kessler und GEW schlagen Alarm, SZ Nr. 297 vom 23.12.2013, S. B 2. 90 Freund, Streit um behinderte Schüler an Gymnasien. Gesetzentwurf von Commerçon schränkt Inklusionspflichten ein – Ex-Minister Kessler und GEW schlagen Alarm, SZ Nr. 297 vom 23.12.2013, S. B 2; ders., Klausel mit Sprengstoff, SZ Nr. 297 vom 23.12.2013, S. B 2. 91 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 16.

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4. Teil: Inklusive Schule

Die Ersetzung der Angabe „§ 3a Abs. 4“ durch die Angabe „§§ 3a und 3b“ ging auf eine Forderung der SPD in der Großen Koalition zurück. Dort glaubte man, mit dieser Änderung das Gemeinte im Unbestimmten lassen zu können, so dass sich hieraus keine eindeutigen rechtlichen Schlussfolgerungen ableiten ließen. Manche in der SPD waren sogar der Überzeugung, dass damit die Ausnahme für das Gymnasium definitiv vom Tisch sei. Denn von dem pauschalen Verweis auf die §§ 3a und 3b SchoG sind auch die in § 3a Abs. 1 geregelte Grundschule und die in § 3a Abs.  2 geregelte Gemeinschaftsschule umfasst. Für die Grundschule als der für alle Schüler verbindlichen Schule aber besteht zwischen den Regierungsparteien der Großen Koalition Konsens über die uneingeschränkte Verwirklichung des Prinzips der inklusiven Schule. Die Einbeziehung auch der Gemeinschaftsschule in den Vorbehalt des § 4 Abs.  1 Satz 4 SchoG 2014 betrifft eine weitere Pflichtschule, für die es ebenfalls keine Ausnahme vom Inklusionsprinzip gibt. Auch wird die angebliche „Gleichwertigkeit“ von Gemeinschaftsschule und Gymnasium bemüht, die im Zusammenhang mit der Verfassungsänderung durch die sog. Jamaika-Koalition vom 15.6.2011 und der sich daran anschließenden Umstrukturierung der saarländischen Schullandschaft  – Ersetzung der Erweiterten Realschule und der Gesamtschule durch die Gemeinschaftsschule – beschworen wurde.92 Die Gemeinschaftsschule, so wird argumentiert, ermögliche grundsätzlich auch den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife, d. h. insoweit bestehe kein Unterschied zum Gymnasium. Der pauschale Verweis auf die §§ 3a und 3b SchoG sollte also im Sinne der Initiatoren dieser geänderten Fassung in Bezug auf das Gymnasium dessen unterschiedslose Einbeziehung in das Prinzip der unbeschränkten Inklusion zumindest nahelegen. Auf Seiten der CDU akzeptierte man den pauschalen Verweis auf die §§ 3a und 3b SchoG, weil damit auf jeden Fall auch das Gymnasium erfasst sei. bb) Zweck des Vorbehalts, Auslegungsergebnis Die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs.  1 Satz 4 SchoG 2014 macht jedoch deutlich, dass mit Blick auf das Gymnasium eine essentielle Einschränkung der prinzipiell unbeschränkten Inklusion normiert werden sollte. Wenn in diesem Kontext der Vorbehalt einen Sinn haben soll, dann kann er nur darin bestehen, dass solche Schüler keinen Zugang zum Gymnasium haben sollen, die a priori für die Erreichung des Bildungsziels des Gymnasiums, nämlich die allgemeine Hochschulreife, nicht in Betracht kommen. Ein anderer Sinn für diesen gesetzlichen

92 „Gleichwertigkeit der beiden Säulen“ – das war die stereotype Aussage der an der Verfassungsänderung vom 15.6.2011 Beteiligten zu dem aus Gemeinschaftsschule und Gymnasium bestehenden „Zwei-Säulen-Modell“. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer ersten Regierungserklärung vom 24.8.2011, Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 1821: „Beide ­Säulen werden gleichberechtigt ausgestattet.“

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Vorbehalt ist schlechterdings nicht erkennbar. Dass in der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, mit dem die inklusive Schule eingeführt wurde, die Einschränkung „unter Berücksichtigung des Bildungsauftrags der jeweiligen Schulform“ notifiziert ist, bestätigt diese Auslegung. Demgegenüber greift das Argument, die Gemeinschaftsschule sei mit dem Gymnasium „gleichwertig“ und infolgedessen habe auch am Gymnasium die Unterrichtung von Geistigbehinderten und Lernbehinderten stattzufinden, nicht durch. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass die Gemeinschaftsschule gem. § 5 Abs. 1 SchPflG Pflichtschule, das Gymnasium dagegen Wahlschule ist. Aufgrund der Erfahrungen der Gesamtschulen und Erweiterten Realschulen, an deren Stelle die Gemeinschaftsschule getreten ist, muss realistischerweise davon ausgegangen werden, dass etwa 5 % der Schüler der Gemeinschaftsschulen die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen werden. Die übrigen Schüler werden sich voraussichtlich wie folgt aufteilen: Etwa 50 % werden die Schule mit dem Hauptschulabschluss verlassen; von den 50 %, die den mittleren Bildungsabschluss erwerben, wird erfahrungsgemäß nur die Hälfte die Voraussetzungen für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe erfüllen. Es werden also etwa 75 % der Schüler der Gemeinschaftsschulen nicht für die allgemeine Hochschulreife in Betracht kommen. Dem entspricht die Struktur der Gemeinschaftsschule mit ihrem System gestufter Abschlüsse, d. h. sie ist genuin auch auf den Erwerb des Hauptschulabschlusses und des mittleren Bildungsabschlusses angelegt. Zwar ist auch am Gymnasium der Erwerb des Hauptschulabschlusses und des mittleren Bildungsabschlusses möglich, jedoch nur aufgrund einer Äquivalenzregelung für Schüler, die mit den Anforderungen des gymnasialen Bildungsweges überfordert sind und das Gymnasium verlassen.93 Diese Äquivalenzregelung ändert nichts daran, dass das Gymnasium ausschließlich auf das Bildungsziel des Erwerbs der allgemeinen Hochschulreife ausgerichtet ist. 3. Verfassungskonformität des Auslegungsergebnisses a) Vereinbarkeit mit Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 2011 aa) Begriff des Gymnasiums in der Verfassung des Saarlandes Es stellt sich die Frage, ob das Auslegungsergebnis verfassungskonform ist. Prüfungsmaßstab ist Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 2011. Diese verfassungsrecht 93 So § 16 ZVO-Gym. (Nachweis des mittleren Bildungsabschlusses) und § 17 ZVO-Gym. (Nachweis des Hauptschulabschlusses). Nach dieser seit Jahrzehnten im Prinzip unverändert bestehenden Äquivalenzregelung ist das Abgangszeugnis mit dem Versetzungsvermerk in die Jahrgangsstufe 9 dem Hauptschulabschluss, bei einem Versetzungsvermerk in die Jahrgangsstufe 10 dem mittleren Bildungsabschluss gleichgestellt.

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4. Teil: Inklusive Schule

liche Norm hatte durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 15.6.201194 folgende Fassung erhalten: (3) 1Das öffentliche Schulwesen besteht aus allgemein bildenden und beruflichen Schulen. 2Allgemein bildende Schulen, an denen die allgemeine Hochschulreife erworben werden kann, sind Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. 3Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Diese Regelung war als Voraussetzung für die von der sog. Jamaika-Koalition (2009–2012) verabredete Änderung der Struktur des Schulwesens an die Stelle des bis dahin geltenden, mit dem Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 27.3.199695 beschlossenen Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 getreten, der folgenden Wortlaut hatte: (3) Das öffentliche Schulwesen besteht aus Grundschulen, Schulen für Behinderte, Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen.

Bei der Verfassungsänderung am 27.3.1996 hatten aufgrund einer Forderung der CDU die die Verfassungsänderung beschließenden Fraktionen von SPD und CDU gleichzeitig mit der Verfassungsänderung eine Gemeinsame Erklärung abgegeben. Sie war eine authentische Interpretation des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. und bedeutete über die Existenzgarantie der in dieser Bestimmung genannten Schulformen hinaus auch eine Essenzgarantie hinsichtlich wesentlicher Merkmale dieser Schulformen, insbesondere des Gymnasiums. Diese oben96 bereits dokumentierte Gemeinsame Erklärung soll hier nochmals wiedergegeben werden, um den Vergleich mit der im Anschluss daran zitierten Begründung zur Verfassungsänderung vom 15.6.2011 zu erleichtern. Sie lautete: „Unsere gemeinsame Absicht ist es, mit der Änderung des Artikels 27 der Verfassung des Saarlandes die Grundlage für ein zukunftsorientiertes und leistungsfähiges Schulangebot im Saarland zu schaffen. Um dies zu gewährleisten, werden im neuen Artikel 27 Absatz 3 in einem eigenen, vom Regelungsinhalt des Absatzes 4 getrennten Absatz die Schulformen aufgeführt, die in Zukunft als schulisches Angebot im gesamten Saarland existieren, sofern die Voraussetzungen eines geordneten Schulbetriebes erfüllt sind. Andere als die in Absatz 3 aufgeführten öffentlichen Schulformen sind nach dem Willen der verfassunggebenden Mehrheit des Landtages unbeschadet der Zulässigkeit von Versuchsschulen im Saarland nicht zulässig. Die Nennung der im Artikel 27 Absatz 3 aufgeführten Schulformen schließt nicht aus, daß diese im Laufe der Zeit inhaltlichen Veränderungen zugänglich sein können. Solche Veränderungen müssen aber das Wesen der betreffenden Schulform wahren. Zum Wesen des grundständigen Gymnasiums beispielsweise gehört, daß es mit Klassenstufe 5 beginnt, daß es eine vertiefte allgemeine Bildung vermittelt und daß der Unterricht minde 94

Amtsbl. I S. 236, in Kraft getreten am 1.8.2012. Amtsbl. S. 422, in Kraft getreten am 18.5.1996. 96 Kap. 11 B. II. 2. b), Fn. 37. 95

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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stens bis einschließlich Klassenstufe 10 im Klassenverband stattfindet und daß es zur allgemeinen Hochschulreife führt. Außerdem gehört es zum Wesen des grundständigen Gymnasiums, daß jedes Gymnasium, das eine Sekundarstufe I hat, seine eigene Oberstufe hat. Die Bestimmungen des Artikels 27 zum geordneten Schulbetrieb bleiben unberührt.“97

Bei der Verfassungsänderung vom 15.6.2011 kam zwar die auch dieses Mal von der CDU angestrebte Gemeinsame Erklärung nicht zustande. Doch wurden entsprechende inhaltliche Aussagen in die Begründung des gleichzeitig eingebrachten und verabschiedeten Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2011, mit dem die Verfassungsänderung auf der einfachgesetzlichen Ebene umgesetzt wurde, übernommen. Der Begründungstext lautet: „Die in Artikel 27 Absatz 3 der Verfassung des Saarlandes erfolgte Nennung der dort auf­ geführten Schulformen schließt nicht aus, dass diese im Laufe der Zeit inhaltlichen Veränderungen zugänglich sein können. Solche Veränderungen müssen allerdings das Wesen der betreffenden Schulformen wahren. Zum Wesen des grundständigen Gymnasiums gehört, dass es eine vertiefte allgemeine Bildung vermittelt, mit Klassenstufe 5 beginnt und der Unterricht mindestens bis einschließlich Klassenstufe 10 im Klassenverband stattfindet. Außerdem gehört es zum Wesen des grundständigen Gymnasiums, dass jedes Gymnasium, das eine Sekundarstufe I hat, eine eigene Oberstufe besitzt. Zum Wesen der neuen Schulform Gemeinschaftsschule gehört, dass sie den Hauptschulabschluss, den mittleren Bildungsabschluss und das Abitur anbietet. Sie ersetzt die Schulformen Erweiterte Realschule und Gesamtschule und beginnt mit Klassenstufe 5. Gemeinschaftsschulen unterhalten je nach Schülerzahl entweder eigenständige oder gemeinsame Oberstufen oder treten in Oberstufenverbünde insbesondere mit grundständigen Gymnasien, Oberstufengymnasien und Berufsbildungszentren ein bzw. führen diese weiter. Sie bieten so selbst die Berechtigungen der Sekundarstufe II und nach der Klassenstufe 13 die allgemeine Hochschulreife an.“98

Eine authentische Interpretation der verfassungsrechtlich normierten Begriffe der Gemeinschaftsschule und des Gymnasiums ist, anders als dies bei der Gemeinsamen Erklärung im Zusammenhang mit der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 der Fall war, bei der Verfassungsänderung vom 15.6.2011 zwar nicht erreicht worden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Aufzählung der Wesensmerkmale des Gymnasiums in der Begründung der Schulgesetznovelle, die gleichzeitig mit der Verfassungsänderung am 15.6.2011 beschlossen wurde, rechtlich irrelevant wäre. Dieser zur Absicherung von Wesensmerkmalen des Gymnasiums in die Begründung des Gesetzentwurfs aufgenommene Text ist Bestandteil der Gesetzesmaterialien und hat als solcher jene Relevanz, die Gesetzesmaterialien zukommt – nicht mehr und nicht weniger. Anders als bei der authentischen Interpretation verfügt der Verfassungsgerichtshof hier also über Interpretationsspielraum. 97 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1090. Zu weiteren Einzelheiten des Zustandekommens der Gemeinsamen Erklärung siehe oben sub Kap. 11 B. II. 2. b), insbes. Fn. 37. 98 LT-Drucks. 14/424 vom 16.3.2011, S. 5.

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4. Teil: Inklusive Schule

bb) Unzulässigkeit zieldifferenter Unterrichtung (1) Unterricht mindestens bis einschließlich Klassenstufe 10 im Klassenverband Es ist nicht zu übersehen, dass die Gemeinsame Erklärung zur Verfassungsänderung vom 27.3.1996 als Vorlage für den Text zur Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2011 gedient hat. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, dass in beiden Texten übereinstimmend als eines der Wesensmerkmale des Gymnasiums festgelegt ist, „dass der Unterricht mindestens bis einschließlich Klassenstufe 10 im Klassenverband stattfindet.“ Das Gegenteil von Unterricht „im Klassenverband“ ist nicht nur das Kurs­system der Oberstufe gemäß der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II,99 sondern kann auch im Unterricht mit äußerer Fachleistungsdifferenzierung in der Sekundarstufe I bestehen, wie er kennzeichnend ist für die Gesamtschule als vollintegrierte Schulform. Das Gymnasium als Schulform für den leistungsfähigsten Teil der Schüler, denen die Studierfähigkeit vermittelt werden soll, würde seinen Charakter verlieren, wenn es sich grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit für alle Schüler öffnete und folglich in Gestalt der äußeren Fachleistungsdifferenzierung oder der inneren Differenzierung (Binnendifferenzierung) eine Unterrichtsorganisation wählte, die auch auf solche Schüler zugeschnitten ist, die erkennbar nicht in der Lage sein werden, die Studierfähigkeit zu erreichen. In wünschenswerter und überraschender Eindeutigkeit hatte der Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft Diether Breitenbach (SPD) bei der Ersten Lesung des verfassungsändernden Gesetzes am 28.2.1996 hierzu ausgeführt: „Wollten wir allen Schülerinnen und Schülern, die am Gymnasium angenommen werden, ein Verbleiben etwa bis zur Klasse 9 oder sogar 10 ermöglichen, wäre dies nur möglich wiederum durch eine interne Leistungsdifferenzierung innerhalb des Gymnasiums, und damit wäre das Prinzip des Gymnasiums ausgehebelt.“100

(2) Bildungsziel einer „vertieften allgemeinen Bildung“ Mit dem Begriff der „vertieften allgemeinen Bildung“ (§ 3a Abs.  4 Satz 1 SchoG) rekurrieren die Gemeinsame Erklärung vom 27.3.1996 sowie die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2011auf 99

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II, Beschl. vom 7.7.1972 i. d. F. vom 6.6.2013, KMK-BeschlS., Leitzahl 176. 100 Verh. d. LT, 11. Wahlp., S. 1027.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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eine Begriffstrias zur ausdrücklichen inhaltlichen Abstufung, die in der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I enthalten ist.101 Darin werden bei der Beschreibung der Schularten und der Organisation der Bildungsgänge die Bildungsziele der einzelnen Schulformen in bewusster begrifflicher Abstufung mit „grundlegende allgemeine Bildung“ für die Hauptschule, „erweiterte allgemeine Bildung“ für die Realschule und „vertiefte allgemeine Bildung“ für das Gymnasium angegeben. Die damit vorgegebene Abstufung des Anforderungs- und Leistungsprofils enthält zwar – was aus in der Sache liegenden Gründen auch gar nicht leistbar ist – keine detailgenaue Schulformbeschreibung, sie markiert aber in einem gegliederten Schul­system die Tatsache des unterschiedlichen Anforderungsniveaus der einzelnen Schulformen hinreichend deutlich. Damit ist für das Gymnasium dem Grunde nach das fachliche und pädagogische Programm vorgegeben, das  – wie bei jeder Schulform – seinen konkreten Ausdruck findet insbesondere in Fächerauswahl und Unterrichtsumfang (Stundentafel), Stoffauswahl und Stoffumfang, Abstraktionshöhe, Vertiefungsgrad, Lerntempo und Lehrmethoden. Alle diese Komponenten sind im Gymnasium auszurichten auf den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife, d. h. die Vermittlung von Studierfähigkeit.102 Hieraus ergibt sich in Verbindung mit Art. 27 Abs. 6 Verf. d. Saarl. 2011, dass Geistigbehinderte und Lernbehinderte nicht in das Gymnasium aufgenommen werden können, weil sie nicht in der Lage sind, das Bildungsziel dieser Schulform zu erreichen. b) Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, dass das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG „nicht ohne jede Einschränkung gelten [kann]. Fehlen einer Person gerade aufgrund ihrer Behinderung bestimmte geistige oder körperliche Fähigkeiten, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind, liegt in der Verweigerung dieses Rechts kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot.“103 Angesichts dieser klaren Aussage ist es ohne Weiteres einsichtig, dass ein geistig behindertes oder ein lernbehindertes 101 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I, Beschl. vom 3.12.1993 i. d. F. vom 25.9.2014, KMK-BeschlS., Leitzahl 102, S. 3 f. 102 In Auseinandersetzung mit diesen im Schulordnungsgesetz i. d. F. d. ÄndG vom 4.6.1986 (Amtsbl. S.  477) genannten begrifflichen Umschreibungen der Bildungsziele der einzelnen Schulformen spricht der VerfGH d. Saarl., Urt. v. 14.7.1987, Lv 4/86, AS 21, 278 (336), „von dem Bildungsgang des Gymnasiums, der zumindest primär studienbezogen ist.“ Siehe auch BayVGH, Beschl. v. 7.11.1996, 7 CE 96.3145, BayVBl. 1997, 431 (432), demzufolge „die vertiefte allgemeine Bildung […], die für ein Hochschulstudium vorausgesetzt wird“, das „Anforderungsprofil“ des Gymnasiums definiert. 103 BVerfG, Beschl. v. 19.1.1999, 1 BvR 2161/94, BVerfGE 99, 341 (357).

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4. Teil: Inklusive Schule

Kind keinen Anspruch auf zielgleiche Unterrichtung am Gymnasium hat. Damit wäre es überfordert und der Sinn der integrativen/inklusiven Unterrichtung wäre in sein Gegenteil verkehrt.104 Doch geht es hier nicht um diesen Fall. Vielmehr geht es darum, ob ein Schüler, der in der inklusiven Schule nur zieldifferent unterrichtet werden kann, sich seinen Lernort aussuchen, d. h. auch das Gymnasium wählen kann. Für die Beantwortung dieser Frage ist an die Unterscheidung zwischen Pflichtschule und Wahlschule anzuknüpfen. § 5 Abs. 1 und 2 SchPflG 2014 hat folgenden Wortlaut: (1) Die allgemeine Vollzeitschulpflicht wird für alle Schülerinnen und Schüler durch den Besuch einer öffentlichen Grundschule und einer Gemeinschaftsschule erfüllt. (2) Frühestens nach dem Besuch der Grundschule kann die allgemeine Vollzeitschulpflicht auch durch den Besuch einer anderen öffentlichen Schule mit gymnasialem Bildungsgang erfüllt werden.

Diese Regelung bedeutet, dass alle Schüler, die für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife unter dem Gesichtspunkt ihrer Fähigkeiten nicht in Betracht kommen, die Gemeinschaftsschule als die für sie zuständige Pflichtschule zu besuchen haben. Zu der unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung gem. Art. 3 Abs.  1 GG zu bildenden Vergleichsgruppe gehören alle Schüler, die strukturell den Anforderungen des Gymnasiums nicht gewachsen sind. Daraus folgt: Wenn ein nichtbehinderter Schüler das Gymnasium verlassen muss, weil er den Anforderungen nicht genügt,105 dann kann ein geistig behinderter oder lernbehinderter Schüler nicht unter Berufung auf seine Behinderung eine Berechtigung zur Aufnahme ins Gymnasium geltend machen. Insoweit ist die Behinderung als solche kein rechtfertigender Grund, die geistig behinderten und lernbehinderten Schüler gegenüber den nichtbehinderten Schülern zu bevorzugen. Aus Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG lässt sich der Auftrag an Gesetzgeber und Verwaltung ableiten, die Stellung von Behinderten in Staat und Gesellschaft zu stär 104 Siehe hierzu OVG d. Saarl., Beschl. v. 23.10.2000, 3 V 25/00, Rn. 27, http://www.iuris. de (Zugriff: 10.7.2015), in einem Fall, in dem die zielgleiche Unterrichtung eines Kindes mit Down-Syndrom beantragt worden war: „Ein derartiger, im Grunde unrealistischer Leistungszwang würde die Lebenssituation der betroffenen Behinderten letztlich verschlechtern. Gerade dies soll nach dem Behindertengrundrecht aber vermieden werden. Die von dem Normgeber eingeführte Differenzierung in § 9 IntegrationsV [Anm. d. Verf.: Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IntVO ist integrative Unterrichtung von Lernbehinderten und Geistigbehinderten nur als zieldifferente Unterrichtung zulässig] wirkt mithin einer Verschlechterung der Lebenssituation geistig behinderter Schüler entgegen und hält gerade aus diesem Grund der Überprüfung am Maßstab des Behindertengrundrechts stand.“ 105 § 13 Abs. 2 ZVO-Gym. lautet: „Schüler/Schülerinnen, die zweimal in derselben Klassenstufe oder in zwei aufeinanderfolgenden Klassenstufen nicht versetzt wurden, müssen im Regelfall die Schule verlassen. Hiervor abweichend kann die Klassenkonferenz ausnahmsweise eine nochmalige Wiederholung gestatten, wenn der Schüler/die Schülerin die Gründe für die Minderleistung nicht zu vertreten hat; die Entscheidung ist in der Niederschrift zu begründen.“

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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ken.106 Hierbei ist auch eine Bevorzugung des Behinderten durch Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG nicht ausgeschlossen.107 Dem Gesetzgeber und der Exekutive steht bei ihrer Entscheidung, „ob und inwieweit sie dem grundgesetzlichen Fördergebot Rechnung tragen, regelmäßig ein Einschätzungsspielraum zu. Einerseits müssen sie die Auswirkungen einer behindertenbedingten Benachteiligung für die Betroffenen in den Blick nehmen. Andererseits haben sie rechtlich schutzwürdige gegenläufige Belange, aber auch organisatorische, personelle und finanzielle Gegebenheiten in die Entscheidungsfindung über die Förderung einzubeziehen […].“108 Bezogen auf den vorliegenden Zusammenhang, bedeutet dies: Der Staat hat sicherzustellen, dass das Gymnasium in der Lage bleibt, seinen Bildungsauftrag zu erfüllen. Er hat in Wahrnehmung seiner Einschätzungsprärogative zu bedenken, wohin es in letzter Konsequenz führen kann, wenn für die Aufnahme in das Gymnasium die Leistungsfähigkeit des Schülers irrelevant ist. Neben den Geistigbehinderten könnte dieses „Recht“ dann auch von der erheblich größeren Gruppe der Lernbehinderten geltend gemacht werden. Eine solche Entwicklung wäre eine Gefahr für die Schulform, die für den leistungsfähigsten Teil  der Schülerschaft konzipiert ist. Sie könnte auf Dauer ihr Leistungsniveau nicht mehr halten. Daher ist es kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, wenn für alle Geistigbehinderten und Lernbehinderten die Gemeinschaftsschule als Pflichtschule zuständig ist. Das ist das subsidiäre Angebot für jene Schüler, für die das Bildungsangebot des Gymnasiums eine strukturelle Überforderung bedeutet. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum diese Erwägung nicht auch Geltung beanspruchen muss für den Fall, dass der geistig behinderte oder lernbehinderte Schüler das Gymnasium nicht wegen des Bildungszieles dieser Schulform, sondern nur als Lernort bei einer zieldifferenten Unterrichtung besuchen will. 4. Vereinbarkeit mit Art. 24 Abs. 1 Satz 2 VN-BRK Das Auslegungsergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu der in Art.  24 Abs.  1 Satz 2 VN-BRK normierten Zielsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention, wonach „ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen (at all levels)“ angestrebt wird. Diese vertragsrechtliche Bestimmung will zum Ausdruck bringen, dass Behinderten in gleicher Weise wie Nichtbehinderten die Bildungsangebote mit ihren unterschiedlichen Anspruchsniveaus zur Verfügung stehen und dass in grundsätzlicher Hinsicht keine Stufe des Bildungssystems von dem Integrationsprinzip ausgeschlossen ist. Letzteres ergibt sich insbesondere aus der Aufzählung in Art.  24 Abs.  5 VN-BRK, wonach „Menschen mit Behinderungen ohne 106

BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 26, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). Gröpl, in: Gröpl/Windthorst/v. Coelln, Grundgesetz. Studienkommentar, Art. 3 Rn. 100. 108 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 27, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). Hierbei verweist das BVerwG auf BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 (304 ff.). 107

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4. Teil: Inklusive Schule

Dis­kriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben.“ Ein Auftrag zu einer vollständigen Umstrukturierung des Schulsystems im Sinne eines Verzichts auf die Profilierung einzelner Schulformen oder Bildungsgänge oder ein Recht eines jeden Behinderten zu einem voraussetzungslosen, d. h. von seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit völlig unabhängigen Zugang zu jedem dieser Bildungsgänge kann aus den Worten „auf allen Ebenen“ dagegen nicht abgeleitet werden. Im Übrigen gilt auch hier die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass die grundrechtlichen Maßstäbe auch die Auslegung und Handhabung völkerrechtlicher Verträge bestimmen und dass diese im Lichte des nationalen Verfassungsrechts auszulegen sind.109 5. Legitimität des Vorbehalts Bei der Zweiten Lesung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 25.6.2014 hat der Berichterstatter, der Abgeordnete Thomas Schmitt (CDU), darauf hingewiesen, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den  – vom Ausschuss nicht angenommenen  – Antrag gestellt habe, „das Organisationsprinzip der Inklusion strenger zu fassen, das heißt Ausnahmen von diesem Prinzip, die nach dem Gesetzentwurf möglich sind, rechtlich nicht zuzulassen.“110 Hierauf reagierte der Abgeordnete Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen), der in der vorausgegangenen sog. Jamaika-Koalition (2009–2012) Kultusminister gewesen war, mit dem bedauernden Hinweis, „dass uns die gesetzliche Umsetzung der Inklusion an der einen oder anderen Stelle nicht weit genug, um nicht zu sagen: nicht konsequent genug, erfolgt. […] Der Berichterstatter hat auf die Ausnahmeregelungen hingewiesen. Es betrifft auch die Verweise auf die unterschiedlichen Bildungsaufträge von Gemeinschaftsschule und Gymnasien in § 4. Das hätten wir gerne gestrichen.“111 Kessler wollte sogar das Wort „grundsätzlich“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 SchoG 2014 gestrichen sehen. 109 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1998, 2 BvR 1206/98, BVerfGE 99, 145 (158); siehe hierzu oben sub Kap. 16 A I. 110 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2162. 111 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2162. Kessler „Ich möchte die Gymnasien nicht aus der Verantwortung entlassen“. Inklusion im Saarland: Ex-Minister macht Druck. Interview, geführt von Thomas Schäfer, SZ Nr. 83 vom 8.4.2014, S. A 2, hat auf die Frage nach seiner Haltung gegenüber der Unterrichtung eines Kindes mit Down-Syndrom am Gymnasium geantwortet: „Das ist eine Frage der Definition. Im Gesetz steht, dass das Gymnasium eine erweiterte und vertiefte allgemeine Bildung vermittelt mit dem Ziel des Abiturs. Ein Gymnasium kann sich also auf den Standpunkt stellen, den Bildungsauftrag nicht erfüllen zu können und eine Beschulung ablehnen. Ich möchte die Gymnasien aber nicht aus der Verantwortung entlassen, auch schwächere Kinder zu einem ihnen angemessenen Abschluss zu bringen – statt sie immer bloß wegzuschicken.“ Auf die ihm im Anschluss daran gestellte Frage nach dem entsprechend der unterschied-

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Der Vorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 hat keineswegs theoretischen Charakter. Er muss als vorsorgliche Maßnahme angesichts von Bestrebungen des Inhalts gesehen werden, wie sie in dem Antrag des Abgeordneten Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) zum Ausdruck kommen. Welche Vorstellungen bzw. Absichten diesbezüglich mit der inklusiven Schule verbunden werden, ist z. B. anlässlich einer Anhörung sichtbar geworden, die zu dem Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Saarlandes112 und zu dem Gesetzentwurf zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2011113 am 26. Mai 2011 vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes stattgefunden hat. Dort hat der Mitarbeiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund Ernst Rösler als Sachverständiger vorgetragen. Ob die Einladung an den Sachverständigen durch den Landtag des Saarlandes auf Anregung des damals von Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen) geführten Kultusministeriums geschah, geht aus den Gesetzesmaterialien nicht hervor. Rösler äußerte im Zusammenhang mit der schulischen Inklusion und den einzelnen Schulformen: „Die Inklusionsaufgabe kann nicht, um es mal so zu sagen, den Gemeinschaftsschulen ‚über den Zaun geworfen‘ werden. Das ist auch ein elementarer Anspruch an das Selbstverständnis – oder hier: das Wesen – des Gymnasiums. Das gehört auch dazu. Ich will es einmal etwas überzogen darstellen; bitte nehmen Sie mir das nicht krumm: Ob man ein Kind mit Down-Syndrom im Gymnasium hat oder in einer Gemeinschaftsschule  – die Lerneffekte werden in beiden Systemen bei diesem Kind mit Down-Syndrom ungefähr die gleichen sein, nämlich bei Null. Sie werden aber erleben, dass dieses Kind in einer Umgebung, in der es mit Schülern ohne Behinderung aufwächst und lebt, aufblüht, verglichen mit der Situation, wenn es unter seinesgleichen aufgezogen wird. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Diejenigen, die mit einem solchen Kind gemeinsam aufwachsen im Unterricht, werden in ihrer Sozialkompetenz enorm davon profitieren, dass sie das erlebt haben. Und Sie werden feststellen, was für wunderbare Kinder das sind. Mit diesem Beispiel sollte nun lediglich gezeigt werden, dass man die Aufgabe der Inklusion nicht einfach einer Schule mit vermeintlich geringeren Standards überantworten kann. Das geht nicht.“114

Wohlgemerkt: Der Sachverständige Rösler machte diese Ausführungen mit ausdrücklichem Hinweis auf das Selbstverständnis und die Wesensmerkmale des Gymnasiums. Dass bei solchen Vorstellungen die Erwähnung der allgemeinen Hochschulreife als Bildungsziel des Gymnasiums als störend empfunden wird, kann nicht verwundern. Der Sachverständige ließ damit aber auch erkennen, welche Vorstellungen er von den Bedürfnissen dieses behinderten Kindes, von der Leistung der Förderlichen Leistungsfähigkeit von Schülern strukturierten gegliederten Schulsystem antwortete Kessler: „Das ist in der Tat ein Dilemma. Das gegliederte Schulsystem widerspricht eigentlich der Intention der UN-Konvention. Dem Inklusionsgedanken würde nur eine Schulform für alle gerecht.“ 112 LT-Drucks. 14/423 vom 16.3.2011. 113 LT-Drucks. 14/424 vom 16.3.2011. 114 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien am 26.5.2011, Sitzungsniederschrift S. 6 f.

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4. Teil: Inklusive Schule

schule im Vergleich zur integrativen/inklusiven Unterrichtung sowie deren Verbindung mit der Frage der Ausgestaltung des Schulsystems hat. Es ist ihm offensichtlich nicht bekannt, dass ein Kind mit Down-Syndrom an der Förderschule geistige Entwicklung eine vielfältige Förderung in lebenspraktischen Fertigkeiten erhält. Eine solche Förderung erwartet der Sachverständige für das Kind mit Down-Syndrom an der Gemeinschaftsschule oder dem Gymnasium offensichtlich nicht. In dieser realistischen Einschätzung verdient er Zustimmung. Das gilt allerdings nicht für seine Begründung für die Akzeptabilität des Null-Lerneffektes an den letztgenannten Schulen und seine Behauptung zum angeblichen Wohlfühleffekt bei dem behinderten Kind. Ein geistig behindertes Kind in seiner konkreten Lebenssituation und seinen individuellen Bedürfnissen kognitiver und emotionaler Art einem solchen „Bildungsangebot“ auszusetzen, so dass auf diese Weise die nichtbehinderten Schüler Gelegenheit erhalten, ein wunderbares Kind kennenzulernen und ihre soziale Kompetenz im Umgang mit behinderten Menschen zu stärken, offenbart eine geradezu instrumentelle Sichtweise. Sie hat gleichzeitig Systemrelevanz: Hier geht es indirekt um ein Plädoyer für die Abschaffung der Förderschulen und damit auch um eine Frage, die weitreichende Auswirkungen für das Wohl behinderter Kinder und für das Bildungsangebot für die nichtbehinderten Schüler hat. Der Vorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 4 SchoG 2014 hat also im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Lage klarstellenden Charakter. Er zeigt, dass man das Proprium des Gymnasiums insoweit zumindest offiziell gewahrt wissen will. In der Praxis der inklusiven Schule im Saarland wird sich erweisen, ob es sich dabei um mehr handelt als um eine formale Konzession an die Führung der saarländischen CDU, um dieser die Ruhigstellung ihrer Basis zu ermöglichen. Zweifel in diese Richtung sind angebracht, weil die Protagonisten der inklusiven Schule keine Veranlassung sehen dürften für eine Rücksichtnahme auf das Gymnasium als den nach wie vor existierenden Garanten eines gegliederten Schulsystems. In sympathischer Offenheit schreibt Tolmein: „Die herausgehobene Stellung, die dem Gymnasium in allen Schulgesetzen der Länder zugewiesen wird und die auch dem Selbstverständnis dieser Schulform entspricht, die eben nicht ‚für alle‘ gedacht sein will, erklärt, dass Gymnasien keine Protagonisten inklusiver Bildung sind.“115 Es kann daher nicht überraschen, wenn Tolmein seinen Aufsatz mit der Frage einleitet: „Erfordert Inklusion das Konzept der einen Schule für alle – und wie passt das zu dem entschlossen verteidigten gegliederten Schulsystem in Deutschland?“116, und ihn mit der Aussage abschließt: „Andererseits steht auch das gegliederte Schulsystem zur Disposition, das sich zumindest in seiner jetzigen Form nicht als ‚Schule für alle‘ eignet.“117

115

Tolmein, Inklusion als Herausforderung für die Rechts- und Bildungspolitik, ZRP 2014, 177 (179). 116 Tolmein, ebd., S. 177. 117 Tolmein, ebd., S. 181.

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C. Wahlrecht der Eltern behinderter Kinder I. Regelung im Modus der Ausnahmebestimmung Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Einschulung aller Schüler in die zuständige Grundschule ist in § 5 Abs. 4 Satz 1 SchPflG 2014 geregelt. Danach kann auf Antrag der Erziehungsberechtigten und nach Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung die allgemeine Vollzeitschulpflicht auch durch den Besuch einer Förderschule erfüllt werden; die jeweiligen Entscheidungen trifft gem. § 5 Abs.  4 Satz 3 SchPflG 2014 die Schulaufsichtsbehörde. Auf diese Vorschrift wird in § 4 Abs.  3 SchoG 2014 Bezug genommen, der folgenden Wortlaut hat: (3) Ob die Schülerinnen und Schüler eine Schule der Regelform oder eine Förderschule besuchen, entscheiden grundsätzlich die Erziehungsberechtigten (§ 5 Absatz 4 Schulpflichtgesetz).

II. Chancen für die Realisierung des Wahlrechts angesichts materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorgaben Es stellt sich die Frage, welche rechtliche und praktische Bedeutung dem § 4 Abs. 3 SchoG 2014 angesichts der Bestimmungen des § 5 Abs. 3 Satz 1 SchPflG 2014 und des § 3a Abs. 1 Satz 1 SchoG 2014 zukommt. Wie oben118 schon in anderem Zusammenhang herausgearbeitet, hat die Schulaufsichtsbehörde bei der Entscheidung über den Antrag der Eltern einen weiten Beurteilungs- und Ermessenspielraum. Das gilt zunächst für die erste Stufe des Verfahrens, d. h. die Entscheidung über die Anerkennung der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung. Selbst wenn diese Entscheidung positiv ausfallen sollte, ist dem Gesagten zufolge auch auf der zweiten Stufe des Verfahrens, d. h. bei der Entscheidung über den Lernort, der Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Schulaufsichtsbehörde groß. Das Ensemble der Regelungen auf der Gesetzes- und Verordnungsebene lässt deutlich erkennen, dass der Gesetzgeber und der Verordnungsgeber entschlossen sind, der Schulaufsichtsbehörde bei der Durchsetzung ihrer Vorstellungen zur inklusiven Schule sowohl im Verhältnis zu den Eltern als auch hinsichtlich der pädagogischen Erwägungen der allgemeinen Schule einen größtmöglichen Entscheidungsspielraum zu sichern. Was die Haltung der Schuladministration gegenüber Anträgen der Eltern betrifft, so kann eine vergleichsweise unauffällige Verfahrensregelung nachdenklich machen. So enthält § 18 Abs. 3 Satz 1 und 2 InklVO die Regelung einer Vorgehens 118

Siehe sub Kap. 17 B. II. 2. b).

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4. Teil: Inklusive Schule

weise, die geeignet ist, auf Eltern, welche die Unterrichtung ihres Kindes in der Förderschule beantragt haben, Druck auszuüben. Darin heißt es: „Den Erziehungsberechtigten ist vor der Entscheidung über die Ein- oder Umschulung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn dies angesichts der mit dem Antrag nach Absatz 1 verbundenen Ausführungen der Erziehungsberechtigten angezeigt ist. Die Erziehungsberech­ tigten entscheiden, ob sie den Antrag aufrechterhalten wollen.“119

Es liegt die Vermutung nahe, dass hier die verfahrensmäßige Voraussetzung für eine „Beratung“120 der Eltern geschaffen wurde, um im schuladministrativ gewünschten Sinne Einfluss nehmen zu können, d. h. die Eltern zur Rücknahme ihres Antrags zu bewegen. Zusammenfassend ist zu sagen: Die plakative Herausstellung des Wahlrechts der Eltern in § 4 Abs.  3 SchoG 2014 kontrastiert auffällig zu der tatsächlichen Bedeutung, die das Wahlrecht für jene Eltern haben wird, die ihr Kind einer Förderschule anvertrauen möchten. Denn die Schulaufsichtsbehörde hat es weitgehend in der Hand, ob die Eltern ihr Wahlrecht bezüglich des Lernortes ihres behinderten Kindes tatsächlich realisieren können. Die im Schulordnungsgesetz 2014 und im Schulpflichtgesetz 2014 getroffenen Regelungen zur inklusiven Schule gewährleisten kein unkonditioniertes elterliches Wahlrecht hinsichtlich des Lernortes ihres behinderten Kindes. Insoweit genügen sie nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich im Hinblick auf den Bildungsanspruch des behinderten Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz  2  GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie bezüglich des elterlichen Rechts auf die Auswahl des Bildungsweges ihres Kindes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. ergeben. III. Existenzgewährleistung der Förderschulen als Voraussetzung des elterlichen Wahlrechts 1. Einflussfaktoren bei der Ausübung des elterlichen Wahlrechts Die grundsätzliche, d. h. automatische Einschulung aller behinderten Kinder in die Grundschule wird die praktische Bedeutung des elterlichen Wahlrechts erheblich relativieren. Dabei spielen auf Seiten der Eltern unterschiedliche Motive und Faktoren eine Rolle. Es wird Eltern geben, die über ihr Recht, die Unterrichtung des Kindes in der Förderschule zu beantragen, nicht informiert sind. Bei anderen Eltern mag in dieser Frage eine gewisse Gleichgültigkeit vorliegen. Andere Eltern mögen von ihrem Antragsrecht keinen Gebrauch machen, weil sie beeindruckt 119

Hervorh. d. Verf. Näheres hierzu siehe unten sub Kap. 17 C. III. 3. a).

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wurden von Verlautbarungen der Regierung über die angebliche generelle Überlegenheit der inklusiven Unterrichtung und sie zu dem Schluss gekommen sind: „Warum sollen wir es nicht versuchen?“ Wiederum andere Eltern wurden von interessierter Seite gezielt „beraten“ und auf diesem Weg davon abgehalten, einen Antrag zu stellen. Vor allem aber ist es das Gewicht, um nicht zu sagen die Wucht der Systemumstellung als solche, mit der potenziell antragsbereite Eltern konfrontiert werden und die manche Eltern davon abschrecken wird, sich gegebenenfalls gegen die auf totale Inklusion ausgerichtete Schuladministration behaupten zu wollen. 2. Auswirkungen des Wahlverhaltens auf die Schulstandorte Es kann risikolos prognostiziert werden, dass spätestens im Schuljahr 2018/19, wenn an manchen Förderschulen zum wiederholten Mal nur noch wenige Schüler eingeschult worden sind, die Schließung von Förderschulen – natürlich verbrämt als „Zusammenlegung“  – in Gang kommen wird.121 Dann wird auch öffentlich sichtbar werden, dass die Umkehrung die Regel-Aus­nahme-Verhältnisses, die in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 als „Umkehr des bisher bestehenden Systems“122 bezeichnet wird, ein Dekonstruktionsprogramm für Förderschulen war. Hat nämlich der Prozess der Schulschließungen erst einmal begonnen, wird er eine Eigendynamik entfalten. Das ohnehin nicht dichte Netz öffentlicher Förderschulen Lernen oder geistige Behinderung oder soziale Entwicklung wird infolge dieser Zusammenlegungen bzw. Schließungen innerhalb kürzester Zeit extrem weitmaschig werden. Die verbleibenden Schulen sind dann für viele Schüler nicht mehr in zumutbarer Entfernung erreichbar.123 121 Bereits zum 1.8.2015 wurde die Förderschule Lernen in Schwalbach durch „Zusammenlegung“ mit der Förderschule Saarlouis aufgelöst und wird nur noch übergangsweise als deren Dependance geführt (Schulorganisationserlass vom 21.7.2015 [Amtsbl. II S. 754]). Die Förderschule Lernen in Saarbrücken-Dudweiler (Mozartschule)  wird zum 31.7.2018 aufgelöst (Schulorganisationserlass vom 20.7.2016 [Amtsbl. I S. 601]). Im Übrigen siehe die im Ergebnis gleichlautende Prognose für Nordrhein-Westfalen als Folge der Umkehrung des Regel-­ Ausnahme Verhältnisses bei Faber, Die Umsetzung der Inklusion durch das Neunte Schulrechtsänderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2014, 8 (12). 122 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 18. 123 Diese Konsequenz wird von Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (176), in aller Offenheit benannt: „Wenn in erwartbarer Zeit etwa die Hälfte aller Eltern dieser Förderschulen [nämlich der Förderschulen Lernen, Sprache und soziale Entwicklung; Anm. d. Verf.] inklusive Bildung wählen wird, können viele Förderschulstandorte nicht mehr gehalten werden, was zu längeren Schulwegen oder gar zur Einrichtung von Schulinternaten führen wird.“ Auch Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 58, Fn. 131, räumen ein, dass die Zusammenlegung von Förderschulen „möglicherweise zu nicht mehr hinnehmbaren Schulwegen für einzelne Schüler“ führt.

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Um die Tragweite etwaiger künftiger Entscheidungen über Standorte öffentlicher124 Förderschulen im Saarland zutreffend einschätzen zu können, seien diese zunächst hier aufgeführt (Schuljahr 2015/16): –– Förderschule für Blinde und Sehbehinderte (1): Lebach –– Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige (1): Lebach –– Förderschule Sprache (1): Sulzbach –– Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung (2): Homburg, Püttlingen –– Förderschulen soziale Entwicklung (3): Saarbrücken, Saarlouis, St. Wendel –– Förderschulen geistige Entwicklung (7): Heusweiler, Homburg, Merzig, Namborn, Neunkirchen, Saarbrücken-Dud­weiler, Saarwellingen –– Förderschulen Lernen (16): Blieskastel, Friedrichsthal, Homburg, Illingen, Le­bach, Losheim, Merzig, Neunkirchen, Ober­thal, Saarbrücken-Altenkessel, Saarbrücken-Am Ludwigsberg, Saarbrücken-Dudweiler, Saarlouis, St. Ingbert, Völklingen, Wadern Diese Darstellung der Schullandschaft macht deutlich, dass dem Gesetzgeber im Saarland bei der Regelung des geordneten Schulbetriebs für Förderschulen mit Rücksicht auf die Belastung der Schüler durch überlange Schulwege enge Grenzen gesetzt sind, soweit nicht ohnehin einzelne Förderschultypen nur an einem bzw. zwei bzw. drei Standorten vorhanden sind. Die hierzu ergangenen Regelungen tragen dieser Erkenntnis insoweit Rechnung, als sie der Schuladministration die rechtliche Handhabe bieten, auch bei sehr geringer Schülerzahl eine Schule weiterzuführen. Denn in § 9 Abs. 2 Nr. 5 SchoG, der den geordneten Schulbetrieb der Förderschulen regelt, werden „wenigstens vier aufsteigende Klassen“ vorgeschrieben, ohne dass dabei eine Mindestschülerzahl genannt wird. Außerdem enthält § 9 Abs. 4 SchoG eine weitreichende Ausnahmebestimmung: (4) Werden die in Absatz 2 angegebenen Mindestvorgaben unterschritten, können Schulen ausnahmsweise fortgeführt werden, wenn der Maßnahme, insbesondere der Zusammen­ legung oder Schließung, im Einvernehmen zwischen Schulaufsichtsbehörde und Schulträger wichtige pädagogische, organisatorische, siedlungs- oder wirtschaftsstrukturelle Gründe entgegenstehen.

Allerdings war diese bereits vor der gesetzlichen Regelung der inklusiven Schule bestehende Regelung nicht konzipiert für die Situation, die sich nunmehr aus der Umsetzung des Konzepts der inklusiven Schule ergeben wird. Landesregierung und Landesgesetzgeber haben im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung der inklusiven Schule wohlweislich keine Aussage zur künftigen Hand 124 Bei der Standortplanung und damit hinsichtlich der Frage der Erreichbarkeit in zumutbarer Entfernung haben Schulen in freier Trägerschaft außer Betracht zu bleiben, da kein Schüler zu ihrem Besuch verpflichtet werden kann.

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habung der Vorschriften über den geordneten Schulbetrieb bei den Förderschulen gemacht oder gar eine neue Regelung getroffen. Denn damit hätten sie ihre Einschätzung über den künftigen Bestand der Förderschulen offengelegt. In Nr. 1 des Erlasses betreffend die Regelung des Zubringerdienstes für Schüler der Sonderschulen vom 1.9.1978125 ist festgelegt, dass die tägliche Gesamtfahrzeit für die Hin- und Rückfahrt 110 Minuten nicht überschreiten darf.126 Diese Obergrenze wird bereits heute aus Gründen der kostenmäßigen „Optimierung“ der Fahrtrouten durch das Fahren weiter Schleifen nicht selten überschritten.127 Eine Reduzierung der Zahl der Förderschulstandorte würde diese Probleme verschärfen und für viele Schüler zu nicht mehr zu verantwortenden Fahrzeiten führen.128 Bereits wenige Schulschließungen etwa bei den Förderschulen Lernen werden dazu führen, dass sich die Schulwege für die lernbehinderten Schüler zu den vorübergehend noch verbleibenden Schulstandorten so verlängern, dass diese Schulen für viele Schüler nicht mehr in zumutbarer Entfernung erreichbar sind. Dieser Konzentrationseffekt wird sich aus sich selbst heraus beschleunigen und dürfte in absehbarer Zeit das Ende der Förderschulen Lernen zur Folge haben. Bei der Realisierung dieses Schulschließungsprogramms käme dem Kultusministerium zustatten, dass von der in § 9 Abs. 4 SchoG vorgesehenen Möglichkeit, von den Vorgaben für den geordneten Schulbetrieb Ausnahmen zuzulassen, nur „im Einvernehmen“129 mit dem Schulträger Gebrauch gemacht werden kann. Eine zur Schließung von Förderschulen entschlossene Schuladministration wird versuchen – vergleichbar mit der Vorgehensweise des Kultusministeriums bei der Errichtung der Gesamtschulen bzw. bei der Auflösung der H ­ auptschulen in den­ 125

GMBl. Saar S. 715. In der Antwort der Landesregierung zu Frage 14 der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion betr. Lage des Sonderschulwesens im Saarland und Frage der Integration Behinderter in Regelschulen, LT-Drucks. 9/2286 vom 16.8.1989, wird mitgeteilt, dass von 2.797 Schülern an Schulen für Behinderte 1.973 Schüler mit dem Schulbus bzw. Spezialfahrzeugen zu den einzelnen Schulstandorten befördert werden. An dieser Beförderungsquote von 70 % im Rahmen eines Schülerspezialverkehrs dürfte sich bis heute nicht viel geändert haben. 127 Im Übrigen stellt sich die Frage, ob diese offiziell geltende zeitliche Grenze für behinderte Kinder nicht viel zu hoch angesetzt ist. Wohl aus optischen Gründen blieb man mit „110 Minuten“ geringfügig unter der Grenze von zwei Stunden, deren Nennung wohl nicht opportun erschien. Auch ist wohl ausgeblendet worden, dass viele dieser Kinder im Grundschulalter sind; außerdem sind von dieser Regelung auch schwerstmehrfachbehinderte Kinder betroffen. 128 Vgl. zur Frage der Zumutbarkeit des Schulweges auch OVG d. Saarl., Beschl. v. 31.7.1986, 1 W 955 bis 960/86, SPE N. F., Leitzahl 132, Nr.  31, S.  46 (47); VG d. Saarl., Beschl. v. 30.7.1991, 1 F 80/91, amtl. Umdruck S. 9 f.; VG d. Saarl., Beschl. v. 6.2.1997, 1 F 3/97, amtl. Umdruck S. 14; NdsOVG, Urt. v. 20.2.2002, 13 L 3502/00, NVwZ-RR 2002, 580 ff.; OVG d. Saarl., Beschl. v. 29.9.2004, 3 W 18/04, Rn. 30, http://www. juris.de (Zugriff: 9.8.2011). Im Übrigen siehe zur Zumutbarkeit des Schulweges als Element eines vom Staat zu gewährleistenden Schulangebotes oben sub Kap. 14 D. V. 1. b). 129 Mit der Normierung des Einvernehmens ist das vom BVerfG, Beschl. v. 19.11.2014, 2 BvL 2/13, DÖV 2015, 335 (341), geforderte „wirksame Mitentscheidungsrecht“ des kommu­ nalen Schulträgers gewährleistet. 126

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achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts130 –, die Gemeindeverbände als Schulträger der Förderschulen Lernen und der Förderschulen geistige Entwicklung für eine entsprechende Initiative zu gewinnen, um nicht selbst als Initiator dieses finalen Aktes auftreten zu müssen. Für die kommunalen Schulträger liegt das wohlfeile politische Argument parat: Kostenersparnis. Sie werden untereinander in einen Wettbewerb um die möglichst rasche Abwicklung ihrer Förderschulen treten. An der Letztverantwortung des Kultusministeriums für die Schulstandortplanung und das Bildungsangebot für behinderte Kinder wird dies allerdings nichts ändern. Für die Schließung der Förderschule Sprache und der Förderschulen soziale Entwicklung wäre das Land als Schulträger dieser Schulen zuständig. 3. Perspektive der Förderschule im Spiegel von Beschlüssen und Erklärungen Es stellt sich die Frage, wie sich diese Prognose zu der die Elternrechte betreffenden Regelung in § 4 Abs. 3 SchoG 2014 und § 5 Abs. 4 Satz 1 SchPflG 2014 verhält. Im Kern geht es darum, ob und wie die Schuladministration sicherstellt, dass diese Bestimmungen im Ergebnis nicht leerlaufen und dass nach wie vor Förderschulen in jeweils zumutbarer Entfernung als Voraussetzung eines substanziellen Wahlrechts der Eltern zur Verfügung stehen. a) Regierungserklärung der Ministerpräsidentin und Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Zum Thema „inklusive Schule“ hat Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) beim Start der Großen Koalition in ihrer Regierungserklärung vom 16.5.2012 ausgeführt: „Die UN-Konvention verpflichtet uns zur Inklusion […]. Deshalb werden wir diese Verpflichtung zur Inklusion, die wir eingegangen sind, mit einem Aktionsplan Schritt für Schritt umsetzen. Dabei wollen wir für jeden das passende Angebot bereithalten. Die Landesregierung wird zur konzeptionellen Umsetzung des Artikels 24 der UN-Behindertenrechtskonvention die Integrationsverordnung überarbeiten und ein echtes Wahlrecht etwa zwischen Regelschulen und Förderschulen sichern. Auch das hat etwas mit selbstbestimmtem Leben zu tun […].“131 Was es mit diesem „echten Wahlrecht“ in Wirklichkeit auf sich hat, wird sichtbar, wenn man den von der Ministerpräsidentin angekündigten und am 17.8.2012 vom Kabinett beschlossenen „Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ heranzieht. Dieses Regierungsdokument 130

Siehe oben sub Kap. 11 B. I. Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 33 f.

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führt zu einer sehr viel realistischeren Einschätzung der Auswirkungen des Gesetzes zur Änderung von schulrechtlichen Gesetzen 2014 vom 25.6.2014, als dies bei einer ausschließlich am Gesetzestext orientierten Beurteilung möglich ist. Im Aktionsplan heißt es unter der die Bildung betreffenden Nr. 2 einleitend: „Mit der schulischen Bildung werden für die späteren Teilhabechancen in allen Lebens­ berei­chen entscheidende Weichen gestellt. Die Unterrichtung und Erziehung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf erfolgt sowohl in Förderschulen wie in gemeinsamer Unterrichtung an Regelschulen. Das Anliegen der UN-Behindertenrechts­ konvention ist es, auf einen gemeinsamen, inklusiven Schulbesuch hinzuwirken. Dieses Ziel gilt in gleicher Weise für alle weiterführenden Bildungsformen in Hochschulen und Erwachsenenbildung. Für den Bereich der schulischen Bildung wird den Erziehungsberechtigten ein echtes Wahlrecht zwischen Regelschulen und Förderschulen gesichert. Dabei darf die Fortführung von Sonderformen dem Inklusionsgedanken nicht entgegenstehen, denn das langfristige Ziel ist, Sonderformen durch eine inklusive Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche entbehrlich zu machen.“132

Der letzte Satz dieses Zitates schafft Klarheit: Entgegen dem Wort der Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vom „echten Wahlrecht“ zeichnet sich ab, dass es am Ende keine objektive Wahlmöglichkeit für die Eltern des behinderten Kindes mehr geben wird. Wenn keine „Sonderformen“, sprich: Förderschulen, mehr da sind, weil sie aufgrund einer „inklusiven Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche entbehrlich“ gemacht wurden, dann ist dies eine Absage an die aus anthropologischen Gründen zu fordernde Möglichkeit einer personalen Integrationsentscheidung.133 Vielmehr hat man es hier mit einem quasitotalitären Denk- und Handlungsansatz zu tun, bei dem für Alternativen kein Raum ist. Damit ist auch klar, dass die im zweiten Satz des obigen Zitates aus dem Ak­ tionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention enthaltene Aussage, wonach die Unterrichtung und Erziehung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf „sowohl in Förderschulen wie in gemeinsamer Unterrichtung an Regelschulen [erfolgt]“, nur die Beschreibung der aktuellen Situation darstellt, aber nicht als Garantie eines dualen Systems sonderpädagogischer Förderung gemeint ist. Es überrascht daher nicht, dass im detaillierten Maßnahmenkatalog des Aktionsplans der Landesregierung bereits die „Zusammenlegung von Förderschulen in Abstimmung mit den Schulträgern bei Rückgang der Zahl der Kinder an Förderschulen“134 enthalten ist. Das Ziel, „Sonderformen“ und damit auch die Förderschulen „entbehrlich“ zu machen, geht der Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behin­ dertenrechtskonvention mit Entschlossenheit an. Denn dort steht gleich zwei Mal 132 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, S. 19. 133 Siehe oben sub Kap. 12 A. 134 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, S. 28.

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der Satz: „Die Landesregierung strebt an, das von der Bundesregierung an­visierte Ziel einer Inklusionsquote von 50 % bereits bis zum Jahr 2016 deutlich zu überschreiten.“135 Diese selbstgesetzte Zielvorgabe bedeutet perspektivisch einen weitgehenden „Rückbau“ vor allem jener Förderschultypen, deren Schüler in den Augen der Protagonisten der inklusiven Schule nicht behindert sind, nämlich der Förderschulen Lernen, der Förderschule Sprache und der Förderschulen soziale Entwicklung. Denn die Schüler mit diesen Förderschwerpunkten machten im Schuljahr 2011/12 im Saarland 73 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus.136 Parallel hierzu sollen dem Aktionsplan der Landesregierung zufolge „Förderschulen zu sonderpädagogischen Kompetenzzentren umgebaut werden.“ Dieses Ziel wird auch von Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) angestrebt: „Die bestehenden Förderzentren sollten sich zu Zentren für Prävention, Beratung und unterstützende Pädagogik weiterentwickeln.“137 Im Klartext heißt das: Während es sich bei den bisher bestehenden Förderzentren gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 SchoG 1986 um reguläre Förderschulen handelte,138 werden an diesen zu Kompetenzzentren „umgebauten“ Förderschulen keine Schüler mehr unterrichtet. Aus Förderschulen werden Serviceeinrichtungen ohne Schüler. In § 4a Abs. 5 SchoG 2014 wurde die dazu erforderliche Rechtsgrundlage geschaffen. Der Weg zu dieser „Weiterentwicklung“ der Förderzentren ist auch in § 16 Abs. 3 InklVO vorgezeichnet, der folgenden Wortlaut hat: (3) Die bestehenden sonderpädagogischen Förderzentren haben die vorrangige Aufgabe, die inklusive Arbeit der allgemein bildenden und beruflichen Regelschulen sonderpädagogisch zu unterstützen.139

Außerdem ist die Entschlossenheit der Regierung zu einer systematischen Beratung der Eltern behinderter Kinder in Sachen Inklusion zu erwähnen, die bereits im Koalitionsvertrag der Großen Koalition thematisiert wird. Darin heißt es: „Alle die Bildung betreffenden rechtlichen Regelungen werden auf ihre Kompatibilität mit der UN-Behindertenrechtskonvention hin überprüft und ggf. angepasst, 135 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, ebd., S.  21, 23.  Diese Ankündigung wird in der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Jasmin Maurer (PIRATEN) betr. Maßnahmen zur Unterstützung der Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf, LT-Drucks. 15/277 vom 14.12.2012, bekräftigt. 136 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, 5. Landesplan Menschen mit Behinderungen im Saarland, S. 56. 137 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 8, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). Näheres zur Einordnung und zum Hintergrund der Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013 und des darauf bezogenen Beschlusses der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013 siehe unten sub Kap. 17 D. I. 3. a), Fn. 181, 182, 183. 138 Siehe oben sub Kap. 1 C., Fn. 57. 139 Hervorh. d. Verf.

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dabei wird auch das Thema einer fachlichen Beratung der Eltern bei Fragen der Ein- und Umschulung berücksichtigt.“140 Dementsprechend ist im Maßnahmen­ katalog des Aktionsplans der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland die „Ausbildung von ‚Schulberatern Inklusion‘ in Kooperation verschiedener Ausbildungsträger“141 angekündigt. Ihre Aufgabe wird es sein, die Eltern über den richtigen Ort der sonderpädagogischen Förderung ihres Kindes zu beraten und ihnen hierbei auch die richtige Einstellung zur inklusiven Schule zu vermitteln. Dabei dürfte es für diese institutionalisierten Berater den größten Teil ihrer Anstrengung ausmachen, keinem Hang zur Einseitigkeit nachzugeben. Denn die Beratung findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in der durch den Koalitionsvertrag, den Aktionsplan der Landesregierung und die schulgesetzliche Regelung geprägten programmatischen Atmosphäre. Diese zeigt sich z. B. in den konzeptionellen Vorstellungen zuständiger Funktionsinhaber. So ist Ilka Hoffmann, die Leiterin der „Beratungsstelle schulische Integration/Inklusion“ in dem zum Geschäftsbereich des Kultusministers gehörenden Landesinstitut für Pädagogik und Medien142 und zeitweilig, d. h. bis zu ihrer Wahl in den geschäftsführenden Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft im Juni 2013 kommissarische Inklusionsbeauftragte im Ministerium für Bildung und Kultur war,143 der Auffassung, dass es sich bei Kindern in den „Förderbereich[en] Lernen, Sprache und Erziehungshilfe“ um Kinder handelt, „[…] die keine Behinderung im eigentlichen Sinne haben […].“144 Dass eine solche Grunddisposition für die Arbeit dieser Beratungsstelle richtungsweisend ist, sollte niemanden überraschen. Das ist umso bedeutsamer, als zu den Aufgaben der Beratungsstelle nicht nur die Beratung der Schulen und Lehrkräfte gehört, sondern auch die Lehrerfortbildung in Sachen Inklusion sowie die Ausbildung speziell für die Beratung der Eltern vorgesehener Beratungslehrer. Bei nicht wenigen Verfechtern der „inklusiven Schule“ ist die Vorstellung von einer fraglosen und generellen Überlegenheit der integrativen/inklusiven Unterrichtung gegenüber den Förderschulen – von der in Wirklichkeit nicht die Rede sein kann145 – so dominierend, dass nicht auszuschließen ist, dass hiervon auch die „Beratung“ determiniert wird.146 140 CDU/SPD, Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012–2017), S. 29. 141 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, S. 29. 142 Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM), Fortbildungsprogramm 2012/2013, S. 21. 143 Pressemitteilung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 17.6.2013; SZ Nr.  137 vom 17.6.2013, S B 2, Ilka Hoffmann im GEW-Bundesvorstand; SZ Nr. 92 vom 20./21.4.2013, S. B 2, Neue kommissarische Inklusionsbeauftragte. 144 So Hoffmann, Expertin warnt vor Scheitern der Inklusion. Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr. 229 vom 1.10.2012, S. B 2.  145 Siehe oben sub Kap. 13 D. 146 Wenn es nach Pörksen, Exklusion/Integration/Inklusion. Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung in Hamburg, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 21 (27 f.), geht, „könnte in sicher äußerst seltenen Einzelfällen eine Anrufung des Familiengerichts angezeigt sein. Dieses müsste

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b) Inklusionsplanungen und Erklärungen des Kultusministers, Beschluss der Koalitionsfraktionen Die Einschätzung, dass mit einer Marginalisierung bzw. der Abwicklung der Förderschulen zu rechnen ist, wird bestätigt durch eine Ausarbeitung des von Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) geleiteten Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013. Danach sollen die meisten Förderschulen im Wege des Auslaufens verschwinden; nur für Schüler mit „ausgeprägten Behinderungen“ – was auch immer darunter zu verstehen ist – soll in jedem Landkreis eine Förderschule „mit multiprofessionellem Team […] intensivpädagogische Angebote“147 machen. Zwar ist von den Koalitionsfraktionen anschließend Folgendes beschlossen worden: „Die öffentlichen Förderschulen [bleiben] in Struktur und Bestand auf der Basis des beginnenden Schuljahres 2013/2014 erhalten. Ausscheidende Lehrkräfte werden ersetzt. Ein möglicherweise durch zurückgehende Schülerzahlen erforderliches Auslaufen bzw. die Schließung einzelner Förderschulstandorte werden dem Kabinett zur Beschlussfassung in jedem Einzelfall vorgelegt.“148 Doch stellt auch dieser Beschluss die Schließung von Förderschulen nicht grundsätzlich infrage, zumal die lapidare Aussage „zurückgehende Schülerzahlen“ nicht nur die demographische Entwicklung, sondern auch den Rückgang der Schülerzahlen an den Förderschulen infolge des systematischen Ausbaus der inklusiven Schule umfasst. Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) wurde im Anschluss an die traditionelle Pressekonferenz des Kultusministeriums zu Beginn des neuen Schuljahres wie folgt zitiert: „Schulen würden ‚kindfähig‘ gemacht. Alle Kinder gehörten in die Regelschule. Die Aufnahme in eine Förderschule müsse dann gesondert beantragt werden. Mit dem inklusiven Unterricht werde in den Eingangsklassen begonnen.“149 Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Erwähnung des Rechts der Eltern, für ihr behindertes Kind auch die Förderschule wählen zu können, nicht dann prüfen, ob das mutmaßliche Interesse des Kindes stärker zu berücksichtigen wäre als das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 GG – eine in vieler Hinsicht schwierige Entscheidung!“ Dass die zum damaligen Zeitpunkt im Bereich Qualitätsentwicklung und Inklusion bei der Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg tätige Autorin einen solchen Gedanken überhaupt ins Spiel bringt, könnte Anlass sein, sich Vorstellungen zu machen über den möglichen Ablauf so mancher „Inklusionsberatung“. 147 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 8, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 148 Fraktionen von CDU und SPD im Landtag des Saarlandes, Gemeinsam Lernen in der Grundschule. Eckpunkte der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013, S. 2. Näheres zur Einordnung und zum Hintergrund der Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013 und des darauf bezogenen Beschlusses der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013 siehe unten sub Kap. D. I. 3. a), Fn. 181, 182, 183. 149 Saarländischer Rundfunk, Inklusiver Unterricht an allen Schulen, Regionalnachrichten, Saartext, 13.8.2013, 16:34 Uhr, http://www.sr-online.de/sronline/nachrichten/regionalnachrichten/ index.html (Zugriff: 13.8.2013).

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viel mehr ist als eine Pflichtübung.150 Aufschlussreich ist auch die Rede, die Kultusminister Ulrich Commerçon am 4.11.2013 vor der Mitgliederversammlung des Saarländischen Städte- und Gemeindetages gehalten hat: „Wir wollen den Erziehungsberechtigten ein echtes Wahlrecht gewähren. Dies bedeutet, dass grundsätzlich alle Kinder, aufsteigend beginnend mit Klassenstufe 1, an einer Schule der Regelform eingeschult und unterrichtet werden. Eltern von Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung können jedoch weiterhin grundsätzlich wählen, ob ihre Kinder eine allgemeinbildende Schule der Regelform oder eine Förderschule besuchen sollen.“151 Die Wortwahl in beiden Sätzen dieses Zitats macht deutlich: Man hat sich darauf einzustellen, dass das Optionsrecht der Eltern für die Förderschule bei dem zu erwartenden Wegfall von Förderschulen im Saarland substanziell relativiert werden wird. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen bemerkenswert, die Kultusminister Ulrich Commerçon bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 im Landtag des Saarlandes am 25.6.2014 gemacht hat: „[…] auch die Zukunft der Förderschulen wurde eingehend diskutiert. Ich kann nur warnen, darüber einen Glaubenskrieg zu führen. Förderschulen, insbesondere unsere Förderzentren sind und bleiben wichtige Bestandteile unseres Schul- und Fördersystems. […] Die Frage allerdings, wie viele Förderschulstandorte wir mittel- und langfristig, also über die Dauer der Legislaturperiode hinaus, brauchen, hängt nicht unwesentlich von Bedingungen ab, die wir gar nicht direkt beeinflussen können. Dazu zähle ich nicht nur die demographische Entwicklung. Abhängig ist das vor allem auch davon, inwieweit sich die Wahrnehmung des Elternwahlrechts in den nächsten Jahren auswirkt. Ab dem kommenden Schuljahr sollen grundsätzlich alle schulpflichtigen Kinder im Einzugsbereich einer Grundschule in die Klassenstufe 1 aufgenommen werden. Das heißt, wir steigen jetzt ein in einen mehrjährigen Prozess der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Eltern können im Rahmen ihres Wahlrechts künftig eine Beschulung in der Förderschule wählen oder bei der Regelschule bleiben. Welche Auswirkungen sich daraus ergeben, kann derzeit logischerweise seriös niemand vorhersagen. Elternwahlrecht, Wahlfreiheit bedeutet ja gerade, dass nicht die Behörde die Vorgabe macht, sondern dass das Recht der Eltern ernst genommen werden muss.“152

In Kenntnis der Zusammenhänge fällt es schwer, die Ungewissheit nachzuvollziehen, die Kultusminister Commerçon diesen Ausführungen zufolge für sich in 150 In dem Bericht von Treitz, Minister versprach nur, was er auch halten kann. Und das war recht wenig im Gespräch mit SLLV-Vorstand, Lehrer und Schule heute 2012, 194, über das Gespräch, das der Vorstand des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (SLLV) zu Beginn des Schuljahres 2012/13 im Kultusministerium mit Minister Commerçon führte, heißt es im Anschluss an die Frage des Vorstandsmitglieds Peter Weber, „ob die Wahlfreiheit der Eltern für alle Formen der Förderschulen bestehen bleibe […]“: „Die Wahlfreiheit zwischen Regel- und Förderschule sei ein Kompromiss, entgegnete der Minister.“ Außerdem heißt es in dem ­Bericht: „Auf die Frage des SLLV-Vorsitzenden Herbert Möser ‚Wollen Sie Förderschulen schließen?‘ antwortete der Minister lapidar: ‚Wir haben einen Inklusions-Auftrag!‘“. 151 Commerçon, „Gemeinsam geht Bildung besser.“, SKZ 2013, 219 (224) (Hervorh. d. Verf.). 152 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2173.

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4. Teil: Inklusive Schule

Anspruch nimmt.153 In diesen Zweifeln kann man sich bestätigt sehen durch folgende Erklärung der Beauftragten der Regierung in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 19.11.2015: „Förderschulen als Einrichtungen, deren Besuch an das Merkmal Behinderung geknüpft ist, entsprechen den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention nicht. Dies wurde erst in diesem Jahr bei der Anhörung der deutschen Delegation in Genf von dem UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung deutlich betont.“154 153 Von bemerkenswerter Offenheit sind die Ausführungen der zum damaligen Zeitpunkt im Bereich Qualitätsentwicklung und Inklusion tätigen Mitarbeiterin der Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg Pörksen, Exklusion/Integration/Inklusion. Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung in Hamburg, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 21 (32): „Das vielfach von Eltern eingeforderte Wahlrecht zwischen Regel- und Sonderschulen setzt Wahlmöglichkeiten und damit das Fortbestehen einiger Sonderschulen voraus. Diese Parallelität der Systeme erschwert zwar den Aufbau und die qualitative und quantitative Weiterentwicklung inklusiver Grundund weiterführender Schulen, ist aber als vertrauensbildende Maßnahme (nicht nur für Eltern) unabdingbar und ermöglicht eine sukzessive Ausweitung von Inklusion. Die Entwicklung zu einem wirklich flächendeckenden inklusiven Bildungssystem funktioniert zudem nur mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Förder- und Sonderschulen und nicht gegen sie. […] Irgendwann aber wird diese Schulform vermutlich so selten angewählt werden, dass ein separates Sonder- bzw. Förderschulsystem gegenüber einem vollintegrierten Schulsystem unwirtschaftlich wird. Außerdem besteht die Gefahr des Entstehens sehr trauriger Restgruppen.“ 154 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien unter Hinzuziehung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landtags des Saarlandes am 19.11.2015, Sitzungsniederschrift S. 18 (Hervorh. d. Verf.). Die Beauftragte der Regierung bezieht sich damit wohl auf CRPD, Concluding Observations on the Initial Report on Germany, 17.4.2015 (Abschließende Bemerkungen über den Ersten Staatenbericht Deutschlands), § 46 (b)  zu Art.  24 VN-BRK, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_up (Zugriff: 15.2.2016), der wie folgt lautet: „Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, im Interesse der Inklusion das segregierte Schulwesen zurückzubauen, und empfiehlt, dass Regelschulen mit sofortiger Wirkung Kinder mit Behinderungen aufnehmen, sofern dies deren Willensentscheidung ist.“ In diesem Sinne hatte auch die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte als Monitoring-Stelle zur VN-Behindertenrechtskonvention, Parallelbericht an den UNFachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen anlässlich der Prüfung des ersten Staatenberichts Deutschlands gemäß Artikel 35 der UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 24 (Nr. 133–135), http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_up (Zugriff: 15.2.2016), gegenüber dem VN-Fachausschuss gelautet: „Das Festhalten an einer Doppelstruktur behindert den im Vertragsstaat erforderlichen Transformationsprozess, in dessen Zuge die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen der sonderpädagogischen Förderung in die allgemeine Schule verlagert werden könnten. Von einer Weichenstellung hin zu einen ‚inklusiven System‘ kann erst dann gesprochen werden, wenn die sonderpädagogische Förderung systematisch und strukturell in die allgemeine Schule verankert wird und gleichzeitig trennende Strukturen im Bereich der schulische Bildung überwunden werden. Die Monitoring-Stelle regt an, dass der CRPD-Ausschuss dem Vertragsstaat (Länder) empfiehlt, soweit noch nicht geschehen, die Weichen zum Aufbau eines inklusiven Bildungssystems zu stellen, insgesamt seine Anstrengungen in Bezug auf inklusive schulische Bildung zu verstärken und die schulische Segregation zu überwinden.“ (Hervorh. d. Verf.). Demgegenüber war, wie oben sub Kap. 16 D. II. 2. c), Fn. 190, dargelegt, im Ersten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland die Bedeutung auch der Förderschulen als Ort der sonderpädagogischen Förderung neben der inklusiven Unterrichtung betont worden.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

541

Diese Erklärung, die von der Beauftragten der Regierung im unmittelbaren Anschluss an ihren Hinweis auf die gesetzliche Regelung der Inklusion mit Gesetz vom 25.6.2014155 abgegeben wurde, ist geradezu die offizielle Dementierung dessen, was in dieser Gesetzesnovelle zur Förderschule gesagt wird. c) Beschlusslage im Lichte der Änderung der Verfassung des Saarlandes vom 15.6.2011 aa) Streichung der Förderschule aus dem Katalog der institutionell garantierten Schulformen des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 Es ist oben156 im Einzelnen dargelegt worden, wie es zu dem Verfassungskompromiss von SPD und CDU vom 27.3.1996157 kam, der zu einer institutionellen Garantie der in Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 genannten Schulformen, darun­ ter die Förderschulen, führte. Es wurde aufgezeigt, dass auf Seiten der SPD in Wirklichkeit eine innere Zustimmung zu einem aus integrativer Unterrichtung und Förderschulen bestehenden dualen System sonderpädagogischer Förderung nicht gegeben war, dass die SPD der Verankerung der Förderschule in der Verfassung damals aber aus einem spezifischen politischen Kalkül zugestimmt hat. Bei der Änderung der Verfassung des Saarlandes durch das Gesetz vom 15.6.2011158 wurde u. a. die Förderschule aus Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 gestrichen. Das entsprach einer Forderung der Partei Bündnis 90/Die Grünen und geschah im Zuge einer Verfassungsänderung, die erforderlich war, um einer von Bündnis 90/Die Grünen geforderten weitreichenden Änderung der Schulstruktur im Bereich der Sekundarstufe I entsprechen zu können. Bereits im Vorfeld der Verfassungsänderung vom 27.3.1996 hatte Bündnis 90/Die Grünen eine Verankerung der Förderschule in der Verfassung ausdrücklich abgelehnt. Die Zustimmung der CDU zur Verfassungsänderung, welche mit den Stimmen der sog. Jamaika-Koalition (CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen) und mit Hilfe der Stimmen der Fraktion Die Linke am 15.6.2011 beschlossen wurde, geschah, u. a. was die Förderschule betraf, unter Hintanstellung eigener Überzeugungen um des Machterhaltes willen. Denn die CDU hatte bei der Landtagswahl am 30.8.2009 starke Stimmenverluste erlitten.159 Ihr Verbleiben in der Regierung hing mangels einer Alternative vom Zustandekommen einer sog. Jamaika-Koalition ab. 155

Amtsbl. I S. 296. Siehe sub Kap. 11 B. 157 Amtsbl. S. 422. 158 Amtsbl. I S. 236. 159 Mit einem Stimmenverlust von 13 Prozentpunkten hatte die CDU Saar das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis der CDU bei den sechs Landtagswahlen des Jahres 2009 erreicht. Siehe die Übersicht bei Bartsch/Beste/Kurbjuweit/Pfister, Team mit elf Torhütern, „Der Spiegel“ Nr. 22 vom 31.5.2010, S. 20. 156

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4. Teil: Inklusive Schule

Nachdem Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am 6.1.2012 die sog. Jamaika-Koalition für gescheitert erklärt hatte und im Anschluss an die Landtagswahl vom 25.3.2012 eine Große Koalition aus CDU und SPD gebildet worden war, fand der neue Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) hinsichtlich der Förderschule eine verfassungsrechtliche Lage vor, die den von seiner Partei im Prinzip immer schon vorhandenen Überzeugungen nicht entgegenstand. Der Kultusminister der Großen Koalition Ulrich Commerçon und der Kultusminister der sog. Jamaika-Koalition Klaus Kessler (Bündnis 90/Die Grünen), der die Verfassungsänderung vom 15.6.2011 gefordert und auf ihre Ausgestaltung maßgeblichen Einfluss genommen hatte, verbindet also hinsichtlich der Förderschulen eine weitgehend gleiche Grundhaltung. Es liegt daher nahe, bei der Würdigung der nunmehr unter Kultusminister Commerçon in Angriff genommenen Verwirklichung der inklusiven Schule auch auf jene Überlegungen zurückzugreifen, die bei der Streichung der Förderschule aus der Verfassung des Saarlandes mit Gesetz vom 15.6.2011 eine Rolle spielten. In der Begründung des von der Landesregierung eingebrachten Entwurfs des Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Saarlandes, durch das am 15.6.2011 die Grundschulen, die Förderschulen und die Erweiterten Realschulen aus Art. 27 Abs. 3 1996 gestrichen wurden, heißt es: „Der Verzicht auf die ausdrückliche Nennung von öffentlichen Grund- und Förderschulen, die im bisherigen Wortlaut des Artikels 27 Absatz 3 enthalten waren (und in Artikel 28 Absatz 2 und 4 weiterhin genannt werden), ergibt sich für die Grundschule aus deren auch ohne ausdrückliche Nennung in Absatz 3 ungefährdeten [sic!] Stellung. Gleiches gilt für Förderschulen, da diese für die Fälle, in denen eine Unterrichtung in der Regelschule nicht möglich ist, nach wie vor vorgehalten werden müssen. Damit besteht für beide Schulformen keine Notwendigkeit, sie in Absatz 3 zu nennen.“160

Schlüsselbegriff in dieser Argumentation der Landesregierung ist also die „ungefährdete Stellung“. Das könnte zu Rückschlüssen führen auf das, was mit „Schulfrieden“ gemeint ist: Die Beschwörung des mit dieser Änderung der Verfassung des Saarlandes angeblich erreichten „dauerhaften Schulfriedens“161 bei gleichzeitiger Andeutung einer möglicherweise „gefährdeten“ Schulform ist eine eindrucksvolle Bestätigung dafür, dass von einem parteiübergreifenden, dauerhaft tragfähigen Konsens keine Rede sein kann. An dieser Stelle ist es mit den Händen zu greifen, dass die Auseinandersetzung über die Schulstruktur mitnichten beigelegt ist und dass in den interessierten Kreisen die grundlegende Veränderung des Schulsystems hin zu „einer Schule für alle“ („Einheitsschule“, „eingliedriges Schulsystem“) nach wie vor auf der Agenda steht. 160

LT-Drucks. 14/423 vom 16.3.2011, S. 5. Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer sagte am 24.8.2011 in ihrer ersten Regierungserklärung nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin, Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 1821: „Mit der Festschreibung des Zwei-Säulen-Modells aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule in der saarländischen Landesverfassung haben wir nach Jahrzehnten des Streits das Fundament für einen dauerhaften Schulfrieden gelegt.“ 161

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Es ist insbesondere der Umgang mit der Förderschule, an dem sich die latente Bereitschaft zu einer weiteren Veränderung des Schulsystems zeigt. Hier versuchte die Landesregierung etwaige Besorgnisse um die Existenz dieser Schulform zu zerstreuen mit dem Hinweis, dass man diese Schulen vorhalten müsse für die Fälle, in denen eine Unterrichtung in der Regelschule „nicht möglich ist“. Das ist jedoch bei grundrechtsorientierter Sichtweise nur einer der beiden Gründe, warum die Förderschulen vorgehalten werden müssen. Der andere Fall, dass nämlich Eltern sich bewusst für die Förderschule entscheiden, auch wenn die integrative/­inklusive Unterrichtung im konkreten Fall möglich, d. h. in verantwortbarer Weise realisierbar wäre,162 war in diesem Szenario der Landesregierung nicht vorgesehen. Eine Bestätigung für diese Einschätzung der von der Landesregierung eingenommenen Position lieferte in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 26.5.2011, in der eine Anhörung zu den Gesetzentwürfen zur Änderung der Verfassung des Saarlandes und zur Änderung schulrechtlicher Gesetze stattfand, der als Beauftragter der Regierung teilnehmende zuständige Abteilungsleiter im Kultusministerium. Er sagte in seiner Antwort auf die Frage, warum die Grundschulen und die Förderschulen aus der Verfassung des Saarlandes gestrichen wurden: „Es ist eine politische Entscheidung, dass die Grundschulen und die Förderschulen herausgefallen sind. Einer der Hintergründe dafür ist sicher die Diskussion über die Frage der UNKonvention. Das muss man sehen. Der Landesbeauftragte für Behinderte begrüßt, dass die Förderschulen nicht mehr in der Verfassung genannt werden. Das ist eine Entscheidung, die auf einer politischen Ebene gefallen ist und die keinen fachlichen oder juristischen Hintergrund in dem Maße hat. Sie schadet den betreffenden Schulformen nicht. Wir werden die Förderschule meines Erachtens eine ganze Weile brauchen, aber sie in einer neuen Textfassung festzuschreiben, wäre – zumindest, was die Förderschulen anbelangt; dafür habe ich ein gewisses Verständnis – ein falsches politisches Signal gewesen oder hätte in der breiten Öffentlichkeit missverstanden werden können. Die UN-Konvention sagt, schafft die Förderschulen faktisch ab. Das wäre eine politische Begründung, die vielleicht für die Politiker entscheidend gewesen ist. Alles darüber hinaus wäre eine Spekulation. Das bringt nichts. Es ist sicher eine gesetzte Entscheidung der Parteien, die diesen Verfassungskompromiss vorbereitet haben.“163

Diese Ausführungen des Beauftragten der Regierung lassen die fortgesetzte Beteuerung der Landesregierung und der sie tragenden Parteien, die Eltern eines behinderten Kindes sollten über ein echtes Wahlrecht zwischen integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschule verfügen, in einem anderen Licht erscheinen. Das galt für die sog. Jamaika-Koalition unter Ministerpräsident Peter Müller (CDU), welche mit dem Gesetz zur Änderung der Verfassung des Saar-

162

Siehe dazu oben sub Kap. 14 C. III. 2. b) und D. IV. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien am 26.5.2011, Sitzungsniederschrift S. 58 (Hervorh. d. Verf.). 163

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4. Teil: Inklusive Schule

landes vom 15.6.2011164 u. a. die bis dahin institutionell garantierte Förderschule aus Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 gestrichen hat; das gilt erst recht für die Große Koalition unter Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) und die auf einen Gesetzentwurf dieser Regierung zurückgehende Regelung der inklusiven Schule. Die oben wiedergegebene Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Saarlandes enthält den Hinweis auf die Erwähnung von Förderschulen (und Grundschulen) in Art. 28 Abs. 2 und 4 Verf. d. Saarl.165 Doch kann aus diesen Bestimmungen keine verfassungsrechtliche Garantie dieser Schulen als öffentliche Schulen abgeleitet werden, wie die Begründung des Entwurfs des verfassungsändernden Gesetzes mit der Zitierung dieser Vorschriften offenbar glauben machen will. Gegenstand der genannten Verfassungsbestimmungen sind die Genehmigungs- und Zulassungsvoraussetzungen privater Grundschulen und Förderschulen sowie Fragen der staatlichen Finanzhilfe für diese Schulen. Aus der Akzessorietät von Ersatzschulen gegenüber den entsprechenden öffentlichen Schulen kann nicht auf eine verfassungsrechtliche Existenzgarantie der entsprechenden öffentlichen Schule geschlossen werden, wie dies der zuständige Abteilungsleiter des Kultusministeriums in der erwähnten Ausschusssitzung aus Art. 28 Abs. 2 und 4 Verf. d. Saarl. herzuleiten versuchte: „Die Begründung stimmt insofern, als der Artikel 28 voraussetzt, dass im öffentlichen Schulwesen Grundschulen und Förderschulen da sind, auch wenn sie dort nicht genannt werden. Nur weil es die öffentlichen Grundschulen und Förderschulen gibt, kann es auch die privaten geben.“166

Wenn die Förderschulen unter Verstoß gegen den Bildungsanspruch des behinderten Kindes aus Art. 2 Abs.1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie gegen das Recht der Eltern zur Wahl des Bildungsweges ihres Kindes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. weitgehend abgeschafft werden, gewinnt der Ersatzschulbegriff allerdings Relevanz in des Wortes ursprünglichster Bedeutung: Eine private Förderschule ist dann für das behinderte Kind die einzige Möglichkeit, eine Förderschule besuchen zu können. Bei einem derartigen, durchaus realistischen Szenario den bundes- und landesverfassungsrechtlich gewährleisteten privaten Förderschulen eine Garantiewirkung für die Existenz ent­sprechender öffentlicher Schulen beilegen zu wollen, ist nicht nachvollziehbar.

164

Amtsbl. I S. 236. LT-Drucks. 14/423 vom 16.3.2011, S. 5. 166 Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Medien am 26.5.2011, Sitzungsniederschrift S. 58. 165

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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bb) Realisierungschancen von Privatschulinitiativen Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) hat zwar, wie erwähnt, in ihrer Regierungserklärung zum Start der Großen Koalition am 16.5.2012 im Zusammenhang mit dem „echte[n] Wahlrecht etwa zwischen Regelschulen und Förderschulen“ angemerkt: „Auch das hat etwas mit selbstbestimmtem Leben zu tun […].“167 Auch hat sie in dieser Regierungserklärung verlautbart, „es soll und darf keine Zwangsbeglückung vonseiten des Staates geben.“168 Sie steht mit Bekenntnissen dieser Art in der Kontinuität mit ihrem Vorgänger, Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der am 18.11.2009 in seiner Regierungserklärung nach dem Zustandekommen der sog. Jamaika-Koalition im Zusammenhang mit Aussagen zur Gestaltung des Schulwesens sagte: „Wahlfreiheit ist die Maxime dessen, was wir tun.“169 Wenn nach konsequenter Anwendung der schulrechtlichen Bestimmungen über die inklusive Schule der in dem Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vom 17.8.2012 enthaltene Maßnahmenkatalog abgearbeitet ist, wird für viele Eltern behinderter Kinder dieses Wahlrecht nur noch auf dem Papier stehen. Die faktische Zwangsinklusion ihres Kindes könnten Eltern abwenden, wenn sie das Kind in eine private Förderschule schicken. Art. 7 Abs. 4 und 5 GG sowie Art. 28 Verf. d. Saarl. enthalten eine institutionelle Garantie des Privatschul­ wesens. Die Errichtung von Privatschulen stellt hohe Anforderungen an das Engagement und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern. Zwar ist in Art. 28 Abs. 4 Satz 1 Verf. d. Saarl. geregelt, dass das Land den privaten Förderschulen, die auf gemeinnütziger Grundlage wirken und in Aufbau und Gliederung den für die öffentlichen Schulen geltenden gesetzlichen Vorschriften entsprechen, auf Antrag des Schulträgers den notwendigen Aufwand für die fortdauernden Personal- und Sachkosten, der sich nach dem der öffentlichen Schulen bemisst, ersetzt. Aufgrund dieser Sonderregelung für Grundschulen und Förderschulen leistet das Land somit Finanzhilfe in Höhe von 100 % der laufenden Personal- und Sachkosten. Doch gilt aufgrund des Art. 28 Abs. 4 Satz 2 Verf. d. Saarl., wonach Art. 28 Abs. 3 Verf. d. Saarl. unberührt bleibt, auch für die staatliche Finanzhilfe für die Förderschulen die in Art. 28 Abs. 3 Satz 2 Verf. d. Saarl. getroffene Regelung: „Das Nähere bestimmt ein Gesetz.“ Die auf der Grundlage dieser verfassungsrechtlichen Bestimmung ergangene Detailregelung der staatlichen Finanzhilfe in den §§ 28 bis 32d PrivSchG wurde kurze Zeit nach der Streichung der Förderschule aus dem Katalog der institutionell garantierten Schulformen des Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 zulasten der Privatschulen geändert. Es wurde eine finanzielle Hürde errichtet, die eine Ab­

167

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 34. Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 32. 169 Verh. d. LT, 14. Wahlp., S. 34. 168

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4. Teil: Inklusive Schule

schreckung für Privatschulinitiativen bedeutet. Mit dem Gesetz zur Änderung des Privatschulgesetzes vom 16.11.2011170 wurde in § 28 PrivSchG folgender Absatz 3 angefügt: (3) 1Bis zur Anerkennung hat der Träger einer Ersatzschule einen Anspruch auf staatliche Finanzhilfe in Höhe von 25 v. H. der fortdauernden Ausgaben der Ersatzschule. 2Nach der Anerkennung hat der Träger einen Erstattungsanspruch in Höhe von weiteren 25 v. H. der fortdauernden Ausgaben der Ersatzschule, die seit der Genehmigung bis zur Anerkennung entstanden sind.

Es handelt sich dabei um die erstmalige gesetzliche Regelung einer Wartezeit, in der der private Schulträger zunächst 75 % der fortlaufenden Ausgaben selbst zu tragen hat, die sich im Falle der Anerkennung auf 50 % reduzieren. Gem. § 18Abs. 1 PrivSchG sind die Voraussetzungen für die Anerkennung erfüllt, wenn die Privatschule den gesetzlich normierten Anforderungen mindestens drei Jahre seit ihrer Genehmigung genügt hat. Diese Regelung gilt nicht nur für die obligatorische Regelfinanzhilfe gem. § 29 PrivSchG, sondern auch für die besserstellende Sonderregelung für private Grundschulen und Förderschulen sowie die Ersatzschulen besonderer pädagogischer Prägung (Waldorfschulen) gem. § 32a PrivSchG.171 Soweit es sich nicht um eine Schule in Trägerschaft der katholischen Kirche172 handelt, hat eine neu errichtete private Förderschule seit dieser Änderung des Privatschulgesetzes somit zunächst eine drei Jahre dauernde finanzielle Durst­strecke zu bewältigen. Es gibt valide Anhaltspunkte dafür, dass entgegen den offiziellen Darlegungen in der Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Privatschulgesetzes nicht allein die Sorge um die öffentlichen Finanzen der Grund für diese Erschwerung der Errichtung von Privatschulen gewesen ist. Speziell für Privatschulinitiativen im Bereich der Förderschulen war diese Änderung des Privatschulgesetzes eine politische und rechtliche Entscheidung von erheblicher Tragweite. 170

Amtsbl. I S. 422. Zur staatlichen Finanzhilfe für Privatschulen im Saarland vgl. Vogel, Das Recht der Schulen und Heime in freier Trägerschaft, S. 147 ff. 172 In dem Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Saarland über die Privatschulen in Trägerschaft der katholischen Kirche vom 21.2.1975 (Vertragsgesetz von 24.3.1975 [Amtsbl. S. 451]) ist u. a. die staatliche Finanzhilfe für die katholischen Privatschulen geregelt. Das am gleichen Tag unterzeichnete Zusatzprotokoll (Amtsbl. 1975, S. 854) enthält zu Art. 3 des Vertrages u. a. folgende Erklärung: „Die öffentliche Finanzhilfe für Grund-, Haupt- und Sonderschulen (Volksschulen) wird auf Antrag schon vom Zeitpunkt der staatlichen Genehmigung erklärt.“ Hierzu heißt es in der Einzelbegründung des Gesetzentwurfs zu der am 16.11.2011 ergangenen Änderung des Privatschulgesetzes, LT-Drucks. 14/543, S. 11, zutreffend: „Ein Anspruch sonstiger Träger auf sofortige (volle)  Finanzhilfe für entsprechende Neugründungen folgt daraus nicht. Die Besserstellung der katholischen Kirche gerade bezüglich der ehemaligen Volksschulen stellt nämlich vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) eine sachgerechte Differenzierung dar. Der rechtfertigende Unterscheidungsgrund liegt darin, dass die Einführung der Gemeinschaftsschule als Nachfolgerin der öffentlichen Bekenntnisschulen nur dadurch möglich wurde, dass die Kirchen auf die vertraglich verbriefte Verpflichtung des Staates zur Errichtung von Bekenntnisschulen verzichtet haben (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. April 1986, BVerwGE 74, 134).“ 171

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Denn die Eltern behinderter Kinder sind bei Umsetzung der inzwischen geltenden Regelungen zur inklusiven Schule und angesichts der damit voraus­sichtlich verbundenen Marginalisierung bzw. Abwicklung der öffentlichen Förderschulen auf private Förderschulen angewiesen, wenn sie ihrem Kind die Zwangsinklusion ersparen wollen. Dabei stehen sie aber vor einer nur schwer zu überwindenden finanziellen Hürde.

D. Leistungsanforderungen, Leistungsfeststellung, Leistungsmaßstab und Leistungsbewertung in der inklusiven Schule I. Individualisierte Bildung und Erziehung 1. Strukturelle Elemente der inklusiven Schule Kernelement der inklusiven Schule, wie sie von ihren Protagonisten angestrebt wird und wie es auch in der schulrechtlichen Regelung im Saarland seinen Niederschlag gefunden hat, ist das gemeinsame Lernen im Sinne „einer Schule für alle“. Der partizipative, d. h. gesellschaftspolitische Ansatz ist hierbei so dominierend, dass der Gesetzgeber bei seiner Grundsatzaussage zur Inklusion in § 1 Abs. 2 Satz 1 SchoG 2014 und bei der systembezogenen Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchoG 2014 offenbar glaubte, auf die Erwähnung der Behinderten verzichten zu müssen. Das ist umso bemerkenswerter, als er die VN-Behinderten­rechtskonvention zum Vorwand nimmt, um unter Zuhilfenahme des Inklusionsgedankens das Ziel einer weitreichenden Umgestaltung des Schulsystems anzustreben. Die bildungstheoretische Legitimierung dieses Projekts geschieht, wie erwähnt,173 durch die Funktionalisierung von Heterogenität. Soweit es dabei um die behinderten Schüler geht, verhalten sich die Idealisierung von Heterogenität und die damit intendierte bzw. geförderte Dekategorisierung zueinander wie komplementäre Elemente. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus folgerichtig, wenn es in § 1 Abs. 1 der für die pädagogische Konkretisierung der inklusiven Schule maßgeblichen Inklusionsverordnung heißt: (1) Das gemeinsame Leben und Lernen und die individualisierte Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler ist grundlegendes Prinzip der gesamten schulischen Arbeit und Ziel eines inklusiven Schulsystems.

Die pädagogische Bewältigung einer prinzipiell unbegrenzten Heterogenität soll also durch „individualisierte Bildung und Erziehung“ geleistet werden. Es ist zu fragen, was die Inklusionsverordnung unter Individualisierung der Bildung und Erziehung versteht und welche Regelungen sie hierzu trifft. 173

Siehe oben sub Kap. 17 A. II. 1.

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4. Teil: Inklusive Schule

2. Leistungsanforderungen Infolge der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei der Organisation des Bildungsangebotes für Behinderte wird künftig der mit Abstand größte Teil der behinderten Kinder und Jugendlichen die Grundschule und die weiterführenden allgemein bildenden Schulen besuchen. Auf diese signifikante Veränderung der Schülerschaft reagiert der Gesetzgeber mit einer Unterscheidung, die an der Art, dem Umfang und der Intensität des jeweils vorhandenen Förderbedarfs orientiert ist. Es ist dies die Unterscheidung zwischen „besonderer pädagogischer Unterstützung“ – die Inklusionsverordnung hat diese Formulierung, wie erwähnt,174 nicht wortgetreu von dem Schulordnungsgesetz übernommen, sondern spricht stattdessen von „besonderer pädagogischer Förderung“ – und „sonderpädagogischer Unterstützung“, ohne dass allerdings Abgrenzungskriterien benannt werden. Hierbei geht der Verordnungsgeber, wie oben dargelegt,175 davon aus, dass es sich bei den Fällen mit förmlicher „Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzun­ gen für eine sonderpädagogischen Unterstützung“ um Ausnahmefälle handeln wird. Das ergibt sich grundlegend aus der vom Gesetzgeber verfolgten Linie der Dekategorisierung, welche auf der Verordnungsebene durch eine unübersehbar auf Ausnahmefälle zugeschnittene Verfahrensregelung umgesetzt wird. Mit anderen Worten: Künftig wird der mit Abstand größte Teil behinderter Schüler jener Gruppe zugeordnet, für die (nur) „besondere pädagogische Unterstützung bzw. Förderung“ vorgesehen ist. Die Tragweite dieser Einordnung wird ersichtlich an der Tatsache, dass im Schuljahr 2013/14, also in dem Schuljahr vor der gesetzlichen Einführung der inklusiven Schule, an den Förderschulen 3464 Schüler und an den allgemeinen Schulen 2999 Schüler mit anerkanntem „sonderpädagogischen Förderungsbedarf“ im Sinne des § 4 Abs. 2 SchoG 1986 in der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung176 unterrichtet wurden.177 Wie oben178 dargelegt, sind etwa 80 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf mental beeinträchtigt, d. h. entweder lernbehindert oder geistig behindert. Auch in der inklusiven Schule kommt also für viele dieser Schüler nur eine zieldifferente Unterrichtung in Betracht. Es fällt auf, dass sich das Wort „zieldifferent“ in der Inklusionsverordnung jedoch an keiner Stelle findet. Hier kommt die in § 4 InklVO geregelte Förderplanung ins Spiel. Sie ist nach dieser Vorschrift vom „Schulleiter möglichst frühzeitig [einzuleiten]“, wenn sich „bei einer Schülerin oder einem Schüler im Zusammenhang mit der Einschulung oder im Laufe der Schulzeit Anzeichen für die Notwendigkeit einer besonderen pädagogischen Förderung [ergeben]“. Dabei kann sich die Förderplanung gem. 174

Siehe oben sub Kap. 17 A. II. 2. b). Siehe oben sub Kap. 17 B. II. 1. und 2. b) aa). 176 Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 1. 177 Siehe oben sub Kap. 6 B. I. 1.  178 Siehe sub Kap. 2 A. I. 2. b) cc). 175

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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§ 6 Abs. 1 Satz 1 InklVO auf „die Gewährung eines Nachteilsausgleichs, eine besondere pädagogische Förderung, deren Art, Umfang oder Zeitraum Auswirkungen auf Form und Dauer des Schulbesuchs, auf das Anforderungsniveau des Unterrichts oder die Notengebung hat“, beziehen. Bei der Aufzählung potenzieller Elemente des Förderplans nennt § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InklVO „von der Klassenkonferenz (§ 6) festgelegte oder festzulegende individuelle Anpassungen des Anforderungsniveaus“. Eine Nuance deutlicher spricht § 8 Abs. 1 Satz 1 InklVO von „einem individuellen Förderplan“, in dem „auf Beschluss der Klassenkonferenz (§ 6) die individuellen Anforderungen in einem oder mehreren Fächern abweichend von den Anforderungen, wie sie für die jeweilige Klassenstufe gelten, festgelegt werden.“ Ähnlich lautet § 8 Abs. 2 Satz 1 InklVO: „Der Förderplan weist die notwendige individuelle Anpassung der in den jeweils geltenden Lehrplänen vorgegebenen Kompetenzerwartungen aus […].“ Erst in § 11 Abs. 1 InklVO wird im Klartext ausgesprochen, worum es geht, nämlich um die „Absenkung des Anforderungsniveaus in einem oder mehreren Fächern“. Lediglich für geistig behinderte Schüler wird eine vergleichsweise eindeutige und nachvollziehbare Aussage über das maßgebliche Anforderungsniveau gemacht. Denn in § 8 Abs. 4 InklVO ist normiert: (4) Für Schülerinnen und Schüler, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung anerkannt wurde, orientiert sich das individuelle Anforderungsniveau an den im Lehrplan für die Förderschule geistige Entwicklung beschriebenen Aktivitätsbereichen.

Demgegenüber ist für die mit Abstand größte Gruppe der mental beeinträchtigten Schüler, nämlich die Lernbehinderten, keine Eindeutigkeit des Anforderungsprofils mehr gegeben. Die Individualisierung ist hier im wörtlichen Sinne vollzogen. Das ist gewollt, weil im Zuge der von Landesregierung und Gesetzgeber betriebenen Dekategorisierung u. a. Lernbehinderung nicht mehr als Behinderung angesehen wird und infolgedessen ein Lehrplan für eine Förderschule Lernen begrifflich ausscheidet. Doch werden in der Gruppe derer, für die „besondere pädagogische Förderung“ geleistet wird, auch Schüler sein, bei denen objektiv keine Behinderung vorliegt, die aber beim Lernen Schwierigkeiten haben, wie sie in der allgemeinen Schule gemeinhin vorkommen.179 Auch für diese Schüler besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer „besonderen pädagogischen Förderung“ durch Absenkung des Anforderungsniveaus „in einem oder mehreren Fächern“ (§ 8 Abs. 1 InklVO). Das gilt es im Blick zu behalten, wenn es um die Auswirkungen dieser Art von „besonderer pädagogischer Förderung“ auf die Erfüllung des Unterrichts- und Erziehungsauftrags der Schule, d. h. das Leistungsniveau des saarländischen Schulwesens geht.

179

Siehe zur begrifflichen Abgrenzung unterschiedlicher Förderbedarfe oben sub Kap. 2 D. III.

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4. Teil: Inklusive Schule

3. Leistungsfeststellung, Leistungsmaßstab, Leistungsbewertung a) Auswechseln der relevanten Leistungsnorm Die mehr oder weniger weit gehende Absenkung des Anforderungsniveaus, die in der inklusiven Schule für behinderte wie für nichtbehinderte Schüler möglich ist, vermittelt einen ersten Eindruck von dem, was man unter „individualisierter Bildung“ zu verstehen hat. Ein vollständiges Bild von der Bedeutung dieses Handlungsansatzes erhält man allerdings erst, wenn man sie im Zusammenhang mit dem nunmehr für die Leistungsbeurteilung maßgeblichen Prinzip sieht. Hierzu liegt ein aufschlussreicher Hinweis vor, den Kultusminister Ulrich­ Commerçon (SPD) bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 25.6.2014 im Landtag des Saarlandes gegeben hat: „Das bisherige System der Leistungsbeurteilung rein nach Ziffern, Noten und schriftlichen Beurteilungen kann künftig ergänzt werden durch kompetenzorientierte Kommentare, aus denen die Eltern den aktuellen Lernstand und den individuellen Förderplan entnehmen. Wir vergleichen Kinder nicht mehr miteinander in einem Ranking, nein, wir zeigen Kindern, wo sie sich entwickelt haben, wo sie weitere Entwicklungsmöglichkeiten haben, wo ihre Entwicklungschancen liegen, und unterstützen sie damit künftig in ihrem Lernprozess.“180

Der gleiche Gedanke, der in dem hervorgehobenen Satzteil des Zitats enthalten ist, ergibt sich auch aus einer Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013.181 Deren tragende Aussagen zu der hier in Rede stehenden Frage haben sich im Rahmen der Großen Koalition sowohl die Landesregierung als solche als auch die beiden Koalitionsfraktionen in einem sog. Eckpunktepapier vom 27.5.2013 zueigen gemacht.182 So heißt es in der Ausarbeitung des Kul 180

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2172 (Hervorh. d. Verf.). Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 6 f., http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 182 Fraktionen von CDU und SPD im Landtag des Saarlandes, Gemeinsam Lernen in der Grundschule. Eckpunkte der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013. Zu diesem Dokument heißt es in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 12: „Die Regierungsparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag, den sie zur Umsetzung der Inklusion im Grundschulbereich durch eine Vereinbarung vom 27. Mai 2013 ergänzt haben, die Umsetzung des Artikels 24 der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) zum Ziel gesetzt.“ Bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 25.6.2014 hat nicht nur Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) auf die Ausarbeitung des Kultusministeriums vom 9.4.2013 und das Eckpunktepapier der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013 Bezug genommen, Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2171. Vielmehr hat die Abgeordnete Gisela Kolb (SPD) ausdrücklich erklärt, Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2164: „Grundlage des heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfes ist das Eckpunktepapier ‚Gemeinsam Lernen in der Grundschule‘, das im Mai 2013 von den Koalitionsfraktionen verabredet wurde. Dieses Eckpunktepapier ist ein Kompromiss.“ Die Maßgeblichkeit dieses Eckpunktepapiers wird bekräftigt in dem Antrag der CDU-Landtagsfraktion und der 181

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tusministeriums, welche der Öffentlichkeit zunächst auf informellem Weg183 zugänglich gemacht wurde: Inklusive Beschulung verlange „nach der Möglichkeit der individuellen Beurteilung in allen Fächern“ und einer „konsequent differenzierte[n] Leistungsbeurteilung“, „auch die Anforderungen, nicht zuletzt in Arbeiten [sollten] individuell gestellt und formuliert werden können“ und „jedes Kind [wird] entsprechend seiner Leistungsfähigkeit beurteilt“.184 Diese Abkehr von dem externen, überindividuellen Beurteilungsmaßstab zugunsten einer ausschließlich selbstreferenziellen Beurteilungspraxis wird in dem nach der Veröffentlichung dieser Ausarbeitung von den Koalitionsfraktionen zur inklusiven Grundschule beschlossenen Eckpunktepapier bekräftigt: „Allerdings wird die individuelle Leistungsbeurteilung durch Ziffernnoten an der grundsätzlichen Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler orientiert und kenntlich gemacht.“185 Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht bei der in der vorliegenden Schrift an dieser Stelle thematisierten Frage nicht um die pädagogische Sachgerechtigkeit SPD-Landtagsfraktion betr. „Gute und gerechte Bildung für alle von Anfang an – Erfolgreiche Bildungspolitik fortsetzen“, LT-Drucks. 15/590 vom 22.8.2013, S. 2: „Der Landtag des Saarlandes unterstützt die Landesregierung in ihrer Zielsetzung, die Grundschule zur inklusiven Schule weiterzuentwickeln. Die Landesregierung hat dazu Eckpunkte vereinbart.“ 183 Siehe Freund, Weniger Noten an Grundschulen im Saarland, SZ Nr. 93 vom 22.4.2013, S. 1, und ders., Reform der Grundschule geplant. Förderschulen sollen auslaufen, SZ Nr. 93 vom 22.4.2013, S.  B 2.  Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ließ zu diesem Papier, dessen Veröffentlichung beim Koalitionspartner CDU zu erheblichen Irritationen führte, erklären, es „handele sich ‚um eine Überlegung des Ressorts, nicht um Pläne der Landesregierung‘“ (Kirch, CDU lehnt Grundschulpläne ab, SZ Nr.  94 vom 23.4.2013, S. B 2). Erläuternd schreibt hierzu Freund, Große Koalition fast im Gleichschritt, SZ Nr. 102 vom 3.5.2013, S. B 2: „Kramp-Karrenbauer konnte sich dabei einen erneuten Seitenhieb gegen Bildungsminister Commerçon (SPD) nicht verkneifen, dessen Papier zum Thema sie unlängst bereits als ressortinterne Überlegung abqualifiziert hatte. Die SZ hatte über das Papier, das nicht über offizielle Kanäle verbreitet wurde, berichtet. Die Regierungschefin äußerte laut dem Bericht von Freund die Vermutung, dass Commerçon ein Papier gezielt ‚der Öffentlichkeit präsentiert‘ habe, und fügte süffisant hinzu, es liege natürlich ‚in der Freiheit des jeweiligen Ministers, welchen Weg er wählt‘.“ Nachdem sich die Koalitionspartner in mehreren Koalitionsgesprächen über die Pläne des Kultusministers auseinandergesetzt hatten, kam es zu einer Verständigung, deren Ergebnisse in dem Dokument Fraktionen von CDU und SPD im Landtag des Saarlandes, Gemeinsam Lernen in der Grundschule. Eckpunkte der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013, festgehalten sind. Vergleicht man diese Ergebnisse mit der Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013, so muss man feststellen, dass Kultusminister Commerçon sich in allen wesentlichen Punkten durchgesetzt hat. Es überrascht daher nicht, wenn Klostermann, Alle können in die Grundschule, SZ Nr.  121 vom 25.5.2013, S. B 2, seinen Bericht über die Einigung der Koalitionspartner wie folgt einleitet: „Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) ist sehr zufrieden mit der Grundschulreform, auf die sich die CDU- und SPD-Landtagsfraktion gestern geeinigt haben. ‚Ein riesiger Schritt nach vorne‘, sagte Commerçon.“ 184 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 6, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 185 Fraktionen von CDU und SPD im Landtag des Saarlandes, Gemeinsam Lernen in der Grundschule. Eckpunkte der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013, S. 3.

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und Zweckmäßigkeit von Notenzeugnissen einerseits und verbalisierenden Leistungsbeurteilungen andererseits. Es geht vielmehr um den jeder Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung vorgelagerten Maßstab: Der Ausarbeitung des Kultusministeriums und dem Beschluss der Koalitionsfraktionen zufolge soll ein externer, überindividueller, an durchschnittlichen Erwartungen ausgerichteter und letztlich auf gesellschaftlichem Konsens beruhender Maßstab zugunsten einer ausschließlich individuell-selbstreferenziellen Leistungsbewertung („Prinzip der individuellen Leistungsnorm“) aufgegeben werden. b) Bedeutung des externen Leistungsmaßstabs für das Selbstverständnis der Schule Die oben zitierte Äußerung des Kultusministers Ulrich Commerçon (SPD), in der inklusiven Schule würden „Kinder nicht mehr miteinander in einem Ranking [verglichen]“, ermöglicht den Blick auf ein grundlegendes Prinzip der nunmehr in den Schulgesetzen des Saarlandes verankerten inklusiven Schule, nämlich die Dekategorisierung und die Einebnung faktischer Unterschiede im Namen einer „individualisierten Bildung und Erziehung.“ Das Grundanliegen von Dekategorisierung ist die Vermeidung jeglicher Diskriminierung („Ranking“). Folglich sind dieser Denkrichtung zufolge alle mit normativem Anspruch verbundenen Erwartungen unzulässig, da sie zwangsläufig zu unterschiedlichen Einordnungen führen: „Nicht mehr die durchschnittlich zu erwartenden Leistungen bilden demzufolge das entscheidende Wahrnehmungs- und Beurteilungskriterium, sondern weit gestreute individuelle Lern- und Entwicklungsverläufe, die sich von objektiven Kriterien möglichst weitgehend abgelöst haben. Kinder sollen aus den Fesseln von Normalitätsvorstellungen befreit werden, die durch die Mehrheitskultur geprägt sind. Sie sollen sich angstfrei und unbelastet von schmerzhafter Konkurrenz entfalten […]. Es sollen alle diejenigen Erfahrungen vermieden beziehungsweise minimiert werden, die dazu führen können, dass im Vergleich zu anderen Menschen kränkende Erfahrungen entstehen.“186

Letztlich wird mit Vorstellungen dieser Art das Leistungselement von Schule kontrafaktisch negiert. Mit Leistungsorientierung sind zwangsläufig das Vergleichen und folglich Einordnung und äußere Differenzierung verbunden  – eine Selbstverständlichkeit, deren Erwähnung allerdings von interessierter Seite denunziatorisch mit dem Wort „Selektion“ quittiert wird. Das „Prinzip der individuellen Leistungsnorm“ ist mit dem Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schule und ihrem Selbstverständnis nicht zu vereinbaren. Denn: „Der Spannungsbogen, in dem Kinder betrachtet werden, ist ein solcher, der auf einem Dritten beruht: der gesellschaftlichen Realität und ihren Anforderungen, denen sich die Schule nicht verschließen darf; der Normativität von Entwicklungstheorien, die verhindern können, 186

Ahrbeck, Der Umgang mit Behinderung, S. 70.

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dass Entwicklungen beliebig werden; dem Beharren auf Zielen, die sich nicht aus sich selbst heraus begründen lassen. Ohne eine exzentrische Position, ohne einen von außen gesetzten Bezug, das sei hinzugefügt, kann es keine vorwärts gerichtete Entwicklung geben. Ansonsten bleiben die Kinder in den Grenzen der Kindheit gefangen […]. In diesem Sinne lässt sich der sonderpädagogische Förderbedarf verstehen: Als Mittel zu einer Hilfestellung, die einem vorgegebenen Ziel folgt, das auch einen normativen Charakter trägt. Er ist der einzelnen Person gewidmet, die auf eine solche Unterstützung nachweisbar angewiesen ist und ein Anrecht darauf hat.“187

Man hat es bei dem hier vorgesehenen Wechsel zu einem anderen Beurteilungsmaßstab mit einer fundamentalen Richtungsentscheidung zu tun: „Unter dem Dach der Inklusion“188 soll sich eine grundlegende Veränderung der pädagogischen Arbeit an der Schule vollziehen, indem bei allen Schülern, d. h. auch bei den nichtbehinderten künftig ausschließlich die soeben charakterisierte individuell-selbstreferenzielle Sichtweise zugrunde gelegt wird. Lehrpläne mit abstraktgenerellem Anspruch sind für ein solches Schulkonzept eigentlich systemfremd. II. Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung unter der Geltung des Gleichbehandlungsgebots 1. Reichweite des Anspruchs auf Chancengleichheit Eines der grundlegenden Postulate im öffentlichen Bildungswesen ist der Anspruch auf Chancengleichheit. Der Staat hat diesen Anspruch nicht nur zu beachten bei seinen Entscheidungen über Struktur und Inhalt des Bildungsangebots, sondern auch bei der Vergabe von Abschlüssen und Berechtigungen. Für die Ausgestaltung und Handhabung von Prüfungen  – gemeint sind an dieser Stelle Leistungsfeststellungen jeglicher Art während des Schulbesuchs  – ist der in Art.  3 Abs.  1 GG normierte allgemeine Gleichheitssatz eine handlungsleitende Maxime. Eine weitere auf Gleichbehandlung zielende Grundrechtsposition gewährt in diesem Kontext die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, soweit es sich um Prüfungen handelt, die für die Wahl oder die Ausübung eines Berufs relevant sind. Jeder Prüfungsvorgang setzt sich aus zwei Elementen zusammen, nämlich der Leistungsfeststellung und der Leistungsbewertung. An diese Unterscheidung ist anzuknüpfen bei der Beantwortung der Frage, inwieweit Modifizierungen im Prüfungsverfahren angezeigt bzw. zulässig sind.

187

Ahrbeck, ebd., S. 81 f. So die zutreffende Beobachtung von Ahrbeck, ebd., S. 102.

188

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a) Nachteilsausgleich Bei der Leistungsfeststellung ist dem behinderten Schüler auf Antrag ein Nachteilsausgleich zu gewähren. Sein behinderungsbedingtes Leistungsdefizit darf jedoch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen mit den Fähigkeiten, die Gegenstand des Prüfungsverfahrens sind. Hierauf bezieht sich die Kontrollüberlegung, inwieweit eine Möglichkeit der Kompensation der Behinderung im Verlauf des weiteren Bildungsweges oder später im Berufsleben besteht. Letzteres kommt bei Einschränkungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit nicht in Betracht.189 Daher ist Nachteilsausgleich begrifflich festgelegt auf die Modifizierung der äußeren Prüfungsbedingungen (z. B. längere Bearbeitungszeit, Schreib- oder Lesehilfe, Tonbanddiktat, Bereitstellung eines gesonderten Prüfungsraumes). Diese behinderungsbezogene Konkretisierung des Grundsatzes der Chancengleichheit ist im Saarland – wie durchweg auch in den übrigen Ländern – Gegenstand einschlägiger Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften.190 „Die Anforderungen in der Sache selbst dürfen nicht herabgesetzt werden.“191 Daher kann man z. B. die Modifizierung der Prüfungsform durch Ersetzung einer schriftlichen Prüfung durch eine mündliche Prüfung etwa bei einem Legastheniker nicht mehr als Nachteilsausgleich bezeichnen. Vielmehr handelt es sich hier um inhaltliche Erleichterungen. Beaucamp ist in Folgendem zuzustimmen: „In mündlichen Prüfungen gibt es die Chance auf Nachfragen zur Aufgabenstellung, so dass sich die Prüflinge den Erwartungen der Prüferinnen und Prüfer schrittweise an­nähern können. Außerdem zwingt eine schriftliche Niederlegung von Antworten zu mehr Genauigkeit und stellt höhere Anforderungen an Aufbau und Stil.“192

189

Vgl. hierzu Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, Rn. 259. So z. B.: § 5 Abs. 1 Satz 2 IntVO; § 22 der Verordnung – Prüfungsordnung – über die staatliche Abschlussprüfung zum Erwerb des Hauptschulabschlusses an Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen und Förderschulen vom 12.7.2000 (Amtsbl. S.  1100), zul.geänd.d. VO vom 5.8.2014 (Amtsbl. I S. 340 [341]); § 22 der Verordnung – Prüfungsordnung – über die staatliche Abschlussprüfung zum Erwerb des mittleren Bildungsabschlusses an Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen vom 12.7.2000 (Amtsbl. S. 1107), zul.geänd.d. VO vom 5.8.2014 (Amtsbl. I S. 340 [342]); § 30 Abs. 3 GOS-VO; § 27 PO-BFS; Nr. 1.2 des Erlasses betreffend Klassen- und Kursarbeiten, landeszentrale Vergleichsarbeiten sowie andere Lernerfolgskontrollen in schriftlichen und nicht schriftlichen Fächern der Klassenstufen 1 bis 10 der allgemein bildenden Schulen (Klassenarbeitenerlass) vom 6.8.2004 (Amtsbl. S. 1740, ber. S. 1887), zul. geänd.d. Erlass vom 20.10.2009 (Amtsbl. S.  1767). Während die Integrations-Verordnung (IntVO) bei der Gewährung von Nachteilsausgleich an die Feststellung sonderpädagogischer Förderungsbedürftigkeit anknüpft, setzen die anderen hier genannten Regelungen lediglich eine Behinderung voraus. Diese Unterscheidung bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen ist sachgerecht, weil nicht jede Behinderung sonderpädagogischen Förderbedarf indiziert (siehe hierzu oben sub Kap. 2 D. III.). 191 Lambert, Notengebung für Schüler mit Behinderungen, SchulVerwaltung, Ausgabe BadenWürttemberg, 2002, 148. 192 Beaucamp, Möglichkeiten und Grenzen des Grundsatzes der Chancengleichheit im Bildungsrecht, DVBl. 2014, 1364 (1368). 190

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b) Notenschutz aa) Bedeutung und rechtliche Voraussetzungen Bei allen Prüfungen dieselben Leistungen zu fordern und sie denselben Bewertungsmaßstäben zu unterwerfen – das ist der materielle Kern des für das staatliche Prüfungswesen maßgeblichen Grundsatzes der Chancengleichheit. Wenn hiervon – etwa bei Legasthenikern oder bei behinderten Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen – Abstriche hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen gemacht werden sollen, handelt es sich nicht mehr um Nachteilsausgleich. Vielmehr geht es dann um eine materielle Privilegierung. Sie wird von der Rechtsprechung und im Schrifttum zum prüfungsrechtlichen Umgang mit Legasthenie unter dem Begriff „Notenschutz“ rubriziert. In unmissverständlicher Abgrenzung zum Nachteilsausgleich stellt das Bundesverwaltungsgericht zum Begriff des Notenschutzes fest: „Er trägt dem Umstand Rechnung, dass es Prüflingen subjektiv unmöglich ist, bestimmten Leistungsanforderungen zu genügen. Zu ihren Gunsten wird auf die einheitliche Anwendung des allgemeinen Maßstabs der Leistungsbewertung verzichtet. Entweder werden die subjektiv nicht zu erfüllenden Anforderungen nicht gestellt oder die Nichterfüllung wird nicht bewertet, sodass die Prüflinge insoweit keine Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen müssen. Auch kann der Nichterfüllung bestimmter Anforderungen bei der Leistungsbewertung ein geringeres Gewicht beigemessen werden.“193

Es lässt sich als Distanzierung des Bundesverwaltungsgerichts von den neuerdings in Bildungspolitik, Schuladministration und juristischem Schrifttum zu beobachtenden Versuchen zu einer Usurpierung des Begriffs „Nachteilsausgleich“ für Fälle des Notenschutzes verstehen, wenn es ausführt: „Notenschutz zur Änderung des allgemeinen Maßstabs für die Leistungsbewertung unterscheidet sich grundlegend von der Änderung äußerer Prüfungsbedingungen zur Herstellung gleicher Erfolgschancen (Nachteilsausgleich) […].“194

Während sich der Anspruch auf Nachteilsausgleich unmittelbar aus dem auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG beruhenden Grundsatz der Chancengleichheit ergibt, kann Notenschutz weder unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 noch aus Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG abgeleitet werden. Hier ist, wie insbesondere von der Rechtsprechung zutreffend festgestellt wird, Anspruchsvoraussetzung eine entsprechende Regelung durch den Gesetzgeber.195 193

BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 22, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 52, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). 195 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 41 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015); BayVGH, Urt. v. 28.5.2014, 7 B 14.22, Rn. 16 ff., http://www.iuris.de (Zugriff: 10.7.2015); VGH BW, Urt. v. 31.3.1977, X 1570/75, Ls., http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013); OVG d. Saarl., Beschl. v. 2.10.2006, 3 W 12/06, NVwZ-RR 2007, 106 (107 f.); NdsOVG, Beschl. v. 10.7.2008, 2 ME 309/08, NVwZ-RR 2009, 68 (69); VG Köln, Beschl. v. 26.9.2008, 10 L 1240/08, Rn. 17, http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013); VG d. Saarl., Urt. v. 5.3.2009, 1 K 643, 194

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bb) Versuche zur Ausdehnung von Notenschutz (1) Anwendung bei zieldifferenter Unterrichtung Behinderter Mittlerweile gibt es, wie erwähnt, Bestrebungen, diesen Notenschutz nicht nur bei der relativ eng begrenzten Teilleistungsschwäche der Legasthenie, sondern auch bei der zieldifferenten Unterrichtung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf anzuwenden. Damit werden konstitutionelle, d. h. in der Person des behinderten Schülers angelegte, für das gesamte Fächer- und Leistungsspektrum relevante und in aller Regel dauerhafte kognitive Beeinträchtigungen – das betrifft Abstraktionsvermögen, Gedächtnisleistung, Assoziationsfähigkeit196  – zum Anlass genommen, für ihn die Leistungsanforderungen herabzusetzen, ohne dass dies aber entsprechende Konsequenzen bei der Zeugnisausstellung, d. h. der Vergabe von Abschlüssen und Berechtigungen hätte.

Rn. 63 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013); VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 10.6.2009, 9 A 208/08, Rn. 35 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013); VG Aachen, Urt. v. 13.11.2009, 9 K 25/09, Rn.  60 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013); VG Braunschweig, Urt. v. 16.4.2013, 6 A 204/12, DÖV 2013, 859; nicht eindeutig in dieser Frage OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2009, OVG 3 M 16.09, Rn. 4, http://www.juris.de (Zugriff: 12.2.2013). Der h.Rspr. im Grundsatz zustimmend: Rux/Ennuschat, Die Rechte stotternder Menschen in Schule, Ausbildung und Studium, S.  108. So inzwischen auch Marwege, Legasthenie und Dyskalkulie in der Schule. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention, S.  359 ff.; die Autorin hält also offensichtlich an ihrer bis dahin vertretenen Auffassung, dass der Anspruch auf Notenschutz auch ohne eine entsprechende Entscheidung des Gesetzgebers gegeben sei, nicht fest: vgl. dies., Die Berücksichtigung von Behinderungen in der Schule und in Schulprüfungen, RdJB 2009, 229 (238), sowie dies., Anmerkung zum Beschluss des VG Köln vom 26.9.2008  – 10 L 1240/08 –, DVBl. 2009, 538 (540). Dagegen vertritt Langenfeld, Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des besonderen Schutzes für Schüler und Schülerinnen mit Legasthenie an allgemeinbildenden Schulen, RdJB 2007, 211 (225), unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG die Auffassung, dass es zur Gewährung von Notenschutz keiner gesetzlichen Regelung bedürfe. Nach Cremer/Kolok, Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Umgang mit Legasthenie und Dyskalkulie  – insbesondere zum grundrechtlich fundierten Anspruch auf eine fähigkeits- und begabungsgerechte Beurteilung, DVBl. 2014, 333 (341), „folgt aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (sowie in der Sekundarstufe II aus Art. 12 Abs. 1 GG) ein eben grundrechtlich fundiertes Recht auf eine fähigkeits- und begabungsgerechte Beurteilung, welches einzelfallabhängig Ansprüche auf Nachteilsausgleich, Versetzungs- und Abschlussschutz gewährt.“ Im Saarland liegen folgende Regelungen vor, auf die in § 15 Abs. 2 InklVO verwiesen wird: Richtlinien zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder Rechtschreibens vom 15.11.2009 (Amtsbl. II S.  1814); RdSchr. betr. Verfahrensgrundlagen für Schüler mit Rechenschwäche und Rechenstörung/Dyskalkulie vom 25.6.2014, GeschZ.: C 1 – 3.7.2.0, SchulR-Saar, 3.6.1/S. 20c. 196 Siehe zu dem Begriff der „umfassenden Lernbehinderung“ in Abgrenzung zu einer Teilleistungsschwäche wie der Legasthenie HessVGH, Beschl. v. 18.3.2011, 7 A 2010/10.Z, Rn. 12 ff., http.//www.de (Zugriff: 4.3.2013).

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Die hier angesprochenen Tendenzen finden ihren Ausdruck etwa in den nachstehenden Ausführungen von Poscher/Rux/Langer: „Es kann aber keine Rede davon sein, dass die Absolventen einer schulischen Abschlussprüfung notwendigerweise über sämtliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen müssen, die Gegenstand dieser Abschlussprüfung waren, um mit Erfolg an allen weiterführenden Bildungs- oder Ausbildungsgängen teilnehmen bzw. alle beruflichen Tätigkeiten ausüben zu können, die ihnen aufgrund der erfolgreichen Teilnahme an der Abschluss­ prüfung offen stehen. Aus dieser Perspektive wird aber deutlich, dass ein behinderter Schüler jedenfalls dann von bestimmten Prüfungsleistungen freigestellt werden kann, wenn die spezifische Kompetenz, die durch diese Prüfungsleistung nachgewiesen werden soll, nicht für alle weiterführenden Bildungs- und Ausbildungsgänge bzw. alle Berufstätigkeiten erforderlich sind, die den Absolventen der schulischen Abschlussprüfung theoretisch offen stehen […]. Damit wird deutlich, dass es sich bei dem mit einer Freistellung von bestimmten Prüfungsleistungen erreichten Notenschutz im Grunde um eine besondere Form der Zieldifferenzierung handelt.“197

Unter Hinweis auf die Schrift von Poscher/Rux/Langer hält auch Rux198 „gewisse Modifikationen der Prüfungsanforderungen“ für zulässig. Es überrascht nicht, dass auch bei Rux/Niehues199 dieses originelle Verständnis des Bildungsauftrags der Schulen sowie diese Art von kreativem Umgang mit der Funktion und Bedeutung staatlicher Qualifikationsnachweise in der Gesellschaft ausgebreitet werden: Dieser „Bildungstheorie“ zufolge werden nach Bedarf Elemente des Bildungsauftrages der Schulen und der damit verbundenen Leistungserwartungen in dezisionistischer Manier für irrelevant erklärt. Aus dem jeweiligen Kontext ist ersichtlich, dass die zitierten Autoren dabei nicht nur Fälle wie die Befreiung eines gehörlosen Schülers von der Prüfung in Musik oder die Befreiung eines Schülers mit Zerebralparese vom Sportunterricht im Blick haben dürften. Vielmehr geht es im Ergebnis um die Absenkung der fachlichen Leistungsanforderungen, da die Inklusionsthematik in ihrem quantitativen wie qualitativen Schwerpunkt die Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen betrifft. Würde eine diesen Vorstellungen entsprechende „Öffnungsklausel“ für alle Schüler in den Schul- und Prüfungsordnungen verankert, dann bedürfte es bei Zugrundelegung schulpraktischer und schuladministrativer Erfahrung keiner ausgeprägten Phantasie, um sich die Folgen dieser Regelung vorstellen zu können: Der Relativierung der Leistungs- und Prüfungsanforderungen und dem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot wären Tür und Tor geöffnet. Es wäre der Weg geebnet für eine Bewertungs- und Prüfungspraxis, in deren Folge keine Verbindung mehr besteht zwischen den erbrachten Leistungen und den mit einer bestimmten Abschlussart – etwa dem Hauptschulabschluss – berechtigterweise zu verbinden 197

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 64 f. Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (226). 199 Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 509–512. 198

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den Vorstellungen und Erwartungen. Leistungsdispensierungen dieser Art, die mit einem rechtlich zulässigen Nachteilsausgleich nichts zu tun haben und für die man den Begriff „Notenschutz“ gefunden hat, stellen geradezu eine Einladung zu pädagogisch unverantwortlicher Schulpraxis dar.200 An dieser Beurteilung würde auch eine hierzu ermächtigende landesgesetzliche Regelung nichts ändern.201 200

Ein Beispiel für die Fragwürdigkeit von Schlussfolgerungen dieser Art, die man aus der VN-Behindertenrechtskonvention glaubt ableiten zu können, stellt der Beitrag von Beyer, Recht auf inklusive Schule bis zum Abschluss, BayVBl. 2016, 224 (225), dar: „Das Recht auf inklusive Bildung aus Art. 24 BRK beinhaltet also, soll es nicht praktisch entwertet sein, nicht nur das Recht auf inklusiven Schulbesuch, sondern auch die in diesem Zusammenhang zu eröffnende tatsächliche Chance auf Bildungserfolg, d. h. das Erreichen des Klassenziels und im Fortgang den Erwerb des Abschlusses der jeweiligen Schulart [Hervorh. im Original].“ Beyer verbindet daher seine Kritik an dem „verkürzte[n] Nachteilsausgleich des § 48 Abs.  1[Hervorh. im Original]“ der Schulordnung für die Mittelschulen in Bayern (MSO), ebd. S. 226, dessen „Durchführung […] in keiner Weise das Gebot der Lernzieldifferenzierung nach Art. 30a Abs. 5 Satz 3 BayEUG auf[nimmt]“ [Hervorh. im Original], ebd. S. 225 f., mit der Feststellung, ebd. S. 226: „Diesem Erfordernis eines individualisierbaren, auch spezifisch abweichende Prüfungsformen und -abläufe im Einzelfall ermöglichenden Ausgleichs einer sonst drohenden Benachteiligung wegen der Behinderung wird der auf die bloße Erleichterung der herkömmlichen äußeren Prüfungsmodalitäten limitierte ‚Nachteilsausgleich‘ nach § 48 Abs.  1 MSO nicht gerecht.“ 201 Zu Recht hat daher das OVG d. Saarl., Beschl. v. 2.10.2006, 3 W 12/06, NVwZ-RR 2007, 106 (107 f.), eine Absenkung der Prüfungsanforderungen im schulischen Teil der Ausbildung in einem Ausbildungsberuf abgelehnt: Es sei weder dargetan noch erkennbar, wie eine vom Ast. begehrte zieldifferente integrative Unterrichtung in einer Fachklasse der Berufsschule ausgestaltet sein könnte, die einerseits der Lernbehinderung des Ast. Rechnung trage und andererseits gleichwohl den für das Erreichen des Ausbildungszieles erforderlichen Lehrstoff vermittele. Bei einer Zielermäßigung würde weniger verlangt als die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten i. S. von § 38 S. 3 BBiG. Eine der Behinderung des Ast. entsprechende Zurücknahme der Anforderungen an den Nachweis der beruflichen Handlungsfähigkeit in dem gewählten Ausbildungsberuf ‚Fachlagerist‘ würde im Ergebnis zu einem anderen Ausbildungsziel führen. Dass der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 GG und auch das Verbot der Benachteiligung Behinderter (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) es nicht geböten, der Behinderung eines Auszubildenden durch die Zurücknahme der inhaltlichen Anforderungen an das Bestehen einer (Abschluss-)Prüfung Rechnung zu tragen, sei im Prüfungsrecht anerkannt. Im Prüfungsrecht werde unterschieden zwischen Umständen, die eine generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit bedingten, und Behinderungen, die ‚lediglich‘ den Nachweis einer uneingeschränkt vorhandenen Befähigung erschwerten. Letztere seien ggf. durch Hilfsmittel oder die Einräumung besonderer Prüfungsbedingungen auszugleichen. Eine Behinderung rechtfertige es hingegen nicht, über Leistungsmängel hinwegzusehen bzw. nur geringere Leistungsanforderungen zu stellen. Dem trage letztlich auch § 14 AO-BS Rechnung, der vorsehe, dass in Zeugnissen lernbehinderter Schüler auf Beschluss der Klassenkonferenz eine allgemeine Beurteilung abgegeben werden könne, wenn infolge der Behinderung keine hinreichenden Nachweise für eine Bewertung der Leistungen in den einzelnen Fächern durch Zeugnisnoten vorlägen. Aus den dargelegten, im Prüfungsrecht entwickelten Grundsätzen folge zugleich, dass weder der allgemeine Gleichheitssatz noch das Benachteiligungsverbot des Art.  3 Abs.  3 Satz 2 GG einem Behinderten einen Anspruch darauf vermittelten, dass ihm der Zugang zu dem von ihm gewählten Beruf durch eine seiner jeweiligen Behinderung Rechnung tragende Rücknahme oder inhaltliche Modifikation der für den Erwerb des berufsqualifizierenden Abschlusses zu erfüllenden Anforderungen eröffnet werde.

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(2) „Weiterentwicklung“ des Begriffs des Nachteilsausgleichs Es muss daher mehr als nachdenklich stimmen, wenn sich mittlerweile auch ein offizielles Dokument der Kultusministerkonferenz zu Gedanken und Praktiken dieser Art bekennt. Es handelt sich dabei um den Beschluss zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen. Dort heißt es: „Abschlussverfahren, Abschlussprüfungen, Abschlusszeugnisse und Abschlussvergaben sind für den weiteren Bildungs- und Berufsweg der Jugendlichen von ausschlaggebender Bedeutung. Die Leistungsbewertung muss sich daher bei Abschlüssen wegen des grundgesetzlich vogegebenen Gleichbehandlungsgebots, insbesondere im Hinblick auf die freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte, nach einheitlichen Kriterien richten. […] Ein Abweichen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung in einer Prüfungssituation oder bei der Vergabe eines Abschlusses stellt einen Vorteil gegenüber den Mitschülerinnen und Mitschülern dar. Es ist Aufgabe der Leistungsbewertung, in einem Abschlussverfahren, in einer Abschlussprüfung, in einem Abschlusszeugnis oder bei der Abschlussvergabe zu ermitteln, bis zu welchem Grad der Prüfling die gesetzten Standards erreicht hat. Für den Fall, dass ein Land dennoch die Anforderungen an Prüflinge mit Behinderungen zurücknehmen möchte, bedarf dieses einer landesrechtlichen Ermächtigung. Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung sind im Abschlusszeugnis zu vermerken.“202

Dass hier die Abdingbarkeit eines ehernen bewertungs- und prüfungsrechtlichen Grundsatzes des gemeindeutschen Schulrechts durch eine entsprechende landesrechtliche Regelung ausdrücklich konzediert wird, ist eine in hohem Maße fragwürdige politische Entscheidung der Kultusminister der Länder. Sie lässt darauf schließen, dass mancherorts keine Hemmungen mehr bestehen, einen fundamentalen prüfungsrechtlichen Grundsatz außer Kraft zu setzen, wenn er hinderlich ist, die integrative/inklusive Unterrichtung als unter allen Umständen erfolgreich darstellen oder gar ihre angeblich generelle Überlegenheit gegenüber dem Lernort Förderschule aufzeigen zu können. Auf diese Weise lässt sich die Realität so lange zurechtbiegen, bis sie der Vision von der „Schule für alle“ gerecht wird. Da die schulrechtlichen Bestimmungen für Abschlussprüfungen, Abschlussverfahren und Abschlussvergaben in aller Regel nicht nur auf die abschließende punktuelle Prüfung abstellen, sondern in Form der sog. Vornoten auch Leistungen während des letzten und gegebenenfalls auch vorletzten Schuljahres einbeziehen, muss diese fragwürdige Entscheidung der Kultusministerkonferenz auch auf die Leistungsbewertung während der Unterrichtszeit bezogen werden.203 202 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 8 f. (Hervorh. d. Verf.). 203 Dass diese Art von „inhaltlichen Modifikationen“, d. h. Abstrichen an den regulär zu erbringenden Leistungen, nicht nur „am Ende des jeweiligen Bildungsganges zu beachten [sind], sondern schon am Beginn, also bei der Entscheidung über die Zulassung zu einem bestimmten Bildungsgang, und beim Aufrücken innerhalb der Bildungsgänge, also bei den schulischen Versetzungsentscheidungen“, wird von Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 515, ausdrücklich erwähnt.

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4. Teil: Inklusive Schule

Während Poscher/Rux/Langer jedoch keinen Zweifel daran lassen, dass es sich bei der von ihnen befürworteten „Freistellung von bestimmten Prüfungsleistungen“ um Notenschutz handelt,204 kommt das Wort „Notenschutz“ in den beiden Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur inklusiven Schule205 nicht vor. Stattdessen enthält der Beschluss der Kultusministerkonferenz über inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen vom 20.10.2011 einen mit „Nachteilsausgleich“ überschriebenen Abschnitt. Der Text lautet: „Die Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs sind wesentliche Bestandteile eines barrierefreien Unterrichts während der gesamten Schullaufbahn. Nachteilsausgleiche dienen dazu, Einschränkungen durch Beeinträchtigungen oder Behinderungen auszugleichen oder zu verringern. Sie sollen ermöglichen, individuelle Leistungen mit anderen zu vergleichen. Der Nachteilsausgleich soll auch den Zugang des Kindes oder Jugendlichen zur Aufgabenstellung und damit die Möglichkeit ihrer Bearbeitung gewährleisten. Mit Hilfe des Nachteilsausgleichs sollen Kinder und Jugendliche mit besonderen Lern­ bedürfnissen ihre mögliche Leistungsfähigkeit ausschöpfen. Es gilt, Bedingungen zu finden, unter denen Kinder und Jugendliche ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen können, ohne dass die inhaltlichen Leistungsanforderungen grundlegend verändert werden. Eine Leistung, die mit Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs erbracht worden ist, stellt eine gleichwertige, zielgleiche Leistung dar. Die Anwendung von Formen des Nachteilsausgleichs gibt insbesondere den Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen die Chance, Kompetenzen unter angemessenen äußeren Bedingungen nachzuweisen. Ein Nachteilsausgleich ist stets auf den Einzelfall abzustimmen, da bei gleichen Erschei­ nungsformen nicht immer gleiche Formen des Nachteilsausgleichs angemessen sind. Die Festlegungen zum Nachteilsausgleich sind für den vereinbarten Zeitraum verbindlich und müssen von allen Lehrkräften im Unterricht berücksichtigt werden. Daher sind die Festlegungen zum Nachteilsausgleich regelmäßig zu dokumentieren, zu prüfen und ggf. anzupassen.“206

Bereits der erste Satz des zitierten Textes macht deutlich, dass es hier keineswegs nur um Modifikationen der äußeren Bedingungen bei der Leistungsfeststellung geht, sondern um eine Strategie für den Umgang mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Denn eine strikte Beschränkung der Erleichterungen auf die äußeren Bedingungen der Leistungsfeststellung wäre von solcher Selbstverständlichkeit, dass kein Anlass bestünde, sie als „wesentlichen Bestandteil“ eines Unterrichts- und Erziehungskonzepts hervorzuheben. Vielmehr geht es darum, dass „mit 204

Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 64 f. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention  – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300, S.  1 ff.; Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 1 ff. 206 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 7 f. 205

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Hilfe des Nachteilsausgleichs Kinder und Jugendliche mit besonderen Lern­bedürf­ nissen ihre mögliche Leistungsfähigkeit ausschöpfen [sollen]“. Dass mit dieser offensichtlich bewusst kryptischen Umschreibung in Wirklichkeit vor allem die Zurücknahme inhaltlicher Leistungsanforderungen gemeint ist, geht aus der Einschränkung in dem nachfolgenden Satz hervor, dass diese allerdings nicht „grundlegend“ verändert werden dürften. Das Wort „grundlegend“ eröffnet der einzelnen Schule jedoch einen weiten Interpretations- und Handlungsspielraum und versetzt sie in die Lage, durch „Modifikationen“ inhaltlicher Art letztlich je nach der Leistungsfähigkeit des Kindes oder Jugendlichen zieldifferenten Unterricht zu praktizieren. Es fällt auf, dass der KMK-Beschluss das Wort „zieldifferent“ sorgfältig vermeidet und stattdessen die bemerkenswerte Aussage enthält, dass eine Leistung, die mit solcherart „Nachteilsausgleich“ erbracht ist, „eine gleichwertige, zielgleiche Leistung dar[stellt].“ Auch der Hinweis in dem KMK-Beschluss, „ein Nachteilsausgleich [sei] stets auf den Einzelfall abzustimmen, da bei gleichen Erscheinungsformen nicht immer gleiche Formen des Nachteilsausgleichs angemessen sind“, bestätigt, dass es um Abstriche bei den Leistungsanforderungen geht. Denn für einen Nachteilsausgleich im Sinne des durch die Rechtsprechung gefestigten Begriffs ist die Notwendigkeit einer situationsadäquaten Modifikation der äußeren Bedingungen der Leistungsfeststellung so selbstverständlich, dass es dazu keines ausdrücklichen Hinweises bedarf. Es ist unverkennbar, dass sich die Kultusministerkonferenz von dem insbesondere durch die Rechtsprechung unmissverständlich definierten Begriff des Nachteilsausgleichs verabschiedet hat. Hier lässt sich beobachten, wie nach der Methode „Weiterentwicklung“ ein Begriff usurpiert wird. Unter der Hand und mit scheinbarer Selbstverständlichkeit wird dem Begriff „Nachteilsausgleich“ ein Inhalt beigelegt, der bisher einem anderen, mit viel weiter reichenden Voraussetzungen und Konsequenzen verbundenen Begriff, nämlich dem des Notenschutzes, vorbehalten war. Es wird sich zeigen, dass die Umdeutung dieses Begriffes ­(„Neusprech“) auch in der vom Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes erlassenen Inklusionsverordnung wirksam geworden ist.207 Dieser Bruch mit einer bis dahin allseits akzeptierten bewertungs- und prüfungsrechtlichen Regelung öffnet der Relativierung von Leistungsanforderungen und damit der Manipulation von Noten Tür und Tor. Daran ändert auch der aus dem Beschluss der Kultusministerkonferenz zitierte abschließende Satz nichts, wonach „Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung im Abschlusszeugnis zu vermerken [sind]“.208 Auch die Bemerkung von Rux, allerdings sei „ein Hinweis auf Modifikationen der Prüfungsanforderungen dann geboten, wenn diese Modifikationen die Aussagekraft des 207

Siehe unten sub Kap. 17 D. II. 2. b) bb). Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 9. 208

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4. Teil: Inklusive Schule

Prüfungszeugnisses berühren und den Betroffenen andernfalls Kompetenzen attestiert wurden, über die sie nicht verfügen“209, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet – vor allem dann, wenn von gleicher Seite die Befürchtung geäußert wird, dass dies allerdings „zu einer gewissen Stigmatisierung des betroffenen Schülers führen kann“.210 Das Gleiche gilt für die Aussage von Poscher/Rux/Langer, im Falle einer solchen Freistellung bzw. Zurücknahme der Leistungsanforderungen sei diese, sofern sie nicht auf andere Weise kompensiert werde, „in der Regel auf dem Abschlusszeugnis zu vermerken.“211 Denn es ist nicht erkennbar, wie bei dieser faktischen Absenkung der Leistungsanforderungen und der Dispensierung von dem maßgeblichen Standard212 ein Abschlusszeugnis soll ausgestellt werden können, das die mit seinem Urkundencharakter verbundene Eindeutigkeit und Aussagekraft im Rechtsverkehr hat. Wie soll es möglich sein, einem lernbehinderten Schüler einen Hauptschulabschluss zu bescheinigen – denn darum geht es ja –, wenn sich aus demselben Zeugnisformular ergibt, dass der Schüler von dort im Einzelnen aufgeführten substanziellen Leistungsanforderungen des für den Erwerb des Hauptschulabschlusses maßgeblichen Lehrplans faktisch dispensiert wurde? Das ist ein nicht auflösbarer Widerspruch. Ein solches Zeugnis würde der für ein Schulzeugnis begriffswesentlichen Orientierungsfunktion und Berechtigungsfunktion213 nicht gerecht. Dieser Widerspruch kann auch nicht dadurch aus der Welt geschafft werden, dass, wie dies bei Rux geschieht, ein neuer Begriff ins Spiel gebracht wird, nämlich der der Kompetenz: „Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, dass die Prüfungsanforderungen abgesenkt werden müssten. Vielmehr geht es um eine behinderungsgerechte Modifikation dieser Anforderungen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Frage zu, welche Kompetenzen durch den erfolgreichen Abschluss eines bestimmten Bildungsganges nachgewiesen werden sollen.“214 209 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (227). 210 Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 518. Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution? – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (227): „Zwar stehen solche Vermerke grundsätzlich im Widerspruch zum Grundsatz der Inklusion, da sie zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führen können.“ 211 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion, S. 65 f. 212 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution? – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, 220 (228), bestreitet dies freilich: „Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, dass die Prüfungsanforderungen abgesenkt werden müssten. Vielmehr geht es um die behinderungsgerechte Modifikation dieser Anforderungen.“ An dieser Versicherung sind, wenn man den Kontext der Ausführungen des zitierten Autors betrachtet, Zweifel angebracht. Denn die Formel „behinderungsgerechte Modifikation“ bietet der Schulpraxis einen weiten Interpretations- und Handlungsspielraum. 213 Vgl. hierzu Ossenbühl, Rechtliche Grundfragen der Erteilung von Schulzeugnissen, S. 20. 214 Rux, Kein Handlungsbedarf oder Anlass für eine bildungspolitische Revolution?  – Zur innerstaatlichen Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, RdJB 2009, S. 220 (228).

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An die Stelle von fachbezogenen, im Lehrplan festgelegten Inhalten und mit ihnen zu verfolgenden Lernzielen wird also ein diffuser, inhaltsleerer Kompetenzbegriff gesetzt.215 Betrachtet man den Kontext der Ausführungen von Rux, so sind Zweifel angebracht an dessen Versicherung, mit dieser Vorgehensweise sei keine Absenkung von Prüfungsanforderungen verbunden. Abgesehen davon, dass der Kompetenzbegriff bei seiner inflationären Inanspruchnahme für die unterschiedlichsten pädagogischen und bildungspolitischen Zielsetzungen mittlerweile für einen Topos ohne Kontur steht,216 kann auch mit einem solchen Kategorienwechsel das intendierte Ergebnis nicht legitimiert werden. Ob abschlussrelevante Anforderungen als Lernziele oder als „Kompetenzen“ ausgestaltet und definiert werden, ändert nichts am Grundsatz der Gleichbehandlung als der rechtsstaatlich maßgeblichen Handlungsmaxime bei der Vergabe staatlicher Abschlüsse. Es ist mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung rechtlich nicht zulässig, etwa im Hinblick auf den Erwerb des Hauptschulabschlusses die nichtbehinderten Schüler an den Lernzielen und fachlichen Anforderungen des maßgeblichen Lehrplans zu messen, die behinderten Schüler dagegen an beliebig zu beschreibenden „Kompetenzen“. Entgegen der Beteuerung von Rux läuft es im Kern der Sache sehr wohl auf eine Zurücknahme der inhaltlichen Anforderungen hinaus, weil es andernfalls nach wie vor eine beträchtliche Zahl von integrativ/inklusiv unterrichteten Schülern geben wird, die den Hauptschulabschluss nicht erreichen – was aber mit den Verheißungen der Inklusionsbewegung nicht vereinbar wäre. Die Formel „behinderungsgerechte Modifikation dieser Anforderungen“ widerlegt diese Einschätzung nicht, sondern ist eher geeignet, sie zu bestätigen. Die Instrumentalisierung des Kompetenzbegriffs im vorliegenden Kontext zur Legitimierung einer „Modifikation“ fachlich-inhaltlicher Leistungsanforderungen enthält jenes willkürliche Element, das der Inanspruchnahme der Befugnis zu dezisionistischer Vorgehensweise eigen ist. (3) Prinzip der individuellen Leistungsnorm und das Konzept der inklusiven Schule Die soeben referierten Vorstellungen über die prinzipielle Anwendbarkeit von Notenschutz auf zieldifferent unterrichtete behinderte Schüler entsprechen weitgehend dem, was z. B. nach Rux/Niehues den Kern eines inklusiven Schulsystems ausmacht, nämlich die „individuelle Leistungsbeurteilung“ aller Schüler im Sinne der Anwendung eines ausschließlich individuell-selbst­referenziellen Maßstabs. So ergibt sich nach Rux/Niehues bei der Übertragung des aus der sonderpädago­ gischen Förderung bekannten Inklusionsprinzips auf die „Gemeinschaftsschulen“ 215

Vgl. Vec, Dämmernde Disziplinen. Konrad Liessmann geißelt „Kompetenzorientierung“, FAZ Nr. 116 vom 22.5.2013, S. N 5. 216 Siehe hierzu: Wolfgang Sander, Im Land der kompetenten Säuglinge. Wie Legitimationsfloskeln vom Kindergarten bis zur Hochschule den Kompetenzbegriff aushöhlen, FAZ Nr. 97 vom 29.4.2013, S. 7; Keutel/Grossarth, Der Kompetenz-Fetisch, FAZ Nr. 38 vom 14./15.2015, S. C 3.

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und damit auf die allgemeinen Schulen: „An die Stelle einer Aufteilung nach der vermuteten Leistungsfähigkeit in verschiedene Bildungsgänge oder zumindest Kurse tritt hier unter Umständen die Binnendifferenzierung einschließlich der individuellen Definition der Leistungsanforderungen.“217 Das wird von den genannten Autoren an anderer Stelle in grundsätzlicher Hinsicht bekräftigt: „Wenn sich ein inklusives Schulsystem durch individualisierte Leistungsanforderungen auszeichnet, dann hat dies notwendigerweise zur Konsequenz, dass die Leistungen des Schülers auch nur an den für ihn geltenden Anforderungen gemessen werden dürfen.“218 Was das für ein Bildungssystem bedeutet, ist unschwer zu erkennen: Angesichts der bedingungslosen Individualisierung von Leistungsbewertung haben Zeugnisse keine Aussagekraft mehr für einen Leistungsvergleich. Sie haben ihre Orientierungsfunktion219 sowohl für den betreffenden Schüler und seine Eltern als auch für das Bildungswesen, die Arbeitswelt und die sonstigen gesellschaftlichen Teilbereiche verloren und können keine Grundlage mehr sein für die Vergabe der mit Bildungsabschlüssen verbundenen Berechtigungen. Diese Konsequenz wird von Ossenbühl zutreffend beschrieben: „Wo Zeugnisse nach ihrer Berechtigungsfunktion oder ihrer gesellschaftlichen Funktion, die sich etwa bei Einstellungsentscheidungen für eine bestimmte berufliche Laufbahn zeigt, Rangierungs- und Auswahlbedeutung gewinnen, kann sich ein Zeugnis nur an objektivierten und typisierten Standardbeurteilungen orientieren, mag die Zeugnispraxis selbst auch noch so sehr Angriffen ausgesetzt oder tatsächlich unzulänglich sein. Die […] Intention des ‚individuellen Zeugnisses‘, welches (lediglich) am Lernvermögen des einzelnen Kindes orientiert ist, wäre im Bereich der Abschlußzeugnisse also schon a limine sachfremd und deshalb undurchführbar.“220

Dessen sind sich offensichtlich auch Rux/Niehues bewusst. Doch dokumentieren sie mit dem „Lösungsvorschlag“, den sie hierfür anzubieten haben, in Wirklichkeit die sachliche Unhaltbarkeit und Absurdität des Prinzips der individuellen Leistungsnorm: „Dies ist nun aber wiederum deshalb problematisch, weil die Schüler in den Schulen nicht nur bestimmte Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben sollen, sondern die verschiedenen Bildungsabschlüsse jeweils den Zugang zu einer ganzen Palette weiterer Bildungs- und Ausbildungsgänge eröffnen. Eine individualisierte Leistungsbewertung lässt sich aber kaum mit dem Konzept der Allgemeinen Hochschulreife vereinbaren. Um diesen Konflikt aufzulösen, werden diejenigen Schüler, die einen bestimmten Bildungsabschluss anstreben, jedenfalls in der Endphase des von ihnen angestrebten Bildungsganges doch an einem einheitlichen Maßstab gemessen werden müssen.“221

Diese Ausführungen von Rux/Niehues bedürfen keiner weiteren Kommentierung. 217

Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 942. Rux/Niehues, ebd., Rn. 509. 219 Zur Orientierungsfunktion und Berechtigungsfunktion von Zeugnissen siehe Ossenbühl, Rechtliche Grundfragen der Erteilung von Schulzeugnissen, S. 20. 220 Ossenbühl, ebd., S. 30 (Hervorh. im Original). 221 Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 510. 218

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(4) Systemrelevanz des Prinzips der individuellen Leistungsnorm An dieser Stelle ist auf die oben bereits zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts222 zum Notenschutz im Falle von Legasthenie zurückzukommen. Denn das Urteil enthält einen inneren Widerspruch, an dem sich die Systemrelevanz der konsequenten Praktizierung des Prinzips der individuellen Leistungsnorm aufzeigen lässt. Zunächst grenzt das Gericht auf unmissverständliche Weise den Notenschutz vom Nachteilsausgleich ab und tritt damit allen Versuchen zur Subsumierung von Notenschutz unter den Begriff des Nachteilsausgleichs entgegen.223 Folgerichtig stellt das Bundesverwaltungsgericht fest: „Mit der Einführung von Bewertungsmaßstäben, die dem individuellen Leistungsvermögen durch Notenschutz Rechnung tragen, können je nach Reichweite Änderungen der Lernziele und ein schulischer Systemwechsel verbunden sein.“224

Systemrelevant im Sinne einer grundlegenden Veränderung des Unterrichtsund Erziehungsauftrages der Schule und ihres Selbstverständnis ist der Wechsel vom objektiven, allgemein geltenden Maßstab für die Leistungsbewertung zum individuell-selbstreferenziellen Maßstab („Prinzip der individuellen Leistungsnorm“) deswegen, weil damit das Leistungsprinzip als das im Bildungswesen akzeptierte demokratische Differenzierungsprinzip aufgegeben wird. Gerade weil das Bundesverwaltungsgericht diese Konsequenzen offensichtlich nicht verkennt, muss in hohem Maße irritieren, was das Gericht in derselben Entscheidung zum Inhalt des Zeugnisses ausführt. Es geht um die Frage, ob im Falle des Notenschutzes ein diesbezüglicher Vermerk in das Zeugnis aufzunehmen ist. Hierzu heißt es in dem Urteil: „Handelt es sich bei der Gewährung von Notenschutz um eine durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gedeckte, aber nicht gebotene Förderungsmaßnahme, kann der Vermerk des Notenschutzes im Abschlusszeugnis keinen grundrechtlich gewährleisteten Anspruch konterkarieren. Der Schulaufsicht obliegt im Rahmen ihres Einschätzungsspielraums auch die Entscheidung darüber, ob ein solcher Vermerk anzubringen ist. Hierfür spricht, dass der Hinweis auf den Notenschutz die Aussagekraft des Zeugnisses erhöht. Er stellt klar, inwieweit die Noten des Zeugnisinhabers nicht nach den allgemeinen Bewertungskriterien zustande gekommen sind […].“225

In diesem Sinne wird in demselben Urteil zu den an die inhaltliche Bestimmtheit der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsnorm zu stellenden Anforderungen ausgeführt: 222

BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). Siehe oben sub Kap. 17 II. 1. b) aa). 224 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 34, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015) (Hervorh. d. Verf.). 225 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 37, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015) (Hervorh. d. Verf.). 223

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„Auch ist wegen der Grundrechtsrelevanz eine Grundentscheidung des Gesetzgebers darüber geboten, ob der gewährte Notenschutz im Zeugnis zu dokumentieren ist.“226

Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge steht es also im Belieben des Gesetzgebers oder der Schuladministration, ob auf den gewährten Notenschutz im Zeugnis hinzuweisen ist oder nicht. Eine solche Auffassung ist nicht vereinbar mit der Zeugniswahrheit, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung an anderer Stelle227 erwähnt. Dieser Begriff gehört zu den selbstverständlichen Bestandteilen schul- und prüfungsrechtlicher Dogmatik. Er besagt, dass die von dem Schüler tatsächlich erbrachten Leistungen und der objektive Erklärungswert der Zeugnisurkunde übereinstimmen müssen. Denn das Zeugnis ist eine öffentliche Urkunde, der ein Verwaltungsakt zugrunde liegt. Es hat Orientierungs- und Berechtigungsfunktion und muss daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Chancengleichheit entsprechen. Der Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, für die Aufnahme eines Vermerks in das Zeugnis spreche, „dass der Hinweis auf den Notenschutz die Aussagekraft des Zeugnisses erhöht“, liegt wohl die Vorstellung einer relativen, d. h. nach dem Annäherungswert abgestuften Zeugniswahrheit zugrunde. Denn nur auf dieser Grundlage lässt sich formulieren, dass der Hinweis die Aussagekraft des Zeugnisses „erhöht“. Richtig ist vielmehr, dass im Falle gewährten Notenschutzes ein Zeugnis ohne den Vermerk keine wahrheitsgemäße Aussage darstellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat an dieser Stelle dem Landesgesetzgeber und der Schuladministration die Lizenz zur Vereitelung von Transparenz erteilt.228 Das ist umso unverständlicher, als das Bundesverwaltungsgericht in demselben Urteil an anderer Stelle ausführt: „Durch den Vermerk gewährten Notenschutzes im Zeugnis werden Legastheniker gegenüber Schülern mit anderen Behinderungen nicht gleichheitswidrig benachteiligt. Die d­ arauf bezogenen Ausführungen der Kläger verkennen den Zweck des Vermerks. Es geht nicht darum, eine Behinderung zu dokumentieren, sondern den Verzicht auf allgemein geltende Leistungsanforderungen transparent zu machen. Notenschutz durch Änderung des all­gemeinen Maßstabs für die Leistungsbewertung unterscheidet sich grundlegend von der Änderung äußerer Prüfungsbedingungen zur Herstellung gleicher Erfolgschancen (Nachteilsausgleich) sowie von der Befreiung der Teilnahme am Unterricht und dem Verzicht auf die Vergabe von Noten in einzelnen Fächern. Unterrichtsbefreiung und Notenverzicht kommen im Zeugnis zum Ausdruck, ohne dass gesondert darauf hingewiesen werden müsste.“229

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BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 44, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015) (Hervorh. d. Verf.). 227 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 4, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). 228 Cremer/Kolok, Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Umgang mit Legasthenie und Dyskalkulie – insbesondere zum grundrechtlich fundierten Anspruch auf eine fähigkeitsund begabungsgerechte Beurteilung, DVBl. 2014, 333 (337), konstatieren eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, im Falle von Notenschutz durch Aufnahme eines entsprechenden­ Vermerks in das Zeugnis Transparenz zu gewährleisten. 229 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 52, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015).

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Transparenz hat auch etwas mit Qualitätssicherung zu tun. Auch auf diese kann der bereits zitierte Satz des Bundesverwaltungsgerichts bezogen werden: „Mit der Einführung von Bewertungsmaßstäben, die dem individuellen Leistungsvermögen durch Notenschutz Rechnung tragen, können je nach Reichweite Änderungen der Lernziele und ein schulischer Systemwechsel verbunden sein.“230 Wenn Notenschutz nicht mehr transparent gemacht wird, dann sind seiner Ausdehnung („Reichweite“) kaum Grenzen gesetzt. Die Konsequenzen für das Anforderungsprofil von Abschlüssen und Schulformen und deren Positionierung im Schul­ system liegen auf der Hand. Hierauf ist zurückzukommen, wenn in der vorliegenden Schrift auf die Regelungen der saarländischen Inklusionsverordnung zum „Nachteilsausgleich“ eingegangen wird.231 2. Leistungsbewertung, Nachteilsausgleich und Notenschutz nach der Inklusionsverordnung a) Individueller Förderplan anstelle lehrplanbezogener Differenzierung Zu Recht wurde die zieldifferente Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher als das „Herzstück“232 der auf der Grundlage des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986233 eingeführten und in der Folgezeit im Saarland praktizierten integrativen Unterrichtung bezeichnet. Doch kommen – anders als bisher in § 3 Satz 2 und § 5 Abs. 2 IntVO – die Worte „zieldifferente Unterrichtung“ in der Inklusionsverordnung nicht mehr vor. Stattdessen ist in der Inklusionsverordnung von der „Anpassung des Anforderungsniveaus“ die Rede. Im Ergebnis ist ein sachlicher Unterschied zur zieldifferenten Unterrichtung nicht erkennbar. Das kann auch nicht verwundern. Denn an der Befindlichkeit der behinderten Schüler mit intellektuellen Beeinträchtigungen, die nunmehr in der inklusiven Schule unterrichtet werden, hat sich ungeachtet aller Dekategorisierungsbemühungen von Gesetzgeber und Verordnungsgeber nichts geändert. Ein Unterschied besteht allerdings in der Handhabung der Leistungsfähigkeit von behinderten Schülern einerseits und nichtbehinderten Schülern andererseits. An die Stelle einer lehrplanbezogenen Vorgehensweise  – nach der IntegrationsVerordnung wurde der Lehrplan der Schule für Lernbehinderte bzw. Geistigbehinderte zugrunde gelegt – ist nunmehr eine Sichtweise getreten, die ausschließlich auf den für den Schüler erstellten individuellen Förderplan bezogen ist. Das ermöglicht nach der Inklusionsverordnung im Übrigen auch die Einbeziehung­ 230

BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 34, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). Siehe nachfolgend sub Kap. D 17. II. 2. und 3. 232 Ries, Die Rolle von PolitikerInnen auf dem Weg zur schulischen Integration, in: Hildeschmidt/ Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, S. 79 (83). 233 Amtsbl. S. 477. 231

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solcher Schüler in die privilegierende Wirkung der „Anpassung des Anforderungsniveaus“ bzw. des „Nachteilsausgleichs“ bzw. des Notenschutzes, bei denen keine Behinderung vorliegt; auf die damit verbundene Gefahr für das Leistungsniveau des saarländischen Schulwesens wurde oben234 bereits hingewiesen. Diese auf den individuellen Förderplan bezogene Sichtweise ist gemeint, wenn in dem bei „angepasstem Anforderungsniveau“ auszustellenden Zeugnissen in § 9 Abs. 1 InklVO von einem „veränderten Referenzrahmen“ die Rede ist. Es ist dies nichts anderes als das oben erörterte „Prinzip der individuellen Leistungsnorm“. Von einem externen, überindividuellen Maßstab ist also insoweit keine Rede mehr. b) Nachteilsausgleich im Sinne der Inklusionsverordnung aa) Geltungsbereich und Bedeutung im Rahmen der inklusiven Schule Bestandteil der individuellen Förderplanung ist gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und § 6 Abs. 1 InklVO u. a. die Entscheidung über die Gewährung eines Nachteilsausgleichs; in § 6 Abs. 1 InklVO wird der Nachteilsausgleich als Element der Förderplanung sogar an erster Stelle genannt. In der Begründung des Entwurfs der Inklusionsverordnung heißt es, dass „Maßnahmen des Nachteilsausgleichs […] auch im Zusammenhang mit einer besonderen pädagogischen Unterstützung stehen [können]“235, d. h. also auch bei nichtbehinderten Schülern in Betracht kommen. Abgesenktes Anforderungsniveau und ein etwaiger Nachteilsausgleich sind also die Elemente des für die Bewertung der Leistungen „veränderten Referenzrahmens“ (§ 9 Abs. 1 InklVO). Die Bestimmungen der Inklusionsverordnung über den Nachteilsausgleich sind nicht beschränkt auf die Grundschule. Zwar ist die Inklusionsverordnung nach ihrem § 22 (nur) auf die Grundschulen anwendbar, und zwar ab dem Schuljahr 2014/2015. Doch enthält sie gerade im Hinblick auf den Nachteilsgleich bereits Aussagen, die auch für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen und die beruflichen Schulen relevant sind, auf die ab dem Schuljahr 2016/2017 bzw. 2018/2019 die gesetzlichen Regelungen über die inklusive Schule Anwendung finden werden und für die zu gegebener Zeit entsprechende Änderungsverordnungen erlassen werden sollen.236 In § 13 Abs. 2 Halbsatz 1 InklVO ist nämlich normiert, dass „Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs integraler Bestandteil der inklusiven Unterrichtsarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen [sind]“.237 Auch spricht § 13 Abs. 3 Satz 1 InklVO von der Anwen 234

Siehe sub Kap. 17 D. I. 2. Begründung des mit Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 2.6.2015, GeschZ.: A 4/C – 0.2.3.15, den Teilnehmern an der externen Anhörung übersandten Entwurfs der Inklusionsverordnung, S. 96. 236 Siehe hierzu oben sub Kap. 17 A. II. 1. a). 237 Hervorh. d. Verf. 235

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dung des Nachteilsausgleichs auf „die inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen des jeweiligen Bildungsganges“238, was die Einbeziehung des Gymnasiums und der Bildungsgänge der Gemeinschaftsschule impliziert. Nur das Gymnasium und die Gemeinschaftsschule können mit § 14 Satz 2 Nr. 8 InklVO gemeint sein, wo als eine der möglichen Formen des Nachteilsausgleichs „die Einrichtung von Sonderterminen oder die Verteilung von Prüfungsterminen über einen größeren Zeitraum“ vorgesehen ist; denn an den Grundschulen gibt es keine Prüfungen. Wenn in § 4 Abs. 1 Satz 2 InklVO u. a. „der jeweilige Tutor“ als zuständig für Einleitung der Förderplanung genannt wird, zu der gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und § 6 Abs. 1 InklVO essentiell die Gewährung von Nachteilsausgleich gehört, so kann sich das nur auf die die Oberstufe des Gymnasiums, die gymnasiale Oberstufe der Gemeinschaftsschule oder die beruflichen Schulen beziehen; denn an der Grundschule gibt es keine Tutoren. Aus der Regelung zur Legasthenie in § 15 Abs. 2 InklVO ist zu schlussfolgern, dass diese Regelung auch für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen vorgesehen ist. Die Inklusionsverordnung trifft für den Nachteilsausgleich folgende Regelung: Abschnitt 3 Nachteilsausgleich § 13 Aufgabe (1) Der Nachteilsausgleich dient dazu, im Sinne der Chancengleichheit Benachteiligungen aufgrund von chronischen Erkrankungen, von Beeinträchtigungen oder Behinderungen zu verringern und möglichst auszugleichen und betroffenen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, ihre Leistungsfähigkeit auszuschöpfen und ihre Kompetenzen nachzuweisen. (2) Die Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs sind integraler Bestandteil der inklusiven Unterrichtsarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen; ein Nachteilsausgleich kann auch von den Erziehungsberechtigten beantragt werden. (3) 1Durch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs werden Bedingungen geschaffen, die den Zugang zur Aufgabenstellung und die Möglichkeit ihrer Bearbeitung gewährleisten, ohne dass dabei die inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen des jeweiligen Bildungsganges geringer bemessen werden. 2Eine Leistung, die mit Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs erbracht worden ist, ist daher gleichwertig. § 14 Formen des Nachteilsausgleichs 1

Im Rahmen des Nachteilsausgleichs können die Bedingungen für mündliche, schriftliche oder praktische Leistungsfeststellungen der Beeinträchtigung angepasst werden. 2Mögliche Formen des Nachteilsausgleichs sind zum Beispiel: 1. die Gewährung einer verlängerten Bearbeitungszeit und zusätzlicher Pausen, 2. die Bereitstellung eines separaten Prüfungsraums und eine besondere Organisation des Arbeitsplatzes, 238

Hervorh. d. Verf.

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3. die Zulassung der Verwendung technischer Hilfsmittel, 4. die Zulassung der Verwendung bestimmter didaktischer Hilfs- oder Arbeitsmittel, 5. die Gewährung zusätzlicher personeller Unterstützung, 6. die Anpassung der Präsentation von Aufgaben und Ergebnissen, 7. die Modifizierung der Aufgabenstellung bei gleichwertigem Anspruchsniveau, 8. die Einrichtung von Sonderterminen oder die Verteilung von Prüfungsterminen über einen größeren Zeitraum. § 15 Grundsätze zum Verfahren (1) 1Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind immer auf einzelne Schülerinnen und Schüler bezogen und nur in begründeten Einzelfällen zulässig. 2Sie können gewährt werden 1. bei erheblichen Beeinträchtigungen beziehungsweise Behinderungen in den Bereichen Sprache, der körperlich-motorischen Entwicklung, der emotional-sozialen Entwicklung oder im Bereich der Sinneswahrnehmung, 2. bei chronischen, langfristigen oder temporären körperlichen, psychosomatischen oder psychischen Erkrankungen oder Funktionsbeeinträchtigungen oder 3. bei sonstigen umfänglichen psychischen und/oder sozialen Belastungen. 3

Bei der Gewährung ist unter Berücksichtigung des Grunds des Nachteilsausgleichs auch über die Dauer der Maßnahme (vorübergehend oder dauerhaft) zu entscheiden. (2) Bei den Teilleistungsstörungen Lese-Rechtschreibschwäche oder -störung beziehungsweise Rechenschwäche oder -störung gelten die Richtlinien zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder Rechtschreibens vom 15. November 2009 in der jeweils geltenden Fassung, für die Grundschulen und den Primarbereich der Förderschulen gilt auch das Rundschreiben vom 25. Juni 2014 zu Verfahrensgrundlagen bei Schülerinnen und Schülern mit Rechenschwäche und Rechenstörung/Dyskalkulie in der jeweils geltenden Fassung.

(3) 1Die Klassenkonferenz (§ 6), bei vorübergehenden Maßnahmen, die sich auf weniger als sechs Monate erstrecken, die Fachlehrkraft in Abstimmung mit der Schulleiterin/dem Schulleiter, entscheidet über Notwendigkeit, Angemessenheit, Art, Umfang und Dauer der Maßnahme des Nachteilsausgleichs. 2Die Klassenkonferenz oder die Fachlehrkraft in Abstimmung mit der Schulleiterin/dem Schulleiter entscheidet auch auf Hinweis oder Vorschlag der Erziehungsberechtigten. 3Findet bei einer vorübergehenden Maßnahme während der Dauer der Maßnahme eine Klassenkonferenz im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 3 Schulmitbestimmungsgesetz (Zeugniskonferenz) statt, entscheidet diese über die Fortgeltung der Maßnahme. 4Die Entscheidung über Maßnahmen des Nachteilsausgleichs ist stets im Einzelfall und unter Bezugnahme auf eine bestimmte medizinische, therapeutische oder pädagogische Diagnose zu treffen. 5Dabei können neben Gutachten und Förderplänen der Schule auch außerschulische Stellungnahmen oder Gutachten einbezogen werden. 6In Zweifelsfällen, insbesondere wenn die Erziehungsberechtigten eine andere Auffassung vertreten, ist die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde einzuholen. 7Im Fall der Entscheidung durch die Fachlehrkraft ist dies nur erforderlich, wenn die Zweifel nicht durch eine herbeizuführende Entscheidung der Klassenkonferenz ausgeräumt werden konnten.

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(4) 1Die Festlegungen zum Nachteilsausgleich sind für den vereinbarten Zeitraum verbindlich und müssen von allen Lehrkräften berücksichtigt werden. 2Sie sind im Förderplan zu dokumentieren und im Rahmen der Förderplanung (§ 4) zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Hinweise auf einen gewährten Nachteilsausgleich werden nicht in Zeugnisse und Bewertungen von schriftlichen Arbeiten aufgenommen.

bb) „Weiterentwickelter“ Begriff des Nachteilsausgleichs Es ist nicht zu übersehen, dass der oben239 zitierte, mit „Nachteilsausgleich“ überschriebene Abschnitt in dem Beschluss der Kultusministerkonferenz zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen vom 20.10.2011 dem Ministerium für Bildung und Kultur als Vorlage für die Formulierung des § 13 InklVO diente. Daher gilt, was die begriffliche Einordnung betrifft, für die Inklusionsverordnung das Gleiche wie für den KMK-Beschluss: Der Begriff des Nachteilsausgleichs wird vom Verordnungsgeber usurpiert, um darunter in Wirklichkeit auch die ausschließlich dem Notenschutz zuzuordnende Herabsetzung inhaltlich-fachlicher Leistungsanforderungen zu subsumieren. Bereits in dem Maßnahmenkatalog des von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karren­bauer (CDU) in der Regierungserklärung vom 16.5.2012240 angekündigten und am 17.8.2012 im Kabinett (Große Koalition) beschlossenen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland war u. a. die „Individualisierung/­ Flexibilisierung des Nachteilsausgleichs bei Leistungsfeststellungen  […]“241 angekündigt worden. Dass es hier in Wirklichkeit nicht um Nachteilsausgleich, sondern um Notenschutz, d. h. um die Absenkung inhaltlich-fachlicher Leistungsanforderungen ging, folgt aus den Worten „Individualisierung/Flexibilisierung“ des Nachteilsausgleichs. Denn bei einem auf die äußeren Prüfungsbedingungen be­zogenen und beschränkten Nachteilsausgleich war und ist die individuelle und flexible Vorgehensweise so selbstverständlich, dass sie keiner besonderen Erwähnung bedurfte; sie wurde immer schon praktiziert, d. h. hier bestand mangels eines Neuigkeitswertes auch kein eigenständiger Regelungsbedarf. Der Verordnungsgeber selbst liefert Beweise dafür, dass es auch um Notenschutz und nicht nur um Nachteilsausgleich im Sinne des von der ständigen Rechtsprechung bestätigten Verständnisses dieses Begriffes geht: –– Das wird zunächst manifest durch die Tatsache, dass in § 15 Abs. 2 InklVO, also innerhalb des mit „Nachteilsausgleich“ überschriebenen Abschnitts 3 der Inklusionsverordnung, die Regelung für den Umgang mit Legasthenie bzw. Dyskalkulie getroffen wird. Die Nichtberücksichtigung von Minderleistungen im

239

Siehe sub Kap. 17 D. II. 1. b) bb) (2). Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 34. 241 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland, S. 27. 240

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Rahmen dieser beiden Teilleistungsschwächen ist aber, wie die hierzu vorliegende umfangreiche Rechtsprechung belegt, der klassische Anwendungsfall von ­Notenschutz. –– Der mit „Formen des Nachteilsausgleichs“ überschriebene § 14 InklVO enthält weitere Belege dafür, dass der Verordnungsgeber auch Herabsetzungen der inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen, also Notenschutz, als „Nachteilsausgleich“ bezeichnet. Zwar sind die in § 14 Satz 2 Nr. 1 bis 3 InklVO genannten Modifikationen der äußeren Prüfungsbedingungen dem herkömmlichen Begriff des Nachteilsausgleichs zuzuordnen und insoweit nicht zu beanstanden. Doch schon bei § 14 Satz 2 Nr. 4 InklVO stellt sich die Frage, ob mit „didaktischen Hilfs- und Arbeitsmitteln“ in Wirklichkeit nicht lösungsrelevante und damit auf inhaltliche Erleichterung ausgerichtete Materialien gemeint sind. Denn diese „didaktischen“ Hilfs- und Arbeitsmittel sind offensichtlich etwas anderes als die in § 14 Satz 2 Nr. 3 genannten „technischen“ Hilfsmittel. Die in § 14 Satz 2 Nr. 5 InklVO vorgesehene „Gewährung zusätzlicher personeller Unterstützung“ kann erheblich mehr umfassen als eine Schreibhilfe, die bei einem Schüler mit Ataxie nach Diktat die Niederschrift übernimmt, nämlich eine unmittelbare fachliche Unterstützung; das würde eine entsprechende Reduzierung des Eigen­anteils des Schülers an der Leistung bedeuten. Unter der in § 14 Satz 2 Nr. 6 InklVO vorgesehenen „Anpassung der Präsentation von Aufgaben und Ergebnissen“ lassen sich vielfältige Abstriche an den inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen subsumieren. Eine regelrechte Einbruchstelle für nahezu beliebige Abweichungen von den Standards enthält § 14 Satz 2 Nr.  7 InklVO, der die „Modifizierung der Aufgabenstellung bei gleichwertigem Anspruchsniveau“ erlaubt. Der weite Interpretationsspielraum, den das Wort „gleichwertig“ bekanntlich eröffnet, stellt geradezu eine Einladung zu substanzieller Herabsetzung der inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen im Wege dezisionistischer Vorgehensweise dar. Da dieser Katalog mehr als fragwürdiger Abstriche an den Leistungsstandards in § 14 Satz 2 InklVO mit den Worten „Mögliche Formen des Nachteilsausgleichs sind zum Beispiel“ eingeleitet wird, ist nicht abzusehen, welche sonstigen Varianten an „Erleichterungen“ noch entwickelt werden, für die die hier erörterten Formen den Maßstab bilden. –– Des Weiteren ist die Regelung zu nennen, die in § 16 Abs. 5 Satz 4 InklVO in der Fassung des Entwurfs, der Gegenstand der externen Anhörung war,242 die aber bis zum Erlass der für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen zu erlassenden Rechtsverordnung zurückgestellt wurde.243 Darin sind „Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Form von Ausnahmen vom Prüfungsverfahren“ vor 242

Der Entwurf der Inklusionsverordnung wurde den Teilnehmern an der externen Anhörung mit Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 2.6.2015, GeschZ.: A 4/C – 0.2.3.15, übersandt. . 243 Siehe hierzu oben sub Kap. 17 A. II. 1. a).

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gesehen. Dass mit „Prüfungsverfahren“ auch inhaltliche Aspekte umfasst sind, ergibt sich aus der an gleicher Stelle getroffenen Regelung, dass bei der Schulaufsichtsbehörde „gegebenenfalls modifizierte Prüfungsaufgaben anzufordern“ sind. Bereits die Tatsache, dass der Schulleiter eine „modifizierte“ Prüfungsaufgabe anfordern kann, zeigt, in welchem Maße der Grundsatz der Gleichbehandlung bei einer landeszentralen Prüfung künftig in Frage gestellt ist. Angesichts dieser weitreichenden Möglichkeiten zur Dispensierung behinderter und – was die Inklusionsverordnung ebenfalls vorsieht bzw. zulässt – nichtbehinderter Schüler von den inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen ist die Aussage des Verordnungsgebers in § 13 Abs. 3 InklVO nicht nachvollziehbar. Diese Bestimmung ist nur zutreffend, soweit sie sich ausschließlich auf einen Nachteilsausgleich im Sinne der ständigen Rechtsprechung bezieht. Da diese Bestimmung jedoch einschränkungslos von „Maßnahmen des Nachteilsausgleichs“ spricht, sind davon auch jene im Katalog des § 14 genannten Formen des Nachteilsausgleichs umfasst, die mit einer substanziellen Herabsetzung inhaltlich-fachlicher Leistungsanforderungen verbunden sein können bzw. verbunden und somit in der Sache als Notenschutz zu qualifizieren sind. Angesichts dessen ist mit der einschränkungslosen Aussage des § 13 Abs. 3 Satz 2 InklVO, eine Leistung, die mit Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs erbracht worden ist, sei „daher gleichwertig“,244 der Boden der Seriosität verlassen. Denn es ist nach aller pädagogischen Erfahrung ausgeschlossen, dass die Unterrichtung und Erziehung von Schülern mit mentalen Beeinträchtigungen ohne mehr oder weniger deutliche Reduzierung des Anforderungsniveaus geschehen kann. Daher ist es wirklichkeitsfremd, wenn es in § 15 Abs. 1 Satz 1 InklVO heißt, Maßnahmen des „Nachteilsausgleichs“ seien nur „in begrenzten Einzelfällen zulässig.“ Im Schuljahr 2013/14 wurden im Saarland 3.464 behinderte Schüler an Förderschulen und 2.999 behinderte Schüler integrativ an Regelschulen unterrichtet.245 Von den insgesamt 6.463 Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben dem oben246 Gesagten zufolge etwa 80 % eine mentale Beeinträchtigung. Es sind also etwa 5000 behinderte Schüler, auf die die Vorschriften über den „Nachteilsausgleich“ potenziell Anwendung finden. Hinzu kommt, wie dargelegt, dass nach der Inklusionsverordnung „Nachteilsausgleich“ grundsätzlich auch für nichtbehinderte Schüler in Betracht kommt.

244 In der Begründung des mit Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 2.6.2015, GeschZ.: A 4/C – 0.2.3.15, den Teilnehmern an der externen Anhörung übersandten Entwurfs der Inklusionsverordnung, S. 96, heißt es sogar: „ist immer gleichwertig“. 245 Siehe hierzu die Statistik oben sub Kap. 6 B. I. 1. 246 Siehe oben sub Kap. 2 A. I. 2. b) cc).

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cc) Voraussetzungen der Gewährung von „Nachteilsausgleich“ Ebenso weitgehend wie die Vorschriften über die mögliche Reduzierung inhaltlich-fachlicher Leistungsanforderungen ist die Bestimmung des § 15 Abs. 1 InklVO zu den Voraussetzungen für die Gewährung von solcherart „Nachteilsausgleich“: In § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InklVO sind die auch in § 4 Abs. 2 SchoG 2014 genannten sonderpädagogischen Förderschwerpunkte genannt, wobei allerdings neben „Behinderungen“ auch bloße „Beeinträchtigungen“ genannt werden, Letztere sogar an erster Stelle. Mit den in § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 genannten Merkmalen ist praktisch alles, was auch nur geringfügig vom Zustand vollständiger Gesundheit abweicht, erfasst. Die nahezu unbeschränkte Möglichkeit der Einbeziehung in das Privileg des „Nachteilsausgleichs“ gewährt der nach Art eines Auffangtatbestandes konzipierte § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InklVO. Danach ist noch nicht einmal eine psychische Erkrankung oder Funktionsbeeinträchtigung (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InklVO) erforderlich, sondern es genügt eine „sonstige umfängliche psychische Belastung“. Die faktische Grenzenlosigkeit des Handlungsspielraums für die Herabsetzung inhaltlich-fachlicher Leistungsanforderungen ist jedoch erreicht durch die ebenfalls in § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InklVO normierte Berücksichtigungsfähigkeit „sozialer Belastungen“. Soweit damit die negativen Auswirkungen einer anregungsarmen sozialen Umgebung gemeint sind, in der das Kind aufgewachsen ist und die seine intellektuelle Entwicklung negativ beeinflusst hat, handelt es sich um Fälle von Lernbehinderung. Insoweit geht es nicht um die äußeren Bedingungen von Leistungsfeststellung, sondern um die Herabsetzung von inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen und damit um Notenschutz. Auch soweit sonstige „soziale Belastungen“ gemeint sind, hat der Verordnungsgeber letztlich nicht den Vorgang der Leistungsfeststellung und Leistungserbringung im Auge, sondern Erleichterungen im Hinblick auf die inhaltlich-fachlichen Anforderungen. Daher liefert der Verordnungsgeber auch mit der Berücksichtigungsfähigkeit „sozialer Belastungen“ einen Beweis für die missbräuchliche Ausdehnung des Begriffs des Nachteilsausgleichs. Dass der Förderschwerpunkt Lernen in § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InklVO nicht vorkommt, ist dem vom Gesetzgeber und Verordnungsgeber gepflegten Dekategorisierungs-Theorem geschuldet. Doch auch wenn die Lernbehinderten in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich genannt sind, so müssen diese Schüler erst recht – argumentum a fortiori – als von dem Normzweck des § 15 InklVO umfasst gelten. Im Übrigen zeigt sich am Beispiel des § 15 Abs. 1 Satz 2 InklVO, dass die Regelungen der Inklusionsverordnung in erheblichem Umfang auch nichtbehinderte Schüler betreffen. Das ist im Auge zu behalten, wenn es um die Frage geht, wieviel personelle Ressourcen speziell zur sonderpädagogischen Förderung behinderter Schüler faktisch noch zur Verfügung stehen.

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dd) Wirkungen der Anwendung und Nutzung von Formen des „Nachteilsausgleichs“ Sowohl unter dem Gesichtspunkt der Absenkung des Anforderungsniveaus als auch im Hinblick auf den potenziell hiervon privilegierten Kreis von Schülern ist der solcherart konzipierte „Nachteilsausgleich“ ein Instrument mit weitreichenden Wirkungen. Dass die vorliegende Schrift mit ihrer Interpretation des § 14 sowie des § 15 Abs.  1 InklVO in Übereinstimmung mit der Intention des Verordnungsgebers steht, findet seine Bestätigung in § 13 Abs. 2 Halbsatz 1 InklVO. Dort heißt, dass „die Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs integraler Bestandteil der inklusiven Unterrichtsarbeit an allen Schulen und in allen Klassenstufen [sind]“. Das zeigt, dass der Verordnungsgeber sich mit der „Anpassung des Anforderungsniveaus“ und dem „weiterentwickelten“ Nachteilsausgleich die entscheidenden Instrumente seiner Strategie des Umgangs mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit geschaffen hat. Wenn der Verordnungsgeber in dem sich daran unmittelbar anschließenden § 13 Abs. 3 InklVO glaubt darlegen zu können, dass bei diesem „Nachteilsausgleich“ die inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen des jeweiligen Bildungsganges nicht geringer bemessen würden und dass eine Leistung, die mit Maßnahmen des „Nachteilsausgleichs“ erbracht worden ist, „daher gleichwertig“ sei, dann entspricht diese einschränkungslose Aussage nicht der Wahrheit. Es kommt hinzu, dass der Verordnungsgeber dem Entstehen einer gewissen Selbstverständlichkeit der Gewährung von „Nachteilsausgleich“ Vorschub leistet. Denn in § 13 Abs. 2 InklVO wird darauf hingewiesen, dass ein „Nachteilsausgleich“ auch von den Erziehungsberechtigten beantragt werden kann. Sobald sich herumgesprochen haben wird, welche substanziellen Erleichterungen mit einem solchen „Nachteilsausgleich“ verbunden sein können, wird sich ein entsprechendes Anspruchsdenken entwickeln. In diesem Zusammenhang ist auch die Bestimmung des § 15 Abs. 3 Satz 6 InklVO zu beachten. Danach ist, wenn die Vorstellungen der Eltern und der Klassenkonferenz in der Frage eines zu gewährenden Nachteilsausgleichs nicht übereinstimmen, die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde einzuholen. In der Inaussichtstellung, im Konfliktfall die Schulaufsichtsbehörde mit der Sache befassen zu können, kann ein Pressionspotenzial gegenüber der Schule gegeben sein, die hierdurch zu größerer Nachgiebigkeit gegenüber den Eltern veranlasst sein könnte. Die in § 15 Abs. 3 Satz 5 InklVO vorgesehene Möglichkeit, sich hierbei auch auf außerschulische Stellungnahmen und Gutachten zu berufen, gilt nicht nur für die Schule, sondern auch für die Eltern. Auch soll an dieser Stelle in Erinnerung gerufen werden, dass gem. § 13 Abs. 2 InklVO die „Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs integraler Bestandteil der inklusiven Unterrichtsarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen [sind]“.247 Das läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass künftig 247

Hervorh. d. Verf.

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z. B. auch am Gymnasium zieldifferenter Unterricht möglich sein soll. Die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit dieser Handlungsweise wurde im Zusammenhang mit der Thematisierung der etwaigen Aufnahme von Lernbehinderten und Geistigbehinderten in das Gymnasium dargelegt.248 c) Zeugnisse Hinsichtlich der Zeugnisse, die in Umsetzung des „Prinzips der individuellen Leistungsnorm“ ausgestellt werden, bestimmt die Inklusionsverordnung: § 9 Zeugnisse bei angepasstem Anforderungsniveau (1) In den Zeugnissen wird auf den veränderten Referenzrahmen mit der folgenden Bemerkung hingewiesen: „Die Schülerin/Der Schüler wurde in dem gekennzeichneten Fach/in den gekennzeichneten Fächern (*) nach einem individuellen Förderplan unterrichtet. Ihre/Seine Leistungen wurden entsprechend diesem Förderplan bewertet.“ (2) Hinsichtlich der gekennzeichneten Zeugnisnoten werden ergänzende Erläuterungen mit Verbalbeurteilungen und weiterführenden Hinweisen erstellt. (3) § 8 Absatz 3 gilt entsprechend.

Für geistig behinderte Schüler lautet die Regelung: § 10 Zeugnisse bei sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung 1

Bei Schülerinnen und Schülern, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung anerkannt wurde, kann die jeweilige Zeugnisnote nach § 9 Absatz 1 ausgewiesen werden oder in allen oder einzelnen Fächern auf Zeugnisnoten verzichtet werden. 2Sofern in allen Fächern auf die Ausweisung der Zeugnisnote verzichtet wird, kann auf Beschluss der Klassenkonferenz auch das Zeugnisformular 2.1 der Zeugnis- und Versetzungsordnung für die Förderschulen: „Jahreszeugnis der Klassenstufen 1 bis 12 der Förderschule Geistige Entwicklung und Jahreszeugnis für Schülerinnen und Schüler, die in einem anderen Förderschultyp nach dem Lehrplan für die Förderschule Geistige Entwicklung unterrichtet werden“ entsprechend verwendet werden. 3In den Fällen, in denen in allen Fächern auf eine Ausweisung einer Zeugnisnote verzichtet wird, wird in den Zeugnissen mit der folgenden Bemerkung auf den veränderten Referenzrahmen hingewiesen: „Der Schüler/Die Schülerin wurde nach einem individuellen Förderplan unterrichtet. Ihre/ Seine Leistungen wurden entsprechend diesem Förderplan bewertet.“

248

Siehe oben sub Kap. 17 B. IV. 3. a) bb).

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In jedem Fall werden ergänzende Erläuterungen mit Verbalbeurteilungen und weiterführenden Hinweisen erstellt.

Ergänzend zur Regelung des § 9 heißt es in § 15 Abs. 4 Satz 3 InklVO: Hinweise auf einen gewährten Nachteilsausgleich werden nicht in Zeugnisse und Bewertungen von schriftlichen Arbeiten aufgenommen.

Wie dargelegt, ermöglicht der in der Inklusionsverordnung geregelte „Nachteils­ ausgleich“ die Absenkung der inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen. Die Anwendung des § 15 Abs. 4 Satz 3 InklVO hat daher zur Folge, dass ein solches Zeugnis im Falle der Absenkung inhaltlich-fachlicher Leistungsanforderungen mit Blick auf die Zeugniswahrheit249 nicht den Anforderungen genügt, die sich aus der Orientierungsfunktion und der Berechtigungsfunktion von Zeugnissen ergeben. Diese Feststellung ist insbesondere von Bedeutung angesichts der Tatsache, dass, wie aus der Inklusionsverordnung hervorgeht, deren Regelungen zum Nachteilsausgleich künftig auch für die Gemeinschaftsschulen, die Gymnasien und die beruflichen Schulen gelten sollen. Demgegenüber lautet § 5 Abs. 2 Satz 2 der Integrations-Verordnung, nach der seit 1987 die integrative Unterrichtung im Saarland praktiziert wurde bzw. wird: In den Zeugnissen ist unter „Bemerkungen“ auszuweisen, nach welchem Lehrplan der Unterricht erteilt wurde; dieser Hinweis hat folgenden Wortlaut: „Der Unterricht wurde nach einem individuellen Förderplan auf der Grundlage des Lehrplans der Förderschule Lernen beziehungsweise der Förderschule Geistige Entwicklung erteilt.“

Die aufgrund der Regelung der Inklusionsverordnung zum „Nachteilsausgleich“ fehlende Eindeutigkeit der Zeugnisaussage im Sinne ihrer Orientierungs- und Berechtigungsfunktion ist der Preis dafür, dass die Landesregierung mit dieser Regelung das Ziel erreicht hat, das sie sich in dem Maßnahmenkatalog des von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in der Regierungserklärung vom 16.5.2012250 angekündigten und am 17.8.2012 im Kabinett (Große Koalition) beschlossenen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland gesetzt hatte, nämlich u. a. die „Vermeidung unnötiger Etikettierungen bei Zeugnisregelungen […].“251 Doch wird diese Kombination aus einer Lizenz zu weitreichendem Notenschutz und gleichzeitigem Verbot zur Aufnahme eines entsprechenden eindeutigen Vermerks im Zeugnis der Leistungsfähigkeit des saarländischen Schulwesens nicht förderlich sein. Denn diese Regelung bedeutet die Abkehr vom Leistungsprinzip. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich der Kultusminister, was das Weg-

249

Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 4, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 34. 251 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland, S. 27. 250

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4. Teil: Inklusive Schule

lassen eines entsprechenden eindeutigen Vermerks im Zeugnis betrifft, auf eine insoweit höchst fragwürdige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts berufen kann, zu der oben252 im Einzelnen Stellung genommen wurde. 3. Fehlende gesetzliche Ermächtigung Es hat sich gezeigt, dass die Inklusionsverordnung sowohl bei den Leistungsanforderungen als auch bei der Leistungsbewertung Abweichungen von den maßgeblichen Standards, d. h. den inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen ermöglicht. Solche Entscheidungen stellen gegenüber den Mitschülern eine Privilegierung und damit einen Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs.1 GG und Art. 12 Abs.  1 Verf. d. Saarl. folgende Gleichbehandlungsgebot dar. Eine weitere auf Gleichbehandlung zielende Grundrechtsposition gewährt in diesem Kontext die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, soweit es sich um Prüfungen handelt, die für die Wahl oder die Ausübung eines Berufs relevant sind. Wie oben erwähnt, hat die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen hierzu ausgeführt: „Für den Fall, dass ein Land dennoch die Anforderungen an Prüflinge mit Behinderungen zurücknehmen möchte, bedarf dieses einer landesrechtlichen Ermächtigung. Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung sind im Abschlusszeugnis zu vermerken.“253 Unabhängig von der grundsätzlichen Kritik, die in der vorliegenden Schrift254 an dieser Bereitschaft der Kultusministerkonferenz zur Preisgabe eines ehernen prüfungs- und bewertungsrechtlichen Grundsatzes geübt wurde, ist der Kultusministerkonferenz darin zuzustimmen, dass es für eine solche Handlungsweise einer landesrechtlichen Ermächtigung bedarf. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest: „Die grundlegenden Entscheidungen über die Gewährung von Notenschutz für behinderte Schüler sind dem Landesgesetzgeber vorbehalten.“255 Denn es handelt sich wegen der Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung um eine grundrechtsrelevante und daher wesentliche Entscheidung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen.256 252

Siehe oben sub Kap. 17 II. 1. b) bb) (4). Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305,S. 8 f. 254 Siehe oben sub Kap. D. II. 1. b) bb) (2). 255 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 41 ff., http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015). 256 BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, 1 BvR 230/70 und 95/71, BVerfGE 34, 165 (192 ff.) – Hessische Förderstufe; Beschl. v. 27.1.1976, 1 BvR 2325/73, BVerfGE 41, 251 (259 ff.) – Speyer-Kolleg; Beschl. v. 22.6.1977, 1 BvR 799/76, BVerfGE 45, 400 (417 ff.) – Hessische Oberstufenreform; Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75, BVerfGE 47, 46 (78 ff.) – Sexualkundeunterricht; Beschl. v. 20.10.1981, 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 (268 ff.) – Schulentlassung und Versetzung. 253

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Außerdem bedeutet die Etablierung des dieser Privilegierung zugrunde liegenden „Prinzips der individuellen Leistungsnorm“ eine weitreichende Veränderung des Unterrichts- und Erziehungsauftrages, des Selbstverständnisses und der Arbeitsweise der Schule. So gilt die Regelung des auch Fälle des Notenschutzes umfassenden „Nachteilsausgleichs“ gem. § 13 Abs.  2 InklVO für alle Schulformen und Klassenstufen. Sie steht mit dem auf dem „Prinzip der individuellen Leistungsnorm“ beruhenden „veränderten Referenzrahmen“, d. h. dem selbstreferenziellen Beurteilungsmaßstab für ein Strukturprinzip der inklusiven Schule. Die Abkehr von dem externen, außerhalb des einzelnen Schülers liegenden Beurteilungsmaßstab bedeutet, dass man insoweit das Leistungsprinzip als das im Bildungswesen akzeptierte demokratische Differenzierungsprinzip aufgibt. Es ist hier an die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts zu erinnern: „Mit der Einführung von Bewertungsmaßstäben, die dem individuellen Leistungsvermögen durch Notenschutz Rechnung tragen, können je nach Reichweite Änderungen der Lernziele und ein schulischer Systemwechsel verbunden sein.“257 Dieser weitreichende Schritt bedarf der Legitimierung durch eine parlamentarische Leitentscheidung. Der Landtag des Saarlandes hat diese Materie in dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014,258 mit dem die inklusive Schule normiert wurde, nicht geregelt. Eine solche Regelung ist weder ausdrücklich ergangen noch ist sie vom Begriff der „inklusiven Schule“ umfasst. Denn der Begriff der „inklusiven Schule“ ist weder schulrechtlich noch umgangssprachlich so eindeutig definiert, dass Regelungen der hier in Rede stehenden Art hierunter problemlos subsumiert werden könnten. Zwar ist eine abschließende Regelung der Einzelheiten dieser Materie durch den Gesetzgeber im Sinne des sog. Parlamentsvorbehalts nicht erforderlich, d. h. eine Regelung durch Rechtsverordnung würde den rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Doch liegt eine gem. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage nicht vor:259 –– In der bereichsspezifischen Ermächtigungsnorm des § 4 Abs. 2 SchoG 2014 ist diese Regelungsmaterie nicht erwähnt und sie kann auch nicht unter einen der dort genannten Gesichtspunkte subsumiert werden. Die Tatsache, dass die Regelungsgegenstände des § 4 Abs. 2 SchoG 2014 beispielhaft („insbesondere“) aufgeführt wurden, reicht nicht aus. Weder der Inhalt noch der Zweck der hier in Rede stehenden Regelungen haben in § 4 Abs. 2 SchoG 2014 ihren Niederschlag gefunden.

257 BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 34, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015) (Hervorh. d. Verf.). 258 Amtsbl. I S. 296. 259 Zu den Anforderungen, die an diese Ermächtigungsgrundlage zu stellen sind, vgl. BVerwG, Urt. v. 29.7.2015, 6 C 33.14, Rn. 44, http://www.juris.de (Zugriff: 9.10.2015).

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4. Teil: Inklusive Schule

–– Auch aus der allgemeinen schulgesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 33 SchoG kann die erforderliche Ermächtigung nicht abgeleitet werden. Insbesondere lassen sich die Regelungen nicht auf § 33 Abs. 2 Nr. 5 und 6 und Absatz 3 Nr. 5 SchoG stützen. Denn soweit diese Vorschriften zur Regelung der „Grundsätze für die Bewertung von Leistungen“ bzw. der „Bewertungsmaßstäbe für Leistungen“ ermächtigen, liegt ihnen das dem gemeindeutschen Schulrecht eigene Verständnis von der Einheitlichkeit des Bewertungsmaßstabs auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgebots zugrunde. Die Durchbrechung dieses Grundsatzes, wie sie den Regelungen der Inklusionsverordnung im Sinne einer „individuellen Leistungsnorm“ und eines als „Nachteilsausgleich“ ausgegebenen Notenschutzes immanent ist, wird von dieser Ermächtigung nicht umfasst. Mangels einer den rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechenden Ermächtigungsgrundlage sind die den „veränderten Referenzrahmen“ (§ 9 Abs. 1 InklVO) und den Nachteilsausgleich (§§ 13 bis 15 InklVO), soweit sie in der Sache Notenschutz darstellen, betreffenden Regelungen der Inklusionsverordnung verfassungswidrig und nichtig.

E. Normative Vorgaben zu den Rahmenbedingungen I. Abkehr vom Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt Es ist an dieser Stelle zurückzukommen auf die kategoriale Unterscheidung zwischen verantwortbarer und unverantwortlicher integrativer/inklusiver Unterrichtung.260 Ob integrative/inklusive Unterrichtung gelingt, hängt entscheidend von der Gewährleistung der hierfür erforderlichen personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen ab. Hierbei kommt der personellen Ausstattung der inklusiven Schule die größte Bedeutung zu. Es ist aufgezeigt worden, dass die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen in den Fällen zieldifferenter Unterrichtung sowie bei Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ein Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) voraussetzt.261 Diese Verbindung zwischen der Idee der integrativen/inklusiven Unterrichtung und den dafür erforderlichen Rahmenbedingungen hatte in dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986,262 mit dem der sonderpädagogische Paradigmenwechsel im Saarland als erstem Bundesland schulrechtlich umgesetzt wurde, ihren Niederschlag in dem Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 gefunden. Diesem Vorbehalt lag zumindest dem formalen Anspruch nach das Bekenntnis zur­ 260

Siehe oben sub Kap. 4 C. Siehe oben sub Kap. 3 B. 262 Amtsbl. S. 477. 261

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Gewährleistung pädagogischer Qualität zugrunde. Allerdings ist in der Schulpraxis integrativer Unterrichtung im Saarland von Anfang an und systematisch gegen dieses Postulat verstoßen worden, wie im zweiten Teil der vorliegenden Schrift nachgewiesen wurde. Eine Bestätigung dieses Realbefundes, d. h. des Zugangs zur integrativen Unterrichtung ohne Rücksicht auf die fehlenden Ressourcen, lieferte die Landesregierung im Jahr 2012 in der Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage: „Die Wahlfreiheit der Erziehungsberechtigten eines Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinsichtlich der Beschulung an einer Regelschule oder einer Förderschule besteht weitestgehend.“263 Das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014,264 mit dem die inklusive Schule im Saarland geregelt wurde, enthält keinen Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt.265 Das kann nicht überraschen, ist doch die inklusive Schule per se nach den Vorstellungen ihrer Protagonisten der Schlüssel zur Lösung aller Probleme der Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher in allgemeinen Schulen. II. Fehlende normative Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen Im Zusammenhang mit der integrativen Unterrichtung auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 SchoG 1986 ist oben dargelegt worden, dass im Hinblick auf den aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes auch die Rahmenbedingungen integrativer Unterrichtung der Konkretisierung durch materielles Gesetz bedürfen.266 Das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 enthält jedoch keine normative Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die inklusive Unterrichtung und Erziehung der behinderten Kinder und Jugendlichen. Auch in § 4 Abs. 2 SchoG 2014, der eine Ermächtigung zur Regelung „des Näheren“ im Wege der Rechtsverordnung enthält, sind diese Rahmenbedingungen nicht erwähnt. 263

Antwort der Landesregierung zu der Anfrage des Abgeordneten Hubert Ulrich (Bündnis 90/ Die Grünen) betr. Umsetzung der UN-Behindertenrechts­konvention in der Schule, LT-Drucks. 15/279 vom 14.12.2012. Diese Aussage wird bekräftigt in der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Heike Kugler (DIE LINKE) betr. Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, LT-Drucks. 15/528 vom 17.6.2013: „Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass mittlerweile die Erziehungsberechtigten ein echtes Wahlrecht haben.“ 264 Amtsbl. I S. 296. 265 Zum Wegfall jeglicher Vorbehalte im Rahmen der Einführung der inklusiven Schule vgl. Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (138). 266 Siehe oben sub Kap. 4 C. II. Vgl. hierzu auch Faber, Die Umsetzung der Inklusion durch das Neunte Schulrechtsänderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, NWVBl 2014, 8 (14), die unter Hinweis auf den Vorbehalt des Gesetzes und das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung bei der Einführung der inklusiven Schule in Nordrhein-Westfalen anmerkt: „Auch stellt sich die Frage, ob bei einer derartig gravierenden Änderung des Schulsystems, die für die betroffenen Schüler/innen auch grundrechtsrelevant ist, der Gesetzgeber die grundlegendsten Qualitätsstandards außer Acht lassen und insoweit sich in Unterlassen und Untätigkeit flüchten darf.“

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1. Rahmenbedingungen in der Zuständigkeit des Landes In der Verordnungsermächtigung des § 4 Abs.  2 SchoG 2014 findet sich kein Hinweis auf die Regelungsbedürftigkeit der Ausstattung mit pädagogischem Personal sowie bezüglich der organisatorischen Voraussetzungen. Stattdessen normiert § 1 Abs. 3 InklVO lediglich: (3) Die Schule soll daher unter Ausschöpfung aller innerschulischen Ressourcen und Maßnahmen die Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage so fördern, dass ein hohes Maß an aktiver Teilhabe am gemeinsamen Lernen verwirklicht wird.267

In der Begründung des Entwurfs der Inklusionsverordnung wird hierzu ausgeführt: „Die besondere pädagogische und die sonderpädagogische Unterstützung an den allgemein bildenden Pflichtschulen erfolgen im Rahmen des personellen Budgets der Schulen und ziehen grundsätzlich keine automatische Erhöhung des Budgets nach sich.“268

Auf dieses „personelle Budget“ beziehen sich folgende Aussagen in Abschn. D. 1. (Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand) des Vorblatts des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014: „Das bisherige integrative System bindet die Zuweisung von Förderschullehrkräften an den beantragten sonderpädagogischen Förderbedarf der einzelnen Schülerinnen und Schüler. In den vergangenen zehn Jahren sind die Anzahl der Anträge und die daraus resultierenden Anerkennungen des sonderpädagogischen Förderbedarfs massiv angestiegen. Gleichzeitig ist die Zahl der Kinder, die Förderschulen besuchen, trotz sinkender Schülerzahlen saarlandweit nahezu konstant geblieben. Zum Schuljahr 2012/13 hatten rund zehn Prozent der Kinder im Primarbereich einen festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf. Ein weiterer Anstieg der Meldungen wird bei Beibehaltung des geltenden Systems prognostiziert. Durch die Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit anerkanntem sonderpädagogischen Förderbedarf können den anerkannten Integrationsmaßnahmen angesichts der enormen Personalknappheit beispielsweise in den Bereichen Lernen und Sprache in den Regelschulen gerade noch 1,5 bis zwei Lehrerwochenstunden für die Unterrichtserteilung durch ausgebildete Förderschullehrkräfte zugewiesen werden. Bei Fortschreibung dieser Entwicklung wäre der Mehrbedarf an Lehrerstellen im Förderschulbereich nicht mehr durch einen Rückgriff auf die demografische Rendite darstellbar. Im Rahmen der inklusiven Schule sollen Förderschullehrkräfte künftig fest einer Regelschule zugeteilt werden und können so zunächst die Lehrkräfte der Grundschule vor Ort in ihrer Arbeit unterstützen. Die derzeit vorhandenen Ressourcen an Förderschullehrkräften können damit effektiver eingesetzt werden. Der hierdurch entstehende Mehrbedarf ist in der Planung zum Einsatz der demografischen Rendite berücksichtigt.“269 267

Hervorh. d. Verf. Begründung des mit Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 2.6.2015, GeschZ.: A 4/C – 0.2.3.15, den Teilnehmern an der externen Anhörung übersandten Entwurfs der Inklusionsverordnung, S. 87. 269 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 2. Die tatsächlichen Verhältnisse bei der integrativen/ inklusiven Unterrichtung im Saarland werden außerdem in der Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Dis 268

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Man hat es hier also zunächst nur mit einer Veränderung der Art der Ressourcenallokation zu tun: Die zusätzlichen personellen Ressourcen werden nicht mehr an die Person des behinderten Schülers adressiert wie bei dem bis dahin im Saarland praktizierten Ambulanzlehrer-System, sondern an die Schule als Institution und damit an das soziale Umfeld des Schülers. Doch sieht die Landesregierung, wie aus dem Vorblatt ihres Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 hervorgeht, in dieser Umstellung einen essentiellen Unterschied zwischen dem „bisherige[n] integrative[n] System“ und der „inklusive[n] Schule“.270 Die zur Begründung dieser Änderung der Ressourcenallokation angeführten „gerade noch 1,5 bis zwei Lehrerstunden“ je behinderten Schüler z. B. in den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen und Sprache sind die regierungsamtliche Bestätigung der Zahlen, die in den Statistiken der vorliegenden Schrift ausgewiesen sind.271 Vor allem aber enthält diese Begründung das Eingeständnis, dass die seit 1985/86 im Saarland praktizierte integrative Unterrichtung mangels der erforderlichen personellen Ressourcen pädagogisch-qualitativ aufs Ganze gesehen höchst unzulänglich ist und dass im Falle der Beibehaltung der bisherigen Art der Ressourcenallokation die Regierung in immer größere Erklärungsnöte käme. Doch lassen sich mit der „Budgetierung“ die enormen personellen Defizite der integrativen/ inklusiven Unterrichtung im Saarland und die daraus zwangsläufig resultierenden pädagogischen Defizite gegenüber den Betroffenen und der Öffentlichkeit leichter kaschieren. Die technokratisch anmutende Semantik soll verdecken, dass sich an dem kläglichen Gesamtvolumen an verfügbarer sonder­pädagogischer Lehrerausstattung der inklusiven Schule nichts geändert hat. Die Inklusionsverordnung trifft jedoch keine normative Aussage zu der Frage, nach welchen Kriterien und nach welchem Maßstab das auf die einzelnen Schulen entfallende Budget an Förderschullehrkräften bemessen wird. Das ist umso fragwürdiger, als aus diesem Personalbudget nicht nur die sonderpädagogische Unterstützung, sondern auch die besondere pädagogische Förderung zu leisten ist. Für letztere kommen grundsätzlich auch nichtbehinderte Schüler in Betracht; entsprechend weniger an Personalressourcen steht für die Förderung der behinderten Schüler zur Verfügung. Auch ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Auswechseln der Art der Ressourcenallokation per se noch keine qualitative Verbesserung verbunden ist. Solange das Volumen der insgesamt zur Verfügung stehenden Lehrerwochenstunden des erforderlichen sonderpädagogischen Personals konstant kussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 4, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013), beleuchtet: „Derzeit müssen viele Schüler – verursacht durch das Fehlen von sonderpädagogisch präventiven Maßnahmen, die Modalitäten des formal aufwändigen Feststellungsverfahrens und die sich anschließende Personalisierung der Maßnahmen – mindestens ein Jahr, manches Mal sogar zwei Jahre auf sonderpädagogische Förderung und Unterstützung warten. Präventive Maßnahmen können in den Klassenstufen 1 und 2 kaum initiiert bzw. durchgeführt werden. Dies führt dazu, dass in den Klassenstufen 3 und 4 noch mehr Anträge auf sonderpädagogische Überprüfung gestellt werden.“ 270 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 2. 271 Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang.

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4. Teil: Inklusive Schule

bleibt, wird sich an der defizitären Gesamtsituation der integrativen/inklusiven Unterrichtung im Saarland nichts ändern.272 Im Übrigen enthalten weder das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 noch die Inklusionsverordnung eine Aussage zu den organisatorischen Rahmenbedingungen der inklusiven Schulen, zu denen an erster Stelle die Frage des Klassenteilers bei Unterrichtung eines oder mehrerer behinderter Schüler in der Klasse gehört. 2. Rahmenbedingungen in der Zuständigkeit der kommunalen Schulträger Gem. § 44 SchoG werden die Sachkosten vom Schulträger aufgebracht. Zu den Sachkosten gehören gem. § 45 Abs. 2 Nr. 1 SchoG insbesondere die Kosten für die Errichtung, Unterhaltung und Verwaltung der Schulgebäude, Schulanlagen und Schuleinrichtungen. Darunter fällt nicht nur die Ausstattung der Unterrichtsräume aller Schulen mit behinderungsspezifischen technischen Ausrüstungsgegenständen und behinderungsadäquatem Lehrmaterial. Vielmehr geht es auch um den Umbau, die Erweiterung und die Ausstattung der Schulgebäude. „Die damit verbundenen Baumaßnahmen beschränken sich nicht, wie gelegentlich vermutet wird, auf die Herstellung von Barrierefreiheit (z. B. durch die Installierung von Fahrstühlen), sondern sie beinhalten auch die Bereitstellung von Therapie­ räumen, von Rückzugsräumen oder die Installierung sanitärer Spezialräume.“273 Im vorliegenden Zusammenhang kann „Barrierefreiheit“ nicht im umgangssprachlichen Sinne auf die Gewährleistung von Zugangsmöglichkeit für Rollstuhlfahrer beschränkt werden: „Berücksichtigt man […] das ungleich höhere Anforderungsprofil, das mit dem Gebot der inklusionsermöglichenden Barrierefreiheit verbunden ist, dann wird die große Herausforderung deutlich, mit der die kommunalen Schulträger sich konfrontiert sehen. Das gilt insbesondere, wenn künftig die Schulen sich auf Kinder und Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Behinderungen in baulicher und räumlicher bzw. raumgestalterischer Hinsicht einzurichten haben. Barrierefreiheit für schwerhörige Schüler bedeutet z. B. etwas anderes als Barrierefreiheit für Schüler mit Sehbehinderung. Erstere brauchen eine geräuschdämmende Ausgestaltung des Gebäudes. Letztere dagegen Bedingungen, die gegenteilige Anforderungen erfüllen müssen. Wenn Schüler mit Hörschädigungen bzw. Hörbehinderungen Räume benötigen, die möglichst wenig Störschall verursachen, um den Nutzschall leichter wahrnehmen zu können, sind Schüler mit Sehbehinderung darauf angewiesen, sich ihre räumliche Lebenswelt über akustische Wahrnehmungen zu erschließen.“274 272

Näheres siehe unten sub Kap. 18 A. II. Klemm, Zusätzliche Ausgaben für ein inklusives Schulsystem in Deutschland, S. 14. 274 Höfling, Rechtsfragen der Umsetzung von Art.  24 der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Konnexitätsproblematik, S. 63, http://staedtetag-nrw.de/stnrw/inter/fachinformationen/bildung/065518/index.html (Zugriff: 15.7.2013) (Hervorh. im Original). 273

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An diesem Beispiel wird die Komplexität des Anforderungsprofils deutlich, mit dem man es hier zu tun hat. Im Gesetzgebungsverfahren war im Wege eines Abänderungsantrages eingefügt worden, dass die nach § 4 Abs. 2 SchoG 2014 zu erlassende Rechtsverordnung der Schulaufsichtsbehörde „im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres und Sport“ ergeht. Zu dieser Bindung an das Einvernehmen des Ministeriums für Inneres und Sport heißt es in der Begründung des Abänderungsantrags: „Dadurch ist gewährleistet, dass etwaige kommunale Belange, die in Ausführung der Verordnung berührt sein könnten, auch aus Sicht der Kommunalaufsichtsbehörde verstärkt in den Blick genommen werden können.“275 Der Abänderungsantrag ging auf eine Forderung der kommunalen Spitzenverbände zurück, die in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes als Verordnungsgeber die Landesregierung vorgeschlagen hatten, „um auch den Belangen der Kommunen im Einzelfall Rechnung zu tragen.“276 Man hätte eigentlich erwartet, dass angesichts dieser Begründung für die Einbeziehung des Ministeriums für Inneres und Sport in das Verfahren zum Erlass der Verordnung gleichzeitig auch die beispielhafte Aufzählung von Regelungsgegenständen ergänzt worden wäre um solche Gegenstände, die die Zuständigkeit der kommunalen Schulträger betreffen. Das ist jedoch nicht geschehen. 3. Gründe der Regelungsverweigerung Die Weigerung von Landesregierung und Landtag, in Bezug auf die personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen Standards festzulegen, hat im Saarland Tradition und System.277 Nach wie vor scheut die Landesregierung die mit der Normierung von Standards personeller, sächlicher und organisatorischer Art verbundene Transparenz. Denn es würde dann z. B. sichtbar werden, wie unzulänglich, um nicht zu sagen kläglich im Saarland die Ausstattung der inklusiven Schule mit den für die Erfüllung des Bildungsanspruchs behinderter Kinder und Jugendlicher erforderlichen zusätzlichen Förderschullehrkräften ist. Normative Vorgaben für die in die Zuständigkeit der kommunalen Schulträger fallenden Rahmenbedingungen unterbleiben, weil das Land keine Forderungen der kommunalen Schulträger auf finanziellen Ausgleich provozieren will. 275

LT-Drucks. 15/946 vom 16.6.2014, S. 2. So der Abgeordnete Thomas Schmitt (CDU) als Berichterstatter bei der Zweiten Lesung am 25.6.2014, Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 2161. Siehe hierzu die Ausführungen des Präsidenten des Saarländischen Städte- und Gemeindetages Jürgen Fried in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 6 f.: Er forderte von der Landesregierung einen „Orientierungsrahmen“, d. h. einen „Katalog der Maßnahmen, die notwendig würden, um die Schulen in den Stand zu versetzen, der benötigt wird.“ 277 Daher kann an dieser Stelle vollinhaltlich Bezug genommen werden auf die Ausführungen zu der Entwicklung der integrativen Unterrichtung im Saarland seit 1986, siehe oben sub Kap. 4 C. II. 276

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4. Teil: Inklusive Schule

F. Finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsrelevanz I. Übertragung einer bisher vom Land wahrgenommenen Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe Mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014278 wurde insoweit eine systemische Veränderung im Bereich des Bildungsangebots für Behinderte vollzogen, als das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis beim Schulbesuch von Behinderten umgekehrt wurde. Gem. § 5 Abs.  3 Satz 1 SchPflG 2014 besuchen Schüler, bei denen die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung vorliegen, grundsätzlich die Schule der Regelform im Sinne des § 3a SchoG. Diese weitreichende Entscheidung führt mit Blick auf die kommunalen Schulträger zu der Frage der Konnexitätsrelevanz im Sinne des Art. 120 Verf. d. Saarl. Diese Vorschrift lautet: (1) 1Durch förmliches Gesetz können den Gemeinden und Gemeindeverbänden staatliche Aufgaben zur Durchführung übertragen werden. 2Dabei sind Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen. 3Das Land sichert den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Durchführung der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel. (2) Gleiches gilt, wenn das Land die Erfüllung solcher Aufgaben, die es bisher selbst wahrgenommen hat, den Gemeinden und Gemeindeverbänden gesetzlich zur Pflicht macht.

1. Tatbestandliche Voraussetzungen des Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. a) Konnexitätsrelevante Verpflichtung Tatbestandliche Voraussetzung des Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. ist, dass der Landesgesetzgeber die Gemeinden oder Gemeindeverbände zur Erfüllung einer Aufgabe, die das Land bisher selbst wahrgenommen hat, durch förmliches Gesetz verpflichtet. Die Aufgabenübertragung muss auf eine Entscheidung des Landesgesetzgebers zurückgehen, also „diesem ursächlich zuzurechnen sein.“279 Der Bejahung dieser konnexitätsrelevanten Verpflichtung steht der völkerrechtliche Veranlassungsgrund, nämlich die Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention („Mehrebenen-Konnexitäts-Konstellation“) nicht entgegen. Wie oben280 dargelegt, bewirkte das Vertragsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine Transformation in innerstaatliches Recht nur insoweit, als es um eine Regelungsmaterie in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes geht. Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes sind für das Schulwesen jedoch die Länder zuständig. Es be 278

Amtsbl. I S. 296. Höfling/Engels, Schulische Inklusion und finanzverfassungsrechtliche Konnexität, NWVBl. 2014, 1 (3). 280 Siehe sub Kap. 16 A. III. 2. b). 279

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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stand keine Verpflichtung des Saarlandes zur Transformation des Art. 24 VN-BRK in innerstaatliches Recht.281 Außerdem ist Art. 24 VN-BRK, wie oben282 ausgeführt wurde, nicht unmittelbar anwendbar, d. h. die Anwendung dieser Vertragsnorm setzt im Fall der Transformation einen eigenständigen Rechtssetzungsakt des Landesgesetzgebers voraus. Daher handelte der Landesgesetzgeber bei der Regelung der inklusiven Schule in Wahrnehmung eines eigenen, weiten Gestaltungsspielraums.283 b) Konnexitätsrelevante Aufgabenübertragung Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. setzt des Weiteren voraus, dass die Aufgabe, deren Erfüllung den Kommunen als Selbstverwaltungsaufgabe zur Pflicht gemacht wird, bisher vom Land wahrgenommen wurde.284 Im vorliegenden Zusammenhang ist daher auf die gesetzlichen Vorschriften zur Schulträgerschaft zu rekurrieren. Gem. § 38 Abs. 3 Satz 1 SchoG ist das Land Träger der Förderschulen mit Ausnahme der Förderschulen geistige Entwicklung und der Förderschulen Lernen. In der Trägerschaft des Landes befinden sich also die Förderschule für Blinde und Sehbehinderte, die Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige, die Förderschule Sprache, die Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung sowie die Förderschulen soziale Entwicklung. Soweit es sich um Förderschulen in der Trägerschaft des Landes handelt, war somit grundsätzlich das Land für die unterrichtliche Versorgung der Schüler mit dem entsprechenden sonderpädagogischen Förderschwerpunkt zuständig. Denn die kommunalen Schulträger waren diesen Schülern gegenüber, falls von ihnen integrative Unterrichtung gewünscht wurde, entsprechend dem Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 nur im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten zur Aufnahme in die allgemeine Schule verpflichtet. Es macht das Wesen des Ressourcenvorbehalts aus, dass die kommunalen Schulträger auch keine Verpflichtung getroffen hat, diese Voraussetzungen zu schaffen. In § 4 Abs. 1 Satz 2 IntVO ist daher auch ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt des Schulträgers normiert. Das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, mit dem die öffentlichen Schulen zu inklusiven Schulen erklärt wurden, ließ zwar die gesetzliche Regelung über die zuständigen Schulträger der Förderschulen unberührt. Doch wird 281

Siehe sub Kap. 16 A. III. 2. b). Siehe sub Kap. 16 B. II. 3. 283 So auch: Höfling/Engels, Schulische Inklusion und finanzverfassungsrechtliche Konnexität, NWVBl. 2014, 1 (3 f.); Kingreen, Die Konnexitätsrelevanz der Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen, NdsVBl. 2014, 265 (269 f.). Siehe hierzu auch Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (129). 284 Siehe auch VerfGH d. Saarl., Urt. v. 13.3.2006, Lv 2/05, AS 34, 1 (15). 282

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die mit der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 SchPflG 2014 bewirkte Veränderung im Bereich des Bildungsangebots für Behinderte nicht ohne Auswirkungen auf die mit der Schulträgerschaft der Gemeinden und Gemeindeverbände verbundenen tatsächlichen Belastungen bleiben. Die Schüler der staatlichen Förderschulen, für die bisher die grundsätzliche Zuständigkeit der Förderschule gegeben war, werden künftig grundsätzlich an allgemeinen Schulen unterrichtet. Im Verhältnis zu dieser Grundsatzentscheidung kommt dem in § 4 Abs. 3 SchoG 2014 und § 5 Abs. 4 Satz 1 SchPflG 2014 normierten Recht der Eltern, für die Förderschule optieren zu können, nur Ausnahmecharakter zu. Das gilt sowohl für die rechtliche Regelung als solche wie auch, wie oben285 dargelegt, für den voraussichtlichen Umfang der tatsächlichen Ausübung dieses Rechts. Doch wird durch die Verpflichtung, künftig eine bis dahin in staatlichen Schulen unterrichtete Schülerschaft zu versorgen, der Aufgabenbereich der Schulträger der allgemeinen Schulen nicht nur in quantitativer Hinsicht erweitert. Vielmehr sind damit auch im Hinblick auf die baulichen und räumlichen Voraussetzungen sowie die behindertenspezifische Ausstattung der Schulen zusätzliche Anforderungen qualitativer Art verbunden. Außerdem haben die kommunalen Schulträger mit zusätzlichen Kosten für nichtpädagogisches Personal sowie mit Mehraufwand bezüglich der von ihnen gem. § 45 Abs. 3 Nr. 5 SchoG zu tragenden Kosten der Schülerbeförderung286 zu rechnen. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat es offengelassen, ob „die bloße Erweiterung“ einer den Gemeinden als Schulträgern bereits obliegenden pflichtigen Selbstverwaltungsangelegenheit […], „insbesondere eine durch irgendein Landesgesetz bewirkte Zunahme des Tätigkeitsumfangs innerhalb einer schon bestehenden Aufgabe, dem Tatbestand des Pflichtigmachens einer Selbstverwaltungsaufgabe gleichsteht.“287 Doch handelt es sich im vorliegenden Kontext nicht um die Konstellation, die das Gericht beschreibt. Es ist, wenn es um die Belastung der Gemeinden und Gemeindeverbände geht, nicht abzustellen auf Schul­ trägerschaft im Sinne einer kommunalen Funktion als solche. Vielmehr ist maßgeblich, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Schulträgerschaft eine Aufteilung dieser Funktion auf die Gebietskörperschaften vorgenommen hat, bei der die Kostenträgerschaft je nach dem örtlichen oder überörtlichen Einzugsbereich der betreffenden Schulform ein wichtiges Kriterium war. Der Rechtsbegriff der „Aufgabe“ im Sinne des Art.  120 Verf. d. Saarl. „[muss] stets im Hinblick auf die Kosten ausgelegt werden, die gesetzlich zu kompensieren sind.“288 Eine Regelung wie die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei der Unterrich 285

Siehe oben sub Kap. 17 C. II. und III. Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (141), weist zutr. darauf hin, dass künftig neue Lösungen für die Schülerbeförderung notwendig werden können. Das dürfte für die Schulträger aller Voraussicht nach mit höheren Kosten verbunden sein.. 287 VerfGH d. Saarl., Urt. v. 13.3.2006, Lv 2/05, AS 34, 1 (15). 288 So Kingreen, Die Konnexitätsrelevanz der Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen, NdsVBl. 2014, 265 (266), in Bezug auf Art. 57 NdsVerf. 286

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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tung behinderter Kinder und Jugendlicher, die zur Folge hat, dass die bisherige gesetzliche Zuständigkeitsregelung in erheblichem Umfang leerläuft und faktisch die Zuständigkeit und die Kostenbelastung kommunaler Schulträger für eine bis dahin staatlichen Schulen zugeordnete Schülerschaft begründet werden, bedeutet die Übertragung einer bisher vom Land wahrgenommenen Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe. c) Konnexitätsrelevante Belastung Art. 120 Abs. 2 hat die Funktion, Gemeinden und Gemeindeverbände vor Aufgabenübertragungen zu schützen, die nicht mit einer entsprechenden Kostendeckungsregelung verbunden sind und die infolgedessen die Fähigkeit der Kommunen, freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zu übernehmen, beeinträchtigt.289 Die Einschränkung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten ist grundsätzlich mit allen Belastungen verbunden, die oberhalb der Bagatellgrenze liegen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das wird bereits an den Schülerzahlen der in der Trägerschaft des Landes stehenden Förderschulen im Schuljahr 2012/13 ersichtlich: Förderschule für Blinde und Sehbehinderte: 81; Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige: 108; Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung: 275; Förderschule Sprache: 257; Förderschulen soziale Entwicklung: 362.290 Bei der künftigen Unterrichtung von Schülern dieser Schulen in den allgemeinen Schulen haben deren Träger mit erheblichen zusätzlichen Kosten zu rechnen. 2. Rechtsfolge Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass gem. Art. 120 Abs. 2 i. V. m. Art. 120 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. eine Regelung über die Deckung der Kosten hätte getroffen werden müssen. Zwar musste diese Regelung nicht in dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014, mit dem die oben näher bezeichneten, bisher vom Land wahrgenommenen Aufgaben als pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben auf die Gemeinden und Gemeindeverbände übertragen wurden, enthalten sein. Doch musste sie, wie sich aus dem Wort „dabei“ in Art. 120 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. ergibt, in einem förmlichen Gesetz – etwa dem Kommunalfinanzausgleichsgesetz – enthalten sein und gemeinsam mit dem Übertragungsgesetz beraten und beschlossen werden.291 Da diese Regelung jedoch nicht ergangen ist, hat das Land seine verfassungsrechtliche Pflicht aus Art. 120 Abs. 1 Satz 2 Verf. d. Saarl. verletzt. 289

Siehe hierzu Grupp, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 120 Rn. 7. Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 16, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 291 So Grupp, in: Wendt/Rixecker, Verf. d. Saarl., Art. 120 Rn. 4. 290

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4. Teil: Inklusive Schule

Das Fehlen einer Ausgleichsbestimmung hat jedoch nicht die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 zur Folge, mit dem die Aufgabe übertragen wurde.292 Vielmehr haben die Gemeinden und Gemeindeverbände einen Regelungs- und Ausgleichsanspruch. Sie können ihn unter Berufung darauf, dass mit der Unterlassung der gebotenen gesetzlichen Ausgleichsregelung ihr Selbstverwaltungsrecht verletzt sei,293 im Wege der Verfassungsbeschwerde gem. § 55 Abs.  2 VerfGHG geltend machen. Sie wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „gegen das entsprechende Finanzausgleichsgesetz“294 zu richten. Das bezieht sich zunächst auf das Finanzausgleichsgesetz des Jahres der Aufgabenübertragung. Die Verfassungsbeschwerde kann gem. § 56 Abs. 2 VerfGHG innerhalb eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Zwar ist die Jahresfrist bezogen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Übertragungsgesetzes abgelaufen. Doch sind auch alle folgenden Kommunalfinanzausgleichsgesetze taugliche Beschwerdegegenstände, solange die Aufgabenübertragung Bestand hat.295 II. Bestimmung einer bisher nicht vom Land wahrgenommenen Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe 1. Verfassungsrechtliche Lage Seitens der kommunalen Spitzenverbände ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wiederholt auf die mit der Einführung der inklusiven Schule für die kommunalen Schulträger verbundenen finanziellen Belastungen hingewiesen worden. Zwar wurde dabei auch geltend gemacht, „dass ein Fall der sogenannten Konnexität vorliegt.“296 Doch fällt auf, dass eine auf Konnexität gestützte Verpflichtung des Landes zu einer Regelung im Sinne des Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. wohl nur für die oben dargestellte faktische Verlagerung der Schülerschaft der staatlichen Förderschulen an die in kommunaler Trägerschaft befindlichen allgemeinen Schulen behauptet wird.297 Angesichts der Rechtslage wäre eine andere 292

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.5.2001, 2 BvK 1/00, BVerfGE 103, 332 (365). Ebenso: Wolff, Inklusion und Konnexität – Der „Kostenfaktor“ bei der Umsetzung der UN-BRK am Beispiel der geänderten Schulgesetze in Niedersachsen und NRW, RdJB 2015, 48 (61). 293 VerfGH NRW, Urt. v. 12.10.2010, VerfGH 12/09, NVwZ-RR 2011, 41 (42). 294 BVerfG, Beschl. v. 7.5.2001, 2 BvK 1/00, BVerfGE 103, 332 (365). Ebenso: Wolff, Inklusion und Konnexität – Der „Kostenfaktor“ bei der Umsetzung der UN-BRK am Beispiel der geänderten Schulgesetze in Niedersachsen und NRW, RdJB 2015, 48 (62). 295 So zutr. Wolff, ebd. 296 Jürgen Fried, Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetages, in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 2. 297 Siehe die Ausführungen des Geschäftsführenden Vorstandsmitglieds des Saarländischen Städte- und Gemeindetages Barbara Beckmann-Roh in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 6.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Positionierung auch unverständlich gewesen. Denn der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat festgestellt: „Entgegen Regelungen in den meisten anderen Bundesländern betreffend die Anwendung des so genannten Konnexitätsprinzips auf zur Pflicht gemachte Aufgaben (Art. 71 Abs. 3 BaWüVerf, Art. 83 Abs. 3 BayVerf, Art. 97 Abs. 3 Satz 2 BbgVerf, Art. 137 Abs. 6 HessVerf, Art. 72 Abs. 3 M-VVerf, Art. 78 Abs. 3 NRWVerf, Art. 49 Abs. 4 und 5 RhPfVerf, Art. 85 Abs. 1 und 2 SächsVerf, Art. 87 Abs. 3 VerfLSA, Art. 46 Abs. 4, 49 Abs. 2 SchlHVerf) genügt es nach Art. 120 Abs. 2 SVerf für die Auslösung des Kompensationsmechanismus nicht, wenn eine bisher nicht vom Land wahrgenommene Aufgabe durch Gesetz zu einer pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe gemacht wird. Diese Fälle werden vom Wortlaut des Art. 120 Abs. 2 SVerf eindeutig nicht umfasst.“298

Es überrascht daher nicht, wenn der Landkreistag Saarland für die Geltendmachung seines Anliegens folgende Formulierung wählte: „Wir bitten dringend darum, dass das Land uns für die Umsetzung dieser Maßnahmen einen finanziellen Ausgleich gewährt.“299 Auf der gleichen Ebene, nämlich als Appell an das Land zu kooperativem Verhalten bei der Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung, hat der Saarländische Städte- und Gemeindetag seinen Erwartungen Ausdruck verliehen: „Selbst wenn man nicht das förmliche Konnexitätsprinzip hier ausgelöst findet, so sind wir doch an einem Punkt, wo es darum geht, dass das Land verpflichtet ist, die Kommunen ordnungsgemäß finanziell auszustatten. Mit diesem Berg an Kosten, der hier sehr plastisch beschrieben wurde, haben wir einen großen Punkt. Auch jenseits der förmlichen Konnexität ist das ein Aspekt, von dem wir meinen, dass das Land uns zusätzlich ausstatten und ein Investitionsprogramm zur Verfügung stellen muss, damit das Gleichgewicht in der Finanzierung zwischen Land und Kommunen gewahrt ist.“300

2. Gemeinsame Verantwortung von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden für schulische Inklusion Hier ist angesprochen, was für die Beziehungen zwischen der Landes- und der Kommunalebene in grundsätzlicher Hinsicht Beachtung verlangt, nämlich das an die Adresse des Landes gerichtete Gebot gemeindefreundlichen Verhaltens. Gewiss können hieraus keine Rechtsansprüche der Kommunen gegen das Land abgeleitet werden. Aber der Hinweis auf diesen Gesichtspunkt ist geeignet, die Mitverantwortung des Landes für ein Vorhaben zu thematisieren, mit dem die Landesregierung große Erwartungen an die zukünftige Entwicklung des Schulwesens 298

VerfGH d. Saarl., Urt. v. 13.3.2006, Lv 2/05, AS 34, 1 (16). Martin Luckas, Geschäftsführer des Landkreistages Saarland, in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 16. 300 Barbara Beckmann-Roh, Geschäftsführendes Vorstandsmitglieds des Saarländischen Städteund Gemeindetages in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 6. 299

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4. Teil: Inklusive Schule

im Saarland verbindet. Die sich hierbei aufdrängenden Erwägungen unterscheiden sich strukturell nicht wesentlich von denen, die bei der Prüfung der Konnexitätsrelevanz im Sinne des Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. maßgeblich sind. a) Konnexitätsrelevante Aufgabenübertragung So ist zunächst auf die Frage einzugehen, ob es sich um die Übertragung einer neuen Aufgabe bzw. um die Erweiterung einer bestehenden Aufgabe handelt. Hierbei ist zu unterscheiden: aa) Pädagogisch-inhaltliche Einordnung Wie in der vorliegenden Schrift dargelegt, sind „integrative Unterrichtung“ und „inklusive Unterrichtung“ Synonyma.301 In der inklusiven Schule wird sich in pädagogischer Hinsicht grundsätzlich nichts anderes abspielen als das, was seit 1986 im Saarland auf der Grundlage des mit Gesetz vom 4.6.1986302 entsprechend geänderten § 4 Abs. 1 SchoG als integrative Unterrichtung praktiziert wird:303 Das ausschlaggebende Wesensmerkmal integrativer/inklusiver Unterrichtung und Erziehung war und ist die Anpassung der allgemeinen Schule an die spezifischen Bedürfnisse des behinderten Kindes, denen insbesondere durch das Angebot zieldifferenten Unterrichts Rechnung getragen wird. Infolgedessen ergeben sich insoweit dem Grunde nach auch keine neuen bzw. zusätzlichen Aufgaben für die kommunalen Schulträger hinsichtlich der Gewährleistung der sächlichen Voraussetzungen. bb) Rechtliche und finanzwirtschaftliche Einordnung Eine rechtlich und finanzwirtschaftlich grundlegend neue Situation hat sich für die kommunalen Schulträger jedoch dadurch ergeben, dass mit der Regelung der inklusiven Schule in dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 normierte Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt entfallen ist. Das ist die selbstverständliche Folge aus der Tat­sache, dass nunmehr grundsätzlich alle behinderten Schüler einen Anspruch auf den Besuch der allgemeinen Schulen haben. Dadurch ist für die Schulträger eine neue Aufgabe begründet worden.304 Konnte der kommunale Schulträger bisher finanz 301

Siehe oben sub Kap. 15 A. II. 2. und Kap. 16 D. III. 2.  Amtsbl. S. 477. 303 Vgl. hierzu auch Schwarz, Inklusion als „neue“ Landesaufgabe? Zur (Un-)anwendbarkeit der Konnexitätsregelung des Art. 78 Abs. 3 LV, NWVBl. 2013, 81. 304 Trips, Konnexitätsprinzip und Inklusion  – Rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte eines Anspruchs der Kommunen auf Kostenausgleich, oder: „Dann klagen wir eben!“, NdsVBl. 2013, 297 (301). 302

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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relevante Aufwendungen unter Hinweis auf seine unzureichende finanzielle Leistungsfähigkeit und nicht vorhandene Ressourcen ablehnen – siehe auch das in § 4 Abs. 1 Satz 2 IntVO normierte Erfordernis der Zustimmung des Schulträgers –, so ist er nach dem Wegfall des Ressourcenvorbehalts nicht mehr in der Lage, auf diesem Gebiet sein finanzielles Engagement zu steuern. Die Umkehrung des RegelAusnahme-Verhältnisses im System des Bildungsangebots für Behinderte und der Wegfall des Finanzvorbehalts bedeuten eine Erweiterung der Pflichtaufgaben des Schulträgers.305 b) Konnexitätsrelevante Belastung aa) Fehlende Kostenfolgeabschätzung Nach § 12a Abs. 1 der Geschäftsordnung der Regierung des Saarlandes (GOReg)306 sind bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen und Entwürfen von Rechtsverordnungen die in der Anlage zur Geschäftsordnung aufgeführten Prüffragen zu beachten. In Nr. 10.3 der Anlage 3 (zu § 12a GOReg) wird eine Antwort zu folgenden Fragen verlangt: In welcher Höhe entstehen zusätzliche Kosten und Ausgaben für die Haushalte des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände? – Welche Deckungsmöglichkeiten bestehen für die zusätzlichen Kosten?

Aus den Gesetzesmaterialien geht nicht hervor, dass diese Kostenfolgeabschätzung stattgefunden hat, und zwar weder für den Landeshaushalt noch für die Haushalte der kommunalen Gebietskörperschaften. Auch der von der Landesregierung am 17.8.2012 beschlossene Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland enthält keine konkrete Aussage zu den Kosten, die bei der Verwirklichung der Inklusion im Schulbereich auf die kommunalen Schulträger zukommen. In der Einleitung des Aktionsplans sind die Kommunen nur in einer weitgehend unsubstanziierten Aussage erwähnt: „Dabei sind allerdings die finanziellen Möglichkeiten des Landes ebenso wie der Städte, Landkreise und Gemeinden zu berücksichtigen.“307 Der Saarländische Städte- und Gemeindetag hat darauf hingewiesen, dass in dem ersten Entwurf des Aktionsplans von Mitte 2011, der Gegenstand einer externen Anhörung war, die Kostenbelastung der Kommunen mit keinem Wort erwähnt worden sei

305 In der Einführung des Rechtsanspruchs auf integrative Unterrichtung und dem Wegfall des Ressourcenvorbehalts sieht Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (138), einen konnexitätsrelevanten Systemwechsel. 306 Vom 15.2.2005 (Amtsbl. S. 504), zul.geänd.d. Bek. vom 9.5.2012 (Amtsbl. I S. 132). 307 Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, S. 8.

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4. Teil: Inklusive Schule

und die Regierung erst von kommunaler Seite hierauf habe aufmerksam gemacht werden müssen.308 Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) hat in einer der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Ausarbeitung zur inklusiven Schule bezüglich der Schulträger lediglich verlautbart: „Gleichzeitig will die Landesregierung auch die Schulträger an der Fortentwicklung der inklusiven Aspekte in den Schulen beteiligen und fordern. ‚Gemeinsam Lernen‘ heißt auch ‚Gemeinsam Politik‘ gestalten.“309 Die gleiche Verweigerungshaltung gegenüber der Kostenfrage nimmt die Landesregierung auch in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 ein: „Insbesondere im Hinblick auf die sächlichen, räumlichen und baulichen Auswirkungen der Inklusion im schulischen Bereich wird eine enge Absprache mit den Schulträgern erfolgen.“310 Obwohl der Saarländische Städte- und Gemeindetag bereits bei der Vorlage des Aktionsplans vom 17.8.2012 das Fehlen detaillierter Angaben zu den auf die kommunalen Gebietskörperschaften zukommenden Kosten gerügt hatte, wurden den an der externen Anhörung zu dem Referentenentwurf des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 beteiligten kommunalen Spitzenverbänden keine Kostenberechnungen vorgelegt. Stattdessen wurde folgender Art. 4 Abs. 3 in das Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 aufgenommen: „Die Landesregierung prüft bis zum 31. Juli 2019 die Auswirkungen dieses Gesetzes.“

In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es hierzu: „In Absatz  3 wird eine Überprüfung der Auswirkungen dieses Gesetzes festgeschrieben. Es wird zwar davon ausgegangen, dass diese nicht erheblich sind. Eine Überprüfung dieser Annahme soll aber bis 2019 erfolgen. Dabei sind für die Schulträger die kommunalen Spitzenverbände zu beteiligen. In diese Überprüfung sind die gesamten zusätzlichen Kosten, die ihre Ursache in der Wahrnehmung der Möglichkeit einer inklusiven Beschulung haben, einzubeziehen. Hierzu gehören neben den Aufwendungen für die Schulträger im Hinblick auf z. B. bauliche und räumliche Ausstattungen auch die finanziellen Auswirkungen für die Schülerbeförderung sowie die finanziellen Auswirkungen für die Sozialhilfeträger im Hinblick auf die Eingliederungshilfe nach SGB XII (z. B für Integrationshelferinnen und Integrationshelfer).“311

Zwar ist in dieser Begründung von den „gesamten“ zusätzlichen Kosten, die ihre Ursache in der Wahrnehmung der Möglichkeit einer inklusiven Unterrich 308

Saarländischer Städte- und Gemeindetag, Geschäftsbericht des Saarländischen Städteund Gemeindetages für die Jahre 2011 bis 2013, SKZ 2013, Beilage zu Heft 11, S. 34 f. 309 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 13, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 310 LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 13. 311 Zu den Auswirkungen der schulischen Inklusion auf die Eingliederungshilfe speziell unter dem Gesichtspunkt der finanzverfassungsrechtlichen Konnexität siehe Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (144 ff.).

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tung haben, die Rede. Aus dem Kontext ergibt sich jedoch, dass damit an erster Stelle, wenn nicht gar ausschließlich die von den Schulträgern zu tragenden Kosten gemeint sind. Es ist eine befremdliche Vorstellung von Konnexitätsrelevanz, dass einerseits von „nicht erheblich[en]“ Kosten „ausgegangen“ wird, andererseits aber mit fünfjähriger Verspätung eine Kostenermittlung stattfinden soll. Bekanntlich gehört auch der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen Aufgabenübertragung und dem finanziellen Ausgleich zum Wesen finanzverfassungsrechtlicher Konnexität. Die mangelnde Bereitschaft des Landes, sich bei der Einführung der inklusiven Schule ernsthaft mit der Frage der auf die kommunalen Schulträger zukommenden Kosten zu befassen, hat auch in § 4 Abs. 1 SchoG 2014 Ausdruck gefunden: (1) 1Die öffentlichen Schulen der Regelform sind inklusive Schulen. 2Sie ermöglichen grundsätzlich allen Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten und ungehinderten Zugang. 3Die Barrierefreiheit ist im Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetz vom 26. November 2003 (Amtsbl. S. 2987), geändert durch das Gesetz vom 15. Februar 2006 (Amtsbl. S. 474), in der jeweils geltenden Fassung geregelt. 4Die §§ 3a und 3b bleiben hiervon unberührt.

Im Vorblatt des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 heißt es unter Abschnitt „E. Sonstige Kosten“: „Der Gesetzesentwurf [sic!] knüpft an die im Saarländischen Behindertengleichstellungs­ gesetz seit 2003 bestehenden Regelungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit an: Bereits durch die dort getroffenen Regelungen sind die Schulträger gehalten, bestehende Bauten – worunter auch die öffentlichen Schulen fallen – entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik soweit wie möglich barrierefrei zu gestalten mit dem Ziel, eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit zu erreichen. Das Ministerium für Bildung und Kultur wird Gespräche mit den betroffenen Schulträgern führen, um die erforderlichen Umsetzungsschritte für die Barrierefreiheit an den saarländischen Schulen zu erarbeiten.“312

Diese Ausführungen der Landesregierung haben offensichtlich die Funktion eines Surrogats für die gebotene Kostenfolgeabschätzung. Auch wird mit dem Hinweis auf das „seit 2003“ bestehende Gesetz suggeriert, dass es sich bei der flächendeckenden Implementierung der inklusiven Schule nicht um eine neue Aufgabe der Schulträger handele. Dabei wird jedoch von der Landesregierung Folgendes übersehen: –– Zwar gilt § 10 Abs.  3 und 4 SBGG auch für Schulen. Nach dieser Vorschrift sind die Schulträger verpflichtet gewesen, die Schulgebäude bis spätestens zum 1.1.2014 so weit wie möglich barrierefrei zu gestalten, so dass sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernisse und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind (§ 3 Abs. 3 SBGG). Doch ist „Barrierefreiheit“ im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Inklusion in der Schule weiter zu fassen. Darunter fallen alle Bedingungen, die 312

LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 2.

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erforderlich sind, um integrativen/inklusiven Unterricht praktizieren zu können. Dazu gehören erforderlichenfalls die Bereitstellung bzw. Schaffung von zusätzlichen Differenzierungs-, Funktions- und Rückzugsräumen sowie die behinderungsspezifische Ausgestaltung der Unterrichtsräume (z. B. für Blinde und Sehbehinderte einerseits und Gehörlose und Schwerhörige andererseits) und der Sanitäreinrichtungen.313 Außerdem gehört zur Barrierefreiheit im Sinne der inklusiven Schule die Bereitstellung der behinderungsadäquaten Einrichtungsgegenstände und des behinderungsspezifischen Lehrmaterials. Weil es also um erheblich mehr geht als um die Zugangsmöglichkeit zum Schulgebäude, greift der Hinweis auf das Saarländische Behindertengleichstellungsgesetz in der für die inklusive Schule grundlegenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 SchoG 2014 zu kurz. –– Der Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SchoG 1986 ist bei Erlass des Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetzes am 28.11.2003 und in der Folgezeit nicht geändert worden. Daraus kann geschlossen werden, dass es hinsichtlich der Belange der Behinderten im Kontext ihrer schulischen Unterrichtung in allgemeinen Schulen nach dem Willen des Gesetzgebers bei dieser bereichsspezifischen, d. h. speziellen Regelung bleiben sollte. –– Auch in der Regelung des § 10 Abs. 2 SBGG ist der Gesichtspunkt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten berücksichtigt. Denn nach § 10 Abs. 2 Satz 3 SBGG können Ausnahmen von § 10 Abs.  2 Satz 1 SBGG hinsichtlich großer Um- und Erweiterungsbauten gestattet werden, „wenn die Anforderungen nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erfüllt werden können.“ –– Angesichts der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten der saarländischen Gemeinden und Gemeindeverbände ist die Umsetzung dieser Vorgaben des Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetzes bisher – um es zurückhaltend zu formulieren – bei weitem nicht in dem Maße gelungen, wie es von dem Gesetz vorgegeben war. Hierauf haben die kommunalen Spitzenverbände bei der Anhörung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 hingewiesen.314

313

Zutreffend schreibt Kingreen, Die Konnexitätsrelevanz der Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen, NdsVBl. 2014, 265 (268): „Daran wird deutlich, dass die durch die inklusive Schule erforderlichen Neu- und Umbaumaßnahmen nicht mehr im Baurecht wurzeln, sondern unmittelbar aus der schulrechtlichen Verpflichtung folgen, Kindern mit Behinderung inklusiven Schulunterricht anzubieten.“ Im Ergebnis ebenso Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (141). 314 Siehe die Ausführungen des Präsidenten des Saarländischen Städte- und Gemeindetages Jürgen Fried in der Anhörung vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes am 8.5.2014, Sitzungsniederschrift S. 3.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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bb) Anhaltspunkte für die Einschätzung der konnexitätsrelevanten Belastung Die im Auftrag der kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen erstellte Untersuchung von Schwarz/Weishaupt/Schneider/Makles/Tarazona, die oben315 bereits vorgestellt wurde, zeigt am Beispiel der Stadt Essen und des Kreises Borken die mit der flächendeckenden Implementierung der inklusiven Schule für die kommunalen Schulträger entstehenden erheblichen Kosten auf.316 Das Gutachten bietet „eine solide Grundlage“317 für die Abschätzung der auf die kommunalen Schulträger zukommenden Kosten. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hatte sich bei der Einführung der inklusiven Schule gegenüber den Forderungen der Kommunen zunächst nicht aufgeschlossen gezeigt und in den Entwurf des 9.  Schulrechtsänderungsgesetzes keine der Konnexitätsregelung des Art. 78 Abs. 3 Verf. NRW Rechnung tragende Regelung aufgenommen.318 Doch kam es zu einem politischen Kompromiss, der mit dem zeitgleich mit dem 9.  Schulrechtsänderungsgesetz in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion319 umgesetzt wurde.320 c) Kooperation auf der Grundlage eines finanzverfassungsrechtlichen Konsenses De constitutione lata ist im Saarland im Falle der Bestimmung einer bisher nicht vom Land wahrgenommenen Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe der Kommunen ein Anspruch aus finanzverfassungsrechtlicher Konnexität nicht gegeben. Doch wurde im Rahmen eines am 3.6.2015 von dem saarländischen Innenminister Klaus Bouillon (CDU) und dem Präsidium des Saarländischen Städteund Gemeindetages unterzeichneten „Kommunalpaktes Saar“ u. a. vereinbart, dass 315

Siehe oben sub Kap. 15 B. II. 2. d). Schwarz/Weishaupt/Schneider/Makles/Tarazona, Mögliche kommunale Folgekosten der Umsetzung der Inklusion im Schulbereich in Nordrhein-Westfalen am Beispiel der Stadt Essen und des Kreises Borken, S.  3, 162, http://www.staedtetag-nrw.de/md/content/stnrw/site (Zugriff: 24.7.2013). 317 Trips, Konnexitätsprinzip und Inklusion  – Rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte eines Anspruchs der Kommunen auf Kostenausgleich, oder: „Dann klagen wir eben!“, NdsVBl. 2013, 297 (303). Auf dieses Gutachten bezieht sich auch Kingreen, Die Konnexitätsrelevanz der Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen, NdsVBl. 2014, 265 (268). 318 LT-Drucks. 16/2432 vom 21.3.2013 (Neudruck). 319 Vom 9.7.2014 (GV. NRW S. 404), in Kraft getreten am 1.8.2014. 320 Zu den Einzelheiten siehe: van den Hövel, Inklusion statt Integration: Zur Umsetzung von Artikel 24 der VN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen, RdJB 2014, 183 (191); Engels, Herausforderungen der schulischen Inklusion, ZG 2015, 128 (135 ff.). 316

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4. Teil: Inklusive Schule

künftig ein striktes Konnexitätsprinzip321 in der Verfassung des Saarlandes verankert werden soll.322 Die Voraussetzungen für eine verfassungsändernde Mehrheit sind aufgrund der Großen Koalition gegeben. Das Zustandekommen dieses politischen Konsenses muss vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, dass die finanzielle Situation der saarländischen Städte und Gemeinden die schlechteste im Flächenländervergleich ist.323 Zutreffend stellt Wohlfarth unter Hinweis auf die dem Saarland eine extreme Haushaltsnotlage bescheinigende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.5.1992324 fest: „Im Saarland treffen kommunale Finanznot und extreme Leistungsschwäche des Landes aufeinander.“325 Die Vereinbarung zwischen der Regierung des Saarlandes und dem Städte- und Gemeindetag soll mit dem von der CDU-Land­tagsfraktion und der SPD-Landtagsfraktion im Landtag des Saarlandes eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Saarlandes und des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes umgesetzt werden.326 Art. 120 Verf. d. Saarl. soll folgende Fassung erhalten: 321 Die Verfassungen folgender Bundesländer sehen ein striktes Konnexitätsprinzip vor (in Klammern der bzw. die Artikel der jeweiligen Landesverfassung): Baden-Württemberg (Art. 71 Abs. 3), Bayern (Art. 83 Abs. 3), Brandenburg (Art. 97 Abs. 3), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 72 Abs. 3), Niedersachsen (Art. 57 Abs. 4), Nordrhein-Westfalen (Art. 78 Abs. 3), Rheinland-Pfalz (Art.  49 Abs.  4 und 5), Sachsen (Art.  85 Abs.  1 und 2), Sachsen-Anhalt (Art. 87 Abs. 3) und Schleswig-Holstein (Artt. 46 Abs. 4 und 49 Abs. 2). 322 Pressemitteilung des Ministeriums für Inneres und Sport vom 3.6.2015, 16.40 Uhr, http:// www.saarland.de: Zugriff: 3.6.2015. Kirch, Bürgermeister einstimmig für Vertrag mit dem Land, SZ Nr. 126 vom 3./4.6.2015, S. B 2. 323 Zu der mit Abstand schlechtesten Position der saarländischen Städte und Gemeinden im Flächenländervergleich siehe Burth/Geißler/Gnädinger/Hilgers, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Kommunaler Finanzreport 2013. Einnahmen, Ausgaben und Verschuldung im Ländervergleich, S. 131 (Abbildung 40). Das wird in dem vom Ministerium für Inneres und Sport des Saarlandes in Auftrag gegebenen Gutachten von Junkernheinrich/Frankenberg/Markert/­Micosatt, Kommunale Haushaltskonsolidierung im Saarland, S. 83, bestätigt: „Insgesamt kommt das Saarland auf die höchste Pro-Kopf-Kommunalverschuldung im Ländervergleich.“ 324 BVerfG, Urt. v. 27.5.1992, 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90, BVerfGE 86,148 (262 f.). 325 Wohlfahrth, in: Gröpl/Guckelberger/Wohlfahrth, Landesrecht Saarland, § 3 Rn. 116. Siehe hierzu im Einzelnen: Detemple/Michels/Schramm, PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Hrsg.): PwC-Länderfinanzbenchmarking 2013. Eine Untersuchung der Länder- und Kommunalfinanzen vor dem Hintergrund der Schuldenbremse, S.  171 ff.; dies., PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Hrsg.): PwC-Länderfinanzbenchmarking 2015. Eine Untersuchung der Länderfinanzen vor dem Hintergrund der Schuldenbremse, S. 92 f. 326 LT-Drucks. 15/1537 vom 7.10.2015. Im Vorblatt des Gesetzentwurfs, S. 1, heißt es: „Die Haushaltslage der saarländischen Kommunen ist durch einen hohen Bedarf an Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung geprägt. Das Kommunalpaket Saar für die Jahre 2015–2024 sieht hierfür als ein Element die Einführung eines umfassenden strikten Konnexitätsprinzips in Anlehnung an die Regelungen in Nordrhein-Westfalen vor.“ Die kommunalen Spitzenverbände machen jedoch geltend, dass der Gesetzentwurf diesem Anspruch nicht gerecht werde, vgl. Kirch, Unendliche Geschichte geht weiter. Bürgermeister und Landräte pochen auf strikte Kostenerstattung bei neuen Aufgaben, SZ Nr. 250 vom 28.10.2015, S. B 2.

17. Kap.: Rechtliche Regelung der inklusiven Schule im Saarland

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Artikel 120 (1) 1Durch förmliches Gesetz können den Gemeinden und Gemeindeverbänden staatliche Aufgaben zur Durchführung übertragen und die Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben zur Pflicht gemacht werden. 2Gleichzeitig sind Bestimmungen über die Deckung der ­Kosten zu treffen. (2) 1Führen Maßnahmen nach Absatz 1 oder die Veränderung bestehender Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die Gemeinden oder Gemeindeverbände verpflichtet sind, zu einer wesentlichen Mehrbelastung, so ist auf der Grundlage einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen. 2Der Ausgleich soll pauschaliert geleistet werden. 3 Ergeben sich nachträglich wesentliche Abweichungen von dieser Kostenfolgeabschätzung, ist der finanzielle Ausgleich für die Zukunft anzupassen. 4Das Nähere regelt ein Gesetz.

Im Vorblatt des Gesetzentwurfs ist angekündigt, dass die Einzelheiten zur Ermittlung der wesentlichen Mehrbelastung und des entsprechenden finanziellen Ausgleichs in einem Konnexitätsausführungsgesetz geregelt werden. Wie es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt, entsteht eine Ausgleichsverpflichtung des Landes, „wenn die Wahrnehmung neuer oder die Veränderung bereits bei den Kommunen erledigter Aufgaben – auch durch untergesetzliche Regelungen  – zu einer wesentlichen finanziellen Mehrbelastung führt. Aufgabenänderung ist auch eine Änderung der Art und Weise der bisherigen Aufgabenerledigung.“327 Der Begründung des Gesetzentwurfs zufolge erfasst das strikte Konnexitätsprinzip „europa- und bundesrechtliche Regelungen nur insoweit, als dem Land zur Umsetzung ein eigener Gestaltungsspielraum bleibt und dieser tatsächlich genutzt wird.“328 Dem oben329 Gesagten zufolge sind diese Voraussetzungen mit der Regelung zur Einführung der inklusiven Schule erfüllt. Dem Gesetz soll jedoch keine Rückwirkung beigelegt sein. Daher kommt, worauf in der Begründung des Gesetzentwurfs hingewiesen wird, das mit dieser Verfassungsänderung zu normierende strikte Konnexitätsprinzip „[…] ausschließlich bei künftigen Aufgabenübertragungen oder -veränderungen zur Anwendung[…]“.330 Wie erwähnt,331 ist in § 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014332 die Regelung aufgenommen worden, dass „die Landesregierung bis zum 31. Juli 2019 die Auswirkungen dieses Gesetzes [überprüft]“. Es bleibt abzuwarten, ob die Verständigung auf die verfassungsrechtliche Verankerung einer strikten Konnexitätsregelung bereits vor dem Jahr 2019 im Hinblick auf die Einführung der inklusiven Schule zu einem politischen Kompromiss über einen finanziellen Ausgleich für die kommunalen Gebietskörperschaften führen wird. 327

LT-Drucks. 15/1537 vom 7.10.2015, Begründung S. 7. LT-Drucks. 15/1537 vom 7.10.2015, Begründung S. 7. 329 Siehe sub Kap. 17 F. II. 2. a) und b). 330 LT-Drucks. 15/1537 vom 7.10.2015, Begründung S. 7. 331 Siehe oben sub Kap. 17 F. II. 2. b) aa). 332 Amtsbl. I S. 296. 328

Kapitel 18

Staatliche Schulverantwortung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs behinderter Kinder und Jugendlicher in der inklusiven Schule A. Normative Festlegungen mit negativer Wirkung auf die Erfüllung des Bildungsanspruchs Die Parallelität der Überschrift dieses Kapitels zu der des Kapitels 8 sollte nicht überraschen. Ging es dort um die Bewertung der mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechtes vom 4.6.1986 geregelten integrativen Unterrichtung behinderter Schüler in der Wirklichkeit schulischer ­Praxis, so stellt sich die gleiche Frage hinsichtlich der voraussichtlichen Wirkung des Konzepts der inklusiven Schule. Auch hier geht es darum, ob und inwieweit bei der Umsetzung dieses Schulkonzepts in der pädagogischen Praxis die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Schülers gewährleistet ist. Daher kann hinsichtlich des Inhalts des Bildungsanspruchs und der Voraussetzungen seiner Erfüllung vollinhaltlich auf die Ausführungen in den Kap. 3 und 4 Bezug genommen werden. I. Wirkung von Dekategorisierungsmaßnahmen 1. Veränderte Wahrnehmung und Positionierung Behinderter als Folge semantischer Einebnung In dem mit „Sonderpädagogische Unterstützung“ überschriebenen Abschnitt 4 der Inklusionsverordnung lautet die hier einschlägige Bestimmung: § 16 Ziel und Aufgabe (1) 1Ziel jeder sonderpädagogischen Unterstützung ist die Sicherung des individuellen Bildungsanspruches der Schülerinnen und Schüler. 2Sie trägt zur Anschlussfähigkeit im Hinblick auf den weiteren Bildungs- und Berufsweg bei. (2) 1Sonderpädagogische Unterstützung ergänzt die Arbeit der Regelschule. 2Zudem findet sonderpädagogische Unterstützung in den nach Förderschwerpunkten (§ 17) gegliederten Förderschulen (4a Absatz 1 bis 4 des Schulordnungsgesetzes) statt.

18. Kap.: Staatliche Schulverantwortung in der inklusiven Schule

601

(3) Die bestehenden sonderpädagogischen Förderzentren haben die vorrangige Aufgabe, die inklusive Arbeit der allgemein bildenden und beruflichen Regelschulen sonderpädagogisch zu unterstützen.1

Gewiss spricht § 16 Abs. 1 Satz 1 InklVO mit der „Sicherung des individuellen Bildungsanspruchs“ das maßgebliche Bewertungskriterium an. Die Bedeutung dieser Aussage des Verordnungsgebers für die Schulpraxis der inklusiven Schule relativiert sich jedoch erheblich, wenn man sie im Kontext der Gesamtregelung zur inklusiven Schule betrachtet. Durch diese zieht sich, wie oben2 im Einzelnen dargelegt, als unübersehbare Grundlinie das Bestreben des Gesetzgebers wie des Verordnungsgebers zu einer weitreichenden Dekategorisierung. Gerade bei dem Regelungsgegenstand des § 16 Abs. 1 InklVO ist es sachlich zwingend, die behinderten Schüler auch ausdrücklich zu erwähnen – denn um sie geht es. Stattdessen ist dort undifferenziert von „Schülerinnen und Schüler[n]“ die Rede. Wie bereits gesagt, kommen die Wörter „Behinderte“ bzw. „behinderte“ weder in dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 noch in der Inklusionsverordnung vor. Der bewusstseinsbildende Effekt der Semantik – in diesem Falle aktiviert durch systematische Vermeidung eines bis dahin selbstverständlichen Sprachgebrauchs – bewirkt eine grundlegend veränderte Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen und in deren Folge eine Relativierung ihrer Position im sozialen Umfeld. 2. Verfahrensregelungen mit Steuerungsfunktion Die schulpraktische Umsetzung dieser Grundlinie wird durch verfahrensmäßige Vorkehrungen sichergestellt: –– An erster Stelle ist die auf den Lernort bezogene Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu nennen. –– Hierzu komplementär ist die konsequente Minimierung der Fälle, in denen das Vorliegen der Voraussetzungen für sonderpädagogische Unterstützung festgestellt wurde. Das soll gewährleistet werden durch die Regelung, dass vor oder bei der Einschulung auch bei objektiv gegebenem Anlass nicht zwingend ein sonderpädagogisches Gutachten zu erstellen ist, sondern dass die Einholung eines sonderpädagogischen Gutachtens im Ermessen der Schulaufsichtsbehörde steht (§ 19 Abs. 4 Satz 2 InklVO).3 Das Gleiche gilt bei einem im Verlauf des 1

Hervorh. d. Verf. Kap. 17 A. II. 1. und 2. 3 Zu der Abschaffung des sonderpädagogischen Gutachtens im Rahmen des im Herbst 2012 vom Hamburgischen Senat angekündigten „systemischen Ansatzes“ anstelle der einzelfallbezogenen sonderpädagogischen Förderung merken Rux/Niehues, Schulrecht, Rn.  723, Fn.  862, an: „Problematisch ist weiterhin die – nach diesem Ansatz allerdings durchaus konsequente – Abschaffung der sonderpädagogischen Gutachten. Zwar sollen diese für alle Schüler durch individuelle Entwicklungspläne ersetzt werden. Allerdings war und ist nicht sicher gestellt, dass die Lehrkräfte, die diese Pläne erstellen, auch über eine hinreichende sonder­paedagogische Kompetenz verfügen, um den Förderbedarf korrekt festzustellen.“ 2

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4. Teil: Inklusive Schule

Schulbesuchs sich ergebenden Anlass zu einem sonderpädagogischen Feststellungsverfahren. Auf den insoweit geradezu programmatischen Charakter der Überschrift der Inklusionsverordnung, in der nur von besonderer pädagogischer Förderung, nicht aber auch von sonderpädagogischer Unterstützung die Rede ist, wurde bereits hingewiesen. –– Durch die Einräumung weiter Ermessensspielräume für die Schulaufsichtsbehörde sowohl bei der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für sonderpädagogische Unterstützung als auch bei der Entscheidung über den Besuch der Förderschule wird die Schulaufsichtsbehörde in die Lage versetzt, sowohl gegenüber dem Wahlrecht der Eltern als auch gegenüber den pädagogischen Vorstellungen der Regelschule den Besuch der Förderschule weitgehend vereiteln zu können. –– Zu den Vorschriften, deren unverkennbares Ziel die Minimierung der Fälle mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung ist, gehört auch § 19 Abs. 4 Satz 1 InklVO. Danach ist die Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung auf zwei Jahre zu befristen. Eine Verlängerung der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung setzt gem. § 19 Abs. 4 Satz 3 InklVO eine erneute Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde voraus. Zwar ist in § 19 Abs. 4 Satz 4 InklVO die Möglichkeit von Ausnahmen von dieser Befristung vorgesehen. Doch dürfte der mit der Handhabung der Befristung verbundene Verfahrensaufwand den ihm beigelegten Zweck einer prohibitiven Wirkung in vielen Fällen nicht verfehlen. Die Vorschrift ist Ausdruck unübersehbaren Misstrauens der Schuladministration gegenüber den Förderschullehrkräften, zu deren selbstverständlichen Aufgaben immer schon die Prüfung gehörte, ob ein Schüler der Förderschule wieder in die allgemeine Schule einzugliedern ist. Diese Selbstverständlichkeit hat – in Übereinstimmung mit der bis 31.7.2014 geltenden Fassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 SchoG4 – in § 4a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SchoG 2014 ihren Ausdruck gefunden. Danach gehört es zu den Aufgaben der Förderschulen, „auf die Eingliederung der Schülerinnen und Schüler in die Schulen der Regelform hinzuwirken.“ Indem die Lehrkräfte der Förderschulen die Entwicklung der ihnen anvertrauten Schüler beobachten und begleiten, ist die Fragestellung, ob die Förderschule für den betreffenden Schüler (noch) der richtige Lernort ist, für die Lehrkräfte der Förderschulen Bestandteil ihres Unterrichts- und Erziehungsauftrages. Eine Reglementierung der Art, wie sie der Kultusminister nunmehr in der Inklusionsverordnung getroffen hat, wird dem Verantwortungsbewusstsein der an den Förderschulen tätigen Lehrkräfte nicht gerecht. Die vom Verordnungsgeber offensichtlich angestrebte strikte Beschränkung der Fälle, in denen die Voraussetzungen für sonderpädagogische Unterstützung an­ 4

Im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. II. 1.

18. Kap.: Staatliche Schulverantwortung in der inklusiven Schule

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erkannt wurden, betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen allgemeiner Schule und Förderschule. Vielmehr geht es auch um die Förderung der behinderten Schüler innerhalb der allgemeinen Schule: Je geringer die Zahl der Schüler ist, bei denen die Voraussetzungen für sonderpädagogische Unterstützung festgestellt wurden, desto „kostengünstiger“ kann nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers an der allgemeinen Schule verfahren werden; also eine Verfahrensweise nach der Maxime: „Was nicht festgestellt ist, braucht auch nicht kostenintensiv gefördert zu werden.“ So erweist sich die faktische Abschaffung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens als wirksame Maßnahme für „eine verbesserte Zugangssteuerung“ zur sonderpädagogischen Förderung, welche die von der sog. Jamaika-Koalition eingesetzte Haushaltsstrukturkommission aus Gründen der Haushaltskonsolidierung gefordert hatte.5 Die Unhaltbarkeit eines derartigen Handlungsansatzes ist evident. Und doch ist aufgrund der vom Verordnungsgeber getroffenen verfahrensmäßigen Vorkehrungen eine solche Entwicklung wahrscheinlich. Dem sind folgende Zahlen gegenüberzustellen: Im Schuljahr 2013/14 wurden im Saarland 6.463 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet, davon 3.464 an Förderschulen und 2.999 an allgemeinen Schulen.6 Selbst wenn man akzeptiert, dass unter den integrativ unterrichteten Schülern manche sind, die bei Licht besehen eher „besonderer pädagogischer Förderung“ im Sinne der Inklusionsverordnung bedürfen, so dürfte doch klar sein, dass die Schüler der Förderschulen und auch der bei Weitem größte Teil der integrativ/inklusiv unterrichteten Schüler sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Die Zahl dieser Schüler kann, wenn ihr Bildungsanspruch nicht unerfüllt bleiben soll, nicht mit verfahrensmäßigen Regelungen nach Belieben minimiert werden, um auf diese Weise das Gesamtvolumen sonderpädagogischen Förderbedarfs den kläglichen personellen Ressourcen anzupassen. 3. Folgen für Schülersozialleistungen Der grundsätzliche Wegfall des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens hat zur Folge, dass die meisten Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht mehr als solche identifizierbar sind. Das wird für die betroffenen Schüler zum Wegfall der in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und § 3 Satz 1 Nr. 3 des Schülerförderungsgesetzes7 geregelten Sozialleistungen führen. Diesen Vorschriften zufolge werden Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die Regelschulen besuchen, derzeit von der Zahlung des Entgelts im Rahmen der entgeltlichen Schulbuchausleihe freigestellt bzw. sie erhalten Förderung durch Fahrkostenzuschüsse. So 5

Siehe hierzu oben sub Kap. 7 F. III. 3. b). Siehe die Statistik oben sub Kap. 6 B. I. 1. 7 Vom 6.5.2009 (Amtsbl. S. 706), geänd.d. G vom 30.11.2011 (Amtsbl. I S. 1617). 6

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4. Teil: Inklusive Schule

weit künftig kein sonderpädagogischer Förderbedarf mehr in einem förmlichen Verfahren festgestellt wird, sind diese Schüler nicht mehr als zu Begünstigende identifizierbar und kommen daher nicht mehr als Adressaten der betreffenden Sozialleistung in Betracht. Die damit verbundenen Einspareffekte könnten den Eindruck bestätigen, dass es sich bei der inklusiven Schule letztlich um ein Sparmodell handele. II. Gewährleistung der erforderlichen personellen Zusatzausstattung als essentielle Voraussetzung der Erfüllung des Bildungsanspruchs 1. Wechsel vom Ambulanzlehrer-System zur Budgetierung der Zusatzausstattung mit Förderschullehrkräften „Innovativ“ erweisen sich Gesetzgeber und Verordnungsgeber bezüglich der administrativen Handhabung der völlig unzulänglichen personellen Ressourcen. Das geschieht mit der oben8 bereits dargestellten „Budgetierung“ der Zusatzausstattung mit Förderschullehrkräften. Letztere wird nicht mehr an das einzelne behinderte Kind adressiert, sondern an die Schule als solche („systemischer Ansatz“). Es ist bezeichnend, dass diese für den Unterschied zwischen dem „bisherigen integrativen System“ und der inklusiven Schule angeblich grundlegende Umstellung der Personalallokation nicht im Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 oder in der Begründung des diesbezüglichen Gesetzentwurfs enthalten ist, sondern in dem Abschn. D. 1. (Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand) des Vorblatts des Gesetzentwurfs.9 Aus dem oben10 zitierten Text des Vorblatts geht hervor, dass es sich im Wesentlichen um ein Instrument der Mangelverwaltung handelt. An der Tatsache der bisher kläglichen Lehrerwochenstunden-Zahl eines Ambulanzlehrers von 1,67 je behindertem Kind und pro Woche ändert sich im Ergebnis nichts. Durch die Budgetierung wird die Mangelsituation lediglich verschleiert. „Auf elegante Art und Weise“11 hat man damit auch das von Bleidick so genannte Etikettierungs-Ressour­cen-Dilemma12 „gelöst“. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Landesregierung in der Begründung, die sie im Vorblatt des­ Gesetzentwurfs für den Wechsel vom Ambulanzlehrer-System zur Budgetierung gibt, letztlich das Scheitern der bisherigen Praxis integrativer/inklusiver Unterrichtung infolge völlig unzulänglicher Personalausstattung einräumt.

8

Kap. 17 E. II. 1. LT-Drucks. 15/812 vom 12.3.2014, S. 2. 10 Kap. 17 E. II. 1. 11 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (171). 12 Siehe hierzu oben sub Kap. 7 F. II. 2. a). 9

18. Kap.: Staatliche Schulverantwortung in der inklusiven Schule

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Es ist exakt diese Vorgehensweise, die Rux/Niehues zu der folgenden kritischen Anmerkung veranlasst: „Die Länder gehen teilweise sehr unterschiedliche Wege, wobei die Versuche, den Aufwand für die Einführung eines inklusiven Schulsystems möglichst gering zu halten, nicht immer überzeugen können.“13 „So hat der Hamburgische Senat im Herbst 2012 angekündigt, die einzelfallbezogene sonderpädagogische Förderung durch einen ‚systemischen Ansatz‘ ersetzen zu wollen, in dessen Rahmen den Schulen die Ressourcen für sonderpädagogische Förderung aufgrund eines Schlüssels aus dem erwarteten Förderbedarf und einem Sozialindex zugewiesen werden. Problematisch war dabei zum einen, dass im Ergebnis eine deutlich geringere Betreuungskapazitäten [sic!] pro Kopf zur Verfügung stehen würde. Zum anderen wurde kritisiert, dass die für einen inklusiven Unterricht erforderlichen Doppelbesetzungen nicht nur durch Lehrkräfte abgedeckt werden sollen, sondern zu einem großen Teil durch Sozialpädagogen und Erzieher.“14

Hintergrund der hier beschriebenen „Rationalisierungsmaßnahmen“ ist die Tatsache, dass sich die hinsichtlich des flächendeckenden Ausbaus der inklusiven Schule geweckten hohen Erwartungen angesichts des Ressourcenmangels, d. h. aus finanziellen Gründen nicht realisieren lassen. 2. Schulische Inklusion unter den Bedingungen einer extremen Haushaltsnotlage a) Kostenneutralität als fiskalische Vorgabe Es ist nicht zu übersehen, dass die für die inklusive Schule eingeführte „Budgetierung“ einen unmittelbaren Bezug zu den finanziellen Restriktionen hat, die in dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition mit folgenden Sätzen in kaum verklausulierter Form angekündigt werden: „Im Rahmen der Analyse aus der Haushaltsstrukturkommission wird darauf hingewiesen, dass im Saarland im Vergleich zu anderen Bundesländern die Zahl der Integrationsschülerinnen und -schüler mit zusätzlichem Förderbedarf in der Regelschule bei nur geringem Rückgang der Zahl der Förderschülerinnen und -schüler in den letzten Jahren überproportional angestiegen ist. Die Ursachen dieses Zusammenhangs werden wir prüfen.“15

Vor diesem Hintergrund ist die folgende Ankündigung von Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) in ihrer Regierungserklärung vom 16.5.2012 sehen, wo sie mit Blick auf Art. 109 Abs. 3 und Art. 143d Abs. 1 GG die vom Saarland zu beachtende „Schuldenbremse“ ausführt: „Aus diesem Grund haben die Koalitionspartner vereinbart, von den derzeit rund 24.000 Stellen im öffentlichen Dienst des Landes mindestens zehn Prozent, als rund 2.400 Stellen, einzusparen.“16 Zwar 13

Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 723. Rux/Niehues, Schulrecht, Rn. 723, Fn. 862. 15 CDU/SPD, Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012–2017), S. 29. 16 Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 25. 14

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4. Teil: Inklusive Schule

hat die Ministerpräsidentin bei dieser Gelegenheit auch erklärt, dass „die echte demographische Rendite im Bildungssystem [verbleibt]“.17 Doch besteht aus folgenden Gründen kein Grund zu der Hoffnung auf eine bessere Personalausstattung des Systems der sonderpädagogischen Förderung: Mit „echter“ demographischer Rendite sind, wie die Ministerpräsidentin an gleicher Stelle erläutert, „die wegen des Schülerrückgangs frei werdenden Mittel, verringert um die ebenfalls zurückgehenden Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich“ gemeint. Man hat es hier mit einem Rechenwerk zu tun, das allenfalls von wenigen Fachleuten im Finanzministerium beherrscht wird und folglich Poten­zial für politische Relativierung enthält. Außerdem werden von der Ministerpräsidentin als spezielle Aufgabenbereiche, denen die so berechnete demographische Rendite zugutekommen sollen, ausdrücklich die Ganztagsschulen und die Krippen genannt  – von der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder findet sich in ihrer Regierungserklärung kein Wort. Das Gleiche gilt für die diesbezüglichen Ausführungen des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion Klaus Meiser in der Aussprache zu der Regierungserklärung: Auch er zählt verschiedene Schwerpunktbereiche des Bildungswesens auf, denen die „echte“ demographische Rendite zugutekommen soll; doch ist auch bei ihm von der sonderpädagogischen Förderung behinderter Kinder mit keinem Wort die Rede.18 Und schließlich ist es ein Gebot realitätsbezogener Professionalität, davon auszugehen, dass allen bildungsfreundlichen Worten zum Trotz auch die „echte“ demographische Rendite keinesfalls in vollem Umfang dem Bildungssystem erhalten bleiben wird. Angesichts des Sparzwangs – die Ministerpräsidentin sprach bekanntlich von „mindestens“19 zehn Prozent, d. h. 2.400 Stellen – wird am Ende ein nicht unerheblicher Teil der dem Bildungswesen in seiner Gesamtheit angeblich zugedachten demographischen Rendite der „Schuldenbremse“ zum Opfer fallen. Die Budgetierung des sonderpädagogischen Personals z. B. an den Grundschulen soll, wie der Kultusminister und die Koalitionsfraktionen übereinstimmend erklären,20 „auf der Basis der freiwerdenden Ressourcen“ bemessen werden. Im 17

Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 27. Klaus Meiser, Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 44 f.: „Wir haben ganz klar gesagt, wenn die Schülerzahlen zurückgehen und wir von der Lehrer-Schüler-Relation her Lehrerstellen abbauen könnten, wollen wir dieses Geld nicht zum Sparen nehmen, sondern es im Gesamtspektrum der Bildung belassen. Dazu gehört nach unserem Verständnis, von den Kleinsten ausgehend, U 3, Grundschule, Gemeinschaftsschule, Gymnasium, also alle Bildungsbereiche. Es ist der richtige Weg, offen zu sagen, dass wir nicht den Stellenplan der Lehrer unverändert lassen werden, dass wir aber das gesamte Geld in die Hand nehmen, um es im Bildungssystem zu belassen und insgesamt Qualität zu schaffen.“ 19 Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Stefan Pauluhn hielt sich ebenfalls die Möglichkeit weiter gehender Einsparungen offen, Verh. d. LT, 15. Wahlp., S. 50: „Als vorläufige Zielgröße wird rechnerisch ein Abbau von mindestens zehn Prozent der Stellen bis 2020 anzustreben sein.“ 20 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 5,http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013); Fraktionen von CDU und 18

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Klartext: Nur das durch die demographische Entwicklung und die Schließung von Förderschulen „freiwerdende“ Personal steht zur Verfügung, von zusätzlichem Personal ist keine Rede. Es kann daher nicht überraschen, dass das Ministerium für Finanzen und Europa im Rahmen der Vorbereitung der regierungsinternen Beschlussfassung über den Erlass der Inklusionsverordnung die Frage nach der Einhaltung dieser fiskalischen Vorgabe aufgeworfen hat. Wie aus zuverlässiger Quelle verlautet, hat das Ministerium für Bildung und Kultur hierzu erwidert, dass die im Rahmen der Koalitionsverhandlungen hinsichtlich der Verwendung der demographischen Rendite getroffenen Vereinbarungen umgesetzt würden und dass keine über die Demographierendite hinausgehenden Mehrbedarfe für die Umsetzung der Inklusionsverordnung entstünden. Die regierungsamtliche Vorgabe für die „inklusive Schule“ lautet also nach wie vor: bestenfalls „Kostenneutralität“. Das ist die Konstante integrativer/inklusiver Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher im Saarland seit deren Beginn unter Kultusminister Diether Breitenbach (SPD) im Jahr 198621 bis heute in der inklusiven Schule unter der Verantwortung von Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) und Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Es muss deutlich ausgesprochen werden, was dieses harmlos, eher sogar verantwortungsbewusst klingende Wort „Kostenneutralität“ für die pädagogische Realität integrativer/inklusiver Unterrichtung bedeutet: nämlich die Verweigerung der Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes. Man hat es hier, um mit Wocken zu sprechen, mit einem „Billigmodell“ mit „inakzeptable[r] Qualität“ zu tun, „das den Eltern als Zumutung erscheinen muss“.22 Es wurde oben23 bereits klargestellt, dass das Wort „Kostenneutralität“ als Handlungsmaxime bei integrativer/inklusiver Unterrichtung ein Synonym ist für eine integrative/inklusive Unterrichtung, die pädagogisch unverantwortlich ist. b) Streichung von Planstellen im Schulbereich Nach längeren Gesprächen mit Arbeitnehmervertretungen hat Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer am 8.6.2013 der Öffentlichkeit die Entscheidung der Landesregierung mitgeteilt, dass bis 2020 2.400 von insgesamt 23.210 Stellen im öffentlichen Dienst des Landes wegfallen werden. Dabei werden 588 Planstellen für Lehrer gestrichen; das sind 6,8 % der im Jahr 2013 vorhandenen 8.665 Lehrerstellen.24 SPD im Landtag des Saarlandes, Gemeinsam Lernen in der Grundschule. Eckpunkte der Koalitionsfraktionen vom 27.5.2013, S. 2. 21 Siehe hierzu oben sub Kap. 1 B. III. 22 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (169). 23 Kap. 4 C. I. 24 Kirch, Der „saarländische Weg“ zum Ziel, SZ Nr. 131 vom 10.6.2013, S. B 2. Diese Zahl wird bestätigt von Kultusminister Commerçon, „Gemeinsam geht Bildung besser.“, SKZ 2013, 219 (225).

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4. Teil: Inklusive Schule

Verbesserungen der Personalausstattung bei der Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher sind daher im Saarland weder für die integrative/inklusive Unterrichtung noch für die Förderschulen zu erwarten. Mittlerweile ist auch Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) zu der Erkenntnis gelangt: „Ausschließlich über die demografische Rendite lässt sich Inklusion nicht finanzieren.“25 c) Dauerhaftigkeit der finanziellen Restriktionen Die Unausweichlichkeit der von der „Schuldenbremse“ erzwungenen Restriktionen ergibt sich für das Saarland noch aus einem weiteren Grund:26 Es riskiert bei Nichterreichung der Einsparziele den Wegfall der dem Land im Zusammenhang mit der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ zugesagten Konsolidierungshilfen. Gem. Art. 143d Abs. 2 und 3 GG i. V. m. dem am 18.8.2009 in Kraft getretenen Konsolidierungshilfengesetz (KonsHilfG)27 erhält das Saarland im Zeitraum von 2011 bis 2019 Finanzzuweisungen zur Rückführung seiner Haushaltsdefizite in Höhe von jährlich 260 Mio. Euro, insgesamt also voraussichtlich 2,34 Mrd. Euro. Nach Art. 143d Abs. 2 Satz 4 GG setzt die Gewährung dieser Hilfen einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Aufgrund des § 2 Abs. 1 Satz 2 KonsHilfG ist das Land gezwungen, jährliche Obergrenzen des Finanzierungsdefizits einzuhalten, die sich gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 und 4 KonsHilfG im Laufe der Jahre proportional verringern müssen. Erfüllt das Land diese Bedingungen nicht, so spricht der Stabilitätsrat28 in der Regel eine Verwarnung aus und es entfällt für das betreffende Jahr der Anspruch auf die Konsolidierungshilfe (§ 2 Abs. 3 i. V. m. § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 und Satz 3 KonsHilfG). Es handelt sich bei diesen Konsolidierungshilfen um einen essentiellen Bestandteil der nachhaltigen Konsolidierung des Landeshaushalts, die für die Souveränität und darüber hinaus für die Eigenständigkeit des Landes von  – im Wortsinne  – existenzieller Bedeutung ist. An der Entschlossenheit der Landesregierung und der sie tragenden Großen Koalition, die dadurch erforderlichen 25 So Commerçon laut Pressemitteilung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 10.10.2013 betr. Kultusministerkonferenz im Dialog mit den Kirchen. Hierbei erklärte Kultusminister Commerçon zum Stand der Umsetzungsprozesse der inklusiven Bildung: „Inklusion braucht gesellschaftliche Verantwortung und zusätzliche Finanzmittel“. Letztere kann allerdings das Saarland nicht aufbringen. Daher fordert Commerçon sie vom Bund: Hierzu soll nach den Vorstellungen des Ministers das verfassungsrechtlich begründete Verbot der Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern im Bildungswesen entfallen; siehe hierzu ­Commerçon, „Gemeinsam geht Bildung besser.“, SKZ 2013, 219 (222 ff.). 26 Zum Folgenden siehe Gröpl, Die „Schuldenbremse“ in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland, LKRZ 2010, 401 (405). 27 Gesetz zur Gewährung von Konsolidierungshilfen = Art. 3 des Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform vom 10.8.2009 (BGBl. I S. 2702 [2705]). 28 Gesetz zur Errichtung eines Stabilitätsrates und zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen = Art. 1 des Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform vom 10.8.2009 (BGBl. I S. 2702), zul. geänd.d. VO vom 31.8.2015 (BGBl. I S. 1474).

18. Kap.: Staatliche Schulverantwortung in der inklusiven Schule

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Einsparungen auch tatsächlich zu realisieren, kann daher vernünftigerweise kein Zweifel bestehen.29 Als Fazit lässt sich die treffende Formulierung von Bickenbach zitieren: „Ressourcenvorbehalt vergeht, Haushaltslage besteht.“30 3. Umfang und Verwendung des Budgets an Förderschullehrkräften am Beispiel der Grundschulen a) Durchschnittlicher Umfang des den Grundschulen zugewiesenen Budgets Am Gesamtvolumen der für die Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher in der inklusiven Schule bereit stehenden personellen Ressourcen wird sich gegenüber dem Status quo nichts ändern. Unter Berücksichtigung des Wegfalls von 588 Lehrerstellen sind es 105 Lehrerstellen, die aufgrund der demographischen Rendite für den Einsatz von Förderschullehrkräften in den Grundschulen im Schuljahr 2012/13 zur Verfügung standen. Damit ist der Anteil ausgeschöpft, der im Rahmen der dem Bildungswesen in seiner Gesamtheit vorbehaltenen demographischen Rendite auf die integrative/inklusive Unterrichtung entfällt. Es ist nichts von Plänen der Landesregierung bekannt, wie anschließend der zusätzliche Bedarf im Bereich der weiterführenden allgemein bildenden und der beruflichen Schulen gedeckt werden soll. Näheren Aufschluss über die „Größenordnung“ des Budgets der Grundschulen gibt die Ausarbeitung des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 9.4.2013 über dessen Pläne zum Ausbau der inklusiven Schule. Dort heißt es in einer Fußnote: „Verlässliche Rechnungen in Bezug auf die beabsichtigte Budgetierung der Stunden für Förderschullehrkräfte in den Bereich Lernen, Sprache und emotionale und soziale Erziehung haben ergeben, dass im Endausbau an jeder einzügigen Grundschule eine Förderschullehrkraft mit halber Stelle zur Verfügung steht. Bei größeren Grundschulen erhöht sich die Anzahl der Lehrerwochenstunden entsprechend.“31 29 Zur finanziellen Situation des Saarlandes im Ländervergleich siehe Detemple/Michels/ Schramm, PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Hrsg.): PwC-Länderfinanzbenchmarking 2013. Eine Untersuchung der Länder- und Kommunalfinanzen vor dem Hintergrund der Schuldenbremse, S. 173, wo eine „gewaltige […] Konsolidierungsaufgabe“ konstatiert wird, „die dem Saarland noch bevorsteht“. Dies., PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Hrsg.): PwC-Länderfinanzbenchmarking 2015. Eine Untersuchung der Länderfinanzen vor dem Hintergrund der Schuldenbremse, S. 92: „Es erscheint ausgeschlossen, dass es dem Saarland aus eigener Kraft gelingen kann, einen Konsolidierungskurs zu realisieren, der zur Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2020 notwendig wäre.“ 30 Bickenbach, Elternwille und Inklusion am Beispiel der rheinland-pfälzischen Schulgesetz-­ Novelle 2014, LKRZ 2015, 261 (266). 31 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 5, Fn. 4, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013) (Hervorh. d. Verf.). Im

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4. Teil: Inklusive Schule

Bei 1.164 Grundschulklassen im Schuljahr 2012/13,32 105 an Grundschulen eingesetzten Förderschullehrkräften (Vollzeitlehrereinheiten) und einer wöchentlichen Pflichtstundenzahl der Förderschullehrkräfte von 2733 standen also pro Klasse und pro Woche 2,43 Förderschullehrer-Stunden zur Verfügung. Unter der realistischen Annahme, dass künftig in jeder Grundschulklasse im Durchschnitt mindestens 1,5 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sein werden, entfallen auf ein behindertes Kind rechnerisch somit 1,62 Förderschullehrer-Stunden pro Woche. Das ist nahezu identisch mit den 1,67 Wochenstunden eines Ambulanzlehrers, die – bezogen auf alle Schulformen – im Schuljahr 2012/13 im Saarland auf ein integrativ/inklusiv unterrichtetes Kind pro Woche entfielen34 und die inzwischen selbst von der Landesregierung als nicht ausreichend bezeichnet werden: „Angesichts der enormen Personalknappheit […] [verliert] die angedachte Hilfe damit an Wirkung.“35, heißt es verniedlichend. b) Verwendung des Budgets aa) Deckung aller sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfe Es ist zu berücksichtigen, dass nach Auskunft der Landesregierung in den soeben genannten Durchschnittszahlen auch die zusätzlichen FörderschullehrerStunden enthalten sind, die für Schüler mit erhöhtem Förderbedarf bereitgestellt werden. Das trifft etwa auf die Geistigbehinderten zu, für die vier zusätzliche Förderstunden gewährt werden; diese zusätzlichen Stunden sind aus dem jeweiligen Budget zu bestreiten.36 Diese Vorgehensweise hat ihre Grundlage in § 1 Abs.  3 InklVO, wonach die inklusive Schule „unter Ausschöpfung aller innerschulischen Ressourcen“ tätig wird. In dieser Vorschrift ist die Budgetierung der Förderschullehrkräfte verankert, die der Regelschule zugewiesen sind. In der Begründung des Ergebnis wurde diese mehr als bescheidene Ausstattung der Grundschulen mit Förderschullehrkräften seitens des Kultusministeriums in der Dienstbesprechung der Schulleiter der Grundschulen am 19.9.2013 in Saarbrücken betätigt, an der auch Kultusminister Commerçon teilnahm: Über die insgesamt 105 Förderschullehrkräfte hinaus, die zu diesem Zeitpunkt an den 162 Grundschulen im Saarland tätig waren, würden künftig keine weiteren Förderschullehrkräfte zur Verfügung stehen. Siehe hierzu auch Brausch, „Commerçons Pläne machen Lehrern Angst“, Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr. 231 vom 5./6.10.2013, S. B 2. 32 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 1 (Allgemein bildende Schulen), Berichtsjahr 2012, Tabelle 1/3. 33 § 3 Abs. 1 PflichtstundenVO i.d.F.d. Bek. vom 22.9.1998 (Amtsbl. 1999 S. 2), zul. geänd.  d. VO vom 8.12.2015 (Amtsbl. I S. 2219). 34 Siehe hierzu Spalte 5 der Tabelle sub Kap. 7 E. I. am Anfang. 35 Ministerium für Bildung und Kultur, Gemeinsam lernen, Teil I: Gemeinsam lernen in der Grundschule. Diskussionspapier zur Fortentwicklung inklusiver Aspekte in der Grundschule (Stand: 9.4.2013), S. 4, http://www.sr-online.de (Zugriff: 23.4.2013). 36 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Jasmin Maurer (PIRATEN) betr. Budgetierung von Förderlehrerstunden an saarländischen Grundschulen, LT-Drucks. 15/1209 vom 16.1.2015.

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Entwurfs der Inklusionsverordnung ist hierzu ausgeführt: „Die besondere pädagogische und die sonderpädagogische Unterstützung an den allgemein bildenden Pflichtschulen erfolgen im Rahmen des personellen Budgets der Schulen und ziehen grundsätzlich keine automatische Erhöhung des Budgets nach sich.“37 bb) Deckung aller besonderen pädagogischen Unterstützungsbedarfe Wie aus der soeben zitierten Begründung des Entwurfs des § 1 Abs. 3 InklVO hervorgeht, ist aus dem zugeteilten Budget nicht nur der Aufwand für die sonderpädagogische Unterstützung, sondern auch für die besondere pädagogische Förderung zu bestreiten. Es zeigt sich u. a. am Beispiel des § 15 Abs.  1 Satz 2 InklVO, dass die Regelungen der Inklusionsverordnung in erheblichem Umfang auch nichtbehinderte Schüler betreffen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass ein beträchtlicher Teil des den inklusiven Schulen zur Verfügung gestellten Budgets an sonderpädagogischem Personal – so bescheiden diese Ausstattung im Saarland auch ist – speziell zur Förderung behinderter Schüler nicht zur Verfügung steht, sondern für die besondere pädagogische Förderung nichtbehinderter Schüler verwendet wird. 4. Personalrekrutierung durch Schließung von Förderschulen Da aus den genannten finanziellen Gründen nicht mit zusätzlichen Stellen für die Inklusion zu rechnen ist, wird die Schuladministration künftig den Förderschulen noch mehr Lehrkräfte entziehen als bisher.38 Sobald die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses ihre Wirkung zu zeigen beginnt und die Förderschulen schrumpfen bzw. abgewickelt werden, wird deren Personalkapazität systematisch für die inklusive Schule in Anspruch genommen werden. Aber auch dann 37

Begründung des mit Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur vom 2.6.2015, GeschZ.: A 4/C – 0.2.3.15, den Teilnehmern an der externen Anhörung übersandten Entwurfs der Inklusionsverordnung, S. 87 (Hervorh. d. Verf.). 38 Dieser Prozess dürfte inzwischen in Gang gekommen sein. In der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Jasmin Maurer (PIRATEN) betr. Budgetierung von Förderlehrerstunden an saarländischen Grundschulen, LT-Drucks. 15/1209 vom 16.1.2015, wird mitgeteilt, dass im Schuljahr 2014/15 an saarländischen Grundschulen „aktuell 120 Vollzeitlehrereinheiten (VZLE) an Förderschullehrkräften eingesetzt [werden].“ In dieser Antwort wird auch mitgeteilt, dass [„eine Grundschule] […] im Durchschnitt 20,5 Lehrerwochenstunden an sonderpädagogischer Unterstützung [erhält].“ Berücksichtigt man, dass in dieser Durchschnittszahl nicht nur einzügige, sondern auch zwei und mehrzügige Grundschulen enthalten sind, dann wird die mehr als dürftige Personalausstattung sichtbar. Wie aus der Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Jamin Maurer (PIRATEN) betr. Schulwechsel von den Grundschulen zu den Förderschulen, LT-Drucks. 15/1665 vom 18.1.2016, hervorgeht, hat sich die den Grundschulen zur Verfügung stehende Zahl von 120 Vollzeitlehrereinheiten (VZLE) an Förderschullehrkräften im Schuljahr 2015/16 nicht erhöht.

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4. Teil: Inklusive Schule

wird die Personalausstattung der allgemeinen Schule mit sonderpädagogisch qualifiziertem Personal noch weit von dem entfernt bleiben, was an Personalausstattung für eine verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung von Behinderten erforderlich ist.39

B. Sonderpädagogische Unterrichtssituation in der inklusiven Schule I. Fehlen eines Zwei-Pädagogen-Systems Mit dem der allgemeinen Schule zugewiesenen überaus bescheidenen Budget an Förderschullehrkräften kann keine behinderungsspezifische Unterrichtssituation hergestellt werden, die mit der der Förderschulen auch nur annähernd vergleichbar ist. Von dem bei der Unterrichtung von mental beeinträchtigten Schülern (zieldifferente Unterrichtung) oder von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten unerlässlichen Zwei-Pädagogen-System (durchgehende Doppelbesetzung) ist die inklusive Schule im Saarland so weit entfernt wie die integrative/­ inklusive Unterrichtung mit Ambulanzlehrer-System. Es bleibt nicht verborgen, dass die Schuladministration auf diese evident defizitäre Personalausstattung mit dem Rückgriff auf Eingliederungshelfer, d. h. pädagogisch nicht qualifizierte Kräfte reagiert. Doch stellt dies nicht nur einen Missbrauch dieser auf sozial- bzw. jugendrechtlicher Grundlage bewilligten, an die Person des betreffenden Schülers gebundenen Hilfen dar, die ausschließlich die Funktion haben, dem Schüler den Schulbesuch überhaupt erst zu ermöglichen. Vielmehr ist es mit der staatlichen Schulverantwortung nicht vereinbar, wenn der Staat für die Förderung des behinderten Kindes kein hierzu pädagogisch qualifiziertes Personal zur Verfügung stellt. Es kommt hinzu, dass die Begleitung durch Eingliederungshelfer in vielen Fällen zu einer zusätzlichen Belastung der Unterrichtssituation führt, nämlich dann, wenn in derselben Klasse mehrere Eingliederungshelfer vorhanden sind. Diese Entwicklung wurde im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 8.5.2014 vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes von einer Vertreterin des Landkreistages Saarland thematisiert: „Das Problem der Eingliederungshilfe ist, dass durch die Überforderung der Schulen bei der Integration von Kindern verschiedenster Beeinträchtigungen sofort die Eingliederungshilfe als Notnagel für schulische Aufgaben gilt. Es kommen größere Herausforderungen auf die Schulen zu. Sie sind schon gestiegen, das waren ja die Zahlen, und sind ständig im Steigen 39

Aus den oben sub Kap.  15 B. II. 2.  d)  vorgestellten Untersuchungen geht hervor, dass auch bei weitgehender Abschaffung der Förderschulen das dadurch „frei werdende“ Personal bei weitem nicht ausreichen würde, um in der inklusiven Schule eine mit der Förderschule vergleichbare sonderpädagogische Unterrichtssituation zu gewährleisten.

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begriffen. Die Schulen rufen nach Eingliederungshelfern, weil sie selber nicht in der Lage sind, die Inklusion oder Integration adäquat umzusetzen. Es ist ein Hilferuf. Wir befürchten die Verlagerung aufgrund der Überforderung der Schulen auf die Systeme der Eingliederungshilfe, in unserem Falle dann eben die Landkreise.“40

Eine Abteilungsleiterin aus dem Ministerium für Bildung und Kultur als Beauftragte der Regierung bestätigte in der Anhörung vor dem Ausschuss diesen Sachverhalt: „Wir haben zum Teil eine sehr hohe Dichte an Personen, die in den einzelnen Schulklassen im weitesten Sinn pädagogisch tätig sind, und zwar dort, wo eben massiv Anträge gestellt werden.“41

Es ist bemerkenswert, dass die Abteilungsleiterin im Zusammenhang mit der Funktion der Eingliederungshelfer von Personen spricht, die „im weitesten Sinne pädagogisch tätig sind“.42 Ihre Ausführungen wurden ergänzt durch einen Referatsleiter aus dem Ministerium für Bildung und Kultur als Beauftragter der Regierung: „Es kann nicht sein, dass überall diese Eingliederungshelfer bewilligt werden und wir es antreffen, dass wir beispielsweise sechs Eingliederungshelfer in einer Klasse haben.“43

II. Aufgabenverteilung zwischen Regelschul- und Förderschullehrkraft Auf dem Hintergrund dieser kläglichen sonderpädagogischen Personalausstattung der inklusiven Schule im Saarland ist auch § 16 Abs. 2 Satz 1 InklVO zu verstehen. Dort heißt es: „Sonderpädagogische Unterstützung ergänzt die Arbeit der Regelschule.“ Hierzu ist die Regelung des § 2 Abs. 2 InklVO zur Aufgabenverteilung zwischen Regel- und Förderschullehrkraft komplementär: (2) 1Zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems findet in allen Regelschulen eine Kooperation zwischen Regel- und Förderschullehrkräften der Schule statt. 2Die Zusammenarbeit zwischen Förder- und Regelschullehrkräften kann unterschiedlich ausgestaltet werden (zum Beispiel gemeinsamer Unterricht, Beratung, gemeinsame Förderplanung und Förderdiagnostik). 3Hierbei gelten weiterhin die im Rundschreiben „Zusammenarbeit zwischen Förderschullehrkraft, Grundschule und dem Förderzentrum“ vom 15. Juli 2014 in der jeweils gelten Fassung dargestellten Grundsätze. 40 Anhörung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 8.5.2014 vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes, Sitzungsniederschrift S. 19. 41 Anhörung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 8.5.2014 vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes, Sitzungsniederschrift S. 19 f. 42 Hervorh. d. Verf. 43 Anhörung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 am 8.5.2014 vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien des Landtags des Saarlandes, Sitzungsniederschrift S. 20.

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4. Teil: Inklusive Schule

In dem Rundschreiben, auf das in der Verordnung Bezug genommen wird, ist bestimmt: „Hierbei sollen die Einsatzbereiche bevorzugt werden, die eine inklusive Unterrichtung unterstützen. Eine generelle Reduzierung auf Einzelförderung ist nicht erwünscht.“44

Diese Direktive ist eindeutig und lässt den in der Inklusionsverordnung ebenfalls erwähnten Einsatz der Förderschullehrkraft im „gemeinsamen Unterricht“ als weitgehend theoretisch erscheinen. Das bedeutet: Hoch spezialisierte Förderschullehrkräfte erhalten bei ihrem Einsatz in der inklusiven Schule praktisch kaum noch Gelegenheit, selbstverantwortlich zu unterrichten, von der Führung einer Klasse ganz zu schweigen. Die weitgehende Reduzierung ihrer Tätigkeit auf Beratung, Förderplanung und Förderdiagnostik dürfte mit dem Berufsbild, das den Förderschullehrkräften bei der Wahl ihres Berufes vor Augen stand, kaum vereinbar sein und nicht ohne Einfluss auf ihre Motivation bleiben. Im Übrigen wird von der Landesregierung in der Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage eingeräumt, dass „im landesweiten Durchschnitt eine Förderschullehrkraft an etwa zwei Schulen eingesetzt [wird].“45 Wie beim Ambulanzlehrer-System verbringt also auch hier die Förderschullehrkraft einen Teil ihrer Arbeitszeit auf der Straße. Angesichts der Dürftigkeit des Umfangs des Personalbudgets an Förderschullehrkräften in der inklusiven Schule im Saarland und ihrer zudem durch zeitlichen Fahraufwand eingeschränkten faktischen Verfügbarkeit muss man den Handlungsrahmen, der den Förderschullehrkräften in dem Rundschreiben vorgegeben wird, als realistisch bezeichnen. Doch bedeutet das, dass die gesamte Arbeit der eigentlichen unterrichtlichen Förderung der behinderten Schüler von der Regelschullehrkraft zu bewältigen ist. Sie befindet sich, da sie gleichzeitig auch 20 oder 25 nichtbehinderte Schüler ohne Abstriche an der Unterrichtsqualität unterrichten soll, in einer Situation objektiver Überforderung. Das zwingt sie zu überobligationsmäßiger Anstrengung und regelmäßiger Selbstausbeutung.46 Die Situation ist für sie im Wesentlichen die gleiche 44

RdSchr. des Ministeriums für Bildung und Kultur an die Grund- und Förderschulen betr. Zusammenarbeit zwischen Förderschullehrkraft, Grundschule und dem Förderzentrum vom 15.7.2014, GeschZ.: C 2 – 3.7.10.2.1/4, SchulR-Saar 2.1/S. 191 (193) (Hervorh. d. Verf.). 45 Antwort der Landesregierung zu der Anfrage der Abgeordneten Jasmin Maurer (PIRATEN) betr. Budgetierung von Förderlehrerstunden an saarländischen Grundschulen, LT-Drucks. 15/1209 vom 16.1.2015. 46 In dem RdSchr. des Ministeriums für Bildung und Kultur an die Grund- und Förderschulen betr. Zusammenarbeit zwischen Förderschullehrkraft, Grundschule und dem Förderzentrum vom 15.7.2014, GeschZ.: C 2 – 3.7.10.2.1/4, SchulR-Saar 2.1/S. 191 (192), heißt es: „Die Übernahme von Pausenaufsichten soll in Absprache mit der Förderschullehrkraft geregelt werden. Dabei soll berücksichtigt werden, dass die beratende Tätigkeit und der Austausch mit Kooperationspartnern als ein wichtiger Aufgabenbereich der Förderschullehrkräfte häufig in den Pausen erfolgt.“ In dieser ministeriellen Anordnung manifestiert sich nicht nur fehlende Rücksichtnahme auf die Rekreationsbedürftigkeit auch der Regelschullehrkraft. Wenn die Beratung in die Pausen abgeschoben wird, zeigt dies vielmehr auch eine bemerkenswerte Einschätzung der Bedeutung, die der Beratung als Unterstützung der Regelschullehrkraft zukommen soll.

18. Kap.: Staatliche Schulverantwortung in der inklusiven Schule

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wie bei der integrativen Unterrichtung mit Ambulanzlehrer-System. Auf das dazu oben47 Gesagte kann daher vollinhaltlich Bezug genommen werden. Nur wenige Tage, nachdem die Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnenund Lehrerverbandes Lisa Brausch in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung ihre Kritik an den unzureichenden personellen Ressourcen für die inklusive Unterrichtung Behinderter geäußert hatte,48 wurde Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) in einem Bericht der Saarbrücker Zeitung über den Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am 8./9.10.2013 in Saarlouis, auf dem deren Landesvorsitzender Peter Balnis die Abschaffung der Förderschulen forderte,49 mit folgenden Worten wiedergegeben: „Commerçon hatte zuvor den Verdacht geäußert, dass es in der Diskussion einige gebe, die ‚sich hinter der Ressourcenfrage verstecken‘, im Grunde aber die Inklusion ablehnten.“50 III. Inklusive Schule im Saarland ohne gesicherte sonderpädagogische Qualität In der vorliegenden Schrift war bei der Beurteilung der pädagogisch-qualitativen Situation der in der Vergangenheit im Saarland mit dem Ambulanzlehrer-System praktizierten integrativen Unterrichtung folgende Evidenzfrage gestellt worden: Was geschieht in pädagogischer Hinsicht mit einem in einer Regelklasse der allgemeinen Schule zusammen mit nichtbehinderten Schülern zu unterrichtenden behinderten Kind, das laut Stundentafel in der Woche 30 Unterrichtsstunden hat, in den „restlichen“ 28 Unterrichtsstunden, d. h. wenn keine Betreuung und Förderung durch zusätzliches sonderpädagogisch qualifiziertes Personal stattfindet? Mit dieser Frage sind vor allem die zieldifferent unterrichteten Schüler, d. h. die Schüler mit mentalen Beeinträchtigungen gemeint, die einen Anteil von 80 % aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf darstellen.51 An dem Erkenntnispotenzial dieser Fragestellung hat sich nichts geändert, wenn man mit ihrer Hilfe nunmehr die Frage nach der Sicherung sonderpädagogischer Qualität, d. h. „der Sicherung des individuellen Bildungsanspruches“ (§ 16 Abs. 1 Satz 1 InklVO) behinderter Kinder und Jugendlicher in der inklusiven Schule un 47

Siehe hierzu Kap. 8 D. II. Brausch, „Commerçons Pläne machen Lehrern Angst“. Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr. 231 vom 5./6.10.2013, S. B 2. 49 SZ Nr.  235 vom 10.10.2013, S.  B 2, GEW für Abschaffung der Förderschulen. Dieser Forderung trat der Vorsitzende des Landesverbandes Saarland des Verbandes Sonderpädagogik (VdS) Erich Schwarz mit dem Vorwurf einer „ideologisch geleiteten“ Schulpolitik und dem Hinweis entgegen, dass auch unter der Geltung der VN-Behindertenrechtskonvention die Eltern das Recht hätten, sich für die Förderschule zu entscheiden, SZ Nr. 236 vom 11.10.2013, S. B 2, Sonderpädagogen kritisieren GEW. 50 SZ Nr. 235 vom 10.10.2013, S. B 2, GEW für Abschaffung der Förderschulen. 51 Siehe oben sub Kap. 8 B. II. und Kap. 2 A. I. 2. b) cc). 48

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4. Teil: Inklusive Schule

ter den Bedingungen der im Saarland vorhandenen Personalausstattung zu beantworten hat. Denn nach wie vor ist die Regelschullehrkraft in der unterrichtlichen Situation weitgehend auf sich allein gestellt. Daran ändert auch eine etwaige außerunterrichtliche Beratung durch die Förderschullehrkraft nichts. Es muss die Regelschullehrkraft strukturell überfordern, wenn sie zieldifferente Unterrichtung oder integrative/inklusive Unterrichtung eines Schülers mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ohne durchgängige pädagogische Doppelbesetzung leisten und gleichzeitig für die 20, 25 oder noch mehr nichtbehinderten Schüler deren Unterrichtung ohne jeden Abstrich an der Unterrichtsqualität gewährleisten soll.52 Das wird auch von Tolmein eingeräumt: „Zieldifferenter Unterricht ohne ausreichende personelle Ausstattung der Schulen führt dazu, dass Inklusion Lehrer und Schüler überfordert.“53 Wenn die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung das Postulat eines „qualitativ hochwertigen gemeinsamen Lernen[s]“54 in Erinnerung bringt, dann nimmt sie mit dieser Wortwahl unübersehbar die Begrifflichkeit des Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK auf. Denn in dieser Vertragsnorm wird für die behinderten Kinder die Gewährleistung eines „Zugang[s] zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht“55 normiert. Es fällt auf, dass bei der plakativen Beschwörung der inklusiven Schule durch deren Protagonisten und der damit einhergehenden ausdrücklichen Bezugnahme auf die VN-Behindertenrechtskonvention von dieser auf die Qualität des Unterrichts für behinderte Kinder und Jugendliche bezogenen völkervertraglichen Regelung kaum die Rede ist. Dieses Beschweigen ist umso bemerkenswerter, als die VN-Behinderten­rechtskonvention, wie oben56 dargelegt, mit dem Wort „hochwertig“ einen Auslegungsspielraum eröffnet, um den Möglichkeiten und Erwartungshaltungen etwa in Entwicklungsländern einerseits und hoch entwickelten Ländern mit einem differenzierten und leistungsfähigen Bildungssystem andererseits gerecht werden zu können.57 52 Zu den Grenzen der Dienstpflichten der Lehrkraft der allgemeinen Schule siehe oben sub Kap. 8 D. III. 3. 53 Tolmein, Inklusion als Herausforderung für die Rechts- und Bildungspolitik, ZRP 2014, 177 (180). 54 So mit Blickrichtung auf Art. 24 Abs. 2 Buchst. b VN-BRK Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305, S. 3. 55 Hervorh. d. Verf. 56 Siehe oben sub Kap. 16 D. II. 3. a). 57 Eine solche auf das deutsche Bildungssystem bezogene inhaltliche Konkretisierung des Begriffs „hochwertig“ enthält der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts v. 7.8.2014, 2 ME 272/14, Rn.10, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de (Zugriff: 29.1.2016). Darin wird herausgearbeitet, dass „die notwendige Qualität“ inklusiver Unterrichtung sich nach den „Bedürfnissen und Ansprüchen“ des behinderten Kindes bestimme. Hierbei wird, was den Zusammenhang zwischen individueller Förderung und Betreuungsintensität betrifft, von dem Gericht der Maßstab benannt: „Im Fokus des Umsetzungsprozesses [der

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Diese explizite Vertragsbestimmung knüpft an die Auslegung des Art. 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IpwskR) – VN-Sozialpakt – vom 19.12.196658 sowie der Artt. 28 und 29 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes – VN-Behindertenrechtskonvention (VN-BRK) – vom 20.11.198959 an. In Art. 13 Abs. 1 Satz 1 IpwskR, „der Mutternorm aller späteren Konventionen zum Recht auf Bildung“60, vereinbaren die Staaten, dass sie das Recht auf Bildung anerkennen. Aus den einzelnen Bestimmungen des Art. 13 IpwskR lässt sich die Unterscheidung zwischen Rechten auf Bildung und Rechten in der Bildung ableiten. Diese Unterscheidung wird in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 13 zum Recht auf Bildung des Vertragsausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte61 inhaltlich materialisiert durch die Zuordnung von vier Dimensionen (sog. 4-A-Scheme): Zu den Rechten auf Bildung gehören die Verfügbarkeit (availability) und die Zugänglichkeit (accessibility), den Rechten in der Bildung werden die Annehmbarkeit (acceptability) und die Anpassungsfähigkeit (adaptability) zugeordnet. In Bezug auf diese vier Dimensionen enthält Absatz 7 dieser Allgemeinen Bemerkung Nr. 13 folgenden Hinweis: „Bei der Prüfung geeigneter Wege zur Anwendung dieser ‚miteinander verknüpften und wesentlichen Merkmale‘ muss das Wohl der Schüler und Studenten ein Hauptkriterium sein.“62 Der Begriff „hochwertiger Unterricht“ betrifft die inhaltlich-pädagogische Qualität und damit die Dimension der Annehmbarkeit (acceptability). Hierzu heißt es in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 13 Abs. 6c zum Recht auf Bildung des Vertragsausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: „Annehmbarkeit – Die Form und der Inhalt der Bildung, namentlich die Lehrpläne und Lehrmethoden, müssen für die Schüler beziehungsweise die Studenten und gegebenenfalls die Eltern annehmbar sein, d. h. sie müssen relevant, kulturell angemessen und hochwer-

VN-Behindertenrechtskonvention; Anm. d. Verf.] hat mithin das Wohl des einzelnen Kindes und seine Förderung zu stehen, wobei die Förderung allerdings den bislang erreichten Standard der Förderschulpädagogik nicht unterschreiten darf […].“ Zu der mit dem Wort „Standardabstinenz“ geltend gemachten Kritik an der fehlenden Normierung von Qualitätsmaßstäben in der gesetzlichen Regelung der inklusiven Schule in Nordrhein-Westfalen vgl. Faber, Die Umsetzung der Inklusion durch das Neunte Schulrechtsänderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2014, 8, 14 f. 58 Vertragsgesetz vom 23.11.1973 (BGBl. II S. 1569), für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 3.1.1976 (Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 9.3.1976 [BGBl. II S. 428]). 59 Vertragsgesetz vom 17.2.1992 (BGBl. II S.  121), für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 5.4.1992 (Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 10.7.1992 [BGBl. II S. 990]). 60 Poscher, Das Recht auf Bildung im Völkerrecht und seine Bedeutung für das innerstaatliche Recht, in: Institut für Bildungsforschung und Bildungsrecht e. V. (Hrsg.), Selektion und Gerechtigkeit in der Schule, S. 35 (36). 61 CESCR, General Comment No. 13, Right of Education, UN-Dok. E/C. 12/1999/10, 8.12.1999, Para. 6, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments“ zu den VN-Menschenrechtsverträgen, S. 265 f. 62 CESCR, ebd., S. 266.

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4. Teil: Inklusive Schule

tig sein. Dabei sind die in Artikel 13 Abs. 1 festgelegten Bildungsziele sowie die etwaigen vom Staat festgelegten Mindestnormen für die Bildung zu beachten (siehe Artikel 13 Abs. 3 und 4).“63

„Die Unterrichtsqualität“, deren Sicherstellung das in diesem Abschnitt der Allgemeinen Bemerkung Nr. 13 verfolgte Anliegen ist, „bezieht sich auf alle wesentlichen Elemente des Unterrichtsgeschehens.“64 Dazu gehören nicht nur die Bildungsziele, die Lehrpläne, die Unterrichtsmethoden, die Lehr- und Lernmittel und die Lehrerqualifikation. Vielmehr muss mit Blickrichtung auf die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Schülerschaft eine insgesamt adäquate Unterrichtssituation gewährleistet sein. Das bedeutet für die Unterrichtung behinderter Schüler, dass die Unterrichtssituation den Bedingungen einer wirksamen sonderpädagogischen Förderung Rechnung tragen muss.65 Die Unterrichtssituation für das zieldifferent zu unterrichtende behinderte Kind in der Regelklasse der allgemeinen Schule aber ist entscheidend determiniert durch die Betreuungsintensität. Denn von ihr hängt es ab, ob der behinderte Schüler individuell gefördert werden kann. Eine insoweit mit der Förderschule vergleichbare Unterrichtssituation, die eine kontinuierliche und professionelle pädagogische Arbeit nach den Prinzipien der Sonderpädagogik ermöglicht, setzt bei zieldifferenter Unterrichtung oder bei der Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten sozialen Anpassungsproblemen an der allgemeinen Schule ein Zwei-Pädagogen-System (durchgängige Doppelbesetzung) voraus. Es ist dies nichts anderes als das oben66 thematisierte Erfordernis der pädagogischen Qualität bei jeder einzelnen Integrationsmaßnahme, d. h. bei jedem einzelnen behinderten Kind. In diesem Sinne ist der Begriff „hochwertiger Unterricht“ ein Synonym für verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung. Doch erschöpft sich die Inklusionsverordnung in Regelungen, die in den Fällen der zieldifferenten Unterrichtung weit entfernt sind von der Ermöglichung einer behinderungsadäquaten Unterrichts- und Betreuungssituation. So heißt es in § 16 Abs. 2 Satz 1 InklVO: Sonderpädagogische Unterstützung ergänzt die Arbeit der Regelschule.

Sonderpädagogische Unterstützung wird also auf die Tätigkeit der Regelschullehrkraft bezogen und nicht als Herstellung einer integralen, behinderungsadäquaten Unterrichtssituation verstanden. Sie hat lediglich akzidentiellen Charakter. Das findet seine Bestätigung in § 5 InklVO:

63

CESCR, ebd. Poscher/Rux/Langer, Das Recht auf Bildung. Völkerrechtliche Grundlagen und innerstaatliche Umsetzung, S. 38. 65 Vgl. Degener, Das Recht auf inklusive Bildung als Menschenrecht, KJ 2012, 405 (411): „Qualitativ hochwertige Bildung behinderter Menschen bedeutet neben hochwertigen Bildungsinhalten auch individuell angepasste Unterstützungs- bzw. Anpassungsmaßnahmen.“ 66 Kap. 4 C. 64

18. Kap.: Staatliche Schulverantwortung in der inklusiven Schule

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§ 5 Unterstützungsanfrage; außerschulische Beratung (1) 1Eine zusätzliche sonderpädagogische Unterstützungsanfrage kann über die Schulleitung der Regelschule formlos an eine Förderschule, insbesondere eine solche mit angegliedertem Förderzentrum, gestellt werden. 2Im Vordergrund stehen dabei ergänzende Fördervorschläge für die Weiterarbeit an der Regelschule. 3Über die Beratung wird ein kurzes Ergebnisprotokoll angefertigt und der Förderdokumentation angefügt. (2) Zudem kann im Einvernehmen mit der Schulleitung eine außerschulische Beratung eingeholt werden, wenn die an der Förderung eines Schülers oder einer Schülerin beteiligten Lehrkräfte zur Überzeugung kommen, dass eine zusätzliche pädagogische, medizinische oder psychologische Beratung notwendig ist.

Auf derselben konzeptionellen Linie bestimmt § 1 Abs. 4 InklVO: (4) Alle Schülerinnen und Schüler erhalten unabhängig vom Lernort individuelle Förderung und pädagogische Unterstützung, für die bei Bedarf auch sonderpädagogische Expertise eingeholt werden kann.

Auch diese Regelung bestätigt, dass die Unterrichts- und Erziehungsarbeit in einer Klasse, in der auch zieldifferent zu unterrichten ist oder in der sich Schüler mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten befinden, ausschließlich von der Regelschullehrkraft zu leisten ist. Sie kann allenfalls mit punktueller Beratung („bei Bedarf“) durch eine Förderschullehrkraft rechnen. Wie oben dargelegt, sind die der allgemeinen Schule im Rahmen der sog. Budgetierung nur in einem sehr bescheidenen, völlig unzulänglichen Umfang zur Verfügung stehenden Förderschullehrkräfte weitgehend auf solche punktuelle Beratung der Regelschullehrkraft beschränkt. Liegen jedoch bei zieldifferenter Unterrichtung sowie bei der integrativen/inklusiven Unterrichtung von Schülern mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten die Voraussetzungen für eine behinderungsadäquate Unterrichts- und Betreuungssituation nicht vor, weil es an dem erforderlichen Zwei-Pädagogen-System (durchgehende Doppelbesetzung) fehlt, dann kann wegen der daraus resultierenden strukturellen Überforderung der Lehrkraft der aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. 27 Abs. 2 Verf. d. Saarl. und aus § 1 Abs. 1 SchoG resultierende Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen nicht erfüllt werden. Bezogen auf das oben angeführte völkerrechtlich begründete Kriterium der Annehmbarkeit (acceptability) gilt daher das bereits zitierte Verdikt von Wocken, dass man es dann mit einem „Billigmodell“ mit „inakzeptable[r] Qualität“ zu tun hat, „das den Eltern als Zumutung erscheinen muss“.67

67 Wocken, Architektur eines inklusiven Bildungssystems, Gemeinsam leben – Zeitschrift für Inklusion 2010, 167 (169).

Zusammenfassung in Thesen 1. Aus dem Bildungsanspruch des behinderten Kindes und Jugendlichen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und aus Art. 24a Abs. 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Verf. d. Saarl. sowie aus dem Elternrecht gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und gem. Art. 26 Abs. 1 Satz 2 und Art. 24 Abs. 1 Verf. d. Saarl. folgt die objektivrechtliche Verpflichtung des Staates, auch für behinderte Kinder und Jugendliche ein differenziertes Bildungsangebot bereitzuhalten (Vielfaltgebot). Den Eltern eines behinderten Kindes muss im Sinne eines substanziellen Wahlrechts eine reale Auswahlmöglichkeit bezüglich des Lernortes ihres Kindes zur Verfügung stehen. Neben der integrativen/in­klusiven Unterrichtung in der allgemeinen Schule muss daher die Möglichkeit bestehen, in zumutbarer Entfernung eine Förderschule zu besuchen (Kap. 14 D. V.). 2.  Dieses Differenzierungsgebot hat hinsichtlich der Strukturierung des Bildungsangebots für behinderte Kinder und Jugendliche auch eine behinderungsspezifische Grundlage: Integrationsbereitschaft der Gesellschaft ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Integration/Inklusion. Ob, in welcher Weise und in welchem Umfang ein Mensch mit Behinderung integriert/inkludiert sein möchte, ist seine personale Entscheidung. Die Integrationsbereitschaft der Gesellschaft darf nicht zum Oktroi werden (Kap. 12 A. I. und II.). 3.  Auch der pädagogische Vergleich zwischen integrativer/inklusiver Unterrichtung und Förderschule führt zur Anerkennung der Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung eines differenzierten Systems sonderpädagogischer Förderung. Denn auf der Grundlage der empirisch gewonnenen Erkenntnisse kann von einer angeblichen generellen Überlegenheit der integrativen/inklusiven Unterrichtung gegenüber der Förderschule nicht gesprochen werden. Vielmehr zeigt die empirische Forschung ein differenziertes Bild hinsichtlich der jeweiligen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung. Sie sind das Korrelat zu den individuellen Bedürfnissen und Präferenzen, denen durch die Einräumung eines substanziellen Wahlrechts zu entsprechen ist (Kap. 13 D. IV.). 4. Es kommt hinzu, dass sich diese empirischen Untersuchungen in aller Regel auf integrative/inklusive Unterrichtung an Versuchs- oder Modellschulen beziehen, für die insbesondere in personeller Hinsicht außergewöhnlich gute Ausstattungsvoraussetzungen geschaffen worden waren. Bei der flächendeckenden Implementierung der integrativen/inklusiven Unterrichtung ist diese mit einem um ein Vielfaches höheren Personalaufwand als an Förderschulen verbundene personelle Ausstattung faktisch nicht darstellbar (Kap. 13 D. III. 1.).

Zusammenfassung in Thesen

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5.  Da die Gewährleistung der personellen, sächlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für das Gelingen integrativer/inklusiver Unterrichtung von essentieller Bedeutung für die Erfüllung des Bildungsanspruchs des behinderten Kindes und Jugendlichen ist, handelt es sich um eine grundrechtsrelevante Regelungsmaterie. Nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zu Geltung und Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes im Schulwesen hätte es hierzu folglich einer Regelung durch Gesetz oder durch Rechtsverordnung aufgrund einer hinreichend bestimmten Ermächtigung bedurft. Landesgesetzgeber und Schuladministration sind im Saarland bis heute dieser Verpflichtung zur Normierung der Qualitätsstandards nicht nachgekommen. Der qualitätssichernde Effekt, den die mit einer normativen Konkretisierung der Rahmenbedingungen verbundene Transparenz mit sich gebracht hätte, war nicht zu verzeichnen (Kap. 4 C. II.). 6. Die unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung bzw. Nichterfüllung des Bildungsanspruchs des integrativ/inklusiv unterrichteten behinderten Schülers prekäre Situation zeigt sich am Beispiel des Saarlandes nachdrücklich. Die im Saarland seit 1986 praktizierte integrative/inklusive Unterrichtung behinderter Schüler kann in der überwiegenden Zahl insbesondere von Fällen zieldifferenter Unterrichtung nicht als verantwortbare integrative/inklusive Unterrichtung bezeichnet werden. Denn die hierfür in personeller Hinsicht erforderlichen Rahmenbedingungen sind nicht vorhanden und sie sind angesichts der extremen Haushaltsnotlage des Landes auch nicht zu erwarten. Die durch politische Entscheidung der Landesregierung vorgegebene finanzwirtschaftliche Handlungsmaxime der Kostenneutralität führt bei massiver Steigerung der Fallzahlen zwangsläufig zur rechtlich relevanten Beeinträchtigung bzw. Nichterfüllung des Bildungsanspruchs der hiervon betroffenen behinderten Kinder und Jugendlichen (Kap. 7 E., Kap. 8 B. und C.). 7.  Die systematisch rechtsfehlerhafte Handhabung des gesetzlich normierten Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts durch die Schuladministration trifft in ihren negativen Auswirkungen aber auch die bei der integrativen/in­klusiven Unterrichtung tätigen Lehrkräfte der allgemeinen Schule, die infolge der evident unzulänglichen Personalausstattung mit einer überobligationsmäßigen Belastung konfrontiert sind (Kap. 8 D.). 8. Der objektivrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung einer pädagogischen Alternative in Gestalt der Förderschule steht das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VNBehindertenrechtskonvention) nicht entgegen; es enthält kein Verbot von Förderschulen (Kap. 16 D. III. 1. a)). 9. Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (VN-Kinderrechtskonvention) getroffenen Regelungen über das Recht der Eltern, über den Bildungsweg ihres Kindes zu bestimmen, werden durch die VN-Behindertenrechtskonvention nicht in Frage gestellt (Kap. 16 D. II. 4. b)).

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Zusammenfassung in Thesen

10.  Aus der VN-Behindertenrechtskonvention kann bei normativ-inhaltlicher Betrachtungsweise kein voraussetzungsloses subjektiv-öffentliches Recht eines behinderten Kindes auf integrative/inklusive Unterrichtung abgeleitet werden. Insoweit enthält das Übereinkommen keine über die in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG getroffene Regelung hinausgehenden Gewährleistungen (Kap. 16 D. III. 1. a)). 11. Auch nach Inkrafttreten der VN-Behindertenrechtskon­vention sind die in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vom 8.10.1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288 ff., ausgesprochenen Konkretisierungen weiterhin gültig. Dazu gehört u. a., dass der Staat zwecks Gewährleistung einer pädagogisch verantwortbaren integrativen Unterrichtung nach wie vor berechtigt ist, den Anspruch auf integrative/inklusive Unterrichtung unter den Vorbehalt des Möglichen zu stellen und Festlegungen über die Formen und Rahmenbedingungen integrativer/inklusiver Unterrichtung zu treffen. Außerdem behalten jene Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, aus denen sich die verfassungsrechtlich begründete Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung von Förderschulen ergibt, ihre Gültigkeit (Kap. 16 D. III. 1. b)). 12. Aus der VN-Behindertenrechtskonvention kann keine Verpflichtung zu einer grundlegenden Umgestaltung des deutschen Schulsystems im Sinne „einer Schule für alle“ abgeleitet werden. Die VN-Behindertenrechtskonvention enthält keine Aussagen zur Gliederung des Schulwesens. Auch aus der Begrifflichkeit kann dazu nichts hergeleitet werden: Entgegen anderslautender Behauptung ist „inklusiv“ kein aliud zu „integrativ“; vielmehr handelt es sich um Synonyma (Kap. 16 D. III. 1. a)). 13. Es ist nicht zu übersehen, dass dessen ungeachtet in der gesetzlichen Regelung der inklusiven Schule im Saarland die gesellschaftspolitische Zielsetzung dieses Vorhabens deutlich hervortritt. Das zeigt sich insbesondere an den hierzu ergangenen Grundsatzaussagen des Gesetzgebers bei der Normierung dieses mit umfassendem Anspruch ausgestatteten Vorhabens, aber auch an den Erklärungen und Verlautbarungen von politischer Seite während des Gesetzgebungsverfahrens. Es handelt sich um die Instrumentalisierung des Inklusionsgedankens für die inhaltliche und strukturelle Veränderung des Schulsystems (Kap. 17 A. I. und II. 3.). 14. Insbesondere aus den Detailregelungen der Inklusionsverordnung lässt sich entnehmen, welche Annahmen und Leitgedanken bildungstheoretischer Art dem Konzept der inklusiven Schule im Saarland zugrunde liegen, nämlich die Idealisierung von Heterogenität sowie das Dekategorisierungs-Theorem. Diese Sichtweisen relativieren im Ergebnis die Stellung Behinderter in ihrem sozialen Umfeld und sind geeignet, ihnen Aufmerksamkeit zu entziehen und Hilfen vorzuenthalten, auf die sie angewiesen sind (Kap. 17 A. II. 1. und 2.). 15. Die Vernachlässigung der Interessen der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der inklusiven Schule ist auch vorprogrammiert durch die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen integrativer/inklusiver Unterrichtung einerseits und der Förderschule andererseits sowie die damit im Zusammenhang stehenden Verfahrensregelungen. Konnte bis dahin

Zusammenfassung in Thesen

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in allen Fällen, in denen objektiv Anlass dazu bestand, rechtzeitig das Verfahren zur sonderpädagogischen Überprüfung in die Wege geleitet werden, so ist nunmehr die rechtzeitige Identifizierung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht mehr gewährleistet. Selbst bei gegebenem Anlass ist die Beauftragung einer Förderschullehrkraft mit der Erstellung eines sonderpädagogischen Gutachtens nicht mehr zwingend vorgeschrieben, sondern steht im Ermessen der Schulaufsichtsbehörde. Mehrere Detailregelungen im Schulordnungsgesetz und in der Inklusionsverordnung führen zu der Schlussfolgerung, dass die Fälle mit anerkanntem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf künftig die absolute Ausnahme bleiben sollen. Damit ist die zumindest theoretische Anerkennung der sonderpädagogischen Unterstützungsbedürftigkeit, die entsprechende Handlungsverpflichtungen der Schule und der Schuladministration auslösen soll, künftig in einer großen Zahl von Fällen nicht mehr gegeben (Kap. 17 B. I. bis III.). 16. Da das laut Schulordnungsgesetz und Schulpflichtgesetz verbriefte Recht der Eltern, über den Lernort ihres behinderten Kindes zu entscheiden, im Falle ihrer Option für die Förderschule an die Anerkennung der sonderpädagogischen Unterstützungsbedürftigkeit durch die Schulaufsichtsbehörde gebunden ist, dieser hierbei jedoch im Schulordnungsgesetz, im Schulpflichtgesetz und in der Inklusionsverordnung ein sehr weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eingeräumt wird, bedeutet dies in der Praxis eine erhebliche Relativierung des elterlichen Wahlrechts. In Verbindung mit den weitreichenden Auswirkungen, die die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses mit sich bringt, dürfte sich infolge der zu erwartenden Entscheidungspraxis der Schulaufsichtsbehörde die Zahl der Förderschulstandorte wegen zurückgehender Schülerzahlen in absehbarer Zeit deutlich verringern. Das führt im Ergebnis zu einer substanziellen Aushöhlung des elterlichen Wahlrechts (Kap. 17 C. II. und III.). 17. Bezüglich der verfügbaren personellen Ressourcen steht die inklusive Schule in der Kontinuität der prekären Situation, in der sich die integrative/inklusive Unterrichtung im Saarland seit 1986 befindet. Nach wie vor gilt die finanzwirtschaftliche Maxime der Kostenneutralität. Selbst die demographische Rendite wird dem Schulbereich nicht in vollem Umfang zugutekommen, sondern es werden zahlreiche Stellen entfallen. Für die inklusive Schule ist nicht mit zusätzlichem Personal zu rechnen. Die Veränderung der Art der Personalallokation („Budgetierung“), d. h. die Zuweisung an die Schule als solche anstelle der Adressierung an den einzelnen Schüler (Ambulanzlehrer-System) wird an der personell und damit auch pädagogisch hoch defizitären Situation der integrativen/in­klusiven Unterrichtung im Saarland nichts ändern. Im Übrigen fehlt auch bei der inklusiven Schule jegliche rechtssatzmäßige Konkretisierung der personellen, sächlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Die Sicherung der sonderpädagogischen Qualität in der inklusiven Schule im Saarland ist nicht gewährleistet (Kap. 18 A. I. und II., B. III.). 18.  Insoweit, als mit der Einführung der inklusiven Schule künftig die kommunalen Schulträger auch für Schüler zuständig sein werden, für die bisher eine Förderschule in Trägerschaft des Landes zuständig war, handelt es sich um die

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Zusammenfassung in Thesen

Übertragung einer bisher staatlichen Aufgabe gem. Art. 120 Abs. 2 Verf. d. Saarl. Da eine konnexitätsrelevante Verpflichtung, eine konnexitätsrelevante Aufgabenübertragung und eine konnexitätsrelevante Belastung vorliegen, wurde die Pflicht zu einer gesetzlichen Ausgleichsregelung ausgelöst. Dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung ist das Land nicht nachgekommen; das führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Übertragungsgesetzes, sondern zu einem Regelungs- und Ausgleichsanspruch der kommunalen Schulträger (Kap. 17 F. I. 2.). 19. Im Übrigen gilt für die Konnexitätsproblematik: Da die Einführung der inklusiven Schule mit dem Wegfall des bisherigen Möglichkeits- bzw. Ressourcenvorbehalts verbunden ist und die Schulträger somit künftig nicht mehr die Möglichkeit der Steuerung ihres finanziellen Engagements haben, handelt es sich unter dem Gesichtspunkt der finanzverfassungsrechtlichen Konnexität um die Übertragung einer neuen Aufgabe. Doch handelt es sich dabei nicht um eine bisher vom Land wahrgenommene Aufgabe, so dass auf der Grundlage des Art. 120 Verf. d. Saarl. kein Ausgleichsanspruch der kommunalen Schulträger gegen das Land besteht (Kap. 17 F. II. 1.). 20.  Die in der Inklusionsverordnung enthaltenen Regelungen zu Leistungsanforderungen, Leistungsfeststellung, Leistungsmaßstab und Leistungsbewertung werden erhebliche Auswirkungen auf den Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen und das Selbstverständnis der Schule haben. Von großer Tragweite ist hierbei die Abkehr von dem externen, überindividuellen und letztlich auf gesellschaftlichem Konsens beruhenden Leistungsmaßstab zugunsten der Etablierung des Prinzips der individuellen Leistungsnorm. Von diesem Paradigmenwechsel, für den es einer gesetzlichen Regelung bedurft hätte, ist die Orientierungs- und Berechtigungsfunktion von Zeugnissen substanziell betroffen. Zu dieser Art von Innovation gehört auch, dass unter Missachtung der bisher eindeutig definierten Begrifflichkeit künftig auch Erleichterungen als „Nachteilsausgleich“  – und zwar nicht nur bei behinderten Schülern – ausgegeben und zum wesentlichen Bestandteil der pädagogischen Arbeit in der inklusiven Schule gemacht werden, die in Wirklichkeit Notenschutz darstellen. Unabhängig davon, dass die Regelungen in der Inklusionsverordnung, soweit sie in Wirklichkeit Notenschutz darstellen bzw. ermöglichen, mangels der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig und nichtig sind, ist festzustellen: Da diese Regelungen zum „Nachteilsausgleich“ auf alle Schulformen und Klassenstufen Anwendung finden sollen, steht die Leistungsfähigkeit des saarländischen Schulwesens auf dem Spiel (Kap. 17 D.).

Anhang A. Rechtsvorschriften B. Verzeichnis der zitierten Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland C. Verzeichnis der zitierten Dokumente im Privatarchiv des Verfassers

A. Rechtsvorschriften I. Auszug aus der Verfassung des Saarlandes vom 15.12.19471 1. In der Fassung des Änderungsgesetzes vom 5.11.19692 Artikel 26 1

(1) Unterricht und Erziehung haben das Ziel, den jungen Menschen so heranzubilden, dass er seine Aufgabe in Familie und Gemeinschaft erfüllen kann. 2Auf der Grundlage des natürlichen und christlichen Sittengesetzes haben die Eltern das Recht, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. (2) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften werden als Bildungsträger anerkannt. Artikel 27 (1) Der Heranbildung der Jugend dienen öffentliche und private Schulen. (2) Das gesamte Schulwesen untersteht der Aufsicht des Staates. (3) 1Die öffentlichen Grund- und Hauptschulen (Volksschulen), Sonderschulen, berufsbildenden Schulen, Realschulen und Gymnasien sind Gemeinsame Schulen. 2In ihnen werden Schüler unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen andersdenkender Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte unterrichtet und erzogen. (4) 1Grund- und Hauptschulen müssen die Voraussetzungen eines geordneten Schulbetriebes erfüllen. 2Öffentliche Grund- und Hauptschulen sind von Amts wegen zu errichten. (5) Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (6) 1Über die Aufnahme in eine bestimmte Schulgattung entscheidet die Eignung. 2Den Schülern ist der Zugang zu den Schulen gemäß ihrer Begabung zu ermöglichen. 1

Amtsbl. S. 1077, in Kraft getreten am 17.12.1947. Amtsbl. S. 765, in Kraft getreten am 6.12.1969.

2

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 Anhang Artikel 28

(1) 1Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates. 2 Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. 3Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. (2) Private Grund-, Haupt und Sonderschulen (Volksschulen) dürfen nur unter den besonderen Voraussetzungen des Artikels 7 Abs. 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 zugelassen werden. (3) 1Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen haben zur Durchführung ihrer Aufgaben und zur Erfüllung ihrer Pflichten Anspruch auf öffentliche Zuschüsse. 2Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (4) 1Privaten Grund-, Haupt- und Sonderschulen (Volksschulen), die auf gemeinnütziger Grundlage wirken und in Aufbau und Gliederung den für die öffentlichen Schulen geltenden gesetzlichen Vorschriften entsprechen, ersetzt das Land auf Antrag des Schulträgers den notwendigen Aufwand für die fortdauernden Personal- und Sachkosten, der sich nach dem der öffentlichen Schulen bemisst. 2Absatz 3 bleibt unberührt. Artikel 29 1

(1) Der Religionsunterricht ist an allen öffentlichen Grund- und Hauptschulen (Volksschulen), Sonderschulen, Berufsschulen, Realschulen und Gymnasien ordentliches Lehrfach. 2Er wird erteilt im Auftrag und im Einvernehmen mit den Lehren und Satzungen der betreffenden Kirchen und Religionsgemeinschaften. 3Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, im Benehmen mit der staatlichen Aufsichtsbehörde die Erteilung des Religionsunterrichtes zu beaufsichtigen. 4Lehrplan und Lehrbücher für den Religionsunterricht bedürfen der Zustimmung der staatlichen Aufsichtsbehörde. (2) 1Die Eltern können die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht ablehnen. 2Den Kindern darf daraus kein Nachteil entstehen. 3Diese Ablehnung kann auch durch die Jugend­lichen selbst geschehen, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben.

2. In der Fassung des Änderungsgesetzes vom 27.3.19963 Artikel 26 (1) 1Unterricht und Erziehung haben das Ziel, den jungen Menschen so heranzubilden, dass er seine Aufgabe in Familie und Gemeinschaft erfüllen kann. 2Auf der Grundlage des natür­lichen und christlichen Sittengesetzes haben die Eltern das Recht, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. (2) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften werden als Bildungsträger anerkannt.

3

Amtsbl. S. 422, in Kraft getreten am 18.5.1996.

A. Rechtsvorschriften

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Artikel 27 (1) Der Heranbildung der Jugend dienen öffentliche und private Schulen. (2) Das gesamte Schulwesen untersteht der Aufsicht des Staates. (3) Das öffentliche Schulwesen besteht aus Grundschulen, Schulen für Behinderte, Erweiterten Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen. (4) 1Die öffentlichen Schulen sind Gemeinsame Schulen. 2In ihnen werden Schüler unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen andersdenkender Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte unterrichtet und erzogen. (5) 1Öffentliche Schulen müssen die Voraussetzungen eines geordneten Schulbetriebes erfüllen. 2Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (6) 1Über die Aufnahme in eine bestimmte Schulform entscheidet die Eignung. 2Den Schülern ist der Zugang zu den Schulen gemäß ihrer Begabung zu ermöglichen. Artikel 28 (1) 1Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. 3Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. 2

(2) Grundschulen und Schulen für Behinderte dürfen nur unter den besonderen Voraussetzungen des Artikels 7 Abs. 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 zugelassen werden. (3) 1Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen haben zur Durchführung ihrer Aufgaben und zur Erfüllung ihrer Pflichten Anspruch auf öffentliche Zuschüsse. 2Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (4) 1Privaten Grundschulen und Schulen für Behinderte, die auf gemeinnütziger Grundlage wirken und in Aufbau und Gliederung den für die öffentlichen Schulen geltenden gesetzlichen Vorschriften entsprechen, ersetzt das Land auf Antrag des Schulträgers den notwendigen Aufwand für die fortdauernden Personal- und Sachkosten, der sich nach dem der öffentlichen Schulen bemisst. 2Absatz 3 bleibt unberührt. Artikel 29 1

(1) Der Religionsunterricht ist an allen öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach. 2Er wird erteilt im Auftrag und im Einvernehmen mit den Lehren und Satzungen der betreffenden Kirchen und Religionsgemeinschaften. 3Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, im Benehmen mit der staatlichen Aufsichtsbehörde die Erteilung des Religionsunterrichtes zu beaufsichtigen. 4Lehrplan und Lehrbücher für den Religionsunterricht bedürfen der Zustimmung der staatlichen Aufsichtsbehörde.

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 Anhang

(2) 1Die Eltern können die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht ablehnen. 2Den Kindern darf daraus kein Nachteil entstehen. 3Diese Ablehnung kann auch durch die Jugend­ lichen selbst geschehen, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben.

3. In der Fassung des Änderungsgesetzes vom 15.6.20114 Artikel 27 (1) Der Heranbildung der Jugend dienen öffentliche und private Schulen. (2) Das gesamte Schulwesen untersteht der Aufsicht des Staates. (3) 1Das öffentliche Schulwesen besteht aus allgemein bildenden und beruflichen Schulen. 2 Allgemein bildende Schulen, an denen die allgemeine Hochschulreife erworben werden kann, sind Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. 3Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (4) 1Die öffentlichen Schulen sind Gemeinsame Schulen. 2In ihnen werden Schüler unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen andersdenkender Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte unterrichtet und erzogen. (5) 1Öffentliche Schulen müssen die Voraussetzungen eines geordneten Schulbetriebes erfüllen. 2Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (6) 1Über die Aufnahme in eine bestimmte Schulform entscheidet die Eignung. 2Den Schülern ist der Zugang zu den Schulen gemäß ihrer Begabung zu ermöglichen.

II. Auszug aus dem Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (Schulordnungsgesetz: SchoG)) vom 5.5.19655 i. d. F. d. Bek. vom 21.8.19966 1. In der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung § 1 Unterrichts- und Erziehungsauftrag, Schutzauftrag, Qualität der Schule (1) Der Auftrag der Schule bestimmt sich daraus, dass jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung hat und dass er zur Übernahme von Verantwortung und zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in Staat und Gesellschaft vorbereitet werden muss. (2) Daher hat die Schule durch Erziehung und Unterricht die Schülerinnen und Schüler zur Selbstbestimmung in Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen, zur Anerkennung ethischer Normen, zur Achtung vor der Überzeugung anderer, zur Erfüllung ihrer Pflichten in Fa 4

Amtsbl. I S. 236, in Kraft getreten am 1.8.2012. Mit dieser Verfassungsänderung wurde ausschließlich Art. 27 Abs. 3 Verf. d. Saarl. 1996 geändert. 5 Amtsbl. S. 385, in Kraft getreten am 1.7.1965. 6 Amtsbl. S. 846, ber. 1997 S. 147.

A. Rechtsvorschriften

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milie, Beruf und der sie umgebenden Gemeinschaft, zu sorgsamem Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, zur Übernahme der sozialen und politischen Aufgaben von Bürgerinnen und Bürgern im freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat und zur Mitwirkung an der Gestaltung der Gesellschaft im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu befähigen und sie zu der verpflichtenden Idee des friedlichen Zusammen­lebens der Völker ­hinzuführen. (2a) 1Die Schule unterrichtet und erzieht die Schülerinnen und Schüler bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen anders denkender Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte. 2Der Erziehungsauftrag ist in der Art zu erfüllen, dass durch politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen weder die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern und Eltern noch der politische, religiöse oder weltanschauliche Schulfrieden gefährdet oder gestört werden. (2b) Im Rahmen ihres Unterrichts- und Erziehungsauftrages trägt die Schule in Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht für den Schutz der Kinder vor Gewalt, Vernachlässigung, Ausbeutung sowie leiblicher, geistiger oder sittlicher Verwahrlosung Sorge. (3) Bei der Erfüllung ihres Auftrages hat die Schule das Elternrecht zu achten. (4) 1Die Schulen sind zur stetigen Entwicklung und Sicherung der Qualität ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit verpflichtet. 2Die Schulaufsichtsbehörde unterstützt sie bei der Erfüllung dieser Aufgabe. (5) Die für den Unterricht erforderlichen Richtlinien müssen dem Erziehungs- und Unterrichtsauftrag der Schule entsprechen. § 4 Gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, Sonderformen der Schulen, Hausunterricht (1) 1Der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der Schulen der Regelform umfasst grundsätzlich auch die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf. 2Daher sind im Rahmen der vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln; das Nähere regelt die Schulaufsichtsbehörde durch Rechtsverordnung. (2) Sonderpädagogischer Förderungsbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinbildenden Schule ohne besondere Hilfen nicht hinreichend gefördert werden können. (3) 1Der Unterrichtung und Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf dienen die Formen gemeinsamer Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, besondere Schulen für Behinderte (Förderschulen) oder Klassen (Unterrichtsgruppen), die nach sonderpädagogischen Grundsätzen arbeiten, sowie der Sonderunterricht für Schülerinnen und Schüler, deren Förderung auch in Förderschulen nicht möglich ist. 2 Zur Förderung der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten kann die Schulaufsichtsbehörde Sonderpädagogische Förderzentren einrichten. (4) 1Soweit keine gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten erfolgt, besucht

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1. die Förderschule für Blinde und Sehbehinderte, wer über kein Sehvermögen verfügt oder darin so stark beeinträchtigt ist, dass er sich auch nach optischer Korrektur in wichtigen Lebensvollzügen wie ein Blinder verhält, oder wer in seinem Sehvermögen in der Regel auf ein Drittel bis ein Zwanzigstel der Norm reduziert ist und daher im Unterricht der Schulen der Regelform nicht mehr erfolgreich mitarbeiten kann, 2. die Förderschule soziale Entwicklung, wer aufgrund erheblicher psychischer Störungen und sozialer Auffälligkeiten, die nach Dauer, Häufigkeit und Intensität mit allgemeinen unterrichtlichen Mitteln und erzieherischen Maßnahmen oder durch ambulante Hilfe nicht mehr abgebaut werden können, in Schulen der Regelform nicht mehr hinreichend gefördert werden kann oder seine Mitschülerinnen und Mitschüler fortgesetzt erheblich beeinträchtigt oder gefährdet, 3. die Förderschule für Gehörlose und Schwerhörige, wer aufgrund seiner Hörschädigung die Sprache auch mit technischen Hörhilfen nicht über das Gehör erlernen kann – dies gilt auch für Schülerinnen und Schüler, die aufgrund einer zentralen Sprachstörung die Sprache nicht auf natürlichem Wege erlernen können –, oder wer in seiner Hörfähigkeit so beeinträchtigt ist, dass er zwar noch, gegebenenfalls auch mit Hilfsmitteln, Schall über das Ohr wahrnehmen und Sprache erlernen kann, im Unterricht der Schulen der Regelform seinen Fähigkeiten entsprechend aber nicht mehr gefördert werden kann, 4. die Förderschule geistige Entwicklung, wer geistig so schwer behindert ist, dass er durch Unterricht und schulische Erziehung befähigt werden muss, sich als eigene Person zu erfahren, Lebenszutrauen aufzubauen, sich in der Umwelt angemessen zurechtzufinden, sich in sozialen Bezügen zu orientieren und bei ihrer Gestaltung mitzuwirken und dadurch zu eigenen Existenzsicherung beitragen zu können, 5. die Förderschule körperliche und motorische Entwicklung, wer sich aufgrund schwerer oder lang andauernder Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit oder organischer Schäden am Unterricht der Schulen der Regelform nicht ausreichend beteiligen kann, 6. die Förderschule Lernen, wer aufgrund eines deutlichen Intelligenzrückstandes oder allge­ meiner Lernstörungen erheblich und lang andauernd in seinem Lernen beeinträchtigt ist, 7. die Förderschule Sprache, wer sprachlich so schwerwiegend beeinträchtigt ist, dass er auch bei schulbegleitenden Maßnahmen in den Schulen der Regelform nicht ausreichend gefördert werden kann. 2

Mehrfach Behinderte besuchen diejenige Förderschule, in der sie am besten gefördert werden können. (5) 1Die in Absatz 3 genannten Einrichtungen zur sonderpädagogischen Förderung sollen 1. die Behinderung beheben oder deren Folgen mildern und dabei eine allgemeine Bildung vermitteln und auf die berufliche Bildung vorbereiten, 2. auf die Eingliederung der Schülerinnen und Schüler in die Schulen der Regelform hinwirken, 3. sich an der Förderung Behinderter oder von einer Behinderung bedrohter Schülerinnen und Schüler in den Schulen der Regelform beteiligen, 4. an der Planung und Durchführung gemeinsamen Unterrichts für behinderte und nicht­ behinderte Schülerinnen und Schüler mitwirken,

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5. Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf und deren Lehrkräfte be­raten. 2

Die Förderschulen können nach Maßgabe ihres jeweiligen Unterrichts- und Erziehungsauftrages zu den in den Schulen der Regelform vorgesehenen Abschlüssen führen.

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Wenn die besondere Aufgabe der Förderschule erfüllt ist, ist die Schülerin oder der Schüler in eine Schule der Regelform einzugliedern. (6) Wenn die besondere Aufgabe der Förderschule die Heimunterbringung der Schülerinnen und Schüler gebietet oder die Erfüllung der Schulpflicht sonst nicht gesichert ist, sind den Schulen Schülerheime anzugliedern, in denen Schülerinnen und Schüler Unterkunft, Verpflegung und familiengemäße Betreuung erhalten (Förderschulen mit Heim). (7) Schülerinnen und Schülern, die nach amtsärztlicher Feststellung infolge dauernder oder mehr als sechs Unterrichtswochen währender Erkrankung die Schule nicht besuchen können, soll Krankenhausunterricht bzw. Hausunterricht in angemessenem Umfang erteilt werden.

(8) 1Für entwicklungsbeeinträchtigte Kinder, die bereits bei Beginn der Schulpflicht förderungsbedürftig erscheinen (§ 3 Schulpflichtgesetz), sind in der Grundschule besondere Fördermaßnahmen vorzusehen; sie werden je nach den schulorganisatorischen und personellen Gegebenheiten an der jeweils zuständigen Grundschule als Maßnahmen für einzelne Kinder in der jeweiligen Klasse oder für eine Gruppe von Kindern oder in zentralisierten Einrichtungen (Schulkindergärten), die Bestandteil der jeweiligen Grundschule sind, durchgeführt. 2Im Falle der Errichtung von Schulkindergärten ist ein Einzugsbereich festzulegen; § 19 findet entsprechende Anwendung. 3

Für Kinder, die unter Absatz 2 fallen und vor Beginn der Schulpflicht förderungsbedürftig erscheinen, sind an den in Absatz 3 genannten Einrichtungen besondere Fördermaßnahmen vorzusehen; diese können auch in einem Schulkindergarten, der Bestandteil der jeweiligen Förderschule ist, durchgeführt werden.

(9) 1Für Kinder und Jugendliche, die dem Unterricht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht ausreichend folgen können, finden an den Schulen verpflichtende Sprachfördermaßnahmen statt, die den regulären Unterricht ergänzen oder ganz oder teilweise an dessen Stelle ­treten. 2

Die Ausgestaltung der Sprachfördermaßnahmen regelt die Schulaufsichtsbehörde durch Rechtsverordnung.

2. In der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.6.20147 § 1 Unterrichts- und Erziehungsauftrag, Inklusive Teilhabe, Schutzauftrag, Qualität der Schule (1) Der Auftrag der Schule bestimmt sich daraus, dass jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten entsprechende Erziehung, Unterrichtung und Ausbildung hat und dass er zur Übernahme von Verant 7 Amtsbl. I S. 296, nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 2 des Änderungsgesetzes in Kraft getreten am 1.8.2014.

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wortung und zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in Staat und Gesellschaft vorbereitet werden muss. (2) 1Alle Schülerinnen und Schüler sollen entsprechend ihren Fähigkeiten sowie unabhängig von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft grundsätzlich gleichberechtigt, ungehindert und barrierefrei an den Angeboten des Bildungssystems teilhaben können. 2Dabei hat die Schule durch Erziehung und Unterricht die Schülerinnen und Schüler auch zur Selbst­ bestimmung in Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen, zur Anerkennung ethischer Normen, zur Achtung vor der Überzeugung anderer, zur Erfüllung ihrer Pflichten in Familie, Beruf und der sie umgebenden Gemeinschaft, zu sorgsamem Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, zur Übernahme der sozialen und politischen Aufgaben von Bürgerinnen und Bürgern im freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat und zur Mitwirkung an der Gestaltung der Gesellschaft im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu befähigen und sie zu der verpflichtenden Idee des friedlichen Zusammenlebens der Völker ­hinzuführen. (2a) 1Die Schule unterrichtet und erzieht die Schülerinnen und Schüler bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen anders denkender Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte. 2Der Erziehungsauftrag ist in der Art zu erfüllen, dass durch politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen weder die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern und Eltern noch der politische, religiöse oder weltanschauliche Schulfrieden gefährdet oder gestört werden. (2b) Im Rahmen ihres Unterrichts- und Erziehungsauftrages trägt die Schule in Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht für den Schutz der Kinder vor Gewalt, Vernachlässigung, Ausbeutung sowie leiblicher, geistiger oder sittlicher Verwahrlosung Sorge. (3) Bei der Erfüllung ihres Auftrages hat die Schule das Elternrecht zu achten. (4) 1Die Schulen sind zur stetigen Entwicklung und Sicherung der Qualität ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit verpflichtet. 2Die Schulaufsichtsbehörde unterstützt sie bei der Erfüllung dieser Aufgabe. (5) Die für den Unterricht erforderlichen Richtlinien müssen dem Erziehungs- und Unterrichtsauftrag der Schule entsprechen. § 4 Inklusive Schule (1) 1Die öffentlichen Schulen der Regelform sind inklusive Schulen. 2Sie ermöglichen grundsätzlich allen Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten und ungehinderten Zugang. 3 Die Barrierefreiheit ist im Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetz vom 26. November 2003 (Amtsbl. S. 2987), geändert durch das Gesetz vom 15. Februar 2006 (Amtsbl. S. 474), in der jeweils geltenden Fassung geregelt. 4Die §§ 3a und 3b bleiben hiervon unberührt. (2)8 Näheres regelt die Schulaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres und Sport durch Rechtsverordnung, in der auch Vorschriften über die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung insbesondere in den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Sehen und Hören sowie Sprache, über 8 § 4 Abs. 2 tritt gem. Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014 (Amtsbl. I S. 296 [300]) am 1.8.2015 in Kraft.

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das förderdiagnostische Vorgehen, über die Zusammenarbeit und die Verteilung der Aufgaben zwischen den Lehrkräften, insbesondere mit unterschiedlichen Lehrbefähigungen, sowie zur Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen und zum Verfahren enthalten sind. (3) Ob die Schülerinnen und Schüler eine Schule der Regelform oder eine Förderschule besuchen, entscheiden grundsätzlich die Erziehungsberechtigten (§ 5 Absatz 4 Schulpflichtgesetz). § 4a Förderschulen, Förderzentren, Hausunterricht, Sonderunterricht und besondere Fördermaßnahmen (1) 1Förderschulen sollen gegliedert nach Förderschwerpunkten geführt werden (§ 4 Absatz 2). In einer Förderschule können Schülerinnen und Schüler nach der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung – auch in unterschiedlichen Förderschwerpunkten gemeinsam – unterrichtet werden, insbesondere wenn dadurch eine bessere Förderung zu erwarten ist.

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(2)9 1An Förderschulen, die einen Bildungsgang anbieten, in welchem nach den Lehrplänen der Schulen der Regelform unterrichtet wird (zielgleiche Unterrichtung), durchlaufen die Schülerinnen und Schüler dieses Bildungsgangs die Klassenstufen 1 und 2 (Schuleingangsphase) in einem Zeitraum von ein bis drei Schuljahren (flexible Verweildauer). 2Es kann jahrgangs- und klassenübergreifend unterrichtet werden. (3) An Förderschulen erfolgt eine Versetzungsentscheidung erstmals am Ende der Klassenstufe 8. (4) 1Die Förderschulen sollen 1. die Behinderung beheben oder deren Folgen mildern und dabei eine allgemeine Bildung vermitteln und auf die berufliche Bildung vorbereiten, 2. auf die Eingliederung der Schülerinnen und Schüler in die Schulen der Regelform hinwirken sowie 3. Erziehungsberechtigte von Schülerinnen und Schülern, bei denen die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung vorliegen, beraten. 2

Die Förderschulen können nach Maßgabe ihres jeweiligen Unterrichts- und Erziehungsauftrags zu den in den Schulen der Regelform vorgesehenen Abschlüssen führen. 3Wenn die Anerkennung für eine sonderpädagogische Unterstützung aufgehoben wird, ist die Schülerin oder der Schüler in eine Schule der Regelform einzugliedern. (5) Die Schulaufsichtsbehörde kann sonderpädagogische Förderzentren, auch als Beratungsund Kompetenzzentren, einrichten. (6) 1Schülerinnen und Schüler, die nach amtsärztlicher Feststellung infolge dauernder oder mehr als sechs Unterrichtswochen währender Erkrankung die Schule nicht besuchen können, soll Krankenhausunterricht oder Hausunterricht in angemessenem Umfang erteilt werden. 2 Schülerinnen und Schülern, deren Förderung an einer Schule nicht möglich ist, kann Sonderunterricht erteilt werden. 9 § 4a Abs. 2 tritt gem. Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2014 vom 25.6.2014 (Amtsbl. I S. 296 [300]) am 1.8.2015 in Kraft.

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(7) Förderschulen können zur Durchführung von besonderen Fördermaßnahmen in Kinder­tages­ einrichtungen für entwicklungsbeeinträchtigte Kinder, bei denen die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören und geistige Entwicklung vorliegen, mit einer Kindertageseinrichtung kooperieren. § 4b Sprachfördermaßnahmen 1

Für Kinder und Jugendliche, die dem Unterricht auf Grund mangelnder Deutschkenntnisse nicht ausreichend folgen können, finden an den Schulen verpflichtende Sprachfördermaßnahmen statt, die den regulären Unterricht ergänzen oder ganz oder teilweise an dessen Stelle treten. 2Die Ausgestaltung der Sprachfördermaßnahmen regelt die Schulaufsichtsbehörde durch Rechtsverordnung. § 63a Übergangsvorschriften zur inklusiven Schule (1) 1§ 4 Absatz 1 ist ab dem Schuljahr 2014/2015 auf die Grundschulen anzuwenden. 2Bis zum Inkrafttreten einer nach § 4 Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung ist die auf der Grundlage des § 4 Absatz 1 in der bis zum 31. Juli 2014 geltenden Fassung ergangene Rechtsverordnung in der jeweils geltenden Fassung auf die Klassenstufen 1 und 4 der Grundschulen anzuwenden. (2) 1§ 4 Absatz 1 und 2 sowie die auf der Grundlage des § 4 Absatz 2 zu erlassende Rechtsverordnung sind im Bereich der weiterführenden allgemein bildenden Schulen erstmals auf die Schuljahrgänge anzuwenden, die sich aufsteigend beginnend ab dem Schuljahr 2016/2017 in Klassenstufe 5 befinden. 2Im Bereich der beruflichen Schulen sind sie erstmals auf die Schuljahrgänge anzuwenden, die sich aufsteigend beginnend ab dem Schuljahr 2018/2019 in den Eingangsklassen der beruflichen Schulen befinden. 3Soweit ein vollständiges Aufwachsen noch nicht erfolgt ist, ist § 4 Absatz 1 in der bis zum 31. Juli 2014 geltenden Fassung auslaufend weiter anzuwenden.

III. Auszug aus dem Gesetz über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) vom 11.3.196610 i.d.F.d.Bek. vom 21.8.199611 1. In der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung § 6 Gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten, Förderschulen, Sonderunterricht (1) Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf sind zum Besuch des gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und Nichtbehinderten, für sie geeigneter besonderer Schulen für Behinderte (Förderschulen) oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet. 10

Amtsbl. S. 205, in Kraft getreten am 1.4.1966. Amtsbl. S. 864, ber. 1997 S. 147.

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(2) 1Ob diese Verpflichtung im Einzelfalle besteht und welche Schule oder welchen Sonderunterricht diese Schülerinnen und Schüler zu besuchen haben, entscheidet nach Anhörung der Erziehungsberechtigten und nach Durchführung eines Überprüfungsverfahrens, zu dem bei Bedarf eine Schul- oder Amtsärztin, ein Schul- oder Amtsarzt, eine Schulpsychologin oder ein Schulpsychologe hinzuzuziehen ist, die Schulaufsichtsbehörde. 2Das Überprüfungsverfahren kann auch psychologische Testverfahren umfassen; sie sind durchzuführen, wenn die Erziehungsberechtigten dies verlangen. (3) Die allgemeine Vollzeitschulpflicht an Förderschulen endet a) für blinde, sehbehinderte und gehörlose Schülerinnen und Schüler nach 10 Schuljahren, b) für geistigbehinderte Schülerinnen und Schüler nach 12 Schuljahren, spätestens jedoch mit Ende des Schuljahres, in dem sie das 18. Lebensjahr vollenden. (4) 1Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann für Schülerinnen und Schüler, die zum Besuch einer Förderschule oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet sind – ausgenommen die Geistigbehinderten  –, nach Anhörung der Erziehungsberechtigten die Schulpflicht zweimal für jeweils ein Schuljahr, auf Antrag der Erziehungsberechtigten um ein weiteres Schuljahr verlängern. 2Für Schülerinnen und Schüler, die zum Besuch einer Förderschule ­geistige Entwicklung verpflichtet sind, kann die Schulaufsichtsbehörde auf Antrag der Erziehungsberechtigten in begründeten Ausnahmefällen die Schulpflicht um bis zu zwei Schuljahre verlängern. (5) Über die Dauer der Vollzeitschulpflicht der in Absätzen 3 und 4 genannten Schülerinnen und Schüler, die gemeinsamen Unterricht für Behinderte und Nichtbehinderte in Schulen der Regelform besuchen, entscheidet bei Ablauf der allgemeinen Vollzeitschulpflicht die Schulaufsichtsbehörde im Einzelfall; Absatz 3 ist zu berücksichtigen; geeignete Formen des verlängerten Schulbesuchs sind zu entwickeln. § 7 Unterbringung in Anstalts- oder Familienpflege (1) 1Kinder, die eine Förderschule zu besuchen haben, können, wenn es die Durchführung der Schulpflicht erfordert, mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten in geeigneten Anstalten oder Heimen oder in geeigneter Familienpflege untergebracht werden. 2Entsprechendes gilt für solche Schülerinnen und Schüler, wenn sie gemeinsamen Unterricht für Behinderte und Nichtbehinderte in Schulen der Regelform besuchen. (2) Die Entscheidung trifft die Schulaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem überört­lichen Träger der Sozialhilfe bzw. im Einvernehmen mit dem Jugendamt. (3) Verweigern die Erziehungsberechtigten ihre Zustimmung, so ist eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nach §§ 1666, 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuches herbeizuführen. (4) Soweit die Kosten der Unterbringung nicht nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) übernommen werden, fallen sie dem Kind oder seinen Unterhaltspflichtigen zur Last.

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2. In der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.6.201412 § 5 Erfüllung der allgemeinen Vollzeitschulpflicht, Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler am Bildungssystem (1) Die allgemeine Vollzeitschulpflicht wird für alle Schülerinnen und Schüler durch den Besuch einer öffentlichen Grundschule und einer Gemeinschaftsschule erfüllt. (2) Frühestens nach dem Besuch der Grundschule kann die allgemeine Vollzeitschulpflicht auch durch den Besuch einer anderen öffentlichen Schule mit gymnasialem Bildungsgang erfüllt werden. (3) 1Schülerinnen und Schüler, bei denen die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung vorliegen, besuchen grundsätzlich eine Schule der Regelform im Sinne des § 3a SchoG. 2Sofern keine Unterrichtung an einer Schule der Regelform erfolgt, sind die ­Schülerinnen und Schüler entsprechend des Vorliegens der Voraussetzungen für die sonderpädagogische Unterstützung zum Besuch der für sie geeigneten besonderen Schulen (Förderschulen) im Sinne des § 4a Absatz 1 SchoG oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet. (4) 1Auf Antrag der Erziehungsberechtigten und nach Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung kann die allgemeine Vollzeitschulpflicht auch durch den Besuch einer Förderschule (§ 4a Absatz 1 SchoG) erfüllt werden. 2In Ausnahmefällen ist der Besuch einer Förderschule auch unabhängig von einem entsprechenden Antrag der Erziehungsberechtigten möglich, wenn das Kindeswohl, insbesondere der Schutz der Gesundheit einer Schülerin oder eines Schülers oder der Schutz anderer Schülerinnen und Schüler, dies dringend erfordert und die Möglichkeiten der Förderung in der Schule der Regelform und der außerschulischen Beratung ausgeschöpft sind. 3Die jeweiligen Entscheidungen trifft die Schulaufsichtsbehörde. (5) Die allgemeine Vollzeitschulpflicht kann auch durch den Besuch einer genehmigten Schule in freier Trägerschaft derselben Schulstufe erfüllt werden. § 6 Förderschulen, Sonderunterricht (1) Die allgemeine Vollzeitschulpflicht an Förderschulen endet 1. für Schülerinnen und Schüler, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung anerkannt wurde, in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören oder körperliche und motorische Entwicklung, nach zehn Schuljahren; eine Verkürzung ist möglich, 2. für Schülerinnen und Schüler, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung anerkannt wurde, im Bereich geistige Entwicklung nach zwölf Schuljahren, spätestens jedoch mit Ende des Schuljahres, in dem sie das 18. Lebensjahr vollenden. 12 Amtsbl. I S. 296 (298), nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 2 des Änderungsgesetzes in Kraft getreten am 1.8.2014.

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(2) 1Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann für Schülerinnen und Schüler, die zum Besuch einer Förderschule oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet sind – ausgenommen die in Absatz 1 Nummer 2 genannten Schülerinnen und Schüler –, nach Anhörung der Erziehungsberechtigten die Schulpflicht zweimal für jeweils ein Schuljahr, auf Antrag der Erziehungsberechtigten um ein weiteres Schuljahr verlängern. 2Für Schülerinnen und Schüler, die zum Besuch einer Förderschule geistige Entwicklung verpflichtet sind, kann die Schulaufsichtsbehörde auf Antrag der Erziehungsberechtigten in begründeten Ausnahmefällen die Schulpflicht um bis zu zwei Schuljahre verlängern. (3) Über die Dauer der Vollzeitschulpflicht der in Absatz 1 und 2 genannten Schülerinnen und Schüler, die eine Schule der Regelform besuchen, entscheidet bei Ablauf der allgemeinen Vollzeitschulpflicht die Schulaufsichtsbehörde im Einzelfall; Absatz 1 ist zu berücksichtigen; geeignete Formen des verlängerten Schulbesuchs sind zu entwickeln. § 7 Unterbringung in Anstalts- oder Familienpflege (1) Kinder, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung anerkannt wurde, können, wenn es die Durchführung der Schulpflicht erfordert, mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten in geeigneten Anstalten oder Heimen oder in geeigneter Familienpflege untergebracht werden. (2) Die Entscheidung trifft die Schulaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem überört­lichen Träger der Sozialhilfe bzw. im Einvernehmen mit dem Jugendamt. (3) Verweigern die Erziehungsberechtigten ihre Zustimmung, so ist eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nach §§ 1666, 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuches herbeizuführen. (4) Soweit die Kosten der Unterbringung nicht nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) übernommen werden, fallen sie dem Kinde oder seinen Unterhaltspflichtigen zur Last. § 19a Übergangsvorschrift (1) § 5 Absatz 3 und 4 findet ab dem Schuljahr 2014/2015 auf die Grundschulen Anwendung. (2) § 5 Absatz 3 und 4 ist im Bereich der weiterführenden allgemein bildenden Schulen grundsätzlich erstmals auf die Schuljahrgänge anzuwenden, die sich aufsteigend beginnend ab dem Schuljahr 2016/2017 in Klassenstufe 5 befinden.

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IV. Auszug aus der Verordnung zur Ausführung des Schulpflichtgesetzes (VO-Schulpflichtgesetz) vom 23.6.200413 1. In der bis zum 3.8.2014 geltenden Fassung § 6 Schüler und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf (1) Die Verpflichtung zum Besuch von Förderschulen oder zum Besuch des gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und Nichtbehinderten im Sinne des § 6 Abs.1 des Schulpflicht­ gesetzes besteht, wenn festgestellt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass Leistungsfähigkeit oder Lernerfolge eines Kindes so gering sind, dass es auf die Dauer in der Grundschule oder unter Zugrundelegung der auf den Hauptschulabschluss bezogenen Anforderungen an einer Gemeinschaftsschule im Rahmen der dort vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten auch durch besondere Hilfen nicht aus­ reichend gefördert werden kann. (2) Ein Fall nach Absatz 1 ist in der Regel gegeben, wenn ein Kind 1. infolge seiner geistigen, seelischen oder sozialen Entwicklung a) bei der Anmeldung zur Aufnahme in die Grundschule eindeutig für deren Besuch nicht geeignet erscheint, b) nach der Zurückstellung vom Schulbesuch deutlich erkennen lässt, dass es die Grundschule nicht mit Erfolg besuchen kann, c) im Laufe des ersten Schuljahres deutlich erkennen lässt, dass ein erfolgreicher Besuch der Grundschule ausgeschlossen ist, d) während des Besuchs der Grundschule in seinem Leistungsstand um zwei Jahre zurückgeblieben ist und damit erkennen lässt, dass es in der Grundschule oder Gemeinschaftsschule nicht genügend gefördert werden kann, e) auch nach Teilnahme an besonderen Fördermaßnahmen nicht die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mitarbeit besitzt, f) in seinem Verhalten anhaltend so beeinträchtigt ist, dass sonderpädagogische Förderung erforderlich ist. 2. infolge seiner körperlichen und motorischen Entwicklung, Störungen der Wahrnehmung oder der Sprache a) in seiner Bewegungsfähigkeit nicht nur vorübergehend wesentlich behindert ist, b) sich nicht oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann, c) infolge fehlender oder defekter Sinnesorgane oder erheblich gestörter Sinnesfunktionen oder Störung der Sprache in der Grundschule und einer Pflichtschule der Sekundarstufe I nicht mitarbeiten kann. (3) Die Verordnung – Schulordnung – über die gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform (Integrationsverordnung) vom 4. August 1987 13

Amtsbl. S. 1382, in Kraft getreten am 1.8.2004.

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(Amtsbl. S. 972), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 4. Juli 2003 (Amtsbl. S. 1910), in der jeweils geltenden Fassung bleibt unberührt. (4) § 3 Abs. 3 gilt entsprechend. § 7 Einschulung oder Umschulung in die Förderschule Lernen (1) Zur Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderungsbedarf im Bereich des Lernens (Lernbeeinträchtigung) meldet die Grundschule oder die Gemeinschaftsschule möglichst sechs Monate vor Beginn des neuen Schuljahres der Förderschule Lernen über die Schulaufsichts­ behörde die Kinder, bei denen die in § 6 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bis e genannten Voraussetzungen gegeben sind. (2) Die Leitung der Grundschule oder der Gemeinschaftsschule hat sich von jedem zu meldenden Kind einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. (3) 1Den Erziehungsberechtigten ist Gelegenheit zu geben, sich zu der beabsichtigten Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderungsbedarf sowie zur Einschulung oder Umschulung in die Förderschule Lernen zu äußern. 2Bei dieser Anhörung sind sie auch darauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit haben, einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung nach der Integrationsverordnung zu stellen. 3Ihre Stellungnahme ist schriftlich festzuhalten. (4) 1Die Förderschule Lernen überprüft Art und Umfang der Lernbehinderung in einem von ihr zu wählenden Überprüfungsverfahren, das auch psychologische Testverfahren umfassen kann. 2 Sie leitet das Ergebnis mit sämtlichen Unterlagen unmittelbar der Schulaufsichtsbehörde zu, die bei Bedarf den Schul- oder Amtsarzt/die Schul- oder Amtsärztin oder den Schulpsychologen/die Schulpsychologin hinzuzieht. (5) 1Schüler und Schülerinnen, bei denen sonderpädagogischer Förderungsbedarf nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bis e gegeben ist, sollen nur dann in die Förderschule Lernen umgeschult werden, wenn begründete Aussicht auf einen Erziehungs- und Unterrichtserfolg besteht. 2Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Umschulung dieser Schüler und Schülerinnen mindestens drei Jahre vor dem Ende ihrer allgemeinen Vollzeitschulpflicht erfolgen kann. (6) 1Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet anhand der Unterlagen über den sonderpädagogischen Förderungsbedarf des Kindes. 2Ist dieser festgestellt und stellen die Erziehungsberechtigten – ausgenommen bei neu einzuschulenden Kindern – bis zum 1. Februar einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung, so leitet die Schulaufsichtsbehörde das Verfahren nach der Integrationsverordnung ein. 3Wird in diesem Verfahren dem Antrag der Erziehungsberechtigten auf gemeinsamen Unterricht nicht stattgegeben oder haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Antrag nicht gestellt, so entscheidet die Schulaufsichtsbehörde über die Einschulung oder Umschulung des Kindes in die Förderschule Lernen. 4Die Entscheidung wird den Erziehungsberechtigten sowie gegebenenfalls dem Schul- oder Amtsarzt/der Schul- oder Amtsärztin, dem Schulpsychologen/der Schulpsychologin, der abgebenden Schule und der aufnehmenden Förderschule Lernen mitgeteilt. 5Haben die Erziehungsberechtigten zu erkennen gegeben, dass sie mit der Einschulung oder Umschulung ihres Kindes in die Förderschule Lernen nicht einverstanden sind, so ist die Entscheidung zu begründen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Erziehungsberechtigten zuzustellen.

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 Anhang § 8 Verfahren in sonstigen Fällen

(1) 1Die Einschulung oder Umschulung der übrigen nach § 6 des Schulpflichtgesetzes zum Besuch einer Förderschule verpflichteten Kinder in die betreffende Förderschule wird von der Schulleitung, von dem Schul- oder Amtsarzt/der Schul- oder Amtsärztin, von dem Schul­ psycho­logen/der Schulpsychologin, vom Jugendamt oder von den Erziehungsberechtigten möglichst sechs Monate vor Beginn des Schuljahres bei der zuständigen Förderschule schriftlich beantragt. 2Wird die Umschulung beantragt, nimmt die Leitung der abgebenden Schule hierzu schriftlich Stellung. (2) 1Den Erziehungsberechtigten ist Gelegenheit zu geben, sich zu der beabsichtigten Überprüfung auf sonderpädagogischen Förderungsbedarf sowie zur Einschulung oder Umschulung in die Förderschule zu äußern. 2Bei dieser Anhörung sind sie auch darauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit haben, einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung nach der Integrationsverordnung zu stellen. 3Ihre Stellungnahme ist schriftlich festzuhalten. (3) 1Die Förderschule erstellt, sofern nach den gegebenen Verhältnissen eine Überprüfung möglich ist, für die Schulaufsichtsbehörde ein sonderpädagogisches Gutachten. 2Ist eine Überprüfung nicht möglich oder erscheint sie nicht sinnvoll, leitet die Schule den Antrag mit einer schriftlichen Stellungnahme der Schulaufsichtsbehörde zu. (4) 1Die Schulaufsichtsbehörde kann bei Bedarf ein Gutachten des Schul- oder Amtsarztes/ der Schul- oder Amtsärztin oder des Schulpsychologen/der Schulpsychologin einholen. 2Wünschen die Erziehungsberechtigten ein solches Gutachten, so soll es eingeholt werden. (5) 1Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet anhand der Unterlagen über den sonderpädagogischen Förderungsbedarf des Kindes. 2Ist dieser festgestellt und stellen die Erziehungsberechtigten – ausgenommen bei neu einzuschulenden Kindern – bis zum 1. Februar einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung, so leitet die Schulaufsichtsbehörde das Verfahren nach der Integrationsverordnung ein. 3Wird in diesem Verfahren dem Antrag der Erziehungsberechtigten auf gemeinsame Unterrichtung nicht stattgegeben oder haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Antrag nicht gestellt, so entscheidet die Schulaufsichtsbehörde über die Einschulung oder Umschulung des Kindes in die Förderschule. 4Die Entscheidung wird den Erziehungs­ berechtigten sowie gegebenenfalls dem Schul- oder Amtsarzt/der Schul- oder Amtsärztin, dem Schulpsychologen/der Schulpsychologin, der aufnehmenden Förderschule, der abgebenden Schule und bei gehörlosen, blinden und taubblinden Kindern auch dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe mitgeteilt. 5Haben die Erziehungsberechtigten zu erkennen gegeben, dass sie mit der Einschulung oder Umschulung ihres Kindes in die Förderschule nicht einverstanden sind, so ist die Entscheidung zu begründen, mit Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Erziehungsberechtigten zuzustellen. § 9 Vorläufige Zuweisung, Wegfall des sonderpädagogischen Förderungsbedarfs (1) 1Ist die termingerechte Überprüfung eines Kindes, für das ein sonderpädagogischer Förderungsbedarf in Betracht kommt, nicht möglich, so kann die Schulaufsichtsbehörde dieses Kind vorläufig der Förderschule zuweisen. 2Die endgültige Entscheidung trifft die Schulaufsichtsbehörde nach Abschluss des ordentlichen Überprüfungsverfahrens.

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(2) Über den Wegfall des sonderpädagogischen Förderungsbedarfs und die Umschulung in eine Grundschule oder eine Schule der Sekundarstufe I entscheidet die Schulaufsichtsbehörde auf der Grundlage eines Gutachtens der Förderschule.

2. In der Fassung der Änderungsverordnungen vom 4.8.201414 und 3.8.201515 § 6 (aufgehoben) § 7 Umschulung in die Förderschule Lernen (1) Zur Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung im Bereich des Lernens (Lernbeeinträchtigung) meldet die Gemeinschaftsschule möglichst sechs Monate vor Beginn des neuen Schuljahres der Förderschule Lernen über die Schulaufsichtsbehörde die Kinder, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung im Bereich Lernen zu erwarten ist. (2) Die Leitung der Gemeinschaftsschule hat sich von jedem zu meldenden Kind einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. (3) 1Den Erziehungsberechtigten ist Gelegenheit zu geben, sich zu der beabsichtigten Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung sowie zur Umschulung in die Förderschule Lernen zu äußern. 2Bei dieser Anhörung sind sie auch d­ arauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit haben, einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung nach der Integrationsverordnung zu stellen. 3Ihre Stellungnahme ist schriftlich festzu­halten. (4) 1Eine Förderschule überprüft Art und Umfang der Lernbehinderung in einem von ihr zu wählenden Überprüfungsverfahren, das auch psychologische Testverfahren umfassen kann. 2 Sie leitet das Ergebnis mit sämtlichen Unterlagen unmittelbar der Schulaufsichtsbehörde zu, die bei Bedarf den Schul- oder Amtsarzt/die Schul- oder Amtsärztin oder den Schulpsychologen/die Schulpsychologin hinzuzieht. (5) 1Schüler und Schülerinnen, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung anerkannt wurde, sollen nur dann in die Förderschule Lernen umgeschult werden, wenn begründete Aussicht auf eine Erziehungs- und Unterrichtserfolg besteht. 2 Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Umschulung dieser Schüler und Schülerinnen mindestens drei Jahre vor dem Ende ihrer allgemeinen Vollzeitschulpflicht erfolgen kann. (6) 1Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet anhand der Unterlagen über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung des Kindes. 2Ist dieses anerkannt und stellen die Erziehungsberechtigten bis zum 1. Februar einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung, so leitet die Schulaufsichtsbehörde das Verfahren nach der Integrationsverordnung ein. 3Wird in diesem Verfahren dem Antrag der Erziehungsberechtigten auf gemeinsamen Unterricht nicht stattgegeben oder haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Antrag nicht

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Amtsbl. I S. 343 (351), in Kraft getreten am 4.8.2014. Amtsbl. I S. 540 (598), in Kraft getreten am 3.8.2015.

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gestellt, so entscheidet die Schulaufsichtsbehörde über die Umschulung des Kindes in die Förderschule Lernen. 4Die Entscheidung wird den Erziehungsberechtigten sowie gegebenenfalls dem Schul- oder Amtsarzt/der Schul- oder Amtsärztin, dem Schulpsychologen/der Schul­ psychologin, der abgebenden Schule und der aufnehmenden Förderschule Lernen mitgeteilt. 5 Haben die Erziehungsberechtigten zu erkennen gegeben, dass sie mit der Umschulung ihres Kindes in die Förderschule Lernen nicht einverstanden sind, so ist die Entscheidung zu begründen, mit Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Erziehungsberechtigten zuzustellen. § 8 Verfahren in sonstigen Fällen (1) 1An allgemein bildenden weiterführenden Schulen wird die Umschulung der übrigen nach § 6 des Schulpflichtgesetzes zum Besuch einer Förderschule verpflichteten Kinder in die betreffende Förderschule von der Schulleitung, von dem Schul- oder Amtsarzt/der Schul- oder Amtsärztin, von dem Schulpsychologen/der Schulpsychologin, vom Jugendamt oder von den Erziehungsberechtigten möglichst sechs Monate vor Beginn des Schuljahres bei der zuständigen Förderschule schriftlich beantragt. 2Wird die Umschulung beantragt, nimmt die Leitung der abgebenden Schule hierzu schriftlich Stellung. (2) 1Den Erziehungsberechtigten ist Gelegenheit zu geben, sich zu der beabsichtigten Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung sowie zur Umschulung in die Förderschule zu äußern. 2Bei dieser Anhörung sind sie auch darauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit haben, einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung nach der Integrationsverordnung zu stellen. 3Ihre Stellungnahme ist schriftlich festzuhalten. (3) 1Die Förderschule erstellt, sofern nach den gegebenen Verhältnissen eine Überprüfung möglich ist, für die Schulaufsichtsbehörde ein sonderpädagogisches Gutachten. 2Ist eine Überprüfung nicht möglich oder erscheint sie nicht sinnvoll, leitet die Schule den Antrag mit einer schriftlichen Stellungnahme der Schulaufsichtsbehörde zu. (4) 1Die Schulaufsichtsbehörde kann bei Bedarf ein Gutachten des Schul- oder Amtsarztes/ der Schul- oder Amtsärztin oder des Schulpsychologen/der Schulpsychologin einholen. 2Wünschen die Erziehungsberechtigten ein solches Gutachten, so soll es eingeholt werden. (5) 1Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet anhand der Unterlagen über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung des Kindes. 2Ist dieses anerkannt und stellen die Erziehungsberechtigten bis zum 1. Februar einen Antrag auf gemeinsame Unterrichtung, so leitet die Schulaufsichtsbehörde das Verfahren nach der Integrationsverordnung ein. 3Wird in diesem Verfahren dem Antrag der Erziehungsberechtigten auf gemeinsame Unterrichtung nicht stattgegeben oder haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Antrag nicht gestellt, so entscheidet die Schulaufsichtsbehörde über die Umschulung des Kindes in die Förderschule. 4Die Entscheidung wir den Erziehungsberechtigten sowie gegebenenfalls dem Schul- oder Amtsarzt/der Schul- oder Amtsärztin, dem Schulpsychologen/der Schulpsychologin, der aufnehmenden Förderschule, der abgebenden Schule und bei gehörlosen, blinden sowie taubblinden Kindern auch dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe mitgeteilt. 5Haben die Erziehungsberechtigten zu erkennen gegeben, dass sie mit der Umschulung ihres Kindes in die Förderschule nicht einverstanden sind, so ist die Entscheidung zu begründen, mit Rechts­ behelfsbelehrung zu versehen und den Erziehungsberechtigten zuzustellen.

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§ 9 Vorläufige Zuweisung, Wegfall des sonderpädagogischen Förderungsbedarfs (1) 1Ist im Bereich der weiterführenden allgemein bildenden Schulen die zeitnahe Überprüfung eines Schülers/einer Schülerin, für die oder den das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung in Betracht kommt, nicht möglich, so kann die Schulaufsichtsbehörde diesen Schüler/diese Schülerin vorläufig der Förderschule zuweisen. 2Die endgültige Entscheidung trifft die Schulaufsichtsbehörde nach Abschluss des ordentlichen Überprüfungsverfahrens. (2) Über den Wegfall der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung und die Umschulung in eine Schule der Sekundarstufe I entscheidet die Schulaufsichtsbehörde auf der Grundlage eines Gutachtens der Förderschule. § 11 Inkrafttreten, Außerkrafttreten, Übergangsregelung (1) … (2) … (3) 1§§ 7 bis 9 dieser Verordnung finden ab dem Schuljahr 2015/2016 für die dann bestehenden Klassenstufen 1 bis 4 keine Anwendung. 2Auf die Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen findet diese Verordnung entsprechend Artikel 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Vorschriften 2011 vom 15. Juni 2011 (Amtsbl. I S. 236) bis zu deren Auslaufen zum Ende des Schuljahres 2016/2017 in ihrer jeweils geltenden Fassung weiter Anwendung.

V. Verordnung – Schulordnung – über die gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform (Integrations-Verordnung) vom 4.8.1987,16 zul.geänd.d. VO vom 3.8.201517 Erster Abschnitt Möglichkeiten, Formen und Voraussetzungen integrativer Unterrichtung § 1 Möglichkeiten integrativer Unterrichtung (1) Schüler/Schülerinnen, bei denen nach den Vorschriften der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) vom 30.  Oktober 1978 (Amtsbl. S. 1013) in ihrer jeweils geltenden Fassung auf Grund ihrer Behinderung ein sonderpädagogischer Förderungsbedarf festgestellt worden ist, können nach Maßgabe der nachste-

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Amtsbl. S. 972, in Kraft getreten am 28.8.1987. Amtsbl. I S. 540 [598), in Kraft getreten am 3.8.2015. Die Verordnung findet gem. ihrem § 11 ab dem Schuljahr 2015/2016 für die bestehenden Klassenstufen 1 bis 4 keine Anwendung; für diese Klassenstufen gilt die am 3.8.2015 erlassene und am gleichen Tag in Kraft getretene Inklusionsverordnung, nachfolgend im Anhang abgedruckt sub Abschn. A. VI. Die IntegrationsVerordnung gilt vorerst weiter für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen (Gemein 17

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henden Vorschriften auf Antrag ihrer Erziehungsberechtigten in einer Schule der Regelform unterrichtet werden (integrative Unterrichtung), wenn gewährleistet ist, dass sie in der Schule der Regelform die erforderliche sonderpädagogische Förderung erhalten. (2) Die Möglichkeit der integrativen Unterrichtung bezieht sich grundsätzlich auf Schüler/ Schülerinnen aller Behinderungsarten sowie aller weiterführenden allgemein bildenden und beruflichen Schulformen, Schultypen und Schulstufen. (3) 1Im Falle integrativer Unterrichtung im Bereich der Pflichtschulen ist diese grundsätzlich an der für den betreffenden Schüler/die betreffende Schülerin zuständigen Pflichtschule, im Falle integrativer Unterrichtung im Bereich der Wahlschulen ist sie grundsätzlich an der Schule der Wahl des Schülers/der Schülerin zu verwirklichen. 2Die Vorschriften über die Übernahme der infolge der Behinderung eines Schülers/einer Schülerin, der/die eine Schule der Regelform besucht, entstehenden Kosten der notwendigen Beförderung durch den Schulträger bleiben unberührt. § 2 Formen integrativer Unterrichtung (1) 1Integrative Unterrichtung kann in unterschiedlichen, nach dem Grad der Integration abgestuften Formen organisiert werden. 2Es kommen insbesondere folgende Organisationsformen in Betracht: 1. Regelklasse mit Beratung 1

Der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin nimmt am Unterricht einer Klasse der jeweiligen Schule der Regelform teil. 2Die Klassenlehrkraft und gegebenenfalls die Fachlehrkräfte haben Gelegenheit, sich regelmäßig – mindestens einmal in der Woche – mit einer Lehrkraft an Schulen für Behinderte zu beraten. 2. Regelklasse mit Ambulanzlehrkraft 1

Der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin nimmt am Unterricht einer Klasse der jeweiligen Schule der Regelform teil. 2Eine weitere Lehrkraft fördert den Schüler/die Schülerin wöchentlich in einem der Art und Schwere der Behinderung angemessenen Umfang, indem sie ihn/sie im Klassenunterricht unterstützt, in Förderstunden gesondert unterrichtet oder in behinderungsspezifische Techniken einübt.

3. Schule der Regelform mit sonderpädagogischen Förderungseinrichtungen 1

Der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin nimmt überwiegend am Unterricht einer Klasse der jeweiligen Schule der Regelform teil, in der besondere Förderungseinrichtungen für die betreffende Behinderungsart zur Verfügung stehen. 2In dieser behin-

schaftsschulen, Gymnasien) und die beruflichen Schulen. Für diese Schulen wird eine eigenständige Verordnungsregelung ergehen; das geschieht im Hinblick darauf, dass die Anwendbarkeit der Regelungen zur Implementierung der inklusiven Schule gem. § 63a SchoG 2014 zeitlich gestaffelt ist, nämlich für die Grundschulen ab dem Schuljahr 2014/2015, für die allgemein bildenden weiterführenden Schulen ab dem Schuljahr 2016/2017 und für die beruflichen Schulen ab dem Schuljahr 2018/2019. Gem. Art.  4 Abs.  2 des Gesetzes zur Änderung schulrechtlicher Gesetze 2011 vom 15.7.2011 (Amtsbl. I S. 236) gilt die Integrations-Verordnung auch für die zum Ende des Schuljahres 2016/17 auslaufenden Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen.

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derungsspezifisch ausgestatteten Förderungseinrichtung wird der Schüler/die Schülerin einzeln oder in Kleingruppen wöchentlich in einem der Art und Schwere der Behinderung angemessenen Umfang von Lehrkräften an einer Schule für Behinderte unterrichtet. 4. Regelklasse mit Zwei-Pädagogen-System Wenn mehrere behinderte Schüler/Schülerinnen – wobei es sich auch um Schüler/Schülerinnen mit verschiedenen oder mehreren Behinderungen handeln kann  – in einer Schule der Regelform am Unterricht einer Klasse teilnehmen und Art und Schwere ihrer Behinderung dies erfordern, unterrichtet neben der für die Unterrichtung der Klasse vorgesehenen Lehrkraft gleichzeitig eine weitere Lehrkraft mit mindestens dreizehn Wochenstunden in dieser Klasse. 5. Kooperierende Sonderklasse in einer Schule der Regelform 1

Behinderte Schüler/Schülerinnen werden innerhalb einer Schule der Regelform in einer Sonderklasse unterrichtet, in der der Unterricht von einer Lehrkraft an einer Schule für Behinderte erteilt wird. 2Die Sonderklasse arbeitet sowohl hinsichtlich des Unterrichtes als auch im Hinblick auf den außerunterrichtlichen Schulbereich mit den übrigen Klassen der betreffenden Schule der Regelform zusammen. 3Die Schüler/Schülerinnen der Sonderklasse nehmen in einzelnen Fächern an einem integrativen Unterricht teil. 6. Kooperation einer Schule für Behinderte mit einer Schule der Regelform 1

Behinderte Schüler/Schülerinnen besuchen eine Schule für Behinderte, die mit einer benachbarten Schule der Regelform eng zusammenarbeitet. 2Neben gemeinsamen Schulveranstaltungen im außerunterrichtlichen Bereich für alle Schüler/Schülerinnen und der pädagogischen Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Klassen können einzelne behinderte Schüler/Schülerinnen in bestimmten Fächern auch am Unterricht der Schüler/ Schülerinnen der Schule der Regelform teilnehmen. (2) Bei der Entscheidung über die integrative Unterrichtung eines Schülers/einer Schülerin ist die Organisationsform zu wählen, die auf der Grundlage der an der betreffenden Schule der Regelform jeweils vorhandenen baulichen, räumlichen, personellen und organisatorischen Gegebenheiten den individuellen Bedürfnissen des betreffenden Schülers/der betreffenden Schülerin, die sich aus der Art und Schwere seiner/ihrer Behinderung sowie aus dem Umfeld seines/ ihres schulischen Lernens ergeben, am besten gerecht wird. § 3 Anzuwendender Lehrplan bei integrativer Unterrichtung 1 Soweit gemäß § 2 integrative Unterrichtung erfolgt, wird der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin je nach seiner/ihrer Leistungsfähigkeit entweder nach dem für die nicht behinderten Schüler/Schülerinnen geltenden Lehrplan (integrative Unterrichtung mit gleicher Zielvorgabe) oder nach dem Lehrplan des Typs der Förderschule, der seiner/ihrer Behinderung entspricht (integrative Unterrichtung mit unterschiedlicher Zielvorgabe), unterrichtet. 2Bei integrativer Unterrichtung mit unterschiedlicher Zielvorgabe ist von den den behinderten Schüler/die behinderte Schülerin in der Klasse der Schule der Regelform unterrichtenden Lehrkräften ein individueller Förderplan zu erstellen, in dem insbesondere festzulegen ist, wie unter den Bedingungen integrativer Unterrichtung die der Behinderung des betreffenden Schülers/der betreffenden Schülerin entsprechende sonderpädagogische Förderung und eine Teilnahme am gemeinsamen Unterricht verwirklicht wird.

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 Anhang § 4 Bauliche, räumliche, sächliche und personelle Voraussetzungen integrativer Unterrichtung

(1) 1Integrative Unterrichtung setzt voraus, dass an der betreffenden Schule der Regelform die sächliche Ausstattung einschließlich der für den behinderten Schüler/die behinderte Schülerin erforderlichen Lehr- und Hilfsmittel sowie die baulichen und räumlichen Bedingungen dafür gegeben sind, dass der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin in der betreffenden Schule der Regelform die seiner/ihrer Behinderung entsprechende sonderpädagogische Förderung erhalten kann. 2Integrative Unterrichtung darf nur angeordnet werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde die genannten Voraussetzungen bereits gegeben sind oder wenn zu diesem Zeitpunkt der Schulaufsichtsbehörde eine schriftliche Zusage des Schulträgers vorliegt, dass spätestens bei Beginn der integrativen Unterrichtung alle von der Schulaufsichtsbehörde als notwendig bezeichneten vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind. (2) 1Ist auf Grund der Behinderung des Schülers/der Schülerin während der Unterrichtszeit auch eine Betreuung und Förderung durch sozialpädagogische, therapeutische oder pflegerische Kräfte erforderlich, so darf die integrative Unterrichtung nur angeordnet werden, wenn die entsprechenden Kräfte in dem erforderlichen Umfang bei Beginn der integrativen Unterrichtung zur Verfügung stehen. 2Die Mitwirkung von Erziehungsberechtigten als Ersatz für die genannten Kräfte ist nicht zulässig. § 5 Leistungsbeurteilung, Versetzung, Zeugnisse (1) 1Für Schüler/Schülerinnen, die zielgleich unterrichtet werden, richten sich die Aufnahmevoraussetzungen für die betreffende Schulform, die Leistungsanforderungen, die Beurteilung der schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen, die Festsetzung der Zeugnis­ noten, die Entscheidung über die Versetzung, das Bestehen einer Prüfung und den Erwerb eines Bildungsabschlusses sowie die Ausstellung des Zeugnisses nach den allgemeinen Vorschriften. 2Dem behinderten Schüler/der behinderten Schülerin können jedoch, ohne dass die fach­lichen Anforderungen geringer bemessen werden als bei nicht behinderten Schülern/Schülerinnen, seiner/ihrer Behinderung Rechnung tragende äußere Erleichterungen und Hilfen gewährt werden (z. B. längere Bearbeitungszeit bei Klassen- und Prüfungsarbeiten, Schreib- und Lesehilfen, Bereitstellung eines gesonderten Prüfungsraumes, Gewährung zusätzlicher Pausen). (2) 1Für Schüler/Schülerinnen, die zieldifferent unterrichtet werden, richten sich die Leistungs­ anforderungen, die Beurteilung der schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen, die Festsetzung der Zeugnisnoten, die Entscheidung über die Versetzung und den Erwerb eines Bildungsabschlusses sowie die Ausstellung der Zeugnisse nach den Vorschriften, die für den der Behinderung des Schülers/der Schülerin entsprechenden Typ der Förderschule gelten; Schüler/Schülerinnen, die auf der Grundlage des Lehrplans der Förderschule Lernen beziehungsweise der Förderschule Geistige Entwicklung unterrichtet werden, verbleiben auch im Falle ihrer Nichtversetzung grundsätzlich in ihrem bisherigen Klassenverband, ihr Jahreszeugnis enthält den Vermerk „Der Schüler/Die Schülerin kann am integrativen Unterricht in der Klassenstufe … teilnehmen.“ 2In den Zeugnissen ist unter „Bemerkungen“ auszuweisen, nach welchem Lehrplan der Unterricht erteilt wurde; dieser Hinweis hat folgenden Wortlaut: „Der

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Unterricht wurde nach einem individuellen Förderplan auf der Grundlage des Lehrplans der Förderschule Lernen beziehungsweise der Förderschule Geistige Entwicklung erteilt.“ 3Hat der Schüler/Die Schülerin in einzelnen Fächern Leistungen erbracht, die den Anforderungen der Schule der Regelform entsprechen, so ist dies ebenfalls unter „Bemerkungen“ auszuweisen. 4Hierfür ist bei mindestens befriedigenden Leistungen der Hinweis „die Schülerin/Der Schüler hat im Fach/in den Fächern … Leistungen erbracht, die den Anforderungen der … (Schule der Regelform) voll entsprechen.“, bei ausreichenden Leistungen der Hinweis „Die Schülerin/Der Schüler hat im Fach/in den Fächern … Leistungen erbracht, die den Anforderungen der … (Schule der Regelform) noch entsprechen.“ aufzunehmen. 5Abweichend von Satz 1 Halbsatz 1 enthält das Zeugnis keine Angaben über Verhalten und Mitarbeit, wenn die für die betreffende Schule der Regelform geltende Schulordnung keine Noten für Verhalten und Mitarbeit vorsieht. Zweiter Abschnitt Zuständigkeit und Verfahren zur Anordnung integrativer Unterrichtung § 6 Zuständigkeit, Antragserfordernis 1

Die Entscheidung, ob, in welcher Form und unter welchen Bedingungen ein behinderter Schüler/eine behinderte Schülerin integrativ unterrichtet wird, trifft die Schulaufsichtsbehörde auf Antrag der Erziehungsberechtigten des behinderten Schülers/der behinderten Schülerin. 2Der Antrag der Erziehungsberechtigten bedarf der Schriftform und ist der Schulaufsichtsbehörde bis spätestens 1. Februar zuzuleiten; später eingehende Anträge für das folgende Schuljahr werden nicht mehr berücksichtigt. § 7 Feststellung der sonderpädagogischen Förderungsbedürftigkeit Die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde über den Antrag der Erziehungsberechtigten auf integrative Unterrichtung setzt voraus, dass das in der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) vom 30. Oktober 1978 (Amtsbl. S. 1013) in ihrer jeweils geltenden Fassung geregelte Verfahren zur Feststellung der sonderpädagogischen Förderungsbedürftigkeit des betreffenden Schülers/der betreffenden Schülerin durchgeführt wurde und ergeben hat, dass der behinderte Schüler/die behinderte Schülerin an einer Schule der Regelform deren Bildungsziel ohne Verwirklichung zusätzlicher, seinem/ihrem sonderpädagogischen Förderungsbedarf entsprechender räumlicher, sächlicher und personeller Voraussetzungen und Hilfen nicht erreichen kann. § 8 Förderausschuss

(1) 1Ist das in § 7 genannte Verfahren abgeschlossen und haben die Erziehungsberechtigten bei der Schulaufsichtsbehörde die integrative Unterrichtung ihres Kindes beantragt, so bildet diese einen Förderausschuss, dem als Mitglieder angehören: 1. der Schulleiter/die Schulleiterin der Schule der Regelform, an der die integrative Unterrichtung des behinderten Schülers/der behinderten Schülerin durchgeführt werden soll, als Vorsitzender/Vorsitzende;

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2. eine Lehrkraft der Schule der Regelform, an der die integrative Unterrichtung des Schülers/der Schülerin durchgeführt werden soll, wobei dies nach Möglichkeit die zukünftige Klassenlehrkraft des behinderten Schülers/der behinderten Schülerin sein soll; 3. eine Lehrkraft einer Schule des der Behinderung des Schülers/der Schülerin entsprechenden Typs der Schulen für Behinderte oder einer anderen Schule für Behinderte mit der der Behinderung des Schülers/der Schülerin entsprechenden Qualifikation, wobei es sich nach Möglichkeit um die Lehrkraft handeln soll, die an dem in § 7 genannten Verfahren beteiligt war; 4. die Erziehungsberechtigten des betreffenden Schülers/der betreffenden Schülerin. 2

Jeder Erziehungsberechtigte hat eine Stimme; ein alleinerziehender Erziehungsberechtigter hat zwei Stimmen. 3Der Förderausschuss fasst seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. 4 Stimmenthaltung ist nicht zulässig. (2) 1Der Förderausschuss erstellt eine Kind-Umfeld-Diagnose. 2Mit ihr sollen über die kindbezogene Diagnose im Rahmen des in § 7 genannten Verfahrens hinaus im Umfeld schulischen Lernens des Kindes die Möglichkeiten seiner integrationswirksamen Veränderung erkundet werden. 3Auf der Grundlage dieser Diagnose ist von dem Förderausschuss im Einzelnen aufzuzeigen, ob, in welcher Form und unter welchen baulichen, räumlichen, sächlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen eine der Behinderung des betreffenden Schülers/ der betreffenden Schülerin gerecht werdende sonderpädagogische Förderung im Rahmen integrativer Unterrichtung verwirklicht werden kann. 4

Der/Die Vorsitzende des Förderausschusses beauftragt die in Absatz 1 Nrn. 2 und 3 genannten Lehrkräfte mit der Erstellung dieser Kind-Umfeld-Diagnose. 5Er/Sie selbst und die Erziehungsberechtigten können bei ihrer Ausarbeitung mitwirken. (3) Dem Förderausschuss sind von der Schulaufsichtsbehörde alle Unterlagen des in § 7 genannten Verfahrens zugänglich zu machen. (4) Der Förderausschuss kann eine schriftliche Stellungnahme des schulärztlichen und/oder des schulpsychologischen Dienstes zu dem Antrag auf integrative Unterrichtung einholen oder einen Vertreter/eine Vertreterin des schulärztlichen und/oder schulpsychologischen Dienstes zu seinen Sitzungen einladen.

(5) 1Der Förderausschuss beschließt sodann eine Empfehlung an die Schulaufsichtsbehörde, ob und gegebenenfalls unter welchen baulichen, räumlichen, sächlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen dem Antrag auf integrative Unterrichtung stattgegeben werden soll oder ob ihm nicht stattgegeben werden soll. 2Er leitet diese Empfehlung der Schulaufsichtsbehörde mit einer schriftlichen Begründung unter Beifügung aller im Rahmen seiner Befassung mit dem Integrationsantrag entstandenen Unterlagen zu. § 9 Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde (1) 1Die Schulaufsichtsbehörde trifft ihre Entscheidung über den Antrag auf integrative Unterrichtung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, die nach dieser Verordnung für eine integrative Unterrichtung relevant sind; hierbei hat sie u. a. zu berücksichtigen, dass die integrative Unterrichtung von Lern- und Geistigbehinderten nur als zieldifferente Unterrichtung zulässig ist. 2Die Schulaufsichtsbehörde ist bei ihrer Entscheidung an die Empfehlung des För-

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derausschusses nicht gebunden. 3Beabsichtigt sie, dem Antrag stattzugeben, so kann sie vorher die Stellungnahme eines Schularztes/einer Schulärztin und/oder des schulpsychologischen ­Dienstes einholen, soweit diese nicht bereits gegenüber dem Förderausschuss eine schriftliche Stellungnahme abgegeben haben. (2) Gibt die Schulaufsichtsbehörde dem Antrag der Erziehungsberechtigten auf integrative Unterrichtung nicht statt, so ergeht hierüber ein schriftlicher Bescheid mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung; der Förderausschuss erhält eine Abschrift des Bescheides. (3) Wird dem Antrag der Erziehungsberechtigten auf integrative Unterrichtung stattgegeben, so ergeht die Entscheidung schriftlich und unter dem Vorbehalt künftiger Änderungen gemäß Absatz 4; der Förderausschuss erhält eine Abschrift dieses Bescheides. (4) 1Die Schulaufsichtsbehörde hat längstens im Abstand von zwei Jahren zu prüfen, ob es bei der von ihr angeordneten integrativen Unterrichtung bleibt, ob die integrative Unterrichtung in anderer Form oder unter anderen Voraussetzungen fortzusetzen oder ob die integrative Unterrichtung zu beenden ist; das gilt insbesondere beim Übergang in eine andere Schulform, einen anderen Schultyp oder eine andere Schulstufe. 2Beabsichtigt die Schulaufsichtsbehörde, die integrative Unterrichtung zu beenden oder in anderer Form oder unter anderen Voraussetzungen fortzusetzen, so hat sie hierzu den Förderausschuss anzuhören. 3Im Übrigen hat jedes Mitglied des Förderausschusses das Recht, jederzeit eine entsprechende Befassung des Förderausschusses zu verlangen. Dritter Abschnitt Inkrafttreten, Anwendungsbereich § 10 Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Verkündung in Kraft. § 11 Anwendungsbereich Diese Verordnung findet ab dem Schuljahr 2015/2016 für die dann bestehenden Klassen­stufen 1 bis 4 keine Anwendung.

VI. Verordnung zur inklusiven Unterrichtung und besonderen pädagogischen Förderung (Inklusionsverordnung) vom 3.8.201518 Abschnitt 1 Ziele § 1 Individualisierte schulische Bildung und Erziehung – Gemeinsames Lernen (1) Das gemeinsame Leben und Lernen und die individualisierte Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler ist grundlegendes Prinzip der gesamten schulischen Arbeit und Ziel eines inklusiven Schulsystems. 18 Amtsbl. I S. 540, ber. Amtsbl. 2016 I, S. 217, in Kraft getreten am 3.8.2015. Gem. § 22 InklVO findet die Verordnung mit Inkrafttreten auf die Klassenstufen 1 bis 4 der Grundschule

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(2) 1Inklusive Bildung bedeutet 1. die grundlegende Ausrichtung der Schule auf die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler und deren individuelle Förderung, 2. für alle Schülerinnen und Schüler  – unabhängig von ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten, Beeinträchtigungen oder Behinderungen sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft, ihren religiösen und politischen Anschauungen und ihrer sexuellen Identität  – einen grundsätzlich gleichberechtigten und ungehinderten Zugang zu den schulischen Bildungsangeboten und die entsprechende Möglichkeit der Teilhabe am Unterricht und am Schulleben und 3. daher, dass in einem fortwährenden Prozess die Voraussetzungen geschaffen werden, durch die Schülerinnen und Schüler in der schulischen Gemeinschaft mit Anderen in gegenseitigem Respekt zusammenleben, gemeinsam lernen und zusammenarbeiten ­können. 2

Inklusive Bildung bereitet daher auf die gleichberechtigte Teilhabe Aller in Gesellschaft und Beruf vor. (3) Die Schule soll daher unter Ausschöpfung aller innerschulischen Ressourcen und Maßnahmen die Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage so fördern, dass ein hohes Maß an aktiver Teilhabe am gemeinsamen Lernen verwirklicht wird. (4) Alle Schülerinnen und Schüler erhalten unabhängig vom Lernort individuelle Förderung und pädagogische Unterstützung, für die bei Bedarf auch sonderpädagogische Expertise eingeholt werden kann.

(5) 1Diese Verordnung bildet nicht das gesamte pädagogische Handlungsspektrum der an der Förderung der Schülerinnen und Schüler Beteiligten ab, sondern gibt im notwendigen Maße den verfahrensrechtlichen Rahmen vor, in dem der individuellen Ausgangslage der Schülerin oder des Schülers Rechnung getragen werden soll. 2Hierbei ist zwischen der besonderen päda­ gogischen Förderung (Abschnitt 2) und der sonderpädagogischen Unterstützung (Abschnitt 4) zu unterscheiden; die sonderpädagogische Unterstützung ist Teil  der besonderen pädagogischen Förderung. 3Die besondere pädagogische Förderung ist auch ohne die Verfahrensvoraussetzungen des § 19 auf der Grundlage der Förderplanung möglich.

und – soweit in der Verordnung vorgesehen – auf die entsprechenden Klassenstufen der Förderschule Anwendung. Für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen (Gemeinschaftsschulen, Gymnasien) und die beruflichen Schulen wird eine eigenständige Verordnungsregelung ergehen. Das geschieht im Hinblick darauf, dass die Anwendbarkeit der Regelungen zur Implementierung der inklusiven Schule gem. § 63a SchoG 2014 zeitlich gestaffelt ist, nämlich für die Grundschulen ab dem Schuljahr 2014/2015, für die weiterführenden allgemein bildenden Schulen (Gemeinschaftsschulen, Gymnasien) ab dem Schuljahr 2016/2017 und für die beruflichen Schulen ab dem Schuljahr 2018/2019.

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Abschnitt 2 Besondere pädagogische Förderung an Regel- und Förderschulen Unterabschnitt 1 Besondere pädagogische Förderung an Regelschulen § 2 Besondere pädagogische Förderung (1) 1Die Regelschule ist ein Lernort, an dem Schülerinnen und Schüler die individuell bestmögliche Unterstützung erhalten sollen. 2Schülerinnen und Schüler können vor dem Hintergrund der schulischen Anforderungen des jeweiligen Bildungsganges neben den Leistungen außerschulischer Leistungserbringer aufgrund ihrer individuellen Voraussetzungen in den Bereichen der kognitiven, körperlichen, sensorischen, motorischen, emotionalen, sozialen und sprachlichen Entwicklung besondere pädagogische Förderung benötigen, dies gilt auch für chronisch kranke Kinder. 3Von der besonderen pädagogischen Förderung sind auch Schülerinnen und Schüler, bei denen Teilleistungsstörungen im Bereich des Lesens, des Rechtschreibens oder des Rechnens vorliegen, Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes, ihrer sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen benachteiligt sind, sowie Schülerinnen und Schüler, bei denen eine besondere Begabung vorliegt, umfasst. 4Maßnahmen nach § 3 Absatz 3 des Schulpflichtgesetzes und § 4b des Schulordnungsgesetzes sowie auf dieser Grundlage ergangene Regelungen in der Verordnung zum Unterricht für ausländische Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sowie Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund vom 24. November 2009 (Amtsbl. I S. 1818), geändert durch die Verordnung vom 3. August 2015 (Amtsbl. I S. 540), in der jeweils geltenden Fassung bleiben hiervon unberührt. (2) 1Zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems findet in allen Regelschulen eine Kooperation zwischen Regel- und Förderschullehrkräften der Schule statt. 2Die Zusammenarbeit zwischen Förder- und Regelschullehrkräften kann unterschiedlich ausgestaltet werden (zum Beispiel gemeinsamer Unterricht, Beratung, gemeinsame Förderplanung und Förderdiagnostik). 3Hierbei gelten weiterhin die im Rundschreiben „Zusammenarbeit zwischen Förderschullehrkraft, Grundschule und dem Förderzentrum“ vom 15. Juli 2014 in der jeweils gelten Fassung dargestellten Grundsätze. (3) 1In Kooperation von Regel- und Förderschullehrkräften werden auf Grundlage eines individuellen Förderplans (§ 4), der sich auf die Ergebnisse einer Förderdiagnostik in den jeweiligen Entwicklungsbereichen sowie auf die Kind-Umfeld-Bedingungen stützt, den individuellen Bedürfnissen entsprechende Lernbedingungen gestaltet. 2Der Förderplan (§ 4) bildet die Grundlage für eine möglicherweise notwendige Anpassung des Anforderungsniveaus (§ 8). (4) Maßnahmen zur besonderen pädagogischen Förderung einer Schülerin oder eines Schülers werden durch die Schule im Rahmen der innerschulischen Förderplanung oder auf der Grundlage der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung (§ 19) eingeleitet. (5) 1Insbesondere folgende Faktoren können, unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten, vor der Einschulung und während der Schulzeit Hinweise auf die Notwendigkeit besonderer pädagogischer Förderung darstellen: 1. Beobachtungen und Stellungnahmen im Rahmen des Einschulungsverfahrens an der Schule, 2. die Dokumentation der Kindertageseinrichtung,

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3. Erfahrungen im Rahmen des Kooperationsjahres Kindergarten  – Grundschule (Erlass zur Einrichtung des Schulversuchs „Kooperationsjahr Kindergarten  – Grundschule“ vom 30. Juli 2010 (Amtsbl. II S. 550), zuletzt geändert durch den Erlass vom 24. Juli 2015 (Amtsbl. II S. 771), 4. Mitteilungen von Förderkräften der Frühförderung oder der Arbeitsstellen für Integrationspädagogik/Integrationshilfen (AFI), von pädagogischen Fachkräften zum Beispiel im Rahmen der Gebundenen oder Freiwilligen Ganztagsschule oder von Erziehungs­ berechtigten, 5. medizinisch-therapeutische Unterlagen der Vorschulzeit und der Schulzeit, 6. Gutachten der Schulärztlichen oder Schulpsychologischen Dienste, 7. nicht ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, 8. die Feststellung einer Schwerbehinderung im Sinne des § 2 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder 9. eine Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung. 2

§ 4 Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. § 3 Diagnostik

(1) 1Diagnostik im Sinne einer Förderdiagnostik ist stets prozess- und kompetenzorientiert. 2 Sie bildet die Grundlage der individuellen Bildung und Erziehung aller Schülerinnen und Schüler und gewährleistet eine kontinuierliche Begleitung des individuellen schulischen Weges. 3Förderdiagnostik stellt die zentrale Basis für eine multiprofessionell abgesicherte Förderplanung dar und umfasst eine differenzierte Eingangsdiagnostik einschließlich der gesundheitlichen Aspekte, die Kind-Umfeld-Analyse, die Lernprozessanalyse, das Erkennen veränderbarer Bedingungen in den Lernsituationen sowie motivierende Unterstützungsmaßnahmen. 4Auf ihr aufbauend planen die Lehrkräfte differenzierte, an den Kompetenzen orientierte Bildungs- und Unterstützungsangebote. (2) Die Ergebnisse einer anlassbezogenen sonderpädagogischen Diagnostik können in einem sonderpädagogischen Fördergutachten festgehalten werden (§ 19 Absatz 2 Satz 2). § 4 Förderplanung (1)1Ergeben sich bei einer Schülerin oder einem Schüler im Zusammenhang mit der Einschulung Anzeichen für die Notwendigkeit einer besonderen pädagogischen Förderung, so leitet die Schulleiterin oder der Schulleiter möglichst frühzeitig die Förderplanung ein. 2Ergeben sich solche Anzeichen im Laufe der Schulzeit, leitet die jeweilige Klassenlehrkraft oder der jeweilige Tutor die Förderplanung möglichst frühzeitig ein. 3Verantwortlich für die Förder­planung ist die Klassenlehrkraft oder eine von der Schulleitung benannte Lehrkraft. 4Alle an der schulischen Förderung Beteiligten beziehungsweise zu Beteiligenden beraten über die notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Schülerin oder des Schülers und vereinbaren einen entsprechenden individuellen Förderplan.

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(2) 1Der Förderplan beinhaltet 1. die Beschreibung der individuell bedeutsamen schulischen Rahmenbedingungen, 2. die kompetenzorientierte Beschreibung der bisherigen Lern- und Leistungsentwicklung und die Zielvereinbarungen, 3. konkrete Maßnahmen, Materialien und Hilfsmittel sowie Lernmethoden sowie Bedarf an pflegerisch-therapeutischen Maßnahmen zur Umsetzung der vereinbarten Ziele, 4. einen Zeitplan zur Überprüfung der Wirksamkeit und zur Fortschreibung, 5. die Namen der an der Umsetzung des Förderplans Beteiligten, 6. das Datum, zu dem der Förderplan erstellt wurde, sowie Unterschriften der an der Erstellung beteiligten Lehrkräfte. 2

Gegebenenfalls sind in den Förderplan aufzunehmen: 1. Entscheidungen über einen gewährten Nachteilsausgleich, 2. von der Klassenkonferenz (§ 6) festgelegte oder festzulegende individuelle Anpassungen des Anforderungsniveaus, 3. die Nennung des Förderschwerpunkts, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung anerkannt wurde, 4. alle Empfehlungen und Regelungen, die sich auf Leistungen außerschulischer Leistungserbringer beziehen sowie besondere Regelungen zum Schultransport, dem Besuch der Ganztagsbetreuung und Abweichungen von den in der Lerngruppe eingeführten Unterrichtsmaterialien.

(3) 1Beim Wechsel zwischen schulischen Bildungseinrichtungen ist eine Vertreterin oder ein Vertreter der abgebenden Bildungseinrichtung in die erstmalige Förderplanung einzubinden; bei der Einschulung soll die Schule auf die Einbindung einer Vertreterin oder eines Vertreters der abgebenden Bildungseinrichtung hinwirken. 2Die zur Erstellung des Förderplans erforderlichen Daten und Unterlagen werden unter Beachtung der jeweiligen datenschutzrechtlichen Bestimmungen, insbesondere der Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten in den Schulen vom 17. September 2008 (Amtsbl. S. 1596), geändert durch die Verordnung vom 4. August 2014 (Amtsbl. I S. 343; 2015 I S. 447), in der jeweils geltenden Fassung herangezogen. (4) 1In die Vorbereitung des Förderplans werden die Erziehungsberechtigten eingebunden. 2Die Schule hat die Möglichkeit, jederzeit eine Unterstützungsanfrage an eine Förderschule oder ein Förderzentrum zu stellen (§ 5 Absatz 1). 3Zudem kann auf außerschulische fachliche Beratung zurückgegriffen werden. (5) 1Der Förderplan wird regelmäßig mit den Erziehungsberechtigten besprochen. 2Bei den Zielvereinbarungen und der Planung konkreter Maßnahmen sollen Schülerinnen und Schüler in altersangemessener Form einbezogen werden. 3Alle Mitglieder der Klassenkonferenz (§ 6) werden zeitnah über den aktuellen Förderplan informiert. 4Der Förderplan wird – auch beim Wechsel des schulischen Förderortes – kontinuierlich weiterentwickelt und fortgeschrieben. (6) Werden im Förderplan Maßnahmen benannt, die Einfluss auf Form und Dauer des Schulbesuchs haben, so muss die Schulleiterin oder der Schulleiter informiert und durch diese oder diesen eine Klassenkonferenz (§ 6) einberufen werden.

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(7) Wenn für eine Schülerin oder einen Schüler aufgrund einer schweren Erkrankung oder Mehrfachbehinderung umfängliche Maßnahmen zur individuellen Förderung in der Regelschule erforderlich sind, sind die Schulaufsichtsbehörde und gegebenenfalls auch der Schulträger frühzeitig einzubeziehen. § 5 Unterstützungsanfrage; außerschulische Beratung (1) 1Eine zusätzliche sonderpädagogische Unterstützungsanfrage kann über die Schulleitung der Regelschule formlos an eine Förderschule, insbesondere eine solche mit angegliedertem Förderzentrum, gestellt werden. 2Im Vordergrund stehen dabei ergänzende Fördervorschläge für die Weiterarbeit an der Regelschule. 3Über die Beratung wird ein kurzes Ergebnisprotokoll angefertigt und der Förderdokumentation angefügt. (2) Zudem kann im Einvernehmen mit der Schulleitung eine außerschulische Beratung eingeholt werden, wenn die an der Förderung eines Schülers oder einer Schülerin beteiligten Lehrkräfte zur Überzeugung kommen, dass eine zusätzliche pädagogische, medizinische oder psychologische Beratung notwendig ist. § 6 Aufgaben der Klassenkonferenz bei der Förderplanung (1) 1Wenn im Rahmen der Förderplanung die Gewährung eines Nachteilsausgleichs, eine besondere pädagogische Förderung, deren Art, Umfang oder Zeitraum Auswirkungen auf Form und Dauer des Schulbesuchs, auf das Anforderungsniveau oder die Notengebung hat, in Betracht kommt, ist ein Beschluss der Klassenkonferenz in der Zusammensetzung nach § 12 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 4 des Schulmitbestimmungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. August 1996 (Amtsbl. S. 869; 1997 S. 147), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 11. Dezember 2012 (Amtsbl. S. 1555), in der jeweils geltenden Fassung notwendig. 2 Zu den stimmberechtigten Mitgliedern gehören insofern auch die in der jeweiligen Klasse tätige Förderschullehrkraft beziehungsweise tätigen Förderschullehrkräfte. 3Den Vorsitz der Klassenkonferenz hat die Schulleiterin oder der Schulleiter oder eine Vertreterin oder ein Vertreter. (2) 1Die Mitglieder der Klassenkonferenz können zu jeder Zeit die Einberufung einer Sitzung bei der oder dem Vorsitzenden beantragen (§ 4 Absatz 1 des Schulmitbestimmungsgesetzes). 2 Die Klassenkonferenz entscheidet unter Berücksichtigung der schulischen Möglichkeiten. 3§ 8 bleibt unberührt. (3) 1Über die Sitzung der Klassenkonferenz wird ein Ergebnisprotokoll angefertigt. 2Die Erziehungsberechtigten werden über die Beschlüsse informiert. § 7 Förderdokumentation 1

Die Förderdokumentation (Förderpläne, Protokolle der Klassenkonferenzen, alle schulischen Gutachten sowie gegebenenfalls vorliegende außerschulische Gutachten und Stellungnahmen) ist Teil der Schülerakte und kann unter Beachtung der jeweiligen datenschutzrechtlichen Bestimmungen, insbesondere der Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten in den Schulen in der jeweils geltenden Fassung, von allen an der Förderplanung Beteiligten

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eingesehen werden, wenn dies zur Förderung der Schülerin oder des Schülers notwendig ist. 2 Gleiches gilt für die Weiterleitung der Förderdokumentation im Falle des Wechsels des schulischen Förderortes. 3Den Erziehungsberechtigten ist jederzeit Einsicht in die Förderdokumentation zu gewähren. § 8 Verfahren zur Anpassung des Anforderungsniveaus in einzelnen Fächern (1) 1In Grundschulen können ab Klassenstufe 3 für eine Schülerin oder einen Schüler, die oder der nach einem individuellen Förderplan gefördert wird, auf Beschluss der Klassenkonferenz (§ 6) die individuellen Anforderungen in einem oder mehreren Fächern abweichend von den Anforderungen, wie sie für die jeweilige Klassenstufe gelten, festgelegt werden. 2In Grundschulen, die nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, in sämtlichen Schulbesuchsjahren der Schuleingangsphase mit flexibler Verweildauer das Jahreszeugnis gemäß der Anlage 1 der Zeugnis- und Versetzungsordnung – Schulordnung – für die Grundschulen im Saarland in der Fassung vom 24. August 2000 (Amtsbl. S. 1674), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 3. August 2015 (Amtsbl. I S. 540, S. 548), in der jeweils geltenden Fassung (§ 3 Absatz 5 Satz 3 und 4 der ZVO Grundschule) zu verwenden, gelten die Regelungen zur Anpassung des Anforderungsniveaus bereits ab Klassenstufe 2. (2) 1Der Förderplan weist die notwendige individuelle Anpassung der in den jeweils geltenden Lehrplänen vorgegebenen Kompetenzerwartungen aus und wird mindestens halbjährlich überprüft. 2Veränderungen müssen in einer Klassenkonferenz (§ 6) beschlossen werden. (3) Bei den Teilleistungsstörungen Lese-Rechtschreibschwäche oder -störung beziehungsweise Rechenschwäche oder -störung gelten die Richtlinien zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder Rechtschreibens vom 15. November 2009 in der jeweils geltenden Fassung beziehungsweise das Rundschreiben vom 25. Juni 2014 zu Verfahrensgrundlagen bei Schülerinnen und Schülern mit Rechenschwäche und Rechenstörung/Dyskalkulie im Grundschulbereich und im Primarbereich der Förderschulen in der jeweils geltenden Fassung. (4) Für Schülerinnen und Schüler, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung anerkannt wurde, orientiert sich das individuelle Anforderungsniveau an den im Lehrplan für die Förderschule geistige Entwicklung beschriebenen Aktivitätsbereichen. § 9 Zeugnisse bei angepasstem Anforderungsniveau (1) In den Zeugnissen wird auf den veränderten Referenzrahmen mit der folgenden Bemerkung hingewiesen: „Die Schülerin/Der Schüler wurde in dem gekennzeichneten Fach/in den gekennzeichneten Fächern (*) nach einem individuellen Förderplan unterrichtet. Ihre/Seine Leistungen wurden entsprechend diesem Förderplan bewertet.“ (2) Hinsichtlich der gekennzeichneten Zeugnisnoten werden ergänzende Erläuterungen mit Verbalbeurteilungen und weiterführenden Hinweisen erstellt. (3) § 8 Absatz 3 gilt entsprechend.

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 Anhang § 10 Zeugnisse bei sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

1

Bei Schülerinnen und Schülern, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung anerkannt wurde, kann die jeweilige Zeugnisnote nach § 9 Absatz 1 ausgewiesen werden oder in allen oder einzelnen Fächern auf Zeugnisnoten verzichtet werden. 2Sofern in allen Fächern auf die Ausweisung der Zeugnisnote verzichtet wird, kann auf Beschluss der Klassenkonferenz auch das Zeugnisformular 2.1 der Zeugnis- und Versetzungsordnung für die Förderschulen: „Jahreszeugnis der Klassenstufen 1 bis 12 der Förderschule Geistige Entwicklung und Jahreszeugnis für Schülerinnen und Schüler, die in einem anderen Förderschultyp nach dem Lehrplan für die Förderschule Geistige Entwicklung unterrichtet werden“ entsprechend verwendet werden. 3In den Fällen, in denen in allen Fächern auf eine Ausweisung einer Zeugnisnote verzichtet wird, wird in den Zeugnissen mit der folgenden Bemerkung auf den veränderten Referenzrahmen hingewiesen: „Der Schüler/Die Schülerin wurde nach einem individuellen Förderplan unterrichtet. Ihre/Seine Leistungen wurden entsprechend diesem Förderplan bewertet.“

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In jedem Fall werden ergänzende Erläuterungen mit Verbalbeurteilungen und weiterführenden Hinweisen erstellt. § 11 Versetzung oder Aufsteigen in den Klassenstufen 3 und 4 der Grundschule bei abgesenktem Anforderungsniveau

(1) Für die Klassenstufen 3 und 4 der Grundschule gelten im Falle der Absenkung des Anforderungsniveaus in einem oder mehreren Fächern folgende Grundsätze: 1. Schülerinnen und Schüler, bei denen das Anforderungsniveau in einem der Fächer Deutsch, Mathematik oder Sachunterricht abgesenkt ist, werden versetzt, wenn in den beiden anderen Fächern ausreichende Leistungen erbracht wurden. 2. Bei Schülerinnen und Schülern, bei denen das Anforderungsniveau in mehr als einem der Fächer Deutsch, Mathematik oder Sachunterricht abgesenkt ist oder bei denen das Anforderungsniveau in einem der vorgenannten Fächer abgesenkt und nicht ausreichende ­Leistungen in einem der beiden anderen der genannten Fächer erbracht wurden, entscheidet die Klassenkonferenz über das Aufsteigen in die nächsthöhere Klassenstufe auf der Grundlage der bisherigen Förderplanung. (2) Schülerinnen und Schüler, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonder­ pädagogische Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen oder geistige Entwicklung anerkannt wurde, steigen grundsätzlich in die nächsthöhere Klassenstufe auf. (3) 1Im Falle des Aufsteigens im Sinne des Absatzes 1 enthält das Zeugnis den Vermerk: „Auf Beschluss der Klassenkonferenz vom … steigt die Schülerin/der Schüler in die Klassenstufe … auf“, im Sinne des Absatzes 2 enthält das Zeugnis den Vermerk: „Die Schülerin/der Schüler steigt in die Klassenstufe … auf“. 2Im Falle des Nichtaufsteigens im Sinne des Absatzes 1 erhält das Zeugnis den Vermerk: „Auf Beschluss der Klassenkonferenz vom     steigt die Schülerin/der Schüler nicht in die Klassenstufe     auf.“

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(4) Die Regelungen der Zeugnis- und Versetzungsordnung – Schulordnung – für die Grundschulen im Saarland bleiben im Übrigen unberührt. Unterabschnitt 2 Besondere pädagogische Förderung an Förderschulen § 12 Besondere pädagogische Förderung an Förderschulen Die §§ 2 bis 4 und 5 bis 7 finden für die besondere pädagogische Förderung an Förderschulen entsprechende Anwendung, die §§ 8 bis 10 zudem in Förderschulen, in denen zielgleich (§ 4a Absatz 2 Satz 1 des Schulordnungsgesetzes) unterrichtet wird. Abschnitt 3 Nachteilsausgleich § 13 Aufgabe (1) Der Nachteilsausgleich dient dazu, im Sinne der Chancengleichheit Benachteiligungen aufgrund von chronischen Erkrankungen, von Beeinträchtigungen oder Behinderungen zu verringern und möglichst auszugleichen und betroffenen Schülerinnen und Schülern zu ermög­lichen, ihre Leistungsfähigkeit auszuschöpfen und ihre Kompetenzen nachzuweisen. (2) Die Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs sind integraler Bestandteil der inklusiven Unterrichtsarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen; ein Nachteilsausgleich kann auch von den Erziehungsberechtigten beantragt werden. (3) 1Durch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs werden Bedingungen geschaffen, die den Zugang zur Aufgabenstellung und die Möglichkeit ihrer Bearbeitung gewährleisten, ohne dass dabei die inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen des jeweiligen Bildungsganges geringer bemessen werden. 2Eine Leistung, die mit Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs erbracht worden ist, ist daher gleichwertig. § 14 Formen des Nachteilsausgleichs 1

Im Rahmen des Nachteilsausgleichs können die Bedingungen für mündliche, schriftliche oder praktische Leistungsfeststellungen der Beeinträchtigung angepasst werden. 2Mögliche Formen des Nachteilsausgleichs sind zum Beispiel: 1. die Gewährung einer verlängerten Bearbeitungszeit und zusätzlicher Pausen, 2. die Bereitstellung eines separaten Prüfungsraums und eine besondere Organisation des Arbeitsplatzes, 3. die Zulassung der Verwendung technischer Hilfsmittel, 4. die Zulassung der Verwendung bestimmter didaktischer Hilfs- oder Arbeitsmittel, 5. die Gewährung zusätzlicher personeller Unterstützung, 6. die Anpassung der Präsentation von Aufgaben und Ergebnissen,

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7. die Modifizierung der Aufgabenstellung bei gleichwertigem Anspruchsniveau, 8. die Einrichtung von Sonderterminen oder die Verteilung von Prüfungsterminen über einen größeren Zeitraum. § 15 Grundsätze zum Verfahren (1) 1Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind immer auf einzelne Schülerinnen und Schüler bezogen und nur in begründeten Einzelfällen zulässig. 2Sie können gewährt werden 1. bei erheblichen Beeinträchtigungen beziehungsweise Behinderungen in den Bereichen Sprache, der körperlich-motorischen Entwicklung, der emotional-sozialen Entwicklung oder im Bereich der Sinneswahrnehmung, 2. bei chronischen, langfristigen oder temporären körperlichen, psychosomatischen oder psychischen Erkrankungen oder Funktionsbeeinträchtigungen oder 3. bei sonstigen umfänglichen psychischen und/oder sozialen Belastungen. 3

Bei der Gewährung ist unter Berücksichtigung des Grunds des Nachteilsausgleichs auch über die Dauer der Maßnahme (vorübergehend oder dauerhaft) zu entscheiden.

(2) Bei den Teilleistungsstörungen Lese-Rechtschreibschwäche oder -störung beziehungsweise Rechenschwäche oder -störung gelten die Richtlinien zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder Rechtschreibens vom 15.  November 2009 in der jeweils geltenden Fassung, für die Grundschulen und den Primarbereich der Förderschulen gilt auch das Rundschreiben vom 25. Juni 2014 zu Verfahrensgrundlagen bei Schülerinnen und Schülern mit Rechenschwäche und Rechenstörung/­ Dyskalkulie in der jeweils geltenden Fassung. (3) 1Die Klassenkonferenz (§ 6), bei vorübergehenden Maßnahmen, die sich auf weniger als sechs Monate erstrecken, die Fachlehrkraft in Abstimmung mit der Schulleiterin/dem Schulleiter, entscheidet über Notwendigkeit, Angemessenheit, Art, Umfang und Dauer der Maßnahme des Nachteilsausgleichs. 2Die Klassenkonferenz oder die Fachlehrkraft in Abstimmung mit der Schulleiterin/dem Schulleiter entscheidet auch auf Hinweis oder Vorschlag der Erziehungsberechtigten. 3Findet bei einer vorübergehenden Maßnahme während der Dauer der Maßnahme eine Klassenkonferenz im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 3 Schulmitbestimmungsgesetz (Zeugniskonferenz) statt, entscheidet diese über die Fortgeltung der Maßnahme. 4Die Entscheidung über Maßnahmen des Nachteilsausgleichs ist stets im Einzelfall und unter Bezugnahme auf eine bestimmte medizinische, therapeutische oder pädagogische Diagnose zu treffen. 5Dabei können neben Gutachten und Förderplänen der Schule auch außerschulische Stellungnahmen oder Gutachten einbezogen werden. 6In Zweifelsfällen, insbesondere wenn die Erziehungsberechtigten eine andere Auffassung vertreten, ist die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde einzuholen. 7Im Fall der Entscheidung durch die Fachlehrkraft ist dies nur erforderlich, wenn die Zweifel nicht durch eine herbeizuführende Entscheidung der Klassenkonferenz ausgeräumt werden konnten. (4) 1Die Festlegungen zum Nachteilsausgleich sind für den vereinbarten Zeitraum verbindlich und müssen von allen Lehrkräften berücksichtigt werden. 2Sie sind im Förderplan zu dokumentieren und im Rahmen der Förderplanung (§ 4) zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. 3 Hinweise auf einen gewährten Nachteilsausgleich werden nicht in Zeugnisse und Bewertungen von schriftlichen Arbeiten aufgenommen.

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Abschnitt 4 Sonderpädagogische Unterstützung § 16 Ziel und Aufgabe (1) 1Ziel jeder sonderpädagogischen Unterstützung ist die Sicherung des individuellen Bildungsanspruches der Schülerinnen und Schüler. 2Sie trägt zur Anschlussfähigkeit im Hinblick auf den weiteren Bildungs- und Berufsweg bei. (2) 1Sonderpädagogische Unterstützung ergänzt die Arbeit der Regelschule. 2Zudem findet sonderpädagogische Unterstützung in den nach Förderschwerpunkten (§ 17) gegliederten Förderschulen (4a Absatz 1 bis 4 des Schulordnungsgesetzes) statt. (3) Die bestehenden sonderpädagogischen Förderzentren haben die vorrangige Aufgabe, die inklusive Arbeit der allgemein bildenden und beruflichen Regelschulen sonderpädagogisch zu unterstützen. § 17 Förderschwerpunkte Die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung 1. im Bereich Lernen liegen bei Schülerinnen und Schülern vor, die aufgrund ihrer Entwicklungsvoraussetzungen dauerhaft und umfassend Einschränkungen im schulischen Lernund Leistungsvermögen aufweisen und einer besonders intensiven Förderung bedürfen, um eine ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung zu erlangen, 2. im Bereich Sprache liegen bei Schülerinnen und Schülern vor, bei denen – auch in ihrer Muttersprache – eine nachhaltige Störung der Sprachentwicklung, des Sprachgebrauchs und der Kommunikationsfähigkeit besteht und die dadurch in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass außerschulische therapeutische Maßnahmen nicht ausreichen, 3. im Bereich emotionale und soziale Entwicklung liegen bei Schülerinnen und Schülern vor, die aufgrund psychischer, sozialer, familiärer oder organischer Ursachen erhebliche und längerfristige Schwierigkeiten haben, ihre Umwelt angemessen wahrzunehmen sowie entsprechend auf diese zu reagieren. Dabei treten aggressive, regelverletzende oder ängstlich-gehemmte Verhaltensweisen auf, die die Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler so beeinträchtigen, dass außerschulische sozialpädagogische und therapeutische Maßnahmen nicht ausreichen, 4. im Bereich geistige Entwicklung liegen bei Schülerinnen und Schülern vor, die aufgrund erheblicher Einschränkungen im Denken und Handeln sowie in Wahrnehmung und Sprache langanhaltend in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten derart beeinträchtigt sind, dass sie voraussichtlich lebenslang Hilfen zur selbstständigen Lebensführung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit benötigen, 5. im Bereich körperliche und motorische Entwicklung liegen bei Schülerinnen und Schülern mit überdauernden Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates, des Gehirns und Rückenmarks oder mit anderen inneren und äußeren Schädigungen und Erkrankungen des Körpers und seiner Organe vor, die dadurch in ihren Bildungs-, Lernund Entwicklungsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigt sind,

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6. im Bereich Sehen liegen bei Schülerinnen und Schülern vor, deren Sehvermögen auch nach optischer Korrektur aufgrund organischer Schädigungen und/oder Einschränkungen in der visuellen Verarbeitung und Wahrnehmung umfassend oder in wesentlichen Teilfunktionen so erheblich herabgesetzt ist, dass die Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt sind, 7. im Bereich Hören und Kommunikation liegen bei Schülerinnen und Schülern vor, deren Hörvermögen auch nach apparativer Versorgung aufgrund organischer Schädigungen und/oder Einschränkungen in der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung umfassend oder in wesentlichen Teilfunktionen so erheblich herabgesetzt ist, dass die Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt sind. § 18 Verfahren bei der Einschulung oder Umschulung in eine Förderschule (1) 1Die Ein- oder Umschulung in eine Förderschule erfolgt abgesehen von dem Fall des Absatzes 4 ausschließlich auf Antrag der Erziehungsberechtigten. 2Der Antrag der Erziehungs­ berechtigten ist bei der Schulleiterin oder dem Schulleiter der zuständigen oder besuchten Grundschule beziehungsweise der besuchten weiterführenden Schule zu stellen. 3Diese leitet den Antrag zur weiteren Bearbeitung an die Schulaufsichtsbehörde. (2) 1Die Entscheidung zur Ein- oder Umschulung in eine Förderschule erfordert die An­erken­ nung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung (§ 19) grundsätzlich in dem der Förderschule entsprechenden Förderschwerpunkt. 2Wurde bei einer Schülerin oder einem Schüler das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung in mehreren Förderschwerpunkten anerkannt, besucht sie oder er die Förderschule des vorrangigen Förderschwerpunktes. (3) 1Den Erziehungsberechtigten ist vor der Entscheidung über die Ein- oder Umschulung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn dies angesichts der mit dem Antrag nach Absatz 1 verbundenen Ausführungen der Erziehungsberechtigten angezeigt ist. 2Die Erziehungsberechtigten entscheiden, ob sie den Antrag aufrechterhalten wollen. 3Nach Abschluss des Verfahrens wird den Erziehungsberechtigten und den Schulen die Entscheidung über die Ein- oder Umschulung durch die Schulaufsichtsbehörde unter Angabe der Gründe schriftlich mitgeteilt; im Falle der Ablehnung der Ein- oder Umschulung in eine Förderschule wird die Mitteilung an die Erziehungsberechtigten mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. (4) 1Erscheint der jeweiligen Schule der Besuch einer Förderschule in begründeten Einzelfällen zum Schutz des Kindeswohls (Eigen- oder Fremdgefährdung) erforderlich (§ 5 Absatz 4 Satz 2 des Schulpflichtgesetzes), entscheidet die Schulaufsichtsbehörde nach Durchführung eines Anerkennungsverfahrens (§ 19 Absatz 1) über den entsprechenden Antrag der Schule zum Besuch der Förderschule. 2Die Erziehungsberechtigten müssen vor der Entscheidung gehört werden; das zuständige Jugendamt wird informiert. 3Nach Abschluss des Verfahrens wird den Erziehungsberechtigten und den Schulen die Entscheidung über die Ein- oder Umschulung durch die Schulaufsichtsbehörde unter Angabe der Gründe schriftlich mitgeteilt; im Falle der Ein- oder Umschulung in eine Förderschule wird die Mitteilung an die Erziehungsberechtigten mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. (5) 1Ist in einem Fall des Absatzes 4 die vorherige Durchführung des Anerkennungsverfahrens des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung einer Schüle-

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rin oder eines Schülers (§ 19 Absatz 1) aus Gründen des Schutzes des Kindeswohls (Eigen- oder Fremdgefährdung) nicht vertretbar, kann die Schulaufsichtsbehörde diese Schülerin oder diesen Schüler vorläufig einer Förderschule zuweisen. 2Die Erziehungsberechtigten müssen vor der Entscheidung gehört werden. 3Das zuständige Jugendamt wird informiert. 4Den Erziehungsberechtigten und den Schulen wird die Entscheidung über die Ein- oder Umschulung durch die Schulaufsichtsbehörde unter Angabe der Gründe schriftlich mitgeteilt; im Falle der Einoder Umschulung in die Förderschule wird die Mitteilung an die Erziehungsberechtigten mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. 5Die endgültige Entscheidung trifft die Schulaufsichtsbehörde nach Abschluss des Anerkennungsverfahrens; die Sätze 2 bis 4 gelten entsprechend. (6) 1Im Falle einer Ein- oder Umschulung in eine Förderschule beauftragt die Schulaufsichtsbehörde die aufnehmende Schule mit der Einrichtung einer Klassenkonferenz (§ 6). 2Spätestens am Ende des ersten Halbjahres des zweiten Schulbesuchsjahres findet eine Klassenkonferenz (§ 6) unter dem Gesichtspunkt des Fortbestands der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung statt, in der Folge spätestens alle zwei Jahre. 3Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet auf der Grundlage eines empfehlenden Beschlusses der Klassenkonferenz (§ 6) über die Verlängerung der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung. (7) Für die Umschulung in die Förderschule gilt, außer in Fällen des Absatzes 4 und 5, § 5 Absatz 1 der Allgemeinen Schulordnung vom 10. November 1975 (Amtsbl. S. 1239), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 24. Juni 2011 (Amtsbl. I S. 220), in der jeweils geltenden Fassung. § 19 Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung (1)1 Ein Antrag auf Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung kann bei der Schulaufsichtsbehörde nur von der Schule gestellt werden. 2 Er ist zu stellen, wenn die Erziehungsberechtigten den Besuch der Förderschule beantragen (§ 18 Absatz 1). 3Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet im Rahmen eines entsprechenden Anerkennungsverfahrens über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung. (2) 1Die Anerkennung erfolgt in Bezug auf die Förderschwerpunkte (§ 17) auf der Grundlage ärztlicher oder therapeutischer Berichte sowie der bereits vorliegenden Förderdokumentation (§ 7). 2Die Schulaufsichtsbehörde kann im Rahmen des Anerkennungsverfahrens ein sonderpädagogisches Fördergutachten einholen (§ 3 Absatz 2). (3) 1Den Erziehungsberechtigten ist im Rahmen des Anerkennungsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn die Schule die Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung beantragt hat oder wenn dies angesichts der mit dem Antrag auf Besuch einer Förderschule (§ 18 Absatz 1) verbundenen Ausführungen der Erziehungsberechtigten angezeigt ist. 2Nach Abschluss des Anerkennungsverfahrens wird den Erziehungsberechtigten und der Schule die Entscheidung durch die Schulaufsichtsbehörde unter Angabe der Gründe schriftlich mitgeteilt; der Mitteilung an die Erziehungsberechtigten ist eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen. 3Falls ein sonderpädagogisches Fördergutachten erstellt wurde, erhalten die Erziehungsberechtigten und die Schule eine Abschrift.

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(4) 1Die Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung ist auf zwei Jahre zu befristen. 2Rechtzeitig vor Beendigung dieses Zeitraums findet an der Regelschule eine Klassenkonferenz (§ 6) unter dem Gesichtspunkt des Fortbestands der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung statt, in der Folge spätestens alle zwei Jahre. 3Die Schulaufsichtsbehörde entscheidet auf der Grundlage eines empfehlenden Beschlusses der Klassenkonferenz (§ 6) über die Verlängerung der Anerkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung. 4Die Schulaufsichtsbehörde kann im Rahmen des Anerkennungsverfahrens auch ein sonderpädagogisches Fördergutachten einholen (§ 3 Absatz 2). 5Von der genannten Befristung kann in begründeten Fällen, insbesondere wenn eine Schwerbehinderung im Sinne des § 2 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vorliegt und wenn zu erwarten ist, dass die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung dauerhaft vorliegen werden, abgewichen werden. Abschnitt 5 Umschulung in die Regelschule § 20 Umschulung in die Regelschule (1) 1Ergibt die nach § 18 Absatz  6 vorgesehene Überprüfung, dass die Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung nicht mehr vorliegen, oder nehmen die Erziehungs­ berechtigten ihren Antrag auf Besuch der Förderschule zurück, besucht die Schülerin oder der Schüler die Schule der Regelform. 2§ 18 Absatz 4 und 5 bleiben unberührt. 3Im Falle einer Umschulung an die Regelschule beauftragt die Schulaufsichtsbehörde die aufnehmende Schule mit der Einrichtung einer Klassenkonferenz (§ 6). (2) 1Für die Umschulung in die Regelschule gilt außer in den Fällen des Wegfalls der An­ erkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine sonderpädagogische Unterstützung (§ 18 Absatz 6) § 5 Absatz 1 der Allgemeinen Schulordnung. 2Im Hinblick auf die Einstufung in eine Klassenstufe gilt § 5 Absatz 2 der Allgemeinen Schulordnung. Abschnitt 6 Inkrafttreten, Anwendungsbereich § 21 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt mit Wirkung vom 3. August 2015 in Kraft. § 22 Anwendungsbereich Diese Verordnung findet mit Inkrafttreten auf die Klassenstufen 1 bis 4 der Grundschule und – soweit in der Verordnung vorgesehen – auf die entsprechenden Klassenstufen der Förderschule Anwendung.

B. Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder

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B. Verzeichnis der zitierten Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens, Beschl. vom 16.3.1972, Nienburg/Weser 1972. Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II, Beschl. vom 7.7.1972 i. d. F. vom 6.6.2013, KMK-BeschlS., Leitzahl 176. Zur Stellung des Schülers in der Schule, Beschl. vom 25.5.1973, KMK-BeschlS., Leitzahl 824 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministers für Kultus, Unterricht und Volksbildung des Saarlandes vom 12.6.1973 (GMBl. Saar S. 355). Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I, Beschl. vom 3.12.1993 i. d. F. vom 25.9.2014, KMK-BeschlS., Leitzahl 102. Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, Beschl. vom 6.5.1994, KMK-BeschlS., Leitzahl 301  = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung und Sport des Saarlandes vom 8.6.1994 (GMBl. Saar S. 322). Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler, Beschl. vom 20.3.1998, KMK-BeschlS., Leitzahl 308 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 1.12.1998 (GMBl. Saar 1999, S. 94). Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Beschl. vom 26.6.1998, KMKBeschlS., Leitzahl 313 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 1.12.1998 (GMBl. Saar 1999, S. 67). Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen, Beschl. vom 1.10.1999, KMK-BeschlS., Leitzahl 310 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S. 395). Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Beschl. vom 10.3.2000, KMK-BeschlS., Leitzahl 311 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S. 383). Empfehlungen zu Erziehung und Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit autistischem Verhalten, Beschl. vom 16.6.2000, KMK-BeschlS., Leitzahl 316 = Bekanntmachung durch Erlass des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes vom 26.9.2002 (GMBl. Saar S. 376). KMK-Präsident: Wir nehmen die Kritik des UN-Sonderberichterstatters auf, http://www.kmk. org/no_cache/presse-und-aktuelles/pm2007/wir-n… (Zugriff: 14.5.2013). Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung, Beschl. vom 18.11.2010, KMK-BeschlS., Leitzahl 300. Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen, Beschl. vom 20.10.2011, KMK-BeschlS., Leitzahl 305.

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 Anhang

C. Verzeichnis der zitierten Dokumente im Privatarchiv des Verfassers Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulen für Behinderte vom 29.5.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Beratungsstunden für Lehrkräfte in zieldifferenten Integrationsmaßnahmen. Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr. an die Schulen für Behinderte vom 12.6.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Fahrzeiten der in Integrationsmaßnahmen eingesetzten Lehrkräfte. Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft, RdSchr.an die Schulämter vom 23.6.1989, GeschZ.: B 6 – Integration, betr. Einsatz der Klassenlehrer/innen in Integrationsmaßnahmen. Chef der Staatskanzlei des Saarlandes, Schreiben an den Verein zur Förderung gemeinsamen Lebens und Lernens Behinderter und Nichtbehinderter e. V. (MLL) vom 20.6.1991, GeschZ.: B/5 – 0104 – 145/4, betr. Integration behinderter Kinder in Regeleinrichtungen. Unterausschuss Schulrecht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Rechtliche Fragen der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülern, vom 1./2.2.1993.

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Verzeichnis sonstiger Publikationen 1. Artikel aus Tages- und Wochenzeitungen sowie Nachrichtenmagazinen a) Namensartikel Bartsch, Matthias/Beste, Ralf/Kurbjuweit, Dirk/Pfister, René, Team mit elf Torhütern, „Der Spiegel“ Nr. 22 vom 31.5.2010, S. 18–22. Beer, Michael, Eltern fürchten Benachteiligungen. Kritik an möglicher Schließung von Förderschulen, SZ Nr. 64 vom 17.3.2011, S. C 1. Breitenbach, Diether, Historischer Kompromiß. Zum Abschied von der Dreigliedrigkeit im Saarland, FR Nr. 75 vom 28.3.1996, S. 6. Burger, Reiner, Ein verkapptes Sparprogramm. Der Gesetzentwurf zur schulischen Inklusion stößt in Nordrhein-Westfalen auf Widerstand, FAZ Nr. 133 vom 12.6.2013, S. 8 Demmer, Ulrike, „Die unverdünnte Hölle“, „Der Spiegel“ Nr. 2 vom 5.1.2009, S. 26–29. Freund, Norbert, Große Koalition fast im Gleichschritt, SZ Nr. 102 vom 3.5.2013, S. B 2. – Klausel mit Sprengstoff, SZ Nr. 297 vom 23.12.2013, S. B 2. – Neuer Streit über Integration Behinderter, SZ Nr. 223 vom 24.9.2012, S. B 2.  – Nur wenig Hilfe für behinderte Schüler, SZ Nr. 254 vom 2./3.11.2013, S. B 2. – Reform der Grundschule geplant. Commerçon will Behindertenkonvention umsetzen. Förderschulen sollen auslaufen, SZ Nr. 93 vom 22.4.2013, S. B 2. – Streit um behinderte Schüler an Gymnasien. Gesetzentwurf von Commerçon schränkt Inklusionspflichten ein – Ex-Minister Kessler und GEW schlagen Alarm, SZ Nr.  297 vom 23.12.2013, S. B 2. – Weniger Noten an Grundschulen im Saarland, SZ Nr. 93 vom 22.4.2013, S. 1. Geisler, Willi, Numerus clausus für Behinderte, SZ Nr. 86 vom 13./14.4.1991, S. L 1. Hurth, Hans, Sorge um die Förderschule. In Blieskastel fürchten Eltern um die Zukunft der FranzCarl-Schule, SZ Nr. 97 vom 27.4.2011, S. C 3. Keutel, Klara/Grossarth, Jan, Der Kompetenz-Fetisch, FAZ Nr. 38 vom 14./15.2.2015, S. C 3. Kirch, Daniel, Bürgermeister einstimmig für Vertrag mit dem Land, SZ Nr. 126 vom 3./4.6.2015, S. B 2. – CDU lehnt Grundschul-Pläne ab, SZ Nr. 94 vom 23.4.2013, S. B 2. – Der „saarländische Weg“ zum Ziel, SZ Nr. 131 vom 10.6.2013, S. B 2. – Unendliche Geschichte geht weiter. Bürgermeister und Landräte pochen auf strikte Kostenerstattung bei neuen Aufgaben, SZ Nr. 250 vom 28.10.2015, S. B 2.

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Verzeichnis sonstiger Publikationen

Klostermann, Dietmar, Alle können in die Grundschule. Koalition macht mit Inklusion Ernst. Eltern wählen ab 2014, SZ Nr. 121 vom 28.5.2013, S. B 2. Lepsius, Oliver, Nie war sie so dogmatisch wie heute. Die Rechtswissenschaft ist eine Normwissenschaft – und Normen ändern sich ständig. Eine Frage der Erkenntnis, FAZ Nr. 116 vom 19.5.2011, S. 8. Sander, Wolfgang, Im Land der kompetenten Säuglinge. Wie Legitimationsfloskeln vom Kindergarten bis zur Hochschule den Kompetenzbegriff aushöhlen, FAZ Nr. 97 vom 29.4.2013, S. 7. Schmidt, Friedrich, Der Handel mit der Schuld, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 5. Schmoll, Heike, Teurer und weniger effektiv. Ein wissenschaftlicher Bericht stellt Hamburgs Integrativer Grundschule ein schlechtes Zeugnis aus, FAZ Nr. 266 vom 16.11.1998, S. 16. Spiewak, Martin, „Die Not ist riesengroß“. Psychisch auffällige Kinder stellen die schwierigste Herausforderung für ein gemeinsames Lernen mit anderen dar. Ihre Zahl wächst rapide, ZEIT ONLINE vom 4.11.2010, http://www.zeit.de/2010/45/Inklusion-Schule-Kinder. Stein, Roland/Ellinger, Stephan, Über Effekte und Nebenwirkungen herrscht Unklarheit, FAZ Nr. 261 vom 8.11.2012, S. 8. Vec, Miloš, Dämmernde Disziplinen. Konrad Liessmann geißelt „Kompetenzorientierung“, FAZ Nr. 116 vom 22.5.2013, S. N 5. Verbeet, Markus/Windmann, Antje, Drinnen vor der Tür, „Der Spiegel“ Nr. 24 vom 11.6.2011, S. 47–48. Wagner, Marie Katharina, Mit frischem Geld zu größerem Erfolg. Die Piraten können sich in Nordrhein-Westfalen einen Wahlkampf fast wie die etablierten Parteien leisten, FAZ Nr. 65 F vom 16.3.2012, S. 2. Wandt, Christina, Von großen Hoffnungen und bitteren Tränen, Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 26.3.2013. Wiedemann, Günther H., Inklusion kommt schrittweise, Kölner Stadtanzeiger vom 23.1.2013.

b) Sonstige Artikel SZ Nr. 177 vom 2./3.8.1997, S. 4, „Nicht immer ist Integration die beste Hilfe“. SZ Nr. 217 vom 18.9.1997, S. 4, Integration bleibt heißes Thema. SZ Nr. 67 vom 20.3.1998, S. 4, Zum Nutzen der Integration Behinderter. SZ Nr. 30 vom 5.2.1999, S. 9, Statt der Kinder fährt der Pädagoge. SZ Nr. 89 vom 16.4.2012, S. 1, Piraten: Wahlalter ab 12, Schule ohne Gymnasium. SZ Nr. 205 vom 3.9.2012, S. B 2, Lebenshilfe will auf Förderschulen nicht ganz verzichten. „Bild“-Zeitung Düsseldorf vom 23.1.2013, Kein Blanko-Scheck für Inklusion. Westfälische Nachrichten vom 23.1.2013, Inklusion mit Schlupflöchern. SZ Nr. 92 vom 20./21.4.2013, S. B 2, Neue kommissarische Inklusionsbeauftragte.

Verzeichnis sonstiger Publikationen

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SZ Nr. 137 vom 17.6.2013, S. B 2, Ilka Hoffmann im GEW-Bundesvorstand. SZ Nr. 235 vom 10.10.2013 S. B 2, GEW für Abschaffung der Förderschulen. SZ Nr. 236 vom 11.10.2013, S. B 2, Sonderpädagogen kritisieren GEW. Lehrerverband erteilt geforderter Abschaffung der Förderschulen klare Absage. SZ Nr. 258 vom 7.11.2013, S. B 2, Commerçon: Kooperations-Verbot in Bildung „unbedingt“ abschaffen.

2. Interviews, Gespräche Brausch, Lisa, „Commerçons Pläne machen Lehrern Angst“. Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr. 231 vom 5/.6.10.2013, S. B 2. Commerçon, Ulrich, Commerçon: Mehr Fragen als Antworten. Interview, geführt von Pascal Becher, SZ Nr. 237 vom 12./13.10.2013, S. A 2. Hoffmann, Ilka, Expertin warnt vor Scheitern der Inklusion. Interview, geführt von Norbert Freund, SZ Nr. 229 vom 1.10.2012, S. B 2. Kessler, Klaus, „Ich möchte die Gymnasien nicht aus der Verantwortung entlassen“. Inklusion im Saarland: Ex-Minister macht Druck. Interview, geführt von Thomas Schäfer, SZ Nr. 83 vom 8.4.2014, S. A 2. Löhrmann, Sylvia, Interview mit Deutschlandradio in der Sendung Campus+Karriere am 20.3.2013. Preuss-Lausitz, Ulf/Stöppler, Thomas, Behinderte Schüler. Das Recht auf Miteinander. Streitgespräch, http://www.zeit.de/2010/06/Streitgespraech-Integration (Zugriff: 24.11.2011). Voßkuhle, Andreas, „Noch mehr Europa lässt das Grundgesetz kaum zu“. Gespräch mit Melanie Amann und Inge Kloepfer, FAS Nr. 38 vom 25.9.2011, S. 36–37.

3. Leserbriefe Steiner, Marianne, Unser Kind möchte einfach dazugehören. Ist es reaktionär, der Sonderschule den Vorzug zu geben? Lebenshilfe Zeitung 1996, Heft 3/4 (Juni 1996), zit. nach: Lehrer und Schule heute 1996, 194–195. Wocken, Hans, Nicht für die Sonderschule plädiert. Leserbrief, FAZ Nr. 272 vom 23.11.1998, S. 10.

Sachverzeichnis Abschlusskompetenz 41131 Aktionsplan VN-BRK  534 ff., 545, 571, 577, 593 Allgemeine Bemerkungen zu VN-Menschenrechtsdokumenten  468, 469 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte  467 f. Allgemeine Handlungsfreiheit  91 ff. Allgemeine Hochschulreife  518 f. Allgemeine Regeln des Völkerrechts  404, 420 Allgemeine Schule  474, 307, 451 Allgemeines Bildungssystem 450 f., 451176, 455, 473 Allgemeines Persönlichkeitsrecht  90 f. Alternativangebot  170, 290, 363, 370 Ambulanzlehrkraft 81, 83 ff., 108 f., 114, 182, 193 f., 197 ff., 604 f. –– s. a. Förderschullehrkraft, Regelschullehrkraft Ambulanzlehrkraft-Wochenstunden je Schüler  197 ff., 203, 20361, 204, 218, 220, 225, 312, 381, 610 Amtliche Übersetzung  422 ff., 480 Angepasstes Anforderungsniveau –– s. Individuelle Leistungsnorm Anlagen und Fähigkeiten  96 f. Anpassungsleistung der allgemeinen Schule  38, 79 f., 163, 222 f., 379, 381, 480, 592 Anrechnungsstunden für Ambulanzlehrkraft  193, 199 ff. Anregungseffekt 247, 298, 318 Anthropologische Gegebenheiten  38, 294 ff., 351 Anwendbarkeit –– s. Unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit Anwendungsbefehl 423 Auflösung von Förderschulen 181, 399, 531 ff., 535 ff., 538, 611 f. Ausgleichsmaßnahmen –– s. Kompensation

Auslegungsgrundsätze  93, 404 f., 4055, 418, 422, 426, 436, 440, 466, 478, 526 Äußere Fachleistungsdifferenzierung 514, 522 Ausstattungsstandards  141  ff., 230, 249, 265 f., 400, 402, 417, 61657 –– s. a. Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung Auswärtige Gewalt  406 Authentische Interpretation  520 f. Autistisches Syndrom  71, 191 Barrierefreiheit  130, 401, 584, 595 Befreiung von der Schulpflicht  460206 Befristung sonderpädagogischer Förderung  602 Begabung  96, 351, 363, 515 Begründungspflicht 165 Behinderung 38, 73 ff. –– s. a. Förderschwerpunkte Behinderungsart 309 –– s. a. Förderschwerpunkte Behinderungsbegriff  38, 6714, 73 ff., 77, 78, 478, 485, 488, 491 Benachteiligungsverbot  74, 248, 250, 337 ff. Beratung  530 f., 536 f. Beratungslehrer 537 Berechtigungen  553, 564, 566 Berichtspflicht 433 Berufliche Schulen  267 f., 277 Besondere pädagogische Förderung  493, 505, 548, 549 Besondere pädagogische Unterstützung  492 f., 503 ff., 548 Betreuungsintensität  97, 99, 195, 246 f., 443, 618 Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Exekutive  40, 224 f., 440 ff., 448, 529 f., 602 Bewertungsmaßstab  41, 393 –– s. a. Individuelle Leistungsnorm

Sachverzeichnis Bildungsangebot  342 ff., 348, 351 Bildungsanspruch –– des behinderten Schülers:  5, 35, 38, 90 ff., 159, 163, 169 f., 215, 218 f., 242, 245, 268, 292, 308 ff., 342 ff., 600 ff., 604, 615, 619 –– des nichtbehinderten Schülers: 90 ff., 115 ff., 159, 470241, 477, 611 Bildungsfinanzbericht 306 Bildungsgang  275, 353, 569 Bildungsgerechtigkeit  335, 392 Bildungsgesamtplan  49 f. Bildungsökonomische Rechtfertigungsversuche  394 ff. Bildungspolitischer Diskurs  3, 376 Bildungsweg 353 Bildungswesen 336 –– s. a. Allgemeines Bildungssystem Binnendifferenzierung  514, 522 Blinde und Sehbehinderte –– s. Förderschwerpunkte Budgetierung  381, 582 f., 604 f., 609 ff. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung  49 f. „Bündelung“ mehrerer behinderter Schüler  8262, 191 ff. Bundesfreundliches Verhalten  412 Bundesministerium für Arbeit und Soziales  410, 455 Bundesrat  410, 412, 413 Bundesregierung  410, 434, 455190, 458, 459, 474 Bundestreue  412 ff. Chancengleichheit  553, 555, 566 –– s. a. Bildungsgerechtigkeit Condicio humana  498 Datenbasis  170 ff. –– s. a. Statistik der integrativen Unterrichtung Dekategorisierungs-Theorem 76 ff., 491 ff., 547, 567, 600 ff. Delegationsbefugnis  142, 144 Demographische Rendite  399, 606 f., 608 Demokratieprinzip  141, 418, 439, 581 Denkschrift der Bundesregierung zur VNBRK  434 f., 436, 436131, 458, 474

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Deutsche Übersetzung –– s. Amtliche Übersetzung Deutscher Bildungsrat  49, 115 Deutscher Bundestag  423, 453 Deutsches Institut für Menschenrechte  371, 387, 433118, 464, 475260, 478272, 540154 Deutschlandbericht –– s. VN-Deutschlandbericht Dezisionismus  156 f., 557 Diagnoseverfahren –– s. Sonderpädagogisches Feststellungsverfahren Dienstpflichten der Regelschullehrkräfte  233 ff. Differenzierung –– s. Äußere Fachleistungsdifferenzierung, Binnendifferenzierung Diskriminierende Begrifflichkeit  306 Diskriminierungsverbot  431, 438, 463 f., 476, 478 Doppelbesetzung –– s. Zwei-Pädagogen-System Drittmittel 57 –– s. a. Wissenschaftliche Begleitung/Politikberatung Duales System der Berufsausbildung  433121 Duales System der sonderpädagogischen Förderung  60, 86 ff., 168 ff., 279 f., 287, 364, 369, 397, 404, 437, 459, 474, 478, 535, 541 Dualismus von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht  418, 439, 442 Dyskalkulie  571 f. Egalisierung  335, 490, 499 –– s. a. Semantische Einebnung Eignung  351, 515 „Eine Schule für alle“ 386, 387, 390, 393, 397, 456193, 499, 526111, 528, 542 Eingliederung 121 –– s. a. Förderung Eingliederungshelfer  71, 123 f., 401, 612 f. Eingliederungshilfe  124 f. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers  103, 42066, 427, 429, 431, 441 ff., 447 –– s.  a. Beurteilungs- und Ermessenspielraum der Exekutive, Organisationsermessen Einschulungsuntersuchung  510 f.

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Sachverzeichnis

Einsparungen –– s. Sparmaßnahmen, Stellenabbau Elternrecht 5, 35, 41, 170, 313 ff., 347 f., 348 ff., 352 ff., 355, 364 ff., 369 f., 462 ff., 473, 508, 534 ff., 539, 543, 545 –– s. a. Wahlrecht des Kindes und der Eltern Empirische Forschung  71 f., 318 ff., 463 Entwicklungsauftrag 51 Entwicklungsländer  457 f., 458200, 616 Entwicklungspolitik  458 f. Entwicklungspsychologie 38 „Erfolgs“-Kriterium Fallzahlen  40, 123, 137, 155, 167, 187, 194, 216 ff., 236, 255, 259 Erfolgspflichten 417 Erfüllungspflichten  417, 426 Erhebungszeiträume  171 f. Ermessensausübung –– s. Beurteilungs- und Ermessenspielraum der Exekutive, Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, Organisationsermessen Ersatzschule 544 Erweiterte Realschule  268, 277, 288, 289 Erziehungswissenschaft 36 Essenzgarantie  61, 273, 520 EU-Recht 455190, 472, 479274 Europäische Menschenrechtskonvention  102 f., 418, 440 Evaluation  326 f. Evidenzfrage  108, 219 f., 221, 247, 615 Existenzgarantie  61, 273, 520 Exklusion  296, 297 f. Fachlehrerprinzip 6612, 312 Fahrkostenzuschuss  603 f. Fakultativprotokoll zur VN-BRK  410, 435 Fallzahlentwicklung und Steuerungsversuche im Diagnoseverfahren  39, 205 ff. –– s. a. Zugangssteuerung zur sonderpädagogischen Förderung Finanzlage der saarländischen Kommunen  598 Finanzlage des Saarlandes  186, 220, 598 Finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsrele­ vanz  42, 402, 482, 316, 586 ff., 598 Finanzwirtschaftliche Argumentation –– s. Bildungsökonomische Rechtfertigungsversuche Föderalismusreform 3363

Föderative Ordnung des Grundgesetzes  414 Förderausschuss  161, 164 Förderbedarf  88, 498 f., 503 –– s. a. Sonderpädagogischer Förderbedarf Förderplanung –– s. Individueller Förderplan Förderschule  40, 42, 46, 48, 61, 181, 267 ff., 280 ff., 284, 289, 291 ff., 335 ff., 361, 449, 454 f., 475, 477, 479, 531, 538, 541, 611 f. Förderschulabschluss  331 f. Förderschullehrkraft  613 ff. –– s. a. Ambulanzlehrkraft, Regelschullehrkraft Förderschultypen  46, 48, 496 f., 532 Förderschwerpunkte  176 ff., 309, 341 –– Geistige Entwicklung  66, 109 ff., 514, 523 –– Hören  66, 114 f., 130, 35470 –– Körperliche und motorische Entwicklung  66, 190, 35470 –– Lernen  66 ff., 104 ff., 190, 231, 321, 399, 461, 494 ff., 510, 511, 514, 523, 536 f. –– Sehen  66, 114 f., 130, 35470 –– Soziale Entwicklung  69 ff., 112 ff., 190 f., 320, 461, 494 ff., 510, 511, 536 f. –– Sprache  190, 461, 495 f., 510 ff., 536 f. Förderung 121 –– s. a. Besondere pädagogische Förderung, Eingliederung, Individuelle Förderung, Sonderpädagogische Unterstützung Förderzentrum –– s. Kompetenzzentren als „Schulen ohne Schüler“, Sonderpädagogisches Förderzentrum Ganztagsschule  59, 27114 Gegliedertes Schulwesen  384, 386 ff., 433121, 451, 528 Gehörlose und Schwerhörige –– s. Förderschwerpunkte Geistig Behinderte –– s. Förderschwerpunkte Geltung –– s. Geltungsanordnung, Ingeltungsetzung Geltungsanordnung  406 ff., 419 Gemeinsame Erklärung  27837, 284, 520 ff. Gemeinsame Verfassungskommission  93 Gemeinschaftsschule  289, 518 f. Geordneter Schulbetrieb  283, 532

Sachverzeichnis Gesamtschule  50, 268, 269 ff., 277, 289, 522 Geschäftsordnung der Regierung des Saarlandes 593 Geschäftsordnung des Bundesverfassungs­ gerichts 39 Gesetzesvorbehalt  42, 45 f., 141 ff., 496 f., 555, 565, 578, 581 ff. –– s. a. Parlamentsvorbehalt Gesetzgebungskompetenz  406 ff. Gewaltenteilung  413, 420, 42066, 439, 443150 Gleichheitssatz  240 ff., 553 ff., 563, 566, 578 Gleichwertigkeit  247, 248 f., 573, 575 Gliederung des Schulwesens  271, 475 Grundrecht auf Bildung  91 ff., 100 ff. Grundrechte  336, 350 ff. Grundrechtseingriff  98, 140, 159, 163 Grundrechtsschutz durch Verfahren  39, 160 ff. Grund- und Hauptschule  267 Grundschule  268, 277 Gutachten –– s. Sonderpädagogisches Feststellungsverfahren, Sonderpädagogisches Gutachten Gymnasium  267 f., 277, 278, 284, 289, 391 f., 39164, 393, 513 ff., 528, 569, 576, 577 Hauptschulabschluss  327 ff. Hauptschule  268 ff., 272 Haushaltsgesetzgeber  431, 441, 443 ff. Haushaltskonsolidierung 214, 300, 30042, 603, 60929 Haushaltsnotlage des Saarlandes 36, 26016, 299 f., 301, 605 Haushaltsstrukturkommission des Saarlandes  302 ff., 603, 605 Hausunterricht 460 Heilpädagogik  49, 195, 207, 246, 291 Heterogenität als Grundkategorie  76 f., 486 ff., 489, 514, 547 Hilfskräfte, unzulässige  127 „Huckepack-Prinzip“  244, 398, 400 Impossibilium nulla obligatio est  239 Individualbeschwerde 435 Individualisierte Bildung  547 ff. Individualrechte  373 ff., 417, 432 ff., 438 –– s. a. Subjektivrechtliche Rechtspositionen Individuelle Förderung 99, 104, 208, 231, 246 f., 304, 488, 499, 618

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Individuelle Leistungsnorm 393, 550  ff., 563 f., 567 f., 575, 579 Individueller Förderplan  548 f., 567 f. –– s. a. Individuelle Leistungsnorm Industrieländer  458, 459, 616 Ingeltungsetzung  406 ff., 419 Inklusion –– s. Integration/Inklusion (Begrifflichkeit) Inklusionsverordnung  44, 486, 649 ff. Inklusive Schule  41, 376 ff., 383, 385 –– Aktionsplan VN-BRK  534 ff., 545 –– Beratung  536 f. –– Bildungsanspruch  600 ff. –– Bildungsauftrag der Schulformen  513 ff. –– Dekategorisierungs-Theorem  491 ff., 547 –– Egalisierung 490 –– Gesellschaftspolitisches Projekt  500 –– Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers  484 –– Gymnasium 513 –– Heterogenität als Grundkategorie  486 ff., 489, 547 –– Individuelle Förderung  488 –– Inklusionsverordnung  44, 486 –– Lehrerbildung 513 –– Leistungsanforderungen, Leistungsfeststel­ lung, Leistungsmaßstab, Leistungsbewertung  547 ff. –– Motive  41, 500 –– Normalitätsbegriff 491 –– Pilotprojekt 495 –– Qualitätssicherung  615 ff. –– Schulformen 513 –– Teilhabe  484 f. –– Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhält­ nisses  504, 508, 510, 529, 531, 538 f. –– Unterrichtssituation  612 f. –– Verfahrensregelungen mit Steuerungsfunktion  39, 601 ff. –– Vermeidung des Begriffs „Behinderte“  485, 488, 491, 600 f. –– s. a. Elternrecht, Wahlrecht des Kindes und der Eltern Inklusives Bildungssystem –– s. Integration/Inklusion (Begrifflichkeit) Innerstaatliche Anwendbarkeit –– s. Unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit

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Institutionelle Garantie 61, 268, 272, 279, 541, 544, 545 Integration/Inklusion (Begrifflichkeit)  378 ff., 452 f., 453187, 459, 480 ff., 592 Integrationsklasse 196 Integrations-Verordnung  44, 145, 643 ff. Integrative Bildung  422 Integrative Unterrichtung im Saarland – Realbefund 39, 168 ff., 204 f., 218 ff., 222, 299 ff., 341, 356, 581 Integrativer Unterricht  424, 480276 –– s. a. Integration/Inklusion (Begrifflichkeit), Integratives Bildungssystem Integratives Bildungssystem  423, 424, 450 –– s. a. Integration/Inklusion (Begrifflichkeit), Integrativer Unterricht Integratives Schulsystem  480 Interdisziplinarität 36 Internationale Ebene  473 f. Juristische Hermeneutik  36 Justiziabilität 338, 3389, 442, 442149, 445, 446, 446161 Kinder- und Jugendbericht für das Saarland  31417 Kindeswohl 294, 297  ff., 352, 354, 466, 466228, 469, 471, 471242, 477 Klassenfrequenzen  188 ff. Klassenteiler  130 f., 152, 191, 304, 584 Kommunale Schulträger –– s. Schulträger Kommunale Spitzenverbände  590, 594 –– s. a. Landkreistag Saarland, Saarländischer Städte- und Gemeindetag Kommunales Selbstverwaltungsrecht  590 Kommunalfinanzausgleichsgesetz 590 Kompensation  248, 451 f. Kompetenz  562 f. Kompetenzverteilung 406 Kompetenzzentren als „Schulen ohne Schüler“  387, 455190, 460, 466, 536 Konnexität –– s. Finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsrelevanz Kontingenz von Rechtsnormen  5, 36, 1691 Kooperationsverbot  203, 60825 Körperliche Unversehrtheit  116, 470241

Kostenersparnis –– s. Sparmaßnahmen, Stellenabbau Kostenfolgeabschätzung  401, 593 ff., 597 Kostenfrage  57 ff., 361, 394 ff., 401 ff., 594 Kostenneutralität als Vorgabe für integrative Unterrichtung 38, 58 f., 98, 136, 139 f., 13973, 226, 249, 395, 39682, 605 ff. Kulturhoheit der Länder  336, 41337 Kultusministerkonferenz  49, 474, 663 f. Ländervergleich –– s. Statistik der integrativen Unterrichtung Landesverfassungsrecht  100 ff., 364 ff., 448 ff. Landkreistag Saarland  591 Landtag des Saarlandes  411, 414 Legasthenie  78, 555, 571 f. Lehrer-Schüler-Relationen an Förderschulen  184 f. Lehrerbildung  228 ff., 513 f. Lehrerfortbildung  229, 232, 23254, 537 Lehrhilfskraft  123 f. Lehrkraft –– s. Ambulanzlehrkraft, Förderschullehrkraft, Regelschullehrkraft Lehrplan  179 ff., 549, 563, 567 Leistungsanforderungen  41, 548 f., 557 Leistungsbewertung  41, 333 f., 393 –– s. a. Individuelle Leistungsnorm Leistungsfähigkeit  310, 363, 379 Leistungsfeststellung  41, 550 Leistungsmaßstab  41, 393, 550 ff., 555 –– s. a. Individuelle Leistungsnorm Leistungsnorm –– s. Individuelle Leistungsnorm, Leistungsmaßstab Leistungsprinzip  552, 565, 579 Leistungsrechte  373 ff. Lernort  164, 172 ff., 455190, 459, 476 Lernumfeld  310, 359 –– s. a. Unterrichtssituation Lernziele  563, 567 Lindauer Abkommen  410, 412 Lissabon-Erklärung 298 Medien 69, 141, 251, 255 f., 31416, 318, 384 Mehrpädagogenprinzip –– s. Zwei-Pädagogen-System

Sachverzeichnis Menschenbild des Grundgesetzes  292 Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen  433121 Mentale Beeinträchtigungen  64, 66 ff., 104 ff., 114 f., 462, 514, 548, 615 Modellversuche  50, 55 –– s. a. Schulversuche Möglichkeitsvorbehalt 36, 38, 40, 46, 119, 131 ff., 135, 136, 170, 204, 223, 226 f., 250, 281, 286, 361, 441, 474, 477, 478, 478272, 580, 581, 587, 592, 596, 609 Monistischer Denk- und Handlungsansatz  369, 404, 437 Monitoring-Stelle zur VN-BRK 371, 433, 433118, 465, 475, 478272 Nachteilsausgleich 554, 559  ff., 568  ff., 571 ff. –– s. a. Notenschutz Nichtbehinderte Schüler  90 ff., 115 ff., 470241, 477, 568, 573, 574, 583, 611 Normalitätsbegriff  76, 491 Normdiskurs  5, 36, 168 ff., 251 Notenschutz  555 ff., 560, 565 ff., 571 ff. –– s. a. Nachteilsausgleich Numerus-clausus-Urteil  131, 441 Objektivrechtliche Handlungsverpflichtungen des Staates 41, 335, 343, 363, 373 ff., 399, 417, 432 ff., 472 Ökonomische Argumentation –– s. Bildungsökonomische Rechtfertigungsversuche Oktroi 292 Optionsrecht –– s. Wahlrecht des Kindes und der Eltern Ordnung des Schulwesens  336 Organisationsermessen  167, 447163 Organisationsformen integrativer Unterrichtung  80 ff., 439136 Organisatorische Voraussetzungen –– s. Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung Organkompetenz 406 Pädagogik  35, 37, 38 Pädagogische Doppelbesetzung der Klasse –– s. Zwei-Pädagogen-System

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Pädagogischer Vergleich „Integrative Unter­ richtung  – Förderschule“ 41, 308  ff., 318 ff., 325 ff. Paradigmenwechsel  37, 51, 79, 86, 380, 580 Parlamentarische Anfragen  170 f. Parlamentsvorbehalt  143 f., 579 –– s. a. Gesetzesvorbehalt Personalität des Menschen 77, 291 ff., 334, 347, 354, 490, 492, 535 Personalkategorien  121 ff. Personelle Voraussetzungen –– s. Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung Personelles Budget –– s. Budgetierung Pflegeheim 460 Pflichtschule 524 Pilotprojekt Inklusive Schule  495 PISA  305, 30557 Planstellen 182 –– s. a. Stellenabbau Pluralität  294, 372, 373, 3808, 437 Polarisierung  35, 270 Politikberatung –– s. Wissenschaftliche Begleitung/Politikberatung Prioritätensetzung der Politik  300, 399 Privatschule  267, 544 ff. Progressive Verwirklichung  417, 429 f., 446, 477 Publizistik –– s. Medien Qualitätssicherung 39, 42, 59, 152, 172, 218 ff., 265 f., 567, 615 ff. Qualitätsstandards –– s. Ausstattungsstandards, Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung Quellenlage  170 f. Rahmenbedingungen integrativer/inklusiver Unterrichtung –– s. Ausstattungsstandards, Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung Ratifikationsverfahren 407 Realbefund –– s. Integrative/Inklusive Unterrichtung im Saarland – Realbefund

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Realschule 267 Recht auf Bildung  100, 467, 468, 469 –– s. a. Grundrecht auf Bildung Rechtsanwendungsbefehl  406 f. Rechtsquellen 42 Rechtsstaatsprinzip  141, 418, 421, 439, 581 Rechtstatsachenforschung 5 Referenzrahmen –– s. Individuelle Leistungsnorm, Leistungsmaßstab Regel-Ausnahme-Verhältnis (Umkehrung)  504, 508, 510, 529, 531, 538 f., 586, 588, 593, 601, 611 Regelschullehrkraft 40, 107, 226 ff., 613 ff., 616, 619 –– s. a. Ambulanzlehrkraft, Förderschullehrkraft Regelungsdefizite  148 ff., 497, 585, 61657 –– s. a. Gesetzesvorbehalt, Parlamentsvorbehalt Respektierungspflichten 417 Ressourcen 36, 39, 118, 131, 170, 182 ff., 286, 300, 305, 342 ff., 361, 605, 610 Ressourcenallokation  133, 381, 583, 604 Ressourcenvorbehalt –– s. Möglichkeitsvorbehalt Ruhen der Schulpflicht  460206

Schulen für Behinderte  42, 46, 268, 277 Schüler-Lehrer-Relationen an Förderschulen (Erlassregelung)  188 ff. Schülerbeförderung  401, 533, 588 Schülersozialleistungen  603 f. Schulformbeschreibung  515, 516, 517, 523 Schulformen 175 ff., 267 f., 278, 279, 357, 513 ff. Schulische Praxis  37, 39 –– s.  a. Integrative/Inklusive Unterrichtung im Saarland – Realbefund Schulordnungsgesetz  42 f., 474, 628 ff. Schulpflicht  314, 460206 Schulpflichtgesetz  42 f., 634 ff. Schulpflichtgesetz-Ausführungsverordnung  43, 638 ff. Schulschließung –– s. Auflösung von Förderschulen Schulstandorte (Förderschulen)  531 Schulsystem  348, 350, 358, 385 ff., 39267 Schulträger  42, 135, 584 f., 594 Schulversuche 50, 51 ff., 138, 325 ff. –– s. a. Modellversuche Schulweg –– s. Zumutbarkeit des Schulweges Schulwesen –– s. Gegliedertes Schulwesen, „Eine Schule für alle“, Schulsystem Saarländischer Städte- und Gemeindetag  Schutzpflichten 417 590296, 297, 591, 593 f., 596314 Schwerbehindertengesetz  74, 478 Saarländisches BehindertengleichstellungsSchwerhörige gesetz  516, 595 f. –– s. Förderschwerpunkte Sächliche Voraussetzungen Schwerpunktschulen  196 f., 438136 Sehbehinderte –– s. Voraussetzungen integrativer/inklusiver –– s. Förderschwerpunkte Unterrichtung Sekundarschule 276 Salamanca-Erklärung 387, 452 ff. Sekundarstufe I  274, 288, 289 Schließung von Schulen Selbstbestimmungsrecht  292, 294, 347 –– s. Auflösung von Förderschulen Self-executing Schulabschluss 353 –– s. Unmittelbare innerstaatliche AnwendSchulaufsicht barkeit –– s. Staatliche Schulaufsicht, Staatliche Semantische Einebnung  485, 488, 491, 600 f. Schulhoheit Sensibilität  37, 341 Schulaufsichtsbehörde  164 ff., 210, 529, 601 Sonderpädagogische Unterstützung  492 ff., Schulbuchausleihe  603 f. 503 ff., 618 f. „Schuldenbremse“  608 f. –– s. a. Sonderpädagogischer Förderbedarf Schuleingangsuntersuchung Sonderpädagogischer Förderbedarf 63  f., –– s. Einschulungsuntersuchung 86 ff., 161 ff., 492 f., 505 ff. Schulen der Regelform  46, 474, 586

Sachverzeichnis –– s. a. Fallzahlentwicklung und Steuerungsversuche im Diagnoseverfahren, Sonderpädagogische Unterstützung, Sonderpädagogisches Feststellungsverfahren Sonderpädagogischer Förderschwerpunkt –– s. Förderschwerpunkt Sonderpädagogisches Feststellungsverfahren  161 f., 205 ff., 209 f., 214, 495, 505, 510, 601 –– s. a. Sonderpädagogischer Förderbedarf Sonderpädagogisches Förderzentrum 6057, 387, 455190, 460, 536 Sonderpädagogisches Gutachten  209 f., 505, 506, 601 f. Sonderschulbedürftigkeit  86 ff., 162 Sonderschule  42, 46, 267 f., 454, 473 Sonderunterricht  46, 460206 Sparmaßnahmen  300 ff., 534 Sprachförderunterricht an Grundschulen  48, 188 Staatenbericht zur VN-BRK  455190, 459 Staatliche Schulaufsicht  94, 365 Staatliche Schulhoheit  336, 348, 365, 462 Staatliche Schulverantwortung 5, 35, 42, 93 ff., 216 ff., 340 ff., 472, 600 ff. Staatspraxis  411, 415 f. Standards –– s. Ausstattungsstandards, Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung Ständige Vertragskommission der Länder  410 Statistik der integrativen Unterrichtung –– Entwicklung im Saarland:  168 ff., 205 f. –– Ländervergleich:  40, 265 ff., 441 –– s.  a. Datenbasis, Erhebungszeiträume, Quellenlage Stellenabbau  187 f., 214, 303, 605 ff. „Stille Integration“  136, 163 f., 444 Stottern 78 Stundenzuweisung –– s. Ambulanzlehrkraft-Wochenstunden je Schüler Subjektivrechtliche Rechtspositionen  373 ff., 417, 432 ff., 438 –– s. a. Individualrechte Symbolische Gesetzgebung  103, 229 System der sonderpädagogischen Förderung  336 ff., 3389, 396 f.

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Systemwechsel  50, 384, 385 ff., 389 f., 39267, 393, 397, 458, 474, 499, 526111, 528, 567, 579 –– s. a. „Eine Schule für alle“ Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts 393, 342, 345 Teilhaberechte  49, 77, 133, 441, 459, 484 f., 501 f. Toleranz  294, 372, 3808 Transformation in innerstaatliches Recht  406 ff., 416 ff., 449, 586 Transformationsdefizit 413 Transformationskompetenz 41131 Transformationstheorie 418 Transformationsverpflichtung  410, 411 ff. Transnationales Recht  479 Transparenzverweigerung 151, 152 ff., 2658, 566, 585 Typologie der völkerrechtlichen Verpflichtungsarten  416 f., 426 ff. Übersetzung –– s. Amtliche Übersetzung Umfeld, pädagogisches –– s. Unterrichtssituation UNESCO  452, 453187 Unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit  416 ff., 42066, 438 ff., 471242 Unterrichts- und Erziehungsziele  501 ff. Unterrichtssituation 97, 104, 245  f., 310, 311 ff., 353 ff., 379, 398, 471, 494, 618 Verantwortbarkeit integrativer/inklusiver Unterrichtung  38, 54, 99, 136 ff., 161 ff., 225, 247, 335, 395, 443, 446, 580, 607, 618 Verantwortungsethik  103 f., 247 Verbandskompetenz 406 Verfahrensregelung  159 ff., 529 f., 601 ff. Verfassung des Saarlandes 42, 267, 268 ff., 279, 288, 541 ff., 625 ff. Verfassungsrecht  5, 35, 404 Vergleich –– s. Pädagogischer Vergleich „Integrative Unterrichtung – Förderschule“ Verhaltensbeeinträchtigung –– s. Förderschwerpunkte Verhaltenspflichten  417, 426

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Sachverzeichnis

Vertragsgesetz  406, 411, 418, 436 Vertragsschließungskompetenz 41024 Vertragstext VN-BRK –– s. Amtliche Übersetzung Verwaltungsermessen –– s. Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Exekutive, Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, Organisationsermessen Verwirklichungsbedingungen einer Rechtsnorm  36, 168 VN-Ad-hoc-Ausschuss BRK  461, 464 VN-Behindertenrechtskonvention  376 ff., 387, 404 ff., 416 ff., 448 ff., 468 ff., 534 ff. VN-Deutschlandbericht 433121 VN-Kinderrechtskonvention  116, 468 ff. VN-Milleniumsentwicklungsziele 2000  458200 VN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Bildung 433121, 457 VN-Sozialpakt  116, 423, 468 ff., 617 ff. Völkerrecht  404 ff. Völkerrechtliche Rechtfertigungslast  441 f. Völkerrechtliche Verpflichtungsarten  416 ff. Völkerrechtliche Verträge (Umsetzung)  448166 Völkerrechtliches Durchsetzungsinstrumenta­ rium  433 ff. Völkerrechtsfreundlichkeit  405, 418, 419, 450 Völkervertragsrecht  5, 404 Vollzugsbefehl 407 Vollzugstheorie 418 Voraussetzungen integrativer/inklusiver Unterrichtung –– organisatorisch:  130 f., 148, 401, 581 ff., 584 –– personell:  37, 38, 54, 99, 107, 111, 118 ff., 128 ff., 137 f., 141 ff., 146 ff., 182 ff., 197 ff., 204 f., 230, 23254, 239, 240 ff., 246, 247, 249, 282, 300 ff., 381, 38112, 480, 580, 581 ff., 582269, 604, 609 f., 612 –– sächlich:  130, 146 f., 401 f., 584 f. –– s. a. Ausstattungsstandards

Vorbehalt des Möglichen –– s. Möglichkeitsvorbehalt Wahlrecht des Kindes und der Eltern 41, 297 ff., 335 ff., 348 ff., 353 ff., 356 ff., f., 399, 462  f., 473, 508, 529  ff., 361  534 ff., 539, 543, 545 Wahlschule 524 Waldorfschule 31833 Werkstatt für Behinderte  333 Wertordnung des Grundgesetzes  351 Wiener Vertragsrechtskonvention  426 Wirkungsdimension von Rechtsnormen  5, 36, 169, 249, 251 Wissenschaftliche Begleitung/Politikberatung  40, 57, 137, 193, 254 ff. Wissenschaftliche Erkenntnis  169, 341, 355 f. Zeugnisse  561 ff., 564, 566, 576 Zeugniswahrheit  566, 577 Zieldifferente Unterrichtung 58, 65, 66 f., 379, 381, 480, 517, 522, 548, 567 Zielgleiche Unterrichtung  65 f. Zugang zu den Schulen 351, 444, 455, 456 f., 458 Zugangssteuerung zur sonderpädagogischen Förderung 214, 301 ff., 603 –– s. a. Fallzahlentwicklung und Steuerungsversuche im Diagnoseverfahren Zumutbarkeit des Schulweges 361 f., 399, 531, 531123, 533 Zusammenlegung von Schulen –– s. Auflösung von Förderschulen Zuständigkeitsregelung  159 ff. Zwei-Gruppen-Sichtweise  76, 491 Zwei-Pädagogen-System  70 f., 82, 8262, 97, 107 ff., 111 f., 114, 129 f., 137, 219, 232, 248, 395, 396, 398, 403, 437, 443, 580, 612, 618 f.